Judith Schneglberger Burnout-Prävention unter psychodynamischem Aspekt
Judith Schneglberger
Burnout-Prävention unter...
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Judith Schneglberger Burnout-Prävention unter psychodynamischem Aspekt
Judith Schneglberger
Burnout-Prävention unter psychodynamischem Aspekt Eine Untersuchung von Möglichkeiten der nachhaltigen betrieblichen Gesundheitsförderung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich | Tilmann Ziegenhain VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17282-8
Meiner Familie Gewidmet In Liebe und Dankbarkeit
Danksagung An dieser Stelle möchte ich allen jenen danken, die mich während der Erstellung der Dissertation begleitet haben. Mein besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Josef Sageder. Während der Arbeit an meiner Dissertation stand er mir stets unterstützend und beratend zur Seite. Seine engagierte Betreuung, seine vielfältigen wissenschaftlichen Ratschläge, seine konstruktive Kritik und seine Offenheit ermöglichten es, dass diese Arbeit zustande gekommen ist. Herrn Prof. Dr. Johann Bacher danke ich ganz herzlich für die Übernahme des Zweitgutachtens sowie die vielen wertvollen Anregungen, die er mir zuteilwerden ließ. Mein aufrichtiger Dank geht auch an Frau Prof. Dr. Irene Dyk-Ploss, die als Leiterin des DissertantInnenkolloquiums mein Forschungsvorhaben begleitet hat. Herrn Prof. Dr. Stavros Mentzos (J.W. Goethe-Universität Frankfurt) und Herrn Prof. Dr. Wolfgang Mertens (Ludwig-Maximilians-Universität München) danke ich für zahlreiche Impulse und Literaturhinweise, die ich im Rahmen ihrer im Masterstudiengang “Psychotherapeutische Psychologie“ stattfindenden Vorträge erhalten habe. Mein besonderer Dank gilt meinem Vater Herrn Herbert Schneglberger. Sein Engagement ermöglichte es mir, Mitarbeiter aus unterschiedlichsten Unternehmen und Branchen für die Teilnahme an meiner Studie zu gewinnen. Ohne seine Unterstützung wäre die Rekrutierung einer so hohen Anzahl an Probanden niemals möglich gewesen. Er hat damit einen maßgeblichen Beitrag zur Entstehung dieser Arbeit geleistet. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch bei meinem Schwager Herrn DI Thomas Spitzer und seinem Bruder Herrn DI Rainer Spitzer ganz herzlich bedanken. Indem sie es mir möglich machten, Befragungen in den von Ihnen geleiteten Unternehmen bzw. Geschäftsbereichen durchzuführen, haben sie ebenfalls maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Des Weiteren möchte ich mich bei Herrn Dr. Christian Puchner bedanken, der es mir ermöglichte, die Mitarbeiter der Feuerwehr Linz zu befragen und somit einen wesentlichen Teil der Datenbasis für die empirische Untersuchung geschaffen hat. Ganz herzlich danken möchte ich auch meinem Onkel Herrn Franz Feichtelbauer sowie allen hier namentlich nicht genannten Personen, die mich bei der Rekrutierung von Probanden unterstützt haben.
Für die kritische Durchsicht meiner Arbeit danke ich neben meinem Vater und meinem Schwager im Besonderen meiner Schwester Frau Mag. Edith Schneglberger. Durch ihre wertvollen linguistischen Hinweise hat sie einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen meiner Dissertation geleistet. Vor allem möchte ich ihr auch für ihren emotionalen Rückhalt und ihr Vertrauen in meine Fähigkeiten danken. Mein ganz besonderer Dank gebührt meiner Mutter Frau Pauline Franziska Schneglberger für die uneingeschränkte Förderung meiner persönlichen Entwicklung. Ihre Unterstützung hat es mir ermöglicht, mich vorrangig der Erstellung dieser Arbeit widmen zu können. Danken möchte ich auch meinem Onkel Herrn Walter Hölzl für seinen Rückhalt und seine Sorge um mich. Neben meiner Familie möchte ich auch meinen Freunden und Weggefährten (in alphabetischer Reihenfolge) meinen Dank aussprechen: Frau Dr. Claudia Thonabauer danke ich für ihre langjährige Freundschaft und die zahlreichen wertvollen Hinweise zum Doktoratsstudium. Weiterhin danke ich ihr dafür, dass sie mir bei der Rekrutierung von Probanden behilflich war und mich in schwierigen Phasen immer wieder zum Weitermachen an meiner Dissertation motiviert hat. Mein aufrichtiger Dank geht im Besonderen auch an Herrn Michael Brunner MSc für seine wunderbare freundschaftliche Unterstützung, die er mir in den letzten Jahren zuteilwerden ließ. Für das Korrekturlesen von Teilen der Arbeit, die zahlreichen wertvollen Impulse und dafür, dass sie die Freuden und schwierigen Momente während des Studiums mit mir geteilt hat, danke ich Frau Dr. Patrizia Levante ganz herzlich. Meiner langjährigen Freundin Frau Mag. Regina Breitschädel möchte ich dafür, dass sie mich während der letzten zwölf Jahre durch Höhen und Tiefen begleitet hat, meinen besonderen Dank aussprechen. Für ihre freundschaftliche Unterstützung möchte ich auch Herrn Rudolf Schenkel MSc, Frau Mag. Sabine Kramer und Herrn Stefan Schwarz MSc aufrichtig danken. Frau Ulrike Baumgartner danke ich für die vielfältigen bereichernden Impulse, die ich in den zurückliegenden Jahren von ihr erhalten habe. Abschließend geht mein Dank auch an alle hier nicht genannten Personen, die mich in der Vergangenheit auf unterschiedlichste Weise unterstützt, inspiriert und motiviert haben.
Judith Schneglberger
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis .................................................................................... 13 Tabellenverzeichnis ........................................................................................ 15
Einleitung ....................................................................................................... 19 1Das Burnout-Syndrom ............................................................................... 27 1.1Begriffsgeschichte ................................................................................. 27 1.2 Burnout-Definitionen ............................................................................. 28 1.3Symptomatologie ................................................................................... 29 1.4Differenzialdiagnose .............................................................................. 35 1.4.1Depression ...................................................................................... 35 1.4.2Chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS) ......................................... 36 1.5 Burnout-Theorien ................................................................................... 37 1.5.1Die Burnout-Theorie von Maslach & Leiter ................................... 38 1.5.2Die Burnout-Theorie von Schaarschmidt & Fischer ....................... 39 1.6Darstellung Burnout-begünstigender Faktoren unter besonderer Berücksichtigung psychodynamischer Aspekte ..................................... 1.6.1Dysfunktionale Bewältigung intrapsychischer Anforderungen ...... 1.6.1.1 Das Unbewusste ....................................................................... 1.6.1.2 Definition von Abwehr ............................................................ 1.6.1.3 Klassifizierungsversuche von Abwehrmechanismen ............... 1.6.1.4 Konfliktabwehr ........................................................................ 1.6.1.5 Die interpersonale und psychosoziale Abwehr ........................ 1.6.2Dysfunktionale Bewältigung von Arbeitsanforderungen ................ 1.6.2.1 Resignationstendenz ................................................................ 1.6.2.2 Perfektionsstreben ....................................................................
40 40 41 42 42 45 47 49 49 50
10
Inhaltsverzeichnis 1.6.2.3 Distanziertheit .......................................................................... 1.6.2.4 Eingeschränkte berufliche Wirksamkeitserwartungen ............. 1.6.3Arbeitsbelastungen .......................................................................... 1.6.3.1 Quantitative und qualitative Überforderung ............................ 1.6.3.2 Qualitative Unterforderung ...................................................... 1.6.3.3 Belastendes Sozialklima .......................................................... 1.6.3.4 Belastendes Vorgesetztenverhalten ..........................................
51 51 52 52 54 54 55
2Die Ressourcenperspektive ........................................................................ 57 2.1Die Transaktionale Stresstheorie ........................................................... 2.1.1Bewertungsprozesse ........................................................................ 2.1.2Bewältigungsstrategien ................................................................... 2.1.3Bindungen und Überzeugungen ......................................................
57 58 59 60
2.2 Das Salutogenese-Modell ...................................................................... 61 2.2.1Das Kohärenzgefühl ....................................................................... 63 2.2.2Operationalisierung des Kohärenzgefühls ...................................... 66 2.3 Der Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Ansatz .................................. 2.3.1Gesundheit ...................................................................................... 2.3.2Ressourcen ...................................................................................... 2.3.3Das Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Modell .......................... 2.3.4Abwehr und Ressourcenbildung ..................................................... 2.3.4.1 Die intrapsychische Abwehr des Mitarbeiters ......................... 2.3.4.2 Die intrapsychische Abwehr des Führenden ............................ 2.3.4.3 Interpersonale und psychosoziale Abwehr ...............................
67 67 68 69 70 71 71 72
2.4Psychodynamisch-orientiertes Handeln als Ressource .......................... 2.4.1Grundsätze psychodynamischer Organisationsberatung ................. 2.4.2Die Analyse der Abwehr ................................................................. 2.4.3Die Risiken einer Auflösung der Abwehr .......................................
73 73 75 76
3Empirische Untersuchung .......................................................................... 79 3.1Ziele und Forschungsfragen ................................................................... 79 3.2Hypothesen ............................................................................................ 80 3.2.1Arbeitsbelastungen, personale Risikofaktoren und Erschöpfung..... 82 3.2.2Arbeitsbelastungen, personale Risikofaktoren, Ressourcen und Burnout ........................................................................................... 84
Inhaltsverzeichnis
11
3.3Methodik ................................................................................................ 88 3.3.1Forschungsdesign ............................................................................ 88 3.3.2Erhebungsverfahren ........................................................................ 90 3.3.2.1 Leipziger Kurzskala zur Erfassung des Kohärenzgefühls (SOC-L9) ................................................................................. 90 3.3.2.2 Maslach Burnout Inventory (MBI-GS) .................................... 91 3.3.2.3 Fragebogen zur Salutogenetischen Subjektiven Arbeitsanalyse (SALSA) .................................................................................. 93 3.3.2.4 Defense Style Questionnaire (DSQ-40) ................................... 98 3.3.2.5 Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM) ................................................................................. 104 3.3.2.6 Erhebung soziodemografischer Daten ................................... 107 3.3.3Stichprobe ..................................................................................... 107 3.3.4Auswertungsverfahren .................................................................. 110 3.4Darstellung und Interpretation der Ergebnisse ..................................... 111 3.4.1Reliabilität und faktorielle Validität der eingesetzten Skalen sowie deskriptive Ergebnisse ......................................................... 111 3.4.2Vorgehen bei der Datenaggregation zur Konstrukterstellung ......... 116 3.4.3Darstellung der korrelativen Beziehungen zwischen Indikatoren und soziodemografischen Variablen ........................... 120 3.4.4Regressionsanalytische Prüfung der Beziehungen zwischen Arbeitsbelastungen, personalen Risikofaktoren und Erschöpfung ................................................................................... 122 3.4.5Regressionsanalytische Prüfung der Beziehungen zwischen Arbeitsbelastungen, personalen Risikofaktoren, Ressourcen und Burnout ................................................................................... 136 3.4.6Pfadanalytische Prüfung des Untersuchungsmodells ..................... 148 4Diskussion und Ausblick .......................................................................... 155 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 165 Anhang: Tabellen .......................................................................................... 173 Anhang: Abbildungen .................................................................................... 191
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3:
Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Modell von Udris (2006, S. 10) ................................................................... 70 Modell der empirischen Untersuchung ..................................... 81 Darstellung der signifikanten Pfadkoeffizienten (1%-Niveau) für die Gesamtstichprobe (N = 353) ................. 149
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2:
Burnout-Verlauf (vgl. Burisch 2006, S. 25f.) ............................. 30 Klassifizierung der Abwehrmechanismen nach Vaillant (1971) ............................................................................ 44 Tabelle 3: Merkmalsbereiche und Skalen des SALSA-Fragebogens........... 93 Tabelle 4: Erhebung soziodemografischer Daten ...................................... 107 Tabelle 5: Stichprobenverteilung nach Branchen und Geschlecht ............. 108 Tabelle 6: Stichprobenverteilung nach Alter und Ausbildung ................... 109 Tabelle 7: Stichprobenverteilung nach Geschlecht und Tätigkeit .............. 109 Tabelle 8:
Itemanzahl, Mittelwerte, Standardabweichungen, Reliabilitäten und faktorielle Validität der eingesetzten Skalen (N = 368)................................................................................... 112 Tabelle 9: Korrelationen zwischen Arbeitsbelastungen (N = 368) ............ 117 Tabelle 10: Korrelationen zwischen den die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen indizierenden Konstrukten (N = 368) .............................................................. 118 Tabelle 11: Korrelationen zwischen den die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen indizierenden Konstrukten (N = 368) .............................................. 119 Tabelle 12: Korrelationen zwischen den Burnout-Dimensionen (N = 368) ................................................................................... 120 Tabelle 13:.Korrelationen zwischen Indikatoren und soziodemo- ..................... .grafischen Variablen (N = 353) ................................................. 121 Tabelle 14: Multiple hierarchische Regressionsmodelle mit den Faktoren Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen und Arbeitsbelastungen als Prädiktoren der Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen mit variierender Eingabereihenfolge (N = 368) .......................................................................... 124
16
Tabellenverzeichnis
Tabelle 15: Multiple hierarchische Regressionsmodelle mit den Faktoren Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen und Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen als Prädiktoren von Erschöpfung mit variierender Eingabereihenfolge (N = 368) .......................................................................... 127 Tabelle 16: Multiple hierarchische Regressionsmodelle mit den Faktoren Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen und Arbeitsbelastungen als Prädiktoren von Erschöpfung mit variierender Eingabereihenfolge (N = 368) ................................................................ 129 Tabelle 17: Multiple hierarchische Regressionsmodelle mit den Faktoren Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen und Arbeitsbelastungen als Prädiktoren von Erschöpfung mit variierender Eingabereihenfolge (N = 368) ... 131 Tabelle 18: Multiple hierarchische Regressionsmodelle mit den Faktoren Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen und Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen als Prädiktoren von Arbeitsbelastungen mit variierender Eingabereihenfolge (N = 368) .... 133 Tabelle 19:.Zusammenfassung der Befunde zu Hypothesenblock 1 ............ 136 Tabelle 20: Multiples hierarchisches Regressionsmodell zur Prüfung der Interaktion zwischen Arbeitsbelastungen und Kohärenzgefühl zur Vorhersage der Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen (N = 368) ......... 137 Tabelle 21: Multiples hierarchisches Regressionsmodell zur Prüfung der Interaktion zwischen Arbeitsbelastungen und Kohärenzgefühl zur Vorhersage der Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen (N = 368) ................... 139 Tabelle 22: Multiples hierarchisches Regressionsmodell zur Prüfung der Interaktion zwischen Arbeitsbelastungen und Kohärenzgefühl zur Vorhersage von Erschöpfung (N = 368) .................. 140 Tabelle 23: Multiples hierarchisches Regressionsmodell zur Prüfung der Interaktion zwischen Arbeitsbelastungen und Kohärenzgefühl zur Vorhersage von Burnout (N = 368) ......................... 142 Tabelle 24: Multiples hierarchisches Regressionsmodell mit den Faktoren Kohärenzgefühl, betriebliche Ressourcen und Arbeitsbelastungen als Prädiktoren von Burnout (N = 368) ..... 143
Tabellenverzeichnis
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Tabelle 25: Multiples hierarchisches Regressionsmodell mit den Faktoren betriebliche Ressourcen, Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen und Arbeitsbelastungen als Prädiktoren des Kohärenzgefühls (N = 368) ................................................................................... 145 Tabelle 26: .Zusammenfassung der Befunde zu Hypothesenblock 2............ 147
Sprachliche Gleichbehandlung: Zur besseren Lesbarkeit wird im Text auf geschlechtsneutrale Schreibweise verzichtet. Soweit personenbezogene Bezeichnungen nur in männlicher oder weiblicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise.
Einleitung
Für jedes komplexe Problem gibt es stets eine einfache Lösung. Und die ist falsch. George Bernard Shaw (1856-1950)
Stressmanagement, Selbstmanagement, Mitarbeiter-Empowerment – mit der Konstruktion schneller, nahezu magisch anmutender Lösungen wird heute versucht, dem massiven Auftreten von Burnout-Prozessen in Unternehmen zu begegnen. Burnout kann als ein Phänomen betrachtet werden, dessen Verbreitung in den letzten Jahren exponentiell zugenommen hat: Gemäß einer von der Gewerkschaft der Privatangestellten durchgeführten Studie unter Angehörigen der Sozial- und Pflegeberufe (N = 825) sind in Österreich rund eine Million Menschen stark bzw. sehr stark Burnout-gefährdet (vgl. Friedl 2006, S. 2). Es sind jedoch nicht nur im Sozialbereich tätige Mitarbeiter, die ein erhöhtes Burnout-Risiko aufweisen. Vielmehr wird Burnout heute als universelles, in allen Berufsgruppen vorzufindendes Phänomen betrachtet (vgl. Maslach et al. 2001, S. 401). Es besteht eine Vielzahl an Theorien, die das Burnout-Syndrom aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten (vgl. Jerich 2006, S. 21). Vertreter von individuumszentrierten Burnout-Ansätzen (vgl. z.B. Schaarschmidt & Fischer 2001) führen die Ursachen für das Ausbrennen vorwiegend auf eine dysfunktionale Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Arbeit zurück. Als Burnout-begünstigender Faktor wird dabei etwa ein passiv-resignativer Bewältigungsstil erachtet (vgl. a.a.O., S. 17ff.). Mitarbeiter, die nicht über die Fähigkeit verfügen, Probleme offensiv zu bewältigen und bei Misserfolgen rasch resignieren, neigen gemäß den Autoren eher zum Ausbrennen als Mitarbeiter mit einem aktiven Bewältigungsverhalten, wie dies auch die Ergebnisse vorliegender empirischer Studien belegen (vgl. z.B. Barth 1992, S. 168; Körner 2002, S. 249; Lehr et al. 2008, S. 8). Einem dysfunktionalen Copingstil kann nach klassischer arbeitspsychologischer Auffassung mithilfe verhaltenspräventiver Maßnahmen, die darauf abzielen, die individuellen Handlungskompetenzen in der Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Arbeit zu fördern (z.B. in Form
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Einleitung
eines Konfliktbewältigungstrainings), begegnet werden (vgl. z.B. Schaarschmidt & Fischer 2001, S. 56 oder Litzcke & Schuh 2007, S. 51ff.). Im Gegensatz zur individuumszentrierten Sichtweise vermuten Vertreter organisationaler Burnout-Modelle (vgl. z.B. Maslach & Leiter 2001) die Ursachen für das Ausbrennen vorrangig in belastenden Arbeitsbedingungen. Als besonders bedeutsamer Burnout-begünstigender Faktor auf organisationaler Ebene kann dabei etwa die quantitative Überforderung des Mitarbeiters betrachtet werden (vgl. z.B. Aronson et al. 1983, S. 82f.; Litzcke & Schuh 2007, S. 169; Jaggi 2008, S. 17 oder Maslach & Leiter 2001, S. 41f.). Diese ist dadurch charakterisiert, dass das zu bewältigende Arbeitsvolumen die Leistungskapazität des Mitarbeiters übersteigt (vgl. Rimann & Udris 1997, S. 288) und lässt sich häufig darauf zurückführen, dass sich Unternehmen aufgrund des steigenden Wettbewerbsdrucks heute verstärkt genötigt sehen, ihre Produktivität über die Mehrarbeit der Beschäftigten zu erhöhen. Die quantitative Überforderung resultiert jedoch nicht ausschließlich aus notwendigen Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung bzw. Rationalisierung. Vielmehr lässt sich diese zudem auf den in vielen Unternehmen häufig vorzufindenden Pro-forma-Aktionismus, der sich beispielsweise in der Realisierung völlig unnötiger Projekte, Umstrukturierungsmaßnahmen und Teamumbildungen manifestiert, zurückführen (vgl. hierzu auch Grün 1998, S. 17f.). Nach klassischer arbeits- und organisationspsychologischer Auffassung würde man diese Form der Belastung mithilfe verhältnispräventiver Maßnahmen (z.B. der Durchführung eines verhaltensorientierten Führungstrainings) abzubauen versuchen. Prima facie erscheint es sinnvoll, individuelle wie organisationale Burnoutbegünstigende Faktoren auf diese Weise eliminieren zu wollen. Die Realität zeigt jedoch, dass die erläuterten Maßnahmen zur Verhaltens- bzw. Verhältnisprävention häufig keine nachhaltigen Wirkungen zu erzielen vermögen (vgl. hierzu z.B. Kinzel 2002, S. 28ff.). Das absolvierte Training zur Verbesserung des Copingverhaltens mag anfänglich zu grenzenlosem Optimismus hinsichtlich der zukünftigen Bewältigungsmöglichkeiten von Arbeitsanforderungen seitens des Mitarbeiters führen. Der rasch vollzogene ‘Wandel‘ von einem passivresignativen zu einem aktiven Bewältigungsverhalten ist jedoch in vielen Fällen nicht von Nachhaltigkeit geprägt. Auch auf organisationaler Ebene verhält es sich häufig ähnlich: Die dem Vorgesetzten – etwa im Rahmen eines Trainings – vermittelten Strategien zur Verhinderung einer Überforderung der Mitarbeiter erweisen sich in vielen Fällen nur kurzfristig als effektiv. Die anfänglich angestrebte Vermeidung eines unnötigen Aktivismus mit dem Ziel, die Mitarbeiter vor Überforderung zu schützen, endet häufig schon nach wenigen Wochen erneut in leerer Geschäftigkeit, wie die persönlichen Erfahrungen der Autorin auf diesem Gebiet zeigen.
Einleitung
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Worauf lassen sich diese Phänomene zurückführen? Die Ursache für das häufige Fehlschlagen dieser Maßnahmen liegt vorrangig darin, dass menschliches Verhalten gemäß psychodynamischer (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 97) sowie aktueller neurowissenschaftlicher Erkenntnisse (vgl. z.B. Roth 2008, S. 303f. oder Soon et al. 2008, S. 543ff.) maßgeblich durch unbewusste Prozesse gesteuert wird. Das Vorliegen eines passiven Copingstils seitens des Mitarbeiters könnte beispielsweise darauf zurückzuführen sein, dass die für die offensive Bewältigung von beruflichen Anforderungen und Konflikten erforderliche Fähigkeit, aggressive Impulse zulassen zu können, aufgrund einer mangelnden Akzeptanz aggressiver Selbstanteile eingeschränkt ist. Ähnlich verhält es sich bei den durch leere Geschäftigkeit charakterisierbaren Arbeitsbedingungen: Das Generieren von Unruhe erleichtert es dem Vorgesetzten, andrängende Impulse aus dem Unbewussten (z.B. Gefühle der Frustration, des Nicht-Wissens, der Angst vor Vulnerabilität oder Vergänglichkeit, etc.) vom Bewusstsein fernhalten zu können und dadurch eine Minderung von intrapsychischer Spannung zu erzielen. Das Vorhandensein der erläuterten intrapsychischen Problematiken ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass eine Internalisierung von Einstellungen und Fertigkeiten, welche im Rahmen von verhaltens- bzw. verhältnispräventiven Maßnahmen vermittelt werden, erschwert oder in vielen Fällen sogar verunmöglicht wird. Die Absolvierung eines Copingseminars, in welchem dem Mitarbeiter ein aktiver Bewältigungsstil ‘antrainiert‘ wird, ohne gleichzeitig die Ursachen für das passive Bewältigungsverhalten zu beleuchten, wird daher meist ohne nachhaltige Wirkung für den Mitarbeiter bleiben. Ebenso werden Maßnahmen, in deren Rahmen an das bewusste Ich des Führenden appelliert wird, auf hohlen Aktivismus zu verzichten, ohne zu beachten, dass sich psychodynamische Vorgänge, d.h. unbewusste innere Strebungen, dem Einfluss von außen entziehen könnten, oftmals ohne dauerhafte Wirkungen bleiben. Wie aus diesen Erläuterungen deutlich wird, sind es also in vielen Fällen die unbewussten Teile der Persönlichkeit, die eine nachhaltige Änderung von Verhaltensweisen erschweren (vgl. Roth 2008, S. 314). Neben dem Bestehen von unbewussten Vorgängen, die dem bewussten Ich grundsätzlich nicht zugänglich sind, existiert auch ein dynamisches, dem Bewusstsein zugängliches Unbewusstes, das Triebimpulse, Konflikte, Affekte, Wahrnehmungen, etc. inkludiert, welche mit Hilfe von Abwehrmechanismen ganz oder teilweise vom Bewusstsein ferngehalten werden (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 97 oder Mentzos 2005, S. 60f).
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Einleitung
Bei Abwehrmechanismen handelt es sich zum einen um wichtige Schutzund Bewältigungsmechanismen, die es dem Individuum ermöglichen, eine kurzfristige Entlastung von intrapsychischen Spannungen zu erzielen. So ist gemäß Mentzos (2005, S. 60f.) beispielsweise die Verdrängung unter Umständen vorübergehend notwendig, wenn es darum geht, dem Ich Zeit zu geben, Veränderungen des Selbstbildes zu bewältigen, die unter keinen Umständen sofort integriert werden können (z.B. nach einer schweren Körperverletzung). Über ihre ursprüngliche Schutzfunktion hinaus können Abwehrmechanismen in Abhängigkeit von ihrer Reife oder Adaptivität jedoch auch negative Wirkungen haben: Während Abwehrmechanismen auf einem hochadaptiven Niveau – wie beispielsweise die Unterdrückung – zu optimaler Anpassung im Umgang mit Belastungssituationen führen (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 482), gelten Abwehrmechanismen auf einem niedrigeren Niveau – wie beispielsweise die Projektion – als dysfunktional, da deren Gebrauch die Lebensbewältigungsmöglichkeiten von Menschen beeinträchtigen kann (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 164). Indem sich Individuen durch die Zuhilfenahme unreifer Abwehrmechanismen der Auseinandersetzung mit intrapsychischen Anforderungen gewissermaßen entziehen, sehen sie sich oftmals mit Einschränkungen in der Bewältigungsfähigkeit äußerer Anforderungen konfrontiert (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 65). Die Fähigkeit zur Bewältigung äußerer und innerer Anforderungen kann selbstverständlich nicht unabhängig von der Existenz äußerer Belastungen betrachtet werden: Bei Vorliegen erhöhter Arbeitsbelastungen werden Mitarbeiter mit einer ausgeprägten Tendenz zu einem passiv-resignativen Copingverhalten vermutlich verstärkt auf diesen dysfunktionalen Bewältigungsstil zurückgreifen. Ebenso werden Führungskräfte, die dazu tendieren, durch Initiierung unnötiger Projekte Unruhe im Unternehmen zu verbreiten, in Phasen hoher äußerer Belastungen dieses für Mitarbeiter dysfunktionale Verhalten möglicherweise noch verstärken. Da diese Burnout-begünstigenden Verhaltensweisen – wie bereits erläutert – häufig auf einer dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen beruhen, kann angenommen werden, dass Arbeitsbelastungen die Bewältigungskapazität von Arbeitsanforderungen nicht nur direkt (vgl. hierzu auch Schaarschmidt & Fischer 2001, S. 10), sondern insbesondere auch über einen Einbruch in der Bewältigung innerer Anforderungen schwächen (vgl. hierzu auch Arbeitskreis OPD 2006, S. 213ff.): Bei Vorliegen erhöhter Arbeitsbelastungen werden Mitarbeiter mit einer ausgeprägten Tendenz zu einem passiv-aggressiven Abwehrverhalten vermutlich verstärkt auf diesen dysfunktionalen Bewältigungsmechanismus zurückgreifen. Ebenso werden Vorgesetzte, die dazu neigen, Ängste betreffend der eigenen Vulnerabilität oder
Einleitung
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Vergänglichkeit abzuwehren, in Phasen erhöhter äußerer Belastungen dieses Abwehrverhalten möglicherweise noch intensivieren. Dass erhöhte Arbeitsbelastungen mit Einschränkungen in der Bewältigungsfähigkeit innerer Anforderungen einhergehen können, lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass in Belastungssituationen, in denen wenig Zeit und Energie für Introspektion bleiben, die Fähigkeit zum bewussten Umgang mit Gefühlen häufig eingeschränkt ist, wodurch andrängende Impulse aus dem Unbewussten oftmals nicht mehr durch die Zuhilfenahme reiferer Abwehrmechanismen – wie beispielsweise der Unterdrückung oder auch der Verdrängung – bewältigt werden können. Aus diesem Grund muss auf Abwehrmechanismen der nächstgeringeren Stufen (z.B. der Projektion) zurückgegriffen werden. Die Verwendung unreiferer Formen der Abwehr ist jedoch ‘kostspieliger‘, da sie mit einem eingeschränkten Bewältigungspotenzial äußerer Anforderungen einhergehen (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 164) und damit die Burnout-Gefährdung des Mitarbeiters erhöhen kann (vgl. Schaarschmidt & Fischer 2001, S. 54). Ein ausgeprägt abwehrendes Verhalten begünstigt auch deshalb die Entwicklung einer Erschöpfungssymptomatik, da es dem Individuum erhebliche ‘Abwehrkraft‘ (vgl. hierzu auch Arbeitskreis OPD 2006, S. 95) abfordert, Abgewehrtes, das immer wieder an die Grenze des Bewusstseins drängt, auf Dauer vom Bewusstsein fernzuhalten (vgl. hierzu auch Freudenberger 2005, S. 27ff. oder Cherniss 1980, S. 47). Zusammenfassend lässt sich festhalten: Neben einer dysfunktionalen Auseinandersetzung mit den Arbeitsanforderungen scheint auch eine Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen die Entwicklung von Burnout-Prozessen zu begünstigen. Die Fähigkeit zur Bewältigung innerer und äußerer Anforderungen dürfte wiederum von der Höhe der Arbeitsbelastungen beeinflusst werden. Nachdem nun die Belastungsperspektive beleuchtet wurde, stellt sich die Frage, ob nicht auch Ressourcen existieren, welche eine adaptive Bewältigung innerer und äußerer Anforderungen erleichtern und damit vor der Entwicklung einer Burnout-Symptomatik zu schützen vermögen. Eine Ressource, die sich in bestehenden Studien als besonders bedeutsamer protektiver Faktor gegen Burnout erwiesen hat, ist das Kohärenzgefühl (vgl. z.B. Schumacher et al. 2000, S. 479; Lasshofer 2006, S. 165 oder Kalimo et al. 2003, S. 117). Dieses kann als Kernstück des Salutogenese-Modells von Antonovsky (1979) bezeichnet werden und wird definiert als ein überdauerndes, dynamisches Gefühl des Vertrauens, dass die Anforderungen aus der inneren und äußeren Umwelt verstehbar, handhabbar und sinnvoll sind (vgl. Antonovsky 1979, S. 123; Übersetzung von Busch 1998, S. 101).
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Einleitung
Aufgrund der empirisch belegten protektiven Wirkung des Kohärenzgefühls kommt dessen Stärkung im Rahmen betrieblicher Gesundheitsförderung eine maßgebliche Bedeutung zu. Entgegen Antonovskys (1997, S. 114) Annahme, dass es sich beim Kohärenzgefühl um ein stabiles Konstrukt, das im Erwachsenenalter weitgehend konstant bleibe, handle, belegen neue Längsschnittstudien die Beeinflussbarkeit des Kohärenzgefühls im Lebensverlauf (vgl. Kernen 2005, S. 109): So konnten etwa Feldt et al. (2000, S. 467) in einer Mitarbeiterstudie (N = 219) aufzeigen, dass beispielsweise Verbesserungen im Organisationsklima mit einer Stärkung des Kohärenzgefühls einhergehen. Auch Udris (2006, S. 9) konnte empirisch belegen, dass eine Zunahme an organisationalen und sozialen Ressourcen im Unternehmen zu höheren Ausprägungen im Kohärenzerleben der Beschäftigten führt. Aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht kann das Generieren betrieblicher Ressourcen somit als ‘Kohärenz-stärkende‘ Maßnahme betrachtet werden. Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die gesundheitsförderlichen Wirkungen betrieblicher Ressourcen durch unbewusste Prozesse vonseiten des Führenden potenziell unterminiert werden und die Entstehung von Scheinressourcen begünstigt wird, wenn der Ressourcenbildung keine intrapsychischen Veränderungen vorausgehen (vgl. hierzu auch Mentzos 1988, S. 107). Als eine betriebliche Ressource, die sich besonders häufig als Scheinressource entpuppt, lässt sich die Partizipation nennen: Für die gesundheitliche Entwicklung von Mitarbeitern ist es nach Jacobs (2004, S. 104) entscheidend, dass diese eine angemessene Ausführungsmacht besitzen und ihr Tun einen Effekt auf das Ganze hat. Die Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten, welche eine Neuverteilung der Machtverhältnisse im Unternehmen impliziert, scheitert jedoch häufig an einer unzureichenden Auseinandersetzung mit unbewussten Ängsten angesichts des drohenden Machtverlusts seitens der Führungskräfte (vgl. Sievers 1996, S. 2). Eine mangelnde Bewusstmachung dieser Ängste kann dazu führen, dass die mit der Einführung eines Empowerment-Programms einherzugehenden Änderungen in den Machtbeziehungen zwischen Führenden und Mitarbeitern nicht in ausreichendem Maße stattfinden. Partizipation wird dann oftmals lediglich dazu verwendet, Probleme vom Management auf die Mitarbeiter abzuwälzen (vgl. hierzu auch Kinzel 2002, S. 440), wie dies auch die Erfahrungen der Autorin bestätigen. Wenn eine Bildung betrieblicher Ressourcen angestrebt wird, ohne dass eine Auseinandersetzung mit – den die Ressourcengenerierung potenziell erschwerenden – Abwehrprozessen seitens des Führenden erfolgt, kann dies folglich zur Entstehung von Scheinressourcen führen.
Einleitung
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Dabei tragen Mitarbeiter oftmals auf unbewusste Weise zur Schaffung von Scheinressourcen bei, indem sie die Abwehr des Vorgesetzten festigen: Ein autokratisches Führungsverhalten beispielsweise, das wenige Möglichkeiten zur Partizipation einräumt, dient dem Vorgesetzten selbst bei der Überwindung von Minderwertigkeitsgefühlen und der Festigung von Größenideen. Es erlaubt ihm seine Angst vor Schwäche und Vulnerabilität zu kompensieren. So sehr der Vorgesetzte für seinen Führungsstil kritisiert werden mag, ermöglicht es dieser den Mitarbeitern zugleich, unbewusste Bedürfnisse nach Passivität ausleben zu können, was für sie mit einer regressiven Teilbefriedigung einhergehen kann. Der Vorgesetzte wird sich durch die Passivität der Mitarbeiter wiederum in seinem autokratischen Führungsstil bestätigt fühlen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Mitarbeiter durch das Eingehen interpersonaler Abwehrarrangements (vgl. Mentzos 1988) oftmals unbewusst das Abwehrverhalten des Führenden stärken und damit zur Bildung von Scheinressourcen sowie zur Entwicklung von Burnout-Prozessen beitragen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es kritisch zu prüfen, ob – wie von psychoanalytisch orientierten Organisationsforschern (vgl. z.B. Lohmer 2007) angenommen – psychodynamischen Faktoren für die Entstehung von BurnoutProzessen eine Bedeutung zukommt, welche auf die Notwendigkeit einer Psychodynamisierung der betrieblichen Burnout-Prävention schließen ließe. Das dieser Einleitung folgende erste Kapitel der Dissertation beschäftigt sich mit der theoretischen Aufarbeitung des Phänomens Burnout. Hierfür erfolgen zunächst eine Begriffserklärung sowie eine Darstellung der Definitionsvorschläge und der Symptomatik. In einem weiteren Schritt wird der Versuch unternommen, eine Abgrenzung zu nahe verwandten Konzepten vorzunehmen. Danach werden aus dem breiten Spektrum der vorhandenen Burnout-Modelle zwei Konzepte skizziert. In einem weiteren Schritt werden spezifische, für die vorliegende Studie relevante Burnout-begünstigende Faktoren erläutert. Zunächst werden unreife Abwehrmechanismen, deren Verwendung eine Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen indiziert, thematisiert. Danach folgt die Darstellung ausgewählter Faktoren, welche auf eine Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen hinweisen, deren Vorliegen aber oftmals aus einer problematischen Auseinandersetzung mit den inneren Anforderungen resultiert. Abschließend werden ausgewählte betriebliche Belastungsfaktoren, die vielfach auf den Gebrauch unreifer Abwehrmechanismen seitens der Vorgesetzten, der Kollegen, aber auch des Mitarbeiters selbst zurückgeführt werden können, erläutert. Nachdem im ersten Kapitel die Belastungsseite behandelt wurde, soll im darauf folgenden zweiten Kapitel die Ressourcenperspektive beleuchtet werden. Begonnen wird mit der Einführung des Transaktionalen Stressmodells von
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Einleitung
Lazarus & Folkman (1984), welches als Grundlage der Salutogenese-Theorie von Antonovsky (1979) betrachtet werden kann. Im Anschluss an die Erläuterung des Salutogenese-Modells sowie dessen Kernstück, dem Kohärenzgefühl, erfolgen in den nächsten Abschnitten eine Skizzierung des BelastungsRessourcen-Gesundheits-Ansatzes von Udris (2006) sowie Überlegungen hinsichtlich der potenziellen Notwendigkeit einer Psychodynamisierung der betrieblichen Burnout-Prävention. Nach der Darstellung der empirischen Untersuchung in Kapitel 3 sollen abschließend die Ergebnisse dieser Arbeit vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungslage kritisch diskutiert werden (vgl. Kapitel 4).
1 Das Burnout-Syndrom
Dieses erste Kapitel der vorliegenden Arbeit widmet sich der Darstellung des Phänomens Burnout. Vor einer Erörterung verschiedener Burnout-Definitionsansätze, des Burnout-Verlaufs und differenzialdiagnostischer Überlegungen, soll dem geschichtlichen Hintergrund des Burnout-Begriffs nachgegangen werden. Abschließend werden Modelle zur Erklärung von Burnout sowie ausgewählte Burnout-begünstigende Faktoren erläutert.
1.1 Begriffsgeschichte Nach Maslach et al. (2001, S. 399ff.) kann die Entdeckungsgeschichte von Burnout in zwei Phasen unterteilt werden: die Pionierphase (Mitte der 70er Jahre bis Anfang der 80er Jahre) und die empirische Phase (ab den 80er Jahren). Die Pionierphase ist durch ihren hohen Praxisbezug gekennzeichnet (vgl. Maslach et al. 2001, S. 400): Das Ziel deskriptiver Studien und qualitativer Erhebungsmethoden (z.B. Interviews oder Beobachtungen) war es in erster Linie, die Symptomatik des Burnout-Syndroms festzuhalten. Diese Phase der wissenschaftlichen Entstehungsgeschichte von Burnout wurde wesentlich durch den deutschstämmigen US-Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger (1974) mitbestimmt (vgl. Kleiber & Enzmann 1990, S. 11). In einem Artikel, der als Anstoß für die systematische und auf empirischen Beobachtungen basierende Erforschung des Burnout-Syndroms gilt, beschreibt der Autor Burnout als ein Phänomen, bei dem ehemals besonders aufopferungsvolle, pflichtbewusste und engagierte – in Selbsthilfe- oder Kriseninterventionszentren tätige – Mitarbeiter beginnen, eine Reihe charakteristischer Symptome wie Erschöpfung, Reizbarkeit oder Zynismus zu zeigen, welche der Autor unter dem Begriff Burnout zusammenfasste (vgl. Freudenberger 1974, S. 159ff.). In seinem Artikel von 1974 assoziiert Freudenberger das Burnout-Syndrom mit den besonderen Charakteristika sozialer Tätigkeitsfelder, wohingegen er in seinen späteren Werken eine Ausweitung des Burnout-Begriffs auf andere Berufsgruppen vornimmt (vgl. Schmid 2003, S. 25).
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1 Das Burnout-Syndrom
In der empirischen Phase verlagerte sich der Schwerpunkt der BurnoutForschung von qualitativen Studien auf quantitative Erhebungsverfahren (vgl. Schmid 2003, S. 32). Diese Phase der Burnout-Entdeckungsgeschichte wurde wesentlich von Christina Maslach mitbestimmt. Im Gegensatz zu Freudenberger, der als Psychoanalytiker den Blick vor allem auf Persönlichkeitsmerkmale bzw. intrapsychische Prozesse richtet, sah die Sozialpsychologin Maslach (vgl. Maslach & Jackson 1986) die Ursachen für Burnout anfänglich vorwiegend in einer belastenden Helfer-Klient-Beziehung. Die Autorin ging in dem von ihr entwickelten dreistufigen Phasenmodell davon aus, dass Helfer in ihren Beziehungen zu Klienten erheblichen emotionalen Belastungen ausgesetzt sind, was durch die hinzukommende Asymmetrie der Beziehung, ausbleibende Erfolgserlebnisse, Undank, etc. zu emotionaler Erschöpfung, dem ersten Kernsymptom des Burnout-Syndroms, führt (vgl. Burisch 2006, S. 52). Eine sekundäre Reaktion darauf, die Schutz- und Abwehrfunktion hat, ist die Distanzierung von den Klienten und deren Abwertung. Dies resultiert in der Entstehung des zweiten Burnout-Kernsymptoms: der Depersonalisation. Sobald die veränderte persönliche Beziehung auch im Verhalten spürbar wird, sinkt die Chance für berufliche Erfolgserlebnisse, woraus Leistungsunzufriedenheit als drittes Burnout-Kernsymptom entsteht. Mit diesen drei Symptomen sind auch die drei Messskalen des Maslach Burnout Inventars (MBI) bezeichnet. Heute wird Burnout nicht mehr auf die Helfer-Klient-Beziehung beschränkt, sondern als universelles Phänomen, das sich in allen Berufsgruppen finden lässt, anerkannt (vgl. Maslach et al. 2001, S. 401). Da das Maslach Burnout Inventory (MBI) ursprünglich ausschließlich für den Gesundheitsbereich konzipiert wurde, war es notwendig, dieses Instrumentarium für andere Berufsgruppen zu adaptieren. Es entstanden neben dem MBI-Human Services Survey (MBI-HSS) der MBI-Educators Survey (MBI-ES) und schließlich der in Abschnitt 3.3.2.2 dargestellte MBI-General Survey (MBI-GS), welcher unabhängig von der zu untersuchenden Berufsgruppe angewendet werden kann (vgl. Maslach et al. 2001, S. 402).
1.2 Burnout-Definitionen Bei der Literaturdurchsicht kann eine Vielfalt an nebeneinanderstehenden und heterogenen Definitionsvorschlägen festgestellt werden, die in bestimmten Aspekten sogar widersprüchliche Positionen aufweisen (vgl. Körner 2002, S. 17). Obwohl die Existenz des Phänomens des Ausbrennens als unbestritten gilt, lässt sich das Burnout-Syndrom nicht exakt definieren, da sich oftmals unterschiedliche Symptomkombinationen zeigen (vgl. Kernen 2005, S. 63). Die bestehende
1.3 Symptomatologie
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Vielfalt an Definitionen und Modellen trägt maßgeblich zur Unschärfe des Burnout-Begriffs bei (vgl. Stöckli 1999, S. 293). Im Folgenden werden auszugsweise einige Burnout-Definitionen wiedergegeben: Nach Jaggi (2008, S. 6) ist Burnout “eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund beruflicher Überlastung. Dabei handelt es sich nicht um Arbeitsmüdigkeit, sondern um einen fortschreitenden Prozess, der mit wechselhaften Gefühlen der Erschöpfung und Anpassung einhergeht.“ Gemäß Schulze & Rössler (2006, S. 24), welche sich an die Definition von Maslach et al. (2001, S. 402f.) anlehnen, stellt “Burnout eine affektive Reaktion auf kontinuierliche Stressbelastungen im Beruf dar und umfasst drei Dimensionen:
Erschöpfung bezieht sich auf das Gefühl, sowohl emotional als auch körperlich entkräftet zu sein.
Zynismus beschreibt eine distanzierte, gleichgültige Einstellung gegenüber der Arbeit.
Ineffektivität beschreibt das Gefühl beruflichen Versagens sowie den Verlust des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten.“
Cherniss (1980, S. 16) versteht Burnout als einen “Prozess, in dem sich ein ursprünglich engagierter Mitarbeiter von seiner Arbeit zurückzieht, als Reaktion auf Beanspruchung und Belastung im Beruf“ (vgl. hierzu Burisch 2006, S. 19). Gemäß Längle (1997, S. 12) kann Burnout “als Symptom einer nichtexistenziellen Haltung verstanden werden, die der Betroffene zum Leben und zu seinem eigenen Dasein (zumeist unbewusst, oder gar in bester Absicht) einnimmt. Die Verkennung der existenziellen Wirklichkeit ist so fundamental, dass sie sich als vitale Defizienzsymptomatik somatisch und psychisch niederschlägt. Als solche hat sie dann Schutzfunktion vor weiterer Schädigung.“ Die verwirrende Vielfalt an bestehenden Burnout-Definitionen werten Kleiber & Enzmann (1990, S. 21) als Indiz für den defizitären Theoriestatus des Burnout-Konzepts.
1.3 Symptomatologie Das Burnout-Syndrom entwickelt sich meist schleichend und bleibt häufig über lange Zeit unentdeckt. Betroffene arbeiten im Durchschnitt noch rund neun Monate nach Beginn der Erkrankung, bevor sie sich in medizinische Behandlung
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1 Das Burnout-Syndrom
begeben (vgl. Petermann 2006). Viele von ihnen wenden sich primär mit vordergründig somatischen oder psychosomatischen Beschwerden an den Hausarzt, wodurch eine klare diagnostische Abgrenzung erschwert wird (vgl. Schulze & Rössler 2006, S. 24). Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass das Burnout-Syndrom bislang nicht als offizielle Diagnose in DSM-IV oder ICD-10 erfasst wird (vgl. Schulze & Rössler 2006, S. 23). In Letzterem wird es lediglich unter den Z-Diagnosen im Anhang als “Ausgebranntsein“ und “Zustand der totalen Erschöpfung“ geführt (Z73.0). Folglich existieren keine eigentlichen diagnostischen Leitlinien, die trennscharfe Kriterien zur Symptomatik vorgeben. Dennoch ist gemäß den Autoren eine Diagnostik von Burnout möglich. Als entscheidend hierfür erachten Schulze & Rössler (2006, S. 24) neben den von Maslach et al. (2001, S. 399) aufgestellten Kriterien, den in Tabelle 1 dargestellten progressiven Burnout-Verlauf. Tabelle 1:
Burnout-Verlauf (vgl. Burisch 2006, S. 25f.)
1. Warnsymptome .der Anfangsphase
2. Reduziertes Engagement
a. Überhöhter Energieeinsatz
- Hyperaktivität - Freiwillige unbezahlte Mehrarbeit - Gefühl der Unentbehrlichkeit - Gefühl, nie Zeit zu haben - Verleugnung eigener Bedürfnisse - Verdrängung von Misserfolgen und Enttäuschungen - Beschränkungen sozialer Kontakte auf Klienten
b. Erschöpfung
- Nicht Abschalten können - Energiemangel - Unausgeschlafenheit - Erhöhte Unfallgefahr
a. Für Klienten
- Desillusionierung - Verlust positiver Gefühle gegenüber Klienten - Größere Distanz zu Klienten - Meidung von Kontakt mit Klienten und/oder Kollegen - Aufmerksamkeitsstörungen ...in der Interaktion mit Klienten - Verschiebung des Schwergewichts ….von Hilfe auf Beaufsichtigung - Schuldzuweisung für Probleme an Klienten - Höhere Akzeptanz von Kontrollmitteln .wie Strafen od. Tranquilizern - Stereotypisierung von Klienten, Kunden, Schülern, etc. - Betonung von Fachjargon - Dehumanisierung
1.3 Symptomatologie
3. Emotionale Reaktionen
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b. Für andere allg.
- Unfähigkeit zu geben - Kälte - Verlust von Empathie - Verständnislosigkeit - Schwierigkeiten, anderen zuzuhören - Zynismus
c. Für die Arbeit
- Verlust von Idealismus - Desillusionierung - Negative Einstellung zur Arbeit - Widerwillen und Überdruss - Widerstand, täglich zur Arbeit zu gehen - Ständiges Auf-die-Uhr-sehen - Fluchtphantasien, Tagträumereien - Überziehen von Arbeitspausen - Verspäteter Arbeitsbeginn - Vorverlegter Arbeitsschluss - Fehlzeiten - Verlagerung des Schwergewichts auf die Freizeit - Höheres Gewicht materieller Bedingungen ...für die Arbeitszufriedenheit
c. Erhöhte Ansprüche
- Konzentration auf die eigenen Ansprüche - Gefühl mangelnder Anerkennung - Gefühl, ausgebeutet zu werden - Eifersucht - Familienprobleme, Konflikte mit den eigenen Kindern
a. Depression
- Schuldgefühle - Reduzierte Selbstachtung - Insuffizienzgefühle - Gedankenverlorenheit - Selbstmitleid - Humorlosigkeit - Unbestimmte Angst und Nervosität - Abrupte Stimmungsschwankungen - Verringerte emotionale Belastbarkeit - Bitterkeit - Abstumpfung, Gefühl von Abgestorbensein u. Leere - Schwächegefühl - Neigung zum Weinen - Ruhelosigkeit - Gefühl des Festgefahrenseins - Hilflosigkeits-, Ohnmachtsgefühle - Pessimismus, Fatalismus - Apathie - Selbstmordgedanken
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4. Abbau
5. Verflachung
6. Psychosomatische . . Reaktionen
1 Das Burnout-Syndrom b. Aggression
- Schuldzuweisungen an andere oder das 'System' - Verleugnung der Eigenbeteiligung - Ungeduld - Launenhaftigkeit - Intoleranz - Kompromissunfähigkeit - Nörgeleien - Negativismus - Reizbarkeit, Ärger und Ressentiments - Defensive/paranoide Einstellungen, Misstrauen - Häufige Konflikte mit anderen
a. der kognitiven Leistungsfähigkeit
- Konzentrations- und Gedächtnisschwäche - Unfähigkeit zu komplexen Aufgaben - Ungenauigkeit, Desorganisation - Entscheidungsunfähigkeit - Unfähigkeit zu klaren Anweisungen
b. der Motivation
- Verringerte Initiative - Verringerte Produktivität - Dienst nach Vorschrift
c. der Kreativität
- Verringerte Phantasie - Verringerte Flexibilität
d. Entdifferenzierung
- Rigides Schwarzweißdenken - Widerstand gegen Veränderungen aller Art
a. des emotionalen Lebens
- Verflachung gefühlsmäßiger Reaktionen - Gleichgültigkeit
b. des sozialen Lebens
- Weniger persönliche Anteilnahme an anderen od. exzessive Bindung an einzelne - Meidung informeller Kontakte - Suche nach interessanteren Kontakten - Meidung von Gesprächen über die eigene Arbeit - Eigenbröteleien, mit sich selbst beschäftigt sein - Einsamkeit
c. des geistigen Lebens
- Aufgeben von Hobbies - Desinteresse - Langeweile - Schwächung der Immunreaktion - Schlafstörungen, Albträume - Sexuelle Probleme - Gerötetes Gesicht - Herzklopfen, Engegefühl in der Brust - Atembeschwerden - Beschleunigter Puls - Erhöhter Blutdruck
1.3 Symptomatologie
33 - Muskelverspannungen, Rückenschmerzen - Kopfschmerzen - Nervöse Tics - Verdauungsstörungen - Übelkeit, Magen-Darm-Geschwüre - Gewichtsveränderungen - Veränderte Essgewohnheiten - Mehr Alkohol/Kaffee/Tabak/andere Drogen
7. Verzweiflung
- Negative Einstellung zum Leben - Hoffnungslosigkeit - Gefühl der Sinnlosigkeit - Selbstmordabsichten - Existentielle Verzweiflung
Die Reihenfolge der Kategorien in Tabelle 1 entspricht nur ungefähr einer Chronologie, die im Einzelfall höchst unterschiedlich sein kann (vgl. Burisch 2006, S. 32). Die Tabelle ist nicht so zu verstehen, dass in einem Burnout-Fall alle Symptome vorhanden sein müssen. Das Vorhandensein eines Symptoms erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass andere Symptome ebenfalls auftreten werden. Zwischen den einzelnen Phasen bestehen teils temporale teils kausale Beziehungen. Im Folgenden werden die einzelnen Stadien des BurnoutProzesses näher erläutert:
Kategorie 1: Warnsymptome in der Anfangsphase. Vor allem die ältere Burnout-Literatur geht davon aus, dass am Anfang eines Burnout-Prozesses stets ein Überengagement steht. Der Satz “Wer ausbrennt, muss einmal gebrannt haben“, ist noch heute ein häufig gehörtes Klischee. Schmitz & Leidl (1999, S. 305f.) konnten in einer Lehrerstudie (N = 103) den Zusammenhang zwischen Idealismus und Ausbrennen jedoch nicht bestätigen. Sehr wohl kann aber von einem überhöhten Energieeinsatz in der Anfangsphase des Burnout-Syndroms gesprochen werden. Wann ein erhöhter Energieeinsatz zu einem ‘überhöhten‘ wird, ist meist erst im Nachhinein zu beurteilen (vgl. Burisch 2006, S. 28).
Kategorie 2: Reduziertes Engagement. Diese Phase ist durch eine idealistische Überhöhung der Arbeit gefolgt von emotionalem, kognitivem und verhaltensmäßigem Rückzug von Klienten, Kollegen, Freunden und von der Arbeit selbst gekennzeichnet (vgl. a.a.O., S. 29). Die Arbeit wird immer mehr als Strapaze erlebt und Kontakte werden immer häufiger gemieden. Die Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen nimmt zu. Am Ende dieser Phase findet sich ein veränderter Lebensstil, den man, je nach
34
1 Das Burnout-Syndrom Ausgeprägtheit und Vorhandensein von Alternativen, als Anpassung an unabänderliche Verhältnisse verstehen kann.
Kategorie 3: Emotionale Reaktionen. Die dritte Phase des BurnoutProzesses ist durch das Auftreten depressiver oder aggressiver Reaktionen charakterisiert. Welche Form der emotionalen Reaktion vorherrschend ist, richtet sich nach der Art der Schuldattribuierung: Sieht der Ausbrennende die Ursachen seiner Probleme hauptsächlich bei sich selbst, so wird er überwiegend depressiv reagieren. Menschen, die eher extrapunitiv disponiert sind, werden eher zu aggressiven Reaktionen neigen (vgl. Burisch 2006, S. 32). In diesem Burnout-Stadium ist die Chance für eine erfolgreiche Problemlösung durch eine Veränderung der Umwelt, Veränderung der Erwartungen oder Verlassen der Situation bereits gemindert.
Kategorie 4: Abbau. Diese Phase lässt sich durch einen Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit, der Motivation sowie der Kreativität charakterisieren. In Wechselwirkung mit den vorstehenden Reaktionsweisen kommt es zu deutlichen Leistungsabfällen (vgl. Burisch 2006, S. 33). Die Existenz von Wechselwirkungen mit der dritten Kategorie kann darauf zurückgeführt werden, dass der Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit, der Motivation sowie der Kreativität depressive Reaktionen oder Angstreaktionen verstärken kann, welche dann wiederum verstärkend zurückwirken.
Kategorie 5: Verflachung. In der Fortführung der Symptome von Kategorie vier kann es zu einer deutlichen Verflachung des emotionalen, sozialen und geistigen Lebens kommen. Einsamkeit, Desinteresse und Gleichgültigkeit charakterisieren diese Phase des Burnout-Prozesses. Das soziale Netz wird als feindlich, fordernd und überfordernd erlebt. Das Desinteresse an anderen resultiert häufig darin, dass sich Freunde zurückziehen; die nachfolgende Einsamkeit führt wiederum zu einer Verstärkung der Symptomatik.
Kategorie 6: Psychosomatische Reaktionen. Bereits parallel zu den Symptomen in der Anfangsphase treten psychosomatische Reaktionen wie Muskelverspannungen, Kopfschmerzen oder Verdauungsstörungen auf. Des Weiteren kann es zu einer größeren Häufigkeit von Infektionskrankheiten, Schlafstörungen und Kreislaufbeschwerden kommen. Spätestens in diesem Stadium ist auch die Schwelle zu Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch deutlich erniedrigt. Wird sie überschritten, so erzeugt das Folgeprobleme, die ihrerseits bewältigt werden müssen, was dann die Coping-Fähigkeit des
1.4 Differenzialdiagnose
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Individuums in den meisten Fällen endgültig übersteigt. Koronare Herzerkrankungen oder Geschwüre im Magen-Darm-Trakt können im weiteren Verlauf auftreten.
Kategorie 7: Verzweiflung. Wird der Prozess nicht frühzeitig gestoppt, kommt es im terminalen Burnout-Stadium zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit, welches Burisch (2006, S. 34) als ‘existenzielle Verzweiflung‘ bezeichnet. In dieser Phase hat das Leben seinen Sinn verloren. Dies kann als Endzustand eines beruflichen Burnout-Prozesses bezeichnet werden.
1.4 Differenzialdiagnose Angesichts der Vielfältigkeit der für das Burnout-Syndrom typischen, jedoch keineswegs spezifischen Symptomatik ist es schwierig, das Burnout-Syndrom von verwandten Syndromen abzugrenzen. Viele der genannten Symptome treten z.B. auch bei der Depression oder beim Chronischen Müdigkeitssyndrom auf. Es ist daher erforderlich, eine psychiatrische Differenzialdiagnostik vorzunehmen (vgl. Brühlmann 2007).
1.4.1 Depression Bei der Depression handelt es sich um eine bestimmte Form der psychischen Erkrankung, die dem Burnout-Syndrom inhaltlich sehr nahe steht. Die enge Beziehung zwischen Depression und Burnout wird durch die parallelen Symptome wie Motivationsverlust, Interessenverlust, Gefühl abnehmender Kompetenzen, etc. deutlich, wodurch sich eine klare Trennung zwischen den beiden Konstrukten als schwierig gestaltet (vgl. Körner 2002, S. 29). Die Burnout-Leitsymptome nach Maslach et al. (2001, S. 402f.) und die Leitsymptome der depressiven Episode nach ICD-10 weisen eine große Ähnlichkeit auf (vgl. Hell 2007b). Für Ärzte stellt sich damit Burnout nicht selten als enttabuisierendes Etikett für eine depressive Symptomatik dar (vgl. Schulze & Rössler 2006, S. 23). Demgegenüber erreicht eine leichtere Form des BurnoutSyndroms oft nicht den Schwellenwert der Depressionsdiagnostik, könnte jedoch eine subklinische Depression widerspiegeln oder Vorstufe bzw. Risikofaktor einer depressiven Störung sein (vgl. Hell 2007b). Nach Hell (2007a, S. 39f.) beruht die Unterscheidung von Burnout und Depression weniger auf einer unterschiedlichen Symptomatik, sondern vielmehr darauf, dass diese Erkrankungen aus unterschiedlicher Perspektive gesehen
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1 Das Burnout-Syndrom
werden müssen: Bei depressiven Menschen stehen Bedrücktheit und Antriebsstörung im Vordergrund, während Menschen mit Burnout ihre Arbeitssituation negativ erleben und vor allem unter emotionaler Erschöpfung und reduzierter persönlicher Leistungsfähigkeit leiden. Maslach et al. (2001, S. 404) gehen ebenfalls davon aus, dass Burnout von der Depression dahin gehend unterschieden werden kann, dass sich Ersteres auf die Arbeit beschränkt, während Depressionen jeden Bereich des Lebens durchdringen, ohne auf eine spezifische Domäne des Lebens festgelegt zu sein. Auch Schulze & Rössler (2006, S. 24) nehmen an, dass die Erschöpfungssymptomatik nur solange als Burnout zu betrachten ist, wie sie ausschließlich den Arbeitskontext betrifft. Erweisen sich Strategien zur Stressbewältigung als ineffektiv, besteht jedoch die Gefahr, “dass Symptome wie negative emotionale Reaktionen und Antriebsstörungen sich schrittweise vom Arbeitskontext auf weitere Lebensbereiche ausweiten und letztlich im Vollbild einer klinischen Depression münden“ (Schulze & Rössler 2006, S. 24). Jaggi (2008, S. 11) geht ebenso davon aus, dass es bei zunehmender Intensität der Krisensituation zu einer Überlappung von Burnout mit der Symptomatologie der Depression kommt. Der Zusammenhang zwischen den Konstrukten Burnout und Depression konnte auch empirisch belegt werden: In einer repräsentativen Studie an 3.276 finnischen Arbeitnehmern konnten Ahola et al. (2005, S. 60) aufzeigen, dass über die Hälfte derjenigen, die gemäß dem Maslach Burnout-Inventar ein schweres Burnout aufwiesen, auch an einer klinisch diagnostizierten Depression litten. In einer weiteren Studie an finnischen Zahnärzten (N = 2.555) konnten Ahola & Hakanen (2007, S. 108) nachweisen, dass das Burnout-Syndrom als Mediator zwischen Arbeitsbelastungen und Depression fungiert: Hohe Arbeitsbelastungen führten nicht auf direktem Wege, sondern über die Entwicklung eines Burnout-Syndroms zu einer depressiven Störung.
1.4.2 Chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS) Beim Chronischen Müdigkeitssyndrom handelt es sich um ein klinisch definiertes Krankheitsbild, das durch eine lähmende Erschöpfung von mindestens sechs Monaten Dauer und eine Kombination von Symptomen wie Konzentrationsschwäche, Merkfähigkeitsstörung, Schlafstörungen sowie Muskelund Gliederschmerzen charakterisiert wird (vgl. Jaggi 2008, S. 13f.). Die Diagnose kann erst gestellt werden, wenn andere medizinische bzw.
1.5 Burnout-Theorien
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psychiatrische Ursachen für die chronische Erschöpfung ausgeschlossen werden können. Als Hauptdiagnosekriterium der Klassifikation gilt eine klinisch gesicherte, ungeklärt persistierende oder rezidivierende chronische Erschöpfung, (1) (2) (3) (4)
die neu oder zeitlich bestimmbar eingesetzt hat (bestand nicht lebenslang), die nicht Folge einer noch anhaltenden Überlastung ist, die sich nicht wesentlich durch Ruhe bessert, die zu einer substanziellen Reduktion an Aktivitäten in Ausbildung, im Beruf sowie im sozialen Bereich führt und mindestens vier der nachfolgenden Symptome aufweist:
Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses oder der Konzentration Halsschmerzen Empfindliche Hals- und Achsellymphknoten Muskelschmerzen Gelenkschmerzen an diversen Lokalisationen, ohne Schwellung od. Rötung Kopfschmerzen eines neuen Typs, Musters und Schweregrads Keine Erholung durch Schlaf Zustandsverschlechterung für mehr als 24 Stunden nach Anstrengungen.
Während das Chronische Müdigkeitssyndrom nach Litzcke & Schuh (2007, S. 163) ein verhärtetes klinisches Bild von Erschöpfung darstellt, ist Burnout einerseits spezifischer, da es auf den Arbeitsbereich begrenzt ist und biologische und physiologische Symptome weniger im Vordergrund stehen als beim Chronischen Müdigkeitssyndrom. Andererseits ist es unspezifischer, da die Anforderungen an die Diagnose eines Burnout-Syndroms geringer sind als an die eines Chronischen Müdigkeitssyndroms. Problematisch für die Differenzialdiagnose von Burnout bleibt die starke Überlappung des zentralen Merkmals Erschöpfung mit anderen Störungsbildern.
1.5 Burnout-Theorien Es existiert eine Vielzahl an Burnout-Theorien, die das Ausbrennen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten (vgl. Jerich 2006, S. 21): In organisationalen Burnout-Modellen werden betriebliche Belastungsfaktoren schwerpunktmäßig als Ursache des Ausbrennens erachtet. Diese Ansätze zeichnen sich durch eine große Vielfalt aus, da der Arbeits- und Organisationsbereich zahlreiche Merkmale enthält, die potenziell Burnout-relevant sein können (vgl. Körner
38
1 Das Burnout-Syndrom
2002, S. 51). Individuumszentrierte Ansätze betrachten Burnout hingegen vorrangig unter dem individuellen Aspekt, umweltbedingte Faktoren bleiben dabei weitgehend unbeachtet (vgl. Jerich 2006, S. 21). Im Folgenden sollen ein organisationales und ein individuumszentriertes Burnout-Erklärungsmodell skizziert werden, wobei es weniger um detaillierte Beschreibungen der einzelnen Theorien als vielmehr um die Darstellung der jeweils wesentlichen Aspekte zur Burnout-Genese geht.
1.5.1 Die Burnout-Theorie von Maslach & Leiter Maslach & Leiter (2001) orten die zentralen Ursachen für das Phänomen Burnout vorrangig im Arbeitsumfeld. Die Autoren gehen davon aus, dass Burnout als ein Anzeichen einer schweren Funktionsstörung innerhalb eines Unternehmens bzw. einer Organisation zu betrachten sei. Maslach & Leiter (2001, S. 19f.) vertreten damit eine Position, die nicht primär Persönlichkeitsmerkmalen, sondern dem Arbeitsumfeld respektive der Arbeitsgestaltung eine für Burnout-Prozesse ursächliche Rolle zuschreibt. Die Autoren führen das Burnout-Syndrom auf folgende sechs Faktoren des Arbeitslebens zurück (vgl. Maslach & Leiter 2001, S. 28ff.):
Arbeitsüberlastung: wenn zu viel an Arbeit in zu kurzer Zeit erledigt werden muss, ohne dass dafür die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen.
Mangel an Kontrolle: wenn keine oder lediglich eingeschränkte Möglichkeiten bestehen, am Entscheidungsgeschehen zu partizipieren oder Probleme eigenständig zu lösen.
Unzureichende Belohnung: wenn die Bezahlung unangemessen ist oder ein Missverhältnis zwischen Arbeitsengagement und Anerkennung besteht.
Mangel an Gemeinschaft: wenn keine oder nur eingeschränkte Sozialkontakte zu Kollegen bestehen.
Mangel an Fairness: wenn Mitarbeitern nicht der erforderliche Respekt entgegengebracht wird.
Wertekonflikt: wenn eine Diskrepanz zwischen den Arbeitsanforderungen und den persönlichen Werten des Mitarbeiters besteht.
1.5 Burnout-Theorien
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Mit dieser Theorie rücken Maslach & Leiter (2001, S. 19f.) von der Vorstellung ab, dass Burnout infolge Klienten-bezogener Stressoren entstehe, wie dies von Maslach & Jackson (1986) anfänglich postuliert wurde.
1.5.2 Die Burnout-Theorie von Schaarschmidt & Fischer Schaarschmidt & Fischer (2001) können als Vertreter einer individuumszentrierten Burnout-Theorie bezeichnet werden. Mit dem AVEM (Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster) haben sie ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe Verhaltens- und Erlebensmuster, die für die gesundheitsrelevante Auseinandersetzung mit Arbeitsanforderungen von besonderer Bedeutung sind, erhoben werden können (vgl. 3.3.2.5). Das von den Autoren entwickelte Erhebungsverfahren ist nicht unmittelbar als Burnout-Instrument zu verstehen. Mit den Risikomustern A und B erfolgt jedoch eine Annäherung an das Burnout-Syndrom (vgl. Burisch 2006, S. 38). Der Risikotyp A entspricht etwa dem, was mit aktivem Burnout oder Selbstverbrennung (vgl. Fischer 1983) gleichgesetzt werden kann (vgl. Burisch 2006, S. 54f.). Vertreter dieses Typs lassen sich durch exzessives Arbeitsengagement (hohe Ausprägungen in der Bedeutsamkeit der Arbeit, der Verausgabungsbereitschaft und dem Perfektionsstreben) bei verminderter Distanzierungsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit, Ausgeglichenheit und Lebenszufriedenheit sowie leicht erhöhter Resignationstendenz charakterisieren (vgl. Schaarschmidt & Fischer 2001, S. 22f.). Personen dieses Profils fällt es besonders schwer, Abstand zu den Problemen in der Arbeit zu gewinnen. Insgesamt ist das Bild dadurch charakterisiert, dass ein hohes Engagement keine positive emotionale Entsprechung findet, was zu einem erhöhten Burnout-Risiko führt. Als die herausragenden Kennzeichen eines Risikomusters B, welches nach Burisch (2006, S. 38) einem passiven Burnout (‘Opfer der Umstände‘) im fortgeschrittenen Stadium nahekommt, können gemäß Schaarschmidt & Fischer (2001, S. 23f.) ein geringes Arbeitsengagement, insbesondere eine gering ausgeprägte subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit sowie ein eingeschränkter beruflicher Ehrgeiz verstanden werden. Weitere Charakteristika dieses Musters sind nach den Autoren eine hohe Resignationstendenz, eine gering ausgeprägte Fähigkeit zur offensiven Problembewältigung, eine geringe innere Ruhe und Ausgeglichenheit, ausbleibendes Erfolgserleben im Beruf und generelle Lebensunzufriedenheit.
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1 Das Burnout-Syndrom
Wie aus den Ausführungen ersichtlich, sehen Schaarschmidt & Fischer (2001) vorrangig Persönlichkeitsmerkmale in der Auseinandersetzung mit Arbeitsanforderungen bzw. -belastungen als ursächlich für das Ausbrennen. Die Autoren betonen jedoch, dass defizitäre Arbeitsbedingungen insofern eine Rolle spielen, als sie die Möglichkeiten des Mitarbeiters einschränken, mit Arbeitsbelastungen in einer positiven Art und Weise umzugehen.
1.6 Darstellung Burnout-begünstigender Faktoren unter besonderer Berücksichtigung psychodynamischer Aspekte In der vorliegenden Arbeit wird Bezug nehmend auf die Burnout-Theorie von Schaarschmidt & Fischer (2001) davon ausgegangen, dass das Ergebnis des Ausbrennens am Arbeitsplatz als das Zusammenspiel von organisationalen und personalen Faktoren betrachtet werden muss (vgl. hierzu auch Rudow 1994, S. 135; Burisch 2002, S. 11; Burisch 2006, S. 198; Körner 2002, S. 407). In Anlehnung an die persönlichen Erfahrungen der Autorin wird angenommen, dass erhöhte Arbeitsbelastungen jedoch nicht ausschließlich über eine Schwächung der Bewältigungskapazität beruflicher Anforderungen, sondern darüber hinaus auch über Einschränkungen in der Bewältigungsfähigkeit intrapsychischer Anforderungen zur Entstehung von Burnout-Prozessen führen. Im Folgenden soll eine Darstellung der aus Sicht der Autorin wesentlichen Burnout-begünstigenden Faktoren erfolgen. Zunächst wird die Bedeutung einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen, welche sich in einem verstärkten Gebrauch unreifer Abwehrmechanismen manifestiert, für die Entstehung von Burnout-Prozessen erläutert. In einem weiteren Schritt soll die Rolle einer dysfunktionalen Haltung gegenüber den Arbeitsanforderungen, welche häufig aus einer ungünstigen Auseinandersetzung mit den intrapsychischen Anforderungen resultiert, für die Entwicklung der Burnout-Symptomatik diskutiert werden. Abschließend gilt es die Relevanz von Arbeitsbelastungen, deren Vorliegen oftmals auf der Verwendung unreifer Formen der Abwehr seitens des Führenden wie auch des Mitarbeiters beruht, für die Entstehung von Burnout zu erörtern.
1.6.1 Dysfunktionale Bewältigung intrapsychischer Anforderungen Im Folgenden soll die Bedeutung maladaptiver Abwehrmechanismen, deren Gebrauch eine dysfunktionale Bewältigung der Anforderungen aus der inneren Umwelt indiziert, für die Initiierung von Burnout-Prozessen diskutiert werden.
1.6 Darstellung Burnout-begünstigender Faktoren
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Das Konzept der Abwehr basiert auf der Grundannahme, dass menschliches Verhalten fortlaufend durch unbewusste Gedanken, Wünsche und Vorstellungen beeinflusst wird. Bevor detailliert auf das Konzept der Abwehr eingegangen wird, soll zunächst eine Definition des Unbewussten erfolgen.
1.6.1.1 Das Unbewusste Von welchen unbewussten Prozessen kann man heute ausgehen? Freud benutzte das Konzept des Unbewussten in drei unterschiedlichen Auslegungen (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 97): Er beschrieb das Unbewusste erstens als das dynamische bzw. verdrängte Unbewusste, welches nicht nur das Es, sondern auch Teile des Ichs und des Über-Ichs, also unbewusste Triebimpulse, Abwehrhaltungen und Konflikte inkludiert. Zweitens erklärt Freud das Unbewusste aus den unbewussten Anteilen des Ichs, Anteile die nicht verdrängt sind, sondern immer unbewusst verbleiben. Drittens bezeichnete er mit dem Vorbewussten all jene Gedanken und Emotionen, die grundsätzlich dem Bewusstsein zugänglich sind, aber in der Regel unbewusst bleiben (vgl. Freud 1925, zit. n. Arbeitskreis OPD 2006, S. 97). Der überwiegende Teil der Gehirnaktivitäten erfolgt unbewusst; diese unbewussten Aktivitäten sind weder vorbewusst, noch sind sie Teil des dynamischen Unbewussten. Alle psychischen Prozesse sind in ihrem Wesen unbewusst, d.h., das Individuum kann nicht verfolgen, auf welche Weise sein Gehirn arbeitet und wie Erinnerung oder Sprache ablaufen. Die Informationsverarbeitung erfolgt in symbolischer bzw. subsymbolischer Verarbeitung, wobei nur die symbolische Verarbeitung, welche verbal und bildhaft stattfinden kann, dem menschlichen Bewusstsein zugänglich ist. Die Erfahrungen des menschlichen Lebens verdichten sich in immer wiederkehrenden Interaktionen, welche durch die unbewussten und bewussten Anteile der Beziehungs- und Interaktionspartner als auch deren Erleben beeinflusst werden, und prägen in der Folgezeit das weitere Erleben und Handeln des Individuums. Wenn Unbewusstes sich in allen Handlungen und wesentlichen interpersonellen Beziehungen manifestiert, ist eine Erfassung sowohl im intrapsychischen als auch im interpersonellen Rahmen notwendig und möglich (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 98). Eine Annäherung an das Unbewusste kann oftmals nur über eine Identifikation jener intrapsychischen Prozesse erfolgen, die dazu dienen, Unbewusstes vom Bewusstsein fernzuhalten: der Abwehrmechanismen (vgl. a.a.O., S. 97).
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1 Das Burnout-Syndrom
1.6.1.2 Definition von Abwehr Der Begriff Abwehr geht auf Sigmund Freud zurück und taucht erstmalig im Jahr 1884 in einer Studie über die Abwehr-Neuropsychosen auf (vgl. Freud 2006, S. 49). Unter dem Terminus Abwehr verstand man damals das Sträuben des Ichs gegen peinliche oder unerträgliche Vorstellungen und Affekte. Der Begriff wurde später fallen gelassen und in der Folge durch den der Verdrängung ersetzt. Im Jahr 1926 griff man den Terminus der Abwehr erneut auf und bezeichnete damit jene Techniken, deren sich das Ich in seinen eventuell zur Neurose führenden Konflikten bedient. Damit wurde die Sonderstellung der Verdrängung aufgehoben und in der psychoanalytischen Theorie Raum für andere Abwehrvorgänge geschaffen. Mit dem Begriff Abwehr werden nach heutigem Verständnis alle intrapsychischen Operationen bezeichnet, die darauf abzielen, unerwünschte Wahrnehmungen, Gefühle, Affekte, etc. ganz oder teilweise vom Bewusstsein fernzuhalten (vgl. Mentzos 2005, S. 60). Da es sich bei Abwehrmechanismen um ursprünglich notwendige und sinnvolle Schutz- und Bewältigungsmechanismen handelt, ist es nicht immer einfach, normale Bewältigungsmechanismen von pathologischen Abwehrmechanismen abzugrenzen. Pathologisch darf ein Abwehrmechanismus erst bezeichnet werden, wenn er bestimmte Kriterien erfüllt. Gemäß Mentzos (2005, S. 61) besteht eines der wesentlichen Kennzeichen für die Krankhaftigkeit eines Abwehrvorganges in der erheblichen Einschränkung der Ich-Funktionen und der Reduzierung der freien Selbstentfaltung. Weitere Kriterien sieht der Autor in der Zwangsläufigkeit des Auftretens, in der Rigidität und in der Tatsache, dass ein solcher Mechanismus völlig unbewusst verläuft und dass seine Bewusstmachung auf erheblichen Widerstand stößt.
1.6.1.3 Klassifizierungsversuche von Abwehrmechanismen Es hat in der Vergangenheit verschiedene Versuche gegeben, eine Klassifizierung von Abwehrmechanismen vorzunehmen. Die Autoren des Arbeitskreis OPD (2006, S. 482) nehmen in Anlehnung an Perry & Hoglend (1998) bzw. Sass et al. (2001) folgende Systematisierung vor:
Hochadaptives Niveau: Die Abwehrmechanismen auf diesem Niveau führen zu optimaler Adaption im Umgang mit belastenden Faktoren. Sie erlauben den bewussten Umgang mit Gefühlen, Gedanken und ihren Konsequenzen und fördern eine Balance zwischen widerstreitenden Motiven. Beispiele für Abwehrmechanismen auf diesem Niveau sind:
1.6 Darstellung Burnout-begünstigender Faktoren
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Altruismus, Antizipation, Humor, Selbstbeobachtung, Selbstbehauptung, Sublimation, Unterdrückung.
Niveau mit psychischen Hemmungen (Kompromissbildungen): Die Abwehrmechanismen auf diesem Niveau grenzen potenziell bedrohliche Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Wünsche oder Ängste aus dem Bewusstsein aus. Als Beispiele können genannt werden: Affektisolation, Dissoziation, Intellektualisierung, Reaktionsbildung, Ungeschehenmachen, Verdrängung, Verschiebung.
Niveau mit leichter Vorstellungsverzerrung: Dieses Abwehrniveau ist durch eine Verzerrung des Selbstbildes, des Körperbildes oder anderer Vorstellungen, die zur Selbstwertregulierung verwendet werden können, charakterisiert. Beispiele sind: Entwertung, Idealisierung, Omnipotenz.
Verleugnungsniveau: Bezeichnend für dieses Abwehrniveau ist, dass unangenehme oder unannehmbare Belastungsfaktoren, Impulse, Vorstellungen, Affekte oder Verantwortung außerhalb des Bewusstseins gehalten werden. Diese können mit oder ohne Fehlattributionen auf äußere Ursachen einhergehen. Beispiele für Abwehrmechanismen auf diesem Niveau sind: Projektion, Rationalisierung und Verleugnung.
Niveau mit schwerer Vorstellungsverzerrung: Dieses Abwehrniveau ist durch grobe Verzerrung oder Fehlattribution des Selbstbildes oder des Bildes von anderen gekennzeichnet. Als Beispiele sind zu nennen: Autistische Fantasie oder Projektive Identifikation.
Handlungsniveau: Bezeichnend für Abwehrmechanismen auf diesem Niveau ist, dass auf innere oder äußere Belastungsfaktoren mittels Handeln oder Rückzug reagiert wird. Beispiele: Apathischer Rückzug, Ausagieren, Hilfe-zurückweisendes Klagen und Passive Aggression.
Niveau mit Abwehr-Dysregulation: Dieses Abwehrniveau ist charakterisiert durch ein Versagen der Abwehrregulation, was zu einem Bruch mit der objektiven Realität führt. Als Beispiele können genannt werden: Psychotische Leugnung, Psychotische Verzerrung, Wahnhafte Projektion.
Gemäß Mentzos (2005, S. 62) sind die sinnvollsten Systematisierungsversuche diejenigen, die eine Reihung von den unreifsten zu den reifsten Abwehrmechanismen zum Ziel haben. Eine Klassifizierung von Abwehrmechanismen
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1 Das Burnout-Syndrom
nach ihrem Reifegrad hat unter anderem Vaillant (1971) vorgenommen. Der Autor bildet vier Hauptgruppen von Abwehrmechanismen, denen er die dem Abwehrniveau entsprechende Altersstufe und Psychopathologie zuordnet (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2:
Klassifizierung der Abwehrmechanismen nach Vaillant (1971) Mechanismen
Alter
Pathologische Entsprechung
Psychotische Abwehr
- Wahnhafte Projektion - (Psychot.) Verleugnung - Verzerrung
< 5 Jahre
Psychotische Störungen
Unreife Abwehr
- Projektion - Schizoide Fantasie - Hypochondrie - Passive Aggression - Intellektualisierung - Verdrängung - Verschiebung - Reaktionsbildung - Dissoziation
3 - 16 Jahre
Persönlichkeits- und affektive Störungen
3 - 90 Jahre
Neurotische Störungen
- Altruismus - Humor - Suppression - Antizipation - Sublimierung
12 - 90 Jahre
Neurotische Abwehr
Reife Abwehr
Auf der Ebene der psychotischen Abwehr kann man Abwehrmechanismen einordnen, die zu groben, unrealistischen Lösungen führen, wie dies beispielsweise bei der wahnhaften Projektion der Fall ist. Der zweiten Ebene lassen sich ebenfalls unreife, aber nicht mehr zu so unrealistischen Lösungen führende Abwehrmechanismen wie z.B. die nichtpsychotische Projektion zuordnen. Auf der dritten Ebene befinden sich die neurotischen Abwehrmechanismen wie die Intellektualisierung oder die Reaktionsbildung. Der vierten Ebene werden reife Abwehrmechanismen wie beispielsweise die Sublimierung oder die Antizipation zugeordnet. Ähnlich wie Vaillant (1971) klassifizieren auch Andrews et al. (1993) Abwehrmechanismen nach ihrem Reifegrad. Eine detaillierte Beschreibung der den jeweiligen Reifeniveaus zugeordneten Abwehrmechanismen erfolgt im Rahmen der Skizzierung des Defense Style Questionnaire (vgl. 3.3.2.4).
1.6 Darstellung Burnout-begünstigender Faktoren
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Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, eine Differenzierung von Abwehrmechanismen im Hinblick auf Konfliktpathologien vorzunehmen (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 163). Während eher reife Abwehrmechanismen wie die Verdrängung, die Intellektualisierung oder die reiferen Formen der Verleugnung vorwiegend bei intrapsychischen Konfliktpathologien vorkommen, treten unreifere Abwehrmechanismen wie die Projektion, die Spaltung oder die unreiferen Formen der Verleugnung vor allem bei ich-strukturellen Einschränkungen oder in regressiven Zuständen höher strukturierter Patienten auf. Letztere stehen vorwiegend in Beziehung zu interpersonellen Konflikten.
1.6.1.4 Konfliktabwehr In der Psychologie wird der Konflikt als “das Aufeinandertreffen entgegengesetzter Verhaltenstendenzen (Motive, Bedürfnisse, Wünsche)“ definiert (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 95). Die Gegensätzlichkeit dieser Verhaltenstendenzen (z.B. der basale Wunsch nach Versorgung und der basale Wunsch, autark zu sein) kann zu einer erhöhten intrapsychischen Konfliktspannung führen. Ist ein Individuum nicht in der Lage, die intrapsychische Spannung, welche der Konflikt auslöst, zu bewältigen, dann muss dieser abgewehrt, d.h. dem Bewusstsein entzogen werden. Häufig ist erhebliche ‘Abwehrkraft‘ erforderlich, um unbewusste Konflikte, die unter Konflikt-auslösenden Bedingungen an die Grenze des Bewusstseins drängen, auf Dauer vom Bewusstsein fernzuhalten. Der Einsatz von Abwehrmechanismen kann damit auch eine Anstrengung bedeuten, die ein erhöhtes Erschöpfungsrisiko zur Folge hat (vgl. hierzu auch Freudenberger & North 2005, S. 74). Die Abwehr intrapsychischer Konflikte vermag die Burnout-Gefährdung von Mitarbeitern insbesondere auch über die mit der Konfliktabwehr häufig einhergehende Abwehr von Gefühlen und Bedürfnissen zu erhöhen: Wenn etwa das Vorhandensein einer physischen bzw. psychischen Überbeanspruchung aufgrund eines im aktiven Modus vorliegenden Konflikts im Bereich der “Versorgung versus Autarkie“ (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 229) nicht entsprechend wahrgenommen wird und physische wie psychische Symptome in den Hintergrund gedrängt werden, kann das nach Freudenberger & North (2005, S. 27ff.) Burnout-Prozesse initiieren. Gemäß den Autoren können verdrängte Gefühle als Stressverstärker und Wegbereiter des Burnout-Syndroms bezeichnet werden, da sie dazu dienen, den Burnout-Prozess zu verschleiern (vgl. hierzu auch Burisch 2006, S. 97).
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1 Das Burnout-Syndrom
Das Vorhandensein unbewusster intrapsychischer Konflikte ist an bestimmte Ich-strukturelle Voraussetzungen geknüpft (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 99). Struktur im psychologischen Sinne kann verstanden werden als das ganzheitliche Gefüge von psychischen Dispositionen. Sie bezieht sich auf die Verfügbarkeit über psychische Funktionen in der Regulierung des Selbst und seiner Beziehung zu den inneren und äußeren Objekten. Die Struktur eines Menschen ist nicht rigide und unveränderlich, sondern zeigt lebenslang Entwicklungsprozesse. Die Veränderungsgeschwindigkeit dieser Prozesse ist jedoch so langsam, dass der Eindruck von Konstanz überwiegt. Eine gut integrierte Struktur ist dadurch charakterisiert, dass dem Individuum ein psychischer Innenraum zur Verfügung steht, in dem psychisches Erleben (Kognitionen, Affekte, etc.) differenziert wahrgenommen werden kann. Die regulierenden Funktionen sind sowohl in inneren als auch in äußeren Belastungssituationen verfügbar. Es existiert ein strukturierter Binnenraum, in dem Selbstreflexion möglich ist (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 259). Bei einem niedrigeren Strukturniveau ist der seelische Binnenraum weniger gut entwickelt. Die Verfügbarkeit der regulierenden Funktionen ist eingeschränkt, gerade im Zusammenhang mit Belastungssituationen (strukturelle Vulnerabilität). Die andrängenden Impulse aus dem Unbewussten können nur unter Zuhilfenahme unreiferer Abwehrmechanismen wie der Projektion und um den Preis einer verzerrten Realitätswahrnehmung in Schach gehalten werden (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 163). Die bewirkte Verzerrung der Realitätswahrnehmung führt dazu, dass sich unbewusste intrapsychische Konflikte nach außen richten und sich in interpersonellen Konflikten manifestieren, deren Vorliegen wiederum mit einer erhöhten Burnout-Gefährdung einhergehen kann. Ein verstärktes Burnout-Risiko ergibt sich insbesondere dadurch, dass die Verlagerung eigener Anteile am Zustandekommen dieser Konflikte auf die Interaktionspartner (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 297) zum Einnehmen einer Opferrolle und damit zu Burnout-begünstigenden Einschränkungen in der Problem- bzw. Konfliktbewältigungsfähigkeit (vgl. Schaarschmidt & Fischer 2001, S. 21) führen kann (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 164). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die – eine dysfunktionale Bewältigung intrapsychischer Anforderungen indizierende – Verwendung maladaptiver Abwehrmechanismen mit einer erhöhten Burnout-Gefährdung einhergeht. Dass ein positiver Zusammenhang zwischen dysfunktionaler Abwehr und Burnout besteht, konnte Schaffer (2000, S. 202) in einer Studie an Volksschullehrern (N = 100) empirisch belegen.
1.6 Darstellung Burnout-begünstigender Faktoren
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1.6.1.5 Die interpersonale und psychosoziale Abwehr Gemäß Mentzos (1988, S. 110) beschränkt sich die Abwehr nicht auf individuell intrapsychische Operationen, sondern sie festigt sich durch eine unbewusste, aber gleichzeitig der neurotischen Bedürfnisse adäquate Beeinflussung und Veränderung von Mitmenschen. Solche im zwischenmenschlichen Bereich entstehenden Abwehrmechanismen werden als interpersonale Abwehrkonstellationen bezeichnet. Diese lassen sich dadurch charakterisieren, dass neben der intrapsychischen Veränderung eine unbewusst zwischenmenschliche Konstellation hergestellt wird, welche die intrapsychische Veränderung bestätigt, rechtfertigt und real erscheinen lässt. Durch ihre Verankerung in der Realität kommt es zu einer Sicherung und Festigung der intrapsychischen Abwehr. Auch bei intrapsychischen Abwehrmechanismen sind oft Beziehungspersonen beteiligt. Dabei arbeitet der Abwehrprozess mit Manipulationen der Objektrepräsentanzen, d.h., es handelt sich um innerseelische Vorgänge. Im Gegensatz dazu werden bei der interpersonalen Abwehrkonstellation die realen Objekte (Beziehungspersonen) entweder so gewählt, dass sie die entsprechende Funktion in der Abwehrformation tatsächlich übernehmen, oder sie werden durch Rollenzuweisung manipuliert dies zu tun. Der Vorgesetzte, der ‘nur intrapsychisch‘ projiziert, versucht sein labiles Selbstwertgefühl mit Hilfe von Größenfantasien zu stabilisieren, während der Vorgesetzte, der eine interpersonale Abwehrkonstellation eingeht, seine labilen Anteile auf den als inkompetent und schwach wahrgenommenen Mitarbeiter projiziert und ihn dadurch in Rollen und Verhaltensweisen drängt, welche die Haltung des Vorgesetzten in seinen Augen rechtfertigen (vgl. Mentzos 2005, S. 258 oder Kinzel 2002, S. 72). Die ‘Ziele‘ der interpersonalen Abwehrmechanismen unterscheiden sich nicht wesentlich von denjenigen der intrapsychischen Abwehrformen (vgl. Mentzos 1988, S. 28). Auch bei den interpersonalen Abwehrformen geht es darum, dass ein bestimmter Inhalt und insbesondere die dazugehörige gefühlsmäßige Reaktion entweder vom Bewusstsein ferngehalten oder im Hinblick auf ihre Bedeutsamkeit für das betreffende Individuum bagatellisiert werden. Mentzos (1988, S. 63) nimmt eine Unterscheidung zwischen komplementären und symmetrischen Abwehrkonstellationen vor: Bei der komplementären Abwehrkonstellation kann beispielsweise der Mitarbeiter vom Vorgesetzten genötigt werden, diesem seine negative Seite ‘abzunehmen‘. Das bedeutet, dass der Mitarbeiter einen Aspekt darstellen soll, den der Vorgesetzte bei sich selbst nur dadurch erfolgreich unterdrücken und verleugnen kann, indem er ihn gewissermaßen auf den Mitarbeiter verlagert. Indem dieser Selbstanteil beim Anderen abgelehnt wird, besteht die Möglichkeit, sich ein Stück weit davon zu
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1 Das Burnout-Syndrom
distanzieren (vgl. Mentzos 1988, S. 46). Bei der symmetrischen Abwehrkonstellation führt ein Vorgesetzter beispielsweise beständig äußere Kämpfe und verlangt von seinem Mitarbeiter, dass er sich an diesen Auseinandersetzungen beteiligt, was sich zu einem unentrinnbaren Zwang für den Mitarbeiter entwickeln kann. Neben interpersonalen Abwehrkonstellationen existieren auch Abwehrformen, in denen eine Verzahnung zwischen Abwehrbedürfnissen des Mitarbeiters und dazu komplementären Angeboten der Organisation stattfindet. Diese Form der psychosozialen Abwehr (vgl. Mentzos 1988, S. 79) kann zu einer besonderen Burnout-Gefährdung des Mitarbeiters führen, wie dies Lohmer (2007) an folgenden Beispielen verdeutlicht:
Zwanghaft strukturierte Mitarbeiter mit einem erhöhten Kontrollbedürfnis sowie ausgeprägtem Perfektionismus fühlen sich etwa besonders von bürokratisch-formalisierten Organisationstypen (z.B. Konzerne, Verwaltungen und Behörden), in denen der Handlungs- und Entscheidungsspielraum durch rigide Vorgaben eingeengt wird, angezogen. Das Eingehen dieser Form der psychosozialen Abwehrkonstellation ermöglicht es dem Individuum, Ängste abzuwehren und damit eine Entlastung von intrapsychischer Spannung zu erzielen; es resultiert nach dem Autor jedoch in einem ständigen Gefühl von Frustration und einem Erleben von Ohnmacht, was wiederum die Entstehung von Burnout-Prozessen fördern kann.
Für narzisstisch strukturierte Mitarbeiter mit einem ausgeprägten Selbstwertkonflikt und einem starken Bedürfnis nach Anerkennung erweist sich dagegen nach Lohmer (2007) ein entgrenzt-entformalisierter Organisationstypus (junge, rasch wachsende Unternehmen, z.B. im IT- oder biotechnischen Bereich) als besonders attraktiv. Bezeichnend für diesen Typus von Organisation ist, dass engagiertes Verhalten der Mitarbeiter honoriert und ein ausgeprägtes Selbstwirksamkeitserleben aufgrund geringer Vorgaben ermöglicht wird. Dadurch kann eine Verstärkung der Konfliktabwehr des Mitarbeiters und damit eine Minderung intrapsychischer Konfliktspannung erfolgen, wodurch ein Gewinn für den Mitarbeiter erzielbar wird; gleichzeitig wird durch das Vorliegen dieser unbewussten Kollusion zwischen Persönlichkeits- und Organisationsstruktur die Entstehung von Burnout-begünstigenden Verhaltensweisen (z.B. Arbeitssucht) gefördert.
Mitarbeiter mit einer depressiven Struktur fühlen sich gemäß dem Autor besonders von einem emotional fordernden Organisationstypus (z.B. Einrichtungen des Gesundheits- bzw. Bildungswesens) angezogen. Durch das
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Eingehen dieser Art von Abwehrarrangement erhöht sich das Risiko für den Mitarbeiter, in die Falle eines chronischen Ungleichgewichts zwischen hohem emotionalen Engagement und geringer Anerkennung der geleisteten Arbeit durch das Klientel zu geraten, was die Entwicklung einer BurnoutSymptomatik begünstigen kann. An diesen drei Typen von Organisationen verdeutlicht Lohmer (2007), dass sich Unternehmen – zur eigenen Stabilisierung – individueller Abwehrbedürfnisse bedienen, indem sie ‘Lösungen‘ präsentieren, die es dem Mitarbeiter ermöglichen, eine Minderung von intrapsychischer Spannung zu erzielen (vgl. hierzu auch Mentzos 1988, S. 82). Trotz der aus diesen Konstellationen potenziell resultierenden stabilisierenden Effekte muss das Eingehen solcher Abwehrarrangements als dysfunktional betrachtet werden, da es die Entstehung von Burnout-Prozessen aufseiten der Beschäftigten fördern kann.
1.6.2 Dysfunktionale Bewältigung von Arbeitsanforderungen Als Burnout-begünstigend kann neben einer mangelnden Bewältigungskapazität intrapsychischer Anforderungen auch eine eingeschränkte Fähigkeit zur Bewältigung von Arbeitsanforderungen erachtet werden. Im Folgenden wird die Relevanz von Faktoren, die eine dysfunktionale Bewältigung von Arbeitsanforderungen indizieren, jedoch häufig aus einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen seitens des Mitarbeiters und im weiteren Sinne auch der Vorgesetzten und/oder Kollegen resultieren, für die Entstehung von Burnout-Symptomen diskutiert.
1.6.2.1 Resignationstendenz Das Konstrukt Resignation, welches durch die Tendenz, sich mit Misserfolgen abzufinden und leicht aufzugeben, charakterisiert ist, hat sich in bestehenden Studien als bedeutsamer Burnout-begünstigender Faktor erwiesen: Barth (1992, S. 168) konnte in einer Lehrerstudie (N = 122) nachweisen, dass resignatives Verhalten mit einer erhöhten Burnout-Gefährdung einhergeht. Dass eine ausgeprägte Resignationstendenz das Risiko auszubrennen erhöht, konnten auch Schaarschmidt & Fischer (2001, S. 16ff.) in ihrer repräsentativen Studie (N = 2.160) aufzeigen. Ebenso konnte Körner (2002, S. 249) in ihrer repräsentativen Untersuchung an 975 Lehrern belegen, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen einem regressiv-resignierenden Stressverarbeitungsmus-
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ter und Burnout besteht. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Lehr et al. (2008, S. 8) in einer Lehrerstudie (N = 145): Die Autoren betrachten das Konstrukt Resignationstendenz als Teil eines ruminativ-selbstisolierenden Bewältigungsmusters, welches mit einem fünffach erhöhten Risiko eine psychische Störung zu erleiden, einhergeht. Dass Resignation die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten Belastung durch psychische Symptome vergrößert, konnte auch Virnich (2006, S. 57f.) in einer Studie an Lehrern (N = 149) aufzeigen. Das Vorliegen einer ausgeprägten Resignationstendenz kann häufig darauf zurückgeführt werden, dass wichtige Anteile der eigenen Persönlichkeit, welche der offensiven Bewältigung von beruflichen Anforderungen dienen, abgewehrt werden: Wenn beispielsweise aggressive Selbstanteile, welche für die Handhabbarkeit von beruflichen Herausforderungen und Konflikten eine zentrale Bedeutung haben, nicht akzeptiert und entsprechend in die eigene Persönlichkeit integriert werden können, kann dies mit resignativem Verhalten einhergehen. Ein offen aggressiv agierender Vorgesetzter kann dieses Abwehrverhalten noch verstärken, indem er es den Mitarbeitern beispielsweise ermöglicht, eigene verdrängte Aggressionen identifikatorisch bei ihm miterleben zu können, anstatt sie in die Persönlichkeit zu integrieren (vgl. Mentzos 1988, S. 29).
1.6.2.2 Perfektionsstreben Dysfunktionaler Perfektionismus ist gemäß Bergemann & Altstötter-Gleich (2004) dadurch gekennzeichnet, dass hohe persönliche Standards gesetzt werden und Zweifel bestehen, diesen Standards gerecht werden zu können. Weitere Charakteristika von Perfektionsstreben sind nach den Autoren das Empfinden, diese Standards nicht selbst zu setzen, sondern sie von anderen vorgeschrieben zu bekommen. Eine übermäßige Beschäftigung mit möglichen Fehlern ist ebenfalls bezeichnend für dieses Konstrukt. Perfektionismus, dessen Ursachen häufig in der Existenz eines strengen Über-Ichs und einer mangelnden Akzeptanz eigener Schattenanteile (vgl. hierzu auch Kast 2002a, S. 9), d.h. unerwünschter Persönlichkeitsanteile liegen, wird von unterschiedlichen Autoren (vgl. Schröder 2006, S. 15; Litzcke & Schuh 2007, S. 168; Kernen 2005, S. 64; Kaluza 2005, S. 37; Burisch 2006, S. 208; Jaggi 2008, S. 23; Lohmer 2007 oder Brühlmann 2007) als Burnoutbegünstigend erachtet. Dass Zusammenhänge zwischen Perfektionismus und Burnout bzw. psychischen Störungen bestehen, konnte auch empirisch belegt werden: Houkes et al. (2008, S. 264) wiesen in einer Längsschnittstudie an holländischen Ärzten (N = 261) nach, dass Perfektionismus mit emotionaler Erschöpfung einhergeht.
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Virnich (2006, S. 57f.) konnte in ihrer Lehrerstudie ebenfalls belegen, dass Perfektionismus mit einem erhöhten Risiko für psychische und physische Störungen verknüpft ist. Auch Pichler (2004, S. 107) konnte im Rahmen einer empirischen Untersuchung an 109 Jugendlichen aufzeigen, dass Perfektionismus ein Korrelat für klinische Störungsbilder wie die Depression darstellt. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Flett et al. (2005, S. 1374) in einer Studie an 420 Probanden. Bottos & Dewey (2004, S. 772ff.) konnten in einer Untersuchung an 291 Studenten einen Zusammenhang zwischen Perfektionismus und chronischem Kopfschmerz, welcher in fortgeschrittenen Burnout-Prozessen häufig auftritt (vgl. 1.3), belegen. Nach den Autoren korreliert das Maß an Perfektionismus deutlich mit dem Auftreten, der Intensität und Dauer von Kopfschmerzen: Je perfektionistischer Studenten eingestellt waren, desto regelmäßiger litten sie unter Kopfschmerzen. Die Ergebnisse dieser Studien lassen vermuten, dass es sich bei Perfektionismus um ein bedeutsames Burnout-begünstigendes Konstrukt handelt.
1.6.2.3 Distanziertheit Einer distanzierten Haltung der Arbeit gegenüber dürfte bei der Entstehung von Burnout-Prozessen ebenfalls eine maßgebliche Bedeutung zukommen: Bakker et al. (2002, S. 16) konnten in einer Mitarbeiterstudie (N = 2.919) belegen, dass ein Zusammenhang zwischen Distanziertheit bzw. Zynismus in Bezug auf die Arbeit und Erschöpfung besteht. Zu ähnlichen Befunden kamen auch Körner (2002, S. 230) in ihrer repräsentativen Lehrerstudie und Chiu & Tsai (2006, S. 523) in ihrer Untersuchung an Beschäftigten in Hotels und Restaurants (N = 296). Dabei gilt anzumerken, dass eine durch Distanziertheit geprägte Einstellung gegenüber der Arbeit seitens des Mitarbeiters oftmals durch die in vielen Unternehmen vorherrschende kollektive Abspaltung von Emotionalität und die damit einhergehenden Depersonalisierungsprozesse (vgl. Lohmer & Möller 2006, S. 459 oder Kinzel 2002, S. 184) Verstärkung erfährt.
1.6.2.4 Eingeschränkte berufliche Wirksamkeitserwartungen Einschränkungen in den Erwartungen bzw. Überzeugungen hinsichtlich der eigenen beruflichen Wirksamkeit – welche häufig darauf zurückgeführt werden können, dass für die Bewältigung beruflicher Anforderungen bedeutsame Anteile der eigenen Persönlichkeit (z.B. aggressive Selbstanteile) abgespalten werden –
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1 Das Burnout-Syndrom
dürften für die Entwicklung der Burnout-Symptomatik ebenfalls relevant sein (vgl. Kalzua 2005, S. 45 oder Litzcke & Schuh 2007, S. 165): Ulich et al. (2002, S. 17) konnten empirisch belegen, dass eingeschränkte berufliche Selbstwirksamkeitserwartungen mit Erschöpfung und sonstigen psychischen wie physischen Gesundheitsbeeinträchtigungen einhergehen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Schaarschmidt & Fischer (2001, S. 18ff.). Die beiden Autoren konnten in ihrer repräsentativen Studie aufzeigen, dass mangelndes subjektives Erfolgserleben im Beruf zu einem erhöhten Burnout-Risiko führt. Dass eine positive Beziehung zwischen einem reduzierten beruflichen Wirksamkeitserleben und Erschöpfung besteht, konnte auch Körner (2002, S. 230) in ihrer repräsentativen Lehrerstudie belegen.
1.6.3 Arbeitsbelastungen Aufgrund der hohen Bedeutung, die der Arbeit nicht nur für die Existenzsicherung, sondern auch für die Identitätsbildung des einzelnen Menschen in modernen Gesellschaften zukommt, spielen Belastungen, die im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit stehen, eine bedeutsame Rolle für das psychische Wohlbefinden und die körperliche Gesundheit (vgl. Kaluza 2005, S. 29). Im Arbeitsfeld existiert eine Vielzahl an belastenden Faktoren, denen bei der Entstehung von Burnout-Prozessen eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. Kernen 2005, S. 66). Vielfach resultieren diese Belastungen aus dem Vorliegen von Abwehrhaltungen seitens des Führenden bzw. der Arbeitskollegen (vgl. hierzu auch Czwalina 2001, S. 151ff). Durch das Eingehen interpersonaler Abwehrkonstellationen trägt der Mitarbeiter jedoch auch selbst häufig zur Verstärkung dieser externalen Belastungsfaktoren bei (vgl. 1.6.1.5). Im Folgenden werden jene Formen der Arbeitsbelastung erläutert, die sich in bestehenden Studien (vgl. z.B. Lasshofer 2006, S. 187) als besonders Burnoutbegünstigend bzw. gesundheitsbeeinträchtigend erwiesen haben.
1.6.3.1 Quantitative und qualitative Überforderung Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, sind Unternehmen heute verstärkt gefordert, ihre Produktivität über die Optimierung von Arbeitsabläufen zu erhöhen. Häufig kann eine Produktivitätssteigerung jedoch nicht ausschließlich über eine Straffung der Arbeitsabläufe erzielt werden, sondern es muss darüber hinaus eine Mehrarbeit der Mitarbeiter erfolgen. In Unternehmen, die einem Rationalisierungszwang ausgesetzt sind, steigt damit unweigerlich das Arbeits-
1.6 Darstellung Burnout-begünstigender Faktoren
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volumen der Mitarbeiter. Dass das Vorliegen erhöhter Arbeitsbelastungen jedoch nicht ausschließlich auf notwendigen Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung bzw. Rationalisierung, sondern häufig auf einer dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen seitens des Führenden beruht, wurde bereits in der Einleitung dieser Arbeit erläutert. Wenn – verglichen mit der Leistungskapazität – ein zu hohes Arbeitsvolumen vorhanden ist, kann dies mit der Entwicklung von Burnout-Prozessen einhergehen (vgl. Aronson et al. 1983, S. 82f.; Litzcke & Schuh 2007, S. 169; Jaggi 2008, S. 17; Schröder 2006, S. 16; Wohlwend 2007 oder Maslach & Leiter 2001, S. 41f.). Dass der Zwang, in zu kurzer Zeit zu viele Arbeitsaufgaben erledigen zu müssen, die Gesundheit von Mitarbeitern potenziell beeinträchtigt, konnte auch empirisch belegt werden: Richter et al. (2006, S. 19) konnten in einer Studie (N = 1.123) nachweisen, dass Mitarbeiter mit hoch beanspruchenden Arbeitsanforderungen ein 1.6-fach höheres Risiko für psychische Ermüdung aufweisen als Personen mit optimaler Beanspruchung oder Unterforderungserleben. Ebenso haben diese Personen eine 2.3-fach höhere Wahrscheinlichkeit, an Herz-Kreislauf-Problemen zu erkranken sowie ein 1.9-fach höheres Risiko für Beschwerden des Muskel-Skelett-Apparates als Mitarbeiter mit optimaler Beanspruchung bzw. Unterforderungserleben. Neben quantitativer Überforderung kann auch eine qualitative Überforderung der Mitarbeiter für die Entstehung von Burnout-Symptomen verantwortlich gemacht werden. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schwierigkeitsgrad von Aufgaben die vorhandenen Fähigkeiten des Mitarbeiters übersteigt (vgl. Kernen 2005, S. 66) und lässt sich häufig darauf zurückführen, dass sich Führungskräfte der Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen entziehen, was zur Folge haben kann, dass auch eine eingeschränkte Wahrnehmung der Bedürfnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter erfolgt. Signifikante Zusammenhänge zwischen inhaltlicher Überforderung und emotionaler Erschöpfung konnten Ulich et al. (2002, S. 15) in einer repräsentativen Untersuchung an 1.578 Schweizer Lehrkräften nachweisen. Gerich & Sebinger (2006, S. 204) konnten in einer Lehrerstudie (N = 662) ebenfalls belegen, dass qualitative Überforderung die Entstehung von psychischen bzw. psychosomatischen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Mitarbeitern begünstigt. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Seibel & Lühring (1984, S. 162): Die Autoren wiesen in einer Studie an 840 Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmen nach, dass qualitative Überforderung zu einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit von Mitarbeitern führen kann.
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1 Das Burnout-Syndrom
1.6.3.2 Qualitative Unterforderung Die qualitative Unterforderung ist dadurch charakterisiert, dass vorhandene Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht entsprechend eingesetzt werden können (vgl. Kernen 2005, S. 66). Ein Mitarbeiter ist nach Rothlin & Werder (2007, S. 17) dann unterfordert, wenn er das Gefühl hat, mehr leisten zu können als vom Unternehmen an Arbeitsleistung gefordert wird. Der unterforderte Mitarbeiter könnte aufgrund seiner Fähigkeiten komplexere Aufgaben lösen, aber er bekommt nicht die Möglichkeit dazu. Die qualitative Unterforderung beruht ebenso wie die Überforderung oftmals darauf, dass die Verleugnung eigener Bedürfnisse seitens des Führenden mit einer eingeschränkten Wahrnehmung der Bedürfnisse von Mitarbeitern einhergeht. Wenn der Mitarbeiter den Wunsch, seine Fähigkeiten einzusetzen, nicht befriedigen kann, wird dies auf Dauer zu Unzufriedenheit, Frustrationserlebnissen, einem Gefühl der Sinnlosigkeit sowie zur potenziellen Entstehung von Erschöpfungszuständen führen (vgl. Rothlin & Werder 2007, S. 65 oder auch Kernen 2005, S. 66). Dass signifikante Korrelationen zwischen Unterforderung und psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen bestehen, konnten Seibel & Lühring (1984, S. 53) in ihrer Untersuchung (N = 840) belegen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Lasshofer (2006, S. 167) in ihrer Studie an 964 Mitarbeitern.
1.6.3.3 Belastendes Sozialklima Einem belastenden Sozialklima kommt bei der Entstehung von BurnoutProzessen in Unternehmen ebenfalls eine maßgebliche Bedeutung zu (vgl. Schröder 2006, S. 17; Kernen 2005, S. 68 oder Jaggi 2008, S. 17): Ulich et al. (2002, S. 15) konnten in ihrer Lehrerstudie (N = 1.578) empirisch nachweisen, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen einem belastenden Sozialklima und emotionaler Erschöpfung besteht. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Körner (2002, S. 269) in einer repräsentativen Studie an deutschen Gymnasiallehrkräften (N = 975) sowie Feldt et al. (2000, S. 467) in einer Längsschnittstudie an finnischen Mitarbeitern (N = 219). Gerich & Sebinger (2006, S. 206) konnten in ihrer Studie an oberösterreichischen Lehrkräften ebenfalls aufzeigen, dass ein belastendes Sozialklima mit psychischen bzw. psychosomatischen Gesundheitsbeeinträchtigungen einhergeht. Zu ähnlichen Befunden kamen auch Seibel & Lühring (1984, S. 163). Die Existenz von Belastungen das Sozialklima betreffend, lässt sich häufig darauf zurückführen, dass Mitarbeiter Schattenaspekte in Kollegen lokalisieren
1.6 Darstellung Burnout-begünstigender Faktoren
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und bekämpfen, anstatt diese in die eigene Persönlichkeit zu integrieren und das eigene Wachstum zu fördern (vgl. Kinzel 2002, S. 169ff.). Dadurch können sich Phänomene wie Sündenbockbildungen und Mobbing entwickeln, welche wiederum die Entstehung von Burnout-Prozessen fördern.
1.6.3.4 Belastendes Vorgesetztenverhalten Neben den bereits erläuterten externalen Risikofaktoren können auch Belastungen das Vorgesetztenverhalten betreffend als Burnout-begünstigend erachtet werden (vgl. Schröder 2006, S. 17; Wohlwend 2007; Jaggi 2008, S. 17). Ulich et al. (2002, S. 15) konnten in ihrer Lehrerstudie nachweisen, dass ein belastendes Vorgesetztenverhalten signifikant mit Erschöpfung – dem Leitsymptom des Burnout-Syndroms – korreliert. Gerich & Sebinger (2006, S. 204) konnten in ihrer Studie ebenfalls belegen, dass Zusammenhänge zwischen einem belastenden Vorgesetztenverhalten und psychischen bzw. psychosomatischen Gesundheitsbeeinträchtigungen bestehen. Auch Richter et al. (2006, S. 19) konnten aufzeigen, dass Mitarbeiter, die das Vorgesetztenverhalten belastend bewerten, ein 1.7-fach höheres Risiko für psychische Ermüdung haben als Personen, die das Vorgesetztenverhalten weniger belastend erleben. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Seibel & Lühring (1984, S. 163) in ihrer Mitarbeiterstudie (N = 840). Ähnlich wie die bereits diskutierten Risikofaktoren, kann auch das Vorliegen eines belastenden Vorgesetztenverhaltens vielfach auf eine dysfunktionale Bewältigung intrapsychischer Anforderungen seitens des Vorgesetzten zurückgeführt werden: In Unternehmen ist es Realität, dass Führungskräfte mit ihrem Schatten wie z.B. eigenen Unfähigkeiten, Schwächen, ihrer Ersetzbarkeit, Passivität und Impotenz so umgehen, dass sie diese den Mitarbeitern zuschreiben (vgl. Sievers 1990, S. 12). Indem sie die labilen und schwachen Anteile ihres Selbstkonzeptes auf die als inkompetent wahrgenommenen Mitarbeiter projizieren, können sie die Illusion der eigenen Omnipotenz bewahren (vgl. Kinzel 2002, S. 72). Die Projektionen der Führungskräfte, welche untrennbar von ihren eigenen Introjektionen der Stärke, Potenz, Einmaligkeit und Aktivität, die sie sich selbst zuschreiben, verbunden sind (vgl. Sievers 1990, S. 12), bleiben häufig nicht ohne Folgen für den Mitarbeiter. Sie können Sündenbockbildungen evozieren und das Gefährdungspotenzial für Burnout-Prozesse bei Mitarbeitern erhöhen (vgl. Kinzel 2002, S. 72). Es gilt jedoch anzumerken, dass Mitarbeiter durch das Eingehen interpersonaler Abwehrkonstellationen (vgl. 1.6.1.5) oftmals selbst auf unbewusste Weise zu einer Festigung der Projektionen des Vorgesetzten und damit zu einem belastenden Vorgesetztenverhalten beitragen.
2 Die Ressourcenperspektive
Nachdem im letzten Kapitel eine Auseinandersetzung mit Burnout und Burnoutbegünstigenden Faktoren erfolgte, soll nun die Rolle von Ressourcen für die Burnout-Prävention diskutiert werden. Als theoretische Grundlage wird das Salutogenese-Modell von Antonovsky (1979) erörtert. Mit der salutogenetischen Theorie wird eine Sichtweise auf den Stressprozess formuliert, die an das Transaktionale Stressmodell von Lazarus & Folkman (1984) angelehnt ist, weshalb vor der Darstellung der Salutogenese-Theorie eine Einführung in die Transaktionale Stresstheorie erfolgt. In einem weiteren Schritt wird das Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Modell von Udris (2006), welches eine Weiterentwicklung der Salutogenese-Theorie von Antonovsky (1979) für die Zwecke der Arbeits- und Organisationspsychologie darstellt, skizziert. Danach werden Faktoren erläutert, die eine Bildung genuiner Ressourcen potenziell erschweren bzw. zu Einschränkungen in den Wirkungen betrieblicher Ressourcen führen. Abschließend wird die Bedeutung psychodynamisch-orientierten Handelns, das eine kritische Auseinandersetzung mit dysfunktionalen Verhaltensweisen und der dahinterliegenden Psychodynamik impliziert, für die Ressourcengenerierung bzw. Burnout-Prophylaxe diskutiert. 2.1 Die Transaktionale Stresstheorie Lazarus & Folkman (1984, S. 19) definieren Stress als “Beziehung zwischen Person und Umwelt, die von der Person als ihre eigenen Ressourcen auslastend oder überschreitend und als ihr Wohlbefinden gefährdend eingeschätzt wird.“ Der Begriff “transaktional“ bezeichnet dabei das dynamische Zusammenspiel zwischen Person und Umwelt. Ein Stressprozess wird demnach nie alleine durch Faktoren der Umwelt oder der Person ausgelöst, sondern durch eine bestimmte Relation zwischen dem Individuum und der Umwelt. Der Fokus des Transaktionalen Stressmodells liegt auf der subjektiven Bewertung von Stress (“appraisal”). Dabei unterscheidet das Modell zwischen drei Arten von Bewertungsprozessen (vgl. hierzu auch Höge 2002, S. 18ff.): primäre Bewertung (“primary appraisal“), sekundäre Bewertung (“secondary appraisal“) und Neubewertung (“re-appraisal“).
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2 Die Ressourcenperspektive
2.1.1 Bewertungsprozesse Im primären Bewertungsprozess (primary appraisal) erfolgt die Einschätzung der Merkmale einer Situation als irrelevant, als positiv oder als stressrelevant für das eigene Wohlbefinden (vgl. Lazarus & Folkman 1984, S. 32ff.). Lediglich stressbezogene Situationen bedürfen einer weiteren Bewertung der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten. Dabei werden die Varianten Bedrohung, Schädigung/Verlust und Herausforderung unterschieden:
Eine Schädigungs-Verlustsituation ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Beeinträchtigung der Person bereits erfolgt ist (z.B. Verlust einer geliebten Person, vergangene selbstwertmindernde Situation, etc.).
Bedrohungssituationen hingegen beinhalten zunächst nur die Antizipation einer Schädigung oder eines Verlustes.
Herausforderungssituationen sind im Gegensatz zu Bedrohungssituationen durch eine Antizipation von positiven Folgen, welche von angenehmen Emotionen begleitet werden, charakterisiert.
Die drei erläuterten Bewertungskategorien schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus. So kann beispielsweise eine Beförderung im Beruf gleichzeitig zu Herausforderungsbewertungen und Bedrohungsbewertungen führen. Aus Sicht des beförderten Mitarbeiters könnte die neue Situation einerseits eine interessante Herausforderung, andererseits aber auch ein Risiko darstellen, da der Mitarbeiter noch keine Gewissheit darüber hat, ob er die neuen Aufgaben zur Zufriedenheit der Vorgesetzten erfüllen wird können. Die berufliche Beförderung wird in diesem Falle also zugleich als Herausforderung und Bedrohung eingeschätzt. Wurde eine Situation als subjektiv bedeutsam und stressrelevant bewertet, so wird ein sekundärer Bewertungsprozess (secondary appraisal) in Gang gesetzt (vgl. Lazarus & Folkman 1984, S. 35ff): Hierbei geht es darum zu eruieren, welche Bewältigungsfähigkeiten und -möglichkeiten in Bezug auf das Stress auslösende Ereignis verfügbar sind und wie die verfügbaren Bewältigungsstrategien zu evaluieren sind. Dabei handelt es sich um einen komplexen Bewertungsprozess bezüglich folgender Fragestellungen:
Welche Bewältigungsstrategien stehen mir zur Verfügung?
Mit welcher Wahrscheinlichkeit kann ich diese Bewältigungsstrategien wirksam und effektiv ausführen?
2.1 Die Transaktionale Stresstheorie
59
Wie wahrscheinlich führen die mir zur Verfügung stehenden Bewältigungsformen zum intendierten Ergebnis?
Während Frage eins das Selbstkonzept eigener Fähigkeiten thematisiert, beziehen sich die Fragen zwei und drei auf Wirksamkeits- und Ergebniserwartungen beim und nach dem Einsatz dieser Bewältigungsstrategien. Der sekundäre Bewertungsprozess findet nicht immer bewusst statt, er kann jedoch bereits die primäre Bewertung verändern. Ein Ereignis, das als gut zu bewältigen eingestuft wird, wird nicht als Bedrohung bewertet, d.h., es handelt sich demnach nicht um eine streng sequenzielle Abfolge von Bewertungsprozessen, sondern vielmehr um interaktive Prozesse mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die sich gegenseitig beeinflussen. Primäre und sekundäre Bewertung interagieren miteinander und können sowohl die Stressintensität als auch die emotionale Qualität der Stressreaktion modulieren. Zeitlich abgrenzen lässt sich gemäß Lazarus & Folkman (1984, S. 38) hingegen der Prozess der Neubewertung (re-appraisal): Neubewertungsprozesse treten nur dann auf, wenn nach schon vollzogenen primären und sekundären Bewertungen neue Informationen aus der Umwelt verarbeitet werden. So kann sich die positive Einschätzung einer Situation im Rahmen eines primären Bewertungsprozesses aufgrund neuer Informationen in eine Bedrohungsbewertung transformieren. Abzugrenzen vom eigentlichen Neubewertungsprozess ist die sogenannte defensive Neubewertung. Hier erfolgt die Umbewertung einer Situation ohne das Vorliegen neuer Informationen aus der Umwelt. Dabei werden in der Regel schwierige Situationen nicht mehr als bedrohlich, sondern als neutral oder sogar angenehm uminterpretiert. Theoretisch abgrenzen lassen sich defensive Neubewertungen von originären Neubewertungen dadurch, dass Erstere selbst generiert sind. Sie resultieren eher aus bestimmten Bedürfnissen des Individuums als aus tatsächlich neuen Informationen aus der Umwelt.
2.1.2 Bewältigungsstrategien Innerhalb des transaktionalen Stressprozesses sind jedoch nicht nur Bewertungsprozesse hinsichtlich der Relevanz einer Situation und der zur Verfügung stehenden Bewältigungsformen von Bedeutung, sondern auch die gewählten und durchgeführten Bewältigungsstrategien selbst (vgl. hierzu auch Höge 2002, S. 20f.). Lazarus & Folkman (1984, S. 150) unterscheiden dabei zwei Formen von Bewältigungsstrategien: emotionsbezogenes und problembezogenes Coping.
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2 Die Ressourcenperspektive
Während es beim emotionsbezogenen Coping um die emotionale Regulation der Stresssituation geht, zielt das problembezogene Coping auf eine aktive, instrumentelle Veränderung der Stresssituation ab. Coping ist gemäß den Autoren immer vor einem spezifischen situationalen Hintergrund zu betrachten, d.h., eine erfolgreiche Stressbewältigung ist an die Wahl der richtigen Copingstrategie (problembezogen oder emotionsbezogen) in einer bestimmten Situation gekoppelt. So wird beispielsweise in nicht veränderbaren Situationen (z.B. bei einer schweren Erkrankung) ein problembezogenes Coping wenig erfolgsversprechend sein.
2.1.3 Bindungen und Überzeugungen Neben der Betrachtung von Bewältigungsstrategien wurde von Lazarus & Folkman (1984, S. 56ff.) auch die Bedeutung von Bindungen (Commitments) und Überzeugungen (Beliefs) in Bezug auf den Bewertungsprozess beleuchtet (vgl. hierzu auch Höge 2002, S. 22f.). Diese beeinflussen die primären und sekundären Bewertungsprozesse, indem sie
bestimmen, was als relevant für das Wohlbefinden eingeschätzt wird,
das Verständnis für die Situation, die erlebten Emotionen sowie die Bewältigungsbemühungen formen und
die Basis für die Bewertung der Ergebnisse und der Bewältigungsbemühungen bilden.
Bindungen bestimmen, was für ein Individuum wichtig und bedeutungshaltig ist und beeinflussen, welche Situationen aufgesucht und welche gemieden werden. So wird ein Sportler, der eine hohe Bindung an das Ziel aufweist, einen Wettkampf zu gewinnen, besonders hart trainieren und Situationen meiden, die seine Fitness beeinträchtigen könnten. Bindungen weisen einen deutlichen Bezug zu Wertesystemen auf und formen so die Sensitivität für bestimmte Hinweisreize in der jeweiligen Situation. Lazarus & Folkman (1984, S. 58ff.) gehen außerdem davon aus, dass Bindungen die Vulnerabilität von Individuen stark beeinflussen. Unter Vulnerabilität verstehen die Autoren die Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Situation bei einer bestimmten Person einen Stressprozess auslöst. Die Vulnerabilität wird durch die Verfügbarkeit von Ressourcen wie Kompetenz, Unterstützung, etc. sowie durch das Ausmaß der Bindung bestimmt: Je stärker
2.2 Das Salutogenese-Modell
61
die Bindung eines Individuums an ein bestimmtes Ziel, desto ausgeprägter ist seine Vulnerabilität (im Sinne der Auslösung eines Stressprozesses) in jenem Bereich, auf den sich die Bindung bezieht. Bei Personen mit einer hohen Bindung an ein bestimmtes Ziel lösen Situationen, die dieses Ziel bedrohen, eher einen Stressprozess aus als bei Individuen, die eine geringe Bindung an dieses Ziel aufweisen. Neben Bindungen nehmen auch Überzeugungen Einfluss auf den Bewertungsprozess (vgl. Lazarus & Folkman 1984, S. 63ff.). Bei Überzeugungen, die Bewertungsprozesse im Rahmen des Stressprozesses beeinflussen, handelt es sich nach den Autoren um Kontrollüberzeugungen im weitesten Sinne. Diese beziehen sich auf die Einschätzung einer Person, inwieweit die Ergebnisse persönlich relevanter Ereignisse durch eigenes Handeln beeinflusst werden können. Neben Kontrollüberzeugungen nennen die Autoren noch weitere Überzeugungen, die auf den Bewertungsprozess Einfluss nehmen können. Eine maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Konzept der Selbstwirksamkeitserwartungen (vgl. Bandura 1977) zu. Unter Selbstwirksamkeit wird die generalisierte Erwartung verstanden, dass man in bestimmten Situationen über die Möglichkeit verfügt, das eigene Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit effektiv und wirksam zur Erreichung selbst gesetzter Ziele einzusetzen. Im Unterschied zu den Kontrollüberzeugungen sehen Lazarus & Folkman (1984, S. 69ff.) in der Selbstwirksamkeitserwartung keine globale, sondern eine situationsspezifische Erwartung hinsichtlich der persönlichen Kontrolle mit Blick auf die Wirksamkeit des eigenen Bewältigungsverhaltens. Während Kontrollüberzeugungen vor allem auf den primären Bewertungsprozess einwirken, beeinflussen generalisierte Selbstwirksamkeitserwartungen vorrangig den sekundären Bewertungsprozess. Es ist nach Lazarus & Folkman (1984, S. 77ff.) davon auszugehen, dass neben allgemeinen Überzeugungen bezüglich der Kontrolle über Ereignisse und Ergebnisse des eigenen Verhaltens sowie eher situationsspezifischen Überzeugungen wie der Selbstwirksamkeitserwartung auch existenzielle Überzeugungen den Bewertungsprozess beeinflussen. Unter existenziellen Überzeugungen verstehen die Autoren Überzeugungen bezüglich Sinn und Bedeutung der eigenen Existenz. In diesem Zusammenhang spielen Religiosität bzw. eine spirituelle Orientierung eine bedeutende Rolle. 2.2 Das Salutogenese-Modell In Anlehnung an die Stresstheorie von Lazarus & Folkman (1984) hat der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923 – 1994) in seinen beiden Hauptwerken “Health, stress and coping: New perspectives on
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2 Die Ressourcenperspektive
mental and physical well-being“ (1979) und ”Unraveling the mystery of health: How people manage stress and stay well“ (1987) das Modell der Salutogenese formuliert. Dieses beschäftigt sich mit der Frage, warum Menschen trotz vieler potenziell gesundheitsgefährdender Einflüsse gesund bleiben, wie sie es schaffen, sich von Erkrankungen wieder zu erholen, bzw. was das Besondere an Menschen ist, die trotz extremster Belastungen nicht krank werden (vgl. Bengel et al. 2001, S. 24). Statt der Frage, wie man Stress und Stressfolgen vermeiden kann, geht es in Antonovskys Modell vorrangig um die Nutzung, den Erhalt und die Förderung von Ressourcen. Dabei spielen Überlegungen zur Entstehung von Stress jedoch eine zentrale Rolle, da jene Mechanismen, die Krankheit verursachen, strukturell weitgehend ähnlich sind zu den Mechanismen, die Stress auslösen (vgl. Höge 2002, S. 26ff.). Die Salutogenese-Theorie kann als Kritik an der traditionellen pathogenetischen Sichtweise auf Krankheit und Gesundheit, welche sowohl die biomedizinische als auch die sozialwissenschaftliche Krankheits- und Stressforschung prägt, verstanden werden. Forschungsbemühungen richten sich hier vor allem auf die Identifizierung von Faktoren, die zu physischer oder psychischer Krankheit führen. Dieser Sichtweise stellt Antonovsky (1979, 1987) eine salutogenetische Betrachtung gegenüber, in der die Dichotomie von Krankheit und Gesundheit abgelehnt wird. Im salutogenetischen Modell werden Gesundheit und Krankheit nicht als einander ausschließende Kategorien betrachtet, sondern vielmehr als Endpunkte eines Kontinuums. Ein Individuum ist entsprechend dieser Vorstellung zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht entweder gesund oder krank, sondern mehr oder weniger gesund oder krank. Gemäß Antonovsky (1979, S. 37) lässt sich jeder individuelle Organismus zu jedem Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle eines Gesundheits-Krankheits-Kontinuums lokalisieren (vgl. hierzu auch Bengel et al. 2001, S. 32). Das Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein von Ressourcen bestimmt dabei, ob sich das Individuum näher am Krankheitspol oder näher am Gesundheitspol dieses Kontinuums befindet. Zentraler Ausgangspunkt für Antonovskys Überlegungen waren Befunde aus einer Studie über die Auswirkungen des Klimakteriums bei israelischen Frauen. Als Nebenprodukt der eigentlichen Forschung zeigte sich, dass bei jener Teilgruppe von Frauen, die zwischen 1939 und 1945 in deutschen Konzentrationslagern inhaftiert waren und überlebt hatten, immerhin 29% über eine gute psychische Gesundheit verfügten, während die restlichen 71% schwere psychische Traumata erlitten und bis in die Gegenwart mit den Folgen ihrer Erlebnisse zu kämpfen hatten.
2.2 Das Salutogenese-Modell
63
Diese Beobachtung veranlasste Antonovsky (1979) zu der Frage, was die Gesundgebliebenen, welche ja den gleichen Belastungen ausgesetzt waren, von den traumatisierten Ex-KZ-Häftlingen unterscheidet. Bei seinen Analysen identifizierte er eine hohe Anzahl möglicher Einflussfaktoren, welche die Bewältigung dieser extremen Belastung als auch von Stresssituationen im Allgemeinen erleichtern könnten und bezeichnete sie als generalisierte Widerstandsressourcen (vgl. hierzu auch Singer & Brähler 2007, S. 11). Jene Faktoren, welche die Gesundgebliebenen von den Traumatisierten am deutlichsten unterschieden, fasste er unter dem Konstrukt Kohärenzgefühl, welches das Kernstück des Salutogenese-Modells bildet, zusammen.
2.2.1 Das Kohärenzgefühl Das Kohärenzgefühl, welches als ein überdauerndes, dynamisches Gefühl des Vertrauens, dass die inneren und äußeren Anforderungen verstehbar, handhabbar und sinnvoll sind, definiert wird (vgl. Antonovsky 1979, S. 123), kann als eine dispositionelle Bewältigungsressource betrachtet werden, die Menschen widerstandsfähiger gegenüber Belastungen macht. Es impliziert den bewussten Umgang mit intrapsychischen Konflikten, Emotionen, Affekten sowie existenziellen Fragen (vgl. Antonovsky 1997, S. 39 oder auch Singer & Brähler 2007, S. 9ff.) und ist damit kompatibel zu Konzepten wie Abwehr und Strukturniveau. Das Kohärenzgefühl setzt sich gemäß Antonovsky (1987, S. 19) aus drei miteinander verbundenen Komponenten zusammen:
Verstehbarkeit (comprehensibility): Bezieht sich auf das Ausmaß, in dem Reize, Ereignisse oder Entwicklungen als strukturiert, geordnet und vorhersehbar wahrgenommen werden. Personen, die über eine hohe Ausprägung im Bereich der Verstehbarkeit verfügen, nehmen an, dass auch zukünftige Stimuli vorhersagbar sein werden oder dass sie zumindest – sollten sie überraschend auftreten – eingeordnet und erklärt werden können. Es geht dabei um Erfahrungen von Konsistenz, Transparenz und Verlässlichkeit.
Handhabbarkeit (manageability): Meint das Ausmaß, in dem eine Person geeignete (personale und soziale) Ressourcen wahrnimmt, um innere und äußere Anforderungen bewältigen zu können. Die Kontrolle über diese Ressourcen kann durch die eigene Person, aber auch durch legitimierte andere wie etwa Freunde, Kollegen, den Ehepartner, Gott, einen Arzt, etc. erfolgen (vgl. Antonovsky 1979, S. 127f.). Damit unterscheidet sich die SOC-Komponente der Handhabbarkeit deutlich von anderen Persönlich-
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2 Die Ressourcenperspektive keitskonstrukten wie “locus of control“ (vgl. Rotter 1975) oder Selbstwirksamkeitserwartungen (vgl. Bandura 1977). Der Autor kritisiert an diesen Konzepten die Verankerung in einer westlichen Ideologie des instrumentellen Handelns mit ihrer Überbetonung individueller Kontrolle über die Umweltbedingungen. Ressourcen verlieren ihre gesundheitsförderliche Wirkung nicht, wenn die Kontrolle darüber an vertrauenswürdige Instanzen außerhalb der eigenen Person abgegeben wird, wie dies in anderen Kulturen der Fall ist (vgl. hierzu auch Höge 2002, S. 29).
Sinnhaftigkeit (meaningfulness): Bezeichnet das Ausmaß, in dem eine Person ihr Leben als sinnvoll empfindet und zumindest einige der vom Leben gestellten Anforderungen als Herausforderungen betrachtet, die es wert sind, dass man Energie in sie investiert (vgl. Antonovsky 1987, S. 18ff.). Die Dimension Sinnhaftigkeit ist nicht in gleichem Maße kognitiv orientiert wie die ersten beiden Komponenten des Kohärenzgefühls, sondern repräsentiert eher das motivational-emotionale Element dieses Konstrukts. Selbst extrem kritische Lebensereignisse, wie beispielsweise der Tod eines nahestehenden Menschen oder eine schwere Operation, können von Personen, die über eine hohe Ausprägung im Bereich der Sinnhaftigkeit verfügen, als Herausforderungen betrachtet werden.
Die Frage, auf welche Weise ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl die Gesundheit positiv beeinflusst, wird von Antonovsky (1987, 1997) sehr ausführlich behandelt. In seinem Modell nimmt er Bezug auf das Konzept der primären und sekundären Bewertung von Lazarus & Folkman (1984), wobei er – anders als die beiden Autoren – eine Unterteilung des primären Bewertungsprozesses in drei Stufen vornimmt (vgl. Antonovsky 1997, S. 129): primäre Bewertung I, primäre Bewertung II und primäre Bewertung III. Der Autor nimmt an, dass Personen mit einem ausgeprägten Kohärenzgefühl Stimuli mit geringerer Wahrscheinlichkeit als Stressoren interpretieren (primäre Bewertung I). Beim Prozess der primären Bewertung II beurteilt das Individuum, ob der als Stressor interpretierte Stimulus für das eigene Wohlbefinden bedrohlich, günstig oder irrelevant ist. Die primäre Bewertungsstufe III ist dadurch charakterisiert, dass die durch den Stressor ausgelösten negativen Emotionen von Personen mit starkem Kohärenzgefühl weniger diffus wahrgenommen, sondern strukturierter und differenzierter erlebt werden (vgl. hierzu auch Höge 2002, S. 30f.). In dieser Stufe der Bewertung wird außerdem bereits die Motivation bereitgestellt, nach geeigneten Copingstrategien zu suchen. Erst jetzt tritt die Person in die Bewertungsstufe ein, welche Lazarus & Folkman (1984) als sekundäre Bewertung bezeichnen. Die Differenzierung des primären Bewertungsprozesses in Unterstufen wird bei
2.2 Das Salutogenese-Modell
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Antonovsky nötig, da er im Gegensatz zu Lazarus & Folkman (1984) eine neutrale Stressorendefinition bevorzugt. Antonovsky (1979, S. 72; übersetzt von Bengel et al. 2001, S. 33) definiert Stressoren als “eine von innen oder außen kommende Anforderung an den Organismus, die sein Gleichgewicht stört und die zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes eine nicht-automatische und nicht unmittelbar verfügbare, energieverbrauchende Handlung erfordert.“ Der wichtigste Effekt eines Stressors liegt in der Erzeugung eines Spannungszustandes, welcher an sich noch nicht aversiv sein muss. Erst bei einer Bedrohungsbewertung als Resultat der primären Bewertung II ergibt sich gemäß dem Autor der negative emotionale Inhalt. Ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl führt dazu, dass ein Individuum flexibel auf Anforderungen und Stressoren reagieren kann. Es wirkt damit gemäß Antonovsky (1987, S. 75) als ein flexibles Steuerungsprinzip: Je nach Anforderung werden die am geeignetsten erscheinenden Verarbeitungsmuster ausgewählt, um mit der Belastung adäquat umzugehen (vgl. hierzu auch Bengel et al. 2001, S. 30). Das Kohärenzgefühl ist aber nicht mit Coping an sich gleichzusetzen, sondern es nimmt vielmehr eine übergeordnete, steuernde Funktion ein, indem es für den adäquaten Einsatz von Bewältigungsmechanismen sorgt bzw. diesen koordiniert. Das Kohärenzgefühl wird von Antonovsky (1997, S. 140f.) als eine entscheidende Determinante für die Entstehung von Stressreaktionen sowie die Ausprägung der physischen und psychischen Gesundheit betrachtet. Während bei Lazarus & Folkman (1984) bestimmte Persönlichkeitsvariablen (z.B. Bindungen, Kontrollüberzeugungen, etc.) eine Art Puffer darstellen, die einen Stressprozess in seinen negativen Wirkungen abschwächen oder im besten Falle dessen Ingangsetzung vermeiden können, übt nach der Auffassung Antonovskys das Kohärenzgefühl eine direkte positive Wirkung auf die physische und psychische Gesundheit aus. Antonovsky (1997, S. 91ff.) formuliert auch Hypothesen zur Entwicklung des Kohärenzgefühls. Er wertet die Disposition, die Welt in einer bestimmten Weise zu interpretieren, als eine Folge von günstigen Sozialisationsbedingungen (vgl. hierzu auch Höge 2002, S. 31f.). Dabei spielt das Vorliegen von generalisierten Widerstandsressourcen eine bedeutsame Rolle: Gemäß Antonovsky (1997, S. 102) wird ein starkes Kohärenzgefühl durch Lebenserfahrungen, die durch Konsistenz, Teilhabe an Entscheidungsprozessen und Balance zwischen Überlastung und Unterforderung gekennzeichnet sind, ausgebildet. Die Entwicklung des Kohärenzgefühls beginnt dabei nach Antonovsky (1997, S. 95ff.) schon in der Kindheit. Entscheidend für die Bildung einer stabilen Ausprägung des Kohärenzgefühls scheint für den Autor jedoch das junge Erwachsenenalter zu sein. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den
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2 Die Ressourcenperspektive
Erfahrungen innerhalb der Arbeitstätigkeit im jungen Erwachsenenalter zu. Förderlich für die Ausprägung des Kohärenzgefühls werden von Antonovsky (1997, S. 112) unter anderem folgende betriebliche Bedingungen genannt: Partizipation an Entscheidungsprozessen, faire Bezahlung, Entscheidungsspielräume, Legitimität der Machtverteilung, Transparenz, Arbeitsplatzsicherheit, Kommunikation und Feedback.
2.2.2 Operationalisierung des Kohärenzgefühls Zur empirischen Überprüfung seiner Theorie der Salutogenese hat Antonovsky (1983) einen Fragebogen zur Erfassung des Kohärenzgefühls entwickelt, dessen Iteminhalte auf Interviews mit 51 Personen basieren, die schweren Belastungen und traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren, ihr Leben dennoch bemerkenswert gut gemeistert hatten. Dieser Fragenbogen umfasst 29 Items, von denen sich 11 Items der Skala Verstehbarkeit, 10 Items der Skala Handhabbarkeit und 8 Items der Skala Sinnhaftigkeit zuordnen lassen. Die Relevanz und Attraktivität des Salutogenese-Modells von Antonovsky (1979) für die Gesundheitswissenschaften hatte zur Folge, dass die SOC-Skala in den letzten Jahren in verschiedene Sprachen übersetzt und in zahlreichen empirischen Studien berücksichtigt wurde. Mittlerweile liegt auch eine beträchtliche Zahl von Befunden zu Testgütekriterien, zu Beziehungen des Kohärenzgefühls zu anderen psychologischen Konstrukten sowie zum Einfluss soziodemografischer und sozioökonomischer Variablen auf das Kohärenzgefühl vor. In den durchgeführten empirischen Studien werden für die Gesamtskala (SOC-29) durchwegs gute bis sehr gute interne Konsistenzen (Cronbach’s zwischen .84 und .95) berichtet. Neben der SOC-29-Skala existiert auch eine Kurzfassung mit 13 Items (SOC-13), die jedoch meist nicht noch einmal in Subskalen untergliedert wird. Auch für diese Kurzfassung besteht gemäß Rimann & Udris (1998, S. 384) eine gute interne Konsistenz (Cronbach’s = .84). Während die Reliabilität der SOC-Skalen somit insgesamt gesehen als gut bis sehr gut eingeschätzt werden kann, erweist sich die faktorielle Validität der Skalen als wesentlich problematischer: In bestehenden empirischen Studien ist es bisher nicht in befriedigender Weise gelungen, die von Antonovsky (1987) aus seinen theoretischen Vorüberlegungen abgeleiteten Subskalen (Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit) faktorenanalytisch zu reproduzieren. Dies konnten auch Schumacher et al. (2000, S. 472f.) in einer testtheoretischen Prüfung des SOC-Konzepts anhand einer repräsentativen Stichprobe (N = 2.005) bestätigen. Gemäß den Autoren ist eine empirische Trennbarkeit der drei Komponenten aufgrund der hohen Interkorrelationen der drei Subskalen nicht
2.3 Der Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Ansatz
67
möglich. Die Befunde deuten hingegen auf das Vorliegen eines Generalfaktors hin. Basierend auf diesen Ergebnissen entwickelten Schumacher et al. (2000) eine verkürzte, aus neun Items bestehende eindimensionale Skala zur Erfassung des Kohärenzgefühls, welche in der vorliegenden Studie Verwendung findet (vgl. 3.3.2.1). 2.3 Der Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Ansatz Das Modell der Salutogenese von Antonovsky (1979) wurde von Udris (2006) im Rahmen des Projekts “Personale und organisationale Ressourcen der Salutogenese (SALUTE)“ für die Zwecke der betrieblichen Gesundheitsförderung weiterentwickelt. Auf der Grundlage des salutogenetischen Ansatzes geht der Autor aus arbeits- und organisationspsychologischer Perspektive der Frage nach, weshalb manche Mitarbeiter trotz hoher beruflicher Belastungen gesund bleiben, während andere erkranken. Bevor auf das von Udris (2006, S. 10) konzipierte Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Modell eingegangen wird, werden zunächst die Begriffe Gesundheit und Ressourcen definiert.
2.3.1 Gesundheit Systemtheoretische und handlungstheoretische Modellannahmen bilden die Basis des Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Ansatzes von Udris (2006, S. 19): Gesundheit wird zum einen als dynamische Balance bzw. als ‘Fließ-Gleichgewicht‘ innerhalb der Person und mit der Umwelt betrachtet: “Gesundheit ist ein transaktional bewirktes dynamisches Gleichgewicht zwischen den physischen und psychischen Schutz- bzw. Abwehrmechanismen des Organismus einerseits und den potenziell krankmachenden Einflüssen der physikalischen, biologischen und sozialen Umwelt andererseits“ (Udris 2006, S. 6). Zum anderen wird Gesundheit als Prozess zielgerichteter präventiver und protektiver Handlungen bzw. als Prozess erfolgreicher Bewältigung von Anforderungen und Belastungen verstanden. Gesundheit ist gemäß dem Autor abhängig von der Verfügbarkeit und der Nutzung von gesundheitsschützenden (protektiven) bzw. wiederherstellenden (restaurativen) Faktoren in der Person und in der Umwelt, welche als Ressourcen bezeichnet werden.
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2 Die Ressourcenperspektive
2.3.2 Ressourcen Als Ressourcen der Gesundheit werden gemäß Udris (2006, S. 6) das Ausmaß der einer Person zur Verfügung stehenden, von ihr genutzten oder beeinflussten gesundheitsschützenden und gesundheitsfördernden Kompetenzen (personale Ressourcen) und Handlungsmöglichkeiten (externe Ressourcen) verstanden. Personale Ressourcen sind mehr oder weniger habitualisierte, d.h. situationskonstante, aber zugleich flexible gesundheitserhaltende und -wiederherstellende Handlungsmuster sowie Überzeugungssysteme eines Individuums, die differenzialpsychologisch als Persönlichkeitskonstrukte beschrieben werden (vgl. Udris 2006, S. 7). Neben dem Kohärenzgefühl als persönliche Ressource im Sinne eines Überzeugungssystems (vgl. 2.2.1) existiert in der Literatur eine hohe Anzahl verwandter Konstrukte, u.a. “Selbstwirksamkeit“ von Bandura (1977), “Hardiness“ von Kobasa (1982) oder “locus of control“ von Rotter (1975). Organisationale Ressourcen können als betriebliche Bedingungen mit protektivem Charakter, in denen sich in der handelnden Auseinandersetzung des Mitarbeiters mit Möglichkeitsräumen individuelle Fähigkeiten entwickeln und verändern, verstanden werden. Hierzu zählen alle Tätigkeitsbedingungen, Arbeitsbedingungen und Hilfsmittel (z.B. Ganzheitlichkeit der Aufgaben, Aufgabenvielfalt, Handlungs- bzw. Tätigkeitsspielraum, Partizipationsmöglichkeiten, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten), die es dem Mitarbeiter erleichtern können, mit den beruflichen Anforderungen zurechtzukommen und Belastungen zu bewältigen oder zu tolerieren (vgl. hierzu auch Ulich 2005, S. 202). Soziale Ressourcen sind das Ausmaß der einem Mitarbeiter zur Verfügung stehenden, von ihm genutzten oder beeinflussten gesundheitsschützenden und -fördernden Merkmale des sozialen Handlungsraums (vgl. Udris 2006, S. 7). Diese sozialen Schutzmechanismen, deren Nutzung durch die betriebliche Arbeitsorganisation (z.B. Ressourcenangebote des Betriebes, Autonomie in der Arbeitstätigkeit) erleichtert oder erschwert wird, können sowohl im Betrieb als auch außerhalb des Unternehmens lokalisiert werden. Als Beispiele für soziale Ressourcen können angeführt werden: mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten, Unterstützungsangebote von Vorgesetzten und Kollegen/innen, ein positives soziales Arbeitsklima, etc. Im Privatbereich sind die Unterstützungsangebote durch den Partner bzw. die Partnerin, Verwandte oder Freunde zu nennen. Auf der Grundlage des theoretischen SALUTE-Konzepts haben Rimann & Udris (1997, S. 286) den Fragebogen “Salutogenetische Subjektive Arbeitsanalyse“ mit dem Kürzel SALSA (vgl. 3.3.2.3) entwickelt und anhand größerer Stichproben von Beschäftigten im Dienstleistungs- u. Industriesektor (N = 1.655)
2.3 Der Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Ansatz
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validiert. Die Autoren konnten deutliche Zusammenhänge der SALSA-Skalen mit Indikatoren von Gesundheit und Gesundheitseinschränkungen bzw. Beschwerden feststellen: So weisen etwa Mitarbeiter mit hohen Arbeitsbelastungen und geringen organisationalen Ressourcen im Vergleich zu Mitarbeitern mit vergleichbar hohen Belastungen, aber ausgeprägten organisationalen Ressourcen mehr psychische und physische Beschwerden auf (vgl. Udris 2006, S. 8). Im Rahmen einer Längsschnittstudie wurde die Veränderung von Arbeitsbelastungen, Ressourcen und Gesundheit über einen Zeitraum von zwei Jahren durch mehrfache Befragungen von Angestellten eines Amts der öffentlichen Verwaltung analysiert (vgl. a.a.O., S. 9): Dabei konnte nachgewiesen werden, dass eine Zunahme der sozialen Unterstützung durch Vorgesetzte, der Partizipation bei Entscheidungen im Betrieb, der Aufgabenvielfalt, des Tätigkeitsspielraums und der Qualifizierungsmöglichkeiten mit Verbesserungen im Gesundheitszustand und stärkeren Ausprägungen im Kohärenzgefühl einhergeht. Unter dem Kohärenzgefühl versteht Udris (2006, S. 9) ein (mehr oder weniger) habitualisiertes, d.h. situationskonstantes, aber zugleich flexibles gesundheitserhaltendes und -wiederherstellendes kognitives Überzeugungssystem, das sich durch Veränderung von organisationalen und/oder sozialen Ressourcen verändert und damit seine salutogenetische Funktion einbüßen oder auch stärken kann.
2.3.3 Das Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Modell In Abbildung 1 sind die Beziehungen zwischen Belastungen, Ressourcen und Gesundheit in einem vereinfachten Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Modell dargestellt (vgl. Udris 2006, S. 10). Die dicken Pfeile symbolisieren die (plausibelsten) Haupteffekte: Arbeitsbelastungen wirken sich weniger negativ auf die Gesundheit aus, wenn – im Sinne einer Mediatorvariable – ausgeprägte personale Ressourcen (z.B. das Kohärenzgefühl) ‘dazwischengeschaltet‘ sind. Personale Ressourcen werden wiederum – im Sinne von Moderatorvariablen – von organisationalen Ressourcen (z.B. Partizipationsmöglichkeiten) bzw. sozialen Ressourcen (z.B. mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten) verstärkt bzw. abgeschwächt. Als “Moderator“ ist eine Variable dann zu bezeichnen, wenn sie die Richtung oder Ausprägung des Zusammenhangs zwischen einer unabhängigen oder Prädiktorvariable und einer abhängigen oder Kriteriumsvariable beeinflusst.
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2 Die Ressourcenperspektive
Abbildung 1: Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Modell von Udris (2006, S. 10) Soziale Ressourcen
Belastungen
Personale Ressourcen
Gesundheit
Organisationale Ressourcen
Ein starkes Kohärenzgefühl kann nach Udris (2006, S. 10) seine salutogene Wirkung nur dann entfalten, wenn ausgeprägte organisationale und soziale Ressourcen vorliegen. Der Generierung externer Ressourcen sollte daher eine zentrale Bedeutung im Rahmen betrieblicher Burnout-Prävention zukommen. Dabei muss jedoch eingeräumt werden, dass die Ressourcenbildung bzw. die Wirkungen von Ressourcen maßgeblich von psychodynamischen Prozessen im Unternehmen beeinflusst werden. Die mit einer Generierung von Ressourcen potenziell einherzugehenden Änderungen im Mitarbeiter- und Führungsverhalten werden oftmals durch Abwehrvorgänge seitens der Beschäftigten erschwert und können daher nicht ungeachtet deren psychodynamischen Realitäten erfolgen.
2.3.4 Abwehr und Ressourcenbildung Im Folgenden werden die Wirkungen von – eine dysfunktionale Bewältigung innerer Anforderungen indizierenden – intrapsychischen Abwehrmechanismen und interpersonalen bzw. psychosozialen Abwehrkonstellationen auf die Ressourcenbildung beispielhaft erläutert.
2.3 Der Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Ansatz
71
2.3.4.1 Die intrapsychische Abwehr des Mitarbeiters Ein Ziel betrieblicher Maßnahmen zur Burnout-Prävention ist es, Mitarbeitern Kompetenz im Umgang mit beruflichen Belastungen sowie Strategien zur Vermeidung Burnout-begünstigender Verhaltensweisen zu vermitteln. Häufig sind mithilfe dieser Maßnahmen jedoch nur kurzfristige salutogene Effekte erzielbar, was oftmals auf das Vorliegen von Abwehrprozessen seitens des Mitarbeiters zurückgeführt werden kann: So wird etwa die Absolvierung eines Trainings zur Stärkung der Selbstmanagementfähigkeiten keinen protektiven Faktor gegen Burnout darstellen, wenn der Mitarbeiter beispielsweise dazu tendiert, Impulse, die auf das Vorhandensein erster Burnout-Symptome hinweisen, aufgrund eines im passiven Modus vorliegenden Individuations-Abhängigkeitskonflikts (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 218), der sich unter anderem darin äußern kann, dass die berufliche Tätigkeit und das Unternehmen auch bei bereits existierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht infrage gestellt werden, abzuwehren. Ebenso wird dem Besuch eines Seminars zur Verbesserung der Work-LifeBalance keine Burnout-prophylaktische Wirkung innewohnen, wenn der Mitarbeiter beispielsweise dazu neigt, eigene Bedürfnisse nach Erholung aufgrund eines im aktiven Modus vorliegenden Konflikts im Bereich der “Versorgung versus Autarkie“ (vgl. a.a.O., S. 229), für den unter anderem die Selbstausbeutung im Beruf bezeichnend ist, vom Bewusstsein fernzuhalten. Anhand dieser Beispiele ist ersichtlich, dass die im Sinne betrieblicher Burnout-Prävention intendierten Verhaltensänderungen durch eine Neigung zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen seitens des Mitarbeiters – welche sich im Gebrauch maladaptiver Abwehrmechanismen manifestiert – erschwert werden können. Die generierten Ressourcen zur BurnoutPrävention werden folglich ihre gesundheitsförderlichen Wirkungen nicht entfalten können, wenn mit der Ressourcenbildung keine intrapsychischen Änderungen einhergehen.
2.3.4.2 Die intrapsychische Abwehr des Führenden Einschränkungen in der Ressourcenbildung lassen sich neben der Verwendung unreifer Abwehrmechanismen seitens des Mitarbeiters auch auf eine Neigung zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen seitens des Vorgesetzten zurückführen:
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2 Die Ressourcenperspektive
Tendiert der Führende etwa aufgrund im aktiven Modus vorliegender Konflikte im Bereich des Selbstwerts (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 234) und/oder der “Unterwerfung versus Kontrolle“ (vgl. a.a.O., S. 223) dazu, Probleme in der eigenen Leistung zu verleugnen, den eigenen Führungsstil als Maß aller Dinge zu betrachten und auch konstruktiv gemeinte Kritik oder Anregungen anderer als Angriff auf die eigene Person zu werten, dann wird das beispielsweise die Schaffung einer Feedbackkultur, welche als eine bedeutsame betriebliche Ressource erachtet werden kann (vgl. hierzu auch Lenz et al. 2007, S. 115), erschweren. Ähnlich kann beispielsweise die Neigung des Vorgesetzten, Gefühle der Frustration, der Ohnmacht und der Leere abzuwehren, die Implementierung betrieblicher Ressourcen – wie beispielsweise einer Kultur der Maßhaltung zum Schutz vor Überforderung der Mitarbeiter (vgl. z.B. Grün 2005, S. 112ff. oder Reiber 2003, S. 96) – schwierig gestalten, da deren betriebliche Verankerung die Fähigkeit zur bewussten Auseinandersetzung mit den aufgeführten Emotionen seitens des Führenden voraussetzt. Ist die Bewältigungskapazität intrapsychischer Anforderungen eingeschränkt, kann dies zu einem – die Abwehr andrängender Impulse aus dem Unbewussten erleichternden – PseudoAktivismus führen und damit die Schaffung einer Kultur der Maßhaltung unterminieren. Da – wie aus diesen Erläuterungen hervorgeht – Abwehrprozesse des Führenden oftmals einer Ressourcenbildung im Wege stehen, sollten einer Verankerung betrieblicher Ressourcen in der Unternehmensphilosophie stets intrapsychische Prozesse seitens des Führenden vorausgehen.
2.3.4.3 Interpersonale und psychosoziale Abwehr Schwierigkeiten in der Ressourcenbildung oder Einschränkungen in den salutogenen Wirkungen betrieblicher Ressourcen können häufig nicht ausschließlich auf die Abwehr des Mitarbeiters oder jene des Vorgesetzten zurückgeführt werden. Vielmehr tragen Mitarbeiter und Führende durch das Eingehen interpersonaler bzw. psychosozialer Abwehrkonstellationen oftmals gemeinsam dazu bei, dass die Generierung betrieblicher Ressourcen erschwert wird, bzw. dass Ressourcen ihre Kohärenz-stärkenden Effekte nicht entfalten können. Liegt beim Führenden etwa ein Schuldkonflikt im aktiven Modus (vgl. Arbeitskreis OPD 2006, S. 240) vor, der sich unter anderem darin äußern kann, dass eigene Fehler verleugnet werden und die Schuld für diese Fehler anderen Menschen (z.B. dem Mitarbeiter) übertragen wird, kann dies beispielsweise die Implementierung einer betrieblichen Fehlerkultur, welche eine bedeut-
2.4 Psychodynamisch-orientiertes Handeln als Ressource
73
same organisationale Ressource darstellt (vgl. hierzu auch Ebner et al. 2008), unterminieren. Das gleichzeitige Vorhandensein eines Schuldkonflikts im passiven Modus aufseiten des Mitarbeiters, welcher sich z.B. in der Neigung zu Selbstvorwürfen bei Auftreten von Fehlern manifestiert, kann mit der Festigung der Abwehr des Vorgesetzten einhergehen und damit die Schaffung einer Fehlerkultur zusätzlich erschweren. Während sich für den Führenden durch das Eingehen dieser Abwehrkonstellation die Möglichkeit bietet, sich eigener Schwächen und Fehler projektiv zu entledigen, ermöglicht es dem Mitarbeiter, den Vorgesetzten für sein verurteilendes Verhalten zu kritisieren und einen Gewinn aus der Opferrolle zu erzielen. Beide profitieren somit von diesem unbewussten Arrangement. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Kollusionen zwischen Mitarbeitern und Führenden zur Aufrechterhaltung pathogener Verhältnisse im Unternehmen sowie zu einer erhöhten Burnout-Gefährdung der Beschäftigten beitragen können. Um einen Abbau von intrapsychischen Abwehrmechanismen und interpersonalen bzw. psychosozialen Abwehrkonstellationen zu erzielen und dadurch eine Bildung genuiner Ressourcen zu erleichtern, bedarf es psychodynamischorientierten Handelns, das die Bereitschaft zu einer Identifizierung und Auflösung maladaptiver Abwehrmechanismen impliziert, und damit eine persönliche und betriebliche Schlüsselressource darstellt, die es im Rahmen psychodynamischer Organisationsberatung zu stärken gilt. 2.4 Psychodynamisch-orientiertes Handeln als Ressource Im Folgenden soll der Nutzen einer Psychodynamisierung der betrieblichen Burnout-Prävention diskutiert werden. Bevor auf die Analyse der Abwehr und die daraus resultierenden Risiken eingegangen wird, erfolgt zunächst eine Erläuterung der Grundsätze psychodynamischer Organisationsberatung.
2.4.1 Grundsätze psychodynamischer Organisationsberatung Der Begriff Psychodynamik stammt aus der Theorie der Psychoanalyse. Er bezeichnet gemäß Dammann (2007, S. 153) “die Beziehungen zwischen den verschiedenen inneren Instanzen und Strebungen einer Person.“ Da sich ein Teil dieser Abläufe der Kontrolle des bewussten Erlebens entzieht, erhöht sich deren Wirksamkeit. Diese unbewusste Dynamik unterschiedlicher innerer Strebungen lässt sich nicht nur bei einzelnen Individuen, sondern genauso bei Gruppen und Organisationen ausmachen (vgl. Lohmer & Giernalczyk 2006, S. 50).
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2 Die Ressourcenperspektive
Psychodynamische Organisationsberatung bzw. -analyse kann man als Anwendung psychoanalytischer Konzepte auf die Fragestellungen von Unternehmen verstehen. Dabei wird die klassisch psychoanalytische Individuenfixierung aufgehoben und zugleich anerkannt, dass unbewusste Prozesse nicht ausschließlich durch die menschliche Psyche ausgelöst werden. Neben die Sphäre des Individuums tritt dann innerhalb der psychodynamischen Organisationsanalyse die Sphäre des Unternehmens (vgl. Ahlers-Niemann 2007, S. 106). Die psychodynamische Organisationsberatung basiert auf den folgenden vier Grundannahmen (vgl. Dammann 2007, S. 157):
Hinter jeder – auch noch so irrational anmutenden – menschlichen Handlung kann ein Beweggrund gefunden werden.
Nichts ist so determinierend für das, wie ein Individuum wirklich ist, wie der Ausdruck und die Regulation seiner Emotionen.
Menschliche Entwicklung ist ein intrapsychischer, aber auch ein interpersonaler Prozess.
Ein Großteil von intrapsychischen Prozessen verläuft unbewusst.
Der Fokus psychodynamischer Organisationsberatung liegt auf der Auseinandersetzung mit dem ‘Unbewussten der Organisation‘: Das Unbewusste in Organisationen meint hier nach Lohmer & Giernalczyk (2006, S. 50), “dass nicht die Organisation an sich ein Unbewusstes hat, sondern die Beteiligten einer Organisation ihr individuelles Unbewusstes unter dem Einfluss von Gruppenphänomenen zu einem gemeinsamen Unbewussten innerhalb einer Organisation vernetzen. Im Gegensatz zur psychoanalytisch-therapeutischen Arbeit wird weniger auf neurotische Eigenheiten von Einzelnen oder Gruppen fokussiert, sondern die Art und Weise thematisiert, wie sich Einzelne, Gruppen und Systeme auf die Arbeitsaufgabe einstellen.“ Psychodynamische Organisationsberatung geht also von der Prämisse aus, dass die im Unternehmen tätigen Menschen und auch das Unternehmen selbst durch das wirksame Vorhandensein unbewusster Prozesse – wie beispielsweise Abwehrmechanismen – maßgeblich bestimmt werden (vgl. Dammann 2007, S. 157). Abwehrmechanismen werden zum Gegenstand der psychodynamischen Organisationsberatung, weil diese über ihre Schutzfunktion hinaus auch maladaptiv wirksam werden können (vgl. 1.6.1.2).
2.4 Psychodynamisch-orientiertes Handeln als Ressource
75
Im Rahmen psychodynamischer Organisationsberatung sollte den Beschäftigten vermittelt werden, dass die Existenz von Abwehrprozessen nachhaltige Verhaltensänderungen sowie eine Verbesserung betrieblicher Verhältnisse potenziell erschwert. Mitarbeiter und Führungskräfte sollten auf die Notwendigkeit psychodynamisch-orientierten Handelns, das die Bereitschaft, über eigene Verhaltensweisen und die dahinterliegende Psychodynamik zu reflektieren impliziert, hingewiesen werden. Intensive Selbstreflexion wiederum kann den Beschäftigten die Akzeptanz unangenehmer Gefühle, inhärenter Bestandteile menschlicher Existenz (z.B. Vulnerabilität, Leiden, Tod etc.), intrapsychischer Konflikte und den daraus resultierenden Konfliktspannungen erleichtern, was mit einem reduzierten Abwehrbedürfnis und letztendlich mit einem geringeren Burnout-Risiko einhergeht. Vielfach liegen jedoch verfestigte Abwehrmuster vor, deren Auflösung mithilfe intensiver Selbstreflexion alleine nicht oder nur schwer möglich ist. In diesen Fällen wird eine Analyse der Abwehr durch einen erfahrenen psychoanalytisch orientierten Organisationsberater erforderlich.
2.4.2 Die Analyse der Abwehr Eine Analyse der Abwehr durch einen psychodynamischen Organisationsberater kommt unter anderem dann in Betracht, wenn Mitarbeiter oder Führungskräfte sich unreifer Abwehrmechanismen bedienen, die eine Schwächung des Ichs bewirken und/oder negative interpersonelle Konsequenzen haben. Grundsätzlich besteht die Aufgabe des psychodynamischen Organisationsberaters darin, adaptive Abwehrmechanismen zu fördern und maladaptive Abwehrmechanismen umzustrukturieren. In einem ersten Schritt sollte eine Identifikation von Abwehrformen mithilfe klarifizierender und konfrontierender Interventionen seitens des psychodynamischen Organisationsberaters erfolgen (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 166). Dieser kann den Beschäftigten die Akzeptanz der Abwehranalyse dadurch erleichtern, dass er den Vorgang des Abwehrens als etwas Normales, Vernünftiges, keineswegs als etwas Unerwünschtes annimmt. So kann der Berater die ÜberIch-Reaktion auf bestimmte Abwehrformen mildern. Er kann dem Analysanden deutlich machen, wie häufig verbreitet bestimmte Formen der Abwehr sind und dass kein Grund bestehe, ihn als pathologisch einzuschätzen. Auf die Identifikation der Abwehrform (z.B. Projektion, Verleugnung, etc.), welche dem Organisationsberater durch den zusätzlichen Einsatz eines Selbstbeurteilungsfragebogens zur Erhebung von Abwehrmechanismen (vgl. Defense Style Questionnaire, Abschnitt 3.3.2.4) potenziell erleichtert werden kann, folgt
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2 Die Ressourcenperspektive
zunächst die Identifikation der der Abwehr zugrunde liegenden Affekte. Erst in einem weiteren Schritt findet eine Identifizierung der abgewehrten Wünsche und Bedürfnisse statt (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 168). Der psychodynamische Organisationsberater kann dem Analysanden die Konfrontation mit den bislang abgewehrten Affekten erleichtern, indem er ihm die Affekte in einer seiner Struktur angemessenen Weise benennt. Ein Vorgesetzter mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur beispielsweise könnte es als kränkend erleben zu hören, dass er es nötig habe, kompensatorische Abwehrformen einzusetzen, ‘nur‘ um sein Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Manchmal kann es zielführender sein, den Affekt zunächst in einer allgemeineren Form zu erwähnen und erst in einem weiteren Schritt eine Präzisierung anzustreben, als den Analysanden sofort in vollem Umfang mit dem Affekt zu konfrontieren. Auf die Identifikation der der Abwehr zugrunde liegenden Affekte erfolgt in einem weiteren Schritt eine Erfassung der abgewehrten Wünsche und Bedürfnisse. Diesen sollte sich der psychodynamische Organisationsberater vorsichtig annähern (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 168). Es sollte vermieden werden, einen unbewussten Wunsch oder Impuls zu benennen, ohne gleichzeitig die gegen ihn gerichtete Abwehr zu erwähnen, da die Gefahr besteht, dass bei so einem Vorgehen entweder die Angst oder die Abwehr und der Widerstand erhöht würden. Der psychodynamische Organisationsberater sollte die Abwehrform mit den von ihm vermuteten zugrunde liegenden abgewehrten Affekten identifizieren, d.h., die Abwehrdeutung sollte stets so formuliert werden, dass Abwehr und Abgewehrtes (Abwehr und unbewusste Wünsche bzw. Impulse) miteinander verknüpft werden. Insgesamt sollte es das Ziel sein, das Abgewehrte in einen Zustand des Verstehens zu transformieren (vgl. Lohmer & Möller 2006, S. 460) und damit eine schrittweise Auflösung von maladaptiven Abwehrmechanismen herbeizuführen.
2.4.3 Die Risiken einer Auflösung der Abwehr Vor Beginn einer Abwehranalyse sollte sich der psychodynamische Organisationsberater kritisch mit den potenziellen Konsequenzen, die sich durch die Erhebung und Beseitigung von Abwehrmechanismen für den Analysanden ergeben könnten, auseinandersetzen. Er muss sich jeweils die Frage stellen, inwieweit es sinnvoll erscheint, bestimmte Abwehrformen zu unterminieren, da dieses Vorgehen mit Gefühlen der Angst seitens der zu analysierenden Mitarbeiter und Führungskräfte einhergehen könnte. Gemäß Wöller & Kruse (2005, S. 168) fürchten sie “um ihre Grundgefühle der Sicherheit und des Wohl-
2.4 Psychodynamisch-orientiertes Handeln als Ressource
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befindens, wenn sie genau mit jenen Affekten wieder konfrontiert werden sollten, die gerade mithilfe der Abwehr vom Bewusstsein ferngehalten werden. Hinzu kommt, dass die Abwehrformen nicht selten regressive Teilbefriedigungen geben (z.B. beim Projizieren) oder narzisstisch hoch besetzt sein können (z.B. das Intellektualisieren; Mentzos 1988).“ Aus diesem Grund ist bei der Abwehranalyse grundsätzlich mit Widerstandsphänomenen zu rechnen. Diese können dafür verantwortlich gemacht werden, dass der zu analysierende Mitarbeiter bzw. Führende auf den Versuch des psychodynamischen Organisationsberaters, das Abgewehrte anzusprechen, leicht mit einer Verstärkung der Abwehr reagieren kann (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 168). Da Abwehrmechanismen gemäß Mentzos (1988, S. 88) häufig dazu dienen, Schwächen der Ich-Struktur zu kompensieren, kann ihr Abbau zur Aufdeckung von bis dahin versteckten Defekten und Störungen führen. Die Auflösung dysfunktionaler Abwehrmechanismen kann neben seinen positiven Folgen also auch negative Konsequenzen haben, wenn Mitarbeiter und Führende nicht durch innere Reifung darauf vorbereitet werden (vgl. Mentzos 1988, S. 86). Wenn der Gewinn, der aus den Abwehrmechanismen bezogen wurde, verloren geht, kann das vorübergehend zu einer psychischen Labilisierung der Analysanden führen (vgl. West-Leuer & Sies 2003, S. 12). Bevor Mitarbeiter bzw. Führende ihrer Kompensationsmechanismen beraubt werden, benötigt der psychodynamische Organisationsberater eine Einschätzung deren Ich-Stärke (vgl. Mentzos 1988, S. 182). Eine deutende Auflösung der Abwehr, der in vielen Fällen eine stabilisierende Funktion innewohnt, ist dann nicht angezeigt, wenn dadurch eine nachhaltige Destabilisierung des Mitarbeiters bzw. des Führenden zu erwarten wäre (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 166). Insgesamt erscheint es nach den Autoren dann sinnvoll die Abwehr zu deuten, wenn die Nachteile der Abwehr die daraus entstehenden Vorteile überwiegen. Dabei gilt es jedoch nicht nur die möglichen negativen Konsequenzen, die sich durch die Auflösung der Abwehr für den Analysanden ergeben könnten, zu berücksichtigen. Vielmehr müssen als Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine Abwehranalyse auch die aus der Abwehr potenziell resultierenden negativen Folgen für das Umfeld des Abwehrenden (z.B. Sündenbockbildungen) herangezogen werden. Liegt beim Führenden beispielsweise ein abgewehrter Selbstwertkonflikt vor, der sich unter anderem in Entwertungen der Leistungen der Mitarbeiter und Sündenbockbildungen manifestiert, könnte eine Auflösung der Abwehr zu einer Labilisierung der Selbstwertregulation des Vorgesetzten führen. Da jedoch seine Konfliktabwehr mit Beeinträchtigungen im psychischen Befinden der Mit-
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2 Die Ressourcenperspektive
arbeiter einhergehen kann, würde hier wohl die Entscheidung zugunsten einer Auflösung der Abwehr fallen. Der psychodynamische Organisationsberater müsste den Vorgesetzten in diesem Fall dahin gehend unterstützen, auf den narzisstischen Gewinn, der sich aus den Entwertungen und Sündenbockbildungen ergibt, verzichten und den mit diesem Verzicht einhergehenden Verlust an Selbstwertgefühl ertragen zu lernen. Des Weiteren gilt es zu berücksichtigen, dass die Abwehr häufig interaktional organisiert ist: Sie beschränkt sich nicht auf intrapsychische Prozesse, sondern festigt sich durch unbewusste Veränderungen von Mitmenschen (vgl. Mentzos 1988, S. 110). Mitarbeiter tragen durch ihr Verhalten häufig zu einer Verstärkung der Abwehr des Vorgesetzten bei. Oft ist der Vorgang reziprok, sodass auch die Abwehr des Mitarbeiters durch jene des Vorgesetzten gefestigt wird. Es geht dabei um unbewusste Vorgänge, die aus der Fülle alltäglich vorkommender interaktioneller Erfahrungen (aufgrund ihrer Angst mindernden sowie kompromisshaften Lösungen ermöglichenden Wirkung) automatisch selektiert, verstärkt und als feste Muster stabilisiert werden. Da neben dem Gebrauch intrapsychischer Abwehrmechanismen insbesondere auch das Eingehen interpersonaler bzw. psychosozialer Abwehrkonstellationen mit einem erhöhten Burnout-Risiko einhergehen kann (vgl. 1.6.1.5), muss es die Aufgabe des psychodynamischen Organisationsberaters sein, Mitarbeitern und Führenden die interaktional organisierte Abwehr transparent zu machen und es ihnen zu ermöglichen, sich aus diesen dysfunktionalen Kollusionen heraus zu entwickeln (vgl. a.a.O., S. 107). Es geht darum, organisationale Veränderungen herbeizuführen, welche die Entwicklung von reiferen, gesünderen, von psychosozialen Abwehrkonstellationen relativ freien Beziehungen der Beschäftigten untereinander ermöglichen (vgl. a.a.O., S. 106). Dabei sollte an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen werden, dass es von zentraler Bedeutung ist, dass der psychodynamische Organisationsberater empathisches Verständnis für die Abwehrbedürfnisse (vgl. Wöller & Kruse 2005, S. 297) von Mitarbeitern und Führenden aufbringt und die Schutzfunktion der Abwehr entsprechend akzeptiert. Nichtsdestotrotz sollte es das Ziel des Beraters sein, den Beschäftigten in Unternehmen bewusst zu machen, dass es für die Generierung betrieblicher und persönlicher Ressourcen und damit für die Prävention von Burnout hilfreich sein könnte, wenn sie den Verzicht auf die Abwehr aushielten.
3 Empirische Untersuchung
Ausgehend von den theoretischen Ausführungen sollen im Folgenden die Ziele der empirischen Untersuchung sowie die zu überprüfenden Hypothesen dargestellt werden. Daran anschließend wird die Methodik mit dem Forschungsdesign, den eingesetzten Erhebungsinstrumenten zur Erfassung von Arbeitsbelastungen, persönlichen Risikofaktoren, Ressourcen und Burnout, der untersuchten Stichprobe sowie den Auswertungsverfahren zur Prüfung der Hypothesen erläutert. Abschließend werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung dargestellt und interpretiert. 3.1 Ziele und Forschungsfragen Das zentrale Anliegen dieser Forschungsarbeit ist es zu eruieren, ob – wie die theoretischen Ausführungen nahelegen – tatsächlich von der Notwendigkeit einer Psychodynamisierung der betrieblichen Burnout-Prävention ausgegangen werden kann. Konkret versucht die vorliegende Arbeit damit Antworten auf die folgenden Leitfragen zu ermitteln:
Gehen eine Neigung zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen sowie erhöhte subjektiv erlebte Arbeitsbelastungen mit einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen einher?
Führen ausgeprägte Neigungen zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer wie beruflicher Anforderungen sowie erhöhte subjektiv erlebte Arbeitsbelastungen zur Bildung des Burnout-Leitsymptoms Erschöpfung?
Gehen erhöhte Arbeitsbelastungen mit einer ausgeprägten Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen einher?
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3 Empirische Untersuchung
Handelt es sich beim Kohärenzgefühl um eine Ressource, welche vor einer dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer und beruflicher Anforderungen sowie vor Erschöpfung bzw. Burnout schützt?
Schwächt das Kohärenzgefühl die potenziell positiven Beziehungen zwischen subjektiv erlebten Arbeitsbelastungen und einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen, einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen, Erschöpfung bzw. Burnout?
Schwächen eine Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen sowie erhöhte subjektiv erlebte Arbeitsbelastungen die potenziell positiven Wirkungen von subjektiv erlebten betrieblichen Ressourcen auf das Kohärenzgefühl?
Ist das Vorliegen eines ausgeprägten Kohärenzgefühls sowie ausgeprägter betrieblicher Ressourcen ausreichend, um die Entstehung von BurnoutProzessen bei Mitarbeitern zu verhindern?
3.2 Hypothesen Im Anschluss an die erläuterten Ziele und Forschungsfragen erfolgt nun die Darstellung und Beschreibung der hypothetischen Beziehungen zwischen den Konstrukten (vgl. Abbildung 2). Die erste Hypothesengruppe (vgl. 3.2.1) bezieht sich auf Annahmen zu Relationen zwischen Arbeitsbelastungen, personalen Risikofaktoren und Erschöpfung, während die zweite Hypothesengruppe (vgl. 3.2.2) Annahmen zu den Beziehungen zwischen Arbeitsbelastungen, personalen Risikofaktoren, Ressourcen und Erschöpfung bzw. Burnout spezifiziert.
3.2 Hypothesen
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3 Empirische Untersuchung
3.2.1 Arbeitsbelastungen, personale Risikofaktoren und Erschöpfung Im Folgenden werden Hypothesen zu den Beziehungen zwischen subjektiv erlebten Arbeitsbelastungen, einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen, einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen und Erschöpfung formuliert (vgl. Abbildung 2). Hypothese 1a: Eine stärker ausgeprägte Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen geht mit höheren Ausprägungen in der Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen einher. Nach Wöller & Kruse (2005, S. 164) kann der Gebrauch unreifer Abwehrmechanismen, welcher eine dysfunktionale Bewältigung von Anforderungen aus der inneren Umwelt indiziert, zu einer Beeinträchtigung in den Lebensbewältigungsmöglichkeiten von Menschen führen (vgl. hierzu auch Arbeitskreis OPD 2006, S. 65 oder Kwon & Lemon 2000, S. 724). In einer Studie an 615 Mitarbeitern konnten Bovey & Hese (2001, S. 543) aufzeigen, dass die Verwendung unreifer Abwehrmechanismen mit ausgeprägten Widerständen gegenüber Veränderungen im Unternehmen einhergeht, was darauf hindeutet, dass Mitarbeiter, die sich maladaptiver Abwehrmechanismen bedienen, mit äußeren Belastungsfaktoren weniger gut umgehen können als Mitarbeiter, die weniger stark auf unreife Abwehrmechanismen zurückgreifen. Es wird daher davon ausgegangen, dass die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen eine inadäquate Auseinandersetzung mit den Arbeitsanforderungen begünstigt. Hypothese 1b: Höhere Arbeitsbelastungen gehen mit einer stärker ausgeprägten Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen einher. Die Fähigkeit zur Bewältigung von Arbeitsanforderungen kann nicht unabhängig von der Höhe äußerer Belastungen betrachtet werden: Gemäß Schaarschmidt & Fischer (2001, S. 10) kann das Vorliegen ausgeprägter Arbeitsbelastungen zu einer ungünstigen Auseinandersetzung mit den beruflichen Anforderungen führen. Es darf daher vermutet werden, dass die Existenz hoher Arbeitsbelastungen die Bewältigungskapazität von Arbeitsanforderungen einschränkt. Hypothese 1c: Eine stärker ausgeprägte Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen geht mit höheren Ausprägungen im Burnout-Leitsymptom Erschöpfung einher. Die Verwendung unreifer Abwehrmechanismen, welche als Indikator für eine Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen betrachtet werden kann, begünstigt gemäß Freudenberger & North (2005,
3.2 Hypothesen
83
S. 27ff.) die Entstehung von Erschöpfungszuständen (vgl. hierzu auch Cherniss 1980, S. 47). Dass der Gebrauch unreifer Abwehrmechanismen mit einer erhöhten Burnout-Gefährdung einhergehen kann, konnte Schaffer (2000, S. 202) in einer Untersuchung an 100 Volksschullehrern empirisch belegen. Die Zuhilfenahme unreifer Abwehrmechanismen begünstigt neben der Entstehung von BurnoutProzessen auch die Entwicklung von Symptomen, die in einem engen Zusammenhang mit der Burnout-Symptomatik stehen: Kwon & Olson (2007, S. 720) haben in einer Untersuchung an 314 Studenten nachgewiesen, dass der Gebrauch unreifer Abwehrmechanismen mit einem erhöhten Risiko an einer Depression zu erkranken einhergeht. Auch Ruuttu et al. (2006, S. 98) konnten in einer Studie (N = 211) aufzeigen, dass unreife Abwehrmechanismen signifikant mit der Beeinträchtigungsschwere durch psychogene Symptome korrelieren. Watson (2002, S. 281) hat in einer Untersuchung an 422 Studenten ebenso nachgewiesen, dass positive Korrelationen zwischen unreifen Abwehrmechanismen und Symptomen wie Ängsten, Depressionen und Problemen im Bereich des Selbstwerts bestehen. In einer empirischen Studie an 301 Personen aus der Normalbevölkerung sowie 183 Probanden mit einem erhöhten Risiko für psychogene Erkrankungen konnten auch Reister et al. (1993, S. 18) positive Korrelationen zwischen unreifen Abwehrmechanismen und ausgeprägten psychischen Beeinträchtigungen feststellen. Zu ähnlichen Befunden kamen auch Sammallahti et al. (2003, S. 1325) in einer Studie an 334 Angestellten und 122 psychiatrischen Patienten sowie Schauenburg et al. (1991, S. 396) in einer Untersuchung an 180 Patienten. Ebenso zeigten sich statistisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen unreifen Abwehrmechanismen und körperlichen Beschwerden in einer Studie (N = 250) von Deutsch (1995, S. 72). Ausgehend von diesen Ergebnissen wird erwartet, dass eine Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen einen signifikant positiven Einfluss auf die Variable Erschöpfung hat (vgl. Abbildung 2). Hypothese 1d: Eine stärker ausgeprägte Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen geht mit höheren Ausprägungen im Burnout-Leitsymptom Erschöpfung einher. Schaarschmidt & Fischer (2001, S. 21ff.) konnten in ihrer repräsentativen Studie belegen, dass eine ungünstige Auseinandersetzung mit den Arbeitsanforderungen mit der Entwicklung von Burnout-Symptomen einhergeht. Dass ein inadäquates Copingverhalten die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten Belastung durch Burnout-Symptome bzw. sonstige psychische Symptome vergrößert, konnte auch von Barth (1992, S. 168), Körner (2002, S. 249), Lehr et al. (2008, S. 8) und Virnich (2006, S. 57f.) empirisch nachgewiesen werden. Es darf daher vermutet werden, dass eine Neigung zur dysfunktionalen Bewältigung von
84
3 Empirische Untersuchung
Arbeitsanforderungen die Entstehung von Erschöpfungssymptomen begünstigt (vgl. 1.6.2). Hypothese 1e: Höhere Arbeitsbelastungen gehen mit stärkeren Ausprägungen im Burnout-Leitsymptom Erschöpfung einher. Richter et al. (2006, S. 19) konnten in einer Mitarbeiterstudie (N = 1.123) belegen, dass signifikante positive Beziehungen zwischen Arbeitsbelastungen und Erschöpfung bestehen. Ebenso konnten Kalimo et al. (2003, S. 120) in einer Längsschnittuntersuchung an 2.144 finnischen Mitarbeitern eines Forstwirtschaftsunternehmens aufzeigen, dass Arbeitsbelastungen (z.B. ein negatives Organisationsklima) signifikant positive Effekte auf die Variable Burnout aufweisen. Ausgehend von diesen Befunden sowie den Ergebnissen weiterer Studien, in denen positive Wirkungen von Arbeitsbelastungen auf die BurnoutKomponente Erschöpfung nachgewiesen werden konnten (vgl. z.B. Ulich et al. 2002, S. 16 oder Höge 2002, S. 130), wird erwartet, dass hohe Arbeitsbelastungen mit stärkeren Ausprägungen in der Erschöpfung einhergehen (vgl. Abbildung 2). Hypothese 1f: Höhere Arbeitsbelastungen gehen mit einer stärker ausgeprägten Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen einher. In äußeren Belastungssituationen ist der bewusste Umgang mit Emotionen häufig eingeschränkt, wodurch andrängende Impulse aus dem Unbewussten oftmals nicht mehr durch die Zuhilfenahme reiferer Abwehrmechanismen bewältigt werden können, weshalb auf unreifere Abwehrmechanismen, welche eine dysfunktionale Auseinandersetzung mit den intrapsychischen Anforderungen indizieren, zurückgegriffen werden muss (vgl. hierzu auch Arbeitskreis OPD 2006, S. 213ff). Araujo et al. (1999, S. 23) konnten in einer Studie an 87 Patientinnen empirisch belegen, dass signifikante positive Korrelationen zwischen subjektiv wahrgenommenen externen Stressoren und unreifen Abwehrmechanismen bestehen. Es darf daher vermutet werden, dass das Vorliegen ausgeprägter Arbeitsbelastungen die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen verstärkt.
3.2.2 Arbeitsbelastungen, personale Risikofaktoren, Ressourcen und Burnout Im Folgenden werden Annahmen zu den Relationen zwischen subjektiv erlebten Arbeitsbelastungen, einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen, einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen, Kohärenzgefühl, subjektiv erlebten betrieblichen Ressourcen und Erschöpfung bzw. Burnout formuliert (vgl. Abbildung 2).
3.2 Hypothesen
85
Hypothese 2a: Höhere Ausprägungen im Kohärenzgefühl gehen mit niedrigeren Ausprägungen in Burnout bzw. den einzelnen Burnout-Komponenten Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen, Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen sowie Erschöpfung einher. Ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl beinhaltet nach Antonovsky (1979, S. 123) zum einen die Kapazität zur Bewältigung von Anforderungen aus der inneren Umwelt: Es impliziert die bewusste Auseinandersetzung mit Emotionen, Affekten, intrapsychischen Konflikten sowie sonstigen zentralen Bereichen menschlicher Existenz wie beispielsweise dem Tod (vgl. Antonovsky 1997, S. 39). Dass ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl vor einer dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen zu schützen vermag, konnten Sammallahti et al. (2003, S. 1325) in einer Studie an 334 Angestellten und 122 psychiatrischen Patienten empirisch belegen. Nach Antonovsky (1979, S. 123) beinhaltet ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl neben der Fähigkeit zur Bewältigung intrapsychischer Anforderungen auch die Handhabbarkeit äußerer Anforderungen wie jenen der Arbeit. Dies konnte von Schaarschmidt & Fischer (2001, S. 45f.) in ihrer repräsentativen Studie belegt werden: Die Autoren haben nachgewiesen, dass ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl einen protektiven Faktor gegen das Einnehmen einer inadäquaten Haltung gegenüber den Arbeitsanforderungen darstellt. Das Kohärenzgefühl vermag damit auch das Risiko für eine Entwicklung von Burnout-Prozessen oder sonstigen Burnout-verwandten Symptomen zu reduzieren: Schumacher et al. (2000, S. 480) haben in einer repräsentativen Studie (N = 2.005) festgestellt, dass signifikante Zusammenhänge zwischen dem Kohärenzgefühl und Indikatorvariablen des psychischen und physischen Wohlbefindens bestehen. Gemäß den Autoren ist ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl mit einer geringeren Zahl von subjektiv erlebten Beschwerden, weniger somatoformen Symptomen und reduzierten Beeinträchtigungen des Alltagslebens assoziiert. Hohe Korrelationen ergaben sich insbesondere auch für die BurnoutIndikatoren Erschöpfung und Energieverlust. Auch Lasshofer (2006, S. 165) konnte in einer Mitarbeiterstudie (N = 964) belegen, dass ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl signifikante negative Beziehungen zum Faktor Burnout aufweist. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Kalimo et al. (2003, S. 117) in einer Studie an 2.144 Mitarbeitern sowie Albertsen et al. (2001, S. 247f.) in einer Untersuchung an 2.053 dänischen Beschäftigten. Ausgehend von diesen Befunden kann erwartet werden, dass ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl mit niedrigeren Ausprägungen in Burnout bzw. den Burnout-Dimensionen Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychi-
86
3 Empirische Untersuchung
scher Anforderungen, Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen und Erschöpfung einhergeht (vgl. Abbildung 2). Hypothese 2b: Es besteht ein Interaktionseffekt zwischen Arbeitsbelastungen und Kohärenzgefühl auf Burnout bzw. die Burnout-Komponenten Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen, Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen und Erschöpfung: Die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastungen und Burnout bzw. den einzelnen Burnout-Komponenten werden bei hohen Werten des Moderators Kohärenzgefühl verringert. Gemäß Rimann & Udris (1998, S. 360) nimmt das Kohärenzgefühl eine Moderatorfunktion zwischen Arbeitsbelastungen und Gesundheit ein: Die Autoren gehen davon aus, dass bei Vorliegen dieser bedeutsamen personalen Ressource die Wirkungen von Arbeitsbelastungen auf die Gesundheit abgefedert werden (vgl. 2.3.3). Die Moderatorwirkung des Kohärenzgefühls konnte in verschiedenen Studien empirisch belegt werden: In einer Untersuchung von Söderfeldt et al. (2000, S. 12) an Mitarbeitern der schwedischen Sozialversicherung und der sozialen Wohlfahrtsagentur zeigte sich eine moderierende Wirkung des Kohärenzgefühls auf den Zusammenhang zwischen emotionalen Anforderungen und Burnout. Lasshofer (2006, S. 180) konnte in ihrer Mitarbeiterstudie (N = 964) ebenfalls nachweisen, dass dem Kohärenzgefühl eine moderierende Funktion zwischen Arbeitsbelastungen und Burnout zukommt. Ebenso konnten von Albertsen et al. (2001, S. 248) moderierende Effekte des Kohärenzgefühls in Bezug auf den Zusammenhang zwischen spezifischen Merkmalen der Arbeitssituation und Stresssymptomen identifiziert werden. Ausgehend von diesen Befunden wird angenommen, dass ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl die Wirkungen von Arbeitsbelastungen auf Burnout bzw. die einzelnen Burnout-Komponenten abschwächt (vgl. Abbildung 2). Hypothese 2c: Ein hoher betrieblicher Ressourcenstatus geht mit einem stärker ausgeprägten Kohärenzgefühl einher. Udris (2006, S. 9) konnte empirisch belegen, dass verstärkte soziale Unterstützung durch Vorgesetzte, verbesserte Partizipationsmöglichkeiten sowie ein Mehr an sonstigen organisationalen Ressourcen zu einem stärker ausgeprägten Kohärenzgefühl führen (vgl. 2.3.2). Auch Lasshofer (2006, S. 155ff.) kam in ihrer Mitarbeiterstudie zu ähnlichen Befunden. Es wird daher vermutet, dass ein erhöhter betrieblicher Ressourcenstatus einen positiven Effekt auf das Kohärenzgefühl hat (vgl. Abbildung 2). Hypothese 2d: Es besteht ein Interaktionseffekt zwischen betrieblichen Ressourcen und einer Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen auf das Kohärenzgefühl: Der Zusammenhang zwischen betrieb-
3.2 Hypothesen
87
lichen Ressourcen und Kohärenzgefühl wird bei hohen Werten des Moderators Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen verringert. In der vorliegenden Untersuchung wird der Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen ein destabilisierender Effekt zugesprochen: Der Gebrauch unreifer Abwehrmechanismen sollte die potenziell positiven Wirkungen eines hohen betrieblichen Ressourcenstatus auf die Variable Kohärenzgefühl abschwächen. Neben den erwarteten Haupteffekten der betrieblichen Ressourcen und der Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen auf das Kohärenzgefühl wird angenommen, dass das Zusammenspiel zwischen den beiden Variablen ebenfalls von Bedeutung für das Kohärenzgefühl ist. Die Beziehung zwischen dem RessourcenIndikator und dem Kohärenzgefühl sollte also schwächer werden, je stärker die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen ausgeprägt ist. Diese Erwartung stützt sich auf die Annahme, dass Mitarbeiter, die sich unreifer Abwehrmechanismen bedienen, weniger dazu in der Lage sind, die mit einer Ressourcenbildung potenziell einherzugehenden intrapsychischen Veränderungen zu vollziehen als Mitarbeiter, die weniger stark auf unreife Abwehrmechanismen zurückgreifen. Hypothese 2e: Es besteht ein Interaktionseffekt zwischen Arbeitsbelastungen und betrieblichen Ressourcen auf das Kohärenzgefühl: Der Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen und Kohärenzgefühl wird bei hohen Werten des Moderators betriebliche Ressourcen verringert. Gemäß dem Belastungs-Ressourcen-Gesundheits-Modell von Udris (2006, S. 10) werden die Wirkungen von Arbeitsbelastungen auf das Kohärenzgefühl durch organisationale Ressourcen (z.B. Partizipationsmöglichkeiten) bzw. soziale Ressourcen (z.B. mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten) – im Sinne von Moderatorvariablen – abgeschwächt (vgl. 2.3.3). Es wird daher vermutet, dass das Zusammenspiel zwischen Arbeitsbelastungen und betrieblichen Ressourcen von Bedeutung für das Kohärenzgefühl ist. Hypothese 2f: Bei Vorliegen eines ausgeprägten Kohärenzgefühls und ausgeprägter betrieblicher Ressourcen bleiben die Effekte von Arbeitsbelastungen auf die Variable Burnout signifikant. Höge (2002, S. 137) hat in einer Studie an 205 Beschäftigten in Krankenhäusern die Effekte von Arbeitsbelastungen und Persönlichkeitsvariablen auf die psychophysische Beanspruchung untersucht. Der Autor ist unter anderem der Frage nachgegangen, ob nach Kontrolle des Kohärenzgefühls die Arbeitsbelastung ein signifikanter Prädiktor der psychophysischen Beanspruchung bleibt. Seine Ergebnisse zeigen, dass sich das Kohärenzgefühl stärker auf die Beanspruchung auswirkt als die Arbeitsbelastung. Der Autor konnte zudem
88
3 Empirische Untersuchung
nachweisen, dass der signifikante Effekt der Arbeitsbelastung auf die Gesundheit auch bei Einbeziehung des Kohärenzgefühls in das Modell erhalten bleibt. In Anlehnung an diese Befunde ist anzunehmen, dass auch bei Vorhandensein der personalen Ressource Kohärenzgefühl die Beziehungen zwischen Arbeitsbelastungen und Burnout signifikant bleiben. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass die Wirkungen von Arbeitsbelastungen auf die Variable Burnout statistisch bedeutsam bleiben, wenn zudem ausgeprägte betriebliche Ressourcen vorliegen (vgl. Abbildung 2). 3.3 Methodik Im Folgenden soll die der Arbeit zugrunde liegende Forschungsmethodik näher erläutert werden. Dabei werden zunächst das Forschungsdesign, anschließend die Instrumente der Datenerhebung sowie die zu untersuchende Stichprobe dargestellt. Abschließend erfolgt eine Beschreibung der zur Anwendung kommenden Auswertungsverfahren.
3.3.1 Forschungsdesign Die Entscheidung über die Ausgestaltung des Forschungsdesigns setzt zunächst die Darstellung der unterschiedlichen Forschungsparadigmen voraus. Die Grundsätze quantitativer und qualitativer Forschung werden daher kurz erläutert und einander gegenübergestellt. Quantitative Studien unterscheiden sich von qualitativen Studien vorrangig durch die wissenschaftstheoretische Grundposition, den Status von Hypothesen und Theorien sowie das Methodenverständnis (vgl. Atteslander 2003, S. 83). Die quantitative Forschung bezieht sich weitgehend auf den “Kritischen Rationalismus“ von Popper, woraus das Postulat der Werturteilsfreiheit wissenschaftlicher Aussagen, die Trennung von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang und die Theorieprüfung folgen. Soziale Realität wird als objektiv gegeben und mittels bestimmter Methoden erfassbar angesehen. Quantitative Studien sind durch eine hochstrukturierte, theoriegeleitete und kontrollierte Aufzeichnung und Auswertung gekennzeichnet. Die erhobenen und ausgewerteten Daten dienen in erster Linie der Prüfung der vorangestellten Theorien und Hypothesen. Um den Prozess überprüfbar und nachvollziehbar zu machen, erfolgen Datenerhebung, Datenauswertung und Interpretation der Ergebnisse getrennt voneinander. Gegen die quantitative Sozialforschung werden vielfältige Einwände erhoben: Zentrale Kritikpunkte sind der durch die Theorie stark begrenzte Erfah-
3.3 Methodik
89
rungsbereich, die vorab eingeführten Hypothesen und das ‘Primat der Methode‘ vor dem Forschungsgegenstand, womit gemeint ist, dass die Beschäftigung mit der Methode den eigentlichen Gegenstand der Untersuchung überlagert und die theoretischen Vorstellungen des Untersuchers der Wirklichkeit aufgezwungen werden (vgl. Gadenne 2001, S. 3). Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass durch Standardisierung und Quantifizierung nur noch Scheinobjektivitäten und Messartefakte generiert werden. Qualitative Forschung hat ihren Ausgangspunkt im Versuch eines vorrangig deutenden und Sinn verstehenden Zugangs zur zu untersuchenden sozialen Realität. Sie beruft sich auf das interpretative Paradigma, die Hermeneutik und die Phänomenologie (vgl. Atteslander 2003, S. 84f.). Qualitative Studien zeichnen sich dadurch aus, dass der Untersuchungsgegenstand und nicht vorab entwickelte Theorien und Hypothesen die Forschung bestimmen, welche offen und flexibel entsprechend den ‘Widersprüchlichkeiten sozialer Wirklichkeit‘ verläuft. Im Rahmen der qualitativen Forschung werden Begriffe und Hypothesen im laufenden Forschungsprozess generiert, modifiziert und verallgemeinert. Gemäß Lamnek (1993, S. 225) ist es möglich, “den theoretischen Bezugsrahmen während des Forschungsablaufes stets zu novellieren oder sogar zu entwickeln.“ Die qualitative Forschung bemüht sich, ein möglichst vollständiges Bild der zu erschließenden Wirklichkeitsausschnitte zu erfassen und vermeidet – z.B. durch Hypothesenbildung vor Beginn der Untersuchung – den Bereich möglicher Erfahrungen einzuschränken. Aus qualitativer Sicht erscheinen Hypothesen nach Gadenne (2001, S. 3f.) – zumindest im Anfangsstadium – als ‘Scheuklappen‘, die den Forscher die relevanten Tatsachen übersehen lassen. Es existieren jedoch gemäß dem Autor auch wissenschaftliche Problemstellungen, die eine Hypothesenbildung ex ante erfordern (vgl. Gadenne 2001, S. 13): Wenn ein Bereich schon verhältnismäßig gründlich erforscht wurde, viele Fakten bekannt sind und verschiedene umfassende Theorien existieren, so wird die weitere Forschungsarbeit darin bestehen müssen, diese Theorien auszuarbeiten, in Konkurrenz zueinander zu prüfen und zu verbessern. Ein weiterer Beitrag kann hier nur geleistet werden, indem man an das verfügbare Wissen anknüpft, was bedeutet, dass in diesem Stadium jede empirische Untersuchung mit einigermaßen komplexen theoretischen Überlegungen beginnen muss. Für die vorliegende Studie wurde ein quantitatives Untersuchungsdesign gewählt. Die Entscheidung für einen quantitativen Forschungsansatz begründet sich darin, dass über den zu untersuchenden Bereich bereits umfassende Theorien existieren und es daher nur wenig Erfolg versprechend wäre, von all den verfügbaren Informationen abzusehen, um in völliger Offenheit das Feld zu erkunden.
90
3 Empirische Untersuchung
3.3.2 Erhebungsverfahren Zur Erfassung der laut Modell und Hypothesen benötigten Daten kamen fünf validierte Skalen bzw. Subskalen zum Einsatz: die Leipziger Kurzskala zur Erfassung des Kohärenzgefühls (SOC-L9), das Maslach Burnout Inventory – General Survey (MBI-GS) zur Erhebung von Burnout, der Fragebogen zur Salutogenetischen Subjektiven Arbeitsanalyse (SALSA) zur Erfassung von Arbeitsbelastungen und betrieblichen Ressourcen, der Defense Style Questionnaire (DSQ-40) zur Erhebung von unreifen Abwehrmechanismen und das Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM) zur Erfassung der Konstrukte Perfektionsstreben und Resignationstendenz. Durch die Überarbeitung von missverständlichen Fragen wurden die zum Einsatz gekommenen Skalen optimiert.
3.3.2.1 Leipziger Kurzskala zur Erfassung des Kohärenzgefühls (SOC-L9) Die SOC-L9-Skala wurde von Schumacher et al. (2000, S. 472f.) basierend auf der SOC-29-Skala von Antonovsky (1983) konstruiert. Grundlage dafür war eine teststatistische Überprüfung der SOC-29-Skala anhand einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung (N = 2.005). Um die Konstruktvalidität der SOC-29-Skala testen zu können, haben die Autoren das SOC-Konzept einer faktorenanalytischen Prüfung unterzogen. Dabei konnten sie die von Antonovsky postulierte dreidimensionale Struktur (Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit) nicht reproduzieren. Gemäß Schumacher et al. (2000, S. 480) ist eine empirische Trennbarkeit der drei Subkomponenten aufgrund der hohen Interkorrelationen der drei Subskalen (zwischen r = .62 und .76) nicht möglich. Die Ergebnisse der Faktorenanalyse legen stattdessen das Vorliegen eines varianzstarken Generalfaktors nahe. Aufgrund der unbefriedigenden faktoriellen Validität der SOC-29-Skala sowie der unzureichenden Trennschärfekoeffizienten einzelner Items (von r = .26 bis r = .33) bezogen auf die SOC-29-Gesamtskala wurde von Schumacher et al. (2000, S. 480) eine optimierte SOC-Skala entwickelt. Das Ziel war es zum einen, die Informationen, die mit der Gesamtskala gewonnen werden können, in vergleichbarer Güte mit einer verkürzten Skala mit weniger als 10 Items und somit mit einem erheblich geringeren diagnostischen Aufwand zu erfassen. Die zu entwickelnde Kurzskala sollte darüber hinaus eindimensional sein, d.h., die Items sollten möglichst auf einem Faktor laden, der das SOC-Konzept in seiner Breite repräsentiert. Bei der Auswahl der Items für die Kurzskala orientierten sich die Autoren primär an den Trennschärfekoeffizienten bezogen
3.3 Methodik
91
auf die SOC-29-Gesamtskala und wählten diejenigen neun Items aus, die am höchsten mit der Gesamtskala korrelieren. Zu diesen neun Items gehören zwei Items der Skala “Verstehbarkeit“, drei Items der Skala “Handhabbarkeit“ sowie vier Items der Skala “Sinnhaftigkeit“. Der Forderung nach einer Abdeckung aller drei theoretisch beschreibbaren Subkomponenten des Kohärenzgefühls durch die entsprechenden Iteminhalte konnte damit entsprochen werden. Die Trennschärfekoeffizienten der Items bezogen auf den SOC-L9-Skalenwert nehmen Werte zwischen r = .56 und r = .68 an und sind somit als gut zu bewerten. Auch die interne Konsistenz der Kurzskala ist mit einem Cronbach’s Alpha von .87 als gut einzuschätzen, zumal dieser Wert trotz der geringeren Itemzahl über dem der bisher gebräuchlichen Kurzskala SOC-13 von .85 liegt. Die hohe Korrelation mit der SOC-29-Gesamtskala (r = .94) qualifiziert die SOC-L9 als eine valide Kurzfassung dieser Skala. Um die geforderte Eindimensionalität der SOC-L9 zu überprüfen, berechneten die Autoren unter Einbezug der neun SOC-L9-Items eine erneute exploratorische Faktorenanalyse. Es zeigte sich, dass alle Items auf einem einzigen Faktor laden, der alleine 49.9% der Gesamtvarianz aufklärt. Dabei variieren die Faktorladungen der Items zwischen .66 und .78. Die Eindimensionalität der Skala ließ sich von den Autoren damit faktorenanalytisch belegen. Zur weiteren Konstruktvalidierung der SOC-Skala haben Schumacher et al. (2000, S. 481) abschließend Korrelationen mit Skalen zur Erfassung von Indikatoren des psychischen und physischen Wohlbefindens berechnet. Die entsprechend der Grundannahmen des Salutogenese-Modells zu erwartenden signifikanten Zusammenhänge ließen sich von den Autoren ebenfalls empirisch nachweisen. Zusammenfassend kann die SOC-L9-Skala gemäß Schumacher et al. (2000, S. 481) als ein reliables und valides Messinstrument zur Erfassung des Kohärenzgefühls bezeichnet werden, wie auch die Befunde von Schneglberger (2009, S. 88) verdeutlichen. Sie ermöglicht mit nahezu vergleichbarer Zuverlässigkeit, aber weitaus ökonomischer als die SOC-29-Gesamtskala, die Erhebung des Kohärenzgefühls.
3.3.2.2 Maslach Burnout Inventory (MBI-GS) Das Konstrukt Burnout wird durch die deutsche Version des Maslach Burnout Inventory – General Survey (vgl. Schaufeli et al. 1996, dt. Version vgl. Büssing & Glaser 1998, übernommen von Bieringer 2005) erfasst. Während die Standardversion des MBI vornehmlich für die Messung von Burnout-Indikatoren im Dienstleistungsbereich entwickelt wurde, handelt es sich beim MBI-GS um
92
3 Empirische Untersuchung
ein Erhebungsverfahren, das an allen Berufsgruppen angewendet werden kann (vgl. Maslach et al. 2001, S. 402). Das MBI-GS umfasst drei Subskalen mit insgesamt 16 Items:
Erschöpfung: Diese Skala misst die Ermüdung bzw. Erschöpfung einer Person und umfasst Items wie “Ich fühle mich durch meine Arbeit gefühlsmäßig erschöpft“.
Distanziertheit/Zynismus: Diese Skala erfasst die Gleichgültigkeit bzw. die distanzierte Haltung einer Person gegenüber der Arbeit. Sie umfasst Items wie “Ich möchte nur meine Arbeit tun und in Ruhe gelassen werden“.
Berufliche Wirksamkeit: Anhand dieser Skala werden soziale als auch nichtsoziale Aspekte beruflicher Fähigkeiten einer Person gemessen. Beispielitem: “Bei meiner Arbeit bin ich sicher, dass ich die Dinge effektiv erledige“.
Die Homogenitäten der drei Subskalen betragen zwischen .72 bis .90. Es handelt sich also um befriedigend bis sehr gut reliable Skalen. Hohe Werte auf den Skalen “Erschöpfung“ und “Distanziertheit/Zynismus“ und niedrige Werte auf der Skala “Berufliche Wirksamkeit“ können als Indikatoren für Burnout erachtet werden. Schaufeli et al. (1996, zit. n. Bakker et al. 2002, S. 6) gehen davon aus, dass höhere Ausprägungen im Bereich der “Erschöpfung“ mit höheren Ausprägungen im Faktor “Distanziertheit/Zynismus“ einhergehen. Letzterer kann als dysfunktional betrachtet werden, da er die offensive Bewältigung beruflicher Probleme erschwert und in einer verminderten “Beruflichen Wirksamkeit“ resultiert. Es sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass – wie später im Rahmen der Datenaggregation zur Konstrukterstellung noch näher erläutert (vgl. 3.4.2) – in der vorliegenden Untersuchung zusätzlich zu den drei skizzierten Burnout-Skalen auch die AVEM-Variable “Resignationstendenz bei Misserfolg“ (vgl. 3.3.2.5) sowie die unreifen Abwehrmechanismen der Projektion, der Passiven Aggression, der Somatisierung und der Verleugnung (vgl. 3.3.2.4) für die Bildung eines Burnout-Gesamtindikators herangezogen werden. Die Burnout-Skalen “Distanziertheit/Zynismus“ und “Eingeschränkte berufliche Wirksamkeit“ finden neben dem Faktor “Resignationstendenz bei Misserfolg“ auch im Indikator “Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen“ ihre Berücksichtigung (vgl. 3.4.2).
3.3 Methodik
93
3.3.2.3 Fragebogen zur Salutogenetischen Subjektiven Arbeitsanalyse (SALSA) Zur Erhebung von Arbeitsbelastungen und externen Ressourcen wird die von Rimann & Udris (1997) entwickelte Salutogenetische Subjektive Arbeitsanalyse (SALSA) herangezogen. Bei SALSA handelt es sich um eine Kombination und Weiterentwicklung vorliegender arbeitsanalytischer Verfahren (vgl. Rimann & Udris 1997, S. 286). Dabei wurden von den Autoren Arbeitsbedingungen ausgewählt, die als Belastungsfaktoren oder aber auch als soziale und organisationale Gesundheitsressourcen aufzufassen sind. Der Fragebogen setzt sich aus den in Tabelle 3 dargestellten Skalen zusammen, die fünf Merkmalsbereiche erfassen. Tabelle 3:
Merkmalsbereiche und Skalen des SALSA-Fragebogens (vgl. Rimann & Udris 1997, S. 286) Anzahl Items
Cronbach's Alpha
Ganzheitlichkeit der Aufgaben
3
.75
Qualifikationsanforderungen und Verantwortung
4
.71
Anzahl Items
Cronbach's Alpha
(1) Aufgabencharakteristika
(2) Arbeitsbelastungen Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ u. quantitativ)
6
.78
Unterforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ)
3
.62
Belastendes Sozialklima (Kolleginnen, Kollegen)
3
.60
Belastendes Vorgesetztenverhalten
3
.78
Anzahl Items
Cronbach's Alpha
10 Einzelitems
-
(3) Belastungen durch 'äußere' Tätigkeitsbedingungen Belastung durch Lärm, ungünstige Beleuchtung, unangenehme Temperatur, Wartezeiten, mangelhafte technische Geräte und Arbeitsmittel, lange am Bildschirm arbeiten, usw.
94
3 Empirische Untersuchung
(4) Organisationale Ressourcen Aufgabenvielfalt
Anzahl Items
Cronbach's Alpha
3
.76
Qualifikationspotential der Arbeitstätigkeit
3
.85
Tätigkeitsspielraum (Entscheidungs- und Kontrollspielraum)
3
.50
Partizipationsmöglichkeiten
3
.62
Persönliche Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitsplatzes
1
-
Spielraum für persönliche und private Dinge bei der Arbeit
1
-
(5) Soziale Ressourcen
Anzahl Items
Cronbach's Alpha
Positives Sozialklima
4
.72
Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten
4
.80
Soziale Unterstützung durch den Vorgesetzten
3
.90
Soziale Unterstützung durch Arbeitskolleginnen u. Arbeitskollegen
3
.87
Im Folgenden erfolgt eine nähere Beschreibung der in Tabelle 3 aufgeführten Skalen: (1) Aufgabencharakteristika
Ganzheitlichkeit der Aufgaben: Diese Skala erfasst den Grad, indem eine Aufgabe im Rahmen der Arbeit vollständig erledigt wird. Beispielitem: “Bei dieser Arbeit macht man etwas Ganzes, Abgerundetes.“
Qualifikationsanforderungen und Verantwortung: Diese Skala erfasst den Grad, indem die Aufgaben besondere Ausbildung, spezielle Fähigkeiten oder selbstständige Entscheidungen erfordern. Beispielitem: “Man muss für diese Arbeit gründlich ausgebildet sein.“
(2) Arbeitsbelastungen
Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (quantitativ und qualitativ) Quantitativ: Darunter versteht man Belastungen durch das Arbeitsvolumen und durch parallele Erledigung mehrerer Aufgaben sowie durch Zeitdruck. Beispielitem: “Es gibt soviel zu tun, dass es einem über den Kopf wächst.“
3.3 Methodik
95
Qualitativ: Darunter werden Belastungen verstanden, die durch Aufgaben entstehen, welche andere Qualifikationen als die Vorhandenen erfordern. Beispielitem: “Man muss Dinge tun, für die man eigentlich zu wenig ausgebildet und vorbereitet ist.“
Unterforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ): Diese Skala erfasst den Grad der Nicht-Ausnutzung vorhandener Qualifikationen. Beispielitem: “Bei dieser Arbeit kommen meine Fähigkeiten wenig zum Zuge.“
Belastendes Sozialklima (Kolleginnen, Kollegen): Darunter werden Belastungen verstanden, die im Rahmen der Arbeit im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen auftreten. Beispielitem: “Es gibt häufig Spannungen am Arbeitsplatz.“
Belastendes Vorgesetztenverhalten: Darunter versteht man Belastungen, welche im Rahmen der Arbeit im Umgang mit Vorgesetzten erlebt werden. Beispielitem: “Wenn ein Fehler passiert, findet der/die Vorgesetzte ihn immer bei uns, nie bei sich.“
(3) Belastungen durch “äußere“ Tätigkeitsbedingungen Anhand von 10 Einzelitems werden Belastungen durch Lärm, ungünstige Beleuchtung, unangenehme Temperatur, Wartezeiten, mangelhafte technische Geräte und Arbeitsmittel, intensive Bildschirmarbeit, ungünstige Arbeitszeiten, ungünstige Arbeitshaltung sowie Zeitdruck bei der Arbeit erfasst. Beispielitem: “Wie stark ist an Ihrem Arbeitsplatz die Belastung durch ungünstige Beleuchtung?“ (4) Organisationale Ressourcen
Aufgabenvielfalt: Darunter wird die qualitative Vielfalt der anfallenden Arbeitsaufgaben verstanden. Es geht dabei um die Frage, ob immer Aufgaben der gleichen Art anfallen, oder ob die Arbeit Abwechslung bietet. Beispielitem: “Es gibt fast jeden Tag etwas anderes zu tun.“
96
3 Empirische Untersuchung
Qualifikationspotenzial der Arbeitstätigkeit: Diese Skala dient der Erfassung des Fähigkeitszuwachses bzw. -verlusts durch die Arbeit. Beispielitem: “Diese Arbeit schafft gute Möglichkeiten, im Beruf weiterzukommen.“
Tätigkeitsspielraum (Entscheidungs- und Kontrollspielraum): Hier wird nach den Möglichkeiten, selbst Entscheidungen zu treffen, eine selbstständige Einteilung der Arbeit vorzunehmen sowie nach Varianten der Ausführung bei der Erledigung der Arbeit gefragt. Beispielitem: “Diese Arbeit erlaubt es, eine Menge eigener Entscheidungen zu treffen.“
Partizipationsmöglichkeiten: Diese Skala dient der Erfassung des Ausmaßes in welchem der Vorgesetzte bzw. die Geschäftsleitung über Änderungen der Arbeitsorganisation informieren und inwieweit bei Veränderungen die Beteiligung der Mitarbeiter ermöglicht wird. Beispielitem: “Wenn man eine gute Idee hat, kann man sie in der Firma auch verwirklichen.“
Persönliche Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitsplatzes: Dieses Einzelitem dient dazu, die Möglichkeiten der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes nach persönlichen Vorstellungen zu erfassen. Item: “Man hat die Möglichkeit, den eigenen Arbeitsplatz nach persönlichem Stil einzurichten (z.B. Bilder, Pflanzen, Lampen).“
Spielraum für persönliche und private Dinge bei der Arbeit: Mit diesem Einzelitem wird die Möglichkeit erfasst, mit Kolleginnen oder Kollegen private Gespräche zu führen. Item: “An meinem Arbeitsplatz bieten sich die Möglichkeiten, zwischendurch mal kurz Dinge zu tun, die nichts mit meinen Aufgaben zu tun haben (z.B. kurze Pausen, Telefonate).“
(5) Soziale Ressourcen
Positives Sozialklima: Diese Skala erfasst Werte wie gegenseitiges Interesse, Vertrauen, Offenheit und Humor im Umgang mit Kollegen und Kolleginnen bei der Arbeit. Beispielitem: “Die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, sind freundlich.“
Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten: Die Skala erfasst das Ausmaß, in dem der Vorgesetzte den Mitarbeitern bei der Arbeit zugänglich ist, mit Respekt und Fairness gegenübertritt und Feedback über die geleistete
3.3 Methodik
97
Arbeit gibt. Beispielitem: “Der/die Vorgesetzte hilft mir bei der Erledigung der Aufgaben.“
Soziale Unterstützung durch den Vorgesetzten: Diese Skala dient der Erfassung des Ausmaßes an Beistand, welcher der Mitarbeiter durch den Vorgesetzten erfährt. Beispielitem: “Wie sehr sind Ihre Vorgesetzten bereit, sich Ihre Probleme in der Arbeit anzuhören?“
Soziale Unterstützung durch Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen: Diese Skala dient der Erfassung des Ausmaßes an Beistand, welcher der Mitarbeiter durch die Kollegen erfährt. Beispielitem: “Wie sehr sind Ihre ArbeitskollegInnen bereit, sich Ihre Probleme in der Arbeit anzuhören?“
Zur Prüfung der Reliabilität und der Validität der SALSA-Skalen wurden von Rimann & Udris (1997, S. 286) verschiedene statistische Berechnungen durchgeführt. Die in Tabelle 3 angegebenen Reliabilitätskoeffizienten (Cronbach’s Alpha) geben Auskunft über die Homogenität einer Skala. Alpha-Werte größer als .60 deuten auf eine ausreichende, Alpha-Werte größer als .70 auf eine befriedigende und Werte über .80 auf eine gute Homogenität hin. Wie in Tabelle 3 ersichtlich, weisen die SALSA-Skalen überwiegend befriedigende bis sehr gute interne Konsistenzen auf. Im Zuge einer von Richter et al. (2006, S. 17) durchgeführten Reanalyse ergab die Prüfung der internen Konsistenzen für die Skalen als auch die Merkmalsbereiche ebenfalls zufriedenstellende Werte. Mit dem SALSA-Verfahren können folglich zuverlässig Belastungen sowie organisationale und soziale Ressourcen in der Arbeit diagnostiziert werden. Zur Demonstration der Gültigkeit der Skalen wurden Mittelwerte für Stichproben aus zwei objektiv unterschiedlichen Produktionsbetrieben dargestellt und auf signifikante Unterschiede geprüft. Es zeigten sich tatsächlich einige Unterschiede in den Skalen, die auf die unterschiedliche Arbeitsgestaltung zurückgeführt werden konnten. Ähnliche Vergleiche zeigen, dass die SALSA-Skalen in den relevanten Merkmalen zwischen Gruppen differenzieren. Das Kriterium der differenziellen Validität kann damit als erfüllt betrachtet werden. Für die vorliegende Studie wird die Skala Arbeitsbelastungen, welche die Subskalen “Überforderung durch die Arbeitsaufgabe“, “Unterforderung durch die Arbeitsaufgabe“, “Belastendes Sozialklima“ und “Belastendes Vorgesetztenverhalten“ beinhaltet, herangezogen. Diese Entscheidung stützt sich auf die Befunde von Lasshofer (2006, S. 182), welche zeigen, dass Belastungen betreffend die Arbeitstätigkeit selbst die Gesundheit des Mitarbeiters stärker beeinträchtigen als Belastungen durch äußere Tätigkeitsbedingungen (wie z.B. Lärm oder mangelhafte technische Geräte).
98
3 Empirische Untersuchung
Als betriebliche Ressourcen kommen die Subskalen “Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten“ aus der Kategorie “Soziale Ressourcen“ und “Partizipationsmöglichkeiten“ aus der Kategorie “Organisationale Ressourcen“ zur Anwendung, da sich diese in bestehenden Studien als bedeutsame Korrelate des Kohärenzgefühls erwiesen haben (vgl. z.B. Lasshofer 2006, S. 155ff.). Auch Richter et al. (2006, S. 20) konnten in einer Replikationsstudie zur Struktur und Risikoprädiktion des SALSA-Verfahrens die gesundheitsförderliche Wirkung dieser beiden Konstrukte belegen.
3.3.2.4 Defense Style Questionnaire (DSQ-40) Beim Defense Style Questionnaire (DSQ) handelt es sich um einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung von Abwehrmechanismen, welcher von der kanadischen Arbeitsgruppe Bond et al. (1983) entwickelt wurde. Das Ziel der Autoren war es, einen Fragebogen zu entwerfen, der unabhängig von subjektiver Raterbeurteilung in der Forschung eingesetzt werden kann (vgl. Bond et al. 1983, S. 333). Unter Bezugnahme auf die Arbeiten von Sigmund Freud, Anna Freud, Otto F. Kernberg, Melanie Klein und George E. Vaillant wählten die Autoren 24 Abwehrmechanismen aus, die der Fragebogen erfassen sollte. In einem nächsten Schritt operationalisierten sie jeden Abwehrmechanismus in Form mehrerer Aussagesätze (Items), sodass die Endfassung des DSQ insgesamt 88 Items enthielt. Die Konstruktvalidität des Fragebogens in Anlehnung an die Skalen von Vaillant (1971) konnte durch eine Faktorenanalyse bestätigt werden. Es ergaben sich Skalen “Maladaptiver bzw. Unreifer Abwehr“ (Rückzug, Acting Out, Inhibition, Passive Aggression, Regression und Projektion), “Verzerrender Abwehr“ (Spaltung, Idealisierung, Omnipotenz und Entwertung), “Selbstaufopfernder Abwehr“ (Reaktionsbildung und Pseudoaltruismus) und “Adaptiver bzw. Reifer Abwehr“ (Suppression, Humor und Sublimierung). In die deutsche Sprache wurde die englische 88-Item-Version des DSQ erstmalig von Schauenburg et al. (1991) übertragen. Die Autoren legten den übersetzten Fragebogen 100 Studenten vor. Um übergreifende Beantwortungsmuster abzubilden, die als hypothetische Abwehrstile gewertet werden können, wurden die gewonnenen Daten einer Faktorenanalyse unterzogen. Ähnlich wie Bond et al. (1983), konnten auch Schauenburg et al. (1991, S. 398) eine 4-Faktorenlösung identifizieren, in der jedoch lediglich die “Reife Abwehr“ und die “Unreife Abwehr“ mit der amerikanischen Version gut übereinstimmten. Im Gegensatz zu Bond et al. (1983) bildete sich bei Schauenburg et al. (1991, S. 396) ein Faktor, der die Abwehrmechanismen Reaktionsbildung, Isolierung und
3.3 Methodik
99
Spaltung beinhaltet sowie ein weiterer Faktor, der den Abwehrmechanismus Acting Out repräsentiert. Auf Basis der Faktorenanalyse und inhaltlicher Überlegungen wählten die Autoren 54 Items für die deutsche Version aus. In einem nächsten Schritt legten die Autoren den entstandenen Fragebogen 180 Patienten einer psychotherapeutisch-psychosomatischen Ambulanz vor und führten einen Vergleich zwischen der Studentengruppe und der Patientengruppe zuerst auf Itemebene und anschließend auf Skalenebene durch (vgl. Schauenburg et al. 1991, S. 395). Während mit Ausnahme der Isolierung alle Skalen zwischen Patientengruppe und Studentengruppe differenzierten, ergab sich zwischen den Diagnosegruppen keine Trennung hinsichtlich des Abwehrverhaltens. Da zudem nur eine geringe Übereinstimmung zwischen Fremdbeurteilung und Selbsteinschätzung gefunden werden konnte, scheint gemäß Schauenburg et al. (1991, S. 398) die Validität des Fragebogens nur in Teilen gegeben. Auch Reister et al. (1993) leisteten einen Beitrag zu einer deutschen Übersetzung des DSQ-88. Die Autoren konstruierten eine 36-Item-Kurzversion des Fragebogens und legten diesen 301 Personen aus der Normalbevölkerung vor. Auf der Basis einer Faktorenanalyse ließen sich fünf Faktoren identifizieren, von denen vier als übergeordnete Abwehrkategorien interpretiert wurden: “Unreife Abwehr“, “Neurotische Abwehr“, “Omnipotenz und Verleugnung“ sowie “Reife Abwehr“. In einem nächsten Schritt wurde der Fragenbogen 183 Probanden mit einem erhöhten Risiko für psychogene Erkrankungen vorgelegt (vgl. Reister et al. 1993, S. 18). Nach dessen Bearbeitung nahmen die Probanden an einem dreistündigen psychodynamischen Interview teil. Die Interviewer schätzten auf dieser Basis das Vorhandensein und die Ausprägung von zwölf Abwehrmechanismen ein, welche anschließend auf der Grundlage einer Faktorenanalyse vier übergeordneten Abwehrkategorien zugeordnet wurden. Im Anschluss daran wurden die Korrelationen zwischen den Selbst- und Fremdeinschätzungen auf der Ebene der Abwehrkategorien und auf der Ebene der spezifischen Abwehrmechanismen berechnet. Das Ergebnis zeigte, dass die Faktoren “Unreife Abwehr“ und “Neurotische Abwehr“ signifikant mit der Beeinträchtigungsschwere durch psychogene Symptome korrelierten, während sich bezüglich “Reifer Abwehr“ keine signifikante Korrelation zwischen Selbst- und Experteneinschätzung zeigte. Nach Reister et al. (1993, S. 19) unterstützen die ersten Validitätsuntersuchungen des Fragebogens insgesamt dennoch die Erwartung, dass eine empirischquantitative Erfassung von Abwehrmechanismen möglich ist. Anlässlich der Übernahme eines Abwehr-Glossars in den DSM-III-R (vgl. Wittchen et al. 1991) nahmen Andrews et al. (1989) Anpassungen am Defense Style Questionnaire von Bond et al. (1983) vor. Dabei tätigten die Au-
100
3 Empirische Untersuchung
toren eine Neuzuordnung der Items zu den Abwehrmechanismen und wiesen jedem Item einen im DSM-III-R benannten Mechanismus zu. In einem weiteren Schritt entwickelten Andrews et al. (1993) eine 40-Item-Kurzversion (DSQ-40) des Defense Style Questionnaire, welche durch ein festgesetztes Verhältnis zwischen Items und Abwehrmechanismen (2 Items je Skala) charakterisiert ist. Dieses Testinventar beinhaltet zwanzig Skalen (Abwehrmechanismen), die den Faktoren “Neurotische Abwehr“, “Unreife Abwehr“ und “Reife Abwehr“ zugeordnet sind. Diese Skalen sollen im Folgenden erläutert werden (vgl. Willenborg 2003, S. 9ff.): (1) Neurotische Abwehr:
Idealisierung: Für den Abwehrmechanismus der Idealisierung ist bezeichnend, dass in einer Konfliktsituation einer anderen Person übertrieben positive Eigenschaften zugeschrieben werden, während die negativen Eigenschaften zwar bemerkt, jedoch als unbedeutend erachtet werden. Über diesen Mechanismus schützt sich das Individuum vor Gefühlen der Machtund Wertlosigkeit.
(Pseudo-)Altruismus: Kennzeichnend für diesen Abwehrmechanismus ist, dass das Individuum Befriedigung daraus bezieht, anderen Menschen zu helfen. Dieses Bedürfnis beruht auf Konflikten in der eigenen Vergangenheit, wie z.B. der Erfahrung, dass einem selbst nicht geholfen wurde (vgl. a.a.O., S. 11).
Reaktionsbildung: Der Abwehrmechanismus der Reaktionsbildung ist dadurch charakterisiert, dass das Individuum auf eine Situation nicht in der erwarteten Weise, sondern durch genau entgegengesetztes Verhalten reagiert (z.B. Freundlichkeit statt Zorn). Die tatsächlichen Gefühle werden nicht akzeptiert und müssen deshalb unbewusst durch das Gegenteil ersetzt werden. Beim Abwehrmechanismus der Reaktionsbildung handelt es sich um einen ähnlichen Mechanismus wie beim Ungeschehenmachen. Auch hier werden unerwünschte und unerlaubte Impulse durch Entwicklung entgegengesetzter Tendenzen abgewehrt. Im Gegensatz zum Ungeschehenmachen entsteht jedoch bei der Reaktionsbildung eine relativ konstante Änderung des Ichs.
Ungeschehenmachen: Bezeichnend für diesen Abwehrmechanismus ist, dass ein unerlaubter Impuls, der kurzfristig bewusst wird, durch einen entgegengesetzten Gedanken ungeschehen gemacht wird (vgl. Mentzos 2005,
3.3 Methodik
101
S. 64). Ein Individuum tätigt beispielsweise Aussagen oder Aktionen, die es in direktem Anschluss wieder rückgängig macht. Dadurch werden die eigenen Gefühle und Impulse zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig die damit verbundenen Schuldgefühle gemindert. Im Gegensatz zum Abwehrmechanismus der Spaltung bestehen die kontrastierenden Vorstellungen nebeneinander. (2) Unreife Abwehr:
Acting out (Ausagieren): Unter dem Abwehrmechanismus des Ausagierens versteht man die Reaktion des Individuums auf äußere Stressoren durch impulsives Verhalten, welches durch eine innere Spannung, die durch alternative Verhaltensweisen nicht reduziert werden kann, hervorgerufen wird. Das Ausagieren, welches sich in abnormalem Ess- oder Sexualverhalten, Drogenkonsum, sonstigem selbstzerstörerischen Risikoverhalten oder in aggressiven zwischenmenschlichen Interaktionen manifestieren kann, verschafft dem Individuum zeitlich begrenzt Erleichterung.
Autistische Fantasie: Dieser Abwehrmechanismus ist dadurch charakterisiert, dass Vorstellungen, die der Realität nicht entsprechen, reelle Interaktionen im täglichen Leben ersetzen. Das Individuum beschäftigt sich mit Tagträumereien und Fantasien, die als Ersatz für zwischenmenschliche Beziehungen dienen (vgl. Willenborg 2003, S. 9).
Dissoziation: Charakteristisch für den Abwehrmechanismus der Dissoziation ist, dass das Individuum eine Veränderung der integrativen Funktion des Bewusstseins, der Erinnerung bzw. der Selbst- oder Fremdwahrnehmung erfährt. Der abzuwehrende Impuls und der zugehörige Affekt befinden sich außerhalb des Bewusstseins.
Entwertung: Für den Abwehrmechanismus der Entwertung ist bezeichnend, dass das Individuum mit Stressoren oder Konflikten in der Weise umgeht, indem es anderen Personen negative Eigenschaften zuschreibt, ohne diese tiefer zu begründen (vgl. Willenborg 2003, S. 10). Entwertungen dienen dazu, die eigene Selbstachtung zu erhöhen und sind häufig verbunden mit Gefühlen der Verletzlichkeit oder Wertlosigkeit.
Isolierung: Bezeichnend für den Abwehrmechanismus der Isolierung ist, dass das Individuum den Inhalt einer traumatischen Situation von dem zugehörigen Affekt abtrennt. Die Ereignisse sind bewusst, der Affekt wird
102
3 Empirische Untersuchung jedoch nicht mit diesen verbunden, sondern kann zeitlich unabhängig auftreten. Dies ermöglicht es dem Individuum, sich mit den sonst unerträglichen Vorstellungen auseinanderzusetzen.
Passive Aggression: Charakteristisch für diesen Abwehrmechanismus ist, dass das Individuum nicht in der Lage ist, Wünsche und Bedürfnisse direkt auszudrücken und auf nicht-erfolgende Hilfeleistung mit Vorwürfen gegenüber anderen Personen reagiert. Diese manifestieren sich häufig in unkooperativem Verhalten, wobei sich die abwehrende Person nach außen freundlich gibt. Dieser Mechanismus tritt häufig in hierarchischen Beziehungen auf.
Projektion: Bezeichnend für diesen Abwehrmechanismus ist, dass das Individuum seine eigenen Gefühle, Gedanken und Intentionen anderen Menschen zuschreibt, während es diese bei sich selbst nicht erkennt und nicht zulassen kann.
Rationalisierung: Die Rationalisierung wird von Mentzos (2005, S. 64) als eine sekundäre Rechtfertigung von Verhaltensweisen durch Scheinmotive bezeichnet. Das Individuum versucht die ursprünglichen Motive einer Handlung zu verdecken, indem es andere Motive angibt, da die ursprünglichen Motive für das Individuum selbst unerträglich sind.
Somatisierung: Dieser Abwehrmechanismus ist dadurch charakterisiert, dass sich das Individuum in Konfliktsituationen – bei gleichzeitigem Auftreten einer tatsächlich vorhandenen körperlichen Auffälligkeit – unverhältnismäßig stark mit der körperlichen Symptomatik beschäftigt.
Spaltung: Für den Abwehrmechanismus der Spaltung ist bezeichnend, dass das Individuum nicht in der Lage ist, gegensätzliche Vorstellungen zu vereinen. Durch die Spaltung wird vermieden, dass inkompatible Inhalte zusammentreffen (vgl. Mentzos 2005, S. 63).
Verleugnung: Für diesen Abwehrmechanismus ist charakteristisch, dass das Individuum eine Vorstellung und die damit verbundenen Emotionen bei sich nicht zulässt und deren Vorhandensein bestreitet. Um negative Gefühle wie Scham oder Schuldbewusstsein zu vermeiden, wird die Vorstellung vom Bewusstsein abgetrennt.
3.3 Methodik
103
Verschiebung: Bezeichnend für den Abwehrmechanismus der Verschiebung ist, dass das Individuum die Richtung eines Impulses oder einer Emotion ändert und ein anderes Objekt zum Ziel wählt. Dadurch kann der Impuls geäußert werden, die negativen Konsequenzen, die durch die Konfrontation mit dem ursprünglichen Objekt entstünden, können jedoch vermieden werden.
(3) Reife Abwehr:
Antizipation: Dieser Abwehrmechanismus ist dadurch charakterisiert, dass das Individuum auf Stressoren oder emotionale Konflikte reagiert, indem es sich mögliche Lösungen und zukünftige Konsequenzen überlegt und damit verbundene negative Gefühle durchlebt. Dies hat ein adäquateres Verhalten in der aktuellen Konfliktsituation zur Folge.
Humor: Für diesen Abwehrmechanismus ist bezeichnend, dass das Individuum auf Stressoren reagiert, indem es darüber lacht. Durch das Scherzen kann die Person mit der Konfliktsituation verbundene Affekte ausdrücken und erzielt so eine Minderung der intrapsychischen Spannung. Im Gegensatz zum normalen Humor bezieht sich der Humor als Abwehrmechanismus immer auf eine Konfliktsituation (vgl. Willenborg 2003, S. 10).
Sublimierung: Der Abwehrmechanismus der Sublimierung ist dadurch charakterisiert, dass das Individuum unerwünschte Impulse oder Emotionen in sozial akzeptierte Tätigkeiten umleitet. So kann beispielsweise dem Drang nach Kompetition durch die Ausübung von Sport nachgekommen werden. Der Vorteil dieses Abwehrmechanismus besteht darin, dass er in der Form einer gelungenen Anpassung eine Abfuhr und eine Befriedigung ermöglicht (vgl. Mentzos 2005, S. 65).
Suppression (Unterdrückung): Charakteristisch für den Abwehrmechanismus der Unterdrückung ist, dass ein Individuum belastende Gefühle oder Vorstellungen zeitweilig beiseiteschiebt, um in der aktuellen Situation die Aufmerksamkeit auf andere Gegebenheiten richten zu können. Es kann jedoch zu gegebener Zeit die ursprünglichen Impulse und Gedanken ins Bewusstsein zurückholen und sich dann adäquat mit ihnen auseinandersetzen.
104
3 Empirische Untersuchung
Ruuttu et al. (2006, S. 98) untersuchten in einer Studie an 211 Erwachsenen die Testgütekriterien des DSQ-40. Das Ergebnis zeigte, dass Abwehrmechanismen signifikant mit der Beeinträchtigungsschwere durch psychogene Symptome korrelieren. Die Autoren kamen wie Andrews et al. (1993, S. 253) zu dem Schluss, dass es sich beim DSQ-40 um ein reliables und valides Testinstrument handelt. Willenborg (2003) untersuchte in ihrer Dissertation die deutsche Version (übersetzt durch Schauenburg et al. 1991) des DSQ-40 von Andrews et al. (1993) im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit im klinischen Alltag an einer Gruppe von 155 stationären Psychotherapiepatienten. Dazu wurden zunächst die Interitemkorrelationen zusammengehöriger Items berechnet (vgl. Willenborg 2003, S. 44). Alle Items, mit Ausnahme jener, die den Abwehrmechanismen Dissoziation, Entwertung, Pseudoaltruismus, Reaktionsbildung und Verschiebung zugeordnet sind, korrelierten signifikant. Zudem wurden die Dimensionen der durch den Fragebogen gemessenen Abwehr einer Faktorenanalyse unterzogen. Diese ergab in Übereinstimmung mit der englischsprachigen Version von Andrews et al. (1993) eine Lösung mit den drei übergeordneten Kategorien “Unreife Abwehr“, “Reife Abwehr“ und “Neurotische Abwehr“. Insgesamt zeigen die Untersuchungen des Fragebogens nach Willenborg (2003, S. 72), dass es sich beim DSQ-40 um ein konstruktvalides Datenerhebungsverfahren, das in der Lage ist, unbewusste Abwehrmechanismen in ihren bewussten reflektierbaren Derivaten ähnlich der englischsprachigen Version zu erfassen, handelt. Durch den Einsatz des DSQ kann die Variable “Abwehr“ erfasst und damit eine psychodynamische Betrachtung des Probanden erleichtert werden. In der vorliegenden Studie werden die unreifen Abwehrmechanismen der “Projektion“, der “Passiven Aggression“, der “Somatisierung“ und der “Verleugnung“, mit der deutschen Version des DSQ-40 erhoben. Die Auswahl dieser vier Abwehrmechanismen begründet sich darin, dass diese gemäß Freudenberger & North (2005, S. 27ff.) als Burnout-relevant erachtet werden können und in bestehenden Untersuchungen (vgl. z.B. Watson 2002, S. 281 oder Sammallahti et al. 2003, S. 1329) signifikant positive Beziehungen zu psychischen Störungen gezeigt haben.
3.3.2.5 Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM) Das Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (Schaarschmidt & Fischer 2001) wurde für den Einsatz im Rahmen von arbeits- und gesundheitspsychologischen Fragestellungen entwickelt. Mithilfe dieses Datenerhebungsverfahrens
3.3 Methodik
105
lassen sich Belastungen, Ressourcen sowie persönlichkeitsspezifische Muster des arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens identifizieren, aus denen ersichtlich ist, auf welche Art und Weise eine Person den beruflichen Anforderungen begegnet. Bei der Konstruktion des Verfahrens wurde ein breites Merkmalsspektrum des Verhaltens und Erlebens in Bezug auf die Arbeit berücksichtigt. Es werden elf Dimensionen mit je sechs Items arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens unterschieden, welche zu den drei Sekundärfaktoren “Arbeitsengagement“, “Persönliche Widerstandsfähigkeit und das Bewältigungsverhalten gegenüber Belastungen“ und “Wohlbefinden bzw. psychologischer Schutzfaktor“ zusammengefasst sind: (1) Arbeitsengagement:
Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit (BA): Misst den Stellenwert der Arbeit im persönlichen Leben. Beispielitem: “Die Arbeit ist für mich der wichtigste Lebensinhalt.“
Beruflicher Ehrgeiz (BE): Erhebt das Streben nach Zielen und Weiterkommen im Beruf. Beispielitem: “Ich möchte beruflich weiter kommen, als es die meisten meiner Bekannten geschafft haben.“
Verausgabungsbereitschaft (VB): Erfasst die Bereitschaft, die persönliche Kraft für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe einzusetzen. Beispielitem: “Wenn es sein muss, arbeite ich bis zur Erschöpfung.“
Perfektionsstreben (PS): Erhebt den Anspruch bezüglich Güte und Zuverlässigkeit der eigenen Arbeitsleistung. Beispielitem: “Was immer ich tue, es muss perfekt sein.“
Distanzierungsfähigkeit (DF): Misst die Fähigkeit zur psychischen Erholung von der Arbeit. Beispielitem: “Nach der Arbeit kann ich ohne Probleme abschalten.“
(2) Persönliche Widerstandsfähigkeit und das Bewältigungsverhalten gegenüber Belastungen:
Resignationstendenz bei Misserfolgen (RT): Misst die Neigung, sich mit Misserfolgen abzufinden und leicht aufzugeben. Beispielitem: “Wenn ich keinen Erfolg habe, resigniere ich schnell.“
106
3 Empirische Untersuchung
Offensive Problembewältigung (OP): Erfasst die aktive und optimistische Haltung gegenüber Herausforderungen und auftretenden Problemen. Beispielitem: “Für mich sind Schwierigkeiten dazu da, dass ich sie überwinde.“
Innere Ruhe und Ausgeglichenheit (IR): Erhebt das Erleben psychischer Stabilität und inneren Gleichgewichts. Beispielitem: “Mich bringt so leicht nichts aus der Ruhe.“
(3) Wohlbefinden bzw. psychologischer Schutzfaktor:
Erfolgserleben im Beruf (EE): Misst die Zufriedenheit mit dem beruflich Erreichten. Beispielitem: “Mein bisheriges Berufsleben war recht erfolgreich.“
Lebenszufriedenheit (LZ): Erfasst die Zufriedenheit mit der gesamten, auch über die Arbeit hinausgehenden Lebenssituation. Beispielitem: “Im Großen und Ganzen bin ich glücklich und zufrieden.“
Erleben sozialer Unterstützung (SU): Erhebt das Vertrauen in die Unterstützung durch nahestehende Menschen, Gefühl der sozialen Geborgenheit. Beispielitem: “Wenn ich mal Rat und Hilfe brauche, ist immer jemand da.“
Cronbach's Alpha Werte für die einzelnen Skalen liegen zwischen .78 und .87 (vgl. Schaarschmidt & Fischer 2001, S. 20). Dies sind befriedigende bis gute Skalen-Reliabilitäten. Die Gültigkeit der einzelnen Skalenbereiche wird durch Korrelationen der einzelnen AVEM-Skalen mit vergleichbaren Skalen schon etablierter Fragebögen wie z.B. dem Maslach Burnout Inventory (MBI; vgl. Maslach & Jackson 1986) gestützt. Für die vorliegende Untersuchung werden die beiden AVEM-Skalen “Perfektionsstreben“ und “Resignationstendenz“ erhoben, da sich diese in bestehenden Studien (vgl. z.B. Bottos & Dewey 2004, S. 772ff.; Pichler 2004, S. 107; Flett et al. 2005, S. 1374; Schaarschmidt & Fischer 2001, S. 16 oder Virnich 2006, S. 83) als bedeutsame Korrelate von Burnout bzw. sonstigen psychischen Beeinträchtigungen erwiesen haben.
3.3 Methodik
107
3.3.2.6 Erhebung soziodemografischer Daten Die soziodemografischen Daten werden am Schluss des Fragebogens mit den in Tabelle 4 erfassten Items erhoben. Tabelle 4:
Erhebung soziodemografischer Daten männlich weiblich
69.
Ihr Geschlecht? 1
70.
Alter?
unter 20 – 25 26 – 30 31 – 35 36 – 40 41 – 45 46 – 50 51 – 55 56 – 60 über 60 20 1
71.
Höchste abgeschlossene Ausbildung
2
Volksschule
1
72.
Tätigkeit
2
3
4
Hauptschule, AHS-Unterstufe
2
5
6
7
Berufsbildende Schule ohne Matura
Lehre
3
4
8
AHS/BHSMatura
9
10
Universität, Fachhochschule, Akademie
5
6
Einfache Tätigkeit (stark Mittlere Tätigkeit (weisungsgebundene Qualifizierte bzw. leitende weisungsgebunden, z.B. Tätigkeit, die meist eine entsprechende Tätigkeit (z.B. Abteilungsleiter, Ausbildung und Erfahrung beinhaltet, Lehrling, Lagerarbeiter, Prokurist) z.B. Buchhalter, Sachbearbeiter) Schreibkraft)
1
2
3
3.3.3 Stichprobe Bei der Auswahl der Stichprobe war zunächst die Entscheidung zu treffen, ob Personen aus verschiedenen Berufsfeldern untersucht werden sollten, oder ob die Stichprobe aus einem eingegrenzten beruflichen Segment rekrutiert werden sollte. Da es sich bei den Forschungsfragen um allgemeine Fragestellungen handelt, welche sich aufgrund des hohen Generalisierungsgrades an einer heterogenen Stichprobe am besten untersuchen lassen, wurde darauf abgezielt, Probanden aus unterschiedlichen Unternehmen und Branchen zu rekrutieren. Die Fragebogenuntersuchung wurde in der Zeit von Mai bis August 2007 durchgeführt. Die Gesamtstichprobe umfasst Daten von 368 Mitarbeitern aus 17 Unternehmen folgender Branchen (vgl. Tabelle 5):
108 Tabelle 5:
3 Empirische Untersuchung Stichprobenverteilung nach Branchen und Geschlecht Branche
N
%
Lebensmittel (Produktion & Handel) Öff. Einrichtungen (z.B. Feuerwehr) Banken / Versicherungen Bautechnik Energie Elektronik / IT
118 68 55 53 39 24
Total
357
Geschlecht (% ) männlich
weiblich
33.1 19.0 15.4 14.9 10.9 6.7
38.1 95.6 50.9 92.5 56.4 75.0
61.9 4.4 49.1 7.5 43.6 25.0
100.0
63.6
36.4
Aus Tabelle 5 ist ersichtlich, dass etwa ein Drittel der befragten Mitarbeiter in der Lebensmittelbranche tätig ist, während 19.0% der Probanden in öffentlichen Einrichtungen und 14.9% der Mitarbeiter in der Bautechnikbranche beschäftigt sind. Der Rest der Mitarbeiter in der Stichprobe verteilt sich auf die Banken- und Versicherungsbranche, die Energiebranche sowie die Elektronik- und ITBranche. Bezüglich der Geschlechtsverteilung ergibt sich gemäß Tabelle 5 ein Ungleichgewicht zuungunsten der Frauen: 63.6% der befragten Mitarbeiter sind männlich, nur 36.4% weiblich. Der Aufstellung ist zu entnehmen, dass bei den öffentlichen Einrichtungen, in der Bautechnikbranche und in der Elektronikbranche dieses Ungleichgewicht besonders deutlich ausfällt. Lediglich in der Lebensmittelbranche überwiegen die weiblichen Mitarbeiter. Gemäß einer Auswertung des statistischen Zentralamts ergibt sich für die betreffenden Branchen bei kumulierter Betrachtung eine ähnliche Geschlechtsverteilung: 65% der Mitarbeiter in der Grundgesamtheit sind männlich, nur 35% weiblich. Eine gewisse Generalisierbarkeit der Ergebnisse erscheint daher zulässig. Betrachtet man die Altersverteilung der befragten Mitarbeiter, so zeigt sich, dass der überwiegende Teil relativ jung ist (vgl. Tabelle 6). Zum Befragungszeitpunkt waren 60.8% der Arbeitnehmer nicht älter als 40 Jahre, 27.0% waren zwischen 41 und 50 Jahren und 12.2% der Mitarbeiter hatten das fünfzigste Lebensjahr bereits überschritten.
3.3 Methodik Tabelle 6:
109 Stichprobenverteilung nach Alter und Ausbildung Ausbildung (% )
Alter
N
Total (% )
Hauptschule, AHS-Unterstufe
Lehre
Fachschule
AHS od. BHS
Akademie, FH od. Universität
Total (% )
20 – 30
113
30.8
0.9
42.5
9.7
32.7
14.2
100.0
31 – 40
110
30.0
3.6
25.5
20.0
31.8
19.1
100.0
41 – 50
99
27.0
3.0
31.3
30.3
20.2
15.2
100.0
über 50
45
12.2
4.5
33.3
22.2
31.1
8.9
100.0
367
100.0
2.7
33.2
19.9
28.9
15.3
100.0
Total
Betreffend Ausbildungsgrad (vgl. Tabelle 6) geben 2.7% der Mitarbeiter als höchsten absolvierten Bildungsabschluss die Hauptschule bzw. die AHSUnterstufe an; 33.2% der Mitarbeiter verfügen über einen Lehrabschluss, 19.9% haben eine berufsbildende mittlere Schule ohne Matura absolviert; 28.9% geben als höchsten Bildungsabschluss eine allgemeinbildende höhere Schule bzw. eine berufsbildende höhere Schule an; die verbleibenden 15.3% der Befragten verfügen über einen Abschluss einer Akademie, einer Fachhochschule oder einer Universität. Neben der Ausbildung war von Interesse, welche Position ein Mitarbeiter bekleidet. Die Betrachtung der Tabelle 7 verdeutlicht, dass der überwiegende Teil (70.2%) angibt, eine einfache oder mittlere Tätigkeit auszuüben, während 29.8% der Mitarbeiter ihren Angaben gemäß qualifizierte oder führende Tätigkeiten verrichten (vgl. 3.3.2.6). Tabelle 7:
Stichprobenverteilung nach Geschlecht und Tätigkeit Position (% )
Geschlecht
N
Einfache oder mittlere Tätigkeit
Qualifizierte od. führende Tätigkeit
Total (% )
männlich weiblich
223 130
58.7 90.0
41.3 10.0
100.0 100.0
Total
353
70.2
29.8
100.0
110
3 Empirische Untersuchung
3.3.4 Auswertungsverfahren Zur Überprüfung der in 3.2 formulierten Hypothesen kommen univariate und multivariate Regressionsanalysen zum Einsatz. Die Regressionsanalyse dient der Analyse von Beziehungen zwischen einer oder mehreren unabhängigen Variablen (Prädiktorvariablen) und einer abhängigen bzw. Kriteriumsvariablen (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 46). Der primäre Anwendungsbereich der Regressionsanalyse ist die Untersuchung von Kausalbeziehungen (UrsacheWirkungs-Beziehungen). In den unter 3.4.4 und 3.3.5 dargestellten Regressionsanalysen werden der Determinationskoeffizient (R²), der unstandardisierte Regressionskoeffizient (B), der standardisierte Regressionskoeffizient (Beta) und der p-Wert angegeben. Der Determinationskoeffizient ist ein Maß für die Güte der Anpassung der Regressionsfunktion an die empirischen Daten (vgl. a.a.O., S. 64). Er schätzt denjenigen Teil der Varianz der Kriteriumsvariable, der von den Prädiktoren aufgeklärt bzw. vorhergesagt werden kann. Der Regressionskoeffizient entspricht dagegen der Steigung der Regressionsgeraden. Er gibt gemäß Backhaus et al. (2006, S. 61) den marginalen Effekt der Änderung einer unabhängigen Variable auf eine abhängige Variable an (unstandardisierter Regressionskoeffizient). Um die Regressionskoeffizienten miteinander vergleichbar zu machen, bedarf es einer Standardisierung (vgl. a.a.O., S. 64). Standardisierte Regressionskoeffizienten, welche auch als Betagewichte bezeichnet werden, sind insbesondere dazu geeignet, um die Erklärungskraft von Variablen mit unterschiedlicher Skalierung (z.B. Alter und Geschlecht) zu vergleichen. Ein positives Betagewicht besagt, dass eine Zunahme der entsprechenden Prädiktorvariablen zu einer Vergrößerung des vorhergesagten Kriteriumswertes beiträgt, während ein negatives Betagewicht angibt, dass eine Zunahme der entsprechenden Prädiktorvariablen zu einer Verkleinerung des Wertes der Kriteriumsvariablen führt (vgl. Bortz 2005, S. 452). Je höher das Betagewicht einer Prädiktorvariablen (unabhängig vom Vorzeichen), desto bedeutsamer ist diese für die Vorhersage der Kriteriumsvariablen. Der p-Wert ist das Ergebnis eines Signifikanztests zur Prüfung einer vorab aufgestellten (Null-)Hypothese (vgl. Bender & Lange 2001, S. 40). Ist der p-Wert kleiner als das, ebenfalls vorab, gewählte Irrtums-(Signifikanz-)Niveau , dann kann das Ergebnis als statistisch signifikant bezeichnet werden. Alle Analysen erfolgen mit den entsprechenden Prozeduren des Statistikprogramms SPSS (Statistical Package for the Social Sciences) Version 15.0.
3.4 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
111
3.4 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse Im Folgenden werden zunächst die Reliabilitäten der eingesetzten Skalen sowie die deskriptiven Ergebnisse dargestellt. Anschließend erfolgen die Datenaggregation zur Bildung von übergeordneten Indikatoren sowie die Beschreibung der korrelativen Beziehungen zwischen den Indikatoren und den soziodemografischen Variablen. Abschließend wird die Hypothesenprüfung durchgeführt, welche sich in zwei Abschnitte gliedert: Im ersten Abschnitt des Ergebnisteils werden regressionsanalytische Analysen zu den Beziehungen zwischen Arbeitsbelastungen, personalen Risikofaktoren und Erschöpfung berichtet (vgl. 3.4.4). Im zweiten Abschnitt (vgl. 3.4.5) folgen Analysen zu den Beziehungen zwischen Arbeitsbelastungen, personalen Risikofaktoren, Ressourcen und Erschöpfung bzw. Burnout. Am Ende dieses Kapitels erfolgt eine pfadanalytische Überprüfung des Untersuchungsmodells (vgl. 3.4.6).
3.4.1 Reliabilität und faktorielle Validität der eingesetzten Skalen sowie deskriptive Ergebnisse Zur Überprüfung der Reliabilität der eingesetzten Instrumente wurde die interne Konsistenz (Cronbach’s Alpha) der Skalen berechnet. Darüber hinaus wurden die zur Anwendung gekommenen Skalen auf Eindimensionalität hin überprüft. Die Ergebnisse sind neben der jeweiligen Itemanzahl, dem Mittelwert und der Standardabweichung in Tabelle 8 dargestellt.
112 Tabelle 8:
3 Empirische Untersuchung Itemanzahl, Mittelwerte, Standardabweichungen, Reliabilitäten und faktorielle Validität der eingesetzten Skalen (N = 368) # Items
M
SD
Eindimensionalität gegeben
Arbeitsbelastungen (SALSA) Überforderung Unterforderung Belastendes Sozialklima Belastendes Vorgesetztenverhalten
6 3 3 3
2.37 2.39 2.17 2.06
.58 .69 .73 .80
.74 .64 .64 .76
ja ja ja ja
Externe Ressourcen (SALSA) Partizipationsmöglichkeiten Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten
3 5
2.73 3.47
.83 .75
.72 .77
ja ja
Personale Ressource Kohärenzgefühl (SOC-L9)
9
4.05
.56
.82
ja
6 6 5
3.86 2.50 1.93
.54 .73 .65
.71 .86 .77
ja ja ja
6
1.79
.47
.79
ja
2 2 2 2 5
1.44 1.48 1.53 2.34 2.44
.56 .57 .69 .56 .72
.69 .35 .67 -.50 .82
* * * * ja
Skala/Subskala
Personale Risikofaktoren & Burnout-Dimensionen Perfektionsstreben (AVEM) Resignationstendenz (AVEM) Distanziertheit (MBI-GS) Ineffektivität / Eingeschränkte berufliche Wirksamkeitserwartung (MBI-GS) Projektion (DSQ-40) Passive Aggression (DSQ-40) Somatisierung (DSQ-40) Verleugnung (DSQ-40) Erschöpfung (MBI-GS)
* Die Durchführung einer Faktorenanalyse bei Vorliegen von weniger als drei Items ist nicht sinnvoll.
.
Für die SALSA-Skalen Überforderung, Unterforderung, belastendes Sozialklima und belastendes Vorgesetztenverhalten zeigen sich durchgängig befriedigende bis gute interne Konsistenzen. Die niedrigsten Werte resultieren für die Skalen Unterforderung ( = .64) und belastendes Sozialklima ( = .64). Den höchsten Wert erreicht die Skala belastendes Vorgesetztenverhalten mit = .76. Eine faktorenanalytische Überprüfung der Skala Überforderung (vgl. Tabelle A1 des Anhangs) ergibt, dass sich insgesamt zwei Faktoren extrahieren lassen, wobei der Faktor eins 44.68% der Gesamtvarianz von insgesamt 67.12% aufklärt. Zur weiteren Abschätzung der faktoriellen Validität wurde ein ScreeTest durchgeführt (vgl. Abbildung A1 des Anhangs). Aus dem Eigenwertever-
3.4 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
113
lauf der Items ist ein Knick nach dem ersten Eigenwert ersichtlich, was für die Extraktion eines Faktors spricht. Die Eindimensionalität der SALSA-Skalen Unterforderung, belastendes Sozialklima und belastendes Vorgesetztenverhalten ließ sich anhand von faktorenanalytischen Prüfungen ebenfalls belegen (vgl. Tabellen A2 – A4 des Anhangs). Tabelle 8 veranschaulicht, dass sich auch für die SALSA-Skalen Partizipationsmöglichkeiten und mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten durchgängig befriedigende bis gute interne Konsistenzen zeigen. Auch die faktorielle Validität dieser Skalen konnte belegt werden, wie aus den Hauptkomponentenanalysen (vgl. Tabellen A5 – A6 des Anhangs) hervorgeht. Von den in dieser Studie erfassten Ressourcen erreicht das Kohärenzgefühl mit = .82 die höchste interne Konsistenz, wie die Betrachtung der Tabelle 8 verdeutlicht. Eine faktorenanalytische Überprüfung (vgl. Tabelle A7 des Anhangs) ergibt, dass sich insgesamt zwei Faktoren extrahieren lassen, wobei der Faktor eins, auf den acht von neun Items am höchsten laden, 41.87% der Gesamtvarianz von insgesamt 53.29% aufklärt. Zur weiteren Bestimmung der faktoriellen Validität erfolgte die Durchführung eines Scree-Tests (vgl. Abbildung A2 des Anhangs). Daraus ist ein deutlicher Knick nach dem ersten Eigenwert ersichtlich ist, was die Extraktion eines einzigen Faktors nahelegt. In einem weiteren Schritt erfolgt eine Betrachtung der Skalen zur Erfassung von personalen Risikofaktoren bzw. Burnout-Dimensionen: Der Tabelle ist zu entnehmen, dass die Skalen Perfektionsstreben ( = .71), Resignationstendenz ( = .86), Distanziertheit ( = .77) und eingeschränkte berufliche Wirksamkeitserwartung ( = .79) befriedigende bis gute interne Konsistenzen aufweisen. Die Eindimensionalität der Skalen konnte faktorenanalytisch bestätigt werden (vgl. Tabellen A8 – A11 des Anhangs). Für die DSQ-40 Skalen Projektion und Somatisierung zeigen sich ebenfalls befriedigende interne Konsistenzen. Die Skala Passive Aggression weist hingegen nur einen geringen Alpha-Wert von .35 auf. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass sich das für klinische Studien konstruierte Item “Wenn mich mein Vorgesetzter ärgert und tadelt, mache ich einen Fehler oder arbeite langsamer, um es ihm heimzuzahlen“ für eine Befragung in Unternehmen vermutlich aufgrund von Befürchtungen der Mitarbeiter, die Zustimmung zu diesem Item könne – trotz Zusicherung der Anonymität – negative berufliche Folgen mit sich bringen, als wenig geeignet erweist. Aus Tabelle 8 ist weiterhin ersichtlich, dass auch die Skala Verleugnung als nicht reliabel betrachtet werden kann. Die mangelnde interne Konsistenz beruht auf der hohen Zustimmung zum Item “Ich fürchte fast gar nichts“, welche möglicherweise wiederum auf eine nicht adäquate deutsche Übersetzung (vgl. Schauenburg et al. 1991 oder Willenborg 2003, S. 84) des englischspra-
114
3 Empirische Untersuchung
chigen Items “I fear nothing“ zurückgeführt werden kann. Auch in der von Willenborg (2003, S. 44) durchgeführten Validierungsstudie des DSQ-40 zeigte sich für den Abwehrmechanismus der Verleugnung eine geringe Interitemkorrelation (r = .11, p < .05), welche auf eine eingeschränkte interne Konsistenz dieser Skala hindeutet. Für die Hypothesenprüfung, welche anhand eines übergeordneten Abwehrindikators bestehend aus den in Tabelle 7 aufgeführten Abwehrmechanismen erfolgt, werden die problematischen Items beider Skalen eliminiert. Mit = .82 ergibt sich für den Burnout-Indikator Erschöpfung eine gute interne Konsistenz. Eine zusätzlich durchgeführte faktorenanalytische Überprüfung ergibt, dass die Eindimensionalität dieser Skala als bestätigt gilt (vgl. Tabelle A12 des Anhangs). Die Ergebnisse zu den Skalenmittelwerten (vgl. Tabelle 8) verdeutlichen, dass die Befragten im Durchschnitt nicht über problematische Ausprägungen von Arbeitsbelastungen berichten. Die Skalenmittelwerte zu den Arbeitsbelastungen können mit den Ergebnissen von Lasshofer (2006, S. 152) verglichen werden. In der von der Autorin erhobenen Stichprobe (N = 964) ergab sich für die Skala Überforderung ein Mittelwert von M = 2.40. Dieser Wert ist beinahe identisch mit dem Ergebnis der hier dargestellten Stichprobe (M = 2.37). Für die Skalen Unterforderung und belastendes Sozialklima fielen die Werte in der Vergleichsstichprobe (Unterforderung: M = 2.55; belastendes Sozialklima: M = 2.34) etwas höher aus, während der Mittelwert für das belastende Vorgesetztenverhalten mit jenem in der Vergleichsstichprobe von Lasshofer (2006, S. 152) vollkommen identisch ist (M = 2.06). Betrachtet man die Ausprägungen der betrieblichen Ressourcen so wird deutlich, dass die Probanden die Partizipationsmöglichkeiten und das mitarbeiterorientierte Vorgesetztenverhalten überdurchschnittlich bewerten. Analog zu den Arbeitsbelastungen können auch diese Skalenmittelwerte mit den Ergebnissen von Lasshofer (2006, S. 152) verglichen werden. In der Stichprobe der Autorin ergab sich ein Mittelwert für die Skala Partizipationsmöglichkeiten von M = 2.79. Dieser Wert weicht nur geringfügig vom Mittelwert der in dieser Studie untersuchten Stichprobe ab (M = 2.73). Ähnlich verhält es sich für die Skala mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten (M = 3.47), für welche in der Vergleichsstichprobe ein Mittelwert von M = 3.52 ermittelt werden konnte. Der Tabelle 8 ist des Weiteren zu entnehmen, dass die befragten Mitarbeiter im Mittel über ein überdurchschnittliches Kohärenzgefühl verfügen (M = 4.05). Um den in dieser Studie gewonnenen Mittelwert mit jenem von Schumacher et al. (2000) vergleichbar zu machen, musste eine Transformation auf einen numerischen Wertebereich von 1 – 7 durchgeführt werden, da die im Rahmen dieser Studie vorlegte 5-stufige Form des Ratings (um den Probanden die Be-
3.4 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
115
arbeitung des umfangreichen Fragebogenmaterials so einfach wie möglich zu gestalten, wurde bei allen Untersuchungsinstrumenten ein 5-stufiges Antwortrating vorgegeben) von der von Schumacher et al. (2000) ursprünglich verwendeten 7-stufigen Form abweicht. In Anlehnung an Hannöver et al. (2004, S. 183), welche für ihre teststatistische Überprüfung der SOC-L9-Skala anhand einer repräsentativen Stichprobe (N = 4.002) ebenfalls eine 5-stufige Form des Antwortratings vorgegeben haben, wurde eine pragmatische Transformation gewählt: So wurden die Extreme und die Mitten des Ratings parallel übertragen; für die Zwischenstufen des 5-stufigen Ratings wurde das arithmetische Mittel der Zwischenstufen des 7-stufigen Ratings gewählt (vereinfacht ausgedrückt lautet die Transformationsvorschrift: 1 Æ1; 2 Æ 2.5; 3 Æ 4; 4 Æ 5.5; 5 Æ 7). Die verwendete Transformation basiert auf folgenden zwei fundamentalen Annahmen: erstens, dass die Versuchspersonen unabhängig von der Form des Antwortratings (fünf versus sieben Stufen) in gleicher Weise die Extrema bzw. das mittlere Rating zur Beurteilung eines Items herangezogen hätten; zweitens, dass jene Probanden, die für das 5-stufige Rating die Zwischenstufen zwei oder vier gewählt haben, im Falle eines 7-stufigen Antwortratings zu gleichen Teilen die Zwischenstufen zwei oder drei bzw. fünf oder sechs gewählt hätten. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich durch diese Abweichung im Antwortrating (5-stufig versus 7-stufig) Verzerrungen ergeben (vgl. Hannöver et al. 2004, S. 184). Im Falle eines 7-stufigen Ratings wären möglicherweise auch die Zwischenstufen (zwei und drei sowie fünf und sechs) eher in Richtung höherer Werte verwendet worden, sodass die hier berichteten Mittelwerte eher unter- und die Streuungen überschätzt wären. Eine vergleichende Analyse ergibt, dass der Mittelwert in der vorliegenden Studie nach erfolgter Transformation 5.58 beträgt und damit 5.68% über dem von Schumacher et al. (2000, S. 480) ermittelten Mittelwert von 5.28 und 1.53% unter dem von Hannöver et al. (2004, S. 183) berichteten Mittelwert von 5.67 liegt. Für die Skala Perfektionsstreben wird in der untersuchten Stichprobe ein Mittelwert von M = 3.68 erreicht. Es überwiegt damit in Übereinstimmung zu dem von Mangels (2008, S. 73) berichteten mittleren Rohwert von M = 23.0 (Min. = 6, Max. = 30) die Zustimmung zu Items, die Perfektion thematisieren. Die Resignationstendenz weist in der vorliegenden Stichprobe analog zu den Befunden der Autorin (M = 17.5, Min. = 6, Max. = 30) einen durchschnittlichen Mittelwert (M = 2.5) auf. Eine Betrachtung der Stichprobenmittelwerte für die Indikatoren Distanziertheit (M = 1.93) und eingeschränkte berufliche Wirksamkeitserwartung (M = 1.79) zeigt, dass beide Dimensionen in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Bieringer (2005, S. 44) unterdurchschnittlich ausgeprägt sind. Ein Vergleich mit der Stichprobe der Autorin (N = 107) ergibt, dass nach
116
3 Empirische Untersuchung
durchgeführter Transformation des 5-stufigen Antwortratings auf einen numerischen Wertebereich von 1 – 7, der Mittelwert für den Faktor Distanziertheit (M = 2.40) mit dem von Bieringer (2005, S. 44) ermittelten Mittelwert (M = 2.43) nahezu identisch ist, während die Variable eingeschränkte berufliche Wirksamkeitserwartung mit einem Mittelwert von M = 5.82 um 13.57% über dem Mittelwert der Vergleichsstichprobe (M = 5.12) liegt. Für die Skalen Projektion, Passive Aggression, Somatisierung Verleugnung werden in der untersuchten Stichprobe nach erfolgter Transformation des 5-stufigen auf ein 9-stufiges Antwortrating und Eliminierung der problematischen Items folgende Mittelwerte erreicht: Projektion: M = 1.89, Passive Aggression: M = 2.30, Somatisierung: M = 2.06 und Verleugnung: M = 1.96. In einer Untersuchung von Watson (2002, S. 280) an Studierenden (N = 422) konnten für die aufgeführten Abwehrmechanismen ebenfalls unterdurchschnittliche, aber dennoch deutlich höhere Mittelwerte ermittelt werden: Projektion: M = 3.19, Passive Aggression: M = 3.77, Somatisierung: M = 3.62 und Verleugnung: M = 3.29. Diese Abweichungen beruhen vermutlich auf der Unterschiedlichkeit der Stichproben sowie auf Verzerrungen bedingt durch die erfolgte Transformation des Antwortratings. Der Tabelle 8 ist des Weiteren zu entnehmen, dass die Burnout-Dimension Erschöpfung mit einem Mittelwert von M = 2.44 durchschnittlich ausgeprägt ist. Eine Transformation des 5-stufigen Antwortratings auf einen Wertebereich von 1 – 7 ermöglicht einen Vergleich mit der Stichprobe von Bieringer (2005, S. 44): Die Ergebnisse zeigen, dass der Mittelwert in der vorliegenden Studie (N = 368) nach erfolgter Transformation M = 3.16 beträgt und damit geringfügig unter dem von der Autorin ermittelten Mittelwert von M = 3.35 liegt.
3.4.2 Vorgehen bei der Datenaggregation zur Konstrukterstellung Um das Zusammenwirken der Konstrukte innerhalb von möglichst sparsamen Modellen untersuchen zu können, sollen für die Arbeitsbelastungen, für jene Faktoren, die eine Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer und beruflicher Anforderungen indizieren, für die betrieblichen Ressourcen und für Burnout zusammenfassende Indikatoren gebildet werden. Da es aufgrund theoretischer und praktischer Überlegungen alleine nicht gerechtfertigt wäre, Indikatoren zu bilden, ohne dass statistisch bedeutsame Relationen in der empirischen Datenstruktur bestehen, werden die Beziehungen zwischen den Konstrukten mit bivariaten Pearson-Produkt-Moment-Korrelationen eruiert. Darüber hinaus soll faktorenanalytisch geprüft werden, ob die Bildung übergeordneter Indikatoren zulässig ist.
3.4 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
117
Zunächst erfolgt eine Prüfung der Interrelationen zwischen den Arbeitsbelastungen. Auch wenn vielfach einzelne Belastungsfaktoren untersucht werden, ist gemäß Semmer & Udris (2004, S. 175) letztlich doch deren Gesamtkonstellation entscheidend. Wie aus Tabelle 9 ersichtlich, lassen sich die höchsten Zusammenhänge zwischen dem belastenden Sozialklima und dem belastenden Vorgesetztenverhalten finden (r = .54, p < .01). Das belastende Sozialklima weist zudem einen deutlichen Zusammenhang zu den Variablen Überforderung (r = .32, p < .01) und Unterforderung (r = .39, p < .01) auf. Signifikante Beziehungen existieren auch zwischen dem belastenden Vorgesetztenverhalten und der Unterforderung (r = .35, p < .01). Die Skalen Überforderung und belastendes Vorgesetztenverhalten sind etwas geringer miteinander korreliert (r = .19, p < .01). Tabelle 9:
Korrelationen zwischen Arbeitsbelastungen (N = 368) (1)
1. Überforderung durch die Arbeitsaufgabe
1
2. Unterforderung durch die Arbeitsaufgabe
.21**
(2)
(3)
1
3. Belastendes Sozialklima
.32**
.39**
1
4. Belastendes Vorgesetztenverhalten
.19**
.35**
.54**
Anmerkung: mit * p < .05 bzw. ** p < .01 von Null verschieden.
Für die Gesamtskala besteht ein befriedigender Reliabilitätskoeffizient von = .67. Eine faktorenanalytische Prüfung ergibt, dass alle vier SALSA-Skalen auf einem Faktor laden (vgl. Tabelle A13 des Anhangs). Es liegen damit akzeptable Kennwerte für die Bildung eines übergeordneten ArbeitsbelastungsIndikators vor. In einem weiteren Schritt soll überprüft werden, ob für die Faktoren Resignationstendenz, Perfektionsstreben, eingeschränkte berufliche Wirksamkeitserwartung und Distanziertheit ein zusammenfassender Faktor, der den Gesamtumfang einer dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen indiziert, gebildet werden kann (vgl. Tabelle 10).
118 Tabelle 10:
3 Empirische Untersuchung Korrelationen zwischen den die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen indizierenden Konstrukten (N = 368)
1. Resignationstendenz 2. Perfektionsstreben 3. Ineffektivität 4. Distanziertheit
(1)
(2)
(3)
1 .11* .25** .38**
1 -.27** -.22**
1 .59**
Anmerkung: mit * p < .05 bzw. ** p < .01 von Null verschieden.
Die Betrachtung der Tabelle 10 zeigt, dass mit r = .59 (p < .01) die höchste Korrelation zwischen Distanziertheit und eingeschränkter beruflicher Wirksamkeitserwartung besteht, gefolgt von der Beziehung zwischen Resignationstendenz und Distanziertheit mit r = .38 (p < .01). Der Tabelle ist zu entnehmen, dass die Skala Perfektionsstreben negativ mit Distanziertheit und eingeschränkter beruflicher Wirksamkeitserwartung korreliert, was eine Eliminierung dieser Skala erforderte. Für die Gesamtskala liegt die interne Konsistenz (nach Eliminierung von Perfektionsstreben) bei = .65, was als befriedigender Wert angesehen werden kann. Das Ergebnis einer durchgeführten Hauptkomponentenanalyse zeigt, dass die Skalen Resignationstendenz, eingeschränkte berufliche Wirksamkeit und Distanziertheit auf einen einzigen Faktor laden. Diese Befunde deuten darauf hin, dass die Bildung einer übergeordneten, die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung von Arbeitsanforderungen indizierenden Skala möglich ist (vgl. Tabelle A14 des Anhangs). In Tabelle 11 sind die Korrelationen zwischen den unreifen Abwehrmechanismen, deren Gebrauch eine Neigung zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen indiziert, dargestellt.
3.4 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse Tabelle 11:
119
Korrelationen zwischen den die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen indizierenden Konstrukten (N = 368) (1)
1. Projektion
(2)
(3)
1
2. Passive Aggression
.57**
1
3. Somatisierung
.40**
.38**
1
4. Verleugnung
.43**
.36**
.44**
Anmerkung: mit * p < .05 bzw. ** p < .01 von Null verschieden.
Es ist ersichtlich, dass signifikante Beziehungen zwischen den einzelnen Konstrukten vorliegen. Die höchste Korrelation besteht zwischen dem unreifen Abwehrmechanismus der Projektion und jenem der Passiven Aggression mit r = .57 (p < .01), gefolgt von der Beziehung zwischen Somatisierung und Verleugnung mit r = .44 (p < .01) und der Relation zwischen Projektion und Verleugnung mit r = .43 (p < .01). Die Somatisierung ist mit dem Abwehrmechanismus der Projektion (r = .40, p < .01) und dem der Passiven Aggression korreliert (r = .38, p < .01). Die schwächste Beziehung besteht zwischen Passiver Aggression und Verleugnung (r = .36, p < .01). Da festgestellt werden konnte, dass zwischen allen Abwehrmechanismen statistisch bedeutsame Relationen moderater Ausprägung bestehen, für die Gesamtskala eine befriedigende interne Konsistenz ( = .74) vorliegt und das Ergebnis einer faktorenanalytischen Prüfung eine Einfaktorlösung nahelegt, erscheint es gerechtfertigt, einen die Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung intrapsychischer Anforderungen indizierenden Indikator zu bilden (vgl. Tabelle A15 des Anhangs). Ob für die betrieblichen Ressourcen mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten und Partizipationsmöglichkeiten ein zusammenfassender Faktor generiert werden kann, gilt es in einem weiteren Schritt zu überprüfen. Eine durchgeführte Korrelationsanalyse verdeutlicht, dass die Variable mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten einen deutlichen Zusammenhang zum Faktor Partizipationsmöglichkeiten aufweist (r = .52, p < .01). Die interne Konsistenz für die Gesamtskala liegt bei = .68. Für die Bildung eines externen Ressourcenindikators liegen damit akzeptable Werte vor. Abschließend werden die Interrelationen zwischen den einzelnen BurnoutDimensionen untersucht (vgl. Tabelle 12).
120 Tabelle 12:
3 Empirische Untersuchung Korrelationen zwischen den Burnout-Dimensionen (N = 368) (1)
1. Erschöpfung
(2)
1
2. Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung …..von Arbeitsanforderungen
.45**
1
3. Tendenz zur dysfunktionalen Bewältigung …..von intrapsychischen Anforderungen
.46**
.63**
Anmerkung: mit * p