Ernst Hofbauer
Unsere Klestils Ein Paar geht seinen Weg
Ibera verlag, wien
1. Auflage Die Deutsche Bibliothek – CIP ...
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Ernst Hofbauer
Unsere Klestils Ein Paar geht seinen Weg
Ibera verlag, wien
1. Auflage Die Deutsche Bibliothek – CIP – Einheitsaufnahme Hofbauer, Ernst Unsere Klestils / Ernst Hofbauer - WienIbera Verlag/European Umveisity Press GmbH., 2002 ISBN3-85052-132-X
© 2002 by Ibera Verlag/European Umversity Press GmbH. Herstellung Web- und Buchdesign Titelfoto Schutzumschlag APA/Herbert Pfarrhofer Druck Wiener Verlag, Himberg ISBN 3-85052-H2-X Alle Rechte vorbehalten, auch der auszugsweise Wiedergabe in Punt- oder elektronischen Medien
www. ibera.at
INHALT
Vorwort .................................................................................. Ein unsanfter Druck von Klestils Rechtsanwälten............... Wahlmonarch ohne Krone ..................................................... Der Himmelstürmer............................................................... Gefährliche Leidenschaft .................................................... Kämpferherz und Siegeswille................................................ Menage a trois ........................................................................ Prinzessin Gernegross ......................................................... Eine schmutzige Affäre.......................................................... Der Rosenkrieg: Klestil gegen Klestil.................................. „Ich habe private Sorgen"...................................................... Die Frau im Schatten ............................................................. Ausser Atem ........................................................................... Augen zu und durch ............................................................ Die Mitte ist rot...................................................................... Bitter war der Sieg ................................................................. Zwischen Bezirksgericht und Rathaus-Hochzeit ............... Österreichs First Femme Fatale............................................. Der Rest ist Schweigen .......................................................... Majestät verbieten Fragen, drohen mit Klagen..................... Irrwege eines Bundespräsidenten ......................................... Anatomie eines Willküraktes .............................................. Die Rache der Geschichte...................................................... Lumpazivagabundus .............................................................. Miles & More ....................................................................... Zaungaste im Reisefieber ..................................................... Gemischtes Doppel ................................................................ Der Steuermann am Ballhausplatz ...................................... Das getürkte „Geheimpapier"................................................ Die Stunde des Präsidenten ................................................... Namenregister ........................................................................
7 11 13 36 46 54 67 76 79 89 98 108 116 126 139 154 162 170 177 184 194 212 216 226 236 247 268 282 288 307 315
VORWORT
Politik in der Mediengesellschaft - das sind große Gesten, Körpersprache, Inszenierung. Am Tag des terroristischen Angriffs auf das World Trade Center in New York bat Bundespräsident Thomas Klestil ein Aufnahmeteam der Fernsehanstalt ORF zu sich in die Wiener Hofburg. Zur besten Sendezeit wollte das Staatsoberhaupt seine Österreicher in einer Schweigeminute tief ergreifen. Interviews gewährt unser Herr Bundespräsident nur noch Medien, die seine von subalternen Mitarbeitern vorfabrizierten Fragen und Antworten auf Punkt und Beistrich exakt abdrucken. Direkte Kontakte meidet er, allenfalls wendet er sich an sein Volk. Dieses lässt der Wahlmonarch das Nichts in seinen Augen lesen, das sich hinter dem hochgereckten Kinn, hinter der geschwellten Brust, den Schutz- und Trutzsätzen auftut, um den rhetorischen Pufferzonen im Veitstanz um eine leere Mitte, in der betäubt ein schwacher Wille steht. Beleidigte Kommentare und weihevolle Ansprachen verraten das zerfallende Selbstwertgefühl, die Selbstauslieferung, geben ein dumpfes Echo, das sich am offiziösen Ich bricht und wie ein Schatten zum Trauerrand für eine gescheiterte politische Karriere passt. Der französische Dichter Jules Renard bemerkte in seinem Tagebuch „Ideen, in Tinte getaucht": „Es gibt Leute, die sind so langweilig, dass man mit ihnen in fünf Minuten einen ganzen Tag verliert." Mit Thomas Klestil war das nicht immer so. „Als Bundespräsident stehe ich - als einziger vom gesamten Bundesvolk direkt gewählter Amtsträger - in einer besonderen Verantwortung gegenüber meinen Landsleuten", empfahl Thomas Klestil sich für seine erste Amtszeit als Verbündeter aller Österreicher. Nie wollte er müde werden, „die politisch Verantwortlichen an eine Maxime zu erinnern, die mir wichtig ist: Nicht das sagen, was populär ist, sondern das populär machen, was notwendig ist!" Hätte Thomas Klestil seine zweite Amtszeit genutzt, um das Bild eines profilierten und entschlossenen Bundespräsidenten zu transportieren - „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!" -, dann wäre er gewiss
ein ernsthafter und ernstzunehmender Gegenspieler der von ihm verhassten Mitte-Rechts-Regierung geworden. Einst ein durchaus aktiver Bundespräsident, ist er dieser politischen Herausforderung nicht mehr gewachsen. Von Qualitätszeitungen und politischen Stammtischen verhöhnt, von der Bundesregierung weitgehend ignoriert, vom politischen Glück verlassen, von der Wählergunst mehr und mehr im Stich gelassen, hat Thomas Klestil - ausgebrannt, erschöpft und verbittert - keine handfesten und glaubwürdigen Botschaften mehr anzubieten. Vielleicht will er auch nicht mehr in der spät gewonnenen Einsicht, dass „von allen Fundamenten, die ein Staat braucht, um seinen Bürgern zur echten Heimat zu werden, das Fundament des gegenseitigen Vertrauens, der Rücksichtnahme und des gemeinsamen Glaubens an die Kraft des Miteinander das wichtigste ist". Seit seiner aktiven Mitwirkung am Zustandekommen der EUSanktionen gegen Österreich ist diese Vertrauensbasis weitgehend zerstört. Woran liegt es, dass ein einst so kommunikativer und allseits respektierter Diplomat, der in der Mitte seiner Karriere gelegentlich auch politische Talente erkennen liess, heute so kritisch beurteilt wird, so schnell so tief stürzen konnte - in der öffentlichen Wahrnehmung und in den Machtzirkeln aller politischen Parteien? Schuld daran sei seine masslose Eitelkeit, die ihn seine intellektuellen, taktischen, strategischen und politischen Schwächen übersehen lässt, sagen einige seiner besten Freunde. Eitelkeiten sind verständlich und können durchaus liebenswert sein. Gefährlich werden sie jedoch, wenn sich Arroganz und Überheblichkeit dazu gesellen und diese seltsame Melange zum Massstab politischen Handelns stilisiert wird. Ist es ihm auch kaum bewusst, so ist Thomas Klestil zum Opfer seiner notorischen Selbstüberschätzung und Selbsttäuschung geworden. Seine zweite Ehefrau Margot dürfte ihn dabei weder kontrollieren noch korrigieren. Margot Klestil-Löffler ist zwischen Außenministerium und Präsidentschaftskanzlei omnipräsent: als Gesandte im Außenministerium, „First Lady" in der Präsidentschaftskanzlei und politische Beraterin ihres Ehemannes. „Madame Pompadour", wie sie der frühere Vizekanzler Erhard Busek in Anlehnung an die einflussreiche Geliebte des französischen Königs Ludwig XV. nennt, kann leicht aus der diplomatischen Rolle
fallen, wenn nicht gleich alles nach ihrem Willen geschieht. Der Wunsch der Selbsterwählten Landesmutter ist Befehl. Eine Mischung aus wildem Ehrgeiz, Tatkraft und Herrscherin ohne Krone, hat die weder demokratisch noch beamtendienstrechtlich legitimierte heimliche Geschäftsführerin in der Wiener Hofburg ihren Aktionsradius auf die ganze Welt ausgedehnt. Empfängt sie samt Bundespräsidenten einen Staatsgast in der Hofburg, inspiziert sie Ballhausplatz, Burghof und Heldenplatz - forscht dort nach herumliegenden Papierfetzen, Hunde- oder Taubendreck, und wehe ein säumiger Strassenkehrer kommt ihr dabei in die Quere. Die einen rühmen eine Powerfrau mit grossartigem Organisationstalent, hervorragenden Managementfähigkeiten und unbändiger Durchsetzungskraft. Die anderen - auch geknechtete Mitarbeiter und Karriereneider — laden konkrete und konstruierte Vorwürfe ab. Sie sei keine Spitzendiplomatin, weil sie aussenpolitische Zusammenhänge schwer begreife, keine brillanten Analysen abzufassen verstehe und kein Gespür für den Umgang mit Kollegen besitze. Nur in einem Punkt sind sich Bewunderer wie Kritiker einig: In rhythmischen Abständen verwandle die sonst eher verschlossene Egomanin diplomatisches Parkett in qualmende Trümmerhaufen. Dieses Buch ist kein zweiter Aufguss des Buchs „Der Verrat" und auch keine Fortsetzung. Es will vielmehr Einblick geben in die Welt unserer Klestils, eines Paars, das seinen Weg geht - Strichellisten über die Reisen von Regierungsmitgliedern ins Ausland führt, im Inland den nötigen Respekt vermisst, hierzulande seine Auftritte inszeniert, als befände es sich auf Staatsbesuch im eigenen Land, und sich dem köpf schüttelnden Ausland immerfort als allzeit bereite Staatsgäste aufdrängt. Es ist einsam geworden um Österreichs Herrscherpaar ohne Krone. Wie Nachkommen von Kapitän Ahab verfolgen „Unsere Klestils" die Moby Dicks in der Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler und Außenminister in, die ihnen ihr eingebildetes Recht auf die Rolle der l ; i satzkaiser bestreiten. Zur Einsamkeit verdammt und zu Untätigkeit verurteilt, kann man leicht auf abwegige Gedanken kommen. Die Idee, ein „Geheimpapier" über die aussenpolitischen Fehler von Regierungspolitikern zu inspirieren, war ein solcher Gedanke. Auch darüber und noch viel mehr berichtet dieses Buch, das auf Hunderten von Hintergrundgesprächen, sorgfältigen Recherchen und
mehrfach geprüften Quellen beruht. Ich habe alle Interviews nach den journalistischen Regeln für „Hintergrundgespräche" geführt. Meine Gesprächspartner können sicher sein, dass sie nicht namentlich genannt werden. Die verwendeten Zitate beruhen auf Beschreibungen der handelnden und zum Teil erwähnten Personen. Einige meiner Quellen ermöglichten mir den Zugang zu Dokumenten, Notizen, Terminkalender und chronologischen Aufstellungen. Als zusätzliche Quellen benutzte ich Tageszeitungen und Wochenmagazine. Ich habe die Berichte der einzelnen Quellen mehrfach genau geprüft, um den Weg „Unserer Klestils" korrekt zu verfolgen. Ernst Hofbauer, Wien, im Februar 2002
EIN UNSANFTER DRUCK VON KLESTILS RECHTSANWÄLTEN
KORN ZÖCHBAUER FRAUENBERGER
Einschreiben/Rückschein An den IBERA VERLAG Schubertring 8/2 1010 Wien Wien. 20. Februar 2002 I/Y
Betrifft: Dr. Ernst Hofbauer „Unsere Klestils" Sehr geehrte Damen und Herren! Ich beehre mich zunächst anzuzeigen, den Bundespräsidenten der Republik Österreich, Dr. Thomas Klestil rechtsfreundlich zu vertreten. Der mir vorliegenden Ausgabe des Magazins „Format" vom 3. Dezember 2001 entnehme ich, dass Herr Dr. Ernst Hofbauer - im „Format" Autor des umstrittenen Buches „Der Verrat" genannt - plant, ein Buch über die Familie Klestil-Löffler unter dem Titel „Unsere Klestils" zu veröffentlichen. Herr Bundespräsident Dr. Thomas Klestil hat seinerzeit gegen die über weite Strecken Unrichtigkeiten bzw. Halbwahrheiten enthaltenden, ehrenrührigen und Kreditschädigenden Vorwürfe im Buch „Der Verrat" aus Gründen des Ansehens Österreichs sowie seiner demokra11 sehen Institutionen im Hinblick auf die seinerzeitigen gesamteuropäischen Umstände keine rechtlichen Schritte unternommen.
Mein Mandant hat mich allerdings bereits jetzt beauftragt, das Buch von Herrn Dr. Hofbauer sofort nach Erscheinen auf seine Übereinstimmung mit der Österreichischen Rechtsordnung zu überprüfen und wegen jedes Verstosses gegen gesetzliche Bestimmungen mit rechtlichen Schritten vorzugehen. Veröffentlichungen über Familienleben haben es an sich, dass damit auch die privaten Bereiche der betroffenen Personen berührt werden. Ich setze Sie vorsorglich davon in Kenntnis, dass weder Bundespräsident Dr. Thomas Klestil noch seine Frau ihre Zustimmung zu Veröffentlichungen über ihr Privat- und Familienleben geben. Meine Mandanten erteilen auch zu allfälligen Bildveröffentlichungen keine Zustimmung. Ich habe Sie in Ihrer Eigenschaft als Verlag, in dem das Buch von Herrn Dr. Hofbauer erscheinen soll, mit der gebotenen Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass nach österreichischem Recht auch im öffentlichen Leben stehende Personen ein Recht auf Achtung ihrer Privatsphäre haben, gegen deren Verletzung die Rechtsordnung nicht nur Unterlassungs- sondern auch Schadenersatzansprüche gewährt (zB § 7 MedienG, § 78 UrhG). Nach ständiger Rechtsprechung haftet auch ein Verleger von Büchern als intellektueller Verbreiter für allfällige Rechtsverletzungen des Autors (zB OGH 29.09.99, 6 Ob 119/99i, MR 1999, 334 uvam). Mit der Bitte um Kenntnisnahme zeichne ich mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung
G.Korn
WAHLMONARCH OHNE KRONE
Der Hofstaat des österreichischen Wahlmonarchen Thomas Klestil befindet sich im Leopoldinischen Trakt der barocken Hofburg am Ballhausplatz in der Wiener Innenstadt. Wer das Gebäude durch eine große Pforte betritt, die vielen Sicherheitsvorschriften erfüllt, ein paar mit rotem Teppich belegte Stufen hochsteigt und durch eine hohe, Weißlackierte Tür in die Stille der Präsidentschaftskanzlei einbricht, gerät in eine andere Welt, sei es auch nur die Hochburg der Langeweile. Hier herrscht ein Leben wie auf einer Bühne, deren Vorhang schon heruntergezogen ist. Ein präzis geregeltes Büroleben. Jedes Fehlen und jedes Übermass rufen Unruhe hervor. Beflissene Amtsdiener bringen die Zeitungen, servieren wie selbstverständlich Kaffee und legen schmale Akten auf den Tisch. Unverständliche Gesetzestexte harren ihrer Unterschrift, desgleichen Vorreihungen, Ernennungen zu Botschaftern, Professorentitelvergaben und der übliche Kleinkram an Erledigungen, die der staatsnotariellen Beglaubigung bedürfen. Business äs usual, das den Bundespräsidenten Tag für Tag in Beschlag nimmt, mehr Form als Inhalt, Bürokratie um der Bürokratie willen, der Bundespräsident als vorletzte Station langwieriger bürokratischer Prozesse vor ihrer Kundmachung. Man ist hier, wie man in Wien sagt, apres, noch ehe der Tag so richtig begonnen hat — und isoliert. „Dieses Amt", klagte bereits Adolf Schärf, „hat mich aus dem Kreis der Freunde von einst heraus- oder hinausgehoben. Ich bin so einsam, wie ich es nie in meinem Leben gewesen bin." Es schimmert matt und glänzt, gediegen, verführerisch, an den Wänden und in den Vitrinen, im Spiel des sanften Lampenlichts am Nachmittag des 25. Oktober 2001 hinter der Tapetentür zu den Amtsräumen Unseres Herrn Bundespräsidenten. Im weiten Raum, eine stilvolle Mischung aus Büro und Museum, stehen zwei Flaggen, die von Osterreich und die von der Europäischen Union. Eine Welt, die zum Still-Leben geworden ist, ein Gefühl, als hätte hier alles seine Ordnung. Die Geschichte selbst mag sich illuminieren, auf eine sanfte, ein wenig verschlafene Weise.
Selbst abgeschiedene und abgehobene, barocke und feudale Gefängnisse können Orte des Widerstands sein, des Widerstands gegen die da drüben im Bundeskanzleramt und im Außenministerium am Ballhausplatz Nummer 2, die ihn, Thomas Klestil, Staatsoberhaupt der Republik Österreich, zur Isolationshaft im goldenen Käfig der barocken Hofburg öffentlich verurteilen wollen. Ihn, den Herrscher ohne Krone, der zwei demokratische Wahlen zum Bundespräsidenten mit absoluter Mehrheit gewonnen hat, während die da drüben Wahl für Wahl verlieren, zuletzt abgeschlagen am dritten Platz landeten und sich dennoch anmassen, die Republik zu führen. Persönliche Eitelkeit, billige Effekthascherei und mangelnde Einsicht in europa- und weltpolitische Zusammenhänge haben ihm diese aussenpolitischen Dilettanten vorgeworfen. Thomas Klestil blickt hinüber zum Bundeskanzleramt. Dort sassen bis vor wenigen Jahren noch Franz Vranitzky und Viktor Klima; zwei sozialdemokratische Bundeskanzler, die ihm das politische Leben gewiss auch nicht leicht gemacht haben. Dem einen, Franz Vranitzky, hat er längst verziehen, obwohl dieser dem Bundespräsidenten das Recht auf die aussenpolitische Führung des Landes bestritten hat. Sonst aber hat es kaum je Probleme gegeben. Mit Vranitzkys aussenpolitischer Beraterin Eva Nowotny hatte er schon als Generalsekretär im Außenministerium ein besseres Einvernehmen als selbst mit Außenminister Alois Mock, seinem Farbenbruder vom Kartellverband und Wegbereiter seiner beruflichen Karriere. Die Berufung zum „parteipolitisch unabhängigen" Außenminister hatte ihm Franz Vranitzky versprochen, hätte Alois Mock nur zugestimmt. Doch der hat ja nie begreifen wollen, dass „Sachpolitik vor Parteipolitik gehen muss", wie Thomas Klestil diesen Stehsatz aus der Aktenmappe seiner Redenschreiber seit Jahr und Tag herunterleiert. Die Sozialdemokraten im Außenministerium haben ihm diese politischen Gemeinsamkeiten stets zu danken gewusst. Kaum war er im Frühjahr 1992 das erste Mal zum Bundespräsidenten gewählt, versicherte ihm der sozialdemokratische Beamtenvertreter Thomas Nowotny seine besondere Wertschätzung: „Der überragende Sieg bei der Präsidentschaftswahl ist sicher ... ein Ausdruck des Vertrauens, das das österreichische Volk in Sie als Person setzt", hieß es in einem Glückwunschtelegramm des sozialdemokratischen Beamtenvertreters: „Dieser Erfolg reflektiert jene Qualitäten, die Ihnen im Aussen-
amt die Achtung, den Respekt, aber auch die Zuneigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingetragen haben und die Sie sicher zu einem guten, gerechten und geachteten Präsidenten dieser unserer Republik machen werden." Thomas Klestil brauchte sich über die Wertschätzung von Bundeskanzler Vranitzky und der sozialdemokratisch gesinnten Beamtenschaft im Außenministerium wirklich nie zu beklagen und er hat es ihnen auch als Bundespräsident stets zu danken gewusst. Noch weniger Schwierigkeiten gab es mit Vranitzkys Nachfolger im Bundeskanzleramt, Viktor Klima - einem einfachen, immer optimistischen und geradlinigen Sozialdemokraten der neuen Generation. Ein Mann, der von Rechts wegen und wenn es mit rechten Dingen und nach seinem Willen gegangen wäre, immer noch Bundeskanzler sein müsste, und nicht dieser Wolfgang Schüssel - Thomas Klestils „Parteifreund", in Wien ein Begriff, der allzuoft als Komparativ von „Feind" verwendet wird. Der Sitz des Bundeskanzlers und der Außenminister in Benita Ferrero-Waldner liegt nur einen Steinwurf weit, doch eine Kältezone trennt ihn von diesen Leuten. Sie schreckt Begegnungen ab und lahmt die Zusammenarbeit im Dienst der Republik. Jeden Tag wird ein neuer Name als sein Nachfolger ins Gespräch gebracht. Unmöglich, diese Benita Ferrero-Waldner, die sich auf der Aufholjagd nach seinem Riesenvorsprung in der diplomatischen Disziplin des Händeschüttelns von Politikern in aller Welt befindet. Oder diese Ursula Stenzel, eine Journalistin, die derzeit als Parlamentariern! zwischen Europas Hohen Häusern in Brüssel und Strassburg hin- und hereilt, um im Auftrag des Bundeskanzlers in der Europäischen Kommission und im Europäischen Parlament fleissig gegen ihn zu intrigieren. Oder auch Waltraud Klasnic, die steirische Landeshauptfrau - alles staatsmännische und aussenpolitische Leichtgewichte, gemessen an ihm, dem Bundespräsidenten, seinen diplomatischen Netzwerken, seinen Freundschaften und seinen weltweiten Einflusszonen. In der Politik hat man so viele Freunde, wie es Ameisen im Wald gibt, und weniger wahre Freunde als in einer Schulklasse. Nach seiner ersten Wahl zum Bundespräsidenten anno 1992 sonnten sich alle im Glanz seines Wahlerfolgs, heute meiden und schneiden sie ihn wie einen Aussätzigen, nur weil er gewagt hatte, der schwarz-blauen Regierung seinen Respekt zu verweigern. Eine Regierung, die es dar-
auf anlegt, ehrwürdige gesellschaftliche Institutionen in die Luft zu sprengen: das Sozialversicherungssystem, den staatlichen ORF und bald vielleicht auch das Amt des Bundespräsidenten - eiskalt und erbarmungslos. Shakespearesche Königsdramen finden immer noch statt, auch wenn auf republikanischen Höfen Gift nur im übertragenen Sinn verabreicht wird und der demokratische Dolch nur noch den politischen Tod bringt. So sind sie eben, diese Parteipolitiker, fast alle Apparatschiks, hochgekommen dank der Fertigkeit, im Hintergrund intrigant die Fäden zu ziehen. Menschen, die es verlernt haben, einander als Individuen wahrzunehmen, einander zu vertrauen, Menschen, die einander nur noch verdächtigen können und sich dabei der Medien als meistverbreiteten und bestorganisierten Form dieser Verdächtigungen bedienen. Eine Horde von Apparatschiks, von Virtuosen des falschen Spiels, die nur auf Umfragen schauen und ihre Aussagen danach richten. Es fehlt diesen Berufspolitikern und Möchtegernstaatsleuten an Glaubwürdigkeit und an der Entschlossenheit, mit großer medialer Kraft Themen zu setzen und damit auch ihr politisches Schicksal zu verknüpfen. Die sollen doch offen sagen, ich will unter allen Umständen Bundeskanzler werden, sei es auch aus der dritten Position heraus, das ist meine Vorstellung, das ist mein Ziel, und jetzt wählt mich oder eben nicht. Doch die haben nichts anderes gelernt, als sich politische Macht anzueignen. Denen fehlt eine Alternative und ein solider beruflicher Hintergrund, schüttelt Thomas Klestil still sein Staatsoberhaupt, und denkt sich, dass die meisten vom wirklichen Leben keine Ahnung haben. Unser Herr Bundespräsident fühlt sich allen widrigen Umständen zum Trotz kühl und geschickt genug, Meister der Situation zu bleiben. So kann man mit mir nicht umspringen. Nicht den Parteien, dem Volk bin ich verpflichtet, versucht er sein Selbstbewusstsein zu festigen. Schließlich hat mich eine überwältigende Mehrheit des österreichischen Volkes gewählt. Meine einzige Verpflichtung besteht darin, mein ganzes Wissen, meine langjährigen Erfahrungen für dieses Land einzubringen und die überbordenden Machtansprüche der Regierung in die Schranken zu weisen. Wird es ihm auch von Wolfgang Schüssel und seinen Konsorten zur Tortur gemacht, so will er doch an diesem Auftrag festhalten - koste es, was es wolle. ***
Was den Briten ihre Downing Street, den Franzosen ihr Quai d'Orsay und den Russen der Kreml, ist den Österreichern „der Ballhausplatz", ein Ort, an dem die Habsburger ab der Mitte des 18. Jahrhunderts imperiale Außenpolitik schrieben und wo seit dem Jahr 1918 mit siebenjähriger Unterbrechung die Regierungspolitik der Republik Österreich gestaltet wird. Wo mehr als 200 Jahre davor sich Hof und Adel beim Ballspiel vergnügten, wurde im Jahr 1717 der Grundstein für den Bau eines monumentalen Amtsgebäudes im Stil eines klassischen Barockpalais gelegt. Johann Lucas Hildebrandt zeichnete die Pläne für die Staatskanzlei, in der Staatsmänner wie Kaunitz, Metternich, Schwarzenberg und Andrassy europäische Bündnisse schmiedeten, Friedensordnungen konstruierten und militärische Aufmarschpläne absegneten. Im Machtzentrum des Habsburger Imperiums organisierte Metternich den ersten gesamteuropäischen Kongress, dessen Festsaal am Ballhausplatz die Herrscher der Preussen, Engländer, Russen, Franzosen und der gastgebenden Österreicher durch fünf gleich große Eingänge betraten, damit kein Souverän dem anderen den Vortritt lassen musste. Zu dieser Zeit war das barocke Palais am Ballhausplatz das Mekka der europäischen Politik, später wurde hier der Untergang der Doppelmonarchie besiegelt. Am 25. Oktober 1918 gingen die letzten Hochrufe des Außenminister s Andrassy vom Balkon des Palais am Ballhausplatz auf Kaiser Karl im Wutgeheul der versammelten Menge unter. Zwei Sozialisten, Viktor Adler und Otto Bauer, waren am Ballhausplatz die ersten Außenminister der jungen Republik, ein dritter Sozialist, Karl Renner, ihr erster Staatskanzler. Alle drei dachten und fühlten grossdeutsch. Karl Renner lobte gar die Besetzung Österreichs durch Adolf Hitlers Truppen der Deutschen Wehrmacht in hohen Tönen. Bevor im Frühjahr 1945 das „Dritte Reich" in Schutt und Asche versank, fiel der rechte Flügel des Bundeskanzleramts im September 1944 einem schweren Bombardement der Alliierten zum Opfer. Als in den letzten Kriegstagen das Bundeskanzleramt noch einmal unter Beschuss geriet, hatten sich Hitlers Gefolgsleute am Ballhausplatz bereits aus dem Schutt gemacht. Wolfgang Schüssel ist seit dem Wiederauferstehen Österreichs nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der neunte Bundeskanzler nach
den konservativen Regierungschefs Leopold Figl, Julius Raab, Alfons Gorbach und Josef Klaus und ihren sozialdemokratischen Amtsnachfolgern Bruno Kreisky, Fred Sinowatz, Franz Vranitzky und Viktor Klima. Und er ist seit dem Jahr 1970 der erste bürgerliche Bundeskanzler und seit dem Bestehen der Zweiten Republik auch der erste Regierungschef, den nicht die stärkste, sondern die stimmenmässig drittstärkste Parlamentsfraktion stellt. Ein Feindbild nicht nur der starken parlamentarischen Opposition, sondern - auch das ist eine Premiere für die Zweite Republik - vor allem ein Feindbild des amtierenden Bundespräsidenten, der ein gutes Dritteljahrhundert Mitglied der österreichischen Volkspartei war, die Wolfgang Schüssel jetzt anführt. Angewidert blickt Thomas Klestil zu Boden. Drunten, im Souterrain der Hofburg, sitzen sie in der Kantine des Kanzleramts und des Außenministeriums, ehemalige Kollegen und Freunde, von denen ihm viele abhanden gekommen sind, weil sie mit seiner absoluten Objektivität und Unabhängigkeit nicht zurechtkamen. Noch tiefer, in den Kellerräumen, verlaufen Gänge zwischen dem Palais Dietrichstein zum Bundeskanzleramt und von diesem in die Hofburg, ins Innenministerium bis ins Palais Lobkowitz oder ins Kunsthistorische Museum und zurück. Am Tag der Angelobung ist diese unzumutbare Regierung durch diese unterirdischen Gänge zum Kanzleramt zu ihm in die Hofburg und zurück gepilgert. Alles Feiglinge, dachte sich der Bundespräsident und erinnerte sich, dass ihm amerikanische Sicherheitskräfte empfahlen, am Tag der „Watch-Lisf'-Entscheidung gegen Kurt Waldheim die österreichische Botschaft in Washington durch eine versteckte Türe auf der Rückseite des Gebäudes zu verlassen. Das entsprach freilich so gar nicht dem, was Thomas Klestil an Offenheit und Mut gerade in schwierigen Stunden gelernt hatte. Für ihn stand damals fest: „Ein österreichischer Botschafter geht nicht durch den Hintereingang fort." Unser Herr Bundespräsident beherrscht die Kunst der politischen Lebenslüge perfekt. Er sieht sich ausschließlich von aussen: Solange der Schein gewahrt bleibt, ist auch die eigene Überlegenheit nicht gefährdet. Diejenigen, die sich bemühen, ihn zu lieben, müssen enttäuscht feststellen, dass es ihnen nicht gelingen will. Thomas Klestil hat um sich eine Mauer der selbstgerechten Perspektive hochgezogen, und in der eisigen Wahrung dieser Perspektive liegt seine Tragik.
Aktiv wollte er sein, ein Mann des Volkes, offen für die Probleme seiner Landsleute und die Regierungsmacht in die Knie zwingen, wenn sie den Willen des Volkes missachtet. Armer Leute Kind, Halbwaise aus Wien-Erdberg, hatte er sich einen „unbelasteten Umgang mit allen sozialen Gruppen" angeeignet: „Der Freundeskreis von damals kannte keine gesellschaftlichen Begrenzungen - es war für uns auch selbstverständlich, das Wenige zu teilen und an Feiertagen im nahen Jungendgefängnis zu musizieren." Während seines Studiums an der Hochschule für Welthandel entdeckte er früh die Möglichkeiten, „das Studium selbst zu finanzieren - zunächst als Bauhilfsarbeiter und später als Kassier in Kärntner Spielkasinos". Eine ganz neue Welt tat sich ihm auf: „Ich, der aus einem ganz anderen Umfeld kam und jeweils mit Vorlesungsbeginn auch wieder dorthin zurückkehrte, beobachtete Abend für Abend die Gäste und ihre gesellschaftlichen Regeln. Vor allem aber lernte ich, mich von der sommerlichen Leichtigkeit des Lebens nicht täuschen oder anstecken zu lassen", erzählt er in den „Themen meines Lebens" (Verlag Styria, Graz, Wien, Köln, 1997). „Geblieben ist mir aus dieser ersten Etappe meines Lebens vermutlich sehr viel mehr, als mir selbst lange bewusst war: sicherlich das Wissen um die eigenen Wurzeln - und die Verpflichtung, die großen 11 Öffnungen und Erwartungen nicht zu enttäuschen, die meine Mutter und meine Geschwister in mich, den Jüngsten der Familie gesetzt hat(cn." Ein Anwalt des Volkes wollte er sein und seine Stimme erheben liegen Armut, politische Willkür und Ungerechtigkeit. Was nur hat der Mann gemacht, dass er heute so schlecht dasteht? Seit dem zweiten Drittel seiner letzten Amtszeit als Bundespräsident steht er am Pranger der öffentlichen Meinung, ist er Zielscheibe des politischen Kabaretts und von Politikern aus den eigenen Reihen, die ihn öffentlich als Fehlbesetzung bezeichnen, ihm intellektuelle Unscharfe, unzureichende Professionalität und mangelnde Kenntnis der politischen Landschaft vorwerfen. Verzichten wollte er auf das dem Bundespräsidenten zustehende Recht, bei allen staatlichen Festivitäten vor allen anderen politischen Würdenträgern in der ersten Reihe zu sitzen, als er im Jahr 1992 zum ersten Mal gewählt wurde. Heute ist ihm dieses monarchische Vorrecht zur unentbehrlichen Stütze seiner herausragenden Bedeutung
geworden, auf die er nicht um die Hofburg verzichten würde. Während Michael Hainisch, der zweite Präsident der Ersten Republik, mit der Strassenbahn fuhr, und der dritte Bundespräsident der Zweiten Republik, der sozialdemokratische Hofrat Adolf Schärf, von der Skodagasse im achten Wiener Gemeindebezirk ohne Adjutant zu Fuss in die Hofburg ging, legt Thomas Klestil selbst die kürzesten Strecken im gepanzerten Staatsmercedes zurück, raumgreifend eskortiert von zwei mit Sicherheitsbeamten bestückten Motorrädern und einem billigeren Dienstmercedes mit Kanzlisten aus dem Präsidentschaftsbüro. „Thomas Klestil ist wirklich, so wie angekündigt, ein aktiver Präsident", witzelt Othmar Pruckner. „freilich einer, der sein Amt aktiv beschädigte und obendrein - siehe Regierungsbildung - seine Ohnmacht spektakulär vorführte. Alles, was er uns demonstriert, ist Monarchentum in fortgeschrittenem Stadium." Österreichs ungekrönter Sonnenkönig ist eine einzige Übertreibung: ein Schutzpatron der Selbstüberschätzung, ein Anwalt der Bombastik und des monarchischen Pomps. „In ihm erblicken wir die Werte monarchischer Überheblichkeit, wie sie die Habsburger nicht einmal vor der Zeit des aufgeklärten Absolutismus sich vorzuleben trauten." So blieb denn auch der frenetische Jubel seiner Vorarlberger Untertanen aus, als das Staatsoberhaupt im Juli 2000 die Bregenzer Festspiele beehrte und in einem achtseitigen Sicherheitsregieheft verlangte, von Dutzenden Polizisten vom gemeinen Volk der Alemannen abgeschirmt zu werden. „Eine Sicherheitsorgie, auf allerhöchsten Befehl verbarrikadiert", wunderten sich die „Vorarlberger Nachrichten". Einen Staatsakt wollte die Wiener Hofburg am Bodensee inszenieren - mit dem Bundespräsidenten, seiner Frau Gemahlin, seinem Kollegen Adolf Ogi aus der Schweiz und dem Fürsten von Liechtenstein im Mittelpunkt. „Kälte verbreitete sich, nicht Verbundenheit zwischen Staatsoberhaupt und Staatsbürgern", schrieben die „Vorarlberger Nachrichten", weil „die Frau Klestil angeordnet hat, dass zuerst die Prominenz reingeht und nachher die Geladenen kommen". Regierungsmitglieder mussten auf Anordnung des Sonnenkönigs ohne Krone das Festspielhaus in Bregenz durch die Hintertür betreten. „Hier schien mit Bundespräsident Thomas Klestil ein Monarch aufzutreten, nicht der erste Bürger des Staates", ärgerten sich die Vorarlberger über das ihnen von der Wiener Hofburg diktierte extrapompöse spanische Hof zeremoniell. „Die Trennung zwischen 'denen da oben'
und den 'gewöhnlichen Menschen' wurde auf eine Art durchgezogen, die nur Kopfschütteln hervorrufen konnte", kommentierten die „Vorarlberger Nachrichten" die Vorführung des „First Couple" aus Wien. (jrundsätze sind nichts, meine Person ist alles, schien die Devise Unseres Herrn Bundespräsidenten bei seiner majestätischen Selbstinszenierung. „So war denn auch die Frage des seinerzeitigen ORFGeneralintendanten - 'Wo bleibt hier der republikanische Geist?' mehr als berechtigt", kritisierten die „Vorarlberger Nachrichten" des Mundespräsidenten Performance im „Ländle": Denn niemand konnte „nachvollziehen, was hier von der Staatskanzlei vorbereitet wurde, was dem Eröffnungsakt auch den sympathischen, fast persönlichen Eindruck der früheren Jahre nahm". Österreichs „First Lady" Margot Klestil-Löffler bestand auf einer eigenen Telefonanlage in ihrer Luxusbleibe, beides auf Staatskosten selbstredend, sodass der Schweizer Bundespräsident Adolf Ogi keine Chance hatte, auch nur Getränke beim Hotelpersonal per Telefon zu bestellen. Wie das Wiener Stadtblatt „Falter" schreibt, musste der Schweizer Bundespräsident äußerst verärgert im Bademantel bei der Hotelrezeption seine Bestellung aufgeben. Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber ließ am Ende einer schmerzensreichen Heimsuchung Österreichs Präsidentenehepaar durch die Blume wissen, auf ihre Visite in Zukunft gerne verzichten zu können.
So wie es Musiker gibt und Musikanten, pflegte ein Lehrer an der Diplomatischen Akademie in Wien zu sagen, so gibt es den Geist des Protokolls und das Unheil der Protokollfetischisten. Damit gemeint sind angehende Diplomaten, die im Protokoll ein Mittel zum Zweck sehen, und solche, die darin ihren Selbstzweck finden. Wo Margot Klestil-Löffler steht, herrscht das Protokoll, und damit jeder begreift, was ihr das Protokoll bedeutet, schmeichelt und fordert sie, droht und paktiert sie, ist sie je nach Tagesverfassung wehleidig, auftrumpfend, herrschsüchtig oder pathetisch, um ihr genehme Protokolle durchzusetzen. Der junge Gesandte Herbert Grubmayr bereitet die Protokolle für die Auftritte von Österreichs „First Couple" in den Hundesländern und bei Staatsbesuchen in der Präsidentschaftskanzlei vor, begibt sich damit ins Außenministerium zur „First Lady", die die-
sen Protokollen den letzten Schliff verpasst - eine seltsame Mischung von spanischem Hof zeremoniell und altpreußischem Drill. In festlicher Aufmachung ziehen die Mitglieder der Salzburger Hautevolee zu stolzen Klängen aneinander vorbei. Naserümpfen und verlogene Herzlichkeit. Ein kokettes Lächeln hier, ein höfliches Kopfnicken da. Plötzlich verstummt die Musik, die Runde erstarrt - Unser Herr Bundespräsident und Österreichs First Femme Fatale geben Salzburg aus Anlass der Eröffnung der Salzburger Festspiele die Ehre eines Bundesländerbesuches. Das Protokoll dieses Staatsbesuches im eigenen Land stammt von Margot Klestil Löffler. Hier seine wörtliche Wiedergabe:
Sonntag, 23. Juli 2000: 8.30 Uhr: Abfahrt der Begleitdelegation des Herrn Bundespräsidenten (Botschafter Dr. Kyrie, Divisionär Trauttenberg, Ministerialrat Dr. Hafner, Hofrat Dr. Magenschab, Herr Siska) von der Präsidentschaftskanzlei zum General-Aviation-Center. 9.25 Uhr: Abfahrt des Herrn Bundespräsidenten und von Frau Dr. Klestil-Löffler mit persönlichem Gepäck von der Amtsvilla zum General-Aviation-Center (Lotsung). 9.45 Uhr: Eintreffen des Herrn Bundespräsidenten und von Frau Dr. Klestil-Löffler beim General-Aviation-Center. Fahrt direkt auf das Flugfeld. 9.50 Uhr: Abflug des Herrn Bundespräsidenten, von Frau Dr. KlestilLöffler und Begleitung mit einer Challenger 601 der Lauda Air nach Salzburg. 10.30 Uhr: Ankunft auf dem Flughafen Salzburg. Begrüssung durch Landeshauptmann Dr. Schausberger und Frau Mag. Heidi Schausberger (Blumenstrauss für Frau Dr. Klestil-Löffler). 10.35 Uhr: Abfahrt zum Residenzplatz. 10.45 Uhr: Empfang mit militärischen Ehren auf dem Residenzplatz. Meldung durch den Kommandanten. Bundeshymne. Abschreiten der
Front durch den Herrn Bundespräsidenten in Begleitung des Herrn Landeshauptmannes. Frau Dr. Klestil-Löffler und Frau Mag. Schausberger schliessen nach dem Abmelden des Offiziers zum Herrn Bundespräsidenten und zum Herrn Landeshauptmann auf. Receiving-Line: Der Herr Bundespräsident und Frau Dr. KlestilLöffler begrüssen die erschienenen Repräsentanten des Salzburger Landtages, der Landesregierung, der Stadt Salzburg sowie der höchsten Behördenvertreter und werden sodann von Landeshauptmann Dr. Schausberger und Gemahlin zur Residenz geleitet. 11.00 Uhr: Festakt des DDr. Herbert-Batliner-Europa-Instituts in Salzburg mit Kleinstaatenpreisverleihung an den Staatspräsidenten der Republik Estland, Dr. LennartMeri, in der Salzburger Residenz. Herr Bundespräsident und Frau Dr. Klestil-Löffler treffen um U .00 Uhr mit Staatspräsident Meri und Gemahlin sowie mit Seiner Durchlaucht Fürst Hans Adam H. von und zu Liechtenstein im „Blauen Zimmer" der Residenz zusammen. Erfrischungen werden verabreicht. Sobald alle Gäste des Festaktes zur Kleinstaatenpreisverleihung ihre Plätze eingenommen haben, werden der Herr Bundespräsident, Frau Dr. Klestil-Löffler, Präsident Meri und Gemahlin, Fürst Hans Adam II. sowie Landeshauptmann Dr. Schausberger und Gemahlin zu ihren Plätzen geleitet und es beginnt sofort der Festakt. Programm des Festaktes: Bundeshymne, Musikstück, Grusswort des Herrn Landeshauptmannes Dr. Schausberger. Laudatio durch Vizekanzler a. D. Dr. Erhard Busek. Überreichung des Kleinstaatenpreises durch Vizekanzler a. D. Dr. Erhard Busek und Senator h. c. Professor DDr. Herbert Batliner. Musikstück. Anschliessend Festvortrag des Herrn Bundespräsidenten. Dankesworte von Staatspräsident Dr. Meri. Musikstück. Europahymne. 12.30 Uhr: Ende des Festaktes und Beginn des vom DDr. Herbert Batliner-lnstituts gegebenen Empfangs. 13.00 Uhr: Privates Mittagessen, gegeben von DDr. Herbert Batliner (Residenzplatz 4).
14.45 Uhr: Ende des Mittagessens und Weiterfahrt zum Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof. 20.05 Uhr: Abfahrt des Herrn Bundespräsidenten, von Frau Dr. Klestil-Löffler und Begleitung vom Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof, zum Schloss Leopoldskron. Begrüßung durch Landeshauptmann Dr. Schausberger und Frau Mag. Schausberger. Der Herr Bundespräsident und Frau Dr. Klestil-Löffler werden zu den bereits versammelten Gästen geleitet. Während des Aperitifs vor dem Galadinner kurze Begrüßungsansprache des Herrn Landeshauptmannes. Anschließend wird zu Tisch gebeten. Montag, 24. Juli 2000: 10.20 Uhr: Abfahrt des Herrn Bundespräsidenten, von Frau Dr. Klestil-Löffler und Begleitung vom Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof, zum Festspielhaus. 10.25 Uhr: Eintreffen beim Festspielhaus. Begrüßung durch Landeshauptmann Dr. Schausberger und Gemahlin. 10.30 Uhr: Der Herr Bundespräsident und Frau Dr. Klestil-Löffler betreten zu den Klängen der Festspielfanfare die Felsenreitschule. Programm des Eröffnungsaktes: Bundeshymne. Ouvertüre der Oper „Die Zauberflöte" von W. A. Mozart. Begrüßungsansprache des Herrn Staatssekretärs Franz Morak. Ouvertüre zur Oper „Andromeda ed Perseo" von J. M. Haydn. Eröffnungsansprache des Herrn Bundespräsidenten. Musikstück (Charles Ives: „The Unanswered Question"). Festrede des Präsidenten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, D?: Jakob Kellenberger. Musikstück (J. M. Haydn: C-Dur-Marsch). Landeshymne. 12.15 Uhr: Ende des Eröffnungsaktes. Nach Weisung des Herrn Bundespräsidenten entweder kurze Rückkehr zum Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof, oder sofortiger Gang zur Residenz, wo sich der Herr Bundespräsident und Frau Dr. Klestil-Löffler vor Beginn des Mittagessens in das „Blaue Zimmer" zurückziehen können.
12.30 Uhr: Mittagessen, gegeben vom Herrn Bundespräsidenten und von Frau Dr. Klestil-Löffler in der Salzburger Residenz (Aperitif im „Rittersaal", Mittagessen im „Audienzsaal" sowie in den anschließenden Räumlichkeiten „Antecamera" und „Konferenzsaal"). 12.40 Uhr: Die Gäste werden zu Tisch gebeten. Sodann begeben sich der Herr Bundespräsident, Frau Dr. Klestil-Löffler und die an ihrem Tisch platzierten Ehrengäste zu ihren Plätzen. Während des Mittagessens werden keine Ansprachen gehalten. 14.30 Uhr: Ende des Mittagessens und Abfahrt zum Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof. 16.50 Uhr: Abfahrt des Herrn Bundespräsidenten, von Frau Dr. Klestil-Löffler und Begleitung zum Festspielhaus (Smoking, langes Abendkleid). 16.55 Uhr: Eintreffen beim Großen Festspielhaus. Begrüßung durch Landeshauptmann Dr. Schausberger und Gemahlin sowie Präsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler, die den Herrn Bundespräsidenten und Frau Dr. Klestil-Löffler in ihre Loge geleiten. 17.00 Uhr: Beginn der Premierenvorstellung der Oper „Les Troyens" von Hector Berlioz. Zwei Pausen: 1. Pause von 18.30 bis 19.30 Uhr. Empfang, gegeben von Landeshauptmann Dr. Schausberger und Festspielpräsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler im Oberen Pausenfoyer. 2. Pause von 20.30 bis 20.50 Uhr. Erfrischungen in den Räumen von Präsidentin Dr. Rabl-Stadler. 22.30 Uhr: Ende der Premierenvorstellung und Rückkehr in das Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof. Dienstag, 25. Juli 2000: 12.35 Uhr: Abfahrt des Herrn Bundespräsidenten, von Frau Dr. Klestil-Löffler und Begleitung vom Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof, zum Hotel Sheraton.
72.40 Uhr: Eintreffen beim Hotel Sheraton. Begrüßung durch Landeshauptmann Dr. Schausberger und Bürgermeister Dr. Schaden, die den Herrn Bundespräsidenten und Frau Dr. Klestil-Löffler zu den bereits zum Aperitif versammelten Gästen geleiten. Kurze Begrüßungsrede von Bürgermeister Dr. Schaden bei Tisch, vor Beginn des Essens. Unmittelbar anschließend kurze Antwortrede des Herrn Bundespräsidenten. 14.15 Uhr: Ende des Mittagessens und Rückkehr in das Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof. 14.50 Uhr: Abfahrt des Herrn Bundespräsidenten und von Frau Dr. Klestil-Löffler, begleitet von Landeshauptmann Dr. Schausberger und Gemahlin vom Hotel Sacher Salzburg, Österreichischer Hof, zum Flughafen Salzburg. 15.00 Uhr: Eintreffen am Flughafen Sahburg. Verabschiedung durch Landeshauptmann Dr. Schausberger und Gemahlin. 15.05 Uhr: Abflug des Herrn Bundespräsidenten, von Frau Dr. KlestilLöffler und Begleitung nach Innsbruck. In seinem ersten Wahlkampf hatte Thomas Klestil Reisen in die Bundesländer versprochen. Er wollte dort direkte Kontakte mit dem „gemeinen" Volk knüpfen, den Leuten aufs Maul schauen und erkunden, wo sie der Schuh drückt und welche Sorgen sie plagen. Daraus geworden sind Anwesenheitspflichten bei Sub-auspiciis-Promotionen, Städtetagen, Gemeindetagen, Festakten, Eröffnungsfeierlichkeiten von Festspielen, Landesausstellungen, Bischofsweihen, Wirtschaftsmessen, Jungbürgerfeiern, Musikvereins-Treffen oder auch Besuche des World Economic Forum in Salzburg. An seinen drei „Bundesländertagen" im Juli 2000 in Salzburg ist dem Bundespräsidenten mit großer Sicherheit kein „gemeiner" Bürger begegnet. Es sei denn, man rechnet jene mit akademischen Würden gesalbten Beamten hinzu, die Tag und Nacht vor der Eingangstür seiner Hotelsuite zu warten haben, ob dem Herrn Bundespräsidenten oder seiner Frau Gemahlin ein staatstragender Einfall kommt, den die
schwer geprüften Staatsdiener diensteifrig zu notieren und in eine Sinngemessene Schriftform zu bringen haben. Dies geschieht sowohl bei Staatsbesuchen im Inland als auch im Ausland - auf ausdrücklichen Wunsch unserer „First Lady". Und ihr Wunsch ist unseren Beamten Befehl. Ihre angemaßte Macht über Staatsdiener gründet sich auf die Macht über Kassen, die sie nicht selbst zu füllen braucht, und läuft auf die Verschwendung von Steuergeldern hinaus.
Wenn jetzt nicht die Stunde der Klestils schlägt, dann schlägt sie wohl nimmermehr. Dann ist das Präsidentenpaar gezwungen, teilnahmslos nebeneinander in der Hofburg zu sitzen, Gespräche zu führen wie zwei Stühle am kalten Cafetisch, als würden sie nur darauf warten, dass die Zeit bis zum Ende der zweiten Bundespräsidentenschaft im Fühjahr 2004 nutzlos verrinnt. Thomas Klestil ist in den letzten Monaten sichtlich gealtert. Er trägt einen dunklen Anzug, ein Frischgebügeltes weißes Hemd mit steifem Kragen und Manschetten. Die Krawatte ist in matten Silbertönen gehalten, so als hätte er sich an diesem Nachmittag seine Stimmung um den Hals geschlungen. Die Visagistin hat sein blasses Gesicht fernsehgerecht aufgefrischt, eine Maniküre die Altersflecken von seinen Handrücken weggepinselt. Das dünne, graue Haar ist kunstvoll in die Höhe gefönt, ein eigens in die Hofburg berufener Schuhpfleger hat sein Schuhwerk blitzblank geputzt. „Nichts bedeutet mehr Schmerz, als sich im Unglück an Zeiten des Glücks zu erinnern", schrieb Dante Alighieri. Manchmal überfielen den Bundespräsidenten dunkle Gedanken, die jeden gereizten Menschen in Stunden der äußersten Bedrückung überkommen. Überlegungen, wie sie zur „Normalität" sensibler Menschen gehören. Geduldig wie eine Lehrerin, aber auch mit herrischer Kälte gegenüber eigenen Gefühlen, erteilt Margot Klestil-Löffler ihrem kränkelnden Präsidentengatten letzte Anweisungen für seinen Fernseh-Auftritt am Nationalfeiertag, am 26. Oktober 2001. „Nimm den dunklen Anzug und die Krawatte, die ich dir geschenkt habe", hat sie ihm aufgetragen. Ihr Wunsch war, wie fast immer, dem Bundespräsidenten Befehl. ZU jedem Gesicht gibt es zwei Geschichten. Die Geschichte seines authentischen Aussehens und die Geschichte der Wunschvorstellun-
gen derjenigen, die auf Fotos oder im Fernsehen in abstrakter Schönheit erstrahlen wollen. Die staatliche Fernsehanstalt ORF beschäftigt Meisterinnen dieses Faches, Visagistinnen, die Merkmale der Nase, der Augen- und Mundregion, die Form der Wangenknochen und Schläfenwölbungen so schön zeichnen und färben, dass Nase, Mund und Kinn jugendliche Frische, forsche Entschlossenheit, väterliche Güte, seelenvolle Betroffenheit oder auch staatsmännische Aura ausstrahlen. Visagisten sind wie jene klassischen Bildhauer, die von Verdrießlichkeit geplagten, entzauberten älteren Herren mit durchschnittlichem Aussehen mit professionellem Make-up eine attraktive Maske verpassen können. Der zu einem Fernseh-Aufnahmeraum umgestaltete Amtsraum Unseres Herrn Bundespräsidenten gewährt einen Blick durch ein großes Fenster zum Heldenplatz, auf ein weites Areal, wo gerade Soldaten des Bundesheeres ihren Auftritt für den Nationalfeiertag probten. Die Vorbereitungen für die Leistungsschau des Bundesheeres störten die Kreise seines Oberbefehlshabers. Höchstselbst schritt er zum Telefon und ließ sich mit der Führung des Verteidigungsministeriums verbinden. Er wolle die Ruhestörung durch rasselnde Panzer und knatternde Hubschrauber nicht länger dulden und verlange den unverzüglichen Abbruch der technischen Vorbereitungsarbeiten. Schließlich stecke er mitten in der Aufzeichnung seiner politisch richtungweisenden Fernsehansprache zum Nationalfeiertag. Die Heeresführung gehorchte unverzüglich der Anordnung ihres Oberbefehlshabers und kommandierte den Soldaten, die Übungen am Wiener Heldenplatz auf Flüsterbetrieb zu schalten. Der Bundespräsident warf sich in Heldenpose. Im heroischen Modus und muskulösen Ton eines unangreifbaren Staatsoberhauptes wollte er seinem Volk und seinem Land vorsprechen, wo Gott wohnt und wer in Österreich das Sagen hat. Noch sei dieses Land nicht verloren. Noch sei er in der Hofburg der unwiderlegbare Beweis dafür, dass mitmenschliche Politik nicht machtlos sei und dass sie sich nicht auf Imagepflege und Stimmungsmache beschränken müsse. Das so genannte Staatsganze sei bei ihm in fester und bester Hand, denn er sei ein Garant der bürgerlichen Tugenden, der Sachlichkeit, der Unabhängigkeit, der Deutlichkeit und der Entschlossenheit. Der rechte Arm ist angewinkelt und verkrampft nach oben gereckt, die rechte Hand zur Faust geballt. Die Finger der linken Hand fuch-
l ein merkwürdige Kreise, wenn nicht gerade der Zeigefinger die abendlichen Zuschauer seiner Fernseh-Ansprache mit ruckartigen Bewegungen zu bedrohen scheint. Thomas Klestil will ein kämpferisches Bild bieten, indes bleibt das Bild eines unsicheren, Zerfarenen Mannes in Erinnerung. Und erst die hohe Stimme, die klingt, als würde das Staatsoberhaupt von Andre Heller parodiert. Die Notwendigkeit „vieler Maßnahmen" stehe für ihn „außer Zweifel". Diese müssten aber in sozial ausgewogener Weise durchgeführt werden, damit „der innere Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht gefährdet wird", ruft er in seinem brüchigen Singsang, in dem er, Buchstaben verschluckend, zu einer Politik aufruft, die nicht die Menschen verunsichert und gegeneinander aufbringt und der auch nicht nur egoistische Berechnung und parteitaktisches Kalkül zugrunde liegen. Ein hölzerner, unfreiwillig komischer Wahlmonarch wirbt für eine „stabile Demokratie, einen funktionierenden Rechtsstaat und für ein soziales Netz vor allem für jene, die unserer Hilfe und Solidarität bedürfen". Seine Grundsatzrede - als Mahnung an die Regierung gedacht und mit bundesväterlichem Gestus vom Blatt gelesen - war eine lose Aneinanderreihung leerer Worthülsen, mit hohlem Pathos vorgetragen und mit dem Brustton der Überzeugung, ein wichtiges Kapitel im Buch der schwierigen Beziehungsgeschichte zwischen einer ungeliebten Bundesregierung und dem in sich selbst verliebten Bundespräsidenten aufgeschlagen zu haben. Von Menschlichkeit und Vertrauen war die Rede, von der Solidarität, dem Schutz der Bürgerrechte und der Wahrung der Grundfreiheiten. „Europa", sagte der Bundespräsident am Höhepunkt seiner Besinnungsrede, „ist aufgerufen, Vermittler zwischen Orient und Okzident zu sein." Der französische Apotheker Emile Coue entdeckte im 19. Jahrhundert die heilsame Wirkung der Autosuggestion. Coue stellte fest, dass sich das seelische und körperliche Befinden durch positive, aufbauende Gedanken erheblich steigern lässt. Seine berühmteste Suggestionsformel lautet: „Es geht mir in jeder Hinsicht von Tag zu Tag immer besser." Es gibt Menschen, und es sind nicht wenige, die ihre Augen reflexartig nach oben drehen, wenn der Bundespräsident spricht; Menschen, die mit hoher Aggressivität schon auf die Nennung seines Namens reagieren. Sie bestreiten seinen gesunden Menschenverstand und seinen
Eifer als politischer Langstreckenläufer im Dienst der „res publica". Sie durchschauen das „Unechte" und „Verfälschte" seiner FernsehAuftritte und geben seine manische Jagd nach der Schimäre Autorität verloren. Nach außen scheint das der Bundespräsident nicht wahrzuhaben. Das Staatsoberhaupt erhoben, das Kreuz durchgedrückt, sparsam huldvoll nickend, bemüht er sich, herrschaftliche Fassade und ungebrochenes Selbstbewusstsein aufrechtzuerhalten wie ein russischer Großfürst, der seinen letzten Goldfranc im Casino von Monte Carlo verspielt hat: Ich spreche, also bin ich! Das Amt des Bundespräsidenten lebt in Österreich nicht von verfassungsmäßig eingeräumten Rechten, sondern von der Autorität des Amtsträgers. Die Kraft der Rede ist die stärkste Waffe eines Bundespräsidenten. Land und Leute mit Worten zu streicheln und aus gegebenem Anlass auch zu züchtigen, auf dass Streicheleinheiten und der Respekt vor der Autorität des hohen Amtsträgers retourniert werden, sind in Zeiten der Telekratie das engste Bindeglied zwischen der Ohnmacht eines Bundespräsidenten in der schwierigen Rolle einer zentralen Integrationsagentur des Staates und dem allgemeinen politischen Interesse. „Verfehlt ein Staatsoberhaupt dieses 'rechte Maß' der Worte, lässt es sich von Boulevardmagazinen als Bannerträger vereinnahmen und in kleinliche protokollarische Scharmützel ziehen, dann", schreibt Martina Salomon in der Wochenzeitung „Die Furche", „wird der Ersatzkaiser zum Hanswurst." Doch wenn immer Thomas Klestil die Windmaschine anwirft, in märchenonkelhafter Redeweise gegen die Denkrichtung der Bundesregierung anläuft, um sich Gehör zu verschaffen und jeglichen Verdacht parteipolitischer Nähe abzustreifen, fühlt er sich in autosuggestiver Hochform. Wie einst der Apotheker Emile Coue aus dem französischen Städtchen Troyes will der Bundespräsident uns sagen: Liebet eure Nächsten, wie ich in mich selbst verliebt bin, und es wird alles gut! Seid, bitte, seid nett zueinander. „Österreich hat sich immer als Land der gelebten Solidarität ausgezeichnet. Nur eine Politik der Menschlichkeit und Geborgenheit ist auch eine kluge Politik, die das Gefühl von Sicherheit, Wohlstand und Lebensfreude vermittelt. Die Bürger müssen auf den Rechtsstaat bauen können, und der Schutz der Bürgerrechte ist wichtiger denn je. Die Sicherheit der Menschen hat im Zentrum der Überlegungen zu stehen."
Je seelenloser unsere Welt zu werden droht, desto mehr wächst die Sehnsucht nach Heiligen. Thomas Klestil ist gern pastoral, oft mimosig, chronisch eitel, immer unschuldig und mit vielen Fasern seines Herzens scheinheilig. Als das Personal seiner Präsidentschaftskanzlei in den kalten Wintemächten um Weihnachten von einem Obdachlosen in den nach Umbauarbeiten unversperrt gebliebenen Räumen des Amalientraktes hörte, zögerte das Staatsoberhaupt keinen Augenblick, den Austausch der Schlösser im Erdgeschoss anzuordnen. Stolz wie ein Pfau trägt Unser Herr Bundespräsident seinen ScheinHeiligenschein, nie um ein falsches Wort verlegen und doch stets auf der Suche nach klaren Worten und dem richtigen Ton, als ob das Leben eines Staatsoberhauptes ein Versteckspiel wäre. Vermag er mittlerweile weder zu erschüttern noch zu enttäuschen, so sollte man doch froh und beruhigt konstatieren, dass der von ihm gnadenlos verkörperte Widerspruch von Wort und Tat immer noch angenehmer ist als die Vorstellung, Thomas Klestil würde in einer Generalsuniform zu uns reden oder gar mit Vollbart und Kalaschnikow. Dann schon lieber das unfreiwillige Zerrbild eines österreichischen Bundespräsidenten. ***
In längst vergangenen Zeiten schenkten die Mächtigen ihren Söhnen eine Provinz, ihrem Herrscher reichten sie den Kopf des Feindes auf dem Silbertablett, ihren Frauen spendierten sie einen Marmorpalast und der Mätresse ein paar Sklaven. In jenen Zeiten, als man noch keine Warenhäuser und Giftshops kannte, kein besinnungsloses Hinund-Her-Geschenke, fand Rabbi Moses ben Maimon aus Cordoba, in der westlichen Welt als Maimonides bekannt, die Patentlösung für das Rätsel des Schenkens. Er unterteilte seinen Traktat über das Schenken in acht Stufen: l. Schenken, aber mit Bedauern. 2. Weniger schenken, als angemessen wäre, aber frohen Herzens. 3. Schenken, wenn man darum gebeten wird. 4. Schenken, bevor man darum gebeten wird. 5. Schenken, ohne zu wissen, wer der Empfänger ist. 6. Schenken, ohne dass der Empfänger weiß, wer der Schenkende ist. 7. Schenken, ohne dass der Schenkende und der Empfangende einander kennen. 8. Das tugendsamste Geschenk ist es, den Armen Geld zu leihen, sie zum Teilhaber zumachen, denn auf diese Weise wird der Zweck des Schenkens erreicht, ohne dass einer der Beteiligten die Selbstachtung verliert.
Rabbi Moses ben Maimon hat trotz dieser klugen Ratschläge das Kreuz mit den Geschenken nicht niedergerissen. Nach wie vor wird unter den Großen dieser Welt verschenkt, was später verrostet, vergilbt, verstaubt und vergessen wird. Manche Präsente wird man sein Leben lang nicht los, obwohl man sie nicht ausstehen kann. Weil sadistische Spender darauf bestehen, sie wieder zu sehen. Besser nie etwas geschenkt, als die Freiheit eingeschränkt. Die jeweils für ein Jahr gewählten eidgenössischen Bundespräsidenten schenken ihren Staatsgästen in der Regel eine Schweizer Standuhr, eine so genannte Pendule. Bundespräsident Thomas Klestil schenkt indes mit Bedacht und auf den individuellen Geschmack zugeschnitten. Seinem Staatsgast Vladimir Putin schenkte er erlesenen französischen Rotwein, die Bouteille um rund 5000 Schilling. Für die japanische Prinzessin Aiko aber hatte sich das Präsidentenpaar ganz nach dem Vorbild untergegangener Fürstenhöfe ein besonderes Präsent ausgedacht: Ein Wiegenlied, vom oberösterreichischen NeoBarock-Komponisten Franz Xaver Frenzel für den Preis von 40.000 Schilling, im klassisch-europäischen Stil geschrieben und so einfach zu spielen, dass die glücklichen Eltern - Kronprinz Naruhito spielt Bratsche, seine Gemahlin Masako Piano, ein Cousin streicht das Cello - die kleine Aiko höchstpersönlich sanft aus dem Land des Lächelns ins Land der Träume musizieren können. Andere Staaten investierten in teure Glückwunschinserate in japanischen Tageszeitungen. Beim Tokioter Hofamt trafen kistenweise mehr oder weniger geschmackvolle Präsente für Prinzesschen Aiko ein. Österreich aber glänzte mit einem von den Wiener Philharmonikern eingespielten und auf CD gepressten musikalischen Gruß von der Wiener Hofburg an den Tokioter Chrysanthementhron samt den dazu gehörenden Noten: Schlaf, Kindlein, schlaf.
Das Jahr 2000 bescherte Österreich einen vorübergehenden, von Thomas Klestil mit inszeniertem EU-Boykott; das Jahr 2001 bescherte dem Bundespräsidenten eine Kette von Reise- und Einladungspannen. Im liebenswürdigen Eifer, seinen Terminkalender mit Staatsgästen zu füllen, verfiel der Bundespräsident auf die verwegene Idee, Islam
Karimow, den Präsidenten des zentralasiatischen Staates Usbekistan, zu sich in die Hofburg zu bitten. Immerhin reicht der lange Arm des Usbekenführers bis Mitteleuropa. Ende November 2001 wurde auf dem Prager Flughafen der usbekische Regimegegner Mohammed Salih verhaftet und mit der Auslieferung in die usbekische Hauptstadt Taschkent bedroht. Denn Islam Karimow möchte mit allen Leuten aufräumen, die mit seinem Regime nicht einverstanden sind. Mohammed Salih genießt seit 1999 offiziell politisches Asyl in Norwegen. Er war von „Radio Free Europe" nach Prag eingeladen worden. Erst auf Druck der OSZE kam der Dissident wieder frei. Der Aufstieg von Islam Karimow ist eine Apparatschik-Karriere wie aus dem Bilderbuch. Seit früher Jugend Mitglied der Kommunistischen Partei, stieg er zu Sowjetzeiten bis in die Schaltzentralen der Macht auf, ins Moskauer Politbüro. Dort unterstützte er die Putschisten gegen Michail Gorbatschow. Als aber die Sowjetunion zusammenbrach, wandelte sich der Usbekenführer, der so gerne der Tamerlan lies 21 Jahrhunderts sein möchte, vom überzeugten Internationalisten zum glühenden Nationalisten, vom Atheisten zum Mekka-Pilger. Bei Wahlen im seit 1991 unabhängigen Usbekistan kletterte Karimows Stimmenanteil von zunächst 86 Prozent auf 91,9 Prozent bei der Wahl im Januar 2000. Verantwortlich für den hohen Zuspruch der Wähler war vor allem das Verbot aller aussichtsreichen oppositionellen Gruppen. Denn politische Erfolge hat Islam Karimow wenige aufzuweisen: Seit er an der Macht ist, sinkt das Pro-Kopf-Einkommen seiner Usbeken. Optimisten unter den westlichen Beobachtern in Usbekistan hatten gehofft, Karimow werde sein türksprachiges Land nach dem Vorbild der Türkei umgestalten - weniger autoritär, mit demokratischen Strukturen. Als er Anfang Dezember 2001 Bundespräsident Thomas Klestil in der Wiener Hofburg besuchte, war klar, dass davon nicht die Hede sein kann. Zwar wird der Präsident des mit 25 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten zentralasiatischen Staates wie kein anderes Land in der Region von den Amerikanern umworben, weil Usbekistan dem Westen erlaubt, Soldaten zu stationieren, das Land zu Überfliegen und militärische Anlagen zu nutzen, doch niemand kann darüber so recht froh werden angesichts der Tatsache, dass Islam Karimow in seinem Land die Menschenrechte mit Füssen tritt sowie gemässigte Islam-Parteien und die Medien unterdrückt.
Islam Karimow spielt sich seit dem Kampf der Amerikaner gegen das terroristische Taliban-Regime in Afghanistan gern als Freund des Westens auf, kassierte von Washington Hunderte Millionen US-Dollar für Wirtschaftshilfe und die Aufrüstung der usbekischen Streitkräfte und geht auch auf Distanz zum großen Bruder in Moskau - aber nie allzu weit, und nur dann, wenn es ihm gerade opportun erscheint. Österreichs Bundespräsident ignorierte sowohl das prekäre Verhältnis zwischen den Präsidenten Russlands und Usbekistans als auch die Warnungen des Wiener Außenministeriums vor seinem seltsamen asiatischen Gast. Froh darüber, überhaupt jemanden aus fernen Landen beim Souper in der Wiener Hofburg begrüßen zu dürfen, forderte er seinen Amtskollegen zur Tischrede auf. Darin legte Islam Karimow los zu einer Philippika auf Russlands Präsidenten Vladimir Putin. Dessen Regime sei am Ende, und ein Putsch samt Rückfall in die dunkle Ära des Kommunismus drohe. Wie vom Schlag getroffen lauschte Thomas Klestil den Attacken seines Staatsgastes auf seinen Freund Putin. „Bei Tisch herrschte fortan eisiges Schweigen", notierte das Nachrichtenmagazin „Format". Die vermeidbare Panne zwischen dem Außenministerium und der Präsidentschaftskanzlei wuchs sich aus zur Affäre, und der Affront des usbekischen Staatsgastes mündete in einen Eklat. Statt am 12. Dezember 2001 seinen Staatsbesuch in Salzburg fortzusetzen, flog die usbekische Delegation unverzüglich mit ihrer Boeing 757 nach Taschkent zurück. Auch nur entfernt Ähnliches hätte sich in den letzten fünfzig Jahren österreichischer Außenpolitik nie zugetragen, erinnern sich Altgediente Beamte auf beiden Seiten des Ballhausplatzes.
Wenn man gegen Jahresende in seinen Amtsräumen sitzt und sich den Kopf darüber zerbricht, ob das Jahr 2001 nun ein von großen staatsmännischen Auftritten geadeltes oder von seichten parteipolitischen Querelen geschändetes Jahr war, ob „First Lady" Margot den ersehnten Karrieresprung im Außenministerium gut landet oder ob die Karriereplanung weiterhin verworren bleibt, ob es ferner schlau war, auf „Geheimpapiere" gegen die Bundesregierung zu setzen, oder ob es nicht doch klüger gewesen wäre, abzuwarten und Kaffee zu trinken kurz: wenn man dies alles tut und denkt, zählt man zu den Zwischen-
den-Jahren-Typen, die immer schon zwischen den Jahren im Büro waren und sich über die Zukunft des Landes und vergleichbar Wichtiges den Kopf zerbrochen haben. Die Zwischen-den-Jahren-Typen schwören jeden Eid, dass es zwischen den Jahren im Büro am schönsten ist, weil man GlückwunschPost beantworten und Abordnungen von Sternsingern bei Kakao und Kuchen abspeisen kann. Pannen, Pech und Pleiten gab es in den letzten Tagen des alten Jahres genug in der Kanzlei Unseres Herrn Bundespräsidenten. Kaum hatte sich der merkwürdige Besucher aus dem fernen Usbekistan formlos verabschiedet, löste Thomas Klestils Tagesbefehl an das Bundesheer große Verwirrung aus. Der Bundespräsident forderte am 20. Dezember 2001 angesichts der „neuen Herausforderungen" einen „baldigen Beschluss über die österreichische Sicherheitsdoktrin", Fatalerweise hatte der Nationalrat bereits eine Woche zuvor diesen Beschluss gefasst und den Bundespräsidenten darüber korrekt informiert. Klestil musste seine Forderung zurücknehmen und sich bei der Parlamentsmehrheit für ihre rasche Arbeit bedanken. Vorbei und vergessen. Von den Mühen des Alltags unbehelligt, begleitete das Staatsoberhaupt seine TV-Ansprache zum Neujahr 2002 vor und sein Erscheinen samt Frau Gemahlin beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker in der Ehrenloge des Musikvereins. Unser „First Couple" ist staatlichen Inszenierungen dieser Art zugetan. Einem glaubhaften Ondit zufolge hatte es gar überlegt, seine Auftritte bei Staatsakten nach der Art des amerikanischen Präsidenten statt von einem „Hail to the Chief' mit den ersten Takten von Beethovens Neunter Symphonie musikalisch umrahmen zu lassen - eine Melodie mit dem Weihrauch ewiger Werte getränkt; ein Fetisch abendländischen Kulturgutes jenseits aller politischen Unterschiede: eine „Ode an die Freude", dieses „Seid umschlungen Millionen", „alle Menschen Brüder werden, wo dein sanfter Flügel weilt". Seit dem Jahr 1971 laut Beschluss 492 des Europarates „Europahymne", die „bei allen offiziellen europäischen Veranstaltungen" anzustimmen ist, sollte die Ode Begleitmusik für Thomas Klestils staatsmännische Auftritte werden. Erst nach langem Zureden guter Freunde soll er schließlich doch von dieser skurrilen Idee abgekommen sein. Der letzte Akt der im Jahr 2001 aufgeführten österreichischen Staatsoperette fiel chronologisch korrekt auf den Jahreswechsel. Bun-
deskanzler Wolfgang Schüssel hatte schon zur Jahresmitte die Ehepaare Romano und Flavia Franzoni-Prodi sowie Franz und Adelheid Fischler zum Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker in die Walzerstadt eingeladen. Das weltweit vermarktete Philharmonische Konzert sollte auch europäische Solidarität und die Einführung der Einheitswährung Euro im Zeichen des Wiener Walzers preisen. Bundespräsident Thomas Klestil war in dieses Vorhaben ebenso wie seine Ehefrau Margot als Mitarbeiterin des Außenamts in alle protokollarischen Detail seit Monaten eingeweiht, und die beiden bestätigten ihre präsidiale Anwesenheit beim traditionellen Wiener Neujahrskonzert. Am frühen Nachmittag des 31. Januar 2001 sagte die Präsidentschaftskanzlei das Erscheinen des Staatsoberhauptes samt Gemahlin ab. Das Präsidentenehepaar sei „leicht verschnupft", lautete die offizielle Entschuldigung. Tatsächlich war Österreichs „First Couple" „politisch verschnupft", weil sich keine Gelegenheit für eine Einladung des EU-Kommissionspräsidenten und des EU-Kommissars samt Gemahlinnen zu einem silvesterlichen Abendessen bot. Denn die hohen europäischen Gäste waren bereits von Bundeskanzler Schüssel für ein Diner im Nobelhotel „Sacher" in Beschlag genommen worden.
DER HIMMELSTURMER
Am 4. November 2002 wird Thomas Klestil 70 Jahre alt. Er wird dann rund zehneinhalb Jahre Bundespräsident der Republik Österreich gewesen sein und von diesem Amt eineinhalb Jahre später, im Frühjahr 2004, abtreten. Dann wird er so lange wie nur sein Vorvorgänger Rudolf Kirchschläger im Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg amtiert und residiert haben. Eine dritte Amtsperiode sieht die österreichische Bundesverfassung nicht vor. Am Vormittag seines runden Geburtstages wird die Militärmusikkapelle auf dem Heldenplatz Aufstellung nehmen und den von Oberst Schadenbauer komponierten Thomas-Klestil-Marsch aufspielen. Unser Herr Bundespräsident wird vom Balkon der Hofburg aus dieser ergreifenden Zeremonie bewohnen, gütig und gerührt seine altväterlichen Blicke über die Musiker und ein paar unentwegte Zaungäste
schweifen und ihnen allen ein huldvolles Nicken zuteil werden lassen. Sind die letzten Takte des schmissigen Thomas-Klestil-Marsches verklungen, wird sich Unser Herr Bundespräsident dazu herbeilassen, die Festgäste und die Militärmusikanten zu sich ins Maria-TheresienZimmer zu bitten und feierliche Dankesworte zu sprechen.
Dereinst zu studieren, höchster Beamter des Außenministeriums oder gar Bundespräsident der Republik Österreich zu werden, war dem jüngsten Sohn einer kinderreichen Familie aus Wien-Erdberg nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater war in der von Massenarbeitslosigkeit überschatteten Zwischenkriegszeit schlecht bezahlter, aber fix angestellter Mitarbeiter der städtischen Wiener Verkehrsbetriebe und fiel früh im Zweiten Weltkrieg. Dieses Schicksal traf auch einen älteren H rüder. Seine aufopfernde und tüchtige Mutter musste den kleinen Thomas und die anderen überlebenden älteren Geschwister mühsam durch eine kärgliche Kindheit und Jugend schleppen. Kindheit, das ist eine mythische Zeit ohne Vorher und Nachher, eine Kette von Erinnerungsperlen ohne Anfang und Ende. Sobald man genau sagen kann, zuerst war dies, dann kam das, hat die Jugend schon begonnen. Thomas Klestils Kindheit, das waren Krieg, Tod, Zerstörung und eine Trümmerlandschaft. Aber, schreibt er, „trotz der Schrecken und Entbehrungen jener Zeit" gab es „die Geborgenheit einer Familie und später auch einer kleinen, christlich geprägten und sozial engagierten Jugendgemeinde in Wien-Erdberg". Armut ist relativ. Die Klestils brauchten nicht zu hungern und zu frieren. Nie drohte ein Versinken in Elend, doch der Kampf ums Überleben war schwierig genug - bei offenen Teilnahmemöglichkeilen am Leben in einer vor und nach der „Stunde Null" zerstörten Gesellschaft ohne klare Vorstellungen von dem, wie ein republikanisches Österreich aussehen könnte. Woran sollte man sich in einem gesellschaftlich und wirtschaftlich deputierten jungen, von vier fremden Staaten besetzten Land politisch orientieren? Eigenverantwortung war zunächst nicht mehr als ein fernes Ideal, weil die Menschen in der Tradition eines halbautoritären und später totalitären Obrigkeitsstaates aufgewachsen waren,
in dem immer nur Gehorsam und Pflichterfüllung zuletzt bis zum Kadavergehorsam verlangt wurden, nicht aber Mündigkeit, mithin Wissen, Gewissen und Verantwortung. Die allgemeine Not verzögerte eine wirkliche Katharsis. Kriegsheimkehrer mussten integriert, Familien zusammengeführt und Trümmer weggeräumt werden. Zu früh kamen ehemalige Nazis wieder zu Ämtern und Würden, zu spät begannen Prozesse gegen Nazitäter; zu spät kam in Politik, in der Justiz, der staatlichen Bürokratie und in Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft die braune Vergangenheit ans Tageslicht, und zu spät wurde aufgearbeitet. Österreich hatte keine demokratischen Traditionen, also galt es, welche zu schaffen. Schon in frühen Jugendtagen wollte der begabte, ehrgeizige und von einem wilden Aufstiegswillen beseelte Thomas Klestil dem sozialen Milieu Wiener Unterschichten entfliehen. Seine Talente, sein unbändiger Ehrgeiz und sein legitimer Selbstverwirklichungsdrang führten ihn bald aus der anfänglichen Beengtheit hinaus: ins Grätzel um Wien-Erdberg und die Landstrasse im dritten Wiener Gemeindebezirk, ins „Salesianum", ein katholisches Jugendzentrum, ins Hagenmüller-Gymnasium und in der Studentenzeit an der Hochschule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität) zur Katholisch-akademischen Studentenverbindung „Bajuvaria" Begegnungsstätte gemeinsamer Vaterlandsliebe und studentischer Traditionen, Gründungsort unverbrüchlicher Lebensfreundschaften und Ausgangspunkt beruflicher und politischer Karrieren. Dort überall galt auch eines, es war wie das elfte Gebot: Nie wieder Diktatur! Nie wieder Unfreiheit! Und, mag es auch pathetisch klingen: Für immer ein freies, demokratisches und unabhängiges Österreich! Dazu wollte jeder auf seine Weise beitragen. In einem Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin „profil" (Nr. 48/1991) skizzierte der Kandidat der österreichischen Volkspartei für das Amt des Bundespräsidenten seinen weltanschaulichen Hintergrund kurz und prägnant: „Christlich-sozialer Kern, in wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Fragen ein starkes liberales Element und ein Plädoyer für Leistung. Und wenn ich Leistung sage, würde ich meinen eigenen Werdegang darstellen, der durch Leistung und Erfolg gekennzeichnet ist. Ich bin gar kein so schlechtes Beispiel dafür, dass man mit Arbeit, Anstrengung und Ehrgeiz die Chancen, die Gott sei Dank unsere Gesellschaft bietet, nutzen kann."
Der junge Thomas Klestil wollte hoch hinaus, wollte die Geborgenheit im Bürgertum für sein Leben holen. Bei Schulaufgaben habe er auf eine finstere Feuermauer gegenüber der kleinen Mietwohnung geblickt. Da sei in ihm, einem eher unterdurchschnittlichen Schüler, der Entschluss gereift, in lichtere Sphären zu entschweben: „Ich möchte etwas werden." Von diesem Jugendtraum ist er bis in die Gegenwart hinein keine Sekunde lang und keinen Millimeterbreit abgewichen: ,,Sozialer Aufstieg war ein Ziel von mir. Das gebe ich gerne zu." Der musisch begabte Thomas Klestil war ein guter Violinspieler, geigte in der Salesianerkirche bei Messen und an Feiertagen im nahen Jugendgefängnis auf, war ein geselliger, ungemein kommunikativer Mensch, schloss rasch Freundschaften und absolvierte sein Wirtschaftsstudium in ziemlich kurzer Zeit. Sein akademisches Studium finanzierte er sich mit Hilfsarbeiten am Bau und als Kassier in staatlichen Spielkasinos zum größten Teil aus eigenen Einkommen in den Semesterferien. Eben zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften an der Wiener Hochschule für Welthandel promoviert, heiratete er im Juni 1957 seine erste Frau Edith, geborene Wielander, mit der er drei Kinder Ursula (geboren 1959), Thomas (geboren 1963) und Stefan (geboren 1967)-aufzog. Edith Klestil, genau um eine Woche jünger als Thomas, hat ihre Wurzeln ebenfalls im Erdberger Grätzel in Wien-Landstrasse. Sie absolvierte die Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie in Wien-Mariahilf und entwarf bis Ende der fünfziger Jahre exquisite Pullover- und Kostümemodelle für die ersten Adressen der Wiener Damenmodenbranche. Mit 17 Jahren lernte sie ihren späteren Mann im Jugendzentrum der Salesianerkirche kennen, das vom engagierten Jugendseelsorger Fritz Debray geleitet wurde. In diesem Jugendzentrum schlössen die beiden enge Freundschaft mit Joe Zawinul, Kind einer in der Wiener Sozialdemokratie fest verankerten Erdberger Arbeiterfamilie. Joe Zawinul pendelt heute als einer der berühmtesten Jazzmusiker der Welt zwischen Los Angeles und Wien. Die Freundschaft mit beiden Klestils hin Jahrzehnte und Rosenkriege überdauert. Pater Fritz Debray traute das junge Paar in der Salesianerkirche und zelebrierte 25 Jahre später, im Jahr 1982, wiederum in dieser kleinen Kirche das silberne Hochzeitsjubiläum von Thomas und Edith Klestil.
„Bevor wir geheiratet haben, hat mein Mann ein Angebot nach Afrika gehabt", erzählt Edith Klestil von den Anfängen ihrer Beziehung. „Er hat mich gefragt: 'Würdest du mit mir auch dorthin gehen?' Ich weiß noch genau, was ich gesagt habe: 'Ich würde mit dir bis ans Ende der Welt gehen.'" In seinem programmatischen Buch „Themen meines Lebens" preist Thomas Klestil „die Vernetzung der drei großen Lebenswelten — Familie, Beruf und Freizeit. Je harmonischer diese zentralen Lebensbereiche ineinander verwoben werden können, umso höher ist auch die Lebensqualität." Merkwürdigerweise verliert er im selben Buch kein Wort über seine Frau Edith, mit der er zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches bereits vierzig Jahre verheiratet, fast vier Jahre getrennt, jedoch noch nicht rechtskräftig geschieden war. Dies ist umso seltsamer, als das Diplomatenpaar Thomas und Edith Klestil die großen Lebenswelten Familie, Beruf und Freizeit in idealer Weise miteinander verknüpfte. Thomas Klestil schlug nach dem Ende seines Hochschulstudiums eine berufliche Karriere in der privaten Wirtschaft aus, trat mit 25 Jahren in der Wirtschaftssektion des Bundeskanzleramtes den Staatsdienst an, beschied sich mit einem relativ geringen Einkommen. Denn: „Wichtiger war mir - hier gingen die Fenster Österreichs zur Welt weit auf." Drei Jahre lang war er Mitarbeiter bei der Vorgängerinstitution der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris, und sodann wiederum drei Jahre lang Wirtschaftsattache an der österreichischen Botschaft in Washington D.C. Dort lernte er 1965 den damaligen österreichischen Finanzminister Josef Klaus kennen, den er für eine Pressekonferenz mit amerikanischen Journalisten bestens präparierte und der ihn 1966 zu sich ins Kabinett des Bundeskanzlers am Wiener Ballhausplatz berief. Als persönlicher Sekretär von Bundeskanzler Josef Klaus „erlebte ich nicht nur das Zusammenspiel der zentralen Institutionen unseres Landes in Bund, Ländern und Gemeinden und die Umsetzungen wichtiger Zielvorgaben in die politische Wirklichkeit", berichtet Thomas Klestil, „sondern auch tiefe Einblicke in praktisch alle Bereiche der österreichischen Innen- und Außenpolitik. Heute weiß ich, welchen Erfahrungsschatz diese Jahre im Kanzleramt für meine spätere Arbeit - vor allem als Bundespräsident - bedeutet haben. Die besondere Nähe zu vielen jener Themen, zu denen ich
heule öffentlich Stellung zu beziehen habe, ist sicher in dieser Zeit gewachsen." Dennoch hielt es Thomas Klestil auch in dieser einflussreichen Position wiederum nur drei Jahre. Er klagte im Freundeskreis über die Schlechte Bezahlung seiner nerven- und zeitaufwendigen Berater- und Sekretärstätigkeit, ahnte wohl auch das baldige Ende der ersten konservativen Alleinregierung voraus und ließ sich 1969 nach Los Angeles versetzen, wo er ein neues österreichisches Generalkonsulat im amerikanischen Westen aufbaute. Die „Diplomatengattin" Edith Klestil war immer dabei. Sie besorgte 1959 den Umzug mit der fünf Monate alten Tochter Uschi nach Paris. Dort „haben wir möbliert gewohnt, sind dann umgezogen, weil uns die Wohnung zu teuer war, wir konnten uns das einfach nicht leisten. Aber ich habe dort gelernt, eine Hausfrau und vor allem eine Diplomatengattin zu sein", erzählte sie Senta Ziegler, der Autorin des Buches „Österreichs First Ladies" (Überreuter, Wien 1999). Sie organisierte die Übersiedlung von Paris nach Washington, wo 1963 ihr allererster Sohn Thomas zur Welt kam, und von dort zurück nach Wien und ein paar Jahre später nach Los Angeles. Der zehnjährigen Tochter Ursula setzten die vielen Umzüge am stärksten zu. Kaum hatte sie die Aufnahmeprüfung an einem Hietzinger Gymnasium bestanden, wurde das sensible Mädchen an eine High School nach Los Angeles transferierte und von dort bald darauf wieder zurück an ein Wiener Internat, um sich für ein Hochschulstudium in Österreich zu qualifizieren. „Es war ein bitterer Entschluss", erzählt Mutter Edith Klestil von unangenehmen Begleiterscheinungen des Lebens an der Seite eines Diplomaten. „Uschi war sicher unglücklich die erste Zeit, und wir waren auch unglücklich. Aber was hätten wir machen sollen?" Als österreichischer Generalkonsul in Los Angeles kümmerte sich Thomas Klestil mit großem Takt und Fleiß um die Tausenden von österreichischen Emigranten an der amerikanischen Westküste, „die von schönen, aber auch von furchtbaren Erinnerungen an unser Land geprägt, jedoch ohne Verbindung in die alte Heimat waren". Prominente Altösterreicher wie Billy Wilder, Fritz Lang, Walter Reisch, Paul Henreid, Hedy Lamarr oder auch Hans Kelsen, der Vater der Österreichischen Bundesverfassung, gingen in Klestils Residenz in Brentwood ein und aus und vertrauten Thomas Klestils optimistischer Botschaft vom „neuen Österreich". Mit Hilfe der Tochter Hans Kelsens
sicherte er dessen umfangreiches wissenschaftliches Vermächtnis für Österreich. Thomas Klestil hätte sich für seinen unkonventionellen Einsatz den Maria-Theresien-Orden verdient. Denn der junge Generalkonsul ordnete die Übersiedlung des Nachlasses Kelsens von der kalifornischen Universität in Berkeley nach Wien an, ohne beim Wiener Außenministerium umständlich die Genehmigung der Transportkosten einzuholen. Diese verdienstvolle Eigenmächtigkeit trug Thomas Klestil nicht nur eine Rüge des Außenministeriums ein, sondern auch den Beifall prominenter Sozialdemokraten, die seit 1970 eine Alleinregierung in Österreich bildeten. Bundeskanzler Bruno Kreisky, ein pensionierter Beamter des Außenministeriums, kannte und schätzte den unkonventionellen Spitzendiplomaten trotz dessen konservativen Hintergrunds. Denn Thomas Klestil hatte in Los Angeles sehr früh und auf eine sehr unkomplizierte Weise viele jener Persönlichkeiten kennen gelernt, die seit Beginn der achtziger Jahre in Washington die Vereinigten Staaten regierten. Auf dem Tennisplatz schloss er Freundschaften mit Sportkameraden aus dem Büro des damaligen Gouverneurs Ronald Reagan und mit George Bush senior. Im Jahr 1974 ernannte Bruno Kreisky Thomas Klestil zum Leiter der Internationalen Organisationen in Wien mit dem Auftrag, Wien zur dritten UNO-Stadt aufzuwerten. Vier Jahre später berief Außenminister Rudolf Kirchschläger im Auftrag des Bundeskanzlers Thomas Klestil zum Botschafter Österreichs bei den Vereinten Nationen in New York. „Ich empfand es als Krönung meiner beruflichen Laufbahn, mein Land in der Völkergemeinschaft vertreten zu dürfen", beschreibt Thomas Klestil diesen Karrieresprung auf dem Weg in den diplomatischen Himmel. Im ersten Präsidentschaftswahlkampf 1992 berief Thomas Klestil sich auf eine enge Freundschaft mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler. Dieses Naheverhältnis ist freilich nicht mehr als eine schöne Legende. Thomas Klestil sprach von Zeit zu Zeit bei sozialdemokratischen Freunden um politischen Beistand bei Vorreihungen und Ernennungen vor. „Könnt's net mehr machen aus mir?", warb er um Unterstützung und gab sich parteipolitisch unbedeckt: „Was ich einbrachte war - neben meiner Ausbildung - nicht nur die Erfahrung über die Außensicht Österreichs, sondern auch ein Bekenntnis, das allen diplomatischen Vertretern unseres Landes draussen in der Welt
/ur Selbstverständlichkeit geworden ist: das 'rot-weiß-rote' Bekenntnis zu unserer Republik, über alle Parteiinteressen hinweg." Nach der Wahl des konservativen Botschafters Rudolf Kirchschläger zum Bundespräsidenten im Jahr 1974 bot sich Thomas Klestil mehrmals Bruno Kreisky als überparteilicher Außenminister in einer sozialdemokratischen Bundesregierung an. Der damalige Wirtschaftskammerpräsident Rudolf Sallinger, ein Freund von Bruno Kreisky, wurde in Sachen Thomas Klestil gelegentlich beim sozialdemokratischen Bundeskanzler vorstellig. Denn der allseits als „phänomenaler Kontakter" beschriebene Diplomat war dem launenhaften Kammerpräsidenten ans Herz gewachsen, als er diesen vorbei an den strengen US-Einreise- und Zollkontrollen öfter als „Very Important Person" vom Flughafen ins Hotel schleuste. „Ich wollte nur beweisen, welche Beziehungen ich schon habe", sagte Thomas Klestil dem im Ausland unsicheren Präsidenten der Wirtschaftskammer, der seinen Handelsdelegierten Thomas Klestil als das Beispiel eines tüchtigen Vertreters Österreichs im Ausland vorhielt. Bruno Kreisky ließ sich nicht erweichen und zog Klestil andere konservative Quereinsteiger an die politische Spitze des Außenministeriums vor: Erst Erich Bielka-Karltreu, später Willibald Pahr. Thomas Klestil sei dem einerseits misstrauischen, andererseits aber nicht mit großer Menschenkenntnis bei der Wahl seiner Mitarbeiter gesegneten Bruno Kreisky nicht geheuer gewesen, schildern politische Beobachter dieser Zeit die durchaus korrekte Arbeitsbeziehung zwischen der sozialdemokratischen Kanzlerlegende und dem ehrgeizigen Karrierediplomaten. Ein freundschaftliches Verhältnis aber hätte es zwischen den beiden nie gegeben. Als äußeres Zeichen der kollegialen Gewogenheit setzte sich Bruno Kreisky, ohne dessen Wissen und Zustimmung im Außenministerium keine wichtige Personalentscheidung fiel, für die Ernennung von Thomas Klestil zum österreichischen Botschafter in den Vereinigten Staaten (OAS) in Washington D.C. ein - dem vorletzten Gipfel eines österreichischen Spitzendiplomaten auf dem Weg zum Olymp, die politische Spitze des Außenministeriums. Als US-Präsident Ronald Reagan seinen Freund aus kalifornischen Zeiten, Thomas Klestil, bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens im Oval Office des Weißen Hauses empfing und selbst das Feuer
im Kamin schürte, soll er laut Thomas Klestil gesagt haben: „Da kommen ausgerechnet wir zwei aus Kalifornien. Und jetzt frieren wir hier." Österreichs Botschafter in Washington nützte die guten Beziehungen zur Reagan-Administration. „Erstmals seit 200 Jahren wurde mit Rudolf Kirchschläger ein österreichisches Staatsoberhaupt empfangen; aber auch für viele unserer Spitzenpolitiker, Wirtschaftsvertreter und Künstler öffneten sich Türen, an denen andere Länder scheiterten", rühmt Thomas Klestil sein Talent, prominenten Österreichern Einladungen ins Weiße Haus zu vermitteln. „Du hast den Kirchschläger und den Kreisky bei Ronald Reagan gehabt. Ich bringe meinen Premierminister nicht und nicht herüber. Wie machst du das?", soll ihn der schwedische Botschafter ebenso bewundernd wie fassungslos gefragt haben. Thomas Klestils diplomatisches Glanzstück aber war die Organisation einer Österreich-Woche in Washington, in deren Verlauf US-Präsident Ronald Reagan unter großem medialen Beifall einen Lipizzaner-Hengst aus dem Gestüt der Spanischen Hofreitschule von Wirtschaftskammerpräsident Rudolf Sallinger in Empfang nahm. „Für den US-Präsidenten, einen leidenschaftlichen Reiter, der eben ein Attentat überstanden hatte und nicht zur Gala-Aufführung der Spanischen Reitschule kommen konnte, organisierten wir eine Sondervorführung auf dem Rasen des Weißen Hauses und übergaben ihm einen Lipizzaner", erinnert sich Thomas Klestil eines seiner größten Erfolge als Diplomat: „Kaum eine US-Zeitung verzichtete auf dieses Foto - den Werbewert für Österreich hätte niemand bezahlen können." Österreichs Botschafter in Washington fiel aber rasch aus seinem siebenten diplomatischen Himmel. „Eine Serie von Ereignissen begann das helle Image Österreichs zu verdunkeln. Da tauchte Glykol in österreichischen Weinen auf. Da erschienen Amerikas damals größte Feindbilder, Libyens Staatschef Gaddafi und PLO-Führer Yassir Arafat, auf österreichischem Boden. Da wurden heikle österreichische Waffengeschäfte im Golfkonflikt publik", klagte Thomas Klestil. Kurz und gut: Er hatte in Washington alle Hände voll zu tun, um österreichische Positionen zu erklären, ohne sein Image als „nice Austrian guy" zu beschädigen. Denn die schwierigste diplomatische Kraftprobe stand ihm noch bevor, „jener Orkan von Angriffen, Verdächtigungen und Verleumdungen, der um Kurt Waldheim zu toben begann". Erst leistete er
gegen den Plan, Österreichs Bundespräsidenten wie einen Aussätzigen auf die „Watchlist" zu setzen und mit einem Einreiseverbot zu belegen, tapferen, dann hinhaltenden und zuletzt gar keinen Widerstand. Klestil schilderte dem britischen Historiker und langjährigen Österreich-Korrespondenten des „Daily Telegraph", Gordon BrookShepherd, seine Not. Als ihn ein hoher Beamter im US-Justizministelium empfing, der für die Bearbeitung des „Fall Waldheim" zuständig war, sah er hinter dessen Schreibtisch eine Karikatur jener Plakate hängen, die früher im Wilden Westen für die Jagd nach Banditen verwendet wurden. Darunter stand: „Wanted - Kurt Waldheim" (Gordon Brook-Shepherd: Österreich - Eine tausendjährige Geschichte, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 1998). „Zweifellos war die Watchlist, auf die man den inzwischen zum Bundespräsidenten gewählten Kurt Waldheim setzte, die größte Enttäuschung meiner beruflichen Laufbahn." Am Tag dieser Entscheidung packte er seine Koffer, um nach Österreich zurückzukehren. Fast auf den Tag genau nach seinen Eintritt vor dreißig Jahren in den Staatsdienst berief ihn sein Freund Außenminister Alois Mock 1987 zum Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten und damit zum ranghöchsten Beamten des Außenministeriums. Jetzt, im Mai 1987, befand sich Thomas Klestil auf dem Gipfel der Beamtenhierarchie im Außenministerium, doch wieder weiter entfernt von der Erfüllung seines alten Traums, bald die politische Führung des Außenministeriums /u übernehmen, als ein paar Jahre davor - zu Zeiten eines Bruno Kreisky oder eines Fred Sinowatz. Im Frühjahr 1983 hatte Thomas Klestil sich ein letztes Mal einer sozialdemokratisch geführten Regierung als parteipolitisch „unbefleckter" Außenminister angetragen. Die beiden einflussreichen Wiener SPÖ-Politiker Hans Mayr und Helmut Zilk verwendeten sich damals beim designierten Bundeskanzler Fred Sinowatz für ihren Freund. Fred Sinowatz hatte keinen geeigneten Kandidaten in der eigenen Partei und große Probleme, der Sozialdemokratie und einem kritischen Ausland die Koalition mit der FPÖ schmackhaft zu machen. Ein politisch unabhängiger Thomas Klestil kam ihm da gerade recht. Fred Sinowatz holte den Rat des kränkelnden Alt-Bundeskanzlers Bruno Kreisky ein, der ihm dringend von dieser Idee abriet. Das Außenministerium, sagte ihm Kreisky, müsse von einem gestandenen
Sozialdemokraten geführt werden. Ein tüchtiger Karrierediplomat, der sich als parteipolitische „Nullgruppen"-Lösung ins Besetzungsspiel zu bringen versuche, sei die falsche Wahl. Die rot-blaue Regierungskoalition scheiterte vor der Zeit vor allem am Widerstand des aufstrebenden FPÖ-Oppositionspolitikers Jörg Haider. Franz Vranitzky löste Fred Sinowatz ab. Die Volkspartei stieg in die Regierung ein. Ihr Vorsitzender Alois Mock wurde Vizekanzler und übernahm auch die politische Führung des Außenministeriums. Thomas Klestil besann sich nach dem Einzug der Volkspartei in die Bundesregierung seiner politischen Wurzeln und trug sich Alois Mock als Außenminister an. Mock sagte ihm ab und glaubte Klestil mit der Ernennung zu seinem Generalsekretär im Außenministerium reichlich entschädigt zu haben. Mit Handschlag unter Männern, Cartellbrüdern, Parteifreunden und Berufskollegen wurde der Pakt besiegelt.
GEFAHRLICHE LEIDENSCHAFT
„Ich war mittlerweile 55 Jahre alt geworden, und der Kreis meiner beruflichen Stationen schien sich mit dieser ehrenvollen Ernennung zu schließen", erzählt Thomas Klestil in den „Themen meines Lebens": „Fünf Jahre lang, in denen die Trennung Europas überwunden wurde und der so lang getrennte Kontinent zusammenzuwachsen begann, durfte ich unmittelbar an der Umsetzung der österreichischen Außenpolitik mitwirken. Das große Ziel, die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union, rückte in diesen Jahren in greifbare Nähe." Auch Menschen machen wie manche zoologische Gattungen Verwandlungen durch. Eines Tages erwachen die Raupen, Puppen öffnen ihre Kokons und schwingen sich auf in Höhen, wo alles möglich ist. Der frischgebackene Außenminister Alois Mock, ein bis an die Grenzen seines physischen Leistungsvermögens Arbeitsbesessener und Detailversessener Mann, ließ seinem Generalsekretär im Außenamt wenig gestalterische Spielräume. Ein genervter und enttäuschter Thomas Klestil entwickelte sich - um beim zoologischen Bild zu bleiben - vom Puppen-Stadium ins Stadium der schläfrigen Raupe zurück.
Erst widerwillig, später gelassen, fügte sich der Generalsekretär dem attraktiven Los eines Spitzenbeamten, auf hohem EinkommensNiveau unter seinen beruflichen und politischen Ansprüchen behandelt /u werden. Notgedrungen verdrängte er für kurze Zeit seine politischen Ambitionen, verlegte den Schwerpunkt seiner Arbeit auf repräsentative Verpflichtungen und widmete sich privaten Vorlieben. Klestil war kein Kind der Traurigkeit. Der charmante Schwerenöter hauchte Kraftfutter für sein labiles männliches Ego. Indes hielt er die mit großbürgerlichen Ansprüchen verzierte Fassade des Zusammenhalts in der Familie mit diplomatischem Geschick aufrecht. Fremdgehen ist vor allem Sache der Männer, weil sie die junge Schöne dringend als Balsam für ihr Ego haben wollen. Weil sie glauben, die junge Gespielin lenke ab von Tränensäcken, Geheimratsecken und schwachen Returns am Tenniscourt. So zerbrechen Ehen von Karrieristen: Mit der ersten Frau steigen sie auf. Ist die Karriere gesichert, wird privat nochmals durchgestartet. Mann ist oben, da schmückt die neue, jüngere Frau. Sie kennt er aus dem Job. Sie versteht ihn, sie blickt - Kopf im Nacken - unentwegt zu ihm auf. Meistens geht der schwächere Partner fremd. Er will sich aufwerlen, will zeigen: Alle mal herschauen, ich kann auch. Damit alle wissen, was für ein toller Hecht er noch ist. In Wirklichkeit aber erfüllt er nur das Klischee des alternden Mannes mit der jungen Frau. Auf einer Inspektionsreise in den Fernen Osten lernte er 1987 die 33jährige Mitarbeiterin der österreichischen Botschaft in Bangkok, Margot Löffler, kennen. Es war, wie es hieß, ein „coup de foudre", ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Generalsekretär Thomas Klestil holte die junge Slawistin und Historikerin nach Wien zurück, wo er ihr die prestigeträchtige Leitung seines Büros im Außenministerium anvertraute. Dort machte diese „Liaison lalle", wie nobel parlierende Diplomaten das junge Glück nannten, lasch die Runde, zumal die beiden häufig im Restaurant des Wiener Kennvereins im Palais Pallavicini zusammen zu speisen pflegten. Bloß Thomas Klestils Freund und Förderer, Außenminister Alois Mock, und Klestils Ehefrau Edith blieb diese offene Liebesbeziehung vorerst verborgen. Dem einen, weil er vor wilder Arbeitswut keinen Blick für derlei menschliche Schwächen hatte; der anderen, weil sie wohl nicht wahrhaben wollte, dass ihr Lebenspartner, der nach außen
streng katholische dreifache Familienvater und Spitzenbeamte, plötzlich Johannestriebe verspürte. Die Liebe zwischen einem reifen Herren und einer jüngeren Dame ist keine ungewöhnliche Angelegenheit. Man kann sich aus dem Altern herauslieben und wieder so sinnlich werden, dass es zur Peinlichkeit werden kann. Die beiden trafen sich in der Dachgeschosswohnung eines befreundeten Architekten in der Bräunerstrasse in der Wiener Innenstadt oder auch in der großbürgerlichen Villa der Mutter Margot Löfflers, in der Buchbindergasse in Wien-Hietzing. Fast verrückt vor Sehnsucht sei er geworden, die dunkelhaarige Schönheit mit den ausgeprägten slawischen Backenknochen zu sehen, vertraute sich Thomas Klestil damals engen Freunden an. Wenn ein Mann einen akademischen Titel, den eines hohen Beamten und einen Anzug trägt, gut aussieht, gutes Benehmen hat und charmant zu plaudern weiß, gar ein Womanizer ist, sind die Leute schnell von seiner Tüchtigkeit überzeugt. Frauen dagegen - auch wenn sie ähnliche Eigenschaften aufweisen - müssen immer erst einmal ihr Können unter Beweis stellen. Freunde und Freundinnen schätzen die Dame mit den hohen, kantigen Wangenknochen als einen offenen, fröhlichen und positiven Menschen, aber auch als eine Frau von bisweilen derber, natürlicher Weise, mit einem harten Händedruck, wie ihn Männer in ihrer engeren Waldviertler Heimat haben. Sie rühmen ihre Kämpfernatur, ihre Durchsetzungskraft, ihre anregende Vitalität und ihren Ehrgeiz nach Selbstverwirklichung auf persönlichem, beruflichem und gesellschaftlichem Feld. „Ich wollte immer ein selbständiges Leben führen, eine Entscheidung, die ich bis heute nicht bereut habe", positioniert sich Margot Klestil-Löffler in einem Gespräch mit der Zeitschrift „Woman" (Nr. 1/2001). „Als Frau muss man mindestens doppelt so gut sein wie ein Mann, um die gleichen Chancen zu haben. Ich bezweifle es, dass sich diese Ungerechtigkeit so schnell beseitigen lassen wird. Wir Frauen müssen aber unbeirrt unseren Weg gehen, auch wenn uns manchmal eisiger Wind ins Gesicht bläst", fordert sie selbstbewusst. Denn „es wird so viel von der Gleichberechtigung der Frauen geschrieben und geredet. In unseren Köpfen sind wir aber noch lange nicht so weit. Wir müssen noch viel an uns arbeiten, um die Gleichstellung von Mann und Frau vorbehaltlos zu akzeptieren."
Gelegentlich würde ihr Gesicht zu einer Maske erstarren, doch es maskiert nicht nur Verlegenheit und Verletzlichkeit, sondern auch eine unaussprechliche Sehnsucht nach Größe und Eleganz. Wie kann man du Individuum - also man selbst - sein und zugleich eine erfolgreiche Frau? Wie vor hundert Jahren leiden heute noch Frauen an den Reibungsverlusten, die entstehen, wenn sie beruflich und privat bestehen wollen. Die bestechend tüchtige „Diplomatengattin" Edith Klestil hat in der langen Zeit des Scheiterns ihrer Ehe im Schüttelfrost der Einsamkeit oll bedauert, Beruf und Selbständigkeit der Karriere ihres Mannes geopfert zu haben. Margot Klestil-Löffler hat den Generalsekretär des Außenministeriums schon in einem frühen Stadium ihrer Liebesbeziehung zu einer offenen Bindung gedrängt - spätere Heirat nicht ausgeschlossen.
Margot Klestil-Löfflers Elternhaus steht im Waldviertler Speisendorf im Gemeindegebiet Dobersberg nahe der tschechischen Grenze. Ihr Vater Karl Löffler war dort der größte Bauer mit Weizen-, Roggenund Maisfeldern auf einem Grund von mehr als 60 Hektar. Forsch und temperamentvoll, darin seiner Tochter Margot nicht unähnlich, mischte er auch in der Gemeindepolitik mit und machte sich damit in seiner Partei wenig Freunde. Ihre Mutter Gertrude, „Gerda" genannt, gebürtige Steirerin, zog nach dem Soldatentod ihres ersten Mannes im Zweiten Weltkrieg zu ihren Schwiegereltern nach Dobersberg, heiratete den reichen Bauern Karl Löffler und gebar ihm zwei Kinder: den Sohn Gerhard, Jahrgang 1453, heute Lehrer an einer landwirtschaftlichen Fachschule, und die im März 1954 geborene Margot. Nach der Scheidung der Eltern blieb der Bruder Gerhard beim Vater in der Landwirtschaft in Dobersberg, Margot zog mit ihrer Mutter nach Wien. Über die Scheidung der Löfflers reden die Speisendorfer und Dobersberger nicht gerne. Ein alter Bekannter der Löfflers zitiert ein Sprichwort aus der Gegend: „Wenn die Magd Frau wird, so jagt sie den Herrn aus dem Haus." Karl Löffler zog die Konsequenzen und Blieb mit Sohn, Schwiegertochter und den beiden Enkelkindern auf dem Szaparyschen Meierhof und Dobersberg zurück.
Die Geschichte vom einfachen Mädchen aus dem Waldviertel, das gegen den Widerstand elitärer Zirkel im Außenministerium ihren Weg machte, ist zu prosaisch, um wahr zu sein. Nach der Volksschule in Dobersberg besuchte Margot Löffler als Internatschülerin das Piaristengymnasium in Krems, eine der feinsten katholischen Privatschulen Niederösterreichs, und maturierte dort im Jahr 1972. Im selben Jahr erwarb ihre Mutter in der kleinen, aber feinen Buchbindergasse eine ansehnliche Villa, vielleicht überhaupt die schönste in der zum Napoleonwald führenden schmalen Gasse in guter Hietzinger Grünlage. Kein Namensschild vor dem Eingang zu einem großen, weiß gestrichenen Haus mit einer breiten Terrasse samt neobarockem Geländer verrät die Eigentümerin des Grundstücks. Über all das wollen die Menschen in Speisendorf und Dobersberg nichts wissen. „Das geht uns nichts an, da mischen wir uns nicht hinein", hört man allenthalben. Bruder Gerhard schweigt, wenn die Rede auf seine Schwester und ihren prominenten Gatten kommt. Der 89jährige Vater Karl Löffler, sonst eine Plaudertasche, verbat sich jedes Wort über seine tüchtige Tochter und ihren Gatten, den hohen Herren in der Wiener Hofburg. Die seit Mitte der neunziger Jahre sehr medienscheue Margot Klestil-Löffler duldet kaum Einblick in ihre Waldviertler Vergangenheit. Für Senta Zieglers Buch über „Österreichs First Ladies" verweigerte sie ein persönliches Gespräch, nachdem nach der Scheidung und Wiederverheiratung ihres Mannes zeitungsöffentlich schmutzige Wäsche gewaschen worden war. Sie sei nur bereit, auf schriftlich eingereichte Fragen zu antworten. Als ihr ein Katalog mit 29 und keineswegs aufdringlichen Fragen vorgelegt wurde, strich sie die meisten davon und stellte sich die ihr genehmen Fragen selbst. Ihre Einwilligung zu einer Veröffentlichung machte sie davon abhängig, dass kein Wort an dem von ihr selbst verfassten „Interview" verändert werden dürfe. Diese Vorgangsweise konnte selbst Hofburg-Berichterstatter Alfred Worm nicht fassen. „Einen derartigen Eingriff in die journalistische Unabhängigkeit gab es kaum noch unter Breschnew in der verblichenen Sowjetunion", schrieb er im „News" (Nr. 29/1999): „Wer in und um die Hofburg arbeitet, sollte noch lange nicht glauben, dass in Österreich wieder die absolute Monarchie ausgebrochen ist." Ihr erstes Interview über ihr Leben an der Seite des Bundespräsidenten, über gesellschaftspolitische Ansichten, ihren Beruf und über
Privates gab Margot Klestil-Löffler dem Frauenmagazin „Woman" (Nr. l/ 2001) im Jagdzimmer der Wiener Hofburg. Ihre Gesprächspartnerin Uschi Fellner berichtet von „peniblen Vorbereitungen", die diesem Interview vorausgegangen waren. „Heikles, wie etwa ihre gespannte Beziehung zur Außenminister in, musste ausgespart werden." „Die Weihnachten auf unserem Bauernhof waren etwas ganz Besonderes für meinen Bruder und mich", erinnert sie sich an ihre Kindheit im Waldviertler Dobersberg. „Das Materielle war weniger wichtig, obwohl uns das Christkind immer schöne Geschenke gebracht hat." Hätte sie doch nur etwas mehr Zeit, würde „ich ganz sicherlich einmal länger bei meinem Neffen und meiner Nichte im Waldviertel" Urlaub machen, denn „die liebe ich wie eigene Kinder .. Das wäre ein Ziel. Irgendwann einmal." Denn sie genieße das Leben auf dem Land. „Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, mitten in der Natur, und ich arbeite gerne manuell, also zum Beispiel im Garten, als Ausgleich zur geistigen Arbeit. Am liebsten hätte ich auch viele Tiere um mich herum, was leider im Moment nicht möglich ist, da ich nicht ausreichend Zeit für sie hätte." Hausarbeiten und Kochen liebe sie geradezu - „das ist für mich entspannend. Und mein Mann hilft mir auch dabei." Politik sei kein wichtiges Thema daheim bei den Klestils. „Wir versuchen, die Politik weitgehend auszusparen. Wenn mein Mann einmal über Politik sprechen möchte, bin ich eine gute Zuhörerin." ***
Hubert Papousek, Generaldirektor der Austrian Airlines im Ruhestand, lernte den jungen Thomas Klestil als Generalkonsul in Los Angeles kennen. „Wir hatten immer wieder miteinander zu tun", erinnert sich Hubert Papousek, „zunächst als Botschafter bei der UNO und zuletzt als Generalsekretär im Außenministerium. Er war sehr bemüht, uns beim Abschluss eines Luftverkehrs-Abkommens mit Japan und eines Vertrages mit den Chinesen zu helfen. Beeindruckt von seinem Fleiß und seiner Effizienz war ich überzeugt, dass Thomas Klestil für den AU A-Vorstand eine Bereicherung sein könnte." Im Juni 1989 besuchte er Klestil im Wiener Außenministerium, um dessen Interesse an einem Wechsel in den AU A-Vorstand auszuloten.
„Er war von dieser Idee sehr angetan und grundsätzlich einverstanden, eine Bewerbung zu überlegen." Desgleichen versprachen der damalige Bundesobmann der Österreichischen Volkspartei, Josef Riegler, und Niederösterreichs Landeshauptmann Siegfried Ludwig - er war auch stellvertretender Vorsitzender des AUA- Aufsichtsrates -, sich für einen Aufstieg Thomas Klestils zum Vorstandsdirektor beim nationalen Carrier zu verwenden. „Besonders Außenminister Alois Mock schien glücklich, Klestil vom Außenamt wegloben zu können", wollte Hubert Papousek aus zahlreichen Gesprächen herausgehört haben. Mitte August 1989 besuchte Hubert Papousek Edith und Thomas Klestil in ihrem Sommerhaus im steirischen Feistritz und besprach dort mit dem begeisterten Ehepaar die technischen Details eines Wechsels des Diplomaten an die Führungsspitze der Austrian Airlines. „Thomas erhielt von mir ausreichend Unterlagen, damit er sich über die Austrian Airlines ein genaues Bild machen konnte." Was weder Edith Klestil noch Hubert Papousek zu diesem Zeitpunkt wissen konnten, waren die Absichten des Altgedienten Diplomaten, sich sowohl vom Außenministerium als auch von seiner Ehefrau trennen zu wollen, um mit seiner Mitarbeiterin Margot Löffler eine zweite Ehe einzugehen und an deren Seite ein neues Kapitel im Buch seines Liebes- und Berufslebens aufzuschlagen. Bundeskanzler Franz Vranitzky und Verkehrsminister Rudolf Streicher waren seinerzeit von einer Bewerbung Klestils für einen Vorstandsposten bei den Austrian Airlines wenig begeistert. Der Diplomat hatte zwar ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen, doch das lag mehr als drei Jahrzehnte zurück, und seither hatte er so gut wie keine betriebswirtschaftlichen Erfahrungen gesammelt. Darüber hinaus spekulierte Verkehrsminister Rudolf Streicher auch mit einem Wechsel von der Politik an die AUA- Spitze. Sein Parteifreund Vranitzky wusste von diesen Überlegungen nichts, hatte aber mit dem aus seiner Sicht eitlen Karrierediplomaten Klestil Mentalitätsbedingte Schwierigkeiten. Der Generalsekretär des Außenamts erfuhr von diesen Bedenken und wollte auf Nummer Sicher gehen. Ende August 1989 traf er sich mit Hubert Papousek ein letztes Mal im Wiener Cafe Landsmann und bat seinen Freund, dafür zu sorgen, dass seine Bestellung an die Spitze der AUA von der Bundesregierung davor abgesegnet werden müsse und seine Bewerbung nur mehr Formsache sein sollte. Darüber hinaus bestand Thomas Klestil auf einer Anstellung mit allen Agenden und
1U den vollen Bezügen des erfahrenen AUA -Generaldirektors Hubert Npousek. „Du ich ihm in beiden Punkten mangels einer rechtlichen Grundlage nicht einmal zusagen konnte, mich für seine Bedingungen einzusetzen, vereinbarten wir im Cafe Landmann, die Idee seiner Bewerbung zu begraben", schreibt Hubert Papousek über diese Episode in seinen „Erinnerungen". Die beiden trennten sich, und Thomas Klestil bedankte sich überschwänglich für Hubert Papouseks Vermittlungsversuche. Hupousek hatte diese kleine Enttäuschung rasch weggesteckt. Schmerzlich traf ihn Thomas Klestils üble Nachrede ein paar Jahre später. Der Bundespräsident hatte einem gemeinsamen Freund erklärt, dass er den Austrian Airlines nur deshalb abgesagt hätte, weil ihm deren wirtschaftliche Lage Sorge bereitete. „Das hat mich überrascht", zürnt Hubert Papousek, „denn die AUA verfügte 1988 nach 18 Jahren positiver Bilanzen bei einem Eigenkapital von 2,9 Milliarden Schilling über 2,4 Milliarden Schilling an stillen Reserven, das waren 82 Prozent des Eigenkapitals. Ohne diesen Rückhalt hätte die AUA die Verluste in den folgenden Jahren nicht ohne ernste Krise überwinden können." Der frühere AUA- Chef kann sich nicht vorstellen, dass ein Wirtschaftsakademiker keine Bilanzen lesen kann. Also muss - lässt er anklingen Üble Nachrede im Spiel gewesen sein, und findet er auf die Frage nach dem Warum bis heute keine befriedigende Antwort. Im Präsidentschaftswahlkampf Frühjahr 1992 behauptete Thomas Klestil zudem, ein Vorstandsposten bei den Austrian Airlines hätte ihn vor allem aus parteipolitischen Gründen abgestoßen: „Einen Parteibuchanstrich verdiene ich nicht", sagte er dem Nachrichtenmagazin „profil" (Nr. 22/1992). Plötzlich war vergessen, dass er selbst bei den Granden „seiner" Österreichischen Volkspartei für seine Beförderung zum AUA- Generaldirektor interveniert und Außenminister Alois Mock für Klestils beruflichen Wechsel an die AUA- Spitze den Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenbund der Volkspartei mobilisiert hatte. Zwei Jahre später kündigte der Präsidentschaftskandidat seine rund 35jährige Mitgliedschaft beim ÖVP-Arbeitnehmerbund auf, um seine parteipolitische Unabhängigkeit zu demonstrieren. Von Thomas Klestil verraten und verschaukelt, meint sein enttäuschter Förderer Hubert Papousek heute: „So ist der Kelch der AUA an Thomas Klestil vorübergegangen. Heute denke ich, dass es besser war, dass der Kelch Thomas Klestil an der AUA vorübergegangen ist."
KAMPFERHERZ UND SIEGESWILLE
In jedem Mensch steckt, auf einen einfachen Nenner gebracht, ein guter Dr. Jekyll, aber auch ein böser Mr. Hyde. Und eine Grauzone verwischt die Extreme. Thomas Klestil etwa hat mit der Verklärung von Ehe und Familie sein wunderbares Gesicht gezeigt und damit Wähler aus den konservativen Kernschichten seiner Partei für seinen Wahlerfolg rekrutiert. Als er seine Frau Edith nach mehr als 35jähriger Partnerschaft wie einen alten Besen in die Ecke schob, verstörte er in der Rolle des Mr. Hyde nicht nur seine gläubige Anhängerschaft. Thomas Klestil alias Dr. Jekyll hat in seinen Wahlkämpfen lautstark gegen die österreichische Parteibuchwirtschaft gewettert, hat indes nie etwas daran gefunden, politische Parteien, vornehmlich die Österreichische Volkspartei, für seine persönlichen Interessen zu mobilisieren. Als Generalkonsul in Los Angeles hat er in den frühen siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts um Verständnis bei den an die amerikanische Westküste vertriebenen österreichischen Juden geworben und ihnen tatkräftig konkrete Hilfe zuteil werden lassen. Sein Alter Ego fand im Frühjahr 1992 nichts daran, mit ausländerfeindlichen Äußerungen um die Stimmen Ewiggestriger zu buhlen. Anfang der neunziger Jahre verwünschte Thomas Klestil noch österreichische Heiligtümer wie den Staatsvertrag und die Neutralitätspolitik „in den Tabernakel der Geschichte". Zehn Jahre später richtet der ungekrönte Landesmeister des politischen Salto mortale seine außenpolitischen Erklärungen nach aktuellen Meinungsumfragen und den Wünschen der Boulevardpresse. Dabei würde ihn ein freies und offenes Wort nach Ablauf der zweiten Amtsperiode keine Wiederwahl kosten. Er besaß mehrmals realistische Chancen, sein Fehlverhalten bei der letzten Regierungsbildung und beim Zustandekommen der EUSanktionen gegen Österreich zu korrigieren, doch er nützte diese Chancen nicht. Seinerzeit - und das ist schon lange her - versprach er, mit offenem Visier Probleme anzusprechen und für deren Lösung bei den Mächtigen des Landes zu kämpfen. Später schuf er in der Hofburg eine Aura der Macht, die ihn unantastbar erscheinen lassen sollte. Widerspruch
wird nicht mehr geduldet. Wer die als Allmacht verkleidete Ohnmacht nicht anerkennt, wird - sofern es in seinen Möglichkeiten liegt - kaltgestellt. Edith Klestil, Mitarbeiter, Zeitungen, Journalisten und BuchAutoren haben das erfahren. Eine Woche nach dem Erscheinen meines Buches „Der Verrat" hat die Präsidentschaftskanzlei meinen damaligen Arbeitgeber auf meine Kündigung gedrängt. Vergeblich, wie Thomas Klestil nicht begreifen konnte. Dr. Jekyll-Klestil hat sich kurze Zeit für die Rehabilitierung des damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim in Washington mit halber Kraft eingesetzt. Als eine zweite Kandidatur Waldheims seine eigenen Ambitionen auf einen Platz in der Hofburg bedrohte, nannte der Generalsekretär des Außenministeriums den amtierenden BundesPräsidenten „ein Problem, das bald jede Woche auftaucht". Voller Arbeitsdrang wollte er dem Rad der Weltgeschichte in die Speichen greifen, Politik machen und Österreichs Außenpolitik nach eigenen Vorstellungen gestalten. Als Alois Mock Dr. Jekyll in die Schranken seines Beamtenstatus verwies, begann Mr. Hyde-Klestil aus dem Hinterhalt wie ein Brandstifter zu zündeln und die heimtückische Krankheit des Außenminister s in privaten Gesprächen mit Politikern und Journalisten anzusprechen. Seht her, ich stehe jederzeit /ur Nachfolge zur Verfügung. Der alte Kämpfer Thomas Klestil alias Dr. Jekyll beschäftigt sich oll noch mit seiner Rolle beim Zustandekommen bei den EU-Sanktionen, sieht sich als unglücklicher Held in einer Tragödie. Er habe dieser Regierung aus Sorge um das Land den Krieg erklären müssen, wie er immer wieder betont. Immer noch beginnt er von selbst davon zu sprechen, so wie ein Kranker ungefragt einem Fremden sein chronisches Leiden darlegt. Ein wenig erinnert er darin an den General a. D. Wojciech Jaruzelski, den ehemaligen Verteidigungsminister und Staatschef der Volksrepublik Polen, der 1981 in seinem Land das Kriegsrecht ausrief und diese Entscheidung bis heute verteidigt. Erfahrung, hat uns der amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce gelehrt, „ist die Weisheit, die uns befähigt, in der Dummheit, die wir schon begangen haben, einen lästigen alten Bekannten zu erkennen". Klestils anderes Ich sieht sich freilich außerstande, zu dieser Erkenntnis vorzustoßen. Souveräne Staatsmänner sehen anders aus.
Am Freitag, dem 21. Juni 1991, knapp nach 19.30 Uhr, gab Bundespräsident Kurt Waldheim in der Abendausgabe der ORF-Nachrichtensendung „Zeit im Bild" bekannt, kein zweites Mal für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren: „Ich möchte Ihnen heute mitteilen, dass ich mich nach reiflicher Abwägung der Interessen unserer Republik, der Erfahrungen der vergangenen Jahre, aber auch meiner persönlichen Zukunftsvorstellungen dazu entschlossen habe, für eine neuerliche Wahl zum Bundespräsidenten nicht zur Verfügung zu stehen." Mehr Gründe für seine unfreiwillige Resignation nannte Kurt Waldheim nicht. Vor allem den einen nicht: Der Generalsekretär des Außenministeriums, sein Freund und Kollege Thomas Klestil, hatte in einem Hintergrundgespräch mit der katholischen Wochenzeitschrift „Die Furche" Waldheim von einer Widerkandidatur abgeraten. Der Welt, so Klestil, sei es „nicht wurscht, ob Waldheim Widerkandidieren wird. Niemand will sich international mit Waldheim etwas antun." Dies sei „ungerecht, schädlich und eine Schweinerei, aber in der Außenpolitik gibt es keine Moral, sondern nur Realitäten". Kurt Waldheim stellte daraufhin Thomas Klestil in einem Vieraugen-Gespräch zur Rede. Dieser wich aus auf eine nicht zur Veröffentlichung freigegebene private Bemerkung, die so scharf gar nie gefallen sei, und versprach, beim katholischen Wochenblatt zu protestieren. Hannes Schöpf, Klestils Interviewpartner, eine Zierde des österreichischen Journalismus, beharrte auf der korrekten Wiedergabe von Thomas Klestils Worten. Im Gespräch mit Kritikern Waldheims verteidigte später der Wahlkämpfer Klestil seine harsche Kritik am langjährigen Du-Freund und Berufskollegen. Wenige Tage nach Waldheims Resignation bot sich Thomas Klestil beiläufig prominenten Funktionären der Österreichischen Volkspartei als bürgerliche Alternative für das Amt des Bundespräsidenten an. Erste Wahl der Österreichischen Volkspartei und ihres eben gewählten Bundesobmanns Erhard Busek war indes Außenminister Mock, Urgestein seiner Partei und Liebling des Fußvolkes, zudem noch gesegnet mit den höchsten Popularitätswerten aller denkbaren Kandidaten in den Meinungsumfragen. Alois Mock wiederholte seine Absage in vielen Vorsprachen wie eine tibetische Gebetsmühle. Er sei aus „persönlichen Gründen" für eine Kandidatur nicht zu haben. Ob seine heimtückische Krankheit oder der Wunsch, als Außenminister ,
der Österreich in die Europäische Union geführt hat, in die Geschichte des Landes einzugehen, den Ausschlag für seine strikte Ablehnung gab, blieb offen. Weder Erhard Busek noch Alois Mocks engste Beamte konnten ihn von seinem entschiedenen Nein abbringen. Alle anderen Kandidaten lagen in den Umfragen weit hinter Alois Mock zurück oder wurden, wie der frühere Justizminister Egmont Koregger, mit obskuren Vorwürfen frühzeitig aus dem Feld geschlagen. Mocks Lieblingskandidaten waren der gestandene Außenpolitiker Ludwig Steiner, der damalige Klubchef der ÖVPParlamentarier, Heinrich Neisser, und der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Uatzenböck. Der eine wollte nicht als Notnagel herhalten, der andere dachte nie daran, von Linz in die Wiener Hofburg zu übersiedeln. Die Zeit drängte, denn die Sozialdemokraten hatten den Namen ihres Kandidaten bereits bekannt gegeben: den umgänglichen, allseits beliebten 53jährigen Verkehrsminister Rudolf Streicher, der zwar wenig Lust verspürte, sich in der Wiener Hofburg lebendig begraben /u lassen und dieses Ziel im Wahlkampf auch nur mit halber Kraft ansteuerte. Ein verzweifelter Versuch Erhard Buseks, Bundeskanzler Franz Vranitzky zu bewegen, einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aufzustellen, um Kosten zu sparen - etwa den über alle Parteigrenzen hinweg geachteten Außenpolitiker Ludwig Steiner -, scheiterte am Einspruch Franz Vranitzkys und seiner sozialdemokratischen Funktionärsbasis. Der Frühstückstisch ist gemeinhin ein guter Platz, um Schicksalsfragen zu klären. Hat es doch die Natur so eingerichtet, dass dem einen schon in aller Früh der Mund geht, als sei er mit Vitriol geschmiert, während der andere sich nur widerwillig und stumm damit abfinden kann, dass wieder ein sinnloser Tag anbricht. Politiker aber dürfen keine sinnlosen Tage haben, weil sonst ihr ganzes Tun in Frage stünde. Deshalb konnte ausgerechnet bei einem Frühstück zwischen Erhard Busek und Thomas Klestil Einvernehmen über eine Schicksalsfrage der Volkspartei erzielt werden, was automatisch eine nationale Schicksalsfrage ist. Weder Thomas Klestil noch der Parteivorstand der Volkspartei brauchten lange überredet zu werden. Vereinbart wurde, den Generalsekretär des Außenministeriums als „international erfahren und repräsentativ" zu präsentieren, weil „das in den nächsten Jahren von wesentlicher Bedeutung sein kann".
Thomas Klestil fragte daheim seine erste Frau Edith, was sie zu seiner Kandidatur sagen würde - der Gegenkandidat sei Rudolf Streicher. „Okay, wenn das so ist, gewinnst du", meinte die mit politischem Hintergrundwissen in Österreich Wohlvertraute Edith Klestil. „Es kann sein, dass mein Mann schon vorher zur Kandidatur entschlossen war, aber wir haben eben alles immer miteinander besprochen", vertraute Edith Klestil der Journalistin Senta Ziegler an. Thomas Klestil kokettierte anfangs mit seiner schwierigen Ausgangslage: „Soll ich das überhaupt annehmen, das schaut ja so aus, als ob ich die letzte Wahl bin" („profil", Nr. 22/1992). Tatsächlich sah der 59jährige Karrierediplomat seine wahrscheinlich letzte Chance auf eine politische Spitzenposition und er war mit heißem Kämpferherz und unbändigem Siegeswillen entschlossen, diese Chance zu nützen. Ohne Margot Löffler, die er als Leiterin des Generalsekretariats im Außenamt zur Chefin seines Wahlkampfbüros nahe der Wiener Stepphanskirche abberief, wäre er dennoch ziemlich chancenlos gewesen. Denn die Frau seiner Wahl ließ von Beginn an keinen Zweifel aufkommen, wer Herr im Haus ist: die Hausherrin. Mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldet, bestimmte sie fortan die Kleidungsfarben ihres Geliebten - dunkler Anzug, blaues Hemd, rote Krawatte -, zog die Wahlkampflinie, diktierte Presseaussendungen, sortierte Auftrittstermine und formulierte die politischen Aussagen „ihres" Tommy. Indem er sich ihren strengen Anordnungen fügte, spielte der zunächst aussichtslose Kandidat Thomas Klestil ihr die Waffen zu, mit denen sie ihn systematisch dominierte. Wer Einfluss hat, hat das Sagen. Wer nicht spurt, fliegt! Schreien, einschüchtern, Türen zuschmettern - wenn Frauen ausrasten, behaupten Aggressionsforscher, dann häufig im falschen Moment. „Weibliche Aggressionen schöpfen die volle Bandbreite der menschlichen Möglichkeiten aus", konstatiert die deutsche Soziologin und Aggressionsforscherin Christiane Schmerl. Ihre Aggressionen hängen mit frauentypischen Lebensmustern zusammen, also Konflikten mit Konkurrenten im Beruf, in der Partnerschaft, Ärger mit der Verwandtschaft oder Streit mit dem Ehemann. Wo Männer sich allenfalls prügeln, halten Frauen sich an üble Nachrede, Verächtlichmachen, Verspotten, Freundschaftsentzug. Dabei sind sie genauso aggressiv, wenn nicht sogar aggressiver als Männer.
Männer sehen Aggressionen als Mittel, Kontrolle über andere ausüben, wenn sie das Bedürfnis empfinden, Macht und Selbstwertgefühl zu erlangen und auszuleben, meint die britische Psychologin Anne Campbell. Frauen hingegen betrachten Aggressionen als zeitweiligen Kontrollverlust, verursacht von überwältigendem Druck und gelbigt von Schuldgefühlen. Für Frauen ist Aggression demnach ein Versagen der Selbstkontrolle, während Männer damit anderen Kontrolle aufzwingen wollen. „Der instrumentelle Einsatz von Aggression ist für die weibliche Holle nicht vorgesehen", folgert Christiane Schmerl. Situationen, in denen „richtige" Männer meinen, aggressiv werden zu müssen, um ihr Gesicht zu wahren, lösen bei Frauen keinerlei Angriffslust aus. Dadurch sind sie aber keineswegs sanftmütiger oder passiver, wie Margot Löffler dies als Wahlkampfleiterin auf Schritt und Tritt bewies. So brillant sie die Wahlbewegung für den anfangs unsicheren Kandidaten organisierte, so hart, ungeduldig, unleidlich und aggressiv war sie nn Umgang mit Kollegen und Parteifunktionären. Sie beleidigte, drangsalierte und schurigelte politische Würdenträger, Wahlkampffinanciers, ehrenamtliche und bezahlte Mitarbeiter gleichermaßen - alles im leisten Glauben, im Recht zu sein und einen gerechten Kampf für „ihren" Thomas zu führen. Sie heuerte und feuerte Mitarbeiter und traf dabei die erbärmlicher Führungsqualitäten oft die richtige Entscheidung. Keine „Tingeltangelgeschichten" dürfe es mehr im Wahlkampf geben, keine sinnlosen theoretischen Diskurse, sondern harte Arbeit, befahl sie mit angespitzter Zunge, herrischem Ton und spitzen Ellenbogen. Sie setzte sich als Wahlkampfleiterin gegen die meist männliche Konkurrenz durch, indem sie das Männerspiel härter, schneller und oft auch besser beherrschte. Sie war die Seele des Wahlkampfes und auch der Schrecken. Denn es scheint ihr zu fehlen, was man landläufig als soziale Intelligenz bezeichnet. ***
Thomas Klestil wurde mit politisch korrekten Aussagen versorgt. Weil er Kurt Waldheim rechtzeitig kritisiert hatte, sich den Medien mit einer .,antifaschistischen" Punze offerierte und seinen konservativen Stallgeruch mit liberalen Düften wegparfümierte, kam er gut an. Alle für meinen, meiner für sich und mich, hieß Margot Löfflers Kampfruf.
Die Politologie, die Wissenschaft von der Politik, wäre ein Luftschloss, gäbe es nicht selbst in der Politik einige Gesetzmäßigkeiten. Der Kandidat musste sein Image zur halblinken Mitte erweitern, ohne sein konservatives Profil preiszugeben und sich wie einer aufzuführen, der über Wasser gehen kann. Nichts sollte ihn quälen. Weder Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, weil er ärmlichen Verhältnissen entstammt und Armut am eigenen Leib erfahren hat, noch der Gleichberechtigungsgedanke von Frau und Mann, seine Haltung zur Atomkraft, zur österreichischen Waffenproduktion oder zu Polarisierungen in der katholischen Kirche zwischen fundamentalistischen Traditionalisten und Verfechtern eines offenen Kirchenverständnisses. Thomas Klestil hatte sich in kurzer Wahlkampfzeit einen liberalen Ruf ernannt, dass er damit kaum noch Schritt halten konnte. Von einem „rechten" Kandidaten der konservativen Volkspartei konnte kaum noch die Rede sein. Eher schon musste sich sein sozialdemokratischer Konkurrent Rudolf Streicher gegen diesen Vorwurf verteidigen. Ein Managertyp, Parteimann mitten aus dem verachteten politischen Geschäft und der bankrotten verstaatlichten Industrie und eben kein „Mahner und Überwacher" von „makellosem Charakter und mit starkem moralischen Anspruch", wie das Thomas Klestil unter Margot Löfflers Regie zu sein vorgab. Vor allem aber international, parteiunabhängig und der erste Botschafter seines Landes in aller Welt. Der Präsidentschaftskandidat funktionierte wie auf Abruf und wurde erstes Opfer der eigenen Wahlwerbung. „Ich habe in den fünf Jahren als Generalsekretär des Außenamts mit meiner Tätigkeit als Krisenmanager in der Kuwait-Krise, in der Rumänien-Krise das Interesse der Öffentlichkeit geweckt. Auch meine Arbeit in Amerika und die vielen großen Veranstaltungen, die mir dort gelungen sind, haben meinen Namen in der Öffentlichkeit wie bei einem aktiven Politiker bekannt gemacht", sagte er dem Nachrichtenmagazin „profil" (Nr. 48/1991). Alle kennen mich, alle lieben mich, „wenngleich ich nicht der Seelendoktor bin: Der Portier, die Polizeibeamten wurden von mir auch schon bisher freundlich gegrüßt und umgekehrt. Daran wird sich nichts ändern." „Ich bin Katholik", sagte er, „würde mich aber nicht als Vorbild bezeichnen, weil ich teilweise durch Reisen, teilweise durch Nachlässigkeit nicht so regelmäßig den Pflichten eines Katholiken nachkomme, wie das die Amtskirche erwartet. Ich zähle auch sicher nicht
»u den Fundamentalisten." Er bekannte sich zum Schutz des Lebens und lehnte die Abtreibung ab, räumte aber ein, dass „ich nicht der Gesetzgeber bin, der diese Fragen zu entscheiden hat". Moderat beschrieb Thomas Klestil „das Verhältnis zweier Menschen zueinander" als „in erster Linie ihre Sache". Strenger war er schon in Sachen Familie: „In der Familie sehe ich schon den Kern der Gesellschaft. Ich glaube, dass eine Entwicklung in Richtung Auflösung von Ehe und Familie keine unbedingt gute ist. Bei passender Gelegenheit wird man auch als Bundespräsident seine Meinung dazu Äußern sollen." Die Macht des Faktischen hatte sich auf die Seite von Thomas Klestil geschlagen, seine Bekanntheits- und Sympathiewerte in der Öffentlichkeit schnellten in kurzer Zeit in die Höhe. Plötzlich schien sich die politische Landschaft mit einer Selbstverständlichkeit zu seinen Gunsten zu ändern, als wäre nie ein anderer oder gar besserer konservativer Kandidat zur Debatte gestanden. Dem haushohen sozialdemokratischen Favoriten Rudolf Streicher stand schon nach kurzer Wahlkampfdauer ein ernst zu nehmender Rivale gegenüber. Mit jedem Tag eines ziemlich ereignislosen Wahlkampfes stiegen Klestils Chancen auf einen Überraschungserfolg. Denn der Zählkandidat entpuppte sich als professioneller Wahlkämpfer. Thomas Klestil profitierte von seinem in den Medien aufgebauten Image, nicht der mit politischer Arbeit überhäufte Alois Mock, sondern er selbst würde die außenpolitischen Geschicke des Landes leiten. Die „Oberösterreichischen Nachrichten" beförderten den konservativen Präsidentschaftskandidaten zum „heimlichen Außenminister ", und die Tageszeitung „Der Standard" ätzte: „Klestil hier, Klestil da, Mock wo?" Der vorsichtige Präsidentschaftskandidat hatte sich nach zwei Seilen abgesichert. Sollte die Wahl danebengehen, war ihm Erhard Busek im Wort, sich für ihn als Mitglied der Bundesregierung zu verwenden. Klestil verlor dieses zweite Ziel nie aus den Augen. Parallel zu seinem Wahlkampf organisierte Margot Löffler die Übersiedlung des KlestilBüros vom Mezzanin in den ersten Stock des Außenministeriums, gleich neben den Räumlichkeiten des Ministers. Beamtenkollegen bezeichneten ihre undiplomatische Vorgangsweise seinerzeit als unerfreuliche Übernahme. „Aufdringlich" hätte sich der Präsidentschaftskandidat zu jener Zeit über den fragilen Gesundheitszustand von Alois Mock geäußert. „Das
war kein schöner Zug von ihm", urteilten selbst seine engsten Freunde über sein forsches Auftreten. Der Kandidat und seine Wahlkampfmanagerin führten ein strenges Regime. Hatte Klestil auch keine Visionen anzubieten, so vertrat er im Verein mit seiner Wahlkampfleiterin handfeste Interessen - die eigenen. „Genau diese Eigenschaften Klestils haben die erfolgreichste Präsidentschaftskampagne in der Geschichte der Zweiten Republik ermöglicht", berichtete das Nachrichtenmagazin „profil". „Gewinnend im Auftreten nach außen; gewandt und anschmiegsam im internen Umgang mit den Mächtigen der Republik. Einmal gegebene Zusagen hält Klestil ein, sofern sie ihm dienlich sind. Ausgestattet mit einem Basic Instinkt für angeschlagene Kontrahenten, zähem Fleiß, einer Überdosis Ehrgeiz und Eitelkeit, die Selbstverleugnung zum Erreichen eines Zieles erst ermöglichen." Wahlkampfleiterin Margot Löffler ließ ihrem Thomas den passenden Text für die Rolle des ökonomischen Weltaufgeschlossenen und gesellschaftlich erdverbundenen Landesvaters Zurechtschreiben. Auf zwölf Seiten mit dem schlichten Titel „Bundespräsidentenwahl, Themenfindung - Strategiepapier, März 1992" wurden dem Kandidaten saloppe, emotionale und einprägsame Formulierungen vorgegeben, die das Herz der Wähler erwärmen sollten. Unter der Chiffre „Edelweiß" waren papierene Anweisungen für den Kandidaten zum Themenkreis „Unsere Verantwortung für die Umwelt ernst nehmen". Darin hieß es beispielsweise: „Österreich kann stolz darauf sein, eine Vorbildrolle im Umweltschutz übernommen zu haben. Das darf aber nicht bedeuten, dass wir tatenlos zusehen, wie jenseits unserer Grenzen der Umwelt weiterhin in unverantwortlicher Weise Schaden zugefügt wird." Dann ging es im Stil einer Bergpredigt weiter: „Unsere Kinder haben ein Recht auf eine gesunde Umwelt. Noch liegt es in unserer Hand, ihnen diese zu hinterlassen." Oder: „Auch unsere Kinder werden noch gerne Österreicher sein" (Codewort „Patriotismus"). Thomas Klestil liebte und lebte die Rolle des ersten politischen Sprechstellers des Landes. Vom irischen Kommunikationsweisen Alec Taylor darauf gedrillt, sich kurz und prägnant auszudrücken, getreu dem Motto „Getting your message across", taute der eher steife und hölzerne Spitzendiplomat rasch auf und spulte seinen Text ab, als hätte er dieses Handwerk auf einer Schauspielschule gelernt.
„Der Bundespräsident hat kraft seines Amtes die Möglichkeit, auf unangenehme Wahrheiten hinzuweisen. Er muss diese Möglichkeit nützen." Come together, lockte der Präsidentschaftskandidat potentielle Wähler in seine Gasse. Die Prinzipien der Partnerschaft seien bei ihm bestens vertreten, sagte er, und versprach, „die Menschen zusammenzuführen und zur Gemeinschaft anzuspornen". Keiner sei dazu besser berufen als ein „aktiver Bundespräsident", der sich „selbst davon überzeugen muss, wo die Österreicher der Schuh drückt". Der Kandidat hatte die Rolle seines Lebens gefunden. Kein Kalauer war zu billig, kein Wortspiel zu seicht und kein Versprechen zu unrealistisch, als dass Thomas Klestil seinen Text nicht im hohlen Brustton der Überzeugung von sich gegeben hätte. Kr und Margot Löffler kämpften wie die Löwen und zogen erst das Wahlkampfteam, später die von diesem unbedingten Einsatzwillen Überraschten Parteifunktionäre und schließlich die Österreicher in ihren Bann. In den Pausen zwischen den Wahleinsätzen tafelten und lullten die beiden in der Dachgeschosswohnung eines befreundeten Architekten in der Wiener Bräunerstrasse, sofern beide gerade in der Bundeshauptstadt auf Wählerfang waren. Doch auch die betrogene Ehefrau an der Seite des ehrgeizigen Kandidaten war einer seiner Triumphe in diesem Wahlkampf. Edith Klestil stürzte sich bis zur Erschöpfung in die Wahlschlacht, dachte dabei gewiss auch an ihren ersehnten Höhenflug zur „First Lady" und vielleicht auch an die Rettung einer offensichtlich bedrohten Ehe. Denn erst einmal zum Bundespräsidenten gewählt, würde ihr Ehemann aus politischen Gründen ganz bestimmt keine Scheidung wagen. Anfang Januar 1992 brach Edith Klestil bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt in Salzburg vor Erschöpfung zusammen. Augenzeugen erinnern sich an einen davon ziemlich ungerührten Präsidentschaftskandidaten, der seine Frau angefahren haben soll, sich doch ein wenig zusammenzureißen. Anders als in den USA klammern österreichische Medien pikante öffentliche Geheimnisse wie etwa die „Menage ä trois" zwischen Thomas Klestil, Margot Löffler und der für das äußere Erscheinungsbild einer Bilderbuchehe unentbehrlichen, doch im Grunde nur noch hinderlichen Edith Klestil aus. Einige Wahlkampffotos enthüllten indes auf unmissverständliche Weise ein seltsames BeziehungsgeI locht: das Ehepaar Thomas und Edith Klestil, bei einem Wahl-
Kampfauftritt die Hände in die Höhe gestreckt der jubelnden Zuhörerschaft dankend, dicht gefolgt von Margot Löffler, deren Hand die Hüfte des Kandidaten zärtlich umfasst.
Ein lautes Pfeifen ging durch den roten Forst. Einmal mehr zeigte sich: In der Politik interessiert nicht, was war, sondern was kommt. Und Thomas Klestil war der kommende Mann, auch wenn er am Abend des ersten Präsidentschaftswahlgangs noch um rund 160.000 Stimmen hinter dem hohen Favoriten Rudolf Streicher zurücklag. „Jetzt besteht die Gefahr, dass die Stimmung kippt", fürchteten Rudolf Streichers Wahlkampfmanager. „Wir hatten ihn alle unterschätzt", freuten sich Thomas Klestils Werberegisseure. „Er glaubt an sich", analysierte unabhängige Wahlkampfbeobachter, „und wirkt längst eher professionell denn linkisch." Vom unerwartet knappen Abstand zwischen der enttäuschten sozialdemokratischen Einserbank Rudolf Streicher und dem anfangs chancenlosen Herausforderer Thomas Klestil in euphorische Stimmung versetzt, jubelte der Bundesobmann der von Misserfolgen angeschlagenen Volkspartei, Erhard Busek: „Tommy, alles super, schöner könnte es nicht sein. Das ist eine wunderbare Ausgangslage. Sei umarmt, Tommy." Milde Frühlingsluft erwärmte die Gemüter halber Wahlsieger. „Am Schluss gewinnen wir sogar noch", feixten grinsende Adabeis im Palais Todesco, der alten Zentrale der Österreichischen Volkspartei, und klopften ihren Gesprächspartnern heftig auf die Schulter. „Der schafft es vielleicht doch noch", regte sich fröhlicher Optimismus, während die Scheinwerfer der Fernsehteams auf die ersten Verlierer des Ausscheidungskampfes um die Präsidentschaft, Heide Schmidt (FPÖ) und Robert Jungk (Grüne), leuchteten. Die noch vor Wochen spürbare Skepsis gegenüber einer Kandidatur des weithin unbekannten Karrierediplomaten war am Abend des ersten Wahlgangs einer überschwänglichen Zustimmung in der Volkspartei gewichen. Die Fernsehnachrichten zeigten den schwitzenden Halbzeitsieger Rudolf Streicher und den strahlenden Laufzeiten Thomas Klestil. Der bürgerliche Kandidat tat, wie ihm geraten wurde, und legte in seinen Statements ein paar Gramm Parteiunabhängigkeit nach. „Der Zweck heiligt die Mittel", lautete die pragmatische Devise.
Denn beiden Wahlkampffinalisten stand noch die schwierigste Arbeit bevor: Die Generalmobilisierung jener rund 760.000 Wähler, die Jörg Haiders Präsidentschaftskandidatin Heide Schmidt ihre Stimme gegeben hatten. Jörg Haider bot sich beiden Endspielern, Rudolf Streicher wie Thomas Klestil, mit hilfreichen Wortspenden an, denn es könnte doch sein, ließ er kryptisch wissen, dass seine Aussagen „den Präsidentschaftswahlkampf beeinflussen - in der einen oder anderen Richtung". Eine Wahlempfehlung Haiders hatte freilich nur begrenzte Wirkungskraft. Hätte der FPÖ-Obmann seinen Anhängern geraten, für Rudolf Streicher zu stimmen, wären sozialdemokratische Kernschichten der Wahl fern geblieben. Hätte er eine Wahlempfehlung für Thomas Klestil abgegeben, wären bürgerliche Stammwähler daheim geblieben und sozialdemokratische Skeptiker zur Wahlurne geeilt, um den Karrierediplomaten als Bundespräsidenten zu verhindern. Trotz dieses Nullsummenspiels mit freiheitlichen Wählern setzte die sozialdemokratische Wahlkampfführung vorübergehend mit ihren Attacken auf den Kärntner Stimmenfänger aus, während Thomas Klestil diplomatische Zurückhaltung übte: „Der Bürger Österreich ist mündig genug, sich ein Bild zu machen. Er braucht die Empfehlung eines Parteiobmanns eigentlich gar nicht." Doch weil beide jede freiheitliche Stimme dem Wahlsieg näher brachte, unterwarfen sich Rudolf Streicher und Thomas Klestil den Gesetzen der politischen Opportunität und woben das AusländerDilemma als roten Faden in ihre Wahlkampfreden ein. Der sozialdemokratische Wahlkampfleiter Josef Cap riet Rudolf Streicher, gegen ein „unkontrolliertes System der Einwanderung" aufzutreten. Thomas Klestil wiederum kritisierte „falsch verstandene Humanität". Es wäre falsch, „die Grenzen für alle Hoffnungslosen dieses Kontinents zu öffnen", denn „ein Übermaß an Ausländern in seinem unmittelbaren Lebens- und Arbeitsbereich macht dem Österreicher Sorge und Angst". Nur brave Ausländer würde er aufrichtig willkommen heißen, warb Klestil für eine restriktive Zuwanderungspolitik: „Wenn es sich um einen Ausländer handelt, der in Österreich in der Gesellschaft integriert würde, der hier seinen Arbeitsplatz hat, der hier seinen Beitrag leistet - dann würde ich versuchen, meinen Beitrag zu leisten, diesen Menschen auch als Mitbürger zu akzeptieren."
Gegen eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei hätte er selbstredend nichts einzuwenden. Jede Regierungskonstellation sei möglich, sagte Thomas Klestil ein paar Monate, nachdem Jörg Haider wegen seines Lobs für die „ordentliche Beschäftigungspolitik" der Nationalsozialisten als Kärntner Landeshauptmann zurückgetreten war - „das schließt natürlich auch die Freiheitliche Partei ein". „Thomas Klestil hat im Gegensatz zu Erhard Busek bewiesen: Wenn man sich mit den Ideen des Jörg Haider identifiziert, kann man was bewegen", lobte der damalige FPÖ-Generalsekretär Walter Meischberger den konservativen Präsidentschaftskandidaten. Thomas Klestil sei ein „Ritter ohne Furcht und Tadel, auf der Flucht vor seinem schwarzen Adel", reimte der freiheitliche Generalsekretär eine Lobeshymne auf den flexiblen Wahlkämpfer. Der konservative Kandidat genoss die Sympathien der Mehrheit freiheitlicher Funktionäre und Wähler. Klestil habe im Gegensatz zu den Sozialdemokraten „keine Ausgrenzung der Freiheitlichen vorgenommen", schwärmte der burgenländische Rechtsaußen Wolfgang Rauter für den im Wahlkampf zugewachsenen FPÖ-Sympathieträger. Seinem oberösterreichischen Parteifreund Hans Achatz imponierte wiederum, „dass Klestil es als Fehler bezeichnet hat, dass Jörg Haider als Landeshauptmann beseitigt wurde". Kaum ein freiheitlicher Politiker konnte sich besser mit Thomas Klestils politischen Positionen identifizieren als der Salzburger FPÖFunktionär Karl Schnell. Der konservative Kandidat hätte „derzeit die besseren Chancen, Stimmen von FPÖ-Wählern für sich zu gewinnen". Acht Jahre bevor Karl Schnell den Bundespräsidenten einen „Lump" nennen sollte, beschwor der Salzburger FPÖ-Politiker die vielen gesellschaftspolitischen Gemeinsamkeiten mit dem Spitzendiplomaten. „Thomas Klestil hat etwa die Sicherheitspolitik und die Ausländerfrage weitgehend im freiheitlichen Sinn behandelt." In der Politik ist es wie im Sport: Überlegene Gegner können durch besseres Timing geschlagen werden. Zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun, kann fehlende Substanz und Kondition ersetzen. Im Endspurt um den Einzug in die Wiener Hofburg hatte Thomas Klestil das bürgerliche Lager, drei Viertel des freiheitlichen Stimmenpotentials und immerhin die Hälfte der Grün-Sympathisanten hinter sich geschart. Selbst das „rote Wien" bekannte sich mehrheitlich zu Thomas Klestil. SPÖ-Wahlkampfchef Josef Cap verbot seinen Getreuen,
den Wahlkampf im Finale mit sozialdemokratischen Parolen anzuheilen. Der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, Klestil-Freund der ersten Stunde, zog es vor, am Wahltag in Japan zu weilen. Hin Familienfoto mit Thomas und Edith Klestil hätte den plakativen Schlusspunkt des Präsidentschaftswahlkampfes setzen sollen. Doch die Liebesbeziehung zwischen dem Kandidaten Thomas Klestil und seiner Wahlkampfmanagerin Margot Löffler wurde von den beiden mittlerweile so offen gepflegt, dass die Werbechefs der Volkspartei diesen Plan fallen ließen und ihren Kandidaten mit dem unverfänglichen Slogan „Macht braucht Kontrolle" bewarben. Manche Ehen zerbrechen an einem einzigen Satz, der den anderen ins Herz trifft, und sei er noch so töricht und unüberlegt dahingesagt. In einem Augenblick kann ein Satz alle Hoffnung, alle Illusion vernichten. Die Ehe von Thomas und Edith Klestil dürfte in der Nacht seines Wahltriumphes Ende Mai 1992 endgültig in die Brüche gegangen sein, als der frisch gewählte Bundespräsident allen voran seiner Büroleiterin Margot Löffler, für ihren beispiellosen Einsatz dankte. Erst gegen Ende seiner Siegerrede erinnerte er sich seiner Ehefrau und dankte „natürlich auch der Mutti" für ihre Unterstützung,
MENAGE A TROIS
Recht und Familie? - Dieses Verhältnis lässt sich heute kaum noch beschreiben, weil es immer chaotischer geworden ist, und das seit dem Beginn der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Davor hatte sich im Verhältnis von Familie und Recht über Jahrtausende nur wenig verändert. Wohl wechselten die Staatsformen, aber Über alle Zeiten hinweg behielt die Familie ihre Funktion als Wirtschafts-, Unterhalts- und Schutzgemeinschaft. Ohne Familie ging nichts. So unterschied sich die Familie („oikos") im antiken Athen nur unwesentlich von der Sozialform des „ganzen Hauses", die in unseren H reiten vor der Industrialisierung die typische Form der Familie war. „Oikos" bedeutet auch „Haus" und bezeichnete eine familienrechtliche ebenso wie eine wirtschaftliche, religiöse und auch staatsrecht-
liehe Einheit. Sie bildete in vielerlei Hinsicht das Fundament der Polis, denn mit ihr waren Bürgerrechte verknüpft. Familienrecht und Staatsverfassung waren, wenn man so will, zwei Seiten derselben Medaille. Der Ehemann und der Vater war der Herr im „oikos". Frauen blieben weitgehend rechtlos. Nur der Abschluss kleinerer Geschäfte des täglichen Lebens mit begrenztem Wert war ihnen erlaubt. Die Entscheidung über Eheschließung und Scheidung blieb den Männern beziehungsweise den Vätern vorbehalten - ein Umstand, der schon lange vor Romeo und Julia den Stoff für Dramen lieferte. Etwas besser sah es für die Frauen zwar im alten Rom aus, aber auch hier war ihre Geschäftsfähigkeit beschränkt. Im Prinzip glich ihr Status dem in der griechischen Familie, und dabei blieb es - trotz Anpassungen über das römische Recht - bis in die Moderne hinein. Wo bleiben Liebe und Treue? - wird man einwenden. Darf man wirklich hoffen, jahrzehntelang mit einem Menschen zusammenzuleben, in enger Vertrautheit, Liebe, Treue und Intimität, und bei ihm dennoch so etwas wie sexuelle Spannung, wie erotisches Fieber zu empfinden? Oder werden wir durch solche romantischen Erwartungen nur schmerzlich überfordert, in überlebte oder gar sinnlos gewordene Ehen gestürzt? Mündet letztlich jede Liebe in den Verrat: entweder in den Verrat an der Lust durch die eheliche Treue oder in den Verrat an der Treue durch den Ehebruch? Werden wir folglich durch die Liebe, diese Himmelsmacht, und durch den Sex, diese sehr irdische Macht, unausweichlich zu Sündern gegen uns selbst oder gegen unsere Liebsten, und - wenn man denn an ihn glaubt - auch zu Sündern vor Gott? Andererseits: Treue ist eine sittliche Haltung der Beständigkeit gegenüber anderen, die einem vertrauen, gegenüber Versprechen oder Wertvorstellungen. Wenn freilich Treue nur noch rührend ist, zur Anhänglichkeit denaturiert wie die Beziehung des Jagdhundes zu seinem Oberförster, dann kann Untreue nichts Schlimmes mehr sein. Das ist die Logik der gesellschaftlichen Veränderungen. „Seitensprung" lautet die in allen sozialen Kreisen mit Augenzwinkern tolerierte Umschreibung einer ebenso lässlichen wie verlässlichen Sünde. „Seitensprung" — das klingt so federleicht, wie die Gesellschaft viele kleine Treuebrüche zu akzeptieren geneigt ist. Wer Geld veruntreut, muss mit dem Strafgesetz rechnen. Wer Vertrauen veruntreut - auch das Vertrauen der Wähler -, heischt um Verständnis und kann mit gnädiger Vergesslichkeit rechnen.
Männer können emotionale Analphabeten sein, denen Zärtlichkeit, Liebe und Treue ferner liegen als der Mars und die zufrieden sind, wenn ihnen die Ehefrau die Brötchen schmiert und die Bierflasche herausrückt, wenn ein Fußballmatch im Fernsehen angepfiffen wird. „Pascha" Thomas Klestil nahm für sich das exklusive biologische Geburtsrecht der Untreue in Anspruch. Devise: Im Manne steckt - leider, leider - der Drang, seine Gene möglichst breit zu streuen. Angeblich sind die Herren der Schöpfung ihren Trieben wehrlos ausgesetzt und von Natur aus polygam. Wogegen Frauen schon wegen der Erziehung gemeinsamer Kinder „natürlich" monogam zu sein haben. Über Österreichs Politik und ihren zwischenmenschlichen Ausläufern liegt eine Atmosphäre der Verschleierung. Im Jahr 1988 transferierte Thomas Klestil seine Geliebte von der Botschaft in Bangkok zu sich ins Generalsekretariat des Außenministeriums. Drei Jahre später Übertrug er Margot Löffler das Management seines Präsidentschaftswahlkampfes und als frisch gebackener Bundespräsident machte er sie zur Leiterin der Präsidentschaftskanzlei in der Wiener Hofburg, so als wäre die Republik ein Selbstbedienungsladen für Karrierediplomaten. Ähnliche Verhaltensweisen mit so viel Nähe und Großzügigkeit gegenüber abhängigen Mitarbeiterinnen dürfen sich Chefs weltumspannender Konzerne nicht erlauben, ohne von ihren Aufsichtsorder Betriebsräten zur Rede gestellt zu werden. Der Bundespräsident fand nichts daran. Und er fand auch nichts daran, bei vielen öffentlichen Anlässen in Begleitung seiner Lebensgefährtin Margot Löffler zu erscheinen, die nicht Ehefrau sein durfte, und seiner Ehefrau Edith, die sich nach einer mehr als 35jährigen, kirchlich verbürgten Lebenspartnerschaft nicht sang- und klanglos ins Abseits drängen lassen wollte. Margot Löffler führte das Kommando und wies Edith Klestil bedenkenlos den Platz in der zweiten Reihe zu. Eine geraume Weile spielte Edith Klestil jedenfalls nach außen souverän die Rolle der erfahrenen Ehefrau, der nicht die kleinste Charakterschwäche des Gemahls verborgen blieb, die aber unerschütterlich zu ihrem Thomas stand. Scharfsicht und Nachsicht - mit dieser Kombination erhob sich Edith Klestil moralisch über ihren Mann, der sie oft genug nur als „Mutti" behandelte, und adelte ihn zugleich, indem sie Ihm vieles vergab. Denn Thomas Klestil leidet auch am Syndrom des jüngsten Sohnes. Ständig muss sich alles um ihn drehen, ständig
will er angebetet und vergöttert wird - ein großer, ungebärdiger Junge sein Leben lang. „Natürlich hat es in früheren Generationen immer wieder Ehebruch auf höchster Ebene gegeben", vertraute Edith Klestil der Wiener Publizistin Senta Ziegler an. „Ich fand es einfach unwürdig, auf einmal auf einem Abstellgleis zu sitzen und darauf warten zu müssen, was der Ehemann und die Rivalin einem gestatten. Ich finde nicht, dass dies der Platz für einen Menschen ist, der 60 Jahre lang bewiesen hat, dass er selbständig denken kann, der alles mitgemacht hat, und zwar nicht, weil er sich hineingedrängt hat, sondern weil die Notwendigkeit da war. Wir waren immer ein Team. Da finde ich es für die Selbstachtung sehr wichtig, dass man bei einem Betrug einfach nicht mitspielt." Scheidung kam für sie nach dem Einzug Thomas Klestils in die Hofburg nicht in Frage. Sie war anfangs durchaus bereit, die Fassade einer wenngleich zerrütteten Ehe Aufrechtzuhalten, sofern wenigstens die öffentlichen Demütigungen nicht Überhand nahmen. Die betrogene Ehefrau war in familiären Traditionen befangen. Die drei erwachsenen Kinder waren in Ausbildung. Die sensible ältere Tochter Uschi litt unter der Ehetragödie im elterlichen Heim stärker als ihre beiden Brüder Thomas und Stefan. Bürgerliche und religiöse Wertvorstellungen bewogen Edith Klestil, das Gesicht zu wahren, die vielen Schläge wegzustecken und um ihren liebestollen Mann zu kämpfen. „Bedenken Sie, dass Napoleon alles zu verlieren begann, als er Josephine aufgab", sagte ihre Leidensgefährtin Bernadette Chirac ihrem ehebrecherischen Göttergatten Jacques. „Vergessen Sie nicht, dass alles, was ich mache, für Sie ist. Ohne mich wären Sie nicht Präsident." Edith Klestil, eine mächtige Waffe im PräsidentschaftswahlKampf ihres Mannes, hat sich anfangs ähnlich geäußert. Vergeblich. Der ewige Zauderer Thomas Klestil, im Grunde seines Wesens ein konfliktscheuer und harmoniebedürftiger Mann, drückte sich vor der Entscheidung zwischen zwei drängenden Frauen — seiner Ehefrau, die er nicht mehr wollte, und seiner Geliebten, die einen Schlussstrich und Neubeginn herbeiredete. ***
In der Spieltheorie, die gern zur Erklärung für das Handeln von Personen in Konfliktsituationen herangezogen wird, gibt es das Phänomen
tli-r doppelten Reflexivität. Am besten ist diese schwierige Situation mit dem Dilemma des Elfmeterschützen im Fußball beschrieben, der immer in die rechte Ecke zielt. Er weiß aber, dass das auch der Tormann weiß. Soll er deshalb nach links schießen? Oder weiß der Tormann, dass er weiß, dass der Torwart weiß, dass er immer nach rechts schießt? Eine Spirale von Überlegungen kommt in Gang, bei denen ledern schwindlig werden muss. Das Ergebnis ist ein durch und durch irrationales Reiz-Reaktionsverhalten. Wien, Landesgerichtsstrasse. Edith Klestil wieder einmal allein zu Hause. Der Bundespräsident hat einen aufreibenden Arbeitstag hinter sich, dem Land und seinen Leuten gute Ratschläge auf den Weg gegeben, Netzwerke gepflegt, Professoren ernannt, Delegationen empfangen, Botschafter akkreditiert. Bewerber um staatliche Posten vorgeweiht, Hände geschüttelt und Honneurs gemacht. Müde besteigt er den von Sicherheitsbeamten eskortierten DienstMercedes, lässt sich quer durch die Innenstadt nach Hause fahren. Will daheim weder essen noch lange mit seiner frustrierten Ehefrau Konversation pflegen. Gibt vor, Entspannung beim abendlichen Tennisspiel zu suchen. Kleidet sich um und verlässt kurz darauf sportlich gewandet und mit dem Rakett in der Hand die ungeliebte Ehefrau. Ohne jeglichen polizeilichen Schutz besteigt der Bundespräsident eine Limousine, mit der ihn eine jüngere Dame manchmal zurück in die Wiener City, manchmal an den Wiener Westrand nach Hietzing fährt. Edith Klestil hatte viele Jahre lang ihr Leben und ihre Kräfte auf ihren Mann konzentriert. Auf sein maßloses Gefühlsleben, seine Ambivalenz und seine Unbeständigkeit. Verzweifelt, aussichtslos, aber unbeirrbar liebt sie ihn und den Glanz seiner politischen Bedeutung, und sie bereitet sich und ihm, ob sie will oder nicht, eine der schlimmsten Foltern, die Menschen einander bereiten können, weil sie die schmerzempfindlichsten Punkte des anderen kennen - eine private Ehehölle. Im Hintergrund stehen, mit dem Ehemann zittern und für ihn kämpfen, tapfer in Kameras lächeln. Doch den wahren Platz an der Seite des Bundespräsidenten hatte längst eine andere eingenommen. Edith Klestil hatte es nicht mehr in der Hand, das Leben ihres Ehemanns zu steuern. Wie viele schmerzliche Ahnungen und wie viel Demütigung erträgt cm Mensch, bis es aus ihm losbricht oder bis er aufgibt? Überzog Thomas Klestil im Glauben, seine Ehefrau hätte keine Ahnung von
seiner Liaison mit Margot Löffler? Oder wollte er seine Frau in die falsche Ecke locken, zur Aufgabe zwingen? Sollte Edith Klestil das Liebesverhältnis ihres Mannes ignorieren im guten Glauben, auch diese Beziehung würde einmal zu Ende gehen? Sollte sie sich mit der Macht des Faktischen abfinden und nur auf dem öffentlichen Respekt des Bundespräsidenten gegenüber seiner ihm angetrauten Ehefrau bestehen? Sollte sie sich ins Wolkenkuckucksheim zurückziehen und eine „Menage ä trois" stillschweigend akzeptieren? Subversive Verweigerung im eigenen Biotop, das wusste sie, führt zum Eigengoal: Rosenkrieg und eine Steigerung der Scheidungsrate. Der Konflikt spitzte sich immer mehr zu. Von Woche zu Woche verabreichte Thomas Klestil seiner Frau eine immer höhere Dosis an privaten und öffentlichen Provokationen. Es war ein öffentliches Geheimnis, dass er sich auf Staatskosten in der Hofburg eine kleine Wohnung einrichten und mit höchsten Sicherheitsstandards ausstatten ließ. Er konnte dieses Liebesnest von seinen Büroräumen aus über eine Wendeltreppe betreten. Blieb das Licht in seinen Amtsräumen eingeschaltet, mussten die Mitarbeiter in der Präsidentschaftskanzlei glauben, der erste Mann im Staat würde einsam über schweren politischen Entscheidungen brüten. Margot Löffler, die Leiterin der Präsidentschaftskanzlei, wusste es indes besser. Ganz offiziell verließ sie die Präsidentschaftskanzlei, gemessenen Schritts, elegant und mit hochgestecktem Haar, wie man sie so kennt und bewundert, drehte am Ballhausplatz kurz um und betrat den offiziellen Aufgang zum Salon d'amour, einen staatlich finanzierten „Privatbesitz", Staffage für die eigene Herrlichkeit. Ein paar Stunden später kehrte Margot Löffler durch den Haupteingang in die Präsidentschaftskanzlei zurück - oft mit offenen Haaren. Ein alter Witz erzählt von zwei Juden, die in einem Zug fahren. Sobald der Zug am ersten Bahnhof hält, stöhnt einer der beiden. Beim zweiten Bahnhof stöhnt er noch lauter und wird unruhig, bei der dritten Station wird er richtig panisch. Darauf fragt der andere: „Warum stöhnst du immer lauter und jämmerlicher von Bahnhof zu Bahnhof?" Er erhält zur Antwort: „Warum soll ich nicht stöhnen und beunruhigt sein? An jedem Bahnhof merke ich, dass ich in die falsche Richtung fahre." Der andere schaut ihn verdutzt an: „Warum steigst du dann nicht einfach aus und nimmst den nächsten Zug zurück?" Die Antwort: „Ich habe schon meinen Fahrschein gelöst. Ich habe einen guten
Sitzplatz. Wer weiß überhaupt, wann ein Zug in die andere Richtung fährt und ob noch je einer kommt?" So fährt er weiter in die falsche Richtung. Ähnlich erging es Edith Klestil. Entnervt und seelisch zermürbt von bekanten Informationen aus ihrem Freundeskreis, von mehr oder weniger diskreten Andeutungen in den Medien und von der provokanten Art, mit der ihr Ehemann auf ihren Gefühlen herumtrampelte, holte sie bald jede Nacht Alpträume. Einzelheiten genügten, um auf dos Ganze zu schließen: Scheidungskrieg. Weinende Kinder. Drohende soziale Isolation. Und dieses Frösteln, das jeder Ende fünfzig hat, wenn er seelisches und körperliches Unbehagen spürt. Stoischer Gleichmut und heroischer Großmut passten nicht zu ihrem Naturell. Auf der Autofahrt zur Eröffnung der Festspiele im niederösterreichischen Reichenau schrie sie auf den Bundespräsidenten ein, doch von seiner Liebschaft zu lassen und nicht den Erhalt der Familie ins Spiel zu setzen. Vergeblich. Bei einem offiziellen Besuch des Bundespräsidenten im Fürstentum Liechtenstein lieferte sie Thomas Klestil in einer Vaduzer Hotelsuite ein derart lautstarkes Schreiduell, dass das Hotelpersonal und die Sicherheitsbeamten zusammenliefen. Margot Löffler hatte größte Mühe, Personal und Entourage zu beruhigen und einen Eklat zu vermeiden. Dennoch wollte Edith Klestil für eine unverschuldet verfahrene Ehe nicht so teuer bezahlt haben. Ihr fehlte auch der Mut, schnell umzusteigen, einen Abschied ohne Abschied stumm zu akzeptieren, wie ihr Ehemann das verlangt hatte. Vom Frost und Frust der Einsamkeit geschüttelt und gepeinigt, wurde sie von psychischen Krisen geplagt. Bei einer Großmesse der Gemeinde in Wien brach sie vor Erschöpfung zusammen. Sie musste mit der Rettung ins Allgemeine Krankenhaus gebracht werden. Von Nervenzusammenbruch war die Rede, doch so schlimm war es nicht, spielt sie ihre Spitalsaufenthalte herunter. „Ich war wahnsinnig müde, habe eigentlich nie Zeit gehabt, mich zu erholen. Ich war wirklich abgekämpft. Da war mir bei einer ganz ruhigen Veranstaltung, bei einer ökumenischen Feier der Taize-Brüder, bei der auch Kardinal König anwesend war, plötzlich so, als ob ich einen Herzinfarkt hätte. Vielleicht bin ich dort selbst erstmals zur Ruhe gekommen", erzählte sie Senta Ziegler: „Meine Arme wurden schwer, ich habe keine Luft mehr gekriegt, habe eine Weile ausgehalten, bis
mir ganz elend wurde. Ich habe es noch selbst bis zum Ausgang geschafft und bin mit dem Notarzt ins Krankenhaus gefahren. Dort hat sich herausgestellt, dass mir organisch nichts fehlte, aber eine große Erschöpfung da war. Ich habe mich dann erst einmal richtig ausgeschlafen und war dann wieder völlig hergestellt." Thomas Klestil aber liess sich leben. Stieg ein in eine neue Liebe wie ein Schauspieler in die Rolle eines glücklichen Opfers - und liess die Dinge fliessen, während seiner Frau der Lebensmut schwand. Ein Mann spielt Opfer. Damals liess er in Gesprächen mit Freunden erkennen, dass nicht er an der Seite einer kranken Ehefrau die Partnerschaft habe aufrechterhalten wollen, sondern Edith. Trotz jahrelanger Probleme, trotz Streitereien und endlosen Psychoterrors hätte seine Frau immer wieder eine heile Welt vorgegaukelt. Bald überließ er es auch anderen, seine Version des Opferlamms in einer Ehetragödie in die Welt zu posaunen. Die geheime Chemie dieses Milieus, dieser Stimmung ist schwer zu erfassen, denn es reicht oft nur ein Tropfen zuwenig oder zuviel, und schon ist alles ganz anders. Es gibt einen amerikanischen Film aus den fünfziger Jahren mit dem Schauspielidol James Dean, in dem zwei Jugendliche in ihren Autos aufeinander zu rasen. Je näher sich die beiden kommen, um so verbissener signalisiert jeder von ihnen, dass er ganz bestimmt nicht derjenige sein wird, der ausweicht im letzten Moment. Dieser Film heißt „Denn sie wissen nicht, was sie tun". Nur einer kann durchstarten. Der andere muss ausweichen. Oder beide sind tot. Die Spieltheoretiker im außenpolitischen Beraterteam des legendären US-Präsidenten John F. Kennedy haben mit der Versuchsanordnung aus diesem Film die Kuba-Krise vorgedacht und schließlich erfolgreich gesteuert. Generationen von Studenten der Politologie mussten dieses Szenario inzwischen nachspielen. Gewinner in diesem Film wie in der Kuba-Krise war, wer am deutlichsten macht, dass er nicht ausweichen wird und so den anderen zum Ausweichen zwingt. Was hat Thomas Klestil nicht alles versucht, um seine Ehefrau zum frühen Ausweichen zu bewegen. Manchmal sah es aus, als habe er sich einfach nicht vorstellen können, dass sie den Psychoterror durchhält. Thomas Klestil, dem nach außen nichts unheimlicher ist als lose Sitten und nichts heiliger als der Glaube an die Gebote der katholi-
M hen
Kirche, an Sauberkeit, Sittlichkeit und an ein strenges Regiment in der Familie, schien sich an dieses Dreiecksverhältnis allmählich zu gewöhnen und drängte seine Ehefrau, ihm aus Gründen des schönen Scheins gemeinsam mit der Rivalin Margot Löffler Gesellschaft zu leisten beim Besuch des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker am l. Januar 1994 im Musikvereinssaal. Oft können sich Prominenten-Ehefrauen trotz Seitensprünge ihrer Ehemänner nicht trennen, weil sie auf Status und Geld nicht verzichten wollen. Lieber als heroische, tolerante Ehefrau dastehen, als ins Nichts zu versinken. Die wahren Gefühle werden oft mit Alkohol und Tabletten betäubt. Dagmar Koller, Operetten-Soubrette, Frau eines Wiener Ex-Bürgermeisters, gnadenlose Selbstdarstellerin und erbarmungslose Psychotherapeutin der österreichischen Seitenblicke - Gesellschaft, spendete Trost in schweren Zeiten: „Frau Klestil hätte ihren Mann nicht verlassen sollen. Frau des Präsidenten zu sein, ist eine große Aufgabe. Sie hätte in Wohltätigkeit sicher ihre Erfüllung gefunden." Indes entschied Edith Klestil sich anders. Sie verkroch sich nicht in ihre Ehekrise. Gab nicht das Lamm ab, wie Tausende andere Frauen. Ich oder die Löffler, soll Edith Klestil den Bundespräsidenten vor I1ic Entscheidung gestellt haben. Sollte sich seine Geliebte ebenfalls m der ehemaligen Hofloge einfinden, werde sie dort nicht erscheinen und ihn zwingen, Farbe zu bekennen. Bis zur Silvesternacht 1993 drückte sich der Bundespräsident um eine klare Entscheidung herum, ehe er auf der Fortsetzung der „Menage ä trois" bestand. Jetzt wurde es Edith Klestil zu viel. Noch in derselben Nacht übersiedelte sie aus der Amtsvilla auf der Hohen Warte 36 in der Döblinger Cottage in die seit einiger Zeit leer stehende Wohnung in der Wiener Landesgerichtsstrasse. Für ihre mutige Entscheidung wurde Edith Klestil von den Medien im Jahr 1994 zur „Frau des Jahres" gewählt. Der BundesPräsident haderte indes mit seinem Schicksal und beklagte sich über die ihm zugefügte „Kränkung".
PRINZESSIN GERNEGROSS
Am Ende der Welt, eingeklemmt zwischen dem feuchtesten Ort der Erde und Bangladesh, in der hügeligen „Heimat der Wolken", lebt das Volk der Khasi, 800.000 Inder, die von Frauen beherrscht werden. Bloss 1.500 Männer rebellieren gegen das Matriarchat, womöglich die einzige Männer-Emanzipationsbewegung der Welt. „Kha Si" - aus der Frau namens Si geboren. Nicht einmal am Anfang allen Seins hatten die Männer dieses Volkes eine Chance. Und das alles nur, weil sie die „Blutvergiesser" waren, zu oft unterwegs zur Verteidigung des Landes, weshalb die Frauen die Macht übernommen haben, weil sonst keiner da war. Alles in diesem Volk gehört heute noch den Frauen: die Kinder, das Haus, die Bildung, das Geld, die Frauen gebären und bestatten, sie erben und vererben, sie sind diejenigen, die studieren, und diejenigen, die den Kindern ihren Namen geben. Die Männer aber sind ein Leben lang nichts weiter als „der Sohn irgendeiner anderen", wie es bei den Khasi heisst. „Ich bin als Mann ein Sklave", seufzt P. K. Lakiang, Chef der Männer-Revolte gegen das Matriarchat. „Ich bin einsam in meinem eigenen Haus. Ich fühle mich als Mann unterdrückt." Ähnlich dürfte es den Mitarbeitern in der Präsidentschaftskanzlei ergangen sein, als dort deren Leiterin, Margot Löffler, den Ton angab. Eine erwachsene Frau, in der ein ungebärdiges Kind zu stecken scheint, das oft an der Oberfläche treibt oder einfach aus ihr herausbricht. Manche Leute dürften in der Leiterin der Präsidentschaftskanzlei ein seltenes Original gesehen haben, dem man hin und wieder staunend einige Minuten zuhört und über das man sich hinterher in kleiner Runde kichernd amüsiert. Mitarbeiter der Präsidentschaftskanzlei finden dieses Bild von Margot Löffler zu weich gezeichnet. „Niemand mag sie, denn sie hat den oft verletzend scharfen Blick von Migränikern", beschreibt sie ein aus Sorge um seine berufliche Zukunft anonymer Dulder des Mitarbeiterstabs in der Präsidentschaftskanzlei. „Ihre Zunge ist so scharf, dass sie verwunden kann." Fast allen missfällt deshalb ihr zerstörerischer Umgang mit dem Personal.
Bei einem Gewitter ist es gewöhnlich so: Zuerst kommt der Blitz, dann eine Stille, schließlich der Donner. Bei den Löffler-Unwettern war das andersherum. Zuerst sah man sie wüten, hörte sie donnern, und es war Finsternis überall. Selten kam Licht. Einer ihrer ehemaligen Mitarbeiter vergleicht Margot Löfflers freundliche Auftritte mit der Stimmung an Bord eines gefährdeten Flugzeugs: „Wenn die Stewardess besonders freundlich lächelt, steht eine Notlandung bevor." Selbst ihre schärfsten Kritiker loben ihr organisatorisches Talent und ihre Durchsetzungskraft, bewundern ihren skrupellosen Erfolgsinstinkt gepaart mit Bedenkenlosigkeit und einer tollkühnen, fast manischen Risikolust. Tragischerweise sind es gerade jene Fähigkeit, die Frauen nach oben bringen, die ihnen später zum Verhängnis werden. Denn an der Spitze gelten andere Regeln: Teamgeist, Einfühlungsvermögen, Motivationsgeschick. Gefragt ist überdies die Bereitschaft, sich Hierarchien unterzuordnen - auch nicht gerade eine Paradedisziplin für ehrgeizige Frauen, die zuvor Tabus brechen mussten. Vor allem aber bedarf es an der Spitze des Managements einer der höchsten staatlichen Institutionen großer Menschenkenntnis, Selbstsicherheit, einer souveränen Strategie und intimer Kenntnisse politischer Zusammenhänge. Politische Taktik und Strategie lassen sich zwar im Kopf entwickeln, nicht aber ohne Sinn fürs Machbare durchsetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch das Staatsoberhaupt auf diesem Gebiet erhebliche Defizite aufweist. Margot ergänzte ihren Brief und Liebhaber nicht, sie verdoppelte ihn - im Schlechten wie im guten. Geradezu zwangsläufig tappten der Wahlmonarch und Prinzessin Gernegross von einer in die andere politische Falle. Das Bildmagazin „News" zitiert einen mit Margot Löffler sympallusierenden und bezeichnenderweise ebenfalls anonymen Kollegen aus dem Außenministerium: „Margot Löffler tolerierte keine Schweinereien im Amtsbereich. Sie deckt Zustände auf, die sonst eher zugedeckt werden würden. Sie hat dabei mehr Drive als die Mehrzahl unserer Kollegen. Sie ist in ihrem Bereich sehr gut und überkorrekt." Andererseits berichtet „News" auch von „knallenden Türen", wenn die Leiterin der Präsidentschaftskanzlei gerade nicht gut drauf ist („News", Nr. 29/1999). Wie immer. Thomas Klestil war Mitte 1992 frisch gewählter Bundespräsident in der Wiener Hofburg, war in gültiger Ehe seit 35 Jahirn mit Edith Klestil verheiratet und mit der Leiterin der Präsident-
schaftskanzlei, Margot Löffler, eng liiert. Fast alle Mitarbeiter wussten das, und wem das merkwürdig vorkam, hatte Verfolgung zu fürchten. Dabei mochte sie wie Freifrau Ada von Stellen in Ödön von Horvaths Theaterstück „Zur schönen Aussicht" von sich gedacht haben: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so seilen dazu." Wer nicht spurt, fliegt, herrschte sie unter-, gleich- und oberrangige Staatsdiener in der Hofburg an. Tommy, der muss weg, spielte sie die Macht der Leiterin der Präsidentschaftskanzlei und der Geliebten des Bundespräsidenten gnadenlos aus. „Die Herrin" wurde sie von ihren Kollegen genannt und „Madame Pompadour". Mit unsichtbaren Schlittschuhen an den Füssen tänzelte sie auf blankem Eis - auf einem weniger glatten und ungefährlichen Boden wäre sie vermutlich rascher gestrauchelt und gestolpert. Rasierklingenscharf wies sie der Staatsdienerschaft ihren Weg. Doch wie auf einer Rasierklinge verstand sie auch seilzutanzen und mit Interessen zu jonglieren. Sie maßte sich die Rolle einer Dompteuse einer auch dem katholischen Kartellverband verbundenen Herrengesellschaft an, die bald eine Schulz- und Trulzgemeinschaft gegen amazonenhafte Anwandlungen bildete. Frauen, die Anfang der neunziger Jahre zu den Thirtysomethings zählten, sind auch die Kinder von Karl Marx und Coca Cola. In der Kindheil haben sie vermutlich die Serie „Pipi Langstrumpf' im Fernsehen bewundert, die Songs von Elvis Presley und den Bealles ausklingen gehört, die Melhoden des „Denver-Clans" verachtet, Bruno Kreiskys Sozialdemokrat verklärt, weil die Abtreibungsgesetze liberalisiert wurden, mit der Ideenwelt der 68er Generation sympathisiert und konservative, klerikale und sonst wie regulierende Markierungen verurteilt. Die Töchter der Emanzipation profitierten unmittelbar von der Frauenbewegung, ohne damit unbedingt zu sympathisieren, wollten auf Kinder verzichten, Karriere machen oder sich Kinderwünsche und Karriereträume erfüllen - trotz Doppelbelastung. Sie führen ganz selbstverständlich ein anderes Leben als ihre Mutier. Führen eher wie ihre Väter ein Selbstbestimmtes, werktätiges und relativ unabhängiges Leben. Zwar stehen sie auf dem Standpunkt: Lieber keinen Mann als den falschen, doch wenn sie einem potentiellen Lebensabschnittspartner begegnen, fällt ihnen auch nichts Besseres ein, als mit den Wimpern zu klimpern und die Lippen zu spitzen.
Margot Löffler ist die Verkörperung einer leistungswilligen, unabhängigen Single-Frau, die Männer aufmerksam nach deren beruflichem Status sowie finanzieller, physischer und charakterlicher Ausstattung taxiert. Letztlich muss sich jede größere emotionelle Investition lohnen. „Wir Frauen können die Gesellschaft verändern, wenn wir wollen", beschreibt Katja Kullmann das Lebensgefühl dieser Powerfrauen. „Wir haben vor, sie zu verändern, aber zuerst wollen wir einen Mann, und die Lippen werden um eine Spur röter und der Rock ein Stück kürzer." (Katja Kullmann: Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Eichborn Verlag, 2002). „Ich versah bei den Bundespräsidenten Dr. Rudolf Kirchschläger vier Jahre und bei Dr. Kurt Waldheim sechs Jahre meinen Schutz- und Hegleitdienst", schreibt der Abteilungs-Inspektor der Staatspolizei, Klaus Heidfogel, in einem Leserbrief an die Nachrichtenillustrierte „News" (Nr. 32/1999). „Erst in der Causa Klestil-Löffler ging ich aus 'gesundheitlichen Gründen' in den zeitlichen Ruhestand. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich während meiner Dienstzeit bei Bundespräsident Dr. Thomas Klestil und auch danach keine geheimen Treffen der beiden oder andere Details an Medien und politische Gegner ausgeplaudert habe... Meine persönliche Meinung über Frau Dr. Klestil-Löffler möchte ich jedoch öffentlich nicht kundtun. Frau Edith Klestil, die ich in meiner zweijährigen Dienstzeit persönlich kennen gelernt habe, ist für mich heute noch eine echte Lady."
EINE SCHMUTZIGE AFFÄRE
Margot Löffler hat ein extremes Sicherheitsbedürfnis. Als Leiterin der Präsidentschaftskanzlei wollte sie ernsthaft gemeinsame Dienstfahrten mit dem Bundespräsidenten von acht Lotsen eskortiert wissen das Auto des Bundespräsidenten zwischen jeweils vier Begleitschutzfahrzeugen. Zugleich misstraute Margot Löffler dem Sicherheitspersonal, insbesondere Klaus Heidfogel, der als Staatspolizist im Schutzund Begleitteam für die Sicherheit des Präsidenten zu sorgen hatte. Sie lebte in ständiger Furcht um ihre und des Präsidenten persönliche
Sicherheit und vor der Aufdeckung einer ohnedies stadtbekannten Liaison. Möglicherweise war dieses Trauma eine Folge ihrer Arbeit an der Österreichischen Botschaft in Moskau, wo schwer zu unterscheiden war, ob der sowjetische Sicherheitsapparat das Botschaftspersonal gerade bewachte oder überwachte. Der Staatspolizist begleitete den Bundespräsidenten auf dessen Wunsch an mehreren Wochenenden zu dessen Privatdomizil im steirischen Feistritz. Die Wirtin eines nahe gelegenen Gasthauses erzählte ihrem Wiener Gast vom Heisshunger des Bundespräsidenten, der sich regelmäßig doppelte Portionen in sein Landhaus bringen lasse, obwohl seine Ehefrau Edith leider schon so lange nicht mehr in Feistritz aufgekreuzt sei. Klaus Heidfogel und seine diensteifrigen Kollegen vom Sicherheitsdienst bemerkten auf ihren Sicherheitstouren des öfteren ein in unmittelbarer Nähe des Klestilschen Refugiums geparktes Auto mit einem Tiroler Kennzeichen. Weil ihnen dies in dieser Gegend ungewöhnlich erschien, stellten sie Nachforschungen an und ermittelten, dass es sich um ein auf den Namen der Leiterin der Präsidentschaftskanzlei gemietetes Auto handelte. Derlei Vorkommnisse unterliegen nicht nur in Österreich der Pflicht zur Berichterstattung. Der Bundespräsident und seine Kanzleileiterin erhielten mithin Protokolle über ihr sorgsam gehütetes trautes Beisammensein im Landhaus der Klestils in die Wiener Hofburg frei Haus nachgeliefert. Verständlicherweise befanden sich beide in großer Sorge vor einer medialen Aufbereitung ihrer Liebesbeziehung. Margot Löffler lud ihre Angst vor einer Aufdeckung auf den in allen Dienstzeugnissen bestens beschriebenen Abteilungs-Inspektor der Staatspolizei, Klaus Heidfogel, ab. Auf bloßen Verdacht hin machte sie ihrem Sicherheitsbeamten das Berufsleben schwer und versuchte ihn von seinem mit Auslands- und Überstundenzulagen finanziell Aufgefetteten Posten zu vertreiben. Bei einer zufälligen Begegnung mit einem hohen Beamten des Außenministeriums im Wiener Nobelrestaurant „Zum schwarzen Kameel" erzählt Klaus Heidfogel diesem von seinen unerklärlichen beruflichen Schwierigkeiten und dem unverhohlenen Misstrauen, das ihm die Kanzleileiterin Margot Löffler entgegenbrachte. Der leutselige Diplomat äußerte sein Befremden über Margot Löfflers Umgang mit ihren Mitarbeitern, heuchelte aufrichtige Teilnahme am Los des
kleinen Sicherheitsbeamten und versprach Klaus Heidfogel absolute Vertraulichkeit über den Inhalt dieses Gesprächs. Noch zur selben Stunde rief er bei Margot Löffler in der Präsidentschaftskanzlei an, um ihr brühwarm alles zu vertratschen. Damit war es um die berufliche und private Zukunft eines kleinen Staatsdieners auch schon geschehen. Wenige Wochen später wurde der Staatspolizist von der Bundespolizeidirektion Wien, Abteilung I, Büro für Staatsschutz, Personen- und Objektschutz, schriftlich aufgefordert, von Januar bis März 1994 einen dreimonatigen Kurs zu belegen. Der verwunderte Klaus Heidfogel bat um einen Termin bei Michael Sika, dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. Von diesem Gespräch gibt es zwei Versionen. Eine davon schildert Michael Sika in seinem Buch „Mein Protokoll. Innenansicht einer Republik" (Niederösterreichisches Pressehaus, St. Polten - Wien Linz, 2000.) Die andere stammt von Klaus Heidfogel und besitzt ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, zumal der sonst so penible frühere Generaldirektor für öffentliche Sicherheit die „protokollarische" Aufzeichnung dieses Gesprächs in seinem Buch - bewusst oder unbewusst - um ein Jahr vorverlegt hat. Michael Sika beschreibt Personenschützer als „Mädchen für alles", mit denen es häufig Schwierigkeiten gibt, „weil die Herren natürlich wissen, dass sie mehr tun, als sie müssten". Das Gespräch mit Klaus Heidfogel nennt er den „schlimmsten und heikelsten Fall dieser Art". Der ihm seit langem bekannte Staatspolizist sei bei ihm erschienen und hätte ihm von seinem Verdacht berichtet, dass „der Präsident einer seiner Mitarbeiterinnen näher stehe, als das üblich sei. Dieses besondere Naheverhältnis sei durch die Hofburg mit ihren geheimen Gängen und Winkeln begünstigt. Schon die Habsburger hätten die Geographie des Hauses zu ähnlichen Zwecken genützt." Den höchsten Polizisten der Republik verbindet mit Thomas Klestil eine enge Freundschaft schon seit dessen Zeiten im Außenministerium. „Die Chemie zwischen Thomas Klestil und mir stimmte vom ersten Tag an. Ich schätzte seine offensive, zupackende Art, an die Probleme heranzugehen. Er war ein brillanter Generalsekretär im Außenamt, mit dem man etwas bewegen konnte." Als Thomas Klestil von der Volkspartei als ihr Präsidentschaftskandidat präsentiert wurde, will der „rote" Michael Sika seinem „schwarzen" Freund Klestil
gesagt haben: „Ich bin felsenfest überzeugt, du hast beste Chancen, Bundespräsident zu werden." Michael Sika wusste von der Trennung des Bundespräsidenten von seiner Ehefrau und der Liebesbeziehung mit seiner engsten Mitarbeiterin in der Präsidentschaftskanzlei. „So eine Konstellation gibt es zwischen Boden- und Neusiedler See vieltausendmal", behauptete er. Der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit befragte seinen Mitarbeiter nach Indizien für seine Vermutungen. Dieser erzählte seinem Chef möglicherweise im Sog eigener Selbstüberschätzung von diversen Vorfällen, darunter auch von den Besuchen Margot Löfflers des Nachts im Landhaus der Klestils im steirischen Feistritz. „Ich war ehrlich entsetzt", berichtet Michael Sika. Er hätte dem Beamten ein „illoyales Verhalten gegenüber dem Bundespräsidenten" vorgeworfen und ihn gewarnt, „auch nur ein Sterbenswort weiterzuerzählen", ja, Michael Sika drohte ihm „Übles an, sollte etwas davon an die Öffentlichkeit gelangen". Diese Schilderung trägt Züge literarischer Phantasie. Vergleichbar verfährt ein Romanautor, der eine reale Person schildert, sich dabei aber nicht den Fakten, sondern einer „höheren Wahrheit" verpflichtet fühlt. Was der Informant denkt, besser, was er, wenn er konsequent wäre, eigentlich denken müsste, weiß der Fragesteller stets besser als der Informant selbst. Ein solches Verhalten drängt zur permanenten Verheimlichung. Wenn das nicht funktioniert, erfolgt der Rückzug auf euphemistische Wendungen, die das Vorgefallene schlicht und einfach bagatellisieren. Der Staatspolizist schildert seine Begegnung mit Michael Sika kürzer und sehr glaubwürdig. Er hätte dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit von seinen Schwierigkeiten mit Margot Löffler berichtet und auf Befragen gemeint, schuld daran sei möglicherweise der Verdacht der Leiterin der Präsidentschaftskanzlei, er hätte etwas von ihrem Verhältnis mit dem Bundespräsidenten mitbekommen. Daraufhin hätte Michael Sika ihn gebeten, seine Vermutungen an niemanden weiterzugeben. Die Freundschaft mit dem Bundespräsidenten und der politische Wille, die Sache aus der Welt zu schaffen, dürften den juristischen Verstand getrübt haben. Laut Sikas „protokollarischen" Aufzeichnungen warf er seinem Mitarbeiter weder Nötigung vor, noch drohte er mit arbeits- bzw. beamtendienstrechtlichen Konsequenzen. Auch von straf-
weisen Kursbesuchen und der Versetzung an eine andere Dienststelle scheint in diesem Vieraugen-Gespräch nicht die Rede gewesen zu sein. Unmittelbar nach diesem Gespräch suchte Michael Sika den Bundespräsidenten auf und informierte ihn von den Leiden des vertrauensseligen Staatspolizisten. „Klestil war sehr bedrückt", schreibt der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit. „Über den Beamten war er verärgert und klagte, dieser sei frech, ja aufsässig und stehe im Verdacht, Informationen aus dem Haus zu tragen." Ein schwerer Vorwurf, der wiederum keine angemessenen Konsequenzen zur Folge hatte. Michael Sika riet dem Bundespräsidenten, „zunächst nichts zu unternehmen und noch zuzuwarten. Dem Beamten sei zuzutrauen, mit dieser Geschichte in die Medien zu gehen, sollte es Maßnahmen geben." Wenige Wochen vor dem Antritt seines Kurses bat der Staatspolizist um einen Termin beim Bundespräsidenten, versicherte ihm seine Loyalität und fragte ihn nach den Gründen für den ihm auferlegten dreimonatigen Kurs und ob er dann wiederum seinen Sicherheitsdienst in der Präsidentschaftskanzlei versehen dürfe. Der Bundespräsident hätte ihm gesagt, dass er mit diesem Kurs nichts zu schaffen habe. Er werde sich beim Polizeipräsidenten erkundigen, was da vor sich gehe, und diesem empfehlen, Klaus Heidfogel in der Präsidentschaftskanzlei zu belassen. Den Bundespräsidenten, sagt Heidfogel, hätte möglicherweise stutzig gemacht, dass er ihm mehrmals seine „besondere Loyalität" versichert habe. Gemeint waren damit Aufträge vom Koffertragen bis zur Ablage des Mantels an der Garderobe, die nicht unbedingt im Pflichtenheft eines Personenschützers stehen. Thomas Klestil will dies als Drohung verstanden haben. „Wie ich später erfuhr", schreibt Michael Sika, „soll dieser Mann zuletzt beim Bundespräsidenten vorgesprochen und versucht haben, ihn mit seinem Wissen unter Druck zu setzen. Eine beschämende Haltung", meint Michael Sika, die seltsamerweise ohne beamtendienstrechtliche Konsequenzen blieb. In höchster Not wandte sich Klaus Heidfogel an seine Freunde in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und an sozialdemokratische Parteifreunde im Parlament und in der Bundesregierung. Fast alle sprachen ihm persönliches Beileid aus und rieten ihm, sich doch nicht mit dem Bundespräsidenten anzulegen. Recht oder Unrecht - das Staatsoberhaupt steht über den Dingen.
Quod licet lovi, non licet bovi. Was Gott erlaubt ist, darf der Ochs noch lange nicht. Ein Grundgesetz der Menschen- und der Götterwelt. Es gilt da, wo die Rangordnung dem Leben seine Form gibt. Die Revolutionen der Moderne hatten sich zwar die Gleichheit zum Ziel gesetzt - und ersetzen doch immer nur eine Elite durch eine andere. Klaus Heidfogel erlebte die Geschichte des Michael Kohlhaas andersherum: Dem Opfer wurde Stillschweigen empfohlen, die „Täter" sannen auf Rache. In seinem „Protokoll" vermerkt Michael Sika, der unversehens unter die Räder einer unappetitlichen Intrige geratene Sicherheitsbeamte sei bald danach aus der Hofburg in die Zentrale der Wiener Staatspolizei versetzt worden. Es hätte mit diesem aufsässigen Beamten noch „unzählige Querelen" gegeben, „bis er endlich nach einigen Monaten aus dem Polizeidienst ausschied". Auch hier weicht Klaus Heidfogels Darstellung von Sikas „protokollarischen" Aufzeichnungen ab. Er sei zum Kursbesuch angetreten und mangels anderer Teilnehmer gebeten worden, von einem weiteren Besuch dieses Kurses Abstand zu nehmen. Der Amtsarzt hätte ihm geraten, sofort in den Krankenstand zu gehen und aus gesundheitlichen Gründen um eine vorzeitige Pensionierung anzusuchen. „Ich war damals 48 Jahre jung und durchaus noch gesund." Er wusste nicht, wie ihm geschah. Der immer noch sportliche frühpensionierte Staatspolizist zeigt einen Videofilm, der ihn im Tor des Fußballclubs Präsidentschaftskanzlei gegen die Vergnügungsmannschaft ,,FC Fröstl" präsentiert. Im Anschluss an dieses Fußballspiel schoss ein gut gelaunter Bundespräsident einige Elfmeter gegen das von seinem Sicherheitsmann bewachte Tor. „Ich habe fast alle Elfer gehalten", ist Klaus Heidfogel immer noch stolz auf seine sportliche Glanzleistung. „Das war am 24. September 1993, und vier Monate später wurde ich aus gesundheitlichen Gründen in die Frühpension geschickt." Klaus Heidfogel kann da nur grimmig lachen. In seinem gesundheitlichen Untauglichkeitszeugnis wird auf seine Beschwerden beim Sitzen, Stehen und Gehen hingewiesen. Der pensionierte Abteilungsinspektor der Staatspolizei steht heute noch gut und sicher im Fußballtor von Vergnügungsmannschaften. Bei seinem vorzeitigen Abschied aus dem Staatsdienst bescheinigte ihm Anfang Juli 1994 der Vizepräsident der Wiener Polizeidirektion, Günther Marek, ein stets untadeliges Verhalten, das mit dem persönlichen Dank der Bundesprä-
sidenten Rudolf Kirchschläger und Kurt Waldheim sowie mit Auszeichnungen der Republik Österreich gewürdigt wurde. „Herr Heidfogel", soll der Wiener Polizeivizepräsident Marek vor versammelter Runde gesagt haben, „Sie gehen von heute an aus gesundheitlichen Gründen in Pension." Für alle vernehmbar soll Günther Marek sich an dieser Redestelle mehrmals geräuspert und ihm versichert haben: „Aber Sie, Herr Heidfogel, trifft keinerlei Schuld daran." Nach seiner frühen Pensionierung fiel Klaus Heidfogel in ein tiefes seelisches Loch. Seine Ehe ging in die Brüche. Er hadert immer noch mit seinem Schicksal und verfolgte die vermeintlich Schuldigen mit bitterbösen Ansichtskarten und Leserbriefen. Aus dem Urlaub schickte er Michael Sika eine Ansichtskarte, auf der die Kehrseite von vier nackten Kindern am Strand abgebildet war. „Der Gruß aus dem Urlaub war ganz offensichtlich nicht als Liebesbeweis gedacht", vermutet der pensionierte Generaldirektor für öffentliche Sicherheit. In einem Leserbrief an ein Boulevardmagazin ärgerte er sich über das „Fehlverhalten des Bundespräsidenten" und vermutet dahinter „die Spitze eines Eisberges". Denn: „Die Causa Klestil-Löffler sowie das unnatürliche und arrogante Verhalten haben sicherlich keine Vorbildwirkung auf die Bürger dieses Landes. Von einem Staatsoberhaupt, dessen Bild sämtliche Ämter und Schulen ziert, könnte man schon mehr staatsmännisches Verhalten erwarten. Da dies nicht der Fall ist, kommt man zu dem Schluss: Gott schütze Österreich vor einer weiteren Amtsperiode dieses feinen Herrn."
Michael Sikas „Protokoll" über die „Innenansichten einer Republik" löste ein gewaltiges Medienecho aus und bescherte seinem Buch einen starken Verkaufserfolg. „Ich weiß sehr gut, wie man Geheimnisse so zwischen den Zeilen verpackt, dass sie nicht klagbar sind." Redakteure der „Kronen Zeitung" wussten dies weniger gut und berichteten Ende August 2000 in einem Vorabdruck seines Buches von einem Beamten auf Abwegen. Überschrift des zweiseitigen Artikels: „Ein Staatspolizist erpresst Klestil". Daneben der Bildtext: „Ein Beamter, der zu Klestils Schutz eingeteilt war, versucht den Präsiden10n zu erpressen."
„Da nur ich gemeint gewesen sein konnte, weil es keinen anderen Staatspolizisten im Schutz- und Begleitteam des Bundespräsidenten gab, beriet ich mich mit meinem Rechtsanwalt Dr. Gabriel Lansky. Denn immerhin bezieht sich der Vorwurf der Erpressung auf eine strafrechtlich verbotene Handlung. Das konnte und durfte ich nicht auf mir sitzen lassen", rechtfertigt Klaus Heidfogel seine Privatklage gegen den Erstbeschuldigten, einen Redakteur der Tageszeitung „Neue Kronen Zeitung", und den Zweitbeschuldigten Michael Sika, den pensionierten Generaldirektor für öffentliche Sicherheit. Einem Konflikt, so erfährt man von Menschen, die Klaus Heidfogel privat und beruflich begleitet haben, ist der Staatspolizist nie aus dem Weg gegangen. Nicht aus Lust am Streit, sondern aus Überzeugung in der Sache. Manche attestieren ihm einen gewissen Hang zu eigenmächtigen Entscheidungen. Man könnte ihn auch, positiv gewendet, einen selbständigen Beamten nennen. Die Staatsaristokratie hatte ihn zwar ohne arbeits- und dienstrechtliche Verfahren, sondern aus „gesundheitlichen Gründen" in allen Ehren in die Frühpension entlassen, weil er ihr unkontrollierbar erschien. Dafür, so scheint es, hat dann Michael Sika die Kontrolle über sich selbst verloren, als er die Hintergründe dieser schmutzigen Geschichte in seinem „Protokoll" nach eigenem Gutdünken ausleuchtete und der „Kronen Zeitung" zur medialen Verwertung freigab. „Der Privatankläger und Antragsteller wurde aufgrund dieses Berichtes mehrfach von Dritten mit dem Vorhalt konfrontiert, er habe den Herrn Bundespräsidenten erpresst", hieß es in der Anklageschrift des Rechtsanwalts Gabriel Lansky an das Landesgericht für Strafsachen Wien. „Ich hatte keine andere Wahl, als vor Gericht zu gehen. Denn ich musste ständig meinen Ruf als vermeintlicher Verbrecher, als Erpresser rechtfertigen", wurmen Klaus Heidfogel heute noch Textstellen in Michael Sikas Buch und in der Reportage in der „Kronen Zeitung". Zur Wiederherstellung seines offensichtlich beschädigten Rufs wollte der frühpensionierte Staatspolizist Bundespräsident Thomas Klestil im Zeugenstand sehen - jenen Mann, der, wenn die Wahrheit gesiegt hätte, vor Gericht hätte aussagen müssen, von seinem Sicherheitsbeamten nie erpresst worden zu sein. Der ehemalige Staatspolizist Klaus Heidfogel wäre vor Gericht von seiner Amtsverschwiegenheit entbunden worden und hätte vor
einer breiten Öffentlichkeit die Zustände in der Wiener Hofburg aufrollen können. Begreiflicherweise waren daran weder der Bundespräsident und seine zweite Ehefrau als damalige Kanzleileiterin in der Hofburg noch Michael Sika interessiert. Der frühere Generaldirektor für öffentliche Sicherheit zog sich elegant aus der Affäre, indem er darauf hinwies, dass allein die „Kronen Zeitung" von einer „Erpressung" geschrieben habe. Ihm wäre das nie eingefallen. In seinem Buch „Mein Protokoll" sei lediglich davon die Rede gewesen, dass sich der Bundespräsident „unter Druck" gesetzt gefühlt habe. So hätte er Thomas Klestil verstanden. Was immer geschehen sei, „es war beschämend". Und Sika lässt den Leser im Unklaren, für wen denn eigentlich. Vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien wehrte sich Klaus Heidfogel gegen den Vorwurf, „den Bundespräsidenten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt zu haben", die Thomas Klestil in seinem Vermögen geschädigt habe. Denn auch der durchschnittliche Leser der „Kronen Zeitung" weiß, dass der Vorwurf einer „Erpressung" eine .strafrechtswidrige Handlung ist. Das Landesgericht für Strafsachen Wien wies diese Privatanklage ab. Daraufhin brachte der Staatspolizist eine Beschwerde beim Oberlandesgericht Wien ein. Auch dieser Beschwerde wurde keine Folge geleistet. Senatspräsident Ernest Maurer und seine beiden Kollegen hängten einen mit juristischen Spitzfindigkeiten und Haarspaltereien dicht gewebten verfahrensrechtlichen Vorhang vor Thomas Klestils Biographie. Falscher juristischer Ansatz, keine Chance! Denn der Privatkläger würde lediglich den ersten Satz im Bericht der „Kronen Zeitung" inkriminieren, in dem es heißt: „Ein Staatspolizist, der den Bundespräsidenten beschützen sollte, Klestil aber mit dessen Privatleben erpresst", sowie die Überschrift „Ein Staatspolizist erpresst Klestil" und die Bildunterschrift: „Ein Beamter, der zu Klestils Schutz eingeteilt war, versucht den Präsidenten zu erpressen." Hingegen hätte Klaus Heidfogel an anderen Textstellen in diesem Zeitungsbericht offensichtlich nichts auszusetzen. „Weder der durchschnittliche Kronen Zeitungs-Leser, dem keine juristische Bildung unterstellt werden kann, noch Personen mit Strafrechtskenntnissen verstehen den Teil des Berichts, der sich mit der
Person des Antragstellers auseinandersetzt, als Darstellung einer Erpressung in Sinne des § 144 des Strafgesetzbuches, die Bereicherungsabsicht sowie eine Vermögensschädigung des Erpressten fordert", heißt es im verschlungenen Juristendeutsch der Senatsmitglieder des Oberlandesgerichtes Wien. Letztlich hätte Klaus Heidfogel in seiner Privatklage nicht bestritten, dass er „im Falle seines dienstlichen Abzuges aus der Hofburg über Betreiben Margot Löfflers die Öffentlichkeit von deren Beziehungen zum Bundespräsidenten informieren werde" - ein Verhalten, das „allenfalls unter dem Tatbestand der Nötigung zu subsumieren wäre". Diese Absicht hätte Heidfogel „nicht in Abrede" gestellt, woraus geschlossen werden muss, dass er auf den Bundespräsident Druck ausgeübt habe. Verfahrensrechtliche Einwände sind die elegantesten Hindernisse unterwegs zur biblischen Vorstellung, dass Recht recht bleiben müsse und für alle gleiches Recht gelte. Hatte Klaus Heidfogel auch seine Beschwerde vor dem Oberlandesgericht auf die „gesamte Sachverhaltsdarstellung" in der „Kronen Zeitung" ausgedehnt, so wurde ihm nun vorgehalten, es sei ihm doch nur um „den Vorwurf der Erpressung im Sinne des § 144 Strafgesetzbuch" gegangen, „also um Druckausübung mit der Absicht, den Bundespräsidenten an seinem Vermögen zu schädigen und sich selbst zu bereichern". Zwar sei Klaus Heidfogel kein „Erpresser". Gegen die Behauptung, vielleicht doch „in unzulässiger Weise Druck (auf den Bundespräsidenten) ausgeübt zu haben", hätte er sich vor Gericht keineswegs gewehrt. „Zu Recht hat daher das Erstgericht das Verfahren eingestellt, sodass der Beschwerde ein Erfolg versagt bleiben musste", heißt es in der Begründung des Oberlandesgerichts Wien. Den frühpensionierten Staatspolizisten sollte sein Versuch, sich Recht zu verschaffen, schlecht und teuer zu stehen kommen. Er wurde in erster und zweiter Instanz zur Zahlung der Kosten der Gerichtsverfahren und seines rechtlichen Beistands verdonnert. Ein starker Trost ist ihm dennoch geblieben. Die „Kronen Zeitung" wurde zur Veröffentlichung seiner „Gegendarstellung" verpflichtet, in der es hieß: „Sie behaupten in der Neuen Kronen Zeitung vom 29. August 2000 auf den Seiten 4 und 5 sinngemäß, dass Herr Klaus Heidfogel Herrn Bundespräsidenten Dr. Thomas Klestil erpresst habe. Diese Tatsachenbehauptung ist unwahr. Herr Klaus Heidfogel hat Herrn Bundespräsidenten Dr. Thomas Klestil weder erpresst noch son-
stige strafrechtswidrige Handlungen gegenüber Herrn Bundespräsidenten Dr. Thomas Klestil gesetzt." Warum dann aber wurde Klestils Personenschützer mit 48 Jahren frühpensioniert? Warum dann aber wurde der kleine Sicherheitsbeamte in ein tiefes seelisches Loch gestürzt und eine Ehe zerstört? Warum dann aber wurden die SteuerZahler zu vorzeitigen Pensionszahlungen an einen Staatsbeamten verurteilt, der gut und gerne dem Staat noch zehn Jahre gedient hätte?
DER ROSENKRIEG: KLESTIL GEGEN KLESTIL
Trennungswitwe zu werden ist ein Einschnitt in das Leben fast jeder Frau, die sich an einen „normalen Lebenslauf' gehalten hat. Trotzdem bietet die Gesellschaft dafür kaum sozialen Raum, Identitätsbilder, Symbole. Grabbesuch an bestimmten Tagen, schwarze Tracht und Trauerjahr markieren den Wechsel schwarzer Witwen von einem Lebensabschnitt in einen anderen. Für Frauen, die auf der letzten Etappe ihres Lebens unvermutet zum Auszug aus dem gemeinsamen Haushalt, in die Trennung getrieben werden, gibt es keine Übergangsrituale, kein Trauerjahr und keine soziale Kontrolle. In der Öffentlichkeit gibt es tapfere Krieger- und Heldenwitwen, die Witwe Bolte, Politikerwitwen, Unternehmerwitwen, Gesellschaftswitwen mit falschen Tränen am Grab und oft gefürchtete Künstlerwitwen. Trennungswitwen aber gibt es praktisch keine. Sie bieten keinen Stoff fürs Fernsehen und für die Klatschspalten, außer sie kratzen am Image ihres untreuen Ehemanns, was Journalisten dann gern zur lustigen Metapher von der indischen Witwenverbrennung greifen lässt. Wenn der Mann tot ist, dann gehört die Frau auch schon ein bisschen zum Schattenreich. Verlässt er seine Frau nach bald vierzigjähriger Ehe, soll es nicht anders sein. Die Trennungswitwe bleibt in der Höhle, der untreue Mann geht wieder auf die Jagd. Edith Klestil hatte den von Psychoterror, Lügen und Positionskämpfen gesäumten Weg in eine letztlich unvermeidliche Trennung sorgfält i g vorbereitet. Der lange Kalte Krieg in der Präsidentenvilla auf der Hohen Warte ließ ihr, sagte sie, keine andere Wahl.
Der Abschied vom angetrauten Lebenspartner „war für mich ein letzter möglicher Schritt, um nicht unterzugehen". Sie wollte auf Dauer kein Leben führen, das ein ewiges Leiden und Wegschauen bedeutet hätte. „Das will ich nicht und das kann ich nicht. Aber ich hege keine Rachegefühle", schilderte sie der „News"-Reporterin Senta Ziegler ihre seelische Befindlichkeit: „Ich werde auch keine Geschichterln erzählen. Mein Gefühl ist eindeutig: 40 Jahre Ehe wirft man nicht einfach weg." Kurz vor der Trennung sammelte sie einiges von dem ein, was in dieser langen Partnerschaft an materiellen Gütern erwirtschaftet worden war: Sparbücher, Wertpapiere, Kontenauszüge, Dokumente, persönliche Wertgegenstände und Geschenke — kein Revanchefoul, wie es seinerzeit hieß, sondern materieller Schutz für die erste Zeit nach der Trennung und Erinnerungen an den schöneren Teil der gemeinsam verbrachten Jahre. Denn die schwierigste Zeit stand ihr noch bevor. Allein daheim in einer unwohnlich gewordenen Behausung in der Wiener Landesgerichtsstrasse, ohne Möbel, Schreibtisch, Teppiche, Bücher und Pflanzen. In solchen Situationen sucht jede verlassene Ehefrau Wärme und Unterstützung zunächst bei den Kindern, dann bei guten Freunden. Unabhängig davon, wie schlecht das Verhältnis innerhalb der Familie war, hegen Trennungskinder, wie alt immer sie sein mögen, den Wunsch, die Eltern würden wieder zusammenfinden. Die „tapfere" Edith Klestil, hieß es seinerzeit in der Wiener Gesellschaft. Sie mag dieses Wort nicht. Tapfer ist das Schneiderlein, tapfer kämpft man im Krieg und gegen eine übermächtige Krankheit. Das Wort „Tapferkeit" im Ehekrieg heuchelt scheinbare Anerkennung, gönnerhaft und herablassend. Tatsächlich braucht es starke Nerven und Gelassenheit, um unbeschadet all der kleinen Gemeinheiten rund um eine öffentliche Affäre die Restbestände einer Familie vor Angriffen zu schützen und wenigstens den äußeren Schein zu wahren. Jede Familie hat Themen und vertritt Haltungen, die auf geheimnisvolle Weise in den Seelen der Menschen kraftvoll und dynamisch wirken. Es ist verblüffend, weil man es nicht genau fassen kann. Es ist, als ob Kinder Einflüsse, Standpunkte, Äußerlichkeiten und Kräfte osmotisch aufnehmen, selbst wenn die Trennung ihrer Eltern sie unvorbereitet trifft. Ihren drei erwachsenen Kindern hat sie von Beginn an reinen Wein eingeschenkt: Ich wünsche kein Hin- und Hergerede über unsere
Krise. Ich will euch nicht vom Vater weg beeinflussen. Jeder soll seinen eigenen Standpunkt finden. Den zwei Söhnen Thomas und Stefan war dieser Standpunkt leichter zu vermitteln als der scheuen älteren Tochter, denen die vielen Fragen fremder Menschen weh taten und die vom Vater dazu ausersehen war, ihn als töchterliche „First Lady" bei offiziellen Anlässen zu begleiten. Edith Klestil konnte sich nicht vorstellen, wie ihre sensible Tochter Uschi mit dieser schwierigen Rolle zurechtkommen würde. Dass sie es schaffte, spricht für die eiserne Disziplin einer starken Mutter und ihrer Kinder. Von Präsidentenvilla, Tisch und Bett getrennt, zermürbt, doch weder psychisch noch physisch zerstört. Instinktiv habe sie sich für den Auszug aus dem gemeinsamen Haushalt entschlossen. „Denn ich wollte nicht zu drastischen Mitteln greifen müssen wie viele Frauen in ähnlichen Situationen, zur Flasche, zu Tabletten oder zu noch Ärgerem. Ich war nicht bereit, mich in eine Ecke drängen zu lassen, in die ich nicht hingehöre. Ich habe vierzig Jahre lang mein Möglichstes geleistet. Ich habe so gelebt, dass ich mir sagen kann, eigentlich habe ich alles so getan, wie ich glaube, dass man es tun soll. Ich wollte mir keine Vorwürfe machen, wenn einmal etwas schief gehen sollte." Vor allem aber wollte Edith Klestil allen Bezugspersonen zeigen, „dass ich weder krank noch hysterisch und depressiv bin" - ein Ruf, der ihr von besonderer Seite in durchaus meuchelmörderischer Absicht angedichtet worden war. Edith Klestil hätte sich rächen können und sie tat es nicht. Wenige Wochen nach ihrem Auszug aus der Präsidentenvilla meldeten renommierte Verlage ihr Interesse an einem Enthüllungsbuch an. Die alleingelassene Trennungswitwe aber lehnte die kommerzielle Verwertung privater Lebensmomente entschieden ab. Sie tat dies ein paar Monate nach ihrer Scheidung und vor der Widerkandidatur Thomas Klestils cm zweites Mal. Wiederum siegten Stolz, Anstand und Charakter über billige Rachsucht. Die Trennungswitwe stand freilich nicht „mutterseelenallein" und ohne Unterstützung alter Freunde ihren ersten Schmerz durch. Nur nicht unterkriegen lassen, auch nicht von den schlimmsten Niederlagen. Atem holen, Kraft schöpfen und akzeptieren lernen, dass das Leben weitergeht. Wenige Stunden nach ihrem Auszug aus der Präsidentenvilla meldete sich Edith Klestil am Neujahrstag 1994 -just zu der Zeit, da ihr
abtrünniger Ehemann mit Margot Löffler das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Musikverein besuchte - beim befreundeten Ehepaar Alois und Edith Mock. Der legendäre Außenminister stürzte sich mit Feuereifer in heftige diplomatische Vermittlungsbemühungen. Er sei dabei bis an die Grenzen seiner physischen und psychischen Möglichkeiten gegangen, hieß es damals in der politischen Gerüchteküche, sodass er mit hoher Temperatur zusammenbrach und mehrere Tage das Bett hüten musste. In der ersten Januarwoche 1994 holte Edith Klestil Rat beim befreundeten Rechtsanwalt Michael Graff, besuchte dessen Familie im Urlaubshotel Panhans am Semmering und schilderte ihre verzweifelte Lage. Unverzüglich versuchte auch der Justizsprecher der Volkspartei seinen Freund Thomas Klestil in der Hofburg zum Einlenken zu bewegen. Dem Vernehmen nach soll Michael Graff den Bundespräsidenten aufgefordert haben, sich von der Leiterin seiner Präsidentschaftskanzlei, Margot Löffler, zu trennen und die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der ehelichen Partnerschaft und für gemeinsame Auftritte mit seiner Ehefrau in der Öffentlichkeit zu schaffen. Dabei sei auch unter Freunden über die „politische Dimension" dieser peinlichen Affäre gesprochen worden - über den Ärger einer veruntreuten konservativen Wählerschaft und das Risiko harter politischer Konsequenzen, einen Rücktritt als Bundespräsident nicht ausgeschlossen. Politiker treten nicht zurück, weil sie einen Fehler gemacht haben. Sie treten zurück, weil die eigenen Leute nicht mehr bereit sind, ihre Fehler zu tolerieren, lautete die unmissverständliche Botschaft an den Bundespräsidenten. Wenn man den politischen Betrieb seiner modernen Erscheinungsformen entkleidet, werden ernüchternderweise die Gesetze der Pavianherde sichtbar. Wir werden immer wieder von unseren primitiven Anlagen verführt", seufzt der Zürcher Psychiatrie-Professor Jules Angst. Wer am lautesten brüllend durch den Urwald tobt, besonders gravitätisch Paraden abnimmt oder auch hartnäckig Fakten leugnet, wird als Alpha-Männchen anerkannt, dem die anderen Männchen bereitwillig folgen. Da den Weibchen in der Pavianherde die Brutpflege zugedacht ist, haben selbständige Frauen mit diesen archaischen Mustern schwer zu kämpfen. Das gilt besonders in Zeiten äußerer Gefahr. Ein Problem haben Männer heute allerdings: Die Ansprüche der Frauen lassen sich nicht so einfach abwehren wie bei den Pavianen
oder in einem islamitischen Gottesstaat. Ihre Gleichberechtigung gilt offiziell als selbstverständlich und ist für funktionierende Partnerschaften unerlässlich. Die meisten Männer haben das begreifen gelernt und nehmen das auch ernst. Andere müssen über die Bande spielen. Thomas Klestils politische Freunde mussten in jener Zeit ein vor allem bei Eltern mit pubertierenden Kindern bekanntes Phänomen beobachten. Sie erreichen grundsätzlich das Gegenteil dessen, was sie mit Tadel, Ermahnungen und gutem Zureden bezwecken. Mehr verliebt als weise, überführt und dennoch verstockt, zur Besonnenheit angehalten und dennoch uneinsichtig, bestritt der Bundespräsident kaltschnäuzig jede Beziehung zu Margot Löffler: „Ich könnte meine Frau gar nicht betrügen, weil ich rund um die Uhr von vier Staatspolizisten bewacht werde. Mein Privatleben ist auf Null reduziert", versuchte er Reportern des bunten Klatschmagazins „News" weiszumachen. Trotz dieser irrationalen Dementi bemühte sich auch der Bundesobmann der Österreichischen Volkspartei, Erhard Busek, in „sehr persönlichen" Gesprächen mit dem Bundespräsidenten und dessen Söhnen im Ehedrama zu kalmieren. Verlorene Liebesmühe. Der Bundespräsident, tief getroffen von der Entscheidung seiner Ehefrau, aus der degoutanten „Menage ä trois" auszubrechen und ihn ohne Rücksicht auf denkbare politische Folgen zu verlassen, stand treu zu seiner Geliebten. In einem der letzten Telefongespräche mit seiner Ehefrau akzeptierte er die Trennung und bat sie, allfällige Scheidungspläne aus politischen Gründen mit seiner Amtszeit abzustimmen. Seine Trennungswitwe war einverstanden. „Scheidung kam für mich nicht in Frage", erzählte sie Senta Ziegler. „Ich habe ihm in unserem Telefongespräch mein Angebot gemacht, die Dinge in Ordnung zu bringen und dass wir uns versöhnen. Er hat darauf gesagt, er kann das derzeit nicht annehmen. Aber wir haben jetzt genügend Zeit, uns alles zu überlegen." In den ersten Wochen nach ihrer Trennung vom Bundespräsidenten hoffte Edith Klestil noch auf ein glückliches Ende des Ehedramas, /umal beide Teile keine Scheidung wollten. Sie baute auf eine in vier/ig Ehejahren entwickelte tiefe geistige Beziehung als Basis für einen neuen Beginn. „Ich muss dieses Ziel nicht um jeden Preis erreichen, aber es wäre das Ideal", meinte sie. „Wir müssten sehr viel miteinander reden. Dies würde seine Zeit dauern." Doch „ich kann nicht für
jemanden sprechen, von dem ich jetzt entfernt bin. Ratschläge kann man ihm auch keine erteilen. Aber jeder für sich müsste sehr viel an sich arbeiten, um zu sehen, ob wieder Verständigung herrschen und wieder eine Vertrauensbasis geschaffen werden kann. Ich will eine intakte Gemeinschaft führen. Wenn das nicht möglich ist, kann ich das alleine nicht erzwingen. Auch ich will keine faulen Kompromisse mehr." Rachegefühle waren nicht ihre Sache. Politische Konsequenzen oder gar einen Rücktritt ihres Ehemannes vom Amt des Bundespräsidenten lehnte sie kategorisch ab: „Ich würde das sehr bedauern, denn ich finde, er war und ist ein guter Bundespräsident. Und er wird auch weiterhin ein guter Bundespräsident sein." Als sie sechs Jahre später die finstere Miene ihres Exmannes bei der Angelobung einer MitteRechts-Regierung im Fernsehen beobachtete, korrigierte sie ihre Meinung und kritisierte die merkwürdige Haltung des Bundespräsidenten zu einer demokratisch legitimierten Bundesregierung. Für kurze Zeit keimte die leise Hoffnung auf, dem Altgedienten Ehepaar könnte eine öffentliche Auseinandersetzung und ein Rosenkrieg erspart bleiben. Außenminister Alois Mock drängte den Bundespräsidenten, sich von seiner Kanzleileiterin wenigstens beruflich zu trennen. Andernfalls müsse er Margot Löffler von sich aus ins Außenministerium Rückberufen. In Krisenzeiten halten Liebende zusammen wie Pech und Schwefel. Sie genießen das Jetzt-Erst-Recht-Gefühl: Wir gegen den Rest der Welt, denn unsere Liebe ist einmalig und wird alle und alles besiegen. Ihre Beziehung war unter der stillen Prämisse geschlossen, dass beide um die zählbar gemeinsamen Jahre wissen und keiner sich anders machen kann, als er vorher schon war. Und ausgemacht war für die beiden Laufbahndiplomaten die Vermeidung direkter Brüskierung, vorsätzlicher Kränkung und eines möglichen Skandals im klatschhaften politischen Österreich. So sehr Margot Löffler sich schon als künftige Ehefrau des Bundespräsidenten und vielleicht auch als österreichische Hillary Clinton in der Hofburg sah, so widerwillig sie sich auch einer Rückberufung ins Außenministerium gefügt haben mag, so diskret trug sie das Schicksal einer Geliebten auf beruflicher und politischer Distanz zur Präsidentschaftskanzlei. Eine explosive Persönlichkeit und ein Bedrängnisfaktor blieb sie allemal, wenngleich Außenminister Alois Mock mit einer Reihe
ehrenvoller und gut dotierter Auslandsposten alles versuchte, den Sicherheitsabstand zwischen ihr und der Hofburg zu vergrößern. Der Bundespräsident wagte erst gar nicht, seiner Kanzleileiterin von den Versetzungswünschen zu berichten, und schickte dem Vernehmen nach seinen Pressesprecher Heinz Nussbaumer mit dieser Kassandrabotschaft zu Margot Löffler. Dem Josephinischen Beamtenkodex verpflichtet, bestreitet der diskrete Diplomat, je einen solchen Auftrag vom Bundespräsidenten erhalten zu haben. Heinz Nussbaumer wurde schwer krank. Nach drei lebensgefährlichen Operationen an seinen Arbeitsplatz in die Hofburg zurückgekehrt, erfuhr er von seiner Abhalfterung und zog sich aus der Präsidentschaftskanzlei in den Ruhestand zurück. Allzeit loyal versichert er, „von Dr. Klestil in Harmonie geschieden" zu sein und dem Bundespräsidenten „weiter in Freundschaft verbunden zu bleiben". Margot Löffler, mutmaßliche Drahtzieherin seiner Frühpensionierung, bleibt in Heinz Nussbaumers Rückblick auf die Zeit in der Präsidentschaftskanzlei unerwähnt. Außenminister Alois Mock bot seiner Mitarbeiterin Spitzenjobs an den Generalkonsulaten in Genf, Chicago und in Los Angeles, das von Thomas Klestil Ende der sechziger Jahre eingerichtet worden war, an. Im Gespräch war auch die Leitung der Kulturinstitute in Paris oder Krakau. Margot Löffler lehnte alle Angebote dankend ab. Sie wollte in räumlicher Nähe zum Bundespräsidenten bleiben. Selbst München, wo gerade die Führung des Generalkonsulats zu besetzen war, wollte ihr nicht konvenieren, weil die bayerische Metropole immer noch zu weit weg war von der Wiener Hofburg. Mit der Konzilianz einer Rasierklinge beharrte sie auf einem ihrer abgeleiteten Bedeutung angemessenen und Gutdotierten Arbeitsplatz in der Nähe des Bundespräsidenten. Während Anfang März 1994 Mitglieder der Bundesregierung und hohe Beamte des Außenministeriums in Brüssel rund um die Uhr um die Bedingungen des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union feilschten, delektierten sich Thomas Klestil und Margot Löffler an Speisen ä la carte im Nobelrestaurant des Wiener Rennvereins im Palais Pallavicini am Josefplatz in der Wiener Innenstadt. Dabei von indiskreten Kollegen aus der Schlangengrube des Außenamts ertappt, verklärte die Präsidentschaftskanzlei das traute Beisammensein der Liebenden zu einem „hochkarätigen" Arbeitsessen: „Der Herr Bun-
despräsident hat verschiedene Gesprächspartner zum Mittagessen in den Wiener Rennverein eingeladen, so zuletzt auch Frau Dr. Margot Löffler, wenn es aktuelle politische Fragen zu besprechen gab." Die beiden Diplomaten dürften die Klärung offener politischer Fragen am darauf folgenden Wochenende in der Villa „Diana" ihres langjährigen Freundes Gernot Langes-Swarowski in Wattens bei Innsbruck fortgesetzt haben. Auf diese Weise verpasste der Bundespräsident die entscheidenden Stunden des Abschlusses von Österreichs Beitrittspakt mit der Europäischen Union. Thomas Klestil bestritt die von Spitzenbeamten des Außenministeriums kolportierte Version, er sei „nachweislich bei meinem Sohn in Innsbruck-Igls gewesen. Außerdem war ich permanent via Handtelefon erreichbar, habe auch permanent mit Brüssel telefoniert." Von einem Skiurlaub mit Margot Löffler könne daher keine Rede sein. Österreichs Verhandlungsteam in Brüssel darunter Außenminister Mock, Wirtschaftsminister Schüssel und Wirtschaftskammerpräsident Leopold Maderthaner - kann sich an telefonische Zwischenrufe des Bundespräsidenten nicht erinnern. Es ist unklug und unmenschlich, selbst Bundespräsidenten lebenslang in das Gefängnis ihrer politischen und menschlichen Fehler einzusperren. Ewiges Nachtragen und penetrantes politisches Moralisieren sind keine demokratischen Kategorien. Die angeblich bessere, weil parteifreie Gesinnung gegen die Parteipolitik als vorgebliche Quelle böser Realität auszuspielen, ist ebenso wenig der demokratischen Weisheit letzter Schluss, wenngleich dies zum Repertoire von über den Wolken schwebenden „volksverbundenen" Staatsoberhäuptern gehört. Sind auch pathetische Floskeln und konkrete politische Praxis schwer miteinander zu vereinbaren, so sollte doch in den obersten Regionen Österreichs darüber Klarheit herrschen, dass der Dienst am Staat Vorrang hat vor privaten Interessen. Denn in den Iden des März 1994 genoss die berufliche Zukunft Margot Löfflers absolute Priorität am Ballhausplatz. Demgegenüber verfiel im Blickwinkel mancher Beteiligten und Betroffenen Österreichs EU-Beitritt zu einer zweitrangigen Angelegenheit. Uneingeschränkt bewundern wir Menschen, die ihrer Umwelt mit arrogantem Selbstbewusstsein entgegentreten. Wer würde sich schon trauen, die Spitzen der Republik mit privaten Problemen zu belästigen, Staatsgeschäfte zu unterbrechen, bis sich endlich ein passender
Arbeitsplatz für eine ehrgeizige Beamtin findet, an der eine öffentlich geführte Ehe zerbrochen ist? So leicht wohl keiner. Es sei denn, er hätte nicht jeglichen Bezug zur Realität verloren und die selbstgefälligen Anwandlungen eines Wahlmonarchen samt Anhang mit eingebauter Megaüberzeugung vom Recht auf Vorzugsbehandlung. Die Verhandlungen über Margot Löfflers berufliche Zukunft im Außenministerium zogen sich dahin. Nichts schien ihr „adäquat", überall witterte sie die Voreingenommenheit männlicher Kollegen, elitärer, adeliger und kartellverbandlicher Zirkel sowie deren Neid auf ihre privilegierte Stellung in der Präsidentschaftskanzlei. Ein einfaches Mädchen aus dem Waldviertel lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Streng und fest hielt sie sich an eine populäre Spruchweisheit ihrer engeren Heimat: Mach das Beste aus deinem Typ! Lass dir die Butter nicht vom Kopf nehmen! Lass dir nichts gefallen! Setz dich durch! Parallel zu den Verhandlungen mit dem Außenministerium besprach sie auch mit Gernot Langes-Swarowski, Chef der Tiroler KristallglasDynastie, ihre beruflichen Perspektiven. Angeblich sei ihr der Job einer internationalen Marketingleiterin offeriert worden. „Margot Löffler ist eine tolle Frau", streut ihr der Tiroler Industrielle Rosen: „Ich wollte sie anstellen, wir haben einen Monat verhandelt, aber sie hat sich doch fürs Außenamt entschieden." Wenn ihr München z«.weit weg war von der Hofburg, warum hätte sie dann nach Innsbruck abwandern sollen, wunderten sich Kollegen aus dem Außenministerium seinerzeit über Margot Löfflers Abschiedspläne von der Beamtenlaufbahn. Böswillige Kollegen verpassten ihr den Ruf einer „Praktikantin". Halb im Spaß gesagt, machte das zynische Wort die Runde: „Wenn du keine Ruhe gibst, wenn du nicht akzeptieren willst, wo Gott wohnt und wie personelle Entscheidungen getroffen werden, kommt die Löffler und nimmt dir deinen Job weg." Zur Empörung der Beamtenschaft mündete Margot Löfflers kurvenreiche Karriere in die Bestellung zur „provisorischen" Leiterin des von Albert Rohan, einem engen Freund des Bundespräsidenten, geführten Generalsekretariats im Außenamt. Amtsinhaber Ralph Scheide wurde von diesem Posten abberufen und anstelle von Margot Löffler zum Leiter der Präsidentschaftskanzlei ernannt. Der Fama nach sei das Ralph Scheide gar nicht recht gewesen. Fast alle Beamten des Außenministeriums behaupteten hinter vorgehaltener Hand, dass der Bundespräsident massiv für Margot Löffler interveniert hätte.
Höflichkeit, hat ein kluger Kopf einmal gesagt, sei der Sicherheitsabstand zwischen Menschen. Davon ist in der Interventionsaffäre zugunsten Margot Löfflers Karriere im Außenministerium nicht viel übrig geblieben. Als ein einschlägiger „Krisengipfel" zwischen Außenminister Mock und dem drängenden Bundespräsidenten das Licht der staunenden Öffentlichkeit erblickte, stornierte Klestil sein Treffen mit Alois Mock. Er sei von dieser Indiskretion tief betroffen gewesen, entrüstete er sich, und drängte erst recht auf eine „freundschaftliche" Unterstützung der Karrierepläne seiner Geliebten. Wie sonst auch hätte eine Beziehung, die unter einem so großen öffentlichen Stress steht, so viel Druck und Anfeindungen unbeschadet überstehen können? Der guten Ordnung halber wurde Margot Löfflers mit höherem Dienstgrad und deutlich höherem Gehalt garnierter Führungsposten ausgeschrieben und bald darauf mit der von der Kollegenschaft beneideter und angefeindeter ehrgeizigen Beamtin definitiv besetzt. Von unbeständigem Geld sollte der Beständigkeit der Herzen fortan keine Gefahr drohen.
„ICH HABE PRIVATE SORGEN"
Unterhaltung und Politik haben sich in den letzten Jahren immer stärker vermischt. Von Jahr zu Jahr müssen die Wähler eine höhere Dosis davon ertragen. Als Bruno Kreisky am Rande des Schwimmbeckens seines spanischen Refugiums sich im Bademantel für Interviews zur Schau stellte, fragte das ganze Land: Darf er das? Als Jörg Haider seine schwere braune Kärntner Tracht gegen noble italienische Designermode eintauschte, höhnten viele: Was für ein Kleiderständer! Als Viktor Klima vor laufender Kamera mit seiner Sonja turtelte, dachten viele: Welch ein Mann! Aus Unterhaltung und Politik wurde Politainment - Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft, die symbiotische Beziehung zwischen politischen Erscheinungsweisen und ihrer medialen Aufbereitung. Eine Liaison zwischen Politik und Medien hat etwas Anrüchiges. Ein Kleidertausch, ein kleiner Flirt hier und da mag erlaubt sein, wenn
etwa Susanne Riess-Passer und Wolfgang Schüssel einander zuzwinkern. Doch sobald die erste und die vierte Gewalt sich ein Bett teilen, ist in der Regel Schluss mit lustig. Den vorläufigen Höhepunkt des Politainment, bei dem Politik nur noch als in den Medien inszenierte Show vorkommt, bei dem Institutionen und politische Zusammenhänge nicht mehr interessieren, war der Rosenkrieg Klestil gegen Klestil mit Margot Löffler im kräftig ausgeleuchteten Hintergrund. Der biedere Bundespräsident wollte sich mit einer rückhaltslosen Beichte im Klatschmagazin „News" selbst inszenieren: „Es stimmt, ich habe private Sorgen", klagte er in dieser Seifenoper so traurig, dass man ihm die Zuwendung eines Spezialisten für Operationen am offenen Herzen nach der Art des erfahrenen und verständnisvollen Schwarzwald-Doktors Klausjürgen Wussow gewünscht hätte. Eine ganz banale Geschichte, deren Potential anfangs episch ebenso wie journalistisch überschaubar schien. Doch rasch wuchs sie über die Dimension einer Prominenten-Trennung hinaus: eine Tragödie, eine Posse, ein Melodram, Studienobjekt für Beobachter des österreichischen Politainment. Eile und Würde sind Stiefschwestern. Wohl scheint die Mediengesellschaft nach raschen Stellungnahmen zu gieren, aber gerade deswegen sollten sich diejenigen, die ein hohes Amt innehaben, von jenen unterscheiden, die wie Marktschreier jeweils zuerst zu Wort kommen möchten. Zu jenen, für die sich Nachdenklichkeit und Zurückhaltung nicht nur geziemt, sondern denen sie auferlegt ist, gehört der Bundespräsident. „Eine Gelegenheit, den Mund zu halten, sollte man nie vorübergehen lassen", schrieb der geistreiche Spötter Curt Goetz Gentlemen und jenen, die es doch noch werden wollen, ins Stammbuch. Bei Diplomaten zählt die Fähigkeit, im Zweifel zu schweigen, zum handwerklichen Rüstzeug für die berufliche Karriere.
Wenn prominente Ehen kriseln, weiß das meist die journalistische Branche. Aber Boulevard-Journalisten bekommen ihre Tratschgeschichten erst schreibfertig angerichtet, wenn einer der Beteiligten darüber öffentlich spricht. Wenigstens einer muss, wie es im Klatschund Tratschgewerbe heisst, „geknackt" werden.
Im Fall von Edith und Thomas Klestil wusste die Branche längst, dass diese Ehe nur noch formal Bestand hatte. Doch in der Öffentlichkeit hielt die heile Welt - solange jedenfalls keiner der beiden den anderen öffentlich kompromittierte. In einer Medienrepublik, wo Menschen sich in Container stecken und von aller Welt beobachten lassen, wo Verliebte die Videos ihrer sexuellen Gemeinsamkeiten ins Netz stellen und Ehepaare ihre Rosenkriege im Fernsehen austragen, ist „Privatsphäre" ohnehin ein altmodischer Begriff. Die Grenzen haben sich verschoben - auch in der Politik. Weil die Wähler immer weniger zwischen Programmen unterscheiden können, interessieren sie sich dafür, wovon sie etwas verstehen: ob jemand seine Frau betrügt und mit wem oder ob er über den Durst trinkt. Politik wird auch vom Image bestimmt, das wie ein Escada-Kostüm an- und ausgezogen werden kann. Klatsch interessiert die Leute immer schon. In einer anonymen Gesellschaft, in der keiner mehr etwas über seine Nachbarn zu erzählen weiß, klatschen Medien wie „News", „Die ganze Woche" oder „profil" stellvertretend. Das alles würde allerdings nicht funktionieren, wenn die Prominenz nicht offen oder versteckt mitspielen würde. Warum sonst wohl hätte der Bundespräsident „News" anvertraut, dass er eheliche Sorgen habe? „Ich bitte um Verständnis, dass ich nichts Näheres sagen will", ersuchte der Bundespräsident um Diskretion, „weil dieses Problem nur meine Frau, mich und die Kinder, also die Familie betrifft." Mit präsidialer Attitüde wollte Thomas Klestil sich in die republikanische Gefühlswelt der Österreicher hinein reklamieren und den scharfen Gegensatz zwischen Täter und Opfer verwischen: „Selbst in einer Zeit, in der die Politiker ohnehin kein Privatleben mehr haben, und bei allem Verständnis für Transparenz muss es doch eine gewisse Rücksichtnahme auf die Privatsphäre geben. Darum bitte ich." Die Energie der Beteiligten, ihr pathologisches Mitteilungsbedürfnis einerseits sowie die rückstandslose Verwertung in den Medien andererseits hatten hohen Unterhaltungswert. Der Bundespräsident übernahm beim Ringtausch von Politik und Medienklatsch die Rolle eines „Integrationsfaktors" in einer modernen und offenen Massendemokratie. „Ich empfinde genauso wie jeder normale Mensch in so einer Situation", begab sich Thomas Klestil in die seelischen Niederungen seines Volkes und ließ es wissen, dass wider den äußeren Schein „ein Bun-
despräsident ein Mensch wie alle anderen auch ist, mit allen Emotionen und Gefühlen. Denn wenn er die nicht hat", verrückte sich Thomas Klestil mit gebotenem Sicherheitsabstand in die dritte Person, „dann hat er eine Elefantenhaut ums Herz, und dann kann er auch die Menschen, die er vertreten soll, nicht mehr verstehen." Nichts Menschliches sei auch ihm fremd, lautete seine aufklärerische Message an die Nation. Und gleiches Recht für alle, sofern sie ihm beipflichten. „Ich finde", sagte er hoffnungsfroh zu „News", „ein Politiker sollte auch das Recht haben dürfen, Mensch zu sein." Wo ein Wille, da ein Weg. Die Hoffnung, dass sich die Eheprobleme im Hause Klestil von selbst regeln würden, soll man nie aufgeben. Es ist „ja alles erst ein paar Tage her. Denn eines möchte ich klarstellen: Aus meiner Sicht ist nicht im geringsten an eine Scheidung gedacht." Der gute Mann in der Hofburg, die trennungsgeile Ehefrau in der Wiener Landesgerichtsstrasse. „Wenn ... meine Frau offen über eine Scheidung spricht, so gebe ich auch eine offene Antwort." Damit klar ist, wer hier wirklich mit offenen Karten spielt. Der Bundespräsident bietet politische Unterhaltung und bittet um Nachsicht: „Ich wünsche mir, dass die Medien meine Arbeit sachlich sehr kritisch beurteilen. Dass sie mich an meiner Leistung und an der Ausübung meiner Funktion messen. Ich wünsche mir andererseits Rücksichtnahme, dort wo es um Menschen geht, um die Verletzbarkeit von Menschen." Der Priester sagt: „Hass zerstört diese Erde. Und wir müssen alles tun, um diese Erde zu retten." Unser Herr Bundespräsident hält sich streng an die Liturgie und bittet mit großzügiger Geste, zu der nur Märtyrer knapp vor ihrer Heiligsprechung fähig sind, inständig „vor allem um Rücksichtnahme auf meine Frau". Damit scheint die Messe schon gelesen. Im Wertekanon Thomas Klestils verbinden sich zerfließendes Selbstmitleid und milde Selbstanklage zur Generalabsolution eines aufrechten Charakters: „Ich habe keinen Grund, hier irgendeine Kulisse aufzubauen, hinter der ich mich als Mensch verstecken möchte." Dieser Part, vermittelt uns Bundespräsident Thomas Klestil zwischen seinen versöhnlichen Worten, fällt wohl dem verblendeten Opfer zu. Ganz nach dem Motto: Die Dumme im Leben ist immer die Frau! Zur beabsichtigten Gründung einer Aktion „Frauen gegen Klestil" wollte der Bundespräsident verständlicherweise nicht Stellung nehmen, obwohl Gerüchtewellen mit Hinweisen auf einen vorzeitigen
Rücktritt des Staatsoberhaupts heftig gegen die Hofburg schlugen, blieb Thomas Klestil souverän: „Ich werde mein Amt wie bisher, so wie es die Verfassung vorschreibt, ausüben. Und ich werde dort, wo es protokollarisch notwendig ist, mit der Unterstützung meiner Kinder rechnen können." Ein kleiner Verweis noch auf die lange Dauer des Ehedramas: „Meine Tochter hat mich ... schon im Vorjahr in einer ähnlichen Situation beim Staatsbesuch des italienischen Staatspräsidenten Scalfaro begleitet. Scalfaro hatte übrigens auch seine Tochter an seiner Seite." Das Repräsentationsgeschäft der Staatsoberhäupter braucht keine Begleitfrauen, sagte Thomas Klestil und vergaß bald seine zweite Ehefrau diesbezüglich beim Wort zu nehmen: „Die Zeiten, in denen das Rahmenprogramm einen Staatsbesuch dominiert hat, sind längst vorbei. Ich habe in meinem ersten Jahr an die zwanzig Arbeitsbesuche in anderen Ländern absolviert. Da wird nur mehr politisch gearbeitet. Da ist man als Präsident fast immer ohne Frau unterwegs." Diskretion bedeutet Zurückhaltung, und die fällt Politikern schwerer als Nicht-Politikern. Ihr Beruf ist es, beachtet zu werden. Die Folgen sind bekannt, speziell dann, wenn ihnen der Hauch des Bizarren anhaftet. Der Mangel an medialer Öffentlichkeit hätte dem Rosenkrieg viel von seinem Reiz genommen, und die peinliche Angelegenheit wäre schnell langweilig geworden. Bei schmaler Nachrichtenlage sind „Diese Klestils" allemal gut genug, um die Seite eins der Tages- und Wochenpresse zu füllen. Klestils offene Antworten haben „in der letzten Woche Geschichte und Geschichterln gemacht", freute sich das Sensationsblatt „News" mehr als 3.000 Zeitungsberichte registrierte die Medienbeobachtungsstelle „Observer" zur Staatsoperette. Die Österreicher wussten ihrem Bundespräsidenten so große Offenheit zu danken. Vor der Enthüllung seiner privaten Affäre wollten laut einem politischen Barometer des Gallup-Instituts 72 Prozent, dass Klestil „in Zukunft eine wichtige politische Rolle spielen soll". Danach waren es 82 Prozent - der beste Wert, den Klestil je hatte. Nur 17 PRO zent der Befragten kritisierten die mediale Inszenierung seiner Eheprobleme. Gallup-Chef Fritz Karmasin schloss daraus, dass „die österreichischen Wähler offenbar sehr genau zwischen dem politischen Amt und dem Privatleben trennen. Für das politische Amt geben die Österreicher Klestil Bestnoten, damit tragen sie ihm auch private Probleme nicht nach - wenn er sie löst." Fast 90 Prozent der Befragten lehnten
einen Rücktritt des Bundespräsidenten wegen seiner privaten Probleme ab. Allerdings meinte auch ein Drittel der Österreicher, dass Thomas Klestil „in ihrer persönlichen Achtung verloren hat". Wenn er die Affäre Löffler nicht rasch löst, fürchtete der Meinungsforscher, könnte sich das Stimmungsklima rasch drehen und der Bundespräsident „Probleme bekommen". Eine Scheidung würde bei den Österreichern keine negativen Reaktionen auslösen, belegte gleichfalls eine Meinungsumfrage des Gallup-Instituts. Nur jeder fünfte Österreicher würde diesen Schritt des Bundespräsidenten kritisieren - in erster Linie ältere Frauen, Arbeiter und katholische Westösterreicher.
„Wir sind immer als Team aufgetreten und waren auch ein Team", schwärmte Edith Klestil von den schönen Zeiten ihrer Ehe. „Mein Mann sagte einmal zu mir: Weißt du, du bist gut, ich bin gut, aber zusammen sind wir unschlagbar." Jetzt waren sie getrennt, und Edith Klestil besaß die besseren Karten. Vor allem hatte sie keine Eile, eine TrennungsVereinbarung mit ihrem untreuen Ehemann abzuschließen. „Ich bekomme sehr viel Post, Anrufe, Kundgebungen, auch von Männern", freute sie sich in einem Gespräch mit „News" über die öffentliche Zustimmung für ihre Entscheidung, sich vom Bundespräsidenten zu trennen. „90 Prozent der Leute wünschen sich, dass die Dinge wieder ins Lot kommen. Nicht nur für die eigene Beziehung, sondern auch fürs Land und für die Menschen." Diese Zuwendungen in den ersten Wochen nach der Trennung riefen neue Lebenslust wach. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass es nicht darum geht, in einem Ehedrama ehrenvoll unterzugehen, sondern dass auch ein Sieg auf vielen Ebenen möglich schien. Die Trennungswitwe nahm Urlaub von ihren privaten Sorgen. „Ich möchte mich jetzt nur mit schönen Dingen ablenken. Ich werde meinem Mann nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, will keine böse, alte Frau mit verkniffenem Gesicht sein. Ich will meine fröhliche Ausstrahlung bewahren." Bald nach ihrer Trennung begab sich die Vielgeprüfte auf eine Kreuzfahrt ins Mittelmeer. Zurück in Wien, verplante sie ihren Terminkalender mit Besuchen von Opern- und Theaterpremieren, Auftritten bei Vernissagen und bei gesellschaftlichen Veranstaltungen im Diplomatenmilieu.
Die „Frau des Jahres 1994" taufte im botanischen Garten von Schönbrunn eine von ihr gepflanzte und eben erblühte Tulpe auf den Namen „Goldenes Schönbrunn", übernahm den Ehrenvorsitz bei der Rathausgala „Künstler für Bosnien", folgte den Einladungen zahlreicher Auslandsvertretungen in Österreich und reiste quer durch die Welt. In Israel machte sie Kultururlaub, während ihr Gatte in offizieller Mission das benachbarte Syrien besuchte. In New York nahm sie an der Sponsionsfeier ihres jüngeren Sohnes Stefan teil. Alte Freunde wie die Ehepaare Alois und Edith Mock und Michael und Maria Graff begleiteten die charmante, elegante und kunstsinnige Trennungswitwe zu Empfängen, Parties und noblen Tanzveranstaltungen wie etwa dem Philharmonikerball. Die Wiener Gesellschaft riss sich um den Besuch von Edith Klestil bei ihren Soirees. Klatschspalten-Journalisten notierten eifrig die Auftritte der lebenslustigen Trennungswitwe. Noch-Ehemann Thomas vermied jede Begegnung mit seiner Frau. Als ihm der Besuch Edith Klestils bei der Premiere des „Rosenkavaliers" in der Wiener Staatsoper vorsorglich gemeldet wurde, zog der Bundespräsident sein Erscheinen zurück. „Ich will mich nicht mehr ununterbrochen nach anderen richten", sagte Edith Klestil. „Das habe ich mein Leben lang gerne gemacht, aber jetzt kann ich das tun, was ich will, wie und wann und wo ich es will." Trotz aller freundschaftlichen und gesellschaftlichen Vereinnahmungen litt sie unter dem Makel der Trennung. „Ich hätte diese Freiheit nicht gebraucht, aber nun ist sie einmal da, und so nehme ich sie wahr, wie ich in meinem Leben immer alles mit Mut und Optimismus wahrgenommen habe", beichtete sie der Publizistin Senta Ziegler von den Anfangsschwierigkeiten in der neuen Freiheit. Als sie sich darin besser zurecht gefunden hatte, revanchierte sie sich subtil in Fernsehwerbeempfehlungen für die Kaffee-Marke „Präsident". „So schmeckt die neue Freiheit" - ein Lockruf, der den Kreislauf des Bundespräsidenten ins Stocken brachte. Wenn Edith Klestil im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens stand, nahmen die Ereignisse manchmal einen tragikomischen Verlauf. Karitativen Aufgaben von ganzem Herzen verpflichtet, übernahm sie den Ehrenschutz der sozialen Hilfsorganisation „Care Österreich", kümmerte sich um Sponsorengelder für soziale Initiativen und warb für die von der „Caritas Socialis" gegründete Hospizbewegung,
die sterbenden Menschen beim unabwendbaren Abschiednehmen vom Leben tröstlichen Beistand leistet. Bei einer Veranstaltung von „Care Österreich" im Festsaal der Industriellenvereinigung saß die Ehrenschutzdame in gebührendem Abstand zum gleichfalls geladenen Ehrengast Thomas Klestil. Der Bundespräsident vermied jeden Blickkontakt mit der unerwünschten Ehefrau, soll über diese Begegnung nach dem Ende der Festveranstaltung getobt und der Industriellenvereinigung gedroht haben, nie wieder ihre Räumlichkeiten zu betreten. Thomas Klestil allein in der Präsidentenvilla auf der Döblinger Hohen Warte. Er litt unter seiner betriebsamen Frau, wie einst seine Frau sich über den untreuen Ehemann grämte. Die verletzte Eitelkeit saß tiefer, als das Gewicht der Erinnerung an gemeinsame Zeiten wog. Mit einer Trennung ließen sich die Leidenschaften des Lebens, eine jahrzehntelange Partnerschaft und alle Zweifel und Ängste vor einer Ungewissen Zukunft an der Seite einer Schattenfrau nicht wegräumen wie alt gewordene Kleidungsstücke. Gierte er auch nach seinem wöchentlichen Erscheinungsbild in den Meinungsumfragen und freute er sich schon über die kleinste Rangverbesserung in den Charts, so wusste er doch, dass die Gunst der öffentlichen Meinung ein verderbliches Gut mit Verfallsdatum ist. Wähler reagieren auf Tageslicht, das beste Desinfektionsmittel in der politischen Meinungslandschaft. Bei Tageslicht besehen, stand es nicht gut um die öffentliche Reputation eines Bundespräsidenten, dessen moralische Aufrüstungsparolen so schlecht mit seinem Privatleben harmonierten. Die politische und gesellschaftliche Etikette verbot seiner Schattenfrau Margot Löffler regelmäßige Besuche in der Präsidentenvilla, zumal sein unvermeidlicher Sicherheitsdienst jeden Gast sorgfältig registrierte. So saß er allein daheim, analysierte seine Lebensgleichung mit mehreren Unbekannten oder sah sich, das Bierglas in der Hand, Fußballspiele im Fernsehen an. Und dann auch noch die vielen unangenehmen Gedanken an drohende finanzielle Belastungen. Unsicher war er, erzählen seine Freunde, physisch und psychisch ausgetrocknet, isoliert und manchmal auch verzweifelt. Selbst seinen schärfsten Kritikern tat er gelegentlich leid.
Das Wort „Geld" hat seine Wurzeln im althochdeutschen „gelt", was sowohl „Zahlung" als auch „Lohn", „Vergeltung" oder „Opfer" bedeuten kann. Und bei den Klestils ging es um viel Geld, unausgesprochen, doch stets gegenwärtig auch um Vergeltung für erlittene Opfer. Wie unter vorsichtigen Geschäftsleuten übernahmen Rechtsanwälte das Kommando in einem verfahrenen Trennungsstreit, in dem sich der Bundespräsident jede Begegnung mit seiner Ehefrau ausdrücklich verbat. Drei Wochen nach der Trennung von seiner Frau beauftragte Thomas Klestil den Linzer Rechtsanwalt Gerhard Wildmoser, seiner Ehefrau ein großzügiges Trennungsangebot über den gesetzlich festgelegten Unterhalt von einem Drittel seines Einkommens hinaus zu unterbreiten. Verständlicherweise wünschte Thomas Klestil auch Aufklärung über den Verbleib der Sparbücher, Wertpapiere und Wertgegenstände, die Edith Klestil bei ihrem Auszug aus der Präsidentenvilla aus dem Tresor kurz entschlossen mitgenommen hatte. Edith Klestils Anwalt Karl Hempel ließ sich „aufgrund der Komplexität und Kompliziertheit der Sache" acht Wochen Zeit für eine schriftliche Antwort. „Wir haben dem Rechtsvertreter des Herrn Bundespräsidenten mitgeteilt, dass sich die Sparbücher und Wertpapiere an einem neutralen Ort befinden und vollkommen unberührt sind. Und dass sie auch weiterhin unberührt bleiben." Vieldeutiger Nachsatz: „Frau Klestil ist eine ehrenwerte Frau und benimmt sich in dieser Causa tadellos." Die Trennungswitwe zögerte nicht, ihrem als äußerst sparsam bekannten Ehemann eine saftige Rechnung zu legen. Sollte der Bundespräsident Wert darauf legen, sich ohne Gericht, Rosenkrieg und Publicity von ihr zu trennen, verlangte sie für die ersten acht Monate des Trennungsjahres 1994 den Nettobetrag von jeweils 88.000 Schilling. Für die restlichen vier Monate begehrte Edith Klestil die Überweisung von monatlichen Nettozahlungen in Höhe von 149.000 Schilling - Urlaubs- und Weihnachtsgeld eingeschlossen -, mithin mehr als l ,3 Millionen Schilling netto im Jahr. Darüber hinaus forderte sie ihren Mann auf, sich mit einem Zuschuss von 350.000 Schilling an der Sanierung ihrer Wohnung in der Landesgerichtsstrasse zu beteiligen und den Kauf eines Mercedes für rund 550.000 Schilling zu finanzieren. Für das erste Jahr der Trennung belief sich ihre Gesamtforderung auf rund 2,2 Millionen Schil-
ling netto. „Wir liegen damit unter der Höchstgrenze, die schon in einigen Fällen zuerkannt wurde", begründete ihr Anwalt Karl Hempel die stattlichen Ansprüche, und legte eine unmissverständliche Drohung nach: „Wir sind optimistisch und rechnen ganz sicher mit einer amikalen Einigung. Wenn nicht, wird Edith Klestil Ende April 1994 den Rechtsweg beschreiten, um ihre Unterhaltsforderungen durchzusetzen. Es sind dann ja schon vier Monate seit der Trennung vergangen, und sie kann nicht ewig ohne Geld leben." Der Bundespräsident ist der höchstbezahlte Politiker der Republik Österreich. Thomas Klestil bezog anno 1994 ein Jahresbruttogehalt in Höhe von 5,6 Millionen Schilling, das waren netto rund 2,8 Millionen Schilling im Jahr beziehungsweise inklusive des etwas geringer besteuerten Urlaubs- und Weihnachtsgeldes rund 190.000 Schilling netto im Monat. Das ist für österreichische Verhältnisse sehr viel Geld, doch alles relativiert sich unter der schweren Last von Unterhaltszahlungen an eine unbequem gewordene Ehefrau. Denn für das erste Trennungsjahr verlangte Edith Klestil ziemlich genau die Hälfte des Nettoeinkommens ihres knauserigen Ehegatten. Der aufgrund der finanziellen Folgen einer provozierten Trennung verzweifelte Bundespräsident legte im Ehekrieg „ein Schäuferl" nach und ärgerte sich in der Regenbogenpresse über die „auch für ihn überraschenden finanziellen Forderungen seiner Frau" und übermittelte Edith Klestil über seinen Rechtsvertreter einen Gegenvorschlag, der sich ziemlich exakt an die Rechtslage hielt, nämlich ein Drittel vom monatlichen Nettoeinkommen, also ein wenig mehr als 60.000 Schilling monatlich. Um ein Zeichen der Großzügigkeit zu setzen und einen gerichtlichen Unterhaltsprozess zu vermeiden, stellte er eine gütliche Regelung der Ansprüche seiner Frau auf ein Auto und die Sanierung ihrer Wohnung in Aussicht. Im Freundeskreis beklagte er sich über die Geldgier seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau, behauptete, bald netto weniger zu kassieren als Edith Klestil, der Rachegelüste und die böse Absicht unterstellt wurden, ihren untreuen Mann ruinieren und verhindern zu wollen, dass die Rivalin Margot Löffler jemals einen reichen Mann wird heiraten können. Edith Klestils Rachedurst, Elemente der Scheinheiligkeit und Thomas Klestils Gesprächsunfähigkeit gaben der öffentlichen Trennung einen würdelosen Beigeschmack. Der Bundespräsident zückte die
Scheidungskarte, seine Ehefrau verweigerte trotz großzügiger finanzieller Zuwendungen aus vorgeblich religiösen Gründen die Zustimmung. Beim Monopoly-Spiel würde man sagen: Das einander fremd gewordene Ehepaar hatte die Ereigniskarte „Gehe zurück auf Los" gezogen. Tatsächlich war das öffentliche Kräftemessen zwischen Edith und Thomas Klestil nicht planvoll herbeigeführt, sondern blindlings herbeigewürfelt worden. Uneinsichtigkeit auf beiden Seiten verschärfte einen von den Medien respektlos begleiteten Rosenkrieg. So sind die zerstrittenen Eheleute zurück auf das Ereignisfeld „Rechtsanwälte" geraten. Dort wurde kein Kompromiss gefunden, sondern eine für Thomas Klestil kostspielige Verschleppung des Scheidungstermins um mehr als drei Jahre.
DIE FRAU IM SCHATTEN
„Knabe sprach: Ich breche dich, Röslein auf der Heiden! Röslein sprach: Ich steche dich, dass du ewig denkst an mich ..." Genutzt hat es Goethes Heideröslein wenig. Wehrhaft aber sollte offenbar sein, wer so bezaubernd ausschauen und so lieblich duften kann wie die vielfach gepriesene Königin der Blumen. Die Botaniker wissen es besser. Als Dornen bezeichnen sie spitze, starre verholzte Strukturen, die im Laufe der Evolution durch die Umwandlung von Blättern, Blatteilen oder Sprossen der Pflanzen entstanden sind. Der Sanddorn und Schlehen besitzen solche Dornen und setzen sich mit ihrer Hilfe gegen gefräßige Mäuler zur Wehr. Und auch die zahlreichen „Stacheln" der Kakteen sind für die Botaniker eindeutig Dornen. Rosen hingegen haben nach botanischer Lehrmeinung keine Dornen, sondern Stacheln. Das sind ebenfalls Strukturen mit verletzenden Spitzen, die aber ausschließlich als Auswüchse der Rinde gebildet werden. Daran sind sie letztlich auch für den Laien recht leicht erkennbar: Anders als Domen, die dem Holz des Sprosses entspringen und fest mit ihm verwachsen bleiben, lassen sich Stacheln wie bei den Rosen durch geschickten Druck von Spross oder Stängel lösen. Zurück bleibt nur eine leichte Verletzung des Rindengewebes. Ihre
abschreckende Wirkung wird dadurch nicht geringer, können doch die oft gekrümmten oder leicht brüchigen Spitzen solcher Stacheln schmerzhaft in Haut und Erinnerung haften bleiben. Darüber hinaus übernehmen die Stacheln der Rose weitere nützliche Aufgaben, etwa bei jenen Arten, die zum Klettern neigen - eine Begabung, ohne die beispielsweise das Märchen vom Dornröschen nicht denkbar wäre. Dabei verhaken sich Rosen und ihre langen Triebe mit Hilfe von leicht gebogenen Stacheln. Diese Eigenschaft der spitzen Krallen ist ähnlich wichtig wie die Abwehr von feindlichen Attacken. In der rauen Natur haben sich derartige Strukturen als wirkungsvoller Schutzmechanismus bewährt - sei es bei Rosen, Schlehen oder Kakteen, bei Igeln oder Seeigeln, bei Bienen oder Wespen. Die Schönheit und Pracht der Rosen zu mehren, gehört zu den Meisterleistungen von Gärtnern und Züchtern. Immer wieder bemühen sie sich auch, den Rosen das Stachelige zu nehmen. Weil dabei Schönheit, Haltbarkeit, Duft und Charakter verloren gehen, haben sich solche Züchtungen bislang nicht durchgesetzt. So reimen wir denn mit Mascha Kaleko: Dass jede Rosen Dornen hat, scheint mir kein Grund zu klagen, solange uns die Dornen nur auch weiter Rosen tragen. Missgünstige und verletzte Kollegen im Außenministerium und in der Präsidentschaftskanzlei geraten rasch in Fahrt, spricht man sie auf Margot Löfflers resolut-stacheliges Wesen an. Wohlmeinende entschuldigen ihre schroffe Art mit jenem lauten Pfeifen im dunklen Wald, das die Unsicherheit verdrängen soll. Margot Löffler möchte tough sein, zeigen, dass sie ihr Leben meistert und sich nicht unterkriegen lässt. Der schwierigste Zeitgenosse im Berufsleben ist oft die eigene Chefin. Herrschsüchtig und nach unten trittfest sei sie, berichten ihre Opfer. Unpünktlichkeit bestrafe sie mit Entlassungsdrohungen, die ihr überhaupt nicht zustehen. Chauffeure herrsche sie an, bei Rot über die Kreuzung zu fahren, damit sie keine Zeit verliert. „Wie masslos und überheblich" das Präsidentenpaar sei, erzählt der Mürzzuschlager Gerhard Teufl. „Wenn sie in ihre Sommerresidenz nach Mürzsteg reisen, rasen sie rücksichtslos durch Mürzzuschlag. Samt Polizeieskorte zischt der Konvoi mit 100 Stundenkilometer durch unseren Ort. Sie fahren bei Rot über Zebrastreifen, und die Gefahr für Fußgänger und vor allem für Kinder ist groß." Warum,
fragt Gerhard Teufl, „kann der erste Mann im Staat kein Vorbild sein? Sein Wahlspruch 'Macht braucht Kontrolle' gilt nicht. Ich meine: 'Unser Bundespräsident braucht Kontrolle.'" Ein gesundes Maß an Aggressivität gehört zu unserer genetischen Grundausstattung. „Wir brauchen sie, um für unsere Ziele zu kämpfen, uns zu behaupten, zu verteidigen - und auch, um im richtigen Moment nein zu sagen", meint der Münchner Aggressionsforscher Wolfgang Merz. Wo Aggression fehle, mangle es an Durchsetzungsstärke, Mut und am Willen zum Erfolg. Neben konstruktivem steckt in jedem Menschen freilich auch destruktives Aggressionspotential. Es regt sich, wenn wir uns enttäuscht und blockiert fühlen. Destruktive Aggression richtet sich immer gegen etwas - eine Situation, ein Ereignis oder gegen eine Person. „Mobbing ist häufig Frauensache", glaubt der deutsche Erziehungswissenschaftler und Managertrainer Jens Weidner: „Im Intrigieren entwickeln manche viel Phantasie und Kreativität." Einmal hätte Margot Löffler in hohem Tempo einen Pfeiler im Mürzsteger Anwesen des Bundespräsidenten beschädigt. Der für das staatliche Revier zuständige Oberförster Alfred Wahl habe Margot Löffler auf den Schaden aufmerksam gemacht und gesagt, dass er diesen höheren Orts melden müsse. Daraufhin habe ihn die Gefährtin des Bundespräsidenten schrill angefahren und ihm gedroht, sie würde dann ihrerseits höheren Orts verbreiten, dass der Oberförster Holz aus dem staatlichen Forst privat verwende. Mürzzuschlager Freunde des als besonders pflichtbewusst beschriebenen Beamten des Landwirtschaftsministeriums berichten, Alfred Wahl hätte sich diesen ehrenrührigen Vorwurf so sehr zu Herzen genommen, dass er in schwere Depressionen verfiel, kurz darauf an Darmkrebs erkrankte und nach längerem Siechtum daran verstarb. Wer von der Lebensgefährtin des Bundespräsidenten nicht gemocht wurde, musste fürchten, gemobbt zu werden. Die Köchin Apolloner von der Präsidentenvilla auf der Döblinger Hohen Warte weiß davon ein trauriges Lied zu singen. Die kleine, pummelige Frau wurde mehrmals von Margot Löffler wegen ihres Äußeren angepöbelt, krank geredet und mit Frühpensionierung bedroht. Nach einiger Zeit gafei sich Frau Apolloner geschlagen und reichte um die Versetzung in deftf vorzeitigen Ruhestand ein. Mit derlei bitterbösen Geschichten und Geschichterln ließen sich viele Seiten füllen. Fast alle gehen in eine Richtung: Wer der „Herrin"'
nicht zu Gesicht steht, kann leicht den Job verlieren oder die Karriere in Gefahr bringen. Bevor es so weit kommt, sollte man besser lernen, sich mit der strengen „Frau Gesandten" zu arrangieren, damit Margot Löffler nur ja nicht auf die Idee kommt, sie selbst sei ein schwieriger Typ. „Das ist alles Klosettpapier", wehren sich „Unsere Klestils" gegen derlei üble Nachrede, „da wird nur der Kantinentratsch des Außenministeriums wiedergegeben" („Format", Nr. 45/2001). Wenn auch ein paar Schritte von der Präsidentschaftskanzlei entfernt, gab die Büroleiterin des Generalsekretärs im Außenministerium, Albert Rohan, auf beiden Seiten des Ballhausplatzes den Ton an. In Sitzungen des Außenamts und bei Verhandlungen melde sie sich unbekümmert zu Wort, unterbreche indignierte Spitzendiplomaten und quäle sie mit langatmigen Nacherzählungen („wie der Herr Bundespräsident schon immer sagte") von in der Präsidentschaftskanzlei gepflegten außenpolitischen Denkmustern. Als „Powerfrau der Sonderklasse" treibe sie den Bundespräsidenten zu Statements und Reisen an, halte ihn mit Informationen aus dem Außenministerium auf Trab und nehme ihm einen Teil seines Aktenstudiums ab. Wo das Protokoll waltet, ist Österreichs heimliche Bundespräsidentin am Werk. Beseelt vom Ehrgeiz, auch das kleinste Detail zu regeln und den Herrn Gemahl bei Stimmung zu halten, lässt sie alle - von der kleinen Köchin in der Wiener Präsidentenvilla bis zur soignierten Elite des Außenamts - ihre abgeleitete Macht spüren.
Am Ende eines seiner letzten Essays schreibt Michel de Montaigne: „Es ist eine höchste und gleichsam göttliche Vollendung, seines eigenen Wesens redlich froh werden zu können. Wir trachten nach einem anderen Los, weil wir das unsere nicht zu nutzen wissen, und wollen über uns hinaus, weil wir nicht begreifen, was in uns ist. Doch wir mögen noch so sehr auf Stelzen steigen, auch auf Stelzen müssen wir mit unseren Beinen gehen. Und auf dem höchsten Thron der Welt sitzen wir doch auf unserem Hintern." „Politik", hat Ignazio Silone geschrieben, „ist eine Bühne, auf der die Souffleure manchmal lauter sprechen als die Darsteller." Dem Bundespräsidenten nicht unähnlich, neigt Österreichs „First Lady" zum aufdringlichen Pfauengehabe. Stimmt Otto von Bismarcks Satz, dass Cha-
rakter gleich Talent abzüglich Eitelkeit sei, dann wird man Margot Klestil-Löffler auffällige Disharmonien bescheinigen müssen. Und kaum einer in ihrer beruflichen Umgebung verspürt noch Mut und Energie, „Madame Pompadour" einzubremsen. Obwohl Freunde wie Kritiker, einmal in Fahrt geraten, indigniert oder lustvoll in ihren Erinnerungen wühlen und Beispiele für Anmaßung, Ignoranz, Arroganz, Eitelkeit, Koketterie, Selbstgefälligkeit und Realitätsverweigerung preisgeben. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" zitiert Albert Rohan, bis Ende 2001 höchster Beamter im Außenministerium, der beim Staatsbesuch des Präsidentenehepaares in Syrien seinem Kollegen vom Foreign Office in Damaskus Margot Klestil-Löfflers wahre Profession mit folgenden Worten erklärt haben soll: „In Austria she is chief of my office" - In Österreich leitet sie mein Büro. Als Österreichs „First Couple" anno 1999 vor der Zeit in New York eintraf und ihre Hotelsuite noch nicht geräumt war, machte Margot Klestil-Löffler Österreichs UN-Botschafter Gerhard Pfanzelter vor der versammelten Belegschaft einen derartigen Krach, dass, erinnern sich Zaungäste des Vorfalls, „die Wände gewackelt haben". Ähnliches widerfuhr im Jahr 2001 Österreichs Botschafter in Moskau, Franz Cede, samt Gemahlin. Der Bundespräsident war von seinem Gastgeber Vladimir Putin außer Protokoll zu Judokämpfen abgeschleppt worden. Margot Klestil-Löffler, im St. Petersburger Hotel alleingelassen, schrie auf Herrn und Frau Cede ein, dass sie ihre Pflicht, stets an der Seite des Staatsoberhauptes zu sein, gröblichste vernachlässigt hätten. Diese Schreiorgie, berichten Augen- und Ohrenzeugen, sei selbst dem sonst so stoischen russischen Hotelpersonal schwer auf die Nerven gefallen. Am Montagmorgen herrscht meist Alarmbereitschaft in der Präsidentschaftskanzlei. Am Wochenende von seiner Ehefrau penibel präpariert, gibt das Staatsoberhaupt deren Weisungen weiter. Die Mitarbeiter hätten sich bei diversen Zeitschriften zu beschweren, weil Abbildungen der „First Lady" deren Butterseiten ignorierten, die staatliche Fernsehanstalt ORF einen öffentlichen Auftritt von „Madame" nicht in den Mittelpunkt der Berichterstattung gestellt hätte, wo sie doch - von behinderten Kindern umkreist - devote mediale Aufmerksamkeit verdient hätte. Kabinettsdirektor Helmut Türk nimmt derlei Anweisungen gleichmütig entgegen, wohl wissend, dass jeglicher Einspruch Zeitverschwendung und sinnlos wäre.
Pressesprecher Hans Magenschab, der als Journalist schon bessere Tage gesehen haben dürfte, ist sich nicht zu schade, der Öffentlichkeit in einem Leserbrief an die Tageszeitung „Der Standard" auszurichten, dass man „Frau Margot Klestil-Löffler rund um ihren Arbeitsplatz in der Wiener Innenstadt — ja fast jeden Tag — beim Einkaufen begegnen kann und sie dort selbstverständlich vor vollen Kassen wartet". Denn „Bundespräsident Thomas Klestil kauft nur ausnahmsweise in Kaufhäusern ein". Deshalb müsse Margot Klestil-Löffler (so wie Herr Pentti Arajärvi, der charmante Gatte der finnischen Staatspräsidentin Tarja Halonen, für seine Gemahlin) gelegentlich in Kaufhäusern auch Badehosen für Unseren Herrn Bundespräsidenten besorgen, Gegen Wochenmitte sind die unaufschiebbaren Aufträge der Präsidentengattin mühsam abgearbeitet. Doch auch Freitagmittage bergen Überraschungen. Anfang März 2002 drohte ein Geisteskranker, seinen vor der Präsidentschaftskanzlei am Ballhausplatz abgestellten roten Volvo „mediengerecht in die Luft" zu sprengen. Alarmstufe eins war angesagt. Das Gelände rund um Hofburg und Kanzleramt wurde geräumt und abgesperrt. Zwei Experten des Entschärfungsdienstes inspizierten in grünen Schutzanzügen das Auto. Aus einem Roboter schössen Hochdruckwasserstrahlen die Heckscheiben des Volvo ein. Mehrere kleine Detonationen und die verdächtige Bombe - ein Feuerlöscher - ist gesprengt. „Es war kein Sprengstoff im Auto", beruhigte der Chef des Entschärfungsdienstes die neugierige Versammlung vor dem Polizeikordon. Als weitaus gefährlicher empfanden Polizisten die „Explosion" ihrer „First Lady". Margot Klestil-Löffler - möglicherweise gerade von einem Einkaufsbummel im Dienste der Nation auf dem Rückweg zu ihrem Arbeitsplatz im Außenministerium - wollte die Polizeisperre durchbrechen, um ihrem scheinbar in höchster Not schwebenden Ehegatten Beistand zu leisten. Polizisten hinderten sie daran. Unsere „First Lady" wütete und verbat sich „den Ton, in dem mit mir gesprochen wird". Die Polizisten hatten „Madame" trotz ihrer bis zum Narzissmus getriebenen Selbstbezogenheit nicht erkannt, waren wohl auch zu beschäftigt, um sich auf eine Auseinandersetzung mit der herrischen Dame einzulassen. Immerhin galt es den Lenker des Fahrzeugs festzunehmen und ins psychiatrische Krankenhaus nach Wien-Gugging zu verbringen. Mit Stolz und Gleichmut fügt Thomas Klestil sich der manchmal enervierenden Dynamik seiner Lebensgefährtin. „Bitte", sagt er gele-
gentlich im väterlichen Ton, wenn die „Frau Gesandte" auf die Einhaltung ihrer Regeln pocht. So sei es Johann Kyrie, dem allseits beliebten früheren Protokollchef des Außenministeriums, ergangen, als er vergaß, für die Butter auf dem Frühstücksbrot des Dienstreisenden Präsidentenehepaars in einer Brüsseler Hotelsuite zu sorgen. „Madame" schlug Krach, der Herr Botschafter tat, wie ihm befohlen, und hält seither gebührende Distanz zu seiner Kollegin aus dem Außenministerium. Anfang des Jahres 2002 von Benita FerreroWaldner zum Generalsekretär des Außenministeriums bestellt, lässt Johann Kyrie Margot Klestil-Löffler die geänderten Machtverhältnisse spüren: Er meidet, berichten hochrangige Mitarbeiter des Außenministeriums, so gut wie jeden Kontakt mit der so leicht erregbaren Mitarbeiterin, die ihren Gefühlen manchmal so maßlos freien Lauf lässt. Äußerst beherrscht und diszipliniert, rechnen ihr gute Freunde hoch an, greift sie dann zur Gesichtsmaske der Diplomatie. „Sie schweigen und lächeln durch einen hindurch", beschreibt Christiane Tauzher in der Tageszeitung „Kurier" Margot Klestil-Löfflers Strategie der eiskalten Ignoranz.
„Österreich hat eine moderne Evita", schrieb das Lifestyle-Magazin „Wiener" über Margot Klestil-Löfflers ersten Staatsbesuch an der Seite ihres wenige Monate davor angetrauten Gemahls im März 1999 in Bukarest, der Hauptstadt des postkommunistischen Armenhauses Rumänien: „Graublaues Kostüm, würdevolle, geradezu höfische Etikette, ganz comme il faut. Ihre Schritte sind anmutig, die Augen weit geöffnet, die Brauen wie mit dem Zirkel gezeichnet, und trotz der paar Krähenfüsse schaut sie umwerfend aus, nobel, nobel ... Es ist das Erscheinungsbild einer Madame von Louis-Seizehafter Grandeur, die ganz genau weiß, was sich ziemt, und die sich noch nie mit einer Nebenrolle zufrieden gegeben hat." Eine Sendbotin des glamourösen Österreichs in modischer Kleidung, die einem Lebensüberdruck Form gibt. „Alles Escada", ergänzte die Nachrichtenillustrierte „News": „Das Styling der Golden Lady war so perfekt, dass mitgereiste Journalisten sich ob des auffallenden Kontrastprogramms schon zu sorgen begannen: Nadia Ileana Constantinescu, First Lady des ärmsten Landes Osteuropas, vermochte in ihrem hausbackenen dunklen Kostüm diesem
Glanz aus dem Westen nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen." Das Wochenblatt kleidete den Vorwurf eines „diplomatischen Faute de toilette" in Frageform. Die abgehobene Wiener Gesellschaft rümpft die Nase, senkt die Augenbrauen und geizt nicht mit uneigennützigen Gemeinheiten, wenn Margot Klestil-Löfflers modische Extravaganzen zur Sprache kommen. Seit Jahren bezieht die Gattin des Bundespräsidenten Kostüme, Jacken und Kleider von der Wiener Dependance des Münchner Luxusmodeherstellers „Escada". Chef-Designer Brian Rennie fliegt nach Wien, wenn das Outfit der „First Lady" auf die Anlassfälle im Inund Ausland abgestimmt wird. „Bei dieser Menge an Kostümen kann sich Frau Klestil-Löffler sogar fünfmal am Tag umziehen", versichert ihre modische Beraterin Helga Posluschny-Kiessler, Chefin der Wiener „Escada"-Zweigstelle. Zwar liegt ihr das hochgesteckte, schwarze Haar wie ein Heiligenschein ums Haupt, doch auffallender Schmuck, farbenfrohe Tücher und Ansteckblumen sowie schrille Accessoires komplettieren das Bild einer Dame aus der heimischen Staatsoperettenwelt. Teuer, ja, vornehm, nun ja, halt eben ein Kontrastprogramm - lautet die unnachsichtige Kritik aus den ersten Reihen der heimischen Gesellschaft. Der Dank des im Jahr 2001 erstmals in die Verlustzone gerutschten Münchner Damenausstatters für die Firmentreue ist nicht ausgeblieben. Große Abendgarderobe bekommt Margot Klestil-Löffler zu Repräsentationszwecken geliehen. Seit Ende der neunziger Jahre darf die Gattin des Bundespräsidenten ihre bis zu 100.000 Schilling teuren, prunkvollen Luxuskleider daheim behalten. Eine sanfte Umschreibung für Werbegeschenke an die Gemahlin des Bundespräsidenten, die als Leiterin des Büros des Generalsekretärs im Außenministerium in der Dienstklasse VII damals 38.000 Schilling netto verdient hat. Eine Rückgabe der speziell für Margot Klestil-Löffler angefertigten Lifestyle-Mode an die Münchner Kleidermacher dürfte bei den Gardemassen der Gemahlin Thomas Klestils (1,78 m, Kleidergrösse 38) kaum in Frage kommen. Selbst bei sparsamster Lebensführung der „First Lady" dürften die „Escada"-Rechnungen dennoch ihre Einkommensverhältnisse und die des Bundespräsidenten ein wenig übersteigen. Wie sie die Finanzierung ihres „Escada"-Glamours dennoch schafft, gehört zu den selbst in ihrem Freundeskreis ungelösten Mysterien.
Leihgaben und Kleiderspenden an prominente Politiker sind nicht ungewöhnlich, eignen sie sich doch als Werbeträger für Modemacher und ihre Luxusmodelle aus der Welt der Prominenten. Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider wirbt vorzugsweise für sündteure Uhren aus der IWC- und Breitling-Kollektion. Vizekanzler Susanne Riess-Passer hüllt sich gerne in Hosenanzüge von Donna Karan, Dolce & Gabbana oder Joop, und Finanzminister Karl-Heinz Grasser schwört auf das modische Outfit vom amerikanischen Markendesigner Tommy Hilfiger. Weil sozialdemokratische Parlamentarier dahinter eine unzulässige Geschenkannahme vermuten, wollen sie in Zukunft politischen Würdenträgern derlei Privilegien verbieten. Wer dennoch gegen den Geist dieses geplanten Verbotsgesetzes verstößt, muss die Präsente — wer immer ertappt wird - an den Staat abliefern, der die Kleiderspenden verkauft und den Erlös wohltätigen Zwecken widmet. Geht es nach dem Willen sozialdemokratischer Puristen, soll der Bundespräsident höchstpersönlich über eine gerechte Kleiderordnung in Österreichs politischer Szene wachen.
AUSSERATEM
Mitte des Jahres 1996 hatte Bundespräsident Thomas Klestil zwei Drittel seiner ersten Amtszeit eher glanzlos abgedient. Seine Niederlage im Streit mit Bundeskanzler Franz Vranitzky um den Vorrang bei der offiziellen Vertretung Österreichs in der Europäischen Union hatte ihn viel Kraft gekostet, sein Wahlkampfversprechen, aktiv in das politische Geschehen einzugreifen, auf den Boden der heimischen Realverfassung zurückgeholt und seine politische Bedeutungsmacht auf Sonntagsreden und von den Parteien vorab entschiedenen Ernennungen von Beamten, Professoren und Richtern reduziert. Sein glückloses Management bei der Klärung seiner privaten Turbulenzen hatte sein Ansehen in der Öffentlichkeit nachhaltig beschädigt. Klestils Bedeutungsgeblähte Moralpredigten wurden fortan an seinem eigenen Fehlverhalten gemessen. Beim politischen Stellungskrieg mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler versagte ihm „seine" Volkspartei jede Hilfe. Der konserva-
tive Teil seiner Wählerschaft nahmen ihm die Trennung von seiner Ehefrau und die Beziehung mit seiner Schattenfrau übel. Statt sich wie ein Bürger unter Bürgern zu bewegen, zog sich Thomas Klestil beleidigt und missverstanden in die barocke Abgeschiedenheit der Wiener Hofburg zurück. Wenn Politiker ermüden, ergreifen Selbsttäuschung die Macht, Gefühle des Zorns und der Sentimentalität das Zepter. Mehrmals und immer vergeblich wollte Thomas Klestil in den ersten beiden Trennungsjahren mit Hilfe der Anwälte die Trümmer seiner Ehe wegräumen. Damit die Sache endlich vom Tisch war, hatte er großzügigen Angeboten zugestimmt. Schattenfrau Margot drängelte auf eine Klärung; seine Ehefrau Edith zierte sich mit verqueren Ausflüchten. Jede Liebesregung hatte im prolongierten Ehekrieg ausgespielt. Thomas Klestil sucht dessen rasches Ende, seine Frau Edith ein letzter, großer Sieg. Wenn es dazu nicht komme, sei es jedenfalls nicht ihre Schuld, wenn es Verletzungen auf beiden Seiten gebe. Edith Klestil besaß in dieser Ehetragödie die besseren Karten und Nerven, der Bundespräsident weniger Geduld und die schlechtere physische und psychische Verfassung. Alle Menschen streben nach einem höchsten Gut, dessen war sich schon Aristoteles sicher, und dieses höchste Gut ist das Glück. Alle Menschen, also auch Margot Löffler: Glück in der Liebe, Glück im Beruf und natürlich auch Glück in finanziellen Angelegenheiten. Glück, so ist noch bei Aristoteles zu lernen, ist ein Leben „in der Verflochtenheit", im Netz sozialer Beziehungen, in der Familie, im Freundeskreis. Das Glück in der Liebe war Margot Löffler in der Person des Bundespräsidenten seit einigen Jahren hold. Das Glück in der Kleinfamilie war ihr kraft Edith Klestils hinhaltendem Widerstand seit Jahren verwehrt. Diese Gegenwehr wiederum versperrte Margot Löfflers Weg zum beruflichen Glück, zum finanziellen Erfolg und zur materiellen Zukunftsvorsorge als legitime Ehefrau des Bundespräsidenten. Weil Thomas Klestil einen Gutteil seines Gehalts an seine getrennt lebende Ehefrau abliefern muss, war die halböffentliche Partnerschaft mit dem Staatsoberhaupt auf das Beamtensalär Margot Löfflers angewiesen. „Er allein könnte sie gar nicht standesgemäß versorgen", /itiert das Nachrichtenmagazin „Format" einen engen Freund Klestils. Der Bundespräsident war in jener Zeit hin- und hergerissen zwischen konventionellen Pflichten und dem Diktat des Herzens. Ein bal-
diges Ende des Ehekriegs schien ihm nach allen Erfahrungen vielleicht um eine kleine Spur wichtiger als ein Neustart mit Margot Löffler. Denn Glück ist eine Gnade, die einem, um mit Sören Kierkegaard zu sprechen, auch in der zweiten Ehe nicht zuteil zu werden braucht: „Heirate, du wirst es bereuen; heirate nicht, du wirst es gleichfalls bereuen; heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen. Entweder du heiratest oder du heiratest nicht, du bereust beides."
Seit einem Besuch in der Türkei im Juli 1996 litt der Bundespräsident an Arthritis, leichten Gelenkschmerzen und Durchfällen. Er klagte über Kopfschmerzen, Atemnot und Schwindel. Seine Ärzte vermuteten anfangs einen Infekt, suchten nach Hinweisen auf Kollagenosen, bei denen sich das Abwehrsystem des Körpers infolge einer Fehlsteuerung gegen körpereigene Zellen richtet, unterzogen ihn über den Sommer hin einer antirheumatischen Behandlung und konstatierten Anfang September 1996 ein Abflauen der Entzündungen. Allerdings stellten sie leichte Veränderungen der Haut fest, wie sie freilich immer wieder bei entzündlichen Bindegewebserkrankungen im rheumatischen Bereich vorkommen. Mitte September wurde der Bundespräsident mit hohem Fieber ins Wiener Allgemeine Krankenhaus zur Spitalsbehandlung eingeliefert. Ein offizieller Besuch Thomas Klestils in Bayern und alle Termine für die nächsten Tage mussten abgesagt werden. Die behandelnden Ärzte gaben zunächst keine Stellungnahmen zum Grad der Erkrankung des Bundespräsidenten ab. Zehn Tage nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus übertrug das Staatsoberhaupt auf eigenen Wunsch für eine Woche die Amtsgeschäfte an Bundeskanzler Franz Vranitzky. „Der Herr Bundespräsident hat mit Sicherheit kein Karzinom", betonten die behandelten Ärzte und verbreiteten die Hoffnung, dass Thomas Klestil „im günstigsten Fall" nach wenigen Tagen das Spital werde verlassen können. Tagelang gab es Vermutungen und Gerüchte über die gesundheitliche Verfassung des Staatsoberhauptes, bis endlich der Sprecher des Bundespräsidenten, Heinz Nussbaumer, über die aktuelle Befindlichkeit des Bundespräsidenten berichten durfte: Thomas Klestil leide an einer „schweren, aggressiven und atypischen Form von Lungenent-
Zündung". Er sei in Tiefschlaf versetzt und künstlich beatmet worden. Gewebsentnahmen hätten bloß bewiesen, dass keine Krebserkrankung vorliege, aber keinen weiteren Aufschluss über die Gefährlichkeit der Erkrankung gegeben. Als zusätzliche Komplikation bei der Lungenentzündung musste ein Abszess entfernt werden. Es gebe zwar „eine leichte Besserung" im Befinden des Bundespräsidenten, doch die Genesung werde „noch geraume Zeit", vielleicht sechs bis acht Wochen dauern, hieß es in einem Bulletin aus der Präsidentschaftskanzlei. Tatsächlich tappte ein prominentes Ärzteteam - angeführt vom Internisten Wolfgang Graninger und besetzt mit dem Pulmologen Lutz Henning Block, dem Leiter der Intensivstation, Michael Frass, dem Röntgenologen Christian Herold, dem Schwiegervater von Thomas Klestils Sohn, Heinz Huber, Leiter der I. Medizinischen Klinik im Allgemeinen Krankenhaus, und dem Rheumatologen Josef Smolen — im dunkeln. Behandlungen mit schweren Medikamenten blieben wirkungslos. „Wir wissen nicht genau, was er hat", bekannte Klestils medizinischer Chefbetreuer Wolfgang Graninger: „Warum sollte er nicht nach Hause gehen, wenn es ihm gut geht." Der weltweit anerkannte Rheumatologe Josef Smolen relativierte indes diesen Befund: „Wir tasten uns durch ein Labyrinth. Die Blutflüssigkeit wird ständig analysiert, ob sich nicht neue Zeichen für eine Reaktion des Immunsystems finden. Irgendetwas müssen wir noch an Befund dazu bekommen, um etwas - egal was - beweisen zu können." Eine genaue Diagnose sei dem Ärzteteam nicht möglich. „Das ist eine Denksportaufgabe für alle beteiligten Ärzte rund um die Uhr", meinte Professor Graninger. „Wenn wir nichts dazu bekommen, kann es sein, dass wir am Ende einen gesunden Bundespräsidenten, aber keine Diagnose haben", sekundierte Josef Smolen: „Ich sage meinen Mitarbeitern immer, ihr müsst nicht eine Diagnose erzwingen. Wichtig ist, dass die Behandlung greift." Die aber griff trotz Antibiotika, Cortison und anderen Steroiden nicht. Die akute Lungenentzündung sei auf eine Überreaktion des körpereigenen Immunsystems zurückzuführen. Die kausalen Ursachen seien freilich nur zu „vermuten": Es könne ein Zusammenwirken mehrerer Viren oder auch eine frühere Gelenksentzündung sein, glaubten die behandelnden Ärzte. Die histologischen Befunde hätten keine Klar-
heit gebracht, und die „Arbeitshypothese" Kollagenose, das ist eine chronische Form einer Autoimmunstörung, sei nicht erhärtet worden. Auszuschließen sei freilich gar nichts. Denn, sagte der Rheumatologe Josef Smolen, „jede denkbare Erkrankung kann ein weites Spektrum haben - von gut therapierbar, sodass man die Medikamente bald absetzen kann, bis zu chronisch behandlungsbedürftig. Auch eine chronische Behandlung heißt noch nicht, dass der Patient kein normales Leben führen kann - da kann man keine Prognose machen, solange wir keine Krankheit dingfest haben." Das behandelnde Ärzteteam sparte zwei Wochen nach Einlieferung des Bundespräsidenten in das Allgemeine Krankenhaus mit fundierten Prognosen über die gesundheitliche Entwicklung des Bundespräsidenten. Selbst bei Genesung sei ein Rückfall in zwei oder drei Jahren nicht auszuschließen, wenngleich es dafür keine organischen Hinweise gebe. Die Verständigung zwischen dem Ärzteteam und der Präsidentschaftskanzlei funktionierte schlecht; noch schlechter war es um die Qualität der Informationen an Medien und Öffentlichkeit bestellt. Einerseits wurde in den ersten Tagen der Erkrankung des Bundespräsidenten das Gebot der ärztlichen Schweigepflicht extrem eng ausgelegt. Anderseits schockten die Ärzte die Öffentlichkeit mit äußerst markigen Aussprüchen nach der Erweckung des Staatsoberhauptes aus seinem künstlichen Tiefschlaf. „Wir kriegen doch immer und von überall die ganz miesen Fälle", ereiferte sich der Leiter des Ärzteteams, Wolfgang Graninger, „mit denen sich keiner auskennt. Ich bin doch längst der Facharzt für unbekannte Krankheiten", spendete er sich Eigenlob, und fügte hinzu, dass „Mikroben meist intelligenter als Menschen" seien. Einmal behauptete die Präsidentschaftskanzlei, der Bundespräsident würde seine Amtsgeschäfte voll wahrnehmen, nur öffentliche Termine seien abgesagt. Zeitweise unterstützte Wolfgang Graninger diese unzutreffende Information. Der Bundespräsident sei stets „amtsfähig" gewesen, „hätte er doch jederzeit aus seinem Tiefschlaf erweckt werden können", und es gehe ihm „erstaunlich gut". Boulevardblätter zählten indes die prominentesten Todesopfer von Lungenentzündungen der letzten Zeit auf, wie etwa den Philosophen Sir Karl Popper, den Maler Salvador Dali und Lady Dianas Vater, Lord Spencer. Oder sie äußerten „den furchtbaren Verdacht", dass der Bundespräsident an Aids erkrankt sei.
Das Boulevardblatt „täglich Alles" zitierte einen anonymen Mediziner mit der Ferndiagnose: „Viele Symptome weisen darauf hin, dass wir es mit dem HIV-Virus zu tun haben." Dieser Verdacht könnte sich schon deshalb bestätigen, weil der ärztliche Leiter des Allgemeinen Krankenhauses, Reinhard Krepier, schriftlich eingestanden hätte, dass „routinemäßig vor dem operativen Eingriff bei Herrn Bundespräsidenten Dr. Klestil ein HIV-Test durchgeführt wurde". Damit sei der Beweis erbracht, „dass die Ärzte sich sehr wohl mit dem Thema Klestil und Aids beschäftigten", jubelte das Blatt über seinen Informationsvorsprung. Allerdings unterschlug es den entscheidenden Absatz im Bulletin des Ärzteteams: „Das Testergebnis war negativ. Es besteht daher definitiv nicht der geringste Verdacht auf eine HIV-Infektion." Spekulationen sind die Nachtschattengewächse der Geheimhaltung. Einmal wurde dem Bundespräsidenten eine „einfache" Lungenentzündung angedichtet, das andere Mal eine gefährliche Lungenfibrose bescheinigt. Vom Tiefschlaf erfuhr die Öffentlichkeit erst Tage, nachdem Thomas Klestil längst daraus erwacht war. Offizielle Beschwichtigungsparolen und offiziöse Gräuelmärchen aus der medizinischen Gruselkammer wechselten einander ab. Das Boulevardblatt „täglich Alles" besorgte sich halbwissenschaftliche Erklärungen für geheimnisvolle Erkrankungen: „Bei der Lungenfibrose", hieß es, „bilden sich zwischen Lungenbläschen und Lungenvene Narben, die die Sauerstoffweitergabe ans Blut verhindern. Der Patient bekommt keine Luft mehr. Das führt oft zum Erstickungstod", prophezeite das Boulevardblatt dem auch von solchen Meldungen gepeinigten Kranken. „Ihm muss sein Lebtag mit einer Maschine Sauerstoff zugeführt werden." Die Folge: „Fibrose-Patienten können kaum wieder ihre alte Tätigkeit aufnehmen." Die Direktion des Wiener Spitalsverbands räumte nur zähneknirschend ein, dass „die Informationspolitik mangelhaft war". Selbst als Thomas Klestil mit seiner lebensgefährlichen Lungenerkrankung Monate lang daniederlag, verbat er sich den Besuch seiner angetrauten Ehefrau am Krankenbett. Aus Gründen der Etikette durfte ihn auch seine neue Lebensgefährtin Margot Löffler nicht im Spital besuchen. Die Leiterin des Büros des Generalsekretärs im Außenministerium war zu dieser Zeit in der Brüsseler EUKommission beschäftigt, stand mit dem Bundespräsidenten in ständigem telefonischen Kontakt. Von seinem Krankenbett aber hielt sie sich fern. Das wäre, wie er Freunden anvertraute, die Bestätigung einer engen Bezie-
hung gewesen, die allen bekannt war und die nur noch der kranke Bundespräsident in irrealer Verbissenheit leugnete. Nur seine Kinder, Schwieger- und Enkelkinder durften den Bundespräsidenten am Krankenbett besuchen. Seine Tochter Ursula riet ihm, doch auf das hohe Amt zu verzichten, um die fragile Gesundheit wenigstens teilweise wiederherzustellen. Das Nachrichtenmagazin „profil" schrieb, dass „vertraute Ärzte Klestil längst darauf aufmerksam gemacht haben, dass er bestenfalls ein in der Hofburg gefangener Präsident sei. Auftritte außerhalb der Präsidentschaftskanzlei, Eröffnungen, Reden, Reisen, die essentiellen Pflichten eines Bundespräsidenten - an die sei nicht zu denken, weil das angeschlagene ImmunSystem nicht mitspielen werde." Ehefrau Edith teilte ihrem kranken Mann via Rundfunk-Interview unter Berufung auf ihre vierzigjährige Lebenspartnerschaft mit, dass sie ihn „auf allen Vieren besuchen gehen würde, wenn es sein müsste. Ich hoffe, ich helfe ihm, indem ich in Gedanken bei ihm bin." „Aids", sagte sie: „Das kann ich mir nicht vorstellen! Wirklich nicht!" Und beschwor ihre unzerstörbare Liebe zum Bundespräsidenten. Trotz aller unschönen Szenen in den letzten Monaten vor der Trennung denke sie viel an ihn: „Dass die Liebe nach zwei Jahren Trennung vorbei ist, das sehe ich überhaupt nicht so." Wenn ihr Mann wieder gesund sei, würde sie noch einmal mit ihm über alles reden und versuchen, eine vernünftige Lösung herbeizuführen. Gleichzeitig erklärte Edith Klestil, dass „jeder Mensch, der krank oder gesund ist, einen gewissen Grad von Intimsphäre und Privatsphäre braucht, die respektiert werden muss". Amtsfähig zu bleiben war das wichtigste Ziel des Bundespräsidenten, und die Zähigkeit, mit der Thomas Klestil dieses Ziel verfolgte, nötigte Bewunderung für seinen Lebenswillen, seinen Ehrgeiz und seine Arbeitskraft ab. Kaum konnte er im Krankenbett aufrecht sitzen und flüssige Nahrung zu sich nehmen, telefonierte er wieder mit der halben Republik und seinen Freunden im Ausland, machte eifrig Notizen am Rand der zu unterschreibenden Akten und verfolgte „atemlos" das politische Geschehen dies- und jenseits der Grenzen am Fernsehschirm und in den Zeitungen. Die österreichische Verfassung sieht eine Übergabe der Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten an die Präsidenten des Nationalrats für den Fall vor, dass das Staatsoberhaupt länger als 20 Tage an der Ausübung seiner Funktionen verhindert ist. Üblicherweise aber wird diese
Aufgabe stets dem Bundeskanzler übertragen. „Im Falle der dauernden Erledigung der Stelle des Bundespräsidenten hat die Bundesregierung sofort die Wahl des neuen Bundespräsidenten anzuordnen", heißt es im Artikel 64 der Bundesverfassung. Genau zwanzig Tage nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus verlauteten die Präsidentschaftskanzlei und das Bundeskanzleramt in einem gemeinsamen Kommunique, dass Thomas Klestil seine Amtsgeschäfte „aufgrund seiner Rekonvaleszenz in den nächsten Tagen vom Spitalsbett aus erledigen" werde. Der guten Ordnung halber rief das Staatsoberhaupt den Bundeskanzler zu sich ans Spitalsbett und ließ sich von ihm über aktuelle Fragen der österreichischen Innenund Außenpolitik berichten, über eine außerordentliche Sitzung des Europäischen Rates sowie über den offiziellen Besuch des Bundeskanzlers in China. War es auch um die Gesundheit des Bundespräsidenten schlecht bestellt, so funktionierten doch die formalen Reflexe. Der Bundespräsident, hieß es im gemeinsamen Kommunique, dankte dem Bundeskanzler für die Genesungswünsche und für die Vertretung während seiner Verhinderung. Franz Vranitzky wiederum freute sich darüber, Thomas Klestil „in guter Stimmung" angetroffen zu haben. Die Ärzte hätten ihm versichert, dass der Bundespräsident auf gutem Weg zur Besserung sei. Zwar spreche Thomas Klestil so leise, „wie jemand spricht, dem die Ärzte gesagt haben, er soll nicht laut reden", doch gebe es keinen Grund zur Besorgnis. Der Bundespräsident werde noch ein bis zwei Wochen im Spital bleiben und bald von der Intensivstation in eine andere Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses verlegt werden. Doch der Genesungsprozess des Bundespräsidenten verlief schleppender als gedacht. Nach einem vierwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus musste Thomas Klestil auf „dringendes" Anraten seines Ärzteteams seine traditionelle Ansprache zum Nationalfeiertag am 26. Oktober absagen. Stattdessen wurde den Medien seine Rede in schriftlicher Form übermittelt. Grund: Während der „Kurzdauernden künstlichen Beatmung" bei der Gewebsentnahme aus seinen Lungen sei es zu einer „reflektorischen Schonhaltung der Stimmbänder und zu einer Einschränkung der Stimmbildung gekommen", deren „Normalisierung in solchen Fällen meist einige Wochen dauere". Danach werde das Staatsoberhaupt ein „eingeschränktes Arbeitspensum" bestreiten können.
Mitte November 1996 lud der Bundespräsident Bundeskanzler Franz Vranitzky und ein Team der staatlichen Fernsehanstalt ORF sowie Journalisten und Photographen zu sich in die Dienstvilla auf die Hohe Warte, um der Öffentlichkeit einen Eindruck von den, wie der Sprecher der Präsidentschaftskanzlei hoffte, „Quantensprüngen der Besserung" zu geben. Tatsächlich erlebten die Österreicher erschütternde Bilder ihres Staatsoberhauptes. Von der Cortison-Behandlung aufgedunsen, sich kurzatmig, fast krächzend artikulierend, gebrechlich und fiebrig sprach Thomas Klestil über seine schwere Erkrankung. Geradezu liebevoll stützte Franz Vranitzky seinen politischen Gegenspieler und führte ihn zum Besprechungstisch. Ganz gewiss ein Bild des Jammers. Aber auch, wie der Sprecher der Präsidentschaftskanzlei, Heinz Nussbaumer, versicherte, „eine bewusste Präsentation der Wahrheit. Man hat gesehen, hier ist einer, der mit der Überwindung einer schweren Krankheit ringt, aber einen irrsinnigen Fight liefert." Nachdem das Ärzteteam bei einer Kontrolluntersuchung eine Lungenembolie bei Thomas Klestil festgestellt hatte, musste er neuerlich ins Spital eingeliefert werden, wo ein Blutpfropfen im Lungengefäss mit schweren Medikamenten aufgelöst wurde. Neuerlich wurde der Rücktritt des Bundespräsidenten aus gesundheitlichen Gründen öffentlich diskutiert. Die Bundesregierung oder auch der Präsident des Nationalrates hätten Thomas Klestil diesen Ratschlag auf informellem Weg nahe legen können. Sie taten dies nicht. Dem Bundespräsidenten einen Rücktritt anzuordnen, ist nicht verfassungskonform. Anfang der siebziger Jahre litt Franz Jonas an einem Karzinom, musste monatelang das Krankenbett hüten, doch weder die Regierung und das Parlament noch die Opposition forderten seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten. Ein halbes Jahr - vom September 1996 bis zum Februar 1997 - war das Staatsoberhaupt bei seiner Amtsführung außer Gefecht gesetzt oder zumindest behindert. Fast in jeder Phase seiner schweren Lungenentzündung konnte er die erforderlichen Signaturen unter Gesetzen und Ernennungen leisten und somit seine, wenn auch eingeschränkte Amtsfähigkeit unter Beweis stellen. Konnte er auch eine chronische Heiserkeit schwer verbergen und musste er sich in kühlen Jahreszeiten besonders warm anziehen, so fand er doch wieder zu seinem alten Gewicht und zu einer relativen
Gesundheit zurück. Regierungs- und Oppositionsparteien wussten dies dem disziplinierten Thomas Klestil zu danken. War er auch kein aktives, energisches und tatkräftiges Staatsoberhaupt mehr, öfter erschöpft als stark, immer noch wortreich, doch politisch an den Rand gedrängt, neigte er auch zu Müdigkeit, Melancholie und Schwermut, so wurde er den regierenden Sozialdemokraten immer wichtiger als Garant der bestehenden „großen Koalition" mit der konservativen Volkspartei und als Bollwerk gegen eine MitteRechts-Regierung mit Wolfgang Schussels Volkspartei und Jörg Haiders Freiheitlichen. Denn Vizekanzler Schussels Ambitionen auf eine politische Wende in Österreich waren weder dem Bundespräsidenten noch seinem Freund und Bundeskanzler Viktor Klima entgangen. Mit Ausnahme der Sozialdemokraten misstrauten wenige Monate vor einer wahrscheinlichen Wiederkandidatur von Thomas Klestil die restlichen drei Parlamentsfraktionen dem Staatsoberhaupt. Nach vergeblichen Anläufen, den Part eines aktiven Bundespräsidenten zu spielen, hatte er mehr oder weniger resigniert die Seite der Sozialdemokraten gewählt und deren Aussitzen von Problemen, Reformunwillen, Regulierungsplänen, Gewerkschaftsegoismus und Funktionärsdünkel mit staatsmännischer Gelassenheit für gut befunden. Gegen Ende seiner ersten Amtszeit als Bundespräsident war Thomas Klestil zur obersten Verteidigungsinstanz einer sozialen Wärmestube Österreich geworden, in der das Land seine Zukunft verschnarchen und verleben sollte. Wenn Österreicher eines nicht mögen, dann ist es das Auf und Ab einer dynamischen Wirtschaft. Das Hire und Fire der Amerikaner überfordert das österreichische Gemüt, dem Kompromiss und Konsens, Sicherheit und sozialer Friede über alles gehen. Der Bundespräsident war zum Moralprediger dieser Gesinnung geworden — zum Gegner des Wandels, zur Ikone der herrschenden Verhältnisnisse. Seine schwere Krankheit hat diese Staatsbeamten durchaus vertraute Position gefördert.
AUGEN ZU UND DURCH
Die Österreicher sind ein Volk zynischer Philosophen. Gegen Ende der ersten Amtszeit ihres Bundespräsidenten war den meisten klar geworden, dass Thomas Klestil weder das „starke und aktive" Staatsoberhaupt ist, das er sein wollte, noch auch zur moralischen Vaterfigur nach der Art seines Vorgängers Rudolf Kirchschläger taugte: Ein Mann ohne Macht und Visionen. Ein Sowohl-als-auch-Schönredner mit dem Recht zu warnen, zu ermutigen und konsultiert zu werden, und der Pflicht, sich aus den Regierungsgeschäften herauszuhalten. Ein „Onkel Doktor", der den Puls fühlt, Rezepte schreibt und oft wirkte, als ob er selbst therapiert gehörte. Einer, der gelegentlich den Modernisierer mimt, doch bloß sein Amt mehr oder weniger geschickt verwaltet. Keiner, der - wie versprochen - frischen Wind brachte, sondern einer, der im Zweifel privaten Gefühlen den Vorzug gibt vor ehelichen Pflichten. Derlei geschieht in Österreich viele tausend Mal, und kaum jemand kümmert es, solange kein Heiligenschein darüber leuchtet. Als „Taxi-Orange"-Sendung aus der Wiener Hofburg war war das alles neu, schlecht inszeniert und miserabel dargeboten. Natürlich ist ein Bundespräsident ohne ernstzunehmenden Einfluss auf die politische Geschäftsführung kein Dynamo des Wandels, sondern bloß Zeremonienmeister in einer Hofburg der Beharrung. In seinem Übereifer wollte sich Thomas Klestil mit dieser ihm von der österreichischen Realverfassung zugewiesenen politischen Chargenrolle nicht abfinden. „Sein" Staatsvolk sah das realistischer und erteilte seinem Bundespräsidenten Mitte des Jahres 1997, als die Entscheidung um Klestils Widerkandidatur herannahte, für seine Amtsführung mäßige, aber keineswegs vernichtende Zensuren. Präsidentenbonus nennen die Österreicher den Vorteil, den sich der jeweilige Amtsinhaber vom Glanz und Rang des höchsten Staatsamtes versprechen kann. Doch zehn Monate vor dem ersten Wahlgang der Präsidentenwahl am 19. April 1998 bekam Thomas Klestil in den Meinungsumfragen zu spüren, dass er zwar angekommen, doch keinesfalls angenommen war. Laut einer Gallup-Meinungsumfrage hatten zwei Drittel der befragten Österreicher gegen Klestils Wiederkan-
didatur für eine zweite Amtsperiode nichts einzuwenden, doch nur knapp mehr als die Hälfte bekundeten ihre Bereitschaft, dem Staatspräsidenten neuerlich das Vertrauen zu schenken. Sein schwacher Amtsbonus überraschte, wo doch noch weit und breit kein attraktiver weiblicher oder männlicher Gegenkandidat zu sehen war. „Dies ist", schrieb damals die Nachrichtenillustrierte „News", „für ein über den Parteien stehendes Staatsoberhaupt ein ausgesprochen schlechter Wert. Von Roman Herzog (in Deutschland) bis Bill Clinton (in den USA) haben fast alle westlichen Präsidenten im Moment deutlich höhere Zustimmungsraten als Thomas Klestil." Mit höchsten Ansprüchen an sich und sein Amt war er angetreten. Eine moralische Instanz wollte er sein. Zur Sprache bringen wollte er, was gesagt werden muss. Seine Ohren wollte er benutzen, um den Österreichern zuzuhören, sein Herz, um mitzufühlen, und seine Sprache, um sich mitzuteilen, die Wunden in der Gesellschaft offen zu legen und ihre Heilung zu begleiten. Doch es mangelt dem Staatsoberhaupt an der sokratischen Souveränität, zu wissen, was man alles nicht weiß und nicht kann. Es mangelt ihm an Unmittelbarkeit, Humor und Selbstironie. Dafür übertreibt er die steife Würde seines Amtes, das keine Steuern zu beschließen, keine Sparpakete zu schnüren und Asyle für Flüchtlinge zu vergeben hat. Er hätte viele unaufschiebbare politische Maßnahmen den Österreichern erklären und begründen können, doch er tat nichts dergleichen. Was immer er anpackte, es gelang und gelingt ihm nicht, einen Politikertyp zu verkörpern, der sich selber in aller Bescheidenheit als einen vorübergehend beauftragten Volksvertreter im Dienste des Gemeinwohls und des Ansehens Österreichs sieht. „Das Gewicht dieses Amtes ist seine moralische Strahlkraft", schrieb der Publizist Peter Michael Lingens in der Tageszeitung „Die Presse" (2. März 1998): „Der Präsident kann die restriktive Fremdengesetzgebung zwar nicht einmal hinter dem Komma beeinspruchen, aber er kann ein völlig anderes Klima schaffen, indem er seine Villa für Flüchtlinge öffnet. Sein entschiedenes Eintreten gegen Antisemitismus oder Rechtsradikalismus hat im Ausland viel mehr Gewicht als die präzise Kenntnis des Protokolls. Auch wenn niemand Klestil vorwerfen kann, in dieser Hinsicht versagt zu haben, ist sein Engagement doch blass geblieben", weil er zu offensichtlich niemandes Kreise stören wollte.
Nichts war ihm zu den großen Themen der Zeit eingefallen. Verschwommen sprach er gelegentlich von sozialer Gerechtigkeit und Treffsicherheit. Nur sehr selten erhob er seine Stimme gegen die staatliche Verschwendungssucht und für ein Durchforsten des bürokratischen Dschungels. Stumm blieb er im Angesicht des grosskoalitionären Parteiproporzes, der sozialpartnerschaftlichen Blockadepolitik, des ungleichen Verteilungskampfes zwischen pragmatisierten Staatsdienern und ihren vor Arbeitslosigkeit ungeschützten Kollegen in der privaten Wirtschaft und der gleichmäßig verteilten Privilegien an die politische Kaste. „Für den kommenden Wahlkampf ist Thomas Klestil keine seiner Botschaften verblieben", rügte Hans Peter Haselsteiner vom Liberalen Forum das Staatsoberhaupt: „Der Herr Bundespräsident ist in einer bedauernswerten persönlichen Situation, die mir politisch völlig egal wäre, würde sie nicht seine eigene Wahlkampfbotschaft konterkarieren." Vor allem aber missfiel dem Kärntner Bauindustriellen „Klestils unsägliche Grußbotschaft an den Gewerkschaftskongress der Beamten", der Interessenvertretung des eigenen Berufsstandes. Der Bundespräsident hätte „mit dieser amikahlen, anbiedernden, von Opportunismus triefenden Grußbotschaft an den Gewerkschaftskongress mitten in den heiklen Pensionsreformdebatten ein falsches Signal gesetzt, das dort auch mit entsprechend triumphalem Beifall als Durchhalteparole verstanden wurde". Und er hätte damit „jegliches Gefühl für die Botschaft vermissen lassen, die er hätte geben können: Auch ihr Beamte müsst Reformbereitschaft zeigen". Hans Peter Haselsteiner sprach Thomas Klestil jegliche „persönliche Glaubwürdigkeit" ab: „Bei einem Parteipolitiker ist Anbiederung auch nicht redlich, aber verständlich. Bei einem Bundespräsidenten überhaupt nicht." Der Bundespräsident hatte nach einer bald sechsjährigen Amts zeit einer dürftigen Bilanz aufzuweisen. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Franz Vranitzky wies den Außen- und Europapolitiker in die Schranken. Den gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Wandel im Verlauf seiner ersten Amtszeit hatte er mehr oder weniger kritisch beobachtet und allenfalls schönfärberisch kommentiert. Einige Reisen ins Ausland und Treffen mit Amtskollegen waren das souveränste Signal, das der Bundespräsident gelegentlich setzen konnte.
Noch ehe der Wahlkampf begann, war er vor allem von Thomas Klestils kaum überstandener Krankheit und seinen privaten Affären überschattet. Die Tageszeitung „Der Standard" brachte die Schwierigkeiten des Bundespräsidenten auf den Punkt: „Margot Löffler ist im Inland unabkömmlich, soll sie doch den gesundheitlich nicht ganz fitten Klestil durch einen zweiten Präsidentschafts-Wahlkampf tragen." Und zynisch vermerkte Hans Peter Haselsteiner: Der Bundespräsident wird seine Entscheidung, wieder anzutreten, „möglichst lange hinauszögern". Denn er sei „alt, krank und einsam" und „hat Interesse an einem möglichst kurzen Wahlkampf. Das hätte ich mit seinem Gesundheitszustand auch." Dieses Belagerungsgefühl war trotz breitflächiger medialer Absperrungen bis in die Hofburg des Zwangsoptimismus vorgedrungen. „Wenn meine Kandidatur wieder die ganzen Löffler-Geschichten lostritt", jammerte der dünnhäutige Bundespräsident im Freundeskreis, „dann können wir es gleich ganz bleiben lassen", wohl wissend, dass auf dem kleinen österreichischen Medienmarkt kühl kalkulierte Rüpeleien und Sottisen sich rasch verbreiten. Seine Berater fürchteten um seine Glaubwürdigkeit vor allem bei jungen und älteren Frauen, bei jungen Wählern ganz allgemein, bei SPÖ-Kernschichten und bei Anhängern der oppositionellen Freiheitlichen Partei. Zwar boten ihm das mächtigste Tagblatt des Landes, Hans Dichands „Neue Kronen Zeitung", die Nachrichtenillustrierte „News" und die informationskeusche staatliche Fernsehanstalt ORF unbezahlbaren journalistischen Flankenschutz, doch dahinter lauerte die Boulevardzeitung „täglich Alles" mit dem Plan, Thomas Klestils Präsidentenwahlkampf zu einem „Löffler-Wahlkampf' umzufunktionieren und den Bundespräsidenten einer öffentlichen Tropfenfolter auszusetzen. Darüber hinaus galt Thomas Klestil in der in- und ausländischen Qualitätspresse als wenig beeindruckende Figur in der politischen Szene des Landes. Für einen im präsidialen Geist moralischer Anstandsregeln geführten Wahlkampf blieb da ebenso wenig Platz wie für eine ordentliche Schlussbilanz über die erste Amtsperiode und für eine realistische Eröffnungsbilanz für die nächsten sechs Jahre. Verführte Thomas Klestil anno 1992 noch mit wohlklingenden Beglückungsphantasien seine Wähler, so war er jetzt verurteilt, die Österreicher reinen Wein einzuschenken über seine realpolitisch eingeschränkte Gestaltungskraft.
Die Unentschlossenheit des Bundespräsidenten trug einen zweiten Namen: Jörg Haider. Der Chef der Freiheitlichen Partei ist ein geschickter Jäger und Fallensteller. Die „große Koalition" trieb er mit immer neuen Auslegungen dessen, was „das Volk" so wünsche, in die Verlegenheit, das Wesen der repräsentativen Demokratie gegen den Traum von der unmittelbaren Stammtisch-Hoheit verteidigen zu müssen. Und den Bundespräsidenten, ein traditionell grosskoalitionärer Fahnenträger, ließ er zappeln, versprach ihm ein ums andere Mal keinen eigenen Kandidaten aufzustellen, um wenig später in den Medien Planspiele mit von der Freiheitlichen Partei nominierten Gegenkandidaten auszubreiten. Jörg Haider nannte Spitzensportler, eine aufmüpfige Wiener Kinderärztin und die gestandene Parteifunktionärin Susanne Riess-Passer als ideale freiheitliche Alternativen zum „regierungshörigen Koalitions-Kandidaten" Thomas Klestil. Thomas Klestil wiederum tat alles, um seinen Duz-Freund Jörg Haider bei guter Laune zu halten. Die Liebdienerei des Bundespräsidenten gipfelte in der Verleihung der Goldenen Verdienstmedaille der Republik Österreich an Jörg Haiders Vater Robert. Dieser musste im Jahr 1934 im Zuge des nationalsozialistischen Putschversuches und der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuss aus Österreich nach Deutschland flüchten, wo er fortan legales Mitglied der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) sein sollte. Unverzüglich sicherte der FPÖ-Chef dem präsidialen Retter der Familienehre jedenfalls stillschweigende Unterstützung im PräsidentschaftswahlKampf zu und hielt sich - von einigen politischen Seitenschritten abgesehen - streng an seinen zunächst vorsichtig verhüllten Pakt mit Thomas Klestil. Mit seinem Duz-Freund Viktor Klima, Bundeskanzler und Chef der Sozialdemokratischen Partei, hatte der Bundespräsident ein leichteres Spiel. Klima hatte sich von seinem Parteivorstand ermächtigen lassen, die Unterstützung Klestils alleine zu entscheiden. Bloss Wis senschaftsminister Caspar Einem und die sozialdemokratische Par teijugend bestanden auf der Nominierung eines eigenen Kandidaten und gingen mit dieser Forderung in den Parteigremien unter. Zwei sozialdemokratische Präsidentschaftskandidaten - Kurt Steyrer im Jahr 1986 und Rudolf Streicher 1992 - hatten im Wahlkampf Schiff bruch erlitten, weil ihnen im Grunde vor einem Einzug in die HofH bürg graute.
„Präsidentschaftswahlkämpfe kann man nur gewinnen, wenn man einen starken Kandidaten hat, der sagt, ich will dieses Amt", entschuldigten Spitzenfunktionäre der Sozialdemokratie die Selbstaufgabe ihrer Partei. „Wir haben einfach keinen Kandidaten, den dieses Amt reizt. Immerhin ersparen wir uns damit eine unnötige Niederlage und mindesten 50 Millionen Schilling an Wahlkampfkosten." Sollte aber der Klestil-Wahlkampf „zu einer Schlammschlacht um sein Privatleben" ausarten, würden sich die Sozialdemokraten aus dem PräsidentschaftsWahlkampf völlig heraushalten. Thomas Klestil stimmte deshalb Viktor Klimas Bedingung für eine Wahlempfehlung zu, seine Lebensgefährtin Margot Löffler diesmal nicht in den Wahlkampf einzuspannen. Für seinen ersten Wahlkampf im Jahr 1992 hatten Thomas Klestils Berater dem Kandidaten geraten, unter keinen Umständen konkrete Aussagen zu Regierungs- und Koalitionsbildungen zu treffen. Dies widerspreche seinem „Charakter als Mahner und Idol", und die Leute würden das gar nicht schätzen. Damals hielt sich der Kandidat konsequent an diese Vorgabe und wich Fragen dieser Art mit der gebetsmühlenhaft wiederholten Formel aus, dass er auf hypothetische Fragen keine konkreten Antworten geben könne. Sechs Jahre später zog der Bundespräsident als „Garant für die große Koalition" in den Wahlkampf. Einst als Kreuzritter für die Erneuerung des Landes angetreten, wollte Thomas Klestil seine zweite und letzte Amtsperiode an der Seite eines berechenbaren sozialdemokratischen Bundeskanzlers erleben - vielleicht, mochte er sich gedacht haben, würde er dann in die Geschichte eingehen als letzter Bundespräsident einer guten, alten Zeit, in der es noch grosskoalitionäre Regierungen gab. Der pensionierte sozialdemokratische Bürgermeister Wiens, Helmut Zilk, hatte für Viktor Klima die Aufgabe übernommen, Funktionären und Kernschichten die Unterstützung des konservativen Kandidaten schmackhaft zu machen. Der umtriebige Zilk tat dies mit undiplomatischer Offenheit: Die große Koalition sei bis an die äußerste Grenze belastet und drohe aufgrund „schwarzer" Querschüsse auseinanderzubrechen. Daher brauche man jetzt keinen Wahlkampf, der die großen Parteien auseinander und die Volkspartei Jörg Haider in die Hände treibe. Der große, alles entscheidende Wahlkampf fände achtzehn Monate später, im Herbst 1999, statt, wenn über die Vergabe der Parlamentssitze gestritten und eine neue Regierung gebildet werden
müsse. Wenn er, Zilk, etwas zu reden hätte in der SPÖ, dann würde er alle Kräfte für das Jahr 1999 aufsparen „und nicht jetzt schon die Luft auslassen, denn dann geht es schließlich um die Wurst", und dann werde man noch froh sein, einen Bundespräsidenten Thomas Klestil in der Hofburg sitzen zu haben. Blieb bloß die schlichte Frage: Was war an Thomas Klestil noch echt, oder war alles nur politisches Schauspiel? War er noch ein Mann der bürgerlichen Volkspartei oder bereits ein Gefangener seiner sozialdemokratischen Schutztruppen? „Ich habe eine gewisse Schwäche für ihn", buhlte Helmut Zilk um die Herzen der sozialdemokratischen Kernschichten. Für ihn stehe er auch zur Verfügung, sollte es darum gehen, ein überparteiliches Personenkomitee als Plattform für die Wiederwahl zu bilden. Er habe mit dem Bundespräsidenten bereits darüber gesprochen, und der wisse ihm diesen Vorschlag sehr zu danken. „Ich habe eben eine Schwäche für Zilk", begründete der prominente Architekt Gustav Peichl seinen Beitritt zum Pro-Klestil-WiederwahlKomitee. „Er ist ein toller Bursch, wie er das gemacht hat. Immer, wenn er mich in letzter Zeit getroffen hat, hat er am Schluss gesagt; Weißt eh, das mit dem Klestil, das müssen wir machen." Peichls Entt Schuldigung für seine politische Selbstentblößung: „Für eine Partei hätte ich das nie gemacht! Ich habe so etwas überhaupt noch nicht gemacht. Aber ich bin überzeugt, dass dieses Land nur durch Einzel" Persönlichkeiten geformt werden kann." Thomas Klestil hätte seinf, Sache gut gemacht und genieße im Ausland großes Ansehen. „Ic h sehe also keinen Grund, warum ich einen an den Haaren herbeigezogenen Gegenkandidaten unterstützen oder gar wählen sollte." „Ich bin ein Linksstehender Mensch und will das auch nicht ändern", bekannte Fritz Muliar und rühmte den konservativen Mann seiner Wahl: „An der Amtsführung Klestils ist nichts auszusetzen." Der Bundespräsident sei „eine der wenigen Stützen dieses Landes: eine moralische Autorität, der nicht nur gegen Antisemitismus auftritt, sondern) auch ein Garant gegen Jörg Haider ist". Er habe Thomas Klestil lang beobachtet: „Es mag sein, dass er eitel, stolz und verletzend sein kann* Aber er ist einfach sympathisch", warf sich der prominente Schauspieler und bekennende Freimaurer für sein politisches Idol ins Zeug. Die Fernseh-Seriendarstellerin Christiane Hörbiger hatte schlicht und einfach Mitleid mit dem verkannten Staatsoberhaupt, „über den
man in der Öffentlichkeit so viel Spott und Hohn ausgegossen hat. Klestil hat diese Krise souverän, uneitel und mutig gemeistert. Ich habe großes Vertrauen, dass er fähig ist, unser Land durch große Krisen zu führen." Die wahrscheinlich aufrichtigste Erklärung für ihre Mitwirkung im Pro-Klestil-Komitee fand die Wiener Schauspielerin Elfriede Ott: „Helmut Zilk hat mich angesprochen. Er hat mir versichert, dass es nichts Politisches ist, dass es auch nicht um Parteipolitik, sondern um Österreich geht. Und in diesem Sinne finde ich, dass Klestil wiedergewählt werden sollte - ich unterstütze ihn gerne." Skistar Karl Schranz brachte pekuniäre Gründe für Thomas Klestüs Wiederwahl ein: „Er hat seinen anstrengenden Job gut gemacht und ist ausserdem billiger als ein neuer Bundespräsident. Sonst müsste man ja dem alten eine Pension zahlen und dem neuen ein Gehalt." Selbst das sozialdemokratische Urgestein, AltGewerkschaftspräsident Anton Benya, trat öffentlich für den konservativen Bundespräsidenten ein. „Eng sind wir natürlich nicht. Aber Klestil hat sein Amt überparteilich zu führen. Das hat er versprochen." Unser Herr Bundespräsident war von so vielen Liebesbezeugungen sichtlich gerührt. Um jeden Anschein finanzieller Unabhängigkeit von Banken und Parteien zu wahren, verbat sich das Staatsoberhaupt die Teilnahme von befreundeten Bankdirektoren in seinem Personenkomitee. Er bestellte seinen Linzer Rechtsanwalt Gerhard Wildmoser zum Finanzmanager seines Wiederwahlkampfes. Tatsächlich bestritten die sozialdemokratisch ausgerichtete Bank Austria und die konservativ eingefärbte Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien einen Grossteil von Klestils Wahlkampfkosten. Die Raiffeisenlandesbank bot seinem Wahlbüro auch kostenloses Quartier im prächtigen LoosHaus am Wiener Michaelerplatz. Den Spitzen der Volkspartei war Klestils Werben um die Gunst von Viktor Klima und Jörg Haider nicht verborgen geblieben. Das schleichende Gift des Zweifels erfasste die ÖVP-Führung, ob denn Thomas Klestil wirklich noch ihr Mann sei. „Wie der andauernd um Viktor Klima herumtingelt und Kusshändchen zu Jörg Haider wirft", empörte sich ein hoher ÖVP-Funktionär, „dagegen sind die Strassenmädchen am Wiener Gürtel geradezu zurückhaltend." Trotz ernster Zweifel an Thomas Klestils Glaubwürdigkeit stellte das ÖVP-Generalsekretariat dem „unabhängigen" Wiederwahl-Kan-
didaten ihr Know-how und ihre organisatorischen Strukturen zur Verfügung, leistete aber nur einen bescheidenen finanziellen Beitrag von drei Millionen Schilling. Parteiobmann Wolfgang Schüssel gab die Devise aus, jeden Schilling zweimal umzudrehen, ehe man Geld für den Wahlkampf des gewendeten Staatsoberhaupts verschwendet. Wolfgang Schussels strenge Rechnung brachte Klestils Wahlbüro mehrmals in finanzielle Verlegenheit. In einigen Notsituationen musste Klestils Wahlbüro bei gleichfalls zurückhaltenden Landesorganisationen der Volkspartei um milde Gaben schnorren. ***
Auch wenn die Wahlkampfmaschinerie längst angelaufen war, Wahlkampfleiter berufen, Werbefirmen beauftragt, Plakate in Druck gegeben und Büros für die jeweilige Wahlkampfzentrale angemeldet waren, spielten die voraussichtlichen Rivalen um den Einzug in die Wiener Hofburg mit dem Wahlvolk Versteck. Man möchte es den Österreichern offiziell nicht zumuten, von einem langen und kostspieligen Wahlkampf belästigt zu werden, lautete die Begründung für das Zaudern der Wahlkämpfer. Thomas Klestil nahm für sich die Staatsraison in Anspruch. So spät wie möglich wollte er seine Kandidatur verkünden, gewappnet mit der Würde des Amtes. Wie gelähmt verschanzte er sich hinter den Mauern der Hofburg, um für seine Herausforderer unangreifbar zu bleiben. Als erster Kandidat betrat der Wiener Grossbaumeister Richard Lugner den politischen Boxring. „Damit es anders wird - Lugner", versprach er, das weißgekleidete Töchterchen Jacqueline auf den Schultern und seine weißgekleidete Ehefrau „Mausi" an der Seite, auf grossformatigen Plakaten. Keine heile Scheinwelt wollte er den Österreichern vorgaukeln, sondern das Land befreien von der „Verfilzung der Parteien" und von den „Parteisoldaten. Die müssen weg, Österreich muss wieder frei werden." Als Bundespräsident würde er „für alle Bürger dasein" und eine grossangelegte Tourismusoffensive starten: „Staatsoberhäupter und Persönlichkeiten aus aller Welt" möchte er zum „Opernball und zu den Salzburger Festspielen einladen, um die kulturellen Chancen, die Österreich dem Fremdenverkehr bietet, auch wahrzunehmen". Und spottbillig sollte sein Wahlkampf sein: „Für den Wahlkampf verwen-
den wir das Briefpapier von meiner Firma, alles zusammen wird nicht mehr als zehn Millionen Schilling kosten. Einen Teil davon zahle ich selbst, ein anderer kommt aus Krediten, die ich locker begleichen kann, wenn ich erst einmal Präsident bin." Die Wahlkampfkosten wollte er als steuermindernde Ausgaben für die Bewerbung seiner Unternehmen beim Finanzamt geltend machen. Warum sollte man Thomas Klestil eine zweite Chance geben, der mit der ersten nichts anfangen konnte und ausgerechnet seine treuesten Gläubigen enttäuscht hat? Richard Lugner warf seinem Konkurrenten den Bruch vieler Versprechen vor, eine kurze Bilanz, auf die er sich berufen konnte, und seine Abgehobenheit. Ausserdem habe er, Richard Lugner, eine intakte Familie „ohne Nebenfrauen". Die designierte „First Lady" des Grossbaumeisters versprach den Österreichern, „in guten und schlechten Zeiten zu ihrem Mann zu stehen" und sich um die Verdammten des Landes zu kümmern — „um alle Kranken, um die geistig und körperlich Behinderten. Denn wir müssen die Randgruppen wieder integrieren, die wir ausgeschlossen haben. Es fehlt in diesem Land an Liebe, Wärme und Menschlichkeit." Als „unabhängige" Kandidatin der Grünen empfahl sich die karenzierte evangelische Superintendentin des Burgenlandes, Gertraud Knoll, den Wählern. Sie war von so aufdringlicher politischer Ahnungslosigkeit, dass ihr selbst Glaubensschwestern und -brüder die politische Gefolgschaft verweigerten. Gertraud Knoll trat an als junge, hübsche, emanzipierte, ehrgeizige, verheiratete Frau und Mutter von drei Kindern mit matt glänzendem, eingebautem Heiligenschein. Österreichs Grün-Alternative organisierten und finanzierten den Wahlkampf der mit abgestandenen Wassern modischer Theorien und politischer Korrektheit gewaschenen Pastorin. Ihre Berater gaben ihr wenig Spielraum für freie Gedanken, sondern bauten sie auf zur kampfeslustigen Widerstandskämpferin in einer Parallelwelt falscher Analogien und ausgerüstet mit Sprüchen, die historisches Bewusstsein vortäuschen sollten. Besass die protestantische Superintendentin auch bloss politisches Kleinformat, so verkörperte sie doch die Herzigkeit einer Frau, die schwer begriff, welche Rolle ihr von ihren Ratgebern diktiert wurde: die einer von aufwühlender Betroffenheit verfolgten und gequälten Selbstdarstellerin des anderen, naturgemäss besseren Österreichs - die Rolle einer Allzweckwaffe des herrschenden Opportunismus. Die tief-
sten medialen Abdrücke hinterliessen die hohen Absätze ihrer roten Schuhe im nassen Gras einer staatlich subventionierten Biobauernlandwirtschaft. Die EU-Gegner boten einen Herrn Karl Walter Nowak für die Wahlschlacht auf. Das Liberale Forum wandte sich mit der Wechselkandidatin Heide Schmidt an die Wechselwähler des Landes. 1992 noch schlug sie sich für Jörg Haiders Freiheitliche Partei gegen den Präsidentschaftskandidaten Thomas Klestil achtbar und errang damals immerhin 16,4 Prozent der Stimmen. Bei ihrem zweiten Auftritt als Präsidentschaftskandidatin hatte sie sich bis zur politischen Unkenntlichkeit verändert und wollte in allen Parteilagern mit Randgruppenangeboten fischen. Dem linken Flügel der Sozialdemokratie warf sie sich mit forschen Versprechen an den Hals, das Land aus seiner klerikalen Enge zu führen; den konservativen Stimmbürgern versprach sie Wirtschaftsliberalismus pur, als ob das in Österreich je ein besonderes bürgerliches Anliegen gewesen wäre; den Grünen wollte sie grüner sein, als das ihr liberales Brimborium je erlaubte, und ihren Freunden im deutschnationalen Lager machte die emeritierte Couleurdame schlagender Studentenverbindungen kornblumenblaue Avancen: eine Frau für alle Fälle, auch für den vorhersehbar tiefen Fall in die politische Bedeutungslosigkeit nach vielen verlorenen Schattenboxkämpfen mit Jörg Haider. Alle Geschichte, so darf man mit Karl Marx formulieren, ereignet sich zweimal: einmal als Tragödie an der Seite Jörg Haiders, das anderemal als dessen Verstossene.
Eine Serie von Meinungsumfragen hatte Thomas Klestils Beraterteam alarmiert. Denn der Amtsbonus, den normalerweise jeder Bundespräsident wenige Monate vor dem Wahltag geniesst, war dahingeschmolzen. Im Herbst 1997 fanden nur noch 49 Prozent ihren Bundespräsidenten sympathisch, gar nur noch jeder siebte fand das Staatsoberhaupt sehr sympathisch. Nur jeder sechste Wähler war mit Klestils Amtsführung sehr zufrieden. Allerdings waren fast zwei Drittel der Befragten für eine Wiederkandidatur des amtierenden Staatsoberhauptes. 57 Prozent wollten ihn auch wieder wählen, sofern kein attraktiver Gegenkandidat auf den Plan tritt. Nur ein starker Bewerber aus
dem sozialdemokratischen oder freiheitlichen Lager hätte Klestils Wiederwahl im ersten Anlauf gefährden können. Der Bundespräsident hatte seinerzeit mehrmals angedeutet, dass er sich einem zweiten Wahlgang nicht mehr stellen würde. Ungeachtet aller Skepsis der Österreicher schien diese Gefahr fürs erste gebannt. Erfuhr Thomas Klestil in Meinungsumfragen auch die schlechteste Bewertung, die seit bald vierzig Jahren für ein amtierendes Staatsoberhaupt kurz vor den Wahlen ermittelt wurde, so herrschte nach der Vorstellung der Gegenkandidaten gedämpfter Jubel in der Hofburg. Obwohl seinerzeit laut einer Umfrage des Linzer Imas-Instituts fast 40 Prozent der Befragten das Amt des Bundespräsidenten entweder „ganz abschaffen" oder doch wenigsten „beschneiden" wollten, war Thomas Klestil plötzlich wieder „haushoher Favorit" in den Meinungsumfragen. „Ich habe weder die Inhalte meiner Präsidentschaft auf Umfragen aufgebaut", vertraute sich Klestil seiner allzeit getreuen „Neuen Kronen Zeitung" an, „noch werde ich die Entscheidung über meine künftige Arbeit danach richten." Das Blatt hatte sich zu seinen Gunsten gewendet. Er versprach, aktuelle Gesundheitsbefunde zum Zeitpunkt der Bekanntgabe seiner Wiederkandidatur vorzulegen, und verhieß seinen Anhängern: Seht her, ich bin gesund, es geht mir gut, und die Arbeit hat mich keineswegs geschlaucht. Mein Amt macht mir Freude, immer mehr Freude. Augen zu und durch - Thomas Klestil stand wieder da wie Vater Staat höchstpersönlich: gestreng, wahrhaft, würdevoll bis zur Aufgeblasenheit. Dennoch zögerte der Bundespräsident, seine Wiederkandidatur anzumelden, und wurde so zum unbeweglichen, leichter treffbaren Ziel seiner Gegenkandidaten und der Medien. Je unverhohlener ihn seine Mentoren Helmut Zilk und Viktor Klima zum Schritt in den Boxring drängten, desto furchtsamer zog sich Thomas Klestil hinter die dicken Mauern der Hofburg zurück. Er wirkte in jenen Wochen vor der endgültigen Entscheidung dick gepanzert gegen seine Freunde in der Volkspartei, gegen politische Veränderungen in Österreich und gegen den Umgang mit der Öffentlichkeit. Und er schien von der Mehrfachangst befallen, die Wähler könnten ihm seine schlechte Bilanz übelnehmen, an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln und seine l aktischen Spiele mit den Sozialdemokraten und den Freiheitlichen verurteilen.
Seine schwere Krankheit lastete auch auf dem Gemüt des Staatsoberhauptes. Seine unruhigen Stimmungslagen pendelten zwischen Zuständen apathischer Verzweiflung und hektischer Betriebsamkeit. Hatte er gute Laune, verbreitete sich in seinem Beraterkreis rasch gute Laune. War er aber griesgrämig, und das war damals häufig der Fall, ging gar nichts, und keiner wagte in kontroversiellen Diskussionen mit sachlichen Argumenten zu widersprechen. „Es war irgendwie komisch", berichtet ein Berater aus früheren Tagen. „Unsere Treffen waren damals eher Kameradschaftsnachmittage mit Therapiestunden als Arbeitssitzungen." Trotz einer bestechenden Ausgangslage wirkte der Bundespräsident höchst verunsichert. Den gelernten Diplomaten und spätberufenen Politiker beschäftigten Äusserlichkeiten mehr als politische Inhalte. Soll er seine Rivalen ignorieren und nur herablassend von „Kandidaten" reden, wie er es sich abgebrühten Spitzenpolitikern abgeschaut hatte? Oder ist einer wie er nicht besser dran, wenn er zupackt und angreift? Soll er seinen demontierten Anspruch eines „aktiven" Bundespräsidenten weiter hartnäckig verteidigen oder soll er allein die Würde seines hohen Amtes walten lassen? Thomas Klestil trieb wieder einmal desorientiert im Kreis einer politischen Mitte von irgendwo. Zu seinem Drehbuch unter der Überschrift „Themen meines Lebens" fehlten die Kapitel. Soll er das Ausländerthema, wie Jörg Haider es empfahl, dezent mit Strategien gegen die Arbeitslosigkeit verknüpfen? Soll er seine Vorbehalte gegen Österreichs „immerwährende Neutralität" aussprechen, wie ihm Wolfgang Schüssel dies abverlangte? Oder soll er die Vorzüge der „großen Koalition" preisen, wie er das Viktor Klima versprochen hatte, weil auch er fest daran glaubte? Wieviel Beisshemmung muss Klestil sich zulegen, um auf die Wähler der Mitte attraktiv zu wirken? Wie weit darf er sich von Positionen entfernen, die sein konservatives Image prägen, ohne an Strahlkraft auf sozialdemokratische Anhänger zu verlieren? Wie weit darf er den sozialdemokratischen Stammwählern entgegenkommen, ohne seine bürgerliche Gefolgschaft zu vergrämen? Soll er in der Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik einen Rollback propagieren - oder darf er die freiheitliche Opposition mit populistischen Tönen gegen das System des Kammerstaates und der Parteipfründe erwärmen? Klestils Beraterstab suchte nach einer Strategie, die bis zum Wahltag am 19. April 1998 tragen sollte. Je kürzer dieser Marathonlauf
dauerte, umso besser für jene paar Botschaften, die der Bundespräsident unters Wähiervolk bringen sollte: Thomas Klestil sei kompetent, habe eine „Vision" von Österreich und sei „sympathisch". Er sei fähig, Brücken von Mensch zu Mensch, von Österreich zu Europa und in die ganze Welt zu bauen. Thomas Klestil verkörpere konservative Schlüsselwerte wie Heimat, Vaterland und Patriotismus. Nur Begriffe wie Familie, Geborgenheit und Verlässlichkeit sollte er selten verwenden, rieten ihm seine politischen Einflüsterer. Denn darin sei er in allen Imageprofilen unglaubwürdig geworden, fast so unglaubwürdig wie mit dem Versprechen, sich „aktiv" in die Regierungspolitik einzumischen. In diesen Punkten seien seine Defizite so beträchtlich, dass Korrekturen nichts brächten.
DIE MITTE IST ROT
Es gibt ein verbreitetes Vorurteil, nach dem Reformer die besten Aussichten auf des Wählers Gunst haben. Tatsächlich aber will der Wähler allzu oft keinen Wandel, weil jede Veränderung mit Besitzständen aufräumt und vor einer Verbesserung der Lebensumstände persönliche Zumutungen stehen. Daran müsse ein Bundespräsident stets denken: In Österreich sei die politische Mitte links von rechts, hämmerten Freunde aus seinem Personenkomitee Thomas Klestil ins politische Gewissen: somit rot. Erfahrungen mit den in der Summe eher an Statik denn Dynamik interessierten Wählern verführt in Parteizentralen und Wahlkampfbüros Grossparteien sowie sozialdemokratische wie konservative Kandidaten dazu, den Willen zu Reformen zwar als Anspruch zu pflegen, aber in der Ausführung hinter wolkigen Formulierungen bescheiden zu verstecken - womöglich eingedenk der Formel, dass Wahlen nicht gewonnen werden, um Programme zu realisieren, sondern zumeist Programme geschrieben werden, um nicht Wahlen zu verlieren. Geld verteilen, wie einst die Kaiser ihren Untertanen die Treue mit hoheitlichen Gunstbeweisen lohnten und wie später rote Barone ihre Klientel mit Sozialstaatsgeschenken bei Laune hielten, so ködert man Wähler. Thomas Klestil hatte diesbezüglich nie ein neues Staatsver-
ständnis eingefordert. Warum dann im letzten Wahlkampf die Marschrichtung ändern? Das Heer der politisch Uninteressierten und der unentschlossenen Wähler wächst stetig. Politische Weltanschauungen, die bestimmte Wählergruppen an bestimmte Parteien und Personen binden, sind im Rückzug begriffen, sagen Meinungsforscher und Politologen. Stamm wähler sterben aus. Die Stammwählerschaft der einst so mächtigen Volksparteien ist auf einen Restbestand von vielleicht zwanzig Pro zent geschrumpft, der Anteil der politisch Interessierten auf insgesamt dreissig Prozent. Drei Viertel der Wahlberechtigten werden von Demo skopen dagegen als politisch völlig uninteressiert eingestuft. Ob Österreich einem übernationalen Verteidigungsbündnis beitritt, sich seiner Neutralität aus freien Stücken entledigt oder seine Neuver schuldung auf Null reduziert, geht nach Einschätzung von Demosko pen und Parteistrategen an der großen Mehrheit der Bevölkerung völ lig vorbei. Allenfalls die Zahl der Arbeitslosen und die Abzüge auf dem Gehaltsstreifen bleiben als Merkposten hängen. Doch weniger deshalb geben rund 40 Prozent aller Wähler ihre Stimme von Wahl zu Wahl einer anderen Partei. Sie tun das, weil es schick ist, den Wech selwähler zu spielen nach dem Motto: Öfter mal etwas Neues, wenn sich nur nichts ändert. Es gehört zum Schicksal von Parteien und ihren Kandidaten, dann und wann an ihren Programmen und an der; kalmierten Risikolust ihrer Wähler zu scheitern. Umso heftiger drängt gen sie um die politische Mitte, einen flüchtigen Ort, wo erst rechftf Treulosigkeit herrscht. * In dieser treulosen Mitte werden Wahlen entschieden. Niemand weiß mehr genau, wo sie liegt, und jeder glaubt zu wissen, wo sie einmal war. Denn die gesellschaftliche Mitte ist in Bewegung geraten und deshalb so schwer zu fassen. Im Österreich der siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts war wirtschaftliches Wachs»! turn plus staatlicher Interventionismus und Sozialpartnerschaft diö Formel für Wohlstand und Wohlfahrt - auch dann noch, als wichtige Fundamente wie Vollbeschäftigung und demographische Entwicklung zu erodieren begannen. Ihr entsprach trefflich das alte und stabile Zweieinhalbparteiensy* stem. Die beiden großen Volksparteien regierten mit wechselnden Führungsrollen in einer „Großen Koalition", manchmal eine allein^ manchmal auch mit der kleinen FPÖ - das war die Formel für Macht.
Dieses System hatte mit dem Einzug der Grün-Alternativen ins Parlament und später auch des Liberalen Forums sowie mit dem Erstarken der Freiheitlichen Partei ausgespielt. Mit alten Rechenschiebern (rechts und links, genau dazwischen die Mitte; Stamm- und Wechselwähler; populistische Bewegungen und liberale Gruppierungen) lassen sich politische Mehrheiten kaum noch kalkulieren. Das Pendel schlägt nicht einfach zurück. Es entwickeln sich bloss neue Balancen, die man nicht mehr in stramme Programmsätze pressen kann, die vielmehr einen politischen Spagat neuer Art erfordern: nicht nur zwischen Gruppen, Ständen und Interessen, sondern auch zwischen Lebensstilen und Lebenslagen, die sich durch die Gesellschaft und die Biographien ziehen. Die Zukunftsängste der einen lassen sich nicht durch zusätzliche Paragraphen in Sozialgesetzen lösen. Die Zukunftshoffnungen der anderen verlangen weniger nach einer fürsorglichen Belagerung durch politische Parteien und Kandidaten als nach offenen Zugängen zu den Bildungs- und Arbeitsmärkten. Links oder rechts markierte die Konfliktlinie der Industriegesellschaft. In der Dienstleistungsgesellschaft samt New Economy unterscheiden sich die politischen Geister in anderen Fragen: Richtig oder falsch? Was ist richtig, vernünftig und angemessen angesichts neuer Ängste und Hoffnungen, unbekannter Gefahren und vager Chancen? Wohin man blickt: Der Weg zu politischen Mehrheiten führt über schmale Grate in eine unbekannte Mitte, die nur vermeintlich arithmetisch ist, sondern in der es permanent zu gewichten gilt. Die politische Mitte findet meist den vernünftigsten Weg, weil sie ihn sucht. Auf diesem Weg nimmt sie die Wähler mit — Schritt für Schritt. Thomas Klestil wollte den Österreichern den Weg zu seiner Mitte weisen. Doch zu welcher Mitte? - Mitte will Bewegung, politische Mitten wandern, und ein Politiker, der sich stets in der Mitte aufhält, besitzt demgemäss keinen eigenen Standpunkt. Man braucht sich bloss vorzustellen, das Volk bestünde nur aus einem Staatsbürger, und ein Politiker träte vor ihn hin und riefe aus: Ich vertrete die Mitte! Dieser Begriff kann völlig sinnlos werden. Wo ist die Mitte einer Balloberfläche? Oder die Mitte des Weltalls? Im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkampfes traf Thomas Klestil eine sehr persönliche Vorentscheidung: Er verrückte seinen politischen Standort von rechts nach links von der Mitte. Seine politische Mitte sollte rot sein. Und Österreichs rot-weiß-rote Fahne sollte für diese
Botschaft werben. Hat die Mitte auch keine Farbe, so ist sie mit Sicherheit nicht rot. Der Bundespräsident dürfte das anders gesehen haben. Die Zukunft wird in der Gegenwart geplant. Thomas Klestil traf im Vorfeld der Präsidentenwahl eine wichtige, für viele seiner Freunde überraschende Entscheidung, an der Österreich europa- und weltpolitisch lange zu leiden hatte. Wer diesen politischen Weg nimmt, ist bei Wahlen unschlagbar, redeten ihm Ratgeber aus seinem Personenkomitee ins Gewissen. Ein bisschen Glück dazu, und eine solide Mehrheit der Österreicher würde bereits im ersten Wahlgang der Wiederwahl des Bundespräsidenten zustimmen. Nur wer sich ändert, bleibt sich treu, mochte sich Thomas Klestil bei seinem politischen Farbenwechsel gedacht haben. Im Grunde genommen hatte er damit zum Ausgangspunkt seiner gesellschaftlichen Herkunft zurückgefunden. Als jüngster Sohn einer Kriegerwitwe mit vier Geschwistern hatte er die Armut geschmeckt, aus eigener Kraft den Aufstieg zum wohlbestallten Spitzendiplomaten geschafft und schließlich Gefallen am Lebensstil eines gesellschaftlich arrivierten Generalsekretärs im Aussenamt und zuletzt sogar eines abgehobenen Staatsoberhauptes in der Hofburg gefunden. Wer plötzlich politische Macht schmeckt, gerät leicht in Gefahr, sich von arithmetischen Mehrheiten und der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen. Der Einfachheit halber geben die Demoskopen dieser aufstiegsorih entierten Gruppe den Namen „Hedonisten", was nichts mit einem au»4 schweifenden Lebensstil zu tun haben muss, sondern mit einem Lebensprojekt, das die bürgerlichen Sekundärtugenden Fleiss, Pünkt lichkeit und Pflichtbewusstsein mit Vorlieben für gutes Design, edle Restaurants und ausgewählte Weine demonstrativ zu verbinden weiß. Zwei von drei Bundeskanzlern, mit denen der Bundespräsident zu sammengearbeitet hatte, Franz Vranitzky und Viktor Klima, waren aus demoskopischer Sicht „Hedonisten" und arbeitsame Techniker der Macht mit mehr Gespür für rechnerische Mehrheiten als politische Inhalte. Der nach vorne drängende konservative Wolfgang Schüssel hat ähnliche soziale Wurzeln, ein ähnlich lustbetontes Verhältnis zur politischen Macht, einem hedonistischen Lebensstil aber kann er gewiss nichts abgewinnen. , Politik findet heutzutage nicht im Kopf, sondern in der wechselhaften Gefühlswelt der Medien statt. Parteiorgane sind bedeutungslos
geworden, denn das Wahlvolk sieht fern. Wahlkampf wird über die Massenmedien geführt, dort, wo vor allem eines gefragt ist: Unterhaltungswert. Auch im Präsidentenwahlkampf 1998 kam Politik in vielen Schafspelzen daher. Wahlforscher sprechen von der „Entertainisierung" der Politik. Um die Sympathie der apolitischen Öffentlichkeit zu gewinnen, haben Kandidaten kurzweilige Unterhaltung zu bieten. Also verbringen immer mehr Politiker immer mehr Wahlkampf in Fernsehstudios, lassen sich von Kameras frontal abtasten, lachen und plaudern seicht. Denn die eigene Person im Dienst der Sache zur Schau zu stellen, gehört mittlerweile zu den ersten Pflichten der Wahlkämpfer, die darin immer professioneller werden. Wahlkampfstrategen wissen, dass das Gros der unentschlossenen Wähler dazu neigt, ihre Stimme nicht dem besten Programm, sondern dem scheinbar vertrauenswürdigsten und fernsehkameratauglichsten Kandidaten zu geben. Thomas Klestil hatte als Amtsinhaber und Verteidiger seines politischen Jobs die besseren Karten für einen modernen, personenbezogenen Wahlkampf als seine Konkurrenten, wenngleich Richard Lugner ihm überlegen war bei der Vermarktung seines Privatlebens, und die beiden Frauen Gertraud Knoll und Heide Schmidt ihre geschlechtsspezifischen Atouts ausspielen konnten. Gefühlige Ansagen auf Riesenfotos der Familie, auf denen wie zur Ankündigung einer TV-Vorabendserie „Unsere Klestils" hätte stehen können, waren in diesem Wahlkampf aus begreiflichen Gründen nicht am Platz. Der Bundespräsident war in diesem Wahlkampf gezwungen, als Solist aufzutreten und seine offiziöse Lebensgefährtin Margot Löffler der Öffentlichkeit vorzuenthalten.
Kein noch so prominenter Österreicher schafft es zu Lebzeiten zwischen die Zacken eines Postwertzeichens - ausser dem Bundespräsidenten. Seit Michael Hainisch im Jahr 1928 hat jedes Staatsoberhaupt zumindest eine Sonderpostmarke anlässlich eines runden Geburtstages bekommen. Das erste Highlight seines Vorwahlkampfes sollte die Herausgabe von 2,9 Millionen Briefmarken mit Thomas Klestils Bildnis am 30. Oktober 1997 aus Anlass seines 65sten Geburtstages sein. Nur ein kleiner Teil der Auflage der 7-Schilling-Sondermarke war für den Schalterverkauf gedacht. Die große Mehrzahl landete in den
Alben von Sammlern. Denn Präsidenten-Marken sind Objekte philatelistischer Begierde, seit der aus 32 Briefmarken bestehende „KarlRenner-Block" unter Sammlern rund 40.000 Schilling kostet, mehr als das Tausendfache seines Ausgabepreises. Bereits im März 1997 gab der Bundespräsident seine formale Zu-, Stimmung zur millionenfachen Auflage seines Konterfeis. Und die Post hat sich dafür mit dem drucktechnisch Besten vom Besten bedankt: Ein Kombinationsverfahren aus Rasterdruck und Stichtiefdruck sorgte für eine optimale Strahlwirkung des präsidialen Lächelns. Dass Thomas Klestils Briefmarke unmittelbar vor seiner Wiederkandidatur als staatlich unterstützte Kandidatenpropaganda einen miserablen Eindruck machte, wurde auch von der Postverwaltung als ebenso unschöne wie unvermeidbare Optik empfunden. Sein Rivale Richard Lugner verurteilte die postalische Propagandakrücke denn auch auch als unsittliches Angebot an die Wähler: „Eine Sonderpostmarke zu 1000 Jahre Österreich hätte in Zeiten von Sparpaketen mehr gebracht." Bereits am Vorabend seines 65. Geburtstages begann ein Reigen von Feierlichkeiten, der eine Woche lang die Österreicher in Begeisterung versetzen sollte. Das Bundesheer inszenierte am Heldenplatz einen „Großen Zapfenstreich" für seinen Oberbefehlshaber. Militärkapellmeister Oberst Hans Schadenbauer komponierte eigens für das Staatsoberhaupt den „Thomas-Klestil-Marsch", ein Musikstück, „dessen markanter Sechs-Achtel-Rhythmus sehr viel Optimismus und Lebensfreude signalisiert", lobte der Chef der Gardemusik sein Kunstwerk: „80 Takte, beginnend sehr piano in Es-Dur, dazwischen mezzoforte, und sich in einer hymnischen Melodie zum Porte in AsDur steigernd." Thomas Klestil, in Hubertusmantel gekleidet und mit einem Steirerhut gedeckelt, lauschte ergriffen dem musikalischen Geschenk seiner Streitkräfte. Es war sehr schön, es hat ihn sehr gefreut, vermittelte die Präsidentschaftskanzlei jenen tiefen Eindruck, den die teuerste Geburtstagszeremonie in der Geschichte des Bundesheeres auf Österreichs Oberbefehlshaber hinterlassen hatte. Am Morgen des 4. November wurde das Staatsoberhaupt vom Moderator des staatlichen Ö-3-Weckers mit einem Telefonanruf live auf Sendung aufgeweckt. Am Vormittag machten ihm die Präsidenten des National- und Bundesrates, Heinz Fischer und Günther Hummer,
ihre Aufwartung. Ein Konditormeister überbrachte dem Wahlmonarchen eine Geburtstagstorte in Republiksform und mit zwei Lipizzanern aus Marzipan verziert. Den Abend seines Geburtstages feierte Unser Herr Bundespräsident an der Seite seiner designierten „First Lady", Margot Löffler, im Kreis seiner Kinder, Schwieger- und Enkelkinder. Seine ihm vor mehr als vierzig Jahren angetraute Ehefrau, Mutter seiner Kinder, Schwiegermutter und Grossmutter, durfte dem Familienfest nicht beiwohnen. Am dritten Tag der Feierwoche für Thomas Klestil gab er ein Mittagessen für die Bischofskonferenz, an dem als Ehrengäste auch Kardinal Franz König und der päpstliche Nuntius Donato Squicciarine teilnahmen. Am Nachmittag stellten sich die Landeshauptleute als Gratulanten in der Hofburg ein. Sie überreichten dem Geburtstagskind eine von Rudolf Hradil in Öl gemalte Stadtlandschaft. Jeder Landeshauptmann brachte zum „Fest der Bundesländer" eine Musikkapelle mit musikalischen Grüssen aus den Ländern mit. Boten der „Montafoner Talschaft" führten einen alten Fruchtbarkeitstanz auf. Tiroler Schützen feuerten am Heldenplatz Salven zu Ehren des österreichischen Wahlmonarchen ab. Salzburg grüsste mit „Stubnmusi" und die Steiermark mit einem 40stimmigen Jubelchor. Aus Kärnten kam Landeshauptmann Jörg Haider mit einer Volksmusikgruppe angereist. Eine burgenländische Tamburizza-Kapelle führte dem Staatsoberhaupt ein kleines Ständchen auf, während ein Dürnsteiner Kinderchor mit hellen Stimmen Volksweisen aus Niederösterreich sang. Aus Oberösterreich war die Wallerner Kapelle angereist, und eine Wiener Militärkapelle spielte zu Ehren des Bundespräsidenten schmissige Märsche. Im Anschluss daran lud Wiens Bürgermeister Michael Häupl seine Amtskollegen aus den Bundesländern zu einem Empfang mit darauf folgendem Diner ins Wiener Rathaus. Vertreter aus den Kronländern der k.u.k. Monarchie waren seltsamerweise nicht geladen. Den Schlusspunkt der Staatsfeierwoche zu Ehren des 65jährigen Geburtstagskindes bildete eine Künstlergala in der Wiener Staatsoper. Mitglieder von Thomas Klestils Personenkomitee sangen, spielten auf oder rezitierten Bedenkenswertes wie etwa der Wiener Kammerschauspieler Fritz Muliar. Thomas Klestils Freund aus Erdberger Jugendtagen, Joe Zawinul, kam extra aus New York angeflogen, um dem Staatsoberhaupt mit jazzigen Klängen zu huldigen. Eine Staats-
feierwoche für Nordkoreas stalinistischen Diktator Kim Jong-il hätWs kein schöneres Ende nehmen können. i Die Benefizfeier stand auf Thomas Klestils ausdrücklichen Wunsch hin im Zeichen der ORF-Schnorrersendung „Licht ins Dunkel", deren Schirmherr der Bundespräsident ist. Kein misstrauischer Staatsbürger sollte den korrekten Eindruck einer politischen Werbeveranstaltung gewinnen. Dennoch verlief der Kartenverkauf nur sehr schleppend. Die Staatsfeier war entgegen allen hochgesteckten Erwartungen kein Volksfest. Am 17. November 1997, um 11 Uhr vormittags, am Tag der Verleihung der Goldenen Verdienstmedaille an Jörg Haiders Vater Robert, betrat Österreichs Staatsoberhaupt durch die rote Tapetentür das Maria-Theresia-Zimmer in der Wiener Hofburg und verkündete der wochenlang in unerträglicher Spannung gehaltenen in- und ausländischen Medienwelt in einer vom Blatt verlesenen fünfseitigen Erklärung seinen festen Willen zur Wiederkandidatur für das Amt des Bundespräsidenten. Nur acht Minuten später gab das Staatsoberhaupt das Blatt aus seiner Hand, schüttelte huldvoll einige Journalistenhände, um sich durch die rote Tapetentür zurück in die Amtsräume zurückzuziehen. Die als Pressekonferenz getarnte Audienz beim Bundespräsidenten war zu Ende. „Ich gehe davon aus, dass sich die überwältigende Mehrheit der Österreicher in den vergangenen fünf Jahren ein persönliches Urteil über meine Amtsführung gebildet hat", verkündete der Bundespräsident dem Staatsvolk: „Ich werde deshalb, auch im Wissen um das hohe Amt, das ich ja weiterhin bekleide, auf Wahlwerbung im herkömmlichen Sinne verzichten", und gelobte „Unabhängigkeit nach allen Seiten ... erprobte Überparteilichkeit ... Dialogfähigkeit mit allen politischen Kräften." Denn, versprach er: „Ich werde und will kein Kandidat einer Partei sein, was auch meiner bisherigen Amtsführung voll entspricht." Fragen liess das Staatsoberhaupt keine zu. Nicht einmal als Stichworte für Monologe des Bundespräsidenten oder als Bekenntnisse zu seiner unvorstellbaren Einmaligkeit verkleidete Fragen. Denn es sei, sagte Thomas Klestil, seine feste Absicht, die Weiterführung der Amtsgeschäfte von der Wahlbewegung zu trennen. Wer Fragen hätte, solle sich an seine Wahlkampfzentrale am Michaelerplatz in der Wiener Innenstadt und seinen Büroleiter Wolfgang Waldner wenden.
Überkorrekt hinterliess der Liebling der Volksmassen einer nachdenklichen Medienwelt viele offene Fragen zum Geheimnis des Charismatikers Thomas Klestil, der sonst mit dem Schmelz seiner Rede die Menschen bezaubert und angeblich in seiner Kindheit wie Paganini gegeigt, Kätzchen vor dem Ertrinken im Donaukanal gerettet und in den USA Ronald Reagan entscheidende Ratschläge für eine geschmeidige Führung der westlichen Supermacht erteilt und vor mancher politischen Torheit bewahrt hatte. Politische Kommentatoren zerbrachen sich fortan die Köpfe über das Mysterium dieses grossartigen Staatenlenkers, der Gerüchten zufolge im besten Mannesalter beinahe den Nahost-Konflikt im Sinne seines großen Vorbilds Bruno Kreisky gelöst, den Israelis eine sichere und den Palästinensern eine gute Heimat in Eintracht und Frieden erstritten hätte und dessen diplomatische Netzwerke von Feuerland zum Nordpol und von Oberpullendorf bis nach Bezau reichen. Wird es bald so weit sein, fragte sich da so mancher Beobachter und Bewunderer, dass an Thomas Klestils Wesen bald die Welt genesen würde? Doch auch diese Schicksalsfrage liess der Bundespräsident mit entschlossener Würde offen. Während seriöse Auguren aus aller Welt das Arkanum des vermutlich über Wasser und auf glühenden Kohlen schreitenden und allmählich ins Mythische entrückenden Menschheitsgenius analysierten, holte der eifernde SPÖ-Sekretär Bruno Aigner den nahezu unüberwindlichen Universaltitan auf die österreichische Heimaterde zurück und forderte mit Nachdruck seine Partei auf, einen eigenen Kandidaten für das Präsidentenamt aufzustellen. Immerhin hätte sich Thomas Klestil für einen Beitritt Österreichs zur NATO ausgesprochen und damit den Boden der Bundesverfassung verlassen. FPÖ-Generalsekretär Peter Westenthaler hingegen kündigte dem Staatsoberhaupt freiheitliche Unterstützung im Wahlkampf an. Die Bevölkerung aber koppelte sich von allen Medienerregungen ziemlich souverän ab. Obwohl mit Ausnahme des Liberalen Forums nur eine Partei mit Heide Schmidt eine eigene Kandidatin nominiert hatte und die drei anderen Rivalen des Bundespräsidenten reine politische Amateure waren, sprachen sich im zeitlichen Umfeld der Ankündigung Klestils, sich ein zweites Mal um das Hofburg-Amt zu bewerben, in Meinungsumfragen nur 56 Prozent für eine Wiederwahl des Staatsoberhauptes aus. Die an zweiter Stelle gelegene
karenzierte Superintendentin Gertraud Knoll brachte es dagegen nur auf 14 Prozent, gerade ein Viertel des für Thomas Klestil erhobenen Wertes. Fünf Monate lang sollte ein Wahlkampf im Zeichen allgemeiner Besorgnis dauern. Baumeister Richard Lugner sorgte sich um die Werbewirkung seiner Kandidatur auf die Umsatzzahlen in der Warenwelt seiner Lugner-City. Heide Schmidt sorgte sich mit betroffener Strenge um das Verbot von Kruzifixen in Österreichs Schulklassen und um den staatlichen Segen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Gertraud Knoll sorgte sich um die Befindlichkeit politisch korrekter Lichterlkerzenschlucker. Nur der amtierende Bundespräsident sorgte sich um die Zukunft des Landes. Thomas Klestil pries die Wohltaten der „Großen Koalition" in den höchsten Tönen, wünschte ihr ein ewiges Leben und erteilte Jörg Haiders Freiheitlicher Partei in einem Interview mit der linksliberalen französischen Tageszeitung „Le Monde" einen präsidialen Persilschein: Diese Partei sei die drittgrösste Fraktion im österreichischen Nationalrat und selbstredend demokratisch legitimiert, sich an einer Bundesregierung zu beteiligen. Dies war eine der ganz wenigen konkreten Aussagen Thomas Klestils im Präsidentenwahlkampf. Im übrigen wollte er geschmeidig die Untiefen des politischen Alltags umschiffen. Bloss nicht auf eine Linie festlegen lassen und Angriffsflächen bieten. Nur keine allzu konkreten Versprechen machen, nur nicht als Wahlkämpfer auffallen. Als wollte Thomas Klestil beweisen, dass für seinesgleichen die Schwerkraft besiegt ist, schwebte er bei seinen Wahlkampf genannten Staatsbesuchen in der heimischen Provinz und bei seinen Fernsehauftritten ganz leicht über dem Boden. In dieser Disziplin war Österreichs Ersatzkaiser Europas waschechten Königinnen und Königen um Längen überlegen. Mit Politik hatte das freilich wenig zu tun. Es war Wahlkampf in Österreich. Die Leidenschaft der Wähler war ungeweckt. Viele bekundeten in Meinungsumfragen ihr Desinteresse und machten ihre Entscheidung, ihre Stimme abzugeben, von der Überzeugungskraft der Kandidaten abhängig. Über Personen, nicht über Parteien sollte entschieden werden. Situationsgerecht gab sich Thomas Klestil staatsmännisch und pflegte die Aura von absoluter Überparteilichkeit und Abgehobenheit, um die mitunter kräftige Wortwahl seiner Rivalen als billige Polemik erscheinen zu lassen.
Mit überparteilichem Blick auf die sozialdemokratische Klientel verwies er auf seine gewerkschaftliche Bindung, äusserte Vorbehalte gegenüber der Privatisierung staatlichen Eigentums und einer Flexibilisierung des verkrusteten Arbeitsmarktes. Freiheitlichen Wählern empfahl er sich als Gegner jeglicher Ausgrenzung ihrer umstrittenen Partei und als Freund von Ordnung und Sicherheit im Land. Und grüne Umweltfreunde bewarb er mit dem Versprechen, sich am Projekt eines atomfreien Mitteleuropas engagiert zu beteiligen. Allein der umstrittene Grün-Politiker Peter Pilz versuchte den Präsidentenwahlkampf zu politisieren. Er beschuldigte Thomas Klestil, er hätte noch als Generalsekretär des Außenministeriums alles getan, um die Aufdeckung politisch motivierter Kurdenmorde zu verhindern. Generalsekretär Klestil sei wiederholt bei Interventionen im Innenministerium erfolgreich geblieben, um die Ermittlungen im Sinne des Irans zu beeinflussen. „Niemand kann ihm Weisungen oder offenen Druck nachsagen", relativierte freilich Peter Pilz seine Attacken auf den Bundespräsidenten: „Er hat nur solange 'informiert', bis das Ziel erreicht war." Die politische Linie und die knieweiche Haltung Österreichs bei der Aufdeckung der Kurdenmorde in Wien seien klar und eindeutig vom Außenministerium unter Generalsekretär Klestil vorgegeben worden. Dass diese Haltung falsch war, liegt auf der Hand. Sie wurzelt in der Angst des offiziellen Österreichs vor terroristischen Rachefeldzügen auf seinem Territorium und hat seit Bruno Kreiskys neutralistischer Appeasementpolitik lange Tradition. „Peter Pilz deutet offensichtlich jede Information, die das Außenministerium pflichtgemäss an die österreichischen Sicherheitsbehörden weitergegeben hat, als politische Intervention", verteidigte seinerzeit Klestils Pressesprecher Heinz Nussbaumer die Arbeit des früheren Generalsekretärs im Aussenamt: „Denn daraus ergibt sich eine verzerrte Optik und ein falsches Bild der tatsächlichen Vorgänge." Überdies war der Bundespräsident von Anfang an bereit, alle ihn betreffenden Akten offenzulegen. Klestil forderte alle Unterlagen vom Außenministerium an und übergab diese in persönlichen Gesprächen allen parlamentarischen Klubobleuten der Opposition. Die österreichische Bundesregierung hatte seinerzeit im Konsens entschieden, sich auf keinen Streit mit dem Iran einzulassen. Dadurch wurden die Ermittlungen auf Sparflamme gestellt und die Wahrheitsfindung
schwer beeinträchtigt. Daraus dem hohen Beamten Klestil einen Strick zu drehen, bloss weil dieser später zum Bundespräsidenten gewählt wurde, spricht nicht für großen Einfallsreichturn und ausbalancierte Objektivität. ***
Aristoteles formulierte die bis heute gültige Maxime für eine glaubwürdige Rednerpersönlichkeit: „Durch den Charakter überzeugt man, wenn die Rede so gehalten wird, dass sie den Redner glaubhaft macht." Thomas Klestil ist die Kunst souveräner Selbstdarstellung fremd. Seine Körpersprache ist eckig, fast gewaltsam. Er agiert vor allem mit Kopf und Oberkörper, und wenn er sich in einen Wirbel redet, dann hämmert der ganze Körper mit. Auch in Gestik und Mimik stehen ihm nur wenige Variationen zur Verfügung. Thomas Klestil bevorzugt eine oft abgehackt wirkende Argumentationsgestik, wenn er sitzend redet, verkrampft er sich besonders leicht. Die nach unten gezogenen Mundwinkel, ein scheuer, leicht verstörter Blick und manchmal auch ein sparsames Lächeln vervollständigen das Bild eines eher sauertöpfischen Oberlehrers, der in Gesprächssituationen schnell in eine Musterschülerhaltung zurückfällt. Es sei denn, er flüchtet in die Rolle eines von Gut und Böse völlig abgesetzten Ersatzmonarchen, der sich gedanklich und verbal selbst im Weg steht, buchstäblich und symbolisch leicht ins Stolpern gerät, wenn er ohne Vorbereitung antworten oder auf einer Wahltournee durch Österreich freundliche Worte sagen und ehrliches persönliches Interesse vermitteln soll. Thomas Klestil hatte sich, aus welchen Gründen immer, von seinem Wahlvolk zurückgezogen. Dennoch wollte der Bundespräsident in seinem letzten Wahlkampf auch irgendwie modern sein und er versuchte dies damit zu beweisen, dass er sich den Sozialdemokraten Viktor Klimas und Jörg Haiders Freiheitlichen anbiederte, wo immer sich dazu Gelegenheit bot. Thomas Klestil beflügelte damit politische Phantasien über künftige Koalitionsabsprachen und den Ärger der ÖVP-Spitze über die in kurzen Abständen präsentierten Rechnungen für Wahlwerbeaktionen, denen keine politischen Leistungen gegenüber standen. Nicht mit Visionen und Programmen warb der Bundespräsident um Wählerstimmen, sondern gegen „seine" Partei. Dass dieser Strategie
etwas Anrüchiges anhaftete und ein tieferliegendes Problem ausdrückte, wurde auf den Fluren der ÖVP-Parteizentrale sarkastisch und von bürgerlichen Wählern traurig kommentiert. „Den konservativkatholischen Teil seiner Wählerschaft hat er mit den Vorgängen rund um seine Ehekrise verärgert", schrieb Paul Hefelle in der Zeitschrift des Cartellverbandes „Academia", und „die Funktionäre der unteren Ebene haben ihm seinen bis zur Selbstverleugnung überparteilich inszenierten zweiten Wahlkampf kaum verziehen", und auch nicht die herablassende Art, mit Menschen umzugehen. Ein Gefühl der Enttäuschung breitete sich aus. „Bei uns", sagte ein Parteifreund aus dem salzburgischen Lungau, „kriegt man die Leute für den Bundespräsidenten kaum noch auf die Strasse, nicht zu seinen Veranstaltungen und schon gar nicht zum Plakatieren oder Flugblattverteilen." Der Sowohl-als-auch-Kandidat beschränkte sich auf symbolpolitische Gesten und Sprüche und verstörte mit dieser Taktik seine Anhängerschaft. „Ich werde Klestil nicht wählen, ich werde niemanden, sondern weiß wählen", seufzte ein enttäuschter ÖVP-Funktionär im oberösterreichischen Mühlviertel. Gefallene Idole erregen zumeist den besonders heftigen Zorn ihrer Anbeter. Wie sehr der Seelenhaushalt seiner Parteifreunde seit seiner Ehekrise und seiner Anbiederung an Sozialdemokraten und Freiheitliche durcheinander geraten war, schilderte Paul Hefelle nach einem Lokalaugenschein in einer ÖVP-Funktionärssitzung: „Der wahre Buhmann ist rasch ausgeforscht. Des ane, des sag' ich euch, ich bin für den Klestil gerannt, aber so wie der sich aufführt, der ist ein echter ..." Und kein Widerspruch regte sich. „Der Bundespräsident steht diametral zu seiner einstigen politischen Heimat." Thomas Klestil hatte die Brücken zu seiner Herkunft und politischen Vergangenheit brüsk abgebrochen. Prominente Cartellbrüder stellten die Frage, ob er nicht den Grundsatz der „Lebensfreundschaft" bewusst verletzt hätte, wo er doch ebenso stolz wie ungefragt verkündete, Veranstaltungen seiner Bundes- und Cartellbrüder schon seit Jahren nicht mehr zu besuchen. Besonders gross aber war die Enttäuschung seiner Cartellbrüder über die mit der Verleihung einer Goldenen Verdienstmedaille an Jörg Haiders Vater Robert verbundenen Prinzipienlosigkeit. Der Schustergeselle Robert Haider aus Bad Goisern in Oberösterreich war „illegales Mitglied der „Österreichischen Legion" bei der Nationalsozialisti-
sehen Arbeiterpartei (NSDAP) und hatte seine Hand im Spiel beim nationalsozialistischen Putschversuch gegen den „austrofaschistischen" Ständestaat, dessen blutigen Höhepunkt die Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuss am 25. Juli 1934 bildete. Dollfuss war Mitglied der CV-Verbindung Franco-Bavaria. „Der zu Recht als Opfer der österreichischen Selbstbehauptung gegenüber Hitler bezeichnete Engelbert Dollfuss wurde nach seiner Ermordung zu einer Art Mythos hochstilisiert", schreibt der Chronist des Cartellverbandes, Gerhard Hartmann („Der CV in Österreich", Verlag Styria. Graz, Wien, Köln, 1994). Mitglieder des Österreichischen Cartellverbandes waren massgeblich an der Niederschlagung des Juli-Putsches der illegalen Nationalsozialisten irn Jahr 1934 beteiligt. Robert Haider wurde damals so wie auch andere Mitglieder der „Österreichischen Legion" der NSDAP des Landes verwiesen. Vom nationalsozialistisch regierten Deutschland sollte er von nun an „offiziell" gegen Österreich putschen und den ersehnten „Anschluss" an das Deutsche Reich vorbereiten. Die vom Bundespräsidenten vergebene Auszeichnung der Republik Österreich an Robert Haider wirbelte gehörigen Staub auf und löste eine Flut von Protestschreiben an das Staatsoberhaupt aus. Um sich von dieser Affäre freizuspielen, wurde das Büro von Sozialministerin Lore Hostasch beauftragt, die Unmutsbezeugungen mit „Musterbriefen" zu besänftigen. Lore Hostaschs Büroleiter Bernhard Schwarz antwortete den Protestschreibern im Einvernehmen mit der Präsidentschaftskanzlei wie folgt: „Sie haben in Ihrem Schreiben an die Frau Bundesminister Ihren Unmut darüber geäussert, dass an Herrn Robert Haider über Antrag des Ministeriums eine Auszeichnung der Republik Österreich verliehen worden ist... Angesichts der Meldungen in den Medien über die behauptete nationalsozialistische Vergangenheit des Herrn Haider ist dieser Unmut verständlich. Die Verleihung einer Auszeichnung in diesem Fall kann zu Missverständnissen führen in die Richtung, dass eine nationalsozialistische Haltung gebilligt würde ... Ich darf Ihnen dazu im Namen der Frau Bundesministerin, aber auch im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums mitteilen, dass mit der Antragstellung im gegenständlichen Fall in keiner Weise eine Bagatellisierung von nationalsozialistischen
Verfehlungen oder gar eine Abwertung von Personen verbunden sein sollte, die gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben und gegen nationalsozialistische Tendenzen in unserer Gesellschaft tätig sind ... Die Antragstellung war allein darauf zurückzuführen, dass aufgrund der Aktenlage über eine nationalsozialistische Vergangenheit oder Haltung des Herrn Haider nichts bekannt war und staatspolizeiliche Erhebungen in keinem Fall durchgeführt werden. Der Antrag wurde im gegenständlichen Fall von einem Verband gestellt, der im österreichischen Seniorenrat vertreten ist, er wurde routinegemäss aufgrund der Angaben im Antrag und nach — negativ verlaufenen — Anfragen über allfällige Vorstrafen und aktenkundige Vorkommnisse erledigt. Auch eine verwandtschaftliche Beziehung des Herrn Haider zum Parteivorsitzenden der Freiheitlichen war aufgrund der Aktenlage nicht bekannt, obwohl dazu festgestellt werden muss, dass eine Verwandtschaftsbeziehung zu bestimmten Personen sicherlich kein ausreichender Grund dafür ist, Vorbehalte zu haben ... Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass es trotz der im üblichen Ausmass durchgeführten Erhebungen aufgrund der verfügbaren Entscheidungsgrundlagen nicht erkennbar war, dass Ablehnungsgründe vorliegen könnten. Ihr Unmut ist dennoch verständlich. Mit dem Fall dürfen aber sicher keine Vermutungen über die Billigung nationalsozialistischer Aktivitäten oder Haltungen durch die Frau Bundesministerin oder Mitarbeiterinnen des Ministeriums verbunden werden. Gerade die Frau Bundesminister hat in ihrer bisherigen Tätigkeit sehr oft mit großer Entschiedenheit in Wort und Tat gegen die nationalsozialistischen Verbrechen und Haltungen Stellung bezogen und ihre Förderung antifaschistischer Aktivität deutlich zum Ausdruck gebracht." Der guten Ordnung halber ist festzustellen, dass der Bundespräsident nach dem Scheitern der EU-Sanktionen sich um ein besseres Verhältnis zum Cartellverband bemüht hat. Im Juni 2001 empfing er Bundesbrüder seiner Verbindung Bajuvaria zur Audienz in die Hofburg. Später eröffnete er in Baden bei Wien die Ausstellung „Blutzeugen des Widerstandes", die das Schicksal prominenter CVer im nationalsozialistischen Regime dokumentierte.
BITTER WAR DER SIEG
Ein über weite Strecken spannungsarmer Wahlkampf bescherte dem Bundespräsidenten am Wahlabend des 19. April 1998 den erwarteten Erfolg: Fast zwei von drei Wählern, genau genommen 63,49 Prozent, stimmten für Thomas Klestil. Jene 80 Prozent, die sein Vorgänger Rudolf Kirchschläger im Jahr 1980 bei seiner Wiederwahl erreichte, blieben ihm zwar versagt, doch er hatte auch gegen doppelt so viele Gegenkandidaten anzutreten und brachte es immerhin auf das mit Abstand zweitbeste Ergebnis aller Bundespräsidenten, die sich ein zweites Mal der Wahl gestellt hatten. Auf Platz zwei landete gleichfalls erwartungsgemäss die karenzierte Superintendentin des Burgenlandes, Gertraud Knoll. Sie konnte 13,53 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Kopf an Kopf lagen die Chefin des Liberalen Forums, Heide Schmidt, und der Wiener Baumeister Richard Lugner. Schmidt erzielte 11,08 Prozent der Stimmen. Richard Lugner verfehlte ein zweistelliges Resultat knapp und verbuchte 9,94 Prozent der Wählerstimmen. Besser als in den Meinungsumfragen erhoben, schnitt Karl Walter Nowak ab: Mit 1,95 Prozent der Stimmen landete er dennoch abgeschlagen auf dem letzten Platz. Wermutstropfen fielen freilich in den Siegesbecher des wiedergewählten Bundespräsidenten: Nur knapp 74 Prozent der Wahlberechtigten hatten sich an der Präsidentenwahl beteiligt. Trotz gesetzlicher Wahlpflicht war jeder vierte Wahlberechtigte der Abstimmung über den künftigen Bundespräsidenten ferngeblieben. Demnach hatten sich bloss 47 Prozent der Wahlberechtigten, also weniger als die Hälfte, für die Wiederwahl des österreichischen Staatsoberhauptes entschieden. Fünfzig Jahre davor hatten an der ersten Volkswahl zum Bundespräsidentenamt noch 97 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Im Jahr 1957 wurde der SPÖ-Kandidat Adolf Schärf mit der nie wieder erreichten Wahlbeteiligung von 97,2 Prozent zum Bundespräsidenten gekürt. Die Wahlauseinandersetzung zwischen dem amtierenden Bundespräsidenten Franz Jonas und seinem Konkurrenten Kurt Waldheim lockte im Jahr 1971 95 Prozent der Wahlberechtigten in die Wahlzelle.
Und selbst bei der ersten Wahl Klestils zum Bundespräsidenten im Jahr 1992 war das 85 Prozent der Wahlberechtigten eine Stimmabgabe wert. Der zweite Wermutstropfen: Jene drei Mittelparteien, die Thomas Klestils Wiederwahl mehr oder weniger eifrig unterstützten - die Sozialdemokraten, die Volkspartei und die Freiheitlichen -, lagen im Frühjahr 1998 in praktisch allen Meinungsumfragen zusammen bei rund 85 Prozent. Die Grün-Alternativen und das Liberale Forum erreichten bei Wahlen zusammen nie mehr als zwischen 12 und 17 Prozent. Dennoch stimmten „nur" 63,5 Prozent der Wähler für eine Wiederwahl Thomas Klestils zum Bundespräsidenten. Und noch ein Wermutstropfen liess den Sieg Thomas Klestils bitter schmecken: Während die Sympathisanten der Grün-Alternativen und des Liberalen Forums die Reihen dicht um ihre Kandidaten schlössen, auch notorische SPÖ-Wähler brav zur Wahl gingen und immerhin jeder zweite Thomas Klestil seine Stimme gab, blieben FPÖ-Wähler, noch mehr aber das „bürgerliche Lager" in großer Zahl der Präsidentenwahl fern. Doch vier von fünf ÖVP-Wählern und die Hälfte der FPÖ-Wähler, die an der Bundespräsidentenwahl teilgenommen hatten, stimmten für Thomas Klestil. Wie Captain Blyth auf der „Bounty", dem leider kein Erster Offizier Fletcher Christian, sondern nur ein ständig seine strahlend weißen Zähne fletschender Bundeskanzler Klima gegenüberstand, zeigte Thomas Klestil sich vom großen Zuspruch der Österreicher dennoch sehr angetan, war er doch mit der Erwartung in den Wahlkampf gezogen, mindestens „50 Prozent plus eine Stimme zu erhalten" - die absolute Mehrheit eben. Aufgrund des kurzen Wahlkampfes erleichtert, freute sich der Bundespräsident „über die klare Bestätigung meiner korrekten und überparteilichen Amtsführung" und darüber, „dass ich nach nach dem 8. Juli 1998 meine Arbeit fortsetzen kann". Gewohnt staatsmännisch berief Thomas Klestil sich auf die ihm von der Bundesverfassung gegebenen Möglichkeiten zu aktiver und wirksamer Arbeit im Dienste des Landes. Am „bewährten Gleichgewicht zwischen Parlament, Regierung und Bundespräsidenten" wollte er nicht rütteln, sondern „im raschen Wandel unserer Zeit ein Garant unserer Stabilität und ein Hüter des Österreichbewusstseins sein und über den Horizont der Tagespolitik hinaus in die Zukunft blicken". Argwöhnisch belauerten sich Klestils parteipolitische Unterstützungsvereine. Ob Sozialdemokraten, Konservative oder Freiheitliche -
jeder Parteiführer wollte sich eine grössere Scheibe vom Wahlerfolg des Bundespräsidenten abschneiden. So betonte denn auch Viktor Klima seine Freude über die Wiederwahl des Bundespräsidenten, an der die Sozialdemokraten einen wesentlichen Anteil hätten. Desgleichen sprach Klimas Parteisekretär Andreas Rudas von einem „erwarteten und an sich nachvollziehbaren Ergebnis". Sozialdemokraten und Bundesregierung seien verpflichtet, ihre erfolgreiche Arbeit im Sinne des Wahlauftrages an den Bundespräsidenten fortzusetzen. Die Interpretation des Präsidentenwahlergebnisses artete bei den Freiheitlichen gleichfalls zu penetranter Rechthaberei aus. Die geschäftsführende Parteivorsitzende Susanne Riess-Passer zollte dem Bundespräsidenten „Anerkennung, Respekt und herzliche Glückwünsche". Ihr Generalsekretär Peter Westenthaler strahlte vor Glück „über den so klaren Wahlerfolg jenes Kandidaten, der gegen die politische Ausgrenzung der Freiheitlichen aufgetreten ist", und betonte den Gleichklang politischer Überzeugungen zwischen dem Bundespräsidenten und seinem freiheitlichen Hilfszug. Etwas schaumgebremster entlud sich die Freude Wolfgang Schussels über Klestils Wahlsieg. Er erinnerte daran, dass die Volkspartei Klestil im Jahr 1992 gegen sozialdemokratische und freiheitliche Konkurrenz als Kandidaten ins Hofburg-Rennen geschickt und auch in diesem Wahlkampf wieder unterstützt hatte. Klestils Wahlsieg sei auch ein Auftrag an die Bundesregierung, endlich ihre Reformversprechen einzulösen. „Die Österreicher sind grundvernünftig. Sie wissen, was sie wollen", interpretierte Wolfgang Schüssel das Wahlergebnis und wehrte sich gegen Gerüchte, wonach zwischen ihm und dem Bundespräsidenten schwerwiegende Meinungsunterschiede bestünden. Jeder unbefangene Ohrenzeuge der parteipolitischen Huldigungen an den wiedergewählten Bundespräsidenten hätte seinerzeit den Eindruck gewinnen müssen, mit Klestil sei das Aushängeschild von Sozialdemokratie und Freiheitlichen in die Hofburg verbracht worden. Statt diesen Eindruck zu verwischen, vertiefte dieser sich in der öffentlichen Meinung umso stärker, je mehr der Bundespräsident seine parteipolitische Unabhängigkeit auf sein Verhältnis zur Volkspartei bezog. Ein merkwürdiger Zufall wollte es, dass Thomas Klestils Gemeinsamkeiten mit seiner ersten Ehefrau und mit der Volkspartei nach ziemlich genau 35 Jahren weitgehend verbra ucht waren. Während
Ausbruchsversuche und Selbstfindungen weiblicher Romangestalten meistens aus dem Geborgenheitsgefängnis von Ehe und Familie herausführen, überwiegt bei Männern die Typologie des innerlich befreiten Heimkehrers. So vollzog der Bundespräsident eine wundersame Wandlung vom Idealbild eines konservativen Traditionalisten zum auch politisch unberechenbaren Luftikus.
„Über der Angelobung des Bundespräsidenten liegt eine tiefe Symbolik", leitete Thomas Klestil seine Rede vor dem weiten Rund des alten Reichsratssitzungssaals im Parlament ein. Einst fasste dieser ehrwürdige Saal, laut Klestils Vorgänger Karl Renner, „die Rekrutenschule der mittel- und südosteuropäischen Demokratien", 516 Abgeordnetenplätze. Am 8. Juli 1998, dem Tag der Angelobung Klestils vor dem Beginn seiner zweiten Amtszeit als Bundespräsident, war er mit den Mitgliedern des österreichischen National- und Bundesrates, vielen ehemaligen Ministern und Parlamentariern, Landeshauptleuten, hohen Richtern und Militärs sowie Spitzenbeamten der Republik relativ dicht besetzt. In den darüber liegenden Logen sassen die beiden früheren Bundespräsidenten Kurt Waldheim und Rudolf Kirchschläger, Thomas Klestils Kinder und sein Wahlkampfrivale Richard Lugner mit seiner „Mausi" genannten Ehefrau. Unmittelbar hinter den Würdenträgern in den Logen lauschte Österreichs weltweit bekanntester „Promi", Arnold Schwarzenegger. Er war eigens aus Los Angeles angeflogen, um der republikanischen Zeremonie beizuwohnen. Um ihn drängten sich mehr Leute und Berichterstatter als um irgendeine Persönlichkeit im alten Reichsratssitzungssaal. Hinter einer Balustrade versteckt, verfolgte Thomas Klestils Lebensgefährtin Margot Löffler die feierliche Bundesversammlung der Republik Österreich. Das vielfach entschlüsselte Geheimnis ihrer Beziehung verbot schon aus protokollarischen Gründen ihren Auftritt im Blicklicht der Öffentlichkeit. Bald aber, hatte ihr der Bundespräsident versichert, würden die demütigenden Jahre des Versteckspiels vorbei sein. Dann dürfe sie an seiner Seite als Österreichs „First Lady" aus dem Schatten treten. Der Präsident des Nationalrates, Heinz Fischer, sprach dem Bundespräsidenten die Gelöbnisformel vor und legte ihm die Wünsche
der Bundesversammlung für das „Projekt Österreich" ans Herz: eine sichere Zukunft des Landes, den Schutz der Umwelt und der sozial Schwachen. „Möge die Amtsperiode von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil als Periode des Friedens und der Sicherheit in die Geschichte unseres Landes eingehen. Es lebe unsere demokratische Republik Österreich." In steifer Haltung, den Blick fest ins Weite gerichtet, sprach Thomas Klestil die im Artikel 62 der Bundesverfassung festgelegte Gelöbnis formel: „Ich gelobe, dass ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wis sen und Gewissen erfüllen werde." Die Beifügung eines religiösen Glaubensbekenntnisses ist laut Bundesverfassung Sache des Staats oberhauptes. Thomas Klestil entschied sich für die Anrufung göttli cher Hilfe und sagte: „So wahr mir Gott helfe." ' | Bevor der Reckturner in die Höhe springt und mit großen Schwüfl| gen an der Stange seine Kraft und Herrlichkeit demonstriert, nimmt er Grundstellung ein, atmet tief durch und konzentriert sich auf seine Übung. Antrittsreden von Bundespräsidenten sind offene Liebeserklärungen an Land und Leute sowie programmatische Absichtserklärungen für die Wege und Ziele der Republik - Gratwanderungen zwischen leichten Tönen und schweren Akkorden. Der Bundespräsident muss den Geist beschwören, der das Programm durchwebt. Er hat die Tonlage anzuzeigen, die Grundakkorde anzuschlagen, die Generalthemen vorzugeben, die historische Ortsbestimmung zu versuchen, das intellektuelle, das moralische Niveau glaubwürdig zu demonstrieren - und vor allem die Formulierungen zu liefern, die hernach in aller Munde sein werden. Denn letztlich lebt die Demokratie aus dem Wort - aus seiner Freiheit, seinem Reichtum, seiner Präzision. Mut ist eine zentrale moralische Quelle moderner Republiken. So sah es Alexis de Tocqueville, als er im 19. Jahrhundert versuchte, die moderne Politik am Beispiel der jungen Vereinigten Staaten zu verstehen. Nicht der Mut zum kriegerischen Duell, schrieb er, werde hier am höchsten geachtet, sondern der Mut, „der Wut des Ozeans zu trotzen, um schnellstens im Hafen zu sein, die Nöte der Wüste ohne Klagen zu erdulden und die Einsamkeit, die grausamer ist als alles Elend". Die „Wut des Ozeans" oder die „Nöte der Wüste" stehen für schwierige, unübersichtliche Bedingungen, die den Bürgern mehr
abverlangen als den geschickten Einsatz technischer Mittel. Die List der Vernunft, die im technischen Instrument Naturkraft gegen Naturkraft ausspielt und sich dabei gleichsam zurücklehnen kann, hilft da nicht weiter. Bürgerhandeln bekommt damit eine moralische Qualität, und diese liegt in der Konfrontation mit einer Welt, die den Mut des Selbsteinsatzes herausfordert. Deshalb feierte Alexis de Tocqueville an Amerika nicht die Ellbogengesellschaft, sondern die Fähigkeit, Konkurrenzdruck zu ertragen. Entscheidend sei der Mut, „der für den plötzlichen Zusammenbruch eines mühevoll erworbenen Vermögens Unempfindlichkeit verleiht und neue Kraft gibt, wieder von vorne anzufangen". Wo der Mensch immer wieder in neue Bereiche vorstösst, in denen die Sicherheit von Besitz und Bildung entwertet wird, kann nicht Sicherheit der höchste Bürgerwert sein. Demgemäss lobt Tocqueville den Mut, eine Konkurrenz aufzunehmen, deren Ausgang unsicher ist. Konkurrenz ist ein Suchverfahren der Staatsbürger. Denn wenn risikoreiche Vorgaben immer nur vom Staat gegenüber einer im Prinzip skeptischen oder gar mutlosen Zivilgesellschaft gemacht werden, wird das Suchverfahren zum Versteckspiel, bei dem derjenige, der eine härtere Anforderung stellt oder Gangart geht — Stichworte: Pensionsreform, Bürokratieabbau, mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, Abbau des Staatsschuldenberges, des staatlichen Besitzstandes in Wirtschaft und Gesellschaft, Reduktion der Staats- und Steuerquote, Redimensionierung des Sozialstaates usw. -, immer als Bösewicht erscheint und als Verlierer endet. Obschon von Selbstzweifeln selten angefochten, wird Thomas Klestil sich kaum einen Meister des Wortes nennen, der es versteht, geistespolitische Richtpunkte zu setzen. Nachdenklichkeit ist nicht seine Sache, und der Wille zum Handeln drückt sich in seinen Ansprachen in der Neigung zur Formel „aktiv" aus, die er gern den unterschiedlichsten Zeitwörtern voranstellt: Wir dürfen, können, müssen „aktiv mitgestalten" (im Gegensatz zur passiven Gestaltung), „aktiv handeln", kurz eben immer „aktiv" sein. „Erfüllt von tiefer Dankbarkeit für das Vertrauen meiner Landsleute, die mich erneut in dieses Amt berufen haben", konstatierte er tiefgreifende Veränderungen und den Eintritt in ein „neues Zeitalter". Seit Platons Kritik an der Rhetorik als eine Art Verschleierung „des Wahren" haftet dem Fach etwas Anrüchiges an - der Missbrauch zu
propagandistischen Zwecken. Der wiedergewählte Bundespräsident versprach, den Österreichern Mut zur Veränderung zu machen, „Schneisen der Zuversicht und des Selbstvertrauens in die Unübersichtlichkeit unserer Zeit zu schlagen". Er sah sich als Repräsentant Österreichs nach aussen, aber auch als „Hüter der Gemeinsamkeit nach innen", und empfahl sich als des Bundespräsidenten „Stimme der Orientierung" für alle, „die sich von den Veränderungen überfordert fühlen". Diesen schönen und herzerwärmenden Versicherungen folgten schlichte Bekenntnisse zu einer notwendigen Bildungs- und Forschungsoffensive und der Fortentwicklung der österreichischen Neutralität zur internationalen Solidarität. Schließlich aber versprach der Bundespräsident, seinen Teil zu leisten bei der Überbrückung der Kluft zwischen Politik und Bürger. Je leerer ein Versprechen, desto voller die Absicht. Friedrich Hegels „Herr" sucht den „Kampf auf Leben und Tod", der ihn als Chef im Ring bestätigt oder vernichtet. Der „Knecht" weicht hingegen dem Kampf aus und muss dafür knechtische Arbeit auf sich nehmen. Ausweichen wird hier zur ersten Bürgerpflicht. Risikolosigkeit wird mit Stillstand erkauft und Opportunismus in den Rang einer bürgerlichen Tugend erhoben. Der Klügere gibt nach und erspart sich schwierige Situationen und Konfrontationen. Hier Staat und Politik, dort die zivile Gesellschaft, dazwischen Thof mas Klestil als Volksanwalt und Richter in kontroversiellen Situation nen. Das Staatsoberhaupt als Mittler zwischen der herrischen Politik und dem geknechteten Bürger - ein Demokratieverständnis, das im aufgeklärten Absolutismus gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurzelt und das bis heute in Österreich als sozialpartnerschaftlicher Konflikt»! lösungsmechanismus fortlebt. : Fortschritt und Wohlstand sind das Ergebnis von Konfrontationen»! in denen Bürger immer wieder den Bluff des politisch Unzumutbaren^ durchbrochen haben. Pluralistische Republiken und offene Gesell-!, Schäften sind aus dem Mut gebaut, sicheres Terrain hinter sich zu las-' sen. „Speed kills", die Geschwindigkeit bringt's - der unaufschiebbare Wandel vom paternalistischen Fürsorgestaat zu mehr Eigenverantwortung der Bürger passt nicht in die Vorstellungswelt eines Bundespräsidenten, dem das Friedfertige einer staatlich betreuten Gesellschaft näher liegt als der Streitcharakter der Moderne.
Allein das „Projekt Europa" wollte er nicht „den Ängstlichen, den Enttäuschten und den Anhängern einer Welt von gestern überlassen". Denn, sagte er: „Wir würden damit riskieren, uns in der Europäischen Union und gegenüber den Kandidatenländern in unserer Nachbarschaft selbst zu isolieren. Das kann nicht in unserem Interesse liegen, zumal es zum grösseren gemeinsamen Europa keine plausible Alternative gibt." Thomas Klestil beendete seine Antrittsrede für seine zweite Amtsperiode als Bundespräsident mit einem patriotischen Appell: „Steigt nicht aus, sondern steigt ein", rief er mit den Worten des Papstes allen Landsleuten zu: „Es zahlt sich aus, sich für Österreich zu engagieren. Ich wüsste kein anderes Land, das mehr Anlass hätte, an seine Zukunft zu glauben, als unsere geliebte Heimat, die Republik Österreich." Dem vom staatlichen ORF live übertragenen Festakt aus dem Reichsratssaal im Parlament folgte die erste Strophe der Bundeshymne. Dann zog der Tross aus Staatsoberhaupt, Regierung und Diplomaten zum äußeren Burgtor auf dem Heldenplatz, wo Fahnen paradierten und eine Militärmusikkapelle den unvermeidlichen „Doktor-Thomas-Klestil-Marsch" intonierte. Tags darauf, am Samstag, dem 9. Juli 1998, lud der Bundespräsident seine Landsleute für drei Stunden zum Tag der offenen Tür in die Präsidentschaftskanzlei. Parlamentarier aller Parteien übten Kritik am steifen Zeremoniell bei der Angelobung des Bundespräsidenten. Vor allem die Oppositionsparteien drängten darauf, künftig den offiziellen Erklärungen Debattenbeiträge der parlamentarischen Fraktionen anzuschliessen. „Die jetzige Form entspricht dem Parteien- und Parlamentsverständnis der siebziger Jahre", kritisierte der Klubobmann der Volkspartei, Andreas Khol: „Wir sollten überlegen, ob wir dem Bundespräsidenten nicht auch die Möglichkeit geben sollen, einmal pro Legislaturperiode eine Grundsatzrede im Parlament zu halten." Heinz Fischer, Sozialdemokrat und Präsident des Nationalrates, drückte auf die Bremse. Die Angelobung eines Staatsoberhauptes müsse auch im Jahr 2004 „in einer würdigen Form" erfolgen. Jeder Staat und jede Republik brauche Symbole, mit denen sie vernünftig umgehen müsse. Natürlich könne man sich darüber auseinandersetzen, ob die Angelobung des Staatsoberhauptes Anlass für Wortmeldungen sein solle. Doch müssten in diesem Fall Rechtsvorschriften geändert werden, und das sei eine sehr komplizierte Sache.
Im Hofburg-Büro des Bundespräsidenten baute man auf die Beharrungskräfte des Volksgeistes und des monarchischen Schöngeistes. Das sei eine Frage, die das Parlament auszudiskutieren hat. Womit auch diese Angelegenheit für die letzte Amtsperiode des Bundespräsidenten sanft entschlafen war.
ZWISCHEN BEZIRKSGERICHT UND RATHAUS-HOCHZEIT
„Thomas Klestil ist einer jener Menschen, an deren Miene man die Stimmung wie den Luftdruck an einem Barometer ablesen kann", schrieb Andreas Unterberger in der Tageszeitung „Die Presse". „Während seiner ersten Hofburgjahre ... konnte man deutlich sehen: Die bisweilen übermütige Fröhlichkeit von einst ist selten geworden. Thomas Klestil ist ein ernster, fast bedrückter Mann geworden" - von privaten Turbulenzen, Krankheit und von einer Kette von politischen Pannen, Pleiten und Ärgernissen sichtbar gezeichnet. Sein sensationeller erster und der erwartungsgemäss große zweite Wahlsieg konnten sein psychisches Leck nur zwischenzeitlich verbergen. Es ist nicht leicht für einen Bundespräsidenten, im politischen Leben eine Rolle zu spielen, wenn es die Verhältnisse und Verhängnisse nicht erlauben. Das durchaus symbiotische Zusammenspiel von Publizitätsbedürfnis der Hofburg und Sensationsgier der Medien hatte fast alle Schleier gelüftet und eine schier endlose Seifenoper mit Hauptdarstellern aus dem Ehe- und Liebesleben des Bundespräsidenten in Szene gesetzt. Deren Episoden haben freilich, wie Wahlergebnisse und Umfragen zeigen, Thomas Klestils Wahlmonarchentum nie in Frage gestellt. Vermutlich wirkten sie sogar stabilisierend, weil sie vorgaukelten, dass auch die Klestils „Menschen wie wir alle" sind. Eines Tages wird die bewunderte Adlernase zum grotesken Rüssel. Von der schlanken Figur hebt sich auf einmal ein kleines Bäuchlein ab, und die nächtelangen Kontroversen über Gott und die Welt mutieren zu langwierigen Streitereien über die Marotten des anderen. Liebe vergeht, das ist bekannt, und endet im schlechtesten Fall in einem jahrelangen Scheidungskampf um Geld, die Zuneigung der Kinder und verletzte Eitelkeiten. „Dass eine Ehe zu Ende geht, ist alles andere als
ideal", schreibt John Updike. „Aber alle Dinge unter dem Himmel gehen zu Ende, und wenn zeitliche Begrenztheit einer Sache ihren Wert nähme, dann könnte nichts im Leben wirklich gelingen." Dem Ruf der Öffentlichkeit nach noch mehr Transparenz nachzugeben, hieße, sich mit Hilfe der Medien noch billiger zu machen. Thomas Klestil dürfte das erkannt haben, als er am Beginn seiner zweiten Amtsperiode einen neuerlichen Anlauf zur Lösung seiner privaten Zores nahm. Wieder einmal suchten die Rechtsanwälte des unversöhnlichen Ehepaares einen tragfähigen Scheidungskompromiss. Wahrscheinlich auch unter dem Eindruck der langwierigen Krankheit ihres Mannes und seines zweiten Wahlerfolges akzeptierte Edith Klestil noch vor dem Ablauf der gesetzlichen Einspruchsfrist die Scheidung von ihrem Ehemann. Ende dieser Vorstellung. Schluss mit peinlich. Vorhang zu für die präsidiale Peepshow auf dem nassen politischen Asphalt. Zum Schlussakkord einer 41jährigen Ehe fanden sich am 17. September 1998 vor der Richterin Susanne Beck bloss die beiden Streitparteien und ihre Rechtsanwälte im nüchternen Verhandlungszimmer des Bezirksgerichts Döbling ein. Die drei Kinder der Klestils erfuhren erst Tage nach der letzten Begegnung ihrer Eltern vom kühlen Finale. Der formale Rechtsakt dauerte kaum zehn Minuten. „Grüss dich!" waren die einzigen Worte des Bundespräsidenten zu seiner altgedienten Gefährtin in guten und schlechten Zeiten. „Er war mir plötzlich sehr fremd geworden", seufzte Edith Klestil. „Es war ein erschreckend nüchterner Akt." Das abweisende Verhalten ihres GeradeNoch-Ehemanns empfand sie „als Vergeltung für die Kränkung des Auszugs in jener Silvesternacht 1993, den sie 'ihm angetan habe'". Ein schlechter Verlierer zu sein gehört zu den verzeihlichen menschlichen Schwächen. Jener Mann aber, der sich zum Krisenmanager einer Nation berufen fühlt, war beim Schlussakkord seiner Ehe ein skandalös schlechter Verlierer. Die Scheidung kostete den Bundespräsidenten allerdings viel Geld; mehr Geld wahrscheinlich, als er hätte zahlen müssen, wenn er eine weniger exponierte politische Position innegehabt hätte. Der aus alleinigem Verschulden geschiedene Bundespräsident musste seiner Exfrau ein Drittel seines monatlichen Nettoeinkommens - rund 62.000 Schilling - abtreten. Diese stattliche Unterhaltszahlung war an die Einkommensentwicklung des Staatsoberhauptes angepasst. Im Scheidungsjahr
1998 kassierte Edith Klestil jedenfalls netto um ein Drittel mehr all Thomas Klestil, der sich seinerzeit mit 53.730 Schilling netto begntf gen musste. " Thomas Klestil behielt das Sommerhaus im steirischen Feistritz. Edith Klestil erhielt das Eigentum und die Mieteinnahmen an der Eigentumswohnung in der Wattmanngasse in Wien-Hietzing zugesprochen. Daraus lukriert die Scheidungswitwe Mieteinnahmen in Höhe von rund 8.000 Schilling im Monat. Schließlich musste Thomas Klestil die gemeinsame Wohnung in der Wiener Landesgerichtsstrasse samt Inventar, Sparguthaben in Höhe von rund zwei Millionen Schilling und eine Abfertigung von rund l ,2 Millionen Schilling an seine Exfrau abtreten. Im hohen Scheidungspreis Inbegriffen waren Schweige- und Schutzgeld. Edith Klestil durfte in der Öffentlichkeit keine schmutzige Wäsche waschen; die erbrechtlichen Ansprüche der Kinder sollten vor dem Zugriff von Thomas Klestils wesentlich jüngerer potentiellen Zweitfrau Margot Löffler gewahrt werden. Stand sie im Wahlkampf 1992 noch als Aushängeschild einer vorbildlichen Ehe im Mittelpunkt, so hat Edith Klestil sechs Jahre später alle Einladungen der Medien, den Wettstreit ihres Ehemannes um die Wahl zum Bundespräsidenten zu kommentieren, beharrlich ausgeschlagen. Auch zu seinem beachtlichen Wahlsieg enthielt sie sich in der Öffentlichkeit jeder Wortspende. Bloss seinen von Widerwillen geprägten Auftritt bei der Angelobung der Mitte-Rechts-Regierung am 4. Februar 2000 hat Edith Klestil scharf verurteilt. Es ist nicht die Art der Edith Klestil, sich diskret in den Schatten zurückzuziehen, wie das ältere Scheidungswitwen oft tun. Wurde sie auch von familiären Feierstunden, Hochzeiten und Taufen ausgeladen, so drängte sie doch ans Licht. Sie braucht offenbar die Selbstbestätigung im Gefühl, noch da zu sein, noch obenauf zu sein: jeder gesellschaftliche Auftritt ein kleiner Sieg. Dann und wann zeigt sich die Grossmutter von vier Enkelkindern an der Seite honoriger Begleiter bei Theaterpremieren und Kunstvernissagen. Heiratsabsichten hat sie stets glaubhaft dementiert, weil „ich mir nicht noch einmal so viel Schmerz zufügen lassen will". Wenngleich sie ihrer journalistischen Beichtschwester Senta Ziegler gestand, dass sie doch traurig wird, „wenn ich ältere Ehepaare sehe, die nett miteinander umgehen und zusammenhalten. Paare, die bewei-
sen, dass die Ehe nicht nur für Schönwettertage geschaffen wurde, sondern ein Beistandspakt ist für Krankheit, Alter und Not." Wer seine Kinder wirklich liebt und sich nicht selbst belügt, behindert nicht deren Umgang mit dem getrennten Familienteil. Wer es dennoch tut, ist oft ein von Rache und Eifersucht getriebener Egoist. Der Lohn für solche Taten wird am Ende oft mit Einsamkeit gebüsst, denn die erwachsenen Kinder werden sich mehr und mehr zurückziehen. Angeblich aus Staatsraison durfte Edith Klestil der Hochzeit ihrer Tochter Uschi mit dem Steirer Gerald Paierhofer am ersten Wochenende im Oktober 2000 in der Hofburgkapelle nicht beiwohnen. Das Präsidentenehepaar hatte einen mehrwöchigen Auslandsurlaub der Trennungswitwe Edith Klestil abgewartet und die Hochzeit Uschi Klestils kurzfristig angesetzt. Thomas Klestil und seiner Tochter wäre das gar nicht recht gewesen, heisst es, doch sie hätten sich letzten Endes den Anordnungen der frischgebackenen „Brautmutter" Margot Klestil-Löffler gefügt. Das Hochzeitsmahl wurde im Wiener Rennverein im Palais Pallavicini gegeben, dort, wo einst die ersten verschwiegenen Tete-ä-tetes von Thomas Klestil und Margot Löffler stattfanden. Über verschlungene Wege geriet ein Hochzeitsfoto in die Redaktion der „Neuen Kronen Zeitung". Es zeigt Braut und Bräutigam mit den glücklichen „Brauteltern". „Die hübsche Braut", schrieb die „Neue Kronen Zeitung", „strahlte im Kreis ihrer ganzen Familie - beide Brüder wollten natürlich gratulieren und waren aus Innsbruck und aus New York angereist." Bloss die wahre Brautmutter erfuhr von dieser Hochzeit erst, als sie bereits Geschichte war. Dennoch hat Edith Klestil sich mit allen drei Kindern versöhnt und ihnen vergeben, dass diese in den schweren Zeiten der Trennung tapfer an der Seite ihres Vaters standen. Sie besuchte ihren jüngsten Sohn Stefan häufig in seinem New Yorker Domizil und nahm ihn und seine junge Familie in ihrer Wohnung auf, als er mit neuen beruflichen Plänen nach Wien zurückkehrte. Trotz aller Querschüsse ist die Trennungswitwe glücklich über die späte Heirat ihrer Tochter Uschi und fährt oft auf Besuch zur bereits vierköpfigen Familie ihres Sohnes Thomas nach Innsbruck — das Bilderbuchleben einer Scheidungswitwe mit entwachsener und entflogener Grossfamilie.
Die Beziehungen der Innsbrucker Klestils zum väterlichen Bundespräsidenten und dessen zweiter Frau sind seit längerer Zeit zum Leidwesen des Staatsoberhauptes getrübt. Selbst Thomas Klestils Kontakte zu seinen beiden vielgeliebten Enkelsöhnen sind unterbrochen. Wiederum hätten Querschüsse von besonderer Seite für Missstimmung gesorgt.
Als Thomas Klestil einen ersten Blick auf seinen um die Unterhaltszahlung an Edith Klestil gekürzten Gehaltszettel machte, soll er getobt und heftig beklagt haben, dass er ein derartiges Gesetz über die Neuregelung der Gehalts- und Pensionszahlungen für Politiker je unterschrieben hat. Denn diese Neuregelung bescherte ihm eine empfindliche finanzielle Einbusse, verschärft durch die Überweisungen an Edith Klestil. Zu Beginn des Jahres 2000 führte der Bundespräsident von seinem Bruttogehalt in Höhe von 283.563 Schilling insgesamt 90.581,20 Schilling als Pensionsbeitrag ab und erhielt nicht viel mehr, nämlich 95.280 Schilling (6.924 Euro) bar auf die Hand. Der Bundespräsident verzichtet zur Gänze auf seinen Pensionsanspruch für seine 35jährige Tätigkeit im Außenministerium. Das Pflichtdrittel an seine geschiedene Frau muss er aus eigener Tasche auslegen. Nach Trennung und Scheidung war ausgerechnet der knausrige Thomas Klestil zum - an Kaufkraft gemessen — ärmsten aller sieben Bundespräsidenten in der Zweiten Republik geworden. Ärmer sogar als seine Vorgänger in der Zwischenkriegszeit. Dank Margot Löfflers monatlichem Nettoeinkommen in Höhe von rund 38.000 Schilling reichte es gerade noch für die anspruchsvolle Führung eines verschwiegenen gemeinsamen Haushalts. Ist Geld auch nicht alles für ein glücklich liebend Paar, so sind damit doch recht angenehme Nebenwirkungen verbunden, zumal die „Frau Gesandte" unter normalen Umständen längst Botschafterin geworden wäre. Aus Rücksichtnahme auf die staatstragende Pflicht ihres Lebensgefährten, Botschafterdekrete zu unterschreiben und im speziellen Fall den Vorwurf der Bevorzugung zu riskieren, verzichtete Margot Löffler auf einschlägige Avancements. Überdies wollte sie Thomas Klestil so nahe als möglich bleiben.
Im Frühjahr 1997 bot sich indes die Chance auf einen beachtlichen Karriere- und Gehaltssprung. In der in Wien ansässigen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde einer von vier Direktorenposten mit der Pensionierung des österreichischen Außenamtsbeamten Rudolf Torovski per Jahresende 1997 frei. Dieser Posten sollte unter dem Druck der OSZE-Mitgliedsstaaten eingespart und die Abteilungen „Budget" und „Konferenzen" zusammengelegt werden. Nicht zuletzt aber sollte dieser Direktorenposten unter keinen Umständen mit einer Person österreichischer Herkunft besetzt werden, da das Gastgeberland in der OSZE-Bürokratie mit rund 400 Mitarbeitern überproportional vertreten war, Dennoch meldete die Gesandte Margot Löffler ihr Interesse an dem mit einem monatlichen Nettogehalt von rund 110.000 Schilling dotierten Direktorenposten nachhaltig an. „Weil die Ausschreibung auf Löffler zugeschnitten ist", schrieb die Tageszeitung „Der Standard", „und die Entscheidung für sie de facto schon gefallen ist, verzichten die beiden bisherigen Direktoren auf die Verlängerung ihrer Verträge." Margot Löffler hat sich für ihren Karriere- und Lebensroman eine Version zurechtgelegt, derzufolge eine Indiskretion aus dem Außenministerium - gemeint war wohl die damalige Staatssekretärin Benita Fer-rero-Waldner - ihren Aufstieg zu einer OSZE-Direktorin verhindert hätte. Es kann sich dabei nur um eine Legende handeln. Als Margot Löffler von der Chancenlosigkeit einer Bewerbung erfuhr, verzichtete sie „grosszügig" darauf. Dieser Direktorenposten bei der OSZE wurde tatsächlich eingespart und bis heute nicht mehr nachbesetzt.
Margot Löffler hat sich in den ersten zehn Jahren ihrer verdeckten Partnerschaft nie damit abgefunden, die Nummer zwei im Leben des Bundespräsidenten zu sein. „Ihr Ziel war es immer, seine Frau zu werden", zitiert „News" eine enge Freundin der Gesandtin. „Nach der Scheidung gibt es auch für ihn keine andere Möglichkeit mehr." Alle Jahre wieder verstopfen Menschenmassen die Einkaufspassagen weihnachtlich dekorierter Innenstädte und blockieren die UBahntüren mit sperrigen Geschenkpaketen. Wenn dann endlich das letzte Türchen des Adventkalenders geöffnet und der Wunschzettel
ganz abgearbeitet ist, kann die hart erkämpfte Harmonie unter dem Weihnachtsbaum eintreten. Doch wer glaubt, das Fest der Liebe erfülle allein den Zweck, die Nerven sämtlicher Familienangehöriger blankzulegen, irrt, berichtet ein Team amerikanischer Psychologen in der Fachzeitschrift „Journal of Family and Psychology". „Das gemeinsame Zelebrieren christlicher Rituale trägt nachhaltig dazu bei, die eheliche Gemeinschaft zu stärken", versichern die Wissenschaftler. Ehepaare, die nach eigenen Angaben den Weihnachtsbaum gemeinsam schmücken und beim Entzünden der Kerzen zusammen Hand anlegen, beteuern, eine sehr glückliche Ehe zu führen. Entscheidend für das persönliche Wohlbefinden sei aber nicht, dass jeder Partner die Rituale in der Ehe durchsetzt, die er von zu Hause kennt. Die klare Verteilung der Aufgaben und das daraus resultierende Harmoniegefühl sorgen für den Zusammenhalt der Ehepartner. Diese wissenschaftliche Untersuchung brachte auch geschlechtsspezifische Eigenarten an den Tag. Während die Männer eher Wert darauf legen, dass der Tannenbaum zu Weihnachten traditionell geschmückt ist und alles seine Ordnung hat, übernehmen Frauen gerne die Rolle der Organisatorin. Sie erhalten ihren alljährlichen Seelenfrieden, indem sie die religiösen Feiern ausrichten dürfen. Dies, meinen die amerikanischen Psychologen, spiegle die klassische Rolle der Frau wider, die Pflege der Traditionen an die Kinder weiterzugeben. Auch wenn Feste wie Weihnachten heute als reine Vermarktungsstrategien und Konsumterror dargestellt werden, dürfte ihre religiöse und familiäre Bedeutung als Quelle der Harmonie eine wichtige Rolle bei der Festigung ehelicher Beziehungen spielen. Nach diversen diplomatischen Ablenkungsmanövern, Gerüchten von einer für den 18. Dezember 1998 im Standesamt des Tiroler Städtchen Wattens anberaumten Doppelhochzeit von Thomas Klestil und Margot Löffler sowie ihren Freunden und Urlaubspartnern Gernot Langes-Swarovski und Eva Deutsch, wiederholten Dementis und immer neuen boulevardesken Kaffeesudlesereien gaben einander Thomas Klestil und Margot Löffler vor dem Standesbeamten Jörg Hornberg am 23. Dezember 1998 um 12 Uhr mittag im Wiener Rathaus das Jawort. Die Brautleute betraten das Rathaus durch einen Nebeneingang. Die Feuerwache öffnete die Türen im Sicherheitstrakt und wusste nicht, welch prominentes Paar sie einliess. Die Hochzeitszeremonie wurde
mit grösster politischer Sorgfalt ausgestattet und choreografiert. Der Respekt gegenüber politischen Hierarchien, landläufigen Vorstellungen und Gedankenflügen animierte das Brautpaar zu einer seltsamen Wahl ihrer Trauzeugen: In grosskoalitionärer Eintracht fungierten der Wiener Bürgermeister Michael Häupl von der Sozialdemokratischen Partei für Thomas Klestil und der konservative Wirtschaftskammerpräsident Leopold Maderthaner für Margot Löffler. Der Rote Salon im Wiener Rathaus und der Aufgang zu den Amtsräumen des Bürgermeisters wurden mit Blumen und Buchsbäumen festlich geschmückt. Rot ist die Farbe der Leidenschaft und des Hasses. Schwarz die Farbe der Trauer. Politisch korrekt machte das Brautpaar in blauem Gewand gute Figur. Der Bundespräsident erschien im dunkelblauen Anzug mit blauroter Krawatte. Seine strahlende Braut trug ein Escada-Outfit: ein in sich gemustertes dunkelblaues Satinkostüm. Das Brautbouquet bestand aus weißen Rosen. Neben den beiden Trauzeugen waren noch der Leiter der Präsidentschaftskanzlei, Georg Hennig, und der Präsidialchef des Wiener Rathauses, Wolfgang Müller, anwesend. Familienangehörige - weder die Kinder Thomas Klestils noch die Eltern von Margot Löffler - nahmen an der Trauung nicht teil. „Für mich war es etwas Besonderes", sagte der Standesbeamte Jörg Hornberg ergriffen. „Man traut ja nicht alle Tage einen amtierenden Bundespräsidenten." Gut vorbereitet, doch mit nervöser Stimme gab er dem Brautpaar einen achtzeiligen Vers mit auf den Eheweg: „Ich wünsche Ihnen Zeit, nach den Sternen zu greifen, und Zeit, um zu wachsen, das heisst um zu reifen. Ich wünsche Ihnen Zeit, neu zu hoffen, zu lieben. Es hat keinen Sinn, diese Zeit zu verschieben." Die Sterndeuterin der staatlichen Rundfunkanstalt ORF, Gerda Rogers, entdeckte „eine karmische Verbindung" der beiden. „Margot Löffler (geboren am 4. März 1954) hat ihren Bindungspunkt auf seinem Mondknoten stehen. Thomas Klestil (geboren am 4. November 1932) hat seinen Bindungsknoten auf ihrer Sonne, ihrer Venus, ihrer Liebe. Das heisst: Eine unglaublich starke seelische Gefühlsebene. Harmonisch intellektueller Gedankenaustausch, geistige Befruchtung. Nicht nur erotisch, sondern tief seelisch!", ermittelte die Sterndeuterin und überschlug sich mit kühnen Prognosen: „Ich würde sogar von einer karmischen Verbindung sprechen. Es hat sein müssen zwischen diesem Saturn und diesem Mondknoten. Der einzige schwierige
Aspekt", warnte Gerda Rogers, „sind Saturn und Mars im Quadrat •* das war ihr Kampf zusammenzukommen. Aber die vielen Trigond sind so überwältigend, dass sie es geschafft haben: Es ist vom Schick-f sal bestimmt, dass sich diese beiden Seelen vereinigen." ' Nach zehn Jahren Versteckspiel einer großen Liebe wurden zarte1 Küsse und die Ringe ausgetauscht. Im Anschluss an die Trauung Iu4 Bürgermeister Michael Häupl die Hochzeitgesellschaft zum Mittages-f sen in seine Amtsräume. Serviert wurden Waldviertier Rahmsuppe mit Schwarzbrot-Croutons als Reverenz vor der aus dem niederöstef4 reichischen Dobersberg stammenden Braut, gebratene Wallermedaiti Ions auf Kürbiskraut und Weißweinbutter, Hirschkalbsrücken auf Wacholderrahm sowie Marzipanmousse in Hippenschüsserl auf Moccacreme. Kurz nach 13 Uhr verliess das Brautpaar an neugierigen Journalisten und Photographen vorbei über die Feststiege das Wiener Rathaus. Nach einem knappen „Frohe Weihnachten" verschwand das Brautpaar im Auto. Die Hochzeitsreise ging ins obersteirische Jagdschloss Mürzsteg. Am 1. Januar 1999 absolvierte das junge Brautpaar seinen ersten offiziellen Auftritt beim Neujahrskonzert im Wiener Musikverein. Der Personalchef des Außenministeriums zählte die dienstrechtlichen Möglichkeiten seiner Mitarbeiterin Margot Klestil-Löffler auf: Sie kann bis auf weiteres das Büro des Generalsekretärs im Aussenamt leiten, um eine Karenzierung auf bis zu zehn Jahre ansuchen oder um Versetzung an eine frei gewordene geeignete Stelle ansuchen. Einen dienstrechtlichen Zwang zum Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst wegen der Eheschliessung mit dem Bundespräsidenten gibt es jedoch nicht.
ÖSTERREICHS FIRST FEMME FATALE
Das christliche Weihnachtsfest des Friedens kann junges wie altes Eheglück besiegeln oder auch die Beziehungslosigkeit schnell an die Basis bringen. Viele machen mit Geschenken, Festessen und Kirchgang auf Familie und merken dann, wie Edith und Thomas Klestil Ende des Jahres 1993, dass diese Familie gar nicht mehr existiert^ Scheidungsanwälte registrieren Anfang des Jahres eine starke Nach-f
frage frustrierter Gattinnen, die nach einem Fest des Unfriedens ihres Daseins an der Seite eines lieblosen Gefährten überdrüssig sind und das Ende ihrer Leidenszeit ausrufen. Die erzwungene Nähe lässt triste Realität und träumerische Idealvorstellungen aufeinanderprallen, glauben Ehepsychologen. Das vorgeblich perfekte Familienfest mutiert rasch zu einem explosiven Gemisch, das schwelende Konflikte aufheizt. Wer Weihnachten schadlos überstanden hat, dem droht statistisch gesehen im Februar die Faschingskrise. „Unsere Klestils" wissen davon ein Lied zu singen. Opernball 2002, der vierte gemeinsame Auftritt bereits beim österreichischen Staatsball. Der Bundespräsident hat sich diesmal der Teilnahme der finnischen Staatspräsidentin Tarja Halonen und ihres slowakischen Amtskollegen Rudolf Schuster als Staffage für die Selbstinszenierung des österreichischen Wahlmonarchenpaares versichert. Am Vormittag des Opernballs hatte der Bundespräsident seinen finnischen Staatsgast Tarja Halonen zu sich in die Wiener Hofburg geladen, um mit ihr unter vier Augen in protokollarisch exakt festgelegter Zeit die politische Grosswetterlage zu erörtern. Im Anschluss daran gaben die beiden Staatenlenker eine von wenigen Fragen unterbrochene Pressekonferenz. Kaum war der weltpolitische Smalltalk verklungen, schien es in der Hofburg zu blitzen und zu donnern. Sicherheitsleute versperrten den davoneilenden Journalisten den Weg, bellten scharfe Befehle: „Nicht jetzt!", „Warten!", „Bleiben Sie doch endlich stehen!" Plötzlich schien der langweilige journalistische Pflichttermin einem unerwarteten Höhepunkt zuzustreben. Spannung lag in der Luft. Schon wollte ein Journalist gerüchteweise gehört haben, dass der Bundespräsident einen weltpolitischen Stargast für einen gemeinsamen Auftritt beim Wiener Opernball engagiert hat. Vergleiche mit seinem einstigen Konkurrenten um das Amt des Bundespräsidenten, den Wiener Baumeister Richard „Mörtel" Lugner, machten die Runde. Seit der für ein paar Millionen Schilling vergilbte Stars aus der Glitzerwelt in seine Opernballoge lockt, ist er für ein paar Tage König der Wiener Klatschpresse. Namen schwirrten durch die Gegend - Jacques Chirac, Tony Blair, Gerhard Schröder? Oder doch wenigstens Antonio Guterres? - Alles Verhandlungspartner im Vorfeld der EU-Sanktionen gegen Österreich.
Da öffneten sich Tür und Tore der Hofburg. Ein Sonnenstrahl reicht, um viel Dunkel zu erhellen. Herein trat Margot Klestil-Löffler, die Frau des Bundespräsidenten, und zog sich samt Anhang in das MariaTheresia-Zimmer der Präsidentschaftskanzlei, ihren Cordon Sanitaire gegen die Wirklichkeit, zurück. Margot Klestil-Löffler trug Trauer. Ihr Vater Karl Löffler war drei Tage vor dem Staatsopernball im 89. Lebensjahr verstorben. Fraglos ein Grund, die Teilnahme am Opernball abzusagen. Doch Österreichs „First Lady" kennt keinen Schmerz, wenn es gilt, im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu strahlen - aus Gründen der Staatsraison, wie sie ihrem Leibblatt „News" anvertraute, tauschte sie ihr türkisfarbenes Ballkleid gegen eine schwarze „Escada"-Robe ein, setzte eine düstere Miene auf und war in dem unvermeidlichen Smalltalk am Opernball noch kürzer angebunden als sonst schon. Abends luden „Unsere Klestils" ihre Staatsgäste aus Helsinki und Bratislava zum Diner ins Restaurant des Hotels Sacher. Zwischen der traditionsreichen Wiener Nobelherberge und der Staatsoper liegen maximal hundert Autometer. Die finnische Staatspräsidentin, laut rührender Selbstdarstellung nur „ein Landmädchen in der Stadt", doch geübt im Umgang mit skandinavischen Königshäusern, war verwundert über die feudalistische Nonchalance, mit der das österreichische Wahlmonarchenpaar ihre Staatsgäste ab- und auffahren liess. Denn die kurze Autofahrt geriet zu einem von mehreren Staus beeinträchtigten Staatsakt. Vorne vier mit Leibgardisten bestückte Motorräder; dahinter einige Autos mit bewaffneten Staatspolizisten und, gut abgeschirmt, die Wagen von Thomas Klestil samt Gemahlin und Tarja Halonen und ihrem Mann. Misstrauen ist die Mutter der Sicherheit, mochten sich Thomas und Margot Klestil gedacht haben und beharrten, weil Gleichheit ohne Unterschied keinen Spass macht, auf großem Sicherheitsabstand zum heimischen Plebs. Kaum waren der Bundespräsident und die finnische Staatspräsidentin samt Entourage in der Staatsoper angekommen, wiederholte sich das seltsame Schauspiel mit dem slowakischen Staatspräsidenten Rudolf Schuster. „Endlich", schrieb die Tageszeitung „Die Presse", „endlich - die Feststiege zur Staatsoper kann gesperrt werden, und die Staatsgäste nehmen die Stufen zur Präsidentenloge." In der Präsidentenloge gab schrullige Missstimmung den Ton an. Das Staatsoberhaupt und seine Gemahlin sahen sich Prüfungen ausge-
setzt, auf die sie nicht gefasst waren. Der Tiroler Bierzeltkönig DJ Ötzi erschien mit Glitzer-Häkel-Haube am Haupt in der Loge seines Bundespräsidenten. Der aber liess jedes Fingerspitzengefühl für die ihm angetragene höfische Verehrung seines Volkes vermissen und verweigerte ihm den Handschlag. Auch Margot Klestil-Löffler wich keinen Millimeter vom Sockel ihrer staatstragenden Wichtigkeit ab und wies die Bitte um ein gemeinsames Photo mit dem Hitparadensänger brüsk zurück. Als Österreichs „First Couple" erfuhr, wem sie die Ehre einer Begegnung auf höchster Ebene verwehrt hatte und welcher emotionale Notstand dadurch der heimischen Glitzergesellschaft drohte, entschuldigte sich das Staatsoberhaupt für sein peinliches „Versehen". Die Häme, die man im Piranha-Becken des politischen und medialen Betriebs der Bundeshauptstadt über Margot Klestil-Löffler vergiesst, ist verdünnt im Vergleich zu dem Vitriol, das bei der blossen Nennung ihres Namens in der Schlangengrube Außenministerium verspritzt wird. Da ist von einer kalten, berechnenden, stahlharten und überheblichen Frau und ihrem großen Einfluss auf den kränkelnden Bundespräsidenten die Rede, von seltsamen Plänen, einmal selbst für das höchste Amt zu kandidieren und als erste Frau in der Geschichte Österreichs Präsidentin zu werden. Die Tageszeitung „Der Standard" verbreitete gar ein im Außenministerium genährtes Gerücht, die Gesandtin hätte ein Kind vom Staatsoberhaupt, das — wieder so ein haltloses Gerücht - in einem Schweizer Internat grossgezogen werde. Im Präsidentschaftswahlkampf 1997/98 beschuldigte Thomas Klestils Rivale Richard Lugner in Pressekonferenzen den Bundespräsidenten, „seine Löffler nach Holland zum Abtreiben" geschickt zu haben. Dort hätte er „sie dann zweimal mit dem Flieger besucht ... Auf Staatskosten, versteht sich" („News", Nr. 47/1997). Thomas Klestil und seine damalige Lebensgefährtin Margot Löffler enthielten sich jedes Kommentars, erstatteten aber auch keine Anzeige wegen Verleumdung. Nach langem und reiflichem Überlegen erstattete der Wiener Rechtsanwalt Otto Ludwig Ortner am 11. Juni 1998 bei der Staatsanwaltschaft des Landesgerichts für Strafsachen Wien gegen Richard Lugner Strafanzeige wegen Verleumdung und/oder gegen den Bundespräsidenten wegen „Nötigung und Anstiftung zur Ermordung des eigenen Kindes". Rechtsanwalt Otto Ludwig Ortner ist allenfalls ein rigoroser Rechtsausleger, den Verstösse gegen die Rechtsordnung leidenschaft-
lieh bewegen, aber gewiss kein verrückter Spinner. Er war bis vor seiner Pensionierung im Jahr 1998 viele Jahre Syndikus der halbstaatlichen Österreichischen Kontrollbank. 1963 war er Konzipient in der Anwaltskanzlei des Verteidigers des wegen tausendfachen Judenmordes angeklagten Franz Murer. Er wurde wegen seiner Gewissensbisse gekündigt, weil er die damals vorherrschende Rechtsmeinung nicht teilen wollte, dass „der Judenmord straffrei bleiben darf. Nicht zuletzt aber ist der angesehene Wirtschaftsanwalt Bruder des pensionierten Botschafters Gustav Ortner, eines der engsten Freunde von Bundespräsident Thomas Klestil. Mit Schreiben vom 14. Juli und vom 20. August 1998 wurden beide Anzeigen vom Staatsanwalt Georg Karesch zurückgelegt, weil die „Staatsanwaltschaft keine genügenden Gründe gefunden hat, gegen die Angezeigten ein Strafverfahren zu veranlassen". Dabei überraschte nicht nur die unübliche Eile bei der Erledigung dieser der Oberstaatsanwaltschaft und dem Justizminister in Anbetracht der involvierten Persönlichkeit berichtspflichtigen Anzeige, sondern auch die Tatsache, dass der „Verleumder" Lugner von der Staatsanwaltschaft nach eigenem Bekunden nie einvernommen wurde. Der Staatsanwalt vertrat, berichtet Otto Ludwig Ortner, gesprächsweise die Auffassung, dass „in den ersten drei Monaten die Abtreibung erlaubt" sei, weshalb er keinen Grund zum Einschreiten gesehen habe. Überdies hätte sich der Staatsanwalt bei ihm „für die Einstellung unter Berufung auf eine ihm erteilte Weisung entschuldigt". Ein hoher Diplomat kommentiert Margot Klestil-Löffler feinsinniger: „Sie ist eine Dame mit dem Ruf einer Dame, über den nicht gesprochen, sondern geschwiegen wird." Ähnlich zurückhaltend äussert sich ein anderer Hochbürokrat aus dem diplomatischen Dienst: „Wenn Margot Klestil-Löffler kommt, sprechen wir nicht mehr über Wichtiges." Sie sei ein Vulkan, heisst es auch. Oder wie eine Champagnerflasche, die man zu lange geschüttelt hat. Es brodle und blubbere in ihr, und manchmal breche eben alles aus ihr heraus. Feinfühlig bedient sich ein guter Freund der Klestils psychologischer Erklärungsmuster: Aus Kindern, die in ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen seien, würden nicht selten Kämpfernaturen, die allerdings ebenso oft ihre Kindheitstraumata nicht abschütteln könnten: Unsicherheit und Selbstzweifel, die dann durch übertrieben forsches Auftreten kaschiert
würden. Denn es bleibe der Druck, immer bei den Besten sein zu müssen, sich immer und überall beweisen zu müssen. Ein Druck, der gelegentlich an den begrenzten Bildungs- und Interessenhorizont solcher Menschen stosse. Ein belesener Diplomat und stiller Beobachter seiner Kollegin findet Erklärungsansätze für deren Persönlichkeit und Charakter beim norwegischen Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun. Der hatte über die Charaktere seines literarischen Schaffens gemeint: „Sie sind gespalten und zerstückelt, nicht gut und nicht schlecht, sondern beides, launisch von Gemüt und in ihren Handlungen. Und so bin ich zweifellos auch. Es ist schon möglich, dass ich aggressiv bin, dass ich vielleicht etwas von jenen Eigenschaften besitze, die man mir unterstellt - eine verletzliche, misstrauische, egoistische, empfindliche, kalte und böse Natur. Alle diese Eigenschaften wären menschliche, aber keine von ihnen dominiert mich."
Dem alten Mann und seiner jungen Frau war in der Dienstvilla des Bundespräsidenten auf der Hohen Warte im vornehmen Wiener Gemeindebezirk Döbling jeglicher Sinn für politisches Gespür abhanden gekommen. Die abgewohnte Herberge war Margot Klestil-Löffler so verhasst, wie einem Menschen eine Villa nur verhasst sein kann, die von der Vorgängerin an der Seite des Gefährten adaptiert worden war. Eine Expertise des für Staatsimmobilien zuständigen Wirtschaftsministeriums rügte den „schlechten Bauzustand ... und die Sicherheitsmängel". Bei einem Lokalaugenschein konstatierte der vom Bauingenieur zum Journalisten konvertierte Freund des Hauses, Alfred Worm, gar „Schimmelpilzbefall" und zitierte behandelnde Ärzte, welche den feuchten Zustand der Amtsvilla als mögliche Ursache „der schweren Lungenerkrankung des Bundespräsidenten" nannten. Den Blick fest in die Zeit nach dem Verlust der präsidialen Würde und dem Auszug aus der Präsidentenvilla gerichtet, begab sich das Präsidentenehepaar auf die Suche nach einer standesgemässen staatseigenen Unterkunft. Fatalerweise missriet die Herbergsuche für das „First Couple" zu einem Hürdenlauf durch die traurige Geschichte nationalsozialistischer Arisierungsprogramme im besetzten Österreich.
Die staatliche Post- und Telegraphenverwaltung offerierte die sogenannte „Gelbe Villa" in der Sieveringer Strasse 245. Die 36.000 Quadratmeter große Nobelimmobilie gehörte einst der jüdischen Familie Reitzes, wurde den Alteigentümern nach Kriegsende nicht mit dem wahren Wert abgegolten und beherbergte zuletzt die Fernmeldemonteurschule der Telekom Austria. Die Klestils fanden Gefallen an der noblen Villa, scheiterten aber letztlich an der Macht historischer Erinnerungen. Noch besser gefiel Margot Klestil-Löffler die vom Wiener Jugendstilkünstler Josef Hoffmann 1915 errichtete Villa Skywa-Primavesi in der Gloriettegasse 14 bis 16 in Wien-Hietzing. In Josef Hoffmanns „gebautem Oeuvre findet sich nichts seinesgleichen", vermerkt sein Biograph Eduard F. Sekler: Im klassizistisch-biedermeierliche Elemente hervorkehrenden herrschaftlichen Gartenhaus kommt es zu einer freien Gesamtgliederung bis zur Giebelfigur Anton Hanaks. Die Eleganz des Ensembles setzt sich im Inneren mit Halle und Treppenaufgang in naturpolierter dunkler Eiche mit Vertäfelung folgerichtig fort. Ein Teehaus, Pergola und Wasserbecken im eleganten Garten machen die Anlage zu einem Gesamtkunstwerk. Darin untergebracht war sinnigerweise ein Schulungszentrum des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, der die vornehme Immobilie der Republik für 80 Millionen Schilling offerierte. Als Margot KlestilLöffler die Villa Skywa-Primavesi sah, beauftragte sie unverzüglich einen Architekten mit Änderungs- und Sanierungsvorschlägen. Sie freute sich, bald in grösserer Nähe zum Eigenheim ihrer Mutter in der Hietzinger Buchbindergasse zu wohnen, und erfreute Bezirksvorsteher Heinz Gerstbach mit der Vorstellung, bald das Präsidentenehepaar in seinem Bezirk zu beherbergen. Und wieder wurde nichts daraus. Aus Erfahrung klüger geworden, liessen die Klestils nachfragen, ob denn auch dieses Bauwerk mit Machenschaften der Nationalsozialisten belastet sei, und erhielten von dem mit der Verkaufsabwicklung beauftragten Generaldirektor der Gewerkschaftsbank Bawag, Helmut Eisner, die unzutreffende Auskunft, dass alles in bester Ordnung sei. Tatsächlich wurden die Alteigentümer der Villa Skywa-Primavesi, die jüdische Familie Panzer, 1939 von den Nationalsozialisten enteignet und vertrieben. Nach Kriegsende wurde ihnen dieses Juwel des Wiener Jugendstils weder retourniert noch mit dem wahren Wert
abgegolten. Wiederum mussten die Klestils auf eine standesgemässe Bleibe verzichten. Im Sommer 2000 fiel das forschende Auge des Präsidentenehepaars auf ein repräsentatives Domizil in der Wiener Innenstadt: eine Zimmerflucht von 450 Quadratmetern, durch die einst Kaiser und Könige zu den Darbietungen der Spanischen Hofreitschule gingen. Diesmal sollten Nationalsozialismus und Arisierungen den Klestils keinen bösen Streich spielen. Die First Family machte sich bereits Gedanken über die bauliche Neugestaltung ihres staatseigenen Alters Wohnsitzes. Indes machte ihr die Bundesregierung einen Strich durch die Rechnung. Aus finanziellen Gründen wurde die Zimmerflucht der privatisierten Spanischen Hofreitschule zugesprochen. Daraufhin wandte sich Margot Klestil-Löffler bekümmert an die Öffentlichkeit und erhob Einspruch gegen die geplante Privatisierung „dieses lebenden Nationaldenkmals". Umgehend legte die Burghauptmannschaft das Motiv dieses Protestes offen: „Frau Doktor Klestil hat uns gesagt, dass sie es reizvoll fände, in die Hofburg einzuziehen."
DER REST IST SCHWEIGEN
Eine richtige Weihnachtsgeschichte ist eine Geschichte, in der zwei Menschen in Not geraten, sich kaum zu helfen wissen und schließlich durch ein kleines Wunder doch noch Rettung finden. Zu einer solchen Geschichte gehören die dunkle Nacht oder der finstere Wald, Irrwege und Verlassenheit, die kalte Angst und das rettende, warme Licht. Das Stimmungsbild all dieser Geschichten ist die biblische Weihnachtserzählung, in der die Umherirrenden nacheinander das schwache Licht finden, das dann unendliche Ruhe ausstrahlt. Unerhörte Werbebotschaften durchbrachen die besinnliche Zweisamkeit unseres Präsidentenehepaars in der Wiener Hofburg. Alle paar Stunden wieder belustigten zwei von der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ORF ausgestrahlte Radiospots die Hörer und vergrämten Thomas und Margot Klestil in der stillsten Zeit des Jahres. Als ob unsere Gesellschaft nicht schon das ganze Jahr über genug gespalten wäre, wollten die Radiowerber zum Genuss der Limonade
„Echt Holler" aus Champagnergläsern animieren. „Beim Empfang des diplomatischen Corps sollen einige hochrangige Gäste Echt Holler aus Champagnergläsern getrunken haben", belustigten sich die Werbebotschafter über abartige Sitten in der Welt der hohen Diplomatie: „Der Bundespräsident zeigte sich tief besorgt und rief zur Wachsamkeit gegenüber dem Verlust der Werte auf. Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautet, überlegt die französische Seite bereits, ihren Botschafter aus Wien abzuziehen." Darauf folgte die weihnachtliche Frohbotschaft: „Echt Holler schmeckt nicht nur leicht und spritzig Echt Holler schmeckt auch aus Champagnergläsern!" So ging das in der Adventzeit des Jahres 2001 bald den ganzen Tag. Kaum war der erste Zorn über den blasphemischen Werbetext verraucht, setzte „Echt Holler" nach: „Hier beim österreichisch-französischen Gipfel in der Hofburg kam es in diesen Minuten zum Eklat: Der französische Präsident hat soeben empört den Empfang verlassen und ist nun Richtung Wien-Schwechat unterwegs. Der Grund für diese beispiellose Erregung ist einigen Diplomaten zufolge, dass in ihren Gläsern Echt Holler serviert wurde. Der österreichische Bundespräsident zeigte sich zunächst überrascht..." „Politische Tugenden, wie sie jeder demokratische Staat braucht, bedeuten nicht nur die Hinwendung der Bürger zur Gemeinschaft, sondern auch die Hinwendung der politisch Verantwortlichen zu den Bürgern", mochte sich der Bundespräsident gedacht haben: „Niemand wird bestreiten, dass im Laufe der Jahrzehnte viel Obrigkeitsdenken abgebaut und viel Distanz überwunden wurde. Dennoch spüren wir, dass die Distanz zwischen Bürger und Politik nicht geringer geworden ist - eher das Gegenteil ist der Fall", wie das Staatsoberhaupt gleich am eigenen Beispiel aufzeigen bestrebt war. Am fünften Tag fortgesetzter Beleidigung schritt ein fuchsteufelswilder Thomas Klestil zur Tat, rief seinen Pressesprecher Hans Magenschab zu sich und forderte ihn auf, den Radioangriffen auf die Ehre und Würde des Bundespräsidenten Einhalt zu gebieten. Der arme Mann, laut eigener Berufsbeschreibung „Presseabwehrsprecher" Thomas Klestils, meldete sich beim Finanzchef des ORF und forderte diesen im Namen des Bundespräsidenten auf, den Unfug zu stoppen, Der ORF gehorchte unverzüglich. Am 20. Dezember 2001 wurden die Werbespots für das Getränk „Echt Holler" nach fünf Tagen im Werbe-Programm der ORF-Regionalradios abgesetzt, weil laut ORF
diese Spots als Herabwürdigung des Bundespräsidenten aufgefasst werden könnten. Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung verbeugte sich vor dem Souverän, der so ganz unsouverän die Welt betrachtet, der ORF verzichtete auf Kosten seiner Gebührenzahler auf Werbeeinnahmen, und Thomas Klestils Welt schien wieder in Ordnung. Unser Herr Bundespräsident aber durfte sich seines Sieges nur kurz freuen. Der Limonadenproduzent und seine Werbefirma schalteten Anzeigen in einigen Tageszeitungen. Rot-weiß-rot eingerahmt, wiesen die Inserate darauf hin, dass diese Werbespots „nach Intervention durch die Kanzlei des Bundespräsidenten aus dem Programm genommen werden mussten". Zur Erheiterung der österreichischen Spassgesellschaft bat „Echt Holler" Thomas Klestil um Entschuldigung: „Es wird betont, dass weder eine Kränkung noch eine Herabwürdigung des Bundespräsidenten oder von Monsieur Chirac geplant waren. Der Erzeuger legt jedoch weiterhin Wert darauf, dass Echt Holler auch aus Champagnergläsern hervorragend schmeckt ... Entschuldigung, Herr Präsident. Pardon, Monsieur le President." Die Präsidentschaftskanzlei dementierte wider besseres Wissen, je beim ORF interveniert zu haben. Hans Rauscher, passionierter Verteidiger unzähliger Bocksprünge des Bundespräsidenten, mahnte Thomas Klestil in der Tageszeitung „Der Standard", aus dieser peinlichen Affäre Lehren zu ziehen: „In dieser banalen Geschichte zeigt sich eine Erosion des Respekts gegenüber dem Bundespräsidenten", der in Werbespots als „pompöser Popanz auftritt". Es ist Dienstag, der 11. September 2001. Ein Tag, der am Morgen einer von 365 Tagen im Jahr war und dann wuchs zu einem schwarzen Datum, zum Todestag Tausender Menschen, zum Auslöser von Flugangst, zum nationalen Trauertag in Amerika, zum Tag, seit dem keiner mehr in Sicherheit sich fühlen kann, zum Geburtstag eines Krieges. Der Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center hatte auch die Seelenlage des Bundespräsidenten aus dem Gleichgewicht gebracht. Mit einer erstaunlich einfachen Idee wollte Thomas Klestil zum Gegenangriff auf Terror, Gefahr, Unsicherheit und Angst über-
gehen. Am späten Nachmittag dieses Tages der Ohnmacht und der Trauer berief er ein Kamerateam einer nachgeordneten Dienststelle zu sich in die Präsidentschaftskanzlei und befahl diesem, eine Videoaufnahme des betroffenen Staatsoberhaupts aufzuzeichnen. Zu bester Sendezeit wollte Thomas Klestil seine Österreicher mit einer Schweigeminute in der abendlichen Nachrichtensendung des ORF ergreifen. Tiefgründig und doch mit Blick nach vorn wollte er sich zur besten Fernsehzeit auf das Wesentliche konzentrieren und schweigen — jede der sechzig Sekunden einer TV-Schweigeminute in höchstem Masse bedeutungsvoll. Einfach die Österreicher zum Nachdenken über verschwiegene Gedanken zwingen. Wem das zu trist ist - bitte, der kann ja abschalten. „Spiegelneuronen" nennen Neurowissenschaftler menschliche Nervenzellen mit einer verblüffenden Doppelfunktion. Dieses Phänomen beflügelt die Phantasie von Forschern unterschiedlichster Fachrichtungen — Psychologen, Philosophen, Sprachwissenschaftler —, könnte es doch die direkte Brücke sein zwischen dem elektrischen Geflimmer hinter der Stirn und komplexen menschlichen Verhaltensweisen. Die Neurowissenschaftler Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese von der Universität Parma entdeckten im menschlichen Gehirn einen Mechanismus, der verhindert, dass die Bewegungsimpulse, die in den Spiegelneuronen entstehen, bis zu den Muskeln weitergeleitet werden. In emotional besonders aufgeladenen Situationen versagt dieser Mechanismus allerdings immer wieder. Und auch bei Kindern scheint die Unterdrückung noch nicht völlig ausgereift zu sein. Sie plappern ungehemmt nach oder imitieren die Bewegung von Erwachsenen. Bewegung ist alles, das Ziel offen. Unter Psychologen ist unumstritten, dass der Mensch ein Meister darin ist, Absichten zu erkennen. Ohne Unterlass deutet er das Verhalten seiner Mitwelt. „Theory of Mind" nennen die Forscher jene Vorstellung, die sich ein Mensch vom Innenleben des anderen macht. Ähnlich wie Physiker die Gesetze der Natur ergründen, entwickelt der Mensch alltagspsychologische Ideen darüber, nach welchen Regeln sich andere Menschen verhalten. Für Thomas Klestils ausgefallenen Plan, schweigend mit seinem Volk zu kommunizieren, sein Mitgefühl und seine soziale Kompetenz auszudrücken, liefert die Erforschung der Spiegelneuronen interessante Anhaltspunkte. Die Nachrichtengestalter der öffentlich-recht-
liehen Fernsehanstalt ORF vertieften sich nicht lange in psychotherapeutische Überlegungen, sondern betrachteten zwei-, dreimal Thomas Klestils Schweigeminute und lehnten es ab, damit auf Nachrichtensendung zu gehen. Politik in der Mediengesellschaft, das sind große Gesten, Körpersprache, Inszenierung. Individuelle Schweigeminuten sind nicht nur tödlich lang, sondern eine Parodie auf die mediale Inszenierung von Betroffenheit, Ergriffenheit und sozialer Kommunikation. So wie die Videokamera das Staatsoberhaupt erfasst hatte, wirkte sein Gesicht mit den gnadenlos ausgeleuchteten Furchen und Falten wie erstarrt, während sein dünnes, graues Haar mit dem Hintergrund zu verschmelzen schien. Ärger mag bei dieser Ablehnung auch mit im Spiel gewesen sein. Interviews gewährt Unser Herr Bundespräsident nur noch Medien, die seine von subalternen Mitarbeitern vorfabrizierten Fragen und Antworten auf Punkt und Beistrich exakt abdrucken. Am liebsten führt das Staatsoberhaupt Interviews mit sich selbst: Man verlegt das Interesse der anderen in sich selbst, und wofür man sich interessiert, ist das eigene Ich. Für Liveinterviews steht Unser Herr Bundespräsident nicht zur Verfügung. Auch nicht dem ORF, der in der Präsidentschaftskanzlei wiederholt mit der Bitte abgeblitzt ist, mit dem Staatsoberhaupt ein Gespräch führen zu dürfen. Direkte Kontakte meidet er, allenfalls wendet er sich mit salbungsvollen Ansprachen ungefragt an sein Volk. #**
In Österreich gehört es zu den gängigen, fast selbstverständlichen Gepflogenheiten, dass Zeitungen und Zeitschriften Zitate und Interviews vor der Veröffentlichung noch einmal den Gesprächspartnern vorlegen. Nicht selten äussern Spitzenpolitiker dann Änderungswünsche ihrer Gespräche, und pflichtschuldig streichen Journalisten die schönsten Zitate oder gar neue Gedanken. Oft fügen sie „ihren" Interviews ungestellte Fragen und unbedarfte Antworten nach dem Geschmack ihrer Gesprächspartner hinzu. „In Österreich", klagt der Korrespondent einer großen amerikanischen Zeitung, „gelten ähnliche Regeln wie im ehemaligen Ostblock. Journalisten müssen alle Interviews gegenzeichnen, autorisieren lassen. Was hier von Journalisten verlangt wird, ist nur mit Diktaturen vergleichbar." Am schlimmsten aber treibt es der einst so lockere,
kommunikative und als Medienliebling der Nation allseits respektierte Diplomat Thomas Klestil, so als hätte er etwas zu verbergen. Als der stellvertretende Leiter der Abteilung Innenpolitik in der Austria Presse Agentur zu einem lang vorher vereinbarten Termin beim Bundespräsidenten in der Hofburg aufkreuzte, um mit ihm ein Gespräch für die nationale Nachrichtenagentur zu führen, überreichte ihm Klestils Pressesprecher ein reingeschriebenes Manuskript. Darauf waren zehn Fragen samt Antworten in der Lieblingsversion Unseres Herrn Bundespräsidenten festgelegt und niedergeschrieben. Der unerschrockene Nachrichtenmann wollte sich damit nicht abspeisen lassen und belästigte das Staatsoberhaupt zwischen Tapetentür und Angel mit ein paar Fragen über seine Rolle beim Einfädeln der EU-Sanktionen gegen Österreich. Thomas Klestil lieferte ein paar nichtssagende Antworten, ehe er die Audienz abrupt unterbrach und dem Mann von der Austria Presse Agentur verbot, auch nur eines seiner frei gesprochenen Zitate zu veröffentlichen. Autorisiert sei nur, ergänzte Klestils Pressesprecher grimmig, was die Präsidentschaftskanzlei dem Bundespräsidenten vorgeschrieben hatte. Die Austria Presse Agentur begegnete dem monomanischen Misstrauen Klestils mit gebührender Verachtung, prangerte diese für demokratische Republiken ungewöhnliche Form des Umgangs mit der Dritten Gewalt schonungslos an und hat sich seither nie wieder um ein Gespräch mit dem schweigsamen Staatsoberhaupt bemüht. In jedem anderen demokratischen Land hätte dieser Vorfall ein mittleres Mediengetöse ausgelöst — in Österreich indes blieben Regierung, Opposition und die meisten Medien merkwürdig stumm. Am Beginn seiner Laufbahn als Bundespräsident stellte sich Thomas Klestil noch bei Bundesländer-Sprechtagen seinem Volk, griff aktiv ins politische Zeitgeschehen ein und korrigierte auch Besetzungsvorschläge der Bundesregierung für öffentliche Ämter, zu denen es seiner formalen Zustimmung bedarf. Bald aber verliess der Bundespräsident die Pfade der Öffentlichkeit und der spontanen Einmischung in das politische Tagesgeschehen. Die Vertreter von Tageszeitungen werden nur noch zu Audienzen vorgeladen und mit vorformulierten Interviews verabschiedet. Dabei liebt Unser Herr Bundespräsident nichts mehr als bunte Bilder, die ihn in staatsmännischer Pose darstellen - einmal ernst und besorgt, das andere Mal altväterlich schmunzelnd, am liebsten aber in trauter
Zweisamkeit mit seiner Frau Gemahlin, so als wollte er sein Volk wissen lassen, dass er der einzige Garant für politische Stabilität im Lande und die Welt noch in Ordnung sei, solange er auf seinem Hofburg-Posten steht und sein scharfes Auge über uns wacht. Hier steht ein Mensch, der sieht uns an, der weiß genau, was gut und klug sein kann. Ein Mann, ein Österreich, unser letzter Kaiser. „Voll entsetzt" sei er gewesen, als er hören musste, „unter welchem Druck Journalisten des ORF stehen", versicherte er „News" (Nr. 27/2001). „Es hat mich erschüttert, dass Redakteure eines öffentlichrechtlichen Mediums gezwungen waren, eine Resolution zu verabschieden, in der sie beschreiben, welch ungeheure politische Pression auf ihnen lastet ... Alle, die davon etwas verstehen, sagen, dass der ORF vom parteipolitischen Einfluss befreit werden möge. Dieser Meinung schliesse ich mich voll an." Blättert man diese zur Schau getragene Anständigkeit Schicht um Schicht ab, bleibt nur ein schwacher Kern übrig. Denn für den persönlichen Gebrauch kennt Thomas Klestil keine Zurückhaltung im Umgang mit dem staatlichen Fernsehen. Wie er sich vom ORF behandelt wissen will, demonstriert Thomas Klestil zum Leidwesen der Fernsehredakteure ohne Unterlass. Der Empfang von Staatsgästen wurde vom windigen Flughafen Wien-Schwechat in den geschützten Burghof verlegt, damit der ORF keine Fernsehbilder mit einem Bundespräsidenten bringen kann, dem der Wind die Haare zu Berge treibt. Staatsbesucher werden vorzugsweise an Vormittagen empfangen, damit Klestils Fernsehauftritte noch in den Mittagsnachrichten stattfinden. Auf Auslandsreisen steht ihm ein persönlicher Kameramann des ORF zur Verfügung, der wie kein anderer die äußeren Vorzüge Unseres Herrn Bundespräsidenten ins Bild zu bringen versteht. Immer wieder, jedenfalls seine politische Karriere lang, scheint Thomas Klestil sich und uns zu sagen: Seht, was bin ich doch für ein großer Staatsmann, was für ein Weltpolitiker, und was für ein grossartiger Regisseur und Kameramann ist für Selbstinszenierungen meiner Wichtigkeit an mir verlorengegangen! Glaubt der Bundespräsident, er werde vom Fernsehen unter seinem wahren Wert behandelt, oder empfindet er sich im öffentlich-rechtlichen Medium unterbelichtet wie etwa beim traditionellen Neujahrsempfang für das diplomatische Corps oder bei Staatsbesuchen, hagelt es prompt geharnischte Proteste auf höchster Ebene,
Seit ihm die politische Luft ausgegangen ist, reklamiert sich das Bundespräsidentenehepaar mit Vorliebe in die „Seitenblicke"-Revue der ORF-Spassgesellschaft hinein, oder Thomas Klestil drängt sich vor die Kamera, um die Halbzeit mit Kommentaren zu Fussballspielen der Nationalmannschaft zu füllen. Das Präsidentenehepaar, immer nett und adrett, strahlt und winkt in die Kamera. Kein Kitsch und kein Klischee werden ausgelassen. Schöne Worte, die dem Kitsch und Klischee reinen Herzens huldigen, als machten sie die Seele erst wieder gesund wie Bergpredigten eines Moralisten, der mit dem Zeigefinger flehentlich zum Himmel zeigt: Kinder, habt euch gern und mich noch mehr. Hört die schöne Trompete blasen, und lasst mich mit der blöden Politik in Ruhe! „Diese De-facto-Gesprächsverweigerung mit der Öffentlichkeit bei gleichzeitiger Installation einer Hofberichterstattung ist einfach unerträglich", schreibt Othmar Pruckner in der Tageszeitung „Der Standard": „Er ist vom Volk gewählt, also sollte er doch diesem ab und zu auch Rede und Antwort stehen!"
MAJESTÄT VERBIETEN FRAGEN, DROHEN MIT KLAGEN
Den Satz, ein Volk habe den Präsidenten, den es verdient, hört man auch von Büchern. Meist verbindet sich damit die Absicht, ein gleiches Mass an Beschämung zwischen dem Präsidenten, seinen Wählern und seinen mehr oder weniger kritischen Beobachtern herzustellen. Bundespräsident Thomas Klestil will, wie viele andere Politiker auch, als grösster lebender Politiker des Landes hofiert werden. Ein paar Klatschmagazine und Hofburg-Kampfblätter schreiben oder kuschen tatsächlich auf Befehl Seiner Majestät, des Wahlmonarchen und seines Hofburgstaates. Wer jedoch dem eingebildeten Herrscher ohne Krone mit unzensurierten Fragen lästig wird, in seine Führungshand beisst, statt sie zu lecken, weder seinem Grössenwahn huldigt noch seinen Blössenwahn goutiert, gerät rasch in Acht und Bann. Wer sich dagegen geziemenden Untertanengeistes befleissigt und sich mit wohlfeilen Allgemeinplätzen und Alltagsweisheiten des Staatsoberhauptes bescheidet, ist in der Hofburg herzlich willkommen.
Verschweigen, tarnen und täuschen sind Kennzeichen der Informationspolitik in der Präsidentschaftskanzlei. Pressesprecher langweilen mit Kratzfussfloskeln, wonach der Wahlmonarch sich der Probleme in hohem Masse bewusst ist, darüber tief besorgt ist und aktiv werden will. Konsequenterweise vermittelt die Präsidentschaftskanzlei ähnlich tiefe Einsichten in die Gedankenwelt des Bundespräsidenten wie ein nordkoreanischer Lieblingskader der dortigen Kims. Aufgrund einer Vorankündigung des Ibera Verlages berichtete das Nachrichtenmagazin „Format" Anfang Dezember 2001 (Nr. 49/2001), dass „dem First Couple neues Ungemach dräut ... Ernst Hofbauer, Autor des umstrittenen Politbestsellers 'Der Verrat', in dem über die Rolle von Bundespräsident Thomas Klestil bei den Sanktionen gegen Österreich spekuliert wurde, bastelt an einem Nachfolgebuch. Im Frühjahr 2002 soll im Ibera Verlag sein Buch über die Familie KlestilLöffler erscheinen. Der Titel: 'Unsere Klestils'". Ich wurde von einem Mitarbeiter der Präsidentschaftskanzlei gebeten, meine Überlegungen offenzulegen, was ich bereitwillig tat. Am Ende dieses Gespräches bekundete ich meine Bereitschaft zu einem weiteren Kolloquium nach Fertigstellung meines Buches. Im Verlauf dieses Meinungsaustausches fiel der Name des früheren Pressesprechers des Bundespräsidenten, Heinz Nussbaumer, von dem ich aus verlässlichen Quellen weiß, dass er im Auftrag des designierten Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel in die Abfassung der Präambel zur Regierungserklärung der Mitte-Rechts-Koalition involviert war. In diesem Gespräch mit einem Mitarbeiter der Präsidentschaftskanzlei betonte ich auch, dass seinerzeit die Initiative zur Abfassung dieser Präambel von Wolfgang Schüssel und eben nicht vom Bundespräsidenten ausgegangen war und der Bundeskanzler im Interesse eines guten Einvernehmens zwischen beiden Seiten des Wiener Ballhausplatzes dem Bundespräsidenten den Anspruch auf die Urheberschaft überliess. Ich erklärte ausdrücklich und wahrheitsgemäss, dass ich mit dem von mir sehr geschätzten Journalisten Heinz Nussbaumer nie Kontakt gehabt oder gar persönliche Gespräche über Vorgänge in der Präsidentschaftskanzlei geführt hätte. Umso überraschter war ich, als mich Heinz Nussbaumer in einem an mich gerichteten, mit 20. Januar 2002 datierten Schreiben um Klarstellungen bat. In diesem Brief hieß es wörtlich:
„Sehr geehrter Herr Dr. Hofbauer. Vor wenigen Tagen wurde mir mitgeteilt, dass Sie mit der Abfassung eines weiteren Buchmanuskriptes über unser Staatsoberhaupt befasst sind. Gegenüber Dritten sollen Sie wie mir berichtet wird - in diesem Zusammenhang ausgerechnet meinen Namen als einen Informanten für Ihr Projekt genannt haben ... Ich gehe zunächst davon aus, dass diese Mitteilung falsch ist und nur auf einem Missverständnis beruhen kann. Denn weder kenne ich Sie persönlich, noch hat es jemals irgendeine Form des direkten oder indirekten Kontaktes zwischen Ihnen und mir gegeben, noch ist er jemals versucht worden ... Jeder Hinweis Ihrerseits auf angebliche Informationen durch mich und jede Wiedergabe angeblicher Auskünfte oder Hinweise meinerseits zur Person des Bundespräsidenten und/oder seiner Gattin wären aus den oben genannten Gründen unwahr ... Ich ersuche Sie deshalb, mir auf schriftlichem Weg ausdrücklich zu bestätigen, dass von Ihrer Seite niemals derartige Behauptungen, meine Person betreffend, aufgestellt wurden und werden, die - wie Sie wissen -jeder sachlichen Grundlage entbehren ... Ich sehe Ihrer Antwort innerhalb einer Woche entgegen — andernfalls müsste ich mir im Interesse der Wahrheit und der Integrität meiner Person weitere Schritte vorbehalten."
Unverzüglich antwortete ich Heinz Nussbaumer erst via e-mail, dann brieflich. In meinem Schreiben teilte ich dem angesehenen Journalisten, der vor Jahren einer Intrige in der Präsidentschaftskanzlei zum Opfer gefallen war, mit: „Sehr geehrter Herr Professor Nussbaumer! Ich danke für Ihr Schreiben und bestätige Ihnen gerne und ausdrücklich, dass ich Ihren Namen im Zusammenhang mit mir von Ihnen gegebenen Informationen nie ej-wähnt habe. Wer immer Ihnen solches oder Ähnliches gesagt haben sollte, hat Sie belogen und mich verleumdet... Ich kenne Sie nicht persönlich. Es hat zwischen Ihnen und mir nie einen direkten oder indirekten Kontakt gegeben, noch ist dies von Ihnen oder mir je versucht worden. Sie schreiben richtig, dass, wer anderes behauptet, Unwahres verbreitet... Im Gegenteil: In dem von Ihnen möglicherweise angesprochenen Kreis habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich unter
anderen - weder mit Ihnen noch mit Frau Edith Klestil je Kontakt hatte ... Ich bedauere zutiefst, dass Sie, sehr geehrter Herr Professor Nussbaumei; in eine offensichtliche Intrige hineinzuziehen versucht worden sind. Das ist weder meine Absicht noch auch Teil meines Buchprojektes. Ganz abgesehen davon läuft dies meinen persönlichen Wertvorstellungen zuwider ... Sie dürfen mir glauben, dass ich Ihren journalistischen Weg stets mit großem Interesse und Hochachtung verfolgt habe. Sie haben allen Anspruch auf die Integrität Ihrer Person und — soweit mir dies möglich ist - bin ich gerne bereit, Sie von derartigen falschen Beschuldigungen zu entlasten ..." Als ich Tage später meinen Gesprächspartner aus der Präsidentschaftskanzlei über meinen Briefwechsel mit Heinz Nussbaumer unterrichtete und mich verwundert zeigte über die seltsame Methode, mit falschen Informationen gezielt Missverständnisse aufzubauen, bat mich dieser, diese unangenehme Angelegenheit einfach zu vergessen.
Mit Schreiben vom 20. Februar 2002 an den Ibera Verlag der Rechtsanwaltskanzlei Korn-Zöchbauer-Frauenberger „beehrte" sich Honorarprofessor Dr. Gottfried Korn „zunächst anzuzeigen, den Bundespräsidenten der Republik Österreich, Dr. Thomas Klestil, rechtsfreundlich zu vertreten". In diesem Schreiben hielt der Anwalt im Auftrag des Wahlmonarchen Verlag und Autor eine kräftige Standpauke: ,J)er mir vorliegenden Ausgabe des Magazins 'Format' vom 3. Dezember 2001 entnehme ich, dass Herr Dr. Ernst Hofbauer - im 'Format' Autor des umstrittenen Buches 'Der Verrat' genannt — plant, ein Buch über die Familie Klestil-Löffler unter dem Titel 'Unsere Klestils' zu veröffentlichen ... Herr Bundespräsident Dr. Thomas Klestil hat seinerzeit gegen die über weite Strecken Unrichtigkeiten bzw. Halbwahrheiten enthaltenden, ehrenrührigen und kreditschädigenden Vorwürfe im Buch 'Der Verrat' aus Gründen des Ansehens Österreichs sowie seiner demokratischen Institutionen im Hinblick auf die seinerzeitigen
gesamteuropäischen Umstände keine rechtlichen Schritte unter-, nommen ... Mein Mandant hat mich allerdings bereits jetzt beauftragt, das Buch von Herrn Dr. Hofbauer sofort nach Erscheinen auf seine Übereinstimmung mit der Österreichischen Rechtsordnung zu überprüfen und wegen jedes Verstosses gegen gesetzliche Bestimmungen mit rechtlichen Schritten vorzugehen. Veröffentlichungen über Familienleben haben es an sich, dass damit auch die privaten Bereiche der betroffenen Personen berührt werden. Ich setze Sie vorsorglich davon in Kenntnis, dass weder Bundespräsident Dr. Thomas Klestil noch seine Frau ihre Zustimmung zu Veröffentlichungen über ihr Privat- und Familienleben geben. Meine Mandanten erteilen auch zu allfälligen Bildveröffentlichungen keine Zustimmung ... Ich habe Sie in Ihrer Eigenschaft als Verlag, in dem das Buch von Herrn Dr. Hofbauer erscheinen soll, mit der gebotenen Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass nach österreichischem Recht auch im öffentlichen Leben stehende Personen ein Recht auf Achtung ihrer Privatsphäre haben, gegen deren Verletzung die Rechtsordnung nicht nur Unterlassungs-, sondern auch Schadenersatzansprüche gewährt (zB § 7 MedienG, § 78 UrhG). Nach ständiger Rechtsprechung haftet auch ein Verleger von Büchern als intellektueller Verbreiter für allfällige Rechtsverletzungen des Autors (zB OGH 29.09.99, 6 Ob 1191991, MR 1999, 334 uvam)...
Derlei Schreiben liest man mit gemischten Gefühlen. Einerseits freut man sich über das Interesse, das einem Buch entgegenschlägt, noch ehe auch nur eine einzige Zeile daraus erschienen ist, sowie über die unfreiwilligen Marketingeinfälle, die diesem Buch von keineswegs enthusiasmierter Seite zuteil werden. Andererseits verstört der Geist, der in der Präsidentschaftskanzlei offensichtlich zu herrschen scheint. Diese Verstörung über merkwürdige Entwicklungen im republikanischen Österreich teilen auch Vertreter internationaler Journalistenverbände wie etwa die Organisation „Reporter sans frontieres" in Paris, der „Internationa] Pen Club" und die „International Federation for Freedom of Expression", beide in Kanada. Ich habe mit diesen streit-
baren Verteidigern der Presse- und Meinungsfreiheit und damit auch der Menschenrechte Kontakt aufgenommen und mich ihrer allfälligen Unterstützung versichert. Die „Reporter sans frontieres" geniessen einen ausgezeichneten Ruf als Hüter der Medien- und Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit Vorwürfen der sogenannten „Majestätsbeleidigung" - erst im Februar 2002 haben sie Protestschreiben an den thailändischen König und die Regierung in Bangkok gerichtet, weil diese zwei ausländische Korrespondenten, den Amerikaner Shawn W. Crispin („Wall Street Journal") und den Briten Rodney Tasker (Präsident des thailändischen „Foreign Correspondent Club" in Bangkok), wegen vorgeblicher „Majestätsbeleidigung" des Landes verwiesen hatten. Dem landesweit hochverehrten Monarchen soll diese Angelegenheit mittlerweile äusserst unangenehm sein. Denn sein Land genoss in Sachen Medienfreiheit bisher einen lupenreinen Ruf. Natürlich hat eine auch noch so öffentliche Familie wie die des Bundespräsidenten und seiner Ehefrau jeglichen Anspruch auf die Wahrung ihrer Intimsphäre. Dies gilt auch für ein Ehepaar, das sich vorzugsweise in Klatschmagazinen selbst inszeniert und entblösst (Thomas Klestil: „Ich habe private Sorgen"). Ich habe darauf mit bestem Wissen und Gewissen Rücksicht genommen, so schwierig es auch ist, das tumultuöse Privatleben Thomas Klestils von seinen öffentlichen Auftritten als Bundespräsident • der Republik Österreich streng zu trennen. Seit Beginn seiner politischen Laufbahn hat Thomas Klestil sein (Menschen-)Recht auf Privatheit bewusst aufs Spiel gesetzt. Er hat die Existenz einer heilen Familienwelt vorgetäuscht, um damit konservative Wähler auf seine Seite zu ziehen. Kaum gewählt und angelobt, hat er die wahren privaten Verhältnisse aufgedeckt. Schwer fällt es auch Margot Klestil-Löffler, ihr privates und öffentliches Leben korrekt auseinander zu halten. Wenn Margot KlestilLöffler den Bundeskanzler mitten in eine live ausgestrahlte FemsehPressestunde von (mutmasslich) daheim aus mit Telefonanrufen bombardiert und unterbricht, ist völlig unklar, in welcher Eigenschaft dies die dreifaltige Dame tut: als private Frau Margot Klestil-Löffler, als weisungsgebundene Frau Gesandte im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten oder als von den Medien zur „First Lady" gekürtes öffentliches Ereignis? Ich habe darauf auch nach Rücksprache mit meinen Rechtsberatern keine eindeutige Antwort bekommen.
Wie so vieles haben wir das folgenreiche Wort „privat" den Römern zu verdanken. Ursprünglich wurde es zur Abgrenzung der öffentlichen Aufgaben von Amtsinhabern von ihren sonstigen - privaten Angelegenheiten verwendet. Die Ausübung öffentlicher Funktionen sollte dem Eigeninteresse gegenüber Vorrang geniessen. Julius Cäsars Überquerung des Rubikons war nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil er diese Rangordnung offen herausforderte. Er stellte seine „dignitas", seine Ehre und Würde, über das Wohl der Allgemeinheit: „Der Verzicht auf diesen Übergang wird mir Unglück bringen, der Übergang aber allen Menschen", soll Cäsar ausgerufen haben, als die sprichwörtlichen Würfel fielen (Raymond Geuss: Public Goods. Private Goods. Princeton University Press, Princeton 2001). Im Jahr 1890 erfanden Samuel Warren und Louis Brandeis in einem Aufsatz das „Recht auf Privatheit", das ihrer Meinung nach nicht durch Einmischung, sondern auch durch unerbetene Beobachtungen und Beschreibungen verletzt werde. Samuel Warren verband seine Gedanken mit einem durchaus persönlichen Interesse. Er wollte ein Verbot der Berichterstattung über die glanzvollen Gesellschaften seiner Frau erreichen. Um mit Helmut Qualtinger zu sprechen, ist moralische Entrüstung der Heiligenschein der Scheinheiligen. Die Philosophin Judith Jarvis Thomson meint, dass es weder moralisch noch juridisch ein Recht auf Privatheit gebe, weil die damit verbundenen Ansprüche zu vielfältig und überdies durch ordentliche individuelle Rechte ausreichend geschützt seien. Nicht alles, was als Privatsache deklariert wird und dem Blick der anderen verborgen bleiben soll, dient der Selbstbestimmung, behauptet Beate Rössler (Beate Rössler: Der Wert des Privaten. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/Main, 2001). Die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Leben sei nicht eindeutig, schreibt Beate Rössler, wenngleich Männer grössere Freiheiten bei der Vermischung von privater Sphäre und öffentlicher Rolle geniessen als Frauen. Insofern ist das Private in der feministischen Literatur stärker mit Unterdrückung als mit Selbstbestimmung verbunden. Bernadette Chirac, beispielsweise, legt großen Wert darauf, Privatperson zu sein und nicht Frankreichs „First Lady". Wir brauchen Kontrolle über den Zugang zu privaten Entscheidungen, Informationen und Räumen, um uns als selbstbestimmte Wesen formieren zu können. Wie freilich Privates von Öffentlichem am Ende abgegrenzt wird, ist keine private, sondern eine öffentliche Angelegenheit.
Ich kann mich nicht erinnern, je das „Ansehen Österreichs sowie seiner demokratischen Institutionen" gefährdet oder gar verletzt zu haben. Dieser Vorwurf wurde gegen Thomas Klestil im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegen Österreich nicht allein von mir erhoben. Er hätte seinerzeit klagen können. Er hat dies nicht getan und begründet dies mit den „seinerzeitigen gesamteuropäischen Umständen", ein Argument, das weder mein intuitives Urteilsvermögen noch der juristische Sachverstand meiner Rechtsberater begreifen können. Auch in diesem Buch verletze ich an keiner Stelle das „Ansehen Österreichs und seiner demokratischen Institutionen". Ich wünschte, Thomas Klestil könnte dies von sich auch so entschieden behaupten.
Herr Bundespräsident Dr. Thomas Klestil hat dieses Buch weder gewollt noch gar unterstützt. Er hat darüber hinaus alles getan, um dieses Buch zu verhindern, wie dies das Schreiben seines Medienanwaltes Dr. Gottfried Korn an den Ibera Verlag belegt. Unser Herr Bundespräsident will das Bild seines politischen Lebenswerks und seiner Familien gnadenlos eifersüchtig vor jenen hüten, die davon einen anderen Eindruck haben als er selbst. Denn für ihn ist das einzige faire Bild von seinem Wesen und Wirken sein eigenes. Auch diese Vorstellung zeugt nicht von großer Souveränität Thomas Klestils. In der Illustrierten-Welt des Klatsches und der Gerüchte traut man Selbstdarstellern und ihrer gesteuerten Selektion der Wahrheit kaum zu, mit objektiven Informationen zur Aufklärung des Schlamassels in der Wiener Hofburg etwas beitragen zu können, Ungeachtet der vorhersehbaren Aussichtslosigkeit meiner Bemühungen bat ich den Bundespräsidenten, ein paar Fragen schriftlich zu beantworten. Ich hätte an den Antworten Thomas Klestils keinen Punkt und keinen Beistrich geändert. Erwartungsgemäss wurde ich erst gar nicht in Versuchung geführt. Denn Unser Herr Bundespräsident hat sich mit einer einzigen Ausnahme geweigert, die ihm vorgelegten Fragen zu beantworten. Der guten Ordnung und Vollständigkeit halber wiederhole ich die dem Bundespräsidenten gestellten Fragen, glaube ich doch, dass die Reaktion des Staatsoberhauptes darauf das in diesem Buch von ihm gezeigte Bild komplettiert hätte.
Frage 1: Unser Herr Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt Dr. Gottfried Korn beauftragt, den Ibera Verlag vor einer Herausgabe dieses Buches wegen allfälliger ehrenrühriger Angriffe zu warnen. Wer finanziert die damit verbundenen Kosten - Unser Herr Bundespräsident oder die Steuerzahler? Frage 2: Unser Herr Bundespräsident legt auf eine strikte mediale Zurückhaltung bei der Beurteilung seines Privatlebens besonderen Wert. Hat Unser Herr Bundespräsident nicht selbst Anlässe geliefert, die das mediale Interesse auf eine unübliche Vermischung von öffentlicher Funktion und privatem Leben gezogen haben? Frage 3: Finden sich dafür Parallelen mit einem der sechs Vorgänger Unseres Herrn Bundespräsidenten seit dem Jahr 1946? Frage 4: Unser Herr Bundespräsident gibt Interviews zu innenpolitischen Fragen praktisch nur noch dem Nachrichtenmagazin „News". Warum? Frage 5: Unser Herr Bundespräsident lässt Interviews dem Vernehmen nach nur zu, wenn Fragen und Antworten exakt vorgegeben bzw. in der Präsidentschaftskanzlei selbst verfasst werden. Warum? Frage 6: Fühlt sich Unser Herr Bundespräsident - ganz allgemein gesprochen - von den Medien missverstanden und/oder schlecht behandelt? Warum? Frage 7: Unser Herr Bundespräsident hat Monate vor der Bekanntgabe seiner Wiederkandidatur im November 1997 versprochen, der Öffentlichkeit ein Gesundheitsbulletin vorzulegen. Ist dies je geschehen? Frage 8: Unser Herr Bundespräsident versprach 1992, regelmässig sogenannte „Bundesländertage" abzuhalten. Wann und in welchen Bundesländern fanden derlei „Bundesländertage" in den letzten Jahren statt? Frage 9: Der frühere Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Michael Sika, schreibt in seinem Buch „Mein Protokoll", dass ein Sicher-
heitsbeamter von Unserem Herrn Bundespräsidenten diesen im Herbst 1993 mit dem Ausplaudern privater Geschichten unter Druck gesetzt hätte. Dieser Sicherheitsbeamte - Herr Klaus Heidfogel - wurde kurz darauf mit 48 Jahren frühpensioniert. Hat sich Unser Herr Bundespräsident von Herrn Heidfogel je unter Druck gesetzt gefühlt? Warum wurde Herr Heidfogel von der Präsidentschaftskanzlei abgezogen? Frage 10: Welche Verdienstmedaille erhielt Herr Robert Haider, der Vater von Jörg Haider, wann und wofür? Frage 11: Ist Unserem Herrn Bundespräsidenten bekannt, dass Robert Haider Mitglied der „Österreichischen Legion" der NSDAP war, die im Jahr 1934 den nationalsozialistischen Juli-Putsch in Österreich und die Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuss organisiert hat? Frage 12: Hatte Unser Herr Bundespräsident seit Februar 2000 je direkte Kontakte mit Präsident Jacques Chirac, Premierminister Tony Blair oder auch US-Präsidenten? Frage 13: Wie beurteilt Unser Herr Bundespräsident die Regierung Silvio Berlusconis in Italien? Frage 14: Wie beurteilt Unser Herr Bundespräsident die Zwischenbilanz der amtierenden Bundesregierung in Österreich? Frage 15: Wie beurteilt Unser Herr Bundespräsident die Zwischenbilanz der amtierenden Außenminister in Dr. Benita Ferrero-Waldner? Thomas Klestil liess diese 15 Fragen von seinem treuen Paladin Hans Magenschab, Leiter des Presse- und Informationsdienstes der Präsidentschaftskanzlei, wie folgt beantworten: „Die gestellten Fragen lassen deutlich erkennen, was die Absicht des Buches ist, das sich offensichtlich an einem früheren polemischen Opus von Ernst Hofbauer orientiert und nicht die Absicht einer objektiven Darstellung der Amtstätigkeit des gegenwärtigen Bundespräsidenten hat.
Einige Fragen beziehen sich nämlich auf unseriöse Berichte von Medien - wie vor allem das eingestellte „täglich Alles"; einige Antworten wiederum können jederzeit bei der Austria Presse Agentur und in den Archiven von Qualitätszeitungen abgefragt oder als LeserbriefStellungnahmen der Präsidentschaftskanzlei aufgefunden werden. Einige Fragen wiederum könnten nur durch die Verletzung des Amtsgeheimnisses oder von Datenschutzbestimmungen beantwortet werden, wozu weder eine Berechtigung noch Bereitschaft vorliegt. Und schließlich beantworte ich auch nicht Fragen, die auf das Privatleben des Bundespräsidenten zielen. E i n e Antwort gebe ich jedoch gerne: Sollte der Bundespräsident oder andere Betroffene den Buchverlag und/oder Autor wegen Verletzung von Strafrechtsvorschriften bzw. Schadenersatz klagen, dann werden dafür k e i n e Steuermittel herangezogen - wie auch nicht für die bereits erfolgte Rechtsberatung." Der Bundespräsident lässt über sich und für sich antworten. Nicht, um sich zu rechtfertigen. Dazu hätte er jedenfalls bei zwei Fragen gute Argumente anführen können - er hat im Herbst 1997 Gesundheitsbulletins vorgelegt und er verspricht, seinen Rechtsanwalt in privaten Angelegenheiten aus eigener Tasche zu bezahlen -, sondern weil er klug genug ist, die Sachlage richtig einzuschätzen. Also lässt er seinen Pressesprecher mit Polemiken auffahren, die er anderen unterstellt. Das ist Teil seines Wesens und hätte nicht viel zu bedeuten, wenn er nicht Bundespräsident der Republik Österrreich wäre.
IRRWEGE EINES BUNDESPRÄSIDENTEN
Mitte der neunziger Jahre schon wollte Wolfgang Schüssel die Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten beenden. „So lange ich Bundespräsident bin, wird Herr Schüssel nicht Bundeskanzler", versprach damals Thomas Klestil politischem Freund und Feind. „Das schau ich mir an", soll der Vorsitzende der Volkspartei gekontert haben. „Du musst schon Nummer eins werden, wenn du Kanzler seiitl willst", nannte der Bundespräsident dem ÖVP-Obmann seine Bedingt gung. Schroff und arrogant soll Wolfgang Schüssel dem irritierten
Bundespräsidenten über den Mund gefahren sein: „Die Regierung, bei der du gemütlich ins Ausland fahren kannst, wird es nicht geben." Sisyphos war, das wird oft vergessen, bereits tot, als er sich an sein sinnloses Unterfangen machte, einen Felsblock den Berg hinaufzuwälzen. Auch um die sogenannte „große" Koalition von Sozialdemokraten und Konservativen war es geschehen, als Bundeskanzler Viktor Klima (SPÖ) von Bundespräsident Thomas Klestil Mitte Oktober 1999 beauftragt wurde, „Sondierungsgespräche" mit allen im Parlament vertretenen Parteien, auch mit den Freiheitlichen, zu führen. Die beiden ehemaligen Grossparteien waren auf ein Mittelmass von 33 Prozent (SPÖ) beziehungsweise 27 Prozent (ÖVP) zusammengeschrumpft. Die Freiheitliche Partei hatte bei der Parlamentswahl vom 3. Oktober 1999 die Volkspartei erstmals überholt und auf den dritten Platz verwiesen. Der sozialdemokratische Parteiführer war der falsche Mann für spektakuläre politische Kraftakte. Er und seine Partei waren auf Gedeih und Verderb den mächtigen Gewerkschaften und ihrer Finanzund Organisationskraft ausgeliefert. „Nie, nie und nimmer werden wir getrennte Wege gehen", sagte der gezeichnete Parteiführer Klima nach seiner schweren Niederlage bei der Parlamentswahl. „Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbewegung gehören zusammen." „Bei der Neuauflage einer rot-schwarzen Koalition fahren wir mit in die Hölle", fürchtete der steirische ÖVP-Politiker Herbert Paierl. „Eine solche Koalition kann Jörg Haider nur eindämmen", beschwor Wolfgang Schüssel, „wenn sie glaubwürdig Reformen schafft und weniger streitet." Doch kein realistischer Österreicher konnte sich noch eine „Reformpartnerschaft" zwischen zwei ausgezehrten und von politischen Absichtserklärungen selbstgefesselten Parteien vorstellen. Die Sozialdemokraten mieden vordergründig Jörg Haiders Freiheitliche wie die Pest. Die Volkspartei wollte gleich überhaupt nicht regieren, weil sie sich als drittplazierte Partei im Parlament von den Wählern verlassen fühlte. Die Gewerkschaften blockierten jeden Reformplan — auch jene der Sozialdemokraten -, und Bundespräsident Thomas Klestil wollte das alles nicht einsehen, weil er seinem Freund Viktor Klima als Kanzlermacher versprochen war. Der Chef der Sozialdemokraten war seine Visitenkarte für parteipolitische Unabhängigkeit. Und auch sein Feigenblatt.
Wolfgang Schüssel drängte die Sozialdemokraten Ende November' 1999, die „Sondierungsgespräche" doch endlich zu einem vernünftig gen Ergebnis zu bringen. Der Bundespräsident versprach siegessicher* die Bildung einer Links-Mitte-Koalition noch vor Jahresende 1999 und liess über das halbamtliche Hofburgorgan „News" verlauten, dass eine schwarz-blaue Koalition für ihn unter keinen Umständen in Frage komme, obwohl ihm das sozialdemokratische Politiker nicht zu danken wussten und ihn mit der Kehrseite der Medaille bezahlten. Denn die Sozialdemokraten scherten sich keinen Deut um die plötzlich von Thomas Klestil geforderte Ausgrenzung der Freiheitlichen. Anfang Dezember 1999 spekulierte Viktor Klima öffentlich damit, dem Bundespräsidenten eine auch von den Freiheitlichen unterstützte Minderheitsregierung der Sozialdemokraten vorzuschlagen. Es gibt Augenblicke und Stimmungen in der Geschichte, wo eine bloss so dahin gesagte Kleinigkeit wichtig sein kann für den Ausgang des Spiels. Mit einem Schlag überstürzen sich die Ereignisse, macht sich Misstrauen breit, sind politische Schwüre wertlos. Am ersten Wochenende im Dezember 1999 trafen sich in Paris hohe Funktionäre der Sozialdemokraten und der Freiheitlichen Partei zu ausführlichen Geheimverhandlungen über eine rot-blaue RegierungsPartnerschaft. Einmal mehr hatte sich der Bundespräsident im Hochgefühl der eigenen Bedeutung verschätzt. Wieder einmal war ihm dieses gewisse Gespür für die Situation abhanden gekommen, ohne das ein Politiker verloren ist: Dazu gehört mehr als das berechtigte Vertrauen in einen respektvollen Umgang mit dem Amt und der Würde des Bundespräsidenten. Dazu gehört vor allem eine Selbsteinschätzung, die nicht allzu fern von der allgemeinen Fremdeinschätzung liegen darf. Dazu gehört ein Sensorium für Situationen, ein Einschätzungsvermögen für den eigenen politischen Stellenwert. Wenn es, völlig unabhängig von diplomatischen Talenten, an diesen Fähigkeiten fehlt, dann hat es ein Politiker, auch und gerade wenn er Bundespräsident ist, schwer. Thomas Klestil hatte es sehr, sehr schwer. In Sorge vor einem Scheitern der „großen" Koalition drückte der Bundespräsident Mitte Dezember 1999 aufs Tempo und erteilte Viktor Klima den Auftrag, eine neue Bundesregierung doch um alles in der Welt mit der Volkspartei zu bilden. Indes begrub seine unverhohlene Parteinahme für eine von Viktor Klima geführte Links-Mitte-Regie-
rung uralte Gegnerschaften zwischen Volkspartei und Freiheitlichen und animierte Wolfgang Schüssel und Jörg Haider, ungeahnte politische Gemeinsamkeiten zu entdecken. Aus eigenem Versagen und eitler Selbstüberschätzung lieferte der Bundespräsident einen entscheidenden Anstoss zur Vorbereitung einer schwarz-blauen Koalitionsregierung. Denn die Sozialdemokraten und ihr Gewerkschaftsflügel wollten sich auf keine „Reformpartnerschaft" mehr einlassen. Weder die Sanierung des Staatshaushaltes und der Abbau des staatlichen Schuldenbergs noch Privatisierungen, die Stärkung des Wirtschaftsstandortes und eine aktive Europapolitik beflügelten ihren reformatorischen Eifer. Die klare Aussicht auf unvermeidliche Eingriffe in fette Weiden des Wohlfahrtsstaates und auf den Verzicht von sozialen Privilegien für die eigene Stammklientel stürzte die sozialdemokratischen Teilnehmer an den Regierungsverhandlungen mit der Volkspartei in ein politisches Jammertal der Gefühle. „Die Volkspartei hat ungeheuren Druck ausgeübt, da muss man verstehen, dass die SPÖ-Funktionäre massiv enttäuscht reagierten. Unser (Verhandlungs-)Team akzeptierte Sachkompromisse am Rande der sozialdemokratischen Schmerzgrenzen", klagte Nationalratspräsident Heinz Fischer über die konservativen Verhandlungspartner. „Wir stehen der Bildung einer Regierung nicht im Wege, bleiben aber bei unserer Ablehnung", beschied Gewerkschaftspräsident Fritz Verzetnitsch den Österreichern. Konsequenterweise liessen SPÖ und Gewerkschaften ihren Parteichef Viktor Klima auch mit seinem in letzter Minute aus dem Ärmel gezogenen „Reformpapier" im winterlichen Schneeregen stehen. Die parteiinternen Diskussionen über die Reformkraft der Sozialdemokraten verglich ein Mitglied des SPÖPräsidiums mit „Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Nord- und Südkorea". Nicht im Traum würde er die zwischen Viktor Klima und Wolfgang Schüssel vereinbarten Bedingungen für die Bildung einer LinksMitte-Regierung akzeptieren, sagte der Gewerkschaftsfunktionär Rudolf Nürnberger zornig, und wäre dies auch das Ende der rotschwarzen Koalitionsregierung. Denn, beschwerte sich Nationalratspräsident Heinz Fischer, „nicht mehr ein Tropfen, sondern eine ganze Flut brachte das Fass zum Überlaufen". Am 20. Januar 2000 versuchte Wolfgang Schüssel noch einmal, Regierungsverhandlungen mit den Sozialdemokraten in Gang zu brin-
gen. In einer Aussprache mit Viktor Klima bestand er auf den Unterschriften aller SPÖ-Verhandler unter dem Koalitionspakt. Viktor Klima sah sich ausserstande, diese Forderung zu erfüllen. Schüssel gab nach und sich mit einer schriftlichen Zusicherung der Gewerkschaftsführung zu den geplanten sozialpolitischen Reformen zufrieden. Als letzten Kompromissvorschlag bot der ÖVP-Vorsitzende seinem sozialdemokratischen Gegenspieler den Verzicht seiner Partei auf einen Finanzminister aus den eigenen Reihen an. Allerdings müsse der sozialdemokratische Finanzminister durch einen parteiunabhängigen Wirtschaftsexperten ersetzt werden. Schweren Herzens musste Viktor Klima auch dieses Angebot ablehnen. Seine Partei hatte den Handlungsspielraum ihres Vorsitzenden längst auf Null reduziert. In einem auf seine Person zugeschnittenen und verlorenen Wahlkampf hatte Klima seine Schuld getan, er hatte zu gehen. Auch irreale politische Vorstellungen sind in ihrer Logik so konstruiert, dass alles, was geschieht, als Bestätigung für ihre Annahmen gewertet werden. Die Wirklichkeit passt sich den Ahnungen an. Anpassungen der Realität an Phantasien gehören in gewissem Mass zum Repertoire von Führungspersönlichkeiten in Politik und Wirtschaft. Wenn, beispielsweise, ein Wirtschaftstycoon die Idee entwickelt, einen weltumspannenden Konzern aufzubauen, so gehört dazu auch eine eigensinnige Grössenphantasie. Wenn solche Phantasien sich verwirklichen, wird dem Betreffenden Charisma zugeschrieben. Scheitert er, was häufig der Fall ist, wird er von der Kritik disqualifiziert. Erfolg wie Misserfolg sind das Ergebnis von sozialen Prozessen. Wer an der Spitze eines Unternehmens oder gar eines Staates steht, bewegt sich in einem Erfahrungsfeld, das die Wahrscheinlichkeit erhöht, auf einen Ego-Trip zu geraten. In hierarchischen Organisationen, sei es dem Vorstand eines Weltkonzerns oder an der Spitze eines demokratischen Rechtsstaates, erhalten Unternehmenslenker wie Bundespräsidenten nur noch stark gefilterte Informationen. Und leider folgen nur wenige Führungspersönlichkeiten dem Rat des Konfuzius, alle Mitarbeiter oder Minister zu entlassen, die ihnen nie widersprechen. Sie umgeben sich stattdessen mit Personen, die von ihnen begeistert sind oder auch klug genug, abweichende Meinungen nicht zu äussern.
Auch ein Bundespräsident muss Rückschläge aushallen. Ist er dazu nicht fähig, besteht stets die Gefahr, dass er seine wachsende Dünnhäutigkeit durch einen sozialen Schutzschild von Jasagern kompensiert. Werden große Ideen nicht kontrolliert und nicht durch regelmässige Realitätstests in Frage gestellt, so können sie Unternehmen wie Staaten in eine Krise führen. Je höher jemand in der politischen Hierarchie steht, desto allgemeiner und vager sind seine Äusserungen. Die Sinnhaftigkeit politischer Überlegungen und Entscheidungen ist deshalb im nachhinein schwer zu überprüfen und die Schuldfrage im Versagensfall nicht eindeutig zu klären. Es bleiben Nebel, es bleiben Unklarheiten, es bleibt Ungeklärtes. Nichts wird wirklich gelichtet. Es bleibt Gift übrig, schreibt Heinrich Böll in seinem Roman „Frauen vor Flusslandschaft", das sickert nach unten, sickert in die Seele des Volkes. Es gehört zu den grundlegenden Erkenntnissen der Physik und der Volksweisheit, dass da, wo es raucht, auch Feuer ist. Wie schwierig es sein kann, dieses Feuer zu finden, und zwar gerade dann, wenn es ganz fürchterlich qualmt - das zeigt der Fall Thomas Klestil, die Rolle des Bundespräsidenten und die seiner Mitstreiter im In- und Ausland beim Zustandekommen der EU-Sanktionen gegen Österreich. Es wäre gut gewesen, wenn wenigstens der Bundespräsident sich erklärt und Einblick gegeben hätte in die Protokolle seiner Telefongespräche mit ausländischen Staats- und Regierungschefs im Vorfeld der Verhängung des EU-Boykotts gegen Österreich. Vielleicht hätte dann die Chance einer Entgiftung bestanden.
Zunächst berichteten Viktor Klima und Wolfgang Schüssel dem Bundespräsidenten in der Hofburg vom Scheitern ihrer Regierungsverhandlungen. Auf einmal wollte Thomas Klestil schon immer gewusst haben, dass „die Verhandlungen wenig Erfolgsaussichten hatten". Kurze Zeit später suchte Nationalratspräsident Fischer Klestil in der Präsidentschaftskanzlei auf. Die Beratungen der beiden Freunde dauerten ein Mehrfaches dessen, was der Bundespräsident an Zeit für die beiden auseinander gegangenen Chefs der rot-schwarzen Koalition aufgebracht hatte. Allerdings hatte Heinz Fischer dem Bundespräsidenten auch mehr zu sagen. Obwohl sich Thomas Klestil noch in seiner traditionellen
Fernsehansprache zum Nationalfeiertag am 26. Oktober 1999 zur „Bildung einer stabilen Regierung mit einer soliden Mehrheit im Parlament" bekannt hatte, könne man sich bei den Sozialdemokraten durchaus auch eine von den Freiheitlichen geduldete sozialdemokratische Minderheitsregierung vorstellen. Davon hatte auch Viktor Klima Anfang Dezember 1999 gesprochen: „Mir ist es vordringlich nie darum gegangen, Jörg Haider zu stoppen", machte der SPÖ-Vorsitzende den Freiheitlichen Avancen. Damit der Kärntner Landeshauptmann paktfähig werde, sei es notwendig, dass Politiker und Wähler „den Eindruck gewinnen, da gibt es eine Änderung der Verhaltens". Die Sozialdemokraten wollten sich die FPÖ-Unterstützung einer Minderheitsregierung einige Ministerposten kosten lassen. Den Freiheitlichen angeboten wurden in einigen Vorgesprächen das Verteidigungs-, Verkehrs- und Wirtschaftsressort. Eine lose Koalition von sozialdemokratischen und der FPÖ nahestehenden Minister sollte sich „von Gesetz zu Gesetz" um eine Mehrheit im Parlament bemühen. Denn „die Chance, diese Mehrheit bei der Volkspartei zu finden", ergänzte Alt-Finanzminister Rudolf Edlinger seinen Parteichef, sei ohnedies „irrelevant". 1
Unter dem Druck der Ereignisse begann Thomas Klestil unverse*j| hens Sympathien auch für eine rot-blaue Regierung oder wenigsten^] doch für eine von den Freiheitlichen geduldete SPÖ-Minderheitsre»! gierung zu empfinden. Gedacht, getan. Ein paar Stunden nach seiner ausgiebigen Beratung mit Heinz Fischer erteilte der Bundespräsident Viktor Klima den Auftrag, „er möge eine Regierung ohne fixe Mehrheit, aber unter Beteiligung von Experten aller Parlamentsfraktionen" in Angriff nehmen. Der Bundespräsident befand sich seit Wochen in einer Zwickmühle. Das Scheitern einer rot-schwarzen Koalition vor Augen, „war er an ungeraden Tagen vormittags für eine rot-blaue Koalition, nachmittags dagegen. An geraden Tagen war es dann umgekehrt", scherzte ein Berater Klestils über dessen Dilemma. Seine Unentschlossenheit löste am letzten Wochenende im Januar 2000 eine Flut widersprüchlicher Presseerklärungen aus dem Hauptquartier der Sozialdemokraten und der Präsidentschaftskanzlei aus. Am Freitag, dem 21. Januar 2000, hieß es am Vormittag, Klima sei beauftragt, mit allen Parteien Regierungsverhandlungen zu führen.
Dann glaubte Viktor Klima, er hätte mit dem Bundespräsidenten vereinbart, allein mit der Freiheitlichen Partei zu verhandeln. Klestils Pressesprecher Hans Magenschab bestätigte und widerrief Klimas Vermutung innerhalb weniger Minuten. Wolfgang Schüssel lehnte für seine Volkspartei die Unterstützung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung kategorisch ab. Jörg Haider liess sich auf Verhandlungen mit Klima ein und forderte eine schriftliche Vereinbarung für einen losen rot-blauen Koalitionspakt. Jörg Haider und der Bundespräsident waren empört, dass Viktor Klima den Freiheitlichen nur zwei Ministerposten anbieten wollte. Das darf doch nicht wahr sein, soll Thomas Klestil enttäuscht ausgerufen haben: „Ich habe Klima ausdrücklich gesagt, er muss vier Minister anbieten." An dieser Stelle bricht Jörg Haider die Verhandlungen mit den Sozialdemokraten ab. Wenn immer er in seinen zahlreichen Gesprächen mit dem Bundespräsidenten auf Wolfgang Schüssel zu reden kam, „war", so der Kärntner Landeshauptmann, „mein Eindruck, der Klestil hat ein Problem mit dem Schüssel, diese Antipathie geht ins Körperliche, ein typischer ÖVP-Krieg". Als Jörg Haider am 24. Januar 2000 Klestil in der Präsidentschaftskanzlei mitteilte, dass er ab sofort mit Wolfgang Schüssel über die Bildung einer Mitte-Rechts-Regierung verhandeln werde, rief der Bundespräsident erschüttert aus: „Und was ist mit mir?" Haider erwiderte lakonisch: „Wir werden dich ordentlich informieren." Mehr als ein Jahr später überlieferte Heinz Fischer, einer der Regisseure der politischen Bocksprünge des Bundespräsidenten, in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin „Format" (Nr. 15/2001) eine authentische Version seiner Beratungen mit Thomas Klestil: „Drei oder vier Personen, die das Vertrauen der anderen Parlamentsfraktionen geniessen, hätten daran beteiligt sein sollen, um dadurch einer solchen (SPÖ-)Minderheitsregierung grössere Stabilität und grössere Überlebenschancen zu geben." Thomas Klestils Wunschkandidaten für eine Links-Rechts-Regierung waren der damalige Innenminister Karl Schlögl als sozialdemokratischer Bundeskanzler und der nachmalige Verteidigungsminister Herbert Scheibner als freiheitlicher Vizekanzler. Der Bundespräsident hat das alles ein gutes Jahr später entrüstet in Abrede gestellt. In einem Gespräch mit der Hofburg-Postille „News" (Nr. 14/2001) behauptete er, niemals eine rot-blaue Regierungskoali-
tion ins Auge gefasst zu haben: „Eine Koalition Rot-Blau stand zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion - davon war nie die Rede." Mit Erinnerungslücken ist dieses Dementi nicht zu entschuldigen. Er hätte doch bloss auf die Aussendungen und Aufträge seiner Präsidentschaftskanzlei vom 21. Januar 2000 zurückzugreifen brauchen, um ins reine mit sich, seinen Äusserungen und seinen Handlungen zu kommen - vor allem aber, um zur Wahrheit zu finden. Österreichs Saint-Just heisst Heinz Fischer. Er ist so gnadenlos politisch korrekt, dass ihn keine moralischen Skrupel mehr plagen. Aus seiner bis zum Rand mit Parteistatuten, formalrechtlichen Ausweichmanövern und hohlem Pathos gefüllten inneren Leere schöpft er jede Menge Entrüstung, Betroffenheit, hochmütige Rechthaberei und selbstgefällige Überheblichkeit, wenn es gilt, Faschismus, Klerikalismus, Restauration und Reaktion anzuprangern. Der Biedermann als Brandstifter fand nichts daran, dem Insassen des Konzentrationslagers Mauthausen, Simon Wiesenthal, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss anzudrohen, nur weil dieser die Zugehörigkeit des Fischer-Schützlings Friedrich Peter zu einer SS-Terroreinheit offengelegt und damit Bruno Kreiskys Koalitionspläne mit der Freiheitlichen Partei durchkreuzt hatte. Im Frühjahr 1985 wollte Heinz Fischer seinen Schutzbefohlenen Friedrich Peter ins Präsidium des Österreichischen Nationalrates hieven. Dieser Plan scheiterte am Widerstand der öffentlichen Meinung. Der mit Mordbeschuldigungen belastete SS-Mann Peter schied noch im selben Jahr aus dem Parlament und bald auch aus seiner Partei. Heinz Fischer aber gelangte bald darauf auf Vorschlag der sozialistischen Mehrheit an die Spitze des Nationalrates. In Sachen Parteilichkeit kann Heinz Fischer so schnell keiner das Wasser reichen. Wenn sich die Unwahrhaftigkeit von der Lüge dadurch unterscheidet, dass sie zuallererst den Sprechenden, dann erst den Angesprochenen täuschen soll, dann hatte sich Fischer wohl auch getäuscht, als er der österreichischen Öffentlichkeit nicht eingestehen wollte, dass er viele Jahre lang unverdiente Einkommen als Politologieprofessor an der Universität Innsbruck für Lehrveranstaltungen bezog, die er nicht gehalten hatte. Kaum der Vergesslichkeit überführt, bat er um Verständnis dafür, dass ein vielbeschäftigter Politiker doch nicht wissen könne, dass sich auf seinen Gehaltskonten als Zusatzverdienst das Mehrfache eines monatlichen Mindesteinkommens in Österreich einfinde.
Wenn Heinz Fischer in der österreichischen Politik nie zu einer Lichtgestalt aufgestiegen ist, dann liegt das an seiner gespaltenen Moral und einem strengen Gesinnungsspezialistentum für alles Gute, Wahre und Moralische, sofern es von links kommt oder der eigenen Partei nützt, und seinem unstillbaren Drang, alles zu verdammen, was ihm aus seinem ideologisch verengten Blickwinkel gerade als reaktionär erscheint. Sein politisches Leitmotiv „Besser mit der Partei irren als gegen die Partei recht haben" hat ihm geholfen, als Wissenschaftsminister, Klubchef der SPÖ-Fraktion im österreichischen Parlament und als Präsident des Nationalrates drei sozialdemokratische Parteiobleute - Fred Sinowatz, Franz Vranitzky und Viktor Klima zu verbrauchen, und auch den vierten SPÖ-Vorsitzenden, Alfred Gusenbauer, fest im Griff zu haben. Als dieser öffentlich mit den „braunen Flecken" in der Geschichte der Sozialdemokratie abrechnen wollte, bestand Heinz Fischer auf seiner Aufpasserrolle. Gusenbauer musste seine Erklärung mit dem Präsidenten des Nationalrates, der im Bedarfsfall in die Funktion des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPÖ wechselt, abstimmen. Das Ergebnis war ein Papier mit vielen leeren Stellen. Nationalratspräsident Heinz Fischer hatte in Abstimmung mit der sozialdemokratischen Gewerkschaftsfraktion nach dem Scheitern Viktor Klimas in der Nacht vom 20. zum 21. Januar 2000 die Entscheidungsgewalt in der SPÖ fest an sich gerissen. Das ging so weit, dass Fischer seinem Parteivorsitzenden klarmachen musste, dass die Zeit für weitere Verhandlungen mit allen drei Parteien abgelaufen war und nur noch Verhandlungen mit den Freiheitlichen für die Sozialdemokraten in Frage kommen. Nach der kategorischen Ablehnung der Volkspartei, eine SP-Minderheitsregierung im Parlament zu unterstützen, gab es, wie auch Thomas Klestil wusste, gar keine andere Alternative. Die einzige Chance Klimas, seinen Kanzlerjob zu retten, bestünde in einem dramatischen Auftritt beim Internationalen Holocaust-Forum der Sozialistischen Internationale am 26. Januar 2000 in Stockholm. Heinz Fischer ist unter anderem auch Vizepräsident der EU-Sozialdemokraten und nicht, wie ich in meinem Buch „Der Verrat" irrtümlich schrieb, Vizepräsident der Sozialistischen Internationale. Diese Funktion bekleidet Viktor Klima trotz seines Ausscheidens aus der Politik und seines Wechsels an die Spitze der argentinischen Volkswagenwerke immer noch auf dem Papier. Der Nationalratspräsident hatte
seit einem halben Jahr eine Einladung zu dieser Veranstaltung in die schwedische Hauptstadt. „Aufgrund der gespannten innenpolitischen Lage haben wir beschlossen, dass nur Klima hinfährt, wenn er in Wien abkömmlich ist" („News", Nr. 14/2001). Nicht nur in Wien, auch in der eigenen Partei war Viktor Klima in den letzten Tagen der rot-schwarzen Koalition belanglos geworden. Aus der Umgebung des Nationalratspräsidenten wird glaubhaft versichert, Fischer selbst hätte Klimas Bittgesuch an seine Parteifreunde in aller Welt verfasst, Österreich für den Fall einer Mitte-Rechts-Regierung zu boykottieren. Heinz Fischer nennt diese Behauptung „absurd", denn „ich habe anderes zu tun, als Bundeskanzler-Reden zu schreiben". Heinz Fischer bestreitet auch, je in der „fraglichen Zeit mit einem Politiker der Sozialistischen Internationale, auch nicht mit Präsident Antonio Guterres, über EU-Sanktionen gegen Österreich Gespräche geführt zu haben". Die EU-Sanktionsbeschlüsse seien hauptsächlich aufgrund von Initiativen zweier konservativer Politiker, des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und des spanischen Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar, zustande gekommen und beschlossen worden. „Ich gebe noch einmal zu Protokoll", behauptet er gegenüber der Bilderzeitung „News": „Meines Wissens haben keine österreichischen Politiker diese Sanktionen betrieben, und sie wurden erst Tage nach Stockholm beschlossen." Nationalratspräsident Fischer unterschlägt mit diesem Dementi die demokratischen Usancen sowohl in der Sozialistischen Internationale als auch bei den EU-Sozialdemokraten. Dort werden keine Beschlüsse gegen einen Mitgliedsstaat gefasst, der noch dazu in den Führungsrängen mit Vizepräsidenten so prominent vertreten ist, ohne diese vorab in den Diskussionsprozess einzubeziehen. Schon gar nicht werden in diesen beiden supranationalen sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Organisationen Urteile gefällt, ohne dem Angeklagten das Recht auf ein ordentliches Verfahren und auf Verteidigung einzuräumen. Solidarität - Heinz Fischer mag das wahrhaben oder auch nicht - ist weder bei den EU-Sozialdemokraten noch in der Sozialistischen Internationale ein leeres Wort. Ein kleiner Kreis österreichischer SPÖPolitiker war in die Vorbereitungsarbeiten für die Beschlüsse von Stockholm nicht nur eingebunden; dieser Kreis betrieb auch die Stockholmer Entscheidungen gegen Österreich. Und die beiden Vize-
Präsidenten Viktor Klima und Heinz Fischer gehörten dazu. Nicht zuletzt aber: Bundespräsident Thomas Klestil wurde über das Programm des Stockholmer Holocaust-Forums und über die geplanten Beschlüsse im voraus informiert. Auch von Viktor Klima. Denn der hatte sich beim Bundespräsidenten vorsorglich für seine Abwesenheit aus Wien, während die rot-schwarze Regierungskoalition in den letzten Zuckungen lag, entschuldigt. Alles andere wäre eine unverzeihliche Desavouierung des österreichischen Staatsoberhaupts gewesen, an der zu diesem Zeitpunkt weder Viktor Klima noch Heinz Fischer ernsthaft interessiert waren.
Hauptthema des Internationalen Holocaust-Forums in der schwedischen Hauptstadt war nicht die Erinnerung an die Vernichtungsgeschichte der Juden, sondern die sich abzeichnende Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs. Im erhabenen Gefühl, dass alle ohne Ausnahme von einer gemeinsamen Idee bewegt waren, den Holocaust und das „Nie wieder" als Chiffre des Gründungsmythos einer von Sozialisten zu schaffenden europäischen Nation auszugeben, fühlte man sich wie eine einzige, große Familie und beschloss beim Abendmahl, den Schwur von Stockholm in die politische Tat umzusetzen und sich Europa ideologisch anzueignen. Der Holocaust sollte nicht länger nur Bezugspunkt einer neuen Zivilreligion sein, sondern auch die ultimative Begründung für tagespolitische Interventionen in widerborstigen, von der als politisch korrekt verabsolutierten Position der Sozialistischen Internationale abweichenden Staaten in der Europäischen Union. Glaubten die Teilnehmer an der Stockholmer Holocaust-Veranstaltung gewiss nicht an denselben marxistischen Gott, so doch mit Sicherheit an die gleiche Idee der Sicherung politischer Macht. Die Entschlossenheit stand allen Festgästen ins Gesicht geschrieben, als jeder für sich und in seiner Sprache den Eid schwor auf ein antirassistisches, philosemitisches und fremdenfreundliches Europa. Michael Friedmann, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, meinte verärgert, dass es wohl besser gewesen wäre, „wenn die Authentizität der Überlebenden im Mittelpunkt gestanden" wäre und keine antiösterreichische Aktion der Sozialistischen Internationale.
Beim Abendessen im Stockholmer Rathaus war die Sitzordnung so bestimmt, dass die anwesenden EU-Regierungschefs bei Lachs und Kalbsfilet ungestört über den Boykott gegen Österreich verhandeln konnten. Gastgeber Göran Persson setzte Viktor Klima an einen Tisch mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, Frankreichs Premier Lionel Jospin, dem niederländischen Regierungschef Wim Kok, seinem finnischen Amtskollegen Paavo Lipponen, Italiens altkommunistischem Ministerpräsident Massimo D'Alema und dem dänischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen. Letzterer wunderte sich ein paar Tage später bei einer Vorladung vor den Aussenpolitischen Ausschuss des dänischen Parlaments über den ungewöhnlichen Einsatz Viktor Klimas für die EU-Sanktionen gegen Österreich. Zu schwer waren Viktor Klima die Niederlage seiner Partei und Thomas Klestil die Abfuhr bei seinen Bemühungen um eine rot schwarze Koalitionsregierung aufs Gemüt geschlagen, als dass sie auch die grausamen politischen und medialen Nebenwirkungen ihrer Handlungen bedacht hätten. Zu einer politischen Geschlossenheits show verbrüdert, vereinbarten Kanzler und Staatsoberhaupt ein Tele* fongespräch unmittelbar nach der Stockholmer Entscheidung. r Am späten Abend des 26. Januar 2000 meldete sich Viktor Klima bei seinem Freund und Mitstreiter telefonisch in dessen Dienstvilla in Wien-Döbling, Hohe Warte 36. Die Würfel waren in Stockholm gefallen. In einer informellen Runde hatten Europas Sozialdemokraten beschlossen, Österreich jedenfalls für eine Weile aus dem Kreis der politisch korrekten Partnerstaaten auszuschliessen, zu boykottieren. Entweder, so schworen sie, wir wehren gleich den Anfängen, oder der Faschismus schwappt in unsere Länder über. Der Mann, auf den es jetzt ankam, war 68 Jahre alt, mehrere Jahrzehnte lang Mitglied des Arbeiter- und Beamtenbunds der konservativen Volkspartei; ein Karrierediplomat mit handfester partei- und regierungspolitischer Unterstützung, wenn berufliche Chancen lockten. Politisch leichtgewichtig, doch von fast krankhaftem Ehrgeiz besessen, auch einmal letzte politische Entscheidungen zu treffen, seinen Namen als Kapitelüberschrift in den Geschichtsbüchern zu hinterlassen. Kurz: Ein verirrter Berufsdiplomat auf Ego-Trip, hin- und hergerissen zwischen der Bequemlichkeit des hohen Staatsamtes und der Abenteuerlust an einem Platz in der Geschichte Österreichs oder gleich von ganz Europa. Der Bundespräsident nahm Haltung an, setzte die Amtsmiene
auf, griff mit seiner gelegentlich mit Stil verwechselten gestelzten Manierlichkeit zum Telefonhörer und wählte die Nummer seines Freundes Jacques Chirac im Pariser Elysee-Palast. Thomas Klestil hatte beschlossen, die Europäische Union gegen ihr Mitglied Österreich mit dem Reizthema „Antifaschismus" mobil zu machen. An diesem späten Abend teilte der österreichische Bundespräsident seinem französischen Amtskollegen mit, wie ernst die Situation in Österreich sei und dass sich Premierminister Lionel Jospin an Sanktionen gegen die Alpenrepublik beteiligen werde - schon um auf aussenpolitischem Feld gegen seinen konservativen Rivalen im ElyseePalast im Vorfeld herannahender Präsidentschaftswahlen mit antifaschistischen Parolen zu punkten. Sehr eng dürfte die Freundschaft der beiden Staatsmänner nie gewesen sein, denn Jacques Chirac informierte wenig später den Journalisten Ciaire Trean von der linksliberalen Tageszeitung „Le Monde" vom Zeitpunkt und dem Inhalt dieses Telefongesprächs mit Thomas Klestil. Arn 27. Januar 2000, kurz vor zehn Uhr vormittags, meldete sich Jacques Chirac bei einem anderen österreichischen Freund, bei Andreas Khol, dem Obmann der bürgerlichen Parlamentsfraktion. „Windelweich hat er mich geprügelt am Telefon. Eine halbe Stunde lang", erinnert sich Andreas Khol. „Ich versuchte ihm alles zu erklären. Es nützte nichts." Der französische Staatspräsident brachte die erst vor wenigen Tagen von Viktor Klima, Heinz Fischer und Thomas Klestil ausgeheckte Übergangslösung für Österreich: Toleriert eine sozialdemokratische Minderheitsregierung für ein halbes Jahr, macht zwei Budgets und ihr kriegt vier Minister! Und wenn wir das alles nicht tun?, wagte Andreas Khol einzuwenden. „Vous devez! - Ihr müsst!", befahl Jacques Chirac mit schneidender Stimme von der Art eines Generals der Fremdenlegion: „Sonst wird man Österreich isolieren und in Quarantäne legen." Andreas Khol hat das Tonband samt Abschrift dieses Telefongesprächs in einem Safe des Parlamentes hinterlegt. Dort bleibt es vorläufig als Zeitdokument für künftige historische Forschungen unter Verschluss. In den letzten Januartagen des Jahres 2000 betrieben Europas Regierungs- und Staatschefs intensive Telefondiplomatie. Thomas Klestil telefonierte noch einmal, diesmal offiziell, mit Jacques Chirac, mit dem spanischen Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar, mit Antonio Guterres, dem portugiesischen Ratspräsidenten der Europäischen
Union, mit Tony Blair in London und dann noch einmal und immer wieder mit Antonio Guterres, der als Präsident der Sozialistischen Internationale in doppelter Funktion für das Zustandekommen der EU-Sanktionen gegen Österreich Regie führte. Einige, wie etwa den britischen Premierminister Tony Blair, musste Thomas Klestil erst überreden, am Boykott gegen Österreich mitzumachen. „Tony Blair", schrieb „The Guardian", „hat den EU-Sanktionen erst zugestimmt, nachdem ihn der österreichische Präsident persönlich darum gebeten hat." Mit wem immer das österreichische Staatsoberhaupt sprach, seine Botschaft lautete: „Wenn ihr das so meint, dann müsst ihr dies auch öffentlich machen. Ich in Österreich kann das nicht." Der Mann, der sich nachsagt, schlechthin „das Österreich" zu sein, sei hinter den Kulissen „unerhört aktiv" gewesen, schrieb die dänische Tageszeitung „Ekstra-Bladet". Er hätte „einen für einen Staatspräsidenten völlig unerhörten Weg gewählt: Das Ausland um Hilfe bei der Lösung innerer Angelegenheiten zu bitten." Das sei, „wie wenn in Dänemark Königin Margarethe und Poul Nyrup Rasmussen die EU bitten würden, uns zu boykottieren", wenn es in Dänemark zur Bildung einer bürgerlichen Regierung mit der Rechtspopulistin Pia Kjärsgaard von der Dänischen Volkspartei käme. Zwanzig Monate nach der Verkündigung der EU-Sanktionsbeschlüsse gegen Österreich kam es in Dänemark zur Bildung einer Mitte-Rechts-Regierung. „Ekstra-Bladet" hielt diese Entwicklung zwar im Winter 2000 für „völlig undenkbar", prophezeite aber auch, dass dänische Wahlverlierer niemals tun würden, „was Österreichs Staatspräsident Klestil und Bundeskanzler Klima getan haben". Zwei Tage nach dem Treffen der Sozialdemokraten beim Internationalen Holocaust-Forum in Stockholm war die Sache gelaufen. Unter der Federführung der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft einigten sich die ranghöchsten Vertreter von 14 EU-Mitgliedstaaten am letzten Wochenende im Januar 2000 auf Sanktionen der EU gegen Österreich, um der Bildung einer Mitte-Rechts-Regierung entgegenzuwirken. „Der österreichische Bundespräsident und der österreichische Bundeskanzler waren in diesen konsultativen gesamteuropäischen Kommunikationsprozess einbezogen", schreibt der Doyen der österreichischen Staats- und Völkerrechtslehre, Universitätsprofessor Günther
Winkler, über „Die Anatomie eines europäischen Willküraktes" („Europa quo vadis", in: Zeitschrift für öffentliches Recht, Nr. 55/2000). Europas Staatsoberhäupter und Regierungschefs sahen sich in ihrem Vorgehen gegen Österreich „seitens des österreichischen Bundespräsidenten und des österreichischen Bundeskanzlers nicht nur bestärkt, sondern gleichsam offiziell bestätigt". Weiters weist Günther Winkler darauf hin, dass „der österreichische Bundespräsident am Nachmittag des 31. Januar 2000 die schriftliche Ausfertigung der gegen Österreich informell beschlossenen 'Reaktionen' sogar urgiert habe. Über entsprechende Ermutigungen der 14 EU-Repräsentanten durch höchste Amtsträger Österreichs berichteten in der Folgezeit neben anderen vor allem die Regierungschefs von Dänemark und Finnland." Mr. Charles Cunningham Boycott war ein englischer Gutsverwalter in der irischen Grafschaft Mayo. Als er sich im Jahr 1880 weigerte, die Pachtzinsen der irischen Bauern auf ein erträgliches Mass herabzusetzen, brachen die Pächter jeglichen Verkehr mit ihm ab und zahlten keinen Penny mehr. Der englische Gutsverwalter musste Irland verlassen. 900 Soldaten brachten darauf hin die Ernte ein und assen sie gleich auf, boykottierten also indirekt ihre englischen Auftraggeber. Seitdem weiß jeder gebildete Mensch, was mit dem Zeitwort „to boycott" gemeint ist - „ein Hauptbestandteil der nationalistischen irischen Kampagne" (Encyclopaedia Britannica). Und „alle Massnahmen einer Person oder Personengruppe zur sozialen Isolierung einer anderen Person oder sozialen Einheit, wie etwa auch eines Staates" (Wörterbuch der Soziologie). In der Politikwissenschaft verbindet man heute mit dem Begriff „Boykott" Sanktionen „der Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer (schwarze Listen)" oder auch unbewaffnete, eher seltene Zwangsmassnahmen gegen „Schurkenstaaten". Am 31. Januar 2000 wurden die EU-Sanktionsbeschlüsse gegen Österreich im „Aktionsprogramm der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft" offiziell verkündet. Als äusseres Zeichen eines Staats- und europarechtlichen Amtsaktes trat Portugals Ministerpräsident Antonio Guterres durch das Staatswappen, durch den Titel der portugiesischen Präsidentschaft des Rates der Minister sowie durch den Hinweis auf sein Kabinett als staatsrechtlich legitimierter portugiesischer Vertreter des Vorsitzes im Rat der EU auf, die im ersten Halbjahr 2000 für die Präsidentschaft der Europäischen Union zu handeln befugt war.
In diesem EU-Boykottprogramm gegen Österreich hieß es im eng4 lischen Originaltext: '1 Presidency's platform regarding the formation of the new Austrian Government. Based on consultations with all Heads of State and Government: Today, Monday 31 January 2000, the Portuguese Prime Minister will inform both the President and the Chancellor of Austria and the Portuguese Minister of Foreign Affairs will notify his Austrian counterpart of the following joint reaction agreed by XIV Member States of the European Union in case it is formed in Austria a Government integrating the FPO. Governments of XIV Member States will not promote or accept any bilateral official contacts at political level with an Austrian Government integrating the FPO; there will be no support in favor of Austrian candidates seeking positions in international organizations; Austrian Ambassadors in EU capitals will only be received at technical level. This joint reaction will be made public at a later stage when deemed appropriate or necessary. The Portuguese Prime Minister and the Minister of Foreign Affairs have already informed the Austrian authorities that there will be no business as usual in the bilateral relations with a Government integrating the FPO. It is the Prime Minister's intention to call the Austrian President at 12hOO Portugal's time