China Sourcing
Peter Faust • Gang Yang Herausgeber
China Sourcing Beschaffung, Logistik und Produktion in China
Herausgeber Dr. Peter Faust München Deutschland
ISBN 978-3-642-23263-3 DOI 10.1007/978-3-642-23264-0
Prof. Dr. Gang Yang DHL Chair of Global Supply Chain Management Chinese-German School for Postgraduate Studies Shanghai Volksrepublik China
ISBN 978-3-642-23264-0 (eBook)
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Inhalt
Teil I Einleitung 1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Wachstumsland China – Absatz- und Sourcing-Markt . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Export von immer hochwertigeren Produkten . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 „Gesundes und qualitatives Wachstum“ statt „BIP-Obsession“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Vergleiche mit anderen „LCC-Ländern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Ist Vietnam das „neue China“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 China investiert im Ausland und stellt sich bei „Rohstoffen“ gut auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Innovationsstandort China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Regionale Unterschiede und Entwicklungen in China . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Veränderung regionaler Strukturen am Beispiel Guangdong . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen . . . . . 3.1 Chinesische Unternehmen: Marktführer und Global Player – Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Der Weg zum Global Player: Beispiel Lenovo . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Der Weg zum Global Player: Beispiel Baosteel . . . . . . . . . . . 3.1.3 Der Weg zum Global Player: Beispiel Haier . . . . . . . . . . . . . . 3.2 „Markt China“ und Internationalisierung – Beispiel „Automotive-Branche“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Veränderliche Rahmenbedingungen und Verschiebung von Käuferschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Mit der E-Mobilität werden die Karten neu gemischt . . . . . . . 3.2.3 Internationalisierung chinesischer Automobilhersteller und -zulieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Trotz aller Erfolge – noch großer Aufholbedarf bei lokalen chinesischen Herstellern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . China Sourcing und Wertschöpfung in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Global Sourcing: Chancen, Herausforderungen und Trends . . . . . . . . 4.1.1 Versorgungsrisiko steigt mit der Entfernung . . . . . . . . . . . . . .
9 13 14 16 18 20 21 23 23 27 28 28 30 31 33 35 36 37 37 38 V
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Inhalt
4.1.2
4.2
4.3
4.4
4.5
4.6
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Best-Cost-Country-Sourcing: Weiterentwicklung von LCC-Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Trends im Global Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalisierung – Wegbereiter des China Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Supply Chain Design – in China und im globalen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschaffungskriterien China Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Nothing is finalized until everything is finalized . . . . . . . . . . . 4.3.2 Guanxi – gute Beziehungen sind personenbezogen . . . . . . . . 4.3.3 Nur arbeitsintensive Produkte aus China? . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Beschaffungsregionen – vom Skill Belt ins Hinterland . . . . . Chancen und Herausforderungen China Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 In der Logistik liegen die Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Streiks und steigende Lohnkosten – Standorte werden bereits verlagert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 China Sourcing heißt auch Risiken managen . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Wissen, was chinesische Lieferanten (noch) nicht können . . . 4.4.5 Zertifikate allein reichen nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Quality Made in China“ – Performance chinesischer Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 You get, what you inspect – not what you expect . . . . . . . . . . 4.5.2 Tagtägliche Aufgabe: Visualisieren und Fehler vermeiden . . . 4.5.3 Hinter der Fassade bröckelt es . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.4 Lieferantenqualität – das Management muss es wollen . . . . . 4.5.5 Positive Entwicklung bei „Quality Made in China“ . . . . . . . . Mitarbeiter-Qualifikation und -Motivation – Grundstein für „Qualität in China“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Faktor „Mensch“ in China – Qualitätstreiber oder -risiko? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Management und Mitarbeiterführung in China . . . . . . . . . . . . 4.6.3 Manchmal ist das „Wie“ wichtiger als das „Was“ . . . . . . . . . . 4.6.4 Soll-Prozesse in Handbüchern reichen nicht . . . . . . . . . . . . . .
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Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 5.1 Forschungsstand zur Ermittlung von Exportkompetenz . . . . . . . . . . . 79 5.2 Begriff der Exportkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5.2.1 Studiendefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5.2.2 Kriterien zur Bestimmung der Exportkompetenz . . . . . . . . . . 82 5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5.3.1 Indexbildung und Frageformulierungen innerhalb des Messkonzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.3.2 Ausgestaltung der Bewertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.3.3 Fazit des Ermittlungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
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5.4 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5.4.1 Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5.4.2 Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Teil II Praxisbeispiele 6
Praxisbeispiele „China Sourcing und Wertschöpfung in China – Kompetenz chinesischer Lieferanten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 China Sourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Forward Supply Base China – durchgängige Supply Chain-Verantwortung vor Ort (Thorwald Zenglein, Vibracoustic) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Erfolgreicher Einkauf von Baugruppen für Werkzeugmaschinen in China (Gerhard Lechner, Gildemeister AG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 China Sourcing – Strategien entwickeln, Lieferanten und Risiken managen (Norbert Sabatzki, Agilent Technologies Life Science) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Prozess- und Kostenoptimierung im Kontext von China-Sourcing und Wertschöpfung in China – Besonderheiten, Herausforderungen und Erfolgsansätze (Norbert Heinz, ZF Sachs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.5 China Sourcing and China as an export platform in the project business – experiences from Linde Engineering (Liu Jixun, Linde Engineering China) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.6 China Sourcing – cultural characteristics and relationship as an important factor (Karsten Buntrock/Kay Liu, Fujitsu) . . . . 6.1.7 Sourcing-Verträge mit China – Was Sie unbedingt beachten sollten (Bernd-Uwe Stucken/Felix Hess, Salans Shanghai) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Supply Chain Management in China – Herausforderungen aus Sicht eines Tier 1 Automotive Suppliers (Michael Karrer, ZF Friedrichshafen AG/Karl-Ingo Schmidt, ZF Drivetech (Hangzhou) Co. Ltd./Veli Yildirim, ZF Drivetech (Hangzhou) Co. Ltd.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Lokalisierung als Baustein einer erfolgreichen Marktbearbeitung (Christian Jaufmann, Voith) . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Werksaufbau, Anlauf-Management und Just-in Sequence in China – Beispiele und Erfolgsfaktoren (Ralf Becker, Johnson Controls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Einführung von Lean Production in China – Besonderheiten und Erfolgsfaktoren am Beispiel Leica Microsystems (David Fan, Leica Microsystems Shanghai) . . . . . . . . . . . . . .
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6.2.5
Werksrestrukturierung in China – Erfahrungen bei einer chinesischen Tochtergesellschaft (Alexander Kumpf, Hochschule Landshut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.6 Logistik in China – Lieferanten-Integration und transparente Logistik-Performance (Dirk Franke, Siemens) . . . . . . . . . . . . 6.2.7 Integratives China-Logistics-Konzept – von LCL zu FCL (Dean Gehrke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.8 China Logistics – Collaborative Supply Chain Management und Standardisierung als nächste Entwicklungsschritte (Jörg Biesemann, Continental Automotive Asia Pacific Co. Ltd) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.9 Der Einsatz von Logistik-Dienstleistern in China – 6 Praxistipps für den Tanz mit dem Service-Tiger (Stefan Bartens, BASF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.10 Strategic Partnerships with Local Logistics Service Providers in China – Concepts, Benefits and Success Factors (Janet Yang, Bayer MaterialScience (China) Co., Ltd.) . . . . . 6.2.11 Die Entwicklung des Supply Chain Management in China seit den 90er Jahren – ein Praxisbericht (Michael Döll, Techdata) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Befähigung rein chinesischer Lieferanten in frühen Phasen – Besonderheiten bei „First Contact-Lieferanten“ (Josef Weichinger, BMW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 China Sourcing – Qualität versus Technologietransfer (Hans Delesky/Ulrich Kropp/Heinz Wittmann, BorgWarner Beru Systems) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Qualitätsaudits in China – Erfahrungen aus der „frühen China-Zeit“ (Nikolaus Kollin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Kommunikation, Konzentration auf das Wesentliche, Kontrolle – Qualität bei chinesischen Lieferanten: Erfahrungen aus der Automobilindustrie (Stéphane Duminy, Brill Präzisionskomponenten GmbH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5 Die Qualitätskultur der Chinesen – ein Vergleich zwischen China und Deutschland (Lanfen Guo, Universität Freiburg) 6.4 Chinesische Best-Practice-Unternehmen: Wertschöpfungs- und Internationalisierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 BYD – in 15 years from a start-up to one of the most valuable global brand: entrepreneurship, flexibility and innovation as success factors (Henry Li, BYD) . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Fuyao – wie ein chinesisches Unternehmen den Sprung von China nach Europa schaffte (Norbert Geisinger, Fuyao Group) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IX
6.4.3
Li & Fung’s Flat World Perspective – How could China move up the value chain and compete successfully in it? (Gordon Lam, Li & Fung Group) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
Teil III Zusammenfassung 7
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Autorenverzeichnis
Dr. rer. pol., Dipl.-Ing., Dipl.-Wirtsch.-Ing. Peter Faust: Nach einem Ingenieurund einem Wirtschaftsingenieur-Studium an der Technischen Universität München promovierte Dr. Peter Faust (geb. 1970) am Lehrstuhl für Unternehmensführung, Produktion und Logistik (TU München). Von 2004 bis 2011 war Dr. Faust bei dem Beratungsunternehmen Seidenschwarz & Comp. beschäftigt. Dabei führte er in Europa und Asien zahlreiche Projekte in den Feldern „Global Supply Chain Design“, „Produktion und Versorgungslogistik“ sowie „Lean im indirekten Bereich“ durch. Dr. Faust leitete in China Projekte und Workshops zur Strategie-Entwicklung und -Umsetzung, Wertschöpfungsgestaltung und Lokalisierung sowie zur Optimierung von Produktion und Logistik. Darüber hinaus moderierte er Experten-Foren (z. B. China Logistics) und hielt Vorträge zum Thema „Supply Chain Design und Lokalisierung“ auf Kongressen und Diskussionsveranstaltungen. Dr. Faust leitete zudem die in China durchgeführte Studie „Quality Made in China“. In zahlreichen Veröffentlichungen prägt er mit konzeptionellen und praxisorientierten Beiträgen aktuelle Themen (z. B. Just-in-Sequence, Milkrun, Versorgungslogistik, Partnerschaftliche Prozessoptimierung, Zweite Lean-Welle, Lean im indirekten Bereich, Frontloading, Quality Made in China). Dr. rer. oec., Dipl.-Ing., Gang Yang (Professor des Chinesisch-Deutschen Hochschulkollegs der Tongji Universität Shanghai), Shanghai: Nach einem Wirtschaftsingenieur-Studium an der Technischen Universität Berlin promovierte Dr. Gang Yang (geb. 1973) - ebenfalls an der TU Berlin - am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Produktionsmanagement. Nach der Promotion war Dr. Yang bei dem Beratungsunternehmen McKinsey & Co. in Deutschland beschäftigt. Dabei war er im Business Technology Office tätig und begleitete verschiedene Strategieprojekte zu den Themen „Einkauf“, „Organisation“ und „Management von Großprojekten“. In 2006 kehrte Dr. Yang nach China zurück und hat seitdem den Lehrstuhl für Global Supply Chain Management an der Tongji University Shanghai inne. Parallel dazu ist Dr. Yang als China-Geschäftsführer eines deutschen Maschinenbauunternehmens in Shanghai tätig. Zu den Forschungs- und Tätigkeitsschwerpunkten von Dr. Yang gehören Themen wie „LCC Sourcing“, „SC Netzwerkoptimierung“, „Logistikorganisation“ und „Cluster Management“.
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Abkürzungsverzeichnis
Abb. AGB ASEAN ASME ASP ASS B2B B2C BCC BCCS BCI BIP BMS BYD CAD CAS CCC CEO CFO CFR CIETAC CIF CIMC CKD CM CMA CMT CNC COSCO CPI DAP DIN
Abbildung Allgemeine Geschäftsbedingungen Association of Southeast Asian Nations American Society of Mechanical Engineers Automotive Safety Products After-Sales-Services Business-to-Business Business-to-Consumer Best-Cost-Country Best-Cost-Country-Sourcing Business Competitiveness Index Bruttoinlandsprodukt Bayer MaterialScience Build Your Dreams Computer Aided Design Coatings, Adhesives and Specialties China Compulsory Certification Chief Executive Officer Chief Financial Officer Cost and Freight China International Economic and Trade Arbitration Commission Cost Insurance Freight China International Marine Containers Group Completely Knocked Down Credit Management Chinese Manufacturers’ Association Cut, Make and Trim Computerized Numerical Control China Ocean Shipping (Group) Company Corruption Perception Index Delivery at Place Deutsche Industrie-Norm XIII
XIV
DIS DDP DDU EBI EDI EDV EFI EK EKI EOP EPC ERP EU EUR EV EXW f. ff. FAW FCA FCL F&E FEU FH FMCG FMEA FOB FSB FTS GEM HCC HKIAC HQ HR IDS Incoterms IP IPO IPR ISO JCI JIT JIS JV J. v. Chr.
Abkürzungsverzeichnis
Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit Delivered Duty Paid Delivered Duty Unpaid Exportbereitschaftsindex Electronic Data Interchange Elektronische Daten-Verarbeitung Exportfähigkeitsindex Exportkompetenz Exportkompetenzindex End of Production Engineering, Procurement, Construction Enterprise Resource Planning Europäische Union Euro Electric Vehicle Ex Works folgende fortfolgende First Automotive Works Free Carrier Full Container Load Forschung & Entwicklung Forty-foot Equivalent Unit Fachhochschule Fast Moving Consumer Goods Failure Mode and Effects Analysis Free on Board Forward Supply Base Fujitsu Technology Solutions Global Entrepreneurship Monitor High-Cost-Country Hong Kong International Arbitration Centre Headquarters Human Resources Integrated Distribution Services International Commercial Terms Intellectual Property International Procurement Office Intellectual Property Rights International Organization for Standardization Johnson Controls, Inc. Just-in-Time Just-in-Sequence Joint-Venture Jahrhundert vor Christus
Abkürzungsverzeichnis
Kap. Kfz KMU KPI KVP LCC LCCS LCD LCIA LCL LED LEH Lkw LNP&P LOX LSP LSPM Mio. MIT MoM Mrd. n. Chr. NDRC OECD OEE OEM OHSAS OM OTD PCS PED Pkw P.R. of China PUR QFD QS R&D RDC RFI RFQ RMB SAIC SCC SCC SCM
Kapitel Kraftfahrzeug Kleine und Mittlere Unternehmen Key Performance Indicators Kontinuierlicher Verbesserungsprozess Low-Cost-Country Low-Cost-Country-Sourcing Liquid Crystal Display London Court of International Arbitration Less than Container Load Light-Emitting Diode Linde Engineering Hangzhou Lastkraftwagen Logistics Network Planning & Procurement Liquid Oxygen Logistics Service Provider Logistics Service Provider Management Millionen Massachusetts Institute of Technology Minutes of Meeting Milliarden nach Christus National Development and Reform Commission Organisation for Economic Co-operation and Development Overall Equipment Effectiveness Original Equipment Manufacturer Occupational Health and Safety Assessment Series Order Management On Time Delivery Polycarbonates Pressure Equipment Directive Personenkraftwagen People’s Republic of China Polyurethanes Quality Function Deployment Qualitätssicherung Research & Development Regional Distribution Center Request for Information Request for Quotation Renminbi Shanghai Automotive Industry Corporation Stockholm Chamber of Commerce Supply Chain Center Supply Chain Management
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XVI
SIAC SJJ SME SMED SOP SPC SQA SWOT Tab. TCO TDS TEU ToT TS TU TPM TQM UN US USD VAT VDA vgl. VSM WFOE WTO Yoy z. B. 3PL
Abkürzungsverzeichnis
Singapore International Arbitration Center Shenyang Jinbei Johnson Controls Small and Medium Sized Enterprises Single Minute Exchange of Die Start of Production Statistical Process Control Supplier Quality Audits Strenghts, Weaknesses, Opportunities, Threats Tabelle Total Cost of Ownership Transportation, Distribution and Safety Twenty-foot Equivalent Unit Transfer of Technology Technische Spezifikation Technische Universität Total Productive Maintenance Total Quality Management United Nations United States US-Dollar Value Added Tax Verband der Automobilindustrie vergleiche Value Stream Mapping Wholly Foreign Owned Enterprise World Trade Organization year over year zum Beispiel 3rd Party Logistics
Teil I
Einleitung
Kapitel 1
Einleitung
China wurde 2009 zum ersten Mal Export-Weltmeister. Nicht nur das Quantitative ist beeindruckend, sondern vor allem die Geschwindigkeit, wie anspruchsvolle Märkte durch chinesische Unternehmen erobert werden. Exportiert werden nicht mehr nur Textilien und Spielsachen, sondern gerade auch Mobiltelefone, Unterhaltungselektronik und Computer. Bemerkenswert ist, wie chinesische Unternehmen in innovative Felder drängen und wie diese teilweise bereits geprägt werden. Bewusst werden bestehende Technologien übersprungen, um sich gleich auf Zukunftsfelder, wie die Elektromobilität, zu konzentrieren. China ist und bleibt auf absehbare Zeit eine Exportnation, auch wenn der Binnenkonsum immer mehr eine tragende Säule der chinesischen Wirtschaftsleistung bildet und sich die Kostenvorteile chinesischer Unternehmen aufgrund der rasant steigenden Lohnkosten relativieren werden. Wie wird Chinas Aufstieg mit westlichen Augen gesehen? Der eine bewundert die fantastischen Wachstumsraten, der andere befürchtet, wenn westliche Unternehmen in China Werke bauen, geschehe dies zwangsläufig auf Kosten einheimischer Arbeitskräfte. Der eine sieht die gewaltigen Absatzchancen im wachsenden Markt China (während westliche Märkte stagnieren) – den anderen ergreift Angst, ob der scheinbar übermächtigen chinesischen Unternehmen, die zukünftig die Weltmärkte beherrschen könnten. Der eine relativiert, weil die Kostenvorteile auch in China nicht immer währen, der andere preist den Beschaffungsmarkt China als EinkäuferEldorado. Die Einschätzungen sind facettenreich, abhängig vom Blickwinkel, und zum Teil durchaus emotional. Bei aller positiven Entwicklung: Innovative Trendsetter und chinesische BestPractice-Unternehmen stellen immer noch die Ausnahme dar. Die Bandbreite des Entwicklungsniveaus der Unternehmen ist groß und beinhaltet auch einfachste Werkstätten ohne Qualitätsstandards, wie sie im Westen erwartet werden. Oft wird kundenseitig enormer Aufwand für Kontrolle und Lieferanten-Entwicklung aufgebracht, damit Qualitätsprobleme nicht im eigenen Werk oder sogar im Endprodukt aufschlagen. Die Attraktivität des China Sourcing relativiert sich, wenn nicht nur der Materialpreis als Beschaffungskriterium herangezogen wird. Zudem erkennen westliche Unternehmen langsam die Vorteile einer lokalen Beschaffung mit (westoder osteuropäischen) Lieferanten nah an der eigenen Wertschöpfung („Local for
P. Faust, G. Yang (Hrsg.), China Sourcing, DOI 10.1007/978-3-642-23264-0_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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1 Einleitung
Local“); nicht nur um Transportkosten zu sparen, sondern um flexibel auf Bedarfsschwankungen, Änderungen und Qualitätsprobleme reagieren zu können. Je mehr sich die Faktorkosten angleichen, desto mehr gewinnt dies an Bedeutung. Die Streiks im Sommer 2010, ausgegangen in Shenzhen bei Foxconn, zeigen, wie schnell ein „Flächenbrand“ entstehen kann, der zu Faktorkosten- und Versorgungsrisiken führen kann. Andere Low-Cost-Countries mit begrenztem eigenen Binnenmarkt arbeiten in der Zwischenzeit an ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit, so dass für chinesische Unternehmen Konkurrenz entsteht. Offenkundig wird dies bereits heute im chinesischen Süden, wo viele Textilunternehmen verschwunden sind, da in Vietnam, Kambodscha, Bangladesch, Myanmar, Indonesien oder in Afrika vielfach günstiger produziert wird. Manche sehen in China bereits heute kein Niedriglohnland mehr, besonders mit Blick auf die Küstenregionen. Gerade im Export müssen sich chinesische Unternehmen verstärkt auf Wettbewerb einstellen. Die Export-Kompetenz wird entscheidend für den Unternehmenserfolg vieler chinesischer Unternehmen; insbesondere dann, wenn sich das Wachstum innerhalb Chinas wieder abschwächen sollte. Chinas Wachstum wird sich ohnehin qualitativ verändern: China wandelt sich vom „Lohnfertiger“ zum entwickelten Industrieland. Bei anspruchsvolleren Produkten werden Auslandsmärkte sogar noch mehr in den Fokus rücken. Auch die Frage nach dem Global Footprint wird sich für chinesische Unternehmen in manchen Bereichen früher oder später stellen. Man kann insgesamt davon ausgehen, dass die Export-Kompetenz chinesischer Unternehmen stark divergiert und teilweise beträchtliche Entwicklungspotenziale aufweist. Um diese These zu spezifizieren und zu beleuchten, werden folgende Fragen behandelt: • Woran misst man Export-Kompetenz? • Wie erkennt man die Export-Fähigkeit („Können“) chinesischer Lieferanten? • Welche Einflussfaktoren bestimmen die Bereitschaft chinesischer Unternehmen („Wollen“) zum Export? Im Folgenden wird die wirtschaftliche Entwicklung aufgezeigt, prinzipielle makroökonomische Rahmenbedingungen werden skizziert. Der chinesische Automobilmarkt erfährt daraufhin eine vertiefte Betrachtung, weil strategisch bedeutsam und im Umbruch begriffen. In der Zwischenzeit hängt der Erfolg westlicher Automobilhersteller und -zulieferer wesentlich von China ab. Zudem wird es spannend zu erkennen, welche Chancen sich aus den derzeitigen Veränderungen in der Automotive-Branche für chinesische Unternehmen ergeben können. Trends, Chancen und Risiken des Global Sourcing dienen dann als Grundlage, um die Charakteristika des China Sourcing auszuarbeiten – mit Fokus auf das Thema „Qualität“. Typische Beschaffungskriterien und Lieferantenauswahl-Prozesse werden skizziert, um zu erkennen, an welchen Stellen das Thema „Export-Kompetenz“ aus Einkäufersicht von Bedeutung ist. Daraufhin wird ein Modell zur Ermittlung der Export-Kompetenz aufgebaut und empirisch angewendet. Mit Praxisbeispielen von (chinesischen und westlichen) China-Experten aus renommierten Unternehmen werden Erfahrungen beschrieben, Erfolgsfaktoren verdichtet und Praxistipps gegeben – aus Sicht von Einkauf, Logistik, Produktion und
1 Einleitung
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Qualitätsmanagement. Zudem beschreiben ausgewählte chinesische Best-PracticeUnternehmen, wie BYD, Fuyao oder Li & Fung, ihre Wertschöpfungs- und Internationalisierungsansätze. Mit den Praxisbeiträgen gelingt eine wertvolle Anreicherung und substanzielle Vertiefung des Werks durch unmittelbare Eindrücke und Erfahrungen, die sowohl für den „China-Einsteiger“ als auch für den „China-Kenner“ von Interesse und Nutzen sind. An dieser Stelle möchten sich die Herausgeber bei den Autoren der Praxisbeispiele herzlich bedanken! In diesem Buch soll bewusst ein ausgewogenes und ganzheitliches Bild von „China Sourcing und Wertschöpfung in China“ sowie der „Kompetenz chinesischer Lieferanten“ gezeichnet werden: chinesische und westliche Einschätzungen, Erfolgsansätze und Denkweisen reflektierend und verknüpfend – natürlich mit dem Wissen, dass nur einzelne Facetten und Aspekte der gleichsam komplexen wie dynamischen Thematik aufgegriffen werden können. Versucht wird dies mit der (durchaus gewagten und herausfordernden) Herangehensweise, unterschiedlichste Erklärungs- und Gestaltungsansätze zu einem Ganzen zu formen: grundlegende Konzepte, wissenschaftliche Modelle, empirische Studien, Trend-Recherchen sowie Praxisbeispiele mit anschaulichen (und amüsanten) Anekdoten. Erhält der Wissenschaftler beim Lesen die ein oder andere Anregung für mögliche Strukturierungsansätze, gewinnt der Praktiker ein besseres Verständnis über China und zieht die ein oder andere Idee für sein tägliches Wirken heraus, erhält der Interessierte das ein oder andere Wissenswerte, dann sollte sich das Bemühen bereits gelohnt haben.
Kapitel 2
China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung
2.1 Wachstumsland China – Absatz- und Sourcing-Markt Chinas Wirtschaftspolitik ist nach wie vor wachstumsgetrieben; allein die Regelmäßigkeit des Wachstums ist schon beeindruckend, was sich auch daran ablesen lässt, dass China zwischen 2003 und 2008 um durchschnittlich 10 % pro Jahr gewachsen ist.1 Eine zunehmende Produktivität, anhaltende Deregulierung und ein insgesamt günstiges globales Wirtschaftsklima tragen dazu bei.2 Trotz der weltweiten Wirtschaftskrise lag Chinas Wachstum 2009 bei 8,7 %; 2010 wuchs China um 10,3 % (im ersten Quartal 2010 sogar um 11,9 %), im ersten Quartal 2011 immerhin um 9,7 %. Das Wachstum wurde gerade 2009 und 2010 wesentlich unterstützt durch das 589 Mrd. US-$3 schwere Investitionspaket, das 2009 ins Leben gerufen wurde und hauptsächlich der Entwicklung des heimischen Konsums und dem Ausbau der Infrastruktur zu Gute kam.4 Das Schienennetz soll zum Beispiel in den kommenden Jahren um 120.000 km und das Straßennetz um weitere 2 Mio. km erweitert werden. Im Rahmen des zwölften Fünfjahresplans wurde zudem beschlossen, die Luftfahrt auszubauen: In den kommenden fünf Jahren sollen hierfür 1.500 Mrd. Renminbi (ca. 160 Mrd. €) investiert werden. Bis Ende 2015 sollen 45 neue Flughäfen entstehen und 88 Flughäfen erweitert werden, der Flugzeugbestand soll sich verdoppeln. Es wird geplant, dass die Zahl der Passagiere im Vergleich zu 2010 um 70 % ansteigen wird.5 Für ein immer noch exportorientiertes Land wie China ist eine ausgebaute Infrastruktur Voraussetzung für eine positive Wirtschaftsentwicklung.6 In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Investitionen nicht immer direkt durch Peking getätigt werden müssen: „China is one of the most decentralised countries in terms of investment, with 70 per cent of total public expenditure coming from the sub-national level“.7 Die zentrale Steuerung und der direkte Durchgriff der Zentralregierung auf 1
Vgl. hierzu und im Folgenden vor allem Saric (2011, S. 104) sowie Köhler (2011, S. 8 ff.). Vgl. Kuijs (2009, S. 3). 3 Wechselkurs US$ zu RMB = 6.94912. 4 Vgl. Worldbank (2010, S. 2); Kuijs (2009, S. 4). 5 Vgl. Schaaf (2011b, S. 8–9). 6 Vgl. Tille (2010, S. 7). 7 Luo (2010, S. 20). 2
P. Faust, G. Yang (Hrsg.), China Sourcing, DOI 10.1007/978-3-642-23264-0_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
7
8
2 China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung 16 14.3 14 12 10 8 6
5.1
4.9 3.4
4
2.7
2.2
2.1
1.6
1.2
1.2
Italien
Brasilien
Indien
Russland
0.9
7.1
9.4
4.3
2 0 Reales BIP Wachstum in %
USA
Japan
3.3
2.4
China Deutschland Frankreich UK 10.5
1.4
1.4
1.2
Abb. 2.1 Chinas BIP im Vergleich zu anderen wichtigen Handelsnationen in Billionen US-Dollar. (Quelle: Eigene Abb. mit Daten von IMF 2010)
die Provinzen sind manchmal geringer als man vielleicht vermutet – wenngleich nachvollziehbar, denkt man nur an die schiere Größe des Landes. Als Folge des Wachstums der letzten Jahre hat China im Jahr 2010 Japan als zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt abgelöst – mit einer Wirtschaftsleistung von ca. 5.900 Mrd. US-$ . Der Aufstieg auf den zweiten Platz wurde rund fünf Jahre früher geschafft, als selbst Optimisten erwartet hatten.8 Wie in Abb. 2.1 dargestellt, zeigt sich, dass China im Jahr 2009, gemessen am jährlichen BIP, noch die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt war. Eindrucksvoll ist auch der Trend bei den Investitionen, zu deren globalem Wachstum die Chinesen im Jahr 2010 sieben Prozentpunkte beitrugen (im Vergleich: die USA nicht einmal einen). 2010 investierten ausländische Firmen erstmals mehr in China als in den USA.9
2.1.1
Export von immer hochwertigeren Produkten
Diese dauerhaft hohen Wachstumsraten haben Chinas Anteil am weltweiten Handel nachhaltig gestärkt. Laut Berechnungen der OECD betrug Chinas Anteil am weltweiten BIP im Jahr 2008 7,2 %.10 Zwischen 1978 und 2008 wuchs Chinas Exportvolumen um jährlich 18,1 % auf 1,471 Billionen US-$ im Jahr 2008. Nach einem leichten Rückgang 2009 auf 1.204 Mrd. US-$ geht man für das Jahr 2010 von einem Exportvolumen von 1.505 Mrd. US-$ aus. Chinas Exporte nahmen 2010 10,4 % der weltweiten 8
Vgl. O’Neill (2011, S. 24). Vgl. Fricke (2011c, S. 31). 10 Vgl. Herd (2010, S. 24). 9
2.1 Wachstumsland China – Absatz- und Sourcing-Markt
9
Ausfuhren ein (Deutschland: 8,3 %).11 Die Warenausfuhr aus China hat sich in den letzten 15 Jahren verzehnfacht. China wurde 2009 mit einem Export-Volumen von 840 Mrd. € zum ersten Mal Export-Weltmeister und überholte dabei Deutschland, während man noch 1980 mit lediglich 1 % am globalen Exportvolumen auf Platz 23 lag. Längst sind es nicht mehr nur Textilien und Spielwaren, die exportiert werden; sie nehmen beispielsweise nicht einmal mehr ein Fünftel des Export-Volumens nach Deutschland ein. Mobiltelefone, Unterhaltungselektronik, Halbleiter sowie PCund Telekommunikationsausrüstung mit jährlichen Wachstumsraten von 25 % und mehr bilden den Motor des steigenden Exportvolumens. Der Ausstoß von Mobiltelefonen erreichte in manchen der vergangenen Jahre bis zu 500 Mio. Einheiten! Auch der Schiffsbau wird von China dominiert: 2010 entfielen 42 % der weltweiten Schiffproduktion auf China. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete man ein Wachstum von ca. 25 %.12 Selbst im Maschinenbau, Domäne der deutschen Wirtschaft, bekommen chinesische Unternehmen immer mehr Gewicht. China gehört zu den weltweit wichtigsten Herstellern von Werkzeugmaschinen. Chinesische Unternehmen dürften zunehmend den etablierten Anbietern auch auf deren Heimatmärkten begegnen. Verschärfte Zollregeln für den Import von Werkzeugmaschinen zur Stärkung der heimischen Industrie sowie die von der Regierung eingeführten Exportzuschüsse zur Förderung der Internationalisierung chinesischer Hersteller unterstützen dabei.13 Im Ergebnis macht Chinas Exportsektor heute ca. 33,4 % des BIP aus. Besonders derAußenhandel mit Deutschland hat stark an Bedeutung gewonnen. Sowohl Importe aus China als auch Exporte nach China lagen 2010 auf einem Allzeit-Hoch. Während die chinesischen Ausfuhren um 32 % stiegen, legten die Importe aus Deutschland um 40 % zu. China ist 2010 zu Deutschlands wichtigstem Lieferanten aufgestiegen. Größtes Abnehmerland für chinesische Waren bleiben die USA, die Bedeutung Deutschlands ist seit der Krise aber gewachsen; für die Zukunft wird erwartet, dass das Gewicht des deutschen Absatzmarktes weiter zunimmt: Deutsche Konsumenten werden mehr chinesische Produkte auch in anspruchsvolleren Kategorien erwerben, weil diese in der nächsten Zeit noch preiswerter bleiben, die Qualität aber immer mehr aufschließt.14 Mittelfristig wird sich allerdings auch China immer mehr vom Billiglohnland verabschieden, was sich auch auf die Preise auswirken wird.
2.1.2
„Gesundes und qualitatives Wachstum“ statt „BIP-Obsession“
Im Jahr 2008 wurden noch Waren im Wert von 1.132 Mrd. US-$ importiert. Laut Berechnungen der Weltbank konnte der Handelsbilanzüberschuss in ersten Halbjahr 11
Vgl. Kaelble (2011b, S. 14). Vgl. Schaaf (2011c, S. 10–11). 13 Vgl. Fazlic (2010, S. 11–12). 14 Vgl. Kaelble und Ohanian (2011a, S. 9). 12
10
2 China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung
2010 um mehr als 50 % im Vergleich zu 2008 gesenkt werden.15 Das Handelsplus Chinas sank 2010 um über 6 % auf ca. 180 Mrd. US-$. Vor der globalen Wirtschaftskrise übertrafen Chinas Ausfuhren die Importe noch um 300 Mrd. US-$. Ausschlag gebend sind vor allem die 2010 um fast 40 % gestiegenen Importe. Die Ausfuhren des Exportweltmeisters stiegen um 31 %. Die wachsenden Einfuhren spiegeln Chinas aufkommendes Binnenwachstum wider. Der private Verbrauch wuchs 2010 prozentual stärker als das Bruttoinlandsprodukt; die Einzelhandelsumsätze kletterten 2010 um 19,1 % und damit schneller als in den vergangenen Jahren. China arbeitet seit längerem daran, den privaten Konsum zu stärken, um weniger von Investitionen und Ausfuhren abhängig zu sein. Gleichwohl stiegen auch 2010 die Investitionen mit 23,8 % wiederholt deutlich stärker als die Gesamtwirtschaft; vornehmlich der Bauund Häusersektor gilt als überhitzt. China unternimmt ernsthafte Bemühungen für ein gesünderes Wachstum, das auch nur noch bei 7 % liegen soll; bereits im vorigen Fünfjahresplan hatte Peking allerdings 7,5 % pro Jahr vorgegeben: Am Ende kamen allerdings im Schnitt rund 11 % heraus. Es bleibt also eine Herausforderung – auf der anderen Seite: Wie viele (stagnierende) Länder gibt es, die sich gerne Gedanken machen würden, wie sie ihr Wachstum begrenzen könnten? Internationale Ökonomen sehen indes gute Chancen, dass es China gelingen wird, das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren zumindest ausgeglichener zu gestalten. Das Motto lautet: Exporte stabilisieren, Importe steigern und damit einen niedrigeren Überschuss realisieren. Peking will zum Beispiel 2011 die Einfuhrzölle senken und die Handelsbürokratie abbauen. Das Streben nach einer ausgeglichenen Handelsbilanz schlägt sich im zwölften Fünfjahresplan nieder: Die Mindestlöhne sollen von 2011 bis 2015 um durchschnittlich 13 % pro Jahr steigen; das Realeinkommen der Haushalte soll in den kommenden fünf Jahren um 7 % steigen. Die Einkommensunterschiede und die Abhängigkeit von Absatzmärkten im Ausland sollen gesenkt werden und somit auch die Notwendigkeit, einer künstlich unterbewerteten Währung. China will zudem weg von seiner Rolle als exportorientierter „Werkbank der Welt“ und sieben strategische Wachstumsindustrien fördern: Biotechnologie, neue Energien, Energiesparen, neuartige Antriebe, neue Materialien, hochwertige Ausrüstungsgüter sowie Informationstechnologie der nächsten Generation. Zudem will China den Beitrag des Dienstleistungssektors zum Bruttoinlandsprodukt um vier Punkte auf 47 % erhöhen.16 Eine große Herausforderung liegt in der Bekämpfung der Inflation. Im November 2010 kam es zu einem 28 Monate-Hoch von 5,1 % Preissteigerung; die Immobilienpreise stiegen um 5,8 %. Die Lebensmittelpreise legten sogar um 11,7 % zu (Obst kostete im Januar 2011 um 35 % als ein Jahr zuvor). Im Mai 2011 stieg die Inflation sogar auf 5,5 %. In der Dekade bis 2009 lag die Inflationsrate im Schnitt bei nur 1,6 %: Die Menschen sind an niedrige Inflationsraten gewöhnt, sodass hohe Inflation leicht zu sozialem Unfrieden führen kann. In vielen Provinzen wurden die Mindestlöhne um mehr als 10 % erhöht, nicht nur um den Binnenkonsum zu stärken, sondern auch 15
Vgl. Worldbank (2010, S. 5). Vgl. Ohanian und Kühl (2011, S. 14); vgl. Kühl und Ohanian (2011a, S. 14); vgl. Fahrion und Kühl (2011, S. 9).
16
2.1 Wachstumsland China – Absatz- und Sourcing-Markt
11
um die steigende Inflation sozial abzufedern. Die chinesische Notenbank forciert mit Zinserhöhungen den Kampf gegen die Inflation, um Kreditvergaben zu drosseln. Allein zwischen Oktober 2010 und März 2011 wurden viermal die Zinsen erhöht. Die geforderten Mindestreserven für Geschäftsbanken wurden zur Begrenzung der Geldmenge im Juni 2011 auf 21,5 % erhöht.17 Um die Inflation zu bekämpfen, wird außerdem eine Aufwertung des Renminbi erwartet: für das Jahr 2011 geht man von rund 5 % aus.18 Eine komplette Freigabe des Wechselkurses würde derzeit allerdings nicht nur der chinesischen Exportwirtschaft schaden, sondern auch die Schuldenlast der chinesischen Banken und (Staats)Unternehmen verschärfen.19 Aufgrund der Bedeutung der Preisentwicklung werden Unternehmen im konsumgüternahen Bereich angehalten, auf höhere Preise zu verzichten. Der Konsumgüterkonzern Unilever hat zum Beispiel im April 2011 aus diesem Grunde Preiserhöhungen verschoben: Nachdem die Medien gemeldet hatten, dass vier Konsumgüterkonzerne – darunter auch Unilever – die Preise um 5 bis 15 % erhöhen, kam es zu Hamsterkäufen von Shampoo, Seife und Waschmittel. Neben Unilever haben auch die Guangzhou Liby Enterprise Group und Tingyi die geplante Preiserhöhungen zurückgestellt (Liby ist ein führender Waschmittelhersteller, Tingyi produziert die Hälfte von Chinas Fertignudeln). Als Tingyi bekannt gab, man werde die Preise vorerst doch nicht anheben, begründete man dies damit, dass es Anzeichen gebe für eine Stabilisierung der Rohstoffpreise . . . 20 China steht am Beginn eines Wandels vom Schwellenland zum hoch entwickelten Industrieland – und verfolgt in einer nächsten Phase ein neues Wachstumsmodell. Hierfür werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2015 auf 2,2 % des BIPs steigen. Die Herausforderung für China liegt in der Bewältigung des Übergangs: Arbeitsintensive Industrien werden schrumpfen, neue Arbeitsplätze werden in Städten im inländischen Dienstleistungsbereich entstehen; der Export wird sich „qualitativ“ weiterentwickeln. Die Bewältigung der erheblichen Umweltprobleme stellt eine weitere Herausforderung dar. Erstmals enthält der neue Fünfjahresplan konkrete Umweltziele, die auch für die lokale Ebene bindend sind. Bis 2015 soll der Energieverbrauch pro Einheit Wirtschaftsleistung um 16 % und der Kohlendioxidausstoß um 17 % gesenkt werden. Der Wasserverbrauch pro Einheit industrieller Produktion soll sogar um 30 % zurückgehen. Während die „China Daily“ bereits schrieb, dass sich China von der „BIP-Obsession“ verabschiede, dürfte es trotzdem nicht einfach werden, Umweltschutz und sozialen Ausgleich quer durchs Land durchzusetzen.21 „Lokalregierungen kümmern sich eher um Profit als um die Umwelt oder um Vorgaben aus Peking.“22 „Although China is ruled by a Communist government today, access is still limited. Local governments still control the rural 17
Vgl. Fügemann (2011, S. 21). Vgl. Kühl und Ohanian (2011b, S. 16); vgl. Schäder und Schrörs (2011, S. 15); vgl. Kühl (2011a, S. 14); vgl. Kirchner (2011, S. 15). 19 Vgl. Fazlic (2011, S. 19). 20 Vgl. Waldmeir et al. (2011, S. 5). 21 Vgl. Spence (2011, S. 24); vgl. Kühl (2011b, S. 9). 22 Fahrion (2011, S. 13). 18
12
2 China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung
areas and interpret the laws generated in Beijing. Consequently, you can expect that laws may be interpreted and applied in different ways depending on the local officials and police.“23 Wie lange kann das Wachstum in China noch so weitergehen? Hat man nicht auch in den Achtzigern geglaubt, Japans Erfolgsstory ließe sich immerzu fortschreiben? Wird es sich einpendeln oder kommt es irgendwann zum „Crash“? Keiner weiß es. Die jüngste Vergangenheit zeigt, dass Prognosen meist nicht die Realität getroffen haben. Doch dass das Land mittel- und langfristig jedes Jahr zweistellig wachsen kann, ist kaum vorstellbar (davon abgesehen, werden ohnehin nur 7 % angestrebt). Offenbar gibt es Muster, die sich aus Erfahrungen mit anderen Ländern aus der Vergangenheit ableiten lassen: Entsprechend genereller Wirtschaftsmodelle von Ökonomen werde bei aufholenden Ländern das Wachstum lange dadurch getragen, indem Know-how aus dem Ausland importiert wird und inländische Arbeitskräfte von der Landwirtschaft in die Industrie wechseln – so lange, bis der Industrieanteil eine gewisse Grenze24 erreiche, woraufhin sich das Wachstum verlangsame.25 Wachstum könnte mittelfristig vor allem durch die Überalterung beeinträchtigt werden; denn diese dürfte dazu führen, dass Arbeitskräfte in China zunehmend knapper und dadurch die Löhne steigen werden. Das bisher scheinbar unerschöpfliche Reservoir an Arbeitern sorgte für niedrige Produktionskosten und machte China zur Werkbank der Welt. In China leben 1,34 Mrd. Menschen (davon die Hälfte in Städten): 13 % sind älter als 60 Jahre, der Anteil der unter 16-jährigen liegt bei 17 % (im Vergleich: jeder dritte Inder ist unter 14 Jahre alt). Besonders spürbar wird die Überalterung in Chinas Küstenregionen und in den Metropolen. Knapp ein Viertel aller Shanghaier sind über 60 Jahre alt (rund 3,3 Mio. Menschen). Über eine Lockerung der Ein-Kind-Politik wird bereits nachgedacht.26 Die „China-Zweifler“ sehen schon bald den großen Einbruch kommen. Allerdings lassen sich einige Gründe finden, die darauf hinweisen, dass China für die Zukunft nicht schlecht aufgestellt ist. „Im Gegensatz zum Westen, wo von Strategie überhaupt keine Rede mehr sein kann, gestaltet China den Übergang anhand eines Systems, um seine Nachhaltigkeitshindernisse zu lösen.“ China verfügt sowohl über „die Disziplin als auch über die Mittel, seine Strategie erfolgreich durchzuführen.“27 Weitere Gründe, die dafür sprechen könnten, dass sich in China eine grundsätzlich positive Entwicklung fortsetzen wird: Durchsetzungskraft (außerdem hat China aus Krisen gelernt und ist in der Lage, bei Bedarf seinen Kurs zu ändern), Rücklagen (die inländische Sparquote beträgt 50 %; damit entsteht eine Investitionsbasis; enorme
23
Coates (2009, S. 10). Empirischen Untersuchungen zufolge liegt diese Grenze in der Regel bei knapp einem Viertel der Beschäftigung: ein Wert, den China in den nächsten Jahren erreichen wird; vgl. Fricke (2011b, S. 31). 25 Die Gefahr eines Einbruchs steige offenbar, wenn der Inlandskonsum unter 60 % liege, die Währung unterbewertet sei und je älter die Bevölkerung sei; vgl. Fricke (2011b, S. 31). 26 Vgl. Kaelble (2011c, S. 14); vgl. Kühl (2011d, S. 14). 27 Roach (2011, S. 24). 24
2.2 Vergleiche mit anderen „LCC-Ländern“
13
Fremdwährungsreserven zur Bewältigung externer Schocks sind vorhanden), Migration vom Land in die Städte (Grundlage für Investitionen in Infrastruktur und Wohnungsbau), Entwicklungspotenzial Konsum, Potenzial bei Dienstleistungen, ausländische Direktinvestitionen, Ausbildung und Innovation.28
2.2 Vergleiche mit anderen „LCC-Ländern“ Seit vor ca. zehn Jahren der Begriff BRIC (Brasilien – Russland – Indien – China) geprägt wurde, hat sich viel verändert. Längst wird für Länder wie China nach neuen Kategorien gesucht. Kann man noch von einem „Schwellenland“ sprechen? Kann man noch von einem „Low-Cost-Country“ sprechen? Sollte man eher von einem „Industrieland“ oder von einem „Wachstumsland“ sprechen? Länder wie China sind so stark gewachsen und haben sich so weit entwickelt, dass man sie eigentlich nicht länger als „aufstrebende Märkte“ im traditionellen Sinne betrachten kann, da sie sich doch wesentlich unterscheiden von anderen emerging countries.29 Die BRIC-Staaten haben die Phase des vor allem exportgetriebenen Wachstums hinter sich gelassen. Dank einer aufkommenden Binnendynamik sind sie eine eigenständige Stütze der Weltkonjunktur geworden. Die Krise konnte ihnen – mit Ausnahme von Russland – wenig anhaben; im Gegenteil: DieAufholjagd hat sich beschleunigt. Während Chinas Wirtschaft im Krisenjahr 2009 um rund 9 % wuchs, brach die US-Wirtschaft um knapp 3 % ein, Deutschland um fast 5 %. Das Gewicht der BRIC-Länder wird weiter zulegen; ihnen kommt zugute, dass sie ihre Staatsfinanzen im Griff haben. Das verleiht ihnen einen Vorteil gegenüber USA, Japan und Europa.30 In diesem Zusammenhang sind auch Chinas Währungsreserven zu sehen. Durch den ständigen Zukauf von US-amerikanischen Staatsanleihen stiegen diese innerhalb einer Dekade von 150 Mrd. US-$ auf 2,4 Billionen. Eine gegenseitige Abhängigkeit der beiden Supermächte ist evident. Mit dem Aufkauf von US-Dollars finanziert China nicht nur die ausufernden Schulden der USA, sondern ermöglicht, die eigene Währung auf einem unterbewertetem Niveau zu halten, was der eigenen Exportwirtschaft wiederum hilft.31 Länder wie China sind nicht mehr nur unter dem Export-Aspekt zu betrachten, stattdessen entstehen für westliche Unternehmen Chancenmärkte auf derAbsatzseite. Was sich seit einiger Zeit andeutet, hat nach Ausbruch der Finanzkrise eine neue Dimension erreicht: Der China-Absatz westlicher Firmen hat sich in kurzer Zeit so beschleunigt, dass China zu einem Wachstumsfaktor für das Ausland geworden ist. Deutschlands Verkaufszahlen nach China steigen zwar seit Jahren, nur seit Anfang 2009 haben sie sich um noch mal rund 75 % erhöht. 2010 dürften die Chinesen zum 28
Vgl. Roach (2011, S. 24). Neben den BRIC-Staaten ist zunehmend Augenmerk auf Länder wie Südkorea, Indonesien, Mexiko oder die Türkei zu legen; auch der Begriff „BRICS“ ist schon gefallen (inkl. Südafrika). 30 Vgl. O’Neill (2011, S. 24); vgl. Kaelble et al. (2011, S. 17). 31 Vgl. Fazlic (2011, S. 18). 29
14
2 China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung
1204 25% 19% 10%
9%
7%
5%
5%
120
113
82
57
55
Tschechei
Ungarn
Vietnam
Slowakei
13%
Indonesien
14%
303 230
164
153 Brasilien
Indien
Mexiko
Russland
China
2009 Exporte
in % von China
Abb. 2.2 Höhe der Exporte ausgewählter LCCs im Vergleich mit China in Milliarden US-Dollar. (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von EIU 2009)
ersten Mal genauso viel zum globalen Konsumanstieg beigetragen haben wie die USAmerikaner. Bis 2015 wird sich die urbane Mittelschicht in China in etwa verdoppeln: von rund 200 auf 400 Mio. Menschen: letztendlich ein weiteres Absatzpotenzial für westliche Unternehmen. Bis 2020 könnte sich Chinas Anteil am deutschen Export auf 15 % verdreifachen.32 Wie Abb. 2.2 verdeutlicht, liegen im Vergleich zu China andere wichtige LCCs (Low Cost Countries) hinsichtlich der Exporte deutlich zurück. Die weiteren BRIC-Länder, Brasilien, Russland und Indien, kommen gemeinsam gerade mal auf ein Exportvolumen von 620 Mrd. US-$ im Jahr 2009. Diese Zahlen weisen auch deutlich auf Chinas enorme Skalenvorteile hin und die Vormachtstellung chinesischer Lieferanten, wenn es um Beschaffungsprojekte mit großen Auftragsvolumina geht. Entsprechend Abb. 2.3 weisen jedoch andere LCCs wesentlich höhere Exportwachstumsraten als China auf.
2.2.1
Ist Vietnam das „neue China“?
Vietnam ist ein beliebter Produktionsstandort geworden; besonders in arbeitsintensiven Branchen, in denen China mittlerweile zu teuer geworden ist: z. B. Textil. Ist Vietnam somit das „neue (kleine) China“? Wird Vietnam, zeitversetzt, die gleiche Entwicklung nehmen wie China? Sind die „Startbasis“ und die vorzufindenden Strukturen überhaupt vergleichbar? Vietnam hat sich tatsächlich zu einem Shootingstar 32
Vgl. Fricke (2011a, S. 31).
2.2 Vergleiche mit anderen „LCC-Ländern“
15 16.7%
15.2%
15.0%
17.3% 13.5%
14.8%
12.8%
13.3% 10.4%
10.4% China Wachstumsrate Slowakei
Vietnam
Ungarn
Tschechei
Indonesien
Brasilien
Indien
Mexiko
Russland
China
Abb. 2.3 Höhe des Exportwachstums ausgewählter LCCs im Vergleich mit China in US-Dollar. (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von EIU 2009) 45 40
40.36
35 30
26.29 23.28
25 20
13.19
15
11.80
10
10.09 9.30 8.88 5.23 4.49 3.26
5
2.13 1.93 1.84 1.63 0.59 0.50
Vietnam
Indonesia
Thailand
Mexiko
China
Indien
Russland
Malaysia
Brasilien
Singapur
Ungarn
Polen
Südkorea
Tschechei
Spanien
USA
Deuts chland
0
Abb. 2.4 Durchschnittliche Arbeitnehmerstunde im Jahr 2009 im produzierenden Gewerbe in USDollar. (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von EIU Juni 2010)
unter den asiatischen Schwellenländern entwickelt und ist dabei, China zumindest einen Teil der Werkbank der Welt abzunehmen. Zwar erreichtVietnams Produktivität, verglichen mit China, nur rund die Hälfte, dafür liegt das Lohnniveau bei weniger als einem Drittel (Abb. 2.4). Bei allen positiven Meldungen über die Wachstumsrekorde inVietnam, machen sich allerdings Ökonomen zunehmend Sorgen um die südostasiatische Wirtschaftsnation, deren rasanter Boom vor allem auf Krediten basiert. Bis 2020 soll das Land nach Plänen der kommunistischen Führung zur Industrienation aufsteigen. Dafür braucht es „Wachstum um jeden Preis“! So wurden die staatlichen Banken angewiesen, massenhaft Kredite zu vergeben – diese drohen auszufallen, die Wirtschaft sitzt auf einem Schuldenberg. Mit hohen Verbindlichkeiten in Fremdwährungen entstehen weitere Risiken. Starke Währungskursschwankungen zeugen
16
2 China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung
zudem nicht von Stabilität. Der aggressive Wachstumskurs der letzten Jahre hat eine massive makroökonomische Destabilisierung nach sich gezogen. Einem Wirtschaftswachstum von 6,8 % in 2010 stand im Februar 2011 ein Inflationsdruck von 12,3 % im Vergleich zum Vorjahr gegenüber. Daneben weisen sowohl die Handelsbilanz als auch das Haushaltsbudget erhebliche strukturelle Defizite auf. Aus Furcht um einen weiteren Wertverlust der Landeswährung „Dong“, die 2010 zweimal abgewertet werden musste, legen viele Vietnamesen ihre Sparguthaben in Devisen, Gold oder Immobilien an. Da die Zentralbank den „Dong“ mehrmals stützen musste, sind die Fremdwährungsreserven erheblich abgeschmolzen. Des Weiteren weisen die staatseigenen Unternehmen große Defizite auf. Durch Subventionierungen, insbesondere in Form von staatlich garantierten Krediten, werden diese Unternehmen nicht unbedingt dazu angehalten, ihre Strukturdefizite zu beseitigen. So war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu Skandalen wie beim staatlichen Schiffbauer Vinashin kommen würde, der eine für vietnamesische Verhältnisse exorbitante Schuldenlast von 4,5 Mrd. US-$ angehäuft hatte, was etwa 5 % der gesamten Wirtschaftsleistung entspricht. Engpässe bestehen in Vietnam zudem bei qualifiziertem Personal. Ein großer Schwachpunkt bleibt außerdem die Infrastruktur.33 Die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung Vietnams steht insgesamt auf einem wenig stabilen Fundament. Im Jahr 2009 betrug die durchschnittliche Arbeitnehmerstunde im produzierenden Gewerbe in China lediglich 1,9 US-$ , verglichen zu 26,3 US-$ in den USA und 40,4 US-$ in Deutschland. Dabei geht mit dem hohen Wirtschaftswachstum Chinas auch ein weiterer massiver Anstieg der Löhne einher. Seit dem Jahr 2000 beträgt das jährliche Reallohnwachstum 14 %.34 Entsprechend vorher aufgezeigter Wachstumsprognosen, wird Chinas Pro-Kopf-BIP im Jahr 2010 somit auf 4.800 US-$ anwachsen und damit auf dem Wert des Jahres 2008 der Türkei und Malaysia sein.35 Somit werden es Länder wie Vietnam zwar schaffen, einen Teil der Produktionsaktivitäten aus China abzuziehen, dennoch ist aber mit einiger Sicherheit vorauszusehen, dass China vor allem aufgrund seines wachsenden Marktpotenzials sowie des sich stetig bessernden Wirtschaftsklimas auch weiterhin für viele ausländische Unternehmen ein attraktiver Produktionsstandort bleiben wird. Einen Überblick dieser Entwicklungen anhand des Gesamthandelsvolumens im Vergleich zu anderen wichtigen Handelsnationen und der geschätzten Entwicklung bis 2014 zeigt Abb. 2.5. Auf Basis dieser Schätzungen wird China bis 2014 die Lücke zu den USA als größte Handelsnationen signifikant reduziert bzw. sogar geschlossen haben.
2.2.2
China investiert im Ausland und stellt sich bei „Rohstoffen“ gut auf
China öffnet sich nach außen und investiert strategisch im Ausland. Weltweit betrugen die chinesischen Auslandsinvestitionen 59 Mrd. US-$. Wichtigste Zielregion 33
Vgl. Kaelble (2011a, S. 16); vgl. Haug (2011, S. 5–6); vgl. Müller (2011a, S. 1–4). Vgl. China Statistics Press (2010). 35 Vgl. Kuijs (2009, S. 14). 34
2.2 Vergleiche mit anderen „LCC-Ländern“
17 CAGR ’09-’14P
5,000
4,000
USA China
10.6% 14.5%
3,000 Deutschland 4.5% 2,000
1,000
Japan England Frankreich
9.9% 10.9% 5.6%
0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Abb. 2.5 Chinas Gesamthandelsvolumen (in Mrd. US-Dollar) im Vergleich zu anderen wichtigen Handelsnationen. (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von EIU 2009)
bleibt Hongkong, aber immer mehr Engagements gehen zwischenzeitlich in Länder, die begehrte Rohstoffe anbieten können. Südafrika steht hierfür beispielhaft. Vor wenigen Jahren noch kaum im Visier, verzehnfachten sich die chinesischen Direktinvestitionen auf knapp fünf Milliarden US-Dollar. Zu den begehrtesten Objekten zählen Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor sowie dem Bergbau.36 Ohnehin kann festgestellt werden, dass sich China bei dem strategisch wichtigen Thema „Rohstoffe“ viel systematischer und konsequenter aufstellt als andere LCC-Länder und so manches westliche Land (natürlich auch bedingt durch die neuen finanziellen Potenziale Chinas aufgrund entstandener Reserven). Nachdem in einem ersten Schritt Anstrengungen zur Sicherung privilegierter Rohstofflieferbeziehungen mit anderen Staaten unternommen wurden, sind in einem zweiten Schritt Tendenzen zu erkennen, dass mit der Verknappung und Verteuerung von Rohstoffen Einfluss auf die Weltmärkte genommen wird. Mit gefragten Materialien wie den Seltenen Erden könnte China zum einen Monopolprofite realisieren und zum anderen seinen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien verschaffen: Seltene Erden (z. B. Lathan, Gadolinium, Scandium) kommen zu ca. 95 % aus China und sind deswegen von herausragender Bedeutung, weil sie von einer Reihe von Zukunftstechnologien (v. a. Hybridautos, Windkraftanlagen, Brennstoffzellen) benötigt werden.37 Die chinesische Regierung verschaffte dem größten staatseigenen Produzenten von Seltenen Erden, Baotou Steel Rare Earth, ein Monopol auf die Rohstoffe in der autonomen Region „Innere Mongolei“, wo die größten Vorkommen weltweit liegen. Durch die Konzentration auf Baotou möchte Peking mehr Einfluss über die Preisentwicklung im globalen Markt erlangen.38 36
Vgl. Schaaf (2010b, S. 8–10). Vgl. Müller (2010, S. 1–2). 38 Vgl. Röttger (2011, S. 4). 37
18
2 China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung
China sichert sich durch Zukäufe und Beteiligungen im Ausland nicht nur Zugänge zu Rohstoffen. Das Anlageninteresse erweitert sich auf IT, Maschinenbau und die Automobilindustrie. In Europa ging ein Großteil der chinesischen Direktinvestitionen zunächst nach Großbritannien, während Deutschland eine verhältnismäßig geringe Bedeutung aufwies. Seit Anfang 2011 werden allerdings verstärkt deutsche Unternehmen gekauft. CQLT übernahm beispielsweise den insolventen Automobilzulieferer Saargummi, Lenovo möchte Medion übernehmen, Dongfeng Motors zeigt Interesse an Getrag, BAIC ist immer wieder als Kaufinteressent für Opel im Gespräch. Die Expansion ist Ergebnis einer langfristigen Strategie: Auf Betreiben Pekings fusionierten Firmen erst innerhalb des Landes zu Großkonzernen. Ihnen wurde dann 2003 vorgegeben, international zuzukaufen (Chu Qu: „Hinausgehen“). Diese Politik begann mit dem Abbau bürokratischer Hürden und der Ausfuhr von Devisen. Von Beginn an wurde versucht, die Investitionen zu lenken. Bereits 2004 wurde ein Katalog zur „Orientierungshilfe für Investitionen“ herausgegeben. Diese Definition der Regierungsinteressen ist grundsätzlich nicht bindend. Wenn die Unternehmen jedoch dem Katalog folgen, bekommen sie leichter günstige Kredite sowie eine verbesserte Unterstützung. Zunächst „gingen“ nur staatliche Firmen „hinaus“, die durch ihr Engagement bei Rohstoffen die Versorgung sichern sollten. Nun ermutigt Peking auch kleinere und private Betriebe zur Expansion. Seit März 2011 dürfen Unternehmen Auslandsinvestitionen bis 100 Mio. US-$ – bei Rohstoffprojekten sogar bis 300 Mio. – auf lokaler Ebene genehmigen lassen anstatt von der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC). Ziel der Investitionen sind in der Zwischenzeit technologisch hochwertige Unternehmen.39
2.2.3
Innovationsstandort China
Die Entwicklung der Wirtschaft Chinas vom derzeitigen Fokus auf Low CostProduktion hin zu einer innovativen Volkswirtschaft ist eines der langfristigen Ziele der Zentralregierung in Peking. Um dies zu erreichen, wurden die Ausgaben in F&E in den letzten Jahren massiv erhöht und betrugen im Jahr 2007 ca. 1,5 % des BIP. Sie umfassen Investments in Forschungsinstitute, Weiterbildung und F&EAusgaben in privaten und staatlichen Unternehmen. Jedoch hinkt China vor allem den OECD-Ländern weiter hinterher, die durchschnittlich 2,2 % des BIP für F&E ausgeben.40 Dies trifft auch für Chinas High-Tech-Exportindustrien zu, die nach wie vor signifikante Investitionen in ihre F&E-Fähigkeiten vermissen lassen und weiterhin zum großen Teil auf ausländische Direktinvestitionen angewiesen sind. Wie in Tab. 2.1 dargestellt, ist die F&E-Intensität chinesischer High-Tech-Unternehmen
39 40
Vgl. Smolka et al. (2011, S. 1); vgl. Kühl und Fend (2011, S. 5). Vgl. Herd (2010), S. 25.
2.2 Vergleiche mit anderen „LCC-Ländern“
19
Tab. 2.1 F&E-Intensität chinesischer Unternehmen im internationalen Vergleich. (Quelle: Herd 2010, S. 26) OECD
USA
Japan
Europa
2005 F&E Intensität High-Tech-Unternehmen Medium-Tech-Unternehmen Low-Tech-Unternehmen
30,2 10,1 0,6
38,3 10,3 0,7
29,2 14,6 0,6
24,3 8,4 0,4
China 2005
2007
3,9 2,7 0,7
5,0 2,7 0,8
sogar deutlich niedriger als bei Unternehmen aus OECD-Ländern, die eher dem Medium-Tech-Segment zuzuordnen sind.41 Zur weiteren Stärkung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit Chinas hat die Zentralregierung zudem zahlreiche Programme zur Entwicklung einheimischer Innovation ins Leben gerufen. So wurden zum Beispiel im Jahr 1986 das „National High-Technology Research and Development Program“ sowie das „National Basic Research Program“ 863 und 973 gestartet. Zusätzlich hat das Erziehungsministerium im Jahr 1994, ganz nach angelsächsischem Vorbild, das Projekt „211“ gegründet. Dessen Ziel ist die Etablierung einiger weniger hochelitärer Universitäten, die sich eines Tages auf Augenhöhe mit dem MIT, Harvard und Cambridge befinden sollen. Aufgrund der Einsicht, dass sich chinesische Forschungsinstitutionen noch lange nicht auf einer Stufe mit weltbekannten amerikanischen und europäischen Universitäten befinden, propagiert die Regierung zusätzlich noch die „Guidelines for the Medium and Long-Term National Science and Technology Development Program“. Gemäß dieser Leitlinien, sollen die F&E-Ausgaben 2,5 % des BIP betragen, die Abhängigkeit von ausländischem Technologietransfer soll unter 30 % fallen und die Zitation chinesischer wissenschaftlicher Artikel soll international unter den Top fünf liegen.42 Diese Grundsätze verdeutlichen das visionäre Ziel, China bis 2050 in eine innovationsorientierte Wissensgesellschaft zu transformieren.43 Eine besondere Herausforderung bei der Erreichung dieses ehrgeizigen Ziels ist die Mobilisierung und Entwicklung des Humankapitals. Zu diesem Zweck wurde das Erziehungs- und Bildungssystem seit dem Jahr 2000 massiv gefördert. Im Jahr 2008 erhielten 90 % der Kinder, welche die Grundschule besucht haben, ihren Abschluss mit einer mindestens neun-jährigen Schulbildung. Lediglich 4 % der Bevölkerung sind Analphabeten. Zwischen 2006 und 2010 haben 27 Mio. Chinesen die Hochschule absolviert. Die Zahl der Absolventen stieg von 830.000 im Jahr 1998 auf 6 Mio. in 2010.44 Trotz dieser Fortschritte reiht der Global Entrepreneurship Monitor (GEM) 2009 China als eine effizienzgetriebene Volkswirtschaft ein und steht somit in einer Reihe 41 Die F&E-Intensität berechnet sich aus den F&E-Ausgaben als dem prozentualen Anteil der Wertschöpfung eines Unternehmens. 42 Vgl. Zhu und Gong (2008, S. 296). 43 Vgl. Li-Hua (2007, S. 106). 44 Vgl. Kühl (2010, S. 12); vgl. Kühl (2011d, S. 14).
20
2 China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung
mit Ländern wie Argentinien, Brasilien, Ungarn und Südafrika. Die Haupttreiber dieser Volkswirtschaften sind Skaleneffekte anstatt der Produktion einzigartiger und innovativer Produkte und Dienstleistungen. China hat also noch einen langen Weg vor sich, bevor es sich auf Augenhöhe mit Ländern wie Dänemark, Finnland, Deutschland, Israel, Japan und den USA befindet.45 Daher wird es auch aus diesem Grund für absehbare Zeit das wichtige LCC bleiben.
2.3
Regionale Unterschiede und Entwicklungen in China
Trotz Chinas beeindruckender Entwicklung fand das Wirtschaftswachstum nicht flächendeckend statt. Der chinesische Binnenmarkt ist durch ein starkes regionales Ungleichgewicht gekennzeichnet. Dies ist vor allem der stufenweisen Öffnungspolitik anzulasten, welche den wirtschaftlichen Aufschwung in den 1980er und 1990er Jahren zunächst nur in staatlich eingerichteten Sonderwirtschaftszonen entlang der Küstenprovinzen forcierte. Die Städte Xiamen, Shantou, Shenzhen und Zhuhai genossen frühzeitig Steuervorteile: die Reduktion von Import- und Exportzöllen sowie weitere Investitionsanreize für ausländische Unternehmen. In den späten Achtzigern wurden dann 14 weitere Städte für ausländische Direktinvestitionen geöffnet, wobei Chinas Hinterland weiterhin das Nachsehen hatte.46 Heute konzentriert sich Chinas Wirtschaftskraft nach wie vor entlang der Ostküste, während die westlichen Provinzen lediglich 19 % zu Chinas BIP beitragen.47 Auch im asiatischen Kontext spielt Chinas Osten eine große Rolle. Shanghai gilt beispielsweise in der Zwischenzeit für westliche Unternehmen als attraktivste asiatische Stadt hinsichtlich der Wahl eines Regional Headquarters, gefolgt von Hongkong, Singapur, Peking, Guangzhou und Shenzhen.48 Eine Folge der drastischen Entwicklungsunterschiede zwischen Ost- und Westchina ist eine hohe Migration von jungen und leistungsfähigen Arbeitern zu den östlichen Wirtschaftsregionen und ein wachsender Grad an sozialer Ungleichheit. Um diesen negativen Erscheinungen zu begegnen, hat die Zentralregierung in den 10. und 11. Fünfjahresplänen eine „Go-West“-Initiative verankert. Sie beabsichtigt die Erzielung eines strukturellen Wandels der chinesischen Wirtschaft durch den Ausbau der lokalen Infrastruktur, der Anhebung des Bildungsniveaus und vor allem der Schaffung von Investitionsanreizen zur Ansiedlung ausländischer und einheimischer Unternehmen; zwischen 2001 und 2005 beliefen sich die Gesamtinvestitionen auf 1,4 % des BIP.49 Als unmittelbares Ergebnis aus diesen Bemühungen erfahren 45
Vgl. Bosma und Levie (2009, S. 5). Vgl. Zhao et al. (2006, S. 457). 47 Vgl. Böhn (2009, S. 47); zu Charakteristika ausgewählter Provinzen vgl. auch: Holtbrügge und Puck (2008, S. 43–89). 48 Vgl. Müller (2011b, S. 3). 49 Vgl. Herd (2010, S. 131). 46
2.3 Regionale Unterschiede und Entwicklungen in China
21
Chinas westliche Provinzen kontinuierliche Wachstumsraten ihrer ausländischen Direktinvestitionen. So erlebte Chongqing zwischen 2005 und 2007 ein Wachstum von 147 % und die gesamte Provinz Sichuan von 62 %. Nach den Küstenprovinzen wird nun also auch Chinas Hinterland für ausländische Unternehmen immer attraktiver.50 Zudem ist der Osten Chinas mittlerweile keine Billigregion mehr. In Shanghai sind zahlreiche Firmen bereits vor Jahren in die benachbarten Provinzen Zhejiang und Jiangsu abgewandert.51 Zhejiang stellt ohnehin eine regionale Besonderheit dar und zeichnet sich durch eine Vielzahl an (kleinen) privaten Unternehmen aus. Private Unternehmen haben überhaupt eine große Bedeutung in China – auch wenn sie nicht so im Vordergrund stehen wie manches Staatsunternehmen (laut ZhengYumin vom „Zhejiang Commerce Department“ sind 93 % aller Unternehmen in China privat). Die „kapitalistische Verwurzelung“ in Zhejiang hat traditionelle Hintergründe und rührt unter anderem von topografischen Besonderheiten her. Der Zugang zu Zhejiang, umgeben von Bergen und Flüssen, verbesserte sich erst in den letzten 15 Jahren durch Autobahnen, Zugstrecken und Flughäfen. Zuvor war es aus Sicht Pekings nicht unbedingt die erste Adresse für öffentliche Investitionen; es entstand ein ganz eigener „Mikrokosmos“, der sich durch Unternehmertum auszeichnet: „. . . Zhejiang’s greatest contribution to its citizens . . . was to provide them with nothing and to cut them off from outside help.“52 Schon früh fand damit ein florierender Handel statt, der die Mentalität der Leute prägte; als die Marktöffnung stattfand, waren die Geschäftsleute aus Whenzhou und Umgebung bestens auf die neuen Zeiten vorbereitet: Einige wurden in kurzer Zeit zu Millionären mit minimalem Startkapital – im Zusammenspiel mit zahlreichen flexiblen, privaten Kleinstbanken.53
2.3.1 Veränderung regionaler Strukturen am Beispiel Guangdong Die Provinz „Guangdong“, im Süden Chinas, steht für Export wie keine andere Provinz in China. Die Ausfuhren umfassen dort rund drei Viertel des BIP; 30 % der gesamten chinesischen Ausfuhren kommen aus Guangdong. 70 % der weltweiten Spielzeug-Produktion befindet sich in Guangdong. Doch die Struktur der Exporte sowie der gesamten Wirtschaft ändert sich rasant: Angesichts jährlicher Kostensteigerungen von 20 % müssen die Unternehmen ihre Fertigung modernisieren und hochwertigere Produkte anbieten. Verdiente ein ungelernter Arbeiter 2002 noch rund 50 bis 60 US-$ im Monat, waren es 2010 bereits 400 US-$. In den nächsten Jahren ist weiterhin mit Kostensteigerungen zu rechnen. Den Unternehmen bleibt daher nur die Möglichkeit, ihre Produktion zu automatisieren, höherwertige Waren 50
Vgl. Taube und Ögütcü (2002, S. 2); EIU (2008, S. 8). Vgl. Rohde (2008, S. 11–12). 52 oV (2011b, S. 72). 53 Vgl. oV (2011b, S. 71–74). 51
22
2 China – wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung
anzubieten oder abzuwandern. Das Hinterland Guangdongs ist noch relativ unterentwickelt. Dort haben sich bereits zahlreiche Hersteller von einfachen Produkten wie Bekleidung oder Plastikspielzeug angesiedelt. Die Regierung in Guangzhou fördert den industriellen Umstrukturierungs- und Höherpositionierungsprozess. Die Provinz soll das Image eines Fertigungsstandortes für Billigprodukte abstreifen. An die Stelle der abrückenden Branchen sollen Sparten der Schwerindustrie und HightechUnternehmen rücken. Die Automobilindustrie expandiert besonders stark. Vor 2002 wurden nur einige zehntausend Autos in Guangdong gebaut. Dann kamen japanische Unternehmen, investierten Milliardenbeträge und bauten die Hauptstadtregion Guangzhou-Foshan zum „Detroit Chinas“ aus. Im Jahr 2009 liefen bereits mehr als 1 Mio. Pkw von den Bändern. Bereits 2015 soll die 2-Mio.-Grenze geknackt werden.54 Die Veränderungen der regionalen Schwerpunkte lassen sich besonders an der Textilindustrie festmachen, ursprünglich hauptsächlich beheimatet im Perlflussdelta (Guangdong). Die Exporte der Textil- und Bekleidungsindustrie legten 2010 zwar zweistellig zu, der Binnenabsatz wuchs mit knapp 30 % noch stärker. Jedoch: Rohstoffpreise und Löhne steigen; hinzu kommt die schrittweise Aufwertung des Renminbi. Sowohl die Preise für Baumwolle als auch für Kunststofffaser lagen im Sommer 2010 rund 50 % höher als im Vorjahr; die Lohnkosten stiegen teilweise um über 20 %. In Vietnam, Kambodscha und Bangladesch sitzen die größten Konkurrenten der Textilindustrie. Aber auch dort steigen die Lohnkosten. „Wir werden kein nächstes China finden“, meint der Li & Fung-Chef Bruce Rockowitz. Li & Fung, weltweit der größte Beschaffungs- und Handelskonzern mit Sitz in Hongkong, kauft gegen Provision für Konzerne wie Wal-Mart oder Metro in China ein. Aus China stammen rund 50 % der Waren – Li & Fung geht davon aus, dass auch in fünf Jahren noch die Hälfte der bezogenen Waren aus China stammen wird.55 Teilweise wird versucht, mit einer Automatisierung den gestiegenen Lohnkosten zu entgegnen. Viele Bekleidungs- und Textil-Produktionszentren werden allerdings verlagert: nach Westen und nach Zentralchina, wo das Zentrum der Produktion und Weiterverarbeitung von Baumwolle sein soll, ebenso die Herstellung von Leinen und Viskose; in Nordwestchina soll die Baumwoll-Produktion und -Verarbeitung gezielt gefördert und angesiedelt werden; sowie in Südwestchina die Seidenherstellung und -verarbeitung. Ostchina wird zukünftig das Zentrum für Forschung und Entwicklung, Design, Logistik, Vertrieb und der Erschließung internationaler Märkte; die Produktion hochwertiger Textilien (inkl. technischer Textilien) und von Textilmaschinen soll ebenfalls dort stattfinden.56
54
Vgl. Rohde (2010a, S. 20–21). Vgl. Wanner (2011c, S. 5); vgl. Abele (2011, S. 9–10). 56 Vgl. Abele (2011, S. 9–10). 55
Kapitel 3
Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen
3.1
Chinesische Unternehmen: Marktführer und Global Player – Beispiele
Chinesische Lieferanten sind zunehmend Marktführer und sogar als Trendsetter ernst zu nehmen. Immer mehr prägen chinesische Unternehmen die Entwicklung von Produkten und Technologien von Beginn an; besonders in Branchen, wo signifikante Umbrüche stattfinden. Etablierte Technologien werden oftmals übersprungen, auf Zukunftstechnologien wird konsequent gesetzt. Im Gegensatz zu den etablierten Spielern muss kein „geistiger Ballast“ aus jahrelang bewährten und erfolgreichen Produktkonzepten abgeworfen werden, sodass man sich gleich auf das Neue konzentrieren kann. Ein Paradebeispiel: die Elektromobilität. China hat sich innerhalb weniger Jahre als Exporteur von elektronischen Erzeugnissen aller Art weltweit an die Spitze gesetzt: Heute kommt knapp ein Viertel der Branchenprodukte, die weltweit geliefert werden, aus chinesischen Betrieben. Die Entwicklung ging zu Lasten von den USA und Japan, deren Anteile am Weltexport dramatisch einstürzten. Bei Computern liegt der Marktanteil Chinas an den weltweiten Exporten bei 77 %. Die Mobiltelefonbranche wird nicht mehr nur als „Auftragsfertiger“ geprägt, sondern immer mehr auch mit eigenen Marken. Erstmals ist beispielsweise ein chinesisches Unternehmen in die Spitzengruppe der Handyhersteller vorgestoßen: Der ZTE-Konzern kam 2010 mit 51,8 Mio. verkauften Mobiltelefonen auf Platz vier der weltweiten Rangliste und überholte damit bekannte Marken wie Motorola und Sony Ericsson. ZTE baut zudem einen Großteil der Telefone für Netzbetreiber, die diese unter eigenem Namen verkaufen. Den Gesamtabsatz von mobilen Endgeräten bezifferte ZTE auf 90 Mio. Stück im Jahr. Der Umsatz von ZTE stieg gegenüber dem Vorjahr um 17 % auf 10,6 Mrd. US-$. Der Gewinn stieg um 32 % auf 491 Mio. US-$. Dabei ist der in Shenzhen ansässige Konzern nicht mehr allein auf dem Heimatmarkt erfolgreich. Vielmehr nehmen die Chinesen längst auch in Nordamerika, Europa und Japan der Konkurrenz Kunden ab. So vertreiben die Netzbetreiber Vodafone und Deutsche Telekom Smartphones aus Shenzhen unter Namen wie Vairy Touch, Blade oder Vibe. Mit preisgünstigen Einfachsttelefonen attackieren die Chinesen einerseits die Konkurrenz in Asien und Südamerika. Andererseits nehmen sie in den Industriestaaten den Wettbewerbern
P. Faust, G. Yang (Hrsg.), China Sourcing, DOI 10.1007/978-3-642-23264-0_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
23
24
3 Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen
Nokia, Sony Ericsson, Motorola oder LG Kunden ab; mit günstigen Smartphones, auf denen Googles Betriebssystem Android installiert ist.1 In die Kommunikationsbranche tritt außerdem verstärkt Chinas führendes Internetunternehmen Baidu ein und plant ein einfaches Betriebssystem für Mobilfunkgeräte, die es den Nutzern erlaubt, gleich nach Start des Smartphones oder Tablet-PC Suchabfragen im Internet durchzuführen. Baidu dominiert mit einem Anteil von über 75 % den chinesischen Suchmaschinenmarkt und ist somit für Microsoft als Kooperationspartner interessant geworden. Die Kooperation sieht eine Integration von Microsofts Suchmaschine Bing auf der chinesischen Internet-Seite vor. Wird eine englischsprachige Suchanfrage auf Baidu eingegeben, erfolgt eine automatische Aktivierung von Bing, dessen Ergebnisse dann auf Baidu angezeigt werden. Baidu verbessert dadurch sein englischsprachiges Angebot, während Bing Zugang zu den mehr als 450 Mio. Internet-Nutzern der chinesischen Seite erhält.2 Bei Web-Dienstleistungen spielen chinesische Unternehmen eine zunehmend bedeutende Rolle. Tencent, gegründet 1998, wurde beispielsweise in kürzester Zeit zu einem beherrschendem Internetunternehmen in China, sowohl nach der Zahl der Nutzer als auch hinsichtlich der Profitabilität. Im März 2011 nutzten 674 Mio. Menschen die Angebote von Tencent: den Kurznachrichtendienst QQ, die Microbloggingdienste, die Online-Spiele oder das soziale Netzwerk Qzone. Bei einem Umsatz von 19 Mrd. Yuan (2,9 Mrd. US-$) bemisst sich der Gewinn im Jahr 2010 auf ca. 8 Mrd.Yuan (1,2 Mrd. US-$), also auf ca. 40 %! Nun sieht sich Tencent nach neuen Wachstumsmöglichkeiten um: in aufstrebenden Märkten, aber auch in Europa und Nordamerika. Tencent kämpft mit dem Vorwurf, es sei nichts als ein Kopierer. Der Gründer, Ma Huateng, streitet dies in Bezug auf die Anfangsphase des Unternehmens nicht einmal ab: „Als wir noch ein kleines Unternehmen waren, mussten wir auf den Schultern eines Riesen stehen, um zu wachsen.“ „Unser Ansatz ist Mikroinnovation. Wir verändern existierende Anwendungen in kleinen Schritten und passen sie an die Bedürfnisse unserer Nutzer an.“3 Auch anderen chinesischen Webgrößen wurde eine Imitation westlicher Vorbilder vorgeworfen: Baidu galt lange Zeit als Abbild von Google, Alibaba wurde mit Ebay verglichen. Tencent konkurriert auf dem chinesischen Markt vor allem mit Renren und Baidu. Der chinesische Markt ist angesichts der Bevölkerungsgröße und des Wirtschaftswachstums besonders begehrt. Der Onlinewerbemarkt soll sich bis zum Jahr 2014 auf rund 13 Mrd. $ verdreifachen. Tencent kündigte signifikante Zukäufe an, um bestehende Plattformen auszubauen und neue strategische Felder zu besetzen. In einem nächsten Schritt ist eine Kooperation mit dem Hotelanbieter Expedia auf dem chinesischen Markt geplant. Ma Huateng behauptet, „inzwischen kopieren die anderen uns“. Anbieter wie Facebook würden von Tencent lernen, etwa bei der Einführung virtuellen Geldes.4
1
Vgl. Wendel (2011, S. 8). Vgl. Barber und Hille (2011, S. 3). 3 Wanner (2011b, S. 23). 4 Vgl. Wanner (2011b, S. 23); vgl. Rungg (2011, S. 3). 2
3.1 Chinesische Unternehmen: Marktführer und Global Player – Beispiele
25
Mit der Internationalisierung der Märkte stellt sich für chinesische Unternehmen die Frage nach dem „Global Footprint“. TCL, zum Beispiel, ein Hersteller von elektronischen Konsumgütern und Handys, der 2009 einen Umsatz von 6,5 Mrd. US-$ erzielte, will nun zielstrebig im Ausland expandieren. Aktuell hat TCL ca. 400 Verkaufsagenturen in 40 Ländern und produziert vor Ort in Werken in Mexiko, Vietnam und Thailand. Jüngste Pläne sehen vor, in Russland, Pakistan und Südafrika Fabriken aufzubauen.5 Bei der Durchführung von Dienstleistungen ist in vielen Fällen ohnehin die internationale Präsenz erforderlich. China ist gerade dabei, Dienstleistungsexporteur in Europa zu werden. Der staatliche chinesische Baukonzern Covec hat beispielsweise Ausschreibungen von polnischen Autobahnprojekten gewonnen. Die Angebote lagen offenbar 30 % unter denen europäischer Konkurrenten. Polen war als Einstieg für den europäischen Markt geplant. Allerdings stockt das Vorhaben: Zwei Jahre nach Vertragsschluss, hieß es, Covec „steht vor dem Ausstieg aus dem polnischen Autobahnbau“, die Chinesen sehen sich nicht mehr in der Lage, die „vereinbarten Bedingungen einzuhalten.“6 Zur Internationalisierung chinesischer Unternehmen stellen Mergers & Acquisitions ein weiteres Instrument dar. Der chinesische Fernseherproduzent TPV gewinnt zum Beispiel die Kontrolle über eine der traditionsreichsten westlichen Marken in diesem Geschäft: Philips tritt seine defizitäre Fernsehsparte an TPV ab; Ende 2011 soll sie in ein Gemeinschaftsunternehmen aufgehen, das TPV mit 70 % kontrolliert. Der chinesische Fernseherproduzent ist als Auftragsfertiger weltweit der drittgrößte Hersteller von LCD-Fernsehern. Bei PC-Monitoren sind sie mit einem Marktanteil von rund 33 % sogar die Nummer eins.7 Ein weiteres Beispiel für Akquisitionen, das zeigt, wie die internationale Verflechtung chinesischer Unternehmen voranschreitet: Der Mischkonzern Fosun (erst 1992 von drei Studenten gegründet, inzwischen größter privater Mischkonzern in China: mit einem Umsatz von 44 Mrd. Yuan: ca. 4,8 Mrd. €) hat Beteiligungen in der Pharma-, Gesundheits-, Immobilienund Stahlbranche sowie im Bergbau. Geplant ist eine „groß angelegte Einkaufstour im Ausland“; im Fokus stehen Firmen, die Hilfe benötigen, den chinesischen Markt zu erorbern. Fuson beteiligt sich an den ausländischen Unternehmen und öffnet für diese die Türen in China.8 Mit einem Umsatzsprung um 180 % auf 185 Mrd. RMB (ca. 20 Mrd. €) in den vergangenen fünf Jahren hat sich der chinesische Telekommunikationsausrüster Huawei inzwischen weltweit etabliert. 45 der 50 größten Telekomkonzerne zählt Huawei zu seinen Kunden; auch die deutsche Telekom ist darunter. Selbst ohne den US-Markt hat man es schon fast zur Nummer eins gebracht. Ein Umsatzplus von 24 % 2010 hat Huawei bereits näher an Marktführer Ericsson herangerückt. 65 % der Umsätze von Huawei werden im Ausland gemacht. Dabei hat der Konzern mit Hauptsitz im südchinesischen Shenzhen erst 1997 seinen ersten Vertrag außerhalb der Landesgrenzen eingefahren. Lediglich beim amerikanischen Markt stößt man immer wieder 5
Vgl. Schaaf (2011a, S. 11–12). Vgl. Langhammer (2011, S. 24); Rybak und Kreimeier (2011, S. 11). 7 Vgl. Schlüter (2011, S. 3). 8 Vgl. Waldmeir (2011, S. 2). 6
26
3 Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen
auf Schranken. Mehrere Versuche, amerikanische IT-Anbieter zu übernehmen (z. B. 3Leaf, 3Com), scheiterten am Ausschuss für ausländische Investitionen der USA.9 Bei der Untersuchung von Entwicklungspfaden chinesischer Unternehmen lassen sich Muster feststellen. In einer ersten Phase erlangen chinesische Unternehmen meistens zunächst in China eine starke Position, bevor Internationalisierungsschritte anstehen. Der chinesische Markt ist in vielen Fällen durch eine ausgeprägte Fragmentierung der Wettbewerbsstruktur gekennzeichnet, verursacht durch Protektionsmus von Provinzregierungen. Wer es in China schafft, an die Spitze zu gelangen, wer dort den intensiven Preiswettbewerb besteht, der hat seine Feuertaufe bestanden und kann im zweiten Schritt internationale Märkte angehen. „If China becomes a lead market in particular business (as has happened in DVD players) then the strategy of becoming strong in China first, leaves the dragon well-placed to attack the global market.“10 Die Pfade erfolgreicher chinesischer Unternehmen sind zudem meistens dadurch gekennzeichnet, dass erst die Märkte für Standardprodukte besetzt werden, bevor man – mit dem „Volumenvorteil“ ausgestattet – die höherwertigen Segmente erobert. Ein Beispiel hierzu: CIMC (China International Marine Containers Group) stellt Container her und weist einen Weltmarktanteil von fast 60 % auf und ist sechsmal größer als der nächstgrößte Wettbewerber. Dem Slogan folgend „Learn, Improve, Disrupt“, wurde ein Segment nach dem anderen erobert, auch die anspruchsvolleren wie Spezialkühlung, elektronisches Tracking, Container mit Faltmechanismen oder spezifische Kunden-Features. CIMC setzt in der Zwischenzeit die globalen Standards. Als Ende der neunziger Jahre der globale Wettbewerbsdruck bei Container anstieg, setzte CIMC ein Effizienz- und Kostenprogramm auf und erreichte eine Kostenposition, die von den internationalen Wettbewerbern nicht mehr erreicht werden konnte, selbst als diese dann ihrerseits die Fertigung nach China verlagerten. Mit zusätzlichen Aufträgen erlangte CIMC weitere Vorteile durch „economies of scale“. Viele der asiatischen Konkurrenten, vor allem aus Korea, befanden sich in Unternehmenskonglomeraten, die sich dann vom wenig profitablen Containergeschäft trennten, um sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Nachdem CIMC bei Standardcontainern Kostenvorteile und Marktanteile gesichert hatte, begann man „moving upmarket“ höherwertige Märkte zu erobern: einem Muster folgend, das bei vielen erfolgreichen chinesischen Unternehmen zu beobachten ist. Wesentlich war dabei unter anderem, dass es gelang, in den höherwertigen Segmenten dem Kunden Produktvielfalt bei geringen Kosten anzubieten. Flexible Produktionslinien waren hierfür die Basis.11 „Chinese companies are starting to disrupt global competition by breaking the established rules of the game.“12
9
Vgl. Wanner (2011a, S. 2); vgl. oV (2011c, S. 3). Zeng und Williamson (2007, S. 5). 11 Vgl. Zeng und Williamson (2007, S. 3–14). 12 Zeng und Williamson (2007, S. 1). 10
3.1 Chinesische Unternehmen: Marktführer und Global Player – Beispiele
3.1.1
27
Der Weg zum Global Player: Beispiel Lenovo
Das chinesische IT-Unternehmen Lenovo wurde im Jahr 1984 vom Forschungsinstitut der Akademie der Wissenschaften in Peking gegründet. In den Anfangsjahren handelte das Unternehmen, damals unter dem Namen NTD (New Technology Developer Inc.), in China ausschließlich mit PCs, die von namhaften ausländischen Herstellern importiert wurden. Die englischsprachige Bedienoberfläche dieser PCs und die fehlenden Englischkenntnisse großer Teile der chinesischen Bevölkerung machten es notwendig, ein Modul zu entwickeln, mit dem sich ein PC an die chinesische Schrift anpassen ließ. 1985 gelang NTD der Durchbruch mit der „Chinese Character Card“, die es ermöglichte, Computer mühelos in Chinesisch zu bedienen. Mit dieser bahnbrechenden Entwicklung legte NTD den Grundstein für die Erfolge des Unternehmens in den Folgejahren. Die Entwicklung und Produktion eigener PCs begann im Jahr 1990, als sich das Unternehmen in Legend umbenannte. Bis zum Jahr 1999 entwickelte sich Legend zur „Nummer Eins“ bei den Elektronikunternehmen in China. Der heutige Firmen- bzw. Markenname „Lenovo“ wurde erst 2003 eingeführt. 2005 begann die Phase der offensiven Expansion in ausländische Märkte – mit dem entscheidenden Schritt: der Übernahme der PC-Sparte von IBM. Damit hatte Lenovo nicht nur das Know-how und den weltweit bekannten Markennamen erworben (Rechte an IBM für fünf Jahre, an „Think“ unbegrenzt), sondern konnte auch auf die etablierten Vertriebskanäle und auf die Serviceorganisation von IBM zugreifen. Lenovo produziert und vertreibt mittlerweile neben PCs auch Monitore, Beamer und Notebooks. 2007 erzielte es einen Umsatz von knapp 14,6 Mrd. US-$. Lenovo beschäftigt weltweit rund 23.000 Mitarbeiter und agiert auf allen internationalen Märkten. Angestrebt wird eine Corporate Identity, sowohl nach außen als auch nach innen, die folgende Leitprinzipien widerspiegelt: Kundendienst, Erfindungsreichtum und Unternehmergeist; Präzision und Faktentreue; Vertrauenswürdigkeit; Integrität. Die Steigerung des Bekanntheitsgrades der Marken des Unternehmens und die Darstellung von Lenovo als globales Unternehmen mit einer Weltmarke sind die Herausforderungen in der nächsten Unternehmensphase.13 Anfang 2011 wurde bekannt, dass NEC und Lenovo im PC-Geschäft fusionieren. Durch gemeinsame Entwicklung, Produktion und Materialbeschaffung sollen SynergieEffekte entstehen, die beiden Unternehmen helfen sollen, die Lücke zum Marktführer HP zu verkleinern. Das neue Gemeinschaftsunternehmen gehört zu 51 % Lenovo und zu 49 % NEC. Die Endprodukte sollen weiterhin unter den bisherigen Markennamen verkauft werden. Durch das Joint Venture wird sich für Lenovo der Marktanteil in Japan von sechs auf 25 % erhöhen. Die bisher eher schwache Position im westeuropäischen Markt soll durch den Kauf des deutschen Computerhändlers Medion verbessert werden, so dass ein Marktanteil von knapp 7 % erreicht werden kann. Besonders die Schwächen im Endverbrauchermarkt sollen dadurch beseitigt werden. Mit Medion gelingt Lenovo der größte Firmenkauf eines chinesischen Unternehmens in Deutschland.14 13 14
Vgl. Sohm et al. (2008, S. 66–75). Vgl. Graf (2011, S. 8).
28
3.1.2
3 Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen
Der Weg zum Global Player: Beispiel Baosteel
Die heutige Baosteel Group wurde im Dezember 1978 als Baoshan Iron and Steel Complex in Shanghai gegründet und ist eine Holding mit sechs verschiedenen Geschäftseinheiten, die Stahl hauptsächlich für die Automobilherstellung, den Schiffbau, die Elektronik- und Haushaltsgerätebranche, Ölförderanlagen und Pipelines sowie für die Baubranche herstellen und vertreiben. Daneben betreibt die Baosteel Group noch sieben weitere Geschäftseinheiten in Bereichen wie Finanzdienstleistungen, Handel oder Logistik. Sie weist damit im Vergleich zu anderen internationalen Markteilnehmern zwar einen relativ hohen, aber für viele asiatische Großunternehmen typischen Diversifikationsgrad auf. Die Baosteel Group befindet sich zu 100 % in Staatseigentum, wobei die größte Geschäftseinheit Baoshan Iron and Steel Co., Ltd. seit Dezember 2000 an der Shanghai Stock Exchange gelistet ist; allerdings wird ein Großteil der Aktien von der Baosteel Group und damit vom chinesischen Staat gehalten. Der Umsatz der Baosteel Group ist in den vergangenen Jahren um durchschnittlich ca. 10 % jährlich gestiegen, von 162 Mrd. RMB im Jahr 2004 auf ca. 200 Mrd. RMB (ca. 18,5 Mrd. €) im Jahre 2007. Auch international gehört das Unternehmen zu den ganz Großen. So liegt die Baosteel Group seit 2006 weltweit an fünfter Stelle der Stahlerzeuger. Ziel ist es, so schnell wie möglich einer der drei größten Stahlhersteller der Welt zu werden. Eine automatisierte Produktion soll den zukünftigen Erfolg sichern. Der chinesische Hauptstandort des Unternehmens in Shanghai gilt nicht nur in China, sondern auch weltweit als einer der modernsten und effizientesten Produktionsstandorte für Stahlerzeugnisse. So wurde zum Beispiel im Jahr 2005 das Qualitätsmanagementsystem „Six Sigma“ erfolgreich eingeführt. 2006 hat das Management als Ziel vorgegeben, unter dem Slogan „Green Baosteel, our common home.“ die Baosteel Group zum saubersten und nachhaltigsten Hersteller von Stahl weltweit zu formen. Die Baosteel Group ist in Deutschland bereits seit langem präsent, jedoch hat sich ihre Geschäftstätigkeit über die Jahre bedeutend verändert. Anfangs war an den Verkauf von Stahlprodukten noch nicht zu denken, im Vordergrund stand zunächst die Versorgung des chinesischen Unternehmens mit „lebensnotwendigen“ Ersatzteilen für die heimische Produktion. Baosteel Europe gehört in der Zwischenzeit zu den größten chinesischen Unternehmen in Deutschland. Für die meisten Kunden steht die Qualität, Zuverlässigkeit, Liefertreue und der Service von Baosteel im Vordergrund; je nach Nationalität des Käufers gewinnt der Preis an Bedeutung, wobei Baosteel sich nicht im unteren Preissegment positioniert sieht. Um seinen Marktanteil in Europa auszubauen, setzt das Unternehmen auf Premiumqualität und Kundenorientierung.15
3.1.3
Der Weg zum Global Player: Beispiel Haier
Die heutige Haier Group nahm 1984 als kleines „kollektives Unternehmen“ mit zwanzig Mitarbeitern ihren Anfang in der ostchinesischen Küstenstadt Qingdao, 15
Vgl. Sohm et al. (2008, S. 82–91).
3.1 Chinesische Unternehmen: Marktführer und Global Player – Beispiele
29
einer ehemaligen deutschen Kolonie ca. 530 km südöstlich von Peking gelegen. Die noch junge Firma stand bereits im Gründungsjahr aufgrund von Misswirtschaft und schlechter Produktqualität kurz vor dem Bankrott. Daraufhin ernannte die Stadtregierung den erst 35-jährigen stellvertretenden Geschäftsführer Ruimin Zhang, der noch heute als Vorsitzender die Haier Group leitet, zum Direktor. Zhang entschied sich für eine konsequente Konzentration auf das Kerngeschäft: die Herstellung von Kühlschränken. Er wollte dieses Produktsegment mit einer starken Marke, die für gute Produkt- und Servicequalität steht, wieder auf dem Markt etablieren und ausbauen. Diese Entscheidung war kennzeichnend für die erste Phase der Entwicklung der Haier Group in den Jahren von 1984 bis 1991, die so genannte „brand-building stage“. Aus dieser Zeit wird auch ein Vorfall berichtet, der seitdem für die Firmentradition steht: Ruimin Zhang ließ 76 fehlerhafte Kühlschränke auf dem Betriebshof aufstellen und ordnete an, diese mit Vorschlaghämmern vor der versammelten Belegschaft zu zertrümmern. Ein Kühlschrank, der heute im Haier-Museum steht, wurde von ihm höchstpersönlich zerkleinert. Mit dieser Aktion wollte er bei den Mitarbeitern ein höheres Qualitäts- und Disziplinbewusstsein fördern und die Strategie vor Augen führen, sich als Produzent hochwertiger Ware auf dem Markt zu etablieren. Nach Jahren schnellen Aufschwungs ging das 1991 in Qingdao Haier Group umbenannte Unternehmen schließlich in die zweite Phase seiner Entwicklung, in der gezielt in andere Bereiche diversifiziert wurde. Wichtige Weichenstellungen waren ein Joint Venture mit einem italienischen Unternehmen und die Akquisition des riesigen, aber hochverschuldeten Staatsunternehmens Qingdao Red Star Electric Appliance im Jahr 1993 mit dem Bereich Waschmaschinen. Die Phase der Diversifikation dauerte bis in die späten 90er Jahre und umfasste Expansionen in Bereiche wie Klimaanlagen, Fernsehgeräte, PCs und Mobiltelefone. Dazu kamen branchenfremde Bereiche wie Immobilien, Finanz- und Touristikdienstleistungen. Der Konzern wurde in der nächsten Phase (1998 bis 2005) durch Kooperationen mit internationalen Partnern auch selbst immer globaler. Haier ging bei Direktinvestitionen zunächst in „leichtere“, weil geographisch und kulturell näher liegende und kostengünstigere Standorte wie Indonesien und die Philippinen oder Malaysia. Haier verfolgt die „3 × 1/3-Regel“: Ein Drittel des jährlichen Produktionsvolumens soll in China produziert und verkauft, ein Drittel in China zwar produziert aber exportiert und ein weiteres Drittel im Ausland produziert und verkauft werden. Anders als bei den Direktinvestitionen, entschied man sich beim Exportgeschäft zunächst in schwierige, weiter entwickelte Märkte und danach in leichtere, sich in der Entwicklung befindliche Märkte zu exportieren: Erst soll eine Marke mit Reputation aufgebaut werden. Haier ist derzeit in China der größte Hersteller weißer Ware. Nimmt man die Fremdfertigung für andere Markenhersteller dazu, ist Haier die Nummer eins in der Produktion von Kühlschränken. In den USA gelang es 2003, bei Mini-Kühlschränken einen Marktanteil von 50 % zu realisieren; im lukrativen Markt für Weinkühlschränke konnte man mit einem Marktanteil von 70 % Marktführer werden. „Their huge scale of refrigerators and the much lower costs of designers and engineers in China would enable them to come up with a specialist wine refrigerator at a fraction of the
30
3 Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen
investment required to launch a similar product in Europe or the United States.“16 Das Unternehmen ist laut eines Rankings des Reputation Institutes nicht nur das chinesische Unternehmen mit dem stärksten Markennamen, sondern rangiert auch auf Platz 13 der 1.000 „reputativsten“ Unternehmen der Welt. Die Haier Group hat heute über 40 Fertigungsstandorte, acht Markforschungs- und Designzentren sowie 58.000 Verkaufsstellen in 160 Ländern. Haier ist in die vierte Phase der Unternehmensentwicklung übergegangen, in der sie den Bekanntheitsgrad der Marke „Haier“ international weiter ausbauen möchte.17
3.2
„Markt China“ und Internationalisierung – Beispiel „Automotive-Branche“
Chinas Autobranche feiert unermüdlich Rekorde. 2010 wurden 18,1 Mio. Kfz (Pkw: 13,8 Mio., Lkw und Busse: 4,3 Mio.) verkauft; das bedeutet ein Plus von 32 %. China ist zum zweiten Mal in Folge weltgrößter Automobilmarkt. Schwere Lkw legten um fast 60 % zu, ihr Absatz überquerte erstmals die Millionen-Marke. Darin schlägt sich auch der hohe Logistikbedarf Chinas aufgrund des Wirtschaftswachstums nieder. MAN verkauft jeden zweiten schweren Lkw in China. Zusammen mit Sinotruk soll ein Wachstum von zuletzt 200.000 auf 1 Mio. Einheiten realisiert werden. Aus China heraus sollen auch Märkte in Afrika und dem Mittleren Osten bedient werden – mit einem entsprechend für diese Märkte zugeschnittenen Produkt und Preis. SAIC ist lokal der einzige Automobilkonzern, dessen Absatz bei über 3 Mio. liegt. Auf Platz zwei folgt Dongfeng, danach FAW. Das meiste verkaufte Modell ist mit 264.000 Einheiten der F3 von BYD, knapp vor dem Lavida von Shanghai VW, dem Yuedong von Beijing Hyundai und dem Jetta von FAW-VW. Das Erfolgsmodell F3 von BYD war schon 2009 das meist verkaufte Auto Chinas. Die Käufer schätzen neben der Zuverlässigkeit das gute Preis-Leistungsverhältnis. Jianghuai wuchs 2010 um fast 48 % und möchte in der Zukunft den Export forcieren, vor allem nach Brasilien. Viele neue Marken, wie Baojun, Qi Chen und Linian, drängen auf den chinesischen Markt, während das Markenbewusstsein der chinesischen Käufer steigt.18 Chinas Regierende subventionieren weiterhin die Entwicklung von Autos mit alternativen Antrieben. Zudem verändern die höheren Ölpreise das Kaufverhalten: Der Benzinpreis in China lag 2010 noch bei fünf RMB pro Liter, rund 0,57 €; Anfang 2011 stieg er auf sieben RMB oder 0,80 € pro Liter. Der Energieverbrauch wird damit auch bei der Kaufentscheidung immer wichtiger. Laut einer Studie von 2009 war das Preis-Leistungsverhältnis beim Autokauf das erste und wichtigste Kriterium, es folgten Autogröße, Verbrauch und Leistungsdaten. Das Design war nicht so entscheidend. Nur ein Jahr später hat sich das Bild verändert: Energieverbrauch ist auf Platz eins, das Design folgt an dritter Stelle. Experten erwarten, dass 2011 das Design 16
Zeng und Williamson (2007, S. 103). Vgl. Sohm et al. (2008, S. 118–127). 18 Vgl. Maier (2011, S. 4); vgl. oV (2011a, S. 32–33). 17
3.2 „Markt China“ und Internationalisierung – Beispiel „Automotive-Branche“
31
zum zweitwichtigsten Einflussfaktor bei Kaufentscheidungen aufsteigen wird, gleich nach dem Energieverbrauch. Das Design symbolisiert Individualität und Persönlichkeit, die viele Chinesen zunehmend über ihre Autos ausdrücken wollen. Außerdem werden Kleinwagen immer beliebter, während bislang große Autos bevorzugt wurden (man nahm Freunde und Verwandte mit und gewann dadurch „Gesicht“). Nun gelten kleine Autos zunehmend als modern, persönlich und umweltbewusst. Kunden sehen Vorteile beim Parken, beim Vorankommen im zähen Stadtverkehr und beim Energieverbrauch.19 Ausländische Hersteller versuchen verstärkt die große Masse der weniger kaufkräftigen Kunden mit eigenen China-Marken anzulocken. Gleichzeitig soll die Kernmarke vor einem Imageschaden geschützt werden. Die Autobauer nutzen „bewährte“ Technik, um neue Billigmarken in China einzuführen: z. B. GMMarke Baojun oder Qi Chen von Nissan. Mit „Kaili“ wird Volkswagen zusammen mit FAW eine neue Marke einführen. Kaili wird, wahrscheinlich auch als Stromauto angeboten, unterhalb von VW und Skoda positioniert sein; der Markt für Billigautos (ca. 6 Mio.) soll erschlossen werden.20 In der Lkw-Branche sieht das ähnlich aus: Daimler, zum Beispiel, hat sich mit dem größten chinesischen Nutzfahrzeughersteller Foton auf eine Zusammenarbeit bei schweren Lkw geeinigt; die Fahrzeuge werden nach einer lokalen chinesischen Marke benannt.21
3.2.1 Veränderliche Rahmenbedingungen und Verschiebung von Käuferschichten Die Rahmenbedingungen können sich im chinesischen Automobilmarkt schnell ändern, damit entstehen für die Autohersteller schwer kalkulierbare Risiken. Beispielsweise wurde die Zulassung von Autos in der Hauptstadt Peking eingeschränkt, als Reaktion auf die immer chaotischere Verkehrslage. Peking hatte beschlossen, die Neuzulassungen von rund 50.000 Pkw auf 20.000 Fahrzeuge monatlich zu beschränken. Die Genehmigungen werden per Lotterie erteilt. Seit den Olympischen Spielen 2008 gilt bereits, dass jeder Autobesitzer, je nach Endziffer seines Nummernschilds, einmal pro Woche nicht fahren darf. Dieser Politik könnten weitere Städte folgen. Shenzhen, mit 900 Autos pro Quadratkilometer die Stadt mit der höchsten Autodichte Chinas, arbeitet zum Beispiel an einem Gebührensystem für Fahrten in die Innenstadt. Guangzhou plant ebenfalls Gebühren sowie Fahrbeschränkungen zur Rushhour und eine Deckelung der Zahl an Behördenfahrzeugen. Ningbo erwägt, dass Autokäufer ihren Wagen nur bekommen sollen, wenn sie einen Parkplatz vorweisen können. Shanghai versteigert seit Jahren eine feste Anzahl Nummernschilder, um somit den Autozuwachs in den Griff zu bekommen. Restriktionen, vor allem in den Küstenregionen, könnten zunehmen.22 19
Vgl. oV (2011a, S. 32–33). Vgl. Hucko (2011c, S. 4). 21 Vgl. Hucko und Fischer (2011, S. 5). 22 Vgl. Kühl und Grundhoff (2011, S. 17–18). 20
32
3 Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen
Auch Rolls-Royce musste kürzlich auf eine Neuregelung reagieren: Die chinesische Regierung stufte Fahrzeuge über sechs Meter Länge als Nutzfahrzeuge ein und verbannte sie auf die Lkw-Spur – zwischen Ankündigung und Umsetzung lagen nur sieben Tage. Als Reaktion kürzte Rolls-Royce das größte Phantom-Modell auf 5,98 m.23 Es ist mit einer weiteren Förderung der kreditfinanzierten Autokäufe durch Privatpersonen und einer steuerlichen Förderung von Kleinwagen zu rechnen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Stützung von Autokäufern aus ländlichen Regionen. Damit soll nicht nur der Binnenkonsum angekurbelt werden; es soll auch dem Problem der regionalen Disparität begegnet werden, die unter anderem zu Landflucht führt. Mit einer Verschiebung der Käuferschichten ist zu rechnen, weg vom urbanen zum ländlichen Konsumenten, verbunden mit der Verlagerung der Nachfrage vom Osten ins Hinterland, wo vorerst Kleinwagen nachgefragt werden.24 Derzeit ist es so, dass bei vielen westlichen Autoherstellern die Produktionskapazität die Absatzmenge bestimmt. In der Autoindustrie wächst allerdings die Sorge einer Blase in China. Nach dem rasanten Wachstum von 34 % im Jahr 2010 rechnen Branchenexperten für 2011 noch mit 11 %. Dem steht ein Produktionswachstum von geschätzten 17 % gegenüber. Chinesische Werke würden damit 21 Mio. Autos liefern, mehr als ein Viertel der Weltproduktion.25 Früher oder später könnten Überkapazitäten entstehen. Experten behaupten, bereits 2015 könnte das Angebot die Nachfrage wesentlich übersteigen. So sieht der Fünfjahresplan der Zentralregierung für 2015 ein Ziel von 25 Mio. verkauften Fahrzeugen vor. Zählt man alle (geplanten) Kapazitäten der Hersteller zusammen, ergibt sich eine Zahl von 40 Mio. Die Regierung geht von einem Wachstum des Autoabsatzes von zehn bis 15 % pro Jahr aus. Vor allem die Planungen der chinesischen Hersteller liegen deutlich darüber. Der Volvo-Eigentümer Geely etwa hat 37 % Zuwachs pro Jahr veranschlagt. Im Gegensatz zur Auslastung westlicher Hersteller, liegt derzeit die Werksauslastung mancher lokaler Hersteller allerdings nur bei 60 bis 70 %.26 Der chinesische Automobilmarkt ist durch zahlreiche Anbieter gekennzeichnet. Früher oder später ist wohl mit einer Konsolidierung zu rechnen. Noch bremst das nicht den derzeitigen gewaltigen Kapazitätsaufbau. Der einheimische Hersteller Dongfeng zum Beispiel investiert in den nächsten zwei Jahren umgerechnet 3 Mrd. € für neue Fabriken sowie in die Forschung und Entwicklung. Gemeinsam mit seinen ausländischen Partnern will der Konzern 14 neue PkwModelle auf den Markt bringen, sowie drei neue Serien mit Lastwagen und Bussen. General Motors plant, in China künftig drei Mio. Autos pro Jahr zu verkaufen. VW verkaufte 2010 fast 2 Mio. Fahrzeuge in China, was eine Verdoppelung innerhalb von drei Jahren bedeutet; knapp ein Drittel seiner Autos setzt VW in China ab. 2011 sollen schon 2,2 Mio. Fahrzeuge verkauft werden, für 2018 sind 4 Mio. Fahrzeuge geplant; mit einem Markt von 20 Mio. Einheiten wird dabei gerechnet. In den kommenden
23
Vgl. Hucko (2011a, S. 4). Vgl. Schaaf (2010a, S. 6–9); vgl. Krogh (2011, S. 19). 25 Vgl. Ruch et al. (2011, S. 4). 26 Vgl. Krust (2011, S. 3). 24
3.2 „Markt China“ und Internationalisierung – Beispiel „Automotive-Branche“
33
Jahren plant Volkswagen ca. 10 Mrd. € in China zu investieren.27 Derzeit haben westliche Hersteller größte Mühen, den Bedarf in China durch chinesische Werke überhaupt zu decken. Was werden die westlichen Hersteller aber machen, wenn in einigen Jahren tatsächlich Überkapazitäten entstehen sollten? Werden die chinesischen Werke möglicherweise westliche Märkte bedienen? Auch als Möglichkeit, um die in China geschaffenen Werte „mittels Export“ außer Landes zu bringen. „Made in China“ also nicht nur bei Kleidung und Spielsachen, sondern auch bei Automobilen – wie würden die Käufer das annehmen? Nun, Computer und Fernseher kommen bereits überwiegend aus China. Das hätte sich vor gut zehn Jahren auch noch keiner vorstellen können . . .
3.2.2
Mit der E-Mobilität werden die Karten neu gemischt
Für den langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung ist die chinesische Automobilindustrie von strategisch wichtiger Bedeutung. Die Pläne sind ehrgeizig: Die lokalen Hersteller sollen bis 2020 ihren Marktanteil von derzeit rund 30 auf dann 50 % steigern. Außerdem sollen bis 2020 mindestens jeweils drei chinesische Autohersteller und Zulieferer global wettbewerbsfähig sein. Dabei setzen die Chinesen vor allem auf Elektromobilität.28 China will bei E-Autos global vorn mitspielen und fördert massiv den Aufbau einer heimischen Industrie. Es geht nicht nur um die Technologieführerschaft in einem Zukunftsmarkt, sondern auch um die Verbesserung des ökologischen Images, die Smog-Reduzierung in Großstädten und um die Reduzierung der Abhängigkeit vom ausländischen Technologie-Import.29 Bis 2020 steckt die Regierung rund 11 Mrd. € in die Förderung von Stromautos.30 Die NDRC (National Development and Reform Commission) geht davon aus, dass sich der Gesamtabsatz 2015 auf 15 Mio. Kfz belaufen wird. Davon soll ein Fünftel (3 Mio.) auf Hybridfahrzeuge und weitere 10 % (1,5 Mio.) auf Elektro-Kfz entfallen.31 Schon 2011 sollen Chinas Autofirmen nach Regierungswillen 500.000 Elektro- und Hybridautos fertigen. Dafür sagte Peking im Gegenzug den Firmen Fördergelder und den Käufern Subventionen in einem Gesamtvolumen von rund 1,5 Mrd. US-$ zu. Chongqing subventioniert bereits den Kauf eines Changan Jiexun Hybrid mit 36.000 RMB (und zusätzlichen Reduzierungen bei Straßen- und Brücken-Mautgebühren).32 Bis zu 60.000 RMB Subventionen zahlt Shenzhen an Käufer. Shenzhen, Sitz von BYD, ist ohnehin eine der ambitioniertesten Städte, was E-Mobilität angeht: In fünf 27
Vgl. Fischer et al. (2011, S. 5); vgl. Fischer (2011, S. 4); vgl. Pick und Müller (2011, S. 1–2). Vgl. Gomoll (2011, S. 30–32). 29 Vgl. Lockström et al. (2010, S. 68). 30 Bei einer ganzheitlichen Beurteilung der ökologischen Wirkung von Elektrofahrzeugen ist unter anderem zu berücksichtigen, dass der Strom in China zu über 70 % aus Kohle (mit einem Wirkungsgrad von in der Regel weit unter 30 %) gewonnen wird. 31 Vgl. Hucko (2011b, S. 4); vgl. Schaaf (2010a, S. 6–9). 32 Vgl. Lockström et al. (2010, S. 71). 28
34
3 Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen
Jahren will sie nationale Produktionsbasis für E- und Hybridautos werden; 200.000 bis 300.000 sollen dann dort gebaut werden. Bis 2012 will Shenzhen schon 35.000 Elektro- und Hybridautos auf den Straßen haben – darunter 2.500 Elektro-Taxis und 4.000 Hybrid-Busse. 2020 sollen zudem in der Stadt 25 große Service-Stationen für Elektroautos sowie 10.000 öffentliche Parkplätze mit Ladesäulen vorhanden sein. Immerhin können sich ca. 60 % aller Chinesen vorstellen, ein E-Auto zu kaufen. Das sind fast fünfmal so viele wie in Deutschland, Japan oder den USA.33 Wie konsequent neue Technologien und Produktkonzepte im chinesischen Markt umgesetzt werden können, zeigt das Beispiel E-Bikes bzw. E-Scooters: 21 Mio. Chinesen kauften allein 2009 strombetriebene Zweiräder, während diese im Westen kaum vorzufinden sind.34 Der Start in die E-Mobilität verläuft für China vielversprechend: BYD präsentierte den weltweit ersten elektrobetriebenen 4-Sitzer mit einer Batteriereichweite von über 400 km. Das als Batteriehersteller gegründete Unternehmen baut erst seit 2003 Autos und schwingt sich immer mehr zum Technologieführer auf. Das Unternehmen aus Shenzhen wurde mit dem Bau von Handyakkus groß. BYD ist der größte private Autobauer der Volksrepublik und neu im Geschäft mit öffentlichen Transportmitteln. Seit September 2010 baut der Batteriespezialist strombetriebene Stadtbusse: Der „K9“ soll eine Reichweite von 250 km haben und fährt 70 km/h.35 Daimler kündigte im März 2010 an, mit dem chinesischen Batterie- und Autohersteller BYD Elektroautos zu entwickeln und zu bauen. Das Auto wird auf E-Kontrollsystemen, Batterietechnik und anderem E-Know-how von BYD basieren; Daimler wird Sicherheitselemente, Design und die Struktur des Autos beitragen. Es wird gemeinsame FuE-Teams geben. 2013 soll der Wagen unter einer neuen Marke auf den Markt kommen; eine eigene Marke hat man bereits eintragen lassen. BYD soll im Übrigen auch die Lithium-Ionen-Batterien liefern für den E-Lavida von VW: Die Elektroversion der nur in China gebauten und verkauften Kompaktlimousine soll 2013 bzw. 2014, lokal hergestellt, auf den Markt gebracht werden.36 Der fantastische Aufstieg von BYD kam 2010 und 2011 allerdings etwas ins Stocken: Das äußerst ehrgeizige Ziel, 800.000 Fahrzeuge pro Jahr zu verkauen, wurde klar verfehlt, Gewinnziele wurden nicht erreicht, Sparmaßnahmen wurden angekündigt. Neben BYD könnte auch das erst 2001 gegründete Unternehmen Qingyuan mit Sitz in Tianjin ein zukünftiger Spieler in der Elektromobilität werden, da es in kurzer Zeit geschafft hat, eine merkliche Anzahl an Elektrofahrzeugen in den USA erfolgreich auf den Markt zu bringen und entsprechende Produktionskapazitäten aufzubauen.
33
Vgl. Kühl (2011c, S. 34–35). Vgl. Kiefer (2009, S. 30–31). 35 Vgl. Hucko (2011b, S. 4). 36 Vgl. Freitag (2011, S. 20–22); vgl. Kühl (2011c, S. 34–35). 34
3.2 „Markt China“ und Internationalisierung – Beispiel „Automotive-Branche“
3.2.3
35
Internationalisierung chinesischer Automobilhersteller und -zulieferer
Kooperationen werden von chinesischen Unternehmen oftmals als entscheidendes Instrument zur Eroberung ausländischer Märkte gesehen, wenn Vertriebsstrukturen, Markt-Know-how und Markenvertrauen eine wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel wurde ein Joint Venture zwischen SAIC und GM gegründet, um Klein- und Nutzfahrzeuge in Indien zu produzieren: für den indischen Markt und für asiatische Länder außerhalb Chinas. Bei denAutos wird dabei ausschließlich der Brand „Chevrolet“ genutzt. Im Visier sind im ersten Schritt andere „Schwellenländer“; auch entwickelte und aus heutiger Sicht scheinbar unerreichbare Exportmärkte können für chinesische Unternehmen mittelfristig erschließbar werden. Vielleicht ist das heute noch etwas schwer vorstellbar. Aber wer hätte denn vor 40 Jahren gedacht, dass japanische Autos den Weltmarkt erobern könnten? Wer hätte noch vor 20 Jahren gedacht, dass südkoreanische Hersteller wie Hyundai weltweit die Volumensegmente besetzen könnten? Jeder vierte Deutsche kann sich offenbar jetzt schon vorstellen, ein Auto eines chinesischen Herstellers zu kaufen. Der Export von Fahrzeugen und Autoteilen stieg in der Vergangenheit bereits spürbar an. Chinas Exporte überstiegen 2005 erstmals die Importe bei Automobilprodukten. Die chinesische Regierung fördert die Exportorientierung im Automobil-Bereich und strebt an, dass etwa die Hälfte der chinesischen Fahrzeugund Teileproduktion ins Ausland exportiert wird. Chinesische Autoteilehersteller werden in der Wertschöpfungskette aufsteigen und hochwertige, wertschöpfungsintensive Teile produzieren. Das rapide Wachstum der Autoteile-Exporte wurde hauptsächlich durch arbeits- und energieintensive Teile getrieben. Einige Beispiele hierfür sind Universalverbindungsstücke, Wassertanks, Reifen, Scheibenwischer, Glasscheiben, Autoelektronik, elektronische Motoren, Öl-Pumpen, Kolben, Federn, Stoßdämpfer, Sitzbezüge und Autobatterien. Die Wanxiang Group, Chinas führender Automobil-Zulieferer, exportiert beispielsweise zu einem beträchtlichen Umfang die USA mit universalen Verbindungsstücken, Bremsscheiben, Kugellagern und Schaltungen. Die Wanxiang Group verfügt in der Zwischenzeit zudem über fast 30 Werke in den USA. Geschickt positioniert man sich zudem insbesondere im Zukunftsfeld „Green Energy“. Neben Komponenten für elektrische Fahrzeuge (Batterien etc.) werden außerdem ganze E-Fahrzeuge, sogar E-Busse, vor allem im chinesischen Markt, abgesetzt. Außerhalb des Automotive-Bereichs zeigen sich darüber hinaus bemerkenswerte Exporterfolge bei Solar-Panels. Die Fuyao Group gehört in der Zwischenzeit mit einem Weltmarktanteil von 15 % zu den größten GlasscheibenHerstellern der Welt. Aber auch bei den Fahrzeugen wird das Export-Potenzial zunehmend erkannt. Chinesische Automarken lassen sich in einem ersten Schritt relativ leicht auf den Straßen von Schwellenländern etablieren. So betreibt Chery, ein privater chinesischer Autohersteller, bereits sieben Montagewerke in sechs verschiedenen Ländern (Russland, Ukraine, Iran, Ägypten, Indonesien und Uruguay). Chery beabsichtigt offenbar außerdem, zusammen mit westlichen Joint-Venture- und Entwicklungspartnern, den Aufbau einer „Premium-Marke“ für den chinesischen und
36
3 Märkte, Internationalisierung und Best-Practice-Unternehmen
den europäischen Markt. Geely, ebenfalls ein privater Kleinwagen-Hersteller, verfügt über Montagewerke in Russland, der Ukraine und Indonesien. Chinesische Firmen werden internationaler; das zeigt sich auch bei steigenden grenzüberschreitenden Übernahmen (z. B. Volvo durch Geely). Es wird auch erwartet, dass chinesische Automobilfirmen zur Sicherung fortschrittlicher Technologie und für den Zugang von Vertriebskanälen westliche Akquisitionsziele noch mehr ins Auge fassen: Die chinesische Regierung unterstützt diese Übernahmen und fordert Banken auf, Kapital für solche Transaktionen bereitzustellen.37
3.2.4
Trotz aller Erfolge – noch großer Aufholbedarf bei lokalen chinesischen Herstellern
2009, im Jahr der Finanzkrise, sanken die Exporte chinesischer Autohersteller fast um 50 % (während sie in Indien gleichzeitig um über 20 % stiegen). Ein Grund mag in der vergleichsweise hohen Inlandsnachfrage gelegen haben. Aus dem Rückgang könnte man aber auch schließen, dass es Chinas OEMs noch an internationaler Erfahrung mangelt. Denn sie haben das Exportgeschäft meist nicht selbst betrieben; viele der genutzten Dienstleister gaben wegen der Wirtschaftskrise den Auslandsvertrieb chinesischer Fahrzeuge auf. Manche OEM denken ohnehin hauptsächlich an den Verkauf und kümmern sich kaum um den After-Sales-Service. Dieses kurzsichtige Verhalten nützt natürlich nicht dem Image chinesischer Marken im Ausland. Ohne eine Professionalisierung der Exporte sind langfristige, durchschlagende internationale Ziele schwer zu erreichen.38 Die Regierung in Peking ist insgesamt ebenfalls unzufrieden mit der Entwicklung der eigenen Autoindustrie (auch im chinesischen Markt; der Marktanteil der heimischen Unternehmen liegt bei ca. einem Drittel) – und verlangt Hilfe von westlichen Automobilherstellern. So sollen die ausländischen Konzerne gemeinsam mit ihren Partnern vor Ort eigene Marken entwickeln und beim Aufbau der Elektromobilität helfen. Die intellektuellen Rechte sollen, anders als in den Joint Ventures bislang üblich, in China liegen. GM, Honda, Nissan und Mitsubishi entwickeln bereits mit ihren Partnern Marken speziell für den chinesischen Markt. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Genehmigung neuer Fabriken anscheinend an den Start einer Gemeinschaftsmarke gekoppelt ist.39
37
Vgl. Kuan und Xie (2009, S. 211); vgl. oV (2010, S. 48–49); vgl. Kiefer und Karius (2010, S. 2). Vgl. Kuan und Xie (2009, S. 212–213); vgl. Meyring (2009, S. 33); vgl. oV (2010, S. 49). 39 Vgl. Freitag (2011, S. 20–22); vgl. Kühl und Grundhoff (2011, S. 18). 38
Kapitel 4
China Sourcing und Wertschöpfung in China
4.1
Global Sourcing: Chancen, Herausforderungen und Trends
Durch die steigende Bedeutung der emerging countries und dem Aufkommen lokaler Wettbewerber hat sich selbst für Unternehmen, die in entwickelten Technologiemärkten beheimatet sind, der Kostendruck in den vergangenen Jahren wesentlich verschärft.1 Im Einkauf werden Kostenpotenziale unter anderem durch die verstärkte Nutzung internationaler Märkte gesucht. Global Sourcing bildet ein strategisches Instrument zur Gestaltung des Versorgungsmanagements durch Nutzung weltweiter Beschaffungsquellen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise verschärfte in den westlichen Ländern zusätzlich den Kostendruck, so dass ein Global Sourcing in den meisten Unternehmen noch mehr Dynamik gewonnen hat. Auch die Internationalisierung der Märkte hat sich beschleunigt, da man gemerkt hat, dass gerade Länder wie China, Indien und Brasilien von der Krise weniger betroffen waren und schnell wieder Fahrt aufgenommen hatten. Eine Hauptmotivation für Global Sourcing liegt in einer Reduzierung der Materialkosten. Im Vordergrund stehen Faktorkostenunterschiede, die vor allem auf geringere Lohnkosten in Schwellenländern zurückzuführen sind. Materialkostenpotenziale können auch implizit entstehen, indem man durch einen erweiterten Lieferanten-Pool eine Verbesserung der Verhandlungsposition bei bestehenden Lieferanten erreicht. Abhängigkeiten zu bereits vorhandenen Lieferanten oder auch Beschaffungsmärkten können verringert werden, monopolartige Beschaffungssituationen in Heimatmärkten lassen sich aufbrechen, Risiken werden gestreut. Die frühzeitige Präsenz in Beschaffungsmärkten und somit das Wissen um regionale Lieferanten können helfen, strategische Versorgungsengpässe und damit massive Preissteigerungen zu vermeiden. Durch den Zugriff auf eine erhöhte Zahl qualifizierter Lieferanten entsteht zudem die Möglichkeit, aus einem breiteren Angebotsspektrum auszuwählen. Wer global beschafft, erkennt frühzeitig Trends, die auch zur Erschließung neuer Absatzmärkte genutzt werden können: Bedarfe lassen sich erkennen, enge Kontakte zu Lieferanten und Behörden schaffen Absatzchancen. In vielen Märkten ist ohnehin ein Local Content erforderlich, um überhaupt 1
Vgl. Seidenschwarz (2008, S. 618–619).
P. Faust, G. Yang (Hrsg.), China Sourcing, DOI 10.1007/978-3-642-23264-0_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
37
38
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
seine Produkte absetzen zu können. Durch ein Global Sourcing lässt sich des Weiteren ein antizyklischer Einkauf leichter realisieren, indem alternative Beschaffungsquellen verfügbar sind. Währungsrisiken können auf Grund eines Natural Hedging begrenzt werden. Durch alternative Beschaffungsquellen kann besser auf Insolvenz und Produktionsausfälle bei Lieferanten reagiert werden. Darüber hinaus entstehen Möglichkeiten zur Optimierung der Materialströme im internationalen Wertschöpfungsnetzwerk.
4.1.1 Versorgungsrisiko steigt mit der Entfernung Nicht immer wird bei Vergabe-Entscheidungen nach Total Cost of Ownership (TCO) entschieden. Mit der Entfernung der Lieferanten erhöhen sich die Frachtkosten, Zollkosten können anfallen, mit den verlängerten Wiederbeschaffungszeiten steigen Bestands-, Obsoleszenz- und Behälterkosten; darüber hinaus nimmt die Abwicklungskomplexität zu und somit der Dispositionsaufwand. Eine ganzheitliche Bewertung der Sourcing-Entscheidungen vermeidet eine Suboptimierung von einzelnen Kostenarten oder Unternehmensbereichen.2 Durch das Global Sourcing entstehen außerdem Risiken und Herausforderungen. Eine längere Lieferzeit verursacht prinzipiell Lieferrisiken. Je länger die Wiederbeschaffungszeit, desto weniger reagibel ist man auf Bedarfsschwankungen. Zur Abfederung des Risikos werden Bestände aufgebaut. Auch eine große Durchlaufzeit-Streuung macht der Disposition zu schaffen. Diese können bei internationalen Lieferbeziehungen vorkommen, weil Lieferanten entweder weniger termintreu liefern oder sich Unwägbarkeiten in der Auftragsabwicklung bzw. im Transport ergeben, zum Beispiel durch längere Verweildauern in der Zollabwicklung. Treten Qualitätsprobleme auf, die erst beim Abnehmer erkannt werden, ist eine flexible Nachlieferung schwierig oder auf Grund einer erforderlichen Luftfracht mit hohen Sonderfrachtkosten verbunden. Das Versorgungsrisiko steigt also mit der Entfernung. Auf Grund dieser Risiken und der damit verbundenen Kosten reduzieren bereits einige westliche Unternehmen den Asien-Sourcing-Anteil wieder: Auch wenn die Global Sourcing-Welle noch voll am Rollen ist, kann man in manchen Bereichen durchaus eine stärkere Orientierung am „Local for Local“-Prinzip feststellen. Und zwar nicht nur für die Wertschöpfung in China, sondern auch hinsichtlich der Beschaffung für westliche Produktionswerke. Logistik-Kosten aus China heraus stellen einen Grund dar, die erforderliche Versorgungsflexibilität ist meistens noch bedeutender. Die in der Vergangenheit häufig verfolgte Single-Sourcing-Strategie wird sich beim Global Sourcing ohnehin kaum realisieren lassen: Bündelungseffekte gehen verloren. Risiken entstehen auch durch unkalkulierbare Entwicklungen von Währungen, die sich bei einseitiger Ausrichtung auf internationale Beschaffungsmärkte und unzureichender Absicherung ergeben können. Außerdem führen unterschiedliche Rechtsvorschriften oftmals zu größeren Schwierigkeiten. Die Durchsetzung 2
Vgl. Faust (2009a, S. 16–17).
4.1 Global Sourcing: Chancen, Herausforderungen und Trends
39
seiner Rechte ist in manchen Ländern durchaus beschränkt. Eine weitere Herausforderung liegt in der erschwerten Kommunikation mit Lieferanten, Dienstleistern und Behörden, bedingt durch die Sprache und die kulturellen Unterschiede, aber auch durch die Entfernung, verbunden mit reduzierten Face-to-Face-Kontakten und begrenzter Kommunikationsreichhaltigkeit. Dabei ist gerade die Kommunikation auf Grund der zuweilen vorzufindenden kulturellen Distanz von enormer Bedeutung. Besonders für China ist mit einem ausgeprägten Abstimmungsaufwand zu rechnen. Der Aufwand für das Markt-Screening erhöht sich ebenfalls, da eine Vielzahl von Beschaffungsmärkten untersucht wird, die sich in der Regel durch eine hohe Dynamik auszeichnen.3 Für die bestehenden Einkäufer in den Unternehmen handelt es sich bei diesen Beschaffungsmärkten meist um völliges Neuland. Es stellt sich außerdem die Frage, wie man die Anforderungen auf Grund der gestiegenen Internationalität und Komplexität organisatorisch abbildet. Es bedarf zudem eines differenzierten Beschaffungsansatzes, der Bedarfsanforderungen, Spezifika der Beschaffungsobjekte und der Beschaffungsquellen berücksichtigt. Auf der technischen Seite stellt sich die Frage, wie man mit unterschiedlichen Normen, Fertigungsverfahren und Qualitätsansätzen umgeht. Einer Internationalisierung der Beschaffung stehen oftmals interne Vorbehalte gegenüber, die genährt werden, sobald die ersten Lieferschwierigkeiten auftreten. Change Management4 sollte damit auch der Begleiter eines Global Sourcing sein.
4.1.2
Best-Cost-Country-Sourcing: Weiterentwicklung von LCC-Sourcing
Zahlreiche Unternehmen versprechen sich – häufig in einer Materialpreis-orientierten Sichtweise – große Einsparpotenziale durch das Low-Cost-Country Sourcing. Auch abhängig von Währungskursschwankungen bekommen diese Bestrebungen mal mehr, mal weniger Rückenwind. Logistikkosten (u. a. Transport, Zoll, Disposition, Bestandskosten) werden bei derartigen Entscheidungen in vielen Fällen nicht ausreichend berücksichtigt. Zulieferer haben zudem oftmals gar nicht die Entscheidungsmöglichkeit, da ihre Vorlieferanten durch den OEM „mandatiert“ sind und damit gar keine Wahlmöglichkeit besteht. Vorausschauende Beschaffungskonzepte mit „kontrollierter Offensive“ beginnen oftmals mit dem Aufbau lokaler Lieferanten für die jeweilige Wertschöpfung vor Ort. Nachdem ausreichend Erfahrungen mit den Lieferanten gesammelt wurden und diese entwickelt sind, beginnt man schrittweise, diese für ein Global Sourcing zu nutzen. Hierfür wird heutzutage vielen Einkäufern jedoch gar nicht mehr die Zeit gelassen, da kurzfristige quantitative Beschaffungsziele einen engen Rahmen stecken.5 3
Vgl. Wildemann (2008, S. 2–13, 27); vgl. Kerkhoff (2005, S. 35–47). Vgl. Seidenschwarz (2003, S. 137–150). 5 Vgl. Faust (2009d, S. 369). 4
40
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Wenngleich Global Sourcing in der Zwischenzeit durchaus keinen neuen Ansatz6 mehr darstellt, so lassen sich doch aktuelle Entwicklungstendenzen erkennen. Zum Beispiel lässt sich ein differenzierter Umgang mit Low-Cost-Countries (LCC) feststellen, der sich allerdings derzeit noch vor allem begrifflich niederschlägt: BestCost-Country-Sourcing (BCCS), neuerdings auch „Global Value Sourcing“, kann als die Weiterentwicklung des Low-Cost-Country-Sourcing verstanden werden, indem eine Gesamtkosten-Betrachtung (inkl. Logistik + Qualität), die Qualität und das Risiko verstärkt berücksichtigt werden. In der Praxis ist dieser Ansatz jedoch noch nicht vollständig angekommen, da der Materialpreis häufig immer noch als Kriterium für Beschaffungsentscheidungen vorherrscht: Eine Materialpreis-Reduzierung ist transparent, greifbar und schnell wirksam. Entsprechend klar quantifizierte Ziele (Materialkosten, Anteil BCCS) bilden ohnehin den Orientierungsrahmen für den Einkauf. Wirkungen, die später erst sichtbar werden, stehen weniger im Vordergrund. Auf Grund der enormen Bedeutung eines Global Sourcing stellt sich auch die Frage einer Erweiterung des Gestaltungsraums, um die vorhandenen Potenziale noch weiter auszuschöpfen. In diesem Zusammenhang rückt verstärkt die Produktentwicklung in den Mittelpunkt. In Westeuropa gängige Produktkonstruktionen berücksichtigen in vielen Fällen nicht ausreichend die Möglichkeiten und die Besonderheiten der Wertschöpfung in einem BCC, da das Design nicht ausreichend an die landesspezifischen Bedingungen angepasst ist. Die Lieferanten sind zum Beispiel mit den Werkstoffen, Bearbeitungsverfahren, Normen, Toleranzen oder den einzuhaltenden Standards nicht vertraut oder überfordert. Sonderwünsche und Anforderungen jenseits bekannter DIN-, EN- oder anderer internationaler Normen verursachen beispielsweise bei chinesischen Lieferanten zum Teil erhebliche Investitionen in zusätzliche Maschinen, die sich in höheren Quotierungen niederschlagen. Manchmal erzielt man allerdings ein qualitativ ebenso hochwertiges Produkt bei überproportionalen Einsparungen durch kleine Anpassungen oder den Verzicht auf bestimmte, unkritische Anforderungen sowie eine Reduzierung der Komplexität. Eine Abweichung von einer bisherigen Spezifikation ist oftmals möglich und nicht immer mit Leistungseinbußen verbunden. Erfolgreiche Ansätze hierzu bestehen: Ein deutscher Automobilzulieferer hat beispielsweise einen Spezialstahl „made in China“ für seine lokalen Getriebekomponenten zugelassen und eingesetzt. Design for BCCS erfordert Marktwissen, das eher gegeben ist, wenn R&D-Kompetenzen vor Ort angesiedelt sind. Eine R&D-Lokalisierung ist somit in vielen Fällen Voraussetzung für eine erfolgreiche Lieferanten-Lokalisierung. Starten wird man dabei immer mit Anpassungsentwicklungen. Ist eine R&D-Lokalisierung nicht möglich, können Design for BCCS-Schulungen entsprechendes Verständnis und Know-how vermitteln. Auch Lieferantenbesuche mit Entwicklern in BCC-Beschaffungsmärkten und spezifische Produktklausuren sind hierbei hilfreich. Letztendlich gilt, wie auch bei einem Advanced Purchasing: ohne funktionsübergreifende Zusammenarbeit geht es nicht (Einkauf + Entwicklung + Qualität + Logistik + Produktion).7 Design
6 7
Vgl. Monczka und Trent (1991, S. 2–8). Vgl. Faust (2008a, S. 8–9; 2009d, S. 369).
4.1 Global Sourcing: Chancen, Herausforderungen und Trends
41
for BCCS ist nicht gleichzusetzen mit dem Aufgeben von Qualitätsstandards. Deutsche Premium-Automobilhersteller setzen zum Beispiel auch in China voraus, dass Lieferanten technische Spezifikationen einhalten und den weltweit gültigen Anforderungen von ISO/TS 16949:2002 genügen. Auf Basis dieser Standards werden auch die chinesischen Lieferanten durch entsprechende Audits bewertet. Design for BCCS bedeutet, die (lokalen) Kundenanforderungen zu erfüllen mit einer Lösung, welche die Technologie- und Verfahrenskompetenz der (lokalen) Lieferanten berücksichtigt, um kostengünstig herstellen zu können. Stahlschweißen, zum Beispiel, ist für chinesische Lieferanten grundsätzlich leichter zu beherrschen als Aluschweißen. Der Spielraum ist nicht in allen Branchen gleich groß und hängt auch von der Produktstrategie eines Unternehmens ab. Manche Unternehmen setzen weltweit die gleichen Teile ein – auch aus Standardisierungsgründen.
4.1.3
Trends im Global Sourcing
Als Trend kann erkannt werden, dass zunehmend technisch anspruchsvolle Beschaffungsobjekte in den Fokus des Global Sourcing gelangen: Die Beschaffungsalternativen steigen und somit die Chancen für Einkaufspotenziale. Damit gleichen sich auch die Anforderungen an High-Cost- und Low-Cost-Countries immer mehr an. Die technische Entwicklung und die sich daraus ergebenden Chancen führen in manchen LCC teilweise sogar zu einem „Wettbewerb der Nachfrager“. Bei diesem Wettbewerb erhalten oftmals die lokalen Nachfrager den Zuschlag. Denn LCC betreiben in vielen Fällen eine differenzierte Industriepolitik, die eine Abhängigkeit von ausländischen Nachfragern begrenzen soll.8 Zudem bevorzugen manche Lieferanten tatsächlich einheimische Abnehmer, wenn ausreichend vorhanden: Ausländische Kunden gelten, trotz der verbundenen Chance zur Weiterentwicklung, als vergleichsweise unbequem und schwierig im Umgang aufgrund der unterschiedlichen Vorstellungen zu Kundenbetreuung, Transparenz-Anforderungen, Qualität, Termintreue und Vertragsgewohnheiten. Auf der anderen Seite wird in manchen Bereichen der Gewinn eines renommierten westlichen Referenzkunden konsequent angestrebt, als Eintrittskarte für das internationale Geschäft. Global Sourcing ist per se mit einer Internationalisierung des Beschaffungsmanagements verbunden, die sich niederschlägt in einer erhöhten Anzahl an Beschaffungsländern mit mehr oder weniger geografischer und kultureller Distanz zu den angestammten Unternehmenswurzeln.9 Mit der Verschiebung der Beschaffungsmärkte steigt auch der Bedarf zur Internationalisierung der Beschaffungsorganisation. Know-how über die Beschaffungsmärkte und die möglichen Lieferanten sowie eine kontinuierliche Lieferanten-Betreuung bedürfen einer Marktnähe. Zwei Drittel der deutschen mittelständischen Unternehmen organisieren das China Sourcing aus Deutschland heraus. Größere Unternehmen verlassen sich immer 8 9
Vgl. Zenglein und Drozak (2008, S. 204). Vgl. Kaufmann (2001, S. 290–291).
42
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
weniger auf Händler oder Makler. So genannte IPOs (International Procurement Offices) unterstützen bei Angebotseinholung und -bearbeitung, Verhandlungsführung, Lieferantensuche und -pflege, Markt-Screening, Qualitäts- und Terminkontrolle, Logistik, Behördengängen sowie der Abwicklung von Reklamationen. Je dezentraler die Beschaffungsorganisation, desto wichtiger ist es, übergreifende Leitlinien zu verfolgen: z. B. Nutzung der Marktmacht und abgestimmter Marktauftritt, bei den besten Lieferanten weltweit einkaufen, Optimierung und Harmonisierung der Beschaffungsprozesse, flächendeckend professionell und korrekt einkaufen, Sicherstellung Informationsverfügbarkeit sowie ein weltweiter Austausch von Best Practices.10
4.2
Lokalisierung – Wegbereiter des China Sourcing
Mögliche Kosteneinsparungen sind nicht allein Ausschlag gebend für eine Lokalisierungsentscheidung. Tatsächlich stellen viele Unternehmen sogar fest, dass Kostenpotenziale nicht wie erwartet oder erst erheblich zeitversetzt eintreten. Die Gründe für eine Lokalisierung liegen dagegen meistens in der Verbesserung von Liefer-Performance, Erfüllung von Lokalisierungsanforderungen, Vermeidung von Importzöllen, Realisierung von Marktnähe sowie im Aufbau von Marktwissen und „Export-Plattformen“ (Fertigung, R&D, Lieferanten: Global Sourcing). Die Rahmenbedingungen einer Lokalisierung in China hängen von der Branche ab. Je „strategischer“ diese durch die chinesische Regierung oder Planungsbehörden (z. B. NDRC) gesehen wird, desto höher die Lokalisierungsanforderungen. Beispielsweise ist eine Wertschöpfung über die gesamte Wertkette von über 70 % in Schiffbau oder bei Verkehrsprodukten erforderlich. Die Lokalisierungsanforderungen für Automobil-Hersteller liegen (unter Berücksichtigung zahlreicher Ausnahmeregelungen und ständiger Änderungen) bei ca. 40 % über die gesamte Wertkette. Der Lokalisierungsdruck wird damit auch auf die Zulieferer weitergegeben. Dabei kommt es zu Fällen, dass deswegen der lokale (2nd-tier) Lieferant ausgewählt wird und nicht der passendere oder sogar insgesamt kostengünstigere ausländische. Für die meisten Automobilhersteller stellen die geforderten Lokalisierungsquoten nach dem massiven Werksaufbau der letzten Jahre allerdings immer weniger eine große Herausforderung dar. Neben Lokalisierungsanforderungen stellen Importzölle einen weiteren Lokalisierungsgrund dar. Auch wenn die Importzölle für fertige Automobile seit 2001 von 70 % auf 25 % gesunken sind, ist die Montage von CKD-Teilen (Completely Knocked Down) in China – unter Zoll-Gesichtspunkten – kostengünstiger (CKD: nur 10 %) als der Import von kompletten Fahrzeugen. Es lassen sich bestimmte Stufen der Lokalisierung unterscheiden. Das dynamische und komplexe Marktgeschehen sowie die besondere Bedeutung der Pflege von Kundenbeziehungen verlangen allein schon einen hohen Grad an Präsenz. Es reicht nicht, „ein überzeugendes Produkt herzustellen und dann die Vertriebsmannschaft einmal im Quartal ins Flugzeug zu setzen.“11 Um Geschäfte in China zu machen, 10 11
Vgl. Ji (2009, S. 43); vgl. Kerkhoff (2005, S. 182); vgl. Wildemann (2008, S. 12). Müller (2011b, S. 1).
4.2 Lokalisierung – Wegbereiter des China Sourcing
43
beginnen westliche Unternehmen mit dem Set-up von Vertriebsbüros und Distributionskanälen (Vertriebs-Lokalisierung), bevor Lager- und Logistik-Strukturen (Warehouse-Lokalisierung) aufgebaut werden, damit die Kunden zeitnah beliefert werden können. Die nächste Stufe der Lokalisierung wird erreicht, wenn in China gefertigt wird. Bei der Fertigungs-Lokalisierung stellt sich die Frage, ob die Verfahren aufgrund der unterschiedlichen Faktorkosten einer Anpassung bedürfen. Wegen der geringen Lohnkosten gehen die meisten Unternehmen den Weg, dass in China weniger automatisiert und mehr manuell gefertigt wird. Andere sehen dagegen die Vorteile der Automatisierung und der Standardisierung, indem bewährte Konzepte im Werksaufbau und -betrieb komplett nach China übertragen werden. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, dass eine manuelle Fertigung grundsätzlich mit einer erhöhten Fehlergefahr verbunden ist. Ein wesentlicher Vorteil der manuellen Fertigung liegt in der größeren Flexibilität. Darin liegt im Übrigen auch ein Grund, warum es viele chinesische Unternehmen schaffen, Vielfalt zu geringen Kosten zu produzieren. Mit einer Lokalisierung der eigenen Wertschöpfung werden in der Regel auch lokale Lieferanten aufgebaut. Bei der Lieferanten-Lokalisierung entstehen meistens erst die Kostenpotenziale. Hat man gute Erfahrungen mit den lokalen Lieferanten gemacht, stellt sich schnell die Frage, ob diese für ein Global Sourcing genutzt werden können. Der Aufbau von lokalen Einkaufsorganisationen (IPO: International Procurement Offices) unterstützt dies. Die fünfte Lokalisierungsstufe wird bestiegen, wenn Forschung und Entwicklung nach China verlagert wird (R&DLokalisierung).12 Beginnen wird man dabei immer mit Anpassungsentwicklungen – IPR immer im Blick habend. Prinzipiell stellt sich die Frage nach dem optimalen Grad an regionaler Dezentralisierung von Kompetenzen. Wenn die Umsätze zu einem Viertel, einem Drittel oder vielleicht sogar zu einem noch höheren Anteil aus China kommen, muss man dann nicht auch über eine Anpassung der grundsätzlichen Organisationsstruktur nachdenken, verbunden mit substanziell dezentralen Kompetenzen, (lokalen) Kapazitäten und chinesischem Management? Diese Frage hat selbstverständlich mit Veränderungen im Unternehmen zu tun, die zu Widerständen führen können („Muss der Begriff ,Heimatmarkt‘ neu definiert werden?“, „Verträgt es überhaupt die ,Unternehmens-DNA‘, wenn wichtige Zentralbereiche vom HQ substanziell nach China verlagert werden?“, „Wie chinesisch möchte ein westliches Unternehmen werden?“, „Wie erzeugt man China-Begeisterung auch bei der gewachsenen Mannschaft?“). In jedem Fall bedarf es eines optimalen Zusammenspiels von zentralen und regionalen Einheiten.
4.2.1
Supply Chain Design – in China und im globalen Kontext
Um das richtige Produkt anbieten zu können, muss man die lokalen Kunden sowie deren Bedürfnisse und Anforderungen kennen. So sind beispielsweise in China immer noch die Langversionen der Limousinen (nur Stufenheck kommt an, Kombis sind 12
Vgl. Faust (2008a, S. 8; b, S. 12).
44
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
kaum vorzufinden) beliebt, damit vor allem auf der Rücksitzbank genug Platz vorhanden ist, weil derjenige, der sich dasAuto kauft, in der Regel einen Fahrer hat und somit selber hinten sitzen kann (und das lieber auf weicheren Sitzen als im Westen üblich). Was für die Produktgestaltung gilt, trifft auch für die Wertschöpfungs- und Prozessgestaltung zu. Zunächst muss man den Markt kennen, um ein Supply Chain Design vornehmen zu können. Bei einem Projekt in China wurde zum Beispiel für einen Hersteller von Getriebemotoren der wenig transparente Markt unter Berücksichtigung von Branchen und Anwendungen dergestalt segmentiert, dass trennscharf und treffsicher Soll-Lieferzeiten pro Segment definiert werden konnten. Grundlagen waren gezielte Kunden- und Experten-Befragungen sowie Wettbewerbsanalysen. Wie leicht Wissen über Wettbewerber (und wahrscheinlich auch umgekehrt) auf kurzen, informellen Wegen zusammengetragen werden kann, ist für Westler immer wieder frappierend. Schnell erkannte man, dass die eigenen Lieferzeiten viermal so lange waren als die des wichtigsten Wettbewerbers – dazu noch mit geringerer Liefertreue. Aufgrund der Soll-Lieferzeiten (Service Levels) lässt sich die Supply Chain designen, indem Fragen hinsichtlich Fertigungsort, Lieferantenstruktur, Bevorratungsart/-ort und Versorgungsprinzip zu beantworten sind. In diesem Beispiel stellte man fest, dass nach Analyse der Ist-Supply Chain der kritische Durchlaufzeitpfad nicht durch die externen (chinesischen) Lieferanten bedingt war, sondern durch die internen an den westeuropäischen Standorten. Allein mit dem Seeweg ist eine Durchlaufzeit von ungefähr sechs Wochen verbunden. Luftfracht kam aufgrund der geringen Wertdichte und damit der hohen Transportkosten nicht in Frage. Die Verfügbarkeitsund Liefertreue-Analyse ergänzte das Bild: Trotz enormer Bestände fehlten die Teile gemäß der Regel „das was gebraucht wird, ist sowieso nie auf Lager“. Schnell glaubte man, mit dem schlechten Forecast die Ursache gefunden zu haben. Forecasts stimmen sowieso nie, sie dienen der Planung, bilden aber meist nur eine unzureichende Dispositionsgrundlage. Gerade bei einer hohen Variantenvielfalt, die in diesem Fall vorhanden war, ist die Trefferquote gering; man kann auch nicht alles auf Lager legen; die Lager-, Kapitalbindungs- und Bestandsobsoleszenz-Kosten würden jeglichen Rahmen sprengen. Der Weg führt nur über Flexibilität, das heißt: kurze Durchlaufzeiten. Bei dem beschriebenen Projektbeispiel erhöhte man die Fertigungslokalisierung und optimierte die Prozesse vor Ort, um die Durchlaufzeiten zu reduzieren. Im nächsten Schritt wurden die Lieferanten weiterentwickelt.13 Die gestiegene Anzahl an internationalen Märkten, Fertigungsstandorten und Lieferanten bringt eine Komplexität mit sich, die ein gezieltes Supply Chain Design verlangt. Einen Wettbewerbsvorteil hat derjenige, der weltweit die Kunden rechtzeitig und flexibel bedient bei begrenzten Supply Chain-Kosten. Netzwerke sind ganzheitlich zu gestalten und zu optimieren: von den Kunden kommend, eigene Werke und Lieferanten beinhaltend. Einflussfaktoren für die Gestaltung von Wertschöpfungsnetzwerken sind beispielsweise die Markt-Spezifität, Zölle, Lokalisierungsanforderungen, Währungsaspekte/Natural Hedging, Lieferzeiten, Variantenvielfalt,
13
Vgl. Faust (2009c, S. 235).
4.3 Beschaffungskriterien China Sourcing
45
Entkopplungspunkte, Wertdichte (€/kg), Skaleneffekte, Know-how-Intensität der Fertigungsschritte sowie Anlageninvestitionen.14
4.3
Beschaffungskriterien China Sourcing
Der Lieferantenauswahlprozess beginnt, nach einer Bedarfsanalyse und dem Beschaffungskonzept, mit der Produktspezifikation. Gerade in China ist es wichtig, dass diese präzise formuliert und vollständig vorhanden ist: in Englisch und Chinesisch. Meistens hilft zusätzlich eine bildhafte, anschauliche und verständliche Darstellung. Nach dem Markt-Screening beginnt die internationale Ausschreibung (long list), daraufhin auf Basis von Bewertungskriterien eine Lieferanten-Vorauswahl, dann eine Selektion der Lieferanten zu einer Shortlist. Ein Besuch vor Ort mit einer Besichtigung der Produktionsstätten hat in der Regel stattgefunden, wenn es ein Lieferant auf die Shortlist geschafft hat. Es folgen Lieferantenverhandlungen und die Vergabe.15 Um aus der Vielzahl der identifizierten potenziellen Lieferanten die geeignetsten herauszufiltern, verwendet man entsprechende Lieferantenbewertungsverfahren. Daimler unterscheidet zum Beispiel sechs Beurteilungsbereiche (betriebswirtschaftliche Kenndaten, Unternehmensmanagement, Qualitätssicherung, Fertigungseinrichtungen, Entwicklung und Logistik) mit insgesamt 55 Beurteilungskriterien. Die Basis bildet die Erfüllung der technischen Spezifikationen. Manche Unternehmen achten stark auf die Kapitalstruktur der Lieferanten. Bei vollständig in ausländischem Besitz befindlichen Unternehmen (WFOE) und bei Gemeinschaftsunternehmen mit internationaler Anteilsmehrheit nimmt man an, dass westliche Standards eher eingehalten werden. Meistens werden diese Unternehmen von einem international erfahrenem Management geführt. Bei manchen staatlichen chinesischen Unternehmen ist man dagegen vorsichtig, weil ein „Proporz-Management“ vermutet wird. Auch die internationale Erfahrung und die Exportorientierung spielen eine Rolle.16 Nicht alle chinesischen Lieferanten streben Exporte an, manche konzentrieren sich auf den chinesischen Binnenmarkt, wo man die Gepflogenheiten kennt und wo mit der Einhaltung von Spezifikationen vielleicht etwas lockerer umgegangen wird. In einer Studie aus der Textilbranche wurde gleichwohl ein gegenteiliger Trend festgestellt: Dementsprechend würden dort ausländische Kunden deutlich vor inländischen Kunden bevorzugt. Begründet wurde dies mit der höheren Verlässlichkeit der nichtchinesischen Kunden. Während europäische Kunden eine bessere Zahlungsmoral hätten und sich meist an Vereinbarungen hielten, würden inländische Kunden stets versuchen nachzuverhandeln oder Spezifikationen zu ändern.17 Selbstverständlich stellt der Preis ein zentrales Entscheidungskriterium dar. Die Einkaufspotenziale durch China Sourcing können bis zu 50 % betragen, weisen aber 14
Vgl. Faust (2008b, S. 12–13; 2009c, S. 235–238). Vgl. Kerkhoff (2005, S. 52–55). 16 Vgl. Coates (2009, S. 39). 17 Vgl. Burgmann (2011, S. 20). 15
46
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
eine große Bandbreite auf – es lohnt eine differenzierte Betrachtung. Bei einfachen Aluminiumdruckgussteilen können zum Beispiel relativ hohe Einsparungen generiert werden, während die Preise komplexer Produkte, deren Herstellung Präzisionsmaschinen erfordert, oftmals sogar über dem europäischen Niveau liegen können. In der Regel können chinesische Lieferanten Stanzteile zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen anbieten – manchmal 30 bis 50 % unter dem deutschen Niveau. Neben dem Preis spielen gerade auch die Produkt- und Prozessqualität, die Flexibilität, die Risiken, die Innovationsfähigkeit und die Management-Performance (Kompetenz, Kundenorientierung, Verlässlichkeit) eine wichtige Rolle. Vorbei sind die Zeiten, in denen man nur auf das billigste Angebot schaute: Einkauf in China bedeutet heute „gute Qualität plus günstiger Preis“. Gute chinesische Lieferanten wissen, was sie können. Sie setzen auf eine langfristige Geschäftsbeziehung und gegenseitiges Vertrauen. Dass Qualität ihren Preis hat, gilt auch für den chinesischen Markt. Ein Signal ist wichtig: „Ein Vertrag muss sein, aber wir wollen eine Partnerschaft.“18 So ist auch der Stellenwert eines Vertrags einzuordnen. Verträge werden auf chinesischer Seite mehr als Absichtserklärung verstanden im Sinne einer Diskussionsgrundlage und weniger als rechtlich verbindlich. Vertrauen in feste zwischenmenschliche Beziehungen gelten mehr als geschriebene Gesetze und unterzeichnete Verträge. Im chinesischen Rechtsverständnis gibt es ohnehin keine abstrakte prinzipielle Gerechtigkeit, sondern eine kontextuelle, die den besonderen Beziehungen gerecht werden soll.19
4.3.1
Nothing is finalized until everything is finalized
Auch die Vertragsverhandlungen müssen die China-Spezifika berücksichtigen. Langsam zur Sache zu kommen, ist für Chinesen eine wichtige Strategie zur Konfrontationsvermeidung. „People in the East are inductive communicators; . . . to be polite, give reasons and explanations before making a request or statement regarding the actual point. . . . Chinese are much less direct in their communication. . . . China is a ,high-context‘ culture.“20 Westliche Manager verzichten in Verhandlungen oftmals auf vertrauensbildende Umschweife. Sie geben klare Stellungnahmen ab und erwarten auch solche von ihren Verhandlungspartnern. Unterschiedliche Meinungen und Konflikte werden direkt angesprochen. Ein „Ja“ wird als Zusage verstanden – anders als bei den Chinesen. Werden (scheinbar) fixierte Vertragsbestandteile Stunden später von der chinesischen Seite neu aufgerollt oder so behandelt, als wären sie gar nicht entschieden oder besprochen worden, so ist es für westliche Verhandlungspartner nicht immer leicht, Ruhe zu bewahren. „It is part of the Chinese culture to negotiate and you will be more respected if you go along. But formal deal negotiations can be very frustrating experience for westerners. . . . You might show up with a team of three or four and they will bring fifteen. If their delegation detects that you are 18
Vgl. Ji (2009, S. 44). Vgl. Lin-Huber (2001, S. 58–60). 20 Coates (2009, S. 26–27). 19
4.3 Beschaffungskriterien China Sourcing
47
getting impatient, this information will be used to their advantage. Chinese negotiations are typically patient, meandering, and vague. Even though you may think you have closed on a topic and moved on, it will most likely be opened again and new points brought up. In China, nothing is finalized until everything is finalized.“21 Der direkte Weg ist nicht immer der schnellste und der beste. Das Strategem22 Nr. 16 besagt: „Will man etwas fangen, muss man es zunächst loslassen können.“ Das heißt, wenn man in gewissen Situationen jemanden völlig einschnürt und ihn von allen Seiten unter Druck setzt, läuft man Gefahr, dass er sämtliche Reserven mobilisiert und härtesten Widerstand leistet. Hält man dagegen zeitweise einen Ausweg offen, dann besteht die Aussicht, dass seine Anspannung nachlässt und man leichter mit ihm umgehen kann.23 Ausdauer, Beharrlichkeit und Geduld sind in jedem Fall ratsam. Insistieren und Sturheit sind meistens weniger zielführend als Argumentieren und das Vorbringen immer neuer Gründe. Durch andere Formulierungen oder Nennung von Alternativen gibt man dem Partner Gelegenheit, ohne Gesichtsverlust zuzustimmen.24 Das ist sicher nicht immer leicht für westliche Einkäufer. Wenn sich jedoch ein permanenter grundlegender Widerwille im Umgang mit der chinesischen Kultur aufbaut, wird man kaum erfolgreich sein können. „Bei der Zusammenarbeit mit Chinesen ist es sehr wichtig, Sympathie für China und die chinesische Kultur zu empfinden. Wenn ein Einkäufer Chinesen gar nicht mag, wird er kaum genug Geduld – besonders bei wiederholten Verhandlungen – aufbringen.“25 Und eines gilt prinzipiell: „Derjenige, der lächelt, ist in jedem Fall der Überlegene“, so heißt es in einem chinesischem Sprichwort.
4.3.2
Guanxi – gute Beziehungen sind personenbezogen
Der Aufbau von Beziehungen, Guanxi, kann nicht nur auf der Vertriebsseite hilfreich sein, sondern auch auf der Beschaffungsseite; spätestens bei möglichen Versorgungsengpässen kann es sich auszahlen, wenn man gute persönliche Beziehungen hat, so dass man trotz knapper Kapazitäten seine Teile dann doch noch bekommt. Guanxi kann auch vorteilhaft für die Lieferantenentwicklung sein, um Verständnis zu schaffen und mögliche Widerstände zu vermeiden. Die gebotene (kritische) Distanz ist selbstverständlich aufrecht zu erhalten – was ohnehin für den gesamten Beschaffungsprozess gilt. Um die Verflechtungen zu begrenzen und eine zu „große Nähe“ zu vermeiden, ordnen beispielsweise manche Einkaufsbereiche die 21
Coates (2009, S. 62–63). Strategem steht für „List“. In den 36 Strategemen sind Erfahrungen zur Bewältigung misslicher Situationen zusammengefasst. Die Strategeme haben teilweise ihren Ursprung bei dem Denker und General Sun Tsu (ca. 534 v. Chr.–453 v. Chr.). 23 Vgl. von Senger (2010, S. 134). 24 Vgl. Lin-Huber (2001, S. 161–165). 25 Sun (2009, S. 70). 22
48
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
chinesischen Materialgruppen-Verantwortlichen alle ein bis zwei Jahre neu zu. Einige Unternehmen sehen übrigens in der Zwischenzeit auch Vorteile darin, wenn westliche Auditoren die Lieferantenprozesse unter die Lupe nehmen, da sie im Vergleich zu den chinesischen Kollegen kritischer die Abläufe beleuchten und weniger harmoniegetrieben die Auditberichte verfassen. Gute Beziehungen sind in China personenbezogen und nicht sachbezogen. Bei Chinesen kommt erst die zwischenmenschliche Beziehungspflege, dann die Regelung der Sachaufgaben, anders als beispielsweise in der deutschen Kultur üblich. Die Grundlage der Beziehungen sind Vertrauen, gegenseitige Verpflichtungen und gemeinsame Erfahrungen. Der Aufbau von Guanxi benötigt Zeit: „Business people who expect to create guanxi by going to a few dinners or spending time in karaoke bars might create goodwill, but not guanxi. . . . relationships develop very slowly.“26 In einem engen Zusammenhang zu Guanxi steht mianzi, die Regel des Gesichtswahrens, die jedoch vornehmlich innerhalb einer Gruppe bekannter Menschen gilt.27 Die Prinzipien des Guanxi lassen sich insgesamt folgendermaßen zusammenfassen: transferierbar (Dritte können empfohlen werden), reziprok (wer einen Gefallen nicht früher oder später erwidert, verliert sein Gesicht), intangibel („People who share a guanxi relationship are committed to one another by an invisible and unwritten code“), nutzenorientiert (Bindung basiert nicht nur auf emotionalen Aspekten und Sympathie, sondern mehr noch darauf, „Gefallen“ auszutauschen), kontextbezogen („Finding and implementing an appropriate approach to fulfill guanxi relations is difficult“), langfristig („Members of Confucian societies assume the interdependence of events, understanding all social interactions within the context of a long-term balance sheet“) und persönlich („When the person, who brought a guanxi connection, leaves, the organization loses the guanxi as well.“).28
4.3.3
Nur arbeitsintensive Produkte aus China?
Für ein China Sourcing kommen für westliche Unternehmen prinzipiell die Beschaffungsobjekte in Frage, die ein ausreichendes wertmäßiges Volumen aufweisen, damit der personelle und finanzielle Ressourceneinsatz zu rechtfertigen ist. Das Versorgungsrisiko der Beschaffungsobjekte sollte niedrig sein. Zu berücksichtigen ist dabei, dass aus Kostengründen viele chinesische Hersteller keine zusätzlichen Dienstleistungen, wie After Sales, außerhalb Chinas anbieten (überhaupt lässt sich feststellen, dass ein After Sales-Service- bzw. Life Cycle Costs-Bewusstsein in China wenig ausgeprägt ist und auch für chinesische Kunden als Kaufargument kaum Bedeutung hat). Das Qualitätsrisiko der Produkte für ein China Sourcing sollte außerdem begrenzt sein. Chinesische Hersteller befinden sich üblicherweise auf dem unteren bis mittleren Qualitätssegment des entsprechenden Produktmarkts. In der Regel soll 26
Coates (2009, S. 24). Vgl. Holtbrügge und Puck (2008, S. 30). 28 Vgl. Luo (2000, S. 10–11); vgl. Lin-Huber (2001, S. 155–156). 27
4.3 Beschaffungskriterien China Sourcing
49
der Materialkostenanteil an den Produkten niedrig sein. Tendenziell interessante Beschaffungsobjekte stellen lohnintensive Produkte bis zur mittleren Qualitätskategorie dar. Dabei sind folgende Branchen besonders relevant: Elektronikprodukte, Geräte und Komponenten der EDV sowie Nachrichtentechnik, Unterhaltungselektronik, elektronische Bauteile, Computerchips, Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräte und -einrichtungen wie Computer, Kommunikationsgeräte, Möbel, Schmuck, Musikinstrumente, Sportgeräte und Spielwaren, einfache Maschinen sowie Metallerzeugnisse. Ein typisches Beispiel sind Gussprodukte. In der Gießerei-Branche betragen die Personalkosten in der Regel über 50 % an den Gesamtkosten.29 Bei der Lieferantenvorauswahl ist zu beachten, dass Lieferantenselbstauskünfte von den chinesischen Herstellern in vielen Fällen wenig aussagekräftig ausgefüllt werden. Erst durch die Vor-Ort-Audits kann man sich ein Bild machen. Bei den chinesischen Lieferanten lassen sich dabei große Unterschiede feststellen. Vor einigen Jahren wurde einmal folgende Differenzierung und Clusterung chinesischer Lieferanten mittels sechs Klassen vorgenommen: 1) nationale Marken (zuverlässige, preiswerte (billige) Standardprodukte), 2) Exporteure (preiswerte Massenware und Spezialprodukte), 3) Netzwerke (Cluster von „Familienbetrieben“ fertigen Kleinwaren), 4) Hightech-Start-ups (Spin-offs und Gründungen im Umfeld von Forschungsinstituten), 5) „Schwellenbetriebe“ (entwicklungsfähige Anbieter mit befriedigender Ausstattung und ausreichend bis gut qualifiziertem Personal; meist ohne professionelle Exporterfahrung und oft mit Schwächen in der Qualitätssicherung; bieten gute Chancen bei mittlerem bis langem Planungshorizont, viel Geduld und Aufbauhilfe nötig), 6) „Schrottbuden“.30 Der Anteil der letzten Gruppe dürfte in den letzten Jahren gesunken sein. Mit den „Innovativen Marktführern“ und den „Global Player“ ließen sich vielleicht in der Zwischenzeit weitere Cluster hinzufügen. Wichtig ist zu wissen, dass die ganze Bandbreite noch besteht und dies bei der Lieferanten-Auswahl und beim Einsatz von Beschaffungskonzepten berücksichtigt wird. Manchmal existieren auch innerhalb eines Unternehmens große Unterschiede hinsichtlich des Entwicklungsgrads der Fabriken („Five-Star Factory“ vs. „Shadow Factory“): „Shadow factories are secondary manufacturing facilities, perhaps nearby the main factory. They are closed to visitors and often unregistered. Often, workers are paid less per hour, violate work-safety and -conditions, avoid taxes, and produce goods that are sub-standard. Shadow factories may be producing the same goods you see during your five-star factory tour, only at a much cheaper cost. . . . Some reports say that 60 or 70 % of Chinese manufacturers have shadow factories.“31 Innovative Beschaffungskonzepte, wie ein Forward Sourcing, lassen sich in China auch heute noch allenfalls selektiv einsetzen. Beim Forward Sourcing werden der Einkauf und der Lieferant in frühen Phasen des Produktentstehungsprozesses eingebunden, um das Produkt so zu gestalten, dass der Lieferant günstig produzieren und liefern kann, so dass die Grundlage für einen günstigen Materialpreis geschaffen wird. Chinesische Lieferanten kommen dafür im Augenblick eingeschränkt in 29
Vgl. Song (2005, S. 78–79). Vgl. Brunner (2004, S. 27–32). 31 Coates (2009, S. 44–45). 30
50
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Frage, nicht nur wegen der teilweise verbesserungsfähigen Lieferanten-Kompetenz und -Reife, sondern auch aus IP-Gründen sowie auf Grund des ausgeprägten Abstimmungsbedarfs, der über die Entfernung erschwert ist.
4.3.4
Beschaffungsregionen – vom Skill Belt ins Hinterland
Die Lieferantenidentifikation ist wegen der begrenzten Transparenz und der Marktdynamik schwierig. Eine Marktanalyse lohnt sich aber: Auf Grund der enormen Faktorkostenunterschiede sind zwischen den Provinzen und den Städten sogar Preisdifferenzen von bis zu 70 % möglich. In der Vergangenheit konzentrierte sich das Sourcing in China auf die Küstenregionen, dem so genannten Skill Belt. Ein gravierender Engpass an qualifizierten Fachkräften führte jedoch zu ausgeprägten Lohnanstiegen und einem überhitzten Arbeitsmarkt. Folglich begannen westliche Unternehmen, sich in Zentral- und Westchina nach kostengünstigen und zuverlässigen Lieferanten umzusehen. Mittlerweile entwickelt sich die Fertigungsindustrie entlang der Küstenregionen weiter und der Fokus verschiebt sich zunehmend auf Value-Added Production, auf Forschung und Entwicklung (F&E) und Dienstleistungen. In den kommenden Jahren wird die Basisproduktion weiter ins Hinterland wandern, wo die Lohnkosten noch sehr niedrig sind. Auf Grund des Überangebots an günstigen Arbeitskräften wird erwartet, dass dort der Kostenvorteil noch einige Zeit bestehen bleibt. Hunan, Hubei, Henan, Anhui und Shanxi sind Provinzen, die gesteigerte Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden. Die Zentralregierung unterstützt den Aufbau der logistischen Infrastruktur in diesen Gebieten. Die „Städte der zweiten Kategorie“ sind ohnehin im Kommen: Shenyang, Dalian, Tianjin und Harbin im Norden des Landes; im Osten, in der Nähe Shanghais, sind es Nanjing, Suzhou, Hangzhou und Ningbo; Chongqing, Chengdu und Wuhan sind die aufstrebenden Städte in den zentralen bzw. westlichen Provinzen. Chongqing hat sich beispielsweise als die „Motorradstadt Chinas“ etabliert. Ein Großteil der Ausfuhren besteht aus motorisierten Zweirädern, die überwiegend für den vietnamesischen Markt bestimmt sind. Die Branche trägt zu rund einem Drittel zum gesamten industriellen Output der Stadt bei.32
4.4
Chancen und Herausforderungen China Sourcing
Der im Vergleich zu anderen Billiglohnländern große Binnenmarkt führt dazu, dass China bereits heute eine große Lieferantenbasis aufweist. Vielerorts sind bereits moderne Produktionsanlagen anzutreffen – nicht zuletzt ermöglicht durch das verfügbare Investitionskapital.33 Neben der warengruppenbezogenen Beschaffung gewinnt 32 33
Vgl. Rohde (2009, S. 12). Vgl. Schmidt und Sickmann (2005, S. 83–87); vgl. Ji (2010, S. 43).
4.4 Chancen und Herausforderungen China Sourcing
51
die Auslagerung von Entwicklungsprozessen nach China an Bedeutung. Fast jeder der 500 weltweit größten Unternehmen hat bereits heute lokale Entwicklungszentren in China, unter ihnen Konzerne wie Nokia, Microsoft oder Motorola. Im ersten Schritt werden hier nur für den chinesischen Markt Adaptionen bzw. Eigenentwicklungen getätigt. Es wird nicht lange dauern, bis merklich „Export-R&D“ stattfinden wird. Dies führt dazu, dass zukünftig Know-how-intensive Produkte mit komplexeren Produktionsprozessen von chinesischen Lieferanten angeboten werden können. Ein weiterer Faktor der Beurteilung Chinas als Beschaffungsmarkt liegt in der Bildung, Forschung und Wissenschaft. In den vergangenen Jahren stiegen in diesem Bereich die staatlichen Ausgaben jährlich um 20 %. Bis 2020 wird der Wandel von einer ressourcenabhängigen zu einer innovationsgetriebenen Wirtschaft angestrebt. „China entwickelt sich zum Hightech-Standort und manch chinesischer Zulieferer mausert sich zum Technologieführer.“34 Gerade auch in Feldern wie der Elektronik werden private chinesische Unternehmen zukünftig verstärkt Innovationen treiben.35 Die Neuausrichtung von Chinas Politik weg von Quantität hin zu Qualität eröffnet nicht nur westlichen Unternehmen viele neue Geschäftschancen bei Technologieprodukten. Der chinesische Einkaufsmarkt dürfte sich ebenfalls schnell ändern: In der östlichen Küstenregion sind immer höherwertige Waren zu finden. Die Produktion einfacher Güter wandert dagegen noch schneller in Chinas Westen.
4.4.1
In der Logistik liegen die Potenziale
Wesentliche Herausforderungen liegen im China Sourcing bei der MitarbeiterFluktuation, im Schutz geistigen Eigentums, in der mangelnden Transparenz, in den interkulturellen Differenzen, der Qualität und der Logistikinfrastruktur. Zur Erschließung des chinesischen Beschaffungsmarktes bildet die Logistik einen nicht zu unterschätzenden Engpass. Logistikkosten machen knapp 20 % des chinesischen Bruttoinlandsprodukts aus, in westlichen Ländern ist der Anteil nicht einmal halb so hoch. Selbstverständlich spielt dabei die Größe des Landes und die immer noch verbesserungsfähige Infrastruktur eine große Rolle. Insbesondere durch Standards könnte viel erreicht werden (z. B. Mehrweg-Behälter, IT-Systeme, Einhaltung definierter Prozess-Standards). In manchen Warehouses müssen beispielsweise die unterschiedlichen Barcodes der eingehenden Ware neu ausgezeichnet werden, weil ein durchgängiges Belegsystem nicht gegeben ist. Richtig Frachtkosten könnte man sparen, würden zum Beispiel Standards bei Ladungsträgern realisiert, vielleicht sogar ein Mehrwegbehälter-System; es ließen sich Lkw und Container wesentlich besser auslasten, damit würde weitaus weniger „Luft“ transportiert. OEM und Zulieferer, zusammen mit Logistikdienstleistern, haben hier noch einiges zu tun. Der Logistikdienstleistungsmarkt ist ohnehin stark fragmentiert (ca. 700.000 Unternehmen; 90 % 34 35
Kiefer und Karius (2010, S. 1). Vgl. Seidenschwarz und Veit (2008, S. 7–8).
52
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
davon haben weniger als 500 Mitarbeiter; die vier größeren chinesischen Dienstleister nehmen ca. 5 % des Markts ein: China Ocean Shipping, China Shipping, China National Foreign Trade Transportation, China Changjiang National Shipping); es gibt keinen Logistikdienstleister, der ganz China abdeckt. Chinesische Logistikdienstleister konzentrieren sich auf Transport und Lagerung, haben weitere Dienstleistungen oder gar eine 3PL-Funktion noch nicht im Fokus; sie beschränken sich auf lokale Cluster und profitieren kaum von Synergie-Effekten. Internationale Logistikdienstleistungsunternehmen sind im Kommen und wachsen um ca. 30 % p.a. Darüber hinaus verursachen Verzögerungen bei der Zollabfertigung und Beschränkungen der Exportkapazitäten hohe Frachtzeiten und -kosten.36 Gerade die strengen Zollformalitäten können ein Stolperstein bei der Sendungsabwicklung sein. Einige namhafte Elektronik- und Computerhersteller setzen beispielsweise auf innovative Konzepte wie die so genannte Break-Bulk-Lösung. Dabei werden kleine, homogene Sendungen, die von einem Versender in China an unterschiedliche Empfänger in Europa gehen, konsolidiert. Es folgt die gemeinsame Abfertigung der konsolidierten Sendung. In Europa werden die Einzelsendungen in das europaweite Distributionsnetz des Transportdienstleisters eingespeist und den jeweiligen Empfängern zugestellt. Für westliche Unternehmen stellt sich insbesondere die Frage nach den optimalen Incoterms (z. B. FOB, FCA, DDP, CIF, CFR) unter Berücksichtigung der Kriterien Zollkosten, Bestandskosten, Transportschaden-Risiken, Frachtkosten-Schwankungen, Durchgängigkeit der Transportkette, Transportmittel, „Kernkompetenz-Verständnis Logistik“ sowie Transparenz und eigene Gestaltbarkeit der Supply Chain (ca. die Hälfte der Unternehmen entscheiden sich für F-Klauseln, ca. jeweils ein Viertel C- und D-Klauseln; E-Klauseln spielen kaum eine Rolle). China Sourcing wird durch westliche Unternehmen aus logistischer Sicht vermehrt unter dem Aspekt der Agilität betrachtet – gerade vor dem Hintergrund eines „turbulenten Umfelds“.37 Die Beherrschung von „Spitzen“ und „Tälern“ wird zu einem Erfolgsfaktor in der Logistik. Bei der Wertschöpfung in China zeigt sich die Bedeutung von Flexibilität im tagtäglichen Geschäft allein schon in der Bewältigung der kurzfristigen Planungshorizonte mit geringer Verlässlichkeit geplanter Mengen und einer vorherrschenden „ad-hoc-Mentalität“. „Frozen Periods“ und standardisierte, durchgängige Planungsinstrumente über Unternehmensgrenzen hinweg sind in vielen Bereichen noch in weiter Ferne. China, als „Werkstatt der Welt“, ist vor allem auf eine gut entwickelte Infrastruktur und auf Logistikzentren angewiesen, die einen zuverlässigen Transport und Warenumschlag zu günstigen Preisen ermöglichen. Bei allen Schwierigkeiten der Logistikinfrastruktur in China: Einer Länderstudie zufolge, bei der ein Ranking der Logistikinfrastruktur vorgenommen wurde, liegt China immerhin auf Rang 27 und ist damit Spitzenreiter unter den BRIC-Staaten.38 In Shanghai befindet sich in der Zwischenzeit der größte Hafen der Welt. Die Häfen in Shenzhen und Guangzhou zeichnen sich durch geringere Abfertigungskosten im Vergleich zu Hongkong 36
Vgl. Schmidt und Sickmann (2005, S. 87). Vgl. Faust und Sainer (2010, S. 31–35). 38 Vgl. Maling (2010, S. 33). 37
4.4 Chancen und Herausforderungen China Sourcing
53
aus und können dadurch Marktanteile gewinnen, während Hongkong, als ehemals größter Hafen der Welt, an Nummer drei hinter Shanghai und Singapur zurückfiel.39 China hat besonders in seinen östlichen Provinzen eine beeindruckende Entwicklung der Infrastruktur in den vergangenen 15 Jahren erreicht. China hat damit eine gute Grundlage für die Ansiedlung von Industriebetrieben geschaffen und unterscheidet sich damit wesentlich von anderen Schwellenländern. Wenn sich die Infrastruktur weiterhin auch im Westen gut entwickelt, wird das vielen Firmen einen Produktionsstandortwechsel ermöglichen, so dass sie von den dort wesentlich günstigeren Arbeitsplätzen profitieren können. Eine Just-in-time-Produktion ist unter den derzeitigen Umständen allerdings in vielen Teilen Chinas noch undenkbar. Das führt dazu, dass größere Lager angelegt werden und die Gesamtkosten steigen. Um diese Kosten zu reduzieren, ist ein weiterer Ausbau der Infrastruktur notwendig, um die Zuverlässigkeit der Lieferungen zu verbessern.40
4.4.2
Streiks und steigende Lohnkosten – Standorte werden bereits verlagert
Weitere Herausforderungen liegen in der Antizipation und Bewältigung von Faktorkosten-Risiken durch eine ungeahnte Dynamik im Arbeitsmarkt. Für viele ist China bereits heute kein Niedriglohnstandort mehr. Seit 1999 sind die Löhne um über 300 % gestiegen. „Die Ära chinesischer Billigproduktion für alle Welt neigt sich dem Ende zu.“41 Sichtbar werden die Auswirkungen bereits im Perlflussdelta, wo sich die Mehrzahl der Exportunternehmen Guangdongs befindet. Die Löhne stiegen in den letzten Jahren enorm: Lagen sie noch 2002 bei ca. 50 US-$ pro Monat, so stiegen sie 2009 bereits auf 250 US-$. In westlichen Augen mögen die absoluten Lohnniveaus immer noch als sehr gering erscheinen – auch vor dem Hintergrund der harten, teilweise grenzwertigen Arbeitsbedingungen; im „brutalen“ Kostenwettbewerb der Textilindustrie stellen die Lohnsteigerungen aber einen spürbaren Faktor dar. Die internationale Finanzkrise sorgte nur für eine kurze Verschnaufpause, bevor die Löhne weiter anzogen. Dabei stiegen nicht nur die Löhne, sondern auch die Lohnnebenkosten: Mit Inkrafttreten des ersten Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes zum 01. Juli 2011 werden auch höhere Lohnnebenkosten eintreten. Die praktische Ausgestaltung dieses Gesetzes liegt weitgehend im Ermessen der lokalen Regierungen. Jede Stadt muss die Sätze für die einzelnen Versicherungsarten selbst festlegen. Dabei gibt es erheblichen Gestaltungsspielraum, auch was die Höhe der Sätze abhängig vom Unternehmenstyp angeht; also differenziert nach ausländischen Unternehmen, staatlichen chinesischen oder privaten chinesischen. Besonders hohe
39
Vgl. Rohde (2011a, S. 14–15). Vgl. Yang und Bode (2009, S. 119–123). 41 Kaelble und Ohanian (2011b, S. 1). 40
54
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Lohnnebenkosten (44 %) sind in Peking und Shanghai vorzufinden. Tendenziell sind die Sätze im Süden geringer; in Zhongshan liegen sie sogar unter 20 %.42 Die Arbeiter verlangen aber nicht nur mehr Geld, sondern auch bessere Arbeitsund Wohnbedingungen. Ca. 260 Mio. Chinesen leben seit mindestens sechs Monaten nicht mehr dort, wo ihr „Hukou“ ist (also dort, wo sie registriert sind – und was sie verwaltungstechnisch prinzipiell an ihren Geburtsort bindet). Den Großteil dieser Menschen dürften die so genannten Wanderarbeiter ausmachen.43 Die zweite Generation von Wanderarbeitern, größtenteils im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, erwartet mehr vom Leben; es reicht nicht mehr, rund um die Uhr zu arbeiten und zu sparen, um sich später in der Heimat eine Existenz aufzubauen. Mancher Arbeitgeber lockt deswegen seit 2010 mit zusätzlichen Anreizen wie Klimaanlage oder Fernseher. Seit einigen Jahren siedeln Unternehmen wegen der steigenden Lohnkosten um: manche in das Hinterland Guangdongs, andere nach Vietnam oder Kambodscha. Aber die Umwälzungen werden noch dramatischer: Der taiwanesische Elektronikkonzern Foxconn kündigte an, zahlreiche Fabriken in Shenzhen zu schließen. Insgesamt beschäftigt der Konzern, der unter anderem das iPad fertigt, in dem ehemaligen Fischerdorf 400.000 Menschen! Rund 300.000 will das Unternehmen bis 2012 entlassen, da es eine komplett neue Produktionsbasis in der Provinz Henan aufbaut. Welche soziale Brisanz hieraus entsteht, ist noch offen. Diese Region wurde ohnehin in der ersten Jahreshälfte 2010 von sozialen Unruhen erfasst. Eine zuvor nie da gewesene Streikwelle traf dann, sogar über die Region hinausgehend, Autofirmen wie Honda, Hyundai, Toyota oder Nissan. Alles begann bei Foxconn, als eine Selbstmordserie nicht abzureißen schien. Der Konzern trat mit drastischen Lohnerhöhungen die Flucht nach vorne an: Die Löhne wurden um 30 % angehoben, die zuvor schon oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns von 900 Renminbi (ca. 100 €) lagen. Ermutigt davon, folgten Streiks bei Jiangsu Wuxi Nikon, Guangdong Foshan und Honda, die sich dann im Mai/Juni 2010 im Domino-Effekt ausweiteten. Es zeigte sich, dass sich diese Streiks nicht mehr regional begrenzen lassen. Das Versorgungsrisiko auf Grund sozialer Unruhen stellt eine Herausforderung des China Sourcing dar, das zu berücksichtigen ist. Eine Folge aus diesen Erfahrungen wird sein, dass man noch mehr von Single Sourcing-Ansätzen abrücken und außerdem zusätzliche Bestände vorhalten wird. Mindestlohnerhöhungen und Lohnforderungen werden die Produktionskosten nach oben treiben. Das Lohnniveau dürfte 2010 in China um 20 bis 25 % gestiegen sein. Sollten weitere Renminbi-Aufwertungen eintreten, verschlechtert sich die Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Unternehmen spürbar. Mittelfristig gewinnen damit die Verschlankung von Strukturen und Abläufen sowie eine Automatisierung an Bedeutung. Am Beispiel Perlfluss-Delta wird auch deutlich, wie schnell Strukturveränderungen stattfinden. Wenn die Lohnveredler abrücken, füllen kapitalintensive Branchen die Lücke. Die Automobilindustrie wird sich verstärkt ansiedeln, so dass bis 2020 bereits 3 Mio. Fahrzeuge pro Jahr produziert werden sollen.44 42
Vgl. Rohde (2011b, S. 10–11). Vgl. Kühl (2011d, S. 14). 44 Vgl. Waldkirch (2010, S. 6–8); vgl. Rohde (2010b, S. 12–14). 43
4.4 Chancen und Herausforderungen China Sourcing
4.4.3
55
China Sourcing heißt auch Risiken managen
Risiken im China Sourcing sind, soweit möglich, zu antizipieren und zu bewerten; entsprechende Maßnahmen sind zu ergreifen. Manche sehen ein Hauptproblem im China Sourcing darin, dass Hersteller ihre Gewinnmargen vor allem durch die Verminderung der Qualität zu vergrößern suchen. Es kann auch passieren, dass chinesische Lieferanten die Geschäftsbeziehungen plötzlich beenden, da sie falsch kalkuliert haben oder sich anderweitig bessere Geschäftsmöglichkeiten versprechen. Spontane Preissteigerungen von über 30 % im Vergleich zum Vorjahr sind nicht selten auf die mangelhafte Kalkulationsfähigkeit der Lieferanten zurückzuführen. Ein weiteres Risiko liegt in der möglichen Insolvenz von Lieferanten. Der starke Wettbewerb im chinesischen Markt führt zu einem hohen Konkurrenzdruck, dem zahlreiche Unternehmen zum Opfer fallen. Was das Risiko noch verschärft: Informationen über die finanzielle Gesundheit und Liquidität von chinesischen Lieferanten sind nur schwer zu bekommen und Lieferanteninsolvenzen können ohne Vorwarnung eintreten. Steht eine Möglichkeit an, mit einer Geschäftsidee Geld zu verdienen, stürzen sich Chinesen meist in das Geschäft. Für Ausländer zeugt dieses Verhalten von Offenheit und geringer Scheu gegenüber Risiko. Selten ist etwas unmöglich und zeitlich gesehen kann es sehr schnell gehen. Da aber chinesische Hersteller oft zu viele Aufträge annehmen, kaufen sie in Spitzenzeiten die Waren fremd zu – und das auch von weniger qualifizierten und deshalb weniger ausgelasteten Anbietern. Umgekehrt wird oft, wenn die eigene Produktion nicht ausgelastet ist, wesentlich mehr produziert als bestellt. Es kommt vor, dass die Überproduktion als Plagiat dann selbst verkauft wird.45
4.4.4 Wissen, was chinesische Lieferanten (noch) nicht können Die Qualität stellt in der Tat immer noch eine der größten Herausforderungen beim China-Sourcing dar, was sich in entsprechenden Schlagzeilen niederschlägt: „Rückrufaktionen von Produkten made in China nehmen zu“, „Made in China verliert an Vertrauen“ oder „Ausländische Konsumenten interpretieren ,made in China‘ mittlerweile als Warnsignal.“ Offenbar konnte das Prozess-Know-how der Lieferanten in vielen Fällen mit der Dynamik des Markts nicht mithalten. Die Lieferanten weisen auf der anderen Seite meist eine hohe Fertigungstiefe auf. So wird das Metallwerkstück oftmals von der Grundkomponente bis zum fertigen Produkt in einem Betrieb gefertigt. Ein Vorteil kann darin gesehen werden, dass sich Fehler und Fehlerursachen leichter rückverfolgen und beheben lassen, wenn nicht bei Vor- oder Vorvor-Lieferanten gesucht werden muss.46 Insbesondere Lieferanten ohne internationalem Hintergrund benötigen verstärkt Schulungen und Beratung, besonders in den Bereichen „Qualitätstechniken“ und „Dokumentation“. Darüber hinaus 45 46
Vgl. Feisel et al. (2008, S. 27–28); vgl. Schaaf (2009, S. 16–17). Vgl. Maling und Schießer (2009, S. 36–38).
56
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
werden langsam erste Erfahrungen mit Ansätzen gemacht, bei denen gemeinsam Ideen zur Qualitäts-, Prozess- und Kostenverbesserung gewonnen werden, in einem offenen, vertrauenswürdigen Klima, im Sinne einer „Partnerschaftlichen Prozessoptimierung“47 – mit dem Wissen, dass sowohl Abnehmer als auch Lieferant an den Potenzialen partizipieren werden. Allerdings ist dieses Verständnis selbst in westlichen Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen längst noch nicht flächendeckend vorzufinden; im Gegenteil: Nach hoffnungsvollen Ansätzen entsteht in den vergangenen Jahren oftmals sogar der Eindruck von Rückschritten an der ein oder anderen Stelle. Man muss schon wissen, inwieweit chinesische Lieferanten entwickelt werden können und wo die Lücke zu groß ist. Auf dem chinesischen Markt gibt es eine Vielzahl von Zulieferfirmen, die bisher vor allem für lokale Kunden produziert haben. Gerade bei diesen, bei den „First-Contact-Lieferanten“, bestehen oftmals noch große Materialpreis-Potenziale – aber auch die größten Herausforderungen. Beispielsweise unterscheiden sich die Anforderungen der lokalen Automobilhersteller an die Zulieferer nicht nur durch den Materialeinsatz, sondern auch in der notwendigen Verfahrenskompetenz. Westliche Fahrzeuge befolgen in der Regel strengere Forderungen nach Nichtbrennbarkeit und einem entsprechenden Emissionsverhalten von Innenraumteilen: Sitzstoffe müssen beispielsweise selbstverlöschend sein; also dürfen nur hochwertige Stoffe verwendet werden. Eine vollautomatische, serielle Röntgenprüfung lässt sich zum Beispiel für einen lokalen Lieferanten ebenfalls nicht so einfach abbilden, wenngleich vom westlichen OEM erwartet, weil erforderlich, sollen doch neue Bauteile, zum Beispiel Aluminium-Fahrwerkteile, bei geringerem Gewicht gleiche oder sogar höhere Belastungen aushalten können. Baut der Lieferant die Kompetenzen auf, steigen selbstverständlich unmittelbar seine Kosten und damit die Materialpreise für den OEM. Freilich gibt es teilweise auch Unterschiede in den Anforderungen europäischer, amerikanischer oder japanischer OEMs. Die Strategie vieler chinesischer Lieferanten ist, für deutsche OEMs einen Auftrag zu erhalten, um damit Image und Erfahrungsschatz aufzubauen.
4.4.5
Zertifikate allein reichen nicht
„Einen dürren Baum mit künstlichen Blumen schmücken“: Das „Strategem48 Nr. 29“ beschreibt einen in China verbreiteten Ansatz: Eine gar nicht vorhandene Stärke oder Größe soll vorgespielt werden. „Der ,dürre Baum‘ symbolisiert eine mickrige Wirklichkeit, die ,künstlichen Blumen‘ stehen für prächtige Hilfsmittel, mit denen
47
Vgl. beispielsweise: Wildemann und Faust (2004, S. 159). Strategem ist ein unbelastetes Wort für „List“ („Etwas Außergewöhnliches erzeugen, um den Sieg zu erringen“) und sollte nicht mit „Strategie“ verwechselt werden. Strategeme können strategisch, taktisch und operativ eingesetzt werden; vgl. von Senger (2010, S. 15).
48
4.4 Chancen und Herausforderungen China Sourcing
57
man die miserable Realität verschönert.“49 Es bleibt einem also nichts anderes übrig, als die „künstlichen Blumen“ beiseite zu schieben und zu „dissimulieren“. Das gilt besonders für das Qualitätsmanagement. Konkret bedeutet das, Zertifikate sind ohnehin ein Muss, mit Audits, „Strategem Nr. 29“ im Hinterkopf habend, beginnt das „entschmücken“, so dass die tatsächliche Leistungsfähigkeit sichtbar wird. Bei der Auditierung lassen sich beispielsweise folgende Schwierigkeiten aufdecken: keine klar definierten Produktionsabläufe (Input/Output), Qualitätsziele sind nicht für alle Abteilungen definiert (v. a. Administration), Management-Review entspricht nur eingeschränkt den Normen (z. B. fehlen Maßnahmen auf Basis der Ergebnisse früherer Zertifizierungsaudits und einer Analyse von Defekten und Qualitätsmängeln, die während der Nutzung durch den Kunden aufgetreten sind), Nachweise für Trainingsmaßnahmen neuer Mitarbeiter sind nicht vorhanden, der Status im Design- und Entwicklungsprozess ist nur begrenzt nachvollziehbar und entsprechende Berichte sind nicht vorhanden, Anpassungen am Produkt werden ohne Information des Kunden vorgenommen. Wenn ein Produkt in Größe, Maß, Form und Farbe ungefähr mit der Bestellung übereinstimmt, sieht häufig der chinesische Lieferant sein Soll als erfüllt an. Der chinesische Lieferant denkt oftmals zweckorientiert und weniger in technischen Spezifikationen.50 Aus kultureller Sicht gibt ein Zertifikat einem chinesischen Unternehmen Gesicht und ist somit eine begehrte Auszeichnung. Es kann vorkommen, dass Zertifikate in China erkauft werden können. Darüber hinaus variiert die Qualität der Auditoren sehr stark, so dass man anhand eines Zertifikates keine definitiven Aussagen über den Qualitätsstand in einem Unternehmen machen kann. Auch die Ergebnisse „unabhängiger“ Prüflabore sind zu hinterfragen. Es beginnt schon manchmal damit, dass der Lieferant selbst das Muster bestimmt und dieses nicht zufällig ausgewählt wurde. Außerdem stehen selbstverständlich auch Prüflabore im Wettbewerb: „. . . they know the benefits of providing favorable laboratory results“.51 Für einen potenziellen chinesischen Lieferanten sollte eine Zertifizierung nach ISO 9001:2000 als Minimalanforderung gelten. Einige ausländische Produzenten fordern von chinesischen Lieferanten eine Re-Zertifizierung des QM-Systems alle sechs Monate. Prozess-Audits sind mindestens alle sechs Monate notwendig, besser alle drei Monate, um die Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen zu überwachen und flexible Vorgehensweisen zu unterbinden. Lieferantenauszeichnungen sind begehrt in China. Eine entsprechende Urkunde erleichtert dem Lieferanten nicht nur das Neugeschäft, sondern wird auch als Belohnung gesehen, die man stolz vorzeigen kann. Somit kann die Möglichkeit einer Auszeichnung als motivierende Zukunftsperspektive eingesetzt werden.52
49
von Senger (2010, S. 81). Vgl. Rau (2009, S. 93–94); vgl. Moder (2008, S. 71). 51 Midler (2009, S. 127). 52 Vgl. Moder (2008, S. 74, 94–96). 50
58
4.5
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
„Quality Made in China“ – Performance chinesischer Lieferanten
„Quality Made in China“ war bereits von zentraler Bedeutung, als der Fokus noch darauf lag, Wertschöpfung in China für den schnell wachsenden Markt China zu betreiben. Die Identifikation chinesischer Kontextfaktoren und Product-fit waren in dieser Phase wesentliche Elemente des Qualitätsmanagements, da sich „externe“ Faktoren, wie Einsatzbedingungen, stark auf die Qualität auswirken. Zum Beispiel müssen Pkw-Motoren immer noch gelegentlich ein gestrecktes, minderwertiges Kraftstoff-Gemisch mancher chinesischer Tankstellen genauso aushalten wie die Fahrgewohnheit, frühzeitig „hochzuschalten“ und Drehzahl-Bereiche von über 2.000 Umdrehungen pro Minute, wenn möglich, zu vermeiden oder das Fahrzeug stundenlang im Stand laufen zu lassen, weil der Fahrer im geheizten bzw. klimatisierten Fahrzeug auf seinen Chef und die Weiterfahrt warten möchte. Fahrzeug-Hupen, ausgelegt nach westlichen Anforderungsprofilen, haben in China ohnehin nach kurzer Zeit den Extrem-Belastungen einer kontinuierlichen Dauerbeanspruchung nicht mehr standgehalten (wenngleich „Hup-Verbote“, z. B. in Shanghai, in den vergangenen Jahren durchaus etwas bewirkt haben). Treten Qualitätsprobleme auf, ist der Endkunde unzufrieden und unterscheidet letztendlich nicht, warum sein Fahrzeug defekt ist. Gewährleistung und Produkthaftung sind auch in China ein Thema. Unzufriedenheit wird zudem manchmal laut nach außen getragen. Europäische Produkte 1:1 auf chinesische Märkte zu übertragen, scheitert in vielen Fällen. Zum Beispiel konnte in China ein Anbieter von Frequenzumrichtern mit seinem Produkt nicht Fuß fassen, obwohl dieses über alle vorstellbaren Funktionalitäten verfügte. Zum einen konnten aber diese in China teilweise gar nicht angewendet werden, zum anderen wurde jedoch die wichtigste Anforderung nicht erfüllt: Robustheit. Die Geräte fielen reihenweise aus wegen staubiger und feuchter Umfeldbedingungen. Ganz zu schweigen, dass sie auch noch deutlich teurer waren als die Wettbewerbsprodukte.53 Nun wird China zudem verstärkt als Wertschöpfungsort für Best-Cost-CountrySourcing (BCCS) gesehen. Chinesische Mitarbeiter und Unternehmen lernen schnell, so dass immer mehr die Chancen hierzu entstehen. Durch BCCS steigen allerdings auch die Anforderungen, da westliche Qualitätsstandards erfüllt werden müssen. Ernüchterung tritt ein, wenn man feststellt, dass zwar niedrige Materialkosten erzielt werden, aber die Qualität nicht passt. Folgekosten durch Ausschuss, Nacharbeit, Sicherheitsbestände, fehlende Liefertreue, Expediting und Rückhol-Aktionen können entstehen; ganz zu schweigen vom Image-Schaden, der mit Qualitätsproblemen verbunden sein kann. Der breiten Öffentlichkeit rückt „Quality Made in China“ vor allem dann ins Bewusstsein, wenn Skandale bei Konsumgütern die Schlagzeilen füllen. Folgende Auszüge sollen hierzu einen Eindruck geben: „Der überwiegende Großteil der Produkte, von denen eine Gefahr für den Menschen ausgeht, stammt aus chinesischer Produktion“ – „Gefahren lauern nicht nur bei Maschinen – auch Kinderspielzeug aus China schneidet besonders schlecht 53
Vgl. Faust (2009d, S. 366).
4.5 „Quality Made in China“ – Performance chinesischer Lieferanten
59
ab.“ – „30 % aller chinesischen Produkte verletzen die Sicherheitsbestimmungen des deutschen ,Dachgesetzes‘ für technische Geräte.“ – „Kriminelle Herststeller oder Verkäufer kleben das CE-Zeichen auch ohne Zertifizierung auf das Produkt“.54 Im industriellen Umfeld werden allerdings auch gerne mal Qualitätsprobleme mit Produkten oder Teilen aus China als Argumente übertrieben ins Feld geführt – vor allem im Zuge subjektiv oder national geführter Standort-Diskussionen. Um das Thema „Quality Made in China“ bei ausgewählten Aspekten zu beleuchten, wurde durch Seidenschwarz & Comp.55 eine Umfrage durchgeführt. Der Schwerpunkt lag dabei auf den eingesetzten Qualitätsmethoden, vor allem an der LieferantenSchnittstelle. Eine Befragung fand mittels Fragebogen und anschließenden gezielten Experten-Interviews statt. An der Umfrage beteiligten sich 50 Industrieunternehmen in China. Zwei Drittel der Teilnehmer kamen aus den Branchen Automotive, Maschinenbau und Automatisierungstechnik. Bei einem Drittel der Teilnehmer handelt es sich um ein WFOE (Wholly Foreign Owned Enterprise), bei den restlichen um chinesisch-ausländische Joint-Ventures. Interessanterweise beteiligten sich rein chinesische Unternehmen nicht an der Umfrage. Vielleicht tut man sich schwer, fast wie bei der Lieferantenselbstauskunft, mit einer gewissen Offenheit die eigene Situation und die Schwachstellen einzuschätzen. Die Einschätzungen der UmfrageTeilnehmer über deren chinesische Lieferanten ergeben trotzdem ein klares Bild über Herausforderungen und der Qualitätsperformance chinesischer Lieferanten. Produkt-Robustheit und -Haltbarkeit werden von den Teilnehmern der Umfrage mit einer hohen Wichtigkeit als Kaufkriterium eingeschätzt und weist damit eine vergleichbare Bedeutung wie der Produktpreis auf. Als größte Herausforderung und dringendsten Handlungsbedarf erkennt man mit großem Abstand die „Lieferanten-Qualität“. Durchgängig klagen die Unternehmen über eine begrenzte Beeinflussbarkeit der Lieferanten in China. Die Unzufriedenheit mit den Lieferanten bezieht sich auf die Qualifikation und Motivation des Personals sowie auf die Prozesse; vor allem in der Produktion und in der Qualitätssicherung. Das Problem liegt manchmal bereits in frühen Phasen der Produktentstehung, da in der Entwicklungsund Planungsabteilung des Lieferanten entsprechende Kompetenzen fehlen. Immer wieder wird angeführt, dass das Management der Lieferanten Qualitätsbelange nicht ausreichend ernst nimmt, geschweige denn mit aller Konsequenz forciert und in die Umsetzung bringt. Ist man an Lieferanten gebunden, die zum Konzern des eigenen JV-Partners gehören und damit quasi mandatiert sind, entfaltet die Androhung eines Lieferantenwechsels kaum Wirkung. Einige Umfrage-Teilnehmer gestehen aber auch ein, dass die Kommunikation der eigenen Anforderungen manchmal unpassend ist. Nicht immer kommt klar und verständlich bei den Lieferanten an, was gebraucht wird. Teilweise werden kulturelle Differenzen als Ursache gesehen. Mit umfangreichen Spezifikationsunterlagen können chinesische Unternehmen oftmals weniger anfangen als mit übersichtlichen bildlichen Darstellungen. Veranschaulichung hilft in vielen Bereichen. Grenzmuster-Kataloge leisten in China beispielsweise einen wertvollen Beitrag 54 55
Mahmoodi (2011, S. 12). Vgl. Seidenschwarz & Comp. (2009, S. 1–34).
60
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Bewertung der Herausforderungen und Priorisierung von Verbesserungsansätzen Hoch 1
2 4
3
Priorität 7
6
10
5 8
11
9
13 12 14 Niedrig Herausforderungen = Kritisch
= Zu beobachten
1: Qualität externer Lieferanten 2: Mitarbeitermotivation bez. Nutzung der Qualitätssysteme 3: Klare / verständliche Kommunikation der Anforderungen an die Lieferanten 4: Fähigkeiten der Mitarbeiter, ein Qualitätssystem einzusetzen 5: Gestaltung der Herstellungsverfahren nach Qualitätsanforderungen 6: Qualität des Produktdesigns 7: Wareneingangskontrolle 8: Servicequalität 9: Produktion 10: Warenausgangskontrolle 11: Werklogistik 12: Qualität externer Logistik-Dienstleister 13: Montage 14: Qualität der Maschinen und Werkzeuge
Hoch
= Stabil
“Wo sehen Sie die aktuellen Herausforderungen und Probleme, und wo sehen Sie die höchste Priorität für Verbesserungen in Ihrer Organisation?“ (Herausforderungen: 1 = keine Herausforderung, 6 = große Herausforderung, Priorität für Verbesserung: 1 = keine Priorität, 6 = hohe Priorität)
Abb. 4.1 Herausforderungen „Quality made in China“
zur Übermittlung der Erwartungen an die Lieferanten, werden allerdings nur von einem Viertel der Unternehmen hierfür verwendet. Lediglich 58 % der Befragten schließen eine Qualitätsvereinbarung ab. Die Hälfte der Unternehmen setzt ein Lieferanten-Prozess-Monitoring ein. Jedes zweite Unternehmen benutzt monetäre Strafen bei Qualitätsproblemen an der Lieferanten-Schnittstelle (Abb. 4.1).
4.5.1 You get, what you inspect – not what you expect Im Westen ist man zum Großteil von Wareneingangsprüfungen abgekommen. Die Unternehmen setzen in China jedoch in erster Linie reaktive Maßnahmen zur Beherrschung der Lieferanten-Qualität ein. Vier von fünf Unternehmen wenden eine eigene Wareneingangsprüfung als Methode der Qualitätssicherung an der LieferantenSchnittstelle an; ein Drittel der Befragten prüfen am Wareneingang sogar zu 100 %. Nur jedes dritte Unternehmen führt eine regelmäßige „Supplier-Site-Inspection“ durch. Dabei gilt gerade in China die Regel: „You get, what you inspect, not what you expect.“ Bei der Plausibilisierung von Kapazitäten fängt das schon an. Im dynamischen Wachstumsmarkt China sind Kapazitäten immer ein kritisches Thema – gerade für die Qualität. Vor-Ort-Hilfe beim Lieferanten ist zwar mit Aufwand verbunden, trägt aber wirksam dazu bei, Fehler zu beseitigen und zu vermeiden. Nur langsam erkennen die Unternehmen, dass an der Lieferanten-Entwicklung in vielen Bereichen kein Weg vorbei führt. Eine in China wirksame Lieferanten-Entwicklung verfolgt das Ziel, die gelebte Qualität nachhaltig zu verbessern. Mit einem klassischen AuditVerständnis werden zwar umfangreiche Dokumente erzeugt, die Qualität verbessert sich in der Regel kaum. Chinesische Lieferanten sind oft flexibel, aber selten konstant und nachhaltig. Standard-Einhaltung steht nicht an erster Stelle. Außerdem versuchen selbstverständlich auch die chinesischen Lieferanten sich selbst zu optimieren.
4.5 „Quality Made in China“ – Performance chinesischer Lieferanten
61
Unternehmen irren, wenn sie glauben, ein einmal befähigter Lieferant hält einfach so den Qualitätsstand oder wird kontinuierlich besser. Follow-up wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Produkt- und Prozess-Freigaben sind wesentlich kurzzyklischer zu wiederholen. Lieferanten-Qualität zeigt sich auch erst in der Serie, wenn die maximalen Stückzahlen zu fertigen sind – in der Vorserie stimmt die Qualität oftmals noch. Kann der Lieferant Qualitätszertifikate vorlegen, sagt das noch nicht viel über die zu erwartende Lieferqualität.
4.5.2
Tagtägliche Aufgabe: Visualisieren und Fehler vermeiden
Auch wenn 69 % der Befragten angeben, TQM implementiert zu haben, so wird doch immer wieder der Optimierungsbedarf bei der Qualitätskultur angeführt. Zur Verbesserung der Qualitätskultur innerhalb der eigenen Organisation setzen 94 % der Unternehmen Trainings ein, 82 % vertrauen auf Arbeitsanweisungen, 65 % auf Qualitätshandbücher, 61 % auf „Belohnung“ als Anreizsystematik und 59 % auf Qualitätszirkel. Man kann feststellen, dass präventive Qualitätsmethoden vernachlässigt werden. Poka-Yoke ist zum Beispiel gerade wirksam bei einem hohen manuellen Wertschöpfungsanteil, wie in China vorhanden, gelangt aber nicht einmal bei der Hälfte der Unternehmen zur Anwendung. Selbst die FMEA wird nur von 59 % der Unternehmen genutzt. Auch die Visualisierung von Prozessabweichungen nach Andon-Prinzipien wird von der Mehrheit nicht durchgeführt. Die 8D-Methodik zur systematischen Fehlerabstellung und -vermeidung wird von jedem zweiten Unternehmen verwendet. SPC erfährt gegenwärtig eine Verbreitung von 60 %, wird aber zukünftig verstärkt eingesetzt. Die Teilnehmer geben immer wieder an, dass die Ursachenanalyse in manchen Bereichen vernachlässigt wird. Dies schlägt sich zum Beispiel auch darin nieder, dass über die Hälfte der Unternehmen kein IshikawaDiagramm als Methode zur Ursachenanalyse nutzt. In vielen Bereichen fehlt es an Transparenz. Das gilt ebenso für die Messung der Qualität. Jedes vierte Unternehmen kennt nicht einmal die eigene Fehlerrate. First Pass Yield und die Nacharbeitsquote werden jeweils von 57 % der Unternehmen gemessen. Außerdem werden die Qualitätskosten von einem Drittel der Unternehmen nicht erfasst. Wo sie vorhanden sind, betragen die Fehlerkosten die Hälfte der Qualitätskosten. Beim Anteil der Qualitätskosten gibt es strukturelle Unterschiede. Bei Joint Ventures liegt der Anteil der Qualitätskosten am Umsatz mehr als doppelt so hoch wie bei WFOE. Womöglich ist in manchem chinesisch-ausländischen Joint Venture eine effektive und effiziente Qualitätsarbeit erschwert (Abb. 4.2, 4.3, 4.4, 4.5 und 4.6)
4.5.3
Hinter der Fassade bröckelt es
Immer wieder wird auch im eigenen Unternehmen die Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter als große Herausforderung gesehen. Verantwortung übernehmen ist die Grundlage für Qualität. Das beginnt schon bei der Werker-Selbstprüfung. Viele
62
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Zustimmung der folgenden Aussagen (vor dem Hintergrund der eigenen Organisation)
[n=49]
Wir wählen unsere Lieferanten hauptsächlich nach Preisaspekten aus. Die Hauptursache bei Qualitätsproblemen liegt in unserem Qualitätssystem. Die Hauptursache bei Qualitätsproblemen liegt bei Mitarbeiter-Motivation / -Fähigkeiten. Die Hauptaufgabe unserer Qualitätsabteilung ist Fehler zu erkennen. Unsere Qualitätsabteilung unterstützt aktiv bei der Fehlerprävention. Wir vermeiden mögliche Fehler bereits während der Produkt-Design-Phase. Wir haben eine klar formulierte Qualitätsstrategie. Wir wählen unsere Lieferanten hautpsächlich nach Qualitätsaspekten aus. Wir haben ein effektives Qualitätscontrolling-System installiert. Wir trainieren und qualifizieren ausreichend unsere Mitarbeiter hinsichtlich Qualität. Wir berücksichtigen die Qualitätsanforderungen unserer Kunden entlang des gesamten Produktentstehungsprozess. Qualitätsanforderungen sind klar definiert und kommuniziert. Wir führen regelmäßige und systematische Analysen zur Problemidentifikation durch und verbessern unsere Prozesse und Produkte kontinuierlich. Unsere Produkte haben eine bessere Qualität als die unserer Wettbewerber.
trifft nicht zu trifft zu
Unser Produktionsprozess (Prozesse, Maschinen, Werkzeuge) ist nach den Qualitätsanforderungen gestaltet. Qualität ist wichtiger als kurzfristiger Profit.
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90% 100%
“Bitte bewerten Sie, ob die folgenden Aussagen auf Ihre Organisation zutreffen”
Abb. 4.2 Bewertete Aussagen zum Qualitätsmanagement in China
[n=49]
Eingesetzte und geplante Qualitätsmethoden Total quality management (TQM)
12%
Kontinuierliche Verbesserung (KVP) / Kaizen
65%
10%
5S / 6S
63%
12%
63%
8%
Maschinenkapazitätsanalyse
61%
10%
SPC
59%
14% 54%
8%
Lean Manufacturing
49%
12%
Qualitätsrisiko-Portfolio
Prozess-und Schnittstellenanalyse Poka Yoke Six Sigma
48% 47%
14%
Ishikawa-Diagramm Andon
49%
19% 8%
Qualitätsworkshops mit Kunden Grenzmusterkataloge
53%
20%
8D QFD
60%
20%
FMEA Quality Gates
67%
14%
Root cause failure analysis (RCFA) Qualitätszirkel
69%
47%
10%
44%
6%
43%
16%
= bereits genutzt = geplant
42%
14%
41%
18% 21%
29%
“Welche Qualitätsmanagement-Methoden werden in Ihrer Organisation derzeit eingesetzt und welche sind geplant?
Abb. 4.3 Eingesetzte und geplante Qualitätsmethoden
Experten behaupten allerdings, der Werker in China arbeite stur seine Tätigkeiten ab, ohne „nach links und nach rechts“ zu schauen, ohne sich dafür zu interessieren, wie sein Gesamtbeitrag zur Qualität ist. Verantwortung übernehmen, selbst für die eigene Qualität zu stehen, Initiative zeigen und Mitdenken, sei oftmals verbesserungsfähig. „In a factory environment, Chinese workers may appear to lack initiative or have an unwillingness to offer suggestions. But this behavior is related to educational experience and the ever-present desire to allow you to save the face. A Chinese
4.5 „Quality Made in China“ – Performance chinesischer Lieferanten
63
Zufriedenheit mit den Lieferanten hinsichtlich …
[n=49]
Kompetenz des Qualitätssicherungspersonals Produktionsprozess und in-process-control R&D-Kompetenz Management-Team und -Struktur Kontinuierliche Qualitätsverbesserung Produktqualität Kommunikation und Sprache-Fähigkeiten Prüfeinrichtungen Contract Performance Intellectual property concerns Umgang mit Kundenbeschwerden Lieferzuverlässigkeit unzufrieden zufrieden
Transportschaden 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
“Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Lieferanten bei den aufgeführten Punkten?
Abb. 4.4 Ausprägungen der Unzufriedenheit mit Lieferanten
[n=50]
Eingesetzte Methoden zur Sicherstellung der Lieferanten-Qualität Stichproben-Prüfung im Wareneingang
78%
Technische Lieferanten-Unterstützung Regelmäßgies Lieferanten-Audit Qualitätsvereinbarungen Lieferanten-Prozess-Monitoring
66% 64% 58% 52%
Monetäre Strafen bei Fehlern
50%
Lieferanten-Workshops Prozess-Dokumentation
48% 46%
Regelmäßige Lieferanten-Meetings Lieferanten-Training
46% 46%
Stichproben-Prüfung durch “third parties”
38%
Unangekündige “Supplier-Site-Inspection” Unangekündigtes Lieferanten-Audit
36% 36%
100% Wareneingangskontrolle Regelmäßige “Supplier-Site-Inspection” Grenzmuster-Kataloge für Lieferanten
32% 32% 26% 24%
Kontinuierliche “Supplier-Site-Inspection” (eigene Mitarbeiter)
Gemeinsames Produkt-Design
18%
“Welche Methoden werden zur Sicherstellung der Lieferanten-Qualität eingesetzt?” (Mehrfach-Nennung möglich)
Abb. 4.5 Eingesetzte Methoden zur Sicherstellung der Lieferanten-Qualität
employee will wait to be told what to do next and then carefully follow instructions.“56 Die Schuld für Fehler werde auch manchmal lieber bei anderen Bereichen gesucht, niemand soll im eigenen Bereich „sein Gesicht verlieren“. Viele behaupten, Transparenz sei in chinesischen Produktionsbereichen gar nicht erwünscht, weil
56
Coates (2009, S. 21–22).
64
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Qualitätszertifikate die Kunden von ihren Lieferanten erwarten ISO 900X ISO 1400X ISO/TS CCC OHSAS CE-Marking VDA 6.X QS 9000 SA 8000 Other ISO 1000X IRIS TL 9000 ISO 22000
[n=49] 61% 57%
29% 29% 16% 14% 12% 10% 8% 4% 4% 4% 2% 2%
Abb. 4.6 Qualitätszertifikate die Kunden von ihren Lieferanten erwarten
man dann erkennen kann, welcher Bereich, welche Gruppe, welcher Werker „seinen Job“ nicht gemacht hat. Zudem zählt häufig mehr der „äußere Schein“: sowie bei der Fassade an so mancher chinesischer Hauptstraße, die aufpoliert ist, während schon gleich dahinter alles zu bröckeln beginnt („Einen dürren Baum mit künstlichen Blumen schmücken“). Man neigt sowieso dazu, Negatives unter den Tisch zu kehren; Ursachenanalyse steht nicht im Fokus. Bereits bei der Ausbildung und im Studium wird ein Verständnis für die Erfordernisse einer Ursachenanalyse nicht ausreichend geschärft: „Students learn the facts, but they have little appreciation for cause-and-effect relationships.“57 Problemen wird oftmals deswegen nicht auf den Grund gegangen, um Gesichtsverlust zu vermeiden. Die Gefahr des Gesichtsverlusts steht für manche Chinesen in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, der sich aus einer schonungslosen Offenlegung ziehen ließe.58 Das Prinzip des „Gesichtswahrens“ erfordert eine indirekte Kommunikation, der aber trotzdem klare Sanktionen folgen müssen – was von deutschen Managern oft als Widerspruch empfunden wird.59 Viele Werks- und Produktionsleiter behaupten, Gruppenarbeit funktioniere in China weniger, weil keine Team-Kultur besteht und jeder erst mal auf sich selbst achtet – entgegen dem „Kollektiv-orientierten“ Bild, das viele Westler vor Augen haben. Von der Integration indirekter Tätigkeiten in die Gruppen, wie sie sich in westlichen Werken60 durchgesetzt hat, sei man sowieso meistens noch weit entfernt. Außerdem 57
Coates (2009, S. 22). Vgl. Holtbrügge und Puck (2008, S. 30). 59 Vgl. Kasperk et al. (2006, S. 149). 60 Vgl. hierzu beispielsweise: Becker et al. (2007, S. 46–47); Deiwiks et al. (2008a, S. 402–411; b, S. 21–23); Faust und Schwöbel (2009, S. 32–34). 58
4.5 „Quality Made in China“ – Performance chinesischer Lieferanten
65
fehle es an einem langfristigen Denken, was die Umsetzung präventiver Maßnahmen erschwert. Die Herausforderungen bei der Einführung von TPM seien hierfür beispielhaft genannt. All diese Aussagen haben etwas Wahres. Trotzdem, auch wenn es schwierig erscheint, man kann dagegen angehen. Personifizieren, Verantwortung klar benennen, Fehler offen legen und deutlich benennen stellen auch in China erste wichtige Schritte dar. Gleichwohl wird eine konsequente Reißleinen-Kultur vorerst noch in weiter Ferne bleiben. Andererseits lässt sich auch in westlichen Ländern hierzu noch keine substanzielle Durchdringung feststellen. Allein mit einem gelebten 5 S lässt sich in China im ersten Schritt schon sehr viel erreichen. Positive Effekte für die Qualität ergeben sich auch durch die Umsetzung von Lean-Projekten. Wenn Prozessschwächen offengelegt werden, wenn man täglich an der kontinuierlichen Verbesserung arbeitet, wenn man für Ordnung und Sauberkeit sorgt, dann dient das nicht nur der Verschlankung von Prozessen, der Verbesserung der Kostenposition und der Reduzierung von Durchlaufzeiten, sondern vor allem auch der Verbesserung der Qualität. Schnelle Erfolge bilden in China das überzeugendste Motivationsinstrument: Chinesen sind ungeduldig. Den Eindruck bekommt man zumindest häufig, vor allem bei der jüngeren Generation und in den hektischen Metropolen wie Shanghai; wissend, dass in manchen „China-Büchern“ gerade auf die Geduld als anstrebenswerte Tugend in der chinesischen Kultur hingewiesen wird. Verallgemeinerungen bei fast 1,4 Mrd. Menschen in einem riesigen Land mit zahlreichen Kulturen sind ohnehin schwierig und wirken zum Teil stark vereinfachend. Eine Differenzierung, unter anderem nach Alter, Region oder Unternehmensumfeld, erscheint sinnvoll. So lassen sich beispielsweise, wenngleich immer noch sehr vereinfachend, regionale Muster erkennen, abgeleitet aus den Erfahrungen aus der Projektarbeit oder Workshop-Moderation: Der Mitarbeiter im Norden wirkt eher verschlossen, manchmal stur, bodenständig, hierarchiegetrieben; der Süden offener, kommunikativer, lockerer und sprunghafter. Shanghai ist sowieso anders als das restliche China. Mit der Errichtung von „Leuchttürmen“ beginnt jedenfalls insbesondere in China die erfolgreiche Veränderung. Geduld wird man trotzdem aufbringen müssen; nicht von heute auf morgen wird sich alles ändern. Es geht um eine kontinuierliche Verbesserung. Und manchmal hat sich schon gezeigt, die Verbesserung in kleinen Schritten ist nachhaltiger als der „scheinbare Quantensprung“. Selbstverständlich ist für westliche Führungskräfte wichtig, die chinesische Mentalität tatsächlich zu kennen, um zu verstehen. Das Vor-Ort-Lernen bleibt einem nicht erspart. Erfolgreiche Führungskräfte entwickeln in China ihr Verhalten und Handeln weiter, eine Übernahme chinesischer Verhaltensweisen ist dagegen falsch verstanden. Bei vielen westlichen Expatriates entsteht häufig Frust über den Fortschritt bei Prozess- und Qualitätsverbesserung. Gerade die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern in Joint-Ventures wirkt gelegentlich ermüdend, da in manchen Fällen weniger die Sache im Vordergrund steht als eine Interessenvertretung des Mutterunternehmens. Und da gehört neben der Gewinnmaximierung auch der Know-how-Zufluss dazu: oftmals (mehr oder weniger genau) festgehalten in „Transfer of Technology“-Verträgen (ToT). Besonders für staatliche Unternehmen hat dies strategische Bedeutung. Gesteuert von nationalen Planungsbehörden, werden westliche JV-Partner geschickt unter
66
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Eingesetzte Kennzahlen zur Qualitätsmessung
[n=49] 80%
Liefertreue
76%
Fehlerrate
73%
Beschwerdequote 65%
Qualitätskosten Nacharbeitsquote
57%
First pass yield Overall equipment effectiveness (OEE) Durchlaufzeit
57% 39% 33%
“Welche Kennzahlen nutzen Sie, um die Qualität zu messen?” (Mehrfachnennung möglich)
Abb. 4.7 Kennzahlen zur Qualitätsmessung
strategischen Aspekten ausgewählt. Hinzu kommt, dass staatliche Unternehmen selbstverständlich die Aufgabe haben, für eine hohe Mitarbeiterbeschäftigung zu sorgen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Mit zunehmendem Unternehmensfortschritt steigt ohnehin das Selbstbewusstsein der Chinesen sowie der Unabhängigkeitsgrad – und dass lässt der chinesische Partner auch manchmal spüren. Der Durchgriff auf die chinesischen Mitarbeiter ist dann beispielsweise oftmals begrenzt. Man muss also die dahinterliegenden Strukturen kennen, um die (nachvollziehbaren) Verhaltensweisen des chinesischen Partners einordnen zu können. Rückschläge gibt es – trotzdem: man muss beharrlich dran bleiben; nie aufgeben. Die Erfahrung zeigt auch, dass man manchmal schneller belohnt wird als man denkt. Gewinnt man chinesische Mitarbeiter tatsächlich, sind diese von etwas überzeugt, dann legen sie mit der Umsetzung sofort los: unkompliziert und pragmatisch. Überzeugung steht daher im Mittelpunkt der Qualitätsarbeit. Anschaulichkeit, Nutzen kommunizieren, schnelle Erfolge sehen: Das sind auch die Erfolgsfaktoren von Schulungen in China. Planspiele und pragmatische Gemba-Anwendung dienen hierzu. Eine geringe Mitarbeiter-Fluktuation stellt einen weiteren entscheidenden Einflussfaktor der Qualität dar (Abb. 4.7, 4.8, 4.9, 4.10, 4.11).
4.5.4
Lieferantenqualität – das Management muss es wollen
Bei aller kritischen Beurteilung: Es gibt durchaus positive Beispiele von chinesischen Lieferanten, die keine Erfahrung mit den Anforderungen europäischer OEMs hatten und dann trotzdem in der Lage waren, erfolgreich Verbesserungsmaßnahmen umzusetzen und somit einen nachhaltig hohen Qualitätsstandard zu erreichen; z. B. ein Lieferant, der bei einer ersten Qualitätsbewertung gerade noch ein akzeptables
4.5 „Quality Made in China“ – Performance chinesischer Lieferanten [n=34]
Qualitätskosten-Verteilung
Fehlerkosten 46%
67 [n=49]
Anteil der Qualitätskosten am Umsatz
Fehlervermeidungskosten 26%
8% 4%
2%-4% 6%-8% 14% 8% 4%-6% 8%
Abb. 4.8 Qualitätskosten – Überblick
[n=32]
Anteil Qualitätskosten am Umsatz
% der JV % der WFOE
47%
21%
23% 21%
23%
23%
15% 8%
5%
5%
8% 0%
< 1%
1%-2%
2%-4%
4%-6%
6%-8%
>8%
Abb. 4.9 Qualitätskosten – Differenzierung JV und WFOE
Qualitätslevel erreichen konnte. Für ihn bestand die Chance, durch das Aufsetzen und Abarbeiten eines Verbesserungsprogrammes in einer Folgebewertung als potentieller Lieferant nominiert zu werden. Durch das Management wurden die Weichen gestellt, dass über einen Zeitraum von fast zwei Jahren umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Prozesse definiert und umgesetzt wurden. Zusätzlich wurden Investitionen für Baumaßnahmen freigegeben, um notwendige Lager- und Montageflächen zu schaffen. Dadurch konnten wichtige Logistikprozesse optimiert werden. Letztendlich wurden in allen Bereichen, von der Beschaffung über Produkt- und Prozessverbesserungen sowie in der Mitarbeiter-Qualifikation etc., enorme Verbesserungen nachhaltig umgesetzt. Als Ergebnis konnte in der Nachbewertung durch ein Prozessaudit die Produkt- und Prozessfähigkeit dieses Lieferanten festgestellt und die
68
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Personifizieren, Verantwortung klar benennen (keine „white spots“)
Schulen: Überzeugen, Veranschaulichen und immer wieder Erklären
Fehler offenlegen und klar benennen / Ermuntern, die Reißleine zu ziehen
Das Management lebt Qualität vor.
MitarbeiterEntwicklung und Qualitätskultur
Transparenz schaffen und „gesichtswahrend“ die Fehlerursachen bekämpfen
Beharrlich Gruppenarbeit weiterentwickeln: Qualität als visualisiertes Ziel
Belohnen bei Erfolg; nicht nur monetär (z.B. gemeinsames Team-Event), Erfolg „ausloben“
Schnelle Erfolge: positive Beispiele, „Leuchttürme“ schaffen
Abb. 4.10 Mitarbeiter-Entwicklung und Qualitätskultur
1
Obwohl der chinesische Markt äußerst preisgetrieben ist, Qualität stellt ein Kaufkriterium dar.
2
Der größte Handlungsbedarf besteht in der Lieferanten-Qualität.
3
Mangelnde Mitarbeiter-Qualifikation und Prozess-Qualität als Gründe für unzureichende Lieferanten-Qualität.
4
Zu wenig Prävention und Vor-Ort-Hilfe: Ohne Lieferanten-Befähigung und -Entwicklung geht es meistens nicht.
5
Commitment des Managements der Lieferanten ist ein Muss für die Lieferanten-Entwicklung.
6
Klare, verständliche, anschauliche und “China-spezifische” Kommunikation der Anforderungen an die Lieferanten hilft.
7
Präventive Qualitätsmethoden werden nicht ausreichend eingesetzt.
8
Die Qualitätskosten sind in chinesisch-westlichen Joint-Ventures höher als in WFOE (Wholly Foreign Owned Enterprise).
9
Überzeugung, Anschaulichkeit und schnelle Erfolge sind Kennzeichen der Mitarbeiter-Qualifikation und -Motivation.
10
Die Unternehmen sind zuversichtlich, dass China-Qualität mittelfristig an das Weltniveau aufschließt (ca. 5 Jahre).
Abb. 4.11 Key Findings „Quality Made in China“
Qualitätsfähigkeit bestätigt werden. Ein langer und aufwändiger, aber letztendlich erfolgreicher Weg. Warum hat dies bei diesem Lieferanten so gut funktioniert? Das Management des chinesischen Lieferanten stand dahinter und wollte unbedingt auf die Lieferantenliste; es hat die Defizite erkannt, entsprechende Investitionen wurden getätigt. Ein funktionierendes Qualitätsmanagementsystem wurde implementiert und
4.6 Mitarbeiter-Qualifikation und -Motivation – Grundstein für „Qualität in China“
69
wird auch gelebt. Positiv wirkten sich hier zusätzlich die parallelen Aktivitäten des Lieferanten für einen lokalen Joint Venture-OEM aus. Die Maßnahmen konnten konkret umgesetzt und dort schon mal verifiziert werden. Die sichtbaren Verbesserungen waren Motivation für die weitere Optimierung. In den meisten Fällen sind Probleme in der Qualitätsfähigkeit beim Management begründet. Wenn die Zielrichtung vorgegeben und vorgelebt wird, können sich Erfolge wie der oben beschriebene einstellen.
4.5.5
Positive Entwicklung bei „Quality Made in China“
Der Nutzen einer Qualitätssteigerung wird von den Teilnehmern der Umfrage durchaus gesehen. 80 % erwarten durch eine verbesserte Qualität eine höhere Kundenzufriedenheit. Nur 6 % glauben aber, dass man dadurch einen höheren Preis durchsetzen kann. Allerdings erkennt fast die Hälfte der Unternehmen die Chance der Kostenreduzierung durch eine bessere Qualität. Die positive Entwicklung bei „Quality Made in China“ wird ebenfalls erkannt. Über die Hälfte der Teilnehmer gehen davon aus, dass man spätestens in fünf Jahren Anschluss an das Weltniveau gefunden hat. China bietet als Absatz-, Wertschöpfungs- und Beschaffungsmarkt große Potenziale. Trotzdem bedarf es eines differenzierten Vorgehens. Vorausschauende Beschaffungskonzepte mit „kontrollierter Offensive“ beginnen mit dem Aufbau lokaler Lieferanten für die Wertschöpfung vor Ort, bevor diese im Rahmen eines Best-Cost-Country-Sourcing eingesetzt werden. Kurzfristige quantitative Beschaffungsziele stecken hierfür allerdings einen engen Rahmen. Schnelligkeit zählt. Bewertungskriterien und Lieferanten-Methoden sind dementsprechend angepasst einzusetzen. Durch ein robustes und belastbares Vorgehen entsprechend eines „Filter-Modells“ identifiziert man zügig die Lieferanten, die überhaupt für ein Global Sourcing in Frage kommen. Eine nachhaltige Beschaffungsstrategie berücksichtigt sowohl Chancen und Risiken als auch die Dynamik des chinesischen Marktes. Die Qualität wird hierbei immer ein zentrales Beurteilungskriterium sein (Abb. 4.12, 4.13).61
4.6
Mitarbeiter-Qualifikation und -Motivation – Grundstein für „Qualität in China“
Eine Vielzahl der Qualitätsprobleme bei der Wertschöpfung in China ist hauptsächlich durch mangelnde Erfahrung bei Qualitätssystemen und im Qualitätsmanagement sowie durch das außergewöhnliche Wachstum bedingt. Bei aller kritischen Beurteilung, eins sollte nicht vergessen werden: Die meisten chinesischen Unternehmen befinden sich noch in der Hand der ersten Unternehmer-Generation und damit immer 61
Vgl. Seidenschwarz & Comp (2009, S. 9–24); vgl. Faust und Rezzadori (2010a, S. 24–27; b, S. 29–31; c, S. 18–19; d, S. 32–36).
70
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Erwartete Nutzenwirkungen einer verbesserten Qualität für die eigene Organisation Verbesserte Kundenzufriedenheit
[n=50] 80%
Risiko-Reduzierung und -Vermeidung
46%
Geringere Kosten
42%
Höherer Marktanteil
32%
Höherer Gewinn
30%
Bessere Produktivität
24%
Höhere Mitarbeiterzufriedenheit
22%
Besseres Image
20%
Umsatzsteigerung
14%
Höhere durchsetzbare Preise
6%
“Wie lauten die drei größten Nutzenwirkungen für Ihre Organisation aus einer verbesserten Qualität?”
Abb. 4.12 Nutzen einer verbesserten Qualität
Einschätzung der Teilnehmer, wann “Made in China” für “world class quality” stehen wird
[n=48]
29% 24% 20% 16%
10%
Bereits erreicht
innerhalb 2 Jahre
2 – 5 Jahre
5 – 10 Jahre
> 10 Jahre
“Wann wird “Made in China” für “world class quality” stehen?”
Abb. 4.13 „Quality Made in China“ und „World Class Quality“
noch in einer frühen Entwicklungsstufe. Neben den Herausforderungen, ständig steigende Kapazitäten zu realisieren, entstehen für chinesische Lieferanten zudem neue Anforderungen, wenn verstärkt ausländische Premium-Anbieter bedient werden sollen – mit Qualitätsansprüchen, die bisher unbekannt waren und anfangs teilweise gar nicht verstanden werden. Oftmals wird der Kunde enttäuscht, wenn er beim chinesischen Lieferanten Kreativität, Eigeninitiative und Innovationskraft voraussetzt.
4.6 Mitarbeiter-Qualifikation und -Motivation – Grundstein für „Qualität in China“
71
Über viele Jahre hat sich die „Imitation“ als wesentliches Element des chinesischen Wertesystems verankert. Wenn man jedoch an das Prinzip „Nachbau“ gewöhnt ist, kann man sich nicht so leicht in kürzester Zeit auf die Entwicklung von innovativen Produkten und Prozessen umstellen. Hallen und Maschinen-Kapazitäten lassen sich noch einigermaßen leicht aufbauen, schwieriger wird es, die Prozessqualität – und damit die Produktqualität – sicherzustellen. Dabei geht es nicht nur um die Definition der richtigen Prozesse, sondern vor allem um die Mitarbeiter, die diese leben sollen. Der Faktor „Mensch“ wird zum Engpass im Qualitätsmanagement in China. Dabei geht es zum einen um das Schaffen eines tatsächlichen Qualitätsbewusstseins (nicht nur beim einzelnen Mitarbeiter, sondern vor allem auch beim chinesischen Management), zum anderen um die Qualifikation. Zwar gelangt jedes Jahr eine Vielzahl an jungen Studenten auf den Arbeitsmarkt, jedoch nicht immer bestens vorbereitet auf das Berufsleben. Die Ausbildung an manchen chinesischen Universitäten ist veraltet, theorieorientiert und unterstützt nicht die Entwicklung von Kreativität, Innovationsfähigkeit und Problemlösungskompetenzen. Fast schlimmer noch ist die Tatsache, dass der „Mittelbau“ fehlt. Es mangelt an einem entsprechenden Ausbildungssystem, was sich dahingehend auswirkt, dass die für die Qualität so wichtigen Fachkräfte und Meister vielfach nicht verfügbar sind. Die Angebotslücke im „gehobenen“ Blue-Collar-Segment des Arbeitsmarktes vergrößert sich. Die Fluktuationsrate und der Mangel an Arbeitskräften werden in den Wirtschaftsregionen im Facharbeiterbereich ansteigen: rund ein Viertel der Belegschaft wandert im Jahr ab. Der geschätzte Fachkräftebedarf liegt in China bei 60 Mio., ca. ein Drittel davon kann nicht gedeckt werden. Ca. 12 Mio. Fachkräfte fehlen in der Sekundärindustrie. In der Yangtze-Delta-Region fehlen ca. drei Mio. Facharbeiter, in Hubei ca. zwei Mio. In manchen Bereichen können zwei von drei Stellen aufgrund des Facharbeitermangels nicht besetzt werden. Der Mangel ist nicht nur quantitativer Natur. Von den derzeit verfügbaren technischen Arbeitskräften erreichen Schätzungen zufolge lediglich 36 % die „Basisqualifikation“, 48 % die „Mittlere Qualifikation“ (Fachkraft-Niveau) und 15 % erreichen eine „Hohe Qualifikation“ (Facharbeiter-Niveau), während zertifizierte Techniker nur 1 % ausmachen. Ein Problem liegt bereits bei der Qualifikation der Lehrer an den Berufsschulen. Sie verfügen meist über einen Bachelor-Abschluss einer Hochschule und haben dort theoretisches Wissen erworben; ihr „Arbeitsplatz“ ist der Unterrichtsraum, sie gelten als „Intellektuelle“ und sehen sich vielfach auch so. Betriebliche praktische Erfahrungen liegen in der Regel nicht vor. Das Konzept des „Ausbilders“ ist in China neu und wird allmählich eingeführt. Allerdings bekommt ein Lehrer gegenüber einem Ausbilder ein doppelt so hohes Gehalt und genießt langfristige Arbeitsplatzsicherheit sowie Fortbildungsmöglichkeiten. So ist es nicht verwunderlich, dass in den Lehrwerkstätten und in den Betrieben ein eklatanter Ausbildermangel herrscht.62 Außerdem bedarf es der Berücksichtigung von chinesischer Spezifika: Das tägliche Streben nach Präzision, kontinuierlicher Verbesserung und Prävention sowie das Denken über den eigenen Wirkungsbereich hinausgehend (im Sinne einer Gesamtprozessoptimierung) ist in vielen Fällen noch wenig vorzufinden. Die hohe 62
Vgl. Waldkirch (2011, S. 13); vgl. oV (2011d, S. 45–46).
72
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
Mitarbeiter-Fluktuation in attraktiven Regionen stellt eine weitere Besonderheit dar, die zu berücksichtigen ist. Die Faktoren zur Mitarbeiter-Zufriedenheit und deren Gewichtung unterscheiden sich zudem im Vergleich zu den in westlichen Ländern vorherrschenden. Anreize und Perspektiven verlangen zum Beispiel nach anderen Inhalten und Zeithorizonten. Insgesamt stellt sich für das Management in China die Frage nach einem geeigneten Führungsmodell, das den chinesischen Spezifika gerecht wird.
4.6.1
Faktor „Mensch“ in China – Qualitätstreiber oder -risiko?
Auch wenn die Prozesse – unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit und Sinnhaftigkeit – immer mehr automatisiert werden, Menschen werden nie komplett durch Maschinen ersetzt werden. Damit wird man auch mit der Unzuverlässigkeit und Fehleranfälligkeit des Faktors „Mensch“ im gewissen Maße leben müssen. Man kann dagegen angehen, indem Qualitätsmethoden, wie FMEA oder Poka-Yoke, eingesetzt werden, so dass mögliche Fehler antizipiert und durch entsprechende Maßnahmen vermieden werden. Neben der Tatsache, dass Maschinen auch fehleranfällig sind, sollte man immer die Vorzüge des Faktors „Mensch“ vor Augen halten: Prozesse werden immer durch Menschen verbessert; der Mensch kann zum „Qualitätstreiber“ werden, denn er ist prinzipiell flexibel, wandlungsfähig und kann Entscheidungen nach rationaler Argumenten-Abwägung und unter Einbezug intuitiver Beurteilungselemente treffen. Die Bedeutung der Qualität wird oftmals bereits bei der Auftragsvergabe nicht genug berücksichtigt. Bei der Attraktivitätsbeurteilung des Auftrags durch chinesische Lieferanten überlagern in vielen Fällen monetäre Faktoren die Frage nach der späteren „Leistbarkeit“ hinsichtlich Kapazitäten und Erfüllung von Qualitätsanforderungen. Manchmal ist es auch eine Frage der Beurteilungsfähigkeit – manches wird einfach unterschätzt. Kann dann nicht geliefert werden, wird schon mal „Strategem 36“ angewandt: „Rechtzeitiges Weglaufen ist bei sich abzeichnender völliger Aussichtslosigkeit das Beste“.63 So erlebt bei einem Beratungsprojekt, als der Werkleiter mitten im Gespräch nach einem Anruf des Pförtners plötzlich aufsprang und verschwand mit den Worten, er komme in zwei Stunden wieder, da er sich jetzt verstecken müsse. Die beiden zurückgelassenen Langnasen sahen sich nur verblüfft an – später stellte sich heraus, dass an der Pforte ein Kunde stand, der, nach einer Reise von über 1.000 km, beim Werkleiter persönlich nach dem Verbleib seiner seit drei Monaten ausstehenden Produkte nachfragen wollte, die er dringend benötigte, um seinerseits die Aufträge der Kunden erfüllen zu können. Den Ärger des Kunden bekam der Stellvertreter des Werkleiters ab. Das Beispiel zeigt, dass es nicht unbedingt der chinesischen Mentalität entspricht, sich Problemen zu stellen. Kulturelle Hintergründe sind also zu berücksichtigen: Das chinesische Denken unterscheidet sich beispielsweise vom westlichen dahingehend, dass man nicht in 63
Vgl. von Senger (2010, S. 205–211).
4.6 Mitarbeiter-Qualifikation und -Motivation – Grundstein für „Qualität in China“
73
„Null oder Eins“ denkt, nicht in „Schwarz und Weiß“; es gibt eben auch „Grau“. Nicht nur die chinesische Kultur ist eher „indirekt“, auch die Sprache unterstützt keine Eindeutigkeit. Damit verbunden ist auch ein anderes Verständnis von Präzision. Das gleiche gilt für die Standardisierung; der Sinn und der Wert des Standards wird weniger erkannt. Chinesische Fachkräfte mögen auch deswegen keine Planung und Standardisierung, weil darin immer auch das Wegnehmen eigener Fachkompetenzen und damit die Minderung des eigenen Werts gesehen werden. Der Standard wird oft als etwas Starres wahrgenommen, was sich nicht verträgt mit dem chinesischem – „The plan is not as good as changing Dynamik-Anspruch: quickly“. Soll-Prozesse werden schnell aufgegeben und eingeschlagene Wege plötzlich verlassen – ohne eine entsprechende Neudefinition. Auch die Zielorientierung ist enger gefasst: Er beschränkt sich auf den eigenen, beschränkten Wirkungsbereich und auf einen kurzfristigen Zeithorizont. Somit haben sowohl eine gruppenorientierte Qualitätsverantwortung weniger Chancen, als auch präventive Ansätze im Qualitätsmanagement. Dagegen steht die große Flexibilität bei ungeplanten Ereignissen und Störungen. Die Improvisierungsfähigkeit der Chinesen ist fast schon sprichwörtlich. Das gleiche gilt für das mögliche Tempo und die Umsetzungsorientierung (unter Auslassung jeglichen Anspruchs an Systematik und Methodik) – vorausgesetzt, man ist von etwas überzeugt; oder anders ausgedrückt: man erkennt auch einen Vorteil für sich in der neuen Lösung.
4.6.2
Management und Mitarbeiterführung in China
Leadership wird zunehmend anspruchsvoll, da der Gestaltungsbereich in der Tiefe und in der Breite gewachsen ist. Zum einen wird ein gewisses Prozess-Verständnis erwartet, zum Teil bis auf Shopfloor-Ebene, zum anderen sind komplexe globale Wertschöpfungsstrukturen mit verwischenden Anspruchsbeziehungen zu führen. Darüber hinaus ist der Manager gerade als Kommunikator und Motivator – kulturübergreifend – gefragt.64 Ausländische Führungskräfte werden vor der Entsendung nach China in der Regel intensiv auf kulturelle Unterschiede und eine angemessene Geschäfts-Etikette vorbereitet. Die aus Kulturunterschieden resultierenden konkreten Anforderungen für die Mitarbeiterführung werden hingegen oft vernachlässigt. Erschwerend kommt hinzu, dass die heute bei vielen internationalen Unternehmen praktizierten Entsendungszeiträume von drei Jahren für ein beziehungsgeprägtes Umfeld, wie in China gegeben, eher kurz sind und wenig Spielraum zur Einarbeitung lassen. Bei dem Personalmanagement ausländischer Unternehmen in China stellt sich die grundlegende Frage, ob westliche Strategien, Methoden und Instrumente angewendet werden sollen („culture free“) oder eine weitgehende Anpassung erforderlich ist, aufgrund der kulturellen, rechtlichen und sonstigen Rahmenbedingungen („culture 64
Vgl. Faust (2009b, S. 160).
74
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
bound“). Je mehr die Mitarbeiter bereits mit westlichen Unternehmenskulturen in Berührung gekommen sind, desto eher werden sich westliche PersonalmanagementAnsätze realisieren lassen. Auch bei einer Neugründung einer Tochtergesellschaft lässt sich leichter ein neuer Führungsstil einführen als bei einer Übernahme eines bestehenden chinesischen Unternehmens. Generell neigen amerikanische Unternehmen zur Anwendung amerikanischer Managementstile, während sich deutsche Unternehmen mehr an die in China vorherrschenden Bedingungen anpassen.65 In der täglichen Führungsarbeit gibt es Herausforderungen, die auf den ersten Blick oft verborgen erscheinen. Die in westlichen Ländern vorherrschende Betonung des Moderierens und Motivierens von Teams durch einen Manager als „primus inter pares“ wird in China weniger erfolgreich sein. Wo in westlich geprägten Unternehmen Mitarbeiter Eigenverantwortung einfordern und bereit sind, die eigene Kreativität einzubringen, erwarten chinesische Mitarbeiter in der Regel klar definierte Machtstrukturen und Zuständigkeitsbereiche. Das Verständnis für ein Team-Work mit verteilten Rollen ist weniger ausgeprägt. Manager, die lediglich abstrakte Verantwortung verteilen und unklar definierte Rahmenbedingungen setzen, werden in China als schwach und wenig durchsetzungsfähig angesehen. Eine Delegation von Verantwortung ist schwieriger zu realisieren; chinesische Mitarbeiter ergreifen weniger die Initiative und sind es gewohnt, dass Entscheidungen von ihren Vorgesetzten getroffen werden (Entscheidungszentralisation).66 Zudem möchten viele chinesische Mitarbeiter im Chef den „Lehrer“ sehen, der mit Weisheit das Unternehmen lenkt. Eine weitere Aufgabe, die auf den westlichen Manager zukommt, ist das Management von Guanxi; sowohl mit unternehmensexternen – Partnern als auch mit internen Mitarbeitern und Kollegen: „who is beloved and supported by the people, who will win the world“. Den Respekt der Mitarbeiter zu gewinnen, bildet die wichtigste Hürde für den westlichen Manager! Dabei ist es wichtig, sich in seinem Wesen nicht zu verbiegen, aber sein Handeln den kulturellen Besonderheiten anzupassen. Konkret wird dies, wenn es darum geht, Managementsysteme erfolgreich in China umzusetzen oder Lean-Ansätze im chinesischen Umfeld einzuführen. Die persönliche Fähigkeit des Managers setzt sich unter anderem zusammen aus der Analyse- und Problemlösungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Lernfähigkeit und einer Stabilität im Auftreten und Handeln. Kommunikationsfähigkeit ist nicht gleichzusetzen mit Sprachfähigkeit. Oft kommen gerade deutsche Techniker und Monteure gut mit den Chinesen zurecht – ohne ein Wort „Chinesisch“ zu verstehen: mit pragmatischen Methoden und einfachem „Machen“-Charakter. Auf der Fachebene gelingt es offenbar manchmal besser, eine Gemeinsprache zu finden. Kann man eigentlich die Mitarbeiter-Fluktuation vermeiden oder muss man sie lediglich beherrschen durch offensives Recruiting und Vorhalten von bereits qualifizierten, eingespielten „Ersatzspielern“? Der wichtigste Grund für den Wechsel des Arbeitgebers liegt in der Realisierung von den damit verbundenen Lohn- und 65 66
Vgl. Holtbrügge und Puck (2008, S. 179, 195). Vgl. Holtbrügge und Puck (2008, S. 194).
4.6 Mitarbeiter-Qualifikation und -Motivation – Grundstein für „Qualität in China“
75
Gehaltszuwächsen. Kennzeichnend für viele chinesische Arbeitnehmer ist eine ausgeprägte „positive Einstellung gegenüber materiellen Werten“; es herrscht in weiten Teilen eine „unbelastete und zustimmende Einstellung zum Geldverdienen“67 vor. Für chinesische Mitarbeiter aller Hierarchieebenen stellen Weiterbildungsmöglichkeiten einen wichtigen Anreiz dar, bei einem ausländischen Unternehmen tätig zu werden. Entsprechend groß ist die Motivation, an entsprechenden Programmen teilzunehmen; insbesondere bei Trainingsaufenthalten bei der ausländischen Muttergesellschaft. Nach jedem Weiterbildungsprogramm steigt allerdings auch die Gefahr der Abwanderung. Um dem entgegenzuwirken, führen manche Unternehmen einen festen Bestandteil des Monatsgehalts an einen Fonds ab, der vom Unternehmen verwaltet wird. Erst nach einer bestimmten Betriebszugehörigkeit können die Mitarbeiter darauf zurückgreifen; kündigt der Mitarbeiter vor Ende einer vereinbarten Sperrfrist, bleibt der Fonds ganz oder teilweise im Unternehmen. Auch Sonderzahlungen oder Besuche der deutschen Muttergesellschaft können an die Dauer des Arbeitsverhältnisses gekoppelt werden. Des Weiteren sind durchaus vertragliche Vereinbarungen üblich, wonach der Mitarbeiter für entstandene Weiterbildungskosten ganz oder teilweise selbst aufkommt, falls er innerhalb einer gewissen Zeitspanne nach Abschluss der Fortbildung kündigt.68 Eine Mitarbeiterführung, die an die chinesischen Spezifika angepasst ist, kann einen wesentlichen Beitrag leisten, wertvolle Mitarbeiter zu halten. Das kann durchaus mit einem hohen individuellen Betreuungsaufwand verbunden sein. Auch hier gilt: Respekt gegenüber dem Mitarbeiter; vor seiner Persönlichkeit und seinen Fähigkeiten. Perspektiven sind aufzuzeigen: Nur wenn für den Mitarbeiter erkennbar ist, dass er seinen „Traum“ im Unternehmen verwirklichen kann, ist eine langfristige Mitarbeit für ihn attraktiv. Wie dieser Traum verwirklicht werden kann, ist in einem konkreten, gemeinsam erarbeiteten Plan zu skizzieren – mit viel „Bodennähe“. Wichtig ist dabei immer auch die kurzfristige Perspektive. Die nächsten sechs Monate sollten zum Beispiel immer klar vorgezeichnet sein. In diesen sechs Monaten muss der Mitarbeiter einen Fortschritt erkennen, da sonst die Gefahr der Abwanderung besteht. Die Attraktivitätsbeurteilung findet also (bei den hoch-qualifizierten Mitarbeitern) hoch-getakteter statt als bei westlichen Mitarbeitern. Das entbindet nicht vom Aufzeigen einer langfristigen Perspektive.
4.6.3
Manchmal ist das „Wie“ wichtiger als das „Was“
In diesem Zusammenhang sind auch die Unterschiede bei der Zielfindung und -festlegung zu berücksichtigen. In asiatischen Kulturkreisen legt tendenziell der Chef die Ziele fest – es handelt sich weniger um eine gemeinsame Erarbeitung „auf Augenhöhe“. Ein echter Dialog über die Sinnhaftigkeit oder Erreichbarkeit dieser Ziele findet oftmals nicht statt. Mitarbeiter widersprechen dem Chef nicht 67 68
Holtbrügge und Puck (2008, S. 190). Vgl. Holtbrügge und Puck (2008, S. 185, 191).
76
4 China Sourcing und Wertschöpfung in China
und es besteht das Risiko, dass der Mitarbeiter nicht an diese Ziele glaubt, was schließlich sogar irgendwann zur „überraschenden“ Kündigung führen kann. Um dies zu verhindern, kann es hilfreich sein, wenn Manager ihre Mitarbeiter auffordern, zuerst eigene Zielvorschläge zu entwickeln, abgeleitet von Abteilungs- und Unternehmenszielen. Auf die formelle Dokumentation der festgelegten Ziele wird bei chinesischen Mitarbeitern meistens weniger Wert gelegt als in westlichen Kulturen. Der tägliche vertrauensvolle Umgang zwischen Mitarbeiter und Manager ist weitaus wichtiger. Allerdings sind kleine Erfolge oder auch Misserfolge von Mitarbeitern zeitnah anzuerkennen bzw. zu kommentieren. Besonders jüngere Mitarbeiter erwarten eine häufigere Beurteilung ihrer Leistung. Die Beziehung zwischen Manager und Mitarbeiter spielt eine größere Rolle als in europäischen Kulturkreisen. Der Gesprächsinhalt zur Leistungsbeurteilung ist für chinesische Mitarbeiter manchmal von untergeordneter Bedeutung. Das „Wie“ ist bei der Leistungsbeurteilung oft wichtiger als das „Was“.69 Ein China-spezifisches Personalmanagement bedarf zudem einer Differenzierung nach Altersklassen. Prinzipiell lassen sich, wenngleich immer noch sehr vereinfachend und verallgemeinernd, drei Kategorien feststellen: Junge Mitarbeiter unter 30 sind oft unter relativ besseren materiellen Bedingungen und aufgrund der EinKind-Politik als Einzelkinder in einem 4-2-1-Umfeld aufgewachsen (4 Großeltern und 2 Eltern kümmern sich um 1 Kind). Viele dieser „verwöhnten“ „little emperors“ zeichnen sich oftmals durch eine gewisse Konsumlust aus. Pflichtauffassung und Zuverlässigkeit sind oftmals weniger ausgeprägt. Die Eltern investieren viel Geld in die Ausbildung ihrer Kinder. Schon früh sprechen die Kinder Englisch und beherrschen die naturwissenschaftlichen Fächer. Das Kollektiv ist für diese Generation allerdings eher weniger wichtig, wie beispielsweise Ying Sun deutlich herausstellt: „Teamarbeit ist für sie ein Fremdwort. Sie sind eingebildet und egozentrisch.“70 Die Gruppe der 30- bis 40-Jährigen stellt eine Zwischengeneration dar, die durch Ehrgeiz, Lernbegierde und dem Streben nach oben gekennzeichnet ist; jeder einzelne dieser Gruppe hat den persönlichen „Konkurrenzkampf“ kennengelernt, der allein schon durch die Vielzahl an chinesischen Mitstreitern gegeben ist. Insgesamt sind sie trotzdem teamfähiger, verantwortungsbewusster und engagierter als die „Little Emperor-Generation“, jedoch auch zurückhaltender und vielleicht weniger innovativ.71 Karrieredruck entsteht insbesondere für diese Generation zudem durch das soziale Umfeld, besonders in Städten wie Shanghai, wo man zeigen muss, dass man es zu etwas gebracht hat. Nicht jeder wird mit 35 schon mehrfacher Millionär sein können, aber eine Zweit- oder Dritt-Wohnung sollte es dann doch schon sein, abgesehen vom Auto mit Prestige-Faktor. Und die Einkäufe bei Prada und Gucci in der „Nanjing Lu“ wollen auch bezahlt sein . . . Mitarbeiter dieser Generation der „Aufstrebenden“ sind oft bereits international ausgebildet und verfügen über langjährige Arbeitserfahrung bei ausländischen oder chinesischen Unternehmen. Sie stellen heute das mittlere bis obere Management und sind die Leistungsträger, auf die sich Unternehmen bei der Mitarbeiterrekrutierung 69
Vgl. Döringer (2010, S. 4–7). Sun (2009, S. 40). 71 Vgl. Sun (2009, S. 40). 70
4.6 Mitarbeiter-Qualifikation und -Motivation – Grundstein für „Qualität in China“
77
oftmals konzentrieren. Da sie heiß begehrt sind, betreiben viele von ihnen gerade in Boom-Phasen „Job-Hopping“, um das eigene Einkommen zu maximieren. Durch Vergleiche mitAltersgenossen oder innerhalb der Familie entsteht oftmals Druck zum Wechsel, der gleichzeitig durch einen starken Sog vom stets nach Talenten gierenden Arbeitsmarkt verstärkt wird. Während man etwa in Deutschland als Mitarbeiter, der nach drei Jahren ein Unternehmen verlässt, gefragt wird: „Warum wechselst Du?“, wird man sich in China nach zwei Jahren in seiner Peer Group (Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen) eher die Frage gefallen lassen müssen: „Warum wechselst Du nicht?“72 Von einer übermäßigen emotionalen Unternehmensbindung der Mitarbeiter sollte man ohnehin nicht ausgehen. Monetäre Anreizelemente weisen in China eine hohe Wirksamkeit auf. Nicht zu vergessen sind aber auch die Teilnahme an Events als Belohnungsinstrument sowie das Anbieten eines Umfelds, das zur Ausschöpfung des Lernpotenzials beiträgt. Denn viele chinesische Mitarbeiter sind unwahrscheinlich lernwillig. Viele Mitglieder der älteren Generation („40+ “) stammen aus den starren Strukturen von Staatsunternehmen und verfügen oftmals noch über ein KollektivBewusstsein. Sie bevorzugen Stabilität, sprechen meistens weniger Englisch und sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie Guanxi beherrschen.
4.6.4
Soll-Prozesse in Handbüchern reichen nicht
Für den Manager ergibt sich eine Hauptaufgabe: Menschen verstehen, respektieren und fördern. In der konkreten Umsetzung stellt sich die Frage nach einer ausreichenden Zeiteinplanung für Mitarbeiter-Förderung, in der Klarstellung und Erklärung von Verantwortungsbereichen und Erwartungen, im Schaffen eines gesunden, internen Wettbewerbs sowie in der täglichen Betreuung von Optimierungsprojekten, auch der manchmal nicht zu vermeidenden Misserfolge. Wichtig ist auch, faire Chancen zu bieten. Dazu gehört, dass Entwicklungspläne auch für diejenigen existieren, die sich im Moment nicht als „High-Potentials“ qualifiziert haben. Eine offene Kommunikation und transparente Prozesse sind dabei hilfreich. Der „Mensch“ bildet den entscheidenden Einflussfaktor für die Qualität. Ausgeklügelte Soll-Prozesse lediglich in Handbüchern zu beschreiben, reicht nirgendwo aus – und schon gar nicht in China. Wichtig ist eine Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter, die den chinesischen Besonderheiten gerecht wird. Der Faktor „Mensch“ ist somit in China durchaus anders zu behandeln als in anderen Kulturregionen. Damit entstehen besondere Herausforderungen für den Manager, der mehr als tatsächlicher „Chef“ und als „Lehrer“ gebraucht wird als in der ModeratorenRolle. Nur motivierte Mitarbeiter können zum Qualitätstreiber werden. Menschen bilden den Schlüsselfaktor, unter schwierigen Rahmenbedingungen gute Qualität zu produzieren. Ein funktionierendes „Human Resources Development Program“ ist nicht zu trennen mit dem Qualitätsmanagementsystem und stellt damit auch die Grundlage für „Quality Made in China“ dar. 72
Vgl. Seidenschwarz & Comp (2008, S. 14–16); vgl. Faust (2008b, S. 13).
Kapitel 5
Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
5.1
Forschungsstand zur Ermittlung von Exportkompetenz
Bei der Kompetenz handelt es sich zunächst um eine Auswahl unspezifischer, allgemeingültiger Fähigkeiten, die im unternehmerischen Umfeld typischerweise genannt werden. Es lässt sich jedoch im Kontext des LCCS1 wie in China von einer allgemeinen Betrachtungsebene ausgehend weiter spezifizieren und im Fall des Exportes von Investitionsgütern aus LCC2 in ein entwickeltes Land beziehen. Dabei zeigt sich, dass diese Betrachtungsrichtung in der wissenschaftlichen Forschung bisher weitgehend unberücksichtigt blieb. In der Literatur ist Exportgeschäft vielmehr aus Sicht des Verkäufers fokussiert. Zahlreiche Studien untersuchen eine optimale Ausgestaltung von Fähigkeiten und Ressourcen, die es einem Unternehmen ermöglichen, in einem fremden Markt erfolgreich Absatzwirtschaft zu betreiben. Diese Untersuchungen stellen also die vom Verkäufer ausgehende Aktivität in den Vordergrund, um Aspekte wie die Exportleistung zu erläutern. So wurde beispielsweise aus Lieferantensicht (vgl. Abb. 5.1) die Fähigkeit zum gezielten Aufbau einer zwischenbetrieblichen Kundenbeziehung als einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren zur Realisierung einer nachhaltig ertragreichen Exportstrategie identifiziert. Durch eine stabile Lieferanten-Kunden-Beziehung lassen sich sowohl Wettbewerbsvorteile als auch gesteigerte Export-Leistungen erzielen. Diese Fähigkeit lässt sich ohne Weiteres unmittelbar als Erfolgsfaktor auf die Käufersicht adaptieren. Durch den gezielten Aufbau einer partnerschaftlichen Beziehung mit dem Lieferanten im LCC kann der Käufer versuchen, die Versorgungsrisiken in seiner Supply Chain systematisch zu reduzieren. Dieser Ansatz kann formal als ein Baustein im Rahmen der Lieferantenentwicklung gesehen werden, die für sich selbst betrachtet in der wissenschaftlichen Literatur bereits eingehend untersucht wurde. Das Beispiel zeigt die inhaltliche Nähe der käufer- und lieferantenorientierten Sichtweise. Dessen ungeachtet blieb der käuferorientierte Themenbereich der Versorgungssicherheit beim LCCS aufgrund der marketing- und verkäuferorientierten Betrachtung bisher weitgehend unberücksichtigt. 1 2
LCCS: Low-Cost-Country Sourcing. LCC: Low-Cost-Country.
P. Faust, G. Yang (Hrsg.), China Sourcing, DOI 10.1007/978-3-642-23264-0_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
79
Käufersicht
Lieferantensicht
80
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten Export Marketing wissenschaftlich eingehend untersucht
Chinesischer Exporteur
Strategien und Faktoren für erfolgreichen Export
Exportiert nach Deutschland
Lieferant
Aktivität startet vom Lieferant
LCCS in China
Deutscher Importeur
Aktivität startet vom Käufer
Strategien und Faktoren für erfolgreiche Beschaffung
Käufer
Supply Chain Risk Management im Low-Cost-Country Sourcing (LCCS) wissenschaftlich kaum untersucht
Mögliche Bewertungskriterien für Exportkompetenz
Abb. 5.1 Verhältnis von Käufer- und Lieferantensicht
Schon im länderunspezifischen Betrachtungsfall sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich der Mechanismen und Determinanten, die zu Störungen und Unterbrechungen von Versorgungsketten führen können, bis heute kaum untersucht. Bezogen auf das LCCS fehlt es somit noch gänzlich an einer systematischen wissenschaftlichen Aufbereitung des Themenkomplexes. Die hierzu vorhandene Literatur ist vorwiegend praxisorientiert geprägt und kann auf keine fundierten wissenschaftlichen und empirischen Untersuchungen zurückgreifen. Damit fehlt es zwangsläufig auch an einer wissenschaftlichen Untersuchung von Teilkompetenzen bzw. Fähigkeiten, die als Bestimmungsgröße im Rahmen des Supply Chain Risk Managements und dabei bei der Lieferantenbewertung zur Evaluierung der Exportkompetenz herangezogen werden können. Darüber hinaus ist bis zum aktuellen Stand auch kein grundlegendes Bewertungsmodell zur Nutzung im Rahmen des Exportgeschäftes aus LCC verfügbar.
5.2 5.2.1
Begriff der Exportkompetenz Studiendefinition
Exportkompetenz wird in dieser Studie unter Berücksichtigung der Ergebnisse der durchgeführten theoretisch-deduktiven Analyse definiert als
5.2 Begriff der Exportkompetenz
81
Abb. 5.2 Matrixmodell der Exportkompetenz
Die Schnittmenge aus Exportfähigkeit und Exportbereitschaft eines ausländischen Lieferanten, bei der unter Berücksichtigung des Exportkontextes die definierten Beschaffungsbedürfnisse eines Kunden in Übersee erfüllt werden. Diese Kompetenz wird durch zahlreiche Einzelfaktoren determiniert, die in der Summe entscheiden, ob der betrachtete Lieferant nach Maßgabe der zugrunde gelegten Kriterien für die Exporttätigkeit geeignet ist. Dabei lassen sich die Faktoren in die drei Klassen Exportbereitschaft, Exportfähigkeit und Exportkontext gruppieren. Somit ergibt sich zur Quantifizierung der Exportkompetenz eine dreidimensionale Matrix (vgl. Abb. 5.2). Durch die Kombination der drei Dimensionen lässt sich innerhalb des aufgespannten Merkmalsraumes jeder Beschaffungssituation ein eindeutig definierter Punkt zuordnen.3 Jeder Punkt wird dann durch einen vektoriellen Indexwert repräsentiert, der bezogen auf einer ausgewählten Dimension, Exportkontext, Exportbereitschaft oder Exportfähigkeit eines Lieferanten angibt. Dabei dient der Exportkontext dazu, die Rahmenbedingungen, welche die jeweilige Beschaffungsaufgabe determinieren, systematisch zu erfassen und damit eindeutig zu einer Kontextvariablen zu verknüpfen. Seine Berücksichtigung neben 3
Vgl. Schnell et al. (2008, S. 167 f.).
82
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
den beiden Hauptbestimmungsgrößen Bereitschaft und Fähigkeit erscheint augenscheinlich von nachrangiger Bedeutung, ist jedoch zwingend erforderlich, um das Modell allgemeingültig aufzustellen. Hierbei wird von der Annahme ausgegangen, dass ein ausgewählter Ansatz an Fähigkeiten eines Lieferanten in Verbindung mit seiner korrespondierenden Leistungsbereitschaft in unterschiedlichen Beschaffungssituationen unterschiedlich zu bewerten sein muss.4 Während eine bestimmte gemessene Kombination aus Bereitschaft und Fähigkeit eines Lieferanten im Falle eines standardisierten Massenproduktes bereits ausreichend für eine Lieferantenauswahl erscheint, kann die gleiche Kombination im Kontext der Beschaffung von komplexen individualisierten Produkten nicht mehr ausreichen, um noch als exportkompetenter Lieferant weiter berücksichtigt zu werden. Damit ist das konzeptionelle Modell nicht ausschließlich zur Anwendung im Kontext aus China geeignet, sondern lässt sich ggf. auch auf breiter Fläche wie in andere LCCs nutzen. Zur konkreten Ausgestaltung der drei Teildimensionen sind im Folgenden nun die Bewertungskriterien zunächst auf Basis der theoretischen Analyse und anschließend anhand der empirischen Evaluation zu ermitteln. Damit kann dann letztlich eine numerische Quantifizierungsmimik aufgestellt werden, um das hier konzeptionell aufgestellte Modell im praktischen Einsatz nutzbar zu machen.
5.2.2
Kriterien zur Bestimmung der Exportkompetenz
Eine konkrete Ausgestaltung des Begriffskonzeptes Exportkompetenz wird unter Berücksichtigung der theoretisch-deduktiven Analyse für die einzelnen Teildimensionen grundlegender Kriterien abgeleitet. Diese stellen zunächst einen Satz an Hauptkriterien dar, die anhand der folgenden empirischen Begriffsbildung erweitert, ergänzt und angepasst werden. Basis für die fähigkeitsorientierten Bewertungskriterien stellen im Wesentlichen die Risiken5 beim LCCS dar. Für die bereitschaftsorientierten Kriterien wird schwerpunktmäßig auf ein neues in den USA entwickeltes Modell eines Export Readiness Indexes zurückgegriffen.6 Gemeinsam dienen die hier aufgestellten Kriterien dann als Richtschnur für die daran anschließende Konkretisierung des Bewertungsmodells. Kriterien in der Dimension Exportkontext Zunächst ist die Basisdimension Exportkontext mit möglichen Indikatoren auszubauen, die es ermöglichen, für jede spezifische Beschaffungssituation einen Index aufzustellen, so dass in Verbindung 4
Vgl. dazu auch Beckmann (2008, S. 60 f.); Koppelmann (2004, S. 240 f.). Risiken bei LCCS in China ergeben sich aus den erheblichen kulturellen Unterschieden von China zu westlichen Ländern, der persönlichen Netzwerkbildung (Guanxi), dem Problem sprachlicher Barrieren, einem äußerst volatilen Arbeitsmarkt, dem schwach ausgeprägten faktischen Schutz vor ungewolltem Wissensabfluss und Produktpiraterie, dem grundsätzlichen Qualitäts- und Zuverlässigkeitsdefizit, der physischen Distanz sowohl zum Heimatmarkt als auch innerhalb des Sourcinglandes China. 6 Vgl. Tan et al. (2009, S. 2 f.). 5
5.2 Begriff der Exportkompetenz
83
Beschaffungskontext
Durch das eigene Unternehmen bestimmt • • • •
Bechaffungsfehler Preispolitik Sourcing Strategie ...
Durch den Beschaffungsmarkt bestimmt
Durch den Absatzmarkt bestimmt
• Lieferunwilligkeit • Preisstrukturen • Qualität- und Quantitätsprobleme • ...
• Art der zu beschaffenden Güter • Konkurrenzströme • ...
Durch das Umfeld bestimmt • Politische und rechtliche Stabilität • Technischer Entwicklungsstand • ...
Konzeptionell abgebildet in den eigenen Dimensionen Bereitschaft und Fähigkeit
Abb. 5.3 Bestimmungsgrößen des Beschaffungskontextes. (Quelle: In Anlehnung an Koppelmann 2004, S. 89)
mit den beiden anderen Dimensionen der zugehörige vektorielle Punkt im aufgespannten Exportkompetenzwürfel eindeutig abgebildet werden kann. Auf Basis der Anforderung der Kontextdimension, welche die Beschaffungstätigkeit determinierenden Rahmenbedingungen zu erfassen und abzubilden hat, kann hierzu in Anlehnung an gebräuchliche Differenzierungsmodelle der Beschaffungskonstellationen zwischen den vier Ursprungspunkten der Bestimmungsgröße ausgegangen werden (vgl. Abb. 5.3). Mit diesen vier Größen lässt sich jede beliebige Beschaffungskonstellation hinreichend genau beschreiben und auf Basis der in den Bestimmungsblöcken subsumierten Kriterien detailliert erfassen.7 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die durch den Beschaffungsmarkt bestimmten Einflüsse auf den Gesamtbeschaffungskontext im Rahmen des zu entwickelnden Modells in Einklang mit der Studiendefinition der Exportkompetenz in den zwei bereits skizzierten Dimensionen Bereitschaft und Fähigkeit abgebildet werden. Kriterien in der Dimension Exportfähigkeit Aus institutioneller Sicht können Fähigkeiten als ein komplexes Bündel an Kenntnissen und gesammeltem Wissen verstanden werden, welches einem Unternehmen erlaubt, seine Aktivitäten zielgerichtet zu koordinieren und seine Anlagegüter ergebnisorientiert nutzen zu können.8 Eine Darstellung institutioneller Fähigkeiten und deren Strukturierungsmöglichkeit wird im Folgenden exemplarisch gegeben, um ein praktischesVerständnis von Fähigkeiten 7 8
Vgl. Koppelmann (2004, S. 87 ff.). Vgl. Day (1994, S. 38).
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten Funktionsbereich
Fähigkeiten • Controlling • Strategisches Management • Internationales Management
Forschung und Entwicklung
• Forschung • Entwicklung innovativer Produkte
Operations
Produktdesign
Marketing
Institutionelle Fähigkeiten
Konzernfunktionen
• Effektirve Fertigungsgestaltung • Flexibilität • Beherrschung von IT-Systemen • Gestaltung marktgerechter Produkte
• Marken Management und Promotion • Identifikation von Trends und Märkten
Verkauf und Distribution
• Effizientes Bestellwesen • Schnelle und zuverlässige Logistik
Service
• After-Sales-Services
Individuelle Fähigkeiten
84
Abb. 5.4 Fähigkeitsgerüst. (In Anlehnung an Grant 2007, S. 136 ff.)
zu erlangen. Dabei können Fähigkeiten ausgehend von verschiedenen Modellansätzen unterschiedlich klassifiziert und anschließend in einer hierarchischen Struktur eingeordnet werden.9 Abbildung 5.4 zeigt in Anlehnung an ein funktionelles Gliederungsschema eine Auswahl möglicher Fähigkeiten sowie deren Klassifizierungen. Vom gewählten Klassifizierungsschema unabhängig lassen sich Fähigkeiten hinsichtlich der hierarchischen Einordnung in Stufen von unternehmensumfassenden Querschnittsfunktionen auf oberster Ebene bis hin zu Einzelaufgaben auf unterster Ebene zusammenfassen.10 Dieses Fähigkeitsgerüst dient dann bei der Erarbeitung von Kriterien zur Bestimmung der Kompetenzdimension Exportfähigkeit als Fundament. Dabei zeigt sich, dass als ein elementarer Bewertungsbaustein die formalen Fähigkeiten zu berücksichtigen sind, die zur Überwindung von Exportbarrieren (etwa durch staatliche Regelungen) essenziell notwendig sind.11 Hierunter fallen insbesondere Lizenzen aber auch Zertifikate, die von einem Kunden für ein angestrebtes Exportgeschäft typischerweise verlangt werden. Daneben sind auch die Skills des Lieferanten ein wesentliches Kriterium zur Ermittlung von dessen Exportfähigkeit und müssen dabei Teilaspekte wie beispielsweise dessen englische Sprachkenntnisse berücksichtigen. Darüber hinaus wird auch die Bewertung der operativen Skills eines
9
Vgl. Grant (2007, S. 135 f.). Vgl. Grant (2007, S. 137 f.). 11 Vgl. etwa Zou und Stan (1998, S. 343). 10
5.2 Begriff der Exportkompetenz
85
Lieferanten insbesondere im Hinblick auf die logistischen Abläufe und distributiven Fähigkeiten Aufschluss über die zu erwartende Exportleistung geben können.12 Unabhängig von den möglichen Teilindikatoren innerhalb der Hauptfähigkeitsdeterminante Skills kommt für diesen gesamten Bewertungsblock das angesprochene Problem der hohen Mitarbeiterfluktuation bei chinesischen Unternehmen mit den damit verbundenen Risiken für die Versorgungssicherheit der betrachteten Supply Chain zum Tragen. Daher ist im Rahmen einer Haupt- genauso wie einer Vorauditierung die Berücksichtigung eines entsprechenden Indikators, der die Mitarbeiterwechselrate darstellt, als Teil eines Blocks zur ganzheitlichen Erfassung des Wissensschatzes notwendig.13 Eine weitere Fähigkeit, die unabhängig von der Warenstromrichtung sowohl beim Export aus entwickelten Ländern als auch entgegengesetzt beim Export aus LCC einen Indikator für die tatsächlich realisierbaren Fähigkeiten des exportierenden Unternehmens gibt, stellt das finanzielle Leistungsvermögen dar. Dabei soll in erster Linie berücksichtigt werden, dass Exportgeschäfte im Vergleich zu Aktivitäten im Heimatmarkt zusätzliche unerwartete Kosten (etwa durch speziell notwendige Exportverpackungen) verursachen können, welche die Erreichung der angestrebten unternehmerischen Ziele beim Lieferanten und damit ggf. auch beim Käufer gefährden können.14 Auch die Prozesssicherheit, die als kritischer Punkt insbesondere beim LCCS angeführt wurde, muss durch geeignete Teilaspekte quantitativ erfassbar gemacht werden, um in das zu entwickelnde Bewertungsmodell einzufließen. Hierbei kann u. a. die Kommunikationspolitik des Lieferanten angeführt werden. Bestehen eindeutig definierte Abläufe hinsichtlich der Kommunikation und Zusammenarbeit mit dem Kunden, die insbesondere auch die Verantwortlichkeiten intern und extern bestimmen und lückenlos dokumentiert sind, so ist dadurch ein Rückschluss auf den gesamten Umgang mit Prozessen bei dem betrachteten Lieferanten möglich.15 Kriterien in der Dimension Exportbereitschaft Hinsichtlich der Bereitschaftsdimension lassen sich als Bewertungsgrößen auf Basis des oben angeführten EKI-Modells zur Bestimmung u. a. die Größen Markstimuli, Einstellung sowie Erfahrungen heranziehen.16 Dabei soll die Gruppe der Marktstimuli alle Größen erfassen, welche sowohl als interne als auch als externe Faktoren die Entscheidungsträger eines Unternehmens bei der Willensbildung bezüglich ihrer Exporttätigkeiten beeinflussen. Die Existenz, Wirkungsweisen und konkreten Kriterien dieser Exportstimuli sind in der wissenschaftlichen Literatur aus unspezifischer Sicht umfassend untersucht worden.17 Dabei wurde entsprechend einer allgemeinen Betrachtungsweise im Rahmen der Forschung zum Exportmarketing sowie der Internationalisierung 12
Vgl. Zou et al. (2003, S. 38). Vgl. dazu auch Huang und Keskar (2007, S. 520). 14 Vgl. Ling-yee und Ogunmokun (2001, S. 401 f.). 15 Vgl. dazu auch Katsikeas et al. (2004, S. 760). 16 Vgl. Tan et al. (2009, S. 7). 17 Vgl. etwa Morgan und Katsikeas (1997, S. 478 f.); Leonidou (1998, S. 2 f.). 13
86
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
schwerpunktmäßig und in Anlehnung an das Uppsala-Modell der Blickwinkel des Verkäufers (in entwickelten Ländern) verfolgt.18 Die Adaption der umfassenden Erkenntnisse auf die Betrachtungsrichtung des Kunden sowie eine landesspezifische Konkretisierung auf LCC blieb bisher aus, so dass nicht alle Kriterien, die im Rahmen der Lieferantensicht zum Tragen kommen, ohne weiteres als Bewertungskriterien in das hier aufzustellende Exportkompetenzmodell aufgenommen werden können. Grundlegende Größen, die als Exportstimuli unmittelbar in das Exportkompetenzmodell übernommen werden können, stellen dasAuslastungsniveau der Fertigung als interner Impuls, sowie die Absatzpotenziale des Heimatmarktes als externer Impuls dar.19 Ein weiterer Bestandteil zur Abbildung der Exportbereitschaft können die bereits gesammelten Erfahrungen des betrachteten Lieferanten darstellen. Insbesondere unter Berücksichtigung des noch frühen Entwicklungsstadiums des chinesischen Marktes sind anhand der Erfahrungen Rückschlüsse auf die Exportbereitschaft zu ziehen, da diese gerade in der frühen Aufbauphase von Exporttätigkeiten in einem Unternehmen als Stimuli Einfluss auf die Entscheidungen nehmen.20 Ähnlichen Einfluss auf die Exportwilligkeit (insbesondere in einer frühen Internationalisierungsphase wie sie bei vielen Unternehmen in China zurzeit vorliegt) wird zudem die Einstellung des Managements beim Lieferanten haben, die somit als Indikator mit in den Gesamtindex einzufließen hat.21
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells Das aufgestellte theoretische Modell der Exportkompetenz besteht bisher nur aus den drei Hauptbestimmungsdimensionen Exportkontext, -bereitschaft und -fähigkeit. Die allgemeinwissenschaftlichen Begriffsdefinitionen dieser drei Größen können nun anhand der erfolgten empirischen Untersuchung inhaltlich konkretisiert werden; für eine Evaluation wird ein dualer Ansatz aus Experteninterviews und Fallstudien gewählt (vgl. Abb. 5.5).22 Mit den Experteninterviews wird zunächst das in der theoretischen Analyse erlangte Wissen in Bezug zu den praktischen Erfahrungen im unternehmerischen Umfeld gesetzt. Daneben lassen sich zudem neue Aspekte zur Gestaltung eines Bewertungsmodells identifizieren. Am Schluss der Experteninterviews kann dann eine erste inhaltliche Konkretisierung der Dimensionen innerhalb des Bewertungsmodells 18
Vgl. hierzu die Hinweise in Abschn. 5.4.2 sowie etwa Andersson (2004, S. 853 ff.). Vgl. Leonidou (1998, S. 35); Tan et al. (2009, S. 8). 20 Erst in einer späten Internationalisierungsphase werden die gesammelten Erfahrungen als Bestimmungsgröße eine nachrangigere Bedeutung für die Exportbereitschaft haben. Vgl. Leonidou (1998, S. 12). 21 Vgl. Tan et al. (2009, S. 9). 22 Für nähere Informationen zu den verschiedenen Methoden der empirischen Forschung siehe etwa Diekmann (2008, S. 18 ff.). 19
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
87
Evaluation Experteninterviews 1. Modul Chemische Industrie • Shell • Cognis • BASF
2. Modul Mitarbeiter beim Kooperationspartner
3. Modul Beratungsdienstleister • Seidenschwarz • TÜV Rheinland • Bureau Veritas
4. Modul Branchenfremdes Unternehmen mit Beschaffung in China • Bombardier
Fallstudien Fallstudien bei chinesischen Produzenden chemischer Anlagengüter
• Morimatsu (China) Group • Shanghai Xunchang Research Institute of Chemical Equipment Technology • Shanghai DEA Chemical Equipment Co. • Wuxi Taihu Petrochemical Equipment Plant
Abb. 5.5 Evaluationsansatz
erfolgen. Mit dem so gestalteten Modell werden im zweiten Schritt der dualen Evaluation dann Fallstudien bei ausgewählten chinesischen Lieferanten für chemische Anlagegüter durchgeführt, um neben der Kundenseite auch die Lieferantensichtweise zu berücksichtigen. Somit wird sichergestellt, eine möglichst umfassende Betrachtung der Problemstellung realisiert zu haben und das Bewertungsmodell nicht einseitig an den praktischen Bedürfnissen und Erfahrungen der Kunden zu orientieren. Auf Basis der Ergebnisse der praktisch orientierten Untersuchung können die drei Bewertungsdimensionen dann in Form von qualitativen Größen betrachtet werden. Eine grundlegende Methodik der Indexbildung des Modells wird daraufhin eingeführt, welche für alle drei Dimensionen des Messkonzeptes einheitlich ist. Dann ist das Modell insbesondere in ein praktisch anwendbares Tool zu überführen, so dass die drei Dimensionen quantitativ erfasst werden können und daraus anschließend die Bildung des Exportkompetenzindexes möglich wird. Abschließend erfolgt die Darstellung des vektoriellen Exportkompetenzindexes als aggregierte Größe der zuvor einzeln beschriebenen Dimensionen.
5.3.1
Indexbildung und Frageformulierungen innerhalb des Messkonzeptes
Bereits das Bewertungsmodell stellt eine Indexform dar, welche sich aus drei einzelnen Dimensionen bildet, die im Verbund eine hinreichend genaue Beschreibung des konstruierten Exportkompetenzmodells garantieren können. Es zeigt sich weiterhin, dass auch die innerhalb des Modells verwendeten Hauptdimensionen wiederum einzelne Teildimensionen beinhalten. Für die Konstruktion des übergeordneten operablen Bewertungsmodells ist es nun notwendig, diese Größen einer Quantifizierung
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5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
zugänglich zu machen. Hierzu kann die Indexbildung herangezogen werden, um die Teildimensionen auf quantifizierbare Weise miteinander zu verknüpfen und in eine aggregierte Variable zu überführen. Für diese Verknüpfung wurde eine gewichtete additive Indexbildung der einzelnen Indikatoren gewählt. Durch die additive Indexbildung soll die seit einigen Jahren in der Wirtschaft konsequent verfolgte Unternehmensphilosophie einer langfristigen Lieferantenentwicklung mitberücksichtigt werden. Während bei einer multiplikativen Verknüpfung die Abwesenheit einer einzelnen Kriteriumsausprägung bereits zu der niedrigsten Ausprägung des gesamten Indexes führt, können bei der additiven Verknüpfung niedrigere Werte eines Indikators durch andere Indikatoren ausgeglichen werden. Somit unterstützt das Bewertungsmodell mit seiner strukturellen Zusammensetzung, dass eine schwache bzw. fehlende Ausprägung eines bestimmten Indikators innerhalb der Dimensionen Exportfähigkeit oder Exportbereitschaft nicht automatisch zu einer Ablehnung des betreffenden Lieferanten durch das Modell im Ganzen führt. Kann ein Lieferant beispielsweise keine englischsprachige Internetpräsenz vorweisen, während er aber in den übrigen abgefragten Bereichen überdurchschnittlich starke Indikatorenwerte erreicht, so ist davon auszugehen, dass die fehlende Ausprägung durch eine gezielte Lieferantenentwicklung zukünftig gesteigert werden kann. In diesem Fall würde durch die Abwahl des Lieferanten aufgrund einer multiplikativen Indexbildung ein möglicher Potenzialträger unberücksichtigt bleiben. Eine Kompensation von schwachen und starken Merkmalsausprägungen ist jedoch nur jeweils innerhalb einer der beiden Hauptdimensionen Bereitschaft und Fähigkeit möglich. So können etwa schwache Merkmalsausprägungen der Fähigkeiten nicht mit starken Ausprägungen der Bereitschaftsindikatoren ausgeglichen werden. Grundlegend setzt die eingesetzte additive Indexbildung zunächst eine einheitliche Skalierung der abgefragten Indikatoren voraus. Da bei der Befragung in dem hier verwendeten Modell für die unterschiedlichen Indikatoren aber mehrere verschiedene Skalen genutzt werden, ist in einem ersten Schritt die Transformation der Wertbereiche notwendig, um einen Vergleich sowie eine Verknüpfung der einzelnen Indikatoren zu ermöglichen. Dabei erfolgt eine Reduktion der Skalen mit höherem Messniveau auf das kleinste gemeinsame Niveau. Für das hier verwendete Modell wurde eine Skalierung zwischen 0 Punkten minimal und 150 Punkten maximal in jeder der beiden Dimensionen Bereitschaft und Fähigkeit vorgenommen. Allen Kriterien, die im Folgenden betrachtet werden, ist gemein, dass sie entsprechend der im Rahmen der Lieferantenbewertung üblichen Praxis in Form von fragebogenbasierten Selbstauskünften ermittelt werden. Dabei stellt die Selbstauskunft unter Berücksichtigung der grundlegenden Annahme einer ausgeprägten Kooperationsbereitschaft des Lieferanten gegenüber einem (neuen) Kunden die leistungsfähigste Methode zur Gewinnung von ersten Daten in einer Frühphase des Lieferantenauswahlprozesses dar. Standardisierte Fragebögen, die über das Internet an den Lieferanten gesendet werden können, bieten eine gleichermaßen kostengünstige wie zeiteffiziente Möglichkeit, potentielle Lieferanten im allgemeinen Kontext ebenso wie im speziellen Anwendungsfall des Exportes unter Verwendung des hier
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
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entwickelten Exportkompetenzmodells zu identifizieren. Dabei darf die grundlegende Herausforderung einer Selbstauskunft, die Objektivität zu garantieren und Sachverhalte wahrheitsgemäß und realistisch abzubilden, nicht außer Acht gelassen werden, so dass den durch die Lieferanten übermittelten Daten stets ein ausreichendes Maß an kritischer Überprüfung zukommen muss. Zudem ist es notwendig, Fragen gezielt so zu formulieren, dass die abzufragenden Informationen nicht direkt, sondern indirekt und subtil gewonnen werden. Insbesondere bei kritischen Fragen, die den Lieferanten dazu veranlassen könnten, tendenziell falsche (geschönte) Angaben zu machen, ist die Objektivität der Informationsgenerierung zu erhöhen, indem der eigentliche Kern der Frage nicht unmittelbar erkennbar ist und damit die Antwort gelenkt werden kann. Es muss durch die Frageformulierung also auch möglich sein, zwischen Aussagen des Lieferanten zu unterscheiden, die den Tatsachen entsprechen und solchen, die tendenziell eher Planvorstellungen („Wunschdenken“) darstellen.
5.3.2 Ausgestaltung der Bewertungskriterien 5.3.2.1
Dimension Exportkontext
Der Dimension des Exportkontextes kommt entsprechend der bereits gemachten Ausführungen im Rahmen der holistischen Untersuchung keine unmittelbare Quantifizierungsaufgabe im Sinne der Punktwertermittlung von Scoringmodellen zu. Sie dient zunächst nur der ganzheitlichen Konstruktion des Bewertungsmodells, das durch diese parametrisierte Form mit offenen Modulschnittstellen für zukünftige Weiterentwicklung nutzbar ist. Da der konkrete Beschaffungskontext zur Konstruktion des Exportkompetenzmodells in Form eines Bottom-up-Ansatzes durch die situationsspezifischen Bedingungen des Projektpartners detailliert vorgegeben ist, genügt für den Rahmen dieser Studien also die Definition eines groben Gerüstes. Zudem kann bei der späteren Darstellung des Exportkompetenzwürfels im Rahmen der Ergebnisauswertung der empirischen Untersuchung in Kap. 5.4 auf das Auftragen der dritten Achse Exportkontext verzichtet werden, da nur genau ein Kontext betrachtet wird, so dass alle Ergebnisse in einer geometrischen Ebene liegen. Für eine umfassende Definition des Exportkontextes ist es generell jedoch notwendig, verschiedene Beschaffungssituationen zu betrachten. Da die Rahmenbedingungen und Zielvorgaben der vorliegenden Arbeit dieses bewusst nicht vorgesehen haben, bleibt es zukünftigen Studien vorbehalten, die Dimension Exportkontext im Zusammenhang des Exportkompetenzmodells umfassend aufzustellen. Gleichwohl muss bereits die grob zu skizzierende Größe systemimmanent in der Lage sein, eine eindeutige Differenzierung zwischen verschiedenen Beschaffungskonstellationen schaffen zu können, damit diese eindeutig innerhalb des Exportkompetenzwürfels abgebildet werden können. Dazu werden systematisch die drei identifizierten Determinanten bedingt durch das eigene Unternehmen, durch den Absatzmarkt sowie durch das Unternehmensumfeld mit ihren wesentlichen Ausprägungen in das Modell aufgenommen. Aufgrund der Konstruktion stellt die Dimension
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5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Exportkontext insbesondere keine kontinuierliche Größe, sondern eine diskrete dar, die nur ausgewählte Ausprägungen annehmen kann. Im Bereich der vom Unternehmen beeinflussten Stellgrößen des Exportkontextes sind zunächst die Typologien der Beschaffungsstrategie des einkaufenden Geschäftsbereiches zu erfassen. Im Detail kann hier die Strategie zur Steuerung der Anzahl von Bezugsquellen als Kriterium genutzt werden. Dabei ist zwischen einer Single- und einer Multi-Sourcing-Strategie zu unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Positionierungen des Gesamtergebnisvektors der Exportkompetenz determinieren.23 So wird die Verlässlichkeit eines Lieferanten im Rahmen des Single Sourcings deutlich höheres Gewicht beizumessen sein, als bei der Beschaffung von Lieferanten aus einem Pool. Weiterhin ist im Rahmen der Beschaffungsstrategie die vom Kunden (in der zu bewertenden Beschaffungssituation) verfolgte Preisstrategie zu berücksichtigen, die grundsätzlich in eine Minimal- und eine Fairpreisstrategie zu unterscheiden ist. So werden bei der kundenseitigen Beschaffungsausrichtung anhand der Minimalpreisstrategie zahlreiche Kriterien (z. B. hinsichtlich der Prozesssicherheit) eine weniger starke Gewichtung genießen dürfen, als es im Rahmen der Fairpreisstrategie der Fall wäre. Bei den durch den Absatzmarkt bedingten Größen als zweitem Systemblock zur Bestimmung des Exportkontextes ist im Wesentlichen eine dezidierte Aufteilung der Güter vorzunehmen, da unterschiedliche Arten an Gütern ganz verschiedene Anforderungen an die Beschaffung richten.24 Für das hier verwendete Modell wird zunächst zwischen Konsum- und Produktionsgütern unterschieden, wobei die letztgenannten weiter in Rohmaterialien und Investitionsgüter aufzuteilen sind. Diese lassen sich letztlich noch in standardisierte Investitionsgüter und kundenindividuelle Investitionsgüter differenzieren.25 Dieser Aufteilung folgend werden gerade die Produkte der letzten Teilgruppe dem Lieferanten in besonderem Maße Exportfähigkeiten und -bereitschaft abverlangen, während etwa standardisierte Güter oder wenig komplexe Rohmaterialien bedenkenlos auch von solchen Lieferanten beschafft werden können, die isoliert betrachtet einen deutlich niedrigeren Fähigkeitsbzw. Bereitschaftsindex aufweisen. Als dritter und letzter Systemblock zur eindeutigen Definition eines Exportkontextes ist die Typologie des Sourcinglandes zur berücksichtigen. Nach Maßgabe der in der holistischen Untersuchung erarbeiteten Erkenntnisse kann dabei zunächst grundsätzlich die physische Distanz zwischen Beschaffungsland und Heimatland der einkaufenden Organisation herangezogen werden. So ergeben sich etwa beim LCCS aus China nach Deutschland im Vergleich zum ebenfalls als LCCS definierten Einkauf von Gütern aus Rumänien wesentlich höhere Anforderungen an die Prozesssicherheit beim Lieferanten, da sich der chinesische Lieferant durch 23
Vgl. auch Janker (2008, S. 26). Vgl. etwa Vahrenkamp (2005, S. 208). 25 Es sei angemerkt, dass unzählige weitere Differenzierungsmöglichkeiten bestehen. Für das in dieser Arbeit aufzustellende Modell kann ohne weitere thematische Vertiefung auf das oben angegeben Unterteilungsschema zurückgegriffen werden. Vgl. dazu auch Interview mit Beratungsdienstleister C. 24
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
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die geographische Entfernung sowie die damit verbundene Zeitverschiebung einer laufenden persönlichen Kontrolle in der Regel entzieht. Unabhängig von der Entfernung kann grundsätzlich eine Differenzierung hinsichtlich des Entwicklungsstatus des Beschaffungslandes getroffen werden. Bei der Unterscheidung zwischen Entwicklungs- bzw. Schwellenland und entwickeltem Land ist keine zwangsläufige Konkurrenz mit der physischen Distanz gegeben.26 So liegt für das LCCS eines US-amerikanischen Unternehmens in Mexiko ein Near-Sourcing vor, während das LCCS desselben Unternehmens in Indien dem Far-Sourcing zuzuordnen ist. Dabei zeigt sich grundsätzlich, dass die operativen Fähigkeiten eines Lieferanten in einem Entwicklungsland im Vergleich zu einem entwickelten Land deutlich höheren Stellenwert bei der Bewertung einnehmen. Konfrontiert mit teilweise massiven infrastrukturellen Herausforderungen z. B. hinsichtlich der Inlandstransporte müssen Lieferanten hier dezidiert ihre Befähigung nachweisen, um die aus den landesspezifischen Problemen erwachsenen Risiken für die Versorgungssicherheit kompensieren zu können. Zusätzlich zu den beiden genannten Größen ist für eine systematisch umfassende Definition der Typologie des Sourcinglandes auch die interkulturelle Barriere zu berücksichtigen. In Anlehnung an das bereits angesprochene Modell der psychischen bzw. mentalen Distanz zwischen zwei Ländern, die beim Lieferanten eine wesentliche Hemmung der Bereitschaft zur Exporttätigkeit induziert, wird diese durch Abbildung der entsprechenden Einflussgrößen in den Exportkontext aufgenommen. Hierzu werden für das vorliegende Modell die Teilgrößen politische Stabilität, wahrgenommene Sicherheit, (staatliche) Regulierungen sowie Aspekte der historischen Entwicklung qualitativ berücksichtigt.27 Abbildung 5.6 fasst diese Aspekte ebenso wie die zuvor erläuterten Kriterien zusammen.
5.3.2.2
Dimension Exportbereitschaft
Für die quantitative Bestimmung der Dimension Exportbereitschaft werden unter Berücksichtigung der Ergebnisse der holistischen Untersuchungen vier Teilindikatoren genutzt, die mit einer unterschiedlich großen Anzahl an Subindikatoren geladen sind, in welchen letztlich die konkreten Bewertungskriterien enthalten sind. Diese vier Teilindikatoren verknüpfen die unterschiedlichen Kriterien der Bereiche Einstellung des Managements, Marktstimuli, Erfahrungen sowie Internationalisierungsstrategie. In den folgenden Ausführungen werden diese Bereichsblöcke mit den zugehörigen Bewertungskriterien erläutert, wobei in den illustrierten Fragemodulen die jeweils zu erreichenden Punktwerte in gelber Farbe hinterlegt sind. Der Gesamtwert eines Bewertungsmoduls ergibt sich durch Addition der bei den einzelnen Items erzielten Punktwerte. Im Gegensatz zur Dimension des Exportkontextes wird die Exportbereitschaft in einer kontinuierlichen Größe erfasst. 26 27
Vgl. dazu auch Ruamsook et al. (2007, S. 20). Vgl. Hodicová (2007, S. 162 ff.); Soares et al. (2007, S. 277 ff.).
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5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
EKi = f
Sourcing-Strategie Anzahl Bezugsquellen Single Sourcing / Multi Sourcing
Art der Güter
Typologie Sourcing Land
Konsumgüter
Physische Distanz
Industriegüter
Near sourcing / FarSourcing
Rohstoffe Investitionsgüter Preis-Strategie Minimalpreis / FairPreis
Standardardisierte Produkte / individuelle Produkte
Entwicklungsstatus Entwickeltes Land / Schwellenland
Mentale Distanz Politische Stabilität Sicherheit Regulierungen Geschichte
Abb. 5.6 Der Exportkontext EKi
Einstellung des Managements Als wichtigste Bestimmungsgröße für die tatsächliche Bereitschaft eines Lieferanten, im Exportgeschäft tätig zu werden, kann die Einstellung bzw. Zustimmung des Managements herangezogen werden. Diese lässt sich dabei sowohl direkt als auch indirekt abfragen. Für die direkte Bewertung ist unmittelbar nach der Einschätzung des Managements zu der Wichtigkeit des Exportes für das eigene Unternehmen sowie der korrespondierenden Umsetzung etwa durch die Gestaltung von exportspezifischen Produkten zu fragen. Als Teil der Abfrage sind zusätzlich auch die Profitabilität und die damit einhergehende Zufriedenheit des Managements mit dem Exportgeschäft zu berücksichtigen. Zur Skalierung dieses Bewertungsblockes wird eine fünfgliedrige Likert-Einteilung gewählt, die eine neutrale Bewertung zulässt und insbesondere bei der Abfrage psychosozialer Einstellungen und Meinungen, wie sie hier untersucht werden sollen, geeignet ist. Dabei sind die jeweils aufzustellenden Fragen entsprechend den Grundsätzen der empirischen Sozialforschung je nach Gegenstand des Bewertungsmoduls streng positiv bzw. streng negativ zu formulieren, um die korrespondierende Einstellung des Befragten ermitteln zu können.28 Zur quantitativen Bestimmung des so konstruierten Teilindikators „Selbstreflektion des Exportgeschäftes“ erfolgt eine additive Verknüpfung entsprechend der in Abb. 5.7 angegebenen Kodierung, wobei sich der Maximalwert von 20 Punkten bei voller Zustimmung aller Items ergibt, während der Indikator im Falle der vollständigen Ablehnung von Exporttätigkeiten nicht über null steigen wird. Als weiterer Teilindikator innerhalb der Größe zur Bestimmung der ManagementZustimmung in der Dimension Exportbereitschaft werden die internationalen Marketingaktivitäten abgefragt. Dazu wird bewertet, in welcher Ausprägung der betrachtete 28
Vgl. etwa Schnell et al. (2008, S. 187 ff.).
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
93
Abb. 5.7 Kodiertes Fragemodul zur Selbstreflektion des Exportgeschäftes
Abb. 5.8 Kodiertes Fragemodul zu den Marketingaktivitäten
Lieferant Unternehmensinformationen in englischer Sprache bereit hält. Die Bewertung bezieht sich dabei sowohl auf elektronische Medien in Form des Internets (mit den möglichenAusprägungen gar keine englischsprachige Internetpräsenz verfügbar, teilweise englischsprachige Internetpräsenz verfügbar, vollständig englischsprachige Internetpräsenz verfügbar), als auch auf Printmedien, wobei hier neben der grundsätzlichen Existenz zusätzlich die Aktualität der verfügbaren Informationsbroschüren mitberücksichtigt wird. Durch die Bewertung der Internetpräsenz des Lieferanten wird neben einer allgemeinen Beurteilung der Informationspolitik berücksichtigt, dass oftmals nur die Startseiten chinesischer Internetpräsenzen in englischer Übersetzung verfügbar sind. Versucht man weiteren Verknüpfungen zu folgen, sind Informationen nur noch in Mandarin abrufbar bzw. die verfügbaren Daten sind aufgrund der Übersetzung schlecht aufbereitet und/oder veraltet. Das Problem derAktualität ist zudem auch in besonderem Maße bei den zurVerfügung gestellten Printmedien (etwa auf Messen) offenkundig und wird deshalb entsprechend im Fragemodul berücksichtigt. Je aktueller die englischsprachigen Informationsmaterialien sind, desto höher fällt der Punktwert der entsprechenden vierstufigen Skalierung aus. Zusätzlich wird bei den Marketingaktivitäten noch bewertet, ob der Lieferant als Teil der unternehmensüblichen Praxis Messen in China und/oder im internationalen Umfeld besucht. Dabei macht es für den zu übertragenden Punktwert der Exportbereitschaft keinen Unterschied, ob neben den internationalen Messen auch auf nationalen Messen ausgestellt wird. Die abgefragten Ausprägungsformen mit der zugehörigen Kodierung dieses Bewertungsblockes sind Abb. 5.8 zu entnehmen. Neben den internationalen Marketingaktivitäten und der Selbstreflektion des Managements zum Exportgeschäft ist zusätzlich auch dessen Einstellung gegenüber Veränderungen im Allgemeinen zu bewerten. Wie schon bei der Selbstreflektion wird zur Quantifizierung der hierzu abzufragenden Items auf die fünfteilige
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5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Abb. 5.9 Kodiertes Fragemodul zur Änderungsbereitschaft
Abb. 5.10 Kodiertes Fragemodul zur Anerkennung ausländischen Rechts
Abb. 5.11 Kodiertes Fragemodul zur Beurteilung des heimischen Absatzmarktes
Likert-Skalierung zurückgegriffen. Ohne in dem Fragemodul konkret Bezug auf Exporttätigkeiten zu nehmen, ist die grundlegende Änderungsbereitschaft zu hinterfragen. In Hinblick auf den zu erwartenden Bedarf an Prozessänderungen, der sich in der Regel bei der Realisierung von Exportgeschäften ergibt, erfordert die höchste Bewertung dieses Fragemoduls für die Exportbereitschaft eine volle Ablehnung der drei genannten Items (vgl. Abb. 5.9). Zusätzlich zu den bisher angeführten Kriterien wird für die Bewertung der Einstellung des Managements noch die Anerkennung von ausländischen Rechtsnormen seitens chinesischer Lieferanten in die Bereitschaftsdimension des Exportkompetenzmodells aufgenommen. Damit wird der vom Projektpartner dargelegten Vermutung entsprochen, dass eine Vielzahl chinesischer Lieferanten vordergründig Exportaktivitäten befürworten, bei der konkreten Realisierung jedoch durch mangelnde Umsetzung von notwendigen Rahmenbedingungen die fehlende tatsächliche Zustimmung offenkundig werden lassen. Somit stellt das Bewertungsmodul zur Anerkennung ausländischen Rechts eine weitere Möglichkeit zur indirekten, subtilen Abfrage der Zustimmung des Managements dar. Dabei ergibt sich im Rahmen einer prozentualen Skala der höchst mögliche Punktbeitrag zur Exportbereitschaft, wenn in mindestens 75 % der zu betrachtenden Fälle von Kundenbeschwerden ausländisches Rechts zur Anwendung kommt. Für die höchste Bewertung der Exportbereitschaft ist es also erforderlich, dass der Lieferant dem Kunden möglichst freizügig gewährt, ausländisches Recht zur Anwendung zu bringen, sofern ihm dieses zur Sicherung seiner Ansprüche notwendig erscheint (vgl. Abb. 5.10). Marktstimuli Der zweite Teilindikator innerhalb der Exportbereitschaft, welcher die wesentlichen Aspekte der externen Impulse abdeckt, die einen chinesischen Lieferanten zur Betätigung im Exportgeschäft motivieren können, stellt die Bewertung der Markstimuli dar. In Anlehnung an die theoretischen Erkenntnisse ist hierzu in erster Linie die lieferantenseitige Einschätzung des heimischen Absatzmarktes anzuführen. Entsprechend des in Abb. 5.11 angegebenen dreistufigen Bewertungsmoduls
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
95
Abb. 5.12 Kodiertes Fragemodul zur Beurteilung des Auslastungsniveaus
muss der Lieferant seine persönliche Einschätzung bezüglich der Wachstumsentwicklung des chinesischen Marktes in der Gegenwart und in der mittelfristigen Zukunft wiedergeben.29 Nimmt der Lieferant den heimischen Markt umfassend positiv wahr, ist von einer insgesamt geringeren Exportbereitschaft auszugehen. Dem entgegen führt eine schwache Beurteilung des betrachteten Absatzgebietes zu der stärksten möglichen Ausprägung. In unmittelbarem Zusammenhang mit der lieferantenseitigen Beurteilung des lokalen Marktes steht die Bewertung der Kapazitätsauslastung der Produktionseinrichtungen. Wenig ausgelastete Maschinen werden den Lieferanten motivieren, zusätzliche Geschäfte auch im Exportbereich zu realisieren. Liegt eine überdurchschnittlich starke Auslastung von mehr als 90 % vor, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass zusätzliche Aufträge im Exportbereich insbesondere unter Berücksichtigung des damit verbundenen Mehraufwands gegenüber lokalen Geschäften unberücksichtigt bleiben werden. Bezüglich der Gegenwart als auch der mittelfristigen Zukunft wird eine Einschätzung des Auslastungsniveaus in Form einer fünfstufigen Einteilung abgefragt (vgl. Abb. 5.12). Dabei müssen die so ermittelten Daten noch sensibler betrachtet werden, als dieses im Falle der Selbstauskunft grundsätzlich schon notwendig ist. Chinesische Lieferanten neigen besonders hinsichtlich der verfügbaren Produktionskapazitäten oftmals zu inkonsistenten Aussagen, da u. a. bereits bestehende Subaufträge bei der Kapazitätsermittlung nicht mitberücksichtigt werden und der bestehende Produktionspark sowie das zugehörige Know-how konsequent überschätzt werden.30 Weiterhin lässt sich die Beurteilung der Lieferanten bezüglich ihrer möglichen Absatzmärkte hinsichtlich der Ähnlichkeiten mit dem chinesischen Markt als externer Stimulus des Managements heranziehen und systematisch erfassen.31 Je geringer ein Lieferant die wahrgenommene physisch-psychische Distanz zwischen China und dem potentiellen Absatzmarkt bewertet, desto weniger unterbewusste Barrieren ergeben sich, so dass die Exportbereitschaft insgesamt steigen wird. Zur Messung dieser Distanz sind verschiedene konzeptionelle Methoden mit unterschiedlich komplexen Betrachtungsebenen entwickelt und in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert worden, wobei dem Hofstede-Modell bis heute die größte Bedeutung zugesprochen wird.32 Für die grundlegende Ermittlung der Marktähnlichkeit im Rahmen des hier entwickelten Exportkompetenzmodells kann unter Berücksichtigung der – entsprechend den Anforderungen – einfachen Struktur des Modells ebenfalls auf eine 29
Vgl. dazu auch Tan et al. (2009, S. 23). Vgl. Vinck (2005, S. 102). 31 Vgl. Hodicová (2007, S. 109 f.). 32 Vgl. etwa Soares et al. (2007, S. 280 ff.). 30
96
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Abb. 5.13 Kodiertes Fragemodul zur Marktähnlichkeit
Abb. 5.14 Kodiertes Fragemodul zur Exporterfahrung
Abb. 5.15 Kodiertes Fragemodul zum Anteil ausländischer Kunden in der Referenzliste
elementare Bewertungsmethodik zurückgegriffen werden. Dazu hat der Lieferant unter Verwendung einer Likert-Skala zu bewerten, ob er Ähnlichkeiten der Kultur sowie der Sprache zwischen China und den potentiellen Absatzmärkten sieht (vgl. Abb. 5.13). Zudem berücksichtigt dieses Fragemodul auch die lieferantenseitige Beurteilung der Wechselkursschwankungen und bildet damit auf Basis einfach strukturierter Fragen eine zeiteffiziente Möglichkeit, die wahrgenommene physischpsychische Marktdistanz unter Berücksichtigung der Restriktionen möglichst genau abzufragen.33 Erfahrungen Die bereits gesammelten Erfahrungen im Exportbereich als dritter Hauptbewertungsblock stellen eine weitere wichtige Indikation zur Ermittlung der Exportbereitschaft des Lieferanten dar. So kann auf einfache Weise die unmittelbare Motivation sowie Intensität im Bereich der Exportgeschäfte bewertet werden. Dazu ist zunächst direkt abzufragen, seit wie vielen Jahren das betrachtete Unternehmen bereits im Export tätig ist. Je länger ein Lieferant bereits Exportgeschäfte tätigt, desto größer wird auch die Exportbereitschaft im Ganzen bzw. der Punktwertbeitrag dieses Fragemoduls ausfallen (vgl. Abb. 5.14). Um einen möglichen groben Abgleich zwischen den Angaben der Exporterfahrung in Jahren und der tatsächlich realisierten Exporttätigkeit in der Vergangenheit aufzustellen und einen Eindruck bezüglich der Intensität der angegebenen Exporttätigkeit zu erlangen, kann zudem der Anteil ausländischer Kunden in der Referenzliste des Lieferanten betrachtet werden. Diese leicht zu überprüfende Angabe zeigt sehr deutlich, ob ein Lieferant nachhaltig bereit ist, gemeinsam mit ausländischen Unternehmen Partnerschaften einzugehen und im Exportgeschäft Schwerpunkte zu setzen. Je höher der prozentuale Anteil ausländischer Kunden in der Referenzliste ist, desto wahrscheinlicher wird der Lieferant für eine langfristige und umfassende Tätigkeit im Exportbereich empfänglich und bereit sein (vgl. Abb. 5.15). 33
Vgl. dazu auch Tan et al. (2009, S. 23).
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
97
Abb. 5.16 Kodiertes Fragemodul zur Anzahl der Exportnetzwerke
Abb. 5.17 Kodiertes Fragemodul zur internationalen Unternehmensaktivität
Zusätzlich kann zur Bildung eines Erfahrungsindikators die Beteiligung des betrachteten Lieferanten in Exportnetzwerken berücksichtigt werden. Ist der Lieferant in entsprechend vielen dieser Netzwerke vertreten, die einen Zusammenschluss von chinesischen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) darstellen und zur Stärkung der gemeinsamen Marktposition sowie zum Erfahrungs- und Wissensaustausch dienen, ist eine grundlegende Bereitschaft zur Tätigkeit im ausländischen Umfeld anzunehmen. Dies gilt insbesondere, da dem Lieferanten durch die Mitgliedschaft in entsprechenden Vereinigungen keine Vorteile erwachsen, wenn er nicht auch tatsächlich im Export tätig wird. Da die Netzwerke sich bisweilen auf regional abgegrenzte Exportmärkte beschränken, lässt sich durch die Anzahl der beteiligten Vereinigungen eines Lieferanten ablesen, wie umfassend dieser auf internationalen Märkten agiert und wie viele Erfahrungen er bereits sammeln konnte (Abb. 5.16). Internationalisierungsstrategie Als vierter und letzter Teilindikator im Rahmen der Ermittlung der Exportbereitschaft ist die grundlegende Internationalisierungsstrategie des betrachteten Lieferanten zu berücksichtigen. Sie gibt Aufschluss, ob die unternehmenspolitische und damit langfristig strategische Ausrichtung gezielt eine Exporttätigkeit vorsieht und dazu entsprechende Voraussetzungen geschaffen hat. Entsprechend den verschiedenen Phasen und konkreten Realisierungstypen einer internationalen Tätigkeit sind diese nicht nur auf die Absatzseite einer Unternehmung zu konzentrieren.34 Beschafft der Lieferant Teile seiner Bedarfe im Ausland, so hat er bereits eine ausgeprägte Stufe der Internationalisierung erreicht, so dass er erste Kenntnisse und Erfahrungen in diesem Umfeld sammeln konnte, die seine Bereitschaft zu weiteren Tätigkeiten in diesem Bereich (etwa durch Exportgeschäfte) determinieren. Im Rahmen der Evaluierung der Internationalisierungsstrategie ist also zunächst zu bewerten, ob bereits Aktivitäten im internationalen Umfeld getätigt wurden, wobei für eine einfache Bewertungsmethodik bei der Punktbewertung im Zuge des hier entwickelten Quick-Audits keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der internationalen Tätigkeit getroffen werden muss (vgl. Abb. 5.17). Ist der betrachtete Lieferant in mindestens einer der genannten Formen international tätig, ergibt sich für den Teilindikator Internationalisierungsstrategie der höchste Punktwertbeitrag von zehn. 34
Vgl. etwa Voll (2007, S. 13 f.); Welge und Holtbrügge (2006, S. 95 ff.).
98
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Abb. 5.18 Kodiertes Fragemodul zur Born Global Strategie
Abb. 5.19 Kodiertes Fragemodul zur relativen Größe der Exportabteilung
Als eine spezielle Form der Internationalisierung sind bei den verschiedenen Phasen und Typologien die Born Globals in den letzten Jahren stark in Erscheinung getreten und müssen aufgrund ihrer Sonderform und den damit verbundenen Implikationen auf die Exportbereitschaft als solche getrennt bewertet werden. Mit der unternehmensstrategischen Zielvorgabe, ohne längere Evolutions- und Implementierungsphasen sowie unter bewusster Vernachlässigung des heimischen Absatzmarktes im internationalen Umfeld tätig zu werden, ist der Gruppe der Born Globals grundlegend eine hohe Exportbereitschaft zu unterstellen.35 Damit ist es im Bewertungsblock der Internationalisierungsstrategie unerlässlich zu quantifizieren, ob ein Lieferant als Born Global unmittelbar mit der Unternehmensgründung auch in das Exportgeschäft gestartet ist (vgl. Abb. 5.18). In Zusammenhang mit der gewählten Internationalisierungsstrategie des Lieferanten steht dabei in besonderem Maße auch die Implementierung einer ausgewählten Exportabteilung, die sich ausschließlich auf die Planung und Operationalisierung der weltweiten Exportaufgaben konzentriert. Eine entsprechende Abteilung wächst mit Ausnahme der Born Globals generisch über einen langen Zeitraum und entwickelt sich kontinuierlich. Dabei wird sich eine spezialisierte Exportabteilung jedoch nur bei denjenigen Lieferanten ausbilden, die nachhaltig und langfristig an der Realisierung von Exportgeschäften Interesse haben. Bei fehlender Exportbereitschaft wird es dagegen gar nicht erst zur Implementierung einer ausgewählten Exportabteilung kommen, da mögliche anfallende den Export betreffende Aufgaben von anderen Abteilungen mitgetragen werden. Damit kann die Größe einer bestehenden Exportabteilung unmittelbar als ein Indikator für die Internationalisierungspolitik im Speziellen sowie für die Exportbereitschaft insgesamt herangezogen werden. Je größer der Anteil der Mitarbeiter in einer ausgewiesenen Exportabteilung im Verhältnis zur Gesamtmitarbeiterzahl des Unternehmens ist, umso deutlicher wird die Exportbereitschaft des Lieferanten durch die Internationalisierungsstrategie getragen (vgl. Abb. 5.19). Für eine übersichtliche Darstellung der im Rahmen der Exportbereitschaftsdimension gewonnenen Erkenntnisse, enthält Abb. 5.20 eine Zusammenfassung der einzelnen Bewertungsblöcke sowie die jeweils erreichbaren Maximalpunktwerte.
35
Vgl. dazu auch Gabrielsson und Kirpalani (2004, S. 556 f.).
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
99 ∑ (KfBi)
Exportbereitschaftsindex EBI = Zustimmung ∑ ( KfB-Zi * gBi ) → max. 60 Punkte Internat. Marketing Web-Präsenz in Englisch Ausstellen auf internat. Messen Alter englischer Broschüren Veränderungswille Einstellung zu Veränderungen
KfB2
Marktstimuli ∑ ( KfB-Mi * gBi ) → max. 30 Punkte Auslastungsgrad
Selbstreflektion Selbstreflektion bezüglich Exporttätigkeit
Marktähnlichkeit Ähnliche Kultur Ähnliche Sprache Stabiler Wechselkurs
Niveau
Bewertung des Inlandsmarktes
Anerkennung ausländischen Rechts
Wachstumsniveau
Häufigkeit
Erfahrungen ∑ ( KfB-Ei * gBi ) → max. 30 Punkte Anzahl Jahre im Exportgeschäft
KfB1
KfB3
Anteil ausländischer Kunden in Referenzliste Mitgliedschaft in Exportnetzwerken Ja/Nein
KfB4
Internationalisierungsstrategie ∑ ( KfB-Ii * gBi ) → max. 30 Punkte Born Global Ja/Nein Internat. Aktivität Ja/Nein
Exportabteilung Ausgewiesene Abteilung ja/nein Anzahl der Mitarbeiter
Abb. 5.20 Exportbereitschaftsindex EBI
5.3.2.3
Dimension Exportfähigkeit
Zur quantitativen Bestimmung der Dimension Exportfähigkeit werden insgesamt fünf Teilindikatoren herangezogen, die jeweils eine unterschiedlich große Anzahl an Subindikatoren enthalten, in denen letztlich die konkreten Bewertungskriterien implementiert sind. Diese fünf Teilindikatoren fassen die unterschiedlichen Kriterien zu den Bereichen formale Fähigkeit, Skills, Prozessbeherrschung, IT-Systeme sowie finanzielle Fähigkeit zusammen, die in den folgenden Ausführungen hinsichtlich der inkludierten Bewertungskriterien erläutert werden. Wie schon im vorangegangenen Abschnitt sind in den abgebildeten Fragemodulen der einzelnen Bewertungsblöcke die jeweils zu erreichenden Punktwerte in gelber Farbe hinterlegt, die durch Addition den Gesamtwert der jeweiligen Bewertungsblöcke bilden. Zudem stellt auch die Dimension der Exportfähigkeit eine kontinuierliche Größe dar. Formale Fähigkeiten Bevor die individuell entwickelten lieferantenspezifischen Fähigkeiten und deren Ausprägungen detailliert zu betrachten sind, können in einem ersten Bewertungsmodul zunächst die grundlegenden formalistischen Fähigkeiten untersucht werden. Hierbei geht es um die Bewertung der Existenz von teilweise elementaren formalen Grundanforderungen an einen potentiellen, exportierenden chinesischen Lieferanten. In Hinblick auf die aktuell geltende Rechtslage in China ist dabei zu allererst die Existenz einer gültigen Exportlizenz zu klären. Eine fehlende Lizenz schließt eine zukünftige Zusammenarbeit mit dem Lieferanten zwar nicht aus, bedeutet jedoch
100
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Abb. 5.21 Kodiertes Fragemodul zu den formalen Fähigkeiten
weiteren Aufwand sowie zeitliche Verzögerungen bei der Geschäftsanbahnung. Zudem ist davon auszugehen, dass der Mangel einer entsprechenden Lizenz sich auch bei den bisher gesammelten Erfahrungen des Lieferanten im Export widerspiegeln wird. Daneben erwarten westliche Unternehmen von ihren Lieferanten heute unabhängig vom Standort in der Regel die Zertifizierung nach ISO 9000. Diese kann in China jedoch nicht grundlegend erwartet werden und ist bei Existenz ggf. näher auf die Korrektheit zu überprüfen. Im Rahmen dieses Vorauditierungstools zur Ermittlung der grundlegenden Exportkompetenz reicht zunächst die Bewertung der Existenz der Zertifizierung ohne weitere Detailprüfung. Zusätzlich zu den beiden genannten Kriterien können auch weitere Standards und Zertifikate zur Bewertung des Fähigkeitsportfolios des Lieferanten herangezogen werden. Dazu wird im Fragemodul „Formale Fähigkeiten“, welches sowohl die Lizenzen und ISO-Zertifizierung als auch weitere Bescheinigungen abfragt, u. a. auch die Existenz eines Kreditwertigkeitszeugnisses des Unternehmens bewertet. Darüber hinaus wird konkret das Vorhandensein der in China gebräuchlichen Zertifikate für lokale Best-PracticeUnternehmen bewertet. Diese „Famous-Brand“-Zertifikate werden von chinesischen Lokalbehörden für Unternehmen mit überdurchschnittlich gut etablierten Prozessen im Management sowie in der Fertigung und hochwertigen Produkten vergeben und vermitteln somit unter Berücksichtigung der tendenziellen Gefahr von durch Guanxi und Korruption erschlichenen Zertifikaten einen Eindruck hinsichtlich der grundlegenden Leistungsfähigkeit des Lieferanten. Zusätzlich werden Zertifizierungen zur Konformität der bei dem Lieferanten praktizierten Messtechniken in der Fertigung, sowie die Lizenz zur Herstellung von komplexen, spezifischen maschinentechnischen Anlagen bewertet. Zudem werden letztlich noch alle weiteren vorhandenen Zertifikate unkonkretisiert abgefragt und bei beschaffungsbezogener Relevanz mit jeweils zwei Punkten bewertet (vgl. Abb. 5.21). Somit ergibt sich insgesamt ein umfassendes Bild des formalen und verbrieften theoretischen Fähigkeitsschatzes des betrachteten Lieferanten. Skills Nach der eingehenden Quantifizierung der formalen Fähigkeiten wird nun mit dem Bewertungsblock der Skills begonnen, die tatsächlich aktuell beim Lieferanten entwickelten Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten zu beurteilen. Während die Bewertung der formalen Fähigkeiten eher grundlegender Natur ist, zeichnet sich dieser Quantifizierungsbereich durch die stark operative Ausrichtung rund um die im täglichen Geschäftsumfeld zu bewältigenden Herausforderungen der Exporttätigkeit aus. Dabei spielt allen voran die Bewertung der englischen Sprachkenntnisse eine
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
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Abb. 5.22 Kodiertes Fragemodul zu den englischen Sprach-Skills
wesentliche Rolle, um zu entscheiden, ob, auf welcher Ebene und mit welchen Kanälen eine Kommunikation mit dem Lieferanten möglich ist. Da sich gerade bei der empirischen Untersuchung gezeigt hat, dass die Sprachkenntnisse in den verschiedenen Unternehmensbereichen und Hierarchiestufen in China sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können, wird in der Bewertung nach den Englisch-Skills konkreter Bereiche gefragt. Dadurch soll sich ein möglichst dezidiertes und zugleich aussagekräftiges Bild der unterschiedlichen englischen Sprachkenntnisse beim Lieferanten ergeben. Zur Bewertung wird eine fünfstufige Skala genutzt, die für vier ausgewählte Unternehmensbereiche bzw. Funktionen jeweils die Kenntnisse in den Ausprägungen „gar keine Englischkenntnisse vorhanden“ bis „fließende Englischkenntnisse vorhanden“ abfragt (vgl. Abb. 5.22). Neben den englischen Sprachkenntnissen sind auch die grundlegenden operativen Skills als Teil der Fertigkeitsbeurteilung des Lieferanten zu berücksichtigen. Hierbei werden vor allem die bei der alltäglichen Abwicklung von Exportgeschäften notwendigen Skills bewertet, um zu entscheiden, ob der Lieferant hier (auf Basis bereits gesammelter Erfahrungen) ein ausreichendes Niveau nach Maßgabe wesentlicher Standards erreicht hat. Dafür wird u. a. konkret bewertet, ob Kenntnisse im Bereich der Zollabwicklung bestehen und ob die bei Exportgeschäften stets zu berücksichtigende Herausforderung schwankender Wechselkurse mit den damit verbundenen möglichen finanziellen Risiken ausreichende Beachtung bei der Kalkulation sowie der Gestaltung der vertraglichen Rahmenbedingungen seitens des Lieferanten findet. In Zusammenhang mit den vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten ist zudem zu bewerten, wie ausgeprägt die Fertigkeiten des Lieferanten hinsichtlich der Bedeutung und korrekten Verwendung von Incoterms sind, welche für die Realisierung von grenzüberschreitenden Warenlieferungen an einen Kunden elementare Bedeutung zur Gewährleistung der gegenseitigen rechtlichen Ansprüche haben. Incoterms helfen zudem, Verantwortlichkeiten klar und eindeutig zu definieren und rechtliche Sicherheit hinsichtlich der einzelnen Pflichten der Vertragspartner zu geben. Dieses gilt im besonderen Maße für die Abwicklung der internationalen Geldtransaktionen zum Ausgleich bestehender Rechnungen, so dass die beim chinesischen Lieferanten vorhandenen Fertigkeiten beim Umgang mit grenzüberschreitenden Bezahlvorgängen gesondert bewertet werden. Weiterhin sind im technischen Anlagenbau und hierbei insbesondere im Bereich der bisweilen gleichermaßen komplexen wie sensiblen chemischen Maschinen aufwendige Sicherungsmaßnahmen zur Gewährleistung eines schadlosen Transportes vorzunehmen. Gerade die langen Seewege und die dabei auftretenden sphärischen Belastungen durch Meerwasser und salzhaltige Luft stellen für die Maschinen bei
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5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Abb. 5.23 Kodiertes Fragemodul zu den operativen Skills
unzureichender Schutzverpackung ein großes Risiko dar. Darüber hinaus bedeutet schon der Inlandstransport in China eine große Herausforderung, welche aufgrund der teilweise noch mangelnden Infrastruktur hohe Anforderungen an eine geeignete Verpackung ebenso wie eine ausreichende Ladungssicherung stellt. Dabei müssen die eingesetzten Verpackungen nicht nur den hohen Schutzansprüchen entsprechen, sondern müssen zusätzlich den Regulierungen für die im Export verwendeten Verpackungsmaterialien genügen. Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, bereits frühzeitig zu bewerten, ob ein Lieferant im Bereich der exportorientierten Verpackung bereits erste Fertigkeiten entwickelt hat, oder ob hier weitere gemeinsame Bemühungen notwendig sind, um ein den Anforderungen entsprechendes Niveau zu erlangen. Dieses gilt ebenso für den Bereich der Transportversicherungen, wo chinesische Lieferanten insbesondere im Kontext grenzüberschreitender Transporte bisher kaum Erfahrungen gesammelt haben. Insgesamt liefern die ausgewählten Teilaspekte einen ersten Überblick der beim Lieferanten vorzufindenden operativen Fertigkeiten im unmittelbaren Kontext der Realisierung von Exportgeschäften. Zur konkreten Bewertung wird, wie bei allen Einstellungsbewertungen des Messkonzeptes, auf eine an die Likert-Einteilung angelehnte fünfstufige Skala zurückgegriffen, in welcher der Lieferant die jeweiligen Fertigkeiten in ihrer Ausprägung von sehr niedrig bis sehr hoch einschätzen soll (vgl. Abb. 5.23). Werden alle sechs bewerteten Kriterien vom Lieferanten mit sehr hoch eingeschätzt, ergibt sich in der Summe mit 24 der höchste Punktwert und damit der größtmögliche Beitrag bei der Bestimmung der Exportfähigkeit. Den bisher angeführten Kriterien zur Bewertung der Skills ist gemein, dass sie in einem evolutorischen Prozess kontinuierlich entwickelt und gespeichert werden müssen, um dem Unternehmen auch in der Zukunft zur Verfügung zu stehen. Bei dem Aufbau und im besonderen Maße bei dem Erhalt eines solchen Wissensschatzes ist es dabei essenziell, dass die Mitarbeiter, die letztlich die Träger des Wissens sind, langfristig im Unternehmen gebunden sind, da die mühsam aufgebauten Fertigkeiten sonst verloren gehen. Speziell im Hinblick auf die für Exporttätigkeiten notwendigen Skills ist es für den Kunden wichtig, beurteilen zu können, ob entsprechendes Wissen (das er ggf. im Laufe einer Geschäftsbeziehung auch gemeinsam mit dem Lieferanten entwickelt hat) langfristig gespeichert wird. Dazu kann als wichtigster Indikator die Fluktuationsrate der Mitarbeiter herangezogen werden. Je häufiger eine Position beim Lieferanten durch einen neuen Mitarbeiter besetzt werden muss, da der Vorgänger entsprechend dem in China typischen Wechselverhalten abgewandert
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
103
Abb. 5.24 Kodiertes Fragemodul zur Mitarbeiterfluktuation
Abb. 5.25 Kodiertes Fragemodul zur Mitarbeitererfahrung im Export
ist, desto geringer wird der speicherbare Wissensschatz ausgeprägt sein. Als verlässlicher Proxy zur Bewertung der durchschnittlichen Verweildauer eines einzelnen Mitarbeiters im Unternehmen kann der prozentuale Anteil jener Beschäftigten, die mehr als fünf Jahre bei dem Lieferanten tätig sind, abgefragt werden. Je höher dieser Anteil liegt, desto geringer ist die Mitarbeiterfluktuation, was durch höhere Punktwertbeiträge für den Bewertungsblock der Skills quantifiziert wird (vgl. Abb. 5.24). Um den Wissensschatz des Lieferanten auch speziell in Hinblick auf die exportbezogenen Skills zu bewerten wird neben der bereichsübergreifenden Fluktuationsrate im Allgemeinen auch der Erfahrungsschatz der Beschäftigten im Exportbereich im Speziellen bewertet. Hierzu genügt die Bewertung der durchschnittlichen Beschäftigungsjahre der Mitarbeiter in eindeutig dem Export zugeordneten Funktionen (vgl. Abb. 5.25). Trotz einer kumulierten Betrachtungsweise vermittelt dieses Fragemodul zusätzliche Erkenntnisse hinsichtlich der tatsächlich bei dem bewerteten Lieferanten vorhandenen Exportfähigkeiten und gibt zudem in einer Kontrollfunktion Rückschluss auf die insgesamt angegebenen Erfahrungen des Unternehmens im Exportgeschäft. Prozessbeherrschung Ein weiterer Systemblock zur Quantifizierung der Exportfähigkeit stellt der Teilindikator der Prozessbeherrschung dar, der mit verschiedenen Einzelindikatoren auf unterschiedlichen funktionellen Betrachtungsebenen insgesamt einen Eindruck vermittelt, ob der Lieferant eine grundlegende prozessorientierte Handlungsweise nutzt bzw. welche Ausprägungsformen diese angenommen hat. Besonders für aufwendige Exporttätigkeiten unter Berücksichtigung der bestehenden Kommunikationsbarrieren sind eine entsprechende Prozessorientierung sowie deren Beherrschung unerlässlich und bedürfen daher einer dezidierten Bewertung. Hierzu kann zunächst das vorhandene Projektmanagement des Lieferanten beurteilt werden, um zu entscheiden, ob ein solches grundlegend vorhanden ist und in welcher Intensität es ausgeprägt ist. Gerade bei komplexen Anlagen und komplizierten Fertigungsverfahren mit der damit verbundenen Einbindung zusätzlicher Sub-Unternehmer muss der Lieferant in der Lage sein, eine detaillierte Kostenund Terminplanung vorzunehmen und diese durch ein sinnvolles Projektcontrolling zu überwachen. Daher wird nach der einführenden Frage, ob überhaupt ein Projektmanagement bei dem Lieferanten vorhanden ist, bewertet, wie deutlich eine entsprechende Projektplanung inklusive Zeitvorgaben ausgeprägt ist. Zusätzlich wird
104
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Abb. 5.26 Kodiertes Fragemodul zum Projektmanagement
Abb. 5.27 Kodiertes Fragemodul zu definierten Verantwortlichkeiten
bewertet, ob die zu bewältigende Komplexität von Exportprojekten durch entsprechende Planungsinhalte (z. B. Materialflussplanung inkl. Materialbestellzeitpunkte) im Projektmanagement Berücksichtigung findet. Die entsprechende Bewertungsmetrik unter Verwendung einer Likert-Skalierung mit dem Hinweis der inversen Frageformulierung des ersten Items ist Abb. 5.26 zu entnehmen. Im Zusammenhang mit dem Projektmanagement gilt es auch zu überprüfen, ob bei dem Lieferanten die Verantwortlichkeiten imAllgemeinen eindeutig definiert sind, so dass der Kunde ohne Verzögerungen jederzeit den korrekten Ansprechpartner findet. Insbesondere unter Berücksichtigung der räumlichen und sprachlichen Barrieren kommt es bei einem zielgerichteten Kommunikationsprozess auf eine entsprechend klare Strukturierung der Abläufe an. Dabei müssen neben den Verantwortlichkeiten auch die zugehörigen Rollenverteilungen und Aufgaben eindeutig definiert sein und nach innen wie nach außen kommuniziert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass im Problemfall unmittelbare Lösungsschritte eingeleitet werden können. Das hierzu zu quantifizierende Item lässt sich wie der vorherige Frageblock mit einer Likert-Einteilung bewerten (vgl. Abb. 5.27). Die bei den Kommunikationsprozessen bereits angesprochene Prozessdokumentation und -stabilität ist jedoch nicht nur für die Interaktion zwischen Kunde und Lieferant notwendig, sondern determiniert die Prozessbeherrschung im betrachteten Unternehmen insgesamt. Bestehende Abläufe und Prozesse unabhängig vom funktionalen Einsatzbereich bedürfen einer lückenlosen und verständlichen Dokumentation. Nur so sind sie auch zukünftig und bei möglichen Mitarbeiterwechseln erneut abrufbar. Dies gilt insbesondere für Abläufe bei maschinentechnischen Anlagen im Exportbereich, die in Form von Projekten nur diskontinuierlich benötigt werden. Damit ist zu bewerten, in welcher Intensität der Lieferant eine allgemeine Dokumentation der bei ihm etablierten Abläufe vornimmt. Daraus lässt sich dann allgemeingültig ablesen, ob der Lieferant tendenziell zu einer strukturierten, methodischen Arbeitsweise neigt, die bei komplexen Exporttätigkeiten unverzichtbar ist. Als Kontrollgröße ist neben der angegebenen Prozessdokumentation auch die tatsächliche Prozessstabilität zu bewerten, um die Angaben bezüglich des Projektmanagements sowie der Prozessdokumentation in Relation zu setzen. Hierfür ist zu bewerten, ob in der gleichen Situation mit den gleichen Rahmenbedingungen auch stets die gleichen Prozesse zur Anwendung kommen, da hieraus unmittelbar
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
105
Abb. 5.28 Kodiertes Fragemodul zur Prozessdokumentation
Abb. 5.29 Kodiertes Fragemodul zu den After-Sales-Services
die tatsächliche Prozessstabilität abgelesen werden kann. Nur wenn die bestehenden Abläufe eindeutig definiert sind und zugleich ein hohes Maß an Kontinuität der Prozesse vorliegt, wird der größtmögliche Punktwertbeitrag für den Teilindikator der Prozessbeherrschung insgesamt erreicht (vgl. Abb. 5.28). Einen funktional gesonderten Bereich innerhalb des Bewertungsblockes der Prozessbeherrschung stellen die After-Sales-Services (ASS) dar, denen aufgrund ihrer Bedeutung insbesondere im Exportgeschäft ein eigenständiges Fragemodul zugeteilt wird, um den verschiedenen möglichen Ausprägungsformen ausreichend Bewertungsraum zu bieten. Die ASS als ebenso spezifischer wie komplexer Prozess stellen für Kunden insbesondere bei maschinentechnischen Anlagen mit dem entsprechend großen Bedarf an Wartungsarbeiten ein wesentliches Entscheidungskriterium bei der Suche und Auswahl geeigneter Lieferanten dar. Daher ist es notwendig, die verfügbaren ASS des Lieferanten bereits frühzeitig in das Bewertungsmodell aufzunehmen, um so die Auswahl der möglichen Lieferanten schnell auf eine handhabbare Anzahl zu reduzieren. Je nach Ausprägungsform der ASS und der damit für den Kunden realisierbaren Produktionssicherheit am heimischen Standort wird eine unterschiedlich hohe Punktbewertung vorgenommen, wobei den optimalen Versorgungsfall die Betreuung durch lieferanteneigene Einrichtungen im lokalen Bereich des Maschinenstandortes darstellt (vgl. Abb. 5.29). So kann im Falle von Maschinenausfällen die kürzeste Reaktionszeit bei gleichzeitig höchst möglichem maschinenspezifischem Fachwissen sichergestellt werden, so dass Liegezeiten entsprechend der Anforderungen im Bereich der kontinuierlich ablaufenden Produktionsprozesse der chemischen Industrie zu minimieren sind. IT-Systeme Anhand der empirischen Untersuchung zeigte sich, dass im Zusammenhang mit den konkret entwickelten Fähigkeiten der chinesischen Lieferanten insbesondere im Kontext von Exporttätigkeiten eine Bewertung der vorhandenen IT-Landschaft notwendig ist, da hier bisher deutliche Schwächen zu identifizieren waren. Hierzu wurden auf Basis der durchgeführten Befragungen konkret drei wesentliche Problemstellungen ermittelt, die somit einer quantitativen Bewertung im Rahmen des Exportkompetenzmodells zugeführt werden. Die Berücksichtigung der EDV in einer sehr frühen Phase der Lieferantenbewertung, wie sie durch das
106
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
hier aufgestellte Modell erfolgt, ergibt sich aufgrund des grundlegenden Charakters der beim Lieferanten vorgehaltenen IT-Landschaft sowie der daraus abzulesenden Einstellung gegenüber elektronischen Datenverarbeitungssystemen. Eine umfassend schwach ausgeprägte Tendenz der in dem Bewertungsblock enthaltenen Items deutet auf eine grundlegend geringe Akzeptanz bzw. Befähigung zur Implementierung von IT-Systemen hin. Im Detail wird zur Bewertung zunächst nach der softwareseitigen Verfolgbarkeit von Rohstoffen, Waren und Fertigungseinrichtungen durch entsprechende Warenwirtschaftssysteme gefragt. Hierbei wird berücksichtigt, dass die betrachteten Produktgruppen der chemischen Produktionseinrichtungen sicherheitskritische Relevanz haben und daher zahlreichen Regulierungen unterliegen, die laufend überprüfbar sein müssen. Bei komplexeren Maschinen, aufwendigeren Fertigungsverfahren und größeren Stückzahlen ist eine solche Nachvollziehbarkeit nur noch durch den geeigneten Einsatz computergestützter Systeme möglich. Daher ist zu bewerten, ob der Lieferant eine solche Nachverfolgbarkeit innerhalb seiner Supply Chain vom Wareneingang bis hin zur Lieferung an den Kunden realisieren kann. Weiterhin ist es notwendig zu beurteilen, ob die beim Lieferanten verwendeten CAD-Systeme sich durch eine offene Architektur auszeichnen, die eine reibungslose Anbindung an die Schnittstellen der kundenseitigen Systeme ermöglicht und somit eine einfache, zeiteffiziente und sichere Kommunikation auch bezüglich komplexer technischer Zusammenhänge gewährleistet. Entsprechen die verwendeten Systeme hingegen nicht den üblichen Standards und/oder weisen keine ausreichenden Schnittstellen auf, besteht bei der Kommunikation von technischen Details (z. B. Zeichnungen) die Gefahr, dass die dann zwangsläufig notwendigen Medienbrüche insbesondere unter Berücksichtigung der sprachlichen und kulturellen Differenzen zu Missverständnissen führen. Somit ist gerade im Kontext des Exportes von technischen Anlagegütern die CAD-Architektur des Lieferanten auf ihre Schnittstellen hin zu bewerten. Letztlich ist es zudem noch notwendig, den Einsatz von EDI-Applikationen beim Lieferanten auf ihreAusprägung hin zu untersuchen. Insbesondere im Exportgeschäft hilft die elektronische Abwicklung von Geschäftsvorfällen bei der Überbrückung von räumlichen Distanzen zwischen Lieferant und Kunde sowie zur Kosteneffizienz. Aufgrund der bisher nur schwachen Ausprägungen entsprechender Systeme in China ist es daher notwendig, diese Bewertung in den Systemblock der IT-Landschaft mit aufzunehmen. Dabei wird bewusst nicht näher konkretisiert, ob der Einsatz der EDISysteme sich speziell auf den Einsatz im Exportbereich konzentrieren soll. Nutzt der Lieferant EDI-Systeme etwa bei seinen einkaufsseitigen Prozessen oder im inländischen Vertrieb, im Export jedoch noch nicht, kann dennoch ein grundlegendes Verständnis des Lieferanten bezüglich dieser Systeme angenommen werden, so dass auch eine Implementierung für den Exportbereich keine wesentlichen Herausforderungen mehr darstellt. Die Bewertungsmetrik aller drei Bereiche im Fragemodul IT-Systeme erfolgt entsprechend einer fünfgliedrigen Skalierung und kann Abb. 5.30 entnommen werden.
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
107
Abb. 5.30 Kodiertes Fragemodul zu den IT-Systemen
Abb. 5.31 Kodiertes Fragemodul zur finanziellen Leistungsfähigkeit
Finanzielle Fähigkeiten Als letzter Teilindikator innerhalb der Dimension der Exportfähigkeit ist die finanzielle Leistungsfähigkeit des betrachteten Lieferanten zu bewerten, da sich im Rahmen der Experteninterviews gezeigt hat, dass insbesondere hinsichtlich der kurzfristigen Liquidität bisweilen falsche Annahmen getroffen werden, die dazu führen, dass erteilte Aufträge an einen Lieferanten teilweise oder in Gänze gefährdet sein können. Um sicherzustellen, dass ein potentieller Lieferant in der Lage ist, alle durch den jeweiligen Auftrag bedingten Kosten selbstständig zu decken, die er in Vorleistung zu erbringen hat, ist es notwendig, die entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit zu bewerten. Hierbei erweist es sich am sinnvollsten, unmittelbar den prozentualen Anteil der Geschäftsvorfälle zu bewerten, bei denen der Lieferant um die finanzielle Unterstützung des Kunden zur Deckung der durch seinen Auftrag bedingten Vorschusskosten bittet. Dabei ist es unerheblich, ob der Lieferant planmäßig oder außerplanmäßig um die Finanzhilfe bittet, so dass das zugehörige Fragemodul dieses Bewertungsblockes hierzu auch keine weiteren Konkretisierungen vorgibt. Hinsichtlich der fünfstufigen Bewertungsskalierung ergibt sich der höchste Punktwertbeitrag für den Optimalfall, dass der Lieferant zu keinem Anlass finanzielle Unterstützung vom Kunden erbitten wird (vgl. Abb. 5.31). Wie schon in der Dimension der Exportbereitschaft enthält Abb. 5.32 zur Übersicht in analoger Weise alle soeben genannten Bewertungsblöcke, um die umfangreichen Ergebnisse zusammenzufassen. 5.3.2.4
Der Exportkompetenzindex
Mit den zuvor dargestellten Bewertungskriterien der drei Dimensionen des Exportkompetenzmodells kann nun durch deren Zusammenführung der Berechnungsindex EKI gebildet werden. Dabei werden sowohl in der Bereitschafts- als auch in der Fähigkeitsdimension alle Teilindikatoren KfBi bzw. KfFi unabhängig von der jeweiligen Anzahl der bewerteten Items sowie deren Skalierung innerhalb der Frageblöcke für den Gesamtindex auf den Wertebereich von null bis zehn Punkte normiert.36 Damit ergeben sich die bereits in Abb. 5.20 und 5.32 verzeichneten maximalen Punktwertbeiträge der vier bzw. fünf Teilindikatoren, welche addiert die höchst 36
Zur Bildung der Teilindikatoren sowie zur Normierung siehe die vorangegangenen Abschnitte.
108
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Exportfähigkeitsindex EFI = Formale Fähigkeiten
∑ (KfFi) KfF1
KfF2
∑ ( KfF-Fi * gFi ) → max. 30 Punkte
Exportlizenz
Weitere Zertifikate
Ja / Nein
Englisch Skills Ausprägung
Kreditwürdigkeit Famous Brand Messkonformität
ISO 9000
Operative Skills
Weitere
Ja / Nein
Ausprägung
Fluktuationsrate der Mitarbeiter Erfahrungen der Mitarbeiter im Export
Wechselkursrisiko
∑ ( KfF-Ii * gFi ) → max. 30 Punkte
Waren-Verfolgbarkeit
Wissensschatz
Zoll Versicherung Verpackung
KfF4
IT Systems
Skills
∑ ( KfF-Si * gFi ) → max. 40 Punkte
KfF3
EDI Anwendung
Prozessbeherrschung ∑ ( KfF-Pi * gFi ) → max. 40 Punkte
Ausprägung
Projektmanagement
After Sales Services
CAD Schnittstellen Art der Implementierung
Ausprägung
Finanzielle Leistungsfähigkeit ∑ ( KfF-FLi * gFi ) → max. 10 Punkte
Finanzielle Unterstützung no twendig
KfF5
Prozessdokumentation Ausprägung
Art der verfügbaren ASS
Kummunikationsprozesse Definierte Verantwortlichkeiten
Häufigkeit
Abb. 5.32 Exportfähigkeitsindex EFI
mögliche Punktzahl von je 150 ergeben und damit insgesamt die am weitesten ausgeprägte Exportkompetenz aufzeigen (vgl. Abb. 5.33). Hierbei wird auf die Darstellung der Dimension Exportkontext verzichtet, da im Rahmen dieser Studie lediglich ein spezifischer Exportkontext betrachtet wird, so dass alle zugehörigen Exportkompetenzindexwerte in einer Ebene liegen werden. Zudem sind die einzelnen Gewichtungsfaktoren gBi bzw. gFi innerhalb der Bewertungsblöcke der beiden Dimensionen unter Berücksichtigung der Ergebnisse der holistischen Untersuchung sowie im Hinblick auf die fehlenden Vergleichswerte zunächst alle zu eins angenommen. Erst durch den Vergleich der Berechnungsergebnisse unterschiedlicher Beschaffungskonstellationen lässt sich darauf aufbauend ein anwendungsspezifischer Satz an Gewichtungsfaktoren entwickeln. Die parametrisierte Form des hier entwickelten Berechnungsmodells unterstützt dieses durch seine offene Struktur sowie die hinterlegte Berechnungslogik des im Tabellen- und Kalkulationsprogramm Microsoft Excel konstruierten Auswertungstools. Während sich bei einer Veränderung der Gewichtungsfaktoren die maximal möglichen Punktwertsummen der einzelnen Blöcke dann automatisch anpassen werden, bleibt die grundlegende Normierung auf 150 Punkte je kontinuierlich erfasster Dimension erhalten, so dass bei gleichzeitigem Überschreiten der 75-Punkte-Schwelle des Exportfähigkeitsindex EFI sowie des Exportbereitschaftsindex EBI immer der Quadrant zur Kennzeichnung der exportkompetenten Lieferanten erreicht wird. Ist hingegen
5.3 Aufbau des Ermittlungsmodells
109
Abb. 5.33 Der Exportkompetenzindex Exportfähigkeitsindex EFI
150
exportkompetent
exportunwillig
75
exportungeeignet
0
exportunfähig
75
150
Exportbereitschaftsindex EBI
nur die Exportbereitschaft ausreichend stark ausgeprägt, so dass der EBI einen Wert von mindestens 75 Punkten erreicht, während die Quantifizierung der Fähigkeiten jedoch einen Punktwert kleiner als 75 annimmt, wird das bewertete Unternehmen im Quadranten der exportunfähigen Lieferanten eingeordnet. Im entgegengesetzten Fall einer starkenAusprägung der Exportfähigkeit bei gleichzeitig geringer Exportbereitschaft erfolgt eine Einordnung im Quadranten der exportunwilligen Lieferanten. Lieferanten mit dieser Klassifizierung ebenso wie jene im Quadranten Exportunfähigkeit haben das grundlegende Potenzial, durch die gezielte Weiterentwicklung in den jeweiligen Bereichen der schwachen Indexwerte, mittelfristig in den Zielquadranten der exportkompetenten Lieferanten wechseln zu können. Sind bei einem Unternehmen jedoch weder die Fähigkeiten, noch die Bereitschaft vorhanden, erfolgt eine Eingruppierung im Quadranten der exportungeeigneten Lieferanten. Eine weitere Berücksichtigung für den anschließenden Hauptauditierungsprozess wird hier ausgeschlossen, bis durch eine nachhaltige Entwicklung höhere Punktwerte in den beiden Dimensionen erreicht werden.
5.3.3
Fazit des Ermittlungsmodells
Bei der Darstellung der theoretischen Grundlagen wurde zunächst in groben Zügen das Konzept Exportkompetenz in LCCs am Beispiel von China vorgestellt und damit die dazu gehörigen Begriffe definiert. Für eine entsprechende Bewertung zeigte sich in der theoretischen Analyse, dass neben den konkreten Fähigkeiten auch die Leistungsbereitschaft erheblichen Einfluss auf die Exporteignung insgesamt nimmt. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse ließ sich die Exportkompetenz
110
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
in drei Faktoren Exportbereitschaft, Exportfähigkeit und Exportkontext unterscheiden. Zur konkreten Ausgestaltung dieser drei Dimensionen wurde danach eine Reihe von Bewertungskriterien ermittelt: auf Basis der theoretischen Analyse und anhand der empirischen Evaluation für einzelne Dimensionen. Somit ließ sich das theoretische Modell der Exportkompetenz aus drei Hauptbestimmungsdimensionen und entsprechende Bewertungskriterien aufstellen. Das so theoretisch bestimmte Modell der Exportkompetenz wurde anschließend auf Basis der Ergebnisse der praktisch orientierten Untersuchung mit neun Experteninterviews und vier Fallstudien in Form von qualitativen Größen konkretisiert. Daraufhin erfolgte die Einführung einer grundlegenden Methodik der Modell-Indexbildung. Das Modell wurde insbesondere in ein praktisch anwendbares Tool überführt, das die drei Hauptbestimmungsdimensionen quantitativ erfasst. Die Exportkompetenz wurde daraus schließlich mit den vektoriellen ExportkompetenzIndexes als aggregierte Größe der zuvor einzeln beschriebenen Dimensionen dargestellt. Das Ermittlungsmodell für die Kompetenz der chinesischen Lieferanten wurde in qualitativer und quantitativer Form mit konkreten Bewertungskriterien aufgebaut. Anschließend wird im nächsten Kapitel durch eine empirische Untersuchung in Form von Fragebogen in der Praxis bzw. im chinesischen Markt der Anlagegüter für Chemieindustrie in China eingeführt, um die Validierung des Modells zu überprüfen.
5.4
Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Das im vorangegangenen Kapitel aufgestellte Berechnungsmodell zur Bestimmung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten auf Basis des zuvor theoretisch konstruierten Messkonzeptes wurde im Rahmen der holistischen Untersuchung umfassend hergeleitet und inhaltlich bis zu einem praktisch einsatztauglichen Berechnungstool weiter entwickelt. Um nun zum einen die Leistungsfähigkeit des Modells zu validieren, und zum anderen die Typologie des betrachteten chinesischen Marktes der Lieferanten von maschinentechnischen Anlagegütern für die chemische Industrie zu überprüfen, ist eine empirische Untersuchung durchzuführen. Diese wird in dem folgenden Abschnitt zunächst hinsichtlich des Aufbaus und des Ablaufes der Studie beschrieben, bevor anschließend die Ergebnisse im Einzelnen dargestellt werden.
5.4.1
Untersuchungsdesign
Mit der konzeptionellen Konstruktion eines auf fragebogenbasierten Selbstauskünften aufbauenden Bewertungsmodells ist der gestalterische Rahmen zur Entwicklung einer hierauf bezogenen empirischen Untersuchung bereits klar abgegrenzt. Somit
5.4 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
111
können das methodische Vorgehen der Studie, sowie das Design der dazu entwickelten Fragebögen ohne weitere Verweise auf wissenschaftstheoretische Herleitungen im Rahmen dieser Arbeit komprimiert dargestellt werden. Hierzu zählen neben der Abgrenzung des in der Untersuchung zu betrachtenden Marktes die Darstellung des Fragebogens, sowie eine Erläuterung zum methodischen Vorgehen bei der praktischen Durchführung der Studie.
5.4.1.1 Abgrenzung des zu betrachtenden Marktes Durch die bereits erwähnten inhaltlichen Vorgaben des Projektpartners ist der in der Studie zu untersuchenden Markt eindeutig definiert, so dass eine aufwendige wissenschaftstheoretisch geleitete Abgrenzung hier nicht erforderlich ist, um die zu betrachtenden Objekte identifizieren zu können. Stattdessen kann ausgehend von der produktspezifischen Markteingrenzung unmittelbar mit der Suche nach Befragungspartnern begonnen werden. Hierbei zeigt sich, dass der chinesische Markt für maschinentechnische Anlagegüter der chemischen Produktion mit rund 1.500 Mrd. RMB (entspricht ca. 154 Mrd. €) Umsatz 2008 im Vergleich zum Markt der gesamten Investitionsgüterproduzenten in Deutschland mit ca. 681 Mrd. € insbesondere im Hinblick auf die junge Entwicklungsstufe bereits eine immense Größe erreicht hat.37 Es ergibt sich, dass trotz des sehr stark eingegrenzten produktspezifischen Betrachtungsrahmens eine Fülle an Marktteilnehmern in diesem Umfeld agiert, welche als potentielle Befragungspartner in Betracht gezogen werden können. Im Hinblick auf die inhaltliche Fokussierung des Exportmarktes kann zudem eine weitere Marktdefinition herangezogen werden, um den Betrachtungsrahmen der durchzuführenden Studie weiter zu präzisieren. Bei einer entsprechenden Betrachtung der Exportleistung im untersuchten Bereich der chemietechnischen Investitionsanlagegüter zeigt sich ein mehrgliedriges Bild. Während der Exportmarkt von 2001 bis 2008 von 7,3 auf 208,1 Mrd. RMB um annähernd das Dreißigfache expandiert ist, reichte dieses Wachstum in Relation zum Gesamtwachstum der Branche von 127 auf 1.495 Mrd. RMB nicht aus, um sich im Gleichschritt kontinuierlich mitzuentwickeln. Somit wächst der Exportmarkt zwar rasant, verliert gleichzeitig aber seit 2006 an Bedeutung im Gesamtmarkt, der mit deutlich über 80 % vom inländischen Absatz bestimmt wird (vgl. dazu auch Abb. 5.34).38 Als abschließende Bemerkung hinsichtlich der Marktdefinition auf Basis der statistischen Angaben anhand chinesischer Datenerhebungen bleibt zu erwähnen, dass die entsprechenden Zahlenwerte mit größter Sensibilität zu behandeln sind. Zwar entstammen die ermittelten Daten den amtlichen Statistiken der zuständigen chinesischen Behörden, die Verlässlichkeit der Daten muss jedoch stets kritisch beleuchtet werden. Nicht nur in Hinblick auf die zentralistisch gesteuerte Planwirtschaft und die sozialkulturelle Kommunikationspolitik von Wirtschaftsleistungsdaten mit 37 38
Vgl. oV (China Statistical Yearbooks 2009). Vgl. oV (China Statistical Yearbooks 2001–2009).
112
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten 1.495 13,64%
12,58% 12,22%
8,25%
7,87%
6,28% 5,46%
7,3
2001
639
5,10%
478 264
203
127
10,9
2002
958
257 23,1
17,7
2003
2004
Total Output (Mrd. RMB)
40,9
2005 Export (Mrd. RMB)
100,9
2006
137,8
2007
208,1
2008
Export Ratio in %
Abb. 5.34 Entwicklung des chemischen Investitionsgütermarktes in China seit 2001. (Quelle: China Statistical Year Books 2001–2009)
den sich daraus ergebenden Limitierungen sind die Daten entsprechend zu untersuchen. Zudem stellt der betrachtete Markt einen sehr ausgewählten Teilmarkt dar, der insbesondere unter Berücksichtigung der allgemein schwach entwickelten Informationsstrukturen in einem Schwellenland wie China, datentechnisch nicht eigenständig erfasst wird, sondern als aggregierte Größe aufgestellt ist. Unter Berücksichtigung der sich daraus ergebenden Limitationen (so stehen z. B. keine Informationen über die Anzahl der Betriebe innerhalb der Branche zur Verfügung), sowie den bereits zuvor angeführten Herausforderungen bei der Auswertung statistischer Wirtschaftsdaten in China, zeichnet sich gleichwohl ein deutliches Bild des in der Studie zu betrachtenden Marktes, um darauf aufbauend das Studiendesign zu entwickeln.
5.4.1.2 Aufbau des Fragebogens Mit den im Kap. 5.3 entwickelten Fragemodulen zur Evaluierung der aus dem Exportkompetenzmodell abgeleiteten Bewertungskriterien ist der wesentliche Inhalt des Fragebogens bereits vorgegeben. Um den gebotenen Rahmen der geplanten Befragung angemessen zu nutzen, wurden zudem weitere Module mit in den Fragebogen aufgenommen. Hierbei handelt es sich zunächst um allgemeine Fragen zur Identifikation des befragten Unternehmens sowie der konkreten Person, die für die Befragung zur Verfügung steht. Neben Kontaktdaten wird zusätzlich eine rechtlich-wirtschaftliche Typisierung des Unternehmens vorgenommen, so dass die hieraus gewonnenen Daten genutzt werden können, um in Ergänzung zu den bereits angeführten amtlichen Statistiken eine grobe Struktur des betrachteten Marktes skizzieren zu können. Hierfür werden als Kenndaten die Anzahl der Mitarbeiter sowie der erwirtschaftete Umsatz in der Vergangenheit (und dabei konkret im Jahr 2006), in der Gegenwart, sowie in der Zukunft (2012) abgefragt. Zudem erfolgt eine Eingrenzung der Rechtsform sowie der Besitzstruktur des Unternehmens. Während bei der Besitzstruktur im Wesentlichen eine Unterscheidung zwischen privaten und staatlichen Unternehmen zu machen ist, kann bei der Rechtsform abhängig
5.4 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
113
von der Ausprägung möglicher ausländischer Beteiligungen allgemein zwischen vier verschiedenen Grundtypen differenziert werden.39 Weiterhin ist zur Unternehmenscharakterisierung eine eindeutige Angabe der angebotenen Produktpalette im Rahmen des vorgezeichneten Produktspektrums vorzunehmen. Um die bestehende Datenlage des betrachteten Marktes noch weiter auszubauen, ist es zusätzlich von Interesse, wie sich der Exportumsatz der einzelnen Unternehmen auf die verschiedenen Regionen weltweit verteilt. Hierzu wird der prozentuale Anteil des erwirtschafteten Umsatzes bezogen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in die vier Großregionen Asien/Pazifik (ohne heimischen chinesischen Markt), Europa, Amerika und Naher Osten inklusive Afrika abgefragt. Um das Bild des betrachteten Marktes und der dort agierenden Lieferanten abzurunden, ist abschließend noch zu berücksichtigen, in welcher Intensität die Unternehmen in industriellen Vereinigungen und Verbänden organisiert sind, sowie welche Markteintrittsformen im Zuge der unternehmensspezifischen Internationalisierungsstrategien gewählt werden. Insgesamt ergeben sich somit neben der Stammdatenerfassung 36 Fragen mit jeweils unterschiedlich vielen Items innerhalb des Fragemoduls. Zur einfachen Struktur des hieraus zu gestaltenden Fragebogens sind 34 der 36 Fragen konsequent als Multiple-Choice-Module aufgebaut, bei welchen der Befragte durch einfaches Ankreuzen einer bzw. mehrerer Möglichkeiten die für ihn zutreffende Merkmalsausprägung angeben kann. Die dabei notwendigen Hinweise und Ausfüllanweisungen sind jeweils unmittelbar bei der Frage platziert, und nicht zentral in einem Block etwa zu Beginn der Studie.40 Zur weiteren Vereinfachung des Fragebogens erfolgt eine klare Strukturierung sowie Nummerierung der einzelnen Frageblöcke, so dass der Befragte stets nachvollziehen kann, wo er sich im Verlauf des Bogens befindet. Dabei werden drei Hauptblöcke gebildet, die zunächst die grundlegenden Informationen abfragen, dann eine Fokussierung auf die Exporttätigkeiten vornehmen und abschließend noch die Exportfähigkeiten abfragen. Die so gewählte Struktur mit den einzelnen Untergruppen entspricht dem Postulat eines übersichtlichen und einfachen Aufbaus des Fragebogens, so dass der durch das Exportkompetenzmodell vorgegebenen Struktur nur nachrangige Berücksichtigung beigemessen wurde, da es zur Berechnung des Exportkompetenzindexes unerheblich ist, an welcher Stelle im Fragebogen die notwendigen Informationen erhoben werden.41 Neben der Struktur zeichnen sich auch die einzelnen Fragen durch eine einfache und eindeutige Formulierung sowohl inhaltlich als auch didaktisch aus. Komplexe Satzstrukturen, verknüpfte Fragen oder doppelte Negationen werden konsequent vermieden, um sicherzustellen, dass alle Fragen schnell und klar verstanden werden können. Um durch die konzentrierte Verwendung von Multiple-Choice Fragen keine
39
Rein chinesische Unternehmen, rein chinesisches Joint Venture, Joint Venture mit ausländischer Beteiligung, Unternehmen vollständig im ausländischen Besitz. 40 Vgl. Schnell et al. (2008, S. 384). 41 Vgl. dazu etwa auch Mayer (2008, S. 90 f.).
114
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
möglichen Informationen zu verlieren, wird, wo notwendig, zudem Platz zur individuellen Spezifikation und Ergänzung des vorgegebenen Antwortraumes geboten. Mit diesen inhaltlichen Gestaltungsvorgaben, einer klaren Trennung der drei Hauptblöcke, sowie der enthaltenen Teilabschnitte ergibt sich ein auf DIN A4 formatierter Fragebogen von insgesamt sechs Seiten, der je nach Kenntnisstand des Befragten nicht mehr als 25 min Bearbeitungszeit in Anspruch nimmt. 5.4.1.3 Ablauf der Studie In Hinblick der wirtschaftlichen und physischen Größe des betrachteten Marktes, sowie unter Berücksichtigung der zeitlichen Restriktionen, kam für die Durchführung der Studie nur eine elektronisch gestützte Befragung in Frage. Mit Fertigstellung des Fragebogens waren zwölf Werktage zur Durchführung der Befragung projektiert. Neben der englischen Version stand eine geprüfte chinesische Übersetzung des Fragebogens zur Verfügung. Zur Versendung der Fragebögen wurde primär der elektronische Versand per Internet fokussiert, wobei hierzu eine speziell für diesen Zweck eingerichtete E-Mail-Adresse genutzt wurde. Zusätzlich bestand die Möglichkeit der Übermittlung der Fragebögen per Fax, wodurch jedoch eine manuelle Nacherfassung der handschriftlichen Erhebungen notwendig wurde.
5.4.2
Ergebnisse der Untersuchung
Während des ganzen Untersuchungsprozesses wurden insgesamt 420 telefonisch kontaktiert. Von diesen 420 Unternehmen sagten 170 die Teilnahme an der Studie zu und erhielten entsprechend den Fragebogen wahlweise in englischer oder chinesischer Sprache zugesandt. Durch einen kontinuierlichen Follow-up wurden im vorgegeben Zeitrahmen schließlich 46 auswertbare Fragebögen gesammelt, was einerAntwortenquote von ca. 27 % entspricht. Gleichwohl kann mit diesem Stichprobenumfang in Relation der Gesamtgröße des untersuchten Marktes sowie in Hinblick auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich der Anforderungen empirischer Untersuchungen kein Anspruch statistischer Signifikanz erhoben werden. Dennoch vermitteln die im Folgenden dargestellten Ergebnisse einen ersten verlässlichen Eindruck hinsichtlich des betrachteten Marktes der maschinentechnischen Investitionsgüterindustrie für chemische Anlagen in China sowie deren aktuell ausgeprägter Exportkompetenz unter Verwendung des im Rahmen dieser Arbeit konstruierten Bewertungsmodells. 5.4.2.1
Charakteristika des betrachteten Marktes
Zur grundlegenden Strukturierung des untersuchten Marktes zeigt sich ein im Wesentlichen von KMU geprägtes Bild: Über 70 % aller Unternehmen beschäftigen weniger als 1.000 Mitarbeiter, kein Unternehmen beschäftigt mehr als 5.000 Mitarbeiter,
5.4 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
115
wobei die KMU tendenziell stärker in privatem Besitz sind, während die größeren Unternehmen häufig staatlich kontrolliert werden. Zu diesem Zusammenhang konsistent sind über 60 % aller Unternehmen in privatwirtschaftlichem Besitz, während sich nur knapp 20 % in Staatsbesitz befinden. Dabei zeigt sich weiterhin, dass der Anteil der auf dem Markt aktiven Unternehmen, die ganz oder in Teilen in ausländischem Besitz stehen bzw. als ausländische Firmen geführt werden, mit 15 % nicht überraschend stark ausgeprägt ist, so dass über 75 % der Unternehmen rein chinesisch sind. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der zu den bisherigen Erkenntnissen konsistenten Verteilung der Umsätze ergibt sich insgesamt ein stark mittelständisch geprägter Markt, mit der dabei tendenziell stärkeren Fokussierung auf lokale Absatzmärkte. Dieses Bild bestätigt sich auch bei der konkreten Betrachtung der Absatzmärkte. Nahezu 80 % des Absatzes werden heute noch im Inland erwirtschaftet, während der verbleibende Anteil sich mit leichtem Übergewicht für die Region Asien/Pazifik relativ gleichmäßig auf die übrigen Vertriebsgebiete weltweit verteilt. Gleichwohl zeigt sich eine deutliche Verschiebung zu einem zukünftig stärker erwarteten Absatz im Exportgeschäft, wobei die chinesischen Lieferanten insbesondere für die Regionen Asien/Pazifik und Europa deutliche Zuwächse planen.
5.4.2.2
Ergebnisse in der Dimension Exportbereitschaft
Ergebnisse im Teilindikator Internationalisierungsstrategie Die im vorangegangenen Abschnitt gewonnene Erkenntnis der von den Lieferanten erwarteten zukünftigen Wachstumsmöglichkeiten im Exportgeschäft deckt sich mit der Feststellung, dass ca. 85 % aller an der Befragung beteiligten Unternehmen bereits heute in unterschiedlichen Ausprägungsformen (etwa durch eigene grenzüberschreitende Beschaffung) im internationalen Umfeld tätig sind. Bezogen auf die konkret im internationalen Verkauf tätigen Unternehmen zeigt sich, dass in erster Linie der direkte Export an den ausländischen Kunden praktiziert wird. Mit Ausnahme des Exportes an internationale Distributuren nehmen die übrigen Formen der internationalisierten Verkaufsformen nur einen geringen Stellenwert ein. In Zusammenhang mit der globalen Geschäftsausrichtung kann zudem festgehalten werden, dass nur ein geringer Anteil von unter 17 % entsprechend seiner Internationalisierungsstrategie als Born Global auf den Markt getreten ist und nur die Hälfte aller exportierenden Unternehmen über eine eigens für den Export bestimmte Abteilung verfügen. Berücksichtigt man hierbei weiterhin, dass die überhaupt vorhandenen Exportabteilungen in über 72 % der Fälle auf weniger als 16 Mitarbeiter zurückgreifen können, dann zeigt sich insgesamt, dass der im Rahmen des Exportkompetenzmodells aufgestellte Teilindikator der Internationalisierungsstrategie innerhalb der Dimension Exportbereitschaft bezogen auf den Gesamtmarkt nur schwach ausgeprägt ist. Ergebnisse im Teilindikator Erfahrungen Hinsichtlich der exportbezogenen Tätigkeiten der chinesischen Lieferanten kann weiter festgehalten werden, dass nur 30 % über eine mehr als zehnjährige Erfahrung in diesem Feld verfügen. Die
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5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
fehlende konsequente Orientierung an Exportaufgaben zeigt sich auch anhand der schwach ausgeprägten Beteiligungen in Exportnetzwerken. Wenn überhaupt eine Mitgliedschaft besteht, sind Lieferanten ausnahmslos in nur einem Netzwerk vertreten. Außerdem wird der massiven Schwäche des Erfahrungsindikators innerhalb des Exportbereitschaftsindexes noch durch den allenfalls mäßigen Anteil an ausländischen Kunden innerhalb der Referenzlisten Vorschub geleistet, so dass die kumulierten Erfahrungen den Anforderungen ausländischer Kunden auf breiter Front nicht genügen. Ergebnisse im Teilindikator Zustimmung des Managements Dem gegenüber steht das Selbstverständnis der chinesischen Lieferanten, die direkt angesprochen auf die Bedeutung des Exportes für ihren Geschäftserfolg, die Wichtigkeit und Notwendigkeit von internationalen Verkaufsaktivitäten betonen. Unter Berücksichtigung der fehlenden Ausprägung von speziell für ausländische Märkte gestalteten Produkten sowie der mangelnden Bereitschaft zur Anerkennung ausländischer Rechtsnormen kann diese Sichtweise jedoch teilweise relativiert werden. Insgesamt ergibt sich mit der überdurchschnittlich stark ausgeprägten Veränderungsbereitschaft sowie der unerwartet hohen Intensität internationaler Marketingaktivitäten ein im Vergleich zum Bewertungsmodul der Erfahrungen deutlich positiveres Bild hinsichtlich des Teilindikators der Managementeinstellung. Nahezu 90 % aller Unternehmen geben dabei an, im internationalen Umfeld Werbung zu betreiben, was sich durch die konkret erhobenen Items innerhalb dieses Bewertungsblocks auch weitestgehend bestätigen lässt. So stellen ca. 85 % aller Lieferanten eine zumindest teilweise in englischer Sprache abrufbare Internetpräsenz zur Verfügung und über die Hälfte können ihren Kunden englischsprachige Informationsmaterialien, die jünger als drei Jahre sind, anbieten. Ergebnisse im Teilindikator Marktstimuli Während der Teilindikator der Managementeinstellung noch ein in Ansätzen positives Gesamtbild gezeichnet hat, ergibt sich hinsichtlich der Marktstimuli als letztem der vier Teilindikatoren innerhalb der Dimension Exportbereitschaft ebenso wie für den Erfahrungsteilindex ein insgesamt überdurchschnittlich schlechter Gesamtwert. Dieser wird im Wesentlichen durch die von den Lieferanten durchweg positiven Bewertungen der Geschäftsmöglichkeiten des inländischen Marktes determiniert. 63 % der befragten Unternehmen schätzen den chinesischen Markt selbst vor dem Hintergrund der bei Studiendurchführung vorherrschenden weltwirtschaftlichen Krise als stabil oder wachsend ein. Zukünftig erwarten dann sogar 95 % aller Lieferanten eine starke Entwicklung des heimischen Absatzgebietes. Nachteilig hat sich für die Marktstimuli zudem ausgewirkt, dass der Großteil der Lieferanten keine ausgeprägten Ähnlichkeiten mit den potentiellen Absatzmärkten hinsichtlich Kultur, Sprache und Wechselkursentwicklungen sieht, was ihn aufgrund der daraus erwachsenen Herausforderungen zu einer stärkeren Fokussierung des einfacher zu bearbeitenden inländischen Marktes motiviert.
5.4 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
117
Insgesamt wirkt sich auch die tendenziell positive Bewertung der verfügbaren Kapazitäten bzw. Auslastungsniveaus nicht mehr stärkend auf den MarktstimuliIndikator aus, obwohl aktuell nahezu 50 % aller Befragten einen Auslastungsgrad von weniger als 90 % zu verzeichnen haben. Bei der Verknüpfung der vier Teilindikatoren zeigt sich damit eine insgesamt schwache Ausprägung des Exportbereitschaftsindex EBI chinesischer Lieferanten.
5.4.2.3
Ergebnisse in der Dimension Exportfähigkeit
Ergebnisse im Teilindikator Formale Fähigkeiten Bei den formalen Fähigkeiten als erstem Teilindikator innerhalb der Exportfähigkeitsdimension zeichnet sich deutlich ab, dass chinesische Lieferanten zahlreiche verschiedene Lizenzen und Zertifikate aufweisen können. So verfügen 67 % aller befragten Unternehmen über eine aktuell gültige Exportlizenz, die ihnen nach chinesischer Rechtslage die unmittelbare Betätigung im grenzüberschreitenden Geschäft gestattet. Zudem können ungeachtet der ausstellenden Organisation über 90 % eine ISO 9000 Zertifizierung vorweisen, die viele westliche Kunden als Voraussetzung für gemeinsame Geschäftsaktivitäten von ihren (chinesischen) Lieferanten erwarten. Darüber hinaus sind auch zahlreiche weitere Zertifikate (wie etwa ein Kreditwürdigkeitszeugnis) bei mindestens 70 % aller Lieferanten verfügbar, so dass sich insgesamt ein positiver Gesamteindruck hinsichtlich der formalen Fähigkeiten auf dem betrachteten chinesischen Markt ergibt. Ergebnisse im Teilindikator Skills Für die zweite Bestimmungsgröße der Exportfähigkeit wurden die Skills eingehend bewertet, wobei sich mit den englischen Sprachkenntnissen direkt bei dem ersten Kriterium innerhalb des Teilindikators die bereits im theoretischen Teil geäußerte Vermutung einer nur mäßigen Ausprägung bestätigte. Dabei bleibt zu betonen, dass die Sprachkenntnisse der im Verkaufsbereich tätigen Mitarbeiter im Durchschnitt besser ausgeprägt sind, als in anderen funktionalen Bereichen des Unternehmens. Im Zusammenhang mit dem Teilindikator zur Erfassung der Skills bestätigte sich zudem die bereits vermutete Problematik der starken Mitarbeiterfluktuation in China, die einen nachhaltigen Aufbau von Wissen sowie dessen Speicherung verhindert. Bei mehr als 65 % der befragten Unternehmen können die Mitarbeiter durchschnittlich weniger als fünf Jahre Erfahrung im jeweiligen Unternehmen vorweisen. Zudem haben über 75 % der Mitarbeiter weniger als fünf Jahre Erfahrung im ausgewählten Bereich der Exporttätigkeit gesammelt, so dass ein umfassender Wissensschatz aktuell noch nicht aufgebaut ist. Diese Ergebnisse sind auch konsistent mit der Erkenntnis, dass die konkreten operativen Skills hinsichtlich der Abwicklung von Exporttätigkeiten in allen dazu bewerteten Items nur moderat ausgeprägt sind. Damit ergibt sich kumuliert ebenfalls nur eine moderate Ausprägung des Teilindikators für die Skills, wobei hier insbesondere zu berücksichtigen gilt, dass der Exportmarkt noch relativ jung ist.
118
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Ergebnisse im Teilindikator Prozessbeherrschung Dem gegenüber steht eine unerwartet positiv ausfallende kumulierte Punktbewertung des Teilindikators zur Ermittlung der Prozessbeherrschung, die sich zunächst vor allem aus den gut entwickelten ASS-Strukturen ableiten lässt, da nur 16 % aller befragten Unternehmen in keiner Form entsprechende Leistungen anbieten können. Die restlichen Lieferanten halten die verschiedenen möglichen ASS-Typen für ihre ausländischen Kunden vor, wobei mit 70 % der Großteil der Lieferanten die ASS im Falle von Maschinenausfällen durch die Entsendung heimischer Techniker auf Dienstreisenbasis realisiert. Einen weiteren Beitrag zum positiven Ergebnis des Teilindikators Prozessbeherrschung liefert die bewertete Selbsteinschätzung der Lieferanten, eine gute Prozessdokumentation sowie eindeutig definierte Kommunikationsprozesse implementiert zu haben. Das tatsächliche Niveau der Prozessbeherrschung wird jedoch mit großer Sorgfalt zu betrachten sein, wenn man berücksichtigt, dass nur 40 % der Lieferanten angeben, stabile und konsistente Prozesse vorzuhalten, die bei gleichen Rahmenbedingungen stets gleich behandelt werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse hinsichtlich des implementierten Projektmanagements mit ausreichender Sensibilität einzuordnen. Mit 98 % geben nahezu alle Lieferanten an, unabhängig von der konkreten Ausprägung eine Form des Projektmanagements implementiert zu haben. Darüber hinaus werden auch die konkreten Teilkriterien zur Charakterisierung des Projektmanagements durchweg positiv bewertet, so dass anhand der Ergebnisse der Selbstauskunft zunächst von stark entwickelten Projektmanagementfähigkeiten auszugehen ist. Ergebnisse im Teilindikator IT-Systeme Zur Bewertung der Exportfähigkeiten verbleiben letztlich noch die beiden Teilindikatoren IT-Systeme sowie finanzielle Leistungsfähigkeit. Hinsichtlich der IT-Landschaft deuten die Ergebnisse der Befragung dabei auf ein ausreichendes Maß der bisher entwickelten Fähigkeiten hin. Über 70 % der Lieferanten geben an, ihre Produkte durch geeignete Softund Hardwarelösungen durch den gesamten Wertschöpfungsprozess verfolgen zu können. Auch die bei den chinesischen Lieferanten verwendeten CAD-Systeme entsprechen im Wesentlichen den westlichen Anforderungen, da sie durch ihre offene Struktur bzw. ausreichende Schnittstellen in der Lage sind, auch mit den verschiedenen externen Systemen der Kunden zu kommunizieren. Lediglich bei der Verwendung von EDI-Applikationen wird der Gesamteindruck der IT-Landschaft leicht getrübt, da über 50 % der Lieferanten entsprechende Softwaresysteme nicht regelmäßig mit ihren Kunden verwenden. Ergebnisse im Teilindikator finanzielle Leistungsfähigkeit Ein insgesamt positives Ergebnis konnte letztlich auch noch bei der Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit der chinesischen Lieferanten erzielt werden. Ca. 83 % der Lieferanten geben hierbei an, bei weniger als 10 % ihrer konkreten Auftragsbestände externe finanzielle Unterstützung zur Deckung der in Vorleistung zu erbringenden auftragsbezogenen Kosten zu benötigen.
5.4 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
119
Exportfähigkeitsindex EFI
150 exportunwillig
exportkompetent
exportungeeignet
exportunfähig
75
0 0
75 Exportbereitschaftsindex EBI
150
Abb. 5.35 Ergebnisse zur Berechnung des Exportkompetenzindex
Fasst man alle fünf innerhalb dieser Dimension bewerteten Teilindikatoren zusammen, ergibt sich für den Exportfähigkeitsindex EFI insbesondere im Vergleich zum EBI ein deutlich höherer durchschnittlicher Wert für die einzelnen Unternehmen in der betrachteten Branche.
5.4.2.4
Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
Mit den beiden zuvor dargestellten Ergebnissen der Dimensionen Exportbereitschaft und Exportfähigkeit für die auf dem betrachteten Markt operierenden Unternehmen wird nun der Exportkompetenzindex EKI anhand des im Kap. 5.3 konstruierten Bewertungsmodells berechnet. Auf Basis der 46 verfügbaren Datensätze der an der Befragung beteiligten chinesischen Lieferanten ergibt sich das in Abb. 5.35 dargestellte kumulierte Ergebnis des Marktes. Es zeigt sich unmittelbar, dass die unternehmensspezifischen Fähigkeiten zur Realisierung von erfolgreichen Exportgeschäften trotz der noch frühen Entwicklungsphase des betrachteten Marktes bereits eine starke Ausprägung erreicht haben. Dem gegenüber steht der eindeutig ablesbare Mangel einer umfassenden Bereitschaft zum Aufbau einer langfristigen Exporttätigkeit. Damit ergibt sich durch die Verknüpfung der Indizes, dass von den 46 betrachteten Lieferanten nur sieben Unternehmen (entspricht ca. 15 %) im oberen rechten Quadranten als exportkompetent identifiziert werden konnten. Der kleinen Gruppe exportkompetenter Lieferanten steht die große Mehrheit der exportunwilligen Lieferanten mit 67 % (absolut 31 Unternehmen) gegenüber, die zwar ein ausreichend hohes Maß an Fähigkeiten entwickelt haben, deren Bereitschaft zu Exporttätigkeiten jedoch eine langfristige Zusammenarbeit mit ausländischen Kunden in Frage stellt. Zusätzlich finden sich acht Unternehmen im Quadranten
120
5 Empirische Untersuchung der Exportkompetenz chinesischer Lieferanten
der gänzlich exportungeeigneten Lieferanten wieder, die zum Zeitpunkt der Untersuchung weder ausreichende Fähigkeiten noch die notwendige Bereitschaft zur Betätigung im internationalen Geschäftsumfeld vorweisen können und für eine weitere Berücksichtigung im Lieferantenauswahlprozess bereits frühzeitig ausgefiltert werden. Dabei zeigt sich, dass insbesondere die in dieser Klasse enthaltenen Lieferanten mehrheitlich privat geführte Unternehmen mit nahezu ausschließlich weniger als 500 Mitarbeitern sind. Es bestätigt sich zudem die Vermutung, dass es keine chinesischen Lieferanten gibt, die ein grundlegend hohes Maß der Exportbereitschaft entwickelt haben, während es gleichzeitig aber an den notwendigen Fähigkeiten noch mangelt. Weiterhin bekräftigt die Verteilung der Unternehmen innerhalb der Exportkompetenzmatrix den systemimmanent angenommenen Entwicklungstrend der Unternehmen ausgehend von einer Exportnichteignung hin zur Exportkompetenz. Neben den bereits angesprochenen Validierungen der grundlegenden Annahmen hinsichtlich des Modellverhaltens zeigt sich letztlich auch eine zumindest grundlegende Lauffähigkeit des Bewertungskonzeptes sowie der dahinter liegenden Berechnungslogik anhand der Treffgenauigkeit zweier zur Strichprobe exemplarisch ausgewählter Unternehmen innerhalb der Untersuchung. Die Stichprobe enthielt je einen Lieferanten dessen ausgeprägte Eignung bzw. Nichteignung zur Exporttätigkeiten aufgrund der durchgeführten Fallstudien bereits vor der EKI-Berechnung bekannt waren. In der Ex-post-Betrachtung zeigte sich, dass das Modell die Unternehmen treffgenau in den jeweiligen Quadranten Exportkompetenz bzw. Exportnichteignung einordnete. Ohne Anspruch auf statische Signifikanz lässt sich auf Basis der verfügbaren Datenlage somit insgesamt die zumindest rudimentäre Lauffähigkeit des Modells belegen.
Teil II
Praxisbeispiele
Kapitel 6
Praxisbeispiele „China Sourcing und Wertschöpfung in China – Kompetenz chinesischer Lieferanten“
6.1 6.1.1
China Sourcing Forward Supply Base China – durchgängige Supply Chain-Verantwortung vor Ort (Thorwald Zenglein, Vibracoustic)
6.1.1.1 Ausgangssituation Welcher Einkäufer kennt diese Situation nicht? Man kommt zu einem europäischen Lieferanten und wird zu einer Werksbesichtigung eingeladen. Beim Rundgang durch die Produktion folgt man dem Materialfluss und fängt beim Wareneingang ein. Als erstes fällt die große Anzahl von Mitarbeitern auf, die eine Qualitätskontrolle bei eingehenden Rohstoffen durchführen. Wenn man seinen Gesprächspartner darauf hinweist, bekommt man meistens stolz erklärt, dass er schon lange in China oder anderen Low-Cost-Ländern einkauft und dass deshalb diese Kontrollen unabdingbar sind, um die vom Kunden geforderte Qualität zu gewährleisten. Danach wird man dann oft in den Nacharbeitsbereich geführt. Hier kann man dann sehen, dass der Lieferant fälschlicherweise glaubt, seine Unterlieferanten im Griff zu haben. Offensichtlich ist, dass der Lieferant sich noch nicht mit einem modernen „Global Sourcing“ auseinandergesetzt hat. Wenn der Rundgang dann weitergeht, landet man gewöhnlich im Lagerbereich. Enorme Bestände eines Rohmaterials wecken immer die Neugierde eines Einkäufers. Auf die Frage, woher denn diese riesigen Bestände rühren, erhält man die Antwort, dass dies leider die Folge der günstigen Preise ist, die der Kunde fordert. Wenn man nicht gleich wissend nickt, bekommt man noch zu hören, dass dieses Teil mittlerweile aus China bezogen wird und deshalb immer volle Container bestellt werden. Bestandsoptimierung, Working-Capital-Reduzierung etc. – als Schlagwörter allen Mitarbeitern im Supply Chain Management bekannt – gelten anscheinend in vielen Firmen nicht für die Ware aus China. Der gefühlte Druck „Alle-kaufen-in-China-einalso-muss-ich-um-jeden-Preis-auch-dort-einkaufen“ veranlasst manchen Einkäufer, sich auf Kompromisse einzulassen, die er bei einem Sourcing in Europa niemals auch P. Faust, G. Yang (Hrsg.), China Sourcing, DOI 10.1007/978-3-642-23264-0_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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124
6 Praxisbeispiele
Abb. 6.1 Dimension „Entfernung“ als zentrale Randbedingung „China Sourcing“
nur angedacht hätte! Gerne wird als Ausrede für dieses Verhalten angeführt, dass die Entfernung zu China so groß ist, dass man eine deutliche Zeitverschiebung hat usw. Dies sind aber wirklich nur Ausreden! Wenn man überzeugt ist, Rohmaterialien oder Handelswaren mit Preisvorteilen einkaufen zu können, sollte man diese Probleme anpacken. Eine Lösung könnte eine Forward Supply Base sein (Abb. 6.1 und 6.2).
Abb. 6.2 Eine Eisengießerei in China (Bilder Autor)
6.1 China Sourcing
Einkauf
125
Qualität
Logistik
FSB
Abb. 6.3 Bestandteile einer FSB
6.1.1.2
Die Forward Supply Base
Definition Der Sinn und Zweck einer Forward Supply Base (FSB) ist, eine durchgängige Supply-Chain-Management-Verantwortung schon im Sourcing-Land darzustellen. Hierzu gehören die Funktionen Einkauf, Lieferantenqualität und Logistik. Diese Funktionen haben die Aufgabe, die verschiedenen Risiken eines Serieneinkaufs in China oder in einem anderen Low-Cost-Country deutlich zu senken, damit die oben geschilderten Probleme erst überhaupt nicht auftreten bzw. beherrschbar sind. Die FSB besteht aus mindestens einem Einkäufer, einem Lieferantenqualitäter (SQA) bzw. Lieferantenentwickler und einem Logistiker. Hinzu kommen im gewerblichen Bereich noch Mitarbeiter für die Funktionen Wareneingangskontrolle, Kommissionierung, Lager und Transportorganisation. In einigen FSBs werden auch noch kleine wertschöpfungssteigernde Prozesse wie z. B. Montage ausgeführt (Abb. 6.3). Die Aufgaben des Einkaufs in einer FSB Die Aufgaben eines Einkäufers beginnen mit einem klassischen Beschaffungsmarketing. Hier werden für die gewünschte Materialgruppe geeignete Lieferanten in China gesucht. Teilweise müssen mehr als fünfzig Lieferanten analysiert werden, um den geeigneten Kandidaten zu finden, der den Ansprüchen gewachsen ist. Diese erste Potentialanalyse beinhaltet neben der obligatorischen Selbstauskunft des Lieferanten auch einen Besuch beim Lieferanten im Rahmen eines Potentialaudits. Bei diesem Potentialaudit wird geprüft, ob der chinesische Lieferant aus Sicht des Einkaufs, der Logistik und der Qualität überhaupt als potentieller Zulieferer geeignet ist. Wenn man eine FSB in China unterhält, kann dieses Audit zeitnah ohne größere Umstände durchgeführt werden, selbst wenn die Ausbeute an geeigneten Lieferanten manchmal sehr gering ist. Hat man keine FSB zur Verfügung, werden diese Potentialaudits aus Zeit- und Kostengründen nur eingeschränkt oder gar nicht durchgeführt. Meistens geht dann der Einkäufer alleine zum Lieferanten. Hier besteht sehr schnell die Gefahr, dass nicht alle SCM-Bereiche berücksichtigt werden. Eine weitere Aufgabe des Einkäufers in der FSB ist, die Verhandlungen mit dem Lieferanten zu führen oder die Materialgruppen-Manager in den Verhandlungen zu unterstützen. Oftmals erlebt man, dass die chinesischen Lieferanten in den Verhandlungen den Zeitfaktor zu ihren Gunsten nutzen. Wie oft hört man, dass die
126
6 Praxisbeispiele
Verhandlungen immer mehr in die Länge gezogen wurden, so dass der europäische Einkäufer schließlich, um noch sein Flugzeug zurück in die Heimat zu erreichen, einem Abschluss voreilig zustimmte. Mit einem Einkäufer, der in China stationiert ist, wird diese Strategie des chinesischen Verkäufers nicht aufgehen. Der FSB Einkäufer ist vor Ort, hat Zeit und ist auf die Gegebenheiten bei Verhandlungen mit Chinesen eingestellt. Außerdem ist es die Aufgabe des FSB – Einkäufers, bei Störungen in der Lieferkette – seien sie qualitativer oder logistischer Natur – sofort einzugreifen. Wer kurz davor steht, seinen Kunden abzustellen, weil nicht genug Teile vom Lieferanten kommen, weiß, was es bedeutet, sich nicht auf die Aussagen eines Lieferanten in China verlassen zu können. Der asiatische Verkäufer wird auf die direkte Frage: „Haben sie jetzt endlich die 3.000 Teile per Luftfracht geschickt?“, niemals mit „Nein“ oder mit „Ich habe nur 1.590 Teile geschickt“ antworten. Er wird sein Gesicht nicht verlieren wollen! Um die notwendige Gewissheit zu haben, bleibt nichts anderes übrig als einen Mitarbeiter der FSB solange beim Lieferanten vor Ort zu lassen, bis das Versorgungsproblem gelöst ist. Nur so kann man den Aussagen vertrauen. Ein Mitarbeiter einer FSB in China kann innerhalb von 24 Stunden an jedem Ort in China sein. Versucht man dies aus Europa heraus, wird es nicht zu schaffen sein, selbst wenn man zufällig ein gültiges Visum hat. Jeder Tag ohne ein klares Bild von der Versorgungslage kann das Risiko für die Firma deutlich verschärfen. Eine weitere wichtige Aufgabe des Einkaufs einer FSB ist, eine für das Produktprogramm vollständige Lieferantenbasis lokal aufzubauen. Die chinesische Regierung drängt immer mehr darauf, dass Produkte, die in China verkauft werden sollen, auch in China produziert werden. Für den Fall, dass Sie jetzt Ihre Produktion nach China verlagern wollen und dort ein Werk aufbauen müssen, wäre es gut, schon vom ersten Tag an auf qualifizierte Zulieferer zugreifen zu können und nicht einige notwendige Rohstoffe aus Europa importieren zu müssen. Die Aufgaben der Qualität in einer FSB Eine weitere wichtige Funktion einer FSB ist die Lieferantenqualität (SQA). Sie soll nicht nur sicherstellen, dass die Lieferanten in der gewünschten Qualität anliefern, sondern hat noch weitere Aufgaben. Selbstverständlich sollte sie bei der Auswahl der chinesischen Lieferanten von Anfang an mit eingebunden sein. Sie schaut sich die möglichen Lieferanten vor Ort an und macht gemeinsam mit Einkauf und Logistik das Potentialaudit, um sicherzustellen, dass der Lieferant den Ansprüchen genügt. Sie gibt den Lieferanten frei, ggfs. gegen Auflagen. Sie überwacht die Ergebnisse des Audits regelmäßig und stellt sicher, dass der Lieferant versprochene Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung auch umsetzt. Die SQA der FSB ist bei allen Neuanläufen von Anfang an integriert und ist somit das Sprachrohr zum Lieferanten, wenn es um die Herstellungsprozesse geht. Sie gleicht die Messmittel zwischen Lieferanten und dem eigenen Werk ab. Sie erstellt gemeinsam mit dem Lieferanten Prüfpläne für die neuen Artikel und achtet darauf, dass der Lieferant die kritischen Maße kennt und deren Funktion versteht.
6.1 China Sourcing
127
Abb. 6.4 Beispiel Warenströme ohne Transportkonsolidierung
Eine weitere Hauptaufgabe der SQA liegt darin, die Wareneingangskontrolle in der FSB zu organisieren und durchzuführen. Die FSB muss die Versorgung der europäischen Werke mit Rohstoffen sicherstellen. Um die Bestände in der ganzen Supply Chain niedrig zu halten, dürfen nur gute und einwandfreie Rohmaterialien China verlassen. Deshalb wird in der FSB in China jede eingehende Ware zu 100 % einer Wareneingangskontrolle unterzogen. Damit wird sichergestellt, dass nur Ware in die Container verpackt wird, die auch zeichnungsgerecht ist. Die Kosten für die 100 %-Kontrolle betragen in China nur einen Bruchteil dessen, was es kosten würde, die fehlerhafte Ware zu transportieren, in Deutschland auszusortieren, Sicherheitsbestände vorzuhalten und ggfs. Luftfrachten zu zahlen. Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der SQA ist, im Rahmen der Task Force innerhalb von 24 Stunden beim betreffenden Lieferanten zu sein, wenn ein Qualitätsproblem auftritt. Nur so kann der Fehler analysiert und gemeinsam mit dem Lieferanten behoben werden. Das „vor Ort“ sein ist in diesem Fall sehr wichtig. Erstens um abschätzen zu können, ob und wann der Fehler behoben ist; zweitens um verlässliche Zahlen an die Logistik zu melden, damit diese weiß, wann mit neuen Lieferungen zu rechnen ist und ggfs. Maßnahmen ergreifen kann, um einen Bandstillstand zu verhindern. Die Aufgaben der Logistik in einer FSB Die Sicherstellung der Lieferbereitschaft und die Vermeidung von Sonderfahrten ist die Hauptaufgabe einer FSB-Logistik. Hierbei ist es wichtig, bei regelmäßigen Lieferantenbesuchen die Maximalkapazitäten, die für die eigenen Aufträge zur Verfügung stehen, mit den Kundenaufträgen zu vergleichen, damit Kapazitätsengpässe sofort an Einkauf und Verkauf gemeldet werden können. Hat die FSB auch noch die Möglichkeit, ein Lager zu betreiben, kann die Logistik einen großen Beitrag zur Senkung der Bestände und damit zur Senkung des Working Capital leisten. Dies soll in dem folgenden Beispiel erläutert werden: In Abb. 6.4 sieht man die Warenströme von fünf chinesischen Lieferanten ohne FSB-Transportkonsolidierung. Jeder Lieferant schickt aus Kostengründen einen vollen 20 oder 40 Container. Mit
128
6 Praxisbeispiele
Abb. 6.5 Beispiel Warenströme mit Transportkonsolidierung
der Unterwegsware und den Sicherheitsbeständen kommt hier einiges an Bestand zusammen. Allein der Sicherheitsbestand hat eine enorme Auswirkung auf das Working Capital. Wenn man davon ausgeht, dass die Containerlaufzeiten vier bis sechs Wochen dauern und pro Monat und Artikel nur ein Container ankommt, muss man ca. zwei Monate Sicherheitsbestand einkalkulieren, da sonst die Versorgung zum Erliegen kommt, wenn ein Container unterwegs verloren geht. Ein fast noch größeres Risiko liegt aber in der Qualität. Wenn ein Container schlechte Teile enthält, wird dies erst in Deutschland bemerkt werden. Auch sind dann ausreichende Sicherheitsbestände notwendig, um die Zeit zu überbrücken, bis wieder gute Ware angeliefert wird. In einer FSB mit angegliedertem Lager kann nicht nur die Qualität der eingehenden Ware noch in China geprüft werden, es können auch sinnvolle Transportkonsolidierungen stattfinden, wie Abb. 6.5 verdeutlichen soll. Wie man sieht, liefern jetzt die fünf Lieferanten direkt an die FSB; dort wird die Ware qualitativ überprüft. Lieferungen, die der Qualitätsprüfung nicht standhalten, werden sofort zum Lieferanten zurückgeschickt. Anschließend werden die verschiedenen Güter gemeinsam in einen Container verladen. Somit wird wöchentlich ein gemischter Container verschickt. Diese Umstellung der Losgröße von voller Containerladung pro Produkt (im Beispiel 1 Container im Monat) auf Wochenbedarf reduziert nicht nur die Unterwegsbestände, sondern senkt auch deutlich den Sicherheitsbestand! Durch die QS-Kontrollen in China muss einerseits nicht mehr das Risiko der schlechten Qualität abgedeckt werden, sondern nur noch das Transportrisiko, andererseits wird das Transportrisiko deutlich reduziert, da jetzt jede Woche ein Container mit gemischten Produkten angeliefert wird. Der Sicherheitsbestand muss also nur noch ein bis zwei Wochen abdecken. Weitere Aufgaben der Logistik im Rahmen der FSB sind Lieferantenbewertung und Lieferantenentwicklung, um die logistische Qualität zu erhalten, die
6.1 China Sourcing
129
notwendig ist. Außerdem wird noch die „Task Force“-Aufgabe im Falle eines Versorgungsengpasses wahrgenommen. 6.1.1.3
Der Nutzen der Zusammenarbeit der drei Fachfunktionen
Die FSB kann nur dann ihren vollen Nutzen entfalten, wenn die Bereiche Einkauf, Logistik und SQA vorhanden sind und zusammenarbeiten. Eine FSB, die nicht mit allen Funktionen ausgestattet ist, kann nicht die Entlastung für das SCM bringen, die von einer FSB erwartet wird. Fehlt zum Beispiel die Funktion SQA gibt es meistens keine vernünftige Lieferantenauditierung und damit meistens auch keine Lieferantenentwicklung. Teilweise können dann die eingehenden Waren auch nicht auf ihre Zeichnungskonformität überprüft. Es ist dann auf einmal nicht mehr sichergestellt, dass nur „gute“ Ware das Werk in Europa erreicht. Damit kann die FSB nicht mehr ihren vollen Nutzen entfalten. Wenn die Logistikfunktion fehlt, gibt es kaum Transportoptimierungen und meistens kein vernünftiges Engpassmanagement. Auch werden die Lieferanten meistens nicht ausreichend in wichtigen Themen wie „Advance Shipment Note“ etc. ausgebildet und weiterentwickelt. Auch hier werden dann die Potentiale, die eine moderne Logistik heute bietet, nicht genutzt. Wenn es keine Einkaufsfunktion gibt, fehlt es oft an einer systematischen Lieferantenpoolentwicklung. Es gibt dann meistens kein ausreichendes Beschaffungsmarketing, mit der Folge, dass kaum neue Lieferanten gefunden werden. Die FSB entwickelt nur dann einen Nutzen, der höher als die Kosten einer FSB ist, wenn alle drei Funktionen vorhanden sind und gemeinsam an dem Ziel einer kostengünstigen, hochqualitativen und termin- und mengentreuen Versorgung für die Werke in Europa arbeiten.
6.1.1.4
Praktische Tipps FSB/China Sourcing
Know-how-Transfer und Werte des Unternehmens Spätestens seit die ersten chinesischen Designkopien von europäischen Fahrzeugen aufgetaucht sind, versteht man in Europa, dass es in China ein anderes Rechtsempfinden in Bezug auf Plagiate gibt. Auch wenn es teilweise bedeutet, dass die Chinesen mit der Kopie ihre Ehrerbietung zeigen, kann dies nicht im Sinne des europäischen Unternehmers sein. Auch im Rahmen einer FSB gilt es, einige Punkte zu beachten. Grundsätzlich sollte man sich, bevor man Geschäfte mit chinesischen Partnern tätigt, über die Werte des eigenen Unternehmens im Klaren sein. Nur wenn man das sogenannte „Tafelsilber“ des eigenen Unternehmens genau kennt, kann man es auch schützen. In vielen Bereichen ist aber nicht allen Mitarbeitern bewusst, was zum absoluten schätzenswerten Know-how gehört. Diese Unkenntnis kann gerade mit chinesischen Lieferanten zu einem unkalkulierbaren Faktor werden. Eine klare Definition, was schützenswert ist und was nicht, hilft hier der Entwicklungsabteilung und dem Einkauf.
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6 Praxisbeispiele
Ausschreibungen/RFQ Im Rahmen einer Ausschreibung sollte man sich bei zeichnungsgebundenen Teilen immer bewusst sein, dass man mit der Zeichnung auch die wichtigsten Informationen streut. Manchmal kann man diese Gefahr reduzieren, indem man bei einer weitgestreuten Anfrage zunächst einmal die Spreu vom Weizen trennt. Dies kann z. B. mit einem alten Zeichnungsstand bzw. einem Vorläufer erfolgen. Erst wenn man seinen chinesischen Lieferanten gefunden hat, zeigt man ihm das aktuelle Teil. Vorher sollte man jedoch eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnen lassen – auch wenn dies in China keinen Schutz darstellt. Grundsätzlich gehört das Tafelsilber eines Unternehmens nicht nach China! Personal Beim Betreiben einer FSB stellt nach wie vor das Personal das größte Sicherheitsrisiko dar. Bei den chinesischen Mitarbeitern muss man eine Bindung an das Unternehmen erreichen, ansonsten ist der Mitarbeiter oftmals bereit, auch für eine geringe Gehaltserhöhung das Unternehmen zu wechseln. Damit wandert das aufgebaute Know-how der Lieferantenbasis gleich mit zum Wettbewerber. Ein weit verbreitetes Problem ist immer noch die Korruption. Diese kann man meiner Ansicht nach durch die konsequente Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips bekämpfen. Deshalb kann die Empfehlung nur lauten: Der Chefeinkäufer einer FSB muss ein entsandter Europäer sein, der für drei bis fünf Jahre die Lieferantenauswahl der FSB nach nachvollziehbaren Kriterien (mind. drei Angebote etc.) gestaltet. Seine chinesischen Einkäufer sollten jährlich im Rotationsprinzip ihre Materialgruppen wechseln. Aber nicht nur der Mitarbeiter vor Ort stellt ein potentielles Sicherheitsrisiko dar, sondern auch der Reisende, der die FSB besucht. Dies gilt besonders für die Entwicklungsingenieure, die auf ihrem Laptop die gesamten Entwicklungsdateien mitbringen. Es gibt mehr als genug Fälle, wo die Daten eines Laptops bei der Einreise oder im Hotel oder beim Lieferanten kopiert wurden. Hier sollte man sich von geeigneter Stelle (z. B. Verfassungsschutz) im Vorfeld beraten lassen. Die Empfehlung kann nur lauten, auf Reisen nach China nur einen komplett leeren Laptop mitzuführen und alle relevanten und absolut notwendigen Daten auf einem USB-Stick zu speichern, der niemals aus der Hand gegeben wird. Jetzt kann man den Laptop getrost auch mal im Hotelzimmer im Tresor liegen lassen. Denn Hoteltresore halten vielleicht Gelegenheitsdiebe ab, aber nachweislich keine Industriespione!
6.1.1.5
Kosten und Nutzen
Die FSB lässt sich sehr wirtschaftlich betreiben. Die Kosten für das Personal, das Lagerhaus und mindestens einen Entsandten rechnen sich schnell auf, wenn man die Einsparungen beim WOC, bei der Wareneingangsprüfung und bei den Produktionsstillstandskosten dagegen hält. Teilweise reicht es schon, wenn man die
6.1 China Sourcing
131
Sonderfahrtkosten (Flüge, Kuriere etc.) ermittelt und mit den Kosten für eine FSB vergleicht. Auch das Budget für Reisekosten nach China von verschiedenen Abteilungen und Werken in Europa kann Hinweise über die Wirtschaftlichkeit einer FSB geben. Denn oftmals kann mit einer FSB mehr als 70 % der geplanten Flüge entfallen. Der Nutzen einer FSB lässt sich leicht maximieren, wenn die FSB gut in die bestehende SCM-Organisation eingebunden ist. Hierzu ist es unbedingt notwendig, die bestehenden Schnittstellen zu identifizieren und Spielregeln zwischen den SCMFunktionen und der FSB aufzustellen; z. B.: Wer wählt die Lieferanten endgültig aus? Wer vergibt die Aufträge? Wer entscheidet über Lieferlosgröße, Lieferintervalle? Diese Fragen müssen gestellt werden und dann in einer Aufgaben-Matrix festgelegt werden (wer „was“ machen darf und wer für welche Aufgaben verantwortlich ist). Mit diesen Regeln wird erst die Generierung von Nutzen ermöglicht. Teilweise kann die FSB ihren Nutzen nicht entfalten, weil sie auch von Abteilungen außerhalb des SCM’s mit Aufgaben überfrachtet wird. Hier muss der Leiter der FSB sorgsam darauf achten, dass Aufgaben, die nicht in den klassischen Leistungsumfang einer FSB gehören, die Arbeit als FSB nicht behindern. Falls man in China eine FSB selbst betreiben möchte, muss man eine chinesische Firma mit einer „Sales and Trading“-Lizenz gründen bzw. eine bestehende Firma um diese Lizenz erweitern. 6.1.1.6
Fazit
Eine FSB in China ist eine gute Investition, wenn man beabsichtigt, über einen längeren Zeitraum in China seine Rohmaterialien oder Handelswaren einzukaufen. Die Vorteile gegenüber einem in Europa basierten Einkauf liegen auf der Hand. Selbst wenn man noch kein großes Einkaufsvolumen hat, kann man die Funktion FSB China zukaufen. Besonders interessant wird die FSB, wenn man sie als Brückenkopf für eine spätere Produktion in China nutzt. Als Voraussetzung für eine FSB muss sichergestellt sein, dass die FSB aus den Funktionen Einkauf, Logistik und SQA besteht. Gleichzeitig muss die FSB aber auch in die bestehende SCM-Organisation eingebunden sein. Wenn dies gegeben ist, wird die FSB schon nach kurzer Zeit wirtschaftlich sinnvoll sein. Zenglein, Thorwald: Thorwald Zenglein, studierte an der TU Darmstadt Wirtschaftsingenieurwesen Fachrichtung Maschinenbau. Danach setzte der heute 41-jährige sich in verschieden Positionen als Controller und Consultant intensiv mit dem Thema Supply Chain Management auseinander. Er leitet seit 2002 das globale Supply Chain Management der Vibracoustic GmbH & Co KG. Für die Vibracoustic baute er Forward Supply Basen in China, Indien, Mexiko und Südafrika erfolgreich auf. Vibracoustic ist Erstentwickler von schwingungstechnischen Modulen und Komponenten für die internationale Automobilindustrie. Als Technologiespezialist verbindet das Unternehmen innovative Lösungen in fehlerfreier Qualität mit überzeugender Wirtschaftlichkeit. Der Anspruch „We convert noise and vibration into
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6 Praxisbeispiele
sound and comfort“ beruht auf fundierter Systemkompetenz, einem vollständigen Produkt- und Service-Programm und einem globalen Netzwerk von Entwicklungsund Produktionsstätten. Vibracoustic ist zusammen mit den Partnerunternehmen NOK, Japan, Freudenberg-NOK General Partnership und Pyung Hwa, Korea an 32 Standorten weltweit präsent und mit seinen Produkten bei allen führenden Automobilherstellern vertreten. Im Geschäftsjahr 2009 erwirtschaftete Vibracoustic mit 4.500 Mitarbeitern weltweit einen Umsatz von 680 Mio. €.
6.1.2
Erfolgreicher Einkauf von Baugruppen für Werkzeugmaschinen in China (Gerhard Lechner, Gildemeister AG)
6.1.2.1
Einführung
Die Werkzeugmaschinenbranche hat endlich die größte Krise aller Zeiten überstanden. Die Jahre 2009 und 2010 waren nicht einfach und haben die Branche nachhaltig sehr verändert. Rückläufige Auftragseingänge in der Größenordnung von 50 % und mehr verglichen mit den Jahren 2007 oder 2008 waren „normal“. Nicht jeder der Marktteilnehmer hat diese Krise problemlos überstanden. Es waren schließlich fast alle Märkte davon betroffen – einzig der größte Markt „China“ ist mit einem leichten Wachstum unbeschadet durch die Krise gekommen. Damit ist der chinesische Markt relativ gesehen noch wichtiger geworden und stand in 2010 bereits etwa für ein Drittel des weltweiten Verbrauchs, der über 38 Mrd. € betrug. Der Markt Deutschland konnte sich an zweiter Stelle behaupten, ist jedoch mit einem Marktvolumen von etwa vier Milliarden Euro in 2010 bereits weit dahinter. Die Zukunft sieht aber sehr positiv aus: Bereits in 2011 dürfte sich der Markt wieder deutlich erholen und mit über 20 % wachsen. Auch für 2012 kann ein zweistelliges Wachstum möglich sein – wenn nichts Unvorhergesehenes passiert. Für die jeweiligen Einkaufsabteilungen ist damit die Absicherung der Produktionsversorgung und das Heranschaffen der benötigten Teile die größte Herausforderung, die derzeit zu managen ist. Insbesondere für Unternehmen mit globalem Anspruch ist globales Sourcing unausweichlich, um darüber hinaus auch weiterhin kostengünstig einkaufen zu können. Länder wie China bieten sich dabei geradezu an, genauer unter die Lupe genommen zu werden und die Vorteile im Einkauf zu nutzen, um die eigene Position am Markt nicht nur zu halten, sondern deutlich zu verbessern. 6.1.2.2
Global Sourcing-Strategie der GILDEMEISTER AG
Der GILDEMEISTER-Einkauf hat Global Sourcing als eine von drei Säulen des integrierten Beschaffungskonzeptes bereits vollständig verinnerlicht und in Umsetzung. Neben Materialgruppenmanagement und dem ganzheitlich orientierten Lieferantenmanagement führt die Verzahnung mit dem Global Sourcing zum vom Einkauf erwarteten positiven Beitrag zur nachhaltigen Steigerung des Unternehmensergebnisses bzw. -wertes.
6.1 China Sourcing
133
Insbesondere stehen zwei Regionen im Fokus: Süd-/Ost-Europa und Asien, in denen der GILDEMEISTER-Einkauf bereits seit jeweils 25 Jahren erfolgreich agiert. Beide Regionen werden jedoch völlig unterschiedlich gesteuert: 1. Sourcing in Süd-/Ost-Europa: Süd-/Ost-Europa wird im Wesentlichen vom Zentralen Einkauf aus Deutschland heraus gemanagt, da aufgrund der Nähe zu Deutschland und den nicht sehr großen kulturellen Unterschieden eine Position vor Ort nicht zwingend notwendig ist. Insbesondere stehen dabei Länder wie Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechien und Rumänien im Fokus. Es handelt sich hierbei nicht um die größten Werkzeugmaschinenmärkte, weshalb dort überwiegend nicht-spezifische Werkzeugmaschinenkomponenten beschafft werden. Guss, mechanische Bearbeitung, Rumpfbaugruppen und Blechteile bzw. -baugruppen stehen für den wesentlichen Teil des Einkaufsvolumens in dieser Region. Die Motivation des GILDEMEISTER-Einkaufs für Süd-/Ost-Europa liegt logischerweise darin, auf kostengünstige Lieferanten zurückgreifen zu können, die einfach zu steuern sind. Gründe für ein technologisch-motiviertes Sourcing spielen für diese Region noch eine untergeordnete Rolle. Da jedoch insbesondere bei den Anrainer-Ländern zu Deutschland sich die Kostenvorteile über die Jahre mehr und mehr relativiert haben und geringer werden, war es notwendig, den Schwerpunkt der Global Sourcing-Aktivitäten nach Asien zu verlagern. 2. Sourcing in Asien: Die ersten Sourcing-Erfahrungen im asiatischen Raum wurden in Japan gemacht: Hightech-Produkte, wie Steuerungs- und Antriebstechnik, Wälzlager und Lineartechnik wurden dort beschafft. Technologie-induziertes Sourcing stand eingangs ganz klar im Fokus. Der Druck auf die Verkaufspreise und damit vor allem auf die Materialkosten der Maschinen wurde jedoch immer größer und die Globalisierung schritt unaufhaltsam und schnell voran. Beschaffungsmärkte wie China, Indien und Taiwan sind deshalb intensiv analysiert und konsequent entwickelt worden. Um diese Märkte ordentlich managen zu können, wurde vor ca. fünf Jahren entschieden, lokale Positionen aufzubauen. In Shanghai für China und in Bangalore für Indien sind seitdem lokale Mitarbeiter für die Umsetzung der Global Sourcing-Strategie verantwortlich und transportieren das ganzheitliche Lieferantenmanagement der GILDEMEISTER AG zu den jeweiligen lokalen Lieferpartnern. Durch die vom Zentralen Einkauf enge Steuerung der Außenpositionen ist eine exzellente Anbindung an die jeweiligen Produktionswerke möglich. Die Erwartung der Standorte im Hinblick auf kostengünstiges Sourcing einerseits und zuverlässige sowie qualitativ hochwertige Belieferungen andererseits werden hiermit erfüllt. Mittlerweile ist fast die gesamte Palette an benötigten Werkzeugmaschinenkomponenten (bezogen auf einfache bis mittlere Technologie) aus China, Indien und Taiwan beschaffbar und bietet somit entsprechende Alternativen zu Lieferanten aus den angestammten Märkten in West-Europa. Parallel zur Intensivierung des Global Sourcings wurde eine fünfstufige Vorgehensweise entwickelt und etabliert, die den Basisprozess für die Aufbauarbeit
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6 Praxisbeispiele
des Marktes und der entsprechenden Lieferanten beschreibt. Der Beschaffungsmarktanalyse folgen somit die Prototypen-Testphase, die Serieneinführungs- und Stabilisierungsphase sowie der Ausbau und die Weiterentwicklung des Lieferanten unter ganzheitlichen Gesichtspunkten bis hin zum „Selbstläufer“. Die Zeitschiene, in der ein guter Lieferant den Status eines vollwertigen Lieferpartners erhalten kann, dauert in der Regel bis zu drei Jahre. 6.1.2.3
Local versus Global Sourcing
Global Sourcing ist ein „Investment in die Zukunft“. Es muss deshalb so genau wie möglich ermittelt werden, welche Investitionen und Aufwendungen notwendig sind, um überhaupt in die Lage versetzt werden zu können, echtes Global Sourcing zu betreiben. Im Wesentlichen sind es drei Kostenblöcke, die intensiv betrachtet werden müssen: Produktkosten, indirekte Kosten und Logistikkosten. Zur Ermittlung der Gesamtkosten ist somit neben dem verhandelten Angebotspreis ebenso wichtig zu wissen, was das Produkt kostet, wenn es am gewünschten Bestimmungsort angekommen ist. Der Kostenvergleich muss zwingend auf Frei-Haus-Basis durchgeführt werden, damit alle mit der Logistik und dem Transport anfallenden Kosten Berücksichtigung finden. Ebenso sind alle Kosten für die eigene Organisation oder für externe Dienstleister vor Ort sowie Kosten für kulturelle Besonderheiten, Übersetzung von Unterlagen und Ausbildungs- bzw. Trainingskosten zu kalkulieren. Bei ausschließlich kostenmotivierten Global Sourcing-Aktivitäten sollte aufgrund von schwer zu übersehenden Währungskursschwankungen, die so gut wie möglich abgesichert werden müssen, für ein einzelnes Projekt mindestens ein Kostenvorteil im deutlich zweistelligen Bereich erreicht werden. Ansonsten ist es für das Global Sourcing nicht geeignet. 6.1.2.4
Praktische Erfahrungen beim Sourcing in China
Aufgrund der Tatsache, dass China mittlerweile der größte Verbrauchermarkt für Werkzeugmaschinen ist, entwickelt sich dort annähernd schnell die Anzahl von Werkzeugmaschinenherstellern sowie möglichen Lieferanten. Einfache bis mittlere Technologien – vor allem im Hinblick auf mechanische Komponenten – lassen sich aus chinesischen Quellen gut beschaffen. Überwiegend trifft man jedoch auf potenzielle Lieferpartner, die noch aufgebaut werden müssen. Aktive Lieferantenentwicklung ist angesagt! Natürlich ist das ein zweischneidiges Schwert, da auch das nicht unkritische Thema „Produktpiraterie“ beachtet werden muss. Ohne eine Grundsatzdiskussion über diesbezügliche Risiken im Detail führen zu wollen, ist am Ende des Tages der einzige Schutz und die Versicherung dagegen das eigene Innovationstempo, das darüber entscheidet, ob man zukünftig weiterhin seinen Platz im Markt behalten oder möglicherweise sogar noch stärker ausbauen kann. China ist nicht einfach mal so zu erreichen – per Flugzeug dauert es aus Deutschland immerhin zwischen zehn und zwölf Stunden. Man muss seinen Trip ordentlich
6.1 China Sourcing
135
planen und sich neben einem Flugticket auch ein Visum organisieren, was aber grundsätzlich kein Problem darstellt. Tendenziell muss man auch öfters hinreisen – verglichen mit Besuchen bei Partnern hierzulande –, da es aufwändiger ist, einen Lieferanten in Fernost zu managen. Das belastet das Reisekostenbudget deutlich höher. Die Zeitdifferenz zu Mitteleuropa beträgt sieben Stunden im Winter bzw. sechs Stunden im Sommer. Der eigene Tag ist deshalb entsprechend zu organisieren: nämlich von Ost nach West. Es ist unter Umständen aber durchaus vorteilhaft, wenn Fragen am Abend gestellt werden können und am nächsten Morgen bereits beantwortet sind. Sich diesen Zeitunterschied aus Deutschland heraus zu Nutze zu machen, ist die Kunst. Es reicht in China nicht aus, nur die üblichen westeuropäischen Standardsprachen vorweisen zu können. Chinesisch ist wichtig und muss vorhanden sein. Entweder organisiert man sich Dolmetscher oder man arbeitet mit Chinesischsprachigen Kollegen. Diese Sprachbarriere in mündlicher und schriftlicher Form – also auch bei Unterlagen wie Produktbeschreibungen, technischen Spezifikationen und Zeichnungen – gilt es zu durchbrechen. Daneben ist es ebenso wichtig, dass von den verantwortlichen westlichen Unternehmensvertretern ein weltoffenes Verständnis an den Tag gelegt wird. Mitarbeiter, die sich nicht mit China identifizieren oder beschäftigen wollen, sind tendenziell nicht geeignet für derartige Global Sourcing-Aktivitäten. Grundsätzliches Interesse der beteiligten Personen an China inklusive Land und Leute reduziert Schnittstellenprobleme enorm oder vermeidet diese sogar. Die üblichen deutschen Tugenden finden sich im Tun und Handeln mit Chinesen sehr oft eben nicht wieder! Allein dieses Bewusstsein hilft bereits bei der Auswahl der Mitarbeiter, die mit China-Themen betraut werden. Es sind nämlich genau diese Mitarbeiter, die den Global Sourcingund China-Virus in die eigene Organisation tragen und Vertreter anderer Funktionen, wie Technik, Qualitätssicherung, Logistik und Produktion, damit infizieren müssen und so nach und nach ein größerer – interdisziplinär besetzter – „Fanclub“ im Unternehmen aufgebaut werden kann. Ebenso sollte auch die deutsche Kultur zum Teil nach China transportiert werden, da ein wesentliches Ziel im Rahmen des Sourcing sein muss, dass leistungsfähige, verlässliche Partner aufgebaut werden. Das gewohnte Niveau in preislicher, qualitativer, logistischer und technischer Hinsicht gilt es nachhaltig zu erreichen, um eine langfristige Lieferbeziehung etablieren zu können. Aus dem Stand heraus erreicht der chinesische Lieferant jedoch dieses Niveau nicht. Er muss erzogen und entwickelt werden. Jede Lieferbeziehung braucht Zeit zum Wachsen – so ist es in Deutschland und erst recht mit chinesischen Partnern, die sich ebenso an den aus deren Sicht neuen Anforderungen messen lassen müssen. Um relativ schnell die ersten Aufträge erfolgreich platzieren zu können, sollte mit einfachen Teilen begonnen werden. Das schafft Sicherheit und motiviert beide Seiten beim Auf- und Ausbau der Beziehung. Schneller Erfolg sorgt auch dafür, dass von Vorstands- und Geschäftsführungsseite notwendiges Vertrauen geschenkt und damit zumindest aus dieser Richtung keine Unruhe oder übermäßiger Druck erzeugt wird. Prozessstörungen sind auch auf das Wesentliche zu reduzieren. Damit ist gemeint, dass vor allem zu Beginn der geplanten Lieferbeziehung sehr ausführlich
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6 Praxisbeispiele
an der Prozess- und Produktqualität der ausgewählten Teile gearbeitet wird. Lieber etwas konservativer und konsequenter vorgehen als dass durch oberflächliches und kurzfristiges Erfolgsstreben eine ordentliche Basisarbeit nicht zugelassen wird. Auch im nächsten Schritt, bei dem es nach der Freigabe der Teile um die Lieferungen geht, ist das Motto „weniger ist mehr“ angebracht. Es sollten erst kleinere, aber fest vereinbarte Liefermengen abgestimmt werden, bevor beide Seiten sich auf große Volumina einlassen. „Last but not least“ noch einigeAnmerkungen zum Thema Preise: Vereinbarungen sind zwingend schriftlich zu treffen. Falls vor Ort aus Zeit- oder anderen Gründen eine ordentliche Vertragsschließung nicht möglich ist, müssen zumindest die wichtigsten Parameter kurz handschriftlich fixiert und von beiden Seiten abgezeichnet werden. Der finale Vertrag ist dann im Nachgang auszuarbeiten. Sich nur auf Worte zu verlassen führt oft dazu, dass im Nachhinein unterschiedliche Sichtweisen aufeinander treffen und ein vielleicht gutes Verhandlungsergebnis durch einen dann „erzwungenen“ Kompromiss wieder aufgehoben wird. Sehr oft ist der Eindruck aufzunehmen, dass die Preisvereinbarung der wichtigste Bestandteil der Lieferbeziehung ist. An dieser Stelle ist jedoch klar darauf hinzuweisen, dass ein möglicher guter Preis ohne gute Produktqualität und gute Lieferperformance nichts wert ist. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass eine gute persönliche Beziehung zu den Vertretern des chinesischen Lieferpartners – insbesondere zum Inhaber und zum operativ verantwortlichen Geschäftsführer – gepflegt werden sollte. Das macht vieles einfacher! Es ist auch so, dass kleine Geschenke die Freundschaft erhalten und festigen. Die gehören dazu und stellen bis zu überschaubaren Größenordnungen nichts Anrüchiges dar! 6.1.2.5 Ausblick in die Zukunft Dass es beim Global Sourcing Chancen und Risiken gibt, ist erstmal nichts Neues. Beides muss man immer im Blick haben und gegeneinander abwägen. Eine Vorgehensweise im Sinne einer „kontrollierten Offensive“ – die Chancen ergreifen und die Risiken nicht vernachlässigen – bewährt sich in der Regel. Das kann je nach Unternehmen aufgrund Marktsituation, Unternehmenszielsetzungen oder verfügbaren Kapazitäten etwas anders bewertet werden und so unterschiedliche Schlussfolgerungen nach sich ziehen. In einer Einkaufsstrategie, die einen innovativen und zukunftsfähigen Anspruch hat, darf Global Sourcing jedoch grundsätzlich nicht fehlen. Innerhalb der Unternehmensstrategie wird die Globalisierung in der Regel nicht nur aus dem Einkauf heraus getrieben. Weitere Beweggründe, wie die Erschließung von neuen Märkten durch den Vertrieb, Erhalt der generellen Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens sowie die Ausnutzung von Kostenvorteilen bei günstigen Wechselkurskonstellationen oder auch eine globale Produktionsstrategie, können sich mit den weltweit ausgerichteten Einkaufsaktivitäten gegenseitig befruchten. Neben dem Global Sourcing als eindeutiger Trend und dem Land China als das Top-Sourcing-Land schlechthin sind aber auch noch zwei weitere Trends zu erwähnen, die zukünftig Einkaufsaktivitäten beeinflussen werden oder diese erst ermöglichen.
6.1 China Sourcing
137
Eine höhere Flexibilität innerhalb der Unternehmen, die einhergeht mit entsprechenden Beschäftigungsverhältnissen mit Arbeitnehmern einerseits und Systempartnerschaften mit Lieferanten andererseits, muss installiert werden. Nur so kann das aktuelle Marktwachstum bestmöglich realisiert werden, was parallel die eigene Wertschöpfungstiefe reduziert. Die Bedeutung des Einkaufs dürfte durch die deutlich intensivere Einbindung in Make-or-Buy-Entscheidungen stark zunehmen und in Folge dessen der Arbeit mit den Lieferanten somit ein höherer Stellenwert zukommen. Damit steigen auch die Anforderungen sowie die Qualifizierungsbedarfe bei den Einkäufern. Eine noch höhere Einflussnahme der Funktion Einkauf auf die jeweilige Unternehmensstrategie ist zu erwarten. Die längst überfällige Neupositionierung des Einkaufs sowie entsprechende Karrieremöglichkeiten für High-Potentials werden sich daraus ergeben. Der Einkauf ist auf dem Weg, sich als strategisch wichtige Unternehmensfunktion mit internen und externen Schnittstellen nachhaltig zu etablieren. Es muss die Funktion des „Anwalts“ mit Blick auf die Lieferanten und in die angrenzenden Abteilungen hinein aktiv wahrgenommen werden. Kundenorientierung, konsequente und hörbare Kommunikation nach innen und nach außen mit dem Willen, strategische Weichenstellungen voranzutreiben sowie Einkaufs- und Beschaffungskosten bzw. -prozesse zu optimieren, ist das breite Feld, auf dem sich ein Einkäufer wohlfühlen sollte. Gerhard Lechner: Gerhard Lechner, Dipl.-Wirtschaftsing. (FH), ist seit Anfang 2004 Leiter Zentraler Einkauf bei der GILDEMEISTER Aktiengesellschaft in Bielefeld. Er begann seine berufliche Laufbahn als Strategischer Einkäufer bei der SOLECTRON GmbH in Böblingen und Herrenberg. Gerhard Lechner ist seit 1998 in der GILDEMEISTER-Gruppe an verschiedenen Standorten mit unterschiedlichen Aufgaben, u. a. als Leiter Einkauf bei der GILDEMEISTER Drehmaschinen GmbH, tätig. Herr Lechner hat erfolgreich das GILDEMEISTER-integrierte Beschaffungsmanagement-Konzept entwickelt und konzernweit eingeführt, welches im November 2004 mit dem BME-Innovationspreis ausgezeichnet wurde. Der Schwerpunkt seiner jetzigen Tätigkeit ist die Gesamtkoordination aller konzernweiten strategischen Einkaufsaktivitäten sowie der weitere Ausbau der Global Sourcing-Organisation mit Schwerpunkt in Asien, vor allem China und Indien.
6.1.3
China Sourcing – Strategien entwickeln, Lieferanten und Risiken managen (Norbert Sabatzki, Agilent Technologies Life Science)
In einem global agierenden und aufgestellten Unternehmen ist es zwingend erforderlich, die weltweiten Beschaffungsmärkte ständig zu analysieren und die Supply Chain optimal anzupassen. Die Gestaltung der Supply Chain ist sehr stark von der Supply-Chain-Strategie abhängig, die maßgeblich von den Unternehmenszielsetzungen abgeleitet wird. Das „Procurement“ unterstützt die Zielrichtung durch eine entsprechend gestaltete „Inbound Supply-Chain-Strategie“. Ein wesentlicher Aspekt
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6 Praxisbeispiele
hierbei ist das Sourcing und damit verbunden die Frage: „Welche Lieferanten können uns bei der Erreichung unserer Ziele am besten unterstützen?“ Neben den Faktoren wie Technologie, Qualität, Zuverlässigkeit spielt die Frage der Kosten natürlich eine wichtige Rolle. Hierbei wird es aber schon schwierig: Die Kosten sind nicht mit dem reinen Beschaffungspreis gleichzusetzen; in einem ganzheitlichen Verständnis, im Sinne eines „Total Cost of Ownership“, steht die Summe aller Beschaffungskosten entlang der Wertschöpfungskette im Vordergrund. Insbesondere beim „Global Sourcing“ müssen die Gesamtkosten betrachtet werden, die ein Produkt mit den geforderten Qualitätsmerkmalen haben muss. Dabei ist zu betonen: Bei der Qualität und Funktion darf es keine Kompromisse geben. Innerhalb des Global Sourcing spielt der Beschaffungsmarkt China eine immer wichtigere Rolle. Um die Besonderheiten und Erfolgsfaktoren auszuarbeiten, sind die zentralen Aufgabenbereiche der Einkaufsfunktion heranzuziehen: Commodity/Category Strategy, Sourcing Strategy, Lieferanten-Auswahl, LieferantenManagement. Die Leitlinien bei der Gestaltung dieser Aufgabenfelder bilden insbesondere die Sicherung der Qualität und der Versorgung, Total Cost of Ownership, die Flexibilisierung der Supply Chain und ein Risikomanagement. Erfahrungen im Umgang mit diesen Themen im Zusammenhang mit „Sourcing in China“ sind im Folgenden näher beschrieben.
6.1.3.1
Commodity/Category Strategy
Um bei allen Funktionen innerhalb der Supply Chain eine gemeinsame und harmonisierte Vorgehensweise zu erreichen, ist eine „Commodity/Category Strategy“ unerlässlich. Hierbei werden auf Basis der Zielsetzungen für die Supply Chain die kritischen Anforderungen analysiert und definiert. Der Initiator einer solchen Commodity/Category-Strategie ist entweder ein weltweiter oder ein lokaler „Commodity/Category Manager“ aus dem Bereich Einkauf. Eine gute Strategie basiert auf einer fundierten Analyse-Grundlage. Von Bedeutung sind dabei Industrie-/Supply-Market-Analysen, Lieferantenanalysen, Konkurrenz-Analysen, Kosten/Preis-Analysen und das Skizzieren prinzipieller Qualitätsanforderungen. Basierend auf einem Vergleich dieser Informationen mit der existierenden Supply Base werden unter Berücksichtigung der Zielsetzungen für die Supply Chain die jeweiligen Initiativen vorgeschlagen. Neben der rein fachlichen Analyse hat die „Commodity Strategy“ einen weiteren wesentlichen Auftrag: durch gezielte Kommunikation und Einbindung eine gemeinsame Abstimmung der verschiedenen Supply-Chain-Funktionen zu erreichen. Um das zu gewährleisten, müssen bereichsübergreifende Teams aus Einkauf, Qualität, Produktion, Logistik und Finance über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen. Daher ist ein „buy-in“ aller Funktionen absolut notwendig, damit die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden. Insbesondere dann, wenn es um „Sourcing“-Änderungen geht, sind technische Ressourcen erforderlich, um Qualitätsüberprüfungen und entsprechende Tests sicherzustellen. Gerade bei einem China Sourcing ist ein Commitment zum funktionsübergreifenden Ressourcen-Einsatz essentiell, da in der Regel
6.1 China Sourcing
139
die Lieferanten-Entwicklung erfolgskritisch, aber auch aufwändig ist. Wird China Sourcing als ein reines Einkaufsthema gesehen, wird es scheitern. 6.1.3.2
Beschaffungsstrategie (Sourcing Strategy)
Konkreter wird es, wenn die „Commodity Strategy“ in eine „Sourcing Strategy“ übersetzt wird. Dabei wird auf Teilebasis das jeweilige präferierte Lieferantenspektrum definiert. DieAnalysen sind globaler Natur und berücksichtigen die existierende Lieferantenbasis und potentielle neue Märkte/Lieferanten. Damit werden schon sehr viel konkreter technologische Anforderungen, Spezifikationen, definierte Qualitätskriterien und Kosten festgelegt. Mit diesem Prozess wird somit eine systematische Identifizierung und Priorisierung der Warengruppen bzw. des Teilespektrums erreicht und die Supply Chain definiert und optimiert. Damit sind zunächst einmal „nur“ die Hausaufgaben erledigt, bevor überhaupt der erste Schritt eines Re-Sourcings vollzogen wird. Selbstverständlich könnte man sich die Frage stellen, ob man das alles braucht, ob man nicht schneller zur Sourcing-Entscheidung kommen kann und ob dieser (scheinbar „theoretische“) Vorbau überhaupt erforderlich ist. Die Praxiserfahrungen zeigen: Die fundierten, übergreifenden Vorüberlegungen sind nötig; ohne eine vorherige gemeinsame Zielsetzung und Abstimmung in der Supply Chain ist ein erfolgreiches Sourcing nicht zu realisieren. Wenn man mögliche Bedenken der unterschiedlichen Funktionen gegenüber ein China-Sourcing aufgreift und diesen begegnet, lassen sich zum einen spätere Lieferanten-Probleme frühzeitig vermeiden, zum anderen wird ein Team-orientierter Ansatz gestärkt, der die Optimierung der Supply Chain fokussiert und nicht gekennzeichnet ist von gegenseitigen Schuldzuweisungen, wenn die ersten Schwierigkeiten auftreten. 6.1.3.3
Lieferantenauswahl
Nachdem nun die Vorarbeiten erledigt wurden, das Projektteam identifiziert ist und das Teilespektrum bestimmt ist, geht es „nur“ noch darum, die richtigen Lieferanten zu finden. Wie geht man nun vor in einem Land, das allein durch die Größe eine scheinbar schier unerschöpfliche Menge an potentiellen Lieferanten für bestimmte Produkte oder Technologien hat? Wie findet man den besten Lieferanten für seine Zwecke? Wie schafft man es, die Zielsetzungen schnell umzusetzen und das Risiko möglichst gering zu halten? Welche „Gefahren“ lauern unterwegs? Man wird diesen Fragen aus der Ferne, in der zentralen Sourcing-Abteilung, nur ungenügend begegnen können. Es hat sich durchaus als ein Erfolg versprechender Ansatz herausgestellt, eine „lokale Einkaufsorganisation“ in China aufzubauen. Diese Organisation muss technische und kommerzielle Ressourcen umfassen. Sie haben die Aufgabe, Marktanalysen durchzuführen und eine „Supply Base“ in China aufzubauen bzw. kontinuierlich weiterzuentwickeln. Damit entsteht ein „Bindeglied“ zwischen den chinesischen Lieferanten und den Niederlassungen/Fabriken in anderen Ländern. Flankierende Maßnahmen bilden außerdem die Nutzung so genannter Einkaufsportale, die sich auf spezielle Marktsegmente konzentriert haben, oder die
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6 Praxisbeispiele
Nutzung von „Contract Manufacturern“ für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen. Dieser Ansatz erscheint zunächst als sehr einfach und logisch, wobei in der Implementierungsphase einige wichtige Punkte zu beachten sind. Zum einen muss man die technologischen Anforderungen übersetzen und die Notwendigkeit der unbedingten Einhaltung der Spezifikationen sicherstellen, zum anderen ist darauf zu achten, dass sowohl die Menschen aus der eigenen Niederlassung in China als auch die Lieferanten aus China aus dem selben Kulturkreis kommen. Hierbei hilft ein Pflichtenheft, indem Zielsetzung, Spezifikationen, Funktionalität und messbare Anforderungen klar und eindeutig beschrieben werden. Wie eingangs erwähnt, bei der Einhaltung von Funktionalitäten kann es keine Kompromisse geben. In diesem Zusammenhang sollte man sich bewusst sein, dass kulturelle Unterschiede hinsichtlich der Einschätzung der Erfüllung von Spezifikationen vorzufinden sind. Bei einer Reihe von Lieferantenbesuchen durch die Sourcing-Teams kam es von den lokalen Beschaffungsteams des Öfteren zu der Verwendung des Begriffs „looks similar“, als diverse Musterfertigungen betrachtet wurden und man beispielsweise bei der Verwendung von Rohmaterial von den Spezifikationen abgewichen ist. Das Thema „Kommunikation“ darf nicht vernachlässigt werden. Sowohl der ständige Austausch mit der lokalen Einkaufsorganisation, als auch mit dem Lieferanten ist sehr wichtig. Neben dem „Pflichtenheft“ sollte ein Projektplan erstellt werden, in dem die einzelnen Aktivitäten und die „kritischen Milestones“ definiert werden. Der Projektplan und das Pflichtenheft dienen sowohl als ständige Kontrolle, der Transparenz der Vorgehensweise, als auch als „Kommunikationsinstrument“ zwischen den Funktionen und mit den Sponsoren. Status-Meetings mit den Sponsoren können somit gut vorbereitet und abgehalten werden. Neben der Nutzung von E-mails empfiehlt sich außerdem, einen gemeinsamen „Server“ einzurichten, der sämtliche Daten enthält, wie z. B. Projektplan, Status-Meetings, Pflichtenhaft, Gesprächsprotokolle, Aktionslisten usw., so dass jederzeit von allen Projektteilnehmern zugegriffen werden kann. Als Vorbereitung der „Sourcing Teams“ halte ich ein interkulturelles Training für unerlässlich. Allein die simple Nutzung des Wortes „Yes“ eines chinesischen Kollegen als Antwort auf relativ einfache Fragen im Rahmen von Projektstatus-Meetings kann zu Verwirrung führen, wenn der deutsche Fragesteller die Antwort allzu wörtlich nimmt und nicht den Kontext der Frage und die jeweilige Situation betrachtet. Es reicht daher nicht, nur auf gute Englisch-Sprachkenntnisse zu achten. Mehrwöchige Trainingsmaßnahmen von den neuen chinesischen Kollegen/innen in den jeweiligen internationalen Fabriken und „Face-to-Face Meetings“ zwischen den Funktionen in den Ländern sind extrem hilfreich, damit das Wissen aufgebaut und eine gute Beziehungsebene hergestellt wird. Persönliche Kontakte und Beziehungen sind sehr wichtig. Natürlich gilt das gleiche für die Selektion von Lieferanten. Neben den rein technischen und kaufmännischen Standardkriterien muss sehr viel Wert auf die Beziehungsebene gelegt werden. Im Rahmen von Lieferantenbesuchen bzw. Lieferantenaudits haben sich die chinesischen Lieferanten als hervorragende Gastgeber gezeigt und es wurde viel Zeit spendiert, um Kontakte und Beziehungen entstehen zu lassen oder zu pflegen. Diese Zeit muss man investieren und auch mit der einen oder anderen kulinarischen Überraschung rechnen.
6.1 China Sourcing
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Bei der Implementierung von „Sourcing in China“ haben sich mehrmalige Musterfertigungen als sehr vorteilhaft erwiesen, wobei in der ersten Phase das technische Verständnis geprüft wird und dann weitere Kleinserien mit steigendem Volumen gefertigt werden. Ständige Beachtung der Qualität und der „processability“ spielen eine wichtige Rolle. Die Anzahl der Musterfertigungen sollte im Projektplan fest definiert und begrenzt sein. Schafft es der Lieferant nicht die Kriterien zu erfüllen, und es sind nur wenige oder keine Verbesserungen zu sehen, sollte man an einen frühzeitigen Wechsel denken. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die „richtigen“ chinesischen Lieferanten sehr kooperativ sind und sehr schnell lernen. Die „richtigen“ Lieferanten zu finden, kann aber unter Umständen durchaus langwierig sein. Ein Transfer unter Zeitdruck kann problematisch werden. Durch mehrmalige Musterfertigungen und mögliche Ineffizienz bei der Kommunikation kann es zu Verzögerungen kommen, die dazu führen, dass ein Transfer zwischen 3–9 Monaten dauern kann. Die Logistikkette muss natürlich möglichst frühzeitig in Abwägung von Transportzeit und Transportkosten (z. B. Luftfracht vs. Seefracht) etabliert werden. Lokale chinesische Besonderheiten (z. B. Lieferanten in einer Free Trade Zone) sind ebenso zu berücksichtigen.
6.1.3.4
Lieferantenmanagement
Die kontinuierliche Betreuung des Lieferanten und eine entsprechende Kommunikation sind sehr wichtig. Regelmäßige Besuche sind notwendig, um den Kontakt aufrechtzuerhalten und die Wichtigkeit zu demonstrieren. Es ist ratsam, detaillierte und abgesprochene „Performance-Kriterien“ zu definieren sowie diese kontinuierlich gemeinsam zu prüfen und zu besprechen. Die Definition von Messzahlen einschließlich monatlicher Kontrolle mit entsprechender Kommunikation und der Einleitung von Verbesserungsmaßnahmen ist für ein kontinuierliches Lieferantenmanagement unerlässlich. Die Messzahlen beinhalten z. B. Liefermenge, Liefertreue, Qualität, Bestandszahlen, Bedarfsplanung. Quartalsmäßige Zusammenfassungen und jährliche Bewertungen sollten auch durch kontinuierliche Kommunikation auf verschiedenen Managementebenen unterstützt werden. Die lokale Organisation kann hier enorme Hilfestellungen leisten. Erfahrungen zeigen, dass die Aufmerksamkeit auch auf Seiten des Lieferanten sinkt, wenn nicht in regelmäßigen Zeitabständen „neues“ Geschäft kommt und der Lieferant keinen weiteren Nutzen aus der Beziehung ziehen kann. Das Anfangs-Investment der Lieferanten ist zum Teil sehr hoch. Daher soll sich die relativ hohe Investition mit ständigem Wachstum auszahlen. Wenn das nicht kommt, lässt das Interesse nach und der Lieferant wandert zu anderen Kunden. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des jeweiligen Lieferanten ist die Frage des Fertigungsvolumens; damit verbunden der Fokus des Lieferanten und zukünftiges Investitionsvolumen in Maschinen oder Engineering. Operiert der Lieferant in einem „Low Volume/High Mix“ oder ein „High Volume/Low Mix“-Umfeld? Wie entwickelt sich der Lieferant und wie ist sein zukünftiges Geschäftsmodell? Diese Faktoren sind frühzeitig zu prüfen und kontinuierlich zu verfolgen, da sich Business-
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6 Praxisbeispiele
pläne relativ schnell ändern können und sich damit möglicherweise geplante oder auch schon kommunizierte Investitionen verschieben können. Kontinuierliche Verbesserungsprogramme müssen direkt vom Kunden angestoßen werden. Bewusste Veränderungen, um Logistikprozesse, Herstellverfahren zu optimieren oder Kosten zu senken, werden selten aktiv von den Lieferanten vorgeschlagen; es sei denn, sie werden vertraglich vorab fixiert und der Lieferant erzielt einen spürbaren Vorteil für sich. In der Regel sind chinesische Lieferanten sehr zögerlich oder weigern sich, die Kalkulation der Herstellkosten offen zu legen; das heißt eine „Open Book Policy“ ist zum Teil sehr schwierig durchzusetzen. Verhältnismäßig gut zu kalkulieren sind dagegen die zu berücksichtigenden Transport- und Logistikkosten, die Transportzeit, die zusätzliche Lagermenge/Sicherheitsbestände und Zusatzkosten für lokale Distributoren, so dass eine Gesamtkostenbetrachtung meistens relativ einfach zu erstellen ist.
6.1.3.5
Flexibilisierung der Supply Chain vs. Risikomanagement
Einerseits kann das Sourcing in China sehr attraktiv sein und zu erheblichen Gesamtkosten-Optimierungen führen, andererseits ist es essentiell, dass die Versorgung der Supply Chain in Europa kontinuierlich gewährleistet ist. Faktoren wie Entfernung, Zeitverschiebung oder der unterschiedliche Sprach- und Kulturkreis müssen in der Konzeption der Supply Chain Berücksichtigung finden. Wie flexibel kann die Supply Chain aufgestellt werden und welches Risiko sind wir bereit zu tragen? Wie können die Risikofaktoren überhaupt identifiziert werden? Ein so genannter „Business Continuity Plan“, verbunden mit einem „Risk Assessment“, hilft, die kritischen Aspekte der Supply Chain zu identifizieren und Eventual-Maßnahmen zu definieren. Typische Elemente des „Business Continuity Plan“ sind dabei die „Risks and Exposures“ der Supply Chain, gefolgt von einer „Risk Impact Analysis“ und schließlich dem „Risk Mitigation Plan“. Das „Risk Assessment“ ist eine gesamtheitliche Betrachtung aller Supply Chain-Funktionen, inklusive dem Lieferanten. Natürlich hofft man, diesen Plan nie benutzen zu müssen, jedoch haben jüngste Ereignisse bewiesen, dass die Risikobewertung der globalen Supply Chain sehr wichtig ist und von strategischer Bedeutung sein kann. Insbesondere folgende Risiken sollten beispielsweise bei einem China Sourcing erfasst werden. Dabei kann man zwischen sogenannten „Hard Facts“ und „Soft Facts“ unterscheiden. „Hard Facts“, wie z. B. Definition des Gefahrenübergangs, Versorgung und Lagerhaltung von Rohmaterial, Werkzeugverschleiß (Ausbringungsmenge), Transportzeit, Lagerhaltung von Halb- und Fertigwaren, sind relativ gut zu definieren und zu messen. Die so genannten „Soft Facts“, wie z. B. gute Business Relationship, kontinuierliche Kommunikation, feste Ansprechpartner bei dem Lieferanten, sind weniger direkt greifbar, aber nicht weniger wichtig. Maßnahmen zur Risiko-Beherrschung werden entweder lokal bei dem Lieferanten implementiert (z. B. Rohmaterial-Puffer anlegen, erhöhte lokale Sicherheitsbestände) oder bei dem Kunden (z. B. Konsignationslager, lokaler Distributor). Die Transparenz der Supply
6.1 China Sourcing
143
Chain kann außerdem verbessert werden, indem die Lieferanten systemtechnisch integriert werden (z. B. ERP-System, um weltweite Bestände bei Lieferanten/Kunden zu sehen, inkl. eventuelle Konsignations-Bestände, Intransit-Ware). In jedem Fall müssen diese permanent überprüft werden. Etwaige ungeplante Änderungen des Bedarfs/Verbrauchs müssen zeitnah kommuniziert werden. 6.1.3.6
Zusammenfassung
Sourcing in China ist unter anderem dann erfolgreich, wenn die Vorbereitung entsprechend sorgfältig durchgeführt wird und der „Kunde“ seine Hausaufgaben erledigt. Die Anforderungen müssen klar und eindeutig definiert werden. Man braucht intern ein Commitment zum erforderlichen Ressourcen-Einsatz. In dem riesigen chinesischen Beschaffungsmarkt gibt es ein unerschöpfliches Angebot an Lieferanten. Bei einem China-Sourcing dürfen die interkulturellen Aspekte nicht unterschätzt werden. Unter anderem auch deswegen ist eine lokale Präsenz in China sehr wertvoll. Die Geschäftsbeziehungen müssen permanent gepflegt werden; es sollte einem bewusst sein, dass hierbei ein höherer Aufwand notwendig ist sowie mehr Geduld und Hartnäckigkeit erforderlich sind im Vergleich zu entsprechenden europäischen Lieferanten. Berücksichtigt man auch den zusätzlichen Aufwand für „Supplier Management“, höhere Logistikkosten und „Quality inspections“ in der Kalkulation und Ressourcenplanung, so gelingt eine ganzheitliche Beschaffungsbeurteilung. Spätere Überraschungen können damit minimiert werden. Außerdem gilt besonders auch in China: Stabile Lieferanten-Beziehungen benötigen eine „Win-Win“-Situation. Auch diese ist frühzeitig zu berücksichtigen und strategisch zu planen. Eine ganzheitliche Kosten-/Nutzen-Abwägung hilft dabei. Hierbei darf gerade beim China Sourcing nie die Bewertung von Flexibilität und Risiko fehlen. Norbert Sabatzki: Herr Sabatzki ist Einkaufsleiter bei Agilent Technologies, Life Science Group Waldbronn. Er weist eine langjährige Erfahrung als Einkaufsleiter eines internationalen Unternehmens mit Niederlassungen in Europa, USA und Asien auf. Durch die Notwendigkeit der Globalisierung der Supply Chain baute er in dieser Zeit Kompetenzen zu den Themen „Global Sourcing“ und insbesondere „Sourcing in China“ auf. Herr Sabatzki fungierte außerdem als Projektleiter in mehreren internationalen Projekten in Logistik und Process Management und im Einkaufsbereich.
6.1.4
Prozess- und Kostenoptimierung im Kontext von China-Sourcing und Wertschöpfung in China – Besonderheiten, Herausforderungen und Erfolgsansätze (Norbert Heinz, ZF Sachs)
Boarding completed, Lieferanten an Bord. Sind wir schon so weit in der Wachstumsregion China?
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6 Praxisbeispiele
Der Markt in China wächst. Und er wächst schnell. ZF ist mit dabei. Vorrangiges Ziel ist, die Kundenwünsche der Fahrzeughersteller schnell und präzise erfüllen zu können. Für die Systemlieferanten der Automobil-Zulieferindustrie ist Präsenz im Reich der Mitte heute mehr als nur eine Option, sie ist ein Muss. Nicht primär die dort vergleichsweise niedrigeren Lohnkosten haben sie nach Fernost gebracht. Das rasante Wachstum der Region und die notwendige Geschwindigkeit in der Marktversorgung erforderten diesen Schritt. Klar ist außerdem, dass man einen Markt nur dann hinreichend verstehen kann, wenn man vor Ort dabei ist. Die Fahrzeughersteller bauen ihre Fertigungskapazitäten in der Wachstumsregion China weiter aus. Dabei kaufen sie in der Regel lokal für lokal. Auch die Tier-1-Supplier beschaffen mehr und mehr vor Ort. Schon allein wegen der kurzen Wege. Vielfach streben die Zulieferer dabei an, lokale Netzwerke möglichst schnell auf- und auszubauen. Für ihre inzwischen 19 Produktionsgesellschaften mit über 4.200 Mitarbeitern in China sucht ZF weitere innovative Lieferanten, die zum Unternehmen passen und Produkt-Know-how besitzen. Dabei wird auf stabile Partnerschaften gesetzt mit Lieferanten, auf die man sich langfristig verlassen kann. Höchste Qualität, absolute Liefertreue, konkurrenzlos günstige Preise und die Bereitschaft und das Vermögen zur Innovation sind dabei von herausragender Bedeutung. Das erfordert Konzentration und hohe Flexibilität. Neben fachlicher Kompetenz ist vor allem die interkulturelle Fähigkeit der chinesischen Lieferanten gefordert, sich mit ihren Kunden und Partnern im Lieferantennetzwerk der OEM über geografische und kulturelle Grenzen hinweg verständigen zu können. ZF produziert hochwertige Systeme, Module und Komponenten für die Automobilindustrie. Es sind vor allem Getriebe, Kupplungen, Drehmomentwandler und Stoßdämpfer, die weltweit direkt an die Fahrzeughersteller geliefert werden. Auch und mit rasant steigenden Volumina in China. Diese anspruchsvollen Produkte für Antriebstrang und Fahrwerk sind nicht einfach austauschbar. Sie sind das Ergebnis aufwändiger Entwicklungsarbeit und eingebunden in das Gesamtsystem Auto zu betrachten. Auch die zugekauften Bauteile sind sorgfältig erprobt und gelten am Ende nicht selten als sicherheitsrelevant. Äußerste Sorgfalt ist daher in der gesamten Lieferkette erforderlich. Das beginnt schon bei der Entwicklung und gilt vor allem bei der Serienproduktion – und alles unter hohem Kostendruck. Das erfordert eine möglichst frühzeitig einsetzende partnerschaftliche Prozess- und Kostenoptimierung. Was versteht man nun unter einer „partnerschaftlichen Prozess- und Kostenoptimierung“? Zunächst einmal geht es hier um große Offenheit und Transparenz in der Zusammenarbeit mit den Lieferanten. Das gilt sowohl für die Planung und Auslegung der künftigen Fertigungsverfahren als auch für die daraus abgeleitete Kostenstruktur. In diesem Prozess leisten beide Seiten proaktiv ihren Beitrag. Heute ist man neben den OEM auch bei den großen Automotive-Zulieferern durchaus in der Lage, durch konsequente Nutzung des internen Expertenwissens eine Vielzahl beliebiger Herstellprozesse technisch zu beschreiben und kostenanalytisch im Detail abzubilden. Darüber hinaus stehen den Kostenanalytikern inzwischen Länderdatenbanken mit aktuellen Strukturkosten wie Durchschnittslöhne, Kapital-, Energie- und Flächenkosten zur Verfügung. Damit sind sie in der Lage, sehr schnell
6.1 China Sourcing
145
und treffsicher z. B. die Kosten eines Getriebegehäuses aus Aluminiumdruckguss, gefertigt am Standort Changchun in der Provinz Jilin, zu simulieren. Die Anfertigung solcher Best-Practice-Kalkulationen zur Quantifizierung eines Ziel-Anspannungsgrades ist heute in der Automobilbranche allgemein üblich und geübte Praxis. Darüber hinaus stellt sich jedoch häufig die Frage: Finde ich den Lieferanten in der Zielregion in Kombination mit dem in der Best-Practice-Kalkulation angesetzten Maschinenpark und den für die Region angesetzten Strukturkosten? Entsprechen die angesetzten Zuschlagsätze seiner tatsächlichen Kostenstruktur und seinem unternehmerischen Selbstverständnis? Nicht immer. Eine partnerschaftliche Prozess- und Kostenoptimierung im Zuschnitt von ZF geht deshalb hier noch einen ganzen Schritt weiter. Hier steht die langfristig ausgerichtete Zusammenarbeit mit ausgewählten, strategischen Lieferanten im Vordergrund. In den gemeinsamen Projekten wird das gebündelte Wissen sehr frühzeitig und in großer Offenheit genutzt, um gemeinsam mit dem Lieferanten den künftigen Produktionsprozess zu beschreiben und im Detail kalkulatorisch zu bewerten. Die so erzielte Kostentransparenz konsequent nutzend gilt es, Alternativen zu entwickeln, um so systematisch die Kostentreiber zu entschärfen. In den Beschaffungs-Projekten kooperieren Einkäufer und Kostenanalytiker von Beginn an in einem Team mit Vertrieb, Entwicklung, Produktion, Qualität und Logistik. Diese interdisziplinären und häufig auch international besetzten Teams werden projektbezogen eingerichtet. Voraussetzung für ihren Erfolg ist eine hohe Kommunikationsbereitschaft zwischen den Beteiligten mit dem Ziel der gemeinsamen Optimierung der Parameter in den Themenfeldern Qualität, Liefertreue und Kosten. Offenheit und Transparenz haben unseren interdisziplinären Beschaffungsteams enorm geholfen, erfolgreich zu sein. Manche nennen das auch Übersicht, andere sprechen von „Sichtflug“. Wie auch immer. Für unseren Einkauf ist die Prozess- und Kostenoptimierung inzwischen ein unverzichtbares Werkzeug geworden, in das zu investieren sich gelohnt hat. Damit können die Einkäufer weit über das reine Verhandeln hinausgehen und das Steuerrad des Kostenmanagements in die Hand nehmen. Auf Basis einer gemeinsam mit dem Lieferanten erstellten Kostenanalyse können sie mit ihm als einem möglichen langfristigen, strategischen Wertschöpfungspartner kompetent über gemeinsame Ziele und die Voraussetzungen für deren Realisierung sprechen. Das geht weit über die üblichen Ansätze von Best-Practice-Kalkulationen hinaus und hat eine ganze Menge mit Realitätsbezug, Planung, Steuerung und Zielerreichung zu tun. Gerade wenn dabei unternehmensübergreifende Partnerschaften gefordert sind. In der direkten Kommunikation, der konstruktiven Reibung zwischen unseren Kostenanalytikern und den Produktions-Spezialisten der Lieferanten werden häufig die wertvollsten Wertschöpfungsbeiträge erarbeitet. Schließlich müssen die von den OEMs für die Zeit nach dem Produktionsstart erwarteten und geforderten Preisreduzierungen erwirtschaftet werden. Diese jährlichen „Savings“ müssen in aller Regel aus Prozessoptimierungen kommen, denn die Realisierung von Design-Änderungen ist später ohne erneute, umfangreiche Erprobung kaum darstellbar. Dazu ist das Risiko einer Rückrufaktion viel zu groß. Gerade deshalb ist es auch von so großer Bedeutung, dass die Kostenanalytiker sehr frühzeitig mit den eigenen Entwicklern und vor allem den Fertigungsspezialisten der
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6 Praxisbeispiele
Lieferanten in Kontakt treten. Und zwar direkt an der Basis – vor Ort beim Lieferanten. Dabei festigen sich dann die persönlichen Kontakte, die später tragen, auch wenn es unter Umständen schwierig wird und Zeitdruck aufkommt. Bereits während der Prozessplanungs- und Angebotsphase muss die Kostenstruktur des zu beschaffenden Bauteils oder Systems sehr aufmerksam und im Detail angeschaut und analysiert werden. Das geht nur in enger Zusammenarbeit mit dem Lieferanten, am besten vor Ort. Auf Prozessbeschreibungen oder gar Angebotsdetaillierungen kann man sich dabei in aller Regel nicht verlassen. Der Einkäufer oder Kostenanalytiker muss die Daten in direktem Kontakt mit dem Lieferanten selbst erheben. Denn auch sein Partner im Tagesgeschäft, der Vertriebsmanager des Lieferanten, ist in aller Regel recht weit vom tatsächlichen Geschehen entfernt. Dabei bleiben „Missverständnisse“ nicht aus – und genau die müssen ausgeräumt und geklärt werden. Nur so bekommen die Beteiligten die erforderliche Prozess- und Kostenübersicht. Es geht dabei um Kostentransparenz und Prozessplanung im Detail. Um Taktzeiten, Schnittgeschwindigkeiten, Kosten der Maschinen, Anzahl der benötigten Produktions-Mitarbeiter und den erforderlichen Rüstaufwand. Es geht um den Abgleich und die Bündelung des Know-hows der Wertschöpfungspartner. Und schließlich um die Abbildung der Prozessplanung in einer geeigneten KalkulationsSoftware. Dabei werden Lücken in der Planung meist sehr schnell offensichtlich – insbesondere wenn noch nicht klar ist, auf welcher Maschine mit welchen Zykluszeiten gefertigt werden kann. ZF hat gerade in China die Erfahrung gemacht, dass zu Beginn der SourcingAktivitäten zwingend eine erste Vorauslese unter den in Frage kommenden Lieferanten durchgeführt werden muss. Es macht keinen Sinn, die Lieferanten-Vorauswahl primär auf das Einholen von Angeboten zu stützen, um dann bei den attraktivsten Bietern mit der Bestellung von Musterteilen einen „Versuchsballon“ zu starten. Zu unterschiedlich ist insbesondere in der Wachstumsregion China noch das Leistungsprofil der Lieferanten. Da gibt es sowohl den international agierenden, hervorragend ausgerüsteten und straff organisierten High-Tech-Entwicklungs-Lieferanten, wie auch den konventionellen Teilehersteller im Zuschnitt der 30er Jahre. Zu oft hat man in der Anfangszeit erlebt, dass von den Lieferanten – häufig in Unkenntnis der tatsächlichen Anforderungen an die Teile – zunächst äußerst attraktive Angebote gemacht wurden. Wegen eines ungeeigneten Maschinenparks und mangels ausreichenden Know-hows innerhalb des Lieferanten-Teams konnten die Preiszusagen schließlich doch nicht gehalten werden. Bis dahin hatten beide Seiten viel Energie investiert und wertvolle Zeit verloren. Das muss nicht sein. Wir haben daraus gelernt. Heute ist deshalb bei der Auswahl und Entwicklung neuer Lieferanten ein systematisches Lieferanten-Scouting der erste Schritt, um mögliche neue Lieferanten zu finden. Weit vor dem ersten Qualitäts- oder Logistik-Audit nehmen erfahrene Lieferanten-Entwicklungs-Teams ersten Kontakt mit Lieferanten auf und kommen, nachdem sie eine erste Vorauswahl getroffen haben, zügig bei den Unternehmen der engeren Wahl zu Besuch. Vor Ort verschaffen sie sich zunächst einen Eindruck von den tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten. Wenn diese Teams grünes
6.1 China Sourcing
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Licht signalisieren – und nur dann – rollt der Prozess an. Dann sind die Kostenanalytiker mitten im Geschehen. Prozess- und Kostenoptimierung ist ihr Thema. Und jetzt folgen auch die detaillierten technischen Durchsprachen, Audits, Bemusterungen, Angebote, Preisverhandlungen und ganz am Ende des Prozesses die Aufnahme der Lieferbeziehung. In China ist bei der gemeinsamen Prozess- und Kostenoptimierung besonders wichtig, von Beginn an dem Aufbau persönlicher Beziehungen große Aufmerksamkeit zu widmen. Hier ist jegliche Hektik fehl am Platz. Vertrauen muss wachsen und braucht auch räumliche Nähe. ZF hat daher Kollegen vor Ort, die so flexibel sind, Dinge direkt vor Ort zu besprechen und zu klären. Das zahlt sich später vielfach wieder aus und bildet die Grundlage für eine weitere stabile und funktionierende Wertschöpfungskette im Lieferantennetzwerk. Verlässliche Partnerschaften in der Lieferkette sind schließlich umso wichtiger, je stärker der Wettbewerb zwischen den Lieferketten die Innovationsbereitschaft auch der Lieferanten der zweiten und dritten Reihe fordert. Sicherlich gibt es später immer noch Ideen, wie Kosteneinsparungen erreicht werden könnten. Aber der wesentliche Wertsteigerungshebel liegt zweifellos in der möglichst frühen Einbindung der Lieferanten. Diese werden daher in bestimmten Technologiefeldern systematisch schon in der Konzeptphase eines Projektes in Design- oder Produktionsideen involviert, um zu prüfen, wie ihr Fertigungs-Know-how und ihr Maschinenpark mit den technologischen Ideen und Anforderungen von ZF zusammenpassen. Entscheidend für die Entwicklung innovativer und gleichzeitig kostengünstiger Produkte und Systeme ist vor allem das inhaltliche und zeitlich eng abgestimmte Zusammenspiel von Einkauf und Technik. Es bringt beiden Seiten nichts, wenn der Einkauf etwas verhandeln soll, was die Technik gedanklich schon bei einem anderen Lieferanten platziert hat – der es dann vielleicht am Ende doch nicht kann. Die großen Wertschöpfungspotentiale werden vielmehr in dem direkten Zusammenspiel zwischen Lieferant, Einkäufer und Technik des Kunden gehoben. Dabei muss der Einkäufer sowohl mit dem Entwickler als auch dem Produktionsfachmann auf Augenhöhe diskutieren können. Er muss sich sowohl technisch als auch kommerziell im Detail mit dem Lieferanten auseinandersetzen – und in China zudem über interkulturelle Grenzen hinweg. Zunächst kann das für die chinesischen Lieferanten bedrohlich wirken und erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl. Meist wird dabei jedoch schnell allen Beteiligten klar, dass es hier nicht um „Preisdrückerei“ im klassischen Sinne geht, sondern um das aufrichtige Bemühen um stabile Prozesse, höchste Qualität und die Fähigkeit zu hundertprozentiger Liefertreue. Und alles zu möglichst geringen Kosten. Denn wenn die Kosten stimmen, dann stimmt grundsätzlich auch der Preis. In aller Regel haben die Lieferanten in China inzwischen umfangreiche Erfahrungen mit der Durchführung von Qualitäts- und Logistik-Audits sammeln können. Für eine erfolgreiche Prozess- und Kostenoptimierung brauchen wir aber mehr. Wir bei ZF nennen das gerne „Line Walk Audit“. Das ist nichts anderes als ein dem Wertstrom folgender, vertiefter Fertigungsrundgang. Dabei werden gemeinsam mit dem Lieferanten die kostenrelevanten Daten seiner Fertigung ermittelt. Für chinesische Lieferanten ist das zum Teil ein recht befremdliches Vorgehen. Sie sind gewohnt,
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6 Praxisbeispiele
ein Angebot abzugeben und dann eben „nachzuverhandeln“. Und jetzt kommen Europäer in die Fabrik und fragen gezielt nach Taktzeiten, Verfügbarkeiten der Maschinen, Wartungsplänen und Ausschussraten. Kein Wunder, dass sich bei einem solchen Besuch der Vorarbeiter hilfesuchend nach dem erstbesten asiatisch aussehenden „Kollegen“ in unserer Mannschaft umsah und mit energischemAugenkontakt bat, doch dem Kostenanalytiker zu übersetzen . . . Aber der vermeintliche Landsmann konnte auch nur freundlich mit den Achseln zucken – er war schließlich Koreaner. Es wurde zusammen gelacht und das Eis war gebrochen. Die anschließende Kostendurchsprache hat der Lieferant schon als sehr konstruktive Teambesprechung in deutlich gelockerter Atmosphäre erlebt. Das war hier der Einstieg in äußerst fruchtbare gemeinsame Prozessoptimierungen auf dem Weg hin zu einer schlanken und agilen Fertigung. Prozess- und Kostenoptimierung ist eben Teamwork und erfordert Vertrauen zwischen Auftraggeber und Lieferant. Dieses Vertrauen gründet vor allem auf Transparenz. Sowohl in der internen Kommunikation als auch in der Zusammenarbeit zwischen ZF und ihren Lieferanten. Beide Seiten sind auf diese offene und zielorientierte Kommunikation angewiesen, wenn sie langfristig erfolgreich sein wollen. Am Ende kommt es vor allem auf die interkulturelle Kommunikation an und nicht nur auf Datenbanken, Plattformen oder Systeme. Es geht um stabile Partnerschaften in der Wertschöpfungs- und Lieferkette. Und um zufriedene Kunden. Dafür arbeiten wir bei ZF und investieren so mit unseren Lieferanten in die gemeinsame erfolgreiche Zukunft. Norbert Heinz: Dipl.-Ing. Norbert Heinz ist als Leiter Einkauf, Prozess- und Kostenoptimierung bei der ZF Sachs AG weltweit verantwortlich für die nachhaltige Reduzierung der Materialbeschaffungskosten durch die Analyse von Kostenstrukturen und die Optimierung von Fertigungsprozessen und Abläufen bei und mit den Lieferanten. Bereits gut vertraut mit japanischen Unternehmen und deren Fertigungsphilosophie hat er 2002 zum ersten Mal China bereist – von Changchun im Norden bis Xiamen im Süden. Schon damals tief beeindruckt von der Leistungsfähigkeit chinesischer Unternehmen, verfolgt der Six Sigma Black Belt seither mit großer Aufmerksamkeit die Entwicklung der chinesischen Zulieferindustrie im weltweiten und vor allem im asiatischen Vergleich.
6.1.5
China Sourcing and China as an export platform in the project business – experiences from Linde Engineering (Liu Jixun, Linde Engineering China)
6.1.5.1
Brief introduction of „Linde Engineering China“ and its products/projects
The Linde Group is a leading gases and engineering company with almost 48.000 employees working in around 100 countries worldwide. Its headquarters is located
6.1 China Sourcing
149
in Munich, Germany. Linde consists of two core business divisions: Gases and Engineering. The Engineering Division is focusing on promising market segments such as olefin plants, natural gas plants and air separation plants as well as hydrogen and synthesis gas plants. Linde plants are used in a wide variety of fields: in the petrochemical and chemical industries, in refineries and fertiliser plants, to recover air gases, to produce hydrogen and synthesis gases, to treat natural gas and in the pharmaceutical industry etc. With the trend of globalizing investment and marketing, Linde set up its China sourcing function unit in 2005. Linde Engineering has three locations in China: the engineering hub in Hangzhou, the manufacturing base in Dalian and the sales office in Beijing. Linde Engineering Hangzhou (LEH) was established for the purpose of being close to the Chinese and Asian markets, to be able to provide customers with the most suited plants and service based on their unique requirements as well as to develop intelligent innovations with high customer value. LEH is specialized on design, engineering, technical research and development, integration and site assembling of air separation plants, steam reformer hydrogen plant and other petrochemical plants, including the services and technical supervision for those plants (projects).
6.1.5.2
Characteristics and differences of projects within/outside China
Linde Engineering is a leading technology contractor for process plant Engineering, Procurement and Construction (EPC) in fulfillment of project management concepts and methods. Process plants belong to the largest and most sophisticated building structures on the world. The key of project success is the contractor’s extensive process engineering expertise in design and his competence in supply chain management, in particular to ensure the equipment and material delivery on time and in reliable quality. Characteristics of projects within China: challenges and success factors For projects conducted in China, the Chinese standards, regulations and codes need to be applied. The project is led by Linde Engineering Hangzhou (LEH) and steered by Chinese employees in consideration of location advantages. Of course, the first choice of the equipment and material for the plant will be sourced in China. Regarding the equipment and material sourced in China, first of all, Linde introduced a supply chain management to evaluate the supplier in quality management, technical capability, fabrication capacity and logistics. In principle, those qualified suppliers are capable of supplying the right goods for Linde. However, according to Linde’s global standards, those items and the suppliers are normally on the bottom line. One typical example: LEH procured the compressor from one of the Chinese top manufacturers. After expediting several times, the compressor was delivered to the jobsite with a three weeks delay; the Linde inspector checked the quality for the hold-points, but the compressor’s impeller was rusty, one meter had a wrong
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6 Praxisbeispiele
measuring range: The example indicates that the biggest challenges are still quality and delivery time! According to Linde’s observation, the supplier quality management system is available and in place but not yet embedded in every process and not strictly implemented by each employee. In many cases, quality and delivery time depend on a general manager’s commitment and involvement during the execution phase – this applies for state-owned as well as private companies. Prerequisites for success are the following factors: a) buyers must win the supplier’s senior manager’s full commitment. b) Buyers must clarify all the details when awarding the order, then send their own expeditor and inspector to the supplier’s location in order to closely check and control schedule and quality. Export business/projects: challenges and success factors In export business, for example in a case where equipment and material are sourced from Chinese suppliers, installed and assembled in oversea process plants, different challenges apply. Besides the common aspects in the quality, delivery time and cost, the equipment and material’s technical complexity has to be assessed in advance. Traditionally, China is exporting low value-added goods, which of course require a less complicated manufacturing process (e.g. components/parts without the complete functionality). For an engineering company, the process plants comprise of hundreds of process units which consist of thousands of equipments. Even installed materials that connect and control the process unit/equipment are always categorized, and then procured in the tonnage. All of the characteristics of those products (equipment and material) require the engineering company to evaluate the product’s technical complexity and the industry’s maturity in the targeted sourcing region. Normally, the product’s technical complexity can be differentiated into several classes based on reliability, specification elaboration, technical clarification necessity and design change probability etc. Of course, regarding the regional industry maturity of a specific product, the major concerns usually are the regional mandatory standard’s comparison and deviation to the required standard, the regional product compulsive quality management, the raw material’s sources channel and reservation of regional competent engineer and craftsmen, the facility of manufacturing, inspection and testing. In addition, the supplier’s after-sales network has to be highlighted, only the supplier who has their own after-sales network in the installed country, or at least a partner for after-sales service could be awarded the order. Thus, whenever the regional maturity in fabrication suits the product technical complexity, then the region can be targeted as a sourcing market. Regarding the operational level, the process for qualifying the supplier is similar to the one mentioned in Chap. 2.1. Chinese suppliers, mostly export static equipment and manual valves to Linde. The reason is that Chinese standard and quality management are well-recognized worldwide and mandatory for all manufacturers, which ensures a very good basis for export. In the meanwhile, those products with technical complexity are relatively
6.1 China Sourcing
151
low, compared to their upgraded category (rotating equipment and control valve). In particular the requirement to their reliability is declined accordingly. The reason for the reduced significance of products with technical complexity: in case of quality failure, products can be shortly replaced by their analogues which won’t lead to the process plant malfunction. Of course, the bulk material can be easily sourced in China. However, their freight cost will enter into big portion of the total ownership cost. In case of the process plants are not far away from China, the bulk material export becomes active immediately.
6.1.5.3
Detailed description of main action fields in export business
This section focuses briefly on the main fields in the export business: Production For production, the basic content is manufacturing. The first issue here is the manufacturing capacity: which and how many facilities are reserved by the supplier? If a necessary facility is not self-owned, can it be externally sourced (rented or subcontracted)? What is the nominal capacity and how about the potential capacity? In case of a peak in sourcing demand, how many shifts can be added? What is the maximum short and intermediate term work capacity? A second issue is the manufacturing capability. This is concerning engineering capability of the facility and the capability of the processes. Both shall be analyzed to ensure the product quality. In general, all the production related items shall be evaluated by the buyer in order to obtain confidence and place the order. Each buyer should have his/her own criteria to assess the suppliers. As Chinese supplier’s production information is often highly fragmented, inaccurate and incomplete, we would recommend letting the production planning be checked by sales manager, project manager and production manager. First, it has to be analyzed whether a production planning is generally available, then it needs to be tested whether it is transparent, reasonable, up-to-date and traceable. Logistics (export logistics) There are two different concepts for logistics. One basic logistics concept lies within the supplier’s operational system, i.e. purchasing for raw material, parts and components, stocking levels, warehouse maintenance and their internal lifting and transportation methods as well as limitations etc. This is the basic concept. The sourcing company just needs to check and verify the supplier’s logistics and make sure it will support the production effectively. Another concept is more extensive: besides the supplier’s own logistics, the sourcing company shall strictly assess the „product“ logistics, EXW from supplier’s workshop to DDP jobsite/final destination, which is not of high importance for small
152
6 Praxisbeispiele
products that can be loaded into containers, but very crucial for overlarge equipment. In addition to the freight, the export/import policy and formality also must be taken into account, in order to enjoy the tax refund in the export country and/or tax exemption in the import country. Quality management Quality is always a top issue for companies, suppliers and buyers. Since China is regarded to be a LCC (low cost country), Chinese product quality is often considered to be of low quality. Although it does not apply to all Chinese manufacturers, to some extent it is correct, especially in regards to the failure percentage during the manufacturing process. Even after inspection and delivery the product’s defect rate can be relatively high. One reason for quality issues is that many processing are manual and not stable, therefore the processing quality is up to the operator’s skill, attitude and mood. Another reason is that robot/online inspection is quite seldom and the inspector’s experience, inspection method and tools can vary and often do not 100 % guarantee that a defect can be detected. Project management Each project released by the engineering company to the supplier has different „project specific requirements“, depending on the respective case. So it is expected that the supplier can execute the order in terms of the crucial modules „project management“ concept: project management of scope, time, cost, quality, HR, communication etc. Prior to detailing the modules, scope management and communication management have to be highlighted. As the project specific requirement is always elaborated for a certain purpose, it needs to be thoroughly studied and clarified between the buyer and the supplier, usually in a kick-off meeting. The communication management is traditionally not stressed by the supplier internally. The transmittal letter, MoM are not documented well which always result in disputes and challenges in the last stage. Human resources/skills Human resources (HR) is an influential factor in the sourcing process. Quite often the qualified person and the personal professional competence are discussed. Of course, all the persons shall be qualified before entering their position. However, as mentioned before, the operator’s and inspector’s capability directly impact the product quality for manual processes like manufacturing, inspection & testing. Therefore, the personal professional competence – the integration of personal knowledge, skill, capability and attitude – is the integral part of HR. For export business, the personal knowledge & skill of a foreign language and international business are important, in comparison to domestic trading. Particular in Chinese
6.1 China Sourcing
153
medium sized private & state-owned companies, only few people can understand and speak English, and this is an obvious weakness compared to India and South Korea. Cooperation between the organization in China and HQ/oversea subsidiaries China sourcing is soaring in recent years and the major contributions are made by multinational companies because their own local subsidiaries strongly support that. A local subsidiary has a location advantage in marketing, sourcing screen, technical familiarization and communication skill, to help the sourcing navigation: pick the right supplier and products to achieve a significant cost saving. Normally, headquarters/oversea subsidiaries will assign different roles to the organization in China, depending on the execution ability. The work split can be defined by the coordination of sourcing activities: vendor assessment, review and approve vendor, preparation and approval of the inquiry documents, requisition for quotation to bidders, analysis and clarification of the quotation, preparation and conclusion of purchase order, kick-off meeting, inspection and expediting, logistics and shipping documents etc.
6.1.5.4
Description of Live Project examples
For a better understanding to Linde’s business operations regarding China sourcing, the following chapter will introduce two typical projects with the same product to illustrate the difference. Short introduction to the procured product Product: Vacuum insulated cryogenic tank. A Cryogenic tank is essentially a double walled cylindrical tank, with an annular space between inner and outer vessel that is filled with insulating material and evacuated to a high vacuum to achieve minimum evaporation losses. The cold converter is fitted with a pressure building arrangement with automatic pressure build-up regulator. Manufacturing of such vessels require special technical know-how and sophisticated fabrication techniques. Application: Cryogenic Vessels are designed for storage and transport of liquid gases at sub-zero temperatures. The tanks can supply cryogenic liquid from the bottom by connecting it to an outer vaporizer and cryogenic pump. The tanks have the advantage of low area requirement, safety, simple operating convenience and are widely used in the field of gas, chemical, machinery medical treatment, electronic, mining and metallurgy. Projects feature/outline (Tab. 6.1)
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6 Praxisbeispiele
Tab. 6.1 International Projects – examples Project name
Stara Zagora
Ambatovy L 3
Procured products
2 sets LOX tank – 300 m ; 1 set LIN tank – 300 m3
Installed location Client Contractor
Bulgaria, Europe Linde AG, Linde Gas Bulgaria Linde AG, Engineering division, Germany Linde AG, Engineering division, Germany TÜV or Lloyd
Purchaser Notified body Applicable Standard and Codes Additional requirement for Inner vessels
Manufacturer Code Document review & inspection Language
The PED, including annexes I to VII, directive 97/23/EC with CE marking ASME boiler and pressure code section VIII; The guide for ASME stamp holders, use of ASME section VIII division 1 to meet the PED (97/23/EC); U-stamp GB (China national standard) to be applied Manufacturer (incl. local authority) → A.I. → Linde. English for technical document; English and Bulgarian for nameplate and operation manual
1 set LIN tank – 250 m3 ; 1 set LOX tank – 150 m3 ; 1 set LIN tank – 10 m3 ; Madagascar, Africa Dynatec Madagascar S.A. SNC Lavalin Engineer & Constructor, Canada LindeAG, Engineering division, Germany TÜV or Lloyd plus contractor assigned inspection company. ASME boiler and pressure code section VIII U-stamp
GB (China national standard) to be applied Manufacturer (incl. local authority) → A.I. → contractor’s representative → Linde. English for technical document; English and French for nameplate and operation manual
Highlights and Achievement Technical: 250 m3 vacuum insulated cryogenic tank is the biggest one, exported to an oversea market by the end of 2006, with 27.650 ∗ 4.524 ∗ 4.974 mm in L ∗ W ∗ H, in total 90.000 kg. Three different design codes (PED, ASME and GB) and quality management systems are applied in parallel. Quality: Chinese and German quality engineers jointly controlled the quality. The whole quality control is conducted by a Chinese quality engineer, but three critical processes (hold-points) are checked and released by German quality engineer at the supplier’s site. All the quality documents are pre-reviewed by a Chinese engineer and officially approved by a German engineer. Commercial: For the sourcing, Linde Germany is the issuing entity and Linde China acts as the executing entity. In order to enjoy the VAT refund of –5 % of order value, an export agent was in place. Additionally involved were: the manufacturer, contractor, the notifying body, shipping company, the client. In total eight parties were directly involved in this sourcing business, except for the indirect supportive
6.1 China Sourcing
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Abb. 6.6 Steps of the supply chain. a FCA at workshop. b Inland transport by truck. c CFR coast vessel at harbor. d Arrive at destination/jobsite
parties. Therefore, proper organization and responsibility assignment had to be defined clearly. This required many discussions in advance before the intensive business cooperation model has been established. Logistics: Due to the complexity, special shipping expertise was required. Since the tank’s dimension almost reached the limit of inland transportation capabilities in China, firstly the tanks were delivered to the nearest pier on the Jinhang channel by truck, then from the pier to Shanghai Wusong berth by river barge. Normally, transfer of the tank from this berth into an ocean vessel would have been no problem. Due to the tight schedule of delivery, based on the client order, the ocean vessel departed from Shanghai Yangshan seaport. Therefore, a third transit was necessary, i.e. from Shanghai Wusong berth to Shanghai Yangshan seaport by bonded coast vessel due to the Chinese harbor superintendent administration regulation. The fourth step was to transfer the tanks into the ocean vessel and ship it to the unloading seaport. The last part was from the unloading port to the jobsite. Enclosed are some photos for reference (Abb. 6.6).
156
6.1.5.5
6 Praxisbeispiele
Summary: Lessons Learned and Further Action
Every company is facing the pressure coming from cost and procurement which contributes to a company’s competitive ability in the market. Therefore, China as a low cost country (LCC) is becoming a preferred sourcing destination. According to Linde’s evaluation, the cost in China on EXW base is on average about half compared to a high cost country. If sourced in China, the final ownership cost is about 70 % compared to a high cost country (HCC). However, China is a large country and has a large development imbalance. In terms of the availability of industrial products and logistics, the most attractive regions are the Pearl River Delta, the Yangtze River Delta, the Beijing-Tianjin corridor and the old north-eastern industrial base. Moreover, the purchasing expertise is absolutely essential to ensure that the right product is procured by the right supplier. Lessons Learned • Chinese Standards vs. International Standards: The Chinese standard is based on an international standard, since it mainly originated from European and American standards. This makes it in principle compatible to International Standards. Regarding pressure vessels the Chinese standard is even stricter than the international standard. Its English version is available. However, since Chinese politics and regulatory compliance seems not 100 % transparent, clients always insist on the international standard. • Quality Assurance and Quality Control: Since the manufacturing process is not very stable and the quality systems are not completely consistent, significant efforts on quality are required to ensure the delivery of product quality, including technical clarification, agreement on inspection and test plans, inspections and supervision of critical processes, release of technical and quality documents etc. In addition, HSE awareness is relatively low for the management board and the employees. • Supplier information: Due to a less systematic management approach, the report, message and information from different sources within the supplier organization are not always geared up and aligned with each other, i.e. they are highly fragmented, inaccurate and incomplete. Therefore it is absolutely necessary to get the documents first hand and verify them in your own expertise. • Communications problem: due to language, culture and time differences, an interpreter is often needed. Provision of clear specifications in the local language is important. When English prevails, the clarification of all the major contents in the local language (Chinese) is a MUST. Additionally it needs to be considered that western law and commercial terms are not fully in line with Chinese operation. • Top management’s commitment: In China, the general manager is in a very dominant position for the whole company’s business, even if a management board is in place. Striving for the general manager’s commitment prior to awarding the order, and his engagement with all key personal during the project kick-off meeting are the premises for project success. Keeping the general manager deeply involved
6.1 China Sourcing
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in the whole project execution phase is very crucial, i.e. regularly updating key information on the project progress through short meetings etc. Further plans and approaches to China sourcing • Appropriate and reliable risk management: as bad news travels fast, the poor performance of Chinese suppliers is radiating, thereby generating obstacles for the client and Linde’s internal employees to agree to China sourcing. Indeed, the longer a European company is present in the Chinese market, the higher becomes its China sourcing share. Linde is sorting out all information at product/supplier/regional basis, to get a full and clear picture on the supplier. • Empower the local entity: Since a Chinese entity has the location advantage, it can build up a bridge between the headquarters, the oversea subsidiaries and the Chinese supplier, by eliminating the technical, commercial, language and cultural barriers. Linde Engineering is transforming the local procurement department into a regional procurement center, belonging to the global procurement organization, in order to integrate domestic activities into the global value chain structure. • Chinese supplier qualification and cultivation: a very important issue is the supplier qualification – firstly all the potential vendors in the product category needs to be screened, then several filters shall be applied to reduce the quantity of suppliers, before applying several filters, finally the 3–5 qualified suppliers are identified. On the other hand it is important to fulfill the concept of supply chain: from pricing efficiency to operational efficiency, the global procurement center should generate the joint force together with other departments. More real sourcing projects will help to cultivate the Chinese qualified suppliers and help them to accumulate execution knowledge. Further development of competencies and its roadmap in Linde Linde Engineering has recently realigned the company’s procurement strategy to more effectively address the changing global economic climate. As a global organization, Linde recognizes the importance of remaining competitive for the benefit of the company and the clients. The mission statement is simple: Procurement at Linde is geared to be a high performance operation: We want to offer our customers the most competitive prices in a Global Procurement Organization. To that end, we seek to decrease procurement costs by: • • • •
Increasing purchasing volume in ,best cost‘ countries like e.g. China, Korea, India Developing procurement centers to include technical competence Executing the defined material strategies Utilizing the power of the Linde Group for joint procurement
Procurement Centers In 2010, Linde Engineering restructured its organization as a worldwide ,one-face-to-the-supplier‘ organization. The six resulting Global Procurement Centers are the points of contact in their assigned regions. The Centers
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6 Praxisbeispiele
handle all procurement activities in their regional supply market and provide full service to projects, whereas Procurement Strategies are developed by the central Strategic Procurement Team. Procurement Targets 50–70 % of Linde Engineering’s plants costs are driven by supplies. Without a doubt, procurement plays a major role in competitiveness through cost reduction of purchased equipment and materials. Future procurement will be truly global, providing the framework to integrate Linde Engineering’s subsidiaries into a common and mutually beneficial procurement workflow. Procurement activities within a Procurement Center’s assigned region will be managed by that Center – ,bypassing‘ to another Center will not be permitted. Liu Jixun: Mr. Liu is an accredited senior engineer, certified six sigma black belt, holds a Master in international business from Zhejiang University and a Bachelor in chemical engineering from Zhejiang University of Technology. Working in Linde Engineering (Hangzhou) Co., Ltd., headed in Global Sourcing from 2005–2008 and currently act as project manager for process plants.
6.1.6
China Sourcing – cultural characteristics and relationship as an important factor (Karsten Buntrock/Kay Liu, Fujitsu)
6.1.6.1 Typical stages in the development of a China Sourcing organization Typical stages in build-up a sourcing organization in China can be distinguished. In a first stage there is only a small representative in China. Western manager need a (Chinese) mediator for bridging in regards to language skills and cultural-fit. Nevertheless Western manager needs to contribute „cultural involvement“. In a second stage the sourcing department grows; the human resource base is extended with local employees. The third stage is characterized by a structural development. More and more activities of the technical sourcing are realized. Thus, the organization has to be developed as well, even though a global support and coaching is utilized in order to fulfill the risen requirements. In a fourth stage a localized sourcing center needs to be further sophisticated. The qualification of Chinese suppliers has fundamentally increased. The sourcing organization should be able to negotiate and cooperate with suppliers using more and more advanced development center. 6.1.6.2
Relationship and Guanxi as essential factors for successful China Sourcing
On the sales side there is a widespread conviction that customer relationship management is an important success factor. On the procurement side it becomes increasingly clear that relationships to suppliers lead to a (mutual) benefit as well. Relationship management can’t be the same all over the world. Regional characteristics need to be considered. That applies particularly to China. For successful supplier relationships
6.1 China Sourcing
159
it is important to build up personal relationships. Guanxi is needed for a successful sourcing in China. On the contrary to the Western view the emotional factor is much more emphasized in China. Conveyed to the Sourcing approach, the appropriate order in China is in general: 1) Emotion, 2) Rationality, 3) Contract. In all phases it has to be considered that the participants of that process do not „loose the face“: on either sides (customer and supplier). The rational part includes the evaluation of the benefits in order to recognize whether the business makes sense. In many cases it is even not necessary signing contracts in China if the relationship and the trust are well-founded. A contract can’t cover 100 % of all the contingencies anyway. „Helping each other“ is the main principle in a good supplier relationship. This is more valuable than defined duties and obligations within the contract. Thus a supplier relation based on trust enhances supplier quality in China. Even a higher degree of flexibility can be achieved by a „Guanxi“ oriented supplier relation. Of course, the supplier management has to be differentiated also according to the supplier types. It has simply to be considered that governmental companies, for instance, are slower, more stable and less flexible due to the lacking competition. One has to reckon with long response times and partly with an arrogant attitude and behavior. Business with small companies is more risky, often they try to make money quickly. Basically they are less structured and the quality challenges rise. The cultural differences are reflected in the negotiation behavior too. The Western negotiation style is much more straight-forward according to the approach: strategy – telling story – request. The Asian negotiation mentality is quite different. It is characterized by an indirect approach, a common understanding and compromiseorientation („having a separate room“): „do not push!“ (versus the Western approach „pushing to the limit“ for achieving a good negotiation position). For negotiation processes in China one should plan basically enough time. Patience is needed. Sometimes contract packages are only apparently committed and finalized: The definition of „o.k.“ is completely different. In China, it means often „no clear rejection“ or „postponing“. It is always helpful to specify the question as far as possible („Do you agree with . . . ?“). The negotiation behavior differs from the region and the generation of the participants as well. A more straight-forward behavior predominates especially in Beijing. The younger generation is often educated abroad; therefore they are used to a direct communication and behave more fact-based; people „above 50“ expect politeness. An absolutely „NO GO“ (for example at business dinners and „small talks“ during supplier talks and negotiation processes) is bringing in political statements or the initiating of political discussions in any regard! The atmosphere degree would come to „zero“ and one has to start again with the build-up of a suitable relationship base. Fundamental „slip-ups“ can’t be repaired – the Chinese memory is sometimes pretty long-lasting. Manager coming from Western companies should be characterized by an open-minded mentality. Furthermore they need cultural skills and the ability to adapt. But: adaption does not mean adoption. A Chinese saying expresses that in a good way: First know the other party, second learn the advantages of the other side and third, keep the original! Guanxi is the central factor at the supplier interface. That does not mean that poor supply quality should be accepted by the customer. On the contrary, „Guanxi“ helps
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6 Praxisbeispiele
to enable the atmosphere for declaring what is not allowed and what is expected regarding supply performance. Guanxi covers the relationship on different levels, even though it is basically not easy getting into contact with the top management due to the „hierarchy principle“. Checking and controlling is necessary of course. Trust can’t replace controlling. Especially in the first phase of the supplier relationship a lot of controlling is needed. Support by the customer is generally welcomed by the supplier. Development of suppliers is tied with remarkable efforts. Hence, it has to be checked if there is an appropriate balance between effort and impact from a sourcing view. 6.1.6.3
China Sourcing: development and scenarios
Chinese companies and employees are gaining benefits from the Western mentality, especially regarding the usage of systematic processes, descriptions and manuals. Chinese behave in many cases more instinctive. A structured way of coaching helps to develop Chinese employees. China is dynamic! Chinese people and employees are changing quickly. This reflects also the incentive behavior. Money is not always the main incentive element anymore. For instance, the younger generation, aged approx. below 30, called the „Little Emperors“, differs from the „middle-aged“, highly ambitious generation (30–45 years). Young people are not that much money-focused, if they have grown up in circumstances with a relative prosperity. Probably, they have not felt the daily pressure of competition coming from the social environment, too. The potential for future development and learning opportunities is for the younger generation increasingly an important factor in evaluating the attractiveness of a company. Young Chinese people are more fact-based, pragmatic and benefit-oriented. Hence the negotiation behavior changes as well. That has to be considered by the sourcing manager. The growth of Chinese suppliers is tied with a rising awareness of their own strength. The negotiation position of Chinese companies is enhancing. In many cases the supplier is much bigger than the customer. Foxconn, for example, exceeds substantially the size of many IT system integrators which are their customer base. Despite of challenging „inbalances“, good relationships and high, stable supply performances are possible. Soft-facts, Guanxi, are quite important under those conditions. Western-oriented sourcing manager, who neglect Guanxi and believe the supplier has to behave „customer-oriented“ anyway, will be rejected in many cases. The rapid increasing domestic demand in „Greater China“ changes the supplier situation in China substantially. Importance of domestic demand in China and other emerging market is arising for Chinese suppliers. Another important context factor for sourcing: The supply chain structure changes within China. Due to increased wages in Coastal China region, many companies move to Western parts of China. For instance, the notebook industry, usually at home in Eastern China, e.g. in Shenzhen, relocates significantly to Chongqing. The living costs in Shenzhen do not differ much from the costs in Taipeh, but the wages are only one third of them. If the workers stay at their own home in the Western parts of China, they would save a lot of money for living costs. Hence, there is less pressure for wage increases in the companies. Of course, the move to the Western provinces, currently mainly Shizuan, occurs especially
6.1 China Sourcing
161
for suitable products and parts. Disadvantages in lead times, availability and supply chain costs have to be considered. Basically parts with lower quality requirements, high volume and high value density (with limited transport costs) are suitable for dislocation. Changes of Asian currency rates lead to dramatic impacts in the competitive situation. The competition pressure rises for Chinese suppliers. Furthermore, new sourcing markets, like Vietnam, arise and with it a further increase of competition. Karsten Buntrock: Since year 1999 Karsten is member of the Management in Global Sourcing. At this point of time he is responsible for the „Consulting & Process development“-team in Global Sourcing. He reports directly to the VP of Global Sourcing. Key aspects of Karsten’s work are: Continuous improvements of the interfaces to our suppliers; evaluate, implement and support of best-in-class tools for supplier selection and performance processes; development and implementation of supply chain elements related to purchasing and procurement. Driven by the company strategy in the last couple of years Karsten led a cross-functional project to develop/implement supply chain elements with suppliers in China. Due to his international experiences and his know-how in purchasing/procurement processes Fujitsu assigned Karsten a leading role in the Fujitsu „Consulting & Process development“ organization. Kay Liu: Since many years Kay is member of the Management in Global Sourcing, the centralized purchasing department in Fujitsu Technology Solution GmbH (FTS). She is in charge of the Asia activities in purchasing and procurement. Furthermore, she leads a team of buyers, engineers, logistics to support all needed product relatedtopics and supply chain elements for supporting the FTS action out of Asia. In her work life Kay collected a lot of experiences in dealing and negotiating with Asia-suppliers, especially with China-suppliers due to the high presence of Chinasuppliers in the electronic-/high-tech-business. Beginning of April 2011 Fujitsu, the mother company of FTS, assigned Kay the full responsibility for all Fujitsu-driven activities in Asia.
6.1.7
Sourcing-Verträge mit China – Was Sie unbedingt beachten sollten (Bernd-Uwe Stucken/Felix Hess, Salans Shanghai)
Das Sourcing aus China ist mit Risiken verbunden. Diese können bei Beachtung einiger Grundsätze reduziert werden. Auch passende Einkaufsverträge tragen zum Risikomanagement bei. Chinesen verwenden gerne kurze Musterverträge, die vieles offen lassen und juristisch oft von zweifelhafter Qualität sind. Auf solche Verträge sollte man sich nicht einlassen, da man im Konfliktfall nicht ausreichend abgesichert ist. Typische Probleme sind Verspätungen, Abweichungen in Menge und Qualität oder problematische Verpackungen. Erfahrene Chinahändler können Bände füllen mit Berichten über Fehlschläge beim China Sourcing. Gut beraten ist daher, wer die nötige Vorsicht
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6 Praxisbeispiele
walten lässt. Dazu muss man zunächst seine Interessen in einem ordentlichen Kaufvertrag absichern. Dieser sollte zweisprachig gefasst werden, um Missverständnisse auf Seiten chinesischer Verkäufer zu vermeiden. Das alleine genügt freilich nicht. 6.1.7.1
Caveat emptor!
Im Chinageschäft ist es unerlässlich, zu seinem Geschäftspartner eine stabile Beziehung aufzubauen. Wer nach einem Messebesuch bestellt oder das Geschäft gar über das Internet anbahnt, erlebt oft sein blaues Wunder. Chinesen legen Wert auf persönliche Beziehungen; wenn diese nicht aufgebaut werden, wird man schnell über den Tisch gezogen. Es genügt im Allgemeinen leider nicht, sich auf (gute) Verträge zu verlassen. Wie wir noch zeigen werden, ist der Rechtsweg beschwerlich und bisweilen aussichtslos. Daher müssen bei der Geschäftsanbahnung eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. In einem ersten Schritt ist es unerlässlich, sich Hintergrundinformationen über den Geschäftspartner zu besorgen. Dazu sollte man sich zunächst dessen Business License vorlegen lassen. Sie enthält vergleichbar einem Handelsregisterauszug einige wichtige Grunddaten, unter anderem die genaue Anschrift, den Geschäftszweck (Business scope), der nicht überschritten werden darf, wie auch den Namen des gesetzlichen Vertreters, freilich alles auf Chinesisch. Diese Angaben sind etwa wichtig, wenn man feststellen will, ob das Unternehmen des Partners überhaupt existiert und ob der Verhandlungspartner vertretungsberechtigt ist. Bei großen Transaktionen reichen diese Auskünfte nicht aus. Üblicherweise holt man dann einen sog. Credit Report ein, der eine Reihe aufschlussreicher Informationen enthält, z. B. Angaben zu den Jahresabschlüssen, die bei den zuständigen Behörden eingereicht wurden. 6.1.7.2 AGB, Terms of Trade, Standardverträge Deutsche Einkäufer verwenden vielfach auch im internationalen Handel sog. Allgemeine Geschäftsbedingungen (sog. AGBs), die für Geschäftsbeziehungen in Deutschland entwickelt wurden, nicht selten lange bevor das Unternehmen das Sourcing internationalisierte. Teilweise wurden englische Versionen (Terms of Purchase) angefertigt. Bei näherem Hinsehen sind diese vielfach für den internationalen Einkauf ungeeignet. Alleine die Gerichtsstandsklauseln können im Konfliktfall eine wirksame Rechtsverfolgung vereiteln. Eine sorgfältige Überarbeitung ist in den meisten Fällen geboten. In China kann man Terms of Trade verwenden. Sie bürgern sich allmählich ein und das chinesische Recht hat bereits erste Regeln zur Einbezugs- und Inhaltskontrolle entwickelt. Gleichwohl sind sie für viele chinesische Geschäftspartner noch ungewohnt. Sie bevorzugen regelmäßig Formularverträge (Standard Form Contracts), die bei Bedarf noch verhandelt werden können und in jedem Fall von beiden Seiten gestempelt werden. Es erleichtert daher die Geschäftsanbahnung, wenn man diesen Usancen entgegenkommt und die eigenen AGBs in einen Formularvertrag umarbeitet.
6.1 China Sourcing
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6.1.7.3 Anwendbares Recht Das auf einen grenzüberschreitenden Sourcingvertrag anwendbare Recht kann grundsätzlich frei gewählt werden. Daher ist es auch denkbar, die Anwendung deutschen Rechts zu vereinbaren, wenn die Verhandlungsmacht dies zulässt. Umgekehrt wird ein verhandlungsstarker chinesischer Partner auf die Anwendung chinesischen Rechts pochen. Sofern nicht ausdrücklich ausgeschlossen, ist beim Warenkauf automatisch auch die Anwendbarkeit des sog. UN-Kaufrecht vereinbart. Dasselbe gilt, wenn chinesisches Recht Anwendung findet und das UN-Kaufrecht nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird. Für die Wahl deutschen Rechts spricht, dass es dem Käufer im Zweifel bekannt ist und das Gewährleistungsrecht käuferfreundlich ausgestaltet ist. Auch das chinesische Recht kann grundsätzlich akzeptiert werden. Die Rechtsbehelfe sind hier ähnlich wie im deutschen Recht. Allerdings ist die Rechtssicherheit, die durch das chinesische Recht gewährt wird, wesentlich geringer, da eine umfängliche Jurisprudenz fehlt und die existierenden Gerichtsurteile nur schwer zugänglich sind. In vielen Fällen stellt das UN-Kaufrecht, ergänzt durch nationales Recht, einen guten und für beide Seiten akzeptablen Kompromiss dar. Das UN-Kaufrecht ist auf die Besonderheiten des internationalen Handels abgestimmt und gewährt gerade dem Käufer eine hohe Flexibilität bei der Wahl und Ausübung der Rechtsbehelfe. Weitere Vorteile des UN-Kaufrechts sind seine Übersichtlichkeit und die einfache, am kaufmännischen Sprachgebrauch orientierte Sprache. Hilfreich ist auch, dass offizielle Versionen in Deutsch, Englisch und Chinesisch existieren. Wenn das auf den Vertrag anzuwendende Recht nicht vereinbart wird, obliegt es dem Richter bzw. dem Schiedsgericht, das anwendbare materielle Recht zu bestimmen. Dabei kommen die Regelungen des internationalen Privatrechts zur Anwendung, die am Sitz des Gerichtes oder Schiedsgerichtes gelten. Sowohl nach deutschem als auch nach chinesischem IPR kommt in der Regel das Recht zur Anwendung, das am Sitz des Verkäufers gilt. Das chinesische Recht macht allerdings eine Ausnahme für Fälle, in denen der Vertrag am Ort des Käufers verhandelt und geschlossen wurde oder der Vertrag am Sitz des Käufers erfüllt werden muss; in diesen Fällen gilt nach chinesischem IPR das am Sitz des Käufers geltende Recht. Insgesamt kommt es in der Sourcingpraxis mithin schnell zur Anwendung des chinesischen Rechts, wenn eine Rechtswahlklausel – wie leider vielfach üblich – unterlassen wird. 6.1.7.4
Spezifikationen
Es ist unerlässlich, in dem Kaufvertrag die Kaufsache und deren Beschaffenheit so genau wie möglich zu beschreiben. Dazu werden üblicherweise die geforderten technischen Spezifikationen in einemAnhang aufgenommen. Im Chinahandel ist hier besondere Sorgfalt erforderlich, da es sehr häufig vorkommt, dass zwar exzellente Warenmuster vorgelegt werden, aber über die Dauer der Lieferbeziehung die Qualität nachlässt oder stark schwankt.
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Die genaue Definition der Spezifikationen ist auch im Hinblick auf die Rechtsbehelfe wichtig, die dem Käufer unter dem Kaufvertrag zustehen. Auf Grundlage detaillierter Spezifikationen ist es für den Käufer auch einfacher zu argumentieren, dass eine Kaufsache mangelhaft ist. Ratsam ist es in diesem Zusammenhang auch, Toleranzbereiche für Abweichungen von den Spezifikationen zu definieren, an deren Überschreitung gewisse Rechtsbehelfe, wie zum Beispiel eine „Minderung auf Null“ oder das Recht sich vom Vertrag zu lösen, geknüpft werden können. 6.1.7.5
Qualitätskontrolle
Qualitätskontrolle ist eine der Schlüsselaufgaben im Chinahandel. Wer nur auf den Vertrag vertraut, erlebt oft sein blaues Wunder, wenn der Container ankommt und geöffnet wird. Im Idealfall findet die Qualitätskontrolle vor Verpackung in China statt. Wer hierfür kein eigenes Personal abstellen kann, sollte die Einschaltung eines Dienstleisters für diese Aufgabe in Erwägung ziehen. Ein Mangel an ausländisch überwachten Prüforganisationen besteht nicht, freilich gehen deren Kosten zulasten der Handelsmarge. Bei Anwendung des deutschen Rechts gilt es zu beachten, dass das Handelsgesetzbuch vorschreibt, dass der Käufer die Ware unverzüglich nach Anlieferung zu untersuchen und erkannte Mängel anzuzeigen hat. Anderenfalls gilt die Ware als genehmigt, es sei denn, dass der Mangel nicht erkennbar war. Das UN-Kaufrecht enthält eine ähnliche Rügepflicht für Sachmängel. Vertraglich sollten diese Bedingungen modifiziert werden. 6.1.7.6
Incoterms
Im Januar 2011 ist die aktuelle Version der INCOTERMS in Kraft getreten, auf die als „INCOTERMS 2010“ Bezug genommen wird. Im Vergleich zu den INCOTERMS 2000 enthält die neue Fassung einige Anpassungen an geänderte Bedürfnisse des internationalen Handels. Außerdem wurden die INCOTERMS in einem gewissen Maße neu organisiert. So sucht man in der neuen Version z. B. vergeblich nach dem INCOTERM „DDU“ (delivery duty unpaid); an dessen Stelle ist aber der neue Term „DAP“ (delivery at place) enthalten. 6.1.7.7
Gewährleistungen
Das deutsche Kaufrecht sieht als Gewährleistungsrechte bei mangelhafter Lieferung vorrangig einen Anspruch auf Mängelbeseitigung auf Kosten des Verkäufers oder die Ersatzbeschaffung einer mangelfreien Kaufsache vor. Als weitere Rechtsbehelfe kommen die Minderung des Kaufpreises, der Rücktritt vom Vertrag sowie die Rückabwicklung der erbrachten Leistungen in Betracht. Die Regelungen im deutschen und chinesischen Recht sind ähnlich. Die gesetzliche Ausgestaltung der Gewährleistungsrechte entspricht im Chinageschäft wegen der vielfach hohen Lieferdistanzen oft nicht dem Interesse des Einkäu-
6.1 China Sourcing
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fers. Das gilt insbesondere, wenn JIT-Lieferungen vereinbart sind, um Logistikkosten zu senken und Kapitalbindungen zu verkürzen. Eine Mängelbeseitigung macht dann wirtschaftlich keinen Sinn. Der Kaufvertrag sollte insoweit angepasst werden. Falls es zu Ersatzlieferung für mangelhafte Produkte kommen sollte, so kann die Abwicklung mit dem chinesischen Zoll und den chinesischen Devisenbehörden sehr komplex sein. In der Regel gelten recht kurze Fristen, in denen Importe und Exporte als Ersatzlieferungen angemeldet werden können. Dies kann zur Folge haben, dass die Ersatzlieferungen als normale Importe und Exporte auf Grundlage separater Kaufverträge durchgeführt werden müssen, was zu einer erheblichen zusätzlichen Belastung durch Steuern und Zölle führen kann. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Aufrechnung von Zahlungsansprüchen aufgrund der in China geltenden Devisenkontrolle generell nicht möglich ist. Das hat zur Folge, dass in vielen Fällen die durch Käufer und Verkäufer zu zahlenden Beträge hin- und hergezahlt werden müssen. 6.1.7.8 Verstoß gegen gewerbliche Schutzrechte Es ist nicht ungewöhnlich, dass Produkte, die in China eingekauft werden, gegen ausländische gewerbliche Schutzrechte verstoßen. Das mag in China nicht immer sehr eng gesehen werden, da das Rechtssystem zur Durchsetzung der Schutzrechte (Patente, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Warenzeichen etc.) noch nicht sehr effektiv ist. Wenn aber die Ware in ein Land mit einem funktionsfähigen Rechtsund Verwaltungssystem gelangt, kann der Schutzrechtsinhaber die Verwendung der Ware wirksam verhindern. Dabei erlauben der einstweilige Rechtsschutz aber auch andere Instrumente wie die Grenzbeschlagnahme durch die EU-Zollbehörden ein sehr schnelles Handeln. Für den Einkäufer können die Folgen erheblich sein. So sind schon Zuliefer- und Ersatzteile mit gefälschten Warenzeichen an den Europäischen Außengrenzen festgehalten worden. Von daher ist es beim China Sourcing wichtig, auf die gewerblichen Schutzrechte Dritter hinzuweisen und für den Verletzungsfall harte Sanktionen anzukündigen. Regelungen zum Schutz und zur Lizenzierung gewerblicher Schutzrechte spielen auch bei OEM-Verträgen eine wichtige Rolle. Hier sollte darauf geachtet werden, dass Verstöße gegen vereinbarte Beschränkungen durch pauschalierten Schadensersatz geahndet werden, um diesenVorschriften Zähne zu verleihen. In jedem Fall sollte man bei der Weitergabe sensiblen Produktions-Know-hows größtmögliche Sorgfalt walten lassen. 6.1.7.9
Produkthaftung
Sicherheitsrelevante Qualitätsmängel der von chinesischen Lieferanten gekauften Waren können zu Ansprüchen von Verbrauchern aus Produkthaftung führen. Der Umfang dieser Ansprüche hängt davon ab, in welchem Staat die Ware in den Verkehr gebracht wird. In den meisten Rechtsordnungen kann der Geschädigte jedoch sowohl gegen den Hersteller als auch gegen den Verkäufer vorgehen. Der Verkäufer kann sodann gegen den Hersteller Regress nehmen.
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Aufgrund der unterschiedlichen anwendbaren Rechtsordnungen ist das Rechtsgebiet der Produkthaftung komplex und die notwendigen Klauseln von Fall zu Fall unterschiedlich. Allgemein kann allerdings festgehalten werden, dass Kaufverträge über Waren, welche eine Haftung unter Produkthaftungsgesetzen nach sich ziehen können, auf jeden Fall eine Klausel enthalten sollten, welche eine Freistellung von Ansprüchen Dritter vorsieht und die Regressmöglichkeit gegen den Hersteller soweit wie möglich ausdehnt. Auch die Möglichkeit, den Hersteller in ein Verfahren über Produkthaftungsansprüche einzubeziehen, sollte geprüft werden. 6.1.7.10
Schiedsklausel
Eine der wichtigsten Bestandteile eines Kaufvertrages ist eine wirksame und praktikable Regelung zur Streitbeilegung. Andernfalls können die in dem Vertrag verbürgten Rechte nicht durchgesetzt werden und sind daher nahezu wertlos. Es sollte aus diesem Grund eine Schiedsgerichtsklausel in den Vertrag aufgenommen werden. In jedem Fall sollte man vermeiden, den Sitz des Käufers als ausschließlichen Gerichtsstand zu bestimmen. Deutsche Gerichtsurteile sind in China nicht vollstreckbar. Schiedsgerichtsurteile können hingegen unter dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in 144 Staaten anerkannt und vollstreckt werden. China, Deutschland, Österreich und die Schweiz haben die Konvention ratifiziert. Weltweit gibt es eine bestimmte Anzahl renommierter Institutionen zur Durchführung von Schiedsgerichtsverfahren. Hierzu zählen unter anderem der Internationale Schiedsgerichtshof, der ICC, das Londoner Internationale Schiedsgericht (LCIA), das Internationale Schiedsgericht der Schweizer Handelskammern, die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), das Schiedsgericht in Stockholm (SCC) und – für den asiatischen Raum besonders relevant – das Hong Kong International Arbitration Centre (HKIAC) sowie das Singapore International Arbitration Center (SIAC). Bei grenzüberschreitenden Verträgen sind die Parteien bei der Wahl des Sitzes für das Schiedsgerichtsverfahren frei. Handelt es sich jedoch um einen lokalen Vertrag zwischen zwei chinesischen Gesellschaften, so muss der Sitz des Schiedsgerichtsverfahren in der Volksrepublik China sein und durch eine dort registrierte Schiedsgerichtsinstitution verwaltet werden. Die mit Abstand größte Schiedsgerichtsinstitution ist die China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC). Es ist auch möglich, in einem grenzüberschreitenden Vertrag eine CIETAC-Schiedsklausel zu vereinbaren. Es besteht jedoch in der Praxis eine starke Tendenz, dies, wenn möglich, zu vermeiden. Neben dem Sitz des Schiedsgerichtes sind bei dem Entwurf einer Schiedsgerichtsklausel noch weitere wichtige Punkte zu beachten. Sie betreffen zum Beispiel die Größe und Zusammensetzung des Tribunals, Nationalität des vorsitzenden Schiedsrichters, Verfahrenssprache, Kostenverteilung und Geheimhaltung. In den meisten Fällen wird in der Praxis versucht, Streitigkeiten mit chinesischen Partnern gütlich beizulegen. Zum einen geht es darum, dass die Geschäftsbeziehung nicht zerstört werden soll und Rechtsstreitigkeiten auch erhebliche Kosten mit sich bringen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der insbesondere im chinesischen
6.1 China Sourcing
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Kontext eine Rolle spielt, ist, dass das rechtliche Umfeld für die Vollstreckung von Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen oft als problematisch angesehen wird. Dies betrifft nicht so sehr die Anerkennung eines Schiedsspruches durch die chinesischen Gerichte, sondern eher die praktische Durchführung des Vollstreckungsverfahrens. Insbesondere außerhalb der großen Städte, wie Peking, Shanghai und Kanton kommt es in der Praxis häufig zu erheblichen Verzögerungen, welche den Zweck des Vollstreckungsverfahrens vereiteln können. Dennoch kann die Einleitung eines Schiedsverfahrens geeignet sein, in den Verhandlungen erheblichen Druck aufzubauen. Zudem wird ein großer Teil von Schiedssprüchen durch den Schuldner erfüllt, ohne dass ein Vollstreckungsverfahren notwendig ist. 6.1.7.11
Mängelrüge und Verjährung
Zeichnen sich Probleme in einer Lieferbeziehung ab, ist es wichtig, rechtzeitig auf die Vorschriften über Rügepflichten und zur Verjährung von Ansprüchen zu achten. Diese richten sich nach dem anwendbaren nationalen Recht (siehe die Ausführungen zur Rechtswahl oben). So sieht das deutsche Recht beispielsweise beim Handelskauf vor, dass offene Mängel unverzüglich und versteckte Mängel unverzüglich nach Entdeckung, spätestens jedoch vor Ablauf der Gewährleistungsfrist gerügt werden müssen. Die Gewährleistungsfrist beträgt, sofern keine abweichenden Vereinbarungen getroffen wurden, zwei Jahre. Das chinesische Recht sieht lediglich vor, dass der Käufer die Ware untersuchen soll und etwaige Mängel innerhalb eines „angemessenen“ Zeitraumes anzeigen soll. Andernfalls wird die Vertragsmäßigkeit der Ware vermutet. Welche Zeitdauer für die Mängelrüge „angemessen“ ist, definiert das chinesische Recht hingegen nicht. Es ist daher ratsam, Rügepflichten vertraglich zu definieren, falls der Vertrag chinesischem Recht unterliegen sollte. Nach chinesischem Recht verjähren Ansprüche regelmäßig innerhalb von zwei Jahren. Für internationale Kaufverträge sieht das chinesische Recht jedoch eine längere Verjährungsfrist von vier Jahren vor. Eine drohende Verjährung kann gehemmt werden. Nach deutschem Recht ist dies z. B. im Fall von Verhandlungen zwischen den Parteien oder im Fall der Rechtsverfolgung, d. h. Klageerhebung, Einleitung eines Schiedsverfahrens oder Zustellung eines Mahnbescheides der Fall. Unterliegt der Vertrag chinesischem Recht so wird die Verjährung bereits gehemmt, wenn der Anspruch gegenüber der anderen Seite schriftlich geltend gemacht wird. 6.1.7.12
Handlungsbedarf?
Sourcingverträge werden in der Praxis des Einkaufsmanagements oft stiefmütterlich behandelt. Gerne wird darauf verwiesen, dass es noch keine großen Probleme gegeben habe, da ja die Sourcing-Prozesse stimmen. Diese Einstellung ist fahrlässig. Gerade in globalisierten und damit komplexen Sourcingstrukturen lauern unerkannte Gefahren. Wer etwa zu JIT-Lieferungen verpflichtet ist, erleidet bei verspäteter Selbstbelieferung einen erheblichen Schaden in Form von Pönalen, die
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6 Praxisbeispiele
existenzbedrohende Formen annehmen können. Im China-Geschäft sind derartige Szenarien durchaus bekannt. Wer dann eine Erstattung seines Mangelfolgeschadens nicht durchsetzen kann, etwa weil als Gerichtsstand das heimische Amtsgericht vereinbart wurde, setzt ohne Not die Existenz seines Unternehmens aufs Spiel. Es macht also Sinn, in regelmäßigen Abständen die Lieferketten zu analysieren und zu prüfen, ob die verwendeten Verträge noch dem aktuellen Stand von Gesetz und Rechtsprechung entsprechen. Dr. Bernd-Uwe Stucken: Dr. Bernd-Uwe Stucken ist Rechtsanwalt und Greater China Managing Partner der internationalen Rechtsanwaltssozietät SALANS. Er lebt und arbeitet in China seit mehr als 20 Jahren und hat in dieser Zeit u. a. das deutsch-chinesische Institut für Wirtschaftsrecht an der Universität Nanjing errichtet. Seit 1994 ist er als Rechtsanwalt in Shanghai tätig. Beruflich hat sich Dr. Stucken auf den Kauf und die Reorganisation von Unternehmen in China konzentriert. Zu seinen Mandanten zählen sowohl internationale Großunternehmen wie auch mittelständische „Hidden Champions“. Seine Beratung integriert umfassend die rechtlichen, steuerlichen, strategischen, und interkulturellen Aspekte eines Engagements in China. Dr. Stucken war von 1999 bis 2004 Präsident der Deutschen Handelskammer in Shanghai und ist Autor zahlreicher Artikel zum chinesischen Wirtschaftsrecht. Felix Hess: Felix Hess, Of Counsel, arbeitet als Rechtsanwalt im Shanghaier Büro von Salans. Er berät Großkonzerne und mittelständische Unternehmen umfassend zu wirtschaftsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit deren Geschäftstätigkeit in China. Hierzu zählen neben Neugründungen, M&A und Restrukturierung bestehender Investments insbesondere auch der Entwurf und die Verhandlung von Vertriebs-, Projekt- und Einkaufsverträgen und der Entwurf von allgemeinen Geschäftsbedingungen. Herr Hess gehört der International Arbitration Practice Group von Salans an und berät Mandanten im Bereich der Konfliktlösung und internationalen Schiedsverfahren. Herr Hess lebt seit 2003 in China und spricht Deutsch, Englisch und Chinesisch.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik 6.2.1
Supply Chain Management in China – Herausforderungen aus Sicht eines Tier 1 Automotive Suppliers (Michael Karrer, ZF Friedrichshafen AG/Karl-Ingo Schmidt, ZF Drivetech (Hangzhou) Co. Ltd./Veli Yildirim, ZF Drivetech (Hangzhou) Co. Ltd.)
6.2.1.1
ZF als Getriebelieferant im chinesischen Nutzfahrzeugmarkt
Seit Ende 2009 ist China der größte Fahrzeugmarkt der Welt. China hat die USA als größtes Autohersteller- und Verbraucherland deutlich überholt. Tatsächlich
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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wurden in China über 17 Mio. Autos produziert, davon über 11 Mio. PKW und etwa 6 Mio. LKWs, Busse oder Traktoren. Die Anzahl der registrierten Fahrzeuge auf Chinas Straßen betrug 2010 etwa 91 Mio. Einheiten und wird bis 2020 voraussichtlich 200 Mio. erreichen. Im Jahr 1999 besaß China nur 6.258 km an Autobahnen; Ende 2010 waren es bereits 65.000 km (und 3,7 Mio. km geteerte öffentliche Straßen). Auch in diesem Aspekt werden die USA in den folgenden zwei bis drei Jahren sicher überholt sein (o. V. 2010). Die Zahlen unterstreichen die Bedeutung des chinesischen Fahrzeugmarkts und weisen gleichzeitig auf die großen Chancen auch für westliche Lieferanten hin, in China zu wachsen. Alle namhaften globalen Lieferanten sind in China präsent und fast alle wachsen in diesem Land sehr viel stärker als in ihren gesättigten Heimatmärkten. Aber obwohl Chinas Wirtschaft in den nächsten Jahren weiterhin beträchtlich zulegen wird, werden sich die Wachstumsraten für Fahrzeuge reduzieren. Weitere Herausforderungen, die auf in China aktive Lieferanten zukommen, sind die mögliche Aufwertung des Renminbi, die Exporte aus China erschweren könnte, das Auslaufen von staatlichen Konjunkturpaketen, welche während der Wirtschaftskrise 2009 aufgelegt wurden, eine potentiell restriktivere Geldpolitik, wachsende Arbeitslosigkeit sowie schnell steigende Löhne (Berger 2010). Die genannten makroökonomischen Faktoren deuten darauf hin, dass sich der Wettbewerb in der chinesischen Automobilbranche und besonders im Zuliefersektor deutlich verschärfen wird. Ein zentraler Erfolgsfaktor für Zulieferunternehmen am chinesischen Markt ist ein erfolgreiches Management der Supply Chain, d. h. des unternehmensinternen und -externen Wertschöpfungsnetzwerks. Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass sowohl die Planung als auch die Durchführung der operativen Prozesse, vor allem die Steuerung der Materialflüsse in der Supply Chain, integriert betrachtet und aufeinander abgestimmt werden. Dies ist im chinesischen Marktumfeld keine triviale Aufgabe: Viele chinesische (Sub-)Lieferanten der Automobilbranche räumen der Logistik nicht jene Bedeutung ein, die diese „im Westen“ besitzt. Grundlegende Logistikaufgaben wie Lagerung und Umschlag werden meist in-house mit einfachen Mitteln und hohem Personaleinsatz durchgeführt. Für Transportaufgaben werden Kleinunternehmen (sog. „Owner Drivers“) beauftragt, die kostengünstige Punktzu-Punkt-Belieferungen durchführen, aber keine landesweite Netzwerkabdeckung gewährleisten können. Die Liefertreue (Termin- und Mengentreue) ist über kurze wie lange Distanzen niedrig, sodass bestandsarme Logistikkonzepte wie Just-inTime vor sehr großen Hürden stehen. Hinzu kommen ein Mangel an logistischen Fach- und Führungskräften sowie eine geringe Verbreitung moderner ERP-Systeme (Liu und Qi 2010). Demgegenüber ist die Erwartungshaltung lokaler Original Equipment Manufacturers (OEMs) an die Lieferbereitschaft von Tier-1-Zulieferern sehr hoch: Hohe Volumenschwankungen bei relativ kurzem Prognosehorizont prägen den Markt für Nutzfahrzeuge. Aus Sicht eines Tier-1-Zulieferers gilt es somit, eine meist schlechte Performance auf der Beschaffungsseite mit einer äußerst flexiblen Kundenversorgung in Einklang zu bringen. Eine klassische „Sandwich-Position“.
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6 Praxisbeispiele
Das Geschäftsfeld LKW-Antriebstechnik der ZF Friedrichshafen AG ist in China seit 2005 mit einem eigenen Produktionsstandort vertreten. Am Standort in Hangzhou – ca. 200 Kilometer südwestlich von Shanghai – werden Getriebe für mittlere und schwere LKW hergestellt. Neben der Verantwortung für Produktion und Logistik ist der Standort auch für Vertrieb, Applikation und Konstruktion von teilweise oder vollständig lokalisierten Getrieben zuständig. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, am Beispiel von ZF in Hangzhou die besonderen Anforderungen an das Supply Chain Management im Nutzfahrzeugsektor in China herauszuarbeiten und zu erläutern, wie ZF sich diesen Anforderungen stellt. Entsprechend der im Supply Chain Operations Reference (SCOR)-Modell etablierten Systematisierung möchten wir besonders auf Strategie-, Planungs-, Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsaufgaben eingehen. Dabei werden wir zunächst die wichtigsten Herausforderungen in diesen Bereichen darstellen (Kap. 2) um anschließend auf ausgewählte Lösungsansätze von ZF einzugehen (Kap. 3).
6.2.1.2
Zentrale Herausforderungen des SCM in China
Strategie: Nische oder Volumen? ZF verfolgt als Getriebehersteller im Nutzfahrzeugbereich weltweit eine klare Hochqualitätsstrategie. Im Heimatmarkt Europa werden Eigenschaften wie Effizienz, Treibstoffeinsparung, hohe Laufleistung, guter Schaltkomfort oder geringe Geräuschentwicklung von den OEMs fest erwartet. Dies gilt grundsätzlich auch für den chinesischen Nutzfahrzeugmarkt, allerdings weist dieser, was die Priorität dieser Eigenschaften angeht, eine andere Bedürfnisstruktur auf: Hohe Qualität und Zuverlässigkeit des Produkts und der Marke („Made in Germany“, „Made by ZF“) werden zwar durchwegs geschätzt, der Anschaffungspreis steht jedoch als Kaufkriterium klar im Vordergrund. Total-Cost-of-Ownership- bzw. LifeCycle-Cost-Berechnungen sind noch wenig etabliert. Ein Lastwagen darf in China durchschnittlich 30.000 € kosten, während in Europa Preise von 80.000 € aufwärts die Regel sind (dapd 2011). Dies hat zur Folge, dass ein „deutsches“ Getriebe ohne marktgerecht angepasste Spezifikation bzgl. Lebensdauer, Gewicht, Geräusch oder Komfort auf dem chinesischen Markt eine Nische in einem kleinen, stark volatilen Premiumsegment bedient, etwa als Sonderausstattung für Spezial- oder Exportfahrzeuge – derzeit weniger als 2 % des chinesischen Nutzfahrzeugoutputs. Eine in China mainstreamfähige Kostenstruktur ist aus dieser Nische heraus nicht zu erreichen, da sich nur durch große und planbare Beschaffungsmengen entsprechende Preise am Zuliefermarkt realisieren lassen. Es gilt somit, Strategien zu entwickeln, um am chinesischen Volumenmarkt partizipieren zu können und nicht in der Nische zu verharren. Planung: Jeden Tag ein neuer Markt Eine zentrale Herausforderung des Supply Chain Managements in China ist die Volumenplanung. Der chinesische Volkskongress hat im März 2011 einen neuen Fünfjahresplan verabschiedet, der Rückschlüsse auf die wirtschaftspolitischen Schwerpunkte der nächsten Jahre zulässt. Die längerfristige Absatzplanung im Nutzfahrzeugsegment ist dennoch äußerst schwierig.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
171 300%
350
250% KundenForecast
300
200%
250
150%
200
100% Auslieferung von 100 Stk.
150
50%
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Abweichung Forecast zu Ist [%]
Forecast-/ Bestellmenge [Stk.]
400
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KW 12
KW 14
KW 16
KW 18
KW 20
KW 22
KW 24
KW 26
KW 28
KW 30
Abb. 6.7 Typische Schwankungen von Mengenprognosen des Kunden
Das hat nicht nur etwas mit der langsam zurückgehenden Wachstumsrate und der Gefahr von Überkapazitäten zu tun. Diverse Hersteller fördern ihre eigene Entwicklungskompetenz und In-house Fertigung zunehmend, sodass der Zulieferanteil dieser Unternehmen nur schwer abschätzbar ist. Darüber hinaus schafft die Verzögerung der staatlichen Emissionsvorschriften Unsicherheit, wie etwa die bereits für 2010 geplante Einführung der Euro-4-Norm, die jetzt für Anfang 2012 avisiert ist. Im kurz- und mittelfristigen Planungshorizont ist vor allem das Bestellverhalten des Kunden ausschlaggebend. Vertragliche Mengenabsicherungen, Aufträge mit „Frozen Zone“ oder tagesgenaue Lieferabrufe sind bei chinesischen Nutzfahrzeugherstellern wenig etabliert. Bestellungen schwanken auch im Kurzfristbereich sehr stark, Aufträge werden storniert, kurz danach wieder reaktiviert. Der tatsächlich verbindliche Planungshorizont beträgt meist nur wenige Tage. So ist es beispielsweise üblich, dass die Mengenprognose für den Folgemonat erst am 27. Tag des Vormonats an den Lieferanten übermittelt wird. Abbildung 6.7 zeigt den Verlauf einer Bedarfsprognose für ein schweres LKWGetriebe im Zeitraum von 20 Wochen vor Bedarfstermin bis zur tatsächlichen Auslieferung. Noch in der letzten Woche vor der Auslieferung betrug die Prognose 250 Stück, d. h. 150 % der tatsächlich abgenommenen Stückzahl von 100 Stück. Beschaffung: Die Preis-/Volumenspirale Der chinesische Zuliefermarkt ist stark fragmentiert, d. h. eine Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen konkurriert um die großen Hersteller. Für ZF als Tier-1-Lieferant besteht hier die Chance, sich als etablierter europäischer Qualitätsführer zwischen OEM und Tier-2-Lieferanten zu positionieren und damit Einfluss auf die beschaffungsseitige Supply Chain zu nehmen. Besonders im Nutzfahrzeugbereich besteht hier noch beträchtliches Potential, da die Wertschöpfungstiefe der OEMs bislang sehr hoch war, diese Unternehmen aber nun nach Lieferanten Ausschau halten, welche die wachsende Komplexität der Beschaffungskette beherrschen und integrierte Systemprodukte anbieten können. Die meisten mittelständischen chinesischen Komponentenhersteller können diese Anforderung nicht erfüllen, da sie nur Komponenten herstellen und ihre Produktions- und Logistikstrukturen auf das volumenstarke Pkw-Segment
172
6 Praxisbeispiele
ausgerichtet haben. Kleinere Stückzahlen und hohe Variantenvielfalt – wie sie für den Lkw-Bereich typisch sind – stellen diese Unternehmen vor eine Reihe von Problemen. Maschinenpark und Produktionsabläufe sind nicht auf häufiges Umrüsten ausgerichtet. Investitionen werden nur bei festen Volumenzusagen getätigt. Neben der beschriebenen Chance besteht in dieser Konstellation für den Tier-1-Lieferanten das Risiko, in eine Preis/Volumenspirale zu geraten: Günstige Preise auf dem lokalen Beschaffungsmarkt sind nur durch hohe und regelmäßige Volumen zu erzielen. Auf der Kundenseite sind jedoch nur dann hohe Absatzvolumen zu erwarten, wenn – wie weiter oben bereits geschildert – der Preis für das Gesamtsystem marktgerecht ist. Ein weiteres Problemfeld für die beschaffungsseitige Supply Chain ist der geringe Entwicklungsstand der Logistik bei den Zulieferern. Bestandsreduzierende Lieferkonzepte wie Just-in-Time oder Just-in-Sequence sind im chinesischen Nutzfahrzeugbereich nicht üblich. Vielmehr gilt ein volles Lager beim Lieferanten als ein Indikator für dessen Lieferfähigkeit. Der interne Materialfluss ist meist unübersichtlich aufgebaut, Verwechslungen von Material oder Qualitätsmängel aufgrund einer unklaren Trennung von Schad- und Gutteilen kommen häufig vor. In der Folge können Qualitätsprobleme von der Logistik nicht zuverlässig aufgefangen werden und schlagen direkt auf die Produktion des Kunden durch. Große Herausforderungen bestehen auch beim Informationsfluss: Eine direkte EDI-Anbindung von Tier-2-Lieferanten über ERP-Systeme scheitert häufig an den unterschiedlichen IT-Systemen, die Anbindung von Lieferanten über Web-Portale ist hier schon vielversprechender. Manuelle Bestellungen via E-Mail sind jedoch nach wie vor üblich. Interne Logistik: Im „Feuerwehr-Modus“ Unternehmensinterne Logistikprozesse sind in der Regel besser beherrschbar als externe, dies gilt auch für die Getriebeproduktion in China. Im eigenen Haus lassen sich Methoden und Instrumente wie 5 S, KVP o. ä. in der Regel gut einführen. Die Abhängigkeit von Kunden und Lieferanten ist dennoch hoch, da eine niedrige Liefertreue der Lieferanten oder mangelnde Prognosegenauigkeit der Kunden entweder durch interne Lagerbestände oder durch zeit- und kostenintensive Problemlösungen kompensiert werden müssen. Es besteht die Gefahr, dass sich die interne Logistik in einem permanenten „Feuerwehr-Modus“ befindet und zu wenig Zeit für nachhaltige Verbesserungen zur Verfügung steht. Eine besondere Herausforderung ist die Personalqualifizierung. Im Hinblick auf die operative Führungsebene fehlt in China ein praxisorientierter Ausbildungsgrad, der etwa dem deutschen Meister entspricht. Ausgebildete „Logistiker“ sind selten bis gar nicht zu finden. Eine systematische innerbetriebliche Qualifizierung ist somit Grundvoraussetzung. Logistikkonzepte, die stark auf eigenverantwortliches Verhalten von Mitarbeitern aufbauen, sind nicht einfach umzusetzen, da ein aktives Hinweisen auf Probleme oder Missstände durch den Untergebenen in der chinesischen Kultur nicht üblich ist. Eine solche Arbeitskultur muss im Unternehmen über einen längeren Zeitraum systematisch aufgebaut werden. Dies funktioniert wiederum nur, wenn die in China typischerweise hohe Mitarbeiterfluktuation verringert
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
173
werden kann: Logistisches Wissen (z. B. zu Prozessabläufen, abteilungsübergreifenden Zusammenhängen, Fehlervermeidung etc.) ist häufig informell und lässt sich schwerer standardisieren und „speichern“ als technologisches Know-how. Ein Mitarbeiter muss also längere Zeit im Unternehmen verbringen, um dieses Wissen zu erwerben und weitergeben zu können. Distribution: Lieferfähigkeit über alles Die Performance der gesamten Supply Chain zeigt sich letztendlich in der Lieferfähigkeit gegenüber dem Kunden. Die Möglichkeiten einer soliden Bestellprognose sind – wie oben beschrieben – stark eingeschränkt. Chinesische Kunden fordern sehr kurze Lieferzeiten von in der Regel unter einer Woche. Die primäre Herausforderung besteht darin, dieses Ziel mit den relativ langen Reaktionszeiten der beschaffungsseitigen Supply Chain, aber auch mit den Durchlaufzeiten der internen Produktionsprozesse in Einklang zu bringen. Eine hohe Variantenvielfalt an Fertigprodukten stellt sehr hohe Anforderungen an die Flexibilität von Montage und Versand, sowohl in Bezug auf den physischen Materialfluss als auch für die entsprechende Informationsverarbeitung. Eine besondere Herausforderung für das operative Logistikmanagement stellt die Planung von Lagerbeständen für nicht in China hergestellte Getriebekomponenten dar. Hierzu zählen beispielsweise technologisch aufwändige Schaltungsteile, die bislang nur im europäischen Stammwerk gefertigt werden. Für diese Teile ist zwangsläufig ein relativ großer Lagerbestand erforderlich, da Wiederbeschaffungszeiten von zwei bis drei Monaten für Lieferungen aus Europa durchaus üblich sind. Dieser Zeitraum lässt sich durch Luftfracht auf ca. 6 Wochen verkürzen, das hohe Gewicht von Getriebekomponenten lässt diese Alternative jedoch nur in Ausnahmefällen zu. Die Distribution zum Kunden stellt in der Regel kein größeres Problem dar. Die Straßeninfrastruktur der großen Ballungsräume, in welchen die großen Kunden angesiedelt sind, ist in den letzten Jahren hinreichend ausgebaut worden. Häufig holen vom OEM beauftragte Logistikdienstleister die Fertigprodukte ab. Die Transportzeit beträgt in der Regel drei bis fünf Tage.
6.2.1.3 Ausgewählte Lösungsansätze Die ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd. arbeitet bereits seit ihrer Gründung vor sechs Jahren intensiv an der Optimierung der Logistik. Seit 2009 widmet sich ein Projekt mit dem Titel „Supply Chain Optimization“ gezielt der Verbesserung interner und externer Material- und Informationsflüsse. Das Projekt untersteht direkt der Standortleitung. Im Sinne eines Best Practice-Ansatzes fließen sowohl das Know-how der lokalen Verantwortlichen als auch die Erfahrung von Experten aus dem Bereich strategische Logistik der ZF-Zentrale in die Entwicklung von Lösungsansätzen ein. Strategie: Nischen gezielt erweitern Das Supply Chain Management kann die Gesamtstrategie des Unternehmens, die Nischenposition im chinesischen Markt zu erweitern und verstärkt in das Mainstream-Segment vorzudringen, vor allem durch eine Erhöhung des „local content“ unterstützen, d. h. durch den Ausbau der lokalen
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6 Praxisbeispiele
Lieferantenbasis. Durch die Vergabe bestimmter Produktionsaufgaben an chinesische Tier 2-Lieferanten sind erhebliche Kostensenkungen möglich. Allerdings muss diese Strategie mit einer Neu- oder Anpassungsentwicklung von Produkten für die chinesischen Kundenbedarfe verbunden werden. Der Ausdruck „Localizeering“ – „Localization“ in Kombination mit marktgerechtem „Engineering“ bringt dieses Ziel zum Ausdruck. Erfolgreich lokalisierte Getriebekomponenten sind somit sowohl auf die Bedürfnisse des chinesischen Marktes als auch auf die Fähigkeiten der chinesischen Lieferantenbasis auszurichten. Hierfür wird eine genaue Analyse der Marktanforderungen, die sich dann in einer entsprechenden Gestaltung des Produktes sowie der Geschäftsprozesse niederschlägt, vorgenommen. Ebenfalls Pflicht ist der Aufbau einer lokalen Entwicklungsmannschaft, die das entsprechende Markt-Know-how in die Produktgestaltung einbringt. Ein reines „Herunterschrauben“ westlicher Qualitätsstandards und Spezifikationen („Downspec“) kann dabei nicht das Ziel sein. Ein gangbarer Weg ist die Beibehaltung der Originalanforderungen und das – zumindest vorübergehende – Tolerieren von Bauabweichungen. Im Rahmen eines integrierten Lieferantenentwicklungsprozesses können dann technologische Schwachstellen der Lieferanten zusammen mit der Optimierung von Prozessabläufen adressiert werden. Planung: Pragmatik ist notwendig Bei der Verbesserung der Planungsprozesse mit dem Ziel einer realitätsnahen Bedarfsabschätzung ist ein pragmatisches Vorgehen gefragt: Zunächst gilt es dem Reflex zu widerstehen, durch eine Optimierung von Prognose-Algorithmen und eine möglichst professionelle statistische Auswertung von Vergangenheitsdaten einen wesentlichen Informationsgewinn zu erzielen. Dies erweist sich im dynamischen Marktumfeld, in dem der Kunde mit „Bauchgefühl“ ein – meist zu optimistisches – Bild der Zukunft zeichnet, als nicht zielführend. Hinzu kommt, dass in China bei Nichteinhaltung der Prognosemengen, plötzlichen Stornierungen o. ä. keine Abnahmeverpflichtung einklagbar ist. Ein kurzfristig praktikabler Lösungsansatz ist die Erhöhung der eigenen Flexibilität durch gezielten Einsatz von Lagerbeständen. Dies bedeutet natürlich zunächst für ein Unternehmen mit starker Lean-Philosophie einen gewissen Tabubruch. Für das Bestandsmanagement impliziert dies, dass ein bestimmter Lagerbestand an gängigen Getriebevarianten definiert wird, der immer vorgehalten und nach dem Verbrauchsprinzip aufgefüllt wird. Eine Produktion über dieses Bestandsniveau hinaus findet nur bei „gefixten“, d. h. erfahrungsgemäß verbindlichen Kundenbestellungen statt. Mittelfristig ist diese Strategie durch eine engere planerische Zusammenarbeit mit dem Kunden zu ergänzen und im besten Fall zu ersetzen. Die traditionellen Kommunikationskanäle, die sich auf Vertrieb und Einkauf beschränken, müssen dazu erweitert werden: Direkte Kontakte zwischen den Produktions- und Logistikbereichen sind notwendig, um schneller an „reichhaltigere“ Informationen, die nicht durch Einkaufs- und marktpolitische Überlegungen verzerrt sind, zu gelangen. Hierfür sind gemeinsame Planungsworkshops, regelmäßige Treffen des mittleren Managements und eine intensive Beziehungspflege – auch auf Sachbearbeiterebene – sehr hilfreich.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
175
Beschaffung: Enge Kooperation von Logistik und Einkauf Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren im chinesischen Markt ist die enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den lokalen Lieferanten. Diese muss von Logistik und Einkauf gemeinsam vorangetrieben werden, da der Einkauf eine wichtige Türöffnerfunktion hat. Am Anfang steht eine volumenabhängige Materialpreisverhandlung (meist Staffelpreise) mit dem Lieferanten. Bevor ein Liefervertrag abgeschlossen wird, hat der Lieferant auch die Logistikvereinbarungen von ZF verbindlich zu unterschreiben. Um nach Anlaufen der Lieferung eine nachhaltige Verbesserung der Lieferqualität (sowohl in Bezug auf die Qualität der Produkte als auch die Einhaltung der Liefertreue) zu erreichen, ist ein Stufenkonzept sinnvoll. Auf der ersten Stufe steht die Stabilisierung der Versorgungskette im Vordergrund. Bestellungen beim Lieferanten erfolgen als Einzelbestellungen. Bis der Lieferant die Teile qualitativ stabil und zeitgerecht liefert, ist es empfehlenswert, einen definierten Sicherheitsbestand mit dem Lieferanten zu vereinbaren. Chinesische Lieferanten sind bezüglich des Aufbaus eines Konsignationslagers meist kompromissbereit, allerdings sollte dieses Lager beim Abnehmer angelegt werden, um den tatsächlichen Aufbau und die Pflege dieses Lagerbestands kontrollieren zu können. Bei der Vertragsgestaltung ist darauf zu achten, dass sich Nutzen und Aufwand bei beiden Partnern die Waage halten. Trägt beispielsweise der Lieferant die Bestandskosten, muss er dafür keine Lagermiete oder Handlingaufschläge bezahlen. Im zweiten Schritt kann das Management des Lagerbestands auf den Lieferanten übertragen werden (Vendor Managed Inventory, VMI). Hierzu erhält der Lieferant über das ZF-Beschaffungsportal „SupplyOn“ eine Übersicht über die maximale und minimale Bestandshöhe und kann die entsprechende Komponenten entsprechend seiner eigenen Produktionsplanung herstellen und anliefern. Lieferantenentwicklungsaktivitäten unter der Führung des Einkaufs und mit intensiver Beteiligung der Logistik sind für die Einführung dieses Konzept unerlässlich. Eine dritte Stufe stellt die kurzzyklische Beschaffung über Lieferabrufe dar. Diese setzt ein verhältnismäßig hohes Logistik-Know-how des Lieferanten voraus, da dieser wöchentliche Aktualisierung der Abrufe in seinen Systemen entsprechend erfassen, verarbeiten und vor allem korrekt interpretieren muss. Es hat sich gezeigt, dass diese Vorgehensweise nur mit Unternehmen, die bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit „westlichen“ Kunden aufweisen, sinnvoll implementiert werden kann. Als hilfreich erweist sich hierbei eine Überprüfung des Lieferanten über standardisierte Logistikaudits (z. B. GMMOG-LE). Je nach Anforderung kann es sinnvoll sein, den Umfang dieser Audits auf relevante Prozesse und Kernkompetenzen einzuschränken. Somit ist auch im Bereich der Beschaffung eine pragmatische Vorgehensweise zu wählen. Interne Logistik: Effiziente und robuste Prozesse Um den Unwägbarkeiten in der Kunden- und Beschaffungslogistik gerecht zu werden, muss die interne Logistik und Produktionsversorgung vor allem robust (i. S. v. wenig fehleranfällig) und flexibel sein. Dies hat weitreichende Konsequenzen, beispielsweise für logistische
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6 Praxisbeispiele
Investitionen, für die Auswahl eines angemessenen Automatisierungsgrads oder für den Personaleinsatz. HäufigeVolumenschwankungen erschweren eine gleichmäßigeAuslastung der logistischen Produktionskapazitäten. Das Equipment muss deshalb möglichst flexibel eingesetzt werden. Automatische Hochregallager und Regalbediengeräte, komplexe Kommissioniersysteme oder automatisierte Innentransportmittel werden bei ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd. möglichst vermieden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass auch das Personal sehr flexibel eingesetzt werden muss, d. h. die individuellen Arbeitsinhalte vielschichtiger sind. Eine Prozessverbesserung wird weniger durch technische Lösungen oder durch Anschaffung neuer Geräte erzielt, als durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP), der stark von der Beteiligung aller Mitarbeiter lebt. Montageeinrichtungen werden beispielsweise von den Monteuren angepasst, Werkzeuge werden selbst gefertigt, Visualisierungen und Arbeitshilfen im Team erstellt. Besonders wichtig ist es, den Mitarbeitern Vertrauen entgegenzubringen und Sicherheit zu vermitteln, sodass ein bewusster Umgang mit Fehlern möglich wird. „Fehler dürfen gemacht werden“ lautet die Devise. Der Manager muss konkrete Ziele und Termine vorgeben, aber auch ein Experimentieren auf dem Weg zum Ziel zulassen und die dafür notwendigen Ressourcen und Freiräume zur Verfügung stellen. Diese Freiräume entstehen manchmal unfreiwillig durch Auftragsschwankungen, werden aber systematisch für Schulungen oder KVP-Workshops genutzt. Als Absicherung gegen hohe Personalfluktuation sind interne Weiterentwicklungsprogramme zielführend. Mitarbeiter, die sich aktiv in die Verbesserungsprozesse einbringen, können zum Schichtführer, KVP-Experten oder Logistiksachbearbeiter aufsteigen. Regelmäßige Audits über Arbeitssicherheit, 5 S-Arbeitsplatzgestaltung, u. ä. werden direkt mit dem Manager vor Ort durchgeführt. Eine hohe Präsenz des Managers in der Produktion zeigt dabei Anerkennung für Geleistetes, Ansporn aber auch das konsequente Einfordern von vereinbarten Zielen. Distribution: Der Vielfalt gerecht werden Auch bei der Gestaltung der kundenseitigen Supply Chain ist Flexibilität die oberste Zielsetzung. Hier gilt es insbesondere, Komplexität so zu bewältigen und wenn möglich zu reduzieren, dass eine hohe Lieferfähigkeit bei erträglichen Kapitalbindungskosten erzielt werden kann. Das Komplexitätsmanagement setzt bereits bei der Produktentwicklung bei neuen Kundenprojekten an. Ziel ist es, die vom Kunden geforderte Variantenvielfalt in Rücksprache mit diesem zu reduzieren oder soweit zu kanalisieren, dass eine Erfüllung des Kundenwunsches durch modulare Baugruppen ermöglicht wird. Insbesondere auf dem preissensiblen chinesischen Markt können dadurch erhebliche Kosteneinsparungen erzielt werden, von welchen der Kunde profitiert. Aus diesem Grund verfolgt ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd. eine Modularisierungsstrategie. Halbfertige Getriebe, sogenannte Basisgetriebe, werden auf Lager produziert und erst kurz vor Auslieferungstermin mit Anbauteilen kundenspezifisch individualisiert. Allerdings ist diese Strategie nur bei grundsätzlich ähnlichen Produkten einsetzbar. Wenn Getriebe unterschiedlicher Leistungsklassen produziert werden, unterscheiden sich diese so erheblich voneinander, dass eine derartige „Mass Customization“ dann nicht mehr möglich ist.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
177
Ein weiterer wichtiger Baustein bei der Distributionsgestaltung ist das „logistische Postponement“. Was den Bestand an Fertigprodukten angeht, ist ein Bestandsniveau anzustreben, das sich einerseits an den – unsicheren – Sales Forecasts, vor allem aber an den internen Durchlaufzeiten von Fertigung, Logistik und Montage orientiert. Sind diese Durchlaufzeiten kurz, ist es möglich, einen Gutteil der Bestände auf einer niedrigeren Wertschöpfungsstufe anzulegen und die Montage erst kurz vor Liefertermin durchzuführen. So kann das in Beständen gebundene Kapital reduziert und dennoch eine sehr kurze Lieferzeit gegenüber dem Kunden erreicht werden.
6.2.1.4
Fazit
Aus den dargestellten Anforderungen sowie ausgewählten Lösungsansätzen, die bei ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd. verfolgt werden, lassen sich einige Empfehlungen für ein erfolgreiches Supply Chain Management im chinesischen Nutzfahrzeugmarkt ableiten: • Produkte und Prozesse müssen an die speziellen Anforderungen des chinesischen Marktes angepasst werden. Dies beginnt bei der Produktentwicklung und endet bei den Logistikprozessen. Der größte Erfolgsfaktor für eine „mainstreamfähige“ Kostenstruktur in China liegt im Aufbau und der Entwicklung einer lokalen Lieferantenbasis. • Die Dynamik und mangelnde Planbarkeit des Nutzfahrzeugmarktes in China ist ein Fakt. Das Supply Chain Management hat die Aufgabe, die Flexibilität aller Prozesse zu erhöhen und die Durchlaufzeiten zu verkürzen, sodass die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens auf diesem Markt steigt. • Die Philosophie einer möglichst lagerbestandslosen Logistik ist in China zu überdenken. Aufgrund der starken Marktschwankungen und der nicht ausgereiften Logistikprozesse bei Lieferanten und Kunden sind Lagerbestände ein wichtiges Instrument zur Erhöhung der Lieferfähigkeit. • Eine langfristig angelegte, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten ist besonders in China ein entscheidender Erfolgsfaktor: Informationslücken können so schneller geschlossen und Beschaffungsrisiken verringert werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die meisten der allgemeinen Prinzipien des Supply Chain Managements auch für China gelten. Ihre Priorisierung und Umsetzung muss jedoch mit Augenmaß erfolgen: Deutsches Planungsdenken, bestandslose Logistikkonzepte, eine hochautomatisierte und integrierte Infrastruktur, standardisierte ERP-Systeme und westliche Management-Methoden lassen sich nicht ohne weiteres in China einpflanzen. Der „Chinese Way of SCM“ wird gerade eben erst entdeckt.
178
6.2.1.5
6 Praxisbeispiele
Quellen
1. o.V. (2010): How many cars are there in China. In: http://chinaautoweb.com/2010/ 09/how-many-cars-are-there-in-china, abgerufen am 24.05.2011, o.S. 2. Roland Berger (2010): Chinese Automotive Market: How long will the party last? In: http://www.rolandberger.com/media/pdf/Roland_Berger_Market_ Outlook_China_2011_20101222.pdf, abgerufen am 24.05.2011, S. 8. 3. Liu, Yebiao/Qi, Zhang (2010): Development Mode of Automotive Logistics and Optimizing Countermeasure of China’s Automotive Enterprises. In: International Business Research 3(2010)3, S. 195–196. 4. dapd (2011): Hauptsache billig: Chinesen wollen bei Lastwagen keinen Stern. In: http://wirtschaft.t-online.de/lkw-markt-china-hauptsache-billig/id_45871636/ index, abgerufen am 25.05.2011, S. 1. Dr. Michael Karrer (Projektleiter Entwicklung, ZF Friedrichshafen AG): Nach dem Studium der Internationalen Wirtschaftswissenschaften arbeitete Dr. Karrer fünf Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Logistik und Verkehrsbetriebslehre an der Universität Duisburg-Essen. Schwerpunkte seiner Forschungs-, Lehr- und Beratungstätigkeit lagen im Bereich Supply Chain Management und Controlling. Nach der Promotion zum Dr.rer.oec. wechselte er 2006 zur ZF Friedrichshafen AG, Unternehmensbereich Nutzfahrzeug- und Sonderantriebstechnik. Im Bereich „Strategische Logistik“ war er unter anderem für den Aufbau der Logistik an einem neuen Produktionsstandort in Russland sowie für die Einführung eines konzernweiten Logistikcontrollingsystems verantwortlich. In China ist er seit drei Jahren aktiv: Von 2009 bis 2010 führte er ein Projekt zur Optimierung von Supply Chain-Prozessen am Standort ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd. durch. Seit Anfang 2011 ist er als Projektleiter für die Entwicklung und Industrialisierung eines neuen 6-Gang-Getriebes für leichte Nutzfahrzeuge am selben Standort verantwortlich. Dr. Karl-Ingo Schmidt (General Manager ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd.): Als promovierter Maschinenbau-Ingenieur war Dr. Schmidt zunächst als Oberingenieur am Institut für Werkstoffwissenschaft sowie als kommissarischer Leiter des Lehrstuhls für Werkstoffprüfung an der Ruhr-Universität Bochum tätig. Er übernahm 1987 die Leitung der Zentralen Werkstofftechnik der ZF Friedrichshafen AG, 1981 die Leitung der Qualitätssicherung des ZF-Unternehmensbereichs Nutzfahrzeug- und Sonderantriebstechnik in Friedrichshafen. 2002 wurde er zusätzlich zum Leiter Qualitätsmanagement ZF-Konzern berufen. Neben diesen Funktionen war er über viele Jahre ZF-Vertreter des Produktions-Joint Ventures COMESA in Barcelona und China-Beauftragter des ZF-Unternehmensbereichs Nutzfahrzeugund Sonderantriebstechnik. Er übernahm 2008 auch die Koordination des Expertenteams ZF Produktionssystem im Konzern und wechselte 2010 nach China als General Manager der ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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Veli Yildirim (Operations Director (T-Division), ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd.): In den letzten sechzehn Jahren bei der ZF Friedrichshafen AG war Veli Yildirim für verschiedene Aufgaben und Projekte verantwortlich. Als Experte für Lean Management führte er am Standort Friedrichshafen neue Produktions- und Logistiksysteme ein. Unterdessen studierte er berufsbegleitend Automatisierungstechnik und Wirtschaftsingenieurwesen und absolvierte ein MBA-Studium. Für neue ZFStandorte in Russland und Amerika arbeitete er bei der Konzeption und Umsetzung der Fabrikplanung mit und sammelte Erfahrungen im interkulturellen Umfeld. Seit 2009 ist er bei ZF Drivetech (Hangzhou) Co., Ltd. für die Produktion und Logistik der Division Nutzfahrzeugantriebstechnik verantwortlich. Des Weiteren leitet er Projekte im Bereich Produktion und Supply Chain Management.
6.2.2
Lokalisierung als Baustein einer erfolgreichen Marktbearbeitung (Christian Jaufmann, Voith)
In den Jahren von 2003 bis 2007 war ich als Geschäftsführer und CEO für einen internationalen Antriebstechnikhersteller in China tätig. In diesem Zeitraum wurde ein Produktionswerk aufgebaut, in dem nahezu das gesamte Produktspektrum der mechanischen Antriebstechnik lokal gefertigt werden kann. Das Produktspektrum reicht von Getriebemotoren für allgemeine Anwendungen über spezielle Aufzugsantriebe bis hin zu Standard-Industriegetrieben für den Antrieb von beispielsweise Förderbändern, Becherwerken und Kettenförderern in der Zement- und Bergbau-Industrie. Später kamen zu diesem Produktspektrum, das hauptsächlich auf hohe Stückzahlen mit „Wiederholcharakter“ ausgerichtet war, noch Spezialgetriebe für Windkraftanlagen und Großgetriebe für den Antrieb von Kohlemühlen in Kraftwerken hinzu.
6.2.2.1
Nah am Kunden – mit lokaler Wertschöpfung
Bevor man aktiv in eine Wertschöpfung und ein China Sourcing investiert, gilt es den Markt wirklich zu kennen. Hierzu zählen vor allem die Marktaussichten, Kundenbedürfnisse, die eigene Position und Möglichkeiten, die man als Firma hat. Auch lohnt es, einen Blick auf die Aktivitäten der Wettbewerber zu werfen und sich über gesetzliche Vorgaben zu informieren. Im Jahr 2003 stellte sich die Ausgangssituation folgendermaßen dar: Das ChinaGeschäft wurde zum überwiegenden Anteil mit Importen aus Deutschland bedient und nur wenige Antriebe kamen aus der eigenen lokalen, chinesischen Fertigung. Im Gegenteil, von dort wurden größtenteils bearbeitete Gussteile für deutsche Werke geliefert. Wettbewerber hatten sich in China wesentlich besser entwickelt, auch aufgrund der Tatsache, dass diese in China schon wesentlich mehr Wertschöpfung hatten. Die Vorteile entstehen nicht nur aus der Wertschöpfung an sich, sondern auch daraus, dass mit der eigenen Wertschöpfung in der Regel mehr Service-, Engineering-
180
6 Praxisbeispiele
und Anwendungskompetenz im Land aufgebaut wird; somit können treffsicherer die Kundenbedürfnisse erfüllt und die lokalen Kunden besser beraten werden. Nicht zu vergessen ist, dass eine lokale Wertschöpfung erforderlich ist, um eine hohe Liefer-Performance (Lieferfähigkeit und -treue bei kurzen Lieferzeiten) zu realisieren; denn nicht alles kann im Lager vorgehalten werden, gerade bei einer hohen Variantenvielfalt auf Modul- und Komponenten-Ebene. Im Jahr 2003 war abzusehen, dass die Geschäfte stagnieren oder gar zurückgehen würden, falls die China-Strategie nicht verändert wird. Deshalb wurde beschlossen, über mehrere Jahre hinweg jedes Jahr hohe Investitionen in den Aufbau einer lokalen Produktion zu tätigen. Die Investitionen sollten in allererster Linie der Geschäftsentwicklung in China dienen und soviel Wachstum im Volumen möglich machen, dass Aufträge und Beschäftigung für deutsche Werke nicht zurückgehen. Das Ziel war also nicht, eine Produktionsverlagerung von Deutschland nach China vorzunehmen. Es sei hier erwähnt, dass dieses Ziel nicht nur erreicht, sondern um ein Vielfaches übertroffen wurde; es gelang, durch die lokale Wertschöpfung auch chinesischen Getriebeherstellern kostenmäßig etwas entgegenzusetzen. Außerdem konnten durch die lokale, kompetente Beratung, den Service und das Applikationsengineering viele neue Kunden dazugewonnen werden.
6.2.2.2 Werksaufbau und Lokalisierung – Vorgehensweise Nachdem der Beschluss im Vorstand gefasst wurde, in China mehr lokale Wertschöpfung zu verwirklichen, wurde innerhalb der Firma regelrecht für diese Idee geworben, um die Unterstützung bei den operativen Geschäftseinheiten zu gewinnen. Dadurch wurde das Bewusstsein geschaffen, dass es sich für die Geschäftseinheiten lohnt, Ressourcen in das Thema zu investieren und im Gegenzug mitgestalten zu können. Die aus den China-Aktivitäten resultierenden Umsätze und Ergebnisse wurden dann später auch auf die operativen Geschäftseinheiten konsolidiert, was den Anreiz beim Aufbau der lokalen Aktivitäten zusätzlich erhöhte. Als Kernkompetenz, die nicht extern zugekauft werden sollte, wurden verzahnte Teile definiert. Damit war auch schon klar, in welche Fertigungstechnologie man selbst investieren musste und für welche Bauteile lokale Lieferanten zu suchen und aufzubauen waren. Als Struktur für das neue chinesische Werk haben wir uns dazu entschieden, ein großes Montagewerk (25.000 m2 ) in drei Schiffen zu bauen und die Teilefertigung in einem separaten Gebäude unterzubringen. Das Montagewerk kann modular durch Anbau von zusätzlichen Schiffen erweitert werden. Alle Schiffe sind so ausgelegt, dass das Material in eine Richtung fließt: Wareneingang, Lager, Kommissionieren, Montage, Prüfen, Lackieren und Verpacken. Die einzelnen Technologien zu den jeweiligen Arbeitsschritten waren natürlich je Getriebetyp verschieden und wurden an das angelehnt, was man in den „Mutterwerken“ in Deutschland tat. Die Frage, welche Getriebetypen zuerst lokal montiert werden sollten, haben wir folgendermaßen entschieden: Am besten eignen sich hierfür die Standardgetriebe mit hohen Stückzahlen und geringem oder gar keinem Engineering-Aufwand pro
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
181
Auftrag, die sich zudem über Absatzzahlen aus der Vergangenheit disponieren lassen. Diese Art der Getriebe können die Kunden praktisch aus dem Katalog bestellen bzw. mit Hilfe eines Produkt-Konfigurators zusammenstellen. Parallel zum Aufbau und der Ausstattung des Montagewerkes haben wir eine eigene Fertigung für Verzahnungen für diese Getriebetypen aufgebaut. Schnell war auch klar, dass wir für diesen Aufbau des Standard-Getriebegeschäftes unsere Vertriebsmannschaft in China neu ausrichten und aufbauen mussten. Und so konzentrierten wir uns auch darauf, unseren bisherigen Projektvertrieb (wenige zentrale Vertriebspunkte) durch einen so genannten Standardvertrieb mit vielen Vertriebsstützpunkten nahe am Kunden zu ergänzen. Neben den verzahnten Getriebeteilen, die wir ausschließlich in Eigenregie fertigten, stellen die Gehäuse der Getriebe eine weitere wesentliche Komponente dar. Für diese bearbeiteten Getriebegehäuse aus Grau- und Sphäroguss konnten wir im Großraum unseres neuen Werks genug qualifizierte Lieferanten finden und aufbauen. Dabei war ein entscheidender Erfolgsfaktor, dass wir uns auf private Betriebe konzentrierten, die keine eigenen Produkte hatten, sondern sich auf Teileproduktion spezialisiert hatten. Nicht zielführend waren die Erfahrungen mit großen Staatsbetrieben, die beispielsweise Werkzeugmaschinen produzieren und lediglich zum Füllen der eigenen Teilefertigung nach externen Kunden Ausschau halten; bei diesen Staatsbetrieben wurden Qualitätsverbesserungen nur sehr schleppend vorangetrieben, im Falle einer guten Auftragslage bei den eigenen Produkten erhielten wir zudem keine Kapazität für unsere Teile. Wohingegen die Dynamik von einigen unserer nicht staatlichen Lieferanten beeindruckend war. Zum Beispiel: Ein privates Unternehmen, welches sich bisher auf die zerspanende Fertigung von Gussteilen spezialisiert hatte, investierte kurzerhand in eine eigene Gießerei. Als ich nach einigen Jahren diesen Betrieb wieder einmal besuchte, konnte ich feststellen, dass dort eine nach westlichen Standards sehr moderne Gießerei entstanden war und offenbar gut betrieben wird. Wir verließen uns allerdings nie zu hundert Prozent auf unsere Lieferanten, sondern hatten selbst auch einige Bearbeitungsmaschinen für Gussgehäuse, die teilweise unseren Eigenbedarf abdeckten. Diese Strategie hat sich als gut und richtig erwiesen, da wir öfter bei unseren Hauptlieferanten mit unseren Spezialisten unterstützen mussten, um Qualität und Produktivität zu verbessern. Dabei war sicherlich auch von Vorteil, dass diese Lieferanten teilweise die gleichen Bearbeitungsmaschinen beschafft hatten, so konnten wir sogar mit unseren CNC-Programmen aushelfen. Die „Lokalisierungsphase II“ nahmen wir in Angriff, nachdem wir unser neues Montagewerk mit Standardgetrieben quasi hochgefahren hatten, die dazu passende Zahnradfertigung erfolgreich in Betrieb genommen und eine funktionierende Lieferantenstruktur für Getriebegehäuse, Wellen, Flansche und Normteile aufgebaut hatten. Phase II beinhaltete das Lokalisieren von Spezialgetrieben und Antriebssystemen, die auf Kundenwunsch hin entwickelt und appliziert werden. Dazu zählen beispielsweise Getriebe für Windturbinen, Wälzmühlenantriebe und Sondergetriebe für Containerkräne. Diese Getriebe werden praktisch immer von Kunden projektspezifisch bestellt und es sind kleine Anpass-Konstruktionen vorzunehmen, wie Übersetzungsänderungen oder Änderung der Abmessungen der Wellenenden. Die
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6 Praxisbeispiele
Getriebe werden also nicht aus dem Katalog bestellt, sondern von Auftrag zu Auftrag ist lokales Applikationsengineering notwendig. Um diese Spezialgetriebe erfolgreich zu lokalisieren, mussten wir parallel zum Aufbau weiterer Fertigungsmaschinen eben auch lokales Engineering und noch tiefere technische Kompetenz auch im Sourcing aufbauen, da bei diesen Spezialgetrieben noch größere Anforderungen an die Qualität gestellt werden. Daher gründeten wir ein „China Sourcing“-Team mit überwiegend technischen Spezialisten (Metallurgen, Gießereitechniker), die projektbezogen neue Lieferanten suchten und qualifizierten: bis zur erfolgreichen Abnahme von Prototypteilen. Danach wurden die Projekte an unseren operativen Einkauf übergeben. Für die großen anspruchsvollen Getriebegehäuseteile von beispielsweise Windgetrieben konnten wir nicht so ohne weiteres potentielle Guss-Lieferanten im Umfeld unseres Werks finden und so mussten wir unseren Suchradius vergrößern. Fündig geworden sind wir im Großraum Shanghai. Bei zwei Gießereien konnten wir selbst für die sehr anspruchsvollen Windgetriebeteile eine stabile Serienbelieferung aufbauen, was allerdings knapp ein Jahr in Anspruch nahm. Viel Zeit kostete uns das Übersetzen und Abstimmen unserer internen Dokumente und Spezifikationen für diese Gussteile. Als unsere Anforderungen einmal vollständig von den Lieferanten verstanden waren, ging es bis zur erfolgreichen Abnahme recht schnell. Bei der Serienbelieferung hat sich als sehr hilfreich erwiesen, dass wir bei den Gießereien jeweils einen eigenen Qualitätsinspekteur installierten, der die Teile vor Auslieferung gründlich geprüft hatte. Es sei hierzu abschließend erwähnt, dass die Belieferung unseres chinesischen Werkes so gut geklappt hat, dass wir unser indisches Werk für Windgetriebe auch zeitweise mit Gussteilen aus China versorgten.
6.2.2.3
Erfolgsfaktoren: Chinesischen Führungskräften Verantwortung geben – Westliche Führungsmethoden nicht ablegen – Geduld und Zuversicht
Die Erfolgsfaktoren für einen Produktionsaufbau in China sind natürlich auch abhängig vom Umfeld innerhalb der Firmengruppe, in der man sich befindet. Im beschriebenen Fall waren bis dato noch keine Erfahrungen in den Geschäftseinheiten vorhanden, wie ein Fertigungsstandort im entfernten Ausland (China) aufzubauen ist. Daher war ein wichtiger Erfolgsfaktor, dass das Vorhaben vom Vorstandsvorsitzenden persönlich unterstützt und gelenkt wurde und die gesamte Führungsmannschaft sowie die Spezialisten in den einzelnen Geschäftseinheiten voll hinter der Idee standen. In so genannten „China day meetings“ traf sich das Führungsgremium für die Investitionsprojekte in sechs-wöchigem Abstand abwechselnd in Deutschland und China, um den Stand zu besprechen und gemeinsam zu lernen, was man in Zukunft besser machen kann. Als wichtig hat sich außerdem herausgestellt: Teamwork auf allen Ebenen mit dem Grundverständnis bei den chinesischen Führungskräften, dass sie für den Aufbau der chinesischen Produktion selbst verantwortlich sind – aber jederzeit die Unterstützung der deutschen Spezialisten einholen können. Dieses Grundverständnis darf
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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nach meinen Erfahrungen nicht anders herum sein: etwa, dass die deutschen Führungskräfte versuchen, bis ins Detail den chinesischen Kollegen sagen zu wollen, was wie gemacht werden soll. Die Verantwortung für die Geschäftsentwicklung und den Produktionsaufbau muss in China liegen. Es darf aber nicht an Qualitätsstandards und technischen Standards gerüttelt werden. Diese müssen selbstverständlich eingehalten werden. Um eine derart große Eigenverantwortung lokal auszufüllen, ist eine exzellent funktionierende Personalabteilung in China erforderlich, die geeignete chinesische Manager finden kann. Es gab während meiner vier Jahre in China praktisch kein anderes Thema, dass mich auch persönlich permanent so stark beschäftigte wie derAufbau und die Ausbildung meiner Führungsmannschaft. Und ich kann mit Überzeugung sagen, dass ich im Führungsteam keine Schwierigkeiten mit Loyalität hatte; wobei ich mir meine Führungskräfte auch selbst aussuchte und diese überwiegend selbst ausbildete. Vielleicht liegt darin auch ein Erfolgsfaktor. Unsere Personalabteilung musste pro Jahr an die 200 Mitarbeiter einstellen. Schon daran kann man erkennen, welch große Aufgabe ihr zufiel. Außerdem haben wir ein erfolgsabhängiges Einkommenssystem für alle Mitarbeiter eingeführt. Jeder Mitarbeiter erhielt abhängig von Umsatz, Ergebnis und Working Capital jeden Monat 20 % des Gehaltes variabel. Diese 20 % konnten je nach Zielerreichung verdreifacht werden. Das ist natürlich ein schöner Anreiz, gerade für einen Maschinenbediener in der Produktion, und hat bestimmt die ein oder andere Fluktuation verhindert. Zielvereinbarungen und eine klare Aufgabenverteilung haben sich nach meiner Erfahrung auch in China bewährt. Außerdem sei an dieser Stelle erwähnt, dass moderne westliche Führungsmethoden trotz der Kulturunterschiede auch in China sehr gut funktionieren. Selbst die so oft zitierten Netzwerke innerhalb der Firma habe ich selten als negativ empfunden; man muss nur darüber Bescheid wissen und sich anhand von Fakten bzw. Resultaten seine eigene Meinung bilden. Bei Fällen, in denen ein Netzwerk allerdings für den Unternehmenserfolg schädlich war, bin ich sofort und konsequent eingeschritten. Weitere Erfolgsfaktoren in China sind Geduld und Zuversicht: Denn manchmal werden die Dinge etwas anders erledigt, als wir es in der westlichen Welt gewöhnt sind. Als deutscher Manager in China tritt man unweigerlich in zahlreiche nicht unerhebliche Fettnäpfchen; nur durch loyale und ehrliche chinesische Mitarbeiter im direkten Umfeld, die einem helfen, kann Schlimmeres vermieden werden. Ein weiterer Erfolgsfaktor liegt darin, so wenig wie möglich deutsche bzw. westliche Manager in China einzusetzen. Meine Empfehlung lautet, sich langfristig für alle Positionen, insbesondere auch Führungspositionen, chinesische Mitarbeiter zu entwickeln, da Expats aus dem Stammhaus nur Übergangslösungen sein können. „Nah am Kunden“ verlangt lokale Wertschöpfung – und (früher oder später) auch lokales Management. Dr. Christian Jaufmann: Dr. Jaufmann, Senior Vice President, Voith Turbo GmbH & Co. KG, promovierte an der Universität Stuttgart „Zur Tauchschmierung schnelllaufender Fahrzeuggetriebe“. Beruflich begann er als Projekt- und Konstruktionsleiter für Bahnantriebe. Es folgten Stationen als Leiter einer Geschäftseinheit Heavy Duty und CEO in China. In China war Dr. Jaufmann vier Jahre tätig und
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6 Praxisbeispiele
hat während dieser Zeit dort eines der weltweit größten Werke für Industriegetriebe aufgebaut. Vor seinem Wechsel zu Voith war er Geschäftsführer der Schenck Process Holding. Bei Voith verantwortet Herr Dr. Jaufmann die Geschäftseinheit Busantriebe mit Aktivitäten und Standorten in der ganzen Welt.
6.2.3 Werksaufbau, Anlauf-Management und Just-in Sequence in China – Beispiele und Erfolgsfaktoren (Ralf Becker, Johnson Controls) Jeder, der in China unterwegs war, hat schon häufig darüber gestaunt, wie quasi über Nacht neue Straßen oder Brücken entstehen oder wie schnell Gebäude hochgezogen werden. Blickt man allerdings mit einem „kritischen westlichen Auge“ auf so manches technische Detail in den Räumen neuer Gebäude, erkennt man schon mal „kleinere Mängel“. Chinesen haben nicht nur eine andere Vorstellung von Präzision, meistens besteht gar nicht der Anspruch, dass etwas „für die Ewigkeit“ gebaut wird. Nach ein paar Jahren wird ein Gebäude oftmals wieder abgerissen und etwas Neues entsteht. Wie läuft nun ein Werksaufbau in China ab? Geht es dort auch so schnell? Wie verhält es sich mit der Qualität der „Hardware“ und der Prozesse? Worin liegen die Unterschiede zu einem Werksaufbau im Westen? Erfahrungen zum Werksaubau in China sollen im Folgenden mit Beispielen beschrieben werden. Diese Erfahrungen stammen aus meiner Zeit in China von 2007 bis 2010, als ich bei Shenyang Jinbei Johnson Controls Automotive Interior als Platform Director tätig war.
6.2.3.1 Von der grünen Wiese bis zur internationalen Top-Qualität in elf Monaten – funktioniert auch in China Im ersten Beispiel wird der Aufbau eines Werks beschrieben, in dem Sitzschaum für die in China hergestellten BMW 5er und 3er hergestellt wird. Innerhalb von elf Monaten erreichte man vom „green field“ die BMW-Auslieferqualität mit einem „Plateau Launch“; das heißt, von einem auf den anderen Tag musste das volle Produktionsvolumen erreicht werden, ohne „sanfte“ Anlaufkurve, die man mit langsam ansteigenden Stückzahlen durchlaufen konnte. Die Anforderungen nehmen deutlich zu, wenn gleich beim ersten Mal die hoch gelegte Latte übersprungen werden muss; umso wichtiger ist das Training vor dem „Plateau Launch“. Insgesamt galt es, 42 Carrier Schaumanlagen zu installieren; die Schaumwerkzeuge und die gesamte Karussell-Anlage kamen aus Deutschland, sie wurden von deutschen Experten aufgebaut und beim Aufbau betreut. Darüber hinaus war ein QMS (Quality Management System) nach westlichem Vorbild einzuführen (inkl. „Quality Laboratory“ entsprechend der JCI-Standards), das zudem die BMW-Spezifikationen erfüllen musste. Dies gelang schließlich mit der finalen Produktfreigabe durch BMW Quality
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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Deutschland; alle Produktspezifikationen (auch Emissionsvorgaben nach BMWSpezifikation) wurden erfüllt. Einige Monate nach SOP (Start of Production) zeigte sich, dass die BMW-Qualitätsziele erreicht wurden – mit „Zero Fehler“ bei BMW! Die zweite große Aufgabenstellung von BMW an das SJJ-Team war die Umstellung von einer Batch-Anlieferung zu einer JIT/JIS-Anlieferung (Just-in-time/Justin-Sequence). Im vorhandenen Produktionsumfang wurden Türverkleidungen und Instrumententafeln ursprünglich in einer CKD-Produktion (Completely Knocked Down) hergestellt und ausgeliefert, die im Sinne einer Batch-Fertigung eine bestimmte Stückzahl des gleichen Produkttyps ausbringt, bevor das nächste Los aufgelegt wird. Bei einer JIT-Produktion werden die benötigten Produkte (in kleinen Losen) erst kurz vor dem Verbau, also „just-in-time“, angeliefert. JIT ist somit ein Pull-orientiertes Materialversorgungsprinzip, bei dem der vorgesehene Kundenbedarf den Abruf auslöst. Bei JIS wird darüber hinaus noch in einer vorgegebenen Reihenfolge an den Kunden geliefert. JIS wird in der Regel eingesetzt bei großen Modulen, die eine ausgeprägte Variantenvielfalt aufweisen. Jedes Modul entspricht den individuellen Wünschen des Kunden („Auto-Konfiguration“). Wenngleich dem chinesischen Autokäufer in der Vergangenheit vergleichsweise wesentlich weniger Variationsmöglichkeiten zur Verfügung standen und er diese vielleicht gar nicht gefordert hatte, ist durchaus auch in China ein Trend zur Individualisierung bei der Produktkonfiguration festzustellen. Mit jeder zusätzlichen Variante steigt grundsätzlich die Notwendigkeit nach JIS. Denn: Eine Vorhaltung dieser zahlreichen unterschiedlichen Module an der Linie wäre aus Bestands- und Flächengesichtspunkten nicht möglich. Klar wird, dass bei einer JIS-Lieferung höchste Anforderungen bestehen, weil Pufferungen weitgehend entfallen. In der westlichen Literatur wird deswegen auch von der „Königsdisziplin der Logistik“ gesprochen. Fehlt ein Modul und steht das frühzeitig fest, kann die Montage-Reihenfolge noch geändert werden, was allerdings zu Verwirbelungen in der Programm- und Produktionsplanung des Kunden führt. Ist das Fahrzeug dagegen schon auf die Montagelinie gesetzt, kann das Fahrzeug nicht fertig gebaut werden und wird in der Regel ausgeschleust; in manchen Fällen besteht die Möglichkeit, dass nachgerüstet werden kann. Im schlimmsten Fall führt die Nichtverfügbarkeit von JIS-Modulen zum „Bandstopper“. Neben der Verfügbarkeit besteht in der Reihenfolge-Genauigkeit eine zweite große Anforderung. Trotz der Vielzahl an unterschiedlichen Modulen müssen Verwechslungen ausgeschlossen werden und die geforderte Reihenfolge sichergestellt sein. Mit diesen Ausführungen soll deutlich gemacht werden, dass die Prozessqualität unbedingt gegeben sein muss. Folgende Fragen drängen sich auf: Sind solch hohe Anforderungen in China überhaupt zu realisieren? An welchen Themen muss bei einer JIS-Einführung gearbeitet werden? Was ist das Besondere in China und auf was ist zu achten bei einer JIS-Einführung in China? JIS benötigt stabile Prozesse und eine stabile Produktionsumgebung, die in China nicht immer gegeben ist. Engpässe, in welcher Form auch immer, sind eine Gefahr für die JIS-Qualität. Hierzu ein Beispiel: Während man im Westen die Verfügbarkeit von Strom als eine Selbstverständlichkeit ansieht, ist diese in China nicht immer gegeben. Die Stromverteilung wird von der Regierung gesteuert. Hierauf muss man seine Systeme (Hardware) vorbereiten, um keine Überraschungen zu erleben. Es
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6 Praxisbeispiele
ist ganz normal, für einige Stunden keinen Strom zu haben. Meist wird dies aber vorzeitig angekündigt, insbesondere wenn man als „High-Tech-Unternehmen“ in China gelistet ist. Dann ist die chinesische Regierung sehr bemüht, dafür Sorge zu tragen, diese Unternehmen dahin gehend zu schützen, dass keine Maschinenschäden auftreten. Generell muss ich sagen, dass die chinesische Regierung äußerst hilfreich war und uns sehr darin unterstützt hat, Zeitpläne einhalten zu können. Das war nur dadurch möglich, indem ein sehr gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde und wir aktiv zusammengearbeitet hatten. Zu berücksichtigen ist auch, dass die chinesischen Mitarbeiter durch eine prinzipiell andere Denkweise hinsichtlich Qualität, Planung, Prävention und Antizipation geprägt sind. Um dies zu verstehen, empfehle ich jedem Westler den chinesischen Führerschein zu machen und selber seinen Pkw durch die Straßen zu führen. Das habe ich auch gemacht und so begonnen, die Denkweise der Chinesen zu verstehen. Auf den Straßen Chinas hält man sich wenig an die eingezeichneten Fahrbahnen und Führungslinien; die Fahrweise richtet sich an „nahen Orientierungspunkten“ aus; beim Spurwechsel schaut man in der Regel nicht nach hinten, wer ein paar Zentimeter Vorsprung hat, genießt „Vorfahrt“. Meine Theorie ist: Hinter jedem (scheinbaren) Chaos ist eine Systematik. Zu Beginn erscheinen die Regeln und Abläufe unverständlich, aber bei offener Betrachtung werden diese einleuchtend; was nicht bedeuten soll, dass diese in westlichen Ländern anwendbar sind. Man muss die Spezifika nur erkennen und offen damit umgehen, dann ist man vorbereitet. Und ich habe auch nach einigen Monaten gelernt, dass es vorteilhaft ist, in China permanent links zu fahren. Meine westlich geprägten Gedankenabläufe mussten sich also erst „öffnen“. Schließlich habe ich dann eine gesellschaftliche Regel erkannt, die sich im Zuge der zunehmenden Mobilität in China neu gebildet hatte, aber sicherlich in den Grundzügen der chinesischen Kultur schon seit Jahrhunderten vorhanden war. Für die Einführung von JIS bedarf es zunächst eines völlig veränderten LogistikKonzepts. Die Umstellung betrifft die Produktbestellung, die Lagerhaltung, die Fertigung und dieAuslieferung. Die operativen Systeme sind anzupassen – die Veränderungen müssen von allen verstanden werden. Das beinhaltet interne Bereiche, wie Programmplanung, Auftragssteuerung, Lagerhaltung, Line Replenishment, Produktion, Versand und Distributionslogistik; aber auch die eigenen Lieferanten müssen in das Konzept eingebunden werden. Fehlt ein Teil eines Tier-2-Lieferanten, so kann das schnell bis zum OEM durchschlagen. Vor allem rein lokale Lieferanten müssen intensiv betreut werden. Wenn lokale Lieferanten keine internationalen Erfahrungen aufweisen können, werden diese von den westlichen OEM meistens gar nicht ausgewählt, da sich der Aufwand verglichen mit den Preisvorteilen in der Regel nicht rechnet. Von zentraler Bedeutung ist die Schnittstelle zum OEM; insbesondere ein entsprechendes IT-Umfeld, das Risiken berücksichtigt, flexibel auf Änderungen reagiert und die Sequenzen durchgängig abbildet (Kundenbestellung – Auslieferung – BMWProduktion – Sequenzierung usw.). Mindestens genauso wichtig ist: Alle am Prozess involvierten Mitarbeiter müssen die Anforderungen und die Abläufe verstehen! Bis hin zu jedem Arbeiter an der Linie – und selbst die Lkw-Fahrer wurde von uns im Systemverständnis sowie im Umgang mit normalen Handscannern ausgebildet;
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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ansonsten kommt es zu Fehlproduktionen und abweichenden Auslieferungen. Eine durchaus herausfordernde Aufgabe. Beim Nachfolgeprodukt der Türverkleidung und der Instrumententafel für den neuen BMW 5er erhöhten sich zudem die Produktvielfalt und die Ausstattungsmöglichkeiten (z. B. mehr Farbenauswahl, Lichtpaket etc.), was die Komplexität verstärkte und das Gesamtverständnis erschwerte. Hinzu kam die kurze Projektzeit: 9 Monate vom Kick-off mit BMW bis zur ersten Auslieferung. In dieser Zeit musste eine umfangreiche Hardware und Software installiert und in das globale Johnson Controls IT-System eingegliedert werden. Das Team, das die Umsetzung durchführte, bestand aus Experten vom Werk, aus IT-Experten aus Deutschland, die den Kunden BMW sehr gut kennen, und Experten aus der Region (China und Asien); somit war sichergestellt, dass weltweite Standards eingehalten wurden. Die BMW-Erwartungen an die rechtzeitige Implementierung waren sehr hoch; letztendlich hat das Team zu jedem Projektmeilenstein die Erwartungen erfüllt. Wichtig war, gemeinschaftlich (Kunde und Zulieferer) Herausforderungen zu erkennen und Wissen zu erarbeiten. Kommunikation, Schulungen und Training der Mitarbeiter waren in dieser Phase entscheidende Instrumente, um Verständnis und Motivation zu erzeugen. Mit einfachen Mitteln wurde erreicht, dass die Mitarbeiter verstanden, was „Individualisierung“ bedeutet. Heute kann gesagt werden, das Team hat die Anforderungen erfolgreich umgesetzt; JIS konnte rechtzeitig und erfolgreich eingeführt werden. Das zeigt sich auch darin, dass BMW in der jährlichen Lieferantenbewertung im Logistikbereich die JCI Team-Performance mit einem Wert von 9,91 von 10 möglichen Punkten bewertete. Aufgrund dieses Projektes wurde mein Team als das beste Lieferantenteam in diesem Jahr ausgezeichnet: ein Teamerfolg, der hart erarbeitet und entsprechend mit allen Beteiligten und deren Familien gefeiert wurde.
6.2.3.2
Qualität im Anlauf – der Mitarbeiter steht im Mittelpunkt
Ein zweites Werk für den neuen BMW 5er Langversion musste zur Versorgung von Türverkleidungen, Instrumententafeln und Crash-aktiven Kopfstützen auf der „grünen Wiese“ mit 14.000 qm aufgebaut werden: innerhalb von neun Monaten vom Start Abriss altes Lagerhaus bis zur ersten produzierten Einheit. Es galt, in dieser Zeit die entsprechenden Maschinen mit den erforderlichen Prozessschritten zu installieren. Außerdem mussten das Qualitätsüberwachungs-Equipment (3D-CNCMessanlage inkl. Messungen nach BMW-Standard) sowie das Qualitätsverständnis aufgebaut werden. Einige Maschinen wurden in China gesourct und waren problemlos zu integrieren. In manchen Fällen haben uns allerdings die Zulieferer auf eine Geduldprobe gestellt, so dass die Zeitpläne manchmal gefährdet wurden. Spezialmaschinen für Prozesse mit sehr kleinen Toleranzen sind aus Europa gekauft worden und wurden (wie beim ersten Fabrikaufbau) mit Unterstützung von westlichen Maschinenexperten aufgebaut und ein-/angefahren, um Qualitätsprobleme zu vermeiden. Eine besondere Herausforderung lag darin, dem chinesischen Team die BMWAnforderungen verständlich zu machen. In einem ersten Schritt war es entscheidend,
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6 Praxisbeispiele
dass alle ein gemeinsames Ziel verinnerlichten. In diesem Zusammenhang sind aber auch die Sprach- und Kulturunterschiede nicht zu unterschätzen. Selbst wenn es nicht immer leicht ist, eine positive Atmosphäre entsteht dann, wenn sich die Beteiligten an den kulturellen Unterschieden und am gemeinsamen Lernen „erfreuen“. Wenn ein offener Umgang mit kulturellen Unterschieden vorgelebt wird und jeder Unterschied als Teambeitrag verstanden wird, dann hat das Team als Einheit ein großes Potenzial. „Diversity“ ist eine Chance für jeden einzelnen und für das Team. Insbesondere die Anforderungen und Erwartungen an westliche Experten sind hoch, da nicht nur technische Kompetenz gefragt ist, sondern Fingerspitzengefühl im Umgang mit einer anderen Kultur und Mentalität. Die Vorbereitung der westlichen Experten auf den China-Einsatz ist daher notwendig. Denn typisches europäisches Management ist schwierig umzusetzen und lokale Gegebenheiten müssen berücksichtigt werden. Das Nichtverstehen der chinesischen Sprache kann zu einem Schlüsselelement des Erfolges oder Misserfolges werden. Sollte man nicht Chinesisch sprechen, muss zumindest für eine gute Übersetzung des Gesprochenen als auch bei Dokumenten gesorgt werden. Das Qualitätsverständnis muss im Team erarbeitet werden. Es muss vorgelebt werden und Ziele müssen nachhaltig überwacht werden. Ein „Hands-on-Management“ ist notwendig. Wenn die Einstellung im Team stimmt und jeder „proud“ ist, genau diesem Team anzugehören, dann wird jeder alles dafür tun, die Vorgaben zu erfüllen. Allerdings bleibt eine zentrale Herausforderung: Es werden nicht gerne Fehler eingestanden und so muss jeder Westler immer wieder überprüfen, er muss coachen und sicherstellen, dass erforderliche Trainings durchgeführt werden; ein wichtiger Prozess: sich Wissen erarbeiten – unter Anleitung. Man baut ein erfolgreiches Team auf, indem schrittweise Verantwortlichkeiten abgegeben werden. Bei einer stetigen Überprüfung der Erreichung gemeinsam vereinbarter Ziele wird sichergestellt, dass das Team „qualitativ“ wächst (Qualitätsstandards, Produkte, Prozesse etc.). Bei Überforderung wird stützend eingegriffen im Sinne von Coaching und Mentoring. Bei einem guten Vertrauensverhältnis fördert dies den Teamerfolg. Wichtig ist, nicht nur die Fertigungsabläufe zu trainieren, sondern auch die Instandhaltung, um spätere Überraschungen zu vermeiden. Die größte Faszination in dem Land sind für mich die chinesischen Mitarbeiter. Sie lernen sehr schnell; sie sind hervorragend im Auswendiglernen und weisen hervorragendes naturwissenschaftliches Wissen auf. Kreativität ist weniger vorhanden und lässt sich schwerer aneignen. Wenn man beispielsweise eine Analyse erwartet und das Format nicht vorgibt, dann erhält man meistens kein brauchbares Ergebnis. Somit sind also klare Vorgaben zu machen. Kreativität bei der Lösung von Problemen kann jedoch durchaus trainiert werden. Verständnis bildet in den meisten Fällen den ersten Schritt der Verbesserung. Wenn Standards implementiert sind und verstanden wurden, dann werden diese auch befolgt. Wenn man sich daran hält, dann hat man ja auch alles richtig gemacht. Die Einhaltung von Standards muss aber immer wieder überprüft und eingefordert werden. Standards werden prinzipiell selten in Frage gestellt, wenn sie anfangs ausführlich erklärt wurden und dann auch verstanden worden sind.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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Menschen und Know-how sind der zentrale Erfolgsfaktor (nicht nur beim Anlaufmanagement, sondern auch bei Voll-Last-Produktion). Das beste Equipment der Welt ist wertlos, wenn die Bedienung und Instandhaltung fehlerhaft ist. Das Potenzial eines „Formel Eins-Rennwagens“ kann von einem Fahranfänger auch nicht verstanden und ausgereizt werden. Ein Heranführen an die Technik und das Produkt ist notwendig und muss geduldig erfolgen. Es ist allerdings auch ermutigend, wenn man sieht, mit welchem Engagement die Teams arbeiten, wenn sie von sich überzeugt sind. Ein ausgeprägter Wille, erfolgreich zu sein, bereitet große Freude für alle Seiten. Eine zielgerichtete Unterstützung durch Experten hilft, die Richtung vorzugeben, und erhöht die Geschwindigkeit der erlernten Wissensumsetzung. Im verfolgten Management-Ansatz war immer der Mensch im Mittelpunkt – auch als Nukleus des Teamgedankens. Eine Balance zwischen Job und Familie ist ebenfalls wichtig. In China hat die Familie einen hohen Stellenwert. Das tatsächliche „Leben“ der beschriebenen Prinzipien hilft auch, dass die Mitarbeiter im Team bleiben und das Unternehmen nicht verlassen. Nur so kann sich das Team weiterentwickeln. Innerhalb von drei Jahren haben nur zwei Mitarbeiter mein Team verlassen, obwohl nicht unbedingt die höchsten Löhne bezahlt wurden. Es gibt viele „Softfactors“, die hierfür entscheidend sind. Diese wird man dann einsetzen können, wenn sich ein Westler ganzheitlich auf die Kultur einlässt. Das stabile Team, die entstandene Qualitätskultur und die Qualifikation durch Trainings waren mitentscheidend für den erfolgreichen Werksaufbau und Anlauf in nur neun Monaten.
6.2.3.3
Zusammenfassung
Jeder, der in China war, kennt das chinesische Tempo und die Dynamik. Vieles kann sehr schnell gehen. Die oben beschriebenen Beispiele zeigen, wie innerhalb von neun bzw. elf Monaten Werke aufgebaut wurden. Dabei wird beschrieben, dass nicht nur der Werksaufbau gelang, sondern auch ein Anlauf mit der erforderlichen nachhaltigen Qualität. Sogar eine anspruchsvolle JIS-Belieferung konnte realisiert werden, die nicht nur die Implementierung entsprechender IT-Systeme verlangt, sondern eine absolute Prozessqualität in allen Abläufen. So manche Phase in der Umsetzung war sicher holprig. Der Grund, warum es geschafft werden konnte, lag unter anderem im „Abholen“ der Mitarbeiter und in deren Schulung, so dass Verständnis für die Kundenanforderungen und die daraus abgeleiteten Qualitätserfordernisse erzeugt werden konnte. Auch das zweite beschriebene Beispiel zeigt, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen muss, um Teams entwickeln zu können. China bleibt gleichwohl herausfordernd: Vor allem mit der unterschiedlichen Denkweise können wir Westler nicht immer umgehen. Wer sich aber damit in einer offenen Art und Weise auseinandersetzt, wird zumindest teilweise einen Zugang bekommen, was hilft, um die chinesischen Mitarbeiter zu gewinnen – in China eine wichtige Voraussetzung, um bei der Umsetzung sowohl Schnelligkeit als auch Qualität zu erreichen. Ralf Becker: Ralf Becker, geb. 1970, Dipl. Ing. (Automotive Engineer), war von Oktober 2007 bis September 2010 in China als Platform Director bei Shenyang
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6 Praxisbeispiele
Jinbei Johnson Controls Automotive Interiors Co., Ltd. für die BMW-Plattformen in China verantwortlich. Es gelang ihm, in allen drei Jahren unter den drei besten BMW-Lieferanten Chinas zu sein. 2009 wurde Shenyang Jinbei Johnson Controls zum besten BMW-JIS-Supplier Chinas ernannt. Herr Becker bekam von der chinesischen Regierung für seine erfolgreiche Arbeit in China den Shenyang Rose Award und den Liaoning Province FriendshipAward. Derzeit ist Herr Becker Director Continuous Improvement & Best Business Practice bei Johnson Controls Interiors Europe (Automotive Experience). Johnson Controls, Inc. (JCI) ist ein globales Unternehmen mit einem breit gefächerten Produkt- und Serviceangebot mit Kunden in über 150 Ländern und über 130.000 Mitarbeitern. Die Geschäftsfelder umfassen Building Technologies, Power Solutions und Automotive Experience. Mit mehr als 200 Standorten weltweit gehört Johnson Controls Automotive Experience zu den Weltmarktführern in den Bereichen Autositze, Dachhimmelsysteme, Türverkleidungen und Instrumententafeln sowie Elektronik für den Fahrzeuginnenraum. Pro Jahr werden mehr als 30 Mio. Fahrzeuge ausgestattet.
6.2.4
Einführung von Lean Production in China – Besonderheiten und Erfolgsfaktoren am Beispiel Leica Microsystems (David Fan, Leica Microsystems Shanghai)
6.2.4.1
Leica Microsystems Shanghai
Leica Microsystems, eine weltweit führende Marke für Mikroskope und wissenschaftliche Instrumente, ist im Besitz des an der New Yorker Börse notierten US-amerikanischen Konzerns Danaher Corporation. Aus einem im 19. Jahrhundert gegründeten Familienunternehmen entstand im Laufe einer von bahnbrechenden Innovationen geprägten Geschichte ein globales Unternehmen. Leica Shanghai war anfangs ein Joint-Venture-Unternehmen und ist seit 2004 eine 100 %-Tochter der Leica Microsystems-Gruppe. Sowohl Mikroskope als auch hoch-genaue OptikSubsysteme werden in Shanghai (Pudong) – in großer Varianz und mit relativ kleinen Stückzahlen – mit mehr als 400 Mitarbeitern produziert und weltweit versendet.
6.2.4.2
Besonderheiten der Einführung von „Lean Production“ in China: Spezifika, Herausforderungen und Erfolgsfaktoren
Ist „Lean Production“ in China weniger wichtig als in westlichen Ländern, weil die Lohnkosten dort geringer sind? Passt „Lean Production“ überhaupt zu China und zur chinesischen Mentalität? Kann „Lean Production“ in China in der gleichen Weise eingeführt werden wie in westlichen Ländern? Selbstverständlich war China in der Vergangenheit dadurch geprägt, dass geringe Lohnkosten, bedingt durch eine
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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Vielzahl verfügbarer (junger) Arbeitskräfte, zu Wettbewerbsvorteilen führten. China wurde zur „Werkstatt der Welt“. Die Faktorkostenvorteile schwinden allerdings, bedenkt man die steigenden Löhne von 15 bis 25 % jährlich; das gilt besonders für Regionen wie Shanghai. „Lean“ wird immer wichtiger, um Produktivitätsfortschritte zu erzielen. Kostenvorteile ergeben sich zudem durch Flächeneinsparungen aufgrund eines optimierten Materialflusses und Fertigungslayouts. Die Gebäudekosten sind nicht zu unterschätzen, vor allem die laufenden, im Falle einer Fertigungsumgebung, die Airconditioning verlangt. Abgesehen von der Kostenseite ist „Lean Production“ wichtig, um überhaupt das hohe Wachstum realisieren zu können. Damit die Produkte mit den vom Markt erwarteten Lieferzeiten zum richtigen Zeitpunkt an die Kunden ausgeliefert werden können, bedarf es einer fließenden Produktion mit kurzen Durchlaufzeiten und der Vermeidung von „Bottlenecks“. Steigen dann noch jährlich die Ausbringungsmengen im zweistelligen Prozentwert, dann ist es umso wichtiger, dass die Prozesse funktionieren und der Materialfluss nicht ins Stocken gerät. „Lean Production“ ist für chinesische Werke aber auch aus einem ganz anderen Grund überaus entscheidend: Mit „Lean“ wird die Qualität besser! Wenn Prozessschwächen offengelegt werden, wenn man täglich an der kontinuierlichen Verbesserung arbeitet, wenn man für Ordnung und Sauberkeit sorgt, dann dient das nicht nur der Verschlankung von Prozessen und der Reduzierung von Durchlaufzeiten, sondern vor allem auch der Verbesserung der Qualität. Die Besonderheiten der chinesischen Mentalität müssen bei der „Lean“Einführung berücksichtigt werden. Die chinesischen Mitarbeiter sind weitaus weniger selbstständig als in westlichen Ländern. Sie machen vor allem das, was ihnen der „Chef“ sagt. Dieser gibt Anweisungen und führt die Mitarbeiter viel direkter. Das bedeutet somit, das Management-Team muss detaillierte Fach- und Methodenkompetenz besitzen; es muss die Lean-Prinzipien verstehen und anwenden können. Deswegen ist es bei einer Lean-Einführung in einem ersten Schritt wichtig, dass das komplette Management-Team Lean-Schulungen erhält und vor allem die „Lean Toolbox“ beherrscht. Diese Schulungen sind nicht nur auf Produktion, Logistik und Einkauf zu beschränken, auch Finanzen/Controlling und Human Resources Management sind mit einzubeziehen. In einem zweiten Schritt sind die Mitarbeiter zu schulen: auf allen Ebenen. Auch sie müssen verstehen, damit sie beginnen, eigene Optimierungsideen zu entwickeln. Mit ihnen zusammen sind die so wichtigen Arbeitsanweisungen zu erarbeiten, die in China kurz, prägnant, einfach, verständlich und bildhaft sein müssen. Die Gefahr besteht in China immer, dass, unter anderem bedingt durch die immanente „Improvisierungsmentalität“, schon wenige Wochen nach Maßnahmenumsetzung und Standardfestlegung vom Prozess abgewichen wird. Verständliche und akzeptierte Arbeitsanweisungen dienen dazu, die Mitarbeiter wieder auf den richtigen Weg zu führen. Die „Instructions“ helfen auch, um die Wirkungen der Fluktuation auf Management-Ebene beherrschen zu können. Vieles hängt in China am Management. Die Mitarbeiter orientieren sich an ihrem Chef. Geht dieser, kann es sein, dass die vereinbarten Prozesse schnell wieder aufgegeben werden. Visualisierte und standardisierte Prozesse wirken in dieser Phase stabilisierend.
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6.2.4.3
6 Praxisbeispiele
Projekt „Lean Conversion“
Bevor Leica Shanghai das Projekt „Lean Conversion“ Anfang 2006 startete, war die Produktion durch lange Durchlaufzeiten, mangelndem Fluss und einem „Make to Stock“-Konzept gekennzeichnet; die Kultur einer kontinuierlichen Verbesserung war keineswegs vorzufinden. Der Projektname wurde bewusst so gewählt (und nicht zum Beispiel „Lean Production“), um deutlich zu machen, dass Lean einer Transformation bedarf, die vor allem die Unternehmenskultur betrifft. Zu Projektbeginn gab es durchaus ausgeprägte Vorbehalte: Die Notwendigkeit einer Performance-Steigerung und die erforderliche große Veränderung, verbunden mit dem Aufwand für das Projekt „Lean Conversion“, wurden bei vielen der Mitarbeitern nicht gesehen. Es war deshalb wichtig, dass das Management-Team (mit Hilfe von internen Consultants aus der Danaher-Gruppe und ihrem Fachwissen) die Mitarbeiter tatsächlich davon überzeugte, wie wichtig dieser Schritt ist und welche Vorteile er bringt. Durch zahlreiche und intensive „Kaizen“-Workshops gelang es nicht nur, Prozesse zu verschlanken, sondern auch eine kontinuierliche Verbesserung nachhaltig in der Firmenkultur zu verankern. Das Projekt dauerte 24 Monate und involvierte vor allem Produktionsplaner/Logistik, den Einkauf, die Mitarbeiter der Produktion und Montage sowie Produktionsingenieure. Im Mittelpunkt des Projekts standen fünf Methodenbausteine: 1. 2. 3. 4. 5.
Visual Management/5 S VSM (Value Stream Mapping) One Piece Flow in der Montage Pull-Prinzip/Kanban Single-Minute Exchange of Dies (SMED)
Die Visualisierung ist ein nicht zu unterschätzendes Instrument im Rahmen des Lean Management. Visualisierung heißt Transparentmachen, Fehler erkennen, nicht zu vertuschen, Ursachen analysieren und Entwicklungen im Zeitverlauf sichtbar werden zu lassen. Nicht immer neigt man in China dazu, Schwierigkeiten oder Probleme offen darzustellen. Somit wird auch die Visualisierung manchmal durchaus kritisch betrachtet. Bei Leica Microsystems gelang es, in vielen Bereichen die Visualisierung erfolgreich einzuführen. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Realisierung kurzer Qualitätsregelkreise nach dem Andon-Prinzip. Treten Fehler auf, so signalisiert dies der Werker per Knopfdruck, eine Signallampe leuchtet auf, der Produktionsingenieur kommt und sucht mit dem Werker die Fehlerquelle; Abstellmaßnahmen werden entweder gleich umgesetzt oder zumindest angestoßen. Außerdem gelang es, mit anschaulichen Scorecards die Performance-Entwicklung aufzuzeigen und diese als Basis zur kontinuierlichen Verbesserung zu nutzen. So wurden in der Zwischenzeit die Visualisierungstafeln – direkt an der Linie („end of cell“) – zu Orten des gelebten Austauschs hinsichtlich aufgetretener Fehler, Ursachen und Optimierungsmöglichkeiten. Dabei geht es immer um die Problemlösung, nicht um Schuldzuweisungen. Maßnahmen zur Fehlerabstellung und -vermeidung sowie zur Produktivitäts-/Flussverbesserung werden in täglichen, standardisierten Meetings definiert und nachverfolgt. Beispielsweise treffen sich die Gruppen jeden Tag um 10 Uhr für 15 min.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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Zu Beginn war 5 S ein wichtiger Hebel, um für die Mitarbeiter die Grundlage zu schaffen, Verschwendung überhaupt sehen zu lernen. Ein sauberes, ordentliches und standardisiertes Arbeitsumfeld visualisiert Prozessabweichungen und bildet damit nicht nur die Grundlage für Qualität, sondern auch für schlanke Prozesse und eine kontinuierliche Verbesserung. Die 5 S-Methodik hat ihren Ursprung in Japan und steht für: Seiso (Säubere), Seiri (Sortiere aus), Seiton (Stelle ordentlich hin), Seiketsu (Sauberkeit bewahren) und Shitsuke (Selbstdisziplin). Der Arbeitsplatz wird zunächst gründlich gereinigt, bevor aussortiert wird, was für die Arbeit an diesem Arbeitsplatz nicht benötigt wird; was tatsächlich gebraucht wird, bekommt einen definierten und visualisierten Platz, unter Berücksichtigung ergonomischer Aspekte. In den täglichen Abläufen wird verankert, dass neue Gegenstände keinen ungeplanten Zugang zum Arbeitsplatz finden – was selbstverständlich Disziplin erfordert, die von den Vorgesetzten immer wieder einzufordern ist. Die Bedeutung von 5 S in China kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Für uns war es das entscheidende Instrument, um die Qualität zu verbessern und damit überhaupt den Fertigungsfluss zu ermöglichen. Wenn beispielsweise eine bestimmte Schraube immer am gleichen Platz ist und nicht ständig an einem anderen, dann kommt es nicht so leicht zu Verwechslungen. Außerdem erkennt man gleich, wo Material fehlt, so dass nachgeliefert werden kann. Wenn das richtige Material verfügbar ist, muss man sich nicht anderweitig behelfen und „improvisieren“ – wozu chinesische Mitarbeiter neigen. Um Verschwendung zu erkennen, wurde außerdem die Wertstromanalyse konsequent eingesetzt. Darin werden Material- und Informationsflüsse visualisiert, so dass im Team Schwachstellen gefunden werden können. Ein Augenöffner ist dabei immer wieder das Verhältnis zwischen reiner Bearbeitungszeit und Durchlaufzeit und damit die langen Liegezeiten: Zeiten, in denen keine Wertschöpfung für den Kunden stattfindet. Die Analyse wird „vom Kunden kommend“ durchgeführt: Denn der Kunde gibt den Takt vor. Je näher diese Methodik am Shopfloor angewendet wird, desto wirksamer ist sie. Chinesische Mitarbeiter denken meistens weniger in (abstrakten) Konzepten und in übermäßig strukturierten Umsetzungsprogrammen als in konkreten Aktionen zur Verbesserung. Werden diese schnell umgesetzt und wirksam, werden Erfolge schnell sichtbar, dann gewinnt man die Mitarbeiter für das Projekt und die weitere Umsetzung. Für Leica Shanghai war es entscheidend mit Hilfe der Wertstromanalyse die Durchlaufzeiten zu senken, um konsequent eine auftragsorientierte Fertigung zu realisieren. Kein Forecast könnte bei der vorherrschenden Variantenvielfalt die tatsächliche Nachfrage treffen; es kann nur kundenauftragsbezogen gefertigt werden – bei kurzen Durchlaufzeiten lassen sich trotzdem die vom Kunden erwarteten Lieferzeiten treffen. In der Montage wird die Auftragssituation durch ein Auftragsboard visualisiert, so dass auf einem Blick mögliche Engpässe sichtbar werden. Auch die Auftragssteuerung wurde grundlegend verändert. Um Durchlaufzeiten zu reduzieren, muss das Material fließen. „One piece flow“ stand somit im Mittelpunkt des Projekts. Das Flussprinzip verlangt eine grundsätzliche Abkehr von der Losfertigung, bei der jeder Arbeitsplatz – bei Realisierung von Batches – für sich optimiert wird, ohne auf den Gesamtfluss zu achten. Je größer und unabgestimmter die Losgrößen, desto größer die Bestände. Um das Flussprinzip zu realisieren, ordneten wir unsere Montage neu
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6 Praxisbeispiele
an. Entsprechend des Flusses, also der Arbeitsschritte, wurden U-Linien aufgebaut – räumlich eng angeordnet, so dass die Wege minimiert wurden; das zu fertigende Produkt wird in der Regel lediglich zum nächsten Arbeitsschritt weitergereicht. Die Taktzeiten wurden zwischen den Arbeitsschritten harmonisiert, so dass in den Linien sowohl Überproduktion (Bestände) als auch Leerlaufzeiten vermieden wurden. Um kleine Losgrößen überhaupt realisieren zu können, bedarf es kurzer Rüstzeiten. Mit entsprechenden Rüst-Workshops im Rahmen der SMED-Methodik (Single Minute Exchange of Die; oder: Werkzeugwechsel im einstelligen Minutenbereich) gelang es, die Durchlaufzeiten für Rüstvorgänge signifikant zu senken (Zeit vom letzten Gutteil des alten Fertigungsloses bis zum ersten Gutteil des neuen Fertigungsloses). In mehreren Schritten wird bei SMED die Rüstzeit durch organisatorische und technische Maßnahmen verbessert. Ansatzpunkte sind: Trennung interner und externer Rüstvorgänge, Parallelisierung („vorbereitende“ Tätigkeiten während des Maschinenbetriebs), Optimierung und Standardisierung interner und externer Rüstvorgänge (z. B. durch Checklisten) sowie die Beseitigung von Justierungsvorgängen. Damit der Fluss nicht unterbrochen wird, muss die Materialversorgung sichergestellt sein. Bei Leica Shanghai realisierten wir konsequent das Pull- bzw. Kanban-Prinzip. Das heißt: Material wird von der Montage nicht nach geplantem Montageprogramm bestellt – Material wird nach Verbrauch geliefert. Ist ein Materialbehälter leer, wird dieser „unten“ auf dem Regalsystem abgestellt (Prinzip: Materialentnahme innerhalb des „U“ – Leergutabführung und Materialzuführung von außen); in regelmäßigen Abständen kommt der Linienversorger, oder „Waterspider“, holt die Leerbehälter, entnimmt aus einem fertigungsnahen Supermarkt einen vollen Behälter und bringt diesen bei seiner nächsten „Runde“ zum entsprechenden Regalsystem in der Montage (Integration Vollgut- und Leergut-Kreislauf). In der Zwischenzeit entnimmt die Montage aus einem zweiten Behälter; die Kanban-Regelkreise sind entsprechend des Verbrauchs und der definierten Wiederbeschaffungszeit zu dimensionieren. Auch der Supermarkt wird nach dem Pull-Prinzip versorgt. Bei der Entnahme der Behälter aus dem Supermarkt, werden die beigefügten Kanban-Karten entfernt und an das Material-Board gehängt. Diese Kanban-Karten dienen der unmittelbaren Materialbestellung beim Lieferanten (über SAP). Somit konnte durchgängig das Pull-Prinzip umgesetzt werden. Gleichwohl war es nicht einfach, die Mitarbeiter von der Vorteilhaftigkeit des Fluss- und Kanban-Prinzips zu überzeugen. Das beginnt schon damit, dass Bestände in China meistens sogar positiv besetzt sind – die Mitarbeiter sind oft nicht vom Streben getrieben, jeden Tag Bestände zu reduzieren. Außerdem wird Kanban nur funktionieren, wenn die entsprechenden Regeln diszipliniert eingehalten werden und die Lieferanten liefertreu sind, was nicht immer von Anfang an gegeben ist – man muss die Lieferanten oft dorthin entwickeln. Liefertreue ist in China immer noch ein großes Thema: Das enorme Wachstum und damit Kapazitätsengpässe, zum Teil die Logistik-Infrastruktur sowie eine mangelnde Lieferanten-Qualifizierung stellen wesentliche Gründe hierfür dar. In manchen Fällen fehlt es allerdings bereits am Präzisionsstreben und auch am Bewusstsein, wie wichtig Liefertreue für die weitere Wertschöpfung ist.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
195
Die Bedeutung der Lieferanten-Performance für das Fließ-Prinzip war für uns unter anderem auch Ausschlag gebend, ein konsequentes Lieferanten-Management anzugehen. Zum einen setzten wir uns zum Ziel, die hohe Anzahl von ca. 500 Lieferanten zu halbieren, um durch größere Beschaffungsmengen attraktiver für die verbleibenden Lieferanten zu werden, um Komplexität zu vermeiden und besser mit den Lieferanten arbeiten zu können. Zunächst wurde deutlich, dass nicht alle Probleme an der Lieferanten-Schnittstelle durch den Lieferanten selbst verursacht wurden: Oftmals lag es an uns, weil beispielsweise erforderliche Zeichnungen mit entsprechenden Toleranzen dem Lieferanten nicht zur Verfügung gestellt wurden. Wir stellten außerdem schnell fest, dass ein differenzierter LieferantenmanagementAnsatz erforderlich ist. Nicht alle Probleme können durch Lieferantenentwicklung vermieden werden, manche müssen beherrscht werden. Drei Typen von Lieferanten konnte man erkennen. Die erste Gruppe besteht aus Lieferanten, die eine große Bereitschaft und Motivation zeigen, aktiv an der Optimierung und der Realisierung unseres „Lean“-Vorhabens mitzuwirken. Mit ihnen wurden gemeinsam die Prozesse optimiert und an der präventiven Qualitätsverbesserung gearbeitet; teilweise beteiligten sich diese Lieferanten sogar an „internen“ Workshops bei Leica. Die zweite Gruppe war prinzipiell offen und bereit für Optimierungen, mochte allerdings nicht wesentlich dafür investieren; manchmal bedingt durch die geringe wirtschaftliche Bedeutung von Leica im Vergleich zu deren anderen Kunden. Mit diesen Lieferanten verfolgte man ein „Output Quality Control“; das heißt, weniger die gemeinsame präventive Qualitätsarbeit stand im Vordergrund als eine konsequente Warenausgangskontrolle beim Lieferanten. Mit der dritten Lieferantengruppe war eine Lieferantenentwicklung überhaupt nicht möglich, da hierzu nicht einmal die Bereitschaft zu erkennen war. Es wurde versucht, Lieferanten zu wechseln, was nicht immer möglich war (Werkzeuge usw.). Man musste also mit diesen Lieferanten leben. Eine 100 %-Wareneingangskontrolle ist bei diesen Lieferanten unbedingt erforderlich.
6.2.4.4
Nutzen des Projekts und Lessons Learned
Durch das Projekt wurde die Durchlaufzeit der Produktion massiv reduziert (z. T. von einigen Wochen auf einige Stunden!), die Bestände konnten halbiert werden. Die Produktivität wurde genauso verbessert wie die Qualität. Die Lieferfähigkeit erhöhte sich auf > 92 % (OTD gemäß Kundenwünsche) (Abb. 6.8). Letztendlich führten diese Verbesserungen dazu, dass Leica Shanghai einen konzerninternen Preis gewann: „The most improved company (lean management) in year 2007 of Danaher Group in Asia“. Eine wichtige Entwicklung während der Projektzeit war das veränderte Bewusstsein der Schlüsselspieler, dass es letztendlich deren eigenes Projekt war und nicht das der Consultants. Damit wurde ein stärkeres Involvement erreicht und die Übernahme von Verantwortung („Ownership and responsibility is critical, starting with the managers“). Bei allem Prozessdenken, bei aller Technologie-Begeisterung für Produkte und Maschinen, eines sollte immer bedacht werden: Exzellente Prozesse werden von Menschen gemacht; nur sie können Probleme lösen, nur sie verstehen letztendlich den Kunden. Und „Lean“ bedeutet im Kern: Wert schaffen für den
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6 Praxisbeispiele
Europe
North America
South Korea Japanese Shanghai
Asia Pacific
Order received
Order Processing
Transfer to assembly cell
Assembly + final testing + configuration
Packing + invoicing
Waiting for shipping
One Piece Flow ( from “Order received” to “Waiting for shipping”) Lead time : 131 ~ 246 mins Takt time: 15 ~ 38 mins
Abb. 6.8 Hauptprozesse – Leica Shanghai
Kunden. Das Management spielt bei der Veränderung, im Sinne eines Leaders, eine zentrale Rolle. Nicht weil Soll-Konzepte, -Wertströme oder -Prozesse vorgeben werden sollen; im Gegenteil: diese sind von den Mitarbeitern zu erarbeiten – nur dann stehen sie auch dahinter und setzen diese um. Der Leader gibt die Vision und die Richtung vor; er nimmt die Rolle eines „Teachers“ und eines Motivators ein: „Getting people to go where they would not normally go“ and „Aligning people to a common objective“. 6.2.4.5
Zusammenfassung
Lean Production ist in China wichtig, um eine günstige Kostenposition auch in der Zukunft zu ermöglichen, um die hohen Wachstumsraten realisieren zu können und vor allem: um die Qualität zu verbessern. Im Mittelpunkt unseres Projekts „Lean Conversion“ standen die Methoden Visual Management (inbes. 5 S), Value Stream Mapping, One Piece Flow, Pull-Prinzip/Kanban und SMED. Durch das Projekt konnten Durchlaufzeit, Bestände, Produktivität, Qualität und Lieferfähigkeit deutlich verbessert werden. Die Inhalte von „Lean Production“ unterscheiden sich prinzipiell gar nicht so von denen in westlichen Werken. Sicher wird es andere Schwerpunkte geben, zum Beispiel durch den höheren Anteil an manuellen Tätigkeiten. Die Unterschiede liegen vielleicht mehr bei der Art und Weise der Einführung und der nachhaltigen Umsetzung. Schulungen auf allen Ebenen spielen dabei eine zentrale Rolle. Herausfordernd bleibt die Einhaltung von Standards. Das Management muss es immer wieder überprüfen und einfordern. Auch wenn es Unterschiede und Herausforderungen gibt, das beschriebene Beispiel zeigt: „Lean“ lässt sich auch in China erfolgreich einführen.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
197
David Fan: David Fan, geb. 1954, ist seit 2008 Director Strategic Global Sourcing bei der Leica Microsystems AG. Zuvor war er knapp zehn Jahre General Manager von Leica Microsystems Ltd., Shanghai, und dabei verantwortlich für mehr als 500 Mitarbeiter und über 1.000 Produkte. Das durchschnittliche Wachstum betrug in dieser Zeit pro Jahr mehr als 25 %. Vor seiner Zeit in Shanghai war er unter anderem Manager Production bei der Leica Microsystems AG, Herrbrugg, sowie in leitender Funktion in der Entwicklung von Leistungselektronik und Antriebstechnik bei der Schindler Aufzüge AG, Ebikon. Herr Fan studierte an der Technischen Universität Hefei (China) (El. Ing.), an der ETH Zürich (Diplom El. Ing.) und an der HWV Luzern (Unternehmensführung). Er ist außerdem Gast-Professor an der Shanghai International Studies University.
6.2.5 Werksrestrukturierung in China – Erfahrungen bei einer chinesischen Tochtergesellschaft (Alexander Kumpf, Hochschule Landshut) Mit China wird in der jüngsten Zeit Marktwachstum und Wirtschaftsmacht verbunden. Viele westliche Unternehmen haben und werden weiterhin versuchen, sich an den rasanten Entwicklungen im chinesischen Markt zu beteiligen. Allerdings durchlaufen auch in China die Unternehmen nicht nur die Phasen Aufbau und Wachstum (hervorgehend aus Neugründung, Zusammenschluss oder durch Übernahmen), sondern auch die Konsolidierung und Umstrukturierung sind wichtige Phasen des Unternehmenslebenslaufes in China. Vor allem chinesische Traditionsunternehmen, die aus Staatsbetrieben hervorgegangen sind, führen bei betriebswirtschaftlich ausgerichteten Privatunternehmen zur Notwendigkeit der Anpassung an marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen. Der vorliegende Beitrag zeigt an einem realen Beispiel, wie eine Umstrukturierung in China ablaufen kann.
6.2.5.1
China-Spezifika: Werke und Wertschöpfung
Der chinesische Markt zeichnet sich durch Spezifika aus, die über alle Unternehmenslebensphasen von der Gründung, dem Produktionsaufbau, der Optimierung, der Restrukturierung und ggf. bis zur Unternehmensschließung von besonderer Bedeutung sind: Absatzmarkt, Beschaffungsmarkt, Anlagen, Grundstück, Infrastruktur, Arbeitsmarkt, Ökologie, Abgaben, Energie, Klima sowie soziale und politische Rahmenbedingungen. Einige hiervon werden kurz beleuchtet. Ein Charakteristikum liegt in der Marktdynamik, sodass Kapazitäten mit den Wachstumsraten auf der Absatzseite Schritt halten müssen, ohne dass die Qualität darunter leidet. Nicht nur für die eigene Wertschöpfung stellt dies eine Herausforderung dar, sondern auch für vorgelagerte Stufen der Wertkette. Dies gilt besonders im Falle rein lokaler Lieferanten. Diese sind in der Regel erst zu entwickeln, um
198
6 Praxisbeispiele
die Qualität und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dabei ist der chinesische Beschaffungsmarkt groß und wächst jeden Tag noch weiter. Trotzdem bleibt der größte Teil des Marktes aufgrund der weiten geografischen Ausdehnung, den klein- und mittelständischen Strukturen vieler chinesischer Zulieferer und lokaler teilweise provinzieller Ausrichtung vor allem für viele ausländische Unternehmen weitgehend unbekannt. Gründlichkeit, Erfahrung und viel Glück ist erforderlich, um den richtigen Partner zu finden. Dabei bietet der Markt gute Chancen. Nicht nur Produktionsmaterial, Betriebs- und Hilfsstoffe können lokal beschafft werden (Local Sourcing), sondern auch bzgl. Anlagen, Maschinen und Werkzeugen bestehen große Vorteile durch die lokale Beschaffung. Allerdings gilt dies nur unter besonderen Rahmenbedingungen und überwiegend für einfache Standardproduktionsgüter. Denn das enorme Marktwachstum setzt auf Quantität anstelle Qualität. Bedürfnisse müssen kostengünstig kurzfristig befriedigt werden. So ist auch heute noch zu beobachten, dass Innovation, Präzision, Werthaltigkeit, Individualität und Ressourcenschonung für die Mehrheit der Anbieter und auch für lokale Kunden im chinesischen Markt nicht im Vordergrund stehen. Die immer noch teilweise mangelhafte und in Wachstumsregionen überlastete Infrastruktur führt zudem zu Unwägbarkeiten, die im Versorgungsmanagement zu berücksichtigen sind. Der enorme Ausbau von Straßen-, Schienen- und Wasserwegen (Seehäfen) sowie Energie, Wasser und Kommunikationsnetzen in den letzten Jahren, der in den östlichen Wachstumsregionen vorgenommen wurde, hinkt weiterhin der wirtschaftlichen Entwicklung in dieser Region hinterher und kommt in der westlichen Region Chinas erst gar nicht oder nicht im erforderlichen Maße an. Die Stromversorgung bleibt ebenfalls hinter dem Energiebedarf zurück, so dass es im besonderen Maße in Winter- und Sommermonaten zu Engpässen und gezielten Abschaltungen kommt. Besonderheiten zeigen sich auch im Arbeitsmarkt. Prinzipiell sind zwar zahlreiche Arbeitskräfte verfügbar, insbesondere abseits der Küstenregionen, jedoch mangelt es in vielen Fällen an der Qualifikation und vielleicht noch wichtiger an der Beständigkeit. Das zeigt sich gerade bei der so wichtigen Meister- und Facharbeiterebene, die in China unterrepräsentiert ist. Ingenieure sind grundsätzlich fachlich gut ausgebildet, meistens fehlt es allerdings an der Kreativität bei der konzeptionellen Gestaltung und der Problemlösung. Aber auch gut ausgebildete Fachkräfte im eigenen Unternehmen sind auf dem Markt sehr gefragt, sodass eine hohe Personalfluktuation durchaus ein bekanntes Phänomen ist. Nicht selten gründen auch eigene gut ausgebildete Mitarbeiter in unmittelbarer Nachbarschaft Mitbewerberfirmen: mit möglicherweise schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für das eigene Unternehmen. Einen wichtigen Einflussfaktor bilden in China die persönlichen Beziehungen auch in produzierenden Unternehmen. Beziehungsgeflechte müssen sich indes nicht immer positiv auswirken. Persönliche oder gar familiäre Beziehungen zu unmittelbaren Mitbewerberfirmen können unternehmerischen Schaden verursachen. Auch bei Restrukturierungen kann das Beziehungsgeflecht schnell zu sozialer Brisanz führen. Exportiert man vor allem aus China heraus, und brechen die Auslandsmärkte dann ein, so steht plötzlich nicht mehr der Kapazitätsaufbau im Vordergrund der Management-Aufgaben, sondern die Kapazitätsanpassung und Restrukturierung –
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
199
und das in einem Umfeld, das hauptsächlich Wachstum kennt. China bedeutet also nicht nur das Managen von Wachstum.
6.2.5.2 Ausgangssituation: Schwieriges Umfeld und Notwendigkeit zur Restrukturierung Die Herstellung von Innovationsprodukten unter wirtschaftlich günstigen Rahmenbedingungen stellt für viele westliche Unternehmen in China eine wichtige unternehmerische Basis dar. Dabei werden die Produkte nicht nur für den Export, sondern auch für den lokalen Markt hergestellt. In beiden Fällen jedoch sind die hohen Qualitätsanforderungen, die fortlaufende Produkt- und Produktionsinnovation, die dauerhafte Beständigkeit, die zuverlässige Lieferversorgung, die verbindliche Zusammenarbeit und natürlich die niedrigen Verkaufspreise ausschlaggebende Differenzierungsmerkmale im Markt und somit Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Unternehmenstätigkeit. Wie können jedoch all diese Anforderungen vor allem unter Berücksichtigung von kulturellen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erfüllt werden? Lassen sich westliche Strukturen und Vorgehensweisen einfach in chinesische Organisationen und Werke überführen? Wie gehen die Wettbewerber damit um und woraus können Nachteile entstehen? Am Beispiel eines globalen Automobilzulieferbetriebes, der sich im hart umkämpften Markt mit vielen Lieferanten und Kunden jeden Tag von Neuem behaupten muss, soll eine entsprechende Situation vorgestellt werden. Das Produktionsunternehmen mit Standort Chongqing/China wurde in den 80er Jahren als Staatsunternehmen gegründet und Mitte der 90er Jahre privatisiert. Das deutsche Unternehmen übernahm nach etwa zehn Jahren die Mehrheit des Unternehmens und firmierte zu einem wholly foreign owned enterprise als 100 %ige Tochtergesellschaft. Anfang 2008 waren im Werk noch ca. 570 Personen beschäftigt. Die Führungsmannschaft bestand bis auf den Werksleiter und den Leiter der Produkt- und Produktionstechnologie aus lokalen Mitarbeitern. So wollte die Tochtergesellschaft auf der einen Seite eine deutsche Führung im Unternehmen integrieren und zum anderen den Technologietransfer und -aufbau gewährleisten. Die Belegschaft setzte sich überwiegend aus Mitarbeitern zusammen, die eine sehr lange Betriebszugehörigkeit aufweisen. Teilweise stammten die Mitarbeiter noch aus der Zeit des Staatsunternehmens. Eine Umstrukturierung in der Belegschaft und der Führungsmannschaft wurde nach der Übernahme vermieden, um eine Beständigkeit im Unternehmen zu gewährleisten. Die lokalen Kunden sollten weiterhin vorrangig bedient werden und bestehende Beziehungen aufrechterhalten bleiben. Seit längerer Zeit wurde der Einsatz von sogenannten Wanderarbeitern und niedrig qualifizierten Arbeitskräften gemieden. Ziel war, das Know-how im Unternehmen zu behalten und eine Kontinuität zu gewährleisten. Das Unternehmen verzeichnete eine geringe Mitarbeiterfluktuation u. a. aufgrund westlicher Arbeitsbedingungen und guter Bezahlung. Die Hälfte des Umsatzes wurde mit Export, die andere Hälfte mit lokalen Kunden generiert. Im lokalen Markt werden ausländische Joint-Venture-Unternehmen (JV), Staatsunternehmen und private chinesische Unternehmen beliefert. Der Markt ist durch
200
6 Praxisbeispiele
einen vollkommenen Wettbewerb gekennzeichnet, wobei sich die Mitbewerber überwiegend aus vielen kleinen lokalen Unternehmen und wenigen internationalen Unternehmen zusammensetzen. Eine intensive Situationsanalyse ergab, dass die lokalen Mitbewerber Vorteile bei der Kostenstruktur hatten; dies war unter anderem zurückzuführen auf reduzierte Qualitätskontrollen, fehlende Prüfeinrichtungen, vereinfachte Produktionsverfahren, fehlende oder mangelhafte Mitarbeiterqualifikationsmaßnahmen, schlanke Organisationsstrukturen, lokale Produktionseinrichtungen (geringe Investitionen und Instandhaltungs- sowie Wartungskosten bei geringer Qualität und Ausbringung), einfache Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter, niedrige Personalqualifikation, geringere Personalkosten, flexible und längere Arbeitszeiten sowie fehlende Produkt- und Prozessentwicklungskompetenzen. In nicht seltenen Fällen wurden Produkte aus dem Markt entnommen und ohne eigene Entwicklungsleistung vervielfältigt und produziert. Der Schutz des geistigen Eigentums und die Gefahr einer Wissensdiffusion sind in China immer ein Thema. Mit dieser Problematik hat sowohl die deutsche Muttergesellschaft als auch die lokale Tochtergesellschaft permanent zu kämpfen. Die Situation war auch dadurch geprägt, dass Wissen vom eigenen Unternehmen gezielt und im ausgeprägten Maße zu den Mitbewerbern floss. Als wichtige Grundlage zur Herstellung von qualitativ hochwertigen Produkten zu niedrigen Kosten gelten gut ausgebildete motivierte Mitarbeiter. Diese Vorgehensweise kann jedoch auch Risiken mit sich führen. Ehemalige Mitarbeiter gründeten beispielsweise in unmittelbarer Nähe ein eigenes Unternehmen im selben Produktsegment. Persönliche Beziehungen enden nicht mit dem Arbeitgeberwechsel; vor allem nicht in China. Durch die engen persönlichen Kontakte zwischen den verbliebenen und den ehemaligen Mitarbeitern fand ein reger Informationsfluss statt. Somit wurden nicht nur eigene Mitarbeiter ausgebildet, sondern auch indirekt die des Mitbewerbers. Neben dem Informationsfluss konnte auch eine externe Einflussnahme von Mitarbeitern durch den Mitbewerber beobachtet werden. Die Marktverhältnisse begannen sich vermehrt zu verschärfen, nachdem in Folge der Wirtschaftskrise beim Export eine deutliche Reduzierung des Absatzvolumens zu verzeichnen war. Eine Kompensation durch den lokalen Markt war nur bedingt möglich und wurde von den Mitbewerbern im lokalen Markt stark beeinflusst. In der Konsequenz bedeutete dies eine geringere Auslastung und damit eine wirtschaftliche Schieflage. Eine Restrukturierung war für die Tochtergesellschaft unausweichlich. Klar war von Anfang an, dass eine Restrukturierung herausfordernd sein würde. Folgende Fragen stellten sich dabei: Welche Hebel zur Restrukturierung sind unter Berücksichtigung der China-Spezifika einzusetzen? Wie reagieren die Mitarbeiter auf Minderauslastung, Kurzarbeit oder Entlassungen? Wie verhalten sich lokale Behörden? Wie lässt sich der „Kern“ bewahren, um zukunftsfähig zu sein? Wie wird in China grundsätzlich mit einer Restrukturierung umgegangen, ist man doch seit 30 Jahren gewohnt, dass alles wächst? Uns war klar, dass eine Restrukturierung in China nicht leicht sein wird. Überraschend war trotzdem, auf welche Widerstände wir treffen sollten.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
6.2.5.3
201
Strategische Optimierungsansätze
Das Ziel der Umstrukturierung war nicht nur, die Kosten zu senken, sondern auch das Produktportfolio neu festzulegen, das Produktionsverfahren anzupassen, eine Kundensegmentierung vorzunehmen, die Mitbewerbersituation sowie die eigene Marktposition neu zu ermitteln und eine schlanke, loyale und effiziente Organisation zu schaffen. Der Business Plan und die unternehmerische Grundlage mussten somit überarbeitet werden. Bei der Kundenklassifizierung traten drei Segmente zutage: Zunächst die Privatunternehmen, die einen geringen Einkaufspreis fordern, verbunden mit einem sehr geringen Qualitätsanspruch. Hinsichtlich der Loyalität und der Zahlungsmoral ist in diesem Segment allerdings nicht viel zu erwarten. Staatsunternehmen bzw. Unternehmen mit Staatsbeteiligungen zeichnen sich durch stabile Abrufe, einem moderaten Einkaufspreis und einem angemessenen Qualitätsanspruch, jedoch geringeren Innovationsgrad aus. Sie sind loyal zu Lieferanten, die Zahlungsmoral ist gut; das Beziehungsgeflecht spielt eine große Rolle. Die dritte Kundengruppe: Joint-Venture-Unternehmen (JV). Der Einkaufspreis ist bei ihnen moderat, der Qualitätsanspruch und der Innovationsgrad hoch. Sie sind loyal zu Lieferanten, weisen eine gute Zahlungsmoral auf und legen Wert auf Beständigkeit. Staatsunternehmen und JV-Unternehmen erschienen uns als Zielkunden geeigneter als Privatunternehmen. Das Ausbalancieren des Kundenportfolios mit Kunden aus dem chinesischen Markt wurde als erforderlich angesehen, um die Abhängigkeit vom Export zu mildern. Eine Grundsatzentscheidung, die sich bewährt. Eine nur auf Export ausgerichtete Produktion in China wird auf Dauer nicht die Kostenvorteile bieten können. Zwar können im Export höhere Preise in den entwickelten Industrieländern erzielt werden, jedoch bietet dieser kaufmännische Erfolg keinerlei Aussage über die Effizienz der Produktion. Erst mit der Umstellung auf den lokalen Markt kann die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produktion auf Grund des großen Wettbewerbs unter Beweis gestellt werden. Dieser Grundsatz bietet einen langfristigen Unternehmenserfolg, selbst wenn die internationalen Märkte Veränderungen im Volumen und Preisgefüge unterliegen. Die Segmentierung mit entsprechenden Wettbewerbervergleichen umfasste auch Produkte und Verfahren. Produktgruppen mit dazugehörigen Preissegmenten wurden definiert. Die Produktcluster wurden entsprechend der vorliegenden Produktionstechnologie optimiert. Das Herstellungsverfahren wurde an lokale Anforderungen angepasst. Anstelle von europäischen Produktionsanlagen wurden vermehrt lokale einfache Produktionsanlagen eingesetzt. Neben der geringerenAnlagenabschreibung kam auch die kostengünstige und schnelle lokale Instandhaltung und Ersatzteilversorgung als positiver Effekt hinzu. Die reduzierte Anlagenkomplexität und lokale Anlagen führten ebenfalls zur Vereinfachung der unternehmensinternen Instandhaltungsbereiche. Die lokalen Mitarbeiter konnten mit den lokalen einfachen Anlagen wesentlich besser umgehen, als mit den komplexen automatisierten Anlagen aus Deutschland. Zusätzliche und aufwändige Qualifikationsmaßnahmen, eventuell sogar in Deutschland, bezogen auf Anlagen waren nicht mehr erforderlich.
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6 Praxisbeispiele
Weiterhin standen die Reduktion der Produktkomplexität und die Optimierung der Losgrößen im Fokus. Auch das vielfach zu beobachtende Phänomen der mehrfachen nacheinander durchgeführten Prüfung und Selektion der Produkte anstelle der Erhaltung einer stabilen und präzisen Produktion zur Gewährleistung der Qualität wurde angepasst. Die Qualität wurde also nicht erzeugt, sondern ausselektiert. Dieses Verhalten ist sicherlich zum einen durch die fehlende Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung zu sehen und zum anderen aber durch das fehlende Vertrauen gegenüber Kollegen und Mitarbeitern sowie den Produktionsverfahren. Vielfach wurde das Verhalten der Mitarbeiter durch die Angst des Arbeitsplatzverlustes bei Fehlern begründet oder dem verschobenen Verhältnis zwischen dem eigenen Lohn und dem Warenwert.
6.2.5.4
Restrukturierungsorganisation und -maßnahmen
Aufgrund der rückläufigen Auftragslage wurde im vorliegenden Fallbeispiel für die Dauer von fünf Monaten Kurzarbeit durchgeführt. Dabei wurde ein Teil der Belegschaft bei Bezahlung des lokalen Mindestlohnes und vollen sozialen Abgaben nach Hause geschickt. Mit der Kurzarbeit sollten die Personalkosten gesenkt und der Beschäftigungsgrad der Mitarbeiter erhöht werden. Der Fixkostenanteil sollte möglichst reduziert werden. Geforderte Einschränkungen, wie das Nicht-Nachgehen anderer Tätigkeiten bei Mitbewerbern, ließen sich jedoch bei den Mitarbeitern, die an der Kurzarbeit teilnahmen, nur schwer durchsetzen – vor allem unter dem Aspekt, dass der unmittelbare Wettbewerber in der Nachbarschaft, die qualifizierten Mitarbeiter gerne für den eigenen Nutzen einsetzen konnte. Diese Personalmaßnahme und weitere Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens dauerhaft wieder zu erlangen und aus der Verlustzone zu geraten. Aus diesem Grund mussten nach einer internen Analyse ca. 25 % der Belegschaft abgebaut werden. Doch wie sollte die Restrukturierungsmaßnahme im Beziehungsgeflecht zwischen den lokalen Führungskräften und der Belegschaft sowie äußeren Einflüssen umgesetzt werden? Wie sollte die restliche Belegschaft von der positiven Weiterentwicklung des Unternehmens überzeugt werden, wenn doch in den Medien immer nur über Wachstum und Aufbruch in China berichtet wird? Und wie können tiefgreifende Maßnahmen reibungslos umgesetzt werden, ohne die Versorgungssicherheit gegenüber dem Kunden zu gefährden? Zunächst wurde die obere Führungsebene und sukzessive die gesamte Führungsmannschaft über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens und die Dringlichkeit erforderlicher Maßnahmen informiert, um daraufhin gemeinsam u. a. Personalanpassungen zu erarbeiten. Dieser Prozess dauerte mehrere Monate. Prinzipiell sollte somit die Verantwortung der Änderungsmaßnahmen auf die lokale Führungsmannschaft mit übertragen werden. Es wurde erwartet, dass Betroffenheit und Engagement der lokalen Führungsmannschaft hervorgerufen werden. Allerdings stellte sich sehr bald heraus, dass die lokale Führungsmannschaft nur begrenztVerantwortung für kritische Maßnahmen übernimmt und eher nach „bequemen Lösungen“
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
203
sucht. Die Ursache für die wirtschaftliche Schieflage wurde ebenso nicht im eigenen Unternehmen, sondern in der Muttergesellschaft gesehen. An der wiederkehrenden Informationspolitik wurde im Unternehmen trotz allem festgehalten. Bevor Personalanpassungen begonnen wurden, identifizierte man zunächst das Kernpersonal. Kriterien waren hierbei Einsatzwille, Bereitschaft für Veränderungen, Ausbildung, Kenntnis, Erfahrung, Alter, Familienstand, Sozialstand, Firmenzugehörigkeit, Ersetzbarkeit von Spezialkenntnissen, Loyalität gegenüber dem Unternehmen und persönliches Verhalten. Die Kriterien wurden in der Führungsmannschaft festgelegt; die Einstufung der Mitarbeiter erfolgte durch die Vorgesetzten und dessen Vorgesetzten (4-Augen-Prinzip). Auch hier stellte sich als größte Schwierigkeit das Beziehungsgeflecht innerhalb und außerhalb des Unternehmens heraus, verbunden mit begrenzter Neutralität und Transparenz. Selbst wenn innerhalb des Unternehmens Verbindungen zwischen den Mitarbeitern zu erkennen sind, fehlt der Einblick der Abhängigkeiten außerhalb des Betriebes. Die Mitarbeiter sind ggf. aktive Mitglieder der lokalen kommunistischen Partei und somit in eine parallele Organisation integriert, in sozialen Verbänden verbunden, miteinander verwandt (auch Eheleute behalten ihre Familiennamen nach der Vermählung, somit fehlt einem Außenstehenden der Einblick über familiäre Beziehungen) oder sie stehen nur im Vermieter- und Mieterverhältnis zueinander. Es liegt auf der Hand, dass in einer Phase der Umstrukturierung bei den lokalen Führungskräften Unsicherheit vorherrschte, der mit entsprechender Kommunikation und Verbindlichkeit begegnet werden muss. Dabei zeigte sich auch, dass die lokalen Führungskräfte auf Konfliktmanagement nur wenig vorbereitet waren. Das fehlende Vertrauen in die zukünftige Entwicklung des Unternehmens senkte selbstverständlich die Motivation sowie die Bereitschaft und Unterstützung radikaler Maßnahmen, wie den erforderlichen Personalanpassungen. Schließlich musste ein Sozialplan für die Mitarbeiter durch die Vorgesetzten und dessen Vorgesetzten (ebenfalls 4-Augenprinzip) erstellt werden. Unter Einsatz der festgelegten Kriterien entstand eine Mitarbeiterliste, die durch die Personalabteilung und von Rechtsanwälten überprüft wurde. Bei der Umsetzung der Personalanpassungsmaßnahmen waren selbstverständlich rechtliche Vorgaben zu berücksichtigen. Dazu gehörten die Kommunikation mit dem Betriebsrat und dessen Anhörung sowie die Kommunikation mit den Regierungsfunktionen (lokale Arbeitnehmervertretung). Der Betriebsrat lehnte eine betriebsbedingte Kündigung kategorisch ab. Die Informationspflicht gegenüber den Regierungsvertretern verlief hingegen neutral, d. h. ohne Widerspruch. Es wurde als wesentlicher Schritt mit der offiziellen Kommunikation mit den Mitarbeitern – individuell und persönlich unter Erläuterung der Gründe sowie in Anwesenheit von rechtlichen Sachverständigen und den jeweiligen Fachvorgesetzten der betroffenen Personen – 30 Tage vor der effektiven Umsetzung der Kündigung begonnen. Laut dem chinesischen Arbeitsgesetz mit Gültigkeit ab dem 1.1.2008 ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei einer Vertragsauflösung eines ordentlich beschäftigten Mitarbeiters eine Abfindungszahlung in Höhe von einem Monatsgehalt des durchschnittlichen individuellen Lohnes der letzten 12 Monate pro Jahr Firmenzugehörigkeit zu zahlen. Die Grenze der Abfindungshöhe ist durch den dreifachen Satz des durchschnittlichen Mindestlohnes in der Region und auf
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6 Praxisbeispiele
maximal 12 Monatsgehälter begrenzt. Darüber hinaus wurde den Mitarbeitern auch Unterstützung bei der Findung einer neuen Arbeitsstätte angeboten. Ferner wurde bei den individuellen Gesprächen mit den für die Kündigung vorgesehenen Mitarbeitern in einigen Härtefällen die Kündigung wieder zurückgezogen. Als Härtefälle galten Schwangerschaften (auch in China gilt für werdende Mütter Kündigungsschutz) sowie soziale und finanzielle Schwierigkeiten. Nicht selten wohnen mehrere Generationen in einer häuslichen Umgebung zusammen und unterstützen sich finanziell gegenseitig. Diese Fälle wurden sorgfältig durch ein Gremium, bestehend aus Vorgesetztem, Betriebsratsmitgliedern und einem unabhängigen Anwalt, geprüft. Die Vorgehensweise umschloss u. a. die Prüfung von behördlichen Dokumenten und ggf. bei Einverständnis auch Hausbesuche. Wie reagierten jedoch die Mitarbeiter auf die Personalanpassungsmaßnahmen? Unsicherheit war durchweg festzustellen. Die von den Entlassungen betroffenen Mitarbeiter stellten extreme Forderungen – die teilweise sogar das Zehn-/Zwanzigfache der rechtlichen Vorgaben übertrafen. Doch das war nicht alles: Die entlassenen Mitarbeiter begannen sich zu organisieren und blockierten den Eingangsbereich des Unternehmens. Durch die Blockade musste ein Monat lang die Produktion komplett ausgesetzt werden. Es kam zu Konfrontationen mit den Mitarbeitern, die weiterhin ihrer Beschäftigung nachgehen wollten. Unsere Kunden konnten ca. 14 Tage lang durch externe Lagerhaltung unter Einsatz der wenigen loyalen Mitarbeiter bedient werden. Das Lager wurde in den Monaten zuvor aus Sicherheit vor eventuellen Ausschreitungen rechtzeitig aufgebaut. Die Kommunikation gegenüber den Kunden musste mit Vorsicht vorgenommen werden, um diese nicht zu verlieren. Bei der Schlichtung nahm die lokale Regierung eine zentrale Rolle ein, denn diese hat Einfluss auf die Arbeitgebervertretung, die öffentliche Sicherheit und die Wirtschaftsförderung. Zur Vermeidung einer weiteren Eskalation wurde auf ein Eingreifen der öffentlichen Ordnungshüter verzichtet. Eine direkte Konfrontation der Führungskräfte und der wenigen loyalen Mitarbeitern mit den Blockierern war nicht zu vermeiden. Schließlich gelang die Lösung des Konflikts auf politischer Ebene, so dass die Produktion wiederaufgenommen werden konnte. Durch beidseitige Zugeständnisse und durch Vermittlung der lokalen Regierung konnte der Konflikt behoben werden. Durch die schnelle wirtschaftliche Erholung und dem Anstieg der Stückzahlen sowie dem Wirksamwerden der ergriffenen Maßnahmen, hat sich das Werk seitdem sehr positiv entwickelt. Es gelang, zusammen mit den chinesischen Mitarbeitern, eine vertrauensvolle Kultur aufzubauen, die dazu beiträgt, dass gemeinsam an der Optimierung der Prozesse und der kontinuierlichen Verbesserung gearbeitet wird, so dass man sich gut für die Zukunft aufstellt. Die Lage scheint stabil – zumindest bis zur nächsten größeren Veränderung.
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
6.2.5.5
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Zusammenfassung
In China wird Management mit Wachstum verbunden, nicht mit Restrukturierung. Immer häufiger werden dort jedoch Ansätze zur Kostenoptimierung relevant werden, insbesondere wenn die Lohnkosten, Materialkosten und Energiekosten weiter so ansteigen. Auch in China sind die Zeiten vorbei, in denen es nur darum ging, überhaupt genug Stückzahlen auszubringen, ohne auf die Kosten zu achten. Das beschriebene Beispiel zeigt, welche Herausforderungen bei einer Restrukturierung in China entstehen und welche Widerstände auftreten können. Harmoniestreben ist nur eine Facette der chinesischen Mentalität, das weiß jeder, der wütende Chinesen einmal schreiend erlebt hat. Geht es um finanzielle Belange, wird der Protest ohnehin offensiv nach außen getragen. In dieser Phase war es wichtig, seitens der Werkleitung verbindlich mit allen Beteiligten umzugehen sowie Umsetzungswillen und Beharrlichkeit an den Tag zu legen. Rechtliche Hilfe ist unerlässlich, genauso die Gespräche mit den lokalen Behörden. Das Beispiel zeigt außerdem, dass man auch in China handlungsfähig sein kann und auf unvorhergesehene Entwicklungen angemessen reagieren kann. Dies in einer Weise, dass der „Kern“ erhalten werden kann und man gestärkt aus der Restrukturierungsphase herauskommen kann. Qualität und eine gute Kostenpositionierung sind auch in China möglich. China-Spezifika sind zu berücksichtigen – und die machen es einem nicht immer leicht. Prof. Dr. Alexander Kumpf: Prof. Dr. Alexander Kumpf ist Professor für Beschaffung, Logistik und Internationales Management sowie Studiendekan „International Business“ an der Fachhochschule Landshut. In den Jahren 2009 bis 2010 war er Leiter und Geschäftsführer eines Tochterunternehmens und Produktionswerkes in Chongqing/China. Zwischen den Jahren 2008 und 2009 war er für die Firmengründung und Werksplanung in China verantwortlich. Prof. Kumpf verantwortete in seinem beruflichen Werdegang strategische Projekte und operative Organisationseinheiten bei einem deutsch-amerikanischen Luftfahrzeughersteller, einem globalen Automobilhersteller und zuletzt bei einem globalen Automobilzulieferer. Er greift auf jahrelange Erfahrung im internationalen Umfeld, Projektmanagement und Linienverantwortung zurück. Prof. Kumpf studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Fertigungs- und Betriebstechnik an der Technischen Universität München und promovierte an der TU München am Lehrstuhl Fördertechnik, Materialfluss, Logistik.
6.2.6
Logistik in China – Lieferanten-Integration und transparente Logistik-Performance (Dirk Franke, Siemens)
In diesem Beitrag möchte ich meine Erfahrung bei der Optimierung logistischer Prozesse und deren Bedeutung für den Geschäftserfolg in China wiedergeben. Hierbei konzentriere ich mich auf Themenfelder, die meiner Meinung nach eine besondere Relevanz im chinesischen Markt haben. Die Ausführungen haben natürlich keinen
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6 Praxisbeispiele
Anspruch auf Vollständigkeit und stellen meine persönliche Erfahrung dar. Ebenso kann ich hier keine tiefgehende Prozessbeschreibung geben, sondern möchte dazu anregen, die Relevanz dieser Felder für den Betrieb des Lesers zu prüfen.
6.2.6.1
Rahmenbedingungen
Ich war in der Zeit von Februar 2005 bis April 2010 kaufmännischer Leiter der Siemens Electrical Drives Ltd., Tianjin/P.R. China, einem Joint Venture (JV) zur Fertigung und Entwicklung von elektrischer Antriebstechnik. Das JV fertigt Großantriebstechnik, also elektrische Motoren, Generatoren und Umrichter für industrielle Anwendungen, Verkehrstechnik und zur regenerativen Energiegewinnung. Ausländische Unternehmen können sich im Wettbewerb mit chinesischen Firmen häufig nicht durch die Kostenführerschaft differenzieren. Ein Differenzierungsmerkmal besteht jedoch in der logistischen Leistungsfähigkeit. Dies verstärkt sich, wenn, wie in unserem Fall, die gefertigten Produkte den gleichen Qualitätsanforderungen genügen wie die in Deutschland gefertigten. Die Definition der zu fertigenden Qualität ist eine strategische Grundsatzentscheidung, die jede Unternehmung für sich treffen muss. In unserem Fall war die Vorgabe klar. Für Kunden auf der ganzen Welt ist der Name Siemens ein Synonym für Qualität, und diese Erwartung verpflichtet. Die in unserem Betrieb hergestellten Produkte werden natürlich häufig von chinesischen OEM als Bestandteil derer Maschinen und Anlagen in alle Welt exportiert. Hier bieten sich Vorteile für das internationale Siemens Servicenetzwerk, da die Produkte unserer chinesischen Fertigung den gleichen Qualitätskriterien genügen wie die in den europäischen Schwesterwerken gefertigten Produkte und auch ansonsten kompatibel zu denen sind. Wir sind sogar so weit gegangen, dass die Bestellnummern der Produkte identisch sind zu denen in anderen Werken gefertigten Produkten. Dies bietet international operierenden OEM den Vorteil, in deren IT-System nicht mehrere Stammdatensätze für ein und dasselbe Produkt anlegen zu müssen. Zu Beginn meiner Tätigkeit in 2005 existierte das JV bereits seit 10 Jahren. Mein technischer Kollege war ein Jahr vor mir nach China gekommen. Gemeinsam waren wir in der gesamten Zeit die einzigen deutschen Expatriates im Management des JV und arbeiteten zunächst mit ca. 400 chinesischen Mitarbeitern und Führungskräften. Bis zu meiner Rückkehr nach Deutschland im Jahre 2010 erhöhte sich die Anzahl der Mitarbeiter auf über 1.300 und der Umsatz hatte sich vervierfacht.
6.2.6.2
Logistische Aspekte mit besonderer Bedeutung in China
Lieferanten müssen mitwachsen können und wollen Aus dem starken Umsatzwachstum des JV ergab sich die Notwendigkeit einer besonders intensiven Anbindung der Lieferanten. Schließlich musste den Lieferanten die Möglichkeit gegeben werden, mit uns mitzuwachsen. Dies war wichtig, damit unsere Lieferanten ihrerseits rechtzeitig in Maschinen und Fertigungseinrichtungen
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
207
investieren konnten, um diese zum Zeitpunkt des Bedarfs einsatzbereit zu haben. Aufgrund unserer Qualitätsanforderungen waren hierbei für unsere Lieferanten teilweise Investitionen in europäische Werkzeugmaschinen notwendig. Unsere Lieferanten sind uns mit ihren Investitionen in der Regel bereitwillig gefolgt. Wichtig war der offene und vertrauensvolle Umgang miteinander. Unseren Top-Lieferanten haben wir in regelmäßigen Treffen unsere geplante Geschäftsentwicklung und unsere Ziele für die nächsten Jahre erklärt und sie so auf gemeinsames Wachstum eingeschworen. Lieferantenanbindung Wir haben unsere Lieferanten in einem 3-stufigen Prozess in unseren Beschaffungsprozess eingebunden: • Regelmäßige Kommunikation unserer Geschäftsentwicklung und der mittelfristigen Wachstumsziele. Dies ist eine grobe und gegenüber dem Lieferanten unverbindliche Aussage. Wir haben dies im Durchschnitt zweimal jährlich mit wesentlichen Lieferanten gemacht. • Darüber hinaus haben wir wesentlichen Lieferanten monatlich eine rollierende Forecastplanung für die nächsten Monate, teilweise bis zu einem Jahr im Voraus gegeben. Hierbei ist zu erwähnen, dass der Forecast nicht als monetärer Wert kommuniziert wurde, sondern, wo immer möglich, in Mengeneinheiten. • Ebenso wichtig, wie der rechtzeitige Austausch über benötigte Investitionen, war meines Erachtens die Anbindung wesentlicher Lieferanten an unser ERP-System zur Optimierung der Zulieferkette. Als vorteilhaft hat sich für uns eine internetbasierte Lösung mit Hilfe der „Jonas“ Software der Fa. Instant Solutions Ltd. & Co. KG gezeigt. Ausgewählte Lieferanten bekamen Leserechte für definierte Bereiche unseres ERP. So wussten die betreffenden Lieferanten über konkrete Bedarfe bereits Bescheid, bevor sie die „offizielle“ Bestellung erhalten hatten und konnten ihrerseits frühzeitig mit der Fertigung beginnen. KVP – fragen Sie Ihre Lieferanten Häufig optimieren Firmen sich intern mit Hilfe von kontinuierlichen Verbesserungsprozessen. Aber warum soll dies an den Firmentoren enden? Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, auch die Lieferanten in diesen Prozess mit einzubinden und ihnen ein Forum zur gemeinsamen Prozessverbesserung zu geben. Hierzu haben wir unser 3i (Ideen, Impulse, Initiativen) Konzernprogramm zum Ideenmanagement genutzt. So haben wir unter anderem exzellente Vorschläge für optimierte Verpackungen erhalten, die sowohl das Verpacken als auch das Auspacken beschleunigen. Ebenso haben sich Lieferanten erfolgreich in die Konstruktion und Materialauswahl eingebracht und damit zum beiderseitigen Nutzen Kostenpotentiale gehoben. C-Teile Management als Beispiel für Lieferanten-Integration Das JV hatte sich dafür entschieden, das C-Teile-Management in die Hände eines externen Partners zu legen. Uns bewegte die Frage, ob wir das komplette Material selbstständig betreuen oder ob wir uns mit unserer Expertise und Energie auf höherwertige A/B-Teile konzentrieren. C-Teile-Management wird von vielen Firmen angeboten, wir haben
208
6 Praxisbeispiele
uns dafür entschieden, mit dem „Smart Bin“ System der Fa. Bossard zu arbeiten. Hierbei werden die Teile in Kunststoffboxen in Regallagerplätzen gelagert. Unter jeder Box befindet sich eine Wägezelle, die an einen lokalen PC angeschlossen ist. Der PC wird über das Internet mit dem Zentralrechner des Anbieters verbunden. Ein- oder mehrmals am Tag lassen sich über eine Differenzmessung der Verbrauch und die noch vorhandene Restmenge bestimmen. Bei Bedarf wird die entsprechende Box durch einen Mitarbeiter des Lieferanten selbstständig aufgefüllt. Bei der Einführung haben wir nicht sofort 100 % der C-Teile in das System eingebracht, sondern mit ca. 20 % der betreffenden Materialnummern begonnen. Dies hat sich für uns bewährt, da sowohl auf Seite des Lieferanten als auch bei uns eine Lernkurve durchlaufen wurde. Gemeinsam mit dem Lieferanten müssen die Lagermengen bei Start des Systems festgelegt werden. Prognostizierte Verbrauchswerte in Verbindung mit den Wiederbeschaffungszeiten des Lieferanten bestimmen die Meldepunkte zur Lagerauffrischung. Diese Werte werden nach Systemstart in iterativen Schleifen weiter optimiert. Sobald sich das System eingespielt hatte, haben wir die Anzahl der betreuten Materialnummern sukzessive erhöht. Die Schwachstelle dieser Systeme ist, dass die Lagermengen und Verbrauchswerte sich von Vergangenheitsdaten ableiten. Auch hier ist mit den Lieferanten das prognostizierte Wachstum rechtzeitig zu diskutieren. Ebenso haben wir die Lieferanten jeweils gesondert informiert, falls wir z. B. projektbedingt mit Spitzen im Auftragseingang rechneten. Key Performance Indicators – die regelmäßige Messung ist Basis für zielgerichtete Verbesserung Ich denke, es ist eine alte Binsenweisheit, dass nur das, was regelmäßig gemessen wird, auch zielgerichtet verbessert werden kann. Wir haben die Fabrik durch KPI geführt und deren Prozesse kontinuierlich verbessert. Allerdings kenne ich Firmen, die eine solche Vielzahl von KPIs definiert haben, dass wohl keiner mehr den Überblick hat und die KPIs dabei zum Selbstzweck werden: KPIs sind der Schlüssel zur Verbesserung, wenn sie richtig genutzt werden. Anzahl der KPIs begrenzen Meiner Erfahrung nach reichen wenige KPIs aus, um die Fabrik in Diskussion zwischen Firmenleitung und der 2. Ebene der Führungskräfte auszusteuern und zu entwickeln. Die Zielwerte für die KPI müssen natürlich für die jeweilige Fertigung definiert und können nicht allgemein vorgegeben werden. Ich stelle hier die KPIs dar, die für unsere Firma von zentraler Bedeutung waren. Ebenso wichtig wie die Begrenzung ist die Priorisierung der KPIs, da diese teilweise in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Ihre Mitarbeiter werden sicherlich in die Situation kommen, in der Sie z. B. bei einem Produktionsanlauf zwischen möglichst niedrigen Beständen und eigener Liefertreue-/fähigkeit entscheiden müssen. Hier hat es sich für uns bewährt, eine klare Priorisierung zu Gunsten des Kunden und damit für die Liefertreue auszusprechen. Dieses Beispiel lässt sich natürlich beliebig auf andere KPIs anwenden. Auseinandersetzung mit den KPIs Die Messung der KPIs ist kein Selbstzweck, sondern dient der Auseinandersetzung mit der Leistungsfähigkeit des Unternehmens
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
209
im Dialog des Managements. Hierzu ist es wichtig, die Erhebung der Daten, so weit als möglich, zu automatisieren und zu standardisieren. Verantwortliche Personen in der Organisation sind zu benennen und die Frequenz der Messung ist festzulegen. So war die Durchsprache der KPIs stets der erste Tagesordnungspunkt in unserer wöchentlichen Management-Besprechung. Die Teilnehmer waren die Firmenleitung und die komplette zweite Führungsebene. Hierbei sind wir die entsprechend visualisierten KPIs komplett durchgegangen. Dies hatte den Effekt, dass das gesamte Management-Team über die aktuelle Lage des Unternehmens informiert war und sich alle an der Analyse beteiligen konnten. Maßnahmen wurden, so weit möglich, auch sofort definiert und waren damit dem gesamten Management bekannt. Neben dieser wöchentlichen Kommunikation mit der zweiten Ebene wurden alle KPIs stets monatlich in allen Abteilungen für alle Mitarbeiter lesbar ausgehängt. Liefertreue der eigenen Fertigung gegenüber Kunden Hier messen wir, ob wir unseren Kunden gegenüber liefertreu sind, also ob wir zum erstbestätigten Liefertermin ausliefern. Hierbei haben wir alle Lieferungen als liefertreu erfasst, die in einem Korridor 0/−3 Arbeitstage geliefert wurden. Dies bedeutet auf den Tag genau (0) oder maximal drei Tage zu früh (−3). Jede Lieferung außerhalb dieses Korridors ist zu vermeiden, da sie zur Verärgerung des Kunden und zu unnötigen Kosten führen kann. Dies gilt auch für noch frühere Lieferungen. Die Definition des Zeitkorridors muss sich natürlich an den Anforderungen der Kunden im jeweiligen Markt orientieren. Lieferfähigkeit der eigenen Fertigung gegenüber Kunden Hier messen wir, ob wir den von unserem Kunden in seiner Bestellung genannten Wunschliefertermin in der Auftragsbestätigung bestätigen oder nicht. Wir haben jede Bestellung gewertet, wie wir sie vom Kunden erhalten haben, auch wenn der gewünschte Liefertermin vermeintlich unrealistisch war (z. B. einen Großmotor innerhalb eines Tages). Folglich wird die Lieferfähigkeit nicht die Höhe der Liefertreue erreichen können. Lagerumschlag Fertige Produkte wurden in der Regel noch am selben Tag ausgeliefert und verrechnet, insofern bezog sich der Umschlagsfaktor auf das Rohmaterial und das in der Fertigung befindliche Material sowie auf die angearbeiteten Erzeugnisse. Im Zusammenspiel dieser drei Indikatoren ergibt sich bereits ein aussagefähiges Bild der Logistikleistung gegenüber dem Kunden und damit der Leistungsfähigkeit der Firma an sich. Interpretation von KPIs und Ableitung von Maßnahmen Beispiel 1: „Instabile Prozesse“ Liefertreue schlecht
Lieferfähigkeit schlecht
Lagerumschlag schlecht
Die Prozesse laufen instabil und müssen verbessert werden. Im ersten Schritt muss die Liefertreue verbessert werden, dann die Lieferfähigkeit und die Bestände. Wir haben uns zurVerbesserung der Liefertreue intensiv mit 2 Themenfeldern beschäftigt.
210
6 Praxisbeispiele
Pflege der Materialstammdaten im ERP-System Nur wenn die einkaufsrelevanten Stammdaten gepflegt sind und die korrekten, sicherlich noch nicht optimalen Zeiten für alle Prozessschritte des Einkaufsvorganges beinhalten, lässt sich die Bestellung zum richtigen Zeitpunkt auslösen. Sollte der betreffende Lieferant seinerseits keine stabile Liefertreue haben, ist dies bei der Kalkulation unserer Wiederbeschaffungszeit zu berücksichtigen. Bei dieser Gelegenheit können „Karteileichen“ aus dem ERP entfernt werden. Dies erhöht die Transparenz und verbessert die Systemperformance. Definition von internen Prozesszeiten Sämtliche Arbeitsgänge vom Erhalt des Materials bis zur Einlagerung sowie von der Auslösung des Materialbedarfs durch die Fertigung beim Lager bis zur Auslieferung an den Kunden sind mit Sollzeiten zu hinterlegen. Diese müssen sich an der gegenwärtigen Performance der Organisation orientieren und sollten nicht die Wunschvorstellung des Managements darstellen. Neben diesen Themenfeldern haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, die Zielgröße für die KPIs nicht zu diktieren, sondern von den betreffenden Managern der zweiten Ebene vorschlagen zu lassen. In unserem Fall kamen die Manager nach intensiver Diskussion mit dem Vorschlag, das Ziel für die Liefertreue im ersten Jahr auf 60 % zu legen. Sie hatten dabei schon die Erwartung, dass die Firmenleitung dieses selbstgesetzte Ziel nicht akzeptieren würde. Von daher waren die Abteilungsleiter sehr überrascht, als mein technischer Kollege den Wert ohne Beanstandung akzeptierte. Dies hatte zwei Gründe, die Mitarbeiter würden alles in ihrer Macht stehende tun, um IHR Ziel zu erreichen. Darüber hinaus wird sich eine Prozessverbesserung nicht bei den genannten 60 % stoppen lassen, sondern zu weit höheren Werten führen, je intensiver sich die Mitarbeiter mit den Prozessen beschäftigen und mehr und mehr Freude und Stolz am Erreichten fühlen. Beispiel 2: „Stabilisierte Prozesse, aber zu lange Lieferzeiten“ Liefertreue Gut
Lieferfähigkeit schlecht
Lagerumschlag schlecht
Die Prozesse sind stabilisiert (noch nicht optimiert), aber die bestätigte Lieferzeit ist zu lang. Ein erster Teilerfolg ist erzielt, die Kunden erhalten die Waren zumindest am vereinbarten Termin, dennoch entsprechen die Lieferzeiten nicht der Kundenerwartung; damit Gefahr des Kundenverlusts, falls der Mitbewerber es besser kann. Großen Erfolg bei der Reduzierung der Lieferzeiten hatte die Auseinandersetzung mit diesen Themen: • Durchlaufzeit im Engineering zur Erstellung des Fertigungsauftrages • Durchlaufzeit in der Logistik bis zur Auslösung von Materialbestellungen • Lieferzeiten der Lieferanten
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
211
• Messung der Lieferantenperformance (Liefertreue-/fähigkeit) und regelmäßige Kommunikation mit dem Lieferanten • Fertigungsdurchlaufzeiten Beispiel 3: „Lagerumschlag ist zu verbessern“ Liefertreue gut
Lieferfähigkeit gut
Lagerumschlag schlecht
Zur Verbesserung des Lagerumschlags haben sich bei uns unter anderem folgende Maßnahmen bewährt: • Überprüfung, Aktualisierung und ggf. Korrektur der Materialstammdaten, insbesondere Wiederbeschaffungszeiten und Bestellmengen • Einführung eines ganzheitlichen Forecastprozesses über die gesamte Prozesskette vom Vertrieb über das Werk zum Lieferanten. Wie bereits beschrieben, sollten hier Informationen über Mengen und nicht über Werte ausgetauscht werden. • Reduzierung der Bestell- und Anliefermengen bei Erhöhung der Frequenz (Bsp. lieber 4 kleinere Lieferungen pro Monat anstatt einer großen) • Einführung von Logistikmodellen, wie z. B. Konsignationslager unserer Lieferanten, JIT-Belieferung, „kanbanische“ Materialversorgung der Fertigung, reservierte Sicherheitsbestände der Lieferanten
6.2.6.3
Zusammenfassung
In China stellt die Bewältigung des Wachstums eine der größten Herausforderungen dar. Dabei ist entscheidend, dass auch die Lieferanten mitwachsen können. Um dem aus logistischer Sicht zu begegnen und um effiziente logistische Prozesse zu realisieren, bedarf es einer Lieferantenintegration, die geprägt ist von offener Kommunikation, Einbindung in Forecasts, Anbindung der IT-Systeme und der Nutzung von Lieferantenideen. Auch in China gilt: Nur was gemessen wird, kann man verbessern. Die Logistik-Performance lässt sich prinzipiell an einigen wenigen KPIs festmachen: Liefertreue, Lieferfähigkeit und Lagerumschlag gehören dazu. Transparenz ist die Basis für die Identifikation von Verbesserungsbedarf, die Ableitung von Maßnahmen, die Definition von Zielen und das Sichtbarmachen von Erfolgen – die Motivation für die weitere Verbesserung erzeugen. Dirk Franke: Dirk Franke war von 2005 bis 2010 kaufmännischer Leiter der Siemens Electrical Drives Ltd., Tianjin/P.R. China, einem Joint Venture (JV) zur Fertigung und Entwicklung von elektrischer Antriebstechnik. Das JV fertigt Großantriebstechnik, also elektrische Motoren, Generatoren und Umrichter für industrielle Anwendungen, Verkehrstechnik und zur regenerativen Energiegewinnung. Derzeit ist Herr Franke für Siemens bei Corporate Strategies in München tätig.
212
6.2.7
6 Praxisbeispiele
Integratives China-Logistics-Konzept – von LCL zu FCL (Dean Gehrke)
6.2.7.1 Ausgangssituation und Ziele Das Low-Cost-Country-Sourcing stellt auf der Beschaffungsseite für Europa eine immer wichtigere Rahmenbedingung dar; damit einhergehend das Management der Logistik bei einem Sourcing aus Asien und insbesondere China. Es stellt sich die Aufgabe einer Neugestaltung der internationalen Versorgungslogistik. Im Folgenden wird beschrieben, wie ein internationaler Automobilzulieferer hiermit umging. Die Logistik war dort zuvor durch eine unzureichende Transparenz der internationalen Materialflüsse gekennzeichnet, verbunden mit einer mangelnden Realisierung von Synergie-Effekten und steigenden Logistik-Ausgaben. Man stellte fest, dass zahlreiche Logistics Provider beauftragt wurden und damit Bündelungspotenziale nicht erschlossen werden konnten. Insgesamt sah man ein hohes Potenzial zur Reduzierung von Transportkosten. Die Versorgung der europäischen Organisation des beschriebenen Zulieferers ist klar durch zwei wesentliche Ströme gekennzeichnet: Die eine Hälfte kommt aus Nordamerika, die andere aus Asien. Die Bedeutung der Transportkosten an den Beschaffungskosten ist durchaus beträchtlich. Während der Anteil bei Materialien aus Nordamerika noch im einstelligen Prozent-Bereich liegt, sind die Anteile in Asien doch wesentlich höher; vor allem dann, wenn Luftfracht erforderlich ist. Bei der Beschaffung aus China fand man immerhin einen Transportkostenanteil von knapp 20 % vor. Knapp zwei Drittel der Transporte wurden selbst organisiert; ein Drittel durch die Lieferanten. Man hatte Verträge mit 23 Logistik-Dienstleistern. Es fand praktisch keine Konsolidierung des Frachtvolumens statt. Das Volumen betrug 25.000 Paletten pro Jahr bei einer starken Schwankung der Kosten (zwischen 80 und 1.000 € pro Palette). Bei dem neuen Transportkonzept konzentrierte man sich zunächst auf die selbst organisierten Transportumfänge (ca. zwei Drittel). Für Asien beträgt dieser ca. 6.000 Paletten (China: ca. 3.000 Paletten): allerdings mit stark steigender Tendenz. In Asien spielt neben China vor allem Südkorea noch eine bedeutende Rolle. Neben der Reduzierung der Transportkosten lagen die Ziele des Projekts in einer besseren Transparenz hinsichtlich der globalen Lieferantenstandorte und der damit verbundenen Transportvolumina, um auch die Basis für zukünftige Einkaufsentscheidungen zu verbessern. Darüber hinaus sollte insbesondere auch Flexibilität sichergestellt werden; hinsichtlich veränderlicher Anforderungen und Bedarfe der Werke sowie bei wandelnden Supply Chains. Somit stellten sich insgesamt vor allem folgende Fragen: Haben wir überhaupt schon die Transparenz, um Transportpotenziale erkennen zu können? Können Potenziale durch FCL (Full Container Load) statt LCL (Less than a Container Load) realisiert werden? Bestehen Bündelungspotenziale, wenn europäische und amerikanische Versorgungsströme im Vorlauf in China gebündelt werden? Welche
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
213
Optimierungspotenziale lassen sich durch eine Reduzierung der Anzahl der Logistikdienstleister erzielen? Ist der Seeweg in jedem Fall das beste Transportmedium unter Kosten-, Durchlaufzeit- und Flexibilitätsgesichtspunkten? Zusammengefasst: Wie sieht ein integriertes Transportkonzept aus und welcher Nutzen kann damit generiert werden?
6.2.7.2
Logistik in China
Man muss den chinesischen Logistikmarkt und die dortigen Gegebenheiten kennen, um ein tragfähiges Logistikkonzept zu entwerfen. Die Logistik-Infrastruktur in China entwickelt sich zusehends. Das Straßennetz ist aber immer noch gekennzeichnet durch einen sehr unterschiedlichen Entwicklungsgrad. Gute Bedingungen findet man zum Beispiel im Pearl River Delta und in der Region um Shanghai oder Peking vor. Auch die Entfernungen an sich sind nicht zu unterschätzen. So muss man für die Strecke von Shanghai nach Hongkong (ca. 1.600 km) durchaus mit ca. 4–5 Tagen rechnen. Das Schienennetz, wenngleich dort ebenfalls viel investiert wird, ist in vielen Bereichen immer noch unterentwickelt, so dass sich im Vergleich zur Straße in vielen Fällen keine kürzeren Transportzeiten realisieren lassen. Die Häfen entwickeln sich rasant; in manchen Fällen sind sie aber immer noch weniger mit modernem Handling Equipment ausgestattet und stoßen oftmals an die Kapazitätsgrenzen. Alternativ zum Seeweg erscheint die Schiene als eine interessante Alternative: mit dem „Trans Eurasia Express“ zwischen China und Europa; startend in Peking, dann über Moskau, Weißrussland, Polen nach Deutschland. Prinzipiell bieten sich hierzu drei Routen an: 1) über Nord-China direkt nach Russland (Transhipment: Zabaykalsk – Manzhouli); 2) über die Mongolei (Transhipment: Zamyn-Uude – Erlian) nach Russland; 3) über Urumqi (Transhipment: Dostyk – Alashankou), nach Kasachstan, dann nach Russland (Yekaterinburg). Insgesamt spricht man dabei von einer Transitstrecke von 10.000 km, die in etwa 15 bis 18 Tage in Anspruch nimmt (also halb so lang als für den Seeweg). Die Kosten liegen bei etwa 3.000 € pro TEU („Twentyfoot Equivalent Unit“); damit ist die Schiene teurer als die Seefracht; gleichwohl beträgt sie lediglich die Hälfte der Luftfracht-Kosten. Der „Container Wagon Train China – Europe“ bietet sich damit eher für die hochwertigen, zeitsensitiven Güter an, wo eine hochpreisige Luftfracht nicht realisierbar ist. Insbesondere wenn SupplyChain-Risiken zu vermeiden sind und wenn Flexibilität und Lieferzuverlässigkeit eine große Relevanz aufweisen, handelt es sich bei der Schiene um eine interessante Transportalternative im Vergleich zum Seeweg. Seit Ende 2004 öffnet sich der chinesische Logistikmarkt signifikant. Bis dorthin war die Durchführung von Transport-Dienstleistungen innerhalb Chinas für ausländische Anbieter nicht möglich; lokale Service Provider dienten als UnterAuftragnehmer. Der Logistikmarkt wächst in China stark; die internationalen Dienstleister sind dabei, Marktanteile zu gewinnen. Aufgrund der langjährigen Erfahrungen mit der gemeinsamen Zusammenarbeit werden die Kooperationen immer noch aufrechterhalten, auch in einem zunehmend offeneren Markt. Die wichtigsten lokalen Dienstleister sind: COSCO, China Shipping Group, SINOTRANS, CMST,
214
6 Praxisbeispiele
SINOCHART, Xiamen Xiangyu Group Corporation, Air China Cargo. Die lokalen Dienstleister sind meistens in staatlicher Hand. Oftmals mangelt es bei den Dienstleistern in China besonders an der Qualifikation des Personals: Trainings werden nicht im ausreichenden Maße eingesetzt. In der Zwischenzeit wurde jedoch ein spezifisches Zertifizierungssystem eingeführt, um die Qualität zu verbessern (44 Dienstleister erhielten die Bestbewertung „AAAAA“). Eine ISO 9001-2000 Zertifizierung ist ohnehin obligatorisch. China liegt beim „Logistics Performance Indicator“ auf Position 27 und damit immer noch weit vor anderen low-cost-countries wie Indien. Insgesamt kann man von begrenzten Transport- und Lager-Kapazitäten ausgehen, unter anderem verursacht durch die hohe Nachfrage; es handelt sich damit um einen „high-priced“ Markt bei prinzipiell vorherrschender Ineffizienz. Außerdem befindet sich die Standardisierung immer noch in den Kinderschuhen; eine moderne IT-Integration ist meistens nicht vorzufinden. „Logistic Facilities“ nehmen in China eine wichtige Rolle ein. Im Falle von „Transit Trades“ gelangen die Güter nicht auf chinesisches Hoheitsgebiet. Services innerhalb der „Logistics Facilities“ sind von der VAT befreit; außerdem fallen keine Zölle an. Folgende Services werden unter anderem in „Logistics Facilities“ angeboten: Warenannahme, Eingangskontrolle, Lagerhaltung, Beschwerde-Dokumentation, Order Picking, Verpackung, Versand, Labeling, Co-Packing, Warehouse Management, TransportLogistik (B2B, B2C), Nachtsprung, Cash on Delivery, Retouren-Management, Reparatur- und Instandhaltungsleistungen, Materialprüfung usw.
6.2.7.3
Integratives Logistik-Konzept
Bevor man mit der Neugestaltung des Logistik-Ansatzes begann, führte man Basisanalysen durch, um die Rahmenbedingungen zu kennen und Prämissen für das Konzept zu definieren. Es handelte sich dabei zum Beispiel um Analysen zu Infrastruktur, Transportnetzwerk, Logistikmarkt, Logistikdienstleister, Trends (z. B. Container Service „Fareast Land bridge“) und SWOT (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats). Sowohl für die Analyse als auch für die Gestaltung des integrativen Logistikkonzepts war die Visualisierung ein zentrales Element. Gerade bei komplexen Fragestellungen mit zahlreichen Einflussfaktoren und Gestaltungsfeldern hilft die Visualisierung, um Optionen aufzubauen und zu bewerten. Dabei wurden vor allem folgende Instrumente eingesetzt: „Global Flows“, „Supplier locations China“ (mit Enfernungen)/„Supplier Delivery Map China“ sowie „Transport Setup China“ (Transportvolumina: Paletten und Gewicht pro Lieferant; Transportmittel und Senken; inkl. flexibler Aktualisierung der Transportvolumina). Die Analysewerkzeuge wurden so konstruiert, dass bei Volumenanpassungen neue Beschaffungsszenarien und die damit verbunden Änderungen in den Materialströmen simuliert werden konnten. Die Versorgung war in der Ist-Situation durch einen dezentralen Ansatz gekennzeichnet, ohne Konsolidierung, so dass in der Regel keine vollen Container versendet wurden. Prinzipiell unterscheidet man zwischen der Stückgut-Verladung, genannt LCL (Less than Container Load), und FCL (Full Container Load). Im Gegensatz
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
215
zu LCL wird der Container bei FCL komplett von einem Versender beladen und an seinem Zielort vom Empfänger entladen. Die am weitesten verbreiteten Container haben dabei eine Breite von 8 ft und sind entweder 20 oder 40 ft lang. Daraus ergeben sich auch die Maßeinheiten mit den entsprechenden Abkürzungen: „TEU“ (Twenty-foot Equivalent Unit) und „FEU“ (Forty-foot Equivalent Unit). Inzwischen gibt es weitere Längenmaße, die eine bessere Raumausnutzung im Landtransport unterstützen. Als Maßeinheit zur einheitlichen Zählung von Containern hat sich TEU durchgesetzt: sowohl für die Ladefähigkeit von Containerschiffen als auch für die Umschlagsmengen in Häfen oder Güterbahnhöfen. Im Rahmen des Startprojekts wurden sechs Initiativen definiert: Kurzfristig ging es um die Realisierung von Synergieeffekten durch das integrierte Logistikkonzept, die Reduzierung der Anzahl der Logistikdienstleister, die Entscheidung für ein optimiertes Transportlayout (Preis/Qualität) sowie um die Verbesserung der Container-Auslastung. Langfristig nahm man sich die Anpassung der Incoterms vor sowie den Einsatz eines integrierten Controlling-Tools, mit dem relevante Entwicklungen frühzeitig erkannt werden und bei Bedarf Maßnahmen ergriffen werden können. Kurzfristig angedachte Ansätze Das neue Logistik-Konzept basiert in seiner grundsätzlichen Ausprägung auf einem fünf-stufigen Aufbau (zweistufig im „Quellen-Land“, dann der Seeweg, zweistufig im „Senken-Land“): von den Lieferanten wird in ein Konsolidierungscenter geliefert, dort verdichtet (FCL) und an den Hafen transportiert. Nach dem Seeweg wird im europäischen Logistik-Center dekonsolidiert, umgeschlagen, im Sinne eines Cross-Docks, und an die Werke geliefert. In China werden im Vorlauf nicht nur die europäischen Ströme gebündelt, sondern auch die amerikanischen integriert, um Synergieeffekte zu realisieren (Transport network America/Asia). Ein Integrator koordiniert die Supply Chain bis zum europäischen Logistik-Center, also für die ersten vier Stufen der fünf-stufigen Supply Chain. In die Bewertung fließen dementsprechend fünf Preiselemente mit ein (Abb. 6.9). Bei der Frage nach dem richtigen Integrator bzw. nach den richtigen Logistikdienstleistern wurden prinzipielle Optionen untersucht und bewertet. Grundsätzlich differenzierte man zwischen internationalen und lokalen Service Providern. Die Vorteile der internationalen Logistikdienstleister liegen dabei in einem professionellen Management und in der effizienten Steuerung von Logistik-Netzwerken, basierend auf modernen Technologien, die auch ein durchgängiges Track & Trace beinhalten sollten. Die Unsicherheiten erscheinen geringer in der Zusammenarbeit mit vertrauenswürdigen Partnern aus einem bekannten Umfeld. Allerdings weisen diese weniger Erfahrungen im chinesischen Markt auf, sind weniger lokal vernetzt und zudem hochpreisig. Die internationalen Logistikdienstleister kamen sehr schnell lediglich als mögliche Integratoren in Frage. Lokale Logistik-Dienstleister haben den Vorteil, dass sie bereits bestehende Netzwerke und Prozesse vorweisen können. Außerdem zeichnen sie sich durch eine hohe Markt-Kenntnis aus und sind gut vernetzt
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6 Praxisbeispiele
Decentralized transport concept
Integrative transport concept
Plant A Country X
Plant A Country X
Plant B Country X
Crossdock
Plant B Country X
Plant A Country Y
Plant A Country Y
Plant B Country Y
Plant B Country Y
No integrated information basis
Data basis regarding all plants
No consolidation of transport volumes
Consolidation of transport volumes
Approx. 30 different logistic providers
Reduction number of logistic providers
No benefit of synergistic effects
Reduction of overall transport costs
Abb. 6.9 Gegenüberstellung „altes Konzept: dezentral“ und „neues Konzept: integrativ“
mit öffentlichen Institutionen. Gleichwohl sind sie oftmals weniger effizient, in vielen Fällen fehlt es an einer entsprechenden IT-Integration; insgesamt ist auch mit einem erhöhten Kontrollaufwand zu rechnen. Die eingehende Auswertung aller Analysen ergab, ein kombiniertes, globales Integrationskonzept weiter zu verfolgen. Dieses sollte vorsehen, alle nationalen Konsolidierungskonzepte, vor allem aber die Europas, Chinas und Nordamerikas, im ersten Schritt mit Hilfe eines interkontinentalen Projektteams zusammenzuführen. Am vorteilhaftesten schien, die Synergieeffekte aller bereits vorhandenen Systeme zu nutzen, auch in Bezug auf die Teilhaberschaft an den Einsparungen. Bei allen entsprechenden Prozessbeteiligten sollte sich eine Kostenstrukturverbesserung einstellen: • Die gebietsverantwortlichen Logistikunternehmen sollten ihre Relationen durch die Volumenerhöhung besser auslasten können und damit signifikant preislich attraktiver werden. • Die Lieferanten könnten von einer gleichgeschalteten Frequenz partizipieren, d. h. die Lieferungen an alle betroffenen Werke könnten zusammengefasst werden und somit der Aufwand etlicher Teilladungen mit entsprechender Steuerung vor Ort, Beladung und der Dokumentation deutlich reduziert werden. • Die eigenen Kundenwerke erhalten eine wesentlich erhöhte Transparenz von sich bewährten Konzepten, partizipieren von den gebündelten Volumenströmen und einer konsolidierter Verarbeitung der Lieferungen in Bezug auf Verzollung und Verschiffung. Eine Konsolidierung über Kontinentgrenzen hinaus wurde verworfen, da die Entfernungen zu groß und vor allen Dingen aber die zoll- und umsatzsteuerrechtlichen
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
217
Hürden und Risiken nicht ohne weiteres zu überwinden sind. Das Werkzeug der Visualisierung könnte nun als strategisches und preisliches Hilfsmittel zur doorto-door-Kalkulation bei Beschaffungsentscheidungen verwendet werden, womit die Systematik von einer einzelrelativen auf eine ganzheitliche umgestellt würde. Durch das integrative Transport-Konzept wird erwartet, allein mit den kurzfristigen Ansätzen die Transportkosten um einen zweistelligen Prozentsatz senken zu können. Das Management hat mit Bildung eines weltweit agierenden Teams und Netzwerkes begonnen und wird nun Regeln in Bezug auf den Ablauf der strategischen Beschaffung festlegen. Langfristig umzusetzende Ansätze Erste Gedanken zur Umstellung aller Lieferanten auf eine FCA-Relation werden unterstützt, um das Konzept weiter mit Volumina zu füllen und die zollrechtlich notwendigen Dokumente bereits vom Lieferanten erstellen zu lassen. Auch hier wird auf zentrale Expertise bzw. Weisung zurückgegriffen, um jeweils die zollrechtlich richtige Abwicklung sicherzustellen. Darüber hinaus müssen die davon betroffenen Beschaffungsanfragen gestaltet werden. Der letztendlich entscheidende Faktor bei gleicher Risikostreuung bleibt aber weiterhin ein marktgerechter Preis. Allerdings sollte man die Anfragen so ausführen, dass generell die Konsolidierungspunkte in den entsprechenden Ländern vorgeschlagen werden. Zur Professionalisierung der bereits bestehenden Controllinghilfsmittel benötigt man eine globale Plattform, die der Kostentransparenz aller Beteiligten dienen sollte. Dabei wird mit best-practice-Ansätzen gearbeitet, um den weltweiten Aufwand so gering wie möglich zu halten. Die Performance der Logistikdienstleister wird dabei in das weltweit gültige Lieferantenbewertungssystem übernommen, welches einheitlichen Regelungen unterliegt.
6.2.7.4
Zusammenfassung
Über den ganzheitlich strategischen Einkauf hinaus sollte sich langfristig mit den beschriebenen Ansätzen ein globales best-price-System entwickeln, um auch die kulturellen, politischen und infrastrukturellen Hürden in den Hintergrund solcher Entscheidungen treten zu lassen. Darüber hinaus ist man mit einem solchen Ansatz auch auf die vom OEM immer weiter forcierten globalen und standardisierten Fahrzeugkonzepte vorbereitet und somit schnell und flexibel in der Lage, den Anforderungen gerecht zu werden. Das integrative China-Logistics-Konzept basiert auf den Leitlinien Transparenz, Bündelung, Standardisierung und ganzheitliche Supply Chain-Optimierung – als Basis für eine effiziente und zuverlässige Materialversorgung. Dean Gehrke: Dean Gehrke, Betriebswirt der IHK, geb. 1972, verheiratet, 1 Kind, arbeitet seit 1996 in der Logistik in der Automobilzulieferbranche. Er leitete bis Ende 2008 zehn Jahre die Logistik eines Zuliefererwerks. Seitdem ist er unter anderem
218
6 Praxisbeispiele
für einkaufsrelevante, europäische Logistikprojekte als „Project Leader European Logistics“ für die zentrale Logistik tätig und verantwortlich. Einen herzlichen Dank für die konstruktive und professionelle Mitarbeit gilt Friederike Lange, ehemals Diplomandin an der Ostfalia, Hochschule für angewandte Wissenschaft, Fachbereich Logistik, Wolfenbüttel; die hier veröffentlichten Analysen waren Teil ihrer Abschlussarbeit.
6.2.8
China Logistics – Collaborative Supply Chain Management und Standardisierung als nächste Entwicklungsschritte (Jörg Biesemann, Continental Automotive Asia Pacific Co. Ltd)
Continental ist in Asien mit 41 Standorten, 27 Vertriebsbüros und 18 Joint Ventures vertreten. Dabei sind mehr als 28.000 Mitarbeiter beschäftigt; von diesen entfallen über zwei Drittel auf den Bereich „Automotive“ (24 Standorte) und ein Drittel auf die Bereiche „ContiTech“ und „Tires“. Continental Automotive umfasst die Produktbereiche „Chassis & Safety“, „Powertrain“ und „Interior“; das Einkaufsvolumen beträgt knapp 10 Mrd. € (davon 22 % aus Asien); die Logistikkosten betragen bei „Automotive“ ca. 0,72 Mrd. € weltweit. Von den insgesamt sieben Werken in China sind besonders die Werke in Shanghai sowie das Werk in Changchun hervorzuheben, wo u. a. wichtige Elektronikkomponenten, wie z. B. Bremssysteme, produziert werden; Continental Automotive setzt seinen Fokus vermehrt auf die Entwicklung und Produktion von Telematik-Produkten. 6.2.8.1
Logistik in China: unsicher, unvorhersehbar und komplex
Der chinesische Automotive-Markt ist von starkem Wachstum geprägt. Man geht von einem Anstieg der Automobil-Produktion im Jahr 2012 auf 17,5 Mio. Stück aus; entsprechend des 12. Fünfjahresplans sind für 2015 25–27 Mio. Einheiten zu erwarten. Das Management von steigenden, zum Teil unvorhersehbaren, Bedarfen und die damit verbundenen Kapazitätsengpässe gehören zu den Randbedingungen der Logistik in China. Die Bedarfsunsicherheiten sind auf unterschiedlichen Ebenen vorzufinden. Das Bewusstsein und das Verständnis für eine langfristige, verlässliche Planung ist prinzipiell in China weniger vorzufinden. So kommt es immer wieder zu einer unvorhergesehenen Nachfrage; die Planungsprozesse zwischen OEMs, Continental und Lieferanten sind meistens wenig abgestimmt, verbunden mit langsamen, verspäteten oder nicht durchgängigen Informationsflüssen in der Supply Chain. Unter diesen Voraussetzungen kommt es zwangsläufig immer wieder zu Bullwhip-Effekten, d. h. zum Aufschaukeln und Hochschwingen von Bedarfen in nachgelagerten Supply-Chain-Stufen – und damit zum unnötigen Bestandsaufbau mit einem ausgeprägten Obsoleszenz-Risiko. Die Supply Chain in China ist meistens durch eine begrenzte Transparenz gekennzeichnet; lange Transportstrecken,
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
219
Transitzeiten und damit Wiederbeschaffungszeiten reduzieren zudem die Flexibilität. Eine LTL-Lieferung (Less than truck load) von bspw. Shanghai nach Kunmin kann unter Umständen bis zu acht Tage dauern, um die Distanz von ca. 3.100 km zurückzulegen. Eine frühzeitige Abstimmung der Supply-Chain-Stufen hinsichtlich abgestimmter, harmonisierter Produktionskapazitäten ist in der Regel nicht vorzufinden. Lieferanten-Insolvenzen und Material-Knappheit führen außerdem des Öfteren zu Engpass-Situationen. Kommen dann noch zahlreiche Engineering-Änderungen hinzu, wird die Logistik in China noch komplexer. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Logistik-Welt in China unsicher, unvorhersehbar und komplex ist. Für die Logistik stellt Komplexität immer eine besondere Herausforderung dar. Die Komplexität bei Continental Automotive beruht unter anderem auf einer Vielfalt von Produkten (ca. 2.000), Kunden (ca. 100), Lieferanten-Standorten (ca. 2.000) und Materialnummern (ca. 220.000). Hinzu kommt die Vielfalt an Supply ChainStufen und Verantwortlichkeiten (HQ, Regionen, Standorte/Werke), Wertströmen, IT und Prozessebenen. Dies verstärkt sich durch einen ungünstigen ProductionSet-up (große Fertigungslosgrößen, Maschinenstillstände, ungeglättete Fertigung und „shared equipment“) und Logistik-Set-up (lange Wiederbeschaffungszeiten, geringe Flexibilität, keine aktuellen SAP-Parameter), durch Bedarfsunsicherheiten (Sales-Abweichungen, geringe Verlässlichkeit bei Forecasts) und Qualitätsdefizite (geringe Lieferzuverlässigkeit, Produkt- und Prozessqualität). EngineeringÄnderungen, Produktanläufe, Produkttransfers und Intercompany Clearances stellen weitere Randbedingungen dar, die sich letztendlich in entsprechenden Beständen widerspiegeln. Komplexität wird man nicht vollständig reduzieren und vermeiden können. Es stellt sich die Frage, wie man mit dieser umgeht, wie man sie beherrschen kann – und das in einem äußerst dynamischen Umfeld. Gelingt das durch alleinige Optimierung der eigenen Strukturen und Abläufe? Wie kann man die Prozesse zusammen mit den Kunden optimieren? Wie gelingt eine Weiterentwicklung an der LieferantenSchnittstelle? Wie verbessert man Supply Chains übergreifend und ganzheitlich? In welchen Phasen des Produktlebenszyklus setzt die Supply Chain-Optimierung an?
6.2.8.2
Collaborative Supply Chain Management in China
Selbstverständlich kann man jede Stufe der Supply Chain einzeln optimieren – man wird allerdings schnell an seine Grenzen kommen. Der Quantensprung gelingt, gerade in einem dynamischen Umfeld wie in China, wenn die gesamte Supply Chain ganzheitlich optimiert wird und die einzelnen Teilnehmer partnerschaftlich daran arbeiten; in dem Wissen, dass letztendlich jeder davon profitiert. Gleichwohl ist dieser Ansatz relativ neu in China. In der „ersten Wachstumsphase“ ging es in China vor allem um Versorgungssicherheit, um überhaupt die steigenden Stückzahlen realisieren zu können; erkauft durch Bestände und ausgeprägtem operativem Aufwand. Optimierungsansätze bezogen sich eher auf die Auftragsabwicklung (Zoll etc.) und das Transport-Management, unter anderem durch Einsatz geeigneter Logistik-Dienstleister. Eine übergreifende Supply Chain-Optimierung
220
6 Praxisbeispiele
und gemeinsame Standards standen nicht im Fokus. Als vor einigen Jahren lediglich zwei Werke von Continental Automotive in China betrieben wurden, sind insgesamt ca. 13–15 Logistikdienstleister für Continental tätig gewesen, während heute insgesamt sieben Werke von nur noch drei bis vier Logistikdienstleistern versorgt werden. Dies verdeutlicht eine stetige Optimierung im Bereich der Transportlogistik. In einer nächsten Phase muss die übergreifende Zusammenarbeit verbessert werden. Bei einem Collaborative Supply Chain Management geht es um ein Alignment der Anforderungen zwischen OEMs, Continental und den Lieferanten, um die Einführung einer möglichst realistischen Forecast-Planung entlang der gesamten Supply Chain, um die Reduzierung der Wiederbeschaffungszeiten entlang der Supply Chain, den Aufbau eines gegenseitigen Vertrauens zwischen OEM, Continental und Lieferanten sowie der Entwicklung einer robusten und flexiblen Supply Chain. Dies erfordert eine schnelle Kommunikation, ein gemeinsames Verständnis hinsichtlich (vertraglicher) Bedingungen, Prozessen und Verantwortlichkeiten, eine Fokussierung auf die Wertschöpfung, eine kontinuierliche Informationsverteilung sowie die Einführung von Standards. Customer und Supplier Management bildet die Klammer über die unterschiedlichen Methoden des Collaborative Supply Chain Management. Eine ernst gemeinte partnerschaftliche Zusammenarbeit basiert auf Vertrauen, Kenntnis des Partners und seiner prinzipiellen Abläufe sowie dem Aufbau einer Win-Win-Situation. Regelmäßige Kunden- und Lieferanten-Besuche helfen, um die Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis zu verbessern. Gemeinsame Prozessoptimierungsprojekte schaffen, (auf)richtig verstanden, Nutzen auf beiden Seiten. In diesem Umfeld lassen sich Frühwarnsysteme installieren; z. B. frühzeitige Signale bei Abfall der Verkaufszahlen oder bei sich abzeichnenden Lieferschwierigkeiten. Eine kontinuierliche Verbesserung der Supply-Chain-Performance wird erleichtert durch Einsatz standardisierter Controlling-Tools. Eine bessere Forecast-Genauigkeit, ein kontinuierlicher Materialfluss und synchronisierte Prozesse entlang der Supply Chain reduzieren den Bullwhip-Effekt und steigern die Effizienz, die sich in Kosteneinsparungen niederschlägt: in der Logistikplanung, bei Beständen, in der Lagerhaltung, Materialplanung und im Transport. Ein Collaborative Supply Chain Management basiert auf einer Involvierung und Integration der Geschäftspartner entlang des gesamten Product Lifecycle. Zu den wesentlichen Elementen der ersten Phasen gehören: Grobplanung des Logistiknetzwerks, Standortplanung, Prozess-Planung, Returnable Planning und die Integration in existierende Logistiknetzwerke. Das Supply Chain Design basiert auf folgenden Prinzipien und Ansätzen: frühzeitige Einbindung der Geschäftspartner in Planung und Design der zukünftigen Supply-Chain-Prozesse; Definition Supply-Chain-Ziele gemeinsam mit den Geschäftspartnern, Durchführung von Workshops mit Geschäftspartnern, um die zukünftigen Supply-Chain-Anforderungen zu definieren; klare Definition von Verantwortlichkeiten zwischen den Geschäftspartnern; Anwendung des Wertstromdesigns für zukünftige Prozesse; Entwerfen eines Umsetzungsplans zusammen mit Kunden und Lieferanten; „Plan-for-every-part-approach“. Die Ansätze und Methoden lassen sich den Hauptphasen des „Product Lifecycle“ zuordnen: Design Phase/RfQ, Implementation Phase/Anlauf, Serie, Auslauf. Beispielhaft
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
221
Customer Management Supplier Management Product related Planning Rough Planning of Logistics Network
Integration into existing Logistics Network
Network related Planning
Transport Management
Location Planning Returnable Planning
Capacity Planning
Inventory Planning
Spare Parts Logistics
Active Phase-out Management
Process Planning Design Phase / RfQ
Implementation Phase / Ramp-up
Series Production
Phase-out
[Time]
Abb. 6.10 Product Lifecycle Process – Strukturierungsrahmen für Collaborative Supply Chain Management
werden im Folgenden die Inhalte einer Kapazitätsplanung, Bestandsplanung und Auslauf-Management/Ersatzteillogistik genauer beschrieben (Abb. 6.10). Kapazitätsplanung Jeder Partner der Supply Chain stellt einen möglichst verlässlichen langfristigen Forecast regelmäßig zur Verfügung; was über ein einfaches Weiterleiten von Bedarfen hinausgeht. Ein regelmäßiges Monitoring der Forecast-Planung sowie eine ausgeprägte Involvierung der Kunden und Lieferanten verbessern die Forecast-Qualität. Daran schließt sich eine häufigere Abstimmung der Produktionsflexibilität an sowie eine gemeinsame Kapazitätsplanung und Kapazitäts-Agreements. Da Produktionsinvests mit langen lead times verbunden sind, bedarf es einer langfristigen und verlässlichen Kapazitätsplanung, um das Produktionsequipment optimiert nutzen zu können. In diesem Zusammenhang ist deshalb ein enger Kundenkontakt unabdingbar, um eine gewisse Planungssicherheit zu gewährleisten. Problematisch wird es, wenn es zu kurzfristigen Nachfrageeinbrüchen seitens der Kunden kommt, bspw. durch eine vorzeitige Projekteinstellung, wodurch die von Continental aufgebauten Produktionskapazitäten nicht mehr voll ausgelastet werden können und die im Vorfeld bestellten Komponenten zur Herstellung des Produkts für den Kunden zu höheren Kosten führen. Bestandsplanung In der Serie bildet neben der Kapazitätsplanung und dem Transport-Management die Bestandsplanung einen weiteren Baustein des Collaborative Supply Chain Management. Mehr als 70 % der Bestandskosten sind auf Rohmaterial und Fertigerzeugnisse zurückzuführen: ein Indikator dafür, dass sich durch eine Supply Chain-Optimierung
222
6 Praxisbeispiele
noch beträchtliche Potenziale realisieren lassen. Das permanente Streben nach Optimierung des Gesamtbestands innerhalb der gesamten Supply Chain sollte dabei immer im Fokus stehen. Allein schon eine häufigere gemeinsame Volumensund Bestandsplanung entsprechend der Marktsituation, verbunden mit einer kontinuierlichen Aktualisierung von SAP-Stammdaten, führt schon zu wesentlichen Verbesserungen. Dabei werden gemeinsam Bestandshöhen innerhalb der Supply Chain festgelegt sowie Lieferfrequenzen und Liefermodelle definiert. Die Bewertung der Liefer-Performance mit einer gemeinsamen Festlegung der Kenngrößen schafft Transparenz über Entwicklungen und Handlungsbedarf; sie bildet die Basis für eine kontinuierliche Verbesserung mittels Monitoring der Potenzial-Wirksamkeit. Ein Bestands-Controlling macht die Effektivität der Bestandsplanung sichtbar. So erfolgt eine stetige Kontrolle der weltweiten Bestände seitens der Performance Manager, wodurch im Falle einer Ausartung der Bestände und der damit verbundenen Kapitalbindungskosten gegengesteuert werden kann. Dabei bietet sich bspw. eine ABC-Analyse an, um den Fokus der Bestandsoptimierung gezielt auf bestimmte Produkte zu setzen. Auslauf-Management und Ersatzteillogistik In vielen Fällen wird die Auslauf- und Nachserien-Phase vernachlässigt, weil alle Konzentration einem rechtzeitigen und abgesicherten Anlauf gilt sowie einer effizienten Serienproduktion. Eine enge Kommunikation und Kooperation mit den Geschäftspartnern ist erforderlich, um einen geregelten Auslauf und eine Überführung in die Ersatzteilproduktion zu ermöglichen; auch ein gemeinsames Design der zukünftigen Ersatzteil-Supply Chain ist nötig. Der zukünftige Bedarf an Ersatzteilen (bis zum Ende der Lieferzusagen) ist mit dem Kunden zu definieren. Eine Angleichung von Produktionslosgrößen und (kleinen) Lieferlosgrößen sollte angestrebt werden. Eine frühzeitige Klärung der EOP-Bedarfe (End of Production) und -Lieferzeiten in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtig, um Produktion und Logistik daran auszurichten und um spätere Engpass-Situationen oder enorme Zusatzkosten zu vermeiden.
6.2.8.3 Verpackungsstandardisierung – Beispiel für eine gemeinsame Optimierung der Supply Chain Standards sind die Grundlage für Einsparpotenziale in der Logistik und die kontinuierliche Prozessverbesserung. Logistik-Standards sind in China allerdings kaum vorzufinden, was beispielsweise die IT-Integration, das Transport-Management oder Behälter bzw. Verpackungssysteme angeht; auch ein Grund dafür, dass die Logistikkosten in China verhältnismäßig hoch sind. Transportkosten nehmen knapp die Hälfte der Logistikkosten ein; unter anderem verursacht durch die Paletten-Vielfalt. Allein bei vier Automobil-Zulieferern wurden 30 unterschiedliche Palettengrößen
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
223
und mehr als 70 unterschiedlich Behältergrößen festgestellt. Die derzeitige Verpackungsvielfalt und die fehlenden Standards machen es unter anderem unmöglich, ein Mietsystem einzuführen. Eine Analyse bei Continental Automotive ergab, dass knapp 10 % der Logistikkosten durch Verpackung bedingt sind; zum Großteil verursacht durch EinwegVerpackung. Prinzipiell besteht ein großes Potenzial für Behälter-/Verpackungsmietsysteme. Einweg-Verpackungen führen zu einer geringen Container- und LkwAuslastung. Um eine vollständige Realisierung der Kosteneinsparung zu erreichen, ist es mit der alleinigen Definition und der Einführung von Standardbehältern und Verpackungsanforderungen jedoch nicht getan; der IT-System-Support (Kompatibilität mit dem Logistiksystem: EDI/Web EDI & Tracking-System) und das Zusammenführen von Rückführlogistik mit den Versorgungstransporten sind ebenso zu betrachten wie die Frage nach dem Eigentum der Mehrweg-Verpackung und ein wirksames Forecasting der Behälterbedarfe. Allein die Reduzierung der PalettenVielfalt würde schon eine hohe Einsparung bedeuten. Durch die Beschränkung auf zwei Paletten-Typen (1.140 · 790; 1.140 · 980) könnte bereits eine wesentliche Optimierung des Kapazitätseinsatzes (in Container und Lkw) erreicht werden. Durch die Standardisierung der Palettentypen konnten im Rahmen eines Projekts folgende Potenziale realisiert werden: Die Logistikprozesse sind durch die Standardisierung der Palettengrößen vereinfacht worden, wodurch die Prozessqualität verbessert werden konnte, wovon sowohl die Zulieferer als auch die Abnehmer profitieren. Weitere positive Aspekte der Standardisierung sind bspw. die Kostenreduktion, Effizienzvorteile und die geringere Belastung der Ökosysteme. Abschließend ist festzuhalten, dass Standardisierung die Basis für Integration darstellt und die Integration wiederum die Grundlage für ein erfolgreiches und nachhaltiges Supply Chain Management ist.
6.2.8.4
Zusammenfassung
Die Logistik-Welt in China ist unsicher, unvorhersehbar und komplex. Das Management von steigenden, zum Teil unvorhersehbaren, Bedarfen und die damit verbundenen Kapazitätsengpässe gehören zu den Randbedingungen und den Herausforderungen der Logistik in China. Collaborative Supply Chain Management stellt einen Ansatz dar, diesen Herausforderungen zu begegnen. Dabei geht es um eine Integration der Geschäftspartner entlang des gesamten Product Lifecycle; dies beginnt bereits bei der Planung zukünftiger Supply-Chain-Prozesse, basierend auf gemeinsam definierten Supply-Chain-Zielen. Typische Anwendungsfelder des Collaborative Supply Chain Management liegen in der Kapazitätsplanung, Bestandsplanung und im Auslauf-Management sowie in der Ersatzteillogistik. Eine Standardisierung der Logistik in China bildet die Grundlage für enorme Einsparpotenziale. Das beschriebene Beispiel zur Behälter- und Verpackungssystem-Standardisierung veranschaulicht dies. Solche Beispiele helfen, für Standards zu werben und die Vorteilhaftigkeit aufzuzeigen; das ist umso wichtiger, da die chinesische Mentalität keineswegs vom unbedingten Standardisierungsstreben geprägt ist. Nur durch
224
6 Praxisbeispiele
Integration aller Beteiligten der Supply Chain gelingt in einem nächsten Entwicklungsschritt eine Gesamtoptimierung, von der letztendlich alle profitieren; dieses Verständnis muss sich erst noch etablieren – was auch in westlichen Ländern lange gedauert hat und noch längst nicht abgeschlossen ist. Wenn Chinesen den Nutzen sehen, kann vieles sehr schnell gehen. Dr. Jörg Biesemann: Dr. Jörg Biesemann, geb. 1956, ist seit 2010 Director Logistic Automotive Asia/Pacific in Shanghai. Seit 2002 ist er bei Siemens VDO Automotive AG, heute Continental AG, beschäftigt und war dort unter anderem CFO bei Infotainment & Connectivity in Singapur mit Verantwortung für Finance & Controlling, Produktion und Logistik. Zuvor war er Project Manager bei Shanghai Automotive Industry Corp. (SAIC), wo er in China ein Logistik-Joint-Venture aufbaute (Fahrzeug-Distribution für Volkswagen und GM, Ersatzteilgeschäft und Versorgung der Produktion für Shanghai Volkswagen und Shanghai GM). Von 1990 bis 2000 war Dr. Biesemann als Director Production Control & Logistics für Delphi Automotive Systems tätig und war dabei unter anderem verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung von globalen Logistikstrategien, für die Einführung des Delphi LeanSystems (v. a. Pull-Materialversorgung) sowie für die Realisierung der Global Value Chain für 260 Automobil-Komponentenwerke.
6.2.9
Der Einsatz von Logistik-Dienstleistern in China – 6 Praxistipps für den Tanz mit dem Service-Tiger (Stefan Bartens, BASF)
Als ich im Jahr 2005 von meinem Arbeitgeber nach Shanghai, China, geschickt wurde, um dort die Leitung des Logistik & Supply Chain Managements zu übernehmen, ging es im Arbeitsgebiet Service Provider Management in erster Linie um recht klar definierte Herausforderungen: Wie bekommen wir unsere Produkte aus unseren neuen Worldscale Produktionsanlagen zu unseren Kunden? Das ganze natürlich basierend auf den für uns weltweit gültigen, hohen Sicherheitsstandards, einem hohen Servicelevel, effizient und kostenbewusst. Schnell war klar, dass hier ein anderer Umgang mit den lokalen Logistikdienstleistern notwendig war als in Europa; es ging nicht primär um Optimierungsthemen, wie elektronisch unterstützte Rechnungserstellung oder andere automatisierte Prozessabläufe, sondern sehr viel mehr um ganz pragmatische, schnell umsetzbare Lösungen beim Aufbau von Geschäften. Auf Basis der Erfahrungen, die sich im Laufe meiner fast fünf Jahre China als hilfreich beim „Tanz mit dem Service Tiger“ herausgestellt hatten, sind im Folgenden sechs Praxistipps beschrieben. 6.2.9.1
Hardware ist kein Problem
Geht es um die Hardware von Lager und Transportdienstleistungen, bringt man das üblicherweise nicht mit dem Begriff Hi-Tech in Verbindung; zu Recht. Sogar bei
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
225
anspruchsvollen Logistikdienstleistungen für die Chemieindustrie, wo Transporte mit Tankzügen, ISO-Tankcontainern oder temperaturgeführt durchgeführt werden, geht es nicht um „Rocketscience“; nichts, was man in China nicht beschaffen kann. Im Gegenteil, wird doch inzwischen fast jeder Tankcontainer, der weltweit unterwegs ist, in zuverlässig guter Qualität in China hergestellt. Während des Beschaffungsprozesses ist es allerdings wichtig, klar vorzugeben, welche Art von Transportmittel die Produkt-, Sicherheits- und Serviceanforderungen erfüllt und insofern für den Transport geeignet ist. Die notwendige Expertise zur Beschaffung des Equipments ist auf Service Provider-Seite ausreichend vorhanden. So hat es nicht einmal 9 Monate gedauert, bis die zu diesem Zeitpunkt in China unbekannten 30” Tankcontainer verfügbar waren (diese werden in Europa für intermodale Schienenverkehre genutzt): die ersten importiert und weitere sehr schnell zu wettbewerbsfähigen Kosten lokal hergestellt. Obwohl man sie mancherorts noch sieht, gehören die überladenen Eselskarren und Lastenfahrräder zunehmend in die Folklore-Ecke. Neben der Verfügbarkeit der Transportmittel sollte der Service Provider auch unmittelbaren Zugriff auf diese haben und möglichst wenig auf Subunternehmer zugreifen müssen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Zuverlässigkeit und das strikte Einhalten von vereinbarten Prozessen und Sicherheitsstandards beim Einsatz von Subunternehmern ohne direkte Geschäftsbeziehung nur schwer gewährleistet werden kann. Der Logistikdienstleistungsmarkt scheint für einen zuverlässigen Einsatz von 3PL Service Providern größtenteils noch nicht reif zu sein. 6.2.9.2
Keep it simple
Man könnte auch sagen, kaufe nur das ein, was Du auch verstehst. Bei Logistikleistungen könnte man da sogar noch einen Schritt weiter gehen: Das Know-how der Logistikdienstleistung sollte bis auf der Detailebene soweit vorhanden sein, dass man im Zweifelsfall sogar selbst in der Lage wäre, diese zu erbringen. Unbedingt zu vermeiden: One Stop Solutions. Im besten Fall wird die Gesamtleistung um mehrere Faktoren zu teuer eingekauft. Sind wir doch bei der Integration eines akquirierten Unternehmens auf einen One-Stop Solution Provider mit integrierten Lager- und Transportdienstleistungen getroffen, der vor allem aufgrund seiner Kompetenz im IT-Bereich mit EDI-Lösungen ausgewählt wurde; allerdings auch mit entsprechenden Preisen, die sicher um den Faktor zwei bis drei über dem Marktniveau der Summe der einzelnen Servicesegmente lagen. Noch viel kritischer bei One Stop Solutions ist das eingegangene Risiko, das durch weitgehende Übertragung von Gesamtverantwortlichkeiten und damit einhergehendem Verlust von eigenem Prozess-Know-how verbunden ist. Sollte sich der Dienstleister aus dem Markt zurückziehen, müssen bei der Suche nach kurzfristigem Ersatz unter Umständen mühevoll ganz neue Prozesse aufgesetzt und implementiert werden. Schon der Weggang einiger Schlüsselpersonen kann bei einem Großteil der Service Provider in China dramatische Folgen haben und nur schwerlich aufgefangen werden. Die oftmals geringe Kapitalausstattung und die mangelnde Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells sind weitere Risikofaktoren. Die Stabilität vieler Serviceunternehmen ist oft noch wenig ausgeprägt.
226
6 Praxisbeispiele
Die Serviceleistungen sollten so einfach definiert werden, dass man jederzeit auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren und unter Umständen einen anderen Dienstleister einsetzen kann. Auf unternehmensübergreifende Kommunikationslösungen sollte man im Zweifelsfall eher verzichten. Neben einem hohen Aufwand mit relativ geringem Kosten/Nutzen-Verhältnis in China verringert eine Prozessintegration die Flexibilität der Geschäftsbeziehung.
6.2.9.3
Serviceleistungen und Sicherheitsstandards klar definieren – und überprüfen
Ein ganz wichtiges Thema: Der gewünschte Sicherheits- und Qualitätsstandard ist klar festzulegen. Der Service Provider muss vor der Teilnahme an Ausschreibungen unbedingt auditiert werden. Gibt es ein Delta zum benötigten Standard, sollte man mit Schulungen und Trainings die in der Regel sehr wissbegierigen Service Provider unterstützen und an die Standards heranführen. Ein einfaches „Einfordern und Deadline geben“ führt erfahrungsgemäß nicht zum Ziel. Die Einhaltung vereinbarter Standards muss permanent überprüft werden. Wo in Europa bestimmte Dinge als selbstverständlich vorausgesetzt werden, sollte man in China immer kritisch hinterfragen und niemals die Annahme treffen, dass vereinbarte Prozesse immer gemäß Arbeitsanweisung umgesetzt werden. Wo Hardware relativ einfach zu beschaffen ist, dauert der Aufbau von Kundenorientierung, Prozess-Know-how und Sicherheitsverständnis länger. Hier geht es um die Etablierung von Verständnis und Verhaltensweisen, die in China bis vor wenigen Jahren nicht unbedingt selbstverständlich waren. Neben eindeutigen Arbeitsanweisungen und entsprechenden Schulungen, ist eine permanente Überprüfung und Auffrischung essentiell, da sonst die gerade erreichte Qualität auch schnell wieder einbrechen kann. Serviceleistungen sind unbedingt präzise und interpretationsfrei zu definieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Schon in Europa kann der Begriff „on-time“ eine vielschichtige Bedeutung haben, für Besprechungen und natürlich auch für Transporte. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte man in China unbedingt weiter präzisieren. Dies ist aber noch nicht ausreichend, die Überprüfungsmethode und die Konsequenz bei Nichteinhaltung müssen auch klar definiert sein. „Bei Nichteinhaltung führen wir ein Qualitätsgespräch“ beeindruckt hier niemanden.
6.2.9.4 Vermeidung von Abhängigkeiten Die Flexibilität zum Dienstleisterwechsel sollte jederzeit erhalten werden durch einfache, standardisierte Serviceleistungen. Es geht hier nicht um das opportunistische Ausnutzen von Spotmöglichkeiten, sondern diese Empfehlung ist vielmehr als ein Teil des Risikomanagements zu sehen. Die Anzahl von potentiellen Störfaktoren in einem Markt mit relativ niedriger Marktein- und -austrittsschranke ist immens. Neben Fragen der Lizenzen und Genehmigungen gibt es eine enorme Dynamik in einem Markt, dessen Teilnehmer oft sehr kurzfristig und situativ entscheiden. Da geht aus
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
227
einem ehemals staatlichen Taxiunternehmen plötzlich eine Sparte für Chemietransporte hervor, dieses Unternehmen investiert in eine enorme Flotte von Tankzügen, um dann nach einem Jahr in einem japanischen Courierservice aufzugehen. Sogar Banken sind direkt als eigener Anbieter im Logistikmarkt aktiv. Die Liste ließe sich fortsetzen. Um jederzeit die Flexibilität zum Dienstleisterwechsel zu haben, sollte ein Single Sourcing auch für einfache Leistungen vermieden werden. 6.2.9.5
Nutzung lokaler Kompetenz
Es ist unbedingt notwendig, bei der Auswahl eines Service Providers dessen lokale Kompetenz zu bewerten. It’s a peoples business! Diese Kompetenz kann sowohl in einem lokal beheimateten Unternehmen als auch in einem internationalen Unternehmen vorhanden sein. Ein lokales Netzwerk und engagierte Mitarbeiter eines Service Providers sind oft weit höher einzustufen als ein besonders ausgefeiltes IT-System oder globale Präsenz. Lokale Kompetenz ist gleichermaßen auf der Einkäuferseite ein hohes Gut, das es zu hegen und pflegen gilt. Zusammen mit Methodik- und Prozess Know-how aus der alten Welt kann die entsprechende Marktkenntnis hier durchaus den Faktor 2–3 des Servicepreises ausmachen. Auch die vielfältigen Möglichkeiten durch das richtige Anwenden von lokalen Regularien, wie die Nutzung von Bonded Logistics Parks (siehe folgendes Kapitel), sind viel weitgehender als in Europa und können nur bei entsprechendem lokalem Know-how richtig interpretiert und optimal für das eigene Geschäft angewendet werden. 6.2.9.6
Steuern und Zölle bestimmen Geschäftsprozesse
Jeder Lˇaowài (umgangssprachlich chinesisch für „Ausländer“), der sich in China mit Handelsbeziehungen oder Logistikthemen in international vernetzten Industrien beschäftigt, stößt irgendwann auf das Thema „Export Business Models“, d. h. auf die richtige Geschäftsprozessmodellierung unter Berücksichtigung von umsatzsteuerlichen (VAT) und zolltechnischen Aspekten – und die Dynamik dieser Problematik. Die Auswirkungen dieser Regularien auf die realen Güterflüsse kann man regelmäßig bei Änderungen beobachten. Die insgesamt sehr gute Infrastruktur der Shanghaier Häfen kommt dann an ihre Grenzen (Abb. 6.11). Auch die Auswahl des Logistikdienstleisters ist in vielen Segmenten, wie Lagerung oder Forwarding, eng verknüpft mit dieser Problematik. Hier sind vor allem die vorhandenen Lizenzen des Dienstleisters von entscheidender Bedeutung. Vereinfacht ausgedrückt, beruht die umsatzsteuerliche und zolltechnische Behandlung von Transaktionen auf drei Kriterien: der HS-Code Klassifizierung (Harmonisiertes System zur Bezeichnung und Codierung von Waren der UN), dem Geschäftstyp (-Lizenz) und der Quelle des Rohstoffs. So ist zum Beispiel beim Export von Waren die Höhe der VAT-Erstattung von der HS-Code-Klassifizierung abhängig, die zwischen 0 bis 17 % schwanken kann. Diese Regularien dienen in China in erster Linie zur Steuerung und Förderung bestimmter Industrien.
228
6 Praxisbeispiele
Abb. 6.11 Bild: Shanghai, Waigaoqiao Freihandelszone vom 29.06.2007. Neue Regeln zur VAT Erstattung, wirksam zum 01.07.2007, mit einem Monat Vorlaufzeit angekündigt
In diesem Zusammenhang sind fast überall in China sogenannte „Bonded Logistics Park“ und Freihandelszonen entstanden, deren Regularien jedoch sehr unterschiedlich sind und eines genauen Studiums bedürfen. Die Interpretation und das optimale Nutzen der umsatzsteuerlichen und zolltechnischen Regularien und die Auswahl geeigneter Logistikdienstleister erfordern eine ganzheitliche Betrachtung des Geschäfts. Auch hier ist die Vorhaltung von lokalem Know-how und Netzwerken sehr wichtig und kann gar nicht genug betont werden (siehe Kap. 6.2.9.5). Das Know-how der umsatzsteuerlichen und zolltechnischen Aspekte muss aktuell gehalten werden und die gefundenen Lösungen sind kontinuierlich zu hinterfragen und zu überprüfen. 6.2.9.7
Zusammenfassung
Die Grundsätze des Service Provider Managements sind auch in China nicht außer Kraft gesetzt. Ein gutes Marktverständnis und ein strukturierter Ausschreibungsprozess, basierend auf klar definierten Leistungen und Standards, sind auch in China wichtig. Die Schwerpunkte liegen aber durchaus auf anderen Gebieten. Der Standard im Hardwarebereich liegt schon nahe an Europa, wogegen es bei der Erbringung von Services um Verhaltensmuster und damit auch um kulturelle Aspekte geht, die es zu berücksichtigen gilt. Die Erreichung eines hohen Serviceniveaus erfordert einen langen Atem beim „Tanz mit dem Service Tiger“. Sicher muss man sich als
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
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produzierendes Unternehmen, mehr als in Europa notwendig, auch um die aktive Entwicklung eines leistungsstarken und serviceorientierten Dienstleistermarktes kümmern. Hat man dies erst verstanden und sein eigenes Verhalten etwas an die lokalen Bedingungen angepasst, kann man viel bewirken und sehr „sportlich“ und mit viel Freude in einem dynamischen Umfeld agieren. Die Ergebnisse und Auswirkungen des eigenen Schaffens sind sehr unmittelbar sichtbar. Stefan Bartens: Stefan Bartens, Dipl.-Wirtschaftsingenieur, ist „Head of Supply Chain Management Electronic Materials“ bei BASF SE. Von 2005 bis 2010 war er bei BASF (China) Co., Shanghai, China für „China Supply Chain Management & Logistics Platform“ verantwortlich. Neben der Integration neuer Geschäftsbereiche unter Supply Chain-Gesichtspunkten gründete er dabei eine „China Supply Country Platform“ und führte Prozesse und Organisationen für zahlreiche „World Scale Production Plants“ und Business Units ein. Unter anderem durch den Aufbau einer „China Logistics Procurement Community“ gelang ihm die Realisierung bedeutender Einsparpotenziale für BASF.
6.2.10
Strategic Partnerships with Local Logistics Service Providers in China – Concepts, Benefits and Success Factors (Janet Yang, Bayer MaterialScience (China) Co., Ltd.)
6.2.10.1
Bayer MaterialScience (China) Co., Ltd. – Supply Chain Center Shanghai
Bayer MaterialScience (China) Co., Ltd. (below refers to BMS) comprises the business units Polyurethanes (PUR), Polycarbonates (PCS), Coatings, Adhesives & Specialties (CAS). BMS target industries are mainly the automotive, electronics, construction, furniture, leisure and sports industries. China is today one of Bayer’s most rapidly developing markets. Therefore, BMS took the decision to establish a large-scale production in Shanghai (Caojing) in order to serve the local customers with polymer materials in a better proximity approach. It is already investing € 2.1 billion in Shanghai as part of a long-term project lasting until 2012. Together with the recent announced expansions, this means a total investment of more than € 3 billion will be allocated in Bayer Integrated Site Shanghai. With its world-scale facilities to manufacture polycarbonate, polyurethane raw materials and coating and adhesive raw materials, it is developing into Bayer’s largest outside Germany and most sophisticated production site in the Asia Pacific region. Furthermore, in China eight distribution warehouses are setting up and locating at Shanghai, Tianjing, Guangzhou, Dalian, Chengdu, Chongqing, Dongguan and Qingdao. So the main three material flows cover . . . • the replenishment from Caojing plant to the Distribution warehouses • the short distance delivery from Distribution warehouses to end customer or • direct delivery from Caojing plant to end customers.
230
6 Praxisbeispiele
The main organizational characteristics of the Supply Chain Center (SCC) are the consolidation and standardization of functions involved in the delivery of goods to our customers. This enables SCC to design efficient processes and to maintain a high quality delivery service. SCC China consists of 4 units: Order Management (OM), Logistics Network Planning & Procurement (LNP&P), Transportation, Distribution and Safety & Logistics Service Provider Management (TDS & LSPM) as well as Credit Management (CM).
6.2.10.2
Logistics Requirements and Logistics Market in China
Logistics Requirements Before 2008, BMS had more than 30 logistics service providers (LSPs), the size of those ranged from the big national-owned enterprises with long historical background in industry to the small private-owned company that only have several years of business history. The big challenges had been: • How to manage the performance of so many LSPs with the continuous growth rate of China business? • How to enhance the LSPs operation network with full China-geography coverage when customer base expands? • How to guarantee that our LSPs can grow together with BMS according to our safety and compliance requirements? BMS’s core belief is that safety, environmental protection, product and process quality and commercial efficiency are factors of equal importance in achieving the corporate objectives. Consequently, BMS respect and support the objectives of Responsible Care and Sustainable Development as a commitment for management and as a responsibility shared by each employee. The principle objective of BMS TDS (Transportation and Distribution Safety) requirements is to assist those LSPs involved in the handling (such as transportation, storage etc.) of BMS products, to carry out their activities in a fully responsible manner with respect to the safeguarding of health, safety and the environment. BMS has requirements on LSPs’ HESQ Policies and Management System, Personnel Recruitment and Training, Personnel Protective Equipment, Accidents Reporting and Investigation, Occupational Health and Environment Protection, Sub-contracting, Emergencies Response Management, Safety Equipment as well as Technical and Safety Audit by BMS etc. In some cases, BMS has stricter safety standards than the government’s regulations. Logistics requirements strongly depend on the products to be transported and handled. Especially the „Dangerous Goods Classification“ is relevant for the derivation of logistics characteristics and needs. Most of BMS products belong to Class 3, 6.1, 8 and 9 according to the „Dangerous Goods Classification“. So, the safety requirements on LSPs and Logistic Facilities are different (Tab. 6.2). Some of BMS products need temperature control during transportation and storage, and some of these temperature controlled goods have strict requirements on
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
231
Tab. 6.2 Dangerous Goods Classification Class
Name
Class 1 Class 2 Class 3 Class 4.1 Class 4.2 Class 4.3 Class 5.1 Class 5.2 Class 6.1
Explosive substances & articles Gases Flammable liquids Flammable solids Substances liable to spontaneous combustor Substances, which in contact with water emit flammable gases Oxidizing substances Organic peroxides Toxic substances Hyper toxic substances Infectious substances Radioactive material Corrosive substances Miscellaneous dangerous goods
Class 6.2 Class 7 Class 8 Class 9
the temperature control range, i.e. MMDI, one of BMS products, needs to be kept in 43+/–2 ◦ C during transportation in ISO tank. BMS has different packing types that have different requirements to the logistics facilities and operation experience: • • • •
Bag in paper: easily broken when loading and unloading the trucks Drum in steel: special equipment is needed when loading and unloading ISO tank: special technical knowledge on bulk delivery is needed Parcel tanker: more complicated technical and safety knowledge are needed
BMS has different service types including domestic transportation via truck and intermodal (water and rail), import and export freight forwarding (ocean and air), warehousing management, drumming service of liquid products and plant logistics. End customers always require shorter lead time or quicker response. In view of the fact that customers are spread over China, BMS must set up a China-full-coverage supply network. In general, Regional Distribution Centers (RDC) are established to serve the customers within the short distance (≤ 500 km) away from RDCs. For example, Tianjin is one of our main RDCs to serve our end customers in North-China by replenishment from Shanghai Plant to Tianjin RDC. Besides the logistic service network, BMS also requires LSPs to set up Emergency Response (ER) network. Since there are hundreds, even thousands trucks or containers on the road every day, no matter how good the LSPs are or regardless of the high BMS requirements, accidents can’t be completely avoided. In case any accidents happen, BMS wants that the ER network could response quickly to reduce the impacts of the accident to the environment and human beings as much as possible. BMS encourages LSPs to invest in logistics facilities of those scarce logistic resources such as trucks with HTC license, trucks equipped by generator, HTC warehouse, ISO-tank cleaning depot for isocyanate products, etc. Risk could be anywhere: traffic accident, chemical leakage, warehouse fire etc. BMS needs LSPs characterized by a good awareness of risk management and control by means of
232
6 Praxisbeispiele
sufficient trainings and drills. As BMS strategic partners, LSPs are willing to enhance the safety management and controls, growing together with BMS. BMS promotes full truck load to the customers for both packed goods and bulk goods, as BMS negotiates cheaper logistics cost with LSP for full truck load. And BMS shows the cost analysis to the sales for their reference when talking about selling price with customers. Also BMS promotes water intermodal way for „green logistics“ concept whenever delivery lead time is allowed. For example, for replenishment to the distribution warehouse, BMS generally uses full truck load container via water intermodal to save cost and for environment protection concern. Local versus International LSPs Compared with FMCG (Fast Moving Consumer Goods) logistics industry, Chemical logistics industry is more complicated in terms of requirement on chemical goods transportation technology, safety and compliance. As mentioned above, a China full-coverage logistics network is an important BMS requirement. Local LSPs have basically a good basis to set up full network in China. Especially some state owned LSPs have branches, companies or logistic hubs all over China which bring them advantages to build up a logistic network in China. As their core business, local LSPs show big intentions to invest in logistics resources as soon as they find any opportunities. However, some local LSPs are more short-term profit driven, although the absolute imperative of safeguarding the viability of the business in a very competitive market is sustainability. International LSPs establish safety thoroughly and are characterized by a compliance mindset, a good awareness on environment protection and energy efficiency. Furthermore, they have a mature management system available as well as a professional operation team. On the other hand, some international LSPs only focus on some certain service field; they are unable to provide a whole supply chain service. Basically, they target China as the potential market for future development, but on contrary they often hesitate to make substantial physical investment in China, which makes the entering steps slowly. Some international LSPs form JV or establish strategic partnerships with local trucking companies so as to reply on local company’s assets and network before international LSPs make final decisions to invest in China. The combination between international LSPs (with agreed sustainable culture, shared safety and compliance mindset, advanced IT system, professional operational team, matured management system etc.) and local LSPs (with heavy-asset investment commitment, full coverage of China network, close relationship with government bodies etc.) is ideally the best LSP profile that can meet BMS requirements.
6.2.10.3
Strategic Partnerships with Local Logistics Service Providers
Before BMS started with the restructuring of LSP approach BMS defined a mission: „We develop and build the most integrated logistics network in China to support our business growth through strategic partnership with best Logistic Service Providers
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
233
and growing with them.“ BMS expected a breakthrough by developing strategic partners with an integrated service mode: end-to-end management and operation model to customers. For example, one LSP can provide different logistic service types on the supply chain instead of several LSPs providing these services. This will simplify our interfaces to LSPs and make our work more efficient. We built up and enhanced LSP management and TDS (Transportation Distribution Safety). The focus has been on simple pricing models with a good flexible management of long term cost effectiveness and also profitability of the LSPs. BMS started the new approach by an active communication with the logistics market: „Let the market know BMS, let BMS know the market.“ For example BMS run a „Hauler’s Day“ (workshop and brainstorming), where over 30 Top chemical LSPs took part with over 70 managerial level participants. After the bidding process, we found some local LSPs which could provide needed services in required quality by an acceptable price. BMS also chose some international LSPs, though their cost position is less attractive. Finally, BMS has set up long-term strategic partnerships with four main logistics companies since 2007 by a series of bidding processes. Three of them are state-owned companies with core strategy on chemical logistics. The 4th one is a sino-foreign JV company with abundant chemical logistic experience in China. Long-term contracts were granted to the partners to show strong willingness from BMS to grow with them. Nevertheless, there are detailed requirements on each perspective to LSPs in the contract. Thus, BMS has included an incentive respectively penalty system that are based on a KPI performance review to LSPs. Certainly, BMS also has the right to re-allocate the business if some LSPs failed to meet the requirements even BMS can terminate the contract if the LSPs violate contracts. With the described approach it was possible to reduce the number of interfaces significantly: from 30+ LSPs to 4 LSPs. Operational complexity was reduced, while efficiency was improved. Furthermore, secured logistics resources, improved safety and an integrated network have been realized. There have been benefits not only for BMS, but also for the selected LSPs. They grow with BMS demands when expanding the service type scope and service network facilities. The LSPs improve its safety management and operation service level according to BMS requirements. Besides, they can promote their service to other customers while relying on expertise and management system that have been developed with BMS.
6.2.10.4
Summary
BMS requirements to Logistics Service Providers comprise mainly safety and compliance, covering of various business profiles according to the products, packaging and service types, China full-coverage network, continuous heavy-asset investment as well as matching with the BMS strategy regarding environment, energy and efficiency. Local Logistics Service Providers, especially some state-owned, have basically a good basis to set up a full network in China. Basically they intend to invest in logistics resources if opportunities arise. BMS reduced the number of interfaces with LSPs significantly, set-up strategic partnerships with a few selected
234
6 Praxisbeispiele
local LSPs and realized substantial benefits. On the other hand the LSPs gain by the partnership. In any case, mutual benefits belong to the most important success factors for a stable, sustainable and developing strategic partnership. Janet Yang: Janet Yang, Bayer MaterialScience, Head of Supply Chain Center Shanghai, held various position in Supply Chain Center since she joined BMS on Feb. 2007. Prior to joining BMS, she has ten-year working experience in logistics industry. Janet held a Master degree of Maritime Law as well as a Master Degree of Business Administration (MBA). She is married with one child.
6.2.11
Die Entwicklung des Supply Chain Management in China seit den 90er Jahren – ein Praxisbericht (Michael Döll, Techdata)
In den folgenden Zeilen möchte ich meine Erfahrungen und Eindrücke schildern, die ich aus meiner langjährigen Tätigkeit in China gesammelt habe. Sowohl aus meiner Tätigkeit in China lebend und arbeitend, als auch geprägt durch zahlreiche nachfolgende Aufenthalte aus Geschäfts- und Privatreisen. Dies entspricht dem Zeitraum von Ende der neunziger Jahre bis zur heutigen Gegenwart. Besonders beeindruckend ist für mich dabei die enorme Geschwindigkeit des Fortschritts in nahezu allen Sektoren. Gleichzeitig aber damit einhergehend auch die rasant und stetig steigende Kluft zwischen sehr modernen, weit fortgeschrittenen Verhältnissen und auf der anderen Seite noch sehr altmodischen, ja teilweise gar altertümlich anmutenden Strukturen und Arbeitsweisen. Meine Prognose lautet dazu, dass sich sowohl der stetig fortschreitende technische Fortschritt, als auch die zum Teil daraus resultierende permanent steigende Kluft im soziokulturellen Bereich, weiter fortsetzen wird. Dies birgt neben den in zahlreichen Publikationen zu lesenden sozialen Risiken, unter wirtschaftlichen Aspekten, auch enorme Chancen für das Land. Zum einen wird sich die High-Tech-Branche stetig im Lande weiterentwickeln, einhergehend mit höheren Gehältern und Löhnen – zum anderen wird auch auf lange Sicht noch ein hoher Anteil an Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor bestehen bleiben. Somit kann der internationale und globale Wettbewerb sowohl im HighValue-Bereich als auch im Commodity Market parallel geführt werden. Als ich Ende der neunziger Jahre für ein deutsches Unternehmen der Chemiebranche als Logistikleiter nach China ging, war der Status der Logistik noch auf die Kernelemente von Transport und Lagerhaltung beschränkt. Gefahrgutlager, die auch nur annähernd dem Standard westlicher Industrienationen entsprechen, waren nicht aufzufinden. Und dies obwohl die Gesetzgebung hinsichtlich Sicherheit und Umwelt den deutschen Normen und Vorschriften in nichts nachstand. So musste für das Betreiben eines Gefahrgutlagers der Lagerinhaber eine Lizenz erwerben, die laut Vorschrift an eine Reihe von Bedingungen gebunden war, die durchaus deutschen Auflagen entsprachen. Bei zahlreichen existierenden potenziellen Gefahrgutlagerorten, wurde mir immer wieder versichert, dass es kein Problem sei, die Lizenz
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
235
zu bekommen, auch wenn die Standards nicht so erfüllt wären. Selbstverständlich wurden mit solchen Bemerkungen dann alle weiteren Kontakte abgebrochen. Letztendlich haben wir dann auf unserem eigenen Gelände ein neues Gefahrgutlager gebaut, dass dann auch 100 %ig in allen Belangen den konzernweiten Vorgaben an Sicherheit und Umwelt entsprach. In dieser Zeit war China noch nicht WTO-Mitglied und der Logistikmarkt für ausländische Unternehmen nicht bzw. nur sehr eingeschränkt zugänglich. Erst mit dem Eintritt Ende 2001 wurde der Grundstein gelegt, der diesen Markt dann öffnete und zu einer rasanten Modernisierung in den Logistikstrukturen im Land geführt hat. Wenn man die Situation der neunziger Jahre mit heute vergleicht, veranschaulicht durch das Beispiel der „Gefahrgutlager“, wird deutlich, wie es dem Land gelungen ist, in einem extrem kurzen Zeitraum, in vielen Bereichen technischen Fortschritt, aber auch in Sachen „Sicherheit“ und „Umwelt“ zu westlichen Standards aufzuschließen. Auch ein modernes Material Management befand sich in den neunziger Jahren noch in den Kinderschuhen, gleichwohl erste Ansätze durchaus vorhanden waren und moderne ERP-Systeme mit MRP-Bausteinen implementiert waren. Ein gelungenes Beispiel einer Kombination rudimentärer, extrem kostengünstiger Logistikstrukturen mit modernen Supply-Chain-Methoden ist für mich unser damaliger Bezug von Leerpackmitteln; konkret: leeren neuen Fässern. Der Lieferant befand sich nur 5 km vom Produktionsstandort entfernt. Unser Bestand konnte durch die Einführung eines VMI (Vendor Managed Inventory)-Konzeptes auf wenige Stunden reduziert werden. Die Leerpackmittel wurden mit Handkarren vom Hersteller direkt an das jeweilige Produktionsgebäude gebracht, ohne Zwischenlagerung und Wartezeiten. Damit waren die Kosten für die Anlieferung bei Null und gleichzeitig „Just in Time“. Geleerte und gereinigte Fässer wurden dann dem Lieferanten nach Entladung sofort wieder mitgegeben und somit dem Kreislauf wieder zugeführt. Gleichzeitig wurde dem Lieferanten der nächste Bedarf, resultierend aus dem aktuellen Produktionsplan, mittels eines Handzettels wieder mitgegeben und übermittelt. Abgerechnet wurde nach der Anzahl von der Produktion gefüllten Fässern. Dies ist ein gelungenes Beispiel, wie man durchaus moderne Supply Chain Konzepte, mit den damaligen regionalen Randbedingungen optimal kombinieren kann. Ein wichtiges Thema, wenn man über die Integration von chinesischen Lieferstandorten in ein Supply-Chain-Netzwerk spricht, ist die Lieferzuverlässigkeit, was jedoch oft zu Gunsten des Aspektes des günstigen Einstandspreises, nur allzu oft nur als Randparameter in Einkaufsentscheidungen einfließt. Wie bekannt, setzt sich die Lieferzuverlässigkeit primär aus den Komponenten Produktqualität, Lieferzeit und Quantität zusammen. Eine konstante Lieferqualität benötigt beim Bezug von chinesischen Lieferquellen eine wesentlich längere Anlaufphase, verbunden mit wesentlich höherem Aufwand in diesem Zeitraum. Nach meinen Erfahrungen spielt hier der Aspekt des Aufbaus und des Erhaltens von persönlichen, individuellen Beziehungen eine sehr große Rolle und kann nicht genug betont werden. Je besser und vertrauensvoller diese Beziehung besteht, desto stabiler wird auch die Lieferzuverlässigkeit. So ist es zum Beginn einer Geschäftsbeziehung durchaus üblich, dass man zunächst ein hervorragendes Ausfallmuster gesendet bekommt, das in Parametern den geforderten Spezifikationen zu 100 % entspricht. Bei der Lieferung
236
6 Praxisbeispiele
des kommerziellen Hauptauftrages sind einige Chargen, im Extremfall sogar die gesamte Lieferung, außerhalb der vereinbarten Spezifikation und weit entfernt von der Qualität der Musterlieferung. Insbesondere bei globalen Produktionsnetzwerken, bei denen man in Europa aus China Rohstoffe importiert, muss man daher für eine Anlaufphase wesentlich höhere Sicherheitsbestände und Prozesskosten kalkulieren, um die Volatilität in der Lieferzuverlässigkeit abzupuffern. Zuzüglich kommen dann noch die ohnehin höheren Sicherheitsbestände, die sich lieferantenunabhängig schon aus den Unsicherheiten des langen Transportweges (der überwiegende Teil kommt per Seefracht) ergibt und dessen Schwankungen in der Lieferzeit gepuffert werden müssen. Auch dieAnlaufphase für einen neuen Lieferanten muss deutlich länger eingeplant sein. 2–3 gute Lieferungen sind noch kein Beweis für die Stabilität der Lieferqualität. Die vierte Lieferung kann dann ohne weiteres wieder total außerhalb der Spezifikation sein. Hat man zu diesem Zeitpunkt dann die hohen Sicherheitsbestände schon zu früh abgebaut, können die Folgekosten noch um ein Vielfaches höher liegen. Zum Beispiel in der Umstellung von Seefracht auf eine bis zu 20-mal höhere Luftfracht. In der chemischen Branche kann es sogar sein, dass der Rohstoff nach IATA-Bestimmungen via Luftfracht nicht versendet werden kann, und Lieferausfall und Kundenverlust können die Folge sein. Auch teure Nacharbeiten können daraus resultieren. Derartige Mehrkosten bei einem Lieferanten dann einzufordern, sind dann speziell in der Anfangsphase einer Geschäftsbeziehung nur sehr schwer und oftmals auch nur teilweise möglich. Oftmals wird vom chinesischen Lieferanten Vorauskasse verlangt oder das Zahlungsziel ist deutlich kürzer als die lange Transportzeit. Sprich – man hat die Ware dann schon bezahlt, bevor der Qualitätsmangel im Wareneingang oder der Qualitätskontrolle festgestellt wird. Auch das Nicht-Einhalten von zugesagten Lieferterminen ist während der, wie gesagt, durchaus langen Anlaufphase keine Seltenheit und mehr die Regel als die Ausnahme. Diese Faktoren sind in jedem Fall bei einer Bezugsquellenanalyse von chinesischen Lieferanten zu berücksichtigen und auch entsprechend einzupreisen. Dies geschieht aus meiner Erfahrung heraus jedoch leider noch zu wenig. Die Nicht-Einbeziehung dieser wichtigen Kostenfaktoren geschieht vor allem in jenen Unternehmen, bei denen keine Integration von Einkauf und Logistik in eine gesamtheitliche Supply-Chain-Organisation besteht. Zu verlockend ist bei separater Organisationsform für die Einkaufsabteilung der unvergleichlich niedrige Einstandspreis. Schließlich wird der Einkauf dann ausschließlich an den Einsparungen der Einstandspreise gemessen. Nicht, wie es notwendig wäre, an den Gesamtkosten der Supply Chain – end to end gedacht. Diese Gesamtbetrachtung bildet jedoch eine unerlässliche Voraussetzung, um die richtige Sourcing-Entscheidung zu treffen bzw. um das Sourcing ex China zu optimieren. Parallel mit den in den meisten Fällen recht langwierigen Phasen, eine dauerhaft hohe Lieferzuverlässigkeit herzustellen, geht jedoch andererseits eine extrem stark ausgerichtete Kundenorientierung einher. In nur wenigen Ländern, in denen ich gearbeitet habe (übertroffen nur noch durch Japan), ist dies so ausgeprägt vorhanden wie in China. Hier ist der Kunde wirklich noch König! Es wird alles möglich gemacht und unternommen, um einen Kunden zu gewinnen, und wenn man ihn hat,
6.2 Wertschöpfung in China: Produktion und Logistik
237
ihn zufrieden zu stellen. Dies bedeutet in der Konsequenz natürlich ein ständiges Bestreben in der Qualität und der Sicherstellung der Qualität weiter zu kommen. Rückblickend auf 15 Jahre in und mit China kann ich nur feststellen, dass in puncto Lieferzuverlässigkeit enorme Fortschritte gemacht wurden. Diese starke Ausrichtung an den Kunden ist im Industriesektor noch nicht ganz soweit ausgeprägt wie im Dienstleistungssektor. Ein Beispiel für Dienstleistungsverständnis und Kundenorientierung durfte ich denn auch einmal sprichwörtlich am eigenen Leib erfahren: In der Zeit, in der ich in China lebte, gab es den netten Brauch, dass sich die deutsche Community einmal im Monat Freitag-Abends zu einem Stammtisch traf. An einem warmen Sommerabend saßen wir in gemütlicher Runde auf der Außenterrasse eines Hotels und hatten uns für jeden ein Bier bestellt. Bald kam auch der Kellner mit mehreren Gläsern Bier auf dem Tablett. Genau in dem Augenblick, als er bei mir ankommt, fällt ihm jedoch das Tablett aus den Händen und das ganze Bier ergießt sich über mich. Auch bei den warmen Sommertemperaturen in Shanghai wurde dies jedoch recht bald ungemütlich, mit dem nassen Hemd da zu sitzen. So bin ich bald darauf zur Chefin des Hotel-Restaurants gegangen und habe ihr von dem Missgeschick erzählt. Sie entschuldigte sich und machte mir einen guten Vorschlag: Ich konnte mein tropfnasses, biergetränktes Hemd abgeben, es würde im Hotel gewaschen und gebügelt werden, auf Kosten des Hauses natürlich. Für die Zeit, in der es gewaschen wird, würde ich ein Ersatzhemd des Hotels bekommen, das ich in dieser Zeit – es würde so ca. 1 Stunde dauern – anziehen könnte. Gerne nahm ich dieses Angebot an. Nach einer Stunde wurde mir mein frisch gereinigt und gebügeltes Hemd wieder gebracht. So zog ich mich wieder um. Allerdings habe ich (noch immer) die Angewohnheit, Hotelzimmerschlüssel, die man in Kartenform erhält, in die Brusttasche in mein Hemd zu stecken. So auch damals. Als ich einige Minuten mein Hemd wieder getragen hatte, bemerkte ich, dass ich keinen Schlüssel hatte. Diesen vergaß ich wohl in dem vom Hotel geliehenen Hemd in der Brusttasche. Sogleich eilte ich wieder ins Innere des Hotelrestaurants. Die anzutreffende Kellnerin konnte jedoch nur sehr wenig Englisch, so dass sie meine Bitte nicht verstand, mir nochmal das Hotelhemd zu geben, wo sich mein Zimmerschlüssel noch befinden müsste. Schnell waren dann 7–8 Kellnerinnen und Kellner um mich herum versammelt; auch der Kellner, der mir das Bier übergeschüttet hatte. Erst nach einiger Zeit verstand eine der Kellnerinnen mein Problem; sogleich ging sie auf ihren Kollegen zu, der zuvor das Bier verschüttet hatte: Sie griff in die Brusttasche seines Hemdes und zog freudestrahlend meinen Zimmerschlüssel heraus. Das heißt: Das Hemd, das mir das Hotel für die Dauer der Reinigung geliehen hatte, war das Hemd des Kellners! Dieser musste für die Dauer der Reinigung wohl irgendwo warten. Nachdem ich mein Hemd dann wieder bekommen hatte, konnte er seines wieder anziehen. Ist das nicht ein wahres Dienstleistungsverständnis, wenn jemand sein eigenes Hemd für den Kunden hergibt? Nach diesem kurzen Ausflug in den Dienstleistungssektor möchte ich abschließend noch kurz zusammenfassen, welche Vorteile, aber auch welche Herausforderungen zu beachten sind, wenn man beabsichtigt, einen chinesischen Produktionsstandort in sein globales oder internationales Supply-Chain-Netzwerk zu integrieren:
238
6 Praxisbeispiele
Vorteile: • Nach wie vor verhältnismäßig niedrige Lohn- und Gehaltskosten • Ein hohes Reservoir an Arbeitskräften, die auch zunehmend an Qualifizierungsgrad zunehmen • Niedrige Investitionskosten • Sehr kurze Genehmigungs- und Bauzeiten • Hohe behördliche Unterstützung für Infrastrukturinvestitionen, insbesondere im Logistiksektor • Hervorragende Infrastruktur in den Ballungszentren, wie z. B. Shanghai • Extrem positive, ambitionierte Arbeitseinstellung (Gewinnermentalität) • Investitionen im Hochschulsektor führen zu einer zunehmenden Anzahl an hochqualifizierten Fachkräften im naturwissenschaftlichen Bereich, aber auch im Logistik- und Supply-Chain-Sektor Zu beachtende Tendenzen und damit verbundene Herausforderungen: • schnell ansteigende Arbeitskosten und Inflationsgefahr • zunehmend stärkere Anforderungen an Umwelt und Sicherheit auf das höchste Niveau hin • Knappheit und Engpässe im Energiesektor, bei hohen Wachstumsraten • Aufwertung der chinesischen Währung, des RMB • Außerhalb der Ballungszentren: sehr schwache Infrastruktur • Abhängigkeit von Energieimporten, wie z. B. Öl • Können das Logistikwachstum und der Infrastrukturausbau mit dem Wirtschaftswachstum mithalten? Zweifelsohne wird sich auch in China der Trend zu einem „High Performance Supply Chain Management“ fortsetzen und letztendlich wird auch dies vermehrt eingesetzt werden. Die Hürden liegen keineswegs in einem mangelnden professionellen Wissen und Können. Wie oben schon erwähnt, sind die Erfolge einer hochqualifizierten Ausbildung im SCM-Bereich unverkennbar. Das Umsetzungsproblem, speziell bei so komplexen ganzheitlichen Problemstellungen, wie der Umsetzung von Excellence in Supply Chain Management, liegt in der landestypischen Ungeduld. Zu weit verbreitet ist noch, dass sobald ein Konzept ansatzweise verstanden und ein Problem erkannt wurde, man unverzüglich die Lösung anstrebt. Dies wird dann meist nur oberflächlich realisiert. Somit werden oftmals ganzheitliche Konzepte nur ansatzweise implementiert, da man schnelle Erfolge haben will. Die Frage ist natürlich auch berechtigt, ob dies nun ein China-spezifisches Phänomen ist oder ob uns das nicht auch aus unserem lokalen Umfeld her bekannt vorkommt. Eine erfolgreiche Integration chinesischer Standorte in das SCM-Netzwerk, hängt vor allen Dingen auch davon ab, eine beiderseits offene Unternehmenskultur zu erzeugen und zu leben, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Interkulturelle Teams, mit hoher sozialer und interkultureller Kompetenz, werden noch mehr als in der Vergangenheit einen entscheidenden Erfolgsfaktor im globalen Wettbewerb darstellen. Die faszinierende Entwicklung des Landes wird uns auch weiterhin in den Bann ziehen und unser tägliches berufliches Wirken beeinflussen.
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
239
Michael Döll: Michael Döll (Director Operations, Tech Data GmbH & Co. OHG), Jahrgang 1961, Studium der Betriebswirtschaftlehre an der Berufsakademie Karlsruhe, ist seit November 2010 Director Operations bei Tech Data GmbH & Co. OHG. Tech Data ist der weltweit größte ITK Distributor mit internationaler Präsenz, No. 109 der Fortune 500. Zuvor war Herr Döll mehr als 20 Jahre in leitenden Logistik- und Supply Chain Management-Funktionen in der chemischen Industrie tätig; unter anderem auch als Logistikleiter bei einem deutsch-chinesischen Joint Venture in Shanghai sowie als Einkaufs- und Logistikleiter in der Türkei. Er war 7 Jahre als Vice President Supply Chain Management weltweit für ein deutsches Spezialchemie-Unternehmen zuständig. In dieser Zeit erfolgte auch die Implementierung eines integrierten Supply Chain Management-Konzeptes in China für mehrere Standorte in China. Neben dem Aufbau des SCM in den Standorten und dem China Headquarter in Shanghai war auch die Integration der Standorte und die Distribution der Fertigwaren in ein weltweites Produktions- und Supply Chain-Netzwerk eine der Hauptaufgaben für die Region.
6.3
Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
6.3.1
Befähigung rein chinesischer Lieferanten in frühen Phasen – Besonderheiten bei „First Contact-Lieferanten“ (Josef Weichinger, BMW)
6.3.1.1
Besonderheiten der First-Contact-Lieferanten
Wirksame Hübe bei Materialkosten-Einsparungen erreicht man in China vor allem dann, wenn man rein lokale, chinesische Lieferanten auswählt. Selbstverständlich ergeben sich daraus besondere Herausforderungen, da diese oftmals noch wenig mit den Anforderungen internationaler OEM vertraut sind. Besonders herausfordernd wird es bei „First Contact-Lieferanten“; d. h. bei rein chinesischen Lieferanten (keine Joint Venture Unternehmensstruktur), die bisher noch nicht mit europäischen bzw. internationalen OEM zusammengearbeitet haben. Die Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit solchen „First Contact-Lieferanten“ bestehen vor allem in sprachlichen Barrieren und kulturellen Unterschieden (im Gegensatz zu einem JV hatten solche Lieferanten ja bisher oft gar keine oder nur geringe Berührungspunkte mit westlicher Kultur und Mentalität). Aber auch bezüglich Organisationsformen, Projektarbeit und Geschäftsprozessen gibt es gravierende Unterschiede, da viele dieser rein chinesischen Lieferanten traditionell sehr kaufmännisch ausgerichtet sind und Prozesse wie Projekt- oder Qualitätsmanagement zwar vorhanden, aber geringer priorisiert sind. Da kann es schon mal vorkommen, dass bei einem ersten Besuch bei der Vorstellungsrunde beim Lieferanten der Vertriebsleiter, der Key Account und je zwei Sales und Marketing Manager vorstellig werden, aber kein Vertreter aus der Produktion oder Entwicklungsabteilung anwesend ist.
240
6 Praxisbeispiele
Im Folgenden beziehen sich die Inhalte auf die Befähigung und Entwicklung dieser Lieferanten. Die aufgeführten Methoden kamen bei der erfolgreichen Lokalisierung eines Raddrehzahlsensors mit einem Zulieferer in Shanghai zum Einsatz. Die Praxisbeispiele beziehen sich auf die Erkenntnisse aus diesem Projekt sowie Erfahrungen die mit diversen chinesischen Lieferanten im Rahmen von Erstbesuchen gesammelt wurden. 6.3.1.2 Typische Projektorganisation beim Aufbau von First-ContactLieferanten und Beschreibung der wichtigsten Gateways Ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dieser Art von Lieferanten ist der Aufbau der Projektorganisation und die anschließende Überführung bzw. Übergabe des Projektes in die Serienproduktion. Dabei ist es entscheidend, frühzeitig in der deutschen Zentrale, im Einkaufsbüro des OEM vor Ort und beim Lieferanten durchgängig die Schnittstellenpartner für sämtliche relevanten Funktionen zu definieren. Wichtig ist dabei auch die Visualisierung z. B. in Form einer Schnittstellenmatrix mit Auflistung aller Projektmitglieder, um dem Lieferanten zu verdeutlichen, wer mit wem zu welchen Aufgabenstellungen im Projekt kommuniziert und zusammenarbeitet. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei den jeweiligen Projektleitern zu, die, wie Dirigenten eines Orchesters, ein Team aus Spezialisten und Know-how-Trägern koordinieren und steuern müssen. Falls das Projekt außerdem nicht nur eine reine „Build to Print“-Lokalisierung als Aufgabenstellung hat, sondern auch mit Entwicklungsleistung des Lieferanten verbunden ist, ist es nahezu unverzichtbar, dass der Lieferant in der Entwicklungsphase einen erfahrenen Mitarbeiter als Verbindungsingenieur in der Zentrale des OEM vor Ort hat, um für sämtliche entwicklungsrelevante Themen (z. B. Konzeptabsicherung, Material- u. Lebensdauertests, . . . ) eine schnelle und zielgerichtete Kommunikation zwischen der OEM-Zentrale, dem Einkaufsbüro und dem Lieferanten sicherzustellen. Generell ist eine regelmäßige und transparente Kommunikation (wöchentliche Videokonferenzen, Vorortbesuche, Protokollierung der Besprechungen inkl. Todo-Listen) unerlässlich. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, sich auf eine gemeinsame Projektsprache (in der Regel Englisch) zu einigen und diese Vereinbarung dann auch konsequent und diszipliniert einzuhalten. Spontane Emails von Teammitgliedern in deutscher oder chinesischer Sprache können oftmals zur Verwirrung beitragen und damit vor allem zu einer Verzögerung in der Projektarbeit. Die wichtigsten Gateways im Rahmen der Lieferantenentwicklung und -befähigung sind in Abb. 6.12 dargestellt. 6.3.1.3
Lieferantenentwicklung in der frühen Phase – Risikobewertung sowie Definition der Befähigungsmaßnahmen und des Befähigungsaufwandes
Bei der Erstbewertung (frühe Phase des Lieferantenauswahlprozesses) ist es unerlässlich, frühestmöglich den Lieferanten zu besuchen, um vor Ort eine detaillierte
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
Lieferantenauswahl
Risikoidentifizierung und -bewertung / Maßnahmendefinition
Produkt- und Prozessentwicklung
Befähigung Organisation, IT & Grundlagen
241
Produkt- und Prozessfreigabe
Befähigung Geschäftsprozesse
Serienproduktion
Begleitung und Steuerung Eskalation
Gateways der Lieferantenbefähigung
Abb. 6.12 Gateways der Lieferantenbefähigung
Bestandsaufnahme durchzuführen. Ziel ist es, eine gesamthafte Risikobetrachtung unter Einbindung aller Prozesspartner (Einkauf, Entwicklung, Qualität & Logistik, ggf. Technologie- oder Werkstoffspezialisten) vorzunehmen, um frühzeitig Risiken sowohl für die Projektarbeit als auch für die spätere Anlauf- und Serienproduktion zu identifizieren und mit Maßnahmen (Lieferantenentwicklungs- bzw. Befähigungsplan) zu belegen. Diese Befähigungsmaßnahmen gilt es bereits vor einer potentiellen Auswahl des Lieferanten mit diesem schriftlich als Vertragsbestandteil zu fixieren und auch als Projektaufwand zu quantifizieren (Befähigungskosten). Bei der Identifizierung der Risiken sind neben den „Hard Facts“ (z. B. Entwicklungs- u. Fertigungskompetenz) vor allem auch die sogenannten „Soft Facts“ zu analysieren. Insbesondere stellt sich dabei die Frage, ob der Lieferant ein funktionierendes Projektmanagement beherrscht, wie es von einem internationalen OEM erwartet wird. Auf welche Hürden man treffen kann, soll das folgende Beispiel zeigen: Indem wir uns eine aktuelle Projektorganisation inkl. Projektplan und Aktionsplan vorstellen ließen, wurden bei einem potentiellen Lieferanten schnell etliche Handlungsbedarfe festgestellt, die vor allem für eine spätere effiziente Projektkommunikation kritisch und ausschlaggebend sind. So war beispielsweise kein englischsprachiger Projektleiter im Unternehmen verfügbar; die verfügbaren potentiellen Projektleiter hatten außerdem zu diesem Zeitpunkt nur Erfahrung mit chinesischen OEMs. Außerdem enthielten die Projektterminpläne keine Meilensteine und waren, abgesehen davon, auch nicht aktuell; die Aktionspläne unterlagen keinem Monitoring und enthielten Maßnahmen ohne eine klar definierte Zuordnung von Verantwortlichkeiten und Terminen. Hier war es nun die Aufgabe des Lieferantenentwicklers, gemeinsam mit dem Projektteam den Befähigungsaufwand abzuschätzen. Außerdem galt es, mit dem Lieferanten Maßnahmen zu vereinbaren und die Arbeitspakete zu schnüren. Diese Maßnahmenvereinbarung kann dabei sowohl Handlungsbedarfe beim Lieferanten beinhalten (z. B. Einstellung eines erfahrenen englisch- bzw. deutschsprachigen Projektleiters) als auch Aktivitäten, die vom OEM zu planen und durchzuführen
242
6 Praxisbeispiele
sind. Beispielsweise kann es erforderlich sein, ein Schulungsprogramm aufzusetzen, das die Anforderungen an die Projektarbeit und die Projektplanung beinhaltet. Gerade der Aufwand für Schulungen neuer chinesischer Lieferanten wird oftmals unterschätzt; diese Arbeit ist zusätzlich zur eigentlichen Projektarbeit zu leisten. Der Lieferantenentwickler tritt hier als „Lehrer“ auf, der Lieferant ist der „Schüler“ bzw. „Student“! Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch das Vorhalten von entsprechenden Kapazitäten im Projektbudget. Man sollte sich bewusst machen, dass chinesische Lieferanten mit dem OEM sowie dessen Methoden und Prozessen bisher nicht vertraut sind. Häufig muss man mit den Basics beginnen. Manchmal handelt es sich um Dinge, die für den OEM selbstverständlich erscheinen, die der Lieferant aber nicht kennt bzw. gar nicht kennen kann; das betrifft beispielsweise schon die Erklärung unternehmensspezifischer Abkürzungen und Systembezeichnungen, die im Projektalltag beim OEM Verwendung finden, die für den Lieferanten aber „Böhmische Dörfer“ sind. Projekte mit chinesischen Lieferanten scheitern oder verzögern sich meistens nicht aufgrund mangelnder technischer Kompetenz, sondern wegen Kommunikationsproblemen. Wichtig ist auch, die Unternehmensstruktur genau zu durchleuchten. Zum Beispiel sollte man einen Eindruck darüber gewinnen, ob es sich um ein Unternehmen mit transparenten und vertrauten Organisationsstrukturen handelt und ob Verantwortlichkeiten entsprechend definiert und auch wahrgenommen werden.
6.3.1.4
Lieferantenentwicklung vor Nominierung des Lieferanten und während der eigentlichen Projektarbeit
Die wesentlichen Herausforderungen und Defizite beziehen sich vor allem auf die Anforderungen bzgl. Organisation, Kommunikation, Projektarbeit und Geschäftsprozesse. Je früher man beginnt, an diesen Herausforderungen zu arbeiten, desto besser lassen sich in späteren Zeitpunkten beträchtlicher Aufwand für reaktive Maßnahmen und mögliche Qualitätsschwierigkeiten vermeiden. Hierbei spielen in der Regel ein intensives Training und Schulung eine wichtige Rolle; d. h. ein „Aufschlauen“ des Lieferanten inkl. Erfolgskontrolle ist erforderlich, um den Lieferanten auf Stand zu bringen. Der Lieferantenentwickler begleitet das eigentliche Projektteam während dieser Projektphase und stellt sicher, dass diese Defizite beseitigt werden und keine zusätzlichenAbweichungen auftreten. Die Umsetzung erfolgt mittels definierterAufgabenpakete, die im Projektplan als so genannte „Befähigungsgateways“ definiert sind und den eigentlichen Projektgateways dementsprechend vorgelagert sind. Ein Beispiel der Befähigung stellt der Geschäftsprozess „Projektmanagement beim Lieferanten“ dar. Dieser Befähigungs-Meilenstein ist, der eigentlichen Projektarbeit vorgelagert, vom Lieferantenentwickler mit dem Lieferanten durchzuführen und abzuschließen, um anschließend einen reibungslosen Start der Projektaktivitäten des OEM mit dem Lieferanten sicherzustellen. Befähigung heißt kritisches Überprüfen, Aufzeigen von Optimierungsbedarf und – im Eigeninteresse – gezieltes Helfen; es verlangt aber auch eine Priorisierung, eine Konzentration auf das Wesentliche und
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
243
ein vernünftiges Auftreten beim Lieferanten. Den Worst Case kann man sich folgendermaßen vorstellen: Das OEM-Projektteam „marschiert“ beim Lieferanten auf und „überrollt“ ihn mit Begriffen und Terminologien, die er noch nie gehört hat, mit einem Projektplan, dessen Struktur ihm völlig neu ist, verweist auf Dokumente und Standards, die in IT-Systemen hinterlegt sind, deren Namen und Inhalte der Lieferant nicht kennt und er noch nicht mal weiß, wie er Systemzugang beantragen kann . . . ! Ein weiteres Beispiel: Befähigung des Geschäftsprozesses „Unterlieferantenmanagement“. Auch hier ist Basisarbeit zu leisten, sprich dem Lieferanten ist zu vermitteln, was der Kunde erwartet. Oft muss man hierbei als Lieferantenentwickler anhand von Standardtools und Formularen dem Lieferanten das „Handwerkszeug“ zur Verfügung stellen. Man muss ihm zunächst erklären, welchen Prozess und welche Informationen man erwartet und vor allem warum. Anschließend ist eine Ist-Bestandsaufnahme zu machen (welcher Prozess ist vorhanden, wie arbeitet der Lieferant derzeit?) und mittels Gap-Analyse sind die Defizite zu benennen und zu beheben; es geht dann auch um „Business Process Reengineering“, sprich um eine Anpassung des Geschäftsprozesses entsprechend der Anforderungen des OEM. Beim Management der Unterlieferanten sind einfache Tools oft gar nicht vorhanden oder zumindest nicht in der Ausprägung, wie sie ein OEM erwartet; z. B. der Einsatz definierter Prozesse zur Auditierung der Unterlieferanten mit entsprechendem Bewertungsschema und einem gesamthaften Auditierungszeitplan für alle Unterlieferanten. All diese Befähigungsmaßnahmen müssen schrittweise spätestens ca. 6 Monate vor SoP (Start of Production) erfolgreich abgeschlossen werden. Eine Erfolgskontrolle geschieht dabei vor allem durch das Feedback aus dem Projektteam und durch den Abgleich mit den bei den Befähigungsgateways vereinbarten Zielen. Der Lieferantenentwickler bereitet den Boden für das eigentliche Projektteam. Ein Logistiker, der im Projektteam täglich zahlreiche fachliche Themen zum Unterlieferantenmanagement bewältigen muss, hat keine Zeit, den Prozess oder das Lieferantenbewertungssystem zu definieren oder ein Tool zum Tracken der Auditierungstermine aufzubauen. Diese Arbeit muss vom Lieferantenentwickler vorab geleistet werden, damit sich das Projektteam auf seine fachlichen und prozessspezifischen Themen konzentrieren kann. Das Gateway „Unterlieferanten-Management“ gilt als umgesetzt und abgeschlossen (muss vom Projektteam bestätigt werden), wenn folgende Prämissen erfüllt sind. • • • • •
Prozess mit Verantwortlichkeiten klar definiert und implementiert Transparente Übersicht aller Lieferanten inkl. Rating/Performance vorhanden Aktueller Auditierungsplan ohne Überschreitung von Zielterminen vorhanden Eskalationsprozess inkl. Maßnahmenpläne von kritischen Lieferanten up to date Insgesamt darf keine Gefährdung des Anlaufs und der Serienproduktion aufgrund von Risiken des Geschäftsprozesses „Unterlieferantenmanagement“ vorhanden sein.
6.3.1.5
Zusammenfassung
Beim Aufbau neuer Lieferanten gilt: Frühzeitig mit der Befähigung zu beginnen und präventiv zu arbeiten, schafft die Basis für die Einhaltung von Meilensteinen in
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6 Praxisbeispiele
der Projektarbeit und vermeidet einen überproportionalen Mehraufwand zu einem späteren Zeitpunkt. Das trifft vor allem bei First Contact-Lieferanten zu, für die ein erhöhter Befähigungsaufwand erforderlich ist, da ihnen die Anforderungen westlicher OEM und deren Abläufe noch fremd sind. Die eigentliche Lieferantenentwicklungsarbeit bei einem neuen chinesischen Lieferanten muss lange vor SoP beendet sein, damit das Projektteam wie mit einem bekannten Lieferanten den Anlauf und die Serienproduktion ohne Störfeuer seitens der Organisation, der Projektarbeit und der Geschäftsprozesse vorbereiten und erfolgreich durchführen kann. Das systematische Arbeiten an der Erreichung der Befähigungsgateways hilft, sowohl dem Lieferantenentwickler als auch dem Lieferanten zielorientiert an der Weiterentwicklung zu arbeiten. Josef Weichinger: Josef Weichinger studierte Automatisierungstechnik und Betriebswirtschaft an der FH Regensburg. Nach dem Berufseinstieg 1999 als Qualitätsingenieur im BMW Produktionswerk Regensburg folgte der erste Auslandseinsatz von 2003 bis 2005 im Nordosten Chinas in Shenyang, wo er im neu gegründeten JV BMW-Brilliance Automotive die Qualitätssicherung Zulieferteile aufbaute und verantwortete sowie gemeinsam mit den Schnittstellenpartnern Einkauf und Logistik die Lokalisierungsstrategie festlegte und umsetzte. Nach zwei Jahren Projekttätigkeit in der Fahrzeugentwicklung in München mit den Schwerpunkten Konzeptbeurteilung und Lieferantenauswahl folgte 2007 das zweite China-Assignment. In BMW’s internationalem Einkaufsbüro in Peking war er im Rahmen von Global SourcingProjekten zuständig für die Identifikation, Bewertung und Befähigung von neuen asiatischen Lieferanten. Seit 2010 verantwortet er die CKD-Produktion von BMW in Jakarta, Indonesien.
6.3.2
China Sourcing – Qualität versus Technologietransfer (Hans Delesky/Ulrich Kropp/Heinz Wittmann, BorgWarner Beru Systems)
BorgWarner Beru Systems ist ein global aufgestellter Zulieferer der Automobilindustrie auf dem Gebiet der Dieselkaltstart- und Zündungstechnik. Der nachfolgende Erfahrungsbericht beruht auf den Erkenntnissen der letzten fünf Jahren, die bei dem Aufbau von chinesischen Zulieferanten gesammelt wurden.
6.3.2.1
China als Beschaffungsmarkt im Rahmen eines Best Cost Country Sourcing
Der zunehmende Kostendruck und der Erhalt der eigenen Wettbewerbsfähigkeit zwingen viele Firmen weltweit einzukaufen. Auch unsere Kunden fragen gezielt nach dem Volumen des BCC-Anteils (Best Cost Country) am gesamten Beschaffungsvolumen (direktes und indirektes Material). Um gezielt, effizient und nachhaltig
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
245
Beschaffungserfolge zu realisieren, ist zwingend notwendig, eine Einkaufsstrategie zu definieren. Einer der ersten Schritte liegt darin, mittels Benchmarks überhaupt zu klären, welche Warengruppen das Potenzial für den chinesischen Beschaffungsmarkt bieten. In der Regel sollten es Teile mit großem Wertschöpfungspotenzial und permanentem Bedarf sein. Für die Auswahl des geeigneten Beschaffungsmarkts ist die Durchführung einer Länderanalyse hilfreich. Darin gilt es bestimmte Indices zu berücksichtigen: z. B. Business Competitiveness Index (BCI) oder Corruption Perception Index (CPI). Anschließend lassen sich mit einer SWOT-Analyse pro Land die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken aufzeigen und gegenüberstellen. Bei der Beurteilung von prinzipiellen Beschaffungsoptionen bedarf es zusätzlich und unabdingbar einer TCO-Berechnung, womit sich der „reale Preis“ ermitteln lässt; damit wird vermieden, dass falsche Entscheidungen getroffen werden, weil beispielsweise eine scheinbare Vorteilhaftigkeit durch geringe Materialkosten vorliegt und andere Kosten (Frachtkosten, Zollkosten, Qualitätskosten etc.) nicht ausreichend berücksichtigt werden. Wenn diese Schritte durchlaufen sind, startet man dann mit dem Request For Interest (RFI), um den Kreis der potenziellen Lieferanten anhand der möglichen Erfüllung der Leistungsanforderungen weiter einzugrenzen. Erst danach beginnt der eigentliche Anfrageprozess (Request For Quotation: RFQ). Wichtig ist dabei, diesen in englischer Sprache durchzuführen; einfach, klar verständlich beschrieben und mit eindeutigen internationalen Normen und Materialien. Teile oder Fertigteile, die eine eigene Kernkompetenz darstellen, sollten nicht angefragt werden; denn die Gefahr (copy maker) ist groß und anstatt eines Lieferanten hat man evtl. zukünftig weitere Wettbewerber auf dem Markt. Deshalb selektieren wir nach kritischen und unkritischen Teilen und arbeiten häufig mit Geheimhaltungsvereinbarungen, die allerdings keine absolute Sicherheit bieten. Bevor Lieferanten für ein Global Sourcing genutzt werden, setzen viele Firmen diese zunächst lokal ein, indem zuerst Erfahrungen in den Zweigwerken vor Ort für die lokale Produktion gesammelt werden. Dies ist richtig und empfehlenswert. Leider hat nicht jede Unternehmung eine Tochtergesellschaft in China. Das erschwert in diesem Fall den Beschaffungsprozess nach Europa selbstverständlich enorm. Fehlen entsprechende Erfahrungen und damit bereits realisierte Erfolge, wird sich schnell im Unternehmen Skepsis hinsichtlich eines erfolgreichen Sourcing aus China heraus breit machen. Der zuständige Einkäufer wird dann zum Moderator, um die „Ressentiments“ abzubauen. Es ist deshalb dringend zu empfehlen, die relevanten Fachabteilungen in den Entscheidungsprozess frühzeitig einzubinden und ggf. auch gezielt vor Ort mitzunehmen. Damit verbunden ist, dass man Zeit und Ressourcen hierfür vorsieht. Allein durch die Entfernung zum Beschaffungsmarkt ist es für westliche Unternehmen herausfordernd, genug vor Ort zu sein. Auch wenn es sich „operativ“ anhört: Eine effektive Reiseplanung, welche die lokalen Besonderheiten berücksichtigt, stellt ein wichtiges Element im erfolgreichen Beschaffungsprozess dar. Generell möchte man ja immer das Maximale für das Unternehmen erreichen. Dies gilt auch für die Reiseplanung, die vollgestopft mit Terminen ist, so wie wir das von Europa gewohnt sind. Dies funktioniert jedoch so in China nicht! Mangelnde Infrastruktur in vielen Regionen und Verspätungen vor allem bei Inlandsflügen sind einzukalkulieren. Bei
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6 Praxisbeispiele
Pkw-Reisen sind lange Staus in den Stadtbereichen normal. Im Winter werden die Autobahnen ohne Vorwarnungen bei minimalem Schneefall sofort gesperrt: Umleitungen? Fehlanzeige! Die selbstständige Reise stellt aufgrund der Größe des Landes und der unterschiedlichen Verkehrsmittel (Flug, Auto, Bahn) eine große Herausforderung dar. Informationen über Zugpläne sind beispielsweise aus Deutschland nicht einfach erhältlich (z. B. welche Zugverbindungen sind möglich und wo erhält man das richtige Ticket). Ein lokaler Begleiter aus dem lokalen IPO oder Werk ist aufgrund von Kommunikationsproblemen deshalb immer von großem Vorteil. Die kulturellen Unterschiede sind auch nicht zu unterschätzen. In Asien nimmt man sich noch Zeit! Eine Absage für Lunch oder Dinner gilt als unhöflich oder wird als Desinteresse an der Ausdehnung der Geschäftsbeziehung ausgelegt. Ein Vertrag ist das eine, eine freundschaftliche Geschäftsbeziehung das andere. In kritischen Fällen zählt die persönliche Beziehung mehr als das Papier (Vertrag). Für die Pflege einer Geschäftsbeziehung muss man sich deshalb Zeit nehmen. Deshalb gilt: Weniger Termine sind oftmals mehr! Bei allen Herausforderungen und aller kritischen Betrachtung: Es gibt durchaus positive Beispiele an guten, motivierten und qualitätsbewussten chinesischen Lieferanten. Für die Warengruppen Alu-Druckguss, Stanzen von Spezialteilen und Silikonformteile haben wir beispielsweise gute Erfahrungen gesammelt. Diese Firmen sind allesamt sehr exportorientiert und arbeiten als TIER 2-Lieferanten für die Automobilindustrie. Die Lieferanten agieren sehr flexibel, Muster aus Vorserienwerkzeugen werden in wenigen Wochen in akzeptabler Qualität und sehr attraktiven Preisen geliefert. Die Anlagen, Maschinen und das Prüfequipment sind meistens auf „Westniveau“. Auffällig ist jedoch, dass die Produktivität wesentlich niedriger ist als z. B. in Westeuropa. Die Gründe sind vielfältig und liegen u. a. in einer mangelnden Maschinenkenntnis oder an einem Facharbeitermangel. Hier besteht noch Potenzial zur Verbesserung. Zusätzlich ist die Fluktuationsrate beim Personal relativ hoch; vor allem im „mittleren Management“ und bei den Werkern an der Maschine. Ein gut funktionierendes Netzwerk hilft, in schwierigen Situationen auf das Top-Management zurückzugreifen. Ohne diese Verbindungen wird es oft sehr schwierig. In den letzten Jahren haben wir trotz Anlaufproblemen den BCC-Anteil (vor allem aus Asien) kontinuierlich gesteigert. In Summe beträgt der BCC-Anteil für unsere Kaufteile gemessen am Einkaufsvolumen ca. 15–20 %. Im Jahre 2006 lagen wir noch bei < 5 %. China hat hierzu wesentlich beigetragen. Unser International Purchasing Office (IPO) vor Ort mit lokalen, gut ausgebildeten Fachkräften hat einen erheblichen Beitrag zu diesem Erfolg geleistet, in engerAbstimmung mit der Zentrale in Deutschland.
6.3.2.2
Qualität und Prozesssicherheit „Made in China“
In China sind für den nicht-chinesischen Beschaffungsmarkt im Prinzip drei verschiedene Typen von Lieferanten zu finden, wobei Größe der Unternehmen und das erste äußere Erscheinungsbild eine untergeordnete Rolle spielen:
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
247
• Die erste Gruppe umfasst Firmen mit oder ohne QM-Zertifizierung und ohne jegliche Automotive-Erfahrung. • Gruppe zwei ist schon ein bisschen weiter in Richtung „Automotive“ unterwegs, sei es innerchinesisch oder auch im Export. Typische Kunden sind jedoch meist keine OEM, sondern Tier 1, 2, 3 oder Handelswarenhersteller. • Die Gruppe drei bezeichnet ISO16949 zertifizierte Lieferanten mit direktem OEM-Kontakt, entweder in China oder auch im Export. Diese Gruppe ist absolut vergleichbar mit guten Lieferanten im europäischen Raum, teilweise sogar perfekter. Die entsprechend spezifische Verhaltensweise ist für die Gruppe eins und drei relativ einfach. Ein Beschaffungsprozess mit Gruppe eins sollte tunlichst vermieden werden. Gruppe drei kann fast unbedarft mit den für uns normalen, üblichen QM-Tools beauftragt werden. Spannend wird es bei Gruppe zwei. Mit dem auch im europäischen Lieferantenauswahlprozess üblichen Risiko bei neuen Lieferanten, differenzieren sich nun Aufwand und „Pflege“ für diesen Gruppentyp. Nach erster Kontaktaufnahme sowie dem weiteren Freigabeprocedere des Lieferanten geht es zum Produktionsfreigabeverfahren mit Erstbemusterung. Hierbei glänzt ein Großteil der Lieferanten mit nahezu perfekter, Automotive-naher Dokumentation samt Musterteile. Die darauf folgenden Serienbelieferungen sind oft ernüchternder als die ersten Musterteile und entsprechen in Qualität und Prozessfähigkeit nicht unseren Ansprüchen. Freigegebene Erstmusterteile mit Prozessabnahme vor Ort bedeuten also hier in keinem Fall eine reibungslose Serienbelieferung. Natürlich ist dies im europäischen oder deutschen Raum auch nicht immer gegeben, aber geringfügiger ausgeprägt. Der nächste Schritt ist eine 100 %ige – oder oft auch 200 %ige – Securitywall nach dem bekannten Prinzip: „You get what you inspect, not what you expect“! Ein weiterer wichtiger Punkt während der Serienbelieferung ist das Änderungsmanagement. Einmal in serientauglichem Belieferungszustand zeigen sich manche Firmen sehr änderungswütig und halten die Zeichnung mit Spezifikation eher als Richtlinie denn als ein absolutes Muss. Das Änderungsmanagement kann bei dieser Gruppe schon sehr ausgeprägt sein. Um diesem entgegen zu wirken, sollten auf alle Fälle die sonst reduzierten Wareneingangskontrollen verstärkt durchgeführt werden. Zudem ist eine Vor-Ort-Kontrolle durch einen SQE in engem Zeitraum unabdingbar. Bei auf den ersten Blick scheinbar einfachen Teilen, müssen die produktspezifischen Herausforderungen ganz klar kommuniziert und aufgezeigt werden, da die Folge einer Unterschätzung im Schwierigkeitsgrad eines Bauteiles schwerwiegende und vor allem kostspielige Folgen haben kann. Ein Anzeichen einer nicht prozesssicheren Fertigung kann man oft beim ersten Besuch daran erkennen, dass es zahlreiche zusätzliche 100 %-Prüfungen gibt, die internen Ausschuss generieren und somit auch Gefahren und Kosten, die anfangs nicht gesehen wurden.
248
6.3.2.3
6 Praxisbeispiele
Qualität versus Technologietransfer
Qualität kann für den Automotive-Bereich nur sichergestellt werden, wenn gleichzeitig eine Prozessanalyse durchgeführt wird. Diese beinhaltet die Werkstoffe, das Design und die Herstellung der Einzelkomponenten sowie die Montage vor Ort. Es ist sehr wichtig, die Werkstoffe und ihre Eigenschaften klar zu definieren, z. B. bei Messing ist in der EU ein Anteil von maximal 4 % Blei zulässig. In China sind durchaus Güten mit über 4 % üblich. Eine derartige Messing-Güte ist aber nicht mehr RoHS-konform (Restriction of Hazardous Substances). Ohne eigene Analysen, nur auf Werkszertifikate vertrauend, kommt das böse Erwachen spätestens bei einer Bemusterung an der Kundenschnittstelle. Bei technischen Kunststoffen trifft das noch viel mehr zu. Die mechanischen Werte eines „Markenprodukts“ oder eines billigen Nachbaus mit der identischen chemischen Bezeichnung kann katastrophale Folgen bei der Lebensdauer eines Produkts haben. Das Design hat oft technische Funktionen zu erfüllen. Gerade bei dieser Thematik geht es ohne einen gewissen Technologietransfer nicht. Ohne die entsprechenden „Tipps“, wie ein Design aussehen muss, das z. B. die geforderten TemperaturSchocks aushält, würde es lange dauern, funktionsfähige Muster vom Lieferanten zu bekommen. Ohne entsprechende Unterstützung müssen längere Projektzeiten und höhere Kosten in Kauf genommen werden. Es gilt sorgfältig abzuwägen, ob der Lieferant die Korrelationen zwischen Design und Funktion kennt und anwendet oder ob zu wenig Know-how vorhanden ist. Sind die Know-how-Lücken zu groß, sind allerdings auch die „Tipps“ nicht mehr zielführend. Oft ist es sehr mühsam, sich in die Niederungen der Betrachtung der Einzelkomponenten zu begeben. Für die Qualität eines komplexeren Produkts ist es jedoch zwingend nötig. Nur wenn die Qualität aller gelieferten Einzelkomponenten gesichert ist, hat das Bauteil auch die Qualität, die von ihm erwartet wird. Auch hier gilt: „Eine Kette ist nur so stark, wie das schwächste Glied“. Die eigenen Erfahrungen und Definitionen an die jeweilige Einzelkomponente spiegeln das eigene Know-how wider und werden dadurch weitergegeben. Viele chinesische Firmen sind Meister der Improvisation. Damit sind einer unterschiedlichen Qualität Tür und Tor geöffnet. Sicherlich ist eine 1:1-Übernahme des deutschen Arbeitsplatzes tunlichst zu vermeiden, um den Kostenvorteil nicht einzubüßen. Allerdings müssen mit dem Lieferanten klar die Prozesse besprochen werden. Alle Arbeitsschritte, die qualitätsrelevant sind, sind eindeutig zu definieren. Nur so können Qualitäts-Schwankungen vermieden werden. Unabhängig davon, dass Prozesse klar zu beschreiben und umzusetzen sind, stellt die Qualifikation der Mitarbeiter einen wesentlichen Einflussfaktor zur Qualität dar. Eine geringe Mitarbeiter-Fluktuation ist selbstverständlich förderlich. Die Bedienung von komplexen Maschinen erfordert entweder eine Kontinuität seitens der Bediener vor Ort oder einer qualifizierten Ausbildung. Wo beides nicht sichergestellt wird, kann auch mit modernsten Maschinen nur „Schrott“ produziert werden. Wenn man sich für chinesische Lieferanten entscheidet, wird man sie in manchen Bereichen gezielt entwickeln müssen, um die Qualität sicherzustellen. Jede dieser Qualitäts-beeinflussenden Maßnahmen ist mit Informationen und Wissen verbunden,
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
249
die prinzipiell einen Technologietransfer bedeuten. Dessen muss sich jeder bewusst sein. 6.3.2.4
Zusammenfassung
Die Zusammenarbeit mit chinesischen Lieferanten bietet viele Chancen, jedoch müssen die Risiken wie oben aufgeführt bewertet werden. Nicht zu unterschätzen ist, dass man Zeit für ein erfolgreiches China Sourcing einzusetzen hat, was allein schon mit den Entfernungen und den entsprechenden Reisen verbunden ist. Jeder Beschaffungsprozess ist per se dadurch gekennzeichnet, dass man den Lieferanten Informationen zur Verfügung stellt. Auch für die Sicherstellung der Qualität bedarf es einer Qualifikation und Wissensvermittlung, was praktisch einem Technologietransfer gleichkommt. Selbstverständlich möchte man vermeiden, dass Wissen diffundiert und neue Wettbewerber aufgebaut werden. Je strategischer, bewusster und gezielter man mit diesem Thema umgeht, desto besser lassen sich die Risiken kalkulieren und begrenzen. Der Einkäufer wird gerade zu Beginn eines China Sourcing im eigenen Unternehmen moderieren und „werben“ müssen: durch eine transparente Kommunikation der Chancen und Risiken sowie der Strategien und Konzepte. Hans Delesky: Hans Delesky, BorgWarner Beru Systems, Material Lab Manager, 56 Jahre, ist von Beruf Chemotechniker. Seit 35 Jahren ist er bei BorgWarner Beru Systems in den Bereichen Entwicklung, Produktion und Qualitätsmanagement tätig und derzeit Material Lab Manager. Dabei sammelte er seit über zehn Jahren Erfahrungen in Asien, insbesondere in China. Im Fokus standen dabei vor allem die Themen Werkstoffe und Prozesstechnologie. Ulrich Kropp: Ulrich Kropp, geb. 1965, ist Supplier Development Manager bei BorgWarner Beru Systems. Nach dem Studium des Maschinenbaus an der UniGH Paderborn und insgesamt 16 Jahren Berufserfahrung im Qualitätswesen, davon 13 Jahre in der Automobilzulieferindustrie, liegt der jetzige Verantwortungsbereich von Herrn Kropp, in der Leitung der Globalen Lieferantenentwicklung der Business Unit BERU Systems im Gesamtkonzern von BorgWarner. Heinz Wittmann: Heinz Wittmann, Global Purchasing Manager bei BorgWarner Beru Systems, 54 Jahre, machte eine Ausbildung zum Industriekaufmann und absolvierte ein betriebswirtschaftliches Studium mit berufsbegleitenden Studiengängen zum Fachkaufmann/Materialwirtschaft. Er besitzt 35 Jahre Erfahrung im Einkauf aus verschiedenen Tätigkeiten bei Firmen aus der Metallindustrie.
6.3.3
Qualitätsaudits in China – Erfahrungen aus der „frühen China-Zeit“ (Nikolaus Kollin)
Qualitätsaudits bilden einen wichtigen Baustein zur Lieferantenqualität. Im Folgenden werden die Schwerpunkte eines Qualitätsaudits vorgestellt; vor allem Verfahren,
250
6 Praxisbeispiele
die in der Automobilindustrie üblich sind. Besonderheiten der Qualitätsarbeit in China werden beschrieben, differenziert nach Lieferanten-Typen. Insbesondere werden die wesentlichen Lücken aufgezeigt, die wiederkehrend bei den Qualitätsaudits deutlich wurden. Die Erfahrungen beruhen dabei auf zahlreichen Audits in China – seit Ende der neunziger Jahre. Gerade diese Erfahrungen aus der „frühen ChinaZeit“ werden im Folgenden bewusst beschrieben, um auch die rasanten, positiven Entwicklungen deutlich zu machen.
6.3.3.1
Beschreibung typischer Audit-Methoden und des Vorgehens im Audit
Qualitätsmanagementsysteme stellen sicher, dass die Qualität der Prozesse und Verfahren in einer Organisation geprüft und verbessert wird. Das Prozessaudit ist Bestandteil des QM-Systems eines Unternehmens und soll zu fähigen und beherrschten Prozessen führen, die gegenüber Störgrößen robust sind. Fehlervermeidung ist oberstes Gebot. Dieses soll erzielt werden durch Qualitätsvorausplanung, bereichsübergreifende Teams, qualifizierte Entwicklungswerkzeuge, Null-Fehler-Philosophie und der Ermittlung von Prozessfähigkeit. Die Audits wurden „in den frühen China-Phasen“ gemäß den Regelwerken VDA 6.1 und QS 9000 durchgeführt. Zu dieser Zeit war die TS 16949 erst im Entstehen. Die Grundlage von VDA 6.1 ist ISO 9001:2000, erweitert um Automobil-spezifische Anforderungen. Im Vordergrund stehen finanzielle Aspekte, Mitarbeitermotivation, Produkthaftung und -sicherheit sowie die Umsetzung von Unternehmensstrategien, die sich auch am EFQM-Modell (European Foundation for Quality Management) orientiert. ISO/TS 16949 entstand, um eine Vereinfachung für die Unternehmen zu bieten, die unterschiedliche Regelwerke erfüllen mussten (z. B. QS-9000 und VDA 6.1). ISO/TS 16949 ist für alle Zulieferunternehmen der Automobilindustrie anwendbar. OEM, wie General Motors Shanghai, bestanden auf QS 9000, Shanghai-VW und FAW-VW Changchun auf VDA 6.1. Viele Forderungen sind deckungsgleich. Im U-Teil des Regelwerks VDA 6.1 konnten vor allem Forderungen erfüllt werden, die an das Management gestellt werden. In der Regel stand die Unternehmensleitung hinter den Forderungen und der Qualitätsmanagementbeauftragte erhielt die notwendige Unterstützung bei der Umsetzung im Betrieb und gegenüber den Mitarbeitern. Eine Frage im Abschnitt Z 1 „Unternehmensstrategie“ (Frage 5) lautet: „Ist die Mitarbeiterzufriedenheit im Unternehmen ein Grundsatz der Leitung und wird sie kontinuierlich gepflegt?“ Eine diffizile Frage, die ein Auditor aus dem Westen mit Fingerspitzengefühl und Verständnis für die fernöstliche Lebensphilosophie stellen sollte. Die Antwort war immer ein Ja mit einem höflichen Lächeln. Dass man die Löhne nicht mit den Löhnen im Westen vergleichen kann, ist klar; andererseits ist der chinesische Arbeiter mit weitaus weniger zufrieden. Der Unternehmer wird nichts anderes erwarten, als dass die Mitarbeiter mit den Arbeitsbedingungen zufrieden sind; andererseits stehen genügend ungelernte Kräfte auf der Straße. Im P-Teil konnten insbesondere im Element 14 „Prozesslenkung“ noch öfters Verbesserungspotenziale aufgedeckt werden. So bei Fähigkeitsuntersuchungen,
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
251
Überwachung der relevanten Prozessparameter, beim Werkzeugmanagement sowie der vorbeugenden und vorausschauenden Wartung der Produktionsmaschinen.
6.3.3.2
Differenzierung von Lieferanten-Typen in China und Herausforderungen in der Qualitätsarbeit
In China lassen sich prinzipiell drei Arten von Unternehmen finden: • Rein lokale chinesische Unternehmen • Joint Ventures mit westlichen Unternehmen • Ausländische Unternehmen Bei den lokalen Unternehmen findet man häufig „Selfmade-Men“ als Unternehmer, die ihr Unternehmen selbst aufgebaut haben. Kontakte zu örtlichen oder regionalen Funktionären der kommunistischen Partei waren bei der Unternehmensentwicklung sicherlich nicht hinderlich. Oft habe ich es erlebt, dass der Unternehmer stolz seine Produktionsmaschinen zeigt; und der Auditor staunt, wenn er entdeckt, dass diese Maschinen bereits ein langes Produktionsleben in Europa hinter sich haben. Im Labor konnte man durchaus auch Mikroskope aus der ehemaligen DDR finden, die dem Auditor als „deutsche Wertarbeit“ präsentiert wurden. Vor einigen Jahren befand sich die Mehrzahl der Automobilzulieferer noch an der Küste, im Einzugsgebiet der Mega-Metropolen Shanghai, Beijing, Shenyang. In der Zwischenzeit bewegen sich sowohl OEMs als auch Zulieferer in Richtung Westen (z. B. Chengdu). Weiter im Landesinneren trifft man häufig noch auf Strukturen aus staatlich gelenkter Zentralwirtschaft. Zwar wurde mittlerweile oftmals aus Staatsunternehmen eine AG mit Belegschaftsaktionären; die Strukturen sind jedoch noch die alten. Der Werkschutz salutiert manchmal noch militärisch, wenn sich die Wagenkolonne mit der „ausländischen Delegation“ nähert. Die Hierarchien sind streng paternalistisch; der Chef hat das letzte Wort. Bei den lokalen Unternehmen trifft man außerdem oft auf Firmengründer, die sino-amerikanische Wurzeln haben. Das besondere an diesen Unternehmen ist die gute Vernetzung im amerikanischen Markt, sowie praktische Umsetzung von Qualitäts-Tools wie FMEA (Failure Mode and Effects Analysis bzw. Fehler-Möglichkeits- und Einflussanalyse) oder PDCA-Kreis (Plan-Do-Check-Act). Das zeigt sich zum Beispiel an einer Fabrik für Bremsscheiben. Die Gießereien befanden sich im Landesinneren; die Endmontage, Logistik und Auslieferung in Dalian an der Küste. Alle Produkte wurden in ein Zentrallager in Chicago geliefert. Von dort aus belieferte das Unternehmen den gesamten Nachrüstmarkt in den USA und Kanada. Für die Endmontage der Bremsscheiben wurde ein modernes Werk in Dalian errichtet. Die Stadt liegt am Gelben Meer und verfügt über Hafenanlagen mit Container-Terminals. Für das Wuchten wurden Maschinen der neuesten Generation angeschafft. Ein EDV-gesteuertes Hochregallager war vorhanden. Das Verpacken in die Container übernahm ein Dienstleister, der seine Räumlichkeiten neben der Fabrik angesiedelt hatte. Ganz offensichtlich erkennbar war, dass die in USA üblichen Qualitätsstandards in diesem „chinesischen“ Unternehmen verankert waren. Es ist also schon wichtig zu wissen, aus welchem Umfeld ein chinesisches Unternehmen
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6 Praxisbeispiele
stammt. Mit das wichtigste Unterscheidungskriterium ist außerdem, ob es sich um ein privates oder um ein staatliches Unternehmen handelt. Sehr verbreitet sind Joint Ventures zwischen chinesischen Unternehmen und westlichen Unternehmen, die sich in der Regel durch eine gute Kapitalausstattung auszeichnen. Um die Kommunikation zu erleichtern, bevorzugen chinesische Manager Joint-Ventures mit Firmen aus Taiwan, Hongkong und Singapur. Eine ähnliche Mentalität erleichtert zudem die Zusammenarbeit. Immer wieder stellt man fest, dass gerade deutsche Partner sehr beliebt sind; wahrscheinlich ist das auch damit verbunden, dass deutsche Produkte eine besondere Wertschätzung genießen: Chinesische Unternehmer fahren zum Beispiel gerne deutsche Autos, wie Audi, BMW, Mercedes oder Volkswagen. Als „Technologie-Transfer-Lieferanten“ werden oft Unternehmen aus Südkorea und Japan gesehen. Obwohl die Japaner in China vielleicht immer noch nicht überall beliebt sind, so sind diese als Investoren willkommen. Meistens findet man dort in solchen Unternehmen zwei japanische Manager in der obersten Führungsebene, das Mittelmanagement ist ausschließlich chinesisch. Die Japaner lassen es sich meistens auch nicht nehmen, beim Audit-Abschlussgespräch jedes Wort des Auditors übersetzen zu lassen, und zwar von Englisch über Mandarin in Japanisch. Man könnte ja sein Gesicht verlieren, falls man ein Wort des Auditors nicht verstehen würde. Übergreifend lässt sich feststellen, dass in den meisten Unternehmen grundlegende Kenntnisse über Qualitätsmanagement-Werkzeuge vorhanden sind. So stößt man häufig auf den PDCA-Kreis oder eine FMEA, wenngleich unterschiedlich konsequent angewendet. Allerdings ist die Kreativität bei chinesischen Ingenieuren in vielen Fällen weniger ausgereift. Immer wieder trifft man auf die konfuzianische Weisheit: „Es ist eine Ehre, den Meister zu kopieren“. Es ist außerdem auch kulturell bedingt, dass das Alter sehr geschätzt wird. Oftmals haben es ältere westliche Manager oder auch Auditoren etwas leichter, weil man mit dem Alter auch Weisheit und Respekt verbindet. Wo es noch viele Lücken gibt, ist die Arbeitssicherheit. Es fehlt auch noch das richtige Bewusstsein für Unfallverhütung. Beim Tragen von Sicherheitsschuhen oder Hantieren mit Schweißbrennern kommt der Auditor immer wieder ins Staunen. Dass Schutzbrillen für dieAugen da sind und nicht nur auf der Stirn getragen werden sollen, gehört noch nicht zum Erfahrungsschatz von allen chinesischen Mitarbeitern. Hierbei sind auch viele Vorgesetzte zu lasch. Die Gesundheit des Mitarbeiters hat leider nicht überall höchsten Stellenwert; Arbeitskräftemangel ist in den meisten Bereichen noch ein Fremdwort. Abschließend lässt sich sagen, dass der chinesische Arbeiter wissbegierig und lernfähig ist. Der Auditor wurde immer höflich und konfuzianisch mit den Worten verabschiedet: „Danke für die guten Ratschläge des Auditors“. 6.3.3.3
Zentraler Erfolgsfaktor bei Qualitätsaudits in China: Sprache und Kommunikation
Erfolgreiches Auditieren ist nur mit Sprachkenntnissen möglich. Daher sollte der/die Dolmetscher(in) neben sehr guten Englischkenntnissen (Deutschkenntnisse sind ohnehin weniger anzutreffen) über Kenntnisse der technischen Begriffe verfügen.
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
253
Sofern auch die Übersetzungskünste versagen (es gibt in diesem riesigen Land auch viele lokale Dialekte), hilft immer noch eine Technische Zeichnung; alles Bildhafte unterstützt ohnehin die Kommunikation. Was sich dann aber bei einem Blick auf die Technische Zeichnung im Rahmen meiner Audits allerdings oftmals herausstellte: Bei der Zeichnung handelte es sich um eine Original-Zeichnung eines sehr großen deutschen Automobil-Konzerns, aber immerhin mit dem Stempel des lokalen Lieferanten . . . Nikolaus Kollin: Nikolaus Kollin steht seit 1972 als Dipl.-Ing. im Berufsleben, in erster Linie im Bereich Automotive. Er ist Auditor für ISO 9001, VDA 6.1, 6.2, 6.4 und auch als Interims-Qualitätsmanager tätig. Für eine US-amerikanische Zertifizierungsgesellschaft war er mehrfach in China aktiv, bereits vor mehr als zehn Jahren, und kennt damit auch noch die „frühe China-Phase“. Herr Kollin hat dort Unternehmen der Automobilzulieferindustrie auditiert gemäß VDA 6.1. Die Firmen waren über das ganze Land verteilt, von Changchun im Norden bis Jingzhou am Jangtse.
6.3.4
Kommunikation, Konzentration auf das Wesentliche, Kontrolle – Qualität bei chinesischen Lieferanten: Erfahrungen aus der Automobilindustrie (Stéphane Duminy, Brill Präzisionskomponenten GmbH)
6.3.4.1
Herausforderungen China Sourcing – im proaktiven Qualitätsmanagement liegt der Hebel zur Verbesserung
Schlechte Qualität. Unzuverlässiges Lieferverhalten. Diese Punkte werden oft genannt, wenn es um Sourcing in China geht. Kann man diese Probleme vermeiden? Die gute Nachricht ist: ja – sie können zumindest minimiert werden. Aber auch das hat seinen Preis – nämlich viel Arbeit und benötigte Umsetzungsstärke. Im Folgenden sollen die wichtigsten Punkte für ein erfolgreiches Sourcing in China skizziert werden – als Leitfaden für entsprechende Entscheidungsträger von Unternehmen verschiedener Größen im produzierenden Gewerbe, die am Anfang ihrer China Sourcing-Aktivitäten stehen oder Probleme mit ihren China Sourcing-Aktivitäten haben. Der Schwerpunkt wird dabei eher auf technische Aspekte gelegt und weniger auf kaufmännische, da erfahrungsgemäß die größere Herausforderung auf der technischen Seite liegt. Hierbei werden langjährige Praxiserfahrungen in China zu 8 Erfolgsfaktoren verdichtet und beschrieben. 6.3.4.2
Die 8 Erfolgsfaktoren eines erfolgreichen China Sourcing aus Qualitätssicht
Top Management Involvement Die Materialkosten machen meist den Großteil der Produktkosten aus. Hinzu kommen Nicht-Qualitäts- und Logistikkosten, die Materiallieferungen mit sich bringen
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6 Praxisbeispiele
können. Nicht zu vergessen sind die mit Beschaffungsentscheidungen verbundenen Risiken. Auf Grund dieser Bedeutung ist es somit mehr als gerechtfertigt, dass Geschäftsführer und Einkaufsleiter zu Hause und vor Ort sich ausreichend Zeit nehmen, um Lokalisierungsprojekte zu betreuen und auch Lieferanten zu besuchen. Damit wird unter anderem auch den Lieferanten der Stellenwert signalisiert, was im chinesischen Umfeld wichtig ist, da das „hierarchische Level“ immer eine Rolle spielt. Die richtigen Mitarbeiter in Einkauf und Lieferanten-Qualitätssicherung Es empfiehlt sich, zu überprüfen, ob für Lokalisierungen das richtige Personal verfügbar ist. Da Mitarbeiter mit hoher Qualifikation in China unter anderem wegen der hohen Wirtschaftswachstumsrate schwer zu finden sind, müssen in vielen Bereichen Abstriche in Kauf genommen werden. Nichtsdestotrotz, auf eins ist jedoch zu achten: Die Mitarbeiter benötigen ein technisches Grundverständnis und müssen Eigenverantwortung und Eigeninitiative zeigen. Ist das vorhanden, so gilt es entsprechend Zeit für Coaching und Führen der Mitarbeiter aufzuwenden. Man kann also auf Entwicklungs-, Produktions- und Qualitätssicherungspersonal zurückgreifen – in der eigenen Firma oder auf dem freien Markt. Versucht man dagegen erfahrene Lieferanten-Qualitätssicherungsmitarbeiter zu finden, so wird man diese zwar zeitnah einsetzen können; in der Regel wird man diese aber auch teuer einkaufen müssen. Im Übrigen ist auch nicht gesagt, dass jemand mit fünf Jahren Erfahrung in der Lieferanten-Qualitätssicherung einen besseren Job macht als ein anderer Mitarbeiter aus einem technischen Bereich, den man etwas geschult hat. Wie schon gesagt – die Persönlichkeit ist hier der Schlüssel. Eine enge und regelmäßige Kommunikation mit den Mitarbeitern ist außerdem wichtig, um sicherzustellen, dass die Aufgaben richtig verstanden wurden und auch durchgeführt werden. Die Zielsetzung und klare Kommunikation des Erwarteten sind extrem wichtig. Es ist hilfreich, für Teilziele Punkte zu vergeben und die Mitarbeiter den Fortschritt selber grafisch darstellen und regelmäßig berichten zu lassen. Auswahl der richtigen zu sourcenden Materialien Wenn man in China anfängt zu lokalisieren, wird man nicht alle Materialien auf einmal in China sourcen. Die Klassiker für schnell umzusetzendes Sourcing z. B. bei mechanischen Teilen sind u. a. Blechteile, Kunststoffspritzguss, Guss, Schmiedeteile und Gummiteile. Was Form-Werkzeuge betrifft, erfreut man sich in China an kurzen Herstellzeiten und günstigen Herstellkosten. Üblicherweise wird zur Entscheidung, welche Materialien in welcher Reihenfolge gesourct werden sollen, ein Kostenpareto erstellt. Hierbei sollte vor allem auch mit einfließen, wie kompliziert die Teile zu fertigen sind. Es ist selbstverständlich darauf zu achten, welche Verfahren von chinesischen Lieferanten sicher beherrscht werden. Außerdem lernt auch die eigene Organisation mit jedem Lokalisierungsprojekt: Man muss nicht gleich mit dem schwierigsten beginnen. Weiterhin sollte mit einem Pilotprojekt mit angemessener Stückzahl gestartet werden. Von einem Erstprojekt mit sehr großen Stückzahlen
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
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ist bei neuen Lieferanten abzuraten. Dies sollte erst geschehen, wenn Kunde und Lieferant genügend Erfahrung in der individuellen Zusammenarbeit haben. Auswahl des passenden Lieferanten Eine Matrix, die Ansprüche an den potentiellen Lieferanten gegenüberstellt, ist ein gutes Werkzeug, um die Lieferanten-Auswahl zu unterstützen. Für die jeweiligen Einträge können Punkte vergeben werden. Beispiele dafür sind: • • • •
Ordnung und Sauberkeit beim Lieferanten Erfahrung mit ähnlichen Produkten Kompetenz des Werkzeugbaus (falls vorhanden) usw. Lern- und Entwicklungswilligkeit der Schlüsselpersonen und des TopManagements beim Lieferanten • Qualität der Visualisierung der Produktions- und Qualitätsanweisungen in der Produktion • Einhalten der Produktions- und Qualitätsvorschriften Um das Einhalten der Produktions- und Qualitätsvorschriften sicherzustellen, bleibt nichts anderes übrig, als in die Tiefe zu gehen und dies vor Ort nachzuprüfen oder (zuverlässig) nachprüfen zu lassen. Selbst der beste Lieferant wird nicht alle Punkte der Matrix befriedigend erfüllen können. Hier bleibt zu entscheiden, ob man den Lieferanten in den entsprechenden Kriterien weiterentwickelt oder ob es sich um k.o.-Kriterien handelt. Dabei wird man immer wieder überrascht, welche Zustände manchmal bei Lieferanten vorzufinden sind – aber auch, welche Entwicklungspotenziale bei so manchem chinesischen Lieferanten entdeckt werden können. So gelang zum Beispiel die Entwicklung eines Lieferanten, bei dem bei einem Erstbesuch nicht nur ein großes Loch im Gebäudedach vorgefunden wurde, sondern das Firmengelände noch dazu einem Schrottplatz glich; dort wurden nicht mehr benötigte Materialien und Anlagen entsorgt (auf Nachfrage, wie viele Lkw-Ladungen es denn gewesen seien, kam die Antwort „zehn“). Selbstverständlich gelingt eine erfolgreiche Lieferantenentwicklung nur mit entsprechendem Ressourceneinsatz und mit dem Willen des Top-Managements des chinesischen Lieferanten. Bei der Frage „(Professionelle) große chinesische Lieferanten versus kleine Lieferanten?“ gilt es abzuwägen: Bei „ausgewachsenen“ Lieferanten gibt es meist stabilere Qualität zu höheren Preisen. Bei den kleinen kann man günstiger sourcen und findet mehr Flexibilität, muss aber erheblich mehr Aufwand in die Betreuung und Lieferanten-Qualitätssicherung stecken. Beide Wege sind möglich. Klare Kommunikation – vor allem bei den Anforderungen Auch bei guten Übersetzern gilt in der Kommunikation „Englisch-Chinesisch und umgekehrt“ sowie bei „Deutsch-Chinesisch und umgekehrt“: Mindestens 30 % des Kommunikationsinhaltes gehen verloren oder werden (z. T. massiv) verfälscht. Dies resultiert nicht nur aus den unterschiedlichen Sprachen, sondern vor allem auch aus den unterschiedlichen Denkweisen in der deutschen und chinesischen Kultur. Das
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6 Praxisbeispiele
gilt sowohl für die Kommunikation innerhalb der eigenen Organisation in China als auch an der Schnittstelle zum Lieferanten. Was Gespräche und Schriftwechsel betrifft, lassen sich beispielsweise folgende Empfehlungen geben: • Kurze Sätze verwenden: Lange Sätze aufteilen. Konzentration auf das Wesentliche. • Besser offene als geschlossene Fragen verwenden: Dann merkt man eher, ob die Frage falsch verstanden wurde. Beispiel: „Wird bei Ihnen das Gewinde nach dem Querbohren geschnitten?“ kann einfach mit „ja“ beantwortet werden, auch wenn das gar nicht der Fall ist oder der Gefragte mit der Frage eigentlich überhaupt nichts anfangen kann (China-spezifische kulturelle Besonderheiten in der Kommunikation spielen hierbei eine besondere Rolle). Fragt man hingegen „In welcher Reihenfolge werden bei Ihnen die zerspanenden Arbeitsgänge durchgeführt?“, ist zur Beantwortung schon eine genaue Kenntnis des Fertigungsprozesses erforderlich. Für technische Unterlagen gilt: Kosten, Zeit und Mühe einer guten Übersetzung in die Landessprache machen sich bezahlt. Die Zahl der Missverständnisse wird so reduziert. Am Besten sind die Unterlagen zweisprachig zu erstellen. Vor allem bei Zeichnungen sollten Chinesisch und Deutsch bzw. Englisch direkt nebeneinander stehen. Für Spezifikationen empfehlen sich zwei Spalten für die zwei Sprachen. Grundsätzlich sollten so viele Abbildungen wie möglich verwendet werden. Wichtig ist auch, bei Schlüsselmaßen das gleiche Verständnis zu haben, wie zu messen ist. Das Nachprüfen, ob die wichtigsten Anforderungen ernst genommen und verstanden wurden, ist unerlässlich. Dies geschieht am Besten in einer technischen Durchsprache. Beispiel: „Wie sorgen Sie dafür, dass die Härte der Gummimischung sich zwischen x und y befindet?“ Hilfreich ist auch, den Lieferanten über das Produkt zu informieren, in das seine Teile eingehen; aber auch was passiert, wenn fehlerhafte Komponenten zum Einsatz kommen. Damit steigen Verständnis und das Bewusstsein für die Bedeutung von Qualität. Oftmals wird allerdings schon Unterschiedliches unter „guter“ bzw. „schlechter“ Qualität verstanden. Der lokale chinesische Lieferant sieht meistens in der prinzipiellen Funktionstüchtigkeit bereits das Vorhandensein von Qualität. Auf welche Abweichungen es ankommt, ist dem Lieferanten in vielen Fällen gar nicht klar: Ein Grat hier, ein Riss oder eine Schlagstelle dort – das Teil funktioniert ja eigentlich, könnte der Lieferant meinen. Für klare Verhältnisse sorgen bebilderte Fehlerlisten oder Grenzmusterkataloge. Anschaulichkeit hilft in China meistens weiter. Lieferanten in engerer Auswahl: Persönliches Kennenlernen der Schlüsselpersonen und des Top-Managements des Lieferanten Ganz besonders in China ist das persönliche Kennen der Schlüsselpersonen wichtig, um die Einhaltung von Zusagen der Geschäftspartner sicherzustellen. Eine gegenseitige vertrauensvolle Beziehung ist wichtiger als der beste Vertrag. Es empfiehlt sich,
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
257
die Einladungen der Lieferanten zum Abendessen anzunehmen. Ein ernstzunehmendes Indiz ist, ob es dem Geschäftsführer des Lieferanten wichtig genug ist, an einem solchen Essen teilzunehmen – vorausgesetzt entsprechende Entscheidungsträger des Kunden nehmen auch Teil. Wichtig ist auch die Teilnahme der Mitarbeiter von Kunden und Lieferanten, die regelmäßig auf der Arbeitsebene zusammenarbeiten. Das bessere Kennenlernen des Geschäftspartners rundet auch das Bild ab, ob es sich um einen vertrauensvollen Lieferanten handelt. Das Reaktionsverhalten des Lieferanten bei Liefer-, Qualitäts- und Kapazitätsproblemen wird definitiv davon mitbestimmt, ob man ein gewisses Respekts- und Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Ohne ein solches kann es auch mal passieren, dass der Lieferant einen als Kunden einfach auslaufen lässt, sobald er auf lukrativeres Geschäft stößt. Konzentration auf das Wesentliche Gerade in der Automobilwelt neigt man schnell dazu, den Lieferanten mit einem kompletten VDA 6.1-Audit zu erschlagen. Ergebnis ist dann eine Offene-PunkteListe mit – etwas überspitzt gesagt – einer dreistelligen Zahl von Einträgen. Die Abarbeitung erfolgt dann entweder gar nicht oder nur oberflächlich. Auch wenn formal alles richtig gemacht wurde, erreicht man trotzdem keine wirksame Qualitätsverbesserung; deswegen die Empfehlung: Audit anfangs nur mit dem Teil „P“ (Prozesse) – gegebenenfalls kann auch dort nochmal vereinfacht werden. Bei den Wachstumsraten in China sind die Lieferanten eher damit beschäftigt, ihr Wachstum zu bewältigen statt sich um das „Fein-Tuning“ ihrer Unternehmen zu kümmern. Daher sollte oberste Priorität des Einkaufs und der LieferantenQualitätssicherung sein, dafür zu sorgen, dass unter dem Wachstum die Qualität nicht leidet. Nachprüfen, Nachprüfen, Nachprüfen Davon auszugehen, dass alles so funktioniert, wie es sollte, ist beim Sourcen in China eine Garantie für katastrophale Ergebnisse. Die Regel lautet: Lassen Sie Ihre Mitarbeiter nachprüfen und prüfen Sie selber nach! Insbesondere folgende Fragen sollte man immer kritisch stellen: • Sind die Maßnahmen der P-FMEA im Kontrollplan zu finden? • Sind die Maßnahmen aus dem Kontrollplan in den Fertigungsanweisungen zu finden? • Sind die Fertigungsanweisungen vorhanden und gut verständlich? • Entsprechen die Messergebnisse aus den Erstmuster-Prüfberichten des Lieferanten den Tatsachen (Wichtige Dimensionen nachmessen!)? • Wird nach den Arbeits- und Prüfanweisungen gehandelt? • Sind Mess- und Prüfwerte, die in der Produktion dokumentiert werden, echt? • Sind Messungen von Kunde und Lieferant vergleichbar? • Sind die Anforderungen klar definiert und verstanden worden? • Haben Produktions- und Qualitätsmitarbeiter im Haus und beim Lieferanten die richtigen Produktspezifikationen?
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6 Praxisbeispiele
• Wurde die Erprobung so durchgeführt, wie es ein sollte? • Wieviel Ausschuss mit den Zulieferteilen ist tatsächlich vorhanden? • Schlägt mein Einkaufspersonal wirklich auf objektiver Basis den richtigen Lieferanten vor? Zur Verdeutlichung des Ausmaßes an Penetranz, die man zum Teil an den Tag legen muss, folgendes Beispiel: Ich habe einmal den Geschäftsführer und Besitzer eines Beschichtungsunternehmens in seine Produktionslinie gebracht und ihn persönlich die Prozesswerte der Beschichtungsbäder prüfen lassen. Etwa die Hälfte der Bäder befand sich außerhalb der Anforderung. Dadurch, dass es dem Geschäftsführer selber vor Augen gehalten wurde, hatte diese Maßnahme bezüglich Umsetzung von Verbesserungen einen sehr hohen Wirkungsgrad. Wichtig ist auch hier, einen solchen Vorgang gelegentlich zu wiederholen – je nachdem welche Eindrücke man gewinnt oder wie die Audit-Ergebnisse ausfallen. 6.3.4.3
Zusammenfassung
Folgende Punkte gilt es in China besondere Aufmerksamkeit zu schenken: • Für das Sourcing in China sind deutlich mehr Zeit und Ressourcen einzuplanen. • Transparente, verständliche Dokumentation; Landessprache ist erforderlich, und es ist die Sicherheit zu bekommen, dass alle Anforderungen verstanden wurden. • Beim Personal sind oftmals Abstriche in der Qualifikation zu machen. Verantwortungsbewusste Mitarbeiter mit technischem Grundverständnis ohne SourcingErfahrung, die ausgebildet werden, sind eine Alternative zu erfahrenen SourcingMitarbeitern, die jedoch kaum zu bekommen sind. • Konzentration auf das Wesentliche: Im ersten Schritt ist bei der Qualitätssicherung der Fokus auf die Prozesse beim Lieferanten zu legen. • Das persönliche Nachprüfen von Arbeitsergebnissen, Unterlagen und Prozessen beim Lieferanten ist essenziell. Werden diese Punkte beachtet, lassen sich durchaus erfolgreich Sourcing-Aktivitäten in China umsetzen. Die Belohnung sind ein gutes Preis-Leistungsverhältnis, gute Qualität und schnelle Reaktionszeiten der Lieferanten. Stéphane Duminy: Stéphane Duminy ist Geschäftsleiter bei der Brill Präzisionskomponenten GmbH. Er war mehrere Jahre in China tätig und leitete dort zwei Jahre das deutsch-chinesische (Continental – SAIC) Joint Venture SABS (Shanghai Automotive Brake Systems Co., Ltd.; ca. 1.000 Mitarbeiter), das Pkw-Bremssysteme entwickelt, herstellt und verkauft. Dabei baute er unter anderem flexible Produktionslinien auf, optimierte Materialflüsse und entwickelte erfolgreich Lieferanten weiter. Außerdem baute er davor in einem Radsensor-Werk in China eine Lohnfertigungsstätte in eine autarke Einheit um. In diesem Zuge wurde unter anderem in diesem Werk SAP eingeführt, Engineering-Funktionen und Einkauf aufgebaut, ein Performanceorientiertes (bis auf den Werker heruntergebrochenes) Management-System aufgesetzt, die Logistik optimiert und eine elektronische Zollabwicklung eingeführt.
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
6.3.5
259
Die Qualitätskultur der Chinesen – ein Vergleich zwischen China und Deutschland (Lanfen Guo, Universität Freiburg)
Immer wieder erhält man durch Massenmedien Informationen in Deutschland über gefälschte Markenprodukte oder Waren von schlechter Qualität aus China, wie z. B. Sportschuhe, Kinderspielzeug usw. Seit sieben Jahren – während meines Aufenthaltes in Deutschland – höre ich kaum Lob oder Anerkennung über die Qualität chinesischer Waren, obwohl man überall „Made in China“ an den Waren sieht und diese lediglich aufgrund ihres günstigen Preises gerne kauft. Fehlt es Chinesen überhaupt an Innovationsvermögen? Legen Chinesen tatsächlich keinen Wert auf Qualität? Während die ganze Welt auf China starrt und seine gegenwärtig wirtschaftlichen und politischen Geschehnisse und Entwicklungen aufmerksam verfolgt, ist heutzutage jedoch von einem Beitrag Chinas zur Wissenschaft und Zivilisation der Welt selten die Rede. Hingegen wies der bekannte englische Philosoph Francis Bacon (22.01.1561–09.04.1626) im 17. Jahrhundert bereits darauf hin, dass drei der bekanntesten Erfindungen Chinas, nämlich Buchdruck, Schießpulver und Kompass, das Gesicht der Welt völlig veränderten. Darüber hinaus vertrat Karl Marx (05.05.1818–14.03.1883) die Meinung, dass diese drei Erfindungen das Herannahen der kapitalistischen Gesellschaft ankündigten.1 Joseph Needham (09.12.1900–24.03.1995), der berühmte englische Biochemiker, Historiker und Sinologe, führte diese Liste in seinem mehrbändigen Werk „Science and Civilisation in China“ mit mehr als 250 Erfindungen bzw. Entdeckungen Chinas weiter, abgesehen von den umfangreichen Abhandlungen in den später erschienenen Bänden, wie z. B. über Seide und Textilien (das früheste Spinnen: −2850 bis −2650, Liangzhu Kultur ; Haspelmaschine: +1090), die Erfindung des Papiers (3. Jh. v. Chr.) und des Kompasses (+1027 schwimmender Fisch, +1088 magnetische Nadel, +1111 Magnetik zur Nutzung der Navigation) sowie vieler Instrumente für präzise Messung, die für den Fortschritt der Wissenschaft notwendig waren und sind.2 Dies alles hat man in Europa kaum zur Kenntnis genommen. An der Innovationskompetenz der Chinesen ist also nicht zu zweifeln. Die Tatsache, dass China seit dem 17. Jahrhundert kaum Erfindungen bzw. Entdeckungen zum Fortschritt der Wissenschaft beigetragen hat und die moderne Wissenschaft nicht in China, sondern in Westeuropa geboren wurde, hat nichts mit Intelligenz und Innovationsvermögen der Chinesen zu tun, sondern mit der Entwicklungsgeschichte der chinesischen Gesellschaft. Die tief verwurzelte chinesische traditionelle Opposition gegen Handel mag dazu beigetragen haben.3 Eingehende Erläuterungen fallen nicht unter den Rahmen dieses Beitrags.
1
Siehe 5000 Jahre Chinesische Schriftzeichen , New Star Press , Beijing 2009, S. 158. 2 Joseph Needham: Science and Civilisation in China, Vol. 7, Part II, Cambridge University Press, Cambridge 2004, S. 217–228. 3 Siehe auch ebd., S. 224–231.
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6 Praxisbeispiele
In China gibt es einen allgemein bekannten Begriff für anerkannte chinesische (Alter chinesischer Ladenname [und Marken: Zhonghua Lao Zihao Marken]).4 Es handelt sich um die Unternehmen, die eine lange kulturelle Tradition aufweisen, ein charakteristisches Gepräge bzgl. Technologie und Unternehmungsführung besitzen und daher einen guten Ruf genießen, wie z. B. die berühmte chinesische Apotheke Tongrentang , die in der Zeit des Kaisers Kangxi ( 04.05.1654–20.12.1722) der Qing-Dynastie (1644–1911) gegründet wurde und geheime Rezepte und Produkte traditioneller chinesischer Medizin anbot, sowie (Seidender seit 1870 schon bestehende Ruifuxiang Choubu Dian stoffladen Ruifuxiang) usw. (um nur zwei zu nennen). Jeder weiß, die Qualität der Waren dieser Unternehmen zu schätzen. Wenn man es sich leisten kann, besonders wenn man jemandem ein Geschenk machen will, kauft man üblicherweise lieber in diesen Geschäften Markenwaren ein. So gesehen achten Chinesen durchaus bewusst auf die Qualität einer Ware. Außerdem legen chinesische Geschäftsleute in der Regel großen Wert auf einen guten Ruf und Seriosität. Eine alte chinesische Tradition in Geschäftskreisen lässt sich durch folgende volkstümliche Redensarten Chinas ausdrücken: Shengyi bu cheng renyi zai (Das Geschäft mag scheitern, aber Mitmenschlichkeit und Rechtschaffenheit bleiben gewahrt) und (Rechtschaffenheit hoch, aber Profit gering schätzen). zhong yi qing li Nur diejenige, die danach handeln, verdienen die Bezeichnung junzi (aufrichtiger Mensch). Fälschung bzw. Betrug ist in China genau so verpönt wie im Westen. Seit 1978 nach der Reform und Öffnung Chinas streben Chinesen nach Reichtum und wollen möglichst schnell ans Geld kommen. Dafür lassen manche kein Mittel unversucht und sind nur auf Profit aus, alles andere ist ihnen unwichtig. Solche (kleine Leute). Sie Leute sind das Gegenteil von junzi, man nennt sie xiaore lassen bei der Aussicht auf eigene Vorteile jegliche etwaige moralische Bedenken fallen, und diese Handlungsweise wird durch die chinesische Redewendung jian li wang yi (nur Profit sehen und Rechtschaffenheit vergessen) stark kritisiert. Aufgrund ihrer Handlungen ist eine große Menge gefälschter bzw. schlechter Waren auf den Markt gekommen. Deswegen gilt China nicht nur als „Weltmeister im Kopieren“, sondern auch Innovationsfähigkeit und Qualitätsbewusstsein der Chinesen werden bezweifelt. So ist dieses Phänomen bzw. Problem eine der Folgen der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung Chinas in den letzten Jahrzehnten. Bei der Erklärung für das Verhalten der Chinesen und den Unterschied zwischen China und Deutschland könnten folgende Überlegungen nützlich sein: Deutschland genießt dank der guten Qualität seiner Waren einen äußerst guten Ruf in China, und dies ist wiederum dem stetigen Streben nach Präzision zu verdanken. Mit großem Interesse las ich Folgendes von Herbert Rosendorfer:
4
So genannt „China Time-honored Brand“, anerkannt vom Handelsministerium der VR China. Derzeit sind es landesweit etwa über 10.000 Unternehmen in aller Branche, davon sind knapp eintausend heute im Betrieb, siehe http://baike.baide.com/view/531862.htm, Stand: 14.02.2011.
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
261
Die Großnasen (also die Deutschen – Autorin) erforschen alles Mögliche und denken über ungeahnte Dinge nach, und für alles und jedes gibt es staatlich geprüfte Spezialisten. Aber sie hüten sich, über das Detail hinauszugehen. Die Großnasen-Welt ist eine Welt der Details.5
In Deutschland gibt es Berufe, wie z. B. a) Zimmermann, Tischler oder Schreiner, b) Maurer, Gipser, Stuckateur und Maler, c) Estrichleger und Bodenleger, die sich fein voneinander unterscheiden, während dies in China nicht der Fall ist. Nicht nur im Berufsleben, sondern auch im Alltag sieht man deutlich die Vorliebe der Deutschen für das stetige Streben nach Präzision. Gleich am Anfang meines Aufenthaltes ist mir Folgendes sofort aufgefallen: Immer wenn mir deutsche Freunde etwas erzählen, möchten sie mir unbedingt einen Beweis vorlegen, sei es ein Bild, eine Landkarte, einen Artikel oder ein Buch. Sie möchten mir immer exakt zeigen, wovon sie sprechen, obwohl mir die Sache manchmal gar nicht so wichtig ist. Deutsche bereiten ihr Essen normalerweise nach Rezepten zu. In jedem deutschen Haushalt gibt es in der Küche neben mehreren Rezeptbüchern üblicherweise zum Wiegen der Zutaten eine Waage. Anders die Chinesen: Sie haben eine besondere Vorliebe für Ungenauigkeit. Dadurch haben sie mehr Spielraum und unter Umständen auch die Möglichkeit, im(soso lala) mer eine Ausrede parat zu haben. Daher sind „mamahuhu“ oder „chabuduo“ (ungefähr) oder auch „mei guanxi“ (macht nichts) die im Alltag häufigsten verwendeten Wörter der Chinesen. Im chinesischen Haushalt ist eine Waage für denselben Zweck wie im deutschen Haushalt nicht zu finden, Rezeptbücher sind eben auch selten, obwohl Chinesen jeden Tag reichlich köstliche Gerichte zubereiten. Wenn man Chinesen darüber befragt, erhält man immer die gleiche Antwort: Wir kochen nach Gefühl, ein bisschen mehr oder weniger macht nichts. In einem als Fabel gestalteten satirischen Essay „Die Biographie von Herrn Ungefähr“6 kritisiert der Autor Hu Shi7 die leichtfertige und unverantwortliche Einstellung seiner Landsleute wie folgt: Er nennt die Hauptfigur des Essays Herr Ungefähr und zeigt, dass dieser sämtliche Chinesen repräsentiert. Sein Motto lautete: „Solange alles ungefähr stimmt, ist es schon in Ordnung. Wozu so scharfsinnig sein?“ Diese Einstellung von Herrn Ungefähr verkörpert jeder Mensch in China, abgesehen von ganz wenigen Chinesen, die nach Genauigkeit streben. Schon als Kind unterscheidet Herr Ungefähr nicht zwischen verschiedenen Farben: Brauner Zucker (hongtang ) und weißer Zucker (baitang ) sind ihm ein und dasselbe, und verschiedene Provinzen (Shaanxi und Shanxi ) sind ein und dasselbe. Bei Heranwachsen entwickelt sich diese Lebensauffassung von Jahr zu Jahr stärker: Ob 5 Herbert Rosendorfer: Briefe in die chinesische Vergangenheit, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1986, 15., vom Autor überarbeitete Auflage November 1991, S. 230. 6 Hu Shi ( ): Chabuduo xiansheng zhuan (Die Biographie von Herrn Ungefähr), in: Zeitschrift „Xin Shenghuo“ (Das neue Leben), Vol. 2, Beijing 1919. 7 Hu Shi (1891–1962), ein bekannter moderner Gelehrter Chinas, ein Historiker, Literat und Philosoph, eine wichtige Persönlichkeit der neuen Kulturbewegung Chinas. 1917 kehrte er nach seiner Promotion beim bekannten Philosoph John Dewey (1859–1952) von USA nach China zurück und wurde sofort zum Professor an der Peking Universität ernannt.
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6 Praxisbeispiele
zehn (shi ) oder tausend (qian ), ob heute (jintian ) oder morgen (mingtian ), alles ist ungefähr gleich, sogar Arzt (yisheng ) und Tierarzt (shouyi sind eins. Zum Schluss kommt er aufgrund seiner Ungefähr-Einstellung ums Leben, da er sich nämlich vom Tierarzt behandeln lässt. Was zum Nachdenken veranlasst und Sorgen bereitet: Nach seinem Tod findet er nicht nur allgemeine Anerkennung, sondern wird von allen verehrt und zum Vorbild genommen. Dies ist tatsächlich ein wesentlicher Aspekt chinesischer Mentalität. Ich teile hundertprozentig die Ansicht von Herrn Hu Shi. Diese tief eingeprägte Ungefähr-Einstellung verschafft zahllose Auswege in allen möglichen Bereichen. Zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt: Wanderarbeiter, die am Straßenrand auf einen Arbeitsauftrag warten, aber ganz und gar keine Berufsausbildung haben, werden von Stadtbewohnern zu sich nach Hause geholt und damit beauftragt, ihre Wohnung zu renovieren. Ein Bauer arbeitet dann zugleich als Schreiner, Maler, Bodenleger, Klempner usw., für was er auch immer gebraucht wird. Dies ist mit der UngefährEinstellung der Konsumenten zu vereinbaren. Solange das Ergebnis der Arbeit von ihnen akzeptiert wird, macht sich niemand eingehend Gedanken um die Qualität. Solange eigene Produkte ihren Absatz finden, bemüht sich kaum einer, die Qualität zu verbessern; solange kein Unfall passiert, ergreift kaum einer Vorkehrungsmaßnahmen. Einige chinesische Redewendungen, die man alltäglich überall unter Chinesen immer wieder hört, zeigen deutlich diese Prägung der chinesischen Gesellschaft auf, (nur für den Tag leben; lass die Sache im Monämlich de guo qie guo ment einmal beiseite), zou yi bu kan yi bu (Schritt für Schritt; ohne (mal sehen, erst einmal abwarten). festen Plan vorgehen), dengdeng kan Andererseits kann man heute feststellen, dass sich mit dem rapid fortschreitenden Modernisierungs- und Globalisierungsprozess das Qualitätsbewusstsein der Chinesen ständig verstärkt, besonders wenn eine Zusammenarbeit zwischen China und dem Ausland besteht. Man kommt immer mehr zur Überzeugung, dass ohne Qualität und Standard keine Auslandsgeschäfte zustande kommen bzw. nicht fortgesetzt werden. Man ist mehr und mehr der Überzeugung, dass sich China in internationalen Kooperationen kein Scheitern einzig und allein wegen Qualitätsmangel leisten kann. So schenkt auch die chinesische Regierung der Arbeit bzgl. der Qualitätskontrolle große Aufmerksamkeit. Die zentrale Einrichtung für Qualitätsüberwachung, Prüfung sowie Quarantäne (General Administration of Quality Supervision, Inspection and , Quarantine of the People’s Republic of China abgekürzt als Guojia Zhi Jian Zong Ju ) veranstaltet jedes Jahr in der Hauptstadt Beijing Arbeitsversammlungen zum Thema Qualitätskontrolle (Quanguo ). Sie verfügt über eine eigene InZhi Jian Gongzuo Huiyi 8 ternetwebseite Zhongguo Zhi Jian Wang und leitet die Zeitung (China Quality Daily)9 . Auf der 2. Seite dieZhongguo Zhiliang Bao ser Zeitung findet man Nachrichten bzgl. Qualität, auf der 3. Seite sind Neuigkeiten 8 9
http://www.cqn.com.cn/news/zgzlb/dier/372951.html, Stand: 25.01.2011. http://epaper.cqn.com.cn/html/2011–01/19/node_608.htm, Stand: 25.01.2011.
6.3 Qualitätsmanagement und Lieferantenentwicklung
263
bzgl. Qualitätskontrolle, die 5. Seite beschäftigt sich mit dem Wochenspiegel über das Rechtssystem in Bezug auf die Qualität, und auf der 6. Seite widmet man sich der Verteidigung der Interessen breiter Konsumenten. Der Zeitungsverlag für Qua), der litätskontrolle Chinas (Zhongguo Zhi Jian Baokanshe auch zur zentralen Einrichtung gehört, besitzt zwei Zeitungen, sieben Zeitschriften, eine Netzstation sowie ein Film- und Fernsehzentrum. Landesweit organisiert jeder Ort jährlich eine große Veranstaltung mit dem Ziel der Stärkung des Qualitätsbewusstseins der Bevölkerung am 15. März. Dies ist San·Yaowu Xiaofeizhe Quanyi Ri 3 · 15 (3 · 15 Tag der Rechte und Interessen der Konsumenten). An diesem Tag laufen live Sondersendungen des Chinesischen Zentralen Fernsehsenders (CCTV), die Berichte über Veranstaltungen des ganzen Landes bringen. Dabei zeigen Spezialisten dem Publikum bzw. Fernsehzuschauer Beispiele, wie er gefälschte oder schlechte Waren erkennen und ggf. sich dagegen wehren kann. In das revidierte chinesische Strafgesetzbuch (in Kraft seit 01.10.1997) ist eigens ein Abschnitt über Verbrechen bei Herstellung und Verkauf gefälschter oder schlechter Waren aufgenommen worden (Paragr. 140–150). Im Allgemeinen gibt es in jedem chinesischen Unternehmen – gleich welcher Größe – eine Abteilung, die für die Qualitätskontrolle zuständig ist. Die Fabrik Weimin Porzellan in Jingdezhen10 ist zum Beispiel ein Unternehmen, das vom Ministerium für die Leichtindustrie Chinas als festgesetzter Lieferant für feines Alltagsporzellan zum Export bestimmt wurde. Auf dessen Homepage steht wortwörtlich: Yi zhiliang qiu shengcun, yi xinyu qiu fazhan , (Überleben gestützt auf Qualität, Entwicklung gestützt auf Prestige).11 Das beweist, dass es dem Unternehmen äußerst bewusst ist, auf Qualität zu achten – eine Überlebensstrategie des Unternehmens. In Februar 2011 habe ich Webseiten im chinesischsprachigen Internet durchforscht, um nachzuprüfen, ob bzw. inwieweit das modernste Medium, das Internet, für die Verbreitung von Qualitätsbewusstsein im chinesischsprachigen Raum benutzt wird. Es gab etwa 517.000 Seiten in chinesischer Sprache für die Suchanfrage „Qualitätsbewusstsein“ ,12 etwa 26.900.000 Seiten für „Qualitätsverwaltung“ 13 . Für die Suchanfrage „Qualitätsverwaltungssystem in Unternehgab es etwa 9.600.000 Seiten14 und für „Vorschriften men“
10
Jingdezhen : dieser Ort in der Provinz Jiangxi Südchinas ist berühmt für sein Porzellan. Siehe http://www.wmccxsb.com/intro.asp, Stand: 25.01.2011. 12 http://www.google.de/search?client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial&channel=s& hl=de&source=hp&q=%E8%B4%A8%E9%87%8F%E6%84%8F%E8%AF%86&meta=&btnG= Google-Suche, Stand: 06.02.2011. 13 http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&hs=V9j&rls=org.mozilla%3Ade%3Aoffi cial&channel=s&q=%E8%B4%A8%E9%87%8F%E7%AE%A1%E7%90%86&aq=f&aqi=g10& aql=&oq, Stand: 06.02.2011. 14 http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial& channel=s&q=%E4%BC%81%E4%B8%9A%E8%B4%A8%E9%87%8F%E7%AE%A1%E7% 90%86%E4%BD%93%E7%B3%BB&aq=f&aqi=g4g-m4&aql=&oq, Stand: 06.02.2011. 11
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6 Praxisbeispiele
zur Qualitätsverwaltung in Unternehmen“ etwa 335.000 Seiten.15 Um Qualität zu sichern bzw. zu verbessern, bieten zahlreiche Einrichtungen diesbezügliche Ausbildungsprogramme. Dies ergibt sich aus den Zahlen: ungefähr 12.700.000 Seiten unter der Suchanfrage „Ausbildung zur Qualitätsverwaltung“ 16 sowie etwa 505.000 Seiten unter „Ausbildungseinrichtungen zur Qualitätsverwaltung“ .17 Etwa 361.000 Seiten dienen der Ausbildung mit Lehrmaterial zum Download für den Bereich „Ausbildung zur Qua.18 Darüber hinaus werden reichlitätsverwaltung“ lich Programme zur Qualitätsingenieur-Ausbildung19 angeboten, nämlich ungefähr 20 und etwa 487.000 Seiten 435.000 Seiten für die Ausbildung 21 für die Prüfung . Daraus lässt sich ersehen, dass das Thema Qualitätssicherung in chinesischen Unternehmen wirklich wichtig geworden ist. Im Hinblick auf die Qualität von Produkten genießen allerdings die chinesischen Staatsunternehmen seit der Gründung der Volksrepublik (1949) in der Regel keinen besonders guten Ruf, so wie es auch in der Geschichte war. Seit dem der westlichen Han-Dynastie (206 v. Chr.–24 n. Chr.) praktKaiser Wu izierte die Zentralregierung Chinas ein System, bei dem die Regierung die Geschäftsführung der meisten Profit bringenden Unternehmen, wie z. B. Eisen- und Salzproduktion, von privaten Unternehmern in Staatsgewalt übernahm und das Geschäft monopolisiert.22 Der Inhaber der Staatsunternehmen ist die Regierung, deren 15
http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial& channel=s&q=%E4%BC%81%E4%B8%9A%E8%B4%A8%E9%87%8F%E7%AE%A1%E7%90 %86%E5%88%B6%E5%BA%A6&aq=f&aqi=g3g-m7&aql=&oq, Stand: 06.02.2011. 16 http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial& channel=s&q=%E8%B4%A8%E9%87%8F%E7%AE%A1%E7%90%86%E5%9F%B9%E8%AE %AD&aq=f&aqi=g10&aql=&oq, Stand: 06.02.2011. 17 http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial& channel=s&q=%E8%B4%A8%E9%87%8F%E7%AE%A1%E7%90%86%E5%9F%B9%E8%AE %AD%E6%9C%BA%E6%9E%84&aq=f&aqi=g1&aql=&oq, Stand: 06.02.2011. 18 http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial& channel=s&q=%E8%B4%A8%E9%87%8F%E7%AE%A1%E7%90%86%E5%9F%B9%E8%AE %AD%E6%95%99%E6%9D%90%E4%B8%8B%E8%BD%BD&aq=f&aqi=&aql=&oq, Stand: 06.02.2011. 19 Qualitätsingenieur: ein neuer Beruf in China. 20 http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial& channel=s&q=%E8%B4%A8%E9%87%8F%E5%B7%A5%E7%A8%8B%E5%B8%88%E5%9F %B9%E8%AE%AD&aq=6&aqi=g10&aql=&oq=%E8%B4%A8%E9%87%8F%E5%B7%A5%E7 %A8%8B%E5%B8%88, Stand: 06.02.2011. 21 http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial& channel=s&q=%E8%B4%A8%E9%87%8F%E5%B7%A5%E7%A8%8B%E5%B8%88%E8%80 %83%E8%AF%95&aq=3&aqi=g10&aql=&oq=%E8%B4%A8%E9%87%8F, Stand: 06.02.2011. 22 Siehe Fu Zhufu ( ): Zhongguo Gudai Jingjishi Gailun (Grundriss der Wirtschaftsgeschichte des alten Chinas), Zhongguo Shehui Kexue Chubanshe (Verlag für Sozialwissenschaft Chinas), Beijing 1981, 3. Nachdruck 1985, S. 212 f.
6.4
Chinesische Best-Practice-Unternehmen
265
Verwaltung sind Regierungsorgane, die geschäftsführenden Personen sind keine Fachleute, sondern Beamte, die von wirtschaftlichen Angelegenheiten keine Ahnung haben. Da herrscht Bürokratie, für Rationalität ist kein Platz, Korruption breitet sich aus, administrative Befehle ersetzen ökonomische Gesetze. Dies führt zwangsläufig zu mangelnder Motivation und schlechter Qualität.23 Der fortschreitende Privatisierungsprozess der Staatsunternehmen der VR China seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts verschafft die Hoffnung auf Verbesserungen auch der Qualität der Erzeugnisse aus ehemaligen Staatsunternehmen. Im Vergleich zu Staatsunternehmen haben private Unternehmen im wirtschaftlichen Wettbewerb wenige Vorteile im Hinblick auf Kapital und Beziehungen zur Regierung, sodass sie, um zu überleben, ihre Kunden bzw. ihre Partner mit guter Qualität überzeugen müssen. Joint Ventures kommen selbstverständlich nicht umhin, sich am Standard ihrer ausländischen Partner zu orientieren, sonst kann die Zusammenarbeit nicht funktionieren. Ausländische Unternehmer sollten darauf achten, mit welchem chinesischen Unternehmen sie zusammenarbeiten. Deshalb empfehle ich, sich stets an den Spruch von Lenin „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ zu erinnern, der in Deutschland immer wieder zu hören ist, ohne das betreffende Wissen, wen sie da zitieren. Dr. Lanfen Guo: Frau Dr. Lanfen Guo, geboren 1963 in der Inneren Mongolei/VR China, B.Sc. in Chemie an der Jilin Universität (1984), Diplom Englisch (1989) und M.A. Chinesische Literatur (2003) an der Päd. Universität der Inneren Mongolei sowie Promotion (2007) in Sinologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit dem Thema „Die ,36 Strategeme‘ in der chinesischen und westlichen Wirtschaftsliteratur“, ist B.A.-Beauftragte für Freiburger Sinologie und akademische Mitarbeiterin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg für moderne und klassische chinesische Sprache. Neben ihrer Lehrtätigkeit an der Universität der Inneren Mongolei hat sie als Dolmetscherin (Englisch und Deutsch) reichliche Erfahrungen bzgl. Geschäftsverhandlungen in China gemacht.
6.4
Chinesische Best-Practice-Unternehmen: Wertschöpfungsund Internationalisierungsansätze
6.4.1
BYD – in 15 years from a start-up to one of the most valuable global brand: entrepreneurship, flexibility and innovation as success factors (Henry Li, BYD)
6.4.1.1
History of BYD
BYD was founded in 1995 by Mr. Wang Chuanfu (still Chairman and CEO of BYD Co.). The company started up with 20 people including workers and 3 million 23
Siehe ebd., S. 218.
266
6
Praxisbeispiele
RMB initial capital, Mr. Wang borrowed from his relatives. In 2010, BYD belongs to the Top 500 Most Valuable Global Brands (only two private-owned companies from China are among the Top 500), BYD is ranked among the 20 most innovative Companies, BYD is supposed to be the most innovative auto maker (according to the ranking of BusinessWeek). Meanwhile, BYD has become to an attractive and appreciated cooperation partner for reputable Western companies, like Daimler. In 1990s, there were hundreds of battery companies in China; mostly big ones and not privately owned. BYD as a new player with limited resources had to compete with the giants. Hard working spirit and flexibility helped the company stay alive at the beginning. First big success was to win orders from major cordless phone manufacturers, BYD soon became major battery supplier to global cordless phone brands, once over 70 % global share! Different from other battery manufacturers, BYD invested heavily in R&D facility and people in order to develop better performance products and improve product quality as well as processes. In 1998, Mr. Wang decided to enter cell phone Li-ion battery market; at that time only Japanese cells had been available in the market and second hand cells had been imported into China. Few people had confidence about this move, even the people inside the company. But finally we managed to get Motorola’s first order in year 2000. The experience through working with Motorola was an excellent learning process; the whole supplier system, manufacturing process, quality management system had to be qualified by this top player in the mobile phone world. That was the 2nd turning point of BYD. Nokia placed its first order to BYD in 2002. BYD has become a major player in portable rechargeable battery in the world from 2003. The key success factors in the starting phase can be summarized with the terms: entrepreneurship, clear focus on market and R&D, hard working. The success of BYD is inseparable from President Wang’s personal efforts and creative spirit. Since the establishment of the company, President Wang has adhered to the „technology based, innovation oriented“ development principle and has been dedicated to creating advanced technology with global competitiveness relying on powerful R&D strength and innovative capacity. BYD’s employees and industrial parks have increased drastically during BYD’s rapid development. BYD has developed from 20 employees in 1995 to a corporation with more than 200,000 employees and 9 industrial parks across China, including sites in Guangdong, Beijing, Shaanxi and Shanghai, totaling nearly 7 million square meters. It also has offices in the United States, Europe, Japan, South Korea, India, Taiwan, Hong Kong and other regions.
6.4.1.2
Products and business units
BYD’s current business lines are more or less linked to the initial battery business that served as a nucleus for gaining the new market fields „mobile phone parts“, „solar cells“, „EV and cars + e-bus“ as well as „Energy storage systems“. BYD regards electrification of transport as the most important application of batteries. It is important to understand the needs of e-mobility in order to choose respectively develop the right product for the application. E-mobility would not be possible
6.4
Chinesische Best-Practice-Unternehmen
267
without a suitable battery that meets the requirements of safety, energy density, life cycle and cost affordability. BYD Fe battery has been proven to fulfill that needs. BYD embraces three business units: IT, automobile and new energy. BYD’s IT products include Rechargeable Batteries, Plastic Casing, Metal Components, Metal Electronics, Keypads, Microelectronics, LCD/LCM, LED Products, Opto-Electronics, FPC, Chargers, Electro Acoustic Components, Connectors, Cell Phone Decoration, Cell Phone Design, and Cell Phone Assembly. Due to its continuous innovation in technologies, R&D and services, BYD has won the trust of many customers including Nokia, Motorola, Samsung and other top international telecommunication companies. As the world’s largest rechargeable battery manufacturer, BYD has the highest market share for Nickel-batteries and handset Li-ion batteries worldwide; BYD’s iron battery technology is in the lead position in the whole world. As a top EMS and ODM provider in the industry and a top supplier of mobile phone parts, BYD has the biggest market shares for keypads and cell-phone chargers and the second largest market shares for cell-phone shells. In 2003, BYD officially entered the automotive business by purchasing the Tsinchuan Automobile Company Limited (now BYD Auto Company Limited). With four major industrial bases in Shenzhen, Shanghai, Xi’an and Beijing, BYD now has world-class capabilities in automobile manufacturing, R&D, and design. Its selection of vehicles includes traditional high quality fuel vehicles F3, F3R, F6, F0, hardtop convertible S8, and dual mode electric vehicles F3DM. On December 15, 2008, BYD F3DM, world’s first dual mode electric car independent of specialized charging stations, hit the market in Shenzhen. In 2009, with the launch of an allelectric vehicle, BYD is realizing the dream of the world auto industry 20 years ahead of time. BYD Energy Storage Station has the advantages of short construction time, fast start-stop, small area, high security and low cost, zero pollution etc. At the same time, it works as a buffer and balancer of electricity, improves the efficiency of the existing power stations and grids, prolongs the life of circuits, enhances power quality, works as outdoor temporary power supply, retards the reconstruction of urban power grids and changes energy consumption patterns etc. BYD Solar Energy Station promotes effectively the sustainable economic development and improves the environment.
6.4.1.3
Current markets, export/internalization plans and sales approach
BYD’s current product lines have different market focus: Batteries for mobile phones aim mainly for global markets including China and solar products are mainly for export business. The automobile market approach focuses especially China, however there seems to be a substantial potential of EVs in developed countries. BYD sees itself as a global player, although the root is in China. BYD’s export activity started soon after its establishment, now all products may find its markets. Some products are suitable for emerging markets and so for developed markets. Take auto business as an example, BYD sells conventional passenger cars to more than 60 emerging markets, but in US and EU the market entry with EV
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6
Praxisbeispiele
and E-bus products is planned. The products have to be competitive in those markets at the first place. Hereby the right strategy to establish a brand image is needed. In western countries, consumers are much more brand-conscious and quality oriented, the market is also very competitive. BYD needs products that differentiate from existing brands. On the other hand, emerging markets are suitable for more convention and cheaper products, which is in line with local live standards. Something in common is that innovative products are welcome in all markets. Owing to various product lines, BYD sales network is presented globally. The EU and US sales organization had been set up before year 2000 and local people have been hired to do the job. Sales channels are various owning to product nature. Most products are sold B to B, for example: batteries and parts to mobile phone brands; solar panels to local installers; automobiles through local importers and distributors; some products, however are sold through retail channels, such as LED lighting. In some cases it is needed to establish regional manufacturing hub alone with key clients such as Nokia. The product range is also developing to meet different market needs; automobile as an example, in the past BYD has just exported whatever developed and available for China. Now, more and more customized products for export are in the R&D program. Those products have to meet target market requirements and preference. Sales channels continue expanding to more and more strategic markets through BYD local offices or local partner/agents.
6.4.1.4 Approach in innovation, production and quality management Innovation is considered as one of the most important success factor. BYD is still on the way of transforming itself from a manufacturing oriented company into an innovation oriented company. The R&D/innovation organization is characterized by three levels. The top level is the Central R&D institute that focuses on basic and future technology studies. The second level is covered with the Application and Design Institutes, including Automobile Engineering and Research institute, Electronics Research Institute and Eclectic Science Research Institute. The third level comprises the component/subsystem R&D and manufacturing. All three levels are coordinated by a management steering committee that indicates the R&D and product directions (top down) and collects innovation results (bottom up). A specific internal mechanism enhances and structures the communication of different teams. The head of each division is required to understand deeply the related technology under his responsibility. But that’s not sufficient: Furthermore, he has to learn basic technologies of other industries. For fostering that, knowledge platforms are provided. Internal experience exchange forums are arranged regularly. Cross industry experience brings a lot of fresh ideas and innovation. Those innovation ideas would follow the global trends or even leading the trends. A comprehensive view across the markets is helpful: Successful products for developed markets, for example, shall also be welcomed in other markets.
6.4
Chinesische Best-Practice-Unternehmen
269
BYD still focuses R&D and manufacturing in China, the trend however shows a more global presence according to the needs. For example, BYD works with local partners and established car CKD manufacturing activities in Egypt, Russia, Syria, Iraq, Vietnam and Sudan. In terms of production process and logistics, the trend is to implement more automation and vertical integration. BYD’s strength is to combine Chinese hardworking and flexibility with western quality system and Japanese continuous improvement spirit. Quality is getting more and more important when our product portfolio is moving up tier, and the brand value is forming. BYD obtained ISO 9001 from early day of the company and takes quality as one of the top strategy. Over the years BYD worked with international companies such as Motorola, Nokia and managed to implement a world class quality management system. In 2007, we also opened training courses for Six Sigma for executives and major technical team leaders as well as factory managers. Now BYD highlights quality work as routine practice throughout the organization and develop its own system so as to suit the business need better. Quality is an important part of the company culture: Continuous improvement is encouraged in the entire organization. Quality depends always on people. BYD prefers to use new graduates from school. All new graduates will receive systematic training processes before they take the job. Average training for each engineer and alike is more than 100 hours per year. BYD strives for a people-oriented policy, focused on empowering and developing employees. It also seeks to establish a fair, equal, and open work environment which distributes success to its employees. BYD is committed to the values of equality, practicality, passion, innovation, and continuously run development programs that are technology-based and innovation-oriented. The success of BYD’s human resources policy is indicated by a high employee retention rate. 6.4.1.5
Summary
Within 15 years BYD has become to one of the most valuable and innovative companies. In some business fields, such as batteries for mobile phones, BYD is already a real global player. Even in the automotive business, BYD sells conventional passenger cars to more than 60 emerging markets. The market entry in the developed markets US and EU is planned with EV and E-bus products rather than aiming to gain conventional market segments. Quality is getting more and more important when the product portfolio is moving up tier, and the brand value is forming. BYD strength is to combine Chinese hardworking and flexibility with western quality system and Japanese continuous improvement spirit. Innovation is considered as one of the most important success factor. However, BYD is still on the way of transforming itself from a manufacturing oriented company into an innovation oriented company. BYD envisions becoming the world’s leading manufacturer of telecommunication products, electronic products, and automobiles. Facing the world’s rapid advancement in the 21st century, BYD will continue to innovate, pursue excellence, and contribute to a brilliant and exciting future.
270
6
Praxisbeispiele
Henry Li: With Mechanical engineering background, Henry Li got the bachelor degree in Harbin Engineering University in 1990. He has more than 10 years overseas working and living experiences. He joined BYD Company Limited in 1998 as Deputy General Manager of BYD Europe BV, taking charge of BYD batteries and IT product sales management in Europe. Since November 2006, Mr. Li has been assigned as General Manager of BYD AUTO Export Trade Division, fully responsible for BYD AUTO global sales outside Greater China and North America with focus on European market.
6.4.2
Fuyao – wie ein chinesisches Unternehmen den Sprung von China nach Europa schaffte (Norbert Geisinger, Fuyao Group)
6.4.2.1
Fuyao Group – von den Anfängen bis heute
Die Fuyao Glass Industry Group Co. Ltd (kurz „Fuyao Group“ oder „FYG“) ist mittlerweile einer der größten Hersteller von Kfz-Sicherheitsglas in der internationalen Automobilindustrie. Das Unternehmen ist eine an der Börse von Shanghai in China notierte Aktiengesellschaft. Mit über 20 Jahren Erfahrung in der Belieferung von Autoherstellern mit Glasteilen verfügt Fuyao über eine komplette Ausstattung an Maschinen, Laboren und zertifizierten Teams zur Lieferung von hochwertigen Qualitätsprodukten an Erstausrüster. Cho Takwong, Vorstandsvorsitzender der Fuyao Group, war einer der ersten chinesischen Geschäftsmänner, der sich vor 30 Jahren an der Politik der so genannten offenen und wirtschaftlichen Reform Chinas beteiligte, indem er die Verwaltung einer kleinen Firma für Wasserzählerglasscheiben als Subunternehmer übernahm. Er verwandelte bald das Unternehmen in einen Kfz-Glas-Hersteller und war damit erfolgreich. 1987 gründete Cho Takwong die Fuyao Group, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren unter seiner Leitung von einem unbedeutenden Glashersteller zu einem international führenden Unternehmen in der Branche entwickelt hat. Auf einer Feier im Salle des Etoiles in Monte Carlo erhielt Cho Takwong am 30. Mai 2009 in Anerkennung seiner Weitsicht, seiner kompetenten Leitung, seiner Zielstrebigkeit und seines enormen Fleißes die Auszeichnung des „Ernst & Young World Entrepreneur Of The Year 2009“. Steven Tso, der Sohn von Cho Takwong, schloss sich der Fuyao Group 1990 an. Steven Tso war von 1994 bis 1996 CEO der Fuyao (Hong Kong) Ltd. Schon bald wurde er in den USA der CEO von Fuyao North America, Inc. Seit Dezember 2007 ist Steven Tso CEO der Fuyao Group. Unter seiner Leitung hat Fuyao erfolgreich das Wellpappe-Verpackungssystem (Corrugated Packaging System) eingeführt, das 2008 in den Fuyao Kfz-Glas-Vertriebsbereich aufgenommen wurde. Fuyao verzeichnete 2010 seine bisherige Bestleistung. Folgend finden sich die wichtigsten Meilensteine des Unternehmens: 1987: Gründung der Fujian Yaohua Glass Industry Co. Ltd (kurz „FYG“) mit einer Kapazität von jährlich 150.000 Auto-Glasscheibensätzen
6.4
Chinesische Best-Practice-Unternehmen
1989: 1991: 1993: 1995: 2003: 2004: 2007: 2007: 2007: 2009: 2010:
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Erstmals Zulieferer von Erstausrüstern (OEM) Versand der ersten Containerladung nach Nordamerika Börsengang (IPO) und Notierung an der Börse in Shanghai Umbenennung in Fuyao Glass Industry Group Co. Ltd („Fuyao Group“) Fertigstellung eines landesweiten Netzes von Produktionsstätten in Erwartung der Hochkonjunktur in der Autoindustrie in China Erste OEM-Belieferung im Ausland Steigerung der Kapazität für Kfz-Glas auf 18 Mio. Autosätze pro Jahr Gründung der Fuyao Europe GmbH in Heilbronn Beginn der ersten Serienbelieferung von Frontscheiben nach Europa/ Deutschland an Audi Neckarsulm Anteil am Weltmarkt beträgt mehr als 15 % Ausbau der vorhandenen Kapazitäten: – Aufbau und Inbetriebnahme von 2 weiteren Werken zur Herstellung von Automobilglas in China, somit 8 Werke landesweit – Aufbau weiterer Floatanlagen in China, damit Erhöhung von 7 auf 9
2011: Spatenstich in Kaluga/Russland für das erste Werk zur Herstellung von Automobilglas außerhalb Chinas In einem nächsten Schritt könnte eine Fertigung in den USA entstehen: evtl. 2013/2014. 6.4.2.2 Wertschöpfungsumfänge 2010 erreichte Fuyao eine Kapazität von mehr als 19 Mio. Autosätzen zur Versorgung des weltweiten Erstausrüster- und Aftermarket-Bedarfs an Kfz-Glas. Das Wertschöpfungsspektrum umfasst dabei die volle Integration von: • • • • • • •
Technologische Innovation und Herstellung von Kfz-Glas-Ausrüstungen Floatglasproduktionsfähigkeit Tests, Prüfungen und Versuche Entwicklung neuer Produkte und Werkzeugbereitstellung Fertigung von Kfz-Glas-Zubehör Integration der Logistikkette F & E: CAD und CAM, Materialforschung neuer Materialien, Simultanes Design
Dem Umweltschutz wird bei der Wertschöpfung besonders Rechnung getragen. So wird nur bleifreies Material verwendet, als Verpackungen gelangt Wellpappe zur Anwendung. Außerdem steht die Schadstoffbegrenzung im Vordergrund; Schrott und Abfallstoffe werden konsequent wiederverwertet und Wasser wiederaufbereitet. Die Verwendung des Wellpappe-Verpackungssystems trägt dazu bei, dass jährlich 200.000 weniger Bäume gefällt werden müssen. Es erleichtert den Transport, ist kostensparend und ermöglicht gleichzeitig die Wiederverwertung des Verpackungsmaterials. Genau diese Anzahl von 200.000 Bäumen pflanzt Fuyao jährlich und leistet somit einen Beitrag für die Umwelt.
272
6.4.2.3
6
Praxisbeispiele
Entwicklung in Deutschland und Europa – Fuyao Europe GmbH wird Oktober 2007 gegründet
Als sehr erfolgreicher Glaslieferant für die chinesische Automobilindustrie war es eine Frage der Zeit, dass der Gedanke geboren und der Schritt gewagt wurde, das erste Projekt in Europa zu bekommen und umzusetzen. 2006 wurde ich als einziger Repräsentant der Fuyao Group in Deutschland angestellt. Zu diesem Zeitpunkt war die Fuyao Group bereits für ihr erstes Projekt zur Belieferung von Frontscheiben an einen namhaften Automobilhersteller in Neckarsulm nominiert. Es galt nun, einen Partner bzw. eine Lösung für die gesamte Supply Chain zu finden. Die Frontscheiben werden in China soweithin gefertigt, dass an dem in Heilbronn gegründetem Standort nur die Montage von Profilen und Leisten und eine chemische Behandlung erfolgen muss. Besonders wichtig war, so zu planen, dass trotz der Wiederbeschaffungszeiten (6 Wochen reiner Seetransport), Verfügbarkeit bei begrenzten Beständen ermöglicht wurde. Der Großteil unserer Scheiben wird von den Häfen Dalian, Shanghai, Fuzhou und Guangzhou auf dem Seeweg nach Rotterdam gebracht. Von dort wird auf ein Binnenschiff verladen und bis nach Mannheim transportiert. Die letzten 70 km werden dann per Lkw tranportiert. Neben der Planung der logistischen Kette galt es jedoch vor Beginn der Belieferung die Produkt- und Prozessfreigaben des Kunden zu erhalten. Hier mussten intensive Lernprozesse stattfinden, um dem hohen Qualitätsanspruch eines Premiumproduktes in Deutschland gerecht zu werden. Dies spiegelte sich in mehreren Bemusterungsschleifen wider. Der größte Lernbedarf bestand im Verstehen und richtigen Interpretieren der technischen Anforderungen sowie in der Abstimmung von Messkonzepten. Dies gelang schließlich durch zahlreiche Besuche bei den Kunden durch unsere chinesischen Ingenieure als auch durch Besuche der OEMs in unseren chinesischen Fertigungswerken. Nach nahezu 1 ½ Jahren hat man dann schließlich die Freigabe erhalten. In dieser Zeit stellte sich immer wieder heraus, dass es nicht ausreicht, sich nur zu verbessern; es war außerdem wichtig, den Kunden zu überzeugen. Denn obwohl man vom Einkauf des OEM (nach einem entsprechenden Auswahlverfahren) nominiert war, traf man aus unterschiedlichen Bereichen des Kunden oftmals auf Skepsis und Zurückhaltung; insbesondere galt das für die Logistik, Technik, Qualität und Fertigung. Die landläufige Meinung, aus China könne keine Qualität kommen, war und ist bei den meisten OEMs häufig vorzufinden. Neben den kleineren Herausforderungen, wie der genauen Planung von Belieferungen an den Standort in Heilbronn und der Überwachung der logistischen Ketten, galt und gilt es, vor allem die oben genannten Bereiche der OEMs zu überzeugen, einer solchen Supply Chain zu vertrauen. Dies ist uns mit unserem ersten Projekt in Neckarsulm gelungen. SOP (Start of Production) fand Ende 2007 statt. Dieser SOP wurde maßgeblich von den qualitätsverantwortlichen Leitern der OEMs mit Argusaugen verfolgt. Zu diesem Zeitpunkt vertrat man bei den OEMs (Technik & Qualität & Logistik) die Meinung, dass es nicht möglich sei, die hohen Anforderungen der deutschen Automobilindustrie mit Teilen aus China in einem Serienprozess zu gewährleisten. Aus diesem Grund wurden unsere Kunden während des Anlaufs intensiv von unserem Standort betreut. Für uns war es
6.4
Chinesische Best-Practice-Unternehmen
273
von Anfang an wichtig, durch Zuverlässigkeit und Qualität den Kunden zu überzeugen. Rückblickend kann man sagen, dass dies sicherlich der richtige Weg war und heute noch immer ist. Seit dieser Zeit ist es der Fuyao Group gelungen, innerhalb der letzten 3 Jahre weitere Automobilhersteller als Kunden in Europa zu gewinnen. In 2011 werden folgende Hersteller von Personenkraftwagen mit der kompletten oder teilweisen Verglasung beliefert: • • • • • •
Deutschland: Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel, VW Belgien: Volvo England: Bentley, Jaguar Land Rover, Honda, BMW Italien: Fiat Schweden: Volvo, Saab Spanien: VW
Diese Entwicklung und eine weitere Expansion in Europa lässt sich für die nächsten Jahre bereits jetzt konkret erkennen. Denn durch die erfolgreiche Abwicklung zahlreicher Projekte in Deutschland und Europa wurden im Laufe der Zeit immer mehr OEMs auf Fuyao aufmerksam: Zwischen den OEMs findet natürlich auch Austausch statt; da es bei keinem der Projekte ernsthafte Schwierigkeiten gab und gibt, hat sich die Zuverlässigkeit bei den OEMs herumgesprochen. Dadurch ergaben sich für uns weitere Möglichkeiten, Aufträge von den OEMs zu bekommen. Dass die Qualität auch bei chinesischen Lieferanten gegeben sein kann, zeigen die von Fuyao erhaltenen internationalen Auszeichnungen: • • • • • •
2000: World excellent Award (Ford) 2006: Excellent supplier (Paccar) 2007: Global Supplier of the Year (GM) 2007: VOLVO 3P Purchasing Supplier Award 2008: Excellent Supplier (GM) 2009: Volkswagen Group Award
Alle Standorte in China und in Deutschland sind nach TS 16949 und ISO14001 zertifiziert. Das Qualitätsmanagement orientiert sich an diesen Standards. Ein wichtiger Erfolgsfaktor liegt – aus der Sicht einer europäischen Einheit eines chinesischen Unternehmens – in der Zusammenarbeit mit dem chinesischen Headquarters. Um die neuen und laufenden Projekte voranzutreiben, findet hierzu eine tägliche Kommunikation per Telefon, E-Mail und Web-Konferenz statt. Um mögliche Kommunikationsbarrieren zu vermeiden, haben wir auch an unserem Standort Mitarbeiter, die Chinesisch, Englisch und Deutsch beherrschen. Wie nimmt man als deutscher Manager, der bereits westliche Unternehmen kennengelernt hat, ein chinesisches Unternehmen und die Art und Weise der Zusammenarbeit wahr? Meine Erfahrungen sind durchweg positiv: Entscheidungsprozesse finden in der Regel sehr schnell und zügig statt. Außerdem fällt mir immer wieder ein hohes Maß an Flexibilität und Einsatzbereitschaft im Unternehmen auf. Selbstverständlich muss man manche Dinge beachten: Bei Entscheidungen ist es zum Beispiel sehr wichtig, die Netzwerke des Unternehmens zu kennen, da eine pure Orientierung
274
6
Praxisbeispiele
an den Organisations-Diagrammen nicht immer zum Ziel führt. Hier ist es sicherlich wichtig, die vorhandenen Verflechtungen des Top-Managements zu berücksichtigen, um beispielsweise den oft genannten „Gesichtsverlust“ zu vermeiden. 6.4.2.4
Zusammenfassung
Fuyao gehört zu den größten Herstellern von Kfz-Sicherheitsglas in der internationalen Automobilindustrie: Der Anteil am Weltmarkt beträgt mehr als 15 %. Somit ist man längst nicht mehr nur in China erfolgreich, sondern auch in „entwickelten Märkten“ wie Europa. Auch die Wertschöpfung wird internationaler. Während außerhalb Chinas bisher vor allem Montagevorgänge stattfanden, geht man mit dem Aufbau eines kompletten Produktionswerks in Russland den nächsten Schritt. Fuyao schaffte es, innerhalb von fünf Jahren, sich im europäischen Markt zu etablieren und zu expandieren, indem in der Zwischenzeit viele der wichtigsten OEM beliefert werden. Dabei trifft man trotzdem immer wieder auf die Meinung, aus China könne keine Qualität kommen. Durch tagtägliche Überzeugung und durch das kontinuierliche Arbeiten an Produkt- und Prozess-Qualität kann man dem entgegnen und die OEMs gewinnen. Das Erfolgsbeispiel Fuyao zeigt, wie erfolgreiche Internationalisierungspfade chinesischer Unternehmen aussehen können – und dass auch chinesische Unternehmen Qualität erzeugen und liefern können. Norbert Geisinger: Norbert Geisinger, geb. 1967, ist seit April 2007 Managing Director der Fuyao Europe GmbH in Heilbronn. Zuvor war er Qualitätsleiter in einem mittelständischen Unternehmen und dabei maßgeblich am Aufbau einer Fertigung in Shanghai beteiligt. Von 1996 bis 2004 war Herr Geisinger bei Delphi in unterschiedlichen Funktionen tätig: unter anderem als Manager Operations in einem slowakischen Werk, als Betriebsleiter bei Delphi Heilbronn sowie als Leiter Produktionskontrolle und Logistik im ersten von Delphi in China gegründeten Joint Venture (Baicheng/Jilin). Dort baute er unter anderem ein Qualitätsmanagement-System auf.
6.4.3
Li & Fung’s Flat World Perspective – How could China move up the value chain and compete successfully in it? (Gordon Lam, Li & Fung Group)
6.4.3.1 About Li & Fung Group Founded in Guangzhou, China in 1906, the Li & Fung Group (http://www. lifunggroup.com) is a Hong Kong-based multinational group of companies whose three core businesses operate across the entire global supply chain for consumer goods. Through Li & Fung Limited, we design, develop and source consumer products for Fortune 500 retailers worldwide. Through Li & Fung Limited’s subsidiary company Integrated Distribution Services (IDS), we handle distribution and logistics across multiple markets in Asia, particularly in China. Our third core business
6.4
Chinesische Best-Practice-Unternehmen Consumer Needs
Product Design
Consumer
275
Product Development Vendor Compliance Raw Material Sourcing
Retailer
Factory Sourcing
Wholesaler Local Forwarding Consolidation
Customs Clearance
Manufacturing Control Forwarder Consolidation
Shipping Control
Abb. 6.13 Li & Fung Group
is retailing, where we offer convenience stores and bakeries through Convenience Retail Asia Limited, high-end luxury menswear through Trinity Limited, and toys and children’s products through Toys LiFung Limited (Abb. 6.13). The Li & Fung Group employs over 35,000 men and women across 40 economies worldwide, with total revenue of over US $ 16 billion in 2009.
6.4.3.2 The new global manufacturing paradigm – decomposition of supply chains and dispersed manufacturing In the old days, when we talked about manufacturing a product, the idea that immediately sprang to mind was that everything should be done „in-house“ – in one factory, under one roof and in one country – before it was exported and sold in another country. But times have changed and manufacturing a product carries a completely different meaning today. Products are no longer produced in one factory and under one roof. Production is becoming increasingly spread across different countries and globalized. Under this new global manufacturing paradigm, companies are no longer geographically restricted but are expanding their production in more cost-effective locations and developing businesses in new markets. Their supply chains have become more complex because of their quest to expand product depth and customer base. Competition is no longer solely based on products or services. Participants of the supply chain now form a new kind of team. Competition is no longer between companies but between supply chains. Today, if we get an order for 10,000 shirts, what shall we do? We must first consider the best place to source the yarn required for making those shirts. Having analyzed
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6
Praxisbeispiele
what is available in the world, we may decide that Korea is the best place to produce that particular type of yarn. We will then identify a factory in Korea to produce the yarn for us. Next, where should we do the weaving and dyeing part? It depends on the client’s need, the timing, the capacity and the technology requirements. Let us say, we decide that Taiwan is the best place. So we ship the yarn from Korea to, say, two factories in Taiwan to do the dyeing and weaving because we have a tight deadline to meet. After the fabric is produced, the next thing is to identify the best place to produce the shirts – where to do the CMT, the cut, make and trim – the final stage of putting the shirt together. For labor capacity and skill reasons, we may want to do it in Thailand. To save time, we may use three different factories in Thailand. The whole production process is thus carried out in such a dispersed manufacturing manner. In the end, the final products that arrive on the retailer’s shelf should look like the same as if they all come from one single factory, but in fact we have done it in six factories in three different countries. What makes that all possible is of course the development of information technology and also logistics, which allows us to dissect the entire manufacturing process into different components at different stages. At each stage we will consider the best place to produce the component we need. The end-product, therefore, becomes a truly globalized one. These changes have not only affected manufacturing. Any organization that has a supply chain (including services) or value chain of any kind (in other words, every organization) has experienced transformations from the forces that are flattening the world.
6.4.3.3
Look out! The World is Flattening Out!
In Thomas Friedman’s famous title „The World Is Flat“, he wrote about the ,Ten Flatteners‘: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
End of Cold War and rise of personal computer Internet Work flow software Open sourcing Outsourcing Offshoring Supply chaining Insourcing (UPS, FedEx and Modern Logistics) In-forming (Google, Yahoo! and MSN Web Search) Digital and Wireless (The Steroids)
The flat world has far-reaching implications for organizational objectives, strategies and structures. Companies have faced new competitors and new business models. Playing fields have been fundamentally reshaped. These changes have had ripple effects across every organization, leading to changes in corporate governance, business and revenue models, structure and strategies. These forces have transformed businesses in existing industries as seen in retail with Wal-Mart and Costco or travel
6.4
Chinesische Best-Practice-Unternehmen
Manufacturing / Design / Sourcing
Logistics
Duties
Warehousing
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Wholesale
Brand Management
Retail
$1
Consumption / Disposal
$4
Abb. 6.14 Concept of the „soft $3“
by Travelocity and Priceline. These forces also have resulted in the emergence of new companies such as Google, eBay and Amazon. These drivers have led to consolidation, price pressures and the emergence of new retail formats. The changes have also encouraged the development of advances in supply chain management such just-in-time manufacturing, modularization and customization.
6.4.3.4
Capturing the „Soft $3“ by looking beyond the factory
The Chinese government always encourages enterprises to move up the value chain and create more value through innovation and supply chain management. Control of logistics expenses is now often considered the „third source of profits“, labor and raw materials aside. This idea largely coincides with Li & Fung’s concept of „capturing the Soft $3“ by looking beyond the factory. Li & Fung builds up a new concept of value added and think about supply chain management as „tackling the soft $3“ in the cost structure. Manufacturing processes have improved dramatically in recent decades; now the biggest opportunities for cost improvements are often outside the factory. These opportunities come from looking across the supply chain, shifting from focusing on squeezing pennies from the „hard“ manufacturing processes in the factory to recouping the „soft dollars“ in the rest of the supply chain (Abb. 6.14). Although companies have focused on squeezing the last penny out of manufacturing, whole dollars are at stake in better managing the supply chain. A plush toy might cost $1 out of the factory door, yet it ends up on the retail shelves for $4. How can companies use better supply chain orchestration to capture this „Soft $3“? The cost of wholesalers, shipping, and logistics eats into the $3. Some of the „Soft $3“ goes to logistics such as taxes, duties, and handling charges, so improving these processes enables companies to capture more of these soft dollars. Among the ways to capture these soft dollars are (1) boosting efficiency; (2) improving coordination to reduce markdowns; (3) creatively rethinking the chain and; (4) taking on more of the chain.
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6
Praxisbeispiele
Boosting efficiency One way to capture the soft dollars is to simply make the extended supply chain work more efficiently. For example, standard-sized shipping containers were one of the best things to happen to modern logistics. The careful utilization and consolidation of containers through methods like cross-docking and pick-and-pack etc. meant that shipments could be combined, lowering shipping costs and reducing overall logistics costs. The widespread use of containers in shipping led to modularization, more uniformity and better utilization of shipping capacity, resulting in big reductions in transportation costs. This is just one of many ways that the supply chain has been streamlined and made more efficient. Another way in which time and money have been shaved off the process of moving products across borders involves electronic Customs clearance when the product is en route. Flawless execution also helps reduce costs of errors in the chain. Mistakes along the supply chain can be very costly for everyone involved. If a factory marks the bar codes on its cartons incorrectly, it can cost thousands of dollars because the wrong product is shipped to the wrong place. This adds to shipping costs and also means that retailers will not have the goods when they need them. The risks and costs of these mistakes are huge. Operations across the supply chain need to be flawless, and a key source of value is making these operations better, faster, and cheaper. Improving coordination: Minimizing markdowns Markdowns are a flaw in the manufacturing process. They mean that no matter how efficiently and effectively a product has been delivered through the supply chain, it has lost value for one reason: It was not the right product at the right place at the right time at the right price. Supply chain management is especially important in the apparel industry because the demand and price of a garment product are largely time-dependent. The suppliers and process steps for an apparel supply chain vary from season to season, from style to style, and even within the same style for the same season. The price of a garment starts declining as soon as the season begins, making the margins increasingly smaller. In some cases, the cost of markdowns might exceed the entire cost of manufacturing. If the right product can be delivered more quickly to the shelves, this markdown can be reduced. This is why it is essential to achieve as fast a turnaround time as possible from order to delivery. By addressing markdowns through more flexible supply chains, such as taking production closer to the market (e.g. producing fashion in Eastern Europe that caters Western Europe markets) or postponing orders but ship by air transport, supply chain managers recognize one of the greatest opportunities for creating value and capturing soft dollars. These improvements can come from providing more transparency throughout the chain and allow more accurate forecasting of consumer preference and market demand. This more open process, in turn, can reduce cycle time by facilitating more timely decisions on postponement or speeding up manufacturing processes in response to market conditions.
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Creatively rethinking the supply chain Value can also be created by improving product design and development on the front end of the supply chain or by creatively rethinking other stages of the chain. For example, Apple also creatively rethought the entire supply chain in music, entertainment and communication with the introduction of the iPod, iPhone and iTunes store. Content might be seen as a concern outside the purview of an equipment and software company, but Apple recognized that it needed to take a broader view. This allowed it to create and capture more value by placing itself at the center of a network designed to deliver customized entertainment and applications to individuals. More value lay in organizing and orchestrating these soft dollars than in manufacturing what otherwise might have been a generic digital music player or mobile phone, like many others on the market. The key was to look beyond the narrowly defined business to create value by focusing on the broader ecosystem. Taking on more of the chain In addition to improving the chain, companies can capture more of the soft dollars by taking on more of the chain. Li & Fung, for example, has extended its reach in the supply chain by establishing a significant onshore presence in USA, Europe and domestic China. Through a series of strategic acquisitions and licensing arrangements, the company has added a full range of wholesale services that include product design, development, merchandising, marketing, logistics, distribution, and a full complement of customer service located in its major markets. By adding these front-end capabilities and leveraging historic strengths in managing the sourcing of products around the world, these onshore operations are able to operate at higher margins than the core business, while mitigating the risks by its involvement throughout the supply chain. This model has enabled the company to build a very profitable wholesale business in a relatively short period of time and expand the company’s customer base in these regions. It has effectively captured a much greater share of the soft three dollars.
6.4.3.5 What do these mean for Chinese enterprises? What do the above-mentioned mean for the strategies of Chinese enterprises to participate in the global economy and to compete in the flat world? This new world demands new strategies and organizational approaches. Here we would like to share Li & Fung experience in address and managing them: Take a holistic view In the round world, countries, companies and individuals often focused on optimizing their own small part of the world. Now, the world is connected and the flat world provides a direct line of sight from one side to another. With the benefit of
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instantaneous communications, the butterfly’s wings flapping in Asia truly can result in a typhoon on the other side of the world. The goal in this world is not merely to optimize locally, but to optimize across an ever-broader part of the value chain. For example, in manufacturing, a factory might reduce its internal costs by not paying overtime. This saves costs and boosts profits, but could lead to even larger costs for a retailer who then faces stock-outs because of the slower delivery. By looking at the bigger picture, the members of the supply chain could optimize the entire chain rather than their own small piece of it. This systemic view should also embrace all the networks the firm participates in and balance the needs of its many stakeholders, as well as help to bridge traditional disciplinary silos within the organization. The flat world creates opportunities for taking a more holistic view of value. Implications: Players of the supply chain should consider how their decisions affect other party of the whole chain. For example, supplier of a cup to fast food chains should not only consider how to get the right product at the lowest price, but to also consider how the design and usage of the cup might affect the workflow of the fast food chains when the cup is used in thousands of restaurants nationwide. Organize around the customer In a world without a clear center, the organization needs to be organized around the needs of the customers. In this age, companies can be designed to realize Peter Drucker’s observation that the organization exists to serve the customer. The old model saw the organization as existing to deliver something to the customer. The customer was at the end of the supply chain with hands outstretched. The new model sees the organization as working with the customer, placing the customer at the center, serving the customer. This is a fundamentally different design, in which the company, in a certain sense, becomes second to the customer but still retains its own separate identity. This kind of blurring of the lines is only possible through thick connections of information technology, communications and other systems that can weave together the customer and company. Li & Fung, for example, devotes dedicated divisions to specific customers (retailers contracting for manufacturing), and the employees essentially work for a customer and Li & Fung at the same time. Consistent with current thinking about customer-centric organizations, one can even expect further development toward sub-organizations by key customers or customer segments. This is critical as the end consumers become more empowered and are looking for customization and a unique experience. Information technology can be used to track metrics centered on customers to keep the system aligned with customer interests. In this way, we could see the „fragmentation“ of organizations that parallels the fragmentation of consumer markets. Implications: Structure your organization according to your customer needs and workflow. Build customer-centric divisions to provide tailor-made and quick response services to your customers. Li & Fung organizes itself into several hundred divisions under the corporate umbrella, backed by a central operation support group. Each division serves the needs of 1–2 customers, this setup ensures efficiency and highest level of customer service. Customer service always goes first.
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Think big, act small In a flat world, the organization needs to be large enough to capitalize on the opportunities of global scale but small enough to respond flexibly to rapid shifts in customer demands. This requires an organizational structure that balances entrepreneurship and being close to the customer with economies of scale and scope. Li & Fung cultivates a set of „Little John Waynes“ who run its business units. They are given substantial autonomy in operating their enterprises while benefiting from the infrastructure and support of the larger organization. Implications: The organizational setup should provide both flexibility and incentive to provide quick response. Divisions should provide humble and customer-centric services. Orchestrate the network As vertically integrated organizations have been replaced by networks, and these networks have become more broadly dispersed, the need for hierarchical management skills has given way to the need for capabilities in network orchestration. Running a vertically integrated firm meant controlling internal systems, but now the hierarchies are flattened. Li & Fung’s network of more than 15,000 manufacturers can be drawn together in different configurations to address specific customer orders, respond to economic or political shocks or to take advantage of capabilities in different parts of the world. This orchestration is critical for all firms in a world of increasingly open innovation, as companies such as Procter & Gamble are looking outside their own R&D departments for new products. These networks for product development often involve customers in the design, manufacturing and marketing of the firm’s products and services. By drawing together many small players, the orchestrator is leveling the playing field and democratizing the network. For small customers, the company aggregates buying power and knowledge. For small suppliers, this community aggregates demand, leveling the playing field and offering knowledge of corporate social responsibility and manufacturing. Implications: It is not necessary to control and own everything along the supply chain, but to carefully focus on the core strength and then liaise a network of partners to jointly complete tasks. Create thick connections A networked world is not held together by rigid control processes, which are slow to change. Instead, the glue that holds together these fluid networks is information flowing through thick connections across the entire value chain – from factory floor to end consumer. These connections allow diffused networks to act like a single organization. Implications: Supply chain partners should work hand in hand but at the same time maintain a loose-tight partnership. For example, Li & Fung only utilizes 70 % of
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the capacity of its 15,000 + active suppliers; the suppliers can utilize their remaining 30 % capacity to supply others. This facilitates a close relationship between Li & Fung and its partners but at the same time allow supplier partners to learn from outside and to upgrade themselves. Balance stability and renewal In a fluid world, the key challenge is offering enough stability so managers can act effectively, and move in the same direction, with enough flexibility so that they can respond to changing conditions. To achieve this balance, Li & Fung uses threeyear fixed plans to bind together a set of relatively independent enterprises, keeping them focused on achieving corporate stretch goals. In contrast to rolling plans, three years provides enough stability so that managers have time to develop and execute plans against these goals. The managers and employees know that there will be no major organizational changes in this three-year period (and also their base salary will remain the same). But they also know that they have to deliver on the goals by the end of the period and their compensation will be based upon their success. This is in contrast to five-year rolling plans that look at a longer period but create a moving target that sometimes makes it hard for managers to respond effectively and measure the results. While not every company will find the three-year plan is the best fit for their businesses, organizations need to find effective approaches to planning that balance stability and renewal. This often means thinking outside the dictates of conventional quarterly reporting and rolling three to five year plans. Implications: Three-Year Plans are non-rolling, once confirmed they will not be changed or adjusted, no matter how the environment changes. This is a stretched goal to be achieved, which is a stable and clear objective to strive for.
6.4.3.6
Conclusion: We should Think, Act and Organize in a Flat way
A flat world challenges our views of our supply chains and our organizations. New relationships inside and outside these flat organizations challenge the very meaning of the corporation itself. No company can afford to see itself as a solitary player. Every organization is part of a network and recognizing this creates the opportunity to better architect and orchestrate this network. Ultimately this means successful organizations in the flat world need to be flatter themselves. They need to reshape themselves with the same drivers that have made the world flat. As customers become more empowered and technology more fluid, these organizations need to become more customer centric. As organizations become networked, companies need to build capabilities in network orchestration. As the line of sight becomes broader in a flat world, organizations need to take a broader, more holistic view of their own value chains. As value communities are more loosely linked, organizations need to create the right architecture to ensure that they meet the goals of their stakeholders. As the world changes quickly, organizations need the right balance between stability and flexibility to react effectively without becoming
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hyper-reactive. As organizations need build scale to compete globally, they also need to be designed to think and act entrepreneurial. The world is becoming flatter. This is an unavoidable trend, although there will clearly be bumps along the road and these are often a source of opportunity. As the world reshapes itself, we have to reshape our own thinking. We need new mental models to understand the opportunities and threats of this new environment and to act effectively in it. We need new ways of thinking, designing and propelling our organizations for a new world. As a company that has been close to the forces flattening the world, Li & Fung has been working hard in addressing these new ways of thinking and managing the supply chains of many global retailers accordingly. The Li & Fung experience, as well as those of other pioneers in this area, can offer valuable insights to other managers concerned with competing in a flat world, and help them to change their thinking, organizations and strategies to meet this flat world.
6.4.3.7
Context & Trends: The post-financial crisis strategies of China’s manufacturers and sourcing businesses
The post-crisis recovery was well on track in 2010. Major international organizations such as the World Trade Organization are optimistic with the outlook of global trade. However, recent figures show that China’s economic growth has been slowing. Although China’s manufacturing sector has received increasing orders from domestic and foreign markets, growth moderation has been observed. Besides, Chinese manufacturers currently face mounting cost pressure, which stem from the rising wages and the higher prices of raw materials and energy. RMB appreciation poses another challenge to Chinese exporters. Finally, though protectionism is decreasing on a global basis, more protectionist policies against China have been observed. The post-financial crisis strategies of China’s manufacturers Cost reduction Various cost cutting approaches have been adopted by the enterprises to cope with the challenges. Examples include increasing automation (substituting machines for workers), improving operational efficiency, outsourcing non-core production processes such as transportation, conducting online sourcing and marketing, etc. As a case in point, Vtech, one of the largest corded and cordless telephone suppliers of AT&T, has increased automation and rely less on manpower. Diversifying export markets The financial crisis has made enterprises realize that solely relying on the traditional export markets could be risky; and that diversifying export markets is one of the wayouts. Traditional export markets such as the US, the EU and Japan are still weak, yet the emerging markets have maintained strong growth momentum. For instance,
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the number of buyers from emerging markets, such as Russia, Brazil, India and the ASEAN countries, attending the 108th China Import and Export Fair1 (famously known as the Canton Fair) held in October 2010 increased significantly. In fact, trade between China and the other three members of the BRICs, namely Russia, Brazil and India, experienced remarkable growth in 3Q10, recording yoy growth of 99.3, 73.7 and 35.8 % in trade value respectively; while trade between China and the US, the EU and Japan only rose by 34.6, 33.5 and 21.9 % yoy respectively. Taking a closer look at China’s exports by product, China exported 1.73 billion pairs of shoes to the US in January 2010, down by 10 % yoy; 1.34 billion pairs to the EU, representing a decline of 3.4 % yoy; and 520 million pairs to Japan, a drop of 2.1 % yoy. The exports of shoes to the ASEAN countries, by contrast, were impressive, recording a surge of 61.5 % yoy in the same month. China’s export values of toys to the US and the EU in January 2010 were US $210 million and USD 160 million, which shrank by 1.8 and 2.2 % yoy respectively. However, the export value to South America was 26.8 million, up by 3.7 % yoy. The export value to the ASEAN countries achieved a stunning growth of 130 % yoy, reaching USD 31.5 million. As for furnishing products, China’s export value to the US in January 2010 was US 840 million, down by 5.7 % yoy. The exports to the EU showed slight recovery at USD 710 million, up by 9.3 % yoy. The growth rate of export value to the ASEAN countries was spectacular: US 270 million of furnishing products were exported to ASEAN in that month alone, up by 2.1 times yoy. The extraordinary growth was largely due to the establishment of the China-ASEAN Free Trade Area on 1 January 2010. Developing the China market More and more export-oriented manufacturers in China started developing the domestic market, in a bid to reduce their reliance on the unstable export markets and explore new market opportunities. This is in line with China’s policy of boosting domestic demand. The results of a survey conducted by the Chinese Manufacturers’ Association of Hong Kong (CMA) in April 2010 demonstrate the escalating importance of the Chinese market to Hong Kong-owned enterprises. About 70 % of the respondents expect the export orders in 2010 to be stable or better than year 2009. In comparison, over 90 % of the enterprises which sell to the China market expected to see stable or more orders in 2010, and the average expected annual growth in orders was as high as 30 %. However, selling in China is not easy. According to the above-mentioned survey by the CMA, the various forms of tax and administrative fees, complicated administrative procedures and regulations, strict restrictions on processing trade enterprises to sell in the domestic market, serious infringement of intellectual property rights, and the lack of distribution channels are the major obstacles barring the export-oriented manufacturers from developing the domestic market.
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Both central and local governments have introduced policies to help the manufacturers. For example, the State Council issued a series of policies in May 2009, including simplifying the approval procedures for processing trade enterprises without domestic selling rights to sell in the domestic market and organizing trade fairs for domestic selling. Local governments in export-oriented provinces have also been active in helping the manufacturers to tap into the domestic market. Take the Guangdong province as an example. In order to facilitate the enterprises engaging in processing/assembly operations and compensatory trade (TFPs) to transform into foreign-invested enterprises (FIEs), which are allowed to sell in the domestic market, the government announced in August 2008 the instructions to help enterprises transform without the need to cease production. Tax subsidies would also be provided to these enterprises during the process. The Dongguan government also launched in 2009 a spate of measures to support the enterprises to develop the domestic market. Industrial upgrading and transformation Facing numerous challenges including tightened processing trade policies (e.g. the expanded prohibited and restricted lists for processing trade), the reduction in export VAT rebates, RMB appreciation and the rise of labour cost after a series of labour disputes, enterprises have to accelerate their upgrading and transformation. Wenzhou Shoe & Leather Industry Association recently released a guidebook suggesting a series of measures for shoe manufacturers in Wenzhou to upgrade and transform their businesses. These measures include developing their own brands, promoting innovation, developing higher value-added products, increasing investment in research and development (R&D), etc. Homa Appliances Co., Ltd (Homa) is a case in point. It is a Chinese refrigerator manufacturer which exports its products mainly to the EU. It is the original equipment manufacturer (OEM) for famous brands such as Whirlpool, Changhong and TCL. It started building its own brand since 2007, and it hired pop stars as the brand’s spokespersons and launched TV commercials to increase popularity of the brand. Homa also developed the Chinese rural market with the help of the „rural subsidies scheme for home appliance purchases“ program. The sales of Homa’s refrigerators in the rural market turned out to be more than satisfactory. At the same time, Homa’s export business also outperformed the market. In 2009, while big brands like Samsung, LG and Haier were suffering from decline in exports, Homa achieved stunning export growth of 70 % – with 2,5 million refrigerators exported overseas. In the face of competition from top brands, some enterprises focus on development of new products. Beijing Tianyu Communication Equipment Co.Ltd, a handset manufacturer, launched new handsets with functions and designs tailor-made for Chinese consumers. With competitive price, the new models contributed significantly to the increasing market share for the company. The company’s market share in 1Q07 was only 1.2 %, but it climbed to 7.5 % in 1Q10. The company is now the third largest player in the handset market in China, only after Nokia and Samsung.
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BYD Company Limited (BYD) is another case for industrial upgrading. BYD produced rechargeable batteries at the beginning and then stepped into the automobile business. The company applied their leading technology in battery manufacturing when it was doing R&D on environmental-friendly electric automobiles. The E6 electric car was introduced in Shenzhen in 2010, and the company expects to export E6 to the US later this year and to Europe in 2011. Besides automobile manufacturing and distribution, BYD will work with a subsidiary of Société Générale to expand its business scope into car loans. Industrial relocation The central government had planned to encourage enterprises along the eastern coast to relocate to the less developed central and western China since 2007, but the outbreak of the financial tsunami called it a halt. Given the surge in raw materials, labour and energy costs, as well as growing expectations of RMB appreciation recently, enterprises have to re-consider moving locations. According to the abovementioned CMA survey, 33.1 % of the surveyed enterprises with production activities in the Pearl River Delta would consider relocating their production. For example, facing the recent series of suicides among its workers, Foxconn has speeded up its construction of the new plant in Chongqing. It has also accelerated its plans to set up new production capacities in other inland provinces such as Henan and even other countries like Vietnam and India. Some would consider expanding their existing production lines outside China. Coach, the international luxury brand of women’s handbag, is planning to expand its production scale in Vietnam and India. Takara Tomy, a Japanese toy company, have also decided to shift 30 % of its existing production from China to Vietnam in the next few years. More enterprises adopt a gradual approach towards relocation. They prefer to relocate labour intensive or low value-added production processes to low-cost provinces first. For example, Foxconn will relocate almost all parts of its production line from Shenzhen to the inland, leaving only two high value-added processes in the Shenzhen production plants. A shoe manufacturer in Foshan also relocates part of its production to inland China by moving the processing of semi-finished products to a factory in Guiyang County in Hunan province. The main factory in Foshan provides raw materials for the factory in Guiyang and the semi-finished products are then sent back to the Foshan factory for final processing, before exporting to Europe and the US. In the past, enterprises were reluctant to relocate to inland China since the production chains were not yet formed there. However, it is likely that the recent waves of relocation of large enterprises would bring their upstream and downstream enterprises, such as suppliers, logistics and other business services providers to the inland regions. The emergence of industrial clusters in the inland regions will in turn become another favourable factor. It is expected that more enterprises will opt for relocation in the near future.
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In fact, when picking locations for relocation, enterprises should consider various factors, such as the availability of industrial clusters, labour cost, transportation cost and their relationship with the local governments. For instance, Fountain Set (Holdings) Limited, one of the world’s largest circular knitted fabric manufacturers, picked a coastal city in Jiangsu province: Yancheng. The new fabric mill, worth USD 100 million, commenced operation in January 2010. By contrast, Chimei, the largest LCD panel manufacturer in Taiwan, set up its new factories in cities in central provinces like Wuhan. On the other hand, some large-sized enterprises established their production plants across China as well as around the world. For example, Foxconn has presence in Chengdu of Sichuan province, Huai’an of Jiangsu province and Tianjin; and is now planning to launch new plants in Yantai (in Shandong province), Wuhan (in Hubei province) and Zhengzhou (in Henan province). It is also establishing plants in India, Vietnam, Brazil, Finland and Mexico. Taking full advantage of the government policies to reinvigorate the economy The central government has introduced a series of policies to help enterprises to get through the difficult time. For example, to facilitate industrial upgrading, the Ministry of Finance announced in June 2010 that subsidies or interest-free loans would be provided to small- and medium-sized enterprises (SMEs) for upgrading technology, energy savings and emission reduction. As for industrial relocation, an array of policies were introduced by the State Council in April 2010 to facilitate industrial relocation. Tax breaks and other incentives will be provided to encourage foreign-invested enterprises in eastern China to relocate to central and western China. The government also tries to encourage enterprises to develop the domestic market. A number of policies have been introduced to help export-oriented manufacturers to deal with difficulties in sourcing, production and testing when developing the domestic market. More details can be found in the part „developing the China market“ above. Local governments are also actively providing policy supports to enterprises. For example, the Guangdong government has implemented new measures since April 2010 to help its enterprises develop the overseas market, in a bid to promote the province’s competitiveness at the international level.
6.4.3.8
Implications for supply chain management
China remains one of the most competitive sourcing bases in the world According to the 2010 Global Manufacturing Competitiveness Index, a report by Deloitte’s Global Manufacturing Industry group and the U.S. Council on Competitiveness, China ranks first in terms of manufacturing competitiveness. The report also forecasts that China will remain the most competitive location for manufacturing in the coming five years.
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To many multinational corporations, China is still their most important sourcing base, despite the challenging business environment. Some of them have even expanded the scale of sourcing in China. This is attributable to the relatively well-developed infrastructure, thousands of vibrant industrial clusters with complete production chains, abundant supply of innovative talents and skilled labour, stable political environment and diversified yet distinctive products available in China. As for Li & Fung Limited, one of the largest global supply chain management companies, China remains its most important sourcing market. In 2009, 54 % of its global sourcing was from China, up from 52 % in 2008. Other renowned multinational corporations which have set up sourcing departments or even head offices of sourcing in China include IBM, Office Depot and Staples. China is also an increasingly popular location for manufacturing bases and sourcing for Hong Kong enterprises. According to a survey on offshore trade conducted by the Hong Kong Trade Development Council in 1Q2010, 93 % of the surveyed enterprises conducted manufacturing or sourcing activities in the Chinese Mainland in 2009. Besides, the percentage of enterprises which manufactured or sourced solely in China rose significantly from 56 % in 2006 to 62 % in 2009. On the other hand, trade protectionism against China has been on the rise. Commonly-used measures by foreign countries to combat Chinese imports include technical and environmental barriers. To overcome these barriers, enterprises in China have turned their focus to enhancing product quality. A survey by the Development Research Centre of the State Council in China revealed that many foreign companies were planning to relocate their R&D centres to China, believing that the technological talents in China can greatly contribute to the quality enhancement of their products. China will thus remain a highly competitive sourcing base as more products with outstanding quality will emerge in the country. The China-plus-one strategy – one should be cautious when extending sourcing network to other countries Due to the surging production costs, especially the labour cost, in China, more buyers tend to adopt the „China-plus-one“ strategy and adjust the proportion of sourcing among different sourcing bases. As it continues to move upward the value chain, China and other manufacturing bases in the emerging economies can complement each other to satisfy overseas demand for labour intensive products. However, one should not only focus on production costs when extending his sourcing network to other low-cost countries. Factors such as manufacturing capabilities, political and economic environments, availability of industrial clusters, quality of labour force, language and culture, and transportation and logistics should also be taken into account. For example, Bangladesh offers low-cost production, but it is always overbooked. As for Southeast Asian countries such as Vietnam, Indonesia, Thailand and Cambodia, the smaller landmass and workforce, as well as the less developed infrastructure and transportation are obstacles to large scale production in spite of their lower cost of land and labour.
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One should also be aware of the political unrest in some of these countries, such as Thailand and Indonesia. Exploring sourcing opportunities in other regions in China Apart from the coastal manufacturing bases, other provinces, especially those located in central and western China, also deserve attention from buyers. According to the National Bureau of Statistics, the value-added of industry of enterprises above designated size in the whole country grew by 17.6 % yoy in 1H10. By region, the growth rates in eastern, central and western regions were 16.7, 20.7 and 17.6 % respectively. China Customs also reveals that Guangdong, Jiangsu and Shanghai together recorded a growth of 36.6 % yoy in processing trade in 1H10, while the growth rate for central China and western China reached 62.5 and 61.8 % yoy respectively. These figures indicate stronger growth in central and western China than in the coastal region. According to the list of top 100 industrial clusters in China released by the Chinese Academy of Social Sciences in December 2009, many of the competitive clusters in China were located in the coastal areas. However, an increasing number of competitive industrial clusters were emerging in central and western China. In the 2007 and 2008 exercises, only five or six industrial clusters on the top 100 list were from inland provinces, but the number rose to 16 in 2009. The change was mainly attributed to the industrial relocation and the robust development of the inland market in recent years. Nowadays, products with outstanding quality and competitive prices are available not only in the coastal areas. Therefore, buyers should explore and nurture relationship with suppliers from emerging manufacturing bases in the inland regions. Supplier management is crucial Buyers are advised to stick to quality suppliers with sound management and up-tostandard production. The recent labour disputes at Foxconn and Honda have raised public awareness on „sweatshops“. Consumers are increasingly concerned about the misbehavior of manufacturers and brand owners, such as providing inhumane working conditions for the workers. To respond to the consumer concerns, buyers should monitor the suppliers on all issues related to corporate social responsibility. In fact, maintaining good and interdependent relationship is crucial for both buyers and suppliers. Buyers should have a good understanding of the suppliers’ operation, and should keep in touch with all levels of the suppliers’ staff for effective communication. Green sourcing is gaining importance Global warming tops the agenda of many countries nowadays, while consumers are becoming more conscious of green issues. Carbon emissions, renewable energy, recycling, as well as organic products have become commonly discussed topics. As
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for enterprises, customers’ concerns over green issues lead them to practise green sourcing. Green sourcing can be practised through carrying out green policies based on customers’ requirements regarding environmental-friendly raw materials, packaging and product management, as well as adopting energy savings measures in daily operation. Green sourcing brings benefits to enterprises in many ways. First, it can satisfy consumers who are more environmentally conscious. Second, production costs and social costs can be brought down and revenue can be boosted by energy savings and emission reduction during the production process. Besides, the environmentalfriendly products can more easily enter the overseas markets with green trade barriers. Finally, it can contribute to a better public image and reputation of the enterprises. In fact, more and more enterprises have integrated green sourcing into their sustainable development strategy. For example, Walmart, the world’s largest retailer, promised to provide products with carbon emission labels in 2010. Zhejiang Aokang Shoes Co., Ltd., one of the leading shoe manufacturers in China, has introduced a set of green sourcing standards for its products. The green standards cover the design, production and retailing processes. For instance, all raw materials for shoe production, including leather, soles and shoe ornaments have to meet the green requirements set in the standards. Outsourcing the sourcing function has become a trend By outsourcing non-core functions to professionals providing quality services, enterprises can focus on their core competences. Sourcing is one of the business processes to be outsourced; it can be partly or entirely outsourced to sourcing firms. In fact, quite a number of the US retailers have outsourced their sourcing functions to professional sourcing firms so that they can focus more on product design and development, retailing and marketing. Amid the financial crisis, enterprises had to adopt stricter cost control measures. Many enterprises chose to outsource their sourcing functions. It is expected that the trend will continue even during the recovery. For example, Walmart Stores entered into a landmark sourcing arrangement with Li & Fung Limited in January 2010. The sourcing volume is expected to reach USD 2 billion in the first year of cooperation. Li & Fung Limited also announced in November 2010 that it will become a sourcing agent for Li Ning Company Limited’s brands, highly popular sports brands in China, in both international and domestic market. To source and sell in China makes China sourcing even more appealing As mentioned above, many multinational corporations source in China and thus consumers all over the world are enjoying the high quality yet price competitive Chinese-made products. However, China is not only a globally competitive sourcing base, but also a consumer market of huge potential. In the past 30 years, China has achieved tremendous economic success and the average income of the Chinese people is on continual rise. The Chinese consumer market has been growing rapidly:
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Double-digit growth in total retail sales of consumer goods was recorded almost every year for the past 10 years. In view of this, many buyers who originally source in China and sell in overseas markets now want to tap into China’s lucrative consumer market. According to the 2010 White Paper on the State of American Business in China, 58 % of their member companies (US companies in China) indicated that they were in China to produce or source goods and services domestically for the Chinese market, rather than for export. However, numerous institutional obstacles still hinder domestic selling. For example, many Chinese manufacturers do not have domestic selling rights. The Chinese consumers thus do not have access to the high quality and price competitive Chinesemade products. Removing these institutional barriers will benefit not only the Chinese consumers, but will also be in line with government’s policy to boost domestic demand. As for the enterprises, if they can source from China and then sell to the China market, ,China sourcing‘ will become an even more appealing strategy. Gordon Chi Wing LAM: Gordon is Senior Manager of Li & Fung Development (China) Limited & Li & Fung Research Centre of the Li & Fung Group. He joined Li & Fung in 2003 and had 8 years experience in Trading, Logistics, Retail and Supply Chain Operations. He is currently responsible for the development of business models and management theories to support Li & Fung Group’s business strategies in China. Prior to Li & Fung, Gordon worked in PricewaterhouseCoopers as an auditor. He is a member of the Hong Kong Institute of Directors. Gordon obtained his Bachelor of Business Administration in Accounting & Finance from the University of Hong Kong, his MBA from the Chinese University of Hong Kong, and his Master of Science in Knowledge Management from the Hong Kong Polytechnic University. He is currently a PhD Candidate at the Shanghai University of Finance & Economics. Gordon can be reached by email at
[email protected] Teil III
Zusammenfassung
Kapitel 7
Zusammenfassung
China – Bedrohung oder Chance? Für die einen ist China eine Gefahr, die zahlreichen neuen Konkurrenten vor Augen habend, die unschlagbar billig ihre Produkte anbieten und immer mehr bei der Qualität aufholen. Für die anderen ist China eine Chance, weil im wachsenden Markt „China“ neues Geschäft gemacht werden kann, während westliche Märkte stagnieren. Auf der anderen Seite bauen sich Abhängigkeiten auf und Risiken entstehen. Chancen ergeben sich auf der Beschaffungsseite durch günstige Einkaufspreise – wenn die Qualität stimmt! China wächst – und das seit Jahren, selbst in der Krise war das so. Der Export läuft seit langem, nun springt das Binnenwachstum an. Wer als westliches Unternehmen am Wachstum partizipieren möchte, muss den chinesischen Markt kennen. Marktnähe und -wissen sind dann gegeben, wenn man lokal präsent ist und vor Ort produziert. Eine lokalisierte Wertschöpfung erfolgt also nicht nur wegen der Local Content-Anforderungen, nicht nur, um Importzölle zu vermeiden, sondern auch, um Marktentwicklungen zu erkennen sowie schnell und flexibel den Kunden bedienen zu können. Spezifische Randbedingungen sind bei der Wertschöpfung in China zu berücksichtigen. Der tendenziell höhere manuelle Wertschöpfungsanteil ist einer davon, die Mentalität der chinesischen Mitarbeiter ein weiterer. Der Präzisionsanspruch sei nur beispielhaft erwähnt – oder wie wurde es doch so schön von Dr. Lanfen Guo beschrieben: Eine „tief eingeprägte Ungefähr-Einstellung verschafft zahllose Auswege in allen möglichen Bereichen“. Unter Berücksichtigung von China-Spezifika lassen sich indes – wie die Praxisbeispiele zeigen – Lean-Ansätze, fortgeschrittene Versorgungsprinzipien (Kanban, JIT und JIS) und Performance-Konzepte ebenfalls in China erfolgreich umsetzen; Ansätze, die den Einzug in westliche Fabriken auch erst kürzlich geschafft haben. Viele der neuen chinesischen Fabriken (insbes. von westlichen WFOE oder JV) sind nach neuesten Lean-Erkenntnissen aufgebaut und sind manchmal sogar moderner als westliche Fabriken. Schwieriger wird es bei den „Soft-facts“: zum Beispiel beim Aufbau einer Gruppenarbeit mit hohem Verantwortungsgrad, bei der Implementierung einer autonomen, präventiven Instandhaltung, bei der Einhaltung von Standards und der Verankerung der kontinuierlichen Verbesserung in der Unternehmenskultur. Qualifikation und Motivation bilden zentrale Optimierungshebel. Einen Vorteil hat derjenige, der die Mitarbeiterfluktuation in den Griff bekommt. Neben der Produktion schlummern besonders in der Logistik
P. Faust, G. Yang (Hrsg.), China Sourcing, DOI 10.1007/978-3-642-23264-0_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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noch beträchtliche Potenziale, bedingt durch eine mangelnde Integration entlang der Supply Chain und einer unzureichenden Standardisierung (z. B. Ladungsträger). Bestände und hohe Frachtkosten sind die Folge. Die Reduzierung auf wenige Logistikdienstleister ermöglicht Bündelungspotenziale und den Aufbau strategischer Partnerschaften, wenngleich Abhängigkeiten und One Stop Solutions zu vermeiden sind. China wird immer mehr zum Sourcing-Markt. Wesentliche Herausforderungen im China Sourcing liegen unter anderem in der mangelnden Transparenz des Beschaffungsmarkts, in den interkulturellen Differenzen, im Schutz geistigen Eigentums und in der Qualität. Mangelnde Prozessstandards, eine verbesserungsfähige Qualifikation des Personals und die unzureichende Anwendung präventiver Qualitätsmethoden bilden wesentliche Ursachen für Qualitätsprobleme. Die in China durchgeführte Umfrage „Quality Made in China“ zeigt den Handlungsbedarf bei der LieferantenQualität deutlich auf. Ohne Lieferanten-Entwicklung geht es in vielen Fällen nicht („You get what you inspect, not what you expect“). In den Praxisbeispielen wird beschrieben, dass es sinnvoll ist, entsprechende Fachkräfte lokal im Einsatz zu haben. Einen Erfolg versprechenden Ansatz bildet die Forward Supply Base, die, vor Ort in China, funktionsübergreifend (Einkauf, Qualität und Logistik) an der Auswahl attraktiver Lieferanten, der Qualitätsverbesserung sowie der effizienten und sicheren Materialversorgung arbeitet. Ziel ist, dass kein fehlerhaftes Teil in den Container gelangt. Aufgezeigt wird außerdem, China Sourcing ist schrittweise anzugehen, beginnend mit einfachen Teilen, um Erfahrungen zu sammeln und mit Erfolgen weitere Rückendeckung in der Organisation zu bekommen („Weniger ist Mehr“). Eine ganzheitliche Kosten-/Nutzen-Abwägung unterstützt die Auswahl der für ein China Sourcing richtigen Teile. Nicht nur die Materialpreise sollten dabei Eingang finden, sondern unter anderem auch Logistikkosten sowie Flexibilitäts- und Risikoaspekte. Bevor eine Lieferbeziehung aufgebaut wird, ist ohnehin zunächst einmal der Reifegrad bei der Produkt- und Prozessqualität sicherzustellen. Technische Stabilität ist nicht alles. Vertrauen und Beziehungen (Guanxi) sind nicht nur auf der Vertriebsseite von außerordentlicher Wichtigkeit, sondern auch an der Lieferanten-Schnittstelle. Gute Verträge allein reichen nicht. Stabile Lieferanten-Beziehungen benötigen – nicht nur in China – eine Win-win-Situation, die frühzeitig zu planen und bei Vertragsgesprächen zu berücksichtigen ist. Verhandlungen gehören an sich schon zur chinesischen Kultur. Westliche Einkäufer sollten die Besonderheiten des chinesischen Verhandlungsverhaltens kennen und sich darauf einstellen – und vor allem Zeit und Geduld mitbringen. Kostenverbesserungen lassen sich indes nicht nur mit klassischem Verhandeln erreichen. Wenngleich für chinesische Lieferanten manchmal noch ungewöhnlich, innovative Ansätze, wie die partnerschaftliche Prozess- und Kostenoptimierung, können auch in China erfolgreich eingesetzt werden, wie das Beispiel ZF Sachs zeigt. Zweifel können angemeldet werden, ob sich die exorbitante Wachstumsdynamik des chinesischen Marktes von 2010 in der gleichen Weise immerzu fortschreiben lässt: Sollte sich das Wachstum abschwächen, dürften sich zahlreiche chinesische Lieferanten in der Zukunft noch mehr der Export-Seite öffnen. Sollte das „Local
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for Local-Prinzip“ tatsächlich auch bei westlichen Werken an Bedeutung gewinnen, wofür es Anzeichen gibt, dann ergeben sich für die chinesischen Unternehmen neue Herausforderungen im Export. Zudem werden Faktorkosten-Vorteile sinken, beschleunigt durch die bereits erkennbare Lohnspirale, so dass man dem rauen Wind des Wettbewerbs noch mehr ausgesetzt sein wird. Die Frage nach dem eigenen Footprint wird sich außerdem stellen, es bedarf – früher oder später – einer Öffnung nach außen, was für viele chinesische Unternehmen Neuland ist, auch historisch-kulturell bedingt. Akquisitionen und Kooperationen werden im ersten Schritt genutzt. Im Automobilmarkt ist die Internationalisierung der chinesischen Hersteller bereits in vollem Gange. Chery, zum Beispiel, exportiert bereits in über 50 Länder und verfügt über sieben ausländische Montagewerke mit klarem Fokus auf Schwellenländer, wie Indonesien, Ukraine oder Russland. BYD verkauft Pkw in über 60 „emerging markets“. Der Markteintritt in den Vereinigten Staaten und in Europa ist mit Elektroautos und -Bussen geplant, also mit Produkten, die auf entstehende Märkte abzielen; dort, wo das Spiel gerade beginnt, statt in etablierten, längst besetzten (konventionellen) Märkten. Das Erfolgsbeispiel „Fuyao“ zeigt, wie ein chinesisches Unternehmen, zunächst kritisch beäugt wegen Qualitätsvorbehalten, den Sprung in den europäischen Markt mit (lokalen) europäischen Wertschöpfungsstandorten schaffte. Eine Besonderheit chinesischer Lieferanten liegt darin, dass die Bereitschaft zum Export nicht zwangsläufig gegeben ist; unter anderem, weil allein schon der chinesische Binnenmarkt zahlreiche Absatzchancen bietet. Somit bildet neben der Export-Fähigkeit die Export-Bereitschaft die zweite Teildimension der Export-Kompetenz. Die Fähigkeit wird nicht nur durch formale Indikatoren (Exportlizenz, ISO 9000, Zertifikate) dokumentiert. Weitere Einflussfaktoren stellen die finanzielle Leistungsfähigkeit, die Prozessbeherrschung (Projektmanagement, After Sales-Service, Prozessdokumentation, Kommunikation), die vorzufindenden IT-Systeme (Waren-Verfügbarkeit, EDI, CAD-Schnittstelle) und weitere entsprechende Skills (Englisch-Kenntnisse, Erfahrung/Fluktuation, Zoll/Versicherung, Verpackung, Wechselkurse) dar. Der Export-Bereitschaftsindex lässt sich ermitteln auf Basis der Marktstimuli (Auslastungsgrad, Wachstum des Inlandsmarkts, Marktähnlichkeit), der vorzufindenden Internationalisierungsstrategie, der ExportErfahrungen und -Zustimmung. Die in diesem Buch beschriebene empirische Untersuchung behandelt die Bewertung der Export-Kompetenz von Lieferanten für maschinentechnische Anlagegüter der chemischen Industrie und zeigt, wie sich das Modell anwenden lässt. Ein strukturierter Kompetenz-Check entsprechend des beschriebenen Modells trägt für chinesische Lieferanten zur eigenen Positionsbestimmung bei und zeigt einen möglichen Bedarf zur Weiterentwicklung auf. Zur Beurteilung der ExportKompetenz chinesischer Lieferanten bildet das eingesetzte Modell insbesondere einen hilfreichen Ansatz für Einkäufer westlicher Unternehmen. Eine systematische Beurteilung der Export-Kompetenz erleichtert den Sourcing-Prozess und verbessert das Sourcing-Ergebnis, weil man bereits bei der Lieferanten-Vorauswahl das Kriterium „Export-Kompetenz“ für eine grobe Filterung einsetzen kann und bei der tatsächlichen Lieferanten-Auswahl ein weiteres fundiertes Beurteilungskriterium vorliegt. Dies kann dazu beitragen, dass man zu einem späteren Zeitpunkt böse
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Überraschungen vermeidet. Denn: „You get what you expect“ sollte – ohne Abstriche beim Qualitätsanspruch – auch beim China Sourcing weiterhin das Ziel sein! Die vorgestellten Einschätzungen und Untersuchungen des chinesischen Beschaffungsmarkts sowie die Methodik zur Ermittlung der Export-Kompetenz können dazu beitragen, sich diesem Ziel zu nähern. Bewusst wurden sowohl Aspekte der Beschaffungsperspektive als auch die Sichtweise chinesischer Lieferanten beleuchtet, um Verhaltensweisen zu verstehen und ein ganzheitliches Bild zur Export-Kompetenz zu skizzieren. Ausgewogene Beschaffungsentscheidungen entstehen, wenn vor allem die Sichten von Einkauf, Produktion, Logistik und Qualitätsmanagement zusammengeführt werden. Beschaffungsund Wertschöpfungskonzepte können ohnehin nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Die zuvor skizzierte methodische Herangehensweise, angereichert mit den unterschiedlichen Facetten der beschriebenen Praxiserfahrungen, unterstützt ein kontinuierliches Scannen und Beurteilen der Entwicklungen des Beschaffungsmarkts und Wertschöpfungsorts China, was erforderlich ist, weil die Veränderungen rasant sind. Denn: China ist Geschwindigkeit, China ist Dynamik – China ist eine Chance.
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Sachverzeichnis
A Auditierung, 57 Ausbildungssystem, 71 Ausfuhr, 9, 10 Auslandsinvestition, 16 Auslauf-Management, 222 Autobranche, 30 Außenhandel, 9 B Baidu, 24 Baojun, 31 Baosteel, 28 Best Cost Country Sourcing, 39, 244 Bestandsplanung, 221 Bildungssystem, 19 Billigauto, 31 Billigproduktion, 53 Binnenkonsum, 32 Binnenwachstum, 10 BIP, siehe Bruttoinlandsprodukt Bonded Logistics Park, 228 BRIC (Brasilien – Russland – Indien – China), 13 Bruttoinlandsprodukt (BIP), 8–10 Build Your Dreams (BYD), 34, 265–269 BYD, siehe Build Your Dreams C Chery, 35 China International Marine Containers Group (CIMC), 26 Chongqing, 21, 33, 50 CIMC, siehe China International Marine Containers Group Collaborative Supply Chain Management, 219, 220
Commodity, 138 Cultural difference, 159 D Direktinvestition, 18 Distribution, 173, 176 E Elektromobilität, 33 Entlassung, 200 Ersatzteillogistik, 222 Export, 8–11 Exportbereitschaft, 85, 91 Exportfähigkeit, 83, 99 Exportkompetenz, 80–82, 86 Exportkontext, 82, 89, 90 Exportvolumen, 8 F F&E, siehe Forschung und Entwicklung Fünfjahresplan, 10, 11, 20, 32, 170 Failure Mode and Effects Analysis (FMEA), 61, 72, 251 Faktor „Mensch“, 71 FCL, siehe Full Container Load Fertigungs-Lokalisierung, 43 First-Contact-Lieferanten, 239 FMEA, siehe Failure Mode and Effects Analysis Forschung und Entwicklung (F&E), 11, 18 Forward Supply Base, 123–125 Freihandelszone, 228 Full Container Load, 212, 214 Fuson, 25 Fuyao, 35, 270–274 G Gateway, 240 Geely, 32, 36 Gesichtsverlust, 47, 64
P. Faust, G. Yang (Hrsg.), China Sourcing, DOI 10.1007/978-3-642-23264-0, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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306 Gewährleistung, 164 Global Sourcing, 37, 38, 132 Gruppenarbeit, 64 Guangdong, 21, 54 Guanxi, 48, 158, 160 H Haier, 28–30 Handelsplus, 10 Huawei, 25 Hukou, 54 I Import, 9, 10 Incoterms, 52, 164 Inflation, 10, 11 Infrastruktur, 7, 198 Innovationsfähigkeit, 19 Intellectual Property Rights (IPR), 163 International Procurement Office (IPO), 246 Internationalisierungsstrategie, 97 Investition, 8, 10 IPO, siehe International Procurement Office IPR, siehe Intellectual Property Rights J Just-in Sequence, 184 K Kaili, 31 Kapazitätsplanung, 221 Kurzarbeit, 200, 202 L LCL, siehe Less than Container Load Lean Production, 190 Lenovo, 27 Less than Container Load (LCL), 212, 214 Li & Fung, 274 Lieferantenentwicklung, 60, 240, 242 Lieferantenintegration, 207 Lieferantenmanagement, 141 Lieferantenqualität, 66, 127 Lieferfähigkeit, 209 Lieferqualität, 236 Liefertreue, 169, 209 Little emperors, 76 Local Content, 37 Logistik, 51 Dienstleister, 215 interne, 172, 175 Logistikdienstleistung, 51, 225 Lohnerhöhung, 54
Sachverzeichnis Lokalisierung, 42, 179 Low-Cost-Country Sourcing, 13, 39 M Mängelrüge, 167 mianzi, 48 Mindestlohnerhöhung, 54 Mitarbeiterführung, 73, 75 Mitarbeiterfluktuation, 66, 74, 85, 199 Mobiltelefon, 9 Motivation, 61, 77 Mustervertrag, 161 N National Development and Reform Commission (NDRC), 18, 33, 42 O Öffnungspolitik, 20 One piece flow, 193 P Peking, 31 Personalmanagement, 76 Plagiat, 129 Planungshorizont, 171 Poka-Yoke, 61, 72 Präzision, 73, 260, 261 Prüflabor, 57 Produkthaftung, 165 Produktspezifikation, 45 Prozess- und Kostenoptimierung, 144 Prozessaudit, 57, 250 Pull-Prinzip, 194 Q Qi Chen, 31 Qualifikation, 61, 77 Qualitätskontrolle, 164, 263 Qualitätskultur, 259 Qualitätsmanagement, 253 Qualitätsproblem, 58 Quality Made in China, 58 R R&D, siehe Research & Development Relationship, 158 Request for Interest, 245 for Quotation (RFQ), 130, 245 Research & Development Lokalisierung, 40, 43 Restriktion, 31
Sachverzeichnis
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RFQ, siehe Request for Quotation Risikomanagement, 142 Rohstoff, 17
Total Cost of Ownership, 38, 138, 170 TPV, 25 Trans Eurasia Express, 213
S 5 S, 64, 193 SAIC, siehe Shanghai Automotive Industry Corporation Schiedsklausel, 166 Schiffsbau, 9 Schutzrecht, gewerbliches, 165 Seltene Erden, 17 Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), 31, 35, 76 Shenzhen, 31, 34 Sichuan, 21 Single Minute Exchange of Die (SMED), 194 SMED, siehe Single Minute Exchange of Die Sonderwirtschaftszone, 20 Sozialplan, 203 Spezifikation, 163 Standardvertrag, 162 Strategem, 47, 56, 72 Strategic Partnership, 229 Straßennetz, 213 Supply Chain Design, 43 Management, 168, 234
U Überalterung, 12 Überkapazität, 32
T TCL, 25 Teamarbeit, 76 Technologietransfer, 248 Tencent, 24 Terms of Trade, 162 Textilindustrie, 22
V Vendor Managed Inventory, 175, 235 Verpackungsstandardisierung, 222 Vertragsverhandlung, 46 Vertriebs-Lokalisierung, 43 Vietnam, 14–16 Visualisierung, 192 W Wachstum, 7, 10 Wachstumsrate, 9 Währungsreserven, 13 Wanxiang, 35 Warehouse-Lokalisierung, 43 Wareneingangskontrolle, 127 Werksaufbau, 180 Anlauf-Management, 184 Werksrestrukturierung, 197 Werkzeugmaschine, 9, 132 Wertschöpfung, lokale, 180 Wissensdiffusion, 200 Z Zölle, 227 Zertifikat, 57 Zertifizierung, 57 Zhejiang, 21 ZTE, 23