Günther Schuh Change Management – Prozesse strategiekonform gestalten
Günther Schuh
Change Management – Prozesse strategiekonform gestalten
Mit 70 Abbildungen
Professor Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Günther Schuh RWTH Aachen Werkzeugmaschinenlabor Steinbachstr. 52056 Aachen
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ISBN-10 3-540-23657-0 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-23657-3 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Satz: Marianne Schillinger-Dietrich, Berlin Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg Herstellung: PTP-Berlin Protago-TEX-Production GmbH Gedruckt auf säurefreiem Papier 68/3020/Yu - 5 4 3 2 1 0
Vorwort
Dass Veränderung unsere Umwelt bestimmt, ist mittlerweile in vielen Köpfen angekommen. Und trotzdem stellt die Umgestaltung von Unternehmen viele vor eine schwierige und schwer zu lösende Aufgabe, die selten mit Bravour und häufig ohne messbaren Erfolg beendet wird. Die Arbeit an Konzepten und Methoden zur Veränderung in Unternehmen hat mich seit meiner Ausbildungszeit am Werkzeugmaschinenlabor in Aachen begleitet. Hier entstanden bei Professor Eversheim wichtige Elemente der Methode, die in Zusammenarbeit mit namhaften Unternehmen ihre Tauglichkeit unter Beweis stellten. Mit meinem Beratungsunternehmen GPS, als Aufsichtsrat verschiedener Unternehmen und während 12 Jahren als Forscher an der Universität St. Gallen hatte ich Gelegenheit, in zahlreichen Projekten die Veränderung in Unternehmen beratend und gestaltend zu begleiten. Die Unternehmen waren so vielfältig wie ihre speziellen Bedürfnisse: Automobilzulieferer, Maschinen- und Anlagenbauer, Werkzeugbauer und Telekommunikationsfirmen. Diese Projekte waren echte Prüfsteine für unser Konzept MOTION. Jeder einzelne Baustein wurde geschärft und verbessert, um noch zielgerichteter eingesetzt werden zu können. Neben der Erprobung in der Praxis wurde auch in der Theorie weitergearbeitet. Neue Einflüsse verschiedener Wissenschaftler wurden kontinuierlich integriert, um MOTION für einen großen Kreis nutzbar zu machen. Ich freue mich sehr, dass wir jetzt das Wissen und die gesammelten Erfahrungen rund um die Veränderungen in Unternehmen einem breiteren Kreis zugänglich machen können. Das Thema ist nach wie vor hoch aktuell. Der Bedeutung entsprechend haben wir das Thema Change Management längst in die Ausbildung der Maschinenbaustudenten der RWTH Aachen einfließen lassen. Ich danke Herrn Dipl.-Ing. Felix Hagemann für die redaktionelle Arbeit an diesem Buch. Für weitere Beiträge danke ich Herrn Dipl.-Wirt.-Ing. Daniel Hein, Herrn Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Christoph Klotzbach, Herrn Dipl.-Wi.-Ing. Lutz Frick, Herrn Dipl.-Kfm. Dipl.-Ing. Hans-Peter Stoßberg und Frau stud. phil. Simone Radzibaba.
VI
Vorwort
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung der Veränderung in Ihrem Unternehmen! Aachen, im September 2005
Günther Schuh
Inhalt
1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.1 Veränderung als Konstante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Bisherige Ansätze der Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der europäische Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 4
2 MOTION – der europäische Ansatz des Change Management. . .
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2.1 Der Weg zu MOTION. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Beispiele top-down-orientierter Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Beispiele bottom-up-orientierter Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Was ist MOTION?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 MOTION im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 MOTION und Lean Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 7 10 12 16 16
3 Strategische Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.1 Strategischer Rahmen für Veränderungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Strategieaudit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Strategische Erfolgspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Strategische Programme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Strategische Profile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Kernprozessidentifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Prozessanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Prozesskenngrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Prozessstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Kernprozessportfolio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Flexible Prozessstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 22 22 24 25 27 28 30 31 31 33 34
4 Prozessanalyse und Prozessdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.1 Prozessanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Prozesserfassung mit Hilfe von Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Werkzeuge zur Prozessmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Prozessvisualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Review und Reflektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . .
41 43 46 54 56 58
VIII
Inhalt
4.2 Prozessdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Prozessoptimierung und -neugestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Grundprinzipien beim Prozessdesign. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Idealtypische Elemente in der Prozessplanung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Gestaltung von Soll-Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 62 62 64 67 67
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5.1 Determinanten der Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.1.1 Veränderungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.1.2 Veränderungsbereitschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5.2 Hemmnisse bei der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.3 Die sechs Komponenten des Wandeldesigns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5.3.1 Timing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5.3.2 Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5.3.3 Akzente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5.3.4 Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.3.5 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.3.6 Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.4 Bausteine der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 5.4.1 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 5.4.2 Projektmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.4.3 Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.5 Veränderungscontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5.5.1 Notwendigkeit des Controllings der Veränderungsumsetzung . . . 99 5.5.2 Ausgewählte Controlling-Instrumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
1 Einleitung
1.1 Veränderung als Konstante „Alles fließt“. Mit diesen Worten umschrieb der griechische Dichter Heraklit treffend, dass nur eines beständig ist: die Veränderung. Unternehmen als eine besondere Form eines sozialen Systems befinden sich in einem stetigen Wandel. Für zahlreiche produzierende Betriebe war und ist dies eine bittere Tatsache, denn Veränderungen sind mit existentiellen Bedrohungen verbunden. Veränderung heißt aber auch, sich dieser zu stellen. Nur wenigen Führungskräften ist bewusst, dass jede Branche früher oder später einem radikalen, diskontinuierlichen Wandel ausgesetzt ist. Diese Art des Wandels wird unter Managementaspekten häufig als negativ beurteilt, da ein solcher Umbruch meist unerwartet auftritt und nach einer grundlegenden Reorganisation verlangt. Absatzmärkte sind zunehmend dynamisch, da Kunden global agieren und keine starren Beschaffungsstrategien einsetzen. Der Druck zur Verkürzung der Innovationszyklen und Lieferzeiten steigt permanent an, obwohl in der Vergangenheit Ansätze wie Simultaneous Engineering und Prozessorientierung zu großen Erfolgen geführt haben. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Unternehmen in Bezug auf die Qualität und Funktionalität von Produkten in einem weiteren, auch Dienst- oder andere Zusatzleistungen umfassenden Sinne. Der Anstieg von direkten Wettbewerbern hat innerhalb kurzer Zeit zu einem drastischen Fall der Marktpreise geführt. In der Regel reagiert das Unternehmen erst zu spät mit einer „schmerzhaften“ Reorganisation. Dabei wird implizit vorausgesetzt, die „richtige“ Größe habe kleiner als die bisherige auszufallen, doch derartige Rationalisierungsmaßnahmen führen letztendlich zu einer systematischen Tilgung von Kapazitäten und Kompetenzen. Strategien werden tendenziell dem Wettbewerb angepasst, um die Konkurrenz bei Kosten oder Qualität zu schlagen. Doch heute entstehen neue Märkte jenseits von konventionellen Industriegrenzen. In dieser radikalen Umbruchssituation verlaufen gängige Erfolgsrezepte der früheren Unternehmensentwicklung ins Leere. Innovation und gezielte Veränderungsstrategien sind erforderlich, um Europa weiterhin als einen Produktionsstandort von internationalem Rang
2
1 Einleitung
zu erhalten. Obwohl Unternehmen seit gut einem Jahrzehnt versuchen, mit zahlreichen Modellen des Reengineering und des Change Managements zu reagieren und europäische Unternehmen immer mehr Zeit in die Entwicklung und Umsetzung von Projekten investieren, die auf flexible Prozessorganisationen abzielen und eine Vielzahl von Veränderungsprojekten durchgeführt wurden, scheitern die meisten dieser Bemühungen. Ein Grund ist die große Vielfalt, die zu einer starken Verwirrung in Unternehmen geführt hat. Eine Übersicht der American Management Association belegt, dass von den Unternehmen, die seit 1990 Reorganisationsmaßnahmen durchführen, weniger als die Hälfte auch höhere Gewinne nach dem Veränderungsprojekt aufweisen und sogar nur ein Drittel die Produktivität erhöhen konnten. Eine Untersuchung von Arthur D. Little, Inc. ergab, dass lediglich 17% der Veränderungsprojekte ihre Projektziele tatsächlich erreicht haben. Dieses Ergebnis ist erschreckend, wenn man bedenkt, dass in die Projektteams solcher Projekte über einen längeren Zeitraum hinweg erhebliche personelle Ressourcen eingebunden sind. Veränderungen werden oft nur von wenigen Leistungsträgern der Organisation getragen, die durch parallele Projekttätigkeiten und durch das Tagesgeschäft erheblich belastet sind. Darüber hinaus lösen Veränderungsprojekte einen großen Erwartungsdruck auf allen Hierarchieebenen des Unternehmens aus. Als Folge sind neben finanziellen Einbußen die negativen psychologischen Auswirkungen, wie Desillusionierung und Hilflosigkeit, nicht außer Acht zu lassen. Die Suche nach den Gründen für das Scheitern zahlreicher Projekte begann vor fünf Jahren. Es bildeten sich zahlreiche Erfolgsfaktoren und ihre Interdependenzen sowie Gestaltungsempfehlungen zur Überwindung von Veränderungsprojekten heraus und als Reaktion trat in der Literatur der Mensch verstärkt in den Vordergrund. Eine Studie an führenden Unternehmen vom Forschungs- und Beratungsunternehmen ODR (Schweiz) ergab, dass der Widerstand gegen den Wandel wächst, je weniger die Mitarbeiter in den Planungsprozess integriert werden. Daraus lässt sich schließen, dass Widerstände gegen Veränderungsprojekte nicht aus Mechanismen resultieren, die sich mit den offiziellen Abläufen und Regeln eines Unternehmens erklären lassen. Bei Veränderungsprojekten braucht es Zeit für Lernprozesse. Die Konzeptionierungsarbeit ist demnach nicht der kritische Part im Veränderungsprojekt – die Realisierung ist der eigentliche Knackpunkt. Schon die Trennung von Konzeptionierung und Realisierung impliziert einen Bruch im Veränderungsprojekt. Entscheidend ist die Transformation, die schon zu Beginn des Projektes anfangen kann und bis zur Umsetzung der Einzelmaßnahmen reicht. Veränderungsprojekte sind im Idealfall keine reaktiven, sondern proaktive Projekte.
1.2 Bisherige Ansätze der Veränderung
3
Die erfolgreiche Umsetzung von Veränderungsprojekten ist demnach der Schlüssel zur Zukunftssicherung, denn Veränderung steht letztlich für Herausforderung und Chance.
1.2 Bisherige Ansätze der Veränderung Im Wesentlichen werden zwei Trends für prozessorientierte Veränderungsprojekte unterschieden. Diese v.a. in den 80er und 90er Jahren aufkommenden Konzepte bestehen aus den amerikanisch geprägten, topdown orientierten Ansätzen der radikalen Veränderung und den eher japanisch geprägten Ansätzen der kontinuierlichen Verbesserung (Abb. 1.1). Die Charakterisierung erfolgt meist nach den Kategorien Veränderungsintensität (radikal/inkremental), Veränderungshäufigkeit (diskontinuierlich/ kontinuierlich), Veränderungsvorgehen (revolutionär/evolutionär), Veränderungsbeteiligung (top-down/bottom-up), Veränderungsinhalt (Effektivitätsfokus/Effizienzsteigerung) sowie Herkunft (amerikanisch geprägt/japanisch geprägt). In der Literatur wird dabei zwischen dem Wandel erster Ordnung und dem Wandel zweiter Ordnung unterschieden. Der Wandel erster Ordnung bedeutet, dass sich das Unternehmen innerhalb des bisher bekannten Bezugsrahmens ändert, d.h. es werden schrittweise kleine Veränderungen vorgenommen. Die unternehmerische Herausforderung ist klar definiert Spannungsbogen
Top-down
Bottom-up
Unternehmensführung außenorientiert
BR Davenport
Effektivität
Mitarbeiterbeteiligung innenorientiert
KAIZEN
Effizienz KVP
Radikalität
BPR
Kontinuität
zielorientiert
Analyse
zeitlich begrenzt
permanent
Ohno Lean Management
Hammer /Champy PI
BVW
strategisch
operativ
Abb. 1.1 Vielzahl unterschiedlicher BPR-Ansätze und -Methoden
REFA
4
1 Einleitung
und es gilt diese möglichst effizient auszuführen und selbst bei externen Irritationen wie z.B. dem Eintritt neuer Wettbewerber in den Markt findet sich eine Lösung ohne maßgebliche Änderungen der bestehenden Geschäftslogik. Ein Wandel zweiter Ordnung hingegen ist eine ganz anders geartete Herausforderung. Hier kann die Systemveränderung nur erfolgreich durch eine Änderung der bestehenden Geschäftslogik erreicht werden. Das Business Process Reengineering (BPR) ist eine aus den USA stammende Methode zur radikalen Erneuerung und Umorganisation von Unternehmen und ihren strategischen Ausrichtungen. Strukturen werden gezielt aufgebrochen und die Abläufe erneuert. BPR wird dabei bewusst von allen Verbesserungsprojekten unterschieden, mit denen Quantensprünge, das sind Verbesserungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von mehr als 100%, nicht erreicht werden können. Die bestehenden Abläufe sollen nicht optimiert werden, sondern es stellt sich die Frage „Warum machen wir das überhaupt?“. Das BPR strebt die Ziele „Kostenhalbierung“ und „Halbierung der Durchlaufzeit“ an, die es binnen kürzester Zeit umzusetzen gilt. Das BPR ist eine planungsgestützte Vorgehensweise, bei dem die organisatorische Neugestaltung top-down ermittelt wird. Im Vergleich zu prozessorientierten Konzepten wie Just-in-Time (JIT) und Totaly Quality Management (TQM) macht das BPR die Prozessorientierung zu einem strategischen Instrument und zu einer Kernkompetenz der Organisation. Drei bedeutende Ansätze des BPR sind das Business Process Reengineering nach Johansson et al., das Business Reengineering nach Hammer und Champy und der Ansatz der Process Innovation nach Davenport die in Kapitel 2 näher beschrieben werden.
1.3 Der europäische Weg Die erheblich gestiegene Komplexität der Produkte und Prozesse in Bezug auf die zu entwickelnden und herzustellenden Varianten und Funktionalitäten hat dazu geführt, dass auch der Anteil koordinierender Tätigkeiten in der Unternehmung deutlich gestiegen ist. Daher wird hinsichtlich der sich zuspitzenden wirtschaftlichen Lage und des sich damit verschärfenden Wettbewerbs das Ziel des Managements sein, diese Überkomplexität durch geeignete Gestaltungsmaßnahmen auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren. Unter diesem Aspekt können auch die oben beschriebenen Trends im Bereich Geschäftsprozessgestaltung gesehen werden. Diese zwei Trends der Gestaltung können auch als zwei Ebenen der Veränderung gesehen werden, nämlich als eine strategische und eine operative.
1.3 Der neue Weg – europäisches Change Management
5
Da die unterschiedlichen Veränderungsansätze vorwiegend in den USA und in Japan – somit in unterschiedlichen Kulturkreisen – entwickelt wurden, sind sie auf die dortigen Anforderungen zugeschnitten. Eine unreflektierte Übertragung der revolutionären top-down- und der evolutionären bottom-up-Ansätze kann in europäischen Unternehmen nicht zum Erfolg führen. Vielmehr ist ein auf europäische Verhältnisse zugeschnittenes Change-Management-Konzept erforderlich, das die Stärken beider Ansätze vereinigt und die Integration partizipativ-operativer und strategisch-hierarchischer Elemente garantiert Die Stärken müssen gestärkt und die Schwächen, die sich bei der Umsetzung der unterschiedlichen Ansätze ergeben haben, müssen erfasst und eliminiert werden. Aus der positiven Umformulierung von Umsetzungs-, Willens- oder Kulturbarrieren aber auch methodische Hindernissen können sich wertvolle Leitlinien ergeben. Ein durchgängiges Konzept, das von der Strategieentwicklung bis zur praktischen Umsetzung schrittweise aufeinander aufbaut, ist eine wesentliche Leitlinie. Ein wichtiger Punkt ist die Berücksichtigung sowohl harter als auch weicher Faktoren. Die Einbindung der Mitarbeiter, d.h. die Prozessbearbeiter und -verantwortlichen, in das Veränderungsprojekt ist von besonderer Bedeutung. Nur partizipative Prozessoptimierungen haben Erfolg. Wichtigster Grundsatz für die erfolgreiche Umsetzung eines Veränderungsprojektes in einem europäischen Unternehmen ist demnach die Integration von Management und Mitarbeitern, von operativen Maßnahmen und strategischen Vorgaben zu einem „Down-up“-Ansatz (Abb. 1.2). Eine eben
Handlungsebenen
Top-down-orientierter Ansatz (US-geprägt)
strategische Ebene
down
Down-Up
Europäischer Ansatz
up
operative Ebene Bottom-up-orientierter Ansatz (japanisch geprägt)
gering
Umsetzungsstärke
hoch
Abb. 1.2 Die Kombination als europäischer Weg zur Veränderung
6
1 Einleitung
solche Kombination von „top-down“ und „bottom-up“ bietet das MOTION-Konzept für prozessorientierte Veränderungsprojekte. Im folgenden Kapitel wird daher dieser integrative Ansatz, der die Stärken der oben beschriebenen und im Sinne des Anforderungsprofils beurteilten Ansätze berücksichtigt, genauer beschrieben.
2 MOTION – der europäische Ansatz des Change Management
Wenn es um die Veränderung eines Unternehmens geht, wird schnell klar, dass die Lösung nicht aus einem simplen Patentrezept bestehen kann. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen, nicht nur in verschiedenen Unternehmen, sondern auch in verschiedenen Bereichen eines einzelnen Unternehmens. „One size fits all“ führt nicht zum Erfolg. Wie bringt man also ein Unternehmen „in Bewegung“, wenn es diese dringend nötig hat? Einen erprobten Ansatz bietet MOTION1. Es besteht aus einem Rahmen für Veränderungsprojekte, der alle notwendigen Dimensionen eines Veränderungsprozesses erfasst. Die Basis bilden die Ergebnisse eines Forschungsprojektes, in dem Forscher aus Aachen und St. Gallen sowie namhafte Unternehmen wie BMW und IBM sich intensiv mit dieser Materie der integrierten Strategie- und Wandelarbeit auseinandergesetzt haben.
2.1 Der Weg zu MOTION Bevor die MOTION-Methode im Detail vorgestellt wird, soll an einigen Beispielen gezeigt werden, was vor MOTION existierte. Auf den folgenden Ansätzen fußt MOTION und integriert ihre Stärken zu einem neuen Konzept. 2.1.1 Beispiele top-down-orientierter Ansätze Business Process Reengineering
Das Konzept von Johansson et al. zielt auf Veränderungen hinsichtlich Qualität, Service, Kosten und Durchlaufzeit ab. Die Grundlage dieses Ansatzes bildet die Prozessorientierung. Unterschieden wird zwischen drei Typen des „Process Reengineering“: Typ 1 ist die Kostenreduktion durch 1
Model for Transforming, Identifying and Optimizing Core Processes
8 2 MOTION – der europäische Ansatz des Change Management
Prozessverbesserungen, Typ 2 ist das Erreichen einer „Best-In-Class“Position und bei Typ 3, den Johansson et al. besonders hervorheben, werden die Regeln neu geschrieben. Dies entspricht dem eigentlichen Durchbruch. Die Vorgehensweise von Typ 3 verläuft nach den Phasen „Discover“, „Redesign“ und „Realize“. Die „Discover“-Phase umfasst die Aspekte „Mobilisieren“ der Organisation, „Bewerten“, und „Auswählen“ der Strategie und der Prozesse sowie „Engagement“ der Organisation. In dieser Phase werden die Prozesse und ihre wichtigsten Aufgaben kurz erläutert („Quickmapping“). Der Fokus liegt bereits auf der radikalen Veränderung („Break the China“). Die Phase des „Redesigns“ stellt die Punkte „Mobilisieren“, „Analysieren“ der Prozesse im Detail, „Innovieren“, „Gestalten“ und „Verpflichten“ zur Realisierung dar. Dieser Phase wird die eigentliche Chance für „Breakpoint Strategies“ zugemessen. Johansson et al. heben hervor, dass ein BPR-Konzept fehlschlägt, wenn die neu gestalteten Prozesse nur mit komplexen Modellierungswerkzeugen beschrieben werden können. In der Phase der Realisierung kommen die Aspekte „Mobilisieren“, „Kommunizieren“, „Durchführen“, „Kontrollieren“ und „Beibehalten“ zum Tragen. Dieses stark top-down-orientierte, durchgängige Konzept berücksichtigt sowohl die Strategie- als auch die Prozessgestaltung, ohne aber Methoden und Instrumente zur Überprüfung, Ergänzung oder Erneuerung der Strategie und der Prozessanalyse und -gestaltung im Detail zu beschreiben. Die Dokumentation der Ist- und Soll-Prozesse bleibt auf einem relativ groben Niveau und die sog. weichen Faktoren der Integration der Mitarbeiter werden v.a. in der Phase der Realisierung eingefangen. Das Hauptgewicht liegt auf wenigen identifizierten Kernprozessen. Business Reengineering
Das Business Reengineering definiert sich nach Hammer und Champy als fundamentales Überdenken und radikales Redesign von Unternehmen oder wesentlichen Unternehmensprozessen. Das Ziel sind Verbesserungen um Größenordnungen in bedeutsamen und messbaren Leistungsgrößen in den Bereichen Kosten, Qualität, Service und Zeit. Im Business Reengineering wird zunächst festgelegt, was ein Unternehmen tun muss und erst dann, wie es dabei verfahren soll. Doch der geringe Detaillierungsgrad von Instrumenten und Methoden zur Organisationsgestaltung enthüllt, dass gerade die Frage nach der Vorgehensweise bei diesem stark amerikanisch orientierten Ansatz zu kurz kommt. Zwar werden die grundlegenden Gestaltungsmöglichkeiten einer radikalen Veränderung beschrieben, doch
2.1 Der Weg zu MOTION
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sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene fehlt die methodische Unterstützung. Der Ansatz nach Hammer und Champy ist ein stark top-downorientiertes Verfahren, das, ausgehend von kreativen Visionen der Prozesse, unter Mitwirkung eines „leaders“ sowie verschiedener „ReengineeringTeams“ erfolgt. Kritik besteht darin, dass die Umsetzung des Konzeptes durch einen „strong leader“ bestimmt werden soll, der den Wandel nicht nur initiieren, sondern die Mitarbeiter zu den nötigen Veränderungen zwingen soll. Das Business Reengineering baut demnach auf Befehl und Kontrolle, während die umfassenden Erkenntnisse der Organisationsentwicklung und zur partizipativen Systemgestaltung vernachlässigt werden. Entsprechend dem Ansatz von Johansson et al. werden sowohl die Strategie- als auch die Prozessgestaltung berücksichtigt; die Methoden und Instrumente zur Überprüfung, Ergänzung oder Erneuerung der Strategie und der Prozessanalyse und -gestaltung im Detail werden nicht beschrieben. Die Konzentration richtet sich ebenfalls auf wenige, identifizierte Kernprozesse und auch die weichen Faktoren werden in einem Rollenmodell vorgebracht. Trotz Betonung des Faktors „Mensch“, liegt das Hauptgewicht auf der oberen und mittleren Führungsebene. Process Innovation
Dem Ansatz des Business Reengineering ähnelnd, thematisiert das Konzept des Process Innovation nach Davenport die fundamentale Veränderung und somit eine Verbesserung der Unternehmensprozesse. Davenport zieht eine klare Grenze zwischen „Innovation“ (radikal) und „Improvement“ (inkremental). Die top-down-ausgerichtete Vorgehensweise des Process Innovation besteht aus den fünf Phasen „Identifying Processes for Innovation“, „Identifying Change Levers“, „Developing Process Visions“, „Understanding Existing Processes“ und „Designing and Prototyping the New Process“. Die Prozessvision verbindet die Unternehmensstrategie mit der operativen Umsetzung, indem messbare Prozessziele vorgegeben und aussagefähige Prozessattribute definiert werden. Auch bei diesem Ansatz gilt für Inhalt und Vorgehen das, was für die Ansätze von Johansson et al. sowie Hammer und Champy dargelegt wurde. Davenport erläutert jedoch etwas ausführlicher die Prozessanalyse und das Prozessdesign bzw. die Prozessgestaltung. Der Ansatz des Process Innovation unterscheidet sich zu den anderen Ansätzen durch eine größere Konkretisierung und Durchgängigkeit der Vorgehensweise von der Strategie bis zur Umsetzung. Dies äußert sich in der Empfehlung konkreter Vorgehensschritte und situativ einsetzbarer Methoden vom Aktivity-Based Costing (ABC) bis zum Information Engineering. Die weichen Faktoren
10 2 MOTION – der europäische Ansatz des Change Management
werden berücksichtigt, indem die Rolle der Teams als „Human Resource Enablers of Process Change“ sowie zur Unterstützung des „Cultural and Paradigm shifts“ und des „Behavioral Change“ betont werden. Kritikpunkt ist aber auch bei diesem Ansatz, dass die Aufgaben der Prozessgestaltung der oberen und mittleren Führung zugeteilt werden und nur selten die Mitarbeiter einbezogen werden. Man kann davon ausgehen, dass nur wenige Unternehmen zu einer solchen, von den top-down-orientierten Ansätzen geforderten Radikalität bereit sind. Kaum eine Organisation ist in der Lage, sich ad hoc neu zu reorganisieren und die gesamte Wertschöpfungskette neu zu gestalten. Häufig wird die Langlebigkeit des weichen Faktors „Unternehmenskultur“ unterschätzt. Veränderungen der Kultur benötigen Zeit und sind daher Gegenstand eines evolutionären und partizipativen und nicht eines revolutionären und autoritären Prozesses. Eine top-down-orientierte Vorgehensweise steht dem entgegen. Zu den Vorteilen der top-down-ausgerichteten Ansätze zählen eindeutig das ganzheitliche, ressortübergreifende Denken und Handeln und die Ausrichtung (Fokussierung) auf die zentralen Prozesse der betrieblichen Leistungserstellung. 2.1.2 Beispiele bottom-up-orientierter Ansätze Die Gegenbewegung zu den top-down-orientierten Ansätzen zur radikalen Unternehmensrevolution sind japanisch geprägte Methoden der kontinuierlichen Verbesserung der Unternehmensprozesse (KAIZEN). Den Ausgangspunkt bildet somit nicht eine Prozessvision (Soll-Zustand), sondern der bestehende Prozess (Ist-Zustand), der nach Effizienzkriterien optimiert wird. Beim bottom-up orientierten Veränderungsansatz steht nicht „Process Innovation“, sondern „Process Improvement“ im Vordergrund. Der stetige Veränderungsprozess wird institutionalisiert, und die Effizienzziele der bestehenden, von den Mitarbeitern getragenen, Prozesse werden verbessert. Neben dem Ansatz des KAIZEN existiert das japanisch geprägte Lean Management, das eine kontinuierliche Verbesserung sowie eine schlanke Organisation durch flache Hierarchien und Entscheidungswege anstrebt. KAIZEN
KAIZEN (Kai = Veränderung, Wandel; Zen = zum Besseren) steht für eine stetige Verbesserung unter Einbezug der gesamten Organisation. Der Leitsatz lautet: „Kein Zustand ist so gut, dass er nicht noch verbessert werden könnte.“ Verantwortlich für den Erfolg von KAIZEN sind Faktoren
2.1 Der Weg zu MOTION
11
wie Qualifikation, Motivation, Engagement, Bewusstsein und Verhalten. Die Ziele dieses Ansatzes bestehen aus dem Abbau von Fehlern durch verbesserte Prozesse und Abläufe, besseren Arbeitsbedingungen und einer höheren Zufriedenheit externer und interner Kunden. Die Botschaft von KAIZEN beinhaltet, dass kein Tag ohne irgendeine Verbesserung im Unternehmen vergehen soll. Das Augenmerk der Unternehmensleitung richtet sich nach KAIZEN ausschließlich auf die Erhaltung und Verbesserung der Standards. Nach Imai ist KAIZEN der Weg der kleinen Schritte, die Innovation, der Weg der großen Schritte. Im Gegensatz zur Innovation, die eine schlagartige Verbesserung durch hohe Investitionen in Technologie und Maschinen erreicht, resultieren bei KAIZEN kleine Verbesserungen aus stetiger Bemühung. Durch ihre Fokussierung auf die Innovation verlieren westliche Unternehmen die Geduld und übersehen die Vorteile des KAIZEN, das die weichen Faktoren wie menschlichen Einsatz, Kommunikation, Ausbildung, Teamwork, Anteilnahme und Selbstdisziplin betont. Der bottom-up-ausgerichtete Ansatz des KAIZEN geht davon aus, dass verbesserte Prozesse bessere Ergebnisse erzielen können. Jede Tätigkeit besteht aus einer Reihe von Prozessen, wobei jeder Prozess seinen Zulieferer und seine Kunden hat („Der nächste Prozess ist der Kunde“). Demnach liegt die Betonung auf dem prozessorientierten Denken, wobei keine ausdrückliche Konzentration auf wenige unternehmerische Kernfähigkeiten beabsichtigt wird. Die Strategiegestaltung ist eher nebensächlich. Lean Management
Mit ihrem weltberühmten Buch “The Machine that changed the world“ lieferten James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos den Nachweis für die eminente Überlegenheit von Toyota an Produktivität, Flexibilität, Schnelligkeit und Qualität sowie erstes Erklärungsmodell des LeanGedankenguts. Es folgte die Konkretisierung des “Extended Value Stream“ und des Lean Thinking durch Womack und Jones in 2002 und 2003 und zuletzt Lean Solutions (2005), die erklären, wie wertorientiert die Vorteile des Seriencharakters (Flussprinzip, Schnelligkeit, niedrige Stückkosten) mit denen eines kundenorientierten Handwerkbetriebs (hohe Flexibilität, Customizing, Qualität) verbunden werden können. Die Übersetzung „Lean“ in „schlank“ ist dabei offensichtlich falsch. Sie hat im deutschsprachigen Raum lange zu Missverständnissen geführt, da sie im Wesentlichen als Kostensenkungs- und Kapazitätsreduktionsprinzip interpretiert wurde. Stattdessen sollte ein „Lean Enterprise“ verstanden werden als ein Unternehmen mit einem wertorientierten Verhältnis zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern. Zu den Grundsätzen des Lean Managements zählen eine schrittweise Vorgehensweise, Gruppenorientierung,
12 2 MOTION – der europäische Ansatz des Change Management
Eigenverantwortung, ständiges Feedback in flachen Hierarchien, direkte Behebung von Fehlern an der Quelle und eine weite Voraussicht. Weitere Merkmale des Lean Managements sind eine unternehmensweite Verbesserung der Qualität, Beschleunigung der Entwicklung, harmonische Einbindung des Unternehmens in die Gesellschaft sowie Outsourcing und die damit verbundene Konzentration auf spezifische Stärken der Organisation. Der Fokus liegt ebenfalls auf den weichen Faktoren. Auch in Bezug auf prozessorientiertes Denken und Strategiegestaltung nutzt das Lean Management den KAIZEN-Ansatz. Die Konzentration auf wenige, bedeutende Kernprozesse wird hier jedoch stärker betont. Sowohl das Lean Management als auch das KAIZEN sind grundsätzliche Philosophien. Sie beschreiben nicht den Veränderungsprozess, sondern bieten konkrete Gestaltungsempfehlungen mit einem großen Fundus an Grundkonzepten, Systemen und Prinzipien, was der Forderung nach einem situativ geführten Unternehmen gerecht wird. Der Vorteil dieser bottom-up-orientierten Vorgehensweise liegt in der Möglichkeit, den Rhythmus der Entwicklung der Entwicklungsfähigkeit anzupassen. Kleine Veränderungsschritte lassen sich kurzfristig und unmittelbar umsetzen, während dauerhafte Neuerungen kontinuierlich ablaufen und somit zu einer andauernden Verbesserung der Problemlösungskapazität des Unternehmens führen. Permanente Veränderungsprozesse und die damit verbundene ständige Unruhe im Unternehmen können sich jedoch auch negativ auf die Organisation auswirken, da u.U. keine klare Zielrichtung mehr erkennbar ist.
2.2 Was ist MOTION? In MOTION wurde unter besonderer Berücksichtigung kultureller Besonderheiten europäischer Unternehmen ein integratives Konzept entwickelt, das die Vorteile der top-down orientierten revolutionären mit denen der bottom-up orientierten evolutionären Ansätze vereinigt (Abb. 2.1). Auf diese Weise sollen durch MOTION große Brüche zwischen Analyse, Gestaltung und Transformation vermieden werden, die bisher durch den Einsatz nicht aufeinander abgestimmter Einzelmethoden im Rahmen von Veränderungsprojekten verursacht wurden. Die „Konzentration der Kräfte“ auf die wesentlichen Veränderungsobjekte unter schonender und gleichzeitig effektiver Nutzung der vorhandenen Ressourcen ist eine bekannte Leitlinie unternehmerischen Handelns, die für MOTION übernommen und erweitert wurde. Die spezifische Situation des Marktes und der Unternehmen, ihre Potentiale und die daraus resultierenden unterschiedlichen Strategien erfordern
2.2 Was ist MOTION?
Gestaltung
Analyse Strategieaudit Prozessanalyse
13
Kernprozessidentifikation Prozessstrategien Prozessoptimierung
Projektorganisation Transformation Schulung
Abb. 2.1 Der MOTION-Rahmen
eine situationsbedingte methodische Unterstützung. Dieser Anforderung wird der MOTION-Veränderungsansatz durch eine Auswahl problemspezifisch einzusetzender Methoden und Hilfsmittel gerecht, die in einer Art Werkzeugkasten zusammengeschlossen und den verschiedenen Schritten der Vorgehensweise zugeordnet wurden. Das dritte zentrale methodische Element von MOTION, die Vervollständigung des „Werkzeugkastens“, besteht aus dem sog. Prozessmodell. Das Prozessmodell dient der Ablage, Strukturierung und Transparenz der in den verschiedenen Phasen von Veränderungsprojekten notwendigen Informationen. Top-down meets Bottom-up
Das „Down-up“-Prinzip von MOTION folgt aus der Kombination von „Top-down“ und „Bottom-up“ und wird in der Verknüpfung strategischer Grundsatzentscheide zur Veränderung mit den operativen Gestaltungsmaßnahmen realisiert. Mit Blick auf das prozessorientierte Veränderungsprojekt wird auf der Handlungsebene der Führung die Unternehmensstrategie analysiert und angepasst, um schließlich auf der Handlungsebene der Prozesse Maßnahmen zur Prozessoptimierung bzw. -neugestaltung zu treffen. Neben intensiver Einbindung der Geschäftsleitung haben auch die Mitarbeiter die Möglichkeit, ihre Standpunkte vorzubringen. Dies erhöht die Umsetzungsstärke des verfolgten Vorhabens. Die Konzentration auf die Kernprozesse dient zudem der effektiven Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Wegen seiner Ganzheitlichkeit wird im Folgenden die Guideline des MOTION-Konzeptes als Bezugsrahmen für prozessorientierte Veränderungsprojekte verwendet. Die Methode definiert das „Wie“, das Modell definiert das „Was“ und die Projektorganisation definiert das „Wer“ des Change Managements.
14 2 MOTION – der europäische Ansatz des Change Management
MOTION und der General Management Navigator
Der Ansatz MOTION nutzt dabei einen weiteren übergeordneten Ansatz zu Inhalten und Abfolgen von Veränderungsprojekten. Wer sich mit strategischen Veränderungsvorhaben beschäftigt, ist gut beraten, eine Orientierungshilfe zu Rate zu ziehen, die den grundlegenden Ablauf dieser Projekte verdeutlicht. Der St. Galler General Management Navigator (GMN) ist eine solche abstrakte Hilfe im komplexen Themenfeld der strategischen Ausrichtung und der anschließenden Veränderung (Abb. 2.2).
Initiierung
Positionierung PerformanceMessung
Veränderung
Wertschöpfung
Abb. 2.2 Der General Management Navigator
Der GMN beschreibt den Strategieprozess als Weg, der mehrere Phasen durchläuft. Der Start einer Veränderung wird in der Phase Initiierung ausgelöst, in der die Impulse gegeben werden. In der Phase Positionierung wird eine vorteilhafte Stellung gegenüber seinen Anspruchsgruppen erarbeitet und der Weg dorthin entworfen. Anschließend wird in der Phase Wertschöpfung der Ressourceneinsatz (Mitarbeiter, Wissen, Produktionsmittel) geplant. Die in den vorhergehenden Phasen entwickelten Pläne werden in der Phase Veränderung im Unternehmen umgesetzt. Parallel zu den beschriebenen Phasen wird kontinuierlich die Performance der Umsetzung, um die Effektivität und die Effizienz der Veränderungsprozesse sicher zu stellen. Der zeitliche Ablauf der Phasen ist nicht festgelegt, sondern nach Situation sinnvoll zu wählen. Der GMN und MOTION passen sehr gut zusammen: im bereits gezeigten Modell lassen sich alle Phasen des GMN zuordnen. So lassen sich beide Modelle parallel zur Abbildung der Veränderungsprozesse nutzen (Abb. 2.3).
2.2 Was ist MOTION?
15
Inhalt Positionierung
Prozess Initiierung
Strategieaudit
Den Wandel vordenken
Idee
Prozessanalyse
Umsetzung
Kernprozessidentifikation
Veränderung
Prozessstrategien
Den Wandel gestalten
Prozessoptimierung
WirkWirk-Wirk samkeit samkeit
Wertschöpfung Performance-Messung
Abb. 2.3 Eine Methode zum ganzheitlichen Wandel – das neue MOTION
Eine Betrachtung der einzelnen Bausteine der Methodik beginnt zunächst bei den inhaltlichen Dimensionen Positionierung und Wertschöpfung. Der Konzeptbaustein Strategieaudit kommt in der Anfangsphase der Strategiearbeit zum Tragen. Das Strategieaudit dient zusammen mit dem Konzeptbaustein Prozessanalyse der Zielfindung im Veränderungsprojekten. Auf Basis einer Analyse der Markt- und Wettbewerbssituation sowie der anvisierten Unternehmensziele werden mögliche Entwicklungsrichtungen erarbeitet. Unter Berücksichtigung der Unternehmensfähigkeiten sowie der angestrebten Positionierung im Wettbewerb werden die durch das Unternehmen zukünftig zu besetzenden Strategischen Erfolgspositionen identifiziert. Die SEP werden im Rahmen des Strategieaudits für das eigene Unternehmen und die Hauptwettbewerber ermittelt und bezüglich ihrer aktuellen sowie zukünftigen Bedeutung für eine erfolgreiche Positionierung im Wettbewerb in einem Ranking verglichen. Zentral sind dabei die zukünftigen SEP. Diese determinieren die zukünftige Allokation von Ressourcen in Bezug auf die zu verändernden Kernprozesse. Das bedeutet, anhand der SEP werden die Prozesse im Unternehmen herausgearbeitet, die eine signifikante Wirkung auf den Erfolg des Unternehmens haben und die es in Bezug auf Effizienz und Effektivität (hier gemessen als Beitrag zum Kundennutzen) zu verbessern gilt. Ergänzt wird die Positionierungsarbeit durch die Konzeptbausteine Prozessanalyse und Prozessoptimierung. Hier werden ganz im Sinne des Lean Thinkings die Hauptprozesse des Unternehmens unter zwei Maximen verbessert: Möglichst alle nicht wertschöpfenden Tätigkeiten eliminieren und möglichst alle restlichen Tätigkeiten optimieren. Auch die letzte Phase von MOTION, die Transformation, in der die Veränderung im Unternehmen umgesetzt wird, findet sich im GMN wieder.
16 2 MOTION – der europäische Ansatz des Change Management
2.3 MOTION im Überblick MOTION besteht aus einer Reihe von Bausteinen, die zueinander passen. Die Summe ergibt den Leitfaden für das europäische Veränderungsmanagement. Im folgenden soll der Zusammenhang der einzelnen Phasen erläutert werden. Die detaillierte Beschreibung der Bausteine erfolgt in den folgenden Kapiteln. Durch die Verbindung mit dem General Management Navigator werden zwei grundsätzliche Denkrichtungen „durch MOTION“ sichtbar. Zunächst gibt es die inhaltliche Gestaltung der Veränderung, die durch Strategiaudit und Prozessanalyse und -design durchgeführt wird. Hier werden die zukünftigen Prozesse entworfen, mit denen die neuen strategischen Ziele erreicht werden können. Die zweite Sichtweise ist die Prozessrichtung, die mit der Initiierung des Wandels beginnt und bis zur Transformation, also der Umgestaltung des Unternehmens reicht. Auch eine zeitliche Einteilung ist möglich. Ein Veränderungsprojekt nach MOTION besteht aus drei wesentlichen Phasen. • Vorprojektierung und Fokussierung: Die erste Phase dient im Wesentlichen der Zielfindung im prozessorientierten Veränderungsprojekt. • Prozessanalyse und Prozessdesign In dieser Phase geht es um die Gestaltung neuer, strategiekonformer Prozesse. • Realisierung: Die Transformationsphase, gestützt durch Projektmanagement-Maßnahmen und projektbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen, soll ihren Anfang bereits im Projektstart finden und zur Realisierung der Umsetzungseinzelprojekte führen.
2.4 MOTION und Lean Management MOTION steht dem Grundgedanken des Lean Management keineswegs entgegen. Vielmehr finden sich wesentliche Elemente in den Instrumenten wieder. Dass die MOTION-Methode sich dabei auf das Wesentliche fokussiert, wird deutlich bei einer Spiegelung des Aufbaus von MOTION an den fünf Prinzipien des Lean Thinking. Die Wertdefinition, d.h. das Festlegen, welchen Wert der Kunde eigentlich beziehen möchte, erfolgt in der Dimension der Positionierung. Wie der Wert zu erzeugen ist, wird in der Definition der Wertschöpfung vorgenommen, was im Denkansatz des Lean Thinking mit der Definition des Wertstroms einhergeht. Dass der Wertstrom fließen
2.4 MOTION und Lean Management
17
muss, wird in MOTION durch die Prozessdimension dargestellt, die abgebildet durch die Phasen Initiierung und Veränderung für den zielgerichteten Wandel des Unternehmens im Sinne der inhaltlichen Festlegung in den Bereichen Positionierung und Wertschöpfung sorgt. Die Idee des PullPrinzips wird ebenfalls in der prozessualen Berücksichtigung von Veränderungen aufgenommen, da eine gute Veränderungsarbeit dafür sorgt, dass möglichst schnell die kritische Masse an Veränderungswilligen erreicht wird, so dass sich das Momentum der Veränderung beschleunigt. D.h., dass nicht mehr einige Wenige die anderen schieben, sondern alle beteiligten ziehen gemeinsam, um die Veränderung zu erreichen. Letztendlich führt die Berücksichtigung aller vier bisher genannten Prinzipen dann zur Perfektion im Veränderungsprozess, d.h. zur wesentlichen Verbesserung der Aufstellung der Unternehmensorganisation. Diese Kohärenz der Denkansätze aus den Disziplinen des Strategischen Managements und des Produktionsmanagements in der MOTION-Methodik verdeutlicht deren Stabilität und Güte.
3 Strategische Positionierung
Im Folgenden werden die strategischen Analysebausteine prozessorientierter Veränderungsprojekte mit ihren Basiselementen dargestellt. Die Phase der Vorprojektierung und Fokussierung des MOTION-Rahmens beinhaltet die Bausteine Strategieaudit, Kernprozessidentifikation und Prozessstrategien. Eine Betrachtung der einzelnen Bausteine der Methodik beginnt zunächst mit dem ersten Element der inhaltlichen Dimension, der Positionierung (Abb. 3.1). Der Konzeptbaustein Strategieaudit kommt in der Anfangsphase der Strategiearbeit zum Tragen. Das Strategieaudit dient zusammen mit dem Konzeptbaustein Prozessanalyse der Zielfindung im Veränderungsprojekt. Die wichtigsten Fragen, die es zu beantworten gilt, sind die nach der richtigen Stoßrichtung aller Aktivitäten und nach den hierfür relevanten Prozessen. Mit diesem ersten Baustein der inhaltlichen Denkrichtung werden die Weichen für eine spätere Prozessgestaltung gestellt.
Inhalt Positionierung
Prozess
Strategieaudit
Initiierung Den Wandel vordenken
Prozessanalyse Welche strategische Stoßrichtung ist die richtige?
Umsetzung
Kernprozessidentifikation
Veränderung
Prozessstrategien
Den Wandel gestalten
Prozessoptimierung
Welches sind die
Wertschöpfung wettbewerbsWertschöpfung entscheidenden Prozesse?
Was bedeuten die Unternehmensstrategien für unsere Prozesse?
Performance Messung
Ziel Ziel
Verfahren
Mittel
Ziele
SEP SEP
Abb. 3.1 Wie funktionieren die Bausteine der Positionierung?
20
3 Strategische Positionierung
3.1 Strategischer Rahmen für Veränderungsprozesse Die Entwicklung und Kommunikation einer Zielvorstellung für das Projekt stellt einen wichtigen Ausgangspunkt zur Optimierung bzw. Neugestaltung der Unternehmensprozesse dar. Die Zielsetzung des Strategieaudits ist, die vorhandene Strategie („strategy in work“) schnell zu erfassen. Die aktuelle Markt- und Unternehmenssituation wird aufgearbeitet und unter den Aspekten des anstehenden Veränderungsprojektes analysiert, um gleichzeitig Schwächen und Widersprüche der bestehenden Strategie aufzudecken und zu beseitigen (Abb. 3.2). Das Unternehmen identifiziert strategische Erfolgspositionen (SEP), die es in Zukunft besetzen will. Daraus wird ein Strategisches Programm abgeleitet, das in das angestrebte Strategische Profil der Unternehmen passt und mittels dessen die Ziele, Mittel und Verfahren definiert werden. Unter den Strategischen Erfolgspositionen werden unternehmerische Aktivitätsfelder verstanden, in denen die Unternehmung dank besonderer Fähigkeiten oder dank einer zielstrebigen Aufbauarbeit eine Position erlangt, die langfristig die Erzielung überdurchschnittlicher Erträge ermöglicht (vgl. Abb. 3.3). Die Strategischen Erfolgspositionen werden in einem Workshop mit dem Strategieteam im Rahmen des Strategieaudits für die eigene Unternehmung sowie den Hauptwettbewerber ermittelt und anschließend bezüglich ihrer aktuellen sowie zukünftigen Bedeutung für Markterfolg und Wettbewerbsposition in einem Ranking verglichen.
Einführung
1. Identifizieren des Bedürfnisses für BPR
gegenwärtige Situation
3. Erstellen eines Profils der Unternehmens-/Geschäftseinheit (Gegenwart)
zukünftige Situation
6. Formulieren zusätzlicher SEP und Bewerten der SEP
Controlling / Plausibilitätsprüfung
9. Überprüfen der SEP, des Profils und des Strategischen Programms
2. Verstehen der Elemente einer Strategie 4. Formulieren der Teilstrategien (Gegenwart)
7. Definieren eines Strategischen Programms (Zukunft)
5. Formulieren und Bewerten aktueller Strategischer Erfolgspositionen (SEP)
8. Erstellen eines Profils der Unternehmens-/Geschäftseinheit (Zukunft)
Abb. 3.2 Das Vorgehen im Strategieaudit
10. Kommunizieren und Formulieren des Strategischen Programms
3.1 Strategischer Rahmen für Veränderungsprozesse
21
Definition Strategische Erfolgspositionen sind durch den Aufbau von wichtigen und dominanten Fähigkeiten bewusst geschaffene Vorraussetzungen, die es der Unternehmung erlauben, im Vergleich zur Konkurrenz auch längerfristig überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen.
Beispiele 1. Image (Technologieimage, gesellschaftliches Image, ...) 2. Vertriebsnetz (Verkaufsstellen, Distributionskanäle, ...) 3. Skaleneffekte (Kapazitäten, economies of scale, ...) 4. Qualität (Produkt- und Prozessqualität, Garantien, ...) 5. Leistungsbreite (Sortiment, Dienstleistungen, Leistungssysteme, ...) 6. Kundennähe (Kundenberatung, „Ohr am Kunden“, ...) 7. Innovationsfähigkeit (First Mover, Technologieführerschaft, ...) 8. Finanzierung (Finanzleistungen, Vorfinanzierbarkeit, ...) 9. Kooperationsfähigkeit (partnerschaftliches Verhalten, kooperationsfreundliche Organisationsstrukturen, ...)
Abb. 3.3 Strategische Erfolgspositionen
Nachdem die SEP als grobe Ziele und das Strategische Programm in konkreten Teilstrategien zur Erreichung der SEP definiert worden sind, kann die Stimmigkeit dieser strategischen Instrumente mit der Positionierung des eigenen Unternehmens in den Profilmodulen der strategischen Ebene nach Bleicher bereits zum ersten Mal im Strategieworkshop diskutiert werden. Hiermit wird man der Forderung nach dem Management-Fit gerecht. Dabei wird im Rahmen des Strategieaudits sowohl das aktuelle als auch das zukünftige Unternehmensprofil erarbeitet. Für das Profil der Strategischen Programme bspw. kann sich das Unternehmen in den Quadranten Produktprogramm-, Wettbewerbs-, Aktivitäten- und Ressourcenstrategien positionieren. Die Arbeit mit den Strategischen Profilen nimmt bereits teilweise die Überprüfung der Konsistenz der Strategischen Instrumente vorweg. Innerhalb dieses letzten Schritts des Strategieaudits wird ein Plausibilitätscheck zwischen dem zukünftigen Strategischen Profil, dem neu formulierten Strategischen Programm und den definierten Strategischen Erfolgspositionen durchgeführt, mittels welchen die Identifikation von Zielkonflikten ermöglicht werden soll. Als Ergebnis dieser Überprüfung der strategischen Instrumente müssen nur die SEP erneut geprüft werden und das Strategieaudit im Sinne eines iterativen Prozesses wiederholt durchlaufen werden. Das Strategische Programm als Weg zur Erreichung der Strategischen Erfolgspositionen sowie die Strategischen Profile bilden somit als Basiselemente zusammen das Strategieaudit als einen Teil des MOTIONKonzeptes.
22
3 Strategische Positionierung
3.2 Strategieaudit Im Rahmen der Vorprojektierung stellt das Strategieaudit einen wichtigen Baustein zur Entstehung einer gemeinsamen Vorstellung über die generelle und strategische Position des Unternehmens dar, so dass anschließend Schwerpunkte im Hinblick auf ein konkretes Zukunftsziel innerhalb des Veränderungsprojektes gesetzt werden können. Die Erarbeitung einer gemeinsamen Zielvorstellung bildet eine wichtige Vorraussetzung zur erforderlichen Optimierung und Neugestaltung des Unternehmensprozesses. Die Anforderungen können den Beteiligten nur durch Vorgabe einer klaren Richtschnur und der Verdeutlichung des Handlungsbedarfes transparent gemacht werden. Nur so lassen sich alle Tätigkeiten im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel bündeln bzw. fokussieren. Auf einer gut formulierten Vision können dann die weiteren Elemente aufgebaut werden. Ein Strategieteam sollte verschiedene Sichten des Unternehmens beinhalten. Neben der Geschäfts- bzw. Abteilungsleitung tragen insbesondere die Personen zur Strategiefindung bei, die externe Kontakte zu Kunden und Markt haben, üblicherweise Marketing und Vertrieb, und die produktund produktionsorientierten Personen, wie der Konstruktions- oder der Fertigungsleiter. Der erste Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Verbesserung besteht in der Erkenntnis, dass eine Veränderung notwendig ist. Das Bewusstsein über die Veränderung im Unternehmen als ein Garant für eine erfolgreiche Zukunft beginnt bei der Diskussion im Top-Management, durch dass das nötige Commitment geschaffen wird. Die Ergebnisse einer solchen Diskussion werden über das Projektmarketing kommuniziert, was wiederum Vertrauen und ein Gefühl von Sicherheit bei den Mitarbeitern auslöst. 3.2.1 Strategische Erfolgspositionen Eine geeignete Herangehensweise, um auf der Grundlage des gewählten Zukunftsbildes die weitere Vorgehensweise des Veränderungsprojektes zu beschreiben, sind die Strategischen Erfolgspositionen (SEP). Sie sind definiert als Bündelung von Fähigkeiten und Ressourcen, um langfristig überdurchschnittliche Erfolge zu erzielen (Abb. 3.3). Die Strategischen Erfolgspositionen verbinden das von den Fähigkeiten des Unternehmens getragene Leistungsangebot und den potentiellen Kundennutzen. Um sich in einem Change-Management-Projekt auf den wesentlichen internen Bereich, die Prozesse und Strukturen, konzentrieren zu können, bedarf es der Kenntnis des externen Umfeldes. Zu einer solchen Analyse
3.2 Strategieaudit
23
Neue Anbieter
Bedrohung durch neue Anbieter
Verhandlungsstärke der Lieferanten
Wettbewerber der Branche Abnehmer
Lieferanten
Abnehmer
Intensität der Rivalität
Verhandlungsstärke der Abnehmer
Bedrohung durch Ersatzprodukte
Ersatzprodukte
Abb. 3.4 Porter’s Five Forces als Analyseinstrument zur SEP-Evaluation
der Markt- und Wettbewerbsposition sowie zur Aufbereitung der für die Diskussion zu den SEP relevanten Informationen eignet sich die Branchenanalyse nach Porter (Abb. 3.4). Diese systematische Analyse umfasst die „Five Forces“: Für die Lieferanten und Abnehmer werden die Machtverhältnisse zwischen Lieferanten und Abnehmern analysiert, für derzeitige Wettbewerber wird das Ausmaß an Rivalität eingestuft, und für etwaige neue Konkurrenz und Substitutionsprodukte wird eine Trendanalyse durchgeführt. Letztendlich wird ein klares Bild über die Branche sowie die Position des eigenen Unternehmens innerhalb der Branche geschaffen. Zur Beurteilung der SEP im Unternehmen sollten drei Aspekte im Vordergrund stehen: • Interne und externe Sicht Die Situation des Unternehmens ist von innern heraus zu betrachten, indem mögliche Stärken und Schwächen im eigenen Ressourcen- und Fähigkeitsbündel aufdeckt werden • Gegenwärtige und zukünftige Unternehmenssituation. Wichtig für die Rahmensetzung bei einem Veränderungsprojekt ist neben der Sichtung der gegenwärtigen Markt- und Wettbewerbssituation v.a. die Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklung. • Eigenes Unternehmen und Konkurrenz Die Berücksichtigung der Wettbewerbssituation spielt eine entscheidende Rolle, um schließlich zu einer vom gesamten Strategieteam getragenen Entscheidung über die Besetzung der SEP zu gelangen.
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3 Strategische Positionierung
3.2.2 Strategische Programme Aufgrund der definierten SEP wird die zukünftige leistungswirtschaftliche Strategie neu formuliert, da das bestehende Strategische Programm der durch die Definition der SEP bestimmten zukünftigen Stellung des Unternehmens als Ganzes nicht mehr gerecht wird. Strategische Programme setzen sich aus langfristigen Zielen, zugeteilten Ressourcen und zieladäquaten Maßnahmen zusammen (Abb. 3.5). Die vier Teilstrategien des Strategischen Programms werden über Ziele, Mittel und Verfahren konkretisiert. Durch das Festsetzen eines bestimmten Zielwertes (z.B. 15% Erhöhung des Marktanteils) wird das Ziel konkretisiert und durch Festlegung des Datums (z.B. 5 Jahre) operationalisiert.
Leistungswirtschaftliche Strategie
Finanzwirtschaftliche Strategie Gewinnziele
Ziele
Marktziele
Mittel
Produktionsmittel
Wirtschaftlichkeitsziele
Kapitalvolumen Kapitalstruktur
Verfahren
Produktionsverfahren Absatzverfahren
Wirtschaftlichkeitsverfahren
Soziale Strategie
Personalpolitische und gesellschaftliche Ziele
Personen Einrichtungen
Mitarbeiterbezogene Verhaltensnormen
Informationsstrategie
Verfügbarkeitsziele
ManagementSysteme
Informationsgewinnungsund -verarbeitungsVerfahren
Abb. 3.5 Strategisches Programm
Dies entspricht im Wesentlichen einer Ziel-, Mittel- und Verfahrensbestimmung bei der Gliederung von Unternehmenskonzepten. Leistungswirtschaftliche, finanzwirtschaftliche und soziale Konzepte werden hier im Sinne von Teilstrategien als Bestandteile des Strategischen Programms verwendet. Dem liegt die Konkretisierung der Grundstrategie, die durch SEP als Orientierungsgrößen skizziert wurde, zu Grunde. Zusätzlich zu den bereits erwähnten leistungswirtschaftlichen, finanzwirtschaftlichen und sozialen (Teil-) Strategien wird für den konzeptionellen Bezugsrahmen auch eine Informationsstrategie nach Zielen, Mitteln und Verfahren
3.2 Strategieaudit
25
konkretisiert. Als eigentlicher Träger der ermittelten SEP kann auch das Strategische Programm für einzelne strategische Geschäftsfelder abgeleitet werden. Nach den gegebnen Strategiekomponenten wird das Strategische Programm im Strategieaudit für die aktuelle Situation analysiert sowie gegebenenfalls für die zukünftige Situation neu definiert. 3.2.3 Strategische Profile Im nächsten Schritt gilt es, den Fit der Teilstrategien zu überprüfen. Dabei wird die Übereinstimmung in vier Quadranten eines Profils ermittelt. Die Profilierung des Unternehmens kann für die Module Strategische Programme, Organisationsstrukturen, Managementsystem sowie Problemverhalten durchgeführt werden. Für das Profil des Strategischen Programms kann sich das Unternehmen in den Einzelstrategien Produktprogramm, Wettbewerb, Aktivitäten und Ressourcen positionieren. Das Strategische Profil der Unternehmung entsteht durch die Skalierung auf acht unterschiedlichen Achsen, durch die verschiedene Ausprägungen Strategischer Programme dargestellt werden (Abb. 3.6). Bei der Entwicklung der Soll-Profile ist dabei sowohl ein Fit innerhalb des Moduls als auch zwischen den Modulen der strategischen Ebene anzusteuern. Wird das Strategische Profil auf der Unternehmensebene in allen genannten Quadranten betrachtet, stellen sich die Typen stabilisierende Strategie und verändernde Strategie heraus. Bei einer stabilisierenden Strategie ergibt sich im Innenkreis einer Profildarstellung eine Kombination von standardisiertem Massenprogramm bei den Produktprogrammstrategien, einer „konformistischen“ Wettbewerbsstrategie, einer nach internen Synergiepotentialen strebenden Aktivitätsstrategie und einer deterministischen Ressourcenzuordnung. Eine Strategie der Veränderung im Außenkreis der Profildarstellung lässt sich mit der Zuversicht der eigenen Leistungsfähigkeit und der ständigen Wahrnehmung von neuen „windows of opportunities“ wiedergeben. Man möchte als Marktpionier wie auch als Löser von komplexeren Problemen des Kunden anerkannt werden. Hierzu sind umfassende Leistungsangebote (Produktprogrammstrategien) notwendig, die die eigene Leistungsfähigkeit unter vor allem produkt- und prozesstechnischen Aspekten unter Beweis stellen. Dem Bestreben, das technisch Machbare ständig über neue Grenzen hinaus vorzuschieben und die Früchte dieser Veränderung dem Kunden als Innovation darzubieten, entspricht es, eine nutzungsoffene Ressourcenvorhaltung (Ressourcenstrategien) zu betreiben und im Rahmen der Aktivitätsstrategien ein externes Synergiepotential mit Kunden und Lieferanten anzusteuern.
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3 Strategische Positionierung
Modul 1
Modul 2
Produktprogramm -strategien
Wettbewerbsstrategien
individuelles Nischenprogramm standardisiertes Massenprogramm
Pionier
Konformist Organisationsstrukturen Managementsysteme Problemverhalten
Deterministische Ressourcenzuteilung
internes Synergiepotential
Nutzenoffene stabilisierende RessourcenExternes Strategie haltung Synergiepotential verändernde Strategie
Ressourcenstrategien
Aktivitätsstrategien
Modul 3
Modul 4
Abb. 3.6 Strategisches Profil
Bei der Bewertung des Fit spielt die Größe des Kreises lediglich eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist die Form selbst: ein Kreis steht für die zueinander passenden Teilstrategien. Die richtige Größe des Kreises folgt aus der Gesamtstrategie der Unternehmung. Weichen ein oder zwei Quadranten vom Kreis ab, muss man einen der vier Punkte als Fixpunkt auswählen. Oft ergibt sich ein solcher aus Randbedingungen, z.B. der Branche. Die Abweichungen können dann an diesem Fixpunkt ausgerichtet und neu positioniert werden. Auch hier gilt: Hinter jeder Verschiebung im Profil müssen durchführbare Maßnahmen stehen. Die Anwendung der Strategischen Profile unterstützt die Harmonisierung der unterschiedlichen strategischen Unternehmensbilder der Mitarbeiter im Strategieteam. Die aufgrund der unterschiedlichen Beziehungen zu einzelnen Funktionsbereichen gewachsenen Interpretationsgemeinschaften prägen im Laufe der Zeit verschiedene mentale Modelle. Diese gilt es, durch die im Dialog aufgebaute kollektive Sprache zu harmonisieren. Das gemeinsame Strategieverständnis und die gemeinsame Sprache sind eine wichtige Vorraussetzung für das notwendige Top-Management-Commitment.
3.3 Kernprozessidentifikation
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Der Plausibilitätscheck zwischen dem zukünftigen Strategischen Profil, dem zukünftigen Strategischen Programm und den in Zukunft zu besetzenden Strategischen Erfolgspositionen bildet den letzten Schritt des Strategieaudits. Auf diese Weise wird die Konsistenz zwischen den Zielen (SEP) und den Plänen (Strategisches Programm und seine Profilierung) überprüft. Die Konsistenz unter den Ergebnissen aus der Anwendung der strategischen Instrumente lässt sich mittels Wirkungsverläufen analysieren. Hier ist eine grundlegende Unterscheidung zwischen der Art des Einflusses, den ein Element auf das andere ausübt, der Wirkungsintensität und dem zeitlichen Ursache-Wirkungs-Verlauf zu treffen. Eine einfache Möglichkeit, die Einflussarten zu erfassen, besteht in der Unterscheidung zwischen positiven gleichgerichteten und negativen entgegengesetzten Beziehungen. Die Konsistenzprüfung der Ergebnisse aus dem Strategieaudit kann mit Hilfe eines Ursache-Wirkungs-Netzes dargestellt werden (Abb. 3.7). Auf diese Weise werden die Abhängigkeiten der SEP mit den strategischen Mitteln des Strategischen Programms kontrolliert. Die Abhängigkeiten der SEP und der Mittel untereinander haben wiederum Einfluss auf die Ausprägungen des zukünftigen Strategischen Profils.
Modulkonzept
+ +
+ Wiederverwendung
+ Direktvertrieb
Konfigurierbarkeit
+ Kundennähe
Abb. 3.7 Konsistenzprüfung mittels Ursache-Wirkungs-Netzen im Strategieaudit
3.3 Kernprozessidentifikation Nach dem Strategieaudit werden im weiteren Verlauf des Veränderungsprojektes Kernprozesse identifiziert und Prozessstrategien abgeleitet (Abb. 3.8).
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3 Strategische Positionierung Inhalt Positionierung
Prozess Initiierung
Strategieaudit
Den Wandel vordenken Prozessanalyse
Umsetzung
Kernprozessidentifikation
Veränderung
Prozessstrategien
Den Wandel gestalten
Prozessoptimierung
Was bedeuten die Unternehmensstrategien für unsere Prozesse?
Welches sind die
Wertschöpfung wettbewerbsWertschöpfung entscheidenden Prozesse?
Performance Messung Ziel
Ziel
Abb. 3.8 Kernprozessidentifikation und Prozessstrategien im Rahmen der MOTION-Guideline
3.3.1 Prozessanalyse Nach der Ableitung und Formulierung einer Strategie als Basis für ein Veränderungsprojekt, gilt es diese in einer Prozessstruktur umzusetzen. Die anzustrebenden Ziele sind bekannt und die Handlungsfelder grob umrissen. Da anzunehmen ist, dass ein Unternehmen nicht alle Unternehmensprozesse gleichzeitig verändern will, stellt sich die Frage, mit welchem Prozess begonnen werden soll. Hierbei hilft die Identifikation, Evaluation und Priorisierung von Prozessen bei der Setzung von Schwerpunkten (Fokussierung) im Rahmen prozessorientierter Veränderungsprojekte. Die Identifikation gibt Antwort auf die Frage, welche Prozesse im Rahmen des Veränderungsprojektes genauer beleuchtet werden sollen. Evaluation meint die Bewertung der identifizierten Prozesse mithilfe bestimmter Prozesskenngrößen; durch die Priorisierung der bewerteten Prozesse lassen sich die Umsetzungsschritte in eine erfolgversprechende Reihenfolge bringen. Die Identifikation von Kernprozessen wird down-up vom Strategieteam und vom Prozessteam durchgeführt. Kernprozesse sind Hauptprozesse, die im Vergleich zum Wettbewerb einen signifikant höheren Beitrag zum Kundennutzen leisten. Mit dem Präfix „Kern“ vor Prozess, Produkt oder Kompetenz verbindet man intuitiv eine höhere Wichtigkeit. „Kern“ ist demnach das Ergebnis einer Bewertung von Prozessen, Produkten und
3.3 Kernprozessidentifikation
29
Kompetenzen. Folglich ist „Kern“ eine auf einem Vergleich basierende Wertung im Sinne einer höheren Bedeutung. Ergebnis der Kernprozessidentifikation sind Prozesse, für die in Zukunft andere Strategien gelten sollen als für andere Prozesse, bspw. bei der Zuteilung der Ressourcen oder bei Entscheidungen zur Investition. Das Ziel der Identifikation von Kernprozessen besteht somit darin, die bedeutenden Prozesse zu benennen und ein kollektives Verständnis für die zur Umsetzung benötigten Fähigkeiten und für den zu erfüllenden Kundenutzen zu schaffen. Für die Durchsetzung dieser Ziele der Kernprozessidentifikation existieren zwei Ansätze: Dem Ansatz der situativen Identifikation zufolge, verfügt jedes Unternehmen über ganz individuelle Prozesse. Diese situativen Merkmale führen zu einer Abgrenzung der Prozesse und sind so speziell, dass sie einmalig vorliegen. Der zweite Ansatz geht davon aus, dass jedes Unternehmen über die gleichen „Prozesshülsen“ verfügt, die jeweils branchengerecht präzisiert werden, was zu den Referenzprozessen oder idealtypischen Prozessen führt. Der Vorteil des zweiten Ansatzes besteht darin, dass die vorgegebene Systematik die Überwindung tradierter Strukturen vereinfacht. Der Nachteil liegt darin, dass die Ähnlichkeit der Prozesse die Abgrenzbarkeit von Wettbewerbern mindert. Nach dem Strategieaudit können eine situative Identifikation und eine Bewertung nach Effektivitäts- und Effizienzkriterien erfolgen. Um die tradierten Strukturen aufzubrechen und um bewusst funktions- und ressortübergreifende (Kern- und Haupt-)Prozesse zu sichten, werden unter Bezugnahme auf Referenzprozesse und unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Strategieaudits Hauptprozesse definiert. Auf diese Weise kann vermieden werden, vorhandene Funktionen und Abteilungen einfach als „Prozesse“ zu bezeichnen, ohne dabei etwas an ihrer Struktur zu verändern. Ein Beispiel für einen solchen cross-funktionalen Hauptprozess ist die „Auftragsabwicklung“, die sich aus den Funktionsbereichen Teilefertigung, Montage, Inbetriebnahme und Logistik zusammensetzt. Jedes Unternehmen muss für sich herausfinden, was seine individuellen Kernprozesse sind. Grundlage hierfür sind Prozessbewertungen, wobei beachtet werden muss, dass nicht alle Prozesse nach gleichen Kriterien beurteilt werden. In einem Modell zur marktorientierten Bewertung von Unternehmensprozessen wurde die Verschiedenartigkeit der Prozesse herausgearbeitet. Neben einer Unterscheidung zwischen Support- und Kernprozessen, wurden drei Arten von Bedürfnissen differenziert. Ein Auftragsabwicklungsprozess bspw. erfüllt sog. Erfolgsbedürfnisse des Kunden, während Problemlösungsbedürfnisse durch Entwicklungsprozesse befriedigt werden. Bei einer Bewertung nach dem Kundennutzen würde der Entwick-
30
3 Strategische Positionierung
lungsprozess inhaltlich anders eingestuft als der Auftragsabwicklungsprozess. Die Bildung eines gemeinsamen Verständnisses über den zu erfüllenden Kundennutzen ist der erste Schritt der Kernprozessidentifikation. Neben der Klärung des Prozessverständnisses sollen die strategischen Vorgaben geprüft werden. Weiterhin gilt es, einen gemeinsamen Betrachtungsbereich festzulegen, d.h. die relevanten Prozesse werden benannt und in den Mitarbeiterinterviews grob umrissen. Den zweiten Schritt bildet die Auswahl unternehmensspezifischer Kriterien. Durch die Selektion werden mögliche Kriterien auf die wesentlichen reduziert, wobei sich die Kriterien an den genannten Zielen orientieren müssen. Dritter Schritt der Identifikation der Kernprozesse ist die Prozessbewertung bzw. die Bestimmung der Ausprägungen der Kriterien. Die Prozessanalyse ermöglicht eine quantitative oder qualitative Ermittlung. Nachdem die Prozesse positioniert sind, können die Kernprozesse ausgewählt werden. Hierbei muss zwischen den bereits vorhandenen Kernprozessen und den in Zukunft zu besetzenden Kernprozessen unterschieden werden. 3.3.2 Prozesskenngrößen Neben der Bewertung von Kernprozessen kann sich im Rahmen eines Change-Management-Projektes nach erfolgter Prozessanalyse bei der Fokussierung der Aufgabenstellung die Frage nach der Identifikation und Selektion der zu gestaltenden Prozesse ergeben. Während in der Prozessanalyse die Prozesse des Unternehmens rekonstruiert und visualisiert worden sind, bleibt zu entscheiden, welche Prozesse optimiert bzw. neu gestaltet werden sollen. Das Ziel eines solchen Vorgehens besteht in der genauen Analyse, Darstellung und Quantifizierung der Prozesse und Materialflüsse an und zwischen den Produktionsstandorten. Die erfassten Prozesse können für die Dokumentation im Rahmen der ISO-Zertifizierung weiterverwendet werden. Anhand der Zertifizierung lassen sich Problembereiche identifizieren und darauf aufbauend Maßnahmen zur Veränderung ableiten. Um im Rahmen dieser Reorganisation die Schwerpunkte richtig zu setzen, wendet man nach der Aufnahme sämtlicher Prozesse der direkten Bereiche zur Identifikation und Priorisierung der Prozesse das Prozessportfolio an. Hierbei wird geklärt, ob und in welchem Umfang die Prozesse zu den Prozesskenngrößen Effektivität und Effizienz beitragen. Die Prozesseffizienz kann bspw. aufgrund geschätzter Prozesskosten und -erlöse und der in der Prozessanalyse erfassten Durchlaufzeiten ermittelt werden. Die Basis für die Ermittlung der Prozesseffektivität bildet die Ergründung des
3.4 Prozessstrategien
31
Kundennutzens sowie deren Zuordnung zu den einzelnen Prozessen. Der Grad der Prozessabhängigkeit wird durch die Dicke der Verbindungslinien dargestellt. Unterscheiden lässt sich zwischen den Prozessabhängigkeitsgrößen der Leistungsverflechtung und der Ressourceninterdependenz. Die Prozessabhängigkeitsgröße der Leistungsverflechtung zwischen zwei Prozessen tritt dann auf, wenn der Output eines Prozesses als Input eines anderen Prozesses handlungsauslösend wirkt. Die Prozessabhängigkeitsgröße der Ressourceninterdependenz liegt dann vor, wenn unterschiedliche Prozesse auf gemeinsame Ressourcen zurückgreifen. Besteht eine starke Abhängigkeit der Prozesse voneinander, wird das Outsourcing der Prozesse mit geringer Rentabilität erschwert. Dadurch kann die Prozessbedeutung, die die Bedeutung der Hauptprozesse in Bezug auf Umsatz und Kostenvolumen beschreibt und die Prioritätensetzung in Veränderungsprojekten unterstützt, für das Prozessportfolio nicht genau bestimmt werden.
3.4 Prozessstrategien 3.4.1 Kernprozessportfolio Einer der wesentlichen Schritte in der Methode zur Identifikation von Kernprozessen ist die Prozesspositionierung. Zur Vorbereitung der Prozessbewertung müssen geeignete Bewertungskriterien bestimmt werden. Zu den Kriterien zählen bspw. „Prozessstabilität“, „Prozessflexibilität“, „Ressourcenverbrauch des Prozesses“, „Einfluss des Prozesses auf die Wettbewerbssituation“ sowie der „Nutzen der Prozesse“. In der Methode zur Kernprozessidentifikation ist die Prozesspositionierung einer der grundlegenden Schritte. Die von MOTION empfohlene Methode zur Bewertung der Prozesskriterien ist das Prozessportfolio (Abb. 3.9). Anhand der verschiedenen Prozesskenngrößen Prozesseffektivität („die richtigen Dinge tun“), Prozesseffizienz („die Dinge richtig tun“), Prozessbedeutung in Bezug auf Umsatz und Kostenvolumen und Prozessabhängigkeit zwischen den einzelnen Prozessen, werden die Prozesse bewertet und so im Prozessportfolio positioniert. Das Prozessportfolio ermöglicht eine duale Bewertung der Prozesse anhand zweier Achsen. Der Vorteil liegt in der einfachen Durchführung der Bewertung. Die Prozesseffektivität beschreibt den relativen Beitrag zum wahrgenommenen Kundennutzen im Vergleich zum Wettbewerb. Die Prozesseffizienz beschreibt das Maß für den Mitteleinsatz (Zeit, Kosten) im Verhältnis zum Wettbewerb. Der Prozess hat eine mittlere Effizienz
32
3 Strategische Positionierung
Prozesseffektivität: Beitrag der Prozesse zum wahrgenommenen Kundennutzen relativ zum Wettbewerb
Bereich der Kernprozesse: Hauptprozesse, die im Vergleich zum Wettbewerb einen signifikant höheren Beitrag zum wahrgenommenen Kundennutzen leisten
Bereich des Potentialabbaus durch „Cashing out“ Legende:
Prozessbedeutung
Prozessabhängigkeit
groß
stark
mittel
mittel
klein
schwach
Prozesseffizienz: Maß für den Mitteleinsatz (Zeit, Kosten) im Verhältnis zum Wettbewerb
Abb. 3.9 Kernprozessidentifikation mit dem Prozessportfolio
(vertikale Mittellinie im Portfolio), wenn die Wirtschaftlichkeit mit derjenigen der nennenswerten Konkurrenz vergleichbar ist; ist sie besser, liegt der Hauptprozess rechts von der vertikalen Mittellinie. Dies gilt ebenso für die Prozesseffektivität: Ist der wahrgenommene Kundennutzen, ausgelöst durch einen Hauptprozess, wesentlich größer als der wahrgenommene Kundennutzen für den gleichen Hauptprozess des Wettbewerbes, dann liegt er oberhalb der horizontalen Mittellinie und damit im Bereich der eigentlichen Kernprozesse. Die positionierten Hauptprozesse können weiterhin durch die Lage ober- oder unterhalb der Diagonalen erfolgen. Stehen die Prozesse unterhalb der Portfolio-Diagonalen, befinden sie sich im Bereich des „Cashing-out“. An dieser Stelle findet ein wettbewerbsschädigender Potentialabbau statt. Das bedeutet: Unterhalb der Diagonalen sollten keine strategisch relevanten Hauptprozesse liegen. Ist dies dennoch der Fall, so besteht Veränderungsbedarf. Die für die Hauptprozesse „Teilfertigung“ und „Montage“ formulierte Prozessstrategie orientiert sich bspw. primär an den Effizienzzielen und dient in erster Linie der Realisierung von Skaleneffekten und trägt somit zur Verminderung bestehender Kostennachteile bei. Dem Prozess „Montage“ werden aufgrund seines Kerncharakters bei der Prozessanalyse und dem Prozessdesign eine höhere Priorität und eine größere Aufmerksamkeit in der Beurteilung zuteil. Für den Hauptprozess „Vertrieb“ hingegen werden Prozessstrategien definiert, die sich an der Prozesseffektivität ausrichten, um, ausgehend von einem durchschnittlichen Effizienzniveau, einen stärkeren Beitrag zur Erreichung der SEP „Kundennähe“ zu ermöglichen.
3.4 Prozessstrategien
33
Für die Hauptprozesse, die sich auf die SEP „Skaleneffekte“ und „Kundennähe“ beziehen, werden sowohl Effizienz- als auch Effektivitätsziele formuliert. Die verbleibenden Hauptprozesse werden nach der Abschätzung von Prozessbedeutung für das Gesamtergebnis und Aufwand zur Realisierbarkeit zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet. Die Prozessbedeutung beschreibt die Bedeutung der Hauptprozesse in Bezug auf Umsatz und Kostenvolumen und unterstützt – genau wie die Prozessabhängigkeit in Bezug auf Leistungsverflechtung und Ressourceninterdependenz – die Prioritätensetzung in Veränderungsprojekten. Die Positionierung der einzelnen Prozesse im Portfolio dient demnach der eigentlichen Gesamturteilsbildung. Ausgehend von den im Prozessportfolio definierten Prozessstrategien werden die Prozessziele durch die Zuordnung zur Verfügung stehender Mittel, die Definition von Verantwortlichkeiten sowie die Auswahl notwendiger Verfahren in den Hauptprozessen konkretisiert. 3.4.2 Flexible Prozessstrategien Nach der Identifikation der relevanten Prozesse sowie der damit einhergehenden Bewertung und der ersten Priorisierung durch Prozesskenngrößen, werden die Hauptprozess- und Geschäftsprozessstrategien zur Erreichung der zukünftigen Prozessportfolio-Situation formuliert. Zur Verwirklichung des „Down-up“-Prinzips von MOTION führen das Strategieteam und das Prozessteam die Kernprozessidentifikation durch, wobei im Strategieteam die Formulierung der Hauptprozessstrategien, in den Prozessteams die Formulierung der Geschäftsprozessstrategien erfolgt. Hierdurch werden die strategischen Gedankengänge in das operative Geschäft, die Phasen der Prozessanalyse und des Prozessdesigns (bottom-up), transportiert (Abb. 3.10). Klar definierte Prozessziele, die Zuordnung der vorhandenen Mittel sowie die Auswahlverfahren in den Prozessen garantieren den Erfolg. Durch die Definition von Prozessstrategien als Absichtserklärung wird der offensichtliche Handlungsbedarf aus der Prozesspositionierung explizit gemacht und damit das Portfolio interpretiert. Die wünschenswerte zukünftige Prozessposition wird durch das Einzeichnen von Pfeilen im Prozessportfolio definiert, wobei der Pfeil nicht nur die neue Position angibt, sondern aufgrund der Prozessportfoliodimension Effektivität und Effizienz ebenso die erwünschte Entwicklungsrichtung darstellt. Gemäß des Strategieprinzips der Konzentration der Kräfte nach Bleicher sollen möglichst nur in einer der Dimensionen Entwicklungsrichtungen angegeben werden. Jedes definierte Prozessziel enthält eine Zieldimension (z.B. Zufriedenheit seitens der Kunden), einen Zielwert (z.B. +10%) und ein Zieldatum
34
3 Strategische Positionierung
Mitglieder Prozessteam: • An den Prozessen beteiligte Führungs- und Fachkräfte • Moderatoren
Mitglieder Strategieteam: • Geschäftsleitung • Projektleitung • Moderatoren
Formulierung der Hauptprozessstrategien
Formulierung der Geschäftsprozessstrategien
Strategieteam ProzessTeam
Analyseteam
Analyseteam
Steuerkreis
ProzessTeam
Analyseteam
Analyseteam
Abb. 3.10 Projektorganisation: Wer entwirft die Prozessstrategien?
(z.B. in einem Jahr). Hierbei muss berücksichtigt werden, wie die Teilziele aufeinander Einfluss nehmen, d.h. ob sich die Ziele verstärken, zueinander neutral sind oder entgegen wirken. Die definierten Prozessstrategien müssen ein ständiges Hinterfragen des Prozessdesigns ermöglichen und Raum für flexible Reaktionen auf bewegte Ziele bieten.
Fallbeispiel Der Duchlauf eines Strategieprojektes nach dem beschriebenen Muster soll am Beispiel der Spinntech AG gezeigt werden. Die Firma Spinntech AG ist ein in Deutschland ansässiges Unternehmen mit knapp 2000 Mitarbeitern. Spinntech stellt Anlagen, Maschinen und Komponenten für die Textilindustrie her. In diesem Bereich war das Unternehmen zum Weltmarktführer aufgestiegen und erwirtschaftete hier 1995 einen Umsatz von über 250 Mio. Euro. Aufgrund bestehender Kostennachteile und eines schwindenden Innovationsvorsprungs gegenüber japanischen Konkurrenzunternehmen wurde 1995 ein umfassendes Change-Management-Projekt zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit initiiert. Im Folgenden soll das Vorgehen im Veränderungsprojekt der Spinntech AG skizziert werden. Das Topmanagement der Spinntech AG erstellte eine umfassende Analyse der Markt- und Wettbewerbssituation. Dazu nutzte es in mehreren Workshops das Instrument „Five Forces“ von Porter, um, getrennt nach
Fallbeispiel
35
Kundennähe
Innovationsfähigkeit
3
1
1
2
3
Spinntech AG
Konkurrent B
Qualität
Konkurrent A
Geschäftsfeldern, die relevanten Einflussfaktoren zu ermitteln. Die anvisierten Unternehmensziele und mögliche Entwicklungsrichtungen des Unternehmens wurden ebenfalls ermittelt. Unter Berücksichtigung der Unternehmensfähigkeiten und -ressourcen sowie der momentanen Positionierung im Wettbewerb wurden die vom Unternehmen gegenwärtig besetzten Strategischen Erfolgspositionen (SEP) identifiziert und in ein Ranking gesetzt. Dies entspricht der Bedeutung der SEP „heute“. Gleichzeitig wurden die gegenwärtigen Inhaber der SEP definiert und mögliche Konkurrenten ausgemacht. Im Fall der Spinntech AG zeigte sich, dass das Wettbewerbsumfeld sich aufgrund der Entwicklung des Marktes stark veränderte. Für die Spinntech AG waren bisher die Innovationsfähigkeit und die Qualität der Produkte die entscheidenden Faktoren für den Markterfolg. Allerdings wurde deutlich, dass ein Konkurrent des Unternehmens die Position der außerordentlichen Innovationsfähigkeit bereits besetzt hatte. Zentral war daher die Beurteilung der zukünftigen Situation, in der nach Einschätzung der Teilnehmer im Strategieteam Kosten (über Skaleneffekte reduziert) und Kundennähe die wichtigsten SEP sein werden. Abbildung 3.11 stellt das Ranking der SEP bezüglich ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutung für den Markterfolg (unter Berücksichtigung der Unternehmensfähigkeiten und Ressourcen) sowie die Wettbewerbssituation durch die Definition der SEP-Inhaber dar. Skaleneffekte
heute
Bedeutung der SEP
2
Spinntech AG
heute
SEP-Inhaber
zukünftig
Abb. 3.11 Ranking der SEP der Spinntech AG
Die zukünftige leistungswirtschaftliche Strategie der Spinntech AG wurde aufgrund der definierten Strategischen Erfolgspositionen neu formuliert. Dies geschah deshalb, weil das bis dahin bestehende Strategische
36
3 Strategische Positionierung
Programm der durch die Definition der Strategischen Erfolgspositionen bestimmten zukünftigen Stellung der Unternehmung als Ganzes nicht mehr gerecht wurde. Das Ziel der leistungswirtschaftlichen Strategie wurde durch einen konkreten Zielwert (15% Marktanteilserhöhung) und die Festlegung eines Datums bis zur Realisierung (7 Jahre) operationalisiert. Dazu wurde ein Modularisierungskonzept eingeführt und das Vertriebskonzept überarbeitet. Hierzu waren einerseits neue Basisentwicklungen notwendig, andererseits wurde das Auftragsengineering modifiziert (vgl. Abb. 3.12 ). Leistungswirtschaftliche Strategie
Ziele
15% Marktanteilserhöhung in den nächsten 7 Jahren
Mittel
Modulkonzept / Vertriebskonzept
Verfahren
Basisentwicklung / Auftragsengineering
Abb. 3.12 Die leistungswirtschaftliche Strategie der Spinntech AG
Das bisherige Strategische Profil der Spinntech AG in Bezug auf die Definition der Strategischen Programme orientierte sich stark an einer stabilisierenden Grundstrategie. D.h. es ergab sich im Innenkreis der Profildarstellung eine Kombination von standardisiertem Massenprogramm bei den Produktprogrammstrategien, einer nach internen Synergiepotentialen strebenden Aktivitätsstrategie und einer deterministischen Ressourcenzuordnung. Einzig die Ressourcenstrategien der Spinntech AG zielten mit ihrem eher flexiblen Einsatzspektrum und dem universellen Leistungsspektrum in Richtung einer veränderungsorientierten, nutzungsoffenen Ressourcenvorhaltung. Die Definition der Strategischen Erfolgspositionen „Skaleneffekte“ und „Kundennähe“ und die auf diesen Vorgaben erfolgte Neuformulierung des Strategischen Programms bezieht sich zukünftig auf eine verändernde Strategie im Aussenkreis der Profildarstellung. Diese verän-
Fallbeispiel Ist Produktprogrammstrategien
Soll Wettbewerbsstrategien
individuelles Nischenprogramm
Pionier
standardisiertes Massenprogramm
Deterministische Ressourcenzuteilung
Produktprogrammstrategien
internes Synergiepotential
verändernde Strategie
Ressourcenstrategien
Pionier
standardisiertes Massenprogramm
Konformist
Wettbewerbsstrategien
individuelles Nischenprogramm
Deterministische Ressourcenzuteilung
stabilisierende Strategie Nutzenoffene Ressourcenhaltung
37
Konformist
internes Synergiepotential
stabilisierende Strategie
Externes Synergiepotential
Aktivitätsstrategien
Nutzenoffene Ressourcenhaltung
verändernde Strategie
Ressourcenstrategien
Externes Synergiepotential
Aktivitätsstrategien
Abb. 3.13 Die Profile der strategischen Programme der Spinntech AG
dernde Strategie lässt sich mit dem Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und der ständigen Wahrnehmung von neuen „windows of opportunities“ beschreiben. Die Spinntech AG möchte als Marktpionier wie auch als Löser von vor allem komplexeren Problemen des Kunden anerkannt werden. Dafür wurden in der leistungswirtschaftlichen Strategie der Ausbau der Verfahren der Basisentwicklung und des Auftragsengineerings geplant (vgl. Abb. 3.12). Hierzu sind umfassende Leistungsangebote vonnöten, welche die eigene Leistungsfähigkeit unter vor allem produkt- und prozesstechnischen Gesichtspunkten unter Beweis stellen. Dem Bestreben, das technisch Machbare ständig über neue Grenzen hinaus vorzuschieben und die Früchte dieser Veränderung dem Kunden als Innovation zukommen zu lassen, entspricht es, eine nutzungsoffene Ressourcenvorhaltung zu betreiben und im Rahmen der Aktivitätsstrategien ein externes Synergiepotential mit Kunden und Lieferanten anzustreben. Bei der Spinntech AG hat sich gezeigt, dass die Anwendung der Strategischen Profile die Harmonisierung der unterschiedlichen strategischen Unternehmensbilder der Mitarbeiter im Strategieteam unterstützte. Die aufgrund der unterschiedlichen Beziehungen der Geschäftsleitungsmitglieder der Spinntech AG zu einzelnen Funktionsbereichen gewachsenen Interpretationsgemeinschaften formten über die Zeit verschiedene mentale Modelle der strategischen Denke. Diese galt es, durch die im Dialog aufgebaute gemeinsame Sprache zu harmonisieren. Das gemeinsame Strate-
38
3 Strategische Positionierung
gieverständnis und die gemeinsame Sprache waren denn auch eine wichtige Voraussetzung für das notwendige Top Management Commitment. Im letzten Schritt des Strategieaudits bei der Spinntech AG wurde ein Plausibilitätscheck hinsichtlich der Konsistenz zwischen dem zukünftigen Strategischen Profil, dem neuformulierten Strategischen Programm und den definierten Strategischen Erfolgspositionen durchgeführt. Es geht darum, die Konsistenz zwischen Zielen (Strategische Erfolgspositionen) und Plänen (Strategisches Programm und seine Profilierung) zu überprüfen. Die Konsistenz unter den genannten strategischen Elementen wurde mit Hilfe von Wirkungsverläufen analysiert. Dabei ist grundsätzlich zwischen der Art des Einflusses, der von einem Element auf ein anderes ausgeübt wird, der Intensität der Wirkung und dem Zeitverlauf zwischen „Ursache“ und „Wirkung“ zu unterscheiden. Bei der Spinntech AG hat man sich der Einfachheit halber auf die Ermittlung der Einflussarten der strategischen Elemente untereinander beschränkt. Dabei hat man zwischen gleichgerichteten (positiv) und entgegen gerichteten (negativ) Beziehungen unterschieden. Abbildung 3.14 stellt den Plausibilitätscheck der Strategie der Spinntech AG mit Hilfe eines Ursache-Wirkungs-Netzes dar. Die Strategische Erfolgsposition der Skaleneffekte, das Mittel des Modularisierungskonzeptes aus dem Strategischen Programm zur Erreichung der Strategischen Erfolgsposition und die Ausprägung der externen Synergiepotentiale aus dem Profil der Aktivitätsstrategien werden in ihren Zusammenhängen aufgezeigt. Die Identifikation von Zielkonflikten wurde so möglich. So wurde zum Beispiel diskutiert, wie lange die Spinntech AG trotz Auftragsengineering und angepasstem Vertriebskonzept hin zum Direktvertrieb das im Strategischen Profil für die Zukunft definierte „individuelle Nischenprogramm“ aufrechterhalten könne, insbesondere da die Wiederverwendung der Leistungskomponenten aufgrund der Modularisierung der angestrebten Kundennähe entgegenwirken könnte. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Strategieworkshops und unter Bezugnahme auf mögliche Referenzprozesse identifizierte das Topmanagement der Spinntech AG folgende Hauptprozesse: Basisentwicklung, Marketing, Auftragsengineering, Auftragsabwicklung, Beschaffungsmanagement, Teilefertigung, Montage, Vertrieb, After Sales Service und Inbetriebnahme. Diese Hauptprozesse wurden in einem Prozessportfolio positioniert und nach Effektivitäts- und Effizienzkriterien bewertet. Aus dieser Portfoliobewertung ergaben sich die marktrelevanten Kernprozesse der Spinntech AG. Im Portfolio ist klar zu erkennen, welche Prozesse noch entwickelt werden müssen und welche einen großen Beitrag zur Erfüllung der SEP leisten (Abb. 3.15).
Fallbeispiel
+
Nutzungsoffene Ressourcenhaltung
Modulkonzept
+
Pionier Leistung
+
Konfigurierbarkeit
+
+
externes Synergiepotential
DirektVertrieb
+
+
(-)
Skaleneffekte
+
Kundennähe
Kundenanzahl
+
+
+
+ +
günstiger Preis
+
+
+
Wiederverwendung
+
39
Direktkundenkontakteanzahl
+
grössere Stückzahl (Massenprogramm)
+
Prozesseffektivität
Abb. 3.14 Konsistenzprüfung mit dem Ansatz des vernetzten Denkens bei der Spinntech AG
IBN
Basisentwicklung
Montage
Teile fertigung After Sales Service
Marketing
Vertrieb
Beschaff. mgmt.
Skaleneffekte
Auftragsabwicklung Auftragsengineering
Kundennähe Prozesseffizienz
Abb. 3.15 Prozessstrategien
Legende:
40
3 Strategische Positionierung
Zur Erreichung der zukünftigen Prozessportfolio-Situation wurden für die zu gestaltenden Hauptprozesse Prozessstrategien definiert. Die Prozessstrategien bildeten in der Konkretisierung von Prozesszielen, zur Verfügung stehender Mittel und erforderlichen Verfahren den Orientierungsrahmen für die Prozessoptimierung. Mit diesem Informationsstand konnte die nächste Phase des Veränderungsprojekts bei der Spinntech AG gestartet werden, die genaue Betrachtung und Gestaltung der Prozesse, sowohl der alten als auch der neu definierten.
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
Nach der zuvor beschriebenen Vorprojektierung und Fokussierung folgt in einem projektorientiertem Veränderungsprojekt die Prozessgestaltung. Diese kann bereits während des Strategieaudits oder während der Phase der Kernprozessidentifikation und der Ableitung der Prozessstrategien durchgeführt werden. Auf diese Weise ist es möglich, bereits Bottom-upErgebnisse in die Top-Down-Analyse einzubeziehen. Die Prozessanalyse dient der Aufnahme und Modellierung der bestehenden Prozesse. Wesentliche Elemente der Prozessanalyse sind die partizipative Rekonstruktion der Prozesse und die Visualisierung der Abläufe, Stärken und Schwachstellen zur Initialisierung eines nachhaltigen Veränderungswillen im Unternehmen und letztlich das Review, der iterative Abstimmungsprozess mit den befragten Mitarbeitern. Das Prozessdesign lässt sich bezüglich der Methode und der Modellierungswerkzeuge nicht von der Prozessanalyse trennen. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen einer „inkrementalen“ Prozessoptimierung und einer „radikalen“ Neugestaltung der Unternehmensprozesse, wobei die Übergänge fließend sind. Das Prozessdesign umfasst die grundsätzlichen Elemente der Designprinzipien, die „idealtypischen“ Prozessplanaussagen, die Gestaltung von Sollprozessen und schließlich den Maßnahmenkatalog. Mit dem Prozessdesign schließt die inhaltliche Dimension von MOTION. Es werden hier die Prozesse entworfen und vorgedacht, mit denen die neu formulierten Strategien verfolgt werden sollen.
4.1 Prozessanalyse Die Positionierungsarbeit im Rahmen des Veränderungsprojekts wird ergänzt durch die Konzeptbausteine Prozessanalyse und Prozessoptimierung (Abb. 4.1). Hier werden ganz im Sinne des Lean Thinkings die Hauptprozesse des Unternehmens unter zwei Maximen verbessert: 1. Möglichst alle nicht wertschöpfenden Tätigkeiten eliminieren, 2. Möglichst alle restlichen Tätigkeiten optimieren.
42
4 Prozessanalyse und Prozessdesign Inhalt Positionierung
Prozess Initiierung
Strategieaudit
Umsetzung
Kernprozessidentifikation
Veränderung
Prozessstrategien
Den Wandel gestalten
Den Wandel vordenken Prozessanalyse
Prozessoptimierung
Wertschöpfung müssen die Prozesse Was sind die PerformanceWie Messung und Strukturen verändert wesentlichen werden? Schwachstellen? Performance Messung A
B
C
D
?
C
A
D
B
Abb. 4.1 Wie funktionieren die Bausteine der Wertschöpfung?
Die Tätigkeiten der Prozessanalyse und des Prozessdesigns sind im Vorgehen zu Change-Management-Projekten nicht voneinander getrennt. In der Anfangsphase liegt der Schwerpunkt des Veränderungsprojektes auf der Analyse im Sinne der Prozessaufnahme (Modellierung), aber schon durch die im Strategieaudit vorgegebenen Richtlinien und die für die Strategien formulierten Ziele, Mittel und Verfahren wird die Prozessanalyse in eine bestimmte Richtung gelenkt. Im Verlauf der Analyse ergibt sich irgendwann der Zeitpunkt, an dem die Analyseergebnisse ausreichen, um ein Prozessmodell entwickeln zu können. An diesem Punkt ist es Aufgabe des Analyseteams, diejenigen Sachverhalte zu vertiefen, die konkret für das Prozessdesign notwendig sind. Das Hauptgewicht der Betrachtungen der Prozessanalyse liegt auf der Ist-Analyse der Unternehmensprozesse, d.h. auf der Aufnahme der relevanten Prozessparameter und der Prozessbeschreibung. Die Prozessanalyse wird hier v.a. im Sinne von Prozessmodellierung verstanden. Weil es um eine Ist-Erfassung von Prozessen geht, wurde der Begriff der „Analyse“ gewählt. Die eigentliche Modellierung spielt auch im anschließend beschriebenen Prozessdesign eine Rolle. Um ein Verständnis für den Prozess zu schaffen, ist eine vereinfachte, verständliche und aussagekräftige Abbildung der Wirklichkeit notwendig. In seiner Transparenz führt ein solches Modell bei den Mitarbeitern zu einem mentalen Gesamtbild. Auf diese Weise können die Mitarbeiter abteilungsübergreifend lernen, existierende Probleme zu identifizieren.
4.1 Prozessanalyse
43
Erstes Basiselement ist die Rekonstruktion der Prozesse, die aus der Aufnahme der einzelnen Tätigkeiten der beteiligten Mitarbeiter in Form von Einzelinterviews besteht. Wesentlich ist hier die Auswahl der richtigen Werkzeuge zur Prozessmodellierung. Zweiter Bestandteil der Analyse ist die Visualisierung sowohl qualitativer als auch quantitativer Prozessaspekte und schließlich, als drittes Basiselement, das Review der aufgenommenen Prozesse in Einzelinterviews und in der Gruppe zur Rekonstruktion und Abstimmung der Prozessstruktur. Da die Prozessanalyse die Grundlage für die Workshops „Identifikation der Problembereiche“ und „Entwicklung der Veränderungsmaßnahmen“ in der Phase des Prozessdesigns bildet, ist sie in möglichst kurzer Zeit und effizient durchzuführen. Die ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung, eine Kombination einer umfassenden prozessorientierten Analyse der Auftragsabwicklung und dem sog. Ressourcenverfahren, bietet eine systematische Methode zur Erreichung einer hohen Kostentransparenz. Transparenz über komplexe Arbeitsabläufe in komplexen Strukturen ist das Ziel der Prozessanalyse, das es möglichst schnell zu erreichen gilt. Zunächst kann es sich als ausreichend erweisen, einen groben Orientierungsrahmen aufzuzeigen, der allen Prozessbeteiligten ein gewisses Grundverständnis des Prozesses vermittelt. Hierbei ist vor allem entscheidend, die Komplexität des Prozesses zu reduzieren: Durch eine allzu exakte Abbildung kann das Maß an Komplexität noch erhöht werden, ohne dabei den Grad an Erkenntnis zu steigern. Problematische Teilprozesse können anschließend in den einzelnen Analyseteams modelliert werden. 4.1.1 Prozesserfassung mit Hilfe von Interviews Zu Anfang ist die Rekonstruktion der Unternehmensprozesse notwendig, um durch die Visualisierung quantitativer und qualitativer Prozessaspekte ein mentales Gesamtbild zu schaffen. Die Aktivitäten der an den Prozessen teilhabenden Mitarbeiter sollen durch die Rekonstruktion nachvollziehbar und allgemein verständlich gemacht werden. Als Hilfsmittel dienen Einzelinterviews und entsprechende Modellierungswerkzeuge. Die für die Einzelinterviews richtige Auswahl von Interviewpartnern ist abhängig vom Detaillierungsgrad der Prozessaufnahme und von der Qualifikation der Beteiligten. Vor dem Hintergrund, dass der Aufwand bei der Analyse mit dem daraus gewonnenen Nutzen in einem guten Verhältnis stehen soll, ist ein zu feiner Detaillierungsgrad nicht zielführend. Ebenso sind durch eine Analyse auf einer zu groben Ebene die Schlussfolgerungen begrenzt, denn mög-
44
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
liche Schwachstellen können nicht mehr identifiziert werden und somit keine Potentiale ausgewiesen werden (Abb. 4.2). Entscheidend ist, dass sich in den Interviews die reelle und nicht ideelle Situation der Unternehmensabläufe abzeichnet. Die Äußerungen der Mitarbeiter sind wichtige Orientierungspunkte für die Workshops zur „Identifikation der Problembereiche“. Hierbei ist zu beachten, dass der Projektleiter nicht an den Interviews teilnehmen soll, da seine Anwesenheit die Mitarbeiter in ihren Aussagen hemmen kann. Häufig wird dann ein Idealzustand präsentiert, der entscheidende Ist-Zustand stellt sich auf diese Weise jedoch nicht heraus. Weiterhin sollten ebenso die inoffiziellen Äußerungen Beachtung finden, denn häufig nutzen die betroffenen Mitarbeiter die Interviews, um ihren Missmut über politische Inhalte zu verkünden. Derartige Aussagen werden zwar nicht in die Prozesspläne aufgenommen, sollten aber dennoch – mit Blick auf die Workshops zur „Identifikation der Problembereiche“ und „Entwicklung der Veränderungsmaßnahmen“ – nicht in Vergessenheit geraten. Dritter wichtiger Punkt ist die Tatsache, dass Mitarbeiter die Probleme der vor- und nachgelagerten Stellen (Lieferanten und Kunden) darlegen, häufig aber selbst in die Problembereiche involviert sind. Die Mitarbeiter müssen dies erkennen, bevor sie es akzeptieren können.
Vertrieb
Konstruktion
Arbeitsvorbereitung
Fertigung
Montage
zu grob
Ablage, Priorisierung
optimal
Informationen vollständig
Erstellung der Zeichnung Stückliste
Weiterleitung an Arbeitsvorbereitung
? ? Informationsbeschaffung
Nehme Bleistift
Nehme Papier
Schreibe Antrag X
zu fein Bleistift spitzen
Abb. 4.2 Detaillierungsgrad einer Ablaufanalyse
Auftragspapier in Hauspost
4.1 Prozessanalyse
45
Ein weiteres Ziel der Interviews ist eine authentische Quantifizierung der einzelnen Prozesselemente. Da ungern eigene Schwächen enthüllt werden, scheuen die Mitarbeiter oft die Angabe von konkreten Zahlen. Bandbreiten und Durchschnittswerte können hier sichere Orientierungspunkte für die Identifikation von Schwachstellen sein. Die Interviewtechnik kann in ihrer Art der Fragestellung variieren. So können die Interviewpartner in ihren Antwortmöglichkeiten entweder eingeschränkt werden oder ihnen bleibt ein weiter Spielraum. Die Art der Fragestellung hängt auch hier wieder vom angestrebten Detaillierungsgrad der Prozessaufnahme und von der Qualifikation des Mitarbeiters ab. Die sog. KROKUS-Regel zeigt eine mögliche Fragetechnik auf (Abb. 4.3). Überdies kann das 4-Augen-Prinzip beitragen, der Forderung nach einer kurzen und effizienten Prozessanalyse gerecht zu werden. D.h. zwei Mitarbeiter interviewen einen Mitarbeiter, wobei ein Berater die Informationen unmittelbar in ein Modellierungstool eingeben und zur Visualisierung aufarbeiten kann. Auf diese Weise kann bereits ein kompletter Autor-KritikerZyklus durchlaufen werden (siehe „Review“).
K
urze Fragen stellen
R
edundante Fragen vermeiden
O
ffene Fragen stellen
K
onkrete Fragen stellen
U
nterfragen und Kettenfragen vermeiden
S
uggestive Fragen vermeiden
Abb. 4.3 KROKUS-Regel
46
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
4.1.2 Werkzeuge zur Prozessmodellierung Die Auswahl des richtigen Modellierungswerkzeugs ist entscheidend für den Veränderungsprozess, den die Mitarbeiter auf dem Migrationspfad von einem mehr funktionsorientierten Unternehmen hin zu einer flexiblen Prozessorganisation durchlaufen. Ein EDV-gestütztes Modellierungswerkzeug muss verschiedenen Anforderungen gerecht werden. Die Transparenz bezüglich Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, Aufbau- und Datenorganisation, Abläufen usw. ist Vorraussetzung für einen übersichtlichen Prozessplan. Um diese Transparenz zu erzielen, ist ein Modellierungswerkzeug erforderlich, dass eine leicht zu verstehende Sprache und einfache Symbole bereitstellt. Die einzelnen Prozesselemente müssen mit kurzen Kommentaren unter Verwendung betriebstypischer Begriffe versehen sein. Insbesondere bei umfangreichen Prozessen sollen die Prozesselemente durch knappe Verknüpfungsregeln („und“, „oder“ usw.) zu Prozessketten verbunden werden. Ein weiterer, wichtiger Aspekt eines guten Modellierungswerkzeuges ist die Integration. Unter Integration wird alles von der Datenintegration bis zur Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle zusammengefasst. Ein Modellierungswerkzeug muss ein einfaches Datenmanagement ermöglichen. Für die Dokumentation der Ergebnisse, müssen die Prozessmodelle mühelos in Präsentations- und Textverarbeitungssysteme transferiert werden können. Die Ergebnisse der Prozesse können so aus unterschiedlichen Perspektiven ausgewertet werden. Die wichtigsten dieser Sichten sind die Organisationssicht („Welche Abteilungen gibt es und wer hat welche Befugnis?“), die Informationssicht („Was sind die wesentlichen Ein- und Ausgangsinformationen?“), die Prozesssicht („Wie sind die Aktivitäten und Teilprozesse miteinander verknüpft?“) und die Ressourcensicht („Welche Ressourcen sind notwendig und wie hoch sind die Kosten hierfür?“). Ferner sollten die einmal erstellten Modelle durch passende Parametrisierung in verschiedenen Kontexten verwendbar sein (Generizität). Die Modellierungswerkzeuge sollten Prozesspläne bereitstellen, die die folgenden Faktoren ermöglichen (Abb. 4.4): • Einsatz im Rahmen der Umsetzungskontrolle, • Nutzung im operativen Geschäft, • der Aufbau eines gemeinsamen, „mentalen“ Bildes der Aufbau- und Ablauforganisation, • Einsatz für die Mitarbeiterschulung, • Bildung einer Grundlage für kontinuierliche Verbesserung.
4.1 Prozessanalyse
Umsetzungskontrolle
Nutzung im operativen Geschäft
gemeinsames mentales Bild morgen
Ist
47
sofort!
nächste Woche
Soll
? ? Ablaufdokumentation für eine Zertifizierung nach DIN ISO 9001- 3
kontinuierliche Verbesserung
Mitarbeiterschulung !
KVP
Abb. 4.4 Weitere Anwendungsbeispiele des Prozessplans
Da die Durchführung einer prozessorientierten Reorganisation kein einmaliger, sondern ein kontinuierlicher Prozess ist, ist es von besonderer Bedeutung, dass auch Laien das Modellierungswerkzeug nutzen können und dessen Bedienung nicht vom eigentlichen Tagesgeschäft ablenkt. Nur wenn keine intensive IT-Kenntnis des EDV-Tools notwendig ist, macht der Einsatz einer solchen Softwareunterstützung Sinn. Ein notebookgestützter Einsatz erleichtert zudem die Aufnahme der Prozesse vor Ort. Das Modellierungswerkzeug muss darüber hinaus über eine geeignete Druckfunktion verfügen, da sog. „Wandtapeten“, die die Visualisierung für das Lernen (v.a. Prozessanalyse) und das Modellieren (v.a. Prozessdesign) in Gruppen unterstützen, problemlos herstellbar sein müssen. Die meisten Modellierungswerkzeuge sind zu abstrakt, um von NichtExperten verstanden zu werden und beziehen selten die kooperative Aufgabenbewältigung in Gruppen mit ein, obwohl diese für eine prozessorientierte Organisation bedeutsam ist. PROPLAN
Vor diesem Hintergrund wurde am Werkzeugmaschinenlabor ein Gesamtmodell für die Durchführung einer Prozessanalyse (Abb. 4.5) entwickelt. Mithilfe des Systems PROPLAN können die entsprechenden Informationen über die existierenden Prozesse schnell und einfach aufgenommen werden. Dazu können die Prozesselemente durch Mausbedienung ak-
48
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
Abb. 4.5 Prozessmodellierung mit PROPLAN
tiviert und entsprechend positioniert werden. PROPLAN unterstützt die Gewinnung einer fundierten Grundlage für die Formulierung von Verbesserungsmaßnahmen und berücksichtigt alle wesentlichen Aspekte zur Planung und Organisation der gesamten Auftragsabwicklung (Abb. 4.6). Wo sind die Schwachstellen?
Was kostet der Auftrag? Wieso geht das nicht schneller?
Wo ist der Auftrag?
Worauf müssen wir uns konzentrieren?
Wo sind wir besser als die Wettbewerber?
Warum haben wir Qualitätsprobleme? Was können wir „outsourcen“?
Abb. 4.6 Problem: Mangelnde Transparenz im Unternehmen
4.1 Prozessanalyse
49
Die Basis dieses Modellierungswerkzeugs ist eine Beschreibungssprache, die eine transparente Darstellung der Auftragsabwicklungsprozesse ermöglicht. Sie besteht aus 14 normierten Elementen, den Prozesselementen (Abb. 4.7). Unter Verwendung dieser intuitiv verständlichen Standardsymbole ermöglicht PROPLAN die vollständige Beschreibung der meisten Arbeitsabläufe ohne sprachliche Hindernisse. Ein solches Werkzeug erlaubt auf einfache Weise die Repräsentation (Visualisierung) und ist gleichzeitig leistungsfähig in der Aufbereitung der Ergebnisse. Direkte Prozesselemente Besprechungselement
Konstruktions- Arbeitsplanungs- Beschaffungs- Fertigungselement element element element
Montageelement
Wertschöpfung
!
?
Koppel- Entscheidungs- Kommunikations- Transport- Grobterminierungs- Ressourcentest- Registrierungs- Splittelement element element element element element element element
Indirekte Prozesselemente
Abb. 4.7 Prozessmodell: Symbolik der Prozesselemente
Die vierzehn Prozesselemente sind in acht direkte und sechs indirekte Elemente unterteilt. Die direkten Prozesselemente beschreiben Prozesse, die unmittelbar zur Wertschöpfung eines Auftrags beitragen, wie bspw. die Zeichnungserstellung (Konstruktionselement), die Teilefertigung oder die Montage einer Baugruppe. Die indirekten Prozesselemente hingegen werden für die Beschreibung von Prozessen, wie Kommunikation, Transport oder Auftragsterminierung, die zur Auftragsbearbeitung notwendig sind, aber nur mittelbar zur Wertschöpfung beitragen, herangezogen. Bei der Durchführung der indirekten Prozesse ist sehr häufig ein Ressourcenverzehr zu verzeichnen, der im Rahmen der Reorganisation zu minimieren ist. Untersuchungen in verschiedenen Unternehmen haben gezeigt, dass ca. 80–95% aller Tätigkeiten indirekte Tätigkeiten sind und somit im Gegensatz zu den direkten Prozessen grundsätzlich „nicht wertschöpfend“ sind. Eckige Kanten stellen direkte Prozesselemente dar, abgerundete Kanten indirekte Prozesselemente.
50
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
Die Prozesselemente besitzen jeweils einen Eingang (immer von links) und bis zu drei Ausgänge (Abb. 4.8). Neben dem normalen Ausgang existieren zusätzlich ein Unterbrechungs- und ein Verzweigungsausgang. Eine Verzweigung (Ausgang nach unten) wird durchlaufen, falls ein Prozess spw. Erstellen eines Zeichnungsentwurfs) aufgrund von fehlenden Informationen gestört ist und die alternativ zu durchlaufenden Prozesse bekannt sind (bspw. Rückfragen an den Vertrieb). Eine Unterbrechung (Ausgang nach oben) tritt auf, wenn aufgrund einer Störung (bspw. Ausfall des EDV-Systems) eine höhere Instanz über den weiteren Auftragsdurchlauf zu entscheiden hat. Die Prozessbeschreibung dient zur genauen Erläuterung der durchgeführten Tätigkeiten.
STATISCH
Prüfen der Unterlagen
Unterbrechung
Eingang
Prozess
Ausgang
Beispiel
?
Verzweigung
DYNAMISCH
Prüfen der Unterlagen
z.B. Ausfall des EDV-Systems 50
z.B. Kundeninformationen
z.B. Entwurf der Maschine
70 %
?
Beispiel
30 %
50 z.B. Rückfragen an Vertrieb DLZ: 1h
Rückfrage
10 min
Legende: DLZ = Durchlaufzeit Ü = Übergangswahrscheinlichkeit
Abb. 4.8 Statische und dynamische Komponenten der Prozesselemente
Die Abbildung des objektorientierten Zeitbezugs erfolgt über die Darstellung der prozessbezogenen Durchlaufzeit (vgl. Abb. 4.8). Darüber hinaus können Angaben über die prozentuale Belegung der jeweiligen Ausgänge durch die Summe aller Aufträge dargestellt werden. Die Angaben Durchlaufzeit und Übergangswahrscheinlichkeit erlauben die Berechnung von Gesamtdurchlaufzeiten und Reorganisationspotentialen. Der statische Prozessplan umfasst nur starre Komponenten, die sämtliche in der Vergangenheit liegende Wege eines spezifischen Auftrages durch das Unternehmen berücksichtigen. Der dynamische Prozessplan zeigt alle möglichen Auftragstypen durch das Unternehmen (Abb. 4.9).
4.1 Prozessanalyse
51
Auftragsabwicklungsprozess Statischer Prozessplan
Dynamischer Prozessplan
statische + dynamische Komponenten
nur statische Komponenten Vergangenheit
Zukunft
: IST - Auftragsfluss
: geplanter Auftragsfluss für einen spezifischen Auftrag
t
: alle möglichen Auftragsflüsse für alle Aufträge
Abb. 4.9 Statischer und dynamischer Prozessplan
Die normierte Darstellung der Auftragsabwicklungsprozesse durch die Verkettung der Prozesselemente bildet die Basis für die Reorganisation der Auftragsabwicklung. Auf diese Weise können die Schwachstellen identifiziert werden, die maßgeblich für Liegezeiten und Störungen des Auftragsdurchlaufs verantwortlich sind. ARIS
Neben PROPLAN dient als weiteres Modellierungsinstrument das ARISToolset®, eine am ARIS-Konzept orientierte Software der Fa. IDS Scheer. ARIS steht für „Architektur integriertes Informationssystem“. Das ARIS-Toolset ist eine Analyse- und Modellierungssoftware zur realitätsgetreuen Abbildung, Analyse und Optimierung der Ablauf- und Ablauforganisation (Geschäftsprozesse) eines Unternehmens. Mit ARIS wurde ein Rahmenkonzept zur ganzheitlichen Beschreibung (Modellierung) computergestützter Informationssysteme vom Fachkonzept bis zur Implementierung entwickelt. Die Unterstützung betriebswirtschaftlicher Geschäftsprozesse durch integrierte Informationssysteme steht im Vordergrund. Grundlegende Voraussetzung zur Durchführung von Reorganisationen der Geschäftsprozesse ist die Möglichkeit, diese konsistent und vollständig zu beschreiben (Abb. 4.10). Aus diesem Grund wurde innerhalb der ARISArchitektur die ergebnisgesteuerte Prozesskette (ePK) als Beschreibungssprache entwickelt, die einerseits sehr einfach zu verstehen ist und andererseits Geschäftsprozesse realitätsnah abbilden kann.
52
4 Prozessanalyse und Prozessdesign Projektstart Fachkonzept Steuerungssicht erstellen (ePK)
ePK des groben ARISVorgehensmodells
Fachkonzept Steuerungssicht beendet
Übrige Fachkonzepte erstellen Funktionssicht
Organisationssicht
Datensicht
Leistungssicht
Fachkonzept abgeschlossen
DV-Konzepte erstellen Funktionssicht
Organisationssicht
Datensicht
Leistungssicht
Steuerungssicht
DV-Konzept abgeschlossen
Implementierung der Konzepte Funktionssicht
Organisationssicht
Datensicht
Leistungssicht
Steuerungssicht
Projekt abgeschlossen
Abb. 4.10 Die Geschäftsprozesse im Mittelpunkt
Das wesentliche Kennzeichen eines Prozesses ist die Darstellung der zu dem Prozess gehörenden Funktionen (Aufgaben oder Tätigkeiten) in ihren inhaltlichen und zeitlichen Abhängigkeiten. Ein Geschäftsprozess ist eine zusammenhängende Abfolge von Unternehmungsverrichtungen zum Zwecke einer Leistungserstellung. Ausgang und Ergebnis ist eine Leistung. Mit Hilfe des ARIS-Toolset können die Schwachstellen in der Prozessorganisation identifiziert und anschließend unterschieden werden, ob diese • • • •
funktionale (z.B. ineffiziente Reihenfolge der Funktionsausführung) organisatorische (z.B. häufiger Abteilungswechsel) datenmäßige (z.B. redundante Daten) oder IT-mäßige (z.B. unzureichende Integration)
Aspekte betrachten. Im ARIS Toolset und im ARIS Easy Design werden einfache bildhafte Methoden zur Verfügung gestellt, die die Modellierung von Abläufen durch Fachabteilungen erleichtern sollen (Abb. 4.11). Zielsetzung ist es, dass die Fachabteilung, die das Wissen über die Abläufe hat, selbständig die Erfassung und Dokumentation ihres Prozesswissens in Form von Office Processes vornehmen kann. Der Fachbereichsmitarbeiter kann dabei
4.1 Prozessanalyse
53
auf vordefinierte, bildhafte Objekte zurückgreifen oder aber eigene Symbole definieren und verwenden. Im ARIS Toolset können diese bildhaften Methoden mit Hilfe der Modellgenerierung in formalere Modelle wie z.B. die EPK überführt und konsolidiert werden.
Abb. 4.11 Modellierungsunterstützung durch bildhafte Beschreibungen
Abbildung 4.12 zeigt einen Vergleich der dargestellten Modellierungsmethoden. Der Vergleich erfolgt nach den Kriterien • Prozessmodellierung, • Gestaltungsfelder und • Entscheidungsunterstützung. PROPLAN eignet sich daher eher zur Prozessanalyse, ARIS für die Prozessdokumentation.
54
4 Prozessanalyse und Prozessdesign PROPLAN
ARIS-Tool
Prozessmodellierung Einfache, klar verständliche Modellierung Eignung für partizipative Modellierung Schwachstellenorientierte Prozessanalyse Abbildung mehrerer Sichtweisen (Daten, Steuerung)
Gestaltungsfelder Ablauf Aufbauorganisation Informationssystem Prozessführung
Legende = voll erfüllt = erfüllt = teilweise erfüllt = bedingt erfüllt
Entscheidungsunterstützung Berechnung von Kennzahlen Berücksichtigung stochastischer Einflüsse (Verzweigungswahrscheinlichkeiten etc.)
Abb. 4.12 Vergleich von PROPLAN und Aris-Tool
4.1.3 Prozessvisualisierung Nach der Prozesserfassung mittels geeigneter Modellierungswerkzeuge, dient die Visualisierung der Schaffung eines kollektiven Prozessverständnisses. Zielsetzung ist die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und die daraus resultierende Motivation zur Erreichung einer kontinuierlichen Verbesserung. Abbildung 4.13 zeigt ein Beispiel für einen visualisierten Prozess. In den einzelnen Prozessplänen werden die Prozesselemente durch sog. „Labels” näher spezifiziert. Sie beschreiben die betriebsspezifischen Inhalte der einzelnen Prozesse und ermöglichen dadurch auch einem ungeübten Betrachter des Prozessplans ein einfaches Lesen und Verstehen der Abläufe. In der Praxis geht man bei der Erstellung i.d.R. in zwei Schritten vor: 1. Qualitative Erfassung der Prozessschritte: Erfassung und Abstimmung der Logik der Prozesselemente 2. Quantitative Ausdetaillierung der Prozessschritte: Hinterlegung der Prozesselemente mit Zahlen Die Aufnahme erfolgt hierbei in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Praktiker. Bei der Auswertung der Prozesspläne liegt der Schwerpunkt meist auf der Identifikation der größten Zeitverluste, die sich u.a. mit folgenden Fragen aus einem Prozessplan erkennen lassen:
4.1 Prozessanalyse Sind Baugruppen schon vorhanden?
Ablage
Ablage
Erstellung der Zeichnung und Stückliste Sachnummer anlegen
55
Zeichnungen, Stücklisten weiterleiten
Wiederholkonstruktion 6Wo
5%
!
manuell 60%
95%
Neu-/Anpaßkonstruktion
? 2Wo-3Mo
!
60%
40%
80%
3Wo
??
CAD10% Auswärtsvergabe
20%
3Wo
30%
4Wo
1-4Wo
Alle Informationen vorhanden ?
Rückfragen an: -Verkauf -Elektrokonstruktion -Pneumatik
Wo werden die neuen Zeichnungen erstellt oder geändert ?
Prüfen der Zeichnungen und Stücklisten
Korrektur der Zeichnung
Abb. 4.13 Prozessausschnitt
• Wo wird der Prozess „dicker“? • Wo sind (vermeidbare) Rückschleifen (und lassen sich diese durch Standardisierung oder Prozessumgestaltung vermeiden)? • Wo finden sich verstärkt Koppelelemente oder Kommunikationselemente (und lassen sich diese durch Standardisierung oder Prozessvereinfachung vermeiden)? In der Rekonstruktionsphase der Prozessanalyse (Prozesserfassung) werden die mentalen Modelle der Mitarbeiter explizit und in der Phase der Visualisierung Dritten verständlich gemacht. Die Phase des Prozessdesigns dient dann der Identifikation der Problembereiche und der Ausarbeitung von Maßnahmen zur Veränderung. Beim Aufbau des kollektiven mentalen Modells ist die Verbindung quantitativer und qualitativer Modellierungsinhalte bedeutsam. Die quantitative Modellierung zielt auf die „wahre“ Repräsentation der Realität ab und entspringt einer positivistischen Methodologie während die qualitative Modellierung auf einer hermeneutischen Methodologie basiert und die individuelle Interpretation der Mitarbeiter hervorhebt. Neben quantitativer Größen wie Zeiten, Wahrscheinlichkeiten, Kosten und Wiederholhäufigkeiten sind ebenso qualitative Kenngrößen wie Prozessketten, -verknüpfungen, -unterbrechungen, -verzweigungen und die betriebstypische Sprache als Modellierungsinhalte zu berücksichtigen. Durch Prozessverknüpfungen werden die Beziehungen der Prozessketten zueinander dargestellt. Diese Beziehungen lassen sich mittels Freitextpassagen ebenso als dynamische Interaktionen zwischen den Prozessketten
56
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
darstellen. Die Verknüpfungsarten zwischen den Prozessketten sind die Oder-, die Entweder-Oder- sowie die Und-Verknüpfung (Abb. 4.14). Die prozess- und elementorientierte Modellierungssprache nach Tränckner verwendet zur Entwicklung von Prozessplänen standardisierte Modellierungssprachobjekte (Prozesselemente). In diesem Fall ist eine unternehmensspezifische Prozessbeschreibung notwendig. Durch die Darstellung der betrieblichen Alltagssprache wird der abstrakte Prozessplan realitätsnaher und begreiflicher. Ebenso werden die unterschiedlichen Sprachwelten auf der Grundlage eines allgemein verständlichen Prozessplans vereinheitlicht. Die quantitative Modellierung betrifft die Prozessparameter wie Zeiten (Durchlauf-, Bearbeitungs- und Liegezeiten), Wahrscheinlichkeiten (Unterbrechungs- und Verzweigungswahrscheinlichkeiten), Wiederholhäufigkeiten bestimmter Prozesse sowie Kostenansätze (Ressourcenverzehr von EDV, Betriebsmittel, Personal, Gebäude und Kapital). Die Berechnung der Durchlaufzeit bspw. quantifiziert einen Prozessplan hinsichtlich der Zielgröße „Zeit“ und die Quantifizierung für die Zielgröße „Kosten“ lässt sich durch das Ressourcenverfahren durchsetzen.
Verknüpfungsart ODERVerknüpfung
ENTWEDERODERVerknüpfung
Bemerkung
Beispiel/Darstellung
Ablauf A, Ablauf B, (ggf. auch beide gleichzeitig) können durchlaufen werden
A oder B
Entweder Prozessverlauf gemäss Ablauf A oder gemäss Ablauf B
entweder/oder
A B A B
Summe Wahrscheinlichkeiten: 100%
UNDVerknüpfung
Gemeinsame Ausführung von Ablauf A und Ablauf B
Und
100% 100%
A B
Wahrscheinlichkeit: pro Ast 100%
Abb. 4.14 Verknüpfungsarten im Prozessplan
4.1.4 Review und Reflektion Nach der Prozesserfassung und Visualisierung der Unternehmensprozesse durch zweckmäßige Modellierungswerkzeuge, werden die Ergebnisse der
4.1 Prozessanalyse
57
Analyse von den entsprechenden Mitarbeitern überprüft und allenfalls korrigiert. Dieses Review ist gleichbedeutend mit einem Lernprozess und ist erforderlich, da sich die Prozesse durch ihre Rekonstruktion möglicherweise verändern. In zahlreichen Fallbeispielen bildeten sich vier mögliche Fehlerquellen heraus: Die Informationen können im Interview vom interviewten Mitarbeiter falsch oder unvollständig gesendet werden, vom Berater falsch oder unvollständig empfangen werden, vom Mitarbeiter als idealer Zustand anstatt als Realitätszustand rekonstruiert werden oder auch vom Berater als Ideal- anstatt als Realitätszustand rekonstruiert werden. Im sog. Autor-Kritiker-Zyklus (Abb. 4.15) werden die Prozesse erfasst (Rekonstruktion) und im Anschluss dargestellt (Visualisierung). Die Korrekturen werden laufend in den Prozessplan eingearbeitet (Review). Dieser Zyklus wird solange durchlaufen, bis durch den Prozessplan die Abläufe im Unternehmen korrekt widergespiegelt werden.
Arbeitsschritte
• Aufnahme der Prozesse in Einzelinterviews Interview
Rekonstruktion
Autor-KritikerZyklus
Mitarbeiter
Projektteam
• Einsatz der Prozesselemente • Beschreibung der Prozesse Visualisierung
Review
• Kontrolle der Dokumentation • Rückfragen des Mitarbeiters • Korrektur der Dokumentation
Abb. 4.15 Der Autor-Kritiker-Zyklus
Der Perspektivwechsel für das Review der Prozesspläne ist von besonderer Bedeutung. Über die Einzelinterviews hinaus wird dabei im Rahmen des Reviews der Prozessplan dem gesamten Prozessteam vorgelegt. Dieses „erweiterte“ Review kann in den Workshops des Prozessdesigns oder in einer Projektzwischenpräsentation stattfinden. Der Perspektivwechsel innerhalb des Reviews unterscheidet sich in drei Formen:
58
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
• Die Perspektiveübernahme durch den Berater. Der Berater präsentiert dem Prozessteam den Gesamtprozessplan, wodurch die Mitarbeiter möglicherweise Verteidigungsstrategien entwickeln, die wiederum negative Auswirkungen auf die Veränderungsbereitschaft haben können. Da die Perspektive eines externen Unbeteiligten dargelegt wird, kann die Verantwortung leicht von sich gewiesen werden. • Die interviewten Mitarbeiter präsentieren dem Prozessteam ihre Teilprozesse. Auf diese Weise sind die Beteiligten integriert und müssen sich mit ihren Inhalten auseinandersetzen, eine direkte Perspektivübernahme findet jedoch nicht statt. • Die Teilprozesse werden von den internen Prozesskunden und -lieferanten dem Prozessteam präsentiert. Hier ist die Entstehung einer Diskussion über inhaltliche Aktivitäten innerhalb der Teilprozesse möglich. Die Perspektivübernahme bildet die Basis für ein ausreichendes Verständnis des Prozesses. Unverzichtbar für das Review ist der wiederholte, mündliche Vortrag des Prozessplans. Denn einmal zu Papier gebracht, werden Inhalte selten in Frage gestellt. Dieses Phänomen wird in der Prozessaufnahme (Rekonstruktion) deutlich, da sich die Mitarbeiter nicht auf die Prozessparameter Zeiten, Wahrscheinlichkeiten, Kosten) festlegen lassen, die dann für ihre Teilprozesse schriftlich fixiert sind. Der Lernerfolg im Reviewprozess lässt sich durch das Wechselspiel von Informationsvorgabe durch Prozessteilhabende, Berater oder interne Kunden und Lieferanten und Diskussionen im Prozessteam über den Prozessplan erhöhen. 4.1.5 Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung Durch eine Verknüpfung von Prozessen und Ressourcen besteht die Möglichkeit, die Kosten im Rahmen eines Auftrages aufwandspezifisch zu ermitteln. Damit werden die Vorraussetzungen geschaffen, die bestehenden Kostenstrukturen zu verändern und zu flexibilisieren (Abb. 4.16). Eine am WZL entwickelte Kombination einer umfassenden prozessorientierten Analyse der Auftragsabwicklung und dem sog. Ressourcenverfahren bietet eine systematische Methode zur Erreichung einer hohen Kostentransparenz. Es zielt darauf ab, den Werteverzehr der zu betrachtenden Geschäftsprozesse in Abhängigkeit von Ressourcentreibern zu beschrieben (Abb. 4.17). Ressourcentreiber sind in der Regel technisch-organisatorische Produktparameter, die in allen Unternehmensbereichen differenziert zu ermitteln sind. Für die relevanten Prozesse der Auftragsabwicklung müssen die kostenbeeinflussenden Parameter erfasst werden.
4.1 Prozessanalyse Fertigungseinzelkosten 14%
Problem
59
Ziel Gemeinkosten 47%
Materialeinzelkosten 39%
Lösung: Verknüpfung von Geschäftsprozessen und Ressourcenverbrauch Prozess
Ressourcen Gebäude Maschinen Personal EDV
Kapital
Abb. 4.16 Prozessorientierung und Ressourcenverzehr
Betriebwirtschaftliches Modell
Ressourcenverzehr (z.B. durch Personal (MJ))
Kostenfunktion
Kosten (Euro)
Technisches Modell Verbrauchsfunktion
Ressourcentreiber (z.B. Anzahl neuer EFT / Jahr)
Legende: EFT = Eigenfertigugsteile
Abb. 4.17 Zusammenhang zwischen Technik und Betriebswirtschaft
Anschließend wird die Verbrauchsfunktion mit dem jeweiligen Kostensatz verknüpft. Die Verbrauchsfunktion bildet demnach den technischen und die Kostenfunktion den monetären Zusammenhang ab. Die Gültigkeit der Verbrauchsfunktion bleibt solange bestehen, wie sich der Prozess nicht ändert. Mindestens einmal im Jahr muss die Kostenfunktion aktualisiert werden.
60
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
Das Ressourcenverfahren ermöglicht über die Prozesskostenrechnung hinaus die genaue und differenzierte Abbildung des Werteverzehrs durch kostenrelevante Parameter. Diese können dem Produkt direkt zugeordnet werden. Die beliebigen funktionalen Relationen zwischen Produktparametern und den verschiedenen Ressourcen erlauben eine exakte Abbildung der komplexen Wirkzusammenhänge in allen Bereichen der Organisation. Das Ressourcenmodell bildet die Basis sowohl für die Ablauf-, als auch für die Produktbewertung (Abb. 4.18). An die prozessorientierte Analyse knüpft die Phase der Quantifizierung des Werteverzehrs der Unternehmensprozesse an. Für jeden Prozess werden die geplanten Kosten sowie der Verzehr der Unternehmensressourcen aufgenommen. Auf diese Weise lassen sich für alle kostenverursachenden Prozesse Kostensätze ermitteln. Um eine verursachungsgerechte Kostenträgerrechnung zu ermöglichen, muss ein Zusammenhang zwischen den sog. Ressourcentreibern und dem Ressourcenverzehr hergestellt werden (Abb. 4.19); d.h. die Verbrauchsfunktion muss aufgebaut werden. Eine in der Produktentwicklung integrierte Vorkalkulation muss auf die hier vorliegenden technischen Produktund Auftragsparameter zurückgreifen können, um die Kosten technisch möglicher Alternativen zu berechnen. Diese Parameter (Ressourcentreiber) ermöglichen schon zu Beginn der Entwicklung eine zuverlässige Bewertung der Produktkosten. ? ineffiziente Abläufe eliminieren
Basis: Ressourcenverzehr
Was kostet eine Variante?
Produktbewertung
Abb. 4.18 Ablauf- und Produktbewertung mit dem Ressourcenmodell
4.2 Prozessdesign Sind alle Informationen zur Erstellung des NC-Programmes verfügbar?
Erstellen des NCProgrammes
61
Verteilen des NCProgrammes
? Prozess Ressource - Personal/Jahr = 12 MJ
Beschaffung der notwendigen Informationen
Kosten
- Personalkosten/Jahr = 1,5 Mio Euro - EDV-Kosten/Jahr = 0,35 Mio Euro
Ressourcenverzehr Personal Kostenfunktion
Verbrauchsfunktion
12 MJ
1,5 Mio € Personalkosten K
500 Teile Anzahl neuer Teile/Jahr
Abb. 4.19 Prozess- und ressourcenorientierte Analyse
Für alle relevanten Prozesse der Auftragsabwicklung müssen die kostenbeeinflussenden Produktparameter erfasst werden. Nur dann ist eine differenzierte Verrechnung der Gemeinkosten möglich. Die technischen Kosteneinflussgrößen müssen in allen Bereichen der Organisation differenziert ermittelt werden, um die Abhängigkeiten zwischen Produkt- und Prozessparametern aufzuzeigen.
4.2 Prozessdesign Nachdem in den Schritten der Prozesserfassung (Rekonstruktion) und der Prozesserklärung (Review) die Unternehmensabläufe allen Mitarbeitern verständlich gemacht wurden und durch die ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung die nötige Kostentransparenz geschaffen wurde, kann die Phase der Prozessanalyse in die Phase des Prozessdesigns übergehen.
62
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
4.2.1 Prozessoptimierung und -neugestaltung Auf der Grundlage der gegebenen und im Prozessmodell dokumentierten Prozessstrategien und der Erkenntnisse aus der detaillierten Prozessanalyse können in der Prozessoptimierung die notwendigen ablauf- und aufbauorientierten Optimierungsansätze ausgewählt und angewendet werden. Die Prozessoptimierung ist ein wesentlicher Baustein der Methodik, der „Kulminationspunkt“ der vorangegangenen top-down- und bottom-up-ausgerichteten Veränderungsketten. Die strategischen Vorgaben und Erkenntnisse der Prozessanalyse werden zusammengeführt. Hierbei wird dem Detaillierungsgrad der Prozessbeschreibung eine große Bedeutung zugemessen, denn je nach Detaillierungsgrad können Probleme unterschiedlicher Dimensionen erfasst werden, sodass Prozesse optimiert oder neu gestaltet werden. Man kann zwischen drei Arten von Prozessdesign unterscheiden: Die Prozessoptimierung, die Neugestaltung und die Gestaltung genereller Problemfelder. Auf welcher Art des Designs der Schwerpunkt gesetzt wird, hängt von den Ergebnissen und Vorgaben des Strategieaudits sowie von den aus dem Kernprozessportfolio abgeleiteten Prozessstrategien ab. Durch die Optimierung der Prozesse lassen sich nennenswerte Potentiale in den maßgeblichen operativen Zieldimensionen (v.a. Zeit und Kosten) erreichen. Hier gilt es, konsequent alle erfassten Schwachstellen zu beseitigen und die im Rahmen der Strategieentwicklung herausgebildeten Stärken auszubauen. 4.2.2 Grundprinzipien beim Prozessdesign Das Repertoire der ablauforientierten Ansätze zur Prozessoptimierung umfasst dabei insgesamt (mindestens) zehn generische Einzelansätze. Diese Ansätze können auch als Designprinzipien bezeichnet werden und gliedern sich in solche, die hauptsächlich die Optimierung einzelner Prozesselemente im Fokus haben, und in solche, die die Vernetzung von Prozesselementen fokussieren. Zu ersteren gehören: • Eliminieren: Nicht-wertschöpfende Tätigkeiten müssen eliminiert werden. Welche Aktivitäten nicht oder nur sehr mittelbar einen Beitrag zur gesamten Wertschöpfung des Prozesses leisten, ist abhängig vom jeweiligen Unternehmen bzw. vom betrachteten Prozess. Zur Entscheidung, ob eine bestimmte Tätigkeit eliminiert werden kann, muss die Frage, ob der (Prozess-) Kunde diese Tätigkeit „spürt“, negativ beantwortet werden.
4.2 Prozessdesign
63
• Standardisieren: Die Standardisierung einzelner Tätigkeiten zielt darauf ab, mittels Bildung von Routinefällen die gesamte Durchführung von Prozesselementen effizienter und weniger fehleranfällig zu gestalten. • Mitteleinsatz verbessern: Zur Verbesserung des Mitteleinsatzes gehören sowohl eine effiziente und schonende Ressourcennutzung als auch die Verwendung qualitativ hochwertiger Produktoren. Letztere umfassen in einer konsequenten Betrachtung auch die von Zulieferern erstellten Leistungen. • Varianz reduzieren: In der Regel weisen alle Prozesselemente Varianzen auf. Eine Reduzierung der Varianz der Durchlaufzeit – also der zeitlichen Streuung – eines Prozesselementes ist eine direkte Steigerung der Stabilität. Eine Reduzierung der ergebnisbezogenen Varianz hat eine Steigerung und Stabilisierung der Prozessqualität zur Folge. • Substituieren: Die Verwendung neuer Technologien – sowohl im Produktions- als auch im Entwicklungsprozess – kann dazu führen, einzelne Prozesselemente oder gar ganze Prozessketten zu substituieren. Zu den Optimierungsansätzen, die die Vernetzung von Prozesselementen fokussieren, zählen: • Integrieren: Die schlichte Zusammenfassung von einzelnen Prozesselementen gelingt ohne Änderung der Aufgabenstruktur nur selten. Mit einer tatsächlichen Integration verbunden ist neben einer Änderung des Prozessablaufes meist auch eine „Gesinnungsänderung“ der Bearbeiter. Integration ist daher einer der Ansätze, der am schwierigsten umzusetzen ist, aus dem sich jedoch gleichzeitig die größten Potentiale erschließen lassen. • Parallelisieren: Für die Parallelisierung von Prozesselementen oder – ketten gilt ähnliches wie für deren Integration. Da die Durchlaufzeit aus der Summe der jeweils zeitkritischen Vorgangsdauern bestimmt wird, ist eine Verkürzung dieser Zeit in dem Maße zu realisieren, wie es gelingt, die Vorgänge zu parallelisieren. • Verlagern: Eine Verlagerung von Tätigkeiten über die Grenzen der konventionellen Bilanzhüllen hinaus kann einerseits bedeuten, dass bestimmte Tätigkeiten an (prozess- oder unternehmens-) externe Lieferanten vergeben werden, andererseits, dass ehemals externe Tätigkeiten in die Prozesskette hinein verlagert werden. • Iterationen vermeiden: Über längere Zeiträume gewachsene und etablierte Strukturen – d.h. hier vor allem: Reihenfolgen – spiegeln häufig nicht mehr die durch den tatsächlichen Informationsfluss geschaffenen aktuellen Strukturen wieder. Folgen sind u.a. eine große Anzahl von Iterationen und damit verbundene kostenintensive Änderungen in späteren
64
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
Phasen des Prozesses. Eine Redefinition der Reihenfolge sowie die Schaffung neuer Abstimmungselemente sind Ansätze, verflochtene Iterationsschleifen zu entflechten und zu minimieren. • Kooperieren: Kooperation kann insofern einen Beitrag zu einer Optimierung von Prozessketten leisten, als dass auf der einen Seite frühzeitige Abstimmungen von Anforderungen zu verbesserten Ergebnissen und auf der anderen Seite abgestimmte Ressourcenteilungen bei ehemaliger Ressourcenkonkurrenz zu einer effizienteren Mittelnutzung führen. 4.2.3 Idealtypische Elemente in der Prozessplanung Nachfolgend werden die sechs „idealtypischen“ Elemente in der Prozessplanung „komplexe Prozessgeflechte“, „Schnittstellen“, „Liegezeiten“, „Rückschleifen“, „Sackgasseneffekt“ und „Flaschenhalseffekt“ genauer dargestellt. Komplexe Prozessgeflechte Die Visualisierung von Teilprozessen kann ein komplexes Geflecht von interdependenten Teilprozessen hervorrufen. Die Ursache liegt in der unklaren Abgrenzung von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz in vielen Bereichen. Abhilfe schaffen Maßnahmen zur Standardisierung und zur durchgängigen EDV-technischen Unterstützung. Zur Standardisierung werden die Prozesse in unterschiedliche Kategorien eingeteilt, um so ihre zeitliche Varianz zu stabilisieren. Zur durchgängigen EDV-technischen Unterstützung sollte ein Datenverarbeitungssystem einen einheitlichen Informationsfluss zwischen den an der Auftragsabwicklung beteiligten Bereichen gewährleisten. Schnittstellen Eine örtliche Trennung zwischen Disposition und Produktion in zwei unterschiedlichen Gebäuden muss durch die Visualisierung durch Prozesselemente nicht belegt werden. Aus der funktions- und hierarchieübergreifenden Prozessplandarstellung geht dann hervor, dass sich ein mehrfaches Durchlaufen der Disposition und der Produktion vollzieht. Die Ursache liegt darin, dass im Lager der Produktion und in der Disposition separate und redundante Lagerlisten geführt werden, was zu doppelten Materialvergaben führt, da kein dienliches Reservationssystem sowie genaue, allgemein zugängliche Informationen über die Lagerbestände vorhanden sind. Solche Schnittstellen entstehen dann, wenn sich sachlich eng verbundene Arbeitsgebiete durch Funktionsteilung verselbständigen. Für einen effi-
4.2 Prozessdesign
65
zienten Prozessverlauf sind dann die Zustände von Material und Information zwischen Teilprozessen kritisch. Wenn die einzelnen Tätigkeiten nicht aufeinander abgestimmt sind, unterschiedliche Prioritäten für die Bearbeitung vorgegeben und erforderliche Informationen unzulänglich weitergeleitet werden, können große Zeitverluste entstehen. Hier gilt es, zwei Teilprozesse so zu verbinden, dass keine Schnittstelle, sondern eine Nahtstelle entsteht, die gewährleistet, dass beide Teilprozesse zeitlich nicht auseinander gerissen werden, sondern direkt nacheinander ablaufen können. Es können neben Schnittstellen auch Schnittmengen zwischen solchen Einheiten als Folge von mehrdeutigen Aufgaben-Ressourcen-Zuordnungen auftreten. Durch die Bildung einer zentralen Lagerstelle und die Einführung einer EDV-gestützten Lagerbewirtschaftung können die Aufgaben der Disposition und der Produktion hinsichtlich Materialwirtschaft integriert und parallelisiert und verlagert werden. Auf diese Weise können Iterationen bezüglich des Informationsflusses vermieden werden und die Kooperation zwischen der Disposition und der Produktion optimiert werden. Liegezeiten Der zentrale Unterschied der Darstellung von Prozessen anhand von Prozesselementen gegenüber der klassischen Ablaufdarstellung nach DIN (z.B. im Rahmen einer ISO-Zertifizierung) besteht darin, dass zusätzliche „Zeitfallen“ der Rückschleifen sowie Liegezeiten offensichtlich werden. Die Durchlaufzeiten für den Ist- und Soll-Zustand lassen sich erst durch Informationen, die z.B. der Prozessplan mit seinen Prozesselementen beinhaltet, darstellen (vgl. Abb. 4.13). Das Koppelelement („Uhr“) ist das Symbol für die idealtypische Prozessplanaussage der Liegezeit. Liegezeiten, die eine Erhöhung der Kapitalanbindung und der Gesamtdurchlaufzeit verursachen, sind als Konsequenz zu eliminieren. Da die Entstehung von Liegezeiten insbesondere auch aus der Problematik der komplexen Prozessgeflechte und der Schnittstellen resultiert, gelten auch für sie die gestalterischen Einzelansätze „standardisieren“ und „Varianz reduzieren“, „integrieren“, „parallelisieren“, „verlagern“, „Iterationen vermeiden“ sowie „kooperieren“. Rückschleifen Die direkten und indirekten Unternehmenstätigkeiten, d.h. die Fertigungsund Verwaltungsprozesse, begründen unterschiedliche Anforderungen an das Prozessdesign. Während sich bei Fertigungsprozessen zur Erreichung einer Gutmenge von 100% im Wesentlichen der Input unter Berücksichtigung der Fehler- und Ausschusserfahrung erhöhen lässt, wird bei Verwal-
66
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
tungsprozessen die Zeit zum einzigen kritischen Faktor, wenn – gleichsam den Strafrunden beim Biathlon – Nacharbeitszeiten für Fehler zu Beginn des Prozesses berücksichtigt werden müssen. Durch eine bspw. ungenaue Erfassung von Kundenwünschen oder die Weiterleitung von Aufträgen vom Verkauf an den Projektleiter oder die Disposition, werden beträchtliche Probleme und Rückfragen provoziert. Die Erkenntnis besteht darin, dass diese zeitverzehrenden Rückschleifen („Biathloneffekt“) demnach durch die Unvollständigkeit und Unkorrektheit von Informationen entstehen – zumindest bei administrativen Prozessen. Maßnahmen zur Überwindung von Rückschleifen sind Gestaltungsansätze zur Vernetzung von Prozesselementen und die Einführung verschiedener Prozesstypen (Standardisierung und Reduktion der Varianz). Sackgasseneffekt „Sackgassen-Prozesse“, bspw. Informationsrückflüsse der statistischen Erhebungen des Disponenten, die ohne eine Auswertung in der Ablage der Disposition landen, werfen die Frage auf, wie hiermit in der Auftragsabwicklung verfahren werden soll. Die Erkenntnis liegt hier darin, dass solche Prozesse ohne erkennbaren Nutzen für interne und externe Prozesskunden rein wertverzehrende Tätigkeiten darstellen. Als Verbesserung bieten sich zwei mögliche Vorgehensweisen an: Entweder die Elimination dieser Tätigkeiten oder alternativ die Integration und Verlagerung der Tätigkeiten in den gesamten Auftragsabwicklungsprozess. Hier sollen die Daten dort erhoben und ausgewertet werden, wo sie im Auftragsabwicklungsprozess entstehen. Flaschenhalseffekt Geht die Abwicklung jeglicher Aufträge über einen Disponenten, stellt sich innerhalb kurzer Zeit heraus, dass der Prozess durch die Detailplanung im Flaschenhals „Disposition“ verzögert wird. Die Aussage, die sich aus dem Prozessplan ergibt, ist demnach, dass sämtliche Prozesse in der Auftragabwicklung über ein Prozesselement laufen – das Planungselement der Disposition. Die Erkenntnis liegt in der großen Abhängigkeit der gesamten Auftragsabwicklung von dieser einen Stelle. Die aus einer Diskussion resultierenden Maßnahmen können aus der Integration und Verlagerung der dispositiven Aufgaben bestehen. Neben der Auftragsveranlassung und -überwachung für Standardaufträge über ein neues Auftragskonfigurationssystem können die Sonderaufträge parallel durch Prozessteams bestehend aus Mitarbeitern der Standardauftragsabwicklung und der Produktion abgewickelt werden.
Fallbeispiel
67
4.2.4 Gestaltung von Soll-Prozessen Aus der Identifikation von Schwachstellen und der Entwicklung von Maßnahmen zur Veränderung auf der Grundlage der vorgegeben Prozessstrategien, lassen sich Sollzustände für die zu gestaltenden Prozesse ableiten. Jeder Prozess hat nach Nagel und Rasner eine messbare Ein- und Ausgabe, einen Kunden und Lieferanten, einen Verantwortlichen (Processowner) und Kenngrößen wie Durchlaufzeit, Fehlerrate (Qualität) und Kosten. Zur Ableitung von Größen zur Sollprozessgestaltung kann auch die mit in die prozess- und elementorientierte Beschreibungssprache nach Tränckner eingeflossene Structured Analysis and Design Technique (SADT) angewendet werden. Von besonderer Relevanz sind hier die Prozessbeschreibungsgrößen Inputs (Material, Information etc.), Outputs (Produkt, Information etc.), Controls (Kontrollgrößen wie Unternehmenspolitik, Prozessstrategien etc.) und Mechanismus (Hilfsmittel und Mechanismen wie ITSysteme, Programme, Handbücher etc.). Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich nach Müller folgende Größen für die EDV-technische, organisatorische und ressourcenspezifische Ausgestaltung der Sollprozesse definieren: • Prozesseigner, Stellvertreter und Prozessteam, • Prozessstrategie (Effektivitätsziele, Effizienzziele, Mittel und Verfahren), • Prozessbeschreibung, • Input (Prozessinput im Sinne von Informations- und Materialzufluss), • Output (Prozessoutput im Sinne von Informations- und Materialabflüssen), • Prozesslieferant (Interner bzw. externer Lieferant), • Prozesskunde (Interner bzw. externer Kunde), • Kontrollgrößen, • Hilfsmittel / Mechanismen. Diese Größen müssen nicht immer und in jedem Fall definiert werden und stellen kein Patentrezept dar, bilden jedoch hilfreiche Anhaltspunkte einer intelligenten Prozessgestaltung strategiekonformer Sollprozesse auf der Basis einer gründlichen Analyse zur Vermeidung von Verschwendungen.
Fallbeispiel Das folgende Beispiel zeigt, wie Prozessanalyse und -design in der Praxis ablaufen können.
68
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
Das Projekt wurde mit der Firma Steckermann GmbH durchgeführt, einem eigentümergeführten mittelständischen Unternehmen aus der Elektrobranche mit ca. 800 Mitarbeitern. Wie viele andere spürte auch Steckermann den verstärkten Kostendruck durch eine große Konkurrenz aus Niedriglohnländern. Um mit den eigenen Produkten weiterhin erfolgreich zu sein, entschloss sich die Geschäftsführung zu einem umfangreichen Kostensenkungsprojekt in verschiedenen Abteilungen des Unternehmens. Einer dieser Bereiche war der Betriebsmittelbau mit ca. 50 Mitarbeitern. Das vorgegebene Ziel war eine Reduktion der Stückkosten um 50%. Der Aufbau des Projektes sah eine zweigeteilte Vorgehensweise vor. Erstens sollte eine interne Analyse klären, welche Potentiale zur Kostensenkung bestehen, zweitens sollte eine externe Analyse die Wirkung bestehender Prozesse nach außen überprüfen (Abb. 4.20). Nach den ersten Gesprächen konnten bereits erste Hypothesen aufgestellt werden, die es in der Folge zu belegen galt (Abb. 4.21). Zunächst wurde in einem Wettbewerbs-Benchmarking der Status quo des Betriebsmittelbaus in Bezug auf Kosten, Prozessorganisation und Technologieeinsatz und -beherrschung ermittelt. Die Untersuchung der Prozesse fand in Form von dokumentierten Interviews statt. Die Befragung von Mitarbeitern aller Ebenen wurde dabei mit Hilfe von Proplan aufgenommen und für die weitere Analyse aufbereitet. Die Untersuchung orientierte sich an den Hauptprozessen, in denen Unterprozesse gebildet und separat betrachtet wurden.
Bottom Up/ Intern
Analyse
Analyse des Leistungsspektrums
Top Down/ Extern Analyse der Anforderungen der Geschäftsführung
Benchmarking
Analyse der Auftragsabwicklung
Kundenbefragung (Produktentwicklung, Produktion)
Analyse der Mitarbeiterproduktivität
Analyse des Zulieferpotenzials
Analyse signifikanter Gemeinkosten
Analyse der Auftragsabwicklung
Gestaltung
Bewertung der Kostenposition von Steckermann Ableiten von Handlungsfeldern Ermittlung und Bewertung von Handlungsoptionen Umsetzungsplanung
Reduzierung der Ø-Kosten eines Betriebsmittels um 50 %
Abb. 4.20 Vorgehensweise im Projekt bei Steckermann
Fallbeispiel Fokussierung auf Kernkompetenzen gezielte Fremdvergabe
Trennung zwischen Neuwerkzeugherstellung und Reparatur
Produktlebenszyklusgerechte Werkzeugentwicklung ? Overengineering
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Umstellung auf flexiblere Arbeitszeitmodelle
Erhöhung der mannlosen Laufzeiten
Musterung/ Try-Out insourcen
Abb. 4.21 Potentielle Ansatzpunkte zur Kostenreduktion
Die gefundenen Prozesse wurden in einer Analyse auf Stärken und Schwächen untersucht (Abb. 4.22). Als Ergebnis der Analysephase konnte ein Potential für eine Kostensenkung von ca. 40% bezogen auf das Betriebsmittel ermittelt werden, also knapp unter dem gesetzten Ziel (Abb. 4.23). Ressourcen
Personal
IT
Maschinen
Beratung der Produktentwicklung Betriebsmittelkonstruktion
Beratung der Prozessentwicklung Betriebsmittelbau
operativer Betriebsmittelentstehungsprozess Planungs- und Steuerungsprozess Betriebsmittelentstehungsprozess Produktentstehungsprozess
Abb. 4.22 Analyse der Stärken und Schwächen
Musterung/ Freigabe
70
4 Prozessanalyse und Prozessdesign
Ausgangswert (Durchschnittlicher Auftrag)
Mögliche Gesamtersparnis
Effizienz-/ Auslastungssteigerung
-16%
Fixkostensenkung
Betriebsmittelkosten
-14%
KapazitätsMaterial-/ vollauslastung Fremdkostenbzw. senkung -anpassung
-1%
- 40%
-9%
100%
60%
Abb. 4.23 Mögliches Einsparpotenzial
Die Prozessanalyse hatte ergeben, dass einige Abläufe und Prozesse ineffizient waren, sodass hier leicht anzusetzen war. Auch die Fixkosten, die in den Prozessen versteckt waren, wurden als Lösungsbereich identifiziert. Im Bereich der Prozesse wurden umfangreiche Produktivitätsreserven aufgedeckt, die durch träge Abläufe z.B. durch Planungsfehler entstanden, aber auch durch Nacharbeit, Reparaturen oder fehlende Standardisierung. Auch der Einkauf konnte nicht mit dem Auftragsfortschritt der Fertigung Schritt halten und musste überarbeitet werden. Unterfüttert mit den Zahlen aus dem Controlling zu geleisteten Stunden wurden Prozessschritte ausgemacht, deren Auslastung stark unterdurchschnittlich war. Lange Durchlaufzeiten durch Kapazitätsengpässe belasteten den Unternehmensbereich zusätzlich. Auch die Verteilung der Aufgaben innerhalb der Steckermann-Gruppe stand auf dem Prüfstand. Umständliche Abläufe mit anderen Werksteilen und aufwändige Fremdvergaben können in Zukunft vermieden werden durch eine zielgerichtete Fremdvergabe auf Basis von Kompetenzen und Kapazitäten. Alle Ergebnisse wurden beständig mit den Mitarbeitern von Steckermann reflektiert und angepasst. Das Ergebnis nach ca. vier Monaten beinhaltete eine Maßnahmenliste, einen Umsetzungsplan und eine neue Aufbauorganisation, die die bestehenden Prozesse besser unterstützte als vorher. Eine Führung des Bereichs als Cost Center sollte die Transparenz der Leistungserstellung und -verrechnung sicherstellen (Abb. 4.24).
Fallbeispiel
Ablauforganisation
71
Systematisierung des Einkaufsprozess Optimierung der Auftragsabwicklung im Betriebsmittelbau
Verrechnungsmodell
Regelung der Kostenverantwortung und -verrechnung
bei Formerstellung und -einsatz Regelung der Garantie für die Werkzeugverfügbarkeit
Aufbauorganisation
Anpassung der Führungsstruktur Einrichtung neuer Stellen Anpassung der Verantwortlichkeiten
Abb. 4.24 Auswirkungen der neuen Prozessabläufe
Die Umsetzung der gefundenen Potentiale ist Teil der Veränderung und sollte in einem separaten Projekt durchgeführt werden.
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Im Vorherigen wurde beschrieben, wie man in einem Change Management-Konzept von der Strategiebestimmung zu optimierten Prozessen gelangt. Überlegungen zur eigentlichen Umsetzung dürfen jedoch nicht erst dann angestellt werden, nachdem der „Plan“ zur Verbesserung der Prozesse aufgestellt wurde. Die Realisierung der Ergebnisse sollte stattdessen bereits zu Anfang des Projektes beginnen. Hierbei spielen die frühzeitige Wahl der richtigen Projektorganisation, die Sensibilisierung für Ziel und Sinn des Projekts aller Beteiligten sowie die Befähigung für künftige Aufgaben eine entscheidende Rolle. Die gesamte Vorgehensweise bedarf einer Planung und Gestaltung im Sinne eines Projektes. Die Realisierungsphase kann daher als ein Transformationsprozess betrachtet werden, der mit dem Start des Veränderungsprojektes beginnt und über das Implementierungsmanagement der Umsetzungseinzelprojekte weiterlebt. Die Herausforderung bei Veränderungen in einer Organisation liegt vor allem bei der Umsetzung. Drei Viertel aller Projekte scheitern in dieser Inhalt Positionierung
Prozess Initiierung
Strategieaudit
Den Wandel vordenken Prozessanalyse
Veränderung
Prozessstrategien
Den Wandel gestalten
Prozessoptimierung
Wertschöpfung Performance Messung Performance-Messung Was sind die Barrieren und Enabler?
Umsetzung
KernprozessIdentifikation
Was sind die Vorraussetzungen für eine erfolgreiche Projektdurchführung?
Abb. 5.1 Wie funktionieren die Bausteine der Umsetzung?
74
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Phase. Dies lässt sich vor allem auf eine Fokussierung allein auf die inhaltliche Ausgestaltung der Strategie zurückführen. Bedeutender Bestandteil der MOTION-Methodik ist es daher, den Prozess der Veränderung vorzudenken (Abb. 5.1). Organisationen weisen abhängig von ihrer Größe sehr komplexe Strukturen und meist eine tief verankerte, schon bestehende Unternehmenskultur auf. Es gilt, sämtliche Zusammenhänge zu verstehen, bevor man eine geeignete Strategie auswählt, die methodische Brüche vermeidet und mit der Umsetzung beginnt. Dieses Kapitel soll einen Überblick dieser Problematik mit geeigneten Lösungsansätzen bieten, beginnend mit einem Einblick in die Determinanten der Veränderung.
5.1 Determinanten der Veränderung
Pilot
Projekt
Top-down
Do it
klein
Veränderungsgrad
groß
Um einen Wandel im Unternehmen erfolgreich durchführen zu können, ist ein situatives Management notwenig, in Relation zu Veränderungsgrad und der Bereitschaft der Unternehmung zur Veränderung. Sind große Veränderungsschritte bei kleiner Veränderungsbereitschaft beabsichtigt, ist es besonders wichtig, die Motivation und Akzeptanz für den fundamentalen Wandel zu gewinnen. Ist der Veränderungsgrad bei geringer Verände-
klein
Veränderungsbereitschaft
Abb. 5.2 Situatives Change Management
groß
5.1 Determinanten der Veränderung
75
rungsbereitschaft nicht sehr hoch, wie bspw. bei Einzelmaßnahmen zur Arbeitsplatzgestaltung, können diese vom Management top-down vorgegeben werden. Die eigentliche Konzeptionierungsarbeit mit methodischer Vorgehensweise und dem Einsatz von Projekt-Management-Techniken steht bei fundamentalen Veränderungsprozessen mit großer Bereitschaft zur Veränderung im Vordergrund (Abb. 5.2). 5.1.1 Veränderungsgrad In Unternehmen finden stetig Prozesse und Interaktionen statt, die das Unternehmen verändern. Umfang und Komplexität, das heißt der Veränderungsgrad, haben dabei einen großen Einfluss auf die Art der Umsetzung der Veränderung. Die Unternehmensentwicklung lässt sich als eine Sequenz von Epochen betrachten, wobei jede Epoche einen unternehmensgeschichtlichen Zeitabschnitt darstellt, der mit bestimmten Standpunkten verbunden wird und dessen Ende durch einen grundlegenden Wandel markiert ist. Innerhalb einer Epoche finden Veränderungen inkrementalen Ausmaßes statt. Inkrementaler Wandel bedeutet, dass sich das Unternehmen innerhalb der bisher bekannten Grenzen bzw. Logik ändert, es werden schrittweise kleine Veränderungen vorgenommen. Die unternehmerische Herausforderung ist klar definiert und es gilt diese möglichst effizient auszuführen, und selbst bei externen Irritationen wie z.B. dem Eintritt neuer Wettbewerber in den Markt findet sich eine Lösung ohne maßgebliche Änderungen der bestehenden Geschäftslogik. Der fundamentale Wandel stellt kein singuläres Ereignis dar, sondern einen Prozess, der über einen längeren Zeitraum verläuft und in eine neue Epoche mündet. Die Herausforderung dieser Übergangszeit liegt in einer Änderung der bestehenden Geschäftslogik, die oft zu Unsicherheiten in den Organisationen führt. Das Nebeneinanderbestehen alter und neuer Ansichten ruft Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der bestehenden Geschäftslogik und Verkündern neuer Prinzipien hervor und bewirkt zusätzliche Instabilität in dieser Phase. Befindet sich eine Organisation dann einmal im Umbruch, so ist nicht von vorneherein eindeutig, an welchem Punkt es wieder zu einer Stabilisierung kommt. Im Gegensatz zum inkrementalen Wandel ist bei fundamentalem Wandel nicht nur Veränderung in größerem Umfang zu beobachten, die Umsetzung folgt auch nach anderen Regeln. Prinzipien des inkrementalen Wandels sind bei fundamentalem Wandel nicht mehr gültig und können sogar dysfunktional wirken.
76
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Besonders für einen solchen fundamentalen Wandel ist eine Unterstützung durch die komplette Organisation unerlässlich. Ohne die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter, die das Veränderungsprojekt mit tragen müssen, ist ein solches zum Scheitern verurteilt. 5.1.2 Veränderungsbereitschaft Die Veränderung eines Individuums allein ist schon ein überaus komplexes Unterfangen, die Veränderung eines Systems mit etlichen Individuen mit unterschiedlichen Blickwinkeln, Einstellungen, Verhaltensweisen, Charaktereigenschaften etc. ist jedoch um ein Vielfaches anspruchsvoller und in der Regel mit Widerständen verbunden. Den Ursprung des Widerstandes gegen Veränderungen in einer Organisation gilt es zu ergründen. Ergründung des Widerstandes gegen Veränderungen Unter Widerstand wird eine im Wesentlichen emotionale Sperre verstanden, die Organisationsmitglieder und Systeme gegen Veränderungen aufbauen. Um Widerständen begegnen zu können, müssen die verschiedenen Arten von Widerstand berücksichtigt werden. Leigh unterscheidet die folgenden vier Ebenen des Widerstands: Kultureller Widerstand ergibt sich, wenn verinnerlichte Werte und Traditionen betroffen sind, sozialer Widerstand erfolgt aus der Bedrohung etablierter Beziehungen, organisatorischer Widerstand entsteht bei der Änderung formaler Regeln, individueller Machtbereiche oder Einflüsse und psychologischer Widerstand ist die Folge einer selektiven Wahrnehmung, die Veränderung als völlig unnötig betrachtet und so Konservatismus und Konformität unterstützt. Betrachtet man die Herkunft des Widerstands, so lassen sich auch der Widerstand aus der Person und der Widerstand aus der Organisation unterscheiden. Die primäre Ursache für den Widerstand aus der Person ist die fehlende Bereitschaft des Betroffenen, fest verankerte Gewohnheiten zu verändern, da sie einen Verlust an Sicherheit, Bedürfnisbefriedigung etc. befürchten. Auch Unlust und Bequemlichkeit können Gründe für persönlichen Widerstand sein, wenn ein Mitarbeiter fürchtet, sich durch Veränderung erneut behaupten zu müssen. Ein weiterer Grund kann in der fehlenden Wahrnehmung des Veränderungsbedarfes liegen. Die entsprechenden Informationen werden dann so selektiert, dass sie in das bisherige Ordnungsmuster aufgenommen werden können und somit kein Veränderungsbedarf notwenig erscheint. Andererseits können Widerstände der gesamten Organisation entspringen, wenn bspw. der Wandel nicht nach Regeln und Normen, die schon
5.1 Determinanten der Veränderung
77
seit langer Zeit in der Unternehmenskultur verfestigt sind, verläuft. Betrachtet man den Wandel als einen politischen Prozess, so wird deutlich, dass auch bei einer Umverteilung der Macht Widerstand aufkeimen kann. In jeder Organisation entwickelt sich eine Unternehmenskultur, die in der Regel auf einer eher unbewussten Ebene wirkt. Veränderungen, die diese Normsysteme betreffen, verursachen energischen Widerstand. Eine weitere Erklärung liegt in der zumeist tiefen Verankerung von Routinen und Strukturen und dem Widerstreben von Systemen, diese zu offenbaren. Schließlich lassen sich informale Status- und Prestigehierarchien nennen, die von organisatorischen Änderungsinitiativen häufig in Frage gestellt werden. Änderungen bringen fast immer eine Neuverteilung auch der immateriellen Ressourcen mit sich; gegen eine solche indirekte Verschlechterung werden nicht selten politische Kräfte mobilisiert. Die natürliche Reaktion des Widerstands von Personen und Organisationen auf Veränderung kann durch „Barrieren“ verstärkt werden, durch „Enabler“ jedoch kann dem Widerstand nachhaltig entgegen gewirkt werden. Barrieren Eine Ausübung von unmittelbarer Macht via Hierarchie und Befehlsketten nach dem Top-Down-Prinzip kann eine massive Veränderung nicht allein bewirken, denn Verhalten und Einstellungen ändern sich nicht auf Anordnung, sondern sind immer auch Ergebnisse von Lern- und Erkenntnisprozessen, die ihre eigene Geschwindigkeit haben. Ein solches Verfahren ruft Widerstände eher hervor oder verstärkt sie, denn ohne ausreichende Akzeptanz und Identifikation durch die jeweiligen Zielgruppen ist jeder einschneidende und die Potentiale der Organisationsmitglieder mit einschließende Veränderungsprozess zum Scheitern verurteilt. Aus Sicht der betroffenen Mitarbeiter ist der inkrementale Wandel im Allgemeinen die wünschenswertere Form von Veränderung, denn die mit fundamentalem Wandel einhergehenden Widerstände sind verbunden mit Unsicherheit, Angst und Verwirrung. Unentwegte Veränderungen können leicht als Vorgehensweise ohne präzise Zielrichtung interpretiert werden und somit ein Grund für nachlassende Bereitschaft zur Veränderung und den Aufbau mentaler Barrieren sein. Trotz einer sehr hohen Anpassungsfähigkeit und Flexibilität des Menschen, hat die Erfahrung gezeigt, dass der Menge an Veränderung über einen bestimmten Zeitraum Grenzen gesetzt sind. Diesen Umstand hat Alvin Toffler unter dem Begriff „future shock“ treffend beschrieben. Future Shock ist demnach der Schwellenwert, bei dessen Überschreiten eine Person oder Organisation sich nicht mehr effektiv an die Veränderung anpassen kann. Dies kann sich in Symptomen wie Missverständnissen, reduzier-
78
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
ter Produktivität, geringer Moral, Verwirrung, erhöhter Beunruhigung, Verteidigung, Obstruktionspolitik etc. ausdrücken. Enabler Enabler unterstützen den Veränderungsprozess und stellen die Erfolgsfaktoren für eine gelungene Umsetzung dar. Ein kritischer Faktor der Veränderung ist die Attraktivität des Veränderungsvorhabens, die einen starken Einfluss auf die Veränderungsbereitschaft – als Grundvoraussetzung für ein Gelingen des Veränderungsprojektes – hat. Es stellt sich nun die Frage, wie die Attraktivität des Veränderungsvorhabens gesteigert und somit Widerstände der Mitarbeiter abgebaut werden können, auch wenn Vorteile einer Veränderung für den Mitarbeiter noch nicht klar erkennbar sind, oder durch die Veränderung sogar Einschränkungen und Einbußen drohen. Zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren eines Veränderungsprojektes gehören „Motivation und Akzeptanz“ und „Umsetzungsmotivation“. Nur wenn die gesamte Organisation das Konzept des Veränderungsprojektes akzeptiert und lebt, kann dieses erfolgreich realisiert werden. Entscheidend ist, dass das Konzept von allen Organisationsmitgliedern als wirksam verstanden und gefördert wird. Besondere Verantwortung liegt hier beim Management, das die Einführung unterstützen und für diese werben muss, auch wenn sich eventuell negative Einschränkungen auch für sich selbst ergeben. Manager neigen dazu, sich mit Veränderungssituationen so auseinanderzusetzen, dass sie die Lösung in den schon existierenden, alten Paradigmen suchen, um so das Ausmaß an Unklarheit und Unsicherheit zu minimieren. Mit Veränderungsgründen konfrontiert, wird meist zunächst nach vorhandenen Verbesserungsstrategien gesucht, Toleranzen verkleinert und der Handlungsspielraum eingeschränkt. Erst wenn sich diese Methoden als nicht effektiv erweisen, werden wirkliche Veränderungen angestrebt. Die erfolgreichen und florierenden Organisationen des 21. Jahrhunderts werden diejenigen sein, welche die immanente Kreativität ihrer Mitarbeiter fördern. Kreativität bedeutet hier Generierung von Ideen und ihre Transformation in brauchbare Anwendungen, welche letztendlich zu Veränderung und Verbesserung führt.
5.2 Hemmnisse bei der Umsetzung Der Umgang mit fundamentalen Änderungen stellt Unternehmen immer wieder vor ungeahnt schwer zu überwindende Hindernisse. In zahlreichen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass drei Viertel der großen Verände-
5.2 Hemmnisse bei der Umsetzung
79
rungsprojekte scheitern. Das Problem vieler Unternehmen liegt in einer ungenügenden Berücksichtigung der Verhaltensdimension in der Phase des Wandels. Das Augenmerk wird allein auf die Sachdimension gerichtet, um eine Veränderung herbei zu führen. Hier werden Strategien und Konzepte entwickelt, Maßnahmen definiert und Prozeduren erdacht, um die Strukturen des Unternehmens zu verändern (Abb. 5.3). Ein klar erkennbarer Handlungsbedarf und ein tragfähiges Konzept alleine reichen jedoch nicht immer aus, um Veränderungen herbeizuführen. Um die Ursachen für die Misserfolge zu ergründen, wurden innerhalb des MOTION-Projektes 24 Veränderungsprojekte aus der Automobil-, der Werkzeugmaschinen-, der Anlagenbau- sowie der Telekommunikationsbranche auf kritische Erfolgsfaktoren untersucht (Abb. 5.4). Dabei wurde deutlich, dass sich Widerstände gegen Veränderungen nicht einfach mit den offiziellen Regeln und Abläufen im Unternehmen erklären lassen, sondern vielmehr in den „heimlichen Spielregeln“ zu finden sind. In der inhaltlichen Dimension werden zwar Erkenntnisse über die notwendige Art und Richtung der Veränderung erarbeitet, diese Erkenntnisse finden aber bei den betroffenen Mitarbeitern nicht gleich Zuspruch. Die Widerstände, die sich hierbei aufbauen können, sind häufig auf Angst und Verunsicherung zurückzuführen, was bei Nicht-Berücksichtung zu einem Scheitern der geplanten Veränderung führen kann. Vorgeschlagene Änderungen stoßen auf strikte Ablehnung und der Veränderungsprozess befindet sich in einer der kritischsten Phasen. Ziel eines ganzheitlichen Change Managements muss es daher sein, zu Beginn des eigentlichen
Sachdimension Strategien Strukturen Prozeduren Ziele
Inhalt
Phasen des Wandels - Verhaltensebene
Erkenntnis
Schock
Emotioneller Stress Druck zum Wandel
Desillusionierung Suche nach Sündenbock
Idee
Ablehnung Krise, Konfusion Konflikte, Antipathie
Druck & Ängste
Kenntnisnahme / Verlust
Verhaltensdimension Werte Prozess Einstellungen Wissen Interessen
Abb. 5.3 Dimensionen des Wandels
Kreativität / Risikobereitschaft Konfliktmanagement Handhabung der Probleme
Verpflichtung / Unterstützung Wandel der mentalen Muster Moral und Optimismus wachsen Akzeptanz
Wirksam keit
80
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Top Management Commitment
Umsetzungsmotivation
Projektteambildung
Klar definierte Ziele
Kundenorientierung der Prozesse
Ausreichende Ressourcen
Straffes Projektmanagement
Projektmarketing Motivation und Akzeptanz
Abb. 5.4 Vorgehensweise zur prozessorientierten Reorganisation der Auftragsabwicklung
inhaltlichen Gestaltungsprozesses der zukünftigen Geschäftslogik den prozessualen Charakter von Veränderungen vorzudenken, das Verhalten der Organisation und ihrer Mitglieder mit einzuplanen und durch ein Drehbuch des Wandels gezielt die durch die Initiierung des Wandels frei werdenden Kräfte zu einer umfassenden Veränderung zu kanalisieren. Nur so können die auf der inhaltlichen Ebene erarbeiteten Ideen letztendlich Wirksamkeit erlangen. Im Rahmen des MOTION-Projektes bildeten sich die kritischen Erfolgsfaktoren „Top Management Commitment“, „Motivation und Akzeptanz“, „Teamstruktur“ sowie „Konfliktmanagement“ heraus. Alle zielen auf einen Sachverhalt ab: die aktive Einbindung der Mitarbeiter in die Veränderung. Genau hier liegt die Erfolgschance von Veränderungsprojekten. Aber selbst unter Berücksichtigung dieser kritischen Erfolgsfaktoren können aussichtsreiche Change-Management-Projekte scheitern, wenn nicht drei entscheidende Lücken durch die bestehenden Controllingsysteme geschlossen werden (Abb. 5.5). • Lücken in der Kostenverantwortung auf dem Migrationspfad hin zur prozessorientierten Unternehmung können durch klare Übergangsprojekte vom Kostenstellenleiter über den Maßnahmenverantwortlichen hin zum Prozesseigner vermieden werden. Die Kostenverantwortung wird hierbei von den Prozesseignern getragen, in deren Obhut sich weiterhin das prozessorientierte Controlling-System befindet.
5.2 Hemmnisse bei der Umsetzung
81
• Das Problem der mangelnden Kostentransparenz beim Umsetzungscontrolling von Change-Management- und Business-Process-ReengineringProjekten soll gelöst werden, indem Einflussfaktoren durch vernetztes Denken im Controlling aus verschiedenen Blickwinkeln definiert und Beziehungen und Wirkungen der Einflussfaktoren untereinander erfasst werden. Durch solche Ursache-Wirkungsnetze werden die Zusammenhänge der einzelnen Maßnahmen und Maßnahmenpakete verdeutlicht. Hier sind projektbegleitende Performance-Messungen erforderlich, bspw. nach EQA (European Quality Award), sowie die Einführung eines maßnahmen- und prozessorientierten Controllingsystems • Erfolgsentscheidend ist die Sicherung der Durchgängigkeit der Maßnahmenketten durch ein konsequentes Maßnahmencontrolling, was den erfolgreichen Projektfortschritt mit verschiedenen Szenarien sichert. Werden einzelne Maßnahmen in der Umsetzung nur teilweise umgesetzt oder verschoben, besteht die Gefahr des Scheiterns des Gesamtprojektes. Die Realisierung von Veränderungsprojekten kann somit nur zum Erfolg führen, wenn das Umsetzungscontrolling als flexibles, prozessorientiertes Controlling in das bestehende Controlling-Gesamtsystem eingebunden wird. Das Projektmanagement stellt einen wichtigen Faktor dar, wenn es gilt, die temporäre Projektorganisation zu transformieren und die Lücken von Veränderungsprojekten zu schließen.
Lücken in der Kostenverantwortung Vom Kostenstellenleiter über den Maßnahmenverantwortlichen zum Prozesseigner
Mangelnde Kostentransparenz Verschiebung der Kostenstellengrenzen durch die Gestaltung neuer Prozesse
Mangelnde Durchgängigkeit der Maßnahmenketten Vernachlässigung einzelner Maßnahmenpakete
Abb. 5.5 Schlupflöcher von Change-Management-Projekten
82
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
5.3 Die sechs Komponenten des Wandeldesigns Wie schon erläutert, führt eine Fokussierung allein auf die inhaltliche Ausgestaltung der Strategie vielfach zum Scheitern eines Veränderungsprojektes. Bedeutender Bestandteil der MOTION-Methodik ist es daher, den Prozess der Veränderung vorzudenken. Hierzu bieten sich Denkräume an, innerhalb derer sich die Veränderung des Systems beschreiben und gestalten lassen, gestützt durch zentrale Fragestellungen sowie erklärende und strukturierende Methodenbausteine (Abb. 5.6). Die Erfahrungen aus einer Vielzahl von Change-Management-Projekten verbunden mit Ideen aus der Wissenschaft haben zu sechs solcher Denk- bzw. Planungsräume geführt, die sowohl in der Phase der Initiierung als auch über den gesamten Prozess des Change Managements von immenser Bedeutung für den erfolgreichen Abschluss eines solchen Projektes sind. Auch wenn durch die Reduzierung auf sechs Fragestellungen die Gestaltung eines komplexen Wandeldesigns sehr vereinfacht erscheint, hat sich doch in der Praxis gezeigt, dass mit der MOTION-Methodik die relevanten Aspekte eines Veränderungsprozesses weitgehend abgedeckt werden und diese dem Praktiker als erster Handlungsleitfaden genügen, welcher natürlich situations- und unternehmensspezifisch weiter auszudetaillieren ist.
Timing (Wann?)
Idee
Akteure (Wer?)
Initiierung
Stabilität (Was bleibt?)
Verpflichtung & Unterstützung
Kommunikation (Was passiert?)
Akzente (Was?)
Veränderungsbereitschaft
Veränderung
Wirksamkeit
Transparenz (Wo stehen wir?)
Abb. 5.6 Den Wandel kanalisieren durch sechs Komponenten des Wandeldesigns
In Rückgriff auf Erkenntnisse von Müller-Stewens und Lechner lässt sich ein erfolgreiches Change-Management-Projekt als „Drehbuch für den Wandel“ beschreiben. Hier werden dem Projekt zu Grunde liegende Hand-
5.3 Die sechs Komponenten des Wandeldesigns
83
lungen und Akteurstrukturen festlegt. Ein solches „Wandeldesign“ denkt ähnlich einem Drehbuch für einen Spielfilm das Konzept zur Inszenierung des operativen „Wirksamwerdens“ der gewünschten Veränderung vor. Es bedarf einer gewissen Dramaturgie, um die Betroffenen zu Beteiligten zu machen. So stellen sich für einen Film die Fragen nach dem Ablauf der Geschichte, welche Rollen zu vergeben und zu besetzen sind, welche Hauptaussagen der Film vermitteln soll und wie diese Vermittlung erfolgt. Im Weiteren wird eine kurze Erläuterung der sechs Denkräume vorgenommen. 5.3.1 Timing Mit der Gestaltung des Timings des Veränderungsprozesses wird die Entwicklungslogik des Prozesses geplant. Dies ist in Rückgriff auf die Analogie zum Drehbuch viel mehr, als eine einfache Maßnahmenplanung. Hier geht es darum, die Reihenfolge der Veränderungsmaßnahmen geschickt zu wählen, um einen Spannungsbogen aufzubauen, der die Mitarbeiter fasziniert und gleichzeitig zur Beteiligung am Veränderungsprozess bewegt (Abb. 5.7). Anstatt sich allein auf die Maßnahmenumsetzung zu konzentrieren, soll sich hin zu einer gemeinsamen Zukunftsgestaltung bewegt Phasen des Wandels
– Sachebene
Aktivitätenniveau
Destabilisierung 1 2 3
3–5 Jahre 4
Stabilisierung 5
Zeit
Sensibilisierung: Den Wandel vorbereiten Auftakt: Den Prozesseinstieg begehen Roll-Out: Die Energie ins System bringen Verstetigung: Das Momentum erhalten Konsolidierung: In einen eingeschwungenen Zustand zurückfinden
Abb. 5.7 Timing schafft Geschwindigkeit
84
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
werden. Das Timing ist ein entscheidender Faktor, der Fingerspitzengefühl erfordert. Die Vorbereitung und Dauer von Veränderungsprozessen ist abhängig von Art, Umfang und Kontext der Veränderung. Der Zyklus eines tief greifenden Wandels erstreckt sich von der Initiierung bis zum Erreichen eines eingeschwungenen Zustandes über drei bis fünf Jahre. Die erste Phase steht im Zeichen einer Sensibilisierung der Organisation für die Notwendigkeit der Veränderung. Hier gilt es frühzeitig durch Diskussionen die wichtigsten Stakeholder einzubinden, eine Vielzahl von Optionen zu schaffen und diese ggf. über Szenariotechniken grob durchzudenken. Die zweite Phase, der Auftakt des Prozesses, soll das Projekt offiziell „enthüllen“. Wesentlich ist hier, sich der Aufmerksamkeit derer zu vergewissern, die die Veränderung treiben sollen. Eine Möglichkeit der Verkündung stellen Großveranstaltungen dar, auf denen die gesamte Organisation angesprochen werden kann. Alternativ bieten sich Pilotgruppen an, in denen anhand exemplarischer Vorzeigeprojekte die Notwendigkeit und Durchführbarkeit eines Projekts deutlich gemacht werden kann. In der Phase des Roll-Outs besteht ein Spannungsfeld zwischen Widerstand und Unterstützung. Es gilt, die Energie ins System zu bringen, die entsprechenden Widerstände zu überwinden und gleichzeitig die Konzentration auf die wesentlichen Schritte beizubehalten. Die Phase der Verstetigung geht zwar von der Akzeptanz gegenüber dem Veränderungsprojekt aus, und es kann bereits an eine Stabilisierung des Systems gedacht werden, das Ziel des Wandels ist jedoch noch nicht erreicht. Die gewonnene Energie im System darf nicht verloren gehen, etwa weil sich wichtige Promotoren neuen Themen zuwenden, sondern es müssen über die in der vorherigen Phase erreichten Anfangserfolge hinaus weitere Verbesserungen im Sinne der beabsichtigten Veränderung erreicht werden. Mit der fünften und letzten Phase der Konsolidierung muss die Veränderung festgehalten und gesichert werden. Die Organisation ist in einen eingeschwungenen Zustand zurückzuführen, d.h. der Prozess der Veränderung ist „sauber“ zu beenden. Die Geschwindigkeit des Durchlaufens steht dabei in maßgeblicher Abhängigkeit zum anvisierten Wandel und der zu erwartenden Reaktion der Organisation. Durch übertriebene Eile werden unnötig Ressourcen verbraucht und die Effektivität wird gehemmt. Das Momentum des Veränderungsprozesses kann daher nur dann aufrechterhalten oder gesteigert werden, wenn es gelingt immer mehr Mitarbeiter in den Veränderungsprozess mit einzubinden und wenn die Aufmerksamkeit der Führung permanent hoch ist. Geschwindigkeit ist wichtig, jedoch anfänglich nicht entschei-
5.3 Die sechs Komponenten des Wandeldesigns
85
dend. Daher ist es von besonderer Bedeutung, das Tempo Schritt für Schritt zu steigern. 5.3.2 Akteure Bei der Betrachtung der Akteure spielt das Verständnis der Rollen innerhalb eines Veränderungsprozesses eine wichtige Rolle, da sich durch eine geschickte Besetzung eine Zusammenführung der individuellen Kräfte erreichen lässt, um so die notwendige Entwicklungsdynamik im Prozess zu erreichen. Zur Veranschaulichung der Rollenvielfalt gibt es eine Metapher: Der Veränderungsprozess wird mit der Pionierzeit in Amerika verglichen. Ähnlich den damaligen Siedlern bricht ein Unternehmen in Zeiten fundamentalen Wandels in eine noch ungewisse Zukunft auf, in der ein anderes Paradigma Richtigkeit besitzt. Auf dieser Reise gibt es Berge, Täler, Verirrungen und die entscheidenden vier unterschiedlichen Typen. Die eigentliche Machtbasis bilden die Machtpromotoren, da sie die Ressourcenausstattung zur Verfügung stellen. Sie sind Enabler des Veränderungsprozesses, die den Prozess maßgeblich unterstützen. Zu den Enthusiasten zählen die Entschlossenen, die den Treck voranführen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Daneben finden sich aber auch Opportunisten, deren Motivation der Aussicht auf Karriere entspringt und nicht der vollen Überzeugung mit aufzubrechen. Die Scouts führen als Berater die Organisation auf der Reise. Sie zeichnen sich durch entsprechende Visionen und die Erfahrung aus einer Vielzahl von Veränderungsprojekten aus und besetzen somit gewissermaßen eine unentbehrliche Position. Letztendlich existiert die Gruppe der Zuschauer, die das Geschehen lediglich beobachtet und eher unbeteiligt dem Treck folgt, da ihrer Erkenntnis nach die Reise den falschen Weg einschlägt. Diese Gruppe bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit im Veränderungsprozess, um den Aufbau von „Widerstandszentren“ innerhalb der Organisation zu verhindern. Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass nicht ausnahmslos jeder Skeptiker von dem Veränderungsprojekt überzeugt werden kann, muss die Führung im Wandel diese kritischen Anmerkungen berücksichtigen, um in der Euphorie der Veränderung nicht wichtige Dinge zu übersehen. Die unterschiedlichen Rollen müssen in einem Veränderungsprojekt berücksichtigt und bewusst in der Art eines „Castings“ vergeben werden. Hierbei sollte möglichst schnell klar werden, wo der Einzelne steht. Die Art der gewählten Change-Organisation richtet sich dabei ähnlich dem Timing nach Breite und Tiefe der Veränderung und kann in Analogie zu bekannten Projektmanagementorganisationen aufgebaut werden (Abb. 5.8).
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5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Change Councils
Change Steering Committee Change Manager
Process Design Committee
Transition Teams Kernprozesse
Communication Committee
Client Review Committee People Review Committee
Peer Group Change Academy - Experts - Support
Operations/ Risks
Services/ Markets
Abb. 5.8 Wandelprojektorganisation
5.3.3 Akzente Da sich das Veränderungsprojekt als ein hoch komplexes Vorhaben offenbart, bietet das gezielte Setzen von Akzenten die Möglichkeit einer fokussierten Vorgehensweise. Diese Schwerpunktbildung setzt für den Zyklus der Veränderung eine konzeptionelle Klammer und erlaubt der gesamten Organisation sich auf gewisse Kernaufgaben zu konzentrieren. Dadurch werden die vielen Aktivitäten in den unterschiedlichen Teams auf ein Ziel hin ausgerichtet, wodurch die notwendige Durchschlagskraft erreicht wird.
Deutsche Post
World Net
Mail Express Logistics Finance
Nr. 1 weltweit 2001–2005
Internationalisierung 1997–2000
Wertschöpfungs-
programm STAR Integration der
Unternehmensbereiche
Turnaround 1990–1996 Aufbau eines
internationalen Logistik-Netzwerkes Sanierung und
Konsolidierung von 30.000 auf
Akquisition von
19 Unternehmen (DHL, Danzas)
13.000 Filialen
Abb. 5.9 Akzente schaffen Effektivität
5.3 Die sechs Komponenten des Wandeldesigns
87
Neben der Erfassung des inhaltlichen Kerns, lassen sich mittels eines geschickten Timings der Akzente auch eine Sequenz von Veränderungsprojekten konzeptionell gestalten. Exemplarisch kann man hier auf die Deutsche Post World Net AG hinweisen, deren Veränderungsprozess seit der Privatisierung unter drei Akzenten zusammengefasst wurde (Turnaround, Internationalisierung und Nr. 1 in der Logistik weltweit). Hierdurch konnte den Mitarbeitern eine grobe Orientierung darüber gegeben werden, welchen Zielen die einzelnen Aktivitäten in der Veränderung dienten (Abb. 5.9). 5.3.4 Stabilität Innerhalb des Veränderungsprozesses stellt sich die Frage nach dem, was eigentlich bleibt. In Zeiten der radikalen Veränderung und somit einer zunehmenden Destabilisierung besteht die Notwendigkeit von Dingen, an denen sich festhalten lässt. Ziel ist es, durch diese Frage der Organisation Stabilität über gewisse bekannte Routinen zu schaffen, denn eine erfolgreiche Zukunft baut immer auf einer erfolgreichen Vergangenheit auf. In Phasen der Veränderung darf nicht der Fehler gemacht werden, alles Bisherige zu verwerfen, denn Menschen haben in diesem System lange Jahre mit viel Intensität gearbeitet und sind stolz auf das bisher Geschaffene. Daher muss dem Menschen durch bleibende Dinge das Gefühl von Sicherheit gegeben werden, wodurch die Motivation und Akzeptanz für den fundamentalen Wandel geschaffen wird, was wiederum den Veränderungsprozess absichert. Neben der klaren Kommunikation von Dingen, die sich nicht verändern, eignen sich kleine Pilotprojekte um „Early Wins“ zu erzeugen, die zusätzliche Stabilität in der Organisation schaffen. Bereits zu Beginn des Veränderungsprojektes sollten diese mit eingeplant werden, um das nötige Maß an Unterstützung zu erreichen. 5.3.5 Kommunikation Fünfter Punkt in der MOTION-Methodik ist die Kommunikation. Die Kommunikation hält die Organisation zusammen und vermittelt nach innen wie außen, was eigentlich passiert. Durch schnelle, zielgerichtete Kommunikation können Ängste der Mitarbeiter frühzeitig abgebaut werden, um somit Widerständen und Demotivation entgegen zu wirken (Abb. 5.10). Die Kommunikation ist offen und klar zu gestalten, wobei immer die Zielgruppe das Wort bestimmt. Sie richtet sich an alle Betroffenen und reicht dabei über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus. Alle Anspruchsgruppen und Ebenen sind regelmäßig sowohl formell als auch in-
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5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
formell zu kontaktieren. Veränderungsprozesse erfordern dabei eine hohe Sensitivität für entstehende Situationen. Die formelle Kommunikation kann dabei schon im Vorfeld geplant werden. Wann soll wer, durch wen, mit welchem Medium, was erfahren. Informelle Gespräche mit allen Betroffenen ermöglichen gleichzeitig einen Einblick in die Gemütslage der Organisation. Dieses direkte Feedback ist besonders bedeutsam und gibt zahlreiche Hinweise über die Steuerung des Veränderungsprozesses. Erfolgsentscheidend für ein Veränderungsprojekt ist daher häufig der richtige Einsatz der Kommunikation.
Eigentümer Kapitalgeber Arbeitnehmervertretung
Mitarbeiter
Führungskraft
Führungskräfte
Kunde
Lieferanten Abb. 5.10 Adressaten für Kommunikation
5.3.6 Transparenz Als sechster Denkraum der MOTION-Methodik ist die Transparenz zu nennen. Die Transparenz ist bezüglich der Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, Aufbauorganisationen, Abläufen etc. zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Veränderung des Unternehmens (Abb. 5.11.). Hierbei ist es wichtig, den Mitarbeitern und sonstigen Anspruchsgruppen (wie Kunden, Eigentümern oder Lieferanten) deutlich zu machen, in welche Richtung die Veränderung geht, und ob messbare Erfolge zu verzeichnen sind. Andererseits benötigt das Management verlässliche Zahlen, um den
5.3 Die sechs Komponenten des Wandeldesigns
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Veränderungsprozess flexibel steuern zu können. Diese Messung kann z.B. durch eine Scorecard erfolgen, die sich auf die wesentlichen zuvor definierten Akzente im Veränderungsprozess konzentriert. Unternehmen als soziale Systeme sind ständig Veränderungen ausgesetzt. Jeder Veränderungsprozess ist dabei zunächst ungerecht, es gibt Gewinner aber auch Verlierer. Neben dem Abbau von Stellen werden Verantwortungen neu definiert und Aufgaben, die jahrelang richtig waren, gelten plötzlich nicht mehr. Darüber hinaus werden die Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft eines Unternehmens einerseits in Frage gestellt und andererseits neu gestaltet. In einem sozialen System kann dies zu Unfrieden und Demotivation führen. In dieser Zeit ist für die Veränderung nicht nur eine Gestaltung der zukünftigen Positionierung des Unternehmens in der Sachdimension notwendig. Vielmehr ist es wichtig, den Prozess der Veränderung in der Verhaltensdimension vorauszuplanen und zu gestalten, um die Organisation und die darin arbeitenden und lebenden Mitarbeiter für die Veränderung zu gewinnen.
Core Values Kunden Menschen
Values Score Card
Leistung Partnerschaften Innovation & Technologie 7
1994
1995
35
130
Abb. 5.11 Transparenz schafft Vertrauen
1996
1500
1997
3000
1998
39000 Menschen
90
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
5.4 Bausteine der Umsetzung Das erfolgreiche Gelingen eines Veränderungsprojektes setzt nicht nur das umfassende Verständnis der Organisation und der Determinanten der Veränderung voraus, sondern zeigt sich erst in einer wirksamen Umsetzung des Veränderungsvorhabens. Im Folgenden werden einige Aspekte näher betrachtet, die zur Umsetzung im Unternehmen dringend notwendig sind. 5.4.1 Kommunikation Die Kommunikation ist das Werkzeug für konstruktive Auseinandersetzungen, die den Projektteilnehmern die Gründe oder sogar die Notwendigkeit für das Veränderungsprojekt verständlich machen. Durch sie kann eine gemeinsame Legimitationsbasis geschaffen werden und somit die Attraktivität und Akzeptanz des Projektes gesteigert werden. Demnach sollten Veränderungsprojekte nicht eingeleitet werden, ohne eine klar formulierte Vision über den zu erreichenden Soll-Zustand zu verfassen, in der auch Sinn und Attraktivität für den Einzelnen formuliert sind. Für die Motivation der betroffenen Mitarbeiter ist es von großer Bedeutung, ausführlich und frühzeitig über die geplanten Veränderungen informiert zu werden. Auf diese Weise können Gerüchte und aus Desinformation resultierende Ängste vermieden und eine konstruktive Atmosphäre aufgebaut werden. Auch während der Dauer des gesamten Veränderungsprojektes ist es wichtig, den Mitarbeitern positive Ergebnisse zu kommunizieren; besonders, wenn diese nicht sofort ersichtlich sind. Die Motivation der Teilnehmer hängt stark von einem schnellen Umsetzungserfolg ab und ohne diese Kommunikation wird ein Motivationsverlust riskiert. Dieses Risiko gilt es zu vermeiden und die Chance auf Motivationssteigerung durch eine möglichst direkte und unmittelbare Kommunikation der positiven Ergebnisse zu nutzen, damit der Zusammenhang zwischen erbrachter Leistung und dem positivem Ergebnis für die Projektteilnehmer auch verdeutlicht wird. Ein wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass die Realität von den verschiedenen Teilnehmern durch ihre unterschiedlichen Denkstrukturen unterschiedlich wahrgenommen wird. Unabhängig davon, ob durch einen anderen kulturellen oder beruflichen Hintergrund, durch Erziehung, Bildung, Herkunft oder das Geschlecht, existieren in einer Gruppe so viele Meinungen und Realitäten wie Mitglieder. Widerstand gegenüber Veränderungen folgt häufig aus der Diskrepanz zwischen diesen „multiplen Realitäten“ und der meist vom Initiator vorgegebenen Realität
5.4 Bausteine der Umsetzung
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und der meist vom Initiator vorgegebenen Realität aus dessen eigenem Verständnis. Ein weiteres Problem, das sich bei der Kommunikation von Veränderung stellt, ist die Neigung von Organisationen, nur Informationen mit einem offiziellen, finalen Status weiterzugeben. Veränderungsprozesse jedoch haben diese Eigenschaft in der Regel nicht, wie das Wort Veränderung schon impliziert. Während ihrer Dauer werden sie meist noch abgewandelt und weiterentwickelt. Die Kommunikation von Lösungen, Absichten oder Konzepten, die noch abstrakt sind, stellen die Kommunikationsverantwortlichen vor eine schwierige Aufgabe. Diese ist jedoch unumgänglich, da eine Kommunikation unter den Projektteilnehmern nicht vermeidbar ist und es gilt, diese gezielt zu steuern, um Gerüchten, Unsicherheiten und Ängsten entgegenzuwirken. Eine andere Schwierigkeit ergibt sich mit der Kommunikation von negativen Nachrichten. Die Zielsetzung muss sein, auch schlechte Nachrichten so zu vermitteln, dass sich die betroffenen Mitarbeiter trotzdem oder gerade deswegen ganz besonders engagieren. Durch gezielte Verbreitung verschiedener Arten von Informationen können Mitarbeiter überzeugt, sowie Kunden und Lieferanten gehalten werden. Grundsätzlich bestehen im Kommunikationsmanagement zwei Optionen. Die eine besteht darin, zunächst abzuriegeln und die Mitarbeiter zu beschwichtigen, die andere dramatisiert das Problem und betont somit die Notwendigkeit der Veränderung. Um einen Verlust an Akzeptanz zu verhindern und um Widerstände gering zu halten, ist man gerade am Anfang versucht, mit einer Beschwichtigungstaktik über die Runden zu kommen, auch wenn dem Management bewusst ist, dass diese Behauptung so nicht zutrifft. Probleme werden nicht in aller Öffentlichkeit beim Namen genannt, weil durch mangelnde Erfahrung das Vertrauen darin fehlt, dass schlechte Nachrichten und drohende Gefahr Selbstheilungskräfte ungeahnten Ausmaßes freisetzen können. Dabei wird nicht nur die Belastbarkeit des Unternehmens unterschätzt, die Argumentation in Teilschritten verhindert die Aktivierung der Selbstheilungskräfte. Das Bewusstsein für „die Lage der Nation“ und die Betroffenheit sowie das Bewusstsein für Selbstverantwortung werden dadurch im Keim erstickt. Um diesen und weitere andere Fehler nicht zu begehen, ist eine wirksame und sinnvolle Gestaltung der Kommunikation notwendig; d.h. die Entwicklung von Konzepten zur Etablierung bzw. Intensivierung einer funktionierenden Kommunikation zu fördern – intern, auf und über allen Ebenen des Unternehmens und extern zum Kunden. An dieser Stelle sollen Bausteine einer geeigneten Kommunikationsstrategie vorgestellt werden, die eine positive Wirkung unterstützen.
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5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Kommunikationsstrategien: • Entwicklung einer klaren, deutlichen und überzeugenden Vision und Strategie. • Vermittlung dieser Vision und Strategie schon in einem sehr frühen Stadium des Projektes. • Vereinfachung der Vision und Strategie, auch wenn sie eigentlich einen komplexen Charakter hat. (Eine simple und verständliche Darstellung sollte während des gesamten Projektes beibehalten werden) • Vermittlung der Wahrheit, denn Ehrlichkeit ist die beste Strategie. • Integration aller Mitarbeiter in die interne Unternehmenskommunikation. • Einbeziehung der Führungskräfte in die Verbreitung von Informationen, denn besonders die Führung als Vorbild sollte eine Verantwortung für die Kommunikation der Vision zeigen. • Qualifizierung der Führungskräfte durch das Erlernen der richtigen Kommunikationskompetenzen. • Verpflichtung der Führungskräfte, die Mitarbeiter regelmäßig über die wichtigen übergreifenden Besprechungsergebnisse zu informieren und selbst regelmäßige Besprechungen und Arbeitstreffen mit den Mitarbeitern einzuhalten. • Verpflichtung der Mitarbeiter, schriftliche oder mündliche Rückmeldung an beauftragte Stellen abzugeben. • Erstellung von ebenenübergreifenden Dialogprozessen. • Veranstaltung eines Großereignisses für eine effektive, breitflächige Kommunikation mit Massenwirkung als Auftakt. Auf diese Weise lassen sich innerhalb kürzester Zeit viele Menschen erreichen. • Bilden von Teams mit Mitgliedern aus möglichst vielen Bereichen des Unternehmens. Unter der Berücksichtigung verschiedener Sichtweisen wird eine aktive Einbindung der Mitarbeiter in die Veränderung gesichert und dem Team ein unternehmensweites Know-how über die untersuchten Prozesse garantiert. Dies wirkt sich ebenso positiv auf die zukünftige, veränderte Zusammenarbeit aus. • Verfassen eines Kommunikationsplanes, um eine konsistente Versorgung der einzelnen Zielgruppen mit den richtigen, jeweils abgestimmten Informationen zu gewährleisten. Der Plan sollte folgende Aspekte beinhalten: Die Ausgangslage der einzelnen Zielgruppen; die jeweilige, auf die Gruppe abgestimmte Botschaft zu den bestimmten Zeitpunkten; die verwendbaren Medien und Informationsgremien für die jeweiligen Zielgruppen sowie einen Verantwortlichen für die Kommunikationsmaßnahmen.
5.4 Bausteine der Umsetzung
93
• Auswählen der geeigneten Kommunikationstechnologien. Die technischen Anforderungen eines Kommunikationsprojektes dürfen nicht unterschätzt werden. Für eine geeignete und möglichst wirksame Umsetzung der Kommunikation sind technische Möglichkeiten zu nutzen. Neue Kommunikationstechnologien bilden heute den Ausgangspunkt für vielfältige organisatorische Veränderungen. Dabei eröffnen sie häufig erst die Möglichkeit, innovative Organisationskonzepte wirkungsvoll umzusetzen, um damit Flexibilitäts- und Geschwindigkeitsvorteile gegenüber dem globalen Wettbewerb zu erreichen. Kommunikationstechnologien: • Einführung von elektronischem Zeitmanagement im gesamten Unternehmen, • selektive Anwendung von Application Sharing, • Aufbau eines Graphik-Pools, • selektiver Einsatz von Mobile Computing, • Einführung von Video-Konferenzen, • Einführung eines unternehmensweiten Newsletters. Ein prägnantes Beispiel eines Kommunikationskonzeptes findet sich bei der brasilianischen Firma Semco, die ihren neuen Mitarbeitern bei der Einstellung ein sog. „Überlebenshandbuch“ an die Hand gibt. Dieses ist eine kleine Broschüre, mit deren Hilfe die Mitarbeiter sich über die neue Unternehmenskultur und die wesentlichen Regeln im Unternehmen informieren können. 5.4.2 Projektmanagement Veränderungen in einem Unternehmen zu verwirklichen ist ein Prozess, der sensibles Vorgehen erfordert, denn häufig scheitern selbst gut vorbereitete und systematisch durchgeführte Veränderungsprojekte nur, weil einzelne, aber erfolgsentscheidende Faktoren nicht erfasst wurden. Zu den wichtigsten Faktoren zählen ein striktes Projektmanagement, klar definierte Ziele, die Umsetzung und dessen Geschwindigkeit. Das Projektmanagement bezieht sich auf die Schaffung aller Voraussetzungen für eine erfolgreiche Projektdurchführung. Es umfasst das Festlegen der geeigneten Aufgabenstellung und der Verantwortlichkeiten, d.h. die Projektorganisation. Auch die Ressourcen und Mitarbeiter sind entsprechend auszuwählen und freizustellen. Ggf. müssen externe Berater hinzugezogen und ihre Rolle klar definiert werden. Schließlich ist dafür
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5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Sorge zu tragen, dass alle notwendigen Kompetenzen im Projektteam vorhanden sind und dass die Auswahl für die Schlüsselpositionen sehr sorgfältig erfolgt. Zudem beinhaltet das Projektmanagement die Festlegung eines Zeitrahmens und die Bestimmung von Projektphasen. Das Projektmanagement ist in die Projektorganisation und das Ressourcen- & Zeitmanagement einzuteilen. Projektorganisation Die Projektorganisation ist eine Grundvoraussetzung für das Gelingen eines Veränderungsmanagements mit seinen komplexen Problemstellungen, unbekannten Lösungswegen und einer zeitlichen Begrenzung. Es ist besonders zu beachten, dass der Veränderungsprozess kontinuierlich und ganzheitlich verläuft und keine Brüche bzw. Unregelmäßigkeiten auftreten. Dabei ist funktionsübergreifende Zusammenarbeit in gemeinschaftsorientierten und hierarchieübergreifenden Projektteams von großer Bedeutung, denn eine Projektorganisation mit ineinander greifender Teamstruktur fördert parallele Projektarbeiten und trägt somit zur Projektzeitverkürzung bei. Das Feedback zwischen den Mitarbeitern und der Unternehmensleitung wird unterstützt und ein Projektmarketing zur Akzeptanzförderung ist einfacher zu realisieren. Durch die Teamstruktur wird auch die Kommunikation innerhalb der ineinander greifenden Teams stark gefördert, welche die Entstehung einer gemeinsamen Unternehmenssprache stark unterstützt und den Aufbau von Abteilungsdenken vermeidet. Es entstehen kreative Freiräume zur Erarbeitung neuer Lösungen. Die Art der Projektorganisation richtet sich nach der Breite und Tiefe der Veränderung und kann in Analogie zu bekannten Projektorganisationen aufgebaut werden. Die in MOTION entwickelte Projektorganisation sieht die Bildung einzelner Teams vor (Strategieteam, Prozess- und Analyseteam) sowie einen Steuerkreis, der wie das „program management committee“ nach Johansson et al. das Nahtstellenmanagement zwischen Strategieteam (top-down) sowie Prozess- und Analyseteams (bottom-up) vorsieht und so das Down-Up-Prinzip von MOTION verwirklicht. Die Geschäfts- und die Projektleitung bilden das Strategieteam. Alle an den Prozessen beteiligten Mitarbeiter formen die Prozess- und Analyseteams und ermöglichen durch diese Struktur die oben genannte parallele Projektarbeit und eine breite Ideenfindung. Der Steuerkreis sichert die Integration aller beteiligten Teams und die Integration der Feedback-Zyklen zwischen Strategieteam und Prozess- und Analyseteams (Abb. 5.12). Die Leiter eines Teams stellen keine Vorgesetzten dar, sondern haben die Funktion eines Coaches, welcher die Vertretung nach außen ist und für optimale Arbeitsbedingungen sorgt. Zusätzlich sollte er auch Projektmarketing, d.h. Öffentlichkeitsarbeit und internes Marketing betreiben, da dies
5.4 Bausteine der Umsetzung Ineinandergreifende Teamstruktur für Veränderungsprojekte Analyseteam
Promotorenmodell des Innovationsmanagements Hierarchie
System der überlappenden Gruppen
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Prozessteam
„linking pins“
Machtpromotor Strategieteam Prozesspromotor Steuerkreis Prozessteam
Prozessteam
Analyseteam
Likert
Analyseteam
MOTION
Fachpromotor
Distanz vom operativen Prozess
Witte
Abb. 5.12 Überlappende Gruppen und Promotorenmodell als Basis für die ineinander greifende Teamstruktur bei Veränderungsprojekten
den Erfolg des Projektes und seine Transparenz fördert und Motivation, Akzeptanz und Vertrauen schafft. An dieser Stelle muss auch darüber entschieden werden, ob externe Berater in das Projekt integriert werden und welche Rolle sie übernehmen sollen. Zu häufig jedoch wird den Beratern die Umstrukturierung selbst überlassen. Es ist ersichtlich, dass dies sehr schnell zu Blockaden führt. Die Rolle des Beraters sollte sich auf den beratenden Begleiter, der zur Selbsthilfe unterstützt und bei Diagnosen und Analysen zuarbeitet, beschränken. Eine weitere, schwierige Aufgabe ergibt sich, wenn es darum geht, die temporäre Projektorganisation in eine dauerhafte Prozessorganisation zu transformieren und dabei die Schlupflöcher von Veränderungsprojekten zu überwinden. Dieses Vorhaben setzt eine rechtzeitige Positionierung des Projektes nach innen und außen voraus. Es gilt, die Projektarena in die Alltagsarena zu überführen, um so das im Rahmen des Veränderungsprojektes geschaffene innovative und kreative Umfeld durch die Etablierung von Teamstrukturen in der Umsetzungsphase zu bewahren. Zur Aufrechterhaltung des einmal erzeugten Momentums empfiehlt es sich, das Ende eines Veränderungsprozesses ebenfalls mit geeigneten Instrumenten zu unterstützen. Zu nennen sind hier beispielsweise die Messung des Projekterfolgs und die Motivation der Mitarbeiter, ferner die Einbringung selbständiger Ideen. Gelingt es, einen permanenten Veränderungsprozess (z.B. auf Basis eines Vorschlagwesens oder Qualitätszirkeln) zu etablieren, kann eine Gewöhnung der Mitarbeiter an Wandlungsprozesse erzielt werden. Unterstützt durch die hohe Lernfähigkeit und das breite Fähigkeitsspektrum
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5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
der Beschäftigten ist dann bei technologischen und organisatorischen Veränderungen lediglich noch eine kurze Umstellungsphase anzunehmen. Neben der Projektorganisation bildet das Ressourcen- und Zeitmanagement den zweiten Teil des Projektmanagements. Ressourcen- und Zeitmanagement Für die Dauer des Projekts gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Projekt-Teilnehmer in das Projekt einzubinden. Es gilt zu entscheiden, ob die Teilnehmer nur einen Teil ihrer Arbeitszeit für das Projekt aufwenden, oder ob sie zum Beispiel für die gesamte Dauer von ihrer regulären Tätigkeit freigestellt werden. Für eine Vollzeitbeschäftigung spricht, dass die Teilnehmer nicht durch das operative Geschäft abgelenkt werden und sich somit komplett auf das Projekt konzentrieren können. Jedoch ist eine solche Umsetzung selten realistisch. Eine Teilzeit-Beteiligung der Mitarbeiter an einem Projekt ist einfacher realisierbar und der fortbestehende Bezug zu den operativen Prozessen ist auch von Vorteil. Von großer Bedeutung für das Gelingen eines Veränderungsprojektes ist seine zeitliche Begrenzung. Ein Projekt, dem entweder ein zu geringer Zeitraum zugeteilt wird oder das sich über eine zu lange Dauer hinzieht, kann die Motivation der Projektbeteiligten empfindlich stören. Im Folgenden werden drei beispielhafte Szenarien aufgeführt, die Unterschiede in einer sinnvollen zeitlichen Umsetzung aufzeigen. Müller unterscheidet eine kurze, mittellange und lange Projektdauer. • Kurz: Eine kurze Projektdauer erstreckt sich im Sinne eines BPR (Business Process Reengineering) über einen bis drei Monate. Für einen so kurz bemessenen Zeitraum ist eine 100%ige Freistellung der Projektteilnehmer erforderlich. • Mittellang: Ein mittellanges Veränderungsprojekt nimmt in etwa einen Zeitraum von einem Jahr bis eineinhalb Jahren ein. Für diesen Zeitraum ist eine Freistellung von bis zu 50% empfehlenswert. Eine solche Umsetzung bringt aber auch eine Doppelbelastung der Teilnehmer mit sich und im ungünstigen Fall wirkt sich dies negativ auf ihre Motivation und Kondition aus. • Lang: Ein langes Projekt dauert bis zu drei Jahre, in dem die Teilnehmer einen kleinen Teil ihrer normalen Arbeitszeit auf das Projekt verwenden (z B. zwei Tage im Monat). Eine solche Umsetzung erfolgt im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses und hat den Vorteil, dass die Teilnehmer durchgehend Kontakt zu den laufenden Prozessen haben und nicht isoliert von ihrer Arbeitsumwelt arbeiten.
5.4 Bausteine der Umsetzung
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Um ein Veränderungsprojekt innerhalb seiner Terminvorgaben erfolgreich umzusetzen, ist es empfehlenswert, sich Zwischenziele zu setzen und auch ihre zeitliche Umsetzung zu kontrollieren. 5.4.3 Qualifizierung Neben den Werkzeugen, die direkt Einfluss auf die Prozesse nehmen, müssen auch solche für die Einbeziehung der Mitarbeiter Berücksichtigung finden. Dies bezieht sich zum einen auf eine geeignete Kommunikationsstrategie und zum anderen auf die Befähigung (Qualifikation) der Mitarbeiter, den geplanten Wandel mitzugehen. Als weitere elementare Voraussetzung für den Wandel gilt es, die Qualifikation der Mitarbeiter sicherzustellen. Auch wenn die Kommunikation mit der Meinung aufgeräumt hat, dass der alte Zustand der Organisation so in Ordnung war, muss zusätzlich das Wissen und Können der Mitarbeiter dahingehend beeinflusst werden, dass sie lernen, wie etwas besser zu machen ist. Die strategische, unternehmerische Leistungsfähigkeit, die Lernfähigkeit der Organisation und die Weiterentwicklung der Prozesse hängen in entscheidendem Maße von den Fähigkeiten der Mitarbeiter ab. Das Nicht-Beherrschen der Fähigkeiten, die die geplanten Veränderungen erfordern, kann zu einer Blockade der Mitarbeiter aufgrund von Überforderung führen. Demnach verlangen Veränderungsprozesse nach einer umfangreichen Schulung der beteiligten Mitarbeiter, die bereits beim Projektstart beginnen muss und als ein permanenter Prozess zu implementieren ist. Denn zum einen lassen sich Veränderungsprozesse nur durch ständiges Lernen und Weiterentwickeln der Mitarbeiter bewältigen. Zum anderen können Veränderungsprozesse im Unternehmen andere und höhere Qualifikationsanforderungen an die Mitarbeiter stellen. Um die Unsicherheit über die angestrebten Ziele und Wege des Veränderungsprojektes zu reduzieren, sind sowohl die Projektteilnehmer als auch die von den Veränderungen betroffenen Mitarbeiter konzeptionell zu schulen, besonders, wenn sie sich in einem neuen oder erweiterten Aufgabenbereich befinden. Die Fortbildung der Mitarbeiter soll auch dazu beitragen, dass sie sich mit den Veränderungen der Organisation identifizieren können und die Veränderung als eine sich ihnen bietende Chance zur Verbesserung verstehen. Auch für Führungskräfte ist es sinnvoll, ein spezifisches Coaching und Training durchzuführen, um den im Veränderungsprozess besonders hohen Anforderungen an Führungsfähigkeiten, hoher fachlicher Kompetenz und Glaubwürdigkeit bei der Umgestaltung zu genügen.
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5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Schulungen bieten den Rahmen zur Vermittlung der Inhalte bzw. Anforderungen an die betroffenen Mitarbeiter. Hier wird den jeweils betroffenen Personen oder Personengruppen das spezifisch benötigte Wissen vermittelt, damit dieses später selbstständig angewendet werden kann. Somit wird durch die Schulungen die Verbindung zwischen der IstSituation und der angestrebten Soll-Situation hergestellt. Ein solches Programm umfasst folgende Bestandteile: • Auf die jeweiligen Mitarbeitergruppen abgestimmte Schulungsmodule, in denen die jeweiligen Lerninhalte und Lernziele festgelegt sind; • Schulungsorganisationen, in denen die Abwicklung der Schulung festgelegt wird; • Lernmethoden zur Vermittlung der Lerninhalte unter der Berücksichtigung der Ausgangslage und der Lernziele; • Lernerfolgskontrolle, welche festlegt, auf welche Art und Weise der Erfolg überprüft werden kann; • Lernmedien, mit denen das zu erwerbende Wissen vermittelt werden soll. Das Spektrum reicht von Lernskripten bis hin zu elektronischen Medien, wie bspw. Computer Based Training (CBT). Computerunterstützte Lehr-/Lern-Arrangements sind in verschiedener Hinsicht für den durch Veränderungsprozesse geschaffenen Schulungsund Kommunikationsbedarf sinnvoll einsetzbar. CBT-Tools können helfen, die Unsicherheit der Mitarbeiter über das Veränderungsprojekt abzubauen. Zusätzlich soll durch sie das Methoden- und Modellwissen bei den Mitarbeitern auf einer breiten Basis verankert werden. Dadurch kann ein einheitliches mentales Bild über die Ziele und Wege der Veränderung im Unternehmen aufgebaut werden. Als Schulungsinstrumente unterstützen sie somit den Wissensaufbau und daraus folgend die Wissensanwendung. Zwar ersetzt ein CTB-Tool keineswegs die persönliche Kommunikation oder Teamarbeit, doch es kann sich jeder Betroffene mit wichtigen Informationen in Ruhe befassen.
5.5 Veränderungscontrolling Eine erfolgreiche Umsetzung der Veränderung beinhaltet immer auch ein Veränderungscontrolling, um über den momentanen Standpunkt und Fortschritt der Veränderungen informiert zu sein und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen einzuleiten, die einer Fehlentwicklung entgegenwirken sollen. Somit wird der Forderung nach Transparenz gerecht, da den Mitarbeitern und sonstigen Ansprechgruppen deutlich gemacht wird, in
5.5 Veränderungscontrolling
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welche Richtung die Veränderung geht und ob messbare Erfolge zu verzeichnen sind Das Controlling ist dementsprechend ein wichtiger Wegweiser, auf dessen Notwendigkeit im Folgenden eingegangen werden soll. 5.5.1 Notwendigkeit des Controllings der Veränderungsumsetzung Veränderungsprozesse haben eine „Make or break“-Eigenschaft für Organisationen: Sie bieten einerseits hohe Chancen zur Wiedergewinnung, Beibehaltung oder sogar Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, andererseits bringen sie das große Risiko des Scheiterns der Projekte mit sich. Viele Organisationen haben noch keine ausreichende Erfahrung mit der Umsetzung von Veränderungsprojekten und können oftmals den Anforderungen nicht gerecht werden. Diese Umstände verlangen nach einem Controlling der Veränderungsumsetzung, da so rechtzeitig Veränderungsbarrieren erkannt werden können und ihr Abbau eingeleitet werden kann. Andererseits können auch Veränderungstreiber entdeckt und gefördert werden. Das Controlling soll somit auch gewährleisten, dass keine Potentiale übersehen werden. Letztendlich beantwortet das Controlling der Veränderungsumsetzung die Frage, ob die gesetzten Ziele, die durch das Veränderungsprojekt verwirklicht werden sollten, auch erreicht wurden. Dadurch wird einerseits eine Erfolgskontrolle geliefert, andererseits wird das Lernen gefördert, da sich zeigt, ob der Weg, der mit der Veränderung gegangen wurde, der richtige war oder noch angepasst werden muss. Dies macht deutlich, dass das Controlling den gesamten Veränderungsprozess von Anfang an begleiten sollte, denn erfolgt es erst am Ende des Prozesses, werden sich auch die Auswirkungen von schlechten Entscheidungen bereits manifestiert haben. Zeigt das Controlling, dass sich der gewünschte Erfolg nicht eingestellt hat, so gilt es zu entscheiden, ob schon die Planung und Formulierung des Veränderungsprojektes für einen Misserfolg verantwortlich ist, oder ob sich das Versagen trotz einer guten Formulierung wegen einer schlechten Umsetzung des Veränderungsprojektes eingestellt hat. Um möglichst alle unterschiedlichen Quellen der Veränderungsbarrieren zu ermitteln, sollte das Controlling schon bei der Planung von Veränderungsprojekten eingesetzt werden. Müller-Stewens und Lechner unterteilen das Controlling in die hier aufgelisteten Bereiche, auf die im Folgenden eingegangen werden soll: • die Prämissenkontrolle (Stimmen die Annahmen?), • die Durchführungskontrolle (Stimmt die Umsetzung?),
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5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
• die Wirksamkeitskontrolle (Stimmen die Ergebnisse und damit die Inhalte?). Die Prämissenkontrolle schränkt schon die Risiken, die durch eine fehlerhafte Planung des Veränderungsprojektes entstehen könnten, ein. Die im Planungsprozess getroffenen Annahmen und festgelegten Vorgehensweisen werden überprüft, und Fehlentscheidungen und Risikofaktoren werden, wenn möglich, eliminiert. Die Durchführungskontrolle dient der Einschätzung, wie erfolgreich sich die Umsetzung gestaltet bzw. inwieweit sich die Maßnahen des Veränderungsprojektes umsetzen lassen. Hier wird zum Beispiel betrachtet, ob die geplanten Aktivitäten bis zu dem vorhergesehenen Zeitpunkt umgesetzt wurden, ob die Umsetzungszeitpunkte sinnvoll gewählt wurden, ob die Umsetzungsinitiativen ausreichend transparent gemacht wurden, ob es unerwartete Widerstände gab und wie deren Auswirkungen waren oder ob das Umsetzungsverfahren akzeptiert wurde. Die Wirksamkeitskontrolle überprüft das „Was“ der Umsetzungsstrategie. Sie ergänzt die Prämissenkontrolle dahingehend, dass sie überprüft, ob durch die Annahmen des Veränderungsprojektes, das durch die Prämissenkontrolle für richtig befunden wurde, die für die Umsetzung strategisch richtigen Schlüsse gezogen wurden. Hier wird bspw. die Strategie auf Zielausrichtung überprüft und kontrolliert, ob überhaupt noch die richtigen Ziele verfolgt werden und man seiner Vision näher gekommen ist. Die Wirksamkeitskontrolle kann dabei einerseits als Performance-Kontrolle erfolgen (Messung von Soll-Ist-Abweichungen) oder aber auch als Normenkontrolle (Überprüfung der Übereinstimmung der Veränderungsauswirkungen mit den Werten und Normen der Organisation) gesehen werden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Controlling von Veränderungsprojekten eine zielgerichtete Steuerung von Veränderungsprozessen im Unternehmen ermöglichen muss. Zu beachten ist noch, dass durch die Veränderung der Unternehmensstrukturen während eines Projektes die Gültigkeit der schon bestehenden Controllingmechanismen in Frage zu stellen ist und letztere dementsprechend anzupassen sind. Neue Strukturen dürfen nicht mit alter Messlatte bewertet und interdependente Umsetzungsprojekte nicht isoliert von ihrer Wirkung untereinander und in Bezug auf die Erfolgsrechnung überwacht werden. Für eine erfolgreiche Umsetzung eines Controllings, welches diese Forderungen erfüllt, werden im folgenden Kapitel einige Controlling-Instrumente vorgestellt.
5.5 Veränderungscontrolling
101
5.5.2 Ausgewählte Controlling-Instrumente Befragung der Mitarbeiter Die wohl am häufigsten verwendete und einfachste Methodik ist das Befragen der Mitarbeiter über den Fortschritt der Veränderung, die Arbeitsweise der Veränderungsorgane und der Berater. Mittels statistischer Berechnungen und der Kenntnis der befragten Gruppen können dann Aussagen über die Korrelation der Grade der Zufriedenheit in unterschiedlichen Fragen und Gruppen gemacht werden. Die Fragen können das gesamte Spektrum der Veränderung betreffen, und sind in folgenden Gebieten denkbar: Klare Problemstellung, Notwendigkeit der Veränderung, Einstellung gegenüber den Change-Programmen, Erwartungen, Fachkompetenz der Projektführung, Anpassungsfähigkeit von Führungskräften oder Mitarbeitern sowie Zeit und Mühe, die in die Veränderungsaufgaben eingehen. Balanced Scorecard Die Balanced Scorecard, entwickelt von Kaplan und Norton, stellt ein ganzheitliches Konzept zur strategischen Analyse und Bewertung dar. Es wird ein Kennzahlensystem um die strategischen Ziele einer Organisation gebildet, das vier verschiedene Blickwinkel berücksichtigt: • • • •
die Finanzperspektive, die Kundenperspektive, die Perspektive der internen Geschäftsprozesse und die Lern- und Entwicklungsperspektive.
Die Balanced Scorecard wird aus den Visionen und der Strategie einer Organisation entwickelt und spiegelt diese wider. Der englische Begriff „Balanced“ bedeutet ausgewogen und bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass eine Balanced Scorecard eine einseitige Bewertung vermeidet und insbesondere nicht nur finanzielle Aspekte betrachtet. In der Anwendung einer Balanced Scorecard findet eine Soll-Ist-Bewertung sowohl nach harten, quantifizierbaren, sowie nach weichen, nicht quantifizierbaren Faktoren statt. Eine gute Balanced Scorecard erfasst die Zusammenhänge zwischen Unternehmensvision und Strategie einerseits und Finanzkennzahlen für den operativen Erfolg andererseits. Abbildung 5.13 zeigt die Zielgrößen, die bei Bedarf auch modifiziert werden können. Entscheidend ist die Zuordnung geeigneter Kennzahlen zu den jeweiligen Zielen. Die Ziele werden durch die Kennzahlen quantifizierbar und können nur durch geeignete, definierte Messgrößen realistische Ergebnisse liefern. Die Strategieformulierung findet „im kleinen Kreis“ statt, und die Ergebnisse werden top-down umgesetzt. Die strategische Ebene ist dicht an
102
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung Finanzen Was muss erreicht werden, um für unsere Stakeholder erfolgreich zu sein?
Kunde Um unsere Strategie durchzusetzen, was müssen wir für unsere Kunden leisten?
Interne Prozesse
Vision & Strategie
Wie müssen unsere Ablaufprozesse gestaltet sein, um unsere Kunden zufrieden zu stellen?
Lernen und Entwicklung Wie können wir unsere Fähigkeiten zu Wandel, Innovation und Verbesserung laufend steigern?
Abb. 5.13 Die vier Perspektiven der Balanced Scorecard
die operative Ebene geknüpft. Mit einer Balanced Scorecard werden die Visionen und Strategien lediglich realisiert, nicht aber ermittelt. EFQM-Modell Das EFQM-Modell ist ein umsetzungsbezogenes Strategieinstrument zur Unternehmensbewertung und Unternehmenssteuerung. Mit diesem Konzept werden einzelne Erfolgsfaktoren verknüpft und mit monetären und nicht monetären Erfolgsindikatoren im Kontext eines Gesamtmodells bewertet. Dabei gibt es eine Zweiteilung zu je 50% in Befähiger und Ergebnisse. Die Befähiger-Kriterien beschreiben, wie die Leistung eines Unternehmens erzielt wird, während die Ergebniskriterien sich damit befassen, was das Unternehmen erreicht hat. Die Befähiger- sowie die ErgebnisKriterien haben verschiedene Unterkriterien (Abb. 5.14), die entsprechend ihrer Bedeutung prozentual gewichtet werden. Das EFQM-Modell stellt einen ganzheitlichen Ansatz dar, der auf den Einzelfall angepasst und konkretisiert werden muss. Die Bewertung weicher Faktoren wird berücksichtigt. Performance-Messung des St. Gallener Management Navigators Die Performance-Messung als ein Element des St. Gallener Management Navigators ist eine Methode, die durchgängig alle Elemente des Navigators bewertet. Sie stellt eine Beobachtung und Messung strategischer Initiativen und ihrer Auswirkungen dar und ist ein Element zur Sicherung der
5.5 Veränderungscontrolling Ergebnisse 50%
Befähiger 50%
Mitarbeiter Ergebnisse 9%
Mitarbeiter 9%
Führung 10%
Politik & Strategie 8%
103
Prozesse 14%
Kunden Ergebnisse 20%
Schlüsselleistungen Ergebnisse 15%
Gesellschaft Ergebnisse 6%
Partnerschaften & Ressourcen 9%
Innovation und Lernen
Abb. 5.14 Das EFQM Excellence Model
Effektivität und Effizienz im Veränderungsprozess. Die Methode besteht aus drei Schritten: der Bewertung von Konzepten des Management, der Bewertung der Umsetzung bezogen auf die Erfüllung der Erwartungen der Anspruchsgruppen, sowie der Analyse der Auswirkungen auf das Betriebsergebnis. Die Umsetzungsscorecard definiert methodisch ähnlich der Scorecard von Kaplan/Norton „Performance-Treiber“ wie z.B. „Mitarbeiterpotential“ und daraus abgeleitete „Messgrößen“ wie z.B. „Mitarbeiterproduktivität“. Im letzten Schritt der Bewertung werden die finanziellen Ergebnisse fokussiert. Die Performance-Messung ist in ihrer Ganzheitlichkeit eine Bewertungsmethode, die ebenfalls auf den Einzelfall konkretisiert werden muss. Der „Trotter“ von General Electric Bei General Electric findet eine Scorecard Verwendung, die auf die Spitzenkennzahl „Six Sigma“ ausgerichtet ist. Durch diese Scorecard, die ihrem Erfinder nach als „Trotter“ benannt ist, wird eine direkte Verbindung zu den konzernweit stattfindenden Wandelprogrammen zur Qualitätsverbesserung geschaffen. Die Gesamtleistung ergibt sich aus den Aktivitäten der Bereiche Führung, Prozessmanagement, Mitarbeiter, Kunden und Ergebnisse. Zu allen Bereichen wird eine Kennzahl ermittelt und zu einem Gesamtwert verdichtet.
104
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Der Skandia-Navigator Der Skandia-Navigator ist eine Sammlung ganzheitlicher Messmethoden mit einer simplen aber anspruchsvollen Struktur. Er fokussiert fünf verschiedene Bereiche, die Wertschöpfungsprozesse veranschaulichen und ermöglicht somit einen ganzheitlichen Blick auf die Organisation und ihre Wertschöpfung. Mit ihm wird die Kontrolle angestrebt, dass sich das Unternehmen durch seine Arbeit seinen Visionen und strategischen Zielen annähert. Dafür werden die Ziele und Visionen konkretisiert und messbar gemacht. Zudem wird durch den Navigator die Kommunikation, Implementierung und Verankerung von Zielen und Visionen unterstützt und realisiert. Abbildung 5.15 zeigt den Skandia-Navigator. Die Messgrößen unterscheiden sich in den einzelnen Unternehmensbereichen und müssen von Zeit zu Zeit immer wieder angepasst werden.
Vergangenheit
Kundenfokus
Mitarbeiterfokus
Prozessfokus
Intellektuelles Kapital
Gegenwart
Finanzieller Fokus
Erneuerungs- und Entwicklungsfokus
Zukunft
Operationale Umgebung
Abb. 5.15 Der Skandia-Navigator
Benchmarking Ein Benchmarking hat zum Ziel, Leistungslücken in Organisationen aufzudecken. Durch Unternehmensvergleiche mit den Branchenbesten sollen Organisationen von den Leistungsmerkmalen der Elite lernen. Benchmarking setzt voraus, dass die Unternehmen bereit sind, ihre Messdaten in einer Art öffentlichen Arena preiszugeben. Dies geschieht in der Regel über ein Drittunternehmen, das die Daten ordnet und schließlich in einer Form präsentiert, die keine Rückschlüsse auf die Identität der einzelnen Datenlieferanten zulässt. Die Unternehmen können ihre eigenen
5.6 Zusammenfassung
105
Daten wieder erkennen und auf diese Weise feststellen, wo sie im allgemeinen Vergleich positioniert sind. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse sollen dann die Leistungslücken geschlossen werden, um durch konsequente Verbesserung die Spitzenposition zu erreichen.
5.6 Zusammenfassung Die Umsetzung von Veränderungsprojekten stellt einen komplexen und dynamischen Prozess dar. Die Einzigartigkeit eines jeden Projekts manifestiert sich in den unterschiedlichen Ausprägungen der beschriebenen Determinanten der Veränderung. Abhängig vom Umfang der Veränderung und der Bereitschaft der betroffenen Personen, neue Ideen mitzutragen, gestaltet sich die Umsetzung völlig unterschiedlich. Einen hohen Einfluss auf den Umsetzungserfolg hat auch die menschliche Komponente. Sowohl die individuelle Reaktion des Einzelnen, als auch gruppendynamische Prozesse sind bei der Umsetzung zu berücksichtigen und führen zu den verschiedenen Arten des Widerstands. Die Gründe für Barrieren sind für den Veränderungsmanager nur schwer erkennbar: Häufig lassen sich die Ursachen nicht rational erklären, einmal gemachte Erfahrungen kann man nicht auf neue Situationen übertragen. Dies erschwert ein rechtzeitiges Gegensteuern. Der starke Einfluss der menschlichen Komponente in der Umsetzungsphase führt zu der Notwendigkeit, Veränderungsprojekte immer individuell neu zu konzipieren. Die Anwendung von „Allheilmitteln“, wie sie von verschiedenen Personen oder Institutionen angeboten werden, macht daher keinen Sinn. Voraussetzung für den Erfolg in der Umsetzung ist die professionelle, ganzheitliche Planung des Veränderungsprojektes. Ein Bruch zwischen Konzeption und Umsetzung ist zwingend zu vermeiden, schon von Beginn an ist die Dramaturgie des Wandels festzulegen und mit geeigneten Hilfsmitteln zu unterstützen. Hierzu gehören Kommunikationsmittel und -techniken, ein dediziertes Projektmanagement mit qualifizierten Projektmitgliedern, das sorgfältige Timing und Zeitmanagement sowie ein transparentes Veränderungscontrolling. Entscheidend ist die konsequente Nutzung von Hilfsmitteln mit einer individuellen Anpassung an die gegebene Unternehmens- und Projektsituation.
106
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung
Fallbeispiel Die Veränderungen bei der Steckermann GmbH waren vielfältig. Um zum Erfolg zu kommen, war eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen umzusetzen. Während einige Punkte reine punktuelle Entscheidungen waren (Wird die Arbeitszeit erhöht? Wird eine Maschine angeschafft?), haben die meisten Maßnahmen klaren Projektcharakter. Hierfür wurden Verantwortliche benannt, die mit einem klaren Ziel versehen für die Umsetzung verantwortlich waren. Die Firma Steckermann hatte sich das Ziel gesetzt, die notwendigen Veränderungen innerhalb eines Jahres umzusetzen. Dieses Ziel wurde in einem Zeitplan hinterlegt und kommuniziert (Abb. 5.16). Um den Prozess nicht zu überlasten, mussten einige Maßnahmen sequentiell bearbeitet werden. 2003 Monat 10
2004 11
12
01
02
03
04
05
„Reorganisation der Auftragsabwicklung“ „Führung, Cost Center“
„Standardisierung“ „Einkauf“ „Externer Betriebsmittelbau“ Abb. 5.16 Zeitplan der Umsetzung
Jedes der 25 Arbeitspakete wurde in sich geplant und mit einer genauen Vorstellung des Ergebnisses versehen. Die Arbeitspakete waren Teile von sog. Maßnahmenpaketen, die ein größeres Ziel beschrieben. Einige Maßnahmen waren jedoch nur schwer quantitativ zu bewerten, sodass ein Unsicherheitsfaktor blieb.
Fallbeispiel
107
Die Herausforderung beim Controlling der Umsetzung bestand darin, sowohl den Arbeitsfortschritt, d.h. den Status in den Arbeitspaketen, zu verfolgen, als auch das übergeordnete Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: eine Kosteneinsparung von 40%. Dazu musste der Beitrag der einzelnen Bausteine zum Gesamtziel ermittelt und summiert werden. Arbeitsfortschritt Projektfortschritt relativ zu Projektplan Maßnahmen eingeführt Konzeptphase abgeschlossen Konzeptphase begonnen Noch offen
Kosteneinsparung (%)
Phase Phase Phase I II III
Rationalisierungsfortschritt Fortschritt bei Realisierung der angestrebten Kosteneinsparung bzw. bei der Schaffung der dazu erforderlichen Voraussetzungen
Kostensenkungs-Hebel
Unschärfe bei der Messung des Projektfortschritts
Anzahl Arbeitspakete
Abb. 5.17 Dimensionen des Controllings
In regelmäßigen Treffen eines Projektkreises, auch unter Einbezug des WZL, wurden die Statusmeldungen aus den einzelnen Arbeitspaketen besprochen und notwendige Änderungen oder zusätzliche Maßnahmen beschlossen. Als Tool zur Verfolgung des Projekterfolges nutzte Steckermann eine Kombination aus mehreren Tabellen, in denen die Hebel für Kostensenkungen mit den einzelnen Maßnahmen verknüpft wurden. Über den „Erfüllungsgrad“ einer Maßnahme konnte der Beitrag zum Gesamterfolg ermittelt und verfolgt werden (Abb. 5.18).
108
5 Aspekte bei der Umsetzung der Veränderung Maßnahmenpakete 1. Aufbauorganisation Center 2. Auftragsabwicklung Center 3. IT-Systeme 4. Cost-Center 5. Zusammenarbeit 6. Auslastung 7. Flexibilisierung
25 Arbeitspakete Maßnahmen eingeführt
40 % Einsparpotenzial Einsparpotenzial realisiert
Rationalisierungshebel
Konzeptphase abgeschlossen
Konzeptphase begonnen Noch offen
Anpassung Lohnniveau Insourcing Musterbau IT-Einsatz (CAD-CAM, PRO/E) Reduzierung Umbauaufwand Ausbildungskosten Korrektur Abschreibungsverfahren Inventarabbau Insourcing
Arbeitsfortschritt
Einsparpotenzial noch nicht realisiert Einsparpotenzial nicht realisierbar
Rationalisierungsfortschritt
Abb. 5.18 Verfolgung des Erfolgsbeitrags
Als Erfolgsfaktoren für die Umsetzung des Projektes hat Steckermann einige Punkte erfahren (Abb. 5.19). Das Commitment des Top-Management ist von wesentlicher Bedeutung. Nicht nur das Priorisieren der anstehenden Entscheidungen (und das wirkliche Entscheiden!), sondern auch die offene Kommunikation der Projektziele und der Notwendigkeit der Veränderung stellten sicher, dass alle Mitarbeiter den Veränderungsprozess nicht als notwendiges Übel, sondern als Chance zur Verbesserung erfuhren. Die Einbindung von Mitarbeitern in die Umsetzung sicherte die
Top-Management
Deutliches Commitment der Geschäftsleitung bei Informationsveranstaltung für Mitarbeiter des Centers
Führungskräfte BMC
Aktives Engagement bei Konzeption und Umsetzung der Maßnahmen
Aktive Einbindung der eigenen Mitarbeiter in Veränderungsprozess
Mitarbeiter
Aktive Mitarbeit der involvierten Mitarbeiter, auch außerhalb des Centers (Controlling, Entwicklung, IT, MW, Stanzerei), bei Maßnahmenkonzeption
Aktiver Anstoß von KVP-Projekten
Hohes Engagement bei der Maßnahmenumsetzung
Was bleibt notwendig für ein erfolgreiches Projekt
Zügige Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen
Weiterhin intensive Motivation der Mitarbeiter zur Veränderung durch Führungsmannschaft des Centers
Abb. 5.19 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung
Fallbeispiel
109
Zustimmung derselben. Dies geschah bereits früh im Projekt, als Kostensenkungspotentiale ermittelt wurde. Hier wurden auch Anregungen von Mitarbeitern in den Prozessen berücksichtigt. Letztlich kann man sagen, dass Geschwindigkeit ein Schlüsselfaktor bei der Umsetzung ist: eine Entscheidung für eine Maßnahme, die zwar getroffen wurde, deren Umsetzung aber erst mal dem Tagesgeschäft weichen muss, verlangsamt den Prozess ungemein. Eine Veränderung muss eine gewisse Fahrt aufnehmen, um zum Selbstläufer zu werden. Das Projekt wurde bei Steckermann als Erfolg gewertet. Zwar konnten die angestrebten Einsparungen von 40% nicht ganz realisiert werden, das Ergebnis war am Ende eine Kostensenkung von 37% bezogen auf ein Betriebsmittel. Jedoch hatte die konsequente Umsetzung des Veränderungsprogramms weit reichende Konsequenzen für den Betriebsmittelbau, die sich oft nicht in Form einer reinen Kostensenkung bemerkbar machten. Durch die Neugestaltung der Abläufe konnte z.B. die Durchlaufzeit um mehrere Tage reduziert werden. Neben einer Senkung des gebundenen Kapitals bedeutet das auch eine attraktive Leistung für die Kunden von Steckermann und somit einen Wettbewerbsvorteil. Auch die Neugestaltung der externen Vergabe sorgt für eine bessere Planbarkeit im eigenen Haus und stellt sichere Planungsgrundlagen zur Verfügung.
6 Ausblick
Erfolgreiches Veränderungsmanagement hat in der Vergangenheit massiven Einfluss auf unternehmerischen Erfolg und Misserfolg gehabt. Die aktuellen weltwirtschaftlichen Tendenzen werden diesen Einfluss in Zukunft noch verstärken. Einige beispielhafte Trends sollen dies verdeutlichen. Erhöhung von Preisdruck in allen Branchen
Die produktseitigen Differenzierungsmöglichkeiten haben sich als Folge dieser Entwicklungen verringert – auf vielen ursprünglich von Deutschland dominierten Märkten haben Wettbewerber aus Ländern mit günstigerer Kostenstruktur massiv aufgeholt. Als Effekt lassen sich in vielen Branchen teilweise ruinöse Preiswettbewerbe um Kunden und Marktanteile beobachten, in denen die technologische Differenzierung gegenüber dem Kunden oft nicht mehr ausreichend durchgesetzt werden kann. Ziel für erfolgreiche Unternehmen muss jedoch sein, diese Tendenzen durch nachhaltige strategische Ausrichtung – mit entsprechenden erfolgreichen Veränderungsmaßnahmen – zu umgehen. Steigender Wettbewerbsdruck auf deutsche Unternehmen aus Wachstumsregionen Asien und Osteuropa
Die Regeln der Globalisierung haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Wichtige Absatzmärkte insbesondere in der Investitionsgüterindustrie liegen nicht mehr in Westeuropa, sondern zunehmend in den Wachstumsregionen Ostasien, Osteuropa oder Südamerika. Hohe Faktorkosten belasten die Attraktivität des Standorts Deutschland und internationale Standorte erreichen bei Fertigungsqualität und Produktivität zunehmend westeuropäisches Niveau. Deutsche Industrieunternehmen sind folglich gefordert, ihre internationale Wertschöpfungsverteilung, den „Global Footprint“, zu überdenken und ggf. neu zu definieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine am WZL und in Kooperation mit Roland Berger Strategy Consultans durchgeführte Studie ergab, dass 90% der befragten Industrieunternehmen in den kommenden fünf Jahren ihre Unternehmensstellen von
112
6 Ausblick
Deutschland ins Ausland verlegen werden. War eine Auslandsverlagerung in den vergangenen Jahren für ein Drittel der befragten Unternehmen noch nicht geplant, so werden Unternehmen heute durch den zunehmenden Wettbewerb gezwungen, dieses Thema verstärkt anzugehen (Abb. 6.1). Der klassische Maschinenbau hat in der Vergangenheit zumeist die Vorzüge seiner deutschen Entwicklungs- und Fertigungsstandorte genutzt und in erster Linie westeuropäische Kunden bedient. Folglich ist in dieser Branche der größte Strukturwandel nötig, um auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Für die Automobilzuliefererindustrie hingegen ist die Globalisierung bereits Teil des Tagesgeschäfts. Durch die regional aufgestellte Fertigung der großen OEMs wurde diese Branche bereits früh gezwungen, in der Nähe der OEM-Werke lokale Fertigungs- und Montagestandorte einzurichten. Auch die Elektroindustrie und der Anlagenbau bedienen weltweit Kunden, die mit entsprechend günstigeren Faktoren bedient werden wollen. Die für deutsche Maschinen und Anlagen bedeutsamen Absatzmärkte liegen nicht mehr in Westeuropa, sondern vermehrt in den Wachstumsregionen Ostasien, Osteuropa oder Südamerika. Die Nachfrage nach Produk-
10%
Nein
31%
Ja
69%
In den letzten 10 Jahren
90%
In den nächsten 5 Jahren
Abb. 6.1 Verlagerung von Unternehmensteilen von Deutschland ins Ausland (% der Befragten)
6 Ausblick
113
ten „made in Germany“ steigt kontinuierlich, sodass der Export von Industriegütern in die osteuropäischen EU-Beitrittsländer die Grenze von zwei Milliarden Euro überschreiten wird. Vergleichbare Umsätze werden von deutschen Industrieunternehmen mit den Staaten Süd- und Ostasien erwartet (Abb. 6.2). Index 106
Auslandsaufträge
104 102 100 98 Inlandsaufträge
96 94 2000
2001
2002
2003
2004
Abb. 6.2 Auftragseingang deutscher Unternehmen der Investitionsgüterindustrie (Index 2000 = 100), Quelle: VDMA
Immer noch zwei Drittel der Industriemitarbeiter sind trotz globaler Präsenz in Deutschland beschäftigt. Von den befragten Unternehmen erwirtschaften lediglich 39% ihren Umsatz in Deutschland. Vor allem die niedrigen Lohn- und Lohnnebenkosten gaben bei Verlagerungen den Ausschlag für einen ausländischen Standort. Zwar spielen die Faktorkosten weiterhin eine wichtige Rolle, doch kommt heute ein Vorteil hinzu, der bislang ausschließlich dem Standort Deutschland gutgeschrieben wurde: die hohe Fertigungsqualität. Zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben an, dass sie an ihren eigenen ausländischen Standorten inzwischen mit gleicher oder besserer Qualität produzieren als in Deutschland. In der Vergangenheit haben deutsche Unternehmen massiv in die technische Ausstattung und Ausbildung ihrer ausländischen Mitarbeiter investiert und können jetzt die Früchte dieser Investitionen ernten. Das Qualitätssiegel „Made in Germany“ verliert an Brillanz (Abb. 6.3). Gleiches gilt für das Thema Materialkosten für Vorprodukte sowie die Lieferzeiten. Zuverlässige Lieferanten für Vorprodukte sind inzwischen auch in Osteuropa oder Ostasien fest etabliert und können lokale Fertigungsstätten zu attraktiven Konditionen beliefern. Zudem sorgt eine immer
114
6 Ausblick Schlechter als Standort D
Löhne und Gehälter
0%
Materialkosten
100%
6%
Lieferzeiten
94%
19%
Zölle/Abgaben
81%
26%
Fertigungsqualität Produktivität
Gleich oder besser als D
74%
33%
67%
69%
31%
Abb. 6.3 Einschätzung ausländischer Standorte im Vergleich zum Standort D (% der Nennungen)
effizientere Vernetzung zwischen deutscher und ausländischer Wertschöpfung dafür, dass längere Lieferzeiten aus Niedriglohnländern nach Deutschland weitgehend ausgeglichen werden. Gravierende Lohnkostenunterschiede zwischen Deutschland und den neuen Wachstumsregionen der Welt werden Unternehmen auch in Zukunft zwingen, sich kontinuierlich über strategisch orientierte Veränderungsprojekte den sich ständig ändernden Rahmenbedingungen anzupassen (Abb. 6.4).
23,78 € 18,09 €
6,64 €
Hamburg Thüringen
Ungarn
5,85 €
Tschechien
Abb. 6.4 Globale Kostensituation
2,80 €
1,67 €
0,83 €
0,57 €
Polen
Rumänien
China
Indien
6 Ausblick
115
Erhöhte Zyklizität durch Globalisierung – Beispiel Maschinenund Anlagenbau
Konnten Unternehmen bis in die 80er Jahre ihre Auftragseingänge noch relativ verlässlich beplanen, haben sich Schwankungen auf den Märkten in den letzten Jahrzehnten massiv verstärkt. Umsätze im Maschinen- und Anlagenbau schwanken je nach Segment um etwa 15 bis 20 Prozent um den langfristigen Trend. Marktrückgänge um 30 bis 40 Prozent vom Konjunkturgipfel bis zur Talsohle sind für den Maschinenbau normal; in einigen Bereichen der Halbleiterausrüstung waren in der letzten Branchenrezession auch Rückgänge von 80 bis 90 Prozent zu beobachten (Abb. 6.5).
preis- und saisonbereinigt, Index Umsatz 2000 = 100 160 150 140 130 120 Ausland
110 100 90 80
Inland
70
Saisonbereinigte und geglättete Indizes
60 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Abb. 6.5 Auftragseingang im deutschen Maschinenbau (Quelle: VDMA)
Erfolgreiche Unternehmen müssen in der Lage sein, auf die immer stärkeren Zyklen reagieren zu können. Insbesondere der flexiblen Kapazitätsgestaltung kommt in Zukunft immer stärkere Bedeutung zu (Abb. 6.6).
116
6 Ausblick
in Prozent der üblichen Vollauslastung 95 % Optimalzone 86-88%
90 %
85 %
80 %
75 %
75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04
Abb. 6.6 Kapazitätsauslastung im deutschen Maschinenbau (Quelle: VDMA)
Verstärkte Unsicherheiten im Umfeld der Unternehmen
Die unternehmerische Landschaft ist in Folge des aktuell rasanten Wandels von immer stärkeren Unsicherheiten geprägt, die in den vergangenen Jahren neben der Markt- und Wettbewerberdimension verstärkt auch andere Umfelddimensionen der Unternehmen betrifft. Auf der Seite der Zulieferer stehen Unternehmen durch die in den vergangenen Jahren extrem hohe Anzahl von aus dem Markt durch Insolvenz (allein im Zeitraum 2002 bis 2004 schieden durch Insolvenz über 100.000 Unternehmen in Deutschland aus dem Markt aus) oder Geschäftsaufgabe aussteigenden Unternehmen immer mehr vor der Herausforderung, die Lieferfähigkeit sicherzustellen. Die Sicherstellung der Unternehmensfinanzierung wird durch restriktivere Vorgaben seitens der Banken (Rahmenrichtlinien nach Basel II) insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen zunehmend schwieriger. Unsicherheiten bezüglich der gesetzlichen Rahmenbedingungen (Kündigungsschutz, Lohnzusatzkosten, Steuerbelastung) erschweren die unternehmerische Tätigkeit zusätzlich. Anforderungen an Change-Management-Projekte erhöhen sich durch zunehmende Komplexität
Die Wertschöpfungskette innerhalb der Unternehmen befindet sich aktuell in einem ständigen Veränderungsprozess.
6 Ausblick
117
Waren Unternehmen in der Vergangenheit mehrheitlich nach funktionalen Bereichen getrennt, erfordern die Märkte heute durch immer kürzere und flexiblere Lieferzeiten prozessorientierte Organisations- und Ablaufstrukturen. Mit herkömmlichen Aufbauorganisationen stoßen Unternehmen hier oft schnell an ihre Grenzen. Erfolgreiche Unternehmen bauen daher oft hochgradig vernetzte Organisationsstrukturen aus Kunden, eigenen Abteilungen und Lieferanten auf, deren Gestaltung und Implementierung äußerst komplexe Aufgaben an moderne Veränderungsprojekte stellt. Die Lieferantenseite ist über die zunehmende Tendenz zum Outsourcing kompletter Teile der Wertschöpfungskette verstärkt betroffen. Die Überführung ehemals interner Prozesse und Strukturen in ein funktionsfähiges Lieferantennetzwerk erfordert ein äußerst konsequentes und zielgerichtetes Durchführen der entsprechenden Veränderungsprojekte. Der Druck des Kapitalmarktes auf schnelle und erfolgreiche Verbesserung im Unternehmen wird steigen
Die ursprünglich eher eigentümerorientierte Unternehmensstruktur in der produzierenden Industrie in Deutschland ist seit Anfang der 90er Jahre zunehmend einer auf die Bedürfnisse des (internationalen) Kapitalmarkts ausgerichteten Kultur gewichen. Waren in der Vergangenheit Unternehmen oft in Privateigentum und der Zugang zu Kapital wesentlich über Kredite aus dem Firmenkundenbereich der Banken geprägt, haben viele Unternehmen sich – auch als Folge der enormen Veränderungen auf Markt- und Wettbewerbsseite – stärker auf die steigenden Erfordernisse von Eigen- und Fremdkapitalgebern einstellen müssen. Der Anteil von Kapitalgesellschaften ist in diesem Prozess in den letzten Jahren ebenso gestiegen wie die Anforderungen seitens der Banken für die Einräumung von notwendigen Kreditlinien an die Unternehmen. Diese Änderungen stellen die Unternehmen vor neue Herausforderungen: • Die (kurzfristige) Rentabilität des eingesetzten Kapitals in der Organisation wird immer mehr zur dominanten Zielgröße für die strategische Ausrichtung der Unternehmen. • Die Transparenzanforderungen an unternehmerisches Handeln steigen sowohl von Eigentümer- als auch von Bankenseite zunehmend. • Veränderungsmaßnahmen müssen sich durch entsprechend kurz- bis mittelfristige Effekte gegenüber den Kapitalgebern rechnen. Veränderungsprojekte werden daher heute nicht mehr rein als strategische Maßnahmen sondern immer stärker als Investitionen zur Erschließung von Kostenpotentialen gesehen.
118
6 Ausblick
Fazit: Schnelle, effektive und effiziente Projekte für Veränderungen im Unternehmen sind Kernkompetenz zur nachhaltigen Sicherung der Unternehmen
Die Bedeutung von Umsetzungsgeschwindigkeit, Effizienz und Effektivität von Change Management-Projekten wird folglich auch in Zukunft immer stärker zunehmen. Erfolgreiche Unternehmen werden daher in Zukunft verstärkt auf anwendbare, umsetzungsorientierte und an der Unternehmensstrategie ausgerichtete Methoden anknüpfen müssen, um diesem vielfältigen Anforderungskatalog von Seiten ihrer verschiedenen Anspruchsgruppen gerecht zu werden. Die in diesem Buch vorgestellte MOTION-Methode für erfolgreiche Veränderungsprojekte soll dabei als ein oft in der Praxis erprobter Leitfaden dienen. Insbesondere der Einbezug aller für das Unternehmen wesentlichen Entscheidungsebenen von der Markt- und Wettbewerberseite über die Definition strategischer Erfolgspositionen zu den konkreten Prozessstrategien bietet ein klares Handlungsmuster für eine schnelle und erfolgreiche Inangriffnahme der notwendigen Veränderungen. Transparenz durch eine klare und durchgängige Methodik, Anwendbarkeit durch strategiekonforme Analyse und Gestaltung der Kernprozesse des Unternehmens und Mitarbeiter-orientierte Umsetzungsmaßnahmen für die notwendigen Veränderungsprojekte haben in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen Steigerung der Projektergebnisse bei Veränderungsprojekten beigetragen. Der Aufbau einer Unternehmenskultur, die die Notwendigkeit von Veränderung erkennt und die für die Veränderungen notwendigen Maßnahmen eigenständig festlegen und umsetzen kann, ist für den Erfolg sowohl einzelner Projekte als auch der nachhaltigen Sicherung des Unternehmens im Wettbewerbsumfeld kritische Erfolgsvoraussetzung. Diese muss von der Unternehmensleitung aktiv gefördert und gefordert werden und über entsprechende Vorbildfunktionen vorgelebt werden. Veränderungsprojekte scheitern meistens nicht daran, dass die identifizierten Maßnahmen nicht sinnvoll wären, sondern vielmehr daran, dass diese von den Mitarbeitern nicht durch die Einbindung bei der Entwicklung der Maßnahmen mitgetragen werden oder die Voraussetzungen einer umsetzungsorientierten Unternehmenskultur nicht gegeben sind. Die Potentiale durch die Einführung einer solchen Kultur sind groß, werden allerdings in Zukunft neue und bisher wenig bekannte Anforderungen an das Management stellen.
Literatur
Die folgende Liste stellt eine Übersicht über gängige Literatur zum Thema dar. Sie soll dem interessierten Leser als Anregung und Wegweiser zur Vertiefung des Themas Change Management dienen. Bleicher K (2001) Das Konzept Integriertes Management. Visionen – Missionen – Programme. Campus, Frankfurt / New York Davenport TH (1993) Process Innovation. Reengineering Work through Information Technology. Harvard Business School Press, Boston Doppler K, Lauterburg C (2002) Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten. Campus, Frankfurt am Main Eversheim W (1996) Prozessorientierte Unternehmensorganisation. Konzepte und Methoden zur Gestaltung „schlanker“ Organisationen. Springer, Berlin Eversheim W, Schuh G (2005) Integrierte Produkt- und Prozessgestaltung, Springer, Berlin Eversheim W, Terhaag O (2002) Europäisches Change Management. Von der Strategie zur Umsetzung. TCW, München Hammer M, Champy J (1996) Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen. Campus, Frankfurt am Main Johansson H, Johansson HJ, Pendlebury AJ (1993) Business Process Reengineering: Breakpoint Strategies for Market Dominance. John Wiley & Sons, Chichester Kaplan RS, Norton DP (2001) Die strategiefokussierte Organisation. Führen mit der Balanced Scorecard. Schäffer-Poeschel, Stuttgart Müller-Stewens G, Lechner C (2003) Strategisches Management. Wie strategische Initiativen zum Wandel führen. Schäffer-Poeschel, Stuttgart Pümpin C (1992) Strategische Erfolgspositionen. Methodik der dynamischen Unternehmensführung. Haupt, Bern Rüegg-Stürm J (2001) Organisation und organisationaler Wandel. Eine theoretische Erkundung aus konstruktivistischer Sicht. VS, Wiesbaden Schuh G (1999) Change Management. Von der Strategie zur Umsetzung. Shaker, Aachen Schuh G (2005) Produktkomplexität managen. Strategien – Methoden – Tools. 2. Auflage. Hanser, München/Wien Womack JP, Jones DT (2005) Lean Solutions. How Companies and Customers Can Create Value and Wealth Together. Free Press, New York
Sachverzeichnis
4-Augen-Prinzip 45
ergebnisgesteuerte Prozesskette 51
Abnehmer 23 Akteure 85 Aktivitätsstrategie 21, 25 Akzente 86 Akzeptanz 80 ARIS 51 Auslandsverlagerung 112 Autor-Kritiker-Zyklus 45, 57
Fehlerquellen 57 Fit 25 Five Forces 23 Flaschenhalseffekt 66 Fokussierung 16
Balanced Scorecard 101 Barrieren 77 Benchmarking 104 Berater 58 Beschreibungssprache 49 bottom-up 5, 10, 13 Business Process Reengineering (BPR) 4, 7 Business Reengineering 8 Cashing-out 32 CBT-Tool 98 Commitment 22, 26, 80 Controlling-Instrument 101 Controllingsysteme 80 Denkräume 82 Designprinzipien 62 Drehbuch 80, 82 EFQM-Modell 102 eliminieren 62 Enabler 78 Enthusiasten 85 Entscheidungsunterstützung 53 Erfolgsfaktoren 78
General Management Navigator 14 Generizität 46 Gestaltungsfelder 53 Globalisierung 115 Hemmnisse 78 Informationssicht 46 Initiierung 14 Insolvenz 116 integrieren 63 Interview 43 Ist-Analyse 42 Iterationen 63 KAIZEN 10 Kernprozess 27 Identifikation 28 -portfolio 31 Kommunikation 87, 90 -sstrategien 92 -stechnologien 93 komplexe Prozessgeflechte 64 Komplexität 116 Konkurrenz 23 Konsistenz 21, 27 Konsolidierung 84 kooperieren 64 Kostenstruktur 58
122
Sachverzeichnis
Kostentransparenz 58 KROKUS 45 Kundennutzen 32 Lean Management 11, 16 Lieferanten 23 Liegezeiten 65 Machtpromotoren 85 Machtverhältnis 23 Markt 20 Maßnahmen 24 Mensch-Maschine-Schnittstelle 46 Mitarbeiterbefragung 101 Mitteleinsatz 63 Modellierungswerkzeug 46 MOTION 6, 7, 12, 21 Normenkontrolle 100 Opportunisten 85 Organisationssicht 46 parallelisieren 63 partizipative Rekonstruktion 41 Performance 100 Perspektivwechsel 57 Plausibilität 27 Positionierung 14 Prämissenkontrolle 100 Process Innovation 9 Produktivität 2 Produktprogrammstrategie 21 Profilmodul 21 Projektmanagement 93 Projektorganisation 94 PROPLAN 47 Prozess 28 -abhängigkeit 31 -analyse 15, 16, 19, 28, 41 -beschreibung 50 -design 16, 41, 61 -effektivität 30, 31 -effizienz 30, 31 -elemente 49
-erfassung 43 Geschäftsprozessstrategie 33 -gestaltung 16 Hauptprozessstrategie 33 -kenngröße 30 -kosten 30 -kostenrechnung 60 -modellierung 46, 53 -optimierung 15, 62 -plan 46 -portfolio 31 -positionierung 31 -rekonstruktion 43 ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung 58 -review 43 -sicht 46 -strategie 31 Strategieprozess 14 -transformation 73 -visualisierung 43, 54 Qualifizierung 97 qualitative Erfassung 54 Quantifizierung 45 quantitative Ausdetaillierung 54 Realisierung 16 Reflektion 56 Ressourcen 24, 25 -management 96 -sicht 46 -strategie 21 -verfahren 60 Review 41, 56 Rivalität 23 Roll-Out 84 Rückschleifen 55, 65 Sachdimension 79 Sackgasseneffekt 66 Schnittstellen 64 Schulung 97, 98 Scouts 85 Stabilität 87
Sachverzeichnis Stakeholder 84 standardisieren 63 Standardisierung 55, 63 Strategieaudit 15, 19, 20, 22 Strategieteam 22 strategische Erfolgspositionen 15, 20, 22 strategische Positionierung 19 strategisches Profil 21, 25 strategisches Programm 20, 24 substituieren 63 Substitutionsprodukte 23
Veränderung 1, 3, 13, 14, 74 -sbarrieren 99 -sbereitschaft 76 -scontrolling 98 -sgrad 75 -sprozess 17 Verbrauchsfunktion 59 Verhaltensdimension 79 verlagern 63 Verstetigung 84 Visualisierung 49, 54 Vorprojektierung 16
Teamstruktur 94 Timing 83 top-down 5, 7, 13 Transformation 15 Transparenz 88 Trendanalyse 23
Wandel 1 Wandeldesign 82 Wertdefinition 16 Wertschöpfung 14 Wertstrom 16 Wettbewerbsstrategie 21, 25 Widerstand 2, 76 Wirksamkeitskontrolle 100
Umsetzung 73, 78 Unternehmen 20 Unternehmensprofil 21 Ursache-Wirkungs-Netz 27 Varianz 63
Zeitmanagement 96 Zielkonflikt 21 Zuschauer 85 Zyklizität 115
123