Edwin Kiel (Hrsg.) Antriebslösungen
Edwin Kiel (Hrsg.)
Antriebslösungen Mechatronik für Produktion und Logistik
Mit 310 Abbildungen und 51 Tabellen
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Herausgeber Dr. Edwin Kiel Lenze AG Hans-Lenze-Str. 1 31855 Aerzen, Deutschland e-mail:
[email protected] Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-540-73425-3 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Text und Abbildungen wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet. Verlag und Autor können jedoch für eventuell verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen. Satz: Digitale Druckvorlage des Autors Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: eStudioCalamar S.L., F. Steinen-Broo, Pau/Girona, Spanien SPIN: 12074532
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Gedruckt auf säurefreiem Papier
Für Elisabeth Belling unserer Wegbegleiterin seit 60 Jahren
Vorwort
Dieses Buch soll eine Lücke schließen. Es gibt viele Fachbücher, die Elektromotoren und die Antriebsregelung beschreiben [z. B. GiHaVo03, Le97, Sch98, SchHo05b]. Es gibt allerdings bislang kein Buch, das die Anwendung von elektronisch geregelten Antrieben in Produktions- und Logistiksystemen darstellt. Nur für die Werkzeugmaschinen existiert eine entsprechende Fachliteratur [insbesondere We01a, We01b]. Die Basis dieses Buchs ist das umfangreiche Anwendungswissen, über das die Firma Lenze verfügt. Der Ausgangspunkt liegt im Jahr 2003, als wir begannen, die große Menge der Anwendungen, die mit unseren Produkten gelöst werden, zu klassifizieren. Bislang galt die Meinung, dass jede Anwendung speziell ist und einer individuellen Lösung bedarf. Dieses verhindert aber ein industrielles Arbeiten im Engineering-Prozess. Mit fortschreitender Analyse konnten wir dann 12 Klassen von Antriebsfunktionen finden und beschreiben, die in vielen Branchen des Maschinenbaus verwendet werden. Aus dieser Klassifikation entstand 2005 zunächst eine werbliche Druckschrift „Antriebslösungen“, die diese 12 Anwendungsgruppen jeweils auf einer Doppelseite plakativ darstellt [Le06]. Diese Druckschrift wurde sehr populär, weil sie eine Orientierung in der Anwendung der Antriebstechnik im Maschinenbau bietet. Ausgehend von diesen 12 Antriebslösungen entstand dann die Überlegung, diese mit deutlich mehr fachlicher Tiefe darzustellen. Da es hierfür noch keine Fachliteratur gibt, lag auch der Gedanke nahe, dieses in die Form eines Fachbuchs zu bringen. Das Ergebnis liegt hiermit vor. Nun ist das Schreiben eines Fachbuchs von über 500 Seiten keine Arbeit, die nebenher erfolgen kann. Es bedurfte eines Anlasses, dieses Projekt in die Tat umzusetzen. Das 60-jährige Jubiläum der Firma Lenze im Jahr 2007 bot diesen Anlass. Lenze hat seinen Kunden neben den Produkten immer auch kompetente Anwendungsberatung geboten, und so lag es nahe, das Thema „Antriebslösungen“ zum Titel des Buchs zu wählen. Weiterhin haben wir in 2006 begonnen, das Wort „Mechatronik“, das das Zusammenspiel von Maschinenbau, Elektronik und Informatik beschreibt, für unsere Lösungen zu benutzen. Mechatronische Antriebslösungen werden in Produktionen und zunehmend auch in Logistikzentren eingesetzt, um dort einen hohen Automatisierungsgrad zu erreichen.
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Vorwort
Ich möchte an dieser Stelle zunächst Dr. Erhard Tellbüscher, dem Vorstandsvorsitzenden der Lenze AG, danken, der die Anregung gab und den Freiraum schuf, der notwendig ist, dieses Vorhaben umzusetzen. Der Inhalt ist das Gemeinschaftswerk von insgesamt 26 Autoren. Ihnen gilt mein Dank, da diese außerhalb ihrer Arbeitszeit ihre Themengebiete strukturiert und dann dargestellt haben. Im einzelnen sind dieses neben meiner Person die Kollegen Volker Bockskopf, Andreas Diekmann, Sabine Driehaus, Martin Ehlich, Frank Erbs, Dr. Carsten Fräger, Thorsten Gaubisch, Olaf Götz, Ralf-Torsten Guhl, Martin Harms, Torsten Heß, Dr. Sven Hilfert, Markus Kiele-Dunsche, Detlef Kohlmeier, Karsten Lüchtefeld, Sebastian Lülsdorf, Ralf Scharrenbach, Rolf Sievers, Matthias Stöwer, Uwe Tielker, Markus Toeberg, Johann Peter Vogt, Karl-Heinz Weber, Hans-Joachim Wendt und Stefan Witte. Zu einem guten Fachbuch gehört eine hohe Anzahl an Abbildungen. Hieran haben Michael Hartung, Andreas Mletzko, Stephan Riese und Jutta Stuckenbrock gearbeitet. Jörg Baldig und Sandra Schindler haben daneben Abbildungen von anderen Unternehmen beschafft. Weitere Unterstützung für dieses Buch gaben Volker Arlt, Jörg Baldig, Nicole Funck, Harald Hilgers, Josef Lackhove, Cristian M. Popa und Andreas Tolksdorf. Die intensive fachliche Durchsicht übernahmen Dr. Jörn Steinbrink von der Leibniz-Universität Hannover und Prof. Dr. Karl-Dieter Tieste von der Fachhochschule Braunschweig-Wolfenbüttel. Insbesondere unser ehemaliger Kollege Prof. Tieste hat sich sehr intensiv in das Konzept hineingedacht und viele wertvolle Hinweise zur Verbesserung des Inhalts geliefert. Dem Springer-Verlag und namentlich Eva Hestermann-Beyerle und Monika Lempe sowie Steffi Hohensee von der Fa. Le-Tex danken wir für die gute Zusammenarbeit. Zum Schluss möchte ich noch drei Kollegen herausstellen, ohne die dieses Buch nicht fertig geworden wäre. Das ist zunächst Stephan Riese, der neu in das Unternehmen kam und dann sehr geduldig einen großen Teil der Organisationsarbeit übernahm. Karl-Heinz Weber ist der Kollege, der das umfassendste Anwendungswissen hat und der damit auch der führende Kopf hinter den Antriebslösungen und den zahlreichen Einsatzbeispielen ist. Er hat selber an vier Kapiteln gearbeitet und die Kollegen, die die anderen Anwendungskapitel verfasst haben, umfassend unterstützt. Zum Abschluss gilt mein ganz besonderer Dank meinem Kollegen Hans-Joachim Wendt, der das ganze Projekt intensiv begleitet und maßgeblich mitgestaltet hat. Nur mit seiner Mithilfe konnte das Buch diese Reife und Form gewinnen. Hameln, Juli 2007
Edwin Kiel
Autorenverzeichnis
Volker Bockskopf. Studium des Maschinenbaus an der Universität Paderborn. Aufbaustudium "Qualitäts- und Umweltmanagement" an der Akademie Fresenius, Dortmund. 1995-2001: Implementierung von Qualitäts- und Umweltmanagementsystemen. Implementierung von Prozessmanagementsystemen. Seit 2001 bei Lenze: Internationales Prozessmanagement, Fachgebiet Umwelt- und Arbeitsschutz. Andreas Diekmann. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Energietechnik, an der FH Bielefeld. 2003-2004: Elektrokonstruktion, SPS-Programmierung. Seit 2004 bei Lenze: Technischer Produkt Support Servoantriebe, Produktschulungen, Softwareerstellung von standardisierten Applikationen. Sabine Driehaus. Studium der Elektrotechnik an der FH Osnabrück und University of the West of England, Bristol. Seit 2001 bei Lenze: Technischer Produkt Support, Großkundenbetreuung, Service- und Applikationsunterstützung in den USA, Anwendungsentwicklung für Frequenzumrichter. Martin Ehlich. Studium der Elektrotechnik an der Ruhr-UniversitätBochum. 1997-2001: Projektleitung Antriebstechnik bei einem Werkzeugmaschinenhersteller. 1990-1996 und seit 2001 bei Lenze: Softwareentwicklung für digitale Umrichter. Projektleitung für die Entwicklung digitaler Servo-Umrichter. Systemintegration bei Neuentwicklungen, Vorentwicklung von Umrichtern, Systementwurf und Systemarchitektur. Frank Erbs. Studium der Elektrotechnik an der HTWK Leipzig. 1998-2001: Steuerungstechnik, Schaltschrankprojektierung in einem Ingenieurbüro für innovative Wassertechnik. Seit 2001 bei Lenze: Technischer Produkt Support Servoantriebe, Produktschulungen, Großkundenbetreuung.
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Autorenverzeichnis
Dr. Carsten Fräger. Studium der Elektrotechnik an der Universität Paderborn und Universität Hannover. 1994 Promotion zum Dr.-Ing. an der Universität Hannover. Seit 1989 bei Lenze: Applikation Servotechnik. Leitung Motorenentwicklung. Leitung Produktmanagement Servotechnik. Thorsten Gaubisch. Studium der Informationstechnik, Fachrichtung Prozess- und Automatisierungstechnik, an der FH Hannover. Seit 2003 bei Lenze: Technischer Produkt Support Frequenzumrichtertechnik, Produktschulungen. Olaf Götz. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Automatisierungstechnik, an der Gesamthochschule Paderborn. Seit 1998 bei Lenze: Technischer Produkt Support, Antriebsauslegung und Produktkonfiguration. Entwicklung PC-basierter Werkzeuge für die Auslegung von Antriebssystemen. Ralf-Torsten Guhl. Studium des Maschinenbaus, Fachrichtung Antriebstechnik, an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. 1993-1999: Maschinenbauingenieur bei einem Konstruktionsbüro für Getriebe. Seit 1999 bei Lenze: Leitung Getriebeentwicklung. Martin Harms. Studium der Elektrotechnik, Schwerpunkt Energietechnik, an der Universität Hannover. 1995-1999: Vertrieb und Applikation elektrischer Antriebstechnik. Planung, Projektierung, Inbetriebnahme von Antriebs- und Automatisierungssystemen. Seit 1999 bei Lenze: Applikationsingenieuer für elektrische Antriebstechnik. Technischer Produkt Support Servoantriebe mit Schwerpunkt Kurvenantriebe. Torsten Heß. Industriemeister Elektrotechnik (Mess-, Steuerungs- und Regeltechnik) an der Fachschule des Heeres für Technik, Aachen. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Prozessinformatik, Automatisierungstechnik, an der FH Hannover. 1986 - 1994: Leitung einer Instandsetzungsgruppe für Waffenanlagen bei der Bundeswehr. Seit 1999 bei Lenze: Technischer Produkt Support Servoantriebe. Dr. Sven Hilfert. Studium der Elektrotechnik an der Otto-von-GuerickeUniversität Magdeburg, Spezialisierung auf Elektroantriebs- und Elektroautomatisierungstechnik. 1999 Promotion zum Dr.-Ing. an der Gesamthochschule Essen. Seit 1999 bei Lenze: Entwicklung Servomotoren. Leitung der Drehstrommotorenentwicklung.
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Dr. Edwin Kiel. Studium der Elektrotechnik an der TU Braunschweig. 1994 Promotion zum Dr.-Ing. an der TU Braunschweig. 1984-1995 Institut für angewandte Mikroelektronik (IAM), Braunschweig, zuletzt technische Leitung. 1995-1998: Technischer Leiter bei einem Antriebshersteller. Seit 1998 bei Lenze: Entwicklungsleitung. Leitung Innovationsmanagement. Markus Kiele-Dunsche. Studium der Elektrotechnik an der Universität Paderborn. 1999-2001: Entwicklung von Antriebslösungen für Pumpen bei einem Pumpenhersteller. Seit 2001 bei Lenze: Technischer Produkt Support Frequenzumrichtertechnik, Entwicklung PC-basierter Werkzeuge für die Auslegung von Antriebssystemen. Detlef Kohlmeier. Studium der Elektrotechnik an der FH Hannover. Seit 1993 bei Lenze: Projektierung und Inbetriebnahme von Testsystemen. Aufbau bzw. Weiterentwicklungen von Zuverlässigkeitsstrategien und Prozessmanagement. Leitung Managementsysteme. Karsten Lüchtefeld. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Automatisierungstechnik, an der FH Osnabrück. Seit 2001 bei Lenze: Technischer Produkt Support Servoantriebe, Softwareerstellung von standardisierten Applikationen. Sebastian Lülsdorf. Studium der Elektrotechnik und Automatisierungstechnik an der TU München. 1988-2000: Software-Produktentwicklung bei einem Hersteller von Werkzeugmaschinensteuerungen. Technisches Projektmanagement, SoftwareProduktentwicklung, Internet Security bei einem Computerhersteller. Seit 2001 bei Lenze: Entwicklung von Engineering-Software für antriebsund steuerungsbasierte Systeme, Spezifikation, Usability. Ralf Scharrenbach. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Automatisierungstechnik, an der Berufsakademie Mannheim. 1994-2001: Service für elektrische Antriebstechnik, Applikation Feldbustechnik und PC-Software. Innovationsmanagement Engineering, Feldbusse, Antriebstechnik bei einem Antriebshersteller. Seit 2001 bei Lenze: Projektleitung für Kundenlösungen, Key-AccountManagement. Leitung Robotics & Handling. Rolf Sievers. Studium zum staatlich geprüften Techniker, Stadthagen. Seit 1974 bei Lenze: Service und Entwicklung DC-Stromrichter. Entwicklung Frequenzumrichtertechnik. Technischer Produkt Support, Anwendungssupport Frequenzumrichtertechnik.
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Autorenverzeichnis
Mathias Stöwer. Studium der Elektrotechnik, Schwerpunkt Informationstechnik, an FH Hannover. Seit 1992 bei Lenze: Entwicklung DC-Stromrichter, Servo-Umrichter und steuerungsbasierte Servotechnik. Entwicklung von Engineering-Software für antriebs- und steuerungsbasierte Systeme, Spezifikation, Usability. Uwe Tielker. Studium der Elektrotechnik an der FH Lippe, Lemgo. 1986-1988: Inbetriebnahme Weitverkehrstechnik bei einem Elektrokonzern. Entwicklung Fahrtreppensteuerungen bei einem Aufzugshersteller. Seit 1989 bei Lenze: Kundenspezifische Entwicklung/Applikation analoger DC-Stromrichter und Zusatzhardware. Entwicklung digitaler DCStromrichter. Applikation, Projektierung, Inbetriebnahmen von DC- und Servo-Antriebssystemen. Technische Betreuung von Großkunden bei der Entwicklung neuer Maschinen. Leitung Technischer Produkt Support. Markus Toeberg. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Antriebstechnik, an der FH Lippe, Lemgo. Seit 2001 bei Lenze: Technischer Produkt Support Servoantriebe, Produktschulungen, Großkundenbetreuung. Johann Peter Vogt. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Elektrische Maschinen und Antriebe, an der Universität Hannover. 1997-2001: Entwicklung Torquemotoren bei einem Hersteller von Lüftungs- und Antriebstechnik. Seit 2001 bei Lenze: Technischer Produkt Support Servoantriebe mit Schwerpunkt Kurvenantriebe, Entwicklung PC-basierter Werkzeuge für die Auslegung von Antriebssystemen. Karl-Heinz Weber. Studium der Elektrotechnik, Schwerpunkt Leistungselektronik, an der FH Lippe, Lemgo. Seit 1978 bei Lenze: Applikation, Projektierung, Inbetriebnahmen, Service von Antriebssystemen und Anlagen. Projektleitung Applikationen, kundenspezifische Entwicklungen, Produktspezifikationen. Leitung Anlagenbau. Aufbau des Bereichs für Kundenschulungen und Applikationslabor. Leitung Technische Anwendungsgrundlagen von Antriebssystemen. Hans-Joachim Wendt. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Energietechnik, an der FH Bielefeld. Seit 1988 bei Lenze: Entwicklung Frequenzumrichter. Produktmanagement und Marketing. Produktprogrammmanagement, Innovationsmanagement. Stefan Witte. Studium der Elektrotechnik, Fachrichtung Energietechnik, an der FH Hannover. Seit 2003 bei Lenze: Technischer Produkt Support Sicherheitstechnik, Produktschulungen, Großkundenbetreuung.
Inhaltsverzeichnis
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Einleitung............................................................................................ 1
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Industrielle Produktion und Automatisierung................................ 7 2.1 Struktur von Produktions- und Logistiksystemen........................ 7 2.1.1 Produzierte Waren ........................................................... 8 2.1.2 Produktionsmengen.......................................................... 8 2.1.3 Produktionsabläufe ........................................................ 13 2.1.4 Warenverteilung............................................................. 21 2.2 Maschinen in Produktion und Logistik...................................... 25 2.2.1 Produktionseinrichtungen .............................................. 25 2.2.2 Materialflusssysteme...................................................... 37 2.3 Aufbau von Automatisierungssystemen .................................... 46 2.3.1 Steuerungen ................................................................... 49 2.3.2 Aktuatoren ..................................................................... 59 2.3.3 Sensoren......................................................................... 62 2.3.4 Visualisierung und Bedienung....................................... 65 2.3.5 Kommunikationssysteme............................................... 66 2.3.6 Sicherheitstechnik .......................................................... 69
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Das Antriebssystem und seine Komponenten ............................... 77 3.1 Dimensionierung von Antrieben................................................ 79 3.1.1 Translatorische und rotatorische Bewegung .................. 80 3.1.2 Arbeit, Leistung und Energie......................................... 81 3.1.3 Massenträgheiten ........................................................... 82 3.1.4 Getriebeeinsatz und Lastabstimmung ............................ 83 3.1.5 Reibung.......................................................................... 84 3.1.6 Prozesskräfte .................................................................. 85 3.1.7 Drehzahl und Drehmoment eines Bewegungsablaufs ... 86 3.1.8 Elastische Kopplung der Last ........................................ 90 3.2 Einsatzbedingungen von Antrieben ........................................... 91 3.2.1 Netzspannungen und Netzformen.................................. 92 3.2.2 Umgebungsbedingungen................................................ 96 3.3 Motoren...................................................................................... 99 3.3.1 Wirkungsweise von Drehstrommotoren ...................... 100
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Inhaltsverzeichnis
3.4
3.5
3.6
3.7
3.8
3.3.2 Standard-Drehstrommotoren........................................ 105 3.3.3 Asynchron- und Synchron-Servomotoren ................... 111 3.3.4 Linearmotoren und Direktantriebe............................... 117 3.3.5 Betriebsgrenzen von Motoren...................................... 121 3.3.6 Winkel- und Drehzahlmesssysteme ............................. 124 3.3.7 Motorbremsen.............................................................. 130 Umrichter ................................................................................. 143 3.4.1 Leistungsumsetzung..................................................... 145 3.4.2 Mechanischer Aufbau .................................................. 161 3.4.3 Steuerelektronik und Software..................................... 166 3.4.4 Antriebsregelung.......................................................... 169 3.4.5 Bewegungsführung ...................................................... 179 3.4.6 Kommunikationssysteme in Umrichtern ..................... 185 3.4.7 Sicherheitsfunktionen in Umrichtern ........................... 190 3.4.8 Elektromagnetische Verträglichkeit............................. 197 Getriebe.................................................................................... 207 3.5.1 Einsatzbereiche und Ausführungen ............................. 207 3.5.2 Stirnradgetriebe............................................................ 211 3.5.3 Planetengetriebe........................................................... 214 3.5.4 Kegelradgetriebe.......................................................... 215 3.5.5 Schneckengetriebe ....................................................... 216 3.5.6 Kombination von Getrieben mit Motoren.................... 218 Antriebselemente ..................................................................... 219 3.6.1 Schaltbare Kupplungen................................................ 221 3.6.2 Nichtschaltbare Kupplungen........................................ 223 3.6.3 Welle-Nabe-Verbindungen .......................................... 227 3.6.4 Lager ............................................................................ 229 3.6.5 Zugmittelgetriebe......................................................... 230 3.6.6 Lineare Übertragungselemente .................................... 232 3.6.7 Nichtlineare Mechaniken ............................................. 238 3.6.8 Führungssysteme ......................................................... 241 Gesamtabstimmung des Antriebssystems................................ 243 3.7.1 Auswahl der Komponenten ......................................... 243 3.7.2 Auslegung der Antriebskomponenten.......................... 247 3.7.3 Optimierung von Bewegungsprofilen.......................... 251 3.7.4 Schwingungsfähige Lasten .......................................... 253 Zuverlässigkeit von Antriebssystemen .................................... 255 3.8.1 Lebensdauerkurve........................................................ 257 3.8.2 Berechnungsgrundlagen............................................... 259 3.8.3 Zuverlässigkeit von mechatronischer Antriebstechnik 259 3.8.4 Zuverlässigkeitskonzepte bei der Produktentstehung .. 261
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Mechatronische Antriebslösungen ............................................... 267 4.1 Förderantriebe.......................................................................... 269 4.1.1 Förderprozess............................................................... 269 4.1.2 Mechanischer Aufbau von Förderanlagen ................... 272 4.1.3 Antriebssysteme für Förderanlagen ............................. 283 4.2 Fahrantriebe ............................................................................. 287 4.2.1 Prozess des Fahrens ..................................................... 287 4.2.2 Materialflusssysteme mit Fahrantrieben ...................... 288 4.2.3 Antriebssysteme für Fahrantriebe ................................ 293 4.3 Hubantriebe.............................................................................. 303 4.3.1 Prozess des Hebens ...................................................... 304 4.3.2 Mechanischer Aufbau von Hubwerken........................ 305 4.3.3 Antriebssysteme von Hubwerken ................................ 311 4.4 Positionierantriebe ................................................................... 323 4.4.1 Prozess des Positionierens ........................................... 323 4.4.2 Mechanischer Aufbau von Positioniersystemen .......... 325 4.4.3 Antriebssysteme zum Positionieren ............................. 326 4.5 Koordinierte Antriebe für Roboter........................................... 338 4.5.1 Technologischer Prozess des Handhabens................... 338 4.5.2 Anwendungsbereiche von Robotern ............................ 340 4.5.3 Mechanischer Aufbau von Robotern ........................... 341 4.5.4 Antriebssysteme für Roboter ....................................... 346 4.6 Gleichlaufantriebe.................................................................... 351 4.6.1 Technologische Prozesse ............................................. 352 4.6.2 Maschinentypen in Prozesslinien................................. 354 4.6.3 Mechanische Übertragungselemente in Prozesslinien . 363 4.6.4 Antriebssysteme für Gleichlaufantriebe....................... 365 4.7 Wickelantriebe ......................................................................... 373 4.7.1 Anwendungsprozesse für Wickelantriebe.................... 373 4.7.2 Maschinentypen und Antriebselemente für Wickler ... 377 4.7.3 Antriebssysteme für Wickelantriebe............................ 384 4.8 Taktantriebe für Querschneider und Fliegende Sägen ............. 396 4.8.1 Anwendung von Querschneidern und Fliegenden Sägen .................................................. 396 4.8.2 Aufbau von Querschneidern und Fliegenden Sägen.... 399 4.8.3 Antriebssysteme für Querschneider und Fliegende Sägen .................................................... 405 4.9 Antriebe für elektronische Kurvenscheiben............................. 408 4.9.1 Anwendungen mit Kurvenantrieben ............................ 408 4.9.2 Funktionsweise von Kurvengetrieben.......................... 409 4.9.3 Antriebssysteme für elektronische Kurvenscheiben .... 414 4.10 Antriebe für Umformprozesse ................................................. 424 4.10.1 Umformprozesse .......................................................... 425
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Inhaltsverzeichnis
4.10.2 Maschinentypen für Umformprozesse ......................... 431 4.10.3 Antriebssysteme für Umformprozesse......................... 437 4.11 Haupt- und Werkzeugantriebe ................................................. 439 4.11.1 Anwendungen für Haupt- und Werkzeugantriebe ....... 439 4.11.2 Maschinen mit Haupt- und Werkzeugantrieben .......... 440 4.11.3 Antriebssysteme für Haupt- und Werkzeugantriebe.... 443 4.12 Antriebe für Pumpen und Ventilatoren.................................... 446 4.12.1 Fördern und Verdichten von Flüssigkeiten und Gasen 447 4.12.2 Aufbau von Pumpen und Ventilatoren ........................ 453 4.12.3 Antriebssysteme für Pumpen und Ventilatoren ........... 458 4.13 Anwendungsbeispiele aus Produktion und Logistik................ 463 4.13.1 Zeitungsproduktion...................................................... 463 4.13.2 Herstellung von Laminatfußboden .............................. 466 4.13.3 Fruchtsaftherstellung und -abfüllung........................... 467 4.13.4 Logistikzentrum einer Supermarktkette....................... 469 4.13.5 Automobilproduktion................................................... 471 4.13.6 Verteilung der Antriebslösungen ................................. 473 4.14 Entwicklungstrends.................................................................. 476 5
Engineering und Lebenszykluskosten von Antrieben ................ 483 5.1 Engineering von Antriebssystemen ......................................... 483 5.1.1 Auswahl und Auslegung von Antrieben ...................... 484 5.1.2 Projektierung................................................................ 494 5.1.3 Inbetriebnahme ............................................................ 503 5.1.4 Diagnose und Wartung ................................................ 505 5.2 Lebenszykluskosten in der Antriebstechnik ............................ 507 5.2.1 Definition von LCC und TCO ..................................... 508 5.2.2 Übersicht über die LCC Prognosemodelle .................. 510 5.2.3 Optimierung der Lebenszykluskosten durch Antriebe. 514 5.2.4 Energiesparende Antriebskonzepte.............................. 520 5.2.5 Ganzheitliche Bewertung von Antriebssystemen ........ 524
Glossar .................................................................................................... 525 Symbolverzeichnis ................................................................................. 535 Literaturverzeichnis .............................................................................. 537 Bildnachweis........................................................................................... 545 Sachverzeichnis ...................................................................................... 547
1 Einleitung
Hochautomatisierte Fabriken, die nur noch wenig manuelle Arbeit von Menschen erfordern, sind eine wesentliche Grundlage unseres heutigen Lebensstils. Sie haben dafür gesorgt, dass die Versorgung mit den Gütern des täglichen Lebens nur noch einen geringen Teil der menschlichen Arbeitsleistung erfordert. Dieses Buch handelt davon, wie geregelte Antriebe in diesen Fabriken sowie in Logistiksystemen dafür sorgen, dass Produkte sehr effizient in großer Menge hergestellt und zum Endverbraucher gebracht werden. Hochautomatisierte Produktion und Logistik. Für fast alle Menschen in den Industrieländern ist der Besitz von Autos, Büchern, Computern und Geräten der Unterhaltungselektronik und Kommunikation eine Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig hat sich der Arbeitsort für die meisten Menschen von Bauernhöfen und Fabrikfluren in Büros und Geschäfte verlagert. Dieses ist ein immenser Fortschritt zur vorindustriellen Zeit, in der der größte Teil der menschlichen Arbeitsleistung ausschließlich für die Ernährung eingesetzt werden musste. Erreicht wurde dieser industrielle Wandel dadurch, dass immer mehr Prozesse zur Warenproduktion und zum Warentransport mechanisiert und automatisiert wurden, d. h., dass der direkte Einsatz menschlicher Arbeitskraft hierfür nicht mehr erforderlich ist und von Maschinen übernommen wird. In modernen Fabriken konzentriert sich die menschliche Arbeitsleistung im Wesentlichen auf das Planen und Überwachen von Prozessen; immer weniger Arbeitsschritte werden manuell ausgeführt. Fabriken produzieren ihre Produkte in sehr großer Stückzahl, weil die Bedürfnisse der Menschen nicht so unterschiedlich sind. Viele Menschen essen den gleichen Joghurt, lesen die gleiche Zeitung oder das gleiche Buch und fahren das gleiche Auto (mit nur kleinen individuellen Anpassungen). Je mehr Verbraucher eine Fabrik mit ihren Produkten erreichen kann, umso höher kann ihre Produktionsleistung sein, und umso wirtschaftlicher ist sie auch in der Regel. Wirtschaftliche Grenzen ergeben sich nur durch die Größe des erreichbaren Marktes (die Anzahl der Verbraucher), den individuellen Bedarf (wie oft kaufe ich einen Joghurt, eine Zeitung, ein Buch oder ein Auto) und die Bereitschaft der Menschen, gleiche Produkte zu kaufen.
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Einleitung
Heute kann eine Fabrik ihre Produkte in den industrialisierten Wirtschaftsräumen (Westeuropa, USA, Japan) – und zunehmend auch in den sich entwickelnden Regionen – an häufig mehr als 100 Mio. Menschen absetzen, ohne dabei durch politische Grenzen oder ineffiziente Verkehrswege behindert zu werden. Wenn von 100 Mio. Menschen nur 1 Prozent den Wunsch hat, ein Auto mit einer Lebenszeit von 15 Jahren zu besitzen, das auf einer Produktionslinie in einem zweischichtigen Betrieb hergestellt wird, dann muss diese Produktionslinie bereits alle 2,7 Minuten dieses Auto produzieren (der VW Golf wird in Wolfsburg mit einem Takt von ca. 0,3 Minuten produziert). Die gleiche Rechnung bezogen auf einen Joghurt, der von der gleichen Anzahl von Menschen täglich zum Frühstück gegessen wird, führt bei einem Dreischichtbetrieb schon zu einem Produktionstakt von 14 Stück pro Sekunde oder 50.000 Einheiten pro Stunde (Hochgeschwindigkeitslinien erreichen heute 30.000 Becher pro Stunde). Diese Beispiele zeigen, warum heute viele Ge- und Verbrauchsgüter in hochautomatisierten Fabriken im Minuten- oder Sekundentakt hergestellt werden. Wie erfolgt diese Herstellung? Schon in den Manufakturen war bekannt, dass es deutlich effizienter ist, den gleichen Arbeitsgang wiederholt auszuführen, als mehrere Arbeitsgänge zusammenzufassen, bevor auf das nächste Produkt übergegangen wird. Dieses Prinzip der Arbeitsteilung ist effizient, für Menschen allerdings schnell monoton und langweilig. Anders sieht es bei Maschinen aus. Es ist wesentlich einfacher, eine für einen Arbeitsgang spezialisierte Maschine zu bauen als eine Universalmaschine für viele unterschiedliche Aufgaben. Die meisten Produktionsmaschinen arbeiten deshalb arbeitsteilig und segmentieren den gesamten Arbeitsprozess in viele Einzelschritte auf, die von einzelnen Arbeitsstationen ausgeführt werden. Der Arbeitstakt dieser Arbeitsstationen entspricht dabei der Produktionsleistung der Anlage. Dieses Grundprinzip der automatisierten Massenproduktion bestimmt das Erscheinungsbild moderner Fabriken: ein kontinuierlicher Strom von Produkten, die wie von Geisterhand über mehrere Stationen ihrer Vollendung zustreben, bis sie am Ende des Produktionsvorgangs verschickt werden. Auch die weitere Logistik, d. h. der Weg der Waren von der Produktion zum Endverbraucher, ist ohne Automatisierung nicht mehr effizient beherrschbar. Schon längst wird der größte Teil der innerbetrieblichen Transport- und Lagervorgänge nicht mehr von Menschen, sondern von Förderbändern und Regalbediengeräten ausgeführt. Auch das Zusammenstellen von Sendungen (das Kommissionieren) wird mittlerweile zunehmend automatisiert. Im Endeffekt werden heute fast alle Gebrauchs- und Verbrauchsgüter in hochautomatisierten Fabriken in großen Mengen erzeugt und dann über ebenso hoch automatisierte Logistik- und Verteilzentren zum Verbraucher gebracht. Viele Verbrauchsgüter des täglichen Lebens (z. B. Lebensmittel) werden in dem Moment, in dem der Endver-
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braucher sie aus dem Regal im Supermarkt nimmt, zum ersten Mal von einem Menschen bewegt. Vorher sind sie von hunderten geregelter Antriebe bewegt worden: bei der Herstellung, bei der Verpackung, beim Stapeln auf Transportpaletten und beim Ein- und Auslagern. Geregelte Antriebe in hochautomatisierten Maschinen und Produktionen. Einer der wichtigsten Funktionsträger in hochautomatisierten Maschinen und Anlagen sind geregelte Antriebe, die als Aktuatoren arbeiten und deren Bewegungsablauf von einer Steuerung bestimmt wird. Solche automatisierten Antriebe bilden das nach, was ein Mensch bei einem manuellen Prozess macht. Das Zusammenspiel von Gehirn und Muskel wird ersetzt durch das Zusammenspiel von Software und einer von dieser gesteuerten Energieumsetzung, in der Regel von elektrischer in mechanische Energie. Wie wichtig Antriebe für Fabriken und Maschinen sind, lässt sich daran erkennen, dass die ersten Fabriken erst durch die zentrale Bereitstellung von Antriebsenergie durch Wasserkraft oder eine Dampfmaschine („Kraftmaschine“) möglich wurden; diese Antriebsenergie wurde dann mechanisch über die „Transmission“ auf die „Arbeitsmaschinen“ verteilt. Diese Transmission übernehmen heute dezentrale elektrische Antriebsmotoren. Es gibt im Maschinenbau verschiedene Antriebsprinzipien. Im vorliegenden Buch soll nur die elektromechanische Energieumsetzung durch geregelte Elektromotoren behandelt werden. Der Hauptgrund liegt darin, dass sich Elektromotoren sehr gut regeln lassen. Damit lassen sie sich hervorragend für Aufgaben einsetzen, die eine präzise Bewegungsführung erfordern. Für solche Aufgaben werden heute fast nur noch Drehstrommotoren verwendet, die daher ausschließlich behandelt werden. Die Aufgabe, den Energiefluss zum Elektromotor zu steuern, damit dieser die gewünschte Funktion ausführt, übernehmen Umrichter. Diese bestehen aus zwei wesentlichen Elementen: der Leistungselektronik, die die elektrische Energiewandlung vornimmt, und der Steuerelektronik mit der Software, die diese Energiewandlung steuert. Die Software muss dabei zwei Aufgaben erfüllen: 1. Das Bewegungsverhalten des Antriebs wird vorgegeben (Antriebsfunktionen, Bewegungsführung). 2. Der Motor und sein momentanes Verhalten muss entsprechend dem Sollverhalten geregelt werden (Antriebsregelung). Die Software für die Antriebsregelung befindet sich in der Regel im Umrichter, die für die Bewegungsführung kann entweder im Umrichter oder in einer übergeordneten Steuerung enthalten sein. Während viele Positionierbewegungen direkt im Umrichter realisiert werden, führt bei koordinierten Mehrachsbewegungen eine spezielle Bewegungssteuerung diese Softwarefunktionen aus.
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Einleitung
In vielen Anwendungsfällen passt der optimale Arbeitspunkt eines Elektromotors nicht zu den Anforderungen der Arbeitsmaschine. In solchen Fällen nehmen Getriebe die Anpassung des mechanischen Arbeitspunktes vor. Zusätzlich werden Antriebselemente (Wellen, Kupplungen, Spindeln, Zahnriemen, Zahnstangen) eingesetzt, um die Drehbewegung des Motors oder Getriebes optimal an die Wirkstelle im Arbeitsprozess zu koppeln. Einige der Antriebselemente führen dabei auch die Umsetzung der rotatorischen in eine translatorische Bewegung aus. Mechatronische Antriebslösungen. Geregelte Antriebe verbinden die Steuerungen der Automatisierung, die heute mit Mitteln der Informationstechnik (Computer, Software) realisiert werden, mit der Maschine und damit der Mechanik. Die Verbindung von Informationstechnik, Elektronik und Mechanik wird „Mechatronik“ genannt, ein Kunstwort, das 1969 geprägt wurde. Einen geregelten Antrieb, der in einer Maschine oder Anlage eine Funktion ausführt, bezeichnen wir daher als „mechatronische Antriebslösung“. In diesem Buch wird beschrieben, wie diese mechatronischen Antriebslösungen aufgebaut sind und dadurch ihre Aufgabe in den Maschinen erfüllen. So vielfältig wie die Produkte, die hochautomatisiert hergestellt werden, sind auch die Maschinen hierfür. Durch die Fokussierung auf Produktbereiche und Produktionsprozesse sind Maschinenhersteller häufig sehr spezialisiert, und die hohe Produktionsleistung ihrer Maschinen sorgt dafür, dass ihr Markt begrenzt ist. Ein Beispiel: Wenn eine Produktionslinie 1% des Bedarfs von 100 Millionen Menschen abdecken kann, der gesamte Weltmarkt sich auf 1 Milliarde Menschen beläuft (in den entwickelten Ländern) und eine Maschine 10 Jahre arbeitet, dann werden für die gesamte Weltproduktion nur 100 Maschinen pro Jahr neu benötigt. Teilt der Markt sich auf zwei gleichgroße Anbieter auf (um keine Monopole entstehen zu lassen), dann kann jeder 50 Maschinen oder Anlagen pro Jahr absetzen, um damit den gesamten Weltbedarf zu befriedigen. Eine Steigerung ist nur dadurch möglich, dass der Weltbedarf sich erhöht, d. h., dass mehr Menschen in entwickelten Ländern leben. Trotz dieser Vielfalt bei den Maschinen und ihren begrenzten Stückzahlen gibt es eine Ebene, durch die Gemeinsamkeiten zwischen Antrieben in verschiedenen Maschinen gefunden werden können, ohne den konkreten Bezug zur Antriebsaufgabe in den Maschinen zu verlieren. Diese Ebene sprechen die mechatronischen Antriebslösungen an. Diese sind definiert durch die prinzipielle Aufgabe, die ein Antrieb in einer Maschine ausführt, und nicht durch die konkrete technische Realisierung, die vom individuellen Einsatzfall abhängt. Die Aufgaben (z. B. Fördern, Heben, Positionieren, Wickeln) lassen sich klassifizieren und branchenübergreifend beschreiben. Aus diesen Aufgaben leiten sich dann Anforderungen an die Zusammenstellung der Komponenten (Motor,
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Umrichter, Getriebe) für den Antrieb ab, aber auch an die Softwarefunktionen im Antrieb. Darüber hinaus können bei Kenntnis dieser Antriebsaufgaben die Komponenten und Softwarefunktionen wiederum so entwickelt und vorbereitet werden, dass der konkrete Anwendungsfall schnell und sicher gelöst werden kann. In diesem Buch sollen diese mechatronischen Antriebslösungen für die hochautomatisierte Produktion und Logistik umfassend dargestellt werden. Hierzu werden zunächst ihre Einsatzbedingungen beschrieben. Wie sind Fabriken und Logistikzentren aufgebaut, welche Grundtypen von Maschinen gibt es dort, und wie werden diese automatisiert (Kap. 2)? Es folgt der prinzipielle Aufbau eines Antriebs und seiner Komponenten (Kap. 3): • Welche Motoren gibt es und wie sind deren Haupteigenschaften? • Wie ist ein Umrichter aufgebaut? • Mit welchen Elementen (Getriebe, Antriebselemente) wird die mechanische Energie an die Arbeitsmaschine gebracht? Dabei werden auch Aspekte der Antriebsauslegung sowie der Zuverlässigkeit von Antriebssystemen behandelt. Anschließend werden in Kapitel 4 beide Ebenen miteinander verbunden. Das gesamte Anwendungsfeld wird eingeteilt in zwölf mechatronische Antriebslösungen. Die mehreren 100 oder 1000 Antriebe in hochautomatisierten Fabriken verschiedenster Branchen können nach diesem Schema klassifiziert werden, auf der anderen Seite finden sich in fast allen Fabriken auch häufig zehn dieser zwölf Antriebslösungen. Welche Aufgaben diese Antriebslösungen erfüllen, wie deren Einsatzbedingungen sind und wie dann eine konkrete Lösung aussieht, wird in Kapitel 4 dargestellt. Kapitel 5 behandelt abschließend den Engineering-Prozess. Wie eine konkrete Lösung entsteht und wie sich hierbei sehr effizient Werkzeuge zur Auslegung, zur Produktwahl, zur Konfiguration der Software sowie zur Inbetriebnahme und Optimierung des Antriebsverhaltens einsetzen lassen, wird an dieser Stelle dargestellt. Auch der gesamte Lebenszyklus und die damit verbundenen Kosten werden zusammenfassend betrachtet. Das Buch konzentriert sich auf die grundsätzlichen Zusammenhänge, die durch konkrete Einsatzbeispiele verdeutlicht werden. Es richtet sich an Ingenieure des Maschinenbaus, der Elektrotechnik und der Mechatronik, die bei einem Maschinen- oder Anlagenbauer oder einem „System Integrator“ vor der Aufgabe stehen, eine dieser hochautomatisierten Maschinen oder Produktionen zu entwerfen und in Betrieb nehmen zu müssen. Die Ingenieure, die beim Einsatz der Maschinen in der Verantwortung stehen, dass diese eine optimale Effizienz haben, verstehen durch dieses Buch besser, wie die Antriebstechnik in ihren Anlagen funktioniert. Insgesamt lernen Ingenieure und Studierende der Mechatronik und Automatisierungs-
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Einleitung
technik, für Antriebsaufgaben schnell und sicher die optimale Lösung zu finden, damit die hierdurch entstehenden Maschinen und Anlagen ihre Aufgabe bestmöglich erfüllen.
2 Industrielle Produktion und Automatisierung
Dr. Edwin Kiel Dieses Kapitel zeigt die Einsatzbereiche für geregelte Antriebe in hochautomatisierten Fabriken. Es werden zunächst diese Fertigungen charakterisiert: Was wird produziert, in welchen Mengen und mit welchen Fertigungsabläufen? Auch der Weg von der Fabrik zum Endanwender, der in der Regel über große, hochautomatisierte Logistikzentren erfolgt, wird beschrieben. Nach der Charakterisierung der Fabriken wird dargestellt, welche Produktionstypen und Maschinenarten dort eingesetzt werden. Die Maschinentypen weisen dann bereits darauf hin, welche Antriebsaufgaben zu lösen sind. Den Abschluss dieses Kapitels bildet ein Überblick, wie die Automatisierung in den Maschinen und Fabriken aufgebaut ist. Die Automatisierung versorgt die Antriebe mit den Informationen, die sie zur Ausführung ihrer Aufgabe in der Maschine erfordern.
2.1 Struktur von Produktions- und Logistiksystemen In diesem Kapitel wird zunächst dargestellt, für welche Produkte hochautomatisierte Fabriken existieren, wie deren typische Produktionsleistungen sind und wie ihre prinzipiellen Produktionsabläufe aussehen. Behandelt werden Massenfertigungen für Ge- und Verbrauchsgüter, weil gerade diese einen hohen Automatisierungsgrad haben und entsprechend viele Antriebe benötigen. Produktionen für Investitionsgüter (z. B. für Maschinen) haben dagegen in der Regel weniger automatisierte Abläufe und einen deutlich niedrigeren Wiederholgrad, sodass universellere Maschinen wie Werkzeugmaschinen zum Einsatz kommen und Montagen in der Regel manuell ausgeführt werden. Hochautomatisierte Fertigungen ersetzen manuelle Arbeitsleistung durch mechanisierte und automatisierte Abläufe. Dieses hat erst die allgemeine Erhöhung des Wohlstands ermöglicht, indem nur noch ein kleiner Teil der gesamten Arbeitsleistung für die Befriedigung von Grundbedürfnissen (Essen, Kleiden, Wohnen) benötigt wird und sich damit die Menschen anderen Aufgaben widmen können.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
2.1.1
Produzierte Waren
Alle Bereiche des täglichen Lebens werden durch Produkte aus hochautomatisierten Fabriken beeinflusst. Tabelle 2-1 gibt einen Überblick. Tabelle 2-1. Waren aus Massenfertigungen Bereich Nahrungsmittel
Produkte Lebensmittel, Getränke
Fabriken Lebensmittelwerke, Getränkeabfüllungen, Mühlen, Zuckerfabriken, Molkereien Bekleidung Textilien, Bekleidung Textilfabriken Wohnen und Haus- Baustoffe, Möbel, HausFabriken für Baustoffe (Steine, halt haltsgeräte, InnenausstatZement, Bodenbeläge, Fliesen, tungen Fenster), Möbelfabriken, Fabriken für Hausgeräte Gesundheit Körperpflege, Medikamente Pharmafabriken Verkehr Fahrzeuge Fahrzeughersteller, Fahrzeugzulieferer Kommunikation Telefone, Computer Telefonfabriken, Fabriken für Mobiltelefone, Komponenten für Computer Unterhaltung, Bücher, Zeitschriften, CDs, Buchdruckereien, BuchbindeKultur DVDs reien, Zeitungsdruckereien, CD-Presswerke
Massenfertigungen sind für die Produkte des täglichen Lebens die Regel, Ausnahmen existieren nur: • Wenn sich die Materialien nur schwer automatisiert verarbeiten lassen (z. B. biegeschlaffe Materialien wie Textilstoffe oder Fleisch). • Wenn der Bedarf niedrig ist und auf hohe Individualität Wert gelegt wird (Kunsthandwerk, Luxusgüter). • Wenn keine langen Lager- oder Transportzeiten möglich sind, weil die Waren frisch bleiben müssen (Brot und Backwaren, Obst und Gemüse). Die meisten Ge- und Verbrauchsgüter des täglichen Lebens bis hin zu langlebigen Gütern wie Autos, Möbeln und Hausgeräten werden in hochautomatisierten Fertigungen hergestellt. 2.1.2
Produktionsmengen
Für die Bestimmung der wirtschaftlichen Größe einer hochautomatisierten Fabrik gilt die Grundregel, dass mit wachsender Produktionsleistung die
Struktur von Produktions- und Logistiksystemen
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Wirtschaftlichkeit der Fabrik steigt. Grenzen werden erst dann erreicht, wenn die Produktionsleistung nicht mehr wirtschaftlich abgesetzt werden kann oder es aus Gründen der Konzentration auf sehr wenige Standorte zu unwirtschaftlichen Transportkosten kommt. Diese Grundregel sorgt dafür, dass Maschinen immer leistungsfähiger werden, bis entweder physikalische Grenzen erreicht werden oder die Produktionsleistung die wirtschaftlich sinnvolle Grenze erreicht. Wie bestimmt sich jetzt die wirtschaftlich sinnvolle Grenze der Produktionsleistung? Hier gehen folgende Faktoren ein: • Wie groß ist der erreichbare Markt? • Wie ist die Marktsättigung für dieses Produkt, d. h. welcher Anteil aller Menschen wird maximal dieses Produkt kaufen? • Wie ist der Wettbewerb für das Produkt, d. h. mit wie vielen anderen Produktionen muss die Fabrik auf dem Markt konkurrieren? • Wie hoch ist das Marktpotenzial, das sich durch den typischen regelmäßigen Bedarf für das Produkt ergibt? Im Folgenden sollen alle vier Faktoren näher beleuchtet werden, um dann anhand von Beispielen konkrete Ergebnisse zu zeigen. Größe des erreichbaren Markts. Die Größe des erreichbaren Markts wird dadurch bestimmt, an wie viele Menschen eine Fabrik ihre Produkte liefern kann. Grenzen können politischer Natur sein (Handelsschranken), die aber im Zuge von politischen Einigungsprozessen für die großen entwickelten Weltregionen sukzessive abgebaut wurden und weiterhin abgebaut werden. Die Bevölkerungszahlen in den wichtigsten industrialisierten Regionen zeigt Tabelle 2-2. Tabelle 2-2. Größe von erreichbaren Märkten Region Europäische Union (EU) NAFTA (USA, Kanada, Mexiko) Japan
Einwohner ca. 500 Mio. Menschen ca. 430 Mio. Menschen ca. 120 Mio. Menschen
Eine weitere Begrenzung können die Verkehrswege sein. Für alle Produkte, die nicht schnell altern (bzw. wie verpackte Lebensmittel haltbar gemacht werden) und wo daher die konkrete Transportzeit keine Rolle spielt, spielt die Entfernung der Fabrik vom Verbraucher eine untergeordnete Rolle. Anders ist dieses, wenn die Frische des Produkts bzw. dessen Aktualität wichtig ist. Ein Beispiel sind hier die Tageszeitungen. Sie sollen morgens um 5:00 Uhr beim Verbraucher sein, aber möglichst spät gedruckt werden, damit aktuelle Nachrichten vom Vortag noch erscheinen. Konkret führt
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Industrielle Produktion und Automatisierung
dieses dazu, dass eine Zeitungsdruckerei für eine Lokalzeitung nur einen Radius von ca. 100 km versorgen kann. Innerhalb solch eines Radius hat aber die zunehmende Produktivität von Druckmaschinen dazu beigetragen, dass die vormals selbstständigen Regionalzeitungen sich zusammengeschlossen haben und es in der Regel nur noch eine Tageszeitung in einer Region gibt (Großstädte sind hier die Ausnahme). Bei Produkten wie Brot und Backwaren führt der Wunsch nach frischen Produkten dazu, dass sich eine hochautomatisierte Produktion, die technisch möglich ist, nicht in der Breite durchgesetzt hat. In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass eine Fabrik für haltbare Güter einen Absatzmarkt von mindestens 100 Mio. Menschen erreichen kann. Marktsättigung. Viele neue Produkte erreichen nach kurzer Zeit eine sehr hohe Marktdurchdringung. Für neue Produkte der Unterhaltungselektronik hat sich dieser Zeitraum über die letzten Jahrzehnte hinweg auf wenige Jahre reduziert. Für jedes dieser Produkte gibt es einen Zustand, in dem die Marktdurchdringung nicht mehr stark gesteigert werden kann. So kommen heute in Deutschland auf 100 Menschen 60 Autos, in den USA sind dies 75. Insgesamt kann von folgenden Marktsättigungsraten ausgegangen werden: • Mobiltelefone: ca. 90 bis 120% (viele Menschen haben schon mehr als ein Mobiltelefon), • Geräte der Unterhaltungselektronik: ca. 80 bis 100%, • Autos: 50 bis 70%, • Haushaltsgeräte: 30 bis 70% (z. B. pro Haushalt 1 bis 2 Kühlschränke), • Computer: ca. 35% (70% aller Haushalte), • Bücher: annähernd 100%, • Zigaretten: 20 bis 30%, • nichtalkoholische Getränke: 100% und • alkoholische Getränke: ca. 50%. Wenn Fabriken Produkte herstellen, bei denen die maximale Marktdurchdringung erreicht ist, dann ist diese Marktsättigung für das Bestimmen der wirtschaftlich sinnvollen Produktionsleistung zu berücksichtigen. Kritischer ist diese Frage, wenn die Marktdurchdringung noch steigt. In diesem Fall ist der Bedarf durch den Erstkauf größer als später beim Ersatzkauf. Hier besteht die Gefahr, dass Fabriken zu groß gebaut werden und später überdimensioniert sind. Wettbewerb. Der nächste Faktor für die Ermittlung der wirtschaftlich sinnvollen Produktionsleistung ist die Wettbewerbssituation. Menschen haben nicht alle den gleichen Geschmack und unterschiedliche Interessen,
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oder sie wollen sich von ihren Mitmenschen unterscheiden. Das führt dazu, dass nicht alle die gleichen Produkte besitzen wollen. Außerdem gibt es in einer Produktgruppe (z. B. bei Autos) unterschiedliche Kundenbedürfnisse (Einer will ein preiswertes, der Zweite ein schnelles und der Dritte ein großes Auto für die Familie), die zu einem Bedarf für unterschiedliche Produkte führen. Letztendlich basiert unser Wirtschaftssystem auf Wettbewerb. Wettbewerber konkurrieren um die Kunden und wollen dabei über Differenzierung Wettbewerbsvorteile erreichen. Beschreiben kann man diesen Effekt mit dem durchschnittlichen Anteil, den ein Produkt in einer Produktgruppe erreichen kann. Dieser kann ganz unterschiedliche Werte annehmen: • Beim Auto hat das am häufigsten verkaufte Modell in Deutschland einen Marktanteil von 6%. Im Mittel kann man bei Autos von einem Marktanteil von ca. 2% für eine Produktreise ausgehen. Alle Produktreihen mit kleineren Marktanteilen sind entweder Importe, die ihren Hauptmarkt woanders haben, oder Exoten, wie z. B. Luxusfahrzeuge. • Bei vielen Lebensmitteln kann man annehmen, dass ein Produkt ebenfalls einen Anteil in der Höhe von 2 bis 4% erreichen kann. In der Regel konkurrieren im Supermarkt 5 bis 10 Marken mit mehreren Produkten, nur bei Discountern ist die Vielfalt stark eingeschränkt. • Höhere Marktanteile gibt es nur bei Produkten, die wenig Interesse beim Verbraucher erwecken und in der Regel kein sehr großes Marktpotenzial haben. So gibt es Produkte wie Fleischbrühe, Klebeband oder Staubsaugerbeutel nur von 2 bis3 Anbietern, die dementsprechend Marktanteile von 30 bis 50% haben. Für viele Produkte kann von einem durchschnittlichen Marktanteil von 1 bis 2% ausgegangen werden, den eine Fabrik bedient. Hat ein Anbieter einen höheren Marktanteil, wird er in der Regel seine Produktion auf mehrere Fabriken aufteilen. Aber gerade Produkte mit geringem Marktpotenzial und wenigen Konkurrenten werden häufig von nur wenigen Fabriken (2 bis 4) in einen Markt von 100 Mio. Menschen geliefert. Regelmäßiger Bedarf. Während die drei bisher aufgeführten Faktoren eine Varianz von ca. 1 bis 1,5 Größenordnungen haben, ist dieses bei dem Bedarf ganz anders. Hier gibt es eine sehr große Varianz [Bu06a]: • Autos haben ein Durchschnittsalter von ca. 8 Jahren, d. h., ein Auto lebt ca. 15 Jahre. Aus diesem Grund beträgt die Anzahl der Neuzulassungen pro Jahr in Deutschland ca. 3,5 Mio. bei einem Bestand von ca. 48 Mio., • andere langlebige Haushaltsgüter haben ebenfalls eine Nutzungszeit von 10 bis 20 Jahren (Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Möbel), • Geräte der Unterhaltungselektronik werden 5 bis 10 Jahre genutzt,
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Industrielle Produktion und Automatisierung
• Computer 3 bis 5 Jahre, • im Durchschnitt kauft ein Mensch ca. 12 Bücher pro Jahr, • Lebensmittel wie ein Becher Margarine werden ca. einmal pro Monat benötigt, • Tageszeitungen erscheinen an 6 Tagen pro Woche, • der Flüssigkeitsbedarf pro Tag kann mit 3 Flaschen Mineralwasser befriedigt werden und • Raucher konsumieren häufig mehr als 20 Zigaretten am Tag. Die hier aufgeführten Bedarfsmengen reichen von 7*103 bis 5*10-2 pro Jahr, d. h. sie überspannen 5 Zehnerpotenzen. Wirtschaftlich sinnvolle Produktionsleistung. Fasst man jetzt die vier Faktoren zusammen, so ergeben sich folgende wirtschaftlich sinnvollen Produktionsleistungen (Abb. 2-1). Erreichbarer Markt (ca. 100 Mio. Menschen)
Marktsättigung (30-100% je nach Produktgruppe)
Versorgung des Gesamtmarktes von 50-100 Fertigungen (d.h. Marktanteil einer Fertigung ca. 1-2%) Bedarf: 1-5 pro Tag z. B. Getränke, Tageszeitung Produktionsmenge: 250 - 1.000 Mio. / Jahr 30.000 - 120.000 / h 10 - 40 / s
Bedarf: 1 pro Monat z. B. Bücher, Lebensmittel
Bedarf: 1 alle 10 Jahre z. B. Auto, Haushaltsgerät, Möbel
Produktionsmenge: 10 - 20 Mio. / Jahr 1.000 - 3.000 / h Takt: 1 - 3 s
Produktionsmenge: 100.000 - 400.000 / Jahr 30 - 60 / h Takt: 1 - 2 min
Schnell getaktete Produktionsmaschine Fließbandfertigung keine manuelle Arbeit automatisierte und manuelle Arbeit
Abb. 2-1. Produktionsmengen von Massenfertigungen
Die Ergebnisse dieser Rechnung sind in vielen Fällen identisch mit der Produktionsleistung entsprechender Maschinen und Produktionslinien. So haben Fertigungslinien für Autos in der Regel eine Produktionsleistung von 200.000 bis 400.000 Einheiten pro Jahr. Bücher werden mit maximalen Geschwindigkeiten von 2.000 bis 3.000 Stück pro Stunde hergestellt. Getränkeabfüllungen füllen ca. 30.000 Gebinde pro Stunde. Die höchste
Struktur von Produktions- und Logistiksystemen
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Produktionsleistung haben Zigarettenmaschinen, diese erreichen über 0,5 Millionen Stück pro Stunde. In all diesen Fällen wurden Produktionen und Maschinen so lange optimiert, bis sie die wirtschaftlich sinnvolle Produktionsleistung erreicht haben. Zusammenfassen lässt sich dieses Kapitel wie folgt: • Taktraten im Bereich einer Minute sind für Produkte sinnvoll, die ein Mensch im Abstand von Jahren kauft, z. B. Autos und Haushaltsgeräte. Dieses führt zu Produktionsleistungen von einigen 100.000 Stück pro Jahr. • Taktraten im Bereich einer Sekunde ergeben sich für Produkte, die im Abstand von Wochen gekauft werden, so Bücher, Margarinebecher, etc. • Bei einem täglichen Verbrauch sind bereits Taktraten von über 10 pro Sekunde (bzw. 40.000 pro Stunde) erforderlich, z. B. bei Tageszeitungen. • Die höchsten Produktionsleistungen sind notwendig und sinnvoll bei Produkten, die in höheren Mengen pro Tag konsumiert werden (Getränke, Zigaretten). Multipliziert man die Produktionsleistung mit dem Stückerlös, dann ergibt sich in den meisten Fällen ein Umsatz von 10 bis 50 Mio. €. Hochautomatisierte Fabriken haben in der Regel einen hohen Pro-Kopf-Umsatz von 200.000 bis 500.000 € pro Mitarbeiter, sodass solche Fabriken dann auf eine Mitarbeiterzahl von 50 bis 200 kommen. Dieses sind auch Mindestwerte, die ein mehrschichtig arbeitender Betrieb haben muss, um die benötigen Funktionen und Qualifikationen auf Personen abbilden zu können. Automobilfabriken ragen aus dieser Rechnung heraus. Hier liegt der Wert der Jahresproduktion bei mehreren Milliarden Euro, die Mitarbeiterzahl einer Produktionslinie bei mehreren Tausend. Damit sind Automobilfabriken die größten und komplexesten Massenfertigungen, die dadurch natürlich auch in vielen Aspekten Vorbildfunktion für andere Produktionen haben. Technologien, die sich in Automobilfabriken bewährt haben, sind auch für andere hochautomatisierte Produktionen geeignet. 2.1.3
Produktionsabläufe
Kein Fertigprodukt, das in den Handel kommt, ist homogen und besteht nur aus einem Material. Selbst ein Grundlebensmittel wie Zucker wird in eine Tüte eingepackt und auf einer Palette gestapelt, bevor es die Fabrik verlässt. Aus Systemsicht ist eine Produktion eine Aufeinanderfolge von Arbeitsschritten, bei denen Teile verändert oder durch Kombination mit anderen Teilen (Fügen, Montage) zu Baugruppen zusammengefasst werden.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Es soll zunächst für verschiedene Industrien beispielhaft der typische Arbeitsablauf dargestellt werden, bevor dann einige Grundprinzipien für Massenfertigungen aufgezeigt werden. Diese Grundprinzipien sind die Ausgangsbasis für Produktionsverfahren und Prozesse in Maschinen, die von Antrieben auszuführen sind. Maschinenbau. Maschinen werden in der Regel in nur kleinen Stückzahlen hergestellt, Jahresmengen von 50 sind die Regel und von über 1.000 eine große Ausnahme. Der Produktionsablauf für Maschinen ist in der Literatur sehr ausführlich beschrieben [Wi05a] und weist folgende Grundelemente auf (Abb. 2-2): • In der Teilefertigung werden die Bauteile hergestellt, die für die Maschinen spezifisch sind (Zeichnungsteile im Gegensatz zu Normteilen). • Die Arbeitsschritte in der Teilefertigung können mehrere Maschinen benötigen (z. B. Drehen oder Fräsen für die Weichbearbeitung, Härten, Schleifen für die abschließende Hartfeinbearbeitung). • Der am häufigsten eingesetzte Werkstoff ist Metall (Stahl oder Aluminium). • Die Fertigungsverfahren werden unterschieden in Urformen (z. B. Gießen), Umformen (z. B. Schmieden, Pressen) und Trennverfahren (spanende Bearbeitung wie z. B. Drehen, Fräsen, Schleifen). Weiterhin gibt es Verfahren zur Oberflächenbehandlung sowie Fügeverfahren. • Teile werden, wenn möglich, in Losen auftragsanonym gefertigt und zwischengelagert. • Nach der Teilefertigung folgt die Montage, bei der die Einzelteile zu Baugruppen und abschließend zur Maschine zusammengesetzt werden. Diese ist in der Regel manuell. • Teilefertigung und Montage sind getrennte Fertigungsbereiche. Halbzeuge
Kaufteile
Teilefertigung in Produktionslosen Drehen, Fräsen Härten Schleifen Montagelager Montage auftragsbezogen Maschinennutzer
Abb. 2-2. Produktionsablauf Maschinenbau
Struktur von Produktions- und Logistiksystemen
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Dieser typische Produktionsablauf im Maschinenbau hat etliche Unterschiede zur Massenfertigung: • Die Produktionsmengen sind deutlich kleiner. • Es werden eher Universalmaschinen eingesetzt, die eine Vielzahl von Teilen produzieren können (z. B. Werkzeugmaschinen). • Der Warenfluss zum Endprodukt ist nicht kontinuierlich und durchgängig, vielmehr werden Zwischenprodukte gelagert und nicht umgehend weiterverarbeitet. • Es gibt eine starke organisatorische Trennung von Teilefertigung und Montage. Fertigungsprinzipien des Maschinenbaus werden in der Massenfertigung aus diesen Gründen nur bedingt übernommen, häufig finden sich andere Grundprinzipien. Rohbleche Presswerk
Zulieferteile Komponentenwerke Motor, Getriebe Teilefertigung
Rohbau
Montage Lackierung
Just-in-Time-Lieferung
Fließbandmontage 200.000 - 400.000 Fahrzeuge / Jahr Endverbraucher
Abb. 2-3. Produktionsablauf Automobilfertigung
Automobilbau. Viele Einzelteile des Automobils werden mit ähnlichen Fertigungsverfahren wie im Maschinenbau gefertigt (z. B. der Verbrennungsmotor, das Getriebe), allerdings sind die Abläufe sehr verschieden (Abb. 2-3): • Der Materialfluss über die verschiedenen Gewerke (Karosserierohbau, Lackierung, Endmontage) ist kontinuierlich, es gibt nicht die Möglichkeit zur Zwischenpufferung über lange Zeiten. • Die Produktionseinrichtungen sind speziell auf das gefertigte Modell ausgelegt. Eventuell werden mehrere Modelle im Mix gefertigt, die aber gleiche Produktionseinrichtungen nutzen können. • Die Zulieferung der Teile und Baugruppen in die Endmontage wird möglichst ohne große Zwischenpuffer organisiert (Just-in-TimeLieferung).
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Industrielle Produktion und Automatisierung
• Der gesamte Arbeitsablauf der Automobilproduktion, aber auch von komplexen Baugruppen wie dem Verbrennungsmotor oder dem Getriebe, ist auf mehrere hundert Arbeitsstationen aufgeteilt, die im gleichen Takt arbeiten (Fließbandfertigung). Die Maschinen dieser Arbeitsstationen sind für den entsprechenden Arbeitsschritt spezialisiert. Tageszeitung. Das nächste Beispiel ist die Produktion einer Tageszeitung (Abb. 2-4). Die Produktionsleistung reicht bis zu 80.000 Exemplare pro Stunde. Solch eine Zeitungsdruckerei kann bei einer Druckzeit zwischen Redaktionsschluss (21:00 Uhr) und Ende der Auslieferung (2:00 Uhr) 400.000 Exemplare drucken und damit den durchschnittlichen Bedarf von über einer Mio. Menschen bedienen. Der Produktionsprozess besteht aus zwei Stufen: • Dem Rotationsdruck, durch den die Bücher einer Zeitung hergestellt werden. Das Ausgangsmaterial sind dabei Rollen mit Zeitungspapier. Das Ergebnis ist das bedruckte, geschnittene und gefaltete Zeitungspapier eines Buchs der Zeitung. • Der Zeitungsweiterverarbeitung, bei dem die Bücher zusammen mit Beilagen zusammengelegt und abschließend zu Zeitungsstapeln zusammengefasst werden, die dann noch mit Kunststofffolie zum Schutz vor Nässe und Verschmutzung eingeschlagen werden. Papierrollen
Rotationsdruck bis 80.000 / h
Beilagen
Wochenendbeilagen in Stapeln gespeichert Einfügen der Beilagen
Versandsystem bis Stapeln und 80.000 Zeitungen / h in Folie einpacken Endverbraucher
Abb. 2-4. Ablauf Zeitungsproduktion
Nicht alle Teile einer Zeitung werden unmittelbar gedruckt. So werden Teile der Samstagsausgabe (Wochenendbeilagen) bereits während der Woche außerhalb der Hauptdruckzeit gedruckt und dann in Stapeln oder Rollen zwischengelagert. Auch die Werbebeilagen werden meist in anderen Druckereien für mehrere Zeitungen gedruckt und dann über eine ent-
Struktur von Produktions- und Logistiksystemen
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sprechende Form der Zwischenspeicherung (Stapel, Rollen) in den Produktionsprozess eingebracht. Der Zeitungsdruck hat folgende Grundprinzipien: • Das Ausgangsmaterial ist in großen Mengen auf Rollen gespeichert, Rollen dienen teilweise auch zur Zwischenspeicherung. • Der Materialfluss ist kontinuierlich, Rotationsdruck und Versandsystem arbeiten mit der gleichen Produktionsleistung. • Das Enderzeugnis wird zu handhabbaren Versandeinheiten (Zeitungsstapel) zusammengetragen, die direkt dem nächsten Transportschritt (Lastwagen zu den Verteilorten für die Zeitungsausträger) zugeführt werden können. • Es gibt keinen manuellen Eingriff in den Produktionsvorgang, die erste Bewegung des Produkts durch den Menschen ist das Ein- und Ausladen des Zeitungsstapels beim Transport, die Zeitung selbst wird erstmalig vom Zeitungsausträger angefasst, wenn er sie in den Briefkasten einsteckt. Bücher. Die Produktion von Büchern ist prinzipiell eine Massenfertigung, hat aber einen entscheidenden Unterschied zu anderen Produkten (Abb. 2-5). Bücher werden in einer sehr hohen Varianz hergestellt, wobei die individuellen Auflagen stark schwanken können (von 500 bis zu 50.000). Der Produktionsvorgang teilt sich in folgende Stufen: • Buchdruck und • Buchbinden. Der Druck der Druckbögen erfolgt in der Regel auf einer Bogenoffsetdruckmaschine. Das Ausgangsmaterial sind Stapel von unbedrucktem Papier. Das Enderzeugnis sind bedruckte Bögen (mehrere Farben, beide Seiten, teilweise noch mit einer Oberflächenbehandlung des bedruckten Papiers). Die Produktionsleistung reicht heute bis zu 18.000 Bögen pro Stunde. Ein Buch besteht aus 10 bis 30 Bögen je nach Umfang, sodass 600 bis 1.800 Bücher pro Stunde hergestellt werden. Diese Druckbögen werden dann gefalzt und in Stapeln gespeichert für die Weiterverarbeitung in der Buchbinderei. Die Buchbinderei benötigt als Eingangsmaterial neben den gefalzten Druckbögen weitere Vorprodukte wie die Buchdecken, für die es spezielle Maschinen gibt. Die Buchbinderei beginnt mit dem Zusammentragen der Druckbögen. Es folgt die Buchrückenbearbeitung (Klebe-, Heft- oder Fadenbindung), der Dreischneider für die Kanten und abschließend die Endproduktion, bei der der Bucheinband angebracht wird. Buchbindemaschinen erreichen Geschwindigkeiten bis zu 4.000 Bücher pro Stunde.
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Industrielle Produktion und Automatisierung Papierbögen Bogendruck bis 18.000 / h Falzen, Anlegen Transport in Stapeln
Buchdecken bis 4.000 / h
Buchbinden bis 4.000 / h Zusammentragen Buchrückenbearbeitung Kantenschnitt Buchendproduktion Palettieren Lagerung Buchhandel, Online-Versand
Abb. 2-5. Ablauf Buchproduktion
Nach der Buchproduktion werden diese teilweise noch in Kunststofffolie eingepackt und auf Paletten gestapelt. Auf den Paletten werden sie dann gelagert bzw. zu Distributionszentren transportiert, von denen sie die Buchhandlungen oder direkt (über den Online-Versand) den Endverbraucher erreichen. Druck und Binden erfolgen fast immer örtlich getrennt, eine Verkettung an einer Stelle ist selten, da die Varianz (insbesondere die Anzahl der Druckbögen pro Buch) zu hoch ist. Die verschiedenen Arbeitsschritte der Buchbinderei sind aber in größeren Betrieben miteinander verkettet, alle Maschinen haben eine gleiche Produktionsleistung. Teilweise werden durch längere Transportwege (Kühlschnecken) Zwischenzeiten eingebaut, die für Kühl- oder Konditionierzeiten erforderlich sind. Auch die Buchproduktion zeigt wieder gleiche Grundprinzipien der Massenfertigung: • Hohe Produktionsleistung, • hohe Spezialisierung der Maschinen für die Arbeitsschritte (wobei diese die Varianz, in der Bücher hergestellt werden, wie z. B. Papierqualität, Umfang, Format, Einband beherrschen müssen), • automatischer Materialtransport und
Struktur von Produktions- und Logistiksystemen
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• das Endprodukt ist fertig für den Weitertransport (eingepackte Stapel auf Paletten). Getränkeabfüllung. Getränke werden aufgrund des hohen Verbrauchs mit einer sehr hohen Produktionsleistung hergestellt. Der gesamte Produktionsprozess (Abb. 2-6) gliedert sich dabei in folgende Stufen: • Das Abfüllgut wird zunächst in großen Behältern hergestellt. Beim Wein kennen wir die Fässer, die heute Edelstahltanks gewichen sind. Bier wird ebenfalls in großen Brautanks gebraut, der Produktionsvorgang (Gärung mit anschließender Lagerung) dauert dabei ca. 5 bis 7 Wochen. Auch Fruchtsäfte werden zunächst in Tanks hergestellt, die Ausgangsprodukte sind Wasser und Saftkonzentrate, die im Ursprungsland hergestellt werden. • Glasflaschen werden von Glashütten angeliefert oder bei der Wiederverwendung gesäubert und dann auf Unversehrtheit geprüft. • PET-Flaschen werden aus Rohlingen direkt in der Getränkeabfüllung geblasen. Die Maschinen hierfür haben eine Produktionsleistung von bis zu 60.000 Flaschen pro Stunde. Innerhalb der Maschine ist die gesamte Produktionszeit von 2 Sekunden je nach Produktionsleistung auf 8 bis 40 Blasstationen aufgeteilt, die in einem Karussell angeordnet sind. • Die Befüllung von Flaschen erfolgt in drei Stufen: dem eigentlichen Befüllen, dem Verschließen und dem Etikettieren. Für die drei Schritte werden getrennte Maschinen eingesetzt, die über Förderbänder miteinander verbunden sind. Die maximale Produktionsleistung liegt ebenfalls bei 60.000 Flaschen pro Stunde. • Für Getränkekartons gibt es Maschinen, die diese aus dem Grundmaterial, das in Stapeln oder auf Rollen angeliefert wird, herstellen, befüllen und verschließen. Hier liegen die Produktionsleistungen bei bis zu 7.000 Kartons pro Stunde. • Nachdem die Flaschen oder Getränkekartons befüllt wurden, werden diese entweder in Kisten gepackt (Mehrwegverpackung) oder zu Tabletts („Trays“) zusammengefasst. Tabletts bestehen aus einem gefalteten Karton, der mehrere Flaschen aufnimmt, der dann noch mit einer Kunststofffolie überzogen wird. • Diese Kisten oder Tabletts werden anschließend auf Paletten gestapelt, die über Förderstrecken in das Lager transportiert werden. Vom Lager geht es auf den Lastkraftwagen, der Distributionszentren oder Verbrauchermärkte ansteuert. Auch hier finden sich identische Grundprinzipien: • Es gibt einen kontinuierlichen Materialfluss. • Spezialisierte Maschinen, die miteinander verkettet sind und gleiche Produktionsleistungen haben, werden eingesetzt.
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Industrielle Produktion und Automatisierung Mehrwegflaschen
PET-Rohlinge
Karton
Waschen Überprüfen
Blasen der PET-Flaschen bis 60.000 / h
Getränkekarton bis 7.000 / h
Flaschen-Abfüllung bis 60.000 / h Füllen
Karton aufstellen Füllen Verschließen
Verschließen Etikettieren Zusammenfassen in Kisten oder Tabletts Pallettieren Lagerung Einzelhandel
Abb. 2-6. Ablauf Getränkeabfüllung
• Der Inhaltsstoff wird in großen Mengen hergestellt und dann auf die Einzelgebinde verteilt. • Die produzierten Gebinde werden zu Handelseinheiten (Kisten oder Tabletts) zusammengefasst und auf Paletten gestapelt, die direkt eingelagert und auf den weiteren Transportweg gebracht werden können. • Es gibt keinen manuellen Eingriff; in der Regel werden die Gebinde in der Flaschenabfüllung an keiner Stelle vom Menschen berührt oder bewegt. Grundregeln für Massenproduktionen. Aus den Beispielen können folgende Grundregeln abgeleitet werden: • Die Ausgangsmaterialien werden in großen Mengen angeliefert oder hergestellt. Bei flächigen Materialien sind dieses Rollen (Blech, Papier, Textilien, Folie) oder Stapel, bei flüssigen Materialien Behälter und Tanks. • Einige Produktionsvorgänge sind kontinuierlich mit einer anschließenden Vereinzelung, andere sind getaktet. • Die eingesetzten Maschinen sind hoch spezialisiert und verkettet. Die Verkettung erfordert die gleiche Produktionsleistung im gesamten Produktionsablauf.
Struktur von Produktions- und Logistiksystemen
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• Der automatische Transport zwischen den Maschinen erfolgt über Fördertechnik, Zwischenlagerungen werden vermieden, so weit es eben geht (Beispiele für Ausnahmen: Druckbögen beim Buchdruck, Wochenendbeilagen). • Der Produktionsablauf schließt das Zusammenfassen zu Einheiten und das Stapeln auf Paletten für die Lagerung und den Transport mit ein. • Es erfolgt kein manueller Eingriff in den Produktionsablauf (außer bei nicht automatisierbaren Montagevorgängen), viele Produkte werden erst beim letzten Schritt zum Endverbraucher erstmalig manuell bewegt. Nachdem verschiedene Produktionsabläufe vorgestellt wurden, ergibt sich die Frage, wie die dabei in großen Mengen hergestellten Güter weiter gelagert und verteilt werden. Hierzu werden im Folgenden die Systeme zur Warenverteilung dargestellt. 2.1.4
Warenverteilung
Die Konzentration der Produktion auf wenige Fabriken, die Millionen von Menschen mit ihren Produkten versorgen, erzeugt einen hohen Bedarf für den Warenumschlag und damit die Logistik. Die Logistik hat dabei die Aufgabe, die vom Verbraucher benötigten Waren zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und in der gewünschten Menge zu möglichst minimalen Kosten zur Verfügung zu stellen. Da nur wenige Produkte auftragsbezogen hergestellt werden (die wichtigste Ausnahme ist wahrscheinlich das Auto, dessen Produktion nach der Konfiguration und Bestellung durch den Käufer gestartet wird), sind für den Weg zum Endverbraucher Zwischenlagerungen notwendig. Jede Lagerung ist ein Kompromiss für die folgenden, sich widersprechenden Forderungen: • Möglichst geringe Lagerhaltung (Kapitalbindung), oder anders ausgedrückt möglichst hoher Umschlag im Lager; • möglichst große Produktionslose, um Nebenzeiten und Rüstzeiten für die Produktumstellung zu minimieren; • optimale Transportwege und Transporteinheiten und • möglichst geringe Anzahl von Warenumschlag- und Kommissioniervorgängen. Ziel der Distributionslogistik ist es, unter Berücksichtigung dieser Punkte ein möglichst effizientes System zu schaffen, über das die Fertigwaren von der Produktion zum Endverbraucher transportiert werden. Im Folgenden soll dargestellt werden, wie die heute üblichen Systeme aussehen. Zentrales Element aller Logistiksysteme für die Warenverteilung ist ein Warenumschlagpunkt (auch Distributionszentrum oder Hub genannt), bei
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Industrielle Produktion und Automatisierung
dem sternförmig Waren angeliefert, dort verteilt und dann wieder ausgeliefert werden. In der Regel hat solch ein Warenumschlagpunkt auch ein Lager. Im Falle von reinen Verteilzentren (Post- oder Paketverteilzentren, Hubs von Speditionen) wird die einkommende Ware möglichst schnell wieder weitergeleitet. Produktion 1 Fertigwarenlager
Produktion n Fertigwarenlager
Anlieferung auf Paletten Logistikzentrum z. B. 20.000 Artikel Wareneingang Lagerung im Hochregallager Kommissionierung Warenausgang Auslieferung z. B. auf Rollcontainern Verbrauchermarkt 1
Verbrauchermarkt n
Abb. 2-7. Ablauf in einem Logistikzentrum
Logistik im Einzelhandel. Wird die Ware über den Einzelhandel zum Endverbraucher gebracht, dann sieht der gesamte Warenfluss in der Regel wie folgt aus (Abb. 2-7): • Die Produktionswerke beliefern die Zentralläger der Handelsketten oder von Einkaufsorganisationen. Je nach Umfang des Artikelprogramms haben die Handelsketten in Deutschland ein oder mehrere solcher zentraler Distributionszentren. Die Belieferung vom Produzenten erfolgt in ganzen Paletten (Ladeeinheiten) entweder direkt von der Produktion oder aus einem Fertigwarenlager beim Produzenten. • Aus den Distributionszentren werden die Filialen im Abstand von wenigen Tagen beliefert. Scannerkassen am Point-of-Sale ermöglichen es jederzeit Informationen über den Bestand zu haben und rechtzeitig nachzuordern. Für die Filialen werden in der Regel Lieferungen auf der Basis von Handelseinheiten, d. h. nicht von kompletten Paletten, sondern den darauf enthaltenen nächstkleineren Verpackungseinheiten zusammengestellt (kommissioniert). Der Transport erfolgt häufig über
Struktur von Produktions- und Logistiksystemen
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Rollcontainer. Auch diese Kommissioniervorgänge können mittlerweile teilweise automatisiert werden. • Insgesamt wird das Produkt an drei Stellen gelagert: im Fertigwarenlager beim Produzenten, im Distributionszentrum und in der Filiale. Lagerstufen können eingespart werden, wenn der Produzent direkt aus seinem Lager die Filialen beliefert. Dieses ist aber nur bei Produkten mit einem hohen Umschlag sinnvoll (z. B. Getränke). Andererseits können auch direkt von der Produktion komplette Paletten ohne Einlagerung an die Distributionszentren transportiert werden. Dieses setzt eine hohe Fertigungsflexibilität beim Produzenten voraus, der ja jetzt bedarfsgerecht für den Abnehmer produzieren muss. Logistik bei Paketdiensten. Im Fall von Paketdiensten hat sich folgender Logistikablauf etabliert (Abb. 2-8): • Im Lauf eines Nachmittags werden die Pakete entweder vom Paketdienst eingesammelt oder von Großkunden direkt beim Paketverteilzentrum angeliefert. • Dort werden sie abends entsprechend dem Zielpaketverteilzentrum sortiert. • Die zusammengestellten Sendungen werden über Nacht mit Lastwagen zum Zielpaketverteilzentrum transportiert. • Dort erfolgt morgens die Aufteilung auf die Routen der verschiedenen Auslieferungswagen, die dann am Vormittag die Pakete ausliefern. Mit diesem System ist eine Belieferung innerhalb eines Tages möglich. Bei sehr großräumigen Expressdiensten wird anstelle des Lastwagens das Flugzeug genommen. Dieses setzt aber einen weiteren zentralen Umschlagpunkt voraus, der sternförmig von allen Paketverteilzentren angeflogen wird. Dort erfolgt die Sortierung nach dem Bestimmungsort, zu dem die Flugzeuge nach erfolgter Sortierung und Beladung zurückfliegen. In wenigen Fällen sind die hier aufgeführten Lieferzeiten nicht ausreichend. So müssen Medikamente in wenigen Stunden in der Apotheke oder beim Patienten sein. Hierfür werden lokale Verteilsysteme eingerichtet, die mehrmals am Tag eine Verteilung der Waren vornehmen. Der Online-Handel erfolgt in der Regel in einer Kombination aus Warenverteilzentren und Paketdiensten. Beim interkontinentalen Handel werden in der Regel Container eingesetzt. Der Umschlag erfolgt in Containerterminals, die Transportzeiten mit den Containerschiffen sind länger. Aber letztendlich folgt auch hier der Warenumschlag dem gleichen Grundprinzip (Konzentrieren, Transportieren, Verteilen) mit einer sehr hohen Automatisierung.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Sammelstelle Großversender (Postfiliale, Briefkasten) Sammeln der Sendungen
Sortieren nach Zielregion
Verteilzentrum n abends
Verteilzentrum 1 Zieladresse identifizieren
Übergabe an Transport Transport zwischen den Verteilzentren über Nacht
Sortieren nach Zustellgebiet
Verteilzentrum n morgens
Verteilzentrum 1 Sendungen identifizieren
Übergabe an Zusteller Ausliefern über Paketfahrzeuge/ Zusteller
Abb. 2-8. Logistik bei Paketdiensten
Für die Logistikleistungen müssen Warenumschlagpunkte folgende Funktionen ausführen: • Annehmen der Ware (Identifizieren, Einlagern), • Lagern, häufig in Hochregallagern für Paletten oder Behälter, • Kommissionieren (Entnahme von Teilmengen aus einer Palette und Zusammenstellen einer Lieferung), • Sortieren in Paketverteilzentren und • Versenden (evtl. Verpacken der Sendung, Übergabe an das Fahrzeug für den Weitertransport). Alle diese Vorgänge sind nur in einem engen Zusammenspiel zwischen einem EDV-System, das jederzeit den Ort der Waren kennt und deren weiteren Weg plant, und einer hiervon gesteuerten automatisierten Fördertechnik mit entsprechenden Antrieben zu leisten. Wenn Menschen eingesetzt werden (z. B. für Umpackvorgänge oder beim Kommissionieren), dann wird durch entsprechendes Erfassen der einzelnen Vorgänge (häufig mit Barcode-Lesern) versucht, jede Fehlerquelle zu vermeiden. Manuelle
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Pick-Listen, die dann abgestrichen werden, werden nur noch selten verwendet. Ein modernes Distributionszentrum für eine Handelskette lagert ca. 20.000 Produkte in 40.000 Lagerplätzen und führt pro Tag über 100.000 Lagerbewegungen aus. Der größte Teil der Warenbewegungen wird dabei automatisch von entsprechenden Fördersystemen und Handhabungssystemen ausgeführt. Solch ein Logistikzentrum enthält dann mehrere tausend Antriebe und beschäftigt 200 Menschen. Nachdem jetzt dargestellt wurde, wie moderne Massenfertigungen und Distributionssysteme funktionieren, stellt sich die Frage, wie die hierin enthaltenen Maschinen aufgebaut sind, um diese Leistungen und den hohen Automatisierungsgrad zu erreichen.
2.2 Maschinen in Produktion und Logistik Im vorhergehenden Kapitel wurde dargestellt, welche Produkte in welchen typischen Produktionsmengen hochautomatisiert hergestellt und zum Verbraucher gebracht werden. Die Produktionsleistungen sowie die Automatisierung haben jetzt einen direkten Einfluss auf die Produktionsverfahren. Zunächst können die Schritte, bis ein Endprodukt den Verbraucher erreicht, in zwei Gruppen eingeteilt werden: • Produktionsschritte, durch die das Produkt entsteht, und • Transportaufgaben, durch die das Produkt bewegt wird. Beide Aufgaben werden in hochautomatisierten Fertigungen durch eine Vielzahl von Maschinen ausgeführt, die wiederum viele Antriebe enthalten, die durch die Automatisierung angesteuert werden. Im Zentrum dieses Kapitels wird über die Maschinentypen verwiesen auf die Antriebsfunktionen, die dort auszuführen sind. 2.2.1
Produktionseinrichtungen
Allgemein wird die Produktionstechnik eingeteilt in (Abb. 2-9): • Die Verfahrenstechnik (chemisch, biologisch, thermisch, mechanisch), durch die Produkte mit definierter stofflicher Zusammensetzung, aber noch ohne definierte Geometrie entstehen. • Die Fertigungstechnik, durch die die Produkte eine definierte Geometrie erhalten.
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Industrielle Produktion und Automatisierung Produktionstechnik Verfahrenstechnik Definierte stoffliche Zusammensetzung herstellen Chemische Prozesse Biologische Prozesse Thermische Prozesse z. B. Trocknen, Kondensieren Mechanische Prozesse z. B. Mahlen, Zentrifugieren
Fertigungstechnik Definierte stoffliche Zusammensetzung und Geometrie herstellen 1. Urformen (Gießen, Spritzgießen, Blasen von Flaschen) 2. Umformen 3. Trennen 4. Fügen (Zusammensetzen, Füllen, An- und Einpressen, Fügen durch Urformen/Umformen/Schweißen/Löten, Kleben, textiles Fügen) 5. Beschichten 6. Oberfläche verändern (z. B. Härten)
Abb. 2-9. Produktionstechnik
Alle Ge- und Verbrauchsgüter erreichen den Verbraucher als Stückgüter, d. h. als Produkte mit definierter stofflicher Zusammensetzung und Geometrie. So sind an ihrer Herstellung auch immer Fertigungsverfahren beteiligt, spätestens durch die Verpackung, wenn die Produkte selbst zunächst durch die Verfahrenstechnik entstehen (z. B. Getränke) [St00]. Stoffe für Ge- und Verbrauchsgüter. Zunächst sollen die Stoffe aufgeführt werden, aus denen Ge- und Verbrauchsgüter hergestellt werden. Anders als bei Maschinen, die zum hohen Teil aus Metall bestehen, gibt es hier eine große Vielfalt von unterschiedlichen Stoffen. Die Aufzählung (Tabelle 2-3) zeigt, dass Metalle nur zum geringen Teil verarbeitet werden, während viele Produkte auf nachwachsenden organischen Stoffen (sowohl für Lebensmittel als auch Nicht-Lebensmittel wie Textilien, Holz und Papier) basieren. Auch anorganische Stoffe wie Glas und Mineralien spielen eine große Rolle.
Maschinen in Produktion und Logistik
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Tabelle 2-3. Stoffe für Ge- und Verbrauchsgüter Organische Stoffe
Pflanzen für die Ernährung Pflanzen für NichtErnährungszwecke
Tierische Stoffe für die Ernährung Tierische Stoffe für NichtErnährungszwecke Mineralölprodukte Anorganische Stoffe Metalle Mineralien Glas Wasser
Getreide, Obst, Gemüse Textilfasern (Baumwolle, Hanf), Holz, Zellstoff (Papier) Fleisch, Milch Wolle Kunststoffe Eisen, Aluminium, NEMetalle Keramik, Zement
Verfahrenstechnik. Die Verfahrenstechnik umfasst die technische und wirtschaftliche Durchführung aller Prozesse, die Stoffe nach Zusammensetzung, Eigenschaft und Art verändern. Die Prozesse können in vier Gruppen unterteilt werden: • Chemische Prozesse, die auf chemischen Reaktionen basieren, z. B. Oxidieren, Polymerisieren, • biologische Prozesse, z. B. Fermentation, • thermische Prozesse wie das Verdampfen, Destillieren, Absorbieren, Extrahieren, Kristallisieren, Trocknen, Absorbieren und • mechanische Prozesse wie das Zerkleinern, Mahlen, Abscheiden, Filtern, Zentrifugieren, Rühren, Mischen. Durch Prozesse der Verfahrenstechnik werden in der Regel Grundstoffe in großen Mengen hergestellt. Typische Prozesse sind: • • • • • • •
Das Verhütten von Eisenerz im Hochofen, die Herstellung der Pulpe bei der Papierproduktion, die Herstellung von Kunststoffen in chemischen Anlagen, die Glasschmelze in der Glasfabrik, das Kondensieren und Zentrifugieren von Zucker in der Zuckerfabrik, das Gären und Lagern von Bier in der Brauerei und generell die Herstellung von Lebensmitteln vor der Abfüllung in Verpackungen.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Auch bei Anlagen der Verfahrenstechnik gilt, dass diese umso effizienter sind, je größer sie ausgelegt werden. Dadurch ergibt sich auch hier eine sinnvolle Größenbegrenzung durch physikalische Grenzen (der Prozess muss noch beherrschbar sein) und durch die Absatzmengen, die diese Anlage erreichen kann. Bei vielen Grundstoffen (z. B. Mehl, Zucker, Milchprodukte) hat es eine starke Konzentration auf wenige Betriebe gegeben. Die Rohstoffe müssen dazu häufig aus einem großen Einzugsbereich dorthin transportiert werden. Verfahrenstechnik chemische/biologische/thermische/ mechanische Prozesse Pumpen und Ventilatoren Fördern von Flüssigkeiten und Gasen Förderantriebe Schüttgutförderer Werkzeugantriebe z. B. Rührwerke, Mahlwerke
Abb. 2-10. Antriebe in der Verfahrenstechnik
In verfahrenstechnischen Anlagen findet sich eine Vielzahl von Antrieben (Abb. 2-10): • Antriebe für Pumpen und Ventilatoren für den Transport von Flüssigkeiten und Gasen, • Antriebe für Förderbänder für Schüttgüter und • Antriebe für mechanische Prozesse wie Mahlwerke, Zentrifugen, Rührwerke. Gegenüber Fertigungsanlagen haben die Antriebe in der Verfahrenstechnik eine größere Leistung und führen keine hochdynamischen Aufgaben aus. Häufig werden sie unmittelbar zur Prozessregelung eingesetzt, indem über die Fördergeschwindigkeiten direkt der Prozess beeinflusst wird (z. B. der Luftstrom für thermische Prozesse wie das Trocknen). Aufgrund der Leistung der Antriebe spielt ihre Energieeffizienz eine große Rolle. Fertigungstechnik. Die Fertigungstechnik enthält alle Verfahren zur Herstellung und Veränderung von Werkstücken mit geometrisch definierter Gestalt. Fertigungsverfahren werden nach der Systematik in Tabelle 2-4 eingeteilt (DIN 8580).
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Tabelle 2-4. Übersicht über Fertigungsverfahren Zusam- Zusammenhalt beibehal- Zusammen- Zusammenhalt vermehren menhalt ten halt verminschaffen dern 1. Urfor- 2. Umformen 3. Trennen 4. Fügen 5. Beschichten men 6. Stoffeigenschaft ändern (z. B. Härten)
Von diesen Fertigungsverfahren hat das Fügen eine hohe Bedeutung, weil hierdurch mehrere Teile miteinander verbunden werden. Fügeverfahren lassen sich einteilen in (DIN 8593): • • • • • • • • •
Zusammensetzen, füllen, anpressen, einpressen, fügen durch Urformen, fügen durch Umformen, fügen durch Schweißen, fügen durch Löten, kleben und textiles Fügen.
Die Fertigung von Ge- und Verbrauchsgütern ist eine Großserien- oder Massenfertigung. Aus diesem Grunde werden in der Regel Fertigungsverfahren eingesetzt, die sich mechanisieren und automatisieren lassen. Da Metall nur vereinzelt als Werkstoff eingesetzt wird (am meisten noch bei der Produktion von Fahrzeugen und Großgeräten), hat die spanende Bearbeitung keine so hohe Bedeutung wie im Maschinenbau. Für die Herstellung eines Produkts sind in der Regel viele Schritte auszuführen. Aus der Darstellung der Produktionsmengen ist klar geworden, dass die Produkte in sehr großen Mengen mit kurzen Taktzeiten hergestellt werden. Die gesamte Produktionszeit ist deutlich länger als der Produktionstakt. Damit ist es notwendig, den Fertigungsprozess zu parallelisieren. Hierfür gibt es prinzipiell zwei Verfahren: • Es werden parallel mehrere Maschinen eingesetzt, die alle (oder viele) Produktionsschritte ausführen. • Die verschiedenen Arbeitsgänge werden pro Werkstück nacheinander von einer Maschinenkette ausgeführt, die für den entsprechenden Arbeitsschritt spezialisiert ist (Arbeitsteilung, Fließbandprinzip). In den meisten Fällen ist es effizienter, den zweiten Weg der Arbeitsteilung zu beschreiten, da dann in der Gesamtfertigung deutlich weniger Redundanzen an Werkzeugen, Verfahren, etc. vorhanden sind.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Fertigungsverfahren für die Großserien- und Massenfertigung können auch einer anderen Systematik unterzogen werden: • Aufteilen des Gesamtprozesses in Einzelschritte, die mechanisiert und automatisiert werden können, • Anwendung von Verfahren zur schnellen Duplizierung von Geometrien (Urformen, Umformen, Beschichten) und • Mechanisierung von einfachen Fertigungsschritten (Umformen, Trennen, Fügen). Duplizieren von Geometrien. Eines der wichtigsten Fertigungsverfahren für die Massenfertigung basiert auf dem Duplizieren von Geometrien. Hierbei erhält das Werkstück die Geometrie einer Form. Dieses Verfahren, das entweder ein Ur- oder Umformen ausführt, wird sehr vielfältig angewendet: • • • • •
Beim Guss von Metallen, beim Spritzgießen von Kunststoffen (Spritzgießmaschinen), beim Blasformen von Glasflaschen, beim Formpressen (z. B. Prägen), beim Blasformen von Kunststoffflaschen (im Prinzip ein Spritzpressen, bei dem unter Wärmeeinwirkung der Kunststoffrohling mit Druckluft gegen eine Form gepresst wird und dadurch seine Form erhält), • beim Drucken (im Prinzip ein Beschichtungsverfahren, bei dem über eine Vorlage das Beschichtungsmaterial, hier die Druckfarbe, selektiv auf den Beschichtungskörper, z. B. Papierbahnen, aufgebracht wird) und • bei den Strukturierungsprozessen in der Halbleiterfertigung. Allen diesen Verfahren ist gemeinsam, dass es eine Form (oder Vorlage) gibt, die sehr häufig eingesetzt wird und in einem Arbeitsschritt das Werkstück sehr umfassend formt. Die Herstellung der Formen selbst benötigt wieder spezielle Herstellungsverfahren. Bei Metallformen (Guss, Spritzgießen, Spritzpressen) werden hierfür Werkzeugmaschinen eingesetzt, bei Druckformen sind es eher Belichtungsverfahren. In der Regel werden die Formen weitestgehend direkt aus den Daten, nach denen das Werkstück konstruiert ist (Geometrieinformationen), automatisch erzeugt. Hierzu dienen Erodier- und 3-D-Fräsmaschinen bei Metallformen und Laser- oder Elektronenstrahlbelichter bei Druckformen und Masken für die Halbleiterfertigung. Duplizierprozesse sind in der Regel getaktete Prozesse. Mechanisierung von einzelnen Fertigungsschritten. In Produktionen für die Massenfertigung finden sich viele Fertigungsschritte, die mit einer kurzen Taktzeit ausgeführt werden müssen. Hierzu zählen: • Umformprozesse, z. B. das Biegen von Karton für eine Verpackung,
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• Trennprozesse wie das Schneiden (z. B. Kantenschnitt von Büchern) oder Stanzen und • Fügeprozesse wie das Füllen, Schweißen (z. B. Foliendeckel auf eine Kunststoffverpackung) oder Kleben. Neben den einzelnen Fertigungsschritten ist für die Gestaltung der Fertigung wichtig, wie diese ausgeführt werden. Hier können drei Grundtypen unterschieden werden: • Bei einer Komplettbearbeitung werden mehrere Fertigungsschritte nacheinander in einer Maschine ausgeführt. • Bei einer kontinuierlichen Fertigung werden die Fertigungsschritte am endlos zugeführten Material ausgeführt. • Bei einer getakteten Fertigung oder Fließbandfertigung werden die einzelnen Fertigungsschritte nacheinander in einem festen Zeittakt ausgeführt, damit zwischen den Arbeitsstationen keine Puffer benötigt werden. Im Folgenden sollen diese drei Fertigungsabläufe näher charakterisiert werden. Komplettbearbeitung. Bei einer Komplettbearbeitung werden mehrere Arbeitsschritte nacheinander an einem Werkstück vorgenommen. Beispiele hierfür sind: • Die spanende Bearbeitung eines Werkstücks in einem Bearbeitungszentrum mit mehreren Werkzeugen, • das Bestücken einer Leiterplatte in der Elektronikproduktion mit mehreren Bauteilen und • das Spritzgießen eines Kunststoffteils. Komplettbearbeitung z. B. Werkzeugmaschine, Bestückungsautomat, Spritzgießmaschine Werkzeugantrieb z. B. Fräser, Bohrer Formantrieb z. B. Extruder Koordinierte Antriebe Bewegung des Werkzeugs oder Werkstücks in 2 oder 3 Dimensionen Positionierantriebe z. B. Werkzeugwechsler, Be- und Entladen
Abb. 2-11. Antriebe bei einer Komplettbearbeitung
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Die Komplettbearbeitung ist immer dann vorteilhaft, wenn das Fixieren und Ausrichten des Werkstücks Zeit und Vorrichtungen benötigt, während die Werkzeuge recht schnell ausgewechselt werden können. Auch wenn für die Positionierung des Werkzeugs eine präzise Antriebstechnik (Abb. 2-11) und Steuerung benötigt werden, ist dieses Fertigungsprinzip vorteilhaft. In einem Bestückungsautomaten für elektronische Bauteile nehmen Bestückköpfe nach dem Revolverprinzip mehrere Bauteile aus Feedern auf, um sie danach auf die Leiterplatte zu positionieren und abzusetzen. Oft teilen sich mehrere Bestückköpfe die Gesamtzeit für das Aufnehmen und Absetzen der Bauteile auf. Mit diesem Prinzip lassen sich Bestückleistungen von bis zu 60.000 Bauteilen pro Stunde erreichen. Ein Funktionsprinzip, das für jedes Bauteil eine eigene Bestückstation vorsieht, ist hierbei nicht wirtschaftlich. Die Komplettbearbeitung kommt bei Massenfertigungen immer dann an Grenzen, wenn die Nebenzeiten für den Werkzeugwechsel zu lang werden, wenn hohe Taktraten benötigt werden und wenn es sehr aufwändig ist, die verschiedenen Arbeitsgänge in einer Arbeitsstation zu vereinen (z. B. weil sich durch die Bearbeitung das Material in seiner Kontur stark verändert wie beim Aufrichten von Kartonboxen). Kontinuierliche Fertigung. Wird ein Material endlos bearbeitet, dann spricht man von einer kontinuierlichen Fertigung. Es gibt eine gleichförmige Bewegung des Materials während der Bearbeitung. Typische kontinuierliche Fertigungen sind: • • • • • •
Das Walzen von Blechen in der Metallherstellung, das Drahtziehen, kontinuierliche Extrusionsprozesse für Kunststoffrohre, Folien, die Herstellung von Papier, die Produktion von Flachglas, Verseilprozesse bei der Produktion von Seilen und Kabeln, Kontinuierliche Fertigung z. B. Walzwerke, Rollendruck Gleichlaufantriebe z. B. elektronische Getriebe Wickelantriebe Abwickeln zur Materialzufuhr Aufwickeln am Linienende Querschneider/Fliegende Säge Vereinzelung des Materials
Abb. 2-12. Antriebe in kontinuierlichen Fertigungen
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• viele Prozesse in der Textilfertigung: das Spinnen, das Spulen, Veredelungsprozesse wie das Färben, die Appretur und • der Rollendruck. Der Vorteil kontinuierlicher Prozesse ist, dass das Material nicht fortwährend beschleunigt oder gebremst werden muss. Durch die konstante Geschwindigkeit und Massenträgheiten entsteht eine hohe Gleichmäßigkeit und Qualität des Produktionsprozesses. Kontinuierliche Produktionsprozesse benötigen mehrere Antriebe (Abb. 2-12), die für den Materialvorschub sorgen (Gleichlaufantriebe). Für den Vorschub werden Walzen eingesetzt. Wird Material gestreckt (z. B. Drahtziehen, Walzen von Metall), ändert sich die Vorschubgeschwindigkeit von Antrieb zu Antrieb. Das Material muss am Ende der Produktion entweder vereinzelt werden oder kontinuierlich auf Rollen aufgewickelt werden. Die Vereinzelung, für die Antriebsfunktionen wie Querschneider oder Fliegende Sägen eingesetzt werden, ist bereits der Übergang von der kontinuierlichen in eine getaktete Fertigung. In der Regel werden mit kontinuierlichen Fertigungen Vormaterialien und Halbzeuge hergestellt. Es gibt nur wenige Enderzeugnisse, die als aufgewickeltes Material direkt vermarktet werden. Auch Toilettenpapier wird perforiert und verpackt, bevor es vermarktet wird. Getaktete Fertigung. Das in Produktionsprozessen der Massenfertigung am häufigsten anzutreffende Fertigungsprinzip ist die getaktete Produktion oder Fließbandfertigung. Hierbei wird aus einem Ablauf von diskreten Fertigungsschritten ein kontinuierlicher Ablauf gemacht. Dazu wird der gesamte Arbeitsablauf in viele Arbeitsschritte aufgeteilt, die in einzelnen Arbeitsstationen ausgeführt werden. Das Werkstück durchläuft diese Arbeitsstationen nacheinander. Der Produktionstakt ist für alle Stationen identisch, sodass das Material nicht zwischengespeichert werden muss. Ein Vorteil bei arbeitsteiligen, getakteten Fertigungen ist, dass jede Arbeitsstation nur die Prozesse, Werkzeuge und Materialien, die dort verwendet werden, vorhalten oder bereitstellen muss. Nachteilig bei getakteten Fertigungen ist, dass alle Arbeitsschritte die gleiche Bearbeitungszeit haben müssen. Dieses setzt eine exakte Planung der Arbeitsabläufe voraus. Optimierungen zur Erhöhung der Produktivität müssen immer als ersten Schritt die Engpassstelle optimieren, weil diese die gesamte Arbeitsgeschwindigkeit bestimmt. Ein weiterer Nachteil liegt darin, dass eine Störung an einer Stelle den gesamten Ablauf anhält. In der Regel werden im Ablauf keine Redundanzen vorgesehen. Daher müssen die einzelnen Bearbeitungsschritte so gestaltet sein, dass sie mit einer hohen Zuverlässigkeit ausgeführt werden. Störungen müssen sehr schnell behebbar sein.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Es gibt zwei Grundtypen für getaktete Fertigungen: • Die Fließbandfertigung und • schnell getaktete Maschinen. Fließbandfertigung. Fließbandfertigungen transportieren das zu fertigende Produkt durch die gesamte Produktion. Das prominenteste Beispiel hierfür ist die Automobilproduktion. Hier wurde in der Anfangszeit eine umlaufende Kette eingesetzt. An räumlich hintereinander liegenden Arbeitsstationen wurden nacheinander die einzelnen Arbeitsschritte ausgeführt, in der Regel noch durch manuelle Arbeit. Die Arbeiter müssen innerhalb der Taktzeit ihre Arbeitsschritte fertig stellen. Heute werden die zu produzierenden Güter teilweise nicht mehr kontinuierlich weiterbewegt, sondern eher ruckweise von einer Station zur nächsten. Die einzelnen Produktionsschritte können automatisiert sein oder manuell ausgeführt werden. Typische Taktzeiten bei diesem Fertigungsverfahren liegen zwischen 20 s bis 5 min. Für Produkte, die in kleineren Stückzahlen, aber dennoch arbeitsteilig in einer Fließbandfertigung hergestellt werden (z. B. Serienmaschinen, Nutzfahrzeuge, Flurförderfahrzeuge, Landmaschinen) werden deutlich höhere Produktionstakte (4 bis 20 min) eingesetzt.
Abb. 2-13. Produktionsablauf einer schnell getakteten Verpackungsmaschine
Schnell getaktete Maschinen. Maschinen mit einem Zentralantrieb werden so aufgebaut, dass pro Umdrehung dieses Zentralantriebs ein Produktionsschritt durchlaufen wird. Dieser zentrale Arbeitstakt wird über eine Königswelle in der gesamten Maschine verteilt. Von der Bewegung der Königswelle werden dann dezentrale Bewegungen abgeleitet, die die einzelnen Bearbeitungsfunktionen ausführen. Nach dem Bearbeitungsschritt
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wird das Werkstück zur nächsten Arbeitsstation transportiert. Ein typischer Arbeitstakt für solch eine Maschine liegt bei einer Sekunde. Die einzelnen Bearbeitungsfunktionen können nicht mehr von Menschen mit gleicher Bearbeitungsgeschwindigkeit ausgeführt werden. Ein typischer Vertreter solch eines Maschinenprinzips sind Form-, Füllund Verschließmaschinen, die in der Verpackungstechnik anzutreffen sind [Bl+03]. Abb. 2-13 zeigt ein Beispiel für den Arbeitsablauf in solch einer Maschine für Becher. Alle Produktionsschritte werden mit dem gleichen Arbeitstakt durchlaufen, das Werkstück wird dabei von einer Arbeitsstation zur nächsten gefördert. Lässt sich ein Arbeitsschritt nicht teilen, dann ist der Bearbeitungsablauf zu parallelisieren. Ein Beispiel ist das Blasen von PET-Flaschen. Die Produktionszeit beträgt ca. 2 s, während der Produktionstakt z. B. 0,125 s beträgt. Dieses führt dazu, dass insgesamt 16 Formen und Blasstationen eingesetzt werden. Eine geeignete Mechanik wie ein Karussellprinzip nimmt den Rohling in der Form auf und gibt die fertige Flasche nach 16 Produktionstakten zum Weitertransport ab. Solche Prinzipien werden auch angewendet, wenn längere Stillstandszeiten (z. B. Auskühlzeiten, Wärmebehandlung zum Schrumpfen von Folie, Trocknungszeiten) zu durchlaufen sind. Hier werden die Werkstücke von einer Fördereinrichtung aufgenommen, die sich mit einer entsprechend niedrigen Geschwindigkeit sich bewegt. Die Kapazität ist so bemessen, dass die erforderliche Anzahl von Werkstücken entsprechend der Taktzeit und der Prozesszeit aufgenommen werden können. Nach dem Durchlauf hat das Werkstück die erforderliche Zeit überbrückt. Um Platz zu sparen, können solche Prozesse auch durch Wendelschlangen realisiert werden. Für getaktete Prozesse, bei denen das Werkstück sehr präzise gespannt sein muss, werden häufig Rundschalttische verwendet. Alle Bearbeitungsstationen sind von außen gut zugänglich, auch kann die Materialzuführung von außen erfolgen. Weiterhin hat der Rundschalttisch eine sehr hohe Wiederholgenauigkeit der Werkstückpositionierung von Station zu Station, weil diese nur von der mechanischen Toleranz der Werkstückaufnahmen auf dem Tisch sowie der Indizierung der einzelnen Positionen abhängt (die entweder über eine präzise Winkelmessung oder über Indexlöcher mit einer mechanischen Fixierung erfolgen kann). Maschinen mit Königswelle. Die Grundkonstruktion schnell getakteter Maschinen stammt häufig aus einer Zeit, in der diese mit einer mechanischen Königswelle und davon abgeleiteten Einzelbewegungen für die Bearbeitungsvorgänge realisiert wurde. Hierdurch sind die einzelnen Bearbeitungsschritte eher einfache Funktionen, weil sich nur solche mit entsprechenden Mechanismen und Getrieben realisieren lassen. Ein häufiges Element hierbei sind Kurvenscheiben, über die dezentrale Bewegungen sehr frei gestaltet werden können.
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Industrielle Produktion und Automatisierung Maschine mit Königswelle Hauptantrieb Wickelantriebe (eventuell) für die Zufuhr von Endlosmaterial Förderantriebe (eventuell) für die Zufuhr von Material für den Weitertransport von Material
Abb. 2-14. Antriebe in Maschinen mit Königswelle
Die Königswelle in getakteten Produktionsmaschinen übernimmt zwei Aufgaben: • Die zeitliche Synchronisierung der einzelnen Bearbeitungsschritte und • die Verteilung von Energie zu den einzelnen Bearbeitungsstationen. Nachteilig bei allen Maschinen mit einer Königswelle ist, dass bei einem Produktwechsel, der einen Formatwechsel bedingt, die einzelnen Bearbeitungsschritte angepasst und neu justiert werden müssen. Auch die Übertragung von Antriebsleistung über lange Wellen ist problematisch. Aus diesem Grund ist es sehr vorteilhaft, verteilte, miteinander synchronisierte Servoantriebe als elektrische Königswelle einzusetzen Abb. 2-14). Jetzt kann die Anpassung über eine Änderung der Software bzw. seiner Parameter erfolgen. Es ist keine mechanische Rüstarbeit erforderlich. Bei einem Einsatz von Servoantrieben werden ebenfalls Mechanismen eingesetzt, die die rotierende Bewegung des Antriebs in den Bearbeitungsablauf umsetzen. Da diese Konstruktionen vorher direkt gekoppelt waren, sind sie so gestaltet, dass die Bewegung des Antriebs sehr gleichmäßig sein kann. Dieses erfordert auch beim Einsatz von Servoantrieben nur eine niedrige Dynamik, was energetisch große Vorteile hat. Maschinen mit synchronisierten Einzelantrieben. Wird die Bewegungsführung in einer schnell getakteten Maschine auf Einzelantriebe aufgeteilt, dann werden folgende Antriebsfunktionen benötigt (Abb. 2-15): • Gleichlaufantriebe, die das Material bewegen, • Wickelantriebe zum Zuführen von Material von einer Rolle, • Antriebe für Querschneider und Fliegende Sägen, die das Material während der Bewegung vereinzeln und • Kurvenscheibenantriebe, die weitere Bearbeitungsvorgänge während der Bewegung des Materials vornehmen.
Maschinen in Produktion und Logistik
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Schnell getaktete Maschine mit synchronisierten Einzelantrieben z. B. Verpackungsmaschine Gleichlaufantriebe Transport des Werkstücks Antriebe für elektronische Kurvenscheiben Bearbeitungsvorgänge Wickelantriebe Zufuhr von Endlosmaterial Querschneider/Fliegende Säge Vereinzeln des Materials
Abb. 2-15. Antriebe in Produktionsmaschinen mit Einzelantrieben
Alle diese Bewegungen synchronisieren sich auf den zentralen Maschinentakt, der elektronisch an die Einzelantriebe verteilt wird. 2.2.2
Materialflusssysteme
Aus der Beschreibung der hochautomatisierten Produktionen und der Warenverteilsysteme ist deutlich geworden, dass ein hoher Bedarf für automatisierte Materialfluss- und Logistiksysteme besteht. In diesem Kapitel sollen die Grundstrukturen der automatisierten innerbetrieblichen Logistik beschrieben werden, da diese eine hohe Anzahl von geregelten Antrieben benötigen [Ma06a]. Nicht näher behandelt werden: • Einfache manuelle Transportmittel wie Karren, Rollcontainer, Hubwagen, die keine eigenen Antriebe enthalten, • manuell betriebene Fördermittel wie Flurförderfahrzeuge (Gabelstapler), die häufig elektrische Antriebe beinhalten, aber nicht automatisiert betrieben werden und • der ganze Bereich der Transportmittel für weite Entfernungen (Nutzfahrzeuge, Güterzüge, Schiffe). Die gesamte innerbetriebliche Logistik kann in folgende Aufgabenbereiche unterteilt werden: • Die Beschaffungslogistik, über die Waren von Lieferanten angenommen und dann für die weitere Bearbeitung oder Verteilung im Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, • die Produktionslogistik, die die Vorwaren in der richtigen Menge zur richtigen Zeit an die einzelnen Bearbeitungsstationen bringt,
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Industrielle Produktion und Automatisierung
• die Distributionslogistik, über die die Fertigwaren zum Kunden gebracht werden und • die Entsorgungslogistik, die Abfallprodukte zur ordnungsgemäßen Entsorgung oder Wiederverwendung (Recycling) bringt. Die in diesem Buch beschriebenen Produktionen und Logistiksysteme produzieren oder verteilen fast ausschließlich Stückgüter. Schüttgüter haben nur als Rohmaterialien für die Produktion eine Bedeutung. Daher sollen auch nur Transport- und Lagersysteme für Stückgüter vorgestellt werden. Stückgüter werden teilweise direkt, häufig aber in Transportbehältern (Behälter, Paletten) befördert. Insbesondere Massenartikel werden zum Einlagern und für den weiteren Transport zunächst in größeren Gebinden (Handelseinheiten) und abschließend in Ladeeinheiten auf Paletten zusammengefasst. Der weltweite Transport von Stückgütern findet dann in standardisierten Containern statt. Es gibt eine Vielzahl von Merkmalen, nach denen innerbetriebliche Transportmittel charakterisiert werden können: • • • • •
Transportbereich (Linie, Fläche, Raum), Transportrichtung (waagerecht, geneigt, senkrecht), Beweglichkeit (ortsfest, geführt, frei), Arbeitsprinzip (stetig, unstetig) und Transportebene (Flur, Oberflur, Unterflur).
Die Kombination dieser Merkmale führt zu einigen häufig genutzten Transportmitteln, die im Folgenden näher vorgestellt werden. Dabei wird insbesondere dargestellt, welche Antriebsaufgaben zu realisieren sind. Transportbänder und andere lineare Förderer. Transportbänder sind eines der häufigsten innerbetrieblichen Transportmittel. Sie transportieren in einer Linie. Prinzipiell sind Transportbänder Stetigförderer. Es werden aber häufig Bandabschnitte entsprechend des Bedarfs ein- und ausgeschaltet. Auch kann ein Band mit dem Fördergut so angehalten werden, dass das Fördergut eine definierte Endposition hat. Damit können Transportbänder zu Unstetigförderern werden. Bandförderer verwenden häufig eine Gummibahn, auf der das Fördergut transportiert wird. Daneben gibt es noch Drahtgurtförderer und Stahlbandförderer.
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Transportbänder Förderantriebe Bandförderer Rollenförderer Positionierantriebe Drehtische Hubantrieb Hubtische
Abb. 2-16. Antriebe in Transportbändern
Für den Transport von Paletten und Behältern werden häufig Rollenförderer oder Rollbahnen eingesetzt. Rollenförderer sind dabei angetrieben. In der Regel werden mehrere Rollen zusammen von einem Antrieb bewegt, wobei die Kraftübertragung zwischen den Rollen über Gummigurte, Keilriemen oder Ketten erfolgt. Rollbahnen befördern das Fördergut durch die Schwerkraft oder durch ihre Massenträgheit, nachdem es vorher beschleunigt wurde. Transportbänder und Rollbahnen werden häufig kombiniert und über Drehtische miteinander verbunden. Auch können Paletten oder Behälter durch Kettenförderer von einer Rollbahn senkrecht ausgeschleust werden. In diesem Fall wird die Palette auf der Rollbahn an einer definierten Position angehalten, die Ketten werden angehoben und übernehmen dann die Palette zur Übergabe an eine senkrecht angeordnete Förderbahn. In Waren- und Postverteilzentren gibt es häufig automatische Sortierer, die Fördergüter von einem Band auf ein anderes bewegen, um damit die Richtung des Weitertransports zu bestimmen. Für Pakete oder Koffer können hierfür Pusher eingesetzt werden. Ein anderes Prinzip verwendet Kippschalensorter. Lineare Fördermittel transportieren das Fördergut in der Regel mit einer Geschwindigkeit von 0,3 bis 2 m/s. Insbesondere vor Fertigwarenlagern in Produktionsbetrieben und vor Distributionslagern in Warenverteilzentren finden sich ausgedehnte Transportanlagen, über die in der Regel Paletten automatisch befördert werden. Alle 1 bis 2 m ist ein Antrieb vorhanden. Neben den Antrieben zur Beförderung gibt es auch solche, die Änderungen der Transportrichtung vornehmen (Sorter, Pusher, Drehtische, Querförderer), um damit den individuellen Weg eines Förderguts bestimmen zu können. Die Automatisierung steuert den Ablauf, Lichtschranken und teilweise Identifikationssysteme (Barcode, RFID) verfolgen den Weg, um sicherzustellen, dass keine Abweichung zwischen dem Abbild in der Automatisierung und dem tatsächlichen Aufenthaltsort entsteht.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Hebezeuge. Sind Höhendifferenzen zu überwinden, müssen Hebezeuge eingesetzt werden. Dieses sind in der Regel Unstetigförderer. Typische Hebezeuge im automatisierten Transport sind: • Hebebühnen, häufig als Scherenhubtische ausgeführt. Eine lineare Bewegung wird dabei über eine Scherenmechanik in eine Hubbewegung umgesetzt, die die Fläche, auf der Fördergut liegt, anhebt. Häufig ist die Arbeitsfläche als Rollenbahn ausgeführt, um so Paletten aufnehmen zu können. Neben Hydraulikzylindern können für das Erzeugen der linearen Bewegung auch Zahnriemen zusammen mit Getriebemotoren verwendet werden. • Vertikalförderer sind im Prinzip Lastenaufzüge, bei denen die Hebebewegung entweder hydraulisch oder über Seile, Ketten oder Zahnriemen erzeugt wird. Hebezeuge z. B. Hebebühnen, Vertikalförderer Hubantrieb
Abb. 2-17. Antriebe in Hebezeugen
Da Antriebe in Hebezeugen gegen die Schwerkraft arbeiten (Abb. 2-17), sind besondere Bedingungen bei der Auslegung, aber auch für die Sicherheit der Anlagen einzuhalten. Kreisförderer, Power-&-Free-Förderer. Kreisförderer haben einen Zentralantrieb (Abb. 2-18), der eine Kette als Zugmittel in einer Schiene antreibt. Auf der Schiene laufen Laufwerke, an Gehängen werden die Fördergüter befestigt. Meistens befinden sich diese Schienen im Deckenbereich. Durch Auf- und Abgabestationen werden die Fördergüter in den Transportweg eingeschleust und wieder entnommen. Bei einem Power-&Free-Förderer gibt es zwei Schienenstränge: einen für die Zugkette und den zweiten als Führung für die Lastlaufwerke. Durch einen Mitnehmer verbindet sich das Lastlaufwerk mit der Kette zum Weitertransport. Kreisförderer / Power-&-Free-Förderer Förderantrieb für die Förderkette
Abb. 2-18. Antriebe in Kreisförderern und Power-&-Free-Förderern
Kreisförderer werden in Massenfertigungen vielfältig eingesetzt wie beispielsweise: • Automobilproduktion, • Produktion von Elektrogroßgeräten,
Maschinen in Produktion und Logistik
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• Lackierereien und • Kühl- und Trocknungsräume. Die Fördergeschwindigkeiten betragen 0,2 bis 0,4 m/s. Ein Antrieb kann dabei Kreisförderer bis 500 m Länge antreiben, mit einem zweiten Antrieb kann die Transportlänge auf 2.000 m erhöht werden. Bei größeren Transportlängen und einer niedrigen Folge von Transportgütern empfiehlt sich der Übergang auf eine Elektro-Hängebahn, bei der jedes Förderzeug einzeln angetrieben wird. Elektro-Hängebahnen. Elektro-Hängebahnen sind schienengebundene Transportmittel, bei denen die Schienen an der Hallendecke oder an Stützen befestigt sind. Auf der Schiene fährt das Fahrwerk, das einen eigenen Antrieb hat, der über ein Reibrad verfügt, das auf der Schiene läuft. Über ein Gehänge wird das Fördergut befestigt. Verzweigungselemente im Schienensystem gestatten Flexibilität in der Streckenführung. Elektro-Hängebahn Fahrantrieb des Fahrzeugs Hubantrieb (teilweise) Anpassen der Bearbeitungshöhe des Fördergutes
Abb. 2-19. Antriebe in Elektro-Hängebahnen
Zu dem Fahrantrieb muss Energie übertragen werden. Dieses kann kontaktbehaftet über Stromschienen erfolgen oder kontaktlos über eine induktive Energieübertragung. Jedes Fahrzeug muss eine Fahrzeugsteuerung enthalten, die Signale von der übergeordneten Steuerung auswertet, die Position auf der Fahrstrecke bestimmt, den Antrieb ansteuert und durch eine entsprechende Abstandssensorik darauf achtet, dass Fahrzeuge nicht aufeinander auffahren. Die Fahrgeschwindigkeit liegt zwischen 10 und 100 m/min. Eingesetzt werden Fahrantriebe mit Getrieben, die auf die konstruktiven Gegebenheiten der Elektro-Hängebahn angepasst sind (Abb. 2-19). Palettieren. Das Zusammenfassen von einzelnen Stückgütern zu Handelseinheiten oder Ladeeinheiten erfolgt beim Palettieren. Dieser Vorgang ist in der Regel vollautomatisiert (Abb. 2-20) und beinhaltet folgende Funktionen: • Die zu palettierenden Güter werden in der Regel über ein Transportband von der vorgelagerten Produktion angeliefert.
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Industrielle Produktion und Automatisierung Palettieren Förderantriebe für Zufuhr des Materials und Abtransport der Palette Positionierantriebe Zusammenstellen der Lage Bewegen des Greifers Hubantrieb Positionieren auf die Stapelhöhe ev. Wickelantrieb Abwickeln der Folie für die Ladungssicherung
Abb. 2-20. Antriebe eines Palettierers
• Sie sind zu greifen und über ein mehrachsiges Handhabungssystem zu einer Lage zusammenzustellen. Hierbei ist das Packmuster einzuhalten. Als Handhabungssystem wird entweder ein Roboter eingesetzt oder ein spezielles mehrachsiges Portalsystem. • Die einzelnen Lagen werden übereinander gestapelt. • Abschließend wird in vielen Fällen noch die gesamte Palette mit einer Ladungssicherung versehen. Hierzu wird z. B. die gesamte Ladung mit einer Folie umwickelt. Es werden Folien eingesetzt, die durch Wärme schrumpfen oder die beim Umschließen der Ladeeinheit gedehnt werden. Dieser Vorgang der Ladungssicherung erfordert einen Abwickler für die Folie sowie teilweise einen Drehteller für das Umwickeln der Palette. Hochregallager. Die mittlerweile häufigste Form von Stückwarenlagern ist das Hochregallager, in dem Behälter und Paletten in mehreren Etagen übereinander gelagert werden. Zwischen den Regalen finden sich Gassen, über die Fördergeräte (Regalbediengerät) auf die Lagerplätze zugreifen können. Der Vorteil von Hochregallagern ist die hohe Ausnutzung der Lagerfläche sowie die Möglichkeit, über drei Dimensionen (Auswahl der Regalgasse, dort Anfahren der Etage und des Stellplatzes) den individuellen Lagerplatz zu erreichen. Hierdurch reduzieren sich die Zugriffszeiten. Fast jeder größere Produktionsbetrieb sowie die Logistikzentren verfügen heute über Hochregallager. Solange keine Einzelstücke aus Paletten oder Behältern entnommen (kommissioniert) werden (nach dem Prinzip „Mann zur Ware“), sondern komplette Paletten oder Behälter ein- und wieder ausgelagert werden, sind Hochregalläger prädestiniert für die vollständige Automatisierung. Diese erfolgt über Regalbediengeräte, die folgende Funktionen und Antriebe enthalten (Abb. 2-21):
Maschinen in Produktion und Logistik
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Hochregallager Fahrantrieb des Regalbediengerätes Hubantrieb des Regalbediengerätes Positionierantriebe Aufnehmen und Absetzen der Palette Förderantriebe Bewegen zum und vom Lager
Abb. 2-21. Antriebe in einem Hochregallager
• Einen Fahrantrieb, der das Fahrzeug in der Regalgasse bewegt. Die Spurführung erfolgt in der Regel über Schienen. Der Antrieb kann stationär oder auf dem Fahrzeug installiert sein. Zur Kraftübertragung werden Zahnriemen, Ketten, Zahnstangen oder Reibräder zusammen mit den Schienen verwendet. • Einen Hubantrieb, der das Fördergerät auf die Höhe positioniert. Auch hier werden Zahnriemen oder Ketten eingesetzt. • Einen Positionierantrieb, der das Fördergerät (Gabel) ausfährt, um die Palette aufzunehmen. • Eventuell weitere Antriebe zur Aufnahme und Fixierung des Förderguts. Die Hauptentwicklung der Regalbediengeräte dient der Erhöhung der Geschwindigkeit. Heute sind Fahrgeschwindigkeiten bis 4 m/s und Hubgeschwindigkeiten bis 2 m/s realisiert. Die Beschleunigung kann bis 2 m/s2 betragen. Die Lagerhöhen erreichen 18 m. Ein Ein- oder Auslagervorgang dauert im Mittel 5 bis 30 s, sodass ein Regalbediengerät pro Jahr bis zu einer Millionen Lagerbewegungen ausführen kann. Krane Hubantrieb für das Heben/Senken der Last Fahrantrieb für die Laufkatze Positionierantrieb für das Drehen des Krans ev. für das Bewegen eines Greifers
Abb. 2-22. Antriebe in Kranen
Krane. Krane sind ein charakteristisches Bild für die Produktion. Keine Baustelle ohne Kran, kein Containerterminal ohne eine lange Reihe von
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Containerkränen, und auch viele Fabrikhallen enthalten Laufkrane an der Decke. Krane enthalten einen Hubantrieb und – abhängig von der Bauform – weitere Antriebe für die Bewegung in der Ebene (Laufkatze, Schwenkantrieb, Fahrantrieb). Auch Greifer werden über Positionierantriebe bewegt (Abb. 2-22). Förderfahrzeuge. Für Transportbewegungen auf dem Hallenboden werden vorwiegend Flurförderfahrzeuge (z. B. Gabelstapler) eingesetzt, die in der Regel manuell bedient werden. Um hier zu einer höheren Automatisierung zu kommen, gibt es auch fahrerlose Flurförderzeuge. Diese können schienengebunden oder schienenlos ausgeführt sein. Die Energie wird entweder auf dem Fahrzeug gespeichert (Batterie, Kraftstoff mit Verbrennungsmotor zur Energiewandlung), über Schleifkontakte oder induktiv (und damit berührungslos) zugeführt. Die Navigation erfolgt entweder zwangsgeführt (Schienen), über Marken auf dem Fahrweg (über optische oder magnetische Marken oder über induktive Transponder) oder sogar über eine Lasernavigation. Fahrerlose Förderzeuge müssen eine umfangreiche Sicherheitstechnik beinhalten (Auffahrbügel, Notstopptaster, seitliche Schaltleisten und Laserscanner). Weiterhin müssen sie über ein Leitsystem und eine Kommunikation mit ihren Steuerinformationen versorgt werden. Die Fahrgeschwindigkeit beträgt in der Regel 1,1 m/s, maximal zulässig sind 1,67 m/s (6 km/h). Fahrerlose Förderzeuge enthalten einen Fahrantrieb sowie einen Lenkantrieb. Weiterhin müssen sie auch Antriebe für die Lastübergabe enthalten, wenn diese ebenfalls automatisch erfolgt (Abb. 2-23). Fahrerloses Förderfahrzeug Fahrantrieb Lenkantrieb Positionierantriebe (eventuell) für die Aufnehmen/Abgeben der Last Hubantrieb (eventuell) für Heben/Senken der Last
Abb. 2-23. Antriebe in Förderfahrzeugen
Kommissionieren. In Warenverteilzentren werden die ausgehenden Lieferungen in der Regel kommissioniert. Hierfür müssen einzelne Mengeneinheiten entnommen und zu einer Lieferung zusammengestellt werden. In vielen Fällen werden die Kommissioniervorgänge noch manuell ausgeführt, wobei zwei Grundprinzipien zu unterscheiden sind:
Maschinen in Produktion und Logistik
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• Mann zur Ware: Hier bewegt sich der Kommissionierer zur Ware an seinem Lagerplatz (entweder manuell oder auf einem Kommissionierfahrzeug) und entnimmt aus dem Behälter die erforderliche Menge. • Ware zum Mann: Hier wird der Behälter oder die Palette über ein Transportsystem vom Lagerplatz zu einem Kommissionierplatz befördert und dann vom Kommissionierer dort die erforderliche Menge entnommen. Für das effiziente Kommissionieren werden heute umfangreiche Softwarepakete eingesetzt, die die Planung der Reihenfolge und damit die zurückzulegenden Wege oder auszuführenden Transportbewegungen minimiert. Teilweise ist es auch möglich, das Kommissionieren zu automatisieren. Größtes Hindernis hierfür sind zunächst die unterschiedlichen Formate der zu kommissionierenden Güter, die eine entsprechende Sensorik zur Erkennung und zum Planen der Bewegungsvorgänge voraussetzt. Aus diesem Grunde haben sich automatische Kommissioniersysteme zunächst dort durchgesetzt, wo die einzelnen Waren einheitliche oder mindestens ähnliche Formate haben wie z. B. Tablettenschachteln, Musik- oder Videosoftware auf CDs, DVDs. Hier können die Waren z. B. gestapelt und dann über einen Schieber auf ein Förderband bewegt werden, das diese dann in die Kommissionierbehälter transportiert. Solche automatischen Kommissioniersysteme können Leistungen von bis zu 10.000 Einheiten pro Stunde erreichen. Für das automatische Kommissionieren von Handelseinheiten für die Belieferung von Einzelhandelsmärkten wird neuerdings ein System eingesetzt, das folgenden Warenfluss automatisch ausführt: • Die ankommende Ware wird zunächst auf den Paletten in einem Hochregallager gespeichert. • Dann werden die einzelnen Handelseinheiten automatisch von der Palette depalettiert und einzeln auf Trägern in einem zweiten Hochregallager gespeichert. • Aus diesem zweiten Hochregallager werden die Handelseinheiten über Kommissioniermaschinen auf Rollcontainer gepackt, über die die zusammengestellten Sendungen an die Verbrauchermärkte verteilt werden. Bei diesem System müssen die Stapelreihenfolgen sehr genau geplant werden. Weiterhin muss die Handhabung des Materials sehr materialschonend erfolgen, da die Waren in der Regel nur in einfachen Umverpackungen aus Pappe zu Handelseinheiten zusammengefasst sind. Diese Kommissioniermaschinen, die im Endeffekt spezialisierte mehrachsige Handhabungseinheiten sind und hierfür Positionierantriebe enthalten, erreichen Kommissionierleistungen von 1.000 Einheiten pro Stunde.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Das automatisierte Kommissionieren hat eine steigende Bedeutung, um den Personaleinsatz zu reduzieren und einen Betrieb einer Lagereinrichtung rund um die Uhr zu ermöglichen. Getrieben wird dieses durch umfangreiche Software zur Planung der Kommissioniervorgänge sowie durch flexible Handhabungseinrichtungen, die dann die Bewegungsvorgänge ausführen. Nachdem in diesem Kapitel die verschiedenen Typen von Fertigungsund Materialflusssystemen vorgestellt wurden und dabei darauf hingewiesen wurde, welche Antriebe dort eingesetzt werden, stellt sich jetzt die Frage, wie die Automatisierungen dieser Systeme aufgebaut sind.
2.3 Aufbau von Automatisierungssystemen Die Produktion und Verteilung von Ge- und Verbrauchsgütern ist heute undenkbar ohne die Automatisierung und damit den effizienten Einsatz von Informationstechnik [Za00]. Im Endeffekt wird mittlerweile jeder einzelne Schritt zur Herstellung und Verteilung von Gütern von Computern vorbereitet, von diesen gesteuert und begleitet. Zum Ablauf in der physischen Welt gehört immer ein Abbild in den Datenbeständen der Informationstechnik und natürlich der permanente Abgleich dieser beiden Welten. Die gesamten Vorgänge in der Informationstechnik können in drei Bereiche eingeteilt werden: • Das Planen (oder Vorbereiten) von Aktionen (z. B. Fertigungsaufträgen, Kommissionieraufträgen für den Versand), • die unmittelbare Steuerung dieser Aktionen und • das Überwachen und Kontrollieren der Ergebnisse dieser Aktionen. Jede Aktion ist dabei in der Regel bereits ein komplexer Vorgang, der das Zusammenspiel vieler Einrichtungen bedarf (Bereitstellen von Material, Steuerung von Maschinen für die einzelnen Bearbeitungsschritte, Transport zwischen den Arbeitsstationen, Steuerung der vielen Transportstrecken beim Ein- und Auslagern). Automatisierungspyramide. Im Sinne einer schrittweisen Verfeinerung können die Aufgaben der Automatisierung und Informationstechnik in Fabriken und der Logistik in einer Pyramide (Abb. 2-24) dargestellt werden. Auf der obersten Ebene befindet sich die Unternehmenssteuerung, in der folgende Aufgaben abgebildet sind: • Das Planen der einzelnen Fertigungsaufträge (was wird wann in welchen Mengen produziert bzw. ausgeliefert, was muss hierfür beschafft/vorproduziert werden, Planen der Lagerbestände), häufig auf der
Aufbau von Automatisierungssystemen
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Basis von dezentral erfassten Bestellvorgängen (von der Faxbestellung, der Online-Bestellung bis zum elektronischen Datentransfer im Business-to-Business-Geschäft) und • die Verbindung zur kommerziellen EDV: Zubuchen von Fertigwaren, Abbuchen von Materialverbräuchen, Buchen des Ressourcenverbrauchs (Arbeitszeiten, Maschinenzeiten), Erfassen von Qualitätsinformationen. An dieser Stelle ist eine Fabrik Teil der gesamten Unternehmenssteuerung, die heute in der Regel über ein ERP-System (ERP = Enterprise Resource Planning) abgebildet wird.
Unternehmensebene Fabrikebene Zellebene Feldebene
Wichtigste Zielgröße: Planen
Ausführen
Kosten Kapazität Taktzahl Echtzeit [ms]
Abb. 2-24. Automatisierungspyramide
Die Vorgänge auf dieser Ebene haben noch keine hohen Echtzeitanforderungen. Das Planen und Auswerten kann weitgehend ohne direkten zeitlichen Bezug zum eigentlichen Ausführen stattfinden. Häufig werden Planungs- und Auswertungsvorgänge in den zentralen ERP-Systemen in größeren Zeitabständen (z. B. alle 24 h nachts) berechnet. Hier ist es nur wichtig, dass diese rechtzeitig abgeschlossen sind, damit der Betrieb der Produktion und Logistik mit den notwendigen Informationen versorgt ist. Aus diesem Grund werden auf dieser Ebene keine speziellen Echtzeitsysteme eingesetzt, sondern die normalen Systeme der Informationstechnik, die auch den Bürobetrieb prägen. Anders sieht dieses dann auf der nächsten Ebene aus, in der der tatsächliche Produktionsablauf gesteuert wird. Dieses ist die Steuerung der einzelnen Zellen in der Fabrik, die dann für einen zusammenhängenden Bereich die erforderlichen Einzelaktionen für die Erfüllung eines Auftrags zu steuern haben. An dieser Stelle erfolgt der Übergang von der Planungs- auf die Steuerungsebene. Hier müssen die Computersysteme echtzeitfähig sein, damit sie den physischen Prozessen folgen und diese beeinflussen können. Die Prozesse können, insbesondere wenn Vorgänge oder Bewegungen gestartet sind, nicht warten. Daher finden sich auf der Zell- und Steuerungsebene spezielle Echtzeitsysteme, die besondere Anforderungen an die Deterministik der Software und die Rechenzeiten stellen.
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Industrielle Produktion und Automatisierung Befehlsschnittstelle Übergeordnete Steuerung, Bedienung Digitale Signalverarbeitung Mikrorechner Steuerungssoftware Regelungssoftware Signale
Sensorik
Aktuatorik
Physikalische Größen
Mechanik Physikalischer Prozess Fertigung, Materialfluss
Abb. 2-25. Struktur eines mechatronischen Systems
Mechatronisches System. Innerhalb einer Zelle befinden sich dann Steuerungen, die über Aktuatoren und Sensoren die direkte Beeinflussung des Prozesses vornehmen. Die Struktur auf dieser Ebene folgt dabei der Grundsystematik eines mechatronischen Systems (Abb. 2-25) [HeGePo98, Is99]: • In der physischen Welt, in der Produkte in ihrer Struktur oder nur in ihrer Position verändert werden (Produktion oder Transport), gibt es einen in der Regel mechanischen Prozess. Dieser wird durch das gezielte Einbringen von Kräften beeinflusst. • Das Einbringen der Kräfte erfolgt über Aktuatoren, die hierzu Signale der Steuerung erhalten. • Die hieraus resultierenden Veränderungen im Prozess werden von der Sensorik erfasst. Dieses ist notwendig, da jeder beabsichtigte Vorgang auch Störgrößen hat und damit nicht in jedem Fall exakt der Vorgabe folgt. • Der gesamte Regelkreis wird über die Signalverarbeitung geschlossen. Diese erhält zunächst von der übergeordneten Ebene Befehle über die auszuführenden Aktionen. Aus diesen Befehlen berechnet sie Stellgrößen als Sollsignale für die Aktuatoren und gibt diese an sie aus. Sensoren erfassen den Istwert und damit den Zustand des Prozesses. Erkennt die Signalverarbeitung eine Regelabweichung zur beabsichtigten Aktion, dann führt sie Korrekturen über die Sollwerte für die Aktuatoren aus. Die Signalverarbeitung wird in der Regel von digitalen Rechnern über Software ausgeführt. Die Software führt Steuerungsfunktionen (direkte Umsetzung von Sollwerten zu den Aktuatoren) und Regelungsfunktionen (direkte Korrekturen nach einem Soll-Ist-Vergleich zur Be-
Aufbau von Automatisierungssystemen
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stimmung der Regelabweichung über einen geschlossenen Regelkreis) aus. Die konkrete Auswahl der Aktuatoren und Sensoren sowie der Steuerung sind stark abhängig vom Produktionsverfahren und damit von dem Prozess, der automatisiert wird. In den folgenden Kapiteln werden die Grundkonzepte, die sich hier finden, näher vorgestellt. 2.3.1
Steuerungen
Steuerungen sind das zentrale Element in Automatisierungssystemen [We01b]. Heute spielen nur noch digitale Steuerungen, die softwaregesteuert arbeiten, eine Rolle. Diese gibt es in verschiedenen Ausführungen: • • • •
Speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS), Numerischen Steuerungen (CNC, Computerized Numerical Control), Bewegungssteuerungen (Motion Control), spezielle Maschinensteuerungen auf der Basis von Mikrorechnern (Embedded Controller) und • Industrie-PCs mit Soft-SPS oder Soft-CNC. Diese Begriffe folgen keiner Systematik und haben hauptsächlich historische Gründe. Daher sollen zunächst Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden. Programmiergerät Programmierschnittstelle
CPU (Central Processing Unit)
Arbeitsspeicher Programmspeicher Datenspeicher Permanentspeicher
Ein-/Ausgabeeinheiten (I/Os) I/O-Signale
Sensoren
Aktuatoren
Abb. 2-26. Aufbau einer Steuerung
Aufbau einer Steuerung. Alle Steuerungen sind Rechnersysteme, deren Hardware aus folgenden Grundelementen besteht (Abb. 2-26): • Central-Processing-Unit (CPU), die die Software ausführt. (Dieses ist in der Regel ein Mikrocontroller, d. h. eine in einem Halbleiter integrierte CPU mit zusätzlichen Funktionen wie Speicher, Peripherie).
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Industrielle Produktion und Automatisierung
• Arbeitsspeicher für diese CPU (dabei kann man unterscheiden in Arbeitsspeicher und Permanentspeicher, aber auch in Programm- und Datenspeicher). • Stromversorgung. • Schnittstelle, über die die Steuerung programmiert wird. • Peripheriefunktionen zur Verbindung zu den Sensoren und Aktuatoren, zu Anzeige- und Bedienelementen und zur übergeordneten Ebene in der Automatisierungspyramide. Die einzelnen Elemente haben jetzt abhängig von den Anforderungen an die Steuerung unterschiedliche Ausprägungen: • Die Wortbreite in der CPU kann von 8 bit für einfache SPS-Steuerungen bis zu 32 bit für CNCs, Industrie-PCs und große SPS-Systeme reichen. • Die Speichergröße variiert ebenfalls von einigen kbyte bis hin zu mehreren 100 Mbyte. • Der Permanentspeicher kann als Flash-Speicher (bei Embedded Controllern und Flash-Discs bei Industrie-PCs), als batteriegepuffertes RAM (bei SPS-Systemen) und über Festplatten (bei CNCs und Industrie-PCs) realisiert werden. • Die Stromversorgung wird in der Regel über das Einspeisen von 24 V DC oder Netzspannung durchgeführt, teilweise werden batteriegepufferte Notenergieversorgungen eingesetzt. • Bedientastaturen und Bildschirme werden von Industrie-PCs (und auch häufig von CNCs) direkt angesteuert, in anderen Fällen sind Bedieneinheiten abgesetzte Komponenten, die über ein Kommunikationssystem angesteuert werden. • Einige Schnittstellen zu Sensoren und Aktuatoren (sogenannte I/Os) sind in kleinen SPS-Systemen direkt integriert. In größeren SPSSystemen werden die I/O-Baugruppen dezentral über Kommunikationssysteme angeschlossen. Entscheidend für die Funktionsweise von Steuerungen ist die Software. Vom Grundsatz führt eine Software sequenziell vorgegebene Rechenschritte (arithmetische und logische Operationen) aus. Der Ablauf kann auf der Basis von Rechenergebnissen verändert werden (Vergleiche und anschließende Verzweigungen). SPS-Steuerungen. Viele Beschreibungen von Steuerungs- und Regelungsfunktionen stammen aus einer Zeit, in der diese mit parallelen Schaltungsfunktionen realisiert wurden. So bestehen Relaissteuerungen aus einzelnen Schaltungselementen, deren Eingang durch eine logische Verknüpfung (Und- oder Oder-Funktionen) vorgelagerter Schaltelemente bestimmt wird, und dessen Ausgang dann wieder nachgelagerte Schaltelemente steuert. Ergänzt wird dieses um Elemente wie Merker (1-bit-Speicher oder Flip-
Aufbau von Automatisierungssystemen
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flops) und Zeitrelais, die nach einem Eingangsereignis eine eingestellte Zeit ablaufen lassen und dann ihren Ausgangskontakt aktivieren. Mit solchen Schaltelementen kann eine Ablaufsteuerung für eine diskrete Maschine aufgebaut werden. Nach einem Startsignal (z. B. Starttaster oder Startsignal von einer vorgelagerten Maschine) wird eine erste Aktion gestartet. Ist diese abgeschlossen (z. B. durch einen Endschalter gemeldet), startet die nächste Aktion. Jeder Schritt wird damit ausgelöst durch die Verknüpfung der Ergebnisse vorgelagerter Aktionen. Jeder Schritt muss dann aber auch ein Signal aktivieren, wenn er abgeschlossen ist. Zykluszeit
...
Eingänge Verknüpfungen Ausgänge Eingänge Verknüpfungen lesen berechnen schreiben lesen berechnen
...
Abb. 2-27. Programmablauf einer SPS
Eine speicherprogrammierbare Steuerung führt diese Art der Steuerung in einem Mikrorechner aus. Der grundsätzliche Ablauf sieht wie folgt aus (Abb. 2-27): • Die Eingangssignale werden eingelesen (Prozessabbild); • die einzelnen logischen Verknüpfungen werden durch das Programm ausgeführt, hierdurch werden die Ausgangswerte berechnet; • am Ende des Rechendurchlaufs werden die berechneten Ausgangswerte auf die Ausgänge geschaltet und • dann beginnt der Ablauf von vorn. Ein wichtiger Unterschied zur Relaissteuerung besteht darin, dass ein neues Ergebnis nicht kontinuierlich, sondern nur nach jedem Zyklus vorliegt. Die Steuerung arbeitet damit abgetastet. Dieses ist für den Prozess, der angesteuert wird, allerdings dann nicht entscheidend, wenn die Signaldynamik unterhalb der Abtastrate bleibt. Moderne SPS-Systeme können pro Millisekunde mehrere tausend Anweisungen berechnen, sodass auch bei umfangreichen Steuerungsaufgaben die Zykluszeiten bei 1 bis 20 ms liegen. Für viele Steuerungsaufgaben ist dieses ausreichend. Der Vorteil einer SPS-Steuerung gegenüber einer Relaissteuerung muss nicht näher erläutert werden: Die Funktionsgestaltung am Bildschirm des Programmiergeräts ist deutlich einfacher und effizienter als die Verdrahtung, der Hardwareaufwand ist bei umfangreichen Steuerungsaufgaben deutlich niedriger, da nur die Ein- und Ausgänge, aber nicht die internen Signale verdrahtet werden müssen. Es gibt eine hohe Flexibilität für Änderungen und die Steuerungssoftware kann einfach weiterverwendet werden. SPS-Steuerungen werden durch Programmiergeräte oder durch Programmiersysteme, die als Anwendungssoftware auf einem PC laufen, programmiert. Gebräuchlich sind unterschiedliche Programmiersprachen,
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Industrielle Produktion und Automatisierung
die sich an unterschiedliche Programmiergewohnheiten anlehnen und heute in der IEC 61131-3 genormt sind (Abb. 2-28): • Die Funktionsblock-Programmierung (FB-Plan) ähnelt einem Logikplan mit einzelnen Funktionsblöcken (z. B. Logikelementen, Zeitelementen, Zählern), deren Verschaltung durch Linien repräsentiert wird. • Bei der Kontaktplan-Programmierung wird die Verschaltung von Relais nachempfunden. Und-Verknüpfungen sind Serienschaltungen von Kontakten, Oder-Verknüpfungen Parallelschaltungen. • Die Programmierung mit einer Anweisungsliste entspricht der Programmierung in der Maschinensprache eines Rechners (AssemblerProgrammierung). Werte werden gelesen (Load), mit dem im Akkumulator gespeicherten Wert über Logikbefehle verknüpft (AND, OR) und dann geschrieben (Store). textuell
LD AND OR ST
Anwendungsliste
Strukturierter Text
(Instruction List, IL)
(Structured Text,ST)
Var_1 Lade Wert von Var_1 %IX1.0 UND Eingang 1.0 %QX2.1 ODER Ausgang 2.1 Var_4 Speichere Ergebnis in
IF Bed1 THEN Z := -1; ELSE Z := 1 END_IF grafisch
Kontaktplan
Funktionsbausteinsprache
Ablaufsprache
(Ladder Diagram, LD)
(Function Block Diagram, FBD)
(Sequential Function Chart, SFC)
()
&
Abb. 2-28. SPS-Programmiersprachen
Diese drei Programmiersprachen (zwei grafische und eine textuelle) sind einfach und intuitiv, sie können von Facharbeitern beherrscht werden und werden in der gewerblichen Ausbildung gelehrt. Weitere in der IEC 61131-3 genormten Programmiersprachen entsprechen höheren Programmiersprachen (Structured Text, ST) bzw. Ablaufdiagrammen (Sequential Flow Chart, SFC). Ein vollständiges SPS-Programm besteht aus mehreren Programmbausteinen, die jeweils die Anweisungen für eine Funktion enthalten. Durch diese Programmbausteine kann ein Gesamtprogramm modular gestaltet werden, für Funktionen, die mehrfach in identischer Weise realisiert werden können, werden Programmbausteine dann mehrfach aufgerufen und
Aufbau von Automatisierungssystemen
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dabei an ihrer Schnittstelle individuell verdrahtet. Dieses ermöglicht die Standardisierung von SPS-Programmen. Für die Realisierung einer Automatisierung liegt der Vorteil der SPSSteuerung darin, dass sie dadurch modular ist, dass die logischen Verknüpfungen für die Ausgangssignale unabhängig voneinander programmiert werden. Es muss für eine Maschinenfunktion überlegt werden, wie diese mit den anderen zusammenhängt. Folgeabläufe werden dabei nach dem Handshake-Prinzip aufgebaut: ist eine Aktion abgeschlossen, startet sie die nächste Aktion. Dieses entspricht z. B. dem Transport einer Ware über aufeinander folgende Förderstrecken. Auch können SPS-Programme Aktionen für Abweichungen vom normalen Ablauf leicht realisieren: Durch eine entsprechende logische Verknüpfung wird festgestellt, dass ein Zustand vorliegt, der einer Sonderbehandlung bedarf. Dieser löst dann entsprechende Aktionen aus, verhindert evtl. auch andere (hierzu muss dann dieser Zustand nur über eine Nicht-Funktion mit anderen verknüpft werden). Wurde die Sonderaktion abgeschlossen, kann der normale Ablauf wieder freigegeben werden. SPS-Programme für Automatisierungen benötigen heute in der Regel bis zu 80% ihres Umfangs für solche Sondersituationen (Störungen, Einrichtbetrieb, etc.). SPS-Steuerungen sind das Arbeitspferd der Fabrikautomation. Die Weltjahresproduktion beträgt mehrere Millionen Stück. Sie sind in fast jeder Maschine, Produktionsanlage und jedem Logistiksystem in großer Anzahl zu finden. SPS-Steuerungen werden als Hardwaresysteme in verschiedenen Größen und Leistungsklassen (Kompaktsteuerungen bis zu Modularsteuerungen) sowie als Soft-SPS als Softwarefunktion in Industrie-PCs realisiert. CNC-Steuerung. Eine ganz andere Aufgabe hat eine CNC-Steuerung zu erfüllen. Sie soll über mehrere Achsen, z. B. zweidimensional mit x- und y-Achse oder dreidimensional mit x-, y- und z-Achse das Schneidewerkzeug einer Werkzeugmaschine so führen, dass im Werkstück die gewünschte Kontur und Oberfläche entsteht. Der Ablauf hängt damit von der Sollgeometrie des Werkstücks ab. Der Gesamtablauf besteht aus einzelnen Verfahrbewegungen für das Werkzeug oder Werkstück mit einer vorgegebenen Geschwindigkeit, die über NC-Sätze beschrieben sind. Ein NC-Satz ist dabei ein Bearbeitungsschritt, der die Relativbewegung im mehrdimensionalen Raum beschreibt. Für die Beschreibung dieser Bearbeitungssätze wird die DIN 66025, der sogenannte „G-Code“ verwendet. Um diesen Bearbeitungsablauf zu verarbeiten, führt die CNC-Steuerung folgende Funktionen aus (Abb. 2-29): • Ein Interpreter verarbeitet die einzelnen Bearbeitungssätze und löst interne Programmfunktionen aus.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
• Die Geometriedatenverarbeitung berechnet aus den einzelnen Bewegungen unter Berücksichtigung der Kinematik der Maschine (Transformationen in die Bewegungsrichtungen der Servoachsen), von Werkzeugkonturen (Werkzeugkorrekturen) und realisierbaren Geschwindigkeiten und Beschleunigungen Verläufe für die einzelnen Achsen der Werkzeugmaschine. • Der Interpolator ermittelt jetzt aus den Bahnabschnitten Winkellagesollwerte für jede Antriebsachse in einem festen Zeitraster. • Lagesollwerte werden dann vom elektrischen Antrieb mit seinen Antriebsregelungsfunktionen (Lage-, Geschwindigkeits- und Drehmomentregelung) in entsprechende Bewegungen umgesetzt. Bearbeitungsätze interpretieren Bahnverlauf planen (Kinematik der Maschine, Werkzeugkonturen, realisierbare Beschleunigungen und Geschwindigkeiten) Bahnverläufe interpolieren Lageregelung Achse 1
Lageregelung Achse n
ServoUmrichter 1
ServoUmrichter n
M 3~
M 3~
Abb. 2-29. Programmablauf in einer CNC-Steuerung
Auch hier wird jetzt ein internes Programm zyklisch durchlaufen, um in festen Zeitabständen Ausgangswerte für die folgende Aktuatorik (Servoantrieb) zu liefern. Da allerdings mehrere Antriebe synchron angesteuert werden, die zusammen eine präzise 2-D- oder 3-D-Kontur auf dem Werkstück erzeugen sollen, ist es notwendig, dass die Lagesollwerte absolut zeitsynchron, d. h. ohne Jitter ausgegeben werden. Dieses ist der Hauptunterschied des zeitlichen Verhaltens einer SPS-Steuerung und einer Bewegungssteuerung, wie z. B. einer CNC-Steuerung: • Die Ablaufsteuerung (SPS) beginnt bei ihrer zyklischen Programmausführung den nächsten Zyklus, sobald der vorhergehende Zyklus abge-
Aufbau von Automatisierungssystemen
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schlossen wurde. Hierdurch wird keine Rechenzeit verschenkt, allerdings führen Unterschiede in der Rechenzeit zu einem Jitter in der Abtastung. Der Zeitablauf der Programmausführung ist nicht vollständig deterministisch. • Die Bewegungssteuerung dagegen muss jitter-frei und damit zeitlich deterministisch arbeiten. Jede Verletzung der Echtzeit führt zu einer Störung der Bewegung und macht sich in der Kontur des Werkstücks bemerkbar. Die maximale Ausführungszeit des Programms muss bekannt und kleiner als das feste Wiederholintervall sein. Verteilte Aufgaben müssen zeitlich exakt synchronisiert werden. CNC-Steuerungen erfordern durch die komplexen und rechenintensiven Algorithmen für die Geometriedatenverarbeitung und Interpolation eine hohe Rechenleistung. Weiterhin haben CNC-Steuerungen in der Regel eine lokale Bedienung zur Anzeige des Bearbeitungsablaufs und zur lokalen Programmierung (werkstattorientierte Programmierung = WOP, Datenübernahme aus CAD-Systemen). Weiterhin muss sie umfangreiche Daten lokal speichern bzw. von übergeordneten Systemen laden. Aus diesen Gründen ist eine Werkzeugmaschinensteuerung häufig mit einem Industrie-PC aufgebaut. Ein Echtzeitbetriebssystem stellt die zeitlichen Anforderungen sicher. Robotersteuerungen. Roboter sind Handhabungsgeräte, die so aufgebaut sind, dass sie sehr universell eingesetzt werden können. Es gibt verschiedene Geometrien, die das synchrone Bewegen von drei bis acht Achsen erfordern. Industrieroboter sind als kinematische Kette aufgebaut, die aufwändige mathematische Transformationen erfordern. Auch die Programmierung eines Roboters ist anders als die einer Werkzeugmaschine. Im Endeffekt ist es eine Mischung aus einem Ablaufprogramm und Bewegungsbefehlen. Anzufahrende Punkte werden dabei häufig durch manuelles Anfahren und Speichern der so ermittelten Position („Teachen“) festgelegt. Der interne Aufbau einer Robotersteuerung entspricht sehr stark dem einer Werkzeugmaschinensteuerung, auch hier werden häufig IndustriePCs eingesetzt. Allgemeiner Ansatz für die Steuerung von Antrieben. Aus der Beschreibung der beiden Steuerungsansätze für die SPS und CNC kann folgender allgemeingültiger Ansatz für die Steuerung von Antrieben in einer Automatisierung entnommen werden, der die Softwarefunktionen in folgende drei Ebenen aufteilt (Abb. 2-30): • Auf der obersten Ebene der Softwarefunktionen ist die Ablaufsteuerung, die für die Abfolge der einzelnen Schritte verantwortlich ist.
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Industrielle Produktion und Automatisierung EchtzeitSteuerung/ anforderungen Regelung Ablaufsteuerung
Abtastzeiten
weich (msec)
Steuerung
4-20 ms
hart (µsec)
Steuerung
1 ms
hart (µsec)
Regelung
125 µs
Befehle Bewegungsführung j(t), w(t) Antriebsregelung
M 3~
Abb. 2-30. Softwareebenen in Steuerungen und Antrieben
• Unterhalb der Ablaufsteuerung befindet sich die Bewegungsführung, die die Aufgabe hat, die momentanen Sollwerte für die Antriebsregelung zu berechnen. Die Bewegungsführung hängt von der Aufgabe ab, die der Antrieb in der Maschine zu lösen hat. Diese Ebene muss bei dynamischen und präzisen Bewegungsvorgängen zeitlich deterministisch arbeiten, damit Bewegungsprofile entsprechend des Sollverlaufs (d. h. ohne zu große Schleppfehler) entstehen. • Auf der untersten Ebene findet sich die Antriebsregelung (Drive Control), die die Aufgabe hat, dass der Antrieb seinen unmittelbaren Sollvorgaben (in der Regel eine Kombination aus den Größen Winkel, Drehzahl und Drehmoment) folgt. Störeinflüsse werden hier unmittelbar korrigiert. Dieses ist häufig ein geschlossener Regelkreis. Die beiden oberen Ebenen bestehen jetzt aus Steuerungsfunktionen, während die unterste Ebene eine Regelungsfunktion ausführt. Andererseits müssen beide untersten Ebenen zeitlich streng deterministisch arbeiten, während die Ebene der Ablaufsteuerung einen zeitlichen Jitter in der Regel zulässt. Die Softwarefunktionen für die Bewegungsführung und die Antriebsregelung werden in Kap. 3.4 näher beschrieben. Dezentrale und zentrale Bewegungsführung. Einer Steuerung sind in der Regel mehrere Antriebe zugeordnet. Die Bewegungsführung kann entweder in den Antrieben dezentral oder zentral in der Steuerung vorgenommen werden (Abb. 2-31) [KiKu06]. Bei der dezentralen Bewegungsführung überträgt die Steuerung (in der Regel eine SPS für die Ablaufsteuerung) Befehle an die Achsen. Weiterhin können über das Kommunikationssystem oder andere Verfahren mehrere Achsen synchronisiert werden. Diese Architektur ist immer dann von Vor-
Aufbau von Automatisierungssystemen
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teil, wenn viele Achsen von einer Steuerung angesteuert werden, bzw. wenn die Bewegungen der Achsen entweder nicht sehr eng synchronisiert werden müssen (z. B. Förderantriebe in einer Anlage) oder wenn die Bewegungen von Achsen von einer Leitbewegung abhängen (z. B. synchronisierte Bewegungen in einer kontinuierlichen Fertigung oder einer schnell getakteten Produktionsmaschine). Steuerung (SPS)
Steuerung (CNC)
Ablaufsteuerung
Ablaufsteuerung
Befehle, Synchronisierung der Antriebe
Bewegungsführung für n Achsen
Umrichter Bewegungsführung
Umrichter Bewegungsführung
Umrichter
Umrichter
Antriebsregelung
Antriebsregelung
Antriebsregelung
Antriebsregelung
M 3~
M 3~
M 3~
M 3~
a) dezentrale Bewegungsführung
ö (t), ù(t)
b) zentrale Bewegungsführung
Abb. 2-31. Dezentrale und zentrale Bewegungsführung
Die zentrale Bewegungsführung ist immer dann anzuwenden, wenn ausgehend von einem mehrdimensionalen Bewegungsprofil der Bewegungsablauf für mehrere Achsen gemeinsam berechnet werden muss. Typische Anwendungen sind die koordinierten Antriebe in Werkzeugmaschinen und Robotern. Programmierung von Steuerungen. Steuerungen sind zunächst sehr universelle Geräte, deren konkrete Funktion in einer Maschine oder Anlage durch die Software und deren Programmierung festgelegt wird. Es gibt folgende Stellen, an denen diese Programmierung erfolgt (Abb. 2-32): • Zunächst stattet der Steuerungshersteller sein System mit einem Grundvorrat an Funktionen aus. Dieses sind Infrastrukturkomponenten (Betriebssystem, Gerätetreiber, Kommunikationssysteme) sowie Softwarefunktionen, die das konkrete Anwendungsprogramm (das vom konkreten Einsatz der Maschine für einen Fertigungsauftrag abhängt) entweder interpretiert oder direkt ausführt (nachdem es kompiliert, d. h. in direkt ausführbare Software übersetzt wurde).
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Industrielle Produktion und Automatisierung
• Der Maschinenhersteller programmiert jetzt das Anwendungsprogramm so, dass es die Funktionen der konkreten Maschine realisiert. Hierzu muss es die Peripherie (d. h. welche Sensoren und Aktuatoren gibt es, wie ist deren Funktion), aber auch die Funktionsweise und Geometrie der Maschine berücksichtigen. Da Maschinen in der Regel nicht immer das gleiche, sondern ein Spektrum von Produkten produzieren, müssen Einstellmöglichkeiten für den Maschinenbetreiber vorhanden sein. • Der Betreiber nutzt die Maschine. Für einen konkreten Fertigungsauftrag müssen in der Regel Einstellungen des Steuerungsprogramms vorgenommen werden. Bei Produktionsmaschinen erfolgt dieses in der Regel durch Bediendialoge, die sich an der Beschreibung des zu produzierenden Guts orientieren (evtl. nur Auswahl aus einem Katalog von vorbereiteten Programmen, Auswahl von Rezepturen, Eingaben von Formaten). Bei einer Werkzeugmaschine und einem Roboter dagegen kann das konkrete Programm entsprechend der Kontur des zu produzierenden Werkstücks vom Maschinenbetreiber erstellt oder aus CADDaten exportiert werden. Hier sind die Programmiermöglichkeiten des Maschinenbetreibers sehr umfassend. Ebene der Funktionsfestlegung
Elemente der Softwaregestaltung
Grundfunktionen der Komponenten und Steuerung
Grundfunktionen, parametrierbare Systeme programmierbare Systeme
Hersteller der Maschine/Anlage
Struktur und Funktion der Maschine
Systemkonfiguration, Ablaufsteuerung, Geräteparametrierung
Betreiber der Maschine/Anlage
Produktdaten, Rezeptur
Systemparametrierung durch Produktdaten
Hersteller der Automatisierungskomponenten
Abb. 2-32. Programmierebenen für Steuerungen: Gerätehersteller, Maschinenhersteller, Maschinenbetreiber
Diese verschiedenen Ebenen der Programmierung und Parametrierung führen dazu, dass es eine ganze Reihe von Sprachen und Vorgehensweisen gibt: • Die SPS-Programmiersprachen (entweder nach IEC 61131-3 oder herstellerspezifisch), die für die Programmierung von Abläufen geeignet sind. Diese werden teilweise um besondere Funktionsblöcke für die Bewegungsführung von Antrieben (PLCopen-Funktionsblöcke) ergänzt. • Die NC-Programmierung nach DIN 66025, die geometrieorientiert ist. Weiterentwicklungen verarbeiten dabei komplexe Geometrieinformationen (z. B. Step-NC).
Aufbau von Automatisierungssystemen
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• Parametrierdialoge für die Auswahl von Programmen und die Eingabe von Werten für konkrete Fertigungsaufträge in Produktionsmaschinen. Steuerungen müssen von der Funktionsfestlegung über eine dieser Möglichkeiten jetzt in ihrer Software die Umrechnung auf den konkreten Bearbeitungsablauf und das zyklische Ansteuern der Aktuatoren ausführen. Das Spektrum der hierfür erforderlichen Algorithmen ist sehr groß und sehr spezifisch für die verschiedenen Maschinentypen. 2.3.2
Aktuatoren
Aktuatoren setzen die Ausgangssignale der Steuerung in die Kräfte um, die den Prozess beeinflussen, und sind damit die „Muskeln der Automatisierung“. Sie werden auf der einen Seite von der Steuerung über elektrische Signale angesteuert, während sie auf der anderen Seite mit einem geeigneten Wirkprinzip den Prozess beeinflussen müssen. Im vorliegenden Buch steht dabei die Beeinflussung über die Bewegung im Vordergrund. Die Signale von der Steuerung können grob in zwei Gruppen unterteilt werden: • Schaltinformationen, die für einen Zeitpunkt nur zwei Zustände (ein oder aus, auf oder zu) kennen, werden über digitale Signale ausgegeben. In der industriellen Steuerungstechnik werden hierfür in der Regel 24 V DC Signale verwendet, die in der Norm IEC 61131-2 definiert sind. • Kontinuierliche Signale, die entweder als analoge Signale (z. B. 0...10 V oder ±10 V) oder als Datenwörter (8, 16 oder 32 bit Breite) über ein Kommunikationssystem übertragen werden. Elektromagnete. Digitale Schaltinformationen werden in den allermeisten Fällen über Elektromagnete umgesetzt. Diese finden sich in vielen Anwendungen: • Einsatz in Ventilen, mit denen z. B. der Durchfluss von Gasen oder Flüssigkeiten (d. h. Fluide) gesteuert wird. Elektromagnetisch betriebene Pneumatikventile sind damit der Übergang zur pneumatischen Antriebstechnik, Hydraulikventile entsprechend zur hydraulischen Antriebstechnik. • Einsatz in elektrischen Schützen, um damit elektrische Energie zu schalten. Häufig werden hierüber Elektromotoren ein- und ausgeschaltet, wobei deren Bewegungsverhalten dann nicht weiter beeinflusst wird. • Einsatz in elektromagnetischen Bremsen und Kupplungen, die entweder Bremskräfte oder Kraftflüsse steuern.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Die weitere Beeinflussung des Prozesses erfolgt über Antriebe. Zunächst sollen die fluidischen Antriebsprinzipien (Pneumatik und Hydraulik) charakterisiert werden. Pneumatische Antriebe. Bei pneumatischen Antrieben bewegt Druckluft Kolbenstangen in Zylindern. In der Regel werden diese zwischen zwei festen Anschlägen bewegt. Der Bewegungsvorgang selbst wird nur durch das Öffnen und Schließen von Ventilen von der Steuerung beeinflusst, der Ablauf selbst wird durch den Druck, die Wahl des Zylinders sowie die gegenwirkenden Kräfte bestimmt. Typische Betriebsdrücke liegen im Bereich von 5 bar (50 N/cm2). Das Medium ist kompressibel, sodass Endanschläge benötigt werden. Pneumatische Antriebe werden in Maschinen sehr häufig für einfache Bewegungen verwendet, da die Pneumatikelemente im Vergleich zu elektrischen Antrieben sehr preiswert sind und keine weitere Umsetzung in eine lineare Bewegung benötigen. Prinzipiell ist es möglich, über kontinuierlich angesteuerte Proportionalventile und eine Wegsensorik Pneumatikantriebe auch positionsgesteuert zu betreiben, allerdings fällt dann der Kostenvorteil gegenüber elektrischen Antrieben fort. Pneumatikantriebe benötigen eine Druckluftversorgung, die in vielen Industriebetrieben vorhanden ist, in kleineren Maschinen aber eine zusätzliche Infrastruktur bedingt. Über Ventile angesteuerte pneumatische Saugnäpfe werden ebenfalls sehr häufig zum Fixieren von Werkstücken für die weitere Bewegung verwendet. Auch hier erfolgt die Ansteuerung über digitale Schaltinformationen. Hydraulische Antriebe. Während die niedrigen Kosten die Hauptmotivation für pneumatische Antriebe ist, ist es die hohe Kraftdichte bei den hydraulischen Antrieben. Prinzipiell funktionieren hydraulische Antriebe ähnlich wie pneumatische Antriebe (beides sind Fluidantriebe), außer dass anstelle von Luft Öl eingesetzt wird. Viele Grundprinzipien (lineare Bewegungen über Kolben in Zylindern, Bewegungen zwischen zwei festen Anschlägen, Ansteuerung mit Schaltinformationen über Ventile, Notwendigkeit für eine Infrastruktur mit einem Druckspeicher) sind identisch, allerdings liegt der Betriebsdruck mit 100...300 bar (1.000 bis 3.000 N/cm2) deutlich höher. Die Kompressibilität des Mediums liegt bei nur wenigen Prozent, sodass bei Hydraulikantrieben der Einsatz von Proportionalventilen möglich ist, über die der Druck und damit die Kraft und Bewegung feinfühlig gesteuert werden können. Nachteilig sind der niedrige Wirkungsgrad und Probleme mit Leckagen. Neben linearen Hydraulikzylindern gibt es rotierende Hydraulikmotoren, die z. B. für Fahrantriebe eingesetzt werden.
Aufbau von Automatisierungssystemen
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Geschaltete Elektromotoren. Neben den Fluidantrieben, die über Magnetventile angesteuert werden, werden auch Elektromotoren geschaltet betrieben. Bei kleinen Antrieben mit niedrigen Spannungen kann dieses direkt aus der Steuerung heraus erfolgen (Spannungen von 5 V, 12 V, 24 V oder 48 V). Bei größeren Antrieben werden dagegen über Elektromagnete bewegte Schütze verwendet, die dann die Netzspannung (400 oder 480 V) schalten. Wenn Elektromotoren nur ein- und ausgeschaltet werden, dann hängt der Bewegungsablauf von der Kennlinie des Motors sowie den gegenwirkenden Kräften ab. Die Drehzahl des Motors kann nicht variiert werden.
Abb. 2-33. Prinzipskizze des ungeregelten und geregelten Anlaufs eines Motors
Einsatz von Leistungselektronik. Allen geschaltet betriebenen Antrieben ist gemeinsam, dass der Bewegungsablauf nicht direkt von der Software der Steuerung beeinflusst wird. Damit sind diese Antriebe keine mechatronischen Systeme. Die Schaltinformationen starten nur Vorgänge, regeln diese aber nicht. Der Beschleunigungsvorgang einer Maschine wird bestimmt durch die Eigenschaften des Netzes, die Eigenschaften (DrehzahlDrehmoment-Kennlinie) des Elektromotors und die Eigenschaften (Lastmoment und Massenträgheitsmoment) der Arbeitsmaschine. Beim direkten Einschalten des Motors kann der Beschleunigungsvorgang nur sehr schwer beeinflusst werden. Vorteilhaft ist hier der Einsatz geregelter Antriebe, die einen besseren Startvorgang sicherstellen. Häufig sind geschaltete Bewegungsabläufe aus energetischen Gesichtspunkten nicht optimal. So erzeugt der Anlauf eines Motors hohe Verluste, da die induzierte Gegenspannung proportional zur Drehzahl ist und sich damit erst bei der Beschleunigung aufbaut. Solange nicht der stationäre Arbeitspunkt erreicht ist, erzeugt der Spannungsfall zwischen Eingangsspannung und induzierter Gegenspannung zusammen mit dem Strom zur Drehmomenterzeugung eine hohe Verlustleistung. So entsteht beim Starten genau die Verlustenergie im elektrischen Stromkreis, die der kinetischen Energie beim Hochlauf des Motors entspricht. Abb. 2-33 zeigt prinzipiell die Verlustenergie beim Anlauf eines Motors für die Fälle, dass sie direkt an das Netz geschaltet bzw. frequenzgesteuert beschleunigt werden.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
Auch beim Einsatz von Elektromagneten gibt es negative energetische Zusammenhänge. So muss zum Aufbringen der Bewegung ein höherer Strom aufgebracht werden, als zum Halten des Ankers nötig wäre. Werden Magnete nur ein- und ausgeschaltet, dann fließt beim Halten ein zu hoher Strom, der wiederum unnötig hohe Verluste erzeugt. Aus diesen Zusammenhängen wird zunehmend Leistungselektronik eingesetzt, um die Energieumsetzung so zu steuern, wie es der jeweilige Arbeitspunkt erfordert. Durch den Einsatz von Leistungselektronik ist es dann aber möglich, die Leistungsumsetzung von einer Signalverarbeitung zu steuern. Dieses führt dann zu mechatronischen Systemen, zu denen auch die geregelten Antriebe zählen. Die Funktionsweise von geregelten Elektroantrieben wird in Kap. 3.4 detailliert beschrieben. 2.3.3
Sensoren
Sensoren messen den Zustand von Prozessgrößen und melden diesen an die Steuerung. Ähnlich wie bei den Aktuatoren gibt es folgende Unterscheidungen: • Welche Prozessgröße wird erfasst (Position, Geschwindigkeit, Kraft, Druck, Temperatur, aber auch die Identifikation von Gütern), • wie ist das Messprinzip, • welches Signal liefert der Sensor an die Steuerung (Schaltinformation als digitales Signal oder kontinuierlicher Messwert) und • wie sind der Messbereich und die Genauigkeit des erfassten Signals? Da Bewegungen im Vordergrund stehen, sollen Sensoren für Prozessgrößen wie den Druck und die Temperatur sowie den Durchfluss von Fluiden bzw. den Füllstand von Behältern nicht näher behandelt werden. Hier sei auf [GuLi99] verwiesen. Aufgrund ihrer Funktion in der Automatisierung können Sensoren noch weiter unterteilt werden: • Sie haben unmittelbaren Einfluss auf die Steuerung des Ablaufs und sind damit unmittelbarer Bestandteil des mechatronischen Systems. In diese Gruppe gehören Initiatoren, Lichtschranken und die Sensoren, die in Antriebe eingebaut sind und dort Positionen und Geschwindigkeiten erfassen. • Sensoren der zweiten Gruppe haben nur mittelbaren Einfluss auf den Steuerungsablauf. Ihre Informationen gehen zur Zellebene, um dort die weitere Planung des Steuerungsablaufs zu beeinflussen. Zu dieser Gruppe gehören z. B. Identifikations- (Barcode- und RFID-Leser) und Bildverarbeitungssysteme. Sensoren dieser Gruppe sollen im Folgenden
Aufbau von Automatisierungssystemen
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nicht näher dargestellt werden, da sie in der Regel keine direkte Interaktion mit den Antrieben haben. • Eine Mischung aus diesen beiden Gruppen sind Sensoren, die während des Produktionsablaufs die Qualität überprüfen und bei einer Abweichung von der geforderten Qualität unmittelbar eine Fehlermeldung geben. Diese haben dann einen sofortigen Einfluss auf den Ablauf, weil dann entweder der Ablauf unterbrochen wird oder das fehlerhafte Teil automatisch ausgeschleust wird, ohne dadurch den Gesamtablauf völlig zu unterbrechen. In diesem Fall initiiert der Sensor eine besondere Aktion des Ablaufs. Gerade in schnell getakteten Fertigungen werden solche Sensoren sehr häufig eingesetzt, um frühzeitig fehlerhafte Produkte zu erkennen und dadurch die Gesamtqualität sicherzustellen. Die Wirkung dieser Sensoren muss dabei sehr sorgfältig eingestellt werden, um die Gefahren der falschen Fehlerkennung (Pseudofehler) bzw. des Durchschlupfes (Fehler nicht erkannt) zu vermeiden. Schaltinformationen. Das Erfassen von Schaltinformationen spielt in Automatisierungssystemen eine große Rolle. Es dominieren zwei Sensorprinzipien: • Bei optischen Sensoren wird die Unterbrechung eines Lichtstrahls eingesetzt. Dieses führt zu Lichtschranken, die entweder direkt als Reflexionslichtschranke aufgebaut wird, weil dann Sender und Empfänger in einem Gehäuse eingebaut werden können, oder als EinwegLichtschranken mit getrennten Sendern und Empfängern. Lichtschranken arbeiten mit allen Materialien zusammen, die nicht durchsichtig sind. Nachteilig ist die Verschmutzungsgefahr, die in vielen industriellen Anwendungen vorkommen kann. Hier können vorbeugende Diagnoseverfahren (Nachlassen des empfangenen Signals) helfen, Störungen zu vermeiden. • Bei induktiven Näherungsschaltern wird ein magnetischer Kreis bei Annäherung eines metallischen Körpers verändert. Hierdurch wird die Schaltinformation detektiert. Induktive Initiatoren setzen magnetisch leitfähige Materialien voraus und können damit sehr gut bei bewegten Maschinenteilen verwendet werden. Beide Sensorverfahren arbeiten kontaktfrei, sodass sie keinem Verschleiß unterworfen sind. Aus diesem Grund sind sie gegenüber Mikroschaltern im Vorteil, bei denen über einen Taster ein elektrischer Kontakt betätigt wird. Das Erfassen von Schaltinformationen ist in automatisierten Fertigungen und Materialflüssen sehr weit verbreitet. So wird bei Förderbändern in der Regel die Bewegung des Förderguts (z. B. der einzelnen Pakete, Behälter und Paletten) über Lichtschranken verfolgt. Die Steuerung entscheidet dann bei Vorliegen der Information über die nächsten Aktionen.
64
Industrielle Produktion und Automatisierung
Positionssensoren. Initiatoren erzeugen nur eine Schaltinformation, die dann eine weitere Aktion der Steuerung auslösen kann. Wird eine kontinuierliche Information benötigt, wie es z. B. für das Regeln eines Bewegungsablaufs der Fall ist, dann werden Positionssensoren benötigt. Positionssensoren können in zwei Gruppen eingeteilt werden: • Sensoren, die in die Motoren eingebaut sind und • Sensoren, die außerhalb der Motoren an der Mechanik angebracht sind. Der Vorteil der Sensoren, die im Motor eingebaut sind, besteht darin, dass sie gleichzeitig für die Antriebsregelung als auch zur Bestimmung der Istposition des bewegten Materials verwendet werden können. Nachteilig ist, dass Ungenauigkeiten durch die mechanische Übertragung zwischen Motor und Maschine nicht erfasst werden. Teilweise wird hier eine softwaretechnische Kompensation (z. B. Spindelsteigungskompensation) eingesetzt. Die Winkelsensoren, die in Motoren eingesetzt werden, werden ausführlich in Kap. 3.3.6 beschrieben. Ist die Genauigkeit der Messung am Motor nicht ausreichend, muss ein zusätzlicher lastseitiger Geber eingesetzt werden. Verwendet werden hierbei: • Encoder, die rotatorisch messen und entweder seriell über ein Kommunikationssystem ausgelesen werden oder Inkrementalsignale an die Steuerung oder den Antrieb übertragen. • Lineargeber, die entweder optisch oder magnetisch aufgebaut sind. Gerade bei sehr präzise arbeitenden Werkzeugmaschinen sind optische Linearmesssysteme sehr weit verbreitet. • Laserabstandssensoren, die z. B. in Regalbediengeräten verwendet werden, um die Fahrzeugposition festzustellen. • An Fahrstrecken angebrachte Maßbänder, die von einem Sensor auf dem Fahrzeug, z. B. einer Elektro-Hängebahn abgetastet werden und die aktuelle Position auf 1 mm genau bestimmen können. Bildverarbeitung. Teilweise werden in Automatisierungssystemen bereits Sensoren mit einer Bildverarbeitung eingesetzt (z. B. an Robotern). Diese können dann die Position und Lage von Werkstücken erfassen und daraus Informationen für den Bewegungsablauf ableiten. Die Verwendung von bildverarbeitenden Sensoren wird in der Zukunft mit Sicherheit zunehmen, da diese eine höhere Flexibilität ermöglichen und durch den Preisverfall der Mikroelektronik preiswerter werden.
Aufbau von Automatisierungssystemen
2.3.4
65
Visualisierung und Bedienung
Die Automatisierung von Produktionen und Logistiksystemen konzentriert die Arbeit des Personals auf das Beobachten der Prozesse sowie auf die Beseitigung von Störungssituationen, die auch eine noch so perfekte Automatisierung nicht vollständig vermeiden kann. Je besser eine Automatisierung arbeitet, umso seltener sind manuelle Eingriffe notwendig. Im Gegenzug wird damit der Umfang dessen, was ein Instandhalter überblicken muss, größer. Weiterhin führen Betriebsunterbrechungen bei Hochleistungsfertigungen schnell zu hohen Verlusten der Fabrik. Aus diesem Grunde müssen diese Anlagen schnellstmöglich (z. B. durch Tausch von Geräten mit wenigen Handgriffen) repariert werden können. Die höchsten Anforderungen haben hier Automobilfertigungen, die sowohl einen hohen Produktionswert haben als auch in der Regel keine Redundanzen im Fertigungsablauf aufweisen. Im Falle einer Störung steht die gesamte Fertigungslinie. Aus diesem Grund hat die schnelle Störungsbeseitigung hier eine sehr hohe Bedeutung.
Abb. 2-34. Maschinenbedienstationen
Die schnelle Analyse des momentanen Zustands einer Anlage setzt voraus, dass Informationen dem Bediener oder Instandhalter dargeboten werden. Hierzu werden Visualisierungssysteme eingesetzt (Abb. 2-34). Diese ermöglichen in der Regel auch das Bedienen der Anlage. Daher finden sich in einer Automatisierung neben den bisher aufgeführten Komponenten noch Stationen zur Visualisierung und Bedienung, über die das Personal sich Überblick über den Zustand der Anlage verschaffen kann und diesen, wenn notwendig, manuell beeinflussen kann. Im Einzelnen erfolgt dieses an folgenden Stellen: • In zentralen Leitständen wird die gesamte Fertigung überwacht. Hier finden sich große Bildschirme und Übersichtstafeln, die einen Gesamtüberblick geben und es ermöglichen, sich sehr schnell einzelne Details des Gesamtablaufs genauer anzusehen. Diese zentralen Leitstände können über die Kommunikationssysteme auf Daten in der Zell- oder Steuerungsebene bis hin zu den einzelnen Aktuatoren und Sensoren zugreifen.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
• Daneben werden an der Maschine oder Anlage Bedienstationen installiert, durch die direkt vor Ort der Zustand überwacht, eine Störung diagnostiziert und Maßnahmen zur Behebung der Störung eingeleitet werden können. Hierzu werden Bedienstationen in einer höheren Schutzklasse wie IP 54 eingesetzt. Bediengeräte werden in einer hohen Vielfalt angeboten, die von einfachen Textanzeigen bis hin zu großen PC-basierten SCADA-Systemen reichen. Erkennbar ist ein Trend zu grafischen Anzeigen, die durch preiswerte LCD-Displays wirtschaftlich attraktiv werden und eine schnellere Erfassung der dargestellten Information ermöglichen. Bediensysteme sind in der Regel über ein Kommunikationssystem mit den Steuerungen und Antrieben verbunden und lesen hierüber die darzustellenden Informationen aus. Zur Programmierung der Darstellung gibt es entsprechende Softwarewerkzeuge, die sowohl eine textuelle Anzeige als auch eine Darstellung über grafische Symbole und Anzeigeelemente ermöglicht. Die Realisierung von intuitiv erfassbaren Bedienschemata ist für den produktiven Betrieb einer Maschine durch das Bedien- und Instandhaltungspersonal sehr wichtig, da der Qualifikationsgrad eher abnimmt. 2.3.5
Kommunikationssysteme
In heute verwendeten Automatisierungssystemen spielen Kommunikationssysteme eine zunehmende und vielfach nicht mehr wegzudenkende Rolle. So ist zunächst nachvollziehbar, dass die vertikale Verbindung von der Leitebene zur Steuerungsebene den Austausch einer großen Anzahl von Daten erfordert: • Planungsinformationen: Daten zu den Produktionsaufträgen (welches Produkt, welche Arbeitsschritte, Rezepturen und Steuerungsdaten für die Einstellung der Arbeitsstationen). • Kontrollinformationen: Fertigmeldungen von Produktionsschritten, gefertigte Stückzahlen, benötigte Zeiten, Ausschuss, Qualitätsinformationen. • Protokollinformationen: Daten über den konkreten Fertigungsschritt, die zu dokumentieren sind (Nachweispflichten, Rückverfolgbarkeit darüber, wie produziert wurde, was eingesetzt wurde, wie die Maschine eingestellt wurde, wie ein konkreter Produktionsschritt ausgeführt wurde, welche Messergebnisse erfasst wurden). • Diagnoseinformationen: Auf der Basis von konkreten Informationen aus der Produktion können Optimierungen zum Betrieb der Produktion ermittelt werden, die dann helfen, die Produktivität zu steigern.
Aufbau von Automatisierungssystemen
67
Neben dieser vertikalen Kommunikation gibt es die Vernetzung auf der Steuerungsebene und zu den Aktuatoren und Sensoren. Da mittlerweile die allermeisten Komponenten des Gesamtsystems softwaregesteuert sind, können sie über ein Kommunikationssystem in die Gesamtvernetzung eingebunden werden. Dieses kann dann vielfältig genutzt werden: • Anpassung der Komponenten an den konkreten Produktionsauftrag (Parametrierung), • Diagnose der Komponenten (Erfassen und Auslesen von Warnungen und Fehlermeldungen) und • Erfassen von weiteren Informationen über den Prozess durch die Komponenten, die über das hinausgehen, was für die unmittelbare Automatisierung benötigt wird. Ein Beispiel hierfür ist das Condition Monitoring, das für die Diagnose und vorbeugende Wartung des Prozesses Informationen liefert. Gerade elektrische Antriebe lassen sich sehr vielfältig anpassen und erfassen eine Vielzahl von Informationen, sodass sie prädestiniert für eine elektronische Kommunikation auf der Feldebene sind [Po03]. Klassisch wurden die verschiedenen Komponenten eines Steuerungssystems direkt miteinander verdrahtet. Der Vorteil ist die unmittelbare Signalübertragung und die direkte Diagnosefähigkeit, der Nachteil der hohe Verdrahtungsaufwand, insbesondere wenn viele Signale zwischen zwei Komponenten auszutauschen sind. Viele einfache Sensoren und Aktuatoren werden direkt über eine Parallelverdrahtung mit den Ein- und Ausgängen der Steuerung verbunden. Wird anstelle einer direkten Parallelverdrahtung ein Kommunikationssystem eingesetzt, dann werden die zu übertragenden Signale in ein Datentelegramm eingepackt, dass dann seriell übertragen wird. Die Kommunikationsaufgaben, die zu erfüllen sind, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: • Bei der Prozessdatenübertragung sollen Daten kontinuierlich übertragen werden. Kommunikationssysteme können aufgrund ihrer seriellen Arbeitsweise nicht die direkte, fast verzögerungsfreie Übertragung der Parallelverdrahtung nachbilden, versuchen aber, diese weitestgehend zu erreichen. Da alle softwaregesteuerten Steuerungen abgetastet arbeiten, genügt es, wenn innerhalb einer Abtastperiode der Software alle Daten übertragen werden. Für die Prozessdatenübertragung werden in der Regel zyklische, unbestätigte Übertragungsmechanismen eingesetzt. • Bei der Servicedatenübertragung werden Daten ereignisgesteuert oder bedarfsorientiert übertragen. Typische Anwendungen sind das Lesen und Schreiben von Parametern, das Ausführen von Befehlen und die Übertragung größerer Datenmengen (z. B. Datenfiles, Programme). Für die Servicedatenübertragung wird in der Regel innerhalb der zyklischen
68
Industrielle Produktion und Automatisierung
Datenübertragung ein Zeitfenster reserviert, die eigentliche Übertragung erfolgt dann über bestätigte Kommunikationsmechanismen. Werden Systeme zeitsynchron betrieben, wie dieses häufig bei Bewegungssteuerungen und Antrieben der Fall ist, dann kann das Kommunikationssystem auch die Synchronisierung der Systeme übernehmen. Um das Zusammenwirken von Komponenten über ein Kommunikationssystem sicherzustellen, sind diese in der Regel genormt. Die Norm stellt sicher, dass Geräte unterschiedlicher Hersteller ohne spezielle Anpassungen Daten miteinander austauschen können. Insgesamt können Kommunikationssysteme nach folgenden Punkten charakterisiert werden: • • • • •
Der Übertragungsrate, der maximalen Anzahl der Teilnehmer, dem Übertragungsmedium (Kabeltyp, Lichtwellenleiter), der Topologie (Bus, Linie, Stern, Baum), den unterstützten Kommunikationsbeziehungen (Master-Slave, Publisher-Subscriber), • der optionalen Servicedatenübertragung und • der zeitlichen Synchronität einschließlich des Jitters. Die Feldbussysteme, die in den 1990er-Jahren eingeführt wurden, basierten auf Übertragungsraten von 500 kbit/s bis 16 Mbit/s. Im Bürobereich hat sich seit Mitte der 1990er-Jahre das Ethernet durchgesetzt, dass eine Übertragungsrate von 100 Mbit/s (Fast Ethernet) bzw. auch 1.000 Mbit/s (Gigabit Ethernet) bietet. Durch die hohe Verbreitung von PCs sind Komponenten für Ethernet sehr preiswert. Außerdem sind die Mechanismen von Ethernet konzipiert für die Vernetzung von Büroetagen mit Entfernungen bis zu 100 m. Hierdurch hat Ethernet eine hohe Störsicherheit und Robustheit. Andere Kommunikationssysteme aus dem PC-Bereich (USB, IEEE1394 „Fire Wire“) sind dagegen für die industrielle Umgebung nur schlecht geeignet, da sie keine einfache galvanische Entkopplung bieten. Diese Aspekte führten dazu, auch in der industriellen Kommunikation Ethernet einzusetzen [PrSt03]. Hinderlich ist hierbei zunächst, dass Ethernet alle Teilnehmer gleichrangig behandelt und keine zeitliche Steuerung der Kommunikation vornimmt. Dieses kann zu Kollisionen führen (zwei Teilnehmer wollen unabgestimmt zur gleichen Zeit das gleiche Übertragungsmedium nutzen), die aufgelöst werden müssen. Die hier eingesetzten Mechanismen sind nicht echtzeitfähig. Das ist wiederum für Steuerungsaufgaben für Prozesse nicht geeignet. Mehrere Initiativen und Systemnormungen haben Wege definiert, wie diese Einschränkung beseitigt werden kann. Hierdurch haben fast alle
Aufbau von Automatisierungssystemen
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Feldbussysteme auch Systeme definiert, die Ethernet als Kommunikationsmedium nutzen und echtzeitfähig sind. Tabelle 2-4 gibt einen Überblick über die am weitesten verbreiteten industriellen Kommunikationssysteme und ihre Haupteigenschaften. Tabelle 2-4. Übersicht über industrielle Kommunikationssysteme System
Max. Übertragungsrate AS-i 167 kbit/s CAN 1 Mbit/s PROFIBUS 12 Mbit/s DeviceNet 0,5 Mbit/s INTERBUS 2 Mbit/s SERCOS 16 Mbit/s PROFINET 100 Mbit/s EtherCAT 100 Mbit/s Powerlink 100 (1.000) Mbit/s
2.3.6
Topologie
Max. Anzahl Teilnehmer Bus 124 Bus 127 Bus 125 Bus 64 Linie 512 Ring 255 Linie, Stern Nicht begrenzt Linie 65.535 Linie, Stern, 254 Baum
Kommunikationsbeziehung Master-Slave Publisher-Subscriber Master-Slave Master-Slave Master-Slave Master-Slave Master-Slave Master-Slave Publisher-Subscriber
Sicherheitstechnik
Stefan Witte Es wird von automatisierten Maschinen erwartet, dass sichergestellt ist, dass sie Personen nicht gefährden. Während vor 20 Jahren Arbeitsunfälle durch Maschinen mit schweren Verletzungen noch häufiger auftraten, haben durch Normen vorgeschriebene Sicherheitseinrichtungen dieses mittlerweile deutlich reduziert. Ein wichtiges Element hierfür ist in automatisierten Anlagen die Sicherheitstechnik. In der Regel erfassen spezielle Sensoren, wo sich gerade Menschen aufhalten, und Sicherheitssteuerungen bringen den entsprechenden Maschinenteil dann in einen Zustand, von dem aus der sich dort aufhaltende Mensch nicht gefährdet wird (z. B. durch Stillsetzen von Antrieben). Solche Aktionen müssen in einem engen Zusammenspiel mit der Automatisierung erfolgen. Dieses führt dazu, dass zunehmend die Sicherheitstechnik und die Automatisierung zusammenwachsen, hierzu Informationen austauschen und Sensoren und Aktuatoren gemeinsam nutzen. Da Sicherheitskomponenten weitergehende technische Anforderungen als Automatisierungskomponenten erfüllen müssen, hat dieses unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der einzelnen Komponenten [Wr07].
70
Industrielle Produktion und Automatisierung
Die von den Antrieben erzeugte Bewegung von Maschinenteilen und Werkzeugen ist eine der größten Gefahrenquellen in Maschinen. Durch die Automatisierung ist häufig für den Menschen, der sich an der Maschine aufhält, nicht vorhersehbar, welche Aktionen die Antriebe durchführen werden. Daher ist es unabdingbar, hier durch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass die Antriebe sich bei Anwesenheit von Personen im Gefahrenbereich so verhalten, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht. Hierfür müssen die entsprechenden Sicherheitseinrichtungen Sorge tragen. Maschinenrichtlinie. Den rechtlichen Rahmen für den Maschinenbauer, dafür zu sorgen, dass von seinen Maschinen keine Gefahr ausgeht, schafft die Maschinenrichtlinie 98/37/EG (ab dem 29.12.2009 die Neufassung 2006/42/EG). Diese hat vorher geltende branchenspezifische Sicherheitsregeln ersetzt. Die Maschinenrichtlinie sieht vor, dass Normen zur Analyse der Gefährdung und zur Reduzierung dieser Gefahren auf ein akzeptables Maß durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen angewendet werden müssen. > S-Schwere Verletzungen
F1
S1 = leichte Verletzung (normalerweise reversibel) S2 = schwere Verletzung, einschließlich Tod (normalerweise irreversibel)
S1
> F-Häufigkeit und/oder Dauer der Gefährdungsexposition
P2 P1
F1 = selten bis öfters und/oder kurze Dauer F2 = häufig bis dauernd und/oder lange Dauer
> P-Möglichkeiten zur Vermeidung der Gefährdung
P1
Ausgangspunkt für die Risikobeurteilung
F1 S2
a
P1
F2
P2
P2 P1
F2
P2
P1 = möglich unter bestimmten Bedingungen P2 = kaum möglich
Erforderlicher Performance Level (PL)
Geringes Risiko
Bestimmung des erforderlichen Performance Levels (PL)
Hohes Risiko
b c d e
EN ISO 13849-1
Risikoabschätzung und Festlegung des erforderlichen Safety Integrity Levels (SIL) Auswirkungen und Schwere
Häufigkeit und Dauer
Warscheinlichkeit Vermeidung F gef. Ereignis W
Tod, Verlust eines 4 Auges oder Armes
Bis 1 Stunde
5 häufig
5
SIL2 SIL2
SIL2 SIL3
SIL3
permanent,Verlust von Fingern
3
1 h...1Tag
5 wahrscheinlich
4
AM
SIL1 SIL2
SIL3
reversibel, Medizinische Behandlung
2
1 Tag...2 Woch. 4 möglich
3
unmöglich
5
AM
SIL1
SIL2
reversibel, Erste Hilfe
1
2 Wo....1 Jahr
3 selten
2
möglich
3
AM
SIL1
SIL2
> 1Jahr
2 vernachlässigbar 1
S
P
3-4
5-7
Klasse 8-10 11-13 14-15
wahrscheinlich 1
EN IEC 62061
Abb. 2-35. Risikograph und Eintrittswahrscheinlichkeit nach EN ISO 13849-1 und EN IEC 62061
Aufbau von Automatisierungssystemen
71
Risikoanalyse. Die erforderliche Sicherheitsstufe wird maschinenspezifisch durch eine Risikoanalyse ermittelt (Abb. 2-35). Hierbei ist zunächst wie folgt vorzugehen: • Festlegen der Grenzen und der bestimmungsgemäßen Verwendung der Maschine, • Identifizieren von Gefährdungen und zugehörigen Gefährdungssituationen, • Einschätzen des Risikos für jede identifizierte Gefährdung und Gefährdungssituation, auch bei Fehlverhalten und vorhersehbarem Missbrauch und • Bewerten des Risikos und Treffen von Entscheidungen über die Notwendigkeit zur Risikominderung. Mit Hilfe eines Risikographen lassen sich Aspekte der Schwere einer Verletzung, der Häufigkeit bzw. Dauer einer Gefährdung, der Möglichkeit der Vermeidung der Gefahr und die Wahrscheinlichkeit eines ungewollten Ereignisses beurteilen. Dieses führt dann zur Einordnung der Maschine in die Sicherheitsstufe (Kategorie nach EN 954-1 bzw. Performance Level (PL) nach EN ISO 13849-1 und SIL nach EN 61508). Folgende Kategorien sind für Maschinen mit bewegten Maschinenteilen, die sich im Zugangsbereich von Personen befinden können, am häufigsten anzuwenden: • Kategorie 3 bzw. PL d: diese Risikoklasse ist immer dann anzuwenden, wenn bewegte Maschinenteile im automatisierten Betrieb nicht zugänglich sind (Abdeckungen, Zugangssperren wie Schutzgitter, Schutztüren, Lichtgitter) und diese Zugangssperren nur für Arbeiten zum Einrichten, Beseitigen von Störungen oder Wartungsarbeiten geöffnet werden müssen. In diesem Fall werden mit dem Öffnen der Zugangssperren die Antriebe stillgesetzt und damit in einen sicheren Zustand gebracht. Teilweise muss dann für die notwendigen Arbeiten ein eingeschränkter Betrieb der Antriebe (z. B. begrenzte Geschwindigkeit, begrenztes Schrittmaß) möglich sein, der aber das Personal nicht gefährden darf. • Kategorie 4 bzw. PL e: diese Risikoklasse ist dann anzuwenden, wenn sich Personen permanent im Arbeitsbereich von Maschinen, von denen hohe Gefahren ausgehen, aufhalten müssen. Das bekannteste Beispiel sind Pressen, in die die Werkstücke von Hand eingelegt werden. Hier sind dann umfangreiche Sicherheitseinrichtungen vorzusehen. Die ermittelte Sicherheitsstufe muss durchgängig in der Maschine umgesetzt werden, um das Risiko für die Personen im Gefahrenbereich der Maschine (Inbetriebnehmer, Monteur, Bediener) auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Dazu zählen auch indirekte Gefahren, wenn Gefahren erst infolge eines Maschinenschadens auftreten.
72
Industrielle Produktion und Automatisierung
Der einzusetzende Sicherheitsgrad bestimmt jetzt, nach welchen Regeln die Sicherheitseinrichtungen konstruiert werden. Generell müssen Sicherheitseinrichtungen eine sehr niedrige Restfehlerrate aufweisen, da das Auftreten eines Fehlers nicht dazu führen darf, dass die Sicherheitsfunktion nicht mehr gewährleistet ist. In vielen Fällen, insbesondere bei Steuerungssystemen für die Kategorien 3 und 4 führt dieses zu zweikanaligen, redundanten Systemen, damit ein Fehler nicht die Sicherheitsfunktion außer Betrieb setzen kann. Dieses ist gegenüber den Regeln, nach denen nicht sicherheitsrelevante Komponenten entwickelt und hergestellt werden, eine deutlich höhere Anforderung, die zu höheren Kosten führt. Aus diesem Grund sind spezielle Sicherheitskomponenten erforderlich, die Automatisierungskomponenten selbst können die erforderliche Sicherheitsstufe nicht gewährleisten. Die EN 954-1 verfolgt noch einen deterministischen Ansatz. So führt sie für Bauteile Fehlerannahmen und Fehlerausschlüsse auf, die dann bei der Sicherheitsanalyse der Schaltung angewendet werden. Für elektronische Schaltungen und insbesondere programmierbare Systeme ist diese Norm nicht mehr ausreichend. Neuere Normen, wie die EN 61508 und die EN 62061 als Sektornorm, wenden auch Ansätze zu Ausfallwahrscheinlichkeiten an. Weiterhin definieren sie Regeln für die anzuwendende Entwicklungsmethodik, da gerade hierdurch die Fehlerrate deutlich reduziert werden kann. Insgesamt existiert damit ein umfassendes Regelwerk, mit dem auch elektronische und programmierbare Steuerungssysteme für die Realisierung sicherheitsrelevanter Maschinensteuerungen entwickelt und eingesetzt werden können [Ap04]. Folgende Normen (Tabelle 2-6) spielen für die Sicherheitstechnik von Maschinen und Steuerungssystemen eine wichtige Rolle: Tabelle 2-6. Übersicht über Normen für die Sicherheitstechnik Maschinenrichtlinie Die rechtliche Verbindlichkeit, die Gefahren einer Maschine 98/37/EG zu analysieren und entsprechende Maßnahmen zu treffen, um das Risiko auf ein akzeptables Maß zu minimieren, ist durch die Maschinenrichtlinie gegeben. Im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft werden Normen zu dieser Richtlinie gelistet. Es wird davon ausgegangen, dass Maschinen, die diese harmonisierten Normen einhalten, den Anforderungen der Maschinenrichtlinie genügen. Die Maschinenrichtlinie ist für alle Personen verbindlich, die Maschinen in Länder der Europäischen Gemeinschaft importieren, herstellen, zusammenfügen und in Betrieb nehmen. An jeder Maschine, die die Anforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllt, muss das CE-Zeichen angebracht sein.
Aufbau von Automatisierungssystemen
73
Neufassung der Ersetzt ab dem 29.12.2009 die Maschinenrichtlinie Maschinenrichtlinie 98/37/EG. 2006/42/EG EN 1050 / EN ISO Sicherheit von Maschinen – Leitsätze zur Risikobeurteilung. 14121 Sie enthält unter anderem Verfahren zur Untersuchung von Gefährdungen und zur Einschätzung von Risiken und die Vorgehensweise bei einer Gefahrenanalyse. EN 1037 Sicherheit von Maschinen, Vermeidung von unerwartetem Anlauf. Sie enthält unter anderem Definitionen und Begriffserklärungen für Einrichtungen zur Energietrennung und Energieableitung und Maßnahmen (außer denen zur Energietrennung und -ableitung) zur Vermeidung unerwarteten Anlaufs. EN 60204 Sicherheit von Maschinen – Elektrische Ausrüstung von Maschinen – Teil 1: Allgemeine Anforderungen Sie enthält unter anderem die Definition der StoppKategorien. Stopp-Kategorien bezeichnen die Art, wie ein Motor bei Anforderung einer Sicherheitsfunktion in den Stillstand geführt wird. Es wird zwischen Stopp-Kategorie 0, 1 und 2 unterschieden. Unter Stopp-Kategorie 0 versteht man das ungesteuerte Stillsetzen, d. h. der Motor wird einfach abgeschaltet und trudelt aus oder wird mechanisch gebremst. Bei Stopp-Kategorie 1 wird der Motor an einer Rampe in den Stillstand geführt und danach drehmomentfrei geschaltet. Bei Stopp-Kategorie 2 wird der Motor geführt in den Stillstand gebracht, aber die Motorregelung bleibt im Stillstand aktiviert. Diese Stopp-Kategorie ist nicht für eine Abschaltung im Gefahrenfall erlaubt. EN 954-1 Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen – Teil 1: Allgemeine Gestaltungsleitsätze. Sie definiert ein Maß für die erreichbare Sicherheit in fünf Steuerungskategorien, die von „betriebsbewährt“ (Kat. B und 1), der Verwendung anerkannter Sicherheitsprinzipien (Kat. 2) über eine Einfehlersicherheit (Kat. 3) bis hin zur sicheren Behandlung von Mehrfachfehlern (Kat. 4) reicht. In dieser Norm geht stark die Struktur der Maschine ein, z. B. ist es für die Kategorien 3 und 4 in der Regel notwendig, die Sicherheitsfunktion zweikanalig aufzubauen. Die Norm gilt für elektrische, elektronische, programmierbare, mechanische, pneumatische sowie hydraulische Steuerungen und geht von einem deterministischen Ansatz aus (Fehlerlisten und Fehlerausschlüsse). Die EN 954-1 ist für programmierbare Systeme heute nicht mehr anwendbar. Die EN 954-1 ist seit 3/2007 durch die EN ISO 13849-1 ersetzt worden. Es gibt noch eine Übergangsfrist bis Ende 2009.
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Industrielle Produktion und Automatisierung
EN 61508
EN 62061
EN ISO 13849-1
Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener PES (programmierbarer elektronischer Systeme) Diese – nicht harmonisierte – Norm betrachtet den gesamten Lebenszyklus eines Gerätes bzw. einer Maschine. Sie definiert Restfehlerwahrscheinlichkeiten, die zu einem gefährlichen Ausfall führen, und legt hierfür „Safety Integrity Level“ (SIL) fest. Die Struktur einer Maschine geht hierbei nur indirekt ein. Eine zweikanalige Sicherheitsfunktion hat in der Regel eine geringere gefährliche Ausfallwahrscheinlichkeit als eine einkanalige Struktur, aber über Testroutinen kann auch eine einkanalige Struktur einen hohen SIL erreichen. Die Einhaltung der EN 61508 ist freiwillig und nicht verbindlich. Sektornorm der EN 61508, die die „Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer, elektronischer und programmierbarer Steuerungssysteme“ festlegt. Sie legt Anforderungen fest und gibt Empfehlungen für den Entwurf, die Integration und die Validierung dieser Steuerungssysteme für Maschinen. Sie enthält keine Anforderungen an die nicht elektrischen (pneumatischen, hydraulischen, elektromechanischen) Steuerungselemente in Maschinen. Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen - Teil 1, Allgemeine Gestaltungsleitsätze Die EN ISO 13849-1 vereinigt die klare Einstufung der Maschine mittels Risikographen aus der EN954-1 mit der Ermittlung von Ausfallwahrscheinlichkeiten aus der EN 61508. Sie legt aufgrund des Gefährdungspotenzials Performance Level fest. Berücksichtigt werden die MTTF (Mean Time to Failure), die DC (Diagnostic Coverage, d. h. den Diagnosegrad, der mögliche Fehler entdeckt), den CCF (Common Cause Failure, Ausfall infolge gemeinsamer Ursachen), die Struktur, das Verhalten der Sicherheitsfunktion unter Fehlerbedingungen (z. B. Fail-Safe-Verhalten), sicherheitsbezogene Software, systematische Ausfälle und die Fähigkeit, eine Sicherheitsfunktion unter vorhersehbaren Umgebungsbedingungen auszuführen. Die Norm gilt für elektrische, elektronische, programmierbare, mechanische, pneumatische sowie hydraulische Steuerungen.
Aufbau von Automatisierungssystemen
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Sicherheitssteuerung
Steuerung
ev. integriert
sicherer Eingang
Sicheres Kommunikationssystem sichere und nicht-sichere Signale Antrieb Sichere Abschaltung
NOT-AUS-Schalter, der den Antrieb stillsetzt
3~
Abb. 2-36. Modernes Automatisierungskonzept mit integrierter Sicherheitstechnik
Moderne Sicherheitskonzepte in Maschinen. In der Vergangenheit wurde die Sicherheitstechnik zusätzlich zur Automatisierung aufgebaut und bestand in der Regel aus elektromechanischen Komponenten. Die Reaktion der Maschine in dem Fall, dass Personen den Gefährdungsbereich betreten, bestand im sofortigen Stillsetzen (NOT-AUS). Dieses hat dann in der Regel eine massive Unterbrechung des Betriebs zur Folge. Forderungen nach einer hohen Verfügbarkeit einer Maschine machen es dagegen erforderlich, dass auch Situationen, in denen Personen Arbeiten in der Maschine vornehmen müssen und sich damit im Gefährdungsbereich befinden, so mit der Automatisierung der Maschine koordiniert werden, dass ein schneller Wiederanlauf gewährleistet ist. In vielen Fällen ist eine sicher begrenzte Geschwindigkeit für den Einrichtbetrieb einer Maschine erforderlich. Damit müssen Sicherheitstechnik und Automatisierung eng miteinander verbunden werden. Im Endeffekt ist anzustreben, dass die Maschinensteuerung auch die Sicherheitsfunktionen mit abdeckt. Dieses führt zu Konzepten, in denen die Sicherheitstechnik ein Teil der Gesamtautomatisierung wird (Abb. 2-36) [Be03, Gr03]: • Sicherheitssensoren wie NOT-AUS-Schalter und Lichtgitter werden an sicheren Eingängen angeschlossen. • Diese Signale werden über ein Kommunikationssystem zur Steuerung übertragen, das sowohl die Übermittlung von sicherheitsrelevanten Signalen als auch von nicht sicheren Signalen ermöglicht. • Die Maschinensteuerung ist entweder eine Sicherheitssteuerung oder wird durch eine zusätzliche Sicherheitssteuerung ergänzt. Die Steue-
76
Industrielle Produktion und Automatisierung
rungsfunktionen für die Automatisierung und die Sicherheitstechnik greifen auf gleiche Signale zurück und tauschen Daten miteinander aus. • Über das Kommunikationssystem werden dann sichere Ausgangsinformationen übertragen. Besonders sicherheitsrelevante Komponenten wie Antriebe werten diese Signale direkt aus und sorgen dann dafür, dass der entsprechende sichere Zustand hergestellt wird (z. B. Schutz vor Wiederanlauf, sicheres Stillsetzen, sicher begrenzte Geschwindigkeit). Insgesamt kann durch solch ein integriertes Sicherheitssystem die Gesamtproduktivität einer Maschine und Anlage deutlich erhöht werden, ohne dabei Einschränkungen im Sicherheitsgrad in Kauf zu nehmen. Die modernen Sicherheitsnormen sorgen dafür, dass elektronische und programmierbare Systeme eine mit konventionellen Konzepten mindestens gleichwertige Sicherheit gewährleisten. In diesem Kapitel 2 wurde zunächst dargestellt, welche Produkte in welchen Produktionsverfahren automatisiert hergestellt werden. Die dort anzutreffenden Fertigungs- und Materialflusssysteme wurden vorgestellt und es wurde dabei beschrieben, welche Antriebe dort eingesetzt werden. Weiterhin wurde dargestellt, wie solche Maschinen und Anlagen automatisiert werden. Dieses führt jetzt über zu der Frage, wie denn die Antriebe aufgebaut sind, die sich in großer Zahl in solchen Fertigungen und Logistiksystemen finden lassen.
3 Das Antriebssystem und seine Komponenten
Nachdem im Kapitel 2 Fertigungen und Automatisierungssysteme und damit der Einsatzbereich von Antrieben vorgestellt wurden, wird in diesem Kapitel das Antriebssystem mit seinen einzelnen Komponenten näher erläutert. Dies ist die Voraussetzung, um dann die einzelnen Antriebslösungen, die Antriebsfunktionen in Maschinen realisieren und die später in Kapitel 4 beschrieben werden, behandeln zu können. Umrichter Motor
Elektrisches Gleichrichter Wechselrichter Netz
Getriebe Arbeitsmaschine Prozess
M 3~ i
Signalverarbeitung
Winkelgeber (bei Servoantrieben)
Automatisierungssystem
Abb. 3-1. Aufbau eines Antriebssystems
Geregelte Drehstromantriebe, die aus einem Frequenz- oder ServoUmrichter und einem Drehstrommotor bestehen, stellen für Leistungen oberhalb von 100 W die derzeitig wirtschaftlichste Möglichkeit für ein Antriebssystem dar, das in einer automatisierten Fertigung eingesetzt werden kann [Br99]. Der große Vorteil ist, dass sich diese Antriebe direkt ohne Transformator aus dem Netz versorgen lassen. Die Grundlage für diese Technologie ist das Vorhandensein von leistungsfähigen, abschaltbaren Leistungshalbleitern (IGBT, MOSFET-Transistoren) und leistungsfähigen Mikrocontrollern. Für kleinere Leistungen dominieren Niederspannungsantriebe (kleine, permanenterregte Gleichstrommotoren, Schrittmotoren, EC-Motoren). Gleichstrommotoren mit Thyristor-Stromrichtern sind durch geregelte Drehstromantriebe verdrängt worden, da Drehstromantriebe weniger Wartung benötigen und kostengünstiger sind. Hydraulische und pneumatische Antriebe werden in der Regel nicht geregelt, sondern nur gesteuert betrieben.
78
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Der Vorteil der geregelten Drehstromantriebe besteht darin, dass sich ihr Verhalten sehr gut durch Software beeinflussen lässt und dass ihre Stellbereiche und ihre Dynamik für sehr viele Maschinenanwendungen vollkommen ausreichend sind. Im Folgenden werden die Komponenten des Antriebssystems detailliert vorgestellt (Abb. 3-1): • In der Mitte steht der Motor, der die Umsetzung der elektrischen in mechanische Energie vornimmt (Kap. 3.3). • Er wird von einem Umrichter angesteuert, der die elektrische Energieumsetzung so steuert, dass der Motor die gewünschte Bewegung ausführt. Hierzu führt eine digitale Signalverarbeitung Softwarefunktionen zur Antriebsregelung und Bewegungsführung aus (Kap. 3.4). Man unterscheidet Frequenzumrichter, die den Motor ohne eine Messung der Drehzahl ansteuern, und Servo-Umrichter, die durch die Auswertung eines Winkelgebers am Motor eine präzise Winkel- und Drehzahlregelung ausführen. • Häufig ist der Arbeitspunkt des Motors nicht optimal an den Arbeitspunkt der Maschine angepasst. Getriebe nehmen eine Wandlung der Drehzahl und des Drehmoments vor (Kap. 3.5). • Weitere Antriebselemente setzen die Bewegung an der Abtriebswelle des Motors oder Getriebes dann noch weiter um, bis sie den eigentlichen Arbeitsprozess erreicht (Kap. 3.6). Bevor jedoch diese Komponenten dargestellt werden, wird zunächst erläutert, wie eine Antriebsaufgabe beschrieben und anschließend dimensioniert wird (Kap. 3.1). Diese Antriebsdimensionierung ist die Voraussetzung für die Auswahl der Antriebskomponenten. Weiterhin werden die Einsatzbedingungen für Antriebssysteme vorgestellt, die ebenfalls eine wichtige Randbedingung sind (Kap. 3.2). Nach der Vorstellung der einzelnen Komponenten wird dann noch auf übergreifende Aspekte des gesamten Systems eingegangen (Kap. 3.7). Dieses sind zunächst Optimierungspunkte für den gesamten Antriebsstrang, die die Abstimmung der einzelnen Komponenten miteinander betreffen. Den Abschluss dieses Kapitels bilden Ausführungen zur Zuverlässigkeit, die beschreiben, wie zum einen die vom Anwender gewünschte Zuverlässigkeit vom Hersteller der Antriebskomponenten erreicht wird, und wie zum anderen im konkreten Anwendungsfall dafür gesorgt werden kann, dass die Antriebe, die ja ein wesentliches Element für die Gesamtproduktivität einer Maschine sind, die entsprechende Zuverlässigkeit aufweisen (Kap. 3.8). Mit den Inhalten dieses Kapitels sind die Grundlagen zu den Antriebskomponenten geschaffen, um die einzelnen Antriebslösungen im folgenden 4. Kapitel detailliert beschreiben zu können.
Dimensionierung von Antrieben
3.1
79
Dimensionierung von Antrieben
Johann Peter Vogt, Dr. Carsten Fräger Im Folgenden wird dargestellt, wie eine Antriebsaufgabe beschrieben wird, um daraus die Anforderungen an die einzelnen Antriebskomponenten abzuleiten. Positionieraufgaben. Viele Antriebe, insbesondere in der Materialhandhabung und Materialflusstechnik haben die Aufgabe, ein Werkstück oder Fördergut an einen definierten Ort zu bewegen. Auch die Bearbeitung in vielen Fertigungsprozessen basiert darauf, dass Werkzeug und Werkstück in eine definierte Position zueinander gebracht werden. Bei kontinuierlichen oder getakteten Produktionsprozessen muss diese Relativpositionierung zueinander während der Bewegung des Werkstücks erfolgen. Damit sind alle diese Antriebsaufgaben letztendlich Positionieraufgaben. Für die Beschreibung und Dimensionierung einer Positionieraufgabe sind der Bewegungsablauf und die zu seiner Ausführung notwendigen Kräfte und Leistungen entscheidend. In vielen Fällen ist eine Positionieraufgabe eine dynamische Aufgabe, bei der der Momentanwert der erforderlichen Leistung stark schwankt. Antreiben von Arbeitsmaschinen. Andere Antriebsaufgaben bestehen darin, mechanische Energie einer Arbeitsmaschine zuzuführen, die einen Prozess ausführt. In Pumpen wird über die Arbeitsmaschine eine Flüssigkeit gefördert, in Mahlwerken werden Materialien durch Einbringen von Energie zerkleinert. Trennprozesse benötigen Energie für die Schnittkräfte. Während bei Positionieraufgaben die Bewegung mit der Ortsveränderung im Vordergrund steht, steht bei diesen Antriebsaufgaben das Bereitstellen von mechanischer Energie für die Arbeitsmaschine im Mittelpunkt. Antriebe für solche Arbeitsprozesse erfüllen in der Regel eher statische Aufgaben, bei denen der Momentanwert der Leistung nicht so stark schwankt wie bei den Positionieraufgaben und die in der Regel längere Zeit mit konstanter Geschwindigkeit betrieben werden. Andererseits können sich durch den Prozess starke Leistungsschwankungen ergeben, die nicht so vorhersehbar sind wie bei Bewegungsaufgaben. Daher ist hier eine gute Anpassung an den Prozess erforderlich. Insgesamt wird die Antriebsaufgabe durch die physikalischen Parameter der Maschine sowie das Bewegungsprofil beschrieben. Gegenüber einer Auslegung von Antrieben mit konstanter Drehzahl muss die Auslegung von dynamisch betriebenen Antrieben detaillierter erfolgen, um die Einflüsse der Änderungen der Drehzahl und des Drehmoments sicher zu erfassen [GaSc96].
80
Das Antriebssystem und seine Komponenten
3.1.1
Translatorische und rotatorische Bewegung
Der Ausgangspunkt für jede Art von Bewegung ist das Axiom von Newton, dass eine Kraft F, die auf eine Masse m ausgeübt wird, diese beschleunigt [CzHe04]: (3.1) F = m⋅a F ist dabei die Summe der Kräfte, die auf den Körper wirken. Diese setzt sich in Antriebsanwendungen aus folgenden Kräften zusammen: • • • • •
Der vom Antrieb ausgeübten Kraft FA, der Gewichtskraft FG bei einer Bewegung gegen die Erdanziehung, Reibungskräften FR, die der Bewegung entgegenwirken, der Gegenkraft FL, die aus dem mechanischen Prozess resultiert und weiteren Kräften (Strömungswiderstand, Corioliskraft), die hier nicht näher behandelt werden sollen.
Durch Integration der Beschleunigung a entsteht die Geschwindigkeit v, durch eine weitere Integration der Weg s: v (t ) = ∫ a (t ) dt (3.2)
s (t ) =
∫ v(t ) dt
(3.3)
Um eine Masse zu bewegen, muss diese zunächst durch eine Kraft beschleunigt werden. Zum Abbremsen in die Ruhelage muss eine entgegengesetzte Kraft aufgebracht werden. Nahe der Erdoberfläche wird ein Körper der Masse m mit der Erdbeschleunigung g beschleunigt. Daraus folgt die Gewichtskraft FG zu: FG = m ⋅ g (3.4) Die hier dargestellten Gleichungen gelten für eine translatorische Bewegung. Elektrische Antriebe und viele Antriebsanwendungen arbeiten häufig rotatorisch. Zur Beschreibung einer rotatorischen Bewegung werden die translatorischen Größen F, m, a, v und s durch das Drehmoment M, das Massenträgheitsmoment J, die Winkelbeschleunigung α, die Winkelgeschwindigkeit ω und den Winkel φ ersetzt: M = J ⋅α (3.5) ω(t ) = ∫ α (t ) dt (3.6)
ϕ( t ) =
∫ ω(t ) dt
(3.7) -1
Die Umrechnung einer Drehzahl n, häufig in der Einheit min oder rpm angegeben, in die Winkelgeschwindigkeit ω erfolgt nach folgender Gleichung: (3.8) ω = 2π ⋅ n 60
Dimensionierung von Antrieben
81
Translatorische Anwendungen sind zum Beispiel Förderbänder, Fahrwagen und Hubwerke. Zu den rotatorischen Anwendungen zählen Wickler, Querschneider und Walzen. In vielen Antriebsanwendungen soll eine translatorische Bewegung ausgeführt werden, die durch die Rotation eines Elektromotors erzeugt wird. Hierzu findet im Antriebsstrang eine Umsetzung der rotatorischen in die translatorische Bewegung statt. Rotation und Translation lassen sich durch folgende Gleichung ineinander überführen: s = r⋅ϕ (3.9) r ist dabei der Radius, mit der eine rotatorische Bewegung in eine translatorische umgesetzt wird. 3.1.2
Arbeit, Leistung und Energie
Die Arbeit W ist das Produkt aus Kraft F und Weg s: W = F ⋅s (3.10) Die Leistung P ist die pro Zeiteinheit verrichtete Arbeit. Hieraus ergibt sich aus der Differenziation von Gl. (3.10): (3.11) P = dW = F ⋅ ds = F ⋅ v dt dt Diese Gleichung ist grundlegend für die Antriebsauslegung, da sie beschreibt, welche Leistung für das Aufbringen von Bewegung aufgebracht werden muss. Die Leistung einer rotatorischen Bewegung berechnet sich wie folgt: P = M ⋅ω (3.12) Energie ist das Vermögen, Arbeit zu verrichten. Nach dem Energieerhaltungssatz geht Energie dabei nicht verloren, sondern wird nur in andere Formen von Energie umgewandelt. Wird ein Körper der Masse m auf eine Geschwindigkeit v beschleunigt, dann speichert er kinetische Energie Ekin: E kin = 1 ⋅ m ⋅ v 2 (3.13) 2 Die kinetische Energie eines drehenden Körpers mit dem Trägheitsmoment J berechnet sich zu: E kin = 1 ⋅ J ⋅ ω 2 (3.14) 2 Wird ein Körper der Masse m gegen die Wirkung der Erdanziehung auf eine Höhe ∆h bewegt, dann speichert er dabei die potenzielle Energie Epot: E pot = FG ⋅ Δh = m ⋅ g ⋅ Δh (3.15) Potenzielle Energie kann ebenfalls durch die Vorspannung einer Feder gespeichert werden.
82
Das Antriebssystem und seine Komponenten F, M Motorischer Betrieb: v > 0, F > 0 (translatorisch) I w > 0, M > 0 (rotatorisch) v, w III IV Motorischer Betrieb: Generatorischer Betrieb: v < 0, F < 0 (translatorisch) v > 0, F < 0 (translatorisch) w < 0, M < 0 (rotatorisch) w > 0, M < 0 (rotatorisch) Generatorischer Betrieb: v < 0, F > 0 (translatorisch) w < 0, M > 0 (rotatorisch) II
Abb. 3-2. Quadranten eines Antriebs
Durch die Bewegung einer Nutzmasse wird in ihr kinetische Energie gespeichert. Diese wird beim Abbremsen wieder freigesetzt. Die Aufgabe eines Antriebs besteht genau darin, diese Energie beim Beschleunigen zuzuführen und beim Bremsen wieder aufzunehmen. Beim Beschleunigen spricht man dabei von einem motorischen Betrieb, bei dem Leistung vom Antrieb in der Mechanik umgesetzt wird, während beim Bremsen ein generatorischer Betrieb vorliegt, bei dem die Leistung von der Mechanik in den Antrieb fließt. Abb. 3-2 zeigt die sich hierdurch ergebenden vier Quadranten eines Antriebs. 3.1.3
Massenträgheiten
Das Äquivalent zur Masse m ist bei einer rotatorischen Bewegung die Massenträgheit J. Generell lässt sich die Massenträgheit für einen beliebigen Körper wie folgt berechnen: 2 r (3.16) J = ∫∫∫ ρ (r ) ⋅ r dV V
ρ ist hierbei die spezifische Masse des Körpers. In der praktischen Anwendung werden häufig rotationssymmetrische Körper verwendet, bei denen sich obige Gleichung deutlich vereinfacht. Für einen Zylinder mit der Gesamtmasse m und dem Radius r ergibt sich: J = 1 ⋅ m ⋅ r2 (3.17) 2 Linear bewegte Massen lassen sich in rotierende Trägheiten über den Energieerhaltungssatz umrechnen.
{}
2
1 ⋅ m ⋅ v 2 = 1 ⋅ J ⋅ ω 2 → m ⋅ v 2 = v ⋅ J → J = m ⋅ r 2 (3.18) 2 2 r Mit dieser Gleichung ist es möglich, das äquivalente Massenträgheitsmoment zu bestimmen, das eine linear bewegte Masse beim rotierenden Antrieb verursacht. Um den Bewegungsablauf eines Antriebs zu analysieren, müssen alle Massenträgheiten des gesamten Antriebsstrangs ermittelt und aufsummiert
Dimensionierung von Antrieben
83
werden. Dieses sind neben der Massenträgheit des Motors und der bewegten Last auch die der weiteren mechanischen Übertragungselemente. Wird ein Getriebe eingesetzt, dann ist dessen Einfluss zu berücksichtigen. Dieses wird im nächsten Abschnitt beschrieben. 3.1.4
Getriebeeinsatz und Lastabstimmung
In vielen Anwendungen stimmen die Drehzahlen der Anwendung und der des Motors nicht optimal zusammen. In diesen Fällen wird ein Getriebe eingesetzt. Durch ein Getriebe wird die Drehzahl der Anwendung n2 auf die für einen Motor optimierte Drehzahl n1 gewandelt. n ω (3.19) i = 1 = 1 ω2 n2 Aus dem Energieerhaltungssatz lässt sich ebenfalls die Reduzierung der Massenträgheit durch ein Getriebe berechnen: 1 ⋅ J ⋅ ω2 = 1 ⋅ J ⋅ ω2 → J = J 2 (3.20) 1 1 2 2 1 2 2 i2 Lastabstimmung. Durch den Einsatz eines Getriebes kann nicht nur eine Abstimmung der Drehzahlen, sondern auch der Massenträgheiten des gesamten Antriebsstrangs vorgenommen werden. Für eine gute Regelbarkeit ist dabei das Verhältnis der Massenträgheit der Last JLast, mit der Getriebeübersetzung i umgerechnet auf die Motorseite, und der Massenträgheit des Getriebemotors JMotor entscheidend. Der Lastabstimmungsfaktor kJ beeinflusst deutlich das Regelungsverhalten. Er berechnet sich zu: J (3.21) k J = 2 Last i ⋅ J Motor Bei kleinen Werten von kJ wird ein großer Teil des Drehmoments zum Beschleunigen des Motors benötigt. Wird der Motor weiter vergrößert, kann es schnell vorkommen, dass das geforderte Beschleunigungsverhalten nicht mehr realisiert werden kann. Eine Vergrößerung der Getriebeübersetzung im Rahmen der Möglichkeiten (unter Beachtung der Maximaldrehzahl von Motor und Getriebe) oder der Einsatz trägheitsärmerer Motoren führt hier in der Regel zu besseren Ergebnissen. Bei größeren Werten von kJ ist die Last dominant in der Bilanz der Trägheitsmomente. Hier kann durch einen größeren Motor eine bessere Regelqualität und Stabilität des Systems verwirklicht werden. Bei dynamisch betriebenen Antrieben bildet der Gesamtantrieb bei kJ = 1 ein Optimum.
84
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Abb. 3-3 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Beschleunigungsmoment Mdyn, das der Motor aufbringen muss, im Vergleich zu dem minimalen Mdynref bei kJ = 1: M dyn =1+ 1 (3.22) M dynref kJ Für Antriebe mit hohem Beschleunigungsvermögen sollte der Lastabstimmungsfaktor möglichst im mittleren Bereich liegen. Insgesamt liegt der anzustrebende Lastabstimmungsfaktor kJ in folgendem Bereich: k J = 0, 5...10 (3.23) 12 10 8 6 4 2 0 -2 10
10
-1
10
0
10
1
10
2
10
3
Lastabstimmungsfaktor kJ
Abb. 3-3. Lastabstimmungsfaktor
Für ein gutes Regelverhalten ist kJ = 1. Um diesen zu erreichen, ergibt sich die optimale Getriebeübersetzung iopt zu: J Last i opt = (3.24) J Motor Wickelantriebe besitzen typischerweise ein variables, vom Wickeldurchmesser abhängiges Massenträgheitsmoment. Da Wickelantriebe stationär arbeiten, ist dort das Massenträgheitsmoment der Last deutlich größer als das des Motors. Die hier dargestellte optimale Lastabstimmung ist bei diesen Anwendungen nicht anwendbar. 3.1.5
Reibung
Reibung tritt in jedem mechanischen System auf. Sie wirkt immer der Bewegung des Körpers entgegen. Soll ein Körper längs eines Wegs bewegt werden, so treten Reibungskräfte auf. Diese lassen sich hinsichtlich ihrer Ursachen unterscheiden. Die wesentlichen Arten sind für die geradli-
Dimensionierung von Antrieben
85
nige Bewegung die Haftreibung, die Gleitreibung und die Rollreibung. Die Reibungskraft FR ist proportional zur Normalkraft FN, mit der der Körper auf die Reibfläche gedrückt wird. Dieser Zusammenhang wird durch den Reibungskoeffizienten µ beschrieben. FR = μ ⋅ F N (3.25) Bei allen horizontalen Bewegungen ist die Normalkraft gleich der Gewichtskraft. In diesen Fällen berechnet sich die Reibungskraft nach der Gleichung: FR = μ ⋅ g ⋅ m (3.26) Haftreibung tritt auf, wenn eine Kraft auf einen beweglichen Körper ausgeübt wird, solange sich dieser noch im Zustand der Ruhe befindet. Geht der Körper in den Zustand der Bewegung über, so reduziert sich die Reibung, und es tritt die Gleitreibung auf. Haftreibung und Gleitreibung bezeichnet man auch als Coulomb’sche Reibung. Der Reibungskoeffizient hängt von der Materialpaarung und einem eventuell vorhandenen Schmiermittel (Wasser, Öl) ab. Typische Haftreibungskoeffizienten µ0 liegen im Bereich von 0,15 bis 0,8, während die Gleitreibungskoeffizienten µ bei 0,1 bis 0,6 liegen. In der Technik kommt häufig das Prinzip des Rollens zur Anwendung. Die Rollreibung ist deutlich geringer als die Gleitreibung. Typische Rollreibungskoeffizienten µ’ liegen in der Größenordnung von 0,002 bis 0,04. Bei Bewegungsvorgängen spielt die Reibung eine wichtige Rolle. So entsteht ein Teil der Verlustleistung innerhalb der Antriebskomponenten durch Reibungskräfte. Daher ist es wichtig, möglichst verlustarme Komponenten zu verwenden. Bei horizontalen Bewegungen in der Ebene mit einer geringen Dynamik wird die stationäre Leistung des Antriebssystems zumeist von der Reibung bestimmt. In einigen Anwendungen beruht die Kraftübertragung auf dem Prinzip der Reibung (Reibräder, Gleichlaufantriebe mit Walzen, Seile auf Treibscheiben, Fahrzeuge auf Schienen). Hier begrenzt der Haftreibungskoeffizient die maximal übertragbaren Kräfte und damit die maximal mögliche Beschleunigung. In vielen dynamischen Anwendungen mit hohen Beschleunigungen oder bei Hubwerksanwendungen ist die Reibung jedoch vernachlässigbar, da der größte Teil der Antriebsleistung für den Aufbau der kinetischen bzw. der potenziellen Energie verwendet wird. 3.1.6
Prozesskräfte
Neben den bisher beschriebenen Kräften, die aus dem Bewegungsablauf resultieren, gibt es in Antriebsanwendungen weitere Kräfte und Momente,
86
Das Antriebssystem und seine Komponenten
die aus dem Prozess der Arbeitsmaschine resultieren. Der Verlauf des Drehmoments über der Drehzahl hängt dabei von dem Prozess ab und kann unterschiedliche Verläufe haben:
• Einige Prozesse der Formveränderung haben ein konstantes Drehmoment über der Drehzahl, • bei Kalandern steigt das Drehmoment linear mit der Drehzahl, • bei Pumpen und Ventilatoren steigt das Drehmoment mit dem Quadrat der Drehzahl und • bei Wickelprozessen mit konstanter Bahnzugkraft nimmt das Drehmoment umgekehrt proportional zur Drehzahl ab. Treiben Antriebe Arbeitsprozesse an, dann ist für die Analyse und Auslegung des Antriebs der Verlauf des Drehmoments über der Drehzahl zu bestimmen und zu berücksichtigen. 3.1.7
Drehzahl und Drehmoment eines Bewegungsablaufs
Mit den dargestellten Zusammenhängen können für einen Bewegungsablauf der Verlauf der Drehzahl und des erforderlichen Drehmoments des Antriebs ermittelt werden. Dieses ist dann für die Auslegung eines Antriebs entscheidend, insbesondere wenn er sehr dynamisch betrieben wird [GeSc96]. v µ0
d
Dh
m
n
á
M 3~
Abb. 3-4. Skizze eines Förderantriebs an einer schiefen Ebene
An einem Beispiel soll dieses erläutert werden (Abb. 3-4). Eine Masse m wird über eine Förderstrecke mit einem Neigungswinkel von α bewegt. Die Gewichtskraft FG teilt sich durch die schiefe Ebene in eine Normalkraft FN und eine Hangabtriebskraft FH auf (Abb. 3-5): (3.27) FN = m ⋅ g ⋅ cos α
FH = m ⋅ g ⋅ sin α
(3.28)
Dimensionierung von Antrieben m
FH
FG á
87
á FN
Abb. 3-5. Zerlegung der Gewichtskraft FG in die Normalkraft FN und Hangabtriebskraft FH
Die Reibung wirkt an zwei Stellen. So gibt es eine Haftreibung µ0 zwischen der Masse m und der Unterlage, die die Masse bewegt. Die maximale Beschleunigung amax muss so klein gewählt werden, dass die Beschleunigungskraft FA die Reibungskraft nicht überschreitet, weil ansonsten die Masse auf der Unterlage rutscht: m ⋅ a max < μ 0 ⋅ m ⋅ g ⋅ cos α (3.29) a max < μ 0 ⋅ g ⋅ cos α Bei einem Reibungskoeffizienten µ0 von 0,1 und kleinen Werten von α muss damit die Beschleunigung amax kleiner als 1 m/s2 bleiben. Weiterhin gibt es eine Reibung, die der Bewegung der Förderstrecke entgegenwirkt. Wenn ein Rollband eingesetzt wird, dann wirkt nur eine Rollreibung µ’, die wesentlich kleiner ist als die Gleitreibung eines Fördermittels wie eines Förderbands auf einer Unterlage. FR = μ '⋅ m ⋅ g ⋅ cos α (3.30) Damit wirken insgesamt folgende Kräfte für die Bewegung der Masse m:
• Die Beschleunigungskraft FA = m · a, • die Handabtriebskraft FH und • die Reibungskraft FR. Die maximale Antriebsleistung PA,max ergibt sich zu dem Zeitpunkt, bei dem die maximale Beschleunigung a und die maximale Geschwindigkeit v auftreten. Sie berechnet sich wie folgt: PA,max = m ⋅ (a + g ⋅ (μ '⋅ cos α + sin α)) ⋅ v (3.31) Für den zeitlichen Verlauf von Drehzahl und Drehmoment wird jetzt folgender Bewegungsablauf angenommen: • Die Bewegung erfolgt über eine Strecke von 5 m in 2 s zunächst gegen die Erdanziehung und dann mit der Erdanziehung zurück zur Startposition. • Die Beschleunigungszeit auf die Fahrgeschwindigkeit und die Bremszeit betragen 0,5 s.
88
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Drehzahl n in min-1
Die Fahrgeschwindigkeit v beträgt dann 0,445 m/s und die Beschleunigung a 0,889 m/s2. Durch den Durchmesser d der Antriebsrolle der Förderstrecke von 350 mm führt dieses zu einer Drehzahl von 2,543 rad/s (24,3 min-1) an der Abtriebsseite des Antriebs. Der gesamte Verlauf eines Bewegungsablaufs kann in Abschnitte mit konstantem Drehmomentverlauf und sich linear ändernder Drehzahl eingeteilt werden. Dieses Lastspiel wird damit durch m Zeitpunkte tz, z = 1…m, T = tm mit den zugehörigen Drehzahlen nL,z und Drehmomenten ML,z definiert (Abb. 3-6).
20 n(t) nmittel
0 –20
Drehmoment M in Nm
0
2
4 6 Zeit t in s
8
10
400 300 200 100 0
M(t) Meff
0
2
4
6 Zeit t in s
8
10
Abb. 3-6. Zeitverlauf von Drehmoment und Drehzahl eines Bewegungsablaufs
Der Zeitverlauf des Drehmoments zeigt die Dominanz des Drehmoments, das aufgebracht werden muss, um die Hangabtriebskraft auszugleichen. Beim Beschleunigen und Bremsen überlagert sich das Beschleunigungsbzw. Bremsmoment. Der Unterschied zwischen dem Drehmoment beim Fahren in positiver und negativer Richtung resultiert aus der Reibungskraft, die der Bewegung immer entgegenwirkt. Aus dem Drehmomentverlauf Mz ergeben sich dann die Prozessbedarfswerte für den Antrieb: • Maximaldrehmoment MP,max: M P ,max = max( M z )
(3.32)
Dimensionierung von Antrieben
89
• Effektivdrehmoment Meff: m
M eff =
1 T
∑ M z2 ⋅ Δt z
(3.33)
z =1
• Mittlere Drehzahl nmittel: m
n mittel = n L , z = • Maximaldrehzahl nmax:
1 T
∑ n L, z z =1
⋅ Δt z
(3.34)
n max = max( n L , z )
(3.35)
Diese vier Größen sind entscheidend für die Auswahl der Komponenten, insbesondere des Motors, des Getriebes sowie des Umrichters. Der Bewegungsablauf über der Zeit oder die einzelnen Betriebspunkte können auch in einem M/n-Diagramm zweidimensional dargestellt werden (Abb. 3-7). Dieses liefert auch von der Drehzahl abhängige Anhaltspunkte über den Drehmomentbedarf, der wiederum eine wichtige Eingangsgröße für die Auswahl des Motors ist. Drehmoment M in Nm
400 200 0 nmittel Meff Mstat Mdyn + Mstat
–200 –400
–20
10 0 –10 Drehzahl n in min-1
20
Abb. 3-7. M/n-Verlauf eines Bewegungsablaufs
Für die konkrete Antriebsauswahl ist auch die Bestimmung der notwendigen Prozessleistung entscheidend, die sich nach folgenden Gleichungen aus den berechneten Größen bestimmt: 2 π ⋅ n mittel (3.36) Peff = M eff ⋅ 60 2 π ⋅ n max Pmax = M P ,max ⋅ (3.37) 60 In dem konkreten Beispiel mit einer Masse m von 500 kg und einem Neigungswinkel α von 15° sowie einem Rollreibungskoeffizienten µ’ von 0,01 ergeben sich folgende Werte:
90
• • • • • •
Das Antriebssystem und seine Komponenten
nmax = 24,1 min-1, nmittel = 22,1 min-1, Mmax = 341 Nm, Meff = 228 Nm, Peff = 0,53 kW und Peck = 0,865 kW.
3.1.8
Elastische Kopplung der Last
Ein Antrieb wirkt in vielen Fällen nicht direkt auf die Last, sondern sein Drehmoment – oder nach einer Umsetzung in eine translatorische Bewegung seine Kraft – wird über Antriebselemente übertragen. Diese Antriebselemente haben keine unendliche Steifigkeit, sondern eine Elastizität und eine Dämpfung. Abb. 3-8 zeigt den prinzipiellen Zusammenhang. J1 jA cr
MA
dr
J2 j2
mA
mL c
M2 FA
FL
d
xA
xL
Abb. 3-8. Rotatorischer und translatorischer Zweimassenschwinger
Dieses Feder-Masse-System bildet einen Zweimassenschwinger, der eine Resonanzfrequenz hat. Die Zusammenhänge sollen für ein translatorisches System dargestellt werden, sie lassen sich auch direkt auf ein rotatorisches System übertragen. Für die Bewegung der beiden Massen mA und mL gelten folgende Gleichungen: (3.38) m A && x A = F A − c ⋅ ( x A − x L ) − d ⋅ ( x& A + x& L )
FL = m L && x L = c ⋅ ( x A − x L ) + d ⋅ ( x& A − x& L )
(3.39)
c ist dabei die Federkonstante und d die Dämpfungskonstante der elastischen Kopplung der beiden Massen. Dieses Feder-Masse-System wird durch die Änderung der Kraft FA zu Schwingungen des Differenzwegs xA-xL angeregt. Die Resonanzfrequenz ω0 berechnet sich wie folgt: c + c ω0 = (3.40) mA mL Typische Resonanzfrequenzen von mechanischen Übertragungselementen wie Zahnriemen und Spindeln liegen im Bereich von 5 bis 200 Hz, während Getriebe deutlich höhere Resonanzfrequenzen haben [Dr01]. Bei schnellen Änderungen der Antriebskraft FA reagiert das System zunächst mit dem Aufbau der Federkraft, die danach Schwingungen anregt.
Einsatzbedingungen von Antrieben
91
Die resultierende Kraft, die auf die Masse mL wirkt, kann dabei bis zum Doppelten der Kraft FA ansteigen. Wird dagegen die Kraft FA langsam aufgebaut, folgt die Bewegung xL der Masse mL der Bewegung xA von mA. Abb. 3-9 zeigt die resultierende Kraft F2 für die Fälle, dass FA sehr schnell oder deutlich langsamer über eine Rampe mit der Anstiegszeit ta,max aufgebaut wird. Dem Beispiel liegt eine Resonanzfrequenz von 20 Hz zugrunde. Diese Zusammenhänge führen dazu, dass es sinnvoll ist, bei einem Antrieb die Beschleunigung und damit das Drehmoment ruckfrei, d. h. mit einer endlichen Änderungsrate aufzubauen, um diese Schwingungen möglichst zu vermeiden. Die Zeit, in der die maximale Beschleunigung erreicht wird, sollte dabei mindestens doppelt so groß sein wie die Periodendauer der Resonanzfrequenz des Zweimassenschwingers. 2
Antriebskraft FA Abtriebskraft FL
Kraft (rel.)
1,5 1
ta,max = 1 ms
0,5 ta,max = 100 ms
0
0
0,2
0,4
0,6
0,8
Zeit in s
Abb. 3-9. Anregung eines Zweimassenschwingers
In der Praxis hängt die Resonanzfrequenz neben den verwendeten Antriebselementen von weiteren Betriebszuständen ab (z. B. Masse und Position des Werkstücks oder Förderguts), sodass es notwendig ist, die minimale Resonanzfrequenz in allen Betriebszuständen zu ermitteln und zu berücksichtigen. Neben den Bedingungen in mechanischer Hinsicht, die in diesem Kapitel beschrieben wurden, gibt es weitere Einsatzbedingungen, die im Folgenden erklärt werden sollen.
3.2
Einsatzbedingungen von Antrieben
Thorsten Gaubisch Nach der Darstellung der Dimensionierung von Antrieben auf der Seite des mechanischen Prozesses wird in diesem Kapitel dargestellt, welche
92
Das Antriebssystem und seine Komponenten
weiteren Einsatzbedingungen Antriebe vorfinden, die Einfluss auf die Gestaltung und Auswahl der Antriebskomponenten hat. Zu diesen Einsatzbedingungen zählen die Netzspannungen und Netzformen sowie die Umgebungsbedingungen vor Ort. Vorschriften, Normen. Umrichterantriebe, die an einem Niederspannungsnetz von 50 bis 1.000 VAC betrieben werden, unterliegen der Niederspannungsrichtlinie (73/23/EWG bzw. 2006/95/EG) und sind deshalb mit dem CE-Zeichen versehen. Die meisten Geräte besitzen weiterhin eine UL-Approbation (UL 508C), um einen Einsatz auf dem amerikanischen Markt zu erleichtern. Durch diese Normen werden bereits viele Einsatzbedingungen vorgegeben, denen Antriebe genügen müssen, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Die Anforderungen der Niederspannungsrichtlinie an Antriebssysteme werden in der IEC/EN 61800-5-1 formuliert. Diese Norm ist die Grundlage zur Konformitätserklärung von Antriebssystemen. 3.2.1
Netzspannungen und Netzformen
Netzspannungen. Über den Erdball verteilt findet man verschiedene Netzspannungen vor (Tabelle 3-1). Am Netz betriebene Drehstrom-Asynchronmotoren orientieren sich mit ihrer Drehzahl an der Netzfrequenz. Bei Umrichtern ist die Netzfrequenz unerheblich. Die Netzspannung wird gleichgerichtet und durch den Wechselrichter in die gewünschte Motorspannung und -frequenz umgeformt. Umrichtern haben einen Spannungszwischenkreis, der für eine Netzspannung von 230 V oder 400–480 V ausgelegt ist. Dadurch ergeben sich folgende zulässige Netzeingangsspannungen und Netzfrequenzen:
• 230 V-Geräte (einphasig): 160 VAC–264 VAC; 45 Hz–65 Hz, • 230 V-Geräte (dreiphasig): 100 VAC–264 VAC; 45 Hz–65 Hz und • 400 V/480 V-Geräte (dreiphasig): 320 VAC–550 VAC; 45 Hz–65 Hz. Werden mehrere einphasige 230 V-Geräte am dreiphasigen Netz (L1, L2, L3 und N) betrieben, sollten diese möglichst gleichmäßig über die drei Phasen verteilt werden, um eine symmetrische Strombelastung der Phasen zu erzielen. Da der Netzstrom eines Umrichters nicht sinusförmig ist (wie z. B. bei Ohm’scher Widerstandsbelastung), wird der Strom im Nullleiter auch bei identischer Außenleiterbelastung nicht zu null, sondern weist eine Höhe bis zum zweifachen des Außenleiterstroms auf. Dieses Verhalten ist für die Auslegung der Verdrahtung (Querschnitt) und Belastbarkeit des Nullleiters zu berücksichtigen.
Einsatzbedingungen von Antrieben
93
Tabelle 3-1. Netzspannungen und -frequenzen Netzspannung Einphasig Dreiphasig Frequenz 110 V 190 V 50 Hz 110 V 190 V 60 Hz 120 V 200-240 V / 480 V 60 Hz
nördliches Japan südliches Japan, Taiwan USA
120 V
Kanada
200-240 V / 600 V 60 Hz
127 / 220 V 220 / 380 / 440 V 60 Hz 220 V 380 V 50 Hz
230 V
400 V
Ausgewählte Regionen bzw. Staaten
Brasilien China, Hong Kong, Philippinen Argentinien einige Länder Osteuropas
50 Hz
Europa, einschl. Russische Förderation große Teile Asiens, einschl. Türkei, Indien, Indonesien, etc. Süd-Afrika 240 V 415 V 50 Hz Australien, Malaysia Sonderspannungen von 500 bis 690 V werden vereinzelt in verschiedenen Regionen oder Groß-Industrieanlagen eingesetzt
Sollten mehrere einphasige Geräte nur zwischen einer Phase und dem Nullleiter angeklemmt sein (z. B. L1 und N), so verteilen sich die Summenströme auf die Phase und den Nullleiter. Dadurch kann eine Schieflast des speisenden Drehstromnetzes entstehen. Netzformen. Weltweit gibt es eine Vielzahl an Netzformen, die sich aus der Verschaltung der Sekundärseite des Niederspannungstransformators der Netzversorgung sowie durch die Art der Erdung oder gegebenenfalls durch die Isolierung gegenüber dem Erdpotenzial unterscheiden. Die üblichen Netzformen sind TN-, TT- und IT-Netze. Transformator sekundärseitig L1 L2 L3 PEN
Körper
Abb. 3-10. TN-C-Netz
94
Das Antriebssystem und seine Komponenten
TN-Netz. Das TN-Netz (frz. Terre Neutre) stellt die häufigste Netzform in Niederspannungsanlagen dar. Hier ist der Sternpunkt des Transformators direkt geerdet. Die elektrisch leitfähigen Körper der angeschlossenen Verbraucher sind über den Schutzleiter (PE) mit dem Sternpunkt des Transformators verbunden. In Abhängigkeit vom Leitungsquerschnitt werden der Schutzleiter (PE) und der Neutralleiter (N) als gemeinsamer Leiter verlegt. In diesem Fall handelt es sich um ein TN-C-Netz (Abb. 3-10, frz. Terre Neutre Combiné). Da bei einer ungleichmäßigen Belastung auf den Außenleitern ein hoher Strom durch den Neutralleiter fließt, ist diese Netzform nur bei großen Leiterquerschnitten zulässig. Transformator sekundärseitig L1 L2 L3 N PE
Körper
Abb. 3-11. TN-S-Netz
Werden diese als zwei eigenständige Leiter verlegt, dann spricht man von einem TN-S-Netz (Abb. 3-11, frz. Terre Neutre Separé). In der Regel wird die Aufteilung des Neutralleiters in zwei Leitungen für N und PE an einer Stelle ausgeführt, ab der Mindestquerschnitte unterschritten werden. Umrichter sind ausnahmslos für TN-Netze (inkl. Varianten) geeignet. Transformator sekundärseitig L1 L2 L3 N
Körper
Abb. 3-12. TT-Netz
TT-Netz. In Anlagen, deren Betrieb naturgemäß größere Gefahren mit sich bringt (insbesondere Baustellen), wird meist ein TT-Netz (frz. Terre
Einsatzbedingungen von Antrieben
95
Terre) verwendet (Abb. 3-12), da es hier verboten ist, eine direkte Verbindung zwischen dem Körper und dem Betriebsstromkreis (PEN) herzustellen. Die Sekundärseite des Transformators ist im Stern geschaltet. Der Sternpunkt ist geerdet und wird als separater Neutralleiter (N) mitgeführt. Der Neutralleiter hat keine Schutzfunktion. Am Verbraucher muss eine eigene Erdung aufgebaut werden, mit der die Schutzerdung des Körpers realisiert werden kann. Auch der Anschluss an TT-Netze ist für Umrichter uneingeschränkt möglich. Transformator sekundärseitig L1 L2 L3
Körper
Abb. 3-13. IT-Netz
IT-Netz. Das IT-Netz (frz. Isolé Terre) wird bei Anlagen eingesetzt, die einen hohen Brand- und Personenschutz leisten müssen oder die bei einem Erdschluss oder Körperschluss zunächst weiterlaufen müssen, um Folgeschäden im Prozess zu minimieren. Zum Erreichen einer erhöhten Ausfallsicherheit bei Isolationsfehlern ist im IT-Netz der Sternpunkt des Transformators isoliert. Der Körper des Verbrauchers ist über einen Schutzerder direkt geerdet (Abb. 3-13). Um einen Fehlerfall bemerken zu können, muss von allen Außenleitern die Isolation gegen Erde ständig durch ein Isolationsüberwachungsgerät gemessen werden. Ein festgestellter Isolationsfehler muss umgehend behoben werden. Die Schutzmaßnahme wirkt bei einem zweiten Fehlerfall nicht mehr. Es findet dann ein Stromfluss über die Erde zwischen den beiden beschädigten Außenleitern statt. IT- Netze werden z. B. in den folgenden Bereichen eingesetzt:
• • • • • • • •
Öffentliches Versorgungsnetz in Frankreich und Belgien, chemische Industrie, Bergbau, Inselstromversorgungen (eigener Generator), Krankenhäusern, Schiffsnetzen, Kran-, Förder-, und Aufzugsanlagen und Papier- und Zellstoffindustrie.
96
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Bei IT-Netzen ist keine leitungsgebundene Störaussendung definiert, da der Bezug des Netzes zum PE nicht vorhanden ist (siehe Kap. 3.4.8 zur elektromagnetischen Verträglichkeit). Grundsätzlich ist der Betrieb von Umrichterantrieben zunächst nur an TT-Netzen, TN-Netzen oder Netzen mit geerdetem Mittelpunkt zulässig. Die meisten Antriebshersteller halten spezielle Hardwarevarianten bereit, die einen Betrieb an IT-Netzen ermöglichen. Teilweise verfügen die Geräte, die für TT- oder TN-Netze ausgelegt sind, über eine Hardwareumschaltung, durch die die Anbindung der im Gerät enthaltenen Y-Kondensatoren zum PE aufgehoben wird. Dies ermöglicht dann einen Betrieb am IT-Netz. FI-Schutzschalter. Bei TT- und TN-Netzen ist zum Personenschutz in einigen Anwendungen die zusätzliche Installation von Fehlerstromschutzschaltern (FI-Schutzschalter) vorgeschrieben. Diese haben eine Differenzstromerkennung, die ab einer gewissen Höhe von Fehlerströmen zum PE auslösen und das Netz abschalten. Aufgrund der Ableitströme, die ein Umrichter verursacht, kann es je nach Anlagenausführung (z. B. Anzahl der Geräte, Motorleitungslängen) zum ungewollten Auslösen des FISchutzschalters durch die Antriebe kommen. Das Auslösen des FISchutzschalters erfolgt beim Einschalten des Umrichters. Teilweise ist der Einsatz von FI-Schutzschaltern mit höheren Auslöseströmen notwendig. Dabei muss dann überprüft werden, ob das gesamte Schutzkonzept noch ausreichend ist. Zum Vermeiden dieser Situation gibt es teilweise Geräteausführungen, die besonders niedrige Ableitströme aufweisen. Auch der Einsatz von zusätzlichen Trenntransformatoren ist manchmal notwendig. 3.2.2
Umgebungsbedingungen
Zu den Umgebungsbedingungen von Antrieben zählen die klimatischen Bedingungen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Aufstellhöhe und Atmosphäre. Relevant sind diese insbesondere für die elektronischen Baugruppen der Umrichter, für die entsprechende Grenzwerte in den technischen Beschreibungen angegeben werden. Außerdem können spezielle Industriezweige besondere Einsatzbedingungen fordern (z. B. Explosionsschutz), die von Antriebssystemen eingehalten werden müssen. Diese Forderung richtet sich eher an Getriebemotoren, da diese im Gefährdungsbereich installiert sein können. Klimatische Bedingungen. Beim Einsatz von Antrieben müssen diese in den unterschiedlichsten klimatischen Umgebungsbedingungen einen zuverlässigen Betrieb gewährleisten. Diese sind in der Norm DIN EN 60664 definiert.
Einsatzbedingungen von Antrieben
97
Hierbei spielt der Temperaturbereich eine ausschlaggebende Rolle. Die meisten Umrichter ermöglichen einen Einsatz bei einer Umgebungstemperatur von -10 bis +40°C. In diesem Temperaturbereich sind sie in der Lage, ihre Bemessungsleistung für die Applikation bereitzustellen. Bei Temperaturen, die darüber hinausgehen, kann durch eine Reduzierung des Ausgangsbemessungsstroms um typisch 2,5% / °C ein weitergehender Einsatz mit reduzierter Leistung ermöglicht werden (sogenanntes Derating). Die maximale Umgebungstemperatur liegt im Allgemeinen bei +55°C. Der Grund für die Notwendigkeit dieses Strom-Deratings liegt unter anderem in der Kühlleistung des Kühlkörpers. Bei Umgebungstemperaturen zwischen +40°C und +55°C kann die im Gerät entstehende Wärme durch den Kühlkörper nicht mehr optimal nach außen abgeführt werden. Dies kann zu einer Abschaltung des Umrichters führen. Außerdem wird durch eine übermäßige Erwärmung die zulässige Höchsttemperatur für einzelne Bauteile überschritten und der Alterungsprozess für die eingesetzten Elektrolytkondensatoren beschleunigt. Durch das Strom-Derating wird die Möglichkeit geboten, die Antriebe bei Umgebungstemperaturen von bis zu +55°C einzusetzen. Die Aufstellhöhe der Geräte spielt hier außerdem eine Rolle, da in höheren Lagen die Kühlleistung durch den reduzierten Luftdruck abnimmt. Grundsätzlich ermöglichen Antriebe den Einsatz mit ihrer Bemessungsleistung bei einer Aufstellhöhe von 0 bis 1.000 m. Durch eine Reduzierung des Ausgangsbemessungsstroms von 5% pro 1.000 m kann die Ausgangsleistung der Geräte in Aufstellhöhen von 1.000 bis 4.000 m begrenzt werden. Hierdurch wird der verminderten Kühlleistung der Luft bei niedrigerem Luftdruck Rechnung getragen, sodass es zu keiner Übertemperatur im Umrichter kommt. Ferner sind Antriebe in einer Umgebung einsetzbar, die eine mittlere relative Feuchte von 85% nicht übersteigt und auch zu keiner Betauung des Umrichters führt. Sonst kann auf den Platinen abgelagerter Staub zu einer elektrisch leitenden Flüssigkeit verbunden werden, die zur elektrischen Zerstörung des Gerätes führen kann. Anwendungsbedingungen für spezielle Industriezweige. Für Anwendungen, die in speziellen Industriezweigen zum Einsatz kommen (Lebensmittel-, chemische oder Holz verarbeitende Industrie), müssen die verwendeten Antriebe auf die besonderen Einsatzbedingungen vor Ort angepasst sein. Explosionsschutz (Ex-Schutz). Um eine Explosion auszulösen, muss grundsätzlich ein brennbarer Stoff (Gas, Staub, Flüssigkeit), eine ausreichende Menge Sauerstoff und eine Zündquelle vorhanden sein. Heute sind 13 verschiedene Quellen bekannt, von denen lediglich die Hälfte elektrischen Ursprungs ist. Neben Funken, Lichtbögen oder statischen Aufladun-
98
Das Antriebssystem und seine Komponenten
gen spielen auch heiße Oberflächen, Funken mechanischen Ursprungs oder Ultraschall eine wesentliche Rolle. Ex-Schutz ist nicht allein auf das Umfeld brennbarer Gase oder verdampfter Flüssigkeiten beschränkt. Vielmehr lässt sich heute eine bedeutende Zahl von Explosionen auf unzureichend gesicherte Staubbereiche zurückführen. In den meisten Anwendungen kommt im explosionsgefährdeten Bereich selbst nur der Motor mit dem Getriebe zum Einsatz. Diese müssen ATEXKonformität (frz. Atmosphère explosible) gemäß der Europäischen Richtlinien 94/9/EG (Produktrichtlinie, in deutsches Recht mit der Explosionsschutzverordnung 11. GPSGV umgesetzt) und 99/92/EG (Betriebsrichtlinie) aufweisen. Für die Motortemperaturüberwachung muss ein speziell zugelassenes Überwachungsgerät genutzt werden, um ein sicheres Abschalten des Motors bei Übertemperatur zu gewährleisten. Diese spezielle Überwachung ist in herkömmlichen Umrichtern nicht implementiert. Die zugehörigen Umrichter befinden sich meist außerhalb dieser explosionsgeschützten Zone, da sich der Aufwand nicht rentiert, eine ATEXKonformität für den Umrichter zu realisieren. Lebensmittelindustrie. Für die Lebensmittelindustrie gibt es spezielle Getriebemotoren, die auf die besonderen Anforderungen in diesem Industriezweig zugeschnitten sind. Dies betrifft insbesondere die hygienischen Vorschriften und die Eignung für erweiterte Temperaturbereiche, absolute Öldichtigkeit sowie Unempfindlichkeit gegenüber Wasser und Reinigungsmitteln. Aggressive Gase. In Umgebungen, die mit aggressiven Gasen versetzt sind, müssen die eingesetzten Antriebe vor diesen Gasen geschützt werden. Eine solche aggressive Umgebung kann die elektronischen Baugruppen der Umrichter so schädigen, dass es zu Ausfällen der Anlage kommt. Hier können Maßnahmen, wie z. B. das Abdichten oder die Druckkapselung von Schaltschränken oder die spezielle Oberflächenbeschichtung von Motoren und Getrieben, zur Verbesserung der Betriebssicherheit beitragen. Tabelle 3-2. Normen für die Einsatzbedingungen Einsatzbedingung Klimatische Bedingungen Verschmutzung Schutzart
Norm Klasse 3K3 nach EN 60721 Verschmutzungsgrad 2 nach EN 60664 Teil 1 Geräteabhängig IP 20 bis IP 65 nach EN 60529
Rüttel- und Schockfestigkeit. Ferner werden Umrichterantriebe unterschiedlichen Vibrationen nach DIN IEC 68227 ausgesetzt. Schaltschrankgeräte müssen dabei geringeren Vibrationen standhalten, als dies zum Beispiel bei Geräten der Fall ist, die auf Motoren montiert sind. Üblicher-
Motoren
99
weise sind Schaltschrankgeräte beschleunigungsfest bis 0,7 g. Dezentrale Antriebe können mit bis zu 2 g belastet werden. Weitere Normen, die für die Einsatzbedingungen von Umrichterantrieben gelten, sind im Folgenden aufgeführt (Tabelle 3-2).
3.3
Motoren
Dr. Carsten Fräger, Dr. Edwin Kiel Der Motor ist das Kernstück eines Antriebs. Er wandelt die elektrische in mechanische Energie um. In diesem Buch werden nur Drehfeldmotoren dargestellt, da diese Motorenart in einem Leistungsbereich von 100 W bis 100 kW für direkt netzbetriebene Antriebe eindeutig dominieren. Die Drehstrom-Antriebstechnik hat die Gleichstromantriebe verdrängt. Für Antriebe kleinerer Leistung werden andere Motorbauformen (permanenterregte Gleichstrommotoren, EC-Motoren, Schrittmotoren) eingesetzt, die nicht Bestandteil dieses Buches sind. Die eingesetzten Drehstrommotoren können zunächst in zwei Gruppen eingeteilt werden: • Standard-Drehstrommotoren, die auch für Anwendungen mit konstanter Drehzahl geeignet sind und direkt am Netz betrieben werden können. Diese können durch den Einsatz von Frequenzumrichtern in ihrer Drehzahl variiert werden. • Servomotoren, die auf eine hohe Dynamik optimiert sind und nur geregelt zusammen mit Servo-Umrichtern verwendet werden. Im Folgenden wird zunächst das Wirkungsprinzip von Drehstrommotoren erklärt. Dann werden die Standard- und Servomotoren näher beschrieben. Anschließend werden auch Linearmotoren dargestellt, die immer dann eingesetzt werden, wenn ein rotatorischer Servomotor an seine Grenzen stößt. Wenn Motoren drehzahl- oder lagegeregelt eingesetzt werden, dann werden Sensoren für die Winkellage benötigt. Die wichtigsten Typen dieser Sensoren werden dargestellt. Zum Abschluss des Kapitels werden dann noch Bremsen vorgestellt, die immer dann benötigt werden, wenn ein Motor im Stillstand gehalten werden muss. Die geforderten Motoreigenschaften für die Anwendung bestimmen die Auswahl des geeigneten Motortyps. Tabelle 3-3 zeigt die Eigenschaften von Standard-Drehstrommotoren und Servomotoren im Vergleich. Drehstrommotoren kommen vorrangig dann zum Einsatz, wenn ein robuster Antrieb mit konstanter oder langsam veränderlicher Drehzahl gebraucht
100
Das Antriebssystem und seine Komponenten
wird. Servomotoren sind prädestiniert für Anwendungen mit schnellen Drehzahländerungen, geringem Einbauvolumen und hoher Genauigkeit. Tabelle 3-3. Vergleich verschiedener Elektromotortypen StandardDrehstrommotor Mittel Dynamik Massenträgheit Mittel Überlastbarkeit Mittel Leistungsdichte Mittel Feldschwächung Mittel Wirkungsgrad Mittel bis hoch
3.3.1
ServoAsynchronmotor Hoch Gering Sehr hoch Hoch Groß Mittel bis hoch
ServoSynchronmotor Sehr hoch Sehr gering Sehr hoch Sehr hoch Gering Hoch bis sehr hoch
Wirkungsweise von Drehstrommotoren
Ein Drehstrommotor wandelt die Energie Pel der elektrischen Spannungsversorgung in mechanische Energie Pmech um. Bei der Energiewandlung entsteht Verlustleistung PV,mot. Die Leistungsbilanz sieht wie folgt aus: Pel = Pmech + PV , mot
Pel =
3 ⋅ U ⋅ I ⋅ cos ϕ
(3.41)
Pmech = M ⋅ 2 π ⋅ n Um zu verstehen, wie die Drehmomentbildung eines Drehstrommotors arbeitet, soll zunächst die Analogie zum Gleichstrommotor hergestellt werden. Generell erfolgt die Drehmomentbildung in einem Elektromotor dadurch, dass sich eine Kraft bildet, wenn ein Leiter in einem Magnetfeld von Strom durchflossen wird. Die Kraft ist dabei proportional zum Magnetfeld und zur Stromstärke. Damit tragen folgende Punkte zur Drehmomentbildung bei: • Es muss ein Magnetfeld existieren. Hierzu dient in einem Gleichstrommotor die Feldwicklung, die sich im Stator befindet. Die Magnetisierung wird normalerweise auf einem konstanten Wert gehalten. • Es muss ein Stromfluss senkrecht zu diesem Feld erzeugt werden. Hierzu dient die Ankerwicklung, die sich auf dem Rotor befindet. Durch die Höhe des Ankerstroms wird das Drehmoment bestimmt.
Motoren wt=0°
U1 1,0A
0,5A
q3
0,5A
qd
qd
q1 U3
q1 = 10A q2 = 5A q3 = 5A qd = 15A
q2
U2
wt=30°
U1 0,866A
30°
0,866A
qd
30°
q3
qd
q1 = 8,66A q2 = 0A q3 = 8,66A qd = 15A
q1 U3
wt=60°
U2
U1 qd
1,0A
0,5A
U3
qd
60°
0,5A
60°
101
U2
q3
q2 q1
q1 = 5A q2 = 5A q3 = 10A qd = 15A
Abb. 3-14. Entstehung des Magnetfelds in einem Drehstrommotor
• Dieser Stromfluss muss auch bei Drehung des Rotors senkrecht zu dem Magnetfeld bleiben. Dieses stellt der mechanische Kommutator des Gleichstrommotors sicher, der den Stromfluss in den einzelnen Leitern über den Umfang des Rotors entsprechend der momentanen Rotorlage umpolt. • Nach dem Induktionsgesetz entsteht dann durch die Bewegung (d. h. Drehung) des Rotors mit der Ankerwicklung im Magnetfeld eine Spannung, die dem Stromfluss entgegenwirkt. Diese induzierte Spannung ist proportional zum Magnetfeld und zur Drehzahl. Alle vier Punkte finden sich jetzt auch bei Synchron- und Asynchronmotoren, sie sind allerdings anders gelöst. Um das Verhalten eines dreiphasigen Wechselstromsystems zu beschreiben, ist es sinnvoll, Zeiger bzw. komplexe Zustandsgrößen einzuführen. Der gesamte Freiheitsgrad eines nullleiterfreien Drehstromsystems liegt bei zwei, weil die Summe der drei Spannungen oder Ströme gleich null ist. Damit passen die zwei Dimensionen eines Zeigers (Länge, Win-
102
Das Antriebssystem und seine Komponenten
kel) bzw. einer komplexen Zahl (Real- und Imaginärteil) sehr gut zu den zwei Freiheitsgraden des Dreiphasensystems. Die Umrechnung zwischen den drei Größen des Dreiphasensystems und dem komplexen Wert erfolgt nach folgender Gleichung: u S = u S 1 + u S 2 ⋅ e j120° + u S 3 ⋅ e j 240° (3.42) Die Ströme in den Wicklungen eines Drehstrommotors steuern sowohl den Winkel als auch den Betrag des Magnetfelds. In einem Drehstrommotor sind drei Wicklungen magnetisch um 120° versetzt angeordnet. Wenn jetzt ein dreiphasiger Stromvektor eingespeist wird, dann entsteht ein Magnetfeld, dessen Betrag von der Amplitude des Stromvektors und dessen Winkel vom elektrischen Phasenwinkel dieses Vektors bestimmt wird. Abb. 3-14 verdeutlicht diesen Effekt [GiHaVo03]. Ein Umrichter, der in Kapitel 3.4 beschrieben wird, kann die Länge und den Winkel dieses Zeigers frei einstellen. Durch eine Drehung mit dem momentanen elektrischen Phasenwinkel kann der Stromvektor in ein d/q-Koordinatensystem transformiert werden, das die Frequenz null hat und in dem die Komponente iq das Drehmoment erzeugt. Die Frequenz, mit der er sich hierfür drehen muss, hängt dabei vom Motorprinzip ab. Zunächst soll der Synchronmotor beschrieben werden, da dieser das einfachere Wirkprinzip hat. Bei dem permanentmagneterregten Synchronmotor wird das Magnetfeld durch Permanentmagnete erzeugt, die auf dem Rotor des Motors angebracht sind. Die Orientierung des Stromvektors wird bei feldorientierter Stromeinprägung durch den Wechselrichter so gesteuert, dass er senkrecht zur momentanen Rotorlage der Magnetisierung steht. Der Wechselrichter übernimmt durch die Bestimmung der Höhe und der Orientierung des Stroms die Aufgaben, den Stromfluss für die Drehmomentbildung und die Orientierung für die Kommutierung des Motors zu erzeugen. Um sie zu erfüllen, müssen die Rotorlage und damit die Orientierung des Magnetfelds bekannt sein. Hierzu dient der Winkelgeber des Motors. Der permanenterregte Synchronmotor induziert in den drei Phasen eine Wechselspannung, die proportional zur Drehzahl ist. Damit kann der permanenterregte Synchronmotor durch folgende Gleichungen beschrieben werden: d iS + j ω Φ F e jϕ (3.43) u S = RS i S + LS dt dω J = Φ F i Sq − M L (3.44) dt dϕ = ω (3.45) dt Gleichung (3.43) beschreibt den elektrischen Kreis mit den Spannungsfällen auf dem Ständerwiderstand RS und der Ständerinduktivität LS des Mo-
Motoren
103
tors sowie die durch die Magnetisierung ΦF und Motordrehzahl ω induzierte Spannung. Gleichung (3.44) stellt die Drehmomenterzeugung dar und (3.45) die Integration der Drehzahl zum Winkel. Der Asynchronmotor benötigt zur Drehmomentbildung einen Schlupf, d. h. eine Differenz der Frequenz des dreiphasigen Ständersystems zur Winkelgeschwindigkeit des Rotors. Damit muss bei konstanter Drehzahl die Ständerfrequenz abhängig vom benötigten Drehmoment verändert werden. Trotz dieses komplexen Zusammenhangs, der an dieser Stelle nicht vollständig beschrieben werden kann und für den auf weiterführende Literatur verwiesen sei [Le97, Sch98], kann auch beim Asynchronmotor eine Analogie zum Gleichstrommotor gefunden werden. Dazu wird wieder die Orientierung so gewählt, dass das Drehmoment aus dem Produkt der Magnetisierung und einem drehmomentbildenden Strom iq gebildet wird (die Feldorientierung) [Bl72]. Die Magnetisierung wird jetzt durch die feldbildende Stromkomponente id erzeugt, die senkrecht zu iq angeordnet ist. Beim Aufbau der Magnetisierung über id wirkt ein Tiefpass mit der Rotorzeitkonstante tR (auch eine Analogie zum Gleichstrommotor: Der Aufbau der Magnetisierung über die Feldwicklung hat eine Zeitkonstante, die sich aus dem Widerstand und der Induktivität der Feldwicklung ergibt). Aus dem momentanen Wert von iq und der Magnetisierung bestimmt sich dann die Schlupffrequenz ω2, die addiert um die mechanische Drehzahl ω die Frequenz des Stromvektors in Feldkoordinaten ωmR bestimmt. Beim Asynchronmotor wird eine zur Frequenz proportionale Spannung induziert. Der Asynchronmotor wird damit durch folgende Gleichungen beschrieben: d iS u S = R S i S + σ LS dt (3.46) d i mR jρ + (1 − σ) L S ( j ω mR i mR + )e dt Lσ dω (3.47) J = 2 ⋅ i ⋅ i − ML 3 1 + σ R mR Sq dt dϕ = ω dt i Sd = i mR + t R
(3.48) d i mR dt
i Sq dρ = ω mR = ω + ω 2 = ω + dt t R i mR
(3.49) (3.50)
104
Das Antriebssystem und seine Komponenten
uSb -
Drehung in ML Feldkoordinaten FF -jj iSq LS iSb e ´ RS Drehmoment
´ 1/RS
uSa -
1/RS Ständerreaktanzen RS und LS uPb
j
! iSd=0
LS iSa RS
´
w J
jj
e
3 2
uPq
FF ´
Induzierte Spannung uPd=0
uPa
a) Synchronmotor
uSb -
´
Drehung in Feldkoordinaten -jr iSq sLS iSb e RS
Dreh- ML k moment ´ ´
1/RS uSa -
´
sLS RS
Magnetisierung imR iSd
iSa
1/RS Ständerreaktanzen RS und sLS u
Hb
tR
w ..
´
j
J w2 Schlupffrequenz
r
tR jr
e
Ls 1+sR
uHq
´
uHd
Ls 1+sR
´
wmR
Induzierte Spannung uHa
b) Asynchronmotor
Abb. 3-15. Blockschaltbilder des Synchron- und Asynchronmotors
Die ersten drei Gleichungen entsprechen in ihrer Struktur denen des Synchronmotors. Gleichung (3.49) beschreibt, wie die Stromkomponente id die Magnetisierung erzeugt, während Gleichung (3.50) die Berechnung der Schlupffrequenz ω2 und der resultierenden Frequenz ωmR des Stromvektors id,q darstellt. Abb. 3-15 stellt die Wirkungsweise der beiden Motortypen als Blockschaltbilder dar. Man kann die strukturelle Ähnlichkeit der Drehmomentbildung erkennen. Die Unterschiede liegen im Wesentlichen in der Erzeugung der Magnetisierung und der Bildung der Schlupffrequenz beim Asynchronmotor. Gegenüber dem Synchronmotor, bei der zur Bestimmung der Orientierung des Stroms in den Feldkoordinaten nur die Pollage gemessen werden muss, wrid beim Asynchronmotor die Orientierung des Stromvektors in
Motoren
105
Feldkoordinaten nicht gemessen, sondern muss über Modelle bestimmt und nachgeführt werden. Die Modelle wiederum hängen von Motordaten ab, die bekannt sein müssen. Dennoch hat sich die feldorientierte Regelung, die auf dieser Beschreibung der Wirkungsweise beruht, als wichtigste Technologie zur schnellen Regelung eines Asynchronmotors etabliert, die sehr gut regelungstechnisch beherrscht werden kann [Le91]. Tabelle 3-4. Gegenüberstellung von Gleichstrom- und Drehstrommotoren Gleichstrommotor Synchronmotor Asynchronmotor Permanentmagnete Stromkomponente id Magnetfeld- Feldwicklung im Rotor bildung Stromkomponente iq Stromkomponente iq Drehmoment- Ankerstrom bildender Strom Mechanischer Kom- Drehung des Strom- Drehung des StromKommutiemutator vektors durch den vektors durch den rung des Wechselrichter Wechselrichter Stroms Gleichspannung Wechselspannung Wechselspannung Induzierte Spannung Ja Nein, SchlupfdrehSynchronität zahl proportional des elektrizum Drehmoment schen Dreh(ca. 3–5% bei Befelds zur memessungsmoment) chanischen Drehzahl
Nachdem die grundsätzliche Wirkungsweise der Drehstrommotoren dargestellt wurde, sollen im Folgenden die konkreten Motorausführungen beschrieben werden. 3.3.2
Standard-Drehstrommotoren
Der Standard-Drehstrommotor ist ein Asynchronmotor und wandelt elektrische Leistung entweder direkt aus einem Drehstromnetz oder von einem Frequenzumrichter angesteuert in mechanische Leistung um. Kennzeichen für Standard-Drehstrommotoren sind: • Die Hauptabmessungen sind genormt → Normmotor (die elektrischen Daten sind durch die verschiedenen Teile der IEC 60034, die mechanischen durch die IEC 60072 genormt), • er ist sehr robust, • der Betrieb am Netz und am Umrichter ist möglich (bei entsprechender Motorausführung),
106
Das Antriebssystem und seine Komponenten
• ein mittlerer bis guter Wirkungsgrad und • eine mittlere Leistungsdichte. Die Hauptabmessungen wie z. B. Wellendurchmesser, Flanschdurchmesser und Fußhöhe sind genormt. Der elektrische Anschluss erfolgt in der Regel über Klemmen im Klemmenkasten. Durch unterschiedliche Anbauten wie z. B. Bremse, Winkelgeber oder Fremdlüfter, kann der Motor an die jeweiligen Antriebsbedürfnisse angepasst werden. Die Asynchronmotoren sind durch folgende elektromechanische Größen gekennzeichnet: • • • • • • • • • • •
Bemessungsleistung PN, Bemessungsdrehzahl nN, Bemessungsschlupf sN, Bemessungsdrehmoment MN, Bemessungsstrom IN, Bemessungsspannung UN, Bemessungsfrequenz fN, Bemessungsleistungsfaktor cos φN, Bemessungswirkungsgrad ηN, Anzugsdrehmoment MA, Anzugsstrom IA, Kippmoment MK, Kippschlupf sK und Sattelmoment MS. M MK MA Anzug MS Sattel MN
Kipppunkt s=s
K
Bemessungspunkt s=sN
nK
Leerlauf s=0 n nN n0
Abb. 3-16. Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie eines Asynchronmotors im Betrieb am Netz mit fester Frequenz
Die Motordrehzahl wird über die Frequenz der elektrischen Spannung eingestellt. Bei fester Frequenz f nimmt die Drehzahl n mit der Belastung ab (sogenannter Schlupf s). Die folgenden Gleichungen beschreiben den Zusammenhang für den Fall, dass der Ständerwicklungswiderstand vernachlässigt wird. Dies ist bei größeren Motoren und zur Veranschaulichung zulässig. f Leerlaufdrehzahl n 0 = (3.51) p (3.52) Lastdrehzahl n = (1 − s ) ⋅ n 0
Motoren
Drehmoment M = 0...M N → s ≈ s N ⋅ M MN
107
(3.53)
2 ⎛ ⎞ ⎛MK ⎞ M ⎜ ⎟ s= − ⎜ (3.54) ⎟ − 1⎟ ⋅ s K ⎜MK ⎝ M ⎠ ⎝ ⎠ M = 2 (3.55) MK s + sK sK s p ist die Polpaarzahl des Motors, durch die sich das Verhältnis der Frequenz des Netzes und der mechanischen Drehzahl des Motors bestimmt. Die höchste Verbreitung haben vierpolige Motoren (p = 2), daneben werden auch zweipolige (p = 1) und sechspolige (p = 3) Motoren verwendet. Höhere Polpaarzahlen spielen bei bestimmten Anwendungen eine Rolle. Die Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie bei konstanter Frequenz zeigt Abb. 3-16. Ausgehend von der Leerlaufdrehzahl bei M = 0 steigt das Drehmoment bis zum Kipppunkt. Wird dieser durch ein zu großes Lastmoment überschritten, dann kippt der Motor. Die Drehzahl reduziert sich bis auf null, weil das notwendige Drehmoment nicht aufgebracht wird. Ein dauernder Betrieb bei hohen Schlupfwerten ist für den Normmotor nicht zulässig, da dadurch eine starke Erwärmung auftritt, die den Motor zerstören kann. Es müssen entsprechende Maßnahmen zum Übertemperaturschutz wie Temperaturschalter in den Wicklungen oder eine Überwachung des Motorstroms verwendet werden.
US s=sK jN
In
s=0 I0
s=sN Wirkstrom
Blindstrom
Abb. 3-17. Stromortskurve eines stromverdrängungsfreien Asynchronmotors
Betrag und Phase des Motorstroms eines stromverdrängungsfreien Asynchronmotors können der Stromortskurve (Abb. 3-17) entnommen werden. Das Magnetfeld im Motor wird durch die elektrische Speisung aufgebaut. Dazu fließt ein Magnetisierungsblindstrom, der etwa 30 bis 70% des Bemessungsstroms beträgt. Der Magnetisierungsstrom entspricht in etwa dem Leerlaufstrom des Motors.
108
Das Antriebssystem und seine Komponenten IS US
RS
LSs Lh
LRs RR/s
Abb. 3-18. Einsträngiges Ersatzschaltbild des Asynchronmotors
Mit der Belastung wird auch ein Wirkstrom benötigt, um einen Leistungsfluss zu erzielen. Im Bemessungspunkt liegt der cosφN üblicherweise im Bereich 0,7 bis 0,85. Abb. 3-18 zeigt das einsträngige Ersatzschaltbild eines Asynchronmotors. Der Motor kann ohne Probleme auch als Generator arbeiten. Die untere Hälfte der Stromortskurve beschreibt diesen Betrieb. Direkter Anlauf am Netz. Beim direkten Anlauf am Netz wird ein hohes Anzugsmoment erzeugt, das beim 2–5-fachen Bemessungsmoment MN liegt. Gleichzeitig fließt ein hoher Strom, der dem 3–8-fachen Bemessungsstrom IN entspricht. Es entstehen hohe Anlaufverluste sowohl im Stator als auch im Rotor. Stern-Dreieck-Anlauf am Netz. Ist der Anzugsstrom des direkten Anlaufs zu hoch, kann er auf 58% reduziert werden, indem der Motor beim Anlauf zunächst im Stern geschaltet wird und nach erfolgtem Anlauf auf Dreieck umgeschaltet wird. Dieses ist aber nur dann möglich, wenn das Anzugsmoment, das sich in Sternschaltung auf 33% reduziert, für die Anwendung ausreichend ist. Sanftanlaufgeräte. Sanftanlaufgeräte (auch Soft-Starter genannt) reduzieren ebenfalls den Anzugsstrom von Motoren, indem über einen Thyristorsteller die Spannung reduziert wird. Eine Regelung der Drehzahl ist hierdurch nicht möglich. Im höheren Leistungsbereich haben Sanftanlaufgeräte niedrigere Kosten gegenüber Frequenzumrichtern. Betrieb am Frequenzumrichter. Für drehzahlveränderbare Antriebe werden die Motoren am Frequenzumrichter betrieben. Durch die variable Frequenz und Spannung des Umrichters kann der Drehstrommotor in einem weiten Drehzahlbereich betrieben werden. Abb. 3-19 zeigt die motorischen und generatorischen Betriebsbereiche. Im Bereich bis etwa zur Bemessungsdrehzahl arbeitet der Motor mit vollem Magnetfeld und kann daher ein hohes Drehmoment aufbringen. Oberhalb der Bemessungsdrehzahl wird das Magnetfeld zurückgenommen, weil die maximale Ausgangsspannung des Umrichters erreicht ist, und der Motor wird im sogenannten Feldschwächbereich mit reduziertem Drehmoment betrieben.
Quadrant II: Quadrant I: generatorisch, motorisch, linkslaufend rechtslaufend
Quadrant III: Quadrant IV: motorisch, generatorisch, linkslaufend rechtslaufend
109
Bereich der Feldschwächung
Bereich der Feldschwächung
Drehmoment M
Motoren
Drehzahl n
Abb. 3-19. Betriebsbereiche von Standard-Drehstrommotoren mit Umrichter
Damit ein problemloser Betrieb am Frequenzumrichter möglich ist, muss der Motor mit einer verstärkten Isolierung ausgestattet werden. Bei Motoren mit Eigenlüftern ist zu beachten, dass im Bereich unterhalb der Bemessungsdrehzahl aufgrund der verminderten Kühlwirkung des Eigenlüfters nur ein deutlich kleineres Drehmoment als das Bemessungsdrehmoment im Dauerbetrieb zur Verfügung steht. Diese Einschränkung kann durch den Einsatz eines Fremdlüfters kompensiert werden (Abb. 3-20).
Drehmoment M
Maximaldrehmoment Dauerdrehmoment
Dreieckschaltung Dauerdrehmoment mit Eigenlüfter Sternschaltung
0
1000
2000
3000
4000
5000
Drehzahl in min-1
Abb. 3-20. Drehzahl-Drehmoment-Kennlinien von vierpoligen Asynchronmotoren mit Umrichtern in Stern- und Dreieckschaltung
87 Hz-Betrieb am Umrichter. Ein Frequenzumrichter kann das Verhältnis der Ausgangsspannung zur Ausgangsfrequenz über die U/f-Kennlinie einstellen. Dieses kann genutzt werden, einen Drehstrommotor an einer Netzspannung von 400 V auch in der Dreieckschaltung zu betreiben. Dieses erweitert den Drehzahlbereich für Drehstrommotoren. Abb. 3-20 zeigt für einen vierpoligen Motor die Kennlinien für Stern- bzw. Dreieckschaltung. In Dreieckschaltung werden bei gleichem Drehmoment etwa 1,7-
110
Das Antriebssystem und seine Komponenten
fache Drehzahlen erreicht. Die Bemessungsfrequenz steigt durch die Dreieckschaltung auf ca. 87 Hz an. Natürlich steigt der Strom für diese 1,7fache Leistung ebenfalls auf den 1,7-fachen Wert an. Insgesamt führt die Nutzung des 87 Hz-Betriebs in vielen Anwendungen, in denen ein Frequenzumrichter eingesetzt wird, zu kostengünstigeren Lösungen. Eine Gesamtübersicht über die verschiedenen Betriebsarten eines Asynchronmotors zeigt Tabelle 3-5. Tabelle 3-5. Betriebsarten eines Asynchronmotors Direkt am Stern-Drei- SanftanNetz eck-Anlauf laufgerät
Drehzahlverstellung Max. Anzugsmoment Anzugsstrom Anlaufverluste Dauerleistung
Nein
Frequenz- Frequenzumrichter umrichter mit 87 HzBetrieb Ja Ja
Nein
Nein
3–5 · MN
1–1,5 · MN 1–2 · MN
2 · MN
2 · MN
3–5 · IN Hoch PN
1–1,5 · IN Mittel PN
1–1,8 · IN Niedrig PN
1,7–3 · IN Niedrig 1,7 · PN
1–1,5 · IN Mittel PN
Wirkungsgrad in %
100 95
FF1 se E zklas n ie Effiz FF2 sse E nzkla ie iz ff E
90 85 80 75 70 1
10
100
Motorleistung in kW
Abb. 3-21. Wirkungsgradklassen von vierpoligen Standard-Drehstrommotoren nach CEMEP
Wirkungsgrad von Standard-Drehstrommotoren. Der Wirkungsgrad von Standard-Drehstrommotoren gerade im niedrigen Leistungsbereich bis ca. 1 kW liegt bei nur 75% (Abb. 3-21). Zu größeren Leistungen steigt er, bis er bei Leistungen von oberhalb 22 kW bei über 90% liegt [Do03]. Durch konstruktive Maßnahmen und andere Materialien (Kupfer statt Aluminium im Rotor) kann der Wirkungsgrad auch bei kleineren Motoren
Motoren
111
auf über 80% gesteigert werden [KiBoDo03]. Diese Wirkungsgraderhöhung ist aber mit höheren Kosten für den Motor verbunden. Die aktuellen Diskussionen zur Energieeffizienz (Kap. 5.2.5) sorgen dafür, dass der Einsatz von Motoren mit höheren Wirkungsgraden zunimmt und dass die Einführung eines Mindestwirkungsgrads für Motoren überlegt wird. Motorenhersteller bieten häufig Standard-Drehstrommotoren für die gleiche Leistung mit unterschiedlichen Wirkungsgraden an. 3.3.3
Asynchron- und Synchron-Servomotoren
Servomotoren sind auf eine hohe Dynamik optimiert. Kennzeichnend für ihren Betrieb sind dynamische Drehzahl- und Drehmomentänderungen, der Betrieb im Stillstand zum Halten von Positionen und kurzzeitiger Betrieb mit hoher Überlast [GrHaWi06]. Servomotoren zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus: • • • • • •
Schlanke Bauform, hohe Leistungs- und Drehmomentdichte, geringe Trägheit, hohe Dynamik, hohe Überlastbarkeit, hoher Wirkungsgrad und zugeschnitten für den Betrieb am Servo-Umrichter.
Abb. 3-22. Synchron- und Asynchron-Servomotoren von 0,25 bis 60 kW
Gegenüber Standard-Drehstrommotoren bauen sie wesentlich kompakter und haben deutlich kleinere Massenträgheitsmomente, sodass sie sehr viel schneller beschleunigen und die Leistung für die Maschine auf kleinem Raum zur Verfügung stellen. Im Gegensatz zum Drehstrommotor ohne Drehzahlrückführung besitzt der Servomotor nicht nur drei Leistungsanschlüsse und einen Erdungsanschluss, sondern darüber hinaus mindestens sechs Anschlüsse für das Winkelmesssystem und zwei Anschlüsse für die Temperaturüberwachung. Da die Vielzahl der Anschlüsse bei der Verdrahtung leicht zu Fehlern führen kann, die die Inbetriebnahme unnötig verzögern, sind Servomotoren mit
112
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Steckverbindern zum fehlerfreien und schnellen Anschluss an den ServoUmrichter ausgestattet. Da Servomotoren immer am Umrichter betrieben werden, orientieren sich ihre Wicklungsdaten (Spannung, Frequenz) und damit ihre Drehzahl nicht an genormten Netzfrequenzen. Vielmehr gewinnt man durch das Loslösen von genormten Netzfrequenzen Freiheiten beim Betrieb dieser Motoren. Servomotoren werden sowohl in Asynchrontechnik als auch in Synchrontechnik angeboten (Abb. 3-22). Die Wahl des Motorprinzips erfolgt nach den jeweiligen Anforderungen an den Antrieb. Beide Motorprinzipien können ohne Probleme auch als Generator arbeiten. Die Wellendurchmesser und Flanschdurchmesser sind den StandardDrehstrommotoren angelehnt. Durch unterschiedliche Anbauten, wie z. B. einer Bremse oder den Typ des Winkelmesssystems wird der Motor an die jeweilige Anwendung angepasst. Da die Servomotoren immer am Umrichter betrieben werden, sind sie mit einer verstärkten Isolierung ausgestattet. Asynchron-Servomotoren. Bei den Asynchron-Servomotoren wird das Magnetfeld im Motor durch die elektrische Speisung aufgebaut. Dazu prägt der Servo-Umrichter einen Magnetisierungsstrom in den Motor ein. Mit dem Magnetisierungsstrom hat der Servo-Umrichter die Kontrolle über das Magnetfeld im Motor. Es gelten dieselben Gleichungen zur Beschreibung des elektromagnetischen Verhaltens wie für Standard-Drehstrommotoren. Die Servomotoren weisen gegenüber Standardmotoren kleinere Werte für die Wicklungswiderstände und die Streuinduktivitäten auf. Asynchron-Servomotoren besitzen einen weiten Drehzahlbereich mit reduziertem Drehmoment oberhalb der Bemessungsdrehzahl durch den Feldschwächbetrieb. Aufgrund ihrer höheren Massenträgheit gegenüber Synchron-Servomotoren eignen sie sich besonders für schwingungsfähige, weniger dynamische Mechaniken, z. B. für Antriebe mit langen Zahnriemen. Gegenüber den Kennlinien der Synchron-Servomotoren haben Asynchron-Servomotoren keine harte Drehzahlgrenze. Durch den weiten Feldschwächbereich der Motoren kann bei geringeren Drehmomenten ein weiter Drehzahlbereich weit oberhalb der Bemessungsdrehzahl gefahren werden (Abb. 3-23). Im kleinen Leistungsbereich werden Asynchron-Servomotoren eigenbelüftet ausgeführt. Durch den Einsatz eines Fremdlüfters kann ab einer Bemessungsleistung von 2 kW die Leistungsdichte einer Baugröße deutlich gesteigert werden.
Motoren
Drehmoment M in Nm
25
113
Mmaximal MDauerbetrieb MStillstand MN
20 15 10 5 0
0
2000
4000
6000 7500
Drehzahl in min-1
Abb. 3-23. Drehzahl-Drehmoment-Kennlinien eines Asynchron-Servomotors
Im Leistungsbereich von 10 bis 500 kW werden auch Bauformen verwendet, bei denen ein Luftstrom im Gehäuse durch die Wicklung geführt wird. Der Luftstrom wird durch kräftige Lüfter erzeugt, die entweder in axialer Richtung oder radial angeordnet sind. Die Bauarten ähneln denen von Gleichstrommotoren. Es werden sehr hohe Leistungsdichten erreicht. Es sinkt allerdings die Schutzart auf die Klasse IP 23. Synchron-Servomotoren. Synchron-Servomotoren erreichen gegenüber Asynchron-Servomotoren bei gleichem Bemessungsdrehmoment eine niedrigere Massenträgheit und haben kleinere Baugrößen. Das Ergebnis ist eine höhere Dynamik mit größeren Beschleunigungen. Bei Synchron-Servomotoren wird das Magnetfeld durch HochenergiePermanentmagnete erzeugt, die auf dem Rotor aufgebracht sind. Es ist kein Magnetisierungsblindstrom erforderlich. Durch den Wegfall der Verluste zum Aufbau des Magnetfelds haben Synchron-Servomotoren exzellente Wirkungsgrade und können häufig mit glatter Oberfläche ohne zusätzliche Belüftungsmaßnahmen in hoher Schutzart gebaut werden [Fr01]. Synchron-Servomotoren sind prädestiniert für hochdynamische Anwendungen und für den Betrieb in staubiger Umgebung. Abb. 3-24 zeigt den Querschnitt durch einen Synchron-Servomotor mit dem Aktivteil zur Drehmomenterzeugung, einem Resolver zur Winkelund Drehzahlmessung und einer Bremse zum Halten der Position im stromlosen Zustand. Deutlich ist zu erkennen, dass der aktive Teil zur Drehmomenterzeugung nur einen kleinen Teil des Gesamtvolumens ausmacht. Großzügige Wälzlager, die Haltebremse und der Winkelgeber machen einen großen Teil des Motorvolumens aus. Zusammen mit dem Servo-Umrichter stellen die Servomotoren einen Drehzahl-Drehmoment-Bereich zur Verfügung, in dem der Antrieb betrieben werden kann.
114
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Abb. 3-24. Querschnitt eines Synchron-Servomotors
Unterhalb der Maximaldrehmomentgrenze findet sich die Kennlinie für den thermisch zulässigen Betrieb. Die Punkte dieser S1-Kennlinie stellen die Betriebspunkte für den Dauerbetrieb bzw. den Ersatzdauerbetrieb dar. Der Bereich oberhalb des thermisch dauernd zulässigen Betriebs wird zum einen durch den zur Verfügung stehenden Strom begrenzt. Er bestimmt das maximal erreichbare Drehmoment (obere Grenze des Bereichs). Zum anderen begrenzt die maximale Ausgangsspannung der Umrichter die erreichbare Drehzahl des Motors (Begrenzung auf der rechten Seite). Die Drehzahlgrenze ist davon abhängig, ob die Regelung eine Feldschwächung erlaubt oder nicht. q
q
jùLSIS
IS jùL S RSIS
RSIS
IS
RS
Up
US
LS
Id ö
US
~
IS
IS=jIq
Up â
a) einsträngiges Ersatzschaltbild
Up
US
ÖF b) ohne Feldschwächung
jIq â
d
ÖF c) mit Feldschwächung
d
Abb. 3-25. Zeigerdiagramm des Synchron-Servomotors mit und ohne Feldschwächung
Motoren
115
Betrieb ohne Feldschwächung. Beim Betrieb ohne Feldschwächung wird nur ein Strom iq in Phase mit der Polradspannung über den Wechselrichter eingeprägt, sodass sich mit dem einsträngigen Ersatzschaltbild des Synchron-Servomotors das Zeigerbild in Abb. 3-25 b) ergibt. Das Ergebnis für einen konkreten Motor zeigt Abb. 3-26. Diese zeigt die Grenzkennlinie für verschiedene Netzspannungen. Je kleiner die Netzspannung ist, desto kleiner ist die erreichbare Drehzahl. Der Wechselrichter begrenzt die zur Verfügung stehende Spannung US entsprechend der momentanen Netzspannung, sodass mit zunehmender Drehzahl der im Motor maximal mögliche Strom Iq max und damit auch das maximal erreichbare Drehmoment durch die Spannung begrenzt wird.
Drehmoment in Nm
35
Mmaximal;440V Mmaximal;400V Mmaximal;360V MDauerbetrieb MStillstand MN MN;thermisch
30 20
10
0
0
1000
2000 3000 Drehzahl in min-1
4000 4500
Abb. 3-26. Drehzahl-Drehmoment-Kennlinien eines Synchron-Servomotors ohne Feldschwächung
Für einen zuverlässigen Betrieb muss die ungünstigste Grenzkennlinie für die auftretenden Spannungen berücksichtigt werden. Dies kann bei schwachen Netzen zu deutlichen Leistungseinbußen führen. Durch den Einsatz einer geregelten Netzeinspeisung im Umrichter wird dessen maximale Ausgangsspannung unabhängig von der Netzspannung, um den Arbeitsbereich des Servomotors nicht einschränken zu müssen (Kap. 3.4.1). Betrieb mit Feldschwächung. Naturgemäß ist beim permanenterregten Synchronmotor das Rotorfeld fest durch die Magnete vorgegeben und lässt sich im Betrieb nicht verstellen. Dieses erzeugt zusammen mit dem Strom Iq das Drehmoment. Durch das Einprägen eines gegenüber der Polradspannung UP voreilenden Stroms Id zusätzlich zum Strom Iq reduziert sich die Klemmenspannung US bei gleichem Drehmoment. Das Zeigerdiagramm zeigt Abb. 3-25 c). Durch den Strom Id ≠ 0 wird die Spannung des Motors verkleinert, bzw. die zugehörige Drehzahl vergrößert. Da das Drehmoment unverändert durch Iq erzeugt wird, verschiebt sich die Grenzkennlinie abhängig vom feldschwächenden Strom Id zu höheren Drehzahlen. Die Wir-
116
Das Antriebssystem und seine Komponenten
kung zeigt Abb. 3-27: Die linke Kurve zeigt die Grenzkennlinie ohne Feldschwächung, die rechte Linie die erreichbare Grenze bei einem optimalen feldschwächenden Strom. Der Drehzahlgewinn durch die Feldschwächung beträgt mehr als 800 min-1 bei Drehmomenten bis 20 Nm. Dieses ist eine deutliche Steigerung der Antriebsleistung, ohne dass eine größere Leistungselektronik erforderlich ist [Fr03, KiHeKo04].
Drehmoment in Nm
60
Grenzkennlinie bei 400V Netzspannung ohne Feldschwächung
50
Grenzkennlinie mit Feldschwächung
Stillstandmoment
40 30
Kennlinie für Dauerbetrieb
20
Bemessungsmoment
10 0 0
1500
3000
4500
Drehzahl in min-1
Abb. 3-27. Drehzahl-Drehmoment-Kennlinien eines Synchron-Servomotors mit Feldschwächung
Die Eignung eines Synchron-Servomotors für den Feldschwächbereich hängt stark von der Größe der Ständerinduktivität ab. Harte Motoren besitzen eine sehr geringe Streuinduktivität und sind daher kaum für eine Feldschwächung geeignet. Der Feldschwächbetrieb des Synchron-Servomotors ergibt unter anderem folgende Vorteile bei der Auslegung eines Antriebs: • Bei gleicher Umrichterleistung kann eine größere Wellenleistung zur Verfügung gestellt werden. • Beim Einbrechen der Netzspannung oder der Zwischenkreisspannung kann der Antrieb weiter sein Drehmoment ohne Drehzahleinbruch zur Verfügung stellen, sodass der Betrieb ungestört fortgesetzt werden kann und somit die Betriebssicherheit zunimmt. • Bei der Generierung der Drehzahlsollwerte muss die aktuelle Netzspannung oder der Einfluss einer hohen Leistungsaufnahme anderer Verbraucher aus dem Zwischenkreis nicht unbedingt berücksichtigt werden, da kurzzeitig diese Einflüsse auf die Drehzahlgrenze durch die Feldschwächung aufgefangen werden. Dadurch lässt sich die Sollwertgenerierung in einer komplexen Regelstruktur vereinfachen. • Bei Antrieben mit geringerem Drehmomentbedarf bei hohen Drehzahlen, z. B. Wickelantriebe, braucht die Antriebsleistung nicht mehr auf das Produkt aus höchstem Drehmoment und höchster Drehzahl bzw.
Motoren
117
höchstem Strom und höchster induzierter Spannung ausgelegt zu werden, sondern die tatsächlich höchste geforderte Leistung bestimmt die zu installierende Antriebsleistung, sodass sich solche Antriebe deutlich kostengünstiger gestalten lassen. 3.3.4
Linearmotoren und Direktantriebe
Bei Linearmotoren wird die Kraft für die lineare Bewegung direkt aus dem Zusammenwirken des Motorstroms mit dem Magnetfeld erzeugt. Bildlich gesprochen entsteht ein Linearmotor aus dem Abwickeln eines rotierenden Motors. Typischerweise wird das Magnetfeld wie beim SynchronServomotor mit Permanentmagneten aufgebaut. Die größte Verbreitung haben Ausführungen mit eisenbehaftetem Aktivteil in Flachbett- oder U-Form-Bauweise. Meist trägt der Primärteil eine 3-strängige Drehstromwicklung. Der Sekundärteil enthält die Permanentmagnete (Abb. 3-28). In der Regel werden mehrere Sekundärmodule auf dem festen Teil der Maschine befestigt, sodass die Gesamtlänge des Sekundärteils dem Verfahrweg plus der Länge des Primärteils entspricht.
Abb. 3-28. Aufbau eines Linearmotors
Der Primärteil ist mit dem bewegten Teil der Maschine verbunden und treibt diese an. Dazu wird die elektrische Leitung zum Primärteil über eine flexible Schleppkette (sogenannte Energiekette) mit dem Servo-Umrichter verbunden. Zur Positionserfassung wird längs des Verfahrwegs ein Sensor angebracht. Dessen Signale werden ebenfalls über eine flexible Leitung vom bewegten Teil der Maschine zum festen Teil übertragen. Grundsätzlich ist auch die Bewegung des Sekundärteils bei feststehendem Primärteil möglich, jedoch baut der Sekundärteil länger und ist daher aus konstruktiven Gründen häufig nicht im bewegten Teil unterzubringen.
118
Das Antriebssystem und seine Komponenten 105
Spitzenkraft in N
Spindelantriebe (Hubzylinder)
10
Linearmotoren
4
103 Spindelantriebe mit Linearführung
102 101 10–2
Zahnriemenantriebe
100 101 10–1 Geschwindigkeit in m/s
102
Abb. 3-29. Betriebsbereich von Linearmotoren
Asynchron-Linearmotoren weisen als Sekundärteil eine Aluminium- oder Kupferschiene als Kurzschlusselement auf. In Produktionsmaschinen kommen sie nur für kleine Vorschubkräfte in Frage, da sie einen recht kleinen Wirkungsgrad und ein großes Volumen aufweisen. Für die Regelung des Linearmotors ist ein Lineargeber erforderlich, der die Signale für die Strom-, Geschwindigkeits- und Lageregelung zur Verfügung stellen muss. Hier werden optische und magnetische Geber verwendet, wobei die optischen Geber die höhere Auflösung, aber auch die höheren Kosten haben. Ähnlich wie bei einem Synchron-Servomotor muss auch bei einem Linearmotor die Polradlage für die Antriebsregelung bekannt sein. Lineargeber mit absoluten Informationen haben hohe Kosten. Alternativ kann auch von der Antriebsregelung nach dem Einschalten ein Polradlageabgleich durchgeführt werden. Typische Daten von Linearmotoren sind: • • • •
Spitzenkraft Fmax = 100 N…10 kN, Dauerkraft FDauer = 50 N…5 kN, Geschwindigkeit v = 2…15 m/s und Beschleunigung bis über a = 100 m/s².
Abb. 3-29 zeigt die Betriebsbereiche von Linearmotoren im Vergleich zu Linearantrieben mit einer mechanischen Umsetzung der Drehbewegung eines Servomotors auf eine Linearbewegung (Kap. 3.6.6). Die Gleichungen zur Beschreibung des Betriebsverhaltens von Synchron-Servomotoren gelten auch für Linearmotoren, wenn man die rotatorischen Größen Drehzahl n, Drehmoment M und Polpaarzahl p durch die linearen Größen Geschwindigkeit v, Kraft F und Polteilung τ ersetzt: (3.56) n⋅ p = v p⋅τ
Motoren
Kraftverhältnis F / Fl
3
119
Maximalkraft Dauerkraft
2,5 2 1,5
Bemessungspunkt
1 0,5 0
1 0,8 0,6 0,2 0,4 1,2 Geschwindigkeitsverhältnis v / vn
1,4
Abb. 3-30. Grenzkennlinie für einen Synchron-Linearmotor
M ⋅ p = π⋅F τ
(3.57)
Auch bei Linearmotoren gibt es eine Grenzkennlinie, die den zulässigen Betriebsbereich beschreibt. Eine prinzipielle Kurve zeigt Abb. 3-30. Tabelle 3-6 zeigt die Vorteile von Linearmotoren gegenüber Linearantrieben mit Servomotoren und einer mechanischen Umsetzung. Beim Einsatz von Linearmotoren sind allerdings auch die in Tabelle 3-7 aufgeführten Einschränkungen zu beachten. Tabelle 3-6. Vorteile von Linearantrieben mit Linearmotoren Sehr gute Regelbarkeit, da das System im Vergleich zum konventionellen Aufbau mit Zahnriemenantrieb wesentlich höhere Steifigkeiten und damit höhere Resonanzfrequenzen besitzt. Sehr hohe Beschleunigungen möglich, da aufgrund der fehlenden Resonanzen weniger Schwingungen angeregt werden. Sehr hohe Geschwindigkeiten, da kritische Drehzahlen oder kritische Geschwindigkeiten an Übertragungselementen, z. B. Spindeln, nicht berücksichtigt werden müssen. Hohe Genauigkeit, da kein Spiel vorhanden ist. Hohe Laufruhe bzw. Laufgüte, da kein mechanisches Übertragungselement vorhanden ist, besonders bei eisenlosen Wicklungsteilen.
→ Hohe Reglerverstärkungen
→ Hohe Beschleunigungen
→ Hohe Geschwindigkeiten
→ Hohe Genauigkeit → Hohe Laufgüte
120
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Tabelle 3-7. Einschränkungen von Linearantrieben mit Linearmotoren Der gesamte Fahrweg ist magnetisch und neigt daher zum Aufsammeln von Eisenpartikeln. Für eine einwandfreie Funktion des Motors (Luftspalt) muss die Führung sehr genau sein, auch wenn die Anwendung keine genauen Führungen verlangt. Die Normalkraftbelastung stellt eine erhebliche Belastung der Lager dar – normalkraftarme Ausführungen sind aufwändiger. Mechanische Bremsen für Linearmotoren sind aufwändig.
→ Abdichtung erforderlich → Aufwändige und teure Führung → Reduzierte Lebensdauer
→ Teuer, groß, Probleme bei vertikal betriebenen Linearachsen → Wartungsintensiv, reduzierte Lebensdauer
Die Energiezuführung erfolgt in der Regel über bewegte Energieketten, die Platz benötigen und einem Verschleiß unterliegen (Kabelbruch, Verschleiß der Kettenteile). Der Motor gibt seine Verlustwärme an die bewegten → Störende Erwärmung am Teile der Maschine ab. Prozess, Flüssigkeitskühlung des Motors notwendig Das Bauvolumen ist im Vergleich zu mechanischen → Größere Maschine Lösungen hoch, z. B. wird für eine Kraft von 2 kN ein Motor mit einer aktiven Fläche von ca. 10 x 25 cm2 benötigt; alternativ käme eine Kugelumlaufspindel mit ∅ 10 mm und einer Mutter ∅ 24 x 10 mm in Frage. Die Rückführung ist sehr aufwändig. → Teuer
Linearmotoren kommen dann zum Einsatz, wenn konventionelle Lösungen aufgrund sehr hoher technischer Anforderungen hinsichtlich • • • •
Geschwindigkeit, Beschleunigung, Genauigkeit, Grenzfrequenz bzw. Verstärkungsfaktor und Zuverlässigkeit, Wartungsarmut
nicht realisierbar sind [ObSaPo01]. Mit zunehmenden Anforderungen an Maschinen wird ihr Anteil steigen. Dennoch ist davon auszugehen, dass auf längere Zeit aufgrund des hohen Kostennachteils von Linearmotoren die klassischen Antriebe mit rotierendem Servomotor den weitaus größten Anteil an Servoantrieben stellen werden. Torquemotoren. Neben linearen Direktantrieben gibt es auch langsam drehende rotatorische Direktantriebe, die als Torquemotoren bezeichnet werden. Obwohl die Baugröße und damit die Kosten eines Motors durch das Drehmoment bestimmt werden und durch eine möglichst hohe Bemes-
Motoren
121
sungsdrehzahl die maximale Leistung realisiert werden kann, ist in einigen Anwendungen der Einsatz eines Getriebes zur Anpassung der Motordrehzahl an den Arbeitsprozess störend. In diesen Fällen werden hochpolige Direktantriebe eingesetzt. Torquemotoren werden vorwiegend als Synchron-Servomotoren mit einer hohen Polpaarzahl realisiert. Es dominieren kurze Bauformen mit einem großen Durchmesser. Über die Wicklung wird die Bemessungsdrehzahl an die benötigte Geschwindigkeit angepasst. Bemessungsdrehzahlen reichen bis zu 50 min-1 hinunter. Spitzendrehmomente bis über 30.000 Nm werden angeboten. Häufig werden Hohlwellen und große Innendurchmesser verwendet. Auch die Ausführung als gehäuselose Motorbausätze, die konstruktiv in die Maschine integriert werden, ist gebräuchlich. Um die Kühlung zu gewährleisten, wird in vielen Anwendungen eine Flüssigkeitskühlung eingesetzt [HaSt03]. Da die Anpassung eines Torquemotors an den Arbeitspunkt einer Anwendung häufig die Modifikation der Wicklung erfordert, werden Torquemotoren in der Regel nicht als Standardprodukte, sondern als anwendungsspezifische Varianten angeboten. Anders als bei StandardServomotoren mit Getrieben ist es nicht so einfach, Standardbaureihen zu definieren, die einen hohen Anwendungsraum abdecken. Ähnlich wie bei Linearmotoren wird der Einsatz von Torquemotoren zunehmen, sich aber auf Anwendungen beschränken, die besonders hohe Anforderungen an das Antriebsverhalten haben. Die Kombination eines Standard-Drehstrommotors oder Servomotors mit einem Getriebe wird die dominierende Ausführung eines Antriebs bleiben.
3.3.5
Betriebsgrenzen von Motoren
Für einen zuverlässigen Betrieb der Elektromotoren dürfen die zulässigen Betriebsgrenzen des Motors nicht überschritten werden. Hierzu gehören folgende Grenzen: • Maximales Dauerdrehmoment, das durch thermische Grenzen bestimmt wird, • maximales Spitzendrehmoment, das durch die Auslegung des Magnetkreises festgelegt wird (z. B. Eisensättigung, Entmagnetisierung der Permanentmagnete beim Synchron-Servomotor), • maximale Drehzahl, definiert durch mechanische Festigkeiten und die Lager, • maximale Spannung, definiert durch das Isolationssystem, • Feldschwächgrenzen,
122
Das Antriebssystem und seine Komponenten
• mechanische Belastbarkeit der Welle, • Schutzklasse, • Eignung für den Hygienebereich in der Lebensmittelindustrie (Edelstahlwelle, glatte Oberflächen) und • Eignung für Umgebungen, in denen eine Explosionsgefahr besteht.
d
Fr1
Fr2
Die thermischen Grenzen der Motoren sind mit Rücksicht auf die Lebensdauer der Isolierstoffe und der Lagerfette gegeben. Eine Überschreitung der Temperaturen verkürzt die Lebensdauer. Eine kurzzeitige Überschreitung ist in der Regel unproblematisch. Im Motor entstehen belastungsunabhängige Leerlaufverluste, die den Motor bereits ohne Drehmomentbelastung erwärmen, sowie lastabhängige Verluste. Die Leerlaufverluste PV0 sind von der Drehzahl abhängig: PV 0 ~ n K n 2 (3.58) Die lastabhängigen Verluste PVL steigen etwa mit dem Quadrat des Drehmoments: PVL ~ M 2 (3.59) Die thermischen Grenzen sind durch die Bemessungsleistung PN bzw. das Bemessungsdrehmoment MN des Motors bei der Bemessungsdrehzahl nN und das im Stillstand erreichbare Haltedrehmoment M0 gegeben. Eine thermische Überlastung bei den zulässigen Umgebungstemperaturen wird vermieden, wenn im Drehzahl-Drehmoment-Diagramm der thermische Betriebspunkt aus effektivem Drehmoment Meff und mittlerer Drehzahl nmittel (Kap. 3.1.7) unterhalb der Grenze aus dem Haltedrehmoment M0 bei Stillstand und dem Bemessungspunkt nN, MN liegt.
Fa
l/2
l Abb. 3-31. Radialkraft und Axialkraft an der Motorwelle
Motoren
123
Torsionsmoment MT in Nm
Die erreichbaren Drehzahlen und Drehmomente werden durch die zur Verfügung stehende Spannung des Umrichters und den limitierten Umrichterstrom begrenzt. Das Zusammenwirken von Umrichter und Motor spiegelt sich in der Drehzahl-Drehmoment-Grenzkennlinie. Ein Betrieb ist nur möglich, wenn alle geforderten Betriebspunkte innerhalb der Drehzahl-Drehmoment-Grenzkennlinie liegen. Der mechanische Aufbau und die magnetischen Eigenschaften z. B. der Dauermagnete bei Synchronmotoren begrenzen das maximal zulässige Drehmoment Mmax. Dieses Drehmoment darf auch nicht kurzzeitig überschritten werden. Das gleiche gilt für die Maximaldrehzahl nmax. Sie darf mit Rücksicht auf die Fliehkräfte und Resonanzerscheinungen im Rotor nicht überschritten werden. Mit Rücksicht auf die Belastung der Abtriebswelle und die Lebensdauer der Kugellager des Motors, dürfen die Radial- und die Axialkraftbelastung der Welle Grenzen nicht überschreiten, die im Datenblatt angegeben sind. Abb. 3-31 zeigt die auf die Welle wirkenden Kräfte. Die Kräfte entstehen bei der Übertragung des Drehmoments auf die mechanischen Übertragungselemente, z. B. Zahnriemen, Keilriemen oder Zahnräder. Die Kräfte belasten zusammen mit dem Drehmoment die Welle. Dementsprechend darf die Kombination aus Drehmoment und Kraft die Welle nicht überlasten. Abb. 3-32 zeigt für einen konkreten Motor abhängig von der Wellengestaltung (glatte Welle oder Welle mit Passfedernut) die Grenzen der mechanischen Belastbarkeit für die kombinierte Belastung. Kraftschluss
150
100
MT(Fr1) MT(Fr2)
Formschluss (Passfeder)
50
0 0
1000
2000 3000 Radialkraft Fr in N
4000
Abb. 3-32. Belastbarkeit der Motorwelle bei kraftschlüssiger und formschlüssiger Verbindung zwischen Motorwelle und Übertragungselement
Die Kräfte werden von den Kugellagern des Motors aufgenommen. Kugellager besitzen eine von der Belastung und der Drehzahl abhängige Lebensdauer. Üblicherweise wird die Lebensdauer Lh10 angegeben, die angibt, dass diese Lebensdauer von 90% der Lager erreicht wird. Abb. 3-33 zeigt den Zusammenhang zwischen einer Belastung durch eine Axial- und Radialkraft sowie der Anzahl an Umdrehungen, die 90% der Lager errei-
124
Das Antriebssystem und seine Komponenten
chen. Dabei ist auch die innere Belastung der Lager durch die Lagervorspannung im Motor berücksichtigt. Die Anzahl der Umdrehungen uh10 führt zusammen mit der Drehzahl n auf die Lagerlebensdauer. u Lh10 = h10 (3.60) n
Radialkraft Fr1 in N
2000
1500
1,2·109 2,4·109 4,8·109 7,2·109 1,2·1010
1000 500 0 –2000 –1000 –1500 –500 500 0 Axialkraft Fa in N
1000 1500
Abb. 3-33. Lagerlebensdauer in Abhängigkeit von der Radial- und Axialkraft in Umdrehungen (5.000 bis 50.000 Betriebsstunden und 4.000 min-1 Drehzahl)
Die genannten Beziehungen gelten in gleicher Weise für Linearmotoren, wenn anstelle von Drehmoment und Drehzahl die Kraft und die Geschwindigkeit des Motors betrachtet werden. Anstelle der Kugellagerlebensdauer tritt die Lebensdauer der Linearführung, die von der Geschwindigkeit und von der Kraftbelastung abhängt. 3.3.6
Winkel- und Drehzahlmesssysteme
Geregelt betriebene Antriebe werden mit einem Messsystem für die Drehzahl und die Winkellage ausgestattet, sogenannte Winkelgeber, um eine hohe Drehzahl- und Positioniergenauigkeit zu erreichen. Diese Positionsmesssysteme bzw. Winkelsensoren schließen den Regelkreis für Drehzahl und Drehwinkel. Sie liefern die Istdrehzahl und den Istwinkel an die Regelung zum Vergleich mit den Sollwerten zurück. Weiterhin liefern sie für Antriebe mit Synchronmotoren die Rotorlageinformationen für die Stromregelung. Die Drehzahl wird durch Differenzierung des Winkels gebildet. Diese Differenzierung ist Bestandteil der Winkelauswertung. dϕ (3.61) n = 1 2 π dt Der Winkelgeber ist im Motor integriert. Er wird vom Umrichter ausgewertet.
Motoren
125
Abb. 3-34. Winkelgeber eingebaut in Servomotoren: a: Resolver, b: Inkrementalgeber (Encoder), c: Sin-Cos-Absolutwertgeber
Die Anforderungen an die Genauigkeit hängen von der Anwendung ab, in der der Motor eingesetzt wird. Damit die Motoren in den unterschiedlichen Anwendungen optimal eingesetzt werden können, stehen unterschiedliche Gebersysteme zur Verfügung. Die Anordnung des Winkelgebers in einem Servomotor ist in Abb. 3-34 zu sehen. Optische Winkelgeber bieten eine höhere Genauigkeit, aber sie verursachen auch höhere Kosten. Tabelle 3-8. Vergleich der Winkelgeber Gebertyp
Prinzip
Genauigkeit Absolut aufgelöste Umdrehungen Resolver Magnetisch ±10 arcmin 1 Encoder Optisch ±10 arcmin Keine Sin-Cos-Single-Turn- Optisch ±2 arcmin 1 Absolutwertgeber Sin-Cos-Multi-Turn- Optisch ±2 arcmin Bis 4096 Absolutwertgeber
Die Tabelle 3-8 zeigt die wesentlichen Eigenschaften der verschiedenen Winkelgeber im Vergleich. Mit diesen Angaben ist häufig bereits eine Auswahl des geeigneten Gebers möglich. Details zur Funktionsweise und zu den Eigenschaften der Winkelgeber finden sich in den folgenden Abschnitten. Dort werden die Geber für rotatorische Antriebe beschrieben, die Aussagen gelten sinngemäß auch für Lineargeber.
126
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Gehäuse Ringtransformator Statorwicklung 2 Rotorwicklung S2
Statorwicklung 1
R
S1
Motorwelle
Abb. 3-35. Schnittbild und Prinzip eines Resolvers
Resolver. Resolver sind magnetisch arbeitende Winkelgeber, die aus einem Ringtransformator und dem eigentlichen Resolverteil mit einer einsträngigen Rotorwicklung und einer zweisträngigen Statorwicklung der Polpaarzahl p bestehen. Das Wirkprinzip nutzt die winkelabhängige Kopplung zwischen den Wicklungen im Rotor und im Stator. Aus dem Verhältnis der induzierten Spannungen werden der Winkel und die Drehzahl ermittelt. Resolver sind elektromechanische Winkelmessgeräte ohne elektronische Bauteile. Sie werden von einer im Servo-Umrichter befindlichen elektronischen Schaltung versorgt und ausgewertet. Dadurch sind sie gegenüber anderen Messgeräten, z. B. Winkelgebern mit optoelektronischer Auswertung, äußerst robust. Resolver bestehen aus denselben Materialien wie die Servomotoren: Kupfer und Eisen (Abb. 3-35). Damit weisen sie, verglichen mit optischen Winkelgebern, eine wesentlich höhere Robustheit auf. Resolver ertragen extreme Temperaturen und Vibrationen und sind gegen Spannungsstörungen resistent. Die empfindliche Elektronik ist geschützt im Schaltschrank und kommt mit den Umwelteinflüssen nicht in Kontakt. Resolver liefern Winkelinformationen innerhalb einer Umdrehung absolut, also nicht nur inkrementell. Dadurch können auch die Rotorlageinformationen für die Stromregelung des Synchron-Servomotors direkt aus den Resolversignalen gebildet werden. Sofort nach dem Einschalten des Antriebs ist damit die winkelrichtige Stromvorgabe möglich. Aufwändige Referenzfahrten oder zusätzliche Maßnahmen zur absoluten Winkelmessung entfallen. Die einzige Voraussetzung hierfür ist, dass die Polpaarzahl des Motors ein ganzzahliges Vielfaches der Resolverpolpaarzahl ist. Dies macht sie zu attraktiven Drehzahl- und Winkelmessgeräten für elektrische Antriebe. Mithilfe des Ringtransformators wird in den einsträngigen Läufer eine Trägerfrequenzspannung mit der Amplitude Ue übertragen. Die Trägerfrequenzspannung induziert in den beiden Strängen der Statorwicklung Spannungen Ucos und Usin. Da die beiden Stränge elektrisch um 90° versetzt
Motoren
127
sind, sind die Amplituden der Spannungen kosinusförmig bzw. sinusförmig vom Drehwinkel abhängig: (3.62) U cos = U e ⋅ ü tr ⋅ ü rs ⋅ cos( p ⋅ ϕ) U sin = U e ⋅ ü tr ⋅ ü rs ⋅ sin( p ⋅ ϕ) (3.63) ütr ist dabei das Übersetzungsverhältnis des Ringtransformators, ürs das der Rotor- zu den Statorwicklungen. Aus dem Verhältnis der Spannungen lässt sich der Drehwinkel bestimmen: ⎛U ⎞ ϕ mess = 1 ⋅ tan −1 ⎜ sin ⎟ (3.64) p ⎝ U cos ⎠ Der gemessene Winkel φmess weicht aufgrund von Messungenauigkeiten von dem tatsächlichen Winkel φ ab. Die Messungenauigkeit beträgt etwa ±10 Winkelminuten (arcmin). Durch eine Messung des Fehlers des Resolvers und eine Kompensation in der elektronischen Auswertung lässt sich der Fehler auf ±4 arcmin reduzieren. Damit beträgt die Genauigkeit ca. 10 bis 11 bit pro Umdrehung. Die Auflösung der Winkelmessung dagegen kann durch geeignete Maßnahmen bis auf 14 bis 16 bit erhöht werden. Zur Durchführung der Berechnung von φmess existieren verschiedene Verfahren. Sie sind in der Regel Bestandteil der Signalverarbeitung von Servo-Umrichtern. Da die Amplituden Ucos und Usin der Statorspannungen durch synchrone Gleichrichtung bzw. Abtastung der Trägerfrequenzsignale gewonnen werden, ist besonders auf eingekoppelte Störungen mit dieser Trägerfrequenz zu achten. Inkrementalgeber (Encoder). Bei Inkrementalgebern wird eine Strichscheibe optisch abgetastet. Aus dem optischen Signal werden Rechtecksignale oder sinusförmige Signale mit vorzugsweise 2048 oder 4096 Pulsen je Umdrehung generiert. Es werden zwei um eine halbe Pulslänge versetzte Signale erzeugt, die eine Winkelmessung und Drehrichtungserkennung zulassen (Abb. 3-36). Bei Gebern mit Rechtecksignalen werden die Flanken der Signale zum Zählen der Winkelbewegung genutzt. Die Drehrichtung kann durch Vergleich der Flankenrichtung und des Signals der anderen Spur erkannt werden. Damit lassen sich insgesamt Winkelauflösungen der vierfachen Strichanzahl erreichen. Bei einem Inkrementalgeber mit 2048 Strichen sind dieses 13 bit für eine Umdrehung. Bei Gebern mit sinus- und kosinusförmigen Signalen wird das Verhältnis der Signale zueinander genutzt, um den Winkel innerhalb einer Periode durch den Arkustangens zu bestimmen. Dadurch liefern Inkrementalgeber mit Sin-Cos-Auswertung eine höhere Auflösung als Inkrementalgeber mit rechteckförmigen Signalen bei gleicher Strichzahl [SchRoLe85, Ku05]. Der Winkel innerhalb einer Periode (z = Anzahl der Perioden) ergibt sich aus den Sinus- und Kosinusspannungen zu:
128
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Spur: –Sinus Spur: +Sinus
Gebersignale
Spur: –Cosinus Spur: +Cosinus
Spur: +A Spur: –A
Spur: +B Spur: –B
Drehwinkel ö
Abb. 3-36. Signale verschiedener Inkrementalgeber (Encoder)
− U − sin ⎞ ⎛U ϕ mess = 1 ⋅ tan −1 ⎜ +sin ⎟ z ⎝ U + cos − U − cos ⎠
(3.65)
Mit dieser Auswertung kann die Auflösung gegenüber der digitalen Auswertung um weitere 8 bis 10 bit erhöht werden. Insgesamt entsteht damit ein Messsystem, das eine Winkelauflösung von über 20 bit pro Umdrehung erreicht. Diese hohe Winkelauflösung führt zusätzlich zu der hohen Positioniergenauigkeit auch zu einem exzellenten Rundlaufverhalten bei kleinen Drehzahlen. Die Geber liefern nur inkrementelle Winkelsignale, sodass zum Betrieb von Synchronmotoren die Kommutierungsinformation fehlt. Inkrementalgeber eignen sich daher besonders für Asynchron-Servomotoren. Für Synchronmotoren werden teilweise Inkrementalgeber mit zusätzlichen Kommutierungssignalen eingesetzt. Diese Geber liefern neben den inkrementellen Signalen zusätzlich Impulse, die der Polpaarzahl der Motoren entsprechen. Für 3-strängige Synchronmotoren sind dies drei Signale U, V, W oder für eine bessere Störfestigkeit und Übertragungssicherheit sechs Differenzsignale +U, -U, +V, -V, +W, -W. Diese Signale verwendet der Servo-Umrichter zur Einprägung des Motorstroms in die drei Stränge des Motors. Von Vorteil ist bei diesem Konzept die kostengünstige Realisierbarkeit der Auswertung im Servo-Umrichter. Nachteilig ist die große Leitungszahl. Hierdurch werden teure Leitungen und Steckverbinder benötigt. Absolutwertgeber. Für viele Anwendungen soll direkt nach dem Einschalten der Anlage die absolute Winkellage des Antriebs bekannt sein. Das heißt, dass entweder der Winkel innerhalb einer Umdrehung (SingleTurn) sofort bekannt sein soll oder sogar die Umdrehung innerhalb eines
Motoren
129
festgelegten Bereichs, z. B. von 4096 Umdrehungen (Multi-Turn) unmittelbar zur Verfügung steht. Die Absolutinformation innerhalb einer Umdrehung ist z. B. als Information zum direkten Start von Synchron-Servomotoren erforderlich, sodass von Anfang an die Ströme richtig den drei Strängen der Wicklung zugeordnet werden. Anwendungen mit einer absoluten Winkelinformation von bis zu 4096 Umdrehungen sind z. B. Spindelvorschubachsen. Durch die Spindel und das Getriebe zwischen Motor und Spindel sind für den gesamten Verfahrweg der Spindel viele Umdrehungen des Motors erforderlich. Beispielsweise werden bei einer Spindelsteigung von 5 mm und einer Getriebeübersetzung von i = 10 insgesamt 2.000 Motorumdrehungen für einen Verfahrweg von 1.000 mm benötigt. Hier bieten Multi-TurnAbsolutwertgeber die Möglichkeit, ohne eine Referenzfahrt sofort auf die Zielposition zu fahren und mit der Produktion zu starten. Dies verkürzt die Einschaltzeit einer Maschine ganz erheblich. Zur Realisierung erhalten Single-Turn-Absolutwertgeber neben der inkrementellen Sin-Cos-Spur auf der Codescheibe zusätzliche Spuren, die die absolute Winkelerkennung zulassen. Der absolute Winkel wird über eine serielle Schnittstelle zum Servo-Umrichter übertragen. Folgende Schnittstellen zur Datenübertragung haben sich etabliert: • • • •
SSI – synchron serielle Datenübertragung, HIPERFACE – asynchrone Datenübertragung, EnDat – synchrone Datenübertragung und BiSS – synchrone Datenübertragung.
Multi-Turn-Absolutwertgeber besitzen ein zusätzliches Getriebe und zusätzliche Sensoren, um bis zu 4096 Umdrehungen direkt unterscheiden zu können. Die Position wird wie bei den Single-Turn-Gebern seriell übertragen. In den letzten Jahren hat sich bei den Winkelgebersystemen eine Digitalisierung der Schnittstelle vollzogen. Die klassische ABZ-Schnittstelle ist durch digitale Signale erweitert worden. HIPERFACE kommuniziert über die Z-Spur mit dem Geber, sodass Absolutinformationen ausgetauscht werden können. Bei EnDat 2.1 liegt eine synchron serielle Schnittstelle zusätzlich zu der ABZ-Schnittstelle vor, sodass der Winkelgeber parallel ausgelesen werden kann. Zur Regelung eines Servomotors ist eine rein digitale Schnittstelle geeignet, wenn die Isochronität der Daten sichergestellt ist und wenn die Schnittstelle die Daten schnell genug im Reglertakt (z. B. 16 kHz) liefern kann. Die Weiterentwicklung zu EnDat 2.2 ermöglicht Übertragungsraten von 4 Mbit/s; damit kann die analoge ABZ-Schnittstelle entfallen, sodass
130
Das Antriebssystem und seine Komponenten
die Kabel weniger Adern aufweisen und damit preiswerter und aufgrund der digitalen Übertragung störsicherer werden [Ku06]. In Konkurrenz zu EnDat ist der offene Standard BiSS entstanden, den zahlreiche Geberhersteller in ihren Produkten einsetzen.
3.3.7
Motorbremsen
Dr. Sven Hilfert Ein Drehstrommotor baut ein Drehmoment nur dann auf, wenn er mit elektrischer Energie versorgt wird. Wenn Antriebe mechanisch abgebremst werden müssen oder Lasten halten müssen, auch wenn die Energieversorgung ausgefallen ist, dann werden Bremsen eingesetzt. Diese werden bedarfsweise in die Motoren eingebaut. Aufgaben für Motorbremsen. Die mittels elektrischer Motoren zu lösenden Antriebsaufgaben sind sehr vielfältig, sodass auch an die Bremsen der Motoren die unterschiedlichsten Anforderungen gestellt werden. Die hauptsächlichen Anwendungsgebiete sind im Folgenden aufgeführt. Praktisch hat in den meisten Anwendungsfällen eine Bremse mehr als eine der angegebenen Aufgaben zu erfüllen. Dies muss insbesondere bei der Auswahl des Bremsentyps und der Dimensionierung der Bremse berücksichtigt werden. Die Bremse muss somit meist mehreren Dimensionierungskriterien gerecht werden. Die Hauptanwendungsgebiete von Motorbremsen sind:
• Die Haltebremse zum statischen Halten z. B. einer Position in Stillstandszeiten eines Roboter-, Fahr-, Gleichlauf- oder eines Hubantriebs. Die Dimensionierungsgrundlage ist in diesem Fall der Sicherheitsfaktor gegenüber dem zu haltenden Lastmoment. Die reine Haltefunktion ist dadurch gekennzeichnet, dass keine Reibungsarbeit verrichtet wird. Bei Haltebremsen kann je nach Applikation das Verdrehspiel der Bremse ein wichtiges Merkmal sein, da es die Positioniergenauigkeit des Antriebs in der Stillstandszeit direkt beeinflusst. • Die Notstoppbremse dient zum Stillsetzen rotatorisch oder translatorisch bewegter Massen, z. B. beim dynamischen Abbremsen von Fahr- oder Hubantrieben in Notsituationen, d. h., es handelt sich um außergewöhnliche Situationen, die nur sporadisch auftreten. Beim Notstopp wird kinetische Energie in Reibungsarbeit und damit in Wärme umgesetzt. Die Bremse ist hauptsächlich im Hinblick auf die Bremszeit, den Bremsweg und die Verzögerung zu dimensionieren. Weiterhin muss überprüft werden, ob beim Notstopp die zulässige Reibungsarbeit der Bremse nicht überschritten und die gewünschte Lebensdauer der Bremse erzielt wird,
Motoren
131
da bei diesen Bremsen meist nur ein geringer Verschleiß durch Reibungsarbeit zulässig ist. Weitere Kriterien für die Auswahl einer Notstoppbremse sind zulässige Maximalbremsmomente, die zu einer Beschädigung nachgeschalteter Antriebselemente, wie z. B. Getriebe, Anlagenmechanik, etc., führen können. • Eine Arbeits- oder Betriebsbremse dient zum kontrollierten Stillsetzen von rotatorisch oder translatorisch bewegten Massen und ist für die Verrichtung von Reibungsarbeit konzipiert. Der Hauptunterschied zur Notstoppbremse hinsichtlich der Anwendung besteht darin, dass es sich bei dem Bremsvorgang mit Umsetzung von Reibungsarbeit nicht um ein sporadisch auftretendes Ereignis handelt, sondern einen normalen, zyklisch wiederkehrenden Vorgang. Die bei jedem Bremsvorgang auftretende Wärme und der damit verbundene Verschleiß der Reibflächen ist dementsprechend bei der Dimensionierung neben den Bremszeiten, Bremswegen und Verzögerungen eine der wichtigsten zu betrachtenden Größen. Bremsentypen. In Elektromotoren werden in Abhängigkeit vom Aufbau des Motors und den Zielapplikationen zwei unterschiedliche Typen von Bremsen eingesetzt:
• Permanentmagnetbremsen (PM-Bremsen) und • Federkraftbremsen. Diese beiden Bremsen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Funktionsweise und ihrem spezifischen Verhalten und werden im Folgenden näher betrachtet. Permanentmagnetbremsen. Bei den PM-Bremsen wird die Kraft zur Erzeugung des Bremsmoments durch Permanentmagnete, z. B. NeodymEisen-Bor, oder Ferrite aufgebaut. Den prinzipiellen Aufbau zeigt Abb. 3-37, den Einbau in einen Servomotor Abb. 3-38. Die Ankerscheibe der Bremse ist mit dem Bremsrotor bei den heute üblichen konstruktiven Ausführungen über Blattfedern verbunden, sodass dieser Bremsentyp ein sehr geringes Verdrehspiel aufweist, welches durch die Steifigkeit der Federn bestimmt ist (verdrehspielfrei). Im eingebauten Zustand stützt sich bei der dargestellten Ausführungsform der Bremsrotor auf dem Innenring des Kugellagers ab, sodass die Federn in axialer Richtung infolge der Anziehungskräfte der Permanentmagnete vorgespannt werden und sich bei gelüfteter Bremse zwischen Ankerscheibe und Bremsrotor ein Luftspalt einstellt.
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
Abb. 3-37. Aufbau einer Permanentmagnetbremse
Abb. 3-38. Einbau einer Permanentmagnetbremse in einen Servomotor
Der Bremsrotor ist fest mit der Motorwelle, der Flansch mit dem Lagerschild des Motors verbunden. Da sowohl der Bremsrotor als auch der Bremsflansch fest mit Bauteilen des Motors verbunden sind, müssen eventuelle mechanische Toleranzen des Motors oder Wärmedehnungen von Bauteilen, die den Luftspalt der Bremse beeinflussen können, bei der Konstruktion des Motors berücksichtigt sein.
Motoren
133
Bremsen, Verknüpfen der PM-Bremse: Die Bremse arbeitet nach dem Ruhestromprinzip, d. h., im stromlosen Zustand ist die Bremse geschlossen. Das Magnetfeld der Permanentmagnete wird über Innen- und Außenpol zum Anker geleitet. Der Anker aus magnetischem Stahl wird durch das Magnetfeld angezogen, die Kraft FM der Permanentmagnete ist größer als die Rückstellkraft der Federn FF (FM > FF) und erzeugt durch Reibung zwischen den feststehenden Polen und der rotierenden Ankerscheibe das Bremsmoment. Das aufgebaute Bremsmoment ist abhängig von den Reibungswerten der Reibflächen, der Federkraft und den Magnetkräften. Die Remanenzinduktion der eingesetzten PM-Magnete weist einen negativen Temperaturkoeffizienten auf, daher reduziert sich mit steigender Temperatur die Magnetkraft und damit das Drehmoment der Bremse (typische Werte liegen bei ca. -10 bis -12% bei Änderung der Betriebstemperatur von 20 auf 120°C). Lüften der PM-Bremse: Bei Bestromung der Bremsspule wird im Bereich der Ankerscheibe das Feld der Permanentmagnete kompensiert (FM ~ 0). Der Anker löst sich aufgrund der Rückstellkraft der Federn FF restmomentfrei von den Polen. Wird die an die Bremse angelegte Spannung über die zulässige Anschlussspannung erhöht, ist der magnetische Fluss im Bereich der Ankerscheibe ungleich null und es wird wieder eine Kraft auf die Ankerscheibe ausgeübt. Die Bremse schließt wieder. PM-Bremsen besitzen daher ein sogenanntes Lüftfenster, in welchem die Bremse geöffnet ist. Je nach Ausführung des magnetischen Kreises ist für PM-Bremsen bei Raumtemperatur ein Lüftfenster zwischen ca. 0,7 bis 1,3 UB typisch, bei neueren Konstruktionen auch bis ca. 2 UB. Bei Änderung der Betriebstemperatur der Bremse verschieben sich die Grenzen durch den Temperaturgang des Wicklungswiderstands und der Remanenzinduktion der Magnete, sodass über den gesamten Betriebstemperaturbereich typisch ein Fenster von 0,85 bis 1,15 UB nutzbar ist. Dieser Bremsentyp besitzt eine Reibfläche und kann mit und ohne zusätzlichen organischen Reibbelag ausgeführt werden. Durch den Einsatz eines organischen, nichtmagnetischen Reibbelags entsteht zwischen der Ankerscheibe und den Polflächen ein zusätzlicher Luftspalt, der die Magnetkraft auf die Ankerscheibe und damit das erreichbare Bremsmoment reduziert. PM-Bremsen werden daher zur Erreichung möglichst hoher Bremsmomente vorwiegend ohne Reibbelag ausgeführt, das Reibsystem beruht auf einer Stahl-Stahl-Reibung. Durch den Verschleiß der Reibflächen vergrößert sich der Luftspalt der Bremse. Beim Erreichen der Verschleißgrenze wird der Luftspalt so groß, dass die Magnetkraft nicht mehr ausreicht, um die Ankerscheibe anzuziehen. Die Bremse schließt nicht mehr (MB = 0).
134
Das Antriebssystem und seine Komponenten
PM-Bremsen sind vorwiegend als Haltebremsen mit Notstoppfunktion ausgelegt. Dies ist zum einen in ihrem Reibsystem und zum anderen in ihrer eingeschränkten Wartbarkeit begründet. Typischerweise sind diese Bremsen im Motorinneren integriert, sodass beim Verschleiß der Bremse der komplette Motor ausgebaut und demontiert werden muss. Federkraftbremsen. Bei diesen Bremsen wird die Kraft zur Erzeugung des Bremsmoments durch Federn erzeugt. Den prinzipiellen Aufbau zeigt Abb. 3-39, den Anbau an einen Drehstrommotor Abb. 3-40. Das Magnetgehäuse ist in dem dargestellten Beispiel fest mit dem B-Lagerschild des Motors verschraubt. Für die Reibflächen gibt es eine Reihe von Ausführungsformen: Bei hochwertigen Ausführungen wird entweder die Bremse mit eigenem Lagerschild ausgestattet oder eine Reibscheibe (Reibblech) an das B-Lagerschild angebracht, sonst dient das B-Lagerschild direkt als Gegenlauffläche. Die Ankerscheibe wird gegen Verdrehen am Magnetgehäuse über Hülsenschrauben oder Führungsbolzen abgestützt. Der Bremsrotor ist axial auf einer auf der Motorwelle angeordneten Mitnehmernabe verschiebbar. Durch das Spiel an der Abstützung der Ankerscheibe und dem Verzahnungsspiel des Bremsrotors weisen diese Bremsenausführungen prinzipbedingt ein Verdrehspiel im verknüpften Zustand auf (nicht verdrehspielfrei). Typische Werte liegen im Bereich von 0,5 bis 1,0 Grad. Der Luftspalt zwischen Reibblech, Bremsrotor und Ankerscheiben wird durch die Hülsenschrauben bzw. entsprechende Abstandsbolzen eingestellt. Durch die Verschiebbarkeit des Rotors auf der Motorwelle werden der Luftspalt und dessen Toleranzen ausschließlich durch Teile der Bremse bestimmt, sodass mechanische Toleranzen des Motors oder eine Wärmedehnung der Motorwelle keinen Einfluss auf den Luftspalt der Bremse haben. Bremsen, Verknüpfen der Federkraftbremse: Die Bremse arbeitet nach dem Ruhestromprinzip, d. h. im stromlosen Zustand ist die Bremse geschlossen. Die Magnetkraft der Bremsspule ist null (FSp = 0). Die Federkraft FF drückt die Ankerscheibe gegen den Reibbelag und das Reibblech. Durch die Reibung zwischen dem feststehenden Reibblech, der feststehenden Ankerscheibe und dem rotierenden Bremsrotor wird das Bremsmoment erzeugt. Damit der Rotor zwischen den beiden Gegenreibflächen (Reibblech und Ankerscheibe) gegenkraftfrei eingespannt werden kann, ist die axiale Verschiebbarkeit des Rotors erforderlich. Beim Schließen der Bremse wird der Rotor axial verschoben.
Motoren
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Abb. 3-39. Aufbau einer Federkraftbremse
Abb. 3-40. Anbau einer Federkraftbremse an einen Standard-Drehstrommotor
Das aufgebaute Bremsmoment ist abhängig von den Reibungswerten der Reibflächen (Reibbelag) und der Federkraft. Durch Änderung der Federkräfte kann bei diesem Bremsentyp sehr einfach das Bremsmoment angepasst werden. Lüften der Federkraftbremse: Bei Bestromung der Bremsspule wird die Ankerscheibe entgegen der Federkräfte durch das Magnetfeld der Spule hin zum Magnetgehäuse angezogen. Zum Lüften der Bremse muss die Magnetkraft der Spule deutlich größer als die Federkraft sein (FSp >> FF). Da der Rotor beim Lüften nicht aktiv verschoben wird und weiterhin am Reibblech bzw. Lagerschild anliegt, ist die Bremse nicht restmomentfrei.
136
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Bei Rotation des Bremsrotors schwimmt dieser je nach Bremsengröße und Konstruktion typischerweise ab Drehzahlen von ca. 100 bis 300 min-1 auf einem Luftpolster auf, sodass die Bremse dann restmomentfrei arbeitet. Das Aufschwimmen des Rotors wird u. a. auch durch die Einbaulage des Motors (horizontal oder vertikal) beeinflusst. Jeder Anlaufvorgang ist daher auch mit der Umsetzung einer geringen Reibungsarbeit verbunden (bis zum Aufschwimmen des Rotors). Bei sehr langsam laufenden Antrieben kann auch dauerhaft ein Restmoment auftreten, das zum Umsetzen von Reibungsarbeit und damit Verschleiß an den Reibflächen und dem Reibbelag führt. Dieser Bremsentyp wird in der Regel mit einem Reibbelag, meist einem organischen Reibbelag ausgeführt. Organische Reibbeläge erzielen je nach Zusammensetzung ihr maximales Bremsmoment oft erst bei Umsetzung einer geringen Reibungsarbeit bzw. bei Betriebsdrehzahlen von ca. 100 min-1 (abhängig vom Reibbelag und Bremsengröße). Bei Einsatz dieser Bremsen als reine Haltebremsen muss die ggf. auftretende Reduktion des Moments (typ. ca. 10 bis 20%) bei der Antriebsauslegung oder durch Auswahl entsprechender Reibbeläge berücksichtigt werden. Durch den Verschleiß der Reibflächen oder des Reibbelags vergrößert sich der Luftspalt der Bremse. Beim Erreichen der Verschleißgrenze wird der Luftspalt so groß, dass die Magnetkraft der Spule nicht mehr ausreicht, um die Ankerscheibe anzuziehen. Die Bremse öffnet nicht mehr (zunächst tritt ein geringes Restmoment auf, mit zunehmendem Verschleiß steigt es weiter an; M = 0 bis 100% MB). Federkraftbremsen in der dargestellten Form werden sowohl als Haltebremsen mit Notstoppfunktion als auch als Betriebsbremsen eingesetzt. Dies ist zum einen in ihrem Reibsystem mit organischem Reibbelag und zum anderen in ihrer guten Wartbarkeit begründet. Typischerweise werden diese Bremsen auf der B-Seite des Motors angebaut, sodass beim Verschleiß der Reibbeläge oder Gegenreibflächen ein Austausch der Bremse, des Bremsrotors oder ein Nachstellen des Luftspalts ohne Ausbau und Austausch des kompletten Motors möglich ist. Von Federkraftbremsen gibt es auch spezielle Ausführungsformen für den Einbau in Servomotoren, die nach demselben Funktionsprinzip arbeiten, jedoch bezüglich der Servicierbarkeit mit PM-Bremsen vergleichbar sind. Diese Bremsen werden vorwiegend als Haltebremsen mit Notstoppfunktion eingesetzt. Drehmomentverhalten, Definition der Schaltzeiten. Die Schaltzeiten der Bremse sind in der DIN 0580 und VDI 224 Blatt 1 definiert. Die einzelnen Schaltzeiten und Phasen beim Aufbau des Bremsmoments (Bremsen, Verknüpfen) sowie beim Öffnen (Lüften, Trennen) der Bremse und die Winkelgeschwindigkeit während des Abbremsvorgangs sind in Abb. 3-41 dargestellt.
Motoren
Drehmoment M Winkelgeschwindigkeit ù
M4
137
M(t)
MB
ù0
ù(t) bei treibender Last
ù(t) bei passiver Last
I
II
t11
t12
III
0,1 MB
IV V VI t21
VII
t22 t2
t1 t3
t2 ab
Spannung U Strom I
tB
Strom Spannung
Zeit t
Abb. 3-41. Definition von Schaltzeiten in Anlehnung an DIN 0580 und VDI 224 Blatt 1
Beim Abschalten der Spannung wird zunächst die in der Induktivität der Bremse gespeicherte Energie abgebaut. Erst wenn der durch die Induktivität getriebene Strom einen Minimalwert unterschritten hat, fängt die Ankerscheibe an, sich zu bewegen (Zacke im Verlauf des Stroms). Diese Verzögerungszeit wird als Ansprechverzug beim Verknüpfen t11 bezeichnet. Sie ist insbesondere bei der Berechnung von Bremswegen oder Bremszeiten von Hubwerken zu berücksichtigen, da bei einer Abwärtsbewegung des Hubwerks während dieser Zeit eine Beschleunigung durch die Erdanziehung erfolgt (Verlauf der Winkelgeschwindigkeit bei treibender Last). Bei Hubwerken in Aufwärtsbewegung erfolgt durch die Erdanziehung eine negative Beschleunigung, d. h. die Last wird während t11 bereits abgebremst (bremsende Last). Je nach Größe dieser Beschleunigung ergibt sich ein Verlauf der Winkelgeschwindigkeit ähnlich dem bei passiver Last (geringe negative Beschleunigung), oder es kann bereits innerhalb der Zeit t11 zum Stillstand der Last bei hoher negativer Beschleunigung kommen.
138
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Bei einer passiven Last (z. B. horizontal bewegte Massen) kommt es durch die Reibung im System zu einer Verzögerung. Bei Vernachlässigung der Reibung verändert sich die Drehzahl bzw. die Winkelgeschwindigkeit in der Zeit t11 nicht (siehe Verlauf der Winkelgeschwindigkeit bei passiver Last). Während der Zeit t12 steigt das Moment der Bremse auf das statische Bemessungsmoment MB an. Für reine Haltebremsen wird typischerweise nur die Verknüpfzeit t1 (t1 = t11 + t12) angegeben, nach der das statische Bemessungsmoment der Bremse zur Verfügung steht. Die Verknüpfzeit der Bremse wird stark durch die Ansteuerung der Bremse beeinflusst, bei wechselstromseitigem Schalten oder Beschaltung der Bremse mit einer Freilaufdiode erhöht sich die Verknüpfzeit um ca. den Faktor 5 bis 10 gegenüber dem gleichstromseitigen Schalten. Die Zeit ab t11 bis zum Stillstand der Last (ω = 0) wird als Rutschzeit t3 bezeichnet. Zum Zeitpunkt tB steigt das Bremsmoment auf das übertragbare Moment M4 an. Beim Anlegen der Spannung beginnt das Magnetfeld sofort sich aufzubauen, sodass die Zeit t21 nahezu null und somit vernachlässigbar ist. Während der Zeit t22 baut sich das Bremsmoment auf 0,1 MB ab, die Summe aus t21 und t22 ist die Trennzeit t2. Das Abheben der Ankerscheibe am Ende der Zeit t2 ab ist im Verlauf des Stroms als Zacke zu erkennen. Tabelle 3-9. Zuordnung der Spulenspannungen der Bremsen zu Netzspannungen Netzspannung UNetz Spulenspannung UB der Bremse Brückengleichrichter Einweggleichrichter 110 V
103 V
230 V
205 V
103 V
277 V
250 V
127 V 180 V
400 V 460 V 480 V
Spulenspannungen > 250 V nicht üblich
205 V 215 V
500 V
225 V
550 V
250 V
Ansteuerung von Bremsen. PM-Bremsen und Federkraftbremsen sind in den meisten Fällen für eine Ansteuerung mittels Gleichspannung ausgelegt. Zum Betrieb einer PM- oder Federkraftbremse am Wechselspannungsnetz sind daher Vorschaltgeräte erforderlich. Bei Federkraftbremsen gibt es auch Ausführungen für die Ansteuerung mittels Wechselspannung. Diese sind weniger stark verbreitet und werden hier nicht näher betrachtet. Zur Erzeugung der Gleichspannung werden überwiegend Einweg- und Brückengleichrichter eingesetzt. Zwischen dem Mittelwert der Gleichspannung und dem Effektivwert der speisenden Wechselspannung gilt:
Motoren
Einweggleichrichter: U DC = 0, 45 ⋅ U AC
139
(3.66)
Brückengleichrichter: U DC = 0, 90 ⋅ U AC (3.67) Für die häufigsten Netzspannungen ergeben sich in Verbindung mit diesen Gleichrichterschaltungen die folgenden üblichen Spulenspannungen der Bremsen (Tabelle 3-9). Das Zu- und Abschalten der Versorgungsspannung der Bremse kann wechsel- oder gleichstromseitig erfolgen (Abb. 3-42). ~
+ UDC
~
+
UAC Bremse
UAC
UDC
~
-
Bremse
~
-
Abb. 3-42. Wechsel- und gleichstromseitiges Schalten der Bremse
Bei dem wechselstromseitigen Schalten ist die Verknüpfzeit t1 um ca. den Faktor 5 bis 10 größer als beim gleichstromseitigen Schalten. Beim gleichstromseitigen Schalten wird der Stromfluss sofort unterbrochen. Es tritt eine sehr hohe Induktionsspannung auf, die eine Funkenlöschung z. B. mittels Varistor erfordert. Ohne Funkenlöschung kommt es sehr schnell zum Abbrand der Schützkontakte. Beim wechselstromseitigen Schalten bilden die Dioden des Gleichrichters einen Freilaufzweig, sodass der Strom allmählich abklingt und die Bremse erst schließt (verknüpft), wenn der Einfallstrom unterschritten wird (Abb. 3-43). Verknüpfen
Trennen
IN Strom
iTrennen
iDC(t) iAC(t)
iVerknüpfen t11;DC t11;AC
t2 ab Zeit
Abb. 3-43. Verlauf des Stroms bei wechsel- (AC) und gleichstromseitigem (DC) Schalten der Bremse
140
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Eine Federkraftbremse hat eine Verlustleistung von 20 bis 200 W. Diese führt bei selbstgekühlten Normmotoren, die an einem Frequenzumrichter bei geringer Drehzahl betrieben werden, zu einer starken Erwärmung, die die Leistungsfähigkeit der Bremse verschlechtert. Mit einem intelligenten Gleichrichter, der elektronisch zwischen einem Einweg- und einem Brückengleichrichter umschaltet (sogenannter Brücke-Einweg-Gleichrichter), können je nach Zuordnung der Spulenspannung der Bremse und der Netzspannung die Trennzeit, Verknüpfzeit oder die Leistungsaufnahme bei geöffneter Bremse reduziert werden (Tabelle 3-10). Der Stromverlauf ist exemplarisch für Variante 3 in Abb. 3-44 dargestellt. Voraussetzung für die Realisierung der dargestellten Vorteile ist, dass der Magnetkreis der Bremse für eine Übererregung ausgelegt ist. Tabelle 3-10. Varianten für den Betrieb mit einem Brücke-Einweg-Gleichrichter
Verhältnis Spulenspannung zur Netzspannung USP / UAC Erregerspannung UE Betriebsspannung UB Bemerkung
Beispiel Spulenspannung Netzspannung Erregerspannung Betriebsspannung
Variante 1
Variante 2
Variante 3
Variante 4
0,45
0,9
0,6–0,8
0,45–0,9
2 · USp
USp
1,2–1,5 · USp
1,0–2,0 · USp
USp
0,5 · USp
0,6–0,75 · USp 0,5–1,0 · USp
Verkürzte Trennzeit, Erhöhung des maximalen Verschleißluftspalts
Verkürzte Verknüpfzeit, reduzierte Leistungsaufnahme (auf 25%)
Verkürzte Trenn- und Verknüpfzeit, reduzierte Leistungsaufnahme (auf 36–60%)
Unempfindlich gegen Spannungsschwankungen, dennoch sichere Funktion
103 V 230 V 207 V 104 V
205 V 230 V 207 V 104 V
180 V 230 V 207 V 104 V
127 V 140–280 V 127–252 V 63–126 V
Eine andere Möglichkeit zur Realisierung eines ähnlichen Verhaltens besteht darin, die Bremse mit zwei getrennten Spulen auszuführen oder eine Spule mit Mittelanzapfung zu verwenden. Beim Trennen wird nur die erste Spule bzw. der erste Spulenteil angesteuert (Erregerstrom) und bei gelüfteter Bremse auf die zweite Spule bzw. Gesamtspule umgeschaltet (Betriebsstrom). Je nach Auslegung der Spulen kann für das Trennen der
Motoren
141
Bremse sowohl eine Übererregung als auch eine Reduktion des Wicklungswiderstands und der Induktivität und damit ein schnellerer Anstieg des Stroms realisiert werden. Das Verknüpfen der Bremse kann durch entsprechende Auslegung der beim Betriebsstrom wirksamen Wicklung beeinflusst werden. Verknüpfen
Trennen
Strom i
IN
iTrennen Brücken- oder EinwegGleichrichter Brücke-Einweggleichrichter
iVerknüpfen t2 ab
Ät2 ab
t11;DC
Ät11
Zeit t
Abb. 3-44. Verlauf des Stroms mit Brücke-Einweg-Gleichrichter
Bei geregelten Antrieben ist im Schaltschrank zur Versorgung der SPS, Frequenzumrichter und anderer Komponenten sehr oft eine 24 V-Versorgung vorhanden. In diesem Fall werden die Bremsen häufig auch mit einer 24 V-Spule ausgestattet und direkt aus dieser Spannung gespeist. Bei PMBremsen ist dies die am häufigsten verwendete Spulenspannung. Aufgrund des relativ engen Lüftfensters bei PM-Bremsen muss weiterhin zwischen der Ansteuerung mit geglätteter und ungeglätteter Gleichspannung unterschieden werden, d. h., es ist ein unterschiedlicher Abgleich der Bremse bzw. Auslegung der Bremsspule erforderlich. Ein Betrieb von PMBremsen an einem Einweggleichrichter ist aus dem gleichen Grund meist nicht zulässig. Dynamisches und statisches Bremsmoment von Bremsen mit und ohne Reibbelag. Bezüglich des statischen und dynamischen Bremsmoments gibt es zwischen Bremsen mit (organischem) Reibbelag und Bremsen ohne Reibbelag (Stahl-Stahl) Unterschiede, die je nach Anwendungsfall und Anforderung an die Bremse bei der Antriebsauslegung berücksichtigt werden müssen. Einen typischen Verlauf des dynamischen Bremsmoments für Bremsen mit und ohne Reibbelag zeigt Abb. 3-45. Die drehzahlabhängige Veränderung des Bremsmoments ist von der Reibungsgeschwindigkeit und bei Verwendung von Reibbelägen von ihrem spezifischen Verhalten abhängig. Daher ist im konkreten Fall die Charakteristik der eingesetzten
142
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Bremsenmoment bezogen auf das Kennmoment der Bremse M/MB in %
Bremse zu berücksichtigen. Bei größeren Motoren und damit bei höheren Reibungsgeschwindigkeiten als im Diagramm angegeben, kann die dargestellte Reduktion des Bremsmoments bereits bei deutlich niedrigeren Drehzahlen auftreten. organischer Reibbelag
100 80 60 40
Reibsystem Stahl-Stahl
20 0
500
1000
1500
2000
Drehzahl n in min
2500
3000
-1
Abb. 3-45. Typischer Verlauf des dynamischen Bremsmoments
Bei kleinen Drehzahlen nähert sich das dynamische Bremsmoment dem Haltemoment der Bremse. Insbesondere bei der Berechnung von Anhaltewegen und Anhaltezeiten z. B. bei Notstopps oder bei Auslegungen von Hubwerken ist die Kenntnis des dynamischen Verhaltens der Bremsen sehr wichtig. Es kann z. B. sein, dass eine Bremse ein Hubwerk statisch sicher halten kann, jedoch bei einem Notstopp aus hoher Drehzahl ein dynamisches Abbremsen der Last nicht mehr möglich ist, da das dynamische Bremsmoment geringer als das aus der Gewichtslast resultierende Moment ist. Für den Fall, dass das Lastmoment ML = 0 ist, berechnet sich das mittlere dynamische Bremsmoment M1m bei gegebener Massenträgheit J nach: Δω 0 (3.68) M 1m = J ⋅ d ω = J ⋅ dt t 3 − t12 Das mittlere dynamische Bremsmoment ist von der Höhe der Massenträgheit und der Winkelgeschwindigkeit ω0, aus der die Bremsung erfolgt, abhängig und somit keine allgemeingültige Größe der Bremse, sondern kann nur für definierte Einsatzbedingungen angegeben werden. Dimensionierung von Bremsen. Die Auslegung einer Bremse erfolgt im Wesentlichen nach dem erforderlichen Bremsmoment. Weitere wichtige zu berücksichtigende Faktoren sind:
• die abzubremsenden Massenträgheiten,
Umrichter
• • • •
143
die Relativdrehzahlen, dynamische Bremsmomente, die Abbremszeiten und Anhaltewege sowie die Schalthäufigkeiten, Reibungsarbeiten und Lebensdauern der Bremsen.
Nachdem die Motoren mit ihren Anbauten (Winkelgebern und Bremsen) ausführlich dargestellt wurden, folgt als nächste Komponente eines Antriebssystems der Umrichter, der das genaue Verhalten des Motors steuert und regelt.
3.4
Umrichter
Dr. Edwin Kiel Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Motoren vorgestellt wurden, die elektrische in mechanische Energie umsetzen, soll im Folgenden der Umrichter näher dargestellt werden, über den der Motor eines Antriebssystems mit seiner elektrischen Energie versorgt wird. Der Umrichter ist dabei ein Vorschaltgerät zum Motor, das die Energieumsetzung so steuert, dass dadurch das Verhalten der Motorwelle und des mechanischen Prozesses, den der Motor antreibt, so beeinflusst wird, wie es die Anwendung erfordert. Die Informationen, mit denen der Umrichter diese Energieumsetzung steuert, erhält er von der übergeordneten Steuerung. Damit wird er zum Aktuator des Automatisierungssystems. Um eine optimale Funktionsaufteilung zwischen Steuerung und Umrichter zu gewährleisten, führt der Umrichter in vielen Fällen bereits die Bewegungsführung aus, die das Zeitverhalten der Drehzahl und Winkellage des Motors vorgibt [Sc98]. Gleichrichter Netz
1~/ 3~
Wechselrichter =
= Spannung im Zwischenkreis Sollwerte
uD
3~
Schaltersignale
iS1 iS2 iS3
Motor M 3~
w, j Strangströme
Signalverarbeitung
Abb. 3-46. Aufbau eines Umrichters
Drehzahl, Winkellage
144
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Die elektrische Hardware eines Umrichters besteht aus folgenden zwei Teilen (Abb. 3-46): • Der Leistungsumsetzung vom Eingangsnetz zum Motor und • der Signalverarbeitung, die die Leistungsumsetzung steuert.
Da sich das vorliegende Buch auf den Leistungsbereich bis 500 kW konzentriert, soll nur der Pulswechselrichter mit Spannungszwischenkreis und IGBT-Leistungsbauteilen näher beschrieben werden. Andere Bauformen haben in diesem Leistungsbereich nur eine marginale Bedeutung und werden dementsprechend nur kurz dargestellt. Umrichter werden in die beiden folgenden Klassen eingeteilt: • Frequenzumrichter steuern den Motor ohne eine Messung der Winkellage und Drehzahl an (auch Open-Loop genannt). In der Regel werden Asynchronmotoren eingesetzt, die Genauigkeit ist begrenzt. Im einfachsten Fall wird eine Spannungs-Frequenz-Steuerung (U/f-Steuerung) verwendet, die wenig Rechenleistung erfordert und sehr robust ist. Um ein besseres Antriebsverhalten zu erzielen, wird auch eine sensorlose Vektorregelung benutzt. • Servo-Umrichter werten einen Geber für die Winkellage und Drehzahl aus, sodass eine sehr dynamische und genaue Regelung des Motors erfolgen kann (Closed-Loop). Hierfür ist in der Regel die feldorientierte Regelung mit einer unterlagerten Stromregelung im Einsatz. Diese kann zusammen mit einem Synchron- oder Asynchronmotor, meist als Servomotor, verwendet werden.
Einen Vergleich der Haupteigenschaften von Frequenzumrichtern und Servo-Umrichtern zeigt Tabelle 3-11. Tabelle 3-11. Vergleich Frequenzumrichter und Servo-Umrichter Frequenzumrichter Messung der Drehzahl Nein Gesteuert Betrieb Bis 1 : 100 Drehzahlstellbereich Typ. 1–5% Drehzahlgenauigkeit Typ. 0,1–10 s Beschleunigungszeit
Servo-Umrichter Ja Geregelt 1 : 10.000 Besser 0,01% Typ. 10 ms–1 s
Die Signalverarbeitung in Umrichtern erfolgt heute fast ausschließlich digital durch den Einsatz von Mikrorechnern, sodass ausschließlich diese Technik in diesem Buch betrachtet wird. Die Software zur Steuerung der Leistungsumsetzung und damit zur Beeinflussung des Motorverhaltens kann in zwei Teile unterteilt werden:
Umrichter
145
• Die Antriebsregelung, die die Augenblickswerte des Motors (Drehmoment, Drehzahl, Winkellage) auf die Sollwerte regelt, und • die Bewegungsführung, die den zeitlichen Verlauf dieser Zustandsgrößen (insbesondere Drehzahl und Winkellage) vorgibt und hierüber die Anwendungsfunktionen ausführt. Hierbei werden in der Regel Positionierfunktionen durch den Antrieb realisiert.
Durch die steilen Schaltflanken der geschalteten Leistungsumsetzung eines Umrichters mit Spannungszwischenkreis stellen diese eine wesentliche Störquelle dar. Wie der sichere Betrieb der Anlage und das Einhalten von Grenzwerten für elektromagnetische Emissionen durch Maßnahmen im Umrichter, aber auch durch die Installation des Antriebssystems sichergestellt werden, wird im Kapitel 3.4.8 beschrieben. In den folgenden Unterkapiteln werden diese einzelnen Aspekte des Umrichters detailliert dargestellt. 3.4.1
Leistungsumsetzung
Die Leistungsumsetzung ist das Kernstück eines Umrichters. Es gibt verschiedene Grundtopologien, von denen zunächst der Pulswechselrichter mit Spannungszwischenkreis dargestellt wird. Dieses ist die am häufigsten eingesetzte Topologie im Leistungsbereich bis 1 MW. Beim Spannungszwischenkreiswechselrichter erfolgt die Energieumsetzung vom Netz zum Motor in zwei Stufen: • Der Gleichrichter wandelt die Wechselspannung in eine Gleichspannung und • der Wechselrichter setzt dann die Gleichspannung wieder in eine Wechselspannung um. Aufbau des Wechselrichters. Die Aufgabe des Wechselrichters ist es, für den angeschlossenen Motor eine dreiphasige Ausgangsspannung zu erzeugen, die in ihrer Amplitude und Frequenz (bzw. momentanen Phasenlage) variabel ist, um damit das Verhalten des Motors zu steuern. Da hohe Leistungen umgesetzt werden und daher ein hoher Wirkungsgrad notwendig ist, kommen nur geschaltete Leistungsbauteile in Frage. Der Wechselrichter besteht aus sechs Leistungsschaltern, die die beiden Pole der Gleichspannung uD im Zwischenkreis mit den drei Ausgangsphasen verbinden können (Abb. 3-47). Damit kann jede der drei Ausgangsphasen uW1…3 das positive oder negative Potenzial des Zwischenkreises annehmen. Verluste entstehen in dieser Anordnung durch den Spannungsfall bei Durchfluss des Motorstroms durch den Leistungsschalter oder die antiparallele Diode und beim Ein- und Ausschalten eines Leistungsschalters.
146
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Im betrachteten Leistungsbereich haben sich für die Leistungsschalter IGBTs (Insulated Gate Bipolar Transistors) durchgesetzt, die eine hohe Schaltfrequenz, eine einfache Ansteuerbarkeit, eine kleine Halbleiterfläche (und damit niedrige Bauteilpreise) sowie niedrige Durchlass- und Schaltverluste bieten. Leistungs-MOSFETs besitzen für netzbetriebene Umrichter eine deutlich größere Halbleiterfläche und sind daher teurer als vergleichbare IGBTs. Im Niederspannungsbereich weisen MOSFETTransistoren gegenüber IGBTs deutliche Vorteile auf, da bei ihnen der geringe Bahnwiderstand für einen sehr geringen Spannungsfall sorgt [Gi92, Zw92]. Jeder der sechs Schalter muss einen bidirektionalen Stromfluss vom Zwischenkreis zum Motor ermöglichen. Da IGBTs nur den Stromfluss in einer Richtung gestatten, muss antiparallel eine Freilaufdiode geschaltet werden. VO1
VO2
VO3
uD R uW1 uW2 uW3 S VU1
VU2
LS
~ ~ ~ uH
u0
VU3
Abb. 3-47. Aufbau des Wechselrichters
Auslegung des Wechselrichters. Ein Umrichter ist zunächst nach seiner Bemessungsleistung ausgelegt. Alle Bauteile müssen für diese Leistung so dimensioniert werden, dass maximale Grenzen von Bauteilen nicht überschritten werden. Hierzu gehören neben den zulässigen Spannungen und Strömen insbesondere die maximalen Temperaturen. Für den Wechselrichter bedeutet dieses, dass sein gesamtes thermisches Verhalten sehr genau analysiert und optimiert werden muss. Die Leistungshalbleiter des Wechselrichters werden in der Regel in Leistungsmodulen integriert, die eine elektrisch isolierende, aber thermisch leitende Schicht enthalten. Es entstehen mehrere Verbindungsschichten, die hohen thermischen Belastungen ausgesetzt sind. Hierzu gehören die Bondverbindungen auf der Oberseite der Leistungshalbleiter, die Verbindung der Leistungshalbleiter zur Substratoberfläche und die Verbindung des Leistungsmoduls zum Kühlkörper. Die Verlustleistung in den Leistungshalbleitern entsteht an der Sperrschicht in den Halbleitern. Von hier bis zum Kühlkörper entsteht eine thermische Kette, die wärmespeichernde Elemente und thermische Übergangswiderstände enthält. Um eine hohe Lebensdauer zu erzielen, müssen folgende Dimensionierungsregeln eingehalten werden:
Umrichter
147
• Die maximale Sperrschichttemperatur der Halbleiter darf nicht überschritten werden. Hierbei ist die maximale Umgebungstemperatur, bei der der Umrichter betrieben wird, zu berücksichtigen. • Der Temperaturhub an den Verbindungen darf Grenzwerte nicht überschreiten, weil ansonsten durch die unterschiedlichen Temperaturausdehnungskoeffizienten der Materialien Dauerbeanspruchungen entstehen können, die zu vorzeitigem Verschleiß führen.
Kritisch für die Auslegung sind Drehmomente, die der Antrieb im Stillstand aufzubringen hat, sowie niedrige Ausgangsfrequenzen des Umrichters. Umrichterhersteller stellen durch umfangreiche Berechnungen der Auslegung sicher, dass auch in diesen Betriebszuständen die Zuverlässigkeit sichergestellt ist. Neben der Bemessungsleistung, die der Umrichter dauernd umsetzen kann, ist für dynamische Vorgänge, wie dem Beschleunigen und Bremsen, der maximale Ausgangsstrom wichtig. Dieser wird durch die Größe der Leistungshalbleiter bestimmt. Frequenzumrichter und Servo-Umrichter sind hier in der Regel etwas unterschiedlich ausgelegt, indem der maximale Spitzenstrom bei Servo-Umrichtern dem 2- bis 4-fachen Bemessungsstrom entspricht, während der maximale Ausgangsstrom von Frequenzumrichtern unterhalb des doppelten Bemessungsstroms liegt. Dieses trägt dem Umstand Rechnung, dass Servoantriebe häufig für dynamische Antriebsaufgaben eingesetzt werden, die ein hohes Beschleunigungsvermögen benötigen, aber keine hohe Dauerleistung aufbringen müssen. In einem konkreten Anwendungsfall muss überprüft werden, inwieweit der maximale Ausgangsstrom und der Bemessungsstrom eines Umrichters zu den Anforderungen des Bewegungsablaufs der Anwendung passen. Einfluss der Schaltfrequenz. Die Höhe der Schaltfrequenz beeinflusst das Verhalten des Antriebs maßgeblich. So bestimmt die Schaltfrequenz, mit welcher Dynamik der Motor angesteuert wird. Auch das Rundlaufverhalten verbessert sich mit zunehmender Schaltfrequenz. Weiterhin sind Geräuschaspekte zu betrachten. Die Schaltfrequenz erzeugt sowohl im Umrichter als auch im Motor Geräusche, sodass in allen Anwendungen, in denen diese Geräusche störend sind (z. B. Lüfter in Wohn- oder Bürobereichen), Schaltfrequenzen von mindestens 16 kHz einzusetzen sind. Andererseits ist in vielen industriellen Anwendungen das Geräuschniveau durch den Produktionsprozess bereits so hoch, dass eine niedrige Schaltfrequenz keinen wesentlichen Beitrag zum Gesamtgeräuschbild leistet. Aus diesem Grund werden industrielle Umrichter in der Regel mit Schaltfrequenzen von 4 bis 8 kHz betrieben, während Umrichter für geräuschsensitive Anwendungen eher mit 16 bis 20 kHz arbeiten.
148
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Eine höhere Schaltfrequenz verursacht auch stärkere EMV-Emissionen, die dann durch entsprechende EMV-Maßnahmen unterdrückt werden müssen. Auch nehmen die Schaltverluste des Wechselrichters mit der Schaltfrequenz der Leistungsschalter zu. Häufig muss beim Betrieb der Umrichter mit einer höheren Schaltfrequenz ein Derating (d. h. eine Reduzierung der Ausgangsleistung) aufgrund der höheren Schaltverluste eingehalten werden. Da die Schaltverluste auch von der Höhe der Netzspannung (und damit der Spannung im Zwischenkreis) abhängen, ist in einigen Fällen auch ein Derating bei höherer Netzspannung erforderlich (z. B. bei Geräten, die für einen Spannungsbereich von 400 bis 500 V vorgesehen sind, wenn diese an 500 V betrieben werden). Wirkungsweise des Wechselrichters. Die zwei Leistungsschalter einer der drei Halbbrücken des Wechselrichters dürfen nur gegensinnig eingeschaltet werden. Auch macht das gleichzeitige Ausschalten beider Leistungsschalter keinen Sinn, weil dann das Potenzial der Ausgangsphase nur durch das Vorzeichen des momentanen Ausgangsstroms bestimmt wird. Damit kann jede Halbbrücke zwei Zustände einnehmen (oberer oder unterer Schalter geschlossen), der gesamte Wechselrichter folglich acht (23) Zustände [SchSt64].
b uW3
uW2
uW0 uW7
uW4
uW5
uW1
a
uW6
Abb. 3-48. Ausgangsspannungen des Wechselrichters
Stellt man diese acht Zustände des Wechselrichters als Vektoren des Drehspannungssystems dar, dann bilden sie in der komplexen Ebene ein Spannungssechseck (Abb. 3-48) [Ge88]. Immer wenn ein oder zwei obere Schalter geschlossen sind, dann stellt sich am Ausgang des Wechselrichters ein Spannungszeiger mit der Länge der Zwischenkreisspannung und einem Phasenwinkel von n · 60° ein. Werden alle drei oberen oder unteren Schalter geschlossen, dann sind die drei Motorphasen kurzgeschlossen und
Umrichter
149
die momentan wirkende Spannung ist null. Diese zwei Zustände werden Nullvektoren genannt. Tabelle 3-12. Ausgangsvektoren des Wechselrichters Vektor uW0 uW1 uW2 uW3 uW4 uW5 uW6 uW7
Strang 1 Unten Oben Oben Unten Unten Unten Oben Oben
Strang 2 Unten Unten Oben Oben Oben Unten Unten Oben
Strang 3 Unten Unten Unten Unten Oben Oben Oben Oben
Um die Ausgangsamplitude und Phase des Wechselrichters einstellen zu können, wird ausgenutzt, dass der angeschlossene Motor eine Eingangsinduktivität hat und dass dadurch in einem Zeitintervall (z. B. der Schaltperiode 1 / fP der Leistungsschalter) die Spannung wirkt, die sich aus der Summe der einzelnen Ausgangsvektoren, gewichtet mit ihrer relativen Einschaltzeit, zusammensetzt. Abb. 3-49 verdeutlich dieses geometrisch. uW2
fP tW2 uW2
uS(t)
tW0 = 0 tW1 + tW2 = 1 fP
a
uW0
uW1
fP tW1 uW1
Abb. 3-49. Berechnung der Einschaltzeiten
Für das dargestellte Beispiel berechnen sich damit die Einschaltzeiten der Vektoren zu folgenden Werten [JeWu95]]: 7
u S = f P ∑ tWn uWn
1 = fP tW 1 =
3
(3.69)
n=0 7
∑ tWn
n =0
(3.70)
(
)
2 US sin π − α 3 f P uD
(3.71)
150
Das Antriebssystem und seine Komponenten
uW1
1/fP uW7 uW2 tS1
uW2
tS2
uW3
tS3
uW0
1 t 4 W0
uW1
1 t 2 W1
uW2
1 t 2 W2
1 t 2 W0
1 t 2 W2
uW1
uW0
1 t 2 W1
1 t 4 W0
a) Modulation mit drei Umrichterzweigen
uW0
uW1
1/fP uW2
uW1
uW0
1 t 2 W0
1 t 2 W1
tW2
1 t 2 W1
1 t 2 W0
uW1 uW2 uW3
b) Modulation mit zwei Umrichterzweigen, VU3 geschlossen
uW7
uW2
1/fP uW1
uW2
uW7
1 t 2 W0
1 t 2 W2
tW1
1 t 2 W2
1 t 2 W0
uW1 uW2 uW3
c) Modulation mit zwei Umrichterzweigen, VO1 geschlossen
Abb. 3-50. Modulationsverfahren
tW 2 =
3
2 US sin (α) f P uD
(3.72)
(3.73) t W 0 = 1 − tW 1 − tW 2 fP In die Einschaltzeiten gehen jetzt der momentane Phasenwinkel α des Ausgangsspannungsvektors uS, seine Amplitude US sowie der Wert der Zwischenkreisspannung uD ein. Die Aussteuerungsgrenze, d. h. die für jeden Phasenwinkel maximal einstellbare Ausgangsspannung, ergibt sich
Umrichter
151
durch den Kreis, der in das Spannungssechseck hineinpasst. Der maximale Wert der Ausgangsspannung beträgt damit: uD (3.74) US ≤ 2 3 Ein Modulationsschema setzt die Zeiten für die einzelnen Spannungsvektoren in eine Schaltreihenfolge für die Leistungsschalter um [Ho92, JeWu95]. Gebräuchlich sind zwei Verfahren: • In jedem Schaltintervall der Leistungsschalter werden alle drei Halbbrücken geschaltet. Dieses Verfahren führt zu den niedrigsten Oberschwingungen der Motorströme, hat allerdings auch die höchsten Schaltverluste (Abb. 3-50 a). • In jedem Schaltintervall werden nur zwei der drei Halbbrücken geschaltet, die dritte bleibt für eine Periode von 60° der Ausgangsfrequenz auf dem Potenzial des oberen oder unteren Zwischenkreises. Dieses Verfahren hat gegenüber der Modulation mit allen drei Phasen nur 2/3 der Schaltverluste, aber höhere Oberschwingungen der Motorströme und damit ein schlechteres Rundlaufverhalten des Motors (Abb. 3-50 b und c). Teilweise kann zwischen diesen Verfahren umgeschaltet werden. Zusammen mit der Einstellung der Schaltfrequenz kann dann gerade im höheren Leistungsbereich ein guter Kompromiss zwischen den Betriebseigenschaften des Umrichters und der Verlustleistung gefunden werden. Die Leistungstransistoren haben in der Regel eine Ausschaltverzögerung, die größer ist als die Einschaltverzögerung. Beim Umschalten einer Halbbrücke muss daher eine Totzeit eingehalten werden, in der beide Leistungsschalter ausgeschaltet sein sollen. Der genaue Umschaltzeitpunkt der Ausgangsphase hängt vom Vorzeichen des Ausgangsstroms ab. Hierdurch kommt es zu einem Fehler der Ausgangsspannung, die insbesondere bei niedrigen Ausgangsfrequenzen (< 5 Hz) zu einer Welligkeit des Drehmoments mit der sechsfachen Ausgangsfrequenz des Umrichters führt. Es gibt mehrere Verfahren, mit der dieser Effekt kompensiert werden kann. Hierdurch wird dann auch das Rundlaufverhalten gerade im gesteuerten Betrieb von Frequenzumrichtern, die keine Stromregelung haben, bei niedrigen Ausgangsfrequenzen deutlich verbessert. Netzeinspeisung. Der Spannungszwischenkreis des Umrichters wird über die Netzeinspeisung mit Energie vom Netz versorgt. Verwendet werden hierbei folgende Verfahren (Abb. 3-51, Tabelle 3-13) [BaDi06]:
• Ungesteuerte Diodengleichrichter, die nur den Energiefluss vom Netz zum Motor ermöglichen und hohe Oberschwingungen im Netz erzeugen (Abb. 3-51 a).
152
Das Antriebssystem und seine Komponenten
L1 L2 L3
uD
a) Ungesteuerter Diodengleichrichter
L1 L2 L3
O1
O2
U2
O1
U3
O2
L1
L2
L3
O3
uD
U1
L3
O1 U1 O2 U2 O3 U3
b) Wechselrichter mit Blockströmen
L1 L2 L3
L2
O3
uD
U1
L1
U2
U3
O1 U1 O2 U2 O3 U3
c) Pulswechselrichter mit Sinusströmen Abb. 3-51. Netzeinspeisung
• Wechselrichter, die mit der Netzfrequenz getaktet werden und damit einen bidirektionalen Energiefluss ermöglichen, allerdings mit blockförmigen Strömen zum Netz (Abb. 3-51 b) [Go06]. • Pulswechselrichter, die wie der Wechselrichter zum Motor hochfrequent getaktet werden und sowohl sinusförmige Ströme als auch einen bidirektionalen Energiefluss erzeugen (Abb. 3-51 c). Am häufigsten wird der ungesteuerte Diodengleichrichter eingesetzt, weil dieser die niedrigsten Kosten und den besten Wirkungsgrad hat. Da er keine Energie in das Netz zurückspeisen kann, müssen geeignete Maßnahmen für die Bremsenergie des Motors vorhanden sein (s. u.).
Umrichter
153
Tabelle 3-13. Netzeinspeiseverfahren Ungesteuerter Dio- Wechselrichter dengleichrichter mit Blockströmen Ja Rückspeisefähig Nein Nicht sinusförmig Nicht sinusförmig Netzstrom Mittel Verlustleistung Niedrig Niedrig Mittel Kosten
Pulswechselrichter mit Sinusströmen Ja Sinusförmig Hoch Hoch
Weiterhin können Stromoberschwingungen durch den Einsatz einer Netzdrossel deutlich reduziert werden. Dieses wird in Kapitel 3.4.6 näher erläutert. Netzdrosseln werden im höheren Leistungsbereich in der Regel eingesetzt. Auch der Einsatz einer Drossel im Zwischenkreis ist teilweise gebräuchlich. Mit einer Einspeisung über einen Wechselrichter, der mit der Grundfrequenz des Netzes getaktet wird, ist es möglich, einen rückspeisefähigen Umrichter aufzubauen, der nur geringe Mehrkosten gegenüber einem Umrichter mit Diodengleichrichter hat, aber keine Netzdrosseln und keinen Bremstransistor und Bremswiderstand benötigt. Die technisch besten Eigenschaften, aber auch die höchsten Kosten hat die Einspeisung über einen hochfrequent getakteten Pulswechselrichter. Dieser benötigt auf jeden Fall ein Filter mit Drosseln zum Netz, um die Pulsfrequenzen zu reduzieren und eine definierte Induktivität zu haben. Da dieser Wechselrichter wie ein dreiphasiger Hochsetzsteller arbeitet, ist es möglich, hiermit die Zwischenkreisspannung auf einen Wert zu regeln, der oberhalb der gleichgerichteten Spannung liegt. In der Praxis wird dieses ausgenutzt, um die Spannung für die motorseitigen Wechselrichter und damit die maximale Motorspannung unabhängig von der Netzspannung zu machen. Damit ist das Beschleunigungsvermögen dann nicht mehr von Netzspannungsschwankungen abhängig. Gerade Maschinen mit hoher Produktionsleistung (z. B. Werkzeugmaschinen) können hierdurch in einem definierten Arbeitspunkt betrieben werden. Zwischenkreis. Der gesamte Leistungsfluss zum Motor erfolgt über den Spannungszwischenkreis. Prinzipiell ist der Leistungsfluss eines dreiphasigen Systems sowohl zum Netz als auch zum Motor konstant. Durch den Wechselrichter wird bei kleinen Ausgangsspannungen der Motorstrom nur kurze Zeiten vom Zwischenkreis gespeist, während er die übrige Zeit durch die Nullvektoren kurzgeschlossen wird. Der Mittelwert des Stroms, den der Wechselrichter dem Zwischenkreis entnimmt, entspricht damit der Wirkleistung, die zum Motor fließt. Andererseits ist der Spitzenwert dieses Stroms gleich den Motorströmen, und sein Frequenzspektrum besteht aus Vielfachen der Schaltfrequenz. Kondensatoren im
154
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Zwischenkreis müssen für diesen pulsierenden Stromfluss die Energie bereitstellen. Wenn für die Netzeinspeisung ein Gleichrichter oder ein blockförmig schaltender Wechselrichter verwendet wird, dann hat die resultierende gleichgerichtete Spannung auf der Zwischenkreisseite eine Welligkeit. Diese hat bei einem einphasigen Netzanschluss die doppelte Netzfrequenz und Spannungstäler, die bis auf 0 V reichen. Bei einer dreiphasigen Versorgung entspricht die Grundfrequenz dem Sechsfachen der Netzfrequenz, die Täler reichen bis auf 87% der Scheitelspannung. Durch den Einsatz eines Kondensators im Zwischenkreis kann die gleichgerichtete Spannung geglättet werden. Hierdurch reduziert sich die minimale Spannung im Zwischenkreis über den Netzphasenverlauf, die auch die maximale Ausgangsspannung für den Motor bestimmt. Der Kondensator muss über den Verlauf der Welligkeit der gleichgerichteten Netzspannung Energie aufnehmen und wieder abgeben.
Abb. 3-52. Spannung im Zwischenkreis
Umrichter
155
Es gibt zwei Grundprinzipien, wie der Verlauf der Zwischenkreisspannung über die Netzperiode gestaltet wird: • Bei einem Zwischenkreis mit Elektrolytkondensatoren wird so viel Energie gespeichert, dass die Spannung im Zwischenkreis in den Zeiten, in denen die Dioden nicht leitend sind, nur wenig einbricht. Damit steigt die maximale Ausgangsspannung des Wechselrichters. Die Kapazitäten sind deutlich größer als bei einem schlanken Zwischenkreis. Elektrolytkondensatoren werden nach ihrer Lebensdauer dimensioniert, weil der Innenwiderstand und die Wechselstrombelastung zu einer Verlustleistung im Kondensator führen, die den Elektrolyt verdampfen lässt. Der Zwischenkreis mit Elektrolytkondensatoren ist der am häufigsten verwendete Typ, weil er die größte Ausgangsspannung zur Verfügung stellt (Abb. 3-52). • Bei einem schlanken Zwischenkreis werden nur die Wechselstrombelastungen durch den Wechselrichter ausgeglichen. Die Kapazitäten sind klein, eingesetzt werden in der Regel Folienkondensatoren. Die Spannung im Zwischenkreis hat eine Welligkeit mit der sechsfachen Netzfrequenz und Spannungstäler, die bis zu 87% der Spitzenspannung reichen (Abb. 3-52). Die maximale Ausgangsspannung, die der Wechselrichter abgeben kann, entspricht diesem Wert. Wird zur Netzeinspeisung ein rückspeisefähiger Wechselrichter mit blockförmigen Netzströmen eingesetzt, muss diese Form des Zwischenkreises verwendet werden. Insbesondere bei einer einphasigen Einspeisung hat der Kondensator im Zwischenkreis eine hohe Wechselstrombelastung. Durch den Einsatz einer Netzdrossel kann diese deutlich reduziert und damit die Lebensdauer erheblich verlängert werden. Die im Zwischenkreis eingesetzten Kondensatoren müssen nach dem Einschalten aufgeladen werden. Damit dieses keine zu großen Ströme in den Netzzuleitungen erzeugt, müssen hierfür entsprechende Aufladeschaltungen eingesetzt werden. Folgende Konzepte werden verwendet: • Im kleinen Leistungsbereich bis zu 1 kW kann die Aufladung über einen NTC-Widerstand erfolgen, der zunächst (kalter Zustand) einen hohen Widerstand hat und den Ladestrom begrenzt, während er sich nach erfolgter Ladung erwärmt und damit seinen Nominalwiderstand und seine Verlustleistung reduziert. Nachteilig ist die Verlustleistung im Betrieb, vorteilig die niedrigen Kosten. Die Häufigkeit der Netzschaltzyklen ist begrenzt, außerdem verbleibt ein Spannungsfall, der die maximale Ausgangsspannung reduziert. • Im mittleren Leistungsbereich bis ca. 30 kW werden in der Regel Aufladewiderstände verwendet, die nach erfolgter Aufladung über ein Relais kurzgeschlossen werden. Dieses Verfahren ist ein guter Kompro-
156
Das Antriebssystem und seine Komponenten
miss aus Funktion und Kosten. Um die Aufladewiderstände aber thermisch nicht zu überlasten, müssen die maximalen Netzschaltzyklen pro Zeit begrenzt werden. • Im hohen Leistungsbereich über 30 kW können entweder Thyristoren im Gleichrichter eingesetzt werden, die während des Aufladens über eine Phasenanschnittsteuerung betrieben werden, oder spezielle Aufladeschaltungen mit eigener Leistungselektronik. Bremsenergie. Im generatorischen Betrieb eines Motors fließt Energie vom Motor zum Umrichter. Diese wird dort umgesetzt (Abb. 3-53 a). Menge und Dauer der generatorischen Energie bestimmen zwei grundsätzliche Betriebsarten:
• Die generatorische Energie entsteht nur kurzzeitig beim Abbremsen des Motors, sie entspricht der im Antriebsstrang gespeicherten kinetischen Energie (Ekin = ½·J·ω²). • Die generatorische Energie entsteht über einen längeren Zeitraum. Typische Anwendungen sind das Absenken von Lasten (Abbau potenzieller Energie), das Abwickeln und Belastungsantriebe in Prüfständen. Es gibt verschiedene Methoden, diese Bremsenergie zu verarbeiten (Abb. 3-53): • In vielen Fällen ist keine zusätzliche Maßnahme erforderlich, weil die Bremsenergie in Arbeitsenergie im Prozess und in Verlustleistung im Motor umgesetzt wird oder von der Zwischenkreiskapazität aufgenommen wird (Abb. 3-53 b). Durch die Bremszeit des Antriebs kann eingestellt werden, wie viel Bremsenergie in den Zwischenkreis zurückgegeben wird, um dadurch zu verhindern, dass die maximale Spannung überschritten wird. Der Betrieb ohne weitere Maßnahmen für die Bremsenergie ist in der Regel bei Antrieben für Pumpen und Ventilatoren sowie teilweise bei Servoantrieben kleiner Leistung einsetzbar. • Wenn beim Abbremsen oder im normalen Betrieb so viel Energie in den Zwischenkreis zurückgegeben wird, dass eine Verlängerung der Bremszeit nicht ausreicht und ohne weitere Maßnahmen die Spannung im Zwischenkreis zu groß wird, dann kann ein Bremstransistor mit Bremswiderstand eingesetzt werden (Abb. 3-53 c). Häufig ist der Bremstransistor im Umrichter bereits eingebaut, der Bremswiderstand wird angeschaltet. In anderen Fällen wird eine Bremseinheit an die Klemmen für den Spannungszwischenkreis extern angeschlossen. Bei den Bremswiderständen gibt es Ausführungen für eine kurzzeitige Belastung, die zum Abbremsen eingesetzt werden, und solche, die über längere Zeit eine höhere Leistung in Wärme umsetzen können und z. B. für Hubanwendungen vorgesehen sind. Der Bremswiderstand kann zu heiß wer-
Umrichter
157
den, wenn seine maximale Wärmekapazität überschritten wird. Daher muss er überwacht werden. Pel,Netz
Pmech PV,GR
Netz
PV,WR
~
3~
= =
PV,Mot
M 3~
~
a) motorischer Betrieb Pmech Pel,C Netz
~
3~
PV,WR
= =
PV,Mot
M 3~
~
b) generatorischer Betrieb ohne Bremstransistor Bremswiderstand Netz
PR,Brems
Pmech PV,WR
~
3~
PV,Mot
= =
M 3~
~
c) generatorischer Betrieb mit Bremswiderstand Pel,Netz
Pmech PV,GR
Netz ~rück-
3~
speisefähig
PV,WR
=
PV,Mot
M 3~
~ = d) generatorischer Betrieb mit Rückspeisung ins Netz Pmech PV,WR Netz
3~
~
= =
~
PV,Mot
M 3~
generatorisch
Pmech PV,WR
= ~
PV,Mot
M 3~
motorisch
e) Energieaustausch zwischen 2 Antrieben
Abb. 3-53. Energiefluss im motorischen und generatorischen Betrieb
• Ist der Gleichrichter rückspeisefähig (Wechselrichter mit Block- oder Pulsbetrieb zum Netz), dann kann die Bremsenergie auch in das Netz
158
Das Antriebssystem und seine Komponenten
zurückgespeist werden. Dieses ist insbesondere bei Anwendungen vorteilhaft, in denen viel Rückspeiseenergie anfällt (Abb. 3-53 d). Die Gesamtenergiebilanz ist besser, und es entfällt die Verlustwärme des Bremswiderstands. • Arbeiten mehrere Antriebe in einer Maschine und ist die Gesamtenergiebilanz so, dass beim Abbremsen einzelner Antriebe andere Energie benötigen, dann kann auch die Energie durch das Verbinden der Zwischenkreise zwischen den Antrieben ausgetauscht werden (Abb. 3-53 e). Dieses wird häufig in Prozesslinien eingesetzt, wo der Abwickler Energie zurückspeist, die dann von den Gleichlaufantrieben aufgenommen wird. Auch Prüfstände z. B. für Getriebe mit Antrieben, die Energie in das Prüfobjekt einspeisen, und anderen, die die Getriebeabgänge belasten, können so ausgerüstet werden. Es muss allerdings in jedem Fall berücksichtigt werden, wie mit der in den Antriebssträngen gespeicherten kinetischen Energie umgegangen wird, wenn ein Netzausfall auftritt. Für diesen Fall muss entweder das ungesteuerte Abbremsen (Austrudeln) der Antriebe erlaubt sein, oder es muss eine ausreichend große Bremseinheit vorhanden sein, die die Bremsenergie aufnimmt, oder es muss die Gesamtanlage gesteuert heruntergefahren werden (Netzausfallregelung). In diesem Fall wird das koordinierte Stillsetzen der Antriebe so gesteuert, dass die zurückgespeiste Energie das gesamte System noch so lange arbeitsfähig hält, bis alle Antriebe den Stillstand erreicht haben. Dieses Verfahren ist gerade bei Textilmaschinen und Prozesslinien sinnvoll. Gerätekonzepte für Einachs- und Mehrachsanwendungen. Das Gesamtspektrum von Leistungsteilen besteht aus folgenden Komponenten:
• Wechselrichter für den Motor, • Gleichrichter und verschiedene Typen von zum Netz rückspeisefähige Wechselrichter, • dem Zwischenkreis, • Bremseinheiten mit Bremstransistor und Bremswiderstand und • der Verbindung mehrerer Wechselrichter über den Zwischenkreis. Diese werden wie folgt zu Gerätekonzepten kombiniert (Abb. 3-54): • Umrichter ohne Bremstransistor bestehen aus einem Diodengleichrichter und einem Wechselrichter. Eine Bremseinheit muss gegebenenfalls über die Zwischenkreisklemmen angeschlossen werden (Abb. 3-54 a). • Einachsumrichter mit Bremstransistor enthalten neben dem Diodengleichrichter und dem Wechselrichter zusätzlich den Bremstransistor, sodass nur noch der Bremswiderstand extern vorzusehen ist (Abb. 3-54 b).
Umrichter
159
DC-Klemmen für externe Bremseinheit Netz
~
3~
= =
M 3~
~
a) Umrichter ohne Bremstransistor Bremswiderstand
Netz
~
3~
= =
M 3~
~
b) Umrichter mit Bremstransistor Bremswiderstand
Netz
3~
~
= =
Gleichspannungszwischenkreis
~ = ~
M 3~
M 3~
c) Versorgungseinheit und Wechselrichter
Abb. 3-54. Gerätekonzepte für Einachs- und Mehrachsanwendungen
• Für Mehrachsanwendungen gibt es motorseitige Wechselrichter ohne Einspeisung sowie eine zentrale Versorgungseinheit, die mehrere Wechselrichter versorgt (Abb. 3-54 c). Die Versorgungseinheit besteht entweder aus einem Gleichrichter mit Bremstransistor oder einem rückspeisefähigen Netzwechselrichter, der allerdings für den Fall des Netzausfalls ebenfalls eine Bremseinheit benötigt. Alle diese Gerätekonzepte sind gebräuchlich und haben Vorteile in entsprechenden Anwendungsfällen, auf die in Kapitel 4 eingegangen wird [HeKa04]. Weitere Funktionen im Leistungsteil. Neben den aufgeführten Funktionen muss der Leistungsteil noch folgende Schaltungen enthalten:
• Die verschiedenen internen Schaltungsteile müssen mit einer Stromversorgung ausgestattet werden. Hierzu werden Schaltnetzteile verwendet, die entweder am Spannungszwischenkreis angeschlossen sind oder von einer externen Steuerspannungsversorgung (häufig 24 VDC) versorgt werden. Die Übertrager im Schaltnetzteil sorgen auch für die Isolation zwischen den verschiedenen Potenzialebenen.
160
Das Antriebssystem und seine Komponenten
• Es sind verschiedene Größen zu messen. Am wichtigsten sind die Motorströme und die Spannung im Zwischenkreis. Daneben sind aus Überwachungsgründen auch Temperaturen zu messen. Für die Strommessung werden verschiedene Messpunkte (zwei oder drei Ausgangsphasen, Fußpunkte der drei Halbbrücken, Zwischenkreis) und verschiedene Messprinzipien (Strommesswiderstände mit direkter Auswertung oder Isolierverstärker, magnetische Strommessglieder mit direkten oder kompensierenden Messverfahren) eingesetzt. Die Messung der Spannung im Zwischenkreis erfolgt über Widerstandsteiler oder eine zusätzliche Wicklung des Übertragers des Schaltnetzteils. • Die IGBT-Leistungsschalter müssen über Gatetreiber angesteuert werden. Diese werden entweder isolierend mit Optokopplern, die den Gatetreiber bereits enthalten, über nicht isolierende Hochvoltschaltkreise oder über entsprechend diskret aufgebaute Schaltungen realisiert. Weitere Topologien für den Wechselrichter. Die bislang dargestellte Wechselrichtertopologie, der hart schaltende sechspulsige Spannungswechselrichter mit IGBT-Leistungsschaltern ist die bei weitem dominierende Struktur im Leistungsbereich bis 1 MW. Der Vollständigkeit halber sollen die alternativen Konzepte hier nicht unerwähnt bleiben. 0
1 Gv
Gr
Bidirektionaler Leistungsschalter
UL1
UL2
UL3
Netz
3
2
1
S13
S12
S11
S23
S22
S21
S33
S32
S31
Filter
Abb. 3-55. Struktur eines Matrixumrichters
IS1 IS2 IS3
M 3~
Umrichter
161
Beim Matrixumrichter werden alle drei Netzphasen mit den drei Motorphasen über bidirektionale Leistungsschalter verbunden (Abb. 3-55) [Zi99]. Vorteilhaft ist die volle Rückspeisefähigkeit sowie der Wegfall des Spannungszwischenkreises, nachteilig die höhere Anzahl der Leistungsschalter (18 IGBTs, da pro bidirektionalem Schalter zwei IGBTs antiparallel eingesetzt werden müssen) sowie die Filterbeschaltung auf der Netzseite. Auch die Ansteuerung der neun Doppelleistungsschalter ist aufwändiger als beim Spannungszwischenkreisumrichter. Beim Drei-Level-Umrichter werden pro Halbbrücke vier Leistungsschalter in Reihe eingesetzt (Abb. 3-56). Hierdurch kann die Ausgangsspannung zum Motor mit halber Amplitude geschaltet werden. Damit ist die Spannungsbelastung des Motors deutlich niedriger. Drei-LevelUmrichter werden häufig bei höheren Leistungen und Spannungen verwendet. Im Niederspannungsbereich (400 bzw. 480 VAC) ist die höhere Anzahl der IGBTs (12 statt 6) nachteilig [He+04].
L1 L2 L3
M 3~
Abb. 3-56. Struktur eines Drei-Level-Umrichters
Weiterhin gibt es noch Topologien, bei denen nicht hart geschaltet wird, sondern über zusätzliche Induktivitäten resonante Schaltungen realisiert werden, die es ermöglichen, dass die Leistungsschalter im Spannungsnulldurchgang fast verlustfrei schalten. Vorteilhaft sind die niedrigeren Schaltverluste und EMV-Emissionen, nachteilig die höhere Bauteilanzahl sowie Einschränkungen bei der Ansteuerung. 3.4.2
Mechanischer Aufbau
Umrichter sind elektronische Geräte, die entweder in einem Schaltschrank installiert oder auf einem Motor oder in seiner Nähe montiert werden. Alle
162
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Bauteile des Umrichters müssen im Gehäuse untergebracht werden. Dieses muss die für den Einsatzort notwendigen Schutzfunktionen gewährleisten. Weiterhin muss die einfache mechanische und elektrische Installation sichergestellt sein. Die Geräte müssen auch Diagnoseelemente enthalten, um ihren Zustand einfach erkennen zu können. Anders als bei anderen Elekronikgeräten, bei denen in der Regel eine Leiterplatte für die Elektronikkomponenten und ein Kunststoffgehäuse ausreichend ist, ist der konstruktive Aufbau eines Umrichters komplexer: • Bei der Leistungsumsetzung entsteht Verlustleistung, die durch eine Kühleinheit abgeführt werden muss. • Die Leistungsmodule, die Kondensatoren im Zwischenkreis sowie magnetische Bauteile (Drosseln, Übertrager) sind sperrig und müssen effizient untergebracht werden. • Die Stromführung erfordert entweder besondere Querschnitte auf der Leiterplatte oder sogar eigene Stromschienen. • Die Isolation zwischen dem Leistungsteil, den Steueranschlüssen und der Signalverarbeitung muss sichergestellt sein. • Das Gerät muss häufig modular erweiterbar sein. Insgesamt ist die mechanische Konstruktion eines Umrichters eine komplexe Aufgabe, bei der viele sich teilweise widersprechende Anforderungen zu erfüllen sind [Ki00]: • • • • •
Einfache Montierbarkeit, preiswerte Bauteile, niedriges Volumen, d. h. hohe Leistungsdichte, sicheres thermisches Verhalten und einfache Anwendbarkeit.
Dieses hat zu einer Vielzahl von Aufbaukonzepten geführt, die hier nur kurz dargestellt werden können. Umrichter für den Schaltschrank. Die überwiegende Anzahl der Umrichter wird im Schaltschrank montiert (> 80% aller Industrieumrichter). Am gebräuchlichsten ist die Schutzart IP 20, die elektrische Anschlüsse von der Ober- und Unterseite erlaubt. Grundsätzlich haben sich zwei Aufbaukonzepte herauskristallisiert (Abb. 3-57):
• Beim „Box-Umrichter“ befindet sich ein Kühlkörper an der Rückseite. Auf diesen wird zunächst eine Leistungsplatine mit dem Leistungsmodul montiert. An der Vorderseite befindet sich eine Steuerkarte mit den Steueranschlüssen. Das Gerät ist auf Kompaktheit und einfache Herstellbarkeit, aber nicht auf die Minimierung einer bestimmten Dimension optimiert.
Umrichter
163
Abb. 3-57. „Book“- und „Box“-Umrichter
• Beim „Book-Umrichter“ wird versucht, die Gerätebreite zu minimieren. Vorteilhaft ist dieses in allen Anwendungen, in denen viele Umrichter in einem Schaltschrank untergebracht werden. Bei diesem Konzept werden teilweise innen liegende Kühlkörper sowie eine Leistungskarte eingesetzt, die senkrecht zur Schaltschrankmontagefläche steht. Entscheidend für das Gerätedesign ist die Kühlung, da diese bis zu 30% des Gerätevolumens beansprucht. In der Regel wird eine Luftkühlung eingesetzt, da diese keine zusätzliche Infrastruktur (z. B. Wasserkühlkreislauf mit Wärmetauscher) benötigt. Um ein geringes Gerätevolumen zu erzielen, wird die reine Konvektion (kein Lüfter) bis zu Leistungen von ca. 1 kW eingesetzt. Darüber hinaus werden Lüfter verwendet, die die Luftgeschwindigkeit im Kühlkörper und damit die umgesetzte Wärmemenge deutlich erhöhen. Diese Lüfter müssen für die vorgesehene Lebensdauer sowie die Umgebungsbedingungen geeignet sein. Als Material für den Kühlkörper wird fast ausschließlich Aluminium verwendet. Gebräuchlich sind Kühlkörper, die im Strangpress- oder Druckgussverfahren produziert werden. Zusammen mit dem Kühlkörper ist die Geräteabdeckung das wichtigste äußere Konstruktionselement. Eingesetzt werden in der Regel Kunststoffgehäuse, nur bei größeren Leistungen werden Blechgehäuse verwendet. Die mechanische Montage erfolgt über Befestigungselemente, über die die Verschraubung mit der Schaltschrankrückwand erfolgt. Ist ein sehr schneller Tausch im Fehlerfall erforderlich, dann ist auch der Einsatz einer Montageeinheit, in die der Umrichter eingesteckt wird, sinnvoll (Abb. 3-58).
164
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Abb. 3-58. Umrichter mit Montageeinheit zum schnellen Gerätetausch
Die elektrische Installation erfolgt über die elektrischen Anschlüsse des Umrichters. Die Steueranschlüsse sind dabei als Klemmen mit Querschnitten von 1 oder 1,5 mm² ausgeführt. Es werden Schraubklemmen und die schraubenlose Cageclamp-Technik eingesetzt. Die Klemmen können fest oder steckbar sein, wobei steckbare Klemmen für den schnellen Gerätetausch vorteilhaft sind. Bei den Leistungsanschlüssen hängt der Querschnitt vom Strom ab. Bis zu einer Leistung von ca. 55 kW werden Schraubklemmen angeboten. Auch diese können steckbar ausgeführt werden (bis ca. 11 kW). Darüber hinaus sind Schraubbolzen notwendig. Auch der effiziente Anschluss der Schirmung des Motorkabels ist für eine einfache Installation entscheidend. Hierfür gibt es mittlerweile einige Verfahren, die die schnelle und sichere Schirmauflage mit guten EMVEigenschaften sicherstellen. Umrichter höherer Schutzart. Für Einsatzorte außerhalb des Schaltschranks ist die Schutzart IP 20 nicht ausreichend. So muss bei einem Einsatz in einem Schaltraum die Schutzart IP 21 bzw. NEMA-1 eingehalten werden, die auch den Schutz vor Tropfwasser von oben beinhaltet. Hierbei müssen alle Anschlüsse von unten verlegt werden, die Geräteoberseite muss geschlossen sein. Umrichter im Box-Design ermöglichen dieses in der Regel, teilweise mit einer zusätzlichen Abdeckung für die Oberseite. Ist die Schutzart IP 54 notwendig, dann muss das Gehäuse ohne Schlitze ausgeführt sein. Auch der Lüfter muss diese Schutzart erfüllen. Alle Durchführungen für elektrische Leitungen müssen abgedichtet sein.
Umrichter
165
Abb. 3-59. Umrichter höherer Schutzart
Umrichter in der Schutzart IP 65 gestatten keinen Einsatz von externen Lüftern. Durch entsprechend große Kühlkörper muss die Ableitung der Verlustleistung sichergestellt sein. Sobald Umrichter außerhalb des Schaltschranks eingesetzt werden, muss auch die mechanische Robustheit größer sein (Abb. 3-59). Umrichter für Pumpen und Ventilatoren werden dabei in der Regel noch an einer Wand montiert, während Umrichter für Förderantriebe eher an der Mechanik der Anlage und damit im Zugangsbereich von Personen und Gabelstaplern untergebracht sind. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, solche Umrichter in einem robusten Metallgehäuse unterzubringen, dass eine höhere mechanische Festigkeit im Vergleich zu Kunststoffgehäusen hat. Alle elektrischen Anschlüsse sind in hoher Schutzart zu realisieren.
Abb. 3-60. Kombination eines Getriebemotors mit einem Motorumrichter
Umrichter für die Montage auf den Motor. Wird der Umrichter auf dem Motor montiert oder mit diesem konstruktiv vereinigt, dann entsteht eine mechatronische Einheit (Abb. 3-60). Es entfällt das Motorkabel sowie
166
Das Antriebssystem und seine Komponenten
gegebenenfalls die Verbindung des Winkelgebers vom Motor zum Umrichter. Durch die kurze Verbindung zum Motor ist die EMV-Filterung einfacher. Auch entfallen gerade bei großen Anlagen mit vielen Antrieben viele Schaltschränke. Nachteilig sind die höheren Kosten des Umrichters, die sich erst in einer Gesamtkostenbetrachtung kompensieren. Motorumrichter erlauben einen Betrieb von vielen geregelten Antrieben mit zwei Leitungen: erstens der Energieleitung und zweitens der Busleitung. Gemeinsam mit einer geeigneten Installationstechnik spart dieser Ansatz in großen Anlagen Kosten (Kap. 5.2.3). 3.4.3
Steuerelektronik und Software
Die Signalverarbeitung in einem Umrichter erfolgt fast ausschließlich digital [SchHe85, Ki94a]. Eingesetzt werden ein oder mehrere Mikrorechner. Damit ist ein Umrichter auch ein Embedded-System (Abb. 3-61). Dieses System hat folgende Schnittstellen: • Zum Leistungsteil, das aus den Steuersignalen für die Leistungsschalter sowie den Messsignalen aus dem Leistungsteil besteht, • zu den Steuerklemmen des Umrichters, in der Regel analoge und digitale Ein- und Ausgabesignale (I/Os), • zu Winkelgebern (wenn der Umrichter deren Auswertung unterstützt), • zu Kommunikationsschnittstellen und • zu eingebauten Bedienfunktionen. Messwerte Schaltersignale aus dem für den Umrichter Umrichter
Digitale- und analoge I/Os
Winkelgeber
Mikrorechnersystem Nichtflüchtiger Speicher
Umrichtersoftware Bewegungs- Gerätesteuerung führung Zustandsmaschine Antriebsregelung
Fehlerüberwachung Parameterverwaltung
Echtzeitbetriebssystem Eingebaute Bedienfunktionen
Kommunikationssysteme
Abb. 3-61. Steuerelektronik und Software
Für die konkrete Mikrorechnerauswahl stehen viele unterschiedliche Rechnerfamilien zur Verfügung, die ein breites Spektrum in der Rechenleistung abdecken. Gebräuchlich sind 16- und 32-bit-Architekturen, während 8-bit-Rechner in der Regel keine ausreichende Rechenleistung bieten.
Umrichter
167
Spezielle Signalprozessoren unterstützen die rechenintensiven Algorithmen der Antriebsregelung. Neben dem eigentlichen Mikrorechnersystem, der aus einer CPU und Speicher besteht, werden spezielle Peripheriefunktionen benötigt. So werden die pulsweitenmodulierten Signale für die Leistungsschalter mit speziellen Zähler- und Timerschaltungen realisiert. Für die Messung von Strom-, Spannungs- und Temperaturwerten sowie analoger Eingangswerte werden Analog-Digital-Wandler benötigt [Ki94b]. Auswertung der Winkelgeber. Die Auswertung der Signale der Winkelgeber (Resolver, Inkrementalgeber) erfordert spezielle Auswerteschaltungen. Verschiedene in der Praxis eingesetzte Verfahren sind an anderer Stelle beschrieben [Ki94a] und sollen hier nicht näher behandelt werden. Für die Anwendung ist es wichtig, dass die momentane Winkellage sehr präzise ermittelt wird, damit die Antriebsregelung präzise Istwerte hat. Bei der Messung ist auch das genaue Einhalten des Abtastzeitpunkts wichtig, damit der durch Differenzieren ermittelte Drehzahlwert ein möglichst niedriges Digitalisierungsrauschen hat. Neben dem Messen der Istwerte für die Antriebsregelung müssen auch genaue Positionen in der Mechanik bestimmt und zur momentanen Lage des Antriebs in Beziehung gebracht werden. Dieses ist beim Referenzieren der Mechanik (Kap. 4.4.3) sowie für das Erfassen von Marken (Kap. 4.6.3 und Kap. 4.8.3) erforderlich. Soll z. B. bei einer Bahngeschwindigkeit von 500 m/s deren Position auf 0,01 mm genau ermittelt werden, dann ist hierzu eine zeitliche Auflösung von 1,2 µs erforderlich. Hierzu dienen sogenannte Touch-Probe-Eingänge, die den Zeitpunkt eines Sensorsignals präzise und mit hoher Auflösung festhalten und gleichzeitig die momentane Position des Winkelgebers zu diesem Zeitpunkt ermitteln. Hochintegrierte Mikroelektronikbauteile. Für die Realisierung der Steuerelektronik werden hochintegrierte Mikrorechner für Motorcontrolanwendungen angeboten, die alle diese Funktionen integriert haben. Hierdurch kann die Steuerelektronik mit einem hochintegrierten Schaltkreis und nur wenigen externen Komponenten aufgebaut werden. In anderen Fällen wird zur Realisierung der Peripheriefunktionen ein programmierbarer Logikbaustein (FPGA) oder ein anwendungsspezifischer Schaltkreis (ASIC) verwendet. Auch System-on-Chip-Integrationen, die Mikrorechner und spezifische Peripheriefunktionen zusammen integrieren, sind gebräuchlich. Alle diese Integrationswege dienen dazu, die notwendigen Funktionen der Steuerelektronik möglichst kostengünstig zu realisieren [Ki94a, KiSch94a, KiSch94b, KiSch95a, KiSch95b, KiKrSch01]. Parameterspeicher. Für die Bestimmung der Anwendungsfunktion werden viele Parameter verwendet, die nichtflüchtig zu speichern sind. Hierfür werden entsprechende Speicher (EEPROMs, Flashbausteine) verwendet.
168
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Um beim Gerätetausch diese Parameter leicht auf das Ersatzgerät übertragen zu können, sind diese Parameterspeicher teilweise auf einem tauschbaren Speichermodul (Memorymodul) untergebracht. Softwaregrundfunktionen. Damit ein Embedded-System funktioniert, benötigt es neben der Steuerelektronik mit dem Mikrorechner auch noch einige Softwaregrundfunktionen, die hier nur kurz aufgeführt werden sollen:
• Das Betriebssystem sorgt für die Ausführung der einzelnen Programmteile. Aufgrund der hohen Echtzeitanforderungen ist hier ein Echtzeitbetriebssystem erforderlich, das auch Programm-Tasks unterstützt, die mit einer Wiederholrate von 32 µs (Servoregelung) bzw. 250 µs (Frequenzumrichter) ausgeführt werden. • Der Gesamtzustand des Antriebs wird von einer Zustandsmaschine verwaltet. So sind nach dem Starten zunächst einige Initialisierungen zu durchlaufen, bevor der Antrieb gestartet werden kann. Während des Betriebs wird in der Regel unterschieden zwischen dem Stillstand des Antriebs, dem Betrieb sowie Fehlerzuständen. Der Übergang zwischen den Zuständen erfolgt durch Kommandos vom Bediener oder der übergeordneten Steuerung sowie durch das interne Erkennen von Fehlerzuständen. • Viele interne Größen des Umrichters werden auf Fehlerzustände überwacht. Hierzu zählen Temperaturen, Ausgangsströme, die Spannung im Zwischenkreis (Unter- und Überspannung), das Vorhandensein der Netzversorgung, Signale vom Winkelgeber sowie interne Zustände der Motorregelung und Bewegungsführung (z. B. Schleppfehlerüberwachung). Teilweise werden zunächst Warnungen erzeugt. Werden dann unzulässige Werte überschritten und können keine direkten Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, dann wird in den Fehlerzustand übergegangen, bei dem der Umrichter ausgeschaltet wird und der Antrieb ausläuft. Es ist immer darauf zu achten, dass solche Fehlermeldungen nicht zu früh erfolgen, weil natürlich der sichere Betrieb des Antriebs im Vordergrund steht. Andererseits muss ein Umrichter in der Lage sein, sich selbst vor Zerstörung, z. B. infolge eines Kurzschlusses auf der Motorleitung zu schützen. • Die Einstellung des Umrichters erfordert eine hohe Anzahl von Parametern. Hierzu muss die Software eine Parameterverwaltung enthalten. Jeder Parameter hat dabei neben seinem momentanen Wert noch einige andere Attribute (z. B. Grenzen, Einheiten zur Darstellung, einen Namen). Die Einstellung der Parameter erfolgt entweder über eine eingebaute oder aufsteckbare Bedieneinheit, über eine Diagnoseschnittstelle zu einem PC oder über eine Kommunikationsschnittstelle zu einer übergeordneten Steuerung.
Umrichter
169
• Führt ein Antrieb dynamische Vorgänge aus (z. B. Positionierabläufe), dann ist es auch sinnvoll, wenn er zeitliche Verläufe von internen Signalen speichern kann (Oszilloskopfunktion), die dann auf einem PC dargestellt werden. Die gesamte Software eines Umrichters ist heute in der Regel recht umfangreich. Durch eine entsprechende Entwicklungsmethodik einschließlich umfangreicher Softwaretypprüfungen muss sichergestellt sein, dass diese sehr zuverlässig arbeitet [Be05, LiRo05]. Umrichter sind für den unterbrechungsfreien Betrieb von Maschinen eines der wichtigsten Elemente, das maßgeblich deren Zuverlässigkeit und Produktivität bestimmt. In den folgenden Kapiteln sollen die wichtigsten Teile der Umrichtersoftware dargestellt werden. Dies sind die Antriebsregelung und danach die Bewegungsführung des Antriebs. 3.4.4
Antriebsregelung
Dr. Edwin Kiel, Dr. Carsten Fräger Die Antriebsregelung ist der Kern der Umrichtersoftware. Sie hat die Aufgabe, die Leistungsumsetzung zum Motor so zu steuern, dass dieser der Sollwertvorgabe folgt. Der Sollwert ist in den häufigsten Fällen ein Drehzahlsollwert. Für andere Anwendungen sind auch Sollwerte für das Drehmoment oder die Winkellage gebräuchlich. Für die präzise Bewegungsführung eines Antriebs werden auch zusammenhängende Werte für alle drei mechanischen Größen vorgegeben, denen die Antriebsregelung dann möglichst genau folgen soll. Insgesamt hat die Antriebsregelung folgende Aufgaben zu erfüllen: • Unmittelbares Folgen der Sollwerte (Führungsverhalten). • Möglichst schnelles Ausregeln von Störgrößen, z. B. von Lastmomentsprüngen bei einer Drehzahlregelung. • Sicheres Führen des Antriebs. Die Kontrolle über den Antrieb darf in keinem Betriebspunkt verloren gehen (der Antrieb darf nicht durchgehen). Werden Grenzen des Antriebs verlassen (z. B. ein zu schneller Drehzahlsollwertsprung, für den das Beschleunigungsvermögen nicht ausreicht), dann muss der Antrieb an seinen Arbeitsgrenzen (z. B. maximales Antriebsmoment) arbeiten. • Der Antrieb muss geschützt werden, er darf nicht durch Überlastung geschädigt werden. Hierzu sind Grenzen für maximale Ströme im Umrichter und im Motor, Spannungen im Zwischenkreis sowie Temperaturen der Bauteile im Leistungsteil einzuhalten.
170
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Betriebsarten der Motorregelung. Frequenzumrichter und ServoUmrichter nutzen verschiedene Betriebsarten für die Motorregelung:
• In einem Frequenzumrichter wird der Motor ohne eine Messung der Istdrehzahl gesteuert eingesetzt. Es wird eine Spannungs-FrequenzSteuerung (U/f-Steuerung) eingesetzt. Um einige Einschränkungen dieser Betriebsart zu vermeiden, bieten viele Frequenzumrichter auch eine sensorlose Vektorregelung an. • In Servo-Umrichtern werden Drehzahl und Winkellage gemessen und eine sehr genaue und dynamische Regelung des Motors ausgeführt. Diese Servoregelung erfolgt nach den Grundlagen der feldorientierten Regelung, die sowohl für Synchron- als auch für Asynchronmotoren eingesetzt werden kann. Im Folgenden wird zunächst die U/f-Steuerung dargestellt. Danach wird die feldorientierte Regelung mit Rückführung dargestellt. Erst abschließend wird die sensorlose Vektorregelung erklärt, da diese auf Theorien der feldorientierten Regelung aufsetzt. Spannungs-Frequenz-Steuerung. Bei der U/f-Steuerung wird aus dem Sollwert für die Drehzahl des Motors die Ausgangsfrequenz des Umrichters bestimmt und aus diesem Wert wiederum über eine Kennlinie die Ausgangsspannung. Die Ausgangsspannung folgt dabei der Ausgangsfrequenz proportional, bis sie im Bemessungspunkt des Motors dessen Bemessungsspannung erreicht oder bis die maximale Ausgangsspannung erreicht ist, die durch die Netzspannung vorgegeben ist (Abb. 3-62). Darüber hinaus kann die Spannung nicht mehr gesteigert werden, der Motor wird dann in der sogenannten Feldschwächung betrieben, bei der das erreichbare Drehmoment abnimmt und die Leistung konstant bleibt. U Umax
Umin fN
f
Abb. 3-62. U/f-Kennlinie
Da der Motor einen Spannungsfall an den Widerständen im Ständer hat, muss die Kennlinie bei kleinen Frequenzen etwas angehoben werden, um diese Spannungsfälle zu kompensieren. Diese Anhebung erfolgt entsprechend der Bemessungsdaten des Motors (und ist damit auf die Bemessungsleistung ausgelegt) und berücksichtigt nicht den tatsächlichen Strom.
Umrichter
171
Dieses führt dazu, dass die an den Motor abgegebene Spannung nicht in jedem Arbeitspunkt dem Optimum entspricht. Die Magnetisierung des Motors ändert sich mit der Belastung. Hierdurch kann ein Antrieb mit einem stark schwankenden Lastmoment nicht in jedem Fall im optimalen Betriebspunkt arbeiten. Für Anwendungen, deren Arbeitskennlinie dazu führt, dass bei niedrigen Drehzahlen auch nur ein niedriges Moment benötigt wird (z. B. Pumpen, Ventilatoren), ist es aus energetischen Gründen sinnvoll, mit einer quadratischen Kennlinie zu arbeiten. Es werden dann auch bei niedrigen Drehzahlen die Magnetisierung und damit der Strombedarf reduziert. Die U/f-Steuerung bietet zunächst keinen Schutz bei der Anforderung eines zu hohen Drehmoments beim Beschleunigen und damit einem zu hohen Ausgangsstrom. Daher wird sie um eine Strombegrenzung ergänzt, die in diesem Fall das Beschleunigen verzögert bzw. nach Erreichen der Enddrehzahl diese bei statischer Überlast auch reduziert. Damit sind der Betrieb an der Stromgrenze des Motors und das Beschleunigen mit maximal möglichem Drehmoment möglich. Die U/f-Steuerung kompensiert auch nicht den Drehzahlabfall eines Asynchronmotors bei Belastung (den Schlupf). Es ist allerdings möglich, durch Messung des Wirkstroms auf die Belastung zu schließen und dann die Drehfeldfrequenz so anzuheben, dass die Motordrehzahl auch bei Belastung annähernd konstant bleibt (Schlupfkompensation). Hierdurch hat der Motor im stationären Belastungsfall eine gute Drehzahlkonstanz. Da die U/f-Steuerung eine Spannungssteuerung ist, ist der Parallelbetrieb mehrerer Asynchronmotoren an einem Umrichter möglich. Insgesamt ist die U/f-Steuerung ein sehr robustes Verfahren, das nur wenige Daten des Motors (die Typenschilddaten) benötigt. Sie spielt ihre Vorteile immer dann aus, wenn die Belastung des Motors nur wenig Dynamik und Störeinflüsse hat. Da sie das dynamische Verhalten des Motors nicht berücksichtigt, liegen die Schwächen in allen Anwendungen, die eine höhere Dynamik oder größere Stellbereiche (> 1:10) benötigen. Zusammengefasst hat die U/f-Steuerung folgende Einschränkungen: • Die Drehmomentausbeute im niedrigen Drehzahlbereich (< 10% · nN) ist begrenzt, weil die Spannung nicht den Belastungszustand des Motors und damit die stromabhängigen Spannungsfälle an den Ständerreaktanzen und Widerständen berücksichtigt. • Die Drehmomentanregelzeit ist langsam, weil das dynamische Modell des Motors nicht berücksichtigt wird. Diese Einschränkungen hebt die sensorlose Vektorregelung auf, die beschrieben wird, nachdem die Servoregelung behandelt wurde. Regelung von Servoantrieben. Das Ziel einer Servoregelung ist es, dafür zu sorgen, dass der Motor möglichst exakt den Sollwerten der Steuerung
172
Das Antriebssystem und seine Komponenten
folgt. Der Servo-Umrichter versorgt den Motor zielgerichtet mit den Strömen, damit dieser das erforderliche Drehmoment und die benötigte Drehzahl für die Antriebsaufgabe zur Verfügung stellt. Kaskadenregelung. Die typische Regelstruktur eines Servoantriebs ist die Kaskadenregelung (Abb. 3-63). Dies bedeutet, dass im innersten Regelkreis der Motorstrom zur Erzeugung des Drehmoments generiert wird. Hieran sind der Wechselrichter, der Motor und die Stromerfassung beteiligt [Le97]. Diesem inneren Kreis ist die Drehzahlregelung überlagert. Eingangsgrößen sind der Drehzahlsoll- und -istwert (ω*, ω). Ausgangsgröße ist der Drehmomentsollwert m* für den inneren Regelkreis. Der äußere Kreis ist der Positions- oder Winkelregler, der Soll- und Istwinkel (φ*, φ) vergleicht und dem Drehzahlregler den Sollwert vorgibt. uD
uD Messung j*
w*
-
M
-
Winkelregler (Lageregler)
*
tW1 Stromregelung Kommutierung tW2 Modulator Berechnung der t Schaltzeiten W3
Drehzahlregler
iS1 iS2
= 6
3~
D A
Messung der Motorströme
M 3~
w j
Winkelgeberauswertung
Abb. 3-63. Kaskadenregelung
Der Vorteil der Kaskadenregelung ist die einfache Bedienung und Inbetriebnahme: Die Regelkreise können nacheinander von innen nach außen eingestellt werden. Somit ist in kurzer Zeit ein stabiler und dynamischer Betrieb des Antriebs erreichbar. Durch mehr oder weniger große Verstärkungsfaktoren ist eine eher dynamische Einstellung für schnelle Bewegungen oder eine eher moderate Einstellung für einen ruhigen Lauf möglich. Drehmoment- und Stromregelung. Der innerste Regelkreis für die Drehmomentbildung muss die Eigenschaften des Elektromotors berücksichtigen, damit eine möglichst gute Übertragung des Drehmomentsollwerts in den Drehmomentistwert erfolgt [Qu93]. Die Regelung erfolgt zweckmäßig in d-q-Komponenten (den Feldkoordinaten) (Abb. 3-64).
Umrichter
173
Dadurch werden für den stationären Betrieb die transformierten Ströme und Spannungen des Stators innerhalb der Regelung zu Gleichgrößen. Der Wechselrichter gibt eine Spannung an den Motor, die zum Motorstrom und zur Drehmomentbildung führt. Auch erfolgt die Vorgabe des Drehmoments und der Magnetisierung im Motor über Stromsollwerte in der Feldorientierung (die beim Synchronmotor der Rotorlage entspricht). Die Stromregelung hat damit die Aufgabe, entsprechend der Sollwerte für iq und id die Spannung so zu berechnen, dass diese Ströme verzögerungsfrei eingestellt werden. Netz L1 L2 L3
3~
V
3~ Spannungserfassung
=
Uz
~ Uq
+ – Feldschwächung + + Zp ùm
iq;soll id;soll
Drehzahlregler Feldregelung
Rotorflußmodel Rr Lh
iU iV iW
á
Ud + +
+ – Querstromregler
+ + –
Öist
Ösoll
Lageregler
M 3~
6
Ständerspannungsmodel wsoll + –
W
Modulator
RsLs
ösoll + –
U
=
+
Längsstromregler öd
ùs Integrator id;ist iq;ist d-q Koordinatentransformation wist D öm G
Abb. 3-64. Servoregelung
Es werden für iq und id zwei PI-Regler eingesetzt, die mit einem inversen Modell des Motors (d. h. des Ständerwiderstands, der Ständerimpedanz und der induzierten Spannung) vorgesteuert werden. Da sich diese Größen im Betrieb ändern (der Widerstand durch die Temperatur und die Induktivität durch Sättigungseffekte des Eisens), müssen teilweise Parameternachführungen verwendet werden, damit die Stromregler immer die optimale Dynamik haben [SchHo05b]. Die Einstellung der Stromregelung setzt eine sehr gute Kenntnis der Motordaten voraus. Diese können entweder bei der Inbetriebnahme identifiziert, entsprechenden Angaben des Motorherstellers entnommen oder
174
Das Antriebssystem und seine Komponenten
sogar in elektronischen Typenschildern im Motor abgespeichert werden. Der letztgenannte Weg ist dabei der Beste, weil dann bei der Herstellung des Motors dessen Daten ermittelt, im Motor gespeichert und dem Regler elektronisch vermittelt werden. Für die Dynamik der Stromregelung ist die Schaltfrequenz des Wechselrichters entscheidend, weil diese die Abtastzeit der Stromregelung bestimmt. Bei den heute verwendeten Schaltfrequenzen von 4 bis 20 kHz werden Drehmomentanregelzeiten von 0,5 bis 2 ms erreicht. Dieses ist in den meisten Anwendungen vollkommen ausreichend, da sowohl die mechanische Dynamik des Antriebs als auch die der Anwendung in der Regel deutlich niedriger sind. Flussmodell und Feldschwächung. Beim Asynchronmotor müssen die Schlupffrequenz sowie der aktuelle Wert der Magnetisierung aus den Strömen ermittelt werden. Dieses ist im Endeffekt ein Modell, das das innere Verhalten im Motor (das nicht direkt gemessen werden kann) nachbildet. Auch hier werden Motordaten benötigt. Um eine präzise Ermittlung des Flusses zu erreichen, muss dabei auch die Sättigungskennlinie des Eisens im Motor berücksichtigt werden. Der Sollwert für den Strom id wird von dem Feldregler bestimmt. Dessen Sollwert wiederum berücksichtigt die Feldschwächung ab der Bemessungsdrehzahl des Antriebs. Bei höheren Drehzahlen muss dann die Magnetisierung reduziert werden, damit genügend Spannungsreserve zur Regelung der Ströme bleibt. Dadurch reduziert sich das erreichbare Drehmoment in etwa mit dem Quadrat der Drehzahl. Zum Erreichen einer höheren Drehzahlausbeute bei SynchronServomotoren durch den Einsatz der Feldschwächung (Kap. 3.3.5) wird abhängig von der Drehzahl und dem Drehmoment ein von null abweichender Sollwert für id vorgegeben. Hierdurch wird eine Kompensation des induktiven Spannungsfalls durch die Ständerinduktivität und die bessere Spannungsausbeute erreicht. Drehzahlregelung. Die nächsthöhere Zustandsgröße des Antriebs, die zu regeln ist, ist die Drehzahl. Bei einer Servoregelung mit Winkelgeber wird diese gemessen, sodass die Ermittlung des Istwerts keine Probleme bereitet. Die Regelstrecke ist dabei die Drehmomentbildung (die wie eine Verzögerung oder ein Tiefpass wirkt) sowie die mechanische Integration des Drehmoments zur Drehzahl. Als Störgröße geht das Lastmoment ein, das sich nach Kapitel 3.1.1 aus Reibung, Prozesskräften und anderen Einflüssen zusammensetzt. Die Massenträgheit des Antriebs bestimmt, welche Drehzahländerung sich durch das aufgebrachte Drehmoment ergibt. Für den Drehzahlregler werden in der Regel PI-Regler eingesetzt, die nach dem Betragsoptimum eingestellt werden. Bestimmend für die erreichbare Grenzfrequenz ist die Verzögerung (oder Ersatzzeitkonstante) in
Umrichter
175
der Drehmomentbildung. Grenzfrequenzen von 500 bis 1.000 Hz sind bei den heute verwendeten Schaltfrequenzen möglich. Diese Grenzfrequenz gilt dabei nur für das Kleinsignalverhalten, d. h. für kleine Änderungen des Sollwerts. Bei großen Änderungen wirkt die Gesamtdynamik (d. h. maximales Drehmoment und Massenträgheit) des Antriebsstrangs. Die Einstellung des Drehzahlreglers hängt entscheidend von der Massenträgheit des Antriebs ab. Da sich diese im Betrieb ändern kann (veränderliche Lasten, Kinematiken), muss sie entweder auf einen in allen Betriebsfällen stabilen Wert eingestellt werden, oder die Parameter müssen nachgeführt werden. Winkel- und Lageregelung. In positionsgeregelten Anwendungen wird zusätzlich zur Drehzahlregelung auch eine Winkelregelung benötigt. Diese erreicht eine höhere Steifigkeit des Antriebs beim Halten einer Position, indem sie bereits auf kleine gemessene Winkelabweichungen reagiert. Aufgrund der Stabilitätskriterien ist für die Lageregelung nur ein P-Regler einsetzbar. Bei einer dynamischen Positionierung ohne den Einsatz von Vorsteuerungen führt dieser Regler dazu, dass immer ein Schleppfehler (Differenz von Soll- und Istposition) entsteht. Drehmomentvorsteuerung zur Erhöhung der Dynamik. Die primäre Aufgabe der Antriebsregelung besteht darin, einen stabilen Betrieb bei gleichzeitig hoher Dynamik des Antriebs zu gewährleisten. Die Antriebsregelung orientiert sich am Momentanwert der Zustandsgrößen und hat zunächst wenig Wissen über den weiteren zeitlichen Verlauf. Bei einer Positionieranwendung wechselt der Betrieb zwischen dem Beschleunigen, Fahren mit konstanter Geschwindigkeit und Abbremsen. Gerade die Beschleunigungs- und Bremsphasen erzeugen eine Regelabweichung für die Drehzahlregelung, die diese ausgleichen muss. Alternativ kann das aus der zeitlichen Änderung der Drehzahl ermittelte notwendige Beschleunigungs- oder Bremsmoment auf den Ausgang des Drehzahlreglers aufgeschaltet werden. Durch diese Vorsteuerung wird der Drehzahlregler entlastet, der Aufbau der notwendigen Momente erfolgt schneller. Hierdurch reduziert sich die Abweichung zwischen der Soll- und Istposition (der sogenannte Schleppfehler) deutlich. Ähnlich kann eine Vorsteuerung des Lage- oder Winkelreglers realisiert werden. Abb. 3-65 zeigt das zugehörige Blockschaltbild einer Kaskadenregelung mit den Vorsteuerungen. Die Größen für die Vorsteuerung des Lage- und Drehzahlreglers können entweder aus der Änderung der Sollwerte ermittelt werden oder werden alternativ bereits von der Bewegungsführung berechnet und ausgegeben, die dann zeitlich zusammenhängende Werte für die Position, Drehzahl und das Drehmoment an die Antriebsregelung übergibt.
176
Das Antriebssystem und seine Komponenten
u
D
uDMessung Geschwindigkeits- Beschleunigungsvorsteuerung vorsteuerung j
w
*
Winkelregler (Lageregler)
*
M
-
*
tW1 Stromregelung Kommutierung tW2 Modulator Berechnung der Schaltzeiten tW3
Drehzahlregler
iS1 iS2
= 6
3~
D A
Messung der Motorströme
M 3~
w j
Winkelgeberauswertung
Abb. 3-65. Vorsteuerung des Lagezahl- und Drehzahlreglers
Liegt die dynamische Änderung dieser Werte innerhalb der Grenzen, denen der Antrieb dynamisch folgen kann, dann werden die Regler deutlich entlastet. Diese müssen dann nur noch Störgrößen kompensieren, die sich durch Prozesseinflüsse (Lastmoment) und durch Abweichungen von Istgrößen zu angenommenen Werten (z. B. Widerstände und Induktivitäten im Motor) ergeben. Filter im Istwert zur Verbesserung des Gleichlaufs. In vielen Anwendungen müssen Antriebe zu einem Leitantrieb mit fester Drehzahl winkelsynchron laufen. Ein typisches Beispiel sind Druckmaschinen. Hier drehen sich alle Antriebe für ein einwandfreies Druckbild synchron zur Papierbahn. Winkelabweichungen führen zu Verschiebungen der einzelnen Druckbilder zueinander, die im Gesamtdruckergebnis sichtbar werden. Zur Beherrschung dieser Aufgabe werden Filter im Istwertkanal eingesetzt. Sie nehmen Schwankungen aus den Istwerten heraus, die sonst zu einem Schwingen der Anlage führen können [Sch06]. Die Filterung kann den Winkelfehler erheblich reduzieren. Allerdings verliert der Antrieb an Dynamik. Sensorlose Regelung des Asynchronmotors. Die Theorie, mit der die feldorientierte Regelung des Asynchronmotors beschrieben wird, kann auch genutzt werden, das Verhalten eines ohne Drehzahlsensor betriebenen Motors gegenüber dem U/f-Betrieb zu verbessern [Jo89]. Das primäre Ziel ist es dabei, durch die Berücksichtigung des dynamischen Verhaltens
Umrichter
177
des Motors die beschriebenen Einschränkungen des U/f-Betriebs deutlich zu reduzieren. Durch das Motormodell, dass auch für die sensorbehaftete Regelung verwendet wird und das den momentanen Wert der Magnetisierung und des Schlupfs berechnet, sind alle Größen für die Regelung auch ohne Messung der Drehzahl bekannt. Allerdings hängt die Genauigkeit von der exakten Kenntnis der Motorgrößen ab. Gehen diese mit falschen Werten in die Regelung ein, dann ist diese ungenau und im schlimmsten Fall instabil. Daher muss eine sensorlose Regelung immer um Verfahren zur Parameteridentifikation und Parameternachführung ergänzt werden. Wie oben dargestellt, besteht die Stromregelung einer Servoregelung aus Stromreglern, die mit Spannungswerten aus einem inversen Motormodell vorgesteuert werden. Da bei einer sensorlosen Regelung kein Drehzahlsensor vorhanden ist, der den Istwert für eine Drehzahlregelung liefert, ergibt sich in der praktischen Anwendung folgendes Bild beim Vergleich der Regelungsarten: • Der Einsatz einer Stromvektorregelung bei einer sensorlosen Regelung führt zu einer höheren Dynamik der Drehmomentanregelung, aber zu größeren Drehzahlschwankungen und einer niedrigeren Stabilität der Regelung. Auch ist der Rechenleistungsbedarf höher. • Der alleinige Einsatz einer Spannungssteuerung über ein inverses Motormodell führt zu einer niedrigeren Dynamik, aber auch zu einem besseren Rundlauf und einer höheren Stabilität, da insgesamt weniger Regler die Dynamik bestimmen. Durch eine Nachführung der Motorgrößen (insbesondere des Ständerwiderstands Rs), die auf dem Vergleich des gemessenen und angenommenen Werts für den flussbildenden Strom id aufgebaut werden kann, hat auch dieses Verfahren eine hohe Genauigkeit bei der Veränderung der Motorparameter. Für den sicheren Betrieb einer sensorlosen Regelung ist auch die Kompensation der Wechselrichterfehler entscheidend, wie in Kapitel 3.4.1 dargestellt. Insgesamt kann eine sehr robuste sensorlose Vektorregelung eines Asynchronmotors mit folgenden Elementen aufgebaut werden (Abb. 3-66): • Einem Drehzahl- und Drehmomentregler, • einem Flussmodell für den Asynchronmotor, das neben dem Motorfluss auch die Schlupffrequenz des Motors bestimmt, • einem Feldregler, • einem inversen Motormodell zur Berechnung der Spannungen aus den Sollströmen, • einer guten Wechselrichterfehlerkompensation,
178
Das Antriebssystem und seine Komponenten Netz L1 L2 L3
3~
U V
= =
3~
W iU iV iW
M 3~
Feldregelung
Uz
~
Rotorflußmodel
Spannungserfassung
Ösoll
Ständerspannungs- Uq model Ud
nist Drehzahlberechnung Feldschwächung nsoll –
+
+
iq Drehzahlregler
–
Modulator
6 imr Rr Ö
id;soll
WR-FehlerKompensation
öd
fd Integrator
Drehmomentregler Rs Ls
Nachführung
iq;ist id;ist d-q Koordinatentransformation
Abb. 3-66. Sensorlose Regelung eines Asynchronmotors
• einer Nachführung der Motorgrößen durch Vergleich von Soll- und Istwert für id und • einer Parameteridentifikation bei der Inbetriebnahme, die die Motorparameter bestimmt [Sch+01b]. Solch eine Regelung hat gegenüber der U/f-Steuerung folgende Vorteile: • Im niedrigen Drehzahlbereich wird eine gute Drehmomentausbeute erzielt, die Motorspannung wird dynamisch immer auf den Wert geregelt, die entsprechend der Belastung benötigt wird. • Ein Drehmomentsprung wird schnell ausgeregelt. Dieses hängt jetzt sehr stark von der Abtastzeit der Regelung und damit von der eingesetzten Rechenleistung ab. Bei einer Abtastzeit von 250 µs werden Drehmomentanregelzeiten von 10 bis 20 ms erreicht, während diese bei Abtastzeiten von 62,5 µs bei ca. 5 ms liegen. • Die Drehzahl wird bei Belastung des Motors in etwa konstant gehalten. Die sensorlose Vektorregelung kann gegenüber der U/f-Steuerung überall dort vorteilhaft verwendet werden, wo der Arbeitsprozess hohe Drehmomentschwankungen aufweist oder wo ein hohes Anzugsmoment (Losbrechmoment) benötigt wird. Durch die hohe Abhängigkeit von den Motorparametern ist sie aber aufwändiger in der Anwendung und Optimierung gegenüber der U/f-Steuerung.
Umrichter
3.4.5
179
Bewegungsführung
Nachdem im vorhergehenden Abschnitt die Antriebsregelung ausführlich vorgestellt wurde, soll nun die Bewegungsführung behandelt werden, die der Antriebsregelung die Sollwerte vorgibt. Damit ist die Bewegungsführung die Verbindung der Automatisierung mit dem geregelten Antrieb. Die Bewegungsführung muss insgesamt folgende Anforderungen erfüllen: • Die Führung des Antriebs muss so erfolgen, wie es für den mechanischen Prozess notwendig ist. Damit hat die Bewegungsführung eine hohe Abhängigkeit von der konkreten Anwendung und wird daher für jede Anwendung spezifisch parametriert. • Die Änderung der Sollwerte darf den zulässigen Arbeitsbereich des Antriebs nicht verlassen. Dieser ist gekennzeichnet durch die Grenzen für die Drehzahl, das Drehmoment (und damit für das Beschleunigungsvermögen des Antriebs), thermische Grenzen und die Festigkeit der Antriebskomponenten. Die Regeln für die Antriebsauslegung werden in Kapitel 3.7.2 erklärt. Im Folgenden sollen einige allgemeine Formen der Bewegungsführung vorgestellt werden, die übergreifenden Charakter haben. Hochlaufgeber für Beschleunigung und Bremsen. Wenn ein Antrieb beschleunigt oder gebremst wird, ist hierfür ein entsprechendes Drehmoment aufzubringen. In einigen Anwendungen soll dieser Vorgang möglichst schnell erfolgen (hohe Dynamik), wobei das maximale Drehmoment eines Antriebs immer begrenzt ist. Es gibt zwei Wege, diese Drehmomentgrenzen im Antrieb einzuhalten:
• In der Antriebsregelung durch die Begrenzung auf den maximalen Ausgangsstrom und • in der Bewegungsführung durch die Begrenzung der Änderungsrate des Drehzahlsollwerts. Die Begrenzung in der Antriebsregelung hat dabei mehrere Nachteile: • Bei einer Servoregelung mit PI-Drehzahlregler schwingt die Drehzahl über, wenn der Regler mit einer sprungförmigen Sollwertänderung beaufschlagt wird. Eine rampenförmige Sollwertänderung zeigt dagegen diesen Überschwinger nicht, die Enddrehzahl wird sauber erreicht. • Bei einem Frequenzumrichter muss eine sehr gut wirkende Strombegrenzung (die letztendlich auch nur die Änderung des Drehzahlsollwerts begrenzt) implementiert sein. • Das konkrete Beschleunigungsverhalten hängt von vielen Anwendungsparametern ab wie z. B. dem Lastträgheitsmoment und dem Lastmoment. Es ist daher nicht vorausberechenbar.
180
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Eingangswert -
Drehzahlsollwert
Eingangswert t
Drehzahlsollwert Hochlaufzeit
Ablaufzeit
t
Abb. 3-67. Hochlaufgeber
Diese Punkte führen dazu, dass in der Praxis in der Regel die Beschleunigung über einen Hochlaufgeber begrenzt wird (Abb. 3-67). Dieser arbeitet so, dass zwischen dem Eingangswert und dem Sollwert des Drehzahlreglers ein Integrator angeordnet ist, dessen maximale Änderungsgeschwindigkeit und damit die maximale Winkelbeschleunigung begrenzt werden. Unterschiedliche Grenzen für das Beschleunigen und Bremsen sind üblich. Die Parametrierung erfolgt in der Regel über die Vorgabe von Zeiten, innerhalb derer ein Hochlauf von null auf die Maximaldrehzahl oder die Bemessungsdrehzahl erfolgen soll. Ruckbegrenzte Bewegungsführung. Die Übertragungsstrecke vom Motor zur Mechanik ist häufig elastisch und damit schwingungsfähig, wie in Kapitel 3.1.8 dargestellt wurde. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, auch die maximale Änderungsgeschwindigkeit des Drehmoments und damit den Ruck zu begrenzen. Zur ruckbegrenzten Bewegungsführung dienen entweder s-förmige Drehzahlrampen oder trapezförmige Beschleunigungsrampen. Positionierablauf. In vielen Anwendungen soll der Antrieb einen Positioniervorgang ausführen [KiFr06]. Die Aufgabe eines Positioniervorgangs lässt sich folgendermaßen beschreiben:
• Ein Positioniergut mit der Masse m ist in der Zeit t über einen Weg s zu bewegen, wobei die Geschwindigkeit zum Start und Ende null ist, und • die Endposition ist mit der Genauigkeit Δs einzuhalten. Der Positioniervorgang gliedert sich in drei Phasen (Abb. 3-68): • Die Beschleunigung von null auf die Maximalgeschwindigkeit, • das Fahren mit der Maximalgeschwindigkeit und • das Bremsen auf null zum Erreichen der Endposition. Durch das Beschleunigen, Fahren und Bremsen ist das Positionieren ein dynamischer Vorgang. Der Positioniervorgang erfordert daher eine präzise Antriebsführung in allen vier Quadranten. Aus diesem Grunde werden in der Regel Servoantriebe eingesetzt.
Umrichter
m
181
m Weg s(t) Genauigkeit Äs
Weg s, Geschwindigkeit v und Beschleunigung a
Beschleunigen
Fahren
Abbremsen
v(t) s(t)
a(t)
Zeit t
Abb. 3-68. Positionierablauf
Während für die Realisierung eines Positionierablaufs das Beschleunigen auf die Endgeschwindigkeit und das Fahren mit dieser Geschwindigkeit noch dem Ablauf entsprechen, der bei jedem Hochfahren eines Antriebs durchlaufen wird, muss für die Bremsrampe die Zielposition berücksichtigt werden. Ausgehend vom vorausberechneten Bremsweg wird während der Fahrt die Solldrehzahl entsprechend der Bremsrampe abgesenkt, sodass die Zielposition erreicht wird. Für Positionierabläufe gibt es in der Praxis noch viele Varianten, die in Kapitel 4.4 ausführlich dargestellt werden. Besondere Betriebszustände. Die bislang dargestellten Funktionen für die Bewegungsführung beziehen sich auf den Automatikbetrieb, in dem eine Steuerung vorgibt, welche Funktionen der Antrieb ausführen soll. Daneben gibt es noch eine Reihe von weiteren Betriebszuständen, für die ein Umrichter passende Funktionen anbieten muss:
• Soll aufgrund einer Störung der Antrieb möglichst schnell stillgesetzt werden, muss er an einer entsprechenden Rampe auf die Drehzahl null geführt werden. Antriebe enthalten hierfür in der Regel eine QuickstopFunktion, die über einen entsprechenden Befehl wie ein digitales Ein-
182
Das Antriebssystem und seine Komponenten
gangssignal ausgelöst wird und deren Bremsrampe abweichend von der normalen Bremsrampe getrennt eingestellt werden kann. • Viele Winkelgeber messen nicht die absolute Lage des Antriebs. Daher muss dieser nach dem Einschalten zunächst eine Referenzfahrt durchführen, um die absolute Position der von ihm angetriebenen Mechanik in der Maschine zu bestimmen. Die Funktion und der Ablauf dieser Referenzfahrt werden in Kapitel 4.4.3 ausführlich dargestellt. • Beim Einrichten oder zum Beseitigen von Störungen kann es erforderlich sein, dass ein Bediener vor Ort den Antrieb in Bewegung setzen kann. Hierzu dienen Funktionen zum Handfahren. Häufig werden zwei Tasten eingesetzt, die eine Bewegung mit einer begrenzten Geschwindigkeit in positiver und negativer Richtung freigeben. Hierfür sollte ein Antrieb entsprechende Softwarefunktionen enthalten. Auch das Bewegen um eine definierte Strecke nach dem Auslösen durch eine Taste kann sinnvoll sein (Tippen des Antriebs). • Wird ein Umrichter nach einem Netzausfall auf einen Motor geschaltet, der sich gegebenenfalls noch dreht, dann muss er zunächst dessen Drehzahl ermitteln. Wird ein Frequenzumrichter ohne Drehzahlsensor eingesetzt, muss dieses durch die Software erfolgen. Diese Funktion nennt man Fangschaltung. Sie findet insbesondere bei großen Ventilatoren Anwendung, die nach einem Netzausfall über eine längere Zeit austrudeln. Zum Bestimmen der Drehzahl fährt der Umrichter mit seiner Ausgangsfrequenz und kleiner Ausgangsspannung durch den Drehzahlbereich des Motors und beobachtet dabei den Strom. Bei der Frequenz, bei der der Strom minimal ist, liegt die momentane Drehzahl des Motors. Der Frequenzumrichter kann danach bei dieser Frequenz seine Spannung auf den durch den Betriebspunkt vorgegebenen Wert aufbauen, um damit die Führung über den Antrieb zu übernehmen. Insgesamt werden bei einem Antrieb häufig mehrere Betriebsarten eingesetzt, zwischen denen im Betrieb umgeschaltet wird. Die Software zur Bewegungsführung muss auch bei diesen Wechseln stetige und gegebenenfalls ruckbegrenzte Bewegungsabläufe sicherstellen. Zusammenspiel zwischen Automatisierung und Antrieben. Wie in Kapitel 2.3.1 dargestellt, gibt es für die Realisierung der Bewegungsführung zwei grundsätzliche Architekturen:
• Die Bewegungsführung wird dezentral im Antrieb ausgeführt; die Steuerung übergibt Befehle (z. B. Start/Stopp) an den Antrieb. • Die Bewegungsführung wird zentral in einer Steuerung für mehrere Antriebe berechnet; die Antriebe erhalten Sollwerte und führen dann nur die Antriebsregelung aus.
Umrichter
183
Die Festlegung dieses Konzepts ist sehr eng verknüpft zum einen mit der Automatisierungsarchitektur (Auswahl der Steuerung, Funktionsverteilung) und zum anderen damit, wie eng die Funktionen der einzelnen Antriebe miteinander gekoppelt sind. Eine enge Kopplung liegt immer dann vor, wenn mehrere Antriebe gemeinsam das Fördergut, das Werkstück oder ein Werkzeug bewegen oder zueinander in die geforderte Position bringen. Dieses ist in allen kontinuierlichen Produktionen, die mehrere Antriebe enthalten, sowie in allen schnell getakteten Fertigungen, die mit dezentralen Einzelantrieben aufgebaut sind, der Fall. Auch koordinierte mehrdimensionale Bewegungen erfordern eine enge Kopplung der Antriebe. Werden Antriebe eng miteinander gekoppelt, dann gibt es wiederum zwei Situationen, die zu unterscheiden sind: • Es gibt in der Maschine eine Leitbewegung, der die Antriebe folgen. Dieses ist in der Regel die Bewegung des Werkstücks, auf die sich die einzelnen Bearbeitungsschritte synchronisieren. Häufig findet sich dieses Prinzip in Maschinen, die in der Vergangenheit mit einer Königswelle und mechanisch gekoppelten Antrieben realisiert wurden. • Es werden von mehreren Achsen mehrdimensionale Bewegungen im Raum ausgeführt. Dieses ist in Robotern der Fall. Die erste Konfiguration erfordert es nicht, dass an einer zentralen Stelle die Bewegungsprofile für alle Achsen berechnet werden. Es wird eine Leitbewegung vorgegeben, die an die Achsen verteilt wird. Dort werden dezentral hiervon abgeleitete Bewegungen erzeugt. Die Leitbewegung hängt nicht von der Bewegung der Achsen ab, es gibt eine Master-SlaveBeziehung. In solchen Konfigurationen werden in der Regel Gleichlaufantriebe (Kap. 4.6), Wickelantriebe (Kap. 4.7) und elektronische Kurvenscheiben (Kap. 4.9) eingesetzt. Auch die Antriebe für Querschneider und Fliegende Sägen folgen diesem Schema (Kap. 4.8). Die Bewegungsführung erfolgt in den Antrieben, übergeordnet führt eine Steuerung Funktionen zur Ablaufsteuerung aus. Bei der zweiten Konfiguration ist es nicht sinnvoll, dass der Bewegungsablauf dezentral für jede Achse berechnet wird. Es werden zur Bestimmung der Bewegungsabläufe mehrdimensionale Bewegungsdatensätze interpretiert, Koordinatentransformationen berechnet und hieraus die Bewegungsabläufe der Einzelachsen abgeleitet und interpoliert (Kap. 2.3.1). Diese Aufgabe erfolgt sinnvollerweise in einer zentralen Steuerung. Für die Antriebe werden koordinierte Antriebe eingesetzt (Kap. 4.5). Haben Antriebe keine enge Kopplung, dann können sie von einer Ablaufsteuerung, in der Regel einer SPS-Steuerung, angesteuert werden. Dieses ist bei Förderantrieben (Kap. 4.1), Fahrantrieben (Kap. 4.2), Hubantrieben (Kap. 4.3) und Positionierantrieben (Kap. 4.4) der Fall. Häufig
184
Das Antriebssystem und seine Komponenten
werden dabei auch Positionierfunktionen wie das Anfahren einer Zielposition ausgeführt. Auch Umformantriebe (Kap. 4.10), Haupt- und Werkzeugantriebe (Kap. 4.11) und Antriebe für Pumpen und Ventilatoren (Kap. 4.12) werden in dieser Form angesteuert. Bei Antrieben von Pumpen und Ventilatoren in der Prozesstechnik erhalten diese häufig ihre Sollwerte von Prozessleitsystemen oder Prozessreglern. Diese Zusammenhänge führen jetzt zu drei grundsätzlichen Konfigurationen für das Zusammenspiel zwischen dem Automatisierungssystem und den Antrieben [Ki04]: • Eine Ablaufsteuerung steuert die Antriebe, die nicht eng gekoppelt sind. Positionierfunktionen werden dezentral ausgeführt, sofern erforderlich (Abb. 3-69 a). • Antriebe sind miteinander durch eine Leitbewegung synchronisiert. Diese wird über eine Leitfrequenzschiene oder ein Kommunikationssystem verteilt. Übergeordnet steuert eine Ablaufsteuerung die Maschine (Abb. 3-69 b). Steuerung (SPS)
Steuerung (SPS)
Steuerung (CNC)
Ablaufsteuerung
Ablaufsteuerung
Ablaufsteuerung
Befehle
Befehle, Synchronisierung
Antrieb
Antrieb
Antrieb
Antrieb
Bewegungsführung
Bewegungsführung
Bewegungsführung
Bewegungsführung
Bewegungsführung für n Achsen
ö(t), ù(t)
Antrieb
Antrieb
Antriebsregelung
Antriebsregelung
Antriebsregelung
Antriebsregelung
Antriebsregelung
Antriebsregelung
M 3~
M 3~
M 3~
M 3~
M 3~
M 3~
Master
Slave
- Förderantriebe - Fahrantriebe - Hubantriebe - Positionierantriebe - Antriebe für Umformprozesse - Haupt- und Werkzeugantriebe - Antriebe für Pumpen und Ventilatoren
a) unabhängige Bewegungen
- Gleichlaufantriebe - Wickelantriebe - Taktantriebe für Querschneider und fliegende Sägen - Antriebe für elektronische Kurvenscheiben
b) synchronisierte Bewegungen
- koordinierte Antriebe für Roboter (und Werkzeugmaschinen)
c) koordinierte Bewegungen
Abb. 3-69. Bewegungsarten, Funktionsverteilung und Antriebsanwendungen
Umrichter
185
• Eine zentrale Steuerung berechnet die Sollwerte der koordiniert wirkenden Antriebe, die eine mehrdimensionale Bewegung im Raum ausführen (Abb. 3-69 c). Die Verbindung der Antriebe mit der Steuerung erfolgt häufig über Kommunikationssysteme, die im Folgenden behandelt werden sollen. 3.4.6
Kommunikationssysteme in Umrichtern
Ungefähr die Hälfte aller heute eingesetzten industriellen Kommunikationsanschaltungen wird von Umrichtern benutzt. Gleichzeitig werden heute mehr als die Hälfte aller Umrichter über ein Kommunikationssystem mit der übergeordneten Automatisierung verbunden. Die Gründe liegen zum einen in den technischen Vorteilen und Kostenvorteilen und zum anderen darin, dass der Umrichter durch seinen Aufbau (Mikrorechner, hoher Softwareanteil) bereits viele Voraussetzungen für die digitale Kommunikation mitbringt. Da es mehrere Kommunikationssysteme gibt und die Entscheidung für ein spezifisches System in der Regel eher von der eingesetzten Steuerung als von den Umrichtern abgeleitet wird, muss ein Antriebshersteller mehrere Systeme unterstützen. Hierzu werden in der Regel Kommunikationsmodule eingesetzt, um die Varianz der Umrichter niedrig zu halten. Nur für hochvolumige Anwendungen mit zugeschnittenen Lösungen oder für Systeme, die sehr häufig verwendet werden, ist es sinnvoll, das Kommunikationssystem bereits in den Umrichter fest einzubauen. Kommunikationssysteme für Umrichter müssen folgende drei Aufgaben ausführen: • Prozessdaten sind zu übertragen. Dieses sind neben Soll- und Istwerten der Motorregelung und Steuerungsinformationen für die Bewegungsführung in der Regel auch ein Steuer- und Statuswort für die Zustandsmaschine des Antriebs. Der Umfang der übertragenen Prozessdaten wird dabei an die konkrete Antriebsanwendung angepasst. • Das Zeitverhalten von mehreren Antrieben kann über das Kommunikationssystem miteinander synchronisiert werden. Dieses ist immer dann notwendig, wenn mehrere Antriebe gemeinsam eine präzise Aufgabe ausführen. Dieses findet sich bei synchronisierten Bewegungen (Königswellenersatz, Prozesslinien, Kurvenscheibenanwendungen) und bei koordinierten Bewegungen im Raum (Roboter, Werkzeugmaschine). • Über einen Servicedatenkanal können die antriebsinternen Parameter gelesen und verändert werden. Da Antriebe unterschiedliche Aufgaben ausführen können und daher sehr viele Parameter haben, ist diese Aufgabe sehr wichtig. Verwendung findet der Servicedatenkanal bei der In-
186
Das Antriebssystem und seine Komponenten
betriebnahme des Antriebs, bei der Anpassung der Funktion an den konkreten Produktionsauftrag der Anlage und zur Diagnose. Über den Servicedatenkanal können Antriebe sogar in Fernwartungskonzepte eingebunden werden, mit deren Hilfe die Ferndiagnose von Anlagen und Automatisierungskomponenten über weltweite Kommunikationsnetze durch die Maschinenhersteller erfolgen kann. Am Beispiel von einigen gebräuchlichen Systemen soll dargestellt werden, wie diese Systeme für Antriebsaufgaben verwendet werden können. CAN und CANopen. Das CAN-System stammt aus dem Fahrzeugbereich und kann sehr günstig implementiert werden, weil es in vielen Mikrorechnern integriert ist. Es bietet eine Übertragungsrate von max. 1 Mbit/s sowie ein Publisher-Subscriber-Prinzip, bei dem jeder Teilnehmer die Daten von den anderen Teilnehmern empfangen kann. Der Standard CANopen nutzt dieses System für die Automatisierungstechnik. Hierfür sind über Kommunikationsprofile die Dienste für Prozessdaten, Servicedaten und das Netzwerkmanagement definiert. Die Spezifikationen sind dabei recht weitgehend, sodass bei Verwendung dieser Spezifikationen die Interoperabilität sehr gut gewährleistet ist. CANopen unterstützt auch die Synchronisierung der Teilnehmer am Kommunikationssystem, indem ein hochpriores Synchronisationsobjekt definiert ist, dass regelmäßig gesendet wird und auf das sich alle Teilnehmer synchronisieren können. Das CAN-System selbst führt dabei zu einem Jitter, der aber durch Software-PLL-Maßnahmen bei den Teilnehmern weitestgehend kompensiert werden kann. Durch das Publisher-Subscriber-Prinzip können auch Kommunikationsbeziehungen zwischen Antrieben aufgebaut werden, z. B. für die Übertragung der Winkel einer Leitachse an mehrere Slaves als Königswellenersatz. Insbesondere die Servicedatendienste von CANopen sind umfassend und vorbildlich für andere Kommunikationssysteme. CANopen kann insgesamt sehr gut in der Automatisierungs- und Antriebstechnik eingesetzt werden. CAN und CANopen haben eine begrenzte Bandbreite von maximal 1 Mbit/s. Dies bedeutet, dass in einem Zyklus von 1 ms maximal 7 Telegramme übertragen werden können. CAN arbeitet nach dem Verfahren CSMA-CD (Carrier Sense Multiple Access Collision Avoid), bei dem innerhalb einer Bit-Zeit das Telegramm arbitriert wird. Dieses Verfahren schränkt die Kabellänge und die Übertragungsrate ein. Eine Erhöhung der Übertragungsrate über 1 Mbit/s hinaus ist nicht möglich. CANopen stößt damit an Grenzen, wenn viele Teilnehmer, kurze Abtastzeiten oder lange Leitungslängen zwischen den Teilnehmern notwendig sind. In diesen Fällen muss auf andere Systeme übergegangen werden.
Umrichter
187
AS-i. AS-i ist ein Kommunikationssystem, das für die Verbindung von einfachen Sensoren (Näherungsschalter, Lichtschranken) und Aktuatoren mit einer SPS-Steuerung entwickelt wurde. Pro Teilnehmer werden nur wenige digitale Bitwerte ausgetauscht. Für den Einsatz mit Umrichtern reichen die Kommunikationsdienste von AS-i in der Regel nicht aus. Nur für sehr einfache Anwendungen, die wenige Steuerbits benötigen (z. B. Start/Stopp, Drehrichtung, zwei Geschwindigkeiten), wird AS-i zusammen mit Umrichtern eingesetzt. PROFIBUS. PROFIBUS ist das am häufigsten eingesetzte industrielle Kommunikationssystem. Es wird vorrangig bei der Verbindung einer SPS mit seiner Peripherie einschließlich der Umrichter verwendet. PROFIBUS ist über die DIN 19245 genormt. Die Spezifikation des Kommunikationssystems geht nicht so weit wie bei CANopen (insbesondere bei den Servicedatendiensten). Weiterhin gibt es PROFIBUS in verschiedenen Ausführungen. Die weiteste Verwendung hat PROFIBUS-DP. Es bietet einen Prozessdatenaustausch. Durch die Variante DP-V1 gibt es auch einen standardisierten Servicedatenkanal, während vorher teilweise herstellerspezifische Lösungen hierfür verwendet wurden. Die Kommunikationsbeziehungen laufen von dem Master (der Steuerung) zu den Slaves. Eine zeitliche Synchronisierung sowie die Querkommunikation bietet PROFIBUS-DP zunächst nicht. PROFIBUS-MC adressiert zusätzlich zu PROFIBUS-DP weitere antriebsspezifische Funktionen. So gibt es die zeitliche Synchronisierung sowie den Querverkehr. PROFIBUS-MC hat aber bislang nur einen geringen Anteil im gesamten PROFIBUS-Einsatz gefunden. INTERBUS. INTERBUS ist ein Kommunikationssystem, das ebenfalls für die Verbindung einer SPS mit ihrer Peripherie konzipiert wurde. Es basiert auf einem Ringsystem, wobei die Hin- und Rückleitung des Rings im gleichen Kabel verlegt werden und so die Verdrahtung in einer Linienstruktur erfolgt. Durch das Ringprinzip wird zum einen der Kommunikationskanal sehr effizient genutzt. Weiterhin adressieren sich die Teilnehmer durch ihre Position im Ring, sodass kein Adressschalter an den Geräten erforderlich ist. Die Kommunikation erfolgt in der Regel zyklisch und nicht in festen Zeitabständen. Eine zeitlich äquidistante Übertragung kann mit dem Interbus auch realisiert werde. INTERBUS spezifiziert einen Kommunikationskanal, über den Parameter übertragen werden können. INTERBUS-Kommunikationsbaugruppen werden für viele Umrichter angeboten und zur Kommunikation zwischen Steuerung und Umrichtern eingesetzt. DeviceNet. DeviceNet ist ein weiteres System, das für die Verbindung einer SPS mit ihrer Peripherie eingesetzt wird. Es hat seinen Anwendungsschwerpunkt in den USA. Die Übertragungsphysik basiert auf dem CAN-
188
Das Antriebssystem und seine Komponenten
System. Dienste zur Konfiguration des Kommunikationssystems und zur Übertragung von Parametern sind definiert. SERCOS. SERCOS wurde von Anfang an für die Antriebstechnik entwickelt. Es bietet die strenge zeitliche Synchronisierung der Teilnehmer, eine zyklische Übertragung der Prozessdaten, einen gut spezifizierten Servicedatenkanal und nutzt Lichtwellenleiter als Übertragungsmedium, um eine hohe Störsicherheit zu erreichen [KiSch92]. Die Kommunikationsbeziehungen gehen von der Steuerung zu den Antrieben, der Querverkehr ist nicht vorgesehen. SERCOS wird sehr stark bei der Verbindung von numerischen Steuerungen (Motion-Controllern) mit Servo-Umrichtern eingesetzt. Hierfür gibt es umfangreiche Spezifikationen der Anwendungsfunktionen. SERCOS ist über die IEC 61491 genormt. Ethernetbasierte Systeme. Seit Ende der 1990er-Jahre haben viele Firmen angefangen, auch ethernetbasierte Systeme zu entwickeln und anzubieten. Der Grund liegt darin, dass Ethernet das bei weitem dominierende Kommunikationssystem in der kommerziellen Informationstechnik ist und es daher preisgünstige und weit verbreitete Komponenten gibt. Auch kann über Ethernet eine durchgängige Kommunikation auf der Basis von TCP/IP-Diensten aufgebaut werden. Der Ethernet-Standard 100 BaseT sieht eine galvanische Isolierung mithilfe eines Übertragers zwischen den Teilnehmern vor; dies ist in der EMV-belasteten Umgebung von Umrichtern zwingend erforderlich und erreicht eine hohe Störsicherheit. Ethernet wurde zunächst nicht für die Echtzeitanforderungen der Automatisierungstechnik entwickelt. Ethernet arbeitet nach dem Prinzip CSMA-CD (Carrier Sense Multiple Access Collision Detect), bei dem Kollisionen in Kauf genommen werden. Kollisionen sind aber ein Hindernis im Hinblick auf die Echtzeitfähigkeit. Hier liegt auch das größte Einsatzhemmnis in der Automatisierungstechnik. Es haben jetzt verschiedene Systeme Wege gefunden, dennoch diese Echtzeitfähigkeit zu erreichen. Die unterschiedlichen Echtzeiterweiterungen des Ethernets setzen auf einen Arbiter auf, der nach unterschiedlichen Verfahren den Teilnehmern des Bussystems das Senderecht zuweist. ETHERNET Powerlink. Powerlink verwendet ein eigenes Netzwerksegment, auf dem die Echtzeitfähigkeit sichergestellt wird. Ein Managing Node verwaltet in diesem Segment den Datenverkehr. Er schickt pro Kommunikationszyklus ein Telegramm zur Synchronisierung aller Teilnehmer. Danach werden die einzelnen Teilnehmer über ein PollRequestTelegramm angesprochen, auf das diese mit einem PollResponseTelegramm antworten. Am Ende des Zyklus gibt es noch einen asynchronen Zeitschlitz, in dem nach Zuteilung durch den Managing Node ein TCP/IP-Telegramm verwendet werden kann [Sch03, He03].
Umrichter
189
Powerlink übernimmt viele Mechanismen und Spezifikationen von CANopen. So ist das Netzwerk mit Hubs aufgebaut, sodass jeder Teilnehmer die Telegramme aller Teilnehmer empfängt. Damit können auch PublisherSubscriber-Kommunikationsbeziehungen aufgebaut werden, ähnlich wie bei CANopen [Mi06]. Powerlink hat auch umfangreiche Spezifikationen für das Netzwerkmanagement, mit denen eine Interoperabilität sichergestellt ist. EtherCAT. EtherCAT verwendet ein Summentelegramm, das ausgehend von der Steuerung alle Teilnehmer durchläuft. Dabei entnimmt jeder Teilnehmer dem Telegramm seine Eingangsdaten und ersetzt diese durch seine Ausgangsdaten. Beim letzten Teilnehmer angekommen, wird es auf dem Rückkanal zur Steuerung zurückgeschickt. Logisch entsteht hier ein Ring, der topologisch als Linie aufgebaut ist (indem die Rückleitung in der Linie mit enthalten ist) [Ro03]. Durch den Einsatz des Summentelegramms sowie das Ringprinzip nutzt EtherCAT die Übertragungsleistung optimal. Querkommunikation muss über die Steuerung (oder die Topologie) realisiert werden, das System ist von der Grundstruktur ein Master-Slave-System. Die zeitliche Synchronisierung ist enthalten. Es werden Servicedatendienste von CANopen oder SERCOS verwendet. PROFINET. Ähnlich wie PROFIBUS gibt es PROFINET in verschiedenen Varianten. Für die Automatisierungstechnik ist zunächst PROFINETIO RT die Wichtigste. Hierbei wird die Kommunikation über ein Standardethernetnetzwerk realisiert. Es können Abtastzeiten in der Größe von ca. 10 ms mit niedrigem Jitter (einige ms) realisiert werden. Dieses ist für die I/O-Kommunikation einer SPS ausreichend, aber nicht für synchronisierte Antriebe. Die Kommunikationsdienste ähneln sehr stark dem PROFIBUS. Für Anwendungen mit synchronisierten Bewegungen und damit harten Echtzeitanforderungen gibt es die Variante PROFINET-IO IRT. Hier wird durch spezielle Schaltkreise eine Netztopologie aufgebaut, in der die Switch-Bausteine einen isochronen Zeitschlitz verwalten, in dem die Echtzeitkommunikation stattfindet. Hierdurch sind eine Synchronisierung aller Teilnehmer mit einem Jitter von unter 1 µs sowie der synchrone Austausch von Prozessdaten mit Zykluszeiten von unter 1 ms möglich. Auch die anderen oben beschriebenen Kommunikationssysteme wie SERCOS und DeviceNet haben ethernetbasierte Systeme definiert, die die grundlegenden Kommunikationsdienste übernehmen (SERCOS-III, EthernetIP). Diese werden an dieser Stelle nicht näher dargestellt Diagnoseschnittstellen. Während die bisher beschriebenen Kommunikationssysteme die Aufgabe haben, die Verbindung zur Steuerung herzustellen, sind Diagnoseschnittstellen dafür vorgesehen, hierüber einen PC anzu-
190
Das Antriebssystem und seine Komponenten
schließen. Der PC kann dann Parameter schreiben und lesen. Solche Schnittstellen werden in der Regel nur während der Inbetriebnahmephase und im Servicefall verwendet. Verschiedene Schnittstellen sind hierfür gebräuchlich. Diese orientieren sich in der Regel an den im PC eingebauten Schnittstellen: • In der Vergangenheit wurde häufig eine serielle RS-232-Verbindung verwendet. Nachdem diese in vielen PCs nicht mehr vorhanden ist, nimmt die Verbreitung ab. • Es wird die USB-Schnittstelle verwendet. Für eine sichere galvanische Trennung vom PC zum Antrieb ist dabei der Einsatz eines Umsetzers auf ein serielles Protokoll mit galvanischer Trennung sinnvoll. • Auch die Ethernetschnittstelle kann für Diagnosezwecke verwendet werden. Dabei werden keine Echtzeitdaten übertragen. Durch den Einsatz von preiswerten Switch-Komponenten können mehrere Umrichter mit eingebauten Ethernetschnittstellen gleichzeitig mit dem PC für Inbetriebnahme- und Servicezwecke verbunden werden. • Auch der Einsatz von drahtlosen Schnittstellen (Wireless) ist für diese Zwecke sinnvoll, um mit einem mobilen Bediengerät an der Anlage Daten aus dem Umrichter lesen zu können. Neben den Kommunikationssystemen sind Sicherheitsfunktionen wichtige Elemente eines Automatisierungssystems. Im Folgenden wird dargestellt, welche Sicherheitsfunktionen heute direkt in Umrichtern realisiert werden. 3.4.7
Sicherheitsfunktionen in Umrichtern
Stefan Witte Von der durch einen Antrieb erzeugten Bewegung kann in Maschinen eine Personengefährdung ausgehen. Damit ist das Stillsetzen von Antrieben ein wichtiger Bestandteil eines Sicherheitskonzepts für die Maschine. In Kapitel 2.3.6 wurde dargestellt, wie das Sicherheitskonzept einer Maschine gestaltet werden müssen, welche Normen hierbei zu berücksichtigen sind und wie ein modernes Automatisierungskonzept, das die Sicherheitstechnik vollständig integriert, realisiert werden kann. Schwerpunkt dieses Kapitels ist die Integration von Sicherheitsfunktionen in den Umrichter. Konventionell wird die Sicherheitstechnik für den Antrieb mit Zusatzkomponenten gelöst, indem durch Netz- und bzw. oder Motorschütze der elektrische Leistungsfluss elektromechanisch unterbrochen wird. Alternativ kann ein sicherer Abschaltpfad auch im Umrichter realisiert werden. Dieser ist dann die Basis für Sicherheitsfunktionen, die der Umrichter ausführt und die Bestandteile eines Maschinensicherheitskonzepts
Umrichter
191
werden. Gegenüber konventionellen Lösungen entstehen ein hohes Einsparpotenzial von bisher benötigten Zusatzkomponenten sowie eine deutlich verbesserte Zusammenarbeit der Sicherheitsfunktionen mit den Automatisierungsfunktionen des Antriebs. Sicherer Abschaltpfad im Umrichter. Wird der Motor über einen Umrichter angesteuert, kann zur sicheren Unterbrechung des Leistungsflusses zum Motor auch die Versorgung der Optokoppler, die die Ansteuersignale der Leistungsschalter übertragen, verwendet werden. Damit erfolgt die Abschaltung auf der Niederspannungsseite. Diese Art der Abschaltung hat den Vorteil, dass sie leistungsunabhängig ist und problemlos mittels elektronischer Bauteile ausgeführt werden kann (Abb. 3-70) [Wi05b]. Durch Redundanz in den Abschaltpfaden wird sichergestellt, dass auch bei einem Fehler die Sicherheitsfunktion gewährleistet ist. Die sicheren Abschaltpfade müssen bereits bei der Entwicklung des Leistungsteils berücksichtigt werden, da konstruktive Maßnahmen zur Fehlervermeidung getroffen werden müssen. Der sichere Abschaltpfad im Umrichter ist eine Art Reißleine, die den Antrieb in einen sicheren Zustand bringt. Dieser sichere Abschaltpfad kann folgendermaßen genutzt werden: Not Stopp
S Drehzahlberechnung
Türkontaktschalter
Lichtgitter
Schlüsselschalter
digitaler Ausgang
E Mikrocontroller 1 Fail-Safe-Logik
Signalaufbereitung
Mikrocontroller 2
Sicherheitsmodul Treiberversorgung
Mikrocontroller
Pulsweitenmodulation
Steuerelektronik
M 3~
Leistungsteil
Abb. 3-70. Sicherheitsfunktionen im Umrichter
192
Das Antriebssystem und seine Komponenten
• Er wird von einer externen Sicherheitslogik angesteuert. Alle Logikverknüpfungen mit den Sicherheitssensoren erfolgen extern. Über die sicheren Eingänge des Umrichters ist lediglich sichergestellt, dass auch im Fall eines Fehlers im Umrichter keine Bewegung erzeugt wird, wenn die sicheren Eingänge nicht freigegeben sind. • Der sichere Abschaltpfad wird verbunden mit einem sicheren Mikrorechnersystem, das aus zwei redundant arbeitenden und sich gegenseitig überwachenden Mikrorechnern besteht. Diese werten jetzt weitere Eingänge einschließlich des Winkelgebers am Motor aus, führen Logikverknüpfungen und Überwachungen aus und aktivieren den sicheren Abschaltpfad zum Umrichter in dem Fall, in dem sie eine Abweichung zum geforderten Verhalten feststellen. Funktionen. Ziel aller Sicherheitsfunktionen ist die sichere Einschränkung der Bewegung auf eine Anforderung hin oder im Fehlerfall. Hierbei sind der Stillstand und die sicher begrenzte Geschwindigkeit die wichtigsten Grundfunktionen. Stillstandsfunktionen. Abb. 3-71 a und b zeigt zwei Funktionen, die das Ziel haben, dass sich der Antrieb sicher im Stillstand befindet. Diese Funktionen erfordern keine Messung und sichere Auswertung der Drehzahl des Antriebs. Der sichere Abschaltpfad wird immer aktiviert, wenn sich der Motor nicht mehr bewegen darf.
• Sicher abgeschaltetes Moment (Safe Torque Off, STO) (auch bekannt als „sicherer Halt“) (Abb. 3-71 a). Hier handelt es sich um das sofortige Abschalten des Motors nach Stoppkategorie 0 der EN 60204. Diese Funktion kann rein hardwarebasiert realisiert werden. Der Motor erzeugt nach dem Aktivieren dieser Funktion kein Drehmoment mehr. Er trudelt aus, wenn er nicht bereits vorher stillgesetzt wurde. In der Anlage muss z. B. durch eine mechanisch wirkende Bremse sichergestellt werden, dass eine treibende Last (z. B. Hubwerk) keine unzulässigen Bewegungen verursachen kann. • Sicherer Stopp 1 (Safe Stop 1, SS1) (auch bekannt als „sicheres Stillsetzen“) (Abb. 3-71 b). Hier handelt es sich um das sofortige Stillsetzen des Motors entlang einer Verzögerungsrampe und anschließendes Abschalten des Motormoments nach Stoppkategorie 1 der EN 60204 (STO). • Sicherer Stopp 2 / Sicherer Betriebshalt (Safe Stop 2, SS2 / Safe Operating Stop, SOS). Hier handelt es sich um das sofortige Stillsetzen des Motors gemäß einer Verzögerungsrampe (SS2) und anschließendes aktives Halten der Drehzahl 0 nach Stoppkategorie 2 der EN 60204 (SOS).
193
Signal
Umrichter
t
|n|
t
Signal
a) Sicher abgeschaltetes Moment (STO)
t
|n|
t
Signal
b) Sicherer Stop 1 (SS1)
t
|n|
t
Signal
c) Sicher begrenzte Geschwindigkeit (SLS)
t
|n|
t
d) Sicher begrenztes Schrittmaß (SLI)
Abb. 3-71. Sicherheitsfunktionen
Bewegungsüberwachungen. Sichere Bewegungsüberwachungen (Abb. 3-71 c und d) erfordern eine sichere Auswertung eines Winkelgebers. Wird ein vorgegebener Wert überschritten, wird der sichere Abschaltpfad aktiviert, der den Antrieb dann austrudeln lässt.
• Sicher begrenzte Geschwindigkeit (Safely Limited Speed, SLS) (Abb. 3-71 c). Eine parametrierte Geschwindigkeitsgrenze darf nicht überschritten werden. Mehrere voneinander unabhängige Geschwindig-
194
• • •
• • •
Das Antriebssystem und seine Komponenten
keitsgrenzen sind für unterschiedliche Betriebsmodi oder Maschinenfunktionen realisierbar. Sichere Maximalgeschwindigkeit (Safe Maximum Speed, SMS). Eine parametrierte Maximalgeschwindigkeit darf nicht überschritten werden. Sichere Tippschaltung (Safe Tip Mode, STM). Eine Bewegung des Motors darf in der Betriebsart manuell nur durch einen Zustimmtaster und einen weiteren Fahrbefehl freigegeben werden. Sicher begrenztes Schrittmaß (Safely Limited Increments, SLI) (Abb. 3-71 d). Bei einer Freigabe darf ein inkrementell vorgegebenes Schrittmaß nicht überschritten werden. Bei Erreichen des Schrittmaßes muss der Motor selbstständig stoppen. Sichere Bewegungsrichtung (Safe Direction, SDI). Der Motor darf nur in der freigegebenen Bewegungsrichtung verfahren werden. Sicher begrenzte Position (Safely Limited Position, SLP). Der Motor kann nur innerhalb sicher parametrierter absoluter Positionen verfahren werden. Sicher begrenztes Moment (Safely Limited Torque, SLT). Das maximale Moment an der Motorwelle wird sicher begrenzt.
Sichere Informationsweitergabe. Zum Zusammenspiel mit weiteren Sicherheitskomponenten kann die Sicherheitslogik auch weitere Signale einlesen und ausgeben.
• Sichere Ein- und Ausgangssignale (Safe Digital In- / Outputs). Um Funktionen sicher aktivieren und zurückmelden zu können, sind sichere Ein- und Ausgangssignale zu verwenden. Sie arbeiten zweikanalig oder nutzten zyklische Pulsmuster zur Erkennung des fehlerfreien Betriebs. • Sichere Geschwindigkeitsrückmeldung (Safe Speed Monitoring, SSM). Das Einhalten einer sicher begrenzten Geschwindigkeit wird sicher gemeldet. • Sichere Nocken (Safe Cam, SCA). Sicheres Rückmeldesignal, dass sich der Motor innerhalb eines definierten Bereichs aufhält. • Sichere Kaskadierung (Safe Cascading). Die Anforderung einer Sicherheitsfunktion wird über einen Kaskadierungsring weitergegeben. So wirkt ein Sensor direkt auf mehrere gekoppelte Antriebe. • Sichere Bremsensteuerung (Safe Brake Control, SBC). Neben der sicheren Ansteuerung der Motorbremse muss auch ein Fehler in der Bremse erkannt werden. Dieses kann durch das zyklische Testen des Bremsmoments erfolgen. Alternativ kann eine redundante zweifache Bremse eingesetzt werden. • Anschluss an einen Sicherheitsbus (Safety Bus). Die Übertragung von Sicherheitsinformationen über ein Kommunikationssystem erfordert besondere Anforderungen an das Protokoll und die Auswertung der empfangenen Daten. Die Übertragung auf dem einkanaligen Kommunikati-
Umrichter
195
onssystem selbst ist zunächst nicht sicher. Durch verschiedene Mechanismen (Prüfsummen, zyklisches Senden der Daten und Zeitüberwachungen, Nummerieren der Datenpakete und Überprüfung auf Einhalten der korrekten Reihenfolge) kann sichergestellt werden, dass Fehler auf dem Kommunikationskanal erkannt und daraufhin der sichere Zustand über den Abschaltpfad eingeleitet wird. Viele der in der Automatisierungstechnik verwendeten Kommunikationssysteme haben auch Ausprägungen und Spezifikationen für die Übertragung sicherer Daten (CANopen Safety, PROFIsafe über PROFIBUS oder PROFINET, INTERBUS Safety, AS-i Safety, ETHERNET Powerlink Safety). Der Einsatz von Kommunikationssystemen, die auch sichere Informationen übertragen, ist das Schlüsselelement zur Integration von Automatisierungs- und Sicherheitstechnik, wie in Kapitel 2.3.6 beschrieben. Einsparpotenziale. Durch die im Umrichter integrierte Sicherheitstechnik ist die Einsparung diverser Schaltungskomponenten möglich [Gr06]:
• Netz- und Motorschütz. Der Verzicht auf Schütze ermöglicht, sofern dies nicht durch maschinenspezifische Normen anderes vorgegeben ist, gerade bei größeren elektrischen Leistungen eine beachtliche Kosteneinsparung. • Sicherheitsschaltgerät. Ein Sicherheitsschaltgerät übernimmt gewöhnlich die Überwachung angeschlossener passiver Sensoren (z. B. Notaustaster, Türkontakt) und die (Wieder-) Anlaufsperre. Über verzögerte und unverzögerte Ausgangskontakte kann ein angeschlossener Umrichter geführt in den Stillstand gesetzt werden, bevor das Sicherheitsschaltgerät die Versorgung des Motors abschaltet. Diese Funktionen können von der im Umrichter integrierten Sicherheitstechnik übernommen werden. Neben der Einsparung des Sicherheits- Schaltgeräts und der entsprechenden Verkabelung ist auch das Zusammenspiel zwischen dieser Sicherheitsfunktion und der Antriebssteuerung besser aufeinander abgestimmt. • Zweiter Winkelgeber. Häufig wird zur Drehzahlüberwachung ein Überwachungsgerät mit angeschlossenen Näherungsschaltern verwendet, die über ein Zahnrad angesteuert werden. Diese Maßnahme kann entfallen, da durch redundante Auswertung des Winkelgebers am Motor und diverser Fehlererkennungsmaßnahmen mit nur einem Winkelgeber Zweikanaligkeit erreicht wird, die für die Kategorie 3 nach EN 954-1 ausreichend ist. Durch den Wegfall der genannten Komponenten entstehen selbstverständlich auch Einsparpotenziale beim Schaltschrank und Verdrahtungsaufwand. Eine nachträgliche Änderung oder Erweiterung der Sicherheitsfunktionalität ist einfacher möglich.
196
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Anbindung der Sicherheitstechnik an die Umrichtersteuerung. Um Sicherheitsfunktionen realisieren zu können, die über das sicher abgeschaltete Moment hinausgehen, muss eine Schnittstelle zwischen der Sicherheitstechnik und der Software für die Bewegungssteuerung existieren. Die zunächst nicht sichere Steuerung des Umrichters führt dann die von der Sicherheitsfunktion angeforderten Funktionen aus. So erfolgt die Anforderung einer Sicherheitsfunktion wie z. B. der sicher begrenzten Geschwindigkeit an der Sicherheitstechnik durch Aktivierung eines Sensors, z. B. eines Türkontakts. Die Sicherheitstechnik leitet die Anforderung der Funktion an die Bewegungssteuerung weiter, wo die Sollwerterzeugung und die Begrenzung der Geschwindigkeit stattfinden. Nur wenn die Grenzwerte (Bremszeit, Istgeschwindigkeit) überschritten werden, greift die Sicherheitstechnik ein und schaltet den Energiefluss zum Motor über den sicheren Abschaltpfad ab. Der sichere Endzustand ist somit immer der Stillstand des Motors. Realisierung eines sicheren Kommunikationssystems. Die sichere und die nicht sichere Datenkommunikation des Umrichters erfolgt über nur einen Busanschluss. Der sichere Teil des Datentelegramms wird an die Sicherheitstechnik des Umrichters übertragen und dort redundant ausgewertet. Redundante Parametersätze. Um die durchgängige Redundanz vom Sensor über die Verarbeitung bis zum Aktuator umzusetzen, müssen auch die für die Sicherheitstechnik benötigten Parameter (z. B. Geschwindigkeitsgrenzen, Bremsrampen) zweikanalig vorhanden sein. Dies geschieht dadurch, dass zwei identische Parametersätze an unterschiedlichen Speicherorten abgelegt werden. Diese Parametersätze werden auf Konformität überprüft. Sichere Parametrierung. Um einen sicherheitsgerichteten Parametersatz zu erzeugen, ist spezielle Software erforderlich. Die Software muss Komponenten enthalten, um die Parameter sicher zu erzeugen, zu übertragen, zu speichern und anschließend die Fehlerfreiheit zu verifizieren. Idealerweise ist die Software in der Bediensoftware des Umrichters integriert. Diagnose. Daten der integrierten Sicherheitstechnik können zu Diagnosezwecken über vorhandene Kommunikations- oder Diagnoseschnittstellen zur Anzeige gebracht werden. Dieses ist ein deutlicher Fortschritt zur konventionellen Sicherheitstechnik, die dieses in der Regel nicht bietet.
Umrichter
3.4.8
197
Elektromagnetische Verträglichkeit
Rolf Sievers Elektronische Geräte können durch elektromagnetische Störeinflüsse von anderen Geräten in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Umrichter erzeugen durch ihre schaltende Arbeitsweise solche Störungen. Um das Zusammenspiel der elektronischen Komponenten in einer Maschine oder Anlage so zu gestalten, dass eine möglichst hohe Funktionssicherheit gewährleistet ist, sind Aspekte der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) zu berücksichtigen. Diese werden im Folgenden vorgestellt. Die elektromagnetische Verträglichkeit definiert die Eigenschaft eines elektrischen Geräts, nur Störungen bis zu einer durch Normen festgelegten Höchstgrenze aussenden zu dürfen, die für andere Geräte im gleichen Umfeld noch annehmbar sind. Gleichzeitig müssen die Geräte aber auch in diesem Umfeld eine ausreichende Störfestigkeit aufweisen. Die Anforderungen an die Störfestigkeit werden ebenfalls durch Normen festgelegt. Bereits im Jahr 1892 wurde in Deutschland ein erstes Gesetz für das Telefonwesen erlassen. Durch die zunehmende Verbreitung von Umrichterantrieben kommt den EMV-Normen und Gesetzen eine ständig wachsende Bedeutung zu. Nur durch rechtzeitige Berücksichtigung eines EMVoptimierten Anlagenkonzepts ist heutzutage eine funktionssichere Antriebstechnik realisierbar.
leitungsgebunden
Intensität der Störung
8 6 4
Strahlung
Übergangsbereich
10
2 0 0
10
-1
0
1
10 10 Frequenz f in MHz
10
2
10
3
Abb. 3-72. Kopplungswege für Störungen
Störbereiche. Umrichter sind aufgrund ihrer Funktionsweise starke Störquellen. Die von ihnen verursachen Störeffekte lassen sich wie folgt einteilen:
• Der Netzgleichrichter erzeugt durch die nicht sinusförmigen Netzströme Netzstromoberschwingungen im Frequenzbereich bis ca. 2,5 kHz.
198
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Tabelle 3-14. Übersicht der Störbereiche von Frequenzumrichtern NetzstromoberStöraussendung schwingungen Leitungsgebunden Leitungsgebunden Strahlung (nicht leitungsgebunden) Frequenzbereich 0–2,5 kHz 150 kHz–30 MHz 30 MHz– 1.000 MHz Ursache Nicht sinusförmiger Schnelles Schalten Schaltflanken der Netzstrom der Leistungsend- Leistungsendstufen stufen und Schalt- mit hohem du/dt netzteile. Durch beinhalten Oberderen galvanische schwingungen hooder kapazitive her Frequenzen, die Verbindung erfolgt über die Motorleidie Störeinkopptungen, die wie Anlung zum Netzein- tennen wirken, Stögang. rungen ausstrahlen. Auswirkung Erhöhter effektiver Netzseitige StörStörstrahlung von Netzstrom, zusätz- einkopplung in Umrichter und liche Erwärmung andere Verbraucher Motorleitung auf von Netzversoram gleichen Netz andere hochohmige gungstrafos (galvanische Ver- Steuersignalleitunbindung). gen in räumlicher Nähe. Gegenmaßnahmen Netzdrossel, aktive Netzseitige Funk- Schirmung von oder passive Ober- entstörfilter (inUmrichter und schwingungsfilter tern/extern), motor- Motorleitung, keine seitige Filter, SchirmunterbreTrenntrafo netzsei- chungen tig
• Die Schaltflanken des Wechselrichters mit einer typischen Steilheit von 5 kV/μs sind eine energiereiche Störquelle. Sie erzeugt zusammen mit den Koppelkapazitäten der Motorleitung hohe, nadelförmige Umladeströme, die, wenn die Leitungen nicht richtig verlegt sind, erhebliche Störspannungen hervorrufen können. • Weitere hochfrequente Störspannungen werden vom Schaltnetzteil sowie von den Mikrocontrollern der digitalen Signalverarbeitung erzeugt. Wenn die Frequenz des Störsignals niedrig ist, breiten sich die elektromagnetischen Störgrößen ausschließlich leitungsgebunden aus. Mit zunehmender Frequenz und damit geringerer Wellenlänge erfolgt die Kopplung verstärkt über elektromagnetische Wellen. Ob die Kopplung leitungsgebunden oder gestrahlt erfolgt, hängt neben der Frequenz auch von der Intensität der Störungen ab (Abb. 3-72).
Umrichter
199
Für Umrichter lassen sich damit frequenzabhängig drei Störbereiche definieren, die im Folgenden näher betrachtet werden (Tabelle 3-14). Netzstromoberschwingungen. Erfolgt die Netzeinspeisung über einen ungesteuerten Diodengleichrichter (Kap. 3.4.1), dann entstehen Netzstromoberschwingungen. Diese erhöhen den Effektivwert des Netzstroms und bewirken Verluste im Transformator der Netzeinspeisung. Seit Anfang der 1990er-Jahre wird von den Elektrizitätsversorgungsunternehmen diesen negativen Auswirkungen eine zunehmende Bedeutung beigemessen. Ungesteuerte Netzgleichrichter erzeugen durch ihre nichtsinusförmigen Ströme Oberschwingungen, deren Frequenzen einem ganzzahligen Vielfachen der Netzfrequenz entsprechen, die nicht durch zwei und drei teilbar sind (auch Harmonische genannt). Dies sind bei dreiphasigen Gleichrichtern die Harmonischen 5, 7, 11, 13... entsprechend 250 Hz, 350 Hz, 550 Hz, 650 Hz... bei einer Netzfrequenz von 50 Hz. Die Frequenzen der Oberschwingungen bei einphasigen Umrichtern sind alle ganzzahligen ungeraden Vielfachen der Netzfrequenz. Hier ist besonders die 3. Oberschwingung von Bedeutung, da sich diese bei mehreren Umrichtern im Nullleiter nicht kompensiert, sondern arithmetisch addiert. Dieses kann unter Umständen zur Überlastung des Nullleiters führen. Maßnahmen zur Reduzierung des Oberschwingungsstroms. Folgende Maßnahmen können zur Reduzierung der Oberschwingungsströme eingesetzt werden:
• Einsatz einer Netzdrossel, • Oberschwingungsfilter (aktiv oder passiv), • Einsatz eines geregelten Pulswechselrichters (Kap. 3.4.1) zur Netzeinspeisung. Dieser erzeugt dann nahezu sinusförmige Ströme und damit nur sehr geringe Netzoberschwingungen und • 12-pulsige Einspeisung. Hierbei wird durch einen Transformator, der auf der Primärseite im Dreieck und auf der Sekundärseite im Stern mit Mittelanzapfung geschaltet ist, ein um 150° phasenverschobenes Spannungssystem erzeugt, das über einen zweiten Gleichrichter den Umrichter versorgt. Tabelle 3-15. Höhe der 5. Oberschwingung und effektiver Netzstrom eines 4 kWUmrichters bei verschiedenen Maßnahmen Ohne Maßnahme Netzdrossel Oberschwingungsfilter 12-pulsige Einspeisung
5. Oberschwingung 54% 33% 4% 12%
Effektiver Netzstrom 13,5 Aeff 9,1 Aeff 8,7 Aeff 9,2 Aeff
200
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Abb. 3-73. Netzstromformen bei verschiedenen Maßnahmen zur Reduzierung des Oberschwingungsstroms
Dominant ist für dreiphasig gespeiste Umrichter die 5. Oberschwingung, deren Höhe zur Bewertung der Maßnahmen verglichen wird (Tabelle 3-15). Die Stromformen der verschiedenen Maßnahmen zeigt Abb. 3-73. Die gebräuchlichste Maßnahme ist dabei der Einsatz einer Netzdrossel. Nachteilig hierbei ist die Reduzierung der maximalen Ausgangsspannung des Umrichters durch den Spannungsfall an der Drossel. Tabelle 3-16 zeigt die Reduzierung der Oberschwingungen für verschiedene Drosseln. Tabelle 3-16. Amplituden des Oberschwingungsstroms mit verschiedenen Netzdrosseln Netzstromoberschwingung Ordnungszahl Frequenz in Hz 1 (Grundwelle) 50 5 250 7 350 11 550
% Amplitude ohne mit Netzdrossel Netzdrossel uk = 4% 100 100 64 30 39 9,0 1,6 5,7
mit Netzdrossel uk = 6% 100 26 7,6 4,8
Umrichter
201
Im Vergleich zu Drosseln haben Oberschwingungsfilter einen höheren Aufwand. Eine 12-pulsige Einspeisung wird wegen der konstruktiven Änderungen im Umrichter (zwei Gleichrichter) sowie dem notwendigen Transformator nur im hohen Leistungsbereich oberhalb 1 MW verwendet. Störaussendung. Durch die mit der Schaltfrequenz (4 bis 16 kHz) modulierte Umrichterausgangsspannung fließt während jeder Schaltflanke über die parasitären Koppelkapazitäten der geschirmten Motorleitung und der Motorwicklungen ein Störstrom zum Erdpotenzial (PE-Potenzial) [HoKi01]. Bei den Störströmen handelt es sich um Umladeströme der parasitären Kapazitäten, die durch die Spannungssteilheit von bis zu 5 kV/μs der einzelnen Schaltflanken des hart schaltenden Umrichters verursacht werden. Damit diese Umladeströme, die Werte bis zu 20 ASS annehmen können und sich über alle Erdverbindungen zwischen dem Motor und dem Umrichter fließen, keine störende Einflüsse haben, ist es wichtig, dass es einen Strompfad gibt, der definiert ist und durch seine Impedanz den größten Anteil dieses Stroms führt. Dieses ist der Schirm der Motorleitung, der sowohl am Umrichter- als auch am Motorgehäuse durch eine großflächige und damit niederimpedante Verbindung angeschlossen werden muss. Innerhalb des Umrichters wird der Störstrom über Y-Kondensatoren zum Zwischenkreis zurückgeführt (Abb. 3-74). uWn
du ~5 kV µsec dt
t
Umrichter
Umrichterausgangsspannung
EMV Filter
+UDC
Motor
geschirmte Motorleitung
Netz
M 3~ Cy Cy
–UDC
parasitäre Kapazitäten PE
Cy
Montageplatte
PE
Schaltschrank
Fundament/Maschinen PE-Potenzial
iPE bis 20Ass
Umladestrom
Abb. 3-74. Ausbreitungswege der Umladeströme
t
202
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Es entsteht durch diesen Umladestrom eine hochfrequente Störspannung, die leitungsgebunden über die Netzzuleitung ausgesendet wird. Ihre Höhe hängt von folgenden Einflussgrößen ab: • • • • • • •
Länge der Motorleitung, Kapazität der Motorleitung (zwischen Phasen und Schirm), Anzahl paralleler Motorleitungen (Mehrmotorenantriebe), Höhe der Schaltfrequenz, Flankensteilheit der Umrichterendstufen (du/dt), Motorseitige Zusatzfilter (Sinusfilter) und Qualität der Schirmkontaktierung (Motorleitung).
Die meisten dieser Einflussgrößen werden nicht durch die Konstruktion des Umrichters festgelegt, sondern durch die konkreten Einsatzbedingungen (z. B. die Länge des Motorkabels und die Schaltfrequenz). Tabelle 3-17. Kategorien und Umgebungen für die Störpegel Kategorie C1 C2 C3 C4 UN < 1 kV UN < 1 kV UN < 1 kV UN > 1 kV Umgebung 1. Umgebung (Wohn-, Geschäfts- 2. Umgebung (Industrie) und Gewerbebereich)
Normen. In der EMV-Produktnorm für Umrichter IEC/EN 61800-3 sind die zulässigen Pegel für die Grenzwerte der leitungsgebundenen und abgestrahlten Störaussendungen im Frequenzbereich von 150 kHz bis 1 GHz definiert. Die Pegel hängen dabei von der Kategorie und Umgebung ab, in der die Umrichter eingesetzt werden (Tabelle 3-17). Für die leitungsgebundenen Störungen gelten je nach zugeordneter Kategorie entsprechende Grenzwerte für die Funkstörspannung (Abb. 3-75 und 3-76). Hierbei existieren immer zwei Grenzkennlinien für die Mittelwerte (Average) und Maximalwerte (Quasi-Peak) der Messung. Maßnahmen zur Reduzierung der leitungsgebundenen Störaussendung. Ein nicht unwesentlicher Teil der Kosten entfällt beim Umrichter auf Maßnahmen zur Einhaltung der leitungsgebundenen Störungen (Funkstörspannung) am Netzanschluss. Hierzu werden Funkentstörfilter eingesetzt. Diese können sowohl im Umrichter integriert als auch als getrenntes Bauteil vorgesehen sein, die z. B. in Form eines Unterbaufilters mit dem Umrichter kombiniert werden. Auch Kombinationen aus internen und externen Filtern sind üblich.
Störpegel in dBìV – dBìV/m
Umrichter
203
80 C2 Quasi Peak
70 C2Average
60 C1 Quasi Peak
50 40 -1 10
C2Average
10
0
10
1
10
2
Frequenz f in MHz
Störpegel in dBìV – dBìV/m
Abb. 3-75. Störaussendung Kategorie C1 und C2 140 C3 Quasi Peak, I > 100 A
120 C3 Average, I > 100 A
100
C3 Quasi Peak, I < 100 A
80 60 40 -1 10
C3 Average, I < 100 A
0
1
10 10 Frequenz f in MHz
10
2
Abb. 3-76. Störaussendung Kategorie C3 mit I < 100 A und I > 100 A
Prinzipschaltungen von Funkentstörfiltern. Funkentstörfilter zur Reduzierung von leitungsgebundenen Störaussendungen sind für den Frequenzbereich von 150 kHz bis 30 MHz ausgelegt. Es handelt sich immer um eine LC-Tiefpassschaltung, wobei die parallelen Kapazitäten sowohl zwischen den spannungsführenden Leitern (Typ X) als auch zwischen Außenleitern und PE (Typ Y) geschaltet sind (Abb. 3-77 und 3-78). Neben den hier gezeigten Filterschaltungen ist auch der Einsatz einer stromkompensierten Drossel im Zwischenkreis des Umrichters üblich. Aufgrund der Vielzahl von Einflussmöglichkeiten auf die Höhe des Funkstörpegels müssen die Bedingungen, unter denen Umrichter die vom Hersteller zugesicherten Grenzwerte einhalten, eindeutig definiert sein. Hierzu gehören z. B. der Typ und die maximale Länge des Motorkabels.
204
Das Antriebssystem und seine Komponenten Umrichter L1.1
Netz L1 X
X
N
N1 Y
Y
Y
Y
PE
PE
Abb. 3-77. Prinzipschaltung eines einphasigen Filters
L1
Umrichter L1.1
Netz
L2
L3
L2.1
X
X
X
X
X
X
L3.1
Y PE
PE
Abb. 3-78. Prinzipschaltung eines dreiphasigen Filters
Störstrahlung. Da die Störstrahlung, anders als die leitungsgebundenen Störungen, in einem wesentlich höheren Frequenzbereich (10 bis 1.000 MHz) auftritt, kann nur durch geeignete Schirmungsmaßnahmen die Einhaltung definierter Grenzwerte sichergestellt werden. Die für die Einhaltung des geforderten Störpegels (Abb. 3-79) entsprechend der Kategorie erforderlichen Maßnahmen lassen sich in geräteseitige (Verantwortung liegt beim Hersteller) und aufbau- und verdrahtungsseitige (Verantwortung liegt beim Anwender und Betreiber) aufteilen. Geräteseitige Maßnahmen. Der Aufwand des Geräteherstellers, die Störstrahlung des Umrichters ausreichend zu begrenzen, ist deutlich geringer als die Filtermaßnahmen für die leitungsgebundenen Störungen. Die Ursachen für die geräteseitige Störstrahlung sind nahezu ausschließlich durch die schnell schaltenden Transistoren im Wechselrichter (inklusive Bremstransistor) und im Schaltnetzteil begründet. Durch entsprechende Gestaltung des Layouts der Leiterplatten (Schirmflächen) und gehäuseseitige Konstruktionen (Schirmbleche oder metallische Gehäuse) kann bereits ein wesentlicher Beitrag zur Reduzierung der umrichterseitigen Störstrahlung erreicht werden.
Störpegel in dBìV – dBìV/m
Umrichter
205
60 C3
50 C2
40 C1
30 10
1
10
2
10
3
Frequenz f in MHz
Abb. 3-79. Grenzen für die Störstrahlung der Kategorien C1, C2 und C3
Anwenderseitige Maßnahmen. Der größere Teil des Schirmungsaufwands zur Begrenzung der Störstrahlung liegt in der EMV-gerechten Verdrahtung. Da diese im Verantwortungsbereich des Anwenders liegt, erfordert es vom Umrichterhersteller eine umfassende, ausführliche Dokumentation für die EMV-gerechte Verdrahtung. Schirmung durch Schaltschrankeinbau. Bei Schaltschrankeinbaugeräten kann es, anders als bei Motorumrichtern, erforderlich sein, einen metallischen, geerdeten Schaltschrank in die Begrenzung der Störstrahlung des Umrichters mit einzubeziehen, durch den eine zusätzliche Schirmung erreicht wird. Dabei ist zu beachten, dass die Schaltschrankgrundplatte nicht lackiert ist, eine gute Leitfähigkeit aufweist und über eine großflächige EMVgerechte Verbindung zum Schrank verfügt. Geschirmte, EMV-gerechte Verdrahtungs- und Anschlusstechnik. Um optimale Schirmungsergebnisse bei der Schaltschrank- und Maschinenverdrahtung zu erzielen, müssen viele Punkte beachtet werden. Die Ausführung der Motorleitung hat dabei die höchste Bedeutung. Auf folgende Einzelheiten ist zu achten:
• Verwendung von Motorleitungen mit einem Schirm aus verzinntem oder vernickeltem Kupfergeflecht, wobei der Überdeckungsgrad mindestens 70% betragen soll. Dieses Material bietet eine gute Langzeitstabilität für die Schirmwirkung. • Umrichter- und motorseitiger Schirmanschluss nur unter Anwendung der empfohlenen Anschlusstechniken wie z. B. Schirmschellen und Schirmverschraubungen ausführen. • Unterbrechungen der Motorleitung durch Klemmen oder Schalter vermeiden.
206
Das Antriebssystem und seine Komponenten
• Weitere Versorgungsleitungen für andere Systeme wie z. B. Bremsenansteuerung nur mit zusätzlicher, separater Schirmung innerhalb der Motorleitung mitführen. • Ungeschirmte Leitungsenden der Motorleitung möglichst kurz (ca. 40 mm) halten. • Ausschließlich leitfähige Schaltschrankgrundplatten (z. B. verzinktes Stahlblech) einsetzen. Gerade für die Schirmverbindung der Motorleitungen, aber auch für den Schirmanschluss von Steuerleitungen bieten Umrichterhersteller fertige Konzepte und Lösungen an, damit diese sehr effizient und sicher erfolgen können. Der Anwender sollte diese Konzepte umsetzen, um eine EMVgerechte Verdrahtung sicherzustellen. Lagerströme. Mit der hart schaltenden Arbeitsweise des Umrichters, die für die EMV-Störungen verantwortlich ist, hängt auch der Effekt der Lagerströme zusammen. Die Lager des Motors sind fettgeschmiert und damit zunächst nicht elektrisch leitend. Die hochfrequenten Umladeströme, die durch die steilen Schaltflanken des Wechselrichters entstehen, können durch kapazitive Kopplungen innerhalb des Motors auch Ströme erzeugen, die durch die Lager des Motors fließen. Hierdurch können Durchschläge entstehen, durch die das Lagerfett sukzessive zerstört wird. In Folge hiervon fällt das Lager aus. Das Gefährdungspotenzial durch Lagerströme hängt von der Motorgröße, der Verdrahtung und dem Wechselrichter ab. Bei Motoren unterhalb von 5 kW werden keine zerstörenden Lagerströme beobachtet. Ein geeignetes Erdungskonzept reduziert in der Regel Lagerströme auf ein Potenzial, das nicht vorzeitig zerstörend wirkt. Gegebenenfalls sind auch Isolationen der Lager im Motor einzusetzen, um den Stromfluss durch die Lager zu verhindern oder auf ein ungefährliches Maß zu reduzieren. In diesem Kapitel wurde der Umrichter ausführlich dargestellt. Zusammen mit einem Motor realisiert er einen regelbaren Antrieb mit großen Stellbereichen für Drehzahl und Drehmoment. Häufig liegt aber der wirtschaftlich sinnvolle Arbeitsbereich eines Motors bei höheren Drehzahlen als der Bedarf des Arbeitsprozesses. Um hier eine sinnvolle Anpassung zu erhalten, werden Getriebe eingesetzt. Der Einsatz von Direktantrieben, der technisch auch möglich ist, ist in vielen Anwendungen deutlich teurer als der eines Getriebes und damit nicht wirtschaftlich. Die Funktionsweise der Getriebe wird im Folgenden dargelegt.
Getriebe
3.5
207
Getriebe
Ralf-Torsten Guhl Ein Getriebe überträgt oder wandelt mechanische Energie. Dabei wird die Energie den Anforderungen in der Anwendung in der Maschine angepasst. Diese Anpassung ist notwendig, weil der technisch und wirtschaftlich optimale Arbeitspunkt von Motoren in der Regel bei höheren Drehzahlen liegt, als es die Anwendung erfordert. 3.5.1
Einsatzbereiche und Ausführungen
100
Großgetriebe
Getriebemotoren
Kleingetriebe
Anzahl
Der überwiegende Teil der Anwendungen wird mit Zahnradgetrieben gelöst, die als Drehmoment- und Drehzahlwandler für die unterschiedlichsten Einbaubedingungen und Leistungen die optimale Lösung darstellen. Neben einer hohen Zuverlässigkeit und Betriebssicherheit haben Zahnradgetriebe einen kleinen Bauraum und einen guten Wirkungsgrad. Zahnräder werden heute im Größenbereich von einem Millimeter, zum Beispiel in der Medizintechnik, bis über 30 Metern Außendurchmesser, zum Beispiel für die Bergbauindustrie, hergestellt. Den größten Anteil an der Getriebeproduktion in Europa haben die Kraftfahrzeuggetriebe. Die anderen Getriebe sind überwiegend Getriebe für stationäre Anwendungen mit konstanter Übersetzung, die im Folgenden näher betrachtet werden. Nicht behandelt werden Schaltgetriebe, die im Maschinenbau eher selten eingesetzt werden, und mechanische Verstellgetriebe, die mittlerweile weitestgehend durch elektronisch geregelte Antriebe ersetzt wurden. Anwendungen in der Fertigungstechnik und Logistik haben ein Ausgangsdrehmoment im Bereich von 100 Nm bis 10.000 Nm. Größere Drehmomente werden eher in der Verfahrenstechnik eingesetzt. Die hierfür benötigten Großgetriebe sind ebenfalls nicht Gegenstand dieses Buches.
1000
10 000 Antriebsmoment in Nm
Abb. 3-80. Einteilung der Getriebe nach Stückzahlen
208
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Eine grobe Einteilung der Getriebe nach der den eingesetzten Mengen zeigt ein Bedarfsmaximum im Bereich von 100 bis 300 Nm (Abb. 3-80). Hier kommen zumeist Getriebemotoren als direkte Kombination von Getriebe und Motor ohne Kupplung zum Einsatz. Bei großen Antrieben über 10.000 Nm werden die Getriebe separat hergestellt und über eine Kupplung mit dem Motor verbunden. Antriebe mit Abtriebsdrehmomenten kleiner 100 Nm sind oft für spezielle Anwendungen konstruiert. Im klassischen Getriebemotorenbereich werden die passenden Antriebe dagegen zumeist aus einem großen Angebotsraum der Hersteller anwendungsspezifisch konfiguriert. Die passende Übersetzung für den Einsatzfall kann hier aus einem sehr großen Bereich gewählt werden. Darüber hinaus können unterschiedliche Motorgrößen mit einem Getriebe kombiniert werden. Damit ergibt sich ein sehr großes Variantenspektrum. Deshalb werden die Getriebemotoren üblicherweise auftragsbezogen montiert. Um trotzdem kurze Lieferzeiten realisieren zu können, sind Getriebemotorenprogramme modular aufgebaut, wobei zum Teil vormontierte Baugruppen verwendet werden. Weiterhin ist eine Klassifizierung der Getriebe nach der verwendeten Verzahnungsart und nach dem inneren Aufbau möglich. Eine entsprechende Aufteilung der Umsatzzahlen der stationären Zahnradgetriebe ist in Tabelle 3-18 dargestellt. Tabelle 3-18. Umsatzanteile der verschiedenen Getriebetypen (Quelle: VDMA) Getriebetyp Planetengetriebe Stirnradgetriebe Kegelradgetriebe Schneckengetriebe
Umsatzanteil 44% 30% 17% 9%
Berücksichtigt man den deutlich geringeren Stückerlös von Stirnradgetrieben gegenüber Planetengetrieben, dann haben Stirnradgetriebe den höchsten Stückzahlanteil. Bei den Winkelgetrieben hat der Anteil der Kegelradgetriebe in den vergangenen Jahren gegenüber den Schneckengetrieben deutlich zugenommen. Dieser Trend wird sich speziell wegen des besseren Wirkungsgrads weiter fortsetzen. Für einen speziellen Einsatzfall ist jedoch nicht die Frage nach dem zu verwendenden Getriebetyp entscheidend, sondern wie sich der Antrieb aus Motor und Getriebe in die Anlage integrieren lässt, d. h., welche Bauform für die Anwendung optimal ist. Abb. 3-81 zeigt die prinzipiellen Möglichkeiten.
Getriebe
209
Abb. 3-81. Getriebeausführungen
Eine Getriebeausführung mit Hohlwelle ermöglicht es, den Antrieb sehr kompakt in die Maschine zu integrieren. Das Hohlwellengetriebe kann direkt auf die Maschinenantriebswelle montiert werden. Das Drehmoment wird z. B. durch eine kraftschlüssige Verbindung übertragen. Als kraftschlüssige Verbindung eignet sich hier eine Schrumpfscheibenverbindung, bei der das Drehmoment über den Reibungswiderstand durch eine elastische Verformung der Hohlwelle übertragen wird. Das Prinzip der Schrumpfscheibenverbindung wird in Kapitel 3.6.6 erläutert. Dabei muss die Integration des Antriebs in die Maschine so angepasst sein, dass das Reaktionsmoment des Antriebs über das Maschinengestell aufgenommen werden kann. Hierzu werden Drehmomentstützen angeboten, die mit dem Getriebegehäuse kombiniert werden. Ermöglicht der Getriebetyp nur eine Vollwelle als Abtriebswellenausführung, wird zur Verbindung mit der Antriebswelle der Anwendung eine Kupplung benötigt. Andere Anwendungen wie z. B. Rollenbahnantriebe werden oft so ausgeführt, dass eine dem Getriebe nachgeschaltete Übersetzung durch Riemen- oder Kettenantriebe realisiert wird. Hierbei wird dann eine Riemenscheibe bzw. ein Kettenrad direkt auf die Abtriebswelle des Getriebes montiert. Es wird deutlich, dass für die Optimierung der Kosten eines Antriebs die Summe der Kosten aller Einzelkomponenten des gesamten Antriebsstrangs zu betrachten ist. So liegt der Anteil der eingesetzten Hohlwellengetriebe
210
Das Antriebssystem und seine Komponenten
bei ca. 30 bis 35%, obwohl dieser Getriebetyp gegenüber Getrieben mit einer Vollwelle deutlich teurer ist. Insgesamt übernimmt ein Getriebe folgende Funktionen, die bei der Auswahl berücksichtigt werden müssen:
Stückzahlenverteilung
• Die Wandlung der Drehzahl und des Drehmoments vom Motor zur Anwendung, • die Aufnahme von Radial- und Axialkräften an der Abtriebswelle, die entweder durch den Arbeitsprozess oder durch weitere Antriebselemente erzeugt werden, • die Abstützung des Reaktionsmoments und • den Zusammenbau mit dem Motor bei der Integration zum Getriebemotor.
0
20
40
60
80
100
Abtriebsdrehzahl n in min-1
Abb. 3-82. Verteilung der Abtriebsdrehzahl bei Drehmomenten von 100 bis 300 Nm
Getriebeübersetzung. Da Motoren eher bei höheren Drehzahlen den wirtschaftlich optimalen Arbeitspunkt haben und die Anwendungen im Allgemeinen nicht so hohe Drehzahlen benötigen, ist eine Getriebeübersetzung in den meisten Fällen zwingend erforderlich. Lösungen, bei denen die Arbeitsmaschinen direkt, d. h. ohne ein Getriebe angetrieben werden, werden durch Direktantriebe gelöst, bei denen die Gesamtkosten gegenüber einem Getriebemotor höher liegen und die daher eher in Sonderfällen eingesetzt werden. Als Übersetzung eines Getriebes wird grundsätzlich das Drehzahlverhältnis der Antriebsdrehzahl zur Abtriebsdrehzahl verstanden. Eine Analyse der Verteilung der verwendeten Abtriebsdrehzahl im Drehmomentbereich von 100 bis 300 Nm zeigt ein Maximum bei ca. 50 min-1 (Abb. 3-82). Allgemein ist hier ein Trend zu höheren Drehzahlen und Dynamik in der Industrie erkennbar. Da kleine Massen schneller und große Massen eher langsamer bewegt werden, wird sich auch zukünftig bei kleineren Abtriebsdrehmomenten eine Verschiebung des Maximums zu
Getriebe
211
höheren Abtriebsdrehzahlen bzw. bei größeren Abtriebsdrehmomenten zu geringeren Abtriebsdrehzahlen zeigen. Bei Verwendung des in der Industrie am häufigsten verwendeten vierpoligen Drehstrom-Asynchronmotors mit einer Bemessungsdrehzahl von ca. 1.400 min-1 ergibt sich für die am häufigsten eingesetzte Abtriebsdrehzahl von 50 min-1 eine erforderliche Getriebeübersetzung von 28. Hierfür ergibt sich beispielsweise für ein Transportband mit anzutreibenden Rollen eines Durchmessers von 200 mm eine Geschwindigkeit der transportierten Ware von etwa 0,5 m/s. 3.5.2
Stirnradgetriebe
Stirnradgetriebe sind gekennzeichnet durch die parallele Lage der An- und Abtriebswelle (Abb. 3-83). Neben dem Gehäuse, den Wellen und Lagern, sowie dem Schmierstoff und den Dichtelementen sind die Stirnräder die Hauptkomponenten im Getriebe.
Abb. 3-83. Zweistufiges Stirnradgetriebe
Als Zahnform der Stirnräder wird fast ausschließlich die Evolventenverzahnung verwendet, d. h., die aktiven Flanken dieser Verzahnung haben eine Evolventenform. Die Geometrie der Evolvente entsteht durch Abwälzen einer Geraden auf einem Grundkreis. Die Evolventenverzahnung hat folgende Vorteile: • Die Verzahnung ist unempfindlich gegen Achsabstandsabweichungen, • gleichförmige Bewegungsübertragung, d. h. schwingungsarmer Lauf, • die Verzahnung ist sehr genau berechenbar durch sehr gut abgesicherte Auslegungswerkzeuge, die auf umfangreichen Praxiserfahrungen und Versuchen beruhen, und • einfache Fertigbarkeit, die zu niedrigen Kosten führt. Dem stehen folgende Nachteile der Evolventenverzahnung gegenüber:
212
Das Antriebssystem und seine Komponenten
• Bei Außenverzahnungen laufen konvexe Flankenteile auf konvexen Flankenteilen, wodurch die Tragfähigkeit begrenzt ist. • Bei kleinen Zähnezahlen wird der Zahn fertigungsbedingt unterschnitten, d. h. geschwächt. Die formschlüssige Momentübertragung von einem antreibenden Rad (Ritzel) zum Abtriebszahnrad erfolgt im Allgemeinen über mehrere gleichzeitig im Eingriff befindliche Zahnpaare. In Abb. 3-84 ist der Eingriff von einem Zahnpaar dargestellt. Ein Zahn des treibenden und des getriebenen Rades berührt sich in einem Punkt auf der Eingriffslinie. Über die räumliche Betrachtung ergibt sich damit eine Linienberührung über die Zahnbreite. Reines Abwälzen der Zähne ist nur in dem Moment gegeben, wenn die Wälzkreise (dw1 und dw2) einen Schnittpunkt mit der Eingriffslinie bilden. Im Abschnitt davor und danach überlagert sich Gleiten, d. h. es findet eine Relativbewegung zwischen den Zahnflanken statt. Stirnradverzahnungen werden im Allgemeinen dauerfest ausgelegt, wobei hierfür vom Hersteller nachfolgende Kriterien berücksichtigt werden. Zahnfußtragfähigkeit. Bei Überschreitung der zulässigen Belastungen brechen die Zähne meist am Zahnfuß. Die auftretenden Spannungen am Zahnfuß sind in erste Linie von der Zahnhöhe, d. h. dem Hebelarm und der der Form des Zahns im Fußbereich abhängig. Zahnflankentragfähigkeit. Bei Überschreitung der ertragbaren Pressungen der miteinander in Eingriff kommenden Zahnflanken brechen Teile der Zahnflanken aus, sodass grübchenartige Vertiefungen entstehen. Daher die Bezeichnung der Grübchen- bzw. Pitting-Bildung. Flankenschäden sind nicht zulässig, wenn die Anzahl und die Größe der Grübchen mit wachsender Laufzeit größer werden und so zum Ausfall des Getriebes führen. Rad 2 getrieben linie
riffs
g Ein
dw2
dw1
Rad 2 treibend
Abb. 3-84. Eingriff von zwei Zähnen einer Evolventenverzahnung
Getriebe
213
Fresstragfähigkeit und Verschleißtragfähigkeit. Vom Fressen der Verzahnung spricht man, wenn wiederholt kurzzeitige Verschweißungen mit anschließendem Trennen der Zahnflanken infolge des Zusammenbruchs des Schmierfilms auftreten. Mit der Wahl eines entsprechenden Schmierstoffs mit hoher Fresstragfähigkeit und einer Auslegung der Verzahnung mit geringen Gleitanteilen können diese Schäden vermieden werden. Verschleiß tritt in Form von Abrieb an den Zahnflanken auf, wenn der Gleitvorgang im Gebiet der Mischreibung oder Trockenreibung vor sich geht.
40
übertragbare Leistung Getriebeoberfläche
2
30
1,5
20
1
10
0,5
0
Getriebeoberfläche in m²
übertragbare Leistung in kW
Schmierstoff. Eine wichtige Rolle im Getriebe übernimmt damit der Schmierstoff. Bis zu einer Umfangsgeschwindigkeit der Zahnräder von ca. 15 m/s wird eine Öltauchschmierung verwendet, d. h. mindestens ein Zahnrad taucht in Öl ein und die Zähne benetzen sich mit Öl. Durch die gekrümmten Zahnflanken, die aufeinander gleiten, bildet sich ein Keilspalt, in den das Öl gedrückt und eine hydrodynamische Schmierung mit Flüssigkeitsreibung ermöglicht wird. Gleichzeitig führt das Öl die hohen Temperaturen im Eingriffsgebiet ab und ermöglicht einen Wärmeaustausch mit dem Getriebegehäuse.
0 Getriebegröße
Abb. 3-85. Darstellung der übertragbaren Leistung und der Gehäuseoberfläche von Stirnradgetrieben
Verlustleistung. Für die gesamte Verlustleistung, die als Wärme abgeführt werden muss, sind neben Verzahnungsverlusten auch Verluste in den Lagern und am Wellendichtring sowie die Planschverluste, die beim Eintauchen der Verzahnung in das Ölbad entstehen, zu berücksichtigen. Bei kleineren Getrieben ist die Wärmeabfuhr über das Getriebegehäuse oft nicht problematisch. Die sich einstellende Beharrungstemperatur als Gleichgewicht zwischen zu- und abgeführter Wärme liegt hier in einem unkritischen Bereich. Speziell bei größeren Abtriebsdrehmomenten und hohen Abtriebsdrehzahlen kann die Beharrungstemperatur jedoch oberhalb des zulässigen Temperaturbereichs des Schmierstoffs bzw. der Dichtungsele-
214
Das Antriebssystem und seine Komponenten
mente liegen. Dann muss die übertragbare Leistung des Getriebes aus thermischen Gründen begrenzt werden. In Abb. 3-85 sind für eine Getriebeübersetzung von i = 25 die Größe der Gehäuseoberfläche und die übertragbare Leistung dargestellt. Es wird deutlich, dass die übertragbare Leistung eines Getriebes mit zunehmender Getriebegröße steiler anwächst, sodass auch das Verhältnis von entstehender Verlustleistung und Wärmeabfuhr durch das Getriebegehäuse kritischer wird. Oberhalb einer Leistung von 50 kW wird begonnen, Getriebe mit einem aktiven Kühlkreislauf auszustatten, über den die Verlustleistung abgeführt wird. 3.5.3
Planetengetriebe
Planeten- oder Umlaufrädergetriebe zeichnen sich neben der hohen Leistungsdichte durch kleine Massenträgheitsmomente und geringes Verdrehspiel aus. Daher sind sie besonders für hochdynamische Antriebe interessant. In der Kombination mit Servomotoren entstehen sehr kompakte Antriebe. Wegen des Gewichtsvorteils sind Planetengetriebe darüber hinaus bei sehr großen Abtriebsdrehmomenten und bei mobilen Anwendungen weit verbreitet. Die am meisten verwendete Form sind die Normalumlaufrädergetriebe (Abb. 3-86). Dabei ist das innenverzahnte Hohlrad fest mit dem Gehäuse verbunden. Das antreibende Zentral- oder Sonnenritzel treibt die umlaufenden Planeten an, die sich gegen das Hohlrad abstützen und somit den Planetenträger antreiben. Die Abtriebswelle ist dabei fest mit dem Planetenträger verbunden.
Abb. 3-86. Normalumlaufrädergetriebe
Getriebe
215
In dieser Ausführung ist eine maximale Übersetzung in einer Stufe von ca. i = 12 realisierbar. Größere Übersetzungen erreicht man mit nachgeschalteten Stufen. Voraussetzung für die Ausnutzung der Leistungsverzweigung ist eine möglichst gleichmäßige Lastverteilung auf die Planeten. Bei Verwendung von drei Planeten ist eine optimale Lastverteilung gegeben, aber auch vier oder fünf Planeten sind üblich. Bei Planetengetrieben wird in zunehmendem Maße die Schrägverzahnung verwendet. Neben der Erhöhung der Tragfähigkeit soll damit eine weitere Geräuschreduzierung erreicht werden. Dabei müssen wegen der zusätzlichen Axialkräfte besondere konstruktive Maßnahmen bei der Lagerung der Planeten berücksichtigt werden. 3.5.4
Kegelradgetriebe
Kegelradgetriebe werden zur Übertragung und Wandlung von Drehmoment und Drehzahl zwischen sich schneidenden und kreuzenden Achsen verwendet. Die Montage von Kegelrädern ist gegenüber den Stirnrädern deutlich aufwändiger, da für die Verzahnteile die genaue axiale Position sichergestellt sein muss. Nur so sind ein einwandfreies Geräuschverhalten und die zuverlässige Übertragung der Drehmomente möglich.
Abb. 3-87. Hypoidradsatz mit bogenförmigem Profil
Übliche Übersetzungen von Kegelradsätzen liegen bei maximal i = 6. Daher sind viele Kegelradgetriebe Kombinationen mit Stirnradstufen. Auch werden Kegelradgetriebe als Vorstufe für Planetengetriebe verwendet. Neben gerad- oder schrägverzahnten Kegelrädern für Anwendungen mit geringen Forderungen bezüglich Tragkraft und Laufruhe werden in erster Linie bogenverzahnte oder spiralverzahnte Kegelräder verwendet. Der Vorteil der höheren Tragfähigkeit begründet sich dadurch, dass konvexe mit konkaven Flanken in Eingriff kommen.
216
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Haben die An- und Abtriebswelle einen Achsversatz aV, handelt es sich um ein Hypoidradsatz (Abb. 3-87). Dem Vorteil einer höheren Tragfähigkeit und höherer Gleitanteile steht bei dieser Verzahnung der Nachteil eines damit verbundenen etwas schlechteren Wirkungsgrads gegenüber. Die Geschichte der Kegelradverzahnung ist durch die Entwicklung der Fertigungsmöglichkeiten und der hierbei verwendeten Werkzeugmaschinen bestimmt. Am häufigsten wird dabei heute eine kreisbögenförmige Zahnform verwendet, bei der sich die Zahndicke und die Zahnhöhe zur Kegelspitze verjüngen. Eine andere Verzahnung ist gekennzeichnet durch eine evolventische Zahnform über die Zahnbreite, wobei die Zahnhöhe konstant ist. Ein Großteil der gefertigten Kegelradverzahnungen wird heute in der klassischen Fertigungsfolge Fräsen, Härten und abschließendes Läppen hergestellt. Beim Läppen läuft die Verzahnung auf entsprechenden Maschinen gegeneinander ab, wobei die Maschinenachsen so gegeneinander verstellt werden, dass mit Hilfe von speziellen Pasten ein geringer Materialabrieb an den Flanken erreicht wird. Der Trend geht hier – getrieben durch die Automobilindustrie – zu einer Endbearbeitung durch Schleifen. 3.5.5
Schneckengetriebe
Bei Schneckengetrieben kreuzen sich die Achsen mit dem Achsabstand a, im Gegensatz zum Hypoidgetriebe, wo sich die Achsen mit einem Achsversatz aV kreuzen. In Abb. 3-88 ist die am meisten verwendete Getriebeform, das Zylinderschneckengetriebe dargestellt. Hier wird ein Globoidrad mit einer Zylinderschnecke verwendet, da die umgekehrte Kombination mit einer Globoidschnecke teuer ist und nur bei Hochleistungsgetrieben verwendet wird.
Abb. 3-88. Zylinderschneckengetriebe (Globoidrad und Zylinderschnecke)
Getriebe
217
Wirkungsgrad in %
100 90 80 70 60 50
5 10
20
30
40
50
60
Übersetzung
Abb. 3-89. Wirkungsgrad eines Schneckengetriebes
Beim Schneckengetriebe kommt neben dem Wälzgleiten der Zahnflanken ein Längsgleiten hinzu. Bei mittleren Umfangsgeschwindigkeiten wird eine geschliffene Stahlschnecke mit einem hochbelastbaren Bronzeschneckenrad kombiniert. Das Schneckenrad unterliegt dabei starkem fortschreitendem Verschleiß, der beim Einsatz von Schneckengetrieben berücksichtigt werden muss. Der Wirkungsgrad der Schneckengetriebe ist abhängig von der Übersetzung und nimmt mit größer werdender Übersetzung stark ab (Abb. 3-89). Gleichzeitig steigt der Verschleiß der Schnecke. Wegen der Werkstoffkombination ist beim Anlaufen kurzzeitig ein etwas höheres Drehmoment erforderlich. Daher wird beim Schneckengetriebe zwischen dem Anlaufwirkungsgrad und dem Wirkungsgrad im Betrieb unterschieden. Der Anlaufwirkungsgrad kann dabei in Abhängigkeit von der Übersetzung 20 bis 30% unter dem Wirkungsgrad im Betrieb liegen. Schneckengetriebe können Übersetzungen bis 50 und teilweise darüber in einer Getriebestufe realisieren. Liegt der Wirkungsgrad unter 50%, was bei hohen Übersetzungen möglich ist, tritt Selbsthemmung bei Umkehr der Kraftrichtung ein. Dieser Sachverhalt kann für einige Einsatzfälle (z. B. Späneförderer) positiv genutzt werden, da man hier auf eine Haltebremse verzichten kann. Kennzeichnend für Schneckengetriebe, speziell in einstufiger Ausführung, sind Rippen am Getriebegehäuse, um die Verlustwärme durch eine größere Gehäuseoberfläche besser an die Umgebung abgeben zu können.
218
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Abb. 3-90. Direktanbau des Motors an das Getriebe
3.5.6
Kombination von Getrieben mit Motoren
Durch die Kombination von Getrieben mit Motoren entstehen Getriebemotoren. Die Kombination kann zum einen dadurch erzeugt werden, dass der Motor über eine Kupplung mit dem Getriebe verbunden wird. Wesentlich vorteilhafter ist allerdings die direkte Integration von Motor und Getriebe Abb. 3-90. Hierbei wird das Ritzel z1 der ersten Getriebestufe über eine geeignete Welle-Nabe-Verbindung mit der Welle des Motors verbunden. Es entfällt damit die Lagerung der Eintrittswelle des Getriebes. Wird für diese Verbindung eine kraftschlüssige Verbindung gewählt, ist eine hohe Zuverlässigkeit gewährleistet. Bei der Integration bildet das A-Lagerschild des Motors die Schnittstelle zum Getriebe. Getriebemotoren können nicht nur zusammen mit StandardDrehstrommotoren gebildet werden, sondern auch mit Servomotoren. Hierdurch entstehen dann Servo-Getriebemotoren, die für dynamische Anwendungen sehr gut geeignet sind. Die verschiedenen Getriebebauformen können mit unterschiedlichen Motortypen kombiniert werden. Ergänzt wird dieser Produktraum durch die verschiedenen Optionen für die Getriebe und Motoren (Abb. 3-91): • Verschiedene Arten der Wellen, teilweise mit Verbindungselementen, • abtriebsseitige Flansche, die auch als Drehmomentstütze dienen können,
Antriebselemente
219
Abb. 3-91. Baukasten aus Getrieben und Motoren mit den Optionen
• • • • •
Eigen- oder Fremdlüfter für die Motoren, Handrad, Rücklaufsperre, Motorbremsen, erweiterbar um Handlüfthebel, und Winkelgeber.
Der gesamte Antriebsstrang endet nicht beim Getriebe, sondern enthält weitere Antriebselemente, die die Bewegung bis zum Arbeitsprozess fortführen.
3.6
Antriebselemente
Olaf Götz Unter Antriebselementen versteht man diejenige Gruppe von Maschinenelementen, die in dem Antriebsstrang die Hauptkomponenten miteinander sowie mit der Arbeitsmaschine verbinden. Sie übernehmen wichtige Aufgaben, wie z. B. Drehmomente und –bewegungen zu übertragen, den Strang bei Bedarf zu unterbrechen, rotierende Teile zu lagern, Wellenversatz auszugleichen oder rotatorische in translatorische Bewegungen umzuformen. Zu den Antriebselementen zählen:
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• • • • • • • • •
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Schaltbare Kupplungen, nichtschaltbare Kupplungen, Welle-Nabe-Verbindungen, Lager, Zugmittelgetriebe wie Riemen-, Zahnriemen- und Kettenantriebe, lineare Übertragungselemente, nichtlineare Übertragungselemente, Führungssysteme und elektromechanische Bremsen, die in Kapitel 3.3.5 beschrieben wurden.
Dieses Kapitel geht nur grob auf die Auslegung bzw. Auswahl der Elemente ein. Ziel ist es, ihre Funktionsweise zu beschreiben, welche Eigenschaften sie haben und welchen Einfluss sie auf die aktiven Elemente des Antriebssystems (Umrichter, Motor, Getriebe) haben. Die Antriebselemente müssen richtig dimensioniert (besonders wichtig ist die Lebensdauer) und montiert werden, damit es nicht zu Schädigungen oder sogar zum Ausfall der Maschine kommt. Weiterführende Informationen zu vielen Antriebselementen können [Dub95] entnommen werden. Verdrehsteifigkeit und Verdrehspiel. Die meisten Antriebselemente haben die Eigenschaft, dass durch das zu übertragende Drehmoment M und ihrer Steifigkeit eine Verdrehung entsteht. Die auch mit Federkonstante bezeichnete Steifigkeit cφ wird in Nm pro Winkelminute (arcmin) angegeben. Der resultierende Torsionswinkel φTorsion wird durch folgende Gleichung bestimmt. ϕ Torsion = M (3.75) cϕ
Analog gilt für translatorische Kräfte (Zug, Druck, Biegung): sVerschiebung = F (3.76) c Der Kehrwert aus der Steifigkeit 1/c ist die Nachgiebigkeit. Die gesamte Steifigkeit von n hintereinander geschalteten Antriebselementen berechnet sich aus der reziproken Summe der einzelnen Nachgiebigkeiten. Je mehr Antriebselemente vorhanden sind, desto „weicher“ ist die Maschine. 1 c ges
n
=
∑ c1i
(3.77)
i =1
Teilweise besitzen die Antriebselemente ein Verdrehspiel, auch Lose genannt. Dieser Winkel wird durchfahren, wenn die Drehrichtung sich ändert. Am Beispiel eines Zahnradgetriebes lässt sich dies gut erkennen. Innerhalb dieses Winkels besteht kein Kontakt der Zahnflanken, sodass der
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mechanischer Winkelversatz in arcmin
Antriebsstrang unterbrochen ist und kein Drehmoment bzw. keine Drehbewegung übertragen wird. Der gesamte mechanische Winkelversatz ergibt sich aus der Summe von Verdrehspiel ΔϕSpiel und des Verdrehwinkels, der sich in Abhängigkeit von der Belastung ändert (Abb. 3-92). Δϕ mech = Δϕ Spiel + M (3.78) c Gerade aus regelungstechnischer Sicht spielen die Antriebselemente aufgrund möglicher Elastizitäten oder Lose eine wichtige Rolle. Die Mechanik sollte möglichst starr sein, damit es nicht zu einem instabilen Regelungsverhalten kommt und die Anforderungen an die Genauigkeit eingehalten werden. 20
10
0
–10
–20 –100
50 0 –50 Drehmomentenbelastung in %
100
Abb. 3-92. Gesamter mechanischer Winkelversatz durch Verdrehspiel und -steifigkeit (Prinzipieller Verlauf)
Neben der Steifigkeit hat die räumliche Verteilung der Bauteile, deren Größe und die Systemdämpfung einen Einfluss auf das Eigenschwingungsverhalten der Maschine. Es ist unbedingt zu vermeiden, dass die mechanische Resonanzfrequenz im Betrieb dauerhaft angeregt wird und es damit zu Schwingungsamplituden kommen kann, die die Maschine gefährden. In [Dr01] wird auf das Schwingungsverhalten von Antriebssystemen eingegangen. 3.6.1
Schaltbare Kupplungen
Schaltbare Kupplungen haben die Aufgabe, Elemente des Antriebsstrangs im Betrieb durch ein Ansteuersignal zu unterbrechen oder zu verbinden.
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
Aufgrund des Wirkprinzips für die Drehmomentübertragung werden sie in mechanische, hydraulische und elektromagnetisch wirkende Kupplungen aufgeteilt. Elektromagnetkupplungen. Elektromagnetisch betätigte Kupplungen werden aufgrund der einfachen Ansteuerung überwiegend im Maschinenbau eingesetzt. Sie sollen hier als einzige schaltbare Kupplung näher dargestellt werden. Das Drehmoment wird durch Kraftschluss oder Formschluss verdrehspielfrei übertragen, ähnlich wie bei der elektromagnetischen Bremse (Kap. 3.3.5), nur das sich sowohl der Antrieb als auch der Abtrieb frei bewegen können. Die Funktionsweise folgt meist dem Arbeitsstromprinzip. Im stromlosen Zustand ist die Kupplung geöffnet. Vorgespannte Ringfedern sorgen dafür, dass ein restmomentfreies Lüften zustande kommt. Wird die Spule des Magnetteils mit Gleichspannung versorgt, baut sich ein Magnetfeld auf. Durch die magnetische Anziehungskraft wird die Ankerscheibe des Ankerteils gegen die Kraft der Federn über den Luftspalt an die Reibfläche des Rotors gezogen und das Moment wird übertragen. Es gibt auch Kupplungen, die nach dem Ruhestromprinzip arbeiten und damit im unbestromten Zustand geschlossen sind. Beim Lüften wirkt der Elektromagnet gegen die Kraft der Federn. Formschlüssige Schaltkupplungen, wie z. B. Zahnkupplungen, können im Stillstand oder im Gleichlauf geschaltet werden. Manche Ausführungen sind auch bei geringen Relativdrehzahlen, teilweise bis 200 min-1, schaltbar. Durch den Formschluss lassen sich im Vergleich zu kraftschlüssigen Kupplungen wesentlich höhere Drehmomente schlupffrei übertragen. Für Synchronisiervorgänge zwischen der An- und Abtriebswelle können Zahnkupplungen mit einer oder mehreren Einraststellungen genutzt werden (Festpunktschaltung).
Abb. 3-93. Flanschmontierte Kupplung
Antriebselemente
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Kraftschlüssige Schaltkupplungen. Bei kraftschlüssigen Schaltkupplungen (Abb. 3-93) wird das Drehmoment durch Anpressen von Reibflächen übertragen. Sie sind während des Betriebs mit hohen Relativdrehzahlen schaltbar. In Abhängigkeit der zu verrichtenden Reibungsarbeit ist in gewissen Zeitabständen der Betriebsluftspalt zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Beim Kuppeln sind, wie bei der Bremse auch, die Verknüpfzeit (Ansprechverzugszeit und Anstiegszeit) bis zum Aufbau des Drehmoments und die Trennzeit bis zum Abbau des Drehmoments zu berücksichtigen. Zur Auslegung einer schaltbaren Kupplung wird wie folgt vorgegangen:
• Die Baugröße wird festgelegt durch das erforderliche Drehmoment. Zu berücksichtigen sind dabei: Trägheitsmomente, Relativdrehzahlen, Beschleunigungs- und Abbremszeiten, Sicherheitsfaktor für extreme Betriebsbedingungen. • Die thermische Belastung wird überprüft. Die Schaltarbeit je Schaltspiel (Q) und die Schalthäufigkeit (Sh) bestimmen die thermische Belastung der Kupplung. Die berechneten Werte müssen kleiner sein als die für die Baugröße zulässigen Werte. • Optional kann die Anzahl der Schaltungen bis zum Nachstellen des Luftspalts berechnet werden. • Ebenso kann die Rutschzeit (resultierende Beschleunigungs- oder Verzögerungszeit), in der bei geschlossener Kupplung zwischen Antrieb und Abtrieb eine Relativbewegung erfolgt, bestimmt werden. 3.6.2
Nichtschaltbare Kupplungen
Nichtschaltbare Kupplungen, z. B. starre Kupplungen, verbinden zwei Wellen dauerhaft miteinander. Zwischen den Wellen kann es zu einem Radial-, Axial- oder Winkelversatz kommen, der durch Temperatureinflüsse, Lagerspiel oder Toleranzen in der Montage und Fertigung begründet ist (Abb. 3-94). Durch drehelastische und drehstarre Ausgleichskupplungen können diese Fehler kompensiert und ausgeglichen werden. Ein Axialversatz ist ein Längsversatz der aufeinanderstoßenden Wellen. Er entsteht oft durch thermische Ausdehnung oder ist ein Ergebnis der Maschinenkonstruktion. Ein Radialversatz ist ein paralleler Ausrichtungsfehler der Wellen zueinander und ist nahezu immer vorhanden. Gut ausgerichtete Aufbauten können Werte unter 0,2 mm haben.
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
a) Axialversatz
b) Radialversatz
c) Winkelversatz
Abb. 3-94. Versatz zweier Wellen
Ein Winkelversatz ist eine Ungenauigkeit der Ausrichtung und ist normalerweise zu einem gewissen Ausmaß bei allen Applikationen unvermeidbar. Typische Werte sind 1° bis 2°. Oft ist eine Kombination von allen drei Fehlerarten vorhanden. Bei der Anwendung von Kupplungen ist besonders auf den Radial- und Winkelversatz zu achten, die zu Wechselbeanspruchungen, Rückstellkräften und Momente in den Lagern der Wellen führen und diese belasten. Der Verschleiß hierdurch und damit der Einfluss auf die Lebensdauer ist bei der Auslegung der Lager zu berücksichtigen, damit die Maschine die erwartete Lebensdauer und Zuverlässigkeit hat. Der Axialversatz führt lediglich zu statischen Kräften innerhalb der Kupplung. Sicherheits- und Überlastkupplungen. Mit Sicherheitskupplungen oder Überlastkupplungen lassen sich Drehmomente sicher begrenzen sowie eine falsche Drehrichtung vermeiden. Sie funktionieren nach dem Formschlussoder nach dem Kraftschlussprinzip. Manche Anwendungen erfordern das schnelle Lösen der Kupplungsverbindung im Störungsfall der Maschine. Starre Kupplungen. Starre Kupplungen sind kostengünstige Lösungen, haben ein sehr steifes Übertragungsverhalten (0,1° Verdrehwinkel bei Bemessungsmoment) und sind spielfrei. Sie eignen sich daher sehr gut für Positionieraufgaben und reversierende Antriebe. Es lassen sich bei kleinem Bauraum große Drehmomente übertragen, jedoch lassen sie praktisch keinen Axial-, Radial- und Winkelversatz zu (Abb. 3-95).
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Abb. 3-95. Starre Kupplung
Zur Befestigung der Kupplung auf der Welle können Stellschrauben zur punktuellen Verbindung oder Klemmnaben, die die Welle umschließen und höhere Drehmomente übertragen können, eingesetzt werden. Stellschrauben sind empfindlich gegenüber Vibration, die ein Lösen der Schrauben hervorrufen können. Starre Kupplungen lassen sich leicht demontieren und können durch Sollbruchstellen die Aufgaben einer Überlastsicherung übernehmen.
Abb. 3-96. Klauenkupplung mit Gummipuffer
Drehelastische Ausgleichskupplungen. Die Elastizität wird durch Federn aus Metall oder durch Elastomer (Gummi, Kunststoff) hervorgerufen. Sie sollen hauptsächlich Drehmomentstöße verringern, Drehschwingungen dämpfen, Resonanzfrequenzen im Antriebsstrang in unkritische Betriebsbereiche verlagern und Wellenversatz ausgleichen (Abb. 3-96). Unter Belastung sind hohe Verdrehwinkel möglich (metallelastische Kupplun-
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
gen: 2 bis 25°; Elastomerkupplung mit mittlerer Elastizität bis 5°, mit hoher Elastizität 5 bis 30°). Drehstarre Ausgleichskupplungen. Sie sind spielfrei und drehstarr. Mit ihnen lassen sich je nach Bauart Axial-, Radial- und bzw. oder Winkelversatz ausgleichen. Sie werden dort eingesetzt, wo das Drehschwingungsverhalten nicht verändert werden soll und eine winkelgenaue Drehübertragung gefordert ist (Abb. 3-97).
Abb. 3-97. Drehstarre Kupplung
Für großen veränderlichen Radialversatz wird oft die Schmidt-Kupplung eingesetzt. Das Funktionsprinzip über drei Scheiben und zwei Lenkerebenen ermöglicht eine kurz bauende und drehsteife Leistungskupplung. Die Übertragung der Winkelgeschwindigkeit zwischen An- und Abtrieb ist fehlerfrei. Sie wird z. B. bei Gleichlauf- und Umformantrieben eingesetzt (Abb. 3-98).
Abb. 3-98. Schmidt-Kupplung
Antriebselemente
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Reichen herkömmliche Kupplungen nicht mehr aus oder müssen sehr große Leistungen übertragen werden, werden Gelenkwellen eingesetzt. Mit ihnen lassen sich bis zu 40° Winkelversatz überbrücken. Sie werden auch zum Längenausgleich eingesetzt. Auswahl und Auslegung. Die optimale Auswahl einer Kupplung ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen vielen Aspekten. Da Kupplungen einen erheblichen Einfluss auf die Zuverlässigkeit einer Maschine haben können, kann der Preis nicht die entscheidende Rolle bei der Auswahl spielen. Folgende Auswahlkriterien werden angewendet:
• Torsionssteife oder -weiche Kupplung? Weiche Ausführungen sind im Allgemeinen kostengünstiger. • Ist ein Spiel tolerierbar? Spielfreie Kupplungen sind teurer. • Bestimmung des zu übertragenden Drehmoments unter Berücksichtigung von Betriebsfaktoren. • Auswahl der Kupplung nach dem Bemessungsmoment der Kupplung • Überprüfung der maximal zulässigen Drehzahl, des maximal zulässigen Drehmoments und der Kupplungsbaugröße. • Weitere Anforderungen an Kupplungen resultieren aus Anforderungen zum Explosionsschutz und aus dem Einsatz im Lebensmittel- und Reinraumbereich. 3.6.3
Welle-Nabe-Verbindungen
Um das Drehmoment von einer Antriebswelle auf einen rotierenden Körper, z. B. ein Treibrad, zu übertragen, muss eine Verbindung dieser zwei Elemente hergestellt werden. Diese sogenannten Welle-NabeVerbindungen können durch Form-, Kraft- und Stoffschluss erzeugt werden. Eine formschlüssige Übertragung der Kraft entsteht durch die Formgebung von Welle und Nabe. Beispiele sind Passfedern, Spannstifte, Polygonprofile oder Zahnwellen. Die verschiedenen Varianten unterscheiden sich hinsichtlich der übertragbaren Kräfte und der Kosten. Die Elemente sind nicht immer spielfrei. Aus Sicherheitsgründen sollten bei Hubwerken formschlüssige Verbindungen verwendet werden, um ein Durchrutschen zu verhindern. Kraftschlüssige Verbindungen haben bessere Eigenschaften für die Momentübertragung als formschlüssige Verbindungen. Eine sehr hohe Kraftübertragung bei sehr guter Rundlaufgüte ist möglich. Sie sind für dynamische Anwendungen und bei Wechsellast besser geeignet. Zu den kraftschlüssigen Verbindungen zählt der Kegelpressverband, der gegenüber zylindrischen Pressverbänden eine leichtere Lösbarkeit bietet.
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
Abb. 3-99. Hydraulische Spannelemente
Zu den kraftschlüssigen Verbindungen gehören Spannsätze. Dieses sind reibschlüssige, lösbare Welle-Nabe-Verbindungen und werden auf glatten und nicht genuteten Wellen und Bohrungen eingesetzt. Durch Verspannen von Konussen entsteht eine reibschlüssige Verbindung. Es können große Drehmomente und Axialkräfte spielfrei übertragen werden. Hydraulische Spannelemente (Abb. 3-99 und 3-100) erreichen eine Rundlaufgenauigkeit von bis zu 0,6 µm, mechanische Spannelemente von 0,02 bis 0,05 mm. Montage und Demontage sind einfach und schnell machbar.
Abb. 3-100. Funktionsprinzip eines hydraulischen Spannelements
Ein korrekter Sitz der Nabe auf der Welle gewährleistet gute Rundlaufeigenschaften, daher ist auf die Zentrierung zu achten. Die Verbindungen werden in selbstzentrierend oder nicht zentrierend unterteilt. Nicht zentrierende Spannsätze können größere Passungsunterschiede zwischen Welle und Nabe ausgleichen. Schrumpfscheiben sind kraftschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen, die außenspannend wirken, d. h. die Schrumpfscheibe wird auf der Nabe aufgebracht und erzeugt durch Verringerung ihres Innendurchmessers eine Flächenpressung zwischen Welle und Nabe. Es können ebenfalls große Drehmomente spielfrei übertragen werden. Die Auswahl kraftschlüssiger Verbindungen erfolgt nach dem zu übertragendem Drehmoment oder der zu übertragenden Axialkraft. Liegen
Antriebselemente
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Axialkraft und Drehmoment gleichzeitig an, so ist deren Wechselwirkung zu prüfen. Stoffschlüssige Übertragungen entstehen durch Schweißen, Löten oder Kleben. Diese werden jedoch nur selten im Maschinenbau eingesetzt, da die Verbindungen sehr ungenau und schwer demontierbar sind. Bei Weichlöt- und Klebeverbindungen können nur geringe Kräfte übertragen werden. 3.6.4
Lager
Lager unterstützen und fixieren rotierende Wellen in Maschinen oder Antriebskomponenten wie z. B. im Motor oder Getriebe. Man unterscheidet Gleitlager und Wälzlager. Die Unterscheidung bezüglich der Richtung der Lagerkraft führt zu Radial- und Axiallagern. Es gibt Festlager, die Querkräfte und Längskräfte in beiden oder einer Richtung aufnehmen. Längsverschiebungen können von einem Loslager ausgeführt werden. Wird eine Welle durch zwei Lager hintereinander mit einem gewissen Abstand fixiert, so wird dadurch die Radialkraftbelastung für die Antriebskomponente reduziert.
Abb. 3-101. Pendelrollenlager als Beispiel für ein Wälzlager
Das Lager besteht aus zwei Ringen (Innenring und Außenring). Bei Gleitlagern bildet ein Schmierstoff die Gleitfläche für die Ringe. In einem Wälzlager (Abb. 3-101) rollen z. B. Kugeln oder Rollen auf einer Laufbahn zwischen Innen- und Außenring. Sie werden durch einen Käfig geführt und auf Distanz gehalten. Wälzlager sind kostengünstig, nahezu wartungsfrei, haben eine geringe Reibung und sind spielarm. Sie ermöglichen die einfache Aufnahme von Lagerbelastungen. Wälzlager sind sehr umfangreich genormt, wodurch die Beschaffung oder der Austausch vereinfacht werden. Bei der Auslegung sind die Lebensdauer, die maximale Drehzahl sowie die aufzunehmenden Kräfte wichtige Kriterien, weil sie unmittelbaren Einfluss auf die Zuverlässigkeit und Lebensdauer einer Maschine haben. Sie sind empfindlich
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
gegen Stöße und Verschmutzung. Rollenlager können im Vergleich zu Kugellagern höhere Radial- und Axialkräfte aufnehmen. Gleitlager halten hohen Belastungen und Drehzahlen stand. Sie sind zudem geräuschärmer als Wälzlager und stoßunempfindlicher. Unter der Voraussetzung, dass ein hoher Schmieraufwand mit ständiger Kontrolle erfolgt, ermöglichen sie einen nahezu verschleißfreien Dauerbetrieb. Ihre Reibung ist besonders bei niedrigen und hohen Drehzahlen wesentlich größer als bei Wälzlagern. Das Reibungsmoment MReib, welches vom Antrieb aufgebracht werden muss, kann anhand der Lagerreibung µ, der auf das Lager wirkenden Masse m und des Lagerradius rL überschlägig wie folgt berechnet werden: M Reib = μ ⋅ m ⋅ g ⋅ rL (3.79) Typische Werte für die Lagerreibung µ liegen im Bereich von 0,002 (Kugel- und Rollenlager) bis zu 0,1 (Gleitlager). 3.6.5
Zugmittelgetriebe
Die grundsätzliche Aufgabe von Zugmittelgetrieben ist die Anpassung von Drehzahl und Drehmoment zwischen zwei oder mehreren Wellen. Die Wellen dürfen dabei nicht koaxial angeordnet sein. Im Vergleich zu Zahnradgetrieben kann der Wellenabstand wesentlich größer und der Bauaufwand geringer sein (Abb. 3-102).
Abb. 3-102. Zugmittelgetriebe
Die Leistung wird im Lasttrum übertragen. Das rücklaufende lastfreie Trum wird Leertrum genannt. Es wird zwischen reibschlüssigen und formschlüssigen Zugmitteln unterschieden. Zu den reibschlüssigen Zugmitteln gehören: • Flachriemen, • Keilriemen und • Rundriemen (Seile).
Antriebselemente
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Es ist erforderlich, eine Vorspannung aufzubringen, damit der Kraftschluss aufrechterhalten wird. Prinzipbedingt kommt es bei kraftschlüssigen Zugmitteln zu einem lastabhängigen Schlupf. Bei mechanischen Verstellgetrieben werden z. B. Keilriemen eingesetzt. Durch eine Variation des Abstands der Tellerscheiben kann eine stufenlos verstellbare Übersetzung realisiert werden. Formschlüssige Zugmittel sind: • Zahnriemen (Synchronriemen) und • Ketten. Auch bei diesen Zugmitteln ist eine Vorspannung erforderlich, damit es zu einem optimalen Laufverhalten mit hoher Lebensdauer und gegebenenfalls auch zur Vermeidung des Überspringens von Zähnen kommt. Die Vorspannung ist jedoch niedriger verglichen mit den reibschlüssigen Zugmitteln, wodurch die Lagerbelastung geringer wird und die Komponenten leichter und kostengünstiger ausgeführt werden können. Aufgrund der formschlüssigen Verbindung muss der Umschlingungswinkel des Riemens auf dem Zahnrad nicht so groß sein wie bei Keil- bzw. Flachriemen. Der Betrieb ist schlupffrei. Anwendung von Zugmittelgetrieben. Zugmittelgetriebe sind Teil der Gesamtübersetzung vom Motor über das Getriebe bis zur Anwendung. Sie werden häufig zur Überbrückung von Wellenabständen bei engen Einbauverhältnissen benötigt und werden teilweise als Sollbruchstelle für Überlastszenarien eingesetzt. Sie können schnell und einfach bei geringen Kosten ausgetauscht werden. Größere Drehmomente können übertragen werden, wenn mehrere Riemen parallel angeordnet werden. Wichtige Eigenschaften. Reibschlüssige Zugmittel sind aufgrund ihres Schlupfs für Positionieraufgaben ungeeignet. Die Positioniergenauigkeit eines Zahnriemenantriebs ist abhängig von der Dehnung des Zahnriemens und vom Spiel zwischen Zahnriemen und Zahnriemenscheibe. Das Spiel wird durch vier Eigenschaften hervorgerufen:
• Der Kombination von Riemen und Scheiben, • dem Drehmoment des Antriebs, • der Anzahl von Zähnen auf der Scheibe (je mehr Zähne im Eingriff sind, desto besser ist die Positioniergenauigkeit) und • der Teilung zwischen Riemen und Scheibe (bei kleinen Riementeilungen sind mehr Zähne im Eingriff). Die Dehnung des Riemens aufgrund dynamischer Last sollte nur von Interesse sein, wenn die Positionierung dynamisch gemessen wird. Die Riemen nehmen ihre ursprüngliche Länge wieder an, wenn keine dynamische
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
Belastung mehr vorhanden ist. Riemengetriebe haben die Eigenschaft, dass sie Stöße dämpfen. Die Vorspannung der Zugmittel bewirkt eine Radialbelastung auf die Wellen. Diese muss von den Lagern aufgenommen werden. Das bedeutet, dass z. B. der Motor bzw. das Zahnradgetriebe diesbezüglich geprüft werden muss. Überschlägig kann die maximale Radialbelastung durch das maximale Lastmoment Mlast,,max, dem Wirkdurchmesser dW und einem Radialkraftbeiwert fZ des Übertragungselements abgeschätzt werden. M Last ,max ⋅ f Z FR = (3.80) dW Der Radialkraftbeiwert ist dabei vom Umschlingungswinkel und bei kraftschlüssigen Zugmitteln außerdem vom Reibungsbeiwert abhängig. Dies ist in Tabelle 3-19 in Erfahrungswerte umgesetzt. Tabelle 3-19. Radialkraftbeiwert verschiedener Zugmittelgetriebe Übertragungselement Zahnräder Kettenräder Zahnriemenscheiben Schmalkeilriemen
fZ 1,12 1,25 bis 1,4 1,5 1,5 bis 2
Das aus der Vorspannung resultierende Drehmoment muss zusätzlich zur stationären und dynamischen Belastung des Prozesses vom Antrieb aufgebracht werden. Zugmittelgetriebe sind schwingungsfähig. Sie bewirken unter anderem eine Drehschwingung in den angrenzenden Antriebs- und Abtriebswellen. Zur Dämpfung der Schwingungen können Spannelemente angebracht werden. Die Ausrichtung der Riemenscheiben und der Wellen ist für einen reibungslosen Betrieb des Zugmittels entscheidend. Ein paralleler Achsabstand oder ein Winkelversatz ist zu vermeiden bzw. muss im Toleranzbereich bleiben. Der Wirkungsgrad von Zahnriemen ist sehr gut (typische Werte sind 95 bis 98%), sodass Energiekosten im Vergleich zu anderen Übertragungselementen eingespart werden können. 3.6.6
Lineare Übertragungselemente
Linearkomponenten oder auch Vorschubantriebe setzen die rotatorische Drehbewegung der Antriebswelle in eine translatorische Bewegung um.
Antriebselemente
233
Zum Einsatz kommen Gewindespindeln, Zahnstangen und Linearriemen (Abb. 3-103). Auch Linearmotoren (Kap. 3.3.4) ist hierfür geeignet. Konstruktionsbedingt haben beinahe alle linearen Übertragungselemente einen begrenzten Verfahrweg. Eine Ausnahme sind Zahnstangen, mit der bei entsprechender Anordnung der Zahnstangensegmente sehr lange Distanzen erreicht werden können.
Abb. 3-103. Portalsystem mit Zahnriemen als lineare Übertragungselemente
Innerhalb ihres Verfahrwegs eignen sie sich besonders für zyklisch wiederkehrende und hochdynamische Aufgaben. Dies können Positionieraufgaben beispielsweise in Pick-and-Place-Anwendungen sein oder die synchrone Bewegung einer Fliegenden Säge zu der konstanten Materialbewegung. Zur Lösung der Anforderungen werden hauptsächlich Servoantriebe eingesetzt. Neben den physikalischen Anforderungen spielt die Wirtschaftlichkeit eine wichtige Rolle bei der Auswahl der Übertragungselemente. Werden mehrere Linearkomponenten kombiniert, können Portalsysteme bzw. X-Y-Z-Achssysteme aufgebaut werden, die Positionieraufgaben in einem abgegrenzten Raum zulassen. Gewindespindel. Ein Spindelantrieb besteht aus einer Welle, die eine spiralförmige Führung (Gewinde) auf ihrer Oberfläche besitzt. Durch diese Führung wird ein Aufsatz, der Spindelschlitten (Mutter), bewegt, an dem die Last gekoppelt ist (Abb. 3-104). Bei der Spindelart unterscheidet man zwischen klassischen Trapezspindeln, Kugelumlauf-, Roll- oder Planetenrollenspindeln. Die Spindelsteigung h bestimmt das Umsetzungsverhältnis von der Rotation auf die Translation. Die Steigung h wird typischerweise in der Einheit mm angegeben und ist der resultierende translatorische Weg, den die Spindel bei einer Umdrehung zurücklegt (z. B. 5, 10, 20 bis 50 mm).
234
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Abb. 3-104. Gewindespindel
h = 2⋅π⋅ s (3.81) ϕ Spindeln können in der horizontalen sowie in der vertikalen Richtung betrieben werden. Die Reibung µ1 muss in der Linearführung überwunden werden, welche die zu bewegenden Massen aufnimmt. Hierbei handelt es sich meistens um Rollreibung. Zwischen der Spindel und dem Schlitten wirkt der Spindelwirkungsgrad, der durch den Reibungsbeiwert µ2 bestimmt wird, welcher von der Spindelart abhängt. Der Wirkungsgrad ist gerade bei den Spindelarten, in denen Kugeln oder Rollen enthalten sind, aufgrund der geringen Rollreibung sehr hoch (η bis zu 0,99). Bei Trapezgewindespindeln gleiten Spindel und Mutter aufeinander, was zu sehr niedrigen Wirkungsgraden führt (typisch η = 0,3 bis 0,5). Trapezgewindespindeln sind in der Regel selbsthemmend, weil der Steigungswinkel kleiner als der Reibungswinkel ist. Der Einsatz einer mechanischen Bremse zum Halten ist nicht unbedingt erforderlich. Der Effekt wird jedoch durch Vibrationen und die Schmierung beeinflusst, sodass die Notwendigkeit für eine Bremse bei Hubspindeln zu prüfen ist. Um ein besseres Laufverhalten bei Trapezspindeln zu erreichen, gibt es optimierte Gewindeprofile. Rollenspindeln haben gegenüber Kugelumlaufspindeln aufgrund ihrer größeren Kontaktfläche eine höhere Steifigkeit und Tragfähigkeit und somit auch eine längere Lebensdauer. Spindeln lassen sich durch eine Vorspannung spielfrei und steifer machen, damit bessere Positioniergenauigkeiten erreicht werden. Realisieren lässt sich die Vorspannung, indem z. B. der Kugeldurchmesser vergrößert wird oder zwei Muttern gegeneinander verspannt werden. Durch die Vorspannung entsteht jedoch ein höheres Leerlaufdrehmoment. Spindeln drehen durch ihre Funktionsweise recht schnell. Es wird in den meisten Fällen kein Getriebe zwischen Motor und Spindel benötigt. In
Antriebselemente
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anderen Fällen reichen sehr kleine Getriebeübersetzungen, um Drehzahl und Drehmoment von Motor und Spindel anzupassen. An der Spindelwelle entsteht eine Axialkraft, die von den Antriebskomponenten aufgenommen werden muss. Das Massenträgheitsmoment der Spindel, inklusive Last, ist in den meisten Fällen dominant gegenüber der Motorträgheit. Dies erfordert eine genaue Einstellung des Umrichters, um ein sauberes Regelungsverhalten zu erzielen. Lange Spindeln haben biegekritische Drehzahlen, die vermieden werden müssen. Auch sind die Resonanzfrequenzen der Spindellinearführung abhängig von der aktuellen Position. Zahnstange. Bei einem Zahnstangenantrieb handelt es sich um ein auf der Antriebswelle befindliches Zahnrad (Ritzel), welches eine Zahnstange antreibt. Zahnstangen werden vor allem in vertikalen Bewegungen eingesetzt (Abb. 3-105).
Abb. 3-105. Zahnstange
Sie sind zudem ideal für lange Verfahrwege, sowohl horizontal als auch vertikal, wenn die Zahnstangensegmente mehrfach hintereinander feststehend montiert werden und zur Erzeugung der Vortriebskraft dienen. Das Antriebsritzel befindet sich dabei z. B. an einem Wagen, auf dem sich wiederum die Last befindet. Die Gesamtsteifigkeit hängt nicht von der Länge des Verfahrwegs ab. Sie ergibt sich durch die Steifigkeit des Ritzels und der Ritzel-Zahnstangenpaarung. Der Durchmesser des Ritzels kann durch das Verzahnungsmaß MR und die Anzahl der Zähne des Ritzels z bestimmt werden. (3.82) d = z ⋅ MR Am Ritzel werden typischerweise hohe Drehmomente und niedrige Drehzahlen übertragen, sodass der Einsatz eines Getriebes erforderlich ist. Zwei parallele Ritzel können zur Reduktion des Spiels und zur Erhöhung der Positioniergenauigkeit gegeneinander verspannt werden. Dadurch nehmen jedoch der Verschleiß und die Kosten zu. Mit einer Schrägverzahnung lässt sich das Spiel ebenfalls reduzieren, dabei entstehen jedoch zusätzliche Axialkräfte, die vom Antrieb aufgenommen werden müssen.
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
Die Zahnstange ist dann kostengünstig, wenn keine hohen Anforderungen an die Genauigkeit gestellt werden. Linearriemen. Zahnriemen werden, neben dem Einsatz als Zugmittelgetriebe, auch in der Linear- oder Transporttechnik eingesetzt. Es handelt sich um eine formschlüssige und schlupffreie Art der Kraftübertragung. Bei den Materialien handelt es sich im Wesentlichen um Gummi (Neopren) oder Kunststoff (Polyurethan). Für den Zugträger, der die Kräfte überträgt, der biegsam sein muss und eine sehr geringe Längendehnung aufweisen muss, wird z. B. Stahlcord, Glasfaser oder Aramidfaser verwendet. Die Standardanordnung ist ein umlaufender Zahnriemen, auf dem sich die Last befindet und der durch ein Treibrad angetrieben wird (Abb. 3-106).
Abb. 3-106. Umlaufender Linearriemen
Eine andere Möglichkeit ist der Omegariemen, der bei vertikalen Achsen (z-Achse) oft anstelle einer Zahnstange wegen der geringeren Kosten verwendet wird. Auch für Teleskopanwendungen eignet sich diese Übertragungsart. Die Omegaanordnung wird für Lineareinheiten mit großen Wegstrecken verwendet, wo ein umlaufender Riemen aufgrund der Riemenlänge ausscheidet. Vorteilhaft ist auch die geringere Riemendehnung gegenüber dem umlaufenden Riemen. Sie ist nur halb so groß, da der untere Trum nicht vorhanden ist. Bei Omegariemen gibt es eine Variante mit feststehendem Antrieb, bei der sich der Riemen samt Führung bewegt. Diese Art ist für Omegariemen der Standard und wird meistens in der vertikalen Richtung eingesetzt. Die gesamte Anordnung hat gegenüber anderen Linearkomponenten ein geringeres Gewicht und benötigt somit weniger Energie (Abb. 3-107).
Antriebselemente
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Abb. 3-107. Omegariemen mit feststehendem Antrieb
Weiterhin gibt es eine Variante mit feststehendem Riemen, bei sich der Motor mit der Last bewegt. Diese Anordnung wird seltener und meist nur in horizontaler Richtung angewendet (Abb. 3-108).
Abb. 3-108. Omegariemen mit bewegtem Antrieb
Der Durchmesser des Treibrads wird bei Zahnriemen anhand der Teilung p und der Zähnezahl z bestimmt. p⋅z (3.83) d = π Linearriemen müssen genauso wie Zahnriemengetriebe vorgespannt werden, damit es zu einem optimalen Laufverhalten und zur Vermeidung des Überspringens von Zähnen kommt. Wird das Treibrad direkt auf die Antriebswelle montiert, so tritt aufgrund der Vorspannung des Riemens eine Radialkraftbelastung auf. Zur Entlastung der Antriebskomponenten kann ein eigengelagertes Vorgelege eingesetzt werden.
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Das Antriebssystem und seine Komponenten
Tabelle 3-20. Vergleich verschiedener linearer Übertragungselemente Übertragungselemente Eigenschaft
Kugelgewindetrieb Begrenzt Verfahrweg Geschwindigkeit 2 m/s Beschleunigung Bis 20 m/s² Vorschubkraft +++ 0,01 mm Positioniergenauigkeit +++ Steifigkeit + Kosten WerkzeugmaAnwendungsschinen, Präzibeispiele sionsmaschinen, Druckmaschinen
3.6.7
Zahnstange
Linearriemen Linearmotor
Unbegrenzt 5 m/s 40 m/s² +++ 0,1 mm
Begrenzt 10 m/s Bis 50 m/s² ++ 0,1 mm
Begrenzt 15 m/s Bis 100 m/s² ++ 0,001 mm
+++ ++ Spanende Portalmaschinen, Vorschubachsen
+ +++ Portalmaschinen, Handhabungsgeräte
+++ Werkzeugmaschinen, Handhabungsgeräte, Hochgeschwindigkeitsmaschinen
Nichtlineare Mechaniken
Bei diesen Übertragungselementen werden die Bewegung und das Drehmoment nichtlinear übertragen. Die abtriebsseitigen Größen ändern sich in Abhängigkeit des Drehwinkels oder der Position. Nichtlineare Mechaniken sind in der Lage, eine kontinuierliche Drehbewegung in zyklische Bewegungsabläufe umzusetzen. Die Kinematik der nichtlinearen Mechanik bestimmt dabei die Form der Bewegungsabläufe. Zu den nichtlinearen Übertragungselementen gehören z. B. Koppelgetriebe, mechanische Kurvenscheiben, Scherenhubtische, Schwenktische und Pendel. Es handelt sich um robuste Übertragungselemente, welche verlustarme Bewegungen ausführen können und meistens sehr resistent gegen Verschmutzungen sind. Einige Elemente, wie z. B. die Schubkurbel, haben den Vorteil, dass ihre Bewegung, bedingt durch den mechanischen Aufbau, begrenzt ist. Somit wird verhindert, dass Endpositionen überfahren werden. Die Berechnung des Übertragungsverhaltens erfordert meist das Lösen von Differenzialgleichungen. Bewährt haben sich dafür Simulationswerkzeuge, insbesondere auch Programme, die eine Mehrkörpersimulation unterstützen.
Antriebselemente
239
Im Folgenden werden die wichtigsten Koppelgetriebe und das Exzentergetriebe kurz erläutert. Auf die Auslegung dieser Antriebselemente und deren Antriebskomponenten wird aufgrund des Umfangs nicht näher eingegangen. Die mechanische Kurvenscheibe wird in Kapitel 4.9 erklärt. Scherenhubtische sind in Kapitel 4.3 erläutert. Koppelgetriebe. In einem Koppelgetriebe wird z. B. eine rotierende Bewegung in eine schwingende oder umlaufende Bewegung transformiert. Die resultierende Bewegung kann eine geradlinige oder kurvige Form haben. Sie bestehen aus An- und Abtriebsteilen, die durch Glieder und Gelenke miteinander verbunden (gekoppelt) sind. In der Anordnung müssen gewisse Fixpunkte (z. B. Festlager) vorhanden sein, um den Bewegungseffekt zu erzeugen. Der Vorteil von Koppelgetrieben ist, dass komplexe Bewegungen in der Maschine gelöst werden können. Häufig verwendete Koppelgetriebe sind die Schubkurbel und das Viergelenk. Koppelgetriebe kennzeichnen sich durch:
• Ein sich über dem Drehwinkel änderndes Übersetzungsverhältnis und • ein sich über dem Drehwinkel änderndes Massenträgheitsmoment. Aufgrund dieser Zusammenhänge sind Maschinen mit ungleichmäßig übersetzenden Koppelgetrieben wesentlich komplexer in der Antriebsdimensionierung als Maschinen mit linearen Zusammenhängen. Müssen derartige Antriebe positionsgenau und dynamisch geregelt werden, sind in dem Regelungssystem ein sehr gutes Störgrößenverhalten und gegebenenfalls eine Drehmomentvorsteuerung erforderlich. Schubkurbelgetriebe. Die Rotation des Antriebs wird durch eine Schubkurbel in eine translatorische, zwischen zwei Totpunkten oszillierende Bewegung umgesetzt. Fixpunkt in dem System ist die Kurbelwelle, an der das Antriebsmoment aufgebracht wird. Die Anwendung kann aber auch umgekehrt betrieben werden. Es ist möglich, hohe Kräfte zu übertragen und energetisch günstige Bewegungen zu realisieren (Abb. 3-109). s(t) F(t) M(t) ö(t)
Abb. 3-109. Prinzip der Schubkurbel
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Drehmoment in Nm
600 400
300 Drehmoment Kurbelwelle Geschwindigkeit Schubstange
200 100
200
0
0
–100
–200 –400
–200
Weg Schubstange
–600 –800 0
–300 60
120 240 180 Kurbelwinkel in °
300
Geschwindigkeit in m/min Schubweg in mm
240
–400 360
Abb. 3-110. Typischer Drehmomentverlauf einer Schubkurbel über eine Umdrehung bei konstanter Antriebsdrehzahl
Durch die nichtlineare Mechanik ergibt sich für den Antrieb trotz kontinuierlicher Drehzahl eine wechselnde Drehmomentbelastung (Abb. 3-110). Viergelenkgetriebe. Das Viergelenk beinhaltet zwei Fixpunkte. Der optionale Arm ist im eigentlichen Sinne nicht mehr Bestandteil des Viergelenks (Abb. 3-111). Schwenkeinheiten nutzen häufig diese Mechanik. Ein Beispiel sind Niederhalter in der Karosseriefertigung. FZusatz
m Last ö2(ö1) MZusatz M
ö1(t)
Abb. 3-111. Prinzip eines Viergelenks
Exzentergetriebe. Der Exzenter ist ein Sonderfall der mechanischen Kurvenscheibe. Es handelt sich um eine Mechanik, um z. B. schnelle und kleine Hubbewegungen auszuführen. Bei einem Exzenter befindet sich der Drehpunkt um die halbe Hubdistanz vom Mittelpunkt der Steuerungsscheibe verschoben (Abb. 3-112).
Antriebselemente
241
FLast mLast
er nt ce
r Ex
s[ö(t)]
r Stößel
M
mExcenter JExcenter ö(t)
e
Abb. 3-112. Exzenter
3.6.8
Führungssysteme
Die Reibbelastung der zu bewegenden Massen wird für die Linearkomponenten von Linear- oder Rotationswellenführungen aufgenommen. Weiterhin dienen die Führungen dazu, die Bewegungsbahn vorzugeben. Linearführungen können neben ihrem geraden Aufbau auch so konstruiert sein, dass sich ein Bogen realisieren lässt. Auch Rad-Schiene-Systeme oder Rollen kommen als Führung und Massenaufnahme in Frage. Die aufzubringende Antriebskraft wird in Kapitel 3.1.4 beschrieben. Im Folgenden werden Linearführungssysteme näher erläutert. Linearführungssysteme sind meistens Wälzführungen (Profilschienen), bei denen Kugeln oder Rollen zwischen zwei Führungselementen die Bewegung über Rollreibung umsetzen. Gleitführungen werden wegen der relativ hohen Reibungskräfte und ihres hohen Verschleißes immer weniger eingesetzt. Führungssysteme müssen die erforderliche Tragfähigkeit aufbringen, leichtläufig sein und eine hohe Positionier- und Laufgenauigkeit über eine lange Lebensdauer gewährleisten. Es ist erforderlich, dass sie spielfrei sind und eine hohe Steifigkeit in allen Belastungsrichtungen aufweisen. Da die Anwendungen oft hohe Geschwindigkeiten fordern, ist eine entsprechende Schnelllaufeigenschaft erforderlich. Um wirtschaftlich zu sein, müssen die
242
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Systeme unter anderem auch eine einfache Konstruktion und Wartung ermöglichen. Bei Wälzführungen (Abb. 3-113) wird die von den Antriebskomponenten aufzubringende Kraft durch den Verschiebewiderstand bestimmt. Dieser wird durch die Wälzkörper hervorgerufen. Er hängt unter anderem von der Belastung, dem Schmierstoff mit seiner Viskosität und der Vorspannung ab. Letzteres ist erforderlich, um ein eventuell vorhandenes Spiel zu unterdrücken und die Steifigkeit zu erhöhen. (3.84) F Antrieb = μ ⋅ m ⋅ g + f µ ist der Reibungskoeffizient und f ist ein spezifischer Widerstand des Führungssystems. Werden z. B. zwei Führungsschienen parallel montiert, kann es durch eine unsaubere Montage (Parallelitäts- und Höhenunterschiede) zu einer Erhöhung des Verschiebewiderstands kommen. Bei Gleitführungen (speziell hydrodynamische) kann es zu dem sogenannten Stick-Slip-Effekt kommen, bei dem es sich um ein Ruckgleiten (permanenter Wechsel zwischen Haft- und Gleitreibung) handelt. Dies führt vor allem beim Anfahren und niedrigen Geschwindigkeiten zu Schwingungen und erhöhter Geräuschentwicklung und verschlechtert die Positioniergenauigkeit. Der Effekt ist unbedingt zu unterbinden. Er verschwindet z. B. bei guter Schmierung, durch eine schwingungsdämpfende Konstruktion oder eine andere Wahl der Werkstoffpaarung. Gleitführungen weisen eine höhere Dämpfung gegenüber Wälzführungen auf. Die aufzubringende Antriebskraft wird im Wesentlichen durch den Reibungsbeiwert für die Gleitreibung und der zu bewegenden Masse bestimmt.
Abb. 3-113. Rollenumlaufeinheit als Beispiel für eine Wälzführung
Gesamtabstimmung des Antriebssystems
243
F Antrieb = μ ⋅ m ⋅ g (3.85) Mit der Darstellung der Antriebselemente sind jetzt alle Komponenten vorgestellt worden, aus denen sich ein Antriebssystem zusammensetzt. Aus den Eigenschaften der einzelnen Komponenten ergeben sich Fragestellungen zur Gesamtoptimierung eines Antriebssystems, die im Folgenden behandelt werden.
3.7
Gesamtabstimmung des Antriebssystems
Dr. Carsten Fräger, Dr. Edwin Kiel, Johann Peter Vogt Nachdem die Einzelkomponenten eines Antriebssystems vorgestellt wurden, sollen in diesem Kapitel Gesamtaspekte behandelt werden, die für eine optimale Zusammenstellung des Systems sorgen. Eine isolierte Betrachtung der einzelnen Komponenten reicht in vielen Anwendungen nicht aus, um die optimale Lösung zu finden. Hierzu werden folgende Aspekte zur Gesamtabstimmung eines Antriebssystems näher behandelt:
• • • •
Auswahl der Komponenten entsprechend der Anwendung, Gesamtauslegung der Komponenten des Antriebssystems, Optimierung des Bewegungsprofils und schwingungsfähige Lasten.
3.7.1
Auswahl der Komponenten
Ein geregelter Antrieb ist ein mechatronisches System, das sich aus folgenden Komponenten zusammensetzt:
• Mechanische Komponenten wie die Antriebselemente und das Getriebe, • elektromechanische Komponenten wie der Motor, die Bremse und der Winkelgeber, • der Umrichter als zentrale elektronische Komponente, • Software im Umrichter für die Antriebsregelung und Bewegungsführung des Antriebs und • die Anbindung an die übergeordnete Steuerung über Ein- und Ausgangssignale oder ein Kommunikationssystem. Für jede dieser Einzelkomponenten steht eine große Zahl unterschiedlicher Typen und Optionen zur Verfügung, sodass die Gesamtzusammenstellung des Antriebssystems viele Freiheitsgrade hat. Im Rahmen dieser Freiheits-
244
Das Antriebssystem und seine Komponenten
grade und des Produktraums ist eine Lösung zu finden, die folgende Anforderungen erfüllt:
• So schnell wie möglich oder notwendig, • so genau wie nötig und • so kostengünstig wie möglich. Die Konfiguration eines Antriebssystems leitet sich von den Anforderungen der Anwendung ab. Diese können ebenfalls sehr vielfältig sein und folgendermaßen zusammengefasst werden:
• Der statische und dynamische Bedarf an Drehmoment und Drehzahl, die auch die maximale und effektive Leistung bestimmen, • die sich hieraus sich ableitende Anforderung an die Dynamik des Antriebs, • die geforderte Genauigkeit des Antriebs, • die Antriebsfunktionalität, • die Aufgabenverteilung zwischen der Steuerung und dem Antrieb und die Verbindung zwischen beiden und • die notwendigen Sicherheitsfunktionen für die Maschine und Anlage. Die Gesamtauslegung des Antriebs, die sich am Bedarf an Drehmoment und Drehzahl orientiert, wird in diesem Kapitel intensiv behandelt. Die Antriebsfunktionalität ist Schwerpunkt von Kapitel 4, in der die große Menge an unterschiedlichen Anwendungen in zwölf Gruppen eingeteilt wird, für die die Anforderungen und Lösungen aufgezeigt werden. Diese Anwendung bestimmt dann auch häufig die Aufteilung der Gesamtfunktionalität auf die Steuerung und den Antrieb. Kommunikationssysteme zur Verbindung von Steuerung und Antrieb wurden in Kapitel 3.4.6 vorgestellt. Vom Antrieb auszuführende Sicherheitsfunktionen finden sich in Kapitel 3.4.7. Dynamik der Anwendung. In vielen Anwendungen, insbesondere bei Positionieranwendungen, ist zur Steigerung der Produktivität einer Anlage eine hohe Dynamik gefordert. Für die Dynamik sind im Wesentlichen der Motortyp und das daraus resultierende Verhältnis von Massenträgheit und maximalem Drehmoment verantwortlich. Hier haben Synchronmotoren einen deutlichen Vorteil gegenüber Asynchronmotoren. Abb. 3-114 zeigt das Verhältnis des Maximalmoments zum Trägheitsmoment, das ein Maß für das maximale Beschleunigungsvermögen ist, für verschiedene Motortypen über der Leistung.
Gesamtabstimmung des Antriebssystems
Mmax/J in rad/s2
106
245
Synchron-Servomotoren Asynchron-Servomotoren Standard-Drehstrommotoren
105
104
103 –1 10
100 101 Bemessungsleistung in kW
102
Abb. 3-114. Beschleunigungsvermögen von Standard- und Servomotoren
Für dynamische Anwendungen müssen Synchronmotoren mit einer optimalen Abstimmung des Getriebes und der weiteren Antriebselemente kombiniert werden. Bei Anwendungen, die keine hohe Dynamik erfordern, kann auch ein Asynchronmotor eingesetzt werden, der in der Regel niedrigere Kosten bei gleicher Bemessungsleistung hat. Genauigkeit der Anwendung. Für die Prozesse, die von Antrieben angesteuert werden, gibt es Anforderungen an die Genauigkeit der Drehzahl und der Winkellage. Diese variieren in großem Maße. Wenn keine hohen Forderungen an die Drehzahlgenauigkeit bestehen, kann auf eine Messung der Drehzahl verzichtet werden. Asynchronmotoren, die von einem Frequenzumrichter angesteuert werden, erreichen eine Drehzahlgenauigkeit von 3 bis 5% der Bemessungsdrehzahl. Durch den Einsatz der Vektorregelung kann diese bis auf 0,5 bis 1% der Bemessungsdrehzahl verbessert werden. Für viele Anwendungen (z. B. Förderantriebe, angetriebene Werkzeuge, Antriebe in der Verfahrenstechnik, Pumpen, Ventilatoren) ist diese Drehzahlgenauigkeit ausreichend. Bei einer höheren Anforderung an die Drehzahlgenauigkeit müssen ein Drehzahlsensor (Winkelgeber) und eine Drehzahlregelung eingesetzt werden. Für die vom Antrieb zu erreichende Drehzahlgenauigkeit ist dabei der Motortyp nicht entscheidend. Insbesondere in Anwendungen, die einen sehr guten Gleichlauf erfordern (elektronische Getriebe, Wickelantriebe) haben Asynchronmotoren mit Drehzahlgebern Vorteile gegenüber Synchronmotoren, weil diese keine Rastmomente aufweisen, die eine Störgröße für die Drehzahlregelung darstellen. Bei vielen Anwendungen sind Positionen anzufahren. Dieses erfordert immer einen Einsatz von Positionssensoren. Im einfachsten Fall können dieses Initiatoren sein (Lichtschranken oder induktive Sensoren), die
246
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Schaltinformationen liefern. Diese werden vom Antrieb erfasst und der weitere Bewegungsablauf wird so gesteuert, dass eine definierte Endposition erreicht wird. Mit dieser Art der Positionierung sind Genauigkeiten von einigen mm zu erreichen, die für die Halteposition von Förderantrieben völlig ausreichend ist. Es werden keine Winkelgeber benötigt. Der Einsatz eines Asynchronmotors mit einem Frequenzumrichter ist ausreichend. Viele Positioniervorgänge in der Materialhandhabung erfordern Genauigkeiten im Bereich von 0,1 mm. Diese können mit einem Resolver als Messsystem sehr gut erreicht werden. Auch sind bei diesen Positioniergenauigkeiten normale Stirnrad- oder Kegelradgetriebe sowie Zahnriemen für die Linearbewegung ausreichend. Bei deutlich höheren Positioniergenauigkeiten werden genauer messende Winkelgeber benötigt. Dieses sind dann optische Inkrementalgeber mit Sin-Cos-Signalen. Hiermit sind Positioniergenauigkeiten bis zu 1 µm erreichbar. Dann muss der Antrieb mit präzisen Antriebselementen wie Planetengetrieben und Gewindespindeln für die Linearbewegung ausgerüstet werden. Es sollte neben dem Winkelgeber am Motor für die Motorregelung auch ein Sensor an der Last (zweiter Drehgeber oder Lineargeber) verwendet werden, damit Ungenauigkeiten der mechanischen Strecke nicht die Positioniergenauigkeit einschränken. Für Anwendungen mit höchsten Positionieranforderungen kann es erforderlich werden, Linearmotoren einzusetzen, da dann alle Einflüsse von mechanischen Übertragungselementen verschwinden. Tabelle 3-21. Auswahl der Antriebskomponenten entsprechend der Genauigkeit Drehzahl- Winkelgegenauigkeit nauigkeit > 3% nN Keine 1% nN 0,1% nN 0,01% nN
Motor
Winkelgeber
StandardKeiner Drehstrommotor Keine StandardKeiner Drehstrommotor ± 10 arcmin Servomotor Resolver, Encoder ± 2 arcmin Servomotor Sin-CosAbsolutwertgeber
Regelung U/f Sensorlose Vektorregelung Servoregelung Servoregelung
Durch die in diesem Kapitel beschriebenen Regeln liegen die einzusetzenden Typen der Antriebskomponenten fest. Es müssen dann im Folgenden die richtigen Baugrößen und weiteren Parameter für diese Komponenten bestimmt werden.
Gesamtabstimmung des Antriebssystems
3.7.2
247
Auslegung der Antriebskomponenten
Ziel der Antriebsauslegung ist es, einen für den jeweiligen Anwendungsfall optimalen Antriebsstrang auszuwählen, der die spezifischen Anforderungen zuverlässig erfüllt. Die Komponenten bilden dann ein abgestimmtes mechatronisches System, das als funktionale Einheit zusammenwirkt. Bei der Antriebsauslegung sind die elektrischen und mechanischen Grenzen der einzelnen Komponenten zu berücksichtigen. Der Umrichter setzt durch seine Ausgangsspannung und den Ausgangsstrom Drehzahlund Drehmomentgrenzen. Der Motor darf nicht überhitzen, und auch die Getriebetemperatur ist mit Blick auf Schmiermittel und Dichtungen im zulässigen Bereich zu halten. Überlastungen können ferner zu mechanischen Schäden von Zahnrädern, Wellen und Lagern führen. Die Auslegung eines Antriebs stellt vor diesem Hintergrund vier wesentliche Fragen:
• Antriebsfunktion: Lassen sich die geforderte Drehzahlen, Drehmomente und Beschleunigungen mit dem gewählten Antrieb erreichen? • Mechanische Festigkeit: Kann der Antrieb die auftretenden Drehmomente und Kräfte dauerhaft mechanisch übertragen? • Thermische Auslegung: Bleibt die Betriebstemperatur innerhalb der zulässigen Grenzen, sodass eine vorzeitige Alterung vermieden wird? • Wirtschaftliche Auslegung: Wie wirtschaftlich arbeitet der Antrieb, wobei neben den Kosten zur Anschaffung auch die Gesamtkosten über den Lebenszyklus zu bewerten sind? Durch eine optimale Auslegung eines Antriebs werden Unter- und Überdimensionierungen vermieden. Insbesondere bei dynamischen Anwendungen reicht die alleinige Auslegung nach der Bemessungsleistung in der Regel nicht aus. Die zielgerichtete Auslegung von Antrieben basiert auf vorgegebenen Bewegungsprofilen und festgelegten Umgebungsbedingungen, die durch die jeweilige Anwendung bestimmt werden. Anhand der berechneten Prozessbedarfswerte wird die Kombination aus Umrichter, Motor und gegebenenfalls Getriebe ausgewählt und auf ihre Eignung überprüft. Da die Antriebsdrehzahlen des Elektromotors meist nicht mit den gewünschten Abtriebsdrehzahlen übereinstimmen, werden häufig Getriebe zur Drehzahlreduktion eingesetzt. Ein Getriebe reduziert dabei gleichzeitig das benötigte Drehmoment M1 für den Antriebsmotor und trägt somit zu einer kleineren Baugröße bei. Das Drehmoment eines Motors ist proportional zum Quadrat des Durchmessers und der Baulänge und damit zur Baugröße. Die Bemessungsdrehzahl eines Motors n1 kann dagegen durch die Wicklung gestaltet werden. Da Getriebe in der Regel einen hohen Wirkungsgrad η haben, ändert sich die Leistung nicht. Die Prozessleistung
248
Das Antriebssystem und seine Komponenten
bestimmt unabhängig von der Übersetzung i des Getriebes die Anforderung an die Motorleistung. n (3.86) i = 1 n2
M2 (3.87) η⋅i P (3.88) P1 = 2 η Im Folgenden wird der Antrieb mit Getriebe behandelt. Für getriebelose Antriebe ist lediglich die Übersetzung i = 1 einzusetzen, und alle das Getriebe betreffenden Größen bleiben unberücksichtigt. Es wird die Auslegung für die Komponenten Umrichter, Motor und Getriebe beschrieben, sodass ein Anwender gezielt den richtigen Antrieb für seine Anwendung findet. Diese folgt folgendem Ablauf: M1 =
• Bestimmung des dynamischen Verlaufs des Drehmoments und der Drehzahl mit der Ermittlung der Maximal- und Durchschnittswerte, • Auswahl der Komponenten, normalerweise in der Reihenfolge Motor, Getriebe und Umrichter und • Überprüfung der Komponenten auf das Erfüllen der Aufgabe. Die Bestimmung der Drehmomente wurde in Kapitel 3.1 erklärt. Die statischen Komponenten bestimmen sich aus den beschleunigungsunabhängigen Anteilen wie Hubmomente, Reibungsmomente sowie Momente, die aus Prozesskräften resultieren. Die dynamischen Komponenten werden durch das Beschleunigen der Massen und Trägheitsmomente bestimmt. Aus diesen Größen und einem konkreten Bewegungsablauf kann dann der Verlauf der Drehzahl und des Drehmoments über der Zeit dargestellt werden. Aus diesem Verlauf können auch nach den Gleichungen in Kapitel 3.1.7 die mittleren Werte für die Drehzahl und das Drehmoment bestimmt werden, die wiederum für die Auswahl der Komponenten nach der Dauerleistung und den thermischen Grenzen entscheidend sind. Auswahl des Motors. Wird ein Antrieb mit einem Getriebe eingesetzt, kann davon ausgegangen werden, dass über die Getriebeübersetzung i die Betriebsgrenzen des Motors an die Anforderungen der Anwendung angepasst werden können. Damit kann die Auswahl des Motors zunächst nach der erforderlichen Prozessleistung erfolgen. Bei einem Antrieb ohne Getriebe ist darauf zu achten, dass der Drehzahlbedarf der Anwendung zum Drehzahlangebot des Motors passt. Dabei werden die verschiedenen Motortypen mit unterschiedlichen Bemessungsdrehzahlen angeboten, die zur Anpassung der Drehzahl des Motors an die Anwendung genutzt werden können.
Gesamtabstimmung des Antriebssystems
249
Drehstrom-Asynchronmotoren werden mit unterschiedlichen Polpaarzahlen hergestellt, die eine Anpassung des Drehzahlbereichs ermöglichen. Bei Umrichterspeisung kann die Eckdrehzahl durch die Nutzung der Dreieckschaltung um den Faktor 1,7 erhöht werden (Kap. 3.3.2). SynchronServomotoren werden häufig mit unterschiedlichen Wicklungen ausgestattet, wodurch die Bemessungsdrehzahl bei gleichem Drehmoment variiert wird. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Baugröße des Motors und damit seine Kosten das Drehmoment bestimmen, sodass Motoren mit niedrigen Drehzahlen immer höhere Kosten bei gleicher Leistung haben. Damit ist es immer erstrebenswert, eine hohe Motordrehzahl zu verwenden. Nur wenn durch einen Motor mit niedriger Drehzahl auf ein Getriebe verzichtet werden kann, kann der Gesamtantrieb günstiger werden. Auswahl des Getriebes. Für die Auswahl des Getriebes sind folgende Größen maßgeblich:
• Notwendige Übersetzung zur Anpassung des ausgewählten Motors an die Anwendung, • maximales Drehmoment an der Abtriebsseite, • maximale Drehzahl, • gegebenenfalls Aufnahme von Radialkräften an der Abtriebswelle und • konstruktive Ausführung für eine optimale Integration des Getriebemotors in der Maschine. Auswahl des Umrichters. Der Umrichter ist so zu wählen, dass er den erforderlichen Strom zur Verfügung stellen kann. Die Umrichter sind in der Regel so ausgelegt, dass sie einen bestimmten Maximalstrom Imax und einen thermisch begrenzten Dauerstrom Ieff zur Verfügung stellen können. Aus den Prozessbedarfswerten für den Motor bzw. Getriebemotor ergeben sich mit dem Zusammenhang zwischen Motorstrom und Drehmoment die Stromanforderungen für den Umrichter. Bei einem Synchronmotor besteht ein linearer Zusammenhang zwischen Drehmoment und Strombedarf, der sich nur durch Sättigungseffekte bei hohen Drehmomenten verändert. Bei Asynchronmotoren ist der Strom aufgrund des auch im Leerlauf erforderlichen Magnetisierungsstroms nichtlinear vom Drehmoment abhängig. Hier muss der Strom für das jeweilige Drehmoment ermittelt werden. Bei einer dynamischen Anwendung, die sich aus Beschleunigungsphasen mit einem hohen Drehmomentbedarf und Phasen mit konstanter Geschwindigkeit und Stillstand mit niedrigem Drehmomentbedarf zusammensetzt, ist der effektive Strombedarf eines Asynchronmotors deutlich höher als bei einem Synchronmotor. Dieses führt häufig zu größeren Umrichtern mit höheren Kosten, denen natürlich die niedrigeren Kosten für
250
Das Antriebssystem und seine Komponenten
den Motor gegenüberstehen. In einer konkreten Anwendung ist zu prüfen, mit welcher Kombination das Kostenoptimum erzielt werden kann. Die maximale Ausgangsspannung des Umrichters, die von der Netzspannung, zu berücksichtigenden Toleranzen der Netzspannung, der Ausführung des Zwischenkreises (Kap. 3.4.1) und vorgeschalteten Drosseln abhängt, bestimmt die maximale Drehzahl des Antriebs. Weiterhin ergibt sich durch den Spannungsfall an den Ständerreaktanzen des Motors sowie durch Feldschwächeffekte eine Maximalkennlinie des Drehmoments über der Drehzahl, die für eine bestimmte Kombination von Motor und Umrichter gilt. Überprüfung einer Antriebskombination. Nachdem durch den aufgezeigten Weg eine Kombination aus Motor, Getriebe und Umrichter gefunden wurde, die eine vorgegebene Anwendung lösen soll, ist diese abschließend zu überprüfen. Hierfür sind folgende Punkte zu betrachten:
• Antriebsfunktion: Liegen alle Betriebspunkte innerhalb der DrehzahlDrehmoment-Grenzkennlinien des gewählten Antriebs auch unter Berücksichtigung des Toleranzbereichs der Speisespannung des Versorgungsnetzes? • Thermische Auslegung: Liegen die Temperaturen innerhalb der thermisch zulässigen Grenzen für die Komponenten, sodass eine hohe Lebensdauer gegeben ist? • Mechanische Festigkeit: Ist die Festigkeit der Verzahnungen und Wellen so hoch, dass sich Drehmomente sicher übertragen lassen? • Wirtschaftliche Aspekte: Wurde ein Antriebssystem ausgewählt, dessen Kosten über den Lebenszyklus optimal sind? Die Antriebe sind durch die Daten des Getriebemotors wie dem Abtriebsdrehmoment, der Übersetzung, der Massenträgheit bezogen auf die Motorwelle und durch die Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie der MotorUmrichter-Kombination gekennzeichnet. Der Antrieb muss ein ausreichendes Drehmoment und eine ausreichende Drehzahl für den Prozessbedarf besitzen. Hierzu wird das DrehzahlDrehmoment-Kennfeld der Motor-Umrichter-Kombination mit der Getriebeübersetzung i und dem Getriebewirkungsgrad η auf die Abtriebsseite umgerechnet. Jetzt muss die Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie der Anwendung innerhalb der Maximaldrehmomentkennlinie liegen. Die thermischen Grenzen werden eingehalten, wenn der effektive Bemessungspunkt, der sich aus dem Effektivmoment Meff und der mittleren Drehzahl nmittel zusammensetzt, unterhalb der zulässigen Kennlinie für den Dauerbetrieb liegt (der sogenannten S1-Kennlinie). Aus Rücksicht auf das Schmiermittel und die Wellendichtringe darf beim Getriebe eine thermische Drehzahl im Mittel nicht überschritten werden.
Gesamtabstimmung des Antriebssystems
251
Die mechanische Festigkeit von Verzahnung und Wellen wird durch das Getriebebemessungsmoment bestimmt. Das Maximaldrehmoment durch die Anwendung darf nicht zur Überlastung führen. Für die Wahl der Getriebeübersetzung ist neben der Drehzahlanpassung zwischen Motor und Arbeitsmaschine auch das regelungstechnische Verhalten zu beachten. Für ein gutes Regelungsverhalten sollte der Lastabstimmungsfaktor kJ in Bereich von 0,5 bis 10 liegen (Kap. 3.1.4). Die Punkte, die zur Bewertung der Lebenszykluskosten zu berücksichtigen sind, und die Wege, wie diese minimiert werden können, werden ausführlich in Kapitel 5.2 beschrieben. Erfüllt der ausgewählte Antrieb diese Bedingungen, kann er die Antriebsaufgabe zuverlässig und wirtschaftlich lösen. 3.7.3
Optimierung von Bewegungsprofilen
Dynamische Anwendungen wie das Positionieren nutzen die Fähigkeit von Motoren, kurzfristig ein höheres Drehmoment als das dauernd zulässige Drehmoment abzugeben. Dieses Maximaldrehmoment ist von der Drehzahl abhängig. Es ergibt sich eine Maximaldrehmomentkennlinie. Durch die Wahl des auf diese Maximaldrehmomentkennlinie abgestimmten Bewegungsprofils kann der für die Anwendung optimale Antrieb ausgewählt werden. Dieser Effekt soll am Vergleich eines Trapezprofils mit einem sin²-Profil demonstriert werden. Drehzahl n in min-1
2000 1500 1000 500
Drehmoment M in Nm
0
0
0,5
1 Zeit t in s
2
1,5
40
M(t) Mmax
20 0 –20 –40
0
0,5
1 Zeit t in s
1,5
2
Abb. 3-115. Drehzahl- und Drehmomentverlauf eines Trapezbewegungsprofils
252
Das Antriebssystem und seine Komponenten Mmoterf MN(nN) Mmax
Drehmoment in Nm
30 20 10 0 –10 –20 –30 0
1000
2000 3000 Drehzahl in min-1
4000
Abb. 3-116. M/n-Verlauf eines Trapezbewegungsprofils
Bei einem Trapezprofil wird die Beschleunigung mit konstantem Drehmoment auf- und abgebaut. Während der Beschleunigungs- und Bremszeiten verändert sich die Drehzahl daher linear (Abb. 3-115). In der DrehzahlDrehmoment-Ebene führt dieses zu einem Rechteck (Abb. 3-116). Der Punkt mit der größten Leistung ist der Eckpunkt, bei dem vom Beschleunigen auf die Fahrt mit konstanter Geschwindigkeit übergegangen wird. Dieser Eckpunkt liegt in einem Bereich, in dem das Maximalmoment des Motors bereits abfallen kann. Drehzahl n in min-1
3000 2000 1000 0
0
0,5
1
2
1,5
Drehmoment M in Nm
Zeit t in s 40
M(t) Mmax
20 0 –20 –40
0
0,5
1 Zeit t in s
1,5
2
Abb. 3-117. Drehzahl- und Drehmomentverlauf eines sin²-Bewegungsprofils
Gesamtabstimmung des Antriebssystems Mmoterf MN(nN) Mmax
30 Drehmoment in Nm
253
20 10 0 –10 –20 –30 0
1000
2000 3000 Drehzahl in min-1
4000
Abb. 3-118. M/n-Verlauf eines sin²-Bewegungsprofils
Wird ein sin²-Profil eingesetzt, dann bauen sich die Beschleunigung und damit das Drehmoment kontinuierlich auf (Abb. 3-117). In der M/n-Ebene ergibt sich ein ovaler Verlauf, der viel besser zur Maximalmomentkennlinie des Servomotors passt (Abb. 3-118). Es kann bei gleicher Maximalbeschleunigung eine höhere Endgeschwindigkeit erreicht werden. Auch begrenzt dieser Bewegungsablauf automatisch den Ruck, sodass die Mechanik weniger angeregt wird. Dieser Effekt wird im nächsten Abschnitt noch genauer dargestellt. 3.7.4
Schwingungsfähige Lasten
Der Motor ist häufig über elastische Übertragungselemente mit der Arbeitsmaschine verbunden. Dadurch bilden der Motor, diese Elastizität und die Arbeitsmaschine ein schwingungsfähiges System. Die prinzipiellen Zusammenhänge wurden in Kapitel 3.1.8 dargestellt. Beispiele für elastische Übertragungselemente sind (siehe auch Kap. 3.6):
• • • • •
Kupplungen mit elastischen Elementen, lange Wellen, Riemenübersetzungen, nachgiebige Maschinengestelle und Zahnriemen für lineare Bewegungen.
Im Folgenden soll beispielhaft ein indirekter Linearantrieb mit Zahnriemen dargestellt werden. Die Aussagen sind ohne Weiteres auf andere Fälle übertragbar [Fr06]. Indirekte Linearantriebe, die die elektromagnetische Kraftbildung im Motor in eine Bewegung des Positionierguts umsetzen, können nicht beliebig steif ausgeführt werden. Im Endeffekt entsteht eine Feder-Dämpfer-
254
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Kopplung zwischen dem Motor und dem Positioniergut und damit ein Feder-Masse-Schwinger. Die Dämpfung liegt in der Regel bei d < 0,1, die Eigenfrequenz kann durch die mechanische Auslegung bestimmt werden, bewegt sich aber in den meisten Fällen zwischen 10 und 200 Hz. Die Eigenfrequenz ist von dem momentanen Positionswert abhängig und bei Zahnriemenantrieben am niedrigsten, wenn das Positioniergut am weitesten vom Motor entfernt ist. Der Frequenzbereich, den die Motorregelung beeinflussen kann, wird bestimmt durch die Drehmomentanregelzeiten (meistens < 1 ms) und die sich hieraus ableitende Grenzfrequenz des Drehzahlregelkreises (500– 1.000 Hz). Damit ist die Motorregelung auf höhere Frequenzen abgestimmt als die Mechanik und es liegt ein weich gekoppeltes System vor [Sch01a]. Die Motorregelung kann den Motor mit einer höheren Dynamik beeinflussen, als es die Mechanik umsetzen kann. Dieses führt dazu, dass der geregelte Antrieb Beschleunigungsänderungen erzeugen kann, die oberhalb der Resonanzfrequenz liegen und denen die Mechanik nicht folgen kann. Dieses resultiert dann in schwach gedämpften Schwingungen der Last, die zwei negative Auswirkungen haben:
• Die Mechanik wird belastet und • der Einschwingvorgang an der Endposition führt zu einer zusätzlichen Zeit, bis die gewünschte Genauigkeit erreicht wird. Letztendlich sind diese Schwingungen zu vermeiden. Schwingungen benötigen immer eine Anregung, und die stärkste Anregung bei Positioniervorgängen ist die Bewegungsführung selbst, d. h. der Auf- und Abbau der Beschleunigung. Alle anderen Effekte (z. B. der Zahneingriff an der Zahnscheibe) haben eine deutlich kleinere Wirkung. Um die Anregung von Schwingungen zu vermeiden, ist es notwendig, dass das Frequenzspektrum der Beschleunigung, d. h. der Kraft bzw. des Drehmoments, oberhalb der Eigenfrequenz nur sehr geringe Amplituden hat. Im Endeffekt ist dieses gleich bedeutend mit einer Ruckbegrenzung, die direkt oder indirekt erreicht werden kann:
• Die Bewegungsführung kann die Änderung der Beschleunigung bereits mit Rücksicht auf den maximal tolerierbaren Ruck ausführen. • Die Dynamik der Drehzahlregelung kann so weit reduziert werden, dass die Regelung entsprechend langsame Beschleunigungsverläufe generiert. Diese Methode wird gewählt, wenn die Bewegungsführung ruppige Verläufe vorgibt, hat aber den Nachteil, dass die gesamte Regelung, d. h. neben dem Führungsverhalten auch das Störverhalten, sehr langsam wird. Tatsächlich ist diese Methode der Versuch einer Korrektur an einer ungeeigneten Stelle.
Zuverlässigkeit von Antriebssystemen
255
• Ein Zustandsregler mit Beobachter kann den gesamten Zustand der Strecke, d. h. auch den Feder-Masse-Schwinger regeln. Damit kann die gesamte Dynamik der Motorregelung und Mechanik angepasst bedient werden, allerdings ist ein sehr hoher Aufwand für die Ermittlung der konkreten Parameter des Systems notwendig. Dabei ändern sich diese teilweise während der Positionierung oder sind abhängig von der Masse des Positionierguts, die nicht immer bekannt ist. In der Regel wird dieser aufwändige Weg nur dann gewählt, wenn sehr dynamische und leistungsfähige Positioniersysteme aufgebaut werden müssen [Sch99]. Der in der Praxis einfachste Weg zur Vermeidung der Anregung von Schwingungen ist die Ruckbegrenzung, die in Kapitel 3.4.5 erklärt wurde. Eine Ruckbegrenzung wird in der Regel durch die Zeit ta,max beschrieben, in der das maximale Drehmoment aufgebaut wird. Wird diese so dimensioniert, dass sie größer ist als die doppelte Periodendauer der ersten Eigenfrequenz fres1 der schwingungsfähigen Mechanik, dann werden Schwingungsanregungen weitestgehend vermieden: (3.89) t a ,max > 2 ⋅ 1 f Res1 Zweiter Drehzahlistwert. In einigen Anwendungen mit schwingungsfähigen Lasten kann eine Verbesserung des Systemverhaltens auch dadurch erzielt werden, dass neben dem Drehzahlsensor, der im Motor integriert ist, ein zweiter Drehzahlsensor an der Last, möglichst weit entfernt von der Ankopplung des Motors, angebracht wird. Dieses kann bei einem Linearantrieb mit Zahnriemen die Gegenrolle sein. Wird die Drehzahlregelung mit diesem Messwert versorgt, kann eine bessere Dynamik des Systems erreicht werden. Nach der Darstellung von Optimierungsaspekten für das Antriebssystem stellt sich jetzt noch die Frage, wie die Zuverlässigkeit dieses Systems gestaltet werden kann. Dieses ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.
3.8
Zuverlässigkeit von Antriebssystemen
Detlef Kohlmeier Die Produktivität einer Maschinen oder Anlage wird in Stück pro Stunde oder in Meter pro Minute angegeben. Diese Angabe bezieht sich auf die maximale Ausbringung unter der Voraussetzung, dass die Maschine ohne Störungen betrieben werden kann. Hierfür sind ein stabiler Produktionsprozess und eine hohe technische Verfügbarkeit der Produktionsanlage notwendig.
256
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Unter idealen Bedingungen erwartet jeder Maschinenbetreiber einen störungsfreien Betrieb während der gesamten Lebensdauer seiner Anlage, die je nach Branche und Produktionsleistung (Kap. 2) zwischen fünf und zehn Jahren im Ein- bis Dreischichtbetrieb betragen kann. Legt man eine Einschaltdauer von 365 Tagen im Jahr mit 24 h/Tag = 8.760 h/a zugrunde, folgt eine Mindestlebensdauer für einen fünf- bis zehnjährigen Betrieb von ca. 43.000 h bis ca. 88.000 h. Eine auf diese Anforderung ausgelegte Komponente wäre bei einem Aussetzbetrieb von täglich vier Stunden im Einschichtbetrieb (43.000 Betriebsstunden in 29 Jahren) in den meisten Fällen völlig überdimensioniert. Dieses Rechenbeispiel zeigt, wie wichtig die Kenntnis über die Dimensionierung der Lebensdauer ist, denn eine zu hoch angesetzte Lebensdauer ist unwirtschaftlich. Andererseits reduzieren geplante und ungeplante Instandsetzungszeiten die Produktionszeit und damit die Produktivität einer Anlage. Ein absolut störungsfreier Betrieb setzt eine einhundertprozentige Zuverlässigkeit aller eingesetzten Komponenten voraus. In der Praxis zeigen sich jedoch eine Reihe von Ausfallmechanismen, welche nun weiter untersucht werden sollen. In diesem Kapitel wird dargelegt, wie Zuverlässigkeit definiert wird und welche Fehlerursachen unterschieden werden können. Dazu wird auf die unterschiedlichen Aspekte von Elektronik, Software und Mechanik eingegangen. Zuverlässigkeit entsteht nicht zufällig, sondern ist das Ergebnis eines geplanten Design- und Produktentstehungsprozesses. In diesem Kapitel werden die wichtigsten Methoden und Maßnahmen der Hersteller mechatronischer Antriebe vorgestellt, die zur Erfüllung der Anforderungen an die Zuverlässigkeit während der gesamten Lebensdauer einer Maschine zur Verfügung stehen. Begriffsbestimmungen. Die Praxis zeigt, dass in der Diskussion über die Begriffe Zuverlässigkeit, Lebensdauer, Ausfallraten und Verschleiß ein sehr unterschiedliches Verständnis vorliegt. Für eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema ist eine einheitliche Verwendung der Begriffe notwendig.
Zuverlässigkeit: Die Zuverlässigkeit R (Reliability) ist in der Norm DIN 40 041:1990-12 definiert als ein Maß für die Fähigkeit einer Einheit, ihre definierte Funktionen unter den vorgegebenen Umgebungsbedingungen für einen festen Zeitraum voll zu erfüllen. Lebensdauer: Die Lebensdauer einer Komponente beschreibt, wie lange eine Komponente ihre Aufgabe bei ununterbrochenem Einsatz erfüllen kann, ohne dass verschleißbedingte Ausfälle auftreten. Ausfall / Ausfallrate: Man spricht von einem Ausfall, wenn eine Einheit die definierten Funktionen nicht mehr erbringt. Als Ausfallrate λ bezeich-
Zuverlässigkeit von Antriebssystemen
257
net man die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Komponente im betrachteten Zeitintervall ausfallen wird. Sie ist damit ein Maß für die Zuverlässigkeit und wird zumeist in 1 pro Stunde angegeben. Für elektronische Bauelemente wird die Ausfallrate üblicherweise in FIT (Failure in Time) angegeben. 1 FIT entspricht 1 Fehler in 109 Stunden. 1.666 FIT bedeutet damit eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,5% in 3.000 h.
Zufallsausfälle: Von Zufallsausfällen spricht man, wenn einem Ausfall kein systematischer Designfehler und keine Überlastung zugrunde liegt. Die Wahrscheinlichkeit eines Zufallsausfalls ist unabhängig vom Alter der Einheit. Die Ausfallursachen sind zufällig bedingt. Die Ausfallrate λ ist nahezu konstant. Verschleiß: Die Lebensdauer einer Maschine wird über das Verschleißverhalten seiner Komponenten bestimmt. Alle mechanischen Komponenten, die einem Verschleiß unterliegen, wie z. B. Lager, müssen so ausgelegt werden, dass diese die dimensionierte Lebensdauer ohne Ausfall überstehen. Treten verschleißbedingte Ausfälle innerhalb der erwarteten Lebensdauer auf, handelt es sich nicht um zufällige Fehler, sondern um systematische Fehler, welche in der Auslegung (Unterdimensionierung) oder in der Anwendung (Überlastung) des Antriebs zu suchen sind. MTBF, MTTF: Der Kehrwert der Ausfallrate λ gibt an, welche Zeit durchschnittlich bis zum Ausfall einer Einheit anzusetzen ist. Für instandsetzbare Einheiten wird häufig die englischsprachige Abkürzung MTBF (Mean Time Between Failures) als Zeit zwischen zwei Ausfällen verwendet. Für nicht instandsetzbare Einheiten spricht man entsprechend von MTTF (Mean Time to Failure) als Zeit bis zum Auftreten eines Ausfalls. MTBF und MTTF-Angaben beziehen sich ausschließlich auf Zufallsausfälle ohne Berücksichtigung der Verschleißgrenze. MTTR bezeichnet die mittlere Instandsetzungszeit einer Einheit (Mean Time to Repair). 3.8.1
Lebensdauerkurve
Wertet man die Ausfälle einer ausreichend hohen Anzahl an Produkten aus, so beobachtet man unterschiedliche Ausfallhäufigkeiten während der Lebensdauer (Abb. 3-119). Zu Beginn treten Frühausfälle auf. Am Ende kommt es zu Ausfällen durch Verschleiß. Im Bereich der eigentlichen Nutzung ist die Ausfallrate konstant. Die zeitliche Entwicklung der Ausfallrate λ(t) beschreibt das Ausfallverhalten des Bauteils, die grafisch durch die sogenannte Badewannenkurve dargestellt wird.
Verschleißausfälle
Zufallsausfälle
Frühausfälle
Das Antriebssystem und seine Komponenten
Ausfallrate ë (t)
258
Zeit in h
Abb. 3-119. Lebensdauerkurve: Ausfallrate über die Zeit
Phase der Frühausfälle. Die Ausfallrate fällt innerhalb dieser Phase schnell ab. Frühausfälle sind auf Bauteilefehler (Materialfehler) oder auf produktionsbedingte Mängel, wie z. B. fehlerhafte Lötverbindungen bei elektronischen Baugruppen, zurückzuführen. Auch Anwendungsfehler in der Inbetriebnahmephase werden zu den Frühausfällen gerechnet. Ziel der Hersteller ist es, die Anzahl der Frühausfälle möglichst gering zu halten und diese Phase vor Auslieferung der Produkte zu verlassen. Phase der Zufallsausfälle. Diese Phase wird als Nutzungsphase des Produkts bezeichnet. Es treten keine systematischen Ausfälle auf. Die Höhe der Ausfallrate basiert auf den Ausfallraten aller Einzelkomponenten. Die Dauer dieser Phase entspricht keinem Zufall, sondern einer bewussten Dimensionierung der Konstruktion und der verbauten Bauteile durch den Hersteller. Grundsätzlich unterliegt jeder Produktionsprozess Schwankungen, die durch Ungleichmäßigkeiten bei der Bearbeitung durch Menschen und Maschinen, Inhomogenitäten von Materialien und Schwankungen von Prozessparametern, wie z. B. Temperaturen, begründet sind. Diese Schwankungen liegen alle für sich im zulässigen Bereich und sie führen auch zu Fertigprodukten, die in Ordnung sind, auch wenn sie nicht absolut identisch sind. Ungünstige Konstellationen dieser Produktionsschwankungen, der individuellen Betriebsbedingungen sowie gegebenenfalls von Alterungseffekten können dann im Verlauf des Produktlebenszyklus sporadisch zu Ausfällen führen, die keiner Systematik unterliegen. Diese Ausfälle bezeichnet man als Zufallsausfälle. Alle Hersteller sind bestrebt, die Ausfallrate aufgrund von Zufallsausfällen möglichst niedrig zu halten, indem die Prozessparameter in möglichst engen Grenzen gehalten werden und Prüfungen der Produktionsprozessschritte die exakte Ausführung absichern. Ziel ist es, durch konsequente Prozesskontrolle und ständige Prozessoptimierung die Zufallsausfälle zu reduzieren.
Zuverlässigkeit von Antriebssystemen
259
Phase der Verschleißausfälle. In dieser Phase steigt die Ausfallrate überproportional an. Die Bauteile erreichen ihr Lebensdauerende. Die Ausfallursachen sind verschleißbedingt. Der Verschleißzeitpunkt wird durch die Konstruktion der Geräte festgelegt. 3.8.2
Berechnungsgrundlagen
Im mittleren Bereich der Lebensdauerkurve, dem Betriebsbereich sind die Ausfälle zufällig und unabhängig von der Lebensdauer (Abb. 3-115). Hier gilt für den Zusammenhang zwischen der Zuverlässigkeit R und der Ausfallrate λ: R (t ) = e −λ⋅t (3.90) Jede Maschine und jede Baugruppe setzt sich aus einer Vielzahl von einzelnen Bauteilen zusammen. Wenn bereits der Ausfall eines einzelnen Bauteils zum Ausfall der gesamten Komponente bzw. des gesamten Systems führt, spricht man von einem Seriensystem. Für die Gesamtzuverlässigkeit RSys(t) und die Gesamtausfallrate λSys(t) gelten: R Sys (t ) = R1 (t ) ⋅ R 2 (t ) ⋅ ... ⋅ R n (t ) (3.91)
λ Sys (t ) = λ 1 (t ) + λ 2 (t ) + ... + λ n (t )
(3.92)
MTBF (bzw. MTTF)-Zeiten sind als Kehrwert der Ausfallrate definiert: 1 = MTBF (3.93) λ Die Berechnung der MTBF Werte für eine Anlage erfolgt auf Basis der MTBF Werte der Komponenten der Anlage. 1 MTBFSys = 1 = (3.94) λ Sys 1 1 1 + + ... MTBF1 MTBF2 MTBFn Die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Seriensystems kann nur reduziert werden, indem die Zuverlässigkeit der Einzelkomponenten gesteigert wird. Als Verfügbarkeit A (Availability) einer Anlage oder eines Systems bezeichnet man das Verhältnis von tatsächlich verfügbarer Zeit zur Gesamtzeit. MTBF A = (3.95) MTBF + MTTR 3.8.3
Zuverlässigkeit von mechatronischer Antriebstechnik
Elektronische Antriebe. Die Lebensdauer einer elektronischen Baugruppe wird durch zwei Faktoren begrenzt: zum einen durch verschleißbehafte-
260
Das Antriebssystem und seine Komponenten
te Komponenten und zum anderen durch Komponenten, welche einer kontinuierlichen Alterung unterliegen. Lebensdauer bestimmend für Frequenz- und Servo-Umrichter sind insbesondere Elektrolytkondensatoren, die als Zwischenkreiskondensatoren und in den Schaltnetzteilen für die Erzeugung der internen Versorgungsspannungen eingesetzt werden. Elektrolytkondensatoren unterliegen einer Alterung durch Austrocknung, wodurch sich die Elektrolytmenge und damit die Kapazität des Kondensators reduziert. Die Lebensdauer eines Kondensators ist im Wesentlichen von der Temperatur abhängig. Grob lässt sich sagen: Durch Erhöhung der Umgebungstemperatur um 10 Kelvin halbiert sich die Lebensdauer. Oder positiv ausgedrückt: Durch Verringerung der Umgebungstemperatur um 10 Kelvin verdoppelt sich die Lebensdauer. Bestimmend für die Lebensdauer können auch Relais und Steckverbinder sein. Hierbei handelt es sich um verschleißbehaftete Bauteile aufgrund einer begrenzten Anzahl von Schaltspielen bzw. Steckzyklen sowie elektromechanischer Bauteile, wie z. B. Lüfter, aufgrund einer begrenzten Lagerlebensdauer. Getriebemotoren. Im Gegensatz zu den elektronischen Komponenten können Zufallsausfälle in der Mechanik praktisch ausgeschlossen werden. Das Motor- bzw. Getriebegehäuse, Wellen und die Getriebeverzahnung sind für die Lebensdauerbetrachtung nicht relevant, da sie keinem Verschleiß oder Alterungseffekten unterliegen. Lebensdauer bestimmend sind die Wälzlager, der Wellendichtring, der Schmierstoff und gegebenenfalls formschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen. Die Abtriebswelle wird in der Anwendung auf drei Arten belastet: Abtriebsdrehmoment, Radialkraft und Axialkraft. Diese Belastungen übertragen sich auf die Lager und beeinflussen damit deren Lebensdauer. Bei der Auslegung von Lagern werden diese Kräfte sowie die Bauart des Lagers, Werkstoffeigenschaften und Eigenspannungen des Werkstoffs berücksichtigt. Weitere Faktoren für die Lebensdauer von Wälzlagern sind der Schmierungszustand und die Umgebungsbedingungen. Die an der Abtriebswelle auftretenden Kräfte übertragen sich auch auf die Welle-Nabe-Verbindung, die die Verbindung zwischen der Motorwelle und dem Getrieberitzel herstellt. Dabei unterliegen formschlüssige Verbindungen im Gegensatz zu kraftschlüssigen Verbindungen einem Verschleiß. So können Passfedern bei dynamischen Positionieranwendungen mit wechselnder Drehrichtung ausschlagen und damit altern. Der Wellendichtring (WDR) ist das kritischste Bauteil am Getriebe. Er sorgt für die Abdichtung der rotierenden Welle. Bei der Fertigung des WDR-Sitzes wird daher besonders auf die Präzision der Ausführung geachtet. Bei einer zu hohen Oberflächenrauheit würden zu hohe Temperaturen an der Dichtlippe entstehen. Im Betrieb trägt eine hohe Drehzahl zum
Zuverlässigkeit von Antriebssystemen
261
Temperaturanstieg bei, was sich somit in der Lebensdauer des Wellendichtrings niederschlägt. Das Getriebeöl hat die Aufgabe, die Wärme von der Dichtlippe abzuführen. Eine Senkung der Temperatur an der Dichtlippe um 10 Kelvin bewirkt einen Lebensdauergewinn von 25%. Es stehen Dichtlippen verschiedener Materialien zur Verfügung, die für Betriebstemperaturen bis zu 200°C ausgelegt sind. Die Aufgabe des Schmierstoffs im Getriebe ist, die Lager, die Verzahnung und den Wellendichtring zu schmieren, sodass kein Verschleiß auftritt, und die entstehende Wärme abzuführen. Bei der Ölviskosität wird ein Kompromiss geschlossen. Die Wärme am Wellendichtring wird durch dünnflüssiges Öl besser abgeführt, während ein dickflüssiges Öl besser für die Schmierung der Lager und der Verzahnung sorgt. Software. Im Gegensatz zur Hardware ist die Zuverlässigkeit von Software grundsätzlich anders strukturiert. Die Zuverlässigkeit von Software ist keine Funktion der Zeit, und es gibt keine Streuung im Produktionsprozess. Ein Versagen ist immer auf einen Entwurfsfehler zurückzuführen. Nicht jeder Fehler führt dabei zum sofortigen Versagen, daher kann man die Zuverlässigkeit der Software nicht im Sinn eines Seriensystems betrachten, bei dem sich die Gesamtzuverlässigkeit aus der Summe der Einzelteile bestimmen lassen könnte. Man sagt, dass keine Software fehlerfrei ist – und tatsächlich gilt es als Messgröße, wie viele Fehler eine Software enthält. In der Wahrnehmung stehen aber nur die jeweils abgeforderten Eigenschaften. Die Qualität von Software wird durch den Entwicklungsprozess bestimmt, der sowohl ein systematisches Vorgehen beim Design als auch beim Test und der Systemintegration erfordert. 3.8.4
Zuverlässigkeitskonzepte bei der Produktentstehung
Die Zuverlässigkeit der Antriebstechnik ist das Ergebnis der systematischen und geplanten Ausrichtung aller an der Produktentstehung beteiligten Prozesse auf die Erfüllung der Anforderungen an die Zuverlässigkeit. Hierzu kommt der Anwendung von zuverlässigkeitssichernden Methoden und Werkzeugen in der Produktenwicklung eine entscheidende Rolle zu. Daneben hat die Produktion eine genauso wichtige Rolle. Einen zuverlässigen Betrieb können nur solche Produkte gewährleisten, welche unter stabilen Prozessbedingungen hergestellt wurden. Die eingesetzten Methoden und Werkzeuge haben insgesamt drei Zielrichtungen:
• Sicherstellung, dass die Kundenanforderungen im Antrieb umgesetzt werden,
262
Das Antriebssystem und seine Komponenten
• Sicherstellung, dass das Design die Anforderungen zuverlässig erfüllt und • Sicherstellung, dass das Produkt fehlerfrei und prozesssicher produziert werden kann. Im Folgenden sollen nun die wichtigsten Maßnahmen vorgestellt werden, die im Produktentstehungsprozess eingesetzt werden. Qualitätsplanung. Ziel der Qualitätsplanung ist es, die Kundenanforderungen an ein Produkt einschließlich definierter Ziele für die Zuverlässigkeit sicherzustellen. Im Qualitätsplanungsprozess wird unter anderem festgelegt, mit welchen Methoden zu welchen Zeitpunkten im Produktentwicklungsprozess und in der Produktion die Zuverlässigkeit des Produkts abgesichert werden soll. Dazu werden Ziele festgelegt, Ausführungsprozesse definiert und die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen geplant. Aus Fehlern lernen. Zu Beginn einer Produktentwicklung steht der Rückblick auf die Erkenntnisse und Erfahrungen von vorangegangenen Projekten. Dieser Rückblick kann z. B. in Form eines Reviews durchgeführt werden. Als Eingangsgrößen dienen die Auswertungen von Fehlerdatenbanken, Serviceberichten, Änderungsvorgängen und CRM-Datenbanken. Zu einem Projektabschluss gehört auch die Zusammenstellung von gut und schlecht gelaufenen Dingen im Projekt. Diese Zusammenfassungen sind wertvolle Eingangsgrößen. Zusätzlich sollten auch persönliche Erfahrungen von Service- und Vertriebsmitarbeitern eingeholt werden. Berechnung der Zuverlässigkeit. Die Berechnung der Zuverlässigkeit ist bereits Bestandteil des Designprozesses, wobei die Ausfallrate und die Lebensdauer betrachtet werden. Auf Basis der Zuverlässigkeitskennwerte aller eingesetzten Bauelemente lässt sich die Ausfallrate von mechatronischen Antrieben bereits im Designprozess berechnen. Unter der Voraussetzung, dass jedes Bauteil direkt für die Funktion des Gesamtsystems notwendig ist, können die Bauteilkennwerte direkt addiert werden. Die Auslastung und die Umgebungstemperatur fließen über Korrekturfaktoren in die Berechnung ein. Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse, FMEA. Die FMEA ist ein systematisches Werkzeug, welches bereits im Entwicklungsprozess angewendet wird, um die Zuverlässigkeit von Produkten zu verbessern. Hierbei werden die Risiken einer Konstruktion durch Mitarbeiterteams bewertet. Berücksichtigt werden Einkauf, Entwicklung/Konstruktion, Produktion, Logistik und nicht zuletzt die Sicht der Anwender. Auch nach Entwicklungsabschluss können FMEA bei Veränderungen am Produkt oder an den Fertigungsabläufen zur Neubewertung herangezogen werden. FMEA werden in der Praxis in unterschiedlicher Ausprägung und mit unterschiedlicher Zielsetzung durchgeführt. Die gebräuchlichsten FMEA sind:
Zuverlässigkeit von Antriebssystemen
263
• Konstruktions-FMEA: Die Konstruktions-FMEA wird während der Designphase u. a. eingesetzt, um sicherzustellen, dass die Anwendersicht ausreichend berücksichtigt wird. • Schaltungs-FMEA: Bei der Entwicklung elektronischer Baugruppen wird die Schaltungs-FMEA eingesetzt. Sie dient den Konstrukteuren zur Überprüfung des elektronischen Schaltungsdesigns eines Umrichters. Entsprechende Methoden stehen auch den Konstrukteuren elektromechanischer und mechanischer Antriebe zur Verfügung. • Prozess-FMEA: Die Prozess-FMEA wird in der Fertigung eingesetzt, um mögliche Fehlerquellen im Produktionsprozess zu erkennen und abzustellen. Die Umsetzung einer FMEA erfolgt in fünf Stufen: 1. Definition der Systemelemente und deren Struktur, Aufgabe und Funktion. 2. Durchführung einer systematischen Fehleranalyse hinsichtlich der potenziellen Fehler, der möglichen Fehlerursachen und der möglichen Fehlerfolgen. 3. Risikobewertung, Ermittlung der Risikopotenziale und Berechnung einer Risikoprioritätszahl RPZ = B × A × E mit B Bedeutung der Fehlerauswirkung (1-10), A Auftretenswahrscheinlichkeit (1-10), E Entdeckungswahrscheinlichkeit des Mangels (1-10). 4. Optimierung und Maßnahmenumsetzung. Nach der Paretoanalyse, beginnend mit den höchsten Risiken, wird nach Lösungen gesucht. Hierzu stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung: - Konzeptänderungen, um Fehlerursachen auszuschließen, - Erhöhung der Zuverlässigkeit der Einzelkomponenten, um das Auftreten der Fehlerursache zu minimieren und - durch Prüfungen sicherstellen, dass die möglichen Fehler vor der Auslieferung entdeckt werden. 5. Review und Neubewertung auf Basis der gefundenen Lösungen. Zuverlässigkeitstests. Die Überprüfung der Zuverlässigkeit von neuen Produkten teilt sich in zwei Bereiche. Zum einen muss sichergestellt werden, dass die Funktion der Komponenten gegeben ist und zum anderen muss die Sicherheit gegen Ausfälle geprüft werden. Zur Funktionsprüfung wird eine Reihe definierter Tests durchlaufen, die umso umfangreicher sind, je komplexer eine Komponente ist. Neben den getrennten Prüfungen von Hard- und Software erfolgen auch gemeinsame Tests, sogenannte Integrationstests. In Systemtests werden die Gesamtfunktion und die Kompatibilität der verschiedenen Komponenten untereinander geprüft. Hierzu wird mit Testspezifikationen gearbeitet, die auf Basis eines Testplans festgelegt sind. Bei allen hier erkannten Fehlern handelt es sich um
264
Das Antriebssystem und seine Komponenten
systematische Fehler, welche im Design (Hard- oder Software) oder im Fertigungsprozess bedingt sind. Die eigentliche Überprüfung der Zuverlässigkeit von elektronischen Komponenten erfolgt mit Hilfe von beschleunigten Zuverlässigkeitsprüfungen. Sie dienen der Verifikation der in der Designphase vorausberechneten Zuverlässigkeit. Hierbei wird durch eine bewusste Veränderung von Umgebungsparametern eine erhöhte Beanspruchung auf die Geräte gegeben. So lassen sich über die Parameter Temperatur, Feuchtigkeit und Betriebsspannung verschiedene, definierte Beschleunigungen erreichen. Der Einfluss dieser Faktoren lässt sich über die Arrhenius-Gleichung beschreiben. Damit ist eine Aussage möglich, wie viele Betriebsstunden einer Stunde in der erhöhten Umgebungstemperatur entsprechen. − E
(3.96) V = A ⋅ e k ⋅T Diese Gleichung beschreibt den Zusammenhang der Reaktionsgeschwindigkeit V von der Aktivierungsenergie E (eine bauteilspezifische Größe), der absoluten Temperatur T und einer Proportionalitätskonstanten A. Zum Einsatz kommen Testverfahren, welche die Komponenten hinsichtlich ihrer zu erwartenden Schwäche am stärksten angreifen. Eine Steckverbindung (z. B. Steuerklemmen eines Umrichters oder Anschluss eines Servomotors) kann u.a. durch den Einsatz eines Testverfahrens in aggressiver Umgebung geprüft werden. Im Ergebnis steht eine Aussage, welche eine Prognose über die Ausfallwahrscheinlichkeit in der Zukunft zulässt. Die Grenzen der zulässigen Umgebungsbedingungen werden dabei nicht überschritten, da die dann provozierten Ausfälle keine Zufallsausfälle wären, sondern Ausfälle aufgrund von Überlastung durch Verlassen des spezifizierten Betriebsbereichs. Qualitätssichernde Maßnahmen im Produktionsprozess. Die bisher dargestellten Konzepte zur Sicherstellung der Zuverlässigkeit von Antriebsprodukten betrifft im Wesentlichen die Entwicklungsphase. Bei der Produktion muss der Hersteller sicherstellen, dass die Konstruktionen sicher umgesetzt werden und dass Abweichungen und Fehler, die durch die eingesetzten Bauteile und die Produktionsverfahren verursacht werden können, erkannt und korrigiert werden. Hierzu dienen umfangreiche Prüfungen, die eine hohe Qualität der Produkte sicherstellen. Bei elektronischen Produkten finden sich nach den einzelnen Fertigungsschritten folgende Prüfungen:
• Eine automatisierte optische Prüfung nach der Bestückung oberflächenmontierter Bauteile (SMD), • eine erste elektrische Prüfung (In-Circuit-Test) nach der vollständigen Bestückung der Leiterplatten und
Zuverlässigkeit von Antriebssystemen
265
• eine Hochspannungsprüfung und ein Abschlusstest nach der Gerätemontage. Diese wird häufig auch mit Burn-In-Verfahren (Beanspruchung des Gerätes über eine erhöhte Temperatur) kombiniert. Der Abschlusstest wird in der Regel so gestaltet, dass er dem späteren Einsatz des Gerätes möglichst nahe kommt. So gehören bei Umrichtern die Belastung über Motoren, Lastzyklen an der Stromgrenze sowie Kurzschluss- und Erdschlussprüfungen zum Prüfumfang. Motoren werden nach der Montage ebenfalls umfangreich getestet. Hier gehören die Messung der elektrischen Werte, die Prüfung der Isolation sowie die Stromaufnahme, die ein Maß für den Leichtlauf und damit für die korrekte Montage ist, zum Standardumfang. Bei den Getrieben liegt der Schwerpunkt der Prüfungen bei den mechanischen Toleranzen der Bauteile (Zahnräder, Wellen) sowie der Überprüfung des Laufs nach der Montage. Hier sind die Stromaufnahme des Motors sowie die Geräuschentwicklung Hinweise auf die korrekte Produktion. In diesem Kapitel wurden die Elemente eines Antriebssystems ausführlich beschrieben. Damit stellt sich die Frage, wie diese Antriebssysteme eingesetzt werden. Dieses zu strukturieren und für zwölf Antriebslösungen systematisch darzustellen, wird Aufgabe des folgenden Kapitels sein.
4 Mechatronische Antriebslösungen
Automatisierte Produktion und Logistik produzierte Waren Branchen
Produktions- und Logistikabläufe
Maschinentypen
Automatisierung
Anforderungen Mechatronische Antriebslösung Prozess Mechanik der Maschine
Sensorik
Antrieb
Bewegungssteuerung
Komponenten Bausteine Antriebssystem Umrichter Elektrisches Gleichrichter Wechselrichter Netz
Motor
Getriebe Arbeitsmaschine Prozess
3~
i Signalverarbeitung
Automatisierungssystem
Abb. 4-1. Einordnung der mechatronischen Antriebslösungen
In Kapitel 2 wurde dargestellt, wie hochautomatisierte Produktionen und Logistiksysteme aufgebaut sind, in denen der größte Teil der Ge- und Verbrauchsgüter hergestellt und an die Verbraucher verteilt wird. Diese Produktions- und Materialflusssysteme definieren die Anforderungen an die Antriebslösungen, die dort in großer Anzahl verwendet werden. Kapitel 3 hat die einzelnen Elemente eines Antriebssystems beschrieben. Die Aufgaben in den Produktions- und Logistiksystemen werden mit
268 Mechatronische Antriebslösungen
Antrieben realisiert, die aus vordefinierten Bausteinen und Lösungen bestehen. Jede dieser Antriebslösungen ist ein mechatronisches Teilsystem einer Anlage (Abb. 4-1). Sie realisieren einen Prozess, für den eine Maschine mit seiner Mechanik benötigt wird. Der Antrieb versorgt die Maschine mit Energie und steuert die Bewegung. Sensoren nehmen den Zustand des Prozesses auf. Entscheidend für die Funktion dieses Prozesses ist dann letztendlich die Bewegungsführung, d. h. die Software, die den mechanischen Prozess so führt, dass er die geforderte Funktion ausführt. Diese Zusammenhänge der mechatronischen Antriebslösungen werden in diesem Kapitel 4 in insgesamt zwölf Gruppen eingeteilt [Le06, Ki06]. Die ersten fünf dieser Antriebslösungen führen Funktionen zum Materialtransport aus: • • • •
Förderantriebe sind stationäre Einrichtungen für den Materialtransport, Fahrantriebe bewegen sich mit dem Fahrzeug und dem Fördergut, Hubantriebe bewegen Massen gegen die Schwerkraft, Positionierantriebe bringen Werkstücke und Werkzeuge präzise an definierte Positionen und • koordinierte Antriebe für Roboter und die Materialhandhabung bewegen mit einer mehrachsigen Kinematik Massen im Raum. Die nächsten vier Antriebslösungen finden sich in kontinuierlichen und schnell getakteten Produktionsanlagen: • Gleichlaufantriebe bewegen das Material in der Anlage. Viele Antriebe sind dabei exakt zu synchronisieren. • Wickelantriebe führen das Material, das Platz sparend in einer Spirale aufgewickelt wird, dem Prozess zu bzw. bringen es am Ende des Prozesses zum Weitertransport wieder in diese Form. • Taktantriebe für Querschneider und Fliegende Sägen vereinzeln das Material einer Prozesslinie. • Antriebe für elektronische Kurvenscheiben werden für eine große Anzahl von nicht linearen Bewegungen für Bearbeitungsschritte eingesetzt. Die folgenden beiden Antriebslösungen führen über den Antrieb Produktionsprozesse aus, die das Werkstück verändern: • Antriebe für Umformprozesse finden sich z. B. in Pressen und Extrudern. • Haupt- und Werkzeugantriebe treiben als Hauptantriebe ganze Maschinen an oder führen spanende Bearbeitungsprozesse aus. Abschließend wird die Förderung flüssiger oder gasförmiger Stoffe vorgestellt:
Förderantriebe 269
• Antriebe für Pumpen und Ventilatoren, die für den Transport von Flüssigkeiten und Gasen verwendet werden und sich vielfältig in der Verfahrenstechnik, in der Infrastruktur von Gebäuden und Fabriken und auch in Hilfsaggregaten von Produktionsmaschinen und -anlagen finden. Zum Abschluss von Kapitel 4 wird am Beispiel von vier Produktionen und einem Logistikzentrum beschrieben, in welchem Maß die zwölf Antriebslösungen dort verwendet werden. Abschließend werden Trends für die weitere Entwicklung der Antriebslösungen aufgezeigt.
4.1 Förderantriebe Dr. Sven Hilfert Unter Fördern versteht man die Ortsveränderung bzw. das Fortbewegen von Personen oder Gütern über begrenzte Entfernungen und meist auf zuvor festgelegten Wegen. Der Schwerpunkt dieses Kapitels sind stationäre Förderantriebe, die vorwiegend horizontal arbeiten. Bewegt sich der Antrieb mit dem Fahrzeug, dann sprechen wir von Fahrantrieben, die in Kapitel 4.2 behandelt werden. Erfolgt die Bewegung gegen die Schwerkraft, wird ein Hubantrieb benötigt, der Gegenstand von Kapitel 4.3 ist. 4.1.1
Förderprozess
Der Prozess des Förderns ist der am häufigsten anzutreffende Prozess, der von elektrischen Antrieben ausgeführt wird. In allen industriellen Fertigungen und Logistikzentren müssen Güter bewegt werden, und bei allen hochautomatisierten Abläufen erfolgt diese Bewegung durch Förderantriebe, die von der Anlagensteuerung, in der Regel einer speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS), angesteuert werden. Man findet Fördertechnik in Industriebetrieben, in hohem Maße in der Lagertechnik beim Lagern und Verteilen von Gütern, in Häfen, in Flughäfen und im Bergbau. Fördertechnik findet sich darüber hinaus innerhalb von Produktionsmaschinen zur Zu- und Abführung des Materials bzw. der Werkstücke. Material fördern und sortieren kann sowohl stetig als auch unstetig erfolgen. Stetigförderer arbeiten während eines längeren Zeitraums kontinuierlich und werden sowohl für den Schüttgut- und Stückguttransport als auch den Personentransport (z. B. Fahrtreppen) eingesetzt. Das Fördergut ist dabei relativ gleichmäßig über die Förderstrecke verteilt. Es wird im Allgemeinen während der Bewegung der lasttragenden Teile und damit während des Betriebs des Antriebsmotors auf- und abgegeben.
270 Mechatronische Antriebslösungen
Bei einigen Konstruktionen besteht auch die Möglichkeit, dass während der Fördergutaufgabe das Tragmittel stillsteht und nur der Antriebsmotor kontinuierlich weiter läuft. Auch die getaktet bewegten Fördermittel (z. B. Montagebänder) werden allgemein der Gruppe der Stetigförderer zugeordnet. Die Betriebsweise der Stetigförderer ist im Allgemeinen der stationäre Dauerbetrieb (Betriebsart S1). Sie werden mit konstanter, fester oder variabler Geschwindigkeit betrieben. Die Anfahr- und Bremsvorgänge nehmen im Vergleich zur Betriebsdauer nur unbedeutende Zeitanteile ein, Beschleunigungen spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle, sodass eine solche Anlage meist auch langsam hochgefahren wird. Bei einigen Anwendungen, z. B. bei Fahrtreppen oder dem Fördern von Gütern, die kippen können, sind Anforderungen an die Beschleunigungs- und Bremszeiten wichtige Parameter für die Auslegung. Je nach Art des Förderers ist eine waagerechte, geneigte oder senkrechte Förderung über gerade oder gekrümmte Strecken bis hin zu völlig dreidimensionalen Strecken möglich. Die Einteilung der Stetigförderer und ihrer Zubehörgeräte ist in DIN 15201 festgelegt. Im Gegensatz dazu fördern Unstetigförderer nicht kontinuierlich, sondern nur in einzelnen Intervallen, oft nur dann, wenn gerade Transportgüter zu befördern sind. In bestimmten Förderanlagen können sich auch Einrichtungen zum Ausschleusen, Lückenbilden oder Sortieren befinden. Unstetigförderer enthalten in der Regel Fahrantriebe, Hubantriebe oder Positionierantriebe, die in anderen Kapiteln beschrieben werden. Eine Übersicht der verschiedenen Maschinentypen von Stetigförderern zeigt die Tabelle 4-1. Tabelle 4-1. Übersicht über Stetigförderer Stetigförderer Stückgut, Lagertechnik Behälter- und Palettentechnik Rollenförderer Staurollenförderer Gurtförderer Gliederbandförderer Kettenförderer Kettenausschleuser Riemenausschleuser Pop-Up-Ausschleuser
Schüttgut Innen- und Außenbereich Power-&-Free-Förderer Gurtförderer Kreisförderer Kettenförderer Elektro-Hängebahnen (EHB) Trogkettenförderer Drehtische Kratzförderer Kippschalenförderer Becherwerke Umlaufförderer, Paternoster Schneckenförderer Z-Förderer Schwingförderer
Förderantriebe 271 Tabelle 4-2. Übersicht typischer Parameter von Förderelementen Maschinentyp
Geschwindigkeit Geförderte Masse
Durchsatz
Leistung pro Antrieb
Schüttgüter (z. B. Sand, Kohle) Gurtförderer Bis 4 m/s
-
Bis 1.600 t/h Bis 200 kW
Becherwerke
-
Bis 1.700 m3/h
-
Bis 400 m3/h Bis 25 kW
-
Bis 1.000 t/h Bis 150 kW
-
Bis 1.000 t/h Bis 130 kW
Ketten: 0,5–1,5 m/s Gurt: 0,6–4 m/s Schneckenförde- 0,1–0,5 m/s rer Kratzförderer Kettenförderer
Stückgüter (Behälter B, Paletten P) Kettenförderer 0,1–0,5 m/s P: Bis 1.250 kg Rollenförderer 0,1–1,5 m/s B: Bis 50 kg P: Bis 1.250 kg Gurtförderer 0,5–2,0 (6,0) m/s B: Bis 50 kg P: Bis 1.250 kg Power-&-Free0,1–0,5 m/s Bis 1.500 kg Förderer
Bis 100 kW
Bis 1.200 P/h Bis 2,2 kW Bis 1.000 B/h Bis 0,75 kW Bis 1.600 P/h Bis 1.000 B/h Bis 3 kW Bis 1.000 P/h -
Bis 5 kW
Kettenausschleuser Kettenschrägausschleuser Riemenausschleuser Pop-UpAusschleuser
0,1–0,6 m/s
B: Bis 50 kg
Bis 1.200 B/h Bis 0,25 kW
0,1–0,6 m/s
B: Bis 50 kg
Bis 2.900 B/h Bis 0,55 kW
0,1–0,9 m/s
B: Bis 50 kg
Bis 2.000 B/h Bis 0,25 kW
0,5–1,2 m/s
B: Bis 50 kg
Bis 3.500 B/h Bis 0,25 kW
Drehtisch
-
Bis 180 P/h
C-, Z-Förderer Kippschalenförderer
0,1–0,5 m/s 0,5–2,5 m/s
P: Bis 1.250 kg B. Bis 50 kg Bis 60 kg
Bis 0,37 kW
Bis 1.300 B/h Bis 1,1 kW Bis 12.000 Bis 3 kW St./h
Bei der Stückgutbeförderung ist oft die Verbindung von Stetig- und Unstetigförderern anzutreffen. Die Entscheidung zwischen diesen beiden Arten hängt vor allem von folgenden Punkten ab:
272 Mechatronische Antriebslösungen
• Gewünschte Fördermenge und Förderweg, • Eigenschaften des betreffenden Förderguts und • Investitions- und Transportkosten. 4.1.2
Mechanischer Aufbau von Förderanlagen
Im Folgenden wird insbesondere auf die Maschinentypen und die Anforderungen der Stetigförderer eingegangen. Unstetigförderer wie z. B. Krane werden im Kapitel 4.3 über Hubantriebe, Elektro-Hängebahnen im Kapitel 4.2 über Fahrantriebe betrachtet. Für häufig anzutreffende Horizontalförderanwendungen sind in Tabelle 4-2 wichtige Parameter angegeben. Wie bereits aus dieser Tabelle zu entnehmen ist, gibt es sowohl je nach Art des zu fördernden Guts, aber auch in Abhängigkeit von den zu erreichenden Prozessparametern, diverse Typen von Fördersystemen, die sich sowohl in ihrer mechanischen Ausführung, als auch nach der eingesetzten Antriebstechnik unterscheiden. Diese werden im Folgenden beschrieben. Gurtförderer. Beim Gurtförderer für Stückgut wird das Fördergut (z. B. Kisten, Paletten) mittels eines Transportgurtes befördert. Aufgrund der glatten Oberfläche ist er für unterschiedliche Stückgutgrößen und für labile Packstücke geeignet. Wesentliche Merkmale sind der ruhige und geräuscharme Lauf sowie der schonende Transport empfindlicher Güter. Mit dem Gurtförderer sind je nach Fördergut typischerweise Steigungen von bis zu 20° in Einzelfällen und bestimmten Ausführungen auch bis zu 60° möglich.
Abb. 4-2. Prinzipdarstellung Gurtförderer für Stückgut
Förderantriebe 273
Abb. 4-3. Gurtförderer für Stückgut
Das Transportband gleitet im Obertrum auf einer Oberfläche, im Untertrum kann es durch Rollen geführt werden. Im Untertrum findet normalerweise auch das Spannen des Gurts mittels einer Spannvorrichtung oder Spannstation in Form von verschiebbaren Umlenkrollen statt. Die Kraftübertragung zwischen Gurt und Antriebsrolle erfolgt durch Kraftschluss. In Abb. 4-2 ist das Prinzip eines Gurtförderers dargestellt, eine Ausführung, die in Logistikzentren für Stückgüter eingesetzt wird, zeigt Abb. 4-3. Bezüglich der Anbauposition des Antriebs unterscheidet man zwischen einem Kopfantrieb (Position am Ende, unterhalb des Bands oder seitlich neben dem Band) und einem Zentralantrieb (Position in der Mitte, unterhalb vom Band). Beim seitlich angeordneten Kopfantrieb wird typischerweise ein Kegelradgetriebe oder Kegelstirnradgetriebe eingesetzt. Die Abtriebswelle des Getriebes treibt direkt die Antriebsrolle an. Beim unterhalb des Bands angeordneten Kopfantrieb werden vorwiegend Stirnradgetriebe verwendet und die Antriebsrolle mittels Riemen angetrieben.
Abb. 4-4. Prinzipdarstellung Gurtförderer für Schüttgut
Beim Gurtförderer für Schüttgüter wird das Fördergut mit umlaufenden Fördergurten transportiert, die Zugträger aus Textil- oder Stahlseileinlagen haben und deren Deckplatten aus Gummi oder Kunststoff bestehen. Die
274 Mechatronische Antriebslösungen
Fördergurte werden von Tragrollen gestützt und über Trommeln durch Reibungsschluss angetrieben oder gebremst. Das Prinzip ist in Abb. 4-4 dargestellt. Häufig sind diese Förderer als Muldenförderer oder Rohrgurtförderer ausgeführt.
Abb. 4-5. Prinzipdarstellung Rollenförderer
Rollenförderer. Rollenförderer sind vielfältig einsetzbare Förderer zum Transport kleiner Stückgüter wie z. B. Behälter, Kartons, Kisten und Gebinde, bis hin zu großen Fördergütern, wie z. B. Paletten und Containern. Sie eignen sich zum Transportieren, Puffern (Staurollenförderer) und in Verbindung mit Zusatzeinrichtungen zum Verteilen von Stückgütern. Die Last wird mittels Transportrollen befördert, die untereinander durch eine Kette, Riemen oder Gurt gekoppelt sind. Das Prinzip verdeutlicht Abb. 4-5. Ein Rollenförderer für Stückgüter bis 50 kg mit Zentralantrieb ist in Abb. 4-6 dargestellt. Rollenförderer können wie Gurtförderer mit Kopf- oder Zentralantrieb in Form eines Getriebemotors ausgeführt werden. Alternativ dazu gibt es auch die Möglichkeit, einzelne Rollen direkt mittels eines Rollenrohrmotors anzutreiben, bei dem der Motor direkt in der Rolle integriert ist.
Abb. 4-6. Rollenförderer für Stückgut
Förderantriebe 275
Eine spezielle Ausführungsform ist der Staurollenförderer, dessen Arbeitsweise in Abb. 4-7 dargestellt ist. Die Zwischenrolle überträgt die Antriebsbewegung vom umlaufenden, angetriebenen Riemen auf die Förderrolle. Dabei ist die Zwischenrolle federbelastet, sodass ein Kraftschluss besteht. Beim Befahren eines Auslösehebels durch einen Behälter wird die nachgeschaltete Rollengruppe durch Wegschwenken der Zwischenrolle antriebslos. Dadurch bleiben die nachfolgenden Behälter stehen, nur der Behälter an der Sperre erfährt eine Staudruckkraft. Nach Lösen der Sperre wird der Behälter weitergefördert und gibt damit den Antrieb der nachfolgenden Behälter wieder frei. Bei diesem Vorgang werden die aufgestauten Behälter beim Anlaufen vereinzelt, d. h. auf einen bestimmten Abstand zueinander gebracht. Förderrichtung Sperre
Auslösehebel
Förderrolle Zwischenrolle Antriebsriemen
Pneumatikzylinder
Abb. 4-7. Funktionsprinzip eines mechanischen Staurollenförderers
Alternativ zu dem dargestellten mechanischen Realisierungsprinzip kann der Staurollenförderer auch elektromechanisch durch abschaltbare Staurollen realisiert werden. Dazu wird in einzelnen Rollen eine Elektromagnetkupplung und Elektromagnetbremse integriert, die über eine an der Rollenbahn installierte Sensorik angesteuert wird. Die Staurolle wird über den Antriebsriemen angetrieben, alle anderen Rollen einer Rollengruppe sind über Rundriemen mit der Staurolle verbunden. Durch Öffnen der Kupplung erfolgt die Abschaltung der Staurolle und damit der Rollengruppe. Kettenförderer. Beim Kettenförderer wird die Last (Stückgut oder Schüttgut) mittels einer Transportkette transportiert. Zwischen dem Antriebskettenrad und der Transportkette besteht eine formschlüssige Verbindung. Die prinzipielle Funktion ist in Abb. 4-8 dargestellt. Eine häufige Ausführungsform für den Stückguttransport sind Tragkettenförderer. Sie werden vorwiegend zum Transport, Sortieren und Verteilen von Stückgut mit definierten Ladungsträgern eingesetzt, wie z. B. Paletten oder Behälter. Sie erfordern ein formstabiles Fördergut mit ebenen Aufstellflächen oder Ladungsträgern. Die eingesetzte Antriebstechnik und der Einbau in die Förderer sind vergleichbar mit der der Gurt- und Rollenförderer. Je nach konstruktiver Ausführung werden Kegelrad-, Kegelstirnrad oder Stirnradgetriebemotoren eingesetzt.
276 Mechatronische Antriebslösungen
Abb. 4-8. Prinzipdarstellung Kettenförderer
Kettenförderer werden zum Fördern von Schüttgut vorwiegend dort eingesetzt, wo aufgrund der Beschaffenheit des Förderguts, z. B. heißes Material, der Einsatz von Gurtförderern nicht möglich ist. Ähnlich aufgebaut wie die Kettenförderer sind die Kratzförderer. Bei ihnen sind auf der Förderkette Querstege angeordnet. Das Fördergut wird nicht wie beim Kettenförderer auf der Kette transportiert, sondern der Förderer kratzt bzw. schiebt das zu fördernde Gut auf einer Unterlage ab. Kratzförderer werden ausschließlich zum Transportieren von Schüttgütern, wie Abraum, Kohle, Sand oder im Umfeld von Bearbeitungsmaschinen zum Abführen von Metallspänen, Stanzteilen, Kleinteilen, Holzspänen, etc. eingesetzt. Becherwerke. Ein Becherwerk ist ein geschlossenes Fördersystem, in dem Schüttgüter mittels Elevatorbechern vertikal und nach außen staubfrei transportiert werden. Die Elevatorbecher, welche an Ketten oder Gurten als Zugorgan befestigt sind, rotieren um zwei Wellen, wovon die obere Welle die Antriebswelle ist (Abb. 4-9). Im unteren Bereich, dem Becherwerksfuß, wird das Schüttgut über eine Einlaufschurre an das Becherwerk aufgegeben und von den umlaufenden Bechern nach oben zum Becherwerkskopf transportiert. Beim Umlauf um die Antriebswelle fällt das Fördergut durch die wirkende Schwer- und Fliehkraft in den Auslauf im Becherwerkskopf. Je nach Art des Zugmittels unterscheidet man zwischen Ketten- und Gurtbecherwerk. Beim Kettenbecherwerk erfolgt die Kraftübertragung je nach Kettenrad kraft- oder formschlüssig, beim Gurtbecherwerk kraftschlüssig, wobei durch den Einsatz einer Gummierung der Reibungswert zwischen Gurt und Trommel erhöht werden kann.
Förderantriebe 277
Antriebsrad
Abb. 4-9. Prinzipdarstellung eines Becherwerks
Der Antrieb erfolgt häufig über Kegelstirnradgetriebemotoren, die außen und seitlich am Becherwerkskopf angeordnet sind. Bei großen Leistungen (> 15 kW) und direktem Netzbetrieb des Antriebsmotors wird die Antriebseinheit mit einer hydrodynamischen Kupplung als Anfahrhilfe und Überlastschutz sowie einem zusätzlichen Kriechantrieb für Wartungszwecke ausgestattet. Das Zurücklaufen des Becherwerks im abgeschalteten Zustand wird durch eine Rücklaufsperre am Getriebe oder Motor verhindert. Wird der Motor über einen Frequenzumrichter angetrieben, können der Kriechantrieb und gegebenenfalls auch die Kupplung entfallen. Schneckenförderer. Ein Schneckenförderer ist ein typischer Schüttgutförderer zum Fördern von staubförmigen, kornförmigen, kleinstückigen aber auch halbfeuchten und faserigen Gütern. Er ist sowohl für die waagerechte als auch für eine steile bis senkrechte Förderung bis zu Längen von ca. 10 m geeignet. In der Verfahrenstechnik wird er zum Fördern, Mischen und Dosieren eingesetzt. Das Prinzip ist in Abb. 4-10 dargestellt, eine konkrete Ausführung in Abb. 4-11.
278 Mechatronische Antriebslösungen
Abb. 4-10. Prinzipdarstellung Schneckenförderer
Abb. 4-11. Trogschneckenförderer
Als Antrieb werden Stirnrad-, Kegelstirnrad- oder Kegelradgetriebemotoren verwendet, die häufig direkt die Förderschnecke antreiben. Das Rohr bzw. der Trog, in dem die Förderschnecke angeordnet ist, steht fest. Durch Drehen der mit angestellten Schaufeln versehenen Förderschnecke wird das Gut in axialer Richtung gefördert. Dies ist das auch das Grundprinzip eines Extruders. Kippschalenförderer und -sorter. Der Kippschalenförderer ist ein typischer Stückgutförderer, der die beiden Funktionen Fördern und Sortieren miteinander verbindet. Er wird z. B. sehr häufig in Paketverteilsystemen eingesetzt. Die einzelnen Elemente des Förderers sind linear miteinander verbunden und verfügen über eine quer zur Förderrichtung um bis zu ca. 30° neigbare Plattform. Diese Plattformen haben typischerweise eine Länge von 500 bis 1.200 mm.
Förderantriebe 279 Förderrichtung
Primärteil
Sekundärteil
Kippelement mit Tragschale Kettenglied vertikale Laufrolle horizontale Laufrolle Laufschiene
Primärteil Sekundärteil
Abb. 4-12. Prinzipdarstellung Kippschalenförderer mit Linearantrieb
Der Förderer nimmt meist das Fördergut an einer zentralen Stelle auf und verteilt es dezentral. Das Fördergut wird beim Sortiervorgang unter Ausnutzung der Schwerkraft seitlich abgeworfen, je nach Konstruktion ist dies zu einer oder beiden Seiten möglich. Dabei ist eine genaue Abstimmung der Steuerung, der Kinematik des Kippens des Förderers und der Anordnung der abgehenden Bahnen erforderlich. Der Förderer kann im Kreislaufbetrieb arbeiten. Dabei werden die einzelnen Elemente auf Fahrschienen bewegt, die sowohl gerade Teile als auch Kurven enthalten können. Der Antrieb der Fahrwagen kann durch eine Kette oder Schnecke mit Zentralantrieb in Form eines Getriebemotors oder mittels Linearmotoren in Einfachkamm- oder Doppelkammtechnologie erfolgen (Abb. 4-12). Das Kippen der Plattform erfolgt häufig durch eine Mechanik, die durch an der Fahrstrecke angebrachte Elemente ausgelöst wird. In einer Aufrichtstation werden dann die einzelnen Plattformen wieder aufgerichtet. Verteileinrichtungen. Die weiter vorn vorgestellten Stetigförderer wie Gurt-, Ketten- oder Riemenförderer für Stückgüter werden häufig mit Elementen wie z. B. Riemen-, Kettenausschleusern, Pop-Up oder Pushern zum Sortieren und Verteilen der Stückgüter kombiniert. Mit ihnen werden die Güter auf die Förderstrecke eingeschleust, zwischen einzelnen Förderstrecken verteilt und an der Endstelle von der Förderstrecke ausgeschleust (sortiert). Ketten- und Riemenausschleuser werden vorwiegend in Verbindung mit Rollen- und Kettenförderern eingesetzt, z. B. in der Behälter- oder Palettenfördertechnik. In der Grundform dienen sie zum rechtwinkligen Einund Ausschleusen des Förderguts in bzw. aus der Förderstrecke. Zum Umsetzten des Guts werden zwei Riemen- oder Kettenstränge innerhalb der Förderbahn elektromotorisch oder pneumatisch angehoben. Bei einem elektromotorischen Antrieb kommen dabei Exzenter- oder Hebelmechaniken zum Einsatz. Sobald das Fördergut angehoben ist, wird der Riemen-
280 Mechatronische Antriebslösungen
bzw. Kettenstrang angetrieben und das Gut befördert. Das Förderprinzip entspricht dann dem eines Riemen- bzw. Kettenförderers. Eine spezielle Form ist der Schrägausschleuser, bei dem das Ausschleusen unter einem Winkel von typischerweise 30° oder 45° erfolgt. Er wird häufig für das Sortieren von Gut auf einer Förderstrecke eingesetzt, die sich im weiteren Verlauf in zwei Förderstrecken aufteilt.
Abb. 4-13. Pop-Up-Ausschleuser
Pop-Up-Ausschleuser dienen zum Ausschleusen von Behältern oder Kartons aus Rollenförderern (Abb. 4-13). Das Sortiergut wird durch in der Rollenbahn versenkbare Abweiserrollen leicht angehoben und durch Verdrehen in eine Kurvenbewegung umgelenkt und damit ausgeschleust. Der Pop-Up sorgt für ein schonendes Ausschleusen, da nicht gestoßen oder gezogen wird. Das Anheben der Abweiserröllchen erfolgt elektromotorisch über Exzenter- oder Kurbelmechaniken oder pneumatisch.
Abb. 4-14. Drehausschleuser
Pusher ermöglichen das einfache Querverschieben von leichtem Fördergut auf eine parallele oder eine um 90° abgewinkelte Abgangsstrecke. Mittels eines seitlich an der Förderstrecke angeordneten Abschiebers (dem Pusher) werden die Stückgüter von der Förderstrecke geschoben. Voraussetzung
Förderantriebe 281
hierfür sind glatte Böden und Zwischenräume zwischen den einzelnen Fördergütern aufgrund der Rückholbewegung des Abschiebers. Eine spezielle Ausführungsform des Pushers ist der mittels Getriebemotor ausgeführte Drehausschleuser (Abb. 4-14). Bei diesem erfolgt eine Drehung des Arms um 180°, die damit das Ausschleusen des Förderguts bewirkt. Nachteil des Pushers ist die mitunter relativ hohe Stoßbelastung, die ein robustes Sortiergut erfordert. Durch spezielle Fahrkurven bei Pushern mit Elektroantrieb kann diese Belastung gegenüber Pushern mit pneumatischem Antrieb deutlich reduziert werden. Sie werden in Verbindung mit Rollen- und Gurtbandförderern eingesetzt.
Abb. 4-15. Drehtisch mit Rollenförderer
Drehtisch. Drehtische werden sowohl in der Behälter- als auch in der Palettenfördertechnik zum Ein- und Ausschleusen, Speichern und Sortieren von Stückgütern eingesetzt. Der Drehwinkel beträgt im Standardfall 90° bzw. 180°, womit ein Richtungswechsel bzw. eine Wendung des Guts möglich ist (Abb. 4-15). Der runde Grundträger des Drehtischs ist drehbar gelagert. Er wird durch einen Getriebemotor angetrieben, dessen Bewegung entweder direkt, über ein Treibrad oder über ein direkt auf der Motorwelle angeordnetes Ritzel, das in einen am Drehtisch angebrachten Zahnkranz eingreift, übertragen wird. Zum Einsatz kommen dabei vorwiegend Kegelrad-, Kegelstirnrad- oder Stirnradgetriebemotoren mit Hohloder Vollwelle. Auf dem Grundelement des Drehtischs können verschiedene Fördereinrichtungen wie z. B. Rollen-, Ketten- oder Bandförderer montiert sein. Kreisförderer, Power-&-Free-Förderer. Hängeförderer gehören zu den wichtigsten Deckenfördersystemen für Stückgüter im innerbetrieblichen Transport. Sie werden grundsätzlich unterschieden in EinkettenKreisförderer und Power-&-Free-Förderer (Schleppkreisförderer). Kreisförderer haben einen Zentralantrieb, der eine Kette als Zugmittel in einer Schiene antreibt. Das Fördergut wird von Gehängen getragen, die
282 Mechatronische Antriebslösungen
mittels Rollen in einer Profilschiene laufen, die an der Hallendecke abgehängt ist (Abb. 4-16). Die einzelnen Gehänge sind miteinander fest verbunden, dadurch ist nur ein kontinuierlicher Förderfluss möglich, wie er z. B. in Lackieranlagen Anwendung findet. Durch entsprechende Auf- und Abgabestationen werden die Fördergüter in den Transportweg eingeschleust und wieder entnommen. Laufbahn
Laufwerk
Steckkette
Abb. 4-16. Prinzipdarstellung eines Kreisförderers
Beim Power-&-Free-Förderer (Schleppkreisförderer) sind die Power-Kette (Antriebskette) und Free-Wagen (Lastlaufwerke) in getrennten, untereinander angeordneten Schienen geführt (Abb. 4-17). Die Power-Kette läuft kontinuierlich, der Free-Wagen kann durch Mitnehmernocken je nach Bedarf mechanisch aus- und eingeklinkt werden. Der Free-Wagen nimmt die Last auf. Im Gegensatz zum Kreisförderer sind Weichen möglich, was Verzweigungen innerhalb mehrerer Förderkreise, antriebslose Pufferstrecken und somit einen diskontinuierlichen Betrieb erlaubt.
Abb. 4-17. Prinzipdarstellung Power-&-Free-Förderer (Schleppkreisförderer)
Förderantriebe 283
Der Power-&-Free-Förderer besitzt wie auch der Kreisförderer einen zentralen Schleppkettenantrieb, dessen Mitnehmer in die (Power-) Kette eingreifen und somit antreiben. Zwischen Antriebsaggregat (Getriebemotor) und Antriebskettenrad des Schleppkettenantriebs ist eine Sicherheitsrutschkupplung mit einer Drehzahlüberwachung eingebaut, die die Förderkette bei Überschreitung eines eingestellten Drehmoments automatisch abschaltet (z. B. bei Kettenblockade). Die Drehzahl des Antriebs und somit auch die Geschwindigkeit der Förderkette können bei Bedarf über Frequenzumrichter gesteuert werden. Kreisförderer und Power-&-Free-Förderer werden in der Massenfertigung vielfältig eingesetzt, wie beispielsweise: • • • • •
Automobilproduktion, Produktion von Elektrogroßgeräten, Produktion von Hausgeräten, Lackierereien und Kühl- und Trocknungsräume.
Ein Antrieb kann dabei Kreisförderer bis 500 m Länge antreiben, mit einem zweiten Antrieb kann die Transportlänge auf 2.000 m erhöht werden. Bei größeren Transportlängen und einer niedrigen Folge von Transportgütern empfiehlt sich der Übergang auf eine Elektro-Hängebahn, bei der jedes Förderzeug einzeln angetrieben wird. 4.1.3
Antriebssysteme für Förderanlagen
Wichtige Anforderungen an das Antriebssystem von Stetigförderern sind: • • • • • • •
Hohe Lebensdauer und Zuverlässigkeit, Robustheit, Wartungsfreiheit bzw. geringer Wartungsaufwand, schnelle und einfache Installation und Montage, hohe Modularität, geringer Energieverbrauch und niedrige Kosten.
Umgebungsbedingungen. Während viele Fördereinrichtungen sich in Gebäuden befinden, werden Schüttgutförderer vorwiegend im Außenbereich eingesetzt. Dadurch werden an die Antriebe besondere Anforderungen hinsichtlich ihrer Schutzart (typ. IP 65), gestellt. Zur Vermeidung von Kondensation im Motorinnern kommen Stillstandsheizungen zum Einsatz und zum Korrosionsschutz werden geeignete Lackierungen und die Oberflächenveredelung von blanken Metallteilen eingesetzt.
284 Mechatronische Antriebslösungen
Antriebsauslegung und Antriebsleistung. Die Stetigförderer in der Behälter-, Paletten- und Schüttgutfördertechnik werden überwiegend im S1Dauerbetrieb betrieben, Beschleunigungsvorgänge besitzen dabei eine untergeordnete Rolle. Die Anlagen werden meist auch langsam hochgefahren, sodass sie keine hohen Anforderungen an die Dynamik der eingesetzten Antriebstechnik stellen. Die Größe des Antriebs wird in den meisten Fällen maßgebend durch die mechanische Reibung (Verluste) und gegebenenfalls durch einen zu überwindenden Höhenunterschied (schiefe Ebene) bestimmt. Typische Verluste bei Stetigförderern sind: • • • • •
Reibung auf einer Unterlage, Rollreibung, Verformarbeit bzw. Walkarbeit bei Bandförderern, Gleitreibung beim Fahren des Förderguts gegen einen Anschlag und Verluste bei der Kraftübertragung.
Getriebemotoren. Für die Applikation Fördern werden vorwiegend Stirnrad-, Kegelstirnrad- oder Kegelradgetriebemotoren in Verbindung mit Drehstrom-Asynchronmotoren in zwei- und vierpoliger Ausführung eingesetzt. Die Auswahl des jeweiligen Getriebetyps richtet sich vorwiegend nach der Einbausituation, d. h. wie der Getriebemotor am besten in die Anlage integriert werden kann und welche Getriebebauform dazu am besten geeignet ist (Abtriebswelle koaxial oder winklig, Vollwelle oder Hohlwelle). Die technischen Unterschiede bezüglich Verdrehsteifigkeit, Verdrehspiel, und Geräuschemission haben eine untergeordnete Bedeutung. Für Förderapplikationen werden Getriebeübersetzungen bis i = 50 eingesetzt. Diese können mit einer einstufigen Konstruktion eines Schneckengetriebes gelöst werden, jedoch weisen Schneckengetriebe einen bei hohen Übersetzungen einen schlechten Wirkungsgrad auf, sodass für den S1-Betrieb einer Förderanlage hohe Energiekosten entstehen. Wirtschaftlicher ist die Verwendung von Kegelradgetrieben oder Kegelstirnradgetrieben. Bremsen. Eine weitere wichtige Antriebskomponente ist die Bremse. Sie wird z. B. zum Halten der Position in Verteileinrichtungen oder dem Verhindern des Zurücklaufens eines Förderbands eingesetzt. Häufigste Anwendung dabei ist der Einsatz als Haltebremse mit Notstoppfunktion. Bei Verteileinrichtungen wie Ketten- und Riemenausschleusern oder Pushern werden aufgrund der hohen Taktzahlen insbesondere hohe Anforderungen an die Schalthäufigkeit der Bremse und damit an die Standfestigkeit der Mechanik der Bremse gestellt. Bei diesen Elementen können bis zu 3.500 Schaltungen pro Stunde auftreten, sodass im Dreischichtbetrieb bis zu 25 Mio. Schaltungen der Bremse pro Jahr auftreten können. Weiterhin ist
Förderantriebe 285
dabei auf eine korrekte Ansteuerung der Bremse zu achten, d. h., dass beim Anfahren des Antriebs die Bremse restmomentfrei geöffnet ist bzw. das Schließen der Bremse erst bei stillgesetztem Antrieb erfolgt, da es ansonsten aufgrund der hohen Anzahl an Schaltzyklen zu einem erheblichen Verschleiß an den Reibbelägen der Bremse kommen kann. Rücklaufsperre. Schüttgutförderer werden vorwiegend mit einer Rücklaufsperre anstatt mit einer Bremse ausgestattet, da häufig nicht nur ein Fördern in der Ebene sondern auch über Geländeerhebungen erfolgt und beim Stillsetzen des Bands ein Zurücklaufen verhindert werden muss. Aufgrund der hohen Massenträgheit des beladenen Förderbands ist der Einsatz von Bremsen nicht bzw. nur bedingt möglich. Beim Stillsetzen des Förderbands durch eine Bremse würde eine derart große Reibungsarbeit in der Bremse umgesetzt werden, dass es in der Regel sehr schnell zum Verschleiß der Reibbeläge der Bremse käme. Wird der Antrieb abgeschaltet, läuft das Förderband bis zum Stillstand aus, die Rücklaufsperre verhindert dann insbesondere bei geneigten Strecken das Zurücklaufen. Ansteuerung des Motors. Je nachdem, ob der Betrieb der Förderanlage mit konstanter Geschwindigkeit erfolgt oder die Geschwindigkeit variiert werden muss, werden die Antriebe: • Direkt am starren Netz betrieben, • über ein Sanftanlaufgerät an das Netz geschaltet oder • über einen Frequenzumrichter gespeist. Der Betrieb am starren Netz stellt die kostengünstigste Variante dar, wenn keine Veränderung der Geschwindigkeit bzw. der Drehzahl erforderlich ist. Die Netzzuschaltung erfolgt bei Antrieben kleiner Leistung direkt und bei höheren Leistungen über eine Stern-Dreieck-Anlaufschaltung. Beim Anlaufen des Motors tritt bei der direkten Netzzuschaltung ohne Stern-Dreieck-Anlauf das ca. 2- bis 3-fache Motorbemessungsmoment auf, sodass damit Stöße in der Förderstrecke bzw. dem Förderband verbunden sind. Dieser Anlauf kann nur realisiert werden, wenn sich diese Stöße nicht nachteilig auf das Fördergut oder die Mechanik der Anlage auswirken. Zur Reduktion der Stöße beim Anfahren der Asynchronmotoren am Netz werden teilweise Motoren mit relativ kleinen Anzugs- und Kippmomenten, bezogen auf das Bemessungsmoment, eingesetzt. Auch wird die Massenträgheit des Motors durch die Verwendung von Zusatzmassenträgheiten oder speziellen Eigenlüftern mit großer Massenträgheit erhöht, sodass damit quasi ein mechanischer Sanftanlauf realisiert wird. Soll ein Sanftanlauf ohne eine Drehzahlverstellung, z. B. zum Verhindern des Kippens des Förderguts, oder eine Drehrichtungsumkehr elektronisch realisiert werden, kommen Sanftanlaufgeräte (Motorstarter) zum Einsatz. Diese Geräte enthalten je nach Ausführung häufig auch zusätzli-
286 Mechatronische Antriebslösungen
che Funktionen: einen integrierten Motorschutz, eine Bremsenansteuerung, die Möglichkeit zur Auswertung von Sensoren und die Ansteuerung über ein Bussystem. Weiterhin sind sie gegenüber der Ansteuerung mit einem Schütz verschleißfrei und tragen damit zu Erhöhung der Betriebssicherheit und Anlagenverfügbarkeit bei. Frequenzumrichter. Die Drehzahl eines Asynchronmotors wird durch die Frequenz der Versorgungsspannung festgelegt. Zur verlustarmen Einstellung der Drehzahl eines Asynchronmotors ist eine variable Frequenz erforderlich, die durch einen Frequenzumrichter erzeugt wird. Die Frequenzumrichter können entweder im Schaltschrank oder dezentral direkt auf dem Motor oder an der Mechanik der Förderanlage installiert sein. Da fördertechnische Anlagen meist eine große räumliche Ausdehnung besitzen, wird verstärkt die dezentrale Antriebstechnik eingesetzt. Dadurch können der Installationsaufwand und damit auch die Kosten reduziert werden. Ein getakteter Betrieb tritt z. B. beim Ein- und Ausschleusen von Gütern, dem Bilden von Lücken zwischen Fördergütern oder dem Sortieren auf. Bei einfachen Anwendungen werden auch hier Antriebe direkt am Netz oder in Verbindung mit einem Motorstarter betrieben. Der Anteil von Umrichterantrieben ist jedoch gegenüber den reinen Stetigförderern im Dauerbetrieb wesentlich größer. Grund dafür sind häufig auch in diesen Applikationen erforderliche Positionierfunktionen (siehe Kap. 4-4). Servoantriebe sind bei Stetigförderern eher selten anzutreffen, sie kommen vorwiegend bei Unstetigförderern wie z. B. Kranen und Regalbediengeräten zum Einsatz (Kap. 4.2 und 4.3). Linearantriebe. Linearantriebe sind in der Fördertechnik nur selten anzutreffen, da die eher geringen Anforderungen in der Fördertechnik an die Positioniergenauigkeit und Dynamik deren hohen Kosten nicht rechtfertigen. Ein Beispiel für den Einsatz von Linearmotoren beim Fördern sind die oben vorgestellten Kippschalensorter. Die Ansteuerung erfolgt dann über Servo-Umrichter mit Rückführsystemen zur Erfassung der Position bzw. Winkellage des Rotors. Verbindung zur Anlagensteuerung. Die Kommunikation der Antriebskomponenten mit einer Steuerung (SPS) erfolgt über Feldbussysteme wie z. B. PROFIBUS oder PROFINET. Über AS-i (Aktor-Sensor-Interface) werden häufig Sensoren an den Förderstrecken (z. B. Lichtschranken) ausgewertet und auch Aktuatoren wie z. B. die dezentralen Antriebe mit ihrer integrierten Schalt-, Regel- und Schutzfunktionalität angesteuert. Förderstrecken enthalten häufig Sensoren an den einzelnen Förderelementen, durch die die Fördergüter erfasst werden. Dieses sind in der Regel Lichtschranken. Werden dezentrale Frequenzumrichter eingesetzt, ist es sinnvoll, die Signale der Sensoren zunächst von den Frequenzumrichtern zu erfassen und dann über das Feldbussystem des Frequenzumrichters an
Fahrantriebe 287
die Anlagensteuerung zu übertragen. Hierdurch entfällt der Bedarf für eine weitere Feldbusanschaltung für die Sensoren. Sicherheitstechnik in Förderanlagen. Die Sicherheit von Förderanlagen wird in der Regel dadurch gewährleistet, dass nur unterwiesenes Personal Zugang zu den Anlagen hat und die Geschwindigkeit so begrenzt ist, dass das dort arbeitende Personal die Gefahr erkennen und dieser ausweichen kann. Es sind NOT-AUS-Schalter vorhanden, durch die die Anlage stillgesetzt werden kann. Eine Ausnahme liegt vor, wenn Personal Arbeiten an den transportierten Fördergütern vornehmen muss. In diesem Fall muss sichergestellt sein, dass sich die Fördereinrichtung nicht in Betrieb setzt, während sich das Personal noch in der Nähe der Fördergüter aufhält. Ein Beispiel hierfür sind Nacharbeitsstationen in der Automobilfertigung, aber auch Arbeitsplätze, an denen manuelle Be- und Entladevorgänge durchgeführt werden. Hier ist der Einsatz von Sicherheitstechnik im Antrieb sinnvoll, wobei als Anwendung das sicher abgeschaltete Drehmoment („Safe Torque Off“, STO) am häufigsten verwendet wird. In Einzelfällen kann die Anwendung der sicher begrenzten Geschwindigkeit („Safely Limited Speed“, SLS) notwendig sein.
4.2 Fahrantriebe Frank Erbs Ähnlich wie Förderantriebe dienen Fahrantriebe dem Transport von Gütern. Sie bewegen Fahrzeuge mit ihrer Nutzlast in der Horizontalen oder an Schrägen (schiefe Ebene). Anders als bei Förderantrieben befindet sich der Antrieb auf dem Fahrzeug, woraus Unterschiede für das Antriebssystem resultieren. 4.2.1
Prozess des Fahrens
Fahrantriebe werden in Unstetigförderern eingesetzt. Während bei den Förderantrieben in Stetigförderern, die in Kapitel 4.1 beschrieben wurden, die Fördereinrichtungen einschließlich der Antriebe im ortsfesten Teil installiert sind, befinden diese sich bei den hier beschriebenen Unstetigförderern auf dem Fahrzeug und damit auf dem ortsveränderlichen Teil. Gegenüber Stetigförderern haben Unstetigförderer eine höhere Flexibilität, aber auch höhere Kosten für das einzelne Fahrzeug. Daher werden sie in der Regel dort eingesetzt, wo das Transportaufkommen und die Nutzung der Förderstrecke niedriger sind als bei Stetigförderern.
288 Mechatronische Antriebslösungen
Es gibt spurgebundene und nicht spurgebundene Fahrzeuge. Spurgebundene Fahrzeuge haben weniger Aufwand für die Spurführung, sind dabei aber inflexibler in der Streckenführung. Da bei vielen automatisiert betriebenen, innerbetrieblichen Transportaufgaben der Fahrweg festgelegt ist, sind sie für den automatisierten Betrieb häufiger anzutreffen. Für den nicht automatisierten innerbetrieblichen Transport ist der manuell bediente Gabelstapler als Flurförderfahrzeug nach wie vor das am häufigsten verwendete Transportmittel. Dieses wird in diesem Buch allerdings nicht behandelt, da es nicht automatisiert ist. Tabelle 4-3. Anwendungen und typische Kennwerte von Fahrantrieben Anwendung
Branche
Geschwindig- Bewegte keit (m/min) Massen (t) Schienenfahrzeuge Logistik, Förder- 100 100 technik Elektro-Hängebahn Fördertechnik, 130 5 (EHB) Logistik, Transport, Automobilindustrie Lauf- und Portalkrane Fördertechnik 200 Bis 200 Regalbediengerät Logistik 240 5–15 Flurförderfahrzeuge Fördertechnik, 40 4 Montage, Automobilindustrie
Leistung (kW) Bis 150 5
Bis 500 55 10
Fahrantriebe in Unstetigförderern finden sich in folgenden Anwendungen: • • • • •
In Schienenfahrzeugen (z. B. Verschiebewagen), in Elektro-Hängebahnen (EHB), in Lauf- und Portalkranen, in Regalbediengeräten (RBG) und in fahrerlosen Transportsystemen (FTS).
Tabelle 4-3 gibt einen Überblick über die Anwendungen mit deren typischen Kennwerten. 4.2.2
Materialflusssysteme mit Fahrantrieben
Schienenfahrzeuge. Schienenfahrzeuge sind bekannt durch den Transport von Personen und Gütern über weite Entfernungen (Eisenbahnwesen). Im innerbetrieblichen Transport werden Schienenfahrzeuge immer dann eingesetzt, wenn ein Förderweg so selten benutzt wird, dass die Installation
Fahrantriebe 289
einer ortsfesten Fördertechnik nicht wirtschaftlich ist. Die Fahrzeuge enthalten in der Regel auch die Einrichtungen zum Befestigen, Bewegen und Be- und Entladen des Förderguts (Abb. 4-18). Die Schienen des Fahrwegs sind in der Regel in den Boden eingelassen. Selten werden auch aufgeständerte Schienenwege verwendet. Schienenfahrzeuge basieren auf dem Kraftschluss des Rad-SchieneSystems. Neben Stahl-Stahl-Kontakten werden auch Gummiräder verwendet. Beim Beschleunigen und Bremsen darf die Übertragungskraft der Haftreibung nicht überschritten werden, damit der Antrieb nicht durchrutscht. Die Fahrgeschwindigkeiten sind in der Regel aus Sicherheitsgründen begrenzt. Bei höheren Fahrgeschwindigkeiten wird der Fahrbereich häufig so abgesperrt, dass Menschen diesen nicht betreten können, um eine Gefährdung auszuschließen.
Abb. 4-18. Schienengebundenes Transportsystem in der Automobilindustrie
Die im Folgenden beschriebenen weiteren Anwendungen für Fahrantriebe sind vom Prinzip her ebenfalls schienengebundene Fahrzeuge. Elektro-Hängebahnen. Eine Elektro-Hängebahn transportiert die Transportgüter flurfrei. Sie besteht aus Schienen, die an der Hallendecke oder an Stützen befestigt sind, sowie Fahrwerken, die das Transportgut über Gehänge tragen. Da die Steuerung jedes Fahrzeugs einzeln erfolgt, sind Elektro-Hängebahnen sehr flexibel. Die Fahrzeuge steuern ihre Ziele selbstständig an. Der Antrieb von Elektro-Hängebahnen erfolgt über ein Reibrad, das auf der Schiene läuft. Die gesamte Steuerung eines Fahrzeugs ist auf dem Fahrzeug installiert, wobei neben den Antriebsfunktionen auch weitere
290 Mechatronische Antriebslösungen
Steuerungs- und Sicherheitsfunktionen notwendig sind. Die gesamte Steuerungs- und Antriebstechnik einer Elektro-Hängebahn besteht aus: • Signal- und Energieübertragung zum Fahrzeug, • dezentraler Motorsteuerung und • Getriebemotor mit Reibrad. Lauf- und Portalkrane. Turmkrane haben zusätzlich zum Schwenkantrieb einen Fahrantrieb für die Laufkatze. Lauf- und Portalkrane haben zwei Fahrantriebe. Die Fahrantriebe sind als Laufkatzen ausgebildet, die schienengeführt arbeiten. Der Fahrantrieb kann sich auf der Laufkatze befinden, oder die Laufkatze wird über Zugseile von einem feststehenden Antrieb bewegt (eher selten). Bei Portalkranen sind zwei Antriebe erforderlich, um das Portal zu bewegen. Bei kleinen Spannweiten können diese mechanisch gekoppelt sein (Gelenkwellen). In der Regel werden sich zwei Fahrantriebe finden, die entweder von einem oder zwei Umrichtern angesteuert werden. Regalbediengeräte (RBG). Die Fahrantriebe von Regalbediengeräten bewegen das Fahrzeug in der Regalgasse und steuern die Regalplätze bzw. die Aufnahme- und Abgabestation an. Da sich pro Regalgasse in der Regel nur ein Fahrzeug befindet, sind zum Erzielen eines möglichst hohen Durchsatzes eine hohe Beschleunigung sowie eine hohe Fahrgeschwindigkeit entscheidend. Für den Fahrantrieb von Regalbediengeräten werden Radantriebe oder Riemenantriebe eingesetzt. Zahnriemen werden über den Fahrweg gespannt, die den Antrieb auf dem Fahrzeug über eine Omegaführung durchlaufen. Die Omegaanordnungen kann die auftretenden Beschleunigungskräfte übertragen. Ein zusätzlicher Effekt beim Einsatz von Riemen ist die Längung des Riemens beim Beschleunigen. Dies hat negative Auswirkungen auf die Positioniergenauigkeit. Riemenantriebe können nur bis zu einer Gassenlänge von ca. 60 m eingesetzt werden. Aus diesen Gründen werden heute fast ausschließlich radgetriebene Fahrzeuge eingesetzt, bei denen zwei Reibräder auf die Schiene gedrückt werden. Der Vorteil ist die geringere Elastizität, die damit zu weniger Schwingungen beim Beschleunigen und Bremsen führt. Die beiden Reibräder werden häufig über zwei Asynchronmotoren angetrieben, die von einem Umrichter angesteuert werden. Bei den radgetriebenen Regalbediengeräten besteht im Prinzip keine Beschränkung in der Gassenlänge. In der Praxis findet man heute häufig Gassenlängen, die einige 100 m betragen können. Aktuelle Regalbediengeräte für die Behälterfördertechnik arbeiten mit Regalhöhen von 18 m und mehr. Hierbei wird ein Fahrantriebskonzept mit drei bis vier Antriebsmotoren (zwei Motoren als unterer Fahrantrieb und ein bis zwei Motoren als obere „Antipendeleinheit“) verwendet, wodurch
Fahrantriebe 291
Geschwindigkeiten bis 6 m/s und Beschleunigungen bis 4 m/s² erreicht werden (Abb. 4-19). In der Palettenfördertechnik werden weniger dynamische Fahrantriebe eingesetzt. Hier kommt es auf eine große Förderleistung an. Themen wie Radverschleiß oder erhöhte Schwingungsbelastung spielen daher eine untergeordnete Rolle. Die Fahrwerte für Paletten-RBGs liegen etwa bei 2 bis 4 m/s Verfahrgeschwindigkeit und 1 bis 3 m/s² Beschleunigung und damit deutlich unter denen der Behältertechnik. Die oben beschriebene Mehrmotorentechnik findet auch hier ihre Anwendung. Reibrad
Last
M 3~
Last
Antipendelantrieb Fahrantrieb
M 3~
Reibrad
Hubantrieb
M 3~
Fahrantrieb
M 3~
Hubantrieb
M 3~
Reibrad
Abb. 4-19. Regalbediengeräte (RBG) mit und ohne Antipendelantrieb
Kurvengängige Regalbediengeräte. Kurvengängige Regalfahrzeuge sind dann erforderlich, wenn mehrere Lagergassen in einem Hochregallager von einem Gassenfahrzeug bedient werden müssen. In diesem Fall muss das Fahrzeug in den Umsetzgassen durch Kurven fahren und damit kurvengängig sein. Die Beschränkung auf ein Fahrzeug ist dann sinnvoll, wenn der Materialdurchfluss in dem Lager gering ist, da während der Kurvenfahrt eine Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit erforderlich ist. Da die RBGs mit zwei Rädern auf Schienen fahren, die Kurvenradien im Verhältnis zum Radabstand aber sehr klein sind, hat dies zur Folge, dass die Räder mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten fahren müssen. Diese Geschwindigkeitsänderung muss aktiv gesteuert werden. Dadurch werden Querbeschleunigungen während der Kurvenfahrt minimiert. Wenn das vordere Rad in die Kurve eintaucht, fährt das hintere Rad noch auf der Geraden und wird langsamer. Taucht das hintere Rad in die Kurve ein, fährt das vordere wieder auf der Geraden. Dies hat eine Geschwindigkeitserhöhung des hinteren Rades zur Folge, die in Abhängigkeit
292 Mechatronische Antriebslösungen
zum Kurvenradius und dem Radabstand mehr als das Doppelte betragen kann. In diesem Fall wird für jeden Fahrantrieb ein getrennter Umrichter benötigt, der die erforderliche Fahrgeschwindigkeit einstellt. Eine Regelung oder Geschwindigkeitssteuerung gibt während der Kurvenfahrt die Geschwindigkeiten des vorderen und hinteren Fahrantriebs vor. Flurförderfahrzeuge. Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Fahrantrieben bewegen sich Flurförderfahrzeuge schienenlos. Hierdurch erhalten sie eine höhere Flexibilität, gleichzeitig nehmen aber auch die Steuerungsund Sicherheitsfunktionen zu.
Abb. 4-20. Automatisches fahrerloses Transportsystem
Automatisierte fahrerlose Transportsysteme (FTS) (Abb. 4-20) bewegen sich mit einer Maximalgeschwindigkeit von 1,67 m/s. Der Antrieb erfolgt über Räder. Zusätzlich zum Fahrantrieb wird ein Positionierantrieb zum Lenken benötigt. Für eine hohe Beweglichkeit ist es auch möglich, alle Räder lenkbar zu gestalten und mit Antrieben auszustatten. Positionssensoren für Fahrantriebe. Der Verfahrbereich von Fahrantrieben ist in der Regel deutlich größer als der von Positionierantrieben (Kap. 4.4). Für das genaue Anfahren von Positionen ist eine exakte Bestimmung der aktuellen Position erforderlich. Werden nur wenige diskrete Positionen angefahren, werden häufig Initiatoren verwendet, die Schaltinformationen liefern. Die im Antrieb auf dem Fahrzeug eingebauten Winkelgeber sind häufig für die Bestimmung der anzufahrenden Positionen nur bedingt geeignet, da u. a. durch Schlupf der Räder diese die exakte Position auf der Fahrstrecke nicht wiedergeben können. Aus diesem Grund können Laserabstandssensoren verwendet werden, wenn die Position sehr exakt bestimmt werden muss. Genauigkeiten von 2 mm bei Strecken von bis zu 300 m sind damit möglich. Laserabstandssensoren sind nur bei geraden Fahrwegen einsetzbar, so wie sie bei Regalbediengeräten auftreten.
Fahrantriebe 293
Eine Alternative bei Fahrwegen mit Kurven (z. B. bei ElektroHängebahnen) sind am Fahrweg angebrachte serielle Barcodebänder, die von einem optischen Barcodeleser auf dem Fahrzeug abgetastet werden. Dieses Prinzip erlaubt die Erfassung der absoluten Position auf dem Fahrweg mit einer Genauigkeit von 1 mm. Der Messbereich bei diesem Prinzip ist praktisch unbegrenzt. 4.2.3
Antriebssysteme für Fahrantriebe
Während sich die Antriebseigenschaften von Fahrantrieben nicht wesentlich von Förderantrieben (niedrige Dynamik, Kap. 4.1) und Positionierantrieben (hohe Dynamik, Kap. 4.4) unterscheiden, ist es der Einsatzort des Antriebs auf dem Fahrzeug, der zu unterschiedlichen Anforderungen und Lösungen führt. Einsatzbedingungen. Fahrantriebe finden sich in Gebäuden und auch im Außenbereich. Die Schutzart der Antriebsmotoren und Getriebe muss dieses berücksichtigen. Bei größeren Fahrzeugen wie Regalbediengeräten befindet sich ein eigener Schaltkasten für die Antriebselektronik auf dem Fahrzeug. Damit können die gleichen Geräte wie im stationär aufgestellten Schaltschrank verwendet werden. Zu berücksichtigen ist, dass Fahrantriebe höhere mechanische Belastungen aufweisen, sodass die Komponenten auch eine hohe Schock- und Vibrationsfestigkeit aufweisen müssen. Bei kleinen Fahrzeugen wie Elektro-Hängebahnen werden in der Regel die Antriebselektronik und die Fahrwagensteuerung in einem Gehäuse mit hoher Schutzart (IP 54) untergebracht. Auslegung von Fahrantrieben. Bei Fahrantrieben, die lange Zeit konstant fahren und nur relativ kurze Zeit beschleunigen, bestimmen die Reibung, der Fahrwiderstand und eventuell die zu überwindende Höhendifferenz die Antriebsleistung. Bei dynamischen Anwendungen bestimmen das Geschwindigkeitsprofil und die zu bewegenden Massen die Antriebsleistung. Als Eingangsgrößen für die Dimensionierung dienen folgende Größen: • • • • • • •
Masse des Fahrzeugs einschließlich des Antriebsstrangs, Masse der Nutzlast, Raddurchmesser, Radwerkstoff und Fahrschienenwerkstoff, Fahrgeschwindigkeit, Fahrbeschleunigung bzw. Fahrverzögerung, Bremsverzögerung (NOT-AUS) und maximale Neigung des Fahrwegs.
Das für Fahrantriebe erforderliche Drehmoment bestimmt sich im Allgemeinen aus der Beschleunigung und der Masse des Fahrzeugs. Auch hier
294 Mechatronische Antriebslösungen
kann man wieder zwei Fälle unterscheiden. Einerseits sind dies Antriebe, in denen die stationären Drehmomente überwiegen und die Auswahl der Komponenten bestimmen, z. B. bei Fahrzeugen auf schiefen Ebenen oder mit sehr langen Fahrwegen, die dementsprechend selten beschleunigen und bremsen. Bei dynamischen Fahranwendungen bestimmen andererseits in der Regel die Beschleunigungswerte die Größe der erforderlichen Motoren und Umrichter. Die thermische Belastung der Komponenten spielt dann eine untergeordnete Rolle.
Abb. 4-21. Fahrantrieb eines Regalbediengeräts
Auslegung von Regalbediengeräten. Da speziell bei Fahrantrieben von Regalbediengeräten (Abb. 4-21) mit kurzen Zykluszeiten vorab keine anlagenspezifischen Fahrprofile zur Verfügung stehen, werden diese Antriebe nach einem standardisierten Profil ausgelegt, dem sogenannten Doppelspiel nach FEM. FEM ist die „Europäische Vereinigung der Förder- und Lagertechnik“ (frz. „Fédération Européenne de la Manutention“). Die von der FEM herausgegebenen technischen Regeln besitzen großes Ansehen und einen ähnlichen Stellenwert wie Normen. Dieses Profil hat als Eingangsgrößen die Gassenlänge und Gassenhöhe. Doppelspiel heißt es deswegen, weil durch das Profil je ein Ein- und Auslagerungsvorgang pro Fahrt beschrieben wird. Anhand eines genormten Verfahrprofils soll die Leistungsfähigkeit des Regalbediengeräts ermittelt werden, indem Ein- und Auslagerungszeiten ermittelt werden. Das Verfahrprofil besteht aus einer Dreiecksfahrt s1 – s2 – s3, wobei die Punkte s1 (0,0), s2 (1/3 Höhe, 2/3 Länge) und s3 (2/3 Höhe, 1/3 Länge) definiert sind (Abb. 4-22). Erfahrungen aus der Praxis belegen, dass dieses Verfahrprofil sowohl die Zyklenanzahl als auch die thermische
Fahrantriebe 295
Belastung der Antriebe mit Abweichungen von max. 5 % treffen. Insgesamt ist die Auslegung nach dem Doppelspiel nach FEM eine gute, praxiserprobte Methode, um Regalbediengeräte ohne genaue Kenntnis der Förderbewegungen auszulegen. 14
smax
Hubhöhe h in m
12 10 s3
8 6
s2
4 2 0
s1 0
10
40 20 30 Gassenlänge s in m
50
60
Abb. 4-22. Doppelspiel nach FEM
Energie- und Signalübertragung zum Fahrantrieb. Ein Fahrantrieb ist ortsveränderlich. Dadurch entsteht die Notwendigkeit, die elektrische Energie und Signale auf das Fahrzeug zu übertragen. Hierfür gibt es Systeme ohne und mit Schleifkontakte. Bei begrenzten Fahrwegen können Schleppketten eingesetzt werden (Abb. 4-23). Diese müssen für die während der Lebensdauer auftretenden Fahrspiele ausgelegt sein. Auch die Leitungen müssen die entsprechende Dauerfestigkeit aufweisen. Es sind Ausführungen mit einer Lebensdauer von 25 Mio. Bewegungen erhältlich.
Abb. 4-23. Schleppkette
296 Mechatronische Antriebslösungen
Abb. 4-24. Leitungswagen
In Kranen und Hebezeugen, die sich an der Hallendecke bewegen, werden häufig auch Leitungswagen eingesetzt (Abb. 4-24). Hierbei hängen die Leitungen in mehreren Schleifen an beweglichen Wagen, die sich in Profilschienen bewegen. Der Vorteil ist der geringe Materialaufwand sowie die Möglichkeit, auch Schläuche für Druckluft oder Flüssigkeiten mit zu verlegen. Der Nachteil ist die Beeinträchtigung durch die herabhängenden Kabel. Das System arbeitet bis zu Fahrgeschwindigkeit von bis 4 m/s. Die Energieübertragung zu großen Portalkranen erfolgt häufig über Motorleitungstrommeln, die in der Regel einen eigenen Wickelantrieb enthalten (Abb. 4-25). In dem Lager der Kabeltrommel erfolgt die Übertragung vom stationären ins bewegte System über rotierende Schleifkontakte.
Abb. 4-25. Motorleitungstrommeln
Fahrantriebe 297
Abb. 4-26. Schleifleitungen
Bei sehr langen Fahrwegen und Kurven erfolgt die Energieübertragung häufig durch Schleifleitungen in der Fahrschiene (Abb. 2-26). Diese müssen so abgedichtet werden, dass sie gegen Staub und Schmutz gesichert sind. Durch den Schleifkontakt erfährt sie Verschleiß, der bei der Auslegung und dem Wartungskonzept berücksichtigt werden muss. Meist werden mindestens drei Abgriffe pro Phase verwendet, um eine entsprechende Betriebssicherheit zu erreichen.
Abb. 4-27. Induktive Energieübertragung
Eine kontaktfreie Leistungsübertragung in bewegte Systeme kann über eine induktive Energieübertragung erfolgen (Abb. 4-27) [Bu06b]. Hier bildet das Gesamtsystem einen Mittelfrequenzübertrager, bei dem eine Leiterschleife die Primärwicklung und ein Aufnahmesystem (Pick-Up) auf dem Fahrzeug die Sekundärwicklung bildet. Es wird mit Frequenzen von 25 kHz gearbeitet. Zur Einspeisung wird ein stationärer Umrichter benö-
298 Mechatronische Antriebslösungen
tigt. Die Pick-Ups enthalten Gleichrichter und liefern die Energie für den Fahrantrieb. Dieses induktive System ist besonders vorteilhaft bei Verschiebewagen, da hier die Energieübertragung im Flur erfolgen muss und damit besonders schmutzempfindlich ist. Durch die Reduzierung der Störhäufigkeit und der Stillstandszeiten amortisieren sich die Mehrkosten für das kontaktlose Energieübertragungssystem. Für die Signalübertragung können die gleichen Systeme wie für die Energieübertragung zum Einsatz kommen. Um die Leitungszahl zu reduzieren, wird auf jeden Fall ein Kommunikationssystem verwendet. Damit das Kommunikationssystem vom Energieübertragungssystem unabhängig ist und eine höhere Zuverlässigkeit hat, werden allerdings auch optische Übertragungssysteme (Datenlichtschranken) und Funkübertragungssysteme (Wireless-Kommunikation) eingesetzt. Getriebemotoren. In Fahrantrieben werden überwiegend Getriebemotoren mit Axial-, Winkel- oder Planetengetrieben eingesetzt. Die üblichen Fahrgeschwindigkeiten und Raddurchmesser erfordern die Reduzierung der Motordrehzahl durch ein Getriebe. Häufig werden die Getriebemotoren in Fahrtrichtung angeordnet, damit diese nicht die Fahrzeugbreite beeinflussen. In diesem Fall werden Winkelgetriebe verwendet. Schneckengetriebe finden wegen des niedrigen Wirkungsgrads nur selten Anwendung. Ein Winkelgetriebe mit Hohlwelle kann auch direkt auf die Welle der Antriebsachse gesteckt werden. Getriebe für Elektro-Hängebahnen sind so ausgelegt, das ihre Lagerung direkt das Gewicht des Fahrzeugs mit der Nutzmasse tragen kann. Damit ist keine eigene Lagerung für die Antriebswelle mit dem Antriebsrad erforderlich. Getriebe für Elektro-Hängebahnen haben eine Ausrückkupplung, die das manuelle Verschieben des Fahrzeugs bei Ausfall des Antriebssystems und damit bei eingefallener Bremse ermöglicht. In Fahrantrieben findet man typischerweise Asynchronmotoren, da diese wegen ihrer Robustheit den Anforderungen an eine hohe Prozesssicherheit entsprechend Rechnung tragen. Für dynamische Anwendungen wird häufig die Feldschwächung genutzt, da sie in Verbindung mit s-förmigen Rampen eine bessere Ausnutzung des Motordrehmoments ermöglicht. Synchronmotoren werden bei Anwendungen mit sehr hoher Dynamik (sehr schnelle Regalbediengeräte) verwendet. Gruppenantriebe und Multiachssysteme. Bei großen Motorleistungen werden zwei getrennte Motoren eingesetzt. Dies ist z. B. bei den zwei Fahrantrieben eines Regalbediengeräts der Fall. Auch die beiden Fahrantriebe eines Brücken- oder Portalkrans gehören in diese Kategorie. Diese beiden Motoren können als Asynchronmotoren sehr einfach von einem Umrichter parallel versorgt werden. Bei dieser Konfiguration wird die Schlupfkennlinie der Asynchrontechnik benutzt, um eine Lastaufteilung
Fahrantriebe 299
auf beide Motoren ohne komplizierte Regelalgorithmen zu realisieren. Mögliche Toleranzen in der Mechanik (z. B. minimale Unterschiede bei den Reibraddurchmessern) bzw. in der Motorfertigung werden durch selbstständiges Verschieben des Arbeitspunkts auf der jeweiligen Motorkennlinie ausgeglichen. Es gibt aber auch Konzepte mit zwei Umrichtern, bei denen die Antriebsregelung eine symmetrische Drehmomentaufteilung sicherstellt. Gerade bei einem hohen Abstand von zwei Antrieben wie z. B. zwischen den beiden Antrieben eines großen Portalkrans oder dem Fahr- und Antipendelantrieb eines Regalbediengeräts finden sich diese Konzepte. Bremsen. Bremsen werden in Fahrantrieben benötigt, um in den Haltepositionen sicher im Stillstand zu bleiben und um bei Netzausfall das Fahrzeug zu bremsen. Für die Auslegung sind die maximal gespeicherte kinetische Energie und die voraussichtliche Anzahl von Nothaltebremsungen zu berücksichtigen. Ansteuerung der Antriebsmotoren. Einfache Fahrantriebe werden teilweise noch ungeregelt betrieben. Dieses stößt jedoch sehr schnell an Grenzen, wenn definierte Beschleunigungs- und Bremsrampen realisiert sowie Haltepositionen exakt angefahren werden sollen. Daher werden Fahrantriebe überwiegend mit geregelten Antrieben ausgerüstet. Umrichter in Fahrantrieben. Abhängig von den Prozessanforderungen und Anwendungen finden sich entweder Frequenzumrichter oder ServoUmrichter in diesen Anwendungen. Für Fahrzeuge, die typischerweise über Endschalter gesteuert werden, sind Frequenzumrichter sehr gut geeignet (Elektro-Hängebahnen, Portalkrane). Werden hingegen hohe Anforderungen an die Dynamik und Positioniergenauigkeit gestellt, dann ist der Einsatz von Servo-Umrichtern mit einem entsprechenden Drehzahlmesssystem sinnvoll (Regalbediengerät, Flurförderfahrzeuge). In den meisten Fällen wird hier bei der Rückführung auf den Resolver zurückgegriffen, da dieser bei den typischen Übersetzungen des Getriebes eine ausreichend genaue Positioniergenauigkeit bietet. Bewegungsführung in der Steuerung. Bei diesem Systemkonzept arbeitet der Umrichter nur als Drehzahlstellglied (Abb. 4-28 a). Von der überlagerten Steuerung wird ein Drehzahlsollwert an den Umrichter übertragen (meist über ein Kommunikationssystem). Die Position des Fahrzeugs wird über das externe Positionsmesssystem erfasst und an die Steuerung übermittelt. In der Regel kommen dafür Entfernungsmessgeräte mit Kommunikationssystemen zum Einsatz. Die Steuerung übernimmt die Berechnung des Positionierprofils und erzeugt damit das Drehzahlprofil für den Umrichter. Damit liegt auch die Positionsregelung innerhalb der Steuerung.
300 Mechatronische Antriebslösungen
SPS
SPS
Kommunikationssystem
Kommunikationssystem
Umrichter
Umrichter
M 3~ Positionsmesssystem a) Bewegungsführung in der Steuerung
M 3~ Positionsmesssystem b) Bewegungsführung im Antrieb
Abb. 4-28. Bewegungsführung durch die Steuerung bzw. im Antrieb
Ein Nachteil dieses Systems ist die Totzeit in der Regelungsstruktur des Lageregelkreises, die durch Vorhaltefaktoren ausgeglichen werden muss und damit die Dynamik der Regelung begrenzt. Weiterhin benötigt die Berechnung der Positionierprofile Rechenleistung in der Steuerung, die entweder durch eine leistungsfähige Steuerung oder durch größere Zykluszeiten (Verlust an Dynamik) erkauft werden muss. Bewegungsführung im Antrieb. Bei diesem Systemkonzept wird der Umrichter mit einer eingebauten Positioniersteuerung eingesetzt (Abb. 4-28 b). Die überlagerte Steuerung sendet an den Umrichter einen Positionssollwert. Der Umrichter generiert eigenständig sein Bewegungsprofil. Die Position des Fahrzeugs wird ebenfalls über das externe Messsystem erfasst, aber nicht mehr an die Steuerung, sondern an den Antrieb übermittelt. Wahlweise wird über die Steuerung noch eine Geschwindigkeitsreduzierung (Override) vorgegeben, mit dem eine Geschwindigkeitsanpassung vorgenommen werden kann. Dieses System hat keine Totzeiten in der Regelungsstruktur, die sich durch das Schließen des Positionsregelkreises über die Kommunikationssysteme ergeben. Weiterhin ist die Software der Steuerung um die Berechnung von Positionierprofilen entlastet. In der Regel kann eine AnlagenSPS in dieser Konfiguration deutlich mehr Antriebe ansteuern als in dem Fall, in dem die Bewegungsführung in der SPS erfolgt.
Fahrantriebe 301
Abb. 4-29. Antipendelantrieb
Antipendelantriebe in Regalbediengeräten. Durch den Mast haben Regalbediengeräte einen hohen Schwerpunkt, der zusammen mit der begrenzten Steifigkeit des Masts zu Schwingungen neigt. Hierdurch entstehen beim Beschleunigen und Bremsen Kräfte, die den Andruck der Laufräder auf die Schiene reduzieren können. Im schlimmsten Fall kann es zum Abheben eines Fahrantriebs und zum Kippen des Regalbediengeräts kommen. Diese Situation muss in jedem Fall durch die Wahl geeigneter Beschleunigungsrampen oder entsprechender Regelungskonzepte vermieden werden. Foben = 0,3 Fgesamt
Foben = 0,45 Fgesamt
Funten = 0,7 Fgesamt
Fahrtrichtung
Schaltschrank
Last
Schaltschrank
Last
Funten = 0,55 Fgesamt
Fahrtrichtung
Abb. 4-30. Lastaufteilung auf Fahrantrieb und Antipendelantrieb
302 Mechatronische Antriebslösungen
Um Pendelungen des Masts zu vermeiden, werden Regalbediengeräte teilweise mit einem zusätzlichen Fahrantrieb als Antipendelantrieb ausgerüstet (Abb. 4-29). In der Regel wird für diesen Antrieb kein zusätzliches Wegmesssystem verwendet, sodass dieser Antrieb nur drehzahlgeregelt betrieben wird. Aufgrund der hohen Beschleunigungen treten aber Mastverspannungen auf, die der Antipendelantrieb nicht direkt kompensieren kann. Abb. 4-30 verdeutlicht dieses. Je nach Position des Fahrkorbs verschiebt sich die wirksame Masse zum oberen oder unteren Antrieb. Diese Verschiebung beträgt ca. 15 bis 20 %. Nur wenn die beiden Antriebe quasi starr gekoppelt wären, würde sich eine konstante Lastaufteilung ergeben. Es kommt zu einer Pendelbewegung, die abhängig von der Masthöhe, dessen Elastizität und der Beschleunigung ist. Das gleiche Verhalten ergibt sich natürlich beim Abbremsen in den Stillstand. Hier ist es das Ziel, möglichst ohne ein Überschwingen des Masts anzuhalten, zum einen um die zusätzlichen Belastungen für die Mechanik zu reduzieren und zum anderen um den Zeitverlust zu vermeiden, der aus dem Einschwingen resultiert. Durch geeignete Verfahren der Drehmomentaufteilung auf die beiden Antriebe, die gegebenenfalls noch von der aktuellen Höhe der Last abhängt, kann eine optimale Kraftaufteilung erreicht werden, die die Mastschwingungen am Geringsten anregt.
Abb. 4-31. Steuerungs- und Antriebseinheit einer Elektro-Hängebahn
Steuerungsfunktionen in Elektro-Hängebahnen. Die Steuereinheiten von Elektro-Hängebahnen enthalten alle Funktionen, die für den Betrieb des Fahrzeugs notwendig sind (Abb. 4-31) [Ha04]. Neben der Ansteuerung des Fahrantriebs, entweder über einen Motorstarter oder über einen Frequenzumrichter, sind dieses das vollständige Bewegungsmanagement des
Hubantriebe 303
Fahrwagens, inklusive der Drehzahlsteuerung, die Motorüberwachung, die Abstandskontrolle, die Datenübertragung zur überlagerten Steuerung und weiterer Diagnosemöglichkeiten. Um das Auffahren von Fahrzeugen zu verhindern, werden entweder spezielle Abstandssensoren verwendet, mit denen das Fahrzeug selbstständig erkennen kann, wenn der Mindestabstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug unterschritten wird, oder es gibt eine Blockabschnittsteuerung für die Fahrwagen Streckenabschnitte frei und verhindert dadurch das Auffahren. Auch die Auswertung von Positionsmaßstäben auf dem Fahrweg wird von der Steuereinheit des Fahrzeugs selbstständig vorgenommen, sodass es seine Istposition ermitteln und damit die Zielpositionen anfahren kann. Not-Stopp. In Not-Stopp-Situationen ergeben sich häufig Abweichungen zum normalen Bremsen des Fahrzeugs. In der Regel werden kürzere Bremsrampen verwendet, um kurze Bremswege zu erzielen. Hierfür ist die Bremsleistung des Bremsstellers und des Bremswiderstands auszulegen. Wenn diese Bremsung auch von der Motorbremse mit unterstützt wird, um ein größeres Bremsmoment und damit einen kürzeren Bremsweg zu erreichen, dann muss darauf geachtet werden, dass die Motorbremse keinen zu großen Verschleiß und damit eine zu hohe Wartungshäufigkeit hat. Insgesamt ist es sinnvoll, auch solche Not-Stopp-Szenarien bremsenschonend alleine mit dem Umrichter und Motor auszuführen. Sicherheitstechnik. Fahrantriebe sind prädestiniert für die Nutzung von umrichterintegrierten Sicherheitsfunktionen, da sie in Situationen, in denen sich Menschen in ihrem Fahrbereich befinden, sicher an der Bewegung gehindert werden müssen oder in ihrer Geschwindigkeit begrenzt sein müssen.
4.3 Hubantriebe Sabine Driehaus, Karl-Heinz Weber Hubwerke und Vertikalförderer haben die Aufgabe, Massen unter dem Einfluss der Gravitation vertikal zu bewegen oder zu positionieren. Bei Anwendungen, die Lasten auf einer schiefen Ebene transportieren und damit auch unter dem Einfluss der Schwerkraft arbeiten, gibt es eine Überlappung mit den Förderantrieben, die in Kapitel 4.1 dargestellt wurden. Die bei Hubwerken häufig erforderliche Positionierung der Last wird in Kapitel 4.4 beschrieben. Schwerpunkt dieses Kapitels sind Hebeanwendungen, die Lasten vertikal bewegen.
304 Mechatronische Antriebslösungen
4.3.1
Prozess des Hebens
Durch den Hubwerksprozess werden Personen oder Lasten vertikal transportiert und bewegt. Das sehr breite Anwendungsfeld umfasst folgende Einsatzgebiete: • • • • • • • • • • •
Personentransporte durch Aufzüge, Fahrtreppen und Treppenlifte, seilbetriebene Lifte und Seilbahnen, Bühnen- und Kulissenheber in Theatern, Materialförderung in Logistik- und Produktionsbereichen, Paternosterregale, Bau- und Portalkrane, Containerverladeeinrichtungen, Winden, Spille, Stapelwerke, Stacker, Schwingenstapler, Palettenheber, Ankerwinden, Gerüstschachtheber, Hebebühnen, Hubstationen, Scherenhubtische, Regalbediengeräte, Industrietore als Sektional- oder Schnelllauftore und Turmantriebe von Akkumulatoren oder Materialspeichern.
Tabelle 4-4. Übersicht typischer Parameter von Hubwerken und Vertikalförderern Anwendung
Branche
Regalbediengerät
Logistik
Geschwindig- Masse / Leistung keit Nutzlast (t) (kW) (m/min) 120 10 5–150
Krane / Winden
Fördertechnik
200
150
1–120
Gurtheber
Montage
110
2,2
10–37
Bühnentechnik
Fördertechnik
120
1,5
5–22
Hubtische
10
2–15
5
2–50
Bauaufzüge
Fördertechnik, 10 Logistik, Transport Fördertechnik, 120 Logistik, Transport Bau 24–100
0,1–10
1–200
Personenaufzüge
Gebäudetechnik 50–1000
0,5–10
2–250
Schnelllauftore
Gebäudetechnik 180–240
Lastenaufzüge
Hubantriebe in EFördertechnik, 15 lektro-Hängebahnen Logistik, Transport
2,2–3 4
2–10
Hubantriebe 305
Es gibt es einen fließenden Übergang von Anwendungen mit geringen bis moderaten Beschleunigungswerten von 0,1 bis 2 m/s2 (< 0,2 g), welche häufig mit seilgeführten Systemen bedient werden, über mittlere bis zu sehr hohen Beschleunigungen von 60 bis 70 m/s2 (6 bis 7 g) für Handhabungsanwendungen. Für häufig anzutreffende Hubwerks- und Vertikalförderanwendungen werden in der Tabelle 4-4 wichtige Parameter aufgelistet. 4.3.2
Mechanischer Aufbau von Hubwerken
Da die Einsatzgebiete von Hubwerken und Vertikalförderern sehr unterschiedlich sind, gibt es auch verschiedene mechanische Konzepte und Kraftübertragungen. Winden für Krane, Theatertechnik und in der Handhabungstechnik. Bei Winden erfolgt die Kraftübertragung vom Antrieb über eine Seiltrommel und ein Seil auf die Last. Diese kann mit oder ohne vertikale Führung (Rollen, Gleitschienen) ausgeführt sein. Das Seil kann ein- oder auch mehrfach umgelenkt sein oder auch Einscherungen aufweisen (Flaschenzugprinzip). Mit Seilen oder Gurten kann nur eine Kraftrichtung übertragen werden. Deshalb werden sie nur bei Anwendungen mit geringen Beschleunigungen eingesetzt, die deutlich unterhalb der Erdbeschleunigung von 1 g (1 g = 9,81 m/s2) liegen. Typische Windenanwendungen sind Lastenkrane aller Art, Kulissenwinden in Theatern, Regalbediengeräte sowie manuell betätigte Hebezeuge. Eine von der Windendrehzahl geführte Seilverlegung ist mechanisch oder auch elektrisch über einen eigenen Verlegeantrieb mit der Winde gekoppelt und übernimmt die korrekte Verlegung des Seils in einer oder mehreren Lagen. Bei einlagigen Systemen sind teilweise Rillen in der Seiltrommel vorhanden, in die das Seil verlegt wird.
Abb. 4-32. Portalkran
306 Mechatronische Antriebslösungen
Abb. 4-33. Hebezeug
Krane, die als Hallen-, Portal- und Baukrane (Abb. 4-32) oder als einfache Hebezeuge (Abb. 4-33) ausgeführt werden, heben Lasten über Seilwinden und arbeiten mit unterschiedlichen Einscherungen. Die Antriebsaggregate werden häufig genau wie die Fahrantriebe (Kap. 4.2) auf mitfahrenden Konstruktionsteilen montiert. Um Kulissen und Szenerien in Theatern vertikal zu bewegen, werden pro Kulisse häufig mehrere parallele Seile benötigt, die über Traversen auf die Szenerien wirken. Die Seile der Bühnen- und Kulissenheber werden synchron auf axial nebeneinander angeordnete, mechanisch gekoppelte Winden gespult. Die Winden werden von einem zentralen Hubantrieb betrieben. Tangentiale Andruckwalzen sorgen für eine sichere Seilführung in den Rillen der Seiltrommel. Die Seile können Längen von bis zu 50 m aufweisen. Es werden auch Systeme mit Gegengewichten verwendet, die die Szenerie im Notfall hochziehen. Anstelle von Seilen werden im Handhabungsbereich Gurte mehrlagig auf- oder abgewickelt, z. B. um Platten in einem Bearbeitungsprozess zu transportieren. Dieses Prinzip hat positionsabhängige, variable Durchmesser, wie es auch bei Wickelantrieben der Fall ist. Hubwerke mit Treibscheiben und Gegengewichten. Hubwerke mit Treibscheiben haben gegenüber Winden den Vorteil, dass die Seillänge praktisch nur durch das Eigengewicht der Seile begrenzt wird. Hubwerke
Hubantriebe 307
mit Treibscheiben, wie z. B. Personenaufzüge, werden grundsätzlich mit Gegengewichten ausgerüstet, die seitlich im Schacht, parallel zum Fahrkorb geführt werden. Das Gegengewicht ist in der Regel auf die halbe Nutzlast ausgelegt. Das bedeutet, dass das Hubwerk bei halber Nutzlast im Gleichgewicht steht. Neben den beiden Drehrichtungen können dabei je nach Nutzlast auch zwei Drehmomentrichtungen (motorisch, generatorisch) auftreten. Die Seile verbinden den Fahrkorb mit dem Gegengewicht direkt oder über Aufhängungen und laufen dabei in V-förmigen Rillen mit einem Mindestumschlingungswinkel über die Treibscheiben. Die von den Seilen umschlungenen Treibscheiben übertragen das Antriebsdrehmoment durch Reibungsschluss auf die Seile und damit auf das System aus Fahrkorb und Gegengewicht. Aus Sicherheitsgründen werden stets mehrere parallel laufende Seile (6 bis 8 Seile) mit einem sehr hohen Sicherheitsfaktor (Faktor 12) eingesetzt, sodass auch ein einzelnes Seil die gesamte Last halten kann. Ein redundantes Sicherheitskonzept sorgt für extrem hohe Sicherheit, auch bei einem Stromausfall oder Seilriss. Als neue Entwicklungen zeichnen sich hier auch Gurte (ummantelte, stahlseilarmierte Flachriemen) als Ersatz der Stahlseile ab, die den Vorteil einer erhöhten Laufruhe und langer Lebensdauer bieten.
Abb. 4-34. Hubwerk mit Seilführung über eine Einscherung und Treibscheibe Einscherungen. Bei seilgeführten Hubwerken kommen sowohl Einfachals auch Mehrfachseilführungen über Umlenkrollen, sogenannte Einscherungen (Flaschenzugprinzip) vor (Abb. 4-34). Bei Mehrfachseilführungen ist die Umfangsgeschwindigkeit der Seiltrommel ein ganzzahliges Vielfaches der Hubgeschwindigkeit. Das erforderliche Drehmoment an der Seiltrommel wird dabei um den Einscherfaktor geringer und die Drehzahl um diesen Faktor größer. Bei Handhabungsgeräten können Einscherungen auch in Form von Zahnriemenumlenkungen vorhanden sein. Die Einsche-
308 Mechatronische Antriebslösungen
rung hat auf die Antriebsleistung keinen Einfluss (außer bei hochdynamischen Bewegungen). Hubwerke mit umlaufenden Gurten, Riemen oder Ketten. Werden hohe Beschleunigungen und bzw. oder hohe Positioniergenauigkeiten gefordert oder gibt es zwingende konstruktive Gründe, so rüstet man Hubanwendungen mit umlaufenden Gurten, Riemen oder Ketten aus, an welche die Hebeeinrichtungen gekoppelt sind. Dies können z. B. Schacht-, Gurtoder Auflageheber für Paletten mit zum Teil sehr großen Hubhöhen von bis zu 20 m sein. Sie sind mit Gegengewichten ausgestattet, die in der Regel auf die halbe Nutzlast austariert sind. Heber aus dem Handhabungsbereich werden mit umlaufenden Zahnriemen mit oder ohne Gegengewicht ausgestattet (Abb. 4-35). Alternativ spult sich der Heber mit einem Omegaradsatz an einem fest eingespannten Riemen entlang, wobei die Bewegungsrichtung zwischen horizontal (xAchse) bis vertikal (y-Achse) liegen kann. Eine weitere Übertragungsart wird mit Ketten realisiert, die z. B. bei Schwerlasthängebahnen eingesetzt werden (Abb. 4-36). Paternosterregale für Lagerzwecke werden mit umlaufenden Ketten oder Zahnriemen betrieben.
Abb. 4-35. Hubwerk mit umlaufenden Gurten
Hubantriebe 309
Abb. 4-36. Schwerlasthängebahn
Hubwerke mit Spindelantrieben. Zum Heben und Senken von Hebebühnen werden zum Teil mehrere parallele, winkelsynchron betriebene Spindeln eingesetzt. Die Spindeln sind dabei mechanisch oder elektrisch gekoppelt. Wegen der meist geringen Spindelsteigung sind diese Systeme selbsthemmend. Das bedeutet, dass die Spindel bei einem Ausfall des Antriebsdrehmoments nicht von der Lastseite her durchgedreht werden kann. Damit hält die Hebebühne auch bei Stromausfall ihre Position. Hubwerke mit Zahnstangen und Zahnrädern. Des Weiteren kann eine Umsetzung auf die Linearbewegung durch eine Zahnstange erfolgen. Hierbei rollt sich ein Zahnritzel an einer vertikal fixierten Zahnstange entlang, wobei der Schlitten der Hubeinrichtung auf Gleit- oder Kugelbuchsen geführt wird. Das Antriebssystem befindet sich dabei an der Hubkabine. Hydraulische Hubwerke. Speziell im Aufzugsbereich werden auch hydraulische Antriebe verwendet, die entweder direkt oder über Seile auf den Aufzugskorb wirken.
310 Mechatronische Antriebslösungen
Exzenter- oder Hebelmechaniken. Die Überbrückung geringer Hubhöhen, wie sie z. B. bei Umsetzern oder Ausschleusern erforderlich sind, wird mit Exzenter- oder Hebelmechaniken realisiert. Mit diesen nichtlinearen Mechaniken werden in der Fördertechnik Paletten oder Behälter von einem Förderstrang auf einen anderen umgesetzt. Hubwerke mit Scherenmechaniken. Um Hubbewegungen mit begrenztem Weg durchzuführen, werden Scherenmechaniken bei Scherenhubtischen in Produktions- und Logistikprozessen verwendet (Abb. 4-37). Diese Einrichtungen können über Hydraulikzylinder, über elektrische Spindelantriebseinheiten, über Exzenter- oder über Seilzugsysteme angetrieben werden. Aufgrund der Geometrie ist zwischen Motordrehzahl und Hubgeschwindigkeit eine Winkelbeziehung vorhanden. Als elektrische Antriebe werden Getriebemotoren verwendet.
Abb. 4-37. Scherenhubtisch
Hubwerke für Industrietore. Für Industrieschnelllauftore erfolgt der Antrieb vom Getriebemotor über ein Zahnrad und eine Kette auf das Tor, welches aus einzelnen Sektoren besteht, die über Gelenke verbunden sind. Aus Sicherheitsgründen sorgen entgegen der Gravitation wirkende Kompensationsfedern dafür, dass beim Ausfall des Antriebs das Tor in einer teilgeöffneten Stellung im Gleichgewicht stehen bleibt. Auch hier gibt es motorischen und generatorischen Betrieb in beiden Drehrichtungen. Sensoren an Hubwerken. In Hubanwendungen sind folgende Zustandsgrößen wichtig, die über eine geeignete Sensorik erfasst werden müssen: • Die Position und • die Masse der zu hebenden Last.
Hubantriebe 311
Positionserfassungssysteme. Um gezielt definierte Positionen anfahren zu können, bedarf es im einfachsten Fall eines Bedieners, der durch den Sichtkontakt und Taster oder Joystick Fahrbefehle erteilt. Diese manuelle Bedienung ist Standard bei Kranen und Hebezeugen. Sobald eine Hubeinrichtung automatisiert bedient wird, ist eine Positionserfassung erforderlich. Bei festen Haltepositionen (z. B. Stockwerke in Gebäuden, Regalebenen) können dieses Initiatoren sein, die den Antrieb zunächst von der Betriebsgeschwindigkeit in den Schleichgang und dann über einen weiteren Endschalter in die gewünschte Stoppposition steuern. Für höhere Anforderungen werden relative oder absolute Wegerfassungssysteme am Motor, an der Winde oder lineare Messsysteme (z. B. Lasermesssysteme) mit oder ohne Referenzsensoren am Hubwerk eingesetzt. Die Auswertung und Überwachung erfolgt im Umrichter oder in der Steuerung. Für Anwendungen mit hohen Sicherheitsstandards sowie zur hochdynamischen Regelung werden auch häufig redundante Doppelgebersysteme eingesetzt: erstens ein Geber am Motor zur Drehzahlerfassung und zweitens ein Geber an der Last zur toleranzarmen Positionsmessung. Lasterfassungssysteme. Um die aktuelle Last am Seil zu erfassen, kann der Antriebsmotor mit Drehmomentmesswellen oder Kraftmesslagern mit fliegender Motoraufhängung ausgerüstet werden, oder es wird direkt im Seil eine Kraftmesseinrichtung eingebracht, die auf den Umrichter oder die Steuerung wirkt. Es ist auch möglich, das Lastmoment aus den Größen der Motorregelung indirekt zu ermitteln. 4.3.3
Antriebssysteme von Hubwerken
An das Antriebssystem von Hubanwendungen werden in der Regel hohe Anforderungen gestellt, da bei einem Ausfall des Antriebs schnell eine Gefahr bringende Bewegung durch das Lastmoment entsteht. In vielen Anwendungsbereichen gibt es daher für den Einsatz von Hubantrieben Vorschriften und Normen, die den sicheren Betrieb gewährleisten sollen. Aus diesem Grund finden sich neben der Antriebsfunktionalität in der Regel auch integrierte Sicherheitsfunktionen in Hubantrieben. Ein Großteil von Hubanwendungen muss mit definierten Bewegungsprofilen und genauen Taktsequenzen betrieben werden und ist deshalb mit geregelten Antrieben ausgestattet. Nur bei geringen Anforderungen an den Takt- und Bewegungsablauf werden noch direkt am Netz betriebene Getriebebremsmotoren eingesetzt. Einsatzbedingungen. Da Hubwerke nicht nur in industriellen Betrieben, sondern auch in Gebäuden zu finden sind, gibt es eine hohe Bandbreite an Einsatzbedingungen, die in Kapitel 3.2 dargestellt wurden. Die Antriebsmotoren und Getriebe müssen zum Teil hohe Schutzarten (IP 54 oder
312 Mechatronische Antriebslösungen
IP 65) aufweisen, z. B. für Außen- und Nassbereiche. Zum Korrosionsschutz werden teilweise auf geeignete Oberflächenveredelungen von blanken Metallteilen wie z. B. Bremsscheiben eingesetzt.
Drehzahl n
n0
Geräuschentwicklung. Wenn Hubanwendungen wie z. B. Personenaufzüge oder Theaterbühnen in akustisch sensiblen Umgebungen eingesetzt werden, ist ein geräuscharmer Betrieb des Antriebssystems notwendig. Das gilt für den Umrichter, den Motor, das Getriebe, die Bremse und die Bremswiderstände. Hierzu muss der Umrichter mit einer Schaltfrequenz von ≥16 kHz betrieben werden, und die Getriebe, Bremsen und Bremswiderstände müssen geräuscharm ausgeführt sein. Es bieten sich z. B. Schneckengetriebe mit geräuscharmen Laufeigenschaften an. Alternativ werden anstelle von Getrieben Direktantriebe eingesetzt.
Drehzahl n
t
t Drehmoment M
Drehmoment M t Leistung P t Beschleunigen Heben Bremsen
t Leistung P
t
Beschleunigen Senken Bremsen
Abb. 4-38. Verlauf von Drehzahl, Drehmoment und Leistung an einem Hubwerk mit Winde
Auslegung von Hubantrieben. Hubantriebe bauen beim Heben potenzielle Energie auf, die beim Absenken der Last wieder abgegeben wird. Ein seilgeführtes Antriebssystem ohne Gegengewicht arbeitet in zwei Quadranten (positive und negative Drehzahl bei positivem Drehmoment). Hubantriebe mit Gegengewicht arbeiten in allen vier Quadranten. Die aufzubringende Leistung PHub berechnet sich nach der Masse m, die gehoben wird, der Fahrgeschwindigkeit v sowie der Beschleunigung a:
Hubantriebe 313
PProzess_H =
(Δm ⋅ g + m
ges
)
⋅a ⋅v
(4.1) η mech Dabei ist Δm die Differenz aus der Masse der Hebeeinrichtung mit der Nutzlast und einem Gegengewicht. Neben dem statischen Drehmoment sind vom Antrieb zusätzlich dynamische Momente zum Beschleunigen und Bremsen aufzubringen (Abb. 4-38). Der Verlauf von Drehzahl, Leistung und Drehmoment wird im Folgenden für ein Hubwerk mit Winde dargestellt. Seilgeführte Hubantriebe werden in der Regel mit Beschleunigungen von ca. 0,5 bis 2 m/s² betrieben. Daraus ergibt sich eine dynamische Lastkomponente von ca. 5 bis 20 % des stationären Drehmoments. Die dynamische Komponente bei der Beschleunigung fällt erst bei größeren Beschleunigungen stärker ins Gewicht. Handhabungsgeräte mit vertikalen Achsen werden teilweise mit sehr hohen Beschleunigungen von bis zu ca. 60 m/s² betrieben. Hierbei sind die dynamischen Lastkomponenten für die Antriebsauslegung dominant. Hubwerke mit Gegengewichten. Bei Hubwerken mit Gegengewichten verschieben sich die stationären und dynamischen Drehmomentanteile ganz erheblich. Das Gegengewicht reduziert die stationären Drehmomente und erhöht die dynamischen Drehmomente, da das Gegengewicht auch beschleunigt werden muss. Beim Einsatz von Kompensationsfedern (Gewichtskompensation, Sicherheitsfunktion) bei Torantrieben erfolgt die Auslegung in Kenntnis der Kompensationswirkung auf der Lastseite. Hier ist in der Regel eine Kennlinie oder ein Diagramm des resultierenden lastseitigen Drehmomentbedarfs als Funktion der Position erforderlich. Die Auslegung von Hubantrieben ist wegen der aktiven Last sehr sorgfältig und mit ausreichender statischer und dynamischer Reserve vorzunehmen. Bei Personenaufzügen muss der Antrieb z. B. in der Lage sein, einen mechanisch festgebremsten Fahrkorb aus der Verkeilung zu fahren. Getriebemotoren. In Hubwerksanwendungen werden überwiegend Getriebemotoren mit Axial-, Winkel- oder Planetengetrieben eingesetzt. Wirkt das Getriebe direkt auf die Winde, so kann dies über einen Wellenzapfen axial durch eine Kupplung erfolgen, oder das Getriebe wirkt als Aufsteckgetriebe direkt auf den Windenzapfen, wobei eine Drehmomentstütze das Gegenmoment aufnimmt. Soll ein Motor zwei Seiltrommeln synchron antreiben, so werden Winkelgetriebe mit zwei Abtriebszapfen eingesetzt. Wird ein Hubwerk mit großen Lasten bei niedrigen Geschwindigkeiten und niedrigen Lasten bei hohen Geschwindigkeiten betrieben, so kann dies mit einem Schaltgetriebe oder dem Betrieb des Motors in der Feldschwächung erreicht werden, um die Antriebsleistung besser zu nutzen.
314 Mechatronische Antriebslösungen
Schneckengetriebe werden für Anwendungen in akustisch sensiblen Bereichen eingesetzt. Sie bieten den Vorteil des geräuscharmen Betriebs und ab einem bestimmten Übersetzungsverhältnis den nützlichen Effekt der Selbsthemmung für drehmomentlose Phasen des Antriebs. Beim Einsatz von Scheckengetrieben ist bei der Antriebsauslegung der deutlich geringere Anzugswirkungsgrad zu berücksichtigen. Die Getriebe von Hubantrieben werden in der Regel mit Asynchronmotoren kombiniert. Synchronmotoren werden dann eingesetzt, wenn die Kompaktheit dieser Motoren oder bei Handhabungsachsen auch das geringe Trägheitsmoment Vorteile bieten. Bei sehr großen Leistungen (z. B. Containerkrane) werden nach wie vor Gleichstromantriebe verwendet.
Abb. 4-39. Direktantrieb mit Treibscheibe
Getriebelose Direktantriebe. Direktantriebe werden bei Personenaufzügen und im Theaterbereich zunehmend verwendet. Sie bieten bei Personenaufzügen den Vorteil, dass die hierdurch entstehenden kompakten Antriebseinheiten direkt im Aufzugsschacht installiert werden können, ohne dass ein separater Maschinenraum notwendig ist (Abb. 4-39). Bei Hubantrieben in Theatern liegt der Hauptvorteil der Direktantriebe in ihren sehr geringen akustischen Emissionen. Um Betriebsgeräusche weitgehend zu unterdrücken, muss der Umrichter mit einer unhörbar hohen Schaltfrequenz von 16 kHz betrieben werden. Ein weiterer Vorteil von Direktantrieben ist die deutliche Energieeinsparung im Vergleich zu konventionellen Getriebemotoren und die Servicefreundlichkeit. Für Direktantriebe werden überwiegend Synchronmotoren, teilweise aber auch Asynchronmotoren eingesetzt. Gruppenantriebe. Bei großen Motorleistungen werden pro Seite der Seilwinde zwei getrennte Motoren eingesetzt. Diese beiden Motoren können als Asynchronmotoren sehr einfach von einem Umrichter parallel ver-
Hubantriebe 315
sorgt werden (Abb. 4-40 b). Werden zwei Synchronmotoren an einer Winde oder an einem Windensystem eingesetzt, so ist jedem Motor ein Umrichter zugeordnet. Die symmetrische Drehmomentaufteilung erfolgt über die Umrichter (Abb. 4-40 c). In Analogie hierzu kann das auch mit zwei Asynchronmotoren erfolgen. Wird eine Redundanz gefordert, so kann dies auch mit Multiachssystemen erreicht werden, die dann so ausgelegt sind, dass ein Antrieb die gesamte Last führen kann. n Umrichter
n Umrichter
M 3~
a)
M 3~
b)
n Umrichter
M 3~
M 3~
Msoll
Umrichter
M 3~
c)
Abb. 4-40. Winde mit Einzelachs- (a), Gruppen- (b) und Multiachsantrieb (c)
Bremsen. Zum zuverlässigen und sicheren Halten der Lasten, insbesondere auch bei einem Spannungsausfall, sind elektromechanische Bremsen erforderlich, an die aus Sicherheitsgründen hohe Anforderungen hinsichtlich Reserven, Zuverlässigkeit, Redundanz und Überwachungen gestellt werden. In Abhängigkeit der erforderlichen Sicherheitsklasse werden Mehrfachsysteme eingesetzt, so z. B. Doppelbremsen am Motor oder eine Motorbremse und eine zusätzliche elektromechanische Scheibenbremse an der Winde, welche mit mehreren Bremssätteln und Bremskreisen ausgerüstet werden kann. Die Bremsen werden in der Regel mindestens auf das zweifache Bemessungsdrehmoment des Antriebsmotors dimensioniert. Für Hubantriebe in akustisch sensiblen Bereichen werden zum Teil spezielle Bremsen in Bezug auf Sicherheit und Geräuschen eingesetzt. Speziell im Aufzugsbereich werden mechanische Notbremssysteme eingesetzt, die den Fahrkorb mit mechanischen Beschleunigungseinrichtungen in den Führungsschienen verkeilen (Fanghaken), sodass er auch im Falle eines Seilrisses sicher abgebremst wird. Verschiebeankermotoren. Eine besondere Integration von Bremse und Motor für Hubantriebe bieten Verschiebeankermotoren. Die Oberfläche des Rotors ist konisch, sodass bei der Ansteuerung des Motors auch eine Kraft in axialer Richtung entsteht. Wenn der Motor nicht angesteuert wird, drückt eine Feder den Rotor auf die Bremsfläche. Sobald der Motor ein
316 Mechatronische Antriebslösungen
Drehmoment aufbaut, wird der Rotor zum Stator gezogen und die Bremse gelüftet. Der Vorteil des Verschiebeankermotors ist die Eigensicherheit: Wenn der Motor kein Drehmoment aufbringen kann, fällt automatisch die Bremse ein. Für diesen Übergang sind keine externen Schaltelemente notwendig. Nachteilig sind der hohe Fertigungsaufwand, der auch zu höheren Kosten führt, und der höhere Strombedarf durch den größeren Luftspalt. Diese Gründe führen dazu, dass Verschiebeankermotoren zunehmend durch Standardmotoren mit angebauten Federkraftbremsen ersetzt werden. Bei der Ansteuerung von Verschiebeankermotoren mit Frequenzumrichtern ist auf den recht unterschiedlichen Erregerstrombedarf zwischen Startund Betriebsphase zu achten. Handräder und Bremsen mit Handlüftung für den Notbetrieb. Um den Aufzug bzw. das Hubwerk bei einem Stromausfall oder anderweitig fehlender Energieversorgung noch betätigen zu können, werden Handräder und Handlüftungen an den Bremsen vorgesehen. Dies ist nur im begrenzten Leistungsbereich und bei Getriebemotoren möglich. Ansteuerung der Antriebsmotoren. Einfache Hubwerke werden mit Asynchron-Bremsmotoren mit Drehrichtungsumkehr durch eine Wendeschützschaltung betrieben. Dabei kann der Motor über eine separate, integrierte elektromechanische Bremse verfügen, oder er ist als Verschiebeankermotor mit einem kombinierten Läuferbremssystem ausgestattet. Bei häufigen Schaltvorgängen sind die Lebensdauer von Bremse und Schaltgeräten und die Verlustenergie von Motor und Bremse in der Projektierungsphase zu berücksichtigen. Etwas mehr Komfort bieten polumschaltbare Asynchronmotoren mit zwei getrennten Wicklungen (4 / 16- oder 4 / 12-polig), wobei die höherpolige Wicklung für den Schleichgang oder auch für eine Gleichstrombremsung zum Einfahren in die Zielposition angesteuert wird. Auch hierbei ist eine Bremse obligatorisch. Das beste Fahrverhalten von Hubantrieben wird durch den Einsatz eines Umrichters erzielt. Es können sanfte Beschleunigungs- und Bremsrampen sowie unterschiedliche Fahrgeschwindigkeiten eingestellt werden. Auch das gezielte Anfahren von Positionen ist gegenüber nicht geregelten Antrieben deutlich einfacher und präziser realisierbar. Das Spektrum der Umrichter reicht je nach Anforderungen vom Frequenzumrichter mit U/fSteuerung bis hin zum Servoantrieb mit Drehzahl- oder Lageregelung. Aufgrund ihrer überlegenen Eigenschaften werden geregelte Antriebe mit Umrichtern zunehmend in Hubwerken verwendet. Nutzung der Feldschwächung beim Einsatz von Frequenzumrichtern. Die Nutzung der Feldschwächung von Asynchronmotoren bietet für die Szenarien „Hohe Last bei niedriger Geschwindigkeit“ und „geringe Last
Hubantriebe 317
bei hoher Geschwindigkeit“ einen großen Vorteil zur Reduzierung der zu installierenden Antriebsleistung. Weiterhin kann sich die Feldschwächung bei hochdynamischen Anwendungen mit Wechsellast positiv auf das Regelungs- und Beschleunigungsverhalten durch eine Reduzierung des Lastabstimmungsfaktors auswirken. Bei der Feldschwächung besteht die Gefahr, dass der Antrieb kippt und der Motor dann nicht mehr dem magnetischen Feld folgt. Soll das Hubwerk in der Feldschwächung betrieben werden, so ist der Feldschwächfaktor auf den Kippmomentverlauf und auf das Kennlinienfeld des Motors abzustimmen. Eine lastabhängige Sollwertbegrenzung für den Feldschwächbereich ist dabei eine zwingend notwendige Funktion, die unzulässige Drehzahlen bei hoher Last vermeidet. Die aktuelle Last kann vom Umrichter identifiziert oder von einem Sensor erfasst werden. Generatorische Leistungsabfuhr. Da im Senkbetrieb unter Last generatorische Energie auftritt, muss der Umrichter diese abführen können. Die verschiedenen Verfahren zum Umgang mit generatorischer Leistung sind in Kapitel 3.4.1 dargestellt. Bei Hubwerken mit geregelten Antrieben werden zur Aufnahme der generatorischen Leistung Bremssteller mit Bremswiderständen oder Rückspeisemodule eingesetzt. Umrichter mit Bremssteller bieten den Vorteil, dass sie den Umrichter auch bei einem Ausfall der Netzspannung im generatorischen Betrieb noch mit Energie versorgen und somit den Bremsbetrieb aufrechterhalten können. Bremswiderstände für Hubanwendungen müssen in der Lage sein, Leistung über eine längere Zeit umsetzen zu können. Aus diesem Grund werden andere Ausführungen als für das kurzzeitige Umsetzen von kinetischer Energie verwendet. Bei generatorischen Leistungen von mehr als 5 bis 10 kW ist der Einsatz von Rückspeisemodulen aus energetischen Gründen sinnvoll. Um eine bessere Energieeffizienz zu erzielen, wird sich diese Grenze in Zukunft zu kleineren Leistungen verschieben. Antriebsregelung. Ein Hubantrieb muss den Motor wegen der aktiven Last in allen auftretenden Betriebsquadranten des Drehmoment-DrehzahlKennfelds, vor allem auch in den Quadrantenübergängen und im Stillstand, lückenlos führen können. Diese Forderung ist unabhängig davon, ob es sich um ein System mit oder ohne Drehzahlrückführung handelt. Bei anspruchsvollen Systemen müssen ein sehr hoher Drehzahlstellbereich (z. B. 1 : 2.000) und ein Betrieb im Stillstand unter Volllast möglich sein, um die Last ohne Einfall der Bremse zu halten. Für Hubwerksanwendungen können verschiedene Verfahren zur Antriebsregelung eingesetzt werden, die sich in der Antriebsperformance auf der einen Seite und bei den Kosten auf der anderen Seite voneinander un-
318 Mechatronische Antriebslösungen
terscheiden [Ti99]. Die Einsatzbereiche dieser Verfahren werden im Folgenden erläutert. U/f-Kennliniensteuerung ohne Drehzahlrückführung. Für einfache Lastenaufzüge oder Hebeeinrichtungen im Leistungsbereich bis 7,5 kW reicht oftmals der U/f-Betrieb eines Frequenzumrichters in Verbindung mit einem Asynchronmotor aus. Die Grundlagen der Betriebsart U/fKennliniensteuerung sind in Kapitel 3.4.4 beschrieben. Beim Einsatz dieser Betriebsart für Hubwerke ist sicherzustellen, dass die Einstellung der Spannungsanhebung im Leerlauf (Umin) so vorgenommen wird, dass mindestens der 1,67-fache Motorbemessungsstrom auch im Betrieb mit Teillast und Leerlauf fließt. Eine motortemperatur- und lastabhängige Nachführung der Umin-Einstellung findet nicht statt. In den meisten Fällen wird diese konstante Umin-Einstellung für das Heben und Senken verwendet. Dieses führt dazu, dass bei kleinen negativen Drehzahlen (Senkbetrieb) ein überhöhter Strom fließt, der vom Umrichter zur Verfügung gestellt werden muss und den Motor zusätzlich erwärmt. Mit der Vorgabe einer reduzierten Umin-Einstellung für den Senkbetrieb kann dieser Effekt vermieden werden. Dieses setzt voraus, dass der Umrichter im Betrieb eine Umschaltung der Parameter für die U/f-Steuerung vornehmen kann (z. B. durch eine Parametersatzumschaltung). Um thermische Probleme am Motor aufgrund der hohen UminEinstellung zu vermeiden, sollte der Antrieb nur bis zu 75 % des Motorbemessungsmoments ausgenutzt werden. Um im unteren Drehzahlbereich den hohen Strom zur Verfügung stellen zu können, muss der Umrichter in der Regel eine Leistungsstufe größer als der Motor gewählt werden. Sobald die Solldrehzahl des Antriebs kleiner wird als die ein- bis zweifache Nennschlupfdrehzahl des Motors, ist die Bremse zu aktivieren, um eine sichere Lastführung beim Übergang zwischen Bremse und Motor zu gewährleisten. Ein Übergang zwischen Heben und Senken ohne Aktivierung der Haltebremse ist nicht vorgesehen. Diese Lastübernahme zwischen Motor und Bremse ist ruckbehaftet. Durch diese Grenze beträgt der Drehzahlstellbereich eines Hubantriebs mit einer U/f-Steuerung 1 bis 10 bis 1 bis 20. Trotz der genannten Nachteile wird dieses Verfahren im unteren Leistungsbereich häufig eingesetzt, da es insbesondere bis 2,2 kW ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Eine zusätzliche Drehzahlrückführung kann zur Schlupfkompensation und zur Stillstandsüberwachung eingesetzt werden. Antriebssysteme mit Umrichtern im U/f-Betrieb sollten aus Gründen der nicht optimalen Motorerregung im unteren Drehzahlbereich nur bis zu Leistungen von ca. 7,5 kW betrieben werden und dabei leistungsmäßig genügend Reserven aufweisen.
Hubantriebe 319
Servoregelung mit Drehzahlrückführung. Servo-Umrichter mit einer feldorientierten, Strom einprägenden Motorregelung (Kap. 3.4.4) gewährleisten eine sehr gute, hochdynamische Drehmomentführung, einen hohen Drehzahlstellbereich und eine hohe Überlastfähigkeit. Stetige Übergänge zwischen dem Heben und Senken sowie das Halten der Last im Stillstand ohne Unterstützung der Bremse sind möglich. Mithilfe eines integrierten Winkelreglers kann die Laststeifigkeit im Stillstand erhöht werden. Dieses Regelverfahren kann sowohl mit Synchron- als auch mit Asynchronmotoren mit Drehzahlrückführung verwendet werden. Die Lastübernahme erfolgt ruckfrei. Die feldorientierte Regelung stellt dem Motor den tatsächlich zur Beherrschung der Last benötigten Strom zur Verfügung, was dazu führt, dass bei Teillast im unteren Drehzahlbereich wesentlich weniger Strom als bei dem Betrieb mit der U/f-Steuerung benötigt wird. Eine Überdimensionierung des Umrichters ist nicht erforderlich, und es wird keine unnötige Erwärmung im Motor erzeugt. Tabelle 4-5 zeigt die Eigenschaften und Anwendungen der beiden Antriebsregelungsverfahren beim Einsatz in Hubwerken. Tabelle 4-5. Regelungsverfahren für Hubantriebe Regelungsverfahren
Leistungs- Anwendungen fähigkeit U/f-Kennliniensteuerung o Einfache Hubanwendungen, z. B. ohne Drehzahlrückführung Schnelllauftore, Lastenaufzüge Servo- / Vektorregelung ++ Präzise Hubanwendungen im automatimit Drehzahlrückführung schen oder manuellen Betrieb, z. B. Regalbediengeräte, Personenaufzüge, Stapler
Antriebsfunktionen für Hubwerke. Zusätzlich zur Antriebsregelung müssen für Hubwerksanwendungen weitere Funktionen vorhanden sein. Diese können in übergeordneten Steuerungen oder im Umrichter oder auch verteilt in beiden realisiert werden. Folgende Funktionen werden von Hubwerksanwendungen benötigt:
• • • • •
Fahrprofile für die Bewegungsführung, Positionieren auf die Halteposition, Funktionen zum Bremsenmanagement, lastabhängige Drehzahlbegrenzungen und Überwachungen der aktiven Last.
Fahrprofile. Die Bewegungsführung muss dafür sorgen, dass die Eigenfrequenz des Feder-Masse-Systems nicht durch das Fahrprofil angeregt wird. Dies führt dazu, dass s-förmige Rampen und begrenzte Beschleuni-
320 Mechatronische Antriebslösungen
gungszeiten verwendet werden. Für einen hohen Fahrkomfort von Personenaufzügen und zum Teil auch für den Transport empfindlicher Güter werden ruckarme Bewegungsprofile (s-förmige, sinusquadratförmige, bestimmte mathematische Polynome) verwendet. Diese haben den Vorteil, dass die Änderung der Beschleunigung (der Ruck) und damit die Krafteinwirkung auf den zu bewegenden massebehafteten Körper, endlich oder stetig verläuft. Hierdurch werden mechanische Schwingungen nur wenig angeregt. Gerade ein langes Seil mit einer Last stellt ein Feder-MasseSystem mit sehr geringer Dämpfung dar. Positionieren auf die Halteposition. Eine einfache Positionierfunktionalität kann durch eine Abschaltpositionierung mit einer Schleichfahrt und Stopp durch einen Endschalter erfolgen. Für anspruchsvollere Hubwerke mit Positionierfunktionalität ist ein Lageregler erforderlich, der absolute oder relative Wegerfassungssysteme mit unterschiedlichen Schnittstellen und Protokollen auswerten kann. Treten beim Spulen variable Windendurchmesser auf, so sollte dies elektronisch durch eine Durchmesserermittlung kompensiert werden. Bremsenmanagement. Bei Hubwerken ist die Steuerung der Haltebremse so eng mit der Steuerung des Motors verbunden, dass sie gut vom Umrichter übernommen werden kann. Idealerweise befindet sich das Schaltorgan zur Ansteuerung der Bremse direkt im Umrichter. Alternativ kann über einen digitalen Ausgang des Umrichters ein externes Relais zur Bremsenansteuerung geschaltet werden. Ein gutes Bremsenmanagement hat das Ziel, einen möglichst ruckfreien Drehmomentübergang von der Bremse auf den Umrichter zu erreichen. Da eine Bremse nicht schlagartig öffnet, sondern das Bremsmoment innerhalb der Bremsenöffnungszeit kontinuierlich abnimmt, ist es notwendig, dass beim Öffnen der Bremse bereits ein Drehmoment vom Umrichter aufgebaut wird. Bei einfachen Frequenzumrichtern, die ein Hubwerk in U/fKennliniensteuerung betreiben, gibt es in der Regel kein spezielles Bremsenmanagement. Stattdessen wird die Bremse in Abhängigkeit des Drehzahlsollwerts bei der ca. ein- bis zweifachen Bemessungsschlupfdrehzahl des Motors angesteuert. Dieses führt dann zu einer ruckbehafteten Lastübernahme. Ein kontinuierlicher Auf- bzw. Abbau des Motordrehmoments während der Lastkommutierung zwischen Motor und Bremse, der in der Antriebsregelung über die Drehmomentbegrenzung realisiert werden kann, verhindert unerwünschte Geräusche. Wird die Last von der Motorregelung erfasst und mitverarbeitet, so sorgt dies für ruckarme Übergänge zwischen Motor und Bremse.
Hubantriebe 321
Lasterkennung. Um zu verhindern, dass unzulässige Lasten angehoben werden, und zur ruckarmen Lastübernahme zwischen Motor und Bremse ist eine Lasterkennung erforderlich. Die Überwachung bezüglich der Überlast schließt oft auch eine Überwachung für die korrekte Öffnung der Bremse ein. Versucht der Umrichter gegen die fälschlicherweise geschlossene Bremse anzufahren, wird dieses als ein Überlastzustand erkannt. Lastabhängige Drehzahlbegrenzung. Diese Funktion ermöglicht im Teillastbereich eine höhere Antriebsgeschwindigkeit durch Ausnutzung des Feldschwächbereichs. Die Vorteile der Nutzung der Feldschwächung bei Hubwerken wurden bereits erläutert. Der Umrichter begrenzt die maximal zulässige Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der aktuellen Nutzlast. Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich die Last während eines Hubvorgangs nicht erhöht. Ohne diese Funktion könnte ein Umrichter im Senkbetrieb mit einer zu hohen Last in die Feldschwächung hineinfahren und die Last dann nicht mehr selbsttätig abbremsen können. Beim Abbremsen der Last aus dem Senkbetrieb wird in der Regel ein höheres Drehmoment benötigt als bei konstanter Senkgeschwindigkeit.
Abb. 4-41. Zusammenschaltung von zwei Hubantrieben für die Verladung von Langgütern
Multiachsanwendungen. Sind Multiachssysteme (pro Motor ein Umrichter) am selben Hubprozess beteiligt und sind die Antriebsmotoren nicht kraftschlüssig gekoppelt, dann müssen die beiden Antriebe winkelsynchron arbeiten. Die hierzu erforderlichen Softwarefunktionen werden in dem Kapitel 4.6 zu Gleichlaufantrieben ausführlich beschrieben. Diese
322 Mechatronische Antriebslösungen
Funktion kann z. B. an einem Brückenkran mit zwei Katzen zum Transport von Langgütern verwendet werden (Abb. 4-41). Bei kraft- oder formschlüssiger Kopplung zwischen Motor und Last werden diese Multiachssysteme mit Drehmomentverhältnisregelungen geregelt. Erfolgt dies mit Gruppenantriebssystemen (mehrere Asynchronmotoren parallel an einem Regler), muss die Motorregelung diese Betriebsart unterstützen. Randbedingungen zur Installation und Automatisierung. Umrichter für Hubwerke werden häufig von SPS-, Aufzugs- oder Kransteuerungen angesteuert. Für hohe Sicherheitsanforderungen werden auch separate Überwachungseinheiten eingesetzt. Bei anspruchsvollen Anforderungen an die Funktion wird diese in der Regel in speziellen Aufzugs- oder Kransteuerungen realisiert, die die Logikfunktionen, die Sollwertaufbereitung und die Überwachung beinhalten. Kransteuerungen verfügen oftmals über eine drahtlose Fernbedienung. Auf die sehr umfangreichen Vorschriften und Normen wird hier nicht eingegangen. Sicherheitseinrichtungen für Hubwerke. Aufzugsanlagen unterliegen ganz besonderen Sicherheitsanforderungen und müssen regelmäßig von technischen Überwachungsinstitutionen überprüft werden. Die technischen Vorschriften sind in Europäischen Richtlinien geregelt. Beim Ausfall der elektrischen Energieversorgung ist es für die Personenbeförderung und auch für sensible Bereiche der Güterförderung erforderlich, dass die Hebeeinrichtung mit einem separaten Notantrieb über eine USV-Anlage oder über eine Akkumulatorversorgung mit direktem Anschluss an den Zwischenkreis des Umrichters weiter betrieben werden kann. Im Notfall erfolgt eine sichere und zum Teil auch redundante Trennung des Motors vom Umrichter durch ein oder zwei in Reihe geschaltete Motorschütze. Alternativ kann das auch über eine mehrkanalige, sicherheitstechnische Funktion des Umrichters erfolgen („Sicher abgeschaltetes Moment“, STO). Bei Antriebssystemen mit Synchronmotoren wird die Wicklung im Notfall kurzgeschlossen. Damit erfolgt eine unterstützende dynamische Bremsung, auch bei Stromausfall. Die Bremswirkung ist drehzahlabhängig. Die elektromechanischen Bremsen werden betriebsmäßig auf der ACoder DC-Seite geschaltet, wobei das Schalten auf der AC-Seite länger dauert, aber dafür geräuschärmer ist und das Schaltgerät nicht so stark beansprucht (Kap. 3.3.7). Beim Schalten auf der DC-Seite ist die Ansprechzeit der Bremse deutlich geringer, deshalb wird im Notfall auf der DC-Seite geschaltet. Im Störfall wird bei sicherheitsgerichteten Systemen zweikanalig auf AC- und DC-Seite getrennt. In sicherheitsrelevanten Bereichen
Positionierantriebe 323
werden die Bremsen mit Handlüftungen durch Hebel oder Seilzug versehen. Eine zweikanalige Bremsenansteuerung sorgt für Redundanz und Sicherheit. Eine Überwachung der Bremse bezüglich Drahtbruch, Strom und Betätigung (Mikroschalter) erhöht die Betriebssicherheit. Werden Bremsen nur sehr selten betätigt, dann kann die Bremsscheibe korrodieren. Deshalb wird die Wirksamkeit der Bremse in bestimmten Intervallen geprüft und gegebenenfalls durch kurzes Fahren gegen die geschlossene Bremse konditioniert werden. Sequenzielle Überwachungsfunktionen wie z. B. Netz- und Motorphasenausfall, Erkennung von Netzunterspannungen, Über- und Unterspannung im Zwischenkreis, Netzspannungsasymmetrien, Bremsen- und Überwachung der Winkelgeber sind elementare Bestandteile von Umrichtern für Hubwerke.
4.4 Positionierantriebe Andreas Diekmann, Karsten Lüchtefeld Positionierantriebe werden eingesetzt, um ein Fördergut oder ein Werkstück zu einer Zielposition zu bewegen. Das Positionieren auf eine Zielposition spielte bei den Fahrantrieben in Kapitel 4.2 und den Hubantrieben in Kapitel 4.3 bereits eine wichtige Rolle, wurde dort aber nicht im Detail erläutert. In diesem Kapitel soll daher detailliert beschrieben werden, wie Antriebe zum Positionieren aufgebaut sind. Bei den in diesem Kapitel vorgestellten Positionierabläufen, sogenannten Punkt-zu-Punkt-Positionierungen, ist nur die Endposition entscheidend, nicht der gesamte Bahnverlauf auf dem Weg dorthin. Komplexere und mehrdimensionale Bewegungen werden bei den koordinierten Antrieben in Kapitel 4.5, den Querschneidern und Fliegenden Sägen in Kapitel 4.8 und den Kurvenscheibenantrieben in Kapitel 4.9 behandelt. Auch diese Antriebslösungen führen letztendlich Positioniervorgänge aus, die allerdings aufwändiger zu beschreiben und zu realisieren sind als die Punkt-zuPunkt-Positionierungen dieses Kapitels. 4.4.1
Prozess des Positionierens
Unter einer Positionierung versteht man ein oder mehrere bewegliche Maschinenteile, ausgehend von einer Startposition, zu einem definierten Ziel zu bewegen. Eine Masse m hat dabei einen bestimmten Weg s in einer bestimmten Zeit t zurückzulegen. Die Endposition ist mit einer vorgegebenen Genauigkeit ∆s einzuhalten. Die Masse m und der Weg s werden von der Anwendung vorgegeben. Innerhalb fester Grenzen (maximale Masse des
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Förderguts, längster Verfahrweg innerhalb des Verfahrbereichs) können sich der Weg s und die Masse m verändern. Häufig sind Positioniervorgänge Nebenzeiten in Produktionsmaschinen, die nicht zur Wertschöpfung beitragen. Dieses kann z. B. das Anfahren von Stationen zum Be- und Entladen der Maschinen sein. In diesen Fällen muss der Positioniervorgang möglichst schnell erfolgen. Hierzu sind dann eine kurze Zeit t des Positioniervorgangs und damit eine hohe Dynamik des Positionierantriebs erforderlich. Für die Güte einer Positionierung ist die Genauigkeit ∆s entscheidend, mit der das Positioniergut in seine Endposition gebracht wird. Die notwendige Genauigkeit variiert mit der Anwendung. So sind bei Förder- und Fahrantrieben Genauigkeiten im Bereich von mehreren mm ausreichend, während bei der Materialhandhabung Positioniergenauigkeiten im Bereich von 0,1–1 mm zu erreichen sind. Bei Produktionsprozessen können diese noch deutlich niedriger sein. Präzisionsbearbeitungen erfordern Genauigkeiten im µm-Bereich. In der Regel wird der Aufwand sowohl in der Mechanik, in der Sensorik und in der Antriebsregelung größer, wenn eine höhere Positioniergenauigkeit zu erreichen ist.
Abb. 4-42. Handhabungsmaschine mit Servo-Positionierantrieben
Positionierantriebe, die Fördergüter oder Werkstücke in eine definierte Endposition bewegen, finden sich beispielhaft in folgenden Anwendungen (Abb. 4-42):
• Zuführung und Entnahme von Werkstücken in Produktionsmaschinen, • Pick-and-Place-Maschinen, z. B. zur Bestückung von elektronischen Bauteilen,
Positionierantriebe 325
• • • • • • •
Montageautomaten, Rundschalttische, Werkzeugwechsler, Verstellen von Anschlägen in Produktionsmaschinen, Fahr- und Hubantriebe in Regalbediengeräten, Palettierer, positionsgenaues Anhalten von Förderprozessen in Stetig- und Unstetigförderern (Förderbänder, Elektro-Hängebahnen, Förderfahrzeuge), • Anfahren einer Halteposition in Hubwerken und • Drehen von Walzen in definierte Wartungspositionen. 4.4.2
Mechanischer Aufbau von Positioniersystemen
Positionierprozesse können lineare oder rotatorische Bewegungen erfordern. Die überwiegende Mehrheit der Positionierprozesse wird dabei linear ausgeführt. Bei Einsatz eines rotierenden Antriebs muss eine Umsetzung der Rotation des Motors in eine lineare Bewegung erfolgen. Die hierfür verfügbaren linearen Mechaniken und ihre Eigenschaften wurden in Kapitel 3.6.6 beschrieben. Die Mechanik legt in hohem Maße die erreichbaren Geschwindigkeiten und damit die Dynamik des Positioniervorgangs sowie die Wiederholgenauigkeit und damit die Güte der Positionierung fest. Für den Einsatz in linearen Positionierantrieben können die verschiedenen linearen Mechaniken folgendermaßen zusammengefasst werden:
• Spindeln werden bei einer hohen Positioniergenauigkeit, aber niedrigen Geschwindigkeiten eingesetzt. Der Positionierweg ist begrenzt. • Zahnriemen erlauben eine höhere Geschwindigkeit, aber eine niedrigere Positioniergenauigkeit von ca. 0,1 mm. Der Positionierweg ist größer als bei der Spindel, aber auch begrenzt. • Zahnstangen bieten einen unbegrenzten Verfahrweg, aber eine niedrige Genauigkeit und sind spielbehaftet. • Neben diesen Mechaniken können auch andere Zugmittel wie Seile und Ketten verwendet werden. Auch Fahrantriebe können Positioniervorgänge realisieren. Die erreichbare Genauigkeit und Dynamik ist dabei begrenzt. • Alle Anwendungen, die sowohl eine hohe Geschwindigkeit als auch eine hohe Genauigkeit benötigen, können mit Linearmotoren (Kap. 3.3.5) ausgerüstet werden. Hierbei entfällt dann die mechanische Umsetzung vom rotierenden Motor zur linearen Bewegung. In Anwendungen zur Materialhandhabung werden sehr häufig Zahnriemenantriebe verwendet, weil diese eine hohe Geschwindigkeit und eine für diese Anwendung ausreichende Genauigkeit bieten.
326 Mechatronische Antriebslösungen
Zur präzisen Verstellung von Anschlägen sowie für präzise Werkstückpositionierungen in Produktionsmaschinen werden in der Regel Spindeln verwendet. Die sehr präzisen und schnellen Bestückungsvorgänge von elektronischen Bauteilen werden zunehmend mit Linearantrieben realisiert. Rotatorische Positioniervorgänge finden sich z. B. in Rundschalttischen. Hier kommen Direktantriebe in sehr präzisen Anwendungen zur Vermeidung von Spiel zum Einsatz. 4.4.3
Antriebssysteme zum Positionieren
Die Schwerpunkte der Anforderungen an ein Antriebssystem zum Positionieren liegen bei folgenden Punkten:
• Hohe Dynamik, um kurze Positionierzeiten zu erreichen, • gute Genauigkeit entsprechend der Anwendung und • hohe Zuverlässigkeit. Auslegung von Positionierantrieben. Im Gegensatz zu kontinuierlichen Vorgängen ist das Positionieren durch dynamische Vorgänge geprägt, die ein ständiges Beschleunigen, Verfahren und Verzögern vom Antrieb abverlangen. Zur Auslegung müssen die Positionierprofile und der dafür notwendige Drehmoment- und Drehzahlbedarf ermittelt werden. Die Auswahl der Komponenten erfolgt in der Regel nach dem Bedarf an Spitzenleistung, selten nach dem Bedarf an Dauerleistung. Getriebe. In einigen Anwendungen kann auf den Einsatz eines Getriebes verzichtet werden, weil die Eingangsdrehzahl der Mechanik so hoch ist, dass ein Motor ohne Untersetzung verwendet werden kann. Dieses ist teilweise bei Spindel- und Zahnriemenantrieben der Fall. In vielen anderen Fällen wird allerdings auch für Positionierantriebe eine Untersetzung durch ein Getriebe benötigt. Bei Positionieranwendungen kommt es bei der Getriebeauswahl vor allen Dingen auf ein geringes Getriebespiel (Getriebelose) an. Aus diesem Grund werden häufig spielarme Planetengetriebe verwendet. Aber auch Stirnradgetriebe und Kegelradgetriebe finden ihren Einsatz, wenn das Getriebespiel die erforderliche Positioniergenauigkeit nicht beeinträchtigt. Beim Einsatz von Getrieben für Positionierantriebe tritt eine hohe Wechsellastbelastung des Getriebes auf, da Positioniervorgänge durch das schnelle Beschleunigen und Bremsen sowie durch die Umkehr der Drehrichtung gekennzeichnet sind. Die Getriebe und insbesondere die Verbindungselemente zum Motor und zur Mechanik müssen für diese Belastung ausgelegt sein, um eine hohe Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Bei der Verbindung zum Motor haben sich hierbei kraftschlüssige Pressverbin-
Positionierantriebe 327
dungen und der Direktanbau bewährt, während eine Passfederverbindung vorzeitig verschleißen kann. Motoren für Positionierantriebe. Die Auswahl des Motortyps ist entscheidend für die realisierbare Dynamik. Standardmotoren sind nicht für eine hohe Dynamik optimiert und können daher nur in Anwendungen mit niedrigen Dynamikanforderungen verwendet werden. In der Regel werden für Positionieranwendungen Servomotoren eingesetzt. Insbesondere Synchron-Servomotoren haben eine niedrige Massenträgheit und eine hohe Überlastfähigkeit. Hiermit können schnelle Beschleunigungen und Bremsverläufe realisiert werden. Um die negativen Einflüsse des Getriebes und der Mechanik auszuschließen, kommen für sehr präzise Positionieranwendungen zunehmend auch Direktantriebe zum Einsatz. Bei rotatorischen Anwendungen sind dies hochpolige Torquemotoren, die in der Regel als Synchronmotoren realisiert sind. Für schnelle und präzise Linearbewegungen werden Linearmotoren verwendet. Positionsmesssysteme in Positionierantrieben. Für die Bestimmung der Position wird bei allen Anwendungen, die keine hohen Anforderungen an die Positioniergenauigkeit haben, der im Motor eingebaute Winkelgeber verwendet. Die verschiedenen Gebersysteme und ihre Eigenschaften wurden in Kapitel 3.3.6 dargestellt. Für den Einsatz in Positionieranwendungen lassen sie sich wie folgt zusammenfassen:
• Der Resolver bietet eine hohe Robustheit und eine Genauigkeit, die für Anwendungen der Materialhandhabung in der Regel ausreichend ist. Er misst den Winkel auf eine Umdrehung absolut, sodass er für Synchronmotoren geeignet ist. Allerdings ist eine Referenzierung des gesamten Positionierantriebs erforderlich. • Encoder mit Sin-Cos-Signalen liefern eine deutlich bessere Genauigkeit und werden damit in Anwendungen eingesetzt, die eine höhere Positioniergenauigkeit benötigen. • Beim Einsatz von Absolutwertgebern, insbesondere in der Multi-TurnAusführung, kann in der Regel das Referenzieren des Antriebs nach dem Einschalten entfallen. In Anwendungen mit hoher Positioniergenauigkeit ist es erforderlich, die Messung der Istposition direkt an der Mechanik vorzunehmen. Hierdurch entfallen dann die Genauigkeitseinschränkungen durch die Übersetzungsmechanik (z. B. Getriebelose, Fehler in der Spindelsteigung). Es werden dann lastseitige Geber verwendet. Bei linearen Mechaniken sind dieses Linearmaßstäbe, die magnetisch oder optisch arbeiten. Optische Linearmaßstäbe können dabei Genauigkeiten von weniger als 1 µm erreichen.
328 Mechatronische Antriebslösungen
Ansteuerung des Motors in Positionieranwendungen. Bei sehr niedrigen Anforderungen an die Positioniergenauigkeit kann ein Motor bei Erreichen der Endposition ausgeschaltet werden. Hierdurch entfällt der Einsatz eines Umrichters. Die erreichbaren Genauigkeiten sind aber so niedrig, dass nicht wirklich von einem Positionierantrieb gesprochen werden kann. Dennoch wird diese Ausführung gerade in Verbindung mit Getriebemotoren noch häufig eingesetzt, weil sie zu niedrigen Kosten führt. Um eine höhere Positioniergenauigkeit ohne den Einsatz eines Umrichters zu erreichen, wurden in der Vergangenheit auch häufig polumschaltbare Motoren verwendet. Bei Erreichen eines ersten Initiators wird auf die niedrige Geschwindigkeit umgeschaltet. Der zweite Initiator löst dann den Stoppvorgang aus. Durch die zweite, niedrige Geschwindigkeit wird eine höhere Positioniergenauigkeit erreicht, ohne dabei die Fahrgeschwindigkeit insgesamt zu sehr reduzieren zu müssen. Heute entfällt in der Regel der Kostenvorteil dieser Lösung, da die Mehrkosten für den polumschaltbaren Motor sowie dessen Ansteuerung auch für einen Umrichter investiert werden können, der noch viele andere Vorteile bietet.
Abb. 4-43. Frequenzumrichter-Positioniersystem / Abschaltpositionierung
Abschaltpositionierung mit Frequenzumrichter. Sind nur wenige diskrete Positionen mit einer niedrigen Genauigkeit (> 1 mm) anzufahren, dann können Frequenzumrichter zusammen mit Initiatoren verwendet werden (Abb. 4-43). Die Art der Positionierung entspricht dann häufig dem Einsatz von polumschaltbaren Motoren mit dem Unterschied, dass die Geschwindigkeitsumschaltung durch den Frequenzumrichter erfolgt. Die Initiatoren müssen direkt durch den Frequenzumrichter ausgewertet werden, um Positionierungenauigkeiten durch Signallaufzeiten und Jitter möglichst klein zu halten. Frequenzumrichter bieten für die Geschwindigkeitsumschaltung sogenannte Festfrequenzen (JOG-Sollwerte), die über digitale
Positionierantriebe 329
Steuerklemmen angesteuert werden können. Die Abtastrate dieser Digitaleingänge durch die Umrichtersoftware führt dabei zu einem Jitter, der in der Regel im Bereich von 1 bis 2 ms liegt und damit die Wiederholgenauigkeit des Positioniervorgangs beeinflusst. Die Positionierung mit Frequenzumrichtern wird häufig bei Förder-, Fahr- und Hubantrieben mit niedrigen Anforderungen an die Positioniergenauigkeit (ca. 1 mm) eingesetzt. Der Vorteil liegt in den niedrigeren Kosten, weil kein Positionssensor im Motor, sondern nur Initiatoren an der Förderstrecke erforderlich sind.
Abb. 4-44. Servo-Positioniersystem
Servo-Positionierantriebe. Bei allen Positionierantrieben, die eine hohe Dynamik und eine hohe Positioniergenauigkeit benötigen, werden Servoantriebe verwendet (Abb. 4-44). Diese sind damit auch der Gegenstand der folgenden Ausführungen. Positionierablauf einer Servo-Positionierung. Eine Positionierung gliedert sich in drei Phasen (Abb. 4-45):
• Die Beschleunigung auf die Positioniergeschwindigkeit, • das Verfahren mit der konstanten Geschwindigkeit und • das Verzögern bis zum Stillstand mit Erreichen der Zielposition. Das Beschleunigen und Verfahren mit konstanter Geschwindigkeit entspricht vom Prinzip her dem Anfahren jedes Antriebs. Durch ruckbegrenzende Profile, die in Kapitel 3.7.4 beschrieben wurden, werden Anregungen der Mechanik vermieden.
Weg s, Geschwindigkeit v und Beschleunigung a
330 Mechatronische Antriebslösungen
v(t) s(t)
a(t)
Zeit t
Abb. 4-45. Ablauf einer Positionierung
Für die Positionierung ist der Übergang von dem Verfahren mit konstanter Geschwindigkeit auf das Bremsen entscheidend. Hierbei ist es wichtig, dass der Antrieb den Stillstand an der gewünschten Position erreicht. Hierfür berechnet der Umrichter den Restweg während der Bremsrampe, um damit den notwendigen Bremszeitpunkt zu bestimmen. Für die Leistungsauslegung der Komponenten und damit die Kosten des Antriebssystems ist der Punkt mit der höchsten Spitzenleistung entscheidend. Können die maximale Geschwindigkeit und Beschleunigung frei gewählt werden, dann wird für eine gegebene Aufgabenstellung (Verfahrweg s und Verfahrzeit t) die minimale Spitzenleistung erreicht, wenn die gesamte Positionierzeit zu je einem Drittel auf das Beschleunigen, Fahren und Bremsen aufgeteilt wird. Ist die hierfür erforderliche Fahrgeschwindigkeit aufgrund von Begrenzungen nicht realisierbar, dann können kürzere Positionierzeiten nur durch eine höhere Beschleunigung und damit eine höhere Spitzenleistung des Antriebs realisiert werden. Für die Positionierzeit und Genauigkeit ist auch entscheidend, mit welchem Ruck der Antrieb seine Endposition erreicht. Mechanische Übertragungselemente haben eine begrenzte Steifigkeit und damit Eigenschwingungen. Aus diesem Grund ist es erforderlich, ruckbegrenzende Bewegungsabläufe einzusetzen, um die Schwingungsanregung des FederMasse-Systems des Antriebsstrangs zu vermeiden. Die Auslegungsregeln hierfür wurden in Kapitel 3.7.4 dargestellt. In einer konkreten Anwendung ist es wichtig, die niedrigste Eigenfrequenz der Mechanik zu kennen und die Rampen für die Änderung der Beschleunigung so einzustellen, dass diese unterhalb der Resonanzfrequenz liegen.
Positionierantriebe 331
Weitere Softwarefunktionen in Positionierantrieben. Um Positionierantriebe einfach anwendbar zu machen, sind einige weitere Softwarefunktionen notwendig:
• • • • • •
Einstellen des Koordinatensystems, Endlagenüberwachung, Positionierprofile, Positioniermodi, Referenzieren und Positionierablaufsteuerung.
Koordinatensystem. Den Anwender eines Positionierantriebs interessiert die Position des Positionierguts. Daher sollte die Software alle Einflüsse und Umrechnungen, die sich durch die Mechanik, das Getriebe und den Winkelgeber ergeben, berücksichtigen. Im Einzelnen müssen hierzu folgende Größen bekannt sein und eingegeben werden:
• Die Vorschubkonstante, die den Verfahrweg pro Umdrehung bestimmt (Spindelsteigung, Umfang der Zahnriemenscheibe oder des Antriebsrads), • die Untersetzung des Getriebes und • die Auflösung des Winkelgebers. Diese Werte sind durch den mechanischen Aufbau und die Auswahl der Komponenten bestimmt und müssen damit nur bei der Projektierung und Inbetriebnahme des Positionierantriebs einmalig ermittelt und eingegeben werden. Danach können alle Eingaben zu Positionen in den Koordinaten der Mechanik erfolgen. Endlagenüberwachung. Alle Positionierantriebe mit begrenztem Verfahrbereich (z. B. Spindeln) benötigen eine Überwachung der Endlagen, damit durch Überfahren dieser Endlagen kein Maschinenschaden entstehen kann. In der Praxis werden hierfür Hardwareendschalter und eine Softwareüberwachung des zulässigen Verfahrbereichs eingesetzt. Hardwareendschalter. Jeweils vor den Maschinenendlagen in positiver und negativer Richtung werden Endschalter montiert. Sobald die Positioniereinheit einen der Endschalter betätigt, wird ein Schnellhalt der Anlage ausgeführt. Der Antrieb bremst an der Schnellhalterampe in den Stillstand ab. Darüber hinaus wird eine Fehlermeldung generiert, damit die Steuerung oder der Bediener Schritte einleiten kann, um den Fehler zu beheben. Wenn ein Endschalter angefahren wurde, kann man den Antrieb mit der Handfahrfunktion wieder freifahren. Die Endschalterüberwachung ist im Automatikbetrieb stets aktiv. In der Praxis möchte man das Auslösen der Endschalter verhindern, die als letzte Sicherheitsmaßnahme vor einem Maschinenschaden dienen.
332 Mechatronische Antriebslösungen
Softwareüberwachung des Verfahrbereichs. Um ein Auslösen der Endschalter zu verhindern, verfügen Positionierantriebe über Softwareendlagen. Dieses sind zwei Positionsmarken, die den Verfahrbereich der Positioniereinheit softwareseitig begrenzen. Die Software prüft vor dem Start einer Positionierung, ob das Positionsziel innerhalb des gültigen Verfahrbereichs liegt. Ist das nicht der Fall, wird die Positionierung nicht gestartet und es wird eine Fehlermeldung ausgegeben. Positionierprofile. Um die verschiedenen Werte für einen Positionierablauf zusammenzufassen, ist es sinnvoll, hierfür Positionierprofile anzubieten. Diese enthalten dann folgende Werte:
• Die anzufahrende Endposition, • die Beschleunigung, Fahrgeschwindigkeit und Bremsverzögerung des Positionierablaufs, • gegebenenfalls die Endgeschwindigkeit beim Erreichen der Position, wenn diese für den Übergang zwischen mehreren Positionierprofilen von null abweicht und • der maximale Ruck, der in der Regel als Zeit für den Auf- und Abbau der Beschleunigung angegeben wird. Die Software eines Positionierantriebs sollte mehrere solcher Positionierprofile speichern und auswählen können, um den Aufwand für das Ändern von Parametern durch den Benutzer oder die übergeordnete Steuerung zu minimieren. Positioniermodi. Der Positioniermodus legt fest, wie eine Zielposition vorgegeben wird. Zu unterscheiden sind die im Folgenden beschriebenen Betriebsarten. Absolute Positionierung. In diesem Positioniermodus wird das Lageziel als absolute Position im Koordinatensystem angegeben (Abb. 4-46). Das Antriebssystem vergleicht die aktuelle Istposition mit der vorgegebenen Zielposition, berechnet den Positionsunterschied und verfährt mit den eingestellten Profilparametern zum Positionsziel. Hierbei werden die Softwareendlagen berücksichtigt. Eine absolute Positionierung kommt immer dann zum Einsatz, wenn der Antrieb von einer beliebigen Position seine Achse an eine bestimmte neue Position verfahren soll.
Positionierantriebe 333 Ziel Position
s
Aktuelle Position t v vPos t Starten der Positionierung
t
Positionierung aktiv
t
Abb. 4-46. Absolute Positionierung
Relative Positionierung. In diesem Positioniermodus wird das Lageziel als Distanz zur aktuellen Position angegeben (relative Position) (Abb. 4-47). Dabei spielt die aktuelle Position keine Rolle. Der Antrieb verfährt ausgehend von der aktuellen Position mit den eingestellten Profilparametern zur Zielposition. Auch hier werden die Softwareendlagen berücksichtigt. Wenn durch die relative Positionierung von der aktuellen Position die Softwareendlagen überfahren würden, so wird diese relative Positionierung nicht ausgeführt und eine entsprechende Warnmeldung generiert. Weiter ist zu beachten, dass es bei der relativen Positionierung zum Überlauf der internen Wegintegratoren, die die Istposition erfassen, kommen kann. Dies kann z. B. bei Positionieranwendungen vorkommen, wo der Verfahrweg nicht begrenzt ist (Förderbänder, Rundtische). Bei solchen Anwendungen muss auf die Modulo-Positionierung übergegangen werden. s Ziel Position 2 Ziel Position 1 Aktuelle Position t v vPos t Starten der Positionierung
t
Positionierung aktiv
t
Abb. 4-47. Relative Positionierung
Modulo-Positionierung. In diesem Positioniermodus können Relativbewegungen endlos durchgeführt werden z. B. bei Rundtischanwendungen (Abb. 4-48). Dazu werden die internen Wegintegratoren vor jedem Start einer Positionierung zurückgesetzt, sodass es nicht zu einem Überlauf der
334 Mechatronische Antriebslösungen
Wegintegratoren kommen kann. Durch Rücksetzen der Wegintegratoren auf null geht allerdings der absolute Bezug der Achse verloren. Auch werden bei einer Modulo-Positionierung Softwareendlagen nicht überwacht, weil von einem unbegrenzten Verfahrweg ausgegangen wird. s Ziel Position 2 Ziel Position 1 Aktuelle Position t v vPos t Starten der Positionierung
t
Positionierung aktiv
t
Abb. 4-48. Modulo-Positionierung
Restwegpositionierung. Wenn ein Fördergut, dessen Position auf einer Förderstrecke nicht bekannt ist, sehr genau auf eine Endposition bewegt werden soll, dann wird die Restwegpositionierung eingesetzt (Abb. 4-49). Ein Sensor, z. B. eine Lichtschranke, erfasst das Fördergut, speichert die momentane Lage des Antriebs zu diesem Zeitpunkt über einen TouchProbe-Eingang (siehe Kap. 3.4.3) ab und leitet dann eine relative Positionierung ein. Im Endeffekt leistet diese Art der Positionierung das Gleiche wie die Abschaltpositionierung mit einem Frequenzumrichter, allerdings mit einer deutlich größeren Positioniergenauigkeit. Auch das positionsgenaue Anhalten von Fahrantrieben nach dem Durchfahren eines Sensors kann so realisiert werden. Ziel Restweg Positionierung
s
t v vPos t Interruptsignal zum Start
t
Positionierung aktiv
t
Abb. 4-49. Restwegpositionierung
Positionierantriebe 335 s ReferenzPosition
0 t v
Referenziergeschwindigkeit
Rückpositionierung vom Referenzpunkt zum Nullpunkt
t
Referenzschaltersignal Referenzierung aktiv
t
t
Nullimpulssignal
t
Referenz bekannt
t
Abb. 4-50. Referenzierung mit Referenzschalter
Referenzieren. Viele Gebersysteme wie Inkrementalgeber, Resolver und Single-Turn-Absolutwertgeber messen nur relative Bewegungen oder die absolute Winkellage in einer Umdrehung. Der gesamte Verfahrweg einer Positionieranwendung wird aber in der Regel mit vielen Umdrehungen des Motors durchfahren. Der Bezug der Motorumdrehung zur Position der Mechanik geht mit dem Ausschalten des Umrichters verloren. Um diesen Bezug wieder herzustellen, muss nach dem Einschalten eine Referenzfahrt durchgeführt werden. Nur wenn ein über mehrere Umdrehungen oder den gesamten Fahrweg absolut messender Positionssensor eingesetzt wird, kann auf diese Referenzfahrt verzichtet werden. Für das genaue Referenzieren gibt es in der Mechanik der Maschine einen Referenzschalter. Dieser ist in der Regel nicht so präzise, dass mit ihm alleine die Referenzposition bestimmt werden könnte. Wesentlich genauer ist der Nullimpuls des Winkelgebers. Daher wird so verfahren, dass der Antrieb zunächst so lange bewegt wird, bis der Referenzschalter aktiviert wird. Dann wird die Position des nächsten Nullimpulses des Gebers als Referenzlage der absoluten Positionen der Mechanik abgespeichert. Bei diesem Verfahren dient der Referenzschalter dazu, den Verfahrweg einer Motorumdrehung zu bestimmen, der für die Referenzierung der absoluten Position über den Nullimpuls des Gebers verwendet wird (Abb. 4-50). Durch einen Parameter kann die Software dafür sorgen, dass der Nullwert der Position von der Lage der Maschinenreferenz abweicht. Um einen zusätzlichen Sensor zu sparen, kann auch ein Endschalter die Rolle des Referenzschalters übernehmen (Abb. 4-51). In diesem Fall wird der Antrieb verfahren, bis der Referenzschalter aktiviert wird. Daraufhin wird die Drehrichtung umgekehrt und die Lage des ersten Nullimpulses als Referenzlage verwendet.
336 Mechatronische Antriebslösungen s ReferenzPosition
0 v
t Rückpositionierung vom Referenzpunkt zum Nullpunkt
Referenziergeschwindigkeit
t
Endschaltersignal Referenzierung aktiv
t
t
Touch-ProbeSignal
t
Referenz bekannt
t
Abb. 4-51. Referenzierung mit Endschalter
Gibt es in der Mechanik einen präzisen Sensor, dann kann dessen Signal auch über einen Touch-Probe-Eingang zur Festlegung der Referenzlage verwendet werden (Abb. 4-52). s ReferenzPosition
0 v
t Rückpositionierung vom Referenzpunkt zum Nullpunkt
Referenziergeschwindigkeit
t
Referenzierung aktiv
t
Touch-ProbeSignal
t
Referenz bekannt
t
Abb. 4-52. Referenzierung mit Touch-Probe-Sensor
Referenzieren mit Drehmomentbegrenzung. Durch den zunehmenden Kostendruck im Maschinenbau werden immer häufiger Maschinen entwickelt, die weitestgehend auf Sensorik verzichten. Für diesen Fall wurde ein Referenzierverfahren entwickelt, das auf der Drehmomentbegrenzung des Antriebs beruht. Bei diesem Verfahren wird das System in positiver oder negativer Richtung verfahren, bis es in den mechanischen Endanschlag fährt. Der Antrieb baut dann so lange Moment auf, bis eine eingestellte
Positionierantriebe 337
Drehmomentgrenze erreicht wird. Diese Position bestimmt dann den Maschinennullpunkt. Insgesamt enthalten Positionierantriebe eine Vielzahl von Verfahren zur Referenzierung, die für unterschiedliche Konstellationen in Maschinen vorgesehen sind. Störend bei allen Verfahren ist der Zeitbedarf für die Referenzfahrt. Außerdem muss es die Mechanik zulassen, dass der Antrieb zunächst den Referenzpunkt anfährt. Referenzsetzen. Enthält der Positionierantrieb einen absolut messenden Positionssensor (z. B. einen Multi-Turn-Absolutwertgeber), dann muss nur einmalig bei der Inbetriebnahme oder nach einem Komponententausch die Referenzposition gesetzt werden. Mit dieser einmalig ermittelten Lage arbeitet das System dann. Handfahren. Positionierantriebe enthalten in der Regel Funktionen, die es ermöglichen, den Antrieb durch manuelle Kommandos zu verfahren (Abb. 4-53). Dieses ist für den Einrichtbetrieb zum Erfassen (Teachen) von Positionen, für das Freifahren im Störungsfall oder für Wartungsarbeiten sinnvoll. Auch beim Handfahren werden die Endschalter ausgewertet und Softwaregrenzen für den Verfahrbereich eingehalten. Beschleunigungsrampe
Geschwindigkeit
v
Verzögerungsrampe Geschwindigkeit in pos. Richtung
t Geschwindigkeit in neg. Richtung
Handfahrt in positive Richtung
t
Handfahrt in negative Richtung
t
Abb. 4-53. Handfahrt
Positionierablaufsteuerung. Positionierantriebe führen häufig nicht nur einzelne Positionierbewegungen, sondern Positionierabläufe aus. Zur Programmierung solcher Abläufe enthalten Positionierantriebe die Möglichkeit, einzelne Positionierprofile miteinander zu verketten und an den Übergängen Wartezeiten einzufügen oder auf externe Ereignisse zu warten. Hierdurch können dann Positioniersequenzen ohne eine weitere Steuerung realisiert werden. Verbindung zur übergeordneten Steuerung. Die Verbindung eines Positionierantriebs mit der übergeordneten Steuerung erfolgt in der Regel über Logiksignale, die Positioniervorgänge starten und den Abschluss dieser Aktionen in die Gegenrichtung melden. Über den Parameterkanal des Kommunikationssystems werden die Parameter für die Positionierprofile,
338 Mechatronische Antriebslösungen
insbesondere die anzufahrende Endposition, vorgegeben. Durch diese Schnittstelle kann die Verbindung zwischen der Steuerung und einem Positionierantrieb sehr einfach gestaltet werden.
4.5 Koordinierte Antriebe für Roboter Ralf Scharrenbach Spezialisierte Maschinen führen Bewegungen aus, die durch ihre Geometrie und Konstruktion vorgegeben sind. Die Antriebsfunktionen dieser Maschinen sind sehr einfach; sie arbeiten ohne eine Koordination. Im Gegensatz hierzu bestehen Industrieroboter aus einer einfachen kinematischen Kette oder in Form von Parallelkinematiken. Diese Kinematiken stellen einen einfachen mechanischen Aufbau dar. Die weitgehend universelle Einsetzbarkeit von Industrierobotern wird durch die Komplexität der Steuerung abgebildet, die die drei bis sechs Antriebsachsen koordiniert und damit den Roboter die gewünschte Bewegung ausführen lässt. Um eine mehrdimensionale Bewegung im Raum zu realisieren, müssen mehrere Antriebe miteinander koordiniert verfahren werden. Roboter nutzen dies, um sehr flexibel variable Positionen auf vorgegebenen Bahnen anfahren zu können. Damit können sie für deutlich anspruchsvollere Aufgaben eingesetzt werden als die im Kapitel 4.4 vorgestellten Antriebe für die Punkt-zuPunkt-Positionierung. 4.5.1
Technologischer Prozess des Handhabens
Roboter und Handhabungssysteme werden in der modernen Fabrik- und Logistikautomation in sehr unterschiedlichen Anwendungen eingesetzt. Typisch sind dabei eindeutige und zumeist wechselnde Zielkoordinaten in den Bewegungsabläufen (Abb. 4-54). Der Begriff Handhaben wird gemäß VDI2860 aus der räumlichen Orientierung eines beliebigen, geometrisch bestimmten Körpers (z. B. der Greifer eines Roboters oder ein zu transportierendes Stückgut) zu einem Bezugskoordinatensystem abgeleitet (Abb. 4-55). Diese Definition stellt den Gegensatz zum Fördern oder Lagern heraus, da bei diesen Funktionen entweder der Körper nicht geometrisch bestimmt ist (z. B. Gase, Flüssigkeiten) oder die Orientierung des Körpers zum Bezugskoordinatensystem nicht eindeutig ist (z. B. ein Stückgut auf einem Förderband).
Koordinierte Antriebe für Roboter 339 W V
B
C
U A
Abb. 4-54. Freiheitsgrade der Bewegung gemäß VDI90 z
w y
v
R u x
Abb. 4-55. Koordinatensysteme beim Handhaben gemäß VDI90
Beim Handhaben hat eine Steuerung (Zentralsteuerung, Robotersteuerung) die Aufgabe, neben der logischen Abarbeitung von Steuerbefehlen die Koordinatenwerte für die Antriebsbewegung zu generieren. Das geeignete Bezugskoordinatensystem ist z. B. von der Bauform des Roboters oder auch von der Anwenderschnittstelle (bei der Programmierung) abhängig. In Abb. 4-56 sind Koordinatentransformationen dargestellt, mit denen aus kartesischen XYZ-Koordinaten die Winkelkoordinaten für die sechs Achsen eines Knickarmroboters berechnet werden und umgekehrt [We01a, WeWö06]. Im Gegensatz zur Punkt-zu-Punkt-Positionierung, bei denen nur der Zielpunkt des jeweiligen Antriebs gespeichert und angefahren wird, ermöglicht eine Bahnsteuerung das Abfahren von mathematisch definierten Bewegungsfunktionen im Raum. Bei der Bahnsteuerung werden zur Bewegungssteuerung der einzelnen Antriebe entsprechende Geschwindigkeitssollwerte berechnet und zeitsynchron an diese übertragen. Die Arbeitsweise der Bewegungssteuerung wurde in Kapitel 2.3.1 vorgestellt.
340 Mechatronische Antriebslösungen Rückwärtstransformation
P
Z
-1
T
Q2
Tool-Center-Point (TCP)
Q
Q3
Q4 Q5 Q6
XW YW P
ZW X
Q1
T
-Y
}
xW yW zW
Werkzeugkoordinatensystem
Vorwärtstransformation
Qn= Achswinkel
n = 1.6
Abb. 4-56. Transformation kartesischer Positionsdaten in Achsinformationen
4.5.2
Anwendungsbereiche von Robotern
Handhabungsfunktionen lassen sich in den Kategorien „Halten von Mengen“, „Mengen verändern“, „Bewegen“ und „Sichern oder Kontrollieren“ beschreiben. So werden z. B.
• • • • • • • • •
Bleche und Schweißzangen beim Punkt- oder Laserschweißen gehalten, Paletten kommissioniert, Kleber aufgetragen, Messgeräte und Sensoren an Werkstücke gefahren, Automobilkarosserien geschwenkt, Kunststoffteile aus einer Spritzgießmaschine entnommen, Rohre gebogen, Werkzeuge zum Fräsen, Schleifen, Polieren eingesetzt oder mechanische Dauerbelastungen von Produkten zur Qualitätssicherung automatisiert.
Das Gewicht des Werkzeugs, Werkstücks oder des Transportguts ist eine entscheidende Größe für die Ausprägung der Handhabungsmaschine. Die Spanne der Traglasten reicht von einigen Gramm (z. B. Pralinen, die von einem Förderband in eine Schachtel gelegt werden) bis über 1.000 kg (z. B. Eisenbahnräder, die gestapelt werden). Das zu bewegende Material, der Anwendungsbereich sowie der Arbeitsbereich oder Arbeitsraum bestimmen den Maschinentyp, mit dem die erforderlichen Genauigkeiten (meist Wiederholgenauigkeiten) und dynamischen Anforderungen hinsichtlich Taktzeiten zu erreichen ist. Tabelle 4-6 zeigt Anwendungsbereiche mit typischen Parametern.
Koordinierte Antriebe für Roboter 341 Tabelle 4-6. Anwendungsbereiche angelehnt an VDMA-Einteilung Anwendungsbereich
Genauigkeit [mm] Lackieren und Beschichten 0.1 Kleben und Dichten < 0.1 Punktschweißen 0.1 Bahnschweißen < 0.1 Bearbeiten < 0.1 Schneiden < 0.1 Kleinteilmontage < 0.01 Mikromontage 0.001 Sortieren < 0.1 Messen und Prüfen < 0.1 Kommissionieren und Palletieren < 0.5 Handhabung bei Pressen und Schmie- < 0.2 den Handhabung an Druckgussmaschinen < 0.2 Handhabung an Spritzgießmaschinen < 0.1 Forschung und Ausbildung < 0.1 Serviceroboter < 0.1
4.5.3
Takte [min-1] < 20 < 20 < 60 < 20 < 60 < 120 < 120 < 120 < 120 < 120 < 30 < 10
Leistungsbedarf [kW]