Zu spät für unsere Liebe? Linda Randall Wisdom
Bianca 1117
18/2 1998
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacy74
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Zu spät für unsere Liebe? Linda Randall Wisdom
Bianca 1117
18/2 1998
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacy74
PROLOG "Hältst du es für eine gute Idee, an dieser Expedition teilzunehmen, Cassandra? Schließlich hast du hier genug zu tun, und ich habe gelesen, daß der Amazonas gefährlich sein kann, wenn man nicht die richtige Ausrüstung und keine erfahrenen Führer dabeihat." Dr. Cassandra Daniels-Larson nahm den Blick von der Tasche, die sie bis zum Platzen mit Hosen, Shorts und Baumwollhemden füllte. Ihr hellbraunes Haar war wie üblich zurückgekämmt, und die Brille drohte dauernd von der Nase zu rutschen. Mit dem Zeigefinger schob sie sie wieder hoch und sah ihren Ehemann an, als er sich neben sie stellte. "Du hast gar nicht richtig mit mir darüber gesprochen", fügte er hinzu, wobei seine ruhige Stimme nicht verriet, was er fühlte. Wer ihn sah, hätte gedacht, daß er mit seiner Frau über das Wetter sprach. Jonathon Larson wirkte wie der Philosophieprofessor, der er war. Eine Schildpattbrille umrahmte dunkelgrüne Augen. Das rostbraune Haar war so kurz, wie es sich an der kleinen, aber angesehenen Universität gehörte, an der er und seine Frau lehrten. Das weiße Hemd war ebenso tadellos gebügelt wie die Hose. Im Moment waren die einzigen Falten an ihm die auf seiner nachdenklich gerunzelten Stirn.
"Natürlich habe ich mit dir darüber gesprochen, Jonathon. In allen Einzelheiten sogar. Die Universität hält diese Expedition für eine große Chance. Außerdem werde ich nur achtzehn Monate fort sein." Auch Cassandra sprach kein bißchen lauter. "Dies ist eine phantastische Gelegenheit, auf die ich nicht verzichten werde. Denk doch an all die Aufsätze, die ich veröffentlichen werde. Wir werden Indianerstämme besuchen, die zum erstenmal in ihrem Leben medizinische Betreuung erfahren." In ihrer Stimme schwang Begeisterung mit. Sie klingt aufgeregter, als wenn wir miteinander schlafen, dachte Jonathon mürrisch. Wie konnte er seiner Frau nur beweisen, daß es im Leben mehr gab als Medizin? Und wie sollte er es schaffen, im Beruf so erfolgreich zu sein wie sie? Traurig fragte er sich, ob die nächsten fünfzig Jahre dazu ausreichen würden. Seine Frau war ein Genie, das ihr Medizinstudium mit siebzehn abgeschlossen und seitdem mehr akademische Grade erworben hatte, als sie jemals brauchen würde. Kein Wunder, daß er sich ihr manchmal unterlegen fühlte. Er beobachtete, wie sie anhand einer Liste nochmals kontrollierte, ob sie alles eingepackt hatte. "Wir lassen die medizinischen Vorräte per Boot nachbringen", sagte sie, mehr zu sich selbst als zu ihrem Ehemann. "Greg meinte, bei der Nachricht von diesem bisher unentdeckten Stamm sei sein ganzes Team in lauten Jubel ausgebrochen. Es ist eine Ehre, sie begleiten zu dürfen." Jonathon seufzte. "Cassandra, ich bin nicht sicher, ob dies ein guter Zeitpunkt für eine solche Reise ist", begann er. Manchmal hatte er das Gefühl, daß ihre Ehe in einer Krise steckte. Er wußte nicht, wie er ihr das sagen sollte. Er wollte sich nicht von ihr trennen, aber war es denn zuviel verlangt, daß eine Ehefrau lieber bei ihrem Mann blieb, als an einer gefährlichen Expedition in das Amazonasgebiet teilzunehmen?
Cassandra lächelte so matt, wie sie es immer tat, wenn sie mit ihm diskutierte. "Wir bleiben doch in Kontakt. Die Post wird eingeflogen, wenn auch nicht regelmäßig." Sie sah sich um. "Habe ich etwas vergessen?" Sie tippte sich mit dem Zeigefinger ans Kinn, während sie in Gedanken noch einmal ihre Liste durchging. Er unterdrückte den nächsten Seufzer und folgte ihr mit dem Gepäck zur Tür. Cassandra hatte abgelehnt, sich von ihm zum Flughafen fahren zu lassen. Das sei Benzinverschwendung. Außerdem hatte Greg angeboten, sie abzuholen. Wenn sie so praktisch argumentierte, war Widerspruch sinnlos. Sie strahlte ihn an und küßte ihn flüchtig auf den Mund. "Auf Wiedersehen, Jonathon. Mach dir keine Sorgen um mich." Sie tätschelte seine Schulter. "Bevor du dich versiehst, sind die achtzehn Monate vorbei, warte es nur ab. Danach reden wir über alles, einverstanden?" Von der Veranda aus sah er dem Wagen nach. Als Dr. Greg Matthews mit Cassandra sprach, war sie mehr an dem interessiert, was er zu sagen hatte, als daran, ihrem Mann zum Abschied zuzuwinken. "Doch, du hast etwas vergessen", murmelte Jonathon beim Hineingehen. "Du hast mich vergessen."
1.KAPITEL Drei Jahre später. "Ich muß sagen, es ist nicht so einfach, Ihren Ehemann zu finden, Dr. Daniels-Larson." Ein Mann in Marineuniform betrat das Zimmer. Cassandra saß auf dem Bett und hob den Kopf. "Ich verstehe wirklich nicht, wieso. Er muß an der Universität sein." Der Captain schüttelte den Kopf. "Es tut mir leid, aber die Universität meinte, er sei seit zwei Jahren nicht mehr dort beschäftigt. Also, ich ..." "Was?" Cassandra sprang vom Bett. "Das kann nicht sein!" "Wir haben jemanden auf ihn angesetzt. Sobald wir ihn aufgespürt haben, teilen wir ihm mit, daß Sie gerettet worden sind." "Ehrlich gesagt, Captain, ich würde ihn lieber überraschen." Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das schulterlange wellige Haar, dessen dunkelblonder Schimmer in der Tropensonne heller geworden war und ihre gebräunte Haut noch betonte. Ihre Vorräte an Sunblocker waren nach sieben Monate zu Ende gegangen, und nach allem, was passiert war, schreckte sie die Angst vor Hautkrebs nicht mehr. Sie hatte die Zeit genutzt, um über ihren Mann und ihre Ehe nachzudenken, und
war zu dem Ergebnis gekommen, daß sie ihm unrecht getan hatte. Jetzt, da sie wieder in der Zivilisation war, hatte sie vor, ihr Leben gründlich zu ändern. Der Scheck, den die Stiftung ihr als Entschädigung geschickt hatte, würde ihr dabei helfen. Über drei Jahre waren Cassandra und der Rest des Teams am Amazonas verschollen gewesen, ohne daß ihre Auftraggeber sie gefunden hatten. Sie mußte lächeln, als sie daran dachte, was sie mit dem Geld alles kaufen konnte. "Ich dachte mir, während Sie meinen Mann finden, gehe ich ein wenig einkaufen und hole das Versäumte nach", sagte sie und sprang vom Bett. "Nehmen Sie es mir nicht übel, Captain, aber hätten Sie für mich vielleicht etwas Eleganteres als diese Uniform?" Sie wedelte mit dem Scheck. Er lächelte. "Ich werde Sie mit meiner Frau bekannt machen. Es gibt nichts, das ihr mehr Spaß macht, als Einkaufen. Sie wird Ihnen gern helfen, Ihr Geld auszugeben." "Alles in Ordnung, Jack?" Als er die leise, erotische Stimme seiner Verlobten hörte, drehte er sich um. Sie trug ein eng anliegendes, schulterfreies rotes Kleid, in dem sie ohne ihr warmes Lächeln wie das Abbild eines Vamps ausgesehen hätte. Im großen Ballsaal des Country Clubs spielte eine Kapelle Glenn-Miller-Melodien für diejenigen, die tanzen wollten. "O nein, du wirst es dir nicht anders überlegen", scherzte Nan Xavier, während sie sich an ihn schmiegte. "Falls du glaubst, du entkommst mir noch, so irrst du dich. Notfalls entführe ich dich bis morgen nachmittag." "Das kommt darauf an, wohin du mich bringst", erwiderte er. Nan drückte seinen Arm. "Du bist ein wundervoller Mann." Er lächelte. "So, wie Norton das hier geplant hat, haben wir beide keine Chance. Wie konnte ich einem Mann, der im Krankenhaus lag, einen Wunsch abschlagen?"
"Seit seinem Herzinfarkt hat Daddy noch nie so gut ausgesehen wie heute." Ihr Lächeln verblaßte ein wenig. "Ich bin dir ja so dankbar, daß du dich seinem Wunsch gebeugt hast." "Okay, ihr zwei, warum seid ihr nicht auf eurer eigenen Verlobungsparty und amüsiert euch?" ertönte eine kraftvolle Männerstimme. Strahlend drehte Nan sich zu ihrem Vater um. "Vielleicht wollten wir uns ein wenig hier draußen amüsieren, Daddy", sagte sie und umarmte ihn liebevoll. Jack musterte seinen zukünftigen Schwiegervater. Für jemanden, der vor zwei Monaten einen Herzanfall erlitten hatte, wirkte Norton Xavier äußerst gesund. Nicht ganz einsachtzig groß, strahlte er die Entschlossenheit aus, die man brauchte, um vierzig Jahre lang ein Unternehmen wie Xavier Electronics zu führen. Der schwarze Smoking, das silbergraue Haar und die auf dem Golfplatz erworbene Bräune machten ihn zu einer stattlichen Erscheinung. "Wir gönnen uns nur eine Pause von all dem Trubel", erklärte Jack. "Ich lasse euch allein, damit ihr ungestört reden könnt." Nan strich ihrem Vater über den Arm und sah Jack an. "Bleib nicht zu lange. Ich möchte mit dir tanzen." Norton sah ihr nach, bevor er sich zu Jack umdrehte. "Du machst mich zu einem glücklichen Mann, Jack", sagte er. "Die Ärzte geben mir nicht mehr viel Zeit, aber ich ertrage es leichter, wenn ich weiß, daß mein kleines Mädchen in guten Händen ist. Und meine Firma auch." "Nan kann sie fast so gut leiten wie du", erwiderte Jack. Norton schüttelte den Kopf. "Nein, die Geschäftswelt ist nichts für sie. Sie soll das tun, was sie am besten kann." "Sich um das Haus kümmern, Partys planen und dekorativ sein", murmelte Jack.
"Genau!" rief Nans Vater, dem Jacks Ironie entgangen war. Er klopfte ihm auf den Rücken. "Wir sehen uns drinnen." Er ging wieder hinein. Jack nickte. Als er allein war, tastete er über die Brusttasche seines Smokings, bis ihm einfiel, daß er vor zwei Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte. Es gab viele Dinge, auf die er inzwischen verzichtete. Hier nannte ihn niemand Dr. Larson oder Jonathon. Hier war er Jack Larson, der zwar einen Doktor in Philosophie hatte, ihn aber nicht mehr führte. Kontaktlinsen ersetzten die Brille, Twill und Denim den professoralen Tweed, und sein früher blasses Gesicht war gebräunt, denn er hatte Spaß an Tennis und anderen Outdoor-Sportarten gefunden. Nach Cassandras Tod hatte Jack sich zunächst geweigert, daran zu glauben. Er hatte in seinem Arbeitszimmer gesessen, umgeben von dicken Lehrbüchern, und erst nach langer Zeit akzeptiert, daß seine Frau niemals wiederkehren würde. Danach hielt er es in dem kleinen Haus, in dem sie ihre Ehe begonnen hatten, nicht mehr aus. Also verkaufte es, gab die Arbeit an der Universität auf und machte sich auf den Weg der Selbstfindung. Ironischerweise entdeckte er ausgerechnet hier, in diesem schicken Badeort, die neue Seite seiner Persönlichkeit. Hier begegnete er auch Norton Xavier und dessen Tochter Nan. Die beiden brachten ihn mit anderen Menschen zusammen, und bevor es Jack recht bewußt wurde, war er ins Leben zurückgekehrt. Norton gab ihm einem Job in seinem Unternehmen, und Jack stellte fest, daß die Geschäftswelt ihn mit ihren neuen Herausforderungen reizte. Als sein Chef mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus mußte, besuchte Jack ihn sofort. Zu seiner Überraschung bat Norton ihn mit schwacher Stimme, seine Tochter zu heiraten. Der alte Mann versicherte ihm, daß Nan ihm eine sehr gute Frau sein würde, und flehte Jack an, ihm diesen Gefallen zu tun. Jack hatte nicht wieder heiraten wollen,
brachte es jedoch nicht fertig, seinem Freund und Förderer diese letzte Bitte abzuschlagen. Schließlich hatte er dem Todkranken sein neues Leben zu verdanken. Jetzt, nach Nortons wundersamer Genesung, wußte Jack, daß seine Entscheidung richtig gewesen war. Natürlich hatten auch Nans Versprechungen ein wenig dazu beigetragen. "Ich weiß, daß Daddy dich praktisch erpreßt hat", sagte sie, als er um ihre Hand anhielt. "Du sollst wissen, wie glücklich ich bin, deine Frau zu werden. Sollte unsere Ehe scheitern, können wir uns scheiden lassen, nachdem ... Na ja, du weißt schon. Deine verstorbene Frau hat dir sehr viel bedeutet, und es gibt keinen Grund, etwas zu überstürzen." Nans Ehrlichkeit hatte Jack erstaunt, und er war ihr dankbar dafür. Er hatte ihr von seiner Ehe und dem Tod seiner Frau erzählt, ihr aber Einzelheiten erspart. Vor allem die Tatsache, daß er sich schuldig fühlte, weil er vor ihrer Abreise nicht offen mit Cassandra über ihre Beziehung geredet hatte. Hätten sie in Ruhe darüber gesprochen, wäre vielleicht alles anders gekommen. Jetzt war es zu spät. "Cassandra, es tut mir leid, daß wir nie mehr wissen werden, ob wir es geschafft hätten zusammenzubleiben", sagte er leise und hob das Champagnerglas. "Was soll das heißen, er hat bei der Universität gekündigt?" rief Cassandra aufgebracht. Der Lieutenant, der ihr die Nachricht überbracht hatte, zuckte zusammen. Ihre Augen funkelten so zornig, daß er Angst hatte, sich an ihrem Blick zu verbrennen. Die junge Frau, die vor zwei Wochen auf der Marinebasis eingetroffen war, schien die qualvolle Zeit im AmazonasUrwald gut überstanden zu haben. Das war vor allem Marge, der Frau des Captains, und den benachbarten Einkaufszentren zu verdanken, in denen die beiden die Boutiquen durchstreift hatten
und beim Friseur gewesen waren. Dr. Daniels-Larsons zuvor langes und ungepflegtes Haar war jetzt kurz und stufig geschnitten, so daß die rotblonden Strähnchen bei jeder Kopfbewegung schimmerten. Das Make-up betonte die goldbraunen Augen, der orangerote Seidenanzug einen wohlgeformten Körper, der die Blicke der Männer auf sich zog. Der junge Marineoffizier schluckte. "Ja, Ma'am. Der Professor ist nach West Beach gezogen ... nördlich von San Diego", erklärte er. "Er arbeitet dort als eine Art Berater für ein Elektronikunternehmen." Cassandra runzelte die Stirn. "Als Berater? Er hat keine Ahnung von Elektronik. Warum sollte Jonathon die Universität verlassen?" murmelte sie. "Sie war sein zweites Zuhause. Selbst unsere Urlaubsziele mußten immer etwas mit seinen Studien zu tun haben." "Vielleicht hatte er keine Lust, gelangweilten Studenten etwas beizubringen", meinte Marge, die es sich auf der Couch bequem gemacht hatte. Cassandra wohnte inzwischen bei ihr und dem Captain, um dort zu warten, bis man ihren Mann fand. Die beiden Frauen waren gute Freundinnen geworden. "Wie ich gehört habe, ist West Beach eine sehr schicke Gegend." "Ich begreife es nicht", sagte Cassandra. "Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Ma'am?" fragte der Lieutenant nervös. "Nein, Lieutenant Parks, Sie haben uns schon genug geholfen", antwortete Marge lächelnd. Er nickte steif und legte ein Blatt Papier auf den Tisch. "Hier können Sie es nachlesen", sagte er und ging hinaus. Marge stand auf und überflog den Bogen. "Augenblick mal." Sie eilte wieder zur Couch und schlug die Zeitung auf. Sie blätterte, bis sie fand, was sie suchte. "Ich wußte doch, daß ich den Namen irgendwo gesehen habe." Sie hielt die Zeitung hoch. "Was ist?" Cassandra schaute ihr über die Schulter. Ihre Augen wurden groß, als sie las, worauf Marge zeigte. "Wie kann
er es wagen, eine andere Frau zu heiraten, während er noch mit mir verheiratet ist?" Die Trauung und der anschließende Empfang boten alles an Eleganz, was sich mit Geld kaufen ließ. Das Brautkleid war von einem der führenden Pariser Modeschöpfer entworfen worden, und aus aller Welt waren Blumen eingeflogen worden, um eine blühende Märchenwelt zu schaffen. Der Vater der Braut sorgte dafür, daß das Ganze wie ein Uhrwerk ablief. Cassandra betrat den prächtig dekorierten Ballsaal des Country Clubs am Arm eines Marineoffiziers, der sich nur zu gern bereit erklärt hatte, sie zu begleiten. Sie trafen absichtlich so spät ein, daß das Defilee der Gäste vor dem Brautpaar und den Eltern bereits vorüber war. Cassandra wollte nicht, daß ihr erstes Wiedersehen mit Jonathon inmitten fremder Menschen stattfand. Sie hatte vergeblich versucht, ihn zu erreichen. Jetzt wünschte sie, sie hätte ihm eine Nachricht hinterlassen. "Ich möchte Ihnen dafür danken, daß Sie mir eine Einladung verschafft haben, Ben", sagte sie zu ihrem Begleiter, während er zwei Gläser Champagner vom Tablett eines Kellners nahm und ihr eines reichte. "Xavier Electronics bekommt eine Menge Aufträge vom Militär, und ich freue mich, Ihnen helfen zu können", erwiderte er und stieß mit ihr an. "Auch wenn es bedeutet, die Galauniform zu tragen." "Sie steht Ihnen großartig", sagte Cassandra höflich, während sie nach Braut und Bräutigam ausschaute. Als sie das glückliche Paar entdeckte, gefror ihr das Lächeln auf dem Gesicht. Ein silberhaariger Mann im schwarzen Smoking trat vor die Gäste und hob das Glas. "Auf meine Tochter Nan und ihren Ehemann Jack", rief er. "Mögen sie Xavier Electronics in das nächste Jahrhundert führen und ihren Kindern erhalten." Er schmunzelte, als viele Anwesende anerkennend lachten. Dann
wandte er sich zu Jack. "Du hast meine einzige Tochter, Jack. Paß gut auf sie auf." "Das werde ich, Sir", antwortete Jack feierlich. "Auf Jack und Nan", sagte der Trauzeuge. "Ich bin gespannt, was die beiden tun werden, um das kommende Jahrhundert einzuläuten." "Jack?" flüsterte Cassandra verwirrt. "Er nennt sich jetzt Jack?" "Keineswegs ungewöhnlich, wenn man Jonathon heißt", meinte Ben leise. "Er haßt Spitznamen", fuhr sie mit eisiger Stimme fort. "Er hat immer gesagt, sie seien erniedrigend. Als ich aufwuchs, wurde ich Casey genannt. Er hat das nie getan, für ihn war ich immer Cassandra." Ihre Miene verfinsterte sich. "Dies ist eine Farce." "Warum sind wir nicht rechtzeitig gekommen, damit Sie aufstehen und verkünden konnten, daß er schon verheiratet ist?" fragte Ben. Sie holte tief Luft. "Ich habe wohl gehofft, daß es der falsche Jonathon Larson ist." Sie ergriff Bens freie Hand zog ihn an den Rand der Menge, von wo aus sie den Bräutigam genau betrachten konnte. Sie wollte sichergehen, daß ihr Mann sie erkannte, wenn er herüberschaute und seine Ehefrau sah. Seine erste und einzige Ehefrau! Jack mußte über so manchen Toast lachen, aber er trank gehorsam bei jedem mit. Sein Lächeln verblaßte schlagartig, als er den Kopf drehte und die Frau sah, die neben einem Marineoffizier stand. Fast hätte er sich am Champagner verschluckt. Er blinzelte. Er schloß sogar kurz die Augen und öffnete sie wieder, um sicher zu sein, daß es nicht am Alkohol lag. Unmöglich! Sie sah aus wie Cassandra, aber sie konnte es nicht sein. Cassandra hätte nie ein so enges Kleid getragen, ein
so ... kurzes. Bestimmt bildete er es sich nur ein, weil er heute morgen an sie gedacht hatte. Dann hob sie das Glas und starrte ihn an, wobei sie auf ihre unnachahmliche Art eine Augenbraue hochzog. Vorsichtig stellte Jack sein Glas ab. Als die Lady etwas zu ihrem Begleiter sagte und zum Ausgang ging, eilte er ihr nach. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, daß Nan von Freunden umringt war und ihren Ehemann nicht vermissen würde. Hastig schaute er in sämtliche Nebenräume, bis er sie fand. Sie stand auf der anderen Seite des Zimmers und sah aus dem Fenster. Er trat ein und schloß die Tür. "Das kann nicht sein", sagte er heiser, bevor er zu ihr ging und sie an sich zog, um sie leidenschaftlich zu küssen. "Sie haben mir erzählt, daß du tot bist. Du und dein Team ... ihr wart spurlos verschwunden", flüsterte er und unterstrich jedes Wort mit einem Kuß. Sie stöhnte leise auf, dann schob sie ihn von sich und kehrte ihm den Rücken zu. "Was für eine Überraschung, Jonathon", begann sie. "Da komme ich nach Hause und freue mich darauf, von meinen Ehemann in die Arme geschlossen zu werden. Statt dessen erfahre ich, daß er nicht nur sein soziales Umfeld, sondern auch den Namen gewechselt hat. Ach ja, eine Kleinigkeit habe ich vergessen." Sie drehte sich zu ihm um. "Er hat außerdem noch geheiratet. Dabei gibt es allerdings ein Problem. Er war bereits verheiratet." Jack konnte die Frau vor ihm nur anstarren und spürte, wie sein Puls raste. Er mußte sich irren. Sie konnte nicht seine Frau sein! Dies war nicht die Cassandra, die vor drei Jahren ihr gemeinsames Haus verlassen hatte. Verschwunden war die strenge Frisur. Jetzt war ihr Haar kurz, mit rotblonden Strähnchen, und es umrahmte ein Gesicht, das nicht mehr blaß war, sondern sonnengebräunt. Ihr Kleid war aus Seide und
figurbetont, und sie trug hochhackige Schuhe, die ihre hinreißenden Beine betonten. Aber ... verdammt, die spöttisch hochgezogene Augenbraue war so vertraut! Sie war die einzige Frau, bei der diese Geste so schwungvoll und formvollendet wirkte. "Was zum "Teufel geht hier vor, Cassandra?" fragte er und packte ihre Schultern. "Wo bist du gewesen? Man hat mir gesagt, du seist tot. Hättest du mich nicht anrufen können? Seit wann bist du zurück? Wie bist du zurückgekommen?" Sie rümpfte die Nase. "Sag nicht immer tot, ja?" bat sie und schüttelte seine Hände ab. "Unsere Führer wurden von Flußpiraten ermordet, bevor wir unser Ziel erreichten. Mehrere von uns wurden verwundet und wären gestorben, wenn uns nicht einige eingeborene Jäger gefunden und in ihr Dorf gebracht hätten." Cassandra ging auf und ab, wie sie es tat, wenn sie vor Studenten sprach. "Ich bekam Fieber und lag fast drei Monate im Koma. Zwei von uns starben." Sie sah ihn an. "Also, Jonathon... Wieso wurde aus dir so plötzlich Jack Larson, der in einem luxuriösen Badeort lebt, für ein Elektronikunternehmen arbeitet ... und die Tochter des Eigentümers heiratet? Würdest du mir das erklären?" Wortlos starrte Jack sie an, bevor er die Schultern straffte. "Ich mußte dich für tot halten, seit Jahren, also hatte ich das Recht, das zu tun, was ich wollte", sagte er. "Schön, du hattest also das Recht. Aber ich fürchte, jetzt wirst du hineingehen und der Braut verkünden müssen, daß die Ehe ungültig ist. Es sei denn, du ziehst es vor, bei ihr zu bleiben. Falls ja, so solltest du erst einmal deine Ehefrau Nummer eins loswerden." "Ich tue Nan einen Gefallen." Sie lachte. "Das nennst du einen Gefallen?" "Verdammt, Cassandra!" knurrte er. Jack wußte nicht mehr, woran er war. Er hatte gerade geheiratet, aber die Frau, die er
acht Jahre zuvor geheiratet hatte, war doch nicht tot. Also war Nan nicht seine rechtmäßig angetraute Frau. Aber Nan brauchte einen Ehemann. Je länger er nachdachte, desto klarer wurde ihm, daß Nan ihn in diesem Moment mehr brauchte, als Cassandra ihn jemals gebraucht hatte. Er atmete tief durch. "Wer weiß alles, daß du zurück bist?" fragte er. Sie legte die Stirn in Falten. "Was spielt das für eine Rolle? Na schön ... Das Militär, Gregs Institut und die Angehörigen der Expeditionsteilnehmer. Die Medien sind bisher nicht informiert worden." Jack rieb sich die Schläfen. Er wußte, daß das Hämmern hinter den Augen nicht vom Champagner kam. "Das ist ein bißchen viel auf einmal", sagte er müde. "Entschuldige bitte, daß ich dein Leben durcheinanderbringe." Ihr Sarkasmus überraschte ihn. Cassandra war nie sarkastisch gewesen. Scharfzüngig ja, aber nie sarkastisch. Er wollte etwas sagen, doch in diesem Moment ging die Tür auf. Herein kam die Braut in ihrem eleganten cremefarbenen Seidenkleid. Mit einem fragenden Lächeln musterte sie erst ihren Mann, dann die unbekannte Frau. "Darling, die Leute denken, du hast mich verlassen, noch bevor die Hochzeitstorte angeschnitten wurde." Sie ging zu Jack und hakte sich bei ihm ein, ohne Cassandra aus den Augen zu lassen. "Nan, ich freue mich ja so, dich kennenzulernen!" Mit strahlendem Gesicht und ausgestreckten Armen eilte Cassandra herbei. "Ich kann nicht glauben, daß mein schlimmer Bruder eine so hübsche Braut gefunden hat." "Bruder?" wiederholte Nan verblüfft, während sie sich von Cassandra umarmen ließ. "Soll das etwa heißen, Jack hat nie von mir gesprochen?" Kopfschüttelnd trat sie zurück. "Ich bin Casey, Jacks kleine Schwester." Sie bedachte ihn mit einem süßlichen Lächeln. "Tut
mir leid, daß ich so hereinplatze, aber ich habe erst kürzlich von eurer Hochzeit erfahren. Ich habe die letzten Jahre im Ausland verbracht und bin noch nicht lange zurück. Ich bin ja so froh, daß ich rechtzeitig zum Empfang hiersein konnte." "Es tut mir leid, aber Jack hat mir nichts von einer Schwester erzählt", erwiderte Nan und warf ihm einen tadelnden Blick zu. "Ich freue mich sehr, daß du kommen konntest. Dein Begleiter ist Marineoffizier, nicht wahr?" Casey nickte. "Ein lieber Freund der Familie." "Lieber?" Nan gab dem Wort einen anderen Klang. "Nein, so lieb nun auch wieder nicht." Casey lachte unbeschwert. "Soldaten scheinen zu glauben, daß wir Frauen uns in ihre Uniform verlieben und vergessen, was drinsteckt", sagte sie. "Aber er gibt einen ansehnlichen Begleiter ab." Auch Nan lachte. "Komm mit, du mußt unsere Freunde kennenlernen." Sie zog Jack mit sich zur Tür. "Wohnst du in der Gegend?" "Ehrlich gesagt, im Moment wohne ich nirgends", log Cassandra ohne mit der Wimper zu zucken. "Ich bin nur wegen Jacks Hochzeit hier und eigentlich ganz froh, mein altes Zuhause eine Weile hinter mir zu lassen. Schlechte Erinnerungen", fügte sie mit einem betrübten Lächeln hinzu. Jack traute seinen Ohren nicht. Casey? Sie haßte den Kosenamen. Und sich als seine Schwester auszugeben war wirklich der Gipfel. Was hatte sie vor? Sicher, er mußte ihr alles erklären, aber dies war gewiß nicht der ideale Zeitpunkt. Außerdem wollten er und Nan heute abend ein Luxusapartment in Maui beziehen, um dort ihre Flitterwochen zu verbringen. Flitterwochen. Er stöhnte innerlich auf. Daran wollte er lieber gar nicht denken. Für einen Mann, der das geordnete Leben eines Professors geführt hatte, war diese Situation das reinste Chaos. "Du kannst doch in unserem Haus wohnen", schlug Nan vor. "Das geht nicht", entfuhr es ihm.
Überrascht sah Nan ihn an. "Warum nicht? Wir werden es in den nächsten zwei Wochen nicht brauchen." "Casey ist doch nur zur Hochzeit gekommen", wandte er ein. "Danke. Ich würde sehr gern bleiben, wenn es euch nichts ausmacht", sagte Casey mit einem hoffnungsvollen Lächeln. "Überhaupt nichts", erwiderte Nan. "Wir haben ein hübsches Gästehaus, in dem du wohnen kannst." Auf den Empfang zurückgekehrt, winkte Casey Ben zu sich. Zum Glück begriff er sofort, als sie ihm Jack als ihren Bruder vorstellte. Eigentlich lagen ihr solche Spielchen nicht, aber Casey war neugierig. Während Nan sich wie eine verliebte Braut benahm, wirkte Jack ein wenig steif und zurückhaltend. Jeder normale Bräutigam war froh, die Trauung und den anschließenden Empfang überstanden zu haben, und freute sich auf die Hochzeitsnacht. Hochzeitsnacht. Nein, daran wollte sie nicht denken. Sie durfte sich nicht vorstellen, daß die wunderschöne Nan die Nacht mit Jonathon verbringen würde. Oder Jack. Wie immer er sich nannte, er war und blieb ihr Ehemann. Aber so sehr sie seine neue Ehe schockierte, sie durfte sich nichts anmerken lassen. Jedenfalls bis sie herausfand, warum Jack unbedingt mit Nan verheiratet bleiben wollte. Danach konnte sie ihn wegen Bigamie verklagen. "Du hast dich als seine Schwester ausgegeben?" fragte Marge lachend. Sie saß mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett. Casey nickte und legte die letzten Sachen in den Koffer. Marge schüttelte den Kopf und schien es noch immer nicht glauben zu können. "Das sieht dir so gar nicht ähnlich. Ich meine, ich habe gehört, was für eine ..." Sie brach ab, um ihre neue Freundin nicht zu kränken. "Was für eine ehrgeizige, arrogante, langweilige Person ich war?" fragte Casey, während sie sich aufs Bett setzte. "Stimmt, das war ich", gab sie zu. "Dann befand ich mich plötzlich
irgendwo am Amazonas, ohne die geringste Hoffnung, jemals nach Hause zurückzukehren. Greg und ich waren die einzigen Überlebenden, und ich mußte ihn pflegen, bis er wieder auf die Beine kam. Die Eingeborenen sprachen kein Englisch, aber nach einer Weile konnten wir uns mit Zeichen verständigen. Zum Glück hielten sie mich trotz meiner medizinischen Kenntnisse nicht für eine Hexe, und ich schaute nicht auf ihre für mich primitive Heilkunst herab." Sie lächelte. "Ich wurde toleranter und war bereit, von ihnen zu lernen. Als wir gerettet wurden, war ich traurig darüber, sie zu verlassen. Sie haben mir beigebracht, wieder zu leben." "Du mußt viel durchgemacht haben." Marges Blick war voller Verständnis. "Casey, hast du je eine richtige Kindheit gehabt?" "Keine gewöhnliche. Meine Eltern entdeckten sehr früh, daß ich einen äußerst hohen Intelligenzquotienten besaß. Sie wollten mich fördern, und Spielen hielten sie für unwichtig. Tennis habe ich nur gelernt, weil es mein Koordinationsvermögen steigerte." "Es wundert mich, daß sie nichts gegen deine Heirat mit Jonathon hatten." "Oh, sie hatten." Casey lachte. "Aber ich steckte gerade in einer rebellischen Phase ... Na ja, die Ehe hielt nicht das, was ich mir davon versprochen hatte. Jonathon war im Grunde nicht anders als meine Eltern." Marge stand auf und strich ihr über die Schulter. "Irgendwie habe ich das Gefühl, daß ihr euch in den letzten Jahren beide verändert habt", sagte sie leise. "Jetzt mußt du entscheiden, ob du um den Mann, der er geworden ist, kämpfen oder ob du ihn seinem neuen Leben überlassen willst." Casey sah hoch. "Du hast recht, wir sind beide nicht mehr die, die wir einmal waren." Sie dachte daran, wie gut Jack im Smoking ausgesehen hatte. "Ich bin gespannt, wie es weitergeht."
2. KAPITEL "Das ist also das traute Heim des jungen Paars", murmelte Casey, als sie vor der imposanten Villa hielt. "Gut, daß ich meine Sonnenbrille trage." Sie betrachtete das strahlend weiße Haus mit den blauen Fensterläden, hinter dem das Rauschen des Ozeans zu hören war. "Du hattest also keine Probleme, uns zu finden", begrüßte Nan sie mit einem freundlichen Lächeln und kam ihr auf der breiten Treppe entgegen. Statt des Brautkleids trug sie jetzt einen Hosenanzug aus weißer Seide, als Schmuck nur den Ehering und Brillant-Ohrstecker, die so groß waren, daß ihr Glitzern Casey selbst durch die Sonnenbrille hindurch blendete. "Ich dachte, ihr seid schon unterwegs in eure Flitterwochen", sagte Casey überrascht. Nan schüttelte den Kopf. "Jack und ich fliegen erst morgen früh. Die Haushälterin hat das Gästehaus für dich vorbereitet. Dort bist du ungestört. Dein Gepäck kannst du hierlassen. Ich lasse es dir bringen." Sie winkte Casey hinein. Als Casey das Haus betrat, hatte sie das Gefühl, in einem vom Sonnenschein durchfluteten Innenhof zu stehen, und merkte erst nach einem Moment, daß das an der hohen Decke und den großen Oberlichtern lag. Verblüfft starrte sie auf den riesigen Baum, der mitten im Wohnzimmer zu wachsen schien.
"Gefällt er dir?" fragte Nan belustigt. "Ihn zu fällen wäre eine Schande gewesen, daher haben wir das Haus einfach um ihn herum bauen lassen." "Fehlt nur noch ein Baumhaus", flüsterte Casey, während sie ihrer Gastgeberin folgte und sich unauffällig nach dem Bräutigam umsah. "Es ist wirklich sehr großzügig von dir, mich hier wohnen zu lassen", sagte sie. "Schließlich habt ihr gerade erst geheiratet und wärt bestimmt lieber allein." "Unsinn. Du gehörst doch zur Familie", erwiderte Nan mit einer abwehrenden Handbewegung. "Jack und ich werden bald verschwunden sein, das Haus würde leer stehen, also brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben. Bleib, solange du willst. Im Gästehaus gibt es eine kleine Küche, falls du dich selbst versorgen möchtest, aber du kannst gern hier essen. Das Personal wird sich um dich kümmern", sagte sie und führte Casey auf eine ausladende Terrasse. Casey staunte, wie luxuriös sämtliche Zimmer eingerichtet waren. Sie wußte nicht, wie hoch die Grundstückspreise am Meer heutzutage lagen, aber dieses Anwesen, komplett mit Tennisplatz, Swimmingpool, Fitneßraum und Gästehaus, mußte mehrere Millionen wert sein. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, daß Jack sich hier wohl fühlte. Materielle Güter hatten ihn nie sonderlich interessiert, also mußte das hier auch für ihn eine vollkommen neue Welt sein. Andererseits hatte er fast drei Jahre Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen. Sie sah hin und wieder zu den Fenstern im oberen Stockwerk hinauf. Beobachtete Jack sie? Plötzlich lachte sie in sich hinein. Der arme Kerl konnte nicht wissen, was ihn erwartete. Was hatte sie vor? Wollte sie ihn um den Verstand bringen? Jack stand neben dem Fenster, so daß er unbemerkt nach unten schauen konnte. Daß Casey sich als seine Schwester ausgegeben hatte, anstatt wie früher mit der Wahrheit herauszuplatzen, verwirrte ihn. Außerdem war die Casey, die er
auf dem Empfang erlebt hatte, nicht mehr die Cassandra, die vor drei Jahren nach Südamerika aufgebrochen war. Es lag nicht nur an der modischen Frisur und der hellen Kleidung, sondern daran, wie sie sich gab, wie sie sich benahm ... Verdammt, sie war völlig anders, und er verstand sie nicht mehr. Er starrte auf Casey. Sie hatte ihr orangerotes T-Shirt in die Shorts gestopft, die so kurz waren, daß viel von ihren gebräunten Beinen zu sehen war. Sie sah großartig aus. "Früher hat sie nie so enge Shorts getragen", murmelte er. "Obwohl sie schon immer tolle Beine hatte." Jack holte mehrmals tief Luft. Beide Frauen im selben Haus. Die eine gab sich als seine Schwester aus, die andere hatte keine Ahnung, daß seine sogenannte Schwester in Wirklichkeit seine Frau war. Er steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten. Dabei hatte er lediglich der Tochter des Mannes helfen wollen, den er seit Jahren bewunderte. Wie hätte er ahnen können, daß er in eine so vertrackte Lage geraten würde? Was sollte er nur tun? Gedankenverloren kratzte er sich den Handrücken ... "Bis das glückliche Paar ans Zubettgehen denkt, dürfte der Bräutigam einige unangenehme Symptome verspüren", murmelte Casey und sah auf die Uhr. Sie packte ihre Sachen aus und verstaute sie, bevor sie daran ging, ihre neue Unterkunft zu inspizieren. Die Küche enthielt die wichtigsten Vorräte, der Kühlschrank war voller Säfte, Mineralwasser und Soft Drinks. Sie nahm ein Wasser heraus und trank es auf dem Rückweg ins Schlafzimmer. Kichernd streifte sie die Schuhe ab und ließ sich aufs Bett fallen. "So lebt also die andere Hälfte. Ich könnte mich darangewöhnen." Sie hatte Nan bereits gesagt, daß sie lieber allein zu Abend essen würde. Nan protestierte natürlich, aber insgeheim freute sie sich darüber. Casey hielt es für besser, Jack für eine Weile aus dem Weg zu gehen. Er sollte nicht sofort an sie denken, wenn die Beschwerden heftiger wurden.
"Ich bin ein böses Mädchen", sagte sie. "Ein sehr böses Mädchen. Und es gefällt mir!" "Darling, geht es dir gut?" fragte Nan besorgt. "Du hast kaum etwas gegessen." "Die Nerven", scherzte er und fand es gar nicht komisch. Sein Puls ging tatsächlich schneller, seit Nan in einem hinreißend freizügigen Nachthemd hereingekommen war. Aber die Tatsache, daß Casey nur wenige Meter entfernt war, erleichterte es ihm, die Beherrschung zu wahren. Nan schlang die Arme um ihn. "Mir ist klar, daß dies alles neu für dich ist und du noch immer etwas für deine Frau empfindest, aber ..." Ihr entging, wie er sich verkrampfte. "Ich weiß zu schätzen, was du für mich tust", flüsterte sie und legte die Wange auf seinen Kopf, während sie seine Schultern zärtlich massierte. "Und du sollst wissen, daß ich alles tun werde, um es dir so angenehm wie möglich zu machen." Jack entging nicht, wie ihr Parfüm duftete, wie seidig sich ihre Hände auf seiner Haut anfühlten und wie ihre kaum verhüllten Brüste seinen Rücken streiftet. Jack konnte es nicht fassen - seine neue Frau war dabei, ihn zu verführen! Die Frau, die davon gesprochen hatte, daß ihre Ehe nur auf dem Papier existieren würde, und nur damit sie die Kontrolle über das Unternehmen ihres Vaters behielt. "Wir sind ganz allein, Jack", flüsterte sie. "Wir können uns gegenseitig die Einsamkeit vertreiben. Vielleicht sollte es so sein." Jack spürte, wie sich in ihm etwas regte. Aber es war nicht das, was Nan sich erhoffte. Er merkte gar nicht, wie er anfing sich den ganzen Arm zu kratzen und dabei versehentlich auch Nan kratzte. "Jack!" Sie wich zurück, beugte sich über seine Schulter und starrte auf den Arm. "Was hast du getan?"
Ihre entsetzte Stimme ließ ihn nach unten sehen. Häßliche rote Flecken bedeckten beide Arme. Er öffnete das Hemd und entdeckte die gleichen Verfärbungen auf seiner Brust. Je länger er hinschaute, desto stärker schien es zu jucken. Er murmelte eine Verwünschung. Du wirst es mögen. Probier es doch mal, Jack. Der Teller mit dem pinkfarbenen Dip, den Casey ihm auf dem Empfang gereicht hatte. Er hatte mehrmals zugelangt, denn es schmeckte tatsächlich, und er war bis dahin viel zu nervös gewesen, um etwas zu essen. "O Darling! Ich rufe den Arzt." Nan eilte ans Telefon. "Nein." Er biß die Zähne zusammen, als das Jucken sich über seinen ganzen Körper ausbreitete. "Hol meine Schwester." "Deine Schwester?" Sie griff nach dem Hörer. "Was kann sie tun?" "Sie ist Ärztin. Sie wird wissen, was zu tun ist." O ja, sie weiß ganz genau, was zu tun ist. "Ist sie das? Das hast du nie erwähnt." Nan zog einen fast durchsichtigen Morgenmantel über das Nachthemd. "Ich hole sie und bin so schnell wie möglich zurück, Liebling." Jack ließ sich in den Sessel fallen, zog das Hemd aus der Hose und kratzte sich. Er wußte aus Erfahrung, daß Kratzen das Jucken nur verschlimmerte, aber das Wissen darum, wie er in diese mißliche Lage geraten war, ließ ihn immer heftiger kratzen. "Ich verstehe gar nicht, was passiert ist", rief Nan. "Offenbar eine allergische Reaktion auf irgend etwas", sagte Casey, während sie eine schwarze Ledertasche nahm und Nan aus dem Gästehaus folgte. "Jack ist gegen einige Lebensmittel allergisch. Was hatte er zum Abendessen?" "Lammbraten ... und Zitronensouffle zum Nachtisch." Nan wirkte äußerst besorgt. "Meinst du, wir sollten einen Krankenwagen rufen? Ich habe gehört, daß manche Menschen an einem allergischen Schock sterben."
"Ich sehe ihn mir erst einmal an." Caseys Mundwinkel zuckten. Sie brauchte sich Jack nicht anzusehen, um zu wissen, daß es nicht tödlich war. Aber er würde sich einige Tage sehr unwohl fühlen. Sie wurde wieder ernst, als Nan auf der Treppe über die Schulter blickte. Kurz darauf blieb Nan vor einer geschlossenen Tür stehen. "Es tut mir leid, aber ich habe Probleme mit kranken Menschen", sagte sie leise. "Entweder ich bemuttere sie zu sehr, oder wenn Blut fließt..." Sie wurde blaß. "Das macht doch nichts." Casey legte ihr die Hand auf den Arm. "Das geht vielen Leuten so. Du brauchst dich nicht zu schämen. Ich werde Jack jetzt untersuchen. Geh doch nach unten und entspann dich. Sobald ich mehr weiß, sage ich dir Bescheid." Casey öffnete die Tür, und Nan ging langsam davon. "Na, Bruderherz, was hast du dir angetan?" fragte sie beim Eintreten. Mit wildem Blick sah Jack ihr entgegen. "Ich? Sag mir lieber, was du mir angetan hast?" "Hör auf damit." Casey schob seine Hände zur Seite und betrachtete die roten Flecken auf der Brust. "Ich kann mich irren, aber ich vermute, du hast eine allergische Reaktion. Du hast nicht zufällig Kontakt mit Giftefeu oder Brennesseln gehabt, oder? Nein, wohl nicht." Sie tippte sich ans Kinn. "Wenn ich mich recht erinnere, bist du gegen Penicillin allergisch. Aber ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, daß auf dem Empfang Penicillin serviert wurde." Sie öffnete die Tasche und holte ein Fläschchen und eine Einwegspritze heraus. "Das hier lindert den Juckreiz, aber da dies offenbar ein schwerer Fall ist, werde ich dir eine höhere Dosis geben." Jack verzog das Gesicht, als sie die Nadel durch den Deckel des Fläschchens bohrte. Gebannt starrte er auf das Folterinstrument. Casey hielt es hoch, überprüfte die Dosis und
klopfte gegen den Kunststoffkörper. Sie wußte, daß er Spritzen haßte, und lächelte triumphierend. Er konnte sich nicht erinnern, je eine Ärztin in einem so reizvollen Outfit gesehen zu haben. Eigentlich konnte er sich auch nicht erinnern, Casey so gesehen zu haben. Das hauchdünne Oberteil ließ am Bauch einen Streifen Haut frei. Um die Taille trug sie einen Gürtel aus drei vergoldeten Ketten. Unter dem fließenden Rock lenkten die korallenrot lackierten Zehen seinen Blick auf ihre nackten Füße. Der Lippenstift, den sie angelegt hatte, war exakt darauf abgestimmt. Früher hatte sie ihren Mund nie betont, und erst recht nicht die Augen, denen Lidschatten jetzt etwas Rätselhaftes verlieh. Er war so fasziniert von ihrem Anblick, daß er gar nicht recht mitbekam, wie sie ihn auf den Bauch drehte und seine Pyjamahose herunterzog. Erst als er den kühlen Alkohol auf der Haut spürte, schrie er auf. Dann spritzte sie ihm das Mittel, und er schrie noch lauter auf. "Warum hast du das getan?" fragte er verärgert und wälzte sich auf den Rücken. "Je schneller, desto schmerzloser. Hätte ich dich gebeten, die Hose herunterzuziehen, hättest du gesagt, daß deine kleine Schwester deinen süßen Po nicht sehen darf." Lächelnd verstaute sie alles in ihrer Tasche. "Auf diese Weise kamst du nicht dazu zu protestieren." "Wirklich erstaunlich, daß du genau das richtige Medikament mithattest", knurrte Jack. "Dafür sind Ärzte da", verkündete sie fröhlich. "Wie Pfadfinder. Allzeit bereit." Mißtrauisch musterte sie. "Wo ist Nan?" , "Unten. Sie wollte lieber nicht zusehen." Casey setzte sich vor Jack auf den Fußhocker. "Es müßte gleich wirken." Er funkelte sie noch immer an. "Was hast du mir gegeben?"
Sie warf ihm einen unschuldsvollen Blick zu. "Ich weiß nicht, was du meinst. Ich habe dir etwas gegen den Juckreiz verabreicht." "Ich meine den Dip." "Der war lecker, nicht? Ich muß es unbedingt Nan erzählen." Sie stützte einen Ellbogen aufs Knie und legte das Kinn auf die Hand. "Was war das?" "Krabbendip", erwiderte sie ungerührt, bevor sie die Hand hob und ihn erstaunt ansah, "Genau! Das ist es! Der Krabbendip! O Jack, das hatte ich ganz vergessen. Du bist ja allergisch gegen Schalentiere." Bedauernd spitzte sie die Lippen. "Armes Baby! Kein Wunder, daß du so gelitten hast." "Du vergißt nie etwas", brummte er mißmutig. "Du hast kein Gehirn, du hast einen Computer im Kopf. Du hast es absichtlich getan." Sie verschränkte die Arme und sah aus, als könnte sie kein Wässerchen trüben. "Daß du das von mir denkst, schockiert mich. Obwohl ich zugeben muß, es wäre etwas heikel geworden, wenn du deine Ehe mit Nan vollzogen hättest, während du noch mit mir verheiratet bist. Oh, ich verstehe, daß du geglaubt hast, ich wäre tot. Aber wie du siehst, bin ich sehr lebendig. Und wie wir beide wissen, hält die Gesellschaft nicht viel von Männern mit zwei Ehefrauen." "Wir hatten gar nicht vor, die Ehe zu vollziehen", fuhr er sie an. Überrascht setzte sie sich auf. "Was soll das heißen, ihr hattet es nicht vor?" Er haßte es, auch nur darüber zu reden. "Ganz einfach. Nan brauchte einen Ehemann, um die Kontrolle über die Firma ihres Vaters zu behalten. Sie wußte, daß meine Frau tot war, und hoffte auf meine Hilfe. Wir wollten etwa zwei Jahre verheiratet bleiben und uns dann in aller Stille scheiden lassen."
"Seid ihr schon länger ... befreundet?" "Eigentlich nicht. Sicher, wir waren ein paarmal zusammen essen oder sind auf Partys gegangen, aber sonst war nichts." Sie zog die Augenbrauen hoch. "Nan ist eine hübsche Frau und kann sich ihre Männer aussuchen." "Das soll heißen, warum hat sie ausgerechnet mich genommen? Ihr Vater hatte einen Herzinfarkt und wäre fast gestorben. Er wollte sich zur Ruhe setzen und dafür sorgen, daß seine Tochter und sein Unternehmen in guten Händen sind. Ich nehme an, Nan hat in der Vergangenheit mehrfach die falsche Wahl getroffen. Norton begreift nicht, daß Nan durchaus auf sich aufpassen kann, also habe ich ihm versprochen, sie zu heiraten. Das hat ihm geholfen, wieder gesund zu werden." "Und er fand dich passend", sagte sie leise. Er nickte. "Und was hast du davon?" Darüber wollte Jack lieber nicht sprechen. "Das hat mit dem hier nichts zu tun." Casey schaute ihm in die Augen. "Was weiß sie über mich?" Ihr forschender Blick war ihm sichtlich unangenehm. "Sehr wenig. Ich habe ihr nur erzählt, daß meine Frau bei einer wissenschaftlichen Expedition im Ausland umgekommen ist. Aber jetzt ..."Er stockte. Ihr entging, wie er verlegen wurde und ihrem Blick auswich. Jack hatte sie nie anlügen können. "Aber jetzt?" wiederholte sie scharf. Er holte tief Luft und fürchtete, sie würde gleich bereuen, ihm das Medikament gegeben zu haben. "Nan meinte, es gäbe eigentlich keinen Grund, warum wir die Ehe nicht vollziehen sollten", antwortete er etwas zögernd nach einer Weile. Casey stand langsam auf. "Ich glaube, für einen Abend habe ich genug gehört. Außerdem macht das Medikament dich schläfrig, also werde ich dich in Ruhe lassen."
Jack fühlte, wie seine Lider von der Wirkung des Medikaments schwer wurden. "Warum mußtest du jetzt zurückkehren?" fragte er mit schleppender Stimme. Da ihm die Augen zufielen, sah er den Schmerz auf ihrem Gesicht nicht. "Träum schön, Jonathon", flüsterte sie und schlüpfte hinaus. Als sie die Treppe hinunterging, hörte sie Nan mit jemandem reden. "Ich weiß nicht, was passiert ist. Er war voller häßlicher roter Flecken und kratzte sich wie ein Hund, der Flöhe hat", erzählte Nan gerade. Casey kam um die Ecke und schaute in das riesige Zimmer, in dem Nan mit einem schnurlosen Telefon in der Hand am Fenster stand. "Ich muß Schluß machen. Wir reden später ... Ja, das tue ich", flüsterte sie, bevor sie auf die Taste drückte. Sie sah auf und bemerkte Casey. "Entschuldigung. Ich wußte nicht, daß du schon fertig bist. Wie geht es ihm?" Casey war nicht sicher, aber Nan wirkte, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. "Ich fürchte, er wird heute abend nur noch schlafen", erwiderte sie und nahm in einem Sessel Platz. "Es war eine Lebensmittelallergie. Er hat von dem Krabbendip gegessen, ohne zu wissen, was es war. Es tut mir leid, daß eure Hochzeitsnacht ruiniert ist." Nan nahm eine Flasche Wein, füllte zwei Gläser und reichte Casey eins. "Ich bin nur froh, daß es ihm bessergeht." Sie setzte sich Casey gegenüber hin und nippte am Glas. "Leider weiß ich kaum etwas über dich. Jack hat mir nicht viel über seine Familie erzählt." "Kein Problem. Ich weiß ja auch nichts über dich", gestand Casey und nahm ebenfalls einen Schluck. "Jack und ich hatten in den letzten Jahren nur wenig Kontakt." Sie durfte sich keine
komplizierte Geschichte ausdenken, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, sich irgendwann zu verraten, und vor allem mußte sie schnell sein. "Gab es einen Grund dafür?" fragte Nan behutsam. Casey überlegte. "Ich war oft in Übersee, und da ich nie genau wußte, wo ich in der nächsten Woche sein würde, war es schwierig, in Verbindung zu bleiben. Aber es hat sich gelohnt. Ich habe viel über neue Behandlungsmethoden gelernt." Sie lächelte. Einige davon waren recht ungewöhnlich, milde formuliert. Ganz zu schweigen von all den anderen Dingen, die sie über sich und andere erfahren hatte. "Dann kann ich nur hoffen, daß wir uns in Zukunft häufiger sehen werden und uns bald besser kennenlernen." Lächelnd hob Nan das Glas. Casey tat es ihr nach. "Das hoffe ich auch. Ich habe das Gefühl, wir beide haben viel gemeinsam."
3. KAPITEL Jack hatte das Gefühl, einen langsamen und qualvollen Tod zu sterben. Einen solchen Kater hatte er noch nie im Leben gehabt. Dann mußte er plötzlich an die verrückten Geschehnisse des Vortags denken. Nie wieder würde er Krabbendip anrühren. Aber an seinem Elend war nicht nur die Allergie schuld, sondern auch Cassandra. Nein, jetzt hieß sie Casey. Cassandra war immer blaß und ernst gewesen, hatte vernünftige Kleidung getragen und nie die Stimme erhoben. Casey dagegen war tief gebräunt, und wenn sie lachte, was sie häufig tat, gab ihr das etwas Sinnliches. Ihre Sachen waren farbenfroher und betonten einen hinreißenden Körper. Und sie sprach aus, was sie dachte, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Am Abend zuvor war er mühsam aufgestanden, als er hörte, wie sie das Haus verließ. Auch jetzt fragte er sich, warum sie noch eine Stunde geblieben war, nachdem sie ihm die Spritze verpaßt hatte. Worüber hatten sie und Nan gesprochen? Im Schein der Gartenlaternen ging sie über den Pfad zum Gästehaus, schlank, erhaben, wie eine geisterhafte Erscheinung. Die Abendbrise wehte den Rock in die Höhe und enthüllte die Beine und Oberschenkel. Ihr Lachen klang ihm in den Ohren.
Jack wehrte sich dagegen, gab jedoch rasch auf und ließ sich davon bezaubern. Unwillkürlich dachte er daran, wie sie miteinander geschlafen hatten, aber das war gewiß nicht das, woran ein frischgebackener Ehemann am Morgen nach seiner Hochzeitsnacht denken sollte. Aber Casey zu sehen, weckte in ihm die Erinnerung an seine erste Hochzeitsnacht. Casey war unberührt gewesen, hatte sich jedoch theoretisch gut ausgekannt. Jack hatte seine Jungfräulichkeit mit siebzehn verloren, es aber nicht besonders aufregend gefunden. Doch mit Casey war es etwas Besonderes gewesen. Nie hatte sie ein Nachthemd getragen, wie Nan es heute anhatte. Und sie hatte auch nie die Initiative ergriffen. Jetzt fragte Jack sich, wie er Nan beibringen sollte, daß ihre Heirat ungültig war. Er war mit dem Gefühl zu Bett gegangen, zwei Frauen zu betrügen. Casey, weil er eine andere Frau geheiratet hatte, und Nan, weil er an Casey dachte: Er hatte schlecht geschlafen. Jack schloß die Augen und versuchte, das Pochen in seinem Kopf zu ignorieren. Dann merkte er, daß jemand an die Tür klopfte. "Jack, darf ich hereinkommen?" rief Nan. "Natürlich." Nan kam mit einem Tablett herein. Ihr Lächeln verblaßte ein wenig, als sie sein unrasiertes Gesicht sah. "Ich dachte mir, du hast es verdient, im Bett zu frühstücken", erklärte sie und stellte das Tablett auf den Tisch am Fenster. "Wie geht es dir?" Er betrachtete seine Arme. "Die Flecken sind fast weg und jucken auch nicht mehr so heftig." "Dann wirst du es also überleben", scherzte sie, während sie Kaffee einschenkte und ihm eine Tasse gab.
" Jack starrte auf den Teller. Ein Omelette und Bratkartoffeln. Daneben standen ein Korb mit frischem Gebäck und ein Glas Orangensaft. "Das reicht ja für uns beide." "Oh, ich habe schon gefrühstückt. Mit Casey", fügte Nan fröhlich hinzu und trank einen Schluck Kaffee. "Unsinn, iß eins von diesen." Er legte ein Croissant auf einen Teller und reichte ihn ihr. Nan brach ein Stück ab und führte es an den Mund. "Deine Schwester ist nett", sagte sie. "Wir haben gestern abend und heute früh ausführlich geredet." In Jack zog sich etwas zusammen. "So?" Es kostete ihn große Selbstbeherrschung, ruhig weiterzukauen. "Sie ist weitgereist und liebt ihren Beruf. Sie hat mir von der alternativen Medizin erzählt, die sie in den letzten Jahren kennengelernt hat, und findet einige ihrer Methoden besser als die der Schulmedizin. Ich habe sie gefragt, ob sie hier in der Gegend eine Praxis eröffnen will, und sie meinte, daran hätte sie noch nicht gedacht. Ich habe ihr gesagt, das soll sie unbedingt tun." Jack probierte den Kaffee. Er war heiß und stark. Das Koffein würde ihm helfen, einen klaren Kopf zu bekommen. "Casey hat immer lieber Studenten ausgebildet als selbst zu praktizieren", murmelte er. "Ja, das hat sie erzählt, aber inzwischen macht es ihr Spaß, kranken Menschen zu helfen", antwortete Nan. "Ich hatte keine Ahnung, daß deine Schwester ein echtes Genie ist." Staunend schüttelte sie den Kopf. "Kannst du dir vorstellen, zur HighSchool zu gehen, obwohl du vom Alter her noch auf die Grundschule gehörst? Wie fand deine Familie es, ein Genie in ihrer Mitte zu haben? Und du? Du bist zwar überdurchschnittlich intelligent, aber es muß trotzdem schwer gewesen sein."
"Sie hat meine Hausaufgaben gemacht", brummte Jack, weil ihm nichts Besseres einfiel. Nan lächelte belustigt, schien ihm also zu glauben. Sie brach noch ein Stück Croissant ab und knabberte daran, dann starrte sie einen Moment lang aus dem Fenster, bevor sie sich wieder zu ihm umdrehte. "Ich habe mir da etwas überlegt, Liebling. Du mußt dich erholen, und vielleicht sollten wir die Flitterwochen ein wenig verschieben", schlug sie vor. "Wir könnten später im Jahr verreisen." "Wenn deine Position in der Firma gesichert ist?" fragte er mit spöttischem Unterton. Sie rümpfte die Nase und lachte. "Du kennst mich so gut." Jack sah Nan an und wunderte sich darüber, daß er sie nie wirklich anziehend gefunden hatte. Sie war schön, intelligent, besaß einen wunderbaren Sinn für Humor und war eine der freundlichsten Frauen, denen er je begegnet war. Sie hatte so viel zu bieten, in gewisser Hinsicht weitaus mehr als Casey. Aber Casey wäre die erste, die zugeben würde, daß sie aufgrund ihrer Erziehung eben auch ihre Grenzen hatte. Nan dagegen hatte eine echte Kindheit gehabt, wenn auch eine im Luxus. Und sie war keineswegs die verwöhnte Tochter aus reichem Hause, die an nichts anderes als Einkaufen und Friseurtermine dachte. Sie liebte die Herausforderungen der Geschäftswelt und war bei Verhandlungen eine geschickte Taktikerin. Jack wünschte nur, ihr Vater wüßte das zu schätzen, anstatt sie mit unwichtigen Aufgaben abzuspeisen und als Gastgeberin bei Empfängen einzusetzen. Norton war der Ansicht, daß die Firma von einem Mann geführt werden sollte. Deshalb hatte er seine Tochter mit jemandem verheiratet, dem er seine Nachfolge zutraute. Hätte Nan sich geweigert, hätte er die Unternehmensleitung dem Vorstand überlassen, der sich dann selbst einen Präsidenten gesucht hätte.
Als Nan Jack erstmals vorschlug, sie zu heiraten, lehnte er ab. Erstens habe er nicht vor, jemals wieder zu heiraten, zweitens müsse er sich noch an das Leben außerhalb der Universität gewöhnen. Nan schob seine Bedenken beiseite und versprach, daß die Ehe nur auf dem Papier existieren würde, und das auch nur, bis sie ihrem Vater ihre Führungsqualitäten bewiesen hatte. Danach würde sie sich scheiden lassen, und sie würde ihm eine großzügige Abfindung zukommen lassen. Das Geld interessierte Jack nicht, aber er wollte seinem Freund und Förderer Norton Xavier helfen. Damit, daß seine angeblich tote Frau zurückkehren würde, konnte er nicht rechnen. Und schon gar nicht damit, daß sie ein ganz anderer Mensch sein würde. Was hatte diese Veränderungen bewirkt? Er mußte so bald wie möglich mit ihr reden. "Fühlst du dich noch unwohl?" riß Nan ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf. "Ich fühle mich viel besser." "Ich bin nur froh, daß deine Schwester hier ist und sich um dich kümmern kann." Sie strich ihm über den Hinterkopf. "Ja", erwiderte Jack finster. "Wo ist sie jetzt?" "Sie wollte über den Strand spazieren." "Sie haßt Strände!" Seine aufgebrachte Stimme ließ Nan zusammenzucken. "Ich meine nur, ist es nicht gefährlich, ganz allein ans Wasser zu gehen?" fragte er rasch. "Du weißt sehr gut, daß es ein Privatstrand ist, der nur den Pattersons und uns gehört. Und die Pattersons sind auf Jamaika." "Tut mir leid, Nan. So hatte ich mir unsere Flitterwochen nicht vorgestellt." "Wir haben doch noch genug Zeit", tröstete sie ihn und stand auf. "Ich glaube, ich werde ein wenig telefonieren. Den Shepherds habe ich schon gesagt, daß wir morgen abend nicht
mit ihnen essen können." Das war das Ehepaar, mit dem sie sich in Maui treffen wollten. Jack nickte. Es war ihm recht. Bill Shepherd konnte über nichts anderes als Aktien reden, und Lilith nur davon, wie sie ihr Haus renovieren sollte. Das tat sie jedes Jahr. "Ich sehe mal nach Casey", sagte er. "Überanstreng dich nicht", warnte Nan beim Hinausgehen. "Du warst gestern abend sehr krank." "Ja, und jetzt kenne ich auch die Ursache", murmelte er grimmig. Casey war bis zum Nachbarhaus am Wasser entlangspaziert und hatte dort kehrtgemacht. "Erstaunlich. Ich war erst drei Jahre tot, und schon ersetzt er mich durch eine andere", sagte sie wütend und trat in den Sand. "Hätte ich gehört, daß er in Arizona ums Leben gekommen ist, hätte ich mindestens fünf Jahre gewartet." Sie starrte aufs Meer hinaus. Hoffentlich hatte sie Jack genug Medizin gegeben, um ihn noch eine ganze Weile schlafen zu lassen. "Ich hätte ihm eine wunderschöne Beerdigung ausgerichtet. Komplett mit Tröten und Papphüten." Erneut trat sie in den Sand, doch diesmal stießen ihre nackten Zehe gegen etwas Hartes, und der Schmerz schoß ihr Bein hinauf. "Verdammt!" Sie hüpfte über den Strand, bevor sie sich hinsetzte, um den verletzten Fuß zu reiben. "Selber schuld. Du solltest keine Witze über meine Beerdigung machen", sagte Jack, während er sich in den Sand fallen ließ und ihren Fuß zwischen die Hände nahm. Er drehte ihn vorsichtig hin und her. Die Zehen waren gerötet, bluteten jedoch nicht. "Ich habe gegen einen Stein getreten", erklärte sie und zog den Fuß aus seinen Händen. "Wieso schläfst du nicht mehr?" "Offenbar hast du mir nicht genug gegeben", erwiderte er.
Casey sah ihn an. Er trug hellblaue Shorts und ein verblaßtes gelbes T-Shirt. "Was ist geschehen, während ich fort war?" fragte sie ernst. "Du bist so anders." "Ich mußte mein Leben ändern und hatte das Glück, Norton zu begegnen. Er half mir, in die Realität zurückzufinden", erzählte er leise. "Was ist mit dir? Du bist auch nicht mehr die Frau, die ich kannte." "Ich habe beschlossen, endlich zu leben", erwiderte sie. "Wenn man begreift, daß man fast eines grausamen Todes gestorben wäre, will man herausfinden, was das Leben lebenswert macht. Das ist einfacher, wenn man bei einem Stamm lebt, der für jeden neuen Tag dankbar ist." Sie beugte sich vor. "Für viele sind diese Indianer nichts als barbarische Primitive. Kein fließendes Wasser, kein Strom, keine moderne Technik und keine medizinische Versorgung, abgesehen vom Medizinmann, der sämtliche Krankheiten behandelt. Einige der Heilmittel, die er zusammenbraute, waren sogar sehr wirksam." Mit den Händen verlieh sie ihren Worte Nachdruck. "Ein kleiner Junge von höchstens vier Jahren hatte heftiges Fieber. Wir hatten die meisten Vorräte gerettet, aber die Eltern ließen nicht zu, daß wir ihm unsere Medikamente gaben. Der Medizinmann war nicht gerade begeistert, daß eine Frau sich einmischte, und erklärte mir, daß die Götter nichts von unseren Medikamenten hielten. Ich glaubte ihm nicht, aber später wurde mir klar, daß der Junge gestorben wäre, wenn nicht er, sondern wir ihn behandelt hätten." "Wieso? Weil die Götter dich nicht mochten?" Casey schüttelte den Kopf. "Weil ich nur das Fieber, nicht die Ursache bekämpft hätte. Ich hatte Glück. Der Medizinmann hätte den Indianern auch befehlen können, mich umzubringen. Doch das tat er nicht. Statt dessen riet er mir, auf die Götter des Urwalds zu hören und zu lernen, welche Pflanzen heilen und welche töten."
Jack sah aus, als könnte er es nicht glauben. "Du hast dich immer über alternative Medizin lustig gemacht." "Ich habe mich getäuscht", gab sie unumwunden zu. "Der Medizinmann und ich haben viel voneinander gelernt" "Ich kann mir vorstellen, was du ihm beigebracht hast." "Zum Beispiel, daß er sich die Hände waschen muß, bevor er eine Wunde untersucht, und daß das, was sie als Bier trinken, sich hervorragend zum Desinfizieren eignet", sagte sie lächelnd. "Wie schön. Du und dein Urwalddoktor habt medizinische Geheimnisse ausgetauscht, während deine Angehörigen und Freunde dich für tot hielten", antwortete er schneidend. "Wir hatten keine Ahnung, wo wir waren. Greg brauchte Monate, um sich zu erholen, und ich hatte mich inzwischen damit abgefunden, daß wir den Rest unseres Lebens bei den Indianern verbringen würden. Unser Funkgerät war kaputt, und weder Greg noch ich konnten es reparieren." Jack erinnerte sich an den gutaussehenden Forscher, der Casey damals abgeholt hatte. "Und was hat Greg gemacht, während du die barmherzige Samariterin gespielt hast?" Sie verzog das Gesicht. "Er brauchte länger, um sich anzupassen. Obwohl es ihm zu gefallen schien, daß die Frauen nur ein Stück Stoff um die Hüften trugen." Jack starrte auf den Ozean hinaus. Ob Casey auch so herumgelaufen war? "Wie hast du geschlafen, Jack?" Sie wollte vom Thema ablenken. "Du hast meine Hochzeitsnacht sabotiert." "Keineswegs. Ich habe nur verhindert, daß du alles noch schlimmer machst. Du bist ein Bigamist, Jack. Du hast Nan nicht die Wahrheit gesagt." "Ich habe dir den Grund genannt", erwiderte er mit zusammengebissenen Zähnen. "Ihr Vater ist sehr altmodisch."
"Warum hat sie ihm nicht einfach bewiesen, daß sie die Firma leiten kann? Dann hätte er sich irgendwann zur Ruhe gesetzt und ihr das Unternehmen übergeben." "Er hatte einen Herzanfall und glaubte, sterben zu müssen." Casey zog eine Augenbraue hoch. "Und du hast den edlen Ritter gespielt, ja?" "Ich dachte, du wärst tot!" "Aber das bin ich nicht." "Das weiß ich." Er holte tief Luft. Wie sollte er es ihr erklären? "Nan hat in Harvard Betriebswirtschaft studiert, aber ihr Vater weigerte sich, in ihr seine Nachfolgerin zu sehen. Sie mußte sich ihre Position in der Firma erkämpfen und hart arbeiten, um sie sich zu erhalten." Er ließ Sand zwischen den Fingern hindurchrieseln. "Ich bewundere sie dafür. Ihr Vater hätte sie langsam aufbauen sollen, anstatt ihre Fähigkeiten zu ignorieren. Vielleicht hätte er sich damit den Infarkt erspart." Casey hörte seine Besorgnis heraus. Vermutlich bewunderte er Nans Vater. "Du bist also der Sohn, der ihm versagt blieb. Du, ein Professor der Philosophie", sagte sie. "Wirklich erstaunlich, daß du dich so rasch in der Chefetage eines großen Unternehmens zurechtfandst." Jack stand so ruckartig auf, daß er im weichen Sand fast die Balance verloren hätte. "Offenbar hast du dich innerlich nicht verändert. Du bist noch immer so kaltherzig wie früher", sagte er und eilte davon. Casey sah ihm nach. Er drehte sich nicht um. Hätte er es getan, hätte er den Schmerz auf ihrem Gesicht gesehen. Denn sie wußte, daß er recht hatte. Nan telefonierte, als Jack an ihrem Büro vorbeiging. Er eilte in die Küche, goß sich einen Kaffee ein und schaute durchs Fenster zur Treppe hinüber, die zum Strand hinunterführte. Erst
nach zwanzig Minuten tauchte Casey auf und verschwand sofort im Gästehaus. Verdammt! Seine innere Anspannung wurde so gewaltig, daß er es kaum noch aushielt. Für einen Mann, der immer ein ziemlich ruhiges Leben geführt hatte, kam das hier einer Katastrophe gleich. Zugegeben, er hatte gewußt, daß die Heirat mit Nan nicht ohne Folgen bleiben würde, aber mit einem solchen Chaos hatte er nun wirklich nicht rechnen können. "Da bist du ja." Nans Stimme ließ Jack zusammenzucken. Hastig stellte er die Tasse ab. Nan ging an die Kaffeemaschine und goß sich ebenfalls welchen ein. "Wie fühlst du dich?" "Schon viel besser. Die frische Luft hat geholfen", murmelte er und griff nach seiner Tasse. Er mußte sich an etwas festhalten. "Stehen du und deine Schwester euch sehr nah?" fragte sie, während ihr Parfüm ihm in die Nase stieg. "Als Kinder nicht, jetzt ja", antwortete er. Früher hatte er stets die Wahrheit gesagt, inzwischen entwickelte er sich zu einem geschickten Lügner. "Ich hoffe, es stört dich nicht, daß sie hier ist." "Überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich werde sie bald einmal mit in den Club nehmen und sie einigen Leuten vorstellen. Bestimmt findet sich ein Mann, der ihr gern Gesellschaft leisten wird." Sie strahlte ihn an. "Wäre es nicht toll, wenn sie jemanden kennenlernen und sich hier für immer niederlassen würde?" Jack fühlte, wie die Schlinge sich immer fester um seinen Hals legte. Er konnte unmöglich zwei Frauen haben! Es war strafbar und unmoralisch. Und Casey gegenüber unfair. Aber war es etwa fair, Nans Traum zu zerstören? Nach allem, was ihr Vater für ihn getan hatte? Langsam wünschte Jack, er wäre an den Amazonas gefahren.
Bevor er aufgeben und Nan alles gestehen konnte, läutete es an der Tür. "Wer kann das sein?" sagte Nan. "Louise ist einkaufen, also mache ich selbst auf." Sie ging hinaus. Jack blieb, wo er war. Als er eine gedämpfte Männerstimme hörte, beschloß er nachzusehen, wer es war. "Was tust du hier?" fragte Nan mit leisem Zorn, aber Jack entging es nicht. "Gibt es ein Problem, Honey?" fragte er und legte schützend den Arm um ihre Schultern. Er war nicht sicher, aber Nan schien über das Auftauchen des Besuchers nicht erfreut zu sein. "Liebling, dies ist mein Cousin Dan", sagte sie ein wenig zu fröhlich. "Er ist gerade nach Kalifornien gezogen." "Tut mir leid, daß ich nicht zur Hochzeit kommen konnte", sagte Dan und gab Jack die Hand. Jack registrierte seine gebräunte Haut und die teure Freizeitkleidung. "Hallo", sagte jemand. Nan und Jack schauten an Dan vorbei. Casey kam gerade die Eingangsstufen hinauf. "Mein Cousin ist zu Besuch gekommen", erklärte Nan. "Casey, mein Cousin Dan Reynolds. Dan, dies ist Jacks Schwester Casey, die ebenfalls zu Besuch ist." Dan ergriff Caseys Hand. "Offenbar bin ich gerade richtig gekommen", murmelte er lächelnd. "Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Casey." Casey strahlte Jack an. "Wie nett. Ein Familientreffen."
4. KAPITEL "Wie hat es dich hierher verschlagen?" fragte Casey und setzte sich in einen der blau-weiß gepolsterten Sessel am Swimmingpool. Sie hatte vorgeschlagen, auf der Gartenterrasse Kaffee zu trinken. "Meine Firma hat Personal abgebaut, und ich war eins der Opfer", erklärte Dan und setzte sich zu ihr. "Also sehe ich mich hier nach einem neuen Job um." "Und was machst du?" "Ich bin Computerspezialist." Jack saß einfach nur da und kochte innerlich. Dans HundertWatt-Lächeln, sein Filmstargesicht und die lässige Art, im Sessel zu sitzen, gefielen ihm nicht. "Von welcher Seite der Familie stammst du?" wollte Casey wissen und erwiderte sein Lächeln. "Die Schwester meiner Mutter ist seine Mutter", sagte Nan, als sie mit einem großen Tablett herauskam. Jack und Dan sprangen sofort auf, um ihr zu helfen. Jack war schneller und stellte das Tablett auf den Tisch. Nan nahm den verbleibenden Stuhl und goß vier Tassen Kaffee ein. "Tante Jessica zog kurz nach ihrer Heirat an die Ostküste", fuhr sie fort, ganz die charmante Gastgeberin. "Dan war für seine Schwester und mich eine Plage. Dauernd versuchte er, uns beiden das Leben zur Qual zu machen. Wie geht es Janice?"
"Sie sucht noch immer nach dem Richtigen", antwortete er. "Und sie beneidet dich." Nan griff nach Jacks Hand. "Daddy meint, jetzt, da ich unter der Haube bin, kann er sich endlich zur Ruhe setzen und die Weltreise unternehmen, von der er immer geträumt hat", erzählte sie. "Aber das sehe ich noch nicht. Dazu liebt er seine Firma zu sehr." Casey entging nicht, wie Dan und Nan einen vielsagenden Blick wechselten. Dan und Nan. Sie mußte vorsichtig sein und durfte ihre Namen nicht zusammen aussprechen, sonst würde sie lachen. Es klang einfach zu komisch. "Und du, Casey?" fragte Dan. "Was machst du?" "Wird das nicht ein wenig zu persönlich?" mischte Jack sich ein. "Aber nein. Er war doch zu mir auch offen", wehrte Casey ab. "Ich bin Ärztin." Dan nickte: "Welches Fachgebiet?" "Ich bin Allgemeinmedizinerin. Aber da ich in den letzten Jahren viel gereist bin, habe ich nicht richtig praktiziert." "Ich habe ihr gesagt, sie soll sich hier eine Praxis suchen", warf Nan ein. "Daddy könnte sie bestimmt mit Leuten bekannt machen, die ihr dabei helfen würden." Casey lächelte ihrer "Schwägerin" dankbar zu, obwohl ihr innerlich übel wurde. Das letzte, was sie wollte, war Nans Hilfe oder die ihres Vaters. Andererseits hatte sie den beiden ihren Ehemann geliehen, warum sollten sie ihr nicht auch einen Gefallen tun?
"Ich glaube, ich werde noch eine Weile warten, bis ich in die Medizin zurückkehre", lehnte sie ab. "Es wundert mich, daß ihr zwei noch nicht in euren Flitterwochen seid", sagte Dan.
"Der arme Jack hatte gestern eine schlimme allergische Reaktion auf etwas, das er gegessen hatte." Nan drückte Jacks Hand. "Außerdem können wir dich und Casey doch nicht allein zurücklassen." "Aber warum denn nicht?" wandte Casey unbeschwert ein. "Ich bin sicher, Dan kann allein auf sich aufpassen." Sie lächelte ihm zu. "Kein Problem. Zumal Jacks bezaubernde Schwester mir Gesellschaft leisten kann." Er lächelte zurück. Casey sah, wie Jack sie und Dan anfunkelte. Und auch Nan schien Dans Flirtversuch wenig zu begeistern. "Vorsicht, Dan", warnte Nan lachend. "Man könnte dich ernst nehmen. Die arme Casey hat gerade eine unschöne Beziehung hinter sich, und ich glaube nicht, daß sie etwas Neues anfangen will." "Oh, ich weiß nicht." Casey streckte die Arme über den Kopf, so daß das Oberteil nach oben rutschte und den flachen gebräunten Bauch enthüllte. Zwei männliche Augenpaare richteten sich darauf. Eins davon blickte durchaus interessiert, das andere nicht sehr glücklich. "Keine Angst, Nan, ich werde sehr behutsam mit deinem Cousin umgehen", scherzte sie. "Mom würde sich nicht freuen, so etwas zu hören", knurrte Jack. "O bitte, Mom hat mir alles beigebracht, was ich weiß." Casey drehte sich zu Nan. "Immer muß er den großen Bruder spielen. Aber ich bin jetzt erwachsen. Und wenn er will, daß ich mich nicht in sein Liebesleben einmische, dann soll er sich gefälligst auch aus meinem heraushalten." Jack hustete. Casey triumphierte insgeheim. Was ihm recht war, sollte ihr nur billig sein. Sie hatte die ersten dreißig Jahre ihres Lebens als unscheinbare Motte verbracht, jetzt wußte sie, daß es viel mehr Spaß machte, ein bunter Schmetterling zu sein.
Als das Telefon läutete, schaute Nan zum Haus. "Wer kann das sein?" Mit einem entschuldigenden Lächeln stand sie auf. "Du hattest Glück, Nan und Jack hier vorzufinden, Dan", sagte Casey. "Jack war gestern abend sehr krank. Dans Blick wanderte zu Jack hinüber. "Und ich dachte immer, die Bräute wären so nervös." Jack lächelte mit schmalen Lippen. "Allergien können sehr, unangenehm verlaufen", murmelte Casey und schlug die wohlgeformten Beine übereinander. "Jack hatte noch Glück." "Wirklich? Ich hatte noch nie gesundheitliche Probleme", erwiderte Dan ein wenig herablassend und schaute Casey an. "Wie wäre es mit einer gründlichen Untersuchung, Doc?" Sie suchte gerade nach einer, passenden Antwort, als Nan aus dem Haus kam. Ihr anmutiges Gesicht wirkte angespannt. "Das war mein Vater." Ihre Stimme klang heller als sonst. "Da wir nicht nach Hawaii geflogen sind, hat er uns zum Abendessen eingeladen. Ihr beiden seid auch eingeladen." Jack runzelte die Stirn. "Hältst du das für eine gute Idee?" fragte er leise. "Du kennst Daddy", flüsterte sie zurück. "Sein Wunsch ist Befehl." Sie zuckte mit den Schultern. "Er würde dich sehr gern kennenlernen, Casey", sagte sie laut. Casey sah Dan an. "Bestimmt freust du dich, deinen Onkel wiederzusehen." "Ich habe Onkel Norton seit Jahren nicht mehr gesehen." Casey stand auf. "Ich werde einen Schaufensterbummel machen. Wann brechen wir heute abend auf?" "Um sechs", antwortete Nan. Beim Davongehen lauschte Casey der Unterhaltung der anderen. "Wenn Dan ihr Cousin ist, bin ich Jacks Schwester", murmelte sie und mußte plötzlich lächeln. "Aber ich glaube, ich werde Jack noch nichts von meinem Verdacht erzählen."
"Ich dachte, Norton wäre zu krank, um sich Gäste zuzumuten", meine Jack später am Nachmittag zu Nan. "Daddy darf nichts tun, was sein Herz belastet. Mit uns zu Abend essen wird ihm nicht schaden", sagte Nan und strich ihm eine Locke aus der Stirn. "Bestimmt hat er ein paar gute Ideen, wie deine Schwester sich hier als Ärztin niederlassen könnte." Ihre Finger ruhten an seiner Wange. Jack konnte dem Duft nicht entgehen, der sein Gesicht umwehte. Ihr Parfüm war ihm viel zu süß, zu aufdringlich. Er dachte an den Duft, den Casey trug. Der war ein verlockender Hauch, nicht mehr. Es war nicht gut, jetzt an sie zu denken. Verdammt, diese neue Casey ging ihm nicht aus dem Kopf. Wie würde sie sich bei Norton benehmen? "Ich habe Casey erzählt, daß Daddy weniger förmliche Abendessen vorzieht", sagte Nan, während sie durchs Zimmer ging und eine Vase und eine Lampe um einige Zentimeter verrückte. Sie nahm Jacks T-Shirt von der Sessellehne, faltete es und legte es zurück. "Er klang richtig aufgekratzt und meinte, die Hochzeit hätte ihm neue Lebenskraft geschenkt." Jack lächelte traurig. Es kannte Nortons Zustand. Der Mann konnte froh sein, wenn er das kommende Jahr überstand. "Meine Kinder!" Mit ausgebreiteten Armen kam Norton aus dem Haus, um Nan und Jack an sich zu drücken. Seiner Tochter gab er einen Kuß auf die Wange, Jack klopfte er auf den Rücken, bevor er die beiden anderen Gäste musterte. "Sie müssen Jacks Schwester sein", sagte er und ergriff Caseys Hand. "Meine Liebe, Sie sind viel zu hübsch für einen so männlichen Namen." "Immer noch besser als Cassandra", erwiderte sie lächelnd. "Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. Xavier." "Norton, bitte." Er starrte Dan an. "Wer zum Teufel sind Sie?"
Dans Lächeln gefror. Er streckte die Hand aus. "Schön, dich wiederzusehen, Onkel Norton." "Du stammst nicht von meiner Seite der Familie, oder?" "Dan ist Tante Jessicas Sohn, Daddy." Nan schmiegte sich an den Arm ihres Vaters. "Du erinnerst dich?" Norton runzelte die Stirn. " Jessica hat diesen Wissenschaftler geheiratet, nicht? Den, der mit Mäusen spielte." "Er war in der medizinischen Forschung." Ihr Vater musterte Dan. "Du siehst deiner Mutter nicht ähnlich", sagte er, als wäre das ein Vorteil. "Ich hoffe, du kommst nicht nach deinem alten Herrn." "Ich hasse Mäuse." Dan grinste. Norton schüttelte den Kopf. "Ein Scherzbold. Gehen wir hinein." Ohne sich umzusehen, ging er hinein. Jack betrat das Haus als letzter und genoß den Anblick, den Casey ihm in einem neuen aufregenden Outfit bot. Plötzlich schaute sie über die Schulter und zwinkerte ihm zu. Er stolperte auf der letzten Stufe und wäre fast gestürzt. "Dies ist ein besonderer Anlaß, da gibt es nur das Beste", verkündete Norton, während er Champagner einschenkte und die Gläser verteilte. Er hob seines. "Auf meine geliebte Tochter und ihren Mann. Mögen sie die Dynastie der Xaviers fortsetzen." Er lächelte. "Ich meine natürlich die der Larsons." Casey warf Jack einen Blick zu und nippte am Glas. "Ihr Arzt sähe es bestimmt nicht gern, daß Sie Champagner trinken", sagte sie zu ihrem Gastgeber. Norton schmunzelte. "Mein Arzt weiß, daß ich mir seine Ratschläge zwar anhöre, sie aber nicht immer befolge." Er füllte sein Glas. Casey ging zu ihm, nahm es ihm aus der Hand und stellte es ab. "Gegen ein Glas hätte er sicher nichts einzuwenden, aber zwei sind entschieden zuviel.""
Sie spürte Nans Nervosität und wußte, was es bedeutete. Niemand machte Norton Xavier Vorschriften. Aber Norton lachte nur. "Sie sind Ärztin, kein Zweifel", sagte er mit einem versöhnlichen Lächeln. "Glauben Sie mir, ich kenne meinen Körper besser als jeder Mediziner." Casey betrachtete ihn. "Sie spielen lieber Golf als Tennis, und nach einem anstrengenden Match trinken Sie einen Scotch on the rocks. Ihr Blutdruck ist hoch, nicht nur weil Sie viel und hart arbeiten, sondern auch weil Sie nicht auf salzige und fettreiche Kost verzichten. Und ich wette, Sie gönnen sich täglich einen Brandy als Schlummertrunk." "Cognac", gestand er widerwillig. "Sie sprechen aus, was Sie denken." "Stimmt", erwiderte sie sanft. "Ich möchte, daß meine Patienten leben." "Das will wohl jeder", meinte Norton. "Es zu wollen und das Notwendige dafür zu tun, sind zwei verschiedene Dinge." Sie schaute ihm in die Augen. Nortons Lächeln verblaßte. "War sie schon immer so?" fragte er Jack. Jack sah aus, als müßte er ein Grinsen unterdrücken. "Als sie jünger war, war sie noch schlimmer. Als Stationsärztin war sie für Ihre Strenge bekannt." Casey zuckte mit den Schultern. "Meine Patienten mochten mich nicht, aber sie taten, was ich sagte." Norton schaute zu Dan hinüber, der in einem Sessel saß, der zweihundert Jahre zuvor im Rittersaal eines französischen Schlosses gestanden hatte. "Wenn du nicht so enden willst wie dein Vater, behalt diese Frau im Auge", rief er. "Sie hat Schneid. Welches Handicap haben Sie?" fragte er Casey. "Ich spiele kein Golf." "Nein. Ich dachte, die Ärztekammer wirft jeden hinaus, der nicht Golf spielt."
"Also wirklich, Daddy", mischte Nan sich ein. "Hör auf, Casey zu ärgern." Lächelnd ging Casey zu einem Sofa, setzte sich und schlug die Beine übereinander, so daß ihr Rock noch ein wenig höher rutschte. "Daddy sieht so gut aus wie seit Monaten nicht mehr", sagte Nan. "Stimmt." Jack stellte sich neben Nans Sessel. Sie klopfte aufs Polster, er setzte sich zu ihr, und sie schob die Finger zwischen seine. Casey war froh, daß sie in der Ausbildung gelernt hatte, ihre Gefühle zu verbergen. Zu sehen, wie ihr Mann mit einer anderen Frau Händchen hielt, bereitete ihr Übelkeit. Sie konnte nicht glauben, daß sie sich auf diese Farce eingelassen hatte. Natürlich sehnte auch sie sich nach Zärtlichkeit, nach Leidenschaft ... aber nicht mit einem anderen Mann. Im Urwald hatte Greg versucht, sie zu verführen. Er hatte vorgeschlagen, Adam und Eva zu spielen und fern der Zivilisation eine neue Dynastie zu gründen. Casey bewunderte seine Intelligenz, aber sein Körper reizte sie nicht. Er schmollte, tröstete sich aber schnell mit einigen Indianerinnen. Bei ihrer Rückkehr hatte sie sich etwas geschworen. Wenn sie Greg je wiedersah, würde sie ihn an das blaue Auge erinnern, das sie ihm damals verpaßt hatte. Norton saß in einem Sessel mit hoher Lehnte, der einem Thron glich. Für einen Mann, der angeblich dem Tod nah gewesen war, wirkte er äußerst lebendig. Caseys Blick wanderte wie von selbst zu Jack. Wie war sie nur auf die Idee gekommen, daß sie ihn wie einen Bruder behandeln könnte? Sie wußte, daß er sich jeden Morgen noch vor dem Duschen und dem ersten Kaffee die Zähne bürstete. Er trank heißen Tee, wenn er erkältet war, und zog Boxershorts Slips vor. Sie wußte, wie rauh seine Haut unter
ihren Fingerspitzen war ... wie er schmeckte, wenn er sie küßte ... wie seine Hände sich anfühlten, wenn er sie streichelte ... Sie saß da und spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen. Sie nippte am Champagner und hoffte, er würde auch ihre Gedanken abkühlen. Er tat es nicht. Jack wurde das Gefühl nicht los, daß etwas nicht stimmte. Norton Xavier saß auf seinem Thron und sah viel zu fröhlich aus für einen angeblich todkranken Mann. "Also, wann werde ich mein erstes Enkelkind sehen?" fragte Norton. Nan verschluckte sich. Jack erstarrte. "Daddy, gib uns ein wenig Zeit", murmelte sie. "Die habe ich nicht", erwiderte ihr Vater. "Ich möchte wissen, daß ihr ein Kind bekommt, damit das Unternehmen in der Familie bleibt." "Ich dachte, du hättest dich zur Ruhe gesetzt, um dir keine Sorgen mehr ums Geschäft zu machen", sagte Jack. "Ich habe mich zur Ruhe gesetzt, damit mein Nachfolger eingearbeitet ist, wenn ich sterbe", antwortete Norton. "Aber das heißt nicht, daß ich nicht mehr darüber nachdenke. Xavier Electronics ist seit zwei Generationen führend in seiner Branche, und ich will, daß es so bleibt." "Nan will expandieren, also brauchst du nichts zu befürchten", versicherte Jack ihm. "Ich habe ihre Vorschläge gelesen." "Ich weiß, ich kann mich auf dich verlassen, mein Junge." Jack schüttelte innerlich den Kopf. Wann würde Norton endlich begreifen, daß Nan die Gesellschaft auch allein leiten konnte? Jack hatte die Führungsposition nur übernommen, um allen klarzumachen, daß Nan das Sagen hatte. Der alte Herr schien das nicht zulassen zu wollen.
"Nan und ich sind das ideale Team, Norton. Warte nur ab. Und jetzt ..." Jack hob das Glas. "Wir sind hier, um mit dir zu Abend zu essen, nicht um übers Geschäft zu sprechen." Norton lachte. "Du mußt noch viel lernen, Junge." Nan stand auf. "Setzen wir uns an den Tisch", sagte sie mit der melodischen Stimme der perfekten Gastgeberin. Sie nahm Jacks Hand und führte ihn hinaus. Norton erhob sich und ging zu Casey, bevor Dan reagieren konnte. "Darf ich Sie zu Tisch geleiten?" fragte er mit einer leichten Verbeugung. "Gern", erwiderte sie und legte die Hand auf seinen Arm. "Nach dem Essen gebe ich Ihnen eine Liste von Leuten, mit denen Sie sprechen sollten, wenn Sie hier eine Praxis eröffnen wollen", sagte er auf dem Weg ins Eßzimmer. "Danke", murmelte sie. Was das Essen betraf, behielt sie recht. Es gab Kalbsbraten in Sahnesauce, Gemüse mit Käsesauce. Nach drei Jahren, in denen sie sich fast ausschließlich vegetarisch ernährt hatte, fiel es ihr schwer, Fleisch zu essen. "Sie essen nicht viel, was?" Norton zeigte mit der Gabel auf ihren Teller. "Ich fühle mich morgens besser, wenn ich abends weniger esse", erwiderte sie. Norton sah sie an, und sie vermutete, daß er immer weitsichtiger wurde, es jedoch nicht zugab. "Sie waren ein rebellisches Kind, nicht wahr?" "Im Gegenteil, ich war sehr brav", sagte sie leise. "Tagsüber hatte ich Privatlehrer, abends machte ich Hausaufgaben, und am Wochenende war ich mit speziellen Projekten beschäftigt." Alle Blicke richteten sich auf sie, aber sie ließ sich ihre Verlegenheit nicht anmerken. "Ich war heilfroh, als sie Privatunterricht bekam", brach Jack das Schweigen. "Bis dahin war sie immer die Schulbeste
gewesen." Er prostete ihr zu. "Aber dank ihr habe ich in Mathe bestanden." Casey war ihm dankbar für sein Eingreifen. Daß sie so offen über ihre Kindheit sprach, konnte nur am Champagner liegen. "Also, Daniel", dröhnte Norton. "Erzähl mir, was du getrieben hast, seit ich dich zuletzt gesehen habe." "Daddy, Dan war damals sieben", sagte Nan. "Gut, dann erzähl mir, was du in den letzten sechs Monaten getrieben hast." Noch nie zuvor war Casey so erleichtert gewesen, daß ein Abend zu Ende ging. Nach dem Essen führte Norton sie beiseite und schrieb ihr eine Liste mit Ärzten und Klinikchefs. Als sie ihm sagte, daß sie eine allgemeinärztliche Praxis eröffnen wollte, riet er ihr, sich zu spezialisieren. Als sie endlich wieder in Nans Mercedes saß, setzten die Kopfschmerzen ein. Daß Dan neben ihr saß und sein Duft ihr in die Nase stieg, trug auch nicht gerade zu ihrem Wohlbefinden bei. "Was hältst du davon, wenn wir das junge Paar morgen allein lassen und zusammen essen gehen", flüsterte er. "Ich denke, ich werde mir einen ruhigen Abend gönnen", erwiderte sie und war versucht, ihm den Ellbogen in den Magen zu rammen. Für jemanden, der immer ruhig und gelassen gewesen war, entwickelte sie ziemlich gewalttätige Ideen. Die Frage war nur, ob sie mit Jack oder Dan beginnen würde. Casey entging nicht, mit welch leuchtenden Augen Nan Jack ansah, und beschloß, mit ihrem Ehemann anzufangen.
5. KAPITEL Casey wollte nur noch schlafen. Schlaf war gut gegen Kopfschmerz. Außerdem war es schon nach Mitternacht. Aber wie könnte sie schlafen, wenn jemand ans Fenster klopfte? Sie drehte sich um und schlug müde die Augen auf. "Geh weg." "Wir müssen reden, Casey." "Was soll das, Jack? Willst du die Nacht zwischen deinen beiden Ehefrauen aufteilen? Wie gerecht von dir." Es klang nicht so sarkastisch, wie sie wollte, weil sie gähnen mußte. Sie hörte, wie das Fenster geöffnet wurde, setzte sich auf und rieb sich das Gesicht. Jack kletterte herein und setzte sich ans Fußende des Bettes. "Kann das nicht bis morgen warten?" "Es ist schwer, dich allein zu erwischen, solange Cousin Dan in der Nähe ist", knurrte er und machte es sich im Schneidersitz bequem. "Mach kein Licht. Dan könnte es als Einladung deuten." Casey verzog das Gesicht. Sie hatte ihr Möglichstes getan, um dem anderen Hausgast zu zeigen, daß sie sein Interesse nicht erwiderte. Aber Dan ignorierte es einfach.
"Wie lange soll das so weitergehen, Jack? Mr. Xavier scheint nicht so krank zu sein, wie er dir und Nan erzählt hat. Ich muß sagen, die Sache gefällt mir nicht." "Was glaubst du, wie ich mich fühle?" erwiderte er: "Dich wie eine Schwester zu behandeln ist gar nicht so einfach." "Nein? Bevor ich zu meiner Expedition aufbrach, gab es oft Zeiten, in denen ich für dich eher deine Schwester als deine Ehefrau zu sein schien", sagte Casey leise. Jack senkte den Blick. "Das habe ich nur getan, weil du mich wie deinen Bruder behandelt hast." Casey hörte die Trauer in seiner Stimme. "Schade, daß wir jetzt nicht mehr nachholen können, was wir alles versäumt haben." "Ja." Sie sah ihn an. "Du hattest offenbar andere Pläne, nicht wahr?" sagte sie kühl. "Pläne, in denen ich nicht vorgesehen war." Sie setzte sich auf, und die Decke glitt an ihr hinab. Sie achtete nicht darauf. Schließlich sah Jack sie nicht zum erstenmal im Nachthemd. "Ich habe es dir doch erklärt. Norton lag im Sterben und wollte Nan in guten Händen wissen. Er bestand darauf, daß sie einen Mann heiratete, der nach seinem Tod die Firma übernehmen konnte. Aber Nan ist die ideale Nachfolgerin für ihn, und ich werde dafür sorgen, daß sie es auch wird." ' "Wie nett von dir", sagte sie. "Ich hatte keine Ahnung, daß du ein so weiches Herz hast, Jonathon." Ihr beißender Tonfall ärgerte ihn. Könnte er ihr doch nur erzählen, daß er Norton Xavier praktisch sein Leben verdankte. Aber er konnte ihr nicht sagen, wie verzweifelt er gewesen war. Sie hatte ihm bereits erklärt, daß sie das nicht als Rechtfertigung akzeptierte. "Das ist nicht fair." "Wer hat behauptet, das Leben sei fair?" Casey hob das Kinn. "Ich habe drei Jahre lang ohne Dusche oder Wasserhahn gelebt, Seife aus Wurzeln benutzt, Käfer gegessen und in meinem
Verdauungsapparat ziemlich unangenehme Parasiten beherbergt. Ich habe mich gefragt, ob ich den Kulturschock bei meiner Rückkehr verkraften würde. Aber ich hatte keine Angst davor, weil ich wußte, daß du dasein und mir helfen würdest." Ihre Stimme begann zu zittern, und sie riß sich zusammen. "Ich kam mir vor, als wäre ich auf einem anderen Planeten gelandet. Und wer hat mir geholfen? Militärpsychologen und Wissenschaftler vom Institut, die mehr an meinem Verstand als an meiner Seele interessiert waren. Ich hatte Angst vor Autos, vor Menschenmengen, vor all den Dingen, die mir so fremd geworden waren. Ich ..." Sie konnte nicht weitersprechen und holte tief Luft. "Ich..." Jack stockte der Atem. Während er den Luxus genossen hatte, hatte sie unter primitivsten Bedingungen gelebt. Und als sie zurückkehrte, war nichts mehr so, wie sie es kannte. Nicht einmal ihr eigener Ehemann. Ohne nachzudenken, streckte er die Arme aus und zog sie auf seinen Schoß. "O Casey", seufzte er. "Hätte ich es doch nur früher erfahren." Er legte das Kinn an ihren Kopf. "Warum? Du hast deinen Namen und dein ganzes Leben geändert, um eine Frau zu heiraten, die Millionen besitzt." "Milliarden, um genau zu sein. Aber das hat nie eine Rolle gespielt", beteuerte er. "Wenn sie nicht so nett wäre, würde ich sie hassen." Casey zog sein Hemd aus der Hose und fuhr sich damit über die Augen. "Was du getan hast, ist Bigamie." "Wichtig ist nur, daß Norton glaubt, Nan und ich wären verheiratet." "Aber Nan will eine richtige Ehe." "Nur nach außen." "Glaub mir, sie will dich", flüsterte Casey und stieß mit dem Zeigefinger gegen seine Brust. "Heute abend hat sie dich
angesehen wie das allererste Schokoladeneis nach einer langen Diät." Jack hörte nicht mehr hin, sondern starrte dorthin, wo das Nachthemd verrutscht war. Ihre Schulter war überall gebräunt, nirgends hell. Bedeutete das, daß sie am ganzen Körper braun war? Drei Jahre im Urwald. Er dachte an all die Tarzan-Filme, die er als Junge gesehen hatte und in denen Jane von Mal zu Mal weniger angehabt hatte ... "Du gehst jetzt besser", sagte Casey. Er bewegte sich nicht. "Wir haben viel zu bereden." "Ja, das haben wir, aber nicht hier und nicht jetzt." Jack rührte sich nicht von der Stelle. "Geh zurück zu deiner Frau, Jack", sagte Casey, als die Anspannung unerträglich wurde. "Du bist meine Frau." Ihr Gesicht war wie in Marmor gehauen. "Nicht heute nacht." Leise fluchend kletterte er vom Bett und ging zur Tür. "So, wie du hereingekommen bist, Jack", ermahnte sie ihn leise. Er wirbelte herum und stieg durchs Fenster. "Träum nichts Schönes", knurrte er, als er es hinter sich schloß. Casey ließ den Kopf sinken. Zwanzig Minuten später schlug sie noch immer auf das Kissen ein, als wäre es Jack. Caseys Schlaf war nicht unruhig gewesen, und ihre Träume nicht unschön. Im Gegenteil, sie waren viel zu angenehm gewesen! Sie konnte sich nicht erinnern, je zuvor so erotische Träume gehabt zu haben. Sie verwünschte Jack, während sie sich starken Kaffee kochte. Als sie ihn probierte, rümpfte sie die Nase, trank das bittere Gebräu aber trotzdem. Dann setzte sie sich mit der Tasse und einem Notizblock an den Tisch, um ihren Lebenslauf zu schreiben. Als sie fertig war, überflog sie die Daten.
"Was für ein langweiliges Leben ich hatte", sagte sie. "Schule und Arbeit. Und jetzt will ich schon wieder arbeiten." "Dann sollten wir ein wenig spielen", ertönte eine Männerstimme. Als Casey hochsah, stand Dan in der Küche. "Von Anklopfen hältst du wohl nichts?" "Danke, ich hätte sehr gern einen Kaffee." Er nahm einen Becher heraus und goß ihn sich voll. "lii!" Er verzog das Gesicht, öffnete einen anderen Schrank und suchte darin, bis er ein Glas Kaffeeweißer fand. "Etwas anderes hält einen nicht wach, wenn man eine Sechsunddreißig-Stunden-Schicht hat", erklärte Casey und hielt ihre Tasse hoch. Dan füllte sie ihr. "Was tust du?" Er reckte den Hals, um auf den Block zu schauen. "Ich schreibe meinen Lebenslauf. Ich dachte, ich sehe mich mal um, was es hier für Möglichkeiten gibt." "Norton ... ich meine, Onkel Norton will dir doch helfen." Dan setzte sich zu ihr an den Tisch. "Ich sehe mich lieber selber um." "Das wird dem alten Herrn nicht gefallen." "Und wenn schon." Sie seufzte. "Warum bist du hier?" Dan zuckte mit den Schultern. "Ich dachte mir, du würdest vielleicht gern irgendwo zu Mittag essen und dir die Gegend anschauen. Außerdem könnte ich Tüten tragen, falls du einen Einkaufsbummel unternehmen möchtest." Er lächelte. "Wir könnten die Küste entlangfahren." Casey zog mehrere Blätter aus dem Block und gab sie ihm. "Ich habe eine bessere Idee. Du willst dir doch auch einen Job suchen. Warum arbeitest du nicht an deinem Lebenslauf?" Dan rührte das Papier nicht an. "Nur wenn du versprichst, heute nachmittag mit mir schwimmen zu gehen." "Ich lasse mich nicht erpressen."
"Anders wirst du mich nicht los. Ehrenwort." Er hob zwei Finger zum Pfadfinderschwur. Schmunzelnd schüttelte Casey den Kopf. "Irgendwas sagt mir, daß du nie Pfadfinder warst." "Stimmt, aber ich kannte viele Pfadfinderinnen." Casey setzte sich an Nans PC, um ihren Lebenslauf zu tippen und auszudrucken. Wie versprochen las sie Dans Lebenslauf, machte einige Änderungsvorschläge und entspannte sich am Pool. "Warum suchen wir uns nicht eine einsame Stelle am Strand?" Dan saß am Fußende ihrer Liege. Sie schob ihn mit dem Fuß fort, bis er fast herunterfiel. "Mir gefällt es hier. Geh mir aus der Sonne." "Weißt du, wenn du dich mit deiner neuen Schwägerin gut stellst, brauchst du dir keine Geldsorgen mehr zu machen", sagte er, während er sein Badetuch faltete und sich draufsetzte. Casey hielt die Augen geschlossen. Sie wollte Dan nicht ansehen, denn dann wäre sie versucht, ihm eine zu kleben, und hätte seine bestimmt sehr teuren Jacketkronen ruiniert. "Ich ziehe es vor, meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen", sagte sie gelassen. Er strich mit den Fingern über ihren Schenkel. Sie hob die Sonnenbrille an. "Dan, ich habe dich eingeladen, mir am Pool Gesellschaft zu leisten. Davon, daß du auf meinem Oberschenkel Blindenschrift üben sollst, habe ich nichts gesagt. Geh schwimmen und kühl dich ab." "Komm mit." "Ich bin beschäftigt." Dan stand auf. "Dann habe ich nur eine Wahl." Er hob sie einfach von der Liege. "Dich mitzunehmen!" rief er und rannte zum Pool. "Wasserspiele?" Eine kühle Männerstimme ertönte in genau dem Moment, in dem Dan Casey ins Becken werfen wollte.
Casey schaute nach hinten. Am Rand der Terrasse standen Jack und Nan. Beide schienen von dem, was sie sahen, nicht begeistert zu sein. "Setz mich ab", befahl Casey leise. "Okay." Dan grinste. Er breitete die Arme aus, aber Casey hielt sich fest und zog ihn mit ins Wasser. Prustend kam sie wieder an die Oberfläche. "Du Idiot!" keuchte sie und schwamm zum Rand. "Was war denn das für ein schwachsinniger Trick?" fragte Jack und eilte zum Pool. Dort ging er in die Hocke und streckte Casey die Hand entgegen. Sie packte das Gelenk, und er zog sie aus dem Wasser. "Liebling, reg dich doch nicht so auf", tadelte Nan ihn lächelnd. "Ich soll mich nicht aufregen, wenn er meine Schwester in Gefahr bringt?" knurrte Jack, während er Casey auf den Rücken klopfte. "Ich ersticke nicht!" rief Casey hustend. "Aber ich tue es gleich wenn du so weitermachst." Sie schüttelte seine Hand ab. "Wo zum Teufel ist der Rest deines Bikinis?" Casey zuckte zusammen, als Jack ihr direkt ins Ohr schrie. "Willst du mich taub machen?" fragte sie verärgert. "Was ist jetzt dein Problem?" Als Antwort zog er das Badetuch von der Liege und drapierte es um ihre Hüften. "Dein ganzer Po ist zu sehen", brummte er. "Das ist ein String-Bikini, Jack. Man soll ihn sehen", erwiderte sie und riß sich das Tuch vom Körper. Er nahm es ihr aus der Hand und versuchte, es erneut um ihre Taille zu wickeln, doch sie wich ihm behende aus. "Du meine Güte, Jack, Casey ist doch kein Kind mehr. Hör auf, den großen Bruder zu spielen", rief Nan und hakte sich bei ihm ein. Ihr Lächeln verblaßte, als sie Dan ansah. "Hast du den ganzen Nachmittag am Pool verbracht?"
Auch Casey funkelte ihn an. "Laß mich eins klarstellen. Ich hasse es, wenn man mich ins Wasser wirft. Wenn du das noch einmal tust, wirst du dein blaues Wunder erleben." "Ich habe doch nur Spaß gemacht." "Die Art von Spaß mag ich nicht." Sie schob sich das nasse Haar aus dem Gesicht und ging davon. Jack starrte auf ihren fast nackten Körper. Ihr Po war so gebräunt wie der Rest. Kannte man am Amazonas keine Kleidung? War das der Anblick, den sie Greg geboten hatte? "Jack, was ist los?" Erst als Nan ihn aus seinen finsteren Gedanken riß, wurde ihm bewußt, daß das Stöhnen, das er gehört hatte, von ihm selbst kam. "Ich muß mich für Jacks Benehmen entschuldigen." Nan reichte Casey ein Glas Mineralwasser mit Zitrone. Sie saßen auf der Terrasse, während die Männer sich um den Grill kümmerten. "Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist." Casey ahnte es, behielt es jedoch für sich. "Wahrscheinlich hat er nur vergessen, daß seine kleine Schwester inzwischen erwachsen ist." Sie hielt sich das kühle Glas an die Wange und hob den Kopf, um die frische Meeresbrise zu genießen. Jacks heißer Blick, als er ihren knappen Bikini sah, war ihr nicht entgangen. Deshalb hatte sie sich viel Zeit genommen, um etwas Angemessenes für das Abendessen auszuwählen. "Ich habe heute ein paar Anrufe gemacht und mich nach offenen Stellen erkundigt", erzählte sie. "Außerdem habe ich Dan bei seinem Lebenslauf geholfen. Seine Rechtschreibung läßt wirklich zu wünschen übrig." "Daddy wollte doch seine Beziehungen spielen lassen", erinnerte Nan sie. "Laß mich eins klarstellen, Nan. Niemand soll behaupten können, daß ich euch ausnutze." "Glaub mir, Daddy läßt sich von niemandem ausnutzen. Er hat es dir angeboten, weil er dich mag." Nan lächelte. "Ich
vermute, er mag dich, weil du dich von ihm nicht einschüchtern läßt." "Ich habe vor einigen Jahren beschlossen, daß das Leben zu kurz ist, um meine Meinung zu verstecken. Ich versuche, niemanden zu verletzen, aber ich will auch nicht lügen." "Wie Jack", erwiderte Nan sanft und warf ihrem Mann einen sehnsüchtigen Blick zu. "Er hat versprochen, mich nie anzulügen, und hat es bisher auch nicht getan." Casey war nicht sicher, wohin dieses Gespräch führen würde. Aber eines wußte sie. Sie wollte von Nans Gefühlen nichts hören. "Daddy und Jack sind einander sehr ähnlich", fuhr Nortons Tochter fort. "Sie mögen es, Leuten zu helfen. Ohne Jack hätte ich nie die Chance erhalten, dem Vorstand zu beweisen, wozu ich fähig bin." Casey rang sich ein Lächeln ab. "Ja, im Grunde ist er ein erwachsener Pfadfinder. Jeden Tag eine gute Tat." "Die beiden verstehen sich gut, nicht wahr?" Dan zeigte mit der Bierdose auf Casey und Nan. "Ja, das tun sie", erwiderte Jack und fragte sich nervös, worüber die beiden Frauen so angeregt sprachen. Er hatte eine harte Nacht hinter sich. Wie hätte er schlafen können, wenn er immerzu daran dachte, wie Casey in ihrem aufregenden Nachthemd aussah. Außerdem ging ihr Duft ihm nicht aus der Nase. Gut, daß Nan ins zweite Schlafzimmer gezogen war, damit er sich in Ruhe von seiner Erkrankung erholen könnte. Er hatte an die Decke gestarrt und gewünscht, er wäre wieder im Gästehaus. Müde war er ins Büro gefahren und hatte sich von grinsenden Kollegen fragen lassen müssen, warum er nicht in den Flitterwochen war. Anschließend war er nach Hause gekommen und hatte Casey und Dan wie zwei Teenager am Pool spielen sehen. Und dann noch Caseys knapper Bikini!
Er konnte sich nicht erinnern, daß sie jemals etwas so Verführerisches getragen hatte. Nicht einmal im Bett. Aber die Casey von heute war eben nicht die Cassandra von damals. "Du hättest nicht den Beschützer zu spielen brauchen", meinte Dan und nahm einen Schluck Bier. "Deine Schwester ist bei mir in guten Händen." Jack durchbohrte ihn mit einem Blick. "Sie macht im Moment eine schwere Zeit durch und braucht keinen Typen, der ihr nachstellt." Überrascht zog Dan die Brauen hoch. "Das klingt, als hätte ich keinerlei Skrupel." "Wenn du meinst", knurrte Jack und wendete die Hähnchenfilets. Dan starrte auf die Dose, die er fast in der Hand zerdrückt hätte. "Nan hätte jeden Mann der Westküste haben können", sagte er leise. "Aber sie mußte einen nehmen, der ihrem Daddy gefällt. Ich werde nie begreifen, was er an dir findet." "Vielleicht die Tatsache, daß ich Skrupel habe." Bevor Dan etwas erwidern konnte, kam Nan angeschlendert und erkundigte sich, wann sie essen könnten. "Gleich", sagte Jack. "Dan, holst du Teller aus dem Haus?" Dan salutierte übertrieben und ging hinein. Nan schaute ihm nach. "Jack, gibt es Probleme zwischen dir und Dan?" "Mir gefällt seine flapsige Art nicht." "Und auch nicht, daß er an deiner Schwester interessiert ist." Sie lächelte betrübt. "Vielleicht hätte ich ihn nicht einladen sollen, bei uns zu wohnen." Jack schüttelte den Kopf. "Mach dir keine Gedanken. Wir führen eine ungewöhnliche Ehe, warum sollten unsere Verwandten uns also in Ruhe lassen? Ist damit zu rechnen, daß noch mehr Cousins auftauchen?" scherzte er, um die Stimmung aufzulockern.
Nan schmunzelte. "Wenn du nicht noch mehr Schwestern hast, gibt es auch keine Cousins mehr." "Casey ist die einzige, das verspreche ich dir." "Ehrlich, Jack, du benimmst dich, als wäre sie eher deine Frau." Sie tätschelte seinen Arm und ging davon. "Ich sehe mal nach, wo Dan so lange bleibt." Seufzend schob Jack das Fleisch auf dem Grill herum. "Mehr als eine Frau zu haben ist die reine Hölle", flüsterte er.
6. KAPITEL Jack konnte nicht schlafen. Schließlich holte er sich eine Flasche Wasser aus dem Minikühlschrank und ging auf den kleinen Balkon. Der Blick auf den Ozean war verlockend, aber noch reizvoller war die Aussicht auf das Gästehaus. Er wußte, daß das erleuchtete Fenster zum Schlafzimmer gehörte. Zu Caseys Schlafzimmer. Offenbar fand auch sie keinen Schlaf. Wäre er ein richtiger Mann, hätte er Nan heute abend die Wahrheit gesagt. Er hätte ihr verkündet, daß ihre Ehe ungültig war, weil er noch immer mit Casey verheiratet war. Daß er mit Casey an einen Ort reisen wollte, an dem sie einander wiederentdecken konnten. All das hätte er getan, hätte Nan nicht jene schicksalhaften Worte ausgesprochen, bevor jeder von ihnen sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte. "Danke, daß du mir diese Chance gibst, Jack", hatte sie geflüstert und ihn auf die Wange geküßt. "Danke, daß ich Daddy beweisen kann, wie gut ich bin." Also hatte er geschwiegen und sich dafür verachtet. Jetzt stand er auf dem Balkon, trank das gekühlte Wasser und dachte daran, daß seine Frau allein im Bett lag. Plötzlich spürte er, wie sich in ihm etwas regte. Ob sie das Nachthemd trug, das mehr enthüllte, als es verbarg? Jack trank noch einen Schluck Wasser, um seine Erregung zu dämpfen, aber es half nicht.
Wahrscheinlich mußte er sich erst in dem verdammten Zeug ertränken. Als das Telefon am Bett leise läutete, ließ er vor Schreck die Flasche fallen. Erst wollte er es ignorieren, doch nach dem vierten Läuten ging er hinein, um zu verhindern, daß Nan persönlich bei ihm erschien. "Ja?" "Habe ich dich geweckt?" Er ließ sich auf die Bettkante sinken. Vielleicht wurden Träume manchmal wahr. "Nein, Casey, ich war wach." Sie lachte. "Habe ich mir gedacht. Sonst hättest du mich angeknurrt. Ich habe Nan doch nicht gestört, oder?" "Nan ist nebenan und schläft wie ein Baby. Woher kennst du meine Nummer?" "Hier liegt ein nettes kleines Verzeichnis. Ich wollte dir Gelegenheit geben, dich für dein unmögliches Benehmen heute nachmittag zu entschuldigen." "Unmögliches Benehmen?" wiederholte Jack empört. "Der Mann hatte dich in den Armen und wollte dich in den Pool werfen. Ich habe nur deine Tugend verteidigt", sagte er. . "Die hast du mir schon vor Jahren geraubt." Er spürte, wie sich in ihm etwas zusammenzog. Was für einen Zauber übte Casey auf ihn aus? "Jack, bist du noch dran?" Ihre sanfte Stimme war wie ein Streicheln. "Ja", brachte er heraus. "Du willst also eine Entschuldigung. Okay, du entschuldigst dich dafür, daß du einen so knappen Bikini getragen und Reynolds fast alles von dir gezeigt hast, und ich entschuldige mich dafür, daß ich dich beschützen wollte." "Ich habe schon bessere Entschuldigungen gehört, aber ich begnüge mich damit", murmelte sie. "Hat dir mein Bikini gefallen?"
Er tastete nach der Schublade. Vor einem Jahr hatte er mit dem Rauchen aufgehört. Dies war der ideale Zeitpunkt, um wieder anzufangen. "Ich habe mich heute nach möglichen Jobs erkundigt", fuhr sie fort. "Wäre das ein Problem für dich? Daß ich hier in der Gegend arbeite?" Alles an dir ist ein Problem für mich. "Nein, natürlich nicht", log er. "Ich weiß, was dir dein Beruf bedeutet. Die Universität hier hat eine hervorragende Klinik und eine höchst angesehene Forschungsabteilung." Er hörte, wie die Decke raschelte, als sie sich bewegte, und wünschte, er könnte neben ihr liegen. "Ich will nicht in die Lehre oder Forschung zurück, Jack. Ich will praktizieren. Die vergangenen drei Jahre haben mich gelehrt, daß ich direkt mit den Patienten arbeiten muß." Ihre Stimme ging ihm unter die Haut und weckte seine erotische Phantasie. "Aber Norton hat recht, wenn er sagt, daß eine Allgemeinpraxis nicht so viel einbringt wie eine fachärztliche." "Dazu müßte ich mich für eine Fachrichtung entscheiden und eine Zusatzausbildung machen", protestierte sie. "Die Allgemeinpraxis ist abwechslungsreicher. Wenn überhaupt, würde ich Notfallmedizin wählen, aber die Ausbildung dauert sehr lange." Jack lächelte. Er hatte immer gewußt, daß sie das Zeug dazu hatte. "Dann eröffne eine Praxis." "Außerdem muß ich mir eine Wohnung suchen." Sie zögerte, um den nächsten Worten Nachdruck zu verleihen. "Ich glaube, ich sollte nicht länger hierbleiben." Er wollte ihr sagen, daß er sie gerade erst gefunden und nicht schon wieder verlieren wollte. "Nan wird es dir ausreden." "Sie wird mich verstehen." Ihre Decke raschelte, und er hätte schwören, daß er ihr Parfüm wahrnahm. "Ich sollte dich jetzt schlafen lassen."
Er ließ den Kopfs aufs Kissen sinken. "Wenn du morgen Vorstellungsgespräche führen willst, bist du diejenige, die ihren Schönheitsschlaf braucht." "Eins habe ich gelernt, Jack", flüsterte Casey. "Ich schlafe nicht sehr gut, wenn ich allein bin. Gute Nacht." Ein leises Klicken ertönte, als sie das Gespräch beendete. Jack schaffte es erst beim zweiten Versuch, den Hörer aufzulegen. Er legte sich das Kissen aufs Gesicht und stöhnte auf. Warum konnte nicht wieder alles so sein, wie es gewesen war? Am nächsten Morgen verließ Casey gerade das Gästehaus in einem eher konservativen kupferfarbenen Leinenkostüm, als vor ihr eine schwarze Limousine hielt. Ein Fenster verschwand nach unten, und Nortons Gesicht erschien. "Gut gewählt", lobte er und zeigte mit der Zigarre auf ihr Outfit. "Steigen Sie ein." "Sind wir verabredet?" fragte sie lächelnd. Er runzelte die Stirn. "Nan hat mir erzählt, daß Sie heute ein paar Leute treffen wollten. Wir werden mit dem Chef der Chirurgie am Oceanview Medical Center zu Mittag essen. Also steigen Sie ein." Er stieß die Tür auf. Casey zog die Augenbrauen hoch. Oceanview galt als eine der besten Kliniken an der Westküste. "Wie nett, daß Sie mich fragen, ob ich überhaupt interessiert bin." Sie stieg ein und machte es sich auf dem himmlisch weichen Polster bequem. Dann starrte sie auf Nortons Zigarre und rümpfte die Nase. Schmunzelnd drückte er sie aus. "Mein Großvater würde sagen, Sie stehen Ihren Mann." Sie dankte ihm mit einer anmutigen Kopfbewegung. "Warum haben Sie dieses Treffen arrangiert? Wo ist der Haken?" "Es gibt keinen", protestierte er. "Gerald ist nicht dumm und wird einsehen, daß Sie genau das sind, was er braucht."
Casey kam ein Verdacht. "Haben Sie etwa Nachforschungen über mich angestellt?" fragte sie scharf. "Damit Sie mit einem rostigen Skalpell auf mich losgehen? Nein, ich habe nur ein paar Mediziner nach einer gewissen Dr. Larson gefragt und erfahren, daß Sie in einem Alter Medizin studiert haben, in dem andere Mädchen darauf aus sind, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren", antwortete er unverblümt. "Sie haben an der Universität gelehrt und geforscht, wechselten dann aber zu einem Institut, das in Entwicklungsländern medizinische Zentren einrichtet. Was genau haben Sie dort getan?" "Ärzte werden überall auf der Welt gebraucht, Norton. Ich wollte meinen Beitrag leisten." Er musterte sie, aber sie wich seinem forschenden Blick nicht aus. "Sie und Ihr Bruder sind einander nicht sehr ähnlich." "Stimmt." Sie lächelte selbstsicher. "Wie war seine Frau?" Casey zuckte innerlich zusammen. "Sie war ein zurückhalten der Mensch, der sich in der Welt der Wissenschaft am vollsten fühlte", erwiderte sie leise. "Es war schwer, sie näher kennenzulernen, aber ich hatte das Gefühl, daß sie ihm eine gute Frau war. Die beiden waren glücklich. Leider habe ich sie nicht oft gesehen, obwohl wir alle drei an derselben Universität arbeiteten." "Jack hat nur wenig über sie erzählt", meinte Norton. "Als er hier ankam, war seine Trauer um sie noch sehr stark. Ich bin selbst Witwer und sagte ihm, daß die Zeit ihm darüber hinweghelfen würde. Ich gebe zu, ich habe ihm Nan ein wenig aufgedrängt, aber ich hatte meine Gründe. Sie braucht einen so stabilen Mann wie Jack. Wenn sie erst länger zusammen sind, werden sie schon merken, wie gut sie zueinander passen." Casey legte den Kopf auf die Seite und musterte ihn als Frau, nicht als Ärztin. "Norton, Sie wollen, daß die Leute nach Ihrer
Pfeife tanzen, nicht wahr? Egal, was sie selbst wollen. Das ist nicht gut, denn es könnte auch nach hinten losgehen." "Nicht bei Jack und Nan", sagte er selbstzufrieden. "Der Junge brauchte eine Frau und einen Grund, etwas aus seinem Leben zu machen. Ich habe ihm beides gegeben." Casey sah aus dem Fenster. Sie hatte den leisen Verdacht, daß sein Infarkt nicht so ernst gewesen war, wie er behauptete. Außerdem hatte er ihn als Druckmittel gegen Jack eingesetzt. Jack hatte keine Ahnung, das wußte sie, aber sie fragte sich, ob Nan informiert war. "Und jetzt, da Sie hier sind, werde ich dafür sorgen, daß auch Sie etwas aus sich machen", fuhr Norton fort. "Norton, ich möchte, daß Sie etwas wissen. Ich werde Sie beim Essen nicht blamieren und mir alles in Ruhe anhören. Aber sollte ich irgendwann erfahren, daß die Sache doch einen Haken hat, werde ich mein rostiges Skalpell herausholen und es dort einsetzen, wo es am meisten weh tut", versprach sie mit sanfter Stimme. Norton lachte, als hätte sie ihm einen tollen Witz erzählt. Doch sein Blick verriet ihr, daß er ihre Drohung nicht auf die leichte Schulter nahm. Norton machte Casey mit Dr. Gerald Montgomery bekannt und hielt sich zurück, während die beiden Ärzte über Medizin sprachen. Casey mochte den Mann und merkte bald, daß ihm seine Patienten wichtig waren. Schade war nur, daß sie dafür viel Geld bezahlen mußten. Sie nahm die Einladung an, sich das Medical Center am Tag darauf anzusehen. Als sie anschließend mit Norton in den Wagen stieg, strahlte er sie an. "Ich werde mir die Klinik nur ansehen", sagte Casey. "Natürlich", erwiderte er lächelnd. "Was halten Sie davon, wenn wir in der Firma vorbeischauen? Sie könnten Ihren Bruder besuchen. Ich werde nie begreifen, warum die beiden ihre Flitterwochen verschoben haben. Wenn der neue Vertrag erst
unter Dach und Fach ist, wird er keine Zeit dazu haben." Er wies den Chauffeur an, zur Firma zu fahren. Casey war nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber ganz sicher kein Firmengelände, das den Umfang eines Nationalparks zu haben schien. Überall standen Gebäude, umgeben von einem hohen Zaun. An den Eingangstoren kontrollierten bewaffnete Wächter jeden, der das Gelände betrat oder verließ. "Ein Unternehmen, das für das Verteidigungsministerium arbeitet, muß gut gesichert sein", erklärte Norton, nachdem der Uniformierte sie durchgewinkt hatte. "Außerdem haben wir eine Kindertagesstätte, eine voll ausgestattete Krankenstation und einen Hubschrauber für Notfälle." "Ich bin beeindruckt", gab sie zu. Am Empfang nahm er einen Besucherausweis und reichte ihn ihr. "Sie braucht sich nicht einzutragen", erklärte er der Angestellten. "Sir, das ist eine unserer eisernen Regeln", protestierte die junge Frau mit großen Augen. "Und eine sehr gute", stimmte Casey zu, während sie den Stift nahm und ihren Namen ins Besucherbuch schrieb. "Müssen alle Ärzte eine so grauenhafte Handschrift haben?" fragte Norton. "Unbedingt." Sie heftete sich den Ausweis an die Brusttasche und folgte ihm zu den Fahrstühlen. Norton nahm den letzten in der Reihe, betrat die Kabine und schob einen Schlüssel ins Schloß, bevor er auf den Knopf für die Chefetage drückte. Als die Tür kurz darauf aufglitt, sah Casey dicke Orientteppiche und antike Möbel. "Marcia", begrüßte Norton die junge Frau hinter dem eleganten Schreibtisch. "Sie sehen heute bezaubernd aus. Sind mein Schwiegersohn und meine Tochter zufällig verfügbar?" "Bestimmt, Mr. Xavier." Lächelnd gab sie eine Nummer in den Computer ein und sprach leise in das Mikrophon ihres unauffälligen Kopfhörers. "Gehen Sie durch, Mr. Xavier."
"Danke, Marcia." Er schlenderte einen Korridor entlang. Casey betrachtete die Bilder an den Wänden. "Sind alle Büros so eingerichtet?" Er schüttelte den Kopf. "Jeder hat seinen individuellen Stil. Hier oben bekommen die Mitarbeiter einen Betrag, den sie für die Einrichtung ausgeben können." Er öffnete eine Tür am Ende des Korridors und trat ein, ohne anzuklopfen. Jack und Nan saßen in einer Ecke des großen Raums und tranken gerade Tee. "Daddy, was für eine Überraschung." Nan stand auf, eilte ihrem Vater entgegen und küßte ihn auf die Wange. "Ich dachte mir, ich zeige Casey einmal, was ihr Bruder so den ganzen Tag treibt", verkündete Norton und nickte Jack zu. "Wir haben gerade mit Gerald Montgomery zu Mittag gegessen." Nans Augen wurden groß. "Casey, fängst du etwa im Medical Center an? Die nehmen nur die Besten." "Ich habe mich noch nicht entschieden." Sie sah zu Jack hinüber, der sich erhoben hatte. Er trug einen dunkelblauen Anzug, dazu ein blau-weiß gestreiftes Hemd und eine blaue Krawatte und sah gut aus. So gut, daß Casey sich im Büro umschaute, um ihn nicht anzustarren. "Norton." Jack schüttelte ihm die Hand. "Bist du sicher, daß du Casey nicht nur als Vorwand benutzt, um uns zu kontrollieren?" scherzte er. "Wie schön zu sehen, daß mein großer Bruder fleißig ist." Casey lächelte zuckersüß. "Dabei dachte ich, daß Manager nur in Werbespots herumsitzen und Kaffee trinken. Hier spielst du also den Chef." Sie ging ans Fenster. "Was für eine Aussicht." Casey spürte Jacks Nähe, als er hinter sie trat, und hörte, wie Norton Nan etwas fragte. "Also läßt du dir jetzt doch von Norton eine Praxis suchen?" flüsterte Jack, damit niemand sie hörte. Sie drehte .sich nicht um. "Warum nicht? Ich könnte lernen, Golf zu spielen, drei Tage pro Woche zu arbeiten und trotzdem
eine Menge Geld verdienen, indem ich mich um Leute kümmere, die mehr davon haben, als sie ausgeben können." "Ich dachte, du hättest deine wahre Berufung darin gefunden, dich um arme Eingeborene zu kümmern und in einer Strohhütte zu leben?" "Hör auf, mit Steinen zu werfen, Jonathon." Ihre Stimme war sanft, aber eindringlich. "Du lebst in einem Haus, das auf lauter Lügen errichtet ist. Wenn du nicht aufpaßt, stürzt es ein." "Verdammt, Casey. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn du nicht zurückgekommen wärst", knurrte er, bevor er davonschlenderte. "Vielleicht", wisperte sie und schaute aus dem Fenster, ohne irgend etwas zu sehen. "Jack, hörst du mir überhaupt zu?" Die Ungeduld in Nans Stimme ließ ihn zusammenzucken. "Ja", log er. Sie baute sich vor ihm auf, stützte die Hände auf die Hüften und legte ihre hübsche Stirn in Falten. "Was habe ich gesagt?" "Daß es ein Problem mit unserem Zulieferer in Little Rock gibt." "Kansas City." "Richtig." Er nickte. "Kansas City." Sie seufzte übertrieben. "Jack, einer von uns muß hinfliegen und die Sache klären." "Du solltest fliegen", erwiderte er. "Du kennst dich besser aus als ich." "Warum fliegen wir nicht zusammen?" Sie setzte sich auf die Kante des Schreibtischs und ließ ein Bein so baumeln, daß es sein Knie streifte. "Sie erwarten, daß du mitkommst." "Genau deshalb solltest du allein dort erscheinen", beharrte Jack. "Dann merken sie gleich, daß sie entweder mit dir verhandeln oder uns als Kunden verlieren."
Nan lächelte. "Vielleicht hast du recht. Ich kann sehr überzeugend sein", sagte sie mit leiser Stimme und strich ihm mit dem Zeigefinger langsam über das Knie. Jack erstarrte. Seine Frau wollte ihn hier im Büro verführen, obwohl jeden Moment jemand hereinkommen konnte! Er hatte einmal gelesen, daß das Risiko, ertappt zu werden, Sex manchmal erotischer und aufregender machte. Bei ihm bewirkte es das absolute Gegenteil. Zumal die Frau, deren Hand an seinem Schenkel hinauf glitt, nicht seine Ehefrau war, und der Duft seiner richtigen Ehefrau noch im Raum schwebte. Nan spürte seine Nervosität, nahm die Hand von seinem Bein und sah ihn an. "Also ehrlich, Jack, wir sind verheiratet", sagte sie spöttisch. "Wir dürfen es." "Nicht, wenn jemand hereinkommen könnte", murmelte er und stand auf. Auch Nan erhob sich, Sie kam um den Schreibtisch herum. "Ich bezweifle, daß jemand hereinkommt, ohne vorher anzuklopfen." Sie goß sich einen Kaffee ein und drehte sich zu ihm um. "Jack, ist alles in Ordnung?" "Natürlich. Wieso?" Er hatte Mühe, nicht panisch zu klingen. "Weil du seit der Hochzeit ganz anders bist. Bereust du, daß wir geheiratet haben?" . Jack ging zu ihr. Lächelnd legte er die Hand an ihre Wange. "Ein Mann, der bereut, dich geheiratet zu haben, sollte zum Psychiater gehen." Er küßte sie flüchtig. "So, wenn die Chefin nichts dagegen hat, ziehe ich mich in mein Büro zurück und tue so, als würde ich arbeiten. Schließlich müssen wir unseren Mitarbeitern ein Vorbild sein. Stell dir vor, sie erwischen uns dabei, wie wir uns um den Schreibtisch jagen. Wie würden wir uns dann fühlen?" "Glücklicher?" flüsterte sie, während sie ihm nachsah. "Es ist wirklich schade, daß ich jetzt weg muß. Ich hatte gehofft, wir könnten uns besser kennenlernen", sagte Nan,
während sie Casey in ihr Ankleidezimmer führte. Zwei geöffnete Koffer lagen bereit. "Stört es dich, wenn ich packe?" "Überhaupt nicht." Casey schaute in den begehbaren Schrank, der so groß war wie die meisten Schlafzimmer. Nans Garderobe war nach Jahreszeiten, Farben und Anlässen geordnet. Es gab Regale für Schuhe und Schubladen für Wäsche und Accessoires. "Trägst du das alles?" Sie nahm ein hellblaues Satinkleid mit perlenbesticktem Oberteil heraus. "Nein. Aber irgendwie habe ich nie Zeit, wenn ich etwas brauche. Ich lasse einkaufen." "Ich dachte, das Shopping in edlen Boutiquen gehört in deinen Kreisen dazu", sagte Casey und hängte das Kleid zurück. "Ja, so habe ich auch mal gelebt", gestand Nan. "Ich ging einkaufen und essen und zweimal pro Woche zum Friseur und zur Kosmetik. Ich ließ mir die Fingernägel pflegen, und vor gesellschaftlichen Anlässen kam jemand ins Haus." Sie schüttelte den Kopf. "Ich habe mich schrecklich gelangweilt, also bewies ich Daddy, daß mein Abschluß in Betriebswirtschaft mehr als ein Stück Papier war. Ich zeigte ihm, was ich konnte, aber es reichte ihm nicht." Sie setzte sich aufs Bett und legte ein Nachthemd zusammen. "Mir fehlte das Y-Chromosom." "Wenn es nach deinem Vater ginge, wären wir alle in der Küche, barfuß und schwanger", scherzte Casey. "Aber bei meinen Kochkünsten würde er entweder verhungern oder an Lebensmittelvergiftung umkommen." Nan kicherte. "Du kannst nicht kochen?" "Ich kriege einen Salat hin, kann Dosensuppe wärmen und Pudding zusammenrühren." "Bei deinen Männern führt die Liebe also nicht durch den Magen", schmunzelte Nan. Caseys Lächeln verflog, und sie verbarg das Gesicht in einem Stapel Pullover. "Ich bin wohl nicht der Typ Frau, den Männer mögen", murmelte sie.
"Wenn ich zurückkomme, werde ich dich in die Gesellschaft einführen", verkündete Nan und legte das Nachthemd in den Koffer. "Es gibt hier viele Männer, die dich gern näher kennenlernen würden." "Wen?" Jack kam herein. Lächelnd ging Nan zu ihm und küßte ihn auf die Wange. "Ich werde Casey ein paar Junggesellen vorstellen, die ich kenne." Jack sah über ihre Schulter zu Casey hinüber. Sie strahlte ihn an. "Casey ist nicht hier, um Männer zu treffen", platzte er heraus. "Warum denn nicht?" fragte Casey. "Es ist eine ganze Weile her, daß ich..." "Ich will es nicht hören!" Er hob die Hand und schien sie mit seinem finsteren Blick durchbohren zu wollen. "Du wolltest wieder zurück in den Beruf. Darauf solltest du dich konzentrieren." Casey nahm einen fast durchsichtigen Teddy, hielt ihn vor sich und schaute in den Spiegel. "Ich konnte mich schon immer auf mehr als eine Sache konzentrieren", sagte sie und drehte sich mit dem Teddy um. "Wo hast du den her, Nan? Weißt du, ob es ihn noch in anderen Farben gibt?" "Du kannst ihn behalten", erwiderte Nan. "Dir steht er besser." "O nein", säuselte Casey. "Oder doch? Jack, ist er nicht hübsch?" Sein Gesicht war tomatenrot, und er schaute überallhin, nur nicht zu ihr. "Großartig, einfach großartig." "Ich bin froh, daß dich meine Dessous mehr zu interessieren scheinen", sagte Nan leise. Casey warf ihm einen Blick zu und war versucht, den Teddy nach ihm zu werfen. Ihm das Herz aus der Brust zu schneiden. Ohne Narkose. Und danach würde sie sich mit ihrem rostigsten Skalpell ein paar ausgewählten Teilen seines Körpers widmen.
"Jack", sagte sie sanft. "Was?" fragte er mißtrauisch. "Du kannst mich mal."
7. KAPITEL "Ich kann dich mal?" Jack stürmte ins Gästehaus. "Warum zum Teufel wirfst du mir so etwas an den Kopf?" Casey hob den Blick von ihrem Buch. Sie lag auf der Couch, ein Glas Cola light und eine Schüssel mit Käsekräckern in Reichweite. "Weil das etwas ist, das eine kleine Schwester ihrem älteren Bruder sagt, wenn er sie herumkommandiert. Außerdem paßt es zu meinem Image", erwiderte sie. "Ja, zum Image einer frechen Göre. He!" Er duckte sich, und das Buch verfehlte seinen Kopf nur knapp. "Was soll das?" Jack starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Sie setzte sich auf. "Ich lasse mich von dir nicht mehr so herablassend behandeln wie zu Beginn unserer Ehe." "Was?" Er breitete die Arme aus. "Ich habe dich herablassend behandelt? Die Frau, die den Präsidenten unserer Universität mit einem Blick zum Schweigen brachte? Die einem der größten Gönner der medizinischen Fakultät lächelnd mitteilte, daß die Behandlung, die er wünschte, nicht richtig für ihn sei? Bei dir habe ich mich immer gefühlt wie jemand, der es nicht weiter als bis zur dritten Klasse geschafft hat." "O bitte!" Casey schaute zur Decke. "Tu doch nicht so, als könnte ich dir angst machen."
Jack setzte sich. "Nein, du kannst mich nur mit Büchern bewerten." "Weil ich mich nicht mehr so von dir behandeln lasse." Sie beugte sich vor und schlug mit der Faust in die Hand. "Das Ganze ist schon verrückt genug, und du machst es noch schlimmer." "Ich? Wer läuft denn hier mit wackelndem Po herum und stellt ihren Körper zur Schau?" Casey sah ihn an, als traute sie ihren Ohren nicht. "Mit wackelndem Po ..." Sie lachte so heftig, daß ihr der Bauch weh tat. Nach einer Weile hob sie den Kopf und registrierte seine wütende Miene. "Okay", sagte sie kichernd. "Ich beruhige mich." "Freut mich, daß du alles so komisch findest." Casey mußte erneut lachen und atmete mehrmals tief durch, um sich zu beherrschen. "Ich wette, mit dem Blick schüchterst du deine Vorstandsmitglieder ein", sagte sie lächelnd. Er blieb ernst. "Nur wenn nötig. Ich kann nicht glauben, daß du ein Buch nach mir geworfen hast." Er hob das Buch auf. "Liest du schon die neuesten OP-Techniken nach?" "Ich will wissen, wie man möglichst mühelos jemanden das Herz herausschneidet", erwiderte sie ungerührt. "Wenn du dabei stirbst, haben wir natürlich ein kleines Problem mit der Beisetzung. Wer soll die trauernde Witwe spielen?" Er verzog das Gesicht. "Okay, ich gebe zu, ich habe eine Dummheit begangen. Verdammt, ich dachte, du wärst tot!" "Ein verschollene Person kann laut Gesetz erst nach sieben Jahren für tot erklärt werden. Du machst mich neugierig, Jack. Was haben sie dir erzählt? Meine Leiche konnten sie ja schlecht präsentieren." Erwartungsvoll schaute sie ihn an. "Sie haben die Reste eures Camps gefunden." Sie nickte. "Und mein zweites Paar Stiefel? Meinen Reisepaß? Meinen Sunblocker?"
Jacks Gesicht verfinsterte sich. "Es war für mich die Hölle, Casey, und ich mag es nicht, wenn du dich darüber lustig machst." "Es tut mir leid", antwortete sie sanft. "Aber die letzte Woche war verrückt, und ... wir haben noch nicht über alles reden können." "Na ja, ich habe Nan zum Flughafen gebracht, und sie wird mindestens eine Woche fort sein, also könnten wir die Zeit nutzen und jetzt reden", schlug er vor. "Laß uns essen gehen." Casey musterte ihn, als wäre er eine interessante Probe unter ihrem Mikroskop. "Ich habe keine Lust, mich umzuziehen", sagte sie schließlich. Er warf einen Blick auf ihre gelben Shorts und T-Shirt. "Wir werden ein Restaurant finden, das dich hereinläßt." Sie sprang auf. "Ich ziehe mir Schuhe an." Jack dachte an Nan, die sich nur rasch die Lippen nachziehen und dazu über eine Stunde brauchen würde. Casey war nach wenigen Minuten wieder da, mit Sandalen an den Füßen, korallenrotem Lip Gloss und locker zurückgebürstetem Haar. Gegen die Meeresbrise hatte sie eine passende Jacke mit kurzen Ärmeln angezogen. Vor dem Haus warf sie einen vielsagenden Blick auf seinen dunkelgrünen BMW. "Wieso fährst du keinen Mercedes?" fragte sie, als sie im Wagen saßen. "Wie wäre es mit einer zeitweiligen Waffenruhe?" "Einverstanden, aber es wird bestimmt nicht so lustig." Sie verschob ihren Sitz und regulierte die Lüftung. Jack hatte sofort gewußt, wohin er mit Casey fahren würde. Nan war kein Snob, aber sie hatte ihre Ansprüche, und denen hätte dieses Restaurant nicht genügt. "Und? Hast du dich entschieden, dir das Medical Center anzuschauen?" fragte er und bog auf den Highway ein, der am Meer entlangführte.
"Ja, ich werde mich dort umsehen", erwiderte sie und setzte die Sonnenbrille auf. "Warum?" "Ich nehme an, mit einem Spitzenjob in einer Spitzenklinik könntest du dir all die neuen Sachen leisten, die du trägst", knurrte er. "Weißt du, es war erstaunlich", erzählte sie. "Als ich zurückkehrte, bekam ich im Institut sofort einen dicken Scheck. Offenbar wollten sie damit ihr schlechtes Gewissen bekämpfen. Und weil sie Angst hatten, ich würde sie verklagen. Aber das war gut so, denn mein Bankkonto war längst gesperrt. Ich hatte nicht mal einen Führerschein mehr. Glücklicherweise konnte ich mich mit einem Ersatzpaß ausweisen. Zu Hause habe ich mir sofort eine Kopie der Geburtsurkunde besorgt. Du hast sie wohl nicht mehr, was?" Sie schob den Sitz noch weiter nach hinten und legte die Füße aufs Armaturenbrett. Jack schluckte ein Aufstöhnen herunter. Casey wußte genau, daß er seinen Wagen jede Woche einer Handwäsche und einer Innenreinigung unterzog. "Was hältst du von einem Barbecue?" fragte er. Casey zuckte die Achseln. "Soll mir recht sein." sie schlug die Beine übereinander. "Gefällt es dir hier, Jack?" Sie sah ihn an. "Das Leben hier ist anders als in einer kleinen Universitätsstadt. Hast du dich immer nach so etwas gesehnt?" "Wir haben im Inland gelebt, wo die größte Wasserfläche der Unipool und der wichtigste Bürger der Unipräsident war. Hier kann sich jeder für wichtig halten, der Ozean gibt einem das Gefühl von Weite, und ich brauche keine Studenten zu unterrichten, die nur in meine Seminare gehen, weil sie eine bestimmte Stundenzahl nachweisen müssen. Ich muß keine Hausarbeiten mehr benoten, die auch ein Schimpanse hätte schreiben können, und ich muß auch nicht mehr vor Fachbereichsleitern katzbuckeln. Ich glaube, hier habe ich mich endlich selbst gefunden. Und ich mag den Menschen, der ich geworden bin."
"Du warst als Nachfolger von Dr. Parish vorgesehen", sagte sie leise. "Kann sein, aber ich wollte den Job nicht." Casey stellte die Füße auf den Boden und drehte sich zu ihm. "Du bist hier wirklich zufriedener, was?" "Wenigstens bin ich kein akademischer Snob geworden." Er fuhr auf einen ungeteerten Parkplatz. Neugierig sah Casey sich um. Vor ihr lag eine Art Hütte, die über den Steilhang hinausragte und aussah, als würde sie jeden Moment ins Meer stürzen. Das Schild an der Wand war unbeleuchtet und verblaßt. Nur ein Wort stand darauf: Stoney's. Sie stieg aus und betrachtete die schäbigen Pick-Ups auf dem Parkplatz. "Ich vermute, das hier steht in keinem Restaurantführer", sagte sie. "Ein besseres Barbecue gibt es nirgendwo", erwiderte er und führte sie zur schiefen Eingangstür. Als sie eintraten, war Casey angenehm überrascht. Der Innenraum wirkte keineswegs so heruntergekommen. Die Tische waren aus alten Telefonkabeltrommeln, die Stühle aus Fässern. Aus einer Jukebox drang laute Country-and-WesternMusik, und die Bar nahm eine gesamte Wand ein. Aber am beeindruckendsten waren der offene Balkon mit freiem Blick auf den Pazifik und der leckere Duft von gegrilltem Fleisch. "Hallo, Professor!" rief ein Mann und hob grüßend seinen Bierkrug. "Du warst lange nicht hier. Jetzt weiß ich auch, warum." Grinsend starrte er Casey an. "Alles klar, Hank?" rief Jack zurück. Als er Casey auf den Balkon führte, begrüßten auch andere Gäste ihn wie einen alten Freund. "Du scheinst häufiger hier zu sein", sagte Casey und setzte sich auf den Stuhl, den er ihr herausgezogen hatte.
"Als ich neu hier war, ja", gab er zu. "Stoney's ist das komplette Gegenteil von dem, was ich kannte. Hier konnte ich einfach nur ich selbst sein." Verblüfft sah sie ihn an. Doch bevor sie etwas antworten konnte, trat die Kellnerin an den Tisch. "Schön, dich zu sehen, Professor", lächelte sie und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar. Dann musterte sie Casey. "Was kann ich euch bringen?" Jack sah Casey an. "Red Wolf", sagte sie und ignorierte Jacks erstaunten Blick. "Für mich auch, Jodi", murmelte er. Sie ging davon, und in den knappen Shorts wirkte ihr Hüftschwung noch verführerischer. "Ich dachte, du trinkst kein Bier", meinte Jack. "Die Indianer hatten ein Gebräu, das dich nach wenigen Schlucken umgehauen hat. Verglichen damit ist normales Bier wie Wasser." Sie schlug die Speisekarte auf. "Wozu rätst du mir?" "Hier ist alles gut." "Wollt ihr schon bestellen?" fragte Jodi, während sie jedem eine Flasche Bier hinstellte. "Ich nehme die Rippchen mit Krautsalat und Kartoffeln, dazu ein Knoblauchbrot", sagte Casey. "Ich auch", fügte Jack hinzu, als Jodi ihn ansah. "Und könntest du uns noch ein Bier bringen?" "Klar." Jack wandte sich wieder Casey zu. "Wir haben eine ohnehin schon schlimme Situation noch schlimmer gemacht", brach sie das Schweigen. "Norton sieht nicht aus, als ob er mit dem Tod ringt. Ganz im Gegenteil, für sein Alter wirkt er äußerst fit." "Er hatte einen Herzinfarkt und Angst um die Firma. Darüber hat er lange mit Nan und mir geredet. Dann mit mir allein. Ich wollte ihm helfen und habe Nan geheiratet."
Casey brachte es nicht mehr fertig, ihn anzusehen. "Trotzdem fällt es mir schwer zu glauben, daß du eine reine Zweckehe eingegangen bist. Es klingt so mittelalterlich. Du rettest die Königstochter, damit sie ihr Erbe nicht verliert." Sie hob den Kopf. "Es ist nicht richtig, Jack. Dan ist hinter mir her, weil er mich für single hält. Nan hält sich für verheiratet, obwohl die Ehe ungültig ist. Außerdem sind du und ich nicht mehr die, die wir vor drei Jahren waren." "Was willst du damit sagen, Casey? Daß du die Scheidung willst?" fragte Jack gebannt. Casey schwieg, bis Jodi ihnen das Essen gebracht hatte. "Laß uns nach dem Essen über alles reden", schlug sie vor. "Ich will mir den Appetit nicht verderben." Sie knabberte an einem Rippchen. "Du hattest recht. Es schmeckt toll." Sie biß in das Knoblauchbrot. Jack traute seinen Augen nicht. Casey hatte immer perfekte Tischmanieren gehabt. Jetzt lief ihr die Barbecue-Sauce über die Finger, und ihre Wange war verschmiert. Sie sah hinreißend aus! Nach einer Weile starrte er auf ihren leeren Teller. "Du hast nichts übriggelassen." "Ich hatte zum Mittagessen nur einen Salat." Sie griff nach der Karte. "Oh, es gibt Käsekuchen", schwärmte sie und bestellte welchen und einen Kaffee, als Jodi abräumte. "Nur Kaffee", sagte Jack. "Glaub ja nicht, daß ich dir Kuchen abgebe", scherzte Casey. "Ich werde jeden Bissen essen." "Du hast die Portionen noch nicht gesehen." Jack schmunzelte, als Caseys Nachtisch serviert wurde. Sie bekam große Augen, hielt jedoch Wort und verspeiste ihn ganz allein. Es machte ihm nichts aus, denn er hatte ohnehin beschlossen, den Käsekuchen lieber an ihren Lippen zu schmecken.
Casey nippte an ihrem Kaffee und genoß die Aussicht. Die Sonne ging gerade unter und sah aus wie eine Feuerkugel. Sie stellte die Tasse ab und schob den Stuhl zurück. "Was hältst du von einem Spaziergang?" fragte sie. "Ich verschwinde noch mal kurz." Jack zahlte und erwartete sie am Ausgang. "Es ist nicht einfach, von hier zum Strand zu kommen", sagte er, als er ihr die Wagentür öffnete. Er fuhr den Highway entlang zu einem Parkplatz. Casey zog die Sandalen aus, ließ sie im Wagen und lief über den warmen Sand. Jack folgte ihr, und als er ihr die Hand reichte, nahm sie sie. "Willst du die Scheidung?" fragte er unvermittelt. Casey zuckte innerlich zusammen. "Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich glaube, im Moment würde eine Scheidung alles nur noch schlimmer machen", erwiderte sie leise. "Mir ist klar, daß es zwischen uns nicht gerade zum Besten stand, als ich abreiste. Vielleicht hoffte ich, daß die Trennung uns guttun würde. Aber daß es so kommt, damit habe ich nicht gerechnet." Er schaute sie nicht an. "Was willst du, Casey?" Sie antwortete nicht gleich. "Ich wollte uns beiden eine Chance geben, Jack. Die Chance, wieder zueinander zu finden. Offenbar ist das nicht möglich. Deshalb möchte ich etwas vorschlagen." "Okay." Casey blieb stehen und drehte sich zu ihm. "Vorläufig werde ich auch weiterhin so tun, als wäre ich deine Schwester. Ich möchte wieder arbeiten, also sehe ich mich um. Auf die Weise können wir uns aneinander gewöhnen und überlegen, ob wir es noch einmal versuchen wollen. Ich finde, du solltest Nan so bald wie möglich die Wahrheit erzählen. Und falls ihr beide beschließen solltet, verheiratet zu bleiben ..." Sie verstummte. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme fester. "Falls ja, müßtest du sie zum zweiten Mal heiraten."
"Also falls ich mich für Nan entscheide, wirst du dich widerstandslos scheiden lassen?" fragte Jack. Sie nickte. "Aber ich sehe mich nach einer eigenen Wohnung um. In eurem Gästehaus zu leben erscheint mir etwas zu ... seltsam." Sie ging weiter. "Warte", rief er und eilte hinterher. Er legte den Arm um ihre Schultern. "Aber das heißt nicht, daß du dich mit anderen Männern triffst, oder?" "Das geht dich nichts an. Ich bin Single, hast du das schon vergessen?" "Du bist auch meine Schwester, und als dein großer Bruder bin ich verpflichtet, auf dich aufzupassen." "Und als deine Schwester lasse ich mich nicht herumkommandieren." "Du wirst nicht mit anderen Männern ausgehen", beharrte er. Casey verpaßte ihm einen spielerischen Schlag in die Magengrube und ging davon. Nach einigen Schritten kehrte sie um. "Tu uns beiden einen Gefallen, Jack. Versuch nicht, auf mich aufzupassen, sonst wirst du dir weh tun." Er hob die Hände. "Ich habe doch nur gefragt..." "Ha! Falls ein attraktiver Mann mit Charme und Persönlichkeit mich einlädt, mit ihm auszugehen, geht das allein ihn und mich etwas an, klar?" Sie hätte schwören können, daß in seinen Augen so etwas wie Schmerz aufflackerte, bevor er sich wieder im Griff hatte. "Okay, wie du willst. Aber laß mich ihn erst überprüfen. Nur um sicherzugehen, daß er kein Serienmörder ist." "Übertreib es nicht, Jack. Du könntest es bereuen." Sie kehrte ihm den Rücken zu und schlenderte davon. "Wie sehr?" rief er ihr nach. Er holte sie ein, hielt sie fest und drehte sie zu sich um. "Casey, ich möchte nicht, daß dir etwas zustößt." Sie lächelte grimmig. "Du hast noch eine andere Ehefrau, um die du dich kümmern mußt." Sie streifte seine Arme ab.
Er zog sie wieder an sich. "Du bist mir wichtiger."
"Mal sehen, ob du das in einem Jahr auch noch behauptest."
8. KAPITEL Als Casey das Gästehaus verließ, um zum Medical Center zu fahren, bemerkte sie, daß hinter dem Scheibenwischer ein Zettel steckte. Sie entfaltete ihn und sah Jacks schwungvolle Handschrift. Zeig's ihnen, Babe. "Babe? Er hat mich Babe genannt?" murmelte sie und stieg ein. ,,Ich erkenne ihn nicht wieder." Wie versprochen, erwartete Gerald sie in der Eingangshalle. Der Empfangsbereich war in warmen Pastelltönen gehalten, und aus unsichtbaren Lautsprechern drang sanfte klassische Musik. Die wartenden Patienten waren überwiegend Frauen, alle teuer gekleidet. "Ich dachte, Sie haben auch Kinderärzte", sagte Casey. "Es gibt zwei spezielle Wartebereiche für unsere jungen Patienten", erklärte er und führte sie einen Korridor entlang. Während der nächsten zwei Stunden zeigte Gerald ihr die hochmodernen Labors, die OPs für ambulante Operationen und die Untersuchungsräume. "Wir sind auf Notfälle fast so gut vorbereitet wie ein großes Krankenhaus", erklärte er auf dem Weg zu seinem Büro. "Für schwere Fälle fordern wir den Hubschrauber an. Er ist in fünf Minuten hier." Er öffnete eine Tür und ließ Casey den Vortritt.
Ihr fielen fast die Augen aus dem Kopf, als sie den Luxus sah. "Das Büro eines erfolgreichen Arztes signalisiert dem Patienten, daß er in guten Händen ist", erklärte Gerald. "Wir betreuen zahlreiche wichtige Leute, einige Ex-Senatoren, Kongreßabgeordnete, die Chefs internationaler Konzerne und Filmstars. Wenn sie zu uns kommen, wissen sie, daß sie die bestmögliche Pflege .bekommen." Die beste Pflege, die man mit Geld kaufen kann, dachte Casey, als sie sich in den Sessel setzte. Auf dem flachen Tisch davor stand eine silberne Kaffeekanne. Sie ließ sich ihre rebellischen Gedanken nicht anmerken. Gerald reichte ihr eine Tasse aus zartem Porzellan. "Aber wenn jemand kommt, der nicht krankenversichert ist, tun wir, was wir können, und schicken ihn weiter in eine angemessene Einrichtung." Casey nickte. "Bewundernswert, Sir." Er lächelte. Ihr sarkastischer Unterton schien ihm entgangen zu sein. "Und? Hätten Sie Interesse, bei uns einzusteigen? Wir haben uns Ihre Unterlagen angesehen und finden, Sie würden gut zu uns passen. Ganz abgesehen davon, daß Sie unserem Ruf nützen würden." Er rieb sich die Hände. "Bestimmt werden Sie etwas über Ihre Erfahrungen im Urwald veröffentlichen." Casey zögerte. "So, wie Sie über Ihr Center reden, klingt es eher nach einer Anwaltskanzlei mit Seniorpartnern, Juniorpartnern und Angestellten." Er nickte. "Wir nehmen nur die Besten und bezahlen sie angemessen." Gerald nannte ein Gehalt, bei dem ihr der Atem stockte. "Außerdem erhalten Sie Anteile am Firmenkapital, eine großzügige Alterssicherung, einen Wagen und genug Zeit, um an Fortbildungsseminaren teilzunehmen." "Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?" Er lehnte sich zurück. "Natürlich."
"Wie viele wirklich kranke Patienten behandeln Sie pro Woche? Ich meine, im Unterschied zu solchen, denen Sie nur die Hand halten und irgend etwas verschreiben, damit sie glücklich sind?" Gerald setzte sich auf. Seine Miene verfinsterte sich. "Wir sind Ärzte, Dr. Larson", erwiderte er kühl. "Nun ja, ich kenne Praxen, in denen die Patienten fast nur von Apparaten behandelt werden und den Arzt kaum zu Gesicht bekommen. Ich wollte nur sichergehen, daß es hier anders ist." Er entspannte sich. "Ich sehe schon, Sie werden uns auf Trab halten." Eine halbe Stunde später verließ Casey das Center mit einem Satz unterschriftsreifer Verträge. Sie hatte darum gebeten, sie in Ruhe lesen und von ihrem Anwalt prüfen lassen zu dürfen. Gerald war damit einverstanden und zeigte ihr sogar das Büro, das sie beziehen würde. Da Casey noch keine Lust hatte, nach Hause zu fahren, bummelte sie durch das benachbarte Einkaufszentrum und gönnte sich einen Snack. Als sie anschließend mit ihren Tüten zum Wagen zurückkehrte, ertönte hinter ihr eine fröhliche Stimme. "Hallo, Urwaldkönigin!" Sie drehte sich um. Ein Mann kam mit strahlendem Gesicht und ausgebreiteten Armen auf sie zu. "Greg?" "Genau der." Er drückte sie an sich. "Du siehst ja großartig aus. Erstaunlich, was eine andere Frisur und neue Sachen aus einem Menschen machen. Was tust du hier?" Er kann die Wahrheit nicht kennen. "Ich überlege, ob ich hier eine Praxis eröffne", erwiderte sie. Er zog eine Augenbraue hoch. "Im Ernst? Ehrlich gesagt, ich kann mir Jonathon hier nicht vorstellen. Wie soll er hier sein langweiliges Akademikerleben führen?"
"Er lebt schon seit zwei Jahren hier", sagte sie. "Er wollte sein Leben ändern, und ich finde, er hat recht. Wie geht es dir?" Er lächelte verlegen. "Wollen wir beim Essen weiterreden?" "Ich hatte gerade etwas, aber ein Kaffee wäre mir recht." Sie setzten sich in ein kleines Cafe. "Du wirst nicht glauben, was ich dir jetzt erzählen werde." begann er. "Ich liebe interessante Geschichten." "Ich arbeite in einer Sozialpraxis", gestand er zögernd. Casey starrte ihn an. "In einer Praxis für Bedürftige?" Er nickte. "Ich weiß. Der Greg, den du kanntest, hätte um alles, was keine teure Privatklinik ist, einen weiten Bogen gemacht. Aber seit wir wieder zurück sind, habe ich mich verändert." "Ich glaube, das haben wir beide." Greg musterte sie. "Mir scheint, deine Veränderungen sind eher äußerlich, meine dagegen innerlich." "Oh, meine waren auch innerlich, glaub mir." "Und was hält Jonathon von seiner neuen Ehefrau?" Casey lächelte wehmütig. "Er traute seinen Augen nicht. Aber Jonathon hat sich auch verändert. Er läßt sich jetzt Jack nennen und unterrichtet nicht mehr." "Bestimmt war es nach dieser langen Zeit für euch beide nicht einfach", meinte Greg. Wenn du wüßtest... Casey wechselte das Thema. "Du scheinst dich auch verändert zu haben. Bisher hast du noch kein einziges Mal versucht, mich anzufassen." Greg wurde rot. "Ich möchte mich entschuldigen." "Ich habe dich in deine Schranken verwiesen." "Ja, ein blaues Auge ist recht deutlich." Er schwieg, während die Kellnerin ihre Bestellung aufnahm. "Du arbeitest also in einer Sozialpraxis?" nahm Casey das unterbrochene Gespräch wieder auf.
"Nach meiner Rückkehr fiel ich in ein Loch. Ich hatte keine Lust mehr, am Institut zu bleiben. Zum Glück hatte ein Freund mich eingeladen, ihn hier zu besuchen. Erst in San Diego erfuhr ich, daß Ron die Sozialpraxis leitet. Er hatte zu wenig Personal, die Patienten rannten ihm die Tür ein - und seine Arbeit machte ihm Spaß. Ich half ein paar Tage bei ihm aus und merkte schnell, daß das genau das war, was ich schon immer tun wollte." Casey schaute skeptisch drein. "Nimm es mir nicht übel, Greg, aber das klingt so gar nicht nach dir." "Du hast recht, aber so verrückt es auch klingt, es stimmt. Ich habe eine neue Seite an mir entdeckt und muß sagen, mit der läßt es sich viel angenehmer leben." Casey war noch nicht überzeugt. "Heißt das, du bezahlst meinen Kaffee?" "Ja, ich bezahle deinen Kaffee." Er lachte. "Du solltest mal vorbeikommen", lud Greg sie ein, nachdem die Kellnerin den Kaffee serviert hatte. "Um dich tatsächlich arbeiten zu sehen, würde ich sogar Eintritt entrichten", scherzte sie. "Du kommst umsonst herein." Casey lehnte sich zurück und musterte den Mann, der sie am Amazonas bedrängt hatte. Die Arroganz desjenigen, der sich für das Geschenk des Himmels an die Frauen der Welt hielt, war verschwunden. Hatte er sich wirklich verändert? "Was ist geschehen?" fragte sie verblüfft. "Ich bin erwachsen geworden", antwortete er schlicht. "Das Leben dort unten, mit den Menschen, die ihre Umwelt schätzen, war für mich lehrreicher als alles, was eine Uni mir hätte beibringen können." "Du bist tatsächlich erwachsen geworden", murmelte sie. Greg zahlte den Kaffee, und sie gingen zu seinem Wagen. "Du mußt uns unbedingt besuchen", sagte er.
Casey war schon beim Näherkommen aufgefallen, daß er keinen schnittigen Sportwagen mehr, sondern einen kleinen Pick-up fuhr. Fragend sah sie ihn an. "Der ist ideal, um Vorräte zu transportieren", erklärte Greg, während er einen Notizblock herausholte, den Weg zu seiner Praxis skizzierte und ihr den Zettel reichte. "Es war schön, dich wiederzusehen, Casey." Er lächelte ohne jede Spur von Anzüglichkeit. Sie umarmte ihn. "Danke für den Kaffee. Ich werde bestimmt vorbeikommen." Auf der Heimfahrt staunte Casey noch immer darüber, was aus dem Frauenhelden geworden war, den sie drei Jahre ertragen hatte. Sie fragte sich, ob Geralds Luxuspraxis für sie das richtige war. Zu Hause angekommen, machte sie es sich mit einem Glas Mineralwasser und etwas zum Knabbern auf der Couch bequem und setzte die Lesebrille auf, um die Verträge zu studieren, die Gerald ihr gegeben hatte. Sie war dabei, sich langsam, aber stetig durch die juristischen Formulierungen auf der zweiten Seite zu kämpfen, als es an der Tür klopfte. Sie stand auf und öffnete. Es war Jack. "Was willst du?" Er lockerte die Krawatte, zog sie herunter und öffnete zwei Knöpfe. "Ich wollte nur wissen, wie dein Gespräch in Oceanview war." "Gerald hat mir eine Stelle angeboten." Sie setzte sich wieder auf die Couch, nahm den Vertrag und den Notizblock. "Ich schreibe mir gerade die Fragen auf, die ich dazu habe. Gerald scheint zu glauben, daß ich den Vertrag schon so gut wie unterschrieben habe. Ich habe ihm gesagt, daß das nicht so ist. Ich kann mich also noch dagegen entscheiden." Jack streckte die Hand aus. "Darf ich?" Sie gab ihm die Papiere und mußte lächeln, als er die Augen zusammenkniff, um zu lesen. Erst hielt er das Blatt dicht vor die Augen, dann auf Armeslänge von sich ab.
"Mit der geht es vielleicht besser", sagte sie und reichte ihm ihre Lesebrille. Als er sich auf die Couch setzte, stellte sie sich hinter ihn und massierte seine Schultern, wie sie es früher immer getan hatte, wenn er von den endlosen Sitzungen seines Fachbereichs nach Hause gekommen war. "Jack, du bist völlig verspannt. Dein Blutdruck muß um mindestens zehn Punkte gestiegen sein. Atme ein paarmal tief durch." "Atemübungen verhelfen mir auch nicht dazu, ohne Brille lesen zu können. Früher konnte ich hervorragend sehen", knurrte er, während er die Seiten überflog, und lehnte sich zurück, als ihre Massage zu wirken begann. "Jetzt verschwimmt alles, wenn ich es nicht mindestens eine Meile von mir weg halte. Das hier sollst du unterschreiben?" fragte er ungläubig. "Du würdest dich mit Haut und Haaren verkaufen. Zugegeben, das Center hat einen ausgezeichneten Ruf, aber ich kann kaum glauben, daß die Ärzte dort alle so etwas unterschrieben haben." Er schlug mit dem Vertrag in die Hand. "Gleich behauptest du wahrscheinlich, daß sie im Keller wahnsinnige Experimente mit Affenblut oder so etwas durchführen", spottete sie und knetete die harten Muskeln an seinen Schultern kräftig durch. "Nein, so etwas gibt es nur in den Medizinthrillern, Liebling. Gerald hält sich für den besten Arzt weit und breit und bewegt sich gern in den feinsten Kreisen. Er hat seine Praxis ungefähr zu der Zeit eröffnet, als Norton hier anfing, die beiden lernten sich schnell kennen und wurden gute Freunde. Sie sind sich sehr ähnlich. Sie lieben die Macht und wollen ihre Mitmenschen beherrschen." "Leg den Vertrag hin und entspann dich, Jack, sonst kommt dir noch Dampf aus den Ohren", sagte Casey leise und massierte seine Schläfen. Er entspannte sich sofort und stöhnte vor Wohlbehagen leise auf, als ihre Fingerspitzen genau die richtigen Druckpunkte fanden.
"Wie fühlt sich das an?" flüsterte sie ihm ins Ohr. "Hör nicht auf", erwiderte er, und sein ganzen Körper schien sich unter ihren zärtlichen Berührungen zu bewegen. Dann schloß er die Augen, hob die Arme und umfaßte ihre Handgelenke, als wollte er sicherstellen, daß sie nicht aufhörte. "Erinnerst du dich an unsere alte Wanne mit den Klauenfüßen?" murmelte er. " Sie war groß und tief genug, um darin zu schwimmen", sagte sie, als ihre Hände sich wie von selbst auf seine Schultern legten und langsam nach unten glitten. Hätte Jack es nicht besser gewußt, hätte er geschworen, daß er ein paar Biere zuviel getrunken hatte. Er fühlte sich wie berauscht. Caseys erregender Duft stieg ihm in die Nase und zu Kopf, und es war, als würde die Couch unter ihm sanft schaukeln. "Ich kann mich nicht erinnern, daß wir jemals versucht hätten, darin zu schwimmen", murmelte er. "O doch, das haben wir", wisperte sie, die Lippen noch immer an seinem Ohr. "Es war der erste Abend in unserem neuen Haus. Wir hatten zuviel Schaumbad hineingekippt, und die Wanne lief über, erinnerst du dich?" So benommen er sich auch fühlte, plötzlich sah er alles wieder vor sich. Ganz klar und deutlich. "O ja, ich erinnere mich." "Du bist aus der Wanne gestiegen, ausgerutscht und hingefallen. Als du mir hinaushelfen wolltest, sind wir beide ausgerutscht", sagte sie leise. "Und dann sind wir einfach liegengeblieben, so wie wir waren." Jack hielt unwillkürlich den Atem an. Caseys Finger strichen über seinen Nacken und lösten in ihm den Wunsch auf, sie einfach auf seinen Schoß zu ziehen. Er widerstand der Versuchung und schaute über die Schulter. "Danke für die Massage", sagte er förmlich.
Sie lächelte, als ahnte sie, was er dachte. "Es war mir ein Vergnügen." Er räusperte sich. "Was hältst du davon, wenn wir zusammen etwas essen?" "Wenn es dir reicht, könnte ich uns Rührei machen oder etwas Chili wärmen", bot sie an. "Mir wäre beides recht." Jack stand auf und stellte erstaunt fest, daß seine Knie weich waren. "Ich helfe dir sogar." "Nicht, wenn du noch so schlecht kochst wie früher. Du kannst den Tisch decken. Wir essen hier im Wohnzimmer." Sie holte eine Pfanne heraus. "Und steck Brot in den Toaster." "Magst du deines noch immer nur leicht gebräunt?" "Natürlich. Glaubst du etwa, ich esse das verkohlte Zeug, das du vorziehst", sagte sie lächelnd und schlug Eier in eine Schüssel. "Welches Essen hast du im Urwald am meisten vermißt?" "Schokolade." Sie lachte. "Nachts habe ich wach gelegen und an all die Dinge gedacht, in denen Schokolade ist. Und an Pizza und an chinesisches Essen. Mir haben sogar die Narzissen in unserem Garten gefehlt." "Was hast du als erstes getan, als du zurückkamst?" "Ich habe mir sofort ein Kilo meiner Lieblingsbonbons gekauft und sie alle auf einmal gegessen. Danach war mir vielleicht schlecht..." Jack verzog das Gesicht. "Und trotzdem hast du noch nicht genug von Schokolade?" "Soll das ein Scherz sein? Ich habe nur gelernt, daß ich höchsten einen oder zwei Bonbons am Tag essen darf", sagte sie verschmitzt. "Und was war mit Steak oder Hummer?" "Eigentlich nicht." Sie rieb Cheddar-Käse über das Rührei. "Ich habe so viele neue Gerichte kennengelernt." "Zum Beispiel?" Er hielt ihr die Teller hin, damit sie sie füllen konnte.
"Zum Beispiel diese fetten, weißen Maden. Sie schmeckten nicht schlecht. Ich habe mir immer eingebildet, es wären Shrimps." Sie goß Wein ein und trug die Gläser in das winzige Wohnzimmer. "Die Indianer fingen Fische, die gar nicht schlecht schmeckten. Und natürlich Wurzeln und Beeren. Außerdem gab es Schlangen, die für unsere Gastgeber eine echte Leckerei waren." Sie rümpfte die Nase. "Ich brauchte eine Weile, um mich daran zu gewöhnen. Vermißt habe ich auch Cola und Kaffee. Ich kann von Glück sagen, daß ich mir durch das Wasser, das ich dort trank, nichts eingefangen habe." Jack hob sein Glas und prostete ihr zu. "Du warst eine tapfere Lady." Ihr Lächeln verblaßte. "Nein, war ich nicht. So abgegriffen es klingt, aber ich mußte aus einer üblen Situation das Beste machen. Dazu gehörte es eben, selbst Würmer zu essen." Sie schob Rührei auf die Gabel und führte es an die Lippen. Jack starrte auf seinen Teller. "Ich schätze, ich hätte deinen Speiseplan am Amazonas nicht schon vor dem Essen ansprechen sollen", sagte er leise. "Und ich schätze, ich kann froh sein, daß ich uns keine Shrimps gemacht habe." Jack stöhnte auf und aß brav sein Rührei. "Was hast du heute noch alles gemacht?" fragte er nach einer Weile. "Oh, nur das, was alle Mädchen machen", scherzte sie und nippte an ihrem Wein. "Ich war einkaufen." Verblüfft schüttelte er den Kopf. "Du haßt Einkaufen." "Nicht mehr. Es kann sogar Spaß machen. Zumal ich mich nicht mehr wie die Oberaufseherin in einem Gefängnisfilm anziehen muß." Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das sofort an Fülle gewann und sich um ihr Gesicht legte. Er betrachtete die bronzefarbenen Strähnen und die kupfernen Dreiecke, die an ihren Ohren baumelten. Sie sah hinreißend aus in dem cremefarbenen T-Shirt und dem
knielangen Patchwork-Rock. Ihre makellose Haut verströmte einen zarten blumigen Duft. "Das Parfüm hast du noch nie getragen", sagte er leise. "Und du hast nie etwas Kräftigeres als Aftershave getragen. Jetzt dagegen scheinst du würzigere Düfte zu bevorzugen", erwiderte sie. "Viele Männer tragen Eau de Toilette", verteidigte er sich. "Ich beschwere mich doch gar nicht. Es gefällt mir." Sie beugte sich vor und schnupperte an seinem Hals. "Holzig. Ein wenig Zitrus, nichts Blumiges. Es paßt zu dir." "Vielen Dank", erwiderte er trocken. "Ich hatte keine Ahnung, daß ich mir meinen Duft von dir genehmigen lassen muß." "Mußt du nicht, aber er gefällt mir trotzdem. Ich muß sagen, du bist irgendwie eleganter geworden. Teurer Zwirn." Sie rieb seinen Hemdkragen zwischen Daumen und Zeigefinger. "Professionell gestyltes Haar, Eau de Toilette. Es wundert mich nur, daß du noch nicht mit Surfen angefangen hast." "Ich habe es versucht und wäre fast ertrunken. Seitdem ziehe ich ungefährlichere Freizeitbeschäftigungen vor", antwortete er lächelnd. "Aber du hast dich auch ganz schön verändert. Kurzes Haar ..." Er berührte es. "Kürzere Röcke ..." Er ließ den Blick zu ihren nackten Beinen wandern. "Du bist... frecher geworden." "Frecher?" fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Er nickte. "In jeder Hinsicht... Als du plötzlich auf der Hochzeit auftauchtest, dachte ich, ich sehe ein Gespenst. Ich konnte nicht glauben, daß du es wirklich warst. In deinem neuen Outfit hätte ich dich fast nicht wiedererkannt." Er zog mit der Gabel Kreise im Rührei. Casey verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln. "Ich nehme an, ich sah nicht mehr aus wie die Frau, die du geheiratet hast, was? Übrigens in deinem Smoking sahst du auch nicht gerade wie der Jonathon aus, den ich kannte."
"O doch, ich sah die Frau, die ich einmal geheiratet habe", widersprach er. "Aber ich sah auch die Frau, zu der sie geworden war. Eine Frau, die mühelos jedem Mann den Kopf verdrehen kann. Glaubst du, mir ist entgangen, daß sämtliche männlichen Gäste dich mit ihren Blicken verschlangen, als wärst du ein köstlicher Nachtisch, bei dessen Anblick ihnen das Wasser im Mund zusammenlief." "Mm, Nachtisch." Sie leckte ihre Gabel ab, und er starrte fasziniert auf ihre Zunge. "Das hört sich so sündig an." "Stimmt." Seine Stimme klang plötzlich heiser. Casey erschien ihm tatsächlich wie ein verlockendes Dessert, und er hätte nichts dagegen, es selbst zu genießen. "Was für ein Nachtisch denn?" fragte sie. Ihre Augen leuchteten, und ihre Stimme streichelte ihn wie warme Seide. "Warme Karamelsauce über Eis. Sahnig, cremig... nach mehr schmeckend." Langsam hob sie die Gabel wieder an die Lippen. "Eine Portion ist nicht genug?" "Nein", flüsterte er. Sie schaute ihm tief in die Augen, während sie aß. "Als Kind mußte ich immer erst das Hauptgericht aufessen, bevor ich Nachtisch bekam", sagte sie. Jack schmunzelte. Ihre Antwort half ihm, sich zusammenzureißen. Er wußte, daß das, wovon er träumte, falsch wäre. Der Zeitpunkt war einfach nicht richtig. Er durfte dem Verlangen nicht nachgeben. Aber das änderte nichts an seiner Sehnsucht. Er brauchte Casey nur anzusehen, und schon begehrte er sie mehr als je zuvor. "Was wohl geschehen wäre, wenn du wie geplant zurückgekehrt wärst?" fragte er. "Du wärst noch immer hinter dem Philosophielehrstuhl hergewesen, ich wäre wieder an die Uniklinik gegangen, und vielleicht hätten wir beschlossen, uns zu trennen", flüsterte sie.
"Wir wären auseinandergedriftet, ohne je herauszufinden, was zwischen uns schiefgegangen war." "Vielleicht wenn wir Kinder gehabt hätten ..." Er starrte in sein Weinglas. Ihr Lachen war ohne jeden Humor. "O Jack, wir wären die schlimmsten Eltern gewesen, die ich mir denken kann. Der Star im Fachbereich Philosophie und der Star in Medizin wurden ja nicht einmal mit ihrem eigenen Leben fertig, wie hätten sie für das eines kleinen Kindes Verantwortung übernehmen können? Nein, es ist besser, daß wir keine Kinder haben, die unter uns leiden." "Vielleicht hätten Kinder uns früher in die Wirklichkeit zurückgeholt", sagte Jack. Er zog ein Bein an und legte den Arm aufs Knie. "Man bekommt Kinder nicht, um eine Ehe zu retten, Jack. Man bekommt sie, um das, was man hat, noch schöner zu machen." Sie sah aus dem Fenster. "Ich möchte nicht mehr darüber reden." Wortlos stellte Jack sein Glas ab, nahm die Teller und trug sie in die Küche. Er brachte die Flasche mit und füllte ihre Gläser. Dann schaltete er das Radio ein, und sanfte Musik erfüllte den Raum. Er ging zu Casey und streckte die Hand aus. Mit ausdruckslosem Gesicht ergriff sie sie und ließ sich von der Couch ziehen. Als er die Arme um sie legte, verkrampfte sie sich. "Es ist doch nur ein Tanz, Casey", sagte er und begann sich mit ihr zu drehen. Ihre Hand ruhte kühl in seiner, die andere leicht auf seiner Schulter. Hin und wieder streiften ihre Beine seine. Zuerst schaute sie ihm ins Gesicht, dann legte sie die Wange an seine Brust. Der milde Duft ihres Haars stieg ihm in die Nase, die seidigen Strähnen glitten über sein Hemd. Er war sicher, ihren Herzschlag zu hören, genau so schnell wie sein eigener. Er
wünschte, sie würde den Kopf heben, damit er ihr besser in die Augen sehen konnte. Als hätte sie den Wunsch gespürt, sah sie ihn an. Ihr Blick war nicht zu deuten. Es war, als trüge sie eine Maske. Und doch lag darin etwas, das ihn stutzig machte. Eine kleine Flamme inmitten der dunklen Tiefe. Sein Kopf senkte sich ein wenig. Ihr Kopf hob sich ein wenig. Ihr Atem strich warm über seine Haut. Ihre Lippen waren einander so nah, daß Jack den Kuß fast fühlen konnte. Er schloß die Augen, preßte sie an sich und ... "Ich finde, du solltest gehen." Hörte er schon Stimmen? Das konnte doch nicht Casey sein, die ihn jetzt nach Hause schickte. Nicht jetzt. Doch dann verkrampfte sie sich in seinen Armen. Er wollte protestieren. Sie löste sich aus seinen Armen. Jack hatte keine andere Wahl. "Danke für das Essen", sagte er und ging hinaus. Hätte er zurückgeblickt, hätte er gesehen, wie Casey zu Boden sank und die Stirn auf die Knie legte. Sie blieb lange so sitzen. Jack stand am Schlafzimmerfenster und starrte zum Gästehaus hinüber. Trotz der späten Stunde brannte im Wohnzimmer noch Licht. Was hätte er tun sollen? Was hätte, er sagen sollen? Diese Fragen gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Das leise Läuten des schnurlosen Telefons holte ihn in die Gegenwart zurück. Er nahm den Hörer vom Nachttisch. "Ja?" "Habe ich dich geweckt?" fragte Nan. Jack setzte sich auf die Bettkante. "Nein. Die Polizei hat gerade die Stripperinnen abgeholt. Bis dahin war es eine wirklich heiße Party." "Amüsier dich ruhig, während ich fort bin", erwiderte sie mit gespieltem Unmut. "Sehr witzig, Jack."
"Wie läuft es bei dir?" "Besser, als ich dachte. Sie hören mir tatsächlich zu, wenn ich etwas sage. Ich habe einfach deinen Rat befolgt, an meinen Vater gedacht und bin bei den Verhandlungen hart geblieben. Mit etwas Glück haben wir bis zum Wochenende alles unter Dach und Fach." "Großartig. Ich freue mich, daß du so erfolgreich bist." Er ließ sich mit dem Hörer aufs Bett fallen. Während der nächsten zehn Minuten erzählten sie einander, wie. sie den Tag verbracht hatten. Während er Nan lauschte, wurde Jack klar, daß er für sie zwar Zuneigung empfand, aber nichts von dem, was Casey in ihm weckte. Dies wäre der ideale Zeitpunkt, um Nan von ihr zu erzählen, doch er brachte es nicht fertig, es am Telefon zu tun. "Jack, bist du noch da?" drang Nans Stimme an sein Ohr. "Entschuldigung. Was hast du gerade gesagt?" "Nur, daß es hier noch später ist als bei dir und ich meinen Schlaf brauche. Jack?" Sie wartete auf seine Antwort. "Ich möchte dir nochmals für alles danken, was du für mich getan hast", sagte Nan abschließend. "Gute Nacht, Liebling." "Du hättest dies alles auch allein geschafft, wenn du bereit gewesen wärst, darum zu kämpfen, Nan." "Sicher, aber angesichts von Daddys angegriffenem Gesundheitszustand wollte ich keinerlei Risiko eingehen. Noch mal danke", murmelte sie schläfrig. "Gute Nacht, Liebling." "Gute Nacht, Nan." Jack legte den Hörer auf den Nachttisch und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Aber anstatt sich zu fragen, was Nan gerade tat, mußte er an Casey denken. "Wie geht's deinem Ehemännchen?" Nan drehte sich zu dem Mann um, der neben ihr im Bett lag. Er hatte vor kurzem geduscht, und in genau diesem Moment
glitt das Handtuch noch weiter an seinen Hüften hinab. Es war nicht zu übersehen, woran er dachte. "Dem geht es gut." Sie beugte sich über ihn und strich mit den Fingerspitzen über seine Lippen. "Ich finde es schrecklich, ihn so zu hintergehen." Er zog sie an sich. "Wir wissen beide, daß ich der letzte bin, den dein Vater für dich wollen würde, also blieb uns keine andere Wahl." Er küßte ihren Hals. "Mach dir keine Sorgen um ihn. Denk lieber an mich." Nan legte den Kopf in den Nacken und stöhnte auf, als er über ihre Brust tastete und seine Finger die feste Knospe fanden. "Du glaubst nicht, wie froh ich bin, daß du nicht wirklich mein Cousin bist."
9. KAPITEL Je näher Casey der Sozialpraxis kam, desto kleiner wurden die Häuser und desto dichter standen sie zusammen. Die Menschen auf der Straße waren nicht mehr so gut gekleidet. Das Praxisschild war dreisprachig. Sie parkte und betrat das schäbige Gebäude. Ein lautes Stimmengewirr empfing sie. Der Warteraum war voller Patienten. Casey schaute sich um und entdeckte einen Tisch, an dem ein junges Mädchen saß, das ihr lächelnd, aber auch ein wenig mißtrauisch entgegensah. "Ja?" fragte es mit einem leichten Akzent. "Ich bin Dr. Larson. Dr. Matthews hat mich gebeten vorbeizukommen", erklärte Casey. Die dunklen Augen des Mädchens leuchteten auf. "O ja. Ich sage ihm, daß Sie hier sind." Es eilte davon. Zwei Minuten später stand Greg in Jeans und T-Shirt vor Casey. Sein Haar war zerzaust, und er schien sich heute nicht rasiert zu haben. "Kommst du zur Arbeit?" Strahlend umarmte er sie. Sie trat zurück. "Ist das der Greg Matthews, der entsetzt war, daß die Indianer ihren Urwald als Toilette benutzten?" Er zuckte mit den Schultern. "Was soll ich sagen? Komm mit." Er führte sie einen Korridor entlang. "Wie du siehst, haben wir fünf Untersuchungszimmer." Er zeigte auf eine offene Tür. Casey nickte. "Was für Fälle habt ihr hier?"
"Vorwiegend Unterernährung und Infektionskrankheiten. Außerdem machen wir einmal im Monat eine Impfaktion." Am Ende des Gangs lag ein nüchtern eingerichtetes Büro. An einer Wand stand ein zerschlissenes Ledersofa, an der anderen ein Metallschreibtisch, an dem ein Mann in einer Akte schrieb. Er sah auf. "Casey, dies ist Ron Willis", sagte Greg. "Ron, dies ist Casey Larson. Ich hoffe, ich kann sie überreden, bei uns einzusteigen." "Ja, Greg hat mir davon erzählt." Er lächelte. "Was hältst du von unserem Laden? Es ist nicht Oceanview, aber wir können dir endlose Überstunden und bitteren Kaffee bieten." Ron schien keinen Wert auf Förmlichkeit zu legen. Greg führte sie zu einem Stuhl und hockte sich auf eine Ecke des Schreibtischs. "Eine Ärztin wäre manchmal ganz hilfreich." "Und ich dachte, ihr wolltet mich wegen meiner medizinischen Kenntnisse", scherzte sie und dachte an die vielen Menschen, die geduldig auf Hilfe warteten. Im Wartezimmer gab es weder leise klassische Musik aus verborgenen Lautsprechern noch geschmackvolle Kunstdrucke an den Wänden. Nicht einmal Zeitschriften hatte sie gesehen. Casey legte die Fingerspitzen aneinander. "Wenn es etwas gibt, das ich nicht ausstehen kann, ist es bitterer Kaffee. Also werde ich ihn kochen, wenn ich hier anfange. Und glaubt ja nicht, ihr könntet mir die Anfängerjobs zuschieben." Sie sah von Greg zu Ron. Die beiden Männer starrten sie an, als trauten sie ihren Ohren nicht. "Du willst nicht noch einmal in Ruhe überlegen?" fragte Greg. "Wozu? Gibt es noch etwas, vor dem ihr mich warnen wollt? Ich bin nur froh, daß ich nicht Golf spielen lernen muß." Sie schaute sich um. "Hoffentlich habt ihr nichts dagegen, wenn ich ein paar Sachen mitbringe, um die Praxis etwas aufzuheitern."
"Solange es nicht moderne Kunst ist", erwiderte Ron strahlend'. "Picasso paßt nicht hierher." "Wann soll ich anfangen?" fragte Casey. "Sofort wäre ideal, aber wir begnügen uns mit morgen", sagte Greg und warf seinem Partner einen Blick zu. "In zwei Tagen", bat sie. Es gab keine schriftlichen Verträge, keine formellen Absprachen, nur den Handschlag zwischen den drei Ärzten. "Was wird Jonathon davon halten, daß du hier, arbeitest?" fragte Greg auf dem Weg zu ihrem Wagen. "Jack hat sich verändert. Er wird nichts dagegen haben." Greg wirkte nicht gerade überzeugt. "Ich hatte mir mein Leben auch anders vorgestellt", gestand er mit einem Blick auf das mit Graffiti übersäte Gebäude. "Aber ich habe hier meinen Frieden gefunden." Casey lehnte sich gegen die Wagentür. "Wir haben uns alle umstellen müssen", sagte sie leise, bevor sie Greg lächelnd umarmte. "Wir sehen uns in zwei Tagen." Sie stieg ein. Als sie davonfuhr, fühlte sie sich so wohl wie schon lange nicht mehr. "Jetzt muß ich mir nur noch überlegen, wie ich es Jack beibringe." "Was hast du?" Jack sprach so laut, daß Casey zusammenzuckte. "Freust du dich nicht, daß ich mich in den Dienst einer guten Sache stelle?" "Bist du sicher, daß es dir nicht darum geht, dich in Gregs Dienst zu stellen?" fragte er schneidend. Sie hob die Hände. "Man bietet mir ein Büro mit Meerblick, einen Mercedes und Beteiligung am Firmenkapital", sagte sie. "Aber ich verzichte auf alles und fange in einer Armenpraxis an. Und das alles wegen der babyblauen Augen eines Mannes. Wie scharfsinnig von Ihnen, Dr. Larson." Jack saß mit verschränkten Armen da. "Du kennst also die Farbe seiner Augen."
"Du bist hoffnungslos!" rief Casey und beugte sich vor. "Jack Larson, noch ein dummes Wort, und ich entferne dir deine Stimmbänder. Ist das klar?" Jack antwortete nicht, sondern hielt das Gesicht in die frische Abendbrise. Was hatte sie erwartet? Daß er sich darüber freute, daß dieser. Greg keine dreißig Meilen entfernt lebte und sie auch noch mit ihm zusammenarbeiten wollte? "Woher weißt du, daß das alles nicht ein Trick von Greg ist, um dich zurückzubekommen?" Casey holte tief Luft. "Es kann kein Trick sein, um mich zurückzubekommen, weil Greg mich noch nie gehabt hat." Jack starrte auf den Pool hinter ihnen. "Er war gerissen genug, dich mit nach Südamerika zu nehmen. Warum sollte er es nicht ein zweites Mal versuchen?" Sie legte die Beine über die Lehne ihres Sessels. "Vorsicht, Jack, sonst denke ich noch, du bist eifersüchtig." "Ich bin nicht eifersüchtig", murmelte er trotzig. Casey setzte sich auf, und ihr Lächeln wurde breiter, als er errötete. "Natürlich nicht. Ich wüßte auch nicht, warum du das sein solltest. Ich bin nicht der, der zwei Ehefrauen hat." Jack sah sie an und mußte mehrmals tief durchatmen, um nicht die Fassung zu verlieren. "Diese Praxis macht also ein bißchen von allem, ja?" Sie nickte. "Zugegeben, die Ausstattung ist etwas veraltet, und sie brauchen Geld, aber sie tun, was sie können, um den Bedürftigen zu helfen." "Ich weiß, daß du nicht des Geldes wegen in die Medizin gegangen bist, aber du warst nie eine Samariterin", knurrte er. "Ich bin nicht mehr die, die ich mal war." "Was du nicht sagst. Ich verstehe nicht, was dir an Oceanview nicht gefällt. Dort würdest du auch mit Menschen arbeiten." "Aber mit Menschen, die mich nicht brauchen", erwiderte sie nachdrücklich.
"Der gute Greg hat deinen weichen Punkt gefunden, was?" Casey stand auf. "Hör endlich mit dem Unsinn auf!" rief sie erbost und trommelte mit den Händen auf seinen Schultern herum. Erfolglos versuchte Jack, die Schläge abzuwehren. Schließlich umschlang er ihre Taille und zog sie auf seinen Schoß. "Das macht Spaß", sagte er lachend und festigte seinen Griff, als sie zu zappeln begann. "Möchtest du ringen?" Sie senkte den Kopf, und er zuckte zurück. "Hast du etwa Angst, ich beiße, Jack?" "Nein." "Keine Angst, Jack, ich beiße nicht", versicherte sie ihm mit verführerischem Blick. "Es sei denn, du willst es." Jack wußte nicht, wie lange er ihr noch widerstehen konnte. Der sinnliche Duft ihres Parfüms schien ihn zu verzaubern. "Willst du es, Jack?" flüsterte sie, und ihr Atem strich heiß über seine Wange. "Möchtest du, daß ich an dir knabbere?" Ihre Zähne streiften seinen Hals. Es fiel ihm immer schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen, als er ihr seidiges Haar an der Wange und ihre kühlen Fingerspitzen an der Haut spürte. Der Druck ihrer festen Brüste wurde stärker, und er schnappte nach Luft. Ihr Blick war voller Wärme, als sie ihm in die Augen schaute. "Wie interessant", flüsterte sie, während sie über seine Schultern strich. "Es scheint dich nicht zu stören, daß ich hier sitze." Sie machte es sich noch bequemer. Ihr Herumrutschen trug nicht gerade zu Jacks Seelenfrieden bei. Am liebsten hätte er ihr die Bluse vom Körper gerissen und nachgesehen, ob sie überall braun war. Er wollte ihre Brüste umschließen und bezweifelte, daß sie sich dagegen wehren würde. Er mußte daran denken, wie lange es her war, daß er mit seiner Frau geschlafen hatte, und preßte sie an sich. Ihre Lippen glänzten korallenrot, waren feucht und ein wenig geöffnet.
Wenn das keine Einladung war ... Er würde sie nicht ablehnen, dazu hatte er zu lange gewartet. Also legte er die Hand um ihren Hinterkopf und drückte ihre Lippen auf seine. Die drei Jahre ohne sie hatten ihn ausgehungert, und die Berührung reichte aus, ihm den letzten Rest an Beherrschung zu rauben. Er verschwendete keinen Gedanken an Zärtlichkeit, sondern schob die Zunge in ihren Mund, um endlich den Hunger zu stillen, der ihn schon so lange quälte. Caseys Finger gruben sich in seine Schultern, doch er spürte keinen Schmerz, sondern ließ sich von ihrer Süße berauschen und fühlte, daß auch sie unersättlich war. Er zog sie weiter auf seinen Schoß und drückte sie an sich. Sie sollte wissen, wie erregt er war, wie sehr er sie begehrte. Er schob die Hand unter ihren Rock, um ihre nackte Haut zu ertasten. Die Wärme, die sie verströmte, steigerte die Wirkung ihres Parfüms, und es umhüllte ihn und nahm ihm jede Hemmung". "Hör nicht auf", hauchte sie. "Das könnte ich gar nicht mehr." Er stöhnte auf, als ihre Hände unter sein Hemd glitten, und flüsterte ihren Namen. Als sie quälend langsam abwärts wanderten, war er sicher, auf dem Weg ins Paradies zu sein. Er war schon deshalb sicher, weil er in der Ferne Glocken läuten hörte. "Jack, bist du da?" Die Stimme klang sanft, aber sie drang bis auf die Terrasse. Nan. Der Anrufbeantworter hatte sich eingeschaltet, und Nans Fragen waren nicht mehr zu überhören. Der Schock, der Jack traf, war wie eine eiskalte Dusche. Der Fluch, den er murmelte, als er aufsprang, war nicht druckreif. Der Fluch, der Casey entfuhr, als sie zu Boden fiel, war alles andere als damenhaft. "Verdammt", knurrte er und eilte davon. Casey stand langsam auf und rieb sich den schmerzenden Po.
"Was tust du?" fragte sie. Er schaute über die .Schulter. "Ich rede mit meiner Frau, das tue ich." "Mit deiner Frau? Ich war vor ihr deine Frau!" rief sie und starrte ungläubig durch die Terrassentür, während er mit Nan sprach. "Nein, Casey und ich haben gerade die Abendsonne auf der Terrasse genossen", sagte er fröhlich. "Wie läuft es bei dir?" Wenn Blicke töten könnten, wäre er längst tot, dachte Casey voller Zorn. Aber es wäre ein zu sanfter Tod für ihn. Sie stemmte die Hände in die Seiten und wartete. Er kam heraus, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und sie ohrfeigte ihn. "Früher habe ich mir mal unter dem Mikroskop äußerst eklige Krankheitserreger angesehen. Jetzt wird mir klar, daß die im Vergleich zu dir zahm waren", fuhr sie ihn an und ging davon. Jack sah ihr nach, dann über die Schulter zu dem unschuldig dastehenden Telefon. "Es gibt so etwas wie miserables Timing." "Für wen hält der Mann sich? Erst küßt er mich fast besinnungslos, dann wirft er mich hin wie ein lästiges Gepäckstück." Casey ging in ihrem kleinen Wohnzimmer auf und ab. Ihre eisige Miene hätte jeden Besucher zum sofortigen Rückzug bewegt. Ihr Blick war zornig, und ihre Augen schienen bei jedem Wort Funken zu versprühen. Sie schlug, mit der geballten Faust in die flache Hand, als würde sie jemandes Gesicht traktieren. "Eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung", wünschte sie Jack mit zusammengebissenen Zähnen. "Sechs Monate im Ganzkörpergips." "Du willst mich wirklich leiden sehen, was?" Casey wirbelte zu dem Mann herum, der im Eingang stand, und verfluchte sich, weil sie nicht abgeschlossen hatte.
"Leiden? O nein, ich will dich nicht leiden sehen." Sie verschränkte die Arme. "Ich will, daß du dir wünschst, du wärest tot," Ihr Lächeln war breit und so falsch wie Plastik. "Und wie geht es Nan? Hat sie die Geschäftswelt von Kansas City schon erobert?" "Das ist nicht fair, Casey." "Das Leben ist ungerecht", erwiderte sie. "Diese ganze Situation ist ungerecht. Und wenn es dir nichts ausmacht, geh mir endlich aus den Augen." Sie starrte ihn an. Jack blieb, wo er war. "Hätte das Telefon nicht geläutet, hätten wir Sekunden später miteinander geschlafen, und du hättest es genossen. Auch wenn du es noch so sehr bestreitest, es ist die Wahrheit." "Ich werde umziehen", sagte sie nur. Jack nickte. "Schön, Casey. Du hast immer getan, was du wolltest. Warum sollte es jetzt anders sein?"
10. KAPITEL "Es tut mir leid, Dr. Larson, aber wir brauchen Referenzen", erklärte die Maklerin. Casey seufzte. Sie hatte sich auf Anhieb in das kleine Haus verliebt, das sie gerade besichtigt hatte. Es lag gegenüber dem Strand an der Straße, und sie wollte es unbedingt haben. Leise nannte sie der Frau Jacks Namen und Adresse. "Ein Angehöriger?" fragte Mrs. Anderson. Casey lächelte gezwungen. "Mein Bruder." Zehn Minuten nach dem Anruf war der Mietvertrag unterschrieben, und Casey hielt die Schlüssel in Händen. Danach bummelte sie durch Einrichtungsgeschäfte und Warenhäuser. Aber selbst während sie Bettwäsche und Handtücher aussuchte, spürte sie den bohrenden Schmerz im Innern. Sie wußte, daß es keine andere Möglichkeit gab. Aber warum tat es so weh? Während sie die Einkäufe in den Wagen lud, sagte sie sich immer wieder, daß sie das Richtige tat. Jack und sie brauchten Distanz. Sie wollte keine Distanz. Sie wollte Nähe. Sie wollte die Abende mit ihm verbringen, wollte herausfinden, welche Bücher er in den letzten drei Jahren gelesen hatte. Sie blinzelte heftig, um nicht zu weinen.
Als sie zum Gästehaus zurückkehrte, sah sie, daß Jacks Wagen in der Garage stand. Sie wollte ihm nicht begegnen und ging hastig hinein. Sie warf die Tasche auf die Couch, streifte die Sandalen ab, knöpfte die Bluse auf und zog sie aus der Hose. Sie holte sich eine Dose Cola, nahm einen tiefen Schluck und ließ sich auf die Couch fallen. Sie preßte die Dose an die Schläfen, um den Kopfschmerz zu bekämpfen. Die Ursache war Selbstmitleid, da halfen Tabletten nicht. "Du hast keine Zeit verschwendet, was?" sagte Jack gepreßt. Er stand in der Tür und sah sie an, als rechnete er damit, daß sie die Dose nach ihm werfen würde. "Was kann ich sagen? Das Haus ist ideal. Es liegt in einer netten, ruhigen Gegend, nah am Strand, nicht weit von der Praxis." Sie gähnte. "Ich hätte nicht gedacht, daß Einkaufen so anstrengend sein kann." "Ich verstehe." Er setzte sich in den Sessel. "Warum hast du ein Haus und keine Wohnung gemietet?" "Ich habe ein Vorkaufsrecht auf das Haus. Es gefällt mir. Wer weiß, vielleicht nehme ich mir sogar eine Katze." Fassungslos schüttelte Jack den Kopf. "Du haßt Katzen und hast immer behauptet, sie würden die Menschen nur verachten und Allergien auslösen." "Inzwischen finde ich sie gar nicht mehr so übel." Sie legte die Füße auf den Tisch. "Sie kommen gut allein zurecht, also ist es nicht schlimm, wenn ich lange arbeite." "Hältst du es für eine gute Idee, in einer so rauhen Gegend zu arbeiten?" "Nach dem Urwald werde ich mich dort wie in Disneyland fühlen. Wenigstens werde ich kein menschliches Nadelkissen für stechfreudige Insekten sein. Möchtest du etwas trinken?" "Ich hole mir etwas." Er stand auf, ging in die Küche und kehrte mit einer Cola zurück. "Es tut mir leid, Casey." Sie wußte sofort, wofür er sich entschuldigte.
"So etwas passiert eben." Sie zuckte mit den Schultern. "Die Abendstimmung, der Wein." Nicht für eine Million Dollar würde sie zugeben, wie sehr seine Reaktion auf Nans Anruf ihr weh tat. Also starrte sie vor sich hin und trank. "Ich kann nicht mehr hierbleiben, Jack", sagte sie leise. "Das weißt du." "Ja, das weiß ich", murmelte er. "Ich werde so gut ich kann deine Schwester spielen, aber verlang bitte nicht mehr von mir. Es wäre unfair, uns beiden gegenüber." "Nan wird in drei Tagen zurück sein", verkündete er mit ausdrucksloser Stimme. "Bis dahin werde ich in meinem Haus wohnen." Sie stellte die Dose ab. "Die Möbel werden morgen geliefert, danach brauche ich nur noch meine Sachen zu holen." Sie stand auf und streckte sich. "Ich habe viel zu tun." Sie wollte, daß er ging, sprach es jedoch nicht aus. Sie sah ihn nicht an und spürte seinen Blick wie eine Berührung. "Ich hoffe, du gibst mir deine Nummer, sobald du ein Telefon .bekommst", sagte er. "Du wirst wahrscheinlich mehr Glück haben, wenn du mich in der Praxis anrufst", erwiderte sie. Jack stand schwerfällig auf, als wäre er in den letzten Minuten um Jahre gealtert. "Wenn du das willst." "So würde Norton es wollen, und was immer er will, tust du doch", entgegnete sie scharf. "Sag mir, Jack, wenn er ein Enkelkind will, verschaffst du ihm dann eins?" "Das ist nicht komisch, Casey." Sie lächelte eisig. "Vielleicht nicht. Aber ich bin ja auch nicht diejenige, die ihm gehorchen muß, nicht wahr?" Jack ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Casey brach in Tränen aus.
Als Casey am Tag darauf ihren Wagen belud, war Jack nirgends zu sehen. Im neuen Haus ging sie durch sämtliche Zimmer und überlegte, wie sie sie einrichten sollte. Nachdem sie in der Küche Gardinen aufgehängt hatte, setzte sie sich auf die Spüle und trank den Eistee, den sie unterwegs gekauft hatte. "Alles meins", murmelte sie und starrte auf die altmodischen Schränke, in denen jetzt ihr Geschirr stand. "Alles meins", wiederholte und wäre fast wieder in Tränen ausgebrochen, so sehr wünschte sie, Jack wäre jetzt hier. Sie sehnte sich danach, ihm zu erzählen, wovon sie im Urwald geträumt hatte. Sie hatte sich auf die gemeinsame Zukunft gefreut. Casey konnte sich nicht erinnern, daß sie sich schon jemals so allein gefühlt hatte. Jack parkte auf der anderen Straßenseite und schaute zu Caseys Haus hinüber. Ein Möbelwagen stand in der Einfahrt, und zwei Männer trugen eine Couch hinein. Kurz darauf hielt ein Lieferwagen und brachte ein Fernsehgerät, eine Stereoanlage, einen Kühlschrank, eine Waschmaschine und einen Trockner. Hin und wieder sah er Casey in der Tür stehen. Ihre Begeisterung tat ihm weh. Sie lachte und plauderte mit den Lieferanten. Warum war sie so nett zu anderen Männern und so unfreundlich zu ihm? Verdammt, hatte sie vergessen, daß sie mit ihm verheiratet war? Die Eifersucht überlagerte das Selbstmitleid, Du hast sie verleugnet, Jack, flüsterte seine innere Stimme. Sie ist umgezogen, um es dir leichter zu machen. "Ich hasse es, ein schlechtes Gewissen zu haben", murmelte er und starrte zornig auf das kleine Haus mit den hellgrünen Türen und Fensterläden. "Trotzdem sollte sie vorsichtig sein.
Manche Männer könnten ihre umgängliche Art als Aufforderung deuten." Es war schlimm genug, daß sie sich die langen Haare abgeschnitten hatte und kurze Sachen trug, daß sie sich neuerdings Augen und Mund schminkte. Mußte sie auch noch mit anderen Männern flirten? Jack versank immer tiefer in seiner Depression. Die beiden Transporter fuhren davon und wurden von einem Wagen der Telefongesellschaft abgelöst. "Wieso bekommt sie so schnell ein Telefon?" knurrte er. "Ich mußte zwei Wochen warten." Er bekam nicht mit, wie hinter ihm ein Streifenwagen hielt und ein Uniformierter an die Fahrertür trat. Erst als es klopfte, schaute er hinaus, direkt in die Sonnenbrille des Polizisten. "Haben Sie Probleme mit Ihrem Wagen, Sir?" fragte der Beamte höflich. "Nein, Officer, ich sehe nur zu, wie meine Frau in das Haus dort zieht." Der Polizist musterte ihn gründlich. "Ihre Frau?" Jack nickte. Der Beamte richtete sich auf. "Wie auch immer, Sir, Sie dürfen hier nicht parken. Also schlage ich vor, Sie fahren weiter oder reden friedlich mit Ihrer Frau. Vielleicht finden Sie beide ja eine Lösung. Obwohl..." Er sah über die Schulter. "Bei dem, was hier seit zwei Stunden los ist, hätte das wohl nicht viel Sinn. Wenn ich wieder vorbeikomme, möchte ich Sie hier nicht mehr sehen. Verstanden?" Jacks Lachen verblaßte. Er startete den Motor. "Allerdings, Officer." Als Casey die Praxis betrat, kam es ihr vor, als wäre sie in einem Krisengebiet gelandet. Der Warteraum war brechend voll.
"Ein Bandenkrieg ist außer Kontrolle geraten", erklärte Ron, während er einige Akten vom Tresen nahm und ihr eine reichte. "Such dir jemanden aus und geh in ein freies Zimmer." Casey rief den Namen, der auf dem Aktendeckel stand, und ein junges Mädchen mit einem provisorischen Verband stand auf. Einige Minuten später hatte sie die Wunde am Arm genäht und verbunden. Danach hielt sie ihrer ersten Patientin das große Glas mit Lollis hin, das sie mitgebracht hatte. "Tolle Idee", meinte Greg, als er vorbeikam. Er nahm sich einen. "Ab jetzt werden die Kids nur noch zu dir wollen." Er wickelte ihn aus und steckte ihn in den Mund. "Mm, Traubengeschmack", schwärmte er und eilte weiter. Casey achtete nicht mehr auf die Zeit, während sie einen Patienten nach dem anderen behandelte. Trina und Heidi, die beiden Krankenschwestern halfen ihr. Als das Wartezimmer sich endlich geleert hatte, war es nach zwei. Sie ließ sich auf einen der Untersuchungstische sinken und schloß die Augen. Kaffeeduft stieg ihr in die Nase, und sie riß sie wieder auf. Sie nahm Greg den Becher aus der Hand, trank hastig und verzog das Gesicht. "Das war der Willkommensdrink, was?" Greg setzte sich auf den Hocker. "Ehrlich, ich habe nicht erwartet, daß es an deinem ersten Tag so hektisch wird." Sie machte eine abwehrende Handbewegung. "Ich wollte Arbeit und habe sie bekommen. Ich werde die kurze Pause nutzen, um den Wagen auszuladen." Zwanzig Minuten später war der Warteraum mit Zeitschriften, Kinderbüchern und Puzzles, bunten Postern und Bonbongläsern ausgestattet. Sogar eine neue Kaffeemaschine hatte Casey gekauft. "Du machst keine halben Sachen, was?" meinte Ron und schüttelte den Kopf. "Also, nach dem, was Greg mir über dich erzählt hat..." Casey lächelte nur.
Der Nachmittag verlief ruhiger, aber Casey hatte trotzdem so viel zu tun, daß sie sich am Abend wie erschlagen fühlte. Als sie am Büro vorbeikam, sah sie Ron und Greg mit einer Flasche Whiskey auf der Couch sitzen. "Möchtest du einen?" Greg hielt ein halbgefülltes Glas hoch. "Rein medizinisch, natürlich." "Danke, ich möchte lieber ein heißes Bad." "Morgen haben wir auch abends geöffnet. Könntest du mittags kommen?" fragte Ron. "Wenn ich ausschlafen kann, bleibe ich gern länger. Bis dann." Sie winkte den beiden zu und ging wieder hinaus. Als sie in ihre Garage fuhr, beschloß sie, auf das Bad zu verzichten und gleich ins Bett zu gehen. Gähnend ging sie ins Schlafzimmer und zog sich aus. Sobald ihr Kopf das Kissen berührte, fielen ihr die Augen zu. "Schön, dich zu sehen, Jack." Norton schüttelte seinem Schwiegersohn die Hand. "Wie geht es einem Mann, der so kurz nach der Hochzeit schon Strohwitwer ist?" Er führte ihn ins Arbeitszimmer. Jack bemerkte den Zigarrenduft sofort. Dabei hatten die Ärzte Norton das Rauchen verboten. "Um so mehr weiß ich es zu schätzen, verheiratet zu sein", erwiderte Jack lächelnd, wurde aber sofort ernst, als er den Mann im Ledersessel bemerkte. "Gerald. Was für eine Überraschung." Er nickte ihm zu. "Jack." Sein Gegenüber lächelte nicht. "Was möchtest du trinken, Jack?" fragte Norton. "Ein Wasser, bitte." Er setzte sich. "Wie geht es Nan?" Norton füllte ein Glas und reichte es Jack. "Ich kann noch immer nicht glauben, daß du sie allein hast fliegen lassen." "Sie kommt allein zurecht", erklärte Jack. "Außerdem mußte jemand hier die Stellung halten."
"Wenn du ihr gleich zu Beginn zu viele Freiheiten läßt, wird sie sich daran gewöhnen", warnte sein Schwiegervater. "Du hast eins vergessen, Norton", antwortete Jack verärgert. "Wir leben in den Neunzigern, und Frauen sind genauso qualifiziert wie Männer." "Ich weiß nicht, Jack." Gerald zog an seiner Zigarre. "Sie scheinen mit Ihren Ehefrauen nicht viel Glück zu haben. Die erste stirbt, und jetzt fliegt die zweite aus, noch bevor die Flitterwochen vorüber sind." Jack erstarrte. "Das war geschmacklos, Gerald." Gerald lächelte und murmelte eine Entschuldigung, die nicht sehr ernst klang. "Hat Ihre Schwester Ihnen von dem Angebot erzählt, das ich ihr unterbreitet habe?" fragte er unvermittelt. "Hat sie." Jack hätte eine Ahnung, wohin dieses Gespräch führen sollte, und wußte, daß es keine erfreuliche Richtung war. Gerald beugte sich vor und unterstrich seine Worte mit der qualmenden Zigarre. "Ich muß sagen, Casey hat ausgezeichnete Voraussetzungen und könnte es mit der richtigen Hilfe sehr weit bringen. Was ich nicht verstehe, warum sie ihr Talent an eine Arme-Leute-Praxis verschwendet." Angewidert schüttelte er den Kopf. "Sie sollten mit ihr reden." Jetzt wußte Jack, warum er hergebeten worden war. "Denken Sie an Casey", mischte Norton sich ein. "Die Leute wissen doch gar nicht zu schätzen, was sie für sie tut." "Sagen Sie ihr, wieviel Gutes sie bei Oceanview tun kann." Gerald lehnte sich zurück. Jack schmunzelte. Die beiden Männer starrten ihn an, als hätte er den Verstand verloren. "Ich halte das nicht für lustig", meinte Gerald entrüstet. "Glauben Sie mir, Gerald, es ist geradezu komisch. Casey hat einen eigenen Kopf und tut, was sie will. Und wenn sie das wirklich will, werde ich sie unterstützen", verkündete Jack. "Dann unterstütze sie, wenn sie bei Oceanview arbeitet", drängte Norton.
Jack war der Blick, den die beiden wechselten, nicht entgangen. Was führten sie im Schilde? "Warum ist es Ihnen so wichtig, Casey bei sich zu haben?" fragte er Gerald. "Die Stelle ist frei, und sie ist eine qualifizierte Ärztin." Jack schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, das reicht nicht." Er leerte das Glas und erhob sich. "Norton, danke für den Drink. Gerald." Er nickte dem Arzt zu und ging zur Tür. "Wir wollen dir doch nur helfen, Jack", rief Norton ihm nach. "Du willst deine Schwester in der Nähe haben, und dafür will ich sorgen" "Danke, aber du hast bereits genug getan", sagte Jack, ohne stehenzubleiben. "Guten Abend." Casey war so müde zu Bett gegangen, daß sie nicht erwartet hatte zu träumen - erst recht nicht von Jack. Als sie am nächsten Morgen erwachte, war das Laken zerwühlt und ihre Haut schweißnaß. Sie ging in die Küche, wo der automatische Kaffeebereiter sein Werk getan hatte und sie sich gleich eine Tasse einschenken konnte. Mit dem Becher ging sie ins Bad und stellte die Dusche an. Das starke Gebräu und das fast ebenso heiße Wasser taten gut. Während sie das Frühstück machte, dachte sie an Jack und sah immer wieder zum Telefon hinüber. Sie berührte den Hörer. Sie zögerte und legte wieder auf, als ihr einfiel, daß sie seine Büronummer nicht kannte. Sie holte das Notizbuch heraus, und wenig später war sie mit Jacks Vorzimmer verbunden. "O ja, Dr. Larson, Ihr Bruder hat mich angewiesen, Sie sofort durchzustellen", sagte die Sekretärin. Bevor Casey antworten konnte, meldete sich Jack. "Wie geht es dir?" fragte er leise. "Ich habe den ersten Arbeitstag überlebt", erwiderte sie. "Und dir?"
"Ganz gut. Übrigens habe ich gestern abend mit Gerald gesprochen. Er konnte es nicht fassen, daß du sein Angebot abgelehnt hast, um in einer Arme-Leute-Praxis zu arbeiten." Jack schmunzelte. "Er wirkte sehr gekränkt." "Wo bist du ihm begegnet?" "Norton hat mich zu einem Drink eingeladen." "Oh, ein Abend mit dem Schwiegervater", säuselte sie. "Das muß interessant gewesen sein." "Interessant war nur, daß Gerald dort war." Casey setzte den Becher wieder ab. "Offenbar kein Zufall. Der gute alte Gerald ist Absagen nicht gewöhnt." "Er will, daß ich mit dir darüber rede." Sie schob zwei Scheiben in den Toaster. "So, will er das? Und was hast du ihm gesagt?" "Was glaubst du wohl? Daß du tust, was du willst, natürlich. Ich hätte ihm auch sagen können, daß ich der letzte Mensch bin, auf den du hören würdest", fügte er hinzu. "Wirkt Norton noch immer so fit?" "Er sah ganz gesund aus." "Erstaunlich, was? Tut mir leid, Jack, aber ich muß in die Praxis. Komm doch mal vorbei und sieh sie dir an. Dann kannst du es deinem Schwiegervater und seinem Freund Gerald berichten." "Das ist nicht komisch, Casey." "Das sollte es auch nicht. Hast du etwas von Nan gehört?" Sie hörte ihn etwas Wütendes murmeln. "Hast du sonst nichts zu sagen?" fragte er. mürrisch. "Nein." "Ich habe eine Besprechung." "Denk daran, Jack, laß dir von denen nicht die Seele rauben." "Auf Wiedersehen, Casey." Sie legte auf und starrte den Apparat an. "Ich hoffe nur, du kannst dich retten, bevor es zu spät ist."
11. KAPITEL Selbst im größten Trubel, wenn die Praxis voller Patienten war, hielt Casey nach Jack Ausschau. Sie war sicher gewesen, daß er vorbeikommen würde, aber langsam schwand ihre Hoffnung. Außerdem stellte sie fest, daß ihr Zorn auf ihn ebenfalls abnahm. "Was ist mit Jonathon?" riß Greg sie aus ihren trüben Gedanken. Casey sah auf. Er stand vor ihrem Zimmer, einen dampfenden Becher in der Hand. "Wie bitte?" "Ich sagte, es wundert mich, daß Jonathon nichts gegen deine Arbeit hat. Überstunden ... nicht gerade wohlhabende Patienten." Er reichte ihr den Kaffee. "Wo er doch eine so reiche Frau hat." Casey antwortete nicht. Greg lächelte. "Hin und wieder lese selbst ich Zeitung. Der Bericht über Jonathons Heirat war nicht zu übersehen." Er warf einen vielsagenden Blick auf den schlichten Goldring, den sie am Ringfinger der linken Hand trug. Sie spürte, wie sie errötete. "Weiß es sonst noch jemand?" "Gesagt hat noch niemand etwas. Aber du hast ja auch nur erzählt, daß du verheiratet bist, nichts von deinem Mann." "Es ist eine seltsame Geschichte", murmelte sie. "Er dachte, ich wäre tot, und hat Nan geheiratet."
"Und er ist noch immer mit ihr verheiratet?" Er schaute ihr ins Gesicht. "Casey, ich bin Arzt, kein Anwalt, aber selbst ich weiß, daß man so etwas Bigamie nennt." Um nicht sofort antworten zu müssen, nahm Casey einen Schluck Kaffee. "Es ist kompliziert", begann sie. Greg zog eine Augenbraue hoch. "Ist jemand da?" fragte plötzlich jemand mit schwerer Stimme. Casey war froh über die Unterbrechung, aber die Stimme aus dem Warteraum klang irgendwie vertraut, und eigentlich wollte Casey sie in diesem Moment lieber nicht hören. Sie setzte ein falsches Lächeln auf, stellte den Becher auf den Boden und erhob sich von der Couch. "Genau das, was wir jetzt brauchen", murmelte Greg. "Ein Betrunkener." Casey hielt ihn fest. "Ich kümmere mich darum", sagte sie und eilte hinaus. "Ich lasse dich nicht allein", erklärte er und folgte ihr. "Betrunkene können sehr unangenehm werden." Casey wäre fast umgefallen, als Greg gegen ihren Rücken prallte. Sie war abrupt stehengeblieben, als sie den Besucher sah. Greg schaute über ihre Schulter. "Jonathon?" fragte er ungläubig. "Jack, was tust du hier?" fragte sie ruhiger, als sie sich fühlte. Zugleich schob sie Greg mit dem Ellbogen nach hinten. Schwankend stand Jack vor ihr. Seine Krawatte hing schief und locker, sein Hemd war halb aufgeknöpft. Mit geröteten Augen starrte er sie an. "Du hast gesagt... ich soll dich mal... besuchen", sagte er und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie betrunken er war. "Deshalb bin ich hier." "Du bist betrunken", erwiderte sie. Jack mußte sich an der Wand abstützen. "Bin ich nicht... Ich bin nur sehr entspannt." Er kniff die Augen zusammen und
winkte Greg zu. "He, ist das Greg? Hi, Greg. Wie zum Teufel ... geht es dir?" Casey seufzte. "Ich bringe ihn um." "Nicht nötig", erwiderte Greg belustigt. "Wenn er morgen früh aufwacht, wird er wünschen, er wäre tot. Hi, Jonathon. Du siehst anders aus." "Weil ich nicht mehr so heiße. Alle nennen mich Jack." Er schüttelte heftig den Kopf, und sein schiefes Lächeln wirkte komisch. "Ich habe Casey was mitgebracht." Er hielt einen großen Beutel Buttertoffee-Erdnüsse hoch. "Die mochtest du doch immer." Eine Sekunde lang wurde Casey warm ums Herz. Er erinnerte sich daran. Doch dann wurde sie wütend. Wie konnte er es wagen, in diesem Zustand hier aufzutauchen! "Ich glaube, dies ist kein guter Zeitpunkt, Jack." "Ich hätte nie gedacht, daß ich unseren korrekten Jonathon einmal so erleben würde", schmunzelte Greg und handelte sich damit einen strengen Blick von Casey ein. "Du bist doch nicht etwa so gefahren?" fragte sie scharf. "Nein ... Konnte die Schlüssel nicht finden ... also habe ich ein Taxi genommen. Ich habe dem Fahrer gesagt, daß du Ärztin bist." Er lächelte. "Wo sind all die Patienten?" "Hilf mir, ihn in meinen Wagen zu schaffen", sagte Casey zu Greg und packte ihren schwankenden Ehemann am Arm. "Ich wußte, daß du mich sehen willst", sagte Jack und spitzte die Lippen. Er roch nach Whiskey. "Gib mir einen Kuß." Casey drehte den Kopf zur Seite. "Ganz bestimmt nicht. Verdammt, Greg, nimm endlich den anderen Arm!" "Ja, Frau Doktor", erwiderte er grinsend. Jack sah sich um. "Wohin gehen wir?" murmelte er, als sie ihn nach draußen schleiften. "Ich bringe dich nach Hause, Jack", sagte sie und schob ihn gegen die Wagenseite. Als er langsam nach unten zu gleiten
begann, riß sie ihn am Arm wieder hoch. "Greg, halt ihn fest, damit ich die Tür auf schließen kann." "Und warum hast du heute abend getrunken, Jack?" fragte Greg. Jack hob mühsam den Kopf. "Ich habe dich für einen Mistkerl gehalten, weil du mir meine Frau weggenommen hast. Aber ohne dich wären wir jetzt nicht hier." Er streckte die Arme nach ihr aus. "Jetzt ist sie zwar zu mir zurückgekehrt, aber sie ist auch bei dir." Er schüttelte den Kopf. "Verdammt, irgendwie wiederholt sich immer alles, was?" Greg lachte schallend, verstummte jedoch, als Casey ihm einen wütenden Blick zuwarf. "Glaub mir, das nächste Mal darfst du drei Jahre mit ihr im Urwald verbringen, Jack", sagte er. Jack starrte ihn blinzelnd an. "Du warst mit meiner Frau im Urwald? Wann?" "O nein", murmelte Casey und schob ihn unsanft auf den Beifahrersitz. Als er es nicht schaffte, sich allein anzuschnallen, half sie ihm und zog den Gurt so fest wie möglich. Dann drehte sie sich zu Greg um. "Kein Wort zu irgend jemandem", sagte sie mit erhobenem Zeigefinger. Bevor Greg antworten konnte, ging sie zur Fahrertür und öffnete. Sie verzog das Gesicht, als ihr ein nicht sehr melodischer Gesang entgegenschlug. "Halt den Mund, Jack", befahl sie und stieg ein. "Armer Jack", murmelte Greg, während er den beiden nachsah. "Denn wenn er wieder nüchtern ist, wird sie ihn umbringen." "Jack, ich schwöre, wenn du nicht den Mund hältst, stopfe ich dir dein Hemd hinein", drohte Casey, während sie ihn aus dem Wagen zog. "Hilf mir gefälligst." Sie schob ihn in die Garage und durch die Hintertür. "Wow, ist das hier bunt", sagte Jack und schaute sich neugierig in der Küche um, als Casey das Licht einschaltete.
"Setz dich", befahl sie und beförderte ihn auf einen Stuhl. Blinzelnd beobachtete er, wie sie Orangensaft aus dem Kühlschrank holte, ein Glas füllte und es ihm reichte. "Trink das." Sie nahm ein Fläschchen aus dem Schrank, schüttelte sich zwei Tabletten in die Hand und hielt sie ihm hin. "Was ist das?" fragte er mißtrauisch. "Kopfschmerztabletten. Du wirst sie brauchen." Sie hielt sie ihm vors Gesicht. Gehorsam schluckte er sie herunter. "Ich bin müde." "Du kannst auf der Couch schlafen." "Aber ich wollte dir doch bei der Arbeit zusehen", murmelte er auf dem Weg ins Wohnzimmer. Dort angekommen, fiel er rücklings auf die Couch. "Zieh die Schuhe aus", befahl sie und holte eine Decke und ein Kissen aus dem Schlafzimmer. Sie legte beides auf die Couch und betrachtete Jack. So zerzaust und außer Kontrolle hatte sie ihn noch nie erlebt. Dies war nicht der Mann, den sie kannte. Unbeholfen streifte er die Slipper und die Krawatte ab. "Ich bin nur gekommen, weil du mich eingeladen hast", flüsterte er. Casey schloß kurz die Augen, bevor sie sich einen Ruck gab und in ihrer schwarzen Tasche nach der Einwegspritze und dem Fläschchen suchte. "Zieh die Hose herunter, Jack." Er lächelte. "Ich wußte, daß du mich noch magst." Sie zog die Spritze auf. "Mach dir keine falschen Hoffnungen", warnte sie. Jack stand auf und öffnete den Gürtel. Er schob Hose und Boxershorts nach unten und drehte sich um. Casey starrte auf das feste, knackige Hinterteil und ärgerte sich darüber, daß sie den Anblick genoß. "Es tut doch nicht weh, oder? Au!" schrie er.
Lächelnd desinfizierte Casey die Einstichstelle mit einem in Alkohol getränkten Wattebausch "Tut mir leid, ich hätte etwas vorsichtiger sein sollen", entschuldigte sie sich, ohne auch nur das geringste Mitleid zu empfinden. "Aber das Vitamin B wird dir gegen den Kater helfen." "Ich bekomme nie einen Kater", protestierte er und ließ sich wieder auf die Couch fallen. Als sein lädierter Po das Polster berührte, schrie er auf. Dann warf er Casey einen gequälten Blick zu und drehte sich auf die Seite. Er schob sich das Kissen unter den Kopf, deckte sich zu und war Sekunden später eingeschlafen. "Du betrinkst dich nie und hast keine Ahnung, wie du dich morgen früh fühlen wirst", sagte sie und zog die Decke zurecht. Sie ging ins Bad und ließ heißes Wasser in die Wanne laufen. Doch als sie in dem nach Zimt duftenden Schaum lag, wartete sie vergeblich darauf, daß sie ruhiger wurde und sich entspannte. "Ich glaube es nicht!" stöhnte sie. Jacks Schnarchen drang mühelos durch die Tür und hallte von den gekachelten Wänden wider. Als sie kurz darauf ins Bett ging, lauschte sie den irgendwie vertrauten Lauten aus dem Wohnzimmer. Im Halbschlaf glaubte sie, das Rauschen der Dusche zu hören. Wenig später spürte sie, wie die Matratze sich bewegte und ein kühler Windzug über ihre Haut strich. "Hallo." Noch immer schlafend, schlang Casey automatisch die Arme um die breiten Schultern, die sich an ihrer Haut feucht anfühlten. "Du riechst gut", flüsterte eine Männerstimme. Sie gab sich dem Traum hin und befand sich plötzlich in dem größten Bett, das sie je gesehen hatte. Sie lag mitten darauf und Jack beugte sich über sie. Sie waren beide nackt. "Mm", murmelte sie und genoß es, als ihr Traum-Jack seine Lippen über ihren Nacken und den Rücken wandern ließ. Sie
lachte und wand sich unter seinem suchenden Mund. Dann begann sie zu schnurren, als eine Hand ihre Brust umschloß und ein Daumen die Knospe umkreiste. Der Traum wurde immer erotischer. Und immer realistischer. Unglaublich. Casey war sicher, daß sie schlief, sonst hätte sie glauben können, daß Jack tätsächlich mit ihr im Bett lag. "Du fühlst dich so gut an", flüsterte er und knabberte an ihrem Ohrläppchen. Casey lächelte im Schlaf und drehte sich zu ihrem TraumJack. Die Worte, mit denen er von ihrem Körper schwärmte, waren wie ein berauschendes Elixier. Sie seufzte, als seine Lippen ihren Bauch streichelten. Sie spreizte die Beine, als sie seine Hände an den Schenkeln spürte. Sie stöhnte auf, als seine Finger sie liebkosten, und hob ihm erwartungsvoll die Hüften entgegen. "Laß mich dich lieben, Casey", murmelte ihr Traum-Jack. Sie konnte ja sagen. Es spielte keine Rolle, denn sie befand sich mitten in einem Traum, der heißer war als alles, wovon sie im Urwald geträumt hatte. Auch wenn es über drei Jahre her war, daß sie mit ihrem Mann geschlafen hatte, das Gefühl war noch da, war sogar noch stärker, noch intensiver. Sie schlang die Beine um seine Taille und preßte sich an ihn, als er endlich in sie eindrang. Sie staunte, daß ein Traum so realistisch sein konnte. Sie bemerkte, daß sein Atem nach Pfefferminz duftete, daß seine Haut sich rauh anfühlte, daß seine Stimme in ihr zu vibrieren schien. Als das Feuer ihren ganzen Körper erfaßte, war es so, wie sie es noch nie erlebt hatte. Schlagartig wurde ihr bewußt, daß dies gar kein Traum war. In ihrem Bett lag ein wirklicher Mann, und sie schlief mit ihm! Sie riß die Augen auf und starrte in Jacks Gesicht, das ihr eigenes Verlangen widerspiegelte. Casey wußte nicht, was sie sagen oder tun sollte. Sie hätte auch gar nicht reagieren können, denn ihr Körper tat, was er
wollte. Sie packte Jacks Schultern und preßte sich an ihn, während er sie mit in schwindelnde Höhen nahm. Sie spürte, wie er mit ihr zusammen den Gipfel erreichte. "Ich glaube, ich habe gerade das perfekte Mittel gegen den Kater gefunden", murmelte er. Sie ließ den Kopf aufs Kissen fallen und fühlte sich, als wäre sie gerade aus einer Achterbahn gestiegen. Sie zwang sich, gleichmäßig zu atmen. "Ich dachte, ich träume", flüsterte sie mit noch immer heftig klopfendem Herzen. "Du hast dich aber nicht so benommen, als würdest du träumen", erwiderte Jack verschmitzt. "Ich fühle mich wie nach einer Achterbahnfahrt." Sie lächelte glücklich. "Honey, du hast gerade das gesagt, was ein Mann hören will." Er knabberte an ihrem Ohr. Sie schloß die Augen und drehte den Kopf, um es ihm zu erleichtern. "Das hier ist viel besser als jeder Traum", stöhnte sie, als seine Lippen sich um ihr Ohrläppchen und seine Hand sich auf ihren Bauch legte. Sie hielt den Atem an. "Diesmal wirst du wissen, daß es kein Traum ist", sagte er und küßte sie voller Leidenschaft. Erneut gab Casey sich dem sinnlichen Taumel hin, während Jack sie mit jeder seiner Bewegungen tiefer und tiefer in den Strudel zog. Sie legte die Beine um seine Oberschenkel und paßte sich seinem Rhythmus an. Was sie vor Jahren miteinander geteilt hatten, war lau gewesen, verglichen mit dem Feuer, das jetzt in ihr loderte. Ihre Lippen verschmolzen wie ihre Körper, während sie gemeinsam Erfüllung suchten. Als sie sie fanden, war es, als wären sie der wirklichen Welt entrückt. Diesmal nahm Jack Casey in die Arme, und sie schob ein Bein über ihn und legte die Wange an seine. Mit den Fingerspitzen strich sie durch das feuchte Haar an seiner Brust. Plötzlich mußte sie lächeln. Warum auch nicht? Sie wußte, daß
er sich endlich entschieden hatte. Für sie! Jetzt würde sie doch nicht allein in dem neuen Haus leben müssen. "Schöner kann es nicht werden", sagte sie mit verträumter Stimme und ließ ihre Finger an Jack nach unten gleiten, bis sie ihr Ziel erreichten. "Verdammt, Casey. Willst du mich umbringen?" "Umbringen?" Sie zog eine Augenbraue hoch. Ihr Lächeln war das einer ganz und gar zufriedenen Frau, die sich ihrer Macht durchaus bewußt war. "Wenn ich das täte, hätte ich nichts mehr von dir." Sie stützte sich auf einen Arm. "Und ich will mehr von dir, den ganzen Tag lang." Sie warf einen Blick auf die Uhr. "Es ist erst zehn." Sie küßte ihn zärtlich. "Zehn!" Jack schoß hoch, und Casey fiel zurück. "Verdammt! Nans Maschine landet am Mittag." Er sprang aus dem Bett und sammelte seine auf dem Boden verstreuten Sachen zusammen. Casey haßte sich für das, was sie getan hatte. Sie hatte vollkommen vergessen, daß Jack ein anderes Leben hatte. "Ich habe versprochen, sie abzuholen", erklärte Jack, während er sich hastig anzog. Casey setzte sich auf und zog das Laken bis zum Kinn hoch. Plötzlich schämte sie sich ihrer Nacktheit. Sie wußte nicht, ob sie weinen oder zornig sein sollte. "Komm nie wieder in die Praxis", sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. "Oder hierher." Jack sah auf. Er begriff, was er ihr angetan hatte. "Casey..." Sie schüttelte den Kopf. "Sag jetzt nichts mehr. Laß mich einfach nur in Ruhe." Sie legte sich hin und drehte ihm den Rücken zu. Im Spiegel sah sie, wie er sich über sie beugte, um etwas zu sagen. Doch dann zögerte er und ging leise hinaus. Kurz darauf hörte sie, wie er in der Küche nach einem Taxi telefonierte. Sie hoffte, daß er noch einmal zurückkommen würde, doch das tat er nicht.
Wenig später ertönte auf der Straße eine Hupe, dann wurde die Haustür geöffnet und wieder geschlossen. Sie hörte das sich entfernende Taxi. Casey wußte nicht, wie lange sie danach zusammengerollt im Bett lag. Sie wußte nur, daß ihr alles weh tat, und versuchte, wenigstens den Schmerz zu ignorieren, der ihr Herz zu zerreißen drohte. Irgendwann ging sie ins Bad und duschte ausgiebig, bis Jacks Duft verschwunden war. Falls ihr Tränen über das Gesicht strömten, so merkte sie es nicht, denn der heiße Wasserstrahl schwemmte alles fort, was ihr etwas bedeutet hatte.
12. KAPITEL An diesem Morgen hätte niemand Jack mehr hassen können als er selbst. Er bedachte sich mit sämtlichen Schimpfwörtern, die ihm einfielen, aber nichts linderte den Schmerz, der tief in ihm wütete. Er kehrte nach Hause zurück und duschte, obwohl er Caseys Duft am liebsten für immer an seiner Haut behalten hätte. Mit gesenktem Kopf stand er unter dem Strahl. "Was ist nur aus meinem Leben geworden?" Er nahm Sachen aus dem Schrank und warf sie aufs Bett. "Sag Nan die Wahrheit über Casey", befahl er sich und griff nach den Socken. "Verdammt, ich habe immer ein langweiliges Leben geführt", murmelte er, während er das Polohemd anzog und in die Hose stopfte. "Ich habe Bücher immer pünktlich wieder abgegeben, war höflich gegenüber meinen älteren Kollegen. Ich war farblos. Und was habe ich jetzt getan?" Er rammte die Geldbörse in die Tasche und riß die Schlüssel vom Tisch. "Unternimm etwas, Larson", sagte er auf der Treppe. "So kann es nicht weitergehen." Auf der Fahrt zum Flughafen überlegte er, wie er Nan das mit Casey beibringen sollte. Trotz der Dusche nahm er ihren Duft noch wahr. Er fühlte ihren Mund an seinen Lippen, ihre Haut an seinen Fingerspitzen. Ihre Beine um ...
Ein Auto hupte, und ein wütender Fluch holte ihn jäh in die Gegenwart zurück. Hastig lenkte er seinen Wagen wieder auf die richtige Fahrbahnseite. "Genau das fehlt mir noch", knurrte er und betätigte den Blinker. "Zwei Witwen auf meiner Beerdigung." Jack parkte vor dem Flughafen, stieg aus und sah sich um. Durch die Sonnenbrille wirkte das Gebäude noch grauer. Er schaute auf die Uhr und stellte fest, daß er eine halbe Stunde zu früh war. Er würde die Zeit zum Nachdenken nutzen. Durfte er Nan nach dem langen Flug so einfach mit der Wahrheit überfallen? "Du bist ein Feigling, Larson", murmelte er und ging zum Eingang. "Kein Wunder, daß Casey dich hinausgeworfen hat. Du hast sie nicht verdient." Ein Blick auf die Anzeigetafel verriet, daß ihm doch keine Zeit mehr blieb. Nans Flug würde schon in fünf Minuten landen. Jack eilte zum angegebenen Flugsteig. Als er dort eintraf, dockte das Flugzeug bereits an. Er stellte sich neben die Tür und wartete. Nan kam als eine der letzten, elegant und hübsch, gefolgt von Dan. Sie sagte etwas zu ihm. Als sie den Kopf wieder nach vorn drehte, sah sie Jack und lächelte strahlend. "Liebling, wie süß von dir, mich abzuholen." Sie umarmte und küßte ihn. "Du hast, mich darum gebeten." Seine Nase kribbelte von ihrem schweren Parfüm. "Neuer Duft?" "Ich habe ihn in Chicago entdeckt", erwiderte sie. "Wir waren früher fertig, also habe ich die Tage zum Einkaufen genutzt." Dan schüttelte stöhnend den Kopf. "Sie kauft vielleicht nicht oft ein, aber wenn ..." "Wie ist es dir ergangen?" fragte Jack ihn. "War deine Jobsuche erfolgreich?"
Er zuckte mit den Schultern. "Das kann ich noch nicht sagen." "Er hat mir sehr geholfen", warf Nan auf dem Weg zur Gepäckausgabe ein. "Ich habe ihm gesagt, er soll sich bei uns bewerben. Er will seine Beziehungen nicht spielen lassen, aber er kann ja verheimlichen, daß er mit mir verwandt ist. Bestimmt stellen sie ihn ein." "Ich wußte nicht, daß wir Programmierer brauchen", meinte Jack. "Die Personalabteilung wird schon etwas Passendes für ihn finden", antwortete Nan zuversichtlich. Sie blieben vor dem Gepäckband stehen. "Ich fahre den Wagen vor, während ihr das Gepäck holt", schlug Jack vor. "Gute Idee", meinte Dan. "Keine Sorge, ich kümmere mich um Nan." Jack konnte nicht widerstehen. Er warf Dan einen giftigen Blick zu. "Tu das", knurrte er und ging davon. "Vielleicht sollte ich ihn mit Casey zusammenbringen", murmelte er, als er den Wagen erreichte. "Die würde ihn schon zurechtstutzen ... oder umbringen." Der Gedanke erheiterte ihn, während er vor dem Ausgang parkte. "Zu Hause will ich erst einmal ein langes heißes Bad." Seufzend ließ Nan sich auf den Beifahrersitz fallen. "Und einen kühlen Drink." Sie sah Jack an. "Gab es Probleme?" " Kein einziges ", log er. "Wie geht es deiner Schwester?" fragte Dan vom Rücksitz. "Warum ist sie nicht mitgekommen?" wollte Nan wissen. "Wahrscheinlich arbeitet sie." Jack hatte beschlossen, daß dies nicht der richtige Zeitpunkt war, Nan aufzuklären. "Arbeiten? Ach ja, Gerald hat ihr eine Stelle in Oceanview angeboten." "Die hat sie nicht angenommen." Nan legte die Stirn in Falten. "Was?"
Jack wartete, bis sie den Freeway erreicht hatten. "Sie arbeitet in einer Sozialpraxis." "In einer Sozialpraxis?" Nan sprach es aus, als hätte das Wort einen üblen Beigeschmack. "Warum um alles in der Welt tut sie das?" "Ein ehemaliger Kollege leitet sie mit. Casey hat sie sich angesehen und dort angefangen. Außerdem hat sie sich ein Haus gemietet und ist vor einer Woche bei uns ausgezogen." "Die kleine Schwester hat sich also auf die eigenen Beine gestellt", warf Dan ein. "Kann ich gut verstehen. Welche Frau will schon Männerbesuch empfangen, wenn der eigene Bruder gegenüber wohnt?" "Sie arbeitet viel zu hart, um Männer zu empfangen", knurrte Jack. "Wenn der Richtige kommt..." Nan drehte sich zu ihrem Cousin um. "Dan, hör auf." Sie sah Jack an. "Was kann diese Praxis ihr schon bieten?" "Eine Herausforderung", antwortete er leise. "Nun ja, Dan, jetzt, da Casey weg ist, kannst du doch in das Gästehaus ziehen. Es sei denn, du suchst dir lieber etwas Eigenes." "Danke für das Angebot. Ich nehme es gern an", erwiderte Dan fröhlich. Jack packte das Lenkrad noch fester und malte sich aus, wie Dan mit einem gebrochenen Unterkiefer aussehen würde. "Wie geht es Daddy?" fragte Nan, während Jack ihr Gepäck ins Schlafzimmer stellte. "Gut genug, um Whiskey zu trinken." "Aber das darf er nicht!" rief sie entsetzt. "Ich muß ihn sofort anrufen." "Nan, wir müssen miteinander reden, bevor du deinen Vater anrufst." Sie drehte sich zu ihm. "Hast du mir etwas verschwiegen, Jack? Ist Daddy wieder im Krankenhaus?"
"Nein, es geht ihm gut. Es geht um meinen letzten Besuch bei ihm. Gerald war auch da. Sie wollten, daß ich Casey dazu bringe, ihre Stelle in der Sozialpraxis aufzugeben." "Was ist daran so schlimm?" fragte Nan verwirrt. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Arme-Leute-Praxis das Richtige für Casey ist." Jack verkrampfte sich innerlich. "Nan, Casey weiß, was sie will, und ich respektiere sie dafür." Erst als er Nans gekränkten Blick sah, wurde ihm bewußt, wie scharf er geklungen hatte. "Es gibt keinen Grund, mich so anzufahren, Jack", sagte sie leise. "Bestimmt hat Daddy nur das Beste für Casey gewollt." "Entschuldige. Aber glaub mir, Casey kann selbst auf sich aufpassen." "Vielleicht sollte ich mit ihr reden", meinte Nan. Plötzlich fühlte er sich müde. "Möglicherweise wäre sie darüber nicht begeistert." "Liebling, du verstehst uns Frauen einfach nicht, was?" sagte sie mit mildem Spott. "Ich werde Daddy anrufen." Sie küßte ihn auf die Wange. "Und keine Angst, ich verzeihe dir", lächelte sie und ging hinaus. Jack sah ihr nach. "Ich hätte es ihr sagen sollen," flüsterte er. "Wie war dein freier Tag, Prinzessin?" fragte Greg, als Casey ihr gemeinsames Büro betrat. Er zuckte zusammen, als sie ihren Rucksack zu Boden warf und mit einem Tritt unter den Schreibtisch beförderte. "Tut mir leid, daß ich gefragt habe." Sie drehte sich zu ihm um. "Hast zu zufällig ein Fachbuch über Kastration?" Greg wurde blaß. "Der Brummschädel war nicht Strafe genug?" "Nicht annähernd. Und jetzt, wenn du nichts dagegen hast, werde ich Kaffee kochen und mich an die Arbeit machen. Das Wartezimmer platzt aus allen Nähten, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest."
Doch zuerst eilte sie an ihren Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl fallen. Sie stützte die Ellbogen auf und verbarg das Gesicht hinter den Händen. Sie wollte nicht mehr an Jack denken. Das hatte sie gestern ausgiebig getan, während sie unter der Dusche Tränen vergoß. Sie hatte auch dann noch geweint, als sie die Laken vom Bett riß und in die Waschmaschine warf. Selbst nachdem die Laken gewaschen und trocken waren, wurde ihr klar, daß sie nicht auf ihnen schlafen konnte, ohne an Jack zu denken. Also gab sie sie in die Altkleidersammlung. Irgendwie hatte sie den ganzen Tag hindurch gehofft, daß er sie anrufen würde. Sie versuchte sich einzureden, daß sie es nur hoffte, um sofort aufzulegen, wenn er sich meldete. Aber sie wußte, daß sie sich das nur vormachte. Casey erinnerte sich daran, wie schön es zu Beginn ihrer Ehe gewesen war, mit Jack zu schlafen. Es war so leicht und locker und entspannt gewesen. Sie hatten einander immer besser kennengelernt. Aber niemals hatte sie etwas so Explosives erlebt, wie das, was sie einander am Tag zuvor geschenkt hatten. Oder lag das nur daran, daß sie drei Jahre lang wie eine Nonne gelebt hatte? Oder an den erotischen Träumen, die sie im Urwald immer wieder gehabt hatte? Sie stöhnte leise auf und fühlte, wie ihre Brüste sich strafften, während sie an Jacks Berührungen und seine heißen, feuchten Lippen an ihrer Haut dachte. In diesem Moment wollte sie nichts so sehr wie eine lange, kalte Dusche - obwohl sie bezweifelte, daß die sie wieder zur Vernunft bringen würde. "Man sollte Männer in einen Schrank sperren. Dann könnten wir sie herausholen, wenn wir sie brauchen, und wieder einschließen, wenn wir mit ihnen fertig sind", murmelte sie. "Hätten wir im Schrank Kabelfernsehen? Das würde es wesentlich erträglicher machen!" Casey hob den Kopf und sah Greg in der Tür stehen. Er strahlte über das ganze Gesicht, weil er sie überrascht hatte.
"Auf jeden Fall brauchen wir sämtliche Sportkanäle", sagte er fröhlich. "Ohne meine Football-Übertragungen bin ich ein halber Mensch." "Du bist ein sehr kranker Mensch", erwiderte sie. "Wow, danke für die schnelle Diagnose, Doktor." Er nahm sich einen Stuhl, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf. "Okay, erzähl mir, was dich bedrückt." "Ich soll dir erzählen, was mich bedrückt?" wiederholte sie. "Lieber nicht." "Du wirst dich besser fühlen", drängte er. Casey stand auf und ging zu ihm. Lächelnd tätschelte sie ihm die Wange. "Mit dir darüber zu reden würde es nur noch schlimmer machen", erklärte sie und ging hinaus. Casey war froh, daß sie nicht mehr zum Nachdenken kam, während sie Mumps diagnostizierte, Erkältungen behandelte und eine Armfraktur richtete. "Gehen wir zusammen essen?" fragte Greg, als sie einander auf dem Korridor begegneten. "Einverstanden." Zehn Minuten später saßen sie in einem Strandcafe. "Offenbar haben du und Jack euch nicht versöhnt, als er am nächsten Tag aus seinem Rausch erwachte?" fragte Greg. Casey verschluckte sich an ihrem Eistee und mußte husten. "Das war Antwort genug", meinte ihr Kollege mitfühlend. "Tut mir leid, Casey." "Ich kann noch immer nicht glauben, daß er bei seiner neuen Frau bleiben will", sagte sie verbittert. "Und auch nicht, daß Norton mit einem Bein im Grab steht. Wenn der Mann ein krankes Herz hat, habe ich im Studium nicht aufgepaßt. Irgend etwas kann da doch nicht stimmen!" "Augenblick mal." Greg hob die Hand. "Was genau hat Norton Xavier mit allem zu tun?" wunderte sich Greg stirnrunzelnd.
"Nicht nur er, auch Gerald Montgomery", erklärte sie und stocherte in ihrem Omelette herum. "Er benimmt sich, als würde das Oceanview Center schließen müssen, wenn ich dort nicht einsteige. Sie wollten sogar Jack dazu bringen, mich zu überreden." "Was haben der Chef eines Elektronikkonzerns und der Chef eines medizinischen Zentrums mit dir zu tun?" "Ich bin die kleine Schwester von Nortons Schwiegersohn", sagte sie und setzte ein jungmädchenhaftes Lächeln auf. "Und das werde ich wohl auch immer bleiben." Sie sah aus, als wollte sie ihre Gabel über den Tisch werfen, doch dann legte sie sie vorsichtig ab. Greg schüttelte den Kopf. "Ich verstehe nicht, warum du dir das alles bieten läßt, Casey. Die Tochter stiehlt dir den Mann, und du läßt ihn ihr. Der Vater und sein Freund drängen dich zu einem Job, den du nicht willst, und üben sogar auf Jack Druck aus. Was ist aus der Kämpferin geworden, die mir am Amazonas das Leben so schwergemacht hat? Du willst sie doch nicht gewinnen lassen, oder?" Casey starrte Greg an. "Oder? Komm schon, Casey. Du kannst mir nicht erzählen, daß du das alles einfach hinnimmst. Was ist mit dem rostigen Skalpell, von dem du immer redest?" Sie setzte sich auf. "Er gehört mir." Greg nickte heftig. "Und sie paßt nicht zu ihm." Er nickte wieder. "Außerdem hat sie ein Geheimnis, von dem ihr geliebter Daddy nichts erfahren darf." Ihr Appetit kehrte zurück, und sie aß weiter. "Du hast recht, Greg." "Ja!" Greg ballte die Faust zur Geste des Siegers, den Daumen nach oben gestreckt. Caseys Augen strahlten vor Entschlossenheit. "Die werden noch ihr blaues Wunder erleben."
13. KAPITEL Nan war absolut sicher, daß mit Jack etwas nicht stimmte. Sie wußte nicht genau, was es war, aber seit ihrer Rückkehr spürte sie, daß er sich verändert hatte. Eines Nachmittags sprach sie aus, was sie dachte. "Also benimmt er sich irgendwie seltsam", sagte Dan von einem der Liegestühle auf der Terrasse aus. "Vielleicht fehlt ihm der Sex. Du bekommst ja genug davon, wenn auch nicht von ihm." Er lächelte selbstgefällig. "Hör auf, Dan", fauchte sie. "Wenn Jack auch nur der leiseste Verdacht kommt, daß du nicht mein Cousin bist, läßt er sich scheiden. Und dann wird Daddy nie zulassen, daß ich die Firma übernehme." "Warum stört es dich so, daß dein Jack nicht mit dir unter die Decke kriechen will?" fragte Dan gereizt. "Wenn Daddy nun herausfindet, daß zwischen uns nicht alles in Ordnung ist? Er wird mir die Schuld geben ", sagte sie und ging rastlos auf und ab. Dan ließ die Sonnenbrille an der Nase nach unten rutschen, um sie einen Moment zu beobachten, dann schob er sie mit dem Zeigefinger wieder hinauf. "Ich dachte, dein lieber Daddy hat ein schwaches Herz?" Nan wirbelte herum. "Wage nicht, ihm etwas Schlimmes zu wünschen!"
Er zuckte zurück. "Aber dann hättest du die Firma für dich allein, du könntest dich von Jack trennen und mich heiraten." Sie fuhr sich mit den Fingern durch das sorgfältig frisierte Haar. "Dan, ich könnte mich sowieso nicht gleich von Jack scheiden lassen. Es würde nicht gut aussehen. Wir müßten eine ganze Weile warten." Er schnaubte. "Eine Ausrede nach der anderen. Mehr höre ich von dir nicht mehr. Ich habe keine Lust, mich noch länger als dein Cousin auszugeben. Was ist, wenn Norton erfährt, daß ich kein Verwandter bin?" "Ich habe es dir doch erklärt. Er hat die Familie meiner Mutter immer gehaßt, also wird er keinen Verdacht schöpfen, solange du nichts Falsches sagst. Wozu du neigst", fügte sie hinzu und wedelte mit dem Finger vor seinem Gesicht. "Okay, ich hatte zu viele Drinks", gab er verlegen zu. "Aber niemand hat etwas gemerkt." "Reine Glückssache." Die Augen funkelten zornig in dem hübschen Gesicht. "Und hör endlich auf, solche Bemerkungen über Casey zu machen, ja?" "Warum denn? Sie sieht gut aus und ist Single. Wie ich ..." Nan schwieg. Ihr Gesichtsausdruck war Antwort genug. "Mach keine Fehler mehr", warnte sie und ging ins Haus. "Weißt du, Nan, manchmal kannst du eine richtige Hexe sein", rief er ihr nach. "Störe ich?" ertönte hinter Dan eine Männerstimme. Er drehte sich halb um und erblaßte, als er den Besucher erblickte. "Hallo", begrüßte er Jack mit einem schiefen Grinsen. "Ein kleiner Familienstreit, mehr nicht." Jack kam näher, stützte die Hände auf die Armlehnen des Liegestuhls und beugte sich über Dan. "Es ist mir egal, was es war", sagte er mit leiser Stimme. "Aber keine Frau verdient es, so genannt zu werden. Ich schlage vor, du gehst hinein und entschuldigst dich bei Nan. Danach packst du deine Sachen und bist bis heute abend verschwunden." Er richtete sich wieder auf.
"Du kannst mich nicht hinauswerfen." "Doch, das kann ich", erwiderte er gelassen. Jack ging ins Haus und fand Nan im Wohnzimmer, wo sie die Kissen auf der Couch zurechtklopfte. Dabei murmelte sie etwas vor sich hin. Er verstand es zwar nicht, konnte sich jedoch denken, daß es mit Dan zu tun hatte. "Alles in Ordnung?" fragte er. Überrascht sah sie auf. "Natürlich, warum denn nicht?" Jack kannte Nan außerhalb der Firma als zarte, fast zerbrechliche Frau. Die Nan, die ihn jetzt herausfordernd ansah, war vollkommen neu für ihn. "Schon gut: Ich gehe nach oben und dusche." Er wandte sich zum Gehen. Vielleicht würde ihm unter der Dusche eine Idee kommen, warum ihr Cousin sie so angefahren hatte. Und warum hatte Dan solche Angst gehabt, daß er das Gespräch mit angehört haben könnte? "Das Essen wird in einer Stunde fertig sein", rief Nan ihm nach. "Ich habe es schon in den Ofen geschoben." "Schön." Jack ging nach oben und in sein Schlafzimmer. Er eilte ans Fenster und schaute nach draußen. Dan hatte sich nicht von seinem Liegestuhl gerührt. Er mußte zugeben, daß er den Mann nicht ausstehen konnte. Dan war Jack von Anfang an unsympathisch gewesen. Er wirkte wie ein Blutsauger, wie jemand, der auf schnelle und bequeme Weise sein Glück machen wollte. Er bezweifelte, daß Dan wirklich nach Arbeit suchte. Warum auch, wenn seine Cousine ihm die Rechnungen zahlte? Jack konnte nur hoffen, daß der Kerl bald verschwinden würde. Er stand unter der Dusche und genoß den heißen Wasserstrahl auf der Haut. Dabei konnte er am besten nachdenken, auch wenn er in letzter Zeit meistens an Casey dachte. Und daran, wie es wäre, mit ihr zusammen zu duschen.
Wie hatte er nur alles so falsch machen können? Verdammt, Casey hatte recht. Er ließ zu, daß Norton und Nan über sein Leben bestimmten. Er hatte sich von Norton zu einer Ehe überreden lassen. Er hatte sich aus Loyalität gegenüber dem älteren Mann darauf eingelassen, Nan zu heiraten. Jetzt war Nan ihm dankbar, und er brachte es einfach nicht fertig, ihr die Wahrheit über Casey zu erzählen. Und Norton sah zwar gesund aus, aber vielleicht täuschte sein Äußeres nur über das kranke Herz hinweg. Jack murmelte eine Verwünschung und schlug mit der geballten Faust gegen die Kacheln. Er stieg aus der Dusche, schlang sich ein Handtuch um die Hüften und trocknete sich das Haar ab. Als er sein Schlafzimmer betrat, stellte er fest, daß er nicht allein war. "Ich muß sagen, du siehst nur mit einem Handtuch bekleidet gut aus", sagte Nan. Sie saß auf seiner Bettkante, leicht nach hinten gelehnt, die Arme auf die Matratze gestützt. Es war eine Haltung, die ihre wohlgeformten Brüste voll zur Geltung brachte. "Ich kann mir kaum vorstellen, daß du nach oben gekommen bist, um mir zu sagen, daß wir gleich essen. So lange war ich nicht unter der Dusche", erwiderte er, während er eine Schublade aufzog und Unterwäsche herausnahm. "Dan hat mir erzählt, daß du ihn aufgefordert hast, zu verschwinden und sich eine Wohnung zu suchen", fuhr sie fort, als könnte sie kaum glauben, daß er das tatsächlich getan hatte. "Das stimmt. Du hast so viel für ihn getan, da hat er kein Recht, dich als Hexe zu beschimpfen. Ich bezweifle, daß er wirklich nach einem Job sucht. Das einzige, woran der Mann arbeitet, ist seine Bräune", sagte Jack verärgert. "Oder willst du mir weismachen, daß er sich tatsächlich um eine Stelle bemüht hat, während ihr zwei in Kansas City wart?" Sie errötete. "Er hat mit einigen Stellenvermittlern gesprochen. Es gab einfach nur keine freien Positionen."
Jack lehnte sich gegen die Kommode. "Nan, er nutzt dich nur aus. Er bekommt bei uns Essen, Unterkunft und alles, was er sonst noch braucht. Er hat es gar nicht nötig, sich einen Job zu suchen. Warum läßt du das zu, Nan? Sieh dir Casey an. Sie hat sich um Arbeit bemüht, sie gefunden und steht jetzt auf eigenen Beinen." Nan erhob sich. "Dan ist mein Cousin und geht dich nichts an. Er wird ab jetzt im Gästehaus wohnen und am nächsten Montag in der Firma anfangen. Wir sehen uns beim Abendessen." Jack sah ihr nach, als sie hinausging. Er fühlte sich, als wäre er geohrfeigt worden. Aber er hatte nicht vor, es wehrlos über sich ergehen zu lassen. Er holte das Telefonbuch heraus und fing an zu telefonieren. "He, Doc Casey, hier draußen wartet eine Überraschung auf Sie!" rief Rachel, die Empfangssekretärin. "Und was für eine Überraschung", meinte Ron lächelnd, als er Casey auf dem Korridor begegnete. "Sagt bloß, schon wieder ein Kind, das sich auf meinen Schoß erbricht", murmelte sie und eilte nach vorn. Als sie die eisgefüllte Kiste mit den drei großen Kartons sah, blieb sie wie angewurzelt stehen. "Was ist das?" fragte sie verblüfft. Rachel hielt einen weißen Umschlag hoch. "Das müssen Sie doch wissen", sagte sie und wedelte fröhlich mit dem Brief. Casey riß ihr den Umschlag aus der Hand und öffnete ihn. Sie zog die Karte heraus und überflog sie. Dann las sie sie ein zweites Mal. Ein Karton für jedes Jahr. Vielleicht wird dies einen kleinen Teil Deines Hungers stillen. In Liebe, Jack "Was steht auf der Karte?" fragte Rachel voller Neugier. "Ja, genau. Was steht drauf, Casey?" wollte auch Greg wissen. Er versuchte, über ihre Schulter zu blicken, bis Caseys Ellbogen in seinem Bauch landete.
Sie steckte die Karte in die Brusttasche. "Auf der Karte steht, daß wir heute abend Eis schlemmen werden", verkündete sie und zeigte auf das Etikett auf einem Karton. Beide enthielten Schoko-Minz-Eiscreme. Erst die Bonbons, jetzt das Eis. Offenbar hatte Jack sich genau gemerkt, wonach sie sich im Urwald gesehnt hatte. Es war wirklich schade, daß er nicht wußte, was sie am Amazonas am meisten vermißt hatte - ihn. Rachel rannte nach hinten und kehrte mit Schüsseln und Löffeln zurück. "Das nächste Mal bitten Sie ihn, uns auch noch heiße Vanillecreme mitzuschicken, ja?" meinte sie. "Abgemacht." Lachend füllte Casey die Schüsseln mit der gefrorenen Leckerei. Und sie konnte den ganzen Abend hindurch nicht mehr aufhören zu lächeln. Jack war es leid, jeden Abend zusammen mit einem selbstgefällig dreinschauenden Dan und einer schweigsamen Nan zu essen. Er hatte bereits gehört, daß Dan sich in der Firma nicht gerade große Mühe gab, angenehm aufzufallen. Er hatte mit Nan darüber gesprochen, doch sie hatte seine Bedenken abgetan und gesagt, daß Dan sich schon eingewöhnen würde. Das bezweifelte Jack, aber Nan wollte es nicht hören. An jedem zweiten Tag schickte Jack Casey eine Überraschung in die Praxis. Nach der Schoko-Minz-Eiscreme bekam sie eine Schachtel Milk Duds. Zwei Tage später bestellte er für sie ihre Lieblingspizza, beim nächsten Mal eine mehrgängige chinesische Mahlzeit. Er wußte zwar, daß die bestellten Sachen ausgeliefert wurden, doch Casey meldete sich nicht bei ihm. Mit jedem Tag, an dem er vergeblich auf ihren Anruf wartete, sank seine Hoffnung, sich jemals mit ihr auszusöhnen. "Besteht die Möglichkeit, daß ich mein eigenes Büro bekomme?" fragte Dan an diesem Abend.
"Wohl kaum", antwortete Jack grimmig. "Ein eigenes Büro muß man sich erst verdienen." "Hab noch ein wenig Geduld, Dan", riet Nan und hob verärgert den Kopf, als das Telefon läutete. Sie stand auf und ging nach nebenan. Kurz darauf kam sie wieder. "Es ist für dich, Jack. Er hat gesagt, sein Name sei Greg." Ihr Gesichtsausdruck verriet, wie neugierig sie war, mehr über den geheimnisvollen Anrufer zu erfahren. Jack war genauso neugierig. Was wollte Greg von ihm? Hastig erhob er sich vom Tisch. Wenige Minuten später war er wieder da, erzählte jedoch nichts über den rätselhaften Anruf, sondern aß wortlos zu Ende. "Ich gehe eine Weile aus", verkündete er nach dem Abendessen. Erstaunt sah Nan auf. "Aus?" wiederholte sie. "Ein Mann muß auch mal für sich allein sein, was, Cousin?" meinte Dan spöttisch. Auch Nans fragender Blick konnte Jack nicht dazu bewegen, ihr zu erzählen, was er vorhatte. Nicht, wenn Dan zuhörte. Also wandte er sich einfach ab und ging hinaus. Jack fuhr auf schnellstem Weg in die Praxis. Alles, woran er dachte, war das, worüber Greg mit ihm reden wollte.' "Hallo, Jack", begrüßte Greg ihn, als er eiligen Schrittes die Praxis betrat. "Ich habe vorgeschlagen, daß wir uns hier treffen, weil ich ohnehin Überstunden am Schreibtisch machen muß. Der ewige Papierkram. Außerdem konnten wir auf diese Weise sicher, daß du nicht Casey über den Weg läufst. Wir wissen beide, wie temperamentvoll sie ist. Ich glaube, es ist besser, wenn sie dies alles nicht mitbekommt." "Was alles?" fragte Jack, während er dem Arzt über den Korridor folgte. "Möchtest du einen Kaffee?" "Nein, danke."
"Setz dich doch." Greg zeigte auf einen Stuhl und nahm hinter dem Schreibtisch Platz. "Warum hast du mich angerufen?" fragte Jack ungeduldig. "Du bist es doch, der ihr immer Geschenke schickt, nicht wahr?" Jack nickte. "Also liebst du Casey noch?" "Natürlich tue ich das!" "Warum bist du dann immer noch mit Nan zusammen, obwohl sie und ihr Vater dich von Anfang an belogen haben?" rief Greg aufgebracht. Er atmete tief durch, um sich wieder in die Gewalt zu bekommen. "Norton Xavier hat keine lebensbedrohende Herzerkrankung. Im Gegenteil, der angebliche Infarkt war nichts als ein gastritischer Anfall. Das ist natürlich nicht allgemein bekannt, weil er es geheimhalten wollte. Er wollte seine Tochter verheiraten und sah in dir den idealen Ehemann. Einen, den er kontrollieren konnte." Greg lächelte betrübt. "Und als deine Schwester auftauchte, bot sich ihm eine weitere Möglichkeit, dich zu kontrollieren. Oceanview ist von den finanziellen Zuwendungen abhängig, die es von Xavier Electronics erhält. Norton Xavier verlangt von Gerald Montgomery, ihr eine gut ausgestattete Teilhaberschaft an der Praxis zu geben. Und was passiert? Gerald überprüft Caseys Hintergrund und findet heraus, daß sie mit einem gewissen Jonathon Larson verheiratet ist." Er schüttelte den Kopf, als Jonathon ihn verblüfft anstarrte. "Komm schon, Jack, du hättest wissen müssen, daß es irgendwann herauskommen würde." "Also weiß Norton jetzt, daß seine Tochter nicht rechtmäßig verheiratet ist, aber er unternimmt nichts?" fragte Jack ungläubig. "Du leitest seine Firma, und das ist es, was er will. Er weiß, daß Nan sie übernehmen will, aber er traut es ihr nicht zu. Also schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er bringt Nan unter
die Haube und ihren Ehemann an die Spitze des Unternehmens. Und was deine Heirat betrifft, glaubt er vermutlich, daß ihr die juristisch gültige Trauung irgendwann in aller Stille nachholen könnt. Norton ist ein Machtmensch, Jack", sprach Greg aus, was Jack immer vermutet, sich aber nie eingestanden hatte. "Er mag es, wenn alles so läuft, wie er will. Wäre Casey bei Oceanview eingestiegen, hätte er über sie Druck auf dich ausüben können. Hätte Casey erst alles gehabt, wovon sie träumte, hättest du sie etwa gezwungen, darauf zu verzichten? Und sie hätte darauf verzichten müssen, wenn ihr beide wieder zusammengekommen wärt. Und du? Du hast die perfekte Frau, den perfekten Job, das perfekte Leben. Norton hätte mit sich und der Welt zufrieden sein können. Er hätte verkündet, daß es ihm viel besser geht, und eine Kreuzfahrt oder einen Erholungsurlaub in Europa angetreten." Greg lehnte sich im Schreibtischsessel zurück und wartete gespannt darauf, wie Jack alles verdauen würde, "Der verdammte Hundesohn", sagte Jack, und seine Stimme bebte vor Zorn. Er ballte die Hände zur Faust, entspannte sie wieder und legte sie mit sichtlicher Willensanstrengung in den Schoß. Jetzt war ihm endlich klar, warum Nan ihn unbedingt hatte heiraten wollen. Sie wußte, daß er nicht an der Leitung der Firma hing und sie sie spätestens dann übernehmen würde, wenn sie geschieden waren. "Woher weißt du das alles?" "Ich kenne ein paar Leute in Oceanview, die mir ein paar Einzelheiten liefern konnten. Ich brauchte sie nur zu einem Bild zusammenzusetzen. Danach gab es für mich keine Frage, daß ich dich anrufe und dir von ihren Plänen erzähle. Montgomery ist ein guter Arzt. Das Problem ist nur, er liebt seine gesellschaftliche Stellung und dicke Bankkonten noch mehr als seine Arbeit", erklärte Greg. "Er weiß, daß er das alles Xavier verdankt, also tut er für ihn, was immer er kann. Außerdem mußt du davon ausgehen, daß Nan zum Teil von ihren Plänen weiß."
Greg beugte sich vor. "Was willst du jetzt tun, Jack?" Jack stand auf. "Ich werde ein paar Dinge richtigstellen." Wütend und zu allem entschlossen eilte er hinaus. An der Praxistür blieb er noch einmal stehen und schaute über die Schulter. "Ich hätte nie gedacht, daß ich das zu dir sagen würde, aber ... danke, Greg." Jack fuhr wie ein Besessener und legte nur einen kurzen Halt ein, bevor er das Haus an der Küstenstraße ansteuerte. Er war froh, als er beim Einbiegen in die Einfahrt erleuchtete Fenster sah. Er stieg aus, ging zur Tür und läutete. Er konnte nur hoffen, daß sie ihn nicht hinauswarf. Die Tür öffnete sich, und Casey starrte ihn einfach nur an. "Es tut mir leid", sagte Jack unvermittelt. "Was tut dir leid?" Sie rührte sich nicht von der Stelle und bat ihn auch nicht herein. "Alles, seit dem Moment, in dem du hier aufgetaucht bist. Du hast vollkommen recht, ich hätte Nan die Wahrheit sagen, mich ihrem Zorn stellen und dann mit dir verschwinden sollen, um irgendwo in Ruhe über alles zu reden und eine Lösung zu finden." Er hob die Hände und streckte ihr die beiden Sträuße mit leuchtend gelben Narzissen entgegen. Casey sagte nichts. Sie stand einfach nur da, den Blick auf die prächtigen Sträuße gerichtet. Ihre Lippen zitterten, aber sie machte keine Anstalten, die Blumen entgegenzunehmen. Nach einer Weile trat sie zurück und lud ihn stumm in ihr Haus ein. "Möchtest du einen Drink?" fragte sie leise. Er schüttelte den Kopf. "Ich trinke keinen Alkohol mehr." Ein wissendes Lächeln umspielte ihren Mund. "Ich dachte eigentlich an Eistee oder so etwas." "Gern." Sie nickte und verschwand in der Küche. Kurz darauf kehrte sie mit zwei Gläsern und einer Vase zurück. Sie stellte die Gläser auf den Couchtisch, nahm ihm die Blumen ab und
arrangierte sie sorgsam. Danach setzte sie sich mit untergeschlagenen Beinen in einen Sessel. "Warum bist du hier?" fragte sie. Jack legte die Hände um sein Glas. Es fiel ihm leichter, den Eistee zu betrachten als Casey anzuschauen. Nach einem Moment hob er den Kopf und sah sie an. "Ich habe heute abend herausgefunden, daß alles nur eine Lüge war." Er zögerte kurz, um seine Gedanken zu sortieren. "Nortons Infarkt, sein sogenannter Herzenswunsch, daß ich die Firma leite, selbst deine Chance, bei Oceanview einzusteigen." Sie saß ruhig da und unterbrach ihn nicht. "Weißt du, ich dachte wirklich, ich tue das Richtige. Norton lag im Krankenhaus und flehte mich an, ihm zu helfen und die Firma für die Familie zu erhalten ... Er sagte, er wüßte, daß ich noch um dich trauere, aber ich sollte daran denken, daß es schon drei Jahre her sei. Ich sollte wieder anfangen zu leben. Er meinte, er könnte sich keinen besseren Schwiegersohn als mich vorstellen. Und Nan versprach, alles zu tun, um ihrem Vater die letzten Tage zu erleichtern. Die Ehe sollte nur auf dem Papier existieren, und nach dem Tod ihres Vaters könnten wir uns sofort wieder scheiden lassen." "Aber es gab Zeiten, da hattest du den Eindruck, daß sie mehr als eine Scheinehe wollte", murmelte Casey. Er nickte. "Ich habe dich schäbig und mies behandelt, Casey. Du bist meine Frau, und ich hätte zu dir halten sollen. Falls du mich läßt, würde ich das jetzt gern nachholen." Er sah ihr tief in die Augen. "Ich bin hergekommen in der Hoffnung, mich mit dir aussprechen zu können. Vielleicht gibst du mir die Chance, alles wiedergutzumachen." Casey sah fort. "Ist dir klar, wie sehr du mir weh getan hast?" flüsterte sie. "Ja, das ist mir klar, und ich verdiene, zur Strafe gevierteilt zu werden."
"Nun ja, eigentlich hatte ich etwas noch Schmerzhafteres im Sinn, aber wenn du lieber gevierteilt werden möchtest..." Jack hörte eine leise Spur von Belustigung heraus und schöpfte sofort Mut. "Du willst mich durch einen brennenden Ring springen lassen, habe ich recht?" "Unter anderem." Sie beugte sich vor, stützte einen Arm auf den Schenkel. "Jack, du kannst nicht erwarten, daß du herkommst, sagst, wie leid es dir tut, und ich dich mit offenen Armen wieder aufnehme. Nicht nach allem, was geschehen ist." "Nein, das erwarte ich auch nicht, aber ich hatte gehofft, du würdest mir eine Chance geben." Casey musterte ihn eine ganze Weile und schaute kein einziges Mal zur Seite. "Ich wußte auch ohne diese Nacht, daß ich dich liebe", fuhr Jack fort. "Denn ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Ich war nur nicht sicher, ob du mich noch liebst. Schließlich bist du nach Südamerika gefahren, ohne daran zu denken, wie ich mich ohne dich fühlen würde", sagte er leise. "Du hast mich nie gefragt, ob du lieber zu Hause bleiben solltest, damit wir über unsere Probleme sprechen können. Wir hatten keine Ehe mehr, Casey. Jeder von uns lebte sein eigenes Leben. Wir haben gar nicht mehr richtig versucht, ernsthaft miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich hatte Angst, dich zu verlieren." Der letzte Satz war geflüstert. Casey stand auf und ging zu ihm. Sie hockte sich vor ihn und legte die Hände auf seine Knie. "Warum hast du mir das nie gesagt?" wisperte sie. "Warum hast du mir nicht gesagt, daß du nicht wolltest, daß ich fahre?" "Ich dachte, es wäre dir egal, was ich empfinde." Tränen traten in Caseys Augen und rannen langsam über die Wangen. Sie umfaßte sein Gesicht mit beiden Händen und zog es zu sich herab. Ihr Kuß war lang und süß, die stumme Versicherung, daß ihre Gefühle für ihn unverändert stark waren.
Ziemlich bald stellte sich heraus, daß die Tränen auf ihren Gesichtern nicht nur von ihr stammten. "Ich habe dich vermißt", flüsterte sie. "Als ich wiederkam, war ich fest entschlossen, um unsere Ehe zu kämpfen. Mit all der Arroganz, zu der ich fähig war, dachte ich, ich könnte einfach hereinspazieren, und alles wäre wieder wie früher. Nur weil ich es so will.... Dann fand ich heraus, daß du umgezogen warst, den Job gewechselt und sogar geheiratet hattest. Ich war total schockiert. Das bedeutete nämlich, daß ich keinen Einfluß mehr auf dein Leben hatte. Du hattest einen guten Grund für das, was du getan hast. Sicher, es war hart am Rande der Legalität, aber dein Herz saß am rechten Fleck." Ihr Atem strich über seine Wange, .als sie leise weitersprach. "Ich glaubte, es würde helfen, wenn ich mich als deine Schwester ausgebe. Statt dessen bewies es mir nur, daß du nicht mehr der Mann warst, den ich drei Jahre zuvor zu Hause zurückgelassen hatte. Daß ich nicht mehr dieselbe Frau war, wußte ich bereits. Später wünschte ich, ich könnte dich hassen... aber dann hast du mir das Eis und die Toffee-Erdnüsse geschickt... und jetzt hast du mir Narzissen mitgebracht." Jack legte die Arme um Casey und zog sie auf seinen Schoß. "Heißt das, du gibst mir eine Chance?" "Eigentlich sollte ich dir sagen, du kannst dorthin gehen, wo der Pfeffer wächst", sagte sie und strich zärtlich über seine Wangen. "Ich sollte darauf bestehen, daß du für immer aus meinem Leben verschwindest." "Aber?" fragte er und sah in ihren Augen, daß sie das nicht tun würde. "Aber du bist so verdammt süß, und ich liebe dich. Es wäre dumm von mir, dich gehen zu lassen. Außerdem hat Nan dich nicht verdient." Jack stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. "Du wirst es nicht bereuen. Das verspreche ich." Er umarmte sie.
"Ich hoffe sehr, daß ich es nicht bereuen werde. Denn das nächste Mal hole ich das rostige Skalpell heraus", drohte sie lächelnd, bevor sie ihn küßte. Jack wußte, daß damit nicht alle Probleme gelöst waren, aber es war zweifellos ein Anfang. Er strich mit den Fingern über ihr bloßes Knie und schob den Rock weiter hinauf. "Professor, Sie denken doch nicht etwa schon daran, mich zu verführen?" fragte sie leise, und ihre Lippen berührten sein Ohr. "Irgendwelche Einwände?" "Keine." Sie zog sein Polohemd aus der Hose. "Aber bilde dir nicht ein, daß ich leicht zu kriegen bin." Er lachte schallend und hielt plötzlich die Luft an, als sie mit einer Fingerspitze seinen Bauchnabel umkreiste. "Seit wann hast du diesen eigenartigen Sinn für Humor?" "Leb du mal im Urwald ohne die Errungenschaften der modernen Zivilisation. Wetten, du entwickelst den gleichen Humor?" Sie zog seinen Reißverschluß auf. "Ich weiß nicht, was du meinst, aber ich schlage vor, wir nehmen jetzt eine waagerechte Lage ein." Jack stand auf, ohne sie loszulassen. "Gute Idee." Bevor sie auch nur ein Wort erwidern konnte, waren sie im Schlafzimmer, und er hatte sie ausgezogen. "Ich konnte immer nur daran denken, daß ich wieder mit dir schlafen will", sagte er atemlos und küßte ihren Nacken. "Ich wollte nicht weg von hier." "So hast du dich auch benommen." Mit beiden Händen strich sie über seinen Rücken. "Ich fand dich unausstehlich." "Ich fand mich auch unausstehlich", gestand er und streichelte ihren Bauch, wobei die Kreise, die er auf der Haut zog, immer größer wurden. Er stöhnte vor Erregung auf, als er die Finger zwischen ihre Schenkel schob und ihr Verlangen fühlte. Er machte es sich zwischen ihren Beinen bequem. "Ich wollte niemals eine andere als dich."
"Ich bin nur froh, daß du Nan nicht aus Liebe geheiratet hast." "Wir beide fangen ganz von vorn an", schwor er, während er behutsam in sie eindrang. "Alles wird neu sein." Als sie ihn in sich aufnahm und umschloß, Arme und Beine um ihn legte und ihn nie wieder freigeben zu wollen schien, gab es nur noch eins, das er sagen wollte. "Ich liebe dich, Casey Larson. Ich liebe dich." "Das hoffe ich sehr, denn ich liebe dich auch." Das waren die letzten Worte, die er hörte, bevor er nichts anderes mehr fühlte als das überwältigende Einssein mit der Frau, die er liebte und immer lieben würde. Als Casey erwachte, fühlte sie sich herrlich. Sie drehte sich um und sah in Jacks erschöpftes, aber glückliches Gesicht, das neben ihr auf dem Kissen lag. Sie rutschte hinüber, um sich an ihn zu schmiegen. Sie malte sich aus, wie sie ihn auf möglichst vergnügliche Art wecken könnten, da bemerkte sie, daß er die Augen geöffnet hatte. "So sollte es sein", sagte er. "So habe ich es mir immer erträumt." "Vergiß das nie wieder." "Verdammt, bin ich hungrig." Sie stützte sich auf einen Arm. "Auf mich?" "Auf Schinken und Eier. He!" rief er, als sie mit beiden Händen auf seiner Brust trommelte. Dann zog er sie auf sich, und keiner von ihnen verschwendete noch einen Gedanken an das Frühstück. "Ich muß heute mit Nan reden. Ich muß es tun, ich darf nicht länger warten." Jacks Ankündigung ließ Casey erstarren. Sie hielt ihr T-Shirt in den Händen und vergaß völlig, daß sie sich anziehen wollte. Er hatte sein Polohemd bereits über den Kopf gestreift. Hastig zog er es herunter, ging zu ihr und legte die Arme um sie.
"Ich will, daß wir zusammen sind, Casey. Ich will, daß wir eine richtige Familie werden." "Du meinst... Kinder?" flüsterte sie. "Meinst du, wir schaffen es?" fragte er und rieb mit dem Kinn über ihr Haar. "Wenn wir beide erst unsere Probleme mit uns selbst und einander gelöst haben, schaffen wir alles, was wir wollen", sagte sie voller Zuversicht und schlang die Arme um seine Taille. "Ich schlage vor, wir fangen mit Nan und Norton an." Er küßte sie auf den Kopf. "Was hältst du davon, wenn ich dich zum Frühstück einlade? Danach bringe ich dich hierher zurück und spreche anschließend gleich mit Nan und Norton." Sie schüttelte den Kopf. "Du hast etwas vergessen, Professor. Wir sind verheiratet, und das bedeutet, daß wir alles zusammen tun: Ich werde dich begleiten." Sie löste sich aus seiner Umarmung und zog das T-Shirt an. "Ich werde Norton anrufen und ihn bitten, sich im Haus mit mir zu treffen", sagte Jack und griff nach dem Telefonhörer. Nach dem Anruf und während des Frühstücks fiel Casey auf, wie nervös Jack war. Sie wußte, daß es mit der bevorstehenden Konfrontation zu tun hatte. Sie hatte aus Jacks Hälfte des Telefonats herausgehört, daß Norton wissen wollte, wo sein Schwiegersohn sich befand. Jack hatte ihm nur erklärt, daß er in etwa anderthalb Stunden mit ihm und Nan reden wollte. Nachdem er aufgelegt hatte, hatte er Casey fest an sich gedrückt. "Meinst du, es wird dir etwas ausmachen, das Haus mit mir zu teilen?" fragte er zaghaft. Sie tat so, als müßte sie erst darüber nachdenken, und strich Himbeermarmelade auf ihren Toast, bevor sie antwortete. "Solange du nicht vergißt, die Klobrille wieder herunterzuklappen und die Zahnpastatube zuzuschrauben." "Gibt es einen Grund, warum deine Seife nach Zimt duftet?" Er kratzte sich den Arm.
"Sicher. Sie läßt mich richtig lecker duften", schnurrte sie und leckte die Marmelade vom Messer. Jack schloß die Augen und stöhnte auf. "Nicht jetzt, Casey." "Aber ich habe es geschafft, dich ein wenig von deinen Problemen abzulenken, nicht wahr?" scherzte sie. Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. "Jetzt weiß ich, daß du verrückt bist." "Aber du liebst mich trotzdem", sagte Casey zufrieden. Auf der Fahrt zu Nans Haus berührte sie immer wieder seinen Oberschenkel. Als sie dort eintrafen, hatte sein Blutdruck neue Rekordhöhen erreicht. Er hielt in der Einfahrt und drehte sich zu ihr. "Ich liebe dich, auch wenn du mich seit zwanzig Minuten fast um den Verstand bringst." "Das ist nur ein müder Vorgeschmack auf das, was dich erwartet, wenn wir aussteigen", versprach sie, als sie die Stufen zur Haustür hinaufstiegen. Bevor Jack den Schlüssel ins Schloß schieben konnte, ging sie auf, und Dan stand vor ihnen. "Hallo, Hübsche", begrüßte er Casey. "Hast du beschlossen, deinem großen Bruder Gesellschaft zu leisten?" "O Dan, was bist du nur für ein Volltrottel", murmelte sie, während sie Jack hineinfolgte. "Wo bist du gewesen?" hörte sie Nan besorgt rufen. "Warum zum Teufel warst du die ganze Nacht unterwegs und hast mein Baby um den Schlaf gebracht? Sie hat sich große Sorgen gemacht?" polterte Norton erbost. Alle drehten sich zu Casey um und starrten sie an, als sie das Wohnzimmer betrat und sich in einen Sessel an der Tür setzte. "Ich war bei Casey", erklärte Jack. Nan ging zu ihm und legte ihm die Hand an die Wange. "Jack, ich weiß, du bist über all das, was in letzter Zeit geschehen ist, nicht glücklich, aber wir hätten doch nur darüber zu reden brauchen." Sie runzelte die Stirn, betrachtete seinen Arm und rümpfte die Nase. "Warum riechst du nach Zimt?"
"Du möchtest also mit mir reden, Nan? Sehr schön, genau das werden wir jetzt tun. Setz dich doch bitte. Du auch, Norton." Er warf Casey einen Blick zu. Sie lächelte aufmunternd und reckte den Daumen nach oben. Er holte tief Luft und nahm seinen ganzen Mut zusammen. "Ich schätze, die beste Art, so etwas zu sagen, ist die, mit der Wahrheit anzufangen." "Was willst du uns sagen, Junge?" fragte Norton scharf. "Willst du uns endlich erklären, wer Casey wirklich ist? Daß sie nicht deine Schwester ist. Sie ist deine Frau." Als Nan entsetzt aufschrie, brachte er sie mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen. Jack hielt den zornigen Blicken stand. "Ja, Casey ist meine Frau. Aber ich habe wirklich geglaubt, daß sie tot ist. Ich hatte keine Ahnung, daß sie und ein Kollege überlebt hatten. Die beiden kehrten gerade noch rechtzeitig in die Vereinigten Staaten zurück, und Casey konnte auf meiner Hochzeit erscheinen." Er ging im Zimmer auf und ab und blieb kurz stehen, bevor er weitersprach. "Ich fühlte mich tief in deiner Schuld, Norton. Du machtest dir große Sorgen um die Firma und um Nan. Du hieltest mich für den idealen Mann, um deine Nachfolge anzutreten und alles in deinem Sinne zu regeln. Das Problem war nur, daß du gar nicht so krank warst, wie du behauptet hast." Er sah Nans Vater an. "Eine Gastritis ist nicht so schwerwiegend wie ein Herzanfall. Du hattest Glück. Schade nur, daß du deine Krankheit als Druckmittel gegen mich einsetzen mußtest. Ihr habt mich alle angelogen." Er drehte sich zu Nan um. Eine flammende Röte überzog ihr anmutiges Gesicht. "Es ist nicht so, wie du denkst, Jack", beteuerte sie hastig. "Ist es nicht? Sei ehrlich, Nan. Du hast bei der ganzen Sache mitgemacht. Dein Vater sah in mir seinen Thronfolger bei Xavier Electronics und den Hüter seiner Tochter. Du dagegen sahst in mir ein Mittel, die Firma doch noch zu übernehmen. Du
wußtest, daß ich weder den Wunsch noch das Wissen besitze, sie zu leiten. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, hätten wir uns scheiden lassen oder eine Familie gründen können." "Eine Familie gründen?" wiederholte Dan und starrte Nan entgeistert an. "Davon hast du mir nie etwas erzählt!" "Das war eine der Überraschungen, Dan", meldete sich Casey zu Wort. "Wie die, daß du gar nicht Nans Cousin, sondern ihr Liebhaber bist." "Was?" rief Norton und funkelte erst seine Tochter, dann Dan wütend an. "Ich hätte wissen müssen, daß ein Waschlappen wie Sie nicht aus unserer Familie stammen kann." "Daddy, es ist nicht so, wie du glaubst", versicherte Nan ihrem Vater verzweifelt. Jack wirbelte herum und starrte Casey an. Liebhaber? fragte er stumm, nur mit den Lippen. Sie nickte lächelnd. "Du hättest nur genau hinzuschauen brauchen, Jack. Die verräterischen Zeichen waren nicht zu übersehen." Ich liebe dich, bedeutete er ihr, und sie schickte ihm einen Kuß. "In Ordnung, das reicht." Er mußte die Stimme heben, um von allen gehört zu werden. "Ohne Zweifel ist die Ehe zwischen Nan und mir nicht gültig, und ich schätze, das ist gut so." "Ist dir eigentlich klar, was ein solcher Skandal uns allen antun wird?" fragte Norton. "Welchen Skandal meinst du? Daß meine Frau von den Toten wiederauferstanden ist? Oder daß deine Tochter einen heimlichen Liebhaber hat?" Norton tastete nach einer Sessellehne und setzte sich schwerfällig. Er schaute zu Casey hinüber. "Ich vermute, die Tatsache, daß Jack die Nacht in Ihrem Haus verbracht hat, bedeutet nicht, daß er auf der Couch geschlafen hat", höhnte er.
"Mich anzugreifen hilft jetzt auch nicht, Norton", erwiderte sie gelassen. "Jack hat es riskiert, mich für immer zu verlieren, weil er Ihnen und Nan helfen wollte. Es war eine völlig verrückte Situation, und sie gefiel mir absolut nicht, aber ich kenne meinen Ehemann. Man sollte seine Loyalität respektieren und zu schätzen wissen, anstatt mit ihr Spielchen zu treiben." Ihre Stimme war immer schärfer geworden. "Was meinen Anteil an dieser Sache betrifft, so nehme ich die Schuld auf mich", sagte Jack zu Norton. "Und ich denke, es ist besser, wenn ich aus der Firma ausscheide. Ich werde wohl wieder an die Universität zurückkehren." "Aber Jack..." Mit einer Handbewegung unterbrach er Nans flehentlichen Ausruf. "Du hast doch Dan. Vielleicht wird Norton ihn unter seine Fittiche nehmen und zu seinem Nachfolger ausbilden." Er wandte sich zu Casey um und streckte die Hand aus. "Ist dir eigentlich bewußt, was du hier tust?" schrie Norton ihn an. "War Ihnen bewußt, was sie taten, als Sie seine Loyalität schamlos für Ihre Zwecke ausnutzten?" erwiderte Casey mit stillem Tadel. "Wenn hier jemand die Schuld trägt, dann sind Sie drei es." Sie sah erst Norton, dann seine Tochter und schließlich Dan an. "Sie haben alle gelogen. Irgendwie finde ich, haben Sie einander verdient." Casey stand auf und ergriff Jacks Hand. "Wir beide haben nie richtige Flitterwochen gehabt", sagte Jack zu ihr und verließ mit ihr den Raum, ohne auf die wütenden Schreie und Flüche zu achten, die ihnen folgten. "Meinst du, Greg und Ron kommen zwei Wochen ohne dich aus?" "Wenn die beiden mir meine Hochzeitsreise nicht gönnen, werden sie es bereuen." Sie hakte sich bei ihm ein. "Darf ich einen Vorschlag machen?" Jack blieb stehen und zog sie an sich. "Natürlich."
"Ich werde mit dir an jeden Ort der Welt reisen. Vorausgesetzt, er liegt nicht südlich der Grenze," Jacks erleichtertes Lachen übertönte den zornigen Wortwechsel, der noch immer aus dem Wohnzimmer drang. Er hob Casey auf die Arme, trug sie aus dem Haus und setzte sie in seinen Wagen. "Liebling, das dürfte kein Problem sein. Außerdem bezweifle ich sehr stark, daß du überhaupt dazu kommen wirst, dir die Gegend anzusehen."
-ENDE