Renate Liebold
Frauen „unter sich“ Eine Untersuchung über weibliche Gemeinschaften im Milieuvergleich
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Renate Liebold
Frauen „unter sich“ Eine Untersuchung über weibliche Gemeinschaften im Milieuvergleich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Jens Ossadnik Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16883-8
Inhaltsverzeichnis
Vorwort..................................................................................................................9 Einleitung............................................................................................................ 11 1 2 3
Übersicht und Notiz zur Darstellungsweise ................................................ 13 Die verstehende Analyse von Geschlecht als sozialer Praxis: Der Perspektivenwechsel in der Geschlechterforschung ............................ 15 Auf den Spuren alltäglicher Selbstverständlichkeiten................................. 25
I
Untersuchungsansatz und Forschungsprozess ....................................... 29
1
Die Dokumentarische Methode: Zentrale Begriffe und grundlagentheoretische Überlegungen .......................................................................... 30 1.1 Atheoretisches Wissen und konjunktive Erfahrung ............................. 30 1.2 Immanenter und dokumentarischer Sinn ............................................. 32 1.3 Konjunktive Erfahrung und Milieu...................................................... 35 Gruppendiskussionen und Interpretation..................................................... 37 2.1 Die Auswertungsschritte der dokumentarischen Interpretation.......... 38 2.2 Typenbildung ....................................................................................... 42 Der Forschungsprozess................................................................................ 44 3.1 Feldzugang und Datenerhebung.......................................................... 44 3.2 Fragestellung und Sample ................................................................... 46
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3
II
Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse ................................ 51
1 2
Frauengruppen im Milieuvergleich ............................................................. 52 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus............................. 54 2.1 Fallbeschreibung: Das berufsbezogene Frauennetzwerk ................... 55 2.2 Fallübergreifende Deutungsmuster und Strukturhypothesen: Dauer-Diskursivierung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit .................................................................... 72 2.2.1 Der Abgrenzungsdiskurs: „Männer sind anders“..................... 73 2.2.2 Kultur der Selbstkritik: „Frauen tauschen ihre Schwächen aus, Männer ihre Stärken“..................................... 80 2.2.3 Selbstbehauptung in einer männlich dominierten Welt: „Wie geh’ ich als Frau in Männerwelten um?“........................ 86
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4
Inhaltsverzeichnis
2.2.4 Zwischen Verbundenheit und Differenz: „weil ich irgendwie gedacht hab’, Frauen sind doch ähnlicher …“ ........ 92 2.3 Exkurs: Die jüngere Generation am Fallbeispiel einer Mädchenband ........................................................................... 101 Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten ....................... 115 3.1 Fallbeschreibung: Der Frauenkreis .................................................. 116 3.2 Fallübergreifende Deutungsmuster und Strukturhypothesen: Pragmatische Grenzenziehung und Gemeinsamkeiten über strukturidentische Erfahrungen des Lebensalters und -bereichs...................................................................................... 131 3.2.1 Die Gemeinschaft als gemeinsame Lebenspraxis: „Und da bleibt’s ja net aus, dass man Vieles teilt“ ................ 132 3.2.2 Das Fremderleben der Geschlechter: „Wir bleiben unter uns“.......................................................... 136 3.2.3 Abgrenzung gegenüber Frauenpolitik und Feminismus: „Da woll’n ma nix mit zu tun haben“ .................................... 139 Die Frauengruppen aus dem Bildungsmilieu der gehobenen Gesellschaftsschicht .......................................................... 142 4.1 Fallbeschreibung: Ein exklusiver Service-Club ................................ 143 4.2 Fallübergreifende Deutungsmuster und Strukturhypothesen: Privilegiert-Sein und Statusdifferenzierung ...................................... 157 4.2.1 Die Geschlossenheit der Gemeinschaft: „… weshalb sollten wir davon Abstand nehmen?“................ 158 4.2.2 Eine Club-Mitgliedschaft als Erkennungszeichen von Status und Privilegien: „Die Präsidentin des bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist auf jeden Fall Mitglied …“ ....... 160 4.2.3 Ehrenamtliches Engagement und Status-Arbeit: „ich denke, dass wir uns hier gemeinsam dieser Verantwortung stellen müssen“................................... 163 4.2.4 Die Normalitätsfolie ‚Herrenclub‘: „Wie hätte da wohl ein Mann reagiert?“................................ 167 4.2.5 Emanzipation als Thema ‚anderer‘ Frauen: „Also es geht nicht um uns und unsere Emanzipation“ ......... 171
Inhaltsverzeichnis
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III Die weibliche Gemeinschaft: Aneignung und Konstruktion kultureller Ordnung ................................................ 175 1
2
Die Praxis des Geschlechterhandelns in der weiblichen Gemeinschaft.... 175 1.1 Die Gruppen als institutionelle Gelegenheiten der Geschlechter-Differenzierung............................................................ 176 1.2 Die Perspektiven-Gebundenheit von Wissen und Erfahrung ............ 181 1.2.1 Die Vereinbarkeits-Perspektive.............................................. 182 1.2.2 Die Alltags-Perspektive.......................................................... 185 1.2.3 Die Verantwortungs-Perspektive ........................................... 187 1.2.4 Die Perspektive der Betroffenheit und Parteilichkeit............. 189 1.3 Die Konstruktion der weiblichen Gemeinschaft................................ 192 1.3.1 Die Filter-Funktion der Gemeinschaft ................................... 195 1.3.2 Die Selbsterhaltungsfunktion der Gruppe .............................. 197 1.3.3 Der Werkstatt-Charakter der Gruppe ..................................... 199 Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit im Milieuvergleich ................ 201 2.1 Gruppenkohärenz und soziale Herkunft ............................................ 202 2.1.1 Geschlechter-Differenz und normative Orientierung............. 203 2.1.2 Selbstbehauptung und die Suche nach (sexueller) Identität... 210 2.1.3 Geschlechtszugehörigkeit als pragmatische Grenzziehung von Lebenssphären ................................................................. 212 2.1.4 Die Gemeinschaft als Erkennungszeichen von Privilegien und Status ............................................................................... 216 2.2 Die weibliche Gemeinschaft im Spannungsfeld von Einheit und Differenz ......................................................................... 221 2.2.1 Der universalistische Diskurs über die Differenz der Geschlechter ........................................................................... 223 2.2.2 Pragmatische Grenzziehungen und Distanzen zwischen den Geschlechtern .................................................. 227
IV Fazit und Ausblick................................................................................... 233 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 251 Anhang.............................................................................................................. 260
Vorwort Vorwort
An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mein Forschungsvorhaben unterstützt und begleitet haben. Die Arbeit wurde im April 2009 an der Philosophischen Fakultät und dem Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Habilitationsschrift angenommen. Zunächst einmal gilt der Dank der Gesprächsbereitschaft und Offenheit meiner Interviewpartnerinnen. Sie haben mir den Zugang zu Ihren Gemeinschaften gewährt und durch Ihre Gesprächsbereitschaft und Offenheit diese Arbeit erst ermöglicht. Vielfältige und auch großzügige Unterstützung habe ich von meinem Fachmentorat erhalten: Elisabeth Beck-Gernsheim, Eckart Liebau und Gert Schmidt. Für ihre kontinuierliche Begleitung und Beratung, Anregung und Ermutigung möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Die Idee zu dieser Untersuchung sowie Teile der Daten basieren auf dem DFG-Projekt „Zusammenschlüsse von Frauen: Zwischen Solidarität und Interessehandeln“. Auch hier spielte Gert Schmidt eine maßgebliche Rolle, zum einen als Antragssteller, zum anderen und vor allem durch seine fundierte wissenschaftliche Begleitung. Ohne dieses Projekt, aber auch ohne diesen Projektzusammenhang hätte diese Untersuchung keinen Anfang genommen. Dank an dieser Stelle auch an meine Kollegin Birgit M. Hack. Ganz besonders möchte ich mich bei meinem Kollegen Matthias Klemm bedanken. In ihm habe ich stets einen kritischen und problemsensiblen Diskussionspartner gefunden. Durch ihn habe ich viele inspirierende Impulse erhalten. Gleiches gilt für Markus Pohlmann, der mir viele konstruktive Denkanstöße gegeben hat. Bei Korrekturarbeiten und bei der redaktionellen Fertigstellung des Manuskripts waren mir Annemie Murmann, Andreas Krach und Joanna Dubas eine wertvolle Hilfe. Knapp zwei Jahre wurde diese Forschungsarbeit aus dem Fördertopf des Hochschul- und Wissenschafts-Programms (HWP) der Universität ErlangenNürnberg in Form eines Stipendiums unterstützt. Diese finanzielle Unterstützung gab mir den Freiraum, mich auf diese Arbeit zu konzentrieren.
Einleitung Einleitung Einleitung
Diese Studie ist eine exemplarische Untersuchung über das Phänomen ‚weibliche Gemeinschaften‘ in der gegenwärtigen Gesellschaft. Damit sind Gruppen gemeint, in denen Frauen zeitweilig und freiwillig ‚unter sich‘ sind, etwa um gemeinsam unterschiedliche Themen zu bearbeiten, vor allem aber auch, um weite Teile ihrer Freizeit miteinander zu verbringen. Sie organisieren sich in Vereinen, Verbänden, Interessengemeinschaften, Selbsthilfegruppen und exklusiven Clubs oder arrangieren sich als Netzwerke. Auch auf privat-informeller Ebene gibt es solche Formen geschlechtsexklusiver Vergemeinschaftungen: Frauen treffen sich mit Frauen zum Joggen, zum Abnehmen oder zum Essen, um miteinander Musik zu machen, gemeinsam zu wandern, zu kegeln. Sie organisieren sich in Diskussionszirkeln und Lesegruppen, sie veranstalten Tupper-WareAbende, treffen sich zum ‚privaten public-viewing‘ wie beispielsweise ‚Sex and the City‘ und ‚Ally McBeal‘, oder sie gehen regelmäßig miteinander aus – ohne Männer versteht sich. Am Beispiel dieser verschiedenen Formen von Gemeinschaften wird der Frage nachgegangen, welche Beweggründe Frauen haben, sich mit anderen Frauen zu vergemeinschaften. Die geschlechtsexklusive Gemeinschaft ist mit einer sozialen Schließung verbunden und es stellt sich die Frage, welche Bedeutung Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit in den Gruppen haben? Welche Motive und welche Erfahrungen verbinden die Frauen mit dieser sozialräumlichen Segregation nach Geschlecht? Was suchen sie und was finden sie? Wie grenzen sie sich ein und wovon oder von wem grenzen sie sich ab? Was sind die Bezugspunkte und Bindekräfte des kollektiven ‚Wir‘ und was ist das ‚NichtWir‘? Existiert die Gemeinschaft für ihre Teilnehmerinnen ‚fraglos‘, beruht das ‚Miteinander‘ mitunter auf impliziten Wissensbeständen, das vor allem im Rekurs auf kulturelle Deutungsrepertoires von Geschlecht (noch) möglich ist? Unter welchen Bedingungen haben dieses Wissen und eine solche habitualisierte Praxis Bestand und unter welchen Umständen brechen solche Gewissheiten möglicherweise auf und werden selbst zum Thema der Gruppe? All dies sind offene Fragen, die es in dieser Untersuchung zu klären gilt. Ob Ereignisse aus dem Berufsleben besprochen werden, gemeinsame Interessen den thematischen Bezugspunkt der Gruppen bilden oder alltägliche Erfahrungen und eine gemeinsame Alltagspraxis die Gemeinschaft verklammern, die
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Einleitung
Gesprächsgemeinschaft greift in jedem Fall auf ein generalisiertes Verfahren zurück, um ein für alle Beteiligten relevantes, möglicherweise aber auch kontroverses Verständnis ‚ihrer‘ Vorstellungen und kollektiver Orientierungen zum Ausdruck zu bringen. Soziale Identität und soziale Orientierung entstehen in einem interaktiven Prozess, der aus den Bedingungen seines alltäglichen Vollzugs verstanden werden muss. Welche Rolle dabei die Zugehörigkeit zum ‚weiblichen Geschlecht‘ spielt, ob sie das Fundament der Gruppenkohäsion ist oder ob umgekehrt diese erst durch die Gruppenkonstellation an Bedeutung gewinnt, ist eine Frage, die es empirisch zu entschlüsseln gilt. Der Blick ist auf die Binnenperspektive der weiblichen Gemeinschaft gerichtet: auf die Konstruktionsprinzipien der jeweiligen Interaktionsgemeinschaft, ihre kollektiven Selbstvorstellungen und -darstellungen sowie auf die Mikropolitiken der Gemeinschaft samt ihren Regeln und inhärenten Regelstrukturen. Diese werfen mitunter Licht auf wichtige (Konstruktions-)Merkmale der Geschlechterdifferenz und möglicherweise eine (nach wie vor) differente Vergesellschaftung im Hinblick auf Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit. Die ‚große‘ Frage, die die Untersuchung begleiten wird, ist, ob die verschiedenen geschlechtsexklusiven Vergemeinschaftungsformen den Reproduktionszusammenhang moderner Gesellschaften spiegeln, legitimieren oder (re-)produzieren und ob die weibliche Gemeinschaft dabei Ausdruck und Nachhall der ‚geronnenen‘ Gestalt historischer Konstellationen von Geschlechterideologien und Geschlechterverhältnissen ist. Die Daten, auf die sich die Untersuchung stützt, sind Gruppendiskussionen, die mit Frauengruppen geführt wurden. Dieses Verfahren gewährt einen direkten Zugang zu kollektiv geteilten Sinngehalten und ermöglicht damit einen Einblick in den gemeinschaftlichen Erfahrungsraum der weiblichen Gemeinschaft. Die empirische Rekonstruktion wird im Milieuvergleich aufgespannt und präsentiert. Im Laufe des Forschungsprozesses hat sich gezeigt, dass die verschiedenen Deutungen und Diskursformen von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit nicht ‚frei‘ im Raum schweben, sondern rückgebunden sind an den sozialen Ort ihrer Entstehung. Die jeweilige Gemeinschaft ist auf vielschichtige Weise in ein Gewebe von kultureller und sozialer Aneignung und Konstruktion verstrickt. Diese Verschränkung aufzuzeigen, ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Untersuchung. In den verschiedenen Milieus, die als eine Art Organisationsprinzip für die sozialen Erfahrungen, Deutungen und Handlungsorientierungen wirken, werden strukturidentische Erfahrungen und Ressourcen im Hinblick auf gemeinsam geteilte Deutungsfiguren zum Ausdruck gebracht. Das Milieu, so kann gezeigt werden, ist gleichsam das Fenster, durch das die Frauen in die Welt blicken. Die jeweilige Bedeutung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit
1 Übersicht und Notiz zur Darstellungsweise
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wird hier akzentuiert, die Leitdifferenzen für die kollektive Selbstvorstellung und Selbstdarstellung werden hier gewichtet.
1 Übersicht und Notiz zur Darstellungsweise 1 Übersicht und Notiz zur Darstellungsweise Das Ziel der Arbeit ist die „dichte Beschreibung“ (Geertz 1987) kollektiver Selbstvorstellungen in weiblichen Gemeinschaften. Dafür ist es zunächst notwendig, eine eigene Standortbestimmung vorzunehmen und eigene wissenschaftliche Voraussetzungen und Prämissen zu explizieren. Die Arbeit beginnt folglich mit einer Auswahl an gegenstandsbezogenen Perspektiven und sensibilisierenden Konzepten für die empirische Interpretation des Materials. Im zweiten Kapitel wird der Untersuchungsansatz vorgestellt und der Forschungsprozess beschrieben. Was den Untersuchungsansatz betrifft, so bietet das methodologisch-theoretische Begriffsinstrumentarium der Wissenssoziologie von Karl Mannheim den grundlagentheoretischen Rahmen, weil damit der empirische Zugriff auf kollektive Phänomene gelingt. Mit Hilfe des Gruppendiskussionsverfahrens wurden die Daten erhoben und auch ausgewertet. Wir haben es hier mit einem Verfahren zu tun, mit dem es gelingt, prozesshafte Abläufe von Kommunikationen ‚einzufangen‘. Diese geben Auskunft über kollektiv geteilte Erfahrungshintergründe und ihre jeweiligen impliziten Wissensbestände. Die Beschreibung des Forschungsprozesses beinhaltet die Auswahl des Samples, den Feldzugang sowie Erfahrungen im Feld. Das dritte Kapitel ist das ‚Herzstück‘ der Arbeit: die empirische Rekonstruktion der Gruppengespräche. Als Ergebnis werden drei unterschiedliche Milieus ‚geortet, in denen aufgrund gemeinsamer oder strukturidentischer Erfahrungen jeweils spezifische Selbstbeschreibungskategorien und ein spezifisches Selbst-Verständniss zum Ausdruck gebracht werden: das akademische Bildungsmilieu, das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten sowie das Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht. Die jeweiligen Milieus werden zunächst über exemplarische Fall-Porträts dargestellt, in denen die lebendige Erfahrung ganzer zusammenhängender Diskussionen vermittelt werden soll. An die Einzelfallbeschreibungen schließt der milieuinterne Vergleich an. Hier geht es darum, vom Einzelfall zu abstrahieren und die für das Milieu konstitutiven Gemeinsamkeiten zum einen und Differenzen im Hinblick auf andere Milieus zum anderen herauszuarbeiten und zu systematisieren. Durch den Milieuvergleich wird deutlich, das kann an dieser Stelle nur kurz angedeutet werden, dass die Art und Weise, wie sich die verschiedenen Gruppen auf den Deutungsfundus Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit beziehen und ihr (Geschlechter-)Wissen im Binnenraum der Gemeinschaft ver-
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Einleitung
handeln, nur im Rekurs auf den ‚sozialen Raum‘, also kontextbezogen und situationsspezifisch, zu verstehen und damit zu erklären ist. Generationstypische Orientierungsmuster interessierten in dieser Untersuchung nur am Rande. Zwei Gruppendiskussionen mit Mädchen und jungen Frauen können die milieuspezifische Typologie im Hinblick auf Alter und Entwicklungsphase zwar ergänzen, die Ergebnisse lassen sich aber eher als ‚andeutende Einblicke‘ denn als empirisch valide Aussagen verstehen. Ihrem Stellenwert zufolge werden die Gespräche mit der jüngeren Frauengeneration als Exkurs aufgeführt. Im vierten Kapitel werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede noch einmal analytisch geordnet. Dabei ist das Augenmerk zunächst auf das Gemeinsame gerichtet. Was eint die verschiedenen Gruppen, unabhängig von ihrer sozialräumlichen Verankerung? Dabei wird zu zeigen sein, dass es nicht nur ein inhaltlicher Konsens ist, der die Frauen als ‚Wir‘-Gemeinschaften zusammenhält und -führt; vielmehr wird eine bestimmte Verfahrensweise relevant, mit der sich die Gruppen über Abgrenzung und Eingrenzung komponieren, legitimieren und auch (re)produzieren. Die Interaktionsgemeinschaft pointiert sich dabei als ‚Geschlechter-Arena‘, in der die Zuschreibungsmechanismen von ‚Frauen‘ und ‚Männern‘, ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ generativen Charakter haben. Mit Blick auf die verschiedenen Milieus werden allerdings spezifische ‚Brechungen‘ und Differenzen deutlich. Hier, in den Milieus, werden Erfahrungsfelder eröffnet, hier wird eine typische Weltsicht generiert. Zusammen prägen sie die Art und Weise, wie im Binnenraum der Gemeinschaft das Geschlechterverhältnis ‚übersetzt‘ wird. Der Selbstthematisierungs-Diskurs des akademischen Bildungsmilieu mitsamt der Programmatik eines kollektiven ‚Wir‘ lässt sich demzufolge als milieuspezifische Antwort auf heterogene und auch individualisierte Lebensweltkonstellationen begreifen. Im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten verläuft die Verständigung der Frauen weniger ‚aufgeladen‘ und weniger explizit über Geschlecht. Die Geschlechtszugehörigkeit begleitet die Frauen eher als Hintergrundfolie von Erfahrungen und einer gemeinsamen Alltagspraxis. Der Differenzdiskurs, wie er dem akademischen Bildungsmilieu eigen ist, wird hier über Distanzen von Lebenssphären pragmatisch eingeebnet. Die Frauengruppen bzw. -clubs aus der gehobenen Gesellschaftsschicht vergemeinschaften sich über Status und Distinktion. Auch hier konturiert sich das kollektive ‚Wir‘ über Grenzziehungen, die Geschlechterkategorie spielt dabei für die Frauen selbst eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stehen gemeinsame Privilegien, die durch die Zugehörigkeit in einem Club nachgerade dokumentiert werden können. Die Schlussbetrachtung in Kapitel fünf zieht verallgemeinernde Konsequenzen aus der Interpretation. Gesellschaftliche Praxis ist schöpferisch und erfin-
2 Die verstehende Analyse von Geschlecht als sozialer Praxis
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dungsreich, aber nicht voraussetzungslos. Sie antwortet auf bestimmte Situationen und wird innerhalb definierter Strukturen gesellschaftlicher Verhältnisse generiert. Rechtfertigen die Befunde die These, dass Geschlecht nicht nur eine Strukturkategorie des sozialen Raumes ist, sondern über Vergemeinschaftungsprozesse als einer Form der gesellschaftlichen Teilhabe verinnerlicht wird oder anders formuliert: sich über geschlechtsexklusive Räume die Geschlechterverhältnisse kulturell festschreiben?
2
Die verstehende Analyse von Geschlecht als sozialer Praxis: Der Perspektivenwechsel in der Geschlechterforschung 2 Die verstehende Analyse von Geschlecht als sozialer Praxis Für die Beantwortung der Frage, was das ‚Wir‘ der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft ausmacht, ob und wie die Frauen ihr Gruppengefüge über Geschlechtlichkeit denken oder imaginieren, bieten sich einige begriffliche und auch theoriegeschichtliche Bausteine aus der soziologischen Geschlechterforschung an. Denn das Nachdenken und die kritische Infragestellung der Kategorie ‚Geschlecht‘ haben seit den 1980er, vor allem aber seit den 1990er Jahren tief greifende Debatten ausgelöst, mitunter wurde die Möglichkeit einer solchen Forschungsperspektive selbst in Frage gestellt (Dausien 2004). Diese Debatten sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Vielmehr geht es darum, einige – für die eigene Untersuchung aufschlussreiche – theoretische Prämissen, konzeptuelle Überlegungen sowie kritische Überlegungen aufzugreifen, mit denen die Selbstreflexion der eigenen Denkvoraussetzungen und Begrifflichkeiten, vor allem aber auch die empirische Forschungspraxis selbst zum Thema der Reflexion gemacht werden. Da sich die weibliche Gemeinschaft über den verstehenden Nachvollzug kollektiver Orientierungen und Deutungsmuster erschließt, wir es aber gleichzeitig mit einer institutionalisierten Handlungspraxis (nämlich Gruppen) zu tun haben, in der sich ein solches kollektives Wissen aktualisiert, müssen beide Ebenen in den Blick genommen und in ihrer Verschränkung rekonstruierbar gemacht werden. Zugleich ist das Anliegen, bereits auf der Ebene der begrifflichen Architektonik eine Herangehensweise zu etablieren, die zwei Probleme im Auge behält, nämlich Reifizierungen zu erkennen und Überfokussierungen zu vermeiden.
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Einleitung
Geschlecht als Konstrukt und soziale Konstruktion: Neue Leitperspektiven in der Geschlechterforschung Das Nachdenken über die Kategorie ‚Geschlecht‘ hat spätestens seit Judith Butlers Gender Trouble (1991) oder Regine Gildemeisters und Angelika Wetterers (1992) Artikel zur Frage „Wie Geschlechter gemacht werden“ die „Routinen der theoretischen und empirischen Routinen“ der deutschsprachigen Frauenforschung durcheinander gewirbelt (Dausien 2004, 32). Trotz unterschiedlicher theoretischer Positionen hat diese Auseinandersetzung zu produktiven Irritationen geführt, weil nun das (re)produzierende Herstellen von ‚Geschlecht‘ im praktischen Handeln sozial positionierter Akteure in den Blick gerät (vgl. Dölling 2007). Vor allem im Rückgriff auf Arbeiten, die sozialkonstruktivistischen Ansätzen der interaktionstheoretischen und ethnomethodologischen Tradition verpflichtet sind, gilt das Interesse seitdem den formalen Mechanismen und Strukturen des Alltagshandelns. Damit wird die in der traditionellen Soziologie quasi ‚naiv‘ angenommene unmittelbare Gegebenheit sozialer Fakten als Arbeitsprämisse aufgegeben und an ihre Stelle wird radikal die Frage gesetzt, wie in Interaktionen soziale Strukturen objektiviert werden und wie dadurch die alltägliche Gewissheit einer real existierenden Wirklichkeit intersubjektiv hergestellt wird. In diesem Perspektivenwechsel wird (nicht nur, aber vor allem auch) Geschlecht als etwas analysierbar gemacht, das interaktiv hergestellt wird. Die Konstitution der Zweigeschlechtlichkeit wird selbst zum Topos der Forschung und Theoriebildung. Mit Meuser (1998) formuliert, wird das Selbstverständliche „heuristisch in etwas Unwahrscheinliches, höchst Voraussetzungsvolles transformiert“ (a.a.O., 63). 1 Diese Einsicht in die Konstruiertheit von Geschlecht – je nach theoretischem Zugang als soziale, kulturelle, diskursive etc. Konstruiertheit gefasst – war für die Theoriebildung und empirische Forschung insofern zentral, weil nun die Frage im Vordergrund steht, wie die Zweigeschlechtlichkeit im Alltagshandeln als ‚moral fact‘ (Garfinkel 1967) hergestellt statt von der Natur bereitgestellt wird und wie ein ‚sameness taboo‘ (Lorber 2003) fortwährend so institutionalisiert wird, demzufolge Frauen und Männer zunächst einmal in allen Belangen verschieden zu sein haben.2 Im Vordergrund geht es nun weniger um die 1
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Auf die weit verzweigten Debatten, die sich im Zuge der Infragestellung natürlicher Zweigeschlechtlichkeit entwickelt haben und insbesondere im Umfeld poststrukturalistischer Dekonstruktionen pointiert wurden, wird hier nicht eingegangen (vgl. dazu Butler 1991 sowie die Beiträge im Schwerpunktheft der Feministischen Studien „Kritik der Kategorie ‚Geschlecht‘, November 1999). Bereits bei Garfinkel ist die These von der Omnipräsenz des ‚doing gender’ festgehalten, d.h. es gibt keinen Ort außerhalb der zweigeschlechtlichen Koordinatensystems, bei West und Zimmermann (2001, 244) nimmt das Konzept der „accountability“ breiten Raum ein. Gemeint ist
2 Die verstehende Analyse von Geschlecht als sozialer Praxis
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Erfassung und Erklärung von Differenzen zwischen den Geschlechtern, da die Suche nach der ‚wahren‘ Differenz bzw. nach einer substanziellen ‚Theorie der Weiblichkeit‘ (und Männlichkeit) eher „den Charakter eines ‚modernen Gottesbeweises‘ “ erhält (Gildemeister/Wetterer 1992, 229); vielmehr ist die zentrale Frage nun, wie sich ein kulturelles System beständig reproduziert, in dem Individuen nach einem binären Schema entlang der Kategorie Geschlecht voneinander unterschieden und aufeinander bezogen sind (Garfinkel 1967 Goffman 1994; Kessler/McKenna 1978;). Mit der mittlerweile gängigen Bezeichnung ‚doing gender‘ (West/Zimmerman (1991) wird Geschlecht als etwas analysierbar gemacht, das interaktiv hergestellt wird, als etwas, das man tut, als etwas, das man ist. Erst im ‚doing gender‘ stellt sich die „Geschlechterdifferenz durch das tagtägliche Tun hindurch als ‚Naturtatsache‘ her“ (Gildemeister/Wetterer 1992, 233).3 Das empirische Programm, das einer solchen konstruktivistischen Wissenssoziologie verpflichtet ist, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Mikropolitiken der Geschlechterunterscheidung, die Licht auf wichtige Konstruktionsmerkmale von Geschlechterdifferenz und eine differente Vergesellschaftung von Männern und Frauen im Geschlechterverhältnis werfen. Zugleich wird deutlich, dass das Unternehmen selbst in grundlegender Weise interaktiv strukturiert ist. Das doing gender geschieht nicht aus freien Stücken, sondern verweist auch auf situative Verregelungen. Geschlecht ‚ereignet‘ sich im Vollzug konkreter (Interaktions-) Situationen, in denen bestehende Ordnungen aktualisiert werden, die gerade nicht an die Person gebunden sind. Insofern ist Geschlecht keine Eigenschaft von Individuen denn vielmehr ein Element, das in und durch soziale Situationen entsteht. Es ist ein Ergebnis sozialer Typisierungsprozesse, das die sozialen Geschlechter-Arrangements rechtfertigt, zugleich aber ebenso als Legitimation und Reproduktion grundlegender gesellschaftlicher Differenzierungslinien dient (vgl. dazu Goffman 1994). Mit der Perspektivenverschiebung gelingt es, den Zusammenhang zwischen interaktivem Handeln und (Gesellschafts-)Struktur neu zu denken. Die Geschlechterpraxis wird – auch in der weiblichen Gemeinschaft – im Hinblick auf ein institutionell verankertes Wissen gefasst, ihre soziale Wirkmächtigkeit im konkreten Zusammenspiel von institutionalisierten Objektivierungen und einem
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damit, dass es die Verantwortlichkeit und Verpflichtung jeder/jedes einzelnen ist, die eigene Geschlechtlichkeit im interaktiven Alltagshandeln unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen und zugleich die anderen zu erkennen und auch anzuerkennen. Die ethnomethodologische Analyse „löst auch die vertraute sex-gender-Unterscheidung konstruktivistisch auf“ (Meuser 1998, 64). Sie will damit das Problem überwinden, dass neue Ansätze zur Analyse der Ungleichheit der Geschlechter auf alten Konzepten von Geschlecht basieren (vgl. dazu auch Hirschauer 1993).
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Einleitung
interaktiven Tun ausgedeutet.4 Die verschiedenen Frauengruppen konstruieren, indem sie „gender-Normen und -Erwartungen in der direkten Interaktion umsetzen, die vergeschlechtlichten Herrschafts- und Machtsysteme“ (Lorber 2003, 47; Herv. i. O.).
Die Komplexität der Forschungspraxis: Kritische Reflexion der eigenen Erkenntnismittel Dem Regelwerk von Vergeschlechtlichungsprozessen verstehend auf die Spur zu kommen, hat auch zu einer kritischen Reflexion der eigenen Erkenntnismittel angeregt, zumal deutlich wurde, dass auch die Wissenschaft selbst an der identitätslogischen Konstruktion der Differenz zwischen Männern und Frauen beteiligt ist. Pointiert formuliert: Die forschende Betrachtung der Geschlechterdifferenzen bringt den Unterschied selbst hervor, den es doch erst zu entschlüsseln gilt. Carol Hagemann-White hat bereits vor 20 Jahren in ihrem Aufsatz „Wir werden nicht zweigeschlechtlich geboren (…) (1988) darauf aufmerksam gemacht, dass die umstandlose Klassifizierung der Menschen in Frauen oder Männer keineswegs unproblematisch sei. Erkenntnistheoretisch problematisch ist, dass sowohl theoretische Ansätze als auch empirische Untersuchungen auf einem Niveau (zurück) bleiben, insofern sie alltagstheoretische Annahmen zur Basis ihrer Analysen machen, ohne über ihre erkenntnistheoretischen Prämissen Rechenschaft abzulegen und deren theoretische und praktische Konsequenzen zu bedenken. Offensichtlich wird, dass das empirische Design vieler Studien nachgerade die Selbstverständlichkeiten der Praxis (re-)produziert, wenn bei Erklärungsstrategien naiv auf das Alltagswissen als Plausibilitätsressource zurückgegriffen wird, anstatt es zum Gegenstand der Analyse zu machen.5 Wissenschaftliche 4
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In einem dekonstruktivistisch-diskurstheoretischen Ansatz, wie er von Judith Butler (1991) vertreten wird, gilt die Auffassung, dass die gesamte Wirklichkeit, mithin auch der menschliche Körper und somit auch das biologische Geschlecht, nur dadurch Bedeutung erlangt. Im Rekurs auf Sprachphilosophie und Diskurstheorie (Foucault) kommt sie zu dem Verständnis, dass durch Sprache nicht eine bereits vorhandene Realität widergespiegelt und mit Bezeichnungen versehen, sondern die Realität erst durch Sprache hervorgebracht wird. Bezeichnungen und Erfahrungen finden in einem geregelten und machtförmig strukturierten sozialen Raum statt. Insofern sind sowohl sex als auch gender soziale Konstrukte, die erst durch Bezeichnungen hervorgebracht werden. Die Grundannahme ihrer Theorie besteht darin, dass das, was durch Bezeichnung (Signifikation) entsteht, auch anders bezeichnet werden kann (Resignifikation) und dass das, was sozial konstruiert wurde, auch dekonstruiert werden kann. Das ‚naive‘ Verhältnis von theoretischer Ausgangsüberlebung und empirischer Einlösung wurde vor allem für die Denkformel einer ‚geschlechtsspezifischen Sozialisation‘ kritisch hinterfragt, mit der sich die Vorstellung einer eindeutigen, stabilen geschlechtsspezifischen Identität verbindet, die im Laufe des Sozialisationsprozesses erzeugt werde. Die Dichotomie von
2 Die verstehende Analyse von Geschlecht als sozialer Praxis
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Konstruktionen schweben nicht frei im Raum, sondern müssen als „Konstruktionen zweiten Grades“ (Alfred Schütz 1971) gedacht werden, die wiederum an alltagsweltliche Konstruktionen anknüpfen. Diese Verbindung, so Dausien (2004) lässt sich nicht auflösen, „aber sie lässt sich reflektieren und als konstitutives Moment der Theoriebildung einbeziehen“ (a.a.O., 33). Die Probleme, die unter dem Stichwort „Reifikation“ überzeugend kritisiert wurden (bes. Gildemeister/ Wetterer 1992), können nicht aus der Welt geschafft werden, weil die wissenschaftliche Interpretation des Alltags an jene Prozeduren anknüpft, die das Alltägliche auch selbst leistet, um als solches überhaupt zu existieren. In unserem Fall bedeutet dies, dass die Vorstellungen zur ‚Normalität‘ und ‚Natürlichkeit‘ von Zu(sammen)gehörigkeit qua Geschlecht in die Alltagspraxis der Gemeinschaft eingelassen sind. Dies verweist zunächst auf eine Selbstverständlichkeit, die sich im Modus des Fraglosen vollzieht. Dass dies nicht zwangsläufig so sein muss, sondern andere Grenzziehungen möglich (und auch denkbar) sind, das ist auf dem empirischen Weg zu klären. Notwendig wird eine reflexive Problematisierung der (wissenschaftlichen) Konstruktionslogik selbst. Die Idee von Forschung, offen zu sein für empirische Überraschungen, kann nur gelingen, wenn das (vordergründig) Selbstverständliche als etwas höchst Voraussetzungsvolles gedacht wird. Dass eine solche Reflexion komplex ist und ihre Grenzen hat, darauf macht Hagemann-White (1993) mit Blick auf die Ethnomethodologie aufmerksam. Die konstruktivistische Perspektive verlange nicht nur, „unseren Blickwinkel zu verlagern, sondern zugleich den alten, im Vollzug gelebter Zweigeschlechtlichkeit involvierten Blick beizubehalten, da dieser das Instrument ist, mit dem wir das Material für jenen gewinnen“ (a.a.0. 1993, 74).6 Ergänzend weist Meuser (1998) aus einer forschungspragmatischen Perspektive darauf hin, dass es ohne einen solchen „alten“ Blick, welcher der alltagsweltlichen Geschlechterklassifikation zugrunde liegt, unmöglich wäre, ein Sample überhaupt zustande zu bringen: „In radikaler Weise muss die Frage, woher wir wissen, dass diese Person eine Frau oder ein Mann ist, die Gültigkeit dieses Wissens voraussetzen, um überhaupt Personen zur Verfügungen zu haben, angesichts derer eine solche Frage gestellt werden kann. Alles andere führt zu Peinlichkeiten“ (a.a.0., 67).
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weiblich-männlich wurde hier als ein Ausgangspunkt gesetzt, um damit eben jenen Prozess als bereits erklärt zu behaupten, den es doch erst auszudeuten galt (vgl. dazu Bilden/Dausien 2006). Insofern mag es auch verständlich sein, dass die ethnomethodologische Geschlechterforschung, insbesondere in ihren Anfängen, die Transsexualität zum Gegenstand hat, denn gerade am Beispiel der Transsexualität ist im Alltag die Eindeutigkeit der Zuordnung aufgelöst (vgl. dazu etwa Garfinkel 1967, Hirschauer 1993).
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Einleitung
Überfokussierung: Theoretische Konstruktion der Differenz Eine weitere Schwierigkeit, die mit der Reifizierungsproblematik zusammenhängt, lautet, dass die Dichotomie der Geschlechtskategorie dazu verleite, andere gesellschaftlich relevante Zugehörigkeits- und Differenzdimensionen auszublenden.7 Kritisiert wird nicht nur die Dichotomie der Geschlechtskategorie (und mithin die Ausblendung von Uneindeutigkeiten und ‚Zwischenräumen‘), sondern die (Über-)Fokussierung auf Geschlecht und damit die Ausblendung anderer gesellschaftlich relevanter Zugehörigkeits- und Differenzdimensionen. Geschlecht ist niemals die einzige relevante Differenzkonstruktion oder Dimension der Sozialwelt – darauf machen auch Untersuchungen aufmerksam, die für die ‚klassische Trias‘ von Geschlecht, Ethnizität und Klasse votieren (vgl. Klinger 2003);8 vielmehr ist die Konstruktion von Geschlecht auf vielfältige Weise in ein Gewebe gesellschaftlicher Differenzkonstruktionen verstrickt. Dies wird mitunter auch durch empirische Studien gestützt, in denen die Geschlechterdifferenzen kaum eindeutig nachweisbar sind, stattdessen immer differenzierter und kontextabhängiger zu werden scheinen. Mit Blick auf ihre eigenen biographischen Forschungsergebnisse stellt Bettina Dausien (1996, 2006) fest, dass etwa das Besondere in den Lebensverläufen und -geschichten von Frauen (im Vergleich zu Männern) zwar deutlich macht, dass Darstellungs- und Reflexionsmuster nicht „frei über gesellschaftlichen Strukturen schweben“, sondern eingebunden sind in die „historischen, sozialen und kulturellen Geschlechterkonstruktionen einer Gesellschaft“ (a.a.0., 30). Im besonderen Fall lassen sich also durchaus Konstruktionsmuster erkennen, die auf die Wirksamkeit der gesellschaftlichen Differenzkonstruktion verweisen. Wenn es allerdings darum geht, das Allgemeine aus der fallspezifischen Besonderheit herauszuschälen, erweisen sich die Unterscheidungskriterien zwischen ‚weiblichen‘ und ‚männlichen Biographien‘ als unscharf. Im Gegenteil: Es zeigt sich, dass sie durch eine Reihe anderer gesellschaftlicher Differenz- und Ungleichheitsrelationen strukturiert oder auch: überlagert werden.
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Hier geht es auch um die Frage nach den Differenzen unter Frauen, der sozialen und kulturellen Heterogenität des, wie es Knapp und Wetterer (2003, 8) formulieren „feministischen Referenzsubjekts“. So verdecke die Zentralperspektive auf die Geschlechterrelationen ihrerseits, dass auch Frauen (wie Männer) untereinander in Verhältnisse der Über- und Unterordnung treten können. In der Auseinandersetzung damit entstand die Diskussion um „Achsen der Differenz“ (a.a.0.). Ein Betroffensein von einer bestimmten Klassen-, Rassen- oder Geschlechtslage korreliert, so Klinger, nicht automatisch „mit Betroffenheit im Sinne von bewusster Reflexion auf diese, geschweige denn von Identifikation mit ihr“ (Klinger 2003, 35).
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Die Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist, Prozesse der Differenzierung kontextbezogen zu erforschen, statt lediglich nach der Situation von Frauen zu fragen. In meiner eigenen Untersuchung habe ich dafür einen konsequent empirischen Weg gewählt. Am gezielten Fallvergleich von geschlechtsexklusiven Gemeinschaften soll gezeigt werden, wie die jeweiligen Orientierungsmuster und kollektiven Wissensgehalte an einen spezifischen Erfahrungsraum gebunden sind, welchen Stellenwert die Kategorie Geschlecht hat und ob möglicherweise andere Dimensionen den Referenzpunkt für ein kollektives ‚Wir‘ bilden.
Zwischen Veränderungspotenzialen und Beharrungsmomenten Die sozialen Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern sind in den letzten Jahrzehnten durchlässiger geworden. Im Hinblick auf die Diagnose aktueller Umbauprozesse moderner Gesellschaften wird etwa diskutiert, ob ‚Geschlecht‘ an Bedeutung verloren hat, das Geschlechterverhältnis erodiert und gar eine „Geschlechterrevolution“ (Beck/Bonß/Lau 2001) zu beobachten sei. Andere Positionen verweisen hingegen auf ‚De-Institutionalisierungs-Prozesse‘ der Geschlechterdifferenz und meinen damit, dass sich die Reproduktionsmechanismen verschoben hätten (Heintz 2001), die Geschlechterdifferenz an Geltung verliere und durch eine ‚Semantik der Gleichheit‘ ersetzt werde (Pasero 1995). Aber auch die gegenteilige Einschätzung wird formuliert: Hier gilt gender nach wie vor als eine der zentralen Basisinstitutionen gegenwärtiger Gesellschaften (Lorber 2003), weil sie, wie jede andere Institution, universelle Merkmale, aber auch kulturell bedingte Varianten aufweist, „die weit reichende Auswirkungen auf das Leben des Einzelnen und auf die soziale Interaktion haben“ (a.a.0., 41). Grundlegend ist gender als soziale Institution auch deshalb, weil die soziale Konstruktion des Geschlechts Spuren hinterlassen hat, die als ‚Einschreibungen‘ der sozialen Verhältnisse ‚existieren‘: „Vergeschlechtlichte Praktiken erzeugen die soziale Institution gender, die ihrerseits die Rahmenbedingungen für die soziale Praxis vorgibt“ (a.a.0., 49; Herv. i. O.). Nimmt man hinzu, dass die soziale Konstruktion von Geschlecht gerade dann als gelungen bezeichnet werden kann, wenn „die Konstruktion als Konstruktion unsichtbar geworden ist“ (Teubner/Wetterer 2003, 16), wenn das Ergebnis von Vergesellschaftung als ‚natürlich‘ erscheint und insofern wenig ‚offen-sichtlich‘ ist, dann lässt sich Geschlecht als „soziale Praxis“ (Dausien 1998, 259) begreifen, in der eben beides aufscheint: die gesellschaftlichen Strukturen, die quasi hinter dem Rücken der Akteure wirksam werden, und das vergeschlechtlichte Selbstverständnis und Selbstgefühl, das diese strukturellen Vorgaben spiegelt und sich reflexiv auf ihre Effekte bezieht.
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In der Auseinandersetzung mit diesen kontroversen Debatten zieht Angelika Wetterer (2003) das Fazit, dass diese unterschiedlichen Positionen allesamt darauf verweisen, dass der soziale Wandel, also die Modernisierung des Geschlechterverhältnisses, durch „Widersprüche, Brüche und Ungleichzeitigkeiten“ gekennzeichnet ist: „Brüche zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen (…); Ungleichzeitigkeiten zwischen verschiedenen Regionen und sozialen Milieus; Widersprüche zwischen den verschiedenen Ebenen und Medien der Herstellung und Institutionalisierung geschlechtlicher Differenzierung und Hierarchisierung (a.a.O., 288). Diese Widerspruchs-Konstellationen beruhen vor allem darauf, dass sich Kultur- und Strukturzusammenhänge gegeneinander verschoben haben“ (a.a.O., 289). Ihre eigene These, dass „zeitgenössisches Differenzwissen und soziale Praxis nicht mehr bruchlos zusammenpassen“, weil die kulturellen Deutungsmuster und Selbstkonzepte sowie die Geschlechterdiskurse den differenzierenden Strukturen und Praktiken „ein ganzes Stück vorausgeeilt“ sind, beruht auf der Beobachtung, dass die ‚alten‘ Selbstverständlichkeiten zunehmend in Frage gestellt werden und geschlechterhierarchische Verteilungsasymmetrien begründungsbedürftig(er) geworden sind. Demgegenüber wirken die ‚alten Verhältnisse‘, wenn auch in modifizierter Form, weiter: auf der Ebene sozialer Strukturen und Institutionen, aber auch in einem „inkorporierten Wissen“, das jene gesellschaftlichen Verhältnisse auf individueller Ebene zum Ausdruck bringt, mit denen die Akteure „eigentlich nicht mehr das Geringste zu tun haben wollen“ (a.a.O. 303). Diese Diskrepanz bezeichnet sie als „rhetorische Modernisierung“. Mit dieser Beobachtung kommen wir den ‚reproduzierend-institutionellen‘ Bedingungen und damit zusammenhängend: den Veränderungspotenzialen des Geschlechterverhältnisses ein Stück weit näher. Neben der interaktiven Konstruktion von Geschlecht, den situativen Verregelungen, mit denen bestehende Ordnungen aktualisiert und reproduziert werden, sind dies vor allem die Verwobenheit von Strukturbedingungen und (interaktiver)Aneignung und nicht zuletzt auch die verschiedenen Wissensformen, auf die die Individuen zurückgreifen, wenn sie sich in konkreten Kontexten und Situationen gemäß den Regeln als Frauen und Männer entwerfen und bestätigen. Die von Wetterer vorgenommene Unterscheidung zwischen diskursivem und inkorporiertem Wissen (a.a.O., 299f.) zielt damit auf zwei unterschiedliche Formen und auch Logiken von Wissen, die wiederum unterschiedlich resistent sind gegen Veränderungen. Diskursanalytisch wird die erste Logik explizit, die zweite nicht. Während sich das diskursive Wissen verändert (und über die ‚Idee der Gleichheit‘ zwischen den Geschlechtern weitergetragen wird), erweist sich das Alltagswissen über die Unterschiedlichkeit der Geschlechter und ihre jeweiligen Kompetenzen, Zuständigkeiten und Obligationen (also die inkorporierte Handlungspraxis) als eigensinnig beharrlich:
2 Die verstehende Analyse von Geschlecht als sozialer Praxis
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„Die alten Verhältnisse stecken in den Individuen und in der Gesellschaft, gerade die Korrespondenz, auf die das eine im anderen trifft, macht ihre Persistenz aus“ (a.a.O., 303). In zahlreichen empirischen Studien wird auf derartige Brüche und Widersprüche zwischen Sozialstruktur – festgemacht am Verhältnis von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Haushalt – und ihrer Thematisierung bzw. diskursiven Behandlung hingewiesen.9 Der von Irene Dölling (2007) ausformulierte Begriff des „GeschlechterWissens“ stellt in diesem Kontext einen gelungenen Versuch dar, sowohl auf theoretisch-konzeptueller Ebene, zugleich aber auch im Hinblick auf ein empirisches Forschungsprogramm, die verschiedenen Wissensformen zu bündeln, das Ineinandergreifen von (vergeschechtlichten) Organisationsstrukturen und der situativen und interaktiven Herstellung von Geschlecht genauer zu analysieren und das doing gender in der gelebten Praxis für eine soziologische Analyse ‚verstehbarer‘ zu machen. Zugleich wird es dadurch möglich, die Beharrungsmomente und die Veränderungspotenziale zu erfassen, sowohl auf der Ebene der Strukturen und Institutionen als auch auf der Ebene der Akteure. Ganz allgemein wird mit Geschlechter-Wissen ein biographisch aufgeschichtetes, aus verschiedenen Wissensformen zusammengesetztes Repertoire an Deutungsmustern sowie Fakten-Wissen verstanden. Dieser strukturierte Vorrat an (individuellem und kollektiven) Wissen bestimmt die Wahrnehmung der Geschlechterdifferenz, legitimiert, reproduziert und naturalisiert, liefert mitunter „Begründungen seiner ‚Selbstverständlichkeit‘ und Evidenz sowie die „normativen Vorstellungen von den ‚richtigen‘ Beziehungen und Arbeitsteilungen zwischen Frauen und Männern“ (a.a.0., 17).10 In seiner objektivierten Dimension rahmt es die individuell-biographische Konstruktion von Geschlechter-Wissen. Mit Blick auf wissenssoziologische und biographietheoretische Annahmen werden drei Wissensformen unterschieden, die einem objektivierten Geschlechter9
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Studien, die eine solche Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis feststellen, wie etwa die Untersuchung von Koppetsch und Burkart (1998) über Paarbeziehungen im Milieuvergleich, konstatieren vor allem für das ‚individualistische Milieu‘ eine solche Widerspruchskonstellation. Die Verbindung von Individualisierungs-, Selbstverwirklichungs- und Gleichheitsdiskurs führt in diesem Milieu u.a. dazu, dass die Alltagspraxis, in der weiterhin relativ ungebrochen die reproduzierend geschlechtsspezifischen Zuständigkeiten wirksam sind, nicht mehr zur Sprache kommen, weil sie die Idee der Gleichheit kolportieren würden. Der Gleichheitsdiskurs hat die Paarintegration nicht erleichtert, sondern erheblich kompliziert. Weitere Studien, die Ähnliches diagnostizieren, sind die Untersuchung von Jean Claude Kaufmann (1994) über die „schmutzige Wäsche“ oder die Analyse von Arlie Hochschild (1989 über „The Second Shift. Working Parents and the Revolution at Home“. Die konzeptuellen Überlegungen zum Begriff ‚Geschlechter-Wissen‘ entstanden im Projektkontext ‚Vergeschlechtlichungsprozesse bei der Reform der kommunalen Verwaltung‘ im Rahmen des DFG-Schwerpunktes „Professionalisierung, Organisation, Geschlecht“ (vgl. Andersen/Dölling/Kimmerle 2003)
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Wissen zugrunde liegen: Erstens, das „Alltags- und Erfahrungswissen“, das in seiner Deutungspraxis „noch vergleichbar nah an den konkreten Handlungsorientierungen der Individuen“ (Ahlheit 1989, 142) ist und fraglos gültig daherkommt. Zweitens, „das in speziellen Institutionen hervorgebrachte Wissen“, das in relativer Distanz zu praktischen Handlungsorientierungen der Individuen operiert. Hier kann das Wissen über Geschlecht auch kritisch reflektiert werden, mitunter wird hier ein Wissen über die gesellschaftliche Verfasstheit und Strukturiertheit des Geschlechterverhältnisses, über Konstruktions- und Reproduktionsmechanismen der Geschlechterdifferenz zur Verfügung gestellt (Dölling 2007, 17). Schließlich, drittens, das „popularisierte (u.a.wissenschaftliche, rechtliche usw. Wissen)“ (a.a.O.), das in organisierten, auch öffentlich wirksamen Deutungssystemen und Produktionsstätten (Parteien, Verbände u.ä.) gewonnen wird, Bestand hat und in einer Vielfalt und Vielzahl von Meinungen und Standpunkten geäußert wird. Das popularisierte Wissen „stellt Deutungsangebote für Sinnproduktionen von Individuen und sozialen Gruppen bereit und ist auch ein entscheidender Vermittler zwischen Alltags- und Expertenwissen“ (a.a.O., 18). Alle diese Wissensformen werden in einer Gesellschaft als kollektiver Wissensvorrat bereitgestellt, obwohl sie – kontextbezogen – nicht von allen Gesellschaftsmitgliedern angeeignet werden (können). Wissen ist zwar ‚plural‘ (Burke 2001), aber im sozialen Raum und seinen Feldern sind die Akteure unterschiedlich positioniert; sie haben unterschiedliche Zugangschancen wie Rezeptionsmöglichkeiten. Die Ressourcen an verfügbaren Kapitalsorten, über die Individuen verfügen, öffnen ihnen Felder und schließen sie von anderen aus. Mit Bourdieu (1985) lässt sich darauf verweisen, dass die inkorporierten Strukturen des sozialen Raumes so wahrgenommen und gedeutet werden, dass sie ihren Sinn für den eingenommenen Platz innerhalb dieser Strukturen selbst produzieren. Obwohl mit dem Begriff des ‚Geschlechter-Wissens‘ die unterschiedlichen Herstellungs- und Gestaltungsebenen gebündelt werden, ist es keine bloße Ansammlung von Wissen und Erfahrung, sondern das „Resultat eines mehrfach vor-strukturierten individuellen Aneignungs- und Verarbeitungsprozesses“ (Dölling 2007, 16). Die Verschränkung von Aneignung und Konstruktion sozialer und kultureller Ordnungen ist kontextgebunden; sie wird durch konkrete Subjekte und ihre je interaktiven Praktiken bewerkstelligt. Diese konzeptuellen Überlegungen sind insofern instruktiv, weil sich das Puzzle empirischer und historischer Forschungsergebnisse zur Bedeutung von gender für alle Ebenen und Bereiche des Sozialen neu denken und auch neu zusammensetzten lässt. Sie stehen nicht mehr unverbunden nebeneinander. Zugleich wird damit ebenso deutlich, dass das Vorgehen nur über eine konsequent empirische Vorgehensweise eingelöst werden kann, und das heißt: in der anschaulichen und konkreten Beschreibung, wie gender auf den verschiedenen
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Gestaltungsebenen wirkt, wie gender die Erwartungsmuster für Individuen bestimmt und die sozialen Prozesse des Alltagslebens regelt, ebenso aber auch, wie gender in die Formen der sozialen Organisation einer Gesellschaft eingebunden wird, ohne, das sei hier noch hinzugefügt, ihre ‚Eigengesetzlichkeiten‘ aus dem Auge zu verlieren, die mithin erklären können, weshalb sich tradierte Verfestigungen in einem der verschiedenen Bereiche auch dann noch fortschreiben, wenn sich die ‚Realität‘ in einem anderen ändert. Welche dieser verschiedenen Wissensformen zum Besitzstand werden, welche dieser Wissensformen handlungspraktische Wirkung zeigen, hängt u.a. davon ab, „welche Formen von Geschlechter-Wissen in welchen sozialen Feldern und entsprechend der eigenen Positionierung in ihnen, eine Bedeutung haben, einen ‚Trumpf‘ im Spiel darstellen“ (Dölling 2007, 19). Die Untersuchung über weibliche Zusammenschlüsse ist ein Baustein in dem Puzzle. In ihr kann gezeigt werden, wie die Verschränkung von Aneignung und Konstruktion sozialer und kultureller Ordnung in den Gruppen gelingt; welches inkorporierte und auch implizite Orientierungswissen der geschlechtsexklusiven Vergemeinschaftungsform zugrunde liegt; ob und wie die Widersprüche zwischen einem inkorporierten (Geschlechter)-Wissen und den reflektierten Elementen eines solchen Geschlechterwissens ‚übersetzt’, aufgelöst oder ausgetragen werden; wie die Praxis einer vergeschlechtlichten Gemeinschaftsform an den sozialen Raum ihrer Entstehung gebunden ist oder umgekehrt, wie (milieuspezifische) Erfahrungsräume kollektive Orientierungen hervorbringen.
3 Auf den Spuren alltäglicher Selbstverständlichkeiten 3 Auf den Spuren alltäglicher Selbstverständlichkeiten Für eine soziologische Untersuchung über weibliche Gemeinschaften gilt, dass das Erkenntnisinteresse, das die Wissenschaft hat, für die Beteiligten selbst ‚selbst-verständlich‘ ist. Diese Einsicht ist so banal wie voraussetzungsvoll. Die Gemeinschaft der Frauen existiert für ihre Teilnehmerinnen als sinnhaft erfahrene, vielfach gedeutete soziale Praxis, die – zumindest auf den ersten Blick – ein Vertrauen in eine gemeinsame Welt latenter Übereinstimmung dokumentiert, die sich, mit Alfred Schütz formuliert „als nicht weiter auflösungsbedürftig darstellt“ (Schütz 1974, 78). Das heißt, das erlebte und gelebte ‚Wir‘ der Gemeinschaft mitsamt den Routinen und -ritualen aktualisiert eine sich immer wieder bestätigende Alltagspraxis, die für die Frauen selbst hohe Plausibilität zu besitzen scheint, damit jeder Begründungspflicht entbehrt und auf der Prämisse ruht, dass
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nicht alles gesagt oder gefragt werden muss. Wie voraussetzungsvoll ein solches kollektives Selbst-Verständnis mitunter ist, weil gerade alltägliche Routinen und Rituale Normalitätsunterstellungen ‚brauchen‘ und insofern auch kulturelle Deutungsrepertoires eingeebnet werden müssen, dies gilt es in dieser Untersuchung aufzuzeigen. Bei der Rekonstruktion der Alltagspraxis in der weiblichen Gemeinschaft hat die Untersuchung allerdings damit umzugehen, dass ihr immer schon die alltäglich-typisierende Konstruktion ihres Objekts vorausgeht. In die Fragestellung selbst fließen mitunter die alltagsweltlich so selbstverständlich verwendeten Unterscheidungskategorien von Männern und Frauen mit ein. Damit profitiert die Analyse selbstredend auch von jenem Wissen, welches es zur Sprache bringen will, nicht zuletzt auch deshalb, weil die wissenschaftliche Deutung und Auslegung der Alltagswirklichkeit der Grundstruktur nach dem Wissen im Alltag mitsamt seinen Deutungen und Erklärungen ähnlich ist (vgl. Soeffner 1989). Zugleich birgt ein solches Vorhaben, die Geschlechtlichkeit des Handelns dort zu thematisieren, wo es gewöhnlich nicht geschieht, nämlich in der Lebenswelt des Alltags, ein Dilemma. Denn während für die wissenschaftliche Unternehmung gilt, die Auflösung von im Alltag „nicht weiter auflösungsbedürftigen“ Selbstverständlichkeiten zu betreiben, ist sie zugleich auf diese Selbstverständlichkeiten angewiesen, da sich das ‚Objekt‘ erst durch die intersubjektive vorkonstruierte Wirklichkeit zum Ausdruck bringt und damit Geltung erhält. Das heißt, eine Analyse über weibliche Gemeinschaften ist auf deren Selbstverständlichkeit und fraglose Praxis verwiesen, die es gleichzeitig zu entschlüsseln gilt. Und da das Selbstverständliche (weil anschaulich Eingelebte) oft stillschweigend zum Ausdruck gebracht wird, hat die Untersuchung hier das schwierige Unterfangen zu bewältigen, das Schweigen der Gemeinschaft zum Sprechen zu bringen, durch das es erst als Gemeinschaft existiert. Auf dem Weg der Erkenntnis lauern Gefahren und es müssen Grenzen akzeptiert werden. Zunächst eine Bemerkung zu den Grenzen: Hier geht es um nichts weniger als die Einsicht, dass der Prozess der wissenschaftlichen Interpretation prinzipiell offen und unabgeschlossen bleibt (und bleiben muss). Das mag zwar in manch einem Fall – und dabei sind wir schon bei den Gefahren – zu einer Art von „interpretativem Fatalismus“ (Bergmann 1987, 6) verleiten. Hermeneutische Bemühungen werden auf ein Minimum beschränkt, und stattdessen wird bei der Interpretation auf das eigene Alltagswissen der Akteure und mithin der eigenen Intuition vertraut. Der Kern des Phänomens selbst, das mag niemand bezweifeln, bleibt dabei unangetastet. Genauso gut kann der ‚ärgerliche‘ Tatbestand der Selbstverständlichkeiten aus der vorwissenschaftlichen sozialen Welt in einem „szientifischen Befreiungsfeldzug“ (a.a.0., 4) münden. Empirische Kategorien werden mit Hilfe wissenschaftlicher Operationen zerlegt und damit
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alle vorwissenschaftlich-alltäglichen Bedeutungselemente eliminiert, mitunter das Untersuchungsobjekt selbst. Auch hier wird deutlich: Das Phänomen selbst, das es zu entschlüsseln gilt, wird in dem, was es ist und auch darstellen will, nicht ernst genommen (a.a.0., 4).11 Dies gilt auch unter umgekehrten Vorzeichen, nämlich dann, wenn das Erkenntnisinteresse „gleichsam im Kokon des Alltagswissens“ belassen wird (a.a.0, 7), wenn das alltägliche Vorwissen ohne Distanz – also nur oberflächlich – befragt wird. Denn dass das, was bekannt ist, noch lange nicht erkannt sein muss, kann zur Folge haben, dass das Phänomen unter der Hand zerrinnt, ohne etwas von seiner Bedeutung preiszugeben. Zwar verlieren Alltagsphänomene, „wenn sie zum Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis gemacht werden, schlagartig ihre Selbstverständlichkeit, doch ihre innere Bedeutungsstruktur geben sie nicht in dieser Plötzlichkeit preis“ (a.a.O., 6). Die kollektive Deutungsfigur der Gemeinschaft setzt sich, das wurde bereits ausgeführt, aus unterschiedlichen Wissensformen zusammen. Dieses Wissen ist biographisch erworben, institutionell verankert, historisch tradiert und hat sich in alltäglichen Interaktionen tausendfach bestätigt. Es weist zudem einen hohen alltäglichen Selbstverständlichkeits-Charakter aus, der sich immer wieder beglaubigt und dadurch als Ordnung erfahrbar wird. Diesem Alltagswissen und seiner ‚Selbstvergessenheit‘ auf die Spur zu kommen, etwas über dessen innere Struktur und Zusammensetzung in Erfahrung zu bringen, setzt voraus, dass auch das eigene Wissen bzw. der Vorbegriff des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin Schicht für Schicht abgetragen werden muss. Die vorausgegangene Diskussion diente der Explikation der eigenen wissenschaftlichen Voraussetzungen der Untersuchung. Die Auswahl der diskutierten Befunde und die kritischen Anmerkungen dazu markieren Bezugspunkte, die den Fundus gegenstandsbezogener Konzepte für die Interpretation des empirischen Materials darstellen. Wie die weibliche Gemeinschaft ‚existiert‘, wie durch ein Miteinander soziale Strukturen objektiviert werden und unter welchen Bedingungen es aufbricht und selbst zum Thema der Gruppe wird, ist eine empirisch offene Frage, die es in dieser Untersuchung zu klären gilt.
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Bergmann (1987, 4f.), der sich in seiner Untersuchung mit dem alltäglichen Phänomen „Klatsch“ beschäftigt, macht darauf aufmerksam, dass eine Soziologie über Alltagskommunikation ihren Gegenstand ironischerweise dann verliert, wenn sie sich rückhaltlos ihren „wissenschaftlichen“ Ambitionen unterwirft In diesem Zusammenhang verweist er auch auf die „unfreiwillige Komik ungebremster Wissenschaftlichkeit“, die dann entsteht, wenn in sozialwissenschaftlichen Arbeiten ein ungebrochen szientifischer Duktus für Alltagsphänomene verwendet wird, beispielsweise, wenn sich hinter der wissenschaftlichen Ausführung über „ein Gerät zur normgerechten, standardisierten Regelung spezifischer körperlicher Äußerungen“, schlicht das allseits bekannte „Taschentuch“ verbirgt (Krumrey 1984, 233, zitiert in Bergmann a.a.0.).
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Eine Erklärung dieser Wissensstruktur kann dabei erst der zweite Schritt sein, der bekanntlich dem ersten folgt: der konsequent empirisch-rekonstruktiven Analyse. Hier werden die alltäglichen Selbstverständlichkeiten der gelebten Praxis in den Blick genommen, ohne den Gegenstand bis in seine Unkenntlichkeit hinein zu zerlegen; zugleich gilt es, die impliziten Wissensbestände aufzuschlüsseln, ohne dem Alltagswissen dieser vorkonstruierten sozialen Wirklichkeit aufzusitzen. Die Prämisse für ein solches Gelingen ist eine Erkenntnishaltung, mit der es gelingt, den „Zweifel am Erkannten“ zu kultivieren (Soeffner 1989, 26).12
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Soeffner (1989) sieht den qualitativen Unterschied zwischen Wissenschaft und Alltag in den Erkenntnishaltungen und Erkenntnisstilen sowie in den ihnen jeweils zugeordneten ‚organisatorischen settings‘. Während der „kognitive Stil der Praxis“, des Alltags also, auf die Sicherung des Erkannten zielt und es hier gilt, den Zweifel zu minimieren, legitimiert sich der analytischrekonstruktive Stil der Wissenschaft durch den „Zweifel am Erkannten und Entfaltung des Erkennbaren“ (a.a.0., 26; Herv. i. O.)
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Untersuchungsansatz und Forschungsprozess
I Untersuchungsansatz und Forschungsprozess
Die dokumentarische Methode, 1922 von Karl Mannheim als zentraler Begriff seiner Wissenssoziologie geprägt und erkenntnistheoretisch begründet, bildet den grundlagentheoretischen Rahmen, mit dessen Hilfe der empirische Zugriff auf und ein erklärendes Verstehen von kollektiven Phänomenen gelingt. Mit dem Konzept des „konjunktiven Erfahrungsraums“ (Mannheim 1980, 216) wird eine von der konkreten Gruppe gelöste Kollektivität grundlagentheoretisch gefasst. Es verbindet diejenigen, die an Wissens- und Bedeutungsstrukturen teilhaben, welche in einem bestimmten Erfahrungsraum gegeben sind. Das Interesse dieser Empirie gilt somit einem Phänomen, das auf der Ebene der Handlungspraxis und Symbolik zum Ausdruck kommt, gleichzeitig aber über deren situative Merkmale hinausreicht und die Handlungspraxis der Akteure kontextspezifisch zu erklären vermag. In einem ersten Teilabschnitt dieses Kapitels (Pkt. 1) werden zentrale Begriffe und grundlagentheoretische Überlegungen der Wissenssoziologie von Karl Mannheim vorgestellt. Diese erweisen sich für das Erkenntnisinteresse der Untersuchung über ‚weibliche Zusammenschlüsse‘ als instruktiv, weil mit der dokumentarischen Methode ein Modell von Kollektivität für die Analyse von (Gruppen)Gesprächen vorliegt, das sich von einem als fremdbestimmt und als von außen an die Subjekte herangetragenen (‚exterior‘) konzeptualisierten Begriff des Kollektiven grundlegend unterscheidet. Sodann wird in einem weiteren Teilabschnitt (Pkt. 2) das methodische Verfahren vorgestellt, wie es in dieser Untersuchung verwendet wird, nämlich Gruppendiskussionen. Mit der Methode des Gruppendiskussionsverfahrens, wie es Ralf Bohnsack (2000) in der Mitte der 80er Jahre im Rekurs auf wissenssoziologische Überlegungen Karl Mannheims zu einem forschungspraktisch und methodologisch fundierten Auswertungsverfahren der qualitativen Sozialforschung entwickelt hat, gelingt es, prozesshafte Abläufe von Kommunikationen in den Blick zu nehmen, in denen sich Muster dokumentieren, die auf kollektiv geteilte Erfahrungshintergründe verweisen: auf gemeinsame biographische und kollektivbiographische Erfahrungen, die sich u.a. auch in milieuspezifischen Gemeinsamkeiten niederschlagen und in Form kollektiver Orientierungsmuster artikuliert werden. Mit der dokumentarischen Methode der Interpretation (Mann-
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heim/Bohnsack) werden die empirischen Daten als Dokumente für die kollektiven Wissensgehalte eingefangen und ausgewertet. Der Forschungsprozess – und somit auch die Auswahl des Samples – stützt sich auf komparative Analysen. Am gezielten Fallvergleich lassen sich generelle Orientierungsmuster identifizieren, die an einen spezifischen Erfahrungsraum gebunden sind, innerhalb dessen die Genese einer Orientierung, eines Habitus zu suchen ist (Pkt. 3). In der Interpretation der Diskussionen von Realgruppen lässt sich empirisch rekonstruieren, auf Grund welcher Gemeinsamkeiten sie sich konstituieren (bzw. sie weiter bestehen, oder wo Spaltungen verlaufen). Das heißt, Orientierungen werden nicht isoliert als solche interpretiert, sondern in Bezug auf den jeweiligen dimensionenspezifischen Erlebnishintergrund. Ziel des Abschnitts über den Forschungsprozess ist, den Feldzugang sowie die Leitung und Initiierung einer Gruppendiskussion zu beschreiben. Danach wird die Auswahl des Samples skizziert, wie es sich im Laufe der Untersuchung sukzessive erweitert hat. Zugleich soll deutlich werden, dass die Auswahl der Gruppen nicht a priori auf Grund der Erhebung von Sozialdaten stattfand, sondern im Zuge der Interpretation und der komparativen Analyse erfolgte.
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Die Dokumentarische Methode: Zentrale Begriffe und grundlagentheoretische Überlegungen 1 Die Dokumentarische Methode 1.1 Atheoretisches Wissen und konjunktive Erfahrung Verstehen wird von Mannheim (1980) grundlegend als ein „Eindringen in einen gemeinschaftlich gebundenen Erfahrungsraum, in dessen Sinngebilde und deren existenziellen Unterlagen“ verstanden (a.a.O., 272). Ein Zugang zum Verständnis fremder Erfahrungsräume ist in diesem Sinne zunächst an die Existenz einer Handlungspraxis gebunden, da in dieser der erlebnismäßige Kontext, der Erfahrungsraum, zu suchen ist. Zugleich ist das (Fremd-)Verstehen nur über den Nachvollzug einer solchen Handlungspraxis zu erreichen. Mannheim verdeutlicht eine solche Handlungspraxis am Beispiel einer Zeremonie (a.a.O., 250f.), deren Existenz nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass es eine Vorstellung über sie gibt („dass man sie denkt“); vielmehr lebt die Zeremonie – wie im Übrigen alle übersubjektiven Gebilde auch – nur in jener Form, wie sie durch Individuen aktualisiert wird. Die Zeremonie als ein „daseiendes Gebilde“ in ihrer Zeit ist etwas anderes als der Begriff, den sich die Erfahrungsgemeinschaft davon bildet. Die Zeremonie ist eine Form der Gemeinschaft, die nicht auf einer „reflexiven Stufe des Begriffes“ (a.a.O., 248) basiert; vielmehr lebt man eine Zeremonie, indem man in den Beziehungen steht, die eine Zeremonie zum Leben erweckt.
1 Die Dokumentarische Methode
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In Mannheims Worten „erfassen wir (...) beim Verstehen der geistigen Realitäten, die zu einem bestimmten Erfahrungsraum gehören, die besonders existenziell gebundenen Perspektiven nur, wenn wir uns den hinter ihnen stehenden Erlebniszusammenhang irgendwie erarbeiten“ (a.a.O., 272). Damit wird die von Mannheim vorgenommene Unterscheidung zwischen dem Verstehen als einer Art intuitiven Nachvollzug einer Handlungspraxis und der Interpretation als einer „begrifflich-theoretischen Explikation“ des Herstellungsprozesses relevant. Das (intuitive) Verstehen erläutert Mannheim am einfachen Beispiel eines Knotens. Um das Phänomen ‚Knoten‘ zu verstehen, gebraucht man eine Form des Wissens, die Mannheim „atheoretisches Wissen“ nennt (a.a.O., 73). Atheoretisch ist dieses Wissen, weil wir in unserer Handlungspraxis darüber verfügen, ohne dass wir es alltagstheoretisch explizieren müssen. Jemand, der einen Knoten knüpft, ist intuitiv in die Handlungsvollzüge involviert. Das atheoretische Wissen gehört insofern zu unserem „habituellen Handeln“ (Bohnsack et al. 1995, 11), da es in den Routinen der Alltagspraxis eingelagert ist, ohne dass sich, wie in den zweckrationalen Handlungsmodellen erforderlich, ein theoretisch explizites, sogleich in Form von Sprechakten formulierbares Motiv angeben ließe. Im Unterschied dazu ist dem ‚Interpretieren‘ eigen, dass wir „den Gegenstand des habituellen Handelns und damit unser atheoretisches Wissen in alltagstheoretische Begrifflichkeiten überführen“ (Nohl 2006, 10). Wo Menschen gezwungen sind, ‚Außenstehenden‘ habituelles Handeln zu erklären (wenn wir z.B. einem Kind erklären, wie ein Knoten funktioniert), wird intuitives (atheoretisches) Wissen in alltagstheoretische Begrifflichkeiten übersetzt – auch wenn, wie am Beispiel des ‚Knotens‘ bzw. des Knotenbindens leicht ersichtlich, die sprachliche Fixierung ein schwieriges Unterfangen und somit ein nicht unwesentlicher Interpretationsaufwand vonnöten ist. Atheoretisches Wissen erwächst aus einer „konjunktiven“ Erfahrung (Mannheim 1980, 216), die man mit anderen über eine gleichartige Handlungspraxis und Erfahrung teilt, ohne dass es alltagstheoretisch übersetzt bzw. auf den Punkt gebracht und expliziert werden muss.13 Die empirische Rekonstruktion von Erfahrungen und Orientierungen ist auf dieses atheoretische Wissen und auf den ‚hinter‘ den Bedeutungen stehenden Erlebnisraum verwiesen, das „eng mit der spezifischen Praxis von Menschen in ihren Biographien und in ihren Milieus verknüpft ist“ (Nohl 2006, 11). Gerade im Bereich des Atheoretischen dokumentiert sich das Unmittelbare der Alltagspraxis. In diesem Kontext soll noch auf die Unterscheidung von konjunktiver Erfahrungsgemeinschaft und konjunktivem Erfahrungsraum hingewiesen werden. Während erstere, also die „konjunktive Erfahrungsgemeinschaft“ (1980, 215) an die „Kontinuierlichkeit der unmittelba13
Andere Theorietraditionen sprechen hier vom „impliziten Wissen“ (Polanyi 1985) oder dem „praktischen Sinn“ (Bourdieu 1982).
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ren Berührung“ gebunden ist (a.a.O.), also daran, dass die Mitglieder einer Kollektivität relevante biographische Strecken gemeinsam verbracht haben, abstrahiert das Konzept des konjunktiven Erfahrungsraumes von dieser Notwendigkeit: Es geht hier nicht mehr um das gemeinsame Erleben derselben, sondern vielmehr um eine strukturidentische Handlungspraxis.
1.2 Immanenter und dokumentarischer Sinn Für die Frage, wie nun jene kollektiven Orientierungen, die sich über habituelles Handelns und atheoretisches Wissen artikulieren, empirisch rekonstruiert werden können, wird die Unterscheidung von zwei Sinnebenen zentral: nämlich die der immanenten und die der dokumentarischen Sinnebene. Als immanent sind bei Mannheim Sinngehalte zu verstehen, die sich auf die Richtigkeit – und zwar unabhängig von ihrem Entstehungszusammenhang – überprüfen lassen.14 Sie basieren auf wechselseitigen Motivunterstellungen, die gesellschaftlich institutionalisiert und insofern ‚objektiviert‘ sind sowie explizit zum Ausdruck gebracht werden (Bohnsack 2000, 68). Ein philosophisches System kann z.B. aus einem anderen philosophischen System heraus verstanden und aus dieser Perspektive seine Richtigkeit und Gültigkeit beleuchtet und überprüft werden. Beim dokumentarischen Sinngehalt hingegen wird die geschilderte Erfahrung als Dokument einer Orientierung rekonstruiert, die die geschilderte Erfahrung strukturiert. Der Dokumentsinn verweist somit auf die Herstellungsweise und den Erfahrungszusammenhang oder, wie es Bohnsack formuliert, auf den „modus operandi“ einer Schilderung (2003, 255). Mannheim arbeit heraus, dass jedes Kulturprodukt, sei es geistiger oder gegenständlicher bzw. bildhafter Beschaffenheit, eben nicht nur allgemein verstanden werden kann, sondern auch im Hinblick auf den Erlebniszusammenhang, aus welchem es entstanden ist, als dessen Resultat es vorliegt (vgl. Przyborski 2004). Der Erlebniszusammenhang oder, wie es bei Mannheim auch heißt, der konjunktive Erfahrungsraum (1980, 216) fasst das menschliche Miteinander, das sich im Medium des Selbstverständlichen in der gelebten Praxis fraglos vollzieht. Zugleich ist das Wissen, das in dieser Praxis angeeignet wird und diese zugleich orientiert, ein präreflexives, bzw. ein „atheoretisches „Wissen“ (Mannheim 1964, 100). Eine (Gemeinschafts-)Handlung erhält im atheoretischen, im praktischen Vollzug ihre Bedeutung durch die Reaktion auf sie. Kollektives Handeln und 14
Innerhalb des immanenten Sinngehalts ist noch einmal zu unterscheiden zwischen dem subjektiv gemeinten „intentionalen Ausdrucksinn“ und dem „Objektsinn“ (Mannheim 1964). Bei ersterem handelt es sich um die Motive und Absichten der Handelnden, beim Objektsinn um die allgemeine Bedeutung eines Textinhalts oder einer Handlung.
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Kollektivvorstellungen sind aber nicht nur Ausdruck der Gemeinschaft, aus der sie entstanden sind, sondern sie beziehen sich auch auf „die Dinge der Innenund Außenwelt, mit denen die Gemeinschaft in Berührung kommt“ (Mannheim 1980, 237). Er selbst erläutert diese Art der Kollektivität am Beispiel von Riten, Kult und magischen Handlungen (a.a.O., 229f.). Die Handlungsvollzüge sind hier streng gegliedert und durch eine gewisse Regelhaftigkeit gekennzeichnet. Nur der- oder diejenige vermag in diese Welt einzudringen, der oder die an ihr teilhat. Das Wissen um die Gesamtgestalt ist nicht für alle durchdringbar und muss auch nicht von jedem/jeder Einzelnen umfassend gewusst werden, denn es verteilt sich auf mehrere Individuen und gelingt durch ihr Zusammenspiel. Das notwendige Wissen, um dazuzugehören – und darauf kommt es an – ist in die Handlungspraxis eingelassen, besteht mithin im Mitmachen-Können und muss nicht reflexiv verfügbar sein. In diesem Sinne ist das atheoretische Wissen auch und ganz wesentlich ein ‚ver-körpertes‘ Wissen, das durch körperlich-habituellen Nachvollzug angeeignet und vollzogen wird. Es fasst menschliches Handeln, das sich alltäglich innerhalb konjunktiver Erfahrungsräume vollzieht, ohne dass sich dafür ein theoretisch-explizites, in Form von Sprechakten formulierbares Motiv angeben ließe. In allen sinnhaften Gebilden bzw. Kulturgebilden oder „geistigen Objektivationen“, wie es bei Mannheim heißt (1980, 93), lässt sich auf eine Sinnebene abheben, die sich als Resultat eines Erlebniszusammenhangs ergibt. Für die Erfahrungsgemeinschaft mag ein Berg zum „Zaubergarten“ (a.a.O., 231) oder zur Landschaft werden, je nachdem wie die sich auf ihn beziehenden Kollektivvorstellungen sich verändern. Aus einem gemeinsamen praktischen Vollzug ergeben sich konjunktive, d.h. selbstverständliche gemeinsame Bedeutungen, die sich nicht einfach aus ihrem praktischen Vollzug herauslösen lassen. Auch was die Sprache oder die Rolle des Begriffes im konjunktiven Erfahrungsraum betrifft, so kann zwischen einer immanenten und einer dokumentarischen Sinnebene unterschieden werden, denn, so Mannheim, Begriffe sind auch Teilfunktion eines Gesamtprozesses des „existenziell verankerten Denkens“ (a.a.O., S. 217). Ihre Bedeutung ist nur zu verstehen, wenn man auch ihre „funktionelle Verankerung“ betrachtet (a.a.O., 217). Mannheim wendet sich hier gegen das utopische Ideal der ‚überzeitlichen‘ Begriffsbildung (wie es z.B. für die Wissenschaften gilt), die darauf zielt, eine Begriffsebene zu schaffen, in der jeder Begriff ein für allemal definiert werden könnte. Demgegenüber gibt es eine andere Begriffsbildung, die in der Erkenntnisgemeinschaft verankert ist und so nur von ihr verstanden werden kann. Kosenamen oder Wortbildungen, die der Kindersprache eigen sind, beinhalten beispielsweise eine konjunktiv bedingte Bedeutung, die nur diejenigen verstehen, die denselben Erlebnisraum teilen. Dass „ein Wort in brennender Funktion eine ganz andere Bedeutung aufweist als das-
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selbe Wort als Allgemeinbegriff“ (a.a.O., 218) exemplifiziert Mannheim auch an Revolutionsreden, die, wie er schreibt, während ihres praktischen Vollzugs die Gemüter erregten und „gedruckt gelesen (...) oft als nichtssagend und unbedeutend erscheinen“ (a.a.O., 219). Beim Lesen der Rede richtet sich die Konzentration auf die eher allgemeine Bedeutung der Worte. Sie wird nicht mehr wirklich verstanden, „weil wir nachträglich kaum mehr restlos in die konjunktive Erfahrungsgemeinschaft einzudringen imstande sind und den spezifischen Funktionalitätsbezug der Wortzusammenhänge nicht mehr adäquat zu erfassen vermögen“ (a.a.O., 219). Bei der nachträglichen Lektüre einer solchen Rede fehlt diese einmalige Bezogenheit, wie sie zum Zeitpunkt der Versammlung lebendig war. Dies heißt auch, dass der Sinn einer Rede nur erschlossen werden kann, wenn sie rückverankert wird in jenen „existenziellen Bezug, aus dem und für den sie entsprungen ist“ (a.a.O., 219). Die Methodologie der dokumentarischen Methode wird den unterschiedlichen Sinnebenen insofern gerecht, indem sie die Ebene der zugänglichen Allgemeinbedeutung eines Begriffs (immanenter Sinngehalt) von der ‚Verbegrifflichung‘ unterscheidet, die nur über den Rückbezug in ihren Erlebnis- und Erfahrungszusammenhang erfasst werden kann (dokumentarischer Sinngehalt). Der Austausch derer, die über einen gemeinsamen Erfahrungsraum, z.B. über eine gemeinsame Gruppengeschichte, verfügen, ist ein wechselseitiges Verstehen im Medium des Selbstverständlichen (vgl. dazu auch Gurwitsch (1976). „Die Allgemeinbedeutung tritt hinter die konjunktive Bedeutung zurück: Man erklärt einander nicht mehr, sondern versteht einander“ (Przyborski 2004, 27, Herv. i. O.). Nicht nur an der Sprache als kulturellem Produkt, sondern auch an der je konkreten Verständigung selbst lassen sich ein (eher) konjunktiver und ein (eher) kommunikativer Sinngehalt unterscheiden. Die beiden Arten der Verständigung variieren dadurch, wie miteinander geredet wird. Durch die Gestaltung der Sprache, also in dem, „wie wir etwas ansprechen, mit welcher Intonation, welchem Rhythmus usw., betten wir es in den jeweiligen Kontext ein“ (Przyborski 2004, 27). Diese wechselseitige Bezugnahme aufeinander, „die ihren Ausdruck nicht allein in der Dichte der Interaktion, sondern auch in einer zunehmenden Verdichtung des Bedeutungsgehaltes finden kann, vollzieht sich umso mehr, je mehr der Diskurs durch gemeinsames Erleben, durch gemeinsame Sozialisation, durch einen gemeinsamen sozialen Hintergrund getragen ist“ (Bohnsack 2000, 46). Je konjunktiver die Verständigung ist, so formuliert es Przyborski, desto stärker werden die Bedeutungen durch die „Gestaltungsebenen mitgetragen“ (2004, 27). Beruht die Verständigung auf Kommunikation, so liegt das Gewicht der Bedeutung stärker auf den einzelnen Worten und weniger auf der Ebene der Gestaltung. Die Rekonstruktion der verschiednen Sinnebenen über die Art und Weise
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des Diskurses führt also direkt in das Erlebnis-Zentrum der Gemeinschaft. Zentrale Textsorten sind neben Erzählungen und Beschreibungen die Art und Weise, wie Themen in einer wechselseitigen Bezugnahme aufeinander hervorgebracht werden. Dazu zählen u.a. Kontextualisierungshinweise, die einen empirischen Weg zum „Gedächtnis des Sozialen“ (Wulf et. al. 2001, zit. in Przyborski a.a.0.) eröffnen. Bei der dokumentarischen Interpretation geht es also darum, die Explikation jener Bedeutungsgehalte darzustellen, die bei der konjunktiven Verständigung unmittelbar verstanden wird. Dies geschieht auf der Grundlage von je milieuspezifischen kollektiven bzw. konjunktiven Erfahrungen. ‚Atheoretisch‘ ist dieses Wissen, weil wir in unserer Handlungspraxis darüber verfügen, ohne dass wir es alltagstheoretisch auf den Punkt bringen und explizieren müssen. Erst durch Situationen, wo der Zwang besteht, Außenstehenden etwas zu erklären, werden der Gegenstand des habituellen Handelns und damit das atheoretische Wissen in alltagstheoretische Begrifflichkeiten ausgedrückt bzw. darin übersetzt. Als ‚eigenes‘ Forschungsbeispiel kann hier auch auf das Wohltätigkeits-Engagement der Club-Frauen verwiesen werden, die in dieser Untersuchung das Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht repräsentieren. Erst in der Gesprächssituation sehen sich die Frauen ‚gezwungen‘, ihr ehrenamtliches Engagement begrifflich-theoretisch zu explizieren, also in einen Zusammenhang mit ihrem gesellschaftlichen Standort bzw. mit ihrer Zugehörigkeit zur ‚guten Gesellschaft‘ zu bringen. Die Verständigung der Frauen darüber ist weniger explizit, sondern speist sich aus dem gemeinsamen Bedürfnis nach Distinktion, das wiederum implizit über das gemeinsame Verantwortungsbewusstsein der Frauen gegenüber denjenigen zum Ausdruck gebracht wird, die über weniger soziale, finanzielle und kulturelle Ressourcen verfügen. Das atheoretische (konjunktive) Wissen über ihr ‚EliteBewusstsein‘ verbindet die Frauen im Medium des Selbstverständlichen, beruht es doch auf einer gleichartigen Handlungspraxis und Erfahrung. Im Kontext der Gruppendiskussion waren die Frauen vor den Wissenschaftlerinnen gezwungen, den Bedeutungs-Sinn ihres Handelns zu erläutern. Zugleich bringt der ‚verdichtete Diskurs‘ den gemeinsamen Erlebnisraum zum Ausdruck, den die Gemeinschaft im Hinblick auf soziales Engagement mit elitärem Verantwortungsbewusstsein zum Ausdruck bringt.
1.3 Konjunktive Erfahrung und Milieu Das Milieu ist der soziale Ort der Konjunktion. In ihm machen, so Mannheim, Menschen Erfahrungen und betrachten die „Dinge der Innen- und Außenwelt“ (1980, 237) gemeinsam oder auf gleichartige Weise. Der Individualität des Ein-
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zelnen ist das Milieu vorgängig, denn der Einzelne ist in die Perspektive seines Milieus derart eingebettet, dass er die „Dinge seines Erlebnishorizontes nur soweit erfasst, als sie in die Kollektivbedeutsamkeiten eingehen“ (a.a.O., 237). Er wird in einen bestehenden (wenn auch sich stets verändernden) Raum konjunktiver Erfahrungen hineinsozialisiert und kann erst auf der Basis dieser kollektiven Einbettung seine Individualität entfalten. Jedes Milieu bringt kollektive Erfahrungen und Erlebnisse hervor, die in einer Sozialisationsgeschichte und kollektiven Biographie strukturiert sind. Der Habitus einer Gruppe wird beispielsweise in den Homologien der Sozialisationsgeschichte und konjunktiven Erfahrung ihrer Mitglieder strukturiert. Im Unterschied zum Habituskonzept, wie es Bourdieu (1982) versteht, ist die Soziogenese des Habitus in der strikt interpretativwissenssoziologischen Analyse von Habitusformen nicht in den Kapitalkonfigurationen zu suchen, die jenseits der Erlebniswelt ihrer Träger erhoben wird; vielmehr sind die Konstitutionsbedingungen des Habitus, so Bohnsack (1993, 50), in der „je unterschiedlichen milieuspezifischen Erlebnisschichtung“ der Akteure verankert und dort zu rekonstruieren.15 Milieus im Sinne der raum-zeitlichen Konjunktion können auf gruppenhaften Lebensformen und einer gemeinsamen Gruppengeschichte fußen. Dies ist jedoch nicht zwingend notwendig, denn sog. Realgruppen, also Gruppen, die über eine gemeinsame Interaktionsgeschichte verfügen, sind nicht der einzige soziale Zusammenhang für die Genese gemeinsamer handlungsleitender Orientierungen, wohl aber der Ort, an dem gemeinsame und strukturidentische Erfahrungen besonders eindrücklich artikuliert werden. Die Realgruppe, so Bohnsack (1999, 71), ist „nicht der soziale Ort der Genese, sondern derjenige der Artikulation und Objektivation (…) kollektiver Erlebnisaufschichtung“. Insofern ist die hier vorgestellte Untersuchung über ‚weibliche Zusammenschlüsse‘ auch Milieuanalyse, obwohl sie vordergründig verschiedene Gruppen zum Gegenstand hat. Mit der Differenz von Milieu und Gruppe wird auch der Unterschied zum Begriff „Gemeinschaft“ deutlich, wie ihn Tönnies (1926) fasst. Die Gemeinschaft ist an die Tradition der Gruppe und ihre unmittelbaren Beziehungen und Erfahrungen gebunden. Im Unterschied dazu basiert ein Milieu nicht auf gemeinsamen, sondern auf gleichartigen, d.h. strukturidentischen bzw. homologen Erfahrungsschichtungen. Die Ergebnisse der hier vorliegenden Studie können zeigen, dass solche homologe Erfahrungen auch höchst ambivalent sein können, denn gerade bei den Gruppen des Bildungsmilieus erweisen sich Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit sowohl als einheitsstiftende Erfahrung (der eigenen Genusgruppe gegenüber) als auch als Aspekt ihrer Erfahrung der Differenz (Männern gegenüber). 15
Vgl. dazu auch Matthiesen 1989, Meuser 2001
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Insgesamt erweist sich das methodologisch-theoretischen Begriffsinstrumentarium der Mannheimschen Wissenssoziologie für die Untersuchung über ‚Weibliche Gemeinschaften‘ als instruktiv, weil damit nicht nur das reflexive, sondern auch das handlungsleitende Wissen und damit die Handlungspraxis der Akteure erfasst werden können. Zugleich bleibt der wissenschaftliche Beobachter bzw. die wissenschaftliche Beobachterin dem Wissen der Akteure als empirischem Ausgangspunkt verpflichtet, „ohne an den subjektiven Intentionen und Common-Sense-Theorien gebunden zu bleiben (Bohnsack et.al. 2001, 12). Wichtig für das Forschungsanliegen scheint mir aber vor allem zu sein, dass sich die Kollektivvorstellungen aus einem praktischen Vollzug ergeben und verändern, weil sich der gemeinsame Bedeutungs-Sinn rückgebunden an den Kontext der Entstehung verstehen lässt. Für die hier vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass die (habitualisierte) Praxis der weiblichen Gemeinschaft nur erschlossen werden kann, wenn sie rückverankert wird in jenen ‚existenziellen Bezug‘, aus dem sie für ihre Teilnehmerinnen entstanden ist.
2 Gruppendiskussionen und Interpretation 2 Gruppendiskussionen und Interpretation Die Forschungsfrage nach zentralen Orientierungsmustern in geschlechtshomogenen weiblichen Zusammenschlüssen ist an ein Verfahren gebunden, das einerseits weitgehend offen sein soll in Bezug auf die Datengenerierung, andererseits geeignet erscheint, kollektiv geteilte Sinngehalte zu erfassen. Das Gruppendiskussionsverfahren, wie es von Ralf Bohnsack in der Auseinandersetzung mit den grundlagentheoretischen Überlegungen von Karl Mannheim (1964, 1980) und in der Auseinandersetzung mit den Überlegungen von Werner Mangold (1960) entwickelt wurde, ist für die Forschungsfrage nach kollektiven Orientierungen die Methode der Wahl, weil sie die interaktive Artikulation gemeinsamer Erfahrungs- und Wissensbestände aktiviert, ohne die Forschungsteilnehmerinnen vorab in eine thematische Struktur zu zwingen. Das Gruppendiskussionsverfahren wurde an anderer Stelle detailliert und ausgiebig beschrieben (Bohnsack 2000; Loos/Schäffer 2001; Nohl, 2006). Von daher werden die Interpretationsschritte von Gruppendiskussionen (formulierende Interpretation, reflektierende Interpretation, komparative Analyse und Typenbildung) lediglich im Überblick skizziert. Sodann wird der eigene Forschungsprozess nachgezeichnet: der Feldzugang und die Auswahl der Gruppen (Auswahl des Samples). Sowohl was die Auswertungsschritte als auch was den Forschungsprozess betrifft, lege ich Wert darauf, die allgemeinen Ausführungen rekursiv, d.h. rückgebunden an eigene Forschungserfahrungen darzustellen.
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2.1 Die Auswertungsschritte der dokumentarischen Interpretation Die alltägliche Praxis der Interpretation fremder Milieus unterscheidet sich von der wissenschaftlichen Interpretation hinsichtlich ihrer Analyseeinstellung. So wie im Alltag die Frage nach dem Gehalt eines Phänomens und nach der Gültigkeit einer Aussage gestellt wird, sucht die wissenschaftliche Interpretation zu klären, wie bestimmte Phänomene bzw. Wirklichkeiten sozial hergestellt werden. Diese „prozessrekonstruktive“ Analyseeinstellung (Bohnsack 2000, 66) impliziert eine analytische Distanz gegenüber den Selbst- und Fremdbeschreibungen der Forschungssubjekte. Sie zielt auf die Interpretation der Soziogenese von Wirklichkeit und bedeutet damit zugleich immer auch eine „Einklammerung des Geltungscharakters“, wie es Mannheim (1980, 88)bezeichnet hat. Fragen nach der Gültigkeit bzw. dem Wahrheitsgehalt sind zugunsten von Fragen nach der Entstehung von Wirklichkeit zurückzustellen. Für das eigene Forschungsanliegen über weibliche Zusammenschlüsse und deren Erfahrungen, Wissensrepertoires und Deutungen im Hinblick auf Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit bedeutet dies, dass die Standortgebundenheit des Wissens beide, die untersuchten Frauengruppen wie auch die Wissenschaftlerinnen, betrifft. Damit wird zugleich deutlich: Mit der Interpretation wird nicht beabsichtigt, zu einer latenten Ebene vorzudringen, die (auch) den Beforschten prinzipiell verschlossen bleibt. Vielmehr gilt das Erkenntnisinteresse dem, was sich in den Texten dokumentiert, was für die Befragen nicht oder schwer formulierbar, aber eben erfahrbar ist. Nicht oder schwer formulierbar ist es, weil die befragten Frauen(gruppen) in spezifischer Weise in die Situation ihrer Erfahrungen und Deutungen eingebunden sind, die die wissenschaftliche Beobachterin von ihrem Standort aus distanziert(er) betrachten (kann). Der Anspruch, mit dem common sense thematischer Gehalte (also dem Was gesellschaftlicher Realität) zu brechen, setzt einen Wechsel der Analyseeinstellung voraus: „Es ist dies der Wechsel von der Frage, was die gesellschaftliche Realität in der Perspektive der Akteure ist, zur Frage danach, wie diese in der Praxis hergestellt wird“ (Bohnsack et.al. 2001, 12; Herv. i. O.). Gefragt wird also nach dem „modus operandi“, einem dieser Praxis zugrunde liegenden „Habitus“ (a.a.O.). Die empirische Einlösung dieses konstruktivistischen Paradigmas gelingt mit der dokumentarischen Methode, indem zwei Interpretationsebenen bei der Auswertung unterschieden werden: die Ebene der formulierenden und die der reflektierenden Interpretation. Diese beiden Arbeitsschritte, die im Folgenden kurz skizziert werden, begründen sich aus der methodologischen Differenz von kommunikativ-generalisierendem, also dem immanenten Sinngehalt zum einen und dem konjunktiven oder dokumentarischen Sinngehalt zum anderen.
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formulierende Interpretation – Der erste Auswertungsschritt, die formulierende Interpretation, besteht darin, sich zunächst einen Überblick über den Verlauf einer Diskussion zu verschaffen. Die Interpretation wird durch folgende Fragen geleitet: ‚Welche Themen werden angesprochen?‘ ‚Wer führt die Themen jeweils ein?‘ Dieses Vorgehen lässt sich in verschiedener Ausführlichkeit vollziehen: Die ausführlichste Möglichkeit wäre eine Feingliederung der gesamten Gruppendiskussion mit entsprechenden Inhaltsangaben, eine weitere Möglichkeit besteht darin, lediglich zentrale Passagen einer thematischen Feingliederung zu unterziehen. Die einfachste Möglichkeit begnügt sich mit einer möglichst detaillierten Feingliederung der angesprochenen Themen. Im Verlauf der eigenen Untersuchung habe ich mich von der ersten auf die reduzierte Variante zu bewegt. Die thematische Feingliederung umfasst Überschriften und eine Paraphrasierung der thematischen Gehalte. Auch bei diesem Arbeitsschritt handelt es sich bereits um eine (erste) Interpretation, denn die Wiedergabe des Textes erfolgt mit Formulierungen und Begriffen, die im Text so nicht verwendet werden. Die milieugebundene Sprache der Erforschten wird in die milieugebundene Sprache der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen übersetzt. Eine vollständige Transkription ist die Voraussetzung für eine derartige Textarbeit. Die Analyseeinstellung auf der Ebene der formulierenden Interpretation setzt eine Enthaltsamkeit der Geltungsansprüche des Textes voraus und ist auf das gerichtet, was als immanenter Sinngehalt bezeichnet wird. Dieser ist, das wurde bereits beschrieben, mittelbar gegeben und direkt zu erfassen. Man benötigt für eine formulierende Interpretation weder Kenntnis über die Intentionen der an dieser Situation Beteiligten noch Informationen über die jeweiligen Kontextbedingungen. Vielmehr geht es darum, das, was von den Akteuren im Forschungsfeld bereits selbst interpretiert bzw. begrifflich expliziert wurde, zusammenfassend zu formulieren, um danach in der reflektierenden Interpretation (s.u.) die impliziten Selbstverständlichkeiten des Wissens der Akteure in ihrem Erfahrungsraum herauszuarbeiten. reflektierende Interpretation – Im zweiten Schritt, der reflektierenden Interpretation, werden in kleinen Sequenzen die Diskursorganisation, der Diskursverlauf sowie der übergreifende (Orientierungs-)Rahmen der einzelnen Gruppen rekonstruiert. Zunächst werden die Passagen, die einer reflektierenden Interpretation unterzogen werden, nach folgenden drei Kriterien (vgl. Bohnsack 2000, 150) ausgewählt: erstens nach der thematischen Relevanz für die Forschungsfrage. In der hier vorliegenden Untersuchung ist dies die spezifische Bedeutung von und die Bezugnahme auf Geschlecht- und Geschlechtszugehörigkeit in der weiblichen Gemeinschaft. Zweitens, die interaktive und metaphorische Dichte einer Passa-
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ge, weil dies ein Indiz für die hohe Relevanz ist, die das behandelte Thema für die Gruppe selbst besitzt. Drittens die thematische Vergleichbarkeit der Passagen hinsichtlich der zu erarbeitenden komparativen Analyse. Neben thematisch ähnlich gelagerten Passagen wurde stets die Eingangspassage, also diejenige Textpassage, die der Einstiegsfrage folgt, interpretiert, um so die Rahmung des Themas nach der Eröffnung der Diskussion vergleichen zu können. Die Analyseeinstellung bei der reflektierenden Interpretation ist auf den dokumentarischen Sinngehalt hin ausgerichtet, also auf das, „was sich in dem, wie etwas gesagt wird, über den dahinter stehenden konjunktiven Erfahrungsraum, die kollektive Handlungspraxis dokumentiert“ (Loos/Schäffer 2001, 63; Herv. i.O.) Es handelt sich dabei um eine Art von Sozialität und Interaktion, die eng mit dem Erleben verknüpft ist und auf einer gemeinsam geteilten Erfahrung, der Praxis, beruht. Fragen wie ‚Was zeigt sich hier über den Fall?‘, ‚Welche Abgrenzungen sind in den Äußerungen impliziert?‘ oder ‚Gibt es ein Prinzip, das unterschiedliche Äußerungen als Ausdruck desselben zugrunde liegenden Sinns verständlich macht?‘ leiten die Interpretation (Przyborski 2004, 55). Ziel der reflektierenden Interpretation ist die Rekonstruktion von Orientierungen und Habitus. Orientierungen, die die Gruppe entwickelt, lassen sich auf zugrunde liegende geteilte Erfahrungen, Praktiken oder auch Problemlagen beziehen. Sie sind Sinnmuster, die unterschiedliche Handlungen hervorbringen und strukturieren und sich in homologer Weise in unterschiedlichen Handlungen reproduzieren. Als grundlegend betrachtet Bohnsack (2000) geschlechts-, generations-, milieu- und entwicklungstypische Erfahrungsräume, denen sich entsprechende übereinander gelagerte Orientierungsfiguren zuordnen lassen. Eine Orientierungsfigur steht meist im Zentrum des Diskurses. In der vorliegenden Studie richtete sich mein Hauptaugenmerk auf milieutypische und am Rande auch auf generations- und entwicklungsphasen-spezifische Erfahrungsräume. Die Orientierungsmuster konturieren sich durch negative und positive Gegenhorizonte oder anders gewendet: Die Gruppen arbeiten sich selbst an (negativen oder positiven) Modellen, Bildern oder Figuren ab und entwickeln in der Auseinandersetzung damit implizit eigene Standards und eigene Orientierungen. Forschungspraktisch gelingt das Herausarbeiten von Orientierungsfiguren über den Weg der Sequenzanalyse, genauer: in einer konsequent vergleichenden Sequenzanalyse. Was heißt das? Zunächst einmal bedeutet dies, wie beispielsweise in der Objektiven Hermeneutik auch, eine schrittweise interpretative Abarbeitung der Ausgangsdaten (vgl. Oevermann et al. 1976, Reichertz 2000). Zudem gilt, dass sich die fallspezifische Besonderheit nur vor der Kontrastfolie möglicher Anschlussmöglichkeiten zeigt. Allerdings geht die Sequenzanalyse der dokumentarischen Methode davon aus, dass die Kenntnis dieser Regelhaftig-
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keit in den konjunktiven Wissensbeständen der Untersuchten bereits angesiedelt ist. Mögliche Anschlussäußerungen an einen ersten Erzählabschnitt sind den erforschten Personen in atheoretischer, habitualisierter Form verfügbar – und zwar intuitiv. Aufgabe der Interpretation ist es, dieses Verständnis, auf dem das Wissen der Unersuchten ruht, zu explizieren. Für das eigene Forschungsvorhaben stellte sich auf dieser Ebene der Interpretation die Frage, ob das Verständnis und die Erfahrungen im Hinblick auf Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit von den Frauen im Vollzug des Alltags gewonnen wurden – können sie also fraglos auf alltäglich geteilte Erfahrungen zurückgreifen oder sind ihre Ausführungen weniger erfahrungsgebunden und somit vielmehr auf einer ‚theoretischen‘ Ebene zu verorten? Die Frage danach, wie ein Thema oder eine Problemstellung verarbeitet wird, ist zunächst im fallinternen Vergleich herauszuarbeiten. Bereits hier lassen sich unterschiedliche Bedeutungsschichten oder Sinnebenen aus den interpretierten Passagen herausarbeiten und ansatzweise einer Typik zuordnen. Von Anfang an wird jedoch auch der fallübergreifende Vergleich, die komparative Analyse, in die Auswertung einbezogen. Das heißt, eigene (zunächst gedankenexperimentelle) Vergleichshorizonte werden systematisch durch die in der empirischen Analyse gewonnenen Vergleichshorizonte ersetzt. Methodisch kontrolliertes Fremdverstehen „wird umso mehr methodisch kontrollierbar, je mehr die Vergleichshorizonte des Interpreten empirisch fundiert und somit intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar sind“ (Bohnsack 2003, 137). Der Vergleich mit anderen Fällen, in denen ein Thema oder eine Problemstellung auf eine andere Art und Weise bearbeitet werden, ist für die dokumentarische Methode konstitutiv. Im Unterschied zur objektiven Hermeneutik (vgl. Oevermann 2000) und der Narrationsanalyse (vgl. Schütze 1983) ist die Sequenzanalyse der dokumentarischen Methode immer schon eine komparative Sequenzanalyse (vgl. auch Bohnsack/Nohl 2001). Die Einstellung auf das Kollektive gelingt im Arbeitsschritt der reflektierenden Interpretation auch über die Formalstruktur des Diskursverlaufs, den es als Dokument der Handlungspraxis zu rekonstruieren gilt. Der Dokumentsinn, das sei hier noch einmal wiederholt, begreift die Handlung oder den Text in seiner Herstellungsweise. Da kollektive Orientierungsmuster in der jeweiligen Diskussion prozesshaft ausgearbeitet werden, muss bei der Interpretation der Diskursverlauf rekonstruiert werden. Bohnsack spricht hier einmal von der Dramaturgie des Diskurses, die in einzelnen Passagen sowie im gesamten Verlauf unterschiedliche ‚Qualitäten‘ aufweist und zwar im Hinblick auf die Dichte der Kommunikation, die Metaphorik, die interaktive Bezugnahme sowie dramaturgische Höhepunkte. Besondere Achtsamkeit verdienen auch sog. Fokussierungsmetaphern, d.h. solche Passagen, die sich durch hohe metaphorische und interak-
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tive Dichte auszeichnen. Inhaltlich kommen an diesen Stellen übergreifende Orientierungen der Gruppe zum Ausdruck. In diesen Zentren des Erlebens werden ‚Problemlagen‘ einer Gruppe besonders deutlich. Am eigenen Forschungsbeispiel, nämlich einem Streitgespräch des Frauennetzwerkes über ‚Mentoring‘ sei dies kurz erläutert. Die Frauen ringen in dieser Gesprächssequenz um einvernehmliche Deutungen, obwohl sie sich zugleich mit ihren unterschiedlichen Karrierevorstellungen im Kreis vermeintlich Gleichgesinnter individualisieren. Das Spannungsverhältnis zwischen den Gesprächsteilnehmerinnen harmonisiert sich wieder, als eine Frau das Prinzip ‚keine Karriere um jeden Preis‘ formuliert. Mit dieser Argumentationsfigur finden die Frauen einen gemeinsamen (Deutungs-)Rahmen, innerhalb dessen sie Differenzen bestehen lassen oder besser: aushalten können. Sie können über diese gemeinsame Orientierungsfigur am Differenzdiskurs (Männer versus Frauen) anschließen und auch festhalten. Die eigenen Maßstäbe werden (wieder) im Geschlechtervergleich aufgestellt und nur so gelingt es, das prekäre Gruppen-Arrangement der Frauen aufrechtzuerhalten.
2.2 Typenbildung Den letzten Schritt der Interpretation stellt die Typenbildung dar. Dabei handelt es sich nicht „um eine Typisierung der Ergebnisse im Sinne einer Zusammenfassung und Kategorisierung von Aussagen und deren Interpretationen“ (Loos/ Schäffer 2001, 71); vielmehr geht es im Zuge der Typenbildung darum, Bezüge herauszuarbeiten zwischen spezifischen Orientierungen einerseits und dem (existenziellen) Erlebnishintergrund, in dem die Genese der Orientierungen zu suchen ist, andererseits (vgl. Bohnsack 2000, 158). Es genügt also nicht, Orientierungsfiguren zu erfassen, sondern sie müssen an bestimmte Erfahrungsräume rückgebunden werden. Wie bereits angedeutet, findet eine fallübergreifende komparative Analyse, mit der die Abstraktionsfähigkeit von Orientierungsmustern ausgelotet wird, sehr früh im Forschungsprozess statt, weil nur so das Verallgemeinerungspotenzial von fallspezifischen Besonderheiten herausgearbeitet werden kann. Dennoch stellt die Typenbildung einen weiteren Interpretationsschritt dar. Das tertium comparationis ist auf der Stufe der komparativen Analyse das gemeinsame Thema, genauer: der an einem Thema herausgearbeitete Orientierungsrahmen (z.B. die Kontur einer Gemeinschaft über Abgrenzung von Männern versus Frauen oder die Kontur einer Gemeinschaft über strukturidentische Alltagserfahrungen). Voraussetzung dafür ist, das wurde bereits beschrieben, ein Dagegenhalten von alternativen Vergleichshorizonten. Dies gelingt zunächst über die alltagspraktischen Erfahrungen und Wissensbestände der bzw. des Interpreten. Will man die
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Standortgebundenheit oder Seinsverbundenheit des oder der Beobachterin methodisch kontrollieren, müssen die impliziten Vergleichshorizonte sukzessive durch empirische Vergleichshorizonte ersetzt werden, in denen dasselbe Thema in kontrastierenden Orientierungsrahmen behandelt wird. Zu diesem Zweck wurden Frauengruppen unterschiedlicher Altersgruppen, Frauengruppen mit unterschiedlichen Bildungsniveaus sowie Frauengruppen mit unterschiedlichen Organisationsformen einbezogen. Bei der Spezifizierung eines Typus über eine fallübergreifende komparative Analyse ist das Interesse nicht mehr primär auf die Gemeinsamkeiten gerichtet; vielmehr fällt der Blick auf die Kontraste zwischen den Fällen. Das gemeinsame Dritte, also das tertium comparationis, wie es Bohnsack formuliert, „ist nun nicht mehr durch ein (fallübergreifend) vergleichbares Thema gegeben, sondern durch den (fallübergreifend) abstrahierten Orientierungsrahmen bzw. Typus“ (Bohnsack, 2001, 236f.). Am eigenen Forschungsbeispiel wäre dies z.B. der jeweils typische Differenzdiskurs, der sich im Hinblick auf das unterschiedliche Bildungsniveau und Alter unterscheiden lässt. Spezifische Bildungsressourcen vergemeinschaften die Frauen im Sinne spezifischer Erfahrungshintergründe und hängen mit spezifischen Orientierungsrahmen (z.B. einer spezifischen Deutung des Geschlechterverhältnisses) zusammen. Das tertium comparationis der komparativen Analyse auf dieser Ebene ist zunächst die Basistypik, also die Geschlechtstypik, von der aus Fragen der Relation zu anderen Dimensionen herausgearbeitet werden. Die Typenbildung richtet sich also auf die den Fällen (repräsentiert durch Gruppen) zugrunde liegenden „besonderen existentiell gebundenen perspektivischen Bedeutungen“ (Mannheim 1980, 272) oder anders formuliert: Bei der Typenbildung geht es um den Erlebnisraum oder Erlebniszusammenhang, aus dem sich jeweiligen Bedeutungen erklären. Da die Typiken der hier vorgelegten Studie auf die Erfahrungsdimension ‚Geschlecht‘ zurückgehen, werden sowohl die damit zusammenhängenden Orientierungen als auch die damit in Beziehung stehenden Erfahrungsräume bzw. sozialen Lagerungen herausgearbeitet. Das Verhältnis zu Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit, die Deutungen des Geschlechterverhältnisses hängen an Erfahrungsräumen, die es in dieser Studie genauer zu erfassen gilt. Dazu noch einmal Mannheim: Der „Sinngehalt der Kulturobjektivationen (ist) stets in seiner Sinnhaftigkeit als Fragment umfassender Totalität aufzufassen, die man ‚Weltanschauung‘ nennt. Einmal handelt es sich um die Weltanschauung eines Individuums, das andere Mal um die Weltanschauung einer Gruppe, eines Zeitalters. Die Ganzheit, die Weltanschauung heißt, wird in Funktionalitätsbezug zu den entsprechenden Erlebniszusammenhängen gesetzt, die dann nicht sinnfrei, sondern nur sinnbezogen charakterisiert werden können, Die Individualpsychologie nennt solche sinnbezogenen Erleb-
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niszusammenhänge geistige Typen; die Soziologie dagegen trachtet danach, sie als soziale Gruppentypen zu erfassen“ (Mannheim 1980, 87f.).
3 Der Forschungsprozess 3 Der Forschungsprozess 3.1 Feldzugang und Datenerhebung Der Feldzugang zu den verschiedenen Frauengruppen gelang über eine schrittweise Annäherung. Einen ersten Zugang erleichterten Kontakte mit sog. Gatekeepern wie die Frauenbeauftragten der verschiedenen Städte und Regionen, Geschäftsführerinnen oder Funktionärinnen in Verbänden, Vereinen und kirchlichen Organisationen. Für die Kontaktherstellung zu privat organisierten Gruppen wurden Informationen aus dem nahen und entfernten Bekanntenkreis genutzt. Kontaktanbahnungen entstanden aber ebenso über die vorhandenen Internetauftritte der verschiedenen Gruppen, über Zeitungen und Broschüren (z.B. von Sportvereinen) sowie Kontaktstellen der verschiedenen städtischen Stellen, die im Jugend- und Seniorenbereich Angebote für Gruppen anbieten. Für die Kontaktanbahnung waren diverse Schriftwechsel sowie informierende und sondierende Gespräche mit einzelnen Gruppenmitgliedern bzw. Kontaktfrauen nötig und hilfreich. In den meisten Gruppen waren Vorstellungen und informierende Gespräche über das Forschungsanliegen und das Forschungsvorgehen erforderlich. Bemerkenswerterweise waren vor allem die Frauengruppen aus den Bildungsmilieus gegenüber dem Forschungsanliegen offen, aber zugleich sehr kritisch eingestellt. Detaillierte Fragen nach den Aufraggebern, Antragstellern, Wissenschaftlerinnen sowie dem Verwendungszweck der Forschung wurden wiederholt gestellt. Zudem wurden regelmäßig Bedenken im Hinblick auf die korrekte Erfassung der ‚Gruppenmeinung’ geäußert, weil meist nicht alle Frauen an dem Gespräch teilnehmen konnten oder wollten. Bis auf wenige Ausnahmen ist das Forschungsprojekt allerdings auf großes Interesse gestoßen. Mit mehr der weniger Bedenkzeit haben sich fast alle angesprochenen Frauengruppen dazu bereit erklärt, an dem Forschungsprojekt mitzuwirken. Die Datenerhebung fand an einem von den Frauen selbst gewählten Ort statt, in der Regel an den gewohnten Treffpunkten der Gruppen, in Ausnahmefällen in Räumlichkeiten der Universität oder – in vier Fällen – in einer öffentlichen Einrichtung (Gaststätte, Restaurant). Als vorteilhaft erwies sich die Situation eines fließenden, informellen Beginns einer Gruppendiskussion, die gewissermaßen als natürliches ‚warming up‘ zu begreifen ist. So stellten das StühleRücken und Tische-Verschieben, das Anbieten von Getränken sowie das Organi-
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sieren und Kommentieren der technischen Vorbereitungen ‚ungezwungene‘ Gesprächsanlässe vor dem eigentlichen Beginn der Diskussion dar. Da bereits vorab Fragen zum Forschungsprojekt und -vorgehen geklärt wurden, fiel das nochmalige Vorstellen des Projekts durch die Diskussionsleiterinnen in der Interviewsituation vor Ort kurz aus. Damit konnte auch vermieden werden, dass das wissenschaftliche Anliegen die Diskussion thematisch stark vorstrukturiert. Insistierende Fragen einzelner Teilnehmerinnen wurden zu diesem Zeitpunkt ans Ende der Diskussion verschoben (und auch danach beantwortet). Nachdem den Teilnehmerinnen die absolute Diskretion ihrer Gesprächsinhalte versichert wurde, konnte die Diskussion eröffnet werden. Als Stimulus zum Einstieg in die Diskussion diente mit (kleineren) situativen Abweichungen der Hinweis auf die Geschlechtsexklusivität des Zusammenschlusses, verbunden mit der Bitte, diesbezüglich Erfahrungen und Bedeutungen im gemeinsamen Gespräch auszutauschen. Die „demonstrative Vagheit“ (Bohnsack 2000, 214) bei der Frageformulierung ist notwendig, weil die Teilnehmenden am Gruppengespräch ihre Beiträge so formulieren und rahmen sollen, wie es ihren eigenen Relevanzsetzungen entspricht. Die Gruppe kann sich somit den thematischen und orientierungsbezogenen Aspekt an einer vage formulierten Frage gewissermaßen heraussuchen (vgl. dazu Loos/Schäffer 2001). Zugleich wird mit der Vagheit der Eingangsfrage signalisiert, dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen über kein präzises Wissen über die Orientierungen der jeweiligen Gesprächsgruppen verfügen. Dies entspricht der methodologischen Grundhaltung der Fremdheit in der Wissenssoziologie, der Phänomenologischen Soziologie und der Ethnographie. In der Regel entwickelte sich daraufhin ein selbstläufiges Gespräch, das im weiteren Verlauf lediglich durch Verständnisfragen gestützt wurde. Die Rolle der Diskussionsleiterinnen war klar festgelegt: Es galt und gilt das Prinzip der Zurückhaltung, um die Herstellung einer Selbstläufigkeit zu gewährleisten – sowohl was die Themen als auch was die Verteilung der Redebeiträge betrifft. Die Diskussion in der jeweiligen Gruppe soll sich in ihrer Eigenstrukturiertheit entfalten können. Gerade am Anfang des Gesprächs war dies oft schwierig, weil die (allgemein gehaltene) Eingangsfrage oftmals zu Irritationen führte. Nochmaliges Nachfragen, in manchen Fällen auch Unwillen oder längere Schweigephasen, müssen dann von den Diskussionsleiterinnen aufgefangen werden. In manchen Situationen gelang dies, indem die Eingangsfrage noch einmal, evtl. in abgewandelter Form gestellt wurde, in anderen Situationen galt es, das Schweigen auszuhalten. Bei den Mädchengruppen allerdings sahen sich die Diskussionsleiterinnen gezwungen, die vage Einstiegsfrage nach der Bedeutung des Geschlechts für die eigene Gemeinschaft in eine Frage nach der Gruppengeschichte
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zu verändern. Erst nach dieser ‚Hilfestellung‘ gelang es, ein Gespräch über die eigene Gruppe zu initiieren. Erst am Ende des Gruppengesprächs, also in einer Phase, in der die Diskussionsleiterinnen den Eindruck gewonnen haben, dass sich das Thema ausreichend erschöpft hat, meist gekennzeichnet durch längere Pausen nach interaktiv dichten Gesprächsphasen, wurden immanente, d.h. solche Nachfragen gestellt, die ein bereits angesprochenes Thema wieder aufnehmen. Danach erst kommt es zu exmanenten Nachfragen. Hierbei werden Bereiche und Themen angeschnitten, die von der Gruppe noch nicht diskursiv bearbeitet wurden, jedoch für das Forschungsvorhaben im Hinblick auf einen Gruppenvergleich von Erkenntnisinteresse sind. Die Diskussionen dauerten in der Regel zwischen 1,5 und 2 Zeitstunden. Nach dem Abstellen des Tonbands wurde von den Diskussionsleiterinnen eine Feedbackrunde eingeleitet, eine Art Nachbesprechung, in der der ‚formelle‘ Teil der wissenschaftlichen Arbeit von einem Gespräch über das Gespräch ausklingen sollte. Dies entsprach auch den Bedürfnissen der Gruppen, denn meist wurden wir als Wissenschaftlerinnen gebeten, die ‚Ergiebigkeit‘ des Gesprächs im Hinblick auf das Forschungsanliegen zu beurteilen. In der Regel fanden die Gruppen das Gespräch für die ‚eigene Sache‘ ertragreich. Die ‚exklusive‘ GesprächsSituation, über sich selbst nachzudenken bzw. über das eigene Gruppen-Anliegen zu sprechen und darüber hinaus auch strittige Themen aufzugreifen und zu diskutieren, wurde von allen Gruppen durchwegs positiv bewertet.
3.2 Fragestellung und Sample Die Untersuchung fokussiert auf kollektive Orientierungen, Erfahrungen, Deutungsmuster und Wissensrepertoires in geschlechtsexklusiven Zusammenschlüssen. Im Zentrum stehen folgende Fragen: Welche Bedeutung haben Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit in der weiblichen Gemeinschaft? Welche Orientierungen und Erfahrungen verbinden die Frauen mit dieser sozialräumlichen Segregation nach Geschlecht? Welche spezifischen Deutungen und Diskursformen über Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit lassen sich aufzeigen und wie sind diese kollektiven Selbstvorstellungen und -darstellungen rückgebunden an den sozialen Ort ihrer Entstehung? Zugleich galt das Interesse ebenso den alltäglichen Routinen und Ritualen in der Gemeinschaft. Der Blick ist somit auf die Binnenperspektive in weiblichen Gemeinschaften gerichtet: auf die Konstruktionsprinzipien der jeweiligen Interaktionsgemeinschaft, auf ihre Rituale und Routinen und die dieser Handlungspraxis zugrunde liegenden Orientierungen und impliziten Wissensbestände. Diese Praxis und
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mithin der ‚Bedeutungs-Sinn‘ ihres Handelns konstituieren sich in Gesprächen – unabhängig von den Intentionen Einzelner, aber abhängig von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der sozialisationsgeschichtlichen Erfahrung und der sozialräumlichen Gebundenheit der jeweiligen Gemeinschaft. Anders formuliert: Handlungsleitende Orientierungen speisen sich aus gemeinsamen Erfahrungen oder zumindest einer strukturidentischen Handlungspraxis. Ob Ereignisse des Berufslebens besprochen werden oder ob Alltägliches verhandelt wird, die Gesprächsgemeinschaft greift in jedem Fall auf ein generalisiertes Verfahren zurück, um ein für alle Beteiligten relevantes – wenn auch oft unter den Beteiligten kontroverses – Verständnis ‚ihres‘ Themas zu gewinnen. Die Kollektivvorstellungen einer Gruppe gestalten und aktualisieren sich in einem interaktiven Prozess, der aus den Bedingungen seines Vollzugs verstanden werden kann. Diese kommunikativen Prozeduren weiblicher ‚Selbstverständigungskulturen‘ stehen im Mittelpunkt der empirischen Analyse. Das Sample besteht aus unterschiedlichen Formen von weiblichen Zusammenschlüssen, wie sie aktuell existieren: Vereine, Verbände und Initiativen, Selbsthilfegruppen, Interessengemeinschaften, exklusive Service-Clubs als auch solche Formen von Zusammenschlüssen, wie sie aktuell unter der Chiffre ‚Netzwerk‘ firmieren. Zugleich wurden auch solche Gruppen von Frauen in das Sample mit aufgenommen, die sich auf privater Ebene treffen, sich aber ebenfalls als feststehende Gruppe definieren. Als konstitutives Merkmal für die Auswahl des Samples galt, nur solche Gruppierungen aufzunehmen, die geschlechtsexklusiv sind und sich auch selbst als ‚weibliche‘ Gemeinschaft begreifen bzw. vorstellen. Zugleich sollte es sich dabei um relativ dauerhafte Kommunikationsgemeinschaften handeln. Schließlich sollten die verschiedenen Gruppen über ein Mindestmaß an ‚gemeinsamer Vergangenheit‘ verfügen. Eine gemeinsame Gruppengeschichte verfügt nicht immer, aber mit großer Wahrscheinlichkeit, über eine gemeinsame Erfahrungsbasis und einen gemeinsamen Fokus ihrer Teilnehmerinnen. Um sowohl die angedeutete Vielfalt weiblicher Gemeinschaften hinsichtlich Form und Thema einzufangen als auch im Sinne qualitativer Repräsentativität über minimale und maximale Kontrastierung verschiedene typische Orientierungsmuster herausarbeiten zu können, wurden bei der Auswahl des Samples zwei verschiedene Strategien kombiniert: selektives und theoretisches Sampling. Selektives Sampling – Die Strategie des selektiven Sampling setzte zwei Bedingungen: Zum einen sollte es sich bei allen Gruppen um Interaktionsgemeinschaften handeln, die unabhängig von der Erhebungssituation existieren (sog. Realgruppen). Zum anderen sollten diese Gruppen über ein bestimmtes Maß an öffentlicher Selbstdarstellung und Außenpräsentation verfügen (z.B. Vereinsatzungen, Internetauftritt, Flyer). Im Hinblick auf eine historische Heu-
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ristik wurden Frauengruppen berücksichtigt, die in traditionellen Vereinen und Verbänden organisiert sind, Frauengruppen, die aus den feministischen Projekten und Initiativen der 70er Jahre hervorgegangen sind als auch solche Gruppierungen, die sich selbst als Netzwerk bezeichnen. Theoretisches Sampling – Was das theoretische Sampling betrifft, so wurde im Laufe des Forschungsprozesses das Sample um kontrastierende Aspekte wie Alter, Bildung und soziale Herkunft erweitert, da sich die im Vorfeld der Untersuchung gesetzten Differenzierungslinien nach Organisationsformen und Außenpräsentation als zu eng erwiesen. Die in einer ersten Erhebungswelle kontaktierten Gruppen repräsentierten fast ausschließlich die Szene bildungsbürgerlicher und/oder links-alternativer Frauengruppen, wie sie im städtisch-sozialpolitischen Geschehen präsent sind. Selbst Gewerkschaftsfrauen und Aktivistinnen in Hausfrauenvereinigungen erwiesen sich im Laufe unserer Recherchen und Datenerhebung als akademisch gebildet. Frauen mit einfacheren und mittleren Bildungsabschlüssen waren nicht oder kaum vertreten. Auch das Altersspektrum der erhobenen Frauengruppen offenbarte sich als relativ homogen (zw. Mitte dreißig und Ende vierzig Jahre alt). Jüngere Frauen und Mädchen sowie ältere Frauen wurden mit unserer selektiven Auswahl nicht erfasst. In einer zweiten Erhebung wurden die Auswahlkriterien hinsichtlich sozialstruktureller Merkmale wie Bildung, Berufsposition und Alter ergänzt und erweitert. Im Fokus standen nun Frauengruppen, die das Sample im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Fälle erweitern und komplettieren sollten: Erstens, in einem Vergleich unterschiedlicher (Herkunfts- und Bildungs-) Milieus. Gesucht wurde nach weiblichen Zusammenschlüssen, die qua Bildung und Berufsposition nicht akademisch gebildet sind: organisierte Landfrauen, Arbeiterinnen und einfache Angestellte sowie Frauen, die sich privat treffen, um gemeinsame Teile ihrer Freizeit miteinander zu verbringen oder sich politisch, kulturell oder sozial engagieren. Inhaltlich war davon auszugehen, dass Gemeinsamkeiten des biographischen Erlebens, Gemeinsamkeiten der Sozialisationsgeschichte sowie des sozialen Umfeldes eine andere (Gesprächs-)Kultur sowie spezifische Deutungsmuster von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit implizieren. Zweitens in einem Vergleich unterschiedlicher Alterskohorten: Dazu gehören Schülerinnen und Studentinnen als Repräsentantinnen der jüngeren Frauengeneration sowie Seniorinnen und Frauen im mittleren Alter. Gleichheits- bzw. Ungleichheitserfahrungen, so zeigen Untersuchungen, sind lebensphasenspezifisch und gebunden an einen institutionellen Kontext (vgl. Geissler/Oechsle 1996; Krüger 2001). Die Ergebnisse dieser Studien legen nahe, dass beispielsweise jüngere Frauen die Widersprüche im Geschlechterverhältnis (also auch die Diskrepanz zwischen faktischem Handeln und diskursiven Normen) anders rezi-
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pieren und deuten als die ältere Frauengeneration, die mit der Frauenbewegung groß geworden ist, sie mitgetragen hat, zumindest aber davon beeinflusst worden ist. Insgesamt umfasst das Sample nun 26 Gruppendiskussionen mit verschiedenen Frauengruppen. Diese Gruppen bilden keinen homogenen ‚Block‘, sondern sie repräsentieren unterschiedliche soziale Erfahrungsfelder. Mit Mannheim formuliert, verkörpern sie unterschiedliche Erfahrungsräume im Hinblick auf Erfahrungen und eine strukturidentische Alltagspraxis. In diesen erlebten Erfahrungsräumen werden die „Dinge der Innen- und Außenwelt“ (Mannheim 1980, 237) gemeinsam oder auf gleichartige Weise betrachtet. Diese konjunktive Verbundenheit wurde im Zuge des verstehenden Nachvollzugs deutlich, denn es werden, so die empirischen Ergebnisse, Gemeinsamkeiten, aber auch markante Differenzen sichtbar, die sich vor allem im Hinblick auf Bildung und soziale Herkunft als milieutypische Muster und im Hinblick auf Alter als generationentypische Muster niederschlagen. Die Tatsache, dass das Milieu als Ort der Konjunktion mit den unterschiedlichen sozialen Lagen im Sinne sozialstruktureller Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten (Bildung, Alter, Erwerbsposition, Status) zusammenhängt, war nicht Ausgangspunkt der Untersuchung, sondern das Ergebnis der Interpretation. Vielmehr war das Anliegen dieser Untersuchung, kollektive Orientierungen herauszuarbeiten, d.h. solche Orientierungen, durch die die Frauen in einer Art und Weise miteinander verbunden sind, die es rechtfertigt, von (der Zugehörigkeit zu) einem (sozialräumlichen) Milieu und auch Generation zu sprechen. Die Sampleauswahl nach sozialstrukturellen Merkmalen wie Bildung, Berufsposition und Alter war also keine Setzung a priori, sondern Ergebnis der systematischen komparativen Analyse. Mit anderen Worten: Erst die empirische Analyse und das heißt: die thematische und diskursive Aufarbeitung der Gruppengespräche im Vergleich brachte zutage, dass die verschiedenen Frauengruppen milieuspezifische Erfahrungsräume repräsentieren und zwar vor allem im Hinblick auf eine ähnlich gelagerte Bildungsgeschichte, Berufsposition und den damit zusammenhängenden Status im gesellschaftlichen Gefüge. Die gemeinsame Verbundenheit über Alter und Generation interessierte in dieser Untersuchung nur am Rande. Hierzu lassen sich zwar einige Ergebnisse formulieren, sie sind allerdings eher als ‚andeutende Einblicke‘ denn als empirisch valide Aussagen zu verstehen.
II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
Dieses Kapitel ist das sog. Herzstück der Arbeit, nämlich die empirische Rekonstruktion der Gruppendiskussionen. Bei der Frage, wie die Ergebnisse präsentiert werden, habe ich mich für ein Vorgehen entschieden, das den Zugang zu den verschiedenen Subsinnwelten der einzelnen Gruppen und Milieus schrittweise gewährt. Obwohl die systematische komparative Analyse konstitutiver Bestandteil der dokumentarischen Interpretation ist, wird jetzt – der Lesbarkeit geschuldet –, das Pferd gewissermaßen von hinten aufgezäumt. So werden zunächst einmal die verschiedenen Milieus, wie sie aus der vergleichenden Interpretation gewonnen wurden, im Überblick vorgestellt: Das akademische Bildungsmilieu, das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten sowie das Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht (Pkt. 1). Diese Milieus werden zunächst durch beispielhafte Porträtierungen ausgewählter Gruppen veranschaulicht, in denen die lebendige Erfahrung ganzer zusammenhängender Diskussionen vermittelt werden soll. Diese Einzelfallbeschreibungen stehen idealtypisch für ein Milieu und geben einen vertiefenden Einblick in den Herstellungsprozess kollektiv geteilter Sinngehalte und die Praxis des ‚Geschlechterhandelns‘ im Milieuvergleich. Insgesamt handelt es sich dabei um vier Fallbeschreibungen: Ein berufliches Frauennetzwerk (Pkt. 2.1), das exemplarisch für das akademische Bildungsmilieu steht, ein konfessionell gebundener Frauenkreis aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten (Pkt. 3.1) und ein exklusiver ServiceClub, der das Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht repräsentiert (Pkt. 4.1). Bei der Anlage der Untersuchung galt es, weibliche Zusammenschlüsse hinsichtlich eines fokussierten Milieuvergleichs zu differenzieren und empirisch zu untersuchen. Ein Vergleich im Hinblick auf Alter und Generation wurde nur am Rande durchgeführt. Für das akademische Bildungsmilieu wurden zwei Gruppendiskussionen mit jungen Frauen und Mädchen geführt. Auch hierzu wird eine Gruppe, eine Mädchenband (vgl. Pkt. 2.2), als Fallstudie ausführlich porträtiert. Am Beispiel dieser Mädchengruppe wird die milieuspezifische Typologie hinsichtlich der Dimension Alter und Entwicklungsphase erweitert. Es kann gezeigt werden, wie sich das Geschlechter-Wissen lebensphasenspezifisch entwickelt und in Abgrenzung zur Erwachsenenwelt vollzieht. Die typologische Unterscheidung hinsichtlich Alter und Entwicklungsphase wird ihrem Stellenwert zufolge als Exkurs aufgeführt.
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
Im Anschluss an die Einzelfallbeschreibungen werden die jeweiligen ausdifferenzierten Teildiskurse im milieuinternen Quervergleich entfaltet (vgl. Pkt. 2.2., Pkt. 3.2., Pkt. 4.2). Diese komparative Analyse innerhalb der jeweiligen Milieus ist fallübergreifend und von zentraler Bedeutung, weil von der fallspezifischen Besonderheit der einzelnen Gruppe abstrahiert wird und es nun um die Gemeinsamkeiten der Fälle innerhalb eines Milieus geht. Im Hinblick auf ihre charakteristische, durch Sprache und semantische Codes geprägte Kommunikationskultur sowie eine typische Selbst-Verständigung im Hinblick auf den Deutungsfundus Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit werden die verschiedenen Milieus in ihrer jeweiligen Gesamtgestalt präsentiert. Die Frage nach der Bedeutung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit, das kann an dieser Stelle bereits kurz angedeutet werden, wird in den verschiedenen Milieus unterschiedlich beantwortet. Die unterschiedlichen Lebensweltkonstellationen (re-)produzieren andere Lesarten des vergeschlechtlichten Selbst-Verständnisses. Wie in den Fallbeschreibungen auch werde ich diese Feld- bzw. Milieuporträtierungen empirisch nah an dem erhobenen Material nachzeichnen.
1 Frauengruppen im Milieuvergleich 1 Frauengruppen im Milieuvergleich Die Vielfalt und Vielzahl der Frauengruppen repräsentieren unterschiedliche konjunktive Erfahrungsräume oder auch kulturelle Milieus. Gemeinsamkeiten des Schicksals, des biographischen und alltäglichen Erlebens oder Gemeinsamkeiten der Sozialisationsgeschichte sind die Klammer, die die jeweilige Gemeinschaft formen und verbinden. In den Gesprächen rekurrieren die Frauen der verschiedenen Gruppen auf Erfahrungen und Wissensrepertoires der (Alltags)Welt und verfügen über eine mehr oder weniger geteilte Weltsicht mitsamt der darin eingeflochtenen eigenen Kommunikationskultur. Sie artikulieren, deuten und exemplifizieren gemeinsame Orientierungen im Hinblick auf ihr ‚Geschlechter-Wissen‘, das im Vergleich Milieutypisches im Sinne übergreifender konjunktiver Erfahrungsräume zutage bringt. Vor dem Hintergrund meiner Frage nach der Bedeutung von Geschlechtund Geschlechtszugehörigkeit in der weiblichen Gemeinschaft kann gezeigt werden, dass Bildung rsp. die spezifischen Bildungsbiographien der Teilnehmerinnen einer Gruppe handlungsleitende und ordnungsstiftende Funktion haben oder – anders gewendet – der milieukonstitutive Vergemeinschaftungsmodus vor allem über Bildung und eine damit zusammenhängende Berufsbiographie hergestellt wird. Neben Bildung, Beruf und Status ist Alter bzw. die Generationenzugehörigkeit eine weitere erfahrungskonstitutive Dimension, die in dieser Untersuchung allerdings nur am Rande untersucht wurde. Die Zugehörigkeit zu einer
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Alterskohorte oder noch mehr: die Zugehörigkeit zu einer Generation, wie sie für das akademische Bildungsmilieu untersucht wurde, bringt andere Erfahrungen und Deutungen hervor. Sie erweist sich als gemeinschaftstiftende Tragfläche für eine ‚Wir‘-Erfahrung in den Gruppen oder anders formuliert: Sie generiert eine Sicht auf Welt und dokumentiert sich in gemeinsamen Deutungsmustern. Insgesamt lassen sich drei Milieus unterscheiden, in denen das ‚Geschlechter-Wissen‘ in spezifischer, nämlich: milieutypischer Weise ‚übersetzt wird‘: Da ist einmal die Gruppe derer, die sich hauptsächlich über geistig-kulturelles Kapital bzw. über höhere Bildungsabschlüsse und ein meist links-alternatives Politikverständnis definieren. Ich spreche hier vom akademischen Bildungsmilieu (Pkt. 2). Allen Gruppen des Bildungsmilieus gemeinsam ist ein spezifischer diskursiver Stil der Auseinandersetzung, der sich als Dauerdiskursivierung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit charakterisieren lässt (Pkt. 2.2). In diesem fallübergreifenden Deutungsmuster des akademischen Bildungsmilieus aktualisiert sich Geschlecht als ambivalente moralische Kategorie; zugleich werden die paradoxen Überlappungen von gesellschaftlichem Wandel und Persistenz, von Chancen und Zwängen reproduziert. Macht- und differenzanalytische Lesarten des Geschlechternarrativs (mit ihren rigiden Inklusions- und Exklusionsregeln) sind in diesen Gruppen Vergemeinschaftungsmomente, die im Hinblick auf Alter Modifizierungen erfahren. So können die Gruppendiskussionen mit den Mädchengruppen das akademische Bildungsmilieu um entwicklungsphasenbedingte Orientierungen ergänzen und erweitern. Hier wird deutlich, dass die jüngeren Frauen und Mädchen – ähnlich der älteren Frauengeneration – ebenfalls einen diskursiven Stil der Auseinandersetzung pflegen, allerdings kann für die Mädchen ebenso gezeigt werden, dass sie mit ihren Abgrenzungen auch gegen die Erwachsenenwelt argumentieren. In ihren Gesprächen dokumentiert sich, dass sie um individuelle Selbstbehauptung und Identitätsfindung ringen und sich zugleich gegen geschlechtsspezifische Zumutungen (vor allem) aus der Erwachsenenwelt zur Wehr setzen (Pkt. 2.3.1). Gewissermaßen auf der ‚anderen Seite‘ stehen diejenigen Frauengruppen, die über wenig(er) formale Bildung und über wenig(er) qualifizierte Berufspositionen verfügen. Ich spreche hier vom Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten (Pkt. 3). Der fallübergreifende Vergemeinschaftungsmodus lässt sich hier als pragmatische Grenzziehung von Lebenssphären und Gemeinsamkeiten über strukturidentischen Erfahrungen des Lebensalters und -bereichs charakterisieren (Pkt. 3.2). Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit sowie die damit zusammenhängende sozialräumliche Platzierung im Gefüge der Geschlechterordnung sind hier in einem fundamentalen Sinn fraglos gegeben. Sie begleiten die Frauen als Hintergrundfolie von Erfahrungen, werden aber weder diskursiv bearbeit noch (selbst-)kritisch hinterfragt. Dies trifft sowohl auf die mittlere als
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
auch die ältere Alterskohorte zu. Damit wird deutlich, dass die Ex- und Inklusionsregeln auf einer anderen Ebene anzusiedeln sind als dies etwa für das akademische Bildungsmilieu gilt. Die kollektive Selbstvorstellung wurzelt hier in einer gemeinsamen Lebenspraxis; sie findet nicht, wie etwa im akademischen Bildungsmilieu, auf einer Ebene moralischer Interpretation statt. Exklusive Service-Clubs charakterisieren im Sample ein angrenzendes aber eben auch ein abzugrenzendes Bildungs-Milieu. Ich fasse diese Gruppen allesamt unter dem Label Bildungsmilieu der gehobenen Gesellschaftsschicht (Pkt. 4). Auch im Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht werden Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit thematisch diskursiv aufgespannt. Allerdings vergemeinschaften sich die Club-Frauen neben dem gemeinsamen Erfahrungsraum Bildung und Berufsposition hauptsächlich über das gemeinsame Verständnis von eigenen Privilegien und ihrem Status in der sog. guten Gesellschaft. Als gemeinschaftsstiftendes Moment kristallisiert sich hier die Orientierungsfigur Privilegiert-Sein und Statusdifferenzierung heraus (Pkt. 4.2). Die Mitgliedschaft in einem Club ist für die Frauen Ausdruck und Reaktion eines geteilten Exklusivitäts- und Distinktionsbedürfnisses. Sie teilen die Vorstellung einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsordnung, innerhalb der sie ‚oben‘ angesiedelt sind und innerhalb der sie Verantwortung für andere, weniger privilegierte Frauen übernehmen.
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus 2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus Das Spektrum der Frauengruppen, die in diesem Sample das akademische Bildungsmilieu repräsentieren, umfasst 13 Gruppen. Dazu gehören projektförmig organisierte Gruppen im Bereich der Sozialarbeit oder im Rahmen städtischer Frauenzentren, Frauennetzwerke in Unternehmen, Interessengemeinschaften und Selbsterfahrungsgruppen im Bereich Gesundheit und Sozialpolitik. Zum einen sind diese Gruppen in Vereinen, (Wohfahrts-)Verbänden, Parteien, Unternehmen sowie in den Kirchen organisiert, so etwa die Gruppe der Dekanatsfrauenbeauftragten. Zum anderen treffen sich die Gruppen auch auf privat-informeller Ebene, wie beispielsweise die feministische Lesegruppe, ein universitärer Diskussionszirkel oder das berufliches Frauennetzwerk, das in dieser Untersuchung ausführlicher beschrieben wird. Insgesamt handelt es sich hier um Frauengruppen der gebildeten Mittelschicht, die mitunter auch dem links-alternativen Milieu
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zugerechnet werden können. Alle diese Gruppen repräsentieren das akademisch gebildete und insofern auch sozialwissenschaftlich ‚aufgeklärte‘ Milieu.16 Im Sample repräsentieren die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus überwiegend die mittlere Alterskohorte. Die Teilnehmerinnen sind zwischen Anfang dreißig und Ende vierzig Jahre alt. Die Frauen haben allesamt akademische Abschlüsse, sind überwiegend berufstätig und arbeiten, je nach familiärer Konstellation, meist in Teilzeit oder Vollzeit. Auffällig ist, dass viele Frauen in befristeten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten und – im Gegensatz zu den anderen Milieus – auch ohne Beschäftigung, sprich: arbeitslos sind. Im Milieuvergleich wird augenfällig, dass wir es im akademischen Bildungsmilieu mit einer heterogenen Szene von Frauengruppen zu tun haben. Für die Sample-Auswahl war konstitutiv, nur Gruppen aufzunehmen, die bereits über eine längere Interaktionsgeschichte verfügen. Im Vergleich des Samples insgesamt zeigt sich allerdings, dass die Gruppen des akademischen Bildungsmilieus über weitaus kürzere Gruppengeschichten verfügen und die Fluktuationsrate der Gruppen höher ist als in den anderen Milieus. Dieser Befund lässt sich dahingegen deuten, dass wir es in diesem Milieu möglicherweise mit ‚episodalen Gemeinschaften‘ zu tun haben, mit einer spezifischen Art temporärer Vergemeinschaftung, die weniger auf Dauer und auf Lebenszeit ausgelegt ist und in ihrer Form die Interessenlagen ihrer Mitglieder zum Ausdruck bringt.
2.1 Fallbeschreibung: Das berufsbezogene Frauennetzwerk Kontextinformationen zur Gruppe und Kontaktaufnahme Bei der Gruppe handelt es sich um die Regionalgruppe eines Frauen-Netzwerkes, das vereinsförmig organisiert ist und bundesweit agiert. In der Präambel der allgemeinen Geschäftsordnung steht u.a., dass sich die Frauen gegenseitig in ihrer persönlichen und beruflichen Kompetenz fördern und ihre Kompetenzen öffentlich machen wollen. Die Regionalgruppe des Frauennetzwerkes besteht aus 15 Frauen, die sich in regelmäßigen Abständen treffen. Zum einen gibt es im Turnus von vier Wochen den Stammtisch zum „regelmäßigen Netzwerken“. Hier steht neben dem Erfahrungsaustausch der gesellige Aspekt im Vordergrund. Zum anderen organisiert die Gruppe regelmäßig sog. Bildungsabende. Dabei geht es vor allem um geschlechterpolitische Themen. Fragen der Selbstdarstellung werden in Wochen16
In allen Frauengruppen wurde im Anschluss an die Gruppendiskussion ein Fragebogen ausgeteilt, in dem die einzelnen Frauen nach ihren Sozialdaten gefragt wurden (Alter, Familienstand, Berufstätigkeit, Dauer der Gruppenzugehörigkeit usw.).
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endseminaren wie z.B. in Rhetorikkursen bearbeitet. Hierzu werden von den Frauen externe Expertinnen geladen. Schließlich findet einmal im Jahr eine Versammlung der Gruppe auf Bundesebene statt. Hier werden Zielvereinbarungen diskutiert und das Netzwerk-Anliegen verhandelt. Die sechs Frauen des Netzwerkes, die an der Gruppendiskussion teilnehmen, sind zwischen Ende dreißig und Ende vierzig Jahre alt. Sie repräsentieren, so die Auskunft der Frauen, den Altersdurchschnitt der gesamten Gruppe. Fünf Frauen verfügen über akademische Abschlüsse im wirtschafts-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich. Eine der Teilnehmerinnen ist Dipl. Ingenieurin. Laut den Angaben in den Fragebögen sind die Frauen teils verheiratet, teils leben sie als Single. Zwei der Frauen haben je ein Kind im schulpflichtigen Alter, eine Frau hat ein noch jüngeres Kind im Kindergartenalter. Vier der Frauen arbeiten in Angestellten-Positionen. Zwei der Frauen haben eine Führungsposition auf mittlerer Ebene. Das Frauennetzwerk besteht seit knapp sieben Jahren und wurde von zwei der anwesenden Frauen gegründet. Prinzipiell können auch Männer Mitglied des Frauennetzwerkes werden, allerdings nur als Fördermitglieder. Nach dem telefonischen Erstkontakt und einem ersten Austausch von gegenseitigen Informationen via Internet erfolgt ein Vorgespräch mit einer Teilnehmerin der Gruppe in einem Café. Das Forschungsprojekt wird mit großem Interesse aufgenommen, unsere Ansprechpartnerin bekundet ihr „persönliches Interesse“ und ist auch gerne bereit, ihre Mitfrauen zu einer Beteiligung an einer Gruppendiskussion zu motivieren. Die Gruppendiskussion findet in den Räumen der Universität statt und wird von zwei Wissenschaftlerinnen durchgeführt. Die Atmosphäre ist ausgesprochen lebhaft. Die Frauen haben einen herzlichen Umgang miteinander. Es wird viel gelacht und geredet. Das ‚warming-up‘ gestaltet sich gewissermaßen in Eigenregie. Es waren von unserer Seite aus keine besonderen Anstrengungen nötig, um die Zeitspanne zwischen dem Eintreffen aller Gesprächsteilnehmerinnen und dem eigentlichen Beginn der Gruppendiskussion zu überbrücken. Insgesamt nutzt die Gruppe die Interviewsituation, eigene Motive, das Gruppenanliegen und den Status Quo der Gruppe seit ihrer Gründung zu reflektieren und gemeinsam über die Schwierigkeiten des ‚Netzwerkens‘ nachzudenken. Beim Abschied werden wir zum nächsten Stammtisch der Gruppe eingeladen.
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Diskursorganisation Berufliche Diskriminierungs-Erfahrungen und die Gründung eines Unsere Eingangsfrage („Was bedeutet für Sie Ihr weiblicher Zusammenschluss?“) irritiert zunächst und die Frauen wählen nach einer längeren Pause einen Zugang über die Entstehungsgeschichte ihrer Regionalgruppe. Danach ist das Gespräch bis zum Schluss durch eine hohe interaktive Dichte und Selbstläufigkeit gekennzeichnet. Die Frauen elaborieren Themen auch kontrovers, zumal, wie noch zu zeigen sein wird, die Erwartungen an die Gruppe nicht immer erfüllt wurden und die zukünftige Entwicklung der Gemeinschaft überdacht und neu verhandelt wird. Die individuellen Motive der Frauen für das Engagement in einem Frauennetzwerk korrespondieren mit den verschiedenen Gruppenphasen: In einer ersten Phase, die als ‚Aufbruch‘ beschrieben wird, initiieren einige wenige Frauen die Regionalgruppe des Frauennetzwerkes. Das Vorhaben wird in der örtlichen Presse publiziert und stößt auf breite Resonanz. Berufliche Diskriminierungserfahrungen, berufliche Stagnation sowie Begrenzung beruflicher Weiterentwicklung aufgrund der eigenen Geschlechtszugehörigkeit werden als ausschlaggebende Motive genannt. Eine der am Gründungsprozess beteiligten Frauen beschreibt im folgenden Zitat exemplarisch ihre Beweggründe bzw. ihre Erwartungen an eine Vernetzung mit anderen Frauen: A:
Ich hab’ mich auf diese Zeitungsannonce hin gemeldet, weil sie mich spontan angesprochen hat und hatte mir kurz vorher auch vorgenommen, in ein Frauennetzwerk zu gehen. Das war auch so, dass ich da (.) ja damals das Gefühl hatte, da müsste beruflich mehr passieren und hatte mir dann von dieser Netzwerktätigkeit auch so’n Schub nach vorne erwartet. Ich hab’ damals in ’ner Männerdomäne gearbeitet, in der Datenverarbeitung, und hab’ einfach den solidarischen Kontakt zu Frauen gesucht.
Die Frauen, die in Berufen tätig sind, die sie selbst als Männerdomäne bezeichnen, knüpfen an ein Frauennetzwerk die Erwartung, damit eine ‚vernetzte Gegenwelt‘ zu schaffen. Es sollen Möglichkeitsräume entstehen, in denen sich die Frauen wechselseitig in ihren beruflichen Kompetenzen wahrnehmen, sich in beruflichen Belangen und Karrierewünschen unterstützen und fördern. Ziel ist die Erweiterung der eigenen Handlungsoptionen. Hinter diesem Anliegen steht zum einen die Erfahrung, dass die eigene Geschlechtszugehörigkeit diskriminiert. Zum anderen nehmen die Frauen an, dass männliche Karrierewege über männliche Netze funktionieren. Der Gegenhorizont der Frauen ist somit die
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‚positive Diskriminierung‘ von Geschlecht, wie sie es bei ihren männlichen Kollegen beobachten. Zudem schafft der „weibliche Blick auf die Dinge“, wie es eine andere Gesprächsteilnehmerin formuliert, Solidarität. Die Frauen erwarten eine selbstverständliche Verbundenheit mit anderen Frauen qua Geschlechtzugehörigkeit. Das intendierte Ziel, mit Hilfe eines Frauennetzwerkes den „Schub nach vorne“ zu schaffen und die beruflichen Grenzen zu erweitern, motiviert die Gründungsfrauen zu immensem Engagement. Die Frauen der Regionalgruppe organisieren im ersten Jahr zeitaufwendig die einmal jährlich stattfindende Gesamtveranstaltung der Gruppe auf Bundesebene. Daneben werden die regionalen Aktivitäten wie beispielsweise Themenabende für eine interessierte Öffentlichkeit ins Rollen gebracht. Nach dieser euphorischen Aufbruchsphase, die die ersten zwei bis drei Jahre umfasst, geht den Frauen buchstäblich die Luft aus. In dieser Phase durchleben sie ein ‚Gruppentief‘. Das Engagement wird reduziert und die Gruppe (über)lebt von ihren regelmäßigen, stammtischförmig organisierten Treffen. Aktuell beschreiben die Frauen die Aktivitäten der Gruppe auf einem Niveau, das sich zwischen den Extremen einpendelt. Dabei werden auch Stimmen der Unzufriedenheit laut. Wie noch zu zeigen sein wird, wird das Gruppenanliegen ‚neu‘ gesucht und hinterfragt.
Zwischen ‚weiblicher Verbundenheit‘ und Differenzerfahrung Während die Frauen über ihre Motive nach weiblicher Vernetzung sprechen, fällt eine Diskrepanz auf zwischen der formulierten Programmatik der ‚weiblichen Verbundenheit‘ einerseits und der erfahrungsgebundenen Einsicht in das konkurrenzielle Verhältnis der Frauen am Arbeitsplatz andererseits. Die beruflichen Diskriminierungserfahrungen und eine marginalisierte Position qua Geschlechtszugehörigkeit werden von den Netzwerkfrauen als homogenisierend gedeutet. In Abgrenzung zu Männern und konkret: zu männlichen Arbeitskollegen analysieren die Teilnehmerinnen der Gruppe die Lagen der Frauen als geteilte. Die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht wird dabei als gemeinschaftsstiftend interpretiert. Der Zusammenschluss in der Gruppe ist Ausdruck einer derartigen solidarischen Verbundenheit. Gleichzeitig erfahren die Frauen, dass sie auch in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander stehen. Eine der Diskussionsteilnehmerinnen berichtet beispielsweise über ihre Idee, ein firmeninternes Frauennetzwerk gründen zu wollen. Dieses Vorhaben wird jedoch niemals realisiert.
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus C: B: C:
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Ja und wenn’s dann in der Firma ist, dann ist man ja teilweise in nem Konkurrenzverhältnis. Das war also damals auch als ich überlegt hab, |_ja des stimmt da bei A-Firma was zu gründen. Manche, die waren dann schon auf der Überholspur, die haben dann natürlich kein Interesse mehr oder sind ne, also vorsichtig. Also es ist dann auch im beruflichen Umfeld dann gar nicht so leicht, da offen mit jemand darüber zu sprechen, selbst wenn es Frauen sind.
Frauen in Führungspositionen, so die Erfahrung einer Gesprächsteilnehmerin, stehen einer Vernetzungsidee, die auf der Vorstellung einer ‚weiblichen Solidarität‘ fußt, eher ablehnend gegenüber. Diejenigen Frauen, die bereits eine hierarchisch höhere Position erklommen haben, hätten demzufolge kein Interesse mehr, potenzielle Nachfolgerinnen zu fördern. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Solidarität in Form von Vernetzung am Arbeitsplatz nur unter positionsgleichen Frauen möglich ist. Diejenigen Frauen, die ‚überholen‘, um bei dem Bild der „Überholspur“ zu bleiben, scheren aus und verlassen das gemeinsame Feld.
Das Fehlen einer berufs- und arbeitsbezogenen Gesprächskultur Die Frauen haben den erwarteten „Sprung nach vorne“ mit Hilfe von Vernetzung zumindest bis jetzt nicht geschafft. Die Erwartungen an eine solche Form der Selbstorganisation haben sich nicht erfüllt. In dem Gruppengespräch entwickelt sich unter den Frauen eine kontroverse Debatte über die Frage, wie es mit der Gruppe weitergehen soll, inwieweit das Netzwerk neue Denkanstöße braucht und in welcher Form diese neuen Impulse gesetzt werden sollen. Die Frauen überlegen auch, ob die themenspezifischen Bildungsangebote, die viel Organisationsaufwand beanspruchen, der Gruppe genügend Raum für einen frei flottierenden beruflichen Austausch lassen. Da Vernetzung das wechselseitige Wissen von und das Vertrauen in berufliche Kompetenzen voraussetzt, muss die Gruppe Gelegenheit für Kommunikation bieten. Eine der Frauen kritisiert in diesem Zusammenhang explizit das zwar engagierte, aber eben ,überdimensionierte‘ Bildungsangebot der Gruppe, weil damit der eigentliche Vereinszweck, nämlich „Klüngeln“ und „Networking“ nicht erreicht wird. Dabei wird das sog. Kernproblem benannt und von der Gruppe gemeinsam herausgearbeitet: Den Frauen fehle es an einer berufs- und arbeitsbezogenen Gesprächskultur und die als Netzwerk zusammen geschlossenen Frauen nutzen den bereitgestellten Raum nicht für einen beruflichen Austausch. Obwohl sich die Gruppe mit dem expliziten Anliegen formiert hat, berufliche (Männer)Welten über wechselseitige Wahrnehmung der beruflichen Kompetenzen und Unterstützung bei der Erweiterung beruflicher Handlungsoptionen zu erobern, ist das Thema Arbeit und Beruf
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nicht in dem Maße präsent wie es der Anspruch an berufliche Netzwerkarbeit nahe legt. Diese berufsbezogene Zurückhaltung fällt vor allem beim geselligen Zusammensein der Frauen auf, denn gerade dann, wenn sie über informelle Kontakte berufliche Netze spinnen könnten, werden berufliche Belange überhaupt nicht und wenn, dann eher zurückhaltend thematisiert. Die Beobachtung und Analyse dieses widersprüchlichen Verhaltens dokumentiert sich in dem folgenden Gesprächsausschnitt: B:
A:
B: A: B:
Ich find’, dieses Kernproblem kriegen wir damit nicht in den Griff. Ich weiß nicht, ob du mich richtig verstanden hast. Ich hab’ mich zum Beispiel gefragt: Ich kenn ja überregional auch einige Frauen recht gut. Die find‘ ich persönlich auch recht nett und äh ich weiß aber beruflich unheimlich wenig von denen, auch was die bewegt. Ich bin ja nun auch relativ kontaktinitiativ und hab’ die auch öfter angesprochen, was die eigentlich so beruflich machen, und mich wundert das immer so, dass da so wenig Resonanz kommt und so wenig Fleisch eigentlich dabei ist, ne. |_aber ne typisch’ weibliche Verhaltensweise, dass man sich über sein Beruf nicht so in Länge und Breite auslässt. Das machen Männer normalerweise viel |_ja! |_ausführlicher @ Ja, aber komisch, dass wir das nicht anders machen, wenn wir uns doch aus diesem Grund zusammengeschlossen haben
Zunächst einmal wird aus einer beobachtenden Perspektive das Fehlen eines spezifischen Job-Talks beschrieben. Trotz Nachfragen gibt es nur wenig Resonanz im Hinblick auf berufliche Themen. Dieses reservierte Gesprächsverhalten der Frauen wird einem offensiven Thematisieren der Männer über Arbeit und Beruf gegenüber gestellt und zu geschlechtsspezifischen Zuschreibungen typisiert. Zwar wird die männliche Eigenschaft, über berufliche Themen zu kommunizieren, mit einem ironischen Unterton geäußert – in der Formulierung über männliche Kommunikation steckt die implizite Kritik, dass sie mit ihrem Stil, beruflich Themen zu erörtern (sich eben in „Länge und Breite“ auszulassen), die Reziprozitätsnormen verletzen –, trotzdem wählen die Frauen die verallgemeinerten Verhaltensweisen der Männer als gedanklichen Gegenhorizont für ihr eigenes Handeln. Der kritische Blick auf das eigene Tun drückt zugleich Irritation über die inkriminierten geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen aus. Als Erklärung dieses empfundenen Widerspruchs dient das Wissen über weibliche Sozialisation. Das Fehlen einer berufs- und arbeitsbezogenen Gesprächskultur, so das folgende Zitat, ist demnach die Folge eines Verhaltenskodexes, der besagt, dass es für Frauen als nachgerade „unhöflich“ gelte, wenn sie berufsbezogenen Themen einen breiten Raum einräumen würden:
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus C:
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Das ist eigentlich bei Frauen fast ’n bisschen tabu. Also es gilt fast als unhöflich, über Fach- und Sachthemen sich zu lang auszulassen oder gar zu irgendwas zu kommen, was entfernt nach Diskutieren riecht, ne. Männer hab’n damit überhaupt keine Probleme.
Diese Erklärung des eigenen als widersprüchlich empfundenen Verhaltens erinnert an den Geschlechterdiskurses des 19. Jahrhunderts, in dem die Geschlechter strikt und gemäß den Wesensunterschieden von Frauen und Männern separiert wurden: Die Formulierung „es gilt fast als unhöflich“, wenn Frauen über „Fachund Sachthemen“ kommunizieren oder sich gar zu fachlichen Diskussionen hinreißen lassen, bedeutet nichts anderes als die oktroyierten Geschlechtergrenzen zu überschreiten. Berufliche Themen zu diskutieren heißt für Frauen nach wie vor, sich in einen Bereich zu mischen, der dem Mann zugedacht ist, nämlich Arbeit und Beruf. Dieses dem eigenen Selbstanspruch widersprechende Verhalten untergräbt den Sinn des weiblichen Zusammenschlusses nach beruflicher Vernetzung. Mit anderen Worten: Das Fehlen einer auf Arbeit und Beruf zentrierten Gesprächskultur verhindert die Art von Netzwerkarbeit, die die Frauen bei Männern voraussetzen und sich für ihre eigene Karriere wünschen. Gleichzeitig dokumentiert der Diskurs über das sog. arbeits- und berufsbezogene Kommunizieren die Schwierigkeit der Frauen, die über Sozialisation inkriminierte geschlechtspezifische Moral aufzugeben, die es ihrem eigenen Selbstverständnis nach zu überwinden gilt.
Der (Selbst-)Anspruch der Gruppe Eine Möglichkeit, berufliche Karrieren zu fördern bzw. selbst gefördert zu werden, bieten Mentoren und Mentorinnen. Die Frauen überdenken, ob das eigene Netzwerk diese Art von Karriereförderung leistet und auch: leisten kann. Dabei kommt es zu einer kontroversen Debatte innerhalb der Gruppe. Die Frauen diskutieren darüber, was Mentoring bedeutet und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Frau als Mentorin fungieren kann. Der kollektive Orientierungsrahmen der Gruppe bricht hier – zumindest phasenweise – auseinander. Die Diskussion über die begriffliche Bestimmung gerät unter der Hand zu einem Gruppen-Konflikt. Zum einen wird Mentoring in einem enger gefassten Sinn als „Spitzenmentoring“ interpretiert, zum anderen wird Mentoring weiter gefasst und als eine Art ressourcenorientierte (Lebens-)Beratung verstanden. Was das Mentoring-Verständnis in der enger gefassten Lesart betrifft, also Spitzenmentoring, so sind Mentoren und Mentorinnen hier Personen in exponierten beruflichen Positionen, die jüngeren Mitarbeiterinnen den Weg nach ‚oben‘ weisen.
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
Mentorinnen qualifizieren sich über Branchenkenntnis oder besser noch: Firmenkenntnis. Als weitere unabdingbare Voraussetzung gilt eine Führungsposition, die über langjährige berufliche Erfahrung verbürgt. Dazu der folgende Interview-Ausschnitt: A: C:
D: C: D:
Aber ich glaube, Mentoring, das kannst du sinnvoll nur in derselben Branche oder Firma besser noch machen |_und ich denk’, das kannst du auch nur dann machen, wenn du wirklich ne Stufe erreicht hast, also weil du auch sonst die Erfahrung einfach nicht hast Du kannst das, was junge Frauen an Mentoring interessiert, einfach nicht bieten. Die interessiert ganz konkret, ja aufgebaut zu werden, damit se |_genau auch nach oben kommen. Und das heißt, Mentoring ist dann interessant, wenn es Mentorinnen gibt, die oben sind, richtig oben.
In Antizipation der Erwartungshaltung junger Frauen, die nach „oben kommen“ wollen, entfalten die Frauen ihr Verständnis von Mentoring. Zugleich wird in dieser Perspektivenübernahme aber ebenso deutlich, dass sich die Frauen selbst als potenzielle Mentorinnen evaluieren. Die Bewertung fällt negativ aus: Da keine der anwesenden Frau die formulierten Voraussetzungen an das MentorenAmt erfüllt, wird eine ‚Aufbauarbeit‘ junger Frauen sowie das wechselseitige Coachen innerhalb der Gruppe obsolet. Keine der Frauen im Netzwerk hat eine großformatige Karriere, keine der Frauen ist „ganz oben“. Der hohe (Selbst-)Anspruch an ein Mentorenamt begrenzt die Möglichkeiten des Netzwerkes und dokumentiert zugleich die Erwartungs- bzw. Leistungshaltung der Frauen. Dieses leistungs- und statusbetonte Verständnis von Mentoren und Mentorinnen kollidiert in der Gruppe mit der alternativen Begriffsbestimmung einer Gesprächsteilnehmerin, die Mentoring als eine Art ressourcenorientierte Beratung für sich selbst verstanden haben will. Mentorinnen sind diesem Verständnis nach Ratgeberinnen: Immer da, wo Menschen mit Erfahrung Menschen mit weniger Lebenserfahrung und -alter beraten, findet Mentoring statt. Das Themenspektrum beinhaltet neben der Frage nach dem richtigen ‚Commitment‘ für das Unternehmen auch berufsübergreifende Fragestellungen wie die Balance zwischen Beruf und Privatleben. Diese beiden Positionen prallen in der folgenden Interviewsequenz – exemplarisch präsentiert durch zwei Teilnehmerinnen – aufeinander: B:
Aber für dich ist es ganz wichtig, dieses nach oben zu kommen, und du scheinst so ganz starke Maßstäbe auch zu haben – oben fängt bei dir beim Abteilungsleiter an, und das ist so dieses, wo du
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus C: B:
C:
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|_jedes andere schaff’ ich von allein. So seh’ ich das. Das andere schaff’ ich von allein und dann schaff’ ich’s nicht mehr ja, für mich sind aber ganz andere Themen beispielsweise relevant: Wie bring’ ich jetzt Beruf und Privatleben in ne Balance? Wie find’ ich die richtige Tätigkeit, die zu mir passt? Wieweit will ich mich in so n System reinbringen? Das sind für mich richtige Fragen, die auch wichtig sind, beantwortet zu werden. Da stell’ ich große Unterschiede zwischen uns fest Ja, das versteh’ ich nicht unter Mentoring. Das seh’ ich nicht unter Mentoring.
Die Art der beruflichen Karriereorientierung ist hier der Bezugspunkt der Diskussion und innerhalb dieses thematischen Rahmens kollidiert eine ‚Moral der kritischen Distanz‘, exemplifiziert durch B, mit einer ‚pragmatischen Karriereorientierung‘, wie sie die Gesprächsteilnehmerin C beispielhaft im oben aufgeführten Zitat verkörpert. Gleichzeitig wird in dieser Diskussionspassage deutlich, dass das Verständnis von Mentoring auf einer persönlichen Interessenlage basiert. Die Gesprächsteilnehmerin C, die Single ist, hat eine starke Karriereambition und wünscht, innerhalb des institutionellen Rahmens gefördert zu werden. In dieser Logik ist sie hierarchisch orientiert. Als die Gruppe darüber verhandelt, ob die Position einer Abteilungsleitung bereits den Statusanforderungen eines Mentorenamtes entspricht, nimmt sie eine strikte Grenzziehung ab der Position der Abteilungsleitung vor; sie disqualifiziert sich damit zwar selbst als Mentorin (C ist Abteilungsleiterin), bewertet aber mit ihren Maßstäben auch die beruflichen Karrieren der anderen Frauen. Eine berufliche Entwicklung bis zur Ebene der Abteilungsleitung, so die Sicht von C, kann durch eigene Leistung und das heißt: ohne die Unterstützung durch Mentoren erreicht werden. Danach obliegt es nicht mehr der eigenen Person, ob noch weitere berufliche Karriereschritte folgen. Im Gegensatz dazu steht die Position einer anderen Gesprächsteilnehmerin (B), einer allein erziehenden Mutter, die als Dipl. Ingenieurin in einer Sachbearbeiter-Position beschäftigt ist. Ihr Themenspektrum weist über originär berufliche Belange hinaus. Ihr ist nicht nur an dem institutionellen Rahmen gelegen; vielmehr wird Mentoring zur umfassenden Unterstützung in allen Lebenslagen. Dieses Verständnis lässt weniger auf eine Karriereorientierung im ‚klassischen Sinn‘ schließen als auf eine Suche nach dem richtigen beruflichen Ort und die passende Organisation von Arbeit im Leben. Die beiden unterschiedlichen begrifflichen Fassungen von Mentoring stehen sich zunächst unversöhnlich gegenüber und spalten die Gruppe. In beiden Lesarten werden die Frauen in ihren Erwartungen enttäuscht. Andere Diskussionsteilnehmerinnen unternehmen im Gesprächsverlauf den Versuch, der persönlich gefärbten Auseinandersetzung den ‚Wind aus den Segeln‘ zu nehmen und die Differenz zu harmonisieren. Es kommt zu einer – wenn auch zögerlichen und ‚herbeizitierten‘ – Annäherung. Diese Annäherung gelingt über die kollektiv
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
geteilte negative Orientierungsfigur einer Ablehnung von ‚Karriere um jeden Preis‘. Die kompromisslose Ausrichtung des Lebens an Arbeit und Beruf stößt bei den Frauen auf geteilte Ablehnung und wird nun zum minimalen Konsens in dem Bedürfnis nach Verständigung. In der folgenden Interviewpassage wirkt der Vermittlungsvorschlag fast wie eine Beschwörungsformel für Verständigung. Die „Lebensqualität“ jenseits oder trotz beruflicher Karriereambitionen ist die Gemeinsamkeit in der Differenz und wird jetzt zu einem Art Rettungsanker für den Zusammenhalt des Kollektivs: F:
Ich denke auch, dass ihr beide überhaupt nicht so weit auseinander liegt, weil äh, du ja auch jemand bist, dem Lebensqualität wichtig ist, der vom Beruf nicht komplett aufgefressen werden will. Du würdest, nur um Karriere zu machen, würdest nicht alles andere links liegen lassen, ohne jeglichen Kompromiss einzugehen.
Insgesamt wird in der Auseinandersetzung um das Thema Mentoring deutlich, dass trotz der Homogenität der beruflichen Lagen – die beruflichen Positionen der Frauen lassen sich alle auf mittlerer Ebene beschreiben – die Frauen unterschiedliche Karriereambitionen verfolgen und diese Differenz in der Gemeinsamkeit das kollektive Einverständnis bedroht. Die Auseinandersetzung um die Funktion und die Voraussetzungen für ein Mentoren-Amt bedeutet ein Gewahrwerden über unterschiedliche Interessen der Frauen und wird zu einer Zerreißprobe für das kollektive Gesamtgefüge.
Unterschiede zwischen Frauen und Männern Die Frauen rekurrieren in der Diskussion immer wieder auf eine Differenz der Geschlechter und in dieser geschlechtertypisierenden Perspektive werden die eigenen Konturen sichtbar. Die Frauen beschreiben ihre Erfahrung der Differenz am Arbeitsplatz und am Rande auch in der privaten Sphäre. Sie elaborieren unterschiedliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zwischen Männern und Frauen und sind sich über die grundsätzlich ‚vergeschlechtlichte‘ Mann-FrauDifferenz einig. In dem Vergleich von Frauen und Männern dokumentiert sich auch die kollektive Praxis der Diskursorganisation: Die zunächst als individuell und persönlich markierte Differenz zwischen eigenem (also subjektiv erfahrenem) und männlichem Verhalten (Ich-Du-Differenz) wird aufgegriffen und zu einer geschlechterspezifischen Differenz erklärt. Die individuelle Erfahrung generiert in der Diskussion sukzessive zu einem kollektiven geschlechtsspezifischen Argumentationsmuster. In dieser Generalisierung der Differenz wird das männliche
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Verhalten als das andere gesehen und dem weiblichen Verhalten gegenübergestellt. Die ‚Andersartigkeit‘ zwischen Frauen und Männern ist in einem fundamentalen Sinne fraglos präsent. Allerdings sind die geschlechtsspezifischen Typisierungen nicht immer eindeutig, wie in der folgenden, interaktiv dichten Gesprächspassage exemplarisch zum Ausdruck gebracht wird. Auf einer (Deutungs-)Ebene der Verteilungen von Eigenschaften und Verhaltensweisen gibt es keine gemeinsame Meinung in der Gruppe, die Eigenschaften ‚sachlich‘ und ‚emotional‘ werden beispielsweise unterschiedlich interpretiert. Die Zuordnung in altbekannter Manier stößt auf Widerspruch, wird verworfen und neu komponiert: B:
Die (Männer, Anm. d. Verf.) denken halt stark in Strukturen: Was muss ich tun, was muss ich machen, um bei ’ner Besprechung beim Chef ’n guten Eindruck zu machen? Und grade das funktioniert in diesem System eben auch bei ’ner Tochterfirma von A-Firma sehr gut. Das mein ich jetzt mit sachlich C: |_@ B: Also sie funktionieren einfach in dem Umfeld angepasster. Und die Gedanken, die ich mir oft mache, oder die Empfindlichkeiten, die ich oft habe, die kosten meine Energie, die sind vom System aus verschwendet, und ich passe mit meinen mit meinen ganzen ja mit meiner ganzen Art nicht so super in dieses System rein. Das ist ’n männliches System. Das erleb’ ich als Belastung, als Zusatzbelastung. Jetzt du mit deinen emotionalen Kollegen C,D: |_@@ A: Nee also, dass Männer sachlicher reagieren als Frauen, das kann ich nicht feststellen – sie reagieren anders. Sie reagieren anders und tun vielleicht an der C: |_anders, ja A: |_Oberfläche sogar so, als ob des sachlich begründet wär’. Aber da sind so viele Emotionen und da wird so viel Zeit verschwendet, um solche Dinge da auszuleben. Also ich kann des nicht, nicht äh bestätigen. Also was ähm, wo ich dir Recht gebe, dass die meisten Männer besser an das System angepasst sind, weil sie von ihrer ganzen Erziehung auf dieses System hin erzogen wurden.
Männliches Denken wird als ‚gelenkt‘, affirmativ, hierarchisch orientiert, funktional angepasst, individuell, wenig umfassend, kurzum: als „anders“ erfahren und gedeutet. Dies ist der gemeinsame Nenner, auf den sich die Frauen einigen. Männer werden im betrieblichen Umfeld als Funktionsträger charakterisiert; sie verlangen am Arbeitsplatz klare Anweisungen und ihr Blick ist auf das Wohlwollen einer statushöheren Person gerichtet. Dieses an Autoritäten (und mithin an eigenem Statusgewinn) orientierte Denken und Handeln findet in einem „System“ statt, das von den Frauen als männlich charakterisiert wird und insofern als
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
adäquater Rahmen für diese Art der Handlungsorientierung dient. Männliches Denken und Handeln fügt sich nahtlos in Organisationen ein, die Anpassung verlangen. Demgegenüber reflektiert eine der Frauen im oben zitierten Gesprächsausschnitt ihr prekäres ‚Standing‘ in der Firma. Sie sieht sich als eine Art Außenseiterin: „ich passe mit (...) meiner ganzen Art nicht so super in dieses System rein“. Doch auch Männer sind – so die Sicht der Frauen – emotional. Allerdings inszenierten diese ihr (berufliches) Profil. Männer verstünden es, ihr Verhalten als „sachlich“ zu präsentieren und den Eindruck zu erwecken, dass Emotionen in ihrem Verhalten keine Rolle spielen würden. Aber obwohl es ihnen – oberflächlich gesehen – gelingt, ihren Reaktionen einen sachlichen Ausdruck zu verleihen, sind „da so viele Emotionen“, die ebenfalls ausgelebt werden (müssen). Der gedankliche Gegenhorizont der männlichen Inszenierungsfähigkeit ist hier die Authentizität der Frauen im Umgang mit Emotionen. Im Gegensatz zu Männern seien Frauen emotional und lebten dies auch aus. Zugleich wird die eigene Art des Denkens und Handelns als umfassend beschrieben. Dieser kognitivemotionale Einsatz für die Firma wird von den Frauen als kräftezehrend erfahren sowie als zusätzliche Belastung eingeführt. Aus einer (männlichen) Unternehmensperspektive ist dieses ‚weibliche‘ Engagement zudem verschwendet.
Die Erklärung der Differenz Die Erfahrung und Deutung der Frau-Mann-Differenz wird von den Frauen theoretisch ‚fundamentalisiert‘. Dabei rekurriert die Gruppe in unterschiedlichen Gesprächskontexten immer wieder auf die Theorie einer ‚geschlechtsspezifischen Sozialisation‘. Männliches und weibliches Verhalten werden dabei ursächlich erklärt, plausibilisiert und auch festgeschrieben. Ein prominentes Beispiel für einen solchen sozialisationsfokussierten Blick der Gruppe ist das geschlechtsspezifische Selbst-Erleben und eine im Vergleich mit Männern unterschiedliche Selbst-Erfahrung der Frauen. Diese wird von den Frauen als eine prozesshafte beschrieben, männliches Selbst-Erleben hingegen ist in der Perspektive der Frauen eher ein Zustand des Abgeschlossenseins. Eine Gesprächsteilnehmerin versinnbildlicht Mann-Sein im folgenden Zitat als „erratischen Block“: D:
(...)Frauen stellen permanent in Frage, begreifen sich als Prozess, erfahren sich als Prozess. Männer erfahren sich in der Regel, sofern man pauschalisieren kann, überwiegend als erratischen Block – der is so, wie er ist, ne. Du kannst A,C, E: |_@@@
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus D:
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@ du kannst mit den meisten Männern sind bestimmte Gespräche ähm, so Psychotalk, wie Frauen ihn viel machen, so Feedback und angucken und so, kannst du mit 70 Prozent der Männer nicht führen. Das interessiert die nicht und das können die auch nicht, weil se es nie gelernt haben – kam in der Sozialisation nicht vor.
Diese Zustandsbeschreibung der unterschiedlichen Selbst-Erfahrung ist konsequenzenreich, denn Männern fehle damit die Fähigkeit zum „Psychotalk“, zum reziproken Gespräch. Dies liege zum einen am Desinteresse der Männer, ihr Verhalten reflexiv und selbstkritisch zu beleuchten. Zum anderen wird der Mangel an einem selbstgerichteten Innenblick als ein sozialisationsbedingtes Defizit markiert und festgeschrieben: Selbstreflexion und Selbstkritik sind in der Perspektive der Frauen kein Bestandteil männlicher Sozialisation. Auch wenn, wie in der Unterscheidung weiblicher und männlicher Selbsterfahrung und -deutung zu Tage kommt, Frauen ‚naturwüchsig‘ dazu in der Lage seien, über sich hinauszuwachsen (bzw. zu denken), so tragen genau diese ‚weiblichen‘ Ressourcen, wie noch zu zeigen sein wird, dazu bei, kontrafaktisch zu wirken, vor allem, wenn es darum geht, sich in gemischtgeschlechtlichen Teams oder allgemeiner: in Arbeitsorganisationen mit überwiegend männlichen Kollegen und Vorgesetzten zu behaupten und zu bewähren. Denn die Beharrungskräfte einer geschlechtsspezifischen Sozialisation lassen sich nicht durch eine einfache, auf die befreiende Bewusstwerdung gegründete Willensanstrengung aufheben; vielmehr wirken sie als (Selbst-)Zensur bei der Teilhabe an Macht. So würden Männer im Sozialisationsprozess begünstigt, sich in Organisationen zu bewegen, die auf Anpassung und individuelle Leistungserbringung ausgerichtet sind. Die geforderten Fähigkeiten, z.B. die Orientierung an Autoritäten und die Akzeptanz individueller Leistungserbringung, werden im Erziehungsprozess erlernt. Weibliche Sozialisation hingegen, so die geteilte Argumentation der Netzwerkfrauen, bringt teambezogene Kompetenzen hervor. Diese von den Frauen in der Diskussion zunächst positiv bewerteten Fähigkeiten (vgl. dazu auch das Interviewzitat des vorherigen Abschnitts) finden in einer von Männern geprägten Arbeitswelt allerdings keine Würdigung. Im Gegenteil, die sog. weibliche Team-Orientierung wirkt den Frauen zufolge als Hemmschuh, wenn es darum geht, sich in einem auf Konkurrenz ausgerichteten Arbeitsumfeld zu behaupten. Die Polarisierung der Wesenszüge von Männern und Frauen wirkt generell in allen Situationen. So attestieren die Frauen bei sich die ‚Fähigkeit zur Gleichzeitigkeit‘ – im beruflichen sowie im privaten Kontext. Männer hingegen seien zu einer zeitgleichen Bewältigung verschiedener Aufgaben nicht in der Lage. Auch dieser Unterschied wird als ein sozialisationsbedingtes ‚Mitbringsel‘ formuliert. Eine der Gesprächsteilnehmerinnen der Gruppe, die als Ingenieurin in
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
einer Männerdomäne arbeitet und sich zugleich im Vorstand des Frauennetzwerkes engagiert, analysiert im folgenden Gesprächsausschnitt die unterschiedlichen Arbeitsstile von Frauen und Männern. Männer, so ihre Sicht, arbeiten konzentriert an einem Auftrag, bis dieser erledigt ist. Sie arbeiten nach dem Prinzip ‚Ganz oder gar nicht‘. Ein Changieren zwischen verschiedenen Aufgaben gebe es bei Männern nicht, denn diese fokussieren ihr Tun, grenzen ab und erledigen Aufträge seriell. Sind Arbeitsaufträge besprochen („wenn des mal auf der Schiene is“), gibt es auch keine (gedanklichen) Abweichungen mehr. Im Vergleich zum konzentrierten Arbeitsstil der Männer sei in Arbeitszusammenhängen mit Frauen ein permanentes Abgrenzen der aktuellen Aufgabe gegenüber anderen Interessen und Anforderungen notwendig. Frauen chaotisieren und tanzen auf ‚verschiedenen Hochzeiten‘: C:
Ich hab’ das auch analysiert: Wenn ein Mann an einer Aufgabe sitzt, der macht des. Und du weißt, der ist beschäftigt, bis er fertig ist. Die Frauen machen alles gleichzeitig. Da kommst de nicht mehr mit, da wirst de wahnsinnig @ A/B/E: @@@ C: |_Da bist de mit dem Abgrenzen so beschäftigt, da bist de abends fertig. Mit Männern, wenn des mal auf einer Schiene ist, dann läuft des. Da machst de dir erst wieder Gedanken, wenn der fertig ist und mal wieder was anderes machen soll.
Die Möglichkeit zur ‚Gleichzeitigkeit‘ wird hier karikiert in Szene gesetzt. Andere Teilnehmerinnen am Gespräch unterfüttern die Erfahrung und bringen weitere Beispiele dafür, dass Frauen auch im privaten Kontext verschiedene Anliegen parallelisieren: A:
E, C: A: E: D: E: D:
Aber jetzt wo du es sagst: Wenn ich bei Nachbars Frau karteln bin, wird immer die ganze Zeit über alles Mögliche geredet. Und ich denke immer: Wir wollten doch eigentlich karteln. Wieso karteln wir nicht? Es is zwar schon ganz gut, @@ |_dass man ein paar Eheprobleme diskutiert, aber wir sollten doch auch karteln. Und@ jetzt nenn mir eine plausible Begründung. Ja Frauen@ Wenn wir musizieren, bin ich immer die Buh-Frau, die sagt: So jetzt spielen wir aber. Weil se sich gleich so @ |_verquatschen @
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Die Fähigkeit zur Gleichzeitigkeit und vice versa die Unfähigkeit zu Konzentration wird von den Frauen im weiteren Gesprächsverlauf auch hirnorganisch erklärt. Der Umstand, dass Frauen immer als ‚ganze Personen‘ präsent seien, wird als neuro-biologische Entität angeführt. Während bei Männern nachweisbar ein „Gefühlszentrum im Gehirn“ lokalisierbar sei, ließe sich ein solches Zentrum im weiblichen Gehirn nicht nachweisen; vielmehr würden Emotionen im weiblichen Körper diffus verarbeitet, was zur Folge habe, dass alle Sinneseindrücke emotional eingebettet seien. Frauen werden dieser Erklärung nach also ständig mit ihren Emotionen und zwar in unkontrollierbarer Weise konfrontiert, während Männer durch die eindeutige Lokalisierung des Gefühlszentrums Emotionen ausschalten könnten und demzufolge in der Lage seien, sich auch unemotional zu verhalten: E:
bei Männern können keine zwei Dinge da gleichzeitig ablaufen. (.) Ohne Quatsch, das ist biologisch C: |_nö, das is viel, das is B: @ E: |_nachgewiesen, das liegt an der Hirn, an der Verkabelung im Gehirn B: echt? D: ja. Genau was du vorhin angeschnitten hast, dass die-dass die Gefühle nicht so in die Quere kommen oder so, das hängt damit zusammen E: Die haben so ein Gefühlszentrum im Gehirn, was einfach A,B, C, D: @@@@ E: |_ja, also nein, ohne Quatsch. Nee, das kann man medizinisch nach- also nachweisen, neurologisch. Das ist bei denen einfach an einer Stelle im Gehirn. Während es bei C: |_das ist so, ja E: |_Frauen überall bearbeitet werden diese Emotionen. Das heißt praktisch, dass auch fast alles mit Emotionen verknüpft ist. Und dadurch wird’s halt ( ). @@ Aber das werden wir nicht ändern – das is einfach biologisch so und fertig. Da muss man halt durch D: Mann eben nicht offensichtlich
Obwohl die hirnphysiologische Erklärung einer Gesprächsteilnehmerin in der Diskussion zur allgemeinen Erheiterung beiträgt und die Interpretation nahe liegt, dass nicht alle Frauen in diese neuro-biologische Wesensbestimmung einstimmen, dokumentiert sich in dieser Passage doch deutlich das Bedürfnis der Frauen, geschlechtertypisches Verhalten mit Hilfe von Wissenschaft zu erklären und (für sich und andere) nachvollziehbar zu machen. Das biologische also auch das sozialisationstheoretische Argument hat damit eine Entlastungsfunktion: Moralisch sind Männer und Frauen unangreifbar. Die ‚mitgebrachten‘ Fähigkei-
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ten und Fertigkeiten können nicht verändert werden oder, um es mit den Worten der vorhin zitierten Gesprächsteilnehmerin zu sagen: „Da muss man halt durch“. Mit der direkten Anmerkung einer Diskussionsteilnehmerin auf diese Schlussfolgerung: „Mann eben nicht offensichtlich“ wird neben dem kritischen Hinweis auf die androzentrische Semantik zum Ausdruck gebracht, dass die Andersartigkeit in der Konsequenz emotional nur Frauen betrifft. Männer stehen aufgrund der Erkenntnisse denselben logischerweise emotional unbelasteter gegenüber.
Selbstkritik und Selbstreflexion Der (selbst)kritische Blick auf das eigene selbstkritische Verhalten wird von den Netzwerkfrauen auch (selbst)kritisch gedeutet. So entlarven die Frauen ihr Vermögen, sich permanent selbst zu hinterfragen, im Arbeitsleben als ein unnötiges, weil über das Ziel weit hinausschießendes Verhalten. Im Arbeitsalltag, so die Sicht der Frauen, sind Beziehungen eher scheinbare Beziehungen, die es zu unterscheiden gilt von einer Beziehungsqualität im privaten Bereich. Hier gilt authentisches Verhalten als moralischer Maßstab: C: A:
B: A: B: A:
E:
Frauen, die Mist gebaut haben, die stehen meistens auch dazu, hab’ ich den Eindruck. Ja (.) aber, also da mein’ ich wirklich, dass man da einfach differenzieren muss, weil viele Dinge im Job, die sind einfach nicht so, dass man da unbedingt dazu stehen müsste. (.) |_Nee, jedenfalls nicht in dem Umfeld. Das macht keinen Sinn. Das macht |_ja, ja |_wirklich keinen Sinn. das ist was anderes, ob ich im privaten Umfeld, wo ich einfach äh ne ganz andere Beziehung zu dem Menschen haben will, wirklich auf zwischenmenschlicher Ebene und so, das is was ganz anderes. Aber wenn’s im Job um was geht, was abzuhandeln oder was zu erreichen und da geht dann einfach zwischendurch mal was schief, da muss ich mich doch nicht gleich outen, also Ja aber ich glaub’, das is genau der Punkt. Also wenn was schief geht: Mich überfällt dann sofort das- dieses Schuldbewusstsein. Wahrscheinlich artikulier ich mich entsprechend. Der Kollege, der was verschusselt, was fast noch n Zacken größer war:‚Oh, hab’ ich verschusselt’. Und dann geht er zur Tagesordnung über, ne, und transportiert nicht so äh persönliches Unangepasst-Sein oder Nicht-Klargekommen-Sein oder dies In-Frage-stellen, ne, und bauscht es auch nicht auf oder so. Also das hab’ ich schon oft so erlebt.
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Selbstreflexion und Selbstkritik sind aus der Sicht der Frauen ein fundamentaler Bestandteil privater Beziehungen. Im beruflichen Kontext hingegen provoziere der permanent kritische Blick auf das eigene Tun ein Gefühl des „UnangepasstSeins“. Dies lässt sich als impliziter Ausdruck einer prekären Verankerung der Frauen in der beruflichen Welt interpretieren. Bemerkenswert ist im oben aufgeführten Gesprächsausschnitt die Homologie von Erzählung und (handlungsrelevanter) Erfahrung, d.h. die Merkmale der Formalstruktur des Textes stehen in einem homologen Verhältnis zu den Inhalten der Gruppendiskussion. Mit anderen Worten: Es gibt deutliche Entsprechungen zwischen der Praxis der Darstellung und der dargestellten Praxis. Im Gespräch über Sinn und Moral von (öffentlicher) Selbstkritik am Arbeitsplatz reproduzieren die Frauen das permanente Sich-Hinterfragen auch in der aktuellen (Diskussions-)Situation. Die reflexive Durchdringung der eigenen Praxis schließt das (Selbst)KritikVermögen der Frauen ein und entlarvt es – wie gezeigt wurde – als SchwächeInszenierung. Ein möglicher Ausweg aus der ‚Problemspirale‘ öffnet das Bild aus der „Blütezeit der neuen Frauenbewegung“, nämlich das „Bild vom General auf dem Feldherrnhügel, der weniger seine eignen Truppen als die anderen anguckt“. Die kontroverse Debatte der 70er Jahre, ob es legitim und moralisch korrekt ist, dass Frauen von Männern lernen (dürfen), ist nicht neu, sondern „fasziniert“ auch bei der aktuellen Standortbestimmung: D:
Also es gab ja mal zur Blütezeit der neuen Frauenbewegung immer dies schöne Bild vom General auf’m Feldherrenhügel, der weniger seine eigenen Truppen als die andern anguckt, was die jetzt wohl machen, nicht. Und weil ja das Patriarchat der böse Feind war in der damaligen Denke. Aber ich fand die Idee eigentlich immer ganz faszinierend, also wie du sagst, dass man da auch vieles von lernen kann und weniger das ganze Konzept übernehmen will. Aber die Sachen funktionieren gut und richten weiter sonst keinen großen Schaden an, kann’ die aber nutzen. Warum zum Teufel nicht, ne?
Introspektion impliziert die Gefahr, im Eigenen zu verhaften. Dagegen öffnet der Blick ins ‚feindliche Lager‘ die Möglichkeit, eigene, auch strategische Optionen zu wählen und den Wissensvorrat zu erweitern. Zugleich wird aber ebenso deutlich, dass der ausschließlich am Feind orientierte „General auf dem Feldherrnhügel“ eine nicht ungefährliche Haltung einnimmt: Denn es bestünde die Gefahr, eigene Positionen und Strategien aus den Augen zu verlieren. Frauen, die nur mehr ‚feindzentriert denken‘ – um im Bild des Generals zu bleiben –, agieren reaktiv. In diesem ‚reaktiven Agieren‘ kann nur bedingt ‚eigene‘ Entwicklung stattfinden. Die Gesprächsteilnehmerin der oben aufgeführten Passage ist fasziniert von der Idee, beobachtend zu lernen – ohne dabei das „ganze Konzept“ zu übernehmen. Es geht ihr darum, die erfolgreichen Strategien der Männer in der
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Arbeitswelt zu kopieren oder zumindest partiell für das eigene Fortkommen zu nutzen. Dass sie den „Teufel“ zitiert („Warum zum Teufel nicht, ne?) drängt die Vermutung auf, dass die favorisierte Strategie prekär und moralisch nicht ganz einwandfrei ist. Die Orientierungsfigur ‚weibliche Authentizität‘, die die Frauen vor dem Vergleichhorizont des Mannes und des Männlichen für sich in Anspruch nehmen, bricht sich an dem Wunsch, an den (Macht-)Spielen der Männer teilzunehmen. Insgesamt ist die vergeschlechtlichte Welt das Fundament der Gruppe und verklammert die Gemeinschaft der Frauen. Zugleich sind die Frauen der Netzwerkes ‚sozialwissenschaftlich informiert‘ und sensibilisiert für einen kritischen Geschlechterdiskurs. Dazu gehört, dass die Geschlechtszugehörigkeit im Sinne einer Reflexion und Problematisierung thematisiert wird. In dem geschützten Raum der Gemeinschaft kommunizieren die Frauen über die Praxis ihrer prekären habituellen Sicherheit in der beruflichen Welt.
2.2 Fallübergreifende Deutungsmuster und Strukturhypothesen: Dauer-Diskursivierung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit Im Folgenden wird der Geschlechterdiskurs, wie er typisch ist für das bildungsbürgerliche und auch links-alternative Milieu, fallübergreifend nachgezeichnet. Im Vordergrund stehen kollektive Orientierungen, Deutungsmuster und Wissensrepertoires in weiblichen Gemeinschaften, die sich aus gemeinsamen Erfahrungen speisen und auf das soziale Milieu der Kommunikationsgemeinschaft verweisen. Im milieu-internen Fallvergleich der gebildeten Mittelschicht wird ein spezifischer Vergemeinschaftungsmodus evident, der sich über alle Gruppen hinweg als Dauerdiskursivierung von Geschlecht- und Geschlechtszugehörigkeit beschreiben lässt. Dieser artikuliert sich zum einen als Abgrenzungsdiskurs (Pkt. 2.2.1). Die weibliche Gemeinschaft konturiert sich vor der Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen. Zum anderen werden von den Frauen in einer spezifischen Kultur der Selbstreflexion die eigenen Verhaltensweisen auch kritisch hinterfragt. In sog. ,Reflexivitätsschleifen‘ kritisieren die Frauen ihr Kritikvermögen selbstkritisch (Pkt. 2.2.2). Zudem werden in den jeweiligen Gruppen – wenn auch unterschiedlich – Ansprüche nach (Selbst-)Behauptung in einer männlich dominierten Welt verfasst und formuliert. Der weibliche Zusammenschluss ist für die einen eine Art Übungsraum für den adäquaten Umgang mit symbolischen Ressourcen, für die anderen entwickelt sich der Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft zum (Rückzugs-)Ort, an dem die Frauen ,gegenkulturelle‘ Entwürfe für eine Neuverortung im gesellschaftlichen Raum entwickeln
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wollen (vgl. Pkt. 2.2.3). Schließlich verweist der schwierige Umgang mit internen Konflikten auf das prekäre Gesamtarrangement der ,weiblichen Gemeinschaft‘ der gebildeten Mittelschicht. Im Spannungsfeld zwischen einer programmatischen Verbundenheit zum einen und einer erfahrungsgebundenen Differenz der Frauen untereinander zum anderen finden sich vielschichtige Argumentationen, mit denen es zwar gelingt, die aufbrechenden Differenzen zu harmonisieren. Sie schlagen dann fehl, wenn die Geschlechtszugehörigkeit als verbindendes Element der weiblichen Gemeinschaft keinen gemeinsam geteilten Erfahrungsraum mehr markiert (Pkt. 2.2.5).
2.2.1 Der Abgrenzungsdiskurs: „Männer sind anders“ Die verschiedenen weiblichen Zusammenschlüsse des bildungsbürgerlichen und links-alternativen Milieus definieren sich vor allem in Abgrenzung zu Männern und dem Männlichen und die eigene Geschlechtlichkeit ist den Frauen dadurch permanent präsent. Die Frauen beschreiben in den Gruppendiskussionen regelmäßig ihre Erfahrung der Differenz – am Arbeitsplatz sowie im privaten Lebenskontext. Sie vergleichen die Erfahrungen, die sie in der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft machen bzw. gemacht haben, mit denen in gemischtgeschlechtlichen Gruppierungen bzw. Arbeitszusammenhängen. Zugleich – und auch das lässt sich als ein gemeinsames kohärenzstiftendes Merkmal im Milieu der gebildeten Mittelschicht herausarbeiten, werten die Frauen ihre eigenen Verhaltensweisen positiv. Diese ‚Positivierung der Differenz’ (vgl. dazu auch Gildemeister und Wetter 1992) zieht sich wie ein ,roter Faden‘ durch alle Gruppengespräche. In dem folgenden Interviewausschnitt aus der Gruppendiskussion mit einer Fraueninitiative im Bereich Gesundheit konturiert sich der „Frauenzusammenhang“ vor der Vergleichsfolie des Mannes und männlicher Verhaltensweisen. In Frauenzusammenhängen, so das Credo der Gruppe, vollziehe sich das Miteinander im Medium des Selbstverständlichen. Die Frauen verstünden einander, ohne sich erklären zu müssen. Mit Männern hingegen wird diese einvernehmliche Sicht nicht geteilt. Eine der Teilnehmerinnen bringt diese Sichtweise stellvertretend zum Ausdruck: B:
Also ich denke schon, dass es unterschiedlich ist, weil in so einem Frauenzusammenhang und grade mit so einer relativ auch relativ deutlichen politischen Ausrichtung über manche Sachen nicht mehr so viel geredet werden muss. Und dieses, also es ist zwar banal, aber es sind einfach keine Männer da. Das heißt, es geht zum Beispiel nicht darum, Redezeit überhaupt erst mal für sich beanspruchen zu müssen, weil da hab’ ich schon das Gefühl, dass es hier leich-
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse ter geht, als wenn Männer mit diskutieren würden. Über viele Themen muss einfach weniger dann diskutiert werden, weil Männer halt dann eine ganz andere Sicht drauf haben, und wir aus unseren Frauenerfahrungen heraus oft zumindest ähnlich orientiert sind.
Es gehört zum kollektiv geteilten Wissensbestand der Gruppe, dass mit der Anwesenheit von Männern eine selbstverständliche und einvernehmliche – und in diesem Sinne auch eine für alle Frauen nicht mehr explizit zu thematisierende – Problemsicht der Frauen behindert werde. Hier wie in allen Gruppendiskussionen des akademischen Bildungsmilieus werden Eigenschaften und Verhaltensweisen von Frauen und Männern beschrieben, die das Differente der Genusgruppen herausstellen und die Kontur der weiblichen Gemeinschaft sichtbar werden lassen. In allen Gruppen spezifizieren die Frauen diese fundamentale Einsicht in die Differenz der Geschlechter und zeichnen sehr detailliert die unterschiedlichen Facetten ihrer Differenzsicht und -erfahrung. Nahezu durchgängig werden für Frauen und Männer unterschiedliche kommunikative Absichten und Darstellungspraktiken charakterisiert sowie ausnahmslos atmosphärische Unterschiede zwischen rein weiblichen und gemischtgeschlechtlichen Zusammenkünften festgestellt. Die weiblichen Gemeinschaften im akademischen Bildungsmilieu sind sich also über eine grundsätzlich ‚vergeschlechtlichte‘ Mann-Frau-Differenz einig. Die geschlechtsexklusive Gruppierung ist der Rahmen, innerhalb dessen sich die Frauen darüber verständigen und vergemeinschaften. In der folgenden Gruppe unseres Samples, einer firmenübergreifenden Initiative von Betriebsrätinnen, werden die erlebten Unterschiede im Kommunikationsverhalten zwischen reinen Frauengruppen und gemischtgeschlechtlichten (Arbeits-)Zusammenhängen sehr pointiert formuliert: Im geschützten Raum der weiblichen Gemeinschaft „erholen“ sich die Frauen von dem „Rumgockeln“ männlicher Kollegen. Ohne die inszenierten Rituale männlicher Profildemonstrationen werden anstehende Themen konzentriert und effektiv bearbeitet. Sind die Frauen ‚unter sich‘, werden Auseinandersetzungen im Hinblick auf eine unterschiedliche Art der Kommunikation entschärft. D:
Also ich persönlich bespreche mich sehr gern mit Frauen, weil ich den Eindruck hab’, dass die viel stärker und näher am Thema bleiben und meistens nicht abschweifen, auch wenn wir jetzt ein wenig@, aber meistens doch nicht abschweifen und sich meistens auch nicht unbedingt profilieren wollen, indem jede zweite Frau das noch wiederholt, was schon gesagt wurde und damit eigentlich die Besprechungen effektiver und kürzer sind – meistens. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber ich empfinde es so – und auch produktiver.
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus D: C: D: B:
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Ja kenn’ ich auch so, so diese Phase, erst mal ne halbe Stunde so rumgockeln, bevor man zur Sache kommt. Das entfällt einfach. |_@ja, zum Beispiel@ Das heißt auch, wir sind auch hier, um uns zu erholen von dem ganzen Rumgegockel @@ @@
Männer, so die einvernehmliche Sicht der Frauen, dominieren Situationen und hierarchisieren das Gruppengefüge. Demgegenüber stellen die Frauen der verschiedenen Zusammenschlüsse regelmäßig die eigene ‚zwanglose‘ Atmosphäre ihrer geschlechtsexklusiven Gemeinschaft heraus. Ohne Beisein von Männern fühlen sie sich „hierarchiefreier“ und auch „gleichberechtigter“. Das folgende Zitat stammt von einer Gesprächsteilnehmerin aus einer ,feministischen Lesegruppe‘. Für sie ist und war das „männerdominante Verhalten“ in politischen Gruppierungen ausschlaggebend, sich fortan in einer Frauengruppe zu treffen, um über politische Themen und Literatur zu diskutieren. Zudem wird auch hier – wieder in Abgrenzung zu gemischtgeschlechtlichen Zusammenschlüssen –, die geschlechtsexklusive Gemeinschaft zu einem Ort, an dem anderes möglich wird, nämlich über Gefühle zu reden bzw. sie „los(zu) werden“: B:
A: B:
Also ich bin ja noch nicht so lange dabei. Und für mich war irgendwie der Hauptgrund, dass ich gerne in Frauenzusammenhängen bin und diskutiere, um eben so eine bisschen von diesen, aus diesen männerdominanten Räumen heraus. Ich finde, dass ich mich in Frauenzusammenhängen freier bewegen kann, hierarchiefreier auch, gleichberechtigter. Und ja, ich bin, glaube ich, lieber mit reinen Frauengruppen zusammen – nee nicht immer – es gibt auch Situationen, wo ich auch gerne @ was in gemischten Zusammenhängen mache. |_echt? @@ Aber es fällt mir auch immer wieder auf, weil ich auch in politischen Gruppen auch ziemlich viel war und vereinzelt noch bin, dass mich grade dieses männerdominante Verhalten, dieses Redeverhalten von Männern ziemlich ankotzt so. Und das Gefühl habe ich, dass ich das in Frauenzusammenhängen besser kann und dass ich besser über meine Gefühle reden kann und loswerden kann. Ja und der Grund warum ich grade hier in der Frauengruppe bin: Also ich bin auch sonst gerne immer oder mit meinen Freundinnen einfach, da treffen wir uns also nur unter Frauen halt. Aber in dieser Gruppe fand ich das einfach total auch reizvoll eben in Frauenzusammenhängen über, ja, politische Themen oder eben spezielle Literatur einfach zu lesen, zu diskutieren so.
Bei der Charakterisierung von weiblicher und männlicher Kommunikationskultur wird – als Gemeinsamkeit über alle Gruppen hinweg –, der weibliche Stil als teamorientiert gedeutet, der auf ein Gegenüber mit ähnlicher Beziehungsorientierung angewiesen ist, um seine Effizienz zu entfalten. In Situationen, wo ein Stil
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
der Selbstdarstellung vorherrscht, also dort, wo Männer anwesend sind, trifft die Beziehungsorientierung der Frauen gewissermaßen ins Leere. Frauen – so die fast gleichlautende Einschätzung –, brächten Ressourcen mit, die sie für Teamarbeit geradezu prädestinierten. Für Männer hingegen, so der Umkehrschluss, habe Kommunikation einen anderen Wert. Männer kommunizierten auf Umwegen. Sie verletzten Reziprozitätsnormen und arbeiteten weniger beziehungsorientiert. Das Feld der Eigenschaften, mit denen die Geschlechterdifferenz ausgemalt wird, umfasst neben den unterschiedlichen Kommunikationspraxen einen identitätslogischen Konstruktionsmodus der Differenz: Männern orientierten sich vor allem in beruflichen Kontexten funktional angepasst. Ihr Denken und Handeln sei an Autoritäten (und mithin an eigenem Statusgewinn) ausgerichtet. Frauen hingegen hielten an authentischer Selbstdarstellung und moralischer Integrität fest. Die eigene, also ,weibliche‘ Art des Ausdrucks wird als ,unverfälscht‘ und die Art des Denkens als ,umfassend‘ beschrieben. Die folgende Gesprächssequenz stammt aus dem beruflichen Frauennetzwerk, das bereits in der Falldarstellung ausführlich beschrieben wurde. Im Kontext der Debatte um eine geschlechtsspezifische Moral belegen die Frauen mit anschaulichen Beispielen ihre Deutung der geschlechtsspezifischen Differenz. Eine Gesprächsteilnehmerin stellt fest, dass für sie selbst – und in generalisierter Perspektive für alle Frauen – das Gemeinwohl über persönlichen Interessen steht. Im Vergleich dazu erleben die Frauen männliches Verhalten als individuell und opportunistisch. Diese ,moralische Überlegenheit‘ der Frauen wird am Beispiel männlicher und weiblicher Führungsqualitäten aufgespannt und empirisch belegt. Der derzeitige Chef einer Gesprächsteilnehmerin wird von ihr als weniger kompetent eingeschätzt als seine Vorgängerin, die allerdings das ,Handtuch‘ geschmissen hat, weil sie mit ihrer Führungs-Aufgabe überfordert war („weil sie sich einfach zu viel Gedanken gemacht hat“). Der jetzige Geschäftführer hingegen sitzt fest im ,Sattel‘. Sein mangelndes Engagement für die Firma wird von anderen aufgefangen, bemerkenswerterweise von Frauen. E:
A: E:
B:
immer wieder stelle ich so die Unterschiede fest. Während wir von uns erwarten, das zu geben, was für das Ganze wichtig ist, sind meine Kollegen auf ihren persönlichen guten Eindruck bedacht, also die machen sich einfach weniger Gedanken |_ja, das Gefühl hab’ ich auch Bei uns in der Dienststelle der Vorgänger von unserem Geschäftsführer, das war ne Frau. Und die hat’s nicht ausgehalten, weil die sich einfach zu viel Gedanken gemacht hat. Der jetzige füllt bei Leibe nur zur Hälfte das aus wie die Vorgängerin, aber das interessiert ihn nicht. Es gibt genügend, die sich für ihn abarbeiten |_Frauen wahrscheinlich
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus E:
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|_ja und es wird aufgefangen, was ihm daneben geht. Das ist ihm aber wurscht. Während von uns, wir machen uns echt Gedanken darüber, ob wir gut genug sind
Der Vergleich zwischen Frauen und Männern, hier am Beispiel von Führungsqualitäten, gerät ,unter der Hand‘ zu einer Selbstbezichtigung. Denn obwohl der Geschäftsführer aus der Sicht der Erzählerin wenig Engagement zeigt, kommt er gleichwohl gut mit der Situation zurecht. Es gibt andere, nämlich Frauen, die sein defizitäres Verhalten ausgleichen. Der kritische Einwurf der Diskussionsteilnehmerin B („Frauen wahrscheinlich“) stoppt und lenkt hier nicht den Fluss des Gesprächs, sondern dient als weiteres Argument in der wertenden Gegenüberstellung weiblicher und männlicher Moral. Das kritisierte Arbeits-Arrangement gelingt über das Zuarbeiten weiblicher Dienstleisterinnen. Der als ,gedankenlos‘ charakterisierte Geschäftsführer wird getragen von Frauen, die seine Defizite ausgleichen bzw. für ihn mitdenken. Charakteristisch für das bildungsbürgerliche und links-alternative Milieu ist, dass die Frauen ihre weibliche Gemeinschaft als einen Ort erfahren und beschreiben, an dem sie authentisch sein können oder: an dem sie nach Authentizität suchen. Die Welt ,draußen‘ oder das Leben ,früher‘, wie es eine Selbsterfahrungsgruppe zum Thema Alter(n) artikuliert, behindert diese Suche nach sich selbst. Das Sich-Verstellen-Müssen, um „Männern (zu) gefallen“ wird in dieser Gruppe von Frauen, die zwischen 55 und 65 Jahre alt sind, als Orientierungsrahmen der Jugend und des mittleren Alters gedeutet. Im Prozess des Älterwerdens, so artikuliert es eine Teilnehmerin, werden die Bedürfnisse nach einem unverfälschten „Ich will einfach so sein, wie ich bin“ wach. Heterosexuelle Orientierungen und Attraktivität verlieren in der Sicht der Frauen im Alter zunehmend an Bedeutung. Die geschlechtsexklusive Gemeinschaft wird zum Fluchtpunkt für ‚unbeschönigtes‘ Sein. Dem Wunsch nach Authentizität kann hier Ausdruck verliehen werden: C:
Und wir haben uns eigentlich zum Ziel gemacht, über diese Dinge, die uns bewegen, zu reden aus einer wirklich nur weiblichen Sicht. Und das gefällt mir eigentlich sehr gut, und dass ich mich nicht verstellen muss und irgendwas spielen muss, was früher eher mal der Fall war, dass man auch Männern gefallen will. Und das ist jetzt nicht mehr der Fall, sondern ich will einfach so sein, wie ich bin. Und das fällt mir in diesem Kreise einfacher als in einer gemischten Gruppe.
Alter tilgt die Bedürfnisse, an Spielen teilzunehmen, in denen (sexuelle) Attraktivität Trumpf ist. In dieser argumentierenden Selbst-Vorstellung werden die heterosexuellen Orientierungen der Jugend und des mittleren Erwachsenenalters
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
zur Vergleichsfolie für die eigenen Umorientierungen im Alter. Zugleich finden die Frauen in der weiblichen Gemeinschaft einen Rahmen, innerhalb dessen es möglich wird, aus einer „wirklich nur weiblichen Sicht“ über „Dinge“ zu sprechen, die die Frauen bewegen. Die Gruppe arrangiert somit Erfahrungsmöglichkeiten – jenseits von Erwartungen an sexuelle Attraktivität und heterosexuelle Partnerschaft. Die Unterschiede im Handeln und Denken von Frauen und Männern werden versämtlicht. Dies zieht sich als ,roter Faden‘ durch die Gruppengespräche des akademischen Bildungsmilieus. Die Separierung in geschlechtshomogenen Gemeinschaften ist demzufolge Ausdruck und Reaktion auf eine solche vergeschlechtlichte Handlungspraxis und Weltsicht. Zugleich kann aber ebenso gezeigt werden, wie die gedeuteten geschlechtsspezifischen Entgegensetzungen auch in den jeweiligen Gesprächssituationen selbst produziert und reproduziert werden. Mit anderen Worten: Die weibliche Gemeinschaft trägt dazu bei, das ‚doing gender‘ zu fördern und zu festigen und zunächst divergierende Sichtweisen entlang des geschlechtsspezifischen Zuordnungsschemas zu integrieren. Die Gruppe übernimmt dabei die Aufgabe, die von einzelnen Gesprächsteilnehmerinnen zunächst als individuell und persönlich markierte Differenz zwischen eigenem (also subjektiv erfahrenem) und männlichem Verhalten aufzugreifen und zu einer geschlechterspezifischen Differenz auszulegen. In der folgenden Gesprächssequenz diskutieren die Teilnehmerinnen einer Fraueninitiative im Bereich Gewaltprävention darüber, ob es eine spezifisch ,männliche‘ und eine spezifisch ,weibliche‘ Bedürftigkeit gibt. Das geschlechtsspezifische Deutungsmuster wird kontrovers bearbeitet – um eine einvernehmliche Sicht in Hinblick auf das bipolare Zuordnungsschema wird gerungen: C:
E: A: E:
A:
es gibt einfach, denke ich, wenige Männer, die in so einer Gruppe wie wir jetzt so zusammen arbeiten. Aber dass man das Bedürfnis dann anders abdeckt. Ich in meiner Arbeit, in meiner bezahlten, wir sind ja auch ein gemischtes Team, da wird mein Bedürfnis nach Anerkennung leider auch nicht dadurch abgedeckt, dass sich mein Team so um mich kümmert. Also da kriege ich was von den Jugendlichen zurück, und dann geht’s mir auch schon so, dass ich erwarte, dass meine Vorgesetzten mich loben. Und wenn sie das nicht tun, dann ärgere ich mich, und dann sage ich das denen. Das ist aber eine andere Art von Bedürftigkeit, oder wie wird das erfüllt, wie wird darauf Rücksicht genommen. Deswegen glaube ich nicht, dass ich mehr bedürftig bin als ein Mann. (.) Anders bedürftig vielleicht, das könnte noch sein? Es ist schwer. Ich sag das bloß in diesem Zusammenhang |_Ich kann das bloß von mir sagen, wie ich bedürftig bin, aber was ein Mann ist, das ist vielleicht ein Unterschied wie zwischen dir und mir. Ja denke ich auch, ist wahrscheinlich mehr so individuell.
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus C: E: C:
E: C:
A: E: C: E:
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Da möchte ich mal die gewagte These aufstellen, dass ich vermute, dass die Männer bedürftiger sind@. @ ja, als These kann man das ja ruhig mal lassen @ Es gibt ja schon diese Statistiken, die aussagen, dass verheiratete Frauen weniger gesund sind als nicht verheiratete Frauen, dass verheiratete Männer gesünder sind als nicht verheiratete. Ich meine, da gibt es ja schon so Hinweise durch bestimmte Erhebungen, die durchaus signifikant sind. Und ich glaube, dass es einfach ganz unterschiedlich |_ na ja |_funktioniert, wo Männer sich was holen und wo Frauen sich was holen, so wie du das sagst, auch nicht um das zu bewerten. Aber in Arbeitszusammenhängen ist es noch mal anders. Also ich denke, Männer holen sich so ganz viel Unterstützung in Beziehungen, wo es manchmal so geht: Gib mir, damit ich meine Karriere machen kann und Frauen keine Karriere machen, sondern da sie Zuarbeit leisten, wie es so klassischer Weise in diesen Arbeitszusammenhängen ist. Ich habe selber, ich habe quasi 20 Jahre nur Frauenarbeit gemacht, immer nur mit Frauen in irgendwelchen Zusammenhängen. Das war für mich so selbstverständlich, das will ich so, das mach’ ich so und da geht’s mir gut und da kenn ich die Spielregeln. Und jetzt fängt das an, dass ich in gemischten Gruppen arbeite und denke, dass ich da sehr untypische Männer habe, da das alle Männer aus dem sozialen Bereich sind. Da sind nicht die Männer, die sehr orientiert sind an diesen Schablonen, sonst wären sie nicht sozial erfolgreich@. Naja, sag’ das nicht, auch gerade im sozialen Bereich läuft das nicht so an der Oberfläche mir geht es nicht gut damit, wenn man so pauschal jetzt Männer sagt. Aber es gibt ja Zahlen, bestimmte Statistiken, die |_naja vielleicht, ja, das kann ja sein
Die Zurückhaltung einzelner Frauen im Hinblick auf geschlechterpolarisierende Typisierungen („mir geht es nicht gut damit, wenn man so pauschal jetzt Männer sagt“) werden hier von einer Gesprächsteilnehmerin (C) wortgewaltig und im Rekurs auf wissenschaftliche Untersuchungen eingespurt („aber es gibt ja Zahlen, bestimmte Statistiken“). Individuelle Erfahrungen einzelner Frauen generieren in der Gruppe sukzessive zu einem kollektiven geschlechtsspezifischen Argumentationsmuster. Zwar bleiben trotz der distanzierten Beipflichtung („naja vielleicht, ja, das kann ja sein“) Divergenzen bestehen, zugleich wird aber auf einer diskursdramatischen Ebene deutlich, wie die Gruppe Normierungen setzt und über Generalisierungen Abweichungen einfängt. In dieser Generalisierung der Differenz wird, wie bereits dargestellt, das männliche Verhalten als das andere gesehen und dem weiblichen Verhalten gegenübergestellt – auch wenn die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen nicht immer eindeutig sind. So herrscht etwa in der Gruppe des Frauennetzwerkes (vgl. Fallbeschreibung) auf einer
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
(Deutungs-)Ebene der Verteilungen von Eigenschaften und Verhaltensweisen von Männern und Frauen (noch) keine gemeinsame Meinung in der Gruppe. Die geschlechtsspezifische Zuordnung in altbekannter Manier (‚sachlich‘ und männlich versus ‚emotional‘ und weiblich) stößt innerhalb der Gruppe auf Widerspruch, wird verworfen und neu komponiert. Im konkreten Fall einigen sich die Frauen darauf, dass Männer tendenziell ‚Funktionsträger‘ sind, die am Arbeitsplatz klare Anweisungen verlangen. Ihr Blick sei auf das Wohlwollen einer statushöheren Person gerichtet und das Arbeitsumfeld biete für dieses an Autoritäten (und mithin an eigenem Statusgewinn) ausgerichtete Denken und Handeln einen adäquaten Rahmen. Im Gegensatz dazu erscheine das Verhalten der Frauen individuell, authentisch und gleichzeitig unangepasst. Frauen seien teamorientiert, als ‚ganze Personen‘ präsent, reagierten „empfindsam“ gegenüber Macht und Konkurrenz. Bis hierher lässt sich festhalten: Empirisch kann gezeigt werden, dass der weibliche Zusammenschluss Ausdruck einer ‚geteilten‘ Welt ist. Die vergeschlechtlichte Welt ist das Fundament der Gruppe und Gegenstand der Problematisierung. Über unterschiedliche Themenfelder hinweg werden vor der Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen die eigenen, nämlich weiblichen Verhaltensweisen als Qualität erfahren, positiv gewertet und zugleich problematisiert. Im Inneren der weiblichen Gemeinschaft werden sie gewürdigt, außerhalb sind sie in der Perspektive der Frauen wenig tragfähig und genießen kaum Anschlussmöglichkeiten. Zugleich wurde deutlich, wie diese Vergemeinschaftung qua Differenzerfahrung und -diskurs von der eigenen Gruppe eingefangen, gerahmt, ermöglicht und auch gefordert wird. Die geschlechtsexklusiven Gruppen bieten das institutionelle Setting, in dem sich die Frauen in ihrer (weiblichen) Eigenart besondern, bestätigen und auch kontrollieren.
2.2.2 Kultur der Selbstkritik: „Frauen tauschen ihre Schwächen aus, Männer ihre Stärken“ Die Frage, was das ‚Wir‘ der eigenen Gruppe ausmacht, evoziert in den Gruppengesprächen der gebildeten Mittelschicht regelmäßig einen Diskurs, in dem die Frauen ihr Geschlechter-Wissen und ihre Geschlechter-Erfahrung reflexiv deuten und – homolog zur inhaltlichen Darstellung ihrer Erzählungen – die ‚eigenen‘ Verhaltens- und Deutungsweisen auch kritisch hinterfragen. Wieder wird in Abgrenzung zu Männern und männlichen Verhaltensweisen – dieses Mal unter ,negativen Vorzeichen‘ – der eigene Zusammenschluss wahrgenommen und bestimmt. So wird beispielsweise der immer wieder genannte Vorzug der weiblichen Gemeinschaft, nämlich auf Gefühle zu achten und über Gefühle spre-
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus
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chen zu können, zum Problem, weil inhaltliche Auseinandersetzungen in der Gruppe übereilt als persönliche Angriffe gedeutet werden. In einer Arbeitsgemeinschaft von Sozialarbeiterinnen, die im Folgenden zitiert wird, blicken die Frauen (selbst-)kritisch auf ihre Konfliktkultur. Mit dem Anspruch der Gruppe, die Arbeitsleistung der Frauen nicht losgelöst von ihrer „emotionale(n) Seite zu sehen und zu würdigen“, besondert sich die Gruppe gegenüber den ansonsten eher inhaltlich-sachlichen Prioritätensetzungen in der (gemischt-geschlechtlichen) Arbeitswelt. Das Auseinanderklaffen zwischen diesem ,Achtsamkeits-Anspruch‘ („wir wollen untereinander ganz anders arbeiten“) und einer Missachtung derartiger Bedürfnisse in den Alltagsroutinen der Gruppe („und das wird dann schwer manchmal umgesetzt“) überschattet die Arbeitsatmosphäre der Frauen, weil die Verhandlung unterschiedlicher Standpunkte zum persönlichen Angriff bzw. als Unachtsamkeit aufgefasst wird. Inhaltliche Auseinandersetzungen werden ihrem eigenen Gruppen-Anspruch zufolge emotionale Auseinandersetzungen: B:
A: B:
C: B:
Wobei ich das schon so erlebe, dass eben innerhalb unserer Arbeit das anders abläuft als bei gemischtgeschlechtlichen Zusammenschlüssen. Also hier ist einfach diese persönliche Betroffenheit dann auch, wenn etwas schief läuft, das empfinde ich bei Frauen öfter, das geht sofort auf so eine emotional-persönliche und nicht nur auf eine inhaltliche und sachliche Ebene, sodass Kränkungen einfach viel häufiger hier passieren. Und wenn man sich dann auch noch den Anspruch gibt, man möchte also besonders auch die emotionale Seite sehen und würdigen, dann ist die Verletzung umso größer oft bei Frauen, die das Gefühl haben, die werden da gar nicht gesehen. Und ich glaube, da sind auch viele Frauen mit sehr negativen Empfindungen hier wieder ausgestiegen, insbesondere früher, weil einmal so der Anspruch zwar da war: Hier, wir sehen dich als Person inhaltlich und eben auch emotional und dann oft gar nichts kam. Das ist irgendwie so ein Widerspruch, manchmal zu sagen, wir wollen auch untereinander ganz anders arbeiten, und das wird dann schwer manchmal umgesetzt. Was weiß ich, wenn irgendjemand sagt, du bist plötzlich die Beauftragte für Geburtstage oder so was@ – bloß nicht vergessen! |_genau, ja @@ Das erinnert mich dann auch an all die Geburtstage insbesondere von Frauen, die ich vergessen habe@, wo dann ein halbes Jahr nicht mehr mit mir gesprochen wurde@. In einem anderen Zusammenschluss, in dem ich jetzt bin auch beruflich, ist es einfach äh- wir befinden uns auf einer viel sachlicheren Ebene. Wir können fighten, aber wenn wir fighten, dann ist es auch danach vorbei. Wir müssen nicht sagen, ich fühle mich jetzt persönlich aber total angegriffen, weil die Art, wie ich das sehe, von dir nicht geteilt wird. du meinst jetzt, wenn Männer dabei sind? Ja sachlicher. Ich finde, da wird mehr abgegrenzt zwischen sachlich und emotional als hier
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse C: B:
|_in den gemischten |_Ja. Hier bin ich vorsichtiger oft. Meine Erfahrung halt mit Frauen (.), dass sie das viel persönlicher nehmen.
In eine Art ,Betroffenheitsapologetik‘ vermengen sich bei den Frauen die unterschiedlichen Aspekte der Kommunikation. Sie haben – im Gegensatz zu Männern – Schwierigkeiten, Grenzziehungen zwischen einer Inhalts- und einer Beziehungsebene vorzunehmen. Im Vergleich mit gemischtgeschlechtlichen Arbeitszusammenhängen wird hier die weibliche Gemeinschaft mit der Problematik ihres eigenen Anspruchs konfrontiert. Die in den Alltagsroutinen nur schwer einzulösenden Bedürfnisse des ,Sehens und Gesehen-Werdens‘ führen zu persönlichen Kränkungen, die konstruktive Auseinandersetzungen im Kollektiv lähmen. Am Beispiel einer ,Geburtstagsbeauftragten‘ als strategischem Versuch auf der organisationalen Ebene, die persönlich-emotionale Anerkennung der Mitglieder über Aufgabenverteilungen zu institutionalisieren, entfalten sich anschaulich die nicht intendierten Nebenfolgen dieses Achtsamkeits-Anspruches. Das Amt der Beauftragten für Geburtstage bleibt ein hilfloser Versuch, den Widerspruch zwischen persönlichen Bedürfnissen und organisationalen Erfordernissen zu kitten. Insgesamt gerät die kritische Sicht auf die eigene Kommunikationskultur im oben aufgeführten Zitat zu einer Abrechnung mit den hochgesteckten Erwartungen und Ansprüchen an die weibliche Gemeinschaft. Obwohl die Erzählerin aufgrund ihrer Erfahrungen für sich selbst die Konsequenz zieht, im Umgang mit Frauen „vorsichtiger“ zu sein, fällt sie ihr Urteil schonungslos und verletzt damit das konsensuelle Einvernehmen der Gemeinschaft nach wechselseitiger Achtsamkeit. Damit werden auch auf einer diskursdramatischen Ebene die homologen Entsprechungen von Form und Inhalt deutlich. Die Art und Weise, wie sie mit den Frauen ins ,Gericht‘ geht, widerspricht ihrem eigenen Anspruch, bedächtiger zu verfahren und ob des Wissens um die Empfindsamkeiten und Kränkungen der Frauen vorsichtiger zu sein. In Abgrenzung gegenüber Männern und männlichen Verhaltensweisen vergemeinschaften sich die Frauen aufgrund ähnlicher oder gemeinsamer Erfahrungen. Diese geteilten „Frauenerfahrungen“, wie es eine Teilnehmerin formuliert, verbürgen eine gemeinsame Weltsicht. In der Gesprächssequenz der folgenden Gruppe, ebenfalls einer Initiative im Bereich Sozialarbeit, generiert die gemeinsame Orientierung qua geschlechtsgebundener Erfahrung zu einem „Fundament“ der Gruppe. Die Gemeinsamkeit ist hier weniger die Folge von gemeinsamen Diskussions-Bemühungen, sondern wird als programmatische VerbundenheitsVision formuliert. Allerdings werden solche unhinterfragten Gemeinsamkeiten dann zur „Falle“, wenn sie einen Gesprächsbedarf verhindern, obwohl offenkun-
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dig ist, dass die Frauen im Laufe der Zeit nicht (mehr) selbstverständlich einer Meinung sind – der Geschlechterstatus allein nicht mehr per se das verbindende Fundament der Gruppe ist: B: A: C:
aber wir haben halt ein großes Fundament an Gemeinsamkeiten, die nicht mehr hinterfragt werden müssen (.) mh wobei ich denke, dass auch grade diese stummen Gemeinsamkeiten, von denen du da wahrscheinlich sprichst, sich aber auch verändern im Laufe der Zeit oder verändert haben und dann doch mal wieder Gesprächsbedarf, denke ich, bestehen sollte. Also das ist auch so eine Falle irgendwie, dass man denkt, wir sind uns da alle so einig und dann vielleicht hier und da mal merken: Ach, ist vielleicht doch mal wieder Gesprächsbedarf.
In kritischer Selbstbespiegelung führt das unterstellte „Fundament an Gemeinsamkeiten“ zur „stummen Gemeinsamkeit“. Dass die Erzählerin hier nicht von ,stummer Gemeinschaft‘ spricht, sondern von „stummen Gemeinsamkeiten“ kann als Versprecher gedeutet werden, obwohl die semantische Fehlleistung selbst ebenso ein aussagekräftiges Dokument ist. Die Interpretation liegt nahe, dass sie mit diesem ,geflügelten Wort‘ hervorhebt, dass das als selbstverständlich angenommene Gemeinsame der Gruppe stumm macht bzw. Kommunikation verhindert. Die weibliche Gemeinschaft beschreibt und aktualisiert sich, wie bereits gezeigt, vor allem über eine spezifische Art der kommunikativen Praxis. In der weiblichen Gemeinschaft können die Frauen in einer Weise kommunizieren, die ‚außerhalb‘ so nicht möglich ist. Andererseits wird ebenso deutlich, dass die Frauen die männlichen Einstellungs- und Verhaltensmuster auch als Referenz zitieren, um die eigenen Verhaltensweisen kritisch zu hinterfragen. Eine derartige reflexive Durchdringung der eigenen Praxis wurde für die Netzwerk-Frauen ausführlich beschrieben (vgl. Fallbeschreibung), denn die Gruppe changiert ständig zwischen eigener Auf- und Abwertung. Zunächst einmal heben die Frauen vor der Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen die spezifischen Kompetenzen der Selbstkritik und Selbstreflexion als weibliche ‚Tugenden‘ hervor, um sie dann unter negativen Vorzeichen zu überdenken. Im Vergleich zu männlichen Kollegen wird das weibliche Verhalten als authentisch und moralisch integer beschrieben. Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich selbst zu hinterfragen und beizeiten Fehler einzugestehen. Zugleich entlarven die Frauen das weibliche Vermögen des sich Selbst-Hinterfragens auch als kontraproduktiv. Die schlichte Übertragung moralischer Prinzipien, wie sie für den Privatbereich gelten, auf die Sphäre des Berufs, sei unangebracht, denn das Festhalten an sog. ‚weiblichen Tugenden‘ provoziere den (Selbst-)Ausschluss aus Positionen von
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Macht und Autorität. Im Arbeitsleben werden hingegen Verhaltensweisen verlangt, die sich am männlichen Habitus orientieren. Während Männer in der Perspektive der Frauen private und berufliche Maßstäbe zu trennen vermögen und im beruflichen Kontext eine ‚best practice‘-Strategie wählen, operieren die Frauen selbst im Sinne einer moralischen Integrität, wie sie vorrangig für den privaten Kontext angemessen scheint. Die geschlechtsspezifische Verwobenheit des eigenen Handelns und Denkens selbstkritisch zu hinterfragen zieht sich wie ein ‚roter Faden‘ durch die Gruppengespräche – vor allem dann, wenn sich hinter diesem gewohnheitsmäßigen Sich-Selbst-Hinterfragen ein kommunikatives Muster verbirgt, das zum Selbstzweck wird: nämlich Gemeinschaft stiften soll. In der Interessengemeinschaft der Architektinnen und Stadtplanerinnen wird diese Art der reflexiven Selbstdarstellung selbst als geschlechterspezifische Eigenschaft von Frauen analysiert: Während Männer ihr berufliches Profil zur ‚Schau tragen‘, kommunizieren Frauen ‚gebetsmühlenartig‘ über das, was sie angeblich nicht können. In einer reflexiven Schleife kritisiert eine der Gesprächsteilnehmerinnen nun das weibliche Kritisieren selbst. Zwar unterstellt sie, dass beide, Männer und Frauen geschlechtspezifische Kommunikationsrituale praktizieren und diese kollektive Praxis der eigenen Schwäche- und Stärke-Inszenierung auch kultivieren, im selben Atemzug interpretiert sie die kritische Selbstbeleuchtung der Frauen aber auch selbstkritisch als „Gefahr“: Wenn Frauen „dauernd bloß im Müll rumwühlen“, wird das „Schwächeaustauschen“ zum konstitutiven Merkmal weiblicher Identität: C:
also ich denk’, des gibt a bissl ein Unterschied: Frauen tauschen ihre Schwächen aus, Männer ihre Stärken, ne und also in diesem Schwächeaustauschen kann man ja wachsen. Das find’ ich schon. Man darf nur nicht dauernd bloß im Müll rumwühlen, ne, das ist dann wieder die Gefahr für mich, wenn man zu sehr nur an den Schwächen- oder dass die Frauen keine Chance haben und die Frauen haben’s schlechter und weiß der Kuckuck was, ne, das ist F: |_wobei eben grad’ das auch des Positive ist A: |_wir haben’s nicht oft g’macht C: |_Nee, naja, wir haben’s schon manchmal g’macht (@) A/F: @@
Neben den Fallstricken der Gemeinsamkeitsunterstellung und einer spezifischen ,Leidenskultur‘ wird, wie das folgende Beispiel anschaulich verdeutlicht, auch die spezifische Art der ,weiblichen Fürsorge‘ für andere selbstkritisch beleuchtet. Hier soll noch einmal die Fraueninitiative, die sich im Bereich der Gewaltprävention engagiert, zu Wort kommen, weil die Frauen in ihrer Selbstbespiegelung
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besonders hart mit sich ins Gericht gehen. Ihr Anspruch, in einer Atmosphäre wechselseitiger Fürsorge und Achtsamkeit zu arbeiten, nimmt geradezu absurde Züge an. Die Gruppe ficht eine Art ‚Wettkampf des Bemühens‘, der zur Enttäuschung führt, weil das Bedürfnis, andere zu umsorgen, quasi ins Leere trifft, denn der weiblichen Kultur des Umsorgens fehlt hier gewissermaßen das ‚komplementäre Element‘. A:
Was ich manchmal die Gefahr in Anführungszeichen finde in weiblichen Zusammenschlüssen, ist, dass es alle so gut meinen, alle wollen es ganz schön machen. Und manchmal ist es dann fast zu viel B @ ja A: Ich erinnere so Aktionen, wenn eine putzt und die nächste putzt und eine räumt auf und die nächste räumt anders auf – alle wollen sich es schön machen B/C: @ @ A: |_oder jede bemüht sich so, habe ich das Gefühl. Aber, wer anerkennt meine Arbeit? Niemand sieht, was ich tu. Und wo ist die Person, die sagt: ‚sehr gut‘? Und hier Weihnachtsgratifikation und Geschenke und Dankeschön, das gibt es ja nicht. Wir haben ja keine Person, die hier ausdrücklich Lob und Tadel aussprechen kann oder will. Und von daher sind oft Frauen mit so einem hohen Maß an Motivation und Engagement da, und irgendwann ist es so: Und wofür mache ich das und wer sieht das? Und wer sagt dann hinterher danke schön zu mir?
Im weiteren Gesprächsverlauf greift dieselbe Gruppe noch einmal das Thema Fürsorge auf und problematisiert den Umgang mit eigenen Bedürfnissen und Grenzsetzungen. Die Frauen erkennen, dass sie in ihrer Fürsorglichkeit für diejenigen, deren Grenzen (durch Gewalt) gewaltsam verletzt wurden, auch eigene Grenzen verletzen. „Und immer gehe ich über meine Grenzen“ – mit dieser Aussage beschreibt eine Gruppenteilnehmerin die Homologie der Akteurinnen mit ‚ihrem‘ Themenfeld. A:
(....) und immer gehe ich über meine Grenzen – und das ist ja hier eh Thema: Grenzen wahren und Grenzen überschreiten, da spiegelt sich das sehr. Das denke ich, das würden Männer so nicht machen. In männlichen Zusammenschlüssen würden sich Männer nicht so verausgaben, sie würden nicht für so wenig Geld arbeiten wie wir, sie würden nicht alles herbeizaubern und möglich machen, wie wir das tun. Wir machen alles möglich, wenn es drauf ankommt, geben jeder einen Termin.
Hier dokumentiert sich zweierlei: Erstens verlieren die Frauen in ihrem Bemühen um andere die eigenen Abgrenzungsbedürfnisse aus den Augen. Das heißt, die Frauen verlieren in ihrer Sorge für das Wohl ihres Klientels den Blick für
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sich selbst bzw. die eigenen (Abgrenzungs-)Bedürfnisse. Durch das ‚Helfersyndrom‘ verletzen sie professionelle Standards. Damit, und das ist der zweite Punkt, reproduziert sich strukturell das Drama der von Gewalt betroffenen Frauen, denn in der Art, wie die Frauen Dienstleistungen verrichten, bzw. in der Art, wie sich die Frauen in ihren Dienstleistungen „verausgaben“, werden Grenzen (nämlich nicht Nein zu sagen bzw. ein Nein nicht umsetzen zu können) missachtet. Um ihre Argumente zu schärfen, vergleicht die Erzählerin in der eben zitierten Gesprächspassage die eigene Gruppe mit männlichen Zusammenschlüssen. Männer würden Grenzen setzen und auf eigene Interessen achten. Dies umfasse sowohl das zeitliche Ausmaß an ehrenamtlichem Engagement als auch die finanziellen Entlohnungs-Interessen. Das Thema ‚Grenzsetzungen‘ wird auch in anderen Gruppen kritisch hinterfragt. Hier ist das Schema dasselbe. Männer besäßen demnach die Fähigkeit sich abzugrenzen, währenddessen Frauen als ,grenzenlos‘ beschrieben werden. Am Beispiel des Frauennetzwerkes fällt die Differenz selbst-gewendet zunächst positiv aust. Frauen sei die Fähigkeit zur Gleichzeitigkeit eigen, während Männer zu einer zeitgleichen Bewältigung verschiedener Aufgaben nicht in der Lage seien. Zugleich assoziieren sie die konzentrierte Arbeitsweise der Männer mit Vorausschau und Planbarkeit, wohingegen Frauen diffundierten. In selbstkritischer Manier wird auch für die eigene Gruppe festgestellt, dass in Arbeitsgesprächen ein permanentes Abgrenzen der aktuellen Aufgabe gegenüber anderen Interessen und Anforderungen notwendig sei. Bis hierher lässt sich festhalten: Die Kultur der Selbstreflexivität und Selbstkritik ist Ausdruck eines im weitesten Sinn ‚versozialwissenschaftlichten‘ Diskurses, wie er im Milieu des akademischen und links-alternativen Milieus gepflegt wird. Wieder in Abgrenzung zu Männern und dem Männlichen hinterfragen und problematisieren die Frauen ihr eigenes Verhalten. In sog. Reflexivitätsschleifen, mit denen die Frauen ihr Geschlechtswissen und ihre Geschlechtererfahrung (selbst-)kritisch deuten, wird das ‚Problematisierungs-Niveau‘ von den Frauen selbst gewissermaßen noch eine Etage höher gefahren. Doch auch in dieser kritischen Selbstbetrachtung finden die Frauen ihren geteilten ‚gemeinsamen Grund‘.
2.2.3 Selbstbehauptung in einer männlich dominierten Welt: „Wie geh’ ich als Frau in Männerwelten um?“ Bei näherer Betrachtung der Diskursformation über Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit und des darin angebotenen Deutungsfundus von Geschlechterdifferenz zeigt sich die Verwobenheit von Geschlechtertrennung, -diskurs und Ge-
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schlechterhierarchie: Zum einen erfahren die Frauen nach wie vor, dass Geschlechtszugehörigkeit eine Platzanweiserfunktion hat, die über gesellschaftliche Lagen und Partizipationschancen entscheidet. Trotz prinzipieller Gleichheitsversprechungen werden Frauen nach wie vor – vor allem in beruflichen Kontexten – mit einer Ungleichheitswirklichkeit konfrontiert. Das Sich-Einlassen auf individualisierende Berufstätigkeit führt zu einem scheinbar paradoxen Effekt, nämlich dass ein Mehr an Gleichheit (bzw. Gleichheitsversprechungen) die fortbestehenden und sich verschärfenden Ungleichheiten noch deutlicher ins Bewusstsein hebt. Diese „Alldimensionalität der Ungleichheit zwischen Mann und Frau“ (Beck 1986, S. 161) wird zum anderen auf der Ebene der Mikropolitik von den Frauen selbst reformuliert. In den Gruppendiskussionen kommt dies – wie bereits gezeigt – darin zum Ausdruck, dass die weibliche Gemeinschaft zur Kulisse der interaktiven Validierung der Geschlechterdifferenz wird. Die Vergeschlechtlichungsprozesse im weiblichen Sozialraum werden zum generativen Muster der Herstellung sozialer Ordnung. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass der weibliche Zusammenschluss ein Ort ist, wo die Frauen den Umgang mit Widersprüchen des Modernisierungsprozesses übersetzen. Dabei lassen sich zwei Varianten beschreiben. Erstens wird die weibliche Gemeinschaft zu einem Ort, an dem die erfahrene Ungleichheit über Anpassungsleistungen überwunden werden soll. Als ,ungleiche Gleiche‘ nutzen die Frauen die weibliche Gemeinschaft als Übungsraum für strategische Verhaltensänderungen und Anpassungen. Zweitens wird die Gruppe zu einem Ort ,weiblicher Gegenkultur‘. Hier lernen die Frauen den selbstbewussten Widerstand gegen den männlichen Mainstream. Gesellschaftliche Partizipation heißt für die Frauen dabei, sich in ihrer ,geschlechtsspezifischen Eigenheit‘ wahrzunehmen und zu würdigen. Mit diesem Selbst-Bewusstsein ausgestattet, nehmen sie als ,gleiche Ungleiche‘ an Gesellschaft teil.
Partizipation über Anpassung: ,Die ungleichen Gleichen‘ Für Frauen, die in männliche Praxisfelder vordringen, sind die ‚Grenzüberschreitungen‘ meist mit dem Versprechen auf Geltung und Statuszuwachs verbunden. In den Gruppengesprächen zeigt sich zum einen, wie die Frauen versuchen, das prinzipielle Versprechen auf Chancengleichheit und den Zugewinn an Geltung in Anspruch zu nehmen und zu verteidigen. In allen, zumeist berufsfokussierten, Zusammenschlüssen (Netzwerken, Interessengemeinschaften) formulieren die Frauen explizit und implizit ihre prekäre habituelle Verankerung in der beruflichen Welt. Diese wird vor allem im Hinblick auf soziale Beziehungsstrukturen unter Männern analysiert, die, obwohl selbst hierarchisch organisiert, eine Inter-
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dependenz und Solidarität unter Männern etabliere. Vom ‚sexual talk‘ bis zum geselligen Zusammensein nach Feierabend werden diese ‚männerbündischen Strukturen‘ als ausgrenzend empfunden. Trotz gleicher oder ähnlicher qualifikatorischer Voraussetzungen mit männlichen Kollegen erleben Frauen, dass diese ihnen vorgezogen werden. Männer definieren Situationen, männliches Verhalten setzt Normen. Dazu ein Beispiel: In der Gruppendiskussion mit der Interessensgemeinschaft von Architektinnen und Stadtplanerinnen vergegenwärtigen sich die Frauen gemeinsam ihre ungleichen Handlungsbedingungen gegenüber männlichen Kollegen. Um in einer Männerdomäne wie Architektur und Stadtplanung Fuß zu fassen, werden von den Frauen eigene Darstellungspraktiken explizit zum Thema der Gruppe. Die Frauen analysieren geschlechtertypische Verhaltensweisen und arbeiten gemeinsam an der eigenen Außendarstellung. Mit der Frage: „Wie spreizen wir richtig die Pfauenfedern?“ denken die Frauen gemeinsam über das In-Szene-Setzen der eigenen Kompetenzen nach. Dazuzugehören heißt, die von Männern praktizierten Gepflogenheiten zu übernehmen bzw. selbst über solche Repertoires der Inszenierung zu verfügen, die „da draußen“ Geltung versprechen: Der Umgang mit symbolischen Ressourcen wie die richtige Art sich zu kleiden, zu sprechen, ,standhaft‘ zu stehen. Die Frauen nutzen den Binnenraum des weiblichen Zusammenschlusses als Übungsraum, in dem der als adäquat erachtete Umgang mit männlichen Kollegen gemeinsam erarbeitet wird. B: A: E: C: A:
E: A: E:
also dieses Pfauenfedern-Spreizen, ne, des spielt bei uns hier also (.) die geringste Rolle, und des spielt in so, ja halt da draußen a große Rolle |_Selbstdarstellung Ja, wo es um diese Selbstdarstellung geht oder um diesen Effekt, dass gar nicht zugehört wird. Wir nehmen des dann zum Thema für eine Fortbildung: wie @spreizen wir richtig die Pfauenfedern?@ |_Ja gut, aber ich denk, des is auch a wichtiger Aspekt äh, sich zu hinterfragen, äh, und, äh, ja sich auch äh gegenseitig zu spiegeln, äh, in dem Fall war’s ja auch in-im Rahmen dieser Rhetorik-, ähm Rhetorikgeschichte, und da dann wirklich zu sagen: O.k., wie-wie geh’ ich als Frau auch in, ja in Männerwelten, äh, mit meiner eigenen Darstellung äh Selbstdarstellung um. wenn’s um was geht, weil man sich durchsetzen will oder was darstellen will, ne und des wenn’s um was geht, ja |_des muss man trainier’n, dass mer Erfahrungen austauschen und des tun mer scho so, a bissl Anekdoten aus’m Kriegsleben, des gehört scho dazu @@ Aber es darf dabei auch nicht bleiben
Die Erfahrung am Arbeitsplatz wird zum „Kriegsleben“ – auch wenn das Lachen hier die drastische Formulierung ein Stück weit zurücknimmt, dokumentiert sich
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in dieser bildhaften Semantik, dass die Frauen die Geltungsansprüche im Arbeitsleben als Machtkampf erleben. Hier wie in anderen Gruppen auch wird das berufliche Standing der Männer von den Frauen als ein „Zustand des unreflektierten ‚Zuhauseseins‘ in der sozialen Welt“ (Berger/Berger/Kellner 1978, 71) interpretiert. Männliches Verhalten und der männliche Habitus harmonieren mit den strukturellen Vorgaben, während weibliches Verhalten dazu in Widerspruch gerät. Es wird augenfällig, dass die Frauen die selbstverständlich beanspruchten männlichen Situationsdefinitionen zwar reflektieren, aber nicht zurückweisen, sondern mit einer ,Bringschuld‘ an Anpassung begegnen. Zwar impliziert das Bild des richtigen ,Pfauenfedern-Spreizens‘, dass auch Männern eine distanzierte Haltung zugestanden wird, letztlich zielt das Bemühen der Frauen darauf ab, diese Art des Selbstbewusstseins und der souveränen Selbstdarstellung zu übernehmen. Das Einüben, aber auch Kopieren männlicher Darstellung und Selbstpräsentation wird hier – wie in anderen Gruppen auch – zur strategischen Option gegen den permanenten Verdrängungswettbewerb. Um sich in beruflichen Bereichen zu verankern, die vorwiegend von Männern besetzt sind, erscheint es nahe liegend, die Praktiken derjenigen zu übernehmen, die das ,Feld‘ besetzen. Am Beispiel der Interessengemeinschaft ,Stadtplanung und Architektur‘ zeigt sich die Beziehung der Frauen zu den kulturell angebotenen normativen Repertoires von Geschlechterdifferenz und Geschlechterverhältnis unter der Frage, welche Möglichkeitsräume diese eröffnen. Deutlich wird dabei der kontextbezogene und zugleich erstaunlich variable Charakter von Geschlechtertopoi. Obwohl sich die beharrlichen Differenzkonstruktionen gerade in der Arbeitswelt als ,eindeutige‘ Macht und Interessenkonstellationen sedimentiert haben, werden sie in der weiblichen Gemeinschaft zur Gleichheitsfiktion operationalisiert: In dem gemeinsamen Arbeiten an der ,richtigen‘ Selbst-Darstellung und der adäquaten Selbstpositionierung dokumentiert sich die Konstruktionslogik der symbolischen Geschlechterordnung.
Partizipation über gegenkulturellen Widerstand: ,Die gleichen Ungleichen‘ Die Gruppe, auf die ich mich im Folgenden beziehe, entstand im Kontext der Ökologiebewegung in den 80er Jahren. Auslöser für die Gruppengründung war die Reaktor-Katastrophe Tschernobyl. Die Frauen – damals allesamt Mütter noch kleinerer Kinder – gründeten eine ,Mütterinitiative gegen Atomkraft‘ und treffen sich seitdem regelmäßig. In der Rückschau rekapitulieren die Frauen die positiven Effekte ihres weiblichen Zusammenschlusses: Zum einen überschreiten sie mit der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den sozialpolitischen Folgen von Atomenergie den Zuschnitt ihrer originär weiblichen Erfahrungsräume (wie
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„Blumen binden“, „Malen“, „Yoga“). Mit ihrer Initiative gelingt ihnen die Teilhabe am regionalen und überregionalen öffentlichen (Umwelt)Diskurs. Zum anderen, gleichsam als Folge ihres widerständigen Engagements, werden sie sensibilisiert für die geschlechtsspezifische Verwobenheit ihres Denkens und Handeln. Im Binnenraum der Gruppe bildet sich im Lauf der Zeit ein Bewusstsein für (androzentrische) Politik und feministische Standpunkte heraus. In dem folgenden Interviewausschnitt rekonstruiert eine Teilnehmerin in generalisierender Perspektive für alle Frauen in der Gruppe diese Entwicklung. Die gemeinsamen Aktivitäten in der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft haben ein ,weibliches‘ Selbst-Bewusstsein hervorgebracht. Die „Lernfähigkeit“ sowie das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sind mit der Gruppengeschichte gewachsen: A:
D: A:
C: A:
das hat natürlich, äh, im Lauf der Jahre einiges, äh, zur Folge gehabt, aber hat auch, äh, also um das Positive noch mal zu sagen, auch so für Frauen, also für mich hat des (.) äh, für mich hat des gebracht, dass ich gerne in Frauenzusammenhängen arbeite, ich (.) weiß einfach, ich kann gut in ner Gruppe mit Frauen arbeiten, dass mein eigenes Selbstvertrauen äh (.) gewachsen is, auch meine Lernfähigkeit, auch das Wissen, dass ich etwas lernen kann, wenn ich mir etwa erarbeiten will, dass ich mir auch einen mühsam, einen schwierigen Stoff erarbeiten kann und auch nach außen dann wieder darstellen kann, wenn ich das will, und äh, das is, äh, das is so das äh Positive, denke ich, dass man, äh, wenn ich jetzt diese Erfahrung nicht gehabt hätte, ich hätte vielleicht gar keine- alle andern Möglichkeiten mit Frauen zusammen zu kommen, beispielsweise (.) äh, Blumen binden oder so. Was gibt es denn da so? Malen @ Oder Yoga oder oder Malen oder so diese diese Geschichten oder Frauen legen Geld an, oder so, des hätt’ ich alles nicht gemacht, des hätte mich, äh, nicht interessiert, obwohl ich zutiefst überzeugt bin-und des muss ich schon sagen, also ich bin da- weiß nicht, inwieweit das bei euch auch so is’, ich hab’ ja, äh, auch durch unsre Initiative einen, äh, einen -einen, äh, Zuwachs an feministischem Bewusstsein, äh, gewonnen. Also ich denke durchaus, dass die Frauen in der Gesellschaft mit ihrer Stimme fehlen und dass sie gestärkt werden müssen, und ich möchte das auch, äh, ähm selber als Beispiel vorleben, auch für meine Kinder, und das is mir im Rahmen dieser Initiative möglich. ja Also dass ich weiß, ich, kann politisch arbeiten und ich kann auch mal, äh, zeigen, dass ich mich als Frau nicht aus der Öffentlichkeit verdrängen lass’, und auch nicht, auch nicht daran hindern lasse, meinen Mund auf zu machen. Und dass es, also kein Ehemann mich daran hindern kann und keine Institution, und äh, und keine Konvention und kein, äh, kein- kein- keine Gewohnheit. Das, das ist, das is einmalig durchbrochen und das is mir auch geblieben, das ist’n echter Schatz ne, und äh, da fühl’ ich mich, fühl’ ich mich unabhängig. Und des und des wird mir jetzt eigentlich – so hab’ ich das auch noch nie so formuliert
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–, des is vielleicht der Vorteil von so nem Gespräch, dass ich ähm, zutiefst überzeugt bin, dass das viel mehr Not tut und dass das auch mein-mein Bewusstsein dafür verstärkt hat, dass wir in einer äh, immer noch in einer Männerwelt leben, äh, in der die Männer das Sagen haben und in der Frauen auch mit ihrer Intuition und ihrem Wissen, das ein anderes is als das von Männern (.) und vielleicht das komplexere sogar, äh, zuwenig gehört werden, zuwenig, äh, Gewicht kriegen. Und des is für mich-also, deswegen hab ich auch immer wieder so übergreifend, äh, so feministische Bereiche mit, mit unterstützt, äh, wenn es so, wenn es so Bündnisse gab oder so Möglichkeiten, zum Beispiel das in der Stadt, da bin ich dann hingegangen für uns und hab’ das mit vertreten, weil ich mir immer, also mir immer bewusst war, wir machen das als Frauen, was wir machen.
Hier wird der emanzipatorische Prozess als ein neues Verhältnis zu sich selbst und zur (Um-)Welt beschrieben: Das gemeinsame Engagement in der Gruppe schärft die Wahrnehmung dafür, in einer „Männerwelt“ zu leben, in der diese „das Sagen“ haben. Im Laufe der Gruppengeschichte wird diese Erkenntnis als unumkehrbare Einsicht interpretiert. Die Auflehnung gegen die klassische Sphärentrennung („dass ich mich als Frau nicht aus der Öffentlichkeit verdrängen lasse“) wird zum konstitutiven Element der ,neuen‘ Identität. Zugleich wird diese neue Identität in essentialistischer Manier als eine spezifische weibliche markiert, denn das „feministische Bewusstsein“ besondert die Frauen vor der Vergleichsfolie des Mannes als ,andere‘. Der Anspruch, als politische Subjekte am öffentlichen Diskurs zu partizipieren, formt sich in der weiblichen Gemeinschaft zu einem geschlechtsgebundenen Politikverständnis. Die ,eigene Stimme‘ wird zur ,Gegenstimme‘ – gegen den folgenreichen Ausschluss der Frauen als politische Akteurinnen und gegen den Verdrängungsprozess aus der Öffentlichkeit. Gemeinsam ist den beiden Fallbeispielen der ,freigewordene Blick‘ auf geschlechterhierarchische Strukturen. In beiden Gruppen ,ent-decken' die Frauen die Konstruktionslogik der Geschlechterordnung. Sie reflektieren Geschlecht als Faktor gesellschaftlicher Differenzierung und Hierarchisierung. Geschlecht wird als soziale Strukturkategorie gedeutet, die soziale Chancen zuweist und Prozesse sozialer Ungleichheit durch gesellschaftliche Verhältnisse und symbolischnormative Deutungsmuster reproduziert. Die weibliche Gemeinschaft fungiert dabei als Rahmen, innerhalb dessen die Frauen Strategien entwerfen, sich in einer männlich dominierten (Arbeits-)Welt zu behaupten. Während bei der Gruppe der Architektinnen und Stadtplanerinnen subjektive (Anpassungs-) Leistungen gegen den Verdrängungsprozess im Vordergrund stehen und die kollektive Gleichheitsfiktion über ein performatives Potenzial gelöst wird, proklamiert die Mütter-Gruppe für sich eine ,neue Identität‘, in der die Rückbesinnung auf
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oder eine Anknüpfung an weibliche Ressourcen selbst-bewusst vorgetragen wird. Vor dem Hintergrund geschlechtsspezifisch variierender Lebenszusammenhänge werden Unterschiede in den Orientierungs- und Verhaltensmustern von Frauen und Männern herausgearbeitet, durch die Frauen mit dem für sie Spezifischen überhaupt erst einmal sichtbar und in einer nicht defizitären Position kenntlich gemacht werden. Auf der Basis dieser identitätspolitischen Programmatik werden männliche Universalisierungsansprüche infrage gestellt und als ideologisch entlarvt. Geschlechtsspezifische Zumutungen werden unter einem neuen Blickwinkel gedeutet. In der weiblichen Gemeinschaft fiktionalisieren die Frauen eine ,weibliche Gegenkultur‘, um sich als ,ungleiche Gleiche‘ im öffentlichen Diskurs zu beteiligen und zu behaupten.
2.2.4 Zwischen Verbundenheit und Differenz: „weil ich irgendwie gedacht hab’, Frauen sind doch ähnlicher …“ Die empirische Analyse zeigt, dass sich in den verschiedenen Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus ein Spannungsverhältnis zwischen einer programmatisch formulierten Verbundenheit und einer erfahrungsgebundenen Einsicht in die Differenz der Frauen untereinander dokumentiert. Die weibliche Gemeinschaft, das konnte bis jetzt gezeigt werden, ist eine Chiffre, die die erfahrene und gedeutete Differenzerfahrung zu Männern ebenso umfasst wie die Homogenität in der weiblichen Lebenseinstellung und Lebenslagen in den jeweiligen Gruppen. Das explizit formulierte Wissen um geteilte Lebens- und Sozialisationsbedingungen sowie die Erfahrung, dass Geschlecht nach wie vor ein relevanter Bezugspunkt für die Zuweisung von sozialem Status und gesellschaftlich vermittelten Lebenschancen ist, also immer noch diskriminiert und marginalisiert, gehört zum gemeinsamen Wissensbestand in den Gruppen; dieses Wissen erweist sich als das gemeinschaftsstiftende Moment und das selbstverständlich Verbindende in den jeweiligen Gemeinschaften. Neben dieser nachdrücklich formulierten Verbundenheit und diffusen ‚Versämtlichung‘ – um einen Ausdruck von Hedwig Dohm zu verwenden – erfahren die Frauen, dass Geschlechtszugehörigkeit allein keinen kollektiven Erfahrungsraum markiert und es unterschiedliche Voraussetzungen für ein erlebnismäßiges Verbundensein gibt. Angesichts der Dialektik von Gleichheit und Differenz erfahren die Frauen, dass sie heterogene Voraussetzungen mitbringen und das Interessehandeln auf öffentlichen Bühnen (Arbeit, Politik, Gewerkschaft) auch individualistisch erfolgt, kurzum: Die grundlegende Komplexität der Lebenssituation Frau kann unter dem Blickwinkel von Geschlecht und Geschlechtszugehö-
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rigkeit nicht mehr problemlos vereinheitlicht werden. Dies gilt auch für den weiblichen Zusammenschluss. Empirische Beispiele für ein derartiges Spannungsfeld von Gemeinsamkeit und Differenz finden sich in nahezu allen Gruppen unseres Samples. Für das Milieu der gebildeten Mittelschicht allerdings lässt sich dieses Auseinanderklaffen zwischen dem Anspruch und dem Wunsch auf ein ,tragendes Wir‘ und der realisierten Differenzerfahrung der Frauen untereinander als schwierig und in letzter Konsequenz als Zerreißprobe für das Kollektiv beschreiben. In der Selbsthilfegruppe, die sich mit den Fragen des Alters und des Alterns befasst, aktualisiert sich dieser Konflikt besonders deutlich. Die Gruppe besteht seit zwei Jahren und die Frauen haben in ihrer Gründungsphase bereits mehrere ,Tiefs‘ erlebt. Auf einer formalen Ebene gibt es zwar mittlerweile ein erarbeitetes Repertoire an Regeln, die die Gemeinschaft – zumindest organisational – auffängt. Die Frauen haben verschiedene zeitliche Rhythmen für ihre Treffen ausprobiert und sich bestimmte „Regeln für Gespräche und ihren Austausch“ auferlegt. Dazu gehören u.a. der Verzicht auf eine offizielle Gruppenleitung, das Gebot, sich gegenseitig ausreden zu lassen, Störungen zu benennen, in sog. Ich-Botschaften zu sprechen und vor der direkten Rückmeldung zu Beiträgen anderer deren Einwilligung einzuholen. Inhaltlich lässt sich dieser Konsens nicht über Regeln herstellen und während des Gruppengesprächs wird deutlich, dass die Auseinandersetzungen um das ,Wir‘ der Gruppe andauern. In der folgenden Gesprächssequenz erinnert sich eine Teilnehmerin an die schwierige Gründungsphase der Gruppe. Die Initiative für den Frauengesprächskreis ging von zwei Frauen aus, die über Flyer und eine Annonce um Interessentinnen warben. Die Vorstellung, dass der Ausschluss von Männern sowie der thematische Zuschnitt Interessentinnen anzieht, die „ähnlich“ gesinnt und orientiert sind, wird allerdings gleich zu Beginn jäh zerstört. Eine der Mitinitiatorinnen der Gruppe erinnert sich während des Gruppengesprächs noch einmal an die Entstehungsphase. Mit Erstaunen stellt sie fest, dass die offene Einladung Frauen zusammenbrachte, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Als es darum ging, eine gemeinsame Perspektive zu finden, offenbart sich das ganze „Chaos“: B:
Also für mich war es ne ausgesprochen interessante Erfahrung, weil ich vorher ja auch viel mit Frauengruppen zu tun hatte und mitgewirkt hatte und die äh mehr oder weniger einen feministischen Hintergrund hatten. Äh und hier war das ja eigentlich völlig offen gewesen. Wir hatten einfach die Zettel überall ausgelegt, in der Zeitung, und es sind einfach die unterschiedlichsten Frauen gekommen. Und für mich war es ne unglaublich interessante Erfahrung, wie Frauen einfach so wahnsinnig unterschiedlich sein können. Und dass es am Anfang wirklich überhaupt nicht geklappt hat und dass wir wirklich ganz nah dran waren, das Handtuch zu schmeißen und zu sagen, das ist ein – so dass wir
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse einfach nur gesagt haben: Das is so ein chaotischer Haufen, das kriegen wir nicht unter einen Hut. Und das war für mich wirklich ne interessante Erfahrung, weil ich irgendwie gedacht hab’: Frauen sind doch ähnlicher, wie ich es aus meiner Erfahrung auch kannte.
Das chaotische Gründungsszenario, in dem Frauen aufeinander treffen, die „wahnsinnig unterschiedlich“ sind, offenbart hier die kollektive Illusion. Hinter der Enttäuschung steht die Erwartung, dass die Zugehörigkeit zu einer Genusgruppe ähnliche Orientierungen verklammert. Die Erzählerin operiert hier mit dem Begriff der „Ähnlichkeit“, der – nebenbei bemerkt – bereits geringfügige Unterschiede zwischen Frauen enthält. Die Annahme einer Ähnlichkeit qua Geschlechtszugehörigkeit und Altersphase muss jedoch revidiert werden. Die uneinheitliche Zusammensetzung der Gruppe und die Hoffnung, eine gemeinsame Perspektive zu finden, ziehen einen zeit- und energieaufwendigen Suchprozess nach sich, in dem um das verbindend Gemeinsame gerungen wird. Die Formulierung „das war für mich wirklich ne interessante Erfahrung“ ist in diesem Kontext eine distanzierte und im Kontext des Gruppengesprächs wohl auch eine diplomatische Bewertung ihrer persönlichen Enttäuschung, die andauert und auch von den anderen Teilnehmerinnen immer wieder formuliert wird. Am Beispiel der Selbsthilfegruppe wird eindrucksvoll belegt, wie die Verbundenheitsvision qua Geschlechtszughörigkeit in sich zusammenfallen kann. Obwohl sich die Gruppe um eine Arbeitsgrundlage müht und die Aussicht geradezu beschworen wird, dass die Gruppe die verschiedenen Perspektiven der Frauen unter ein Dach bringen wird, so ist die Chance, ob die Gruppe als Ganzes überlebt, zum Zeitpunkt des Interviews offen. Auch in anderen Gruppen realisieren die Frauen Differenzen im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft. Auch hier wird der ,GemeinsamkeitsAnspruch‘ zur puren Fiktion. Dazu noch ein Blick in unsere Empirie: Am Beispiel der feministischen Lesegruppe kann eindruckvoll gezeigt werden, dass die Gruppe zur normensetzenden Instanz ihrer Mitglieder wird. So bestätigen sich diese Frauen über weite Strecken des Gruppengesprächs ihre Verbundenheit. Die Gruppe wird, wie es eine Teilnehmerin formuliert, im Laufe der Zeit zu einer „kleinen Sozialgemeinschaft für irgendwelche beruflichen oder auch privaten Probleme“. In Abgrenzung gegenüber einer männerdominierten Kommunikationskultur linker Gruppierungen werden die gemeinsamen Abende der Frauen von einer Atmosphäre der Sympathie und Intimität getragen. Über weite Passagen der Gruppendiskussion steigern sich die Frauen geradezu in das harmonische Bild einer wohlmeinenden und -gesonnenen Gemeinschaft hinein: A: B:
für mich ist die Gruppe hier ein Frauenkraftraum. Ich nehme immer Kraft raus. Entspannend ist es auch.
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A:
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Ich hab immer das Gefühl, es stärkt mir den Rücken, wenn ich hier ein Feedback kriege. Ich weiß auch |_ja genau, Kraft entfalten. so wenn du gar nicht hier bist, du weißt aber, irgendwo gibt es da so ein Tisch, und da sind die alle, und da kannst du Sachen loswerden oder kannst auch einfach wissen, dass, wenn irgendwas ist, dass du da hinlaufen kannst. Ich denke, die Diskussionen, die wir haben, die sind auch manchmal richtig heftig. Es ist jetzt natürlich nicht so, dass wir versuchen, also ich glaube, es gibt hier keine, die dominieren möchte oder wird auch keine gelassen, glaube ich @@. Man muss sicherlich, ich denke man muss manchmal ums Wort ringen direkt ja. Aber das ist eigentlich auch so, das macht auch, das ist energetisch toll irgendwie.
Die Gruppentreffen sind für die Frauen zur festen Institution geworden. Dabei scheinen weniger die Themen relevant, sondern in erster Linie ein Konsens über das Verfahren der kommunikativen Behandlung dieser Themen. Unterschiedliche Perspektiven in der Gruppe stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern werden so dargeboten, dass sie den Themenhof der Gruppe erweitern. Dieser Stil des Umgangs miteinander erweist sich dann auch als erprobtes Verfahren der Konfliktvermeidung und als bewährtes Schema der Konsensfindung. Gegen Ende der Gruppendiskussion allerdings, als die Schwangerschaft und ein anstehender Erziehungsurlaub (bzw. heute Elternzeit) einer Teilnehmerin zum Gespräch wird, bricht dieses einvernehmliche Verfahren der konsensuellen Gesprächsprozedur auseinander. Die kontroverse Auseinandersetzung über die Folgekosten eines Erziehungsurlaubs eskaliert und spaltet die Gruppe. Die Teilnehmerin, deren Schwangerschaft hier thematisch wird, beteiligt sich nach der Behandlung ,ihres‘ Themas nicht mehr an dem Gespräch und verlässt nach dem Abstellen des Tonbands verärgert und gekränkt den Raum. Die folgende Gesprächssequenz gibt wieder, dass die Gruppe sich in einer Konkurrenz um Deutungen verstrickt und die Behandlung des Themas zu einem direktiven Eingriff in die Privatsphäre einer der Teilnehmerin wird, die nach der Geburt ihres Kindes den Erziehungsurlaub als familiale Auszeit und berufliche Umorientierungsphase nutzen will. Die übrigen Teilnehmerinnen wittern in einem solchen Vorhaben eine Retraditionalisierungs-Falle. Der Wunsch nach einem phasenweisen familialen Rückzug wird von der Gruppe als ideologisch prekär gedeutet und zur Disposition gestellt. C:
Pass auf, das geht ganz schnell in diese Richtung, dass im Endeffekt wieder diese klassische Rollenverteilung ist. Ich verstehe jetzt auch einige Sachen nicht, die du mir von deinen Utopien und so, die du mir früher auch immer er-
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G:
C:
G:
B:
G: B:
G:
A:
G: A: G:
zählt hast – das versteh ich dann gar nicht. Das haut dann nämlich nicht mehr hin, wenn du diese klassische Rollenverteilung. Ich habe nicht gesagt, ich freue mich auf die klassische Rollenverteilung, ich werde ihn heiraten und ihm den Arsch hinterher tragen. Ich freue mich darauf, diese Möglichkeit zu haben, in bezahlter Weise, zumindest relativ bezahlter Weise mich ein Jahr mindestens zurückzuziehen. Das heißt ja nicht – so einfach ist es ja nicht. Aber ich hab’ die letzten vier Jahre keine Zeit gehabt, mich um meine eigenen Sachen zu kümmern. Ich hab’ einfach Lust, gar keinen Job zu machen, außer das Kind zu erziehen. |_Außer das Kind zu erziehen. Genau das ist der Punkt! Das ist nämlich ein anderer Job. Du machst einen ganz andern Job. Wenn ich jetzt sagen würde, ich wäre Lehrerin und mache ein Sabbatjahr und kauf mir ne Hochseejacht und nehme diese Sorte Auszeit: Okay! Super! Du bist total cool drauf. Oder ich gehe malen oder so was – Teilzeit. Wenn ich sage irgendwie: Ich krieg dieses Kind und freue mich drauf und dann gehe ich nach Hause und male meine Scheiben mit Fingerfarbe an. Ich find das phantastisch: Auweia! Auweia! Auweia würde ich auch nicht sagen. Aber es ist trotzdem was anderes. Es ist trotzdem was anderes, zu sagen, ich male jetzt, weil ich malen will oder ich habe jetzt ein einjähriges Kind. |_Ich krieg das Kind, weil ich das Kind haben will. |_Okay, aber das Kind macht ja selber – den Malstift kann man weglegen, das Kind nicht. Also von daher ist das schon keine vergleichbare Situation. Ja das fängt langsam an, mich zu ärgern. Das ist ein sehr snobistischer Gedanke von Leuten, die meine Arbeitszeit und meine Realität aus den letzten vier Jahren nicht kennen. Wenn du konkret keine Zeit dafür hast, deine eigenen Einkäufe zu machen, deine eigene Wäsche zu machen, wenn du in ständiger Hektik bist und immer in Termindruck und selbst auf deiner Arbeit alle fünf Minuten angesprochen wirst: Können se mal? Welche Bücher über London haben sie hier? Dann suchst du alle Bücher über London |_Aber ich denke, dieses Rauswollen aus dem Job und das Kind kriegen, das können auch zwei verschiedene Dinge sein. Du kannst auch den Job lieben und das Kind kriegen. Du kannst auch den Job nicht lieben und kein Kind kriegen und dich trotzdem gegen den Job entscheiden. Wir können das hier auch abbrechen wir können das so stehen lassen, weil ich denke, dass du ja auch |_nein, lasst mich jetzt (G steht auf und verlässt den Raum)
Die Auseinandersetzungen der Gruppe eskaliert. Die Teilnehmerin, die hier gewissermaßen auf der Anklagebank sitzt, verlässt den Raum und kommt erst
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nach ein paar Minuten wieder zurück. Was ist passiert? Zum einen wird hier ein offenes Gegeneinander von Orientierungen sichtbar. Die Deutungsangebote der Gruppe werden für eine Teilnehmerin (G) zur Anklage. Ihr Wunsch nach einem familialen Rückzug konkurriert mit der bislang einvernehmlichen Orientierung der Gesamtgruppe nach individueller Eigenständigkeit. G’s Wunsch, sich nach der Geburt ihres Kindes ein Jahr Auszeit zu nehmen, wird von der Gruppe als Verlust ihrer individuellen Selbständigkeit interpretiert. Hinter einem Erziehungsurlaub verberge sich letztlich ein „anderer Job“. G wehrt sich, indem sie der Gruppe ,doppelte Standards‘ unterstellt. Am Beispiel der Gegenüberstellung ,Erziehungsurlaub‘ und ,Sabbatjahr‘ werden die unterschiedlichen Orientierungen evident. Während das Konstrukt ,Sabbatjahr‘ einen Selbstverwirklichungsaspekt beinhalte und damit dem geschlechterpolitischen Anspruch gerecht würde, werden Erziehungszeiten mit ,Selbstaufgabe‘ und ‚Autonomieverlust‘ assoziiert. Der Wunsch nach einem ,Erziehungsurlaub‘ hingegen würde unter anderen Vorzeichen gesehen und lediglich als Einspuren in ein sukzessives geschlechtsspezifisches Abhängigkeitsverhältnis gedeutet. Mit anderen Worten: Das Aussteigen aus dem Job mit Kind wird von der Gruppe als zweifelhafte Strategie eines Rückzugs gedeutet, weil sich hinter diesem Konglomerat aus Kind und Familienarbeit ein Widerspruch verbirgt, der geradewegs in eine „klassische Rollenverteilung“ führt – eine Perspektive, die das Ziel der individuellen Selbständigkeit als moralischem Anspruch (der Gruppe) konterkariert. Der explizite Wunsch von G nach einem Rückzug in die ,kleine Welt der Familie‘ sprengt den vermeintlich geteilten gemeinsamen Orientierungsrahmen der Gruppe. Zum anderen dokumentiert sich der Ausbruch von G aus dem gemeinsamen Orientierungsrahmen auch auf einer diskursdramatischen Ebene. Der Versuch des ansonsten gültigen Verfahrens der Konfliktbehebung und -vermeidung scheitert, weil die konträren Standpunkte nicht nebeneinander existieren können. Die Deutungsangebote der Gruppe werden für G zum Deutungsgebot. Eine Konklusion scheitert. Das Gespräch über das Thema ,Erziehungsurlaub‘ eskaliert. G geht auf (Gruppen)Distanz und zensiert ihr Thema („lasst mich jetzt“). Die Frauen werden für sie zu „Leuten“, die – abgehoben von ihrer Lebensrealität – über ihr Leben urteilen, ohne ihre konkreten Lebensumstände zu verstehen. Insgesamt wird hier deutlich, dass die Verständigung der Gruppe auf der Basis gemeinsam geteilter Lebensumstände solange einvernehmlich verläuft, wie der gemeinsam geteilte Orientierungsrahmen geteilt wird. Zum Bruch kommt es in dieser Gruppe, als sich die Erfahrungsräume über Familiengründungsphasen auseinanderdividieren. Der Diskurs auf einer kommunikativen Ebene misslingt, weil die veränderten Lebensumstände einer Teilnehmerin andere biographische Schwerpunktsetzungen nach sich ziehen.
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Im Gegensatz zur feministischen Lesegruppe werden in der Fraueninitiative im Bereich Beratung und Gewaltprävention Differenzen im Hinblick auf einen gemeinsam erarbeiteten Konsens entlang von Statuspositionen ausgetragen. Auch hier verstellt die Programmatik einer Gemeinschaft qua Geschlechtszugehörigkeit einen konstruktiven Umgang mit Differenzen und unterschiedlichen Perspektiven. Die Folge sind auch hier Enttäuschung, Rückzug oder energieaufwändige und kränkende Auseinandersetzungen in der Gruppe. Die vereinsförmig organisierte Initiative wird von einigen hauptamtlichen, mehrheitlich jedoch von ehrenamtlichen Mitgliedern getragen. Vor ca. einem Jahr hat die Gruppe mit Hilfe externer Beratung gemeinsam ein ,Qualitätshandbuch‘ für ihr Engagement erstellt, um so die verschiedenen Bereiche ihres Handelns zu standardisieren. Obwohl diese Qualifizierungsmaßnahme vor allem den städtischen Fördertöpfen geschuldet war – der Verein finanziert die hauptamtlichen Frauen über städtische Zuschüsse –, wird sie im Hinblick auf die Gruppengeschichte als ein wichtiger Schritt in Richtung Professionalisierung gedeutet. Für die beiden Standbeine des Vereins, Öffentlichkeits- und Beratungsarbeit, wurden Standards erarbeitet und verschriftlicht. Während der Gruppendiskussion aktualisiert sich ein Konflikt im Hinblick auf die unterschiedlichen Aufgabenbereiche Öffentlichkeitsarbeit und Beratung. Während sich die hauptamtlichen Frauen vor allem im gesellschaftspolitischen Bereich engagieren, also Öffentlichkeitsarbeit machen, obliegt der Beratungsbereich gegenwärtig ausschließlich bei den Ehrenamtlichen. Die präferierten Schwerpunktsetzungen sind strittig und spalten die Gemeinschaft. In der folgenden Passage verwickeln sich zwei Frauen darüber in ein Streitgespräch. Eine Gesprächsteilnehmerin (D), die als Hauptamtliche für den Verein arbeitet, unterstellt den im Beratungsbereich tätigen Ehrenamtlichen, dass sie die gemeinsame „Idee“ des Vereins, sich in beiden Bereichen zu profilieren, nicht mittragen würden. Ehrenamtliche Frauen ließen sich in ihrem Engagement von einer ausgeprägten „Hilfsmotivation“ („die wollen ganz viel helfen und Frauen beraten und unterstützen, weil es so schlimm ist“) leiten und reproduzierten damit die den klassischen Weiblichkeitsbildern entsprechenden Orientierungen ,Anteilnahme‘ und ,Fürsorglichkeit‘. Das Interesse an ,politischer Arbeit‘ hingegen sei nicht vorhanden. Diese Kritik wird von Seiten einer Ehrenamtlichen als persönliche Infragestellung ihrer Arbeit gewertet. Sie verteidigt ihr Engagement im Beratungsbereich, indem sie auf ihr reduziertes Zeitfenster verweist. Ihr Wunsch, als Ehrenamtliche das zu tun, was sie gerne tut, sei demzufolge nur allzu legitim. Der Disput über die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen gerät zu einem Streit um Anerkennung und Würdigung der geleisteten Arbeit in den unterschiedlichen Feldern der Vereinsarbeit, stellvertretend ausgetragen von zwei Frauen, die unterschiedlichen Statusgruppen angehören:
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Also was ich schon auch merke, wo dieser Konsens dann ins Wackeln gerät, das ist – also die meisten Ehrenamtlichen, die hier anfangen, die interessieren sich für Beratungsarbeit, die wollen ganz viel helfen und Frauen beraten und unterstützen, weil es so schlimm ist, und haben überhaupt keinen Zugang zu dem anderen Standbein, also sehen gar nicht, dass Öffentlichkeitsarbeit auch wichtig ist und nicht nur Öffentlichkeitsarbeit, die aufklärt über Anzeige, die Möglichkeit der Strafanzeige oder über Traumata, sondern Öffentlichkeitsarbeit im weiten Sinne. Also alles, was so Lebensbedingungen von Frauen hier in der Gesellschaft betrifft. Das wird auch nicht so als wichtig gesehen, sondern das Wichtige ist beraten, unterstützen und mit hin zum Prozess, weil das ist ja ganz wichtig, weil den Frauen geht’s ja ganz schlecht und denen muss geholfen werden – so diese Hilfsmotivation. Ja und ich verstehe jetzt noch nicht, was ist dein Gedanke? Ja ich meine, dieser Konsens – wir haben zwei Standbeine, und das andere ist mindestens genau so wichtig – kommt immer ins Wackeln. Also diese Idee, dass Öffentlichkeitsarbeit und politische Arbeit genau so wichtig ist, von vielen gar nicht gedacht oder getragen wird. Ich fühle mich jetzt, ehrlich gesagt, ein bisschen angegriffen, muss ich sagen |_aha weil, also ich stehe dazu. Ich habe von Anfang an gesagt, ich möchte Beratungsarbeit machen und mache diesen Infobrief, das sehe ich nicht als große Arbeit an, aber ich fühle mich irgendwie in Frage gestellt, nachdem was du grade sagst – sehr. Es ist oft so, es ist bei den meisten so, die hier anfangen. Damit ist die Frage gegeben, wie geht man mit Ehrenamtlichen um, wie stellt man Ehrenamtliche ein? Stellt man sie überhaupt ein, wenn sie – ich habe das von vornherein gesagt, auch bevor ich mich dafür entschieden hatte –, dass ich das gerne machen möchte. Da habe ich das Gefühl |_Moment. Aber grade hast du gesagt, dieser Konsens steht und der wackelt nicht. Ja, dass wir ein rein an Frauen mit Gewalterfahrung orientierter Verein sind. Aber das war bezogen auf den Konsens ‚wir haben zwei Standbeine‘. Wir haben das Standbein Beratungsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit und politische Arbeit. Das war |_Das kann ja auch sein, aber ich kann mir das nicht leisten als Ehrenamtliche. Ich hab so ein Zeitfenster für mich eingerichtet und ich kann nicht Öffentlichkeitsarbeit machen. Ja aber es muss ein Konsens da sein, dass die Öffentlichkeitsarbeit genau so wichtig ist und dass wir nicht nur Beratung machen und vielen armen Frauen helfen und ganz viel helfen.
Der gemeinsame Konsens der Gruppe wird in Abrede gestellt. Der ironisierende Tonfall, mit dem die Beratungstätigkeit als ,Helfersyndrom‘ psychologisiert wird, lässt zugleich auf verhärtete Fronten in der Gemeinschaft der Frauen
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
schließen. Die Diskussion scheint bereits öfter geführt worden zu sein. Der gemeinsam erarbeitete Konsens über die Arbeitsschwerpunkte des Vereins wird zwar theoretisch akzeptiert, hat aber handlungspraktisch keine Folgen. Mit der lakonischen Bemerkung „das kann ja sein, aber ich kann mir das nicht leisten als Ehrenamtliche“ wird die erarbeitete Vereinslinie im Hinblick auf unterschiedliche Perspektiven, die die Statuspositionen mit sich bringen, zurückgewiesen. Der Konflikt wird nicht gelöst und schwelt weiter. Insgesamt lässt sich festhalten: Im weiblichen Zusammenschluss dokumentiert sich das Spannungsfeld von (programmatischer) Gemeinsamkeit und (erfahrungsgebundener) Differenz. Zum einen erfahren und deuten Frauen ihre Geschlechtszugehörigkeit als selbstverständlich verbindend und gemeinschaftsstiftend, zum anderen dokumentiert sich in den Konflikten zwischen den Frauen, dass die Bedeutung der Geschlechtskategorie als Markierung eines kollektiv geteilten Erfahrungsraums nur bedingt gilt bzw. die grundlegende Komplexität der Lebenssituation von Frauen unter dem Blickwinkel Geschlecht nicht (mehr) problemlos vereinheitlicht werden kann. Die exemplarischen Fallbeispiele zeigen, dass der Mythos einer Verbundenheit die Unterschiede zwischen Frauen unterschlägt und ein immenses Konfliktpotenzial enthält. Die aufbrechenden Differenzen rütteln an den Grundfesten der Gruppe und stellen in einigen Fällen die weibliche Gemeinschaft in Frage. Zugleich gelingt es den Gruppen zumeist, unterschiedliche Standpunkte zu vermitteln und die aufbrechenden Differenzen einzufangen oder einzuebnen. Im zuletzt beschriebenen Fallbeispiel beharren die Frauen – trotz der Konflikte um unterschiedliche Motivationen – auf einer rein weiblichen Gemeinschaft. Bei Frauen stifte die Wirkmächtigkeit der Geschlechtsrollengebundenheit „Betroffenheit“ und „Parteilichkeit“ im Hinblick auf spezifische Gewalterfahrungen. Männer könnten aufgrund ihrer Geschlechtsrolle diese Betroffenheitsperspektive per se nicht teilen. Also bleiben sie der Gemeinschaft außen vor. An der unterstellten Gemeinsamkeit der Gleichbetroffenheit im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft wird nach wie vor, trotz aller Differenzen, festgehalten. Sie wird zum Rettungsanker des kollektiven ,Wir‘ – trotz des Konfliktpotenzials: D:
Gut, wir haben zumindest die Grundlage, es gibt zumindest die Grundlage, also die Idee von Solidarität und Unterstützung, auch wenn wir jetzt den Begriff der Solidarität nicht mehr so verwenden, aber die Idee von Unterstützung und Parteilichkeit für Frauen ist nach wie vor da – also Frauen helfen Frauen aus ihrer Betroffenheit heraus. Das hat sich zunehmend professionalisiert, aber die Idee ist immer noch da. Und deswegen könnte in diesem Verein kein Mann sein, weil er quasi diese Grundlage nicht teilen kann aus seiner Geschlechtsrolle heraus. Männer sind in anderer Weise von Gewalt betroffen – strukturell.
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Auch in andern Gruppen gelingt es, an der hoffnungsgeleitet angenommenen Harmonie unter Frauen – trotz aufbrechender Differenzen – festzuhalten. Für ein solches Bedürfnis nach selbstverständlicher und fragloser Verbundenheit werden allerdings argumentative Anstrengungen nötig, um die fragil gewordenen Gemeinschaften zu erhalten. Erinnert sei hier noch einmal an das berufliche Frauennetzwerk, in dem die unterschiedlichen Karrierevorstellungen das Gemeinschaftsempfinden in der Gruppe empfindlich stören. Die Erfahrung, dass sich Frauen auch als potenzielle Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkt begegnen, reproduziert sich auch im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft. Solidarische Verbindungen, so ihre Wahrnehmung, finden nur unter positionsgleichen Frauen statt. Diejenigen Frauen, die Karriere machen, verlassen das gemeinsame Feld. Als im Gespräch der Frauen unterschiedliche Karrierevorstellungen und -orientierungen verhandelt werden, verstricken sich die Frauen in wechselseitige Bewertungen um Kompetenzen und Qualifikationen. Das Gruppenanliegen, sich wechselseitig zu fördern und zu unterstützen, scheint als Fiktion entlarvt. Eine (Re)Integration der verschiedenen Perspektiven gelingt allerdings in dieser Gruppe über die kollektiv geteilte Orientierungsfigur einer ,Ablehnung von Karriere um jeden Preis‘. Die kompromisslose Ausrichtung des Lebens an Arbeit und Beruf, wie sie bei Männern beobachtet wird, stößt bei allen Frauen – ob mit oder ohne ausgeprägte Karriereorientierung – auf geteilte Ablehnung. Sie wird zur Gemeinsamkeit in der Differenz. Die Harmonisierungsbestrebungen bei der Selbsthilfegruppe ,Alter(n)‘ lassen sich demgegenüber eher als ,rhetorische Kunstfigur‘ beschreiben. Die heterogene Zusammensetzung der Gruppe und der Unmut über das Ausmaß an Verschiedenheit werden über das gesamte Gruppengespräch hinweg als „interessante Erfahrung“ ausgedeutet. Die individuelle Enttäuschung im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft wird als kollektive ,Entdeckungsreise‘ uminterpretiert, die überraschende Erfahrung der Differenz unter Frauen zum gemeinsamen Fundament stilisiert. Inwieweit dieses Fundament trägt und die Gruppe als Ganzes rettet, ist zum Interviewzeitpunkt eine empirisch offene Frage.
2.3 Exkurs: Die jüngere Generation am Fallbeispiel einer Mädchenband Das Geschlechterwissen und mithin die Erfahrungen von Gleichheit und Ungleichheit sind lebensphasenspezifisch und gebunden an einen kulturellen und institutionellen Kontext. Dies wird in zahlreichen Untersuchungen belegt. Hinzu kommen Erkenntnisse der Jugendforschung, dass Gruppen von Gleichaltrigen
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eine zunehmend wichtige Funktion in der Sozialisation haben17. In meinem fokussierten Milieuvergleich möchte ich diesem Sachverhalt Rechnung tragen und einen Einblick in die Gruppenkultur junger Frauen und Mädchen geben. Auch hier richtet sich der Blick auf kollektive Orientierungen in der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft. Die Ergebnisse eines Vergleichs im Hinblick auf Alter, Entwicklungsphase und Generation, das kann bereits an dieser Stelle kurz angedeutet werden, sind für die Gesamtuntersuchung insofern von Bedeutung, weil die Gruppendiskussionen mit Mädchen und jungen Frauen den Blick schärfen für die Praxis der interaktiven Herstellung und Inszenierung von Geschlecht- und Geschlechtszugehörigkeit. In den Gruppendiskussionen mit den Mädchen und den jüngeren Frauen lässt sich diese Perspektive des Geschlechterhandelns pointiert nachzeichnen. Die Gruppen dokumentieren hierbei einen Ort, an dem heterosexuelle Sozialformen auch spielerisch eingeübt, bekräftigt, aber auch übersetzt und kritisch reflektiert werden. Darüber hinaus zeigen die Diskussionen mit den Mädchen und jungen Frauen, wie der Tatbestand der geschlechtsspezifischen Codierung auch als Zuweisung und Zumutung erlebt wird, nämlich über Genderisierungsprozesse der Erwachsenen. Die Mädchen rebellieren gegen diese (verdeckten und offenen) Regieanweisungen der Erwachsenenwelt und pochen bei ihrer Suche nach sexueller Identität auf individueller und authentischer Selbstbehauptung. Es wurden zwei Gruppendiskussionen mit Mädchen und jüngeren Frauen geführt. Ausführlich dargestellt wird die Gruppe, die sich als Mädchenband zusammengeschlossen hat (s.u.). Die weitere Gruppe im Sample ist eine Freundinnen-Gruppe, bestehend aus vier Mädchen, die zusammen dieselbe Klasse desselben Gymnasiums besuchen und auch weite Teile ihrer Freizeit gemeinsam verbringen. Sie sind zwischen 15 und 16 Jahre alt und bezeichnen sich selbst als ‚Mädels-Clique‘. Ihrer Selbstaussage zufolge teilen sie miteinander „alles, was es so gibt“. Beide Gruppen repräsentieren die jüngere Generation des akademischen Bildungsmilieus. Diese Verortung erfolgt ‚unter Vorbehalt‘, weil keine Vergleichsgruppen zur Verfügung standen. Unser Wissen, dass sie überwiegend Gymnasiastinnen sind, sowie einige Informationen über die Berufe ihrer Eltern – Krankenschwester, EDV-Berater, Lehrer, SozialarbeiterInnen, Ärzte, ein Elternteil besitzt einen Handwerksbetrieb – legen nahe, dass die Mädchen eher das Bildungsmilieu verkörpern. Im Hinblick auf die Art und Weise, wie sie miteinander Dinge besprechen, welche Deutungsfiguren sie bemühen und von welchen sie sich abgrenzen, wird die obige Annahme verstärkt.
17
Vgl. dazu vor allem Helfferich, Cornelia (1994), Brückner, Margit (1996), Breidenstein, Georg/Kelle, Helga (1998), Breitenbach, Eva (2000) Bütow, Birgit (2006)
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Kontextinformationen zur Gruppe und Kontaktaufnahme Die Gruppe, die im Folgenden ausführlich vorgestellt wird, ist eine Mädchenband, die aus vier Mitgliedern besteht. Alle Mädchen sind 17 Jahre alt. Drei der Mädchen besuchen das gleiche Gymnasium, zwei davon gehen in dieselbe Klasse. Eines der Mädchen, ebenfalls langjährige Klassenkameradin, ist vor einem Jahr auf die Realschule gewechselt und besucht dort die Abschlussklasse. Die Band besteht seit zwei Jahren und hat mittlerweile bereits öffentliche Auftritte hinter sich. Ihre Musikrichtung charakterisieren die Mädchen selbst als PunkMusik. Seit Bestehen der Band treffen sich die Mädchen mindestens einmal die Woche zum Üben in einem Raum, der ihnen dafür von einer öffentlichen Einrichtung zur Verfügung gestellt wird. Die Herstellung des Kontakts durch die Wissenschaftlerinnen kam über eine Bekannte zustande, die selbst Musik macht und eines der Mädchen aus der Band kennt. Nach einem Telefongespräch mit diesem Mädchen und nach Absprache mit den anderen Bandmitgliedern wird zeitnah ein Termin vereinbart. Obwohl unsere Kontaktperson zunächst irritiert ist und mehrmals ihre Bedenken formuliert, dass die Gruppe „nichts Besonderes zu erzählen habe“, signalisiert sie trotzdem die Bereitschaft, sich an dem Gruppengespräch zu beteiligen. Zur Gruppendiskussion treffen wir die Mädchen in ihrem Übungsraum. Nach einer kurzen ‚Aufwärmphase‘ entwickelt sich mit den Mädchen ein lebhaftes Gespräch. Die gesamte Gruppendiskussion zeichnet sich durch interaktive Dichte, Selbstläufigkeit und Bildhaftigkeit aus, so dass vielen Passagen der Stellenwert von Fokussierungsmetaphern zukommt. Die Gruppe verfügt über einen Fundus an gemeinsam Erlebtem und gemeinsamen Geschichten. Häufig erzählen mehrere Mädchen gemeinsam, wobei sie sich dabei gegenseitig unterstützen und ergänzen bzw. eine den Erzählfaden der anderen aufnimmt. Die Mädchen fühlen sich der links-alternativen (Musik)Szene zugehörig und zeigen habituelle Ähnlichkeiten in Ausdruck und Auftreten. Ihre Kleidung ist leger (Jeans, Parker); auffällig sind Piercings und gefärbte Haare (rot, orange). Zwei der Mädchen rauchen selbst gedrehte Zigaretten.
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
Diskursorganisation Die Gemeinsamkeit der Gruppe und die Zurückweisung der Forschungsfrage: „…wenn man noch jünger ist, ist es eh klar, dass man so geschlechtsgetrennt befreundet ist“ Gleich zu Beginn der Gruppendiskussion aktualisieren die Mädchen zentrale Elemente ihrer Gruppenidentität: Auf die Frage nach dem Bedeutungsgehalt einer Mädchenband weisen die Mädchen den Geschlechterfokus zurück und entfalten interaktiv die Ablehnung geschlechterpolitischer Motive ihres Zusammenschlusses („wir sind vier Mädchen, die Musik machen und keine Frauenband“). Insgesamt deutet diese interaktiv dichte und diskursiv entfaltete Eingangssequenz, die im Folgenden wiedergegeben wird, darauf hin, dass es sich bei der Abgrenzung gegenüber einem ‚weiblichen Zusammenschluss‘ um ein kollektiv geteiltes Orientierungsmuster handelt: I:
A: D:
B:
Also ich habe euch ein bisschen was erzählt. Wie gesagt, wenn es noch Fragen gibt, könnt ihr sie noch stellen. Und wir würden euch jetzt einfach mal bitten, doch einfach mal darüber zu erzählen, dass ihr euch hier so in einer Band, ja, nur weiblich zusammenfindet. Erzählt doch mal. Was war denn der Anlass und was macht ihr hier so? Ich weiß nicht. Ich denke mal, dass wir jetzt so zusammengekommen sind, weil wir uns kannten alle und dann halt. Ich weiß nicht. Ich glaub’, wenn man noch jünger ist, ist es eh klar, dass man so geschlechtsgetrennt befreundet ist, dass jüngere nur weibliche Freunde hat und alles. Ja weiß nicht, das ist aus so nem Teil raus irgendwie. Momentan, was ich auch nicht so cool finde, dass ich halt Freundinnen hab’, mit denen ich auch rede, mit denen ich auch andere Kontakte hab’ als mit Männern oder so. Ja weiß nicht, dass wir uns irgendwie gefunden haben und alle Musik machen wollten. Das ist gar nicht so sehr: Wir wollen jetzt ne Frauenband. Wir sind halt vier Frauen und wollen ne Band. Ja. Also wir beide kennen uns zum Beispiel schon sehr, sehr lange, und da war das irgendwie schon so klar, wir machen das jetzt zusammen. Du hast ja vorher schon was gemacht. Ich weiß nicht, für mich hat sich das dann so ergeben. Es war nicht so: Es müssen jetzt vier weibliche Personen sein. Das war, glaub’ ich, für uns alle nicht so.
Die Gesprächsinitiierung der Interviewerin, die u.a. auf eine geschlechterspezifische Fokussierung als ‚Mädchenband‘ abhebt, wird von den Mädchen gleich zu Beginn mit dem Verweis auf ihren sozialräumlichen Kontext als Gleichaltrigengruppe zurückgewiesen. Damit wird deutlich, dass der thematische Fokus der Forschungsfrage, nämlich die Gründe für den gewählten geschlechtsspezifischen
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Zusammenschluss zu eruieren, für die Mädchen so nicht passförmig ist. Die Forschungsfrage ist in diesem Sinne korrekturbedürftig, weil sie nicht den Erfahrungsraum der Mädchen erfasst. Die Mädchen selbst nehmen eine andere Rahmung vor. Für sie geben Freundschaft bzw. die Peergruppe sowie das gemeinsame Interesse an Musik den Ausschlag, eine Band zu gründen. Mit ihren eigenen Worten: Sie spielen in einer Band, weil sie sich kannten, und nicht, weil sie Mädchen sind. Zugleich wird von einem der Mädchen (D) das Argument sozialisationstheoretisch untermauert: Das geschlechtsspezifische Moment der Mädchenband sei die Folge einer alterstypischen Geschlechtertrennung („ist eh klar“). Dabei wird nicht auf eigene Erfahrungen rekurriert, vielmehr wird die Forschungsfrage im Hinblick auf geschlechtsspezifische Sozialisation hin reflektiert und kritisch positioniert. Nicht die Geschlechtszugehörigkeit per se, sondern die ‚naturwüchsige‘ Annahme der Peergruppen-Erfahrung als Entwicklungsphase sortiert nach Geschlechtern. Dass jüngere Menschen „geschlechtsgetrennt“ befreundet sind, wird von den Mädchen als selbstverständlich formuliert und besitzt in diesem Sinne eine andere Bedeutung als es für die Wissenschaftlerinnen vermutet wird. Die Band ist aus der Sicht der Mädchen das Resultat eines derartigen selbstverständlichen altershomogenen Beziehungsgefüges; sie ist dem Umstand von Freundschaft und gleichen Interessen geschuldet. Das Label ‚Frauenband‘ als bewusste Entscheidung für einen weiblichen Zusammenschluss wird verworfen. Im Gegenteil: Die Mädchen wehren sich gegen eine derartige geschlechtliche ‚Bedeutungs-Überfrachtung‘. Insgesamt dokumentiert sich bereits in der Dichte der Anfangspassage sowie in der interaktiven Validierung aller ein kollektives Orientierungsmuster: Die Abgrenzung gegenüber einem geschlechterpolitisch motivierten weiblichen Zusammenschluss und zugleich die Verortung in einem Sozialraum, in dem gemeinsame Interessen entwicklungsphasenbedingt ausgelebt werden können. Die sozialräumliche Selbstverortung wird dabei ambivalent offen gehalten, denn in der Bemerkung, dass die Qualität der Freundschaften zwischen Mädchen eine andere ist als mit Männern und im Freundinnenkreis andere Kommunikationspraxen gepflegt werden, legt die Vermutung nahe, dass sich die Mädchen Kontakte mit Jungen wünschen – Kontakte, wie sie mit Freundinnen möglich sind. Die Peergruppen-Erfahrung als sozialräumlicher Erlebniszusammenhang für weibliche Adoleszenz bedeutet für die Mädchen Inklusion und Exklusion zugleich: die Selbstvergewisserung der Mädchen über Nähe und Kommunikation als integraler Bestandteil der geschlechtsexklusiven Peer-Welt einerseits und die Erfahrung der Geschlechterdifferenzen andererseits. Die eigene Gruppe (Band) ist, was noch zu zeigen sein wird, ein Raum, in dem die Suche nach Geschlechtsidentität als Wechselspiel zwischen Geschlechterunterscheidung (bei gleichzeitiger Abgrenzung einer oktroyierten Geschlechtsrollenidentität), experimenteller
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Überschreitung der Geschlechtergrenzen bzw. dem Wunsch nach heterosexuellen Kontakten und der Selbstbehauptung gegenüber der Erwachsenenwelt interpretiert werden kann.
Zwischen eigenen Ansprüchen und Abgrenzung: „Das ist bei uns so ein Problem, das ich bei Männerbands überhaupt nicht so kenne“ Bevor die Band in der derzeitigen Formation zustande kommt, bewerben sich zwei der Mädchen bei anderen Bands – Bands, die vor allem aus jungen Männern bestehen. In der Gruppendiskussion werden diese Erfahrungen mit einer überwiegend männlich dominierten Musikszene zur Vergleichsfolie, die eigenen Ansprüche und Erwartungen im Geschlechtervergleich (auch kritisch) zu reflektieren. Dieser reflexive Bezug auf das eigene Geschlecht (durch Vergleich und Abgrenzung) wird teils in einem symbolisch verschlüsselten Disput wiedergegeben, innerhalb dessen auch Diskrepanzen des gemeinsam geteilten Orientierungsrahmens sichtbar werden und die stillschweigende Übereinkunft der fiktionalen Gleichheit gebrochen wird. Augenfällig wird dies in dem folgenden Gesprächsausschnitt, in dem die Mädchen mit der Fokussierungsmetapher ‚Singen versus Schreien‘ sukzessive einen geschlechtsspezifischen UnterscheidungsDiskurs realisieren. Im Rekurs auf Erfahrungen in und mit männlich besetzten Bands richtet sich der Blick der Mädchen auf das Trennende der Geschlechter. Sie erleben Männer anders, sprich: ungehemmt, lautstark, selbstbewusst und raumfüllend. Männer singen nicht, sondern, so die Sichtweise, sie „schreien einfach drauf los“. Im Gegensatz dazu dominieren bei den Mädchen Schamgefühle, beim Singen und beim Schreien. Letzteres, also Schreien, wird als „total schlimm“ und in generalisierender Perspektive für alle Mädchen zum „Problem“ erklärt. Die Mädchen geben unumwunden zu, dass Schreien etwas ist, was sie nicht wollen und wozu sie auch nicht in der Lage sind. D:
A:
Und dass es halt bei Männern immer so ist, dass der Gesang ist überhaupt kein Problem, die schreien einfach drauf los (.) Ich wollte erst noch singen, da hatte ich aber totale Hemmungen irgendwie also auch vor den dreien jetzt und dann auch, wo es dann losging, als wir irgendwie schreien wollten, das war total schlimm. Das ist bei uns so ein Problem, das ich bei Männerbands überhaupt nicht so kenne, dass das ein Problem ist. Das habe ich auch erlebt. Also ich war auch mal in der Zeit, wo ich alleine nach einer Band gesucht habe, habe ich eben auch Anzeigen durchgesehen, wo ein Bassist oder Bassistin gesucht wird. Dann war ich auch mal bei so ner Band. Da hatte ich das gleiche Problem, dass ich singen wollte und nicht
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C:
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schreien wollte. Die wollten, dass ich das so mache und ich hab’ gesagt: ‚Nee, das mach ich auch nicht‘. (.) Ich würde sagen, dass, ja, als dann dieses Stadium vorbei war, wo wir nicht mehr so Hemmungen hatten voreinander, was aber nicht daran lag, dass wir jetzt Frauen sind, sondern einfach, dass wir uns besser kannten.
Die Gegenüberstellung von ‚Schreien‘ und ‚Singen‘ ist insofern bemerkenswert, weil Schreien eine Art archaische Form des Ausdrucks darstellt, die Präsenz voraussetzt und mit Hemmungslosigkeit assoziiert wird. Schreien ist StimmGewalt. Dagegen ist Singen bzw. Gesang ein angeeignetes Kulturgut, das Beherrschung in doppeltem Sinn voraussetzt: Beherrschung der Sinne und Beherrschung der Fähigkeit, Vokalität und Gehör zu verbinden. Männer werden von den Mädchen ‚schreiend‘, also ungehemmt, selbstbewusst und raumfüllend erlebt. Die Mädchen zollen dem Schreien der Männer zwar eine gewisse Anerkennung, widersetzten sich aber diesem Erwartungsdruck und formulieren die eigenen Ansprüche als Defizit: Sie wollen singen, genieren sich aber, sich in einem semi-öffentlichen Raum zu präsentieren. Bei der näheren Analyse wird deutlich, dass der zunächst gemeinsam unterstellte Orientierungsrahmen der Mädchen hier auseinander klafft und im Gespräch wiederhergestellt wird. Während eines der Mädchen (D) nicht schreien kann und ihre Schrei-Hemmung im Geschlechtervergleich als Defizit problematisiert, streicht ein weiteres Mädchen (A) heraus, dass sie sich dem Druck der Männer, schreien zu sollen, widersetzt hat. Sie opponiert offen gegen die Erwartungshaltung der Männer. C schließlich greift korrigierend ein und interpretiert beide Varianten der Darbietung, nämlich Singen und Schreien als Vertrauensproblem der Gruppe. In dieser Art Reparaturleistung werden die Hemmungen der Mädchen nachträglich als spezifische Phase der Bandgeschichte gedeutet. Das heißt, im vertrauten Terrain der Gruppe verlieren die Mädchen sukzessive ihre Hemmungen. Mit diesem Argument wird der aufgespannte Geschlechtervergleich zurückgewiesen und die vermuteten Unterschiede werden eingeebnet. Im Rekurs auf Vertrauen wird noch einmal die Irrelevanz der Kategorie Geschlecht für die Gemeinschaft der Mädchen betont. Nicht im Vergleich der Geschlechter, sondern im Verhältnis der Mädchen untereinander entwickeln sie ihren eigenen musikalischen Ausdruck. Vertrauen und Sicherheit im Binnenraum der Gemeinschaft sind maßgeblich, damit die Mädchen ihre Hemmungen – ob nun beim Singen oder Schreien – verlieren. Resümierend kann bis dahin festgehalten werden, dass die Mädchen ihre Erfahrungen in und mit Männerbands – wenn auch in uneinheitlicher Weise – in einem Geschlechterdiskurs aufspannen. Der sukzessive geschlechtsspezifische Unterscheidungs-Diskurs, der hier metaphorisch in einem Vergleich von ‚Singen und Schreien‘ zur Geltung kommt, steht im Widerspruch zur deklarierten Zu-
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
rückweisung des Geschlechtsexklusiven als gemeinschaftsstiftendem Moment der Band, denn die Mädchen legen in ihrer Selbstpräsentation ebenso Wert darauf, dass ihr Zusammenschluss auf keinen geschlechterpolitischen Motiven beruht. Ihre Erfahrungen bei der Suche nach einer passenden Band gerinnen ‚unter der Hand‘ zu einem Geschlechter-Abgleich und sind für einige der Mädchen der Anlass, die Geschlechtszugehörigkeit als Grenzziehung zu deuten. Zugleich wird der Versuch unternommen, den gebrochenen Orientierungsrahmen wieder zu kitten. Die unterschiedlichen Deutungen der Mädchen führen nicht zur prinzipiellen Erschütterung des gemeinsamen Rahmens, denn mit dem Verweis auf ‚Vertrauen‘ – sozusagen als nachträglicher Reparaturmechanismus – wird der Differenz-Diskurs eingeebnet und die fiktionale Gleichheit im Geschlechterverhältnis (auch Mädchen seien demnach ungehemmt, wenn sie sich im vertrauten Terrain der Gruppe sicher fühlen) arbeitsteilig wieder hergestellt. Dieses Bemühen um einen Gruppenkonsens ist ein Versuch, denn die Geschlossenheit in der Außendarstellung der Mädchen beruht auf einer Art stillschweigenden Übereinkunft‘, die im weiteren Verlauf des Gesprächs zur Geltung kommt. Die folgende Passage ist die direkte Fortführung des zuvor zitierten Gesprächsausschnitts: A:
B: C: D:
C:
Ich denke, irgendwas macht es wahrscheinlich schon aus, aber ich kann jetzt nicht genau sagen was, weil ich eben auch keine Erfahrungen hab’ mit Männern in einer Band zu spielen. |_Das stimmt, ja. |_so von der Atmosphäre schon Ja und auch schon, dass man am Anfang noch unsicher ist. Weiß ich nicht, vom Lautstärkepegel, dass Männer einfach auch viel lauter reden.@ Daher glaube ich schon, dass das so ein bisschen ein Grund war. ja schon @
A setzt hier mit ihrer ‚kleinen Opposition‘ einen Prozess in Gang, das ‚stillschweigende‘ Übereinkommen der Mädchen im Hinblick auf die fiktionale Gleichheit im Geschlechterverhältnis zu brechen. Der zuvor noch zurückgewiesene Geschlechter-Vergleich wird nun zuerst in vagen Vermutungen, letztlich aber auch im Rekurs auf Alltagserfahrungen sukzessive realisiert. Die Mädchen stützen sich dabei gegenseitig, indem eine nach der anderen Zugeständnisse macht und sie in gemeinsamer Übereinkunft elaborieren, dass der GeschlechterStatus wirkungsmächtig ist und Situationen beeinflusst. Bemerkenswert ist zunächst, dass A ihrer Vorrednerin widerspricht („ich denke, irgendwas macht es wahrscheinlich schon aus“) und das Geschlechtliche als etwas Zusätzliches, eine Art Geschlechtsgefühl formuliert. Obwohl explizite Vergleichs-Erfahrungen fehlen, wird Geschlechtszugehörigkeit als Einflussfaktor für die Atmosphäre
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innerhalb der Gruppe gedeutet. Während diese Behauptung mit den Worten „irgendwas“, „wahrscheinlich“, „nicht genau“ noch zaghaft formuliert wird und durch diese Relativierungs-Floskeln die Interpretation nahe liegt, dass sie sich nicht traut, ihre Mutmaßung mit stärkerer Vehemenz vor der Gruppe zu äußeren, animiert sie mit ihrem Verdacht die anderen Mädchen dazu, ihrerseits ausführlicher auf die geäußerte Behauptung einzugehen. Der zuerst noch zögerlich geäußerte Unterschied wird im Folgenden von den anderen Mädchen ausgedeutet: Durch die prompte Validierung von B, den Verweis auf atmosphärische Unterschiede sowie die inhaltliche Sättigung durch Alltagserfahrungen („dass Männer einfach auch viel lauter reden“). Die Mädchen sprechen nun aus, dass sie sich im Vergleich mit männlich besetzten Musikgruppen und auch mit Männern generell als anders und andere wahrnehmen. Damit wird noch einmal die ambivalente Selbstverortung der Mädchen deutlich: Die Band ist für die Mädchen der soziale Raum, in dem die Suche nach Geschlechtsidentität als Wechselspiel zwischen Geschlechterunterscheidung und der Abgrenzung von oktroyierten Geschlechtsrollenidentität und Selbstbehauptung stattfindet. Sie sind hin- und hergerissen zwischen Außen- und Selbstwahrnehmung. Auf der Ebene der Selbstpräsentation legen sie Wert, als altershomogene Freundinnengruppe wahrgenommen zu werden, die gemeinsame Interessen verfolgt. Sie wehren sich gegen den übergestülpten Geschlechterfokus. Zugleich wird auf der Ebene der Erfahrung deutlich, dass sie Unterschiede zwischen sich und Männerbands wahrnehmen und realisieren, auch wenn, wie deutlich wurde, dieser Geschlechtervergleich erst im Verlauf des Gesprächs aktualisiert wird und sich sozusagen ‚unter der Hand‘ vollzieht. Der Bestand der Gruppe wird durch die diffizile Beziehungsstruktur der Mädchen untereinander und auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens gesichert. Die Mädchen sind bestrebt, insbesondere nach außen hin, Geschlossenheit zu wahren.
Im Binnenraum der Band: „wenn eine Frau in einer Männerband singt, dann ist das unsere Frontfrau“ Im Binnenraum der Mädchenband gilt das Prinzip der ‚Gleichberechtigung‘. Dies wird sowohl in geschlechtsdiskriminierender Hinsicht als auch unter hierarchischen Aspekten thematisiert. Die wechselseitige Bezugnahme und interaktive Validierung aller in der folgenden Passage legt die Interpretation nahe, dass die reflexive Bearbeitung des eigenen Standpunkts im Gruppengespräch reproduziert wird und die Mädchen das Thema ‚Gruppenkultur‘ bereits öfter besprochen haben:
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse C: A: D: C: B:
Und wir erleben es oft, wenn eine Frau in einer Männerband singt, dann ist das unsere Frontfrau. So war das bei uns nicht oder hatten wir jedenfalls vor |_oder tanzen ( ) im Background @ ist es nicht ist es nicht, nein, dass es da so eine Person gibt. Das ist halt schon bei den meisten Bands so, dass halt einer, meistens so der Gitarrist oder so, dann irgendwie das vorlegt, was er geschrieben hat und dann machen halt alle irgendwie. Also das ist bei uns auch teilweise so irgendwie, aber halt nicht nur@. Das ist auch schon irgendwie wichtig, dass man schaut, dass man das gleich, dass die Leute gleich was zu sagen haben oder so, dass es nicht so eine total dominierende Person gibt.
Die Mädchen teilen die Beobachtung, dass Frauen in der männlich dominierten Musikszene ein ganz spezifischer Platz zugewiesen wird: Entweder werden sie in geschlechtertypische Nischen (ab-)gedrängt, beispielsweise als Tänzerinnen im Hintergrund, oder sie werden als sog. Frontfrauen instrumentalisiert. Während Frauen im ersten Fall die Funktion des ‚schmückenden Beiwerks‘ erfüllen und als ‚Hingucker‘ die musikalische Präsentation männlicher Musikgruppen aufwerten (sollen), werden sie im zweiten Fall, um in der von den Mädchen selbst gewählten ‚kriegerischen‘ Semantik zu bleiben, für die Statusaufwertung im Rampenlicht ‚verheizt‘. Die Mädchen beobachten und reflektieren gemeinsam diese offenen oder auch subtilen Mechanismen der öffentlichkeitswirksamen Vermarktung von Frauen. Die Geschlechtshomogenität der eigenen (Mädchen-)Band ist damit, so legt es der Umkehrschluss nahe, auch ein schützender Raum, innerhalb dessen andere Erfahrungen der (Selbst-)Präsentation möglich werden. Die Mädchen sind hier vor solchen geschlechtsspezifischen Vereinnahmungen gefeit. Zugleich, so eine weitere Interpretation, wirkt die eigene Gruppe auch als ‚Sensibilisierungs-Katalysator‘ für derartige Abwertungsprozesse. Anders gewendet: Im sozialen Raum der geschlechtshomogenen Gemeinschaft verarbeiten die Mädchen gemeinsam die geschlechtsspezifischen Stigmatisierungsprozesse und suchen nach eigenen Formen der Selbstdarstellung. Die Mädchen grenzen sich gemeinsam von einer ‚männlichen Dominanzkultur‘ ab, die sie bei anderen, meist männlichen, Bands beobachten. So lehnen sie die Praxis ab, dass einzelne Personen – meist die Gitarristen – den Ton angeben, weil diese Liedtexte produzieren und ihren Bandmitgliedern ‚vorsetzen‘. In der Gruppendiskussion exemplifizieren die Mädchen vor der Vergleichsfolie männlicher Bands die eigenen Ansprüche und Erwartungen. Bemerkenswert dabei ist, dass sie ihr eigenes Programm jetzt im Zeichen einer ‚geschlechterpolitisch‘ aufgeladenen Selbstverortung vortragen. Sie setzen sich vehement von herkömmlichen geschlechtsspezifischen Kategorisierungen ab und proklamieren für das eigene Kollektiv basisdemokratische Grundstrukturen und -Prinzipien.
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus
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Die Außenwahrnehmung als Crunch-Mädels und Girlie-Band: „und so sehen wir uns überhaupt nicht“ Die Band hat mittlerweile mehrere öffentliche Auftritte hinter sich. Auf einen dieser Auftritte nehmen die Mädchen im Gespräch mehrmals Bezug und rekonstruieren diesen Event als eine Art Schlüsselerlebnis. In dem Gespräch darüber wird Folgendes deutlich: Zum einen erfahren sie, dass sie insbesondere über ihr Mädchen-Image eine Besonderung erfahren und Aufmerksamkeit erregen. Sie rücken qua ihres Geschlechterstatus ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Zum anderen stimmt die Außenwahrnehmung der Mädchen nicht mit dem Selbsterleben der jungen Frauen überein. Die Würdigung der Band als „GirlieBand“ wird von den Mädchen als Herabwürdigung ihrer Leistung erlebt und gedeutet; sie werden nicht an ihrer Musik gemessen, sondern genießen über den „Frauenbonus“ einen Sonderstatus: D:
B: D: B: D: B:
D:
C:
A:
Und dann sind wir da so reingerutscht. Also ich fand den total schlimm den Auftritt, weil da so wahnsinnig viele Leute waren und auch schon so die Profibands, oder nicht Profi, aber musikalisch voll fit und so. Und wir haben da als einzige Frauenband überhaupt nicht reingepasst. Da waren vielleicht zwei Frauen als Sängerinnen oder so |_als Tänzerin Da sind wir halt so voll rausgestochen. Wir haben eher noch so punkige Musik gemacht und ziemlich plakativ halt als einzige wirklich so politisch. Da sind wir wirklich schon so rausgestochen. |_Aber das war halt auch ziemlich krass, weil danach so ein Typ von der A-Zeitung zu uns kam. Der hat uns nicht mal gehört, und der hat so einen Artikel über A-Band geschrieben. Da war so ein Viertel oder die Hälfte war nur über uns, halt darüber, wo wir proben und wie lange es uns schon gibt. Und der hat uns noch nicht mal gesehen. Und das ist halt schon so was, wenn man so irgendwie raussticht, dass man da so das Interesse weckt. Wobei das mich auch ein bisschen genervt hat, weil das eben so war, dass der uns nicht wegen der Musik irgendwie, sondern weil wir Frauen sind und so rausstechen. Und dann kam halt dieser Begriff Crunch-Mädels – weiß nicht, kommt halt dauernd – ja die Girlie-Band, und so sehen wir uns überhaupt nicht. Sogar im nahen Umfeld passiert uns das oft. Ah nur Frauen – Girlie-Band! Dann muss man das immer so klarstellen. Die meinen das ja nicht blöd oder so, aber es ist einfach immer so, dass es total Aufmerksamkeit erregt. Was mich auch stört, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass dann irgendwie so manche Leute das so sagen: Oh, ich find euch ganz gut, weil wir eben nur Frauen sind, weil es das nicht gibt. Weil das dann nicht richtig ehrlich ist.
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
Die Gruppe der Mädchen fällt beim Stadtteilfest in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen: Sie sind unerfahren, spielen „punkige Musik“, präsentieren sich „ziemlich plakativ“, singen Texte, die sie als „wirklich so politische“ Inhalte charakterisieren. Alle diese Merkmale werden von den Mädchen zunächst als positive Besonderung markiert. Sie werden als eigene Erkennungsmerkmale selbstbewusst – und nicht ohne Stolz – ausgewiesen. Zugleich wird als weiteres Merkmal ihrer Besonderung – gewissermaßen als Kehrseite der intendierten (positiven) Selbstdarstellung – der Umstand genannt, dass sie als Frauen „rausstechen“. Ein Artikel in der Lokalpresse, geschrieben von einem Journalisten, der ihren Auftritt nicht live gesehen hat, beschäftigt sich in weiten Teilen ausschließlich mit der Mädchen-Band. Dies ist für sie das Paradebeispiel eines Stigmatisierungsprozesses, der nicht mit ihrer Selbstwahrnehmung übereinstimmt. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht nicht ihre Musik, sondern die schiere Tatsache des Außergewöhnlichen, nämlich dass sie Mädchen sind. In diesem Genderisierungsprozess werden sie auf einen Aspekt, den sie ‚naturwüchsig‘ mitbringen, reduziert. Im Gruppengespräch aktualisieren die Mädchen diese Zuweisung in interaktiver Steigerung als geschlechtsspezifischen Etikettierungsprozess, dem sie nicht entkommen können. Als Untermauerung ihres Arguments verweisen sie auf ihren privaten Kontext, denn auch hier findet derselbe Stigmatisierungsprozess statt („weiß nicht, kommt halt dauernd – ja die Girlie-Band“). Auch im privaten Umfeld stehen sie unter Druck, das Mädchen-Image von sich zu weisen bzw. zurechtzurücken: „Dann muss man das immer so klarstellen“. Da letztlich auch die Gruppendiskussion dem Umstand geschuldet ist, dass die Band aus vier Mädchen besteht und somit, zumindest oberflächlich gesehen, als geschlechtsexklusiver weiblicher Zusammenschluss fungiert, richtet sich die Anklage auch gegen die Wissenschaftlerinnen. Die vehemente Zurückweisung geschlechterpolitischer Motive gleich zu Beginn des Gesprächs wird nun verständlich, denn die Mädchen nehmen das Gruppengespräch zum Anlass, gegen eine Außenwahrnehmung der Erwachsenen zu agieren, die ihren Möglichkeitsraum beschränkt bzw. sie auf die Geschlechtlichkeit ihres Zusammenschlusses reduziert.
Im Kontakt mit jungen Männern: „dann hab’ ich recht lang mit denen diskutiert“ Die hierarchische Sexualitätsmatrix der Erwachsenenwelt wird von den Mädchen als Beschränkung ihres Möglichkeitsraums erfahren. Die Gruppe bietet hier einen schützenden Raum, sich selbst zu behaupten und sich von den oktroyierten Perspektiven abzusetzen. Im konkreten Kontakt mit gleichaltrigen jungen Männern hingegen werden die Wahrnehmungen und Kategorisierungen als Mädchen
2 Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus
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anders empfunden: Hier fungieren die klischeehaften Unterstellungen eines Girlie-Images auch als Spiegel für die eigene Attraktivität als Mädchen bzw. als Frau. Die Mädchenband wird von den Mädchen auch genutzt, um mit gleichaltrigen jungen Männern in Kontakt zu kommen. In der folgenden Passage gibt eines der Mädchen ein Gespräch mit Musikern wieder, in dem sie eine „Patriarchatsdiskussion angefangen (hat)“. Aus der Bewertung dieser Diskussion geht hervor, dass sie die Anspielungen im Hinblick auf ein Mädchen-Image kritisch, aber zugleich auch als harmlose Unterstellungen aufnimmt. In der Auseinandersetzung mit den jungen Männern gelingt es ihr, in jedweder Hinsicht als Gewinnerin hervorzugehen: C:
Ja und dann war ich in so nem Raum, wo hier die Bassmans drinsitzen so von ner anderen Band. Und die waren total lustig. Und dann habe ich echt so voll die Patriarchatsdiskussion angefangen. Und die haben so gemeint, ja, sie finden das total nett und total sexy, wenn eine Frau hinterm Bass steht, und dann habe ich recht lang mit denen diskutiert. Die haben das echt nicht bös gemeint. Die waren auch recht nett. Aber man hat voll gemerkt, dass die sich damit nicht so auseinandergesetzt haben, wie ich das dann cool fand – keine Ahnung.
Zunächst einmal kurz zum Inhalt der kurzen Sequenz: Im Gespräch mit den Teilnehmern aus einer Band (den „Bassmans“), allesamt junge Männer, erfährt die Erzählerin, die selbst Bass spielt, dass ihr Tun von den jungen Männern als „total nett“ und „total sexy“ empfunden wird. In Folge dieser geschlechtsspezifischen Bewertungen setzt sie sich mit den jungen Männern auseinander und konfrontiert sie mit der „Patriarchatsdiskussion“. Infolge dieser Diskussion stellt sie fest, dass die Jungen keine „bös gemeint(en) Absichten hegen. Was heißt das nun? Zunächst einmal wird hier deutlich, dass die Szene mit den jungen Männern anders bewertet wird als die Erwachsenenwelt, von der sich die Mädchen vereinnahmt und in ihrer Selbstbehauptung und individuellen Authentizität bedroht fühlen. Die Form ihrer Komplimente und die Art ihrer Zuwendung, in denen der heterosexuelle Normalitätshorizont klischeehaft produziert und reproduziert wird, ist für die Mädchen zwar auch ein Ausdruck fehlender Reflexion im Umgang mit Geschlechterstereotypien, aber im Vergleich mit der Erwachsenenwelt werden die Bemerkungen der jungen Männer weniger als Stigmatisierunsprozess erlebt, der sie in ihrem Tun beschränkt. Im Gegenteil: Im Nahbereich werden die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen als „nicht bös gemeint“ charakterisiert und mit einer eher wohlwollenden Deutung entschuldigt („Aber man hat voll gemerkt, dass die sich damit nicht so auseinandergesetzt haben“). Zugleich konfrontiert sie die jungen Männer mit eigenen Deutungsan-
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
geboten (hier in Form der ‚Patriarchatsdiskussion‘). Sie theoretisiert das ‚Kommunikationsangebot‘ der Jungen und entschärft damit den sozialen Konflikt. Die Kolportage von Geschlechterklischees unter Gleichaltrigen wird hier zur willkommenen Gelegenheit, sich als selbstbewusste junge Frau positionieren zu können. Diese Lesart wird durch das kokette Vortragen der Geschichte unterstrichen. Es gelingt ihr, die erzeugte Aufmerksamkeit so zu interpretieren, dass sie aus dem Kontakt als Gewinnerin hervorgeht: Sie wird umgarnt und genießt die Komplimente und die Aufmerksamkeit der jungen Männern („die waren auch total nett“). Die sexuell konnotierte Würdigung ist entschärft, weil sie erkennt, dass die Jungen schlichtweg unreflektiert sind, aber durchaus Bereitschaft signalisieren, sich mit ihren Vorurteilen auseinanderzusetzen. Insgesamt erfüllt die geschlechtsexklusive Gruppenzugehörigkeit also verschiedene Funktionen. Sie schafft für die Mädchen eine Möglichkeit, sich gemeinsam von den geschlechtsspezifischen Zumutungen der Erwachsenenwelt abzugrenzen oder auch: sich dagegen zur Wehr zu setzen. Zugleich bietet die Gruppe auch einen Erfahrungsraum, indem die Mädchen sexuelle Identität erleben und ausprobieren. Im Kontakt mit den jungen Männern aus der Musikszene zeigt sich, dass die Band für die Mädchen auch Chancen für Anschlussmöglichkeiten schafft und Verbindungen herstellt. Die Zugehörigkeit zur Band bietet Möglichkeiten des unverbindlichen und ungezwungenen Kennen-Lernens von jungen Männern. Im geschützten Raum der Gruppe werden diese gemachten Erfahrungen interpretiert, verglichen und evaluiert. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass in der Mädchengruppe der kommunikative ‚Abgleich‘ von ‚richtigen‘ Verhaltensweisen im heterosexuellen Erfahrungsraum reflexiv bearbeitet wird. Dazu gehört, dass angemessene Praxen von Weiblichkeit diskutiert werden. Die Mädchen beobachten und erfahren, dass sie unter ihresgleichen andere Gespräche führen, teils andere Interessen haben und sich anders geben und inszenieren. Die Peergruppen-Welt, die (noch) ‚naturwüchsig‘ nach Geschlechtern sortiert, wird sukzessive zu einem Erfahrungsraum, in dem die Differenzen den Rahmen bestimmen rsp. der Gemeinschaft ihre Kontur geben. Vor dem Hintergrund des impliziten Wissens um kulturelle Muster von Männlichkeit und Weiblichkeit konstituiert und reproduziert sich so ein kollektives ‚Wir‘, innerhalb dessen sie sich als ‚gleichgesinnte Andere‘ erfahren. Sie bearbeiten ähnliche Bedürfnisse und Probleme. Allerdings, und dies zeigt die Analyse der Band, ist die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Codierungen kontextgebunden: Während die Mädchen gerade im Hinblick auf die Erwachsenenwelt nach individueller und authentischer Selbstbehauptung streben und sich gegen geschlechtsspezifische Zumutungen und eine sexuelle Abwertung zur Wehr setzen, werden die Differenz-Erfahrungen im Raum der Gleichaltrigen zur willkommenen Gelegenheit, mit jungen Männern in Kontakt zu treten
3 Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten
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und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. In der Gemeinschaft der Mädchen wird der Umgang mit den jungen Männern ausgewertet und in den kollektiven Besitzstand der Gruppe integriert.
3 Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten 3 Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten wird in dieser Untersuchung durch sieben Gruppen repräsentiert, die ebenfalls in Vereinen, Verbänden oder innerhalb der Kirchen organisiert sind. Vertreten werden diese unterschiedlichen Gruppierungen im Sample durch eine Gymnastikgruppe, eine Gruppe, die sich regelmäßig zum ‚Frauen-Frühstück‘ trifft und ein konfessionell gebundener Frauenkreis. Die Kegelgruppe hingegen, die Wandergruppe, eine Gruppe, die regelmäßig Tupper-Ware-Abende veranstaltet sowie ein klassisches ‚Kaffeekränzchen‘ stellen Gemeinschaftsformen dar, die auf privat-informeller Ebene stattfinden. Das Altersspektrum umfasst hier sowohl die mittlere (zwischen Mitte dreißig und Ende vierzig Jahre) als auch die ältere Alterskohorte (Frauen zwischen Anfang fünfzig und Ende sechzig). Was die ältere Kohorte betrifft, so umfasst das Sample hier auch Gruppen, in denen die Frauen allesamt das Rentenalter bereits erreicht haben. Die Teilnehmerinnen dieser Gruppen haben durchwegs niedrig(er)e Schulabschlüsse und sprechen von sich selbst als Arbeiterinnen und einfachen Angestellten oder charakterisieren sich vor allem selbst als ‚einfache‘ oder als ‚ganz normale‘ Frauen. Viele der Frauen haben eine Ausbildung absolviert, beschäftigt sind sie jedoch – mit einigen Ausnahmen – hauptsächlich in un- und angelernten Tätigkeitsfeldern. Die meisten Frauen sind oder waren teilzeitbeschäftigt. Fast alle Frauen haben Kinder und/oder Enkelkinder. Die Mehrheit der Frauen ist verheiratet oder verwitwet. Überwiegend haben wir es hier mit langjährigen Gruppenzu(sammen)gehörigkeiten zu tun. Während im akademischen Bildungsmilieu Gemeinschaften tendenziell episodal sind, lässt sich für das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten eher das Gegenteil behaupten: Hier rahmt und begleitet die Gruppenzugehörigkeit weite Strecken der Biographie. Für die Milieuporträtierung beginnen wir wieder mit einer ausführlichen Fallstudie: Es handelt sich dabei um den ‚Frauenkreis‘ einer städtischen Pfarrgemeinde.
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
3.1 Fallbeschreibung: Der Frauenkreis Kontextinformationen zur Gruppe und Kontaktaufnahme Bei dieser Gruppe handelt es sich um einen konfessionell gebundenen Zusammenschluss von Frauen einer städtischen Pfarrgemeinde. Sie nennen sich selbst ‚Frauenkreis‘. Die Gruppe besteht aus ca. 25 Mitgliedern, die sich seit 35 Jahren regelmäßig treffen. An der Gruppendiskussion nehmen sieben Frauen teil. Die Altersspanne der Frauen reicht von Mitte 50 bis Ende 60 Jahre. Alle Frauen haben niedere oder mittlere Bildungsabschlüsse. Sie waren oder sind (noch) in Teilzeit beschäftigt. Die Frauen sind verheiratet, eine Frau ist verwitwet. Alle Frauen haben Kinder im Erwachsenenalter. Die Gruppendiskussion wird im Gemeindezentrum geführt, in welchem auch die regelmäßigen abendlichen Zusammenkünfte der Frauen stattfinden. Der Feldzugang gestaltet sich beim Frauenkreis auf indirektem Weg über die Verantwortliche für Frauenfragen der Kirche (Dekanatsfrauenbeauftragte), die das Forschungsanliegen zwar begrüßt, sich aber zunächst wenig offen zeigt, einen Kontakt zu dem Frauenkreis zu vermitteln. Sie begründet ihre Zurückhaltung mit der Annahme, dass der Frauenkreis wenig über das Anliegen von Frauen sagen könnte und schlägt uns andere Gruppen vor, von denen sie einen ‚frauenpolitischen Anspruch‘ annimmt. Mit einigem Beharrungsvermögen können wir sie dazu bewegen, uns einen Kontakt zum Frauenkreis zu vermitteln. Leider entfällt das sonst übliche Vorgespräch mit der Gruppe vor der eigentlichen Gruppendiskussion, weil unsere Kontaktfrau den endgültigen Termin für die Gruppendiskussion organisiert. Die Befürchtung, dass die Frauen zum Interviewtermin von ‚oben‘ geordert wurden, bestätigt sich dann auch. Die angespannte und auch distanzierte Atmosphäre zu Beginn lockert sich erst allmählich im Laufe des Gesprächs. Nach der Gruppendiskussion und nach Abschalten des Tonbands bekunden die Frauen ihre Verwunderung darüber, dass sich die Wissenschaft für sie interessiert. Da sie sich als „ganz normale Frauen“ verstehen würden, gebe es aus ihrer Sicht keinen Anlass für ein solches Aufsehen um ihre Gruppe.
Diskursorganisation Die Eroberung des öffentlichen Raums Auf die Frage nach der Bedeutung des weiblichen Zusammenschlusses für die Frauen selbst beschreibt und präsentiert sich die Gruppe als Teil der Kirchenge-
3 Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten
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meinde. Die Frage nach der Geschlechtsexklusivität der Gruppe wird umgangen bzw. zurückgewiesen; vielmehr betonen die Frauen gleich zu Beginn der Gruppendiskussion, dass sie „gewachsener“ Teil der Gemeinde sind. Die Themen, die sie gemeinsam bearbeiten, werden von der Gruppe selbst bestimmt; sie werden auf die Bedürfnisse der Mitglieder hin zugeschnitten. I:
Ja gut. Sie haben sich also hier als Frauen zusammengeschlossen, ähm, und ich würde Sie jetzt bitten, sich doch mal darüber auszutauschen, ja, was das eigentlich für Sie bedeutet. Welche Erfahrungen machen Sie? Können Sie das vielleicht, wenn Sie sich da miteinander austauschen würden. Alle: (10 Sekunden schweigen) A: (…) Wir sind, wir geben uns eigentlich Themen vor, die wir versuchen dann auf unsere Altersgruppe – wir sind miteinander ein ziemlich lange gewachsener (.) äh Teil der Gemeinde – abzustimmen.
Das lang anhaltende Schweigen, das der Einstiegsfrage folgt, wird schließlich von einer Teilnehmerin gebrochen. Mit Blick auf die lang zurückliegende Entstehungsgeschichte und die inhaltliche Arbeit der Gruppe entzieht sie sich allerdings dem geschlechtsfokussierten Fragehorizont. Dies hat möglicherweise mit dem bereits beschriebenen Umstand zu tun, dass der Frauenkreis von der Frauenbeauftragten des Dekanats als Gruppe ohne frauenpolitische Motive wahrgenommen wird und die Frauen ohne dezidierte Einwilligung an der Gruppendiskussion teilnehmen. Wie noch im Verlauf der weiteren Gruppendiskussion zu zeigen sein wird, ist den Frauen daran gelegen, solche geschlechterpolitischen Motive weit von sich zu weisen, wie sie gemeinhin feministischen Frauengruppen unterstellt werden. Im Gegenzug rahmen sich die Frauen des Frauenkreises explizit über inhaltliche Interessen. Den Frauen ist daran gelegen, sich als Gruppe zu präsentieren und auch zu positionieren, die ihre Verklammerung in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Themen hat, die sie – bezogen auf ihre Altersgruppe – gemeinsam bearbeiten. Zugleich scheint den Frauen wichtig, sich von einer Art weiblichen Kommunikationsform zu distanzieren, die Frauen ihrer Altersgruppe gemeinhin unterstellt wird und die Gruppe auf ‚Tratschen‘ oder ‚Kaffee trinken‘ reduziert. Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass diese antizipierte Unterstellung mit der Wahrnehmung der Frauenbeauftragten zu tun hat und jetzt verworfen wird. Im Gegensatz zum bildungsbürgerlichen Milieu wird die Gemeinschaft im Frauenkreis nicht im Horizont ‚Männer versus Frauen‘ aufgespannt; vielmehr ist der Orientierungsrahmen der Gruppe ein entwicklungsgeschichtlicher, sowohl im Hinblick auf die historische Genese des Frauenkreises als auch im Hinblick auf die Entwicklung der Themen, mit denen sich die Frauen beschäftigen. Die Entstehungsgeschichte der Gruppe wird von den Frauen gemeinsam erzählt und
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nimmt einen breiten Raum im Rahmen des Gruppengesprächs ein. In ihr dokumentiert sich die gemeinsame Verankerung der Frauen in der sozialen Welt. Die Geschichte des Frauenkreises, so erfahren wir, beginnt vor 35 Jahren. Die Frauen begegnen sich zu dieser Zeit als junge Mütter vor dem Kindergarten, weil sie dort gemeinsam auf ihre Kinder warten. In Gespräch der Frauen aktualisiert sich im Rückblick ihr gemeinsames Anliegen zur damaligen Zeit: A:
B: A:
B: A:
Wir kennen uns untereinander, wenn ich richtig gehe mit der Annahme, seit (.) 1970 – ganz bestimmt, ne? (.) Denn wir waren damals Kindergartenmuttis und es |_etwa seit 1970, ja also einige, ich mein’, der Kreis ist ja noch gewachsen |_traf sich damals die Kindergarten – es wurden für Kinder, für Konfirmanden, für Schulkinder, für Senioren, für’n Gebetskreis, das wieder Alte war’n, überall was getan. Aber für die Frauen, die da heraußen standen, wurde – war nichts. |_Die auf ihre Kinder gewartet hab’n, (@)ja genau (@) So haben wir uns dann gebildet@.
Die Metaphorik der „Kindergartenmuttis“, die „da heraußen standen“ markiert hier die lebensweltliche Situation der damals jungen Frauen mit noch kleinen Kindern. Im Unterschied zu anderen Zielgruppen (Konfirmanden, Schulkinder und Senioren) erfahren sich diese Frauen nicht als Adressatengruppe der Gemeindearbeit. Die vor dem Kindergarten auf ihre Kinder wartenden Mütter erhalten keine Beachtung und in der Erinnerung beschreiben die Frauen ihre Situation vor 35 Jahren als defizitär. Die Intonation in dieser Passage gleicht einer Beschwerde. Auch wenn, wie in der zitierten Passage deutlich wird, nicht alle Frauen zu den sog. Kindergartenmuttis zählen („der Kreis ist ja noch gewachsen“), so einigen sich die Frauen jetzt auf eine gemeinsam erfahrene Ausgangslage: In einer spezifischen Lebenssituation als „Kindergartenmuttis“ gründen die Frauen einen Frauenkreis. Motivation ist dabei der gemeinsame Alltag mit kleinen Kindern. Zugleich dokumentiert sich hier der Wunsch nach Zugehörigkeit zum öffentlichen Raum der Gemeinde. Wie noch zu zeigen sein wird, zieht sich der Wunsch nach Präsenz im öffentlichen (Gemeinde-)Raum wie ein roter Faden durch die Gruppendiskussion.
Der Institutionalisierungsprozess: Vom Ehepaarkreis zum Frauenkreis Der Frauenkreis konstituiert sich auf Umwegen und war so nicht intendiert. In einer ersten Phase trifft sich die Gruppe als „Ehepaarkreis“. Es liegt nahe, diesen
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Ehepaarkreis als einen von der Kirchengemeinde für regelmäßige Zusammenkünfte angebotenen probaten Rahmen zu interpretieren. Diese Form eines gemischtgeschlechtlichen Zusammenschlusses hat allerdings nicht lange Bestand. Die Frauen erklären das allmähliche Fernbleiben ihrer Ehemänner pragmatisch: Zum einen übernehmen die Ehemänner während der gemeinsamen Gruppenabende die Kinderbetreuung zu Hause, zum anderen sind die Männer aufgrund beruflicher Beanspruchung nicht immer an den Gruppentreffen dabei. Darüber hinaus scheint das Interesse der Männer an einem Ehepaarkreis wenig vorhanden. In Folgenden beschreiben die Frauen, wie sie sich sukzessive als Frauenkreis etablieren: B: A: B:
Es war dann eigentlich ein Ehepaarkreis |_zu Anfang also wir haben uns zunächst getroffen mit den Männern abends (.) hier im Pfarrhaus. Und die Männer, die sprangen dann so allmählich wieder ab, weil ja beruflich war’n se mal nicht da oder es war nötig, dass mal jemand zu Hause blieb bei den Kindern. Und so entstand dann allmählich ein Frauenkreis aus diesem Ehepaarkreis A: Und immer bei bestimmten Abenden hab’m wir dann auch die Männer wieder, die Männer wieder mitgenommen, weil die Männer dann einfach, die haben sich, wie Frau X sagt, eben einfach verlor’n @. C/B: ja @ @
Bei der Rekonstruktion ihrer Entstehungsgeschichte fällt auf, dass die Frauen in der Rolle der (Ehe-)Männer kein tragendes Element des Gruppe sehen. Die Phase des Ehepaarkreises währt nur kurze Zeit, denn die Männer verlassen sukzessive die Gemeinschaft. Danach werden sie von den Frauen zu bestimmten Anlässen lediglich „mitgenommen“. Das regelmäßige Treffen der Frauen hingegen wird zur festen Einrichtung. Die zitierte Umschreibung, dass sich die Männer „einfach verlor’n“, löst in der Gruppe Heiterkeit aus und legt u.a. die Vermutung nahe, dass das Abspringen der Männer von den Frauen nicht weiter beklagt wird. In dieser ersten Phase des Gruppenprozesses dokumentiert sich das Interesse der Frauen an einer institutionell gerahmten Gemeinschaft. Obwohl die Ehemänner fernbleiben, halten die Frauen unbeirrbar an ihren regelmäßigen Zusammenkünften fest. Den „Kindergartenmuttis“ gelingt die Teilnahme am Gemeindeleben über den Umweg eines Ehepaarkreises. Obwohl sich die Gruppe mit Nachdruck als ‚offene‘ Gruppe präsentiert – offen im Hinblick auf ein gemischtgeschlechtliches Gemeinschafts(er)leben – sind die Männer fortan geladene Gäste und eben nur bei bestimmten Anlässen zugegen. In einer zweiten Phase des Frauenkreises organisiert sich die Gruppe selbst. Die Frauen berichten von einem Pfarrer, der – inspiriert durch seine Promotions-
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absicht – eine „unerschöpfliche Themenvielfalt“ in die Gruppe einbringt und die Inhalte der regelmäßigen Zusammenkünfte bestimmt. Eine Diskussionsteilnehmerin markiert dies mit ihrer Bemerkung: „Wir gingen halt hin und das war’n netter Abend“. Als dieser Pfarrer die Gemeinde verlässt und der ‚neue‘ Pfarrer diese Funktion nicht mehr übernimmt, ist der Frauenkreis, was die inhaltliche Ausgestaltung der regelmäßigen Zusammenkünfte betrifft, sich selbst überlassen. Bis hierher kann festgehalten werden: In der Entstehungsgeschichte des Frauenkreises zeigt sich ein ‚Wir‘-Findungsprozess über mehrere Etappen. Die Verlaufsgeschichte legt dar, wie sich die Frauen im Gemeindeleben platzieren: Ohne einen frauen- bzw. geschlechterpolitischen politischen Impetus, sondern über den geteilten Alltag von jungen Müttern mit Kindern. Die Gruppe öffnet den Frauen einen Raum – jenseits von Haushalt und Familie. Zunächst etabliert sich die Gruppe über eine gemischtgeschlechtliche Rahmung. Als die Männer allmählich dem Kreis fernbleiben, halten die Frauen an der Kontinuität ihrer Zusammenkünfte fest. Die Gemeinschaft der Frauen hat auch ohne (Ehe-)Männer Bestand. Einen weiteren Stabilisierungsprozess erfährt der Frauenkreis mit dem ‚Pfarrerwechsel‘, da die Frauen auf seitdem auf sich selbst gestellt sind. Sie bestimmen nun eigenständig über die Inhalte ihrer Gruppenabende.
Ausbruch aus dem „Lebensbereich mit Familie und Haushalt und Alltag“ Der Frauenkreis trifft sich alle zwei Wochen und durch diese regelmäßigen Treffen wird es, so die Sicht der Frauen, möglich, zeitweise Haushalt und Familie zu verlassen („man konnte mal weggehen“). Dazu werden beispielsweise Referentinnen und Referenten zu Themen geladen, die die Frauen für sich als lebensphasenspezifisch relevant beschreiben. Dominierten anfangs beispielsweise noch Fragen der Erziehung, so verbreitert sich das Themenspektrum im Laufe der Jahre im Hinblick auf Gesundheit, gesellschaftspolitische und auch religiöse Themen. Der ähnlich strukturierte „Lebensbereich mit Familie und Haushalt und Alltag“ ist dabei das gemeinschaftsstiftende Moment des Frauenkreises und die Basis für ihr Zusammenkommen. Im folgenden Zitat wird deutlich, wie sich die Frauen auf einen gemeinsamen Nenner einigen: Die verschiedenen Erwerbsarbeitsformen (Teil- oder Vollzeitbeschäftigung einzelner Frauen) spielen lediglich eine untergeordnete Rolle. Wesentlich sei der zeitweise Ausbruch aus dem Alltag, denn die Frauen teilen strukturidentische Erfahrungen des Lebensalters und -bereichs: B:
Ich persönlich find’s ganz angenehm ohne Männer, weil wir sind alle ungefähr im selben Lebensbereich mit Familie und Haushalt und Alltag. Unser Alltag ist
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C: D: B: C: B: C:
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etwas ähnlich. Die Männer haben nen anderen Alltag durch den Beruf. Wir sind- die meisten von uns sind nicht berufstätig, ne. Das stimmt schon oder? äh, manche schon ja, aber zum Teil auch nicht voll |_Vollzeit hatten wa net viele. Der Haushaltsbereich war schon noch etwas dominierender |_aber er spielte hier nicht die Rolle Er spielte die Rolle nicht, aber irgendwo äh (.) war das schon eine Basis. Find’ ich schon ja sicher, wir kommen von derselben Situation. Ursprünglich war’n halt abends die Männer daheim bei den Kindern und man konnte mal weggehen, nicht. Das war so für mich der Anfang.
Das Gruppen(er)leben im Frauenkreis wird nicht durch Familien- und Haushaltsthemen beherrscht, sondern die Frauen stellen klar, dass sie sich bei ihren regelmäßig stattfindenden Gruppenabenden gemeinsam mit inhaltlich anspruchsvollen Themen beschäftigen, die ihren ‚beengten‘ Horizont erweitern. Übereinstimmend kommen die Frauen allerdings zu dem Schluss, dass ihr alltägliches Erleben durch Haushalt und Familie bestimmt wird. Im Gegensatz zu Männern, deren Alltag über den Beruf bestimmt sei, kämen sie selbst aus „derselben Situation“. Die Geschlechtszugehörigkeit wird dabei mit eingefangen, steht aber nicht im Fokus. Im Gegensatz etwas zum akademischen Bildungsmilieu wird beim Frauenkreis evident, dass eine ähnliche strukturierte Alltagspraxis die Gemeinschaft der Frauen verklammert.
Kollektive Teilhabe an (Welt-)Wissen Als ein wichtiges Jahresereignis des Frauenkreises wird der Weltgebetstag eingeführt, der von den Frauen jedes Jahr gemeinsam vorbereitet wird. Dieser Weltgebetstag ist ein starkes Thema und gilt als das Paradebeispiel für ihr gemeinsames Tun. In ihm werden der Anspruch und die Intention des kollektiven ‚Wir‘ auf den Begriff gebracht. Die Vorbereitungen dieses jährlichen Ereignisses umfassen das Einholen von Informationen und die gemeinsame Bearbeitung von Themenfeldern. Auch das In-Kontakt-Treten und die Auseinanderssetzung mit Frauen aus der anderen Konfession werden als besondere Erfahrung des Weltgebetstages markiert. Mit einer Feier, die im größeren Rahmen stattfindet, zu dem die Ehemänner, aber eben auch andere Gästen, geladen werden, wird der Weltgebetstag zelebriert und zum Abschluss gebracht. Die folgende, interaktiv dichte Passage dokumentiert die kollektive Bedeutung des Weltgebetstages für die
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Gruppe. Die ausführliche Darstellung wird einvernehmlich vorgetragen und unterstreicht damit die Bedeutung, die dieses Ereignis für die Gruppe hat: C:
B: D: B: D:
B: D: B:
Also ein Thema, was immer feststeht, ist der Weltgebetstag. Und ich find’ das immer sehr schön, auch die Vorbereitung, wenn wir das als Frauen dann machen. Wir bereiten uns über das Land vor, die Informationen, die wir bekommen. Da gehen wir dann in einen größeren Rahmen, im X-Platz ist das, da bekommen wir die Informationen. Und dann helfen wir alle zusammen, jeder hat ja verschiedene Gaben, die er einbringen kann, und dann haben wir hier dann einen Abend für die anderen Frauen, das ist meist ökumenisch und am Weltgebetstag selber laden wir auch die Männer dazu ein zum äh Feiern. Das ist ein Schwerpunkt, der jedes Jahr im März gleich ist: Ein Thema, ganz verschiedene Länder. Die sind uns aber vorgegeben. Und ich find das schön, wenn man sich dann austauscht und wirklich jeder das dann einbringt in die Gruppe Ja und da ist |_ja, und man wird auch sehr intensiv informiert über das ja |_über das jeweilige Land und über die Situation der Frauen dort. Das würde man ja sonst so nie erfahren und aus der Zeitung schon gleich gar nicht. genau, ich, also ich kenn’ die Welt jetzt wesentlich besser (@), seit ich regelmäßig Informationen bekomme vor allem, wo so exotische Länder liegen |_genau, jaja
Deutlich wird hier die Freude der Frauen an der inhaltlichen Vorbereitung des Weltgebetstags. Die Frauen beschreiben ihr Bildungserleben und die Anerkennung für ihr Engagement. Der Weltgebetstag bietet der Gruppe eine Plattform für ihr gemeinsames Tun. Durch die arbeitsteilige Aufarbeitung von Informationen wird es nötig und möglich, die unterschiedlichen Fähigkeiten und Kompetenzen der einzelnen Mitglieder des Frauenkreises wahrzunehmen bzw. anzuerkennen. Zugleich öffnet der Weltgebetstag die Gruppengrenzen. Die Frauen übernehmen Funktionen in der Kirche, indem sie am kulturellen Leben ihrer Institution teilhaben und mitwirken. Die Gruppe genügt sich nicht selbst; vielmehr verlassen die Frauen die Gemeinde, um im Rahmen der Ökumene mit „den anderen Frauen“ zu feiern. Insgesamt wird deutlich: In und mit der Gruppe erschließen sich die Frauen weitere (Erkenntnis-)Räume. Das Fazit der Frauen: Die Welt rückt näher an sie heran. Oder anders gewendet: Die Gruppe ermöglicht den Frauen die kollektive Teilhabe an (Welt-)Wissen. Am Beispiel Weltgebetstag wird diese positive Entwicklungsgeschichte des Frauenkreises aufgespannt, denn die vor dem Kindergarten wartenden „Kindergartenmuttis“ haben durch die Gruppe ihren Platz
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gefunden und sich in der Gemeinde verankert. Am Beispiel dieses gemeinsamen Tuns wird aber zugleich auch die zentrale Dimension der weiblichen Gemeinschaft bestimmt: Die Erschließung weiterer öffentlicher Felder (Informationen, Begegnungen). Zugleich stellen sich die Frauen bei der Vorbereitung des Weltgebetstags in einen größeren, auch über die Gemeinde hinausweisenden, gesellschaftspolitischen Zusammenhang.
Abgrenzung gegenüber frauenpolitischen Motiven und Feminismus Frauenpolitische Motive und feministische Orientierungen werden von den Frauen des Frauenkreises vehement zurückgewiesen. Auch wenn die Frauen seit der Etablierung des Frauenkreises faktisch als geschlechtsexklusive Gesellung agieren und sie in ihren Erzählungen immer wieder zu dem Schluss kommen, dass es ihnen wichtig sei, nur mit Frauen zu reden bzw. wie angenehm es sei, unter Frauen zu sein, legen sie auf einer Deutungsebene Wert auf ein offenes, d.h. ein gemischtgeschlechtliches „Miteinander“. Wiederholt heben die Frauen diejenigen Veranstaltungen hervor, bei denen (ihre) Männer mit anwesend sind, z.B. bei der Wanderung am 1. Mai, auf der Weihnachtsfeier oder eben beim Weltgebetstag. Obwohl die Frauen die Verantwortung für Haushalt und Familie teilen und ihre Lage als eine von den Männern verschiedene deuten, ziehen die Frauen aus dem Aufeinanderprallen geschlechtertypisch unterschiedlich strukturierter Erfahrungsräume allerdings nicht die Konsequenz, Männer systematisch auszuschließen. Vielmehr dokumentiert sich in der weiblichen Gemeinschaft des Frauenkreises ein pragmatisches Arrangement im Beziehungsgefüge der Geschlechterordnung. Nicht eine diskursiv vorgenommene Positionsbestimmung des Geschlechterverhältnisses, wie sie für das akademische Bildungsmilieu typisch ist, kennzeichnet die Identifikation mit der eigenen, nämlich ‚weiblichen‘ Lebenslage; vielmehr wird die Geschlechtlichkeit des Handelns nicht problematisiert und das Selbst-Bewusstsein der Frauen fügt sich in eine Geschlechterordnung, die von den Frauen auch akzeptiert wird. Das Wissen um Frauendiskriminierung und der Tatbestand, dass Geschlechtszugehörigkeit nach wie vor ein relevanter Bezugspunkt von sozialem Status und gesellschaftlich vermittelten Lebenschancen und -perspektiven ist, wird zwar reflektiert – so beispielsweise, wenn sich der Frauenkreis mit der Situation der Frauen aus der sog. Dritten Welt beschäftigt –, allerdings – und das teilt die Gruppe als gemeinsame Orientierung –, widerfährt Diskriminierung und Marginalisierung anderen Frauen. Für ihre eigene Lebenssituation weisen sie solche Erfahrungen zurück. In der folgenden Passage grenzen sich die Frauen
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von Feminismus und feministischen Orientierungen ab. Zugleich relativieren die Frauen ihre Unterstellungen, wenn Analysen des Feminismus nachvollziehbar und gerechtfertigt sind: A:
Also die Gruppe als solches ist nicht irgendwie so ne Gruppe, die sich jetzt aus ner gewissen – ich sag’s mal drastisch – Feindschaft gegen Männer gebildet hat (.), sondern das war immer ein Miteinander B: |_nee, nein A: und gut und wenn se net da sind, dann ist das auch in Ordnung. (.) Das gibt’s ja auch oft, ne, dass es also sich stark abgrenzt und äh (.) wie gesagt mit der männlichen Seite nichts zu tun haben will. Also das ist es nicht B: |_feministisch sind wir nicht. Absolut nicht! C: Wir haben eher Probleme mit der feministischen Theologie A, B, D, E: (@) (@) C: (@) obwohl es sich nicht so krass ausgewirkt hat, als es sich anhörte (@) D: oder auch nicht das Extreme darstellt. Das war ganz harmlos, also C: |_konnte man nachvollziehen B: es war zum Teil wohltuend, weil einfach rausgezeigt wurde, wie weit die Frauen eben auch in der ganzen Bibel und in der Religion, in der christlichen, eben vorkommen, bloß meistens übersehen werden jetzt so D: |_auch Reformen, die notwendig waren. Bei den Pfarrerinnen, wenn die nicht ordiniert werden, Das war B: |_genau, aber bei uns kam da keine Leidenschaft hoch: Und endlich die Frauen oder so
Feminismus und feministische Orientierungen werden von den Frauen des Frauenkreises als die Praxis des Geschlechterkampfes zwischen Frauen und Männern interpretiert. Die Frauen formulieren drastisch ihre Vorbehalte gegenüber solchen Frauengruppen, die sich ihrer Sicht nach explizit gegen Männer wenden (müssen). Der Frauenkreis sei hingegen an einem „Miteinander“ und eben nicht an einem Gegeneinander ausgerichtet. Die Praxis des Gemeinschafts(er)lebens vollzieht sich zwar ohne Männer, wird aber nicht durch eine Politik des Ausgrenzens motiviert und getragen. Obwohl der Analyseblick des Feminismus bzw. die Positionen einer feministischen Theologie für die Frauen durchaus nachvollziehbar sind und zum Teil auch als „wohltuend“ erlebt werden und hier die Interpretation nahe liegt, dass die strukturelle Problembestimmung des Feminismus die Geschichte des Frauenkreises einfängt (denn auch die Frauen des Frauenkreises hatten zunächst keine eigene Stimme in der Gemeinde), findet keine Identifikation mit derartigen Orientierungen statt. Als die Gruppe eine Referentin lädt, die sie über die Inhalte der feministischen Theologie informiert, werden zwar eigene Vorurteile entlarvt sowie eigene Ansichten relativiert, denn im Kontakt
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mit feministischen Positionen erfahren die Frauen, dass sich dahinter ‚weniger‘ oder eben ‚Harmloseres‘ verbirgt als die bloße Etikettierung Feminismus vermuten lässt. Trotzdem halten die Gemeindefrauen an ihrer Abgrenzung gegenüber geschlechterpolitisch motivierten Frauengruppen fest. Trotz Nachvollziehbarkeit und Eingängigkeit feministischer Positionen sind sie sich darin einig, dass sie keine ‚Frauenpolitik‘ betreiben wollen. Einvernehmlich konstatieren sie, dass es auch nach der erwähnten Informationsveranstaltung keine Begeisterung „von wegen: Und jetzt endlich die Frauen“ gegeben hätte. Feminismus und feministische Orientierungen werden weitehin als Feindschaftserklärung gegenüber Männern interpretiert. Diese Absicht teilen die Frauen des Frauenkreises nicht. Im Fallvergleich wird deutlich, dass das Geschlechterverhältnis von den Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus als ein gesellschaftlich überformtes Verhältnis interpretiert wird. Dabei wird die eigene Partnerschaft in den Gruppendiskussionen weder erwähnt noch explizit zum Thema gemacht. Die Frauen des akademischen Bildungsmilieus bewegen sich in ihren Beschreibungen vielmehr auf der Ebene einer strukturellen Problembestimmung. Anders bei den Frauen des Frauenkreises: In ihrer Selbstwahrnehmung gestaltet sich die familiale Arbeitsteilung als komplementäre Kooperation zwischen Frauen und Männern. Sie wird von den Frauen als Interpretationsfolie für die Bewertung des Geschlechterverhältnisses herangezogen. Pointiert formuliert: Während die Frauen des akademischen Bildungsmilieus die Geschlechterfrage vor allem auf der Ebene des kommunikativen Wissens diskutieren, erörtern die Frauen des Frauenkreises das Geschlechterverhältnis erfahrungsgebunden, d.h. vor dem Hintergrund der eigenen Alltagspraxis bzw. ihres konjunktiven Erlebens. Im folgenden Gesprächsausschnitt wird der Bedeutungskomplex Feminismus im Vergleichshorizont ‚gleichberechtigte Partnerschaft‘ versus ‚hierarchisch strukturierte Partnerschaft‘ aufgespannt. Am Beispiel der eigenen Ehepraxis explizieren die Frauen, dass es in einer gleichberechtigten Partnerschaft nicht nötig wird, sich „durchzusetzen“. Im Umkehrschluss wird das gelebte Geschlechterverhältnis derjenigen Frauen, die feministische Positionen vertreten, als ein Dominanzverhältnis interpretiert, innerhalb dessen Frauen Männer als Feinde erleben: B:
C: B: A:
ich nehme an, weiß nicht, ich sprech’ jetzt für mich, aber ich glaub’ vielleicht noch für mehr, wir haben’s auch net (@) nötig, uns so feministisch (@) durchzusetzen. Wir – also ich lebe in einem sehr paritätischen Eheverhältnis. Also da dominiert keiner |_Ich denke auch, dass doch viele Frau- Frauengruppen entstehen aus irgendeinem Leidensdruck heraus hm hm, genau
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse C:
|_und der ist bei uns absolut nicht (@) vorhanden. Und äh natürlich unterhält man sich gerne mit Frauen, die ähnliche Probleme haben. Aber ich glaub’, man würde sich auch mit einem Mann unterhalten, der drei Kinder zu versorgen hat und-und oder Kinder oder in dem Alter hat, wie man selber hatte damals
Analytisch werden die Motive feministischer Frauengruppen zerpflückt und aus einer Warte der Überlegenheit heraus interpretiert. Diese Überlegenheit teilen sie im Übrigen mit den Frauengruppen der ‚gehobenen‘ Gesellschaftsschicht. Demnach entstünden viele Frauengruppen aus „irgendeinem“ und das heißt auch: aus einem diffusen „Leidensdruck“ heraus, für den die Frauen auch eine Mitschuld tragen. Eine solidarische Perspektive für eine derartige ‚weibliche‘ Notlage ist so nicht vorhanden, im Gegenteil: Der Frauenkreis bringt eher ein Unverständnis zum Ausdruck. Bemerkenswerterweise gilt dies nicht für die Frauen aus der sog. Dritten Welt. Diesen anderen Frauen, ihren Lebenslagen und ihrem Leiden widmen die Frauen Aufmerksamkeit, wenn sie beispielsweise den Weltgebetstag vorbereiten. Das heißt, hier werden unterschiedliche Vergleichsmaßstäbe aufgespannt. Bei den Frauen aus der sog. Dritten Welt wird die eigene Partnerschaft nicht als Referenz herangezogen, weil diesen Frauen eine Notlage zugestanden wird, die unverschuldet und unabhängig von der ‚Machtfrage‘ in Paarbeziehungen entstanden ist. Für die Frauen im eigenen Kulturkreis gilt eine andere Messlatte: Ihr Leid wird mit der eigenen Lebensweise verglichen und bewertet. Wer, so die Sicht der Frauen, in einer gleichberechtigten Partnerschaft lebt, entbehrt nichts und hat es somit auch nicht nötig, sich „feministisch durchzusetzen“. Das Familien- und Lebensarrangement steht und stand für die Frauen des Frauenkreises nicht zur Disposition, auch wenn, wie immer wieder durchscheint, die eigenen Lebensumstände als Mütter und Hausfrauen so waren, dass – zumindest kurzfristige – Ausbrüchen wichtig wurden. Für diejenigen Frauen, die unter ihren geschlechtsspezifischen Zuweisungen leiden würden und sich aufgrund eines solchen Leidensdrucks in feministischen Frauengruppen zusammenschlössen, ist die Geschlechterordnung verhandelbar. Ihr ‚Kampf‘, so liegt die Interpretation nahe, ist auch ein Affront gegen die ‚geordnete‘ Wertvorstellungswelt des Frauenkreises. In Abgrenzung gegenüber frauenpolitischen Motiven argumentieren die Frauen in der oben aufgeführten Passage auch ‚konstruktivistisch‘: Selbstredend unterhält man sich „gerne mit Frauen, die ähnliche Probleme haben“. Dies hat aber weniger mit der Geschlechtszugehörigkeit per se zu tun als vielmehr mit „ähnlichen Problemen“. Gedankenexperimentell wird dies am umgekehrten Fall durchdacht. So würden auch Männer zu adäquaten Gesprächspartnern werden, wenn sie Kinder zu versorgen hätten. Dies ist zwar für die Frauen rein hypothetisch („ich glaube, man würde sich auch mit einem Mann unterhalten...“), schmä-
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lert aber nicht das Argument. Vielmehr dokumentiert sich in dem Gedankenspiel, dass die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht allein (zumindest oberflächlich betrachtet) keine Verständigungsbasis ist; vielmehr orientieren sich die Frauen an einer gemeinsamen Alltagspraxis. Sie ist letztlich als Basis ausschlaggebend für die Verständigung. Damit sind – gedankenexperimentell – Männer und Frauen austauschbar, weil die Kommunizierbarkeit von gemeinsamen Themen bzw. Problemen Nähe begründet und nicht umgekehrt die Zugehhörigkeit zu einem Geschlecht per se verbindend wirkt und Nähe schafft.
Passivität und Tradition Die Frauen des Frauenkreises erfahren und thematisieren auch eine Differenz zu Männern und männlichen Verhaltensweisen. Würden Männer bei den regelmäßigen Treffen der Frauen mit dabei sein, so verdeutlicht eine der Gesprächsteilnehmerinnen ihre Vorstellung (siehe Zitat unten), so käme es beispielsweise zu Schwierigkeiten auf der Ebene von „Leitung“ und „Organisation“ – zumindest wäre aus der Sicht der Frauen eine andere Organisationsform nötig. Es wird nicht näher expliziert, was die Frauen genauer darunter verstehen, aber es liegt die Vermutung nahe, dass Männern ein Bedürfnis nach eindeutigen Führungskompetenzen unterstellt wird. Die Frauen dagegen präferieren konsensuelle Entscheidungsstrukturen, auch wenn die Unterscheidung zwischen aktiven und eher passiven Mitgliedern des Frauenkreises offenkundig ist, d.h. einige wenige Frauen die inhaltliche Organisation der Gruppe übernehmen: B:
na ja, wenn das jetzt ein gemischter Kreis wär’, wär’ es wahrscheinlich schwieriger mit ner Leitung, mit ner Organisation, nicht C: |_weil es auch teilweise nicht anspruchsvoll genug ist, ne? Es ist doch mehr gemütlich B: |_ja, es ist doch eher a bissle – mal zwischendurch ist es mal anspruchsvoll, aber dann ist es wieder ruhiger, dann wird auch mal gebastelt. Also, wenn ich mir da meinen Mann vorstelle, dass der Topflappen häkelt Alle: (@) (@) B: |_oder @ @) Weihnachtskarten bastelt (@).
In Antizipation möglicher Schwierigkeiten, die ein gemischtgeschlechtlicher Zusammenschluss nach sich ziehen würde, überdenken die Frauen in der oben aufgeführten Interviewpassage den Anspruch ihrer Gruppe. Das tragende Fundament des Frauenkreises wird hier in einer Gegenüberstellung ‚anspruchsvoll‘ versus ‚mehr gemütlich‘ aufgespannt. Die regelmäßigen Zusammenkünfte, so
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die Sicht der Frauen, seien „mehr gemütlich“ und für Männer „nicht anspruchsvoll genug“. Diese Annahme, dass Männer andere und das heißt: höhere (inhaltliche) Ansprüche an derartige Zusammenkünfte stellen würden, ist insofern bemerkenswert, weil eine Atmosphäre der Gemütlichkeit und des Wohlbehagens in der Perspektive der Frauen kein Wert ist, der Männern genügt. Diese eigene Geringschätzung vor der Vergleichsfolie des Mannes bzw. des männlichen Anspruchs teilen sie mit allen Frauengruppen – auch im Milieuvergleich. Zugleich wird in der oben aufgeführten Passage der Gruppendiskussion aber ebenso deutlich, dass die Frauen ihr Bedürfnis nach Gemütlichkeit selbstbewusst vortragen und damit konsequenterweise mit dem Fernbleiben der Männer rechnen müssen, obwohl sie auf der Ebene der Selbstpräsentation immer wieder ihre Orientierung an einem gemischtgeschlechtlichen Miteinander bekunden. Die Frauen exemplifizieren ihr So-Sein an gemeinsamen Bastelarbeiten, die ‚natürlicherweise‘ von Männern nicht wahrgenommen werden. Die Vorstellung, dass ein Mann Topflappen häkelt oder Weihnachtskarten bastelt, ist unvorstellbar und belustigt die Frauen. Das gemeinsame Lachen unterstreicht die Absurdität der Situation. Bastelarbeiten scheinen für die Frauen originär ‚weibliche‘ Aktivitäten zu sein. Männer fügen sich nicht in dieses stereotype Bild der handarbeitenden Frau. Insgesamt wird hier deutlich, dass es Aktivitäten im Frauenkreis gibt, die das typisch Weibliche auffangen. Der Frauenkreis hält solche Residuen bereit, in denen Handarbeit als Ausdruck eines gemütlichen, mit Behaglichkeit und Wohlfühlen assoziierten und damit auch intellektuell anspruchslosen Miteinander-Verbundenseins möglich wird. Die Gegenüberstellung von männlicher Anspruchshaltung und weiblicher Genügsamkeit wird von den Frauen selbst in den Zusammenhang unterschiedlicher Geschlechtscharaktere (weiblich = passiv, männlich = aktiv) gebracht und erinnert hier an den Geschlechterdiskurs des 19. Jahrhunderts, in dem jedem Geschlecht ein klar definierter Ort in der Gemeinschaft zukommt.18 Das gemeinsame Basteln versinnbildliche die Frauen in der Welt des Heims. Männer hingegen orientierten sich auf Öffentlichkeit und Welt. Sie beschäftigen sich, so die 18
Vgl. hier auch die Geschlechterdifferenzierung, wie sie Ferdinand Tönnies (1979) vorgenommen hat. Jedem Geschlecht wird ein klar definierter Ort in seinem grundlegenden Schema von Gemeinschaft und Gesellschaft zugewiesen, womit unterschiedliche Gesellungsformen und Formen der Verbundenheit im Zusammenleben der Menschen bezeichnet werden. Die „Verbindung“, so der Terminus bei Tönnies, „wird entweder als reales und organisches Leben begriffen – dies ist das Wesen der Gemeinschaft, oder als ideelle und mechanische Bildung – dies ist der Begriff der Gesellschaft“ (a.a.O., S.3). Gemeinschaft gilt dabei als die Form des Zusammenlebens, die im Einklang mit der natürlichen Ordnung der Dinge steht, die Gesellschaft dagegen erscheint als artifizielles Gebilde. Die Zuordnung der Geschlechter zu diesen beiden Gesellungsformen ist zwar nur teilweise eindeutig, richtig ist aber, dass Frauen das Gemeinschaftliche repräsentieren, Männer das Gesellschaftliche.
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Sicht der Frauen, mit Themen. Diese beiden unterschiedlichen Orientierungen sind nicht miteinander vereinbar – zumindest gibt es nur im Nicht-Alltäglichen Überschneidungen. Zugleich ist diese geschlechtsspezifische Differenzierung auch insofern bemerkenswert, weil die Frauen des Frauenkreises nicht nur das Anderssein von Männern hervorheben, sondern die Qualität ihres eigenen Zusammenseins vor der Vergleichsfolie des Mannes auch bewerten. Das, was Frauen miteinander tun (wollen), genügt keinem männlichen Anspruch. Auffällig wird hier die Diskrepanz zu denjenigen Passagen, in denen sich die Frauen gegen eine solche stereotype Unterstellung wehren, die sie jetzt für sich in Anspruch nehmen. Die immer wieder betonte Hervorhebung, dass es sich bei dem Frauenkreis um einen Zusammenschluss handelt, der sich Themen setzt und bearbeitet, zugleich offen ist für ein gemischtgeschlechtliches Gemeinschaftserleben, steht jetzt einer Selbstbeschreibung der Frauen gegenüber, in der sie ihr Zusammensein im Hinblick auf Anspruchslosigkeit einfangen. Dieser Widerspruch lässt sich dahingehend interpretieren, dass die Frauen ihren über Jahrzehnte gewachsenen Zusammenschluss auch so beibehalten wollen: als eine Gruppe, die prinzipiell offen ist für Männer, de facto aber ‚unter sich‘ sein will. Im Rekurs auf Gemüt und Gemütlichkeit dokumentiert sich das Bedürfnis nach Geschlossenheit. Die Gegenüberstellung von ‚weiblicher Genügsamkeit‘ und ‚männlicher Anspruchshaltung‘ ist für die Frauen allerdings erklärungs- und begründungsbedürftig. So verallgemeinert eine Diskussionsteilnehmerin im folgenden Zitat den Zusammenhang zwischen Orientierungen und generationaler Verankerung: B:
Wir sind aber auch noch ne Generation, die da im Grunde noch a bissle passiver ist, ne. Also wenn wir zum Beispiel sagen: ‚Worüber soll’n wir uns denn im nächsten halben Jahr unterhalten?‘ oder ‚Was für Themen soll’n wir denn nehmen?‘ Wir haben sogar schon rumgeh’n lassen so-so ne kleine Dose, wo, also man muss das nicht mal selber laut aussprechen. Aber dann hat’s doch meistens geheißen: ‚Ach, Sie finden schon was, Sie machen das schon‘. Also wir sind schon eher noch traditioneller.
Die passive Haltung der Frauen vor der Vergleichsfolie des Mannes ist Resultat ihres biographischen Erlebens bzw. ihrer Generationenzugehörigkeit. Beispielhaft für diese Verwurzelung im ‚Althergebrachten‘ wird die Zurückhaltung der Frauen bei der Themenfindung innerhalb der Gruppe angeführt. Eigene Wünsche bei der Ausgestaltung der Gruppenabende werden von den Frauen, wenn überhaupt, dann eher zurückhaltend ausgesprochen. Deshalb werden bei der Sammlung von Ideen für zukünftige Gruppensitzungen auch Methoden angewendet, die die Frauen dazu motivieren sollen, sich zu äußern. Beispiel: Wünsche werden auf Zettel geschrieben und in einer Dose gesammelt. Aber auch solche Angebote
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zeigen nur geringen Erfolg, denn entweder haben einige Mitglieder des Frauenkreises kein Bedürfnis, individuelle Interessen in der Gruppe öffentlich zu äußern oder, was in diesem Kontext nahe liegender erscheint, die inhaltliche Gestaltung der Gruppenabende ist weniger bedeutsam als das bloße Zusammensein selbst. Das Organisations-Prinzip der konsensuellen Entscheidungsfindung und der Grundsatz ‚Frauen brauchen keine Leitung‘, das die Gruppe für sich in Anspruch nimmt, ist de facto nur schwer einzuhalten, weil viele der Teilnehmerinnen keine aktive Rolle in der Gruppe übernehmen wollen. Im Rekurs auf ‚Traditionen‘ wird diese passive Haltung erklärt. Eigene Wünsche semi-öffentlich zu äußern oder gar Ansprüche kund zu tun, widerspräche demnach dem traditionellen Bild von Frauen, für die das Gebot gilt, sich zurückhaltend zu verhalten. Aber obwohl die aufgeführte Passage von einer Gesprächsteilnehmerin in kollektiver Perspektive vorgetragen wird („wir sind schon eher noch traditioneller“), enthält sie implizit auch eine Kritik an dieser tradierten geschlechtsspezifischen Zurechtweisung. Die Identifikation mit der Tradition ist gebrochen – zumindest scheint durch, dass einige der Frauen gegen diese angestammte Platzierungsfunktion aufbegehren und aktiv(er) sind. Insgesamt, das zeigt die mittlerweile 35-jährige Geschichte der Gruppe, hat sich der Frauenkreis als stabil erwiesen. Die Frauen haben sich als „Kindergartenmuttis“ einen Platz im öffentlichen Gemeindeleben erobert und sind bis heute – wenn auch mit anderen Themen – eine etablierte Institution für die Mitglieder geworden. Dem Selbstverständnis der Frauen nach ist der Frauenkreis keine geschlechterpolitisch motivierte Gruppe; vielmehr halten sie in ihrer Selbstpräsentation an einer prinzipiellen Offenheit fest: Männer sind, zumindest bei besonderen Anlässen, immer willkommen. Auch wenn die Frauen de facto ‚unter sich‘ sind und in ihrem Erleben eine Distanz zu Männern wahrnehmen, fungiert die Zugehörigkeit zum ‚weiblichen‘ Geschlecht nicht per se als Vergemeinschaftungsmodus. Geschlechtlichkeit ist in einem fundamentalen Sinn fraglos gegeben, sie wird innerhalb des lebensweltlichen Horizonts nicht hinterfragt. Vielmehr regelt die Erfahrung der Alltagspraxis das Gemeinschaftsleben. Die Frauen teilen strukturidentische Erfahrungen des Lebensalters und -bereichs. Das Gruppen(er)leben basiert auf eingespielten Routinen und gewachsenen Spielregeln. Inhaltliche Auseinandersetzungen, aber vor allem das bloße Zusammensein selbst, das die Frauen als eine Atmosphäre der Gemütlichkeit und des Wohlbehagens wahren, stabilisieren die Geschlossenheit der Gemeinschaft.
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3.2 Fallübergreifende Deutungsmuster und Strukturhypothesen: Pragmatische Grenzenziehung und Gemeinsamkeiten über strukturidentische Erfahrungen des Lebensalters und -bereichs Der Geschlechterdiskurs im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten aktualisiert sich als pragmatisches Arrangement innerhalb der Geschlechterordnung. Die Gemeinschaft der Frauen vollzieht sich als eine Grenzziehung von (Lebens-)Sphären, die Geschlechtergrenzen umfasst, aber nicht ausschließlich in diesen aufgeht. In diesem Sinne wird der Geschlechterdiskurs weniger durch eine diskursiv vorgenommene Positionsbestimmung gekennzeichnet, wie er charakteristisch ist für die bildungsbürgerlichen rsp. akademisch gebildeten Frauengruppen sowie das Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht, sondern durch eine indexikal vollzogene Verortung im Beziehungsgeflecht der Geschlechter. Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit sowie die damit zusammenhängende sozialräumliche Platzierung im Gefüge der Geschlechterordnung sind in einem fundamentalen Sinn fraglos gegeben und werden innerhalb des lebensweltlichen Horizonts von den Frauen weder hinterfragt noch verhandelt. Diese charakteristischen Merkmale werden im Folgenden systematisch nachgezeichnet. In einem ersten Punkt (3.2.1) wird die Gemeinschaft der Frauen als gemeinsame Lebenspraxis nachgezeichnet. Das kollektive ,Wir‘ vollzieht sich dabei über strukturidentische Erfahrungen des Alltags, des Lebensalters und -bereichs. Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit sind dabei Dimensionen der Erfahrung, die das durch Tradition Verbürgte als inkludierende und exkludierende Normalität begreift. Zugleich dokumentiert sich in den jeweiligen Selbstpräsentationen ein Fremderleben im Geschlechterverhältnis, das sich einer reflexiven Durchdringung verschließt (Pkt. 3.2.2). Ein weiteres konstitutives Element des Fallvergleichs innerhalb des bildungsfernen Milieus ist die Abgrenzung gegenüber Frauenpolitik und Feminismus (Pkt. 3.2.3). Die verschiedenen Gruppen grenzen sich strikt von denjenigen Frauen(Gruppen) ab, die gegen die herrschende Geschlechterordnung aufbegehren bzw. diese in Frage stellen. Solche geschlechterpolitischen Motive werden von den Frauen für den eigenen Zusammenschluss zurückgewiesen. Diskriminierung und Marginalisierung widerfährt anderen Frauen, für die eigene Selbstbestimmung wird eine wie auch immer geartete geschlechtsspezifische Diskriminierung weder empfunden noch problematisiert.
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
3.2.1 Die Gemeinschaft als gemeinsame Lebenspraxis: „Und da bleibt’s ja net aus, dass man Vieles teilt“ In der Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung der Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten fällt auf, dass der weibliche Zusammenschluss Ausdruck einer gemeinsam geteilten Welt ist – gewohnheitsmäßige Orte der Kommunikation, die aus relativ stabilen und dauerhaften Sozialbeziehungen bestehen. Die Gruppen verfügen über gemeinsame Interessen, ein gemeinsames Zeitbudget und eine gemeinsame Geschichte. Die Exklusivität der Gemeinschaft ist dabei vor allem an die jeweiligen Sinnprovinzen des Alltags der Frauen gebunden, in der sich eine „gemeinsame kommunikative Umwelt“ konstituiert (Schütz/Luckmann 1979: 25). Die Welt der weiblichen Gemeinschaften umfasst dabei vor allem jene Kommunikationsformen, die alltägliche Tagesgeschehnisse und -abläufe säumen wie der zu bewältigende Haushalt mit Kindern, Partnerschaft, Berufstätigkeit und Ruhestand sowie außeralltägliche Interessen und Ereignisse. Die Erfahrung der Geschlechtlichkeit wird darin eingefangen, ist aber nicht der explizite Fokus der Gruppen. In den Gesprächen vollzieht sich die ,Geschlechtsgebundenheit‘ vielmehr als implizite Kategorie der Erfahrung, als selbstverständlicher und unbefragter Bestandteil des Alltagswissens, eben als gemeinsame Lebenspraxis. Die Variationsbreite der Gruppenthemen segmentiert die Mitglieder in sozial abgrenzbare Einheiten, in der die außeralltäglichen Veranstaltungen wie z.B. Wandern, Kegeln, Basteln, gemeinsam Frühstücken, Verkaufsveranstaltungen und Bildung zu gemeinsamen Kommunikationsorten werden. Bemerkenswert ist, dass in den Gruppengesprächen ohne explizite Aufforderung durchgängig die jeweilige Entstehungsgeschichte der weiblichen Gemeinschaft zum Thema wird. Zeitaufwändig und detailliert werden die jeweiligen Gruppengeschichten von den Frauen gemeinsam rekonstruiert. Im Vordergrund steht dabei die Erfahrung, dass das ‚Miteinander‘ über ein gemeinsames Tun und ein gemeinsames Interesse entstanden ist. Die forschungsleitende Frage nach der Bedeutung der Geschlechtsexklusivität wird dabei ausgelassen, umgangen oder implizit als korrekturbedürftige Bedeutungs-Überfrachtung der Wissenschaftlerinnen zurückgewiesen; vielmehr wird die geschlechtsexklusive Vergemeinschaftung von den Frauen als nicht explizierungsbedürftige lebensweltliche Normalität ausgewiesen. Im Gegensatz zum akademischen Bildungsmilieu wird die Gemeinschaft der Frauen nicht im Horizont ,Frauen versus Männer‘ aufgespannt; vielmehr wird die Verklammerung der weiblichen Gemeinschaft über eine strukturidentische Alltagspraxis erlebt und gedeutet. Bei dem Frauenkreis (vgl. Fallbeschreibung) werden die regelmäßigen Treffen als zeitweiliger Ausbruch aus dem Alltag beschrieben, der beherrscht ist von Hausarbeit und Kindererziehung. Die
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Gruppenabende werden für die Frauen zur Möglichkeit, den Horizont um die konzentrischen Kreise der Familie zu erweitern und teilzunehmen am öffentlichen Gemeindeleben. Nach dem sukzessiven Fernbleiben der Männer – die Gemeindefrauen formieren sich zunächst als ,Ehepaarkreis‘ – halten die Frauen unbeirrbar an ihren regelmäßigen Treffen fest. Ähnlich wie die Gruppe der Gemeindefrauen blicken auch die Frauen des Kegelclubs auf eine 15 jährige Gruppengeschichte zurück. Auch hier werden die regelmäßigen Kegelabende zur festen Institution, in der die Frauen gemeinsam in die Außenwelt, nämlich in eine öffentliche Kegelhalle, gehen. Aus den im ,Schneeballprinzip‘ bunt zusammengewürfelten Bekanntschaften wird im Laufe der Jahre ein relativ stabiler Freundschaftszirkel, bei dem es nicht ausbleibt, „dass man Vieles teilt“. Die Gruppe konstituiert sich über regelmäßig Gruppenabende (ein bis zweimal im Monat), innerhalb derer Ereignisse über alle Lebensbereiche hinweg kommuniziert werden. Im folgenden Gesprächsausschnitt wird u.a. im Verweis auf das Miteinander Älter-Werden deutlich, dass die Frauen über eine zeitlich lang gestreckte gemeinsame Erfahrungsgeschichte verfügen, die auch in die Zukunft weist. A: C: A: C:
A: B: C:
etz kennen wir uns schon so lange. Das sind bald zehn |_zehn? Nein, des ist bald fünfzehn Jahre und anfangs war’n wir |_im Gegensatz zu anderen sind wir miteinander alt geworden. Wir haben uns jung-als jüngere Frauen kennen gelernt und werden jetzt miteinander alt. Und da bleibt’s ja net aus, dass man Vieles teilt Familie und alles, was damit zusammenhängt, dann Kinder und jetzt schon die ersten Enkel auch beruflich was teilt- von dem Beruf her auch teilt und sich halt auch privat viel unterhält.
Hier wie in anderen Gruppen auch wird die weibliche Gemeinschaft der Frauen an einer gemeinsamen Lebenspraxis festgemacht, die „Familie und alles, was damit zusammenhängt“ umfasst. Auch in der folgenden Gruppe, in der sich die Frauen regelmäßig zum gemeinsamen Wandern treffen, sind sowohl der gemeinsame Beruf als auch die gemeinsame (Berufs-)Geschichte der Anknüpfungspunkt für das Miteinander-Verbunden-sein. Die Frauen, früher alle als Verkäuferinnen im Bereich ,Damenoberbekleidung‘ derselben Warenhauskette beschäftigt waren, leben diese berufliche Vergangenheit auch in der Gegenwart – über Geschichten und Anekdoten. Da kein Mann in der Abteilung beschäftigt war – nur der Vorgesetzte war ein Mann –, bleiben die Frauen auch nach der Verrentung ,unter sich‘. Mit den gemeinsamen Wanderungen – die Frauen sind mittlerweile
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zwischen 62 und 70 Jahre alt – halten sie eine lieb gewordene Veranstaltung ihrer früheren Abteilung über das Berufsleben hinaus am Leben. In der folgenden Gesprächssequenz aktualisieren die Frauen gemeinsam die Anfänge ihrer Gruppengeschichte. B: C:
A: C: A: B:
C:
Nachdem wir in’ ner Firma zusammen berufstätig waren, hat sich das irgendwann mal so ergeben, dass ma so privat verreist sind. ( ) |_Donnerstag an Himmelfahrt haben wir immer mit der Abteilung einen Wandertag gehabt mit alle, die noch laufen haben können oder wollen können. Da ham’a schon noch laufen können @ ja, und so äh hat sich das eigentlich ergeben, ne? Mit’m Wandern von der Abteilung, also Wandertag |_ ja Nachdem wir dann alle in Rente warn, hab’ma g’sagt, das mach’ ma jetzt weiter so, und jetzt mach’ma jeden Monat einen Ausflug. Das ist eigentlich recht schön, weil’s recht lustig ist. |_Ja und man trifft sich und verliert sich net aus den Augen, ne.
Die gemeinsamen Wanderungen sind für die Frauen außeralltägliche Ereignisse ihres Rentnerinnen-Daseins. Der Ruhestand, den die Frauen der Wandergruppe in unterschiedlichen Gesprächskontexten immer wieder zum Thema machen, wird in den Extremen zwischen ‚Rentnerstress‘ und ‚Freisetzungseffekt‘ beschrieben. Die Frauen präsentieren sich dabei als aktive Ruheständlerinnen. Von den Zwängen der Erwerbsarbeit befreit, berichten die Frauen von einem ,Überhang‘ an Vorhaben, den es jetzt zu organisieren gilt. Zugleich wird der Ruhestand auch als eine Art Auszeit erlebt, in der die alltäglich wiederkehrenden Verrichtungen zeitintensiv erlebt werden. Im folgenden Gesprächsausschnitt kommen die Frauen der Wandergruppe auch auf ihre Ehemänner zu sprechen. Dabei sind sie sich einig, dass die Partnerschaft bzw. die partnerschaftliche Nähe im gemeinsamen Ruhestand ein ,schwieriges Unterfangen‘ ist, „weil jeder so aufeinander sitzt“. Freiräume und „Freiheiten“ werden so zu notwendigen Ressourcen einer gelingenden Partnerschaft. Sie basieren darauf, dass beide – Männer und Frauen – eigene Interessen verfolgen und außerhalb der Partnerschaft in Sozialbeziehungen verankert sind. C: A: C:
Wir sind jetzt keine Stubenhocker, die |_des könnt’ ich mir a net vorstelln-des war auch noch nie so aber jetzt ist ja nimmer der Zug dahinter, dass de das jetzt an dem Tag machen musst, weil du morgen wieder in die Arbeit musst
3 Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten B: A: B: A: B: A:
D:
A:
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|_es ist jetzt schon so, dass ich mehr Zeit hab’ @na weniger@ ja weniger-manchmal weniger@ des ist unser Rentnerstress@ @@ man nimmt sich mehr vor. Früher war alles programmiert nach Uhrzeit, jetzt nimmst du dir mehr Zeit für alles: ausführlich frühstücken, dann a bisserl Haushalt, so was richten, einkaufen und was so ansteht Mein Mann trifft sich auch mit seinen Mannen- äh Männerclique. Und das ist ja auch gut so, weil wenn jeder so aufeinander sitzt und da will jeder mal auch a weng frei haben. Die machen zwar net so viel wie wir Frauen @ nein, die sind faul, die sind bequem. Und kannst froh sein, wenn sie a Hobby hab’n. Meiner ist Angler. Da weiß ich genau, der ist froh, dass ich jetzt auch mal a weng weg bin, da kann er mal a weng früher zum Angeln geh’n und a weng später heim kommen. Das, wo er sonst net so ausdehnt, na. Und da hat jeder so seine Freiheit. Ich find’ das gut.
Früher regelte der Beruf das Arrangement aus Partnerschaft, Familienleben und Hausarbeit. Im beruflichen Ruhestand hingegen muss das Alltagsgefüge neu geregelt werden. Dabei betonen die Frauen die Wichtigkeit eigener Interessen und Hobbys als wichtige Eckpfeiler und Fluchtpunkte in eingespielten Beziehungen. Der glückliche Umstand, einen Mann zu haben, der „Angler“ ist, bedeutet dann eben, auch eigenen Interessen – ohne Rücksichtnahme auf partnerschaftliche Bedürfnisse – nachgehen zu können. Die gemeinsamen Wanderungen werden von den Frauen in diesem Kontext doppelt legitimiert: Sie werden als persönliche ,Freiräume‘ genutzt, die darüber hinaus eine entlastende Funktion haben. Da Männer grundsätzlich „faul“ und „bequem“ seien, werden sie von ihren unternehmungslustigen Frauen dazu motiviert, ebenfalls Freizeitinteressen zu kultivieren. Hier wird deutlich, dass die ähnlich strukturierte Alltagspraxis der Frauen die Gemeinschaft verklammert. Geschlecht und Geschlechtssexklusivität säumen dabei die Lebenswelt der Frauen. Sie werden weder explizit ausgedeutet noch reflektiert; vielmehr fungieren sie als Hintergrundfolie der Erfahrungen, in der Frauen und Männer unterschiedliche Orte besetzen. Mit anderen Worten: Ausschlaggebend für die Gemeinschaft ist das Tun und nicht das Nachdenken darüber. Die weibliche Gemeinschaft dokumentiert somit die unmittelbare und fraglos gegebene Unterscheidungskultur der Geschlechter, die den Frauen als gesellschaftliche Realität gegenübersteht.
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3.2.2 Das Fremderleben der Geschlechter: „Wir bleiben unter uns“ Obwohl die Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten sich nicht als weibliche Gemeinschaften thematisieren und die Tatsache, dass die Frauen unter sich sind und unter sich bleiben wollen, nicht im Vordergrund ihrer Selbstpräsentation steht, werden die Geschlechter-Grenzen strikt definiert. Männer, so der Tenor der Gruppen, passen nicht in das Sozialgefüge der Frauen, sie stören die Atmosphäre, verhindern eine bestimmte Art der Kommunikationskultur oder deutlicher noch: sie werden gar als „Störfaktoren“ ausgewiesen. Die Ähnlichkeiten zum akademischen Bildungsmilieu werden hier evident, denn auch hier teilen die Frauen die einvernehmliche Sicht einer ,vergeschlechtlichten‘ Mann-Frau-Differenz. Im Vergleich wird allerdings deutlich, dass sich die weiblichen Gemeinschaften des akademischen Bildungsmilieus und, wenn auch anders akzentuiert, die Gruppen der gehobenen Gesellschaftsschicht vor der Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen in einem permanenten Abgrenzungsdiskurs bewegen, bei dem die Geschlechtszugehörigkeit samt geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen und Zuschreibungen im Sinne einer Reflexion und Problematisierung thematisiert wird. Anders dagegen im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten, denn hier werden Männer und Frauen ,andersartig‘ und in diesem fundamentalen Sinn als geschlechtsgebunden definiert. Die ,natürliche‘ Distanz zwischen Frauen und Männern dokumentiert sich als fraglose Entität. In allen Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten beharren die Frauen darauf, ,unter sich‘ bleiben zu wollen. Es gilt das ‚ungeschriebene Gesetzt‘, dass Männer keinen Zutritt haben. Wie bereits in der Fallbeschreibung (vgl. Kap. II, Pkt. 3.1) ausführlich beschrieben wurde, liegen diesem Bedürfnis nach Exklusion und Inklusion keine geschlechterpolitischen Motive zugrunde, sondern – dies erweist sich als charakteristisches und milieukonstitutives Unterscheidungsmerkmal im Hinblick auf andere Milieus – diese Grenzziehung zwischen Männern und Frauen verweist auf ein Geschlechterarrangement, in das die Frauen über Traditionen hineingeraten und verwurzelt sind und in das sie sich fügen. Bemerkenswert ist allerdings die Vagheit und Unbestimmtheit, mit der die Frauen ihre innere ,weibliche‘ Kohäsion beschreiben und festzurren. Dies lässt auf ein tief verwurzeltes Fremdheits-Erleben der Geschlechter schließen, das wiederum auf die Identifikation mit der eigenen ,weiblichen‘ Lebenslage verweist und sich als eine indexikale Verortung im Beziehungsgeflecht der Geschlechter beschreiben lässt. Das folgende Zitat bringt diese ,unbestimmte Bestimmtheit‘ der Deutung exemplarisch zum Ausdruck. Gerade das Unbehagen, nicht in Worte fassen zu können, warum man sich beispielsweise in einer „reinen Frauengruppe einfach wohlfühlt“, dokumentiert das
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unproblematische Selbstverständnis. Eine Gesprächsteilnehmerin des im Turnus von vier Wochen stattfindenden ,Frauenfrühstücks‘ versucht das Fraglose dieser existenziellen Erfahrung, das sich nur schwer konkretisieren lässt, in Worte zu fassen und zu entschlüsseln: A:
Was ich auf'm Herzen hab’, das kann ich nur mit ner Frau besprechen. Ich habe nichts gegen Männer, aber es ist halt so. Ich kann’s etz auch nicht so recht sagen, warum das so ist, äh, dass man sich einfach wohlfühlt mit mit Frauen und-und und entspannter vielleicht, ich weiß net. Zum Beispiel, geh’ ich auch regelmäßig Tanzen. Da sind wir auch nur Frauen, äh, das ist eher so Ausgleich und Entspannung. Und ich glaube, wenn da Männer dazwischen wär’n, wär’ das nicht ganz so ruhig und entspannt. Das würd’ ich mir-würd’ ich mal so denken. Ich weiß es net.
Die Distanz zwischen Männern und Frauen wird hier als ein ,verkörperlichtes Fremderleben‘ der Geschlechter sinnfällig und metaphorisch auf den Punkt gebracht: Herzensangelegenheiten werden von Frauen nur mit Frauen besprochen. Das Fremdheitserleben entzieht sich einer reflexiven Durchdringung und einer argumentativen Verständigung („es ist halt so“). Sich entspannen, sich wohlfühlen oder eben Herzensangelegenheiten besprechen, sind Chiffren für rational wenig zugängliche Ebenen emotionaler Empfindung, die nur möglich sind, wenn die Frauen ,unter sich‘ sind. Zugleich wird deutlich, dass das strikte Ordnungsschema Männer versus Frauen nicht hinterfragt wird und keine Veränderungen zulässt. Dies garantiert habituelle Sicherheit und korrespondiert mit einem Selbst- und Fremderleben, das sich in eine moralische Ordnung fügt und von den Frauen auch nicht reflektiert wird. Im Unterschied zum akademischen Bildungsmilieu wird hier evident: Geschlecht ist keine moralische, sondern eine präreflexive Kategorie, die Ordnung stiftet und als Ordnung erfahren wird. Das Verbindende der Gemeinschaft wird nicht als Geschlechterdiskurs aufgeworfen und kritisch hinterfragt; vielmehr ist Geschlechtlichkeit eine selbstverständliche und fraglose Angelegenheit der Erfahrung. Sie ist selbstverständlicher Bestandteil des Verhaltensrepertoires: Die Frauen ,wissen‘ es, ohne es sich reflexiv verfügbar zu machen. Wenngleich die empfundene Differenz zwischen Männern und Frauen zu bestimmen nur vage gelingt, sind sich die Frauen darin einig, dass Männer ihr Sozialgefüge empfindlich stören würden. Obwohl, wie etwa bei der Wandergruppe, die im Folgenden zitiert wird, noch nie ein Mann anwesend war, werden die Konsequenzen einer männlichen Kopräsenz einvernehmlich antizipiert und zum Anlass genommen, Männer auch zukünftig aus dem Sozialraum der Gruppe auszuschließen und auf einem Fortbestehen der weiblichen Gemeinschaft zu beharren:
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse B:
Aber die Männer war’n daheim, und wir wollten eigentlich nur unter uns Frauen. @ C: @ ja, das war so schön, wenn wir nen Ausflug gemacht haben, dann haben die Männer immer gesagt: Ja ist denn heut’ Muttertag @. Alle: @@ A: Da ham’ ma aber auch schöne Erlebnisse gehabt, sehr schöne Erlebnisse! D: Ich find das auch das Schöne daran, dass man nur unter Frauen ist. C: Man kann anders reden, ne, man hat andere Gesprächs- wenn ein Mann dabei ist, das ist immer irgendwie ein Störfaktor. Da kannst gar net so quatschen wie jetzt unter Frauen. Wir hätten da vieles nicht erlebt ( ) oder, sag’ doch, des wär’ A: des wär ganz anders C: und so lass mehr des auch in Zukunft D: |_wir bleiben unter uns @ Alle: @@
Bis hierher kann festgehalten werden: Männern ist der Zugang zur weiblichen Gemeinschaft verwehrt, sie werden als „Störfaktor“ wahrgenommen. Die Frauen wollen ,unter sich‘ bleiben. Diese strikte Geschlechtertrennung fußt nicht im Modus des diskursiven Bewusstseins, wie er dem bildungsbürgerlichen Milieu eigen ist; vielmehr ist es ein implizites Wissen, das sich in den Vorstellungen der Frauen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten dokumentiert. Sie sehen sich nicht veranlasst, die Geschlechtlichkeit ihres Handelns zum Gegenstand einer Reflexion zu machen, sich und anderen zu explizieren, dass ihr Handeln eine geschlechtliche Dimension hat und welche Bedeutung diesem zukommt. Der Geschlechterstatus ist unhintergehbar und insofern steht er auch nicht zur Disposition. Er wird innerhalb des lebensweltlichen Horizonts nicht hinterfragt. Damit wird verständlich, dass ein Gespräch über die ,Bedeutung ihres weiblichen Zusammenschlusses‘ eine von außen an sie herangetragene Aufforderung ist. Die Frage danach scheint das Selbstverständliche in Frage zu stellen. Sie wird als befremdlich befunden. Gerade an Stellen der Explizierungsbedürftigkeit der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft dokumentiert sich das kollektive Orientierungsmuster des Verhaftet-Seins in traditionellen Denkschemata. Imaginiert und real ruht die Gemeinschaft auf einer polarisierenden Metaphysik der Geschlechter, in der fraglos an althergebrachten Gewissheiten festgehalten wird. Mit anderen Worten: Das traditionell Verbürgte wird nach wie vor als Rahmung akzeptiert. Mann und Frau sind gleichwertig, wenn auch nicht gleichartig. Sie unterscheiden sich in den bekannten Dichotomien Emotionalität und Rationalität. In den Selbstpräsentationen der Frauen manifestiert sich das polare Zuordnungsschema als Fremdheitserleben zwischen Männern und Frauen. Im Selbsterleben regelt sich die Geschlechtertrennung als notwendige Grenzziehung der Alltagspraxis. Nicht die
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,Idee der Gemeinschaft‘, wie sie für das akademische Bildungsmilieu charakteristisch ist, ist der konstitutive Vergemeinschaftungsmodus, sondern das ,verbindende Alltagsleben‘ nährt das Gemeinschafts(er)leben. Die Diskursorganisation der Gespräche steht in einem homologen Entsprechungsverhältnis zum Inhalt. Das heißt, die hohe interaktive Dichte und die indexikale Präsentation der Themen weisen darauf hin, dass sich die Frauen in ihren Orientierungen verstehen, ohne sich erklären zu müssen. Mit den Worten Mannheims gesprochen, ist die fraglose und selbstverständliche Verortung im (traditionellen) Beziehungsgefüge der Geschlechter ein „atheoretisches Wissen“ (Mannheim 1980, 73), das mit routiniertem Handeln und Erfahren übersetzt werden kann und im Gespräch weder auf den Punkt gebracht noch expliziert werden muss. Diese nur konjunktiv mitteilbare perspektivische Weise verweist darauf, dass es sich bei den Frauengruppen des bildungsfernen Milieus um ,existenzielle Gemeinschaften‘ handelt. Ihr atheoretisches Wissen verbindet die Frauen, da es auf einer gleichartigen Handlungspraxis und Erfahrung beruht.
3.2.3 Abgrenzung gegenüber Frauenpolitik und Feminismus: „Da woll’n ma nix mit zu tun haben“ Geschlechterpolitische Motive werden von allen Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten strikt zurück gewiesen. Die Frauen wehren sich vehement gegen etwaige Identifikationen mit Frauengruppen, die „so politisch sind“. Bereits das Verdachtsmoment, so etwa bei den Frauen der Kegelgruppe, fordert eindeutige Klarstellungen heraus. Auch wenn, wie im folgenden Gesprächsausschnitt deutlich wird, dieser Verdachtsmoment des ,frauenpolitischen Engagements‘ indirekt von den Wissenschaftlerinnen an sie herangetragen wurde – die Frage nach der Bedeutung der weiblichen Gemeinschaft ist zwar allgemein gehalten, kann allerdings durch den Forschungsfokus ,weibliche Zusammenschlüssen‘ nicht ausschließen, dass die Forschungsfrage auch mit ,Frauenbewegung‘, ,Frauenemanzipation‘ oder ,Gleichberechtigung‘ assoziiert wird –, so wird zugleich augenfällig, dass die Frauen selbst die Initiatorinnen des Verdachts sind: „Schau’ mal, wenn das jemand hört, dann sagen die, sie sind männerfeindlich“. Die vor allem durch die Medien verbreitete Gleichberechtigungsdebatte bzw. der Wandel des Geschlechterverhältnisses nötigt den Frauen eine Beobachtungsperspektive ihres eigenen Standpunkts auf: A: B:
ja, man liest ja immer auch über Frauen- äh diese Gruppen, die so politisch sind Da woll’n ma nix mit zu tun haben@ Wir sind nur Frauen
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse E:
Politisch sind ma überhaupt nicht. Ich geh’ wähl’n und manchmal ärger’n ma uns auch über das, was so politisch passiert A: wir woll’n hier Spaß haben @ B/E: @@ B: ich hab’ jetzt außer der Reihe – da hab ich noch einen Stammtisch. C: auch ein Frauenstammtisch @. B: ja, auch ein Frauenstammtisch. Da geht ma so alle zwei Monate hin. Das ist so alle sechs Wochen oder acht Wochen. Da sind a lauter Frauen. Wir ess’n da und besprech’n uns halt und dann geht man wieder um neun, halb zehn A: Wenn die Männer uns hören würden, jetzt irgendwelche, die würden sag’n, von denen woll’n ma kei einzige. Die müssen doch ganz schlimme Frauen sein. Alle: @@ A: @ na weil ma dauernd so sagen – dabei ist es gar net so. Wir sind schon zu unsre Männer auch lieb und machen alles, da gibt’s keine Probleme, überhaupt keine Probleme. B: Aber bei unserm Kaffeestammtisch, da ist auch immer so: Hach, meiner ist wieder langsam, und meiner war wieder das. Da wird schon a bissl gelästert. Aber das ist so lustig dann immer, ne. A: Und nicht bösartig. B: nein
Die Frauen treffen sich, um miteinander „Spaß“ zu haben. Die Kegelabende bieten dafür ausreichend Gelegenheit. Als eine der Frauen in diesem Kontext erwähnt, dass sie noch einem „Frauenstammtisch“ angehört – ebenfalls lauter Frauen, die gemeinsam reden, essen –, wird offensichtlich, dass die Kombination ,Spaß haben‘ und ,unter Frauen sein‘ Assoziationen weckt, die sie in die Ecke derjenigen Frauen(gruppen) stellt, die politisch intendiert Männer meiden und sich mit Frauen verbünden. Bemerkenswerterweise wird diese mögliche Fremdwahrnehmung auch in der Perspektivenübernahme einer männlichen Zuhörerschaft gedacht („Wenn die Männer uns hören würden“): Männer, die ihrem Gespräch lauschten, bekämen den Eindruck, es handle sich bei ihnen um „schlimme Frauen“. Die Zurückweisung dieses Trugschlusses bzw. die Rechtfertigung wird an der Beziehung zu den Ehemännern aufgespannt. Die Frauen hätten keinerlei Probleme mit ihren Männern. Da sie „lieb“ seien und „alles“ täten, was von ihnen verlangt wird, wird der Eindruck, es handle sich bei ihnen um „schlimme Frauen“ wieder vom Tisch gewischt. In der Sichtweise der Frauen gehöre das Reden, Lästern und Klagen über (Ehe-)Männer gewissermaßen zur Kultur eines Frauenstammtisches. Auch über die (entlastende) Funktion dieser geselligen Läster-Rituale – wenn auch auf Kosten ihrer Ehemänner – sind sich die Frauen bewusst. Sie werden als kommunikatives Repertoire des Zusammenseins ,unter Frauen‘ ausgewiesen, als ge-
3 Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten
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meinschaftsstiftende Gesprächsprozeduren. In dieser metakommunikativen Perspektive wird zweierlei deutlich: Zum einen wird in ihrem Reden über das Reden der gemeinsame Konsens über die Art der kommunikativen Bedeutung und Behandlung von Themen und Ereignissen in der weiblichen Gemeinschaft herausgestellt. Zum anderen verweist die Analyse der eigenen Gesprächspraxis auf die gemeinsame Konstruktion von Realität. Das, wenn auch mit einem Augenzwinkern vorgetragene ,Klagen‘ über den Ehemann zu Hause („Hach, meiner ist wieder langsam“) übernimmt die Funktion eines konsensuellen Welt-Verständnisses in der Gruppe. Die Vergemeinschaftung der Frauen wird auch über eine wissentliche Distanzierung zu und eine zuweilen unverblümt derbe Behandlung von Männern hergestellt und erhalten. Bei näherer Betrachtung der oben aufgeführten Gesprächspassage zeigt sich weiterhin, dass die eigene Selbstverortung vor dem Gegenhorizont „schlimme Frauen“ aufgespannt wird. Als ,schlimm‘ werden diejenigen Frauen charakterisiert, die politisch motiviert gegen Männer und somit gegen die gegenwärtige Geschlechterordnung agieren. Gegen die ,bösartigen‘ Anfeindungen dieser Frauen gegen Männer gilt es sich abzugrenzen, nicht zuletzt deshalb, weil sie es selbst nicht nötig haben, diesen ,Geschlechterkampf‘ zu führen. Erinnert sei an dieser Stelle auch an die Fallbeschreibung des Frauenkreises, in der genau dieses Gedankenspiel in der Diskussion zur Sprache kam. Nur Frauen, die in einer hierarchischen Partnerschaft lebten, würden mit derartigen Positionen im wahrsten Sinne des Wortes zu Felde ziehen. Für den Frauenkreis hingegen stellt sich die eigene Partnerschaft als egalitäres Verhältnis dar, zumindest gestaltet sich in der Selbstwahrnehmung der Frauen die familiale Arbeitsteilung als kooperative Beziehung. Dieses komplementäre Arrangement besitzt für die Frauen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten eine hohe normative Verbindlichkeit – ein tief verankertes kulturelles Muster, das das generelle geschlechtsspezifische Zuordnungsschema bedient und anerkennt. ‚Gute‘ Frauen, so wurde am Beispiel des Kegelclubs deutlich, ,bedienen‘ und ,umsorgen‘ ihre Männer. Diskriminierung und Marginalisierung treffen auf die eigene Lebenssituation nicht zu. Dieses Weltbild einer ,gerechten Ordnung‘, zumindest was die Dimension des Geschlechts betrifft, wird von allen Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten, aber auch von den Gruppen der gehobenen Gesellschaftsschicht mehr oder minder stark vertreten und fungiert, so eine Lesart, auch als Selbstschutz. Das Aufbegehren gegen die herrschende Ordnung, so die einhellige Meinung, kommt vor allem von denjenigen Frauen, die einen „wie auch immer gearteten Leidensdruck“ verspüren. Diese ,Diskriminierungstatbestände‘ haben für die Frauen keine Relevanz, zumindest nicht in ihrem Nahbereich. Auf einer theoretischen Deutungsebene sind ihre Haltungen
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
ambivalent. Am Beispiel des Engagements für die anderen Frauen aus der sog. Dritten Welt wird diese gebrochene Haltung virulent. Ähnlich wie die Frauen der gehobenen Gesellschaftsschicht widmen sie dem Leiden bzw. der oft zitierten Beschneidungspraxis dieser ,anderen‘ Frauen Aufmerksamkeit und Mitgefühl, da diese ihrer ,Natur‘ beraubt werden. Eine strukturelle Problembestimmung als Vergleichhorizont bleibt allerdings aus, weil die maximale Distanz keinem Vergleich standhält. Die Frau aus der sog. Dritten Welt wird als das bzw. die Fremde wahrgenommen. Die eigene Lebenssituation wird davon nicht berührt. Nur in Ausnahmefällen berührt die strukturelle Problemdeutung des Geschlechterverhältnisses die eigene Lebenswelt, so etwa, wenn die Frauen beim Frauenfrühstück über ihre Doppelbelastung und ihre knappen Zeitressourcen sprechen oder der Frauenkreis über eine Bildungsveranstaltung mit feministischer Theologie in Berührung kommt. Was letztere betrifft, so konnte gezeigt werden, dass feministische Positionen im Kontext der Kirchengeschichte und Theologie – trotz aller Distanz – als nachvollziehbar und eingängig aufgefasst werden, nicht zuletzt deshalb, weil die Analyseperspektive des Feminismus auch ihre Gruppengeschichte als Ehefrauen und Mütter ohne eigene Stimme in der Gemeindeöffentlichkeit einfängt. Aber auch an diesem Fallbeispiel wird deutlich, dass trotz Einsicht und Nachvollziehbarkeit in strukturelle Problemdeutungen der feministischen Analyseperspektive die Interpretationsfolie für die eigene Standortbestimmung eine andere ist: nämlich der Nahbereich der eigenen Alltagspraxis, in der die Frauen das komplementäre Geschlechterarrangement leben und akzeptieren.
4
Die Frauengruppen aus dem Bildungsmilieu der gehobenen Gesellschaftsschicht 4 Frauengruppen aus dem Bildungsmilieu gehobener Gesellschaftsschicht Das Feld der Frauengruppen aus der sog. gehobenen Gesellschaftsschicht besteht aus exklusiven Clubs oder – wie sie sich auch selbst bezeichnen: Service-Clubs. Diese Club-Szene repräsentiert ein in sich geschlossenes Milieu, das sich über Status, Privilegien und ein Standesbewusstsein definiert und auch abgrenzt. Es wurden mit drei Regionalgruppen von zwei international agierenden ServiceClubs Gruppendiskussionen durchgeführt. Das Bildungsmilieu der gehobenen Gesellschaftsschicht ist ein an das akademische Bildungsmilieu angrenzendes, aber doch abzugrenzendes Milieu. Alle Frauen haben auch hier akademische Bildungsabschlüsse und können – das ist der Unterschied zum akademischen Bildungsmilieu – auf statushohe Berufspositionen und Führungsverantwortung verweisen. Eine verantwortungsvolle Position gilt in den Clubs auch als Aufnahmekriterium.
4 Frauengruppen aus dem Bildungsmilieu gehobener Gesellschaftsschicht
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Im Milieuvergleich besondern sich die Clubs über ihre explizite Geschlossenheit. Die Clubs sind nicht ‚frei‘ zugänglich, sondern rekrutieren ihre Mitglieder über das Kooptationsprinzip. Das Altersspektrum der Clubs umfasst auch hier hauptsächlich mittlere, am Rande auch ältere Jahrgänge. Jüngere Frauen oder gar Mädchen sind in der Club-Szene empirisch nicht aufzufinden.
4.1 Fallbeschreibung: Ein exklusiver Service-Club Kontextinformation und Kontaktaufnahme Bei der Gruppe handelt es sich um die Regionalgruppe eines international agierenden Service-Clubs. Die ca. 30 Mitglieder des Clubs rekrutieren sich über Kooptation und repräsentieren laut Satzung die unterschiedlichen beruflichen Bereiche auf „Führungsebene“ und „verantwortungsvoller“ Position. Der Club versteht sich explizit als „Freundschaftsbund berufstätiger Frauen“. Ziel des Clubs ist es u.a., die „Stellung der Frau weltweit zu verbessern“. Über Spendenaktionen werden regionale Fraueninitiativen, aber auch internationale Hilfsprojekte finanziell unterstützt. Die Regionalgruppe trifft sich einmal im Monat zum „Meeting“. An der Gruppendiskussion nehmen vier Frauen der Regionalgruppe teil, u.a. die derzeitige und vor kurzem gewählte Präsidentin den Clubs. Die anwesenden Frauen – allesamt zwischen 50 und 65 Jahre alt – repräsentieren das Altersgefüge des Clubs. Alle Frauen stammen aus der gehobenen Gesellschaftsschicht, sind akademisch gebildet. Drei der anwesenden Frauen arbeiten in gehobenen Positionen. Eine Frau ist seit Kurzem im Ruhestand. Die Frauen sind verheiratet bzw. verwitwet und haben Kinder im Erwachsenenalter. Der Kontakt zur Gruppe wurde über die Präsidentin des Clubs angebahnt. Im Vergleich zu anderen Gruppen wurde sehr schnell die Bereitschaft signalisiert, im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts an einer Gruppendiskussion teilzunehmen. Dies liegt u.a. auch im Selbstverständnis des Frauenclubs begründet, denn die Clubabende dienen – dem Anspruch ihrer Mitglieder folgend – auch der Horizonterweiterung und der Bildung. Der Diskussion um weibliche Zusammenschlüsse wurde unter dem Aspekt der Aufgeschlossenheit gegenüber Wissenschaft und Forschung zugestimmt. Stattgefunden hat die Gruppendiskussion im privaten Umfeld einer Diskussionsteilnehmerin, in einer Jugendstilvilla in einem der besten Wohnviertel einer westdeutschen Großstadt. Antikes Mobiliar, moderne Kunst und edles Geschirr
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
fallen auf. In Ausdruck und Umgang teilen die Frauen einen bildungsbürgerlichen Lebensstil. Der Beginn der Gruppendiskussion zögert sich hinaus, weil wir noch auf zwei weitere Frauen warten, die Interesse an der Teilnahme an dem Gespräch bekundet haben. Die Präsidentin des Clubs versucht, wenn auch vergebens, die noch Abwesenden telefonisch zu erreichen, da die beiden Frauen den Termin schlichtweg vergessen haben könnten. Nach ca. 40 Minuten Wartezeit merke ich an, dass vier Frauen durchaus eine ausreichende Anzahl für das Gelingen eines Gruppengesprächs wären. Daraufhin meint sie, dass die begründete Gefahr bestünde, dass die Frauen beleidigt sein könnten, wenn sie sich nicht um ihr Kommen kümmere. Dies ist insofern bemerkenswert, weil im Laufe des Gesprächs mehrmals die Empfindlichkeiten und Animositäten der Frauen untereinander angesprochen werden. Nach weiterer Wartezeit beginnen wir die Gruppendiskussion ohne die noch Abwesenden; sie sind nicht mehr gekommen. Bevor die eigentliche Gruppendiskussion beginnt, sprechen die Frauen über Interna ihres letzten Treffens. Die Präsidentin mokiert sich dabei u.a. über den Stil des letzten Protokolls sowie die Tatsache, dass dabei der Dienstweg nicht eingehalten wurde, sprich: das Protokoll von ihr selbst nicht Korrektur gelesen werden konnte. So sei beispielsweise vergessen worden, die Bewirtung durch die Gastgeberin im Protokoll ausdrücklich zu erwähnen und zu würdigen. In der Gruppendiskussion zeichnen die Frauen ein Bild der Gesellschaft, in der sie leben. Sie sprechen offen und auch kontrovers über verschiedene Themen, und es scheint, als sehen sie in dem Gespräch mit den Wissenschaftlerinnen eine Möglichkeit, längst fällige Auseinandersetzungen in der Gruppe zu thematisieren.
Diskursorganisation Motive für das Engagement in einem Club: Privilegiert sein und auserwählt werden Der Club ist eine geschlossene Gesellschaft. Die Aufnahme der Mitglieder geschieht über Kooptation, d.h. die Frauen können nur auf Vorschlag eines Mitglieds aufgenommen werden. Dieses persönliche Aufnahmeverfahren des Clubs bürgt u. a. dafür, dass eine habituelle Nähe der ‚Neuen‘ zu den alteingesessenen Clubmitgliedern gewährleistet wird. Am Beginn des Gruppengesprächs stellen die Frauen diese exklusive Rekrutierungsstrategie regelmäßig in den Vordergrund. Jede der Gesprächsteilnehmerinnen zitiert Freundinnen oder Bekannte, die ihr den Eintritt in den Club nahe legten bzw. ihre Mitgliedschaft vorschlugen.
4 Frauengruppen aus dem Bildungsmilieu gehobener Gesellschaftsschicht
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Damit wird deutlich, dass die Art und Weise der Aufnahmeregelung in den Club von den Frauen persönlich als Besonderung erfahren wird. Die Frauen sind stolz darauf, die Inklusions-Kriterien zu erfüllen, die ihnen den Zugang zum Club ermöglichten. Die Motive der einzelnen Frauen, dem Club beizutreten, werden individuell gerahmt. Meist wird die Entscheidung für eine Club-Mitgliedschaft mit dem Wunsch nach Kontakt und (neuen) Freundschaften in Verbindung gebracht: A:
B: A:
Na gut, ich kann es Ihnen sagen, warum ich zu dieser Frauengruppe gekommen bin: Ich hab’ vor sieben Jahren meinen Mann verlassen, äh verloren, und mein Mann war 17 Jahre älter als ich, und das bedeutete, dass meine alten Freundschaften mit meinem Mann und mit diesen Familien verhältnismäßig alt für mich waren. Da wollte ich natürlich noch einmal eine neue Freundschaftsbasis aufbauen. Das war bei mir ähnlich, nein, nicht ähnlich, aber ich wollte in meinem Alter auch noch einmal neue Freundschaften schließen und Ja. Und gleich nachdem ich Witwe geworden bin, wurde ich gefragt, ob ich beitreten würde.
Freundschaften schließen bzw. neue Freundschaften eingehen, werden hier als Beweggrund angegeben, dem Club beizutreten. Für andere Frauen gehört das Clubleben auch zur Familientradition. In dem folgenden Zitat erinnert sich eine Diskussionsteilnehmerin an das Clubleben ihres Vaters und rekonstruiert es als Teil ihrer Familienbiographie. Der intellektuelle Austausch mit Menschen aus anderen Berufen, der dem Vater durch eine Club-Mitgliedschaft möglich wurde, ist nun auch für sie das ausschlaggebende Motiv, selbst einem Club beizutreten. Hier wird evident, dass die während der Sozialisation erworbenen habituellen Eigenschaften und der Lebensstil der ‚guten Gesellschaft‘ an die nächste Generation weitergegeben werden: D:
Ja, warum bin ich reingegangen? Ganz einfach, weil ich von Freundinnen angesprochen wurde, also die das angeschnitten hatten. Ich kannte von meinem Vater A-Club. Er kam immer sehr belebt nach Hause von sehr guten Vorträgen, fand das höchst interessant, mit anderen Berufen sich austauschen zu können, und das hatte ich gedacht, das finden wir auch vor. Das war so mein Beweggrund.
Die Rekrutierungsstrategie des Clubs erweist sich als selbstreferenziell, denn die Frauen definieren sich mit diesem exklusiven Aufnahmeverfahren in eine Gruppe von ‚Gleichgesinnten‘ hinein. Zugleich wird die Club-Mitgliedschaft zum Erkennungszeichen der ‚gehobenen Gesellschaftsschicht‘. Die individuell gerahmten Motive der Frauen für ihren Club-Beitritt stehen allerdings, wie noch zu
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
zeigen sein wird, im Widerspruch zu den Proklamationen und dem Selbstverständnis des Clubs. Ziel des Clubs ist nämlich eine Verpflichtung zum „Dienst am Menschen“. Dies haben die Clubmitglieder qua Ehrenamt zu leisten. In den offiziellen Verlautbarungen verfolgt der Club die Absicht, die „Stellung der Frauen“ (weltweit) zu verbessern, sprich: bestehende Hilfsorganisationen finanziell zu unterstützen. Hierzu veranstaltet der Club Flohmärkte, organisiert Benefizkonzerte oder versteigert Bilder, um den Erlös zu spenden. Im Gruppengespräch klaffen die offiziellen Club-Proklamationen und die individuellen Bedürfnisse der Frauen auseinander. Ausgetragen wird dieses Missverhältnis am Thema ‚ehrenamtlichem Engagement‘. Die Präsidentin des Club ist dabei die Wortführerin der offiziellen Club-Philosophie. Sie steht kraft ihres Amtes für die Außendarstellung des Clubs und dominiert in weiten Teilen die Debatte zwischen den Frauen. Die übrigen Gesprächsteilnehmerinnen bringen direkt und indirekt andere Vorstellungen und Bedürfnisse zum Ausdruck. Sie argumentieren gegen die Präsidentin und konterkarieren damit die Ziele der Organisation.
Ehrenamtliches Engagement: „Verpflichtung zum Dienst am Nächsten“ Der Club versteht sich, wie bereits gesagt, als Service-Organisation. Ehrenamtliches, also finanziell unentgeltliches Engagement ist im Gruppenstatut des Clubs verankert. Dies korrespondiert zum Teil mit der Überzeugung der Frauen, dass sie aufgrund ihrer erreichten gesellschaftlichen Position in der Verantwortung stehen, weniger privilegierte Menschen zu unterstützen und so ihren Teil zum Gemeinwohl beizutragen. Entsprechend ihrer Vorstellung, dass gesellschaftliche Positionen verdient sind, wollen die Mitglieder des Clubs Frauen helfen, die ihre Notlagen nicht selbst verschuldet haben. Diese Bedingungen erfüllen zum Beispiel Frauen aus der sog. Dritten Welt ebenso wie sozial benachteiligte Frauen in Deutschland. Der Club unterstützt aktuell ein weltweites Aufklärungsprojekt, das Beschneidungen an Frauen brandmarkt. Im nähren Umfeld werden verschiedene Fraueninitiativen unterstützt, die sich um Frauen und Mädchen in sozialen Notsituationen kümmern. Umgekehrt ist das Verständnis einer Notlage gegenüber begrenzt, wenn Frauen ‚selbstverschuldet‘ hilfebedürftig werden. In der folgenden Passage kommt diese ‚doppelte Moral‘ deutlich zum Ausdruck. Die Frauen zeigen wenig Verständnis, wenn Frauen „unter ihrem Stand“ heiraten und damit leichtfertig materielle Ressourcen für die Verwirklichung eigener beruflicher Ziele verwirtschaften:
4 Frauengruppen aus dem Bildungsmilieu gehobener Gesellschaftsschicht D:
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Ich erlebe im Moment junge Frauen, ganz viele junge Frauen um die 30, die aus ihren gelernten Berufen wieder rausgehen, nur noch Familienfrauen sind, auch zum Teil Männer heiraten, wo ich mich wirklich wundere. Wir hätten gesagt, das ist der Karriere nicht sehr förderlich oder sie heiratet unter ihrem Stand. Ich weiß nicht, nein, ich bezweifle diese- dass dies gut geht. Ich merke, dass die Frauen zurückgehen und die Emanzipationen, wenn es denn berufliche wären, zurückgehen.
Mit Verwunderung und Skepsis wird zur Kenntnis genommen, dass jüngere Frauen ihre berufliche Verankerung aufgrund von Familiengründung aufgeben und damit hinter das erreichte Emanzipationsziel zurückfallen. Viele junge Frauen würden ‚ungünstig‘ heiraten und sich mit Familienarbeit an ihre Ehemänner binden. Damit sind sie zu klassischen Reproduktionsarbeiten gezwungen, die sie, so der Umkehrschluss, mit einer ‚günstigeren‘ Heirat wohl an andere abgeben könnten. Zudem würden die finanziellen Ressourcen eines gut verdienenden Ehemannes einen schnelleren beruflichen Wiedereinstieg der Frauen nach einer Elternzeit ermöglichen. Bemerkenswert an dieser Argumentation ist, dass die Lösung der Vereinbarkeitsproblematik ohne Männer gedacht wird – zumindest nicht in einer praktischen Verteilung der Aufgaben. Die Geschlechterordnung mit einer geschlechtsspezifischen Aufgabenverteilung wird akzeptiert. Zu den Aufgaben der Männer gehört es, die Familienarbeit finanziell zu rahmen. Emanzipierte Frauen, so die Sicht der Club-Frauen, verschaffen sich auch mit einer Heirat finanzielle Freiräume, die es ermöglichen, sich den Rücken frei zu halten für berufliches Engagement. Damit wird deutlich: Die Club-Frauen, allesamt selbst beruflich in leitenden Funktionen tätig, entwerfen ein Gesellschaftsbild, das klar hierarchisch gegliedert ist und auf eigener Leistung beruht. Dazu gehört auch ein wohlüberlegtes Heiratsverhalten. Mit ehrenamtlichem Engagement reproduzieren sie ihre gesellschaftliche Überlegenheit bzw. werden die vorgestellten hierarchischen Verhältnisse gelebt. Wie bereits angedeutet, ist das offizielle Selbstverständnis des Clubs nicht deckungsgleich mit den Bedürfnissen der Clubmitglieder an der Basis. Im Verlauf der Gruppendiskussion aktualisiert sich ein Konflikt um einen gemeinsam organisierten Flohmarkt. In dieser Auseinandersetzung wird deutlich, dass das vorrangige Ziel des Clubs nicht von allen Frauen mitgetragen wird. Die aktuelle Präsidentin kritisiert dabei das fehlende Engagement von Club-Mitgliedern. In der folgenden Gesprächspassage beschreibt sie zunächst ihr Präsidialamt als diffizilen Balance-Akt. Ihre schwierige Aufgabe bestehe darin, die unterschiedlichen Interessen der Mitglieder auf der Basis einer gemeinsamen Orientierung zu vermitteln, d.h. den Club auf eine Linie einzuschwören. Sie interpretiert die ablehnende Haltung einzelner Club-Mitglieder gegenüber gemeinsam beschlossenen ehrenamtlichen Aktivitäten (hier am Beispiel eines Flohmarktes) als gegen
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II Fallstudien und Fallstudienvergleichende Analyse
das Ziel der Organisation gerichtet. Zugleich wird ihre Kritik in einem Geschlechtervergleich aufgespannt und analysiert. Während sie Männern eine Gemeinwohl-Perspektive zuspricht, seien Frauen wenig(er) in der Lage, individuelle Interessen zugunsten ‚allgemeiner‘ Belange zurückzustellen. Männer seien weitblickend und besonnen, sie besäßen Corpsgeist und würden ihre persönlichen Vorlieben und individuellen Ressentiments zugunsten kollektiver Ziele zurückstecken und sich loyal verhalten. Demgegenüber könnten Frauen nur schwer von ihren gegenwärtigen Befindlichkeiten absehen; sie ließen sich von ihrer momentanen Verfasstheit leiten: C:
Also ich hab’ die Erfahrung gemacht, ich hab’ ja einige Dinge so am Anfang auch so im Vorstand gesagt, so mach’ mal dieses, jenes. Dann fing schon die eine an: ‚Ach hm, weiß ich nicht‘. Und die nächste sagte: ‚Ach, warum denn?‘ Dann habe ich aber doch die Sachen durchgezogen, weil ich gesagt hab’, das hat einen Zweck, einen Sinn und bin davon abgegangen und habe mich also nicht mehr um die ganz, ganz persönlichen Meinungen von einigen mehr dann gekümmert. Weil ich sag: ‚Wir müssen auch eine Linie haben‘. Du kannst nicht immer jedem das recht machen, sondern das ging um den Club und seine Projekte. S., die also vehement gegen Flohmarkt ist, und ich frag’ sie B: |_ah ja? C: aber wie B: Erfahre ich heute zum ersten Mal@ A: @@ C: Nein, und ich muss ehrlich sagen, das war nicht sehr zielführend. Sie hat, ich kann ja die Geschichte erzählen, wie ich es empfunden habe. Sie hat ganz laut gesagt: ,Das ist für mich das Schrecklichste, was ich machen kann‘. Und dabei rausgekommen sind dabei immerhin, glaube ich A: |_600? C: 300, 400 Euro. Daraufhin A., die gar nicht dabei war, sagt: ‚Was? Nur 300 Euros habt ihr erwirtschaftet?‘ Da konnte ich nur schlucken und sagen: ‚Wir waren 5 Personen nur von 30‘. Weißt du, da hast du zwei ganz unterschiedliche Meinungen. Die eine sagt von vornherein: ‚Ist nicht mein Tee, mach’ ich nicht‘. Und die andere mosert, dass dann so wenig angeblich reingekommen ist. Dann habe ich mal nachgeguckt. In unseren anderen Geschichten ist nicht viel mehr passiert. Wir haben sogar den Flohmarkt davor weniger gehabt. Nur beim aller ersten haben wir ein tolles Ergebnis gehabt. Ja, aber da haben viel mehr mitgemacht. Also das ist für mich dann auch, sage ich mal, typisch frauenspezifisch. Da würden Männer sich überhaupt nicht drüber aufhalten. Die würden sagen: ,Wir machen den Flohmarkt und gehen auch dahin und was dabei rauskommt ist erledigt.‘ Aber Frauen fangen an D: |_Du, hast Du jemals Männer auf dem Flohmarkt gesehen? Nee, nee, nicht! Alle: @(Tumult)@ C: B-Club und A-Club machen Flohmarkt
4 Frauengruppen aus dem Bildungsmilieu gehobener Gesellschaftsschicht D:
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|_Ich kenne eigentlich nur die B-Club-Ehefrauen, die auf die Flohmärkte gehen.
In der Passage dokumentiert sich das uneinheitliche Stimmungsbild der Gruppe hinsichtlich einer Beteiligung an Flohmärkten. Ein Clubmitglied bekundet öffentlich und lautstark ihre Ablehnung gegenüber einer solchen Verkaufsveranstaltung („Das ist für mich das Schrecklichste...“), eine weitere Frau stellt das Ergebnis der Bemühungen („Was? Nur 300 Euros habt ihr erwirtschaftet?“) in Abrede. Die Präsidentin des Clubs wiederum empört sich über die Art und den Stil dieser ‚Flohmarkt-Dissidentinnen‘ und erhofft bei den anderen Frauen Verständnis ob dieser ‚weiblichen‘ Unentschiedenheit. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil: Die am Gruppengespräch beteiligten Frauen bringen in ihren Kommentierungen und Nachfragen ebenfalls Distanz und Ablehnung gegenüber einem solchen unliebsamen Engagement auf dem Flohmarkt zum Ausdruck. Die Sicht der Präsidentin als Vertreterin der Organisation wird nicht geteilt. Offenkundig wird in der aufgeführten Gesprächssequenz die Diskrepanz zwischen dem Ziel des Clubs (‚Die Verpflichtung zum Dienst am Nächsten‘) und der geringen und auch widerwilligen Teilnahme der Frauen bei ehrenamtlichen Aktivitäten. Die offizielle Club-Philosophie, die ehrenamtliches Engagement propagiert, wird nicht von allen Mitgliedern mitgetragen. Lediglich die Präsidentin scheint hier eindeutig für eine solche Gemeinwohl-Perspektive zu stehen. Augenfällig wird darüber hinaus, dass das faktische Ergebnis nur schwer in Einklang zu bringen ist mit dem hehren Anspruch der Service-Organisation. Fünf berufstätige Frauen der gehobenen Gesellschaftsschicht beteiligen sich ehrenamtlich und in ihrer Freizeit auf einem Flohmarkt und erzielen dabei einen Gewinn, der für die anvisierten Unterstützungsprojekte doch eher bescheiden ausfällt. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung wird zudem eine ganz spezifische Kultur der Konfliktaustragung innerhalb der Gruppe evident: Während Männer, so die Sicht der Präsidentin, an ihrer einmal gefällten Entscheidung festhielten und Ergebnisse (seien sie auch noch so unbefriedigend) hinnähmen, würden Frauen permanent von Zweifeln und Unentschiedenheiten geplagt. Diese harsche Kritik der Präsidentin an ihren Geschlechtsgenossinnen wird von anderen Diskussionsteilnehmerinnen so nicht geteilt. Ungläubiges Nachfragen („ah ja?), aber auch ironische Bemerkungen („Du, hast du jemals Männer auf dem Flohmarkt gesehen?“) lassen sich dahingehend interpretieren, dass einige der Gesprächsteilnehmerinnen sich angesprochen fühlen oder – auch dies liegt nahe – die Analyse einer geschlechtsspezifischen Andersartigkeit so nicht akzeptiert wird. Eine offene Auseinandersetzung darüber findet allerdings auch in der aktuellen Gesprächssituation nicht statt. Die Entgegnung der Frauen auf die Rüge der
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Präsidentin bleibt indirekt und kommt aus dem ‚Hinterhalt‘. Die Erzählung weist damit deutliche Entsprechungen auf zwischen der Praxis der Darstellung und der dargestellten Praxis. Mit anderen Worten: Die ‚kritisierte Kritik‘ der Frauen in dem Bericht über den Flohmarkt wird auch in der aktuellen DiskussionsSituation reproduziert. In den Reaktionen der beteiligten Frauen scheint durch, dass es auch jetzt keine einheitliche Meinung zu dieser Art des ehrenamtlichen Engagements gibt. Die offizielle Proklamation des Clubs wird, so zeigt das Beispiel Flohmarktveranstaltung, von den Frauen nicht mitgetragen, sondern unterlaufen. Eine offene Auseinandersetzung darüber findet nicht statt. Kritische Äußerungen zu Club-Aktivitäten werden von der Präsidentin als gemeinschaftsschädigend gerügt und vor der Vergleichsfolie männlicher Verhaltensweisen als typisch frauenspezifisch gebrandmarkt.
Solidarität versus Interessehandeln Aktuell hat der Club Schwierigkeiten, jüngere Frauen als Mitglieder zu gewinnen. Die jüngere Frauengeneration lehne ehrenamtliche Arbeit ab bzw. habe wenig Interesse, in die Fußstapfen der älteren Clubmitglieder zu treten. Wieder ist es die Präsidentin, die das Thema – dieses Mal im Generationenvergleich – aufspannt und analysiert. Ihrer Einschätzung nach zeigen jüngere Frauen wenig Bereitschaft für Solidaritätsarbeit. Zum einen hätten sie kaum Kapazitäten, sich neben Familie und Karriere um wohltätige Belange zu kümmern. Zum anderen seien sie stärker an der Durchsetzung und Wahrung eigener, vor allem beruflicher Belange interessiert. In der folgenden Gesprächspassage berichtet sie über ein jüngeres Club-Mitglied, das offen legt, wie sie die internationale Vernetzung des Clubs zugunsten eigener beruflicher und privater Interessen nutzt: C:
Ich war grade in A-Stadt und habe ein junges Clubmitglied, das ist die Tochter von unserer Area-Direktorin, die ist 30-jährig, und die ist jüngstes Mitglied bei ihrer Mutter im Club, gefragt, Betriebswirtin fertige, sie sollte mal aus ihrer Sicht sagen, was sie vom Club erwartet. Das fand’ ich eigentlich ganz interessant. Und dann fuhr sie aus, sie hätte sich überlegt, ob sie artig sein sollte, weil die anderen nun viel älter sind oder was. Und dann haben wir gesagt, sie soll ehrlich sein. So. Für sie war das Netzwerk ein ganz anderes, also einmal beruflicher Art und zum anderen, sie nutzt es intensiv und ich hab’ ihr dann auch eine Adresse gegeben von Zypern. Ja, und sie nutzt das! Wenn sie Urlaub macht, guckt sie, welcher B-Club da in der Nähe ist, ruft rechtzeitig an oder macht Email-Kontakte und lässt sich von den Leuten das Land zeigen. Und sie sagt, sie hätte dort ganz tolle Begegnungen, sie hat auch etwas kaufen wollen in Italien und da brauchte sie Rat, juristischer Art. Hat sie zwei Mitglieder angerufen, zwei Rechtsanwältinnen, die haben das dann auch mit ihr verhandelt. Da
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sagt sie: ‚Da fühlte ich mich schon sicherer halt‘. Und sie war ganz erstaunt darüber, wie schnell das alles funktioniert hat.
Der Club als Plattform für ehrenamtliches Engagement steht einer Indienstnahme der Organisation gegenüber, in der der Netzwerkgedanke für eigene, berufliche und private Interessen im Vordergrund steht. In der Schilderung schwingt eine ambivalente moralische Bewertung mit: Zum einen wird jüngeren Frauen, die neben Familienarbeit und Berufstätigkeit kaum Freiräume für ein Ehrenamt haben, Verständnis entgegengebracht. Auch scheint durch, dass die private Nutzung von Club-Kontakten (in diesem Fall die beruflichen Kompetenzen der Mitglieder) eine Art Offenbarung für die älteren Clubmitglieder ist. Der Club ermögliche eine Infrastruktur für eigene Interessen, die von den älteren Frauen des Clubs nicht in dieser Art und Weise genutzt wird. Zum anderen – und das ist die Kehrseite der Medaille – hintergehen die jüngeren Frauen so das eigentliche Ziel und den Zweck des Clubs, nämlich die eigenen Privilegien nach dem Motto ‚Eigentum verpflichtet‘ zu nutzen, um anderen zu helfen. Die zukünftige Arbeit des Service-Clubs wird durch die jüngere Frauengeneration in Frage gestellt, weil sie das ehrenamtliche Engagement der älteren Club-Mitglieder, die ihre Privilegiertheit in den Dienst karitativer Bemühungen stellen, nicht mittragen. Das ehrenamtliche Engagement der älteren Frauen findet bei den Jüngeren wenig Anerkennung. Das Konfliktpotenzial ehrenamtliches Handeln versus Interessehandeln entzündet sich nicht nur entlang der Achse Generation. Auch zwischen den älteren Frauen des Clubs gibt es unterschiedliche Haltungen gegenüber einem verpflichtenden sozialen Engagement. Dabei wird offenkundig, dass die „Visionen“ des Clubs nicht von allen Mitgliedern mitgetragen werden. Das „Hauptziel, die Stellung der Frau weltweit zu verbessern“, wie es eine der Teilnehmerinnen im Rekurs auf die offizielle Club-Proklamation heißt, wird als vorgegeben entlarvt: B:
C: D: C: D:
Ich denke, dass der Punkt Solidarität eine größere Rolle spielt als Interessehandeln bei uns, also dieser Netzwerkgedanke, also bei uns speziell im Club. Wobei die Solidarität vielleicht nicht immer genügend auf uns selber gerichtet ist, sondern wir haben häufig Ziele, wie gegen die Beschneidung der Frauen, ist ja so ein weltweites Ziel von uns Ja das hat aber damit zu tun, dass unser Hauptziel ist, die Stellung der Frau weltweit zu verbessern. vorgegebene Ziele Das ist unsere vorgegebene Vision, und da gehört dieses Programm mit hinein. |_ja, ja
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Die eindeutige Prioritätensetzung der ‚Solidarität mit anderen‘ ist konsequenzenreich, denn sie verhindere ein Gefühl der Verbundenheit in den eigenen Reihen. Die Auseinandersetzung darüber ist spannungsgeladen. Die Präsidentin des Clubs korrigiert diese kritische Einschätzung richtungweisend. Das Hauptziel des Clubs sei es, der Benachteiligung der Frauen weltweit entgegenzuwirken. Mit anderen Worten, der Club biete nicht den Rahmen für eine selbstgerichtete Unterstützung. Der Club sei kein Selbsthilfeverein. An Schärfe gewinnt die Auseinandersetzung, weil die Gemeinwohl-Perspektive des Clubs als eine von ‚oben‘ oktroyierte Vorgabe wahrgenommen wird. Die Organisation entscheide über das ehrenamtliche Engagement der Frauen. Implizit wird damit von einigen Frauen des Clubs ein Bedürfnis nach einem Gemeinschaftshandeln ausgedrückt, das eigene Belange in den Mittelpunkt des Clublebens stellt. Die konträre Sicht der Frauen auf die Vorgaben des Verbandes rüttelt an den Grundfesten der Gruppe. Das Organisationsziel wird an der Basis nicht mitgetragen – vielmehr widerwillig hingenommen. Unter den vier Frauen der Gruppendiskussion identifiziert sich lediglich die Präsidentin mit den „vorgegebenen Zielen“. Die Kritik an den Vorgaben berührt ihre Autorität und stellt zudem auch ihre Leitungsfunktion in Frage.
Männer und Frauen im Geschlechtervergleich Wie in den Gruppen anderer Milieus auch werden von den Frauen typisch weibliche und männliche Orientierungen und Verhaltensweisen gegenübergestellt und bewertet. Wie bereits an den Auseinandersetzungen der Frauen beim Thema ‚Ehrenamt‘ deutlich wurde, denken und bewerten sich die Frauen im Geschlechtervergleich. Die Orientierungen und Verhaltensweisen in Herrenclubs sind dabei die Referenz, wenn es darum geht, das eigene, nämlich ‚weibliche‘ Verhalten kritisch zu hinterfragen. Im folgenden Gesprächsabschnitt wird eine Episode geschildert, die eine der Teilnehmerinnen selbst erlebt hat und mit der sie die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Verhalten von Frauen und Männern noch einmal pointieren kann. C:
Aber das ist zum Beispiel der Unterschied. Ich denke an das Fest in C-Stadt. Und da war im Abendprogramm was, was nicht so toll war. Ich gehe auf die Toilette und treffe da 18 C-Städterinnen, die jüngeren C-Städterinnen, die alle betreten sind und sagen: ‚Das ist nicht das Level unseres Clubs!‘ Da sag ich: ‚Wie ist denn das zustande gekommen?‘ ‚Ja das hat die Frau so und so mit der gemacht.‘ Ich sag: ‚Wieso? Haben sie das nicht vorher gewusst, was sich da abspielt, wenn sie 50 Jahre feiern?‘. Sagen sie: ‚ Nein‘. Hab’ ich gesagt: ‚Da müssen Sie aber mit dem Ergebnis heute Abend zufrieden sein und ein lä-
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D: C:
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chelndes Gesicht dazu machen.‘ Das geht doch nicht, dass sie jetzt schon während des Abends anfangen, Kritik zu üben und nicht mehr in den Saal zurückgehen. Männer hätten sich hingesetzt, ne Zigarre geraucht, nen Cognac genommen und gesagt: ‚Der Abend geht auch so rum‘. Das ist der Unterschied. Am gleichen Abend angefangen zu kritisieren, was da schief läuft. Da stellt sich die Frage: Wie viel Korpsgeist oder Disziplin und wie viel Spontaneität man |_Ja das ist schon die Spontaneität, aber man muss auch irgendwann ein Ziel vor Auge haben und das durchführen. Also es kann nicht sein, dass hier Befindlichkeiten komplett eingebracht werden. Man muss halt auch mal über seinen Schatten springen, finde ich.
Die Reaktionen der Frauen auf die Darbietungen im Rahmen eines festlichen Abendprogramms anlässlich eines 50-jährigen Club-Jubiläums werden als spezifisch weiblich charakterisiert und von der Erzählerin scharf kritisiert. Das Fernbleiben vom Festakt bzw. der gemeinsame Rückzug auf die Damentoilette sei unangemessen und unangebracht, zumal sich die Frauen nicht aktiv bei den Vorbereitungen beteiligt hätten. Ohne Umschweife wird den Frauen ihr unschickliches und ungebührliches Verhalten vor Augen geführt und vor der Vergleichsfolie des Mannes bzw. männlicher Verhaltensweisen abgewertet: ihr Herumnörgeln in der Situation ebenso wie ihr Unvermögen, Contenance zu bewahren. Männer würden sich in solchen unangenehmen Situationen anders verhalten; sie nähmen missliche Lagen zur Kenntnis und versuchten, eine gute Miene zum bösen Spiel zu zeigen. Sie hätten sich mit Zigarren und einem Cognac nicht jeglichen Genuss verderben lassen und sich den Abend so angenehm wie möglich gestaltet. Während Frauen ihre Selbstkontrolle verlören, wären Männer in der (unangenehmen) Situation möglichst angenehm verharrt. Sie behielten Selbstkontrolle und hätten das unausweichliche Ende des Abends abgewartet. Die Episode auf der Damentoilette im Rahmen einer Festveranstaltung weist Parallelen zur Flohmarktveranstaltung auf, die bereits am Anfang der Fallbeschreibung dargestellt wurde. Beide Situationen werden ähnlich bewertet, denn hier wie da könnten Frauen nur schwer von ihren aktuellen Befindlichkeiten absehen. Zugleich wird augenfällig, dass sich die Kontextbedingungen der beiden Situationen ähneln. Sowohl auf der Flohmarktveranstaltung als auch auf dem Festakt werden die Club-Mitglieder mit Vorgaben konfrontiert, die sie nicht selbst mitbestimmt haben. Am Beispiel Flohmarkt konnte gezeigt werden, dass die Gemeinwohlperspektive des Clubs nicht von der Basis mitgetragen wird. Das Ventil des Unmuts war im Fall des Flohmarkts die offene und lautstarke Ablehnung einzelner Mitglieder rsp. das Fernbleiben von der Verkaufsveranstaltung überhaupt. Das Beispiel der Frauen auf dem Festakt zeigt, dass die Mitglieder eines Clubs ein Abendprogramm konsumieren, über das sie im Vorfeld nicht in
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Kenntnis gesetzt wurden. Das Ventil des Unmuts ist in diesem Fall die spontane Versammlung auf der Toilette und das Kritisieren hinter dem Rücken der Verantwortlichen. In diesem ‚subversiven Akt‘ demonstrieren sie ihre Ablehnung.
Exklusivität qua Geschlecht Im Hinblick auf das Ziel des Clubs, die Bedingungen der Möglichkeit von weiblicher Emanzipation zu fördern und mitzugestalten, wird die eigene Situation als Frau nicht als Interpretationsfolie für die Bewertung des Geschlechterverhältnisses herangezogen. Diskriminierung und Marginalisierung widerfährt anderen Frauen. Diese Selbstbestimmung teilt der Club mit den Frauengruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten, denn auch hier wird die Selbstverortung im Rahmen der Geschlechterordnung nicht hinterfragt und problematisiert. An diesem Punkt sind sich die Frauen einig. In dem folgenden kurzen Dialog kommen die Clubfrauen zu dem einvernehmlichen Ergebnis, dass der Begriff der Emanzipation für die Beurteilung der eigenen Lebenssituation nicht zutrifft: D:
C: D: C:
Ich habe selber nie gemeint, mich emanzipieren zu müssen. Also das war über die Erziehung bei mir längst gelaufen. Da habe ich wirklich einen anderen Weg gehabt ja, würde ich für mich auch so sehen. Ich kenn’ das gar nicht |_nee, ich auch nicht emanzipiert ist für mich ein Wort, das ich für mich selbst nicht anwende
Die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht impliziert für die Club-Frauen keine Ungleichheitserfahrungen. Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen qua Geschlechtszugehörigkeit weisen die Frauen des Clubs explizit von sich. Emanzipation wird für die eigene Lebenssituation als nicht notwendig erachtet. Damit wird zweierlei deutlich: Zum einen wird Distanz gegenüber den anderen Frauen ausgedrückt. Zum anderen unterstreichen die Club-Frauen aber auch ihre ‚uneigennützigen‘ Motive in der unentgeltlichen sozialen Arbeit für andere, auch wenn dies, wie ausgeführt, nicht einvernehmlich geschieht. Das Privileg der gesellschaftlichen Überlegenheit ist der Motor, die Emanzipationsbemühungen der benachteiligten Frauen weltweit zu unterstützen. Die Frage der Interviewerin nach den Erfahrungen in einer weiblichen Gemeinschaft provoziert in der Gruppe eine bereits öfters geführte Diskussion zum Thema, ob die Gruppe nicht auch Männer aufnehmen sollte. Die Debatte scheint noch nicht ausgestanden. Eine Öffnung wurde bislang – wenn auch nicht von allen Frauen – mit dem Argument abgelehnt, dass sich die Gruppe über den
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Ausschluss von Männern legitimiere und mit Männern ihre „besondere Daseinsberechtigung“ verliere: B:
C: A: B: A:
Ich denke, wenn Frauen karrierebewusst denken, ist es auch legitim, dann ist das noch mal was ganz anderes im gemischten Club (..) Also, ich bin immer so bei den Diskussionsfronten, die wir mal hatten, ob Männer aufgenommen werden sollen, auf der Seite der Gegner gewesen. Nicht, weil ich was gegen Männer hab’, sondern weil ich denk’, dann haben wir keine besondere Daseinsberechtigung. Dann sind wir irgendein Club ohne eigentliches Ziel. Also ich find es ganz schön, dass wir nur Frauen sind. |_Ja find’ ich auch. Ich sehe darin unsere Legitimation. Find ich auch.
Die Erfahrung des Lebens in einem privilegierten Milieu ist konstitutiv für das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein der Frauen. Neben dem Privileg der sozialen Herkunft legitimiert Geschlechtsexklusivität das Dasein des Clubs und stiftet Identität. In der kurzen Gesprächssequenz über eine mögliche Öffnung für Männer dokumentiert sich das einvernehmliche Bedürfnis nach Gruppenidentität und umgekehrt: die Angst vor Identitätsverlust. Ohne den Fokus auf Exklusivität in Form und Ziel verliert der Club sein Gesicht. Die Formulierung: „Dann sind wir irgendein Club ohne eigentliches Ziel“ bringt den Gesichtsverlust auf den Punkt. Die Besonderung der Gruppe liegt also in ihrer Milieu-Gebundenheit. Daran gekoppelt ist die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht. Trotzdem gibt es in der Gruppe Überlegungen, die ein gemischtgeschlechtliches Gemeinschaftserleben durchaus rechtfertigen könnten. Die Vorteile werden im Hinblick auf Karriereinteressen und -erwartungen von Frauen formuliert, sprich: ein Club, in dem Männer mit dabei sind, ist der Karriere förderlicher, weil diese meist über Positionen verfügten, zu denen Frauen weniger Zugang hätten. Während des Gruppengesprächs klaffen auch hier wieder zwei Positionen auseinander. Auf der einen Seite gibt es die Fürsprecherinnen für eine Strategie, die Vernetzung im Club für eigene Karriereinteressen zu nutzten. Diese Frauen signalisieren ein wohlwollendes Verständnis dafür, wenn – vor allem jüngere Frauen – einen Rahmen suchen, der sie in ihrem beruflichen Fortkommen unterstützt. Anders die Position der Präsidentin: Sie moralisiert diese karrieristischen Ambitionen, weil die Verfolgung individueller berufsbiographischer Ziele nicht mit dem formulierten Gemeinwohlanspruch des Clubs und seiner Ziele zu vereinbaren ist. Der folgende Interviewausschnitt dokumentiert ihr heikles Unterfangen, diese beiden unterschiedlichen Standpunkte zu vereinheitlichen. Der Wunsch von Frauen nach Karriere wird nämlich als unrealistische Vorstellung kurzer Hand abgewertet. Beruf und Familienleben sowie das Ehrenamt in einem
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Club seien nicht zu vereinbaren, das Karrieremodell à la Ministerin ‚Hohlmeier‘ maßlos: C: A: C:
Aber was du vorhin ansprachst mit der Karriere von Frauen, ich meine, stell’ es dir doch vor. Das sind immer so Wunschvorstellungen: Beruf, Kinder |_Familie Familie, und dann sollst du noch Ehrenmitgliedschaften und- und- und haben. Wie soll man das machen? Ich hab’ die Kinder und Beruf miteinander verbinden können, weil ich einen sehr liberalen Mann hatte, der sehr eingesprungen ist in den Zeiten. Ich hatte keine Großeltern, die mir die Kinder abgenommen haben. Und wenn ich nicht dessen Einstellung gehabt hätte, wo er mich auch oft gestützt hat und gesagt hat: ,Hör dir das nicht an und das geht schon alles in Ordnung‘, wäre das längst nicht so gegangen, dann hätte ich auch aufhören müssen mit dem Beruf. So habe ich nie aufgehört, aber das ist nur, weil mein Mann gesagt hat: ,Du kannst deine Wurzeln haben und solange das vereinbar ist mit der Gesundheit der Kinder, dann kann das sein‘. Aber wenn nicht, dann muss man es halt ändern. Ja und ich meine, das sind immer so Wunschvorstellungen, dass man also Ministerin sein soll mit 40 Jahren wie die Hohlmeier. Ich mein’, die hat halt einen ganz anderen Background und kann ganz anders diese Versorgung sich abnehmen. Ich meine, das hat nicht jeder diese Möglichkeit. Du hast ne Tochter, die auch kleine Kinder hat. Das geht auch nur mit Schwierigkeiten. Die wird auch nicht eine Karriere als Oberärztin, als Professorin ohne weiteres machen können. Da muss man eben Abstriche machen. Das ist doch sonst realitätsfremd.
Die Vereinbarkeit der verschiedenen Lebensbereiche, wie sich Frauen das wünschen, ist schwierig und voraussetzungsvoll. Die Präsidentin des Clubs exemplifiziert diese individuelle Perspektive an ihrer eigenen Geschichte. Allerdings argumentiert sie mit umgekehrten Vorzeichen, d.h. sie erzählt, wie es ihr in ihrem Leben trotz widriger Umstände gelungen ist, die Problematik der Vereinbarkeit zu entschärfen. Dabei hebt sie vor allem die liberale Einstellung ihres Partners hervor, auch wenn dessen wohlwollende Haltung ihren beruflichen Interessen gegenüber an Bedingungen geknüpft war, die sie zu handhaben hatte. Bemerkenswert an den rekonstruierten familiengeschichtlichen Eckdaten und deren Wertung ist, dass die Erzählerin in einer traditionellen Geschlechterordnung verhaftet ist und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auch nicht in Frage stellt. Die Familie bleibt trotz Berufstätigkeit ihr Zuständigkeitsbereich. Im Kontext der Auseinandersetzung um ‚weibliche‘ Karrierestrategien ist die oben aufgeführte Passage auch ein Plädoyer für mehr Genügsamkeit, zumindest liegt die Interpretation nahe, dass nur diejenigen (vor allem jüngeren) Frauen ein Vereinbarkeitsproblem haben, die maßlose Ansprüche hegen. Zwar wird mit dem Hinweis auf die Problematik der Vereinbarkeit eingestanden, dass eine
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Mitgliedschaft in einem gemischt-geschlechtlichen Club karrierestrategisch von Vorteil sein könnte, letztlich wird aber argumentiert, dass Frauen mit derlei Ambitionen einem Trugschluss aufsitzen würden, weil sie die Problematik der Vereinbarkeit unterschätzten. Das Karrieremodell einer ‚Ministerin Hohlmeier‘ bleibt Fiktion und hat mit der realen Lebenspraxis von Frauen wenig zu tun. Mit dieser argumentativen Schleife, in der die karrierestrategischen Erwägungen über die Mitgliedschaft in einem gemischt-geschlechtlichen Club entwertet werden, will die Präsidentin die Frauen am Gespräch wieder ein Stück weit ins gemeinsame Boot der weiblichen Gemeinschaft holen.
4.2 Fallübergreifende Deutungsmuster und Strukturhypothesen: Privilegiert-Sein und Statusdifferenzierung Konstitutives Merkmal der Frauengruppen aus dem Bildungsmilieu der gehobenen Gesellschaftsschicht ist das Mischungsverhältnis aus Geschlechtszugehörigkeit und Klassenlage bzw. Klassenbewusstsein, also die Art und Weise, wie die Frauen Erfahrungen interpretieren, die sie in einer spezifischen sozialen Lage machen. Mitglied in einem exklusiven Club zu sein ist dabei Ausdruck und Reaktion eines geteilten Exklusivitäts- und Distinktionsbedürfnisses. Die ClubMitgliedschaft gilt als Erkennungszeichen der sog. Guten Gesellschaft. Ihr soziales und gesellschaftspolitisches Engagement als Frauen der Elite fußt auf einer standesbewussten (Selbst-)Verpflichtung und Verantwortung, die ihnen qua gesellschaftlicher Position auferlegt ist. Zugleich changieren sie in ihren geschlechtsspezifischen Selbstbildern zwischen männlichen Vorgaben und einem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber ‚anderen‘ Frauen, denen gemeinhin ihr soziales und gesellschaftspolitisches Unterstützungsinteresse gilt. Im milieuinternen Vergleich werden im Folgenden kollektive Orientierungen und gemeinsame Wissensrepertoires der Frauengruppen aus der sog. gehobenen Gesellschaftsschicht skizziert. Als konstitutives Merkmal der Club-Szene erweist sich dabei die Geschlossenheit der Gemeinschaft (Pkt. 4.2.1), die von den Frauen selbst über eine exklusive Aufnahmepraxis geregelt und kontrolliert wird. In den exklusiven Praxen entsteht und reproduziert sich ein Wissen darum, etwas Besonderes zu sein. Der Club wird zum Erkennungszeichen der Zugehörigkeit in der sog. guten Gesellschaft. (Pkt. 4.2.2). Als Service-Organisationen übernehmen die Club-Frauen eine soziale und gesellschaftspolitische Verantwortung, die ihnen qua privilegierter gesellschaftlicher Stellung obliegt. Obwohl clubintern die Meinungen über das ‚auferlegte‘ soziale Engagement auseinander gehen und sich dahinter ein Spannungsverhältnis zwischen der Club-Organisation und ihren Mitgliedern an der Basis verbirgt, dokumentiert die Wohltätig-
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keitspraxis ein distinktes Verhalten, eine für den Erhalt der eigenen sozialen Position wichtige Status-Arbeit. Mit Blick auf Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit erfahren und problematisieren die Clubs ihre weibliche Gemeinschaft vor der Vergleichsfolie ‚Herrenclub‘. In diesem omnipräsenten Vergleich vor der Normalitätsfolie Herrenclub (Pkt. 4.2.3) werden traditionelle Geschlechterstereotype reproduziert und das eigene, nämlich weibliche Verhalten als defizitär gedeutet. Im generellen Vergleich mit ‚anderen‘ Frauen fällt die Bewertung allerdings anders aus. Die Club-Frauen wehren sich gegen eine vereinheitlichende strukturelle Problembestimmung im gesellschaftlichen Raum, Geschlechtszugehörigkeit allein ist kein verbindendes Element von Frauen. Aufgrund ihrer privilegierten Herkunftsbedingungen sehen sich die Frauen aus der gehobenen Gesellschaftsschicht nicht in der Notlage, für die eigene Chancengleichheit im Geschlechterverhältnis zu kämpfen. Emanzipation ist das Thema ‚anderer‘ Frauen (Pkt. 4.2.4).
4.2.1 Die Geschlossenheit der Gemeinschaft: „…weshalb sollten wir davon Abstand nehmen?“ Die Rekrutierung der Mitglieder erfolgt in allen Gruppen der sog. gehobenen Gesellschaftsschicht über das Kooptationsprinzip, d.h. neue Clubmitglieder werden über persönliche Vorschläge und über Referenzen der alteingesessenen Clubmitglieder eingeladen und aufgenommen. Zwar besteht prinzipiell die Möglichkeit, sich in einem Club zu bewerben – in den Gesprächen mit den verschiedenen Gruppen wird diese Möglichkeit auch auf explizite Nachfrage hin genannt –, die Praxis der Aufnahmeregelung ist allerdings eine andere. In den verschiedenen Gruppen unseres Samples wird die ‚externe‘ Aufnahmemöglichkeit als Ausnahme erwogen, aber nicht durchgeführt. Diese exklusive Rekrutierungsstrategie im Bildungsmilieu der gehobenen Gesellschaftsschicht erweist sich als Grenzziehung nach außen und gewährleistet die Geschlossenheit der Gemeinschaft im Innern. Die folgende kurze Gesprächssequenz gibt in exemplarischer Weise wieder, dass die Frauen an diesem Exklusivitäts-Anspruch festhalten und es keinen Grund gibt, dieses Prinzip der sozialräumlichen Geschlossenheit aufzuweichen. Zwei Mitglieder eines Clubs, der sich u.a. zur Aufgabe macht, junge Künstlerinnen aus der Region zu fördern, verdeutlichen der Interviewerin, dass ein spezifischer Umgangsstil, über den die Gruppe verfügt und den sie für sich in Anspruch nimmt, Aufnahmebeschränkungen hinsichtlich neuer Mitglieder nahe legt. Das bei der Rekrutierung neuer Mitglieder praktizierte „Vorschlagsrecht“ aus den eigenen Reihen verbürgt die Homogenität der Gemeinschaft im Hinblick auf Gepflogenheiten und Weltsicht.
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Die Frauen kommen aus denselben gesellschaftlichen Kreisen, in denen ein bestimmter „Umgang“ miteinander gepflegt wird, sie sind miteinander befreundet oder zumindest bekannt. Dazu gehört auch, dass eine Clubmitgliedschaft der Väter zur Familientradition gehört und in diesem Sinne ‚vererbt‘ wird. Wie bereits in der Falldarstellung deutlich wurde (vgl. Pkt. 4.1), übernehmen einige Frauen das von dem Vater vorgelebte gesellschaftliche Engagement in einem Club. Durch diese familialen ‚Club-Traditionen‘ wird einmal mehr offensichtlich, dass es sich hierbei um gesellschaftliche Kreise handelt, die – auch über Generationen hinweg – unter sich bleiben. B:
D: B:
es gibt ein Vorschlagsrecht, von dem wir immer Gebrauch machen. Schauen Sie, es ist ein bestimmter Umgang, den wir pflegen, und weshalb sollten wir davon Abstand nehmen. Die nette Dame – ich weiß jetzt nicht den Namen |_ja Frau X ja Frau X, also, äh, sie ist mit ihrer Familie von XY (Namen einer Stadt) hierher gezogen und ihre Familie ist schon bekannt – auch von einer unserer Clubdamen – also in Freundschaft bekannt und es war damit klar, dass sie angesprochen wird von uns
Eine generelle Offenheit hinsichtlich neuer Mitglieder wird deutlich und einvernehmlich abgelehnt; vielmehr wird augenfällig, dass sich die ‚halb-öffentliche‘ Club-Szene über einen Sondierungsprozess sucht und erhält. Die habituelle Nähe wird über Konventionen und eine bestimmte Etikette („es ist ein bestimmter Umgang, den wir pflegen“) beglaubigt. Vor der Interviewerin muss dieser Hinweis genügen, weil diese distinkten Erkennungsmerkmale augenscheinlich symbolische Repräsentationen der gehobenen Gesellschaftsschicht sind. Dass dann doch ein Beispiel angeführt wird, das die Rekrutierungspraxis erläutert, bringt einen weiteren Aspekt zum Vorschein. Die „nette Dame“, der ein guter Ruf über eine „Clubdame“ vorauseilt, lässt sich auch als Hinweis interpretieren, dass die Clubs im öffentlichen Raum präsent sind und diesen zugleich auch mitstrukturieren. Auf dem Podium öffentlich-geselliger Veranstaltungen gehört das Sehen und Gesehen-Werden dazu. Die gesellschaftliche Regulierungsdichte ist hoch. Auch die Verantwortung der Alteingesessenen, denen es obliegt, über die In- und Exklusionsbedingungen zu wachen, kommt in allen Gruppendiskussionen implizit zum Ausdruck. Die Honorabilität und die öffentliche Reputation einer Familie einzuschätzen, bedeutet dann eben auch, über das Feld der sog. besseren Gesellschaft im Bilde zu sein. Für die elitäre Rekrutierungspraxis der Clubs bedeutet dies, dass die exklusive Regulierung nicht nur clubintern eine Rolle spielt, sondern über eine weitere – aber eben auch exklusive – Gesellschaft gewährleistet werden kann.
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Zugleich, auch das liegt als Interpretation nahe, mag das Prestige der „nette Dame“, das hier als Beispiel für die exklusive Rekrutierungsstrategie aufgeführt wird, ein Indiz dafür sein, dass bereits der Vater, womöglich aber auch der Ehemann zum Netzwerk der Club-Szene gehört und sich nun ihr gesellschaftliches und berufliches Ansehen auf die Anwärterin überträgt. Diese Art der familialen Club-Tradition wurde bereits benannt. Ob dies allerdings auch für den umgekehrten Fall gilt, also dass das Ansehen einer Familie über die berufliche oder gesellschaftliche Stellung einer Frau bestimmt wird, kann hier nicht geklärt werden. Es liegt allerdings nahe, dass der hier vorliegende Fall patrilinear gedeutet werden kann, d.h. das Prestige der Familie wird über männliche Leistung und Ansehen tradiert. Bis hierher lässt sich resümieren: Im Vergleich mit anderen Milieus wird über das Kooptationsprinzip augenfällig, dass die Frauen der gehobenen Gesellschaftsschicht das vitale Interesse haben, die Grenzen nach außen und innen zu kontrollieren. Sowohl die Aufnahmepraxis als auch die Zugehörigkeit zu einem Club werden als Privileg und persönliche Besonderung erfahren und in den Gruppengesprächen auch regelmäßig herausgestellt. Selbstbewusst versinnbildlicht die Mitgliedschaft in einem Club die Zugehörigkeit zur sog. ‚guten‘ Gesellschaft, und vice versa wird die Zugehörigkeit zur gehobenen Gesellschaftsschicht zum entscheidenden Auswahlkriterium, wenn es darum geht, als neues Mitglied in einem Club aufgenommen zu werden. Die Vergemeinschaftung in einem Club lässt sich für die Frauen als Ausdruck und Reaktion eines geteilten Exklusivitäts- und Distinktionsbedürfnisses interpretieren.
4.2.2 Eine Club-Mitgliedschaft als Erkennungszeichen von Status und Privilegien: „Die Präsidentin des bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist auf jeden Fall Mitglied …“ Typisch für das Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht ist das Wissen um die eigenen Privilegien und ein Gespür für Statusdifferenz. Allein die Tatsache der Mitgliedschaft in einer exklusiven Gemeinschaft, so wurde bereits beschrieben, verbürgt eine solche elitäre Differenz. Auserwählt zu sein in den Kreis derjenigen, die über das Zugangsrecht wachen, privilegiert die Gemeinschaft über gemeinsame Zuschreibungen. In den verschiedenen Statuten der Clubs steht ausdrücklich geschrieben, dass die Frauen die „verschiedenen beruflichen Bereiche in führender Funktion“ repräsentieren sollen. Auch wenn nicht alle Frauen diese gesetzten Ansprüche an eine Führungsfunktion erfüllen, so ist doch der überwiegende Teil der Frauen in beruflichen Bereichen tätig, die den klassischen Professionen mit hohem gesellschaftlichen Ansehen zuzurechnen sind (Juristin-
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nen, Ärztinnen, Ökonominnen). Aus den Sozialdaten wird zudem ersichtlich, dass alle Club-Mitglieder ausnahmslos über hohe (akademische) Bildungsabschlüsse und höhere (prestigeträchtige) Berufspositionen verfügen. Im Kontext der Frage, ob die Frauen auch Kontakte zu anderen ‚weiblichen Zusammenschlüssen‘ pflegen, wird augenfällig, dass die Club-Szenen unter sich bleiben. Außer im Rahmen ihres Mäzenatentums und ihrer finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für soziale Hilfsprojekte, auf die noch eingegangen wird, haben die Frauen weder Kontakt mit den verschiedenen Initiativen, Projekten oder Interessengemeinschaften des akademischen Bildungsmilieus noch zu den Frauengruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten. Zu anderen Clubs aus dem eigenen Milieu werden hingegen Kontakte gepflegt. Alle Clubs praktizieren, das wurde bereits beschrieben, eine rege Präsenz im öffentlichen Raum elitärer gesellschaftlicher Kreise. Dabei vertreten die Frauen vor allem ‚ihren‘ Club. Und es bleibt nicht aus, dass die verschiedenen Clubs auf diesem öffentlichen Parkett auch konkurrieren, Rivalitäten wahrnehmen und deuten. Hierbei dokumentiert sich noch einmal, dass die bloße Mitgliedschaft in einem Club Exklusivität und Distinktion bedeutet, aber ebenso das Image eines Clubs über das Ansehen der jeweiligen Frau entscheidet. Das Kriterium, anhand dessen das Prestige und die gesellschaftliche Geltung eines Clubs bemessen werden, sind der berufliche und somit der gesellschaftliche Status der jeweiligen Club-Mitglieder. In dem Bemühen, das Prestige des eigenen Clubs herauszustellen, werden immer wieder Mitglieder beim Namen genannt, deren Ansehen in der Öffentlichkeit (und somit auch bei den Wissenschaftlerinnen) als bekannt vorausgesetzt werden. So auch im folgenden Gespräch. Hier vergleichen die Frauen den eigenen Club (B-Club) mit einem anderen Club (A-Club) und diskutieren kontrovers über Motive und Umstände einer Konkurrenzsituation. Eine Gesprächsteilnehmerin deutet die Rivalitäten der Clubs als ein Wetteifern um die Aufmerksamkeit in der öffentlichen Presse. Die Clubs seien jeweils auf Spenden angewiesen, und die wiederum fließen (mehr oder weniger) durch die medienwirksame Vermarktung der Hilfsaktionen. Andere Teilnehmerinnen am Gespräch interpretieren die Rivalitäten der Clubs im Hinblick auf den Status und das Prestige ihrer Mitglieder. Das „who ist who“, so erfahren wir, gibt Aufschluss über das Ansehen eines Clubs: D: E: B: D:
also der A-Club hat die Meinung, dass sie ein Eliteverein sind |_elitär, ja denkst du wirklich? Ja, aber woher das kommt, weiß ich nicht. Aber ich hab’ Freundinnen, wie ich denen sagte, ich werde Mitglied bei B-Club, haben die praktisch die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und sagten: ‚Du, da würde ich doch vorher noch den A-Club in der Stadt ansprechen‘. Also ich kann das nicht nach-
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B:
D: E: B: D: B: D:
vollziehen, woher das kommt. Aber es ist, finde ich, auch bei den Männern gibt’s zwischen den Clubs so was Ähnliches wie Konkurrenzdenken. Es ist schon auch mit Eitelkeiten auch schon belastet. Also ich merke das schon, wenn ich sage, ich bin B: Warum nicht A-Club? Wir leben ja davon, wenn wir Spenden einwerben oder unsere Tombolapreise, dass wir bekannt sind. Und die Bereitschaft der hiesigen Presse, etwas über Serviceclubs zu schreiben, ist sehr gering. Keiner von uns will ja persönlich bekannt werden, aber der Name B-Club muss öfter erwähnt werden, weil uns das hilft beim Spenden. Und da könnte eventuell eine Konkurrenz – wer steht halt öfter in der Zeitung. Ansonsten weiß ich gar nicht, mit wem man konkurrieren könnte. Na ja, wenn du guckst, die Mitglieder, das ist schon anders bei A. Kann ich dir mal mitbringen. Also auch gegenüber B-Club |_ja, das ist doch das who is who. Also das |_ist ja auch ein anderer Pool nein, die A’s sind noch mal anders, sag’ ich dir Die Präsidentin des bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist auf jeden Fall Mitglied bei B-Club ja, aber schau’ dir doch mal die Liste von A an
In sehr deutlicher Weise wird hier ein Ranking der Clubs auch innerhalb der gehobenen Gesellschaftsschicht zum Ausdruck gebracht. Bemerkenswert ist, dass für D, die Wortführerin der oben aufgeführten Passage, das Ansehen eines Clubs bei der eigenen Entscheidungsfindung nicht maßgebend war. Anscheinend hatte sie mehrere Optionen und wählt einen Club, der angeblich über weniger Ansehen innerhalb der Club-Szene verfügt. Die drastischen Reaktionen ihrer Freundinnen ob ihrer Wahl für einen Club, der angeblich über weniger Prestige verfügt, sind für sie zunächst unverständlich. Dies scheint sich zu ändern, denn im Laufe ihrer Argumentation übernimmt sie sukzessive diese Fremdeinschätzung („die A’s sind noch mal anders“, „ja, aber schau dir doch mal die Liste von A an“) und beharrt nun ebenso auf einer Image-Hierarchie der Clubs. Der eigene Club könne im Vergleich mit dem Referenz-Club A keine Mitglieder vorweisen, die über herausragende gesellschaftliche Positionen verfügten. Im Gegensatz zum eigenen Club präsentiere A-Club die Elite der (Orts-)Gesellschaft. Obwohl nicht alle anwesenden Frauen diese Einsicht teilen, dokumentiert sich in der Debatte zweierlei: Zum einen verweist das ‚Benchmark der Eitelkeiten‘ auf das Bedürfnis der Frauen nach Zugehörigkeit zur ‚guten Gesellschaft‘. Durch eine Club-Mitgliedschaft definieren sich die Frauen in eine spezielle Gruppe von Frauen der gehobenen Gesellschaftsschicht hinein und vice versa sagt die Mitgliedschaft in einem bestimmten Club etwas über den Status der jeweiligen Mitglieder aus. Zum anderen bringen die Frauen ihr Gespür für Statusdifferenz innerhalb ihres Milieus zum Ausdruck. Die Praxis der sozialen Schließung und der
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Erhalt soziokultureller Grenzen gelingen so unter der Hand auch über die Wahrnehmung der Unterschiede im eigenen Milieu. Im Vergleich der Clubs dokumentiert sich das Distinktionsbedürfnis auch innerhalb der gehobenen Gesellschaftsschicht.
4.2.3 Ehrenamtliches Engagement und Status-Arbeit: „ich denke, dass wir uns hier gemeinsam dieser Verantwortung stellen müssen“ Die verschiedenen Clubs verstehen sich allesamt als Service-Organisationen: Netzwerke, in denen Begegnung, Freundschaft, internationale Verständigung und vor allem kulturelles und soziales Engagement groß geschrieben werden. Im Vergleich mit den männlichen Pendants (Rotarier, Lions-Club u.ä.) unterstützen die Frauenclubs hauptsächlich Mädchen, Frauen und vor allem Frauenprojekte. Ihr Wirken ist regional, national und international. Auch dies ist in den jeweiligen Statuten verankert. Hier wird explizit darauf verwiesen, dass sich die Clubs der Aufgabe widmen, die „Stellung der Frau weltweit zu verbessern“. Das praktische Engagement der Club-Frauen konzentriert sich dabei vor allem in einer findigen Geldbeschaffungspraxis, nämlich über Wohltätigkeitsbasare, BenefizVeranstaltungen, Pressearbeit u.ä.. In den Clubs wird Geld gesammelt, um dies unterstützungswürdigen Organisationen und Projekten zu spenden. Einige Clubs vergeben auch Stipendien an besonders begabte und sozial engagierte junge Frauen oder, eine andere Variante der direkten Unterstützung, sie verleihen Preise für herausragende Leistungen von Mädchen und jungen Frauen in den Bereichen Kultur und soziale Arbeit. Während die Frauengruppen der anderen gesellschaftlichen Milieus nicht nur, aber auch in ihrem eigenen Milieu arbeiten (z.B. im Rahmen ehrenamtlicher Vereinsarbeit) und dabei solidarische Momente und eine gemeinsame Lebenslage (z.B. Nachbarschaftshilfe) eine Rolle spielen, beschäftigen sich die Frauen der Clubs im Rahmen ihres sozialen Engagements ausschließlich mit Milieus, die weit unter ihnen angesiedelt sind. Dabei treten die Frauen im Rahmen der ClubAktivitäten nur vermittelt und indirekt in den Kontakt mit denjenigen, denen ihr Unterstützungsinteresse gilt. Adressatinnen für Scheck-Überreichungen, die meist auch in der Presse öffentlichkeitswirksam vermarktet werden, sind meist Sozialarbeiterinnen von gemeinnützigen Vereinen oder Wohlfahrtsverbänden. Nur am Rande gibt es hierbei Berührungspunkte mit ihrer ‚Klientel‘, die sie unterstützen. So stehen beispielsweise die Frauen eines Service-Clubs, der auch in diesem Sample vertreten ist, im mehr oder weniger engen Kontakt mit den jungen Künstlerinnen, die sie finanziell fördern, bzw. deren Kunstwerke sie über Ausstellungs-Vermittlungen vermarkten.
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Insgesamt wird hier offensichtlich, dass die Wohltätigkeitspraxis der durchwegs gut situierten Club-Mitglieder auf eigenen Privilegien und dem Standesbewusstsein der Frauen basiert. Die Frauen wissen um ihren gesellschaftlichen Status, der ihnen Lebenschancen garantiert, die anderen verwehrt sind. Dieses ‚Ungleichheitsempfinden‘ ob der eigenen erreichten gesellschaftlichen Position verpflichtet sie, in den Dienst gesellschaftlicher Wohlfahrts-Belange zu treten oder – um es gemäß den Club-Statuten zu zitieren – „Dienst am Menschen“ zu leisten. Zugleich dokumentiert sich in der Noblesse ihres Engagements für gemeinnützige Zwecke ebenso ein Distinktionsbewusstsein und -bedürfnis: Über Ehrenamtlichkeit reproduziert sich ihre ‚gesellschaftliche Überlegenheit‘. Die Frauen leisten damit für den Erhalt der eigenen sozialen Position wichtige Status-Arbeit, denn mit dem Privileg ihres unentgeltlichen Engagements definieren sie sich in eine Geberinnen-Position. In Abgrenzung zu anderen werden die Differenzen ihrer standesgemäßen Privilegien konstituiert, legitimiert und reproduziert. Im folgenden Zitat kommt diese ‚gesellschaftliche Überlegenheit‘ exemplarisch zum Ausdruck. Ehrenamtliches Engagement wird mit Pflichtbewusstsein gleich gesetzt, das ihnen qua Stellung überantwortet wird. Der Club unterstützt u.a. ein regionales Obdachlosenprojekt für Frauen. Die eigene gesellschaftliche Position bindet sie an die Bürgerpflicht, eine Gemeinwohlfunktion zu übernehmen und dabei gesellschaftliche Verantwortung über Wohltätigkeit auszuüben. B:
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dieses Projekt zu unterstützen, weil es darum geht, die Lebenschancen dieser Frauen zu vermehren. Es ist aber auch, was vorhin schon gesagt wurde, eine Einstellung, die hier gepflegt wird, also Verantwortung zu zeigen für, eine positive Einstellung für diese problematischefür diese Problematik. Ein solches Ehrenamt ist für mich eine Verantwortung in gesellschaftlicher Hinsicht und ich denke, dass wir uns hier gemeinsam dieser Verantwortung stellen müssen.
In der Art und Weise, wie hier über das Wohltätigkeitsmotiv bzw. den eigenen Anspruch an ein solches ehrenamtliches Engagements gesprochen wird, kommt zum Ausdruck, dass die Frauen eine bestimmte Vorstellung einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsordnung transportieren, die es zwar zu mildern, aber letztlich zu erhalten gilt. Es geht, um es pointiert zu formulieren, nicht um eine ‚Umkehr der Verhältnisse‘, sondern um den Erhalt einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsordnung, in der die symbolischen Repräsentationen der traditionsreichen – oder zumindest als solche prätendierten – Herkunft zum Medium ständischer (modern ausgedrückt: elitärer) Selbstvergewisserung wird. Die Zugehörigkeit zur gehobenen Gesellschaftsschicht ‚verlangt‘ von den ausnahmslos wohl situierten Frauen, Verantwortung zu übernehmen. Die Clubs bieten dafür
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eine ausgezeichnete Plattform, denn hier kann, wie gezeigt wurde, ehrenamtliches Engagement statusgerecht praktiziert werden. Allerdings wird das Wohltätigkeits-Engagement, wie es in den Satzungen der jeweiligen Clubs festgeschrieben ist, nicht von allen Mitgliedern in gleicher Weise geteilt und mitgetragen. Für die jüngeren Club-Frauen beispielsweise hat das ehrenamtliche Engagement keine verbindende Pflicht mehr – zumindest wird ihnen dies von den älteren Club-Frauen so attestiert. Jüngere Frauen in der Familienphase mit noch kleineren Kindern hätten meist eine ‚ruhende Mitgliedschaft‘, d.h. sie nehmen meist nur an den geselligen Abenden der Clubs teil. Ein ehrenamtliches Engagement kommt für sie nicht in Frage. Jüngere Frauen ohne Kinder nutzen den Club meist für ihre persönlich-interessegeleiteten Motive. Sie nähmen beispielsweise ihre Club-Mitgliedschaft für ein gezieltes Networking im Hinblick auf berufliche Belange in Anspruch. Auch in den Gruppen der anderen Milieus wird die Generationenfrage ähnlich verhandelt. Die jüngeren Frauen werden durchwegs als weniger engagiert für soziale und allgemein-politische Belange beschrieben. Dies wird zum einen über ihr familiales Eingebundensein erklärt, zum anderen interpretieren die Frauen der mittleren und älteren Alterskohorte dieses fehlende Engagement auch als Ausdruck eines veränderten Zeitgeistes. Jüngere Frauen seien mehr an eigenem beruflichem Fortkommen interessiert als an gesellschaftlichem Engagement. Für die mittlere und ältere Frauengeneration der gehobenen Gesellschaftsschicht birgt das veränderte Engagement im Generationenvergleich im Hinblick auf ihr standesgemäßes Image die Gefahr, dass die jungen Frauen ihre Verantwortung für das Allgemeinwohl – mithin ein konstitutives Element ihres Standesbewusstseins – nicht mehr wahrnehmen. Mit anderen Worten: Das Festhalten am Prinzip Gemeinwohlbezug dient der Persistenz der exklusiven Gesellungen. Das Desinteresse der jüngeren Frauengeneration an dieser ‚gesellschaftlich auferlegten‘ Verpflichtung birgt damit die Gefahr, das Schichtgefüge zu nivellieren. Aber auch unter den Club-Mitgliedern der mittleren und älteren Alterskohorte herrscht kein einheitliches Stimmungsbild im Hinblick auf die ‚gesetzte‘ Gemeinwohlperspektive der Organisation. Die offiziellen Club-Philosophien werden an der Basis nicht immer geteilt. Erinnert sei hier an die Auseinandersetzung über eine Flohmarktveranstaltung in der Falldarstellung eines Clubs (vgl. Pkt. 4.1). Einige Frauen brachten dabei unmissverständlich ihre Missachtung für diese unliebsame, weil eher peinliche und auch relativ unergiebige, Geldbeschaffungspraxis zum Ausdruck. Auch in anderen Gesprächen mit den verschiedenen Clubs wird diese ablehnende Haltung gegenüber den von ‚oben‘ oktroyierten Club-Visionen (Geld sammeln für soziale Zwecke) wenn auch nicht direkt, so doch verhalten oder implizit thematisiert. Diese Differenz zwischen Basis und Organisationszielen wird bereits in den Eingangssequenzen der jeweiligen Grup-
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pengespräche thematisch, denn hier präsentieren sich die Clubfrauen – im Gegensatz zu den Frauengruppen anderer Milieus – in ausgiebigen Selbstdarstellungen. In diesen biographischen und zum Teil statusverweisenden Selbstpräsentationen formulieren die Frauen auch ihre jeweiligen Motive und Beweggründe für eine Club-Mitgliedschaft und bringen damit implizit sehr deutlich zum Ausdruck, dass ihr Interesse an einer Club-Mitgliedschaft weniger auf der sozialen und sozialpolitischen Gemeinwohlperspektive ruht, wie es das Organisationsziel vorsieht. Das Interesse der jeweiligen Frauen an ehrenamtlichem Engagement wird – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt; vielmehr artikulieren die Frauen an diesen Belegstellen ihr offensichtliches Selbstverständnis: ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit in einem elitären Zirkel sowie ihren Wunsch nach neuen Freundschaften und Geselligkeit. Damit zeigt sich, dass die tragenden Säulen der Organisation, nämlich kulturelles und soziales Engagement, an der Basis des Clublebens eher als Begleiterscheinung für eine privilegierte Gesellung in Kauf genommen werden. Dafür steht auch der folgende Gesprächsausschnitt, in dem die Frauen einvernehmlich den persönlichen Gewinn ihrer Vergemeinschaftung thematisieren. Verhandelt werden das Sich-persönlich-Weiterentwickeln über die verschiedenen Aufgaben im Club und der Kontakt mit Gleichgesinnten, der von allen Teilnehmerinnen als Bereicherung erfahren wird: B: C: B: A: B: D: B:
D: A: C: B:
als wir vor vier Jahren uns mit unserem Auftreten im Internet beschäftigt Ja, das fand’ ich eine reizvolle Aufgabe insofern ist unsere Gesellschaft schon ein Anreiz. Auch sich weiter zu entwickeln als Person, denke ich. Oder seht ihr das anders? Ja doch, also wenn ich, wie B vorhin in Aussicht stellte, die Kasse übernehmen werde, da werde ich sicher etwas lernen ich meine tatsächlich, dass wir das als Plattform sehen können Weiterentwicklung, das finde ich jetzt doch ein bisschen übertrieben. Naja, sich einer Verantwortung stellen, ja vielleicht |_doch durchaus! Das sind sicher nicht Meilenstiefel, die man da-aber so kleine Dinge, die auch ein gutes Gefühl einem einbringen. Ich meine, es soll ja auch ein bisschen Spaß machen. Das ist doch auch |_ich möchte mich auch auf unsere Abende, also weil das immer eine entspannte und auch anspruchsvolle Atmosphäre ist, wo man isst und trinkt |_das ist es doch auch und man über den Tellerrand guckt auch |_ja
Zuerst einmal ist in diesem kurzen Gesprächsausschnitt von Frauen (allesamt akademisch gebildet und in Berufsfeldern tätig, in denen sie mit Führungsaufgaben betraut sind) bemerkenswert, dass die Übernahme der Buchführung bzw. des Kassenbuchs oder die Konfrontation mit dem Internet im Sinne einer persönli-
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chen Weiterentwicklung verhandelt wird. Die Interpretation liegt nahe, dass der Vergleichshorizont, vor dem sie das Clubleben als Plattform für persönliche Weiterentwicklung herausstellen, die Pflicht oder die Pflichten sind, die ihnen durch die Leitlinien der Organisation abverlangt werden. Der kritische Einschub einer Gesprächsteilnehmerin, es handele sich dabei um eine übertriebene Stilisierung einer möglichen Selbsterfahrung, die von ihr so nicht geteilt wird, markiert dann auch eine Wende im Gespräch, weil die übrigen Frauen nun aussprechen, was ihr eigentliches Anliegen ist: Das Clubleben ist (und soll) gelebte Kür (sein) und eben keine Pflicht, in dem lediglich ein Dienst geleistet wird (oder geleistet werden soll). Die regelmäßigen Clubabende sind in der Perspektive der Frauen eine außeralltägliche Veranstaltung, innerhalb dessen in entspannter Atmosphäre ein kultiviertes und in diesem Sinne auch gebildetes und den eigenen Horizont erweiterndes Gemeinschaftserleben stattfinden soll. Mit anderen Worten: Die Frauen treffen sich, um Spaß zu haben inmitten Gleichgesinnter. Die ‚halböffentlichen‘ Clubabende bieten die Möglichkeit, in statusgemäßer Weise – und zwar neben dem Beruf –, an Gesellschaft zu partizipieren. Vor dem Hintergrund der öffentlich propagierten Organisationsrichtlinien konterkariert dieses eingestandene Bedürfnis nach kultivierter Vergemeinschaftung das Pflichtprogramm eines elitären Zusammenschlusses, demnach sie – sowohl, was die Satzungen betrifft als auch im Hinblick auf ihr vorgetragenes Selbstverständnis – eine gesellschaftliche Funktion und Mission zu erfüllen haben, nämlich in Verantwortung für das Gemeinwohl zu handeln.
4.2.4 Die Normalitätsfolie ‚Herrenclub‘: „Wie hätte da wohl ein Mann reagiert?“ Wie in den Gruppen der anderen Milieus, zieht sich der Geschlechterschematismus (Männer versus Frauen) auch in den Gruppen der gehobenen Gesellschaftsschicht wie ein roter Faden durch die Gespräche. Auf der ‚Spurensuche‘ des Eigenen oder auch Eigentlichen beziehen sich die Frauen in deskriptiver, normativer und auch kritische Perspektive auf die Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen. Das sog. Weibliche wird vor der Normalitätsfolie des sog. Männlichen aufgespannt. Dies verweist zunächst auf die Asymmetrie des Geschlechterverhältnisses und die androzentrische Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit, die sich auf die alltägliche (Selbst)Wahrnehmung, (Selbst)Identifikation und (Selbst)Thematisierung auswirkt; zugleich erscheinen Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit in dieser Perspektive wie ein nicht abwaschbarer Stempel, der die Frauen ihr ganzes Leben lang begleitet und all ihre Daseinsäußerungen prägt. Wie bereits Simmel (1985) in seinem Aufsatz über „Das Relative und
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das Absolute im Geschlechterproblem“ ausgeführt hat, ist das relationale Verhältnis der Geschlechter als ein ‚einseitiges‘ akzentuiert, denn der Mann trägt und normiert die Relation. Auf den weiblichen Zusammenschluss übertragen heißt das, dass sich die Frauen in ihrer Selbst-Bestimmung an Männern orientieren, weil sich in ihnen das Allgemeingültige manifestiert. In den Diskussionen der verschiedenen Service-Clubs wird augenfällig, dass die Frauen regelmäßig auf die männlichen Clubs in ihrer Vorbildfunktion verweisen. Sie vergleichen und orientieren sich in ihren Deutungen und Selbstpräsentationen an einer wie auch immer gearteten männlichen Praxis, konkret: an den Standards und Verhaltensweisen in Herrenclubs. Obwohl auch bei den Frauen der gehobenen Gesellschaftsschicht die Gemeinschaft über eine vergeschlechtlichte Welt(sicht) fundamentalisiert wird (hier zeigen sich Parallelen zum akademischen Bildungsmilieu), werden die eigenen, nämlich ‚weiblichen‘ Verhaltensweisen weniger als Qualität erfahren und positiv gewertet (dies markiert eine Differenz zum akademischen Bildungsmilieu). In den Gesprächen nehmen die Frauen durchwegs kritisch Bezug auf Weiblichkeitsmuster, die in den bekannten Dichotomien (männlich ist sachlich, weiblich ist emotional) beschrieben werden. Die Attribute weiblicher Verhaltensweisen (Herzlichkeit, Spontaneität) werden im Rahmen professioneller und effizienter Organisationsarbeit durchwegs als Hemmschuh und Bürde charakterisiert. Corpsgeist, kompetente Außendarstellung und sachliche Kommunikationsformen, allesamt (Charakter)Eigenschaften und (Verhaltens)-Merkmale, die aus der Sicht der Frauen in Herrenclubs gepflegt werden, dienen den Frauen als normative Vergleichsfolie für die eigene ClubPraxis. Im Unterschied zu den Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus, für die u.a. das konstitutive Merkmal einer ‚Positivierung der Differenz‘ wesentlich ist, goutieren die Gruppen der gehobenen Gesellschaftsschicht die normative Gültigkeit männlicher Verhaltensweisen. Kurzum: Konstitutives Merkmal des Geschlechterdiskurses in den Frauengruppen der gehobenen Gesellschaftsschicht ist die Referenz ‚Herrenclub‘. Exemplarisch für diese Orientierung steht der folgende Gesprächsausschnitt. Kurz zum Kontext: Das Gespräch gibt eine Debatte der Club-Frauen wieder, in der es um die Ausgestaltung der offiziellen Clubabende geht, in denen in der Regel von einem Clubmitglied ein Vortrag über das eigene Arbeitsgebiet gehalten wird. Obwohl es sich bei diesen Vorträgen um eine Art berufliche Selbstpräsentation handelt, in denen berufsbiographische Wegbeschreibungen als markante Stellen der Relevanz-Inszenierungen dazugehören, gehen die Meinungen hinsichtlich der Intensität dieser persönlichen Selbst-Vorstellungen auseinander. Von offizieller Seite werden keine Ego-Berichte erwünscht, d.h. die Referentinnen werden ersucht, sich in ihrer Vorstellung auf berufliche Sachverhaltsdarstellungen zu konzentrieren und darüber hinausgehende autobiographische Einlassungen und persönliche State-
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ments im Hinblick auf das berufliche Tun lediglich knapp zu halten. Der folgende Gesprächsausschnitt verhandelt diesen direktiven Eingriff in das persönliche Rederecht. Aus einer beobachtenden Perspektive deuten die Frauen sowohl das Verhalten derjenigen, die ein solches Verbot erlassen als auch das Verhalten derjenigen, die diesem Verbot Folge leisten: C:
A: C: A: C: D: C:
B: A:
D:
Ich hatte ja damals einen der ersten Vorträge übernommen und da hatte ich viele Auflagen bekommen, ein Redeverbot gewissermaßen. Das nicht und das nicht. Auch was den Lebenslauf anging, möglichst wenig Persönliches, sondern |_aber ist das nicht auch wieder typisch weiblich? Ich weiß nicht, ja vielleicht schon. Ich glaub’ schon. Vielleicht war das typisch weiblich, dass ich gehorcht habe Ja ja, das finde ich eigentlich @ – also du hast es akzeptiert, weil du gut erzogen bist natürlich, das ist auch eine Erziehungssache |_Wie hätte da wohl ein Mann reagiert? Sowieso nicht. Die hätten gesagt: ‚Entweder so wie ich will oder ich mach es gar nicht‘. Männer sind da, ich meine, sie würden nie eine Konfrontation, die nicht nötig ist. Aber sie würden auch nicht Dinge akzeptieren, die auch anders gehen |_Ich habe keine Ahnung, ob das in diesen männlichen Zusammenschlüssen, wie Sie das nennen, auch üblich ist und da irgendwie doch natürlich, ich kann mir vorstellen, dass da nicht dieses in dem Sinne, was jemand für persönliche Krisen durchgemacht hat oder so, sondern da wird nur über den beruflichen Werdegang berichtet ja, Identität über den Beruf, klar. So sehe ich das auch
Obwohl zunächst unklar ist, wer nun eigentlich mit dem Etikett typisch weiblich versehen wird: diejenigen, die in das Rederecht eingreifen oder die Referentin selbst, die diese Reglementierung unkritisch befolgt, so übernimmt die Protagonistin der Erzählung das Etikett schuldbewusst: „Vielleicht war das typisch weiblich, dass ich gehorcht habe“. Obwohl sie ihre Geschichte mit einer Verve der Empörung beginnt und, so ist anzunehmen, auf den einvernehmlichen Chor ebenso indignierter Frauen hofft, wird ihre Erwartung diesbezüglich jäh zerstört. Die Frage, ob dies „nicht auch wieder typisch weiblich (ist)?“ – eine Frage, die in Form und Inhalt auf das Verallgemeinerungspotenzial der festgestellten Behauptung verweist, wirft sie gewissermaßen aus der Bahn. In ihrem nächsten Redebeitrag nimmt sie Bezug auf diese stereotype geschlechtsspezifische Etikettierung. Bemerkenswerterweise übernimmt sie dabei die Brandmarkung schuldbewusst und in der Art eines Kindes, das Gehorsam leistet und geleistet hat –
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sowohl in der Situation als Referentin als auch in der gegenwärtigen Gesprächssituation, in der diese Art der Fügsamkeit entlarvt und semi-öffentlich zerpflückt wird. Im Folgenden wird zwar ihr Gehorsam durch das Argument der guten Erziehung im Sinne von ‚Höflichkeit‘ sozialisationstheoretisch goutiert, erklärt und vordergründig entschärft, zugleich wird aber ebenso deutlich, dass ihr Verhalten unauslöschlich mit Geschlechtlichkeit in Verbindung gebracht wird – eine sozialisatorische Erblast, aus der sie nicht entkommt. Erst durch die Frage „Wie hätte da wohl ein Mann reagiert?“, eine Frage, die als Angebot an alle Gesprächsteilnehmerinnen zu verstehen ist und insofern auch als ein durchaus nachdenkenswertes Thema für alle markiert wird, kommt sie aus der Schusslinie. Das Gespräch nimmt eine Wende, denn die Frauen verhandeln nun die Problematik ihrer Folgsamkeit bzw. ihrer Kritiklosigkeit exemplarisch. Weiblicher Gehorsam wird nun vor der Vergleichsfolie der Geschlechtermatrix verhandelt. Männer in Herrenclubs, so die Sicht der Frauen, würden zwar keine Konfrontationen provozieren, durchaus wird ihnen aber die Fähigkeit zugestanden, kritisch mit unangemessenen Auflagen umzugehen. Zwar wissen die Frauen nicht wirklich, wie die alltägliche Praxis in Herrenclubs aussieht, aber die Vermutung wird formuliert, dass Männer durchwegs anders mit derartigen autoritären Reglementierungen umgingen. Eine kritiklose Akzeptanz unangemessener Vorgaben sei bei ihnen nicht denkbar. Zugleich würde sich das Problem der Selbstinszenierung in Männerclubs so nicht stellen, weil Männer ihre Vorträge per se auf berufliche Sachverhaltsdarstellungen fokussieren würden. Mit dem Stichwort „Identität“, die sich, so die Frauen, bei Männern über den Beruf entwickeln würde, rahmen und fundamentalisieren die Frauen den Geschlechtervergleich. Vor dem Vergleichshorizont des Mannes und des Männlichen sei die (Berufs)Identität von Frauen weniger ‚eindeutig‘ und einseitig fokussiert. Während Männer Karriere machen, so ihr Argument, seien Frauen daran interessiert, berufsbiographische und persönliche Entwicklung zu verknüpfen. Dies zeitigt Konsequenzen, unter anderem für Selbstdarstellungskontexte, wie es ein Vortag im Rahmen der Clubabende mit sich bringt. In der Diskursorganisation, also in der Art und Weise, wie das Thema zwischen den Frauen erörtert wird, dokumentiert sich ein einvernehmlicher, d.h. ein kollektiver Blick auf das Thema ‚weibliche‘ Identität und Selbstdarstellung. Zunächst einmal übernehmen und reproduzieren die Frauen tradierte Geschlechtsrollenstereotype. Selbstredend wird das eigene Verhalten als ‚weiblich‘ gedeutet und, wie gezeigt, vor der männlichen Referenz auch abgewertet. Zugleich zeigen sich in dem kommunikativen Aushandlungsprozedere der vergleichenden Selbstkritik homologe Entsprechungen von Form und Inhalt. Das Thema ‚Frauen sind gehorsam‘ wird so verhandelt, dass keine Kritik an der Kritik möglich wird; die schuldbewusste Übernahme des Etiketts ‚typisch weiblich‘ verweist damit
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auf homologe Entsprechungen von Form und Inhalt, denn die Handlungspraxis der Frauen (wie gehen sie mit Kritik um) reproduziert sich in der Gesprächssituation. Die Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen ist omnipräsent, und die (Selbst)Etikettierung beschränkt die Möglichkeit, andere Lesarten zu entwickeln. Insgesamt dokumentiert sich in der generellen Gegenüberstellung des eigenen, also ‚weiblichen‘ Verhaltens mit demjenigen von Männern eine ‚weibliche‘ Normerfüllung. Das männliche Verhalten erhält in der Relation einen absoluten Stellenwert und ist, folgt man dem Gedankengang von Simmel weiter, auch einfacher zu fassen, weil, „wo das Generelle eines Wesens so schlechthin generell ist wie bei dem Manne“, für die Individualität „mehr Platz“ vorhanden ist (Simmel 1985, 215f.). Der Mann als das Allgemein-Menschliche steht so über der geschlechtlichen Gegensätzlichkeit. Die Frau ist demgegenüber in der Relation gefangen. Das heißt auch, dass das, was Männer (vermeintlich) tun oder lassen, für die Frauen durchwegs leichter zu fassen ist. Auch in dem oben aufgeführten Gesprächsausschnitt bleibt die Bestimmung des eigenen, also weiblichen Verhaltens (im Gegensatz zu dem, was Männer seien) letztlich diffus und durch den Vergleich defizitär. Die Tatsache, dass sich Frauen mit Redever- und geboten selbst reglementieren, deutet darauf hin, dass sie die (männlichen) Verhaltensstandards in selbsterfüllender Prophezeiung verletzen, an denen sie sich zugleich orientieren.
4.2.5 Emanzipation als Thema ‚anderer‘ Frauen: „Also es geht nicht um uns und unsere Emanzipation“ Alle Clubs formulieren das explizite Ziel, Frauen und Mädchen in ihrem Emanzipationsprozess zu unterstützen und zu fördern. Im Vergleich zum akademischen Bildungsmilieu wird allerdings deutlich, dass sich dieses Engagement für frauenpolitische Belange nicht aus eigenen Erfahrungen speist, sondern lediglich auf einer theoretischen Einsicht in den gesellschaftlichen Tatbestand der Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Frauen beruht. Emanzipation ist nicht ‚ihr‘ Thema, sondern das Problem derjenigen Frauen, die nicht über einen privilegierten Zugang zu sozialen und gesellschaftlichen Ressourcen verfügen. Dieses stellvertretende Engagement ähnelt auf dem ersten Blick demjenigen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten, denn auch dort wird das Wissen um eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung nicht rekursiv thematisch; hier, also im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten, manifestiert sich die Distanz zwischen Männern und Frauen als ‚natürliche‘ und insofern auch fraglose Entität, die im Arrangement einer geschlechterspezifi-
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schen Matrix aufgeht. Als ‚natürliche‘ Gegebenheit besitzt das Geschlecht alltagspraktische Bedeutung und rangiert vor sonstigen Ordnungselementen kultureller, ökonomischer oder politischer Art. Emanzipation wird nur dort thematisch oder gar als Problem aufgespannt, wo Frauen gegen die herrschende Ordnung aufbegehren. So die Sicht der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten. Im Vergleich dazu interpretieren die Frauen der gehobenen Gesellschaftsschicht Emanzipation als eine Angelegenheit oder auch Problem des gesellschaftlichen Standorts. Nicht Geschlechtszugehörigkeit konstituiert den gleichsam apriorischen Bezugspunkt, von dem aus Platzanweisungen und Interpretationen vorgenommen werden, sondern das Privileg der Herkunft setzt und erzeugt Chancenstrukturen. In einem frauenpolitisch ‚aufgeklärten‘ Sinne thematisieren die Frauen der verschiedenen Clubs Geschlechtergerechtigkeit auch als Selbstverpflichtung, denn, so die gemeinsame Argumentation, die im Grundgesetz geregelte Gleichstellung von Frauen fördert nicht die gleichberechtigte Teilhabe in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Die Frauen sind sich einig, dass die Geschlechterordnung mitsamt ihren Anliegerinstitutionen (Familie, Arbeitszeitregelungen u.v.m.) für Frauen asymmetrisierend wirkt. Die Clubs diskutieren in diesem Kontext verschiedene Strategien und Ansätze einer Realisierung von Chancengleichheit. Vor allem sind sie von dem Konzept des Gender-Mainstreaming beeindruckt, das einen geschlechtersensiblen Blick fordert und fördert, ohne dabei, wie es eine der Gesprächsteilnehmerinnen ausdrückt, in den Duktus und die Sichtweise einer „verkrampften Emanze“ zu verfallen: A:
B: C:
Das fasziniert mich so an dem Begriff Gender-Mainstreaming, der einfach mal die Aufmerksamkeit darauf lenkt, warum ist es denn für Frauen einfach schwieriger. Und was können wir tun, damit es einfacher wird. Einfach ne andere Sichtweise. Ich denke, das ist schon ganz viel, ohne da verkrampfte Emanze zu sein |_ja |_aber das können wir auch über unseren Club als Frauen-Club eben leisten für die Gesellschaft, finde ich. Das ist ja auch ein Ziel
Diese gemeinsam geteilte allgemeine strukturelle Problemdeutung des Geschlechterverhältnisses kontrastiert mit der eigenen Selbst-Bestimmung und Verortung als Frauen der Elite. Für den eigenen Erfahrungsbereich bestreiten alle Club-Frauen einvernehmlich eine wie auch immer geartete geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung, Diskriminierung oder gar Marginalisierung. Im Gegenteil: Im folgenden Gesprächsausschnitt machen die Frauen geltend, dass sie es aufgrund ihrer privilegierten Herkunftsbedingungen rsp. familienbiographi-
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schen Ressourcen nicht nötig (gehabt) hätten, sich als Frauen zu emanzipieren. Gleichberechtigung sei schlichtweg nicht ‚ihr‘ Thema: E: A: B:
E:
Meine Herkunft, ja, wie soll ich es sagen, war insofern fördernd, dass ich eine Basis hatte und eine Emanzipation nicht anstreben musste Die Bedingungen würde ich für mich auch so beschreiben Aber darum geht es uns ja auch hier nicht, also es geht nicht um uns und unsere Emanzipation. Wir sind, wir (unverständlich) @ keine Gruppe äh Selbstfindungsgruppe sind @ nein, das sind wir nicht
Die soziale Herkunft, so legt es das eben aufgeführte Gespräch nahe, bestimmt über Lebenschancen und somit auch über eine Notwendigkeit, sich „emanzipieren“ zu müssen. Damit wird „Emanzipation“ als etwas Negatives bewertet, das rein aus einem Umstand resultiert, sich selbst behaupten zu müssen. Die Frauen aus der gehobenen Gesellschaftsschicht haben diese Selbst-Behauptung nicht nötig, weil ihnen Freiräume zur Verfügung stünden, sich autonom zu entwickeln und zwar als Menschen, als Persönlichkeiten, aber auch als Frauen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, die Geschlechterproblematik sei eine Frage des Herkunftsmilieus und der Sozialisation; zumindest ist das Thema Emanzipation kein Thema der besseren Gesellschaft, die über dieses emanzipatorische Potenzial – aus der Sicht der Club-Frauen in selbstverständlicher Weise – verfügen würde. Eine Abgrenzung der Frauen der gehobenen Gesellschaftsschicht erfolgt in zwei Richtungen: Zum einen seien sie keine ,verkrampften Emanzen‘, weil sie es aufgrund ihres Herkunftsmilieus nicht nötig hätten, sich als Frauen durchsetzen zu müssen. Zum anderen grenzen sie sich ab von einem Befindlichkeitsdiskurs. Selbstredend verstehen sich die Club-Frauen nicht als eine „Selbstfindungsgruppe“, in der ‚weibliche‘ Identität gesucht und verhandelt wird; vielmehr ist den Frauen daran gelegen, sich als Teil einer gesellschaftlichen Elite zu entwerfen, die ihrem distinkten Selbstverständnis nach einen Selbst-Verpflichtungsanspruch hat, also Verantwortung denjenigen gegenüber trägt, die über weniger privilegierte Ressourcen verfügen. Ihre einvernehmliche und auch energische Distanzierung gegenüber einer vereinheitlichenden Sicht qua Geschlechterstatus legt hier die Interpretation nahe, dass die Frauen der gehobenen Gesellschaftsschicht auch gegen eine Vergesellschaftung mit anderen gesellschaftlichen (Frauen)Gruppen argumentieren, oder anders gewendet: Es ist ihnen daran gelegen, sich in ihrem Distinktionsbemühen qua gesellschaftlicher Stellung gegen eine vereinheitlichende Kategorie wie Geschlechtszugehörigkeit zur Wehr zu setzten. Das zentrale Anliegen der Club-Frauen ist es, sich statusmäßig nach ‚unten‘ abzugrenzen und über elitäre Zugangsregeln die Geschlossenheit der Gemeinschaft zu bewahren und zu kontrollieren. Eine Problematisierung von ‚Geschlecht‘ und
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‚Geschlechtszugehörigkeit‘ für alle Frauen – sie mit eingeschlossen – birgt die Gefahr, dass Grenzziehungen diffundieren, sprich: sie mit den Problemlagen von Frauen aus anderen gesellschaftlichen Schichten, Klassen oder Milieus vermengt werden. Dem gilt es einen Riegel vorzuschieben. Insgesamt ist das konstitutive Merkmal der Frauengruppen aus der gehobenen Gesellschaftsschicht ein Mischungsverhältnis aus Geschlechtszugehörigkeit und Klassenlage rsp. Klassenbewusstsein, also der Art und Weise, wie die Frauen Erfahrungen kulturell interpretieren und vermitteln, die sie in einer spezifischen sozialen Lage machen.19 Die Gruppenkohärenz beruht auf einer spezifischen Selbstdeutung und Selbstvorstellung als Frauen der sog. guten Gesellschaft. Beide Aspekte, also die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht und die Zugehörigkeit zu einer hohen Gesellschaftsschicht, die, wie gezeigt werden konnte, über eine Club-Mitgliedschaft verbürgt und repräsentiert wird, hängen zusammen und bedingen sich wechselseitig. Dies gilt dann auch selbstredend für das Thema „Emanzipation“, denn auch hier formulieren die Club-Frauen mit einer paternalistischen Geste der Überlegenheit ihr gesellschaftliches Selbst-Verständnis, nämlich für diejenigen zu sprechen, die im gesellschaftlichen Gefüge weit ‚unter‘ ihnen angesiedelt sind: Frauen und Mädchen, die über weniger materielle, soziale und kulturelle Ressourcen verfügen und für die der Geschlechterstatus Platzanweisungen vorsieht und über gesellschaftliche Lebenschancen entscheidet.
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Klassen, so etwa Thompson (1963, 7) erzeugen sich in der sozialen Praxis der Individuen. In dieser Konzeptualisierung wird Klasse nicht als „Struktur“ begriffen, die von Menschen getragen wird, „sondern als etwas, das sich unter Menschen, in ihren Beziehungen abspielt“.
III Die weibliche Gemeinschaft: Aneignung und Konstruktion kultureller Ordnung III Die weibliche Gemeinschaft
1 Die Praxis des Geschlechterhandelns in der weiblichen Gemeinschaft 1 Die Praxis des Geschlechterhandelns in der weiblichen Gemeinschaft In diesem Kapitel werden die empirischen Ergebnisse noch einmal gebündelt dargestellt. Das Augenmerk ist zunächst auf das Gemeinsame gerichtet. Was eint die verschiedenen Gruppen, unabhängig ihrer sozialräumlichen Verankerung? Was sind die konstitutiven Elemente der Wir-Gemeinschaften? Danach wird der Blick noch einmal auf die verschiedenen Milieus gerichtet, wie sie in der Untersuchung ‚geortet‘ wurden. Es wird darum gehen, geschlechtsspezifische Deutungen und die damit einhergehende soziale Differenzierungspraxis noch einmal auf ihre Kontextbedingungen zu beziehen, also mit dem Ort der Entstehung zu verknüpfen. Blicken wir zunächst auf die konstituierenden Merkmale der ‚Wir‘Gemeinschaften. Ein Ergebnis der empirischen Rekonstruktion ist, dass sich die verschiedenen Frauengruppen allesamt als institutionelle Reproduktionsform der vergeschlechtlichten Ordnungsvorstellungen charakterisieren lassen. Ihr Tun ist als Praxis zu verstehen, das zur Konstruktion, Konstitution und Kontinuisierung der kulturellen Ordnung beiträgt. In den Gruppen werden das geschlechtsspezifische Differenzwissen, die Differenzerfahrung so organisiert, dass die Gemeinschaft zu einer Kulisse für die interaktive Validierung der Geschlechterunterscheidung wird (Pkt. 1.1). Dieser Befund wird zunächst im Hinblick auf die tragenden Formen der Bezugnahme auf Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit rekonstruiert. Dabei kann gezeigt werden, dass Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit von den Frauen über alle Gruppen hinweg als ein erfahrungsgebundenes Selbst-Verständnis gedeutet und erklärt werden. Diese vergeschlechtlichte ‚WeltSicht‘ der Frauen dokumentiert sich vor der Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen als eine über Vereinbarkeit, eine über die Alltagsperspektive sowie eine über Verantwortung, Betroffenheit und Parteilichkeit gebundene Relevanzsetzung (Pkt. 1.2). Darüber hinaus gewinnen wir über die Gruppengespräche einen Einblick in die Art und Weise, wie die soziale Identität der Gruppe entsteht und aufrechterhalten wird. Dabei ist es nicht nur ein inhaltlicher Konsens, der die Frauen als
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Wir-Gemeinschaften zusammenhält oder zusammenführt; vielmehr wird eine bestimmte Verfahrensweise relevant, mit der sich die Frauen als Gemeinschaften komponieren, besondern, legitimieren und zementieren, wie sie also – pointiert formuliert – die Geschlechter-Ordnung im Ablauf kommunikativer Differenzierungs-Praktiken und Rituale aufrechterhalten und, wenn nötig, wieder herstellen. Empirisch lassen sich verschiedene Strategien in den Gruppen entdecken, die allesamt die Funktion haben, die kontinuierliche Arbeit an der ‚weiblichen‘ Gemeinschaft zu bewerkstelligen und die Exklusivität zu perpetuieren: die geschlechtsspezifische Filter-Funktion, die Selbsterhaltungs-Funktion und die Werkstatt-Funktion der Gruppe (Pkt. 1.3).
1.1 Die Gruppen als institutionelle Gelegenheiten der GeschlechterDifferenzierung Die verschiedenen Frauengruppen sind geschlechtsexklusive Orte, in denen die Gemeinschaft von den Mitgliedern selbst über eine vergeschlechtlichte Differenzierungspraxis gedeutet und auch hergestellt wird. Dies geschieht zum einen in der Relation zu Männern und Männlichkeit. Über alle Gruppen hinweg – wenn auch mit unterschiedlichen Akzentsetzungen (vgl. dazu Pkt. 2. diese Kapitels) –, gelingt die kollektive Selbst-Darstellung und Selbst-Verortung über eine Besonderung qua Geschlecht, wobei die Relevanzkriterien für diese zentralen Unterscheidungen an behaupteten Eigenschaften ansetzen, von denen die Gruppenmitglieder meinen, sie seien den Genusgruppen eigentümlich. In die soziale Konstruktion von Geschlecht ist die Konstruktion der ‚anderen‘ sozusagen mit eingebaut. Dieser – wie sich empirisch zeigen lässt – wirkungsmächtige Fokus ist im Hinblick auf unseren Gegenstand insofern relevant, als eine Gemeinschaft damit als „natürliche Einheit“ (Baumann 2000, 103) assoziiert werden kann. Die einenden Faktoren sind stärker und wichtiger als alles Trennende, und die Differenzen zwischen den Mitgliedern erscheinen geringfügig oder sekundär im Vergleich zu ihrer wesentlichen – Baumann nennt es: „überwältigenden – Ähnlichkeit“ (a.a.O., 103). Daraus folgt, dass das, was das ‚Wir‘ ausmacht, nicht präzisiert werden muss und vice versa, die unterstellte Natürlichkeit der ‚WirGemeinschaft dazu führt, dass auch die ‚anderen‘ nur diffus bestimmt werden müssen: Frauen sind irgendwie Frauen, weil Männer irgendwie Männer sind. Neben dieser (diffusen) Differenzierungspraxis gegenüber dem Mann und dem Männlichen lässt sich ein weiterer wesentlicher gemeinschaftsstiftender Modus rekonstruieren, nämlich die Homogenisierung der Geschlechterperspektive im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft. Anders gewendet: Um dem kollektiven ‚Wir‘ eine einheitliche und auch dauerhafte Kontur zu geben, bein-
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haltet die Differenzierungspraxis in der weiblichen Gemeinschaft eindrucksvolle und teils machtvoll ausgetragene Diskurse zwischen den Gruppenmitgliedern.20 Die Binnenhomogenität der weiblichen Gemeinschaft wird über Fiktionalisierungen und ein hohes Abstraktionsniveau gewährleistet und aufrechterhalten, d.h. über die Annahme, dass Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit eine vereinheitlichende Perspektive möglich machen oder, um es in der Terminologie von Erving Goffman (1977, dt. 1994) auszudrücken: Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit werden im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaften nachgerade als naturalisierter und naturalisierender Ordnungsfaktor stilisiert. Die Unterscheidungspraxis mitsamt den Geschlechtercodes, Stilisierungen, Klassifizierungen wird in den Gruppen reproduziert und bestätigt die Geschlechterordnung mit ihren hierarchischen und normativen Platzanweisungen und Zuweisungsakten. Damit erfährt die allgemeine soziologische Aussage, dass Menschen ihr Verhalten, ihre Sinndeutungen des Sozialen, ihre kulturellen Wertmaßstäbe und Konstruktionen im wechselseitigen Bezug aufeinander erlangen können (und nicht etwa als isolierte Einzelne), empirische Evidenz in zweifacher Hinsicht. Zum einen entsteht das kollektive ‚Wir‘ der weiblichen Gemeinschaft in Relation zur Außenwelt. Über unterschiedliche Themenfelder hinweg wird vor der Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen das Eigene der weiblichen Gemeinschaft komponiert. Zum anderen entwirft und entfaltet sich das Kollektiv über die Homogenisierung im Binnenraum. In den Gruppengesprächen aktualisiert sich die Wirkmächtigkeit des schematisierenden Geschlechterdiskurses über eine Reihe von unterschiedlichen ‚Einspureffekten‘ (vgl. dazu Pkt. 1.3). Diese können als eine Art generative Struktur des Genderismus beschrieben werden. Insgesamt kommen also in den geschlechtsexklusiven weiblichen Kommunikationskulturen kollektive Orientierungen zum Tragen, die ein vergeschlechtlichtes Deutungswissen und damit verbunden: die Differenzannahmen von Frauen und Männern (re)produzieren, die – und auch das ist ein weiterer wichtiger Erkenntnisprozess – wiederum an gesellschaftliche Strukturen angekoppelt sind, an, wenn man sie so nennen will, vorkonstruierte soziale Ordnungszusammenhänge. Die Gruppen bieten den Teilnehmerinnen gleichsam eine legitime institutionelle Gelegenheit, ihre Interaktionen geschlechtlich zu assoziieren und zu polarisieren. Die Praxis der Geschlechterdifferenzierung wird in der Gruppe 20
Bourdieus Arbeiten zur männlichen Herrschaft (insb. Bourdieu 1997) akzentuieren ebenso die Bedeutung einer homosozialen Dimension in der binnengeschlechtlichen Interaktion. Der männliche Habitus wird dabei „konstruiert und vollendet (…) nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen (a.a.O., 203). Gemeint sind damit vor allem die Handlungsfelder der Ökonomie, der Politik, der Wissenschaft, der religiösen Institutionen und des Militärs. Männlichkeit hat somit eine kompetitive, auch im homosozialen Umfeld hierarchisch geordnete und auf soziale Schließung hin angelegte Struktur (vgl. dazu Meuser 1998).
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institutionell aufgefangen. Damit sind die weiblichen Gemeinschaften Ausdruck der Geschlechterordnung und zugleich am (Re)Produktionsprozess dieser geschlechtsspezifischen Grenzziehungen beteiligt. Mit dem Ineinandergreifen verschiedener Ebenen und Medien der Geschlechterkonstruktion hat sich bereits Erving Goffman in seinen geschlechtersoziologischen Arbeiten beschäftigt, insbesondere in dem Buch „Gender Advertisement“ (1976, dt. 1981) und in seinem Aufsatz „The Arrangement between the Sexes (1977, dt. 1994). Bei der Frage nach der Konstruktion von Geschlecht ging es ihm grundlegend darum, wie die Differenzierung und Klassifikation der Menschen nach Geschlecht organisiert werden. Diese Betrachtungsweise ist inspirierend, weil sie das Augenmerk auf die kulturellen Ausdruckformen lenkt. Seine Überlegungen, insbesondere sein Konzept der „institutionellen Reflexivität“ (a.a.O., 107), erweisen sich im Hinblick auf die eigene Untersuchung über weibliche Zusammenschlüsse als instruktiv, weil seine Analyse einen Blick auf den Alltag des ‚doing gender‘ wirft und zugleich zeigt, auf welchen vielfältigen Ebenen Geschlecht hergestellt und in seinen Ausdrucksformen normalisiert und naturalisiert wird. Mit seiner Analyse kann nicht zuletzt auch die beharrliche Aufrechterhaltung von Orientierungsmustern erklärt werden, welche die Deutungen und die Stilisierungsformen der Geschlechterdifferenz fundieren. Seine Überlegungen werden im Folgenden kurz skizziert – immer mit Blick auf unseren Gegenstand, die weibliche Gemeinschaft. Erving Goffman geht es um die Perspektive der Handelnden, um dann die Strukturen zu beschreiben, die in der Interaktion zwischen ihnen bestehen. In seinem Aufsatz „Das Arrangement der Geschlechter“ (Goffman 1994) analysiert er die Anordnung der Geschlechter in sozialen Situationen. Geschlecht ist für ihn der „Prototyp einer sozialen Klassifikation“ (1994, 108), es ist die „Grundlage eines zentralen Codes, demgemäß soziale Interaktionen und soziale Strukturen aufgebaut sind“ (a.a.O., 105). Jede soziale Situation, so Goffman, bietet die Gelegenheit zur Geschlechtsdarstellung; insofern ist Geschlecht eine Sozialkategorie, die omnipräsent ist. Diese Ansicht teilt Goffman mit den sozialkonstruktivistischen Ansätzen, in denen Geschlecht nicht als Merkmal von Individuen sondern als eine interaktive Leistung der beteiligten Akteure gesehen wird, ein routinisiertes Tun, das täglich aufs Neue von den ProtagonistInnen (Garfinkel 1967) wie auch RezipientInnen (Keller/McKenna 1978) erbracht werden muss (vgl. dazu auch Hirschauer 1994). Im Gegensatz aber etwa zu ethnomethodologischen Konzepten des Doing Gender, also der Vorstellung, dass Geschlechtlichkeit fortwährend konstruiert wird, anerkennt Goffman die Rolle der Institutionen und die anthropologischen Rahmenbedingungen. Erst wenn ein Individuum dem gesellschaftlichen Sondierungsprozess unterworfen wird, redet Goffman von Geschlecht. Wenn Individuen in diesem Sondierungsprozess die „Glaubensvorstel-
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lungen davon übernehmen, was einen Mann oder eine Frau ausmacht, entwickeln sie eine Geschlechtsidentität“ (Knoblauch 1994, 43). Von Genderismus spricht Goffman dann, wenn diese Glaubensvorstellungen Verhaltensmuster generieren, die in ritualisieren Mustern das Geschlechterarrangement reproduzieren. Die Geschlechterwirklichkeit ist für Goffman das Produkt einer Kooperation beider Geschlechter, auch wenn Frauen und Männer nicht nur Verschiedenes dazu beitragen, sondern dies auch aus strukturell ungleichen Positionen heraus tun. Damit ist der Blick auch auf die Macht- und Herrschaftsstrukturen gerichtet, die sich in den Darstellungspraktiken der Akteure äußern, die sie erzeugen. Geschlechter-Inszenierungen (re)produzieren nicht nur immer wieder die Zweiteilung der Menschheit, sondern befestigen auch soziale Ungleichheit, indem sie sie als selbstverständlich gegeben und unhinterfragt – eben natürlich – erscheinen lassen: „Nicht die sozialen Konsequenzen der angeborenen Geschlechterunterschiede bedürfen also einer Erklärung, sondern vielmehr wie diese Unterschiede als Garanten für unsere sozialen Arrangements geltend gemacht wurden (und werden) und, mehr noch, wie die institutionellen Mechanismen der Gesellschaft sicherstellen konnten, dass uns diese Erklärungen stichhaltig erscheinen“ (Goffman 1994, 107). Geschlecht wird also zur Lösung organisatorischer Probleme herangezogen, denn „die Aufgliederung der Gesellschaft nach Geschlecht und Fortpflanzungslinien (bietet) ein einfaches Instrument zur Herstellung von sozialer Ordnung“ (Knoblauch 1994, 42). Das Geschlechterkonzept fußt hier auf jener für den Interaktionismus typischen Grundannahme, dass nicht das Individuum sich soziale Situationen schafft, sondern umgekehrt die Situationen die Subjekte ‚prozedieren‘. Das Individuum ist an Situationen gewissermaßen angekoppelt (vgl. dazu auch Srubar 1994). Vor diesem Grundkonzept der Sozialität erscheint die körperliche Differenz nicht, wie etwa der Alltagsverstand annimmt, als Ursache sozialer Differenzierung, sondern ‚die Natur‘ rechtfertigt primär die soziale Unterscheidung. Treffend bemerkt dazu Helga Kotthoff: „Der Code des Geschlechts prägt die Vorstellungen der Menschen von ihrer Natur, nicht umgekehrt“ (Kotthoff 1994, 163). Im Gegensatz zu einem dekonstruktivistischen Verständnis von Geschlecht als Performanz (vgl. Butler, 1991), aber auch, wie bereits erwähnt, im Unterschied zu ethnomethodologischen ‚doing-gender‘-Konzepten (vgl. z.B. West/Zimmerman 1987), denen mitunter auch eine mikrosoziologische „Engführung“ (Wetterer 2003, 293) vorgeworfen wird, betont Goffman mit seinem Konzept der „institutionellen Reflexivität“ (Goffman 1994, 107), dass die Geschlechterdifferenz in Interaktionen erzeugt, aber eben auch institutionell geregelt wird. Mit anderen Worten: Das institutionelle Arrangement der Geschlechter bzw. „die Geschlechter(mikro)politik von Identitätszuschreibungen und ritualisierten Darstellungs-
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formen“ (Meuser 1998, 70) wird in den Blick genommen, in und mit denen die Geschlechter die soziale Ordnung ihrer Beziehungen herstellen.21 Institutionelle Reflexivität meint also, wie Helga Kotthoff (1994) sie zusammenfasst, „dass das soziale Geschlecht so institutionalisiert wird, dass es genau die Merkmale des Männlichen und Weiblichen entwickelt (werden), welche angeblich die differente Institutionalisierung begründen“ (a.a.O., 162). Damit stellen die Geschlechterarrangements institutionalisierte Reproduktionsformen der Geschlechterunterscheidung dar, die, wie es Angelika Wetterer (2003) pointiert, „die Strukturen des Geschlechterverhältnisses auf die Meso-Ebene übersetzten und soziale Situationen so vorstrukturieren, dass diese sich in Kulissen für die interaktive Validierung der Geschlechterdifferenz verwandeln (...)“ (a.a.O., 293 f.). Frauen und Männer würden sich demzufolge bevorzugt in Settings begegnen, die schon vorab so strukturiert sind, dass die Akteure sich in ihnen dann „ihre angebliche unterschiedliche ‚Natur‘ gegenseitig wirkungsvoll vorexerzieren können“ (Goffman 1994, 143). Diese konzeptionellen Überlegungen erweisen sich für die hier vorgestellte Untersuchung über weibliche Zusammenschlüsse als instruktiv, weil sich die verschiedenen Frauengruppen auch als ‚institutionelle Reproduktionsformen der Geschlechterordnung‘ interpretieren lassen, als eine institutionalisierte Form des Geschlechterarrangements, in der kollektiv geteiltes symbolisches Wissen und kollektiv geteilte Handlungspraxen so organisiert, inszeniert und auch reguliert werden, dass den Teilnehmerinnen die soziale Welt gewissermaßen in zugespitzter Form vergeschlechtlicht erscheint. Die Konstruktion geschlechtlicher Differenz findet in einer ‚Geschlechter-Arena (Goffman würde wohl den Begriff Rahmen wählen) statt, in der die Zuschreibungsmechanismen generativen Charakter haben. Die Arena zwingt ein Deutungsschema und eine Zuschreibungspraxis auf, mit dem die Geschlechterordnung eingefangen aber eben auch in den alltäglichen Praktiken gespiegelt und hergestellt wird. Der Gewinn des Goffman’schen Analyseblicks besteht mithin darin, das ‚Innen‘ und das ‚Außen‘ in den Blick zu nehmen und zu verzahnen. Das Geschlechterverhältnis in seinen gesellschaftlich spezifischen Organisationsformen ist eben nicht nur sprachlichdiskursiv erzeugt oder etwas in interaktiven Beziehungen ‚Gemachtes‘, sondern auch etwas ‚Gewordenes‘. Es resultiert aus historischen Strukturierungs- und 21
Goffman (1994) nennt selbst als Paradebeispiele dafür die Regeln der Paarbildung oder die Trennung öffentlicher Toiletten nach Geschlechtern: Sie sind zwar gewiss Produkt einer sozialen Praxis, setzen der situativen Darstellung von Geschlechtszugehörigkeit jedoch einen Rahmen, in dem die Interaktionsordnung und die Sozialstruktur vermittelt werden. Anerkennung und Erzeugung des Unterschieds sind miteinander aufs Engste verwoben, denn, um beim Beispiel öffentlicher Toiletten zu bleiben, wird zwar die Trennung der Toiletten nach Geschlechtern als ‚natürliche‘ Folge des Unterschieds hingestellt, „obwohl sie tatsächlich mehr ein Mittel zur Anerkennung, wenn nicht gar zur Erschaffung dieses Unterschieds ist“ (a.a.O., 134).
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Sedimentierungsprozessen, die „als geschichtlicher Überhang gegenüber dem menschlichen Handeln ihr Eigengewicht und ihre Eigengesetzlichkeit haben“ (Knapp 1995, 187). Damit wird es auch möglich, unterschiedliche ‚Einspureffekte‘ der Kommunikation im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft ‚situationsanalytisch‘ zu betrachten, ohne die strukturelle Dimension der Geschlechterverhältnisse aus dem Auge zu verlieren. Denn: Die Frauengruppen sind auch ein Abbildungsverhältnis der herrschenden Geschlechterordnung. Sie übersetzen und validieren – das zeigt die empirische Analyse‘ der Gruppendiskussionen – das Geschlechterarrangement. Die kulturell vorfindlichen Deutungsrepertoires, auf die zur Selbstauslegung zurückgegriffen wird, gehen in die Gruppen als konstitutive Elemente mit ein. Die institutionelle Reflexivität, wie sie Goffman versteht, besteht dann in der sozialräumlichen Segregation nach Geschlecht, gewissermaßen als Ausdruck der Trennung und Ungleichheit. Der ‚vorstrukturierte‘ Unterschied der Geschlechter wird interaktiv eingefangen und zugleich institutionell über ‚geschlechtsexklusive Enklaven‘ geregelt. Die Frauengruppen sind damit selbst auch am Unterschied und den diesen Unterschied konstituierenden Unterscheidungsdiskurs (mit)beteiligt, den sie für die Vorgabe ihres sozialen Handelns halten.
1.2 Die Perspektiven-Gebundenheit von Wissen und Erfahrung Die Art und Weise der Thematisierung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit innerhalb der weiblichen Gemeinschaft verweisen auf eine soziale Gebundenheit der Sicht auf Welt oder, um es mit Mannheim (1959) auszudrücken, auf die „Verwurzelung des Denkens im sozialen Raum“ (a.a.O., 661). Unabhängig von Bildung, Ausbildung und Berufsposition, von Alter und politischer Anschauung bringt die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht ein erfahrungsgebundenes Selbst-Verständnis der Frauen hervor, das ihre Sicht auf Welt bindet und fokussiert sowie Relevanzsetzungen nach sich zieht. Diese grundlegende Perspektiven-Gebundenheit der Frauen qua Geschlecht wird in den Gruppendiskussionen arbeitsteilig erarbeitet und ist Ausdruck einer kollektiv geteilten (Groß)Gruppenperspektive auf Basis gemeinsam geteilter (Erfahrungs-)Hintergründe und Wissensrepertoires. Sie dokumentieret den Glauben der Frauen, dass der Geschlechterzuordnung eine ‚tiefere‘ Realität zukommt. In den verschiedenen Gruppen unseres Samples rekurrieren die Frauen regelmäßig auf diese kollektiv geteilten Erfahrungen sowie auf gemeinsame (kollektiv-)biographische Hintergründe. Diese Orientierungen, die nicht zuletzt Aspekte einer Tradierung der klassischen Geschlechterordnung zum Ausdruck bringen, oder anders gewendet: in denen klassische und in diesem Sinne bekannte aber nichtsdestotrotz ‚bewähr-
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te‘ Antworten auf gesellschaftliche Probleme zum Tragen kommen, werden im Folgenden an Hand verschiedener Perspektiven beschrieben, wie sie von den Frauengruppen immer wieder formuliert werden: Erstens dominieren im weiblichen Lebensarrangement nach wie vor eine Vereinbarkeits-Perspektive, d.h. das eigene Leben wird in Antizipation von Erwerbsarbeit und Partnerschaft bzw. Familie gestaltet. Zweitens wird der Alltag als die Referenz der ‚weiblichen‘ Weltsicht gedeutet. Er wird von den Frauen als eine spezifisch ‚weibliche Gegenwelt‘ entworfen. Drittens formulieren die Frauen für sich eine Verantwortungs-Perspektive. Diese wurzelt vor allem in Mutterschaft und korrespondiert mit einer Lebensnähe, die Männern abgesprochen wird. Und viertens schließlich wird über eine Perspektive der Betroffenheit und Parteilichkeit eine solidarische Perspektive mit anderen Frauen formuliert, weil im Prinzip alle Frauen strukturell benachteiligt sind. Alle diese Erfahrungen, Haltungen und Wissensrepertoires verweisen auf die Grammatik der Geschlechterordnung, die in der weiblichen Gemeinschaft (re)produziert wird. Die Frauen sind darin verwoben, sie arrangieren sich damit, variieren sie und interpretieren sie um. Die Darstellung der empirischen Ergebnisse folgt dabei einer analytischen Unterscheidung; in den jeweiligen Gruppengesprächen selbst sind die verschiedenen Dimensionen miteinander aufs Engste verwoben.
1.2.1 Die Vereinbarkeits-Perspektive Durchgängig wird von den Frauen auf das Thema Vereinbarkeit als ein inhärentes Moment weiblicher Lebensführung Bezug genommen. Dabei wird das Arrangement der Sphären Öffentlichkeit und Privatheit von den Frauen selbst als spezifischer Hintergrund ihrer Lebenseinstellung und -führung interpretiert. Das Hin- und Hergerissensein zwischen ‚Heim‘ und ‚Welt‘ wird dabei als widersprüchliches und ‚ambivalentes Ganzes‘ erfahren und auch gedeutet. In den Gruppendiskussionen stellen die Frauen selbst immer wieder eine Verbindung her zwischen ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht und den damit verbundenen Erfahrungen dieses Hin- und Hergerissenseins zwischen Arbeit und Privatleben bzw. Familie. Neben ihrer Berufsarbeit sehen sich die Frauen allesamt für die Organisation des Alltags und für das leiblich-seelische Wohl anderer verantwortlich.22 Vor dem Vergleichshorizont männlicher Lebens22
Elisabeth Beck-Gernsheim (1980) beschreibt z.B. die Struktur des Arbeitsmarktes als auf anderthalb Personen hin angelegt. Hiernach fordert der Arbeitsmarkt den Mann ganz – und mehr: berufliche Beanspruchung und Karrieremuster setzen zugleich eine mindestens halbe weitere Person voraus, die die volle Verfügbarkeit des Mannes auf dem Arbeitsmarkt repro-
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führung und -perspektive typisieren die Frauen dieses Vereinbarkeitsmanagement als durchgängig weibliche Anforderung, mehrheitlich in kritischer Absicht. In den Gruppendiskussionen aktualisiert sich diese ‚weibliche‘ Vereinbarkeitsleistung sowie das Bedürfnis nach Integration der verschieden Sphären auch als kohäsives Moment der Gemeinschaft, denn sie wird implizit und explizit als ein tragendes Element gemeinsamer weiblicher Weltsicht interpretiert. Exemplarisch dafür steht die Gesprächspassage der Gruppe von Betriebsrätinnen, die im Kontext der Debatte um betriebliche Arbeitszeitregelungen erörtert, was denn nun das „frauenspezifische Anliegen“ ihres Zusammenschlusses sei: B:
C: A: B:
D: B:
C:
Ich möchte noch einen anderen Aspekt einbringen. Das ist jetzt zwar meine Theorie, ich weiß nicht, ob das allgemeingültig ist. Ich hab’ einfach den Eindruck, auch bei vielen andern Frauen, die ich so getroffen habe und Männern natürlich auch. Ich hab’ – in der Firma treffe ich immer wieder Männer, die haben, die leben eigentlich nur für die Arbeit ja, die haben die Arbeit, vielleicht noch ein bisschen Familie und dann ist Ende. |_und Familie und danach ist Schluss@ Ja und bei den Frauen hab’ ich den Eindruck, bei mir persönlich ist es auch so, die haben auch noch ein paar andere Interessen und dann natürlich auch Lust, sag ich mal, früher zu gehen, weil man einfach noch eine andere Verabredung hat, weil man ne andere Aktivität machen möchte, weil man das anschauen möchte, weil man jenes machen möchte |_genau und das ist bei vielen Männern anders. ich hab’ wirklich den Eindruck, die haben ihre Arbeit und die haben noch ein bisschen Familie und dann ist Schluss. Und von daher ist die Ausrichtung auch anders. (.) Ich weiß jetzt nicht, wie ihr das seht? Also ich hab’ viele Frauen getroffen, bei denen es auch ähnlich ist und viele Männer, bei denen dieses Klischee irgendwie passt. Und ich denke, das ist auch eine Gemeinsamkeit, die wir hier haben, eine Gemeinsamkeit, die wir hier als Gruppe auch sehen. Oder? Das sehe ich auch so, ja
Im Vergleich mit männlichen Kollegen, deren Arbeitsbezug von den Gesprächsteilnehmerin einvernehmlich als ‚einseitige‘ Orientierung analysiert wird, weil diese ihr Privatleben oder vielmehr ihre Familien als ‚Anhängsel‘ von Berufsarbeit interpretieren („die haben ihre Arbeit, vielleicht noch ein bisschen Familie und dann ist Ende“), sehen sich die Frauen in doppelter Hinsicht gebunden. Die Notwendigkeit, aber vor allem auch das Bedürfnis nach einer Vereinbarkeit der verschiedenen Lebenssphären oktroyiert auf weiblicher Seite eine Begrenzung von beruflichem Engagement, die sich nicht zuletzt auch in den duktiv unterstützt und sichert. Der (männliche) Normalarbeitstag setzt also die weibliche Arbeit zu Hause voraus.
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Arbeitszeitdebatten äußert. Ihre Arbeits(zeit)Einstellung ist notwendigerweise eine andere als die von Männern: Während männlichen Kollegen ein „Leben für Arbeit“ unterstellt wird, das – zumindest in weiten Teilen – frei ist von den ‚Niederungen‘ alltäglicher Haus- und Familienarbeit, haben sie den Balance-Akt von ‚Leben mit Arbeit‘ zu bewerkstelligen. Aber nicht nur die verpflichtenden Ansprüche der privaten Sphäre werden erwähnt; vielmehr bringen die Frauen hier auch ein geselliges Interesse in Bereichen zum Ausdruck, die neben Berufarbeit bestehen: Kultur, Sport, Freundeskreis usw. Obwohl die arbeitsfokussierte männliche Arbeitsorientierung, wie sie in dem oben aufgeführten Zitat von den Frauen formuliert wird, relativierend mit einem Klischee in Verbindung gebracht wird, dass in einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung immer „irgendwie passt“, so ist die Frage, ob die anderen Teilnehmerinnen am Gespräch die Beobachtungen und Geschlechter-Typisierungen teilen, eher rhetorisch gestellt. Die spontane Unterstützung der anderen Gesprächsteilnehmerin legt nahe, dass die Gruppe das Thema einvernehmlich auslegt. Die Frauen teilen die Ansicht, dass die Ausrichtung auf Leben und Arbeit geschlechtsspezifisch unterschiedlich sei und ihr eigenes, nämlich weibliches Modell ein Spannungs- und gar Konkurrenzverhältnis impliziere, das den Frauen die Suche nach einer (subjektiven) Vereinbarkeit nahe legt. Noch ein weiterer Aspekt fällt auf: Die Frauen besondern sich hier mit ihrem Wunsch an einem weiter gespannten Horizont und ihrem Bedürfnis nach einem öffentlichen, eben über die konzentrischen Kreise um Familie und Arbeit hinausweisenden, Leben. Während sie diese eigene, ganzheitliche und ‚vertiefte‘, Perspektive auf Welt als Gewinn an Lebensqualität deuten, interpretieren sie das arbeitszentrierte Verhaftet-Sein der Männer als Verlust. Diese seien im Sog der Arbeit gefangen, ihr Blick ist auf (und durch) Arbeit beschränkt und ihr Horizont begrenzt. Diese Interpretation ‚lebensweltverarmter‘ Männer ist insofern bemerkenswerte, weil die Frauen im Kollektiv eine gewichtige Reinterpretation ihrer eigenen Situation vornehmen: Die Bürde des Vereinbarkeits-Managements wird als implizites Privileg ausgelegt. Insgesamt sehen die Frauen die Vereinbarkeit der verschiedenen Sphären als ‚ihre‘ Sache. Ob sie diese Analyse kritisch vortragen und die Anforderungen, die sich aus den Sphären Erwerbsarbeit und Familie ergeben, als widersprüchliche Anforderungsstruktur erfahren und auch deuten, ob sie dies als fragloses Arrangement akzeptieren oder, wie die Betriebsrätinnen, als ‚Gewinn‘ auslegen, das Thema Vereinbarkeit zieht sich wie ein ‚roter Faden‘ durch alle Gruppengespräche. Ob die Frauen erwerbstätig sind oder nicht, ob sie Kinder zu betreuen haben oder nicht, ob die Frauen in Partnerschaften leben oder nicht, ob das (Vereinbarkeits-)Thema also rückgebunden ist an alltägliche Erfahrungen oder diskursiv reproduziert wird, die geteilte Vereinbarkeits-Perspektive hat eine tragen-
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de Funktion für die Gemeinschaft: Sie verbürgt über eine Nähe der Teilnehmerinnen am Gespräch. Sie ist mitunter aber auch ein gebräuchliches Argumentationsmuster, um Nähe herzustellen.
1.2.2 Die Alltags-Perspektive Neben der gemeinsam geteilten (und auch unterstellten) Vereinbarkeitsperspektive, also dem Changieren zwischen den Sphären Öffentlichkeit und Privatheit, deuten die Frauen ihre Lebenspraxis auch als eine spezifische Positionierung, Aneignung und Beanspruchung im öffentlichen Raum. Nicht das Geschlecht (im biologischen Sinn) konstituiert den gleichsam apriorischen Bezugspunkt, von dem aus Platzanweisungen und Interpretationen vorgenommen werden, sondern der Raum, in dem sich soziale Beziehungen konfigurieren. Dieses weitere gemeinsame Moment der weiblichen Gemeinschaft lässt sich als Alltags-Perspektive beschreiben. Das heißt, die Frauen interpretieren Welt aus der Sicht unmittelbarer Erfahrungen ihres Alltags, in den sie eingebunden sind. Dieser unmittelbare und pragmatisch erscheinende Welt-Zugang zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gruppengespräche.23 An dieser Stelle sei noch einmal an die Gruppendiskussion mit dem Frauenkreis erinnert. Hier wird die geschlechtsexklusive Gemeinschaft als pragmatische Grenzziehung innerhalb der Geschlechterordnung formuliert. Die Gruppe ist Ausdruck der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und die Frauen nutzen die Gruppe für ihre Bedürfnisse und Anliegen. Ob es dabei um gesundheitliche Themen geht oder um die Auseinandersetzung mit Theologie und Philosophie, so steht für die Frauen immer die Frage im Vordergrund, ob dies etwas mit ihrem Leben, konkret: mit ihren Bedürfnissen sowie mit ihrem alltäglichen Eingebundensein in Haushalt und Familie zu tun hat. Ihre Interessen haben sich im Laufe 23
Für den phänomenologischen Ansatz von Schütz ist die Unterscheidung von ‚Alltag‘ und ‚Lebenswelt‘ konstitutiv. Lebenswelt ist für ihn der umgreifende Sinnhorizont für alle infitinten Sinnbereiche. Der Sinnbereich des Alltags hingegen ist begrenzt und durch einen spezifischen kognitiven Stil der Praxis gekennzeichnet (vgl. Soeffner 1989). Die generative Struktur dessen, was Alltag genannt wird, beruht auf einem besonderen „Typus von Erfahrung, des Handelns und des Wissens“ (a.a.O, , 15). Im Alltag wird gehandelt und hier werden Dinge verändert. Mit Schütz (1971, 11) formuliert, ist die Lebenswelt des Alltags das einzige Subuniversum in das „wir uns mit unseren Handlungen einschalten“ und das wir durch unsere Handlungen verändern können. Konstitutiv für den Alltag ist dabei die Konstruktion von Normalität, denn im Alltag geht es um die Beseitigung oder Minimierung des Ungewöhnlichen und des Zweifels. Des Weiteren ist das Alltagwissen und das Alltagshandeln inexplizit, weil es „in einer Welt der Selbstverständlichkeiten untergebracht ist“ (Soeffner, 19). Dies führt dazu, dass ‚alltägliche‘ Deutungsmuster eine große Eigenständigkeit aufweisen und ein enormes Beharrungsvermögen gegenüber alternativen Deutungsangeboten zeigen.
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der Gruppengeschichte zwar verändert, aber der Fokus bleibt nach wie vor auf den ‚Verwertungsaspekt‘ für ihr Leben als Hausfrauen, Mütter, Rentnerinnen usw. gerichtet. Auch in anderen Gruppen ist die Alltags-Perspektive konstituierend für ein gemeinsames Gruppenanliegen. Die Interessengemeinschaft der Architektinnen und Stadtplanerinnen kann hier als prominentes Beispiel unseres Samples angeführt werden. Diese Gruppe beschäftigt sich ganz explizit mit der ‚Alltagstauglichkeit von Theorien‘. Wir erinnern uns: Die Frauen, die sich laut Gruppenstatut für die „vielfältigen Bedürfnisse von Frauen in Stadtplanung und Architektur“ einsetzten, sehen eine „lebensbejahende Stadtplanung“ dann verwirklicht, wenn die Bedürfnisse der Menschen, die die Städte bewohnen, berücksichtigt werden. Die Architektur-Wissenschaft wird im Hinblick auf ihren Praxisbezug ‚abklopft‘. Konkret heißt das, dass sie die herrschenden Regeln des Planens und Bauens geschlechtersensibel auch im Hinblick auf weibliche Belange und Interessen hinterfragen. Sie kritisieren Architektur und Wohnungsbau, weil hier Räume geschaffen werden, die, mit den Worten Georg Simmels, „wirkungslose Form“ (1983, 221) sind und ihre Bedeutung letztlich erst durch die Menschen erhalten, die sie wahrnehmen, sie haben oder nicht haben, sie nutzen, ihnen Wert zumessen u.ä. mehr. Hinter der Vorstellung einer ‚geschlechtersensiblen‘ Architektur und Stadtplanung, also einer ‚geschlechtergerechten‘ Gestaltung des öffentlichen Raums steht die Vorstellung – und damit teilen sie auch die Sicht der im vorherigen Abschnitt zitierten Gruppe von Betriebsrätinnen –, dass weibliche Erfahrungen andere, weil unmittelbar lebensweltlich verankert seien und die herrschende androzentrische Perspektive ihre ‚weiblichen‘ Lebenskontexte nicht berücksichtige. Frauen übernehmen, so die geteilte Meinung der Gruppe, die Sichtweise von Nutzerinnen, d.h. Frauen beurteilen Architektur und Stadtplanung mit der Maßgabe ‚lebenstauglicher Ganzheit‘. Männern hingegen unterstellen sie „Technikphantasmen“ und einen Hang zur „Fassadengläubigkeit“. Ihre Beurteilungskompetenz, was die soziale Gestaltung von Räumen betrifft, wird kritisch hinterfragt, weil sie aufgrund ihrer männlichen Lebenslage einen selektiven Blick mitbrächten, der vor allem mit ‚Rationalität‘ und ‚Körperlosigkeit‘ assoziiert wird. Insgesamt deuten die Frauen Welt aus ihrer Alltagsperspektive. Wissen wird im Hinblick auf deren Verwertbarkeit taxiert und bewertet und vice versa wird dieser praxisbezogene Blick auch zum gruppenkonstitutiven Moment. Dabei besondern sich die Frauen auch hier über ‚Ganzheitlichkeit‘. Die Vergleichsfolie bleibt der männliche Blick, der wenig(er) alltagspraktisch verwoben und ‚geerdet‘ sei. Doch obwohl es ihnen durch diese Selbstkategorisierung gelingt, sich gemeinsam zu ‚erhöhen‘, wird gerade am Fallbeispiel der Interessengemeinschaft offenbar, dass ihr Engagement letztlich eine Reaktion auf den männlichen Gestaltungswillen bleibt.
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1.2.3 Die Verantwortungs-Perspektive Eine weitere Sicht, die innerhalb weiblicher Zusammenschlüsse einvernehmlich geteilt wird und über die die Frauen ihr typisch weibliches Selbstverständnis vorstellen, ist die der Verantwortung, die sie für andere übernehmen. Grundsätzlich stimmen die Frauen darin überein, für die sozialen und emotionalen Belange in Beziehungen zuständig zu sein. Das Paradebeispiel für eine solche Verantwortungs-Perspektive ist hier die Situation der Frauen im Hinblick auf Mutterschaft. Die Frauen sehen sich etwa aufgrund ihrer ‚leibgebundenen‘ Verantwortung als Mütter näher am Leben und umgekehrt, Generativität nimmt die Frauen in die Verantwortung für ihre Kinder. Männern, so der implizite Umkehrschluss, fehle diese Dimension der Verantwortung; sie sind dem Leben gewissermaßen entrückter. Die Frauen sehen sich gerade mit Blick auf ihre Kinder niemals als quasi geschlechtslose Akteure, wie sie dies Männern unterstellen. Vielmehr dokumentiert die empirische Analyse, dass die physiologisch fundierte Differenz im Hinblick auf Mutterschaft zum kohäsiven Moment in der weiblichen Gemeinschaft wird und mit einem Fremderleben der Geschlechter korrespondiert. Zugespitzt wird diese leiblich-affektiv besetzte Bindung und Verantwortung für andere von einer Gruppe unseres Samples vorgetragen, die im Kontext der Ökologiebewegung in den 80er Jahren entstand und sich ganz explizit ‚Mütter‘-Gruppe nennt. Dieses Label der Gruppe ist auch insofern bemerkenswert, weil die Kinder der Frauen allesamt längst erwachsen sind. Der Gruppentitel ist insofern Ausdruck und Nachhall einer Zuordnung über das weibliche Prinzip Mutterschaft bzw. Mutter-Sein. Die Diskussion innerhalb der Gruppe, den Namen zu ändern und über das allgemeine Label ‚Frauen‘-Gruppe auch diejenigen Frauen anzusprechen, die keine Kinder haben, wurde einstimmig abgelehnt. Obwohl sie sich der Diskussion um ihren Gruppennahmen öfter stellen müssen und sich, wie die folgende Interviewpassage zeigt, durchaus bewusst über den pathetischen Beiklang der Namenssetzung sind, bleibt es dabei: B:
C: A: B: A:
ich denke auch, dass Mütter vielleicht, äh, näher sind diesen Umweltbedingungen, ne, dass mer sagt, mit so nem Kind, da riecht und schmeckt man alles viel intensiver, man muss ja was beschützten |_ ja, und für das Leben aber des klingt ja immer so pathetisch, ich bin da inzwischen so vorsichtig geworden man ist schnell in einer, so biologischen Ecke es gab da so unangenehme Diskussionen, aber da sind wir auch selbstbewusst genug, um uns da nicht zu verbiegen
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Mutterschaft, so die kollektive Argumentation, ist ein zentraler, weil eben auch ein ‚leibhaftiger‘ Bestandteil ihres Frauenlebens. Die Erfahrung Mutterschaft wird damit zur gemeinschaftsstiftenden Erfahrung in der Gruppe sowie zur Antriebskraft des politischen Engagements. In dem folgenden Interviewausschnitt, in dem sich die Frauen an den Entstehungskontext der Gruppe erinnern, wird die empfundene Verantwortung der Frauen für ihre Kinder in der Retrospektive zum Impuls für das politische Engagement in der Öffentlichkeit: A:
D:
A: D: A: D:
Und dann haben wir gemerkt, würde ich jetzt mal verallgemeinert sagen, dass wir uns (.) auf eine empfindsamere Weise mit dieser ganzen äh Lage auseinander gesetzt haben. Also die Männer fanden des vielleicht auch schrecklich, aber litten nicht so unter der Situation, während viele von uns sagten, dass sie dieses Ereignis – man kann ja wirklich sagen, das is ein historisches Ereignis –, als eine Art Schlüsselerlebnis erlebt haben. Sagen, also das ist- das woll’n wir uns nicht länger gefallen lassen. Und ich würde sagen, so sind wir eigentlich aus einem Protest entstanden, der äh der |_Aus einer Betroffenheit entstanden. Es war ne Betroffenheit und unser erstes Flugblatt war: Wut, Trauer (.) Was noch? Angst. Angst. Des waren so die Balken äh, die da auf’m roten Papier warn ne, also (.) und da war mir die |_ also emotional |_diese absolute Verunsicherung
Aus der Sicht dieser Frauen ist Mutterschaft eine ‚inkorporierte Erfahrung‘, die aufs Engste verknüpft wird mit grundlegenden Vorstellungen sozialer und politischer Praxis. Im Interview korrespondiert für die Frauen Mutter-Sein mit Alltags- und Lebensnähe und einer daraus resultierenden spezifischen Verantwortung für andere, die Männern, aber auch Frauen ohne Kinder nicht zugestanden wird. An diesem Fallbeispiel wird die größere ‚Empfindsamkeit‘ in der Auseinandersetzung mit dem Reaktorunglück Tschernobyl exemplifiziert. Ihre spezifische Emotionalität wird als ein weibliches ‚Kollektivgut‘ erfahren und verallgemeinert: „Wut“, „Trauer“, „Angst“ sowie die „absolute Verunsicherung“ werden als ein spezifischer Ausdruck einer ‚geschlechtsspezifischen Emotionalität‘ erfahren und interpretiert. Die Gegenüberstellung Emotionalität versus Vernunft wird hier augenfällig: Während die Frauen geschlechtsgebunden in ein Ereignis emotional involviert sind, wird Männern durchaus auch eine kognitive Bewertung der Situation zugestanden. Männer finden etwas schrecklich, während Frauen darunter leiden. Damit wird auch zum Ausdruck gebracht, dass mit Emotionalität die Zuschreibung von Personen als ‚mit einem emotionalen Wesen versehen‘ verstanden wird. Emotionalität ist eine Eigenschaft und das Gegenteil von
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Vernunft (als handlungsleitender Orientierung). Sie ist als solche assoziiert mit ‚Irrationalität‘, ‚Spontaneität‘ und ‚Subjektivität‘. Bemerkenswert ist, wie selbstverständlich und auch unhinterfragt die Frauen hier Geschlechtsrollenzuschreibungen für sich als Alleinstellungsmerkmal in Anspruch nehmen. Äußerungen über die größere Emotionalität von Frauen sind nun gewiss nicht per se als ‚essentialistisch‘ zu bezeichnen; sie können auch auf kontextgebundene Erfahrungen verweisen. ‚Essentialistisch‘ werden sie als Form generalisierter Vereigenschaftlichung. Die oben aufgeführte Mütter-Gruppe argumentiert insofern essentialistisch, weil sie auf Deutungsrepertoires zurückgreift, die die Vorstellung eines weiblichen Geschlechtscharakters mit seinen stereotypen Entwürfen von Männlichkeit und Weiblichkeit beinhaltet.
1.2.4 Die Perspektive der Betroffenheit und Parteilichkeit Ein weiteres Merkmal, das von den Frauengruppen durchgängig thematisiert wird und zur Bestimmung eines geschlechterspezifischen Standorts beiträgt, ist die Parteilichkeit und Betroffenheit der Frauen mit anderen Frauen und vor allem mit dem Schicksal derjenigen Frauen, denen besonderer Nachteil aus der herrschenden Geschlechterordnung widerfährt. Patriarchale (Unterdrückungs-) Verhältnisse vereinen Frauen insgesamt, da – wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen – alle Frauen davon strukturell betroffen sind. Die Erfahrung, dass Geschlecht diskriminiert und über Zugangschancen zu öffentlichen Bühnen entscheidet, ist der gemeinsam erfahrene und über den Geschlechterdiskurs vermittelte und gedeutete Erfahrungshintergrund, der im weiblichen Kollektiv verbindend wirkt. Ein anschauliches Beispiel für eine solche Perspektive der Betroffenheit und Parteilichkeit in weiblichen Zusammenschlüssen ist die Fraueninitiative, die sich überwiegend ehrenamtlich im Bereich sexueller Gewaltprävention engagiert. Dabei teilt die Gruppe die Meinung, dass die Erfahrung ‚sexuelle Gewalt‘ prinzipiell alle Frauen betrifft, weil sie als Herrschaftsmechanismus strukturell verankert ist. In weiten Teilen der Gruppendiskussion erörtern die Frauen, warum es mühsam und zum Teil auch aussichtslos ist, das Thema ‚sexuelle Gewalt‘ mit Männern auf einer kollegialen Ebene zu diskutieren. Neben den immer wieder genannten Unterschieden von ‚weiblicher‘ und ‚männlicher‘ Kommunikationskultur, betonen die Frauen ihren Rechtfertigungsdruck, der entsteht, wenn Frauen Themen bearbeiten, in denen sie mit ‚struktureller Täterschaft‘ argumentieren. Männer, so die Argumentation der Frauen, seien nicht in der Lage, zwischen persönlicher und struktureller Täterschaft zu unterscheiden, sie empfänden das Thema ‚Gewalt gegen Frauen‘ als persönlichen Angriff. Um diesen persönli-
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chen Zuschreibungsmechanismus ‚alle Männer sind Täter‘ zu unterbinden, seien zeitraubende und (alt-)bekannte Differenzierungen notwendig. Ein effektives Arbeiten, so die geteilte Meinung der Frauen, ist unter diesen Verständnisschwierigkeiten nur schwer möglich: B:
...weil ich auch merke, wenn Männer dabei sind, muss man – was frauenspezifische Themen angeht – erst mal ganz viel Rechtfertigung so machen, um das überhaupt diskutieren zu dürfen und dann sagen: „Nein, das ist jetzt nicht persönlich, es ist strukturell“.
Die Erfahrung, aufgrund derselben Geschlechtszughörigkeit an dem Schicksal derjenigen teilzuhaben, denen das Unterstützungsinteresse gilt, eröffnet hier die Chance zur Identifikation mit den von Gewalt betroffenen Frauen. Frauen seien demnach besser in der Lage, empathische Unterstützung zu leisten. Die bei allen Unterschieden von sozialer Herkunft, Bildung, beruflicher Situationen usw. gegebene prinzipielle Gemeinsamkeit der sexuellen Gewalt-Erfahrungen mache es möglich und sinnvoll, Unterstützung nach Maßgabe der Prinzipien ‚Betroffenheit‘ und ‚Parteilichkeit‘ zu betreiben. Trotz Professionalisierungsbemühungen – die Gruppe hat sich in den letzten Jahren von dem Begriff der ‚solidarischen Betroffenheit‘ gelöst –, gilt, dass Männer per se eine andere Perspektive einnehmen, weil sie, wie in dem folgenden Diskussionsausschnitt deutlich wird, aufgrund ihrer Geschlechtzugehörigkeit grundsätzlich nicht in der Lage seien, das ‚Betroffenheitspostulat‘ zu erfüllen: A:
Gut, wir haben zumindest die Grundlage, es gibt Gewalt in einem gewissen Ausmaß, es ist unsere Arbeitsgrundlage, ursprünglich die Idee von Solidarität und Unterschützung, auch wenn wir jetzt den Begriff Solidarität so nicht mehr verwenden, aber die Idee von Unterstützung und Begleitung und Parteilichkeit für Frauen ist nach wie vor da, das ist so die Gründungsidee von Y (Name der Gruppe, Anm. d. Verf.). Also Frauen helfen Frauen aus ihrer Betroffenheit heraus, und das hat sich zunehmend professionalisiert, nur die Idee ist immer noch da. Und deswegen könnte in diesem Verein kein Mann sein, weil er quasi diese Grundlage nicht teilen kann aus seiner Geschlechtsrolle heraus, in einem anderen Maß vielleicht betroffen zu sein von struktureller Gewalt in der Weise.
Die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht wird hier zum sozialen Schließungsmechanismus par excellence, weil die unterstellte reziproke Perspektivenübernahme nur unter Frauen möglich ist. Nur diese seien prinzipiell in der Lage, die Partei ihrer Genus-Gruppe zu ergreifen und prinzipiell mitzuerleben. Eine solche Perspektive der Betroffenheit und Parteilichkeit muss nicht zwangsläufig mit einer erfahrungsgebundenen Problemdeutung zusammenfallen. Die Szene der exklusiven Service-Clubs beispielsweise vertritt den Standpunkt,
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dass die Problemdeutung einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung auf die eigene Lebenssituation als Frau nicht zutrifft. Emanzipation und Gleichberechtigung seien nicht ihre Themen. Ihre Aufmerksamkeit und ihr Mitgefühl gilt den ‚anderen‘ Frauen – im Regefall denjenigen Frauen, die über weitaus weniger Privilegien und gesellschaftlichen Status verfügen, kurzum: nicht aus ihrem eigenen Milieu kommen. Aber auch die Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten weisen eine wie auch immer geartete Diskriminierung weit von sich; sie verstehen ihre Lage und Situation als eine von Männern verschiedene; dies ergibt aus der Alltagspraxis des Geschlechterarrangements und wird mithin als Fremdheits-Erleben der Geschlechter erfahren. Den Frauen, die ihrer Meinung nach unverschuldet in Not geraten und diskriminiert werden, wird Anteilnahme entgegengebracht und zugesichert. Bemerkenswerterweise ergreifen sie vor allem Partei für die ‚fremde‘ Frau aus der sog. Dritten Welt. Meist unterstützen sie Organisationen und Projekte gegen die Beschneidungspraxis von Frauen und Mädchen. Durch die maximale Distanz ist kein Vergleich mit der eigenen Lebenssituation möglich (und vermutlich auch nicht intendiert), aber durch ihre Aufmerksamkeit signalisieren sie ein Mitgefühl mit allen Frauen, die ihrer ‚Natur‘ beraubt werden. Bis dahin lässt sich als Zwischenresümee formulieren: Über alle Gruppen hinweg lässt sich eine spezifische Perspektiven-Gebundenheit der Frauen qua Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit beschreiben. Diese vergeschlechtlichte Weltsicht, die sich empirisch an Hand verschiedener Dimensionen rekonstruieren lässt, verweist auf gemeinsame biographische und kollektivbiographische Hintergründe und auf annähernd strukturidentische Lebenskonstellationen wie berufliche Kontexte oder eben eine geteilte Alltagspraxis. In den Gruppengesprächen dokumentieren sie den Fond der Gemeinschaft: In ihnen kommt die gemeinsame Grundlage von Wissen und Erfahrung zur Geltung, eine Welt gemeinsamer Situationen, in der gemeinsame Probleme aus einem gemeinsamen Horizont auftauchen rsp. als solche gedeutet werden. Mit dieser gemeinsamen Problemreferenz vereinheitlichen und vergewissern sich die Frauen als WirGemeinschaften: Über Selbstdefinitionen und -darstellungen und den Bindungen an spezifische Handlungskontexte und -bedingungen. Die weibliche Gemeinschaft stellt damit für ihre Mitglieder einen kollektiven Erfahrungsraum dar, in dem ein ‚Einander Verstehen‘ vor allem im Rekurs auf kulturell vorfindbare Deutungsrepertoires von Geschlecht möglich wird. Meist gelingt dies auch, weil die Ebene der Verständigung grundsätzlich und abstrakt ist. Gleichzeitig, auch das zeigt die empirische Analyse, reagiert die geschlechtsexklusive Gemeinschaft empfindlich auf Konflikte, die eine solche einheitliche Weltsicht torpedieren. Das heißt, die Gemeinschaft nivelliert individuelle Differenzen im Innern
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III Die weibliche Gemeinschaft
und ordnet diese der Grenzziehung zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern unter. Dazu aber noch später. Weiterhin zeigt sich, dass das kollektive ‚Wir‘ der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft auf einer Differenzierungspraxis fußt, in der ein Deutungsrepertoire von beharrenden, gleichsam ahistorisch erscheinenden Deutungskernen von Geschlechtertopoi zur Anwendung kommt. Vor der Projektionsfläche des Mannes und des Männlichen wird die Selbstvorstellung und -darstellung in der „Triade sozialer Geltung von ‚Weiblichkeit‘ als ‚Besonderem‘ – Minderem – Anderem‘“ (Knapp 1995, 188) vorgenommen. Die Frauen machen in allen diesen Fällen eine Identität geltend, die auf biographisch aufgeschichteten Erfahrungen beruht und die sie mit anderen Frauen gemeinsam haben. Neben dieser selbstbezüglichen Aneignung und Konstruktion von Identität werden auch die ‚Anderen‘ über Zuschreibungen bestimmt. Die weibliche Gemeinschaft, so lässt sich festhalten, gewinnt ihre Kontur vor der Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen und bestätigt sich in dieser Differenz. Beides zusammen, die Vereinheitlichung im Innern der Gemeinschaft und die Differenzkonstruktion nach außen, gehören zusammen. Sie bedeuten Grenzziehung gegenüber außen und eine Einklammerung des ‚Eigenen‘ im Binnenraum der Gruppe. Sie sind die zwei Seiten einer Medaille.
1.3 Die Konstruktion der weiblichen Gemeinschaft Durch die Gruppengespräche gewinnen wir einen Einblick in die Art und Weise, wie die soziale Identität der Gruppe hergestellt wird, nämlich in einem interaktiven Prozess, der, wie zu zeigen sein wird, auch deutliche Züge eines Machtdiskurses trägt. Dadurch fällt auf, dass es nicht nur ein inhaltlicher Konsens ist, der die Gruppen zusammenhält oder zusammenführt, sondern eine bestimmte Modalität der kommunikativen Bearbeitung, mit der sich die Frauen als dichte Interaktionsgemeinschaften entwerfen. Charakteristisch ist also ein gemeinsames Tun, gleichsam als Ausdruck eines gemeinsamen Welt-Verständnisses. In diesem gemeinsamen Tun wird – wenn auch nicht immer konfliktfrei – Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit zur gemeinsamen Deutungsfigur des Kollektivs erklärt, fiktionalisiert und auch eingespurt. In mühsamer Arbeit wird eine sog. Frauenperspektive errungen, in welcher sich immer wieder der identitätslogische Konstruktionsmodus von Differenz durchsetzt, in der sich, wie es Knapp formuliert, das Entweder-Oder gegen die übergangsreichen Mehr-oder-Weniger- und Sowohl-als-auch-Verhältnisse behauptet (vgl. Knapp 1995) Dieses kommunikative Verfahren, das eigene, nämlich ‚weibliche‘ Sosein und Verhalten vor dem des Mannes und dem Männlichen zu konturieren und zu typisieren, wurde be-
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reits als vergeschlechtlichter Differenzdiskurs beschrieben. Jetzt ist unser Blick auf die Konstitutions- und Konstruktionsprinzipien im Binnenraum der Gruppen gerichtet, nämlich darauf, wie diese kollektive Selbstverständigung über Differenz geformt und hervorgebracht wird und gelingt, wie sie in kommunikativen Aushandlungsprozessen konstruiert, eingefangen und in sozialen Spektakeln inszeniert wird. Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit lässt sich sowohl als symbolische Ressource, kulturelles Phänomen, als ‚natürliche‘ Existenzweise (Maihofer 1995), soziale Praxis (Dausien 2001) als auch als erfahrungsgebundenes Wissen deuten. Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Bezügen auf Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit die Konstruktion der Differenz, die an die interaktive Konstitution der sozialen Wirklichkeit gebunden ist. Dies wird, darauf wurde ja bereits hingewiesen, in ethnomethodologischen und interaktionistischen Theoriekonzepten als Prozess des doing gender empirisch beschrieben: Ein Geschlecht hat man eben nur, indem man es tut. Geschlecht ist in dieser Perspektive eine interaktive Leistung der beteiligten Akteure, ein gewohnheitsmäßiges Tun, das immer wieder aufs Neue von den Protagonistinnen wie auch den Rezipientinnen hergestellt wird und hergestellt werden muss (Garfinkel 1967, Kessler/McKenna 1978). Das Augenmerk richtet sich also auf die Mikropolitiken der Geschlechterunterscheidung und eben die Frage, wie Menschen in einer geschlechterstrukturierten sozialen Welt zu Männern und Frauen werden und die Wirkmächtigkeit der Kategorien immer wieder herstellen und neu bestätigen, demzufolge Frauen und Männer verschieden zu sein haben. Die Besonderheit an der eigenen Untersuchung über geschlechtsexklusive weibliche Zusammenschüsse ist, dass das doinng gender ohne counterpart auskommen muss rsp. der männliche Part im Binnenraum der Gemeinschaft imaginiert wird. Es ist zu vermuten, dass gerade durch diese stereotype Abstraktion eine Gruppendynamik provoziert wird, in der es nachgerade notwendig wird, (wort-)gewaltige Geschütze aufzufahren, um das Geschlechterarrangement in seinen geschlechtertypisierenden Kategorialisierungen zu deuten und damit auch zu bekräftigen. Für die eigene Fragestellung nach der Bedeutung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit im Erfahrungsraum weiblicher Zusammenschlüsse mag der Hinweis hier genügen, dass die Ethnomethodologie aufzeigt, dass es letztlich unmöglich ist, dem ‚doing gender‘ handlungsfaktisch zu entkommen, denn die Existenz von zwei Geschlechtskategorien geht als unhintergehbare Voraussetzung in sie ein. Diese Unhintergehbarkeit drückt sich kulturell in einem „Imperativ der (geschlechtlichen) Identifizierbarkeit“ aus (Wetterer 1993, 99), dem Bedürfnis nach eindeutiger Zurechenbarkeit zu einer der beiden Genus-Gruppen. Die Unvermeidlichkeit wirft aber auch die Frage auf, auf welcher Ebene diese geschlechtsspezifischen Zuweisungen stattfinden: Auf der Ebene der Deutungen,
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die sich als gesellschaftliche Tatbestände in die Gruppen einspuren oder auf der Ebene der handlungspraktischen Kommunikationen unter den Frauen? Empirisch lässt sich zeigen, dass es in den weiblichen Gemeinschaften um ein Mischungsverhältnis geht, zum einen um ein situatives Aushandeln eines Repertoires kultureller (Geschlechter)Codes, zum anderen um eine spezifische Form von Machtdiskurs, der als Reaktion und Ausdruck der Geschlechterordnung charakterisiert werden kann. Die Einteilung der Welt in Frauen und Männer, so die These des Konstruktivismus, existiert nur in und durch die Handelnden. Sie ist allerdings, so etwa Berger und Luckmann (1969), nicht beliebig, weil sie eben eine Konstruktion der Handelnden ist und somit gebunden an die Möglichkeit des Handelns selber und an die Möglichkeiten derer, die handeln. Für unsere Untersuchungsgruppe, nämlich die weibliche Gemeinschaft, heißt das, dass ihr Tun nicht in einem luftleeren Raum geschieht, sondern an einen gesellschaftlichen Kontext gekoppelt ist. Wie die empirische Analyse zeigen kann, ist ihr Tun als Praxis zu verstehen, die zur Konstitution, Konstruktion und Kontinuierung der kulturellen Ordnung beiträgt. Dies ist insofern ein überraschendes Ergebnis, weil die Formen der Geschlechterseparierung, entgegen den intendierten Zwecksetzungen vieler Gruppen, die bestehende (Geschlechter-)Ordnung zementieren, indem sie sie hypostasieren. Bei der empirischen Rekonstruktion des Geschlechterdiskurses wird augenfällig, dass die Geschlechterdifferenz durch die Gruppendynamik geradezu erzeugt und reproduziert wird und zwar in einer Art und Weise, in denen die Handelnden das hervorbringen, was als existent vorausgesetzt wird, nämlich Männer und Frauen, männliches und weibliches Verhalten. Dass diese geschlechterspezifischen Eigenschaftszuweisungen Fiktionalisierungen sind, heißt dann, dass die Personen nicht dem einen oder anderen Geschlecht zugewiesen werden, sondern umgekehrt, dass diese Eigenschaften ihnen unterstellt und ihr Verhalten nach Maßgabe dieser vergeschlechtlichten Zurechnungspraxis bewertet wird. Empirisch lässt sich der Herstellungsmodus sozial produzierten (Geschlechter-)Wissens in der weiblichen Gemeinschaft im Hinblick auf Praktiken und Regularien beschreiben, mit denen sich die Gruppen selbst choreographieren und ihre Choreographien tanzen, um dies mit einem Bild von Karin Knorr-Cetina (1989) zu veranschaulichen. Mit Blick auf diesen Herstellungsmodus wird dann auch deutlich, wie es in den Gruppen immer wieder gelingt, die Teilnehmerinnen in einen gemeinsamen schematisierenden Geschlechterdiskurs einzufangen und auch einzuspuren. Und um diese ‚Einspureffekte‘ soll es im Folgenden noch etwas ausführlicher gehen. Die empirische Analyse kann zeigen, wie die kontinuierliche Arbeit an der Gemeinschaft gelingt, wie sich die Frauen als Gemeinschaft inszenieren und welche strukturierende Funktion der Gruppe dabei zukommt. Erstens wirkt die Gruppe situativ als Filter. Die Gruppe filtert hier Dif-
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ferenzen, Ungereimtheiten und Widersprüche. Darüber gelingt es, die Frauen auf die generalisierende und vereinheitlichende Perspektive der Gemeinschaft einzuschwören (Pkt. 1.3.1) Wie schwierig ein solches Unterfangen ist, lässt sich mit Hilfe der zweiten Funktion, der sog. Selbsterhaltungsfunktion der Gruppe, beschreiben. Um das ‚Überleben‘ der Gemeinschaft zu garantieren, obliegt es der Gemeinschaft, die differenten Einstellungen und individuellen Vorstellungen der Teilnehmerinnen (immer wieder) einzufangen (Pkt. 1.3.2). Drittens lässt sich der Werkstattcharakter der Gruppe veranschaulichen. Die weibliche Gemeinschaft wird für ihre Mitglieder zum Übungsraum für die verschienen Ebenen der Geschlechterdarstellung und -unterscheidung (Pkt. 1.3.3). Diese verschieden sozialen Einspureffekte im Binnengefüge der weiblichen Gemeinschaft werden im Folgenden näher skizziert.
1.3.1 Die Filter-Funktion der Gemeinschaft In allen Gruppengesprächen aktualisiert sich ein Stil der kommunikativen Verhandlung, durch den (individuelle) Differenzen im Kollektiv eingefangen und zu geschlechtsspezifischen Argumentationen generalisiert werden. Ob es sich dabei um das gemeinsame Lesen feministischer Texte handelt, ob die Frauen den gemeinnützigen Anspruch formulieren, aufgrund ihrer gesellschaftlichen Privilegien andere Frauen zu unterstützen oder ob sie sich zusammenfinden, um zu kegeln, zu wandern oder gemeinsam zu frühstücken, all diesem Tun liegt ein (identitäts-)programmatischer Gruppen-Anspruch zugrunde, nämlich eine ganz spezifische Gemeinschaft zu sein, in der die Teilnehmenden einen Erfahrungsraum teilen, den die Frauen mit einer geschlechterspezifischen Bedeutung versehen. Dieser Bedeutungshof von gemeinsamen Tun und Geschlecht zeigt sich allerdings höchst variabel und kontextbezogen. Insofern wird es unumgänglich, dass die Gruppe selbst eine ordnende Funktion übernimmt. Nur so kann es gelingen, das ‚kollektive Wir‘ zu bündeln und – wenn dies notwendig erscheint – auch zu retten. Zu letzterem später. Zur empirischen Explikation der sog. Trichter-Funktion soll noch einmal auf die Netzwerkfrauen geblickt werden (vgl. hierzu auch die Falldarstellung in Kap. II), weil hier besonders eindrucksvoll über die ‚Vereigenschaftlichungen‘ von Männern und Frauen gerungen und gestritten wird. In der Gruppendiskussion vergleichen sich die Frauen mit Männern und diskutieren u.a. darüber, ob männliches Verhalten im Arbeitsumfeld weniger emotional aufgeladen ist als weibliches. Einige der Gesprächsteilnehmerinnen wehren sich bei dieser ‚klassischen‘ Gegenüberstellung gegen die althergebrachten geschlechtsspezifischen Stereotypien (männlich ist sachlich, weiblich ist emotional), trotzdem wird gera-
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de in dieser Auseinandersetzung deutlich, dass die Frauen an einer polaren Geschlechtskategorisierung festhalten, darin verhaftet sind und in ihrem klassifizierenden Tun die Wirkmächtigkeit der Kategorien immer wieder neu bestätigen. Der performative Aspekt bzw. die interaktive Leistung der Konstruktion ist dabei der gemeinsame binär strukturierte Deutungsprozess in der Situation des Gesprächs. Individuell erlebte Differenzen zwischen Kollegen und Kolleginnen werden in der Frauengruppe zu Geschlechterdifferenzen geredet oder anders gewendet: Über die Gruppendynamik werden auf der Ebene der Interaktion Erfahrungen mit der Bedeutung versehen, Ausdruck einer Geschlechterdifferenz zu sein. Am Beispiel der Diskussion über angeblich ‚weibliche‘ und ‚männliche‘ Verhaltensweisen in beruflichen Situationen wird die Gruppe sinnbildlich zum Trichter: Die Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Frauen werden über ein ‚vergeschlechtlichtes‘ Regelwerk der Gruppe eingestampft und geschlechtsspezifisch gefiltert. Aber auch in anderen Gruppen lassen sich derlei geschlechtsspezifische Filterprozesse rekonstruieren, mit denen differente Sichtweisen zugunsten eines einvernehmlichen vergeschlechtlichten Weltbildes eingeschmolzen werden. In der Szene der weiblichen Service-Clubs beispielsweise, nehmen die Frauen unterschiedlich, durchwegs aber auch kritisch Bezug auf die bekannten Geschlechterstereotype. Obwohl sie aufgrund ihrer Privilegien und der erreichten beruflichen Position keine Veranlassung für eine solche Schematik sehen, vermag die Gruppendynamik, das zunächst über den gemeinsam geteilten gesellschaftlichen Status aufgespannte, aber nicht immer harmonische Zusammengehörigkeitsgefühl über geschlechtsspezifische Differenzannahmen zu fundamentalisieren. So werden beispielsweise gruppeninterne Probleme regelmäßig im Vergleich mit den ‚Herrenclubs‘ ausgetragen, weil, so scheint es, die männliche Gesellung der normative Standard für die eigene Club-Praxis ist. Erinnert sei hier beispielsweise an das Gespräch eines Clubs über die (beruflichen) Selbstpräsentationen der Mitglieder bei den offiziellen Club-Abenden. Die Frauen haben sich hier selbst ein eingeschränktes Rederecht über Autobiographisches auferlegt, um ausufernde Berichte einzelner Club-Frauen zu unterbinden. Im kritischen Gespräch darüber wird dieses heikle Reglement analysiert. Bemerkenswert ist, dass die kritische (Selbst-)Betrachtung in einem generalisierenden Geschlechtervergleich mündet, in der die Frauen sukzessive Etikettierungen übernehmen, die sie zunächst für sich verwarfen. Insgesamt lässt sich das Festhalten an der grundlegenden Differenz von Männern und Frauen in der weiblichen Gemeinschaft als ein generatives Muster der Herstellung sozialer Ordnung charakterisieren. Dabei haben wir es aber mit zwei Ebenen zu tun, wie dies Gildemeister und Wetterer (1992) in ihren Analysen ausführen. Dies ist zum einen die Ebene der endlosen „Ausdifferenzierung
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und Re-Formulierung der hierarchischen Struktur des Geschlechterverhältnisses“ (a.a.O., 223), zum anderen die Ebene der inhaltlichen Zuschreibung von Männlichkeit und Weiblichkeit. Während sich die Struktur der hierarchischen Klassifikation der Vergeschlechtlichung der Autorinnen zufolge bislang als historisch konstant erwies, sind die Inhalte der jeweiligen Geschlechterstereotype ihrer Meinung nach historisch kontingent und in „gewissem Sinne beliebig“. 24 Die Autorinnen sprechen hier von einer kontinuierlichen „Umschrift der Differenz“ (a.a.O., 222f.). Damit wird auch deutlich, dass die Deutungscodes eher „operativen Charakter“ (Knapp 1995, 177) haben und sie von daher etwas sind, „worin sich Menschen bewegen, von wo aus sie sich und andere vorstellen und wahrnehmen als Konzeptionen, die sie entwickeln und dann anwenden“ (a.a.O.).
1.3.2 Die Selbsterhaltungsfunktion der Gruppe Die Herstellungslogik der Differenz und ihre beharrliche Relevanz erschließt sich auch, wenn ein weiterer Aspekt betrachtet wird, den man als „sameness taboo“ bezeichnen kann: „Women and men have to be distinquishable“ (Lorber/Farell 1991, 1). Auf unsere empirische Rekonstruktion gewendet heißt dies, dass ein Ausbrechen aus dem Differenzdiskurs an den Grundfesten der weiblichen Gemeinschaft rüttelt und die Gruppe eine Reparaturfunktion zu übernehmen hat. Die Gruppendiskussionen sind ein Dokument für die kollektive Selbsterhaltungsfunktion der Organisation, d.h. das Kollektiv hat ein Interesse daran, Ungereimtheiten aufzufangen, Brüche zu kitten und wenn nötig, Deutungen zu normieren, zu kontrollieren oder gar zu sanktionieren. Die Auseinandersetzungen der Frauen in dem bereits ausführlich beschriebenen exklusiven Service Club (vgl. auch hier die Fallbeschreibung in Kap. II) sind für die selbst-erhaltende Funktion der Gruppe insofern ein gutes Beispiel, weil hier einzelne Mitglieder die geschlechtsspezifische Differenzkonstruktion der weiblichen Gemeinschaft unterlaufen und kraft Deutungsmacht des Kollektiv wieder ins gemeinsame Boot geholt werden. Wir erinnern uns: Einige ClubFrauen sind unzufrieden und verhandeln die Zukunft der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft. Dazu gehört auch, dass sich einige Frauen durchaus ein gemischtgeschlechtliches Clubleben vorstellen können. Wortgewaltig und rhetorisch geschickt wird der ‚gedankliche‘ Ausbruch aus der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft von anderen – allen voran der derzeitig amtierenden Präsidentin 24
Historische Untersuchungen weisen allerdings darauf hin, dass die binäre Struktur der Geschlechterdifferenz keine historische Konstante ist. Im Gegenteil: Der Diskurs der Geschlechterdifferenz mit dieser eindeutigen binären Struktur ist ein relativ modernes Phänomen (vgl. dazu Duden 1991, Honegger 1991, Laqueur 1992).
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des Clubs – gestoppt. Das ‚gemischtgeschlechtliche Ansinnen‘ wird dabei zum einen als ‚Schildbürgerstreich‘ entlarvt, weil der Club ohne seinen ‚Frauenstatus‘ seine Existenzberechtigung verlöre („Dann gibt es uns schlicht nicht mehr. Und glaubst du, du kannst einfach einen neuen Club aufmachen? Wo willst du dich ein- also integrieren?“). Zum anderen wird das dahinter stehende Interesse, in einem gemischtgeschlechtlichen Club könnten die Frauen mehr Reputation erhalten, als moralisch zweifelhafte Strategie entlarvt und auch zerstreut. Denjenigen Frauen, die ein solches Reputationsinteresse hegen, wird von anderen ein fehlendes Selbst-Bewusstsein vorgehalten. Grosso modo wird der Diskussion über eine wie auch immer geartete gemischtgeschlechtlichte Perspektive kein Raum gegeben; der Imperativ der Geschlechtsexklusivität wirkt als sanktionierendes Argument. Ein (Denk-)Versuch, die Geschlechtsexklusivität auszuhebeln, scheitert, weil die Existenzberechtigung der Gemeinschaft nur über die Geschlechterdifferenz garantiert werden kann. In dem eben aufgeführten Beispiel wird auch mit dem sog. weiblichen Selbst-Bewusstsein argumentiert und es gelingt den Wortführerinnen – zumindest in der Gesprächssituation –, die ‚Flüchtigen‘ wieder zurück zu holen. Die, wenn auch fragile Gemeinschaft, bleibt erhalten. Auch andere argumentative Figuren, mit denen die (Re)Integration der auseinanderklaffenden Perspektiven gelingt, zielen auf den Fond des Kollektivs als gemeinsame Deutungsgemeinschaft. Beispielsweise wird das Argumentationsmuster ‚keine Karriere um jeden Preis‘, mit dem das Frauennetzwerk die Differenzen unter den Frauen zu harmonisieren vermochte, zum minimalen Konsens in dem Bedürfnis nach fragloser Verständigung. Anzuführen sind in diesem Kontext auch die verschiedenen rhetorischen (Kunst-)Figuren, wie sie in den Falldarstellungen und Milieuporträtierungen empirisch beschrieben wurden, und mit denen es in den Gruppen möglich wird, die Auseinandersetzungen samt den differenten Einstellungen und Vorstellungen der Teilnehmerinnen einzufangen und umzudeuten. Ein anschauliches Fallbeispiel für derartige Umdeutungen ist die Selbsthilfegruppe, die das Thema ‚Alter(n)‘ bearbeitet. Die Frauen dieser Gruppe mühen sich besonders, die Enttäuschungen im Hinblick auf die Erfahrung der Differenz zu verbergen und die unterschiedlichen Perspektiven in der Gruppe als eine Art ‚kollektive Entdeckungsreise‘ zu akzentuieren. Alle diese Harmonisierungsversuche sind Einbindungsversuche; sie dienen der Vermittlung von Gemeinsamkeit in der Differenz. Bei Auseinandersetzungen kann die Gemeinschaft auch zu einer Veranstaltung mit erheblicher Sanktionsgewalt werden, vor allem dann, wenn die Deutungshoheit der Gruppe nicht mehr von allen anerkannt wird und die impliziten Vorstellungen des kollektiven ‚Wir‘ untergraben werden. Die Gemeinschaft hält mit aller Kraft an der Verbundenheit fest, auch wenn zunehmend deutlich wird,
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dass die Komplexität der Lebenssituationen von Frauen unter dem Blickwinkel Geschlecht nicht mehr mühelos vereinheitlicht werden kann. Die feministische Lesegruppe ist dafür ein anschauliches Beispiel, weil die Gruppe bei Konflikten auch zur Normen setzenden Instanz ihrer Mitglieder wird (vgl. hier ausführlicher Kap. II, Pkt. 2.2.4). Kurz zur Erinnerung: Nachdem eine Teilnehmerin schwanger wird und ihren Wunsch nach einem beruflichen Rückzug äußert, entgleist das ansonsten stillschweigende Abkommen der wechselseitigen Akzeptanz in der Gruppe. Andere Teilnehmerinnen wittern in diesem Vorhaben eine ‚ReTraditionalisierungsfalle‘ und konfrontieren sie ohne Umschweife mit dieser Sichtweise. In der Gruppendiskussion dramatisiert sich dieser Konflikt der unterschiedlichen Perspektiven. Es kommt zu einer kompromisslosen Verhandlung von Standpunkten, in der die ‚Angeklagte‘ schließlich das Gespräch verlässt. Die im Laufe des Gruppengesprächs von allen Teilnehmerinnen immer wieder bekundete Unterstützungsfunktion der Gruppe wird jetzt zur Farce und das ansonsten gültige Verfahren der konsensuellen Gesprächsprozedur scheitert. Die unterschiedlichen Standpunkte können nicht nebeneinander existieren, weil die Spielräume für individuelle Differenzen (zu) eng gesetzt sind. Das Fallbeispiel dokumentiert drastisch die hohen Erwartungen, die die Frauen an die weibliche Gemeinschaft stellen. Zugleich kommt aber ebenso zum Ausdruck, dass der Mythos der Verbundenheit die Unterschiede zwischen den Frauen unterschlägt und ein immenses Konfliktpotenzial erhält. Die Konfrontationen und Auseinandersetzungen verweisen auf die Fragilität der Gemeinschaft. Am Beispiel der feministischen Lesegruppe wird evident, dass die Gemeinschaft Differenz nicht zulässt und an ihrem eigenen Anspruch scheitert. Insgesamt kann mit der Selbsterhaltungsfunktion der Gruppe gezeigt werden, dass die weibliche Gemeinschaft eine korrigierende, kontrollierende und auch sanktionierende Funktion übernimmt. Zum Einsatz kommt die Gruppe als Normen setzende Instanz dann, wenn die Geschlechtskategorie im Hinblick auf eine kollektive Fiktionalisierung problematisch wird und die Komplexität der Einstellungen und Lebenssituationen von Frauen unter dem Blickwinkel Geschlecht nicht (mehr) problemlos vereinheitlicht werden kann. Die Gruppe steht dann vor der Aufgabe, die Verbundenheit der Frauen qua Verweis auf die Geschlechterperspektive zu ankern und die Gemeinschaft zu retten.
1.3.3 Der Werkstatt-Charakter der Gruppe Obwohl es Individuen sind, die in ihrem Handeln Geschlechtlichkeit herstellen, so ist das Unternehmen selbst in grundlegender Weise interaktiv strukturiert. Mit diesem Hinweis soll noch einmal deutlich gemacht werden, dass Geschlecht ein
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Element ist, das in sozialen Situationen entsteht, zugleich aber auch in Institutionen bzw. über Institutionalisierungsprozesse geregelt wird. Diese wirken als Regulativmuster menschlichen Handelns und menschlichen Zusammenlebens auf die Produzenten und Produzentinnen ihrer Wirklichkeit zurück. Berger/ Luckmann (1969) analysieren diese Beziehung als dialektische: „Der Mensch – freilich nicht isoliert, sondern inmitten seiner Kollektivgebilde – und seine gesellschaftlichen Welt stehen miteinander in Wechselwirkung“ (a.a.O., 65). Die hier angedeutete Problematik sozialer Integration zeigt sich in unterschiedlicher Weise. Am Beispiel der jungen Frauen – empirisch repräsentiert durch die Mädchenband (vgl. Kap. II, Pkt. 2.3) – wird offensichtlich, dass die Gruppe auch ein Übungsraum für (Geschlechts-)Identität und heterosexuelle Orientierung ist. In dem Gespräch der Mädchen zeigt sich eindrucksvoll, wie die kollektive Dynamik in der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft auf ihre Produzentinnen zurückwirkt. Die Gruppe – gegründet, um miteinander Musik zu machen –, wird für die Mädchen sukzessive zu einer Art Gender-Werkstatt, in der gemeinsam geschlechterkompetente Praxen erlernt werden. Dies erfolgt in Abgrenzung gegenüber den schematisierenden Zumutungen der Erwachsenenwelt und in dem Bedürfnis nach heterosexuellen Kontakten mit jungen Männern. Obwohl es bei den Mädchen in erkennbarer Weise Autonomiebestrebungen gegen das ‚geschlechtliche Raster‘ der Erwachsenenwelt gibt – und sie in ihrer Außenpräsentation großen Wert auf eine solche Abgrenzung legen –, aktualisiert sich im Binnenraum der Gruppe gleichsam der Sog des heterosexuellen Konstruktionsmodus. Obwohl sie sich einerseits vehement gegen das Label Mädchen- oder Girlie-Band wehren, das sie auf ihren Geschlechterstatus reduziert und ihnen zudem geschlechter-politische Motive unterstellt, realisieren sie im Erfahrungsraum der Gleichaltrigengruppe andererseits sukzessive diesen geschlechtsspezifischen Unterscheidungsdiskurs („Ich denke, irgendwas macht es wahrscheinlich schon aus…“). In diesem Prozess der reflexiven Bearbeitung ihres jugendlichen Soseins vermag die Selbstkategorisierung als Mädchen im Vergleich zu jungen Männern ihrem Wunsch nach (Geschlechts-)Identität Ausdruck verleihen. Die Mädchengruppe ist ein besonders anschauliches Fallbeispiel für den Werkstattcharakter der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft. Aber auch in anderen Gruppen des Samples lässt sich dieser kollektive ‚Betriebsmodus‘ herausarbeiten, nämlich dann, wenn die Frauen ihren Binnenraum dazu nutzen, strategische Selbst-Inszenierungen zu üben oder sich in ihren geschlechterkompetenten Selbst-Darstellungen wechselseitig coachen. Gemeinsam für den „Ernstfall üben“, so formuliert es eine Teilnehmerin, die der bereits öfter zitierten Interessengemeinschaft im Bereich Stadtplanung und Architektur angehört. In dieser Gruppe wird eine angemessene Selbstpräsen-
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tation der Frauen durchaus im Detail diskutiert und die Gruppe organisiert auch professionelle Darstellungs-Expertinnen, um sich z.B. in Rhetorik schulen zu lassen. Darüber hinaus werden diffuse Geschlechtertopoi, wie etwa der diffizile Umgang mit symbolischen Ressourcen, in der Gruppe überdacht, geordnet und bearbeitet. Die Darstellerinnen greifen dabei auf zum Teil historisch sedimentierte, aber auch durch den Zeitgeist gewandelte ‚männliche‘ und ‚weibliche‘ Repertoires zurück. Wie kompliziert und voraussetzungsreich eine angemessene Geschlechterdarstellung ist, hat u.a. Stefan Hirschauer (1993) in seiner Studie über die soziale Konstruktion der Transsexualität analysiert. Geschlechtsdarstellungen sind für ihn ein „Teil der Aktivitäten, mit denen sich Teilnehmer zur Geltung, d.h. zu sozialer Existenz bringen“ (a.a.O., 49). Auf seine Studie soll an dieser Stelle nur insoweit verwiesen werden, als das sie zu klären hilft, welche Prozesse zur sozialen Konstruktion der Geschlechtszugehörigkeit gehören: Prozesse der Attribuierung, die im Kontext des Alltagswissens angesiedelt sind, Prozesse der Darstellung, die durch Routinen verkörpert werden und die Kollaboration aller beteiligten TeilnehmerInnen, den Konstruktionsprozess unkenntlich zu machen. Gerade das Phänomen der Kollaboration von TeilnehmerInnen an der Geschlechtskonstruktion ist aufschlussreich für unsere Untersuchung über weibliche Gemeinschaften. Der Grund für eine solche Kollaboration bedeutet ja zunächst einmal, dass alle Teilnehmer und Teilnehmrinnen an der Geschlechtskonstruktion – also Darsteller und Betrachter – in der Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten voneinander abhängig sind (a.a.O., 55). Die eigene Darstellung beinhaltet auch die Darstellung des Geschlechts des Interaktionspartners. Und weil sich das eigene Geschlecht nur in der Relation zum Geschlecht des anderen darstellt, berührt die Unsicherheit über das Geschlecht der anderen die Selbstwahrnehmung. Im Binnenraum der Frauengruppe werden beide Parts – Darsteller und Betrachter – aktualisiert. Damit können sich die Frauen wechselseitig in ihren Geschlechtsdarstellungen unterstützen, kontrollieren und begleiten, zugleich verweisen die in die Interaktion eingelassenen Fiktionalisierungen des Gegenübers auf die relative Kategorie ‚Geschlecht‘.
2 Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit im Milieuvergleich 2 Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit im Milieuvergleich Bis jetzt war der Blick darauf gerichtet, wie die weibliche Gemeinschaft ihr ‚Wir‘ entwirft, wie sie es als ein erfahrungsgebundenes Wissen deutet und in Aushandlungsprozessen validiert. Der weibliche Zusammenschluss wurde dabei als Ausdruck und Reaktion der normativ gültigen Geschlechterordnung beschrieben, als eine ‚institutionelle Reproduktionsform‘, in der die ‚GeschlechterWirklichkeit‘ als interaktiver Prozess konkretisiert und zugleich (re-)produziert
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wird. Es ging um die Verschränkung von Aneignung und Konstruktion kultureller Ordnungen und ihrer interaktiven Praxis. Jetzt ist das Augenmerk noch einmal auf die verschiedenen Milieus gerichtet, wie sie in der empirischen Rekonstruktion ‚geortet‘ wurden. Hier kann gezeigt werden, dass sich die Frauen der verschiedenen Gruppen in unterschiedlicher Weise auf Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit beziehen, die kollektive Selbstvorstellung und Selbstdarstellung nicht per se nur über Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit gelingt, auch wenn die Anlage der Untersuchung zunächst auf solche Gruppen gerichtet war, die sich über das Merkmal ‚Geschlechtsexklusivität‘ auszeichnen und sich darüber auch präsentieren. Die empirische Analyse der verschiedenen Milieus macht sichtbar, dass – mit Mannheim formuliert – die ‚Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen‘ unterschiedliche Zugänge und Perspektiven ermöglicht. Der Rekurs auf Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit ist zwar ein gesellschaftlich angebotener, legitimer und auch akzeptierter Deutungsfundus, aber: die Gruppen nehmen darauf in unterschiedlicher Weise Bezug. Diese unterschiedlichen Bezugnahmen sowie die je spezifischen Orientierungen und Relevanzsetzungen verschränken sich mit den jeweiligen Lebenslagen, wie sie in den Gruppen repräsentiert werden, konkret: mit erfahrungskonstitutiven Dimensionen wie Berufsbiographie und Karriere, beruflichem und gesellschaftlichem Status, Familienarrangements und alltägliche Lebensführung, Alter und Entwicklungsphase. Das Deutungswissen und die soziale Differenzierungspraxis sind also rückgebunden an den sozialen Ort ihrer Entstehung. Hier werden Erfahrungsfelder eröffnet, hier wird eine spezifische Weltsicht generiert. Zusammen prägen sie die Art und Weise, wie die Frauen im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft die Geschlechterordnung ‚übersetzen‘.
2.1 Gruppenkohärenz und soziale Herkunft Empirisch lassen sich drei Milieus innerhalb der Frauengruppen-Szene unterscheiden: Zum einen handelt es sich dabei um diejenigen Gruppen aus der akademisch gebildeten Mittelschicht, die in dieser Untersuchung unter dem Label akademisches Bildungsmilieu gefasst werden. Für diese Gruppen gilt, dass Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit als der Gemeinschaftsmodus erfahren und interpretiert werden. Die paradoxen Überlappungen von gesellschaftlichem Wandel und Persistenz, von Chancen und Zwängen provozieren hier einen diskursiven Stil der Auseinandersetzung um Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit. Im Hinblick auf Alter und Entwicklungsphase erfahren diese diskursiven Praktiken Modifizierungen. Die Mädchengruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu, die in dieser Untersuchung lediglich den Stellenwert eines
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Exkurses haben, geben Auskunft über entwicklungsphasenbedingte Orientierungen und Deutungsmuster. Im Vordergrund stehen hier die ‚individuelle Selbstbehauptung‘ und die lebensphasenspezifische ‚Identitätsfindung‘ bei einem gleichzeitigen sukzessiven Prozediertwerden in den geschlechtsspezifischen Differenzdiskurs. Zum anderen haben wir es mit zwei davon abzugrenzenden Szenen von weiblichen Gemeinschaften zu tun, die sich weniger expressiv und explizit über Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit vorstellen, obwohl auch hier das Merkmal Geschlechtsexklusivität gruppenkonstitutiv ist. Es handelt sich hier um die Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten sowie um die Frauengruppenszene der exklusiven Service-Clubs, dem sog. Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht. In den Frauengruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten wird die Geschlechterthematik als pragmatische Grenzziehung der Lebenssphären verhandelt. Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit sowie die damit zusammenhängende sozialräumliche Platzierung im Gefüge der Geschlechterordnung sind hier selbstverständlich und in einem fundamentalen Sinne fraglos gegeben. Sie werden in den Gruppen weder diskursiv bearbeitet noch (selbst-)kritisch hinterfragt. Die weibliche Gemeinschaft im Milieu der exklusiven Service-Clubs hingegen wird über das gemeinsame Verständnis von eigenen Privilegien und ihrem Status in der sog. besseren Gesellschaft getragen. Die Mitgliedschaft in einem Club bestätigt hier die Zugehörigkeit zur high society. Die Frauen sehen sich als Angehörige einer gesellschaftlichen Elite und das für die Außenpräsentation konstitutive Merkmal Geschlechtsexklusivität ist hier vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Frauenclubs neben den Herrenclubs autonom existieren (können). Diese verschiedenen Szenen von Frauengruppen repräsentieren Differenzen, die in je spezifischer Weise auf die Verschränkung von Herkunftsmilieu und der Art und Weise der Thematisierung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit verweisen. Und um genau diese Verschränkung von ‚Wissen‘ und ‚Milieu‘ wird es in den folgenden Ausführungen noch einmal gehen. Es werden die Leitdifferenzen der unterschiedlichen kollektiven Selbstvorstellungen und Selbstdarstellungen noch einmal auf ihre spezifischen Kontextbedingungen hin ‚abgeklopft‘ und analytisch geordnet.
2.1.1 Geschlechter-Differenz und normative Orientierung Konstitutiv für die Frauengruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu ist die reflexive Durchdringung der eigenen Lebenslage in Form einer DauerDiskursivierung von Geschlecht- und Geschlechtszugehörigkeit. Der weibliche
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Zusammenschluss ist hier ein Ort, wo die Frauen die eigene Lebenssituation im Geschlechtervergleich interpretieren. Der Wertmaßstab, mit dem sich die Frauen beschreiben und beurteilen und den sie in normativer und in kritischer Perspektive zu ihrem eigenen machen, ist der männliche Blick ist.25 Die empirische Rekonstruktion kann zeigen, dass die geschlechtsexklusive Gemeinschaft im akademischen Bildungsmilieu als Ausdruck und Reaktion einer tendenziell prekären Soziallage erfahren wird. Geschlechtszugehörigkeit wird als Faktor gesellschaftlicher Differenzierung und Hierarchisierung formuliert und reflektiert. In den Gruppendiskussionen wird Geschlecht als soziale Strukturkategorie gedeutet, über die soziale Chancen vergeben und Prozesse sozialer Ungleichheit reproduziert werden. Mit ihren Beobachtungen rezipieren die Frauen ausschnitthaft sozialwissenschaftliche Diagnosen, denn auch hier wird festgestellt, dass Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit als soziale Ordnungskategorie auf einem binär codierten Schematisierungsprozess der Gesellschaftsmitglieder aufsitzt, auf ungleichen Anerkennungschancen von Frauen und Männern und darauf, dass an diese asymmetrische Klassifikation sozial bedeutsame und folgenreiche Geschlechtertrennungen anschließen (vgl. dazu auch Gildemeister und Wetterer 2007). Damit – das unterscheidet sie beispielsweise von den Frauengruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten – artikulieren die Frauen aus dem akademischen Bildungsmilieu einen universalen (Deutungs-)Anspruch. Ihre Perspektive steht repräsentativ für alle Frauen. Wenn wir noch einmal kurz zusammenfassen, welche formal-organisatorischen Merkmale für diese Gruppen charakteristisch sind, so fällt auf, dass wir es hier – im Gegensatz zu den beiden anderen Milieus – mit einer heterogenen Szene von Frauengruppen zu tun haben: projektförmig organisierte Unterstützungsnetzwerke von Frauen für Frauen, Initiativen und Interessengemeinschaften sowie Selbsterfahrungsgruppen, hauptsächlich im Bereich Gesundheit, 25
Dies verweist auch auf die androzenrische Wirklichkeitskonstruktion, wie sie bereits Georg Simmel (1985) in seinem Aufsatz über das „Relative und das Absolute im Geschlechterproblem“ ausgeführt hat. Die Normen, mit denen die „Ausgestaltungsformen des männlichen und des weiblichen Wesens“ gemessen werden, sind nicht „dem Gegensatz der Geschlechter enthoben, sondern sie selbst sind männlichen Wesens“ (a.a.O.). Damit wird das relationale Verhältnis der Geschlechter als ein ‚einseitiges‘ akzentuiert, denn der Mann trägt und normiert die Relation. Simmel begründet diese ungleiche Relation herrschaftstheoretisch, denn das Geschlechterverhältnis sei ähnlich desjenigen von Herrn und Sklaven. Es gehöre gewissermaßen „zu den Privilegien des Herrn, dass er nicht immer daran zu denken braucht, dass er Herr ist, während die Position des Sklaven dafür sorgt, dass er seine Position nie vergisst“ (a.a.O., 201). Die ‚weibliche‘ Praxis ist damit durchwegs geschlechtlich konnotiert, während im Gegensatz dazu der Mann vor allem als Mensch handelt. Aus der unterschiedlichen Bedeutung des Geschlechtlichen für die Geschlechter folgt, dass sich Männer an Männern orientieren. Bei Frauen ist eine solche Binnenorientierung weniger gegeben; es muss ihr Interesse sein, sich auf die Mächtigen zu beziehen.
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Sozialarbeit und -politik. Für die Sample-Auswahl war konstitutiv, nur Gruppen aufzunehmen, die bereits über eine Interaktionsgeschichte verfügen. Die Gruppen des akademisch Bildungsmilieus haben, im Vergleich des Samples insgesamt, eine weniger lange Gruppengeschichte und an den Rändern besteht ein höheres Maß an Fluktuation, sprich: meist gibt es neben einer ‚Kerngruppe‘ eine wechselnde Teilnehmerinnenschaft. Dies sagt nun inhaltlich nichts über die Intensität der Gemeinschaft aus, kann aber als Ausdruck einer lebensphasenspezifischen Problemkonstellation begriffen werden, die in den Gruppen aufgefangen und bearbeitet wird. Im Milieuvergleich bedeutet dies, dass die Gruppen des akademischen Bildungsmilieus tendenziell episodale Gemeinschaften sind. In allen diesen Gruppen ist die Geschlechterthematik der explizite Grund für den weiblichen Zusammenschluss und die Vielfalt der Themen, die die Gruppen inhaltlich bearbeiten wie beispielsweise Migration, Architektur und Städtebau, Gesundheit, Alter(n), Arbeit und Beruf, Karriere, Literatur werden unter dem Blickwinkel einer Geschlechterperspektive ausgehandelt und ausgedeutet. Die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ist die Basis, aber auch der Fokus des Zusammenseins. Dies wird meist bereits über den Gruppennamen dokumentiert: Die Gruppen ‚labeln‘ sich allesamt so, dass das Anliegen der Frauen öffentlichkeitswirksam erkennbar wird und der Gruppenname dieses Interesse auch zu repräsentieren vermag. In diesem bunten Reigen von Frauengruppen erweist sich die soziale Herkunft als gemeinsame Klammer, denn es handelt sich hier ausschließlich um Frauen der akademisch gebildeten Mittelschicht, also um ein im weitesten Sinne sozialwissenschaftlich ‚aufgeklärtes‘ Milieu. Das Selbst-Thematisierungsschema knüpft an popularisierte wissenschaftliche Erklärungsansätze der Geschlechterdifferenz und Differenzierung an. So werden beispielsweise eigene biographische Reflexionen mit dem Theorieangebot einer geschlechtsspezifischen Sozialisation erklärt. Aber auch im Rekurs auf feministische Positionen werden Begrifflichkeiten verwendet wie beispielsweise ‚Reproduktionsarbeit‘ oder ‚Patriarchat‘, allesamt Begrifflichkeiten, die darauf hindeuten, dass die Frauen sowohl über ein solches wissenschaftlich-popularisiertes begriffliches Repertoire verfügen als auch das Bedürfnis haben, ihre Lebenssituationen über theoretische Erklärungen zu fassen und zu hinterfragen. Wissenschaftliches Wissen vermag auf diese Weise auch das eigene Weltbild abzusichern, in dem die Geschlechtsklassifikation eine nach wie vor tragende Funktion hat. Darüber hinaus – und auch das eint diese Gruppen im Milieuvergleich –, repräsentieren die Frauen überwiegend die mittlere Alterskohorte, sind mit einigen Abweichungen nach unten und oben zwischen Mitte dreißig und Ende vierzig Jahre alt. Die Frauen gehören insofern einer gemeinsamen Generation an, da sie ihre wesentlichen beruflichen Erfahrungen in und nach der Bildungsreform
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der siebziger Jahre gemacht haben.26 Sie partizipieren, wie empirisch gezeigt werden kann, an gemeinsamen Handlungsproblemen und an einem Deutungsrepertoire, das auch geprägt ist durch die ‚neue alte‘ Frauenbewegung (vgl. dazu Gerhard 1995). Die Frauen sind überwiegend berufstätig und sie arbeiten, wenn sie keine Kinder zu versorgen haben, vorwiegend in Vollzeit. Auffällig ist allerdings, dass in den Gruppen, die dem Milieu der akademisch gebildeten Mittelschicht zuzurechnen sind, viele Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten oder ohne Beschäftigung, sprich: arbeitslos sind. In der Szene der exklusiven Service-Clubs hingegen, einem, zumindest was die Bildungsqualifikationen betrifft, angrenzenden Milieu, sind die Frauen selbstständig oder in höheren Positionen in Vollzeit berufstätig. Und schließlich, auch das verklammert die Frauengruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu, sind die Familien- und Lebensarrangements dieser Frauen vielschichtiger als bei denjenigen Frauengruppen aus dem Milieu der einfachen Angestellten und Arbeiterinnen sowie bei den Frauen der exklusiven Service-Clubs. Aus den Sozialdatenbögen der Frauen geht hervor, dass letztere, also die Club-Frauen, allesamt verheiratet oder verwitwet sind. Für die Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten gilt dies ebenso. Im Unterschied dazu haben wir es bei den Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus mit allen Facetten weltlicher Wirklichkeit zu tun: konventionelle Familienarrangements, nicht-eheliche Lebensgemeinschaften mit und ohne Kinder, Frauen ohne Partnerschaften, Alleinlebende und allein erziehende Frauen, (erklärtermaßen) lesbische Frauen, die mit und ohne Partnerinnen leben usw. Für unsere Untersuchung ist dies insofern bemerkenswert, weil die Vielfalt in den Lebenszusammenhängen von den Frauen selbst auf einer Deutungsebene versämtlicht wird. Mit anderen Worten: Sie homogenisieren im Hinblick auf die Geschlechtszugehörigkeit eine ‚Gemeinschaftslage‘. Empirisch wurde dies als Widerspruch zwischen programmatischer Verbundenheit zum einen und einer erfahrungsgebundenen Differenz zum anderen beschrieben. Dazu noch einmal später. Das spezifische Selbst-Thematisierungsschema über Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit, der spezifische reflexive Differenzdiskurs mitsamt der Programmatik eines kollektiven ‚Wir‘, wie er für die Gruppen des akademischen Bildungsmilieus rekonstruiert wurde, ist im Verweisungszusammenhang mit den genannten sozialstrukturellen Voraussetzungen zu sehen und lässt sich als milieuspezifische Antwort auf Lebensweltkonstellationen begreifen, in der Options26
In seinem Aufsatz über den Generationenbegriff (1964) verwendet Mannheim den Begriff der gemeinsamen „Erlebnisschichtung“ und rekurriert damit auf die Unterscheidung von „angeeigneter“ und „selbsterworbener“ Erinnerung (a.a.O., 534). Letztere wird in der selbst erlebten Praxis, also in einer Praxis, in welche der Entscheidungsträger selbst eingebunden ist, erworben, eben erlebt.
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steigerungen der Moderne nicht nur als Erweiterung von Handlungsspielräumen wahrgenommen werden, sondern die Erfahrung eines ambivalenten Handlungsdrucks virulent wird. Als Erklärung bietet sich an, die geschlechtsspezifische Selbstbeschreibungssemantik in den Gruppen auch als Ausdruck einer prekären habituellen Verankerung in der beruflichen Welt zu lesen.27 Die Frauen aus dem akademischen Bildungsmilieu kämpfen, trotz hoher Bildungsinvestitionen, mit den Widersprüchen und Brüchen im Erwerbssystem.28 Viele Frauen sitzen trotz Bildung und Karriereambition in ‚verengten Karrierekanälen‘ fest. Das demokratische Prinzip universeller Inklusion bricht sich für diese Frauen (nicht nur, aber vor allem) an den benachteiligenden Strukturen des Erwerbssystems, denn hier werden sie trotz Gleichheitsversprechungen mit einer Ungleichheitswirklichkeit konfrontiert. Obwohl sie gleiche oder vergleichbare Voraussetzungen wie ihre männlichen Kollegen mitbringen, erfahren sie, dass diese ihnen im Beruf vorgezogen werden. Diese Erfahrung und das Wissen, aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Genusgruppe – und nicht etwa aufgrund von Defiziten der Qualifikationen – diskriminiert zu werden, aktualisiert sich in den Gruppendiskussionen der akademisch gebildeten Frauengruppen und prägt das eigene Selbstverständnis, die Selbstbeschreibungssemantik und eine ganz spezifische ‚vergeschlechtlichte‘ Kommunikationskultur. Aus der Sicht der Frauen harmonieren männliches Verhalten und der männliche Habitus mit den strukturellen Vorgaben des Erwerbsystems, während das eigene Verhalten dazu in Widerspruch gerät. Die Frauen sprechen über latente geschlechtsspezifische Zumutungen und Zurechtweisungen, Diskriminierung, Benachteiligung und Marginalisierung. Sie vergegenwärtigen sich ihre ungleichen Handlungsbedingungen gegenüber männlichen Kollegen, artikulieren, bestätigen und perpetuieren damit ihre Weltsicht, in der sie qua Genusgruppe systematisch benachteiligt werden. Beispielhaft sei an dieser Stelle noch einmal an die Interessengemeinschaft der Architektinnen und Stadtplanerinnen erinnert, in der die Frauen ihr Berufsfeld als einen sozialen Kontext wahrnehmen, in der sie in einem mehr oder weniger ausgeprägten hierarchischen Gefälle zu Männern stünden. Die Universalität geschlechtlicher Differenzierung drückt sich für die Frauen faktisch in einem geringerem Einkommen, einem geringeren Status und 27
28
Michael Meuser (1998) kommt in seiner Untersuchung über „Geschlecht und Männlichkeit“ zu einem ähnlichen Ergebnis. Im Vergleich verschiedener Männergruppen analysiert er eine „fundamentale Verunsicherung“ (a.a.O., 290) nur im bildungsbürgerlichen Milieu, zu dem in seiner Untersuchung Lehrer, Sozialpädagogen, Psychologien gehören. Für diese Männer gilt, dass sie durch den Wandel im Geschlechterverhältnis gewissermaßen aus einer „bequemen Einbindung in Traditionen und habituelle Sicherheiten“ (a.a.O., 309) herausgerissen werden. Vgl. hierzu auch die Veröffentlichungen des Forschungsschwerpunktprogramms der DFG zur Thematik „Professionalisierung, Organisation, Geschlecht - Zur Reproduktion und Veränderung von Geschlechterverhältnissen in Prozessen des sozialen Wandels“ (Dölling et.al 1997).
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dem damit zusammenhängenden geringeren Anerkennungschancen aus. Im Kontakt mit männlichen Kollegen und Vorgesetzten erfahren sie Kompetenzzuschreibungen, in denen schlichte Vorurteile über Eignungen und sexualisierte Klischees ‚trübe Legierungen‘ eingehen. Der Grund, sich in einer geschlechtsexklusiven weiblichen Interessengemeinschaft zusammenzuschließen, wird von den Frauen selbst damit erklärt und begründet, einen Raum für eine „gleichgesinnte“ Gemeinschaft zu schaffen. Hier üben die Frauen den ‚richtigen‘ Umgang mit alltäglich sexuierten Settings, coachen sich wechselseitig in ‚Standhaftigkeit‘, absolvieren Rhetorikkurse und besprechen die richtige Art des Outfits und der adäquaten Art, sich inmitten ihrer Kollegen ‚richtig‘ zu inszenieren. Ob die Stimme zu hoch oder die Schulterhaltung gar Unterwürfigkeit anzeigt, in diesem Selbstdarstellungs-Check leisten die Frauen gemeinsam eine Art Bringschuld an Anpassung. Solche Interventionen lassen sich auch als Eingeständnis eines unentwegt beratungsbedürftigen Genders interpretieren. Die weibliche Gemeinschaft wird dabei als Plattform für die interaktive Validierung der Geschlechterunterscheidung genutzt. Die Gruppendiskussionen machen darauf aufmerksam, wie ungebrochen die Geschlechterdifferenzen thematisch werden, obwohl sie, inhaltlich betrachtet, äußerst inkonsistent und damit variabel erscheinen. Im Vergleich mit dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten, die an dem tief verankerten geschlechtsspezifischen Zuordnungsschema in den bekannten Dichotomien von Frauen und Männern auch inhaltlich festhalten, ist das Zuordnungsmuster bei den Akademikerinnen aufgeweicht, auch wenn sie an der binären Grundstruktur geschlechtlicher Differenzierung festhalten und die Bestimmung des Selbst nach wie vor im Modus der Differenzkonstruktion wurzelt. Die kontroversen Diskussionen über vermeintliche Eigenschaften ihrer männlichen Kollegen liefern dafür anschauliches Material, denn es wird offensichtlich, dass es keine eindeutigen Festlegungen und Vereigenschaftlichungen mehr gibt und die geschlechtsspezifische Differenzkonstruktion in sich alteriert. Bis hierher kann festgehalten werden: Die sozialen Arrangierungsprozesse verweisen darauf, dass die Frauen die Welt als vergeschlechtlichte erfahren und deuten. Die Gruppendiskussionen im akademischen Bildungsmilieu können zeigen, dass das Geschlechterverhältnis nicht nur sprachlich-diskursiv ‚konstruiert‘ oder in interaktiven Beziehungen ‚gemacht‘ ist, sondern seine Wirkmächtigkeit auch als etwas ‚Gewordenes‘ in Form von institutionalisierten Handlungsbedingungen erhält (vgl. Becker-Schmidt 1993). Diese haben ihre je eigenen Verbindlichkeiten und „Schwerkräfte“ (Knapp 1995, 188). Gerade in Zeiten der „rhetorischen Modernisierung“, wie es Angelika Wetterer (2003) formuliert, also in Zeiten, in denen vor allem in Feldern professionalisierter Berufsarbeit geschlechtliche Differenzierungen und Hierarchisierungen nicht mehr themati-
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siert werden, weil Geschlecht ohnehin keine Rolle mehr spielt (oder spielen sollte), wird es für die Frauen zunehmend schwerer, die latenten und altbekannten Geschlechterbilder samt den geschlechtsspezifischen Zumutungen zurückzuweisen, ohne – darauf legen die Frauen auch Wert – als „Emanzen“ stigmatisiert und psychologisiert zu werden und sich „damit einmal mehr ins Abseits zu stellen“, wie es eine Teilnehmerin in einer Gruppendiskussion in aller Schärfe formuliert. Damit wird deutlich: Hinter der ,Bringschuld der Anpassung‘, wie sie zum ‚praktischen‘ Bestandteil der weiblichen Gemeinschaft im akademischen Bildungsmilieu gehört, stehen widersprüchliche Kontextinformationen, auf die die Frauen reagieren müssen: Zum einen aktualisiert sich hier ein avanciertes Geschlechterwissen, das auf Individualisierung und Gleichberechtigung insistiert. Zum anderen stehen die Frauen einem Bollwerk aus latenten und manifesten Ungleichheitsstrukturen gegenüber – im Erwerbssystem, aber nicht nur da, denn auch im privaten Umfeld werden die Diskrepanzen zwischen Gleichheitsanspruch und einem traditionellen Normenkorsett im Hinblick auf FamilienBeziehungspraxen sichtbar. Die Frauengruppenszene des akademischen Bildungsmilieus ist in sich differenziert und die Lebenskontexte der Frauen sind im weitesten Sinne individualisiert. Doch trotz oder vielmehr auch wegen dieser individualisierten Soziallage eint sie ein gemeinsames Tun, nämlich die diskursiv vorgenommene Positionsbestimmung von Geschlecht- und Geschlechtszugehörigkeit. Mit anderen Worten: Ihr permanenter Blick durch die Geschlechterbrille. Die Frauen bewegen sich in ihren (Selbst-)Beschreibungen auf der Ebene einer strukturellen Problemdeutung. Die Referenzpunkte dieser diskursiv vorgenommenen Positionsbestimmung liegen, das wurde bereits genannt, vor allem in den prekären und widersprüchlichen Bedingungen des Erwerbssystems. In diesem fallübergreifenden Deutungsmuster des akademischen Bildungsmilieus dokumentiert sich letztlich das Auseinanderklaffen zwischen dem demokratischen Prinzip universeller Inklusion auf der einen Seite und der Persistenz geschlechtsspezifischer Ungleichheitsstrukturen auf der anderen Seite. Damit wird auch verständlich, dass sie im Hinblick auf eine tatsächliche Geschlechterdemokratie große Erwartungen knüpfen. Die Idee der Gleichheit, wie es J.-C. Kaufmann (1994) formuliert, ist zwar nach wie vor konkret unauffindbar, sie entwickelt aber eine immense Kraft. Sie beruht in dem Prozess der Demokratisierung und wurzelt in realen Gleichheitserfahrungen, wie sie vor allem über die Institutionen des Bildungs- und Ausbildungssystems vermittelt und fundiert werden. Allerdings sind diese Gleichheitserfahrungen lebensphasenspezifisch und an einen institutionellen Kontext gebunden (vgl. Krüger 2001). Spätestens an der Schwelle der Berufarbeit kommt es nicht selten zu einer Re-Traditionalisierung und ReVergeschlechtlichung der Lebenslaufmuster junger Frauen und junger Männer
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(Geissler/ Oechsle 1996). Hier brechen sich dann die Gleichheit der Bildungschancen und auch der Wandel im Selbstverständnis an der geschlechtsspezifischen Segmentierung des Arbeitsmarktes, die die Gleichheitsillusion durch begrenzte Realisierungschancen konterkariert. „Bis zur Abteilungsleiterin schaff‘ ich es alleine“, argumentiert eine Frau aus dem beruflichen Frauennetzwerk, danach helfen Fleiß und Leistungsverausgabung alleine nicht mehr weiter und sie sei auf eine dezidierte Förderung ‚von oben‘, und das heißt: auf ihre männlichen Vorgesetzten angewiesen.
2.1.2 Selbstbehauptung und die Suche nach (sexueller) Identität Die Gruppendiskussionen mit Mädchen und jungen Frauen geben einen Einblick in die entwicklungsphasenbedingten Konstruktionsprozesse von Geschlecht und Adoleszenz. Sie können zeigen, dass sich Alter und Entwicklungsphase als erfahrungskonstitutive Dimensionen im Hinblick auf das Deutungsrepertoire und -wissen von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit erweisen.29 Die beiden Mädchengruppen, die in das Sample aufgenommen wurden, ergänzen das akademische Bildungsmilieu im Hinblick auf die jüngere Generation von Frauen. Zum einen handelt es sich bei den Mädchen fast ausschließlich um Gymnasiastinnen. Zum anderen lassen Selbstausdruck und Selbstdarstellung darauf schließen, dass es sich dabei um ein Milieu handelt, in dem Bildung und Ausbildung einen zentralen Stellenwert haben und einen ganz spezifischen Stil des Geschlechter-Diskurs evozieren, der – ähnlich den älteren Frauengruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu – in hohem Maße reflexiv ist. Die Gespräche mit den Mädchen und jungen Frauen fördern zutage, dass die Gruppe ein geschlechts- und altershomogener Erfahrungsraum ist, in dem sie sich als Mädchen und junge Frauen ‚ausprobieren‘ und wechselseitig voneinander lernen können. Da sie sich in ihrem ‚Geschlechter-Wissen‘ im System der Zweigeschlechtlichkeit und der Heterosexualität bewegen, ist die Gruppe als geschlechtsexklusive Gemeinschaft keine separate Enklave, die unabhängig von anderen sozialen Einbindungen der Mädchen zu Gleichaltrigen existiert; vielmehr nutzen sie ihren exklusiven Sozialraum auch als Ort der Distanz gegenüber geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und Zumutungen. Die geschlechtsexklusive Gruppe bietet den Mädchen einen relativ geschützten Ort, Bedürfnisse und Wünsche zu formulieren, Erfahrungen zu bearbeiten und sich bei ihrer Suche nach (sexueller) Identität zu unterstützen oder zu bestätigen. 29
Die eigene Untersuchung wird durch die Forschungsergebnisse der ethnographischen und konstruktivistischen Mädchenforschung bestätigt, vgl. dazu Breidenstein/Kelle 1998; Breitenbach 2000; Dausien/Kelle 2003; Bütow 2006.
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In unserem bereits ausführlich porträtierten Fallbeispiel ‚Mädchenband‘ bewegen sich die Mädchen in einem Spannungsfeld zwischen Gleichheitsfiktion, Abgrenzung gegenüber geschlechtsspezifischen Zumutungen aus der Erwachsenenwelt, dem Gewahrwerden eines Unterscheidungsdiskurses sowie dem Wunsch nach heterosexuellen Kontakten mit jungen Männern. Kurz zur Erinnerung: Vier Mädchen, drei Gymnasiastinnen und eine Realschülerin im Alter zwischen 16 und 17 Jahre alt, gründen eine Band. Sie ‚labeln‘ den Stil ihre Musik als Punk. Die Frage der Interviewerin, die, wie bei allen anderen Gruppen auch, gleich zu Beginn der Gruppendiskussion nach der Bedeutung des Zusammenschlusses fragt und im konkreten Fall auf die geschlechterspezifische Fokussierung als ‚Mädchenband‘ abhebt, wird von den Mädchen als geschlechtsspezifische Zumutung aufgefasst und als eine korrekturbedürftige Forschungsfrage zurückgegeben. Denn: Gruppenkonstitutiv ist in ihrer Perspektive nicht die Geschlechtszugehörigkeit, sondern das gemeinsame Interesse an Musik. Geschlecht rahmt die Zusammensetzung naturwüchsig, weil die Peergruppen-Welt entwicklungsphasenspezifisch nach Geschlecht sortiert. Die Geschlechtsexklusivität ist Ausdruck ihrer gemeinsamen Lebenswelt, in der sie sich vor allem inmitten von Mädchen bewegen. Kurzum, die Mädchen wehren sich gegen eine geschlechtertypisierende ‚Bedeutungs-Überfrachtung‘. In der Einleitungssequenz der Gruppendiskussion weisen sie geschlechterpolitische Motive weit von sich und kommen zu dem Fazit, dass der Geschlechterstatus in ihrer Gemeinschaft keine strategische Rolle spielt. Gleich zu Beginn der Gruppendiskussion bringt dies eines der Mädchen auf den Punkt: „Das ist gar nicht so sehr: Wir wollen jetzt ne Frauenband. Wir sind halt vier Frauen und wollen ne Band“. Im weiteren Verlauf des Gesprächs erhärtet sich die These, dass sich die Mädchen gegen die heterosexuelle Normalitätsfolie der Erwachsenen wehren, die sie vereinnahmt und in ihren Autonomiebestrebungen beschränkt. Zugleich übernehmen die Mädchen im Binnenraum der Gemeinschaft sukzessive einen Geschlechterdiskurs, gegen den sie sich ‚eigentlich‘ zur Wehr setzen. Es konnte in diesem Zusammenhang herausgearbeitet werden, dass die Gruppe einen Genderisierungsprozess einleitet. Erstens beobachten und reflektieren sie gemeinsam die Vereinnahmungspraxis der (vor allem männlichen) Erwachsenen, die sie als ‚Kind-Frauen‘ typisieren und in ihnen das Andere und Besondere sehen. Hinzu kommt, zweitens, dass sie sich mit den strukturellen Rahmenbedingungen der Musikwelt auseinandersetzen und realisieren, dass sie sich in einem männlichdominierten Umfeld bewegen. Frauen werden in der Musikszene, so die Sicht der Mädchen, als ‚schmückendes Beiwerk‘, ‚Tänzerinnen im Hintergrund‘ oder als sog. Frontfrauen funktionalisiert; zugleich wird ihnen über den Geschlechterstatus ein Frauenbonus eingeräumt. Was sie selbst betrifft, so interpretieren die Mädchen ihr zugewiesenes Mädchen-Image als Stigma. Nicht die Würdigung
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ihrer musikalischen Leistung steht im Vordergrund, sondern geschlechtsspezifische Akzidenzien, für die sie, wie es eines der Mädchen ausdrückt „echt nichts können“. Und drittens schließlich realisieren die Mädchen im Laufe der Gruppendiskussion einen selbst-reflexiven Unterscheidungsdiskurs zwischen sich und den jungen Männern bzw. ihrem eigenen Verhalten und denen der jungen Männer. Sie stellen Unterschiede in Selbstbewusstsein und Ausdruckkraft fest, schwanken zwar in ihren Bewertungen, aber es wird deutlich, dass auch sie allmählich in das binär codierte geschlechtsspezifische Differenzierungsschema prozediert werden. Im Vergleich mit der älteren Frauengruppen-Generation fällt allerdings auf, dass sie – im Kontakt mit Gleichaltrigen – diesen ‚Abgleich‘ auch suchen und genießen. In der Auseinandersetzung mit jungen Männern bestätigen sie sich auf der Suche nach (sexueller) Identität. Die Gemeinschaft der Gleichaltrigen hilft dabei, diese Suche zu bearbeiten.
2.1.3 Geschlechtszugehörigkeit als pragmatische Grenzziehung von sphären Im Vergleich zum Milieu der akademisch gebildeten Mittelschicht wird Geschlecht in den Frauengruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten nicht als ‚Strukturkategorie‘ gedeutet und verhandelt. Ebenso wenig findet ein geschlechtsspezifischer Differenzdiskurs statt, wie er für die kollektive Selbstvorstellung im Bildungsmilieu charakteristisch ist. Die Differenz zwischen Frauen und Männern wird zwar in dem hier zur Debatte stehendem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten ebenfalls thematisch, aber als ‚natürliche‘ und in diesem Sinne auch erfahrungsgebundene Differenz. In dieser erfahrungsgebundenen Differenz zu Männern erleben sich die Frauen als andere, aber in ihrer Andersartigkeit als gleichwertig. Die Interpretationsfolie für die eigene Standortbestimmung ist für die Frauen der unmittelbare Bereich der eigenen Alltagspraxis, in der sich die Grenzen zwischen Männern und Frauen allerdings weit weniger verwischen als etwa im Milieu der Akademikerinnen. Insofern wird Geschlecht hier eine, wie es Regine Gildemeister formuliert, „vorsoziale Unmittelbarkeit“ zugeschrieben (2005, 211). Das Wissen um Geschlecht ist dabei fraglos und der damit zusammenhängende Standort gilt als selbstverständlich: die Frauen wissen darüber, ohne sich erklären zu müssen. Insofern aktualisiert sich Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit bei den Arbeiterinnen und einfachen Angestellten als eine implizite Kategorie mit einer exklusiven Semantik. Im Gegensatz dazu ist Geschlecht in der Frauenszene des sog. akademischen Bildungsmilieus eine explizite Kategorie mit einer inkludierenden Rhetorik. Was dies bedeutet, wird bereits in den An-
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fangssequenzen der Gruppendiskussionen augenfällig, denn hier muss das Fraglose zum Sprechen gebracht werden. Die Frage der Wissenschaftlerin nach der Bedeutung der Geschlechtsexklusivität wird von den Frauen regelmäßig mit einer Erzählung über ihre Entstehungsgeschichte beantwortet. Diese Geschichten bieten Anknüpfungspunkte für das Unterfangen, Geschlecht zu ‚übersetzen‘. Dabei zeigt sich, dass die Gruppenerfahrung nicht auf dem Kriterium ‚Geschlechtszugehörigkeit‘ fußt rsp. darauf reduziert wird, gleichwohl entfaltet die Gemeinsamkeit des Geschlechts gruppenbildende Wirkung. Bei dem Frauenkreis, um ein Beispiel aus unserem Sample aufzugreifen (vgl. dazu auch das Fallporträt in Kap. II, Pkt. 3.1), aktualisieren die Frauen ihr gemeinsames Anliegen über ihre Gruppengeschichte, die mittlerweile vor über 35 Jahren begann. Als Hausfrauen und Mütter mit noch kleineren Kinder teilen sie in der Entstehungsphase eine spezifische Lebenssituation, in der der Wunsch laut wird, ihren ‚familialen Horizont‘ zu erweitern und sich als Gruppe in der Gemeindeöffentlichkeit zu platzieren. Dies geschieht zunächst mit den Ehemännern gemeinsam. Bemerkenswerterweise währt diese gemischtgeschlechtliche Form nur kurze Zeit und die Ehemänner werden von ihren Frauen nur mehr zu bestimmten Anlässen mitgenommen, z.B. wenn die Frauen den Weltgebetstags feiern, ein jährliches Großereignis und Identifikationspunkt der Gruppe für das gemeinsame Tun. Die Verlaufsgeschichte dokumentiert, wie die Frauen als Frauengruppe zusammenwachsen und wie in diesem sukzessiven Wir-Findungsprozess die geschlechtsspezifisch unterschiedlich strukturierten Erfahrungsräume mit ihren je eigenen Handlungsproblemen eingefangen und über die Zeit hinweg bearbeitet werden. In den Erzählungen stehen Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit nicht thematisch im Vordergrund, sie säumen aber im Modus der Fraglosigkeit und Selbstverständlichkeit die Gemeinschaft. Fraglos in dem Sinne, dass sich die Frauen nicht veranlasst sehen, ihren Geschlechterstatus kritisch zu betrachten oder gar, sich dagegen zu wehren. Im Gegenteil: Die Frauen akzeptieren ihren Platz im Gefüge der Geschlechterordnung. In ihrem SelbstBewusstsein stehen Frausein, Weiblichkeit und die in ihren Augen notwendige geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nicht zur Disposition. Geschlechterpolitische Motive und feministische Positionen lehnen sie für sich ab, sie werden als Feindschaftserklärung gegenüber Männern interpretiert. Dies haben sie nicht nötig, weil sie das Geschlechterverhältnis als eine pragmatische Kooperation verstehen. Im Milieuvergleich wird also deutlich, dass Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit hier kein Gegenstand der Kommunikation und der Problematisierung unter den Frauen ist. Gleichwohl lösen die Frauen in der Gruppe Probleme und Fragestellungen, indem sie über ihre spezifische Lebenssituation kommunizieren. Für die Nachvollziehbarkeit ist es auch hier zweckmäßig, sich einige
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formal-organisatorische Charakteristika der Gruppen sowie die soziale Herkunft der Frauen vor Augen zu führen. Wir haben es hier vor allem mit Gruppen zu tun, die entweder im Rahmen der Kirchen organisiert sind (wie z.B. die Gymnastikgruppe, der Frauenkreis, das Frauenfrühstück) oder sich privat-informell treffen und insofern nicht gesatzt sind wie die Kegelgruppe, die Wandergruppe, die Tupper-Ware-Gruppe. Allen Gruppen ist gemeinsam, dass sie über langjährige Gruppengeschichten verfügen, auf die die Frauen, wie bereits gesagt, in ihren Selbst-Darstellungen auch ausdrücklich verweisen. Auf Nachfrage hin betonen alle Gruppen ihre prinzipielle Offenheit gegenüber interessierten neuen Mitgliedern, de facto handelt es sich aber um in sich geschlossene Gemeinschaften. Insgesamt repräsentieren die Gruppen die mittlere, vor allem aber auch die ältere Alterskohorte. Was das Bildungsniveau und die Erwerbstätigkeit betrifft, so kann festgehalten werden, dass die Frauen, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, über niedrig(er)e Schulabschlüsse verfügen. Die Sozialdaten informieren darüber, dass die älteren Frauen mehrheitlich keine Berufsausbildung absolviert haben, bei den Frauen der mittleren Alterskohorte verfügen einige der Frauen auch über eine Ausbildung. Meist arbeiten oder arbeiteten die Frauen in Teilzeit, weil sie als Hausfrauen den Haushalt und die Kindern zu versorgen haben bzw. hatten. Alle Frauen sind verheiratet, einige Frauen verwitwet. Die meisten Frauen haben erwachsene Kinder und Enkelkinder. Der spezifische Deutungsfundus von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten ist auch hier rückgebunden an die spezifischen Kontextbedingungen von gemeinsamen Handlungsproblemen. Zum Ausdruck werden die Orientierungen der Frauen über eine gemeinsame lebenslagentypische und strukturidentische Alltagspraxis gebracht, die sich aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ergeben. Obwohl die meisten Frauen mindestens in Teilzeit beschäftigt waren oder sind, sind sie in ihrem Selbstverständnis ebenso die Sachwalterinnen der privaten Sphäre. In den Gruppengesprächen aktualisiert sich ihr Gemeinschaftsgefüge über eine Reihe von Themen. Diese haben sich im Laufe der Gruppengeschichte verändert und werden in einer ganz spezifischen Art und Weise verhandelt, nämlich über ein implizites Verstehen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal kurz auf die Wandergruppe verweisen. Die Frauen haben zum Interviewzeitpunkt in dieser Gruppe allesamt einen lebensphasenspezifischen Umbruch zu bewältigen, nämlich den Übergang in den sog. Ruhestand. In der Gruppe werden Themen kommuniziert, die mit diesem Übergang in Verbindung stehen. Die Art und Weise, wie die Frauen aufeinander Bezug nehmen, sprich: die Diskursorganisation ihres Gesprächs, steht hier in einem homologen Entsprechungsverhältnis zu den Inhalten, d.h. die hohe interaktive Dichte und die an vielen Stellen indexikale Präsentation der Themen belegen, dass sich die Frauen in ihren Orientierungen verste-
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hen, ohne sich erklären zu müssen. Zur Erinnerung: Die Gruppe besteht aus ‚aktiven Ruheständlerinnen‘, allesamt Frauen, die gemeinsam in einer Abteilung für Damenoberbekleidung derselben Warenhauskette gearbeitet haben. Jetzt, also im Ruhestand, treffen sie sich regelmäßig, um zu wandern, gemeinsam die Erinnerung an die Zeit ihrer Berufstätigkeit zu pflegen und gemeinsam anstehende Anliegen zu besprechen. Bis auf eine Frau, die verwitwet ist, haben alle Frauen zu Hause „ihre Männer zu versorgen“. Die Gespräche während der Gruppendiskussion kreisen um die frei gewordenen Zeitpotenziale des Ruhestandes. Während früher eindeutige Zuständigkeiten für das Arrangement von Berufsarbeit, Familienleben und Hausarbeit galten, muss heute die gewissermaßen in Unordnung geratene eheliche Ordnung wieder hergestellt werden, kein leichtes ‚Unterfangen‘, wie die Frauen unmissverständlich deutlich machen. In dem Gruppengespräch werden die Probleme allerdings nicht explizit angesprochen; vielmehr geht es darum, die gemeinsame Wirklichkeit en passant zu bestätigen. Dazu eine kurze Gesprächssequenz, in der eine Teilnehmerin das Thema ‚Eheleben‘ in entspannter Atmosphäre und über eine beiläufige Bemerkung präsentiert und damit einvernehmliche Anknüpfungspunkte für die Gemeinschaft erzeugt. Die Andeutung, dass der im Geflügelzuchtverein engagierte Ehemann bei „seinen Hühnern“ sei, wird nicht ausbuchstabiert, denn das Thema ist unter den Frauen bekannt und sorgt jetzt in der doppelten Anspielung für Heiterkeit, wird, wenn man so will, durch den humorvollen Umgang gelöst. A: meiner ist heut’ bei seinen Hühnern @, B: ha, du hast es gut @@ C: @ da pass’ aber amal auf, was da passier’n könnt Alle: @@
Im Milieuvergleich kann also festgehalten werden: Die Geschlechtszugehörigkeit ist bei den Arbeiterinnen und einfachen Angestellten erfahrungsinhärent; sie begleitet die Frauen als Hintergrundfolie von Erfahrungen, wird aber nicht expliziert. Im Gegensatz zum akademischen Bildungsmilieu, in dem sich die Frauen über eine Dauer-Diskursivierung verständigen und dadurch auch eine habituelle Verunsicherung ihrer Lebenssituation zum Ausdruck bringen, dokumentiert die Kommunikationskultur der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten eine hohe Selbstverständlichkeit ihrer ‚geschlechtlichen Existenz‘ im Sinne einer fraglosen Gegebenheit. Mit anderen Worten: Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit wird von den Frauen nicht in Frage gestellt; vielmehr garantiert der Geschlechterstatus eine habituelle Sicherheit und korrespondiert mit einem Alltag, der sich in eine über Traditionen verbürgte Ordnung fügt. Männer und Frauen sind gleichwertig, wenn auch nicht gleichartig. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung spiegelt in den Augen der Frauen eine notwendige Grenzzie-
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III Die weibliche Gemeinschaft
hung wieder. Sie ist ein pragmatisches Arrangement. Die ‚empirische Wirklichkeit‘ ist, dass es Männer und Frauen gibt und sich diese in einem komplementären Arrangement begegnen. Dies wird als fraglose Entität akzeptiert und es besteht keine Notwendigkeit, dies zu thematisieren oder gar zu problematisieren. Der weibliche Zusammenschluss ist im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten eine ‚konjunktive Erfahrungsgemeinschaft‘ ohne Explikationsbedarf.
2.1.4 Die Gemeinschaft als Erkennungszeichen von Privilegien und Status Die exklusiven Service-Clubs lassen sich in dieser Untersuchung als ein weiteres Milieu identifizieren. Hier vermengen sich ein spezifisches Erfahrungs- und Deutungswissen von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit mit der (Re)Produktion einer Privilegienstruktur. Diese äußern sich in distinkten Praxisformen, wie sie in den Clubs gepflegt werden.30 Mit andern Worten: In den Clubs reproduzieren sich Zugehörigkeiten und Differenzen, die für die Stellung der Frauen innerhalb der sozialen Ordnung konstitutiv sind. Das vergemeinschaftsstiftende Moment der exklusiven Service-Clubs ist dann auch die Art und Weise, wie die Frauen Erfahrungen interpretieren, die sie in einer ganz spezifischen Lage machen, nämlich als Frauen der sog. guten Gesellschaft. Auch hier zieht sich der Geschlechterschematismus – Männer versus Frauen – wie ein roter Faden durch die Gruppengespräche. Wie bei den Gruppen des akademischen Bildungsmilieus auch, wird die eigene Kontur im kritischen und auch normativen Vergleich mit Männern und männlichem Verhalten komponiert. Allerdings – und das erweist sich als Differenz im Milieuvergleich – gibt es bei den exklusiven Service-Clubs keine vereinheitlichende strukturelle Problembestimmung qua Geschlechtszugehörigkeit; vielmehr ist die Platzierung im gesellschaftlichen Raum hier an den erreichten Status und die damit einhergehende Privilegienstruktur gebunden. Die Geschlechterordnung mit den benachteiligenden Strukturen des Erwerbssystems, den ungleichen Anerkennungschancen von Frauen und Männern wird zwar für andere Frauen hinterfragt, für die eigene Situationsbeschreibung findet die Analyse allerdings keine Anwendung. Der Kampf um Zugehörigkeit und Anerkennung, wie ihn die Frauengruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu führen, 30
Diese Homologie zwischen Denk- und Handlungsweisen findet sich auch im Habitusbegriff von Bourdieu (1979) wieder. In seinem Konzept der Inkorporierung sozialer Ordnung geht es aber weniger um die Subjektkonstitution, sondern vielmehr um die Frage, wie soziale Ungleichheiten (re)produziert werden. Der Habitus, der den Denk-, Gefühls-, Handlungs- und Wahrnehmungsschemata der Individuen als strukturierende Logik zugrunde liegt, ist zugleich auch strukturierende Struktur und bringt distinkte Praxisformen hervor.
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ist für die Frauen der Service-Clubs kein Thema. Aufgrund ihrer privilegierten Herkunftsbedingungen rsp. familienbiographischen Ressourcen sowie hinsichtlich der erreichten beruflichen Positionen erleben die Frauen keine wie auch immer geartete Benachteiligung qua Geschlechtszugehörigkeit. Insofern hätten sie es auch nicht nötig, sich als Frauen zu emanzipieren. Ihr Engagement gilt den ‚anderen‘ Frauen. Ganz explizit grenzen sich die Club-Frauen von denjenigen weiblichen Gemeinschaften ab, die ihrer Meinung nach ‚Befindlichkeiten‘ zum Thema machen oder einen ‚Leidensdruck‘ bearbeiten. Sie selbst führten keinen solchen Befindlichkeitsdiskurs und sie sind, wie es eine Teilnehmerin verstanden haben will, „keinesfalls eine solche Selbsterfahrungsgruppe“. Die Abgrenzung erfolgt aber noch in eine andere Richtung, denn die Club-Szene will ebenfalls nicht gemein gemacht werden mit denjenigen Frauen und Frauengruppen, die „verkrampft an ihren Emanzipationen arbeiten“. Geschlechterpolitische Motive sind nicht der Grund ihres Zusammenschlusses. Auch wenn sie sich, wie gezeigt werden konnte, qua ihrer Privilegien einer gesellschaftlichen Verantwortung stellen (müssen), um, wie es laut Club-Proklamationen formuliert wird, die „Stellung der Frau“ weltweit zu verbessern, so identifizieren sie sich damit nicht im Sinne einer eigenen Betroffenheit oder einer Notlage. Im Gegenteil: Was ihre eigene Lebenssituation betrifft, so sehen die Clubfrauen keinen Anlass für ein solches geschlechterpolitisches Engagement in eigener Sache. Auf den ersten Blick teilen sie damit die Perspektive mit den Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten, denn auch hier argumentieren die Frauen gegen eine Vergemeinschaftung mit Frauen und Frauengruppen, die ihrer Aussage nach einen „Geschlechterkampf“ führen. Auf den zweiten Blick wird diese scheinbare Gemeinsamkeit in mehrerer Hinsicht durchbrochen. Zunächst einmal haben wir es auch bei den Service Clubs mit einer übereinstimmenden sozialstrukturellen Lagerung zu tun. Für die exklusiven Service Clubs äußert sich dies in einer homogenen Privilegienstruktur. Die Frauen haben allesamt akademische Abschlüsse und arbeiten in statushohen Berufspositionen. Zugleich verweist die Club-Zugehörigkeit auf einen sozialen Sondierungsprozess, der über das geltende Kooptationsprinzip geregelt wird. Die Rekrutierung der Mitglieder erfolgt in allen Clubs über persönliche Vorschläge und Referenzen der alteingesessenen Clubmitglieder. Unter anderem ist eine erfolgreiche Berufsbiographie die Bedingung der Möglichkeit, als Clubanwärterin überhaupt in Betracht gezogen zu werden. Diese exklusive Rekrutierungspraxis verbürgt dann auch die Homogenität der Gemeinschaft hinsichtlich sozialstruktureller Merkmale sowie im Hinblick auf Gepflogenheiten und Weltsicht. Und schließlich kennzeichnet die Szene der Service-Clubs ein Wissen um die eigenen Privilegien und ein Gespür für Statusdifferenz. Ausdruck findet dieses elitäre
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III Die weibliche Gemeinschaft
Selbst-Bewusstsein in einer ‚verpflichtenden Wohltätigkeitspraxis‘. Die durchgängig wohl situierten Frauen sehen sich aufgrund der eigenen Privilegien für das Gemeinwohl verantwortlich; zumindest gehört dies zur Selbstdarstellungsgebärde der Club-Mitglieder, denn durch die jeweiligen Club-Statuten werden sie auch zu sozialer und gesellschaftspolitischer Verantwortung verpflichtet. Das Wohltätigkeits-Engagement, das sich vor allem in einer findigen Geldbeschaffungspraxis äußert, kann als Ausdruck einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsordnung verstanden werden, in der die symbolischen Repräsentationen der Herkunftsprivilegien zum Medium elitärer Selbstvergewisserung werden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch hier die Eingangssequenzen der Gruppendiskussionen, weil, wie in den anderen Milieus auch, die Relevanzen für die eigene Standortbestimmung dargelegt werden. Wie bereits beschrieben, rekurrieren die Arbeiterinnen und einfachen Angestellten in der Anfangspassage auf ihre Entstehungsgeschichten, da sie auf diesem Weg einen Zugang zum gemeinsamen Deutungsfundus finden. Die Frauengruppen des akademischen Bildungsmilieus hingegen projektieren sich gleich zu Beginn über eine Differenzkonstruktion; ihr Selbstthematisierungsschema aktualisiert sich im GeschlechterVergleich. Für die Service-Clubs gilt nun eine weitere Präsentationsform: Die Frauen nehmen die Gruppengespräche als Plattform für individuelle Darstellungen und die eigene Besonderung wahr. Diese Selbstdarstellung gelingt ihnen über das exklusive Aufnahmeprozedere in die Club-Gemeinschaft. Die Frauen akzentuieren in persönlichen Statements, wie sie in den Club aufgenommen worden sind, wer sie angesprochen hat, ob der Ehemann auch in einem Club ist, ob ein Clubleben zur Familientradition gehört usw. In diesen Auserwähltworden-sein-Geschichten wird deutlich, dass die Frauen stolz darauf sind, die Inklusions-Kriterien der geschlossenen Clubgesellschaft zu erfüllen. Zugleich wird in diesen Selbst-Vorstellungen auch transportiert, dass die exklusive Rekrutierungsstrategie, wie sie von allen Clubs praktiziert wird, ihre Zugehörigkeit zur besseren Gesellschaft zu beglaubigen vermag. Die Club-Mitgliedschaft wird zum prominenten Erkennungszeichen und versinnbildlicht die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Kreisen, deren konstitutiver Vergemeinschaftungsmodus in einem einvernehmlich geteilten Exklusivitäts- und Distinktionsbedürfnis besteht. Das kollektive ‚Wir‘ wurzelt und mündet also nicht, wie etwa im Milieu der akademischen Mittelschicht in einem reflexiven Geschlechterdiskurs, sondern in dem gemeinsamen Verständnis über eigene Privilegien und dem gesellschaftlichen Status als Frauen der Elite. Zwar sind die weiblichen Clubs – sozialhistorisch gesehen – eine Reaktion auf die männerbündischen Gesellungsformen, in denen ihnen von Anfang an der Beitritt verweigert wurde, doch die weiblichen Clubs haben sich mittlerweile als eigenständige Gesellungsform etabliert, in der sich eine Wohltätigkeitspraxis mit Geselligkeit paart und in der der gesellschaft-
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liche Status eben über die Zugehörigkeit zu einem Club dokumentiert werden kann.31 Die geschlechtsspezifischen Verregelungen der Herrenclubs werden von den Frauen auch nicht kritisiert, sondern als tradierte bürgerliche Gesellungsform verstanden und akzeptiert. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Herrenclub von den Club-Frauen als normativ verbindlicher Vergleichsmaßstab herangezogen wird. Die Frauen vergleichen sich in ihrem Tun mit den vorgestellten (also vermeintlichen) Gepflogenheiten in Herrenclubs. Empirisch wurde solch ein Abgleich immer dann virulent, wenn die Frauen in den Gruppendiskussionen problematische Auseinandersetzungen verhandeln. An das prominente Beispiel der unliebsamen Flohmarktveranstaltung sei an dieser Stelle noch einmal erinnert (vgl. dazu auch das Fallportät in Kap. II), weil diese Art der ‚Geldbeschaffungspraxis‘ nicht von allen Club-Mitgliedern mitgetragen wird. Es kommt allerdings zu keiner offenen Auseinandersetzung, denn die Frauen drücken ihren Protest eher indirekt aus, etwa durch ihr Fernbleiben von der Veranstaltung. In dem Gruppengespräch wird dieser Konflikt insofern zur Sprache gebracht, indem die Frauen das uneinheitliche Stimmungsbild gegenüber einer solchen Wohltätigkeitsveranstaltung im Geschlechtervergleich aufspannen und analysieren. In diesem Geschlechter-Abgleich kommen sie zu folgendem Ergebnis: Wären Männer beim Flohmarkt dabei gewesen (was sie selbstredend nicht waren) bzw. hätte sich ein Herrenclub zu einer solchen Aktion entschieden (von einer Gesprächsteilnehmerin wird eingebracht, dass Männer kein Geld auf Flohmärkten sammeln), so hätten sie dabei Corpsgeist bewiesen und sich loyal verhalten. Frauen hingegen, so der kritische und auch generalisierende Blick auf das eigene Verhalten, ließen sich von ihren (aktuellen) Befindlichkeiten leiten. Während Männer die Gabe besäßen, aus unangenehmen Situationen das Beste zu machen, verstrickten sich Frauen immer tiefer in ihren Unmut und ihr Unbehagen. Im Milieuvergleich wird augenfällig, dass die Argumentationsmuster der Clubfrauen denen der Akademikerinnen aus der gebildeten Mittelschicht ähnlich sind. Auch hier erhält das männliche Verhalten in der Gegenüberstellung einen abso-
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Soziale Frauenarbeit gehört von Anfang an zum bürgerlichen Projekt und löste bereits im 19. Jahrhundert heftige Kontroversen aus. ‚Nicht Wohltat sondern Wohlfahrt‘ lautetet dann auch eine programmatische Forderung, mit der von Seiten der Sozialreformerinnen die weit verbreitete Gepflogenheit von bürgerlichen Frauen, Armenfürsorge als gesellige Veranstaltung zu betreiben, gewettert wurde (vgl. dazu Schröder, Iris 2001; Schrott, Karin 2002). Eine interessante Quelle ist hier auch die Verfasserin Minna Cauer (1904), die gegen die kirchlichen Wohltätigkeitsbasare polemisierte, da diese zu Heiratsmärkten gerieten, auf denen die jungen herausgeputzten Mädchen auch in Ermangelung anderer gesellschaftlicher Ereignisse der Gesellschaft vorgeführt wurden Hier wird besonders deutlich, dass Wohltätigkeit nicht nur ein Grundgedanke christlicher Gesinnung ist, sondern durchaus eine Möglichkeit bereitstellt, sich im gesellschaftlichen Gefüge (besser) zu platzieren.
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III Die weibliche Gemeinschaft
luten Stellenwert, während, um noch einmal die Simmelsche Analyseperspektive aufzugreifen, die Frau in der Relation gefangen ist. Der Vergemeinschaftungsmodus lässt sich also für das Milieu der exklusiven Service-Clubs über gemeinsam geteilte Privilegien und der damit zusammenhängenden elitären Selbstverortung als Angehörige der gehobenen Gesellschaftsschicht bestimmen. Die geschlechtsexklusive Club-Gemeinschaft ist einerseits eine Reaktion auf die verregelten männerbündischen Veranstaltungen, zugleich dokumentiert die geschlechtsexklusive Gesellung auch das Bedürfnis der Frauen, sich über eine Club-Zugehörigkeit zu distinguieren und über die ‚verpflichtende Verantwortung‘ für das Gemeinwohl Standesbewusstsein zu demonstrieren. Als Ergebnis der vorliegenden Untersuchung kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die verschiedenen Deutungen und Diskursformen von Geschlecht- und Geschlechtszugehörigkeit im ‚sozialen Raum‘ erfolgen und daher situationsgebunden sind. Hier, also in den Milieus, die als eine Art Organisationsprinzip für die sozialen Erfahrungen, Deutungen und Handlungsorientierungen interpretiert werden können, betrachten die Menschen die „Dinge der Innen und Außenwelt“ gemeinsam und auf gleichartige Weise (Mannheim 1980, 327). Diese das Wissen bestimmenden Seinsfaktoren – Differenzlinien wie Bildung, Lage, sozial-kulturelle Ressourcen – prägen das (Geschlechter-)Wissen auch im Hinblick auf seine inhaltliche Gestalt oder, wie Mannheim sagt, seine „Aspektstruktur“ (Mannheim 1969, 234). Gemeint sind damit Begriffe, Kategorien und Problemkonstellationen einschließlich ihrer Bedeutungsdifferenz zu anderen möglichen Begriffen. Zeitgenössisch übersetzt veranschaulicht die empirische Rekonstruktion der Gruppendiskussionen mit weiblichen Zusammenschlüssen, dass die Art und Weise, wie sich die verschiedenen Gruppen auf den Deutungsfundus Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit beziehen und ihr (Geschlechter-)Wissen im Binnenraum der Gemeinschaft verhandeln, nur im Bezug auf die sinngenerativen Prozesse in ihrem Hintergrund zu verstehen sind. Oder anders formuliert, dass die unterschiedliche Durchschlagkraft von Geschlecht- und Geschlechtszugehörigkeit nur im Rekurs auf die Entstehungsbedingungen und somit im Milieuvergleich geklärt werden kann. Das heißt mitunter, dass die Zusammensetzung der jeweiligen Gruppen alles andere als beliebig ist, sondern im Hinblick auf sozialstrukturelle Indikatoren eine hohe Übereinstimmung aufweist. Die Homogenität der Gruppenzusammensetzung, was (Aus)Bildung und Beruf, Berufsposition und Status, Familien- und Lebensarrangements sowie Entwicklungsphase und Alter betrifft, ist ein Hinweis darauf, dass der weibliche Zusammenschluss ein gesellschaftlicher Ort ist, der soziale Schließungsprozesse regelt.
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2.2 Die weibliche Gemeinschaft im Spannungsfeld von Einheit und Differenz Jede Selbstbeschreibung, so Hahn (1994), muss Alterität in Anspruch nehmen: „Wenn man sagt, was man ist, muß man dies in Abgrenzung von dem tun, was man nicht ist“ (a.a.O., 142). Dies gilt für das individuelle Selbst genauso wie für Kollektive. Insofern gestattet die Funktion der Abgrenzung Selbstidentifikation. Damit wird deutlich, dass das kollektive ‚Wir‘ einer Gemeinschaft eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen ist. Es gibt sie, wie Straub es formuliert, „nicht ‚an sich‘, sondern nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu ihr bekennen“ (Straub 1998, 102f.). In gemeinsamen Übereinkünften und Praktiken, die als institutionalisierte Muster bezeichnet werden können, wird die kollektive Selbstvorstellung inszeniert und die gemeinschaftliche Ordnung bestätigt. Sie sind unausweichlich Differenz schaffend, denn ein Bewusstsein von Gleichheit innerhalb einer Gruppe schließt die Vorstellung ein, sich von Nichtangehörigen dieser Gruppe zu unterscheiden (vgl. Wagner (1998). Dieses Phänomen wird innerhalb der sozialwissenschaftlichen Debatte als Abgrenzung des Eigenen vom Fremden, vom Anderen diskutiert und problematisiert. Zugleich – und das scheint mir für unseren Gegenstand besonders wichtig –, sind die kollektiven Identifikationsmöglichkeiten nicht beliebig, sondern sie müssen plausibel und ‚anschließbar‘ (Luhmann) sein. Die weibliche Gemeinschaft steht nicht ‚für sich‘, sondern verweist auf das Milieu, rsp. ihre soziale Herkunft, aus der sie letztlich zu verstehen ist. In den Gemeinschaften wird ein ‚inkorportiertes Wissen‘ (Wetterer 2003) aktualisiert, es werden Strukturen und lebendige Traditionen übersetzt, Handlungs- und Lebensweisen zum Ausdruck gebracht, allesamt Aspekte, die die „Selbst- und Weltverhältnisse“ der Mitglieder dokumentieren (Straub, 1998, 104).32 Die Untersuchung konnte bislang zeigen, wie das geschlechtsexklusive Setting der weiblichen Gemeinschaft die Geschlechterunterscheidung als permanent stattfindende soziale Praxis (re)produziert, als ein Wissenssystem, das zeitgeschichtliche Gewissheiten und milieukonstitutive ‚Befangenheiten‘ perpetuiert. Die gemeinsame Klammer über alle Milieus hinweg ist dabei das formale Prozedere, wie an einer einvernehmlichen Weltsicht gearbeitet oder auch: darum gerungen wird, eine ‚formale‘ Übereinstimmung in die Art und Weise, wie sich das Gemeinschaftsgefüge ver,wirklicht‘. In erster Linie beinhaltet die kollektive Selbstvorstellung in der weiblichen Gemeinschaft einen Konsens des Verfahrens, einen Konsens über die Art der kommunikativen Behandlung der Themen und Ereignisse, mit denen sich alle Beteiligten verbunden wissen. Die Eigenschaften, 32
Tun sie dies nicht, so Straub (1998, 104), „laufen sie Gefahr, zu Ideologemen einer Praxis und Politik zu werden, die zum Zwecke der Manipulation von Menschen von der Differenz ihrer Erfahrungen absieht und auf deren gewaltförmige Homogenisierung setzt.“
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III Die weibliche Gemeinschaft
die man dem Eigenen zuweist, sind dabei ein Effekt ständiger Widerspiegelungen. In den Gegenüberstellungen ‚innen – ‚außen‘, ‚vertraut – fremd‘, ‚männlich – weiblich’, werden über alle Gruppen hinweg Binaritäten zum Ausdruck gebracht, in der sich der identitätslogische Konstruktionsmodus von Differenz durchsetzt, auch wenn der kontextbezogene und zugleich variable Charakter im alltagspraktischen Rekurs auf Geschlechtertopoi deutlich wird. Mit anderen Worten: Es wird am Unterscheiden und an den Unterschieden festgehalten, die Inhalte hingegen sind vielgestaltig und flexibel sowie an den jeweiligen Kontext gebunden. Im Folgenden soll noch einmal auf die Art und Weise geblickt werden, wie sich die Gemeinschaft im Spannungsfeld von Einheit und Differenz entwirft, wie der Vergleichshorizont für die eigene kollektive Selbstvorstellung projektiert wird. Denn: Die Ergebnisse der Analyse veranschaulichen im Milieuvergleich verschiedene Lesarten der eigenen Standortbestimmung rsp. des Verhältnisses von ,Außen‘ und ‚Innen‘. Dass Geschlecht eine Kategorie ist, die notwendigerweise relational zu bestimmen ist, kann auf der Ebene theoretischer Konzeptualisierungen leicht plausibel gemacht werden. Frauen gibt es nur, insoweit es Männer gibt und vice versa. Jede Konstruktion von ‚Weiblichkeit‘ beinhaltet zumindest implizit ein Männerbild. Aussagen über diese Differenzen setzen jedoch stets Vergleichsprozesse und Verhältnisbestimmungen voraus, in die, so Knapp (1995, 163) „historisch-kulturelle Wertmaßstäbe immer schon eingelassen sind“. Bereits die etymologische Begriffsbestimmung von Unterschied/Unterscheidung verweist auf den engen Zusammenhang von Macht und Differenz, denn ‚Unterscheiden‘ bedeutet neben Erklären und Auseinanderlegen beim Wort genommen „auseinandertragen und herabsetzen, differenzieren und diskriminieren, trennen und festsetzen im Sinne des Klassifizierens (a.aO., 163). Auf den weiblichen Zusammenschluss übertragen, wird damit die Frage aufgeworfen, wie die kulturell angebotenen normativen Repertoires von Geschlechterdifferenz und Geschlechterverhältnis in Selbst- und Fremdkategorisierungen übersetzt werden und wie diese interaktiven Prozesse der Vergeschlechtlichung rückgebunden sind an das Milieu. Im Milieuvergleich besteht die Differenz in der Gemeinsamkeit in der Art und in der ‚Reichweite‘ des Arguments. Wir haben es zum einen mit solchen Frauengruppen zu tun, die das kollektive ‚Wir‘ auf der Basis von Differenzannahmen imaginieren und universalisieren (Pkt. 2.2.1). Es wird eine Art fundamentale Zugehörigkeitsidentität behauptet und fiktionalisiert, die absieht von der Differenz der Interessen einzelner Mitglieder, ihrer Motiv- und Lebenslagen. Pointiert formuliert wird die kollektive Differenzierungspraxis qua Geschlechtszugehörigkeit im Rekurs auf strukturelle Problemdeutungen nachgerade emphatisch und in genereller Perspektive projektiert. Die geschlechtsspezifische Identi-
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tätsprogrammatik ist dabei der zentrale Code, mit dem rigide Grenzziehungen vorgenommen werden und mit dem ein Innen und Außen expliziert wird. Diese Art der Differenzkonstruktion provoziert zugleich ein stereotypes Männerbild, mit dem das (kollektive) Selbstbild als das ‚bessere Andere‘ besondert und affirmiert wird. Diese Form der Gemeinschaftsbildung finden wir vor allem im akademischen Bildungsmilieu. Davon unterschieden werden können die Gruppen, die das Milieu der Service-Clubs, das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten sowie, am Rande, die Gruppen der Mädchen und jüngeren Frauen repräsentieren. Das kollektive ‚Wir‘ wird hier über pragmatische Grenzziehungen konstruiert; hier ist der Bezugspunkt der kollektiven Selbstvorstellung ein gemeinsam gewachsenes Interesse. Die Vergemeinschaftungsform lässt sich als kulturell involuierte beschreiben.33 Die Grenzen zwischen Innen und Außen sind an den Kontext des Gemeinschaftshandelns gebunden, d.h. an zeitliche, personale und örtliche Gegebenheiten der Kommunikation. Die kollektive Identitätskonstruktion erfolgt hier partikularistisch(er). Im Vordergrund steht hier die Distanz zwischen Männern und Frauen als Folge der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung samt ihrer Platzanweiserfunktion für die Geschlechter. Differenzannahmen zwischen den Geschlechtern werden darin eingefangen, sie werden allerdings nicht expliziert oder reflektiert; vielmehr ist die geschlechtsspezifische Grenzziehung nur eine Möglichkeit der Aus- und Abgrenzung. Andere Formen treten hinzu: Bei den Service-Clubs symbolisieren Statusmarkierungen rsp. die gemeinsame Privilegienstruktur die Grenze zwischen Innen und Außen, im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten wird das ‚Eigene‘ im Rekurs auf strukturidentische Lebensbereiche und Handlungsfelder pragmatisch und alltagsnah identifiziert. Bei den Mädchen und jüngeren Frauen umfasst der Abgrenzungsmodus ‚Geschlecht‘ auch Grenzziehungen gegenüber der Erwachsenenwelt, weil dies für die eigene entwicklungsphasenbedingte Identität notwendig wird (Pkt. 2.2.2). Im Folgenden werden diese unterschiedlichen Lesarten der Differenzkonstruktion noch einmal exemplarisch mit einzelnen Passagen aus den Gruppendiskussionen dargestellt.
2.2.1 Der universalistische Diskurs über die Differenz der Geschlechter Im Milieuvergleich wird augenfällig, dass die Frauengruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu Differenzannahmen abstrahieren und universalisieren. Diese Abstraktionen und Universalisierungen fußen auf einer kategorialen Ab33
Vg. dazu auch Jan Fuse (2006, 245), der Gruppen als „involuierte“ Netzwerke begreift, in denen eine sinnhaft konstruierte soziale Außengrenze zum zentralen Orientierungspunkt wird.
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III Die weibliche Gemeinschaft
grenzung gegenüber Männern und männlichen Verhaltensweisen, oder anders gewendet: Die kollektive Selbstvorstellung eines weiblichen ‚Wir‘, die zugleich die Vorstellung einer weitgehend einheitlichen weiblichen Identität und Lebensorientierung transportiert, erscheint dabei als Ausdruck und Reaktion auf die Bedingungen von Abgrenzung und Ausgrenzung in einer männlich-dominierten Gesellschaft. In der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft geht dieser Abgrenzungsprozess mit ‚eindeutigen‘ oder auch: fundamentalen Grenzziehungen einher und zieht z.T. machtvoll ausgetragene Bemühungen nach sich, um die unterschiedlichen und auch aufbrechenden individuellen Perspektiven im Binnenraum der weiblichen Gemeinschaft, die quer zu den vorgestellten Geschlechterdichotomien liegen, einzuebnen. Der universalistische Herstellungsmodus von Differenz im akademischen Bildungsmilieu unterstellt eine Großgruppenperspektive, die ‚unter der Hand‘ ontologische Unterscheidungsmerkmale (re-)produziert und mithin theoretisch ‚untermauert‘ wird, d.h. auf einem Geschlechter-Wissen aufsitzt, das die Geschlechterdifferenz über die gesellschaftliche Verfasstheit und Strukturiertheit des Geschlechterverhältnisses sowie über sozialpsychologische Differenzannahmen begreift. Die Vielzahl der Lebenszusammenhänge oder anders ausgedrückt: die individualisierten, komplexen und auch diffusen Lebenslagen, wie sie gerade für das Milieu des akademischen Bildungsmilieus konstitutiv sind (vgl. dazu den vorherigen Abschnitt), werden auf einer Deutungsebene versämtlicht und – zugespitzt formuliert – über einen programmatisch anmutenden Differenzdiskurs gepflegt. Frauen und Männern stehen für unterschiedliche Kulturen, die weibliche Gemeinschaft wird nachgerade zum Raum für eine solche kulturelle Homogenität erklärt. Hierzu noch einmal ein Blick in unser empirisches Material: Eine Gruppe von Frauen, die sich ehrenamtlich in einem städtischen Frauenzentrum engagiert, pointiert in der folgenden Gesprächssequenz diesen universalistischen Konstruktionsmodus. Ihre kollektive Selbstvorstellung basiert auf einer dualistischen Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit und das kollektive Selbstverständnis aktualisiert sich über den prominenten Abgleich einer typisch weiblichen und typisch männlichen Kommunikationskultur: B: C: A: B:
A:
Es gibt schlichtweg Unterschiede. Ich denke, ich stehe hier nicht allein mit meiner Meinung oder? ja klar (@) |_ ja es gibt Ich vergleiche das jetzt mal mit Arbeitszusammenhängen, die ich auch kenne, in denen Männer vorhanden sind. Da erlebe ich das viel häufiger, dass sich da jemand mit aller Gewalt durchsetzt. |_wenn Männer dabei sind, geht es immer um diesen Machtkampf @
2 Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit im Milieuvergleich B:
A:
B: C:
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|_ was nicht heißt, dass Frauen nicht auch für ihre Interessen eintreten, aber der Blickwinkel ist eben weiter. Geht jetzt eine völlig verloren beim Thema? Haben wir noch eine gemeinsame Richtung? Also dieses, ja, ich denke, Frauen ähm sind sehr dran interessiert, dass alle mitmachen können. Das ist, das erlebe ich hier anders als in Situationen, wenn Männer mit dabei sind. ja, es gibt diese unterschiedlichen Kommunikation und was dahinter steht. Ich beobachte das sehr genau und wir versuchen hier, also wir wollen hier zwischen uns eine andere Kultur leben und das ist eine völlige andere |_was nicht immer einfach ist nein
Zunächst einmal kann festgehalten werden, dass sich die Teilnehmerinnen hier wechselseitig in ihren Annahmen über eine spezifisch weibliche und männliche Kommunikationskultur bestätigen. Die Differenzannahmen zwischen den Geschlechtern bieten in der Gruppe einen gemeinsamen Ankerpunkt für ein geschlechtsexklusives ‚Wir‘. Bemerkenswert dabei ist, dass die Differenzen „schlichtweg“ gesetzt werden, um damit etwas unmittelbar und positiv zu bezeichnen, was doch erst durch dessen Absetzung von dem, mit dem es nicht identisch ist, zu schaffen, nämlich eine gemeinschaftliche Ordnung über Geschlechtszugehörigkeit. Die habituelle Übereinstimmung der Frauen, die hier nicht zuletzt auch in dem sprachlichen Duktus zum Ausdruck kommt, fußt auf unspezifischen Komprimierungen in generalisierender Perspektive. Das heißt, individuelle Erfahrungen und Beobachtungen werden in genereller Perspektive ausgesprochen. Sie gelten für alle Frauen und alle Männer. Insgesamt beruht die kollektive Selbstvorstellung bei den Gruppen im akademischen Bildungsmilieu auf einer Versämtlichung des Eigenen und des imaginierten Anderen. Notwendig wird dabei ein hohes Abstraktionsniveau, das diffuse Differenz-Erfahrungen auffängt und normiert, zugleich aber in der Lage ist, aus einzelnen Erfahrungen generelle Bezüge herzustellen. In ihrem Wunsch nach Kohärenz und Kontinuität werden von den Frauen Grenzen gezogen und Interessen im Hinblick auf eine Großgruppenperspektive (auch stellvertretend) formuliert. Die von den Frauen analysierte ‚objektive‘ Gemeinsamkeit resultiert aus der Glaubensvorstellung, dass der Geschlechterstatus eine gemeinsame Lebenslage bedingt und aus dieser gemeinsamen Lage ein einhelliges Zusammengehörigkeitsgefühl erwächst. Die so bezeichnete „andere Kultur“, die die Frauen im oben aufgeführten Zitat vor dem Hintergrund männlichen Dominanzgebarens leben wollen, beinhaltet die Emphase einer substanziellen Gleichartigkeit. Nur wenn die Frauen ‚unter sich‘ sind, wird eine Verständigung ‚unter Gleichgesinnten‘ möglich.
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III Die weibliche Gemeinschaft
Zum Sprachregister der Differenzkonstruktion gehören die kritische Selbstsicht und der Zweifel. Im oben aufgeführten Zitat vergewissern sich die Frauen wechselseitig, ob sie die Erfahrungen in denselben Codierungen von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ übersetzen. Dabei zeigt sich bereits, dass die Unterschiede, mit denen die Frauen argumentieren, kein fixes Deutungsrepertoire sind; vielmehr bedürfen sie – trotz der selbstbewusst vorgetragenen Analyse – einer permanenten Bewährung. Während die wechselseitige Anerkennung in der gerade zitierten Gesprächspassage (noch) gelingt, aktualisiert sich in anderen Fällen die Problematik einer solchen inständigen und auch moralisch aufgeladenen Gemeinsamkeits-Fiktion – vor allem dann, wenn der Geschlechterdualismus für eine gemeinsame Gruppenperspektive nicht ausreicht und Vereinnahmungen notwendig werden, um die Idee der Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Dazu noch ein weiteres Statement der oben aufgeführten Gruppe, das insofern bemerkenswert ist, weil eine Teilnehmerin gegen die Annahme opponiert, die weibliche Gemeinschaft sei frei von Macht und Konkurrenz. Dies wurde bereits in der vorigen Gesprächssequenz angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt. Jetzt wird die ‚Konkurrenz unter Frauen‘ noch einmal offensiv thematisiert und die für alle verbindlich gültige Frontstellung Frauen versus Männer angefochten. C:
Also ich- ich kann jetzt die Erfahrung so nicht machen. Also, was du vorhin gesagt hast mit der Konkurrenz ne, finde ich, stimmt so nicht. Das ist also – weil ich denke, es gibt schon Konkurrenzen unter uns auch in äh ähm- wie- also hier finde ich hm, kann ich es so grad so nicht fest machen. Aber ich denke schon, dass diese Konkurrenz so auf einer anderen Ebene ausgetragen wird, auf alle Fälle, und dass das durchaus noch mal viel schwieriger ist als eine offen ausgetragene Konkurrenz, wie ich das bei Männern erlebe.
Homolog in Form und Inhalt kritisiert sie den Umgang mit Konkurrenz in der eigenen Gemeinschaft. Zwar wird auch hier an der Grundstruktur der dichotomen Differenzkonstruktion qua Geschlecht festgehalten, die inhaltliche Ausgestaltung des Typisierungsprozesses zeigt sich aber variabel. Die offene Austragungsform von Konkurrenz, wie sie Männern unterstellt wird, steht dabei der weiblichen Form gegenüber, die als eine implizite interpretiert wird. Dass sie ihre Argumentation nicht belegt (oder belegen kann), verstärkt ihre Aussage. Die Kritik am Umgang mit Konkurrenz steht im Raum, wird allerdings durch den impliziten Charakter wenig greifbar. Zugleich dekonstruiert sie mit ihrer Kritik den (Gruppen-) Anspruch als einen ‚machtfreien‘ Raum. Mit ihrer Vorhaltung entlarvt sie das Gemeinschaftsgefüge als wenig durchschaubare Gesprächskultur, in der offen ausgetragene Konkurrenzen durch Intrigen und Rivalitäten ersetzt werden. Die ‚Positivierung der Differenz‘ hält im Nahbereich nicht stand.
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2.2.2 Pragmatische Grenzziehungen und Distanzen zwischen den Geschlechtern Eine weitere Art der kollektiven Selbstvorstellung finden wir im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten sowie im Milieu der exklusiven ServiceClubs. Die empirischen Befunde zeigen, dass die Gruppen ihre Konturen hier weniger über absichtsvolle Proklamationen denn über pragmatische(re) Abstandsmarkierungen erlangen. Auch hier wird das Selbstbild über das und die anderen möglich, allerdings erfolgt die Konstruktion von Gemeinschaft hier weniger über Differenz denn über Distanz. Die Gemeinschaft verklammert sich über ein gemeinsames Tun, ohne damit eine generelle Perspektive für ‚alle Frauen‘ einzunehmen oder einnehmen zu wollen. Die Gruppen lassen sich somit als kulturell homogene und intern eng verdichtete Einheiten charakterisieren, die distinkte Orientierungen emergieren und sich von der Außenseite durch Grenzen der Verständigung unterscheiden. Als solche dichte kommunikative Gebilde entwickeln sie eine eigene Weltsicht und eigene Umgangsformen. Sie lassen sich als Gemeinschaften charakterisieren, in denen der unmittelbare Nahbereich als ‚primäre Wirkzone‘ eingefangen und bearbeitet wird. Im Vergleich zum akademischen Bildungsmilieu wird die Homogenität der Gemeinschaft durch eine Vertrautheit mit den impliziten Regeln einer lokalen Lebenswelt, einer gemeinsamen geschichtlichen Tradition oder eines Gründungsmythos geschaffen. Mit Blick auf unser empirisches Material kann gezeigt werden, dass der konstitutive Unterschied zum akademischen Bildungsmilieu darin besteht, dass diese Gruppen keinen universalisierten Geschlechterdiskurs pflegen, sondern sich das Zugehörigkeitsgefühl über verschiedene ‚Subidentitäten‘ entwickelt wie z.B. Konfessionszugehörigkeit, Freizeitinteressen, eine spezifische Lebensphase und Lebenslage. Die kollektive Identitätskonstruktion ist weniger abstrakt formuliert und weniger emphatisch projektiert; vielmehr werden die Unterscheidungslinien zwischen Außen und Innen über eine gemeinsame Praxis konkretisiert und als Zu(sammen)gehörigkeit erlebt. Mit Blick auf unser empirisches Material ist die Exklusivität der Gemeinschaft beispielsweise im Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten an eine gemeinsam geteilte Alltagserfahrung gebunden, über die sich eine „gemeinsame kommunikative Umwelt“ konstituiert (Schütz/Luckmann 1979: 25). Die Gruppengespräche veranschaulichen, dass sie in sich geschlossene Einheiten sind, gewohnheitsmäßige Orte der Kommunikation. Und genau daran halten die Frauen, wie im folgenden Gesprächsausschnitt deutlich wird, auch fest: C: D:
es ist so, dass wir auch unsere Gewohnheiten haben |_und deshalb war es auch schwierig, als die eine mitmachen wollte
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III Die weibliche Gemeinschaft A: C: B: C:
|_Das war die Monika, ne. Ja, ihr habt g’sagt, des kommt ja gar net in Frage. Die Marga, stimmt, aber das war halt schwierig, weil wir schon viele |_Und dann hab’ ich mich so geschämt, weil ich anrufen hab’ müssen und hab’ gesagt: Marga, die woll’n dich nicht dabei haben. B: Jetzt stell uns net so brutal dar @ Alle: @@ C: Ich hab’ mich gar nichts dagegen sagen trauen. Ich hab’ ja nur gesagt, die möchte mal mit uns. Und ihr: ‚Nein, das kommt ja überhaupt nicht in Frage! B: Wir sind genug, hab’n wir g’sagt. Ist ja so, wenn man mehr ist, sag’n ma mal, dann ist des immer a Problem. Weil, erst mal bilden sich dann mehr Gruppen, dann ist es beim Essen komisch, dann hat man kein Platz, ne. Jetzt nur so als Beispiel
Die Kegelgruppe, die hier zu Wort kam, pocht auf einer konstanten Mitgliederzahl. Das heißt, Neuzugänge werden abgelehnt, weil diese das Gruppengefüge empfindlich stören könnten. Damit zeigt sich bereits, dass das kollektive ‚Wir‘ hier vor allem über ein kommunikatives Repertoire und ein gemeinsames Tun entsteht und auch aufrecht erhalten wird. Das Gemeinschaftserleben ist nicht, wie beim akademischen Bildungsmilieu, an ein diskursives Geschlechter-Wissen und eine strukturelle Problemdeutung geknüpft, das die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht per se als das tragende Fundament für die Gemeinschaft interpretiert; vielmehr beharren die Frauen auf ihrer Gemeinschaft auf der Grundlage einer gemeinsamen Erfahrung und Verständigung, hier ohne den ‚theoretischen Überbau‘ von weiblicher Solidarität. Die Kegelgemeinschaft repräsentiert einen Zusammenschluss, der am gemeinsamen Kegeln interessiert ist. Der Status als Frauen steht nicht im Mittelpunkt ihres Interesses, er hat zwar durchaus gemeinschaftsbildende Wirkung, ist aber kein konstitutives Merkmal der Gruppe. In der zitierten Gesprächspassage werden Grenzziehungen (wer gehört dazu, wer bleibt der Gruppe außen vor) aufgrund pragmatischer und das heißt: alltagsnaher Erwägungen und Interessen im Hinblick auf das Gruppengefüge gezogen. Die Gruppen beharren also darauf, ,unter sich‘ bleiben zu wollen. Dies gilt, wie im oben zitierten Beispielfall aufgezeigt, für andere Frauen, aber selbstredend bleiben auch Männer der weiblichen Gemeinschaft außen vor. Diesem Bedürfnis nach Exklusion und Inklusion liegen allerdings keine geschlechterpolitischen Motive zugrunde, sondern – dies erweist sich als weiteres milieukonstitutives Unterscheidungsmerkmal – die Grenzziehung zwischen Männern und Frauen verweist auf ein Geschlechterarrangement, in das die Frauen über Traditionen hineingeraten sind und in das sie sich fraglos fügen. Im Rekurs auf stereotype Geschlechter-Konstruktionen, die das Aussagesystem der „Geschlechtscharaktere“ (Hausen 1976)) stützen, wird das Verhältnis zwischen Männern und
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Frauen und mithin das tief verwurzelte Fremdheitserleben der Geschlechter zum Ausdruck gebracht, allerdings ohne die darin implizierte Hierarchisierung zu thematisieren. Im Gegenteil: Männer und Frauen sind anders, aber gleichwertig. Das Verhältnis zueinander wird komplementär qualifiziert. Die Ex- und Inklusionsregeln der weiblichen Gemeinschaft sind nicht thematisierungsbedürftig, im Gegenteil: Die als selbstverständlich erachteten Grenzziehungen zwischen Männern und Frauen lassen sich als eine indexikale Verortung im Beziehungsgeflecht der Geschlechter beschreiben. Erinnert sei an dieser Stelle noch einmal an den konfessionellen Frauenkreis, der sich selbst als „eher traditionell“ beschreibt. Mit dieser Selbstvorstellung versuchen die Frauen, ihr geschlechtsexklusives Gemeinschafts(er)leben im Hinblick auf die Qualität ihres Zusammenseins zu begründen. In der vorgenommenen Gegenüberstellung von ‚weiblicher Genügsamkeit‘ und ‚männlicher Anspruchshaltung‘ wird für die Frauen ein gemischtgeschlechtliches Gemeinschaftsleben nur noch in Ausnahmefällen vorstellbar. Der Gedanke, dass sie in der Gruppe gemeinsam mit ihren Ehemännern Topflappen häkeln oder Weihnachtskarten basteln, ist in ihren Augen ein nachgerade abwegiges Bild und bringt ihre Alltagserfahrung der getrennten Sphären mitsamt den darin eingefangenen ‚Geschlechterprofilen‘ metaphorisch auf den Punkt. Zugleich dokumentiert das Unbehagen, in Worte fassen zu müssen, warum die Gruppe geschlechtsexklusiv ist, die Fraglosigkeit und das unproblematische Selbstverständnis, mit der die Frauen das kollektive ‚Wir‘ mit einem Klassifikationsmerkmal wie Geschlecht in Einklang zu bringen versuchen. Die Formulierung einer Teilnehmerin: „was ich auf’m Herzen hab’, das kann ich nur mit ner Frau besprechen (…)“ kann insofern als Schlüsselsentenz interpretiert werden, denn darin verdeutlicht sich das schwierige Unterfangen, Geschlechtlichkeit dort zu thematisieren, wo dies gewöhnlich nicht geschieht: in der Lebenswelt des Alltags. Zugleich dokumentiert die Formulierung ein Deutungsmuster der essentiellen Differenz: Frauen und Männer sind ‚bei sich‘, wenn sie unter ‚ihresgleichen‘ sind. Die Distanz zwischen Frauen und Männern wird als ein ,verkörperlichtes Fremderleben‘ der Geschlechter ausgemalt, das sich einer reflexiven Durchdringung und einer argumentativen Verständigung entzieht, oder wie es eine der Teilnehmerinnen ausdrückt: „es ist halt so“. Über alle Gruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten hinweg wird zur Bestimmung des ‚Eigenen‘ im Vergleich zum ‚Anderen‘ oder ‚Fremden‘ auf rational wenig zugängliche Ebenen emotionaler Empfindung zurückgegriffen. Beispiele, die immer wieder zur Bestimmung der weiblichen Gemeinschaft genannt werden, sind „sich gemeinsam entspannen können“, „sich unter Frauen wohlfühlen“ oder eben „Herzensangelegenheiten“ besprechen – allesamt Chiffren für das tief verwurzelte Empfinden einer ‚weiblich‘ konnotieren Denk-, Gefühls- und Körperpraxis.
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III Die weibliche Gemeinschaft
Im Unterschied zum akademischen Bildungsmilieu wird deutlich: Geschlecht ist weniger eine Sache von Wissen und Reflexion, sondern eine präreflexive Kategorie, die Ordnung stiftet und als Ordnung erfahren wird. Geschlechtlichkeit ist eine selbstverständliche und fraglose Angelegenheit der Erfahrung. Sie ist selbstverständlicher Bestandteil des Verhaltensrepertoires: Die Frauen ,wissen‘ es, ohne es sich reflexiv verfügbar zu machen. Auch die Gruppen im Milieu der weiblichen Service-Clubs lassen sich – wenn auch mit anderen Akzenten – als Vergemeinschaftungsform beschreiben, in der das Zugehörigkeitsgefühl über eine gemeinsame Gruppenpraxis und eine lebensweltliche Verankerung geregelt wird. Die über das Kooptationsprinzip ‚verregelten‘ Gemeinschafen kommunizieren eine gemeinsame Privilegienstruktur und den erreichten Status im gesellschaftlichen Gefüge. Beides stellt sie ihrer eigenen Einschätzung zufolge in die Verantwortung für gesellschaftliche Belange. Ihrem Eliteverständnis nach engagieren sie sich als ‚Wohltäterinnen‘ für die Interessen ‚anderer‘ Frauen, die weit ‚unter‘ ihnen angesiedelt sind. Zugleich hält die Gruppe Residuen bereit, in denen die Frauen distinkte Gesellungsformen pflegen – in Anlehnung an die männerbündischen Assoziationen, die auf dem traditionsreichen Prinzip männlicher Selbstorganisation aufbauen. Kurzum: Gemeinsinn und Verantwortung sind die zentralen Selbstbeschreibungskategorien der Clubs. Eine geschlechtsspezifische Abgrenzung, wie sie in den nach Geschlechtern getrennten ‚Club-Welten‘ gilt, wird von den Frauen als traditionsreiche Gemeinschaftsform elitären Selbstbewusstseins akzeptiert, u.a. auch, weil sie sich durch die Anpassung an männliche Vergemeinschaftungsstrategien zu behaupten versuchen. Die vereinzelt anklingenden leisen Töne der Kritik an einer solchen geschlechtsspezifischen Institution wird, wie die Gruppengespräche belegen, im Hinblick auf weibliche Profilierungsstrategien im Prozess gesellschaftlicher Elitebildung eingeebnet. Im Vordergrund steht für die ClubFrauen die ‚auserlesene‘ Gemeinschaft, in dem sie als erfolgreiche und meist statushohe ‚Karrierefrauen‘ ‚unter sich‘ sind. In einem der von uns untersuchten Clubs verstehen sich die Frauen ganz explizit als „Freundschaftsbund“, in der der „Geist guter Kameradschaft“ – und zwar „weltumspannend“ erarbeitet werden soll. Einen Anlass, sich selbstbezüglich und notwendigerweise auf ihren Geschlechterstatus zu beziehen, sehen die Frauen nicht. In ihrer Deutung des Geschlechterverhältnisses wird die Problematik einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung und Ausgrenzung stellvertretend für ‚andere‘ Frauen geführt. Sie selbst werden von diesem Problemhorizont wenig tangiert. Für ihre eigene kollektive Selbstvorstellung gilt die Abgrenzung nach ‚unten‘, für die Clubs eine Leitdifferenz innerhalb des elitären Gruppengefüges. Auch die Gruppen der Mädchen und jungen Frauen, die in dieser Untersuchung das akademische Bildungsmilieu um die Vergleichsdimensionen Alter
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und Entwicklungsphase erweitern, verwirklichen ihr Gemeinschafts(er)leben über Grenzziehungen. Doch auch hier lässt sich erkennen, dass das Zugehörigkeitsgefühl nicht über absichtsvolle Proklamationen mitsamt einer geschlechtsspezifischen Identitätsprogrammatik verläuft, wie er den älteren Frauen aus dem Milieu des akademischen Bildungsmilieus eigen ist. Vielmehr exemplifizieren die Gruppen der jungen Frauen und Mädchen ihr Gemeinschaftsgefühl über ihr jugendliches Sosein. Die Gruppen repräsentieren insofern eine PeergruppenWelt, in der die Trennung nach Geschlechtern mit aufgefangen wird, aber im Selbstempfinden kein dominanter Bezugspunkt der Selbstvorstellung ist. Im Gegenteil: Den Mädchen und jungen Frauen geht es vor allem um Autonomie und Selbstbehauptung – auch mit Blick auf die Erwartungen und geschlechtsspezifischen Vereinnahmungen der Erwachsenenwelt. Sie wehren sich gegen die einengenden Geschlechterbilder und opponieren auch vor den Wissenschaftlerinnen gegen eine wie auch immer gemeinte ‚tiefere‘ Bedeutung ihrer geschlechtsexklusiven Gemeinschaft. Obwohl auch sie Grenzziehungen vornehmen und das kollektive ‚Wir‘ mit männlichen Verhaltensannahmen vergleichen, beruht das Unterscheiden noch vorwiegend auf Erfahrungen innerhalb der Gleichaltrigengruppe. Insgesamt unterscheidet sich im Milieuvergleich der innere Bauplan der Differenzkonstruktion im Hinblick auf den Verallgemeinerungsgrad und das Abstraktionsniveau, mit dem die Grenzen zwischen dem Innenraum der Gemeinschaft und der Außenseite markiert werden (müssen). Auf der einen Seite stehen die Frauengruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu, die ihr kollektives ‚Wir‘ über eine Art geschlechtsspezifische Zugehörigkeitsidentität emphatisch postulierten. Die kollektive Selbstvorstellung und -darstellung zeitigt dabei ein hohes Abstraktionsniveau, um den universalistischen Diskurs über die Differenz der Geschlechter führen zu können. Die Leitdifferenz ‚Geschlechtszugehörigkeit‘ wird als ein politisches Projekt gesehen, das in genereller Perspektive alle Frauen (und Männer) betrifft. Auf der anderen Seite verwirklichen die Frauengruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten, die Service-Clubs als auch die Gruppen der Mädchen und jungen Frauen ihr Zugehörigkeitsgefühl über Selbstbeschreibungskategorien, mit denen die Unterscheidungslinien zwischen Außen und Innen pragmatisch, alltagsnah und erfahrungsgebunden eingefangen werden. Auch hier aktualisieren sich kulturelle Deutungen und Codierungen von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘, aber die gemeinschaftliche Ordnung über den Deutungsfundus ‚Geschlechtszugehörigkeit‘ eröffnet mit der partikularistischen Ausrichtung Horizonte, Gemeinschaft auch über andere Bezugspunkte (er)leben zu können und zwar jenseits von Männern und Frauen.
IV Fazit und Ausblick IV Fazit und Ausblick IV Fazit und Ausblick
Die vorliegende Untersuchung hat sich die Aufgabe gestellt, dem Phänomen ‚weibliche Gemeinschaften‘ auf die Spur zu kommen. Sie hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Beweggründe Frauen haben, sich mit anderen Frauen zu vergemeinschaften. Welche Ex- und Inklusionsregeln liegen den Gemeinschaften zugrunde? Welche Rolle spielt dabei Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit und wie nehmen die Frauen in den unterschiedlichen Gruppen darauf Bezug? Gibt es – über alle Gruppen hinweg – konstitutive Elemente eines kollektiven ‚Wir‘ und in welcher Weise verschränkt sich die kollektive SelbstVorstellung mit den erfahrungskonstitutiven Dimensionen der Sozialstruktur zu einem Milieu? An dieser Stelle gilt es nun, die aus der empirischen Rekonstruktion gewonnenen Erkenntnisse zusammenzutragen und an die Ausgangsfragen rückzubinden.
Die weibliche Gemeinschaft als institutionelle Reproduktionsform vergeschlechtlichter Ordnungsvorstellungen Die empirische Analyse der Gruppengespräche zeigt, wie das geschlechtsexklusive Setting der weiblichen Gemeinschaft die Geschlechterunterscheidung als permanent stattfindende soziale Praxis produziert und reproduziert: Über die Struktur sozialer Beziehungen sowie über symbolische Grenzziehungen. Über alle Gruppen hinweg lässt sich ein ‚vergeschlechtlichtes Regelwerk‘ beschreiben, das Orientierungen und Einstellungen filtert, so dass den Frauen die Welt gewissermaßen vergeschlechtlicht gegenübertritt. Obwohl die Frauen individuell unterschiedliche Motive formulieren, sich mit anderen Frauen zu vergemeinschaften, in der Gemeinschaft münden die Anlässe in der ‚Glaubensvorstellung‘, dass es ‚Frauenerfahrungen‘ und ‚weibliche‘ Verhaltensmuster gibt, die die geschlechtsexklusive Gruppenkonstellation begründen. Die Gruppe pointiert sich damit als ‚Geschlechter-Arena‘, in der geschlechtsspezifische Zuschreibungen von ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ generativen Charakter haben. Im Binnengefüge der Gemeinschaft fördert die ‚Deutungsoffensive‘ über den Geschlechterstatus ein nachgerade ‚substanzielles Selbst-Verständnis‘. Die verschiedenen Gruppen produzieren und reproduzieren stereotype Geschlechterbilder, mit dem das
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IV Fazit und Ausblick
Verhältnis der Geschlechter eingefangen, aber eben auch in den alltäglichen Gesprächsroutinen und -ritualen gespiegelt und hergestellt wird. Die weibliche Gemeinschaft lässt sich damit als institutionelle Reproduktionsform vergeschlechtlichter Ordnungsvorstellungen charakterisieren.
Der permanente Blick durch die Geschlechterbrille Über alle Gruppen hinweg arrangiert sich die Gemeinschaft – wenn auch mit unterschiedlichen Akzentsetzungen – über eine wechselseitige Anerkennung von Gleichheit. Dabei ist es nicht nur ein inhaltlicher Konsens, der die Gruppen zusammenhält, sondern eine bestimmte Modalität der kommunikativen Bearbeitung von Themen, Erfahrungen und Ereignissen, mit der sich die Frauen als Gemeinschaften entwerfen und ihren Rückhalt finden oder fordern. Das Rückgrat der Gemeinschaft besteht in einem Konsens des Verfahrens, der vor allem durch eine formale Übereinstimmung garantiert wird. Zugespitzt formuliert ist dies der permanente Blick durch die Geschlechterbrille. Egal, welche Ereignisse besprochen werden - ob das Berufsleben, Freizeitinteressen oder alltägliche Erfahrungen thematisch werden -, die Gesprächsgemeinschaft greift in jedem Fall auf ein generalisiertes Verfahren zurück, um ein für alle Beteiligten relevantes, möglicherweise aber auch kontroverses Verständnis ‚ihrer‘ Vorstellungen und kollektiver Orientierungen zum Ausdruck zu bringen. Darüber gelingt es auch, Unstimmigkeiten zu glätten und die Gesprächsgemeinschaft zusammenzuhalten, zusammenzuführen oder auch: zu kontrollieren. Kurzum, über die unterschiedlichsten Themenfelder hinweg aktualisiert sich ein erprobtes Gesprächsverfahren, mit dem es gelingt, die Gemeinschaft über geschlechtsspezifische Differenzannahmen zu verklammern und auch ‚einzuspuren‘, oder allgemein formuliert: intersubjektive Wirklichkeit durch kommunikative Prozesse zu sichern.
Kollektive Identitätskonstruktion: Grenzziehung nach außen und Homogenisierung im Innern der Gemeinschaft Durch die Gruppengespräche gewinnen wir also einen Einblick in die Art und Weise, wie die soziale Identität der Gruppe hergestellt wird. Empirisch lässt sich dieser Prozess aus unterschiedlichen Blickrichtungen beleuchten: Zum einen über die Frage, wie sich das weibliche Kollektiv über Abgrenzung konturiert. Damit rückt die kollektive Identitätskonstruktion in den Vordergrund. Zum anderen geht es um die Frage, wie es der Gemeinschaft in ihrem Innern gelingt,
IV Fazit und Ausblick
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Gruppenkohärenz zu erfahren. Das Augenmerk ist dabei auf die gemeinschaftsstiftenden Modi im Innern der Gemeinschaft gerichtet. Beginnen wir der Reihe nach, nämlich mit der Perspektive auf die kollektive Identitätskonstruktion. Ganz allgemein gesprochen gelingt (Selbst)Identifikation über Abgrenzung – dies gilt für das individuelle Selbst genauso wie für Kollektive. Diese Einsicht ist so banal wie voraussetzungsvoll, denn die Frage, was das kollektive ‚Wir‘ einer Gemeinschaft ausmacht, hängt damit zusammen, wie sich die Teilnehmerinnen dazu bekennen (Straub 1998). Sie hängt aber ebenso an den Identifikationsmöglichkeiten der beteiligten Akteure, die plausibel und anschließbar sein müssen an soziale Strukturen. Die kollektive Selbstvorstellung stellt dabei eine notwendige Abstraktion dar, weil die Besonderung des Eigenen – in unserem Fall: die Besonderung qua Geschlecht- und Geschlechtszugehörigkeit – eine Selektion aus der Faktizität des gelebten Lebens darstellt.34 Die Kategorie Geschlecht ist formal-logisch eine relationale Kategorie, die zunächst auf eine Beziehung verweist und nicht auf eine Identität. Eine soziologische Bestimmung dessen, was das kollektive ‚Wir‘ ausmacht, bewegt sich also nicht auf der Ebene der behaupteten Eigenschaften, von denen die Gruppenmitglieder meinen, sie seien den Genusgruppen eigentümlich, sondern sie hat das Feld der Relationierung zu ‚beackern‘. Der Untersuchungsgegenstand der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft sagt etwas aus über das Geschlechter-Verhältnis und die darin impliziten Vergleichsmaßstäbe, Identifizierungen und Identifikationsmöglichkeiten in dieser vergleichenden Perspektive. In die Konstruktion des kollektiven ‚Wir‘ ist die Konstruktion der ‚anderen‘ sozusagen mit eingebaut. Die Vergleichsdimensionen, die für die Gruppenformierung gewählt werden, sind alles andere als beliebig, denn in die Vergleichsprozesse und Verhältnisbestimmungen fließen historisch-kulturelle Wertmaßstäbe mit ein, die geeignet sind, aus dem Fundus der (Abgrenzungs-)Möglichkeiten zu schöpfen. Das heißt, das Deutungswissen ‚Geschlecht‘ ist an gesellschaftliche Strukturen angekoppelt, an ‚vorkonstruierte soziale Ordnungszusammenhänge‘, die an Traditionen und den darin eingelagerten historischen Erfahrungsgehalt anschließen und als „geschichtlicher Überhang gegenüber dem menschlichen Handeln ihr Eigengewicht und ihre Eigengesetzlichkeit“ erhalten (Knapp 1995, 187). Auch wenn soziale Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern durchlässiger geworden sind, so gilt dies für den geschlechtsexklusiven Zusammenschluss nur bedingt: Hier schöpfen die Frauen nach wie vor aus dem kollektiven 34
Die Frage nach den Gemeinsamkeiten der weiblichen Gemeinschaft darf dabei nicht gleichgesetzt werden mit der Identität des Kollektivsubjekts Frau, denn gerade der Identitätsbegriff, der häufig reduziert wird auf das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie, hat seine „Untiefen“ (Knapp 2003, 245). „Zwischen einem askriptivem Identifiziertwordensein, Identifikationen, Identität und Identischsein liegen Welten (…)“ (a.a.O.).
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IV Fazit und Ausblick
Wissensvorrat über den Geschlechterunterschied und vice versa wird das Unterscheiden selbst konstitutiv für Bedingung der Möglichkeit der geschlechtsspezifischen Vergemeinschaftung. Wie empirisch gezeigt werden kann, werden in der jeweiligen Gemeinschaft die kulturell angebotenen normativen Repertoires von Geschlechterdifferenz und Geschlechterverhältnis ‚übersetzt‘ und zwar rückgebunden an das jeweilige Milieu. Zu letzterem noch später. Zunächst einmal ist festzuhalten, was als gemeinsame Tragfläche kenntlich gemacht werden kann. Als Gemeinsamkeit über alle Gruppen hinweg gilt ein identitätslogischer Konstruktionsmodus von Differenz. Auch wenn der kontextbezogene und zugleich variable Charakter im alltagspraktischen Rekurs auf Geschlechtertopoi deutlich wird, die Gegenüberstellung von ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ meist diffus bleibt und auch inhaltlich variiert, so steht fest, dass am Unterscheiden und an den Unterschieden auch dann noch festgehalten wird, wenn sich soziale Umwelten ändern und mithin die Semantiken, die darin ‚gepflegt‘ und mittels derer die Grenzziehungen benannt werden. Pointiert formuliert: Die Funktionslogik der Geschlechterdifferenz, wie sie sich in der weiblichen Gemeinschaft dokumentiert, zementiert nach wie vor eine fundamentale Zugehörigkeitsidentität, die nur plausibel wird, wenn von anderen Verhältnisbestimmungen abgesehen wird. Es handelt sich, mit Hahn formuliert, um eine „partizipative‘ Identitätskonstruktion“ (1997, 1999), die in kompensatorischer Weise auf die Integrationsproblematik in modernen Gesellschaften antwortet. Die Identifikation macht einen Anspruch auf eine Zugehörigkeit geltend, die andere von dieser Zugehörigkeit ausschließt. Dies ist konsequenzenreich, denn obwohl es sich bei ‚Identität‘ um eine Unterstellung bzw. um eine Konstruktion handelt, sind damit soziale Schließungsprozesse verbunden. Für unsere Untersuchung heißt das, dass es in den geschlechtsexklusiven Gruppierungen darum geht, jenseits aller sonstigen Differenzen einen „Ankerpunkt“ für Zu(sammen)gehörigkeit zu finden. Das kollektive ‚Wir‘ der weiblichen Gemeinschaft wird durch die Unterstellung von Gemeinsamkeiten möglich, die, das kann die Untersuchung zeigen, implizite (‚inkorporierte‘) Wissensbestände transportieren und geeignet sind, Exklusivität zu begründen. Folgt man dem Gedankengang Hahns, so gelingt es in der weiblichen Gemeinschaft, die Fremdheit der nächsten dadurch zu kompensieren, dass sich die Frauen in einem ‚tieferen‘ Sinn identisch fühlen. Im Gemeinschaftsgefüge „verschmilzt“ Identität mit der der anderen, auch wenn (oder gerade weil) andere Differenzen real weiter bestehen. In gesellschaftstheoretischer Perspektive lässt sich diese Gemeinsamkeitsfiktion dahingehend interpretieren, dass die weibliche Gemeinschaft auf die Ausdifferenzierung funktionaler Subsysteme und die Unmöglichkeit gesamtgesellschaftlicher Integration des Individuums als „extrasozietaler
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Realität“ reagiert (Willems u. Hahn 1999, 16).35 Die weibliche Gemeinschaft ist für ihre Mitglieder eine (institutionell abgesicherte) Möglichkeit, sich als Einheit in der Differenz zu erfahren; sie fungiert gleichsam als sozialer Ort, in dem Zu(sammen)gehörigkeit über die Ressource Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit möglich und auch: fundamentalisiert wird. Im Gegensatz zu anderen Kategorien sozialer Strukturierung (Klasse, Ethnizität u.a.) ist die Geschlechterunterscheidung das identifikatorische Moment der Gemeinschaft; sie ‚wirkt‘ durch ihre Komplexität und Durchdringungstiefe.36 Empirisch aktualisiert sich diese Einheit bzw. Vereinheitlichung in der Differenz in den jeweiligen Selbst-Verständigungs-Diskursen. Homolog in Form und Inhalt wird in den Gruppengesprächen einhellig zum Ausdruck gebracht, dass die Erfahrungen aufgrund von weiblichen Lebensweltkonstellationen ein Selbst-Verständnis hervorbringen, das ihre Sicht auf Welt bindet und fokussiert sowie andere Relevanzsetzungen nach sich zieht. Diese grundlegende Perspektiven-Gebundenheit qua Geschlechtszugehörigkeit wird in den Gruppendiskussionen arbeitsteilig zur Geltung gebracht und als (Groß)Gruppenperspektive entwickelt. Die Frauen projektieren sich vor der Vergleichsfolie des Mannes, männlicher Verhaltensweisen und männlicher Lebenslagen als anders und andere und in dieser Andersartigkeit als gleich und als Gleichgesinnte. Die weibliche Gemeinschaft gewinnt durch geschlechtertypisierende Differenzannahmen an Kontur und bestätigt sich zugleich in dieser Differenz. Mit anderen Worten: In den Gruppengesprächen aktualisieren sich gemeinsame Orientierungen, die ein spezifisches Welt-Verhältnis und ein spezifisches Selbst-Verständnis zum Ausdruck bringen. Diese ‚vergeschlechtlichte Weltsicht‘, bei der zur kollektiven Selbstaus35
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Im Kontext der Frage, wie neue Formen von sozialer Differenzierung neue Formen von persönlicher Identität teils bedingen, teils erzeugen, wird das Dilemma des modernen Individuums deutlich, nämlich der Umstand, sich selbst als Einheit zu beschreiben (bzw. beschreiben zu müssen), aber als Einheit in der Gesellschaft nicht präsent zu sein. (vgl. dazu auch Bohn/Hahn 1999). Demzufolge produziere moderne Sozialität nachgerade ein „extrasozietales Individuum“ (Willems/Hahn 1999,17), indem sich die Konstellationen von Bedeutungen und Erfahrungen, die außer im jeweils gegebenen Individuum sich nirgends sonst in der Gesellschaft realisiert findet. Dieser Tatbestand wird bereits bei Simmel mit der Aussage formuliert, dass das Individuum als Kreuzungspunkt. sozialer Kreise bestimmbar wird. Je mehr die Gesellschaft Individuen nur noch als „extrasozietale“ Subjekte zulässt, desto mehr werden Gemeinschaften plausibel, „die durch Unterschlagung von Differenzen partizipative Gemeinsamkeiten postulieren“ (a.a.O.) Im Kontrast zu Klasse und Ethnizität beispielsweise ist die Geschlechterkategorie binär verfasst und „weltweit sowohl hochgradig salient und interdependent“ (Knapp 2003, 252) Die für Frauen und Männer unterschiedlichen Formen der Vergesellschaftung werden mit den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften legitimiert und zementiert. Darüber hinaus bilden sich entlang der Genus-Gruppen gesellschaftliche Institutionenarrangements, Formen der Arbeitsteilung, der Kompetenzzuweisung, der Privilegierung und Deklassierung heraus, die andere Kategorien sozialer Strukturierung durchqueren (a.a.O.).
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IV Fazit und Ausblick
legung immer wieder zurückgegriffen wird und die sich wie ein ‚roter Faden‘ durch alle Gespräche zieht, lässt sich an Hand von vier Perspektiven kenntlich machen. Allesamt dokumentieren sie mitunter klassische und in diesem Sinne auch bekannte aber nichtsdestotrotz ‚bewährte‘ Antworten auf gesellschaftliche Strukturen, Strukturwidersprüche und Machtstrukturen wie gesellschaftliche Arbeitsteilung in Produktion und Reproduktion, Beruf und Familie, Öffentlichkeit und Privatheit, die für die Geschlechter Unterschiedliches bedeuten und eine nach wie vor differente Vergesellschaftung von Frauen und Männern konkretisieren. Erstens sehen und beleuchten die Frauen eine Vereinbarkeits-Perspektive als inhärentes Moment weiblicher Lebensführung. Das eigene Leben wird u.a. in Antizipation von Erwerbsarbeit und Partnerschaft bzw. Familie gestaltet. Männern wird, so der Umkehrschluss, eine solche integrierende Perspektive nicht zugestanden, weil diese ihr ‚Leben‘ als ‚Anhängsel von Berufsarbeit interpretieren. Zweitens nehmen die Frauen für sich eine Alltags-Perspektive in Anspruch, mit der sie ihre Lebenspraxis als eine spezifische Positionierung, Aneignung und Beanspruchung im öffentlichen Raum besondern. Die Frauen interpretieren Welt aus der Sicht von Nutzerinnen und taxieren Wissen im Hinblick auf deren Verwertbarkeit. Drittens identifizieren und besondern sich die Frauen im Hinblick auf eine Verantwortungs-Perspektive. Damit nehmen sie auf ein für sie typisch weibliches Selbstverständnis Bezug, in der sie für die sozialen und emotionalen Belange in Beziehungen zuständig sind. Das Paradebeispiel dafür ist die ‚leibgebundene‘ Verantwortung als Mutter. Viertens schließlich sehen sich die Frauen über eine Perspektive der Betroffenheit und Parteilichkeit mit anderen Frauen verbunden, vor allem mit denjenigen Frauen, denen besonderer Nachteil aus der herrschenden Geschlechterordnung widerfährt. Diese verschiedenen Dimensionen der Perspektiven-Gebundenheit veranschaulichen den Fond der Gemeinschaft. In ihnen kommt die gemeinsame Grundlage von Wissen und Erfahrung zur Geltung: Über ein spezifisches ‚Geworden-Sein‘, aber auch ein spezifisches ‚Sich-In-Beziehung-Setzen‘ (vgl. Dausien 1996).37 In dieser gemeinsamen Problemreferenz, vergewissern sich die Frauen nicht immer einheitlich aber gemeinsam in der Triade von ‚Besondern – Minderen – Anderen‘ (vgl. Knapp 1995, 188). Die geschlechtsexklusive Gemeinschaft erhält dadurch einen ‚tieferen‘ Sinn.
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Im Hinblick auf die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen biographischen Konstruktionsweisen von Frauen und Männern gehören die unter der ‚Beziehungsdimension‘ zusammengefassten Beschreibungen zu den unterschiedlichen Konstruktionslogiken: „die unterschiedlichen Weisen des Sich-in-Beziehung-Setzens, die Selbstpräsentation, die biographische Verknüpfungslogik und damit verbundene ‚Zeitgestalten‘ sowie die wechselseitige Konstruktion von Biographien in Partnerschaften“ (Dausien 1996, 569).
IV Fazit und Ausblick
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Homogenierung im Binnenraum der Gemeinschaft – Neben dieser, wenn auch diffusen, Differenzierungspraxis gegenüber dem Mann und dem Männlichen, hat die Gemeinschaft auch im Binnenraum eine ‚Vereinheitlichung‘ der Perspektiven zu bewältigen. Der Blick ist somit auf die Konstitutions- und Konstruktionsprinzipien im Binnenraum der Gemeinschaft gerichtet: auf die Mikropolitiken der Geschlechterunterscheidung und eben die Frage, wie die kollektive Selbstverständigung über Differenz geformt wird und das heißt, wie sie in kommunikativen Aushandlungsprozessen konstruiert, eingefangen und in sozialen Spektakeln inszeniert wird. Hier sprechen die empirischen Befunde eine eindeutige Sprache: In allen Gruppengesprächen aktualisiert sich die Wirkmächtigkeit eines schematisierenden Geschlechterdiskurses, der individuelle Differenzen zwischen den Gruppenteilnehmerinnen nivelliert. Zugespitzt formuliert: Die Geschlechterdifferenz wird durch die Gruppen geradezu erzeugt und reproduziert und zwar in einer Art und Weise, indem die Teilnehmerinnen das hervorbringen, was als existent vorausgesetzt wird, nämlich Männer und Frauen, männliches und weibliches Verhalten. Da das ‚doing gender‘ in der weiblichen Gemeinschaft ohne Counterpart auskommen muss rsp. der männliche Part im Binnenraum der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft imaginiert wird, provoziert diese Abstraktion eine Gruppendynamik, in der es nachgerade notwendig wird, Differenzen zu hypostasieren, um die Teilnehmerinnen in einen gemeinsamen schematisierenden Geschlechterdiskurs einzufangen und auch einzuspuren. Empirisch lässt sich der Herstellungsmodus sozial produzierten (Geschlechter)Wissens im Hinblick auf Praktiken und Regularien beschreiben, mit denen sich die Gruppen selbst choreographieren und ihre Choreographien tanzen, um dies mit einem Bild von Karin Knorr-Cetina (1989) zu verdeutlichen. Damit kann gezeigt werden, wie die Arbeit an der Gemeinschaft gelingt und welche strukturierende Funktion der Gruppe dabei zukommt. Analytisch lassen sich verschiedene Formen solcher ‚Einspureffekte‘ rekonstruieren: Zum einen aktualisiert sich in den Gruppen ein Stil der kommunikativen Verhandlung, durch den individuell erlebte Differenzen zwischen den Frauen eingefangen und zu geschlechtsspezifischen Argumentationen generalisiert werden. Die Gruppe wirkt situativ und sinnbildlich als Filter. In den Gesprächen werden Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Frauen über ein ‚vergeschlechtlichtes Regelwerk‘ des Kollektivs eingestampft und geschlechtsspezifisch gefiltert. Zum anderen erschließt sich die Herstellungslogik der Gemeinschaft über ihre Selbsterhaltungsfunktion. Das Kollektiv hat ein Interesse daran, Ungereimtheiten aufzufangen, Brüche zu kitten und wenn nötig, Deutungen zu normieren, zu kontrollieren oder gar zu sanktionieren. Zur Normen setzenden Instanz wird die Gruppe dann, wenn die Geschlechtskategorie im Hinblick auf eine kollektive Fiktionalisierung problematisch wird und die Komplexität der Einstellungen und
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IV Fazit und Ausblick
Lebenssituationen von Frauen unter dem Blickwinkel Geschlecht nicht (mehr) problemlos vereinheitlicht werden kann. Der Gemeinschaft obliegt die Aufgabe, die Verbundenheit der Frauen oder auch: die Suggestion der Gemeinschaft qua Verweis auf die Geschlechterperspektive zu ankern. Anzuführen sind in diesem Kontext auch die verschiedenen argumentativen Figuren, mit denen es in den Gruppen möglich wird, die auseinanderklaffenden Perspektiven zu integrieren. Sie dienen der Vermittlung von Differenz in der Gemeinsamkeit. Und schließlich versinnbildlicht die Gruppe die Funktion einer Gender-Werkstatt. Die Teilnehmerinnen nutzen die Gemeinschaft als eine Art Übungsraum für strategische Selbst-Inszenierungen und geschlechterkompetente Selbst-Darstellungen. Am Beispiel der Gruppengespräche mit den jüngeren Frauen wird deutlich, dass ihnen der Erfahrungsraum der Gleichaltrigengruppe hilft, ihr jungendliches Sosein zu bearbeiten und mitunter Geschlechtsidentität und heterosexuelle Orientierungen zu entwickeln. In den Gruppen der älteren Frauen hingegen wird eine angemessene Selbstpräsentation im Hinblick auf diffuse Geschlechtertopoi durchaus im Detail diskutiert. Die Frauen coachen sich wechselseitig, um sich beispielsweise in beruflichen Bereichen zu verankern, die vorwiegend von Männern besetzt sind. Hier scheint es nahe liegend, die Praktiken derjenigen zu übernehmen, die das ‚Feld‘ besetzten. In der Gruppe wird diese Anpassungsleistung gemeinsam erbracht.
Zwischenfazit: Die weibliche Gemeinschaft als Ort der Aneignung und Konstruktion kultureller Ordnungen Mit dem Blick auf kollektive Akteure wurde es möglich, die komplexen Verschränkungsprozesse von Aneignung und Konstruktion kultureller Ordnungen und ihrer interaktiven Praxis zu beleuchten. Die empirische Analyse kann zeigen, wie das geschlechtsexklusive Setting die Geschlechterunterscheidung als permanent stattfindende soziale Praxis (re-)produziert. Dies gelingt über einen Selbstverständigungs-Diskurs, in dem geteilte Erfahrungen und gemeinsame (kollektiv)biographische Hintergründe geltend gemacht werden. Auffällig dabei ist Art und Weise, wie an der gemeinsamen Weltsicht gearbeitet wird und sich das Gemeinschaftsgefüge ‚ver-wirklicht‘. Die weibliche Gemeinschaft gewinnt ihre Kontur vor der Vergleichsfolie des Mannes und des Männlichen und bestätigt sich in dieser Differenz. Die Vereinheitlichung im Innern und die Differenzkonstruktion nach außen gehören zusammen. Bemerkenswerterweise tradiert die Gruppe eine solche kollektive Identitätskonstruktion qua Geschlechterunterscheidung selbst dann, wenn sich die Geschlechts-Idiomatik als sperrig erweist und sich die Grenzen zwischen den unterstellten Unterschieden zwischen Frauen
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und Männern rsp. von weiblichen und männlichen Lebenslagen verwischen. In den geschlechtsexklusiven Gruppen gehört das Unterscheiden zum ritualisierten Repertoire, weil nur so gewährleistet wird, dass sich das Gemeinschaftsgefüge am Leben erhält. Im Binnenraum der Gemeinschaft gelingt dies über ein situatives Aushandeln von kulturellen (Geschlechter)Codes, einer geschlechtsspezifischen Zuschreibungspraxis, mit dem die Geschlechterordnung institutionell eingefangen, aber eben auch in der alltäglichen Gruppenpraxis validiert wird.
Die weibliche Gemeinschaft im Milieuvergleich Bislang war der Blick auf die konstitutiven Gemeinsamkeiten der Gruppen gerichtet. Aber es zeigen sich auch deutliche Unterschiede. Im Hinblick auf das empirische Material kann gezeigt werden, dass wir es mit einem sozial und kulturell heterogenen Feld zu tun haben. Die verschiedenen Deutungen und Diskursformen von Geschlecht- und Geschlechtzugehörigkeit, so das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung, erfolgen im ‚sozialen Raum‘. Hier, in den sozialen Milieus, die sich als eine Art Organisationsprinzip für die sozialen Erfahrungen, Deutungen und Handlungsorientierungen charakterisieren lassen, werden die „Dinge der Innen und Außenwelt“ (Mannheim 1980, 237) gemeinsam und auf gleichartige Weise betrachtet: Es werden Strukturen und lebendige Traditionen übersetzt, allesamt Aspekte, die den Bauplan der Differenzkonstruktion kontextbezogen zu erklären vermögen. Die Zusammensetzung der einzelnen Gruppen weist im Hinblick auf sozialstrukturelle Indikatoren wie (Aus-)Bildung und Beruf, Berufsposition und Status, Familien- und Lebensarrangements sowie Alter und Entwicklungsphase eine hohe Übereinstimmung auf. Diese verschiedenen Lebenslagen erweisen sich als erfahrungskonstitutive Dimensionen, die das Deutungswissen und die soziale Differenzierungspraxis rückgebunden an den sozialen Ort ihrer Entstehung beleuchten. Im Milieuvergleich kann diese Verwobenheit mit dem Handlungsfeld herausgearbeitet werden und es zeigt sich, dass – mit Mannheim formuliert – die ‚Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen‘ unterschiedliche Lesarten und Perspektiven ermöglicht. Der Rekurs auf die Ressource ‚Geschlecht‘ ist zwar ein gesellschaftlich angebotener, legitimer und auch akzeptierter Deutungsfundus, die Gruppen nehmen darauf aber in unterschiedlicher Weise Bezug. Bei der empirischen Rekonstruktion der Gruppengespräche werden drei unterschiedliche Milieus ‚geortet, in denen aufgrund gemeinsamer oder strukturidentischer Erfahrungen jeweils spezifische Selbstbeschreibungskategorien und ein spezifisches Selbst-Verständnis zum Ausdruck gebracht werden: Das akademische Bildungsmilieu, das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten sowie das
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Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht. Die Gruppendiskussionen mit Mädchen und jungen Frauen ergänzen die milieuspezifische Typologie im Hinblick auf Alter und Entwicklungsphase. Das akademische Bildungsmilieu – Den Gruppen, die unter dem Label akademisches Bildungsmilieu gefasst werden, ist ein spezifischer Stil der Auseinandersetzung eigen, der als Dauer-Diskursivierung von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit charakterisiert werden kann. Dieses Selbst-Thematisierungsschema, mit dem es hier gelingt, das kollektive ‚Wir‘ über eine ‚Positivierung der Differenz‘ zu verklammern, transportiert die Vorstellung einer substanziellen Identität von Interessenlagen oder der Gleichartigkeit von Erfahrungen und Orientierungen. Frauen und Männern stehen für unterschiedliche Kulturen, die weibliche Gemeinschaft wird nachgerade zum Raum für eine solche kulturelle Homogenität projektiert. Dieser universalistische Herstellungsmodus von Differenz (re)produziert ‚unter der Hand‘ einen Essentialismus. Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern werden über sozialpsychologische Differenzannahmen erklärt, d.h. das kollektive Selbst-Thematisierungsschema knüpft an popularisierte wissenschaftliche Erklärungsansätze der Geschlechterdifferenz an und vermag auf diese Weise auch das eigene Weltbild abzusichern, in dem die Geschlechtsklassifikation eine nach wie vor tragende Funktion hat. Zum Sprachregister der Differenzkonstruktion gehören die kritische Selbstsicht und der Zweifel. Die Abgrenzung gegenüber dem Mann und dem Männlichen evoziert, gewissermaßen als Kehrseite der positiven Hervorhebung eigener, also ‚weiblicher‘ Verhaltensweisen, auch eine Kultur der Selbstkritik und Selbstreflexivität. Die eigenen Verhaltensweisen werden, wieder in Abgrenzung zu Männern und männlichen Verhaltensweisen, auch kritisch hinterfragt. Das Problematisierungsniveau wird von den Frauen damit noch eine Etage höher gefahren und lässt sich als ‚Reflexionsschleife‘ charakterisieren. Zugleich – auch das eint die Gruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu – wird die nachdrücklich formulierte Verbundenheit und eine diffuse Versämtlichung, um einen Ausdruck von Hedwig Dohm zu verwenden, immer wieder enttäuscht. Die Programmatik eines einheitlichen ‚Wir‘ hält im Nahbereich nicht stand. Empirisch lässt sich dies als Widerspruch zwischen einer programmatischen Verbundenheit zum einen und einer erfahrungsgebundenen Differenz zum anderen beschreiben. Die Frauen erfahren, dass Geschlechtszugehörigkeit allein keinen kollektiv geteilten Erfahrungsraum markiert. Die individualisierten Lebenslagen, wie sie gerade für das Milieu des akademischen Bildungsmilieus konstitutiv sind, sperren sich gegen eine Vereinheitlichung. Die Vielfalt in den Lebenszusammenhängen und die damit zusammenhängenden aufbrechenden individuellen Perspektiven im Binnengefüge der Gemeinschaft, die quer zu den vorgestellten geschlechtsspezifischen Differenzannahmen liegen, provozieren nachgerade einen permanenten
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Blick durch die ‚Geschlechterbrille‘. Zugespitzt formuliert ist das einheitliche ‚Wir‘ mitsamt der geschlechtsspezifischen Identitätsprogrammatik im akademischen Bildungsmilieu Ausdruck und Reaktion widersprüchlicher Kontextinformationen. Zum einen aktualisiert sich hier ein avanciertes Geschlechter-Wissen, das auf Individualisierung und Gleichberechtigung insistiert.38 Dieses Wissen wurzelt mitunter in realen Gleichheitsversprechungen, wie sie vor allem über die Institutionen des Bildungs- und Ausbildungssystems vermittelt und fundiert werden. Zum anderen stehen die Frauen einem Bollwerk aus latenten und manifesten Ungleichheitsstrukturen gegenüber – vor allem im Erwerbssystem, aber nicht nur da, denn auch in der privaten Sphäre werden die Diskrepanzen zwischen Gleichheitsanspruch und einem traditionellen Normenkorsett im Hinblick auf Familien- und Beziehungspraxen sichtbar. Die Gruppendiskussionen geben darüber Auskunft, dass es vor allem die akademisch gebildeten Frauen sind, die trotz Studium und Karriereambition in ‚verengten‘ Karrierekanälen festsitzen. Hier bricht sich das demokratische Prinzip universeller Inklusion an den benachteiligenden und auch verregelten Strukturen des Arbeitsmarktes. In den Alltagstheorien der Frauen wird diese Widersprüchlichkeit von Wandel und Beharrung, von Umbruch und Routine thematisch. Sie äußert sich in einer ‚habitualisierten Verunsicherung‘ und mündet in der Glaubensvorstellung, dass der Geschlechterstatus eine gemeinsame Lebenslage bedingt und aus dieser gemeinsamen Lage ein einhelliges Zu(sammen)gehörigkeitsgefühl erfolgt. In den Gruppen werden diese Widersprüche im Rekurs auf eine fundamentale (Zugehörigkeits)Identität bearbeitet: Über ein emphatisches ‚Wir‘ werden die ambivalenten Strukturen eingefangen und im Hinblick auf den alltagspraktischen Differenzdiskurs werden die harten Landungen in der Welt der Unterschiede abgefedert und eingespurt. Aufwendig und mühsam gelingt es den Gruppen damit, Komplexität zu reduzieren. Zum einen, indem die strukturellen Problemdeutungen in genereller Perspektive projektiert werden. Die Deutungen stehen repräsentativ für alle Frauen. Zum anderen provozieren die rigiden Grenzziehungen zwischen Innen und Außen ein stereotypes Bild von Männern 38
Einer der „Mega-Trends“ in der Dynamik fortgeschrittener Industriegesellschaften (Hettlage 1998, 83) ist die Angleichung der weiblichen und männlichen Normalbiographie (vgl. dazu auch Beck 1986, Beck-Gernsheim 1994). In modernisierungstheoretischer Perspektive stellt sich weibliche Individualisierung dabei vornehmlich als eine Herauslösung aus familienzentrierten und familial gestützten Lebensmodellen dar. Damit verändern sich einerseits weibliche Spielräume in der privaten Lebensführung, andererseits bleiben Frauen an diese auch in widersprüchlicher Weise gebunden. Individualisierung bedeutet je nach Geschlecht unterschiedliches: Während sie in ihrer marktzentrierten Logik auf Seiten der Männer eine berufszentrierte Lebensführung stabilisiert (vgl. Liebold 2001), verdoppeln sich die Anforderungen in den Lebenslagen der Frauen. Individualisierung stellt sich für die Frauen als eine ‚gebundene‘ dar, weil ihnen neben dem Anpassungsdruck an ein berufszentriertes Modell der Lebensführung die Verantwortung für Familie bleibt (vgl. Diezinger 1991, Jurczyk/Rerrich 1993).
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und männlichen Verhaltensweisen, mit dem das (kollektive) Selbstbild als das ‚bessere Andere‘ besondert und affirmiert wird.39 Doch dies hat seinen Preis: Denn obwohl sich die Frauen zusammengeschlossen haben, um sich aus ‚alten‘ und ‚einengenden‘ Rollenmodellen zu befreien, die versagte Anerkennung strategisch zu bearbeiten, um an der ‚Menschen-Welt‘ zu partizipieren, beruht die Gemeinschaft auf einer Dauer-Diskursivierung eben jener ‚alten‘ Abgrenzungen. In der Gemeinschaft der Frauen aus dem akademischen Bildungsmilieu wird nachgerade ein geschlechtertypisierendes Deutungsmuster gepflegt und restauriert, weil die weibliche Gemeinschaft paradoxerweise selbst nur über diese Form der ‚kollektiven Vergeschlechtlichung‘ existiert. Die Gruppengespräche mit den Mädchen und jungen Frauen ergänzen das akademischen Bildungsmilieus im Hinblick auf Alter und Entwicklungsphase. Die Mädchen und jungen Frauen erfahren und deuten ihren geschlechtsexklusiven Zusammenschluss als ‚natürlichen‘ Sozialraum, in dem sie – entwicklungsphasenspezifisch – Bedürfnisse bearbeiten und sich gemeinsam bei der Suche nach (sexueller) Identität unterstützen. Im Generationenvergleich wird deutlich, dass sich die Mädchen weniger über Geschlecht adressieren; vielmehr spielt die in der Peergruppen-Welt inhärente Geschlechtertrennung eine strategische Rolle. Die Geschlechtsexklusivität ist Ausdruck einer gemeinsamen Lebenswelt, in der Freundschaftsbeziehungen geschlechtshomogen sind. Die Mädchen bewegen sich in ihren Orientierungen im Spannungsfeld zwischen Gleichheitsfiktion und Autonomiebestrebungen sowie einer Abgrenzung gegenüber geschlechtsspezifischen Zuschreibungen aus der Erwachsenwelt. Auch bei den Wissenschaftlerinnen argwöhnen sie geschlechterpolitische Motiv-Unterstellungen und nur so kann erklärt werden, warum sie das Gruppengespräch als Plattform nutzen, um sich gemeinsam gegen diese Mutmaßungen und Vereinnahmungen zu wehren. Doch obwohl sie gegen die einengenden Geschlechterbilder opponieren und immer wieder betonten, dass es keine wie auch immer geartete ‚tiefere‘ ‚Bedeutung ihres geschlechtsexklusiven Zusammenseins gibt, dokumentieren die Gespräche auch hier das sukzessive Prozediertwerden in einen schematisierenden Geschlechterdiskurs. Auch die Mädchen nehmen Grenzziehungen vor und komponieren ihr Zu(sammen)gehörigkeitsgefühl über den Abgleich von männlichweiblich. Im Unterschied zu den älteren Frauen sind diese Verhältnisbestimmungen allerdings (noch) nah an ihren Erfahrungen. Es fehlen die absichtsvollen 39
Die Kategorie des Anderen hat Simone de Beauvoir (1968) in ihrer Kritik am Patriarchat eingeführt. Frauen sind hier das „andere Geschlecht“, die verleugnete Hälfte der Gesellschaft, das ausgegrenzte Andere. Durch die Neue Frauenbewegung hat sich der Begriff der Anderen von einer analytischen Kategorie zur positiven Bestimmung verwandet hat (vgl. dazu auch List 1993). Hier wurde dem Anders-Sein eine identitätsstiftende und auch praxisbezogene Bedeutung zugeschrieben.
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Proklamationen mitsamt einer geschlechtsspezifischen Identitätsprogrammatik, weil diese dem erklärten Autonomiebedürfnis entgegenstehen. Das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten – Gewissermaßen auf der anderen Seite stehen diejenigen Frauengruppen, die über weniger formale Bildung, weniger qualifizierte Berufspositionen und auch Status verfügen: die weibliche Gemeinschaft, die das Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten repräsentiert. Hier wird die Geschlechterthematik als pragmatische Grenzziehung von Lebenssphären verhandelt. Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit sowie die damit zusammenhängende sozialräumliche Platzierung im Gefüge der Geschlechterordnung ist hier selbstverständlich und in einem fundamentalen Sinne fraglos gegeben. Die Frauen wissen darüber, ohne sich erklären zu müssen. Sie sehen sich also nicht veranlasst, ihren Geschlechterstatus kritisch zu betrachten oder gar, sich dagegen zu wehren. Im Unterschied zum akademischen Bildungsmilieu wird deutlich: Geschlecht ist hier weniger eine Sache von Wissen und Reflexion; vielmehr wird die Distanz zwischen Frauen und Männern als ein geradezu ‚verkörperlichtes Fremderleben‘ zwischen den Geschlechtern ausgemalt, ohne allerdings die darin implizierte Hierarchisierung zu thematisieren. Im Gegenteil: Frauen und Männer sind gleichwertig, wenn auch nicht gleichartig. Das Verhältnis zueinander wird komplementär qualifiziert. Die Frauen akzeptieren ihren Platz im Gefüge der Geschlechterordnung und in ihrem SelbstBewusstsein steht Frausein, Weiblichkeit und die in ihren Augen notwendige geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nicht zur Disposition. Geschlechterpolitische Motive und feministische Positionen lehnen sie für sich ab; sie werden als Feindschaftserklärungen gegenüber Männern interpretiert. Dies haben sie nicht nötig, weil sie das Geschlechterverhältnis als pragmatische Kooperation verstehen. Im Milieuvergleich wird deutlich, dass das, was das kollektive ‚Wir‘ ausmacht, in den Frauengruppen aus dem Milieu der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten weniger über absichtsvolle Proklamationen denn über pragmatische(re) Abstandsmarkierungen erlangt wird. Die Konstruktion von Gemeinschaft verläuft hier weniger über Differenz denn über Distanz. Die weibliche Gemeinschaft steht als Dokument für diese Grenzziehungen, in das die Frauen über Traditionen hineingeraten sind. Obwohl die Frauen auch hier ‚unter sich‘ sind und auch bleiben wollen, liegen den Ex- und Inklusionsregeln keine geschlechterpolitischen Motive zugrunde. Die Verständigung wurzelt in einer gemeinsamen oder auch strukturidentischen Alltagspraxis – ohne den ‚theoretischen Überbau‘ weiblicher Solidarität. Die Gruppengespräche veranschaulichen, dass die Gemeinschaften hier gewohnheitsmäßige Orte der Kommunikation sind, in denen der unmittelbare Nahbereich als ‚primäre Wirkzone‘ eingefangen und bearbeitet wird. Das Zu(sammen)gehörigkeitsgefühl entwickelt sich über ver-
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schiedene ‚Subidentitäten‘ wie beispielsweise Konfessionszugehörigkeit, Freizeitinteressen, eine spezifische Lebensphase und Lebenslage. Der Geschlechterstatus wird nicht explizit, auch wenn er im Hintergrund durchaus gemeinschaftsbildende Wirkung zeigt. Das Bildungsmilieu der gehobenen Gesellschaftsschicht – Die weiblichen Service-Clubs charakterisieren im Vergleich ein weiteres eigenständiges Milieu. Auch hier ist die Gemeinschaft eine milieuspezifische Antwort auf Lebensweltkonstellationen. In diesen über das Kooptationsprinzip ‚verregelten‘ Gemeinschaften – einem sozialen Schließungsmechanismus, der die Homogenität der Gemeinschaft garantiert – kommunizieren die Frauen eine gemeinsame Privilegienstruktur und den erreichten Status im gesellschaftlichen Gefüge. Ihrem elitären Selbstverständnis nach stehen sie in der Verantwortung für das Gemeinwohl und das heißt, sie engagieren sich als ‚Wohltäterinnen‘ für die Interessen ‚anderer‘ Frauen, die, was ihren gesellschaftlichen Status betrifft, meist weit ‚unter‘ ihnen angesiedelt sind. Die Club-Frauen sammeln Geld und unterstützen regionale Projekte und international agierende Hilfsorganisationen. Die Problematik, dass der Geschlechterstatus nach wie über Lebenschancen entscheidet, wird durchaus reflektiert; sie selbst werden allerdings von diesem Problemhorizont wenig tangiert. Den Kampf um Zugehörigkeit und Anerkennung, wie ihn die Frauengruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu fechten, ist für die Frauen der Service-Clubs kein Thema. Aufgrund privilegierter Herkunftsbedingungen rsp. familienbiographischer Ressourcen sowie hinsichtlich der erreichten beruflichen Positionen, erleben die Frauen keine wie auch immer geartete Benachteiligung qua Geschlechterstatus. Insofern hätten sie es auch nicht nötig, sich als Frauen zu emanzipieren. Ihr Engagement gilt anderen Frauen. Zugleich hält die Club-Szene für ihre Mitglieder Residuen bereit, in denen die Frauen distinkte Gesellungsformen pflegen – in Anlehnung an die männerbündischen Assoziationen, die auf dem traditionsreichen Prinzip männlicher Selbstorganisation aufbauen. Kurzum: Standesbewusstsein, Gemeinsinn und gesellschaftliche Verantwortung sind die zentralen Selbstbeschreibungskategorien der Clubs. Eine geschlechtsspezifische Abgrenzung, wie sie auch in den nach Geschlechtern getrennten ‚Club-Welten‘ gilt, wird von den Frauen als traditionsreiche Gemeinschaftsform elitären Selbstbewusstseins akzeptiert, u.a. auch, weil sie sich durch die Anpassung an männliche Vergemeinschaftungsstrategien zu behaupten versuchen. Die vereinzelt anklingenden leise Töne der Kritik an einer solchen geschlechtsspezifischen Institution wird, wie die Gruppengespräche belegen, im Hinblick auf weibliche Profilierungsstrategien im Prozess gesellschaftlicher Elitebildung eingeebnet. Im Vordergrund steht für die Club-Frauen die ‚auserlesene‘ Gemeinschaft, in dem sie als beruflich erfolgreiche und meist statushohe ‚Karrierefrauen‘ ‚unter sich‘ sind und auch bleiben wollen. Einen
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Anlass, sich selbstbezüglich und notwendigerweise auf ihren Geschlechterstatus zu beziehen, sehen sie nicht.
Die geschlechtsexklusive Gemeinschaft als milieuspezifische Antwort auf Modernisierungsparadoxien Die verschiedenen Formen weiblicher Gemeinschaften, wie sie hier untersucht wurden, sind soziale Veranstaltungen, in denen kollektive Selbstdeutungen und -vorstellungen auf der Grundlage geschlechtsspezifischer Unterscheidungen und Codes einer Kultur gelingen. In ihrem Innern konstituieren sie sich durch ritualisierte Formen der Interaktion und Kommunikation. Die Gemeinschaften stehen für „Gewohnheitszusammenhänge“ (Floeth 2003, 30), in denen ein inkorporiertes und auch implizites (habitualisiertes) Geschlechter-Wissen (Dölling 2007) dazu beiträgt, die Geschlechterordnung über eine institutionell-reproduzierende Handlungspraxis zu bestätigen. Im Milieuvergleich wird diese „Perspektivierung des Seins vor einem offenen Horizont von Welt“ (Flöth, a.a.O.) bestimmbar. Einen Zugang zum Verständnis dieser unterschiedlichen Perspektiven bot der Blick auf das Interaktionsgeschehen in den verschiedenen Gruppen. Dabei kann gezeigt werden, dass die je unterschiedlichen Orientierungen auf gemeinsame oder zumindest gleichartige biographische oder kollektivbiographische Erlebniszusammenhänge (Mannheim 1980) derjenigen verweisen, die diesem Erfahrungsraum angehören und in ihm zu Hause sind. Das Geschlechter-Wissen, das sich aus einem Repertoire aus Deutungsmustern, Erfahrungswissen und FaktenWissen zusammensetzt und die Wahrnehmung der Geschlechterdifferenz bestimmt, ist dabei ein wesentlicher Bestandteil dieses konjunktiven Erfahrungsraums. Es konnte erst im Milieu-Vergleich entschlüsselt werden. Denn hier, also im sozialen Raum, erschließen sich die jeweiligen geschlechtsspezifische Deutungsmuster und Orientierungen kontextbezogen und vice versa prägen und beeinflussen sozial-räumliche Lebensweltkonstellationen spezifische Relevanzsetzungen im Hinblick auf ein Geschlechter-Wissen. Das Geschlechterverhältnis, so das Ergebnis der Untersuchung, wird in der geschlechtsexklusiven Gemeinschaften unterschiedlich und das heißt: milieuspezifisch ‚übersetzt‘. Im Gemeinschaftsgefüge der Arbeiterinnen und einfachen Angestellten wirkt Geschlecht als Hintergrundfolie von Erfahrungen, also als implizite Kategorie, auch wenn die Gemeinsamkeit des Geschlechts gleichwohl gruppenbildende Wirkung entfaltet. Ähnliches gilt – wenn auch mit unterschiedlichen Akzentsetzungen – für die jüngeren Frauen als auch für die Szene der weiblichen Clubs. Auch hier, im Milieu der gehobenen Gesellschaftsschicht, fußt die Zu(sammen)gehörigkeit nicht vordergründig auf dem Geschlechterstatus,
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auch wenn dieser das Gruppen-Erleben säumt; vielmehr vergemeinschaften sich die Frauen hier über ein elitäres Selbst-Verständnis, das sie qua gesellschaftlicher Position teilen. Für beide Milieus als auch im angedeuteten Generationenvergleich gilt, dass dem Bedürfnis nach Ex- und Inklusion keine geschlechterpolitischen Motive zugrunde liegen, bzw. keine gesellschaftspolitischen Positionen formuliert werden. Die Gruppenidentität kolportiert nachgerade ein implizites (‚inkorporiertes) Geschlechter-Wissen, das relativ ungebrochen traditionelle ‚Ordnungsvorstellungen‘ transportiert und in Selbstbeschreibungskategorien mündet, die diese habituellen Sicherheiten zum Ausdruck bringen. Mit dieser Form der partikularistische(re)n Identitätskonstruktion wird die Gemeinschaft auch über andere Bezugspunkte (er)lebbar und zwar jenseits des Geschlechts. Vielschichtiger und auch ambivalenter präsentieren sich die Gruppen aus dem akademischen Bildungsmilieu. Hier wehren sich die Frauen gegen die Rollen tradierter Weiblichkeit, machen aber gleichzeitig gerade das ‚Frau-Sein‘ rsp. eine ‚weibliche Kultur‘ zum ausschlaggebenden Bezugspunkt des kollektiven ‚Wir‘. Dieses Paradox (Scott 2001), das dem feministischen Denken von Anfang an innewohnt, erhellt geradezu die Paradoxien der Moderne, denn der Protest gegen den Ausschluss der Frauen aus der Gesellschaft und Politik ist nicht (oder nur schwer) zu formulieren „ohne Rekurs auf die Geschlechterdifferenz und auf ‚die Frauen‘ – ein Rekurs, der genau die Differenz schafft, die eigentlich zu überwinden wäre“ (Honegger und Arni 2001, 9) Die Gemeinschaft der Frauen wird um den Preis der Differenz (zu Männern) und um den Preis der Vereinheitlichung (der Frauen) beschworen, obwohl die Gemeinschaften angetreten sind, um Differenzen zu überwinden und die lange Zeit gültige Sphärentrennung aufzubrechen. Der eigene Anspruch prallt – zugespitzt formuliert – auf die institutionell reproduzierenden Fundamente der weiblichen Gruppenkonstellation. Die Benachteiligungen qua Geschlechterstatus in den beruflichen Feldern, aber auch die Diskrepanzen zwischen Gleichheitsanspruch und einem traditionellen Normenkorsett im Hinblick auf Familien- und Beziehungspraxen münden hier in der Glaubensvorstellung, dass der Geschlechterstatus eine fundamentale Zu(sammen)gehörigkeit nach sich zieht, die gerade absieht von Differenzen, Meinungsverschiedenheit und Motivlagen innerhalb der Gruppe. Die weibliche Gemeinschaft wird für ihre Mitglieder zum Ort, sich als Einheit zu erfahren, eine Art ‚Rückzugsort‘, an dem es möglich wird, den Modernisierungsprozesses im Geschlechterverhältnis mitsamt den widersprüchlichen Kontextinformationen zu bearbeiten. Das (zeitweilige) Eintauchen in die Gruppe kann also auch als Antwort auf „externe Verwirrung“ interpretiert werden (Prisching 2008, 50). Alle diese Gruppen teilen den Anspruch, ihren Mitgliedern einen ‚Sinnkosmos‘ zu vermitteln, in dem es gelingt, Verbundenheit über eine gesellschaftlich-kulturell wirkungsvolle Differenzbestimmung zu erfahren, eine Möglichkeit, die außer-
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halb der Gemeinschaft so nicht mehr gilt, zumindest aber immer begründungsbedürftiger wird. Allgemein bedeutet Diskursivierung – und zwar unabhängig von ihrem Inhalt – ein Reflexivwerden von Selbstverständlichkeiten oder, wie es Meuser (1998, 132) formuliert, „den Tod des fraglos Gültigen“. Die institutionell gerahmte Dauer-Diskursivierung mitsamt dem programmatisch anmutenden geschlechtsspezifischen Differenzdiskurs ist ein Indikator einer solchen schwindenden Fraglosigkeit“ (a.a.O., 13). Dies trifft zumindest für die geschlechtsexklusiven Gemeinschaften im Milieu der gebildeten Mittelschicht zu. Die schwierigen und konfliktreichen Auseinandersetzungen in diesen Gruppen, die ‚kreisenden Suchbewegungen‘ eines kollektiven ‚Wir‘ legen den Schluss nah, dass das, was die Frauen suchen, nicht mehr so einfach zu finden ist. Aus der empirischen Rekonstruktion folgt die These, dass es sich hier um ‚episodale Gemeinschaften‘ handelt. Sie existieren nur solange, wie die Mitglieder an ihre Existenz glauben und eine Ertrag aus dem Gruppenzusammenhang ziehen. Die Bindekraft der Gemeinschaft hält nur solange vor, wie sich die Frauen darin ‚zu Hause‘ fühlen. Dies mag für eine bestimmte Lebensphase gelten, in der etwa prekäre berufliche Verunsicherungen und Statusinkongruenzen bewältigt werden müssen. Die grundlegende Komplexität der Lebenssituation von Frauen, so lässt sich festhalten, kann unter dem Blickwinkel ‚Geschlecht‘ nicht (mehr) problemlos vereinheitlicht werden – zumindest nicht auf Dauer. Geschlecht ist zwar ein nach wie vor relevanter, aber eben auch zu differenzierender Bezugspunkt für die Zuweisung von sozialem Status und gesellschaftlich vermittelten Lebenschancen und -perspektiven. Die notwendigen Abstraktionen, die um den Preis einer Vereinheitlichung im Gemeinschaftsgefüge notwendig werden, halten im Nahbereich nicht stand.40 Die Ergebnisse der Untersuchung legen die These nahe, dass die verschiedenen weiblichen Gemeinschaften das gesellschaftliche Geschlechter-Verhältnis spiegeln; zugleich tragen sie Entscheidendes zur Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung bei: Durch die idealisierende und diskriminierende Repräsentation der ‚Anderen‘ behauptet sich ein identitätslogischer Konstruktionsmodus 40
Zwar vertreten Frauen heute kaum noch, so formuliert es Brückner (1996), dass sie per se „,edel, hilfreich und gut‘ sind, aber das hindert nicht daran, ihnen dennoch übelzunehmen, dass sie es nicht sind.“ (a.a.O., 272f.). Die der männlichen Ordnung gegenübergestellte „GegenIdealisierung“ hält auch dann noch stand, wenn sie sich realiter als Selbstbetrug herausstellt. Auf theoretischer Ebene wurde längst Abschied von solchen ‚moralischen Differenztheoremen‘ genommen haben, aber trotz (oder auch jenseits) dieser wissenschaftlichen Kritik besitzt die Idee des ‚besseren Anders-Seins‘ noch immer eine hohe alltagsweltliche Plausibilität (vgl. dazu auch die Kontroverse um die These der ‚moralischen Überlegenheit von Frauen, wie sie Gilligan im Hinblick auf eine geschlechtsspezifische Ethik (1984) ausgelöst hat; kritisch dazu Nunner-Winkler 1991)
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qua Geschlechter-Differenz, der, so noch einmal Knapp (1995), das EntwederOder gegen die übergangsreichen Mehr-oder-Weniger oder Sowohl-als-auchVerhältnisse verteidigt. Die Modernisierung des Geschlechterverhältnisses macht so vor den Toren der geschlechtsexklusiven Gemeinschaft Halt, zumindest gelingt es hier, die aufbrechenden Perspektiven, neue Erfahrungen und auch Deutungsmöglichkeiten abzufedern, geschlechtsspezifisch einzufärben und damit in den kollektiven Besitzstand der Gruppe zu überführen.
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Anhang Anhang
Verzeichnis der verwendeten Transkriptionssymbole41 |_
Überlappung, d.h. gleichzeitiges Sprechen von Gesprächsteilnehmerinnen
(.)
kurzes Absetzen; kleine Pause (ca. 1 Sekunde)
(3)
Pause, Dauer in Sekunden
@
Lachen
@@
Lachen mehrerer Personen
(räuspern)
Kommentar bzw. Anmerkung zu parasprachlichen, nonverbalen oder gesprächsexternen Ereignissen
-
Schneller Anschluss einer nachfolgenden Äußerung, Zusammenziehung, aber auch schnelles Sprechen innerhalb einer Äußerung
Viellei-
Abbruch
…
Auslassung im Transkript
(
)
Äußerung ist unverständlich, die Länge der Klammer entspricht in etwa der Dauer der unverständlichen Äußerung
I
Interviewerin, Diskussionsleitung
A; B; usw.
Gruppenmitglieder
Alle Gruppennamen, Personennamen und Ortsangaben, die in den Transkripten genannt wurden, sind zum Zwecke der Anonymisierung maskiert. 41
In Anlehnung an Bohnsack 2000, S. 233