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I. ÜBER DEN ALLGEMEINEN SINN DER ZEN-LEHRE Seit urdenklichen Zeiten erwägt der Mensch die Probleme seines Seins, er denkt darüber nach, das er nicht so ist, wie er sein möchte und deutet mehr oder weniger richtig die Fehler seines Handlungsmechanismus, das heißt er übt Selbstkritik. Diese Arbeit der Kritik fällt manchmal primitiv aus, oft aber erreicht sie in einer Reihe von Lehren einen hohen Grad von Tiefe und subtiler Genauigkeit. Die unerwünschten Erscheinungsformen des inneren menschlichen Funktionsablaufes, soweit sie sich auf den Durchschnittsmenschen beziehen, sind häufig und genau erkannt und beschrieben worden. In Hinblick auf die Fülle dieser Art von Erkenntnisarbeit nimmt die geringe Leistung auf therapeutischem Gebiet Wunder. Die Lehren, die einst und jetzt Aussagen machten über das Problem des Menschen und Grund wie Art untersuchen, warum der Mensch schlecht funktioniert, kommen notwendigerweise zur Fragestellung: »Wie kann man diesem Zustand der Dinge abhelfen?" Gerade hier aber herrscht Unstimmigkeit, und angesichts dieser Frage erweisen sich die jeweiligen Lehren als dürftig. Fast alle Schulen weichen aus, die einen umgehen die Frage einfach grob hin, die andern machen spitzfindige Ausflüchte. Eine Ausnahme ist nur die Zen-Lehre (und auch hier muss man präzisieren: einige Zen-Meister). Das soll nicht heißen, dass es in andern Schulen nicht auch einzelne Männer gegeben hat, die ihre eigene „Verwirklichung" erreicht haben. Eine deutliche Auslegung aber der Frage, eine klare Zurückweisung der irreführenden Wege zu diesem Ziel findet sich nur im reinen Zen. Der Hauptirrtum der falschen Methoden besteht darin, dass das vorgeschlagene Heilmittel nicht den tiefer liegenden Grund der Leiden des gewöhnlichen Menschen berücksichtigt. Die kritische Analyse der Probleme des Daseins dringt nicht tief genug ein in die tiefere Bedingtheit der innermenschlichen Erscheinungen. Sie stößt bei dieser Verkettung von Ursachen nicht bis zur letzten Ursache vor. Zu schnell bleibt sie bei der bloßen Schilderung von Symptomen stehen. Der Untersuchende sieht nur das Symptom selbst, und wenn seine diesbezügliche Analyse zu Ende ist, macht er halt. So kann er natürlich für die jeweilige Situation nur ein künstlich erdachtes Heilmittel in Betracht ziehen, das ganz einfach eine dem jeweils schädlichen Symptom entgegen gesetzte Situation erzeugen soll. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Mensch kommt zu der Folgerung, dass sein ganzes Unglück an seinen Ausbrüchen von Zorn, Eigenliebe, Sinnlichkeit etc. läge. Er erwartet sich Besserung durch den Versuch, Freundlichkeit, Bescheidenheit und. ein asketisches Verhalten an den Tag zu legen... Ein anderer, etwa, ein intelligenterer Mensch, wird zu der
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Folgerung gelangen, dass sein Unglück auf seiner inneren Erregbarkeit beruhe und wird durch geeignete Übungen versuchen, innerlich zur Ruhe zu kommen. Eine Lehre dieser Art würde lauten: „Unser Unglück hängt damit zusammen, dass wir immer etwas wünschen und an dem hängen, was wir besitzen." Je nach dem Grad der Einsicht des Lehrers läuft dies auf den Vorschlag hinaus, die Güter des Menschen zu verteilen oder zu lernen, sich innerlich von jenen Gütern zu lösen, welche man nach außen hin beibehält. Diese Lehre sieht den Hauptgrund des Unglücks des Menschen in seiner mangelnden Selbstbeherrschung. Sie wird zu Yoga-Übungen raten, d. h. zu Methoden, welche eine fortschreitende Disziplinierung des Körpers oder des Gefühls, des selbstlosen Verhaltens, des Wissens oder der Aufmerksamkeit zum Ziele haben. All dies käme nach der Lehre des Zen nur der Abrichtung eines intelligenten Tieres gleich und führt zur Knechtung des Menschen oder zu Ähnlichem, wobei eine erhebende Illusion im Menschen den Eindruck erweckt, er sei frei. Hinter all diesen Gedankengängen steckt die einfache Überlegung: „Aus folgender offensichtlicher Tatsache geht es nicht voran mit mir, nun gut, so will ich in Zukunft das Gegenteil tun." Diese Art der Fragestellung, insbesondere, wenn eine Form als solche schlecht beurteilt wird, hält den Studierenden im Bereich des Formalen begrenzt, so dass er es notwendigerweise ablehnen muss, sein Bewusstsein außerhalb jeglicher Form zu erneuern, Solange ich mich im Rahmen der dualistischen Ebene bewege, fehlt mir jeder überzeugende Hinweis, der mich aus der Illusion des Dualismus herausreißen, in die große Einheit aufnehmen und in ihr gesunden lassen könnte. Dies entspricht haargenau dem Problem „Achilleus und die Schildkröte". Die Art der Fragestellung schon hält den Fragenden in den Grenzen zurück, die er überschreiten soll, und so bleibt die Frage unlösbar. Das tiefschürfende Denken des Zen hingegen durchdringt alle unsere Erscheinungen, und begnügt sich nicht, nur deren Formen zu berücksichtigen. Dem Zen ist bewusst, dass in Wirklichkeit nichts schlecht in uns selbst funktioniert und wir nur deshalb leiden, weil wir dies nicht begreifen, weil wir in der illusorischen Annahme befangen sind, dass wir das Wirken unseres inneren Getriebes verbessern müssten. Andererseits wäre es natürlich absurd, zu behaupten, dass alles Leid des Menschen nur daher rühre, dass er in der illusorischen Annahme lebt, es fehle ihm etwas, da doch das „Übel", von dem die Rede ist, keine Wirklichkeit besitzt. Eine illusorische Annahme, eine Annahme ohne Wirklichkeit, kann ja nie der Grund sein für etwas Wirkliches. Genau genommen kann ich übrigens in mir tatsächlich nicht die Annahme vorfinden, dass mir etwas fehle. Wie könnte auch die illusorische Annahme von irgendetwas nicht Vorhandenem tatsächlich gegenwärtig sein? Ich stelle nur fest, dass mein Innenleben funktioniert, als ob diese Annahme vorhanden sei. Meine innere Welt funktioniert so, nicht auf Grund des Vorhandenseins dieser Annahme, sondern weil die unmittelbare geistige Intuition, dass mir nichts fehlt, im Grunde meines
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Bewusstseins schläft und noch nicht aus ihrem Dämmerzustand erwacht ist, Sie ist vorhanden, denn eigentlich fehlt mir nichts, aber sie schläft und erzeugt somit keinerlei Wirkung. Mein ganzes offensichtliches „Übel" hängt mit der Tatsache zusammen, dass mein intuitiver Glaube an die vollkommene Wirklichkeit sich im Schlafzustand befindet. Wach in mir sind vorläufig nur „Annahmen", und diese zeigen sich in allem, was mir meine Sinne und mein auf der Ebene des Dualismus arbeitender Geist aufweisen. Es sind somit Annahmen, die die Existenz einer vollkommenen, einzigen .Realität ausschließen, Sie sind illusorische Gebilde, besitzen keine Wirklichkeit und hängen mit dem Schlafzustand meines Glaubens zusammen. Ich bin ein „wenig gläubiger Mensch", genauer noch ein glaubensloser Mensch, oder besser, ich bin ein Mensch, dessen Glaube schläft und der nur an das glaubt, was er in dem Bereich der Form erkennt. (Dieser Begriff des vorhandenen, aber schlafenden Glaubens erklärt unser Bedürfnis nach der Gestalt eines „Erweckers", einer Lehre, einer Erhellung, durch die wir befreit würden. Es liegt ja eben im Wesen des Schlafes, dass der Schlafende sich dessen, was ihn erwecken könnte, nicht bewusst ist.) So scheint alles schlecht in mir zu funktionieren, weil die Grundidee, dass alles vollkommen, ewig und völlig positiv ist, im Zentrum meines eigenen Wesens schläft und nicht zu Leben und Wirklichkeit erweckt ist. Hier berühren wir den ersten schmerzhaften Punkt, mit dem alle unsere andern schmerzhaften Erscheinungen zusammenhängen. Der Schlafzustand unseres Glaubens, d. h. unserer intuitiven Gewissheit, der vollkommenen und einzigen Realität, außer welcher nichts wirklich „ist", stellt den Ausgangspunkt einer Kette falscher Vorstellungen dar. Keine Therapie gegen das illusorische menschliche Leiden kann wirksam sein, wenn sie nicht diesen Grundirrtum an der Wurzel packt. Auf die Frage „Was muss ich zu meiner Befreiung tun?"' antwortet das Zen „Du musst nichts tun, da du nie gefangen worden bist und es in Wirklichkeit nichts gibt, von dem da dich befreien müsstest.' Diese Antwort kann missverständlich und entmutigend erscheinen, weil sie das Wort „Tun" in zweideutigem Lichte lasst. Bei dem Durchschnittsmenschen löst sich das Tun in dualistischer Weise auf in Denken und Handeln, und nur auf die Handlung, die Ausführung des Gedachten, wendet der Mensch das Wort „tun" an. In diesem Sinne hat das Zen recht, dass wir nichts zu »tun" haben. Unser „Tun" wird harmonisch und spontan vor sich gehen, wenn wir erst einmal aufgeben, es auf irgend eine Weise verändern zu wollen und wenn wir ausschließlich daran arbeiten, den schlafenden Glauben in uns zu erwecken, das heißt diejenige Grundidee klar zu verstehen, die allein für uns von wirklichem Interesse ist. Diese in sich geschlossene und gewissermaßen bewegungslos ruhende Gesamtidee führt natürlich zu keinerlei besonderer Handlung, schließt keinerlei besondere Dynamik in sich. Sie ist diese zentrale Reinheit des Nicht-Handelns, durch die hindurch der spontane Strom des wirklichen natürlichen Lebens in ungetrübter Weise fließen kann. Dieses Verständnis wecken und pflegen ist tatsächlich auch ein wahres „Nichts-Tun", wenn Tun das heißt, was es notwendigerweise für den Durchschnittsmenschen
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bedeutet. Ja mehr noch, das Erwachen dieses Gedankens in unserem Bewusstsein äußert sich praktisch sogar durch eine (zum völligen Aufhören strebende) Veränderung aller überflüssigen Handhabungen, mit denen der Mensch bis dahin die Erscheinungen seines Innenlebens gewaltsam zu verändern suchte. Allerdings kann man sagen, dass das Bemühen, eine Idee zu erfassen, auch eine Art von "Tun" ist. Da aber das Wort „tun" für den Durchschnittsmenschen die eben erwähnte Bedeutung hat, erscheint es besser, um jedem gefährlichen Irrtum vorzugreifen, im Sinne des Zen zu sprechen. Das heißt aufzuzeigen, dass das Bemühen, das die menschliche Angst beseitigen kann, eine Arbeit des reinen Intellektes ist und nicht erfordert, dass man irgendetwas Besonderes in seinem inneren Leben »tue", sondern dass man im Gegenteil aufhöre, irgend eine Veränderung im Innern herbeiführen zu wollen. Betrachten wir die Frage noch genauer. Die Arbeit, welche den Glauben an die einzige und vollkommene Wirklichkeit unseres Seins erweckt, geht in zwei Perioden vor sich. Im ersten vorläufigen Stadium gewahrt unser diskursives Denken alle nötigen Ideen, um theoretisch das Vorhandensein dieser intuitiven „Gewissheit“ dieses in uns schlafenden Glaubens zu verstehen, wie auch die Möglichkeit seiner Erweckung zu entdecken und zu erkennen, dass nur diese Erweckung unseren illusorischen Leiden ein Ende bereiten kann. Auf dieser Vorstufe kann die ausgeübte Tätigkeit auch als „Tun" gelten. Angenommen aber, dies theoretische Verständnis sei erworben, so ändert es noch nichts an der Natur unseres Leidens. Das Verstehen muss sich zu gelebtem, lebendigem Verständnis umformen, unser Gesamtorganismus muss davon durchdrangen sein, theoretisches und praktisches Verständnis müssen eins werden, abstrakt und konkret zugleich. Erst dann ist unser Glaube wirklich erweckt. Aber diese Verwandlung, dieses Zersprengen der Form, kann nicht das Ergebnis eines direkten Bemühens sein, denn der Durchschnittsmensch pflegt blind zu sein für alles, was außerhalb einer festen Form liegt, Es gibt keinen bestimmten „Weg" zur Befreiung; wie gäbe es ihn auch, da wir doch in Wirklichkeit nie unfrei waren und es auch weiterhin nicht sein werden. Wir müssen nirgendwo »hingehen" und es gibt auch nichts zu „tun". Der Mensch braucht auf direkte Weise nichts zu unternehmen, um seine völlige und unendlich beglückende Freiheit zu erfahren, Was er tun muss, geht auf indirekte und negative Weise vor sich. Was er dank seiner Arbeit begreifen soll, ist die Tatsache, dass alle „Wege", die er plant oder beschreiten will, nur eine täuschende Illusion sind. Hat der Mensch auf Grund ausdauernder Bemühungen klar verstanden, dass alles was er zu seiner Befreiung tun kann, nichtig ist, hat er in konkreter Weise den Begriff aller vorgestellten „Wege" in sich ausgemerzt, dann wird „Satori" ausgelöst und mit ihm die wirkliche innere Gewissheit erweckt, dass es keinen Weg gibt, den wir in irgend einer Weise gehen könnten, da wir von Ewigkeit her im einzigen und prinzipiellen Zentrum aller Dinge waren. Das, was wir unter „Befreiung" verstehen, bedeutet somit das Verschwinden der Illusion, unfrei zu sein, Wir erlangen diese Befreiung in chronologischer Aufeinanderfolge durch die innere Arbeit an
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uns selbst, wenn die Befreiung auch im Grunde nicht durch sie verursacht ist. Diese innere, formale Arbeit kann nicht etwas erzeugen, was jenseits jeder Form, folglich auch jenseits ihrer selbst liegt. Sie ist nichts als das Instrument, durch das der Urgrund wirksam wird. So besteht also die berühmte „enge Pforte" nicht auf formale Weise, ebenso wenig wie der „Weg", der zu ihr führt. Es sei denn, man wollte dieses Begreifen, dass es weder Weg noch Pforte, Richtung oder Zielpunkt gibt, so benennen. Dies ist das große Geheimnis und zugleich die große offensichtliche Klarheit, die uns die Meister des Zen enthüllen.
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II. „GUT" UND „BÖSE" Bekanntlichermassen schildert uns die traditionelle Metaphysik die fortdauernde Schöpfung des Universums als das sich versöhnende und versöhnte Spiel zweier entgegengesetzter und sich ergänzender Kräfte. Die Schöpfung ist danach das Ergebnis dreier Kräfte: einer positiven, einer negativen und einer versöhnenden Kraft. Dieses „Gesetz der Drei" kann durch Versöhnendes Oberes Prinzip ein Dreieck symbolisch dargestellt werden: die beiden unteren Spitzen des Dreiecks stellen die beiden unteren Prinzipien der Schöpfung dar, das positive und das negative Prinzip. Die obere Dreiecksspitze stellt das Obere oder Versöhnende Prinzip dar. Die beiden unteren Prinzipien entsprechen nach der chinesischen Positives Negatives Lehre den beiden großen kosmischen Kräften unteres unteres Prinzip Positives Negatives von Yang: (positiv, männlich, trocken, unteres Prinzip warm) und Prinzip Yin: (negativ, weiblich feucht, kalt). Zugleich entsprechen sie dem Roten und dem Grünen Drachen, deren unaufhörlicher Kampf die fortdauernde Schöpfung der „Zehntausend Dinge" bedeutet. Versöhnendes Oberes Prinzip
Das Diagramm des T'ai-ki enthält einen schwarzen Teil, das Yin, und einen weißen Teil, das Yang, genau gleich große Flächen und einen Kreis, der beide Flächen umgibt und das Tao heißt (Oberes Versöhnendes Prinzip). Die schwarze Fläche enthält einen weißen Punkt und die weiße Fläche einen schwarzen, um zu verdeutlichen, dass kein Element der Schöpfung völlig positiv oder völlig negativ ist. Der ursprüngliche Yang-Yin-Dualismus enthält alle DIAGRAMM DES TAI-KI erdenklichen Gegensätze: Sommer-Winter, TagNacht, Bewegung-Unbeweglichkeit, SchönheitHässlichkeit, Wahrheit-Irrtum, Aufbau-Zerstörung, Leben-Tod, etc.
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Dieser letzte Gegensatz ist ganz besonders in einer der hinduistischen Triaden lehren beleuchtet worden, auf die wir noch zu sprechen kommen: unter Brahma, dem obersten Prinzip, ist die Schöpfung das gleichzeitige Werk von Vishnu, dem „Bewahrer der Lebewesen", und von Shiva, dem „Zerstörer der Lebewesen". Die Schöpfung des Universums, wie wir es erkennen, vollzieht sich in der Zeit. Das heißt, das Spiel der beiden unteren Prinzipien ist zeitlich. Aber diese beiden Prinzipien selbst dürfen nicht als zeitlich betrachtet werden, da man sie nicht den Grenzen unterwerfen kann, die ihr Spiel hervorbringt. Sie nehmen eine vermittelnde Stellung ein und sind zwischen dem Oberen Prinzip und der Schöpfung des Universums gelegen, welche die Manifestation dieses Prinzips darstellt. Die ganze Schöpfung des Universums spielt sich somit in der Zeit ab, aber sie selbst ist ein zeitloser Vorgang, dem man Anfang und Ende weder zu noch absprechen kann, da diese Worte außerhalb der Grenzen der Zeit jeglichen Sinnes entbehren. Die modernsten wissenschaftlichen Theorien von heute nähern sich hier der Metaphysik und fassen für das konkrete Universum weder einen Anfang noch ein Ende ins Auge. All dies muss man begreifen, um sich endgültig von jener kindlichen Vorstellung zu lösen, nach der ein in anthropomorpher Art gesehener Schöpfer einst die Bewegung des Universums in Gang gesetzt hätte. Mein Körper zum Beispiel ist nicht nur an dem Tage seiner Zeugung entstanden. Er wird immerdar aufs Neue geboren. Jeden Augenblick meines Lebens vollzieht sich in meinem Körper Geburt und Tod der Zellen, aus denen er zusammengesetzt ist. Der ausgewogene Kampf in mir von Yang und Yin gebiert mich immer neu, bis zu meinem Tode. Innerhalb dieser nichtzeitlichen Triade, die unaufhörlich unsere zeitliche Welt neu gebiert, erkennt man die völlige Gleichheit der zwei unteren Prinzipien. Da beider Zusammenwirken für die Erscheinung des Ganzen aller Phänomene wie für die Erscheinung jedes Einzelphänomens, so klein es auch sei, notwendig ist, kann man weder dem einen noch dem andern der beiden Prinzipien eine qualitative oder quantitative Überlegenheit einräumen. In der einen Erscheinung sehen wir das Yang, in der andern das Yin vorherrschen, aber die beiden Drachen halten sich in der räumlichen und zeitlichen Ganzheit des Universums genau die Waage. Daher ist das Dreieck, welches die schöpferische Triade vorstellt, in der überlieferten. Metaphysik immer ein gleichschenkliges Dreieck gewesen, dessen Basis streng horizontal verläuft. Die Gleichheit der beiden unteren Prinzipien bringt notwendigerweise die Gleichheit ihrer abstrakt ins Auge gefassten Erscheinungsformen mit sich. Wenn Shiva auf gleicher Stufe wie Vishnu steht, weshalb wäre dann das Leben dem Tod überlegen? Vom abstrakten Standpunkt aus, auf dem wir augenblicklich stehen, ist das eben Gesagte völlig einleuchtend. Warum sähen wir von hier aus betrachtet im Aufbau auch nur im Geringsten etwas Überlegeneres als im Abbau, In der Bejahung Höheres als in der Verneinung, in der Freude Besseres als im Leiden, in der Liebe Höheres als im Hass, etc.?
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Lassen wir das rein intellektuelle, theoretische und abstrakte Denken beiseite und beschränken wir uns auf unsere konkrete Psychologie, so können wir zwei Dinge feststellen: zunächst einmal die uns eingeborene Parteinahme für alle positiven Erscheinungen, als da sind Leben, Aufbau, Güte, Schönheit, Wahrheit. Das erklärt sich leicht, da diese Parteinahme der geistige Ausdruck einer gefühlsmäßigen Vorliebe ist, welche logischerweise mit dem im Menschen vorhandenen Lebenstrieb zusammenhängt. Doch können wir auch eine Tatsache wahrnehmen, die weniger leicht zu erklären ist: Im metaphysischen Sinn verbindet man mit der Vorstellung des „verwirklichten", jeder irrationalen Determiniertheit entzogenen und innerlich freien Menschen, der nach der Vernunft, d. h, mit dem Höchsten Prinzip identisch lebt, völlig in den Rahmen der kosmischen Ordnung eingefügt und von dem irrationalen Existenzbedürfnis mit seiner eingeborenen Vorliebe für das Leben gegenüber dem Tode befreit ist, die eindeutige intuitive Erkenntnis, dass die Handlungen eben dieses „befreiten" Menschen konstruktiv und von Liebe erfüllt sein müssen, nicht aber voll von Hass und zerstörenden Elementen. Wir möchten nicht behaupten, dass der „verwirklichte" Mensch voller Liebe und konstruktiver Ideen sei, denn er hat ja die dualistischen Gefühle des gewöhnlichen Menschen hinter sich gelassen. Aber wir können nicht anders, als seine Handlungen vom Geist der aufbauenden Liebe bestimmt zu sehen. Warum scheint also jene Parteinahme, die aus dem Geist des „verwirklichten" Menschen ausgeschaltet wurde, in seinem Verhalten weiter fortzubestehen? Auf diese Frage muss eine Antwort gefunden werden, wenn wir das Problem von „Gut" und „Böse" ganz verstehen wollen. Sehr viele Philosophen haben in durchaus richtiger Weise unsere gefühlsmäßige Vorstellung von Gut und Böse kritisiert und ihr einen, absoluten Wert abgesprochen. Diese Ablehnung ging aber häufig auf Kosten eines Systems, das mit der Zurückweisung irriger Annahmen auch deren gute Seiten leugnete, den Menschen jenseits von Gut und Böse stellte und ihn damit in seinem praktischen Lebensverhalten richtungslos ließ oder einer verkehrten Moral auslieferte. Die Schwierigkeit besteht nicht in der Kritik unserer gefühlsmäßigen Betrachtung von Gut und Böse, sondern in einer Art der Kritik, die jene Vorstellung nicht zerstört, sondern vervollständigt und in die metaphysische Versöhnung mit einbezieht. Vergegenwärtigen wir uns zunächst kurz den Hauptirrtum, den der Mensch angesichts dieses Problems begeht. Der Mensch sieht außerhalb seiner und in sich selbst positive und negative, aufbauende und zerstörende Erscheinungen. Kraft seines Lebenstriebes muss er die aufbauenden Dinge den zerstörenden vorziehen. Als denkendes Lebewesen und begabt, abstrakt zu denken und zu verallgemeinern, ist er fähig, sich geistig zum Begriff der aufbauenden wie der zerstörerischen Kräfte im allgemeinen, das heißt sich zum Begriff der beiden unteren Prinzipien, des positiven und des negativen, zu erheben. Auf dieser Stufe des Denkens wird die gefühlsmäßige Vorliebe zur geistig-intellektuellen Parteinahme, und der Mensch kommt zu dem Ergebnis, dass der positive Aspekt der Welt „gut" und einzig zulässig ist, und dass er immer vollständiger den negativen Aspekt, welcher „böse" ist, ausscheiden muss. Hiermit hängt die Sehnsucht nach einem „Paradies" zusammen, das frei von jeder negativen
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Vorstellung gedacht wird. In diesem unvollkommenen Stadium des Denkens erkennt der Mensch das Vorhandensein der zwei unteren Prinzipien, aber nicht das des oberen Prinzips, welches die beiden andern versöhnt. Er sieht daher nur die kämpferische Natur der beiden Drachen und nicht ihre gegenseitige Ergänzungsbedürftigkeit. Er sieht die beiden Drachen streiten, aber er erkennt nicht, dass sie in diesem Streit zusammenarbeiten, weshalb er Unumgänglicher weise den ganz absurden Wunsch hegen muss, das „Ja" endgültig über das „Nein" triumphieren zu sehen. Er erkennt zum Beispiel in sich selbst aufbauende Möglichkeiten, die er für „Qualitäten" hält, wie andererseits zerstörerische Möglichkeiten, die er als „Fehler" bezeichnet, Er ist der Auffassung, dass seine richtige Entwicklung die völlige Ausscheidung seiner „Fehler" erfordere und nur die guten Selten, die „Qualitäten", ihn beherrschen dürften. Nach dem Bilde des „Paradieses" entwirft er das Bild des „Heiligen", in dem nur die völlig positiven Kräfte wirksam sein dürfen, und diesem Vorbild strebt er nach. Anders ausgedrückt: diese Weise des Verhaltens bewirkt eine Art Dressur aller bedingten Reflexe, und die negativen Kräfte werden zugunsten der positiven zurück gehalten. Es leuchtet jedoch ein, dass eine derartige Entwicklung unvereinbar ist mit der nicht zeitlichen Verwirklichung, welche die Synthese des negativen und positiven Poles darstellt und voraussetzt, dass diese beiden Pole, ohne in ihrer Gegensätzlichkeit aufgehoben zu werden, harmonisch zusammenarbeiten können. Wenn der Begriff des Oberen Prinzips fehlt, führt diese Auffassung von den beiden unteren Prinzipien unausweichlich dazu, diesen beiden unteren Prinzipien einen sowohl absoluten wie persönlichen Charakter zu verleihen: Das positive Prinzip wird „Gott", das negative Prinzip wird „Satan". Fehlt die obere Spitze des Triaden Dreiecks, so kann die Basis des Dreiecks nicht horizontal bleiben. Sie macht eine Vierteldrehung: die untere positive Spitze wird zu „Gott" und steigt zum Zenit (zum „Paradies") auf, die untere negative Spitze wird zum „Teufel" und sinkt zum Fußpunkt herab (zur „Hölle"). „Gott" wird als vollkommenes, positives, anthropomorphes Prinzip vorgestellt; er ist gerecht, gut, schön, bejahend, aufbauend. „Satan" verkörpert das vollkommen negative, anthropomorphe Prinzip; er Ist ungerecht, böse, hässlich, negativ, zerstörerisch. Da dieser Dualismus der Prinzipien der tiefen Intuition des Menschen von einem einzigen, alles umfassenden Prinzip widerspricht, stellt die Existenz des „Bösen", des „Satans" in seiner Beziehung zu „Gott" den Menschen vor ein praktisch unlösbares Problem und zwingt ihn zu philosophischen Kunststücken. Innerhalb dieser akrobatischen Kunststücke der Philosophie gibt es jedoch eine Idee, deren Grund, wie wir gleich sehen werden, etwas Richtiges enthält, die Idee nämlich, dass „Gott" die Existenz des „Teufels" will und nicht umgekehrt. Diese Idee gibt „Gott einen offensichtlichen Vorrang vor dem „Teufel", Aber nichts in dieser dualistischen Sicht kann erklären, wieso es „Gott" nötig habe, die Existenz des „Teufels" zu wollen, und dabei doch völlig frei bleibe.
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Achten wir nun auf die enge Verwandtschaft, welche zwischen dieser dualistischen „Gott-Teufel"-Vorstellung und dem ästhetischen Sinn besteht, der das menschliche Lebewesen von anderen Lebewesen unterscheidet. Der ästhetische Sinn äußert sich darin, den Dualismus Bejahung-Verneinung in Formen zu erblicken, „Satan" ist hässlich, er besitzt eine negative Form, eine sich gewissermaßen auflösende Form, die zum Formlosen strebt. Der Mensch zeigt eine gefühlsmäßige Vorliebe für die Wohlgefügtheit, den konstruktiven Geist im Gegensatz zur Enstelltheit, der Zerstörung schlechthin. Die Form des „schönen" menschlichen Körpers ist diejenige, die dem Höhepunkt des aufbauenden Elementes entspricht, und zwar zu dem Zeltpunkt, wo er so weit wie möglich vom Formlosen entfernt ist und noch nicht begonnen hat, zur Formlosigkeit zurückzukehren. So nimmt es nicht wunder, dass jede „Moral" in Wirklichkeit der ästhetische Ausdruck subtiler Formen ist, wie etwa: »eine schöne Geste machen", „einen hässlichen Charakter haben", etc. Zu dieser dualistischen Auffassung von Gut und Böse, die der Idee des Höchsten Versöhnenden Prinzips vorangeht, gelangt der menschliche Geist auf spontane und natürliche Weise, wenn ihm die uralte metaphysische Wahrheit nicht überliefert wurde. Die erwähnte dualistische Vorstellung ist unvollständig und ist irrig, insofern sie unvollständig ist. Doch enthält sie eine wesentliche Wahrheit innerhalb ihrer Grenzen. Wenn auch die intellektuelle Parteinahme für das „Gute", soweit sie auf Unwissenheit beruht, ein Irrtum ist, so kann die angeborene gefühlsmäßige menschliche Vorliebe für das „Gute" kein Irrtum sein, da sie auf der irrationalen Ebene des Gefühls entsteht und somit weder für noch gegen die Vernunft spricht. Außerdem hat diese gefühlsmäßige Neigung sicherlich einen Grund, eine „Existenzberechtigung", welche unser rationales Verstehen nicht a priori abweisen darf, sondern im Gegenteil suchen soll, zu verstehen. Präzisieren wir unsere Frage: Angenommen, die beiden unteren, vom reinen Intellekt erkannten Prinzipien erscheinen in ihrem sich gegenseitig ergänzenden Antagonismus völlig gleich, warum erscheinen sie dann vom praktisch gefühlsmäßigen Gesichtspunkt aus gesehen ungleich, und zwar so, dass das positive Prinzip ganz eindeutig den Vorrang vor dem negativen Prinzip erhält? Wenn wir bei der Zeichnung des Triaden Dreiecks die beiden unteren Spitzen „relatives Ja" und „relatives Nein" nennen, weshalb fühlen wir uns, auf der Suche nach einer Bezeichnung für die oberste Spitze, gezwungen, sie „absolutes Ja" statt „absolutes Nein" zu nennen? Wenn die unteren Spitzen der „relativen Liebe" und dem „relativen Hass" entsprechen, warum kann dann die oberste Spitze nur „absolute Liebe" und nicht „absoluter Hass" heißen? Warum erweckt das Wort „Schöpfung", obwohl die Schöpfung nicht minder Zerstörung wie Aufbau enthält, in unserem Geiste immer die Vorstellung von Aufbau und Wachstum, aber nie die Vorstellung von Niedergang und Abbau? Um dies verständlich zu machen, führen wir ein einfaches mechanisches Beispiel an. Ich werfe einen Stein: zwei Kräfte sind im Spiel, eine aktive Kraft, die aus meinem Arm kommt, eine passive Kraft, die im Stein ruht. Diese beiden Kräfte
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sind einander entgegengesetzt, ergänzen sich aber. Ihr Zusammenwirken ist nötig, damit der Stein seine Bahn beschreibt. Ohne die aktive Kraft meines Arms käme der Stein nicht in Bewegung. Ohne die von seiner Masse bedingten Trägheit würde derselbe Stein, sobald er aus meiner Hand geworfen wird, keine Bahn beschreiben können. Hätte ich Steine von verschiedener Masse zu werfen, so würde ich den Stein am weitesten werfen können, dessen Trägheit am genauesten der aktiven Kraft meines Armes entspräche. Vergleichen wir die beiden Kräfte untereinander: keine der beiden verursacht die andere. Die Masse des Steins besteht unabhängig von der Kraft meines Armes und umgekehrt. Von hier aus betrachtet ist keine der beiden Kräfte der andern überlegen. Aber das Spiel der aktiven Kraft verursacht das Spiel der passiven. Wenn das Spiel meines Armes A k t i o n ist, so ist das Spiel der Trägheit des Steins R e a k t i o n . Was für diese beiden Kräfte einer so geringfügigen Erscheinung gilt, hat auf allen Stufen der universellen Schöpfung Geltung. Werden die beiden unteren, das positive und das negative Prinzip, abstrakt, außerhalb ihres Spiels betrachtet, so bedingen sie sich gegenseitig nicht. Unabhängig von einander weisen sie auf einen Ersten Grund hin; im Hinblick auf diesen sind sie völlig gleich. Sobald wir sie aber in ihrem Zusammenwirken betrachten, erkennen wir das Spiel der aktiven Kraft als Ursache des Spiels der passiven Kraft. (In diesem Sinne will „Gott" die Existenz des „Teufels" und nicht umgekehrt.) Soweit die beiden unteren Prinzipien wirken und etwas hervorbringen, löst das positive Prinzip das Spiel des negativen Prinzips aus und besitzt somit in diesem Punkt eine fraglose Überlegenheit über das negative Prinzip. Der Vorrang der aktiven Kraft vor der passiven besteht nicht in chronologischer (Reaktion und Aktion treten gleichzeitig auf), sondern in kausaler Vorzeitigkeit. Man könnte es so ausdrücken, dass der augenblickhafte Kraftstrom, durch den das Höchste Prinzip die beiden unteren Prinzipien in Bewegung setzt, das negative Prinzip berührt, indem er durch das positive Prinzip hindurchgeht. So lässt sich begreifen, dass die beiden unteren Prinzipien, die dem „Sein" nach gleich sind, der „Erscheinung" nach ungleich sind und das positive Prinzip dem negativen überlegen ist. Die Kraft, welche eine Barmherzige Schwester zum Wohltun bewegt, ist dieselbe wie diejenige, die den Mörder zu seiner Tat führt, aber die Pflege der Waisenkinder hat unleugbaren Vorrang vor dem Mord. Beachten wir also, dass der konkrete Akt der Barmherzigkeit einen unbestreitbaren Vorzug vor dem konkreten Akt des Mordes hat, dass aber beide Handlungen, abstrakt gesehen, gleich sind, da sie unter dieser Perspektive nur die symbolischen Repräsentanten von positiver und negativer Kraft sind, welche gleichen metaphysischen Wert besitzen. An diesem Punkt angekommen, verstehen wir, dass jede Erscheinung konstruktiver Art aus dem aktiven Kräftespiel (Handeln) und jede Erscheinung destruktiver Natur aus dem passiven Kräftespiel (Reaktion) hervorgeht. Aus diesem Grund ist der „verwirklichte" Mensch auch konstruktiv in jedem Augenblick, wo die Umstände es ihm erlauben. Er ist von allen bedingten Reflexen wirklich befreit. Sein Verhalten ist keinerlei „Reagieren" mehr, sondern nur noch reine
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Aktion, reines Handeln, und da er aktiv ist, baut er auf. Das zerstörerische Betragen des „bösen" Menschen kann den Anschein von Initiative erwecken und so aussehen, als ob es aus einer aktiven, destruktiven Kraft herrühre. Wirklich handelt jedoch dieser „böse" Mensch ursprünglich, um sich zu bejahen (Aufbau). Aber auf. Grund unrichtiger und auf Unwissenheit beruhender Gedankenassoziationen gerät die Handlung, welche zunächst als Bejahung gedacht war, in das Bereich der vorherrschenden Zerstörung. Wenn der Stein, den ich aufheben will, zu schwer ist, muss ich mich zu ihm hinunter bücken. Meine ursprüngliche aktive Kraft ist deshalb nicht weniger in die Höhe gerichtet. Der „verwirklichte" Mensch, stellten wir fest, tut das „Gute". Aber beachten wir, dass dieses „Gute" nichts als eine einfache Konsequenz der inneren Arbeit ist, durch welche die Göttliche Vernunft in diesem Menschen erweckt und aktiv geworden ist zur Verwirklichung ihrer dreieinheitlichen Synthese. Das „Gute" ist eine einfache Folge des befreiten Verständnisses, das sich in der Ganzheit des Seins äußert. Dieses tiefe Verständnis hat jeden Irrglauben an die illusorische Vorherrschaft des unteren positiven Prinzips oder des „guten" Prinzips überwunden. Ein solcher Mensch tut nur noch das „Gute", aber allein aus dem Grund, weil er es nicht mehr vergöttert und nicht mehr an ihm hängt als am „Bösen". Er verhält sich nicht so wie ein Mensch, der sich zwingt, ein „Heiliger" zu sein. Das starre Verhalten des systematisch eingeengten Heiligen läuft manchmal sogar Gefahr, mehr Zerstörerisches als Aufbauendes hervorzubringen. Das Verhalten des „verwirklichten" Menschen hingegen stellt letzten Endes mehr Konstruktives als Destruktives dar (ohne dass dies irgendwie sein Ziel zu sein braucht), weil es aus reiner Aktivität hervorgeht und in immer neuer und freier Form den jeweiligen Umständen in vollkommenster Weise entspricht. Alles in allem ist die wahre Ethik das bloße Ergebnis der nichtzeitlichen Verwirklichung. Der Weg zur Befreiung aber kann nie aber eine »Moral" führen, jede Ethik vor dem Satori ist verfrüht und verhindert durch die ihr eigene Beengung die Erlangung des Satori. Das soll jedoch nicht heißen, dass der an seiner Inneren Befreiung arbeitende Mensch seine gefühlsmäßige Vorliebe für das „Gute" aufgeben müsse. Er nimmt diese Vorliebe mit derselben verständigen geistigen Unparteilichkeit an, mit der er sein ganzes inneres Leben annimmt. Aber er wird sich hüten, in falscher Weise diese gefühlsmäßige und als solche unschädliche Neigung als geistige Parteiergreifung aufzufassen, die seinem inneren Frieden im Wege stände. Mit all dem sollen nicht etwa die „spiritualistischen" oder „idealistischen" Lehren verurteilt werden, welche Werte wie Tugend, Güte, Liebe etc. preisen nach der Auffassung all derer, die guten Willens sind. Auch dies wäre ja wieder eine widersinnige, intellektuelle Parteilichkeit. Der Mensch denkt und handelt, wie er es eben versteht. Wir behaupten nur, dass all diese Lehren an sich und durch sich nicht zur Erlangung des Satori führen. Wenn aber ein Mensch, was ja sein gutes Recht ist, das Satori erreichen will, so muss sein Verstehen auch jede Lehre überwinden, die eine theoretische Parteinahme zwischen Yang und Yin darstellt.
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Im Zen heißt es: „Der vollkommene Weg kennt keine Schwierigkeit, es sei denn diejenige, dass er sich jeder Vorliebe enthält... Besteht eine Differenz auch nur um den zehnten Teil eines Zolls, sind Himmel und Erde schon voneinander getrennt."
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III. DIE VERGÖTTERUNG DES „ HEILES“ Ein Haupthindernis für die Möglichkeit der nicht-Zeitlichen Verwirklichung des Menschen besteht in der Auffassung, diese Verwirklichung irgendwie erzwingen zu müssen. Bei vielen „geistigen" Systemen, religiöser oder auch nicht religiöser Natur, hat der Mensch die Pflicht, sein „Heil" zu erwerben. Dabei wird alles „Zeitliche" entwertet und jede vorstellbare Wirklichkeit wird auf das „Heil" bezogen. dass es sich hierbei um eine Art von „Vergötterung" oder Götzendienst handelt, geht schon daraus hervor, dass eine Verwirklichung, die andere Dinge ausschließt, selbst nur ein Ding unter anderen Dingen, d. h. begrenzt und formal ist, zumal sie gleichzeitig den Anspruch auf „Heiligkeit" erhebt und sich unermesslich hoch über alles übrige stellt. Jede einschränkende, der Freiheit des Menschen also abträgliche Wirklichkeit, die er sonst dieser oder jener „zeitlichen" Unternehmung beimisst, wird hier ausschließlich auf die Idee des „Heils" konzentriert, die somit einen nur denkbar tyrannischen Charakter annimmt, Verwirklichung heißt aber Befreiung und so gelangt man zu jenem absurden Paradox, dass der Mensch der Pflicht unterworfen ist, sich zu zwingen, frei zu sein. Auch die Angst des Menschen bezieht sich auf die Frage seines Heiles. Er zittert bei der Vorstellung, sterben zu müssen, ehe er zu dieser Befreiung gelangt ist. Notwendigerweise bringt ein so schwerer Irrtum Beunruhigung, innere Erregung, das Gefühl eigener Unwürde und Selbstverkrampfung mit sich, wodurch inneres Zur-Ruhe-Kommen, Versöhnung mit sich selbst, selbstverständliches sichhinnehmen als Einzelexistenz, Abnahme von Gefühlserregungen und alles das ausgeschlossen wird, was dem inneren Klima nach zur Entspannung dient und die Auslösung des Satori ermöglicht. Ein Mensch, der sich auf diese Weise irrt, hätte indes die Möglichkeit, etwas besser zu überlegen. Pflicht gibt es nur, wo eine Autorität vorhanden ist, die Forderungen stellt. Der Gläubige der einen oder anderen Religion wird „Gott" als diese Autorität bezeichnen, welche ihm sein „Heil" als Pflicht auferlegt. Aber was ist dieser „Gott", der sich von mir, dadurch dass er mir etwas auferlegt, unterscheidet und der meiner Handlung bedarf? Ist also doch nicht alles in seine vollkommene Harmonie mit einbezogen? Der gleiche Irrtum findet sich bei manchen Menschen, die geistig hoch genug stehen, um nicht mehr an einen persönlichen „Gott" zu glauben. Wenigstens scheint es, als ob sie es nicht mehr tun. Sieht man aber näher hin, so wird man gewahr, dass sie doch noch an ihn glauben. Sie stellen sich ihr Satori vor und betrachten sich selbst diesem ihrem Satori entsprechend. Das ist ihr persönlicher „Gott", ein beunruhigendes, unversöhnliches Zwangsidol. Für sie besteht das M u s s , sich zu verwirklichen, sich zu befreien. Bei dem Gedanken, dies nicht zu erreichen, sind sie
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entsetzt und bei jedem inneren Anzeichen, das ihnen Hoffnung verleiht, geraten sie in Ekstase. Das ist „geistiger Hochmut", mit dem sich unausweichlich die absurde Idee vom „Übermenschen", dessen Verwirklichung recht eigentlich erstrebt wird, und Angst verbinden. Dieser Irrtum zieht in fataler Logik auch das Bedürfnis nach sich, andere zu unterweisen. Unsere Haltung dem andern gegenüber entspricht genauestens der Haltung, die wir uns selbst gegenüber einnehmen. Glaube ich, dass ich mein „Heil" erwerben muss, so kann ich nicht umhin zu glauben, dass ich auch den andern dahin führen m u s s , sein Heil zu erwerben, Wenn die relative Wahrheit, die ich besitze, in mir selbst mit der Vorstellung der „Pflicht" verbunden ist, dieser Wahrheit nach zu leben — bewusste oder unbewusste Vergötterung der Pflicht —, so muss ich notwendigerweise auf den Gedanken kommen, dass es zu meiner „Pflicht" gehört, andere an meiner Wahrheit teilhaben zu lassen. Im äußersten Fall führt dies zu Inquisition und „Dragonaden", sonst aber zu jener Unzahl von großen und kleinen Kirchen, die im Laufe der Geschichte so eifrig daran gearbeitet haben, das geistige Bewusstsein der Menschen zu beeinflussen, das Bewusstsein von Menschen, die den Kirchen gar keine Fragen gestellt hatten und überhaupt, wie man im Volksmund sagt, nicht viel nach ihnen fragten. Die Widerlegung des eben angedeuteten Irrtums geschieht völlig klar im Denken des Zen, und so viel ich weiß, gibt es nur hier eine vollständige Widerlegung. Im Zen wird dem Menschen gesagt, dass er schon jetzt frei ist, dass es keine Kette gibt, aus der er sich zu befreien habe. Der Mensch besitzt nur die Illusion von Ketten. Er wird sich seiner Freiheit erfreuen, sobald er aufhört daran zu glauben, dass er sich befreien muss, sobald er die schrecklichen Vorstellungen von „Pflicht" und „Heil" von sich abschüttelt. Im Zen wird die Nichtigkeit jedes Glaubens an einen persönlichen „Gott", ebenso wie die Wesenlosigkeit jenes erbärmlichen Zwanges aufgezeigt, die mit diesem Glauben notwendigerweise so eng verknüpft ist. Das Zen sagt: „Setzt keinen Kopf Über euern eigenen Kopf", und es sagt weiter: „Sucht nicht nach der Wahrheit! Aber hört auf, an euren Meinungen zu, hängen!" Warum, könnte man vielleicht einwerfen, soll dann der Mensch danach trachten, das Satori zu erlangen? Hinter dieser Fragestellung steckt die abwegige Vermutung, dass der Mensch sich um das Satori nur unter dem Zwang der Pflicht bemühen könne. Das Satori aber bedeutet das Ende dieser Angst, die jetzt noch das Innerste meines psychischen Lebens bestimmt und alle meine Freuden zu flüchtigen Ruhepausen macht. Verrät es etwa Klugheit, mich zu fragen, warum ich daran arbeite, eine völlige und endgültige Erleichterung zu erlangen? Dringt man noch weiter in mich ein, so antworte ich ganz einfach: „Weil mein Leben dann so sehr viel angenehmer sein wird." Habe ich das richtig verstanden, so fürchte ich auch nicht den Eintritt des Todes, weder heute noch morgen; ich fürchte nicht, dass er meine Bemühungen unterbreche, bevor sie an ihrem Ziel angelangt sind. Da das Problem meines Leidens mit mir selbst aufhört, brauche ich nicht unbedingt ein Problem zu lösen, das ja dann gar nicht mehr existiert.
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Andererseits verbietet wahres Verständnis keineswegs auch andere zu unterrichten, die natürlich durchaus nicht gezwungen sind, dieser Unterweisung zu folgen. Ein Verbot dieser Art wäre ja ebenfalls eine Verpflichtung und so fehl am Platze wie jeder Zwang. Ein Mensch, welcher verstanden hat, dass seine eigene Verwirklichung in keiner Weise einer Pflicht gleichkommt, beschränkt sich einfach darauf, zu antworten, wenn er befragt wird. Ergreift er die Initiative zu sprechen, so wird er seine Ideen nur mit größter Zurückhaltung vorbringen, ohne das Bedürfnis zu empfinden, verstanden zu werden. Es gleicht einem Menschen, der gesunde Nahrung im Überfluss besitzt und seine Türe öffnet. Kommt ein Vorübergehender des Weges, erkennt er den Wert der Nahrung und tritt ein, so Ist es gut. Tritt er nicht ein, so ist es ebenfalls gut. Für unsere Gefühlserregungen, Begierden und Ängste bleibt bei einem wahren Verständnis der Dinge nicht der geringste Raum.
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IV. DER EXISTENTIALISMUS DES ZEN Ein Mensch erklärt: „ mein Leben ist nichtssagend und eintönig. Ich nenne das nicht leben, sondern höchstens „existieren." Jeder begreift, was dieser Mensch meint; das ist ein Beweis dafür, dass jeder in sich eine Vorstellung von dieser Unterscheidung zwischen „leben" und „existieren" besitzt. Außerdem zieht gefühlsmäßig jeder „Leben" dem „Existieren" vor. Dies ist eine so klare und allgemein gültige Auffassung, dass der Mensch geistig gesehen, „Existieren" für nichts, und „Leben" für alles erachtet. Die Unterscheidung der beiden Begriffe aber ist oft unklar oder völlig verwischt. Man ist so weit, dass man „Leben" mit Existenz bezeichnet und umgekehrt. Das „Leben" erscheint dem Menschen von solch ausschließlicher Wichtigkeit, dass es sich das Wort „Existenz" einverleibt, welches so seinen eigentlich Sinn ganz verloren hat. Welche Erscheinungen im komplexen Ganzen dessen, was ein menschliches Wesen ausmacht, haben Bezug auf den Begriff „leben" und welche auf den Begriff „existieren"? Wir kommen bei dieser Frage zur Unterscheidung zwischen dem animalischen und dem vegetabilischen Bereich. Das Tier und die Pflanze sind nicht völlig verschiedene Lebewesen. Das Tier besitzt alles das, was die Pflanze auch hat (vegetatives Leben) und noch etwas darüber hinaus (Leben der „Bezüge"). Im Inneren der Pflanze und des Tieres und innerhalb ihrer formbedingten Grenze gehen verborgene Erscheinungen und Bewegungen vor sich, zum Beispiel der Kreislauf der Säfte oder des Blutes, die Atmung, Entstehung und Absterben der Zellen, Aufbau und Abbau. Während die Pflanze aber dem Erdboden verhaftet ist und in Bezug auf diesen sich nicht frei in ihrem ganzen Umfang bewegen kann, bewegt sich das Tier auf dem Erdboden und kann jede Art von Bewegungen ausführen, die man unter dem Wort „Handeln" zusammenfassen mag. Erhebt der Mensch den Begriff „leben" so hoch über den Begriff „existieren", so liegt trotzdem die wertende Unterscheidung nicht zwischen seinen vegetativen Erscheinungen, und seinen „Handlungen". Sie liegt im Inneren des Bereichs des „Handelns" selbst und zwar auf folgende Weise: eine Reihe meiner Handlungen haben die Aufrechterhaltung meines vegetativen Lebens zum Ziel, zum Beispiel essen, ausruhen, die Befriedigung des sexuellen Triebes aus rein animalischer Begierde. Diese Handlungen bestätigen mich, erhalten meinen Bestand aufrecht, insofern, als ich ein allen andern Lebewesen ähnlicher Organismus bin, aus den Bedingungen des Universums heraus lebe, und als „universelles" Wesen mich im Getriebe des kosmischen Triebwerks befinde. Aber abgesehen von diesen Handlungen führe ich täglich noch andere aus, die nicht meinem vegetativen Leben dienen, die ihm sogar oft abträglich sind und den
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Zweck haben, mich verschieden von allen andern Menschen erscheinen zu lassen; das heißt, die mich darin bestätigen, dass ich von allen anderen Menschen verschieden und ein gesondertes Individuum bin. Die Grenze, mit der wir uns befassen, liegt zwischen diesen beiden Arten von Handlungen. Meine «ego»-istische, ich-bezogene Grundhaltung, die die Fiktion meiner persönlichen Göttlichkeit in sich schließt, lässt mein vegetatives Leben und alle Handlungen, die diesem Leben, also all jenem dienen, das in meinen Augen dem verächtlichen Begriff des „Existierens" gleichkommt, als sinnlos erscheinen. Sie veranlasst mich, nur diejenigen meiner Handlungen als sinnvoll zu betrachten, die mich „unterscheiden" und damit in meinen Augen ein schätzenswertes, kostbares „Leben" verbürgen. Vor mir selbst habe ich keinen Wert als universeller Mensch. Für mich selbst zähle ich nur als gesondertes „Ich". Auf Grund der Fiktion meiner persönlichen Göttlichkeit erscheint es mir unfassbar, den Sinn meines Lebens in den vegetativen Erscheinungen und Handlungen zu sehen, aber es ist für mich selbstverständlich, in denjenigen Handlungen einen .Sinn zu erkennen, die mich als Einzelwesen bestätigen. Diese Meinung ist tief im Geiste des Menschen verwurzelt. Für einen unparteiisch Denkenden ist diese Auffassung ganz offensichtlich absurd. Sie schließt als Voraussetzung ein, dass mein Sonderorganismus das Zentrum des Kosmos sei. (Denn nur das Zentrum einer Sphäre ist einzig in seiner Art innerhalb dieser Sphäre. Jeder andere Punkt befindet sich in derselben Entfernung vom Zentrum wie zahllose andere Punkte.) Nur der Urgrund des Kosmos kann dessen Zentrum bilden. Mein Organismus ist nur das Glied in einer unendlichen Kette von kosmischen Ursachen und Wirkungen und ich kann seinen wahren Sinn nur dann sehen, wenn ich ihn auf seinen wirklichen Platz stelle, im Rahmen seiner wirklichen Beziehungen zu allem Übrigen. Ich muss ihn vom Standpunkt des Universums aus betrachten, als den universellen und nicht als den Einzelmenschen, als den Menschen, der jedem andern Menschen ähnlich ist und nicht als jenen, der sich vom andern unterscheidet. Der Mensch aber erfüllt seine „Existenz" seiner Überlegung nach nur deshalb, weil das „Existieren" eine notwendige Vorbedingung von „Leben" ist. Er isst, ruht sich aus, aber nur deshalb, weil er ohne diese Dinge sich nicht als Person, als Sonderwesen bestätigen könnte. Alle diese banalen und jedermann notwendigen Handlungen vollführt er nur, um irgendetwas zu vollbringen, was keinem anderen als ihm selbst möglich wäre. Er „existiert", um zu „leben". Durch die Begründung seiner „Existenz" auf dieser Vorstellung von „Leben" handelt er der wirklichen Ordnung der Dinge zuwider, da er ja das Wirkliche auf dem Illusorischen aufbaut. Daher ist auch das „Gleichgewicht" des nur ich-bezogenen Durchschnittsmenschen dauernd in Gefahr. Ein Mensch dieser Art wäre mit einer umgekehrten Pyramide zu vergleichen, die auf einem Punkt ruht. Die Zen Literatur enthält unter anderem auch diesbezüglich ein kleines denkenswertes Gleichnis: „Es war einmal ein Mensch, der auf einem hohen Hügel stand. Drei Wanderer kamen in einiger Entfernung vorbei, bemerkten ihn und unterhielten sich über ihn. Der eine sagte: „Er muss sein
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Lieblingstier verloren haben." Der andere äußerte: „Nein, er wird seinen Freund suchen." Der Dritte sagte: „Er ist nur da droben, um sich der frischen Luft zu erfreuen." Die drei Reisenden kamen zu keiner Übereinstimmung und diskutierten weiter, bis sie den Gipfel des Hügels erreichten. Da fragte der eine: „O Freund, der Ihr Euch auf dem Gipfel dieser Anhöhe befindet, habt Ihr nicht Euer Lieblingstier verloren?" - „Nein, mein Herr, ich habe es nicht verloren." Der Zweite fragte: „Habt Ihr nicht Euren Freund verloren?" - „Nein, mein Herr, ich habe auch nicht meinen Freund verloren?“ Der dritte Reisende fragte: „Seid Ihr nicht hier oben, um Euch der frischen Luft zu erfreuen?" - „Nein, mein Herr." – „Warum also seid Ihr hier oben, da Ihr alle unsere Fragen verneint?" Der Mann auf dem Hügel antwortete: „Ich bin ganz einfach hier, weil ich hier bin." Beim Lesen dieser Worte wird der Durchschnittsmensch im Allgemeinen denken; „Ganz einfach hier zu sein" hat doch keinen Sinn. Er wird sich vielleicht sagen: „Der Mann auf dem Hügel ist ein Idiot, da er nichts dort oben tut" (das heißt, weil er dort oben keine Art von Selbstbestätigung sucht. Man erinnere sich an die ironische Bemerkung Rimbaud's: „Die Tat, dieser vergötterte Angelpunkt der Welt!") Das Wort „existieren" kommt aus dem lateinischen „ex stare" = „sich außerhalb aufhalten", außerhalb des immanenten Prinzips, welches alles Existierende transzendiert. Das „Existieren" ist die Erscheinungsform dessen, was aus dem ursprünglichen Sein herausströmt (zentrifugaler Schwung). Das „Existieren" ist dualistischer Natur; positiv ist es durch das „stare" und negativ durch das „ex". Der Mensch fühlt sich deshalb im Existieren sowohl gut als schlecht. Er hat den Eindruck, etwas zu besitzen und gleichzeitig Mangel zu leiden. Das Dasein in der Existenz enthält also notwendigerweise eine Tendenz zur Vervollständigung, einen Drang, den Mangel auszufüllen und das „Ex" zu neutralisieren, dadurch, dass man des Prinzips bewusst wird, aus dem der existierende Mensch hervorgeht. Der menschliche Intellekt aber entwickelt sich fortlaufend in der Weise, dass er fähig wird, sich eine illusorische und immer auch nur provisorische Beruhigung aus seiner ich-bezogenen Selbstbestätigung zu verschaffen, noch bevor er die ganze Fülle des „stare" erfährt, noch bevor er empfinden kann, dass er als Emanation des Urprinzips diesem Prinzip in direktem Zusammenhang verbunden bleibt, wodurch ihm eben die Natur dieses Prinzips mit ihren unendlichen Vorrechten verliehen ist. Gelangt dann sein Intellekt zu dem Entwicklungsstadium, in dem der Mensch das Bewusstsein davon haben könnte, mit dem Prinzip identisch zu sein, so ist sein mentaler Bereich schon stärkstens durch die Faszinierung der nur Ich-bezogenen Selbstbestätigung bestimmt. Er wendet sich der Bejahung dieser egoistischen Selbstbestätigung zu, welche ein Ersatz für das „stare" ist und als bloßer Ersatz das „ex" nicht zu neutralisieren vermag. So wendet er dem „ex" in seiner zeitlichen Begrenzung den Rücken und sieht sich vor einem unheilvollen Dualismus. Er wird hin- und hergerissen von dem „ex", das ihn verfolgt und nicht auszulöschen ist, und einem
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illusorischen „stare", das für sein Denken die Form von ich-bezogener Selbstbestätigung angenommen hat, die nie zum Ziele führen kann. Wenn der Mensch die relative Wirklichkeit der Existenz annähme, könnte er sich seiner Wesensgleichheit mit dem Prinzip bewusst werden, aus dem er entspringt. Aber der ich-bezogene, «ego»-istische Mensch ist mit der relativen Wirklichkeit der Existenz nicht einverstanden. Sein geistiges Bewusstsein verachtet und verwirft die Existenz als solche und sucht die illusorische Selbstbestätigung des „Handelns" als gesondertes Individuum. Sein Geist spielt in Bezug auf die Täuschung, die von ihm selbst ausgeht, die zu Unrecht angemaßte, aber für ihn selbst schmeichelhafte Rolle des Prinzips. Der Mensch sucht also seinen inneren Frieden auf einem Wege, der ihn eben von diesem Frieden entfernt. Um seinen inneren Frieden zu finden, muss der Mensch alles noch einmal einer scharfen Prüfung unterziehen. Er muss sich die Nichtigkeit seiner „Meinungen" und all seiner Urteile vor Augen halten, er muss sich vollständig von der um sich selbst kreisenden, faszinierenden Vorstellung einer ich-bezogenen Selbstbestätigung lösen, und muss die Wesenlosigkeit eines ich-zentrierten „Lebens" und demgegenüber die Wirklichkeit einer universellen „Existenz" einsehen. Sobald er auf einen falschen Himmel verzichtet, ist er der Erde zurückgegeben, er „existiert" bewusst, und „ist auf der Welt" (vgl. Rimbaud: „Wir sind nicht auf der Welt"). Seine Versöhnung mit dem „ex" erlaubt ihm den Genuss des „stare". Er i s t die ursprüngliche Quelle, da er sich darein fügt, auf Grund seines Organismus'' nur eine vorübergehende Erscheinung, der Ausfluss dieser Quelle selbst zu sein. Diese „Emanation" hat keinen besonderen Zweck und ihr persönliches „Schicksal" hat nicht die geringste Bedeutung. Es ist interessant, den Organismus des menschlichen Wesens in seiner Gesamterscheinung anatomisch wie physiologisch zu untersuchen und dann zu fragen, wozu all das, was man beobachtet, d i e n t . Die Verdauung und die Atmung und alle entsprechenden Organe dienen dazu, das Blut mit nährenden Stoffen zu versehen. Der Kreislauf hat die Aufgabe, dieses nährende Blut an alle Teile des Organismus heranzutragen. Die Blutversorgung dient der Erhaltung der Knochen, der Gelenke und der Muskeln. Die Knochen sind das Gerüst, ohne welches die Muskeln keine Bewegung ausführen könnten. Die Gelenke bedingen den Gebrauch des Knochengerüsts. Das nervöse Gehirn- und Rückenmarksystem löst die Muskelanspannungen aus und koordiniert sie. Es bestimmt die Ausführung der Bewegungen und die Vorstellungen der auszuführenden Bewegungen. Das vegetative Nervensystem ist die Bedingung für den harmonischen Funktionsablauf der Eingeweide, von denen, wie wir sahen, der Unterhalt der Bewegungsmuskeln abhängt. Das endokrine System gehört zum vegetativen Nervensystem und hat dieselbe ausgleichende Funktion. Alles außer den genitalischen Funktionen im Körper, von denen wir jetzt absehen wollen, ist auf die Muskeln und deren Bewegungen hin abgestellt. Das heißt so viel wie: alles „Existieren" ist auf das „Leben" hin eingestellt, auf das Handeln. Das menschliche Triebwerk
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scheint zum Handeln bestimmt zu sein. Aber wozu nützt nun das Handeln diesem Triebwerk? Wir haben gesehen, dass der Durchschnittsmensch Wert und wahre Nützlichkeit nur der ich-bezogenen Handlung zuschreibt. Aber diese rein individuelle Nützlichkeit stellt sich als illusorisch vom universellen Standpunkt aus dar. Es ist schlecht denkbar, dass das menschliche Triebwerk im Allgemeinen dazu vorhanden sei, damit sich Herr X. als Herr X bestätige. Schaltet man aber die auf den Einzelmenschen bezogene illusorische Nützlichkeit: des Handlungsablaufes aus, so stellt sich die Frage: Wozu dient das „Handeln" dieses Triebwerkes, das zum Handeln da ist und den menschlichen Organismus ausmacht? Zahlreiche Arten von Handlungen dienen offensichtlich dem Unterhalt jenes zum Handeln bestimmten Triebwerkes. Der Mensch handelt, um sich Nahrung, Wohnung, Kleidung etc. zu beschaffen oder um sich andere zum Handeln bestimmte Apparate dienstbar zu machen. Es gibt auch noch andere Handlungen, deren Zweck derselbe ist, aber in weniger deutlicher Weise. Das sind diejenigen Handlungen, welche das Lebewesen „Mensch" von den nicht-menschlichen Lebewesen unterscheiden: wissenschaftliche Entdeckungen, künstlerisches Schaffen, geistige Suche nach Wahrheit, das heißt die Suche nach dem Guten, Schönen, Wahren. Das Gute und Schöne unterstützen ebenfalls die Existenz, indem sie deren Bedingungen verbessern. Mit dem Wahren verhält es sich ähnlich, da der Mensch von ihm die Besänftigung seiner inneren Unruhe erwartet und damit die harmonische Ruhe seines inneren Gefüges. Betrachtet man also die Dinge objektiv, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass das einmal vorhandene Triebwerk „Mensch" mittels seiner Handlungen dahin strebt, seine eigene Existenz zu unterhalten. Es sieht also so aus, als ob die Existenz keinen andern Zweck hätte, als eben diese Existenz selbst. Aber beißt das nicht zugleich, dass die Existenz überhaupt keinen Zweck bat? (Wir übergehen den Gedanken der kosmischen Nützlichkeit des Menschen hier, von welcher der durchschnittliche Mensch kein lebendiges Wissen und keine praktische Vorstellung besitzt.) Die Erzeuger-Funktion des Menschen, welche wir vorhin außer Acht gelassen haben, stimmt mit dem eben Gesagten überein, da sie darauf hinzielt, die Existenz der vorhandenen Gattung Mensch aufrecht zu erhalten. Wird der illusorische Sinn meines Handelns zum Zweck meiner ichbezogenen Selbstbestätigung als Einzelwesen ausgeschaltet, so erkenne ich, dass das Handeln, auf das der ganze Aufbau meines Organismus eingestellt ist, seinerseits nur auf die Existenz dieses zum Handeln begabten Organismus hinzielt. Es hat nur den Zweck, dem Aufhören der Existenz, dem Tod vorzubeugen. Jener großartige Begriff „Leben", neben welchem das „Existieren" so nichtig erscheint, hat nur die Aufgabe, diesem „Existieren" zu dienen. Das Handeln geht aus der Existenz hervor und dient ihr; die Existenz ist also das Handlungsprinzip und somit dem „Leben" unendlich überlegen (wie jedes Prinzip seiner Erscheinungsform unvergleichlich überlegen ist.)
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Wird die Existenz als Urgrund der Gesamtheit meines Handelns, als Urgrund all meiner Erscheinungsformen betrachtet, dann ist sie nichts anderes als der Urgrund des Mikrokosmos überhaupt, den mein Organismus vorstellt. Damit ist sie aber auch der Urgrund des universellen Makrokosmos, das heißt das Absolute Prinzip. Die scheinbare Sinnlosigkeit dieser Existenz, die sich selbst will und keinen Zweck zu haben scheint, ist auch für unser diskursives Denken, scheinbare Sinnlosigkeit des Absoluten Prinzips, für unser Denken, das aus diesem Prinzip hervorgeht, aber als bloße Erscheinungsform eben dieses Absoluten Prinzip weder erkennt noch begreift. Wenn ich auf diese Weise meine Existenz als Urgrund meines bestehenden Organismus betrachte, so erscheint sie in Bezug auf die Gesamtheit all meiner Erscheinungsformen transzendent und ist somit völlig unabhängig von der Fortdauer und vom Tod meines Organismus. Andererseits ist meine Existenz aber auch meine persönliche Existenz, insofern ich noch nicht gestorben bin (Immanenz des Prinzips); gleichzeitig ist sie jedoch in Bezug auf mich als gesondertes Einzelwesen etwas Unpersönliches; sie ist dies hinsichtlich meines universellen Wesens, insofern ich ein bloßes Glied einer Kette und als solches allen anderen Gliedern dieser Kette gleich bin. Das heißt mit anderen Worten; meine Existenz ist unabhängig: vom Tod meines Organismus (Transzendenz des Prinzips). So erscheint es verständlich, dass die Todesfurcht des Durchschnittsmenschen, die im Mittelpunkt seiner ganzen Psychologie steht, mit der widersinnigen Verachtung zusammenhängt, mit welcher der Mensch sein „Existieren'* betrachtet. In paradox erscheinender Weise zittert der ich-bezogene Mensch davor, seine Existenz zu verlieren, die er doch in Hinblick auf das „Handeln" und „Leben" für nichtig erklärt, In der „Existenz" aber verbirgt sich, wie wir gesehen haben, das Absolute Prinzip, jenes „Alles", das der Mensch nicht mehr oder weniger in Betracht ziehen kann, jenes Alles, das für ihn nur Null sein kann, wenn er es nicht in Betracht zieht, oder die Unendlichkeit, wenn er es in Betracht zieht. Misst der Mensch seiner anonymen Existenz keinen Wert bei, so nimmt er nicht in bewusster Weise am Wesen des Prinzips teil, Er ist dann bewusst nichtig und null, folglich auch nicht fähig, den Gedanken des Todes zu ertragen, der ihm wie eine negative Unendlichkeit erscheint. Sieht der Mensch hingegen in der anonymen Existenz Ihren unendlichen Wert, dann nimmt er völlig teil am Wesen des Prinzips. Er ist dann auf bewusste Weise unendlich, und die Tatsache, dass er sich dem Tode beugen muss, erscheint ihm nichtig. Hiermit liegt der illusorische Charakter der beängstigenden Fragen klar zutage, weiche sich der ichbezogene Mensch über ein individuelles Fortleben nach dem Tode stellt. Alle diese Fragen beruhen auf der irrigen Annahme der Wirklichkeit eines individuellen „Lebens" und auf der Unkenntnis vom Vorhandensein einer universellen „Existenz". Der Irrtum gewisser philosophischer Gedanken, die sich „existenzialistisch" nennen, hängt unter anderem mit der Tatsache zusammen, dass die Begriffe „existieren" und „leben" verwechselt werden. Diese Verwechslung hat fatale Folgen: das „Existieren" bekommt auf diese Weise einen
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ausschließlich „erscheinungsmäßigen" Charakter, und da jeder Begriff eines Urgrundes entfällt, führt die Tatsache, dass die Existenz nur sich selbst will, zu einer kategorischen und nicht nur scheinbaren Sinnlosigkeit. (Das erinnert etwa an die Vorstellung eines körperlichen Auges, das sich selbst sehen könnte). Auch das „Leben" selbst muss dann absurd und sinnlos werden. Und doch ist dieses „Leben", obwohl sinnlos, hier die Hauptsache: „Handlung", „Tun", „persönlicher Einsatz" werden hier zu geradezu dogmatischen Forderungen. Das Entfallen des Prinzips führt logischerweise zu diesem qualvollen Dualismus, der den Menschen buchstäblich in Stücke zerreißt. Kommen wir auf die Unterscheidung von „existieren" und „leben" zurück und auf die Grenze, welche wir zwischen diesen beiden Begriffen gezogen haben. Wir hatten festgestellt, dass diese Grenze innerhalb des Raumes der Handlung selbst verläuft, im Rahmen der Handlungen, die dem vegetativen Leben in mir oder meiner ich-bezogenen Selbstbestätigung zugutekommen. Betrachte ich diesen Sachverhalt In Bezug auf mein psychologisches Bewusstsein, so sieht es zunächst so aus, als ob der Begriff „existieren" eine unbewusste Seite — die vegetativen Erscheinungen — und eine bewusste Seite — die Handlungen, welche meinem vegetativen Leben dienen — enthielte. Betrachte ich die Sache näher, so bemerke ich, dass diese Handlungen nicht minder unbewusst sind als meine vegetativen Vorgänge, da ihr Ziel ja für mein Bewusstsein null ist. Ich kann nicht von mir behaupten, meine Existenz bewusst zu führen, wenn die Wirklichkeit meiner Existenz mir völlig unbewusst ist. Zitieren wir hier ein Zwiegespräch aus der Zen-Literatur: Ein Mönch:
„Gibt es einen bestimmten Weg, den man im Tao beschreiten kann?'
Der Meister:
„Ja, es gibt einen"
Der Mönch:
„Und worin besteht er?"
Der Meister:
„Wenn man Hunger verspürt, isst man. Wenn man müde ist, schläft man."
Der Mönch:
„Das tun doch alle anderen Leute auch. Ist ihr Weg denn derselbe wie Eurer?"
Der Meister:
„Es ist nicht derselbe."
Der Mönch:
„Wieso nicht?"
Der Meister:
„Wenn sie essen, so essen sie nicht nur, sondern sie hegen alle möglichen Vorstellungen. Wenn sie schlafen, so schlafen sie nicht nur, sondern lassen unzähligen überflüssigen Gedanken freien Lauf. Dies ist der Grund, warum ihr Weg nicht mein Weg ist."
Dem Durchschnittsmenschen sind nur Bilder bewusst. So nimmt es nicht wunder, dass das „Existieren", welches wirklich ist und drei Dimensionen hat, ihm nicht bewusst ist. Das also, worin ich wirklich bin, ist mir nicht bewusst, und was in mir bewusst ist, hat nur illusorischen Charakter.
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Das Eintreten des Satori ist nichts anderes als das Bewusstwerden des "Existierens", das jetzt noch unbewusst in mir ruht, das Bewusstwerden der prinzipiellen und uranfänglichen Wirklichkeit dieses universellen vegetativen Lebens, welches in meiner Person eine Erscheinungsform des Absoluten Prinzips geworden ist, das, worin ich „Ich" und zugleich unendlich mehr als „Ich" bin, Immanenz und Transzendenz zugleich. Es ist das, was das Zen „Selbstschau" nennt. So wird auch verständlich, warum das Zen immer wieder auf die Aufrechterhaltung unseres vegetativen Lebens zurückkommt. Dem Schüler, der nach einem Weg zur Weisheit fragt, antwortet der Meister; „Wenn wir Hunger haben, essen wir. Wenn wir müde sind, dann legen wir uns hin." Diese Lehre mag der Selbstliebe des ich-bezogenen Menschen verächtlich erscheinen, denn dieser träumt von „geistigen" Heldentaten und von persönlichen „ekstatischen" Beziehungen zu einem persönlichen Gott, dessen Bild er sich formt. Es wäre falsch, die Rehabilitierung des vegetativen Lebens und der ihm dienlichen Handlungen als tatsächliche innere Anstrengung vonseiten des „Gefühls" her zu verstehen. Der Zen-Meister ist klug genug, um dem Durchschnittsmenschen nicht irgend eine Autosuggestion zu empfehlen, durch die er sich einreden könnte — etwa durch Stillung seines Hungers — nun endlich mit der absoluten Wirklichkeit in Berührung getreten zu sein. Das hieße, alte bildhafte Träume unserer Einbildung durch ein anderes Traumgebilde und durch die theoretische Vorstellung einer kosmischen Teilhabe ersetzen und so würde alles beim Alten bleiben. Der Durchschnittsmensch braucht nicht sein vegetatives Leben besonders zu rehabilitieren, er muss nur eines Tages die unmittelbare Wahrnehmung vom unendlichen Wert dieses Lebens gewinnen auf Grund der vollständigen Entwertung eines nur ich-bezogenen Lebens. Die innere Arbeit besteht also nicht darin, irgendetwas zu „tun", sondern etwas „nicht zu tun" und alle ich-bezogenen illusorischen Anschauungen abzulegen, welche das Licht des „dritten Auges" krampfhaft verschlossen halten. Was wir bisher über den unbewussten Charakter unseres vegetativen Lebens gesagt haben, ist jedoch nur annähernd richtig. Es wäre angebrachter, von „unbewusstem Bewusstsein" oder von „indirektem oder mittelbarem Bewusstsein" zu sprechen und das Satori nicht als neu entstehendes Bewusstsein ex nihilo zu betrachten, sondern als Metamorphose" vom mittelbaren zum unmittelbaren Bewusstsein. Wenn ich den Ausdruck indirektes Bewusstsein gebrauche, will ich damit sagen, dass ich indirekt über die Wirklichkeit meines vegetativen Lebens unterrichtet bin, da ich auf direkte Weise nur dessen Schwankungen beobachte, welche die bestimmenden Erscheinungen meines Lebens bedrohen. Wenn ich Hunger habe, so erkenne ich auf direkte Weise, dass Entkräftung meine vegetative Existenz bedroht. Besäße ich keine Art vegetativen Bewusstseins, so hätte ich auch nicht das Bewusstsein, dass seine erscheinungsmäßige Äußerung bedroht ist. Mein Hunger verschafft mir ein indirektes Bewusstsein meiner vegetativen Existenz. Ebenso bedeuten die Gefühle von Freude und Trauer der ich-bezogenen Bejahungen und Verneinungen immer auch Verringerungen und Vergrößerungen jener Bedrohung, welche die
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ganze äußere Welt für die Gesamtheit meiner vegetativen Existenz darstellt. Auch sie vermitteln uns ein indirektes Bewusstsein dieser Existenz. Alle positiven und negativen Schwankungen meines Gefühlslebens entspringen also der reinen und vollkommenen vegetativen Urfreude. Diese wird aber nicht in direkter Weise nachempfunden, sondern indirekt in den Schwankungen von Sicherheit und Unsicherheit dieses vegetativen Lebens. Und es sei wiederholt: die direkte Wahrnehmung dieser vollkommenen existentiell-vegetativen Freude hätte nicht nur keinerlei Furcht vor dem Tode zur Folge, sondern sie würde diese Todesangst für immer neutralisieren. Tatsächlich setzt die Todesfurcht die frei vorgestellte geistige Beschwörung des Todes voraus. Die direkte Wahrnehmung hingegen der dreidimensionalen existentiellen Wirklichkeit im gegenwärtigen Augenblick vermag alle diese phantastischen Vorstellungen hinweg zu bannen, welche sich auf eine Vergangenheit oder Zukunft beziehen, die keine gegenwärtige Wirklichkeit besitzen. Im Satori ist der Mensch vollkommen glücklich, so zu existieren wie er existiert, bis zum letzten Augenblick, wo das Aufhören der geistigen Funktionen auch das Aufhören jeglicher menschlichen Freude und jeglichen menschlichen Leides zur Folge hat. Ich kann sagen, dass ich direktes Bewusstsein nicht von meiner Existenz, von meinem existierenden Ich habe, sondern nur von den jeweiligen erscheinungsmäßigen Veränderungen dieser Existenz. Mein Glaube an die absolute Wirklichkeit dieser Veränderungen trennt mich gerade vom Bewusstsein dessen, was hinter diesen Veränderungen steht. Dies, was hinter den Veränderungen wirklich ist, verändert sich nicht, es ist die Seins-Existenz, das Prinzip meiner Erscheinungsexistenz. Ich muss die völlige Gleichheit der variierenden Erscheinungen begreifen (Freude oder Trauer, Leben oder Tod) in Bezug auf das, was hinter diesen Veränderungen ist. Dies Begreifen muss bis in das Zentrum meines Ichs durchdringen, um mir schließlich das Bewusstsein von dem zu verschaffen, was hinter den Veränderungen ist, nämlich das Bewusstsein meiner Seins-Existenz bzw. meiner absoluten Wirklichkeit. Das Zen sagt, die Knechtschaft des Menschen beruhe auf seinem Verlangen, zu existieren. Der geistige Apparat des Menschen entwickelt sich in der Weise, dass seine ersten Wahrnehmungen nicht die Wahrnehmungen seiner Existenz, sondern nur einzelner Teilbilder sind, die den Eindruck völliger Abwesenheit des ExistenzBewusstseins und so den Wunsch nach diesem Bewusstsein im Geiste verankern. Es gehört zur Grundsituation des Menschen, dass er notwendigerweise das Existenzverlangen durchleben muss, um das existentielle Bewusstsein zu erreichen, welches dies Verlangen dann aufhebt. Nur das richtig verstandene Scheitern aller Versuche, den Existenzdrang zu befriedigen, ist imstande das Hindernis zu beseitigen, welches in eben diesem Verlangen nach Existenz besteht. Bei wie vielen Menschen kann man den tiefen Schrecken darüber beobachten, dass sie „ihr Leben verpfuscht haben"! Dabei gibt es nichts, was gelingen oder misslingen könnte. Aber eine gewisse
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zeitliche Verwirklichung ist für das Satori in gewissermaßen negativer Weise nötig, Solange es dem Menschen nicht gelingt, seine Bemühungen hinsichtlich der Befriedigung seines Existenzbedürfnisses vollkommen auszuführen, kann er über dieses Verlangen nicht hinauswachsen. In diesem Sinne muss der Mensch sogar durch das Stadium des illusorischen „Lebens" hindurchgehen, um das wirkliche „Existieren" zu erreichen. Das „Existieren" geht in Wirklichkeit dem „Leben" voraus, wie ja das Prinzip notwendigerweise seiner Erscheinungsform vorangehen muss. Aber im Verlaufe der zeitlichen Dauer muss der Mensch durch das Bewusstsein zu „leben" hindurchgehen, um dasjenige des „Existierens" erreichen zu können, das, solange der Mensch als Organismus lebt, identisch ist mit dem des „Seins".
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V. DIE MECHANIK DER ANGST Wenn der Mensch sich mit unparteiischen Augen beobachtet, muss er feststellen, dass er weder der willentlich bewusste Erzeuger seiner Gefühle noch seiner Gedanken ist, dass seine Gefühle und Gedanken nur Erscheinungen sind, die in ihm auftauchen. Das ist eine Wahrnehmung, die man leicht bei seinen Gefühlen, aber nur schwer bei seinen Gedanken machen kann. Betrachte ich mich aber genau, so wird mir klar, dass auch meine Gedanken mir nur zufallen. Ich kann zwar den Gegenstand meines Denkens bestimmen, aber nicht die Gedanken selbst. Diese muss ich nehmen, wie sie kommen. Da ich weder der bewusste Erzeuger meiner Gefühle noch meiner Gedanken bin, muss ich zugeben, dass ich auch nicht der willentliche Erzeuger meines Handelns bin, daher nichts völlig frei „tun" kann. Diese in Bezug auf mein Bewusstsein und meinen Willen richtigen negativen Feststellungen führen mich dazu die mögliche Erscheinung von wirklichem Bewusstsein und Willen im Menschen, also in mir, zu erwägen. Ich frage mich nach den Mitteln zur Verwirklichung dieser Möglichkeiten. Ich frage mich umso eifriger, als ich, verbunden mit dem Fehlen einer wirklichen Selbstbeherrschung, in mir eine grundsätzliche Angst verspüre, die sich auf direkte Weise in „moralischen" Leiden äußert und durch kurz befristete Momente der Freude nur unterbrochen wird. Auf der Suche nach Mitteln zu meiner Befreiung unterscheide ich bei den verschiedenen Lehren, die eine Möglichkeit der Befreiung oder der „Verwirklichung" im Verlaufe meiner Existenz in Aussicht stellen, zwei Richtungen. Die meisten dieser Lehren stützen sich auf folgende irrige Theorie: wirkliches Bewusstsein und wirklicher Wille fehlen dem Durchschnittsmenschen. Bei seiner Geburt besitzt er sie nicht, er muss sie erst erwerben und mittels einer besonderen inneren Arbeit in sich selbst entwickeln. Diese Arbeit ist schwierig und zeitraubend, ihr Resultat wird folglich eine fortschreitend langsame Entwicklung sein, das heißt, der Erwerb des Bewusstseins und des Willens geht fortschreitend vor sich. Der Mensch wächst langsam über sich hinaus, erklettert eine immer höhere Stufe seiner Entwicklung und erhält ein immer höheres Bewusstsein, bis er sich progressiv dem höchsten Bewusstsein nähert, dem „objektiven", „kosmischen" oder „absoluten" Bewusstsein. Das Zen vertritt eine radikal entgegengesetzte Lehre. Nach dieser Lehre fehlt es dem Menschen nicht an Bewusstsein und Willen an sich, es fehlt ihm überhaupt nichts und er hat in sich alles, dessen er bedarf. Von aller Ewigkeit her entstammt er „der Natur Buddhas". Nichts fehlt daran, dass sein zeitlicher Organismus auf direktem Wege durch das Absolute Prinzip, das heißt durch sein eigenes
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schöpferisches Prinzip, bestimmt werden könnte, frei zu sein. Er ist einer Maschine vergleichbar, an der kein Rädchen zum absolut vollkommenen Funktionsablauf fehlt. Aber seine menschliche Grundsituation von Geburt an bringt eine gewisse Abweichung der Entwicklung mit sich, die, wie wir sehen werden, eine Art von Hiatus im Gefolge hat, eine Unstimmigkeit, welche sein Gefüge in zwei getrennte Bereiche aufteilt, in Soma und Psyche. Auf Grund dieser Unstimmigkeit genießt der Mensch nicht die Vorzüge seines absoluten Wesens, das doch durchaus sein eigenes ist. Der Einwand besteht zu Unrecht, dass dieser Mangel an Einstimmigkeit der Mangel an irgend einer Sache sei. Die Maschine ist vollkommen und vollständig bis in die kleinste Einzelheit hinein, kein Teil fehlt, das man bearbeiten oder einsetzen müsste, um ein richtiges Funktionieren zu ermöglichen. Es handelt sich nur darum, eine Verbindung zwischen den beiden unverbundenen Teilen herzustellen. Wenden wir statt dieses mechanischen Vergleiches einen chemischen an, so können wir sagen: keine Substanz fehlt von jenen, die eine richtige Reaktion zustande zubringen vermögen. Alles ist vorhanden, es muss nur ein Kontakt hergestellt werden, der die Reaktion auslösen kann. Nach einem andern Beispiel aus dem Denken des Zen ist der Mensch einer Eismasse vergleichbar, der absolut nichts mangelt, um der Natur des Wassers zu entsprechen. Es ist nur nötig, eine gewisse Wärme zu produzieren, um das Eis zum Auftauen zu bringen und die Eigenschaften des Wassers sichtbar werden zu lassen. Diese Auffassung birgt in sich notwendigerweise den plötzlichen, blitzhaften Charakter der „Verwirklichung" des Menschen. Entweder es kommt zu keiner Vereinigung zwischen diesen beiden Teilen des Menschen, dann erreicht er nicht seinen göttlichen Wesenskern, oder aber der direkte Kontakt wird hergestellt, dann fehlt dem Menschen nichts mehr und er gelangt augenblicklich in den Genuss seines göttlichen Wesenskernes. Die innere Arbeit, die zur Herstellung dieses direkten Kontaktes führt, ist schwierig und langwierig, daher progressiver Natur. Die innere Vorbereitung auf die Befreiung ist progressiv, aber nicht die Befreiung selbst. Im Laufe seiner fortschreitenden inneren Vorbereitung nähert sich der Mensch in chronologischer Folge seiner zukünftigen Freiheit, doch ohne sie auch nur zu einem kleinsten Bruchteil zu genießen, bevor er ihrer nicht völlig inne ist. Das einzige, was er im Verlaufe seiner Vorbereitung verspürt, ist ein Nachlassen des Leidens über die Tatsache, nicht frei zu sein. Er befindet sich in der Lage eines Gefangenen, der sorgfältig daran arbeitet, die Eisenstäbe seines Gitters mit der Feile zu durchsägen. Seine Arbeit schreitet fort und nähert ihn progressiv und im Rahmen der Zeit seiner Fluchtmöglichkeit. Solange aber die Arbeit nicht beendet ist, bleibt dieser Mensch ganz und gar Gefangener. Er wird nicht allmählich frei. Eine Zeit lang ist er völlig unfrei, im Augenblick aber, wo die Eisenstäbe nachgeben, ist er ganz frei. Der einzige progressive Nutzen, dieser Arbeit besteht in der wachsenden Erleichterung der Qual, Gefangener zu sein. Heute wie gestern ist er Gefangener, aber er leidet immer weniger darunter, weil seine plötzliche Befreiung mit dem Fortgang der Zeit näher rückt.
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Man kann denselben Vorgang auch in anderer Art aufzeigen, so wie er in dem Gespräch von Jesus und Nikodemus zutage tritt. Jesus sagt, dass der Mensch sterben muss, um wiedergeboren zu werden. Fortschreitend geht der alte Mensch, auf Grund einer speziellen inneren Arbeit, seinem Tod entgegen, aber dieser Tod selbst und die Auferstehung zu einem anderen Leben sind nur die beiden Aspekte eines einzigen und plötzlichen inneren Ereignisses. Der „alte Mensch" kann mehr oder weniger im Sterben liegen, er kann aber nicht mehr oder weniger gestorben sein. Auch der „neue Mensch" ist entweder geboren oder noch nicht vorhanden, aber er kann nicht mehr oder weniger geboren sein. Nach dem Zen heißt dieses einmalige und plötzliche innere Ereignis „Satori" oder »das sich öffnen des Dritten Auges", und hierbei wird der "plötzliche" Charakter dieses Ereignisses betont. „Mit einem Schlag habe ich die Höhle der Gespenster zermalmt." „Der leichte Kontakt eines gespannten Fadens genügt, und es entsteht eine Explosion, welche die Erde in ihren tiefsten Schichten erschüttert. Alles, was in den Tiefen des Geistes brach lag, bricht wie ein Vulkan hervor, zuckt auf wie ein Blitz." Das Zen nennt dies „die Rückkehr zu sich selbst". „Ihr habt euch jetzt selbst gefunden. Vom ersten Anbeginn ist euch nichts vorenthalten worden. Nur ihr selbst hieltet die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen." Die radikale Verschiedenheit dessen, was im Orient als „progressive" Methode und dessen, was dort als „abrupte" Methode bezeichnet wird, hat wesentliche Folgen für die Betrachtung und Praxis der inneren Befreiungsarbeit. Versuchen wir nun, im Einvernehmen mit der allgemeinen Zenlehre, die gewöhnliche Grundsituation des Menschen im einzelnen zu betrachten, den Mangel an innerer Einstimmigkeit, von dem wir sprachen, und die funktionsbedingten Folgen dieser Grundsituation. Es wird zuerst nötig sein, die Grundsituation des „verwirklichten" vollkommenen Menschen zu umreißen, der seiner eigenen göttlichen Wesenhaftigkeit inne ist. Dieser Mensch verfügt über ein psychosomatisches Gefüge, das sich aus einem Soma, dem animalischen Triebwerk seines Körpers, und einer Psyche zusammensetzt. Die Psyche dieses Menschen ist reines Denken oder freie Intelligenz, welche unabhängig von jeder Beeinflussung des animalischen Triebwerks funktioniert, aber durch den höheren Einfluss der Absoluten Wahrheit bestimmt ist. Diese Psyche kann auch als Göttliche Vernunft oder als Kosmische Intelligenz bezeichnet werden. Eine aus diesem freien Verständnis, aus dieser unabhängig wirkenden Intelligenz hervorgehende und in das animalische Triebwerk eindringende Kraft vereint diese beiden Teile des Menschen zu einer dreifachen Synthese, die dem Absoluten Prinzip verbunden ist und an seinem Wesen teilhat. Das animalische Triebwerk enthält eine bestimmte Substanz, welche verbunden mit einer andern, in der Freien Intelligenz enthaltenen
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Substanz die Absolute Substanz des völlig „verwirklichten" Menschen hervorbringt. Jene Substanz, die im animalischen Triebwerk enthalten ist und aus der Natur entspringt, welche dieses Triebwerk erzeugt, wollen wir hiermit „progöttliche negative Substanz" nennen, Die in der Freien Intelligenz enthaltene und der "übernatürlichen" Wahrheit entspringende Substanz wollen wir als „progöttliche positive Substanz" bezeichnen. Die aus der Intelligenz stammende und in das Triebwerk eindringende Kraft kann als die richtige Liebe des Menschen zu sich selbst aufgefasst werden. Es ist die Hypostase, die neutralisierende oder versöhnende Kraft, welche die Verschmelzung der beiden pro-göttlichen Substanzen und somit die Erscheinung der Göttlichen oder Absoluten Substanz ermöglicht. Die pro-göttliche negative Substanz kann auch als „weibliche" Substanz (gewissermaßen wie die Eizelle des „Seins"), die pro-göttliche positive Substanz kann auch als die „männliche" Substanz (wie der Samen des „Seins") bezeichnet werden. Die Vereinigung dieser beiden Substanzen auf Grund des Eindringens einer Kraft der Intelligenz in das Triebwerk, entspricht einer Art von innerer Befruchtung, einem Liebesakt, der die Geburt des „neuen Menschen" zur Folge hat. Betrachten wir nun in Beziehung zu diesem verwirklichten Menschen die natürliche Entwicklung des menschlichen Lebewesens, A.
DER ZUSTAND DES GEWÖHNLICHEN, d. h. NOCH NICHT VERWIRKLICHTEN MENSCHEN IN DEN ERSTEN STADIEN SEINES DASEINS.
Die freie Intelligenz ist noch nicht erschienen, Auch die pro-göttliche positive Substanz ist damit noch nicht in Erscheinung getreten. Das Triebwerk ist vorhanden, aber noch unvollkommen entwickelt. Das Gehirn und das geistige Bewusstsein, das von ihm abhängt, sind im Begriffe sich zu bilden, sind aber noch nicht fertig. Auch die pro-göttliche negative Substanz ist noch nicht vorhanden, denn sie hängt von der Synthese des vollkommen aufgebauten animalischen Triebwerks ab. Da der geistige Bereich noch nicht völlig ausgebildet ist, hat das Kind noch kein Bewusstsein von dem Unterschied, der zwischen Ich und Nicht-Ich besteht. Es bewegt sich in der Außenwelt, ohne sich seiner Grenzen bewusst zu sein. B. DIE VOLLENDUNG DES ORGANISCHEN TRIEBWERKS. DAS AUFTRETEN DER PRO-GÖTTLICHEN NEGATIVEN SUBSTANZ. Das animalische Gehirn ist jetzt entwickelt (im Alter von l bis 2 Jahren), Das Triebwerk ist fertig und die pro-göttliche negative Substanz somit vorhanden. Das reine animalisch-mentale Bereich, das, ganz wie beim Tier, nur konkrete
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Wahrnehmungen erlaubt, ist völlig aufgebaut, Die Freie Intelligenz indessen, die Möglichkeit des Mentalen, unter dem Einfluss der Absoluten Wahrheit zu funktionieren, ist noch nicht gegenwärtig. Auch die pro-göttliche positive Substanz liegt noch nicht vor. Wie beim nicht-menschlichen Lebewesen gibt es nur die vorgöttliche negative Substanz. Die Entwicklung des animalisch-mentalen Bereichs ermöglicht aber die konkrete Bewusstwerdung des Unterschiedes von Ich und Nicht-Ich, die notwendigerweise im Kind ein Trauma erzeugt. Es hatte bis dahin in der unbewussten, stillschweigenden Überzeugung gelebt, dass das Bewegungsprinzip seines Daseins das Bewegungsprinzip des Alls sei. Nichts besaß gegenüber ihm selbst eine autonome Existenz, folglich hatte seine eigene Existenz nichts zu befürchten. Nun wird ihm plötzlich bewusst, dass sein Prinzip nicht dasjenige des Universums zu sein scheint, dass es „allerlei Dinge" gibt, die unabhängig von ihm selbst vorhanden sind. Es nimmt davon Kenntnis, leidet aber an der Begegnung mit den „Widerständen dieser Welt". Zugleich damit erwacht die bewusste Angst vor dem Tode, vor der Gefahr, die das Nicht-Ich für das Ich darstellt. Psychisch entsteht ein gefühlsmäßiger Kriegszustand zwischen Ich und Nicht-Ich, Das Kind will nämlich leben und es will die Zerstörung all dessen, was außerhalb seiner selbst existiert und seiner eigenen Existenz abträglich sein könnte. Das Kind drückt das etwa so aus: „Nur ich! Nicht du!" Es bestätigt sich, indem es „nein" sagt. Als Ich wird alles das aufgefasst, was der eigenen Existenz vorteilhaft ist. Das Nicht-Ich ist alles, was diese Existenz bedroht, oder eine mögliche Bedrohung vorstellt, soweit es sich eben nicht als freundlich erweist. Die sich hieraus ergebende gefühlsmäßige Lage ist sehr einfach; zwei feindliche Lager, zwei Parteien, welche sich zu beiden Seiten einer Schranke befinden. Der Kampfeinsatz heißt Leben oder Tod. Ist die Mutter des kleinen Menschen freundlich, so gehört sie zu dessen Ich, verkörpert eine großartige Verteidigung gegen den Tod und das Kind fühlt sich unter dem Schutz dieses Verbündeten beruhigt. Ist die Mutter aber böse („ich mag dich nicht mehr, du bist nicht mehr mein lieber kleiner Junge"), dann gehört sie zum Nicht-Ich, die großartige Verteidigung löst sich auf und das Kind heult aus Angst vor dem Tod (obwohl es natürlich keine klare Vorstellung vom Tod hat). In der einfachen Situation dieses lebensgefährlichen Duells mit dem Nicht-Ich nimmt das Kind eine völlig parteiische Stellung ein. Mangels Freier Intelligenz verfügt es nicht über die geringste Unparteilichkeit und ist unfähig, sich in die Lage eines andern zu versetzen. Sein offensives oder defensives Verhalten wird nur durch Nützlichkeits- und „strategische" Zweckmäßigkeitsgründe bestimmt. Das Verhalten des Kindes gegenüber dem Nicht-Ich wird ausschließlich durch das „Nein" bestimmt, gleich ob es nun in klarer Weise ausgesprochen wird oder nicht und ob es gemäß der jeweiligen Art des stetigen Kampfes einen mehr oder weniger heftigen Charakter annimmt. Die Gründe für das Verhalten des Kindes sind völlig irrationaler und gefühlsmäßiger Natur.
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C. DAS ERSCHEINEN DER FREIEN INTELLIGENZ GÖTTLICHEN POSITIVEN SUBSTANZ.
UND
DER
PRO
Die Freie Intelligenz erscheint nur beim menschlichen Lebewesen, etwa im Alter von 7 bis 8 Jahren. Erst jetzt wird der Geist abstrakter, allgemeiner und unparteiischer Wahrnehmungen fähig. Das Kind vermag sich nun in die Lage eines anderen hineinzuversetzen; es kann unabhängig von der Bejahung des Ich gegenüber dem Nicht-Ich Werte erkennen: es ist nun imstande, Dinge und Geschehnisse für wünschenswert zu halten, ohne sich dabei um den Ausgang seines Kampfes gegen das Nicht-Ich zu kümmern. Neben der Tendenz, den Aufbau des eigenen Organismus zu sichern, erscheint ein Streben nach Aufbau im Allgemeinen, ein Streben am kosmischen Bau teilzunehmen. Das Kind kann die allgemeinen Ideen des Guten, Schönen und Wahren begreifen und sich von ihnen angezogen fühlen. Aber im Augenblick, wo die Freie Intelligenz des Kindes in Erscheinung tritt, ist das ganze starke Getriebe seines Gefühlslebens schon auf eine völlig einseitige Sicht seiner Stellung im Universum aufgebaut. Der „abstrakte Teil" des Menschen erscheint sehr spät, zu einem Zeitpunkt, da die Struktur des „animalischen Teils" schon fest in einer Lebeweise rein persönlich-parteiischen Charakters verankert ist. Das Denken des „Geistes" bejaht das Ganze, wobei das Eine und das Vielfache sich versöhnen. Das animalische Denken kann nur das Eine bejahen und das Vielfache, das außerhalb dieses Einen besieht, negieren. Es kann sich niemals zum reinen Denken aufschwingen. Das reine Denken sollte vielmehr zum animalischen Denken hinabsteigen. Da das reine Denken aber nur nach Unparteilichkeit strebt, wendet es sich von der Einseitigkeit des Animalischen ab und drängt ungestüm zu den reinen Begriffen, die es selbst erzeugt ("Eros", die Liebe des Menschen zu „Gott"). Eine Kluft trennt diese beiden Teile im Menschen. Ungeeint leben sie nebeneinander. Auf Grund dieser mangelnden Einigung kann der Mensch nicht zu absolutem Bewusstsein gelangen, kann er nicht die restlos beglückende Erfüllung kennen, die aus einem solchen Bewusstsein quillt, Der abstrakte, vom animalischen isolierte Teil, kann nur substanzlose Formen hervorbringen, bloße „Bilder", denen die Tiefe fehlt. Er erzeugt ein „universelles Idealbild", man könnte auch sagen, ein „göttliches Abbild", das stets auf das Schöne-Gute-Wahre gegründet ist, und das, mangels absoluten. Bewusstseins, auf das zeitliche Bild projiziert wird, das der Mensch von sich selbst gewinnt. Dadurch entsteht ein. „persönliches Idealbild" narzisstischen Charakters, das „Ego". Da die beiden erwähnten Teile des Menschen sich nicht ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß vereinen können, nimmt der Mensch am Wesen des Absoluten Prinzips nicht teil und vergöttert ein wesenloses Bild, das Ego. Mangels richtiger Liebe seines abstrakten Teils zum animalischen Teil muss sich der Mensch mit einem bloßen Ersatz dieser Liebe, nämlich der „Eigenliebe" begnügen, die die Liebe seines abstrakten Teils zum Idealbild seiner selbst darstellt.
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Die unversöhnliche Dualität dieser beiden Teile hat zur Folge, dass der Mensch von zwei verschiedenen energetischen Systemen bestimmt und bewegt wird, die auf mancherlei Art in Wechselwirkung treten, wobei sie sich gegenseitig bald begünstigen, bald bekämpfen. 1. Fall.
Die Freie Intelligenz ist schwach und die beiden Systeme stützen sich gegenseitig, Das Verhalten wird eine Prestigefrage.
Dieser dualistische Mensch ohne innere Einheit, der aber seines absoluten Wesens wegen das Bedürfnis nach Einheit in sich trägt, betrügt sich selbst und spielt sich innerlich eine lügenhafte Komödie vor, um in sich selbst den Anschein innerer Einheit zu erwecken. Er betrügt sich, indem er entweder seine Anschauungen dem animalischen Teil in sich anpasst, oder umgekehrt. Der erste dieser beiden Fälle kommt bei Menschen vor, deren Freie Intelligenz schwach ist. Bei einem Menschen dieser Art ist die Vorstellung vom Abstrakten und Allgemeinen zu schwach, als dass sie verhindern könnte, das Besondere, das Konkrete als nicht wirklich erscheinen zu lassen. Ein solcher Mensch lebt folglich im Konkreten, d. h. vom Standpunkt der Zeit aus betrachtet, in der Dauer und nicht im Ewigen. Da er sich mit bloßer Dauer zufrieden geben kann, will er den Sieg seines Ich über das Nicht-Ich nur als letztes Ziel; es ist ihm also möglich, etwaige Misserfolge in Kauf zu nehmen, ohne dass sein ich-bezogenes „göttliches" Abbild in unerträglicher Weise dadurch verletzt würde. Dieser Mensch erhebt nur Anspruch, im Rahmen der zeitlich bedingten Dauer Erfolg zu haben, er sucht in tatsächlichen zeitlichen Verwirklichungen seine ich-bezogene Selbstbestätigung. Der abstrakte Teil seines Wesens will dasselbe wie sein animalischer Teil; er betont sogar die instinkthaften Forderungen. In diesem Menschen entsteht kein innerer Bruch. Er „rationalisiert" seine Bedürfnisse. Mittels einer Lüge bringt er seine idealen „Prinzipien" auf einen Nenner mit seinem Machtwillen. Noch genauer: er deutet seine praktischen Probleme in der Weise, dass der Verstand seine instinktiven Tendenzen legalisiert. 2. Fall.
Die Freie Intelligenz ist stark. Die beiden Systeme befinden sich in gegenseitigem Kampf. Die „Furcht vor dem Scheitern" . Die Angst.
Der Mensch, dessen abstrakte Seite stark genug entwickelt ist, empfindet geistig im Abstrakten und Allgemeiner, einen höheren Grad von Wirklichkeit als im Konkreten und Besonderen. Beim Jagen nach dem Sieg des Ich über das NichtIch wird jeder einzelne Erfolg von der allgemeinen Idee des Erfolges über- strahlt. Sein Denken bewegt sich nicht im Rahmen der Dauer, sondern unter dem Blickwinkel der Ewigkeit. Da er aber tatsächlich in der Dauer lebt und der Schnittpunkt von Ewigkeit und Dauer der Augenblick ist, lebt dieser Mensch im Augenblick. Dies ist der Typus Mensch des »alles und sofort*. Den Sieg über das
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Nicht-Ich will er nicht letzten Endes sondern sofort, im Augenblick, Er erhebt den Anspruch, gleich im gegenwärtigen Augenblick zeitlichen Erfolg zu haben. Aber ein solch völliger, augenblicklicher Sieg über irgendeinen Aspekt des NichtIch ist ganz offensichtlich unmöglich. Nichts kann im Zeitlichen, ohne Dauer gelingen. Um sich also nicht bis ins Zentrum seines Wesens hinein negiert zu fühlen, muss dieser Mensch, wie man sagt, irgendetwas unternehmen: Er wird „sich gut zureden"; er wird den vorher erhobenen Anspruch auf diese oder jene Äußerung seiner zeitlichen Allmacht zurückziehen („diese Trauben sind mir zu sauer"). Er "fügt" sich, den begrenzenden Bedingungen seiner zeitlichen Existenz; er behauptet, sie willentlich und frei anzunehmen. In Wirklichkeit aber nimmt er diese Grenzen durchaus nicht an, noch kann er sie annehmen; er findet sich nur mit Ihnen ab; das heißt, ohne sie anzunehmen, spielt er sich die bloße Komödie des Annehmens vor. Es ist wesentlich, diesen Unterschied zwischen wirklichem Annehmen und bloßem Sich abfinden zu verstehen, Annehmen, eine Situation wirklich annehmen, das heißt, mit seinem ganzen Wesen zu denken und zu fühlen, dass man, böte sich die Möglichkeit einer Änderung, keinerlei Grund hätte, etwas zu verändern. In seiner dualistischen und unversöhnten Grundsituation, bei der Vernunft und Gefühl auseinanderklaffen, kann der Mensch jedoch unmöglich gefühlsmäßig die Existenz eines Nicht-Ich gelten lassen, durch welches er sich angegriffen und negiert fühlt. Er kann nur so tun, als ob er es annähme, daher kann er sich nur damit abfinden. Sich mit etwas abfinden heißt, es praktisch annehmen und theoretisch verweigern. Diese beiden Faktoren aber sind unversöhnt und bleiben unversöhnbar im Inneren des Menschen. Sie bleiben. unversöhnbar, weil sie zwei Sphären angehören, die durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt sind. Ein solcher Mensch hält den ihm nötigen Schein innerer Echtheit aufrecht mittels eines psychologischen Verteidigungsmechanismus, der ihn blind für die theoretische Verweigerung seiner zeitlichen Grundsituation macht (mentales Scotom). Er redet sich ein, dass er annimmt, dass er „weise", dass er „vernünftig* ist. Er macht sich ein Theater vor und führt sich dabei selbst in die Irre. Die „vernünftigen" Vorsätze, die er fasst, sind zwar in der Tat rationell und stimmen mit der tatsächlichen Ordnung der Dinge im Kosmos überein. Aber ein solcher Mensch hat Unrecht, Recht zu haben, einfach so ohne weiteres, d. h. verfrüht Recht zu haben, dank einer inneren Komödie, die auf zwei Lügen beruht: er betrügt sich, indem er einen instinktiven und unterirdisch in seiner ursprünglichen Richtung weiter fortbestehenden Anspruch zurückzieht, und betrügt sich, indem er sich einredet, seinen Anspruch aufzugeben, weil dies vernünftig sei, während er in Wirklichkeit diesen Anspruch mir aufgibt, um sich nicht vom Nicht-Ich negiert zu sehen, Er spielt den Engel, der er keineswegs ist, War das typische Wort seines animalischen Teils das „Nein", so ist dasjenige seines abstrakten Teils das „Ja", Aber dies „Ja" ist kein absolutes „Ja", es ist nur ein relatives. Es ist nicht das seinsmäßige „Ja", sondern nur das erscheinungsmäßige und nicht minder
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illusorisch, vom absoluten Standpunkt aus gesehen, als das „Nein" des animalischen Teiles seines Wesens. Das absolute „ja" kann erst später gewonnen werden durch die Vereinigung in einer drei- einigen Synthese des relativen „Ja" und des relativen „Nein". All dies weiß der Mensch nicht und ist stolz auf sein „Ja", das er als Beweis seiner Herrschaft über den animalischen Teil seines Wesens und seiner selbst auffasst, obwohl dies durchaus nicht der Fall ist. Er glaubt richtig damit zu handeln, wenn er mehr und mehr bejaht und gewinnt den Eindruck, dass er sich der Wirklichkeit anpasse, obwohl er sich diesen ganzen Vorgang der Anpassung nur vormacht. Er spaltet sich in zwei Personen auf: die „Ja"-Sagende, der „Engel" in ihm genießt seine besondere Vorliebe. Er macht sie sich nach Kräften bewusst und hält sie für sein eigentliches Ich. Währenddessen wird die Person, welche „nein" in ihm sagt, das „Tier" in ihm, mit Verachtung bestraft und zurückgedrängt. Der Mensch verdunkelt nach Kräften sein Bewusstsein von dieser Nein-Person in sich. Wenn er nicht umhin kann, sie zu sehen, pflegt er zu sagen, dass das nicht er selbst sei, oder er sagt: „Ich weiß nicht, was mich da gepackt hat. Es ist stärker als ich gewesen." Die Nein-Person, welche zu Beginn, als das kleine Kind den Gegensatz von Ich und Nicht-Ich erfuhr, das Nicht-Ich aus seinem ganzen Wesen leugnete und allein sich behauptete, verliert im Laufe der Zeit an Boden in dem Maße, in dem sich die „Anpassungs"-Mechanismen aufbauen und. verfestigen. Immer mehr und immer tiefer wird sie zurückgedrängt und von immer zahlreicher und immer umfangreicher werdenden Schichten des Anpassungsgefüges überlagert. Langsam und methodisch wird sie erstickt. Jene Stimme, die sich zwangsläufig angesichts der zeitlich bestimmten Grundsituation auflehnte, wird nach und nach unterdrückt und zum Schweigen verurteilt. Jede Spontanität wird durch Trugbilder, durch vernünftige „Verhaltungsweisen" untergraben. Bei Menschen mit schwach ausgebildetem vitalen Traditionsbewusstsein kann die Unterdrückung der Nein-Natur manchmal gelingen. Das „Tier" ist zwar nicht vernichtet, (denn solange der Mensch nicht tot ist, bleibt auch sein „Tier" am Leben), aber es ist so gut wie tot. Der Mensch, in dem sich dieser Vorgang abgespielt hat, gilt als „zivilisierter" Mensch, als ein Mensch, der „sich angepasst hat". Dabei stellt sich die Frage, wie dies überhaupt möglich ist, wie der Mensch tatsächlich zu dem Glauben gelangen kann, dass er seine zeitliche Grundsituation annähme, diese tödlich begrenzte Grundsituation, die in Wirklichkeit gefühlsmäßig unannehmbar ist. Man fragt sich, wie der Mensch auf diese Weise leben kann. Es kann ihm hauptsächlich nur gelingen auf Grund des Spieles seiner Vorstellungsgabe und der Fähigkeit seines Geistes, sich eine subjektive Welt vorzuzaubern, deren einziges bewegendes Prinzip in diesem Falle er selbst ist, Nie könnte der Mensch darauf verzichten, nicht das einzige Bewegungsprinzip des realen Universums zu sein, wenn er nicht die tröstliche Fähigkeit besäße, ein Universum für sich selbst zu konstruieren, ein Universum, das er ganz allein hervorbringt.
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Der Mensch, mit dem wir uns in Folgendem befassen werden, ist von ganz besonderem Interesse, denn allmählich wird seine Existenz zu einem wahren Drama: es ist derjenige Mensch, dessen instinktive, vitale Kräfte zu stark sind, als dass es seinen „Anpassungsfähigkeiten" gelänge, das „Nein", das „Tier" in ihm zu unterdrücken. Eine gewisse Zeit lang verstellt zwar such, er sich, anzupassen. Er redet sieh energisch seihst zu. Seine Vorstellungsgabe, die einem das Gleichgewicht haltenden Kreisel gleicht, dreht sich rasch und ist wirksam. Sehr häufig wird dabei ein geschickter Vorgang des Sich-Anpassens angewendet: auf die geistige Vorstellung irgendeines Aspektes der Außenwelt wird das „göttliche Abbild" dieses Menschen projiziert, was der Anbetung irgendeines Abgotts von selten des Betreffenden gleichkommt, z, B. die Anbetung eines andern menschlichen Lebewesens, die Anbetung einer „gerechten Sache" oder eines mehr oder weniger persönlich verstandenen Gottes", etc. Dieser Vorgang scheint den Dualismus von Ich und Nicht-Ich aufzuheben und ordnet alles, solange er anhält. Die Lage wird aber bedenklich, sobald all diese Vorgänge des »Sich-Anpassens" ihre Wirksamkeit verlieren, die Haltung der Vergötterung zusammenbricht oder sich überhaupt nicht einstellt und das Tier im Menschen sich nicht mehr darauf einlassen will, seine Forderung, das Nicht-Ich zu besiegen, unaufhörlich einzudämmen; wenn der Fuchs, weil er zu lange die Trauben für sauer erachtet hat, Gefahr läuft, vor Hunger zu sterben; wenn der Mensch in den Tiefen seines Wesens das Tier in sich zornig aufbrüllen hört. In diesem Augenblick, erscheint Angst sowie die sogenannte Furcht vor dem Scheitern. Untersuchen wir, was sich genau hierbei im Menschen abspielt. Wir werden zeigen, dass der Ausdruck „Furcht vor dem Scheitern" nicht genau stimmt. Die Erscheinungen, auf die wir hier eingehen, vollziehen sich im abstrakten Teil des Menschen. Aber diese abstrakte Seite ist intellektueller und nicht gefühlsbedingter Natur. So kann sie auch nicht eigentlich Furcht empfinden. Der von uns beobachtete Mensch fordert, wie wir gesehen haben, auf der zeitlichen Ebene augenblicklichen Erfolg, somit fordert er etwas Unmögliches. Um zu verhindern, sich vom konkreten Ereignis negiert zu fühlen, muss er diesen Anspruch aufgeben. Der abstrakte Teil seines Wesens hat nicht eigentlich Furcht vor dem konkreten Scheitern, ein äußerst starkes, sozusagen zahnräderartiges, psychologisches Getriebe untersagt ihm vielmehr, die Möglichkeit überhaupt eines solchen Scheiterns in Betracht zu ziehen. Damit weigert sich der abstrakte Teil seines Wesens, ein Scheitern zuzulassen; um es zu verweigern und zu leugnen, lehnt er. den Kampf gegen das Nicht-Ich ab, denn dieser Kampf muss aussichtslos erscheinen, gemessen an dem auf den Augenblick zugespitzten Totalitätsanspruch dieses Menschen. Der abstrakte Teil seines Wesens ist nicht davon überzeugt, das Nicht-Ich augenblicklich und völlig zu besiegen, so gibt er vor, die Existenz des konkreten Nicht-Ichs zu leugnen und flüchtet sich in das Weltgebilde seiner eigenen Vorstellungskraft. Die animalische Seite seines Wesens hat eine gewisse Zeit lang dies Verhalten ihrer überlegeneren Partnerin
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zugelassen: Und in der Tat hat die Flucht vor der Auseinandersetzung zwischen Ich und Nicht-Ich dieser animalischen Natur im Menschen einige Vorteile verschafft: die Freundschaft der einen, die Hochachtung der anderen, somit die Gewähr eines gewissen Beistandes gegen das Nicht-Ich. Aber das Leben hat immer mehr die Hoffnungen einer Entgeltung dafür, dass man liebenswürdig und vernünftig gewesen ist. enttäuscht. Unglücksfälle welche man als „unverdient" empfindet, sind eingetreten. Der animalische Wesensteil glaubt nicht mehr an die bisherigen Hirngespinste, er ist der Ansicht, dass man der Dumme war und es endlich genügt. Er will dem Kampf nicht mehr aus dem Wege gehen und er ist mit einer friedlichen Haltung, die nichts einbringt, nicht mehr ein- verstanden. Er ist endlich der Versprechungen von späterem Nutzen müde, den er nie eintreten sieht. Er will nur noch eines: zu den Waffen greifen. Unter diesen neuen, Umständen fasst er den Abfall der abstrakten Seite nur noch als Feigheit vor der Gefahr, als schändlichen Verrat vor dem Feinde auf. Ein. solcher Mensch gleicht einer belagerten Festung, wo die Soldaten, welche nur empfinden oder handeln können, auf die Rettung ihrer eigenen Haut bedacht sind, und wo der Befehlshaber, der nur überlegt, nichts von Kampf wissen will und daher befiehlt, die Waffen niederzulegen. Die Truppe kann diesen sinnlosen Befehl nicht verstehen, zugleich aber kann sie, da kein Befehl oder zumindest irgendeine Genehmigung von oben ergangen ist, nicht kämpfen, wie sie möchte. Sie fühlt sich verlassen und in ihrer Hilflosigkeit erschreckt, Sie empfindet Angst. Diese Angst ist nicht die Furcht vor dem besonderen Scheitern, welches in vorliegendem Fall mit inbegriffen ist. Es Ist die Furcht vor dem Tode, diese altbekannte Furcht, die den Menschen seit seiner ersten Begegnung mit dem NichtIch erfüllt, dieselbe Furcht, die er schon als Kind empfand, als seine Mutter ihm ihren Beistand zu entziehen schien. Die Angst ist also eine Erscheinung in zwei Phasen, und es ist von größter Wichtigkeit, diese zwei Phasen, in welcher sie sich auslöst, zu unterscheiden. Mit dem „Kopf", mit der „Vernunft, mit dem „Engel" beginnt es. Der Kopf 0 gibt vor, das Vorhandensein des gefährlichen Nicht-Ichs zu ignorieren und flüchtet sich in Traumgebilde. Damit betätigt aber der Verstand implizite das Vorhandensein des Nicht-Ichs in der praktischen Wirklichkeit und er läuft so praktisch zum Feind über. Daraufhin wird die animalische Seite des Menschen, das „Tier" in. ihm, von Furcht befallen, nicht von relativer Furcht vor dem drohenden relativen Scheitern, sondern von einer totalen Furcht angesichts der totalen Todesgefahr, welche das Nicht-Ich für ein Ich darstellt, das durch den Abfall des Verstandes hilflos geworden ist. In. dem., was man ungenau als „die Furcht vor dem Scheitern" bezeichnet, stecken folglich zwei verschiedene Elemente; eine intellektuelle Verweigerung des Scheiterns und eine gefühlsmäßige Furcht nicht vor dem Scheitern, sondern vor dem Tod. Die irrtümliche Annahme, die In dem Ausdruck „Furcht vor dem Scheitern" ihren Ausdruck findet, macht deutlich, wie sich der circulus viciosus der Angst schließt. Der Mensch, von dem wir sprechen, vergegenwärtigt sich nicht, dass er vor dem
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Tode zittert und dass er ihn fürchtet, weil der Verstand seinen Organismus im Stich lässt vor der allgemeinen Bedrohung des Nicht-Ich. Er ist der Meinung, dass er vor irgendeinem negativen konkreten Aspekt der äußeren Welt zittert, der indes sehr geringfügig sein und zum Beispiel lediglich in der schlechten Meinung von Herrn X. bestehen kann. Da ihm dieser konkrete Aspekt der Welt nun aber wie ein todbringendes Gespenst, wie ein Schreckgebilde völliger Zerstörung erscheint (es ist ja der Tod, den er in Wirklichkeit fürchtet), misst er diesem Weltaspekt eine total negative „Wirklichkeit" bei, er hält ihn für eine absolute „Vereinung", folglich für unzerstörbar. Diese Auffassung von der Welt als absolutem und unzerstörbarem Hindernis kann natürlich in seinem abstrakten Denken die Weigerung nur noch verstärken, sich auf irgendeinen Kampf einzulassen. So schließt sich der circulus viciosus. Es ist also verständlich, wieso der Zustand der Angst das fatale Los von jenen Menschen wird, die in einer gewissen Hinsicht als die Begabtesten und innerlich Reichsten erscheinen, da ihre unparteiische abstrakte Seite ebenso stark wie die animalisch-parteiergreifende Seite ausgebildet ist. Unter dem Zustand der Angst werden hingegen kaum oder gar nicht leiden: einerseits diejenigen Menschen, deren abstrakter Teil schwach ist und denen folglich eine bequem-egoistische Lebensweise möglich ist. („Materialisten") und andererseits diejenigen Menschen, deren animalische Seite schwach ausgebildet ist und welche ihr Leben in einem bequemen altruistischen Verzicht hinbringen („Spiritualisten"). Bei den Menschen der ersteren Gattung trägt praktisch das „Nein" den Sieg davon, bei denen der zweiten Gattung das „Ja". In beiden Fällen hat das Pendel der Waage nach der einen oder andern Richtung hin ausgeschlagen und bleibt hiermit festgelegt. Nur der Unglückliche, der beide Seiten in sich stark ausgeprägt vorfindet, wird innerlich von dem Kampf zwischen dem unversöhnten „Ja" mit dem unversöhnten „Nein" hin und her gerissen. Dieser Mensch ist zwar unglücklich, aber gleichzeitig ist er am stärksten dazu aufgerufen, auf seine völlige „Verwirklichung" hinzuarbeiten, die in der Versöhnung des „Ja" und des „Nein" besteht. Die andern befinden sich zwar in einer bequemen Lage, aber zu dieser Verwirklichung sind sie nicht berufen. Die aufmerksame Betrachtung der zwischen Angst und Vorstellungskraft bestehenden Beziehungen ist des Interesses wert, denn diese Untersuchung wird uns über die genaue Natur des „moralischen Leidens" unterrichten. Rufen wir uns die zwei psychologischen Momente ins Gedächtnis, welche bei dem Begriff der Angst mitspielen: der abstrakte Teil zieht sich vor der Wirklichkeit zurück, weil ihm auf Grund seines Anspruchs auf augenblickliche Allmacht der normale Widerstand der Außenwelt als unendlich, unerschütterlich und absolut verneinend erscheint. Er entzieht sich durch die Flucht in den Bereich der Vorstellungskraft. Das konkrete Scheitern wird vom mentalen Bewusstsein verhindert. Aber selbst wenn dies praktische Scheitern unendlich lange hinausgeschoben und suspendiert wird, bleibt die Vorstellung des Scheiterns für das abstrakte Denken gegenwärtig, das sich vom praktischen Existenzkampf abwendet. Die animalische Seite im
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Menschen. leidet unterdessen .unter der Furcht vor dem Tode, da die Abtrünnigkeit des Denkens („des Kopfes") sie hilflos vor der Angriffslust des NichtIch lässt. Die doppelte Rolle, welche die Vorstellungskraft innerhalb des Zustandes der Angst spielt, liegt klar zu Tage. Sie übernimmt einerseits die Rolle des Beschützers in Bezug auf die ich-bezogenen, illusorischen Forderungen des abstrakten Teils, andererseits die Rolle des Zerstörers in Bezug auf den animalischen Organismus des Menschen, indem sie ihn der Todesangst ausliefert. Sie beschützt das Ego, das illusorisch ist und greift indes den Organismus des Menschen an, dem tatsächliche Wirklichkeit innewohnt. Bei genauer Betrachtung sieht man also, dass die Angst nur auf Illusionen beruht, da ihre Gründe illusorisch sind und die Wirkung einer illusorischen Ursache keinerlei Wirklichkeit besitzen kann. Die auslösende Ursache der Angst ist illusorisch, da sie in demjenigen Vorstellungsablauf liegt, den wir als bloßes künstliches Produkt des menschlichen Geistes erkannt haben. Ebenso ist ihre wirkende Ursache illusorischer Natur. Wenn nämlich das geistige Bewusstsein sich von dem Hindernis der Welt abwendet und in die Vorstellungswelt flüchtet, so nur deshalb, weil es einen absoluten Anspruch an die Welt stellte. Und es stellte diesen absoluten Anspruch, weil es sich in trügerischer Unwissenheit über seine göttliche Herkunft befand. Der Mensch sucht sich nur deshalb im Zeitlichen zu vergöttlichen, weil er sein wirkliches göttliches Wesen nicht erkennt. Der Mensch kommt als Sohn Gottes auf die Welt und nimmt als solcher völlig an der Natur des Höchsten Prinzips des Universums teil, er wird aber „amnestisch" geboren, hat seinen Ursprung vergessen und ist in trügerischer Weise davon überzeugt, nur dieser begrenzte und sterbliche Körper zu s e i n , den seine Sinne gewahren. Mangels der Erinnerung an seinen Ursprung leidet er unter dem illusorischen Gefühl des Verlassen seins von Gott, (obwohl er ja in Wirklichkeit Gott selbst ist), und im Verlaufe seines zeitlichen Daseins sucht er verzweifelt nach vergöttlichenden Bejahungen, die er im Zeitlichen natürlich nicht finden kann: all dies, ohne sich klar zu machen, dass er die absolute Wirklichkeit nicht suchen würde, wenn er nicht an ihr teilhätte. (Es ist nicht möglich, einer Sache zu entbehren, ohne irgendeine Kenntnis von ihr zu besitzen.) Die Angst ist also eine Illusion, weil ihre Gründe trügerisch und illusorisch sind. Außer diesem theoretischen Beweis können wir einen praktischen aufzeigen, das heißt, wir können direkt und auf intuitivem Wege den illusorischen Charakter der Angst erfahren. Wenn ich mich in einem Augenblick, da ich „moralisch" leide, an einen ruhigen Platz zurückziehe und meine Aufmerksamkeit vom „Denken" auf das „Fühlen" lenke, wenn ich alle meine gedanklichen Vorstellungen hinter mir lasse und mich darauf einstelle, das sogenannte „moralische Leiden" wahrzunehmen, um endlich zu erfahren, was es eigentlich bedeutet, so gelingt mir das nicht. Alles was ich dabei empfinden kann, ist ein Zustand der Ermüdung, der in meinem Körper der Ausdruck dieser Angsterscheinung und vitalen Energieverschwendung ist, welche die Furcht vor dem Tode bewirkt hat. Doch entdecke ich in mir nicht
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das leiseste Gefühl von Schmerz im eigentlichen Sinne dieses Wortes. Je mehr ich darauf bedacht bin, zu empfinden, und je mehr ich auf diese Weise meine Aufmerksamkeit von meinem Vorstellungsablauf ablenke, umso weniger empfinde ich. So erfahre ich hiermit die Unwirklichkeit der Angst. Man wird das noch besser durch einen Vergleich mit dem physischen Leiden verstehen. Wenn ich ein schmerzhaftes Furunkel habe, leide ich physisch umso weniger, je stärker ich meine Vorstellungskraft in Bewegung setze. Je weniger ich hingegen meine Vorstellung wirken lasse, desto lebhafter empfinde ich meinen Schmerz. Das bedeutet, dass dieser Schmerz wirklich ist, nicht bloß vorgestellt oder imaginär. Wir wollen damit nicht behaupten, dass dem „moralischen" Leiden keinerlei Wahrnehmung innewohnt. Wir sagen nur, dass diese Wahrnehmung einen illusorischen Charakter besitzt, was etwas ganz anderes ist. Wenn ein Mensch in der Wüste eine Fata Morgana erblickt, könnte man nicht sagen, dass er nichts sieht. Sicherlich sieht er etwas, aber das, was er sieht, existiert nicht. So nehme ich auch, wenn ich „moralisch" leide, etwas wahr, aber ich nehme nichts wahr, was wirklich existiert. Was geht eigentlich in mir vor, wenn ich „moralisch" leide? In meinem Empfinden, haben wir festgestellt, besteht die Furcht vor dem Tode. Diese Furcht verbrennt meine vitale Energie und zehrt an meinen organischen energetischen Reserven. Meinem Organismus, meinem Körper wird somit ein Schaden zugefügt. Dieser Schaden ist nicht derselbe wie derjenige des physischen Schmerzes. Der Schaden des physischen Schmerzes betrifft einen Teil des Körpers, er betrifft den Körper als Aggregat von Teilen. Der Schaden des „moralischen" Schmerzes, der einen Energieverlust direkt an der Quelle darstellt, betrifft den Körper als Gesamtheit. Diese Art von Schaden äußert sich im organischen Empfindungsvermögen durch keinen bestimmten Schmerz, sondern durch ein allgemeines Missbehagen, durch Müdigkeit, Depression und Nachlassen der Vitalität. Im Verlaufe des „moralischen" Leidenszustandes tritt physisch betrachtet ein allgemeines depressives Missbehagen auf. Gleichzeitig spielen sich im Bereich des Psychischen Vorgänge unerfreulicher, bedrohlicher Vorstellungen ab. Das „moralische" Leiden ist also die Folge bedrohlicher geistiger Bildassoziationen im Zusammenhang mit einem somatisch depressiven Zustand, Der Verlust organischer Energie ohne Widerpart (denn ein Austausch mit der Außenwelt findet in diesem Zustand nicht statt), geht offensichtlich in die Richtung des Todes. Auch den drohenden Bildvorstellungen wohnt eine Atmosphäre von Tod inne, und sie wirken wie ein feindlicher Angriff auf mich, der auf mein Leben abzielt. Hier ist die Fata Morgana, deren Opfer ich bin! Ich sehe Mörder vor mir, die auf mich losgehen, und ich bin von ihrem wirklichen Vorhandensein überzeugt. Trotzdem ist kein Mörder weit und breit da, so wenig wie es einen Wasserspiegel am Horizont der Wüste gibt. Im Zen heißt das „die Höhle der Gespenster".
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Halten wir fest, dass die Angst im „Kopf" beginnt, dass der Verstand die Initiative bei diesem Vorgang hat. Natürlich unterstützt eine organische Depression physiologischen Charakters das Erscheinen der Angst (wir können stimmungsmäßig den ganzen Tag bedrückt sein, wenn wir schlecht geschlafen haben). Aber sogar in diesem Fall hängt die Angst vom geistigen Bereich ab, denn wenn ich meine Aufmerksamkeit auf das „Empfinden" richte, fühle ich mich nur noch müde, aber nicht mehr geängstigt. In der Angst hält der Mensch seine Aufmerksamkeit fest auf die Bilder seines Vorstellungsablaufes gerichtet, bei denen er vor dem gefährlichen und wirklichen Nicht-Ich Zuflucht sucht. Die Angst packt ihn dabei von hinten, sie kommt aus der Richtung, in die er nicht blickt und der er den Rücken kehrt. Die innere Geste, von der wir vorhin gesprochen haben und die in der Verlagerung meiner Aufmerksamkeit vom „Denken" zum „Fühlen" hin besteht, entspricht einem radikalen Richtungswechsel, bei dem ich eine halbe Wendung von genau 18O um mich selbst ausführe: diesmal kehre ich den Bildern meines 0 Vorstellungsablaufes den Rücken und Blicke in die Richtung, aus der die Angst kam. Ich sage „kam'', denn in dem Augenblick, da die halbe Drehung um mich selbst ausgeführt ist, so dass das Wirken des Vorstellungsvermögens, das vorher die Initiative des ganzen Vorgangs besaß, ausgeschaltet wird, verschwindet die Angst, und nur eine Art allgemeiner Müdigkeit bleibt noch fühlbar. Das Gespenst behält seine Truggestalt nur bei, solange ich meinen Blick von der Stelle abwende, wo ich es vermute. Sobald ich es wage, diese Stelle fest ins Auge zu fassen, erkenne ich, dass überhaupt nichts dort ist. Aber all dies kommt nicht einem direkten Heilmittel gegen die Angst gleich. Einer der Hauptirrtümer des Menschen besteht darin, ein direktes Heilmittel gegen seine Angst zu suchen, das Symptom heilen zu wollen, ohne sich um die Gründe dieses Symptomes zu kümmern. Das theoretische Verständnis der Mechanismen der Angst ist jedoch der nicht zeitlichen Verwirklichung dienlich, die allein den Menschen von seinen illusorischen Leiden befreien kann. Ich kann mich nicht der zur Verwirklichung führenden inneren Arbeit widmen, wenn ich zunächst nicht den gleichfalls illusorischen Charakter der beiden gefühlsbestimmten Pole „Leid - Freude" völlig verstanden habe.
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VI. DIE FÜNF DENKWEISEN DES NOCH NICHT VERWIRKLICHTEN MENSCHEN PSYCHOLOGISCHE BEDINGUNGEN DES SATORI Das Psychologische Bewusstsein des gewöhnlichen Menschen arbeitet gemäß fünf verschiedenen Modalitäten, die sich folgenderweise staffeln: 1. Art:
Tiefer, traumloser Schlaf. Der mentale Bereich enthält keinerlei Bild. Eine Art des Funktionsablaufes, die einem Nicht-Funktionsablauf gleichkommt.
2. Art:
Schlaf mit Träumen.
3. Art:
Zustand des Wachens mit Träumerei.
4. Art:
Wachzustand mit konkretem Denken, das der wirklich gegenwärtigen Außenwelt Rechnung trägt.
5. Art:
Wachzustand mit reinem intellektuellen Denken.
Mit Ausnahme des ersten Modus enthält das mentale Bereich stets einen Vorstellungsablauf, der vom zweiten bis zum fünften Modus jeweils verschieden ist. Der Vorstellungsablauf, welcher Natur er auch sei, ist einerseits durch die Beschaffenheit seiner Bilder bestimmt: diese können konkret, auf Einzeldinge bezogen und Nachzeichnungen der konkreten, gegenwärtigen oder nicht gegenwärtigen Wirklichkeit sein. Sie können auch abstrakter und allgemeiner Natur sein (dem allgemein Wirklichen nachgebildet, auf das die Begriffe „gegenwärtig" oder „nicht-gegenwärtig" nicht mehr anwendbar sind). Der Vorstellungsablauf ist andererseits durch den Stil, der Anordnung seiner Bilder, das heißt durch deren assoziativen Stil bestimmt. Man kann dabei drei Stile unterscheiden: den symbolischen, den realistischen und den rein intellektuellen Stil. Der Vorstellungsablauf, oder um einen einfacheren Begriff zu gebrauchen, das Denken des Schlafes mit Träumen wird vor allem durch seinen symbolischen Assoziationsstil bestimmt. In diesem symbolischen Stil liegt der Sinn der Vorstellungen nicht in deren Form oder Ausdruck. Der Sinn ruht hinter der Form, und diese weist nur auf ihn hin. Es besteht eine Trennung zwischen der Form als bloßem Mitte] und der unformalen Substanz, die das Ziel (und zugleich natürlich das Prinzip) dieser Form ist. Das Denken im Wachzustand mit Träumerei liegt zwischen dem traumhaften Denken und dem an die äußere, gegenwärtige Wirklichkeit angepassten Denken des Menschen. Es kann sehr in die Nähe des Traumdenkens rücken, wobei es dessen scheinbare Sinnlosigkeit annimmt. Es
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kann auch in nicht-symbolischem, also in realistischem Stil in Erscheinung treten, wie wir bei der Behandlung der vierten Denkart sehen werden. Das realistische und der gegenwärtigen äußeren Wirklichkeit angepasste Denken des Menschen setzt sich aus Bildern zusammen, die sich nicht mehr darauf beschränken, auf einen Sinn hinzuweisen, ohne dass dieser Sinn in ihnen selbst enthalten wäre. Es handelt sich hierbei um konkrete Bilder, die auf einen unmittelbar wirklichen Sinn Anspruch erheben, welcher der konkreten Wirklichkeit angepasst ist. Der Sinn dieses Denkens liegt weniger hinter seinem Ausdruck, sondern im Gegenteil mehr in ihm selbst. Trotzdem kann man nicht sagen, dass der Sinn dieses Denkens überhaupt nicht mehr hinter seinem Ausdruck läge. Dieser Sinn, welcher die relative Wahrheit dieses Denkens ist, ist eine Manifestation der uranfänglichen unausdrückbaren Wahrheit, und dieses Denken wäre sinnlos und würde gar nicht bestehen, wenn es nicht einen hinter seiner Form liegenden Sinn besäße. Nur durch diesen latenten Sinn enthält die Form einen gewissen relativen und offenbaren Sinn. Das rein intellektuelle Denken des nachdenkenden, meditierenden Menschen bewegt sich nicht mehr in realistischem, sondern in rein intellektuellem Stil. Diese Bilder sind abstrakt im Gegensatz zu denen des realistischen Denkens, sie enthalten nichts, was mit den sinnlichen Organen zu erkennen ist. Die Hindus betrachten das mentale Denkvermögen als ein 6. Sinnesorgan. Dieser Standpunkt ist durchaus vertretbar, insofern das mentale Denken in gleicher Weise wie die Sinnesorgane uns nur relative Aspekte vermittelt. Im Übrigen aber unterscheidet sich das mentale Denken von den anderen Sinnesorganen dadurch, dass es allein abstrakte, allgemeine Wahrnehmungen vermittelt. Die Bilder dieses Denkens erheben wesentlich mehr Anspruch als diejenigen des realistischen Denkens. Sie weisen energisch und entschieden die bescheidene Rolle von sich, nur indirekt auf die Wahrheit hinzudeuten. Sie erheben Anspruch darauf, in sich selbst einen allgemein gültigen Sinn zu verkörpern. Die formale Ausdrucksfähigkeit ist hier auf ihrer Höhe angelangt, die Substanz-hinter-der-Form ist dafür sehr gering. Bei der Betrachtung dieser fünf verschiedenen und reihenartig gestuften Denkarten stellen wir uns notwendigerweise die Frage, welche Hierarchie unter ihnen herrscht. Üblicherweise will man in der Reihenfolge von der ersten bis zur fünften Denkart einen Fortschritt sehen. Nach dieser Auffassung steht der Mensch, der sich mit der wirklich äußeren Welt beschäftigt, über dem schlafenden Menschen, und derjenige, der über die allgemein gültigen Gesetze meditiert, wird höher gestellt als jener, der sich mit der konkreten Wirklichkeit befasst. Teilweise stimmt diese Auffassung. Aber zunächst einmal wollen wir sehen, worin sie falsch ist und inwiefern die Vedanta mit Recht den Zustand des tiefen Schlafes über den Zustand des Traumschlafes stellt und diesen wiederum über den Zustand des Wachens. Vom Nicht-Denken (traumloser Schlaf) zum rein intellektuellen Denken (Meditation) hin will die Wahrnehmung der unausdrückbaren Urwahrheit sich mehr und mehr in mentaler Form verkörpern.
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Aber die mentale Form, oder, anders ausgedrückt, die Form der geistigen Vorstellung ist dem flachen Durchschnitt eines Volumens vergleichbar. Sicherlich sagt dieser Durchschnitt etwas über das Volumen aus, doch unterscheidet er sich wesentlich von ihm. je geschickter und genauer der Durchschnitt durchgeführt wird, desto genauer sind zwar die Angaben, die man dadurch über das Volumen erhält. Zugleich aber wächst auch damit der Anspruch des Durchschnittes, das Volumen selbst zu sein. Je genauer folglich die Angaben sind, welche aus dem Schnitt resultieren, desto mehr hintergeht also der Schnitt denjenigen, der ihn in Betracht zieht, das heißt desto weniger unterrichtet er den Betreffenden in Wirklichkeit. Beim meditierenden Menschen (5, Denkmodus) erreicht daher der Irrtum seinen Höhepunkt, da dieser Mensch glaubt, dass seine geistigen Vorstellungen einer objektiven und allgemein gültigen Wirklichkeit in adäquater Weise entsprechen. Bei dem Menschen, der sich mit der konkreten Wirklichkeit befasst, ist der Irrtum schon geringer, weil er mit seinen Bildvorstellungen nur eine beschränkte Wirklichkeit erfassen will. Der Mensch, der sich in Träumereien ergeht, täuscht sich noch weniger. Er ist noch weniger anspruchsvoll, Er verwechselt sein „Träumen" nicht mit der „Wirklichkeit". Noch geringer wird dann der Irrtum bei demjenigen Menschen, der im Schlaf träumt. Seine Bilder sind noch bescheidener, sie wollen nur auf indirekte Weise auf eine Wahrheit hindeuten, die sie als solche nicht in sich selbst enthalten. 1 ) Der Mensch endlich, 1 welcher traumlos schläft, täuscht sich überhaupt nicht mehr, weil die Anmaßung seines formalen Denkens mit diesem Denken selbst aufgehört hat. Vom 1. zum 5. Denkmodus wird also in gewisser Hinsicht eine absteigende Linie offenbar, da die Form immer stärker den Sinn des Denkens sozusagen in sich saugt und die unformale prinzipielle Substanz hinter dem entstehenden „Bildervorhang™ daher immer mehr verblasst. Die Bilder selbst entbehren somit immer mehr des tragenden Grundes. Sie gleichen Banknoten, deren Gold- wert immer tiefer sinkt. Diese Bewertung der fünf Denkarten, die also eine absteigende Hierarchie vom ersten zum fünften Modus hin zu erkennen gibt, wäre die einzig richtige, wenn der Mensch nur vom jeweiligen Augenblick her zu beurteilen wäre. Sie ist aber nicht mehr allein gültig, sobald dem Menschen Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der Dauer zuerkannt werden. Im jeweiligen Augenblick unterliegt ein Mensch, der sich in tiefem Schlaf befindet, tatsächlich weniger der Täuschung als der Mensch, der meditiert. Zieht man aber die Dauer in Betracht, dann, ist wiederum der meditierende Mensch dem in tiefem Schlaf Befangenen überlegen. Denn indem der Mensch meditiert, wobei er das illusorische Wirken seiner ich-bezogenen, dem Dualismus Subjekt-Objekt unterworfenen Grundsituation so weit wie möglich treibt, nähert er sich dem Augenblick des Satori. In ihm verschwindet der in Täuschungen befangene „alte Mensch", weil der „neue Mensch" geboren wird, in dessen Innern das unformale, prinzipielle Denken lebendig ist (dieses Denken,
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Man beachte, dass die höchsten „esoterischen" Lehren sich immer und notwendigerweise der Symbole und Mythen bedient haben.
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das in Bezug auf die fünf gewöhnlichen Denkmodalitäten sowohl immanent als auch transzendent ist.) Wie wir später sehen werden, kann das Denken der fünften Denkart, das meditative Denken, Satori nicht von sich aus auslösen, Aber ohne dies meditative Denken käme der Mensch nie zu einem Wissen darüber, wie das Satori ausgelöst werden kann, folglich könnte er es nie erreichen, nur auf dem Wege dieses abstrakten, höchst anspruchsvollen und in einer Richtung am meisten irreführenden Denkens kommt der Mensch zur Erkenntnis, wie nichtig sein ganzes Tun und Treiben hinsichtlich seiner nicht-zeitlichen Verwirklichung ist, nur so kann er begreifen, wie er sich verhalten muss, um zur inneren Entspannung zu gelangen, die den plötzlichen Ausbruch des Satori ermöglicht. So gibt es innerhalb der Reihe der fünf verschiedenen Denkarten des Durchschnittsmenschen zwei einander entgegenlaufende Hierarchien, Unter dem Gesichtspunkt des Augenblicks scheint das Denken von der ersten bis zur fünften Denkweise an Wert zu verlieren. Von der Perspektive der Dauer, der Perspektive einer möglichen Verwandlung im Menschen aus betrachtet, scheint das Denken an Wert zu gewinnen von der ersten bis zur fünften Denkweise hin. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Analogie, welche besteht zwischen der Entwicklung des einzelnen Menschen und derjenigen der Menschheit. Es gibt Leute, welche an der Idee festhalten, dass die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte „Fortschritte" mache. Andere wiederum behaupten, dass diese wissenschaftlichen oder geistigen "Fortschritte" nur Zeichen einer fortschreitenden Auflösung seien. Wie immer versöhnt die Wahrheit diese beiden entgegengesetzten Standpunkte. Man kann von Absinken der Menschheit insofern sprechen, als die Menschheit mit der Erkenntnis ihren formlosen Zustand hinter sich gelassen hat, um sich in immer raffinierteren und bestimmteren Formen zu äußern. Andererseits darf man von Fortschritt sprechen, da sie in zyklischer Wiederkehr nach einem Kollektivausbruch hin tendiert, der dem Ausbruch des Satori beim einzelnen Individuum entspricht (wenn er auch sehr verschieden von diesem ist). Dabei wird die alte Menschheit sterben, wissend, aber ohne Weisheit, und es wird eine neue Menschheit geboren werden, nicht wissend, aber weise. Kommen wir auf die fünf Arten unseres individuellen Denkens zurück und betrachten wir sie unter dem Blickpunkt des Satori, welches wir eines Tages zu erreichen wünschen. Um das Satori auszulösen, muss der Mensch in seinem psychischen Verhaken gewisse günstige Bedingungen herstellen, auf die wir später eingehen werden. Zunächst einmal muss der Mensch in einem ersten Stadium mittels geduldiger geistiger Arbeit zu verstehen lernen, welche diese günstigen Bedingungen sind und wie man sie herstellt. Nur in Bezug auf dies erste Stadium haben die fünf verschiedenen Denkarten einen verschieden hohen Wert, und nur hier gilt die fünfte Denkform als die höchste. Das Tier ist nicht fähig, das Satori zu erreichen, weil es nur über die ersten vier Denkarten verfügt, nicht über die fünfte. Das meditative, abstrakte Denken ist unerlässlich, um die Nichtigkeit aller direkten Anstrengungen zu begreifen, die der Mensch auf sich nimmt, um den
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Bestrebungen seiner Natur völlige und definitive Befriedigung zu verschaffen. Nur das meditativ-abstrakte Denken besitzt die Fähigkeit) irgendwelche neue Methoden zu entdecken, die zur Erlangung dieser Befriedigung führen sollen. Und nur dies Denken kann sich darüber Rechenschaft geben, dass auch diese Methoden nichtig sind, bis es dann endlich nach einer langen Arbeit des Sonderns und Ausscheidens den eigentlichen. Kern des ganzen. Problems berührt. Aber das Primat des meditativen Denkens gilt nur für die erste Stufe der Vorbereitung, welche das theoretische Verständnis vermitteln soll. Nehmen wir an, der Mensch habe jetzt die inneren Voraussetzungen gefunden und in sich entwickelt, die ihn für den Ausbruch des Satori reif machen, so wird dieser Mensch gleichzeitig zu dem Ergebnis kommen, dass keine seiner fünf Denkweisen als solche die innerlich nötigen Bedingungen herzustellen vermag. Er hat inzwischen verstanden, dass diese fünf Denkweisen für das Endstadium der inneren Arbeit gleich unergiebig sind: der traumlose Schlaf ist unwirksam, weil das Nicht-Ich abwesend ist. Die folgenden vier Denkweisen müssen unwirksam sein, weil das „formende" mentale Denken, sobald es anfängt darauf hinzuarbeiten, die Wirklichkeit zu erfassen, den Menschen an der unmittelbaren Vereinigung mit der unformalen Wirklichkeit hindert. Die notwendige Bedingung für die Auslösung des Satori besteht in einer Auffassung, deren Natur wir im Folgenden darzustellen versuchen und welche dem gewöhnlichen Menschen nicht natürlich und spontan erscheint, wie die fünf bekannten Arten seines Denkens. Um dies zu erklären, bedarf es einiger Umwege. Untersuchen wir zunächst einmal die Bedingungen eines bestimmten psychologischen Phänomens, das eine Reihe von Menschen sicherlich schon an sich beobachten konnte; ich sitze irgendwo bequem und bin ganz darin vertieft, ein Buch zu lesen, das meine ungeteilte Aufmerksamkeit erregt und mich in keiner Weise an mein gegenwärtiges Leben denken lässt. Ich identifiziere mich mit keinem der Helden meines Buches, sondern bin rein betrachtender Zuschauer. In Bezug auf mein persönliches Leben befinde ich mich in völliger Ruhe und Passivität. Furcht und Hoffnung sind aus meinem Geiste gewichen. Das Zwiegespräch, das das Buch in der Auseinandersetzung mit mir als Leser sein könnte, wird zum reinen Monolog; keine innere Stimme in mir unterbricht ihn oder sucht ihn zu deuten, keine eigenen Reflexionen über meine persönlichen Befürchtungen und Hoffnungen stören ihn. Mein Körper befindet, sich in bester Verfassung und gibt meinem Geiste keinerlei Alarmzeichen. Alles in mir ist ausgewogen und im Gleichgewicht. Schließlich löst sich die schon vorher geringe und spannungslose Teilnahme an der Lektüre des Buches völlig. Die Ruhe in mir wird so vollkommen, dass sie ein wirkliches „Aufhören" verkörpert, (wir werden gleich sehen, was hierbei aufhört). Plötzlich wird diese innere Ruhe durch eine Wahrnehmung der Sinne (durch einen Gegenstand, der in mein Gesichtsfeld rückt, oder durch einen Klang, den ich aufnehme) unterbrochen. Ich sehe nun diesen Gegenstand oder höre diesen Ton
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in einer Weise, wie ich sonst nie höre oder sehe. Es ist, als ob die Formen und Klänge, weiche mir sonst begegnet waren, wie durch einen Bildschirm hindurchgegangen wären, der sie entstellt hatte, während sie mir jetzt, in diesem besonderen Augenblick, auf direkte Weise und in ihrer reinen Wirklichkeit entgegenkommen. Ein ganz besonders bemerkenswerter Umstand ist dabei die Tatsache, dass meine sinnesmäßige Wahrnehmung mir gleichzeitig eine Erkenntnis der äußeren Welt und meiner selbst verschafft. In einem solchen Augenblick empfinde ich keine Trennung mehr zwischen der Welt und mir selbst, obwohl die beiden Bereiche getrennt sind. Das Nicht-Ich und das Ich bleiben zwei Bereiche, welche zu einer Einheit verbunden sind. Aber im Verlaufe von. wenigen Sekunden, während derer mir der eben beschriebene Vorgang bewusst wird, geht meine neue Sicht der Dinge vorüber und ich kehre zu meinem gewohnten Zustand zurück. Vergleicht man diese innere Erfahrung mit den Berichten, welche manche Meister des Zen über ihr Satori hinterlassen haben, so springen uns eine Reihe von gemeinsamen Punkten ins Auge; Zunächst einmal das Gefühl der großen inneren Ruhe, verbunden mit dem Eindruck des „Aufhörens", wobei der Betreffende sich in einer Verfassung befindet, die zugleich Wachen und Schlafen sein könnte. Dann das Aufhören jeder geistigen Erregung (der Zen-Mönch sagt, dass er dann „wie ein Narr, wie ein Einfaltspinsel sei"), ferner die wesentliche Rolle, welche eine sinnesmäßige Wahrnehmung für das Auslösungsmoment einer neuen Sicht aller Dinge spielt, außerdem die Plötzlichkeit dieses inneren Erlebnisses und der Eindruck von Klarheit und Einheit in dieser neuen Sicht der Dinge. Allerdings besteht auch ein großer Unterschied; Die eben geschilderte Erfahrung hinterlässt bald nur ein kurzes Erinnern, während das Satori den Beginn eines neuen Lebens darstellt, welches endgültig von jeder dualistischen und ichbezogenen Selbsttäuschung befreit ist. Wie soll man diese Ähnlichkeiten und Unterschiede auffassen? Weshalb bin ich zunächst einmal in diesen kurzen vorübergehenden Satori geraten? Die Antwort lautet: weil sich eine außergewöhnliche Ruhe in meinem Geist verwirklicht hat. Im Verlaufe der Lektüre arbeitet zwar mein Geist weiter, aber nach einem gleichförmigen, regelmäßigen, stetigen Rhythmus, wobei er einen Vorstellungsablauf von leichten, konturlosen Bildern produziert. Schließlich verschwinden diese Bilder ganz und mein Geist kehrt in sein Zentrum zurück, ohne irgendetwas auf die Oberfläche treten zu lassen, In diesem Moment ist die übliche Verkrampfung aus meinem mentalen Bereich verschwunden, obwohl mein Geist arbeitet, denn ich befinde mich nicht im Zustand des tiefen Schlafes. Mein in dieser Welse entspannter, aber nicht schlafender Geist ist in der Lage, ruhig und Reaktionslos diese nicht-dualistische Sicht des Daseins zu gewinnen, der er sich gewöhnlich auf Grund seiner Bewegtheit und seiner unruhigen Reaktionen verschließt. Das Verhalten dieses Geistes gleicht demjenigen eines Menschen, der in einen Raum eingesperrt ist, dessen Türe sich nach innen öffnet. Der Gefangene rennt üblicherweise gegen diese Tür an, um sie zu öffnen, Je mehr er aber gegen sie anrennt, umso weniger öffnet sie sich, Hört er aber einen Augenblick auf,
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gegen die Tür zu stoßen, so öffnet sie sich von selbst. Warum hat aber nun mein Satori nicht angedauert? Weil die Bedingungen, die ihn zustande kommen ließen, künstlicher Natur waren. Die vollkommene Ruhe hat sich meiner nur bemächtigt, weil ich auf Grund eines augenblicklichen Vergessens meine üblichen, auf mich selbst bezogenen Vorstellungen beiseitegeschoben habe. Zufälligerweise war mir jede Gelegenheit entzogen worden, mit meinem Ego mich, zu beschäftigen, stelle ich daraufhin meinen kurzen Satori bewusst fest, indem ich mir sage, dass mir das widerfahren sei, so tritt hiermit mein ganzes ich-bezogenes Leben, welches einen kurzen Augenblick lang außerhalb meines mentalen Bereiches gelegen war, wieder auf und unterbricht das Satori, was die üblichen Konsequenzen von Gefühlserregungen und Selbsttäuschungen nach sich zieht. Das endgültige und wahre Satori setzt voraus, dass sich völlige Ruhe im Geiste eines Menschen eingestellt hat, der sich von den sein Ego berührenden Lebensumständen nicht nur nicht zurückgezogen hat, sondern diese im Gegenteil in vollem Umfang auslebt. Aber wie ist das möglich? Und vor allem: worin besteht diese Ruhe des Geistes? Wir haben gesagt, etwas hat „aufgehört", aber was? Es kann sich nicht um das Aufhören des geistigen Vorstellungsablaufes handeln, da doch der Betreffende wach ist und nicht schläft. Sein mentales Bewusstsein funktioniert und ist in Bewegung, aber es funktioniert „glatt", ohne „Gestolper". Was aufhört, ist also nicht das mentale Bewusstsein selbst, sondern nur das „Gestolper", d.h. die Unregelmäßigkeiten seines Rhythmus. Dies "Gestolper" entspricht ganz einfach den Gefühlserregungen. Das kurze Satori Erlebnis der oben erwähnten Erfahrung konnte bei mir auftreten, weil ich seit einer oder seit zwei Stunden frei von Gefühlserregungen war. Ich hatte jedes Bild, das mein persönliches Leben betraf, außerhalb meines geistigen Bereiches gelassen, denn mein Buch hatte meine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, ohne mich im geringsten zu erregen, auch mein in bequemer Verfassung sich befindender Körper hatte diese Ruhe nicht gestört. Ich empfand auf diese Weise weder Freude noch Schmerz. Diese Abwesenheit von Gefühlserregungen war die Voraussetzung für das nicht „holprige" Funktionieren meines Geistes und dieses glatte Funktionieren wiederum bedingte in mir die plötzliche Auslösung des nicht-dualistischen Bewusstseins der Existenz. Worin aber besteht die Gefühlserregung? Um sie aus unserem psychischen Verhalten ausschalten zu können, müssen wir zunächst ihr Wesen erkennen. (Wir werden später auf die Gründe zu sprechen kommen, weshalb der Durchschnittsmensch sich so heftig gegen die Vorstellung wehrt, die Gefühlserregungen aus seinem psychischen Leben auszuschalten.) Die Gefühlserregung stellt einen Kurzschluss der vitalen Energie des Menschen dar zwischen seinem instinktiven, negativen und seinem geistigen, positiven Zentrum, Dieser Kurzschluss besteht in einer Energiedesintegration, die zwischen diesen beiden Zentren entsteht, und zwar in einem Punkt, den man als drittes Zentrum betrachten kann und den man als „Erregungszentrum" bezeichnet.
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(Nach dem Satori liegt dieser Punkt nicht mehr, den beiden andern Punkten gleichend, auf derselben Ebene wie diese, sondern entspricht der oberen Spitze des Dreiecks der dreieinheitlichen Synthese.} Der Erregungskurzschluss kommt zustande, wenn das intellektuelle Zentrum nicht isoliert ist. Welchem Faktor entspricht nun dies Fehlen einer Isolierung des intellektuellen Zentrums? Es entspricht der geistigen Passivität vor dem letzten Problem der menschlichen Grundsituation, so wie dieses sich im gegenwärtigen Augenblick äußert. Alle inneren und äußeren Bewegungen des Menschen haben einen einzigen ursächlichen Motor: das natürliche Bedürfnis des Menschen, als unterschiedliches Individuum zu bestehen, d. h. sein natürliches Bedürfnis zu „existieren". Dieses Bedürfnis kommt aus unserem instinktiven Zentrum. Dar Mensch aber ist sich dieses Bedürfnisses nicht bewusst, im A u g e n b l i c k , w o d i e s e s B e d ü r f n i s wirksam wird und soweit es im gegenwärtigen Moment fühlbar w i r d . Auf theoretische Weise kann sich der Mensch dessen bewusst sein, aber nicht praktisch, wenn dies Bedürfnis im Augenblick sich geltend macht. Alles im Menschen funktioniert nach dem Grundsatz: „Da es nun einmal Tatsache ist, dass ich existieren muss". Sein Geist kann sich aktiv alle Erscheinungen dieses primären Bedürfnisses bewusst machen, aber diese Bewusstmachung der Erscheinungen schließt das Bewusstsein dessen, was diese Erscheinungen bedeuten, aus. Versuchen wir es noch auf eine andere Art klar zu machen. Hinter allem, was der Mensch erlebt, spielt sich in ihm vor seinem inneren Tribunal der illusorische Prozess seines Seins oder seines Nicht-Seins ab. Die Aufmerksamkeit des Menschen wird von den jeweiligen Veränderungen dieses inneren Prozesses in Anspruch genommen und diese erscheinen ihm immerzu wesentlich und neuartig. Dabei ist ihm dieser Prozess selbst und die mit ihm verbundene fortgesetzte Monotonie nicht bewusst. Der Mensch bemerkt zwar die verschiedenen Formen seines jeweiligen Psychose-somatischen Zustandes, er sieht auch ihre qualitativ wechselnden Veränderungen. Aber er sieht hinter den formalen Änderungen seines augenblicklichen Befindens nicht die quantitative Veränderung dessen, was wir das nicht-formale Existenzempfinden nennen. Wenn ich in irgendeinem Augenblick durch eine innere, intuitive und völlig einfache Geste den nicht formalen Eindruck, mehr oder weniger intensiv zu existieren, gewinnen will, so kann ich das. Sobald ich aber aufhöre, zu wollen, hört auch mein Existenzempfinden auf, und meine Aufmerksamkeit wird wieder von neuem durch formale Wahrnehmungen abgelenkt. Wenn ich willentlich, mein nicht-formales Existenzempfinden wahrnehme (welches quantitativ veränderlich ist), wird mein Geist vor der letzten Wirklichkeit meiner augenblicklich konkret erlebten menschlichen Grundsituation aktiv. Somit wird mein intellektuell-geistiges Zentrum isoliert und ich erlebe keine Gefühlsbewegung, Sobald ich jedoch diesen willentlichen, nicht natürlichen Vorgang unterbreche, verliert mein intellektuelles Zentrum seine Aktivität, es gibt seine Isoliertheit auf und meine Gefühlserregungen setzen wieder ein.
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Mein nicht-formales Existenzempfinden verändert sieh quantitativ vom völlig reduzierten bis zum überdeutlichen Existenzempfinden hin. Ohne eine besondere Anstrengung meinerseits gebe ich darauf nicht acht, obwohl es gerade das ist, um was es sich für mich handelt in meiner augenblicklichen, ich-bezogenen menschlichen Grundsituation. Ich achte vielmehr nur auf die geistigen Formen, weiche mein völlig reduziertes oder aber deutliches Existenzempfinden jeweils hervorruft. Die Passivität meines Geistes, der ganz durch die Formen meines Zustands in Anspruch genommen ist und deren Faszination unterliegt, hat die Nicht-Isolierung des intellektuellen Zentrums im Gefolge, wodurch emotionale Kurzschlüsse, Unterbrechungen und Beunruhigungen entstehen, (Die Hindus nennen diese Art von innerem Kurzschluss den „verrückten Affen".) Der Mensch, welcher den Wunsch hegt, eines Tages den Satori zu erreichen, muss sich fortschreitend dazu erziehen, sein intellektuelles Zentrum zu isolieren, um es vor gefühlsmäßiger Beunruhigung zu schützen. Dabei darf er die äußeren Umstände, die sein Ego betreffen und ihn zu innerer Erregung verleiten könnten, weder ausschalten noch künstlich verändern. Er muss das natürliche Leben bejahen, so wie er es jeweils vorfindet. Um sich dem Satori zu nähern, muss er unablässig die Möglichkeit, die er besitzt, die aber immer wieder einzuschlafen droht, in sich wachhalten, das nicht-formale, mehr oder weniger negative, bzw. positive Existenzempfinden hinter den Formen seiner jeweiligen Befindlichkeit zu gewahren. Diese innere Aufmerksamkeit führt nicht nur zu keinem Verzicht auf ein ich-bezogenes, dualistisches konkretes Leben, sondern vielmehr dazu, sich eben in dessen Zentrum zu halten und sein Leben aus diesem inneren unbeweglichen Punkt heraus zu erfüllen, aus jenem Punkt, an dem der allererste Dualismus, Existieren - Nicht-Existieren, in Erscheinung tritt. Ist die Aufmerksamkeit des Menschen direkt auf die Quelle seiner Beunruhigungen hin gerichtet, dann beginnt von hier aus, nur von hier aus die innere Ruhe für ihn. Ist diese innere Ruhe zutiefst hergestellt, dann werden endlich die inneren Bedingungen für den Ausbruch des Satori erfüllt, die dualistischen Gegensätze werden versöhnt, und es entsteht eine dreieinheitliche Synthese. Es ist allerdings unmöglich, den Zustand dieser inneren SelbstGegenwart zu beschreiben, der in dem unmittelbaren Erkennen des Intensitätsgrades der Existenz im Augenblick besteht, da ja der Charakter dieser Wahrnehmung gerade nicht formaler Art ist. Nehmen wir an, ich frage Sie: „Wie fühlen Sie sich in diesem Augenblick?", so würden Sie Ihrerseits wohl antworten; „In welcher Hinsicht? Physisch oder moralisch gesehen?" Ich antworte Ihnen darauf: „In jeder Hinsicht zugleich. Wie fühlen Sie sich?" Vielleicht schweigen Sie erst zwei Sekunden lang und sagen dann zum Beispiel: „Nicht gerade schlecht", oder „Es geht so", oder „Sehr gut" oder irgendetwas anderes... Von den zwei Sekunden, während derer Sie geschwiegen haben, fällt die zweite für unser Interesse fort, denn Sie haben sie lediglich dazu benutzt, um für die Beschreibung Ihres Gesamtbefindens eine verständliche Ausdrucksform zu finden. In dieser
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zweiten Sekunde haben Sie bereits von der Wirklichkeit Ihrer inneren Verfassung, die uns allein interessiert, etwas unterdrückt. In der ersten Sekunde nur haben Sie etwas von dem erkannt, um das es sich unaufhörlich für Sie wirklich handelt und Ihnen normalerweise nicht bewusst ist, da Ihnen nur die Formen bewusst sind, die dieser unbewussten Wahrnehmung folgen oder auch jene Formen, anlässlich derer diese unbewusste Wahrnehmung auftritt. Sollte jemand nach der Lektüre hier den Versuch anstellen, jene nicht-formale Wahrnehmung seiner Existenz bei sich zu machen, so möge er nicht voreilig urteilen: man glaubt so leicht, dass man so weit sei, ohne so weit zu sein. So viele Arten des Irrtums es auch hierbei geben mag, der Irrtum selbst besteht grundsätzlich in irgendeiner Art von Komplikationen, die mit den mentalen Formen zusammenhängt. Man ist nicht einfach genug. Die nicht-formale unmittelbare Wahrnehmung der Existenz ist die einfachste Wahrnehmung, die man sich nur vorstellen kann. Sie kann inmitten der intensivsten äußeren Tätigkeit in vollkommener und richtiger Weise stattfinden, ohne diese äußere Tätigkeit im Mindesten zu stören. Ich brauche mich .nicht von dem wegzuwenden, womit ich gerade beschäftigt bin, sondern ich fühle meine Existenz direkt vom Zentrum der formalen Welt meines Tuns heraus, sowie durch die Aufmerksamkeit, welche ich diesem Tun zuwende. Wir haben schon früher festgestellt, dass der Durchschnittsmensch sich dagegen wehrt, eine Verminderung seiner Gefühlserregungen ins Auge zu fassen, Er gleicht einer Raupe, die erst dann zum Schmetterling wird, wenn sie das Stadium der Raupe durchgemacht hat. Die Raupe bewegt sich nur auf dem Boden, sie kann nicht fliegen noch kann sie sich der Dimension der "Höhe" erfreuen. Aber wenigstens kann sie sich bewegen. Verglichen mit dieser Bewegung erscheint ihr der unbewegliche Zustand der Puppe entsetzlich. Trotzdem würde ihr der zeitweise Verzicht auf eine unvollkommene Bewegung eine bessere und vollkommenere Bewegung vermitteln. Die Gefühlsbewegungen gleichen den Bewegungen der Raupe. Fühlen ist nicht dasselbe wie „Fliegen", aber es gleicht ihm und mit Hilfe von etwas Phantasie nimmt man das eine für das andere. Der Mensch legt so großen Wert auf die glanzvollen Funken seiner inneren Kurzschlüsse, und er muss erst lange und gründlich nachdenken, um zu verstehen, dass dies bloße Feuerwerk ihn zu nichts führt. Solange man noch irgendeinen Wert an der Sache sieht, auf die man verzichtet, kann von wirklichem Verzicht nicht die Rede sein. Wir wollen jetzt noch auf einem andern Weg das Problem behandeln, dem wir uns in diesem Kapitel widmen: Das. was in der Umgangssprache „körperliche" und „seelische" Verfassung heißt, entspricht zwei Bereichen in uns, die nebeneinander bestehen und uns völlig verschieden erscheinen. Diejenigen Eindrücke, die mir mein Existenzgefühl vermitteln, gehören entweder meinem „somatischen" oder meinem „psychischen" Leben an. Wenn Ich zum Beispiel ein negatives Lebensgefühl habe, mein Leben bedroht oder einem Angriff ausgesetzt sehe, kann sich dies in einem physischen Schmerz oder in einem seelischen Leidensgefühl äußern. Es ist, als ob mein
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Wesen der Außenwelt zwei Seiten zeige, eine somatische und eine psychische, wobei diese beiden Seiten den aufbauenden wie den abbauenden Einflüssen der Welt ausgesetzt sind. Meine Eindrücke werden durch die Außenwelt ausgelöst, aber ich fühle sie in mir selbst entstehen. Mein physischer Schmerz kann durch einen Faustschlag ausgelöst werden, doch empfinde ich, wie er sich in meinem Körper bildet. Auch mein moralischer Kummer kann durch irgendein äußeres Ereignis entstehen, doch fühle ich, wie er in dem, was ich als meine Seele bezeichne, entspringt. Versuche ich zu erkennen, wo sich in mir diese Eindrücke bilden, so gelingt mir das nicht. Mein somatisches Schmerzgefühl ist aus einer Quelle in mein Bewusstsein getreten, von der mein Bewusstsein nichts weiß. dasselbe gilt für das moralische Leiden, Ich sehe wohl, dass dieses Leiden an dieses oder jenes geistige Bild gebunden ist, aber woher ist dies Bild in meinem Bewusstsein gekommen? Auch hier muss ich zugeben: aus einer nicht bewussten Quelle. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als diese Quelle als die Quelle meines Lebens zu betrachten. Ich sehe in ihr ein einheitliches Prinzip, denn ich habe die intuitive Vorstellung, einheitlicher Natur zu sein, ich habe die Vorstellung von einer einheitlichen Synthese jenseits meiner dualistischen Reaktions-Erscheinungen. Betrachte ich "flussaufwärts" den Strom meines somatischen und psychischen Lebens, so erkenne ich, dass diese beiden Strömungen sich im Mittelpunkt einer einzigen Quelle vereinen. Damit verstehe ich auch, warum mein Körper und meine „Seele" unaufhörlich in gegenseitiger Wechselwirkung zu stehen scheinen. Ein dritter Begriff, der Begriff vom synthetischen „Sein" verbindet die getrennten beiden andern Begriffe. Es wird mir klar, dass ich die gegenseitigen Reaktionen von „seelischem" und physischem Befinden bisher falsch verstanden habe. In Wirklichkeit übt die äußere Welt keine direkte Berührung aus, weder auf meinen „Körper" noch auf meine „Seele", soweit sie mir bewusst sind. Die äußere Welt berührt direkt nur diesen zentralen Kreuzungspunkt, von dem die beiden Ströme meines bewussten Lebens Ausgang nehmen, sie berührt ihn entweder durch die somatische Seite, die ich ihr biete, oder durch die psychische Seite. Ist dieses Zentrum einmal berührt, so kann ich überall, auf somatischem wie auf psychischem Gebiet, Empfindungen haben. Diese Empfindungen können zwar insbesondere auf dem somatischen oder psychischen Gebiet auftreten, durch das mein Zentrum berührt worden ist, sie können aber auch in demjenigen dieser beiden Bereiche in Erscheinung treten, durch das mein Zentrum gerade nicht berührt wurde. Diese Aufteilung der jeweils vorherrschenden Eindrücke auf psychischem oder physischem Gebiet hängt bis zu einem gewissen Grade mit der Art des Kontaktes zusammen, der mit der Außenwelt stattgefunden hat, großenteils aber hängt sie von der Natur des betreffenden Menschen ab. Dem entspricht auch die Unterscheidung in der Psychiatrie zwischen dem „hysterischen" und dem „Zwangsneurotiker". Der Zwangsneurotiker hat vor allem psychische, der Hysteriker vor allem somatische Eindrücke. Eine schlechte Verdauung vermittelt oft dem „psychisch labilen" Menschen keineswegs den Eindruck von Leibschmerzen, sondern nur „schwarze Gedanken". Eine schlechte
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Nachricht wirkt sich häufig beim Hysteriker einzig in physischem Übelbefinden aus. Das physische und das psychische Gebiet sind nicht eigentlich getrennte Bereiche und das Problem ihrer wechselseitigen Wirkungen braucht uns nicht länger hier zu beschäftigen. Die Suche nach der Brücke, die diese beiden Bereiche miteinander verbindet, ist unnütz. Keinerlei Brücke verbindet sie, aber sie haben einen unmittelbaren Kontakt in dem Punkt, wo sie entstehen, im zentralen unbewussten Kreuzungspunkt meines Wesens. Diese beiden Arten von Erscheinungen sind die verschiedenen Äußerungen ein und desselben Urprinzips und haben nicht gegen- seitig auf einander zu reagieren. Wenn ich nach dem Genuss von Alkohol „rosige Vorstellungen" habe, warum soll ich dabei von einer Wirkung meiner „Physis" auf meine „Seele" sprechen? Das Zentrum in mir hat sich einem bestimmten Einfluss der äußeren Welt unterzogen, und zwar auf dem Wege über die somatische Seite meines Wesens. Nach der Berührung mit dem zentralen Kreuzungspunkt in mir wirkt sich dieser Einfluss sowohl auf mein somatisches Bereich aus (durch allgemeines Wärme- und Leichtigkeitsgefühl meines Körpers) als auch auf mein psychisches Bereich (durch das Gefühl von Fröhlichkeit). Eine Glücksbotschaft oder die belebende Wirkung eines freundschaftlichen Zusammenseins können ohne den Genuss von Alkohol in mir genau dieselben Erscheinungen hervorrufen. Der äußere Einfluss hat mein inneres Zentrum erreicht und obwohl er diesmal über meine psychische Seite in Erscheinung getreten ist, waren seine Wirkungen dieselben und haben also dieselbe doppelte Wirkung hervorgebracht. Dieser zentrale Kreuzungspunkt meines „Wesens" ist, wie wir schon sagten, unbewusst. Aus dem uranfänglich Unbewussten leitet sich mein Bewusstsein ab. Das Unbewusste darf nicht als einfache bloße Abwesenheit des Bewusstseins betrachtet werden, sondern vielmehr als das „Absolute Denken", welches jenseits aller bewussten Erscheinung liegt und aus dem das Bewusstsein entspringt. Es ist das „Nicht-Mentale" Prinzip im Zen, aus dem all unsere mentalen und physischen Erscheinungen hervorgehen. Hier finden wir wieder die schöpferische Dreieinheitlichkeit vor: Über dem „Psychischen" (der positiven Kraft) und über dem „Physischen* (der negativen Kraft), liegt ein höherer, versöhnender Pol, den wir ob des offensichtlichen Primates der unteren positiven Kraft über die untere negative Kraft, „absoluten psychischen Pol" nennen wollen (nicht etwa „Absolute Materie"), oder wie es im Zen heißt „das Nicht-Mentale" (und nicht etwa das „NichtKörperliche''). Im Hinblick auf diese wesentlichen Grundbegriffe müssen wir uns danach fragen, welcher Unterschied zwischen dem gewöhnlichen und dem „verwirklichten" Menschen besteht. Beide Menschen existieren dank des zentralen Kreuzungspunktes, des Sitzes ihres schöpferischen Prinzips. Im Grunde herrscht also kein Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Menschen, und dies wird auch in der Lehre des Zen bestätigt. Das Zen betont, dass diese beiden Menschen dieselben strukturmäßigen Voraussetzungen besitzen und dass dem gewöhnlichen
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Menschen nichts fehle. Auch hat der „verwirklichte" Mensch nichts erworben, was dem gewöhnlichen Menschen etwa fehlte. Aber obwohl diese beiden Menschen identisch sind, unterscheiden sich ihre Lebensäußerungen. Warum? Soll das heißen, dass der unbewusste zentrale Kreuzungspunkt heim Eintritt des Satori bewusst geworden wäre? Eine solche Annahme entbehrte jeglichen Sinnes denn das Prinzip des Bewusstseins ist notwendigerweise immer oberhalb und außerhalb des Bewusstseins, daher unbewusst. Nein, die richtige Antwort lautet anders: beim, gewöhnlichen Menschen geht alles so vor sich, als ob der zentrale Kreuzungspunkt eingeschlafen und passiv sei, und beim „verwirklichten" Menschen verhält es sich so, als ob sein Zentrum erweckt und aktiv sei. Es fällt verhältnismäßig leicht, sich den eingeschlafenen Zentralen Kreuzungspunkt des gewöhnlichen Menschen vorzustellen: es handelt sich tatsächlich nur um einer! „Kreuzungs"-Punkt, um einen Ort, wo die Einflüsse der äußern Welt zusammentreffen. Über diesen einfachen „Ort" hinweg erreichen die Einflüsse von draußen die sekundären Zentren der somatischen und psychischen Bereiche, welche ihrerseits darauf durch automatische Reaktionen antworten. Der Durchschnittsmensch, dessen zentraler Kreuzungspunkt im Schlafzustand befangen ist, ist ein Automat. Beim „verwirklichten" Menschen ist die zentrale Strömungskreuzung nicht eingeschlafen, das Absolute Prinzipielle Denken Ist in ihm wirksam (obwohl, das sei nochmals gesagt, immer nur unbewusst). Dies Absolute, Prinzipielle Denken erhellt das jeweilige Einfließen von außen herein, Im Hinblick auf die Gesamtheit der Dinge sieht es den jeweiligen besonderen Einfluss in der Gesamtheit des universellen Zusammenhangs. Es sieht den besonderen Einfluss also in seiner Relativität, daher sieht es ihn so, wie er wirklich ist. Nach dieser erhellenden und „erweckten" Sicht der Dinge (das öffnen des »dritten Auges" im Zentrum des Unbewussten), und nicht nach einer in Ermangelung von Zusammenhängen verfälschten Sicht der Dinge, richten sich jetzt die sekundären Zentren in ihren Reaktionen. Ihre jeweilige Reaktion wird der Wirklichkeit entsprechen. Der gewöhnliche Mensch war eine Maschine, deren Reflexe durch den einen oder anderen besonderen Aspekt der äußeren Welt bestimmt waren. Der „verwirklichte" Mensch hingegen ist eine Maschine, deren Reflexe durch die Gesamtheit des Kosmos bestimmt sind, die der besondere Aspekt jeweils vermittelt. Der „verwirklichte" Mensch Ist somit identisch mit dem Kosmischen Prinzip (soweit dieses in Erscheinung tritt) und er äußert sich wie dieses Prinzip selbst in jeweils reiner und völlig freier Erfindung. Dieses absolute, universelle, unbewusste Denken stellt, sobald es im Zentrum des Menschen wirkt, die Absolute Weisheit dar, der natürlich keinerlei formale „Intelligenz" auch nur im geringsten vergleichbar ist. Diese Weisheit ist ja nicht formaler Natur, sie steht über allen Formen und ist somit deren uranfänglicher Grund. Wir haben behauptet, dass das unbewusste universelle Denken im inneren Zentrum des Durchschnittsmenschen schlafe und Im Zentrum des „verwirklichten" Menschen erweckt sei. Beachten wir weiterhin, dass der Schlafzustand dieses
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Absoluten Denkens Gradunterschiede aufweist und diese Gradunterschiede nach der entgegengesetzten Richtung der fünf Denkarten des gewöhnlichen Menschen gestuft sind. Wenn der Durchschnittsmensch traumlos schläft, ist das Absolute Denken gleichsam in ihm erweckt (genauer gesagt, es ist „nicht-eingeschlafen"), und dieser Mensch gleicht völlig dem "verwirklichten" Menschen. Doch äußert sich dies in keiner Weise in seinem Bewusstsein, denn in diesem Zustand ist kein Bewusstsein möglich, Es äußert sich nur im harmonischen Spiel und in der Regeneration seines vegetativen. Lebens. Sobald dieser Mensch zu träumen beginnt, das heißt sobald sein formales geistiges Bewusstsein einsetzt, entspricht das einem gewissen „Einschlafen" des Unbewussten Absoluten Denkens, und der Mensch ist schon weniger „weise". Wenn er Im üblichen Sinne des Wortes aufwacht, schläft das Absolute Denken noch tiefer ein. Es „schläft" umso tiefer, je stärker der formale Geist in rein abstrakter und verallgemeinernder Weise wirkt. Trotzdem sind diese Momente eines möglichst tiefen „Schlafes" des Absoluten Denkens der Anlass dafür, dass ein Mensch, dessen abstrakter Intellekt geübt wird, einer weiteren Entwicklung fähig ist. Auf das Ganze seines Lebens hin gesehen, wird das Absolute Bewusstsein im Laufe der Zeit immer weniger im Schlafzustand verbleiben. Ein solcher Mensch wird in wachsendem Maße nach einer relativen Weisheit leben, gerade als ob das Schlafen des Absoluten Denkens im Augenblick auf die Dauer das Wachwerden begünstigen wollte. Schließlich kann man sagen, dass das tatsächliche und endgültige Erwachen des Absoluten Denkens (das Satori) gewissermaßen durch einen Augenblick ausgelöst wird, in welchem der totale Schlafzustand dieses Absoluten Denkens verwirklicht worden ist und in dem das mentale Denken die äußerste Grenze seines inneren Dualismus erreicht hat. Um es noch anders auszudrücken: der traumlos schlafende Mensch ist in das Zentrum seiner selbst zurückgekehrt. Der träumende Mensch hat sich bereits von seinem Zentrum entfernt, Der erwachte und seinen Wachträumen nachträumende Mensch ist noch „ex-zentrischer", Der Mensch, der sich der äußeren Wirklichkeit anpasst und derjenige, welcher meditiert, sind noch weiter von sich selbst entfernt und noch weiter von ihrem Zentrum weggerückt. Der traumlos schlafende Mensch ist im Besitz der Wirklichkeit, ohne sich dessen bewusst zu sein. Je mehr er die Stufen des formalen Denkens empor klettert, desto ferner rückt diese Wirklichkeit und sie verschwindet in dem Maße, in dem die Möglichkeiten zunehmen, mit deren. Hilfe sie erfasst werden soll. Es ist so, als ob ein Mensch sich von einem warmen Raum umso mehr entfernte, je mehr seine Wärmeempfindlichkeit zunimmt. In den Momenten, die dem Satori vorausgehen, ist der Mensch von seinem wahren Zentrum denkbar weit entfernt. Im Augenblick des Eintritts des Satori verkehrt sich die bisherige distanzierte Beziehung zum eigenen Zentrum in ihr Gegenteil, und der Mensch befindet sich plötzlich in seiner Eigenschaft als „universeller Mensch" endgültig mitten in seinem Zentrum, obwohl er gleichzeitig in der Lage ist, sich als „persönlicher Mensch" von seinem Zentrum zu entfernen,
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um sich in die verschiedenen Arten des formalen Denkens zu begeben. Der Mensch erreicht also Satori dadurch, dass er sich so radikal wie möglich von seinem Zentrum abkehrt, sich bis an die äußersten Grenzen dieser Zentrifugen Richtung hinausbegibt und den Funktionsablauf seines diskursiven Denkens, welches ihn von der Weisheit entfernt, zu seiner äußersten und klarsten Spitze treibt. Er muss das formale Denken erfüllen bis zu der Grenze hin, wo die Form dieses Denkens zerbricht. Um das zu erreichen, muss er alles Gewicht auf das gute Funktionieren seines formal-mentalen Denkens legen, um jenseits der Grenzen dieses Denkens das Nicht-Formale zu entdecken. Dies ist ein Unternehmen, das widersinnig an sich erscheint, aber eines Tages das Wunder des Satori bewirken kann. Das Ergebnis darf dann nicht als Erfolg dieser in absurder Weise geleisteten Anstrengungen gewertet werden, sondern nur als deren endgültiges Scheitern, das den Sieg über alle vorhergehenden Anstrengungen davongetragen hat. Der Mensch wäre jemandem zu vergleichen, der durch eine Mauer vom Licht getrennt ist und das Licht nicht erreichen könnte, ohne diese Mauer immer höher zu bauen, bis einmal der Tag kommt, da all seine unnütz erscheinende Anstrengung den Bau der Mauer so in die Höhe geführt hat, dass diese ihr Gleichgewicht verliert und plötzlich einstürzt, Diese definitive Katastrophe bedeutet den Sieg und führt den Menschen dem vollen Lichte zu. Einer solchen scheinbar sinnlosen, aber notwendigen Anstrengung unterziehen wir uns, wenn wir uns bemühen, im Laufe der Ereignisse unseres täglichen Lebens unsere nicht-formale Existenz in ihrer größeren oder geringeren Intensität zu empfinden. Dieser Versuch zu einer nicht-formalen Wahrnehmung unserer Existenz gleicht keineswegs unseren sonstigen geistigen Reflexen, welche in geistigen Anspannungen bestehen, die Bildvorstellungen erzeugen. Das Gegenteil ist der Fall. Es handelt sich um den Versuch zur Entspannung, um den üblichen Spannungsreflexen aus dem Wege zu gehen. Es ist der Versuch zu vollkommener Einfachheit, der Versuch, den Verwicklungen zu entgehen, welche wir in die Frage unserer Existenz mit unseren Reflexen üblicherweise hineintragen. Wir bemühen uns dabei zu lernen, nicht irgendetwas Neues zu tun, sondern nichts mehr zu tun, unsere üblichen und überflüssigen Gemütsbewegungen abzustellen. Wir lehren unseren Geist, nicht die schwierigsten und anspruchsvollsten Bewegungen auszuführen, sondern jene einfache und reine Geste zu vollziehen, welche allen anderen Bewegungen zugrunde liegt und schließlich zur unbewegten Ruhe führt. Dieser geistig einfache Funktionsablauf stellt die höchste Stufe der Vollkommenheit im Denken des gewöhnlichen Menschen dar; er sprengt den Rahmen der obersten fünften Denkart, gehört in den Bereich des traumlosen Schlafes ohne Formen und erreicht in einer vollkommenen Kreisbewegung das nicht-formale Prinzip; besser gesagt, er erreicht es in der Beschreibung einer spiralförmigen Bewegung, denn derjenige Punkt, der den Kreis beschließt, liegt hoch über dessen Ausgangspunkt.
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VII. FREIHEIT ALS „TOTALER DETERMINISMUS" Um das Problem der Freiheit sinnvoll behandeln zu können, müssen wir auf die Grundidee zurückkommen, dass der ganze kosmische Bau auf dem streng genauen Gleichgewicht der unteren Prinzipien, des positiven und des negativen Prinzips beruht, und ein höheres versöhnendes Prinzip die beiden unteren überragt. Von der Perspektive unseres augenblicklichen, noch nicht „verwirklichten" Zustandes her gesehen hat dies versöhnende Prinzip zwei Aspekte: Wenn wir die Erscheinungen in ihrer Besonderheit betrachten, sehen wir das versöhnende Prinzip in einem beschränkten Ausschnitt und können es „versöhnendes zeitliches Prinzip" nennen. Dann ist es der Demiurg, der über die unendliche Fülle der besonderen Einzelschöpfungen, über die konstruktiven und destruktiven Erscheinungen, über Aufbau und Abbau herrscht, welche dem kosmischen Stoffwechsel entsprechen. Wenn wir die räumliche und zeitliche Gesamtheit des Kosmos betrachten, gelangen wir zur Erkenntnis des nichtzeitlichen oder höchsten oder absoluten versöhnenden Prinzips, das der erscheinungsmäßigen Vielheit Einheit verleiht. In dem nichtzeitlichen Prinzip gibt es noch keine dualistische Erscheinung, und ihm gegenüber spielte das zeitliche versöhnende Prinzip nur eine untergeordnete Rolle. Dieses Höchste Versöhnende Prinzip ist der uranfängliche Grund, geht jeder Manifestation voraus und in ihm mündet unser abstraktes Denken, wenn es der universellen Kette von Ursache und Wirkung nachgeht. Die Existenz des Demiurgen zwischen dem uranfänglichen Grund und der Erscheinungswelt führt uns notwendigerweise dazu, zwei Arten von Determinismus zu unterscheiden: einen partiellen Determinismus, demzufolge das versöhnende zeitliche Prinzip die Erscheinungen bestimmt, und einen totalen Determinismus, demzufolge das höchste, versöhnende Prinzip das versöhnende zeitliche Prinzip und mit diesem die Erscheinungen bestimmt. Jede dieser zwei Arten von Determinismus äußert sich durch Gesetze. Welches sind nun die Unterschiede zwischen den Gesetzen des partiellen und des totalen Determinismus? Die Gesetze des partiellen Determinismus sind nur auf der Ebene des Konkreten, des Räumlichen und Zeitlichen gültig. Jede besondere Manifestation dieser im Bereich des Gesonderten auftretenden Gesetze scheint eines Ordnungsprinzips zu entbehren. Der eine Mensch zum Beispiel hat während seines ganzen Daseins
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ein unglückliches, der andere ein glückliches Schicksal. Dieser partielle Determinismus, der in der Erscheinungswelt auftritt, scheint ungerecht, ohne höhere Ordnung, ohne inneres Gleichgewicht. Das Gesetz des totalen Determinismus hingegen gilt nicht nur auf der Ebene der besonderen Erscheinungen, sondern im Universellen. Innerhalb dieses Determinismus vermögen wir nur vollkommene Ordnung zu erkennen. Der Gesamtheit der positiven Erscheinungen entspricht genau eine Gesamtheit von negativen Erscheinungen. Jede Erscheinung wird in einem Ganzen integriert und durch ein genau komplementäres Phänomen ausgewogen. Der partielle, erscheinungsmäßige, scheinbare, sichtbare und Ordnungslose Determinismus ist nicht „wirklich", da er ja nur ein Teil ist und es Wirklichkeit nur da gibt, wo das Gesamte mit inbegriffen ist. Aber der unwissende Mensch hält das Sichtbare für das „Wirkliche". Daher glaubt er an die einzig gültige Wirklichkeit dieses partiellen Determinismus. Das geht schon aus der Bezeichnung „Determinismus'' hervor. Im Übrigen besitzt dieser Mensch aber eine gewisse angeborene intuitive Vorstellung von der wahren Wirklichkeit, das heißt vom Höchsten Prinzip, dem er neben anderen Eigenschaften die der Freiheit zuerkennt. Da er nur den partiellen Determinismus kennt und nicht dem auf der Stufe des höchsten Prinzips wirkenden totalen Determinismus Rechnung trägt, setzt er den ihm allein bekannten Determinismus der Freiheit des Höchsten Prinzips entgegen und gelangt so zu dem Gegensatz „Determinismus - Freiheit", In Wirklichkeit beruht dieser Gegensatz auf einer Illusion. Nicht illusorisch hingegen ist die Unterscheidung „partieller Determinismus und totaler Determinismus". Diese Unterscheidung bedeutet keinen Gegensatz, sondern ist der Ausdruck für zwei verschiedene Betrachtungsweisen ein und derselben kausalen Wirklichkeit, wobei die eine Betrachtung auf der Stufe des individuellen Denkens, die andere auf der Stufe des universellen Denkens ausgeführt wird. Der ich-bezogene Durchschnittsmensch möchte frei und unabhängig von beschränkenden Bedingungen sein und zwar als gesondertes Individuum. Ich kann mich sehr wohl als Einzelindividuum, als Psychose-somatischen Organismus betrachten, aber ich muss verstehen, dass meine Befreiung vom partiellen Determinismus über diesen hinausführt und ihn im totalen Determinismus des Höchsten Prinzips erfüllt. Habe ich einmal meine „Verwirklichung" erreicht, so wird mein Psychose-somatischer Organismus nicht mehr nur von den scheinbar Ordnungslosen Gesetzen des partiellen Determinismus bestimmt, sondern vom allgemein gültigen, totalen Gesetz des universellen kosmischen Gleichgewichts, jenem streng geordneten Gesetz, welches das Prinzip all jener scheinbar Ordnungslosen Gesetze des teilweisen Determinismus ist. Stelle ich mich „verwirklicht" und befreit vor, so darf ich nicht annehmen, dass mein Organismus jedem Determinismus entginge, sondern dass er bedingt ist durch den totalen Determinismus des Höchsten Prinzips, welcher mein „eigentliches Selbst" ist. Ich kann nicht der Erwartung sein, dass mein Organismus nun keiner Kausalität mehr unterworfen sei, ich muss wissen, dass er jetzt endlich dem Gesetz des
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Uranfänglichen Grundes gehorcht, der seine eigene Wirklichkeit ist. Meine Freiheit besteht nicht in dem Fehlen jeder Kausalität in Bezug auf meinen Organismus, sondern in der vollkommenen Ausgewogenheit in mir selbst zwischen dem Verursachten und dem Verursachenden, zwischen dem Bedingten und dem bedingenden Prinzip. Wenn ich im Augenblick meiner „Verwirklichung" aufhöre, unter einem Zwangsbewusstsein zu stehen, so nicht deshalb, weil der angebliche Zwang beseitigt ist, sondern weil er sich unendlich erweitert hat. Dadurch ist er mit der Gesamtheit eins geworden, in der Ich und Nicht-Ich identisch sind, so dass der Begriff „Zwang" jeglichen Sinn verloren hat. Aus mangelndem Verständnis hält der durchschnittliche ich-bezogene Mensch verhängnisvoller Weise die freie Handlung für grundlos, willkürlich und an nichts gebunden; so gelangt er zu völlig sinnlosen Begriffen. Diese illusorische Freiheit, weiche diesseits des partiellen Determinismus liegt und nicht über ihn hinausgeht, sondert unser Einzelgefüge vom übrigen Kosmos ab und enthält somit einen inneren Widerspruch, der sie aufhebt. In einem neuerdings erschienenen Buch über das Zen behauptet ein abendländischer Autor, dass dem durch das Satori befreiten Menschen in jedweder Lage auch jedwede Handlung möglich sei. Diese Behauptung widerspricht jedem wahren Verständnis. Der durch das Satori befreite Mensch kann in einer gegebenen Situation nur eine einzige Handlung ausführen, nämlich die der gegebenen Situation vom Ganzen her entsprechende. In der unmittelbaren, spontanen Ausübung dieser einzig adäquaten Handlung besteht gerade das Spiel der vollkommenen Freiheit dieses Menschen. Der vom partiellen Determinismus bewegte ich-bezogene Durchschnittsmensch reagiert in einer gegebenen Situation auf mittelbare Weise gemäß irgend einer von zahllosen inadäquaten Möglichkeiten; der verwirklichte, vom totalen Determinismus bestimmte Mensch hingegen reagiert unfehlbar gemäß der einzigen, vollkommen adäquaten Möglichkeit. Außerhalb der freien, adäquaten Handlung gibt es eine ganze Hierarchie von mehr oder weniger inadäquaten Handlungen, je nach der Begrenztheit oder Weite des jeweils vorliegenden partiellen Determinismus. Ganz unten in dieser Hierarchie steht die reine Reflexhandlung, hinter der keinerlei Reflexion, sondern nur Spontanität ohne Überlegung im Spiele ist. Je mehr Überlegung indes die Handlung bestimmt, umso mehr verschwindet diese untergeordnete Spontanität. Die Handlung entspricht immer mehr den umgebenden Bedingungen. Nach dem Eintreten des Satori ist die Überlegung überflüssig geworden; das Handeln wird wieder spontan und gleichzeitig wird es der zeitlichen und räumlichen Gesamtheit des erscheinungsmäßigen Universums vollkommen adäquat. Im Verlaufe dieser Hierarchie besteht eine umgekehrt proportionale Beziehung zwischen der Zwangsläufigkeit des Handelns und dem inneren Eindruck von Freiheit, der das Handeln begleitet. Je mehr der Determinismus an Strenge zunimmt, desto freier wird die Handlung innerlich empfunden. Verlangt man zum Beispiel von mir, irgendein Substantiv zu nennen, so entsteht ein Gefühl der Beklemmung und Hilflosigkeit in mir, wobei ich mir wie ein Gefangener vorkomme. Ich weiß nicht,
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was ich sagen soll. Fragt man mich nach dem Namen irgendeines Musikinstrumentes, so fühle ich mich schon weniger beklemmt und antworte mit größerer Leichtigkeit. Fragt man mich nach dem kleinsten Instrument eines Streichquartetts, so verschwindet mein Missbehagen ganz. Sobald ich das Wort „Geige" ausspreche, entsteht in mir ein Gefühl von innerer Befreiung, das meiner Gewissheit entspringt, adäquat und richtig zu antworten, In dem Maße, wie die Menge an Antwortmöglichkeiten abnimmt und damit meine äußere Freiheit» zu antworten, sich verringert, nimmt mein Gefühl der inneren Freiheit zu. Mit anderen Worten, mein Geist Ist umso freier, je streng umrissener und bestimmter meine jeweilige Aufgabe ist. Die Entwicklung der modernen Kunst ist ein eindrücklicher Beweis für die tiefe Hilflosigkeit, in der sich der Mensch befindet, wenn er jede Art von Disziplin ausschließt. Der innere Widerstand gegen jegliche Schranken beraubt den Menschen seines Freiheitsgefühls, welches er indessen innerhalb frei bejahter Grenzen empfindet. Mit dem Eindruck von Freiheit verliert er auch das Gefühl von innerem Beruhigt sein, dessen er bedarf, um für die Botschaft seiner aus der Tiefe seines Wesens kommenden Inspiration offen zu bleiben. So schneidet sich der Künstler, der alle äußeren Schranken einer Disziplin ablehnt und sogar stolz darauf ist, sie zu durchbrechen, die .Möglichkeit ab, sich seiner schöpferischen inneren Quelle zu bedienen, und es gelingt ihm nicht mehr, einen Ausdruck seiner selbst zu finden. Seine Arbeit wird zu einem Gestammel, und schließlich fühlt er sich ohnmächtig und wie der Sklave seiner äußeren Freiheit. Eine selbst auferlegte und spontan bejahte Disziplin ist somit nötig, damit unser Leben nicht in selbstmörderischem Chaos verläuft. Man darf andererseits nicht vergessen, dass jene Disziplin, deren Nicht-Vorhandensein unser zeitliches Leben gefährdet, zugleich ein Hindernis für unsere Verwirklichung darstellt, weil sie uns den Eindruck von innerer Freiheit verschafft, obwohl wir vor dem Eintritt des Satori in Wirklichkeit in keiner Weise frei sind. Somit ist also der Eindruck von Freiheit illusorisch und behelfsmäßig und bildet nur eine Kompensation für unsere unversöhnt dualistische menschliche Grundsituation. Die trügerischen Freuden, welche mit diesem Freiheitsgefühl zusammenhängen, verbrauchen eine vitale Energie, die wir ihnen nicht entziehen können. So ist die Disziplin in Bezug auf die nichtzeitliche Verwirklichung sowohl günstig als auch ungünstig. Sie ist indirekt günstig, da sie die zeitliche Verwirklichung begünstigt, ohne die eine nichtzeitliche Verwirklichung unmöglich ist. Und sie ist direkt gesehen ungünstig für die nichtzeitliche Verwirklichung, weil sie im Menschen die Illusion entwickelt, dass schon jetzt alles richtig in ihm funktioniere. Der Zen-Schüler löst diesen Gegensatz, indem er ihm eine gleichfalls gegensätzliche Methode gegenüberstellt: er lehnt jede besondere Disziplin ab (keine „Moral", keine „Askese", keine geistigen Übungen) und nimmt in dem Maße, wie sein Verständnis fortschreitet, die totale Disziplin an, welche eben darin besteht, sich strengstens jede besondere Disziplin zu untersagen. „Hört auf, an
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euren Meinungen zu hängen." - „Der vollkommene Weg lehnt jede besondere Vorliebe ab," - „Erweckt den Geist, ohne ihn auf irgendeine Sache festzulegen" etc... Ein solcher Mensch kann nach und nach der bedrückenden Angst ins Auge blicken, die unausweichlich im Gefolge unbeschränkter Freiheit steht. Indem er sich unnachgiebig den verführerischen Trug aller „Überzeugungen" versagt, führt er selbst bewusst den unserer ichbezogenen Grundsituation, innewohnenden Druck und Selbstzwang zu letzter Erfüllung. Er bleibt mitten in unserem illusorischen Gefängnis, bis der Höhepunkt ohnmächtiger Bewegungslosigkeit erreicht ist, auf dem das Satori die Erscheinungswelt vollkommen umstößt und die Erscheinungen im neuen Licht wirklicher Freiheit erstehen lässt, einer Freiheit, deren Wesen all ihre besonderen, sowohl rein innerlichen als auch nach außen hin sichtbaren Aspekte transzendiert.
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VIII DIE VERSCHIEDENEN ARTEN DER ICH-BEZOGENHEIT Im Zentrum meines Inneren, in diesem heute noch für mich unbewussten Zentrum, wohnt der ursprüngliche Mensch, der mit dem Prinzip des Universums und durch dieses dem All des Universums verbunden ist. Dieser ursprüngliche Mensch genügt völlig sich selbst, er ist das prinzipiell Eine, weder allein noch nicht-allein, weder bejaht noch verneint, er steht außerhalb jedes Dualismus. Das ist das ursprüngliche Sein, welches jeder Art von ich-bezogener „Befindlichkeit" zugrundeliegt, die es in meinem augenblicklichen Bewusstsein überlagert. Da ich jetzt noch nichts weiß von der wirklichen Beschaffenheit meiner ich-bezogenen Gemütszustände, bilden diese eine Art Trennwand, die mich von meinem Zentrum und meinem wirklichen Ich fernhält. Ich bin mir meiner wesenhaften Identität mit dem Ganzen nicht bewusst und betrachte mich nur als Einzelwesen, das sich vom übrigen Universum unterscheiden will. Das Ego bin also ich selbst, insofern ich mich als von allem anderen unter- schieden betrachte. Aber das Ego ist illusorisch, da ich in Wirklichkeit nicht als Einzelwesen bin. Ebenso sind alle ichbezogenen Befindlichkeiten illusorischer Natur. Im ich-bezogenen Grundzustand fühle ich mich als ein dem Nicht-Ich entgegengesetztes Ich, als ein Organismus, dessen „Sein" sich demjenigen der andern Organismen entgegenstellt. In diesem grundsätzlichen Zustand gehöre alles, was nicht meinem eigenen Organismus zugehörig ist, zum Nicht-Ich. Ich liebe mein Ich, das heißt, ich will meine Existenz, und ich hasse das Nicht-Ich, das heißt, ich will, dass es verschwinde. Ich verlange nach der Bejahung meines Ich als unterschiedliches Einzelwesen und wünsche die Negierung des Nicht-Ich, soweit es darauf Anspruch macht, unabhängig von meinem Einzel-Ich zu bestehen. Innerhalb dieses ich-bezogenen Grundzustandes heißt "leben" das Ich bejahen und das Nicht-Ich verneinen; der Sieg kann materieller Natur sein durch Erwerb materieller Güter, er kann auch immaterieller Natur sein und sich in der Erlangung von Ansehen äußern (d. h. die Anerkennung des Ich durch das NichtIch., oder aber der Erwerb von Ruhm, der das Einzel-Ich „unsterblich" macht.) Der Grundzustand des Gefühlslebens ist beim gewöhnlichen Menschen also einfach: Dieser Mensch liebt das Ich im Gegensatz zum Nicht-Ich, und er hasst das Nicht-Ich im Gegensatz zum Ich. Auf der Grundlage dieses egoistischen ich-bezogenen Grundverhaltens können sich 5 altruistisch-ichbezogene Gemütszustände aufbauen, welche alle den Anschein von Nächstenliebe aufweisen.
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1.)
Scheinbare Nächstenliebe durch Projektion des Ego.
Gemeint ist hiermit die abgöttische Liebe, in der das Ego auf einen anderen Menschen projiziert wird. Mein Anspruch auf Göttlichkeit, insofern ich ein „unterschiedliches"' Einzelwesen bin, ist von mir auf den Anderen verlagert worden. Die Gefühlslage gleicht der vorhin beschriebenen, mit dem Unterschied, dass der Andere meinen Platz innerhalb meiner Werteskala eingenommen hat. Ich will die Existenz dieses vergötterten Anderen und stemme mich gegen alles, was ihm feindlich sein könnte. Mich selbst liebe ich nur noch als getreuen Diener dieses vergötterten Idols. Davon abgesehen hege ich keine Gefühle mehr für mich selbst, und wenn nötig, kann ich mein Leben für das Wohl meines Idols hingeben (ich kann meinen eigenen Organismus opfern für das auf das Idol projizierte Ego; man denke etwa an den Tod des Empedokles, der sich in den Ätna stürzte, um sein Ego unsterblich zu machen.) Die übrige Welt hasse ich, wenn sie meinem Idol feindlich gesinnt ist. Ist sie ihm aber freundlich zugetan, bin ich in der Versenkung in mein geliebtes Idol zutiefst glücklich (d, h. in Wirklichkeit glücklich über meine ichbezogene Selbstbejahung) dann liebe ich auch die ganze übrige Welt ohne Unterschied. (Wir werden anlässlich der Erörterung der 5. Abart all dieser scheinbaren Nächstenliebe erkennen, was es mit dieser „weltumfassenden" Liebe eigentlich auf sich hat.) Stößt das vergötterte Wesen mich aber zurück und zwar so stark, dass ich dadurch mein nun an ihm haftendes Ego überhaupt nicht mehr besitzen kann, so ist es möglich, dass meine scheinbare Liebe sich in Hass verwandelt. 2.)
Scheinbare Nächstenliebe durch örtliche Ausbreitung des Ego.
Beispiele: die hingebende Liebe einer Mutter für ihr Kind, die hingebungsvolle Liebe eines Menschen für sein Vaterland etc. In all diesen Fällen handelt es sich um Liebe, die ihr Objekt besitzen will. Bei der vergötternden Liebe lag zunächst Projektion des Ego und weiterhin das Bedürfnis vor, durch materiellen oder geistigen Besitz des Idols auch das auf diesen Abgott projizierte Ego im Besitz zu bewahren. Nun aber rückt meine Besitzergreifung des Andern an die erste Stelle (es ist ja nur Zufall, dass dies Kind mein Kind oder dies Land mein Land ist etc.); die daraus sich ergebende Gefühlslage ist derjenigen der vergötternden Liebe sehr ähnlich, nur sind die Glücksempfindungen hier weniger bewusst und oft ist die Furcht vorherrschend, den geliebten Besitz zu verlieren. Die vergötternde Liebe gibt dem Menschen das, was er "den Sinn" seines Lebens nennt. Auch die besitzergreifende Liebe tut das, aber der von ihr gemeinte Sinn ist oft weniger positiv und beruht weniger in sich selbst. 3.)
Scheinbare Nächstenliebe, weil der Andere uns in einer der vorher angegebenen Weisen liebt.
Der Andere liebt sein Ego in mir, aber er erweckt dadurch den Eindruck, als ob er mein Ego liebe. Ich will daher seine Existenz, wie ich grundsätzlich die Existenz alles dessen will, was meine Existenz will.
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4.)
Scheinbare Nächstenliebe, weil mein eigenes Idealbild diese Liebe erfordert, oder weil sie zu meiner vergötternden Liebe gehört.
Ich liebe andere Menschen, denn um mich selbst lieben zu können, muss ich mein Denken und Handeln ästhetisch finden, und es ist eben ästhetisch, andere Menschen zu lieben. Oder ich liebe Andere, weil ich in mystischer Weise« irgendeine Vorstellung von Göttlichkeit liebe, auf die ich mein Ego projiziert habe, wobei ich glaube, dass dieses göttliche Abbild meine Liebe zu Anderen will, und ich wiederum alles will, was dieses mit meinem Ego identifizierte Abbild fordert. 5.)
Scheinbare Liebe zum Nicht-Ich, weil mein Ego im Augenblick gesättigt ist.
Der Mensch, der im Augenblick von einer intensiven ich-bezogenen Selbstbejahung durchdrungen ist, liebt das ganze Universum. Diese von Sonderwünschen freie Liebe entspricht nicht einer momentanen Erscheinung der ursprünglichen universellen Liebe, sondern ist die momentane Verkehrung des grundsätzlichen ich-bezogenen Hasses auf das Nicht-Ich, anlässlich des vorübergehenden Nachlassens der ich-bezogenen Grundforderung. Dieser Zustand ist übrigens nur von kurzer Dauer. Er gleicht dem Wonnegefühl, nicht mehr leiden zu müssen. Dies Gefühl von Wonne gilt nur vergleichsweise und hört auf, sobald die Vergleichsbestimmung wegfällt. Diese fünf Arten scheinbarer Nächstenliebe sind die Ursachen von eben so viel Arten von Freuden, die mein Ego in Situationen, welche mich als Einzelwesen bekräftigen, empfindet. Jeder Verminderung dieser Freuden entspricht das Auftreten von Angst und Gegnerschaft. Je mehr ein Mensch zur nichtzeitlichen Verwirklichung berufen ist, desto stärker empfindet er das Bedürfnis, diese Arten der Liebe zu erleben. Und tatsächlich gleichen diese Gefühlslagen mehr oder weniger der Gefühlslage des verwirklichten Menschen (der alles liebt), da sie ihn mit etwas, was außerhalb seiner selbst liegt, verbinden. Je weiter aber der Mensch in der Erkenntnis seiner selbst fortschreitet, desto mehr verlieren in seinen Augen diese Arten von Liebesgefühlen an Wert und damit schwindet ihre ausgleichende Wirksamkeit. Dieser Mensch verliert immer mehr seine „positiven" und „altruistischen" Gefühle. Er durchschaut den gleißnerischen Charakter dieser Trugbilder, und so gelangt er wohl oder übel zu dem ichbezogenen Grundzustand zurück, aus welchem heraus er immer das Nicht-Ich gehasst hat, ein Zustand nächtlicher Einsamkeit. Er empfindet Angst, weil er sich weigert, das Nicht-Ich zu bekämpfen. (Man vergleiche meine Bemerkungen zu den „Mechanismen der Angst"). Dieser Mensch wird immer mehr und mehr der Möglichkeit beraubt, sich innerlich etwas vorzutäuschen, und er wird daher unausweichlich zur Aufgabe der Verwirklichung getrieben. Immer häufiger wird er sich auf das unparteiische
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Wirken seines Denkens berufen, um die Rechtmäßigkeit seines ich-bezogenen Anspruchs in Frage zu stellen, des Anspruchs, als „unterschiedliches Individuum" zu „sein", der Einsamkeit und Furcht nach sich zieht. Die auf unaufhörliches Fordern bezogene Verkrampfung des Ego wird in immer klarerer und „ungeschminkterer" Weise erkennbar, während gleichzeitig das Ego immer stärker in die letzten „Wille seiner Verteidigungsfestung" hineingepresst wird. Dieses Zusammenpressen hat aber eine Grenze, jenseits derer das Ego im Satori wie eine schillernde Seifenblase zerplatzt. Er löst sich dann in die Gesamtheit des Universums auf, es verlischt, indem es sich erfüllt.
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IX. VOM UNBEWUSSTEN DES ZEN Das psychologische Bewusstsein des Durchschnittsmenschen enthält beständig zwei verschiedene Schichten von Wahrnehmungen und richtet seine Aufmerksamkeit auf zwei verschiedene Gattungen von Dingen. Es ist auf zwei Wahrnehmungsebenen gerichtet, und somit verteilt es sich auf zwei Ebenen. Zu Unrecht wird behauptet, dass man nur auf eine Sache allein achten könne, denn man achtet dauernd auf zwei Dinge zugleich, wenn auch, wie wir sehen werden, auf zwei verschiedene Weisen. Auf einem ersten Wahrnehmungsfeld wird die Aufmerksamkeit durch diese und jene besonderen Aspekte der Außenwelt gefesselt, welche entweder tat- sächlich vorhanden sind oder durch den Vorstellungsablauf vergegenwärtigt werden. Auf dieser Ebene sehe ich innerhalb der Dauer meine besondere und qualitativ unaufhörlich sich verändernde Auseinandersetzung mit dem Nicht- Ich. Auf einem anderen Wahrnehmungsfeld ist meine Aufmerksamkeit durch die Situation in Anspruch genommen, die jeweils den Verlauf des Prozesses meines „Seins" oder „Nicht-Seins" charakterisiert, der sich tief in mir vor meinem inneren „Tribunal" abspielt. Dieser Prozess bleibt immer derselbe, daher hat dieses Wahrnehmungsfeld einen qualitativ monotonen Charakter. Wenn auf dieser Ebene auch unaufhörlich Veränderungen stattfinden, so nur quantitativer Art. Mein „Befinden" ist hier mehr oder minder „weiß" (Eindruck von „Sein") oder „schwarz" (Eindruck von „Nicht-Sein"). Außer diesen Schwankungen zwischen Weiß und Schwarz gibt es quantitative Schwankungen zwischen Ruhe und innerer Erregung. Wir werden später auf diese beiden Arten von Schwankungen zurückkommen. Untersuchen wir die Beziehungen, die zwischen diesen beiden Ebenen bestehen. Mein Wahrnehmungsfeld aller besonderen Aspekte, das OberflächenWahrnehmungsfeld, hängt, soweit mein Vorstellungsvermögen dabei auf die Sicht der äußeren Welt Einfluss hat oder dort die Aspekte der äußeren Welt wiedergibt, von der Ebene der tiefen, allgemeinen Wahrnehmung meines „Befindens" ab, daher von meinem „Befinden" selbst. Durch ein weißes „Befinden" belebt sich mein Vorstellungsablauf mit positiven Formen, ein „schwarzes" Befinden ruft negative Formen hervor. Ein unruhiges „Befinden" beschleunigt meinen Vorstellungsablauf, ein ruhiges „Befinden" verlangsamt ihn. Außerdem hängt dies Oberflächenbewusstsein natürlich auch von äußeren Umständen ab. Mein Tiefenbewusstsein, daher mein „Befinden", hängt teilweise von den im Oberflächenbewusstsein gegenwärtigen Formen ab. Die mich bejahenden bzw.
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verneinenden Ereignisse, die ich hier gewahre, haben Einfluss auf mein „Befinden". Die unter dem Einfluss meines „Befindens" vorgestellten Formen wirken sich wiederum auf dieses „Befinden" in einem positiven oder negativen circulus viciosus aus. Aber mein Befinden hängt auch von meinem physiologischen Zustand ab, Schlaflosigkeit, schlechte Verdauung verdunkeln es, Alkohol, Opium hellen es auf. So bin ich unaufhörlich mit zweierlei Dingen zugleich beschäftigt. Ich beschäftige mich einerseits mit meinem Dasein in der Außenwelt und schätze andererseits innerlich die Aussichten auf einen günstigen bzw. ungünstigen Ausgang des allgemeinen Prozesses meines „Seins" oder „Nicht-Seins" ab. Meine Aufmerksamkeit ist in diese zwei Beschäftigungen aufgeteilt. So erklärt es sich, warum der Neurotiker häufig Konzentrationsstörungen des Oberflächenbewusstseins und Störungen des Wahrnehmungsvermögens der Außenwelt erfährt. Ein großer Teil seiner Aufmerksamkeit ist nämlich davon in Anspruch genommen, die Aussichten auf einen günstigen Ausgang seines inneren „Prozesses“ abzuwägen, so dass ihm für den Kontakt mit der wirklichen oder vorgestellten Außenwelt nur noch wenig übrig bleibt. Dadurch nimmt die Außenwelt einen unwirklichen Charakter in seinen Augen an und er wird unfähig, sein Oberflächenbewusstsein zu lenken. Mein weißes oder schwarzes, ruhiges oder unruhiges Befinden ist nichtformaler Natur. Das Licht erhellt Formen, ist aber selbst formlos. Auch die innere Erregung ist formlos, Formen sind mehr oder minder bewegt, aber die Bewegung selbst ist formlos. Also ist die ganze Wahrnehmung des Tiefenbewusstseins formlos. Im Gegensatz hierzu ist das Oberflächenbewusstsein formal. Mein Oberflächenbewusstsein ist somit evident für mich, während mein Tiefenbewusstsein latent in mir ruht. Ich kann es mir nur wie einen mehr oder weniger angenehmen Zustand bewusst machen; das Angenehme entspricht dem Weißen und das Unangenehme dem Schwarzen. Es ist wesentlich, dass diese beiden Arten von Bewusstsein, die den beiden Wahrnehmungsebenen meiner geteilten Aufmerksamkeit entsprechen, unterschieden und mit verschiedenen Namen gekennzeichnet werden. Nennen wir also das Oberflächenbewusstsein „Objektbewusstsein“ und mein Tiefenbewusstsein „Subjektbewusstsein". Dies sind die beiden unversöhnten Bewusstseinsarten, zwischen denen mein psychologisches Bewusstsein sich spaltet in meiner ich-bezogenen dualistischen Grundsituation, in welcher ich alles unter dem Blickwinkel des Gegensatzes von Objekt und Subjekt betrachte. Ich sage „Objektbewusstsein" und „Subjektbewusstsein", nicht „objektives" und „subjektives" Bewusstsein, weil die beiden letzteren Begriffe den beiden versöhnten Aspekten des Bewusstseins des verwirklichten Menschen entsprächen. Mein Objektbewusstsein ist evident oder augenscheinlich, mein Subjektbewusstsein ist latent. Ich erörtere meine äußeren Probleme und weiß, dass ich sie erörtere; mit meinem inneren Tiefenbewußtseinsproblem hingegen setze ich mich auseinander, ohne es zu wissen. In den beiden Arten von Bewusstsein ist die Natur meiner Aufmerksamkeit jeweils verschieden. Ich bin
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damit einverstanden, dass äußere Formen meine Aufmerksamkeit erregen, ich bin für diese Art meiner Aufmerksamkeit empfänglich und bejahe sie. Aber ich lehne es ab, dass meine Aufmerksamkeit durch mein inneres „Befinden" abgelenkt wird. Ich kann sagen, dass meine Aufmerksamkeit durch mein Objektbewusstsein gefesselt wird, sich aber gegen meinen Willen von meinem Subjektbewusstsein fesseln lässt. In zentrifuger Weise bin ich nach außen hin orientiert und blicke nach außen, kehre aber meinem eigentlichen „Befinden" den Rücken. Hinter meinem Rücken wird ein Teil meiner Aufmerksamkeit von meinem Subjektbewusstsein gefesselt, während ich die Aufmerksamkeit meines Objektbewusstseins selbst auf die vor meinen Augen liegende äußere Welt der Formen lenke. Ich gleiche einem Menschen, der im Kino sitzt, den Bildschirm vor seinen Augen und die Kamera hinter seinem Rücken. Ich sehe mir die Formen auf der Leinwand an, kehre aber der Kamera den Rücken, d. h. in unserem Fall meinem „Befinden", welches die Formen und Farben auf den Bildschirm projiziert. Mein Subjektbewusstsein, dies Bewusstsein, das man in der klassischen Psychologie ignoriert, ist die latente Seite meines im Dualismus befangenen psychologischen Bewusstseins. Dies Denken, welches unaufhörlich und in monotoner Weise an der Auseinandersetzung meines „Seins" mit meinem „Nichtsein" arbeitet, ist nach einer Richtung hin unbewusst. Aber das Unbewusste, um das es sich hier handelt, ist nicht das prinzipielle Unbewusstsein des Zen, Es stellt die allererste Erscheinung des Dualismus dar, sobald das prinzipielle Unbewusste seiner selbst bewusst geworden ist. Es ist die allererste dualistische Manifestation des prinzipiellen Unbewussten. Es ist zweifelhaft, ob man es unbewusst oder bewusst nennen darf, da es genau auf der Grenze liegt zwischen dem prinzipiellen Unbewussten und dem Bewusstsein. Betrachtet man es vom Bewusstsein her (ein Freud'scher Standpunkt), dann sieht man es als unbewusst. Betrachtet man es vom prinzipiellen Unbewussten her, dann sieht man es als Subjektbewusstsein. Von diesem Gesichtspunkt des prinzipiell Unbewussten her betrachtet es der Meister des Zen, wenn er das Übel eines dualistischen Bewusstseins im gewöhnlichen, nicht verwirklichten Menschen bedauert. Der Meister des Zen sagt uns: „Ihr seid unglücklich, weil ihr tatsächlich im Bewusstsein und nicht im Unbewussten verankert seid." Er betrachtet das Freud'sche Unterbewusstsein gerade nicht als wirkliches Unbewusstes, sondern als die tiefste und dunkelste Quelle des diskursiven Bewusstseins, daher als die erste Erscheinungsform des dualistischen Bewusstseins. Wir teilen den Standpunkt des Zen und erachten das Subjektbewusstsein als unser latentes Bewusstsein und nicht als unser Unbewusstsein. Wenn auch latent, ist es deshalb nicht weniger wirksam, und zwar zu unserm Unglück. Je mehr es tätig ist, desto mehr erörtern wir unser illusorisches Problem „Sein - Nichtsein", desto mehr sind wir in Angst um unser „Sein", desto weiter sind wir vom freudigen Glanz des prinzipiellen Lichtes entfernt und desto stärker ist unsere Aufmerksamkeit auf die dunkle Tiefe gerichtet, ist ein großer Teil unserer Aufmerksamkeit auf diese Weise absorbiert, so bleibt uns nur wenig, um uns der
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äußeren Welt einzufügen. Man nennt diesen Zustand „Sinken der psychologischen Spannung", womit Konzentrationsunfähigkeit und alle Anzeichen von „Psychasthenie" verbunden sind. Da mein Subjektbewusstsein latent und eine Art von „unbewusstem Bewusstsein" ist, kann man sich fragen, wieso wir darüber Bescheid wissen und darüber sprechen können. Die Beobachtung meines Oberflächenbewusstseins und mein Bedürfnis zu ergründen, warum es so und nicht anders funktioniert, bringen mich durch mittelbares Nachdenken allmählich dazu, die Existenz und Natur dieses tiefen Subjektbewusstseins zu begreifen, wo mein „Seinsoder Nichtseinsprozess" vor sich geht. Das unmittelbare intuitive Erkennen meiner inneren „Befindlichkeit liefert mir keine Bilder darüber, aber es- gibt mir eine Vorstellung von seinem Helligkeitsgrad (von Weiß bis Schwarz, von hell zu dunkel) und von seiner Bewegungsstärke (von der Ruhe bis zur Erregtheit). Diese intuitive Wahrnehmung ist aufschlussreich und gestattet mir, die Beziehungen, zwischen meinem inneren „Befinden" und meinem Verhalten, meinen Gefühlen und Handlungen zu beobachten. So wie der Sinn eines Traumes sich in seinem latenten Gehalt und nicht in seinem offenkundigen Inhalt äußert, "liegt der Sinn meines Lebens, dieser andere Traum, in meinem latenten Subjektbewusstsein und nicht in meinem offenbaren Objektbewusstsein. Das Denken meines latenten Bewusstseins bestimmt mein Verhalten und mein in Erscheinung tretendes Bewusstsein. In meinem latenten Bewusstsein, wo der Prozess meines „Seins" und meines Nichtseins'' stattfindet, wünsche ich freigesprochen zu werden, will ich mein „Sein" empfinden und zittere vor meinem Nichtsein, vor meinem Nichts, Beachten wir, wie die beiden erscheinungsmäßigen Dualismen meines „Befindens", nämlich „Licht - Dunkel" und „Erregung - Ruhe" mit dem Grunddualismus „Sein - Nichtsein" zusammenhängen. Alles geht in mir so vor, als ob „Licht" mit „Sein" und „Dunkelheit“ mit „Nichtsein“, „Bewegtheit" mit „Sein" und „Bewegungslosigkeit" mit „Nichtsein" identisch seien. Das soll beißen, dass meine angeborene Voreingenommenheit für das „Sein" sich darin äußert, dass ich einem „lichtvollen und bewegten" inneren Zustand stets den Vorzug gebe. Man kann meine Parteinahme sogar noch weiter präzisieren. Die besonderen Erscheinungsformen meines Lebens und meiner inneren, persönlichen Struktur sind nicht immer so geartet, dass ich „Licht" und „Bewegung" gleichzeitig haben kann. Manchmal muss ich zwischen beiden wählen, Mein eigenes Verhalten zeigt mir dann, dass ich die Erregung dem Lichte vorziehe. Ich kann noch genauer sagen, indem ich mich negativ ausdrücke, dass, wenn meine tiefe Furcht eine Furcht vor dem Dunkel und der Unbewegtheit ist, meine Furcht vor der Unbewegtheit noch den Sieg über meine Furcht vor dem Dunkel davonträgt. Ich unterliege noch stärker dem Angstgefühl nicht zu „sein" aus Mangel an Bewegung meines SubjektBewusstseins als aus dem Gefühl der Dunkelheit dieses SubjektBewusstseins. (So wird ein Kind es noch vorziehen, dass es von seiner
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Mutter geschimpft wird, statt dass diese sich gar nicht um es bekümmert. Natürlich wäre es ihm lieber, wenn seine Mutter sich mit ihm beschäftigte, indem es ihm Zärtlichkeiten erwiese. Wenn es aber dies nicht erreicht, zieht es das Schimpfen der Gleichgültigkeit vor. Ebenso liebt der Masochist, dessen Vorliebe wie diejenige jedes Menschen der beschwingten Freude gilt, da es ihm nicht gelingt, beschwingt freudig zu sein, mehr die unruhige Bewegtheit des Leidens als bloße Bewegungslosigkeit), Alles verläuft also derart, als fürchtete ich vor allem andern die Bewegungslosigkeit meines inneren „Befindens" und erst in zweiter Linie die Dunkelheit dieses „Befindens". Es sieht so aus, als ob ich mich vor allem davor fürchtete, mich nicht lebendig zu fühlen (also in Bewegung zu sein, da die Bewegung das wesentliche Kriterium des Lebens ist), und erst in zweiter Linie davor, mich nicht glücklich zu fühlen. Der Mensch behauptet im Allgemeinen, sich nach „Glück" zu sehnen. Diese Behauptung entspricht dem richtigen intuitiven Empfinden, dass das tiefe innere Befinden des verwirklichten Menschen lichtvoll und ruhend sein müsse. Doch steht diese Behauptung mit dem Verhalten des Durchschnittsmenschen in Missklang. Der Durchschnittsmensch lebt nicht, um glücklich zu sein, er strebt nicht danach, zu einem lichtvollen und unbewegten „Befinden" zu gelangen. Er strebt vor allem danach, zu einem bewegten, und erst in zweiter Linie zu einem lichtvollen „Befinden" zu gelangen. Es ist nicht verwunderlich, dass der gewöhnliche Mensch nicht das Glück erreicht, da er nicht einmal zu ihm hinstrebt. Die Tatsache, dass seine Vorliebe für die Bewegung den Sieg über seine Vorliebe für das Licht davonträgt, macht die Kurzlebigkeit seiner Freuden begreiflich. Wenn er voll Freude ist, misst er der Bewegtheit, mittels derer er sich noch mehr Freude erhofft, noch größeren Wert bei, als der Freude selbst. Dies äußert sich in einem grenzenlosen Anspruch auf Freude, welche schließlich immer über die Tatsache der Begrenztheit der zeitlichen Ebene strauchelt und damit in sich selbst zusammenstürzt. (Betrachten Sie einen Menschen, dem ein sehr freudiges Ereignis begegnet. Er will das sofort „feiern" und dem ersten Gefühl der Freude so viel wie möglich andere Freuden hinzufügen). Von den beiden vorhin unterschiedenen Arten von Vorliebe, welche der gewöhnliche Mensch seinem „Befinden" gegenüber zeigt, ist die Vorliebe für das „Licht" berechtigt. Aber seine tief verwurzelte Vorliebe für die Bewegtheit beruht auf einem Irrtum und ist der Grund all seines Unglücks. Weil er unaufhörlich das Leben in sich vibrieren fühlen will und sich in dem ich-bezogenen Zustand, in dem er sich noch befindet, als Einzelwesen bestätigt sehen will, bleibt er im Elend und in den trostlosen Widersprüchen seines Dualismus befangen. Nur wirkliches Begreifen kann den Menschen von dieser sinnlosen Vor- liebe befreien. Die Erkenntnis kann ihm offenbaren, dass die innere Unbewegtheit, die er so fürchtet, nicht nur nicht zu fürchten ist, sondern das Heil bringt. Sicher kann er in seiner augenblicklichen ich-bezogenen Lage nicht zugleich Licht und Unbewegtheit haben. Beginnt er denn dank wirklichen Verständnisses tatsächlich die
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Unbewegtheit vorzuziehen, also auch zu suchen, so wird er zugleich das Dunkel vorfinden. Wenn die „Nacht" des heiligen Johannes vom Kreuze unbewegt ist, ist sie zugleich auch dunkel. Aber ich kann diese Nacht recht gut ertragen, wenn ich mich in den Zustand der inneren Unbewegtheit füge, die ich dann nicht mehr fürchte, sondern auf die ich im Gegenteil all meine Hoffnung setze. Dieses innere Bemühen besteht nicht darin, irgendetwas Neues zu „tun". Es besteht nur darin, dass man sich, weil man verstanden hat, spontan an die Nichtigkeit der Hoffnungen, die wir mechanisch und natürlicherweise auf unsere innere Bewegtheit setzen, erinnert, und sich die törichte Sinnlosigkeit dieser Bewegtheit vergegenwärtigt, jedesmal, wenn ich diesen nicht natürlichen, offenbarten Gedanken ins Auge fasse, verschwindet meine innere Bewegtheit fast vollständig. Ich gebe den Anspruch auf, meinen inneren Prozess zwischen „Sein" und „Nichtsein" zu entscheiden und setze mein Vertrauen ausschließlich in mein Prinzip, um die Gespenster dieses sinnlosen Prozesses zu vertreiben. Ich „tue" nicht mehr, sondern ich lasse mein unsichtbares Prinzip wirken, an das ich glaube, ohne es zu sehen. Meinerseits habe ich nur durch aufrichtiges geistiges Bemühen mein Verständnis wachzuhalten und zu bereichern, wodurch auch die spontanen Wirkungen dieses Verständnisses sich bereichern werden.
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X. DIE „METAPHYSISCHE" ANGST Was geht in mir vor, wenn irgendein Umstand meines Lebens in mir Angst hervorruft? Meine Angst ist die Folge meiner Begegnung mit dem Nicht-Ich; sie ist Ausdruck meiner Furcht, in dieser Begegnung den Kürzeren zu ziehen. Zwischen meinem „Sein" und meinem „Nicht-Sein" findet anlässlich meiner jeweils besonderen Lebensumstände eine unaufhörliche Auseinandersetzung statt, und in diesem Vorgang ist die Angst Ausdruck meiner Furcht, zum „Nicht-Sein" verdammt zu sein. Ich habe versucht, das Nicht-Ich zu besiegen, fürchte aber nun, dass mir dies misslingt und dass in diesem Scheitern mein Sein in Frage gestellt wird. Ich hätte jedoch nicht den Versuch gemacht, das Nicht-Ich zu besiegen und meinen Seins Prozess zu gewinnen, wenn dieser innere Streit nicht schon vorher im Grunde meiner selbst gelegen hätte und ein Zweifel in Bezug auf mein Sein sich nicht schon vorher meiner bemächtigt hätte. Es muss folglich hinter der Angst, die ich im augenblicklichen Scheitern meines Seinsprozesses empfunden habe, eine andere Angst, eine dauernde Angst vorhanden sein, welche meinem Seins Prozess selbst zugrunde liegt. Hinter der erscheinungsmäßigen oder „physischen" Angst, die auf der Ebene der Erscheinungsformen zutage tritt, steht also eine seinsmäßige oder „metaphysische" Angst, die jenseits meiner Erscheinungsformen liegt. Diese „metaphysische" Angst ist die prinzipielle oder primäre Angst und sie bedingt meine gewöhnliche, sekundäre Angst. Versuchen wir, ihr Wesen naher zu bestimmen. Zunächst einmal ist sie unbewusst Dem nicht-verwirklichten Menschen sind nur Erscheinungsformen bewusst, so dass er von einer Angst nichts wissen kann, die jenseits dieser Erscheinungsformen liegt. Achten wir zum Beispiel auf das, was sich in uns abspielt, wenn wir fröhlich sind: ich bin fröhlich, weil ich mich in dem Antagonismus Ich-Nicht-Ich bestätigt fühle, weil mein Innerer Seins Prozess in einer günstigen Lage erscheint und eine Befreiung erhoffen lässt. Hinter dieser Freude, die mit der günstigen Wendung meines Seinsprozesses zusammenhängt, liegt aber immer noch dieser innere Widerstreit, dieser Zweifel an meinem Sein, das heißt die „metaphysische" Angst. Diese Angst liegt an der Wurzel meiner bewussten Freuden und Leiden und steht auch unbewusst dahinter. Die „metaphysische", unbewusste Angst ist somit auch durch ihre anhaltende Dauer bestimmt. Sie ist immer da, immer dieselbe, steht hinter allen Äußerungen unseres Gefühlslebens und seinem Dualismus von Freude und Leid. Andererseits werden wir den Beweis bringen, dass sie unwirklich und illusorisch und überhaupt nicht eigentlich „ist", (obwohl es uns noch, ebenso erschien, als ob
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sie seinsmäßig vorhanden wäre), sondern dass nur die Gesamtheit unseres Gefühlslebens sich so abspielt, als ob es sie gäbe. Beachten wir, dass die Angst, zusammen mit Freude und Leid, welche sie bedingt, das uns schon bekannte Dreieck bildet, dessen obere Spitze das versöhnende Prinzip darstellt und dessen untere Spitzen dem positiven und negativen Prinzip entsprechen. Jedoch hat dieses Dreieck etwas Verblüffendes an sich: im Gegensatz allen andern Fällen, die wir bis jetzt betrachtet haben, trägt das Obere Prinzip hier eine negative Bezeichnung. Wieso? Es hängt mit dem Umstand zusammen, dass der Glaube beim nichtverwirklichten Menschen im Schlafzustand sich befindet und dieser Mensch, dessen Vertrauen in sein Prinzip nicht erweckt ist, seine BuddhaFreude Leid Natur nicht erkennen kann. Alles verläuft in ihm, als ob er dieser Buddha- Natur, die doch seine eigene Natur ist, ermangle. Da im Innern des Menschen das Sein nicht erweckt ist, spielt sich in seinem Innern alles so ab, als ob hier ein Nichts herrsche, was gerade widerlegt werden soll. Weil die vollkommene existentielle Glückseligkeit im Zentrum des Menschen nicht erweckt ist, verläuft alles derart, als sei dieses Zentrum von einer uranfänglichen Angst überlagert. Aber diese uranfängliche Angst „ist" nicht. So verstehen wir, dass unser eben aufgezeichnetes Dreieck falsch war. Es ist richtiger, es so zu zeichnen: „Metaphysische“ Angst
Freude
Leid
Das ist ein aus Nichtwissen illusorisch Freude gewordenes und auf den Kopf gestelltes Dreieck. Bei dem durch das Satori erweckten Menschen steht das Dreieck wieder auf seiner Basis und sieht folgendermaßen aus:
„Metaphysische“ Angst
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Absolute Freude
Relative Freude
Relatives Leid
Die »metaphysische" Angst kann nicht bewusst sein, weil sie völlig illusorischer Natur ist. Der Mensch kann sich ihrer nicht bewusst werden, ohne sie zu zerstören. Man kann nicht einmal behaupten, dass das Satori sich aus der Bewusstmachung der „metaphysischen" Angst ergibt. Besser ist es zu sagen, dass das Satori eintritt, wenn das Zentrum des Menschen erwacht, dieses Zentrum, in dem die „metaphysische" Angst angeblich herrschte, solange es sich im Schlafzustand befand.
Alle Ängste, welche der Mensch bewusst erleben kann, sind Ängste sekundärer Natur, keine unter ihnen verdient die Bezeichnung „metaphysische" Angst oder Urangst. Manchmal ist der Mensch von Angst heimgesucht angesichts der großen philosophischen Probleme seines Daseins, das heißt, er ist von „metaphysischen" Fragen zutiefst beunruhigt. Dieser Mensch jedoch ist von geistigen Bildern und verschiedensten Erscheinungsformen gequält. Er leidet auf der Ebene des Erscheinungsmäßigen, das heißt, auf der physischen und nicht „metaphysischen" Ebene. Ein anderer ist von Angst verfolgt bei der Vorstellung, auf irgendwelche illusorische Kompensationen verzichten zu müssen. So kann er des Glaubens sein, dass die Angst, seine eigene Persönlichkeit zu verlieren und im Universellen aufzugehen, den Namen der „metaphysischen" Angst verdiene. Ein solcher Mensch hat aber eine falsche Vorstellung vom Wesen des Verzichts. Er weiß nicht, dass wirklicher Verzicht darin besteht, das durch die Deutung unserer Erfahrung Entwertete zu überwinden. Der Mensch ist nicht, wie er glaubt, durch das Universelle geängstigt, sondern durch die Einzel-Werte, an denen er noch hängt und die durch eine falsche Auffassung von der Verwirklichung bedroht werden. Keine Form von bewusst empfundener Angst kann als „metaphysisch" bezeichnet werden; auf der Stufe des Prinzips, auf der Stufe unserer schöpferischen Quelle kann es Angst nicht geben. Wiederholen wir aber nochmals, dass es keinerlei bewusst empfundene Angst geben kann, deren Wurzel nicht die „metaphysische", unbewusste Angst, und damit das unbewusste, umgekehrte Bild der im Schlafzustand befindlichen existentiellen Glückseligkeit wäre. Dies trügerische unbewusste Bild ist die eigentlich wirksame Ursache all unserer „moralischen" Leiden. Die Lebensumstände, die unser Leiden veranlassen, sind im Gegensatz zu unsern üblichen Ansichten nur die auslösenden Ursachen dieses moralischen Leidens. Eine Mutter, die ihr Kind verlor, leidet nicht, wie sie glaubt, unter der Tatsache, dass ihr Kind gestorben ist. Sie leidet nur anlässlich dieses Todes, weil sie sich von ihrem Urprinzip verlassen fühlt, sie leidet, weil dies Ereignis in ihr selbst den tiefen Eindruck ausgelöst hat, nicht zu „sein".
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Wenn auch keine unserer Ängste die „metaphysische" Urangst sein kann, ist es doch wesentlich zu wissen, dass unsere sekundären Ängste mehr oder minder weit von der trügerischen primären Angst entfernt sind. Unsere Ängste staffeln sich in einer qualitativen Hierarchie, je nach dem Grade der Tiefe unseres Verständnisses. Meine Angst ist am weitesten von der Quelle meines Seins entfernt, wenn mein Verständnis für mein Innenleben gleich null ist, wenn ich völlig davon überzeugt bin, dass meine konkreten, besonderen Sorgen der wirkliche Grund meines Leidens sind. Je tiefer mein richtiges Verständnis des Innenlebens dringt, desto mehr entgehe ich diesem Irrtum. Ich glaube immer weniger an die kausale Rolle der besonderen und zufälligen Umstände. Ich versuche in steigendem Maße, mein Leiden nicht mehr durch meine persönlichen Erlebnisse, sondern aus der universellen menschlichen Grundsituation heraus zu erklären, die ich mit allen menschlichen Wesen teile. In dem Maße, wie diese Auffassung tatsächlich in mir vorherrschend wird, besänftigt sich der innere „Prozess", bei dem es um mein persönliches Sein, bzw. Nichtsein geht. Das heißt, in dem Maße, in dem die Gründe meiner Angst in meiner Auffassung allgemeinen Charakter annehmen, höre ich auf zu leiden. Je mehr meine geistigen Bildvorstellungen an faszinierender Dichtigkeit verlieren, desto gegenstandsloser wird meine Angst, sie nähert sich damit ihrer Quelle und verliert immer mehr an Substanz. So kann man beobachten, wie wirkliches Verständnis den Menschen immer mehr von Angst befreit. Je tiefer ich begreife, dass meine Angst durch eine Grundsituation bedingt wird, die mir in keiner Weise allein eigentümlich ist, desto mehr verwischt sich in mir jener unsinnige Prozess „Sein oder Nichtsein", aus dem all meine Ängste herrührten. Das Verständnis führt diesen Prozess nicht zu etwaiger Freisprechung, sondern es verscheucht die Gespenster dieses illusorischen Prozesses und dämpft fortschreitend alle Gefühlserregungen, die aus dieser „Gespensterhöhle" stiegen. So sind wir auf dem Wege zum Satori. Nach den Beschreibungen der Meister des Zen ist der innere Zustand, der die Auslösung des Satori ankündigt und ihr vorausgeht, ein Zustand von Gelassenheit, d. h. gefühlsmäßiger Neutralität. Das Bewusstsein des Menschen hat sich hier immer mehr dem Zentrum genähert, seinem Zentrum, wo angeblich vorher die „metaphysische" Angst gewohnt hatte, die Mutter aller Ängste. Je mehr er sich seinem Zentrum nähert, desto aufgelockerter wird seine Angst, sie wird so durchsichtig, dass sie in den letzten dem Satori vorangehenden Augenblicken ganz verschwindet. Je mehr dieser Mensch sich dem Punkt nähert, wo angeblich die „metaphysische" Angst saß, desto mehr muss er feststellen, dass er sie nicht wahrnehmen kann. So gewinnt er die innere Gewissheit, dass sie nie vorhanden war. Der schmerzhafte, illusorische alte „Glaube" - seine alte „Überzeugung" verliert sich im Gefühl heiterer Gelassenheit, und mit diesem falschen Glauben verliert sich auch die innere Verkrampftheit, welche das „dritte Auge" verschlossen hielt und darum dem Menschen das Bewusstsein der vollkommenen Seins-Freude vorenthalten hatte.
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XI. DIE SCHAU UNSERES UREIGENEN WESENS DER ZUSCHAUER DES SCHAUSPIELS Wir wollen auf die psychologischen Bedingungen des Satori und auf die Notwendigkeit zurückkommen, uns Innerlich darauf einzuspielen, jenseits aller Form die Empfindungen unseres Mehr- oder Weniger-Existierens wahrzunehmen. Hier ist der Kernpunkt unserer konkreten inneren Bemühungen zu unserer Verwandlung. Das Zen sagt uns: „Schaut unmittelbar in euer eigenes Wesen hinein". Gewiss, aber ich muss mir als gewöhnlicher, d. h. nicht verwirklichter Mensch sagen, dass mir das nicht gelingt. Dieses Schauen hängt vom „öffnen des dritten Auges" ab und es spielt sich alles so in mir ab, als ob dies „dritte Auge" auf immer verschlossen bliebe. Ich habe zwar verstanden, dass es dies dritte Auge in mir gibt und dass keine Hornhaut es verdeckt. Es ist nicht krank, man muss es nicht heilen. Aber es ist daran gewohnt, geschlossen zu bleiben, und ich muss etwas tun, um diese Gewohnheit abzustellen. So frage ich mich, auf welche Weise ich jene Gewohnheit ablegen könnte, welche die Ursache all meiner Leiden ist. Ich habe verstanden, dass es eine bestimmte Weise der Betrachtung geben muss, mit meinen beiden gewohnten Augen, d. h. mit meiner üblichen Aufmerksamkeit, allmählich die Verkrampftheit des "dritten Auges" zu lösen, damit ich eines Tages plötzlich und endgültig mein ureigenes Wesen zu erschauen vermag. So frage ich mich, welches diese Weise ist. Welcher Art ist dieser Blick, der mir schon heute möglich, aber von sich aus unfähig ist. mir die „Schau meines ureigenen Wesens" zu verschaffen, der andererseits aber in der Lage ist. mein ganzes Dasein so zu verändern, dass es aufhört, sich dem „öffnen des dritten Auges" zu widersetzen? Ich weiß, dass die nötige Bemühung nicht in Verkrampfung. sondern im Versuch zur Entspannung liegen muss. Trotzdem frage ich mich: „Was ist denn nun genau dieser Entspannungsversuch, welcher als solcher unfruchtbar ist - eine untergeordnete Erscheinung kann nie die Ursache einer übergeordneten sein -, mich aber doch empfänglich macht für das direkte Wirken der nichtzeitlichen Wirklichkeit?" Dieser Entspannungsversuch entspricht einer bestimmten inneren Blickweise. Wir haben schon gesagt, dass dieser innere Blick sich auf das Zentrum meines ganzen Wesens richtet, wenn ich auf die Frage antworten soll: .Wie fühlen Sie ich im jetzigen Augenblick im Gesamt Ihres Befindens?" Frage man mich: Wie fühlen Sie sich in diesem Moment physisch", so schaue ich auf eine Weise in mich, die mich meine Empfindungssgesamtheit erblicken lässt, das, was ich hier physische Empfindungsgesamtheit nennen will. Fragt man mich: „Wie fühlen Sie sich im
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Moment in "moralischer Hinsicht?", so schaue ich auf eine Weise in mich, die mich meine psychische Empfindungsgesamtheit erkennen lässt, das, was man auch als „Seelenverfassung" oder als mein „Gestimmtsein" bezeichnet. Fragt man mich: „Wie fühlen Sie sich im Augenblick in jeder Hinsicht zugleich?", so schaue ich auf eine Weise in mich, die mich das gewahren lässt, was ich meine totale Empfindungsgesamtheit nennen möchte. In diesem letzteren Blick in mich selbst beruht der wesentliche Willensaufwand, der mir eines Tages die „plötzliche" Auslösung der „Schau in mein ureigenes Wesen", der Selbstschau, verschaffen wird. Um diese besondere innere Wahrnehmung dieser totalen Empfindungsgesamtheit zu untersuchen, müssen wir die Ähnlichkeiten heranziehen, die zwischen der totalen und der physischen Empfindungsgesamtheit bestehen. Achten wir besonders auf zwei Punkte dabei. Die Empfindungsgesamtheit ist zunächst einmal eine Wahrnehmung, welche durch Lösung des Verkrampfungszustandes gewonnen wird. Ich kann zum Beispiel kein Empfinden von meinem rechten Arm, daher von der Existenz meines rechten Armes haben, so dass ich ihn von innen heraus empfinde, wenn dieser Arm verkrampft ist. Im Zustand der Verkrampfung be- schränkt sich das Empfindungsvermögen meines Armes auf seine Oberfläche. Ich muss meinen Arm entspannen, um ihn in seiner Mittelachse zu empfinden, gleichsam als ob sein Empfindungsvermögen sich in sein Knochenmark zurückzöge. Andererseits ist das Empfindungsvermögen nichtformaler Natur. Wenn mein Arm verkrampft ist, fühle ich seine Form. Ist er hingegen seit einigen Minuten so weitgehend wie möglich entspannt, ist sein Empfindungsvermögen völlig in seine zentrale Achse zurückgekehrt, so empfinde ich diesen Arm, sicherlich; ich empfinde sein Dasein (das entspricht dem schmerzlosen Empfinden eines Amputierten für ein nicht mehr vorhandenes Glied seines Körpers), aber ich empfinde nicht mehr seine Form. Denke ich an ihn im räumlichen Sinne, dann kommt er mir so groß wie das ganze Universum vor, gleichsam als ob seine Form aus- gebrochen sei und sich in die Gesamtheit des Raumes aufgelöst habe. So habe ich von ihm eine nichtformale Vorstellung gewonnen. Diese beiden Punkte, das Moment der Entspannung und das Moment des NichtFormalen, haben alle drei Arten der Empfindungsgesamtheit gemein. Aber die physische Empfindungsgesamtheit unterscheidet sich von den beiden andern wesentlich durch den Gesichtspunkt der „Zeit". Die Wahrnehmung meiner physischen Existenz kann innerhalb der Dauer kontinuierlich sein. Ich kann meinen Arm (oder meinen ganzen physischen Körper) während einer gewissen fort- gesetzten Zeit „innerlich" fühlen. Vergegenwärtige ich mir hingegen meine totale Empfindungsgesamtheit, das heißt, fühle ich mich innerlich als psychosomatische Gesamtheit, so geschieht dies nur in einem plötzlichen Aufleuchten meines Bewusstseins, dem ich nicht die geringste zeitliche Kontinuität verleihen kann. Im selben Augenblick, wie ich diese Wahrnehmung mache, entflieht sie mir schon wieder. Sie entzieht sich mir in ihrer nicht-formalen ausgesprochenen Deutlichkeit und zieht sich sofort hinter formale Wahrnehmungen zurück. Ich fühle mich zum Beispiel einen Augenblick, lang „nicht besonders gut'", ohne dass dies
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Gefühl des Unbehagens eine spezielle Form annähme. Sofort hinterher fühle ich die jeweilige Bestimmtheit (Modalität) meines Missbehagens, die Art und Wehe, auf die ich mich nicht wohl fühle. Dann; empfinde ich, warum ich mich meiner Ansicht nach so fühle, schließlich überlege ich, wie ich dem abhelfen könnte und so weiter. So hat letzten Endes meine ganze Bemühung, in klarer Weise meine Gesamtbefindlichkeit wahrzunehmen, nur dahin geführt, meinen jetzigen und augenblicksbedingten Zustand meines Daseins zu erkennen. Daher ist der Blick, der mich dies wahrnehmen lässt, zugleich ein sehender und ein nicht-sehender Blick. Er sieht etwas von dem, was er betrachtet, da er einen plötzlichen Aspekt gewahrt, der der Wirklichkeit nicht ganz entbehrt, aber er sieht nicht das, was er betrachtet, in jener beweglichen Wirklichkeit, die all seine augenblicklichen Aspekte umfasst. Es fehlt die Dimension der Zeit. Diese Dimension der Zeit muss erreicht werden, wenn die Wahrnehmung meines Existierens ein wirkliches subjektives Bewußtsein, ein Bewußtsein meiner selbst sein soll. Dieser Unterschied, welcher meine totale Empfindungsgesamtheit von meiner somatischen Empfindungsgesamtheit trennt, ist zugleich der Grund einer anderen Verschiedenheit zwischen diesen beiden Wahrnehmungen. Wenn nämlich die Gesamt-Wahrnehmung meines Existierens doch einen gewissen Grad an Wirklichkeit besitzt, so geschieht das in dem Maße, in dem diese blitzhafte Wahrnehmung sich von einer vorherigen Wahrnehmung abhebt, das heißt in dem Maße, in dem ich mich mehr oder weniger existieren fühle als noch kurz vorher. Entziehe ich mich absichtlich den Erregungen der Außenwelt, um mich um wiederholte Wahrnehmungen meiner jeweiligen Empfindungsgesamtheit zu bemühen, so müssen diese Versuche über kurz oder lang fehlschlagen: weil ich mich den äußeren Eindrücken gegenüber verschließe, ist nämlich der jeweilige augenblickliche Zustand mit dem vorhergehenden inneren Befinden identisch und hebt sich daher von ihm nicht ab. Der Faktor „Zeit", welcher gerade durch dieses gegenseitige Sich-Voneinander abheben der jeweiligen aufeinanderfolgenden Augenblicke in der Erinnerung gegenwärtig war, die ich vom jetzigen zum vorhergehenden Augenblick bewahrte, ist hier verschwunden und mit ihm jede nicht-formale Wahrnehmung der Existenz. Wenn - wie wir gesagt haben - dem diesbezüglichen Bewußtsein des noch nicht verwirklichten Menschen die Dimension „Zeit" fehlt, so ist es doch wenigstens nötig, dass die Zeit indirekt mittels des vergleichenden Gedächtnisses eingeführt wird und anlässlich der Veränderungen meiner jeweiligen Daseinsbefindlichkeit ihren Ausdruck findet, damit eine gewisse Wahrnehmung meiner Existenz überhaupt möglich wird. Natürlich kann eine solche Wahrnehmung immer nur eine r e l a t i v e sein. In meinem Dasein als noch nicht verwirklichter Mensch kann ich mich nicht „schlechthin" existieren fühlen, ich kann in nicht- formaler Weise eine Vorstellung nur davon haben, mehr oder weniger da zu sein als vorhin, (Mit meiner physischen Empfindungsgesamtheit verhält es sich anders; eben weil die Wahrnehmung vom physischen Vorhandensein meines Arms am Absoluten, am
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Nicht-zeitlichen teilhat, kann z. B. ein Amputierter noch die Existenz seines nicht mehr vorhandenen Armes empfinden. Meine Existenzwahrnehmung, der allein ich vorläufig fähig bin, ist somit eine auf den Augenblick beschränkte Wahrnehmung und sie ist relativ. Sie ist nur die momentane Wahrnehmung, mehr oder weniger als im vorhergehenden Augenblick zu existieren. Meine Daseinseindrücke wandeln sich fortgesetzt je nach den Wandlungen meiner Beziehungen zur Außenwelt, sie gleichen einer Wasserpuppe, diesem Spielzeug, welches im Inneren einer Glaskugel steigt oder fällt. Je nachdem, ob ich mich durch die Außenwelt bestätigt oder negiert sehe, steigt bzw. fällt meine „Wasserpuppe". Meine Wahrnehmung, mehr oder weniger zu existieren, besteht in der blitzhaften Beobachtung des augenblicklichen Standes dieser „Wasserpuppe" im Vergleich zu der Stellung, die sie vorhin eingenommen hatte. Ich beobachte die verschiedenen Lagen der Wasserpuppe in ihren gegenseitigen Beziehungen untereinander, das heißt, ich sehe sie höher oder tiefer liegen als noch eben vorher. Doch kann ich heute ihre Bewegung selbst noch nicht erkennen. Nur indirekt sehe ich ihre veränderte Bewegung, indem ich die Niveauunterschiede meiner aufeinanderfolgenden, im Augenblick gemachten Beobachtungen vergleiche. Direkt kann ich die Bewegung nicht erkennen. Diese veränderten Lagen der „Wasserpuppe", diese jeweiligen Modifikationen meiner Befindlichkeit entsprechen der tief innersten Bewegung meines Lebens und sind als erste erscheinungsmäßige Manifestation meiner seinsmäßigen Existenz, meines Prinzips, d. h. des Höchsten Universellen Prinzips, dessen, was die Vedanta das Selbst nennt, zu bezeichnen. Ich kann augenblickliche, verschiedene und gegensätzliche Befindlichkeiten der Manifestation meines Prinzips erkennen, aber nicht die Manifestation selbst in ihrer Kontinuität. Nur das Prinzip selbst kann seine Manifestation in der kontinuierlichen Dauer erkennen. Mein Bewußtsein kann sich der Identität mit seinem Prinzip erst dann erfreuen, wenn es in ihrer Kontinuität diese Manifestation erblicken wird, die das „Schauspiel" meines fortdauernden Geschaffenwerdens ist, das heißt, wie es auch die Vedanta sagt, wenn ich der Zuschauer meines eigenen Schauspiels sein werde. Der Begriff „Zuschauer des Schauspiels" ist häufig missverstanden worden. Viele glauben, dass das Schauspiel, von dem hier die Rede ist, unseren inneren formalen Erscheinungsvorgängen entspreche, was bedeuten würde, dass dieses Schauspiel der Vorstellungsablauf unserer Ideen und Gefühle wäre. Das ist ein schwerer Irrtum, der uns nur zur üblichen Selbstbeobachtung führ: und uns mehr und mehr zum Sklaven unserer Vorstellungswelt macht. Wenn das Problem auf dieser niederen Stufe in Angriff genommen wird, so ist es unlösbar. Wir können nicht aktiver Zuschauer in unserem Vorstellungsablauf sein, denn wir sehen ihn nur, wenn wir nicht aktiv zuschauen. Jeder aktive Blick bringt den Vorstellungsablauf zum Stillstand Das Schauspiel, dessen Zuschauer wir werden sollen, spielt sich auf einer Ebene ab, die höher liegt als der Vorstellungsablauf. Es liegt auf der Ebene unserer ersten Bewegung, jener nicht-formalen, aus der Tiefe unseres Bewusstseins kommenden Bewegung, aus der sich dann weiterhin
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all unsere formalen inneren Bewegungen ableiten. Und diese ursprüngliche, erste Bewegung entspricht dem Bewegungsablauf der „Wasserpuppe". Sie äußert sich durch Lageveränderungen unseres inneren Gesamtbefindens nach oben oder unten hin und ist Synthese wie Quelle unseres somatischen und psychischen Verhaltens. Um das Satori zu erreichen, müssen wir also zur Verwandlung der augenblicksbedingten Wahrnehmungen unseres „Mehr-oder-Weniger-als-vorhinExistierens" in eine kontinuierliche Wahrnehmung gelangen, d. h. die Wahrnehmung unseres Existierens schlechthin. Das kann der Mensch erreichen, indem er sich Übung darin erwirbt, immer mehr und mehr zu diesen Augenblickswahrnehmungen zu gelangen. Ein Vergleich mag dienlich sein, diesen Vorgang begreifbar zu machen: nehmen wir an, dass ein Kurzfilm gedreht wird, und zwar wird zunächst alle 10 Sekunden, ein Bild auf die Leinwand projiziert. Wir sehen jedes Bild deutlich. Nehmen wir ferner an, dass die Projektion fortlaufend verschnellert wird. Eine gewisse Zeit lang erkennen wir noch die Bilder ganz klar in ihrer jeweils unterbrochenen Kontinuität. Dann wird ein Augenblick kommen, wo wir sie nicht mehr in ihrer Diskontinuität erblicken, wo wir aber den Film als solchen noch nicht klar in seiner Kontinuität erkennen können. Schließlich wird die Projektion einen Schnelligkeitsgrad erreichen, der uns erlaubt, den Film deutlich in seinem fortlaufenden Zusammenhang zu erkennen. Das Zen beschreibt sehr genau jenes Zwischenstadium, welches die klare, jedoch statische Sicht (das übliche Bewußtsein) vom deutlichen und lebendigen Sehen trennt (Bewußtsein nach dem Satori). Auf seinem Höhepunkt erhält dies Zwischenstadium vom Zen den Namen „Tai-i" („Großer Zweifel") und wird uns als ein völlig formloser Zustand der Verwischung aller geistigen Formen beschrieben. Diese „Verwischung" ist so vollständig und so bar aller Formen, dass sie in keiner Weise einem Chaos gleichkommt, sondern vielmehr die transparente Reinheit eines riesigen Kristalls erreicht, hinter dem noch nichts erscheint. Die Vorstellung von diesen drei aufeinander folgenden Stadien, von denen hier die Rede ist, findet sich auch in einem Zen-Zitat: „Bevor der Mensch das Zen studiert, sind für ihn die Berge Berge und die Wasser Wasser. Hat er aber dank der Unterweisung eines guten Lehrers eine bestimmte innere Schau von der Wahrheit des Zen verwirklicht, dann sind ihm die Berge nicht mehr Berge und die Wasser nicht mehr Wasser. Gelangt er später wirklich zum Heim der Ruhe, so sind die Berge wieder Berge und die Wasser wieder Wasser." Kommen wir jetzt auf die praktische Seite dieser inneren Bemühung zu sprechen, so wie wir sie in diesem Zusammenhang verstehen. Über das „Wie" dieser Arbeit können wir nicht mehr sagen, als wir schon festgestellt haben. Wir können nur wiederholen, dass die Schwierigkeit dieser inneren Schau in ihrer Einfachheit liegt. Gelingt es irgendwie nicht, richtig zu sehen, so deshalb, weil man irrtümlicherweise Komplikationen sucht und innerlich „manipuliert". Es handelt sich ganz einfach darum, ob man sich im Ganzen betrachtet besser oder schlechter fühlt, ob die „Wasserpuppe"' gestiegen oder gesunken ist.
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Wir machen ausdrücklich darauf aufmerksam, dass diese Schau nur sinnvoll ist, wenn der Mensch, der sich zu ihr hin erzieht, mit wirklicher geistiger Klarheit und aus der Tiefe seines Wesens heraus verstanden hat, dass die Erlangung des Satori die einzige Lösung für sein augenblickliches Dasein der Angst bedeutet und es dabei völlig unwesentlich ist, ob die „Wasserpuppe" sich oben oder unten befindet. Das einzig Wesentliche ist, eine kontinuierliche Sicht seines eigenen Bewegungsablaufes zu gewinnen, unabhängig davon, ob man glücklich oder unglücklich, voller Schrecken oder vertrauensvoll gestimmt ist, etc. Jenseits aller gefühlsmäßigen Neigungen, die natürlich bestehen bleiben, muss es einen festen Standpunkt unparteilichen geistigen Verständnisses geben. Es ist in diesem Zusammenhang ganz selbstverständlich, dass die hier gemeinte Schau auch die Erkenntnis voraussetzt von der gleichgültigen Wesenlosigkeit der Formen unseres gesamten Triebwerkes. Auf einer anfänglichen Stufe hat der Mensch die Aufgabe, sein Triebwerk zu analysieren, um das Weser, seines inneren Getriebes kennenzulernen. Die konkrete innere Arbeit hingegen setzt voraus, dass diese Aufgabe bereits gelöst ist und die eigenen „Komplexe" aufgehört haben, uns zu interessieren. Das theoretische Verständnis muss vorhanden und dies in ausreichendem Maße sein, bevor die konkrete innere Arbeit in Angriff genommen werden kann. Aber wir haben noch eine wichtige Frage zu untersuchen: Ich besitze wie jeder Durchschnittsmensch fünf verschiedene Denkarten. Welche dieser verschiedener. Denkarten liegt psychologisch gesehen am günstigsten für meine Bemühungen um eine „Selbstschau''? Die Antwort ist einfach: es gibt nur eine einzige Denkart. die mit diesem Blick in mein ureigenes Wesen, in mein Selbst, vereinbar wäre, und das ist die vierte Denkweise, diejenige des Menschen, der sich der realen Außenwelt anpasst. Wenn meine jeweils veränderliche Existenzlage von der nichtwirklichen und nicht-gegenwärtigen Welt meiner Vorstellung, das heißt von dem Vorstellungsablauf, den ich außerhalb des wirklich Gegenwärtigen mit dem Vorrat meiner Bildformen produziere, abhängt, dann ist mein geistiger Apparat in diesem Augenblick vollständig mit der Einstellung meines Vorstellungsablaufes beschäftigt und hat keinen Raum mehr für eine aktive Wahrnehmung. Ich kann meine verschiedenen Existenzbefindlichkeiten aktiv nur wahrnehmen, wenn diese jeweiligen Veränderungen nicht von meiner eigenen Aktivität abhängen, sondern von einer außerhalb meiner selbst gelegenen Aktivität, das heißt von der Aktivität des Nicht-Ich, der real gegenwärtigen Außenwelt. Die Aktivität dieser wirklich gegenwärtigen äußeren Welt betrifft mich psychisch nur im Verlaufe der Zeit, wo ich mich mit dieser Welt auseinandersetzen und mich in das Wirkliche fügen muss. Man könnte einwenden, dass auch in diesem Augenblick meine jeweils verschiedene Gesamtbefindlichkeit von einer bestimmten Aktivität meines mentalen Bereiches abhängt. Sicherlich, aber dann handelt es sich um eine Reaktionstätigkeit meines Geistes, um ein Reaktionsverhalten und nicht um wirkliche Aktivität. Bei dem Vorgang meiner inneren Anpassung an die wirkliche äußere Welt bleibt die Initiative zur Auslösung meiner psychischen Mechanismen,
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deren Tätigkeit meine Gefühlszustände erzeugt, außerhalb meiner und nicht in mir selbst, und nur dies allein ist dabei entscheidend. Sobald aber diese Initiative außerhalb meiner selbst liegt, kann ich über meine eigene Initiative zur Verwirklichung einer aktiven Schau verfügen. Die Erfahrung beweist besser als alle Überlegungen das eben Gesagte. Will ich mein Daseinsbefinden in einem Augenblick der nachdenklichen Träumerei oder der Meditation wahrnehmen, so muss ich, um dies zu erreichen, meine Aktivität ausschalten. Ich muss das, was in mir augenblicklich „Leben" ist, auslöschen, ich muss aufhören zu leben. Wenn ich hingegen mein Daseinsbefinden in einem Augenblick erkennen will, wo ich in konkreter Weise wirklich beschäftigt bin, so komme ich zu dem Ergebnis, dass ich dazu fähig bin, ohne in meinem Handeln innezuhalten, ja sogar, wenn ich intensiv aktiv beschäftigt bin. Der Vorstellungsablauf innerhalb meines geistigen Bereiches bewegt sich, sobald ich meine Aufmerksamkeit auf die äußere gegenwärtige Welt lenke, im Rahmen dieser Welt. Er ist eine Reaktion auf die äußere Welt und diese hat hierbei die Initiative. Dieser reaktive Vorstellungsablauf hindert nicht mein Wahrnehmungsvermögen in Bezug auf meine Daseinsbefindlichkeit. Er gleicht einem Rad, das sich nach dem regelmäßigen Rhythmus des Kosmos dreht und in dessen Achse meine Aufmerksamkeit sich auf die Wahrnehmung meiner augenblicklichen Existenzbefindlichkeit richten kann. Jeder aktive Vorstellungsablauf hingegen, den mein Geist ohne den Kontakt mit der gegenwärtigen äußeren Welt produziert, verbietet mir die Wahrnehmung meiner Existenzbefindlichkeit. Die innere Arbeit ist somit unvereinbar mit dem Schlaf, dem Träumen und der Meditation. Sie ist nur vereinbar mit einem Leben, das der gegenwärtigen konkreten Welt angepasst ist. So begreifen wir auch, warum die Meister des Zen immer wieder hervorgehoben haben: „Das Tao ist unser tägliches Leben". Ein Mönch bat eines Tages seinen Lehrer, ihn im Zen zu unterrichten. Der Lehrer sagte ihm: „Hast du gefrühstückt oder nicht?" „Ich habe gefrühstückt“, antwortete der Mönch. „Nun gut, dann spüle dein Essgeschirr." Ferner sagt das Zen: „Wenn wir Hunger verspüren, lasst uns essen. Wenn wir müde sind, lasst uns schlafen. Was hat all das mit Endlichkeit oder Unendlichkeit zu tun? Erst wenn der nichts als Unruhe erzeugende menschliche Geist dazwischenfährt und alles durcheinanderwirft, hören wir auf, wirklich zu leben und erst dann reden wir uns ein, dass uns etwas fehlt." Unsere innere Arbeit besteht in der Bemühung, uns zu entspannen, im Versuch, „nichts-zu-tun", was im Gegensatz steht zu unserer unwillkürlichen inneren Bewegtheit. Das bedeutet Einfachheit im Gegensatz zu unserer natürlichen Uneinfachheit. Das Zen kommt immer wieder auf diese Einfachheit, auf diese Entspannung zurück. So könnten wir manchmal geradezu denken, dass diese innere Arbeit leicht sein müsste, dass es dazu keiner Anstrengung bedürfe. Da wir vom „Nicht-Handeln" nichts wissen, nehmen wir an, dass nur das „Handeln" anstrengend sei. Versuchen wir aber nur einmal fünf Minuten lang unsern Körper zu entspannen und diesen Entspannungszustand beizubehalten! Wir werden
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sehen, wie schwer es uns fällt, wachsam zu bleiben, ohne dass die eine oder die andere Muskelgruppe wieder in Spannung gerät. Aus diesem Grunde sagt das Zen, wenn auf die Einfachheit der inneren Arbeit die Sprache kommt: "Der innere Friede kann erst nach einem harten Kampf gegen unsere eigene Persönlichkeit errungen werden... Der Kampf muss mit ganzer Wucht und Manneskraft ausgetragen werden. Ist dies nicht der Fall, so ist der Friede, welcher waltet, nur ein Scheinfriede." Dieser Kampf gegen die eigene Persönlichkeit findet nicht auf der formalen Ebene statt, es ist zum Beispiel nicht der Kampf gegen die eigenen „Fehler". Es ist der Kampf gegen die geistige Trägheit, die all unsere formbedingten inneren Erregungen hervorbringt. Es ist der Kampf gegen den üblichen Strom unseres Ichs, gegen den wir so lange angehen müssen, immer weiter zurück, immer höher hinauf, bis unser Bewußtsein wieder in die unformale Quelle unseres Seins reintegriert ist. Wir müssen hier noch unsere Bemerkungen über die Vereinbarkeit oder Nichtvereinbarkeit zwischen der Bemühung unserer „Selbstschau" und unseren fünf verschiedenen Denkarten ergänzen. Wir müssen den Unterschied noch weiter vertiefen, den wir zwischen dem „reaktiven Vorstellungsablauf“, der sich auf die gegenwärtige äußere Welt bezieht, und dem „aktiven Vorstellungsablauf" den mein Geist mit dem Vorrat seiner Bildformen produziert, festgestellt haben Dieser Unterschied entspricht einem andern, den wir bei der Beobachtung unseres konkreten psychologischen Lebens machen können: wir leben zugleich auf verschiedenen Ebenen, auf der Ebene der Empfindung und auf der Ebene der Vorstellung. Zum Beispiel wünschen sich die meisten Menschen Reichtum und Luxus und erwarten hiervon eine Bestätigung ihrer selbst. Tatsächlich verhilft dem Reichen sein Reichtum zu vielfachen Selbstbestätigungen. Aber all diese Selbstbestätigungen gliedern sich in zwei Arten: Mein Reichtum stellt eine Bejahung und Bestätigung meiner selbst dar auf der Ebene der Empfindung, indem er mein organisches Leben fördert (gute Ernährung, Erholung, sinnliche Eindrücke der Entspannung etc.), wie auf der Ebene der Vorstellung (ich habe das Gefühl „Jemand zu sein", weil ich all diese Möglichkeiten habe). Die Ebene der Empfindung entspricht der physischen Empfindungsgesamtheit, die Ebene der Vorstellung der psychischen Empfindungsgesamtheit. Beachten wir gleichzeitig, dass die Ebene der Empfindung wirklich ist, während die Ebene der Vorstellung illusorischen Charakter hat: In der Tat entspricht die Ebene der Empfindung dem Menschen, insofern er ein Mensch wie alle anderen, das heißt ein universeller Mensch ist. Die Ebene der Vorstellung hingegen entspricht dem Menschen, der sich als Einzelwesen, als gesondertes Wesen sehen will, somit dem persönlichen und ich-bezogenen Menschen, der ein illusorisches Bild von sich selbst hat. (illusorisch insofern, als ein Mensch sich vom andern nur in formaler Hinsicht unterscheidet, nicht aber in seiner spezifischen menschlichen Grundsituation.) Ausgenommen im tiefen Schlaf, lebt der Durchschnittsmensch nie allein auf einer der beiden Ebenen. Er lebt immer auf beiden Ebenen zugleich. Sein Geist beschränkt sich nie darauf, nur entweder einen reaktiven Vorstellungsablauf (Ebene der Empfindung) oder einen aktiven Vorstellungsablauf (Ebene der
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Vorstellungen) zu entwickeln. Der Mensch entwickelt unaufhörlich zwei Vorstellungsabläufe, einen reaktiven und einen aktiven. Seine Aufmerksamkeit geht zwar von einem Vorstellungsablauf zum andern und befindet sich im jeweiligen Augenblick immer nur bei einem; beide aber werden fortlaufend und parallel produziert. Zunächst einmal ist es leicht, einzusehen, dass ich nicht auf der Ebene der Empfindung lebe, ohne zugleich auch auf der Ebene der Vorstellung zu leben: mein innerer „Prozess" um Sein oder Nicht-Sein spielt sich pausenlos in mir ab und wird von allem, was mir auf der Ebene der Empfindung widerfährt, beeinflusst. Je nachdem, ob ich mich physisch wohl oder übel fühle, hege ich Zweifel oder Vertrauen zu mir selbst etc. Allerdings scheint es manchmal so, als ob ich ausschließlich in der Welt der Vorstellungen lebte. Wir werden sehen, dass dies nicht der Fall ist und erkennen, dass die Ebene der Vorstellung auf der Ebene der Empfindung beruht, von ihr abhängt, daher eine Folge von ihr ist. Betrachten wir zum Beispiel einen Fall, wo das Spiel auf der Ebene der Vorstellung bis zum Äußersten getrieben ist: ein reicher Finanzmann macht Bankrott und nimmt sich das Leben, um einem „unwürdigen" Leben zu entgehen, in dem er nicht mehr „jemand" sein könnte. Dieser Mensch tötet seinen Körper, um das Bild, die Vorstellung seiner selbst zu bewahren. Es sieht wirklich so aus, als ob diese Handlung sich einzig auf der Ebene der Vorstellung abgespielt hätte und die Ebene der Vorstellung hier den Vorrang gegenüber der Ebene der Empfindung habe. Betrachten wir aber den Fall genauer: dieser Mann nimmt sich das Leben, um der Missachtung zu entgehen. Aber der Gedanke der Missachtung ist ihm nur deshalb unerträglich, weil er für ihn den Verlust eines Ansehens bedeutet, dem er höchsten Wert beimaß. Er maß dieser Selbstachtung durch die anderen nur höchsten Wert bei, weil diese Achtung und Selbstbestäubung vonseiten der anderen in seinen Augen im Zusammenhang stand mit seinem Kampf gegen das Nicht-Ich und damit einen Schutz seiner Gesamtperson gegen den Tod für ihn bedeutete. So paradox dies auch erscheinen mag, dieser Mensch tötet sich, um das zu erhalten, was ihn virtuell vor dem Tode schützt. Anhand dieses Beispiels kann ich begreifen, dass die Ebene der Vorstellungen eine Art illusorischer Bau ist, den mein „aktives" geistiges Vorstellungsvermögen auf der Ebene der Empfindung errichtet. Alles, was ich auf der Ebene der Vorstellung liebe, d.h. alles, was mich auf dieser Ebene bestätigt, scheint mich in meinen Augen zu bestätigen, weil ich es letzten Endes für meine Gesamtperson zuträglich halte. Ich sage „letzten Endes", weil die Selbstbestätigung in meiner Vorstellung nicht unmittelbar mit der organischen Selbstbestätigung, aus der sie stammt, übereinstimmt. Man stelle sich z.B. einen einflussreichen Geschäftsmann vor, der ohne Unterlass arbeitet und viel Geld erwirbt. Die tägliche Unruhe seines Lebens stellt eine Negation dar auf der Ebene der Empfindung. Dieser Mann führt, wenn ich mich volkstümlich ausdrücken darf, ein „Hundeleben". Wenn er aber auf seine Position solchen Wert legt, so deshalb, weil die damit verbundene Machtstellung eben einen virtuellen Schutz seiner Gesamtperson gegen den Tod für ihn bedeutet. Auch dieser Mann
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bringt sich um, wenn auch nur „allmählich", damit er das unterhält und vermehrt, was ihn vor dem Tode schützen könnte. Zwischen der Selbstbestätigung, die dieser Mann vorstellungsmäßig erhält, und der Selbstbestätigung, die ihm sein Reichtum möglicherweise auf der Ebene der Empfindung verschaffen kann, herrscht keine unmittelbare Übereinstimmung. Trotzdem gibt letztere, so latent sie sein mag, den Ausschlag für die erstere und stellt ihre Basis dar. Der Durchschnittsmensch lebt also fortgesetzt auf beiden Ebenen zugleich. Die beiden Ebenen entsprechen dem somatischen und psychischen Bereich des Menschen, welche wir in einem früheren Kapitel untersucht haben. Halten wir fest, dass jedes Ereignis unseres Lebens sich letzten Endes durch gleichzeitige Reaktionen in beiden Bereichen äußert, dass aber der jeweilige Kontakt mit der Außenwelt, welcher diese Reaktionen in den beiden Bereichen zugleich auslöst, nur innerhalb des einen o d e r des andern Bereiches stattfindet, Ich bin durch die Außenweit entweder auf der Ebene der Empfindung (tatsächlich gegenwärtige Außenwelt), oder auf der Ebene der Vorstellung (wieder ins Gedächtnis gerufene Außenwelt) berührt, aber ich erfahre jede dieser beiden Berührungen zugleich auf beiden Ebenen. Wir haben darauf hingewiesen, dass der Durchschnittsmensch, der unaufhörlich auf zwei Ebenen zugleich lebt, im einzelnen Augenblick jeweils nur auf eine der beiden Ebenen wacht. Solange der Mensch träumt, im Wachzustand träumt oder meditiert, ist seine Aufmerksamkeit nur auf die Vorstellungsebene gerichtet, auf den aktiven Vorstellungsablauf. Sein reaktiver Vorstellungsablauf entwickelt sich gleichzeitig, obwohl er nicht beachtet wird. Nur wenn der Mensch sich der gegenwärtigen Außenwelt anpasst, erfährt er sein Leben - dank des rascher Hin und Her seiner Aufmerksamkeit - sowohl auf der Ebene der Empfindung als auf der der Vorstellung. Beobachte ich mich genau, so merke ich, dass ich immer irgendwie, meistens sogar ausgesprochen, im Wachzustand träume, gleichzeitig mich aber der realen Wirklichkeit anpasse, indem Ich mich auf die Außenwelt abstimme und mit ihr fertig zu werden trachte. Unter dieser Voraussetzung wird uns genauer verständlich, wieso die vierte Denkart mit der inneren Arbeit am besten vereinbar ist. Theoretisch gesehen, ist diese Vereinbarkeit sogar eine vollständige. Aber konkret betrachtet geht alles so vor sich, als ob sie nicht vollständig sei, weil ich mich nie innerhalb der vierten Denkart ausschließlich bewege. Meine Aufmerksamkeit teilt sich unaufhörlich in die vierte oder dritte Denkart, und so schwanke ich zwischen diesen beiden Denkarten. Das Ziel meiner inneren Arbeit besteht aber gerade darin, mich eines Tages durch das Satori in der r e i n e n Form der vierten Denkart zu verwurzeln, mich so wirklich der Außenwelt anzupassen und durch endgültige Überwindung des Träumens die absolute Wirklichkeit zu erreichen. Die Erfahrung zeigt es mir. Sobald ich mich anschicke, ausdrückliche Versuche zu unternehmen, um meine augenblickliche Existenzbefindlichkeit zu erkennen, bemerke ich das eben diese Versuche den aktiven Vorstellungsablauf eindämmen, da er sich mit diesen Bemühungen nicht verträgt. Genauer gesagt, die
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Bemühungen dieser Art haben eine auflösende Wirkung für meinen illusorischen Vorstellungsablauf, weil sie meine Aufmerksamkeit ablenken und auf den wirklichen reaktiven Vorstellungsablauf hinführen. Schließlich tragen also meine Bemühungen dazu bei, mein Leben auf der Ebene der Bildvorstellungen aufzuheben und mein Leben auf der Ebene des Empfindens zu reinigen. Dank meiner inneren Bemühung wird meine illusorische psychische Empfindungsgesamtheit aus meiner wirklichen physischen Empfindungsgesamtheit ausgeschaltet. Der ich-bezogene, illusorische Teil meiner selbst wird aus meinem organischen wirklichen Leben ausgeschieden. Es wird mir klar, dass sich in mir selbst eine wirkliche „Erde", ein organisches Leben nämlich mit den reaktiven Wahrnehmungen des augenblicklich Wirklichen, und ein illusorischer „Himmel" befinden, der Himmel meines aktiven Lebens der Vorstellung. Auf Grund dieses illusorischen „Himmels" aber bin ich jetzt im Besitz weder meiner „Erde" noch des „Himmels". Die innere Arbeit, die darin besteht, meinen illusorischen „Himmel" zu vernichten, wird mich meiner „Erde" zurückgeben und diese Rückgabe an die „Erde" wird mir auch gleichzeitig das Glück des wirklichen „Himmels" gewähren. Dies ist der Sinn des Zen-Wortes: „Die Erde ist das Paradies". Eine solche Auffassung, welche meinem organischen Leben neuen Wert verleiht und mein imaginatives Leben entwertet, birgt die Gefahr in sich, dass wir uns in direkter Weise zu organischen Beobachtungen unserer selbst zwingen, das heißt zur Beobachtung unserer organischen Gefühlsgesamtheit. Eine solche innere Arbeit wäre unfruchtbar und kann sogar gefährlich sein. Es ist unmöglich, auf künstliche Weise unser imaginatives Leben zu unterdrücken und das würde auch nur zu einer sinnlosen Scheinwirklichkeit führen. Der subtile Destillationsprozess, der die Illusion beseitigt, kann keinesfalls auf der dualistischen Ebene, wo Wirkliches und Illusorisches in Erscheinung treten, vor sich gehen. Unsere inneren Manipulationen formaler Natur sind hier machtlos. Einzig unser Urprinzip kann diese „alchimistische'' Destillation, diese innere Reinigung bewirken. Wir müssen unsererseits nur aufhören, uns der Aktion unseres Prinzips zu widersetzen. Nur durch die vollständige innere augenblickliche Entspannung, von der wir gesprochen haben, können wir es lernen, unsern gewohnten inneren Widerstand aufzugeben. Die fortschreitende Auflösung unseres Lebens auf der Ebene der Bildvorstellungen nähert uns der Befreiung, unserer Geburt in die absolute Wirklichkeit hinein. Vom Standpunkt der Situation vor dem Satori aus betrachtet, stellt diese Auflösung die mühsame Agonie des „alten Menschen" dar. So stellt also die innere Arbeit, um zur „Selbstschau" zu gelangen, die wahre „Askese" dar (deren äußere Formen nur Scheinformen sind, die wahre „Reinigung" und die wahre .Abtötung". (Wir möchten betonen, dass diese wirkliche Askese keinerlei Änderung unseres äußeren Lebens erfordert.) Es ist von entscheidender Wichtigkeit, das riesige Ausmaß dessen, was wir nach unserer augenblicklichen Betrachtung der Dinge aufgeben müssen, wie auch gleichzeitig die schmerzlose Natur dieses Aufgebens zu begreifen. Die Ebene des Bildes, welche ich verlieren muss, ist
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heute noch riesenhaft in meinen Augen, sie bedeutet für mich alles. Sie ist das Salz meines Daseins und verleiht ihm erst seinen Sinn. Sie ist die Ursache meiner Angst wie meines Entzückens, meiner Leidenschaft, meiner Rührung wie all meiner Hoffnung. Vorstellen kann sich der gewöhnliche Mensch das Verschwinden seines Lebens der „Gefühle", das Verschwinden der dualistischen Empfindsamkeit seiner „Seele" nur als den Tod seines Daseins. Der illusorische „Himmel", mit seinen Stürmen und seinen Sonnenblicken, erscheint ihm wertvoller als alles, insbesondere wertvoller als seine „Erde", sein Körper. Nun bedeutet aber die Auflösung jenes Lebens auf der Ebene der Bildvorstellung den endgültigen Verzicht auf diesen illusorischen "Himmel", auf alles, was wir für „heilig" und „übernatürlich" in unserem augenblicklichen Dasein halten. Trotzdem ist dieser Verzicht völlig schmerzlos. Die Agonie des „alten Menschen" ist mühsam (sie ist gerade „der verbissene Kampf gegen unsere eigene Persönlichkeit"), aber nicht schmerzhaft. Dieser Verzicht gelingt auch nur in dem Maße, in dem es mir gelingt - ohne irgendetwas von dem, was ich von meinem jetzigen Standpunk: aus für wertvoll erachte, gewaltsam zu unterdrücken - meine Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was in mir die Ebene der Empfindung begünstigt, und so die Trugbilder zu zerstreuen, die in meinen Augen den Dingen Werte verliehen, welche sie nicht besitzen. Die Ebene der Bildvorstellungen wird mir nicht entrissen - das wäre verhängnisvoll -, ich selbst verlasse sie nur. Ich kann kein Bedauern darüber empfinden, sie zu verlassen, denn die Ebene der Bild Vorstellungen existiert nur illusorisch in mir, solange ich mich auf ihr bewege. Eine schmerzhafte innere Anstrengung ist falsch ausgeführt, sie greift direkt die Gefühlsbewegungen an. Die richtige innere Bemühung, der Versuch der „Selbstschau" hingegen, wirkt in unserem Innern an demjenigen Punkt, an dem die Gefühlserregungen überhaupt erst auftauchen. Wie sollte ich schmerzhaft davon bewegt sein, gar nicht bewegt zu sein? Nichts können uns die Formen anhaben im Verlaufe unserer richtigen Bemühungen zum Nicht-Formalen hin. Indem das Licht den Grundschatten zerstreut, verjagt es überhaupt jeglichen Schatten.
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XII. DIE PRAKTISCHE HANDHABUNG DER INNEREN ARBEIT AN SICH SELBST NACH DER LEHRE DES ZEN Es ist schwierig zu begreifen, worin praktisch die innere Selbstarbeit nach der Lehre des Zen besteht, jene innere Arbeit, die uns eines Tages den Zugang zum Satori verschaffen soll. Wenn die Lehrer des Zen tatsächlich positiv über diese Frage sprechen, sagen sie Allgemeinheiten, die uns leicht etwas ironisch erscheinen mögen: „Es genügt, daß ihr in euer eigenes Wesen schaut", oder: „Seid völlig von allen Dingen losgelöst". oder: „Ihr seid alle Buddhas und folglich braucht ihr nicht Buddha zu werden, sondern nur wie Buddha zu handeln" etc. Richtig, denkt der Schüler, aber in der Handhabung meines inneren Lebens bringt mich das nicht weiter. Er stellt sich sodann nach seinem Vermögen diesen oder jenen praktischen Weg vor, der ihn tatsächlich dem Satori näherbringen könnte und legt seinem Lehrer seine entsprechende Idee vor. Von diesem erfährt er dann möglicherweise nur entschiedene Zurückweisungen. Hat er sich vorgenommen, gute Taten zu vollbringen, so versichert ihm der Lehrer, daß ihm dies nichts nutzen könne. Hat er sich vorgenommen, über „heilige" Texte zu meditieren, so sag: ihm der Lehrer: „Lass dich nicht durch die Sutra verblüffen, stelle besser die Sutra selbst auf den Kopf." Hat er sich vorgenommen, sich in der geistigen Leere zu üben, so zeigt ihm der Lehrer, daß dies nichts als langsamer Selbstmord sei. Hat er sich geduldige und tiefschürfende intellektuelle Arbeit vorgenommen, so erklärt ihm der Meister: „Diskursives Überlegen und Denken führt zu nichts. Es gleicht einer Lampe, die am hellen Mittag angezündet wird. Kein Lichtschein kommt aus ihr hervor." Fragt der unglückliche Schüler schließlich bescheiden nach einer Aufklärung über das „Geheimnis" des Zen. so antwortet ihm der Lehrer: „Es ist der schwerste Irrtum, dem viele unterliegen, sich vorzustellen, das Zen sei geheimnisvoll.... Wir sollen den Widerspruch nicht vermeiden, sondern wir müssen ihn ausleben." Fraglos haben die Lehrer des Zen recht, nicht den Versuch zu unternehmen, das Unaussprechliche auszusprechen, wenn sie erklären, daß dies Unaussprechliche in keiner Weise geheimnisvoll sei. Sicher tun sie gut daran, die Vermutungen ihrer Schüler nur mit Verneinungen zu beantworten und sie von einem Irrtum in den andern zu treiben bis zu einer Art freiwillig angenommener und daher trauerlosen Verzweiflung, in der ihr ganzes Wesen sich entspannt und sich der Wirklichkeit öffnet. Trotzdem wollen wir versuchen, was die Lehrer des Zen nicht tun, nämlich positiv und in einer dem Geist des Zen gemäßen Weise über die innere Arbeit an sich selbst zu sprechen, ohne darum nur bei abstrakten Allgemeinheiten zu verbleiben.
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Das Zen lässt uns begreifen, daß die richtige innere Arbeit nicht in einem „Tun", sondern in einem „Nicht-Tun" besteht. Aber diese Erkenntnis würde uns nur entmutigen, wenn wir es nicht lernten, zu verstehen, daß das, was „Nicht-Tun" auf einer Ebene ist, uns als „Tun" auf einer anderen Ebene erscheint und wir damit die Möglichkeit besitzen, diese andere Ebene aufzufinden, auf welcher unsere innere Arbeit einen positiven Aspekt aufweist. Um das eben Gesagte verständlich zu machen, bedienen wir uns eines Vergleiches aus dem Bereich des Funktionsablaufes unseres Körpers. Im Verlaufe unserer Bewegungen wird die Zusammenziehung unserer Muskelfasern durch die Aktivität einer Nervenzelle, der sog. Medullarzelle, welche im Rückenmark liegt, bewirkt. Es ist die Funktion dieser Zelle, daß sich der Muskel zusammenzieht, und dieser Muskel bliebe, wenn nichts ihn hinderte, dauernd zusammengezogen. Die Medullarzelle ist jedoch nicht in der Lage, fortwährend tätig zu sein. Eine andere, im Hirn befindliche Nervenzelle, wirkt mittels einer langen Faser auf die Medullarzelle ein, so daß also die Gehirnzelle, wenn sie aktiv ist, die Aktivität der Medullarzelle verhindert. Ist unser Muskel somit im Zustand der Ruhe entspannt, so entspricht diese Ruhe in Hinsicht auf die Medullarzelle einem „Nicht-Tun", da der Muskel sich zusammenzieht, sobald die Medullarzelle tätig ist. Das „Nichts-Tun" der Medullarzelle hingegen entspricht dem „Tun" der Gehirnzelle, da die Aktivität dieser übergeordneten Zelle darin besteht, die Aktivität der untergeordneten Zelle aufzuheben. Die Muskelentspannung, welche auf einer unteren Ebene ein „NichtTun" ist, bedeutet gleichzeitig ein „Tun" auf einer höheren Ebene. Sehen wir nun, wie sich die vitale Energie in der Gesamtheit unseres Seins abspielt, wie wir auch hier zwei Ebenen erkennen können, so daß die Nicht-Aktivität einer unteren Ebene der Aktivität einer höheren Ebene entspricht. Nur so wird es verständlich, warum das Zen uns versichert, daß wir nichts zu „tun" haben und im übrigen sagt, daß die innere Arbeit eine aufmerksame intensive Aktivität erfordere, „als ob unser Kopf in Flammen stünde". Unser Organismus birgt in sich Energie. Das ist offensichtlich, da wir unaufhörlich in uns Kräfte am Werk sehen, die uns bewegen, die uns denken und handeln lassen. Von der Quelle dieser Kräfte haben wir keine direkte Vorstellung, aber die Beobachtung aller Erscheinungen in uns lässt uns induktiv erkennen, daß eine energetische Quelle unserem ganzen Sein zugrunde liegt. Wir können diese Quelle nur als eine Art Reservoir betrachten, ohne feste Grenzen, in welchem latent, bewegungslos, unsichtbar, nicht greifbar eine potentielle vitale Energie ruht. Diese Quelle, deren Aktivität sich in meiner gesonderter Einzelperson kundtut, darf indes nicht als individuelle Erscheinung beurteilt werden. Dieses potentielle, noch nicht in Erscheinung getretene Energiereservoir muss als universell betrachtet werden, da die besondere Individualität erst mit dem, was in Erscheinung tritt, beginnt. Diese Quelle ist also das Prinzip des Universums und zugleich ist sie mein Prinzip. Sie entspricht dem, was im Zen „der Kosmische Geist" oder „das Unbewusste" heißt. Aus dieser Quelle kommen in mir unter Einfluss der
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Erregungen der Außenwelt Kräfte hervor. Erregungen kann ich auf physischem wie auf psychischem Wege erhalten. Jedenfalls besteht die Erregung immer in einer zweipoligen Spannung zwischen der Außenwelt und mir. Zum Beispiel: Wenn ich Alkohol trinke oder Brot esse, besteht zwischen dem, was ich konsumiere und meiner eigenen Substanz eine bipolare Spannung. Oder wenn ich mich in Todesgefahr sehe, entsteht zwischen dem äußeren Bild und der von mir entworfenen Unsterblichkeitsidee eine bipolare Spannung, etc. Das Entstehen einer vitalen Kraft in mir als Reaktion auf die Erregung der Außenwelt stellt in Bezug auf die Potentialenergie meiner inneren Kraftquelle eine erste Desintegration dar, (wir werden sehen, daß es noch eine zweite Desintegration gibt), welche einer Atomzertrümmerung gleicht. Bergson hatte sehr treffend das Vorhandensein solcher „Explosivstoffe" in uns beschrieben. Sein Irrtum bestand nur darin, dieses Explodieren auf den psychischen Bereich zu beschränken, wo es doch jenseits dieser beiden Bereiche, des physischen und des psychischen startfindet, nämlich schon beim Austreten der Energie aus der zentralen und beiden Bereichen gemeinsamen Quelle. Im Augenblick, wo diese Kraft aus der Quelle hervor strömt, entwickelt sie eine bestimmte rohe, reine, noch nicht differenzierte und ungeformte Menge von vitaler Energie. Genauer noch, sie ist ein Mittelding zwischen dem Gestaltlosen und der Form. Sie liegt zwischen der Quelle selbst und meinen Erscheinungs- formen, so wie das positive und das negative Prinzip der Schöpfung zwischen dem Höchsten Prinzip und der Welt der Erscheinungen liegen. Der Mikrokosmos ist so wie der Makrokosmos konstruiert. So kann auch diese vitale, aus der Quelle entspringende Kraft zwei Aspekte haben, einen positiven und einen negativen. Wird die Erregung der Außenwelt von mir als Selbstbestätigung empfunden, so ist die entstehende Kraft eine positive. Ich empfinde sie dann als einen Überschuss an Lebensenergie, als einen „Druck", welcher einen Drang zum Nicht-Ich mit sich bringt (begehrende oder wohlwollende Liebe). Wird die Erregung der Außenwelt von mir als Negation meines Ichs empfunden, so ist die hervor strömende Kraft negativer Natur. Ich empfinde sie als Einbuße an Leben, als Leere, als Defizit, als nieder-drückend und es verbindet sich mit ihr ein Gefühl der Abneigung gegen das Nicht-Ich (Fluchtgedanken, Ekel oder Aggressionslust). Obwohl diese primitive Vitalenergie somit einen Plus- und einen Minusaspekt aufweist, obwohl sie dadurch schon den Abdruck der äußersten Grenze der Formenwelt aufweist, steht sie doch noch jenseits dieser formalen Welt und muss als nicht-formal angesprochen werden. Ebenso mussten ja auch das positive und das negative Schöpfungsprinzip als nichtzeitlich betrachtet werden, obwohl sie die Grenzen der zeitlichen Welt berühren. Diese vitale Kraft, welche bei ihrem Entstehen nicht-formaler Natur ist, können wir auf direktem, intuitivem Wege wahrnehmen. Da sie nicht-formal ist, können wie sie zwar nicht beschreiben, aber wir können sie wahrnehmen. Wenn ich eine gute Nachricht erfahre, kann ich zum Beispiel jeden Gedanken, der das glückliche
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Ereignis selbst betrifft, ausschalten und direkt in meinem Innern ein überwallendes Lebensgefühl feststellen. Auch wenn mich ein Unglück betrifft, kann ich jeden Gedanken über das Unglück selbst verscheuchen und in direkter Weise ein Gefühl der Leere empfinden, eine Art Saugströmung, die mich zum Nichts zu treiben droht. Es ist mir also möglich, meine Aufmerksamkeit ganz auf meine zentrale Quelle zu lenken, bis auf den Punkt hin, wo diese Quelle beginnt, in Erscheinung zu treten, d. h. meine Aufmerksamkeit kann das Niveau der nicht-formalen Ebene erreichen, deren Aktivität, deren „Tun", wie wir sehen werden, einer Nicht-Aktivität, einem „Nicht-Tun" auf der formalen Ebene meiner psycho-somatischen Erscheinungswelt entspricht. Das eben Gesagte ist völlig konkret. Habe ich zum Beispiel Geld verloren und lenke meine Aufmerksamkeit wie gewohnt auf die formale Ebene der Erscheinungen, so unterziehe ich mich einer lebhaften Aktivität meines Vorstellungsvermögens und rufe mir meine augenblicklichen und zukünftigen Sorgen in meine Vorstellungswelt. Richte ich aber in diesem Augenblick meine Aufmerksamkeit, wie eben erwähnt, auf die intuitive Wahrnehmung meines Verlustes an Vitalkraft (welche ich hier mit Namen bezeichnen muss, obwohl sie ja in Wirklichkeit formlos ist), dann kann ich das Nachlassen meiner vorstellungsbedingten Erregtheit beobachten. Das ist eine Erfahrungstatsache, die jeder bei sich nachprüfen kann. Meine Aktivität auf der nicht-formalen Ebene hat also meine Nicht-Aktivität auf der formalen Ebene zur Folge. Ist meine Aufmerksamkeit auf die nicht-formale Ebene gerichtet, so übt diese Ebene gewissermaßen eine Bremswirkung gegenüber der formalen Ebene aus. Die Richtung, welcher meine Aufmerksamkeit folgt, sei es in natürlicher Weise auf die formale Ebene hin oder willentlich auf die nicht-formale Ebene hin, bestimmt das Geschick der vitalen Energie. Das Natürliche ist es, daß der Mensch aus seiner durchschnittlich unwissenden Grundsituation heraus seine Aufmerksamkeit praktisch auf die untere formale Ebene beschränkt. Er unterliegt der Faszination der Erscheinungen, die sich außerhalb seiner und in ihm selbst abspielen. Ist die Aufmerksamkeit dorthin gerichtet, so führt die Vitalenergie, sobald sie der Quelle entspringt, ihre Desintegration aus, indem sie das menschliche Triebwerk in Bewegung setzt, das heißt, indem sie in energetischen Erscheinungen somatischer und psychischer Natur Form annimmt. Im Augenblick, wo die hervorkommende nicht-formale Energie Form anzunehmen und zu strömen beginnt, wobei sie sich auf der Ebene der Erscheinungen selbst tilgt, wird sie zur Emotion oder Gefühlserregung. Diese ist also eine primäre innere Erscheinung, die als solche noch keinen spezifisch somatischen oder psychischen Charakter trägt, jedoch die Ursache physikalisch-chemischer Vorgänge sowie geistiger Vorstellungen wird. Liegt die Aufmerksamkeit auf dieser formalen Ebene, so beginnt notwendigerweise ein circulus viciosus. Die Vorstellungen, die aus diesem Prozess hervorgehen, wirken sich dann als Erregungen aus, lassen neue Kräfte entstehen, deren Schicksal das gleiche ist wie dasjenige der ersten Kraft etc. Wird meine Aufmerksamkeit, welche zunächst auf die erregende Außenwelt gerichtet
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ist, hingegen auf das Innere und auf die nicht- formale Kraft bis zu ihrem anfänglichen Quellpunkt gelenkt und verbleibt sie hier einen Augenblick, so entgeht die vitale Energie während dieses Augenblickes dem desintegrierenden Eingreifen der Formen und entwickelt keine Bewegungen innerhalb meines Organismus, weder Handlungen noch Gedanken. Andererseits kehrt sie nicht zu ihrer Quelle zurück, denn die erste Desintegration, die ihr zu ihrem Entstehen verholfen hat, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Was wird dann aus ihr? Nach der Auffassung einiger Lehren, welche nicht genügend von der Faszination der Form befreit sind, soll sich diese Kraft in der gesamten Form des Organismus zusammenballen. Sie ist aber verschieden von jener Kraft, die wir kennen, subtiler, und sie stellt innerhalb des ersten grobförmigen Körpers allmählich einen zweiten feinstofflicheren Körper dar (die illusorische Theorie vom „Astralleib"). Das Zen, welches übrigens an nichts „glaubt", lehnt diese Theorie ab. Wie müssen wir uns also im Lichte des Zen-Denkens das Geschick dieser reinen Vitalenergie vorstellen, welche von der erscheinungsmäßigen Desintegration befreit ist? Es ist möglich, zu denken, daß diese Energie sich tatsächlich in uns aufhäuft, aber nicht nach irgendeinem Formprinzip, so subtil dieses auch sein mag. Sie häuft sich in formloser Weise auf in der Ebene der zwei unteren schöpferischen Prinzipien, dem positiven und dem negativen Prinzip, welche an sich, und obwohl sie alle Formen hervorbringen, formlos sind. Die Energie häuft sich hier, und man kann sie als „potentielle aktualisierte" Energie qualifizieren. Als potentielle Energie wirkt sie erscheinungsmäßig nicht mehr als die potentielle Energie, die in der Quelle ruht. Als aktualisierte Energie häuft sie sich an, um später zu wirken. Dieses spätere Wirken ist das Satori. Die Vitalenergie gleicht einem explosiven Pulver, welches ohne die innere Arbeit sich im Kleinen verausgabt und als fadenscheiniges Feuerwerk verbrennt, das unfähig ist, unsere Seins-Struktur zu verändern. (Diesem Feuerwerk entsprechen die Erregungen und deren psycho-somatische Wirkungen). Dank unserer inneren Arbeit wird von Zeit zu Zeit eine gewisse Menge dieses Explosionsstoffes aufbewahrt und zurückgelegt, wodurch eine Art Zeitzündungsbombe entsteht. Diese Bombe kann erst explodieren, wenn ein genügender Vorrat Pulver angehäuft ist. Jedoch hat diese aufgeschobene Explosion nichts mit dem Feuerwerk emotionaler Art zu tun. Während die Gefühlserregungen den menschlichen Organismus aufzehren, weil diese kleinen Explosionen innerhalb der Form dieses Organismus entstehen, wird die ungeheure Explosion des Satori nicht eine einzige Zelle des menschlichen Organismus in Mitleidenschaft ziehen. Sie wird sich im nicht-formalen Bereich vollziehen, und ihre Einwirkung auf der Ebene der formalen Erscheinungen kann mit einer Katalyse verglichen werden, welche den zeitlichen Dualismus auflöst und versöhnt und darum endgültig jede innere Spannung der Angst beseitigt. Während des Zeitraumes, wo die nicht-formale Energie sich vor dem Eintreten des Satori sammelt, wird bei dem betreffenden Menschen ein relativer Zustand von Weisheit, oder, genauer gesprochen, eine relative Verminderung seiner gewohnten
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Verblendung fühlbar. Wenn manche Menschen mit zunehmendem Alter weiser werden, so in dem Maße, wie sie ihre illusorischen Annahmen im Verlaufe ihrer praktischen Erfahrungen verlieren, den äußeren und inneren "Formen" weniger Wert beimessen und so unwissentlich ihre Aufmerksamkeit vom Formalen zum Nicht-Formalen hinlenken. Menschen dieser Art arbeiten innerlich an sich, ohne es zu wissen. Aber weil sie es nicht wissen, tun sie nicht genug dafür, daß sich in ihnen jene große Anhäufung nicht-formaler Energie bilde, welche das Satori erfordert. Kommen wir auf diese Verlagerung der inneren Aufmerksamkeit zurück. Um dies verständlich zu machen, haben wir auf die intuitive Wahrnehmung aufmerksam gemacht, auf welche unsere Aufmerksamkeit sich richten muss. Es gibt kein anderes Verfahren als dieses, denn wir können nicht unsere Aufmerksamkeit von einem Punk: ablenken, ohne den andern Punkt zu kennen, auf den wir sie richten müssen. Doch wäre es falsch zu glauben, daß diese intuitive nicht-formelle Wahrnehmung, auf die wir willentlich unsere Aufmerksamkeit lenken, im positiven Sinne von irgendeinem Interesse sei (es ist eine illusorische Auffassung, die „geistigen Güter" im Gegensatz zu den „zeitlichen Gütern" zu sehen). Sie ist nichts als ein Orientierungspunkt und das einfache Mittel, um unsere Energie vor der formalen Energieverschwendung zu bewahren. Die Verlagerung der Aufmerksamkeit, das heißt die innere Arbeit, bedeutet also keineswegs irgendetwas zu „tun", was man sowieso üblicherweise nicht tun würde, sie ist ein „Nichts-Tun" oder noch genauer, sie ist der Versuch, aktiv alles formal beschreibbare „Tun" zu verhindern. Diese Unterscheidung zwischen der formalen und der nicht-formalen Ebene, wobei das „Tun" der letzteren Ebene dem „NichtTun" der ersteren entspricht, lässt uns die tatsächlich positive Natur der negativen Begriffe verstehen, deren sich das Zen gerne bedient, z.B. „nicht-geistig", „ohne Form", „Nichtgeburt", „Leere", „Nichtigkeit", „Unbewusstes" etc. So wird auch die Ausübung des „Kôan" verständlich. Die geheimnisvolle Formel, auf welche der Zen-Mönch unaufhörlich seine Aufmerksamkeit lenkt, ist zwar sicherlich eine Form. Aber sie ist solcher Natur, daß infolge ihrer scheinbaren Sinnlosigkeit sie schnell aufhört, noch wahrnehmbar zu sein. Lenkt der Zen-Mönch seine Aufmerksamkeit auf sein „Kôan", so ist das „Kôan" selbst für ihn bedeutungslos; wirksam und wichtig an ihm ist einzig die Tatsache, daß es die Aufmerksamkeit von der formalen Ebene ablenkt. Die Verlagerung der Aufmerksamkeit, in welcher die innere Arbeit besteht, muss wirklich eine Verlagerung sein, das heißt ein Kommen und Gehen der Aufmerksamkeit zwischen dem formalen und nicht-formalen Bereich. Es wäre unmöglich, ausschließlich seine Aufmerksamkeit auf das Nicht-Formale zu lenken, wie man sie ja in starrer Weise auch auf keinerlei besondere Form richten kann. Zunächst einmal würde das dem Selbstmord gleichkommen. Aber vor allem ist die Erregung durch die Außenwelt unbedingt nötig, damit die nicht- formale Energie aus ihrer zentralen Quelle schießt. Die innere Arbeit muss folglich notwendigerweise mit
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Unterbrechungen vor sich gehen und entspricht hierin dem Gesetz der Wechselseitigkeit, welches die ganze Schöpfung beherrscht (Tag und Nacht, Sommer und Winter, Ausatmen und Einatmen etc.) Es handelt sich auch nicht darum, unsere ganze Vitalenergie vor der erscheinungsmäßigen Desintegration bewahren zu wollen. Unaufhörlich an die Möglichkeit eines Energieverlustes zu denken, hieße in den beängstigenden Irrtum des als „Pflicht" aufgefassten Strebens zum „Heil" zurückfallen. Das würde wieder zur Verkrampfung und nicht zur Entspannung führen. Nur wenn ich mich um meine mögliche Verkrampfung nicht mehr unnötig kümmere, kann ich mich entspannen. Die Meister des Zen sagen: „Ihr dürft auf keinen Fall den Lauf eures Lebens hindern oder stören." Die innere Arbeit wird im Verlaufe des Lebens vollbracht, stört dieses aber nicht, weil sie mit diesem parallel läuft, nicht in ihm sich vollzieht. Sie beschäftigt sich nicht mit Formen und Modalitäten des Lebens, versucht auch nicht, diese zu verändern. Die Aufmerksamkeit verlässt die Ebene der Formen und begnügt sich damit, sie außer Acht zu lassen. Der Mensch, der im Sinne des Zen an sich arbeitet, wird mehr und mehr seinen Handlungen, Vorstellungen und Gefühlen gegenüber gleichgültig. Denn all dies ist ja gerade das wahre Zahnradgetriebe von Formen, vor dessen Zugriff er seine Energie bewahren will. Ein solcher Mensch kann den ganzen Tag an sich innerlich arbeiten in jener wechselnden Weise, die wir beschrieben haben, ohne daß diese Arbeit auch nur im mindestens geistige „Übungen", willentlich Gegensätze aufstellendes Nachdenken, moralische Verhaltungsmaßregeln oder etwa die Absicht verkörperte, das „Gute" zu tun. Indem er das Sichtbare mit all seinen schönen oder hässlichen Phantasmen außer Acht lässt, häuft er im Unsichtbaren jene energetische Ladung auf, die eines Tages in seinem Innern die ganze „Höhle der Gespenster" sprengen und ihm die wahre Fülle und Erfülltheit seines alltäglichen Lebens offenbaren wird.
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XIII. DER GEHORSAM GEGENÜBER DER NATUR DER DINGE Nach dem Zen besitzt der Mensch die Buddha-Natur. Er ist vollkommen, und nichts fehlt ihm. Doch ist ihm dies nicht bewusst, weil er von der Welt seiner geistigen Vorstellungen in Beschlag genommen wird. Alles geht so vor sich, als ob auf Grund seiner imaginativen Aktivität, welche dualistisch funktioniert, ein Bildschirm zwischen ihm selbst und der Wirklichkeit läge. Das aktive geistige Vorstellungsvermögen ist dem Menschen zu Beginn seines Lebens nützlich, solange das Triebwerk seines Organismus noch nicht fertig entwickelt und solange seine abstrakte Denkfähigkeit noch nicht völlig ausgebildet ist. Während der ersten Epoche seines Daseins stellt sie eine Ergänzung dar, ohne die der Mensch seine begrenzte Grundsituation nicht ertragen könnte. Ist aber das menschliche Triebwerk voll entwickelt, dann bleibt zwar sein Vorstellungsvermögen aus Gründen, auf die wir später eingehen, in bestimmter Hinsicht nützlich, schadet ihm aber im Ganzen gesehen im Laufe der Zeit, da es jene Energieverschwendung im Gefolge hat, ohne welche er diese seine Energie bis zum Kristallisationspunkt der intuitiven nicht-dualistischen Erkenntnis (dem Satori) konzentrieren und steigern könnte. Das Unglück besteht darin, daß der Mensch die Erleichterung, welche ihm sein Vorstellungsvermögen verschaffen kann, für eine wirkliche Verbesserung seiner Grundbefindlichkeit hält. Er hält die augenblickliche Erleichterung seiner Angstzustände für einen Fortschritt in Richtung der endgültigen Aufhebung jener Angst hin. In Wirklichkeit aber bedeutet diese augenblickliche Erleichterung eine fortschreitende Erschwerung seiner Grundsituation, die er sich ja gerade erleichtern möchte. Aber das weiß er nicht und so hängt er einer „Meinung" an, in der die „Überzeugung" von der Nützlichkeit seiner imaginativen Aktivität, dieses Wahren „geistigen Wiederkauens" steckt. Es scheint, als müsste die Erfahrung früher oder später einer so irrigen Annahme ein Ende setzen. Meist ist das aber nicht der Fall. Warum aber glaubt der Mensch überhaupt so fest an die Nützlichkeit seines fieberhaften Tun und Treibens, obwohl ihn die Erfahrung das Gegenteil lehrt? Der Mensch glaubt an die Nützlichkeit seiner rastlosen Unruhe, weil er sich für nichts anderes hält als dieses persönliche „ich", das er in dualistischer Form wahrnimmt. Er weiß nicht, daß es in ihm noch etwas anderes gibt als dieses persönliche und sichtbare „ich", etwas Unsichtbares, das für ihn im Dunklen arbeitet. Während er sich mit seinen von ihm wahrnehmbaren Erscheinungsformen, insbesondere mit seinem geistigen Vorstellungsvermögen
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identifiziert ist er der Annahme, nichts anderes darüber hinaus zu sein. Es spielt sich so ab, als ob er sich sagte: „Wer sollte schon für mich arbeiten außer ich selbst?" Da er kein anderes „Ich-selbst" als das imaginative Denken und die damit verbundenen Gefühle und Handlungen an sich selbst erkennt, greift er auf dieses sein imaginatives Denken zurück, um sich von der Angst zu befreien. Erblickt man nämlich nur ein einziges Rettungsmittel, so glaubt man daran, weil man zwangsläufig daran glauben will. Betrachte ich indes das Leben meines Körpers, so muss ich feststellen, daß sich hier eine ganze Reihe von wunderbaren Vorgängen spontan verwirklicht, gänzlich ohne Hilfe dessen, was ich als mein „Ich" bezeichne. Mein Körper erhält sich auf Grund einer Summe von komplexen Vorgängen, die unser Vorstellungsvermögen in wunderbarer Weise übertreffen. Nach einer Verwundung stellt er sich wieder neu und ganz her. Wieso und durch wen? Ganz von selbst stellt sich bei mir der Begriff eines unermüdlichen und freundlichen Prinzips ein, das mich stetig aus seiner eigenen Initiative heraus in unaufhörlicher Neuschöpfung forterhält. Meine Organe sind spontan in Erscheinung getreten und haben sich spontan entwickelt. Dann ist mein mittelbares dualistisches Erkenntnisvermögen aufgetreten und hat sich auch seinerseits spontan weiterentwickelt. Könnte nicht auch mein unmittelbares, nicht-dualistisches Bewusstsein spontan auftreten? Auf diese Frage antwortet das Zen bejahend. Nach ihm führt die normale spontane Entwicklung des Menschen zum Satori. Das Prinzip arbeitet in mir unaufhörlich auf das Aufbrechen des Satori hin, genauso wie dieses selbe Prinzip in der Tulpenzwiebel auf das Aufspringen der Blüte hinarbeitet. Aber meine imaginative Aktivität steht diesem tiefen inneren Werdegang im Wege, sie vergeudet jene Energie, welche das Prinzip erzeugt und welche sich bis zur Auslösung des Satori aufhäufen könnte. So sagt auch ein alter Meister des Zen: „Wer steht der Verwirklichung im Wege? Nur ich selbst." Es ist mir nicht bewusst, daß mein wesentlichster Wunsch - nämlich aus dem Dualismus und seiner Angst befreit zu werden - in mir selbst durch etwas anderes verwirklicht wird als durch mein persönliches und gesondertes „Ich". Ich habe den Eindruck, auf niemanden als mich selbst zählen zu können. So glaube ich die Verpflichtung in mir zu tragen, etwas zu tun. Ich verfalle in Schrecken, weil ich mir einbilde, allein und von allen verlassen zu sein. Notwendigerweise werde ich dann unruhig und mein unruhiges Tun hebt jeweils den Gewinn der unsichtbar in meiner Tiefe wirkenden Kräfte wieder auf. Im Zen wird dies folgendermaßen ausgedrückt: „Die Menschen wissen nicht, wie nahe die Wahrheit liegt und darum suchen sie sie in der Ferne... Wie schade!" Diese Art, das spontane Wirken der Tiefenschicht zu stören, ist das Ergebnis mechanischer Reflexe. Diese Reflexe werden automatisch ausgelöst, wenn ich meinem unsichtbaren Prinzip und seiner befreienden Tätigkeit nicht vertraue. Mit anderen Worten, das spontane Werden in meiner Tiefe macht in mir jedes Mal dann Fortschritte, wenn ich mich meinem Prinzip und der steten
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Spontanität seines befreienden Wirkens anvertraue. Dieses Vertrauen, dieser Glaube versetzt keine Berge, aber er ermöglicht es, daß die Berge durch das Universelle Prinzip versetzt werden. Mein Teil zur Erreichung des Satori besteht also in der Aktivität meines Vertrauens. Es besteht im Fassen des gegenwärtig hier und jetzt wirkenden Gedankens, daß mein höchstes Gut im Begriff ist, auf spontane Weise verwirklicht zu werden. Es wird deutlich, inwieweit das Zen ein quietistisches Denken ist und inwieweit nicht. Es ist quietistisch insofern, als es sagt: „Ihr braucht euch nicht zu befreien." Es ist aber nicht quietistisch, indem wir zwar nicht direkt an unserer Befreiung arbeiten können, aber dazu beitragen müssen, indem wir unsere Aufmerksamkeit willentlich auf das befreiende Werden in unserer Tiefe richten. Allerdings ist dies in keiner Weise ein Denken, das uns naturgemäß gegeben ist. Die äußere Welt trägt fortgesetzt dazu bei, uns glauben zu lassen, daß unser wirkliches Heil in irgendeinem formalen Erfolg bestünde, welcher all unsere Unruhe rechtfertigt. Die Außenwelt zerstreut uns, das heißt sie nimmt unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Eine intensive und geduldige Gedankenarbeit ist daher nötig, um mit unserem befreienden Prinzip zusammenzuwirken. Ist unser Verständnis soweit gediehen, so müssen wir uns noch auf eine Falle gefasst machen. Wir könnten leicht des Glaubens sein, daß unsere Aufmerksamkeit das Leben selbst vernachlässigen müsse. Wir könnten der Meinung verfallen, es für gut zu heißen, im wirklichen Leben wie Schlafwandler einherzugehen, mit der „fixen Idee" in unserm Oberflächen Bewusstsein, daß ja das Urprinzip in uns arbeite. Eine solche Einstellung führt indes nur zu geistiger Verwirrung. Man muss anders vorgehen. In Momenten, wo die äußeren und inneren Bedingungen günstig sind, bemühen wir uns um das Verständnis unserer spontanen Befreiung, denken wir gründlich und so konkret wie möglich an das grenzenlose Wunder, das sich in uns vollzieht und eines Tages all unsere Ängste, all unsere Gier beseitigen wird. In solchen Augenblicken legen wir Samenkorn um Samenkorn in das Saatfeld unseres Vertrauens. Langsam gelingt es uns, dieses bisher schlafende Vertrauen, diesen Glauben zu erwecken, welcher von Hoffnung und Liebe begleitet ist. Und dann, wenn wir zum Leben zurückkehren, leben wir weiter wie gewöhnlich. Weil wir wenigstens einen Augenblick lang in richtiger Weise gedacht haben, bleibt ein Teil unserer Aufmerksamkeit an dieser Ebene des Denkens haften, obwohl diese Ebene dann in die Tiefen unseres Inneren zurücktritt und unsichtbar wird. Ein Teil unserer Aufmerksamkeit bleibt hier zurück, während alles übrige sich zum gewohnten Denken wendet. Ein Mann, der eine Frau geliebt hat oder aber im Begriff ist, ein Werk auszuführen, versteht, was wir hiermit sagen wollen. Solange dieser Mann seinen üblichen Beschäftigungen nachgeht, kann es vorkommen, daß er mit seinem Bewusstsein nicht mehr bei der Frau ist, die er liebt, fast, als ob er sie vergessen hatte. Kehrt sein Denken, aber zu dem beglückenden Bild zurück, dann weiß er, daß es ihm nie völlig
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entschwunden war, daß er dieser Frau in der Tiefenschicht seines Bewusstseins wie in einer „Verdoppelung" immer nahe geblieben war. Handelt es sich um die Teilnahme an unserer Befreiung, so wird diese „Verdoppelung" nicht umsonst gegeben. Wir müssen sie durch besondere Überlegungsvorgänge gewinnen und zwar außerhalb unseres üblichen praktischen Lebens. Trotzdem sind es nicht die dazu nötigen Momente, die wirklich zählen. Was tatsächlich wirkkräftig ist, ereignet sich, wenn wir uns wieder in unserem Alltagsleben befinden und wenn unser Glaube, schon mehr oder weniger erweckt und wachsam auf der Ebene des unterirdischen Bewusstseins, einen Teil unserer Aufmerksamkeit und damit einen Teil unserer Energie der Außenwelt siegreich abringt. In dem Maße, wie diese zweite unterirdische Aufmerksamkeit sich entwickelt, haben wir ein weniger stark zwingendes Interesse an den Erscheinungen der Außenwelt. Unserer Furcht und unserer Sehnsucht ist die Spitze abgebrochen. Wir lernen allmählich, abwartend und aktionslos unserer Innenwelt gegenüber zu werden und sind so in der Lage, die Lehre des Zen zu verwirklichen, welche heißt: „Lasset los, lasset die Dinge wie sie einmal sind ... Gehorchet der Natur der Dinge und ihr werdet mit dem Wege im Einklang stehen." Beachten wir, daß der Durchschnittsmensch manchmal das richtige, abwartende und nicht-handelnde Verhalten an den Tag legt, und zwar im tiefen Schlaf. Hier hört er auf, sich zu beunruhigen unter dem Vorwand, zu seinem Besten zu handeln. Hier lischt er aus, hier "lässt er los" und hier „belässt er die Dinge, wie sie nun einmal sind". Hier überlässt er sich seinem Prinzip und lässt es handeln, ohne selbst dazwischenzutreten. Weil der Mensch in diesem Zustand sich völlig handlungsfrei verhält, hat der Schlaf eine so wunderbare, neu belebende Wirkung auf ihn. Aber der schlafende Mensch verhält sich nur so weise dank einer Art Ohnmachtszustand seines Geistes. Der ich-bezogene unheilvolle Vorstellungsablauf ist nur unterbrochen, weil auch der auf die wirkliche, gegenwärtige Außenwelt abgestimmte Vorstellungsablauf unterbrochen ist. Der verhängnisvolle Teil des mentalen Bereiches ist nur unterbrochen, weil auch der gesunde Teil dieses selben Bereiches (jener, welcher die gegenwärtigen Dinge direkt wahrnimmt) unterbrochen ist. Aus diesem Grund kann der Schlaf nicht zur Verwirklichung führen. Wir können jedoch weise werden, ohne das die Ganzheit unseres mentalen Bereiches unterbrochen wird. Jeder Fortschritt auf der Ebene unseres Glaubens in das befreiende Prinzip schwächt unseren ich-bezogenen Vorstellungsablauf ab, ohne indes den auf die wirkliche Gegenwart abgestimmten Vorstellungsablauf zu vermindern. Das Vorhandensein und Wachsen unseres Glaubens bringt von sich aus eine Unterscheidung unserer beiden verschiedenen Vorstellungsabläufe mit sich. So gehen wir allmählich einem Zustand entgegen, wo sich Tiefschlaf und Wachen versöhnen. Und diese erstaunliche Versöhnung, dies sei betont -, stellt sich ganz von selbst her. Unsere inneren Manipulationen haben keinerlei Macht, auch nur die geringste wirkliche Harmonie in uns herzustellen. Aber es genügt richtig, oder besser gesagt, nicht mehr falsch zu
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denken, damit unser Prinzip in uns wirksam wird, denn dieses ist allein befähigt zur Vollbringung dieses großen Werkes. Um das Vorhergehende besser zu verstehen, bedienen wir uns einer symbolischen Erläuterung. Der Mensch ist in seinem Entwicklungsgang etwa einem Gummitier vergleichbar, das die Kinder zum Spielen aufblasen. Bei seiner Geburt ist der Mensch wie ein wenig angeschwollenes Gummitier, ohne besondere formale Kennzeichen, eine kleine kugelförmige Masse. Dann bläst das Prinzip das „Gummitier" auf und es nimmt an Umfang zu. Zugleich entfernt sich seine Form immer mehr von der einfachen Kugelform. Erhebungen und Vertiefungen treten auf und es bildet sich eine Gestalt, deren Struktur in ihren Einzelheiten einen einmalig besonderen Charakter trägt. Diese Entwicklung entspricht eben dem, was wir unter „Charakter", „Persönlichkeit" und all dem verstehen, worin ich „ich" und kein anderer bin. Das entspricht der Entwicklung des menschlichen Triebwerks, seinem Körper und seiner Psyche. Wenn die Unwissenheit des Menschen diese normale Entwicklung nicht stören würde, träte folgendes ein. Das „Gummitier" ist in dem Augenblick, wo das menschliche Triebwerk sich voll entwickelt hat (etwa zur Zeit der Pubertät, wenn der somatische Organismus durch das Auftreten der Sexualfunktion vollendet und der psychische Organismus durch das Auftreten des unparteiischen, abstrakten und verallgemeinernden Denkens vervollständigt ist), ganz angeschwollen und seine Oberfläche besitzt die größtmögliche Ausdehnung. Das Prinzip bläst jedoch weiter hinein und erzeugt so gewissermaßen einen Überdruck. Unter dem Einfluss dieser überstarken Spannung deformiert sich die Oberfläche, die nicht mehr weiter dehnbar ist, um ihre Fassungskraft zu vermehren. Sie entfaltet sich, vermindert ihre Erhebungen und Vertiefungen und nähert sich immer mehr der Kugel, da diese einfache Form der Kugel der größten Fassungskraft einer gegebenen Oberfläche entspricht. Allmählich verlieren sich die Unebenheiten des „Gummitieres". Schließlich ist die vollkommen kugelartige Form erreicht und die Fassungskraft kann nicht mehr erhöht werden. Das Prinzip bläst aber weiter und die Kugel platzt. Im Verlaufe dieser normalen Entwicklung kann man drei Phasen unterscheiden. Der ursprünglich kleinen Kugel, dieser kugelförmigen Masse eines noch nicht aufgeblasenen Gummitiers entspricht jene Phase, die vor der zeitlichen Verwirklichung des Menschen, vor der Entwicklung seines Ego, seiner Persönlichkeit liegt. Man kann sagen, daß das Kleinkind noch in diesem kugelförmigen Zustand sich befindet. Die zweite Phase, diejenige der ausentwickelten Persönlichkeit, entspricht der mit persönlichen, komplexen Sonderformen ausgestatteten Gestalt des Gummitieres. In der dritten Phase, welche dem endgültigen Zerplatzen vorausgeht werden die Unregelmäßigkeiten geringer, die Persönlichkeit wird verwischt in dem Maße, wie das Denken eine universelle Stufe erreicht oder besser gesagt inwieweit es sich aus seiner Begrenztheit löst und von der Starrheit seiner persönlichen Gesichtspunkte Abstand nimmt. Der Mensch kehrt zu seiner ursprünglichen Kugelform zurück,
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aber diesmal jenseits seiner zeitlichen Verwirklichung. Diese letztere Phase gleicht somit der ersteren, obwohl sie gewissermaßen in entgegengesetzter Richtung verläuft, (man denke an die Worte Jesu: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht wie die Kinder werdet, könnt ihr in das Reich Gottes nicht eingehen.") Beachten wir, daß diese dritte Phase uns notwendigerweise zugleich wie ein Fortschritt und wie ein Rückschritt anmutet: Vom universellen Standpunkt aus ist sie ein Fortschritt, da das „Gummitier" sein Fassungsvermögen erhöht und sich dem Zerplatzen nähert, das es mit der riesenhaften kosmischen Sphäre eins werden lässt. Vom Gesichtspunkt der Sonderformen her gesehen aber ist sie ein Rückschritt: das, was einen solchen Menschen von den anderer, unterschied, wird immer geringer; er wird mehr und mehr zum Durchschnittsmenschen. Seine Umrisse verwischen sich. Der „alte" Mensch verkümmert und stirbt in dem Maße dahin, wie mit dem Aufplatzen des „Gummitieres" sich die Geburt des „neuen Menschen" ankündigt. (So kann man das Wort Johannes' des Täufers verstehen: „Bereitet den Weg des Herrn. Ebnet seine Pfade. Alle Täler werden zugeschüttet werden, jeder Berg und jeder Hügel wird eingeebnet werden.") Das Ende der dritten Phase, nämlich das Platzen des „Gummitieres", ist die Explosion des Satori, jener Augenblick, wo jede Begrenzung verschwindet und der Mensch sieh mit dem All vereint. Wir haben gesagt, daß die Unwissenheit des Menschen dieser normalen Entwicklung entgegensteht. Tatsächlich sieht der Mensch ohne besonderen Hinweis darauf keine Wirklichkeit im Gehalt seines „Gummitieres", er misst einzig der Oberfläche und den besonderen Formen dieser Oberfläche unbestreitbaren Wert bei. In seiner Unwissenheit drückt sich sein Daseinswille nur in dem Willen aus, ein „gesondertes Einzelindividuum" zu sein. Dieses unwissende „Gummitier" weigert sich dagegen, sein unterscheidendes Relief vermindert zu sehen. Es versteift sich darauf, eine besondere Form zu sein und wehrt sich gegen die Möglichkeit seiner eigenen Entfaltung, welche sein Fassungsvermögen vergrößern könnte und es der Kugelform annähern würde. Da die übergroße Spannung sich nicht auf normale Weise entladen kann, muss sie sich auf andere Weise lösen. Hier tritt dann die Gefühls- und vorstellungsbestimmte Aktivität des Menschen auf, welche einer Art Sicherheitsventil gleicht, mittels dessen der Überdruck entweicht, den das unaufhörliche Blasen des Prinzips hervorruft. Dieser Vorgang entspricht der Energievergeudung, von der wir gesprochen haben, statt das diese Energie sich für eine spätere Explosion zentriert. Jeder Mensch, der sich selbst beobachtet, muss feststellen daß er sich dauernd mehr oder minder in einer inneren „Über-Spannung" befindet. Das merkt er an der unruhigen Bewegtheit seiner jeweiligen Gefühlsverfassung. Gleichgültig, ob diese positiv oder negativ, exaltiert oder depressiv ist, jedenfalls entsprechen die verschiedenen Gemütsverfassungen dem unbewussten Widerstand seiner selbst gegen die Entfaltung und Ausdehnung seiner „persönlichen Form". Aber wenn es auch leicht ist, die innere Beziehung zwischen unserer „Über-Spannung" und
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unserer konkreten Psychologie zu sehen, so ist es doch weniger leicht zu erkennen, worin die normale innere Entspannung dieser Spannung besteht. Diese Entspannung kommt zustande in dem Augenblick, wo mir meine Spannung bewusst wird und ich die jeweiligen Umstände außer Acht lasse, anlässlich derer sie aufgetreten ist; meine Entspannung kommt in dem Augenblick zustande, wo ich die Spannung innerlich annehme. In dem Maße, wie ich aus meiner Unwissenheit heraustrete, in dem Maße, wie ich begriffen habe, daß die Wirklichkeit keineswegs in den äußeren Formen, welche den Gegenstand meiner Furcht und meiner Wünsche bilden, sondern in dem vitalen Hochspannungsdruck selbst liegt, verlässt meine Aufmerksamkeit die Formenwelt und wendet sich hinzu ihrem Zentrum, ihrer Quelle, zu jenem Punkt, wo die vitale Lebensspannung entsteht. Dazu bin ich imstande, wenn ich begriffen habe, daß mein Prinzip mich zu meiner wahren Erfüllung hinführt und ich mir diesbezüglich keine Sorgen zu machen brauche. Einen Moment lang hört dann meine gefühlsbestimmte und vorstellungsmäßige Aktivität auf und ich fühle, daß meine Uber-Spannung nachlässt. Das ist alles, was ich empfinde, aber ich weiß im Übrigen, daß der Inhalt meines „Gummitieres" sich etwas vergrößert durch eine Vereinfachung seiner Form. Natürlich ist die Aufgeschlossenheit für dieses verwirklichende „Glätten der Falten" vorübergehend, augenblicksbedingt, und so ist es nötig, das „Loslassen" mit Ausdauer und so oft es nötig ist, immer von neuem zu wiederholen. Der Vergleich, den wir angewandt haben, hinkt wie jeder Vergleich. Doch kann er uns dazu verhelfen, die Art und Weise unseres normalen Wachstums und insbesondere die wesentliche Tatsache zu verstehen, daß dies Wachstum sich von selbst bis zu einem gewissen Grad der Vollendung entwickelt. Vertrauen wir darauf, so hören wir auf, uns mit unserer inneren Unruhe und aller möglichen inneren Manipulationen dagegen zu stemmen. Kommen wir auf den Gedanken zurück, daß es dem Menschen im Zustand der Unwissenheit an Glauben mangelt und folglich auch Hoffnung und Liebe ihm fehlen. Wir werden zeigen, daß. solange dieser Glaube mangelt, alles beim Menschen in einer dem Normalen entgegengesetzten Richtung verläuft. Die normale Richtung geht von oben nach unten: wenn der Mensch aus der Unwissenheit tritt, erwacht seine Erkenntnis (die von Ewigkeit her vorhanden war, aber unbewusst in ihm schlief) in seinem geistigen Zentrum. Bei den „drei theologischen Tugenden" steht der Glaube, das Vertrauen an erster Stelle, das ist das intuitive Erfassen des Absoluten Prinzips und die Gewissheit, daß es „mein" Prinzip ist. Die Erweckung des Glaubens zieht die Erweckung der Hoffnung nach sich. Nichts ist mehr zu befürchten, alles zu hoffen, da doch das Absolute Prinzip „mein" Prinzip ist. So tritt das, was in meinem geistigen Zentrum begonnen hat, auch in das Gefühlszentrum. Schließlich bringt die Erweckung des Glaubens und der Hoffnung auch das Erwachen der Liebe mit sich. Zu Unrecht wird die Liebe häufig als Gefühl betrachtet, als gefühlsmäßige Anbetung. Sie ist in Wirklichkeit Begehren, Verlangen unserer ganzen Person nach einer Existenz, welche die
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dunklen Schreckbilder unseres Dualismus nicht mehr beschatten. Sie ist das dauernde Verlangen nach allen Aspekten des Daseins. So gelangt das, was im geistigen Zentrum begonnen und sich im Gefühlszentrum fortgesetzt hat, in das animalische oder instinktive Zentrum. Was im Kopf begonnen hat, ist über das Herz in die Lenden herabgestiegen. Solange der Mensch sich im Zustand der Unwissenheit befindet, ist die Aufeinanderfolge eine umgekehrte. Es fängt bei ihm mit der Daseinslust an, mit dem Wunsch, sich als Einzelwesen zu bestätigen, mit dem Wunsch nach nur positiven Aspekten des Daseins. Das natürliche Erwachen des Existenzwillens bringt das Erwachen aller möglichen „Erwartungen" mit sich (welche das Gegenteil der wirklichen Hoffnung sind), Erwartungen auf diesen oder jenen Erfolg auf der Ebene der Erscheinungen. Das, was im animalischen Zentrum begann, greift über auf das Gefühlszentrum. Schließlich hat das Erwachen, des Existenzwillens und der Erwartungen das Auftreten von „Meinungen" im Gefolge (die dem Glauben entgegengesetzt sind), welche die falschen Werte, die Ziele derer die Erwartungen bedürfen, und die nötigen Idolvorstellungen erwecken, die nötig sind, um den inneren Aufschwung aus der Tiefe des eigenen Wesens zu polarisieren. Das, was seinen Anfang im animalischen Zentrum nahm, dann in das Gefühlszentrum einging, gelangt so zum intellektuellen Zentrum. Das, was in den Lenden seinen Ausgang nahm, ist zum Herzen hinauf und schließlich zum Kopf gestiegen. Man sieht den völligen Gegensatz zwischen diesen beiden „Richtungen" des menschlichen Lebens. Die „natürliche" Richtung verläuft von unten nach oben: Verlangen nach positiven Lebensaspekten, Erwartungen und schließlich Meinungen. Die „normale" Richtung geht von oben nach unten: Glaube. Hoffnung und schließlich Liebe oder Verlangen nach allen Aspekten der menschlichen Existenz. Nur die „natürliche" Richtung herrscht zu Beginn des Lebens. Die Verwirklichung besteht aber im Erscheinen der „normalen" Richtung und ihres endgültigen Sieges. Der endgültige Sieg ist das Satori. Vor dem Satori muss die normale" Richtung im Gegensatz zur gegenwärtigen, „natürlichen" Richtung erscheinen und immer mehr auf Kosten dieser „natürlichen" Richtung wirken. („Es ist nötig, daß er wachse und ich selbst kleiner werde.") Bei der Beschäftigung mit der Frage der Verwirklichung stoßen wir immer wieder auf alle möglichen scheinbaren Widersprüche. So heißt es auch im Evangelium: „Derjenige, welcher sein Leben verliert, wird es gewinnen." Aber diese Widersprüche stören uns nicht mehr, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß zwei Lebensströme in uns sind. Der eine naturgegebene, „natürliche", der von unten nach oben steigt, und der andere „normale", der uns durchaus erreichbar ist und von oben nach unten strebt. Das „natürliche Leben" kann auch als Leben des "alten Menschen", das „normale Leben" als „Leben des neuen Menschen" bezeichnet werden. („Man muss sterben um wiedergeboren zu werden.")
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Der neue Strom muss in Erscheinung treten, während der alte natürliche Strom noch wirksam ist. Der neue Strom beginnt da, wo der natürliche Strom endet, das heißt im intellektuellen Zentrum. Das Leben des neuen Menschen geht von der "Freien Intelligenz" aus, vom reinen Denken, von der geistigen Intuition, die dem Einfluss des Gefühlslebens nicht unterworfen ist. Die Arbeit der Freien Intelligenz zerstört allmählich alle „Meinungen" und „Überzeugungen", welche die natürliche, von unten nach oben steigende Strömung polarisieren und ohne die dieser Strom überhaupt nicht entstehen könnte. Im Maße, wie der Mensch „aufhört an seinen Meinungen zu hängen", wie es im Zen heißt, gebietet er kategorisch diesen natürlichen Strom in sich Einhalt. Dann wächst sein Glauben an das Urprinzip in eben dem Maße, in dem seine illusorischen Überzeugungen an Kraft verlieren. Aber auf der Ebene des Gefühlslebens können wir diese umgekehrte Entwicklung besonders gut beobachten. Hier können wir noch besser den Sinn des Zen Begriffes "Loslassen" verstehen. Ebenso wie der Glaube, der seit Urbeginn, wenn auch schlafend in uns vorhanden war, in dem Maße erweckt wird, in dem die „Meinungen" verschwinden, ebenso erwacht die Hoffnung, welche ebenfalls seit Urbeginn, wenn auch schlafend, in uns ruht, in dem Maße, in dem die „Erwartungen" als Gesamtheit zerstört werden. Der „Sonnenaufgang" des neuen Lebens ist der „Sonnenuntergang" des alten. Das Satori kann vom „alten Menschen" nur als das schrecklichste aller Dinge betrachtet werden. Beobachte ich mich, so stelle ich fest, daß ich instinktiv darum kämpfe. Erfolg zu haben. Ob meine Unternehmungen egoistischer Natur (Geld verdienen, genießen, mich bewundern lassen etc.) oder altruistisch gedacht sind (andern zu helfen, „besser" zu werden, meine „Fehler" auszurotten), instinktiv kämpfe ich unaufhörlich darum, mein Unterfangen zu gutem Ende zu führen, somit kämpfe ich unaufhörlich darum, mich „aufzuschwingen". Alles in mir ist in dauernder Anspannung, damit ich endlich „hochkomme". Ich bin wie ein Vogel, der dauernd seine Flügel benutzt, um hochzufliegen, oder um gegen einen absteigenden Wind anzukämpfen, der ihn zu Boden drücken möchte. Ich verhalte mich so, als ob meine „Erwartungen" berechtigt wären, als ob das wahre Gut, dessen ich bedarf, (die Verwirklichung, das Satori) in der Erfüllung meiner Erwartungen beruhen würde. Richtig ist aber genau das Gegenteil. Meine .Erwartungen" betrügen mich, sie gehören einem infernalen circulus viciosus an, in dem ich kostbare Kräfte vergeude. All mein Ringen, hochzukommen, alle anderen Menschen möglichst zu überragen, ist nur unbewusster Widerstand gegen jene spontane glückliche Verwandlung, die mein Prinzip jederzeit bereit ist, in mir zu verwirklichen. Die vollkommene Glückseligkeit erwartet mich nicht oben, sondern unten. Sie erwartet mich nicht in dem, was ich augenblicklich noch als Sieg betrachte, sondern in dem, was mir jetzt noch als Unheil erscheint. Meine vollkommene Freude erwartet mich nach der totalen Zerstörung meiner Erwartungen.
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Man muss sich natürlich klar machen, daß jenes totale Unheil, an dessen Grunde uns das Satori erwartet, nicht notwendigerweise mit einem äußeren, praktischen Unheil identisch ist. Das Unheil, das uns der Verwirklichung nahebringt, das „Satori-Unheil", beruht in der Einsicht, in der intuitiven Erkenntnis von der völligen Widersinnigkeit unseres „natürlichen" Stromes, der nach aufwärts steigt, somit in der klaren Erkenntnis des Nichts, welches am Ende unserer Erwartungen steht. Die Verzweiflung, welche uns der Verwirklichung nahebringt, besteht nicht im praktischen Scheitern von Erwartungen, die dann ja noch weiter in uns fortbestehen könnten (das führt zum Selbstmord, nicht zum Satori), sondern in der Überwindung der Erwartungen selbst. Der Mensen, den man gemeinhin als „verzweifelt" bezeichnet, ist nämlich gar nicht verzweifelt. Er ist vielmehr von Erwartungen erfüllt, denen die Welt ein Nein entgegensetzt, und deshalb ist er unglücklich. Der Mensch hingegen, dem es gelungen ist, wirklich verzweifelt zu sein, das heißt nichts mehr von der Welt der Erscheinungen zu erwarten, ist von der vollkommenen Freude erfüllt, der er sich endlich nicht mehr widersetzt. Praktisch kann ich auf folgende Weise hinsichtlich der Zerstörung meiner widersinnigen und kläglichen „Erwartungen" Fortschritte machen. Ich brauche nichts zu tun, um das Scheitern meiner Unternehmungen in Gang zu setzen, ich brauche nicht zu hoffen, endlich meinen Ruin zu erleben statt darauf zu hoffen, mich zu bereichern. Solche Versuche würden zu nichts führen. Im Gegenteil, ich lebe mein Instinkt- und Gefühlsleben weiter wie bisher. Nur mein Verständnis, welches nun für die Wirklichkeit der Dinge aufgeschlossen ist, soll parallel neben meinem übrigen Leben tätig sein. Jedes Mal, wo ich darunter leide, daß meine Erwartungen auf Widerstand der Welt stoßen, erinnere ich mich daran, daß meine früheren „Erfolge" mir ja auch nie jene absolute Erfüllung gebracht haben, die ich von ihnen erwartet hatte. Alles, was mir in einen Oberflächen Bewusstsein, manchmal sogar in intensivster Weise als Genugtuung erschienen war, hatte sich in der Tiefe meines Wesens, das heißt, in Wirklichkeit, ja stets als Enttäuschung erwiesen. Gestärkt durch diese richtige Deutung meiner trügerischen „Erfolge" kann ich nun in richtiger Weise an etwaige neue Erfolge denken, die mir erstrebenswert erscheinen: ich kann mir ihre konkrete Verwirklichung vorstellen, um von neuem ihre Nichtigkeit schon im Voraus zu erfühlen. Die „schlechten Momente", die Augenblicke der Angst, sind dieser inneren Arbeit besonders zuträglich. Das Leiden, welches von meinem Gesamtorganismus empfunden wird, schränkt jene Illusionen ein, welche das Satori an den entgegengesetzten Punkt, wo es uns wirklich erwartet, verlegen. Vorausgesetzt, daß unsere wesentlichen früheren Erwartungen in der Vergangenheit mehr oder weniger erfüllt wurden, ist unsere jeweilige neue Erwartung, die uns immer wieder in die Illusionen stürzen möchte, umso leichter zu zerstören, je mehr sie dem Widerstand der Außenwelt begegnet. Ich kann leichter „loslassen", wenn meine Muskeln bereits müde sind. Das Zen sagt: „Das Satori kommt über euch von ungefähr, dann, wenn ihr alle in euch liegenden Möglichkeiten erschöpft habt." Das eben Gesagte soll indes keineswegs etwa als masochistisches Verlangen nach Angst verstanden werden.
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Der Mensch, der im Sinne des Zen arbeitet, liebt nicht das Leiden. Aber er ist damit einverstanden, das Leid über ihn kommt, was keineswegs dasselbe ist; denn diese Momente helfen ihm innerlich dazu „loszulassen", sie verhelfen ihm zu jener inneren Bewegungslosigkeit und Stille, zu jener diskreten Haltung seinem eigenen Innern gegenüber, dank deren das aktive Wirken des Prinzips in der Tiefe seines Wesens ihn seiner Verwirklichung immer naher bringt. Man sieht, wie sehr die Lehren der „stufenweisen" Verwirklichung, welche dem Menschen eine aufsteigende Hierarchie seiner Bewusstseinsbefindlichkeiten predigen und den vollkommenen Menschen mehr oder minder als einen „Übermenschen" hinstellen, der Wahrheit den Rücken kehren und sich nur darauf beschränken, die Form unserer „Erwartungen" zu verändern. Das Zen hingegen ermuntert uns zu einer Arbeit, die, abgesehen vom Satori selbst, uns nur wie ein Absteigen erscheinen kann. In einer Hinsicht wird alles allmählich immer schlechter, bis zu dem Augenblick, wo ein Tiefpunkt erreicht ist und es nicht noch schlechter gehen kann, wo aber alles erlangt wird, weil alles verloren ist. Wir haben keinerlei Vorstellung von der Verwandlung, die das Satori bewirkt. Wir laufen Gefahr, uns einer neuen Illusion hinzugeben, wenn wir uns irgendwelche Vorstellungen darüber machen. Von dem Punkt aus, an dem wir uns jetzt befinden, können wir die richtige Entwicklung uns nur als fortschreitende ZenTötung all dessen denken, was wir „Erfolg" nennen. Wir können den verwirklichten Menschen nur als einen Menschen betrachten, der „in absoluter Weise ganz durchschnittlich" geworden ist. Nur derjenige, der das Satori erreicht hat, kann sagen: „Ein irrender Hund, der um Nahrung und Mitleid bettelte und der von Straßenkindern unbarmherzig verjagt wurde, ist zum Löwen mit goldener Mähne geworden, dessen Brüllen alle schwachen Geister mit Entsetzen erfüllt''
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XIV. GEFÜHLSERREGUNG UND ERREGUNGSZUSTAND Bei der Untersuchung der Erregbarkeit des Gefühls pflegt die klassische Psychologie eine für die innere Entwicklung des Menschen äußerst wichtige Unterscheidung zu übersehen. Zwar beschreib: sie genau jene „Seelenbewegung", die bei einem Reiz aus der Außenwelt als Antwort auf ein bewusst wahrgenommenes Bild entsteht, z. B. Regungen des Zornes, der Liebe, der Reue usw. Doch das Spiel unserer Gefühlserregbarkeit beschränkt sich nicht allein hierauf. Oftmals fühle ich das Vorhandensein eines fortdauernden Erregungs-„Zustandes", der, wie ich eindeutig erkennen kann, nicht von den Bildern, die mir gerade vorschweben, ausgelöst wird. Z. B. kann ich mehr oder weniger „verstimmt" sein und dabei gleichzeitig an tausenderlei harmlose Dinge denken. Wenn ich nun anfange zu suchen, auf Grund welcher Vorstellungen ich in diesen Zustand geraten bin, so kann es vorkommen, daß ich nichts finde, Manchmal finde ich auch unter den Gedankenassoziationen der Oberflächenschicht meines Bewusstseins den Kummer, der meine düstere Verfassung auslöst. Solange ich nicht „daran dachte", ruhte dieser Kummer bewegungslos in meinem Innern („fixe Idee"), und löste einen andauernden, gleichsam bewegungslosen Erregungszustand aus. Jetzt, da ich an meinen Kummer denke, d. h., da ich im Zusammenhang mit ihm einen Vorstellungsablauf wachrufe, entstehen Gefühlsbewegungen In mir gleich jenen, von denen wir anfangs sprachen. Doch fühle ich unter jenen Bewegungen den bewegungslosen Erregungs-"Zustand" fortdauern und empfinde, daß dieser Zustand in einer bestimmten Beziehung zu dem Kummer gestanden hat, den ich bis in die Oberflächenschicht meines Bewusstseins empor geführt habe. Die innere Erfahrung zeigt mir also, daß unter der dynamischen eine statische Gefühlserregung vorhanden ist. Wie aber sollen wir diese letztere verstehen? Schon die Benennung scheint paradox: da eine „Erregung" doch stets „Bewegung" in sich schließt - wie kann da von „statischer" Bewegung gesprochen werden? Um diesen Widerspruch aufzuheben und um zu zeigen, wie der gefühlsmäßige Erregungs-„Zustand" gleichzeitig Bewegung und Bewegungslosigkeit sein kann, genügt es, die »Bewegungen der Seele", die wir Gefühlserregungen nennen, den Bewegungen des Körpers, d. h. dem Spiel der Muskeln zu vergleichen. Ein Muskel kann sich bekanntlich sowohl zu einer dynamischen Anspannung als auch zu einer statischen Verkrampfung zusammenziehen. Gefühlserregungen, die mit bewussten Vorstellungen in Verbindung stehen, sind psychische Anspannungen, während der Erregungszustand, der mit unterbewussten Vorstellungen zusammenhängt, eine psychische Verkrampfung darstellt. Um das Verständnis der eben aufgestellten
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Unterscheidung zu erleichtern, haben wir diese zunächst nur mit annähernder Genauigkeit ausgedrückt. Jetzt können wir jedoch präziser werden. Das Phänomen der „Gefühlserregung" ist Ausdruck einer Art Kurzschluss zwischen dem psychischen und dem somatischen Pol unseres Organismus. Man darf also bei der Gefühlserregbarkeit nicht von rein „psychischer" Anspannung (bzw. Verkrampfung) sprechen, sondern von einer Anspannung (bzw. Verkrampfung) des psycho-somatischen Gesamtorganismus. Der Sitz der Gefühlserregbarkeit befindet sich genau zwischen dem der intellektuellen (bzw. psychischen oder subtilen) Kräfte und dem des instinktiven (bzw. somatischen oder stofflichen) Lebens. Wenn wir daher anfangs von Gefühlserregungen bzw. von einem Erregungszustand sprachen, die durch Bilder, d. h. durch psychische, subtile Reizeinwirkungen ausgelöst werden, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß unsere Erregbarkeit ebenso gut durch stoffliche, somatische Einwirkungen ausgelöst werden kann. Ein körperliches Übelbefinden z. B. kann die auslösende Ursache meiner „Verstimmung", d. h. der affektiven Verkrampfung meines psychosomatischen Organismus sein. Mag die auslösende Ursache seelischer oder körperlicher Natur gewesen sein, die ausgelöste Verkrampfung zieht immer sowohl Seele als auch Körper in Mitleidenschaft, so daß also stets irgendeine Muskelverkrampfung (der glatten oder auch der Streifenmuskulatur) meine an einem unter bewussten Bild haftende psychische Verkrampfung begleitet, und umgekehrt. Kehren wir nun zu dem Gedanken zurück, daß die Gefühlserregbarkeit im allgemeinen einen energetischen Kurzschluss zwischen dem intellektuellen und dem instinktiven Pol erkennen lässt, und fragen wir uns, wie sich von diesem Gesichtspunkt aus die dynamische Gefühlserregung (von nun an werden wir kurz „Gefühlserregung" sagen) von dem statischen Erregungszustand (oder kurz „Erregungszustand") unterscheidet. Zu einem Vergleich aus der Elektrizität greifend, könnte man sagen, daß die Gefühlserregung einen die beiden Pole verbindenden Funken darstellt. Dieser Funke kann zwar eine gewisse Dauer aufweisen, doch ist er keineswegs statisch: Der Kontakt, den er zwischen den zwei voneinander getrennten Polen herstellt, befindet sich gewissermaßen in ständigem Umbruch, besitzt also sozusagen einen mobilen Charakter. Der Funke bewegt sich nicht nur von einem Pol zum andern, sondern auch nach den Seiten. Hingegen kann der Erregungszustand einem direkten Energieübergang verglichen werden, der dann zwischen den beiden Polen entsteht, wenn diese sich auf einer mehr oder weniger ausgedehnten Fläche unmittelbar berühren. Dieser Vergleich macht schon einen der Faktoren sichtbar, die dem Erregungszustand eine größere Gefährlichkeit verleihen als der Gefühlserregung. Diese da in Bewegung, ist sichtbar, ist bewusst; der Träger wird durch seine innere Sensibilität von ihr in Kenntnis gesetzt. Daher treten sofort verschiedene Abwehrmechanismen in Tätigkeit, denen es vielleicht gelingt, den energieverzehrenden Kurzschluss abzuschwächen und schließlich zu unterbrechen. Der Erregungszustand hingegen appelliert nicht so rasch an die Abwehrmedianismen, sondern erst verspätet, wenn seine schädlichen Folgen
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bereits in Erscheinung getreten sind. Die Abwehrprozesse, die dann notwendig werden, haben einen sehr unangenehmen Aspekt: sie sind „neurotisch" (in weitesten Sinne des Wortes), d.h. sie schwächen den Kontakt zwischen den Polen durch eine gewisse Zerstörung der Pole selbst. Die Gefühlserregung ist auch einer sichtbaren Blutung vergleichbar, die den Kranken beunruhigt und zu Heilmaßnahmen anregt; dagegen ähnelt der Erregungszustand einer fortgesetzten, inneren Blutung, die den Kranken schwächt. Dieser wird sich zwar eines Tages auch um seine Heilung kümmern, dann aber wird das Heilverfahren viel schwerer wirksam werden. Diese etwas groben Vergleiche lassen jedoch die wichtigsten Erwägungen außer Acht. Wir haben nämlich bei diesen Vergleichen angenommen, daß der Energieverbrauch im elektrischen Funken dem Energieabbau beim direkten Kontakt der beiden Pole gleichkäme. In Wirklichkeit verhält es sich jedoch anders, und es besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen beiden Erscheinungen. Bei der Gefühlserregung sind beide Pole voneinander entfernt, und der überspringende Funke ist genau genommen kein Kurzschluss. In diesem Funken verbrennt die Energie; sie wird „frei" und produziert etwas Neues. Beim Erregungszustand hingegen berühren sich beide Pole, und es kommt zu einem echten Kurzschluss: die Energie fließt unmittelbar von einem Pol zum andern über. Die Gesamtenergie des Subjektes - eine Energie, die mit dem Spannungsunterschied zwischen den beiden Polen zusammenhängt - wird abgebaut, da der Spannungs- unterschied nachlässt, und sie wird abgebaut, ohne daß etwas anderes dafür aufgebaut würde. Die Gefühlserregung ist ein Teil der Erscheinungswelt, des Lebens, das dem „Sein" Gestalt verleiht, und daher kann sie auch „normal" genannt werden. Der Erregungszustand hingegen hat kein „Leben", er ist zerstörerisch ohne Gegengewichte zu besitzen. Die Energie, die dabei verbraucht wird, kann nicht zur inneren Befreiung verwendet werden. Da er nicht normalisierend wirken kann, sollte er als „anormal" bezeichnet werden. Ein weiterer Vergleich wird helfen, dies alles noch verständlicher zu machen. Stellen wir uns ein waagrecht liegendes, sich drehendes Rad vor, dessen Rotationszentrum nicht mit dem geometrischen Zentrum zusammenfällt; seine Rotationen sind also „exzentrisch". Dieses Rad wird von zwei verschiedenartigen Kräften bewegt: einmal von einer Umdrehungs- oder dynamischen Kraft, zum andern von einer Zentrifugalkraft, die es von seinem Rotationszentrum zu entfernen strebt. Diese nicht in Erscheinung tretende Kraft kann „statisch" genannt werden. Die Rotationsbewegung, die in unserem Beispiel der Gefühlserregung gleichzusetzen ist, ist verwendbar: wenn ich an dem Rad einen Riemen anbringe, wird es imstande sein, Maschinen anzutreiben. Die statische Kraft hingegen, die vergeblich versucht, das Rad aus seinem Rotationszentrum zu schleudern, ist nicht nutzbar. Sie ist ein Abbild der bewegungslosen Verkrampfung des Erregungszustandes. Der Mensch, der absolute Verwirklichung im Satori erlangt, wäre etwa einem Rade vergleichbar, dessen Rotationszentrum mit dem geometrischen Zentrum
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zusammenfällt; solch ein Mensch hätte nur Gefühlserregungen, jedoch keinerlei Erregungszustand mehr. Der Mensch, der Satori noch nicht erlangte, ist unserm aus dem geometrischen Zentrum gerückten Rade vergleichbar. Das Bild des aus seinem Mittelpunkt gerückten Rades ermöglicht es uns, einige wichtige Erscheinungsformen unseres Gefühlsiebens aufzuzeigen. Es vollzieht sich in uns alles, als ob zwischen dem Rotations- und dem geometrischen Zentrum des Rades ein elastisches Band sich befände, das beide Zentren zusammenzubringen sucht. Wenn unser Rad sich langsam dreht, d. h. wenn wir wenig erregt sind, ist die Zentrifugalkraft schwach, und das „Gummiband" kann das Rotationszentrum nahe beim geometrischen Mittelpunkt halten. Doch wenn heftige Gefühlserregungen auftreten, so beginnt das Rad, sich schnell zu drehen. Die Zentrifugalkraft nimmt zu, und trotz des „Gummibandes" entfernt sich das Rotationszentrum von dem geometrischen Mittelpunkt. Dies zeigt uns, wie Gefühlserregungen das Auftreten eines Erregungszustandes bedingen. Wenn ich durch heftige Gefühlserregungen hindurchgegangen bin, fühle ich mich anschließend „ganz außer mir", wie „aus der Bahn geworfen", innerlich „ohne Boden unter den Füßen". Eine gewisse Zeit ist notwendig, ehe das „Gummiband" wieder seine Funktion ausübt und die beiden Zentren einander nähert. Ohne Satori fallen die beiden Zentren niemals zusammen. Bei einem Menschen, der innerlich nicht in der richtigen Weise an sich arbeitet, fallen die Gefühlserregungen nie ganz weg, wenn sie auch zuweilen wenig intensiv sein mögen. Manchmal dreht sich das Rad langsam, aber es dreht sich immer, und es ist also ständig eine gewisse Zentrifugalkraft da, die das elastische Band daran hindert, die beiden Zentren zu vereinen. Das Satori entspricht dem Augenblick, in dem das Rad vollkommen aufhört, sich zu drehen. Es ist ein „Augenblick" ohne Dauer (sonst müsste der Mensch sterben), doch genügt dieser Augenblick, um die beiden Zentren zur Deckung zu bringen. Sobald sie sich einmal -- und sei es nur für einen Augenblick - gedeckt haben, werden sie sich nie mehr voneinander entfernen können. So schnell sich das Rad nun auch drehen mag, sein Rotieren kann nicht mehr das Auftreten einer Zentrifugalkraft zur Folge haben. Nach dem Augenblick des Satori, einem Augenblick ohne Gefühlserregung noch Erregungszustand, wird es möglicherweise von neuem Gefühlsregungen geben, doch nie mehr einen Erregungszustand. Das „Gummiband" unseres Bildes entspricht der tiefen Sehnsucht des Menschen nach Satori. Jedoch wird diese Sehnsucht nicht unbedingt als Sehnsucht nach Satori empfunden, da ja der Mensch im allgemeinen keinerlei Vorstellung von diesem Erlebnis haben kann (sie wird vielmehr empfunden als Sehnsucht nach irgendwelchen vergänglichen Dingen oder nach einem falschen Bild, das wir uns vom Satori machen), doch ist sie deswegen nicht weniger Sehnsucht nach Satori. Je entfernter ein Mensch bei seinen Erregungszuständen vom Satori ist, desto stärker ist das „Gummiband" angespannt, d. h. desto intensiver fühlt er die Sehnsucht nach Erfüllung (worin auch immer er sie sehen mag). Je mehr ein Mensch sich Satori nähert, desto mehr entspannt sich das „Gummiband", desto
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weniger Sehnsucht nach Erfüllung spürt er. Unmittelbar vor Satori, in den vorausgehenden Augenblicken, verschwindet jede Sehnsucht nach Erfüllung. Wer Satori erlangt, erlebt es nicht als Erfüllung, da es ja keine Sehnsucht mehr gibt. Mit Hui-Neng wird er sagen: „Es gibt weder Erfüllung noch Befreiung", da es Befreiung nur in den Augen dessen geben kann, der noch nicht befreit ist. In unserm Bild ist Befreiung die vollkommene Entspannung des Gummibandes, doch beim Satori verschwindet dieses Band überhaupt, und von seiner Entspannung kann daher gar nicht mehr gesprochen werden. Der Mensch, der Satori nicht kennt, kann sich unter einem Menschen, der Satori erlangte, nichts Bestimmtes vorstellen. Er wird nun annehmen, daß die nach Satori erlebten Gefühlserregungen völlig verschieden sein werden von den zuvor erlebten, da sie nun nicht mehr jenen Erregungszustand, jene innere Verkrampfung auslösen, die recht eigentlich unsere Angst erzeugt hatte. Dies führt uns zu ehern neuen Verständnis der Unterscheidung „Gefühlserregung Erregungszustand", bei deren Untersuchung wir gerade sind. Gefühlserregungen können positiver oder negativer Art sein, Freuden oder Leiden, ein Erregungszustand jedoch ist immer negativer Art. Um bei unserm Bilde zu bleiben: das Rad kann sich in der einen oder anderen Richtung drehen, doch bleibt in allen Fähen die Zentrifugalkraft, was sie ist. Eine Untersuchung unseres Gefühlslebens zeigt folgendes: Wenn mir ein überaus freudiges Ereignis zustößt und in mir heftige Erregungen der Freude auslöst, so vollzieht sich die gleiche Verlagerung des Gleichgewichtes, das gleiche Aus-der-Bahn-Geworfen werden wie bei heftigen Erregungen negativer Art. Angst taucht hinter den freudigen Bildern auf, eine Angst, die psychologisch entweder an die Befürchtung gebunden ist, das mir zuteil gewordene Erlebnis könne wieder verlorengehen, oder an die nicht erfüllbare Forderung, daß dieses Erlebnis sich endlos steigern müsse bis zu jener absoluten Erfüllung meiner selbst, die ich tief in meinem Innern stets erwarte. Der Erregungszustand bzw. die Erregbarkeit der Tiefenschicht (im Gegensatz zu der sich in der Oberflächenschicht meines Bewusstseins abspielenden Erregbarkeit, aus der die Gefühlserregungen stammen), betrifft jene tiefe oder unter bewusste psychische Ebene, in der sich vor meinem inneren „Gericht" der „Prozess" meines Ichs abspielt bezüglich der Situationen, in die ich mich der Außenwelt gegenüber gestellt sehe. Der Erregungszustand ist immer mit einem Zweifel an meinem „Sein" verbunden; jener Zweifel, jenes Dilemma „Sein oder Nicht-sein" droht mir unaufhörlich, und der innere Prozess geht weiter in der nie realisierbaren Hoffnung auf eine endgültige zeitliche Absolution. Bestimmte „euphorische" Menschen scheinen ständig von einem positiven Erregungszustand erfasst zu sein, eine Tatsache, die mit dem, was wir gerade sagten, im Widerspruch zu stehen scheint. Das Studium des sogenannten „Glücks" des Durchschnittsmenschen ist recht interessant, da es uns helfen kann, den "Erregungszustand" besser zu verstehen. Wenn ich mich regelmäßig beobachte, stelle ich fest, daß ich manchmal euphorisch bin, und daß dieser Zustand sich in einem Augenblick einstellt, in dem meine Zweifel an mir selbst vorübergehend eingeschlafen sind. Eine halbwegs positive und einigermaßen
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stabil erscheinende äußere Situation, verbunden mit einem guten Gesamtzustand, bringt meinen inneren Prozess zum zeitweisen Ruhen. Richter und Zeugen schlafen mangels „gerichtlicher Vorfälle" ein. Die unter bewusste psychische Ebene ist fühllos geworden, und ich befinde mich daher in einem angenehmen „Zustand". Doch dieser angenehme Zustand entspricht nicht etwa dem positiven Charakter des wirkenden Erregungszustandes, sondern vielmehr seiner augenblicklichen Nicht-Aktivität. Er bedeutet nicht einen letzten Endes günstigen Ausgang meines inneren Prozesses, sondern nur eine vorübergehende Pause, nicht das Ende meiner falschen Überzeugung, daß mir etwas fehle, sondern nur ihre vorübergehende Nicht-Aktivität. Wie ist das möglich? Wie kann der Prozess des Ich, das doch ständig da ist, in dieser Weise unterbrochen werden? Eine Analyse des im Allgemeinen euphorischen Menschen wird uns darüber unterrichten. Bei einem solchen Menschen ist der Hunger nach dem Absoluten schwach, ja oft gleich Null. Hat sein Verlangen nach Ich-Bejahung sich eine gewisse Befriedigung gesichert, ist es gestillt und verlangt nichts mehr. Beruhigungsmechanismen haben sich in ihm entwickelt: Er vermag sich seine Situation gegenüber der Außenwelt in einer Weise vor Augen zu führen, die ihn nur die positiven und nicht die negativen Seiten erkennen lässt. An die Stelle des inneren Prozesses in der Tiefenschicht ist an die Oberflächenschicht des Bewusstseins eine monotone Selbstverteidigung getreten, und der Prozess ruht. Interessant ist es zu beobachten, daß ein solcher Mensch besonders wenig „empfindlich" ist, daß man ihn, ohne seine Eigenliebe zu verletzen, scharf kritisieren kann. Diese Unempfindlichkeit der Eigenliebe erklärt sich eben aus dem Schlummer des Prozesses, jener Mensch scheint gewissermaßen ohne Ego zu sein. Das Ego existiert zwar, jedoch behalten die in diesem Menschen aufgebauten Kompensationen infolge seines schwachen Verlangens nach dem Absoluten ihre volle Wirksamkeit, sobald von ihnen Gebrauch gemacht wird. Der Zweifel an sich selbst umgibt sich mit einer Schutzmauer, der die Zeit nichts anhaben kann; ein solcher Mensch wird der Haltung (d. h. der Kompensationen), die er vor der Außenwelt annimmt, nicht müde. Doch das scheinbar Positive seiner Erregungszustände ist nur der Ausdruck ihrer Ausschaltung, ihrer Unterdrückung, denn der Erregungszustand ist ja seiner Natur nach negativ. Jener Mensch erlebt viele Freuden, doch ist der Hintergrund, auf dem sie sich abspielen, ein Schlummern, ein Abwesend sein. Dieser Hintergrund, der die Bedingungen der Freuden schafft, ist keine tiefe, echte Gelöstheit (oder Entspannung des Erregungszustandes), sondern bloße Unbewusstheit. Da bei ihm die Verkrampfung der Tiefenschicht nicht wirksam wird, ist dieser Mensch sich ihrer einfach nicht bewusst (dies ist dem „Mut" des Menschen, der die Gefahr nicht sieht, vergleichbar). Diese Dinge sind möglich durch die angeborene Schwäche des Bedürfnisses nach dem Absoluten, wodurch die Kompensationen ausreichend und unabnützbar werden. Bei dem Menschen hingegen, bei dem das Verlangen nach dem Absoluten intensiv ist, sind Kompensationen selten von großer Wirksamkeit (dieser Mensch
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ist zu anspruchsvoll, sein Hunger nach Ich-Bejahung stellt zu große Forderungen in Quantität und Qualität), und wenn sie sich dennoch aufbauen, so sind sie kaum von großem Nutzen. Daher ruht der „Prozess" selten oder nie. Je mehr das Leben eines solchen Menschen fortschreitet, desto mehr verschwinden unaufhaltsam alle Kompensationen; sein Prozess kennt keinen Stillstand. Mehr und mehr lernt er, alles, was ihm begegnet, alle Situationen gegenüber dem Nicht-Ich, unter dem Gesichtswinkel des Zweifels an sich selbst zu sehen. In seinem nie schlummernden Unter Bewusstsein lebt er unaufhörlich in der Erwartung irgendeines illusorischen Urteilsspruches, von dem er seine endgültige Freisprechung der Verdammung abhängig glaubt. Seine Eigenliebe ist im einen oder andern Sinne unaufhörlich wach, er ist „empfindlich", und diese ständige Gereiztheit entspricht der ununterbrochenen Aktivität des unter bewussten Erregungszustandes, der sogenannten „Nervosität". Während der Mensch, den es wenig nach dem Absoluten hungert, innerlich ruhig ist, ist ein Mensch, der großes Verlangen danach trägt, übererregbar, über-spannt. Alles wird bei ihm auf sein Ego bezogen, alles, was er wahrnimmt, betrachtet er vom einzigen Blickpunkt seiner Eigenliebe aus. Wir können diesen Abschnitt mit der Behauptung abschließen, daß ein Erregungszustand nur negativer Art, nur angstvolle Verkrampfung sein kann, und daß die Aktivität des Unter bewussten, in dem dieser Erregungszustand verankert ist, in Beziehung steht zu dem Verlangen nach dem Absoluten und folglich auch zu dem Verlangen nach nichtzeitlicher Verwirklichung. Angst und Bedürfnis nach Satori stehen bei jedem Menschen in enger Verbindung miteinander. Wenn der Mensch, der Satori erlangte, überhaupt noch Gefühlserregungen kennt, dann erlebt er sie nicht mehr vor dem Hintergrund einer ständigen Beklemmung. Diese Veränderung des Hintergrundes ist eine so einschneidende, so grundlegende Umformung unseres gesamten Gefühlslebens, daß wir uns von den Gefühlserregungen des Menschen, der Satori erlangte, keinerlei richtige Vorstellung machen können. Die innere Arbeit im Hinblick auf Satori muss jenen völlig emotionsfreien Augenblick zum Ziele haben, dessen Notwendigkeit wir eingesehen haben. Jener innere Einsatz, der unsere Gefühlserregbarkeit dämpfen soll, kann nicht richtig verstanden werden, solange der Unterschied zwischen Gefühlserregung und Erregungszustand nicht klar verstanden ist. Nur der Erregungszustand ist anormal und wirkt Satori entgegen, die Gefühlserregung hingegen ist durchaus normal und steht zu Satori nicht im Gegensatz. Es ist jedoch viel einfacher, Gefühlserregungen wahrzunehmen als das Vorhandensein eines Erregungszustandes. Der Mensch neigt daher dazu anzunehmen, daß es gut sei, die Gefühlserregungen zu zügeln. Doch ist diese Mühe vergeblich, da sie in einer falschen Richtung geht. Die richtige Bemühung geht dahin, den Erregungszustand abzuschwächen und wird niemals die Aufhebung der Anspannung unseres psycho-somatischen Gesamtorganismus" anstreben, als die wir die Gefühlserregungen erkannt haben, sondern die Lösung der Verkrampfung dieses
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Organismus'. Mit dem Gesamtorganismus verhält es sich genauso wie mit seiner rein körperlichen Seite: der Klaviervirtuose etwa hat mit der Zeit gelernt, nicht die Anspannung der Muskeln als solche zu unterdrücken, sondern nur deren Verkrampfung, die am Beginn seiner Lehrzeit der störende Untergrund aller seiner Muskelanspannungen war. Wie soll man aber die Lösung des Erregungszustandes, jener angstvollen Verkrampfung, erreichen, die den Untergrund unseres gesamten Gefühlslebens ausmacht? Dies auf direktem Wege anzustreben, wäre vergeblich. Vielleicht könnte es jemand für nützlich halten, willentliche Entspannungsversuche der Muskeln durchzuführen, in der Hoffnung, daß diese Teilentspannung automatisch eine Gesamtentspannung nach sich zieht. Derartige Versuche, auf ein einzelnes Objekt gerichtet, sind in Wirklichkeit kaum imstande, auf unser Gesamtwesen einzuwirken. Mein Bemühen, ein Teil von mir zu entspannen, wird daher notwendigerweise von einer zentralen Verkrampfung begleitet. Man könnte versuchen, die Gefühlserregungen, da sie den Erregungszustand auslösen, zu bekämpfen, doch hieße das unserem Leben selbst Schaden zuzufügen. Das Problem besteht darin, den Erregungszustand zur Entspannung zu bringen, ohne dabei an die Gefühlserregungen oder überhaupt an etwas Einzelnes zu rühren. Ohne vom Gesetz der Drei Gebrauch zu machen, können wir keinerlei Umformung unseres Gesamtorganismus erreichen. Daher ist auch in dieser Hinsicht jeder Versuch unwirksam, der unmittelbar etwas in uns zu reduzieren strebt. Wir müssen im Gegenteil auch das, was wir beklagenswert an uns finden, als gegeben anerkennen und dann hierzu ein ergänzendes Element einsetzen. Die Auflösung des unerwünschten Elementes folgt sodann dank des Inkrafttretens des versöhnenden Prinzips. Es wird wieder ins Ganze zurückintegriert und verschwindet, indem es seine vermeintliche Selbständigkeit verliert. Sehen wir nun, wie dieses Gesetz sich hier anwenden lässt. Wiewohl die Verkrampfung der Tiefenschicht meinen Gesamtorganismus als Ganzes in Mitleidenschaft zieht, ist sie nicht total, nicht absolut. Sie kann zwar mehr oder weniger intensiv sein, ist jedoch immer partiell, d. h., daß jeweils nur ein Teil der überhaupt möglichen Verkrampfung zur Auswirkung kommt, während der Rest nicht in Erscheinung tritt. Die auf die Tiefenschichten gelenkte Aufmerksamkeit richtet sich natürlicherweise immer auf den manifest gewordenen Teil meiner möglichen Verkrampfung. Der Gleichgewichtsverlust liegt gerade in dieser zwar ganz natürlichen, aber doch „parteiischen" Haltung, derentwegen ich nur auf den sichtbar gewordenen Teil meiner Verkrampfung achte. Um das nötige Gleichgewicht wiederherzustellen, muss ich meine Aufmerksamkeit gleichzeitig ebenso auf den nicht in Erscheinung getretenen wie auf den schon offenbar gewordenen Teil meiner Verkrampfung richten. Mit anderen Worten: Während meine Aufmerksamkeit auf irgendein besonderes Interesse gerichtet ist, darf ich gleichzeitig meine Gleichgültigkeit allen übrigen Dingen gegenüber nicht verlieren.
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Auch diesmal wieder setzt die uns so vertraute Verlockung zu direktem Handeln ein; ich bin versucht, eine willentliche Anstrengung zu machen, durch die ich meine Gleichgültigkeit gegenüber all dem, was mich nicht augenblicklich beschäftigt, erfassen könnte. Doch ist das unmöglich, da ja die Indifferenz, die es anzustreben gilt, nicht sichtbar in Erscheinung tritt. Sobald ich bewusst daran denken will, daß ich gleichgültig bin, nehme ich die manifest gewordene Idee „Indifferenz" wahr und nicht diese Indifferenz selbst, die ja nicht manifest geworden ist. Alles, was nicht in Erscheinung getreten ist, entzieht sich natürlicher- weise meinem dualistischen Bewusstsein, das nur ein wahrnehmendes Subjekt und ein wahrgenommenes Objekt zulässt, die beide durchaus greifbar sind. Nun, da das Lockmittel einer letzten Versuchung zum direkten Handeln zurückgewiesen ist, stoße ich wieder auf das Grundgesetz der zur nichtzeitlichen Verwirklichung führenden Entwicklung: Nur das aus dem reinen Intellekt hervorgehende Verstehen ist wirksam. Aus einem erzwungenen Vorgehen, so bestechend es auch erscheinen mag, kann keine wirksame Veränderung meiner inneren Vorgänge entstehen, jede wirksame Veränderung im Hinblick auf die nichtzeitliche Verwirklichung muss aus unserem Absoluten Prinzip hervorgehen. Unsere intellektuelle Intuition hat hierfür die Voraussetzungen geschaffen, indem sie das sonst undurchdringliche Dickicht unserer Unwissenheit gelichtet hat. Jede erkenntnismäßige „Offenbarung", die uns bei der Frage unserer absoluten Verwirklichung zuteilwird, bedeutet eine Lichtung im Dickicht der Unwissenheit. Über diese Lichtung geht dann, ohne daß wir uns darum zu bemühen hätten, unser VerwandlungsProzess vor sich. In dem uns vorliegenden Falle wäre die Offenbarung, die uns zuteilwerden müsste, folgende: Wir täuschen uns grundlegend über die Erregbarkeit unserer Tiefenschicht, Wir glauben an die Existenz eines Erregungszustandes, einer Verkrampfung. Wir glauben also an die Erregbarkeit unserer Tiefenschicht nur, sofern sie durch eine Verkrampfung in Erscheinung tritt, sofern sie „lebt". Alles Übrige erkennen wir nicht an, z, B. eine Erregbarkeit, insoweit sie nicht in Erscheinung tritt, nicht „lebt". Und doch ist unsere Erregbarkeit, wenn sie ins Leben tritt, eine begrenzte, während sie, sofern sie kein Leben besitzt, unbegrenzt ist. Das einzige, was in meinem Gefühlsleben in jedem Augenblick Wirklichkeit besitzt, das einzige, worum es sich also in Wahrheit für mich handelt, ist nicht mein Erregungszustand, meine Verkrampfung, mein Parteiergreifen für etwas, sondern hinter all diesen Erscheinungen meine vollkommene Gleichgültigkeit, mein Nicht-Verkrampft sein, mein NichtParteiergreifen. Was für mich als sensibles Wesen von Gewicht ist, ist nicht, was ich jeweils fühle, sondern die unendliche Fülle dessen, was ich jeweils nicht fühle. Kurz gesagt: der jeweils in Erscheinung tretende Erregungszustand ist in Wirklichkeit ohne jedes Interesse für mich selbst. Diese klare geistige Erkenntnis ist, einmal erreicht, eine Offenbarung, die die Gesamtschau meines Innenlebens auf den Kopf stellt. Diese „Schau" verhindert zwar das gefühlsmäßige Parteiergreifen für meine in Erscheinung tretenden Erregungen nicht unmittelbar, sie schafft vielmehr in meinem Innern eine ausgleichende intellektuelle Gewissheit, welche die nicht in Erscheinung tretenden
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Erregungen, die entspannte Ruhe bejaht, die nicht Gestalt gewinnt. Dank jener neuen intellektuellen Gewissheit entwickelt sich bei mir ein Aufmerken auf die grenzenlose Uninteressiertheit, die hinter den begrenzten Interessen in meinem Innern wohnt. Dieses Aufmerken spielt sich im Unbewussten ab, es erzeugt keinerlei dualistische „Wahrnehmung", kommt jedoch deswegen nicht weniger zur Auswirkung (je mehr ich „verstehe"). Dieses unsichtbare Spie! macht sich im Sichtbaren auf die Dauer durch eine fortschreitende Abnahme der Intensität meiner Erregungszustände bemerkbar. So ist es mir möglich, mich auf die Suche zu machen nach jenem erregungslosen Zustand, der eine Voraussetzung für die Auslösung des Satori bildet. Das richtige Funktionieren unsrer auf die Tiefenschichten gelenkten Aufmerksamkeit macht sich auf die Dauer, d. h. in unsrer Gesamtentwicklung, durch eine Abnahme der Erregungszustände bemerkbar. Doch bringt diese Entwicklung Übergangsperioden mit sich, während deren die Verkrampfung sich steigert. Den Grund hierfür werden wir im Folgenden sehen. Bei dem Menschen, welcher den Unterschied zwischen Erregung und Erregungszustand noch nicht begriffen hat, arbeitet die innere Aufmerksamkeit folgendermaßen: die Aufmerksamkeit der Oberflächenschicht, der sogenannten „ bewussten" Schicht, ist an die Erregungen gebunden (oder genauer: an die Bilder des Erregungsablaufs). Die Aufmerksamkeit der Tiefenschicht, der sogenannten „unter bewussten" Schicht, ist an den Erregungszustand gebunden. Der gewöhnliche Durchschnittsmensch ist sich seines Erregungszustandes nicht bewusst (daher kommt es auch, daß die klassische Psychologie diesen Zustand zu ignorieren pflegt). Er hat nur ein „Unter Bewusstsein" von ihm, und nur durch induktive Überlegungen kommt er manchmal zu dem Schluss: „Ich bin heute sehr nervös". Er ist sich seiner Nervosität nicht unmittelbar bewusst, sondern nur der Bilder, die sich auf dem Hintergrund dieser Nervosität herauskristallisieren. Das Verstehen der Unterscheidung „Gefühlserregung - Erregungszustand" bringt je nach dem Grad, den es erreicht, eine Vertiefung der durch die Aufmerksamkeit geleisteten Arbeit hervor. Die Aufmerksamkeit der Oberflächenschicht, die in der bewussten Schicht des Vorstellungsablaufs spielte, wird nun die Tendenz bekommen, in der bisher unter bewussten Schicht des Erregungszustandes zu wirken (d. h. daß solch ein Mensch dank seines Verständnisses fähig wird, die Aufmerksamkeit auf den Erregungszustand zu lenken), während die Aufmerksamkeit der Tiefenschicht die Tendenz bekommt, sich im Unbewussten auszuwirken, diesem unbegrenzten unveränderlichen Bereich, aus dem sich die verschiedenen Erscheinungsformer des Erregungszustandes herauskristallisieren. Wenn das Verständnis gleich zu Anfang ein vollkommenes wäre, so würde die Verlagerung der inneren Aufmerksamkeit unmittelbar, ganz und für immer verwirklicht werden können, jene Aufmerksamkeit würde ins Unbewusste (oder Selbst, oder „unser ureigenes Wesen", wie es die Zenlehre nennt) zurückintegriert, und Satori könnte verwirklicht werden. Aber das Verständnis ist
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zu Anfang nicht vollkommen. Zwischen dem ersten Augenblick, wo es theoretisch konzipiert wird und dem Augenblick, wo es in Verbindung mit der Erfahrung die ganze dritte Dimension erobert hat, die ihm anfangs noch fehlte, muss eine mehr oder weniger lange Zeit der Reifung liegen. Das theoretische Verständnis fegt nicht mit einem Schlage alle trügerischen „Überzeugungen" weg, die vorher da waren, und die durch wirksame Gefühls- und Verhaltungsautomatismen gestützt werden. Wahre Erkenntnis und falsche „Überzeugungen" werden mehr oder weniger lang nebeneinander bestehen. Die Reifung des Verständnisses liegt in einer fortschreitenden Unterhöhlung der Irrtümer, die schließlich die Wahrheit herbeiführt. Das gute Korn erstickt nach und nach die Dornen. Im Verlauf dieser Reifung zeigt sich also ein Antagonismus zwischen dem Vergehen, bzw. der daraus erwachsender, Gewissheit und den Gefühlsautomatismen, die die Täuschung aufrechterhalten. Dieses Verstehen führt den Menschen zur Erkenntnis seines in der Tiefe verankerten Erregungszustandes. Doch richten jene Automatismen das Hindernis der Angst auf zwischen dem bewussten Blick und dem Erregungszustand, welcher der Sitz der dauernden angstvollen Verkrampfung ist. Je besser der Erregungszustand erfasst wird, desto mehr wird er von dem Gift der Angst verlieren. Doch solange die Automatismen mich noch hindern, zu sehen, während mein Verstehen schon den Blick auf den Erregungszustand richtet, d. h. solange das intuitive Erfassen des Erregungszustands erfolglos angestrebt wird, solange nimmt der Erregungszustand noch zu. Auf dem Wege zur Entspannung tritt also eine kritische Verschlimmerung des Erregungszustandes ein (die Drachen vor der Schatzhöhle). Darüber sollte der Mensch unterrichtet sein, um sich nicht erschrecken oder entmutigen zu lassen. Wenn er Bescheid weiß, wird er ununterbrochen am Fortschreiten seines Verständnisses weiterarbeiten, selbst wenn seine Lage sich zu verschlimmern scheint. Wenn das Bewusstsein dann endlich in die zuvor unter bewusste Schicht des Erregungszustandes mutig vorgedrungen ist, dann wird auch ein Eindringen der inneren Aufmerksamkeit ins Unbewusste stattfinden, ins Bereich der absoluten Bejahung, die jede Angst zerstreut. Wir haben daran erinnert, daß nur das aus dem reinen Intellekt erwachsende Verstehen wirksam ist, und daß kein erzwungenes Vorgehen unsere inneren Erscheinungen in einer für das Satori fruchtbaren Richtung modifizieren kann. Es ist wesentlich, auf diesem Punkte besonders zu verharren und alle Auffassungen zurückzuweisen, nach denen wir persönlich unsere metaphysische Verwandlung glauben bewerkstelligen zu können. Indem wir dies als gegeben voraussetzen, zeigen wir nun, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der befreienden inneren Entwicklung eine willentliche innere Geste dazukommen muss, die helfen soll, den Erregungszustand wahrzunehmen. Wenn mein Verständnis einen gewissen Grad erreicht und meine hauptsächlichen Kompensationen im Wesentlichen überwunden hat, nimmt die innere Verkrampfung vorläufig zu. Mein Verständnis wird nun, wie ich schon sagte, bemüht sein, den Funktionsablauf der Aufmerksamkeit in die Tiefenschichten zu
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verlagern, d. h. mir wird die Nützlichkeit eines inneren Einsatzes deutlich, der nicht naturgegeben und nicht automatisch ist und der auf die bewusste Wahrnehmung des bisher unter bewussten Zustandes hinzielt (er zeigt mir. wie nützlich es ist, vor der Angst nicht zu fliehen, wie ich es bisher tat, sondern ihr mit »forschendem Auge" standzuhalten). Der Entschluss zu dieser inneren Geste entspringt spontan aus dem Verständnis und nicht etwa aus einer gefühlsmäßigen, götzendienerischen Einstellung („Pflicht" zum "Heil", „geistige" Ambition), die sich mir aufzwingen möchte, indem sie andere Tendenzen verdrängen würde. Der Entschluss, diese Geste zu vollziehen, entsteht spontan, sobald ich mit aller Deutlichkeit seine Nützlichkeit erkenne. Erst dann, nach diesem anhaltenden Bemühen um das notwendige Verständnis bin ich imstande, jene Geste auszuführen, deren Nützlichkeit mir deutlich geworden ist. Vor jenem Augenblick ist jeder Versuch eines Vollzugs verfrüht und daher vergeblich. Wenn wir nun annehmen können, daß das erforderliche geistige Verständnis erreicht ist und der Entschluss zu der zweckmäßigen Geste einzig und allein einer vollkommenen Gewissheit entspringt, wenn wir also annehmen können, daß wir endlich imstande seien, diesen Einsatz zu leisten, so werden wir gewahr werden, daß die Ausführung nicht spontan aus dem Verständnis allein hervorgehen kann. Der Entschluss zu jenem Einsatz wird in der Sphäre der reinen geistigen Intuition gefasst, während er geleistet wird im Bereich des konkreten inneren Lebens, in dem alle automatischen Mechanismen ablaufen. Dieser nicht naturgegebene Einsatz wird also im Bereich der natürlichen Mechanismen vollzogen und wirkt so allem Automatischen entgegen, das meine Aufmerksamkeit unablässig auf die Bilder zu lenken bestrebt ist. Dieser so wesentliche Punkt musste scharf herausgearbeitet werden, und gleichzeitig mussten wir daran erinnern, daß jede innere Arbeit, zu der wir uns durch Beeinflussung unseres irrationalen Gefühlslebens entschlossen haben, vom Satori her gesehen zwecklos sein muss. Nun, da wir auf die hier auftretenden Gefahren deutlich hingewiesen haben, können wir von der praktischen inneren Arbeit sprechen, soweit sie für unsere Studie in Frage kommt. Diese Bemühung besteht darin, daß wir, so oft wir können, eine innere Geste ausführen, die auf die Wahrnehmung des „Erregungszustandes" hinzielt. Doch werden wir gleich erkennen, wie viel Paradoxes in dieser Wahrnehmung enthalten ist. Der Erregungszustand macht mir, macht meinen psycho-somatischen Organismus als Ganzem zu schaffen. Er kann also nicht Gegenstand einer dualistischen Wahrnehmung sein, die ein Objekt und ein Subjekt voraussetzt. Scheinbar ist er objektiv, solange ich nichts dazu tue, ihn wahrzunehmen, doch je mehr ich dies tue, desto mehr zeigt er die Tendenz, sich aufzulösen. Die befreiende innere Geste hat die Wahrnehmung des Erregungszustandes zum Ziel, kann diese aber nicht unmittelbar erreichen. Sie führt über den Erregungszustand, der das Ich überdeckte und verborgen hielt, während er doch gleichzeitig die Richtung zu ihm wies, zu einer bestimmten Wahrnehmung meines
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Gesamtorganismus'. Diese Geste führt also zu einem Augenblick echter innerer Bewusstheit, die über die teilweise Auslöschung des Erregungszustandes erreicht wird (Selbstschau). Der Durchschnittsmensch glaubt, daß er seinen Erregungszustand ohne jeden inneren Einsatz wahrnehmen könne. Wenn er jedoch zu der Feststellung gelangt, er sei „nervös", so nimmt er nur ein vom Intellekt für die vermeintliche Objektivität des Erregungszustandes geschaffenes Bild wahr. Alle Reflexe, alle Mechanismen sind bedingt durch den Erregungszustand, dessen Bedeutung also eine ungeheuer große ist. Doch wird diese Bedeutung als solche nie herausgelöst, sie bleibt unter bewusst, und der Erregungszustand, von dem aus der Mensch alles beurteilt, findet selbst keine bewusste Beachtung. Der Durchschnittsmensch lebt nur als Funktion seines Ich und stellt sich keine Fragen über dieses Ich. So spielt der Erregungszustand im Funktionsablauf des Menschen die Rolle eines festen Punktes, um den sich alles dreht. Anders gesagt: der gewöhnliche Mensch ist um sein Unter bewusstes zentriert (Rotationszentrum), während doch sein eigentliches (oder geometrisches) Zentrum das Unbewusste ist. In Wirklichkeit ist der Erregungszustand kein fester Punkt, und seine vermeintliche Unbeweglichkeit bildet überhaupt erst die Voraussetzung für die Illusionen unseres ichbezogenen Lebens. Wenn ich meine Aufmerksamkeit freiwillig auf meinen Erregungszustand lenke, (d. h. auf die Gesamtheit meiner Empfindungen, also eigentlich auf mein Ego unter jener Gesamtheit der Empfindungen), so erkenne ich, daß „es" nicht fest ist, daß „es" sich bewegt, und ich fühle intuitiv den Pulsschlag meines Lebens (es ist also nicht „Noumenon" sondern „Phänomenon", das Ego kann, da es sich bewegt, nicht das Absolute sein). Diese partielle Aufhebung der vermeintlichen Unbeweglichkeit des Erregungszustandes nähert mein Rotationszentrum dem geometrischen, und ich beginne, „normal zu werden". Die Erkenntnis, daß im Mittelpunkt meines erscheinungsmäßigen Daseins „es sich bewegt", ist der Erkenntnis, daß ein geschleuderter Stein sich bewegt, nicht gleichzusetzen. Beim Innewerden, daß „es sich bewegt" in meinem Innern, existieren weder Raum noch Zeit noch Formen, es bewegt sich auf der Stelle und ohne sich zu verändern. Hier rühren wir an die Ewigkeit des Augenblicks. In der Praxis muss die innere Arbeit wiederholte, aber kurze und leichte Ansätze vollziehen. Es geht nicht darum, es sich schwer zu machen, als gäbe es etwas zu „erfassen". Es gibt nichts zu „erfassen". Es geht nur darum, daß ich durch einen spontanen, ganz einfach inneren Blick bewusst feststelle, daß in dieser Sekunde ich mich „in meiner Ganzheit erfühle" (der Weg dahin führt über die Bemühung, festzustellen wie ich mich jeweils fühle). Dazu gelangt man spontan oder gar nicht; sollte man es nicht erreichen, muss man später von neuem beginnen (das kann schon einige Sekunden später sein), doch muss dieser Schritt total und plötzlich vollzogen werden. Ich hin daran interessiert, diesen Einsatz so oft wie möglich zu leisten, doch mit Zartgefühl und Takt und ohne den Ablauf meines dualistischen Innenlebens allzu sehr zu stören. Das Bewusstsein, welches ich durch
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Gewöhnung von meinem dualistisch angelegten Innenleben gewonnen habe, muss durch einen reinlichen, freien und spontanen Schnitt unterbrochen werden, ohne daß dabei etwas geschieht, was es unmittelbar verändern würde. Die „normalisierende" Veränderung wird vom Absoluten Prinzip vollzogen über jene „Schnitte", die das innere Bemühen schafft. Die Unterscheidung zwischen „Erregung" und „Erregungszustand" macht es möglich, die Art der Wahrnehmung, die der Mensch von seinem Gefühlsleben hat, näher zu kennzeichnen. Was man ein „Gefühl" nennt, ist eine komplexe Erscheinung, die sowohl einen Vorstellungsablauf als auch eine ganze Reihe von Erregungsabwandlungen einschließt. Wenn ich zunächst den Vorstellungsablauf ins Auge fasse, so stelle ich fest, daß ich ihn ganz unbestreitbar bewusst wahrnehmen kann. Die Bilder, die vor meinem Geist ablaufen, sind durch mein Gedächtnis fixiert und häufen sich in meinem Innern. Sie bilden ein sehr subtiles „Formenmaterial", das ich heraufrufen, vor meinem aufmerksamen Blick hin- und her werden, nach Belieben untersuchen und durch Worte beschreiben kann. Über seine Bilder hat der Mensch Macht, er beherrscht sie, geht mit ihnen um, er erfasst sie durch einen aktiven Wahrnehmungsvorgang, bei welchem das Bewusstsein als Subjekt das Bild als Objekt erfasst. Wenn ich nun die Erregungsskala, d. h. mein eigentliches Gefühl ins Auge fasse, so ist die Situation eine ganz andere. In einer Hinsicht habe ich wohl eine gewisse Möglichkeit des Wahrnehmens, und in der Tat, wenn mein Gefühl ein trauriges ist und wenn ich gefragt werde: „Bist du vergnügt?", kann ich mit Sicherheit antworten: „Nein, ich bin traurig." Könnte ich meine Traurigkeit überhaupt nicht erkennen, würde ich nicht in dieser Weise antworten. Wenn ich jedoch versuche, meine Traurigkeit genauer zu erforschen, sie zu untersuchen und zu erkennen, werde ich mir klar darüber, daß das, was sich meiner Analyse darstellt, immer ein Ablauf von traurigen oder betrüblichen Bildern ist, doch nie meine Traurigkeit selbst in ihrer Unteilbarkeit. Ich scheitere vollständig, wollte ich die Traurigkeit durch den gleichen aktiven Wahrnehmungsvorgang erfassen, wie es mir bei den Bildern möglich ist. Es ist mir einfach ganz unmöglich, mein Gefühl durch eine gedankliche „Erfassung" zu „greifen", es zu „erkennen", wie ich das bei den Bildern tun kann. Diese konnte ich greifen, konnte ihre ursprüngliche Gestalt in Teilformen zerlegen, sie „analysieren" und erkennen, auf welche Elemente sie sich zurückführen ließen. Mit meinem Gefühl kann ich jedoch durchaus nicht das Gleiche tun; wohl merke ich, daß es in mir da ist (ich bin also nicht ganz ohne irgendeine Kenntnis von ihm), doch kann ich durch eine ähnliche Analyse „es" nicht erkennen. Wenn ich aber dennoch in bestimmter Weise mein Gefühl wahrnehmen kann, dann wohl darum, weil zwischen ihm und der Oberflächenschicht meines Bewusstseins eine gewisse Verbindung besteht. Doch ist diese Verbindung offensichtlich nicht von der gleicher. Art wie jene, die zwischen meinem Bewusstsein und den Bildern besteht, da sie mir keinerlei „Erfassung" meines Gefühls möglich macht. In der Verbindung zwischen Bewusstsein und
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Vorstellungen ist mein Bewusstsein aktiv und meine Vorstellungen sind passiv. In der Verbindung zwischen Gefühl und Bewusstsein ist mein Gefühl aktiv und mein Bewusstsein passiv. Eine Verbildlichung wird uns zum Verständnis dienen: Nehmen wir an. wir ergreifen im Dunkel einen Gegenstand und wenden ihn in der Hand hin und her. Auf diese Weise nehmen wir den Gegenstand aktiv wahr und erhalten Auskunft über ihn. Nehmen wir hingegen an, daß im Dunkel ein gewaltiger Riese uns in seine Hand nimmt, uns dreht und wendet und betastet: wir geben uns Rechenschaft über die Existenz dieses Riesen, finden ihn, je nachdem ob er uns streichelt oder zermalmt, mehr oder weniger sympathisch, doch dabei bleibt es auch. Wir erhalten keinerlei Aufklärung über den Riesen selbst, und es ist unmöglich für uns, ihn etwa zu beschreiben. Im Verlauf irgendeines Gefühles, das ich gerade durchlebe, kann ich also sagen, daß ich die Vorstellungen, die einen Teil jenes Erregungsvorgangs ausmachen, erfasse, daß ich aber meinerseits wieder erfasst werde von diesem Vorgang, von dem die Vorstellungen nur ein Teil sind. In Bezug auf die Vorstellungen ist mein Bewusstsein ein erfassendes, in Bezug auf das Gefühl ein erfasstes. Es ist, als hätte ich ein Bewusstsein der Bilder, die einen Teil meines Gefühls ausmachen, und als besäße umgekehrt mein Gefühl ein Bewusstsein meiner selbst. Doch entspricht diese Anschauungsform der illusorischen Sehweise des Durchschnittsmenschen, einer Sehweise, der zufolge der Mensch die Oberflächenschicht seines Bewusstseins als das maßgebende, als sein eigentliches „Ich" betrachtet. In Wahrheit aber ist die Oberflächenschicht des Bewusstseins nicht das „Ich", sie bildet nicht das Prinzip aller Vorgänge, die meinen psycho-somatischen Organismus aufbauen, das einzige Prinzip, welches allein „Ich genannt werden darf. Sie vertritt nur eine bestimmte Schicht jener Vorgänge, in denen sich mein Prinzip manifestiert. Anstatt zu sagen, daß mein Gefühl mein Bewusstsein erfasst, muss ich vielmehr feststellen, daß mein Unter Bewusstsein mein „Ober- flächen- Bewusstsein erfasst. Aber auch mein Unter Bewusstsein ist noch „Ich", Wenn ich also die Erfassung meines Bewusstseins durch mein Unter Bewusstsein als Veräußerung meiner Freiheit empfinde, so nicht, weil das, was mein Bewusstsein erfasst, (und was ja noch Ich ist), mir fremd wäre, sondern weil es gewissermaßen schlummert, und weil eben deswegen mein Unter Bewusstsein ganz unter Bestimmung der Außenwelt arbeitet. Was mein Gefühl angeht, verhält sich alles so, als würde ich von der Außenwelt erfasst. In Wirklichkeit beschränkt sich aber die Außenwelt darauf, die bloßen Verlaufsformen meines schlummernden Unter Bewusstseins zu bestimmen, doch die eigentlich treibende Kraft dieses Ablaufs ist mir keineswegs fremd, sie ist mein eigenes Prinzip, ist mein „Ich". Innerhalb des Gefühlsbereiches unterstehe ich natürlich passiv äußeren Einwirkungen, doch nur weil mein gegenwärtiger Schlummerzustand diese zulässt. Auf dieser Stufe des Verständnisses angelangt, werde ich mir darüber klar, daß das, was ich bisher mein „Unter Bewusstsein" nannte, nur eine Illusion, nur ein Teil des Traumes ist, den ich im „Schlummer" vor dem Satori erlebe. Was mein „Oberflächen"- Bewusstsein ergreift und bewegt, ist
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meine erste und einzige treibende Kraft, mein Prinzip, das Absolute Prinzip, das mich bewegt, wie es alle geschaffenen Dinge bewegt. Dieses Prinzip, das vor jedem Bewusstsein da war. da es ja jedes Bewusstsein, indem es sich darin manifestiert, erst erzeugt, dieses Prinzip wollen wir hier das Prinzipielle Unbewusste nennen (das „Nicht-Geistige", oder das Kosmisch-Geistige des Zen). Was wir bisher unser Unter Bewusstsein genannt haben, ist nichts als die aus einer Illusion geborene Form, unter der ich mir bildhaft die Wirkung vorstelle, die das schlummernde Zentrum meines Geistes auf die in meinem jetzigen Zustand allein wachen Erscheinungen eben dieses Geistes ausübt, d. h. die Wirkung des Unbewussten auf das Bewusstsein der Oberflächenschicht. Das Unter Bewusstsein, dieses „Zwischenstockwerk", besitzt im Grunde gar keine Realität. Das Unbewusste (als Noumenon) besitzt absolute Wirklichkeit. Das Wach Bewusstsein als solches (Vorstellungsablauf) besitzt eine relative Wirklichkeit (als Phänomenon). Dem Unter Bewusstsein jedoch eignet nur eine vermeintliche Realität, es ist nichts als eine aufgeblasene Hilfskonstruktion, die von der „Aktivität" her betrachtet das bewegende Unbewusste ist und von der „Passivität" her gesehen das bewegte Wach Bewusstsein. Der Mensch, der Satori verwirklichte, wird also nicht die Fähigkeit erlangt haben, das Gefühl zu „erfassen", das der Mensch vor dem Satori zu erfassen nicht imstande war. Denn das Satori oder das Erwachen des prinzipiellen Geistes in uns zerstreut die trügerische Vorstellung, die wir »Gefühl" nennen. Die fruchtlose Bemühung, das ungreifbare „Gefühl" erfassen zu wollen, ist es ja gerade, die zum Erwachen des Prinzipiellen Geistigen in uns führt. Für den Menschen nach dem Satori gibt es kein „Gefühl" mehr. Sein Wach Bewusstsein wird unmittelbar vom Prinzipiellen Geistigen gelenkt in einer im kosmischen Sinne harmonischen Antwort auf die Reize der Außenwelt. Diese Reaktion trägt zwar den besonderen äußeren Umständen Rechnung, doch wird sie keineswegs von diesen bestimmt oder „geformt".
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XV. EMPFINDUNG UND GEFÜHL In jedem Augenblick der Erregung ist, wie wir schon sagten, eine Beziehung da zwischen den Bildern, die vor unserm Geist ablaufen und einer hinter diesen Bildern sich verbergenden Gefühlserregbarkeit. Diese Beziehung ist komplexer Art. Es ist interessant, sie näher zu untersuchen, denn es liegen gewisse verführerische und sehr subtile Lockungen in ihr, die uns daran hindern könnten, auf unsere Gefühlserregbarkeit zu achten. Zunächst muss ein- mal an den grundlegenden Unterschied zwischen dem Bilderablauf, der ein genaues Abbild der Wirklichkeit ist, und dem frei erfundenen Bilderablauf erinnert werden. Wenn ich einen beliebigen Vorgang in der Außenwelt beobachte, so geschieht dies durch die Vermittlung eines Ablaufs von Bildern, der den äußerer Vorgang teilweise reproduziert; eines Ablaufs also, der ein genaues Abbild äußerer Formen ist, die meine Aufmerksamkeit erfasst. Wenn ich aber müßig oder bei irgendeiner Tätigkeit vor mich hin träume, nehme ich einen in meinem Innern frei erfundenen Bilderablauf wahr. Die Gefühlserregbarkeit ist in sehr verschiedener Weise mit diesen beiden Möglichkeiten des Bilderablaufs verknüpft. Wir wollen die beiden vorkommenden Möglichkeiten untersuchen und dabei folgende Begriffe einführen: Den der Außenwelt entnommenen Ablauf wollen wir den wirklichen oder Wahrnehmungsablauf nennen (da er ein Abbild von Erscheinungen ist, die, wenn sie auch ohne absolute Wirklichkeit sind, immerhin eine relative Wirklichkeit besitzen), den frei erfundenen Bilderablauf wollen wir Vorstellungsablauf nennen. Wenn es sich um einen Wahrnehmungsablauf handelt, so ist die Verknüpfung dieses Ablaufs mit der Gefühlserregbarkeit recht einfach: die Gefühlserregbarkeit zeigt Variationen (und zwar quantitative Variationen von Spannung und Entspannung), die den negativen oder positiven Bildern des Ablaufs entsprechen. Bilder, die mit einer Bedrohung meiner Person zusammenhängen, rufen eine Anspannung der Gefühlserregbarkeit hervor, solche, die die Erhaltung meines Lebens begünstigen, eine Verminderung dieser Anspannung, d. h. eine relative Entspannung. Diese Reaktionen der Gefühlserregbarkeit auf die Bilder des Wahrnehmungsablaufs schafft eine einfache, eindeutige Beziehung: die Form der bildlichen Erscheinungen bestimmt die Form der Erregungserscheinungen. Vom Formalen her gesehen erscheint die Außenwelt aktiv, mein Inneres passiv. Es gibt da nichts Unbewegliches, die sichtbaren Erscheinungen sind in unablässiger Veränderung begriffen, und unablässig verändert sich meine darauf reagierende Gefühlserregbarkeit. Auch gibt es da keine Gefühlserregbarkeit, die bewegungslos wäre, sondern nur Anspannungen ohne jegliche Verkrampfung, keinen Erregungszustand, nur Erregungen.
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Wenn es sich jedoch um einen Vorstellungsablauf handelt, wird alles viel komplizierter. Die Verbindung mit der Erregbarkeit des Gefühls ist dann nicht länger eine einfache, sondern eine doppelte. Sie ist zunächst einmal in der gleichen Form vorhanden, wie beim eben dargestellten Fall: sie reagiert also auf die Bilder der Vorstellung, wie sie auf die Bilder der konkreten Wahrnehmung reagiert hatte (die Erregbarkeit macht zwischen diesen beiden Arten von Bildern keinen Unterschied. Ein Eifersüchtiger, der sich lebhaft eine Szene vorstellt, in der seine Frau ihn betrügt, ist genau so erregt, als spielte sich diese Szene in Wirklichkeit ab. Andrerseits aber wirkt sich der Erregungszustand auf die Hervorbringung der Vorstellungen aus: wenn mir ein wirkliches Unglück zugestoßen ist und mich verdüstert hat, so beginne ich, mir tausend andere Unglücksfälle auszumalen und alles Übrige ebenfalls in unheilvollem Lichte zu sehen. So stellt sich also ein circulus viciosus mit doppelter Reaktion her. Doch kommt zu der Beziehung zwischen Gefühlserregbarkeit und Vorstellungsablauf noch ein wichtiger Faktor hinzu: der Vorstellungsablauf gleicht nämlich bis zu einem gewissen Grade dem Wahrnehmungsablauf. Die Bilder, die ich „erfinde", bauen sich notwendigerweise aus Elementen auf, die ich der Außenwelt entnommen habe. Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Arten von Abläufen: Der Wahrnehmungsablauf ist sozusagen vom Kosmos erfunden, sein Ursprung ist auch der Ursprung des Kosmos, der Urgrund des Universums. Daher ist jeder Wahrnehmungsablauf harmonisch, er befindet sich in Übereinstimmung mit dem All. Sein festes Zentrum ist das Noumenon, und es wäre bei diesem Ablauf auch keine Starrheit der Phänomene denkbar, er ist nichts als reine Bewegung. Der Vorstellungsablauf hingegen hat sein Zentrum in meinem Ego, in meinem "Ich, das als individuelles Einzelwesen Anspruch auf absolutes Sein erhebt". Sein Ursprung, sein Zentrum ist nicht das unverrückbare Noumenon-Zentrum des Kosmos, sondern ein falscher, in Wirklichkeit exzentrischer Mittelpunkt. Daher findet sich innerhalb dieses Ablaufs neben einer ständigen Bewegtheit eine gewisse Erstarrung der Vorgänge, die eben durch das Pseudo-Zentrum dieser Phänomene bedingt ist. Das zeigt sich in der Tatsache, daß meine Träume zwar aus sich bewegenden Bildern bestehen, daß diese Bilder aber stets mehr oder weniger um eine „fixe Idee" kreisen. Mehr oder weniger sind wir immer von ihnen „besessen". Die in meiner Vorstellung sich abspielenden Szenen gruppieren sich in Form von „Konstellationen", bzw. „Komplexen", die nur einen künstlichen, außerhalb des kosmischen Ganzen stehenden Zusammenhang besitzen. Der Starrheit der Vorgänge entspricht eine Starrheit der Gefühlsreaktionen, das heißt eine Gefühls„verkrampfung", ein Erregungszustand". Die Gefühlsreaktion auf die konkrete Wahrnehmung (eine Reaktion, bei der keine Starrheit möglich ist), ist normal und gesund, da sie eine Reaktion auf die normale, relative Wirklichkeit der kosmischen Erscheinungen ist. Die Gefühlsreaktion auf den Vorstellungsablauf (eine Reaktion, die stets eine gewisse „Verkrampfung" in sich schließt), ist anormal oder ungesund. Sie ist ja auch eine Reaktion auf
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gewissermaßen anormale Bilder, da das hervorbringende Zentrum dieser Bilder nicht der echte Mittelpunkt des Universums ist. Wir haben jetzt den Unterschied zwischen den beiden Formen der Gefühlsreaktion - den Vorstellungsablauf einerseits und auf den Wahrnehmungsablauf andererseits - genau herausgearbeitet. Nun aber reagiert bei jedem menschlichen Wesen, das der ersten Kindheit entwachsen ist, die Erregbarkeit nie auf einen bloßen Wahrnehmungsablauf: ein Vorstellungsablauf verbindet sich gleichzeitig damit. Die Erregungen als solche sind nie „unvermischt", immer handelt es sich gleichzeitig auch um „Erregungszustände", und zwar umso mehr, je stärker bei dem betreffenden Menschen das Bedürfnis nach dem Absoluten, das Verlangen nach „Sein", nach „Idealismus" ausgebildet sind. Das kleine Kind, das noch außerstande ist, einen Ablauf von Vorstellungen frei zu erfinden, weil seine geistigen Funktionen erst ungenügend entwickelt sind, besitzt eine Erregbarkeit, die noch ganz unvermischt in steter Bewegung, ohne Verkrampfung, noch nicht stabil geworden ist. Doch mit der fortschreitenden Entwicklung des Intellektes nehmen auch die Erregungszustände" zu. Bei Erwachsenen, die ein starkes Verlangen nach dem Absoluten in sich tragen, zeigt die Erregbarkeit unter den oftmals sehr labilen Gefühlserregungen, Verkrampfungen mit langsamem Rhythmus. Versteht nun ein solcher Mensch sich selbst genau zu beobachten, so stellt er eine Spaltung im Rhythmus seiner Gefühlserregbarkeit fest. Es kommt ihm so vor, als besäße er zwei voneinander verschiedene Erregbarkeiten, die eine mit der Tendenz, sich rasch vorwärts zu bewegen, die andere mit der Tendenz, an der Stelle zu haften (Träume spielen oft auf diesen Sachverhalt an: z. B. möchte ich laufen, ja müsste es unbedingt, und doch komme ich nicht von der Stelle, auf der ich mich gerade befinde). Es gibt also zweierlei Arten von Vorstellungsabläufen, zweierlei Gefühlsreaktionen darauf und genau genommen, zweierlei Gefühlserregbarkeiten im Bereich der inneren Erscheinungen: eine echte Erregbarkeit als Reaktion auf den Wahrnehmungsablauf und eine verfälschte als Reaktion auf den Vorstellungsablauf. Der ursprünglichen echten Erregbarkeit entspricht die Ebene der Empfindung (die Wahrnehmung der Außenwelt durch die Sinne), der verfälschten Erregbarkeit die Ebene des Bildes (Wahrnehmung der Vorstellungen). Die ursprüngliche Erregbarkeit, nämlich jene des Kindes, lauft nach einem beweglichen, nicht konstanten Rhythmus ab und ist durchaus irrational (d. h. sie ist ohne jede Beziehung zu der Bedeutung, die unsre „Vernunft" nach einer bestimmten „Wertskala" den Bildern zugesteht). Die verfälschte Erregbarkeit jedoch läuft nach einem langsamen Rhythmus ab (mit einigem Vorbehalt, was diesen Punkt betrifft, denn in Augenblicken der Ermüdung lässt sich auch hier eine gewisse Unbeständigkeit beobachten; doch entspringt diese Unbeständigkeit nicht einem gesunden Verschwinden der Starrheit, sie ist nur das Schwächer werden einer sich erschöpfenden Verkrampfung) und ist mehr oder weniger rational. Diese Erregbarkeit steht in enger Verbindung mit dem Idealbild, das ich mir von der Welt und mir selbst mache durch meinen Wunsch, mich in einer „schönen - wahren - guten" Haltung zu sehen, und durch die Furcht, mich in
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einer „hässlich - bösen - falschen" Haltung entdecken zu müssen. Die echte Reaktion auf einen beliebigen Umstand spottet des „Ideals" und ist einzig und allein von der Sicht der Außenwelt abhängig. Meine verfälschte Gefühlsreaktion jedoch kann grundverschieden sein, denn sie ist abhängig von dem Idealbild, das ich von mir selbst habe, Sie setzt sich aus Gefühlen zusammen, die ich nicht etwa hinsichtlich der Außenwelt, sondern hinsichtlich meiner eigenen Haltung dieser Außenwelt gegenüber hege. Daher kommt es auch, daß ich (in meiner falschen Erregbarkeit) sehr wohl in unechter Weise vergnügt sein kann, während mein echtes Gefühl ein trauriges ist (in meiner ursprünglichen Erregbarkeit) und umgekehrt. Z. B. freue ich mich schon Monate vorher auf meine jährlichen Ferien. Die Vorstellung „ich freue mich darauf, Florenz zu sehen", hat sich in meinem Geiste immer stärker herausgebildet. Wenn ich nun „Idealist" und stark „ich-bezogen" bin, wenn mich nach „absolutem Sein" dürstet, wird die Verwirklichung dieser Vorstellung Gegenstand eines heftigen Bedürfnisses. Schließlich in Florenz angelangt, bin ich aber müde und deprimiert, mein wahrer Gefühlszustand, der des Idealbildes meiner selbst spottet, ist verkrampft, und ich bin im tiefsten Innern unglücklich. Doch wünsche ich so lebhaft, daß die Vorstellung „Ich freue mich, in Florenz zu sein" Wirklichkeit werden möge, daß ich mir nicht erlaube, mir selbst einzugestehen, wie unglücklich ich bin. Fragt mich nun irgendjemand: „Nun, wie war es in Florenz?", so antworte ich: „Herrlich! Die vielen Museen sind zwar etwas ermüdend, aber was heißt das schon bei so viel Schönheit überall!" Wenn ich dann meine Aufmerksamkeit mit aufrichtigem Erkenntnisdrang auf meine Gefühlserregbarkeit lenke, so sehe ich die nackte Wahrheit: Ich bin unglücklich, unglücklicher als ich es für gewöhnlich in der Metro bin, die mich an meine Arbeitsstelle bringt. Und ich sehe weiter, daß ich ohne besondere Bemühung nicht einmal imstande war, mir darüber klar zu werden. Vielleicht habe ich zwar meine Traurigkeit wahrgenommen, sie aber fälschlicherweise einem Vorstellungsablauf zugeschrieben, der nur ihre Auswirkung war. Ein anderes Beispiel: Nehmen wir an, ein Sohn wurde Jahre hindurch von einem egoistischen Vater tyrannisiert, er war gedemütigt, gehemmt worden bei allem, was er unternehmen wollte, dauernd negiert durch eine sadistische, angebliche fromme Erziehung. Wenn nun dieser Vater stirbt, so ist die echte Gefühlsreaktion des Sohnes eine ungeheurere Erleichterung. Wenn dieser Sohn jedoch sehr „idealistisch" ist, wird sein Bedürfnis, sich selbst traurig zu sehen, so stark sein, daß ihm dies, jeder Augenscheinlichkeit zum Trotz, auch gelingen wird. Die Traurigkeit seiner Vorstellungen kann dann die Entspannung der Tiefenschicht größtenteils oder vollkommen verhindern. Dieser Missklang zwischen den Gefühls-„Erregungen" und den aus dem Vorstellungsablauf entstehenden Erregungs-„Zuständen" ist vom folgenden Gesichtspunkt her besonders auffallend: Mein absolutes, mein göttliches Idealbild schließt neben anderer, „göttlichen" Eigenschaften auch die "Beständigkeit", die „Unveränderlichkeit" mit ein. Das
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Absolute Prinzip, das Prinzipielle Eine, aus dem alles fließt, ist unveränderlich, steht über der Zeit und ihrem Wechsel. Daher ist auch eines der wesentlichsten Attribute meines eigenen Wunschbildes die „Ausgeglichenheit der Stimmungen", d. h. die Beständigkeit des Erregungszustands. Und weiter ergibt sich daraus, daß das Bild, das ich mir im Lauf des Tages von meinen Erregungszuständen mache, von mir zugunsten der Stabilität stark verfälscht wird. Sobald ich beginne, mit aufrichtigem Erkenntnisdrang die Spielarten meiner ursprünglichen Gefühlserregbarkeit zu beobachten, werde ich gewahr, daß solche Wandlungen weitaus häufiger und ausgeprägter sind, als ich annahm. Ein an mich gerichtetes Wort, ein Bild, das mir ins Auge fällt, ein Magenkrampf oder auch der Genuss von etwas Tee oder Kaffee genügen vollkommen, damit sich, auf der tabula rasa meiner Erregbarkeit Höhepunkte und Tiefpunkte eingravieren. Andrerseits liegt es an diesem Idealbild meiner selbst, daß meine gefühlsmäßigen Reaktionen rationalen Charakter annehmen sollen; ich erhebe nämlich Anspruch darauf, daß nur „große Dinge" mich wirklich erregen können, daß zwischen der Intensität meiner Gefühlsschwankungen und der Bedeutung, die meine „Vernunft" den mich betreffenden Ereignissen beimisst, ein bestimmter Parallelismus bestehe. Wenn ich ein kleines Kind beobachte, so beeindruckt mich die Unbeständigkeit (es geht oft unmittelbar vom Lachen zum Weinen über) und die Irrationalität seiner Gefühlserregungen (es gibt Zeichen eines heftigen Angstzustandes, wenn man ihm sein Spielzeug wegnehmen will); dies lässt mich an den gewaltigen Unterschied denken, der zwischen der Erregbarkeit dieses Kindes und der meinigen sich zeigt (die so "Viel stabiler und rationaler ist). In Wirklichkeit besteht dieser Unterschied nur zwischen meiner unechten Erregbarkeit und der Erregbarkeit des Kindes, und dieser Unterschied hängt an der ungeheuerlichen Lüge, welche durch die Ausformung meiner unechten Erregbarkeit entsteht. Nach und nach hat das Bedürfnis, mein eigenes Idealbild verwirklicht zu sehen, meine Gefühlserregbarkeit gefälscht. Sobald ich die ehrliche Anstrengung mache, die Spielarten meiner Gefühle zu sehen, wie sie sind, so sehe ich nur noch den Wechsel meiner echten Gefühle, und erkenne, daß zwischen mir und jenem kleinen Kind gar kein Unterschied besteht, denn meine wahre Gefühiserregbarkeit ist ebenso labil und irrational wie die seine. Die Arbeit an uns selbst, von der wir im Augenblick sprechen, (nämlich die Bemühung um unmittelbares Erfassen unserer momentanen Gefühlssituation), lässt einen intuitiven, unmittelbaren inneren Blick erwachen, der durch die falsche Erregbarkeit hindurchgeht, ohne bei ihr haltzumachen. Die einzige Gefühlserregbarkeit, die vor diesem Blick nicht dahinschwindet, ist die echte und ursprüngliche, jene die der Ebene der Empfindung oder der animalischen Ebene entspricht. Die Ebene des Bildes bzw. die „engelhafte", "ideale" Ebene wird zunichte. Es ist eine eigentümliche Enthüllung, die alleinige Wirklichkeit unserer irrationalen Gefühlsbewegungen festzustellen und zu erkennen, wie hartnäckig wir uns in Bezug auf sie belogen haben. Wir erkennen, daß unterhalb der von der
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Vorstellung aufgebauten „Engel-Bildungen." das Tier in unverminderter Weise in uns fortbestanden hat, und daß schließlich dieses Tier alles ist, was sich bis jetzt von unserm Gesamtwesen "verwirklicht" findet; alles andere ist unwirklich. Zu dieser Tierstufe müssen wir ganz bescheiden zurückkehren, um in ihrem Zentrum das Erwachen des immanenten und transzendenten Prinzips zu erfahren. Der intuitive innere Bück geht durch die falsche Erregbarkeit hindurch ohne bei ihr haltzumachen, d.h. er löst beim Hindurchgehen die Bilder des Vorstellungsablaufs auf. Doch wenn er auch diesen Ablaut auflöst, so kann er doch nicht die Verkrampfung der Tiefenschicht in ihrer eigentlichen Ursächlichkeit auflösen. Theoretisch begreife ich bereits: um das Unterbewusstsein selbst auszuschalten, genügt es nicht, den vorübergehend an das Unterbewusstsein gebundenen Vorstellungsablauf aufzulösen. Die Praxis liefert mir den handgreiflichen Beweis für das Fortbestehen der Verkrampfung in meiner Tiefenschicht. Und dieses Faktum führt mich dazu, noch intensiver nachzudenken und zu erkennen, daß die Verkrampfung, die ich als „anormal" bezeichnet habe, sich auf dem Wege findet, der zum Satori führt. In der Verkrampfung unseres Gesamtorganismus ist ein sicher sehr gesundes Element der „Bewegungslosigkeit" enthalten. Unsere spontane Entwicklung würde auf das Satori zulaufen, wenn wir „der Natur der Dinge" gehorchten, wenn wir aufhörten, irgendeinen „Satori-Ersatz" anzustreben. „Das Nichtstun", d. h. die Bewegungslosigkeit unseres Gesamtorganismus, die Bewegungslosigkeit seines Erscheinungszentrums erlaubt das Reifen des Satori. Es ist also an der Verkrampfung der Tiefenschicht etwas Richtiges und Normalisierendes. Sie ist heilsam, insofern sie die Tendenz hat, unser Zentrum bewegungslos zu machen. Wenn sie für uns bisher tatsächlich nicht normalisierend wirkte, so deshalb, weil wir uns in einem Reflex gegen diese Unbeweglichmachung gewehrt haben. Erinnern wir uns an die doppelte Verknüpfung zwischen der Erregbarkeit und dem Vorstellungsablauf: Erst lösen die Bilder die Verkrampfung aus, und dann löst der Verkrampfungszustand Bilder aus. Es ist unvermeidlich und nicht einmal ungünstig, daß die Bilder eine Verkrampfung auslösen, da dies zu der erwünschten Bewegungslosigkeit führt. Dagegen ungünstig und auch vermeidbar ist die Tatsache, daß der Verkrampfungszustand Bilder auslöst und dadurch fortgesetzte Veränderungserscheinungen der Verkrampfung zur Folge hat, Veränderungserscheinungen, die mich daran hindern, mir die als Möglichkeit in der Verkrampfung enthaltene Bewegungslosigkeit zu Nutze zu machen. Warum aber wird durch die Verkrampfung, oder vielmehr in Verbindung mit ihr, ein neuer Vorstellungsablauf ausgelöst, der mich daran hindert, bewegungslos zu werden? Weil ich beherrscht bin von einer falschen Vorstellung, der zufolge die Bewegungslosigkeit unheilvoll, ja tödlich ist. Da es mir an wahrem Vertrauen in mein Prinzip fehlt, bin ich der Überzeugung, daß ich selbst mein „Heil erwirken", daß ich durch persönliches Handeln meine endgültige Vollendung herbeiführen müsse. Solange diese Vorstellung in mir lebendig ist, lässt es sich nicht vermeiden,
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daß mein Verkrampfungszustand einen neuen Vorstellungsablauf, also einen circulus viciosus ständiger Bewegung auslöst. Um Schmetterling zu werden, muss die Raupe sich verpuppen. Wenn ich mich nun in dem circulus viciosus der Erregungszustände und Vorstellungsabläufe umherjagen lasse, so könnte man mich einer Raupe vergleichen, die den Prozess ihrer Verpuppung herannahen fühlt und nun hartnäckig sich gegen diese von ihr als Gefahr empfundene Unbeweglichkeit wehrt. Wenn ich jedoch begreife, wie absurd es ist, diese Unbeweglichkeit zu fürchten, wenn ich begreife, daß die Verkrampfung meiner Tiefenschicht nicht etwa Vernichtung, sondern nur scheinbaren Tod für mich bedeutet (Puppe), um mir dadurch erst zu wirklichem Leben zu verhelfen (Schmetterling), so werde ich gewahr werden, daß die Auslösung eines Vorstellungsablaufs durch den Erregungszustand durchaus nicht unvermeidlich zu sein braucht. Durch mein Verständnis und durch die daraus erwachsende Gewissheit komme ich zu der Einsicht, daß ich ohne weiteres in der Lage bin, mich mühelos in meine Angst, meine Trauer oder meinen Kummer zu „schmiegen", ohne daß dabei irgendein angsterregendes, trauriges oder kummervolles Bild entstehen müsste. Nach einer gewissen Zeit hört meine Traurigkeit auf, wirklich Traurigkeit zu sein und verwandelt sich in farblose Bewegungslosigkeit. Dann bin ich fühllos, empfindungslos, einem Stück Holze ähnlich, in gewissem Sinne „verdummt", jedoch durchaus fähig, sinnvoll zu handeln und wie ein in tadellosem Zustand befindlicher Roboter korrekt auf die Umwelt zu reagieren. Zu welch paradoxen Schlüssen gelangt doch unsere Untersuchung! Unsere anfänglichen Feststellungen verurteilten den Verkrampfungszustand und flößten uns Sehnsucht nach der dynamischen Gefühlserregbarkeit der frühen Kindheit ein. Doch es gibt keine Rückkehr, und darüber hinaus ist die innere Verfassung des Kindes dem Satori genau entgegengesetzt. Wir müssen also vorwärtsdringen. Das Bedauerliche an den Folgen unserer geistigen Entwicklung war nur darauf zurückzuführen, daß unser Intellekt nicht genügend aufgeklärt war und wir durch diese Unwissenheit der inneren Stilllegung Widerstand entgegensetzten. Dieser Widerstand gegen die Stilllegung rief immer neue Verkrampfungserscheinungen, wahre Wirbel der Angst hervor, und wir rieben uns dabei wund an den Fesseln, die uns umschlossen. Aber das Heilmittel ist genau da, wo wir das Übel zu sehen meinten: die Fesseln waren uns nur solange feindlich, als wir ihnen widerstrebten. Die Verkrampfung war nur solange sie noch emotional, d. h. in Bewegung war, zerstörerisch. Sobald wir aufhören, die Bewegungslosigkeit zu fürchten, befreien wir uns von dem vermeintlichen Zwang des Vorstellungsablaufs, der aus der Verkrampfung hervorgeht. Sobald die Verkrampfung nicht mehr emotionaler Natur ist, ist sie überhaupt keine Verkrampfung mehr, ist sie nur noch leidensfreie Bewegungslosigkeit. Dann wird die Reifung des Satori möglich. Immer gelangt unser Geist, in dem Augenblick, wo These und Antithese sich in einer Synthese lösen, schließlich zu dem Paradoxen, vor dem wir hier stehen:
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Anfangs waren wir von der völlig irrationalen Überzeugung durchdrungen, daß der Verkrampfungszustand unser eigentliches Leben sei (These); nun führt unser Nachdenken uns zu der diametral entgegengesetzten Überzeugung, daß unsere zentrale Verkrampfung unser Tod sei (Antithese); plötzlich erkennen wir durch eine geistige Intuition, daß ein bewusstes Festhalten am Verkrampfungszustand uns von ihm freimacht, d. h. daß dieses Festhalten Tod und Leben, Starrheit und Bewegung, Verkrampfung und Gelöstheit versöhnt. Das Paradoxon besteht nur dem Scheine nach, nur auf der formalen Ebene; hinter diesem Schein liegt die Versöhnung der Gegensätze. Unser Vergleich zwischen der Gefühlserregbarkeit und dem Muskel ermöglicht es uns übrigens, genauer zu bestimmen, welche neue Formmöglichkeit der Entspannung auftauchen wird, wenn wir aufhören, gegen die Stilllegung der Verkrampfung anzukämpfen. Dieser Vergleich bietet sich uns, wie wir gleich sehen werden, in einem Augenblick dar, wo er sich eigentlich nicht mehr anwenden lässt. Wenn mein Muskel sich zusammenzieht, so verkürzt er sich, wenn er sich dehnt, erreicht er wieder seine natürliche Länge und ist für eine neue, verkürzende Zusammenziehung bereit. Wenn ich nun keinerlei eigentliche innere Arbeit leiste, so setzt schließlich auch eine Abschwächung meiner zentralen Verkrampfung ein. Wie beim Muskel versetzt mich dieser Zustand dann in eine Entspannung, die eine neue Verkrampfung ermöglicht; bis hierhin lässt der Vergleich sich durchführen. Wenn ich mich jedoch bewusst meiner Verkrampfung anschmiege, so kommt es dadurch zu einer Erscheinung, die im physiologischen Bereich niemals auftritt: nämlich ein Muskel, der sich entspannen könnte, ohne länger zu werden, der sich entkrampfte, ohne seine ursprüngliche Länge wiederzugewinnen, der also gleichzeitig verkürzt und völlig entspannt wäre. Nehmen wir einmal an, daß irgendein Misserfolg mich in die Verkrampfung einer Demütigung versetzt. Wenn ich nun keinerlei eigentliche innere Arbeit leiste, wird dieses Gefühl der Demütigung mehr oder weniger schnell vorübergehen, und irgendwann werde ich wieder aus diesem Zustand herausgekommen sein. Dann werde ich mich zwar nicht gedemütigt fühlen, jedoch werde ich auf meinen gewohnten Anspruch zurückkommen und daher von neuem einer Demütigung ausgesetzt sein. Wenn ich dagegen in dem gedemütigten Zustand mich bewusst an meine Verkrampfung anschmiege, dann verschwindet diese Demütigung, ohne daß der falsche Anspruch wieder auftauchte. Mein zentraler Muskel (im Gegensatz zu allem was sich bei meinen organischen Muskeln beobachten lässt) entspannt sich, ohne seine Verkürzung aufzugeben; die Demütigung verwandelt sich in Demut. Der Vergleich mit dem Muskel (im seinen Dehnungs- und Zusammenziehungs Phasen) erweist sich als richtig. Wenn ein Erfolg mich schwellt, so fühle ich in der Tat mein Volumen verdoppelt, ja verzehnfacht. Sogar körperlich fühle ich wie meine Brust sich dehnt und freier atmet, wie meine Bewegungen ausladender werden. Drückt dagegen ein Misserfolg mich nieder, fühle ich mich klein, zusammengeschrumpft, „reduziert"; es liegt mir ein „Stein auf der Brust" und meine Bewegungen werden zaghafter.
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Die innere Arbeit, von der hier die Rede ist, besteht also darin, sich „guten Willens" in dieses reduzierte Volumen zu er- geben. Es entsteht dabei eine Art Kondensierung des Ego, das zwar hinsichtlich seines Volumens verneint, in seiner neuen Verdichtung jedoch bejaht wird. Ein solcher Prozess ist dem Vorgang vergleichbar, bei dem Kohle in Diamant verwandelt wird; das Ziel dieses Prozesses ist nicht etwa die Vernichtung, sondern die Verwandlung, das Transzendent werden des Ego. Durch die bewusste Hinnahme wird es möglich, daß die immer dichtere, also schwärzere und undurchsichtigere Kohle unmittelbar und plötzlich in einen durchsichtigen Diamanten sich verwandelt. Selbstverständlich können wir diese innere Geste des völligen Sichhineinschmiegens in die uns beschränkende Verkrampfung bei den ersten Versuchen nicht wirklich zur Durchführung bringen. Denn alle unsere früheren Automatismen treiben uns zu den genau entgegengesetzten Bewegungen. Die innere Arbeit besteht also darin, diesen nützlichen, inneren Schritt mit Beharrlichkeit immer wieder von neuem annäherungsweise zu vollziehen. Dies verleiht uns schon eine gewisse Ruhe, die fortschreitend zunehmen wird. So gehe ich auf die vollkommene Ruhe zu, die eines Tages die Auslösung des Satori möglich machen wird. Dabei lerne ich unter dem Vorstellungsablauf, durch den mein Zentrum mehr oder weniger verdeckt wird, das Unbehagen meines Innern ganz unmittelbar zu fühlen. Die Erwerbung dieser neuen inneren Empfindung ist die Voraussetzung für jedes weitere Bemühen. Schließlich wird meine Aufmerksamkeit sich plötzlich von dem Bilderablauf abwenden, um bis zu jenem tiefen Unbehagen, das ich in seiner Wesenseinheit schon vorausgefühlt habe, hinabzusinken und dort bewegungslos zu verharren. Und nun schmiege ich mich in dieses Unbehagen, das ich bisher immer floh (der einzige Ort, an dem der Löwe mir nicht mehr gefährlich werden kann, ist in unserm Falle sein eigener Rachen), oder bemühe mich wenigstens, so gut ich kann, mich hineinzuschmigen. Wir haben aber schon erfasst, daß unser Unbehagen abnehmen wird, je näher wir uns zum Ziele durcharbeiten, und wir beginnen nun zu begreifen, daß wir bis zu unserm eigenen Mittelpunkt (dorthin, wo unsre vermeintliche Angst zu sitzen schien) vorgedrungen sind. Da wir lange Zeit hindurch nur teilweise Erfolg hatten, vermag unsere Aufmerksamkeit unser Zentrum noch nicht in gleichbleibender Weise zu erreichen: sie erreicht es nur für kurze Augenblicke. Das Verschwinden meines Unbehagens beraubt nämlich die Aufmerksamkeit jeden Gegenstandes, so daß sie von neuem wieder durch Bilder eingefangen werden kann. So beginnt unter Umständen alles wieder von vorn, und unser „Erkenntnisdrang" muss große Ausdauer entwickeln. Diese innere Arbeit aber verbürgt die echte „Verzweiflung", aus der die Hoffnung quillt. Bisher hatte ich noch gehofft, daß die Konvulsionen des Vorstellungsablaufs eines Tages meine Verkrampfung beseitigen würden. Wenn ich irgendeinen Kummer hatte, so unterwarf ich mich der Zwangsarbeit fruchtlosen
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„Wiederkäuens" (und zwar, weil ich sie für nützlich hielt), und so geriet ich in eine Art Gefängnis, in das mein sinnloses Vertrauen in meine eigene Einbildungskraft mich geworfen hatte. Nun aber erkenne ich diese Einbildungskraft als das, was sie ist: eine fruchtlose Täuschung. Die falsche Hoffnung, die ich auf ihr Wirken gesetzt hatte, verwandelt sich jetzt In die echte Hoffnung, die ich auf ihr Nicht-Wirken setze, und so öffnet sich das Tor meines Gefängnisses. Endlich darf ich leiden ohne schmerzhaftes "Wiederkäuen", das heißt, ohne meinem eigenen Leiden Dauer zu verleihen. Endlich habe ich das Recht, aus der zum Wesen meines Leidens gehörenden Unbeständigkeit Nutzen zu ziehen, und mir von meinem Prinzip Linderung gewähren zu lassen ohne eigenes Dazutun. Ich "opfere" mein Leiden, indem ich mich nicht mehr zwinge, für ein Nichts zu leiden, und ich speichere die Lebensenergie, die ich bis jetzt vergeudet hatte, für meine Verwandlung auf. Zweifellos wäre die Beschreibung der inneren Geste, von der wir sprechen, für uns von besonderem Interesse. Leider versagt sich aber die Sprache einer Darstellung der ganz „innerlichen" Dinge; sie verliert ihre Kraft, sobald wir uns den Grenzen nähern, die die Welt der Erscheinungen und Formen umschließen. Vielleicht könnte man sagen, daß das, was unter dem Vorstellungsablauf wahrzunehmen wäre, etwa die Empfindung eines Krampfes in der Tiefe, einer lähmenden Umarmung, einer starrmachenden Kälte wäre (so wie die Kälte den Fluss durch das Gefrieren erstarren lässt), und daß gerade auf dieses harte, kalte und starre Lager unsre Aufmerksamkeit gebettet bleiben soll. Es ist, als ob wir unsern Körper ganz ruhig auf einem harten aber freundschaftlich gesinnten Felsen ausstreckten, der genau nach unsern Formen gebildet wäre. Doch hat eine solche Darstellung nur hinweisenden Wert. Jeder muss in sich selbst jene Erfahrung machen im Lichte des Verständnisses, das sich ihm erschlossen hat.
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XVI. ÜBER DAS GEFÜHLSLEBEN Nunmehr können wir die vorausgegangenen Studien vertiefen, indem wir die Gesamtheit des bewussten Gefühlslebens, d. h. die Gesamtheit aller jener inneren Vorgänge, durch welche wir Lust oder Unlust bei der Berührung mit der Außenwelt erfahren, näher ins Auge fassen. Da jene beiden Pole: Lust und Unlust in Verbindung stehen mit den quantitativen Veränderung ein- und derselben Sache, nämlich des Bewusstseins, als individuelles Einzelwesen zu „sein", können wir unsere Darlegungen vereinfachen, indem wir nur von den Erscheinungen der Unlust sprechen; denn was für die Unlust gilt, wird auch für die Lust Geltung besitzen. Zunächst sieht es so aus, als gäbe es zwei Arten von Sensibilität: die physische (physischer Schmerz) und die psychische (seelischer Schmerz). Ich kann den Schmerz, den ein Abszess mir verursacht, nicht in einem Atem nennen mit dem Leid, das der Tod eines geliebten Menschen mir zufügt. Diese zweierlei Empfindungsweisen scheinen einerseits dem Stofflichen (oder Körperlichen) in mir zu entsprechen, andrerseits dem Unstofflichen (oder Geistig-seelischen). Die physische Sensibilität lässt Empfindungen zu, die angenehmer oder unangenehmer Art sein können, die psychische Sensibilität hat es mit Gefühlen zu tun, die ebenfalls angenehm oder unangenehm sein können. Notwendigerweise unterscheiden wir in der praktischen Psychologie scharf zwischen diesen beiden Bereichen der Sensibilität. Doch diese „leib-seelische" Zweiheit bezeichnet nur zwei verschiedene Aspekte einund derselben Sache: nämlich unseres psycho-somatischen Gesammtorganismus. Es handelt sich also nur um zweierlei Aspekte (die sich nur für den außenstehenden Beobachter unterscheiden) des einen Wesens, das ich „Ich" nenne, jenes Mikrokosmos, der synthetischer Natur und in sich geschlossen ist, und der eine Teiläußerung des Absoluten Prinzips darstellt. Wenn ich ein Stück Karton senkrecht vor mein linkes Auge halte, so sieht mein linkes Auge dieses Blatt als gerade Linie, während das rechte Auge es als Fläche sieht. Dennoch ist das Kartonblatt nur eines. Man könnte also sagen, daß es gleichzeitig Linie und Fläche sei, könnte jedoch ebenso gut sagen, es sei weder Linie noch Fläche. In jedem Falle handelt es sich immer nur um ein- und dasselbe Stück Karton. Sind also auch Leib und Seele nur zwei verschiedene Aspekte ein- und derselben Erscheinung, so sind notwendig auch die physische und die psychische Sensibilität nur zweierlei Aspekte ein- und derselben Sensibilität. In Wirklichkeit gibt es nur einen Organismus unter zweierlei Aspekten. Ebenso gibt es in Wirklichkeit nur eine Sensibilität mit zwei verschiedenen Aspekten.
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Nun, da ich hinter den verschiedenartigen Aspekten des Gefühls und der Empfindung eine Wesenseinheit erkenne, bin ich versucht, den Schluss zu ziehen, daß nur einer dieser Aspekte wirklich, der andere aber unwirklich sei. So werde ich z. B, versuchen, alle Äußerungen meiner Sensibilität auf die Empfindung zurück- zuführen. Es gibt nur Empfindungen, werde ich denken. Der physische Schmerz ist eine Empfindung, die den Körper nur teilweise trifft, d. h. insoweit er ein Aggregat von Organen ist. Der psychische Schmerz ist dann eine Empfindung, die den Körper als Ganzes in Mitleidenschaft zieht, was durch die Vorstellung von mir selbst als eines umfassenden Ganzen ermöglicht wird. Doch alle diese klug ersonnenen Versuche werden scheitern müssen. Wenn ich meinen Körper als eine Anhäufung von Organen zu betrachten geneigt bin, so habe ich damit wieder nur einen durch meine Analyse künstlich herausgelösten Aspekt, bei dem das versöhnende Prinzip, das diese Zusammensetzung von Organen einst zu einem Ganzen macht, außer Acht gelassen wird. Mit dem Begriff eines Aggregates von Organen ist mein Soma also nicht definiert. Wenn ich andrerseits mein Soma als geschlossene Ganzheit betrachte, so kann ich auch dies nur durch einen analytischen Kunstgriff vollziehen. Mein Leib existiert ja nur kraft seiner Verbindungen zu dem übrigen Kosmos, nur als ein Teil des kosmischen Ganzen. Auch der Begriff einer in sich geschlossenen Wesenheit kann also meinen Körper nicht definieren. Da es mir nicht gelingt, einen genauen Begriff für meinen Körper zu finden, so kann ich ihn auch nicht zum Kriterium für eine einzige Art von Sensibilität nehmen, die nur aus Empfindungen bestünde. Nach dem Scheitern des „materialistischen" Versuchs lockte mich nun der entgegengesetzte, der „idealistische". Diesmal werde ich denken, es gebe nur „Gefühle", es gebe keinen „physischen" Schmerz, da ich ja allein über mein Gehirn, über ein vorgestelltes Bild, etwas Unangenehmes wahrzunehmen imstande bin. Letzten Endes ist also jedes unangenehme Gefühl psychischer Herkunft, es gibt also nur „seelische" Leiden. Bin ich zuvor daran gescheitert, meinen Leib als eine in sich geschlossene Wesenheit zu begreifen, die ich zum Kriterium nehmen könnte, so scheitere ich jetzt daran - und in gewisser Hinsicht noch endgültiger - die Welt meiner inneren Vorstellungen als geschlossene Wesenheit zu begreifen. Wenn ich nicht durch mein Soma definiert werden konnte, so kann ich noch weniger durch meine Psyche definiert werden. Es gelingt mir also nicht, meine Sensibilität auf einen ihrer beiden Aspekte zu beschränken, wie es mir auch nicht gelingen konnte, meinen psycho-somatischen Gesamtorganismus auf einen seiner beiden Aspekte zurückzuführen. Ich bin Soma und Psyche zugleich und ebenso auch weder das eine noch das andere. Auch meine Sensibilität ist physisch und psychisch zugleich und ebenso gut keines von beiden. Soweit es sich um meinen psycho-somatischen Gesamtorganismus handelt, gelange ich zum Begriff des „Selbst" oder des Absoluten Prinzips, insofern es in mir Gestalt wird, und dieser Begriff allein ist imstande, den psycho-somatischen Dualismus aufzulösen. Wie aber nun den Dualismus innerhalb meiner Sensibilität lösen? Was ist denn diese meine Sensibilität mit ihren beiden Aspekten in Wirklichkeit? Da ich den Sitz dieser Sensibilität weder im stofflichen
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Bereich (Organe), noch im unstofflichen Bereich (Bilder) zu erkennen vermochte wo ist dieser Sitz also zu suchen? Solange die Untersuchung der Sensibilität auf der Unterscheidung Soma-Psyche basierte, hatte sie einen ungeeigneten Ausgangspunkt. Sie ging dabei nämlich von einer künstlichen Unterscheidung aus und es ist nicht erstaunlich, wenn sie nicht zum Ziele führen konnte. Wir müssen sie von neuem in anderer Weise anpacken, in einer Weise, die sowohl unsre physische als auch unsre psychische Sensibilität umschließt. Anstatt die Phänomene der Sensibilität nach ihrem Entstehen zu untersuchen, wollen wir dieses allmähliche Zustandekommen selbst unter die Lupe nehmen. Zu diesem Zweck gehen wir von einer alltäglichen Erfahrung aus: Eines Tages spüre ich in meinem Arm einen rheumatischen Schmerz von mittlerer Stärke. Ein Freund kommt mich besuchen, verwickelt mich in ein Gespräch und verlässt mich dann wieder. Nach seinem Weggang spüre ich meinen Schmerz von neuem und merke erst jetzt, daß ich ihn während des Gesprächs gar nicht mehr gefühlt hatte. Ich sage mir nun, daß während des Gesprächs mein Schmerz sicher auch da war, und das trifft auch durchaus zu. Doch hatte ich kein Gefühl mehr dafür, weil ich abgelenkt war. Wenn ich nun anstelle des rheumatischen einen „seelischen" Schmerz von mittlerer Stärke fühle, irgendeine Widerwärtigkeit, die mich verstimmte, bevor mein Freund kam, so wird die gleiche Erscheinung auftreten. Die Unterscheidung, die hier in Frage kommt, muss also nicht getroffen werden zwischen zwei verschiedenen Arten von Schmerzen, sondern zwischen zwei Stadien der Entstehung des Schmerzes, ganz gleich, ob dieser Schmerz nun körperlich oder seelisch ist. Was ging vor, während ich abgelenkt war? Darf ich wirklich annehmen, mein Schmerz sei zwar vorhanden, mir aber nicht bewusst gewesen? Sicherlich nicht. Ich kann doch nicht einfach behaupten, daß ein Schmerz da sei, wenn ich ihn nicht fühle. Dennoch kann es kein Irrtum sein, wenn ich annehme, daß während meines Abgelenktseins „irgendetwas" weiterging, was mir dann den Schmerz wieder zurückgab. Doch was ist dieses „etwas"? Ich werde dazu geführt, eine Unterscheidung aufzustellen, durch die meine vorher erwähnte Erfahrung verständlich wird. Es ist die Unterscheidung zwischen dem schmerzhaften Reiz und dem Bewußtsein des Schmerzes. Während meines Abgelenktseins dauerte der Schmerz an, doch das Schmerzbewußtsein hörte auf. Nun diese Unterscheidung aufgestellt ist, erkenne ich auch, wie man in entsprechender Weise wieder zur psycho-somatischen Unterscheidung zurückfinden kann; denn der Schmerzreiz ist ein somatisches, das Schmerzbewußtsein ein psychisches Phänomen. Jetzt können auch die „materialistischen" und die „idealistischen" Deutungsversuche, die wir vorhin scheitern sahen, zu etwas Gültigem führen. Der Schmerzreiz ist eine Erscheinung, die mein Soma betrifft, und zwar entweder partiell, insoweit dieses ein Aggregat von Organen ist (physischer Schmerzreiz), oder aber total, insoweit mein Soma eine Ganzheit ist (sogen. „ psychischer" Schmerzreiz, der durch meine eigene Vorstellung von mir als einem Ganzen, die Ganzheit des Somas in Mitleidenschaft zieht). Der Schmerzreiz kann vom stofflichen (Ebene der Empfindung) oder vom
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subtilen (Ebene des Gefühls oder Bildes) Bereich ausgehend uns erreichen. Die „materialistische" These lässt sich also vom Schmerzreiz her gesehen durchaus anwenden; denn mein Körper ist immer schmerzhaft gereizt, sei es als Teil oder als Ganzheit. Die „idealistische" These lässt sich anwenden, wenn wir nun zum Gegenpol, nämlich zum „Schmerzbewußtsein" kommen: Immer ist sich unser Geist des Schmerzes bewusst, ob nun der Schmerzreiz den Körper als Teil oder als Ganzes betroffen hat. Fassen wir nun die beiden Pole „Schmerzreiz - Schmerzbewußtsein" näher ins Auge und fragen uns, in welchem dieser Pole der Schmerz seinen eigentlichen Sitz hat. Von neuem beginnen Schwierigkeiten: Es ist mir nicht möglich, den Schmerz in den Bereich des Schmerzreizes zu verweisen und das Schmerzbewußtsein dabei außer Acht zu lassen; noch weniger aber kann ich mir einen Schmerz vorstellen, der reines Bewußtsein ohne Schmerzreiz wäre. Wo also ist der Ort des Schmerzes? Die Frage nach dem „Ort" ist nach unserer „Raum-Zeit" Perspektive die Form, in der die andere Frage: „Was ist die „Wirklichkeit" des Schmerzes?" ihren Ausdruck findet, oder besser: „Was ist die Ursache des Schmerzes?", denn die Ursache ist die Wirklichkeit der Wirkung. In Bezug auf mein Schmerzbewußtsein ist der Schmerzreiz ursächlich: das Bewußtsein ist betroffen, weil der Körper betroffen ist. Doch ist das Betroffensein des Körpers selbst wieder Wirkung einer Ursache. Diese Ursache ist nicht, wie man zunächst annehmen möchte, die Außenwelt. Tatsächlich ist das Angegriffen sein meines Körpers eine Reaktion auf die Aktion der Außenwelt. Nun kann die Aktion der Außenwelt zwar auslösende, aber keinesfalls bewirkende Ursache genannt werden. Die bewirkende oder wirkliche Ursache der Reaktion meines Körpers liegt in meinem Körper und nicht außerhalb. Sie liegt in meinem Lebensprinzip, im Kern meiner Gestaltwerdung, d. h. im Absoluten Prinzip, insoweit es in mir in Erscheinung tritt. Wir finden also bei der Entstehung des bewussten Schmerzes drei Stufen: zuerst das Absolute Prinzip, dann mein Soma, das, vom Absoluten Prinzip bewegt, das hervorbringt, was wir „Schmerzreiz" genannt haben, und schließlich mein „psychisches" Bereich, das, vom Schmerzreiz bewegt, das Schmerzbewußtsein entstehen lässt. Das Absolute Prinzip entspricht dem prinzipiellen Unbewusstsein, der Schmerzreiz dem „Unterbewussten" (der Schmerz war, während ich abgelenkt war, unterbewusst), das Schmerzbewußtsein dem Bewussten. Wir erkennen also, daß der Schmerz als Ganzes genommen, ein ununterbrochener Energiestrom ist, der sich vom universalen Zentrum kommend nach der Peripherie hin auflöst. Die Wirklichkeit oder der Urgrund dieser Strömung ruht im prinzipiellen Unbewussten. Das bedeutet, daß die Wirklichkeit des bewussten Schmerzes unbewusst ist. Das bedeutet, daß wir uns einer Täuschung hingeben, wenn wir unsre bewusste, in Erscheinung tretende Sensibilität als eine sich selbst genügende Wesenheit betrachten, nach der wir unser Leben einrichten können. Vielleicht könnte man entgegnen: „Zweifellos sind die Erscheinungen der
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Sensibilität, wie alle Erscheinungen, nicht die Absolute Wirklichkeit, immerhin eignet ihnen aber die relative Wirklichkeit der Erscheinungswelt". Doch trifft dies nicht zu, denn der energetische Zersetzungsprozess, der durch das Phänomen des Gefühls dargestellt wird, geht unaufhaltsam von Unendlich zu Null, ohne auch nur für einen Augenblick sich in einer Form zu integrieren. Die Organe besitzen eine relative Wirklichkeit, weil sie eine Integrierung der Energie in stofflicher Form sind. Die geistigen Vorstellungen besitzen eine relative Wirklichkeit, weil sie eine Integrierung der prinzipiellen Energie in subtiler Form sind. Doch Lust und Schmerz, Freud und Leid, sind keine Integrierung in Formen, weder stofflicher noch subtiler Art. Das schmerzhafte Betroffensein meines Körpers hat stoffliche Form, das schmerzhafte Betroffensein des Bewusstseins, das darauf reagiert, hat subtile Form. Das bedeutet, daß die rein stoffliche Erscheinung des Schmerzes, ebenso wie die subtile, eine Form hat. Doch der Schmerz selbst, der solcherart in zweierlei Formen in Erscheinung tritt, entzieht sich jeder Form, ebenso wie das Absolute Prinzip, das seine einzige Wirklichkeit ist. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß wir wegen des Fehlens jeglicher Form unsern Schmerz nie werden greifen können. Weiter oben haben wir behauptet, daß jede Bemühung, die Traurigkeit zu erfassen, damit ende, traurige Bilder zu erfassen, und daß die Traurigkeit selbst jedoch sich uns entziehe. Genauso verhält es sich beim physischen Schmerz. Wenn der Arm mir weh tut und wenn ich versuche, diesen Schmerz zu erfassen, so gelingt es mir lediglich, in einem aktiven Wahrnehmungsvorgang meinen leidenden Arm, nicht aber meinen eigentlichen Schmerz zu erfassen. Dieser entzieht sich meinem Zugriff; er kann mich, nicht aber ich ihn erfassen. Diese Beobachtungen werden sich erhellen, sobald wir sie von anderer Seit her angehen. Die körperliche Schmerzreaktion auf den Reiz aus der Außenwelt, eine Reaktion, die dann mein Schmerzbewußtsein bedingt, entsteht mir kraft des mir innewohnenden „Lebensbedürfnisses". Dieser Verteidigungsmechanismus setzt voraus, daß mein Dasein verteidigt werden soll; die Vorstellung, daß das, was meine Existenz bedroht, mich bedroht, gehört zu seinem Wesen. Doch fühle ich mich durch das, was meinen Körper bedroht, immer nur in dem Maße selbst bedroht, in dem ich mich ausschließlich mit diesem meinen Körper identifiziere. Dieser Gleichsetzung wegen findet der zeitlose Wille zum „Sein", das eines der Attribute des „prinzipiellen Seins" ist, in meinem Körper durch den Willen, im Dasein zu verharren, also durch das Lebensbedürfnis, seinen Ausdruck. Die Verwechslung von Ich und Selbst (anders ausgedrückt die ausschließliche Identifizierung mit meinem Körper, oder auch der Glaube an die absolute Wirklichkeit unsres Daseins in der Welt der Erscheinungen), diese trügerische Verwechslung verleiht der Außenwelt die Macht, meine Energie aus ihrem innersten Quell emporsteigen zu lassen und sie damit der Zersetzung durch den Schmerz auszuliefern. Wenn ich nicht unwissend wäre, wenn ich mich nicht mit meinem Organismus identifizierte, wenn ich, wie Sokrates, imstande wäre zu sagen: „Meine Feinde können mich töten, aber schaden können sie mir nicht", so
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würde ich, was meinen Organismus bedroht, nicht als wirkliche Bedrohung meines Ich empfinden. Ich würde nicht leiden; ich würde zwar merken, daß mein Körper bedroht ist, ich würde mir darüber klar sein, daß das glühende Eisen, das mich brennt, mich tatsächlich brennt, ich könnte mich also dieser Berührung entziehen, sofern es mein vernünftiger Wille wäre, am Leben zu bleiben. Aber ich würde nicht leiden, ich würde keinem inneren Zwang erliegen, mein Leben zu verteidigen. In voller Freiheit würde ich entscheiden, mein Leben den Umständen gemäß zu verteidigen oder nicht zu verteidigen. Ich könnte mich retten, wäre aber nicht durch den Schmerz gezwungen, es zu tun. Alle Affekte haben ihren Grund in der Unwissenheit, in den stillschweigenden trügerischen Überzeugungen, die das Schlummern meines Vertrauens in die Einzige Wirklichkeit, das Schlummern des Kosmischen Geistes in mir darstellen. Es ist keine Illusion, wenn ich den aggressiven Reiz der Außenwelt wahrnehme, denn so erhalte ich genaue Auskunft über die Erscheinungen, die meinen Organismus angreifen. Doch falsch ist das Gefühlshafte an meinen Wahrnehmungen, sei es angenehmer oder unangenehmer Art, da es auf falschen Voraussetzungen beruht. Ich täusche mich zwar nicht, wenn ich das, was mir begegnet, als günstig oder ungünstig für mein Dasein beurteile; doch verfalle ich einem Irrtum, wenn ich den Maßstab des „Guten" oder „Bösen" anlege, d. h. sobald ich es gefühlsmäßig beurteile. Die Empfindung des Gebranntwerdens ist kein Trug, dagegen aber der Schmerz bei der Verbrennung. Meine Wahrnehmungen sind in Ordnung, insofern sie mich über etwas unterrichten, sie sind trügerisch, insofern sie mich gefühlsmäßig berühren. Während mein Absolutes Prinzip „ist" und mein Organismus „existiert", das Noumenon „ist" und die Phänomene „existieren", eignet meinen Gefühlen weder Sein noch Existenz. Jede Erscheinung meines Gefühlslebens ist die aus meiner Unwissenheit entstandene verfälschende Interpretation an sich vollkommen neutraler Phänomene. Unser gesamtes Gefühlsleben ist ein aus falschen Überzeugungen hervorgegangenes Delirium. Im Übrigen bin ich in jedem Augenblick, in welchem ich gefühlsmäßig auf irgendetwas reagiere, jeweils für die ganze übrige Welt unempfindlich. Doch solange Glaube und Vertrauen durch das Satori noch nicht erwacht sind, lässt meine Aufmerksamkeit sich von den irreführenden Gefühlen ganz gefangen nehmen und wendet sich von allem ab, was nicht unmittelbar zum Gefühlsbereich gehört. Die Arbeit an sich selbst belässt die Dinge in diesem augenblicklichen Zustand, sie lässt die Aufmerksamkeit sich ruhig auf die Pseudo-Phänomene der Gefühle richten. Ja, sie tut noch mehr: Sie lässt nicht nur passiv die Aufmerksamkeit jene Richtung einschlagen, sie treibt sie sogar aktiv in diese Richtung hinein. Und so werfe ich meine aktive Aufmerksamkeit nun dahin, wo ich von etwas Unbegreiflichem betroffen wurde und wo dieses Betroffensein im Leiden seinen Ausdruck fand, um zu erfassen, was mich erfasste, um zu erfassen, was ich mein Leiden nenne. Nun, da mein Verstehen die Angst ihres Stachels beraubt hat, habe ich den Mut, mich mit echter Wissbegierde nach jenen
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hypothetischen Flammen umzuwenden, die meine Flucht nur geschürt hatte. Die innere Bemühung, nun selbst das zu erfassen, was zuvor mich erfasst hatte, bringt meinem Schmerz Linderung. In diesem Sinne müssen wir auch das „Loslassen" der Zenlehre verstehen. Diese innere Geste vermag die Energie, die „gezwängt" war, zu befreien, vermag aufzulösen, was „geronnen" war. Sie versetzt mich in einen Zustand der Fühllosigkeit, der nicht bloße Abwesenheit von Gefühlen ist, sondern das „Nicht-Fühlen" selbst, das bewegungslose Prinzip aller Gefühlsregungen. Er bereitet die Explosion des Satori vor, indem er die Parteilichkeit der Gefühle aufhebt, er heilt die „Krankheit des Geistes", die nach der Lehre des Zen darin besteht, daß wir das, was wir lieben, dem, was wir nicht lieben, entgegensetzen.
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XVII. REITER UND PFERD Der Dualismus zwischen Yin und Yang, der Dank der Versöhnung des Tao die Welt regiert, ist im Menschen wie in jedem geschaffenen Ding zu finden. Der Mensch ist sich dieses Dualismus bewusst, und dieses Bewusstsein findet seinen Ausdruck in der Überzeugung, daß er aus zwei selbständigen Teiler, zusammengesetzt sei, die er "Körper und Seele", „Stoff und Geist", „Instinkt und Vernunft" oder anders nennt. Der Glaube an eine solche zweigeteilte Konstitution zeigt sich in allen möglichen Redewendungen, wie z. B. „Ich bin Herr meiner selbst", „Ich kann mich nicht enthalten ...", „Ich bin mit mir zufrieden", „Ich bin mir böse" usw. Doch wir wissen, daß der Glaube an die Autonomie jener beiden Bereiche eine Täuschung ist. Es gibt keine zwei verschiedenen „Teile" beim Menschen, sondern nur zwei verschiedene Seiten eines einzigen Wesens. In Wirklichkeit ist ja der Mensch ein Individuum, das nur durch die irreführenden Erklärungsversuche der analytischen Betrachtungsweise künstlich geteilt wird. Der Irrtum der dualistischen Auffassung besteht nun nicht darin, daß wir zweierlei Aspekte bei uns unterscheiden - denn es gibt zwei verschiedene Aspekte -, sondern darin, daß wir diese zwei verschiedenen Aspekte als zwei verschiedene Wesenheiten betrachten, von denen die eine vergänglich, die andere aber ewig wäre. Im Übrigen aber zeigt uns die Beobachtung gar nicht das Vorhandensein von zwei getrennten Bereichen, sie zeigt vielmehr, daß alles abläuft, als gäbe es diese zwei, durch eine Trennungslinie streng voneinander geschiedenen Bereiche. Nur unser unbelehrter Intellekt macht fälschlicherweise den Sprung von der Feststellung, „alles läuft ab, als ob" zu der irrigen Behauptung, daß es in uns tatsächlich zwei voneinander getrennte Bereiche gäbe. In Wirklichkeit läuft alles so ab, weil wir daran glauben, daß es so sei, oder genauer, weil unser universales Bewusstsein im Schlummer liegt, welches allein imstande ist, uns unsere wahre innere Einheit zu offenbaren, Ein Bild wird uns helfen, diese Frage zu verstehen. Von seinen beiden „Teilen" sieht der Mensch den einen als niedrig, triebhaft, affektbestimmt, motorisch, irrational an, den andern als überlegen, vernünftig, führend und fähig zu bestimmen, was der niedrige Teil ausführen soll. Das bedeutet, daß er sich als einen Reiter sieht, der auf einem Pferd sitzt. In Wirklichkeit jedoch - und daran erinnert uns das Zen - sind wir nicht Reiter und Pferd, getrennt durch eine Linie. Das wahre symbolische Bild des Menschen wäre der Kentaur, jenes einzigartige Wesen, das zweierlei Aspekte zulässt, die durch keine Trennungslinie geteilt sind. Wir sind Kentaur, und doch läuft alles ab, als
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wären wir Reiter und Pferd, eben weil wir an die Trennungslinie zwischen beiden glauben, oder genauer, weil wir die Einheit nicht erkennen, die jene beiden Aspekte umfasst. Wir wollen nun näher zu definieren versuchen, was wir bei unserer konkreten Struktur als Pferd und was als Reiter zu betrachten pflegen, um dadurch zu verstehen, warum wir dieses abwegige Bild von uns selbst haben. Vom morphologischen Gesichtspunkt ausgehend, sind wir zunächst versucht, die Grenze zwischen dem Pferd und dem Reiter zu ziehen. Das Pferd entspräche dann unserer körperlichen Gestaltwerdung oder dem Soma, der Reiter unserer subtilen Gestaltwerdung oder der Psyche. Doch dieser morphologische Ausgangspunkt stimmt nicht zu dem Gesichtswinkel, unter welchem wir momentan den Menschen betrachten. Wir untersuchen ja nicht nur die verschiedenen Erscheinungsformen beim Ablauf des menschlichen Mechanismus, sondern die Frage nach der Bestimmung dieses Ablaufs. Über die Frage nach dem Ablauf unseres Lebens hinausgehend, untersuchen wir jetzt die Richtung dieses Ablaufs. Von dieser höheren Warte aus gesehen sind die beiden „Teile" des Menschen nicht mehr zwei Erscheinungsformen von teils physiologischen teils psychologischen Vorgängen, sondern zwei Seinsformen, zwei Stile, zwei verschiedene Rhythmen der Gestaltwerdung unseres Seins. Das Pferd verkörpert eine Seinsform, bei der mein Denken nicht unabhängig und unparteiisch funktioniert. Es ist mein persönliches, ichbezogenes, parteiergreifendes Leben, mein Leben das ich lebe, wenn mein Intellekt mit meinen Wünschen und Befürchtungen, mit meinem Affektleben überhaupt gekoppelt ist. Es ist mein Leben, wenn in mir nur das niedrige Prinzip der Versöhnung wirkt, der Demiurg, der nur über den Wechselvorgängen der zeitlichen Ebene thront. Es ist die Natur, die in mir sich will und die durch mich hindurch ihre Zwecke erfüllt. Es ist mein Ich, insoweit ich mich abgrenzen will, insoweit ich neben dem Nicht-Ich und gegen das Nicht-Ich, Ich sein will. Der Reiter ist die Verkörperung einer Seinsform, bei der mein Denken, befreit von der Verkoppelung mit dem Affektleben, unabhängig und unparteiisch arbeitet. Er verkörpert meine freie Einsicht, meine unparteiische Vernunft, mein reines, objektives oder universales Denken. Er ist Ich, insoweit ich denke, ohne mich abgrenzen zu wollen, insoweit ich außerhalb jedes Gegensatzes zwischen Ich und Nicht-Ich stehe. So verstanden ist der Reiter nicht eigentlich ein Motor. Er ist zwar das Richtungsprinzip für die Bewegung des inneren Triebwerkes, aber er ist nicht der Motor. Obwohl er das Prinzip meines „Handelns" ist, ist er selbst „Nicht-Handeln". Wenn also Reiter und Pferd beide eine Seinsform darstellen, so ist allein das Pferd auch eine Lebensform; der Reiter ist keine Lebensform - da Leben, die Bewegung einbegreift und der Reiter Nicht-Handeln ist -; er ist eine Denkform ohne Rücksicht auf mein Leben. Notwendigerweise ist mein Leben in jeder aktuellen Situation ichbezogen, parteiisch, natürlich und gefühlsgebunden. Sobald mein Denken unabhängig von meinen Affekten einsetzt, ist es auch nicht mehr an
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mein persönliches Leben, ja an mein Leben überhaupt gebunden. Anders ausgedrückt bedeutet das Pferd mein Leben, das von einem Partei ergreifenden Denken seine Ausrichtung erfährt. Der Reiter entspricht dem reinen, handlungsfreien Denken. Wenn meine Aufmerksamkeit ganz durch mein Leben in Anspruch genommen wird, bin ich Pferd, wenn sie dieser Haft entkommt und meine freie Einsicht aktiviert, bin ich Reiter. Die bewusste Aufmerksamkeit, die unteilbar ist, kann niemals gleichzeitig auf das Leben und auf das reine Denken über diesem Leben gerichtet sein; notwendigerweise ist sie auf den einen oder den andern dieser beiden Aspekte meines Wesens gerichtet. Die Augenblicke, in denen ich mich durch die Ausrichtung meiner Aufmerksamkeit mit dem Pferd (wenn ich fühle oder handle) oder mit dem Reiter (wenn ich denke) identifiziere, wechseln einander ab. Die Tatsache, daß allein das Bewusstsein der Oberflächenschicht meines Wesens jeweils in mir wach ist — und daß ich daher immer nur abwechselnd Pferd oder Reiter sein kann —, ist der Grund dafür, daß ich an jene Trennungslinie zwischen den beiden „Bereichen" glaube, obgleich in Wirklichkeit diese Linie nicht existiert. Die vermeintliche Trennungslinie zwischen Pferd und Reiter bedeutet keine Trennung zwischen zwei zu gleicher Zeit wirkenden Teilen, sie ist nur die abwegige Ausdeutung der Tatsache, daß ich mir nicht gleichzeitig meines einseitig festgelegten Lebens und meiner über alles Parteiergreifen erhabenen Vernunft bewusst sein kann. Wenn ich nämlich kein Erinnerungsvermögen hätte, käme es nicht zu dieser Ansicht der Dinge. Es gibt diese Erklärung, eben weil ich ein Erinnerungsvermögen besitze und weil meine Vorstellungskraft dank dieser Fähigkeit beide Seinsformen gleichzeitig hervorrufen kann, deren ich mir jedoch nie gleichzeitig bewusst bin. In der Erinnerung evoziere ich zur selben Zeit das Bild des Pferdes und des Reiters, und so habe ich das Bild dieser beiden Aspekte gleichzeitig vor Augen, die für das Bewusstsein der Oberflächenschicht nie nebeneinander existieren können. Da nun das Pferd und der Reiter, die wir als zwei verschiedene Seinsformen definiert haben, nie gleichzeitig in mein Bewusstsein treten können, kann das Pferd nie eigentlich gelenkt werden. Wir wollen damit sagen, daß der Reiter die Bewegung des Pferdes dann nicht lenkt, wenn diese Bewegung gerade ausgeführt wird. Trotzdem übt das Tun des Reiters auf das Verhaken des Pferdes einen lenkenden Einfluss aus, doch ist dieser Einfluss indirekt und zeitlich unabhängig. In dem Augenblick, da der Reiter erwacht (da also die erwachte Aufmerksamkeit nicht mehr auf das Pferd gerichtet sein kann), erkennt er dank seines Erinnerungsvermögens, wie das Pferd noch einen Augenblick zuvor funktioniert hat und misst dieses Verhalten an der nach seiner Auffassung idealen Norm. Dieses günstige oder ungünstige Urteil führt jeweils zu einem bejahenden oder verneinenden Bild, das dem Pferde schmeichelt oder es in seinem Bedürfnis nach IchBestätigung vernichtet. Wenn nun die Aufmerksamkeit wieder zu dem Pferde zurückkehrt, wird dieses die Nachwirkungen des Urteils, nämlich die Liebkosungen oder die Schläge, die das Urteil darstellte, zu spüren bekommen. Die Erinnerung daran, die ihm als eine Zurechtbiegung seiner ursprünglichen
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Reflexe erscheint, bleibt in ihm zurück. Das bedeutet, daß infolge des Umstandes, daß Reiter und Pferd nie gleichzeitig nebeneinander wirken können, die einzig lenkende Wirkung, die der Reiter auf das Pferd ausüben kann, eine Dressurwirkung sein muss, also sine Ausbildung von Automatismen, Es ist eine mittelbare Einwirkung, die Folge der vermeintlichen Trennungslinie. Man kann diesen Vorgang durchaus mit dem vergleichen, was geschieht, wenn ein Mensch ein wirkliches Pferd dressiert: er bestimmt dabei durch Liebkosungen oder leichte Peitschenhiebe die automatischen Reaktionen des Pferdes. Und doch führ- das Pferd jede Bewegung ganz alleine aus; es hängt also mittelbar vom Menschen ab, jedoch unmittelbar durchaus nicht. So kann also in dem Zustand, in dem ich mich vor dem Satori befinde, mein „Leben" nur ein Zusammenspiel bedingter Reflexe sein, doch nicht gelenkte Bewegung. Die freie Intelligenz kann also mein Leben nicht eigentlich lenken, sondern mir einen mittelbaren, relativen und begrenzten Einfluss darauf ausüben. Im gegenwärtigen Zustand muss jede Selbstlenkung Dressur sein, d. h. eine Ausarbeitung irgendwelcher Automatismen. Wer von Automatismen spricht, spricht von festgelegten, stereotypen Bewegungen. So zahlreich und vielgestaltig diese Automatismen sein mögen, die ihnen eigene Starrheit verhindert doch, daß ein automatisches Verhalten der Umwelt wirklich angepasst sein könnte. Es verhält sich wie bei einer gebrochenen Linie: So oft sie auch gebrochen sein mag, sie kann sich doch immer nur in approximativer Form mit einer Kurve decken, niemals mit ihr zusammenfallen. Solange ich glaube, Reiter und Pferd zu sein und daher alles abläuft, als sei es tatsächlich so, solange kann ich das Pferd nur dressieren, ohne dabei eine echte Anpassung an die Umwelt zu vollziehen. Aber die echte Verwirklichung des Menschen ist etwas anderes als Dressur. Sie vollzieht sich durch ein Bewusstwerden des Kentauren, durch welches die trügerische Trennungslinie zwischen Reiter und Pferd wegfällt. Dann gibt es keinen Dressierenden und keinen Dressierten mehr und kein Reflektieren, bei dem „ich" „mich" betrachte (Subjekt und Objekt). Das „ich lebe" und "ich denke" versöhnen sich in einem einzigen „ich bin". Die Mehrzahl der Menschen fassen diese Verwirklichung und damit das Hinfällig werden der Trennungslinie nicht einmal ins Auge. Daher sehen sie in der Verwirklichung ein Gelingen der Dressur und das bedeutet, daß sie nichtzeitliche und zeitliche Verwirklichung verwechseln. Wie absurd es wäre, die Dressur ganz verdammen zu wollen, werden wir zwar gleich sehen, und sogar ihre Notwendigkeit bei der Wegbereitung des Satori erkennen. Im Augenblick jedoch geht es uns darum, den Irrtum aufzuzeigen, der darin besteht, die Verwirklichung als stufenweise Steigerung und als das endliche Gelingen der Dressur zu betrachten. Wenn auch zeitlich die Verwirklichung auf irgendwelche Dressurmaßnahmen folgen mag, so darf sie doch in keiner Weise so gesehen werden, als sei sie von diesen hervorgebracht oder verursacht. Wenn es auch richtig sein mag, daß das Satori nach oder als Folge bestimmter Vorgänge eintritt, so kann es doch nicht unmittelbar durch einen Vorgang ausgelöst oder verursacht werden.
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In der stark ausgeprägten Neigung vieler Menschen zu systematischen Methoden nimmt der Irrtum, die Verwirklichung als den Sieg einer Dressur zu sehen, konkrete Gestalt an: sie verschreiben sich dann irgendeinem „Ideal", verschiedenartigen Yogaübungen, „Moralauffassungen", die lehren, ein bestimmter Automatismus müsse eingeführt, ein anderer dagegen bekämpft werden, kurz jeder Art von Disziplin, der sie eine bestimmte Wirksamkeit hinsichtlich des Satori zutrauen. Der Irrtum besteht also nicht darin, das zu tun und zu erfahren, was durch solche Methoden möglich wird, also nicht darin, daß wir jenen Methoden folgen. Er besteht vielmehr in der Annahme, jene Methoden seien geeignet durch sich selbst zum Satori zu führen, wie etwa Straßen zum Ziel einer Reise führen. Keine Dressur ist imstande, die vermeintliche Trennungslinie aufzuheben, da sie ja gerade diese Linie zwischen Dressierendem und Dressierten zur Voraussetzung hat. Die Verwirklichung kann aber nur in der restlosen Zerstörung dieser Illusion bestehen. Ein ebenfalls häufig begangener Fehler, der sich unmittelbar aus dem vorhergehenden ableiten lässt, besteht darin, die Stufe, auf der ein Mensch sich hinsichtlich der Verwirklichung befindet, beurteilen zu wollen, indem man sich dabei auf den Grad der durch die Dressur erreichten Harmonie beruft. Allein der Grad des Verständnisses kann uns hierüber unterrichten und nicht der Grad der Harmonie der Dressur. Jeder beliebige Mensch kann für mich ein Lehrer werden, wenn ich in ihm ein Verstehen spüre, welches das meine zu bereichern vermag. Die möglicherweise erst mittelmäßige Dressur seines Pferdes ist dabei nicht von Gewicht. Eben so wenig brauche ich mich um meiner selbst willen zu beunruhigen, wenn mein Pferd äußerst unharmonische Reaktionen an den Tag legt, vielleicht sogar unharmonischere als zu einer Zeit, da meine Einsicht geringer war. Denn wenn die Dressur auch hinsichtlich des inneren Haltes viel bedeuten mag, so zählt doch hinsichtlich der Verwirklichung allein das Verständnis. Wir haben gesehen, daß jede Dressur grundsätzlich darin besteht, daß wir unser Leben abschätzen, daß wir es für gut oder schlecht befinden. Jede Bewertung äußerer und innerer Vorgänge ist eine Liebkosung oder ein Hieb für unser Pferd. Das Zen erinnert uns eindringlich daran, wie wesentlich es sei, über eine solche Parteinahme hinauszukommen: „Sobald Ihr zwischen Gut und Böse unterscheidet, folgt Verwirrung und der Geist ist verloren." Zen lehrt uns, daß gerade die Dressur und das Bewerten jenes verhängnisvolle innere Handeln bilden, an das wir gewöhnt sind und dessen wir uns entwöhnen müssen: Gerade hier haben wir es mit dem bedauerlichen „Handeln" zu tun, auf welches das Zen anspielt, wenn es uns sagen will, daß wir nichts zu tun hätten, daß wir lernen müssten, nicht mehr zu handeln. Es wäre aber ein Irrtum, darin eine Ablehnung der Dressur sehen zu wollen; denn die Ablehnung hilft nicht, uns von der Bewertung freizumachen. Sie führt lediglich zu einer Umkehrung der Dressur, und wir würden uns nur dazu dressieren, uns nicht mehr zu dressieren, was an der Sache nichts ändern würde. Ohne meinen Irrtum abzulegen, würde ich alsbald an die Wirksamkeit einer „Gegendressur"
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glauben, die immer noch Dressur bleiben würde. Zen lehrt uns, nicht an das Leben zu rühren: „Lasst die Dinge, wie sie ihrem Wesen nach sind." Es besteht für uns keine Möglichkeit, in unsere Gewohnheit des Uns-selbst-Dressierens unmittelbar verändernd einzugreifen. Nur mittelbar kann ich bewirken, daß jene Gewohnheit verschwindet, dank der immer tieferen Einsicht in die Tatsache, daß jenen Dressurversuchen, die ich weiterhin betreibe, keinerlei verwirklichungsfähige Kraft innewohnt. Kurz gesagt geht es darum, die Entwertung der durch meine Dressurversuche dargestellten Kompensationen zu erreichen. Diese Entwertung macht das Scheitern jener Versuche und die entsprechende Ausdeutung jenes Scheiterns notwendig, Um das Scheitern selbst brauche ich mich nicht zu kümmern, das wird aus dem Wesen der Dinge selbst hervorgehen, doch befassen muss ich mich mit der richtigen Deutung dieses Scheiterns. Solange ich an die innere Wirksamkeit einer Disziplin glaube, schiebe ich ihr Versagen allen möglichen Umständen, doch nie der Disziplin selbst in die Schuhe; sie verliert also ihren Wert für mich nicht. Wenn ich dagegen einmal die dieser Disziplin eigene Wirkungsunfähigkeit begriffen habe, mir jedoch nicht verbiete, bei Bedarf von ihr Gebrauch zu machen, wird sich in mir nach und nach eine tiefe Ermüdung herausbilden, die durch ein echtes Darüber-Hinauswachsen mich von dieser Disziplin lösen wird. Ich kann und soll mir die allzu direkten Eingriffe in mein Inneres nicht versagen, die auszuüben mir im jetzigen Lebensaugenblick selbstverständlich ist. Doch wenn ich einmal ihre Unfruchtbarkeit eingesehen habe, wird sich auch die gefühlsmäßige Überzeugung von ihrer Nützlichkeit im Laufe weiterer Erfahrungen verlieren. Die Überzeugungen sind Rädern zu vergleichen, die in raschen Gang versetzt worden sind. Wenn der Intellekt es unterlässt, sie von neuem in Schwung zu versetzen, indem er sie bejaht, werden sie eines Tages schließlich zum Stillstand kommen. Wie wir wissen, ist das Satori nicht die Krönung eines letzten Sieges, sondern eines letzten Scheiterns. Wenn wir aus Anstrengungen, alle Übungen, die wir fähig glaubten, uns zu befreien, erschöpft haben, taucht das Bewusstsein in uns auf, immer frei gewesen zu sein. Wenn auch die verschiedenen Disziplinen keine „Wege" sind, die schließlich in das Satori münden, so will das noch nicht beißen, daß es nicht Wege wären, denen man folgen sollte. Es sind Wege, die in Sackgassen enden, und diese Sackgassen wieder enden alle in der einzigen endgültigen Sackgasse. Und doch muss man ihnen folgen, gerade weil das Satori nicht erreicht werden kann, ohne daß wir in jener endgültigen Sackgasse gelandet wären. Man muss ihnen folgen mit der theoretischen Einsicht, daß sie nirgendwohin führen, so daß dann die Erfahrung diese theoretische Einsicht in eine durchgängige verwandeln kann, in jene klare Erkenntnis, durch welche die Ankunft in jener letzten Sackgasse bezeichnet wird und die uns dem Satori zu öffnen vermag. Es ist hier der Augenblick, ein Zwiegespräch zwischen einem Zen-Mönch und seinem Meister wiederzugeben. Der Mönch Tsou-shin hat gerade das SatoriErlebnis erfahren, Tsou-shin ging zum Meister Houei-nen, und als er seine Verbeugungen machen wollte, lächelte der Meister und sagte: „Du bist jetzt in
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mein Zimmer eingetreten", Darüber freute sich Tsou-shin sehr und sprach: „Wenn das, was ich jetzt besitze, die Wahrheit des Zen ist, warum willst du dann, daß wir in all die alten Geschichten eindringen und uns abmühen, ihren Sinn zu erfassen?" Der Meister antwortete: Ich bin sicher, daß Ihr jede Möglichkeit, euch selbst zu finden, verlieren würdet, wenn ich euch nicht auf jede erdenkliche Weise darum ringen ließe, den Sinn zu finden, um euch schließlich auf die Stufe der Kampflosigkeit und Mühelosigkeit zu führen, auf der ihr mit euren eigenen Augen erkennen könnt." Ich kann mich also ruhig als Reiter auf einem Pferde sehen und ruhig die Aktivität des Reiters, der sein Pferd dressiert, entfalten. Aber trotz dieser Illusion darf ich nicht vergessen, daß ich in Wirklichkeit Kentaur bin und daß jede Dressur, bei der die vermeintliche Trennungslinie „Reiter-Pferd" fortbesteht, mich von meinem wahren Selbst entfernt hält. In Wirklichkeit kommt es wenig darauf an, daß mein Pferd auf einen „Heiligen" hin dressiert wird oder auf einen Yogi mit imponierenden Kräften oder etwa darauf, innere Zustände als „transzendierend" zu erfahren. Mein wahres Selbst ist nicht dort zu finden, es besteht einzig und allein in der Einswerdung mit meinem Pferde. Dann wird das geringste Tun an der Wirklichkeit teilhaben, mögen wir es für noch so banal nahen. Doch in dem Augenblick, da die vermeintliche Trennungslinie verschwindet, verschwindet auch der Kentaur, jenes Formsymbol, das vor der Verwirklichung für mein Verständnis nötig war. „Wenn es keine Zweiheit gibt", sagt das Zen, „ist alles das gleiche, und alles Existierende ist darin eingeschlossen." Reiter und Pferd werden eins, doch werden sie eins in einem All, das keine Formen kenne, so daß es weder Reiter noch Pferde mehr gibt und der Kentaur, sobald er erreicht ist, auch schon überwunden ist. Dies kommt in dem meisterhaften Text der Zenlehre, der den Titel trägt: „Die zehn Stufen der Dressur der Kuh" zum Ausdruck. Hier hebt die Zenlehre hervor, daß es zwar notwendig sei, durch die Dressur hindurchzugehen, weist aber gleichzeitig darauf hin, daß eine „dressierte Kuh" nicht das letzte Ziel sein kann. „Auf der Kuh kehrt der Mensch endlich zu sich selbst zurück. Aber auf einmal ist keine Kuh mehr da, und mit welcher Heiterkeit sitzt er nun ganz alleine da!" Dann verschwindet auch der Mensch: „Alles ist leer geworden, es gibt keine Peitsche mehr, kein Seil, keinen Menschen, keine Kuh. Wer hat je die Unendlichkeit des Himmels beschaut? Auf den weißglühenden Ofen kann nicht eine einzige Schneeflocke fallen. Wenn man hier angelangt ist, ist der Geist des alten Meisters offenbar geworden.
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XVIII. DER GRUNDIRRTUM ODER DIE „ERBSÜNDE" In der vorangegangenen Studie haben wir von der " Disziplin“ oder der "Dressur unseres Pferdes" gesprochen und haben in diesen Begriff alle besonderen Erscheinungsformen der Dressur mit eingeschlossen. Von diesem Gesichtspunkt aus haben wir den Menschen vor der Verwirklichung des Satori, bei dem es notwendig Dressur geben musste, und den Menschen nach seiner Verwirklichung unterschieden, bei dem es keine Dressur mehr gibt. Für mich als Menschen-vor-dem-Satori ist es nun interessant zu sehen, daß es verschiedene Stufen der Dressur gibt und daß diese verschiedenen Stufen, wie alles, was Erscheinung ist, sich In meinen Augen als Hierarchie aufbauen, wobei sie vom Stofflichsten zum Unstofflichsten gehen. Diese Hierarchie i s t offensichtlich nicht absolut, denn die Erscheinungen als solche haben ja auch nicht mehr oder weniger teil an der Absoluten Realität, die erwähnte Hierarchie existiert relativ in Bezug auf meine Affektgebundenheit. Sie darf nicht durch eine schräg geneigte Leiter symbolisiert werden, wie es mir durch mein Gefühlsleben nahegelegt wird, sondern durch einen Weg, der auf der waagrechten Ebene zu dem Punkt führt, von wo die senkrechte Achse aufsteigt. Sie steht in Verbindung mit der gesamten inneren Arbeit, durch die der Mensch sich chronologisch dem Satori nähert, die ihn aber nicht wirklich näherführen kann, da ja keine Kreatur sich ihrem Prinzip nähern kann, weil sie niemals außerhalb desselben war. Dieser horizontalen Hierarchie der Disziplinen entspricht eine Abstufung des Wirkens unserer freien Intelligenz. Wir müssen hierbei einen Unterschied machen zwischen dem Prinzip unseres reinen Denkens, einem Prinzip, das unendliche Weisheit, objektives Bewußtsein, das Buddhi der Vedanta ist, und dem relativen, begrenzten Wirken jener unbegrenzten Einsicht. Wir wollen uns dafür eines konkreten psychologischen Beispiels bedienen: eines Tages bin ich zornig und manifestiere diesen Zorn impulsiv, ein andermal bin ich ebenso zornig, doch verzichte ich auf die Äußerung, weil ich mir eines Idealbildes meiner selbst bewusst bin, das ich verwirklichen möchte und zu dem die Kontrolle meiner Äußerungen gehört (weil diese Haltung ästhetischer ist, oder zweckdienlicher, oder für meine Pläne und die allgemeine Führung meines Lebens günstiger, oder weil ich von dieser verdienstvollen Haltung eine „geistige" Belohnung erwarte). Im ersten Falle ist mein geistiges Bewußtsein mit der unmittelbarsten Gefühlsregung gekoppelt, mit den auf diesen Augenblick beschränkten Affekten, mit meinem Augenblicks"wert". Im zweiten Falle ist diese Koppelung aufgehoben, aber nun ist mein Bewußtsein mit meiner Liebe zu einem Ideal gekoppelt, d. h. mit einer komplexen Gefühlsbewegung, die Dauer hat und die über der einzelnen und
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geringfügigeren Regung des Augenblicks steht, Ich bin damit zwar vorn Gefühlswert des Augenblicks unabhängig geworden, dafür aber einem „Wert" unterworfen, der an der vierten Dimension, der Zeit, teilhat, und der sich in gewisser Hinsicht über eine Vielzahl von Augenblicken erhebt. In diesem zweiten Falle handelt es sich um die „Befreite Einsicht", denn ich bin frei vom „Wert" des Augenblicks; doch ist auch dieses Inkrafttreten der „Befreiten (oder Freien) Einsicht" nur ein unvollkommenes, da ich dabei nicht frei bin von einem neuen „Wert", einem Werte, der Dauer besitzt. Das Teilhaben an der vierten Dimension bedeutet Befreiung von den Grenzen der dritten, doch gleichzeitig Unterwerfung unter die Beschränkung der vierten. Was aber ist diese freie Einsicht, die an der absoluten Unparteilichkeit, an der objektiven oder göttlichen Vernunft, also am Unendlichen teilhat, und die wir doch in unserem Beispiel als eine unvollkommene, beschränkte und relative erkennen müssen? Die offensichtliche Schwierigkeit dieses Problems rührt daher, daß wir so oft geneigt sind, ein Prinzip mit den Manifestationen desselben Prinzips zu verwechseln. So sind wir bei dem Ausdruck „Freie Einsicht" versucht, das Buddhi und die Manifestationen dieses Buddhi miteinander zu verwechseln. Es liegt in mir eine Möglichkeit, durchaus mit vollkommener Unparteilichkeit zu denken. Diese Möglichkeit ist das Buddhi oder das Prinzip der Freien Einsicht, die jedoch vor dem Satori nicht restlos verwirklicht werden kann. Sie kommt nur in einer „relativen Unparteilichkeit" zum Ausdruck, und diese „relative Unparteilichkeit" ist in Wirklichkeit nur die relative Erscheinungsform der absoluten Unparteilichkeit; es gibt in Wirklichkeit kein unvollkommenes Buddhi, nur unvollkommene Verkörperungen des vollkommenen Buddhi, meine freie Einsicht, wie sie in diesem Lebensaugenblick nun einmal beschaffen ist, hat zweierlei Aspekte, die ich nicht miteinander verwechseln darf: es waltet in ihr das Buddhi, ihr Prinzip (Immanenz des Buddhi), und dadurch hat sie teil am Wesen des Buddhi; und doch ist vor dem Satori meine Freie Einsteht nicht das Buddhi (Transzendenz des Prinzips). Sobald mein Bewußtsein sich von der Gefühlsbewegung des Augenblicks auch nur etwas freizuhalten vermag (d. h. sobald ein gewisser Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen sich vollzieht), manifestiert sich das Buddhi in diesem meinem Bewußtsein; und doch wäre es ein Irrtum, dieses Phänomen mit dem Buddhi selbst oder der „Schau der Dinge, wie sie sind" gleichsetzen zu wollen. Die Freie Einsicht macht eine Loslösung des Gefühlslebens vom Bewußtsein möglich, doch vollzieht sich die Verwirklichung dieser Loslösung nur stufenweise. Was die Loslösung selbst angeht, so eignet ihr wohl Vollkommenheit, doch könnte man sagen, daß die qualitativ vollkommene Loslösung quantitativ nur unvollkommen durchgeführt werden kann. Von dieser quantitativen Abstufung des Wirkens der freien Einsicht leitet sich die ganze horizontale Hierarchie der Disziplin her, von der wir weiter oben gesprochen haben; diese quantitative Stufung ist die Voraussetzung für eine qualitative Stufung der Dressuren, von den gröbsten bis zu den feinsten. Es kann hier nicht unsere Sache sein, die ganze Hierarchie selbst zu untersuchen, sondern nur ihren
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Gipfelpunkt. Es kommt darauf an, die am schwersten zu fassende Erscheinungsform der Freien Einsicht zu studieren, die „Urdressur", aus der alle anderen niedrigeren Dressuren hervorgehen, um in ihr die ursprünglich angelegte Unzulänglichkeit jeder Manifestation des Buddhi in uns zu erkennen. Und dies ist der letzte Irrtum, den wir bei unserer Rückkehr zum Ursprung zu überwinden haben. Wir haben gesehen, daß jede Dressur in einem Bewerten, einem Beurteilen der Funktionsübungen unseres Pferdes besteht, und daß das Urteil auf eine vom Reiter konzipierte ideale Norm zurückzuführen ist. Jeder Mensch hat jeweils eine bestimmte Vorstellung davon, wie seiner Ansicht nach das Pferd sich bewegen sollte, und diese Vorstellung kommt in einem Bild zum Ausdruck. Je spezialisierter, je handgreiflicher dieses Bild ist, desto "niedriger" in der Hierarchie der Dressuren wird die zugehörige Dressur empfunden; je allgemeiner, je subtiler das Bild ist, desto subtiler oder „erhabener" wird die entsprechende Dressur empfunden. Doch mit wachsendem und genauer werdendem Verständnis zerstreut unsere geistige Klarheit solche Götzenverehrung, und das bedeutet, daß das Idealbild meiner selbst zusammenschrumpft und sich verwischt. Schließlich begreife ich, daß die Wirklichkeit über jeder Form steht und daß daher auch jedes Idealbild nur eine Illusion sein kann. Ich habe nun keinen theoretischen Grund mehr, eine bestimmte Verhaltensweise meines Pferdes einer andern vorzuziehen. Man könnte nun auf den Gedanken kommen, daß das Zurücktreten jeden Idealbildes auch das Urteil über mich selbst zurücktreten ließe, das ja aus einem Idealbild hervorgeht. Das Urteil bestünde dann nicht mehr, da ja ein Kriterium fehlte, auf das es sich beziehen könnte, und so würde ich allmählich das Urteilen über mich selbst ganz einstellen. Eine totale Unparteilichkeit würde dadurch in mir herrschen und ich wäre also der Mensch des Satori. Dies träfe zu, wenn das Idealbild die Ursache des Urteils wäre, d. h, wenn ich nach einem bereits vorhandenen Ideal mein Urteil fällte. Doch ist das Gegenteil der Fall: ich konstruiere nämlich ein Idealbild, um ein Urteil fallen zu können, für das ich schon zuvor ein Bedürfnis fühle. Das Leiden an meiner Begrenztheit durch die Zeit weckt in mir einen Zweifel an meinem „Sein" und löst das Bedürfnis aus, mich zu bewerten, mich zu beurteilen. Als nächstes löst nun dieses Bedürfnis nach einem Urteilsspruch die Konstruktion eines Idealbildes als Kriterium aus, dem ich dann nachstreben kann, um so meinen Freispruch zu erlangen. Mein Leiden an der Begrenztheit durch die Zeit war selbst schon eine Folge des tief in mir wurzelnden Glaubens, daß ich eigentlich nicht durch die Zeit begrenzt sein sollte. Und in dieser Überzeugung findet die durch ihre Verlagerung auf die Ebene der Erscheinungen verfälschte Erklärung der ursprünglichen, unbewussten und richtigen Intuition ihren Ausdruck, daß ich „vom Wesen Buddhas" sei. Diese ganze innere Entstehung lässt sich wie folgt zusammenfassen; im prinzipiellen Unbewussten (im Quellgrund des Universums), weiß ich, daß ich Buddha bin; In meinem Unterbewussten (erste persönliche Schicht), erhebe ich Anspruch auf die
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Nicht-Begrenzung in der Zeit, darauf, daß ich nie von einem Nicht-Ich negiert werden dürfe; im Bewussten zweifle ich schmerzlich an meinem unterbewussten Anspruch, ich fühle das Bedürfnis, ein Urteil über mich auszusprechen in der Hoffnung, meinen Zweifel zu zerstreuen, und ich konstruiere ein Idealbild, dem ich nachstreben kann, um meine Absolution zu erlangen. Wenn ich daher auch zu einem Verständnis gelange, das genügt, jedes Götzenbild aufzulösen, verschwindet doch nicht mein Bedürfnis, über mich ein Urteil zu fällen. Es dauert fort, weil mein Zweifel an mir selbst fortdauert, und jener Zweifel dauert fort, weil seine tiefliegenden Ursachen fortdauern. Jedes besondere Idealbild, auf das sich eine besondere Dressur stützen könnte, verschwindet, doch die angeborene allgemeine Vorstellung, die alle besonderen Bilder entstehen lässt, dauert fort (die ursprüngliche Vorstellung, daß „ich niemals negiert werden dürfe"), und sie bestimmt weiterhin eine Dressur, die ursprüngliche Dressur mit der Tendenz, von meinem Pferd zu erreichen, daß es niemals negiert werde, d. h, daß es immer und vollständig über das Nicht-Ich triumphiere. Man versteht nun, daß meine innere Situation immer ernster wird, je mehr mein Verständnis jedes besondere Formideal in mir abbaut. Solange ich ein besonderes Formideal hatte, fand ich darin eine bestätigende Zuflucht. Bisher konnte irgendeine Verneinung in Form eines Versagens oder eines drohenden Scheiterns aus der Außenwelt auf mich zukommen: ich war imstande, den Schlag zu überwinden, ihn zu kompensieren, ja „überzukompensieren" durch die Nachahmung meines Ideals, Es gab für mich einen „Ort", wo ich durch eigene Anstrengung, durch den auf mich selbst ausgeübten Zwang, mir so viel Bestätigung holen konnte wie mir nötig war, um die Verneinung der Außenwelt wirkungslos zu machen. Mit der Fortentwicklung meines Verständnisses wird dieses tröstliche Kunststück für mich unmöglich. So mündet das Verschwinden der speziellen Disziplin nicht im Ausfall jeder Disziplin, sondern in der allgemeinen und ursprünglichen Disziplin, die mich ohne schonenden Betrug zwingt, dem Antagonismus des Nicht-Ich ins Gesicht zu sehen, d. h. der Schau meiner persönlichen Nicht-Göttlichkeit. Und diese letzte Disziplin wird nicht so leicht zu überwinden sein, wie es die speziellen Disziplinen waren. Das Ideal, das sie mit sich bringt, ist nicht mehr eine bewusste, von meinem Bewußtsein gewertete Form, die darin nach Belieben immer wieder hervorgerufen werden kann. Es ist eine unterbewusste, gleichsam unterirdische Form, die ich nicht greifen und nicht unmittelbar entwerten kann. Ich muss ihre langsame Entwertung mit „brennender Geduld", mit wachsamer Unparteilichkeit erwarten, indem ich wahrhaft die Idee des Zen lebe: „Lasst los, lasst die Dinge, wie sie ihrem Wesen nach sind!" Wir wollen nun genau untersuchen, was diese ursprüngliche Disziplin und das unterbewusste Idealbild ist, auf das sie sich gründet. Erinnern wir uns an das, was wir eben gesagt haben: Im prinzipiellen, universalen Unbewussten weiß ich, daß ich Buddha bin; im Unterbewussten oder der ersten persönlichen Schicht möchte ich Buddha sein, indem ich mich abgrenze, insoweit ich im Ich gegenüber dem Nicht-Ich bin. Ich erhebe also den Anspruch, daß ich nie vom Nicht-Ich verneint
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werden dürfe, daß ich immer und vollständig über die Außenwelt triumphieren müsse. Im Bewußtsein zweifle ich an der Legitimität meines unterbewussten Anspruchs und ich erlebe die Angst vor dem furchtbaren Nicht-Ich (es ist begreiflich, daß mit jedem Scheitern ein „Schuldgefühl" verbunden ist). Solange ich ein besonderes Ideal hatte, entzog ich mich der unterbewussten Verpflichtung, immer und vollständig Erfolg haben zu müssen. Ein Ausschnitt wurde gewählt, um das Ganze zu vertreten, und mein Erfolg in diesem Wahlreich machte mich unempfindlich gegen jede Ablehnung von anderer Seite. Doch kaum hat mein Verständnis jeder bewussten Idealform den Wert genommen, fällt mir schon die ursprüngliche Verpflichtung wieder zu, immer und vollkommen über das Nicht-Ich zu triumphieren. Diese ursprüngliche Verpflichtung ist aber unterbewusst, und daher fällt mein Urteil über mich selbst wieder ins Dunkel zurück. Mein bewusster Blick ist nicht mehr wertend auf mich selbst gerichtet, sondern auf die Außenwelt, auf die Episoden des Lebens- und Erfolgskampfes, er heischt Bestätigung und weist jede Ablehnung zurück. Meine positiven oder negativen, bejahten oder verneinten „Seelenzustände" sind nicht mehr von der Form meiner Mechanismen abhängig (einer schönen oder hässlichen Form, je nachdem ob sie einer besonderen Idealform gleicht oder nicht), sie sind abhängig von meinen psychosomatischen Schwankungen, d. h. von meinem Erfolg oder meinem Scheitern in der Außenwelt und dem angenehmen oder unangenehmen Gesamtzustand meiner Empfindungen. Je nach den Umständen, die meinen psychosomatischen Organismus betreffen, bin ich vor dem Nicht-Ich anmaßend oder kleinlaut, doch ohne in einer dieser Haltungen bewusst ein Urteil über mich selbst zu fühlen. In meinem Bewußtsein habe ich den Eindruck, daß ich nichts mehr von mir selbst fordere, daß alle meine Forderungen einzig und allein auf die Außenwelt gerichtet sind. Und doch sind wir uns klar darüber, daß die Forderung, die Außenwelt solle sich nach mir richten, nur der Ausdruck meiner ursprünglichen und unterirdischen Forderung nach dem Triumphieren über die Außenwelt ist. Und hierin liegt der fundamentale Anspruch, die erste persönliche Erscheinungsform meiner universalen Identität mit dem Absoluten Prinzip, also der erste dualistische und ich-bezogene Irrtum, die „Erbsünde". Die Bedeutung des hier berührten Punktes wird ersichtlich: wir befinden uns an der eigentlichen Wurzel jener Unwissenheit, aus der all unsere sinnlose Angst fließt. Analysieren wir nun im Einzelnen die Situation jener „ursprünglichen Dressur". Das Pferd hat den Wunsch, sich in seinem Gegensatz zur Außenwelt bestätigt zu sehen, Der Reiter fordert vom Pferde, daß es ihm gelinge, sich immer bestätigt zu fühlen. Zunächst will es erscheinen, als strebten Pferd und Reiter so dem gleichen Ziele zu. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall: Wesen und Richtung ihrer Strebungen sind bei beiden einander genau entgegengesetzt. Das Wesen der Tendenz des Pferdes ist relativ; das Pferd gehört zu den Manifestationen, zu der relativen Welt der Erscheinungen. Es möchte sich so viel als möglich bestätigt sehen, doch nicht unbegrenzt, denn das „unbegrenzt" gehört nicht zu seinem Bereich; es zieht die Bejahung vor, doch erträgt es auch die
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Verneinung und passt sich an, so gut es kann. Andererseits ist der Wunsch des Pferdes auf die Außenwelt gerichtet, das Pferd wünscht irgendein Objekt aus der Außenwelt. Das Wesen der Tendenz des Reiters ist absolut. Meine im Unbewussten ruhende Identität mit Buddha, dem Absoluten, erzeugt im Unterbewussten nicht den relativen Wunsch, daß mein Ich über das Nicht-Ich triumphiere, sondern die absolute Forderung, daß es so sei. Der Reiter vertritt das Selbst, das Absolute Prinzip meines Wesens. So belehrt mein Bewußtsein auch sein mag, der Reiter vertritt darum nicht weniger mein Absolutes Selbst. So unvollkommen die Freiheit meiner Einsicht auch in Erscheinung treten mag. sie ist darum nicht weniger absolut. Der Reiter, unmittelbar aus dem Absoluten hervorgegangen und dessen Stellvertreter, bildet auf der zeitlichen Ebene ein mathematisches Unendlich, das alles mit einem unbegrenzten Koeffizienten multipliziert. Die absolute Forderung des Reiters dem Pferde gegenüber zeigt sich in einem unbegrenzten Anspruch, d. h. sie hat die Fähigkeit, in meinem Organismus jeweils alle zur Verfügung stehenden Kräfte In Bewegung zu setzen. So steht die wesenhaft absolute Tendenz des Reiters vollkommen im Gegensatz zu der wesenhaft relativen Tendenz des Pferdes. Andrerseits ist der Reiter nicht auf die Außenweit, sondern auf das Pferd ausgerichtet. Er beansprucht selbst kein Objekt aus dem Bereich des Nicht-Ich, fordert aber, daß das Pferd ein solches Objekt erhalte (der landläufige Ausdruck hierfür heißt: Es geht nicht um die Sache, sondern um das Prinzip). Der Reiter misst dem, was das Interesse des Pferdes ausmache, durchaus keinen Wert bei. Das Pferd interessiert ihn nicht als solches. (Das wird am deutlichsten beim Selbstmord. Sobald der Reiter sieht, daß das Pferd ein für allemal unfähig ist, seine Forderungen zu erfüllen, verurteilt er es zum Tode.) Der Reiter betrachtet das Pferd nur als Instrument, das geeignet erscheint, die aus der Welt des Noumenon stammende Übergeordnetheit des Absoluten Prinzips über seine jeweilige Erscheinungsform durch einen aus der Welt des Phänomenen stammenden totalen Sieg des Ich über das Nicht-Ich in falscher Weise Gestalt werden zu lassen. Das Pferd nimmt alle seine Kräfte gegen die Außenwelt zusammen, während der Reiter sich gegen das Pferd, gegen das Ich stellt. Die Stellung der „ursprünglichen Dressur" bringt also einen radikalen Antagonismus zwischen meinen beiden „Wesensteilen" mit sich. Da dieser Antagonismus nur einer der Aspekte des Dualismus Yin-Yang ist, kann diese Tatsache nicht überraschen. Im Gleichgewicht des Tao jedoch sind Yin und Yang zwar Gegenpole, ergänzen sich aber gleichzeitig. Beklagenswert ist es daher nun daß der Antagonismus meiner beiden „Wesensteile" so radikal ist, das heißt, daß ich nur die feindliche Spannung meiner beiden Pole, nicht aber ihre Ergänzungsfähigkeit lebe. Was ich lebe, sollte also nicht bekämpft, wohl aber ergänzt werden. Die stufenweise Vervollkommnung wird allein aus dem Verständnis erwachsen, und kann auch nur daher kommen. Das Verständnis, das mich von meinen
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einzelnen Idealbildern gelöst und dadurch den grundlegenden Antagonismus in meinem Innern sichtbar gemacht hat, der durch diese Götzenbilder verdeckt war, kann nun seine Arbeit vertiefen. Die klare theoretische Konzeption der in dieser Studie dargelegten Ideen wird nach und nach mein Innenleben, meine innere Erfahrung durchdringen. Je deutlicher ich theoretisch meinen unterbewussten Anspruch, immer und vollständig über das Nicht-Ich zu triumphieren, und die unterbewusste, unversöhnliche Forderung des Reiters an das Pferd erkenne, desto rascher wird sich eine neue innere Haltung einstellen, die die alte nach und nach außer Kraft treten lässt. Diese neue Einstellung dem Pferde gegenüber ist duldsam: sie nimmt es hin, daß das Pferd sich manchmal verneint fühlt. So mache ich es mir nicht mehr jedesmal zum Vorwurf, wenn ich Schiffbruch erleide, wenn ich unglücklich bin oder mich falsch verhalte. Ich betrachte nunmehr mein Pferd als Freund und nicht mehr als reines Instrument meiner unmäßigen Ansprüche. Bevor ich in den Tempel gehe, versöhne ich mich mit meinem Bruder, wie es im Evangelium heißt. Doch wird mir diese neue Haltung nicht bewusst, (daher darf man sie auch nicht mit der banalen Selbstgefälligkeit verwechseln, die das bequeme Resultat mancher Dressuren ist). Es ist wie bei einer Base, die in eine Säure gegossen ward: Kaum befindet sie sich in der Mischung, hört sie auch schon auf, Base zu sein, und ihre Anwesenheit verrät sich nur noch in einem Abnehmen des Säuregehaltes. So kommt es auch nicht zu einer freundschaftlichen Parteinahme für mein Pferd, sondern nur zu einem Nachlassen der feindseligen Einstellung ihm gegenüber. Ebenso wenig kommt es zu einem Freispruch, sondern nur zu einem Seltenwerden des Urteilens im Allgemeinen, eines Urteilens, das doch stets zur Verurteilung zu führen pflegte. Je mehr ich mein Pferd in Ruhe lasse, desto besser trabt es. Das Zen sagt: „Wenn die Kuh richtig gehütet wird, ist sie einfach und folgsam. Sie wird dir dann auch ohne Kette und Halfter aus eigenem Antrieb folgen!"
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XIX. DIE STETE ALLGEGENWART DES SATORI Die ursprüngliche Grundforderung nach Sein innerhalb der Grenzen meiner individuellen Eigentümlichkeit bedingt meine Wünsche und dadurch meine Hoffnungen und meinen Glauben. Als Träger einer solchen Forderung bin ich gleichzeitig Träger einer Sehnsucht, einer Erwartung, in der Überzeugung, daß mir etwas fehle, erwarte ich das, was diesem Mangel abhelfen soll. Diese zunächst etwas allgemeine Sehnsucht findet ihren besonderen Ausdruck in der Erwartung eines „wahren Lebens", eines Lebens, das sich von meinem gegenwärtigen dadurch unterscheiden würde, daß ich darin eine umfassende und vollkommene, nicht nur eine geteilte und unvollkommene Bestätigung - wie jetzt erfahren dürfte. Jeder von uns, ob er sich Rechenschaft darüber ablegt oder nicht, lebt in der Erwartung, daß einmal das „wahre Leben" beginnen wird, in dem keine Verneinung mehr möglich ist. Nun hat aber jeder, gemäß seiner besonderen Wesensart und dem jeweiligen Lebensaugenblick, eine andere Vorstellung von diesem „wahren Leben". Genauer gesagt, stellt sich jeder etwas darunter vor, was imstande wäre, ein neues, seinen eigenen Bedürfnissen angepasstes Zeitalter heraufzuführen, in welchem alle Unvollkommenheiten seines jetzigen Lebens ausgelöscht sein würden. Eine innere Stimme flüstert mir zu, daß es „ohne Zweifel herrlich sein müsste, dieses oder jenes zu besitzen, ... oder endlich wie dieser oder jener Mensch zu sein, ... oder zu erleben, daß etwas Erhofftes einträte...“. Manchmal glaube ich schon klar zu erkennen, was imstande sein müsste, das „wahre Leben" heraufzuführen, dann wieder bleibt es unbestimmt, wird Erwartung von „irgendetwas", was meiner Überzeugung nach alles in Ordnung bringen würde. Zeitweise schweigt diese innere Erwartung, doch handelt es sich dann nur um einen vorübergehenden Schlummer, aus dem unsere Sehnsucht nach einem endgültig befriedigenden Leben bald wieder neu erwachen wird. Es ist, als wähnte ich mich ausgeschlossen aus einem irgendwo vorhandenen Paradies, als glaubte ich in irgendeiner bestimmten Erscheinungsform der Außenwelt oder meines Innern den Schlüssel zu erkennen, der imstande wäre, das verlorene Paradies wieder aufzuschließen. Und so verbringe ich mein Leben auf der Suche nach dem verlorenen Schlüssel. Während dieser Erwartungsfrist "schlage ich die Zeit tot", so gut es geht. Ein Teil meiner Lebensenergie kann in der wirksamen Vorarbeit zu diesem „Schlüssel" investiert werden: so arbeite ich etwa auf irgendeinen Erfolg auf materiellem oder geistigem Gebiet hin. Doch kann ich nur einen Teil meiner Energie dabei ansetzen, und so verschwende ich den Rest an Ausgeburten meiner
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Vorstellungskraft, an Träumereien, die alle jenen unaufhörlichen „Prozess" vor meinem inneren „Tribunal" umkreisen, dessen glücklicher Ausgang mir diesen Schlüssel verschaffen könnte. Ich fühle mich gezwungen, meine Energie irgendwo anzusetzen, mich zu bewegen, sei es nach außen oder im Innern. Ich kann nicht bewegungslos verharren während der Erwartungszeit. Im Übrigen gäbe es ohne Bewegung auch keine „Erwartung", keine Spannung auf das hin, was kommen soll, keine Sehnsucht. Ich wäre ohne jene verlangende Bewegung meines Innern gleichsam tot. Je weniger ich mich äußerlich bewegen kann, um den erhofften Schlüssel zu erwerben, desto fieberhafter werfe ich mich innerlich hin und her, indem ich Bilder hervorbringe, die mir das Warten erleichtern sollen. Wie übrigens alles, was wir bei unserer naturbedingten Wesensanlage beobachten können, ist diese Erwartung zwar in sich selbst durchaus richtig, jedoch falsch ausgerichtet. Sie ist richtig, insofern sie der Ausdruck ist für mein tiefes Bedürfnis nach einer Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind, nach jener Erkenntnis, die für mich am Eingang zum „wahren Leben" stehen wird. Weil jedoch meine Sehnsucht sich auf die Dinge richtet, wie ich sie im Augenblick sehe, ist die Ausrichtung meiner Erwartung falsch. Solange mein Verständnis noch nicht geweckt worden ist durch die richtige Unterweisung, richtet sich mein Verlangen notwendigerweise auf das, was ich kenne, auf das, was ich mir vorstellen kann, d. h. auf die dualistische Welt der Erscheinungen. Für meine Suche nach dem „verlorenen Paradies" ist es verhängnisvoll, daß ich mir den Schlüssel als etwas vorstellen muss, was mir schon begegnet ist, oder was wenigstens von der gleichen Art ist, wie alles, was ich sonst kenne, auch wo es mir noch nicht konkret begegnet ist. Selbst wenn ich den Schlüssel nicht in festumrissener, gestalthafter Art vor mir sehe, so stelle ich mir meine Rückkehr ins verlorene Paradies doch als einen vollkommen glücklichen inneren Zustand vor, der den glücklichen Zuständen gleichen mag, die ich schon erlebt habe. Die „natürliche" Richtung meiner Sehnsucht liegt notwendigerweise auf der horizontalen Ebene des zeitgebundenen Dualismus. Sie strebt nicht nach etwas Neuem, nach etwas, was diese Ebene durchbricht, sondern nach einer Verbesserung innerhalb der Grenzen des mir schon Bekannten. Nun liegt aber hierin ein handgreiflicher Irrtum: denn ich erwarte von einer Verbesserung das Vollkommene. Keine Verbesserung von etwas Unvollkommenem, und sei sie noch so umfassend, wird aber je Vollkommenheit erreichen. Keine „Entwicklung" und kein „Fortschritt" führt zu dem Ort, den der Zen-Buddhismus als „Ort der Ruhe" bezeichnet. Auch müssen wir beachten, daß unsere Sehnsucht, sofern sie sich auf den Gegensatz ZufriedenheitUnzufriedenheit, Freude-Schmerz richtet, kein Recht hat, die Auflösung dieses Dualismus zu erwarten, der allein im Tao Versöhnung finden kann. Die auf dieses Gegensatzpaar gerichtete Sehnsucht kann ja nur wieder die beiden Pole ihrer Zweiheit herbeirufen. Je stärker meine Sehnsucht ist, desto stärker wird meine innere Gespaltenheit, gleichviel, ob ich mir ihrer bewusst werde oder nicht. Wenn ich nach dieser Quelle dürste, so werde ich nur Salzwasser trinken, das den Durst
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nach einem kurzen Augenblick vermeintlicher Stillung von neuem wieder steigert. Der Mensch, der das „wahre Leben" innerhalb der Welt der Erscheinungen, innerhalb der ihm vertrauten Welt erwartet, wird bis zu seinem Tode vergeblich darauf warten. Das „Richtige" an meiner Sehnsucht liegt aber darin, daß ich auf etwas anderes als auf mein gegenwärtig gelebtes Leben warte. Dadurch entgehe ich der vollständigen Identifizierung mit diesem Leben, bewahre ich mein Bewußtsein vor einem restlosen Aufgehen in den jeweils gegenwärtigen Erscheinungsformen dieses Lebens. Da jedoch meine Sehnsucht falsch ausgerichtet ist, gerate ich unwillkürlich in eine andere Gleichsetzung hinein: ich identifiziere mich nämlich mit irgendetwas mehr oder weniger klar Vorgestelltem als durchaus Wünschenswertem. Und da ich es mir vorstelle, muss es schließlich auch eine Form haben (sei sie auch noch so subtil), die mein Bewußtsein gefangen nimmt. Wenn ich auch meinem Traum vom wiederzufindenden Paradiese einerseits eine gewisse geistige Verfügungsfreiheit gegenüber den jeweiligen Lebens-umständen verdanke, so entwertet er andererseits diese so kostbare Freiheit durch die Vorstellung von einer auf bloßer Einbildung beruhenden erscheinungsmäßigen Vollkommenheit. Durch diese falsche Ausrichtung meiner Sehnsucht wird in mir die Illusion der Zeit hervorgerufen und das schmerzliche Gefühl, daß diese Zeit sich mir unaufhörlich entzieht. Wenn das Ziel meiner Sehnsucht eine Verbesserung irgendwelcher mir vertrauter Erscheinungen bleibt (die durch Raum und Zeit bedingt sind), so verlege ich damit meine endgültige Befriedigung in die Zukunft. Auf diese Weise entsteht für mich die angeblich absolute Wirklichkeit der Zeit, der Zeit, die sich mir endlos zu dehnen scheint zwischen dem gegenwärtigen unvollkommenen und dem zukünftigen vollkommenen Augenblick, den ich herbeisehne. Mein Verhalten dieser fälschlicherweise mit absolutem Wert belehnten Zeit gegenüber ist ambivalent: beim Zurückschauen beklage ich bitter das Entfliehen der Zeit. Ich möchte sie zurückrufen oder doch wenigstens ihr weiteres Entfliehen aufhalten. Wenn ich jedoch in die Zukunft blicke, mochte ich die Zeit so rasch wie möglich verfließen sehen, denn ich kann das Sich-Öffnen des verlorenen Paradieses kaum mehr erwarten. Wenn ich mir irgendeine Epoche meines vergangenen Lebens ins Gedächtnis zurückrufe, erlebe ich sie ganz anders als damals. Denn jetzt, in der Erinnerung, bin ich frei von jenem stürmischen Verlangen nach einer besseren Zukunft, von dem ich damals besessen war, das mich dem Augenblick entzog und mich daran gehindert hatte, ihn voll zu leben. Nur so erklärt sich mein Zurückverlangen nach einer Zeit, die ich im Grunde gar nicht bewusst genießen konnte. Doch in dem Maße, als mein Verständnis durch die richtige Unterweisung geweckt wird, vollzieht sich in mir eine Veränderung. Ich beginne zu begreifen, daß meine angeborene, unbegrenzte Sehnsucht von der Erscheinungswelt nichts zu erwarten hat, selbst dann nicht, wenn ich deren höchste und weltumfassende Stufe vor Augen habe. Während ich das, was ich seid eh und je erwarte, bisher fälschlicherweise in dieser oder jener Vorstellung verkörpert sah, begreife ich nun,
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daß es nichts anderes als das Satori der Zenlehre ist. Ich begreife, daß dieses Satori nicht als eine Verbesserung dessen, was mir jetzt und hier vertraut ist, aufgefasst werden darf, so kühn ich mir diese auch denken mag. Es kann nicht in der Aufhebung eines unaufhebbaren Dualismus bestehen, kann nicht die stufenweise Läuterung von etwas „Gutem" sein, das reingewaschen würde von allem Bösen. Es ist vielmehr der Zugang zu „etwas", was über allem Dualismus steht und was diesen Dualismus aufhebt in einer Art Dreieinigkeit. Natürlich bin ich außerstande, mir dieses "Etwas" vorzustellen, ich muss hinnehmen, daß es sich jeder Vorstellung oder Verbildlichung entzieht, daß es seiner Natur nach vollkommen verschieden ist von allem, was ich bis heute kenne. Wenn mein Verständnis wirklich tief geht, so führt es nicht zu einer neuen Erwartung des Bewusstseins, die dann auf etwas Unvorstellbares gerichtet wäre; denn es gibt überhaupt keinen Bewusstseins ablauf ohne Vorstellung, und selbst die Vorstellung von etwas Unvorstellbarem ist noch immer ein Bild. Das richtige Verständnis führt also nicht zu einer neuen bewussten Erwartung, die sich von der früheren Erwartung nur formal Unterschiede. Diese neue Erwartung entsteht nicht In der Oberflächenschicht unseres Bewusstseins, sondern in der Tiefenschicht des Seelischen, wo sie ein Gegengewicht gegenüber der früheren, aufs Vorstellbare gerichteten Erwartung bildet und diese dadurch neutralisiert. Das richtige Verständnis lässt tief in mir eine Sehnsucht aufkeimen, die meiner angeborenen Sehnsucht entgegengesetzt ist und sie ergänzt. Es ist, als würde angesichts meiner natürlichen Forderung nach Bejahung innerhalb der Grenzen meiner individuellen Eigentümlichkeit die neue Forderung geboren, diese Bejahung nicht länger zu erwarten. Was auf diese Weise entsteht, ist in sich selbst genau so unzulänglich wie das, was vorher da war. Doch wird ein Augenblick kommen, wo die beiden für sich selbst ungenügenden Pole im „Großen Zweifel", von dem das Zen spricht, ihr Gleichgewicht finden und uns dadurch den Zugang zum Satori ermöglichen werden. Es verhält sich damit genau so. als wären wir mit nur einem offenen Auge zur Welt gekommen und müssten uns nun anstrengen, auch das zweite zu öffnen, um dadurch endlich das „Sich öffnen des dritten Auges" zu erreichen. Hat auch diese neue, aus dem Verständnis hervorgegangene Erwartung im Unterschied zu der natürlichen, aus der unsere bewusste Sehnsucht aufsteigt, ihren Sitz im Unterbewussten, so ist es uns doch nicht untersagt (wie im Übrigen ja nichts untersagt ist), unser geistiges Erlassungsvermögen bewusst anzustrengen, um diese neue Erwartung richtig zu verstehen. (Selbstverständlich wollen wir diese geistige Anstrengung nicht als systematische Methode zur Erlangung der absoluten Verwirklichung empfehlen.) Diese neue Erwartung - man könnte sie auch Erwartung des Satori nennen - ist eine auf etwas Unvorstellbares, durchaus Neues gerichtete Sehnsucht, eine Sehnsucht, die nichts sucht, was ihr schon bekannt und vertraut ist. Bei dem Versuch, mich in diesen Erwartungszustand zu versetzen, trifft mein geistiges Bewußtsein auf verschiedenartige vorstellbare Wahrnehmungen, die sich ihm
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darbieten wollen und die es wieder verwirft. Da diese zurückgewiesenen Wahrnehmungen entweder außer mir oder in mir ihren Sitz haben (Aspekte der Außenwelt oder innere Zustände), hält ihr Verschwinden meine Erwartung in der Schwebe zwischen diesen beiden Bereichen. Meine Erwartung befindet sich weder außer mir noch in mir, sie haftet weder an einem möglicherweise wahrgenommenen Objekt noch an einem möglicherweise wahrnehmenden Subjekt. Die Erwartung haftet an der Subjekt und Objekt verbindenden Wahrnehmung selbst. Doch ist eben diese Wahrnehmung selbst nicht wahrnehmbar, sie ist wie ein Punkt ohne festen Ort und ohne Ausdehnung. Es handelt sich hier also um eine potentielle Möglichkeit des Freiwerdens vom Raum, die, wie wir bald sehen werden, mit einem ähnlichen Freiwerden von der Zeit verknüpft ist Meine alte Erwartung ließ mich etwas erwarten, was mir im Augenblick nicht gegeben war, was aber für mich immerhin im Bereich des Möglichen lag. Bei meiner neuen Erwartung hingegen erwarte ich etwas, was für mich durchaus nicht existiert, da es nicht vorgestellt werden kann. Dieses außerhalb des für mich Erreichbaren befindliche Etwas kann ich weder in der Zukunft noch in der Vergangenheit aufrufen; es liegt außerhalb von Raum und Zeit (was nicht weiter erstaunlich ist, da ja Raum und Zeit, nur zwei Aspekte desselben Systems sind). Wenn ich also dieses durchaus neuartige und nicht vorzustellende Bewußtsein von der Welt, meiner selbst und der Beziehung zwischen beiden erwarte, so erwarte ich damit also etwas, das, da es weder im Raum noch in der Zeit existiert, sich im Zentrum dieser Erwartung selbst und im Augenblick dieser Erwartung befindet, in dem Punkt, von dem das ganze Universum ausgeht und gleichzeitig in der Ewigkeit des Augenblicks, im „hic et nunc". Hier hört auch meine Erwartung auf, Erwartung zu sein, da das, was ich erwarte, durch Raum und Zeit nicht von mir getrennt ist. Nun begreife ich, daß ich einen Irrtum beging, solange ich mir den Satori-Zustand als einen zukünftigen Zustand vorstellte. Die tatsächliche Bewusstwerdung des Satori kann allenfalls als eine Möglichkeit in der Zukunft gedacht werden, keinesfalls aber der Satori-Zustand selbst, in welchem ich mich schon jetzt befinde, schon immer befunden habe und der mein ewiges „Sein' ist. Ich darf auch nicht glauben, daß die Bewusstwerdung des SatoriZustandes mir erst in der Zukunft angeboten würde, sie wird mir jetzt, in jedem Augenblick angeboten. Nur der Akt meines Annehmens kann im negativen Sinne als zum Bereich des Zeitlichen gehörend betrachtet werden, d.h., daß ich in jedem Augenblick sagen kann, daß ich das Satori noch nicht angenommen habe, ohne dabei die Möglichkeit von der Hand zu weisen, es schon im nächsten Augenblick anzunehmen. Ich bin einem Menschen zu vergleichen, der sich in ein Zimmer eingeschlossen sieht: die Tür zu dem Raum steht weit offen, während die Fenster vergittert sind. Von Kindheit an bin ich von der Welt draußen fasziniert und presse mein Gesicht gegen die Gitterstäbe. Meine Hände umfassen krampfhaft dieses Gitter, so stark ist mein Verlangen nach den Bildern von draußen. Da diese Verkrampfung mich daran hindert, das Zimmer zu verlassen, bin ich in gewissem Sinne nicht frei. In Wirklichkeit aber sperrt nichts anderes mich ein als jene
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Unwissenheit, die mich die Vorstellung des Lebens für das Leben selbst nehmen lässt. Nichts als die Verkrampfung meiner eigenen Hände sperrt mich ein. Ich bin also frei, bin es immer gewesen, und ich werde mir meiner Freiheit bewusst werden, sobald ich „loslasse". Es ist interessant, das biblische Gleichnis von den zehn Jungfrauen mit den aus dem Zen-Buddhismus hervorgegangenen Gedanken zu vergleichen: fünf von ihnen, die törichten, sind nicht mit Öl versehen, die klugen haben jedoch dafür gesorgt, und alle schlafen sie bis zur Ankunft des Bräutigams. Der Schlaf der Jungfrauen wäre in diesem Falle ein Symbol für unser ich-bezogenes Leben (mit all seinen Hoffnungs- und Angstträumen). Das Öl wäre ein Symbol für die Erwartung des Unvorstellbaren, des Satori. Solange ich jenes Öl, jene neue, aus dem Verständnis geborene Erwartung nicht habe, gehöre ich zu den törichten Jungfrauen, die den Bräutigam nicht empfangen können. Am Schluss des Gleichnisses sagt der Bräutigam: „Bleibet wach, denn ihr kennt weder Tag noch Stunde!" In jedem Augenblick kann es sich ereignen, in jedem Augenblick wird es angeboten. Hier möge eine Zen-Anekdote den Begriff der reinen Erwartung verdeutlichen (rein von Raum und Zeit), die reine Aufmerksamkeit, eine Aufmerksamkeit ohne Objekt ist. Ein Mann ans dem Volke fragte eines Tages den Bonzen Ikkyou: „Meister, willst Du mir nicht ein paar Lehrsätze von höchster Weisheit aufschreiben?" Da nahm Ikkyou einen Pinsel und schrieb damit das Wort: „Aufmerksamkeit". „Ist das alles" fragte der Mann, „willst Du nicht noch etwas hinzufügen?" Darauf schrieb Ikkyou zweimal hintereinander das Wort: »Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit". „Deshalb sehe ich dennoch weder Feinheit noch Tiefe in dem, was Du da schreibst“, meinte der Mann enttäuscht. Da schrieb Ikkyou dreimal das gleiche Wort. Fast ärgerlich sagte der Mann: "Was soll dieses Wort Aufmerksamkeit nun schließlich bedeuten?" Und Ikkyou antwortete: „Aufmerksamkeit bedeutet Aufmerksamkeit".
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XX. ÜBER DIE PASSIVITÄT DES MENTALEN UND DIE ZERTRÜMMERUNG UNSERER ENERGIE Im vorliegenden Kapitel wollen wir versuchen, die bisherigen Ausführungen über das Satori und die ihm vorangehenden Vorgänge zu vertiefen. Dabei ist es vor allem nötig, zwischen dem von der Zeit nicht abhängigen Satori-Zustand und dem in der Zeit sich vollziehenden Satori-Ereignis klar zu unterscheiden. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß der Satori-Zustand nicht als neuer Zustand aufzufassen ist, zu dem wir nur noch einen Zugang erhalten müssten, sondern als unser ewiger von unserem Geborenwerden und Sterben unabhängiger Zustand. Jeder von uns lebt im Zustand des Satori und kann gar nicht anders leben. Wo die Zenlehre von einem in der Zeit sich ereignenden Satori spricht, wo sie z.B. sagt: „Das Satori kommt unerwartet, es kommt d a n n , w e n n alle sonstigen Möglichkeiten unseres Wesens erschöpft sind", da spricht sie nicht etwa von dem zeitlosen Satori-Zustand, sondern von dem Augenblick, da wir uns bewusst werden, daß wir uns in diesem Zustand befinden, oder noch besser: von dem Augenblick, da wir aufhören, zu glauben, daß wir außerhalb dieses Zustandes lebten. Diese Unterscheidung zwischen dem Satori-Zustand und dem Satori-Ereignis ist überaus wichtig. Wenn ich allein den Satori-Zustand sehe, so verfalle ich dem Fatalismus. Blicke ich allein auf das Satori-Ereignis, so verfalle ich dem geistigen Ehrgeiz, der brennenden Forderung nach absoluter Verwirklichung, und diese falsche Einstellung kettet mich gerade an jene Illusion, die die Ursache meiner Angst ist. Die merkwürdige Tatsache, daß das Satori-Ereignis, sobald es sich vollzogen hat, von uns nicht mehr als solches gesehen wird, macht es zu einem in seiner Art einzigen Ereignis. Der bewusst im Satori lebende Mensch hat nicht länger das Gefühl, vom Bereich des Nicht-Zeitlichen ausgeschlossen zu sein. Ganz im NichtZeitlichen lebend und darum wissend, unterscheidet er nicht mehr zwischen einer Vergangenheit, in der er geglaubt hatte, außerhalb des Satori zu leben, und einer Gegenwart, in der er bewusst darin lebt. Das soll nicht etwa heißen, daß ein solcher Mensch die Erinnerung an die Zeit vor dem Satori-Ereignis verloren hätte. Er kann sich an alles erinnern, an alle Angst und alle Schwäche, an alle inneren Vorgänge, die ihn gezwungen hatten, gegen seine „Vernunft" zu handeln - aber er erkennt nun, daß dies alles schon der Satori-Zustand war, daß nichts außerhalb des Satori-Zustandes gewesen ist, ist oder sein wird. Es ist selbstverständlich, daß für diesen Menschen das Satori-Ereignis nicht länger ein historisches Datum sein kann, da ja für ihn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Satori-Zustand selbst ruhen. Nur für uns, für die jenes Ereignis sich noch nicht vollzogen hat, nur
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für unsere gegenwärtige trügerische Perspektive gibt es das Satori-Ereignis. Für uns ist der Mensch des Satori ein befreiter Mensch, aber dieser Mensch selbst sieht sich nicht als befreit sondern als frei, und zwar als frei von Ewigkeit her. So erklärt es sich auch, daß Hui Neng einmal sagen kann: „Von dem Augenblick an, da ich diese oder jene Idee verstand, hatte ich auch Satori „, daß er aber ebenso gut auch sagen kann: „Es gibt keine Befreiung, es gibt keine Verwirklichung". Es liegt auf der Hand, daß der Satori-Zustand als nicht an die Zeit gebundener Zustand frei von Bedingungen sein muss; im Besonderen ist er nicht durch das Satori - Ereignisbedingt. Doch durch unsere vorläufige Perspektive ist es uns nur möglich, Satori als Ereignis ins Auge zu fassen, und wir sehen es notwendiger weise als bedingt durch gewisse innere Vorgänge, die wir hier erörtern wollen. Die Frage nach der Bedingtheit des Satori-Ereignisses erfordert zunächst gewisse Abgrenzungen allgemeiner Art. Der Begriff der Bedingtheit darf hier weniger denn je als „Kausalität" verstanden werden. Kein Geschehen wird durch ein vorhergehendes verursacht, sondern nur bedingt, nach dem Satze des Buddhismus: „Wenn das eine ist, kann das andere entstehen''. Wir untersuchen hier also nicht, was für innere Vorgänge imstande seien, das Satori-Ereignis zu verursachen oder zu erzeugen, sondern was für Vorgänge ihm notwendigerweise vorangehen müssen. Andrerseits sehen wir aber, daß diese Bedingtheit, selbst wenn wir sie von der Idee der Kausalität loslösen, ein nur schwer zu fassender Begriff bleibt. Tatsächlich ist das eigentümliche Arbeiten der Aufmerksamkeit, auf welches das Satori folgt, kein Vorgang im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr die Aufhebung eines Prozesses, der ein Strukturmoment unserer gegenwärtigen Situation bildet. In Wirklichkeit ist nämlich gerade das Nicht wahrnehmen können des SatoriZustandes durch gewisse Vorgänge bedingt und daher ist auch die „Bedingtheit" des Satori nur eine negative Art von Bedingtheit, d. h. sie besteht darin, daß das, was dieses Nicht wahrnehmen können bedingt, aufgehoben wird. Unsere Untersuchung wird sich also der Analyse jener inneren Prozesse zuwenden müssen, die für den gegenwärtigen Augenblick die Bedingung dafür sind, daß wir uns einbilden, nicht im Satori-Zustand zu leben. Wie wir bald sehen werden, handelt es sich dabei um Vorstellungs- und Gefühlsvorgänge, in die unsere Lebensenergie einschießt, und wir werden versuchen, mit der nötigen Präzision herauszuarbeiten, inwieweit unsere Aufmerksamkeit nur unvollkommen arbeitet und dadurch die Vorbedingungen für diese Vorstellungs- und Gefühlsprozesse schafft. Gehen wir dabei von einer konkreten Beobachtung aus: jemand macht sich über mich lustig, ich gerate in Zorn und bekomme Lust, meinen Feind anzugreifen. Analysieren wir nun, was im Verlauf dieser Szene vor sich geht. Wir werden sehen, daß sich unsere inneren Vorgänge in zwei verschiedene Reaktionsweisen aufteilen lassen, die wir „Primärreaktionen" und „Sekundärreaktion" nennen wollen.
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Bei der Primärreaktion wird eine bestimmte Menge von Lebensenergie in mir geweckt. Diese Energie schlummerte bisher latent in meiner zentralen Energiequelle, bis sie durch mein Wahrnehmen einer fremden Energie, die sich gegen das Ich richtete, geweckt wurde. Durch diese angreifende fremde Energie wurde in mir eine Kraft wachgerufen, die ein Gegengewicht zu der Kraft des NichtIch darstellte. Diese Kraft ist noch keine Zornesregung, sie hat überhaupt noch keine festgelegte Form, sie ist vielmehr der Materie zu vergleichen, die in eine Form gegossen werden soll, diesen Vorgang aber noch vor sich hat. Für einen Augenblick ist die so entstandene Kraft, die nun in meinem Kräftezentrum in Erscheinung tritt, noch keine Kraft des Zornes, sondern nur reine, noch ungeformte Lebenskraft. Diese erste Reaktion (Primärrekation) steht mit einer bestimmten Wahrnehmung der Außenwelt, mit einem bestimmten Erkennen im Zusammenhang. Sie entspricht also einer bestimmten Art von Bewußtsein, das jedoch vollständig verschieden ist von allem, was wir sonst so zu bezeichnen pflegen. Es handelt sich nicht um das erkenntnismäßige, geistige Bewußtsein, also nicht um ein klares durchsichtiges Bewußtsein. Es ist vielmehr ein verborgenes, ein reagierendes Bewußtsein der Tiefenschicht, also eine Art organischen Bewusstseins. Es ist das gleiche Bewußtsein, das bei der Auslösung des Kniescheibenreflexes in Kraft tritt. Jeder Reflex steht in Beziehung mit diesem organischen Bewußtsein, welches die Außenwelt auf anderem als intellektuellem Wege "erkennt". Diese Annahme wird gestützt durch Beobachtungen innerer Vorgänge: ich fühle z. B., wie mir der Zorn zu Kopfe steigt, wo er anschließend tausend Bilder erzeugt. Ich fühle ihn aus der Tiefe, aus der organischer. Schicht meines Daseins aufsteigen. Diese Primärreaktion erfolgt äußerst rasch und entzieht sich, wenn ich nicht besonders aufmerksam bin, meiner Beobachtung. Wenn ich jedoch nach einem solchen Zornesanfall untersuche, was im Einzelnen in mir vorgegangen ist, so erkenne ich, daß eine rein organische, anonyme, aus einer organischen Bewußtseinsschicht aufgestiegene Kraft für einer, kurzen Augenblick in Erscheinung trat, bevor das Wirken meines geistigen, Bilder des Zornes erzeugenden Bewusstseins einsetzte. Wir müssen beachten, daß das organische Bewußtsein, wenn es das Nicht-Ich wahrnimmt, eine Reaktion der Energie auf dieses Nicht-Ich auslöst. Damit ist aber gesagt, daß jenes Bewußtsein das Vorhandensein des dem Ich entgegenstehenden Nicht-Ich anerkennt, das heißt also, daß es mit der kosmischen Ordnung, mit den Dingen, wie sie wirklich sind, in Einklang steht. Dieses Bewußtsein steht über dem Kräfteaustausch zwischen Ich und Nicht-Ich, es versöhnt die beiden Pole und beendet sich in Übereinstimmung mit dem Tao. Untersuchen wir nun die Sekundärreaktionen. Durch die dynamische Veränderung meines Wesens, die in der Primärreaktion ihren Ausdruck findet, das heißt durch jenes Freiwerden von Energie als Reaktion auf die drohende Energie der Umwelt, wird nun in meinem Innern eine zweite Reaktion ausgelöst In der gleichen Weise wie die Bewegung der Außenwelt ein Reagieren meines organischen Bewusstseins ausgelöst hatte, löst nun dieses Reagieren seinerseits - d. h. die
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innere Bewegung, in der es zum Ausdruck kommt — das Reagieren meines geistigen Bewusstseins aus. Und diese Sekundärreaktion hat nun die Tendenz die anfängliche Unbewegtheit in meinem Innern wieder herzustellen, indem sie die darin freigewordene Energie wieder abzubauen versucht. Warum aber? Weil im Gegensatz zu meinem organischen Bewußtsein mein geistiges Bewußtsein das Vorhandensein des Nicht-Ich nicht anerkennen will. Wir müssen uns dabei an die Erscheinungen zurückerinnern, die wir als unsere ursprüngliche Forderung, als unsere Fiktion von Göttlichkeit, oder als den Anspruch auf absolutes Sein innerhalb der Grenzen unserer individuellen Eigentümlichkeiten, also auf ein Existieren im absoluten Sinne, bezeichnet haben. Im Grunde unserer geistigen Welterkenntnis ist der unaufhebbare Gegensatz zwischen Ich und Nicht-Ich verankert, d. h. „da ich bin, kann kein Nicht-Ich sein". Es ist eben jener Gegensatz, den wir wachrufen, wenn wir den Ausdruck Ego gebrauchen, wenn wir von Identifizierung mit unserem psycho-somatischen Organismus sprechen. Soweit ich organisches Bewußtsein bin, treffe ich keine diesbezüglichen Unterscheidungen, wohl aber soweit ich geistiges Bewußtsein bin. Für mein organisches Bewußtsein bin ich sowohl mit dem Nicht-Ich als auch mit dem Ich identisch. Für mein geistiges Bewußtsein hingegen bin ich nur mit dem Ich identisch, bejahe ich dessen alleinige Existenz. Mein geistiges Bewußtsein erkennt nur das Ich. Wenn ich mir also einbilde, eine geistige Erkenntnis der Außenwelt zu besitzen, so lerne ich in Wirklichkeit doch immer nur abgewandelte Formen meines Ich im jeweiligen Kontakt mit der Außenwelt kennen. Die Philosophie spricht an dieser Stelle vom „Gefängnis unserer Subjektivität", jedoch lässt sie dabei das organische Bewußtsein außeracht, das zwischen Subjekt und Objekt nicht unterscheidet, kraft dessen ich im Ansatz schon frei hin. Nehmen wir nun das geistige Bewußtsein als das, was es ist, und untersuchen wir, was sich daraus für die Erscheinungen meines Innenlebens ergibt. Im Verlauf meiner Primärreaktion war mein organisches Existenzverlangen von der Außenwelt her in Frage gestellt worden, daher war in mir jene Kraft wachgeworden, die ein Gegengewicht gegen die von außen kommende Kraft bildet. Im Verlauf der Sekundärreaktion wird mein geistiges „Seins"bedürfnis durch die in mir freigewordene Energie bedroht. Denn jene Energie begreift die Anerkennung der Außenwelt ein, und dadurch bin ich der Unveränderlichkeit des Prinzips entrissen. Soweit es sich nämlich um mein geistiges Bewußtsein handelt, sieht es so aus, als wolle ich für die Energiequelle meines Organismus die Attribute des absoluten Prinzips in Anspruch nehmen: Unwandelbarkeit, NichtHandeln. Stetigkeit, frei sein von Bedingungen. Und so muss sich die Sekundärreaktion auf das Freiwerden von Energie diesem Vorgang widersetzen. Doch kann diese Auflehnung gegen die kosmische Ordnung nicht zum Ziele führen. Die Kraft, die in meinem Innern freigeworden ist, kann nicht zurückkehren in den Bereich dies noch nicht in Erscheinung Getretenen. Meine Ablehnung der freigewordenen Energie kann also zu nichts anderen führen als zur Ausschaltung dieser Energie durch ihre Zertrümmerung.
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Bei beiden Reaktionen wird das Gesetz des Gleichgewichts des Tao wirksam. Die Primärreaktion stellt ein Gleichgewicht her zwischen der Kraft des ich und der Kraft des Nicht-Ich. Die Sekundärreaktion versucht das Inkrafttreten meiner Lebensenergie durch die Wiederauflösung dieser Energie auszugleichen. Die Primärreaktion ist bestrebt, das Gleichgewicht zwischen Ich und Nicht-Ich zu erhalten. Die Sekundärreaktion ist bestrebt, das Gleichgewicht innerhalb des Ich zu erhalten, das Gleichgewicht zwischen dem aufbauenden und dem zerstörenden Prinzip, zwischen Vishnu und Shiva. Die Zertrümmerung der freigewordenen Energie geht durch die Vorstellungsund Gefühlsabläufe vor sich. Diese Prozesse sind, wie wir an anderer Stelle bereits dargelegt haben, wahre Kurzschlüsse, bei denen die Energie sich im Hervorbringen von organischen Erscheinungen und gedanklichen Bildern verzehrt. Solche Bildungen des Bewusstseins werden von der buddhistischen Philosophie samskaras genannt. Die samskaras besitzen Substanz und Form; ihre einzige Substanz ist unsere Lebensenergie, sofern sie im Begriff steht, sich in diese samskaras aufzulösen. Ihre Form hingegen ist nicht die meine, sie sind meiner Form, der Form meines Organismus fremd, es sind unbegrenzt auswechselbare mentale Bildungen. Wegen ihrer fremdartigen Form stellen die samskaras eine Art „Fremdkörper" dar, die mein Organismus ablehnen muss. Es sind irgendwie „ungeheuerliche" Bildungen, die heterogen, ohne innere architektonische Harmonie und nicht lebensfähig sind. Doch wenn wir uns daran erinnern, daß sie die Zertrümmerung unserer Energie darstellen, wird diese Erscheinung uns nicht weiter in Erstaunen setzen. Das Auftreten dieser Bilder führt einen circulus viciosus in mir herbei. Denn sie wirken ihrerseits auf mein organisches Bewußtsein und zwar in der gleichen Weise, wie die zuvor in der Außenwelt wahrgenommenen Bilder, und dadurch wird eine neue, Energie freimachende Primärreaktion ausgelöst. Nun löst sich diese neuerdings in Erscheinung getretene Energie wieder auf, und so entsteht eine Art „Wiederkäuen" von Vorstellungen und Erregungen, das sich nur allmählich erschöpft wie ein angestoßenes Pendel, das erst nach einer gewissen Schwingungszahl wieder zum Stillstand kommt. Andrerseits erhält aber dieses Wiederkäuen durch das fortgesetzte Wahrnehmen der Außenwelt immer neuen Stoff, in unserem Falle durch das Wahrnehmen des Menschen, der mich ärgert. So erklärt sich mein Wunsch, diesen Menschen zu schlagen. Die Sekundärreaktion hat nun die Tendenz, die auftretende Energie wieder auszuschalten. Indem sie ein Bild von mir als dem Angreifer meines Feindes schafft, will sie dem Gegenbild, das meine Energie auslöste, seine Wirksamkeit nehmen. Wenn beim Abbau der Energie nicht Bilder entstünden, die den oben besprochenen circulus viciosus immer wieder herbeiführten, käme es gar nicht zu einer aggressiven Reaktion gegenüber der Außenwelt. In diesem Falle bliebe nämlich die Sekundärreaktion ganz auf den im Innern sich vollziehenden, selbstgenügsamen Abbauprozess beschränkt. Aber eben deswegen, weil dieser Prozess keine Selbstgenügsamkeit besitzt (da er durch sich selbst immer wieder neue, abzubauende Energiequantitäten hervorbringt),
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überschreitet die Sekundärreaktion den Bereich des Innern und treibt mich dazu, auch das mich verneinende Objekt der Außenwelt zu beseitigen. Doch hat die aggressive Tendenz gegenüber diesem Objekt einen mehr zufälligen Charakter, während der eigentliche Prozess, der auf die Zertrümmerung der Energie hinzielt, ein Vorstellungs-und Erregungsprozeß ist. Diese Behauptung mag zunächst paradox erscheinen; doch müssen wir beachten, daß die äußeren Gesten, in denen der Zorn sich entlädt, beherrscht und unterdrückt werden können, während es aber ohne die entsprechenden Vorstellungs- und Gefühlsprozesse gar keinen Zorn gäbe. Meistens werde ich meinen Feind nicht anrühren, dafür aber vielleicht die erste Vase, die mir in die Hand fällt, zerbrechen. Indem ich mich mir selbst als ein dem Nicht-Ich Schaden zufügendes Ich vorstelle, nehme ich dem Bild eines dem Ich schadenden Nicht-Ich seine Wirkungskraft. Im Grunde kommt es gar nicht darauf an, ob ich meinen äußeren Feind anrühre oder nicht. Das wahre Ziel meiner Sekundärreaktion liegt nicht außer mir, sondern in mir. Was diese Reaktion in Wirklichkeit zu beseitigen trachtet, ist jene Energie, die sich aus ihrer Quelle losgelöst hat und freigeworden ist. Da wir wohl wissen, daß es für uns keine wirklich objektive Wahrnehmung einzelner Objekte gibt, kann uns dieser Sachverhalt nicht befremden. Das Einzelobjekt der Außenwelt existiert nicht als solches für mich, ich habe in Wirklichkeit nie etwas damit zu tun, selbst nicht im Verlauf der Primärreaktion. Zwar reagiert die in meinem Innern in Bewegung gebrachte Kraft auf die Außenwelt, doch ist diese Kraft selbst noch formlos und anonym, ist reine Lebenskraft. Sie wird beim Kontakt mit der Außenwelt in mir erweckt, aber selbst wenn sie eine objektive Erkenntnis der Welt als Ganzes zulässt, so doch niemals eine Erkenntnis einzelner Objekte der Außenwelt. Wenn nun im Verlauf der oben beschriebenen Szene eine dritte Person zu mir sagt: „Warum so zornig?", so wird mein Zorn nur noch zunehmen. Durch diese Bemerkung wird mir das In Erscheinung treten meiner Energie noch deutlicher, und meine Sekundärreaktion wird durch diese Wahrnehmung gesteigert. Das ist ein erneuter Beweis dafür, daß meine Sekundärreaktion allein gegen das Auftreten von Energie in meinem Innern sich richtet und nicht gegen meinen äußern Feind. Denn eine solche Frage betrifft gar nicht meinen äußeren Feind und kann also auch die Reizwirkung, die er auf mich ausübt, nicht erhöhen. Was wir soeben beim Zorn beobachtet haben, gilt gleichermaßen für alle unsere Kontakte mit der Außenwelt. Es kommt dabei wenig darauf an, ob der Kontakt negativer oder positiver Art ist. Ist die aus der Außenwelt auf mich zukommende Kraft positiv, bringt sie mir eine Bejahung meiner selbst, so antwortet darauf eine Primärreaktion, bei der ebenfalls eine bestimmte Menge reiner Energie wirksam wird. Dann tritt die Sekundärreaktion ein, die die Auflösung jener freigewordenen Energie durch Vorstellungs- und Erregungsprozesse zum Ziel hat, deren Bilder und Gefühlserregungen dieses Mal positiver, erfreulicher Art sind.
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Ebenso wenig ist es ausschlaggebend, ob der Kontakt mit der Außenwelt über Psyche oder Soma mich erreicht. Beim Beispiel des Zornes geschah es auf psychischem Wege, doch kann meine Energie ebenso gut geweckt werden durch Kontakte, die mein Inneres auf dem Wege über den Körper ansprechen: so kann z. B. ein heftiger Zahnschmerz die Verneinung des Ich durch das Nicht-Ich darstellen, das Verschwinden dieses Schmerzes hingegen eine Bejahung des Ich. Beides wird von meinem Erwachen meiner zentralen Energie und deren Zertrümmerung in mehr oder weniger erfreulichen Vorstellungs- und Erregungsprozessen begleitet. Der Vorgang der doppelten Reaktion ist eine durchaus allgemeine Erscheinung. Er liegt unserem lebenswichtigen Stoffwechsel zugrunde, wobei die Primärreaktion dessen Aufbau, die Sekundärreaktion dessen Abbau vertritt. Die Primärreaktion entspricht dem Reflex, sie ist zentrifugal. Die Sekundärreaktion entspricht der Reflexion (nicht im übertragenen Sinne des Wortes), sie ist zentripetal, sie richtet sich gegen eine Erscheinung meiner inneren Welt. Die Energiewelle wird also dabei in mein Zentrum „reflektiert" (zurückgebogen). Physiologisch gesehen könnte man die Primärrekation mit der Funktion der grauen Gehirnkerne, die Sekundärreaktion mit der Funktion der Gehirnrinde in Verbindung bringen. Bestimmte, neuerdings möglich gewordene chirurgische Eingriffe setzen, indem sie einen Teil der Verbindungen zwischen diesen beiden Gehirnzentren ausschalten, die Sekundärreaktion stark herab, also die Erregbarkeit, die Vorstellungskraft und die damit zusammenhängende Angst. Die Primärreaktion entspricht auch dem Freud'schen „Lebensinstinkt", während die Sekundärreaktion dem „Todesinstinkt" entspricht. Tatsächlich bedeutet das Auftreten von Energie Leben, während umgekehrt die Neigung, diese Energie abzubauen, einen Widerstand, eine Ablehnung gegenüber diesem Leben bedeutet, also eine Tendenz zum Tode hat. Wenn wir nun die Freud'sche Unterscheidung beiseitelassen und unsere eigene Unterscheidung zwischen "existieren" und »leben" näher ins Auge fassen - das „Existieren", das der Mensch verachtet, und das „Leben", dem er Wert beimisst -, so sehen wir, daß die Primärrekation mit dem „Existieren", die Sekundärreaktion mit dem „Leben" in Verbindung steht. Der gewöhnliche Mensch hält nämlich ganz besonders diejenigen Prozesse für „lebendig", die seine Energie gerade abbauen wollen. Seiner Lebensenergie selbst misst er keinerlei Wert bei, einen desto größeren aber dem Funkensprühen, das beim Abbau dieser Energie entsteht. Wie weiter oben schon betont, entsprechen den beiden Reaktionen zwei verschiedene Bewusstseins schichten, der Primärreaktion mein organisches Bewußtsein, der Sekundärreaktion mein mentales oder geistiges oder Vorstellungsbewußtsein, (also das, was man gewöhnlich unter „Bewußtsein" versieht, wenn nähere Angaben fehlen). Mein Vorstellungsbewußtsein ist dualistisch angelegt, da die darin ablaufenden Vorstellung«- und Erregungsprozesse positiver oder negativer, erfreulicher oder unerfreulicher Art sein können. Mein organisches Bewußtsein dagegen ist nicht dualistisch angelegt, da die daraus aufsteigende Lebenskraft formlos, anonym, immer mit sich selbst
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identisch und unabhängig von den Formen ist, die sie später beleben wird. Das organische Bewußtsein spielt also hinsichtlich des Vorstellungs-Bewusstseins die Rolle einer Hypostase, eines versöhnenden Prinzips. Andererseits haben wir auch gesehen, daß das organische Bewußtsein nicht zwischen Ich und Nicht-Ich unterscheidet, daß sein Wirken eine wesenhafte Identität zwischen diesen beiden Polen einschließt und daher die Möglichkeit für eine wahre Erkenntnis des Weltganzen in seiner Einheit enthält. Diese Eigenschaften in Verbindung mit dem Sitz dieses Bewusstseins in den tiefsten Schichten unseres Wesens führen uns dazu, es als die erste, an die Person gebundene Manifestation des außerpersönlichen prinzipiellen Unbewussten zu begreifen. Die Aussicht, eines Tages wahrnehmen zu können, daß unsere gegenwärtige Befindlichkeit schon der Zustand des Satori ist, ist an das Erkennen dieses Bewusstseins in unserem Innern gebunden. Zusammenfassend könnten wir also sagen, daß allein das organische Bewußtsein eine echte Kenntnis des Weltganzen besitzt. Es wird ausgelöst durch unsere Umwelt und reagiert darauf mit dem Erwecken von Energie. Das mentale Bewußtsein kennt nur meine persönliche Innenwelt, kennt nur die darin in Erscheinung getretene Energie. Es wird ausgelöst durch dynamische Veränderungsvorgänge im Innern und reagiert darauf mit Vorstellungs- und Erregungsprozessen, mit samskaras. Entgegen dem, was man zu erwarten geneigt ist, ist der Begriff des organischen Bewusstseins einfach und durchaus zureichend, während das, was ich gewöhnlich mit „mein Bewußtsein" bezeichne, schwer zu fassen und daher auch zu benennen ist. Wir haben es „geistig", „psychologisch", „mental", „vorstellend" genannt, doch ist keine dieser Benennung zufriedenstellend. Wir werden im Verlauf dieser Untersuchung sehen, warum. Sie wird uns zeigen, daß jenes Bewußtsein, das der Sekundärreaktion zugrundeliegt, gar kein eigentliches Bewußtsein ist. Es ist nichts als der Widerstand gegen die Wirkungen des organischen Bewusstseins (des einzig wirklichen persönlichen Bewusstseins), es ist die Form, in der das unvollkommene Arbeiten des organischen Bewusstseins zum Ausdruck kommt. Die Hindernisse im Ablauf des organischen Bewusstseins lassen sich mit einem Hindernis im Räderwerk „meiner Maschine" vergleichen. Es ist dieses mentale Pseudo-Bewußtsein, welches das Zen meint, wenn es davon spricht, daß das Satori „das Entfernen des Hindernisses" ist. Mit diesem angeblichen Bewußtsein wird das Gesamt aller inneren Erscheinungen bezeichnet, die die Tatsache deutlich machen, daß mein organisches Bewußtsein vor dem Satori nicht uneingeschränkt als „nichtmentales" arbeitet. Solche Erkenntnisse, so sehr sie auch zu den geltenden Begriffen in Widerspruch stehen mögen, helfen mir, die merkwürdige „Maschine Mensch", die ich selbst bin, besser zu verstehen. Wenn ich mir die soeben beschriebenen Vorgänge ganz unpersönlich und allgemein anschaue, so erkenne ich, daß sie in Ordnung, d, h. vollkommen ausgewogen sind. Beide Reaktionen befinden sich in Übereinstimmung mit sich selbst, wenn auch der Ausgleich durch die Sekundärreaktion schreckliche Ängste mit sich bringen und im Selbstmord enden kann. Andererseits stellen auch beide Reaktionen untereinander ein genaues
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Gleichgewicht her. Meine Energie tritt in Erscheinung und wird dann wieder abgebaut und beschreibt dabei eine vollendete Spirale, in deren Verlauf ich mit dem Nicht-Ich durch eine von diesem ausgehende Störung in Verbindung gebracht werde und auf diese Weise an der kosmischen Schöpfung mit ihrem aufbauenden und ihrem zerstörenden Pol teilhabe. Dagegen erscheinen diese Vorgänge unvollkommen, wenn ich sie vom Persönlichen, d.h. vom subjektiven Gefühlsleben her betrachte. Bei ihrem Übergang vom Ich mm Nicht-Ich verliert die Energie für eine bestimmte Zeitspanne ihre Reinheit und Gestaltlosigkeit. Zwischen dem Augenblick, da sie aus der inneren Quelle aufsteigt und dem Augenblick, da sie nach ihrer Auflösung wieder an die Außenwelt zurückgegeben wird, hüllt sie sich in das Gewand mentaler Bildungen, die meiner eigenen Form fremd sind, und diese eckigen, verletzenden Fremdkörper fügen mir während ihrer Vertreibung allerlei Leiden zu. Ich fühle diese samskaras, diese „Komplexe", diese „Gerinnsel" als Verneinungen meines „Wesens". Diese „ungeheuerlichen" Bildungen haben gleichzeitig am Ich (da meine Kraft es ist, die sie belebt) und dem Nicht-Ich (da ihre Elemente aus der Außenwelt stammen) teil und stellen so für meine Subjektivität eine V e r s c h m e l z u n g der beiden Pole: Ich und Nicht-Ich vor, die der Dreieinheit zu widersprechen, ja sie zu leugnen scheint. Daher ein scheinbares, dem Sein widersprechendes Nichts. Für mich, für mein Gefühlsleben sind diese inneren Vorgänge also unvollkommen. Ich möchte nicht länger leiden müssen und frage daher, wo das Übel sitzt. Ich glaube es in den Vorstellungen und Erregungen, in den samskaras, zu sehen und suche also, wie ich diese beseitigen könnte, wie ich erreichen könnte, daß meine Energie, ohne mir Leid zuzufügen, von meiner inneren Quelle in die Außenwelt gelangt. Daher der Wunsch, die Voraussetzungen zur Bildung dieser samskaras genauer kennenzulernen. Wir sind uns ja bereits darüber im Klaren, daß die Tatsache, daß wir uns nur mit unserem Organismus und nicht auch mit der Übrigen Erscheinungswelt identifizieren, zu solchen Bildungen führt. Dies scheint jedoch nicht auszureichen, und daher wollen wir den versteckten Prozess zu erhellen versuchen, in dem jene Identifizierung, die zur Bildung der samskaras führt, greifbar wird. Dieser verborgene Vorgang zeigt sich in der gewöhnlicher weise passiven Haltung meiner Aufmerksamkeit. Weil meine Aufmerksamkeit passiv ist, wird sie erst durch die bereits vollzogene Aktivierung von Energie alarmiert und zwar zu einem Zeitpunkt, wo nichts anderes mehr zu tun bleibt, als diese Energie wieder aufzulösen. Meine Aufmerksamkeit befindet sich noch nicht im Zustand freier, unbedingter Bereitschaft, sie wird erst durch die in meinem Organismus sich vollziehende Aktivierung von Energie geweckt, sie ist also durch diese bedingt. So stehe ich immer vor vollendeter Tatsache. Kaum ist der Augenblick ohne Dauer überschritten, in welchem meine Energie noch gestaltlos aus den Schöße des
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noch nicht Erscheinung Gewordenen aufsteigt, so wird die Energie von der Welt der Formen gleichsam angesaugt. Damit ist die Gelegenheit, sie im Hinblick auf die künftige Bewusstwerdung des Satori als gestaltlose Kraft aufzuspeichern, endgültig verpasst, und ihre Auflösung in Vorstellungs- und Erregungsabläufe wird unvermeidlich. Nunmehr befindet sich die Energie im Bereich der Identifizierung mit mir selbst und mit voller Wucht rennt sie gegen diese Mauer an, wobei sie gewissermaßen in „tausend Scherben zerspringt". Es ist, als hätte ich Angst, meine freigewordene Energie zu bewahren. In meiner ausschließlichen Identifizierung mit meinem eigenen Organismus liegt nämlich die stillschweigende Annahme verborgen, daß dieser Organismus „sei", daß er dauerhaft, unveränderlich, unwandelbar sei. Tritt nun aber die freigewordene Energie in Erscheinung, so erlebe ich den beweglichen, wechselhaften, begrenzten Charakter dieses Organismus, und ich muss zu einer Ablehnung dieser freigewordenen Energie kommen, da sie mir ein so unerträgliches Bild vor Augen führt. Denn paradoxerweise bringt mich die ausschließliche Identifizierung meiner selbst mit meinem eigenen Organismus dazu, auf keinen Fall ein derart beschränktes Wesen sein zu wollen (Paulus sagt: „Wer wird mich erlösen von diesem Todes-Leibe?") Ich will diesen Leib nicht mehr fühlen. (Denken wir doch daran, daß auch bei der psychischen oder der durch Drogen hervorgerufenen Exstase der Körper seine stoffliche Dichte zu verlieren scheint.) Nicht schnell genug kann ich die Energie, die in meinem Organismus „anschwillt", die ihn „substanziert", wieder abbauen. Die Auflösungsprozesse werden also unvermeidlich, sobald meine passiv sich verhaltende Aufmerksamkeit durch meine bereits aktivierte Energie wieder geweckt wird. Sie dürfen jedoch keineswegs als „schlecht" oder „nicht sein sollend" aufgefasst werden. Sie zeugen nicht von einem „schlechten", nur von einem unvollkommenen Funktionieren meines Wesens als Erscheinung. Ebenso verhält es sich mit der Identifizierung mit meinem Organismus, aus der diese Prozesse hervorgehen. Diese Identifizierung beruht nicht auf einem Irrtum, sie ist nur unvollständig, da sie eine gleiche Identifizierung meiner selbst mit dem übrigen Universum ausschließt. Nicht in der Identifizierung mit meinem Organismus besteht die durch meine Ich-Bezogenheit hervorgerufene Täuschung, sondern in der ausschließenden Form, in der diese Identifizierung vorgenommen wird. Das unvermittelte Eintreten des Satori wird niemals diese Gleichsetzung zerstören d.h. das. was innerhalb meiner ich-bezogenen Bedingungen schon verwirklicht ist -, sie wird vielmehr den Schlaf zerstören, in welchem die Identifizierung meiner selbst mit der ganzen übrigen Welt sich noch befindet, d. h. alles, was über die vermeintlichen Grenzer, meines Ego hinausgehend in meinem gegenwärtigen Lebensaugenblick noch in mir schlummert. Was dann erwachen wird, ist die Identifizierung meiner selbst mit der Ganzheit der Erscheinungswelt. Diese Gedankengänge scheinen uns notwendig, um die richtige Lehre zu verstehen und um ein Stehenbleiben bei nichtigen „Realisierungs Methoden" zu vermeiden. Solange ich noch die Vorstellungs- und Erregungsprozesse und meine ausschließliche Identifizierung mit meinem Organismus für „schlecht" hielt, wurde
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ich folgerichtig dazu geführt, gegen diese Ego zu kämpfen, und damit gegen die Bedingung meiner Ich-Bezogenheit, also gegen meine eigene .Maschine", die ja in diese Bedingung mit einbezogen ist. Daraus aber entsteht ständige innere Disharmonie. Wenn ich hingegen begreife, daß meine inneren Bedingungen niemals „schlecht", sondern nur unvollkommen sind, verstehe ich gleichzeitig auch, daß ich dieses Entwicklungsstadium ganz durchleben muss, wenn ich es überwinden will. Das Übel besteht also nicht darin, daß ich jeweils in diesem Stadium lebe, sondern darin, daß ich es nicht von Grund auf, nicht in seiner Ganzheit durchlebe. Sehen wir nun zu, wie dies alles sich konkret auf den Gegenstand unserer Betrachtung anwenden lässt. Wenn ich auf die Energie Verschwendung bei den Vorstellungs- und Erregungsprozessen blicke, gerate ich in Versuchung, diese zu unterdrücken. Ich bin also versucht, das Freiwerden von Energie in mir nicht wie bisher zu bekämpfen, da ja die erwähnten Prozesse mit der Ablehnung dieser Energiefreimachung durch mein mentales Bewußtsein in Verbindung stehen. Doch verändern diese neuen Bemühungen meine innere Lage nicht, sondern komplizieren sie nur. Denn mein Bemühen, etwas nicht länger abzulehnen, ist in der Tat die Ablehnung einer Ablehnung, und da es sich hierbei um eine psychische Anspannung handelt, die einer Verkrampfung entgegengesetzt wird, kann dieses Bemühen nicht zu einer wirklichen Entspannung führen. Im Gegensatz zu dem was für die Mathematik gilt, führt hier die Verneinung einer Verneinung nicht zu einer „Bejahung". Es ist also gar nicht möglich, jene Ablehnung zu unterdrücken, die die Aktivierung von Energie in mir hervorruft. Außerdem wäre eine solche Unterdrückung nicht einmal wünschenswert, da, wie wir gesehen haben, jene Ablehnung Teil eines Prozesses ist, der nicht in sich „schlecht", sondern nur unvollkommen ist. Nachteilig ist nicht, daß wir die Aktivierung unserer Energie ablehnen, sondern daß wir sie unvollkommen, zu spät und daher erfolglos ablehnen. Meine Ablehnung in ihrer gegenwärtigen Form ist gar keine echte Ablehnung, sie ist vielmehr der vergebliche Protest einer vollendeten Tatsache gegenüber, da sie dem inneren Vorgang, den wir ablehnen, folgt. Nachdem mein mentales Bewußtsein hierbei nicht in aktiver, sondern in reaktiver Weise arbeitet, kann sein Funktionsablauf kein vollwertiges Gegengewicht zu demjenigen des organischen Bewusstseins bilden, denn es reagiert ja nur auf die Erscheinungsformen jenes organischen Bewusstseins, In Wirklichkeit ist es nicht die Bestimmung meines mentalen Bewusstseins, in dieser reaktiven, weiblichen Form sich auszuwirken, sondern in aktiver männlicher Form. Das organische Bewußtsein ist rein weiblich, es ist dafür geschaffen, auf die Anreize aus der Außenwelt zu reagieren (Primärreaktion). Das geistige Bewußtsein hingegen hat nicht die Bestimmung, auf diese Primärreaktion mit einer Sekundärreaktion zu reagieren. Die Ablehnung der auftretenden Energie sollte nicht auf die Aktivierung dieser Energie folgen, sie sollte vielmehr im gleichen Augenblick zur Wirkung kommen, in welchem diese Energie den Bereich des noch nicht in Erscheinung Getretenen verlässt. Mein
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männliches, geistiges Bewußtsein ist dazu da, das Arbeiten des weiblichen, organischen Bewusstseins auszugleichen und nicht etwa dessen Folgeerscheinungen. Nur auf diese Weise wird eine Versöhnung zwischen diesen beiden einander entgegengesetzten, sich ergänzenden Bewußtseinsformen stattfinden können. In der Möglichkeit, daß die Energie in Erscheinung treten kann, bevor sie von der Welt der Formen aufgeschluckt wird, findet diese Versöhnung ihren Ausdruck. Wenn die vollkommene Ablehnung der Aktivierung von Energie genau in den Augenblick verlegt wird, in dem dieser Vorgang sich vollzieht, so unterdrückt sie diese nicht (was den Tod bedeuten würde), sondern schafft ein entsprechendes Gegengewicht gegen den organischen Willen, der sie entstehen lässt. Diese Ausgleichung nun führt zur Entstehung einer Energie, die ohne Form bleibt, die sich dem Auflösungsprozess durch Vorstellungen und Erregungen entzieht und die bis zur Entfaltung des Satori gespeichert werden kann. Wenn meine Ablehnung der Energiefreimachung aufhört, passiv zu sein, um im obigen Sinne aktiv zu wirken, so bleibt sie zwar Ablehnung, insofern sie sich wirksam der Gefahr widersetzt, daß meine Energie in die Bildungen des Abbauprozesses "gegossen" wird. Zugleich aber hört sie auf, Ablehnung zu sein, insofern sie nämlich nicht die Aktualisierung der gestaltlosen, bisher noch nicht in Erscheinung getretenen Energie zu verhindern sucht. Worin aber besteht nun im Grunde jene Umwandlung der reaktiv-weiblichen Form der Aufmerksamkeit in eine aktiv-männliche? Wie wir weiter oben schon erwähnt haben, setzt die Aufmerksamkeit, die das Auftreten freigewordener Energie betrifft, jeweils zu spät ein. Wäre also ein zeitigeres Einsetzen, ein rascheres Reagieren wünschenswert? Auf keinen Fall; denn so schnell die Reaktion auch erfolgen mag, sie wird immer zu spät kommen, da sie „Reaktion" und nicht Aktion ist. Im Übrigen darf man den Ausdruck „zu spät" hier nicht im üblichen Sinne des Wortes auffassen. Zwischen der von uns beschriebenen Primärreaktion und der Sekundärreaktion vergeht keine noch so kurze Zeit. Der Ausdruck „zu spät" meint hier nicht etwa eine Sekunde, nicht einmal einen winzigen Bruchteil einer Sekunde, sondern er ist nur ein Ausdruck für die Tatsache, daß die Reaktion des mentalen Bewusstseins, selbst wenn sie unmittelbar erfolgt, immer zu spät kommt, weil sie Reaktion ist, während sie Aktion sein sollte. Unsere Aufmerksamkeit sollte nicht erst durch das Auftreten der Energie, sondern schon zuvor geweckt werden. Das wird möglich, wenn wir, anstatt den im Entstehen begriffenen Vorstellungsprozessen zuzusehen, auf diejenigen Vorgänge blicken, die erst entstehen wollen. Und dies wird möglich, sobald wir versuchen, in aktiver Weise das Entstehen der Energie selbst wahrzunehmen, anstatt passiv auf die bereits entstandene Energie und ihre bevorstehende Auflösung unser Augenmerk zu richten. Versuchen wir, es einfacher zu sagen: Eine aktive Aufmerksamkeit erspäht im Voraus die Entfaltung der Bewegungen in meinem Innern. Es interessiert uns dabei nicht mehr die Erscheinung unserer Gefühlserregungen, sondern ihr Zustandekommen, nicht mehr die bereits arbeitende Bewegung,
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sondern jene anderen, noch ungeformten Regungen, welche die Geburt der formgewordenen darstellen. Wenn auch das aktive Arbeiten meiner Aufmerksamkeit allem Automatischen in meiner Natur entgegen sein mag, so kann es doch nicht Gegenstand eines unmittelbaren Strebens, einer ausgesprochenen Übung, einer „Disziplin" sein, die im Hinblick auf die absolute Verwirklichung durchzuführen wäre. Diese so wesentliche Idee der Disziplin werden wir an anderer Stelle weiterentwickeln. Sie sei hier lediglich erwähnt, um den Leser vor einem hartnäckigen und vergeblichen Suchen nach „Vorschriften" für die absolute Verwirklichung zu bewahren. Zunächst wollen wir jedoch zeigen, warum unsere Aufmerksamkeit, sobald sie in aktiver Weise funktioniert, reine Aufmerksamkeit ohne greifbares Objekt ist. Die freigewordene Energie ist niemals als solche wahrnehmbar, sie ist es nur in den Produkten ihres Auflösungsprozesses, den Bildern. Die Auflösung wiederum kann nur Zustandekommen, wenn die Aufmerksamkeit passiv arbeitet, die aktiv arbeitende Aufmerksamkeit kommt ihr verhindernd zuvor. Es gibt daher kein Objekt für unsere Wahrnehmung, solange die Aufmerksamkeit in aktiver Weise arbeitet. Dennoch wird die Energie geweckt, da das organische weibliche Bewußtsein seine Arbeit fortsetzt; doch bleibt die Energie in ihrem ungeformten, reinen Zustand erhalten und tritt nicht greifbar in Erscheinung. So wird der Rat der Zenlehre am besten verwirklicht: "Erweckt das Geistige, ohne es an bestimmte Dinge zu binden." Wir können also verstehen, daß das geistige Bewußtsein, wenn es unmittelbar, und nicht erst durch die organisch-energetischen Reaktionen geweckt wird, notwendigerweise nichts finden wird, an das es sich heften könnte. Daher ließe sich der Satz der Zenlehre auch wie folgt abwandeln: »Erweckt das geistige Bewußtsein unmittelbar, und es wird an keinem einzelnen Dinge haften!" Es ist nicht schwer für uns, die konkrete Erfahrung zu machen, daß die auf unsere innere Welt gerichtete Aufmerksamkeit ohne Objekt ist. Wenn ich mich meinen inneren Monologen gegenüber wie ein aktiver Zuhörer verhalte, der diese Monologe sprechen lässt, was sie wollen und wie sie wollen, wenn ich mich absichtlich verhalte nach dem Satz: „Sprich, ich lausche Dir!", so werde ich bald feststellen, daß der Monolog abreißt und daß er erst wieder beginnt, wenn ich meine beobachtende, erwartungsvolle Haltung aufgebe. Diese Unterbrechung des Vorstellungsablaufs mag von einigen als Unterdrückung des „Lebens" verdächtigt werden. In Wirklichkeit ist aber der Vorstellungsablauf gar nicht das Leben. Hervorgebracht durch den Abbau von Energie, die eigentlich für die künftige Geburt des „neuen Menschen" im Satori gespeichert werden sollte, gleicht der Vorstellungsprozess im Grunde genommen einer wiederholt vorgenommenen „Abtreibung" des „neuen Menschen". Die Verhinderung dieses Abtreibungsversuchs kann also meinem Leben, meiner echten Entwicklung in keiner Weise schaden. Wenn ich die Entstehung des angeblichen „Lebens" in mir überwache und damit dieses »Leben" an seiner Entfaltung hindere, so bereite ich
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dadurch die Entfaltung des „Existenz"-Bewusstseins, die vollkommene Glückseligkeit des „Existierens" vor. Wir haben von einer männlichen und einer weiblichen Verlaufsform des mentalen Bewusstseins gesprochen und haben diese beiden Modi scharf getrennt. Wir werden nun aber sehen, daß beide Formen in Wirklichkeit nebeneinander ablaufen. Es wäre vergeblich, sich unmittelbar um die aktive Aufmerksamkeit zu bemühen oder etwa sich darin „üben" zu wollen oder zu versuchen, vorsätzlich die Entstehung unserer Gefühlserregungen zu beobachten. Solche Bemühungen würden nur damit enden, daß man überhaupt nichts mehr wahrnähme. Wir sind vorläufig an unseren jeweiligen Vorstellungsablauf gebunden - dies ist sogar unsere ursprüngliche grundlegende Bindung, und der Tod schreckt uns nur, weil wir darin ein Aufhören unseres kostbaren „Bewusstseins" fürchten - und derartige Übungen würden diese Bindung unmittelbar zu zerreißen suchen. Durch eine restlose „Vermännlichung" der Aufmerksamkeit wird die vollkommene Loslösung, das Durchbrechen der Ich-Grenzen, erst im Satori vollzogen. Sich unmittelbar um jene vollkommene Virilisierung bemühen, hieße also, die endgültige Loslösung „erhaschen", „erobern" zu wollen, und in diesem Versuch ist ein klar erkennbarer, innerer Widerspruch enthalten, der ihn von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wie wir immer wieder betont haben, gibt es für die absolute Verwirklichung keine „Vorschriften". Die Prozesse, welche das Satori-Erlebnis bedingen, oder genauer: die Ausschaltung derjenigen Prozesse, derentwegen wir uns unseres nicht an das Zeitliche gebundenen Satori-Zustandes nicht bewusst sind, ist einzig und allein über das Verstehen möglich. (Die Tibetaner nennen es „durchdringende Schau".) Durch das Verständnis werden nicht diese oder jene Bilder, sondern der Vorstellungs- und Gefühlsablauf als Ganzes entwertet. Jahrelang war meine Gläubigkeit meinen „inneren Filmen" gegenüber groß: ich bin sozusagen immer wieder „darauf hereingefallen", ich habe „daran geglaubt". Ich habe an die angebliche Wirklichkeit dessen geglaubt, was der Energieabbauprozess im Innern mir vorgaukelte. Je mehr aber mein erkennendes Bemühen und mein Verständnis fortschreiten, desto geringer wird meine Gläubigkeit, desto weniger lasse ich mich einfangen und desto weniger glaube ich, daß es „das ist, worum es eigentlich geht". Im gleichen Maße nimmt auch die Faszinationskraft der Bilder für meine durch diese Bilder bisher passiv erhaltene Aufmerksamkeit ab. Je mehr meine Aufmerksamkeit sich von der Vorstellungswelt ablöst, desto stärker kehrt sie spontan in ihre normale Richtung zurück, zur Quelle meines Seins, zu der umgeformter. Energie, die die Wirklichkeit meines Leben ist (nicht mehr zu den schon geformten Bildern, die die unaufhörliche Abtreibung dieses Lebens verkörpernd. Diese "Umkehrbewegung" vollzieht sich unbewusst, da ja meine Aufmerksamkeit, wenn sie in männlicher Weise wirkt, ohne Gegenstand ist. Was ich beobachten kann, ist allein die Tatsache, daß meine innere Vorstellungswelt fortschreitend an
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scheinbarer Wirklichkeit verliere (die Entwicklung zum Satori-Ereignis hin ist in diesem Sinne ein scheinbarer Abstieg, eine scheinbare Entwicklungsumkehrung, wie weiter oben schon hervorgehoben wurde). An dieser Stelle kehren wir wieder zu einem Gedanken zurück, dem wir schon einmal Ausdruck verliehen haben, dem Gedanken, daß das „reflexive'", „psychologische", „intellektuelle", „mentale" Bewußtsein kein Bewußtsein im eigentlichen Sinn ist, und daß vorläufig das organische Bewußtsein in uns Wirklichkeit besitzt. Bei aktivem Arbeiten ist die Aufmerksamkeit ohne bestimmten Gegenstand, also unbewusst, und die Erscheinungsformen unseres geistigen Bewusstseins verschwinden. Damit verschwindet auch das Bewußtsein, das wir bisher als das mentale bezeichnet haben, und das männliche, geistige Prinzip, das sich dahinter verborgen hatte (das Buddhi), wird wieder mit dem weiblichen geistigen Prinzip meines organischen Bewusstseins vereint in der Drei-Einheit des Nicht-Mentalen oder Prinzipiellen Unbewussten. Die Berichte der Zen-Meister, die das Satori hatten, erlauben uns einen Einblick in dieses letzte Stadium der Entwicklung. Es kommt ein Augenblick, da die männliche Funktion des Mentalen der weiblichen an Bedeutung gleichkommt: es gibt dann ebenso viel ungläubige Klarsicht als gläubiges Blindsein. Es ist der Augenblick des „Großen Zweifels". Das organische Bewußtsein lässt sich mit einem ersten Augen vergleichen (das von Geburt an offen ist), das mentale Bewußtsein wäre dann ein zweites Auge, und die weibliche Verlaufsform dieses Bewusstseins (eines Bewusstseins, das wesenhaft männlich ist) würde bei unseren Vergleich durch eine Verkrampfung vorgestellt, die dieses zweite Auge geschlossen hält. Je stärker das Gegengewicht der männlichen Form dieses Bewusstseins ist, desto eher wird eine Entspannung des Augenlids die Verkrampfung lösen können. Im Augenblick des „Großen Zweifels" ist dieses Gleichgewicht genau hergestellt. Noch ein Schritt, und der „Große Zweifel" zerbricht — das zweite Auge geht auf. Diese gemeinsame völlig neue Sicht der beiden Augen, die den Zugang zu einer vorher ungekannten Tiefe, zu einer neuer, Dimension eröffnet, kann man als die „Öffnung des dritten Auges" bezeichnen. Mit diesem Vergleich versuchen wir darzustellen, daß es in Wirklichkeit kein drittes zu öffnendes Auge, d. h. kein drittes „über-normales" Bewußtsein gibt. In unserem Innern soll kein neues „Etwas" erscheinen. Das Satori-Ereignis ist nichts anderes als der Augenblick, da unser dualistisch angelegtes Wesen, so wie es jetzt ist, endlich seine wahre Wirkungsform entdeckt, indem es seine Aufmerksamkeit zu einem selbständigen und bedingungsfreien Arbeiten erwachen lässt.
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XXI. ÜBER DEN BEGRIFF DER „DISZIPLIN" Unsere Überlegungen im Lichte des Zen haben uns Ausnahmslos zu der Einsicht gebracht, daß es keinerlei „Vorschriften" zur Erlangung der absoluten Verwirklichung geben kann. Kein System einer besonderen Lebensweise ist imstande, die Synthese aller als Möglichkeit bestehenden Weisen des Lebens herbeizuführen; keine bewusste Aktivität kann uns wieder in das prinzipielle Unbewusste eingliedern. Keine Dressur und keine Disziplin, in der noch eine Spur von Kampf enthalten ist, vermag den Dualismus zu überwinden, in dem dieser Kampf ausgetragen wird. Und so kommen wir zu dem Schluss, daß es allein dem Verständnis vorbehalten bleibt, die Täuschung, in der wir im Augenblick noch befangen sind, aufzuheben und uns das Satori-Erlebnis zu verschaffen. Darüber hinaus erkennen wir, daß die Entfaltung des Satori eine Aufspeicherung geballter Energie in unserem Innern voraussetzt. Diese Speicherung von Energie wiederum setzt einerseits die theoretische Erkenntnis voraus und andrerseits die praktische Anwendung dieser Erkenntnis durch eine besondere Aktivität unserer Aufmerksamkeit. Wir sehen also, daß diese Einsicht, die allein das Satori uns verschärfen kann, nicht nur als richtunggebende Theorie, sondern auch als innerer Prozess, durch welchen die Theorie ihre praktische Anwendung findet, verwirklicht werden muss. Dieser innere Vorgang kann sich also nicht in angemessener Weise vollziehen, ohne die Einsicht, deren einfache praktische Weiterführung er darstellt. Aus eben diesem Grunde können solche Vorgänge auch nicht selbstgenügsame, zur Verwirklichung führende Vorschriften sein. Dennoch stellen sie eine ganz bestimmte praktische innere Arbeit dar, eine Anstrengung, die sich im Lesen vollzieh: und die sich von der abstrakten Erkenntnis unter- scheidet, die wir für kurze Augenblicks der Zurückgezogenheit in den „Elfenbeinturm" unseres bewussten Denkens erreichen können. Wir kommen so zu zwei scheinbar in Widerspruch miteinander stehenden Gewissheiten: einerseits kann kein gewollter, methodisch ausgerichteter Eingriff in unser Leben, in unsere inneren und äußeren Vorgänge für das Satori irgendeine Wirksamkeit besitzen. Andererseits setzt die Erlangung des Satori notwendigerweise eine im Verlauf des täglichen Lebens geleistete praktische innere Bemühung voraus. Auf verschiedenen Wegen sind wir zu diesen beiden Gewissheiten gekommen und doch führen uns beide Wege zu jenem sicheren Gefühl der „Evidenz", das uns von der Echtheit eines Begriffes zu überzeugen vermag. Jeder Widerspruch dieser Art ist für uns Anlass zu einer wertvollen Vertiefung unseres Verständnisses, Er führt zu der Entdeckung einer umfassenderen Sicht der Dinge, einer Sicht, in der die beiden vorhergehenden
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Blickpunkte sich vereinen und ihr scheinbarer Gegensatz aufgehoben wird. Im Einzelfalle müssen wir diese innere Bemühung so verstehen, daß sie nicht zu einem dem Leben durch eine Methode aufgezwungenen Eingriff wird. Hierin sind zweierlei Hinweise enthalten: zuerst einmal, daß die innere Arbeit in Bezug, auf unser Leben keinen .Eingriff" darstellt. Weiterhin, daß sie keinerlei methodischen Zwang mit sich bringen darf. Über diesen letzten Punkt müssen wir uns am ausführlichsten verbreiten, da wir ihn bisher noch nicht behandelt haben. Doch zuvor wollen wir, was den ersten Punkt betrifft an bestimmte, bereits dargelegte Begriffe erinnern. Die innere Arbeit auf das Satori hin darf also keinen .Eingriff" in unser Leben darstellen. Mit dem Wort "Eingriff" bezeichnen wir das, was entsteht, wenn irgendetwas in die Grundelemente einer bestimmten Ordnung „eingreift", die Beziehungen verschiebt, in denen diese Grundelemente sonst zueinander stehen, und die wesentliche Anordnung des Gesamtplanes stört. Die Zenlehre fordert: "Stört nicht den Ablauf des Lebens!", und der Meister hält dem Schüler einen Sturzbach als Beispiel vor, der ohne Hindernisse dahin strömt. Satori gäbe es für uns, wenn wir endlich aufhörten, uns dem „Wesen der Dinge" entgegenzustellen, sowohl unserem eigenen Wesen wie der Natur des Kosmos im allgemeinen. Die innere Arbeit an uns selbst darf keine indiskrete und anspruchsvolle Einmischung in den Ablauf innerer oder äußerer Prozesse zulassen. Dies soll jedoch nicht heißen, daß nicht irgendeine Veränderung innerhalb dieser Vorgänge sich vollziehen könnte, je näher wir zeitlich dem Satori-Ereignis rücken. Doch was allem die entsprechenden Veränderungen hervorzubringen vermag, ist das Absolute Prinzip, das Unbewusste in uns, und nicht etwa unser anspruchsvolles Bewußtsein. Wenn ein „Eingriff" stattfindet, so ist das, was in die Grundelemente der Ordnung „eingreift", von der gleichen Art wie diese Elemente selbst, jeder Eingriff in mein Verhalten z. B. besteht darin, daß ich midi jetzt anders verhalt, doch es geht weiterhin dabei um mein Verhalten. Jeder Eingriff in mein Innenleben, in meine psychologischen Mechanismen, besteht in der Auslösung eines neuen Mechanismus, wobei es sich aber nach wie vor um einen Mechanismus handelt. Wenn ein „Eingriff" in eine bestehende Ordnung sich vollzieht, so tritt dabei nichts in Erscheinung, was nicht ursprünglich zu dieser Ordnung gehörte. Nun setzt aber die harmonische Synthese des menschlichen Wesens das versöhnende Prinzip voraus, welches nicht der Ordnung der Erscheinungswelt angehört, sondern eben diese Ordnung transzendiert. Und doch darf gerade dieses ausgleichende Inerscheinungtreten des Prinzips innerhalb der Ordnung nicht als „Eingriff" verstanden werden. Nur das Prinzip selbst kann umgestaltend auf unsere inneren Prozesse, auf unser Leben einwirken, ohne dieses Leben zu stören. Wiederholt haben wir schon von jener Geste innerer Entspannung gesprochen, die keinen „Eingriff" darstellt, da sie zur einfachen Aufhebung - nicht zur Umgestaltung - des geistigen Vorstellungsablaufs führt, ohne irgendein
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besonderes Bild mit sich zu bringen. Wir sagten auch schon, daß diese Geste auf einer Ebene sich vollzieht, die höher steht als die Ordnung der uns sonst vertrauten inneren Vorgänge und Erscheinungen, wie etwa das Gehirn, von dem die Entspannung der Muskeln ausgeht, einer höheren Ebene angehört als das Knochenmark, das sie zusammenzieht. Das „Ausfuhren" einer solchen Geste entspricht etwa dem „Unterlassen" der uns sonst vertrauten inneren Prozesse. Wenn es in der Geste der Entspannung läge, durch den Gebrauch eines bestimmten Bildes - wie etwa der Vorstellung der Aufhebung selbst - unmittelbar zur Aufhebung des Vorstellungsablaufs zu führen, so könnte man mit Recht von einem indiskreten „Eingriff" sprechen, der überdies nicht zur Aufhebung des Vorstellungsablaufs, sondern nur zur „fixen Idee" dieser Aufhebung führen würde (ähnlich wie eine zu einer Art Autohypnose oder Katalepsie oder Synkope führende Konzentrationsübung). Die richtig ausgeführte Geste gelangt nur mittelbar zu einer Entspannung. Sie nimmt sie nicht unmittelbar zum Ziel, sie verzichtet auf die Einführung einer gedanklichen Vorstellung von Entspannung. Im Gegenteil, sie besteht in einer umfassenden, unparteiischen und bedingungslosen Anerkennung unseres geistigen Bewusstseins mit all seinen aufnehmenden und aktiven Kräften. Diese Geste besteht in einem vorübergehenden Innehalten jedes besonderen Strebens, das sich meinem Leben aufgeprägt hat, es ist, als wollte ich mich gleichsam meiner eigenen Existenz öffnen, die unveränderlich unterhalb meinen Lebensbewegungen da ist. Doch wird dabei noch nicht einmal der Begriff der „Existenz" aufgerufen. Diese Geste ist wie ein Blick, der unmittelbar in das Zentrum der von mir restlos bejahten Innenweit fiele und dabei durch diese Schicht hindurch in einen mir bislang noch unbekannten Bereich vordränge. Da dieser Blick nichts Einzelnes bevorzugt, da er ohne „Vorurteil" und ohne Ziel ausgesandt wurde, fällt er auf nichts und führt so, ohne daß ich es beabsichtigt hätte, zur Aufhebung des Vorstellungsablaufs. Er ist sozusagen eine totale Frage ohne besondere Formulierung, eine Frage, die ohne Antwort bleibt, da sie keine ermöglicht, Es ist eine Kampfansage, die keinen Feind zum Ziel nimmt oder trifft, eine Aufmerksamkeit auf alles, die keinen Gegenstand kennt. Die Aufhebung des Vorstellungsablaufes, die ohne gesucht worden zu sein, auf diese Weise erreicht wird, hat jedoch nur vorübergehenden Charakter. Sie besitzt keine Stetigkeit, sie ist wie ein Blitz aus dem Bereich des Zeitlosen im Schoße der Zeit, und in nichts gleicht sie jenen „Zuständen", in die mich, im Gegensatz hierzu, etwa Konzentrationsübungen versetzen können. Da diese Geste, die geschieht, um die „Selbstschau" zu gewinnen, keine Dauer besitzt, kann sie auch nicht zur Schau des „dritten Auges" führen, sondern diese nur vorbereiten. Es handelt sich um ein wiederholtes Scheitern, das in einem letzten Scheitern sich verdichten muss, und das eines Tages die Täuschung aufheben wird, In der ich bisher noch befangen bin, die Täuschung, die darin besteht, daß ich glaube, nicht im Satori-Zustand zu leben. Wenn die Geste vorübergehender Entspannung das Satori-Ereignis vorbereitet, dann deshalb, weil die dadurch erreichte vorübergehende Aufhebung des
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Vorstellungsablaufs jedesmal den circulus viciosus zwischen Bildern und Gefühlserregungen durchbricht. Dieser circulus viciosus, den wir auch „Wiederkäuen von Vorstellungen und Gefühlen" genannt haben und der auch dem entspricht was wir als „Erregungszustand", als „innere Verkrampfung", als „Koppelung des Gefühlslebens mit dem Verstande" bezeichnet haben, ist ein innerer Automatismus, dem ein starker passiver Widerstand innewohnt. Dieses Wiederkäuen von Vorstellungen läuft nicht ununterbrochen mit gleicher Intensität ab, doch hat es in jedem Stadium unserer Entwicklung eine bestimmte Entfaltungsmöglichkeit. Diese Möglichkeit nun wird durch die Augenblicke der Entspannung nach und nach aufgebraucht und untergraben. Die Intensität des circulus viciosus zwischen Bildern und Gefühlserregungen wird in zunehmendem Maße abgeschwächt und dies findet in einer fortschreitenden Verwandlung unseres Innenlebens, unserer Schau der Dinge im allgemeinen seinen Ausdruck. Nicht als wäre uns vor dem Satori auch nur der kleinste Bruchteil der „Schau der Dinge, wie sie wirklich sind", vergönnt, doch verliert unsere gegenwärtige Schau an „Schwere", an Dichte und Faszinationskraft. Um die Verwandlung begreiflich zu machen, die durch die innere Arbeit bei der Schau der Dinge erreicht wird, wollen wir uns eines Beispiels bedienen. Wir wollen den Film unserer Vorstellungen vergleichen mit den Projektionen eines gewöhnlichen Filmes, bei dem ein Projektionsapparat, eine Leinwand und ein Lichtkegel, der beide verbindet, notwendig sind. Wenn nun die Projektionsvorrichtung genau auf die Leinwand eingestellt ist, kann ich dort klare Bilder erkennen, bei denen Licht und Schatten scharf kontrastiert sind. Wenn ich nun nach und nach die Leinwand näher an den Projektionsapparat heranbringe ohne an diesem irgendetwas zu verändern, so werden die Bilder allmählich an Klarheit und an Kontrast einbüßen. Es kommt dann ein Augenblick, wo ich sie nur noch mit Mühe erkenne und wo die schwarzen Schatten grau geworden sind. Noch später erscheinen nur blasse unbestimmte Schatten, während die allgemeine Helligkeit auf der Leinwand zunimmt. Und schließlich, wenn die Leinwand den Apparat fast berührt, wird sie ganz weiß und flimmernd. Der Projektionsapparat symbolisiert hier das prinzipielle Unbewusste oder NichtMentale, die Quelle unseres Bewusstseins, der Lichtkegel das Unterbewusste und die Leinwand das Bewußtsein. Diese „Leinwand" wird nun durch unsere ichbezogene persönliche Bestimmtheit in einer Entfernung gehalten, in der die Bilder „scharf eingestellt" sind. Und hier wird durch die Forderung nach absolutem Sein innerhalb der Grenzen unserer individuellen Eigentümlichkeit unsere Aufmerksamkeit festgehalten. Dieser Zustand entspricht der parteiischen inneren Einstellung, mit der ich das, was ich liebe, dem, was ich nicht liebe, genau entgegensetze. Bei diesem lebhaften Kontrast von Licht und Schatten rufen die Bilder starke Gefühlserregungen hervor, die wieder neue Bilder auslösen und der ganze Ablauf des Filmes stellt so das „Wiederkäuen" meiner Vorstellungen und Gefühlserregungen dar.
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Im Augenblick der Entspannung, der gegenstandslosen Aufmerksamkeit, befindet sich die Leinwand in unmittelbarem Kontakt mit dem Projektionsapparat und ist, ganz von reinem Licht überstrahlt, bilderlos. Jenes reine Licht entzieht sich meiner Wahrnehmung, weil alles in einem Augenblick sich vollzieht und weil ich nichts wahrnehmen kann, was nicht Dauer hätte, da jede Wahrnehmung Erinnerung ist. Doch durch diesen Augenblick ohne Bilder nimmt die Macht des circulus viciosus ab, die die Leinwand vom Projektionsapparat entfernt hält, und die Leinwand rückt näher. Wird die Bewegung der Entspannung mit genügender Beharrlichkeit wiederholt, so nähert sich die Leinwand immer mehr. Lichter und Schatten des Vorstellungsfilmes verlieren an Kontrastwirkung, die äußeren Umrisse, die sie gegeneinander abtrennen, werden weniger scharf und die Schatten werden grau. Das will nicht besagen, daß mein Denken an Kraft einbüße, nur meine „Werturteile", meine „Ansichten", meine „Überzeugungen" verlieren an Härte und zwingender Kraft. Das Zunehmen einer allseitigen Helligkeit auf der Leinwand ist dem Abnehmen meiner Urangst gleichzusetzen, und damit einer Erleichterung meiner gesamten Gefühlslage. Der dem Satori vorangehende „Große Zweifel" entspricht dem letzten Stadium dieser Entwicklung. Die Leinwand befindet sich dabei ganz nah am Projektionsapparat. Der innere Bewusstseinszustand ist sehr klar und frei von Beklemmungen. Die tief in unserem Gefühlsleben verankerte Verneinung wird fast ganz ausgeschaltet und die Angst verschwindet, wenn auch die existentielle Glückseligkeit der Bejahung noch nicht bis ins Bewußtsein gedrungen ist. Die vom Gehirn erzeugten geistigen Bildformen, die samskaras, sind verschwunden; daher kommt der Betroffene zu der Aussage, er sei „schwachsinnig oder dumm geworden". Die Auflösung der Schatten gibt sich in dem Gefühl zu erkennen, die Weit sei transparent, sei einem „Kristallpalast ähnlich" geworden. „Berge sind nicht mehr Berge und Wasser nicht mehr Wasser". Noch eine Stufe weiter und die Aufmerksamkeit, die der Quelle des Unbewussten schon so nahe gekommen ist, verankert sich endgültig darin - sie ist am „Ruheort". Für einen Augenblick ist jeder Unterschied zwischen Leinwand, Lichtkegel und Projektionsapparat ausgelöscht. Dann tritt wiederum alles in Erscheinung, um aber nun in einfacher, harmonischer, für uns bislang nicht vorstellbarer Weise sich abzuspielen. Dieses Beispiel lässt uns verstehen, in welcher Weise bei den inneren Bemühungen der Kreislauf der Lebensenergie verwandelt wird. Je näher die Leinwand dem Projektionsapparat rückt, desto weniger löst sich die Lichtenergie in schwarz-weiße Formen auf. Das Strahlenbündel ist an seinem fernsten Punkt, dort wo es aus der Quelle tritt, reines Weiß, reines Licht, Wir haben schon darauf hingewiesen, daß unsere Energie ungeformt aus der Quelle aufsteigt, in der sie noch nicht in Erscheinung getreten war und haben damit das Vorhandensein einer Energie zugegeben, die zwar noch ungeformt ist, aber dennoch sich anschickt, in Erscheinung zu treten. Scheinbar ist dies ein metaphysischer Widerspruch, da keine Manifestierung ohne Form vorgestellt werden kann. Das Absurde rührt
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jedoch nur von den Worten her, die die Bewegung bei der Entstehung der Energie erstarren zu lassen drohten. Wenn wir von einer zwar in Erscheinung tretenden aber doch noch ungeformten Energie sprechen, wollen wir mit diesen unzulänglichen Worten jenen Augenblick ohne Dauer aufrufen, in dem die Energie gerade aus ihrer Quelle heraustritt. Wir wollen sie auf jener angenommenen Grenzlinie zwischen dem noch nicht in Erscheinung Getretene« und dem schon Erscheinung Gewordenen bezeichnen, wollen jenen Augenblick greifbar machen, wo sie von ihrem Ursprung her gesehen schon in Erscheinung tritt, von der gesamten Erscheinungsweit her gesehen jedoch noch ungeformt scheint. Die zuvor erwähnte „Ballung umgeformter Energie" muss verstanden werden als eine immer mehr anwachsende Möglichkeit, der Energie den circulus; viciosus von Bildern und Gefühlserregungen zu ersparen. Nachdem wir nun die innere Arbeit als ein „Loslassen", eine momentane und vollkommene Entspannung unseres bewussten Seins in Erinnerung gebracht haben, kommen wir zu dem wesentlichsten Punkt dieser vorliegenden Untersuchung: Wann ist es angebracht, dieses „Nicht-Handeln"', dieses „Loslassen' zu üben? An dieser Stelle lauert eine Gefahr: Wenn ich Satori nämlich irrtümlicherweise als Erfüllung meiner individuellen Eigentümlichkeit ansehe aus der trügerischen Perspektive eines „Übermenschen", dann begehre ich des Satori, dann ersehne ich es unmittelbar, dann „will" ich es im gewöhnlichen Sinne dieses Wortes. Wenn ich auf diese Weise Anspruch auf Satori erhebe, andererseits jedoch die Wirksamkeit des „Loslassens" begriffen habe, so bin ich gezwungen dieses Loslassen zu vollziehen. Ein Zwang, der sich folgerichtig aus meinem Anspruch auf absolutes Sein als Individuum ergibt, treibt midi dazu, meinem Gesamtorganismus die Geste der Entspannung aufzuerlegen, ob dieser darauf anspricht oder nicht. Es versteht sich von selbst, daß auf diese Weise keine echte Entspannung möglich werden kann, und nur wiederum eine verkrampfte Vorstellung von „Entspannung" herauskommen kann. Dies alles will jedoch nicht heißen, daß es bei der richtig durchgeführten inneren Arbeit keinerlei Disziplin geben könne, doch muss sie in entsprechender Weise verstanden werden. Bei jeder inneren Disziplin bestimme „Irgendetwas" den Gang meiner psychosomatischen „Maschine". Was aber muss dieses „Irgend- etwas" sein, wenn die innere Arbeit sinnvoll sein soll? Um diese Frage beantworten zu können, wollen wir zunächst einmal zeigen, was dieses „Irgendetwas" nicht sein darf, und zu diesem Zweck die uns ver- trauten Begriffe des „auf sich selbst einen Zwang ausüben", der „Selbstbeherrschung" des „Willens" analysieren. Wir werden zunächst nicht auf eine nähere Untersuchung des berühmten und verfänglichen „Willens" eingehen und wollen vielmehr bei der Untersuchung des „Zwangs, den wir auf uns selbst ausüben", den Ausdruck „Willen" nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch anwenden. Einen Einfluss, einen bestimmten Druck ausüben, kann Einfluss auf meine äußere Haltung bedeuten - etwa „gute" Taten oder „gute" Unterlassungen (Askese) - oder aber Einfluss auf die innere Haltung,
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also „gute" Gefühle, „gute" Gedanken oder geistige Übungen zur Erreichung eines „guten" Funktionierens meines Gehirnes (Konzentration, Meditation, völlige Leere des Gehirns usw.). Bei einer gründlichen Analyse dessen, was im Verlauf solcher Einwirkungen vor sich geht, rindet man zunächst immer die „gewollte" Aufrufung eines einzelnen Bildes oder eines Systems von Bildern als ersten Mechanismus. Soweit es sich um Meditationen handelt, wird dies besonders deutlich (selbst wenn die aufgerufene Vorstellung die der Abwesenheit von Bildern sein sollte), und ebenso verhält es sich auch bei äußerer Taten, da ja der Entschluss zu jeder Handlung von der Konzeption ihrer geistigen Vorstellung ausgeht. Jede Einwirkung auf mich selbst besteht also in einem „absichtlichen" geistigen Aufrufen von Bildern, in einem vorstellungsmäßigen „Vorgehen", in dessen Verlauf meine „Parteinahme" für ein bestimmtes Bild zu Ungunsten aller andern Bilder deutlich wird. Dieses Parteiergreifen für eine einzelne Form meiner Gesamtverwirklichung und folglich gegen alle indem als Möglichkeit vorhandenen Formen verhindert jene Einwirkung auf uns selbst daran, an der Synthese unseres Gesamtwesens mitzuarbeiten. Ich kann so nur handeln, wenn ich alle anderen Handlungen, die ich gerade nicht ausführe, ablehne, und daher wird keine Vereinheitlichung meines Wesens möglich. Die bevorzugten Bilder sind, genau wie die abgelehnten, samskaras. Diese Methode kann also den Vorstellungs- und Erregungsprozeß als Ganzes nicht beeinflussen; so werden lediglich die durch diesen Prozess hervorgebrachten Formen modifiziert. Die bevorzugten samskaras intensivieren sich, sie neigen dazu, sich zu verselbständigen, und es entstehen Vorstellungsgewohnheiten. Auf diese Webe kann ich etwa die Gewohnheit annehmen, Liebesgefühle für die ganze Welt zu hegen und dabei die ursprüngliche in mir angelegte Aggressivität vernachlässigen. Wohl wird bei diesem Vorgang eine bestimmte Erscheinung verwandelt, doch findet kein überschreiten dieser Form, keine Transformation statt. Wie wir schon hervorgehoben haben, bilden solche Methoden nicht in sich selbst ein Hindernis für die Erlangung des Satori. Eine Verstärkung bestimmter samskaras auf Kosten anderer kann die innere Situation des Menschen im Hinblick auf eine mögliche Verwandlung kaum beeinflussen. Was nicht für das Satori arbeitet, begnügt sich damit, nicht dafür zu arbeiten, aber es gibt nichts, was imstande wäre, dem Satori entgegenzuwirken. Der Unwissenheit eignet gegenüber dem Zeitlosen oder der möglichen Verwirklichung des Zeitlosen keine eigentliche Wirklichkeit. Sie bedeutet hinsichtlich des Satori Ereignisses nur verlorene Zeit. An dieser Stelle lässt sich ein Einwand erheben: Wenn ich in der richtigen Weise „loslasse", so anerkenne ich dabei ganz unterschiedslos jegliches Bild. Es kann sich also nicht länger darum handeln, ein besonderes Bild aufzurufen, denn meiner Innenwelt gegenüber gibt es keine Parteilichkeit mehr. Bis hierher scheint alles seine Richtigkeit zu haben. Wollte ich jedoch mich nun selbst veranlassen, die Geste des »Loslassens" systematisch zu vollziehen, weil ich das Satori „begehre", wollte ich sie jedesmal vollziehen, wenn ich daran denke, ohne meiner
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jeweiligen inneren Lage Rechnung zu tragen, so wird notwendigerweise diese gleichmäßige Anerkennung sämtlicher Bilder wiederum zu einem bevorzugten Bilde werden, und so werde ich zum gleichen Widersinn zurückkehren. Zum ersten Mal stoßen wir hier auf einen wesentlichen Grundbegriff, nämlich auf die Forderung, daß man der jeweiligen inneren Lage Rechnung tragen müsse. Was die übliche Auffassung der Disziplin von der richtigen Auffassung, die wir hier zu umreißen versuchen, unterscheidet, ist nichts anderes als die Tatsache, daß bei der üblichen Anwendung der Disziplin der inneren Lage nicht Rechnung getragen wird. Analysieren wir nun, was eigentlich vor sich geht, wenn wir auf uns selbst einen Zwang ausüben. Jede Einflussnahme auf uns selbst ist ein Kampf zwischen zwei Bestrebungen. Wenn irgendjemand aus ästhetischen Gründen fastet, um abzunehmen, so entbrennt ein Kampf zwischen der Tendenz, den Appetit zu befriedigen und der anderen Tendenz, schöner und darum dünner zu weiden. Ein anderer fastet um seiner „geistigen" Weiterentwicklung willen, und dieser Fall weist im Grunde wenig Unterschied vom vorhergehenden auf, denn der Wunsch nach „geistiger" Weiterentwicklung ist offensichtlich auch ein auf meine Person bezogener Wunsch. Er ist also, genau wie die Lust zu essen, ein Bestreben, sich innerhalb der Grenzen seiner individuellen Eigentümlichkeit zu bejahen. In beiden Fällen sehen wir also gleichartige Tendenzen gegeneinander kämpfen. Es verhält sich wie bei zwei Menschen, die an den entgegengesetzten Enden eines Seiles ziehen oder die sich gleichzeitig auf die entgegengesetzten Enden eines Stockes stützen wollen. Dieser Kampf, diese Spannung zwischen beiden Tendenzen muss genau unterschieden werden von ihrem Zusammenspiel, das ihr normales Verhalten kennzeichnet. Jedes Verhalten, das ich einnehme, ohne einen Zwang auf mich selbst auszuüben, kann niemals nur Ausdruck für eine einzelne Tendenz sein. Vielfältige Tendenzen reagieren in meinem Innern auf jede Wahrnehmung der Außenwelt. Die einfache, einheitliche Form, die in einem nicht absichtlich gelenkten Verhalten sichtbar wird, geht aus einer unterbewussten Zusammenordnung der verschiedenartigen Tendenzen hervor und stellt so das Ergebnis eines Kräfteparallelogramms dar. Woher aber kommen nun die Unterschiede in der Art und Weise, in der diese Tendenzen durcheinander spielen? Warum fügen sie sich manchmal fast unbemerkt ineinander, während sie ein andermal bis zum Zerreißen sich in meinem Innern bekämpfen? Was hier hemmend eingreift, ist die Parteilichkeit. Es muss eine Spannung in mir entstehen, wenn ich für die eine und gegen die andere Tendenz Partei ergreife. Die gefühlsmäßige Vorliebe für eine einzelne Tendenz bringt in dem passiv reagierenden mentalen Bereich ein Parteiergreifen meines Intellektes und damit ein Werturteil. Dies führt zu der Überzeugung, daß die eine Tendenz „ist", also auch existieren solle, daß eine andere hingegen nicht „ist", folglich auch nicht existieren dürfe. Auf diese Weise setze ich mich selbst mit der von mir
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bevorzugten Tendenz gleich (also eine Übersetzung meines ganzen Wesens auf die eine Tendenz, deren „Sein" ich zu erkennen glaube). Hier wie überall liegt der Irrtum nicht in der Gleichsetzung meiner selbst mit einer beliebig gewählten Tendenz verankert, sondern nur in dem ausschließenden Charakter dieser Gleichsetzung, das heißt in der Ablehnung entgegengesetzter Tendenzen. Wir müssen dabei beachten, daß die Unzulänglichkeit der Gleichsetzung, die innerhalb des persönlichen Mikrokosmos sich vollzieht, in einer bestimmten Beziehung steht zu der Unzulänglichkeit, die ich erfahre, wenn ich mich mit dem Mikrokosmos identifizieren möchte. Sobald ich unter Ausschluss des Nicht-Ich mit meinem Ich mich gleichsetze, ist keine Gleichsetzung mit der wirklichen Ganzheit des Ich mehr möglich. Mein persönlicher Mikrokosmos wird dann seinerseits in Ich und Nicht-Ich aufgespalten, so z. B. in Tendenzen, die ich als die meinen anerkenne, und solche, die ich als mir fremd verleugne. Einen Magneten kann man in beliebig viele Stücke teilen, und jedes Bruchstück wird wieder zwei Pole besitzen. Jede Spaltung erzeugt eine Unzahl weiterer Spaltungen. Diese Identifizierung mit der oder jener Tendenz unter Ausschließung aller anderen vorhandenen Tendenzen findet in der Tatsache ihrer. Ausdruck, da? der Mensch das Gefühl hat, er selbst kämpfe gegen die Tendenz, die er ablehnt. Die unterbewusste Zusammenordnung der Kräfte hat ihrer bewussten feindlichen Entgegengesetzheit Platz gemacht, das sich Ergänzende der polaren Spannung tritt hinter dem feindlichen Gegensatz zurück. Die beiden Kräfte wirken nicht mehr, als gehörten sie einem harmonischen Ganzen an. Durch meine Parteilichkeit verhalten sie sich, als gehörten sie zwei verschiedenen „Ganzen" an. „Sobald ihr Gut und Böse habt, folgt die Verwirrung, und der Geist ist verloren.'" Gerade der irreführende Begriff des „Willens'', wie er im allgemeinen verstanden wird, ist das unheilvolle Ergebnis einer solchen Gleichsetzung des Menschen mit einer von ihm gewählten Tendenz. Dieser „Wille" stellt eine besondere Kraft für sich dar, die sich wohl von den Tendenzen unterscheidet und die die Fähigkeit besitzt, unter diesen Tendenzen eine Art Polizeiregime zu errichten. Kehren wir zu dem Bild des Menschen zurück, der eine Fastenkur macht, um schlanker zu werden. Er identifiziert sich selbst mit dieser ästhetischen Tendenz und ist sich daher dieser Tendenz auch nicht mehr bewusst. "Wenn er von seiner Kur abgewichen ist, sagt er nicht etwa: „Meine Esslust ist stärker gewesen als mein "Wunsch, schön zu sein", sondern er wird sagen: „Meine Esslust ist stärker gewesen als ich". Im entgegengesetzten Falle würde er sagen: "Ich bin meiner Esslust Herr geworden." Da nun dieser Mensch die Tendenz, die den Sieg davon getragen hat, gar nicht mehr als solche empfindet, da er aber dennoch fühlt, daß irgendeine Macht diese Esslust besiegt hat, nennt er diese Macht seinen „Willen". Es lassen sich auch schwieriger gelagerte Fälle beobachten, die aber im Grunde alle auf das Gleiche herauskommen: So könnte etwa in einem Menschen, der stolz ist auf die Triumphe seines Willens oder der über dessen Niederlagen sich
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schämt, der Wunsch erwachen, möglichst viel „Willenskraft" zu besitzen. So kommt es zu einer Parteinahme für diejenige Tendenz, deren Wesen es ist, im Widerspruch zu jeder anderen beliebigen Tendenz zu stehen. Das Streben nach „Selbstbeherrschung" ist nichts anderes. Man könnte vielleicht einwenden, das Kontrollieren der eigenen Tendenzen müsse noch nicht notwendigerweise heißen, daß man zu ihnen im Widerspruch stehe. Doch wird man zugeben müssen, daß jede Kontrolle, selbst wenn sie einen Vorgang gutheißt, einen Widerspruch immerhin als Möglichkeit mit sich bringt. Wenn ein anderer meine Handlungen kontrolliert, so empfinde ich das mit Recht als eine Verneinung meiner Freiheit. Vielleicht wird der Mensch, der fastet, um sich zu beweisen, daß er dazu imstande sei, behaupten, daß er sich dieses Fasten vollkommen „ohne jede Absicht" auferlegt habe und daß es sich dabei nicht um eine Tendenz handle, die seiner Esslust entgegenwirken solle. Trotzdem erkennt er, daß es sich um eine Tendenz handelt, die das Zepter über unsere Innenwelt schwingen möchte, um eine Tendenz zur Tyrannis, durch welche er selbst tyrannisiert wird. Er wollte nicht länger Sklave seiner Wünsche und Triebe sein, hat dabei aber alle Sklaverei auf den einen Wunsch konzentriert: frei zu sein von allen Wünschen. Die innere Situation bleibt so im ganzen gesehen die gleiche, und sie wird im Hinblick auf die Möglichkeit des Satori weder gebessert noch verschlimmert. Das „Sich selbst bezwingen" kann zur „Heiligkeit" führen, das heißt zur harmonischen Einheit eines positiven Wesenszuges, der allein zur Geltung kommen darf, jedoch niemals zu einer Einswerdung der Wesensgesamtheit oder zum Satori. Im Hinblick auf unsere nichtzeitliche Verwirklichung erfüllt der sogenannte „Wille" keinen Zweck. Behalten wir im Auge, daß bei der „willensmäßig" ausgeübten Selbstbezwingung der Betroffene seine innere Verfassung nicht berücksichtigt; er übt diesen Druck auf sich selbst aus, so oft es ihm in den Sinn kommt. Wenn er es unterlässt, dann nur, weil er seine „Pflicht" vergessen hat. Und selbst wenn es vorkommt, daß er an diese Selbstbezwingung denkt, ohne sie auszuüben, dann nicht etwa, weil er seine innere Situation in Rechnung stellt. Sobald nämlich der auf die eigene Person ausgeübte Zwang als etwas prinzipiell Richtiges angesehen wird, so bedeutet dies schon so viel wie eine Auslösung dieses Druckes. Wenn er dennoch zuweilen nicht zur Auswirkung kommt, geschieht dies, weil die entgegengesetzte Tendenz von Anfang an stärker war. Wenn ich so die Wirkungslosigkeit jeder „Selbstbezwingung" eingesehen habe, gerate ich in die Versuchung, denjenigen Recht zu geben, die „sich leben lassen", die nicht auf sich selbst, nur auf die Außenwelt einen Zwang ausüben, um zu erreichen, was ihnen zukommt. Doch werde ich alsbald gewahr, daß dieser Versuch auf einer irrigen Überlegung beruht: Wenn nämlich diese gelegentlichen Anstrengungen der Situation des Menschen hinsichtlich des Satori schaden würden, so müsste ja der Mensch, der alle diese Anstrengungen unterließe, dem Satori näher kommen. Wie wir aber erkannt haben, kann dieser ausgeübte Zwang nicht als solcher ein Hindernis bilden, und die Tatsache, daß man nicht mehr für
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ihn eintritt, kann also auch nicht ein Hindernis beiseiteschaffen, daß gar nicht vorhanden war. Viel wichtiger ist aber eine andere grundsätzliche Widerlegung, die gegen die quietistische Einstellung vorgebracht werden kann. In Wirklichkeit lässt nämlich der Mensch, der keinerlei Zwang auf sich selbst ausübt, sich nur dem Scheine nach leben, nicht aber in der Tat. Wenn sein mentaler Bereich in das Zusammenspiel seiner unterbewussten Tendenzen nicht mit Bewußtsein störend eingreift, so kann er doch unbewusst sich störend auswirken. Wenn keine bewusste Entgegensetzung von Tendenzen, sondern nur ein „Zusammenklang" vorwaltet, so verhüllt dieser scheinbar harmonische Zusammenklang meistenteils nur eine unterbewusste Spannung. Ein solcher Mensch hat vielleicht kein bewusstes theoretisches „Ideal", wohl aber ein unterbewusstes, rein praktisches. Durch die Erfahrung nämlich, daß seine Tendenzen ihm bald Bejahung, bald Verneinung einbrachten, haben sich in seinem Innern konkrete praktische Urteile über diese Tendenzen herausgebildet, die sie billigen oder verurteilen. Notwendigerweise sieht der Mensch einen bestimmten Kausalzusammenhang zwischen den Tendenzen und ihren praktischen Auswirkungen. Da er ihren Auswirkungen verhaftet ist, ergreift er notwendigerweise für oder gegen diese oder jene Tendenz Partei, und daraus entsteht die sekundäre Tendenz, die Primärtendenzen zu kontrollieren. Ein solcher Mensch, dem es scheinbar nur darum geht, die Außenwelt zu beherrschen, führt im Verborgenen ebenfalls einen inneren Kampf unter der tyrannischen Vorherrschaft seines praktisch ausgerichteten „Ideals". Was sich bei diesem Menschen abspielt, ist komplexerer Natur als die Vorgänge beim Verfechter des „Willens". Beim Verfechter des „Willens" ist die innere Kontrolle stets klar zu erkennen, und eine bewusste Sichtung der Tendenzen spielt bei ihrer Anerkennung wie bei ihrer Unterdrückung die Hauptrolle. Tatsächlich wird bei diesem Menschen eine Tendenz nie einfach anerkannt; denn wenn sie nicht unterdrückt wird, wird sie sofort durch die kontrollierende Sekundärtendenz aktiviert. Bei dem Menschen hingegen, der sich nur seines Kampfes gegen die Umwelt bewusst wird, kann man die innere Kontrolle nur in ihrer unterdrückenden Form wahrnehmen. Wenn nun die kontrollierende Tendenz eine Primärtendenz nicht unterdrückt, so aktiviert sie diese hierdurch nicht, sondern lässt sie, wie sie ist, daß heißt, sie tritt mit der Zeit außer Kraft. Die Mechanismen eines solchen Menschen können zuweilen eine gewisse „Spontanität" aufweisen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, daß ein Mensch, der nicht bewusst innerlich an sich arbeitet, deswegen noch nicht „loslässt". In seiner inneren "Welt herrscht nicht etwa völlige Unparteilichkeit. Selbst die relative Spontanität, auf die wir gerade hingewiesen haben, ist keine echte Unmittelbarkeit. Bei impulsiven Handlungen bedeutet mein unterbewusstes Verhalten meinen Tendenzen, meinen verschiedenen „Ichs" gegenüber noch kein „Ja" zur Gesamtheit dieser Tendenzen. Es ist lediglich ein „Ja" zu der jeweils in Frage kommenden Tendenz, doch ein wählerisches „Ja", das von einem „Nein" gegenüber den übrigen
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Ich-Möglichkeiten begleitet wird. Das bedeutet so viel wie ein „Nein" zu meinem inneren Triebwerk, zu meiner „Maschine" ah Ganzem. Was aber wäre von einer Methode zu halten, die darin bestünde, alle Tendenzen in ihrer Fülle zu überblicken, jedoch nur die eine, jeweils in Frage stehende Tendenz zu billigen? Es ist dies eine Einstellung, zu der folgerichtig der Mensch kommen muss, der früher ein bewusstes „Ideal" oder auch mehrere gehegt hatte, jetzt aber ein Verständnis errungen hat, durch welches jedes „Ideal" entwertet wird. Er begreift, daß vom einzig gültigen Gesichtspunkt der nichtzeitlichen Verwirklichung aus gesehen, allen inneren Mechanismen gleiche Geltung zukommt; er hat sich vom Ästhetischen oder Nicht-Ästhetischen seiner Tendenzen unabhängig gemacht. Diese relative Unabhängigkeit verleiht ihm eine relative Freiheit. Der Verzicht auf eine Parteinahme den Tendenzen gegenüber hindert diese zwar nicht daran, weiterhin zu existieren, nimmt ihnen aber jeden zwingenden Wert. Traum und Wirklichkeit spalten sich immer mehr. Meine Gefühle entsprechen meinem Traum, mein Verhalten meiner Vernunft. Diese Methode also, die darin besteht, jede gerade in Erscheinung tretende Tendenz zu billigen, verleiht mir eine relativ große äußere Freiheit. Doch ist sie noch nicht das „Loslassen", von dem die Zenlehre spricht. Bewusst anerkennen heißt noch nicht „loslassen", ist es nur dem Scheine nach. Wie wir gesehen haben, lässt sich das „Loslassen" nur dann verwirklichen, wenn wir die Gesamtheit aller unserer Tendenzen anerkennen, bevor eine einzelne in Erscheinung tritt - aber es wird sich zeigen, daß dann keine mehr in Erscheinung tritt. Wenn ich dagegen die jeweils vorwiegende Tendenz anerkenne, dann lasse ich nur in Bezug auf diese eine Tendenz „los", alle übrigen werden weiterhin gezügelt. Die unparteiisch allgemein anerkennende Einstellung meiner Innenwelt gegenüber kann in sich selbst keine Wirksamkeit im Hinblick auf das Satori haben. Kommen wir noch einmal auf das „Loslassen" zurück, wie wir es bisher verstanden haben. Es geht uns jetzt nicht darum, die Ausführung der sinnvollen inneren Anstrengung näher zu definieren, sondern wir wollen in Erfahrung bringen, wann diese Geste ausgeführt werden soll. So stellt sich uns jedenfalls diese Frage zunächst dar, in einer Form, die jedoch nur dann am Platze wäre, wenn es sich um eine gewöhnliche Geste, um eine Bewegung der Anspannung handelte. Wenn ich mich etwa entschlossen habe, meinen Körper zu trainieren, so werde ich mich vielleicht fragen: „Wann soll ich es am besten tun?" Und wenn auch ein bestimmter Zeitpunkt des Tages den guten Wirkungen dieser Übungen stärker entgegenkommt, so kann ich sie auch zu einem andern Zeitpunkt meinen Muskeln zumuten. Doch dies trifft nicht beim Vollzug der inneren Geste zu, die zu einer Entkrampfung sämtlicher Tendenzen führt, indem sie für einen kurzen Augenblick völliger Unparteilichkeit alle gleicherweise anerkennt. Diese Geste kann zwar zu jeder beliebigen Zeit angestrebt, nicht aber immer ausgeführt werden. Das Bewußtsein kann von meinem Gesamtorganismus diese Geste fordern, nicht aber sie ihm unmittelbar aufzwingen. Die Verwirklichung dieser Geste setzt das Zusammentreffen von zwei Faktoren, voraus: von meinem Denken muss die
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Geste ausgehen, von meinem Organismus muss sie angenommen werden. Wenn ich einen inneren Widerstand gegen die Geste der Entspannung fühle und diesen Widerstand zu besiegen versuche, so steile ich mich dadurch selbst dem Gelingen in den Weg. Denn ich pfropfe auf diese Weise nur eine erneute Anspannung auf eine schon vorhandene Verkrampfung. Prüfen wir nun die beiden Faktoren, von denen wir eben gesprochen haben. Vom Denken muss die Geste zuerst ausgehen. Dies setzt eine aktive Wachsamkeit des geistigen Bewusstseins voraus, und diese Wachsamkeit wiederum setzt das klare Verstehen der inneren Arbeit und ihrer Nützlichkeit voraus. Diese immer wachsame Aufforderung durch das geistige Bewußtsein ist der eigentliche Wille, ein Wille, der, wie Spinoza sagt, nichts anderes ist als Verstehen. Anschließend muss natürlich der ganze Organismus diese Aufforderung des Bewusstseins annehmen und sich ihr vorbehaltslos öffnen. Die freudige Zustimmung des inneren Gefüges tritt ein, sobald spürbar wird, daß das Denken beharrlich doch ohne Gewalt um das Mitwirken des Organismus wirbt, d. h. sobald die „Maschine" fühlt, daß sie berücksichtigt wird. Jetzt fangen wir auch an zu begreifen, was die richtige innere Disziplin eigentlich ist. Wir haben uns zuvor gefragt: „Wenn bei jeder inneren Disziplin 'irgendetwas' da ist, was das innere Gefüge lenkt, was ist dann dieses 'irgendetwas'?" Sollen wir sagen, es sei das aktive geistige Bewußtsein? Dies wäre in einer Weise zwar zu bejahen, in anderer jedoch nicht, da der Erfolg des lenkenden Spiels dieses Bewusstseins abhängt von seiner Übereinstimmung mit dem gesamten inneren Triebwerk, eine Übereinstimmung, über die das lenkende Bewußtsein keine Macht hat. Die Lenkung, deren Auswirkungen das innere Triebwerk beim „Loslassen" erfährt, kommt in Wirklichkeit jedoch nur von dem versöhnenden Prinzip her, welches die beiden Bereiche zur Übereinstimmung bringt. Bei der echten inneren Disziplin kann allein das Prinzip selbst die Verantwortung übernehmen; sie bringt keinerlei Zwang, keine inneren Kämpfe mit sich. Das einzige, worum wir uns bemühen müssen, besteht darin, daß wir so wenig wie möglich vergessen, daß unser wahres Wohl durch das „Loslassen" bedingt ist, durch die gegenstandslose Aufmerksamkeit, durch „die geistige Bereitschaft ab solche". Niemals dürfen wir unserem Innern jene Entspannung, jenes Sich öffnen dem Prinzip gegenüber aufzwingen, wir dürfen es nur dazu anregen. Die auf diese Weise „vorgeschlagene" Entspannung wird von Zeit zu Zeit angenommen werden, wenn unser Organismus der Ablehnung müde wird, jedoch nur für einen Augenblick ohne Dauer. Fast will es scheinen, als hätten wir Angst vor der Entfaltung unseres Ego. Wenn ich das Zutrauen eines verschüchterten Kindes gewinnen möchte, strecke ich die Arme nach ihm aus. ohne ihm allzu nahe zu kommen. Damit lade ich es ein, ohne einen unmittelbaren Zwang auszuüben. Vielleicht wird es sich mir eines Tages in die Arme werfen. Doch lange Zeit hindurch werde ich nur ein flüchtiges Aufblitzen des „Loslassens" in seinen Augen aufleuchten sehen, bei dem es einen Augenblick lang erwägt, auf mich zuzugehen; dann wird es wieder von Angst erfasst werden. In diesem Sinne sind
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meine Entspannungsversuche, mein „Loslassen" in Wirklichkeit mir unendlich kurzfristige Ansätze zum wirklichen „Loslassen", das dann das Satori selbst wäre. Selbst wenn sie in richtiger Weise verstanden werden, sind alle Versuche, zu denen die innere Disziplin führt, nur Niederlagen. Sie bilden jene besondere Art von Misserfolgen, die von der Gesamtheit meines Wesens erfahren werden und die durch ihr Sich-Häufen das letzte Scheitern meiner augenblicklichen inneren Lage herbeiführen, wobei im Satori jeder Dualismus Erfolg-Misserfolg überwunden wird. Wir sehen, wie bei einer solchen Auffassung der Disziplin die Begriffe der „Dressur" und des „Unterlassens der Dressur" eine Versöhnung erfahren. Das „Unterlassen der Dressur" kommt dadurch zum Ausdruck, daß keines meiner Wesensteile ein anderes vergewaltigt. Dennoch ist „Dressur" vorhanden in dem Sinne, daß meine Einsicht eine Entspannung meines inneren Gesamtgefüges erreicht, die dieses nie von sich aus vollzogen haben würde. Der Dressierende lässt den Dressierten in Augenblicken freiwilliger Bereitschaft des Dressierten ausführen, was für beide gut ist. Das ist nur möglich, weil Dressierender und Dressierter in der Versöhnung der Absoluten Wirklichkeit nur eines sind. Das Satori kann als ein „Loslassen" verstanden werden, das Dauer besitzt. In diesem Augenblick stellt sich eine zwiefache endgültige Entspannung her: Das innere Triebwerk öffnet sich dem aktiven geistigen Bewußtsein, welches die Vereinigung mit ihm vollzieht. Das daraus hervorgegangene Paar öffnet sich wiederum dem Prinzip, das es nun in einer Dreieinheit umfasst. Nur so wird dem Menschen die klare Erkenntnis, daß zwischen unserer „Maschine", unserem Intellekt und dem Prinzip nie eine Trennung bestanden hat.
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XXII . ÜBER DIE KOMPENSATIONEN Der nicht „verwirklichte " Mensch kann, da ihm ein Bedürfnis innewohnt, innerhalb der Grenzen seiner individuellen Eigentümlichkeit absolutes Sein zu erreichen, seine Existenz, so wie sie nun einmal ist, nicht bejahen. Daß dies nicht möglich ist, ist nicht, wie man wohl zunächst annehmen möchte, auf die Tatsache zurückzuführen, daß die individuelle Existenz unter der Bedrohung teilweiser oder vollkommener Zerstörung steht, denn das wesentliche Bedürfnis des Menschen ist ein Bedürfnis nach absolutem „Sein", nicht nach fortgesetzter „Existenz". Es ist ein Bedürfnis nach unendlicher Ewigkeit, nicht nach unbestimmter Zeitdauer. Wären Krankheit und Tod auch endgültig ausgeschaltet, so würde der Mensch durch eben jenes Bedürfnis nach absolutem „Sein" dennoch zwangsläufig dazu kommen, die eigene Existenz, so wie er sie erfährt, abzulehnen. Was für den Menschen innerhalb dieser Existenz unannehmbar erscheint, ist nicht die Tatsache, daß sie unter der ständigen Bedrohung durch die Außenwelt steht, sondern die Erfahrung, daß nicht alles, was er wahrnimmt, von seiner individuellen Existenz bedingt ist, während diese selbst doch als frei von Bedingungen erfahren wird. Da im Menschen die Fähigkeit angelegt ist, seine Wesensgleichheit mit dem Absoluten Prinzip zu erleben, kann er den zeitweiligen Schlummer dieses Identitätsbewußtseins nicht ertragen. Es ist ihm unerträglich, nicht der Urgrund des Universums zu sein. Solange er aber in der Überzeugung lebt, daß er nichts anderes sei als sein psycho-somatischer Organismus, solange er sich einzig mit diesem Organismus identifiziert, kann er nicht sein wesenhaftes und wirkliches Einssein mit dem Urgrund des Universums wahrnehmen. Praktisch gesehen aber bejaht der Mensch doch diese seine Existenz, da er sich offensichtlich bemüht, sie zu erhalten. Er bejaht sie in der Tat, weil er zwar weiß, daß er als Organismus nicht der alles bewegende Mittelpunkt des Universums ist, weil aber gleichzeitig seine Vorstellungskraft ihn davor bewahrt, es zu fühlen, indem sie in seinem Geist ein Universum nachbildet, das seinen Mittelpunkt im Menschen selbst hat. Der Ablauf seiner inneren Vorstellungen verschleiert dem Menschen die unerträgliche klare Erkenntnis und schützt ihn auf diese Weise vor ihr. Und doch ist er davor nur bewahrt, solange diese Vorstellungen gerade ablaufen. Die Gefahr bleibt bestehen und muss durch die fortgesetzte Tätigkeit der Einbildungskraft unaufhörlich gebannt werden. So lindert die Vorstellungskraft wohl die Angst, ohne sie jedoch endgültig beseitigen zu können. Unsere Vorstellungskraft, diese Funktion, die in uns einen nicht auf das gegenwärtig Wirkliche bezogenen Bilderablauf erzeugt, ist also eine kompensatorische
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Funktion. Sie ist die Funktion, welche unsere Kompensationen hervorbringt. Bei unseren Kompensationen handelt es sich um Bildersysteme, die wir unseren sinnlichen und geistigen Wahrnehmungen entlehnen - d. h. also dem von unserem Gedächtnis angehäuften Bildermaterial -, die jeder einzelne in Übereinstimmung mit der Struktur seines psycho-somatischen Organismus nach seiner Weise aufbaut. Diese Bildersysteme bestimmen unsere persönliche Innenwelt, können jedoch keineswegs reine Schöpfung sein; sie sind vielmehr »Nach-Schöpfung" einer persönlichen Vorstellung von der Welt, aufgebaut mit Hilfe unpersönlicher Elemente nach einer persönlichen Anordnung, die sich als ein besonderer Ausschnitt aus dem Gesamtumfang des Universums darbietet, (Denn auch diese persönliche Anordnung ist nicht das Ergebnis einer persönlichen Schöpfung; sie ist eine nach unserer persönlichen Struktur ausgewählte Möglichkeit unter der Unzahl der Möglichkeiten der kosmischen Ordnung). Man könnte unsere Kompensationen, diese persönlichen Nachschöpfungen des Universums, einer von einem Künstler ersonnenen Zeichnung vergleichen. Kein Künstler kann eine Form erfinden, deren Urtypus nicht schon im Universum vorhanden wäre und die er nicht schon selbst über ein eigenes, der äußeren Wirklichkeit entlehntes Bild wahrgenommen hätte. Die Schöpfung des Künstlers besteht nur darin, unter Außerachtlassung aller sonst noch möglichen Formen eine einzelne Form der Außenwelt auszuwählen oder manchmal nach eigenem Gutdünken Formen zusammenzusetzen, die er in der Wirklichkeit noch nie in einer solchen Zusammensetzung wahrgenommen hat. So liegt also das Persönliche der „Nachschöpfungen" unserer Vorstellungswelt nicht in den angewandten Grundformen, sondern einerseits in der Bevorzugung einer einzelnen Form aus der Fülle anderer Formen und andererseits in der Zusammenfügung universaler Formen nach einem persönlichen Stil. Eine Kompensation ist ein künstliches Erzeugnis der Vorstellungskraft. Unsere Kompensationen entsprechen unserem sogenannten „Wertmaßstab". Jeder von uns hält bestimmte Dinge für besonders wirklich, besonders wesentlich, und diese Dinge verleihen seinem Leben einen Sinn. Wenn man seine Kompensationen kennen möchte, braucht man sich nur zu fragen: „Was verleiht meinem Leben einen Sinn?" Bevor wir weitergehen, kommen wir noch einmal auf die Frage zurück: „Was kompensieren eigentlich die Kompensationen?" Sie kompensieren nicht, wie man oftmals glauben möchte, die der Existenz eignenden verneinenden Aspekte. Wenn es sich so verhielte, müssten unsere Kompensationen immer aus bejahenden, positiven Bildern bestehen. Doch werden wir sehen, daß sie ebenso gut negativer Art sein können. Das wesentliche Merkmal einer Kompensation ist nicht die Annehmlichkeit, die sie mir verschafft, sondern die Tatsache, daß sie mir die Welt so darstellt, daß ich ihr Mittelpunkt bin. Dieser Umstand allein ist entscheidend und nicht die Frage, ob das auf mich bezogene Universum nun positiver oder negativer Art ist. Unsere Kompensationen schaffen einen Ausgleich für die trügerische Illusion, daß wir von der Wirklichkeit getrennt seien, d. h. also,
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sie kompensieren jeweils die für unser subjektives Empfinden nicht in Erscheinung tretende Identität mit dem Absoluten Prinzip. Unsere Kompensationen, dieses von uns selbst erdachte und nacherschaffene, ganz und gar persönliche Universum, kompensieren den tiefen Schlummer, in dem sich unsere Erfassungsmöglichkeit der Welt in ihrer vollen Wirklichkeit befindet. Weil wir noch nicht die Dinge sehen können, wie sie wirklich sind, sind wir gezwungen, sie durch unsere Einbildungskraft, das heißt teilweise zu erkennen. Unsere kompensatorische Sicht der Welt ist also nicht falsch, sie ist nur unvollkommen. Falsch ist nur unsere Einbildung, daß diese Sicht der Wirklichkeit des Gesehenen vollkommen entspreche. Die Bedeutung, die wir einem bestimmten Ausschnitt der Welt zumessen, ist nicht falsch, ist keine Täuschung. Das Trügerische liegt nur in dem ausschließenden Charakter dieser Sicht, das heißt in der Tatsache, daß sie der übrigen Welt die gleiche Bedeutung abspricht. Bei einer Sicht der Dinge, „wie sie wirklich sind", würde allen Aspekten der Welt die gleiche Bedeutung zugemessen. Alles wäre wichtig und daher nichts in dem Sinne „wichtig", den wir diesem Wort heute gemeinhin verleihen. Die Illusion liegt nur in der Parteilichkeit unserer durch die Vorstellungskraft erzeugten Sicht, nicht im Wesen dieser Sicht. Halten wir daher mit aller Klarheit von Anfang an fest, daß die Kompensationen keineswegs bedauerliche Hemmnisse sind auf dem Weg zum Satori, zur Sicht der Dinge, wie sie wirklich sind. Unsere Kompensationen sind ihrem Wesen nach keine Trugbilder und stellen sich der Erlangung des Satori keineswegs entgegen. Ein Idolbild ist kein Hindernis für die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit, die wir dem Idol verleihen, bildet kein Hindernis für unsere Vereinigung mit der großen, der absoluten Wirklichkeit. Ein Hindernis bildet nur unsere Unwissenheit, durch welche wir allem, was nicht das Idol selbst ist, die gleiche Wirklichkeit absprechen. Das einzige Hindernis ist die Unwissenheit, und die Unwissenheit drückt sich in der parteiischen Stellungnahme aus. Unsere kompensatorische Sicht der Welt ist also nichts Schlechtes, nichts, was beseitigt werden müsste. Sie ist etwas Unvollkommenes, etwas, das erst entfaltet und ergänzt sein möchte und zwar durch die Erhellung der einschränkenden, ausschließenden und parteiergreifenden Unwissenheit. Schlecht ist also nicht die Unvollständigkeit unserer Wahrnehmung, sondern ihre parteiergreifende Stellungnahme, das heißt der törichte Glaube an die Ganzheit dessen, was nur ein Teil ist. An dieser Erkenntnis müssen wir mit aller Klarheit festhalten, bevor wir in die ausführlichere Untersuchung der Kompensationen eintreten. Wenn man von der Abhängigkeit spricht, in die wir durch eine Kompensation geraten können, so handelt es sich in Wahrheit immer um eine Abhängigkeit, in die wir durch die unserer Unwissenheit entspringende Stellungnahme geraten. Sie treibt uns dazu, alles, was wir gerade nicht bejahen, stillschweigend zu verneinen. Durch eine Kompensation an sich gerät man noch nicht in sklavische Abhängigkeit, wohl aber durch die Parteilichkeit, die wir ihr gegenüber an den Tag legen. Es bedeutet noch keine Knechtschaft, wenn wir die Wirklichkeit über die Gestalt Jesu oder Buddhas
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wahrnehmen, aber Knechtschaft wäre es, sie allein dort sehen zu wollen und sie der übrigen Schöpfung abzusprechen. Unsere Kompensationen sind zu unserer Gesamtverwirklichung notwendig, weil wir ohne sie unsere Existenz nicht ertragen und uns alsbald selbst vernichten würden. Sie liegen auf dem Wege unserer richtigen Entwicklung auf das Satori zu. Und doch setzt die Erlangung des Satori voraus, daß wir eines Tages über unsere Kompensationen hinauswachsen. Dieses darüber hinaus wachsen darf nicht als Verlust der lebenspendenden Substanz verstanden werden, die in den Kompensationen enthalten ist, sondern als ein Sprengen der begrenzenden formalen Konturen, die diese Substanz umschließen. Die im Idol geschaute Wirklichkeit geht also nicht verloren, sondern sie flutet über dessen einschränkend«, nunmehr gesprengte Grenzen hinaus. Hinsichtlich der Entwicklung auf das Satori zu ist die Kompensation günstig und ungünstig zugleich. Sie ist günstig durch ihren gefühlsbetonten Aspekt, der für mich eine Nahrungszufuhr darstellt, die mich vor dem Selbstmord bewahrt. Ungünstig ist sie, soweit ihr ein intellektueller Glaube an die Wirklichkeit - oder den absoluten Wert - des kompensatorischen Bildes innewohnt. Nehmen wir ein Beispiel: eine meiner Kompensationen besteht etwa darin, ein durchaus gesundes und wohlgeratenes Kind zu haben. Die Freude, die mir dieser Umstand verschafft (die Vorstellung nämlich, daß ich dieses wohlgeratene Kind mein eigen nenne), kommt meiner Entwicklung auf das Satori zu entgegen, denn sie ist eine Hilfe, die mich die Existenz leichter ertragen lässt. Abträglich ist meiner Entwicklung jedoch die Überzeugung, daß dieser Tatbestand absolut gut sei, während ich etwa den Tod meines Kindes für absolut schlecht halte; also eine Überzeugung, der zufolge meine Gebundenheit an irgendeinen bestimmten kompensatorischen Tatbestand meine Zustimmung zu der Möglichkeit des entgegengesetzten Tatbestandes ausschließt. In der Tat schränkt eine solche Ausschließung meine Wahrnehmung der kosmischen Realität beträchtlich ein und hindert mich sogar daran, das wenige davon Wahrgenommene in der richtigen Weise wahrzunehmen, da sie es von seinen Verbindungen zu allem übrigen abschneidet. Kein Ding kann ich in seiner vollen Wirklichkeit wahrnehmen, solange auch nur eine einzige seiner Verbindungen zum übrigen Universum abgeschnitten ist. Alle Beziehungen eines Dinges haben ihren Schwerpunkt in der Spannung zu seinem sowohl feindlichen als ergänzenden Gegenteil. Hui Neng weist mit dem Ausspruch: „Von Urbeginn an ist kein Ding" den bedauerlichen „Glauben" zurück, der in unseren Kompensationen enthalten ist. Doch verurteilt er unsere Freude an den Kompensationen darum nicht. Diese Freude ist eine dynamische Erscheinung, die nur „existiert" und keinen Anspruch erhebt, zu „sein". Er weist unseren Glauben an die Wirklichkeit eines starken Bildes zurück, das durch Ausschließung des entgegengesetzten. Bildes Anspruch auf „sein" erhebt. Nicht den im Gefühl verwurzelten Ausgangspunkt der Götzenanbeterei verurteilt Hui Neng, sondern den intellektuellen, götzendienerischen Glauben. Dieser Glaube versucht vergeblich, dem isolierten
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Bild die unwandelbare Einheit des Absoluten Prinzips zu verleihen, indem er es herauslöst aus dem kosmischen Gleichgewicht von Yin und Yang durch die Ausschließung des Gegenbildes, das seine ergänzende Entsprechung bildet. Das auf diese Weise künstlich herausgelöste Bild wird zum kompensatorischen „Götzen", und eben diese Art, es zum „Götzen" zu erheben und nicht das Bild selbst hat Hui Neng im Auge, wenn er uns daran erinnert, daß „kein Ding ist". Der Ausspruch des Hui Neng rät uns in keiner Weise davon ab, unsere Kompensationen auszuleben, das heißt, besonderen Dingen einen Wert beizumessen. Er fordert uns nur dazu auf, diese Kompensationen zu überwinden, indem wir die sklavische Ausschließlichkeit unserer götzenanbeterischen „Meinungen" sprengen. Dieser Durchbruch betrifft nur die begrenzenden intellektbestimmten Formen, keineswegs die in ihnen enthaltene lebendige Gefühlssubstanz. Dank dieser Einsicht wird es mir nun möglich sein, auch weiterhin einzelnen Dingen einen besonderen Wert beizumessen, ohne daß ich dabei stillschweigend den Un-Wert des entgegengesetzten Dinges behaupte. In der Tat lehrt mich meine Einsicht, daß es vom einzig wahren Gesichtspunkt meiner nichtzeitlichen Verwirklichung aus gesehen keinen „Wert" oder „Un-Wert" gibt, da dieser Verwirklichung alle Dinge nutzbar gemacht werden können. Der Ausspruch des Hui Neng ist also keine Verfluchung, sondern im Gegenteil eine uneingeschränkte, unparteiische Segnung aller Einzeldinge. Der gleiche Gedanke findet sich an vielen Stellen eines bemerkenswerten Textes der Zen-Lehre ausgesprochen, der bekannt ist unter dem Namen: „ÜBER DEN GLÄUBIGEN GEIST" Der Vollkommene Weg kennt nur eine Schwierigkeit: er lässt keine Vorliebe zu. Wollt ihr den gestaltgewordenen Vollkommenen Weg erkennen, so hegt keinen Gedanken für ihn noch gegen ihn. Die Krankheit des Geistes besteht darin, das Geliebte dem Ungeliebten entgegenzusetzen. Versucht nicht, nach der Wahrheit zu forschen! Lasst davon ab, euch einer Ansicht anzuschließen! Verharrt nicht im Bereich des Zwiespalts! Sobald ihr zwischen Gut und Böse unterscheidet, folgt die Verwirrung und der Geist ist verloren. Wenn nur der einige Geist nicht getrübt ist, so können ihm die tausend Dinge nichts anhaben. Wie könnte eine parteiische und voreingenommene Sicht entstehen, wenn kein Unterschied zwischen diesem und jenem gemacht würde? Lasst los, lasst die Dinge, wie sie ihrem Wesen nach sind.
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Wollt ihr die Bahn des Großen Gefährts durchlaufen, so hegt kein Vorurteil gegen die sechs Gegenstände der Sinne. Der Unwissende hängt sich an die Einzeldinge, während es doch im Dharma selbst keine Abgrenzung der Dinge gegeneinander gibt. Die wahrhaft Erleuchteten hängen sich an nichts und stellen sich gegen nichts. Daß doch ein für allemal Gewinn und Verlust, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit aufgehoben wären! Das letzte Ziel aller Dinge ist nicht durch Regeln und Maße beschränkt. Alles ist leer und licht und birgt eine Möglichkeit der Erleuchtung in sich. Wir dringen aber nie zu der Vorstellung vor, daß es keine Aufgabe, keine Anstrengung und keinen Energieaufwand gibt. Da nichts in Zwei zerfällt, ist alles das Gleiche, und alles, was existiert, ist darin eingeschlossen. Es kommt nicht darauf an, ob die Dinge durch das „Sein" oder durch das „NichtSein" bedingt sind. Was existiert, ist das Gleiche wie das, was nickt existiert und umgekehrt. Wenn nur das verwirklicht wird - was quält ihr euch noch weiter um eure Unvollkommenheit?“ Alle Kompensationen sind Götzenanbeterei, Versuche, die Wirklichkeit in einem einzelnen Bild sich verdichten zu sehen, dass zur Erstarrung gebracht und aus dem kosmischen Wirbel herausgenommen wird. Die Überwindung der Kompensation besteht nicht in der Vernichtung des Bildes, sondern in der Aufhebung seiner künstlichen Erstarrung. Das Bild, das so seinen Wert als Götze verloren hat, wird wieder in die Vielzahl der andern Bilder hineingenommen, in die immer bewegte Flut des kosmischen Lebens, wie es in Wirklichkeit ist. Die Überwindung der Kompensation, die Entwertung der Götzen ist ein Vorgang, der sich im Bereich der geistigen Intuition vollzieht. Er hat zunächst die Erwerbung der richtigen theoretischen Einsicht zur Voraussetzung, die den götzendienerischen Trugglauben in der Theorie schon entlarvt. Eine weitere Voraussetzung ist die, daß wir den unzulänglichen Charakter der Kompensation schon durch Leiden erfahren haben. Dieses schmerzliche Ungenügen ist nicht zu vermeiden. Die Kompensation lindert meine Angst ja nur, solange sie gerade wirksam ist. Im Grunde genommen aber erwarte ich, daß sie mich von meinem Angstgefühl endgültig erlöse. Daher komme ich früher oder später zwangsläufig dazu, das Enttäuschende meiner Kompensation im Hinblick darauf, was ich mir von ihr versprochen habe, zu erkennen. Im Schmerz der Enttäuschung wird sich meine Einsicht durch eine richtige Auslegung meines Schmerzes erweisen.
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Beides ist nötig: die abstrakte Einsicht und das konkrete Leiden; und keines von beiden genügt für sich allein. Wir werden weiter unten wieder auf die Frage der Überwindung der Kompensation zurückkommen, denn sie lässt sich tatsächlich ohne eine genaue Kenntnis der Struktur der verschiedenen Kompensationen nicht behandeln. Jede Kompensation konstituiert sich wesentlich durch ein Bild, das mein Ich umfasst, durch ein „Zentralbild", um das sich in einer bestimmten Konstellation eine Fülle von Satellitenbildern gruppiert. Das Zentralbild besitzt wie alles, was der Formenwelt angehört, zwei Pole. Daraus erklärt sich das Vorhandensein positiver und negativer Kompensationen. Der Mensch hat eine angeborene Vorliebe für das Positive - das Schöne, Gute, Wahre - und versucht als erstes immer eine positive Kompensation zu schaffen. Doch kann ein Misslingen die Umkehrung der positiven Kompensation in eine entgegengesetzte negative auslösen. So beginne ich z. B. das Wesen zu hassen, mit dem ich vergeblich eine Liebesbeziehung anstrebe, und dieser Hass kann meinem Leben genauso wie zuvor die Liebe einen Sinn verleihen. Nachdem wir nun auf den möglichen Prozess der „Umkehrung" unserer Kompensationen hingewiesen haben, können wir uns jetzt darauf beschränken, die hauptsächlichsten positiven Kompensationen zu beschreiben, wie sie die Beobachtung des menschlichen Wesens und unserer eigenen Innenwelt uns darstellt. Das Zentralbild kann mich so erscheinen lassen, daß ich von der Außenwelt einen Dienst erwiesen bekomme: dies wäre dann die Kompensation „geliebt werden". Es kann mich aber auch darstellen als einen, der seine Nahrung aus der Außenwelt aktiv an sich reißt: dies wäre die Kompensation „genießen" (ich werde bestätigt, indem ich die Außenwelt verschlinge. Hierbei gehört etwa die Liebe zum Reichtum als einer Möglichkeit, mir die Außenwelt einzuverleiben). Das Zentralbild kann mich auch darstellen als einen, der der Außenwelt dient, der ihr Kräfte zuführt. Zahlreiche Kompensationen haben ihre Ursprung in diesem Bilde, so z.B.: „lieben", „Freude bereiten", „Leben spenden", „helfen", „dienen" (dem Vaterland etwa oder einer politischen Sache, einer allgemein als gerecht anerkannten Sache, der Menschheit, den Unterdrückten, den Schwachen usw.). Auch das freudige Bewußtsein, seine Pflicht erfüllt zu haben, gut zu machen, was man macht, einer Moral treu zu bleiben, einem „Ideal" ebenbürtig zu sein, gehören hierher. Es gibt andere Kompensationen, bei denen das zentrale Bild keine Handlung mehr einschließt, die das Ich der Umwelt verbindet, bei denen es nur noch aus reiner Wahrnehmung besteht (etwa die Freude, an der Schönheit, an der Kunst, an der intellektuellen Wahrheit, an der Erkenntnis überhaupt teilzuhaben). Oder aber mein Ich wird von der Umwelt wahrgenommen: es handelt sich dann um die Befriedigung, die Aufmerksamkeit der Umwelt auf sich lenken zu können, bewundert oder gefürchtet zu werden. Das Zentralbild kann nun aber auch das Ich als „Schöpfer" irgendeines Werkes in der Welt darstellen, als Formgeber, der die Umwelt prägt, die er als
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geschlossenes Ganzes betrachtet. Hierher gehört die „Schöpfung" eines Kunstwerks, eines wissenschaftlichen oder geistigen Werkes, einer politischen Bewegung, einer sozialen Organisation, eines religiösen Ordens, usw. Das Zentralbild kann den Menschen auch als „Schöpfer" eines inneren Vorganges zeigen: z.B. des Vorgangs: „sich entwickeln", „sich selbst verwirklichen", "sich selbst entdecken", „die eigenen Gaben entfalten", „zeigen, wozu man fähig ist", „sich bilden", „Anstrengungen und Erfahrungen machen, die bereichern", usw. Diese Gruppe von Kompensationen ist umfassend und wichtig. Sie umfasst alles „Streben" innerhalb der materiellen, der seelischen und der sogenannten „geistigen" Ebene (zu letzterer gehört die Erreichung „höherer" Bewusstseinsstufen oder „geistiger Kräfte", der mehr oder weniger verkappte Kult des „Übermenschen". Auf die Frage der „Geistigkeit" werden wir noch besonders zurückkommen). Es gibt nun noch eine sehr bemerkenswerte Kompensation, bei der die aufbauenden Elemente aller schon aufgezählten Kompensationen sich verschmelzen und daher ihre Einzelexistenz aufgeben (wie die Farben als solche verschwinden, wenn sie sich im Weiß vereinen). Diese Kompensation ist die vergötternde Liebe. Dabei habe ich es mit meinem eigenen Ich zu tun, das ich auf eine außer mir befindliche, gröbere oder subtilere Wesenheit übertrage. Der Dualismus zwischen „Ich und Außenwelt", „bewegen - bewegt werden", „nähren genährt werden", „erkennen - erkannt werden", „erschaffen - erschaffen werden" fällt hier fort, da Subjekt und Objekt identisch sind. Diese Beziehung lasst sich auf die äußerste Einfachheit zurückführen: Die Freude quillt nicht mehr aus dem Handeln oder Erkennen, sie besteht ganz einfach darin, daß wir durch eine Schau wahrnehmen, der einigende Kraft innewohnt. Bei diesem bloßen Schauen glauben wir unser Absolutes Prinzip in dem Bilde zu erkennen, auf das wir uns selbst durch eine ausschließende Identifizierung übertragen haben. Natürlich können sich verschiedene Kompensationen auch untereinander verbinden. Insbesondere ist die Vergötterung meistens mit „lieben und geliebt werden" verbunden im Sinne von „bestätigen und bestätigt werden", von „dienen und bedient werden". Jede Kompensation oder Bilderkonstellation bildet innerhalb des menschlichen Wesens ein starres Element. Doch handelt es sich hierbei um eine dynamische Starrheit, wie etwa bei einer stereotypen Geste, die ich mir angewöhnt habe und die meiner Bewegung etwas Starres verleiht. Die „fixierte" Kompensation verlangt aber nach lebendigem Ausdruck. Jede Kompensation ist eine bestimmte, stereotype Lebensweise. Es muss also unterschieden werden zwischen der betreffenden Kompensation - die die Tendenz hat, mich auf eine bestimmte Lebensweise hinzuführen - und der Tatsache, ob ich diese Lebensweise tatsächlich befolge oder nicht. Denn es kann durchaus möglich sein, daß ich eine bestimmte Kompensation in mir trage und sie dennoch nicht auslebe, daß ich die von ihr angestrebte Verbindung nicht lebe. Das lässt sich deutlich bei Neurosen erkennen. Der Neurotiker kann geradezu als schlecht kompensierter Mensch bezeichnet werden, der nicht imstande ist, seine Kompensationen auszuleben.
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Nehmen wir an, ein Mensch hat die Kompensation „lieben - geliebt werden" oder „Teilnahme am Gemeinschaftsleben durch wechselseitige Dienstleistung": dieser Mensch begegnet nun der Bosheit der Umwelt oder irgendein Missgeschick trifft ihn ohne seine Schuld. Wenn seine Kompensation in diesem Augenblick eine totale Umkehrung erführe, könnte er sie in eben dieser Umkehrung im Leben verwirklichen: sein Leben fände dann seinen Sinn in Hass und Rache, und auf diese Weise wäre er kompensiert. Häufig jedoch vollzieht sich diese Umkehrung nur teilweise, nur in praktischer, nicht in theoretischer Hinsicht. Im Einzelfall wird dieser Mensch der Umwelt seine Anteilnahme entziehen, doch „prinzipiell" will er sehr wohl noch daran teilhaben. Er möchte am liebsten seine Mitmenschen irgendwie treffen, sie verletzen: doch kann er diese Handlungsweise nicht verwirklichen, weil er immer noch „prinzipiell" lieben und helfen möchte. Man hört oft sagen, daß solche Menschen ihre Kompensationen nicht gefunden hätten - das stimmt jedoch nicht, da jeder Mensch seine Kompensationen findet. Sie haben sie gefunden, können sie nur nicht ausleben. Der Neurotiker hat zwiespältige, widerspruchsvolle, nicht lebbare Kompensationen. Er steht gewissermaßen gelähmt zwischen Hass und Liebe zu demselben Objekt. Da er seine Lebensenergie nirgends einsetzen kann, entsteht eine Störung des inneren Energiekreislaufs. Die Aggressivität wendet sich nun gegen die eigene Person, und es entsteht Angst. Diese Angst, die durch nicht zum Ausleben gekommene Kompensationen erzeugt wird, ist von der gleichen Art wie der Angstzustand, der dann eintritt, wenn die ausgelebten Kompensationen sich zu erschöpfen drohen, ohne das die Einsicht des Menschen dies erfasst hätte: in beiden Fällen entsteht ein „Kompensationsausfall", jedoch ist die Lösung bei beiden Krisen jeweils eine verschiedene: für den Menschen, der seine Kompensationen auslebt, wäre es wünschenswert, daß er über dieses Stadium hinauswüchse; und umgekehrt wäre es für den, der sie nicht ausleben kann, wünschenswert, daß er in dieses Stadium eintrete. Wenn es dem Menschen vergönnt ist, seinen Kompensationen einen ebenmäßigen Ausdruck zu geben, so funktioniert sein leib-seelisches Gefüge harmonisch und reibungslos. Er glaubt, die Wirklichkeit da oder dort gefunden zu haben - vielleicht im Geld, vielleicht in Ruhm und Ehre, in der Macht oder in irgendeiner ungewöhnlichen Aufgabe - und so besitzt er einen Orientierungspol, um den herum sein Leben sich wirksam entfalten kann. Diese scheinbare Konzentrierung der Wirklichkeit in einem einzelnen Bild verleiht diesem Menschen durch die Vereinfachung seiner inneren Dynamik eine scheinbare innere Geschlossenheit. Diese Art der Vereinfachung setzt jedoch voraus, daß ein großer Teil aller andern Tendenzen einschläft und verkümmert und darf nicht verwechselt werden mit der Einfachheit des Menschen nach dem Satori, bei dem sich alles unterschiedslos in einer vollkommenen Synthese vereint findet. Sie gleicht ihr, wie etwa die flächenhafte Darstellung eines Rauminhalts dem Rauminhalt selbst gleicht. Wenn eine Kompensation vom Typus „Vergötterung" bis zu einem sehr hohen Grad der Subtilität getrieben wird, so kann die daraus hervorgehende
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innere Vereinfachung seltene Kräfte des psycho-somatischen Gesamtgefüges freimachen, die sogar „übernatürliche" Formen annehmen können (so etwa das Gedankenlesen, Hellsehen, seelische Beeinflussung anderer, instinktiv richtiges Handeln, Heilkräfte usw.). Der gut kompensierte Mensch ist im wahrster. Sinne des Wortes ein „Götzenanbeter" und dies umso mehr, als er „glaubt", die harmonisierenden Wirkungen seiner Kompensation kämen von dem kompensatorischen Bild selbst her und daher dieses Bild mit der absoluten Wirklichkeit gleichsetzt. Diese Überzeugung verleiht dem subjektiven Wert eines Bildes etwas Objektives und bringt den Bilderanbeter folglich auf den Gedanken, alle Menschen sollten die Dinge in der gleichen Weise wie er sehen. Neigt er zum Positiven, so endet er beim „Proselytenmachen", beim „Apostel spielen", beim „Missionieren". Neigt er zum Negativen, so wird die Unduldsamkeit, die Verfolgung der „Ungläubigen" vorherrschen. Mit dem Glauben an die absolute Wirklichkeit einer Erscheinung ist unauflöslich das Bedürfnis nach formalen Äußerungen verbunden: der „Ritus", im Grunde ein frei gewähltes Ausdrucksmittel, wird beim Götzendiener zum unerlässlichen Zwang. Die Kompensationen bilden also ein unveräußerliches Element der menschlichen Entwicklung, wie sie sich von der Geburt bis zum Eintritt des Satori vollzieht. Bis zum Eintritt des Satori ist das innere Gleichgewicht des Menschen labil und wird durch seine Kompensationen bedingt. Vor dem Satori kann es also keine restlose Überwindung der Kompensationen geben, denn erst das Satori selbst ist jene Überwindung. Doch vor der „Transformierung" (dem Überschreiten der Form), welche ein einmaliges und an den Augenblick gebundenes inneres Erlebnis ist, entstehen gewisse Formveränderungen im Wesen des Menschen. Diese Veränderungen sind ein Ausdruck für die fortschreitende Entfaltung von inneren Voraussetzungen, die für das Satori unerlässlich sind. In diesem Sinne können wir auch von der Überwindung der Kompensationen wie von einem Entwicklungsvorgang sprechen. Folgendes wird diesen Sachverhalt verständlicher machen: Es wird erzählt, daß der Fuchs, wenn er sich seiner Flöhe entledigen will, etwas Moos in seine Schnauze nimmt und damit rückwärts ins Wasser geht. Die Flöhe verlassen nun die schon unter Wasser befindlichen Körperteile, um auf diejenigen zu flüchten, die mit ihrer Oberfläche noch aus dem Wasser herausragen. Nach und nach kann der Fuchs so seine Flöhe auf einer immer kleiner werdenden Fläche konzentrieren, die nun zunehmend von ihnen heimgesucht wird. Schließlich sind alle Flöhe auf der Schnauze und dann auf dem Stück Moos zusammengedrängt, das der Fuchs sodann der Strömung überlässt. Vor dem Augenblick, in welchem er die Gesamtheit seiner Flöhe abstößt, ist er noch keinen einzigen unter ihnen losgeworden. Trotzdem hat ein bestimmter Vorgang die Verteilung der Parasiten geändert und ihr vollständiges und plötzliches Verschwinden vorbereitet. Wenn wir so die fortschreitende Überwindung der Kompensationen als eine Verminderung ihrer Ausbreitung und eine Erhöhung ihrer Dichte begreifen, so kommt sie einer konzentrierenden
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„Reinigung" des kompensatorischen Bildes gleich, das sich vom Besonderen zum Allgemeinen hin entwickelt. Da nun jede Kompensation ein Bild des auf mein Ego bezogenen Weltganzen ist, d.h. eine Konstellation, deren Zentralgestirn mein Ego ist, während bestimmte Bilder die Satelliten darstellen, so besteht der Reinigungsprozess darin, daß die Satelliten immer mehr an stofflicher Dichte verlieren, während das Zentralgestirn an Dichte gewinnt. Doch dann vollzieht sich etwas sehr Merkwürdiges, was durch kein Bild erläutert werden kann: Da das Ego weder eine absolute noch eine relative Wirklichkeit besitzt, tritt die darin sich sammelnde Dichte nicht in Erscheinung. Die fortschreitende Loslösung ist eine Reinigung von jenem Verhaftet sein an sich selbst, das den Kern jedes Verhaftet seins überhaupt bildet. Aber diese zentrale Gebundenheit an ein fälschlicherweise angenommenes Bild kann sich immer weiter klären und verdichten, ohne je greifbar zu werden. Im Augenblick, da San Juan de la Cruz seine mystischen Kompensationen überwand, da er sich von dem Bilde „Gottes" loslöste, nachdem dieses Bild schon vorher die äußerst mögliche Entpersönlichung erfahren hatte, fühlte er sich nicht dem Bild des „Ego" verhaftet, dem das Bild Gottes seine scheinbar absolute Wirklichkeit entlehnt hatte. Er fühlte sich an nichts gebunden, er fühlte überhaupt nichts mehr: dies ist die Nacht, in der es nichts mehr gibt, was man fühlen oder denken könnte. Und dennoch besteht noch immer eine letzte Gebundenheit an das Ich, in der sich alle Wesenskräfte verbinden, eine letzte, ungreifbare Kompensation. Erst die Überwindung jener Kompensation ist die wahre, die vollständige und spontane Loslösung. Auf die „Nacht" folgt das, was San Juan de la Cruz den „theopatischen Zustand" und das Zen „Satori" nennt. Die Loslösung oder Überwindung der Kompensation wird oft falsch verstanden. Man glaubt, daß es sich darum handle, die gefühlsmäßige Vorliebe für das kompensatorische Bild zu beseitigen, man glaubt, daß es darauf ankäme, sich das Verlangen danach aus dem Herzen zu reißen. Dabei vergisst man aber, daß die Gebundenheit nicht in dem Verlangen selbst liegt, sondern in dem Anspruch auf seine Erfüllung. So muss also nicht das Verlangen, sondern der Anspruch verschwinden. Diese Aufgabe des Anspruchs ist nicht etwa das Ergebnis eines inneren Kampfes. Sie folgt aus dem richtigen Verständnis der Enttäuschung, die zugleich mit dem Anspruch gegeben ist, ob dieser befriedigt wird oder nicht. Angst, falsche Ansprüche und der Glaube an die absolute Wirklichkeit des geforderten Bildes sind die Elemente, aus denen das Truggebäude sich zusammensetzt, das von der Einsicht langsam untergraben wird, bis sie es eines Tages zum Einstürzen bringt. Die Loslösung ist kein schmerzliches inneres Erlebnis, sondern im Gegenteil eine Besänftigung. Zuweilen erweist sich unsere Einsicht eine ganze Zeit hindurch als zu schwach, um eine bestimmte kompensatorische Vorstellung zu überwinden. Dies scheint ein Hindernis für unser inneres Wachstum zu bilden. Doch wiederholen wir noch einmal: das, was wir lieben, woran wir hängen, ist in sich selbst niemals hemmend, das Hemmende liegt einzig und allein in der falschen Gleichsetzung des geliebten Bildes mit der
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absoluten Wirklichkeit, also in der Unwissenheit. Die Aussicht, eine Kompensation zu überwinden, hängt von der Kraft der intellektuellen Intuition und auch vom Grad der Subtilität des kompensatorischen Bildes ab. Je höher unser Bild steht, umso weniger birgt es zunächst die Möglichkeit, uns zu enttäuschen. Jedes Bild verliert mit der Zeit an Anziehungskraft, doch ist das subtilste am stärksten und erschöpft sich am langsamsten. Wenn dann doch Ermüdung und Enttäuschung eintreten, so wird es nicht leicht sein, diese in richtiger Weise zu verstehen, ja, umso schwieriger, je subtiler das Bild ist. Denn anstatt die absolute Wirklichkeit des Bildes anzuzweifeln, neigen wir vielmehr dazu, uns unser eigenes Versagen, unsere Ungeschicktheit, Trägheit und Bequemlichkeit dem Bilde gegenüber vorzuwerfen. Es ist in diesem Zusammenhang angebracht, die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine Gruppe sehr subtiler Kompensationen zu lenken, die man gewöhnlich als „geistige" bezeichnet. Innerhalb der „geistigen" Kompensationen liebt der Mensch etwas Hohes, in dessen Dienst er sich stellt: so z. B. einen unendlich gerechten, unendlich gütigen Gott, von dem er eine allumfassende Erkenntnis zu erlangen strebt, oder aber „höhere", „erhabene" Bewusstseinszustände, die er erreichen möchte, eine totale Verwirklichung, die als zu erringender Zustand aufgefasst wird, irgendein „Ideal", das die Herrschaft von Friede und Gerechtigkeit unter den Menschen verwirklichen will, usw. Was sind diese „geistigen" Werte nun eigentlich? Gelegentlich kann man dreierlei Werte unterscheiden hören: materielle, intellektuelle und „geistige". Diese letzteren bilden offensichtlich, da man sie benennen, sie lieben, und ihnen dienen kann, einen Bestandteil der Erscheinungswelt. Und doch lässt sich kaum einsehen, worin jener sogenannte „geistige" Aspekt bestehen sollte, wenn man einen stofflichen, bzw. materiellen, und einen subtilen oder psychischen, bzw. intellektuellen Aspekt der Erscheinungswelt annimmt. Die Anbeter des „Geistigen" behaupten, es sei das Absolute (aber jeder Bilderanbeter wird dies von seinem Götzen behaupten), es sei der über „Leib" und „Seele" stehende, versöhnende „Geist". Nun darf aber das Absolute nicht so gesehen werden, daß man ihm andere, in der Welt der Erscheinungen auftretende Werte gegenüberstellt, denn dadurch wird es ja in die Erscheinungswelt einbezogen. Es kann nicht wie ein dem Ich-Subjekt gegenüberstehendes Objekt benannt, geliebt oder dienend umgeben werden. Die „geistigen" Werte können also nicht das Absolute sein. Bei den verschiedensten Formen, in die diese Werte eingegangen sind, herrscht immer die Auffassung von etwas vollkommen Positivem, das schließlich nichts anderes ist, als das positive Prinzip des innerweltlichen Dualismus. Man mag es „Gott" oder „schöpferisches Prinzip" der Welt oder aber Prinzip des Guten nennen, das dem „Teufel", dem auflösenden Prinzip der Welt oder dem Prinzip des Bösen gegenübergestellt wird. Immer ist es das Prinzip des Lichtes, das dem „Fürsten der Finsternis" entgegentritt. Es ist durchaus normal, daß der Mensch das Aufbauende liebt und das Zerstörende hasst, daß er „Gott" liebt und den „Teufel" verabscheut. Der eigentliche
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Götzendienst der „Geistigkeit" beginnt erst da, wo „Gott" vom menschlichen Intellekt irrtümlich mit dem Absoluten oder der absoluten Wirklichkeit oder dem Nichtzeitlichen gleichgesetzt wird. Wo ein solcher Irrtum begangen wird, ist „Gott" mit dem Absoluten Prinzip und der „Teufel" mit der Schöpfung identifiziert. „Satan" wird zum „Fürsten dieser Welt", und die „geistigen" Güter werden zu den „zeitlichen" in Gegensatz gebracht. Ein solches Vergessen der metaphysischen Einheit muss zum inneren Dualismus, zur Unmöglichkeit einer Wesenssynthese führen, wie man es im Übrigen bei jeder götzenanbetenden Kompensation beobachten kann. Wir haben die sogenannten „geistigen" Kompensationen ganz besonders hervorgehoben, weil sie von allen am schwersten zu erfassen sind. Die Vorstellung „Gottes", des positiven Prinzips des zeitlichen Dualismus, ist das mächtigste Kompensationsbild, das seiner Entwertung am kräftigsten widerstrebt und daher am schwierigsten zu überwinden ist. Es liegt nicht in unserer Macht, unsere Kompensationen selbst zu wählen. Wenn unsere seelische Struktur so beschaffen ist, daß wir „Gefühl für das Heilige" und „Liebe zu Gott" empfinden, so lässt sich das nicht ändern. Doch ist es dann ganz besonders wichtig, daß wir uns daran erinnern, daß nichts Vorstellbares die Wirklichkeit selbst ist. Unser „eigenes Wesen" ist das Absolute. Nichts von all dem, was wir anschauen, was wir uns vorstellen und was wir lieben können, überschreitet den Bereich der von uns selbst erzeugten Bilder, von uns, die wir doch dem Wesen nach absolut sind. Die Lehre des Zen besteht kategorisch auf diesem Punkte und darf in keiner Weise als „geistige" Lehre verstanden werden. Sie ist ganz und gar atheistisch, wenn man unter „Gott" die absolute Wirklichkeit versteht und voraussetzt, daß unser formales Denken sie erfassen könne. „Kein Ding ist von Urbeginn an." Rinzai sagt ferner: „Begegnet euch Buddha auf eurem Wege? So tötet ihn... O ihr, Anhänger der Wahrheit, werdet frei von allen Dingen! Ihr mit den Augen von Maulwürfen, euch sage ich: Es ist kein Buddha, keine Lehre, kein Gesetz! Was sucht ihr unaufhörlich in eures Nachbarn Haus? Begreift ihr denn nicht, daß ihr über euren eigenen Kopf noch ein anderes Haupt setzt? Was fehlt euch noch an eurem eigenen Wesen? Was ihr in diesem Augenblick in der Hand haltet, ist aus dem gleichen Stoffe gemacht wie Buddha selbst!"
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XXIII. VON DER INNEREN ALCHEMIE Wer das ZEN begreifen will, darf nie vergessen dass er es hier mit der Lehre vom Unvermittelten zu tun hat. Da das Zen leugnet, daß der Mensch eine Befreiung „erringen" oder sich in irgend einer Art „erheben" müsse, nimmt es auch nicht an, daß die menschliche Situation sich mit der Zeit bessern könne bis sie endlich „normal wird". Das Satori-Ereignis nimmt nur einen Augenblick zwischen zwei Epochen unseres zeitlichen Lebens ein. Einer Linie ähnlich, die eine Schattenzone von einer Lichtzone trennt, besitzt es auch nicht mehr Wirklichkeit als diese Linie. Entweder sehe ich die Dinge nicht, wie sie wirklich sind, oder ich sehe sie so. Es gibt keine Entwicklungsperiode, in deren Verlauf ich etwa nach und nach die absolute Wirklichkeit der Welt erkennen könnte. Nun mag zwar der Begriff der fortschreitenden Entwicklung ohne eigentliche Beziehung zur Verwirklichung selbst sein und die „Verwandlung" unerwartet und plötzlich vor sich gehen, dennoch lehrt auch das Zen, daß jener Verwandlung ein ununterbrochener Formwandel unserer inneren Abläufe vorausgeht. Wir sagten „ununterbrochen" und nicht „fortschreitend", um in Erinnerung zu bringen, daß die dem Satori vorausgehende Entwicklung nicht einem gradweisen In Erscheinung treten der Wirklichkeit gleichkommt, sondern einfachen, stufenweisen Wandlungen in den Erscheinungsformen unserer Blindheit. Nachdem dieser Punkt wieder klar in Erinnerung gebracht wurde, ist es nun interessant, diese stufenweise, aber nicht fortschreitende Entwicklung näher zu betrachten, die dem Satori vorausgeht. Je mehr unser Verständnis oder der "durchdringende Blick" sich vertieft, desto deutlicher beobachten wir, daß unser spontanes inneres Leben - Gefühlserregungen und spontane Vorstellungen - in einer dauernden Wandlung begriffen ist. Die Weisheit der Hindus sagt: „Du wirst, was du denkst". Diese sich entwickelnde Gestaltwerdung ist dem Destillierungsprozess zu vergleichen, der jedweden Körper reinigt und „verfeinert". Wenn man gegorene Früchte destilliert und Alkohol daraus gewinnt, so besteht die Veränderung des ursprünglichen Produktes in einer quantitativen Abnahme und einer qualitativen Steigerung. Die Materie ist weniger aber feiner geworden, die ihr innewohnenden Kräfte sind weniger stofflich (z. B. der Alkohol ist weniger schwer als die Früchte, aus denen er gewonnen wurde) dafür aber subtiler geworden, das Trinken von Alkohol bringt Wirkungen hervor, die Früchte nie hervorbringen könnten). Wiederholte Destillierungen arbeiten die Verwandlung des behandelten Grundstoffes immer schärfer heraus. Die Alchemie des Mittelalters mit ihren Retorten und Kolben, mit ihrer Suche nach der „fünften Essenz" war eine symbolische Darstellung des inneren Prozesses, den wir gerade unter die Lupe
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nehmen. Je flüchtiger eine Substanz wird, desto weniger werden ihre eigentlichen Merkmale dem Auge wahrnehmbar. Der Anblick von Früchten entspricht etwa ihrem Genusse, während der Alkohol, obgleich er viel wirksamere Kräfte besitzt, einen weit weniger eindrucksvollen Anblick bietet. In der Umgangssprache bedeutet das Wort „verflüchtigen" so viel wie „verschwinden". Die Verfeinerung oder „Verflüchtigung" ist gleichzeitig eine „Klärung", wie wir schon hervorgehoben haben; die am meisten verfeinerte Substanz ist gleichzeitig die einfachste. Das sich entwickelnde Verständnis stellt einen Destillierungsprozess unseres Inneren dar, d. h. unseres Bildmaterials. Es gibt eine Klärung, Entstofflichung und Vereinfachung dieses Materials und dementsprechend auch aller Vorstellungsund Gefühlsabläufe. Zum Beispiel: Als Kind glaube ich an das Jesuskind als an ein richtiges Kind, das mich liebt und mein Bestes will, das meinem Leben zusieht und mir gegenüber Gefühle hegt, die den meinen ähnlich sind. Diese Vorstellung ist „roh", deutlich umrissen und mit konkreten Einzelheiten versehen. Als Jüngling gewinne ich ein Verständnis „Gottes", bei dem ich mir ihn noch als persönliches Wesen, jedoch ohne sichtbaren Leib vorstelle, das zwar noch Gedanken und Gefühle, jedoch in weniger greifbarer und vorstellbarer Form hat. Das Bild hat sich „sublimiert", es hat seine gestalthafte Genauigkeit verloren. Es hat weniger Gestalt und ist doch gleichzeitig umfassender und mächtiger, da es jetzt einen größeren Reichtum umschließt. Mit zunehmendem Alter und Verständnis bildet sich in mir die abstrakte Idee eines überpersönlichen Prinzips, das ich als einziges für gut und aufbauend halte. Im darauf folgenden Stadium gelange ich dazu, dieses Prinzip als dem Dualismus: Aufbau - Zerstörung oder Handeln - Nichthandeln, überhaupt als jeder Erscheinung überlegen zu begreifen; doch unterscheide ich dabei noch dieses Prinzip von seiner Offenbarung in der Erscheinungswelt und glaube an die Wirklichkeit dieser Unterscheidung. Ich begreife, daß das Prinzip auch mein Prinzip ist; ich sehe meine Identität mit ihm, unterscheide jedoch noch mein Prinzip von meiner Erscheinung und glaube an die Wirklichkeit dieser Unterscheidung. Zuletzt gelange ich zu der Einsicht, daß die Unterscheidung zwischen dem Prinzip und seiner Gestaltwerdung nichts als ein analytischer Kunstgriff ist, den der Intellekt als Ausdrucksmittel nötig hat. Ich begreife, daß ich mich einer Täuschung hingebe, wenn ich in beiden, verschiedene Elemente unterscheide und sie einander gegenüberstelle. Das Bild der Wirklichkeit, zu Anfang das konkrete Bild des Jesuskindes, hat sich bis zum abstrakten Bild der „Leere" der traditionellen Metaphysik „vergeistigt", einer Leere, die jede nur denkbare Fülle in sich schließt. Es ist durchaus einleuchtend, daß sich auch meine gefühlsmäßigen Reaktionen auf die Erfassung der Wirklichkeit in Übereinstimmung mit diesem „Destillierungsprozess" vergeistigen. Der innere und äußere Gang meiner „Maschine" wandelt sieh, wenn ich nicht mehr an einen persönlichen Gott als an einen Gegenstand der Furcht und Liebe glaube, und wenn ich beginne, über allen Gedanken und Gefühlen meine „Buddha-Natur" zu erfassen.
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Der Destillierungsprozess, den wir dem Einsatz der intellektuellen Intuition verdanken, entspricht genau der in diesem Buche oft wiederholten Idee, daß die richtige innere Entwicklung nichts vernichtet, sondern alles „erfüllt". In Wirklichkeit bedeutet das scheinbare Sterben des „alten Menschen" keine Vernichtung. Wenn ich Alkohol aus Früchten ziehe, zerstöre ich den Grundstoff der Frucht nicht, ich kläre ihn, verdichte ihn und führe ihn zur Vollendung. Ebenso steigere ich mein Verständnis der Wirklichkeit bei der Entwicklung vom „Jesuskind " zur „Leere". Nur scheinbar ist es ein Sterben, weil es einer Abschwächung des Sichtbaren, des durch Verstand und Sinne Fassbaren gleichkommt. Doch ist in Wirklichkeit nichts zerstört worden, wenn der Glaube an die absolute Wirklichkeit einer einzelnen Wahrnehmung abnimmt. Die höchste Stufe dieser Entwicklung bringt ein Verschwinden der vermeintlichen Wirklichkeit der durch Sinne und Verstand wahrgenommenen Bilder mit sich. Von Geburt an ist es die Grundsituation des Menschen, sich im tiefsten Innern unbefriedigt zu fühlen. Der Mensch glaubt etwas zu entbehren; ihm genügt nicht, was er hat und was er ist. Er erwartet „etwas anderes", das „wahre Leben", sucht die Lösung seines vermeintlichen "Lebensproblems", verlangt bestimmte Situationen innerhalb seines Daseins. Diese fordernde Haltung, aus der alle unsere Leiden hervorgehen, soll nicht aufgehoben werden, sondern ihren richtigen Sinn erhalten. Bei der Betrachtung der Kompensationen konnten wir beobachten, wie unsere Ansprüche; unsere Neigungen sich immer mehr „entstofflichen". Alle besonderen Vorlieben lassen sich aus der zentralen Verhaftung an das Bild unseres Ego, an das Bild unserer individuellen Persönlichkeit ableiten, wobei zwischen den einzelnen Bildern und jenem Hauptbild Verbindungen hergestellt werden, die sie identisch erscheinen lassen. Je tiefer mein Verständnis vordringt, desto gründlicher werden jene Verbindungen abgeschnitten. Meine Verhaftung klärt sich, geistigt und verdichtet sich; sie tritt immer weniger in Erscheinung, wird immer ungreifbarer. Unser verhafteter Anspruch wird zwar vor dem Satori um nichts schwächer, doch geht er seiner Reinigung und Vervollkommnung immer mehr entgegen, je näher der Augenblick der plötzlichen Verhandlung rückt, in der Zuneigung und Abneigung ihre Versöhnung erfahren. Unsere Eigenliebe bildet einen Teil, ja einen Grundaspekt unserer fordernden Haltung. Auch sie geht ihrer Klärung entgegen, je tiefer mein Verstehen vordringt. Leuten, die mich beobachten, werde ich bescheidener als zuvor erscheinen. Ich selbst jedoch fühle, daß es sich anders verhält. Meine Eigenliebe wird immer vergeistigter, immer dichter, so daß man sie weniger gut erkennen kann. Sie geht ihrer Vervollkommnung entgegen, indem sie auf der einen Seite zum Nullpunkt der vollkommenen Demut sich neigt, auf der anderen Seite zur verborgenen Unendlichkeit unserer absoluten Würde. Das Angstgefühl, das mit den vom Ego erhobenen Ansprüchen eng verbunden ist, erfährt die gleiche stufenweise Wandlung. Es ist ein grober Irrtum zu glauben, daß die Einsicht die Unruhe des Menschen steigere. Durch falsche Lehren werden zwar zwangshafte „Überzeugungen" in uns eingepflanzt, die die Angst steigern
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können. Doch die intuitive Schau der Wahrheit kann die Angst nur „sublimieren", wobei ihre offenbare Seite zugunsten der noch nicht in Erscheinung getretenen immer mehr in den Hintergrund tritt. Vor dem Satori nimmt das tiefe Angstgefühl, aus dem sich alle einzelnen Angsterscheinungen ableiten lassen, um nichts ab. Doch tritt es immer weniger in Erscheinung, so daß ein Zen-Schüler es immer weniger fühlt, je weiter er sich entwickelt, wenn das Angstgefühl fast nicht mehr zu greifen ist, ist das Satori nahe. Die innere Unruhe des Menschen ist ein Zeichen für den Konflikt zwischen der Lebensbewegung einerseits und der Abwehr gegen alle zeitliche Begrenztheit andrerseits, die eine Vorbedingung jener Bewegung ist. Wenn der Mensch seinem Leben gegenübergestellt wird, so will er es und will es gleichzeitig nicht. Die Unruhe läutert sich mit der Einsicht, durch die die Abwehr der zeitlichen Begrenztheit sich verringert. Die Lebensbewegung selbst wird nicht berührt, während das, was sich ihr entgegenstellte, in den Hintergrund tritt. Daher erfährt auch sie selbst eine Läuterung: die Unruhe verschwindet und unser inneres Triebwerk arbeitet immer „glatter". Die hier betrachtete Entwicklung bringt, wie wir sahen, vor allem die „Entstofflichung" unseres Bildmaterials mit sich. Unsere Bilder verlieren nach und nach ihre scheinbare Dichte, ihre vermeintliche Objektivität. Sie werden feinstofflicher, umfassender, allgemeiner und abstrakter. Sie verlieren allmählich die Macht, unsere Lebensenergie in die Form einer Gefühlsverkrampfung zu bringen; der ganze Vorstellungs- und Erregungsprozeß verliert an Intensität und Durchschlagskraft. In unserem Vorstellungsablauf zeigen sich weniger Kontraste und der Traum unseres Innern verblasst. Wenn wir unseren gegenwärtigen Zustand als eine Art von Schlummer betrachten, bei dem unser bewusstes Denken die Rolle des Traumes spielt, so könnten wir Satori als das Erwachen sehen. Es ist zwar etwas Wahres an dieser Sicht, doch birgt auch sie eine Falle, in die unser Verständnis leichtlich geraten könnte. Wir werden immer dazu neigen, uns die Dinge vorstellen zu wollen und zu vergessen, daß das Satori als innerer Vorgang, der sich jeder Vorstellung entzieht, mit nichts, was wir sonst kennen, eigentlich verglichen werden kann. So bin ich auch hier in Gefahr, eine Analogie aufstellen zu wollen zwischen dem Satori, dem letzten Erwachen, und dem, was ich täglich beim Übergang vom schlafenden zum wachenden Zustand erlebe. In diese vermeintliche Analogie schleicht sich heimlich der Begriff des „Fortschritts" ein: denn so, wie mein gewöhnliches Erwachen, mir dem Schlaf gegenüber als Fortschritt erscheint, würde auch das Satori zu einem „Über-Erwachen", einem „wahrhaften" Erwachen, zu einem hohen Fortschritt gegenüber dem jetzigen Wachheitsgrad. Wie das gewöhnliche Erwachen mir ein Bewußtsein zurückgibt, das mir während des Schlafes fehlte, so würde das Satori mir ein „Über-Bewußtsein" verleihen müssen, das ich in meinem augenblicklichen Zustand nicht hätte. Diese falsche Auffassung (falsch, weil ich von Ewigkeit her im Zustande des Satori weile u n d weil mir trotz aller scheinbarer Gegenbeweise nichts fehlt) führt zu Täuschungen über den inneren Vorgang, der
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dem Satori-Ereignis vorangeht. Zwischen dem Tiefschlaf und dem Wachzustand liegt der Schlaf mit Träumen. Das Auftreten des Bewusstseins während des Schlafes zielt auf das Erwachen ab: je aufregender und bewegender, je intensiver und scheinbar objektiver der Traum ist, desto näher ist das Erwachen. Wenn wir die falsche »Fortschrittsanalogie" weiterdenken, müssen wir schließlich zu dem Glauben gelangen, daß dem Satori eine Verschärfung unseres bewussten Denkens, unseres Vorstellungsablaufs voranginge. Wir glauben vielleicht, daß eine innere Überaktivität der Ekstase oder Beklemmung, wenn sie ihren kritischen Punkt erreicht hat, die letzte Grenze durchbrechen und den Zugang zu einem kosmischen Überbewußtsein uns verschaffen könnte. Aber all dies steht in scharfem Gegensatz zur Unmittelbarkeit des Satori, von der die Zenlehre spricht. Achten wir doch darauf, wie sich gerade bei dieser Fortschrittsillusion die gleiche Identifizierung mit meinem Ich wiederfindet, die eine irrtümliche Anbetung des Bewussten zur Folge bat. Unsere innere Vorstellungswelt, deren Mittelpunkt unser individuelles Ich ist, erhebt den Anspruch, selbst das Universum zu sein. Die Kräfte des Bewusstseins, die diese Welt erzeugen, werden dabei dem Kosmischen Geist gleichgesetzt, und von daher gesehen ist es nicht länger verwunderlich, daß wir auf das Bewußtsein bauen, wenn wir daran denken, unsere absolute Verwirklichung zu erringen. In Wirklichkeit bin ich, ob ich schlafe oder wache, hier und jetzt im Zustande des Satori. Schlaf und Wachen sind gleicherweise in diesen Zustand getaucht. Der Satori-Zustand spielt für Schlaf und Wachen, die Rolle einer versöhnenden Hypostase. Ins Nichtzeitliche getaucht, sind Schlaf und Wachen zwei äußerste Spielarten des Funktionierens unseres leibTiefschlaf Schlaf Wachzustand seelischen Organismus, mit Träumen zwei Pole, zwischen denen ich mich hin- und her bewege. Der Schlaf mit Träumen nimmt zwischen Tiefschlaf und Wachzustand eine Mittellage ein, er ist eine Projektion von der Spitze des Dreiecks auf seine Basis. Daher auch die jenseitigen Weisheiten des Traumes. Das symbolische Denken des Traumes, in dem sich die Situationen unseres persönlichen Mikrokosmos frei von jeder vermeintlichen Objektivität der Außenwelt widerspiegeln, ist im Augenblick die einzige Denkform, durch die wir manche Dinge in ihrer wahren Gestalt erkennen können. Da die Dinge in ihrer wahren Gestalt keinen angemessenen direkten Ausdruck finden können, muss das Traumdenken eine symbolische Äußerungsform annehmen. Satori
Versuchen wir nun von dieser richtigen Perspektive aus zu erfassen, auf welche Weise die stufenweise - nicht Fortschreitende - Entwicklung, die dem Satori vorangeht, in unserem Bewußtsein, in unserem "Wachtraum" sich spiegelt! Unser
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Wachtraum geht wie alles in uns einer stufenweisen Vervollkommnung entgegen, indem er immer subtiler wird. Weit davon entfernt, fesselnder, Wirklichkeit vortäuschender zu werden, wird er vielmehr blasser, lichter, lockerer und flüchtiger und haftet nicht mehr so zäh in uns. Die Gefühlsgeladenheit bestimmter Bilder nimmt ab, und unsere Innenwelt kommt ins Gleichgewicht. Unterhalb dieses immer leichter werdenden Wachtraums schlafen wir den Schlaf unserer gegenwärtigen ichbezogenen inneren Situation. Kurz gesagt: die höchste Stufe unseres bewussten Denkens bringt dieses in einem ganz bestimmten Sinne in eine größere Nähe zum Tiefschlaf. Während jedoch unser bewusstes Denken sich einerseits gewissermaßen dem Schlafe nähert, gewinnt es andrerseits gleichzeitig einen immer größeren Abstand davon, da die subtilsten intellektuellen Möglichkeiten aufs höchste gesteigert werden. Im Bereich des noch nicht manifest Gewordenen findet also eine wirkliche Annäherung statt, während in der Welt des bereits manifest Gewordenen ein scheinbares Ferner rücken sich vollzieht. „Was oben ist, ist das Gleiche wie das, was unten ist, und das, was unten ist das Gleiche wie das, was oben ist." Die Vorstellungstätigkeit wird subtiler und bekommt die Tendenz, nicht in Erscheinung zu treten, obgleich das geistige Leben wach bleibt und seine Funktionen fortsetzt. Unter der stets durch Bilder abgelenkten Aufmerksamkeit entwickelt sich eine „Konzentration auf nichts". Meine Verfassung hat Ähnlichkeit mit der des zerstreuten Gelehrten. Doch während der Gelehrte zerstreut ist, weil sich seine Aufmerksamkeit auf etwas Gestaltetes richtet, bin ich selbst zerstreut, weil meine Aufmerksamkeit sich auf etwas Gestaltloses, weder Begriffenes noch Begreifbares richtet. Der gesamte Vorstellungs- und Erregungsprozeß wird gedämpft. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, daß ich mich ohne sichtbaren Grund glücklich fühle. Ich bin nicht deshalb glücklich, weil das Dasein mir gut erscheint, sondern es erscheint mir gut, weil ich glücklich bin. Die auf das Satori zulaufende Entwicklung bringt keine Zuspitzung der Angst mit sich, sondern im Gegenteil, eine zunehmende Linderung. Dem Augenblick, in dem wir unmittelbar und endgültig erkennen werden, daß unsere Angst immer ein Trug gewesen ist, geht ein neutralisierender Ausgleich voraus. Das bestätigt den Gedanken, daß unsere Sehnsucht nach Erfüllung abnimmt, je näher wir dem „Ort der Ruhe" kommen. Im abendländischen Denken Befangene haben oft Mühe, den Ausdruck „Großer Zweifel" zu verstehen, den das Zen gebraucht, um den inneren Zustand zu bezeichnen, der dem Satori unmittelbar vorangeht. Sie glauben, daß der „Große Zweifel" der Gipfel der Unsicherheit, der Unruhe und Angst sein müsse. Doch ist genau das Gegenteil der Fall. Versuchen wir, mehr Klarheit darüber zu gewinnen. Der Mensch wird geboren mit einem Zweifel an seinem „Sein", und dieser Zweifel bestimmt alle seine Reaktionen gegenüber der Außenwelt. Die Frage: „Bin-ich?" liegt allen unseren Unternehmungen zugrunde, ob wir uns klar darüber sind oder nicht. In allem, was ich suche, suche ich nach einer endgültigen Bestätigung meines „Seins". Solange diese metaphysische Frage innerlich mit dem Problem meines Erfolges in der Welt gleichgesetzt wird, erfüllt mich Angst wegen meiner
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zeitlichen Begrenztheit. Denn die so gestellte Frage wird immer von einer verneinenden Antwort bedroht. Doch je tiefer mein Verständnis wird und je „subtiler" meine bildhafte Vorstellung vom Universum, desto mehr tritt die Gleichsetzung zwischen meinem metaphysischen Zweifel und der Möglichkeit meines Scheiterns in der Welt zurück. Die Frage nach meinem „Sein" erfährt eine Klärung und tritt so weniger in Erscheinung. In Wirklichkeit verliert sie zwar nicht an Dringlichkeit, wird jedoch immer weniger dicht und greifbar. Am Ende dieses Destillierungsprozesses ist der Zweifel fast vollkommen rein geworden, ist zum „Großen Zweifel" geworden und hat gleichzeitig seinen Angstcharakter verloren. Er ist der Gipfel der Verwirrung und der Gipfel der Klarheit zugleich, einer Klarheit ohne formales Objekt, reine Ruhe, reiner Friede. „Dann wird der Mensch den Eindruck haben, in einem durchsichtigen, lebenspendenden, erhebenden und königlichen Kristallpalast zu leben", und ist doch gleichzeitig „einem Idioten und Dummkopf ähnlich". Die berüchtigte, vergebliche Frage: „Bin ich?" wird hinfällig durch diesen Reinigungsprozess und ich erliege nicht länger ihrer Anziehungskraft - nicht etwa durch eine befriedigende Lösung des „Problems", sondern durch die Erkenntnis, daß es nie ein Problem gegeben hat. Betrachten wir nun noch, wie dieser Entwicklungsprozess, der unser Inneres immer „subtiler" gestaltet, unseren Zeitbegriff verändert. Wie wir schon festgestellt haben, glauben wir an die Wirklichkeit der Zeit, weil wir eine Änderung unseres Lebens e r w a r t e n , die den vermeintlichen Mangel völlig ausgleichen soll. Je stärker wir die Sehnsucht nach einem „Werden" empfinden, umso schmerzlicher bedrängt uns das Problem der Zeit. Wir machen uns selbst den Vorwurf, die Zeit fliehen zu lassen, die vorübereilenden Tage nicht richtig zu füllen. In dem Grade, in dem der innere Hang zum "Werden" sich entstofflicht, indem er immer weniger in Erscheinung tritt, verändert sich auch meine Wahrnehmung der Zeit. Die Zeit, insoweit sie sich in meinem persönlichen Lebensablauf manifestiert, entflieht mir zwar immer weiter, aber ich versuche nicht mehr, sie aufzuhalten, da ich ihr immer weniger Gewicht beimesse. Im Laufe der Zeit erlebe ich immer weniger, was ich in Wortefassen, an was ich mich erinnern könnte. Im Einklang damit nimmt auch das Gefühl der verlorenen Zeit ab. Ich fühle mich immer weniger betrogen vom unerbittlichen Ablauf der Stundenuhr. Hier wie überall gilt, daß wir umso mehr besitzen, je weniger wir uns an die Dinge klammern. Dennoch muss betont werden, daß es sich hierbei natürlich nicht um ein positives Besitzen der Zeit handelt, sondern nur um ein gradweises Nachlassen des bohrenden Gefühls, sie nicht zu besitzen. Wir besitzen nicht etwa die Zeit vom Augenblick des „Großen Zweifels" an, doch entzieht sie sich uns nicht mehr, da wir keinen Anspruch mehr auf sie erheben Diese Aufhebung der Zeit kündet unseren Wiedereintritt in die Ewigkeit des Augenblicks an. Betrachten wir nun, warum dieser gradweise "Verflüchtigungsprozess" dem Satori notwendigerweise vorausgeht. Wenn wir die Berichte einiger Zenmeister lesen,
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die sie über ihr Satori hinterlassen haben, können wir bemerken, daß dieses innere Ereignis bei einer sinnlichen Erregung aus der Außenwelt eintreten kann, bei einem Augeneindruck oder einer Gehörsempfindung, bei einem Fall, bei einem plötzlichen Schlag. Der Eindruck kann vielleicht wenig intensiv sein, doch trägt er immer den Charakter des Unvermittelten, der unsere Aufmerksamkeit erregt. Wie auch im gewöhnlichen Leben eine plötzliche Wahrnehmung die schlummernde Aufmerksamkeit unseres passiven Bewusstseins weckt, so erweckt dieses Mal die plötzliche Wahrnehmung das selbständige Wirken unseres nun endgültig aktiven Geistes und macht uns die Sicht der Dinge, wie sie wirklich sind, bewusst. Die Interpretation dieser Tatsache leistet zwei Irrtümern Vorschub. Wenn ich dem Begriff der Kausalität stark verhaftet bin, so neige ich zu der Ansicht, der Klang einer Glocke habe das Satori des Zen-Meisters verursacht, und ich frage mich, wie das möglich sei. Ich könnte vielleicht darauf verfallen, daß es, bestimmte Glocken mit gewissen Klängen gäbe, die imstande seien, dem Menschen seine Buddha-Natur zu offenbaren. Oder, wenn wir von dieser kindlichen Erklärung absehen, könnte ich glauben, der Klang der Glocke habe gar keine Rolle gespielt, und der Zenmeister habe sie unabhängig davon, was in seinem Innern vor sich ging, gehört. In Wirklichkeit spielt die Wahrnehmung der Außenwelt im Augenblick des Satori im Allgemeinen eine wesentliche Rolle, ohne daß die besondere Form in der diese Wahrnehmung sich darbietet, irgendeine Bedeutung besäße. Jede Wahrnehmung in jedem Lebensaugenblick enthält in sich eine Möglichkeit zum Satori. Ein Zenschüler warf eines Tages seinem Meister vor, daß er ihm das Wesentliche der Lehre verborgen hielte. Der Meister führte den Schüler in die Berge. Dort stand der Lorbeerbaum in voller Blüte, und die Luft war von seinem Duft durchtränkt. „Riechst du das?", fragte der Lehrer, und als der Schüler eine bejahende Antwort gab, fügte er hinzu: „Hier siehst du, daß ich dir nichts verborgen gehalten habe!" Jede Wahrnehmung der Außenwelt enthält eine Möglichkeit zum Satori, weil sie eine Brücke bildet zwischen Ich und Nicht-Ich, weil sie die Wesensgleichheit zwischen Ich und Nicht-Ich zur Darstellung bringt. Wir haben wiederholt betont, daß die Wahrnehmung eines äußeren Objektes die Wahrnehmung eines inneren Bildes ist, das durch den Kontakt mit dem Objekt in uns entstanden war. Doch steht hinter dem äußern Objekt und dem inneren Bild eine einzige echte Wahrnehmung, die sie verbindet. Alles im Universum ist Schwingungsenergie. Die Wahrnehmung eines Objektes entsteht durch eine Vereinigung der Schwingungen, die vom Objekt ausgehen, mit meinen eigenen Schwingungen. Diese Vereinigung ist nur möglich, weil die Schwingungen des Objektes und meine eigenen aus dem gleichen Grundstoff gemacht sind, und sie ist die Gestaltwerdung dieses „Stoffes", der innerhalb der Vielfalt der Erscheinungen eine Einheit darstellt. Das wahrgenommene Bild entsteht „in mir", hat aber seinen Ursprung im Unbewussten, im kosmischen Geist, der keinen bestimmten Ort hat und im wahrgenommenen Bilde ebenso wohnt wie in mir als Wahrnehmendem.
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Das bewusstgewordene wahrgenommene Bild gehört nur als Individuum, doch die Wahrnehmung selbst als Prinzip dieses bewusstgewordenen Bildes, gehört weder mir noch dem Gegenstande an. Bei ihr gibt es keine Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, sie ist vielmehr die versöhnende Brücke, die Subjekt und Objekt in einer dreieinheitlichen Synthese eint. Indessen vermag nicht jede Wahrnehmung der Außenwelt das Satori in mir auszulösen. Warum nicht? Weil im Moment das bewusste innere Bild meine ganze Aufmerksamkeit fesselt. Dieser rein persönliche Aspekt der universalen Wahrnehmung nimmt mich gefangen, da ich ja der „Überzeugung" bin, daß die einzelnen Dinge sind. Den Ausspruch des Hui Neng habe ich noch nicht mit meinem ganzen Wesen begriffen: „Kein Ding ist " Noch immer glaube ich, daß dieses und jenes sich voneinander unterscheide, noch immer ergreife ich Partei. Aufgrund einer solchen Unwissenheit sind die vielfältigen Bilder, die Elemente meiner inneren Welt untereinander deutlich abgegrenzt, einander entgegengesetzt. Durch das, was es von den andern unterscheidet, findet ein jedes seine Bestimmung. So gesehen kann kein Bild das andere vertreten oder die Ganzheit meiner inneren Welt darstellen. D. h. daß kein Bild mein „Ich" ist, sondern immer nur ein Aspekt dieses Ich. Unter diesen Bedingungen hat es den Anschein, als fände bei der Wahrnehmung keine Vereinigung von Ich und NichtIch statt, sondern nur eine teilweise Identifizierung, Da das Ich nicht in den einzelnen Bildern integriert ist, kann es auch nur teilweise mit dem Nicht-Ich identifiziert werden. Die Offenbarung der völligen Gleichsetzung, das heißt das Satori tritt nicht ein. Diese Offenbarung wird erst am Ende des vereinfachenden Verflüchtigungsprozesses möglich. Je subtiler die Bilder werden, desto mehr verschwinden die scheinbaren Unterschiede. Zwar erkenne ich weiterhin, worin sie sich voneinander unterscheiden, doch nehme ich diese Unterschiede immer weniger als Gegensätze. Es ist, als fühle ich allmählich in der Vielfalt die Einheit. Die unterscheidenden Gegensätze treten immer weniger in Erscheinung. Es gibt zwar vor dem Satori keine echte Einheit meiner inneren Welt, doch beginnt meine innere Verfassung zur Einfachheit, Gleichartigkeit, zur mathematischen Einheit zu neigen (die man nicht mit der metaphysischen oder prinzipiellen Einheit verwechseln darf). Indem die Unparteilichkeit meinen Bildern gegenüber einen immer höheren Grad der Vollkommenheit erreicht, trägt sie auch zur Integrierung des Ich bei. Die Teilgleichsetzung mit den äußeren Objekten lässt nach, und ich fühle mich der Außenwelt gegenüber immer abgegrenzter. Der einer Gesamtgleichsetzung vorausgehende Prozess besteht nicht in einer fortschreitenden Zunahme der Teilgleichsetzung, sondern im Gegenteil, in deren stufenweisem Zurücktreten. Um einen Raumbegriff anzuwenden, könnte ich sagen, daß das gestaltgewordene Ich immer mehr reduziert wird und eine Tendenz zum ausdehnungslosen geometrischen Punkt zeigt. In dem Maße, in dem ich mich auf den Punkt zu
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bewege, bewegt sich auch mein Bild der Außenwelt auf den Punkt zu. Es ist, als ob eine Grenzzone gegenseitiger Durchdringung zwischen Ich und Nicht-Ich entstünde, als ob Ich und Nicht-Ich sich immer weiter voneinander entfernten, während gleichzeitig ihr scheinbarer Gegensatz abnimmt. So mögen zwei Feinde, wenn ihr gegenseitiger Hass nachlässt, sich einander immer mehr entfremden, während ihre Feindschaft fast ganz verschwindet. Meine innere Weit hat am Ende dieser stufenweisen Entwicklung jene Gleichartigkeit erreicht, in der zwar nicht die Formen selbst, jedoch deren Gegensätzlichkeiten zurücktreten. Alles wird gleich. Dann vermag auch jedes beliebige Bild die Gesamtheit meiner Innenwelt in angemessener Form zur Darstellung zu bringen. Ich bin fähig geworden, bei einem Wahrnehmungsvorgang nicht nur eine Teilgleichsetzung mit dem Nicht-Ich zu erfahren, sondern meine totale Gleichheit mit ihm. Doch muss das Nicht-Ich sich manifestieren. Dies geschieht eben bei jener auslösenden Wahrnehmung, von der uns die Menschen, die Satori erlebten, berichten. Vor dem Ich, das in eine nicht in Erscheinung tretende Ganzheit eingegangen ist, taucht das Nicht-Ich auf, das ganz in eine einzelne stellvertretende Erscheinung integriert ist. Die Wahrnehmung entspringt dann an der Stelle, wo sich die Ganzheit des Ich und die Ganzheit des Nicht-Ich gleichzeitig und unterscheidungslos manifestieren. Nun wird die Ganzheit des Ich sichtbar, doch in der großen Einheit, in der alles sich versöhnt, und mit der im Augenblicke seiner Erfüllung dieses Ich verschmilzt.
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XXIV. VON DER DEMUT Zum Abschluss unseres Buches sollen noch einmal einer der Hauptzüge jenes theoretischen und praktischen Verstehens hervorgehoben werden, das allein uns von aller Angst befreien kann. Es handelt sich darum, das eigentliche Wesen der Demut genau zu verstehen und zu erkennen, daß hier allein der Schlüssel zu unserer wirklichen Freiheit und Größe zu finden ist. Wir leben schon jetzt im Zustande des Satori, doch verhindert die unablässige Tätigkeit der psychologischen Automatismen, die einen circulus viciosus in uns herstellen, ein fruchtbares Bewusstwerden dieser Tatsache: unser ständiges Bewegt sein durch Vorstellungen und Gefühle macht uns die Erkenntnis unserer " Buddha - Natur " unmöglich, und da wir deshalb zu der Überzeugung gelangen, unserer wesenhaften Wirklichkeit entbehren zu müssen; werden wir zu Vorstellungen gezwungen, die den vermeintlichen Mangel ausgleichen sollen. Ich fühle mich von meinem eigenen „Sein" getrennt und suche danach, mich wieder mit ihm zu vereinigen. Da ich mich nur innerhalb der Grenzen meiner individuellen Eigentümlichkeit kenne, suche ich auch das Absolute in individueller Form zu finden, möchte ich um jeden Preis absolutes Sein in individueller Form erreichen. Durch diese Bemühung wird eine „Fiktion von Göttlichkeit" in mir erzeugt und am Leben erhalten, nämlich der ursprüngliche und grundlegende Anspruch, als Individuum und im Bereich der Erscheinungswelt vollkommen und allmächtig sein zu wollen. Innerhalb des Vorstellungsablaufs besteht jenes Kompensationsstreben der psychologischen Automatismen darin, daß sie meine Aufmerksamkeit von der tatsächlichen Begrenzung meiner Macht ablenken und daß sie die erwähnte Grundforderung einfach aufgeben, wenn die Erkenntnis meiner Ohnmacht sich nicht mehr umgehen lässt. Ich lege es also förmlich darauf an, die Übereinstimmung von Außenwelt und Innenwelt niemals anzuerkennen. Ich bejahe mich als unterschiedliches Einzelwesen, das in Bezug auf die Außenwelt niemals im Gleichgewicht ist, das sich über sie erhaben fühlt, wenn seine Macht, ihr unterlegen, wenn seine Ohnmacht an den Tag tritt. Die Fiktion, nach der ich als Individuum der Urgrund des Universums zu sein hätte, heischt, daß immer nur von der Bestimmung der Welt durch mich die Rede sei: ich sehe mich daher stets entweder als den, der die Außenwelt bedingt, oder als den, dem dieses Streben fehlschlägt. Doch will es mir nie gelingen, mich innerhalb der gleichen Ordnung als von ihr bedingt anzuerkennen. Daher die Illusion des „Nicht-Ich". Wenn es mir gelingt, die Außenwelt zu bestimmen, ist sie „Ich", wenn mir das misslingt, ist sie für mich das „Nicht-Ich". In keinem Falle möchte ich sie als das, was sie ist,
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anerkennen, da ich mir der Wesensgleichen, die uns beide verbindet, nicht bewusst bin. Da es mir bis jetzt unmöglich ist, von meinem Selbst, von meiner Buddha-Natur als universaler Mensch und nicht als begrenztes Individuum ein fruchtbares Bewußtsein zu erlangen, bin ich unablässig gezwungen, mir eine von Grund auf falsche Vorstellung von meiner Situation innerhalb der Welt zu bilden. Anstatt mich als auf gleicher Stufe mit der Außenwelt stehend zu erkennen, fühle ich mich bald über sie erhaben, bald ihr unterlegen, bald „über ihr", bald „unter ihr". Von dieser Perspektive aus, bei welcher das „über ihr " das Sein bedeutet und das »unter ihr" das Nichts, bin ich gezwungen, immer dem Sein entgegen zustreben. Alle meine Bemühungen können unmittelbar oder auf Umwegen mir die eine Tendenz haben, mich zu erheben, ob das nun im stofflichen, im geistigen oder gar im „übersinnlichen" Bereiche geschehen mag. Alle natürlichen psychologischen Automatismen vor dem Satori gründen sich auf die Eigenliebe, auf den Anspruch auf Persönlichkeit und auf das Bestreben, wie auch immer, „mich emporzuheben". Und gerade diese Forderung nach individueller Steigerung hält mir meine unbegrenzte universale Würde verborgen. Dieser Anspruch, der alle Bemühungen, alles Streben durchdringt, ist zuweilen als solcher schwer erkennbar. Es wird mir leicht, ihn zu erkennen, wenn etwa das Nicht-Ich, von dem ich mich abheben will, durch andere menschliche Wesen vertreten wird. In diesem Falle genügt schon eine Spur von Ehrlichkeit selbst gegenüber, um das Bestreben beim rechten Namen zu nennen. Bedeutend schwieriger wird es, wenn das Nicht-Ich, von dem ich mich abgrenzen möchte, durch unbelebte Dinge oder gar durch jene geheimnisvolle, trügerische Wesenheit vertreten wird, die wir „Schicksal" nennen. Im Grunde jedoch bleibt es das Gleiche: Meine Erfolge steigern mich, und meine Misserfolge demütigen mich. Jede Wahrnehmung von etwas Positivem innerhalb der Welt steigert mich, jedes Innewerden des Negativen demütigt mich. Ist die Außenwelt positiv, aufbauend, dann ist sie so, wie ich sie will; daher erscheint sie mir als durch mich bedingt. Tritt sie mir in ihrer negativen, ihrer zerstörerischen Erscheinungsform entgegen (selbst wenn es mich nicht unmittelbar betrifft), so ist sie anders, als ich sie will, und es kommt mir daher vor, als lehne sie es ab, sich von mir bestimmen zu lassen. Wenn wir den tiefsten Grund unserer Eigenliebe richtig sehen, so müssen wir zu der Einsicht kommen, daß jede nur vorstellbare Freude eine Befriedigung und jedes nur vorstellbare Leid eine Verwundung unserer Eigenliebe bedeuten. Wir verstehen dann, daß unsere anspruchsvolle Einstellung die Gesamtheit unserer Gefühlsautomatismen beherrscht, d. h. die Ganzheit unseres Lebens. Nur die freie Einsicht entzieht sich diesem Herrschaftsanspruch, Mein dem Ego verhaftetes Streben nach „oben" muss, da es falsch ist und sich in einem grundsätzlichen Widerspruch zu der Wirklichkeit der Dinge befindet, in einer unablässigen Tätigkeit meiner Vorstellungskraft seinen Ausdruck finden. Wenn ich das Gesamtbild meines persönlichen Lebens objektiv zu betrachten versuche, so erkenne ich, daß es sich mit einem Feuerwerkkörper vergleichen lässt: Das
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Aufsteigen der Rakete entspricht dem Leben im Mutterleibe, wo alles in Vorbereitung ist ohne noch in Erscheinung zu treten, der Augenblick, in dem die Rakete zum Platzen kommt, ist die Geburt, die Entfaltung der Leuchtgarbe stellt jene „aufsteigende" Lebensperiode dar, in der der Organismus sich mit all seinen Kräften entwickelt. Das Zurücksinken der Garbe in einen langsam erlöschenden Funkenregen stellt Alter und Tod dar. Anfangs will es mir scheinen, als sei das „Leben" jener Rakete ein Wachsen, später ein Abnehmen. Wenn ich jedoch gründlicher darüber nachdenke, komme ich zu der Erkenntnis, daß es während seiner ganzen Dauer ein Abbau von Energie ist. Es ist von Anfang bis Ende seiner Manifestation ein Abnehmen. Ebenso steht es auch um mich als Individuum. Vom Augenblick der Empfängnis an ist mein Leib-Seelischer Organismus das Erscheinungsbild einer Auflösung, eines ständigen Abstiegs. Wir beginnen zu sterben, sobald wir empfangen sind, indem wir durch mehr oder weniger augenfällige Manifestationen eine Anfangsenergie erschöpfen, die in ständiger Abnahme begriffen ist. Die kosmische Wirklichkeit steht in einem grundsätzlichen Widerspruch zu meinem Streben nach „oben": soweit ich Einzelwesen bin, liegt vor mir nur ein nach „unten". Die ganze Frage der menschlichen Angst lässt sich in dem Problem der Demütigung zusammenfassen. Von der Angst geheilt werden, bedeutet, von der Möglichkeit der Demütigung befreit werden. Woher kommt die Demütigung? Etwa Daher, daß ich meine Ohnmacht erkenne? Das wäre kein ausreichender Grund. Sie steht im Zusammenhang mit der Tatsache, daß ich vergeblich versuche, meine wahre Ohnmacht nicht zu sehen. Das Gefühl der Demütigung wird nicht durch die Machtlosigkeit an sich hervorgerufen, sondern durch den Schock, den ich erleide wenn mein Anspruch auf vollkommene Überlegenheit mit der Wirklichkeit der Dinge zusammenstößt. Ich erleide keine Demütigung, weil die Außenwelt mich ablehnt, sondern weil es mir nicht gelingt, dieser Verneinung Herr zu werden. Der wahre Grund unserer Angst ist niemals in der Außenwelt zu suchen, sondern einzig in dem Anspruch, den wir aus uns herausstellen und der gegen die Mauer der Wirklichkeit prallt Wenn ich mich darüber beklage, daß die Mauer auf mich gestürzt sei und mich verletzt habe, gebe ich mich einer Täuschung hin. Ich selbst habe mich an ihr verletzt, meine eigene Bewegung hat meinen Schmerz verursacht. Wenn ich meinen Anspruch aufgäbe, würde mich nichts mehr verletzen können. Ich könnte auch sagen, daß die aus der Demütigung stammende Angst der Ausdruck eines inneren Konfliktes sei. Er ist ein Konflikt zwischen meiner Neigung, mich selbst allmächtig sehen zu wollen und der anderen Neigung, die konkrete Wirklichkeit der Dinge anzuerkennen, durch die meine Allmacht verneint wird. Ich fühle Angst und Demütigung, wenn ich zwischen meinem subjektiven Anspruch und meiner objektiven Lage, zwischen meiner Lüge und meiner Wahrheit, zwischen der parteiischen und der unparteiischen Vorstellung von meiner Situation als Mensch in der Welt hin- und hergerissen werde. Erst wenn meine Objektivität über meine Subjektivität den Sieg davongetragen haben wird,
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die Wirklichkeit über den inneren Traum, kann ich von der ständigen Bedrohung durch die Angst erlöst werden. In dem Wunsche, endlich dieser Angst zu entgehen, suchen wir nach Heilslehren, nach„ Gurus". Aber der wahre Guru ist nicht fern, er steht vor uns und bietet uns unablässig seine Lehre an: es ist die Wirklichkeit als solche, ist unser tägliches Leben. Die rettende Offenbarung liegt vor unseren Augen, die Offenbarung unseres Nicht-Allmächtig seins, die Erkenntnis, daß unser Anspruch durch und durch abwegig und unmöglich und daher ein Trug, ein Nichts ist. Es ist die Erkenntnis, d a ß es nichts zu fürchten gibt, daß falsche Hoffnung keine Wirklichkeit besitzt, daß ich immer auf dem Boden gestanden habe und noch stehe, so daß ein Fallen unmöglich ist und ein Schwindelgefühl gar nicht aufkommen kann. Wenn ich mich gedemütigt fühle, .so deshalb, weil es meinen Vorstellungsautomatismen gelungen ist, die Erkenntnis der Wirklichkeit zu verdrängen und ihre Evidenz beiseite zu schieben. Ich ziehe keinen Nutzen aus der heilsamen Lehre, die sich mir fortgesetzt anbietet, da ich sie zurückweise, da ich unablässig auf Mittel sinne, die Erfahrung der Demütigung zu umgehen. Kaum gerate ich in eine demütigende Lage, die mich in das Geheimnis der Demütigung hätte einweihen können, so ist auch schon meine Vorstellungskraft bemüht, die scheinbare Gefahr zu bannen. Sie kämpft gegen die angebliche „Herab"setzung und tut alles, mich wieder in den gewohnten Zustand befriedigter Anmaßung zurückzuholen, in dem Ich zwar einen vorübergehenden Aufschub erhalte, jedoch auch die Gewissheit neuer Angstzustände. Kurz gesagt wehre ich mich unausgesetzt gegen alles, was sich mir als Rettung darbietet und kämpfe zäh und hartnäckig, um die Quelle meines Übels zu verteidigen. Alle inneren Bemühungen haben die Tendenz, dem Satori entgegenzuarbeiten, da sie nach „oben" zielen, während das Satori „unten" auf mich wartet. Daher sagt die Zenlehre mit Recht, daß das Satori unvorhergesehen über uns komme, wenn alle Kräfte unseres Wesens erschöpft sind. Diese Betrachtungen scheinen auf die Demut als „Weg" hinzuweisen und haben damit auch in mancher Hinsieht recht. Dennoch müssen wir klar erkennen, daß die Demut kein „Weg" ist, sofern wir uns unter diesem Ausdruck eine systematische Disziplin vorstellen. In meiner jeweiligen Lage ist es mir ganz unmöglich, mich irgendeiner Bemühung zu unterziehen, die etwa nicht nach „oben" zielte. Jede Bemühung, die Demut zu erreichen, kann nur zu falscher Demut führen, in der ich durch das so von mir erschaffene neue Idol hindurch noch immer mein Ego steigere. Es ist mir ganz unmöglich, mich selbst zu erniedrigen, d. h. selbst die Intensität meines „Seins"-Anspruchs herabzumindern. Alles, was ich tun kann u n d soll, wenn ich der Angst endgültig entkommen will, besteht darin, den Lehren der konkreten Wirklichkeit immer weniger zu widerstreben, mich immer besser vor dem Offenbarwerden der kosmischen Ordnung zu beugen. Und selbst hier gibt es nichts, was ich unmittelbar „tun" oder „lassen" könnte. Ich werde lediglich aufhören, mich der konstruktiven, harmonisierenden Wirkung der Demütigung entgegenzustellen, sobald ich
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verstanden habe, daß das wahre Gut paradoxerweise da zu suchen ist wo ich bisher den Sitz des Übels vermutete. Solange ich noch nicht das rechte Verständnis besitze, blicke ich unablässig nach "oben", sobald ich richtig verstehe blicke ich nicht mehr dorthin - denn nach „unten" zu blicken ist mir vorerst nicht möglich, und jede Bemühung in dieser Richtung würde doch nur das "unten" in ein „oben" verkehren. Doch wird auf alle Fälle mein angestrengtes Streben nach oben nachlassen, und so bin ich imstande, die wohltuenden Wirkungen der Demütigung zu erfahren. Sobald ich das rechte Verständnis erlangt habe, lässt mein Widerstand nach, und deshalb erkenne ich auch immer häufiger die Demütigungen, die mir widerfahren, ich werde dann einsehen, daß alle negativen Zustände im Grunde Demütigungen waren und daß ich ihnen bisher nur andere Namen gegeben hatte. Dadurch werde ich die Fähigkeit erlangen mein Gedemütigt und Gequält sein zu sehen, ohne neben diesem Bild noch ein anderes aufzurichten und in diesem Zustand bewegungslos zu verharren; denn meine Einsicht wird mir alle Fluchtversuche unmöglich gemacht haben. Von dem Augenblick an, da es mir gelingt, mich im Zustand der Demütigung nicht mehr von der Stelle zu bewegen, werde ich zu meiner Überraschung erkennen daß hier der " Ort der Ruhe " ist, das einzige Tor zum Heil und die einzige Stelle der Welt, wo ich vollkommen geborgen bin. Wenn ich nun an diesem Zustand festhalte, anstatt, wie sonst, ihn abzulehnen, kann das Wirken des versöhnenden Prinzips einsetzen. Die Gegensätze werden ausgeglichen und mein Leiden verschwindet und damit auch ein Teil meines ursprünglichen Anspruchs. Ich fühle mich wieder auf dem Erdboden, wieder „unten" in der wahren Demut (einer Demut, die nicht etwa meine Inferiorität als solche bejaht, die aber auf das "vertikale" System verzichtet, durch welches ich mich andauernd „über"-oder „unter"legen fühlte). Derartige innere Vorgänge werden vom Gefühl der Trauer, der „Nacht" begleitet, und doch unterscheidet sich dieses Gefühl von der Angst, da es von einer großen Ruhe durchdrungen ist. In diesem Zeitraum sichtlicher Ruhe und vollkommener Selbstaufgabe vollziehen sich die Prozesse der von uns so genannten inneren „Alchemie". Der „alte Mensch" löst sich auf da ein „neuer Mensch" ans Licht will. Um der Geburt des Universalen willen stirbt das Individuelle. Wer die wahre Demut erreichen will - was auf direktem Wege unmöglich ist - muss also zuvor auch die Demütigung annehmen. Jedes Leid vermag uns durch das Demütigende darin zu verwandeln. Doch kann diese Wandlung auf zweierlei Weisen vor sich gehen: wenn wir gegen die Demütigung kämpfen, zerstört sie uns und steigert unsere innere Disharmonie, wenn ich jedoch der Demütigung Raum gebe, ohne ihr entgegenzuwirken, wird sie mir zu innerer Harmonie verhelfen. Dieses Gewähren lassen besteht ganz einfach darin, daß man vor sich selbst ohne Umschweife zugibt, gedemütigt zu sein. Das „Sein" stellt sich uns von diesem Gesichtspunkt aus als die noch nicht versöhnte Dualität von Null und Unendlich dar. Anfangs werden wir durch unsere natürliche Wesensstruktur dazu verleitet, das Sein mit dem Unendlichen
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gleichzusetzen und zu versuchen, durch einen ununterbrochenen „Aufstieg" es in dieser Form einmal zu erreichen. Doch ist dieser Versuch zum Scheitern verurteilt, da das Unendliche nicht durch ein Erklimmen immer höherer Stufen des Endlichen erreicht werden kann. Der Weg zum „Sein" ist nicht das Unendliche, sondern die Null, die aber wiederum kein „Weg" sein kann, da sie ja „nichts" ist. Der Gedanke, daß die Demut kein „Weg" ist, ist von solcher Bedeutung, daß wir ein letztes Mal darauf zurückkommen müssen. Denn solange ich dies nicht begriffen habe, werde ich immer den oder jenen Anspruch innerhalb des konkreten Lebens aufgeben wollen, werde ich vielleicht mich mit einem nur mittelmäßigen sozialen Rang zufrieden geben usw. Das aber hieße die Demütigung meiden, statt sie sich zunutze zu machen. Geheuchelte Demut ist und bleibt geheuchelt. Es kann sich nicht darum handeln, meine ursprünglichen Ansprüchen ändern, sondern darum, in richtiger Weise von den einleuchtenden Erkenntnissen Gebrauch zu machen, die mir im Verlauf der Auswirkungen jener Ansprüche zuteilwerden dank des demütigenden Scheiterns, zu dem sie zwangsläufig führen müssen. Höre ich jedoch nur künstlich auf, das Nicht-Ich zu bekämpfen, so beraube ich mich selbst der unerlässlichen Belehrung, die mir aus meinen Niederlagen erstehen kann. Der Gedanke der Demut bildet, auch wenn dieser Tatsache nicht immer Ausdruck verliehen wird, den Mittelpunkt der Zenlehre. In der gesamten Literatur des Zen können wir durchgängig die Beobachtung machen, wie die Zenmeister in einem ihnen geeignet erscheinenden Augenblick ihre Schüler zutiefst demütigen. Ob diese Demütigung nun durch einen Meister oder durch ein selbst erlebtes Scheitern kommt, das Satori wird immer in einem Augenblick ausgelöst, da die Demütigung ihre Vollendung erfährt vor der endlich ans Licht tretenden Sinnlosigkeit aller ehrgeizigen Bemühungen. Denken wir immer daran, daß das „Wesen der Dinge " der beste, der liebevollste und unnachsichtigste Lehrmeister ist, der uns mit seiner wachsamen Hilfe umgibt. Die einzige Aufgabe, die uns zuteilwird, besteht darin, die Wirklichkeit zu verstehen und von ihr uns wandeln zu lassen.
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NACHWORT Einige Leser dieses Werkes haben sich nach Kenntnis des ersten Teils die Frage nach dem eigentlichen Ursprung der in ihm enthaltenen Gedanken vorgelegt. Es traten ihnen fest umrissene und oftmals paradoxe Begriffe hinsichtlich der Situation des Menschen entgegen und führten sie begreiflicherweise zu der Frage: „Wem ist diese Auffassung zuzuschreiben? Inwieweit ist das Denken, das uns hier begegnet, Eigentum der Zenmeister und inwieweit entstammt es dem Geiste des Verfassers dieses Buches?" Diese Reaktion hat mich zwar, als sie mir zu Ohren kam, nicht weiter erstaunt, jedoch hatte ich sie auch nicht vorausgesehen. Warum dies so ist, möchte ich hier aufklären und dabei einige Ideen über die Beziehung zwischen einer intellektuellen Wahrheit und der Individualität des Menschen, von dem sie konzipiert wird vorlegen, die mit der Lehre des Zen übereinstimmen. Erinnern wir uns zunächst daran, wie tiefgreifend der Unterschied ist, den die Vedanta zwischen der Wirklichkeit und den Wahrheiten macht. Es gibt nur eine Wirklichkeit, die das Prinzip jeder Manifestation ist und die alle Erscheinungen (erkenntnismäßige und andere) umfasst. Sie ist nirgends begrenzt und kann daher unmöglich auf irgendeine Formel gebracht werden, d. h. sie lässt sich nicht in Worte fassen. Dagegen gibt es eine nicht festlegbare Anzahl von einzelnen Wahrheiten, welche die von unserem geistigen Bewußtsein richtig erfassten Aspekte der Brechungen der Wirklichkeit auf der Ebene des menschlichen Intellektes sind. Jede formulierbare Wahrheit ist jeweils nur ein intellektueller Aspekt der Wirklichkeit, der andere, gleicherweise gültige Aspekte keineswegs ausschließt; denn jede formulierbare Wahrheit hat ihre G r e n z e n , innerhalb derer sie existiert und außerhalb derer sie zu existieren aufhört. Innerhalb ihrer Grenzen bringt eine Wahrheit die Wirklichkeit zum Ausdruck, außerhalb ihrer Grenzen gelingt ihr das jedoch nicht. So muss also jede Wahrheit als eine Zweiheit angesehen werden: einmal, soweit, sie die Wirklichkeit zum Ausdruck bringt - d. h. soweit sie gültig ist - und zum andern, soweit sie diese nicht zum Ausdruck bringt, d. h. soweit sie keine Gültigkeit besitzt. Diese Unterscheidung wird es uns ermöglichen, den Begriff der Wahrheit mit den Begriffen des Individuellen und des Universalen in Verbindung zu bringen. Was geht nun in meinem Innern vor, wenn ich eine Wahrheit entdecke, d.h., wenn sich mir plötzlich der verbindende Bezug zwischen bisher getrennten intellektuellen Elementen offenbart? Ich fühle genau, daß ich jene neue Wahrheit nicht selbst aus altem Stoffe geschaffen habe, ich habe sie überhaupt nicht geschaffen, ich habe sie empfangen, sie ist in einem Augenblick innerer Gelöstheit in mein Bewußtsein getreten. Woher kam sie? Aus einer Quelle in meinem Innern, aus der Quelle aller organischen und geistigen Erscheinungen. aus denen ich
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zusammengesetzt bin, aus dem Prinzip, von dem ich eine individuelle Verkörperung bin, aus dem Prinzip, das die Welt erschafft, wie es mich erschafft. Das will sagen, daß die von mir erkannte Wahrheit von "irgendetwas" Universalem herkam. Aus dem Universalen stammend, hat meine Wahrheit in meinem individuellen Bewußtsein eine Form, eine Begrenzung angenommen. Sie hat sich in meinem geistigen Bewußtsein „formiert'' in Übereinstimmung mit meiner besonderen Anlage, mit dem mir eigenen Denkstil Mit dieser Form hat die von mir entdeckte Wahrheit die Möglichkeit gewonnen, konzipiert und formuliert zu werden. Doch ist dieser Aspekt, der ein Ausdruck der ursprünglichen Wirklichkeit und daher gültig ist, nicht der einzige, den sie, gewonnen hat, denn sie hat auch jenen andern Aspekt, der nicht ein Ausdruck der Wirklichkeit und daher wertlos ist, mit erworben. Die von mir formulierte Wahrheit ist, insoweit sie die Wirklichkeit zum Ausdruck bringt, universaler Art. Sie ist hingegen individueller Art, insoweit sie diese Wirklichkeit nicht zum Ausdruck bringt und daher auch keine Gültigkeit besitzt. Anders ausgedrückt könnte man sagen: Was an der Wahrheit, die ich formuliere, Gültigkeit hat und der Beachtung wert ist, stammt nicht von mir als einem von andern sich unterscheidenden Individuum her, hat also sozusagen nichts mit meiner privaten Person zu tun. Sobald ich das einmal verstanden habe, interessiere ich mich nicht länger für das individuelle Gehirn, in dem die eine oder andere Wahrheit Gestalt gewonnen hat, denn dieses individuelle Gehirn ist ja nur der Empfänger, der eine bestimmte Botschaft aufgenommen hat. Wenn auch zwischen der Ausdrucksform von Gedanken und der persönlichen Eigenart des Menschen, der ihnen Ausdruck verleiht, eine greifbare Beziehung besteht, so besteht doch keinerlei Beziehung zwischen der persönlichen Eigenart und dem W a h r h e i t s g e h a l t der Gedanken, d. h. dem, was die Gedanken an Wirklichkeit zum Ausdruck bringen. So stammt wohl die formale Seite meines Buches von mir, doch ist die über allen Formen stehende Wahrheit, die in dem Wortnetz eingefangen ist und die vielleicht in Ihnen, je nach Ihrer persönlichen Anlage, bisher noch unentwickelte Gedanken erwecken wird, nicht von mir noch irgendeinem Einzelmenschen, sondern kommt ans dem Universalen. Der Anspruch auf die Urheberschaft irgendwelcher Gedanken ist abwegig. Er entsteht aus der ich-bezogenen Fiktion von Göttlichkeit, die - auf dem Grund unseres Seelenlebens verborgen - uns selbst zur Ersten Ursache des Universums machen will. In Wirklichkeit ist das Individuum niemals schöpferisch. Wenn der Mensch je schöpferisch ist, dann in universaler, anonymer Form, als Gestaltwerdung des Prinzips. In Zeitaltern, in denen echte Weisheit vorherrschte, dachten Künstler, Weise oder Denker nicht daran, den Werken, welche durch sie hindurch entstanden waren, ihren Namen aufzuprägen. Die Neugier, die wir hinsichtlich der Urheberschaft einer Lehre empfinden mögen, steht in Verbindung mit unserem Mangel an Vertrauen in die eigene geistige Intuition. Gesetzt den Fall, ich möchte mich irgendeinem „Glauben" anschließen,
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so darf ich dabei nicht übersehen, daß ich das G e f ü h l i n n e r e r G e w i s s h e i t haben muss und daß meine Intelligenz ein Recht darauf hat zu fühlen, daß es „richtig klingt", denn sonst werde ich in der Tat nach den besonderen Quellen, nach den „Autoritäten" forschen, die dieser Lehre zugrundeliegen. Warum aber in dieser Weise suchen? Ein solcher „Glaube" kann einen noch so anspruchsvollen Ursprung haben, und doch wird er in meinem Geiste ein nicht assimilierter, nicht in meine Wesensart eingebauter Fremdkörper bleiben und daher für die stufenweise Vervollkommnung meines Wesens unbrauchbar sein. Solche Überzeugungen sind wie Sandkörner, die den glatten Ablauf meines inneren Triebwerks stören. Wenn ich dagegen mit geistigen Elementen, die ich zerlegen und nach meinem eigenen Stil wieder neugestalten kann, nach und nach echtes Verständnis aufbauen will, so werde ich ohne Vorurteile überall suchen, ohne Betrachtung der Person, deren Äußerungen ich höre oder lese. Dann habe ich möglicherweise auch die Bereitschaft, in dieser oder jener berühmten Lehre tatsächlich nichts für mich zu finden, jedoch aus einer kaum bekannten Quelle echte Offenbarungen zu erhalten. Der individuelle Mensch, dessen Gedankenwelt ich mich nähere, ist mir gleichgültig, es interessiert mich nur das, was vielleicht eine in mir noch schlummernde Wahrheit zum Leben erwecken könnte. Das Evangelium interessiert mich, weil ich in ihm mit überzeugender Gewissheit eine tiefe Lehre finde, doch die Diskussion über die Historizität der Gestalt Jesu lassen mich gleichgültig. Wenn ich die „Hohe Lehre" so geschrieben habe, wie sie hier vorliegt, ohne genaue Belege und ohne eine Grenze zu ziehen zwischen den Gedanken, die im Gehirn der Zen-Meister und denen, die in meinem eigenen Gehirn sich herausgebildet haben, so deshalb, weil ich selbst nicht in der Lage bin, eine solche Unterscheidung vorzunehmen. Nachdem ich einen Teil der Zen-Literatur gelesen und mit dem Gefühl der Gewissheit daraus eine lebendige Erleuchtung empfangen hatte, ließ ich meinem eignen Denken freien Lauf. Wenn wir ohne vorgefasste Ideen unseren Geist frei gewähren lassen, drängt er vor allem danach, zu konstruieren. Durch intuitive Würfe stellt er immer reichhaltigere Verbindungslinien zwischen den geistig bereits verarbeiteten Begriffen her und setzt sie wie einzelne Teile eines Puzzle-Spieles Zusammen. Der geistige Prozess des Koordinierens und Integrierens führt zu einem immer harmonischer sich gestaltenden Ganzen, bei dem es uns einfach unmöglich ist zu unterscheiden, was an uns von außen, herangetragen wurde und was in uns selbst entstanden ist. Um es noch einmal zu sagen: eine solche Unterscheidung ist auch nicht von Interesse. Die Frage, ob ein Leser sich dem einen oder anderen der in einem Buch Gestalt gewordenen Gedanken verschreiben wird, soll nicht davon abhängig sein, von welchem Menschen dieser Gedanke konzipiert wurde, sondern nur von jenem Widerhall in seinem Innern, den wir als einzige Richtschnur erkennen und gebrauchen lernen sollten. Das bei uns stets vorwaltende Interesse für das einzelne Individuum, von welchem die Darstellung einer Lehre konzipiert wurde, steht in enger Verbindung mit dem erfolgslosen Bedürfnis, das Absolute in einem einzelnen, aus der Vielfalt
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herausgelösten Aspekt zu finden. Wenn wir einen Text lesen, in dem sich ein Gesamtzusammenhang von Ideen findet, sind wir versucht, uns dazu im ganzen zu bekennen oder ihn en bloc abzulehnen. Dies wäre einfacher und könnte uns die Anstrengung des persönlichen Nachdenkens ersparen. So kommen wir notwendigerweise auch dazu, den Verfasser einer Schrift als eine Ganzheit anzusehen, deren individueller "Wert" uns beschäftigt: Verdient er unsere Achtung oder unsere Missachtung? Diese Einstellung, die bei einem Tatsachenbericht richtig sein mag, ist nicht angebracht, wenn wir unser Denken formen und unsere Wahrheit entdecken wollen (d.h. unsere eigene geistige Schau der Wirklichkeit). Wenn ich meine eigene Wahrheit suche, muss ich wissen, daß ich sie nicht außerhalb meiner selbst finden werde. Was außerhalb von mir liegt - und was mir dazu dient, im eigenen Innern etwas zu finden - mag sich als zusammenhängendes Ganzes darstellen, doch darf ich mich nie von diesem Eindruck bestimmen lassen, da ich sonst nicht dazukäme, den analytischen Prozess durchzuführen, der eine Voraussetzung für meine persönliche Synthese, für meine geistige A s s i m i l a t i o n bildet. Die Untersuchungen des zweiten Teils verdienen diesen Hinweis mehr noch als die des ersten. Ich bin überzeugt, daß die alten Meister des Zen mir im Ganzen ihr i m p r i m a t u r gegeben hätten. Doch kommt es darauf nicht so sehr an, Sie hätten vor allem mein Bestreben gebilligt, mein eigenes Denken von jedem fremden, ebenfalls persönlichen Denken loszulösen. Erinnern wir uns an jenen Zen-Meister, der zu einem seiner Schüler sagte, als er ihn bei einer Schriftstelle bleich werden sah: " L a s s d i c h v o n d e r S u t r a n i c h t a u s d e r F a s s u n g b r i n g e n , s e i l i e b e r d u s e l b s t d e r j e n i g e , d e r s i e a u f d e n K o p f s t e l l t " , denn nur so konnte zwischen dem Schüler und der Sutra eine echte Übereinstimmung entstehen.
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