Ist unsere Liebe stark genug? Allison Leigh Bianca 1147 6 2/1999
PROLOG "Tu doch bitte etwas, daß er mich nicht wegsch...
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Ist unsere Liebe stark genug? Allison Leigh Bianca 1147 6 2/1999
PROLOG "Tu doch bitte etwas, daß er mich nicht wegschickt." Ihre junge Stimme klang gedämpft gegen die Satteldecke, die sie an die Brust gedrückt hielt und in die sie wie schützend das Gesicht gepreßt hatte. "Bitte, Jefferson, laß es nicht zu. Ich sterbe in dieser Schule. Ganz sicher, du wirst sehen, ich halte es da nicht einen Tag aus!" Er zog die Augenbrauen hoch und öffnete sanft ihre im blaugrauen Plaid verkrampften Finger. "Sag so etwas nicht, Kleines, du bist doch stark, und dort kannst du viel lernen." Er nahm ihr die Decke ab und warf sie über die Tür zu den Pferdeboxen, und als ob sie sich auf einmal schutzlos fühlte, verschränkte sie die Arme vor der Brust. "Wenn du nur mit ihm reden würdest. Ich brauche keine Schule, die mir beibringt, wie ich ein Mädchen sein soll." Jefferson blickte von ihrem kurzen dunklen Haar zu ihrem nicht mehr sauberen T-Shirt und weiter hinunter zu der zerrissenen Jeans. Ihr zerzaustes Aussehen konnte die sich entwickelnden Kurven nicht ganz verbergen. Sie war nicht mehr die kleine Siebenjährige, die ihm wie ein ständiger Schatten überallhin folgte, ihm tausend Fragen stellte oder mit ihrer süßen Kleinmädchenstimme nur so dahinplapperte. Sie war jetzt vierzehn und rasch zu einer Range herangewachsen, die es leicht mit einem seiner Brüder aufnehmen konnte. Das Problem war nur, daß sie eben kein Junge war. Und deshalb mußte etwas geschehen. "Sein Vater
war mit seiner Weisheit ziemlich am Ende. "Ich kann daran nichts ändern", sagte Jefferson weich. "Er hat seinen Entschluß gefaßt und wird darauf bestehen, daß alles so ausgeführt wird wie geplant." "Aber er hört auf dich." "Ich kann daran nichts ändern", wiederholte er ruhig. Unerbittlich. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie wandte sich schluchzend von ihm ab. "Wenn ich ein Junge wäre, würde er mich nicht wegschicken." Jefferson widersprach nicht. Er würde sie nicht anlügen. Er konnte die Situation nicht ändern. Teufel auch, er mußte gleich früh am nächsten Morgen einen Flug in die Türkei antreten, und er hatte genug zu überdenken. Diese kurze Reiseunterbrechung war eigentlich überhaupt nicht eingeplant gewesen und machte die Angelegenheit für ihn auch nicht gerade leicht. Er musterte das Mädchen. Eine Schwester. Und doch nicht seine Schwester. Seine Cousine. Und auch das nicht ganz. Aber Familie. Das wohl. "Dieses Internat muß nicht so schlimm sein", murmelte er und hob das Zaumzeug auf, das sie vorhin in einem Anfall von Zorn auf den Betonboden geworfen hatte. "Du lernst Kids in deinem Alter kennen. Schließt neue Freundschaften." "Tris ist so alt wie ich", entgegnete sie und übertrieb nur ein wenig. "Und ich hab all die Freunde, die ich brauche." Sie wischte sich mit dem Ärmel die Nase. "Matthew und Daniel..." Jefferson seufzte. "Mädchen ... Du triffst gleichaltrige Mädchen." Ihr Schnaufen war ganz entschieden nicht mädchenhaft. Und auch ganz sicher nicht das deutliche Wort, das sie dem hinterherschickte. Jefferson zog eine Augenbraue hoch. "Das ist einer der Gründe, warum du gehen mußt." Sie fluchte wieder, wirbelte wie ein Derwisch herum und trat mit dem staubigen Stiefel so heftig gegen den Holzpfosten, daß der Eimer, der an einem Nagel im Pfosten hing, anfing zu
schaukeln und mit Getöse auf den Boden fiel ...und fast den Hund traf, der vor der Box geschlafen hatte. Der Hund sprang auf und bellte wie verrückt. Frustriert ..., wütend ..., aber am meisten von allem verängstigt kickte sie den heruntergefallenen Eimer, daß er gegen die Steinwand geschleudert wurde und eine Heugabel traf, die umkippte .... und zu allem Überfluß den Hund nur um wenige Zentimeter verfehlte. Mit einem Aufjaulen suchte der Hund das, Weite. Sie fluchte wie ein Bierkutscher. Und da sie unter Jungen aufgewachsen war, hatte sie genug Flüche parat. Jefferson umfaßte ihre Taille und zog sie an sich, um sie zu beruhigen. Sie wand sich und schlug auf ihn ein. "Ich werde nicht gehen", stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er hielt sie fest gegen seine harte Brust gedrückt. Sein warmer Atem traf ihr Ohr, als er leise auf sie einredete. Besänftigend. Beruhigend, wie er es auf die gleiche Weise bereits so oft getan hatte, wann immer sie aus bösen Träumen erwachte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Doch sie war kein kleines Mädchen mehr. Sie so an seine breite Brust gepreßt zu halten rief allerlei neue Gefühle in ihm hervor. "Du wirst gehen." Aufsässig legte sie den Kopf zurück, bereit, es mit ihm aufzunehmen. Aber seine dunkelblauen Augen begegneten fest ihrem Blick, und sie gab sich geschlagen. Sie ließ den Kopf auf seine Brust fallen und schluchzte herzerweichend.
1. KAPITEL Zwölf Jahre später Emily Nichols schaltete einen Gang herunter und schob ihre Sonnenbrille auf der Nase ein wenig nach oben. Sie warf einen prüfenden Blick in die Seitenspiegel, aber der Verkehr auf den vier Fahrspuren des Freeway hatte eindeutig stark zugenommen und .kam in diesem Moment auch noch total ins Stocken. Soviel zu ihrer Absicht, rechtzeitig nach Hause zu kommen, um noch einen Trip zum Stall zu machen, bevor es dunkel wurde. Sie schaltete in den Leerlauf und ließ den Kopf langsam kreisen, um die beanspruchten Hals- und Schultermuskeln von dem zu langen Sitzen vor dem Computer zu entspannen. Bei der Verkehrsdurchsage aus dem Autoradio zog sie ein Gesicht und öffnete die Schachtel mit den Kassetten. Tristan hatte ihr schon oft genug gesagt, sie solle sich auf CDs umstellen. Aber sie hatte diese Bänder gesammelt, seit sie mit vierzehn die ersten zwei als Weihnachtsgeschenk bekommen hatte. Mehr als ein Jahrzehnt später war ihr noch immer jedes einzelne Band lieb und teuer. Sie seufzte bei der Erinnerung, steckte das Band mit Klaviermusik ein und ließ es ablaufen. Die Sonne stand noch immer hoch am wolkenlosen blauen Himmel, und Emily überlegte, ob sie nicht das Verdeck ihres Cabrios hochschlagen und die Klimaanlage einstellen sollte. Die Autos fuhren an, noch bevor sie ihre Absicht ausführen konnte, und sie schaltete den ersten Gang ein, um sich dem Schrittempo
anzuschließen. Mit einer Hand hob sie ihr langes Haar vom Nacken hoch Und hoffte auf einen kühlen Luftzug. Doch mitten in einem totalen Stau auf dem Freeway in der Innenstadt von San Diego während der Hauptverkehrszeit war nicht der wahrscheinlichste Ort, um eine frische Ozeanbrise zu erhaschen. Der Verkehr bewegte sich weiterhin im Zeitlupentempo vorwärts, und obwohl Emily noch Meilen von der Ausfahrt, die ihrem Haus am nächsten lag, entfernt war, stellte sie den Blinker an, um sich allmählich auf die rechte Außenspur durchzuarbeiten. Auf den Straßen zu fahren war trotz der Ampeln an jeder Kreuzung immer noch besser, als auf dem Freeway wie ein unbeweglicher Klotz festzusitzen. Vielleicht sollte sie unterwegs anhalten und eine Pizza zum Abendessen mitnehmen. Tristan würde kaum zu Hause sein. Doch auch wenn er da sein sollte, so würde er die Nase über eine Pizza nicht rümpfen. Nicht einmal über eine tiefgefrorene. Immerhin war es Essen. Eine kurze Strecke vor ihrem Zuhause fuhr Emily auf den Parkplatz und dort direkt vor einen Lebensmittelladen und schloß das Verdeck ihres heißgeliebten Mustangs. Sie zog ihre weiße Jacke aus, die zur Weste und zur Hose paßte, und legte sie auf den Rücksitz,, bevor sie in den Laden hineinging. Als sie aus dem Laden wieder herauskam, trug sie mehr als nur einen Pappkarton mit Pizza, und bis .sie das halbe Dutzend Tüten mit Lebensmitteln im Kofferraum verstaut hatte, hatte die Sonne sich bis knapp über den Horizont gesenkt. Und die Luft hatte sich abzukühlen begonnen. Erfreulicherweise. Das Wetter in San Diego blieb gewöhnlich das ganze Jahr hindurch erfreulich. Aber Mitte August zeigte es sich im allgemeinen nicht von der besten Seite. Im ganzen Land, ganz gleich in welchem Staat man lebte, schien das der Fall zu sein. Sogar Matt, der die Double-C-Ranch in Wyoming führte, hatte sich kürzlich über die drückende Hitze beklagt.
Emily stand hinter dem Kofferraum und blickte über die Masse Autos, die auf dem riesigen Parkplatz des Einkaufkomplexes stand. Tiefe, dumpf schlagende Schwingungen beleidigten auf einmal ihr Ohr. Sie drehte sich halb zu der alten Limousine um, die langsam vorbeirollte. Die Boxen dröhnten, was das Zeug hielt, und Emily glaubte, ihr Trommelfell würde platzen. Der Fahrer feixte sie an und schnippte die Zigarette aus dem Seitenfenster genau vor ihre Füße. Der Fahrer war keinen Tag älter als siebzehn, trotz des weltklugen Ausdrucks in seinen dunklen Augen. Während Emily ihn fest im Blick hatte, zermalmte sie aufreizend langsam mit dem Fuß die brennende Zigarette, Dann drehte sie ihm den Rücken zu, war sich aber bewußt, daß er weiterfuhr. Sie stieg in ihren Wagen und ließ sich auf dem Heimweg von Mozarts Musik besänftigen. Ein ihr unbekannter Wagen stand in der Auffahrt und blockierte die Garage. "Freundin Nummer 310", murmelte sie und machte eine volle Wendung, um auf der Straße am Bordstein zu parken. Tristan war wohl doch nach Hause gekommen. Und da er seine Freundinnen nicht dazu bringen konnte; auf der Straße zu parken, worum Emily ihn von jeher gebeten hatte, sollte er doch die verflixten Lebensmittel allein hereintragen. Emily stieß die Autotür auf und griff nach hinten; um ihre Aktentasche und die Jacke an sich zu nehmen. Als sie die terrassenförmig angelegte Treppe hinaufging; öffnete sich die schwere schwarze Eingangstür; und der dunkelblonde Männerkopf wurde genau in dem Moment sichtbar, als sie sich bückte, um die Abendzeitung aufzunehmen. "Ich weiß nicht, wie der; Junge es fertigbringt, immer wieder die Blumen zu treffen", beschwerte Emily sich, als sie die Zeitung zwischen den prächtigen Petunienblüten herausfischte; Sie richtete sich wieder auf und zog eine samtige Blüte unter dem Gummiband hervor.
"Die Lebensmittel sind im Wagen", rief sie. "Ich überlasse dir die ehrenvolle Aufgabe, da es deine Schuld ist; daß ich auf der Straße parken muß." "Du bist ganz schön herrisch geworden", sagte der Mann und trat in die goldenes Abenddämmerung hinaus. Beinahe hätte Emily die Zeitung wieder zurück in das Blumenbeet fallen lassen. Ihr Herz machte einen Satz, und sie war dankbar für die Sonnenbrille, die ihre Augen abschirmte. Es hatte ihr einen Schock versetzt. Jefferson Clay war zurück. Sie umfaßte die eingerollte Zeitung so fest, daß ihre Finger kleine Löcher in die Außenseite rissen. Sie bemerkte es nicht einmal. Sie brauchte ihre ganze Willenskraft, um nicht auf dem Absatz kehrtzumachen und zu ihrem Wagen zurückzurennen. Statt dessen blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte ihn nur an. Sein Haar war länger als vor zwei Jahren, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Es war kinnlang und wild zerzaust. Bei den meisten Männern würde das weiblich wirken. Aber nicht bei ihm. Nicht bei seinem Gesicht. Hart. Maskulin. Und schmaler, als sie es erinnerte. Er war überhaupt im ganzen dünner, um mindestens zehn Pfund. Doch das machte sein Aussehen nur noch männlicher. Noch unnahbarer, als er ihr zuvor erschienen war. "Willst du mich nicht begrüßen, Em?" Emily atmete tief ein, fing sich und stieg die wenigen Stufen zum Haus hinauf: "Hallo, Jefferson", sagte sie und brachte ein leichtes Lächeln zustande. Sogar in ihren hochhackigen Pumps mußte sie sich recken, um einen leichten Kuß auf seine Wange zu drücken. Seine frühabendlichen Bartstoppeln kitzelten ihre Lippen. Emily schlüpfte an ihm vorbei ins Haus und redete sich ein, daß sie nicht wegen dieses kleinen Kusses atemlos sei. "Was hat dich hergebracht? Ist Squire okay?"
Sie legte die Zeitung, ihre Jacke und die Aktentasche auf den schmalen Tisch in der Eingangshalle und tat, als beschäftigte sie sich mit dem Stoß von Post, den Tristan hätte liegenlassen. "Soweit ich weiß, geht es ihm gut." Sie zog die Augenbrauen hoch und blickte ihn über die Schulter an. "Es ist eine Weile her, daß ich mit Squire gesprochen habe", erklärte er. Emily nickte, war nicht überrascht und widmete sich wieder der Post. Aber es war Jefferson, der ihre ganze Aufmerksamkeit hatte. Nicht die Ansammlung von Rechnungen und Wurfsendungen, die sie durchging. Kein Mann hatte das Recht, so gut auszusehen. Es war einfach nicht fair den Frauen gegenüber. "Dein Haar ist länger." Seine Stimme war leise. Rauh. Emily schloß kurz die Augen. "Deins auch." Sie hörte auf, sich weiter mit der Post zu beschäftigen, und warf den Stapel auf die Zeitung. "Ist Tristan hier?" "Er telefoniert." Sie nickte. Schließlich drehte sie sich zu Jefferson um und musterte ihn. Die schwarze Hose saß tadellos auf seinen schmalen Hüften, und >das weiße Hemd war am tief gebräunten Hals geöffnet. Emily wollte ihn fragen, wo er all die Zeit gewesen sei. Warum er sie nicht angerufen habe. Oder ihr geschrieben habe. "Wann fährst du zurück?" Um seine Mundwinkel zuckte ein Lächeln. "Hier hast du deinen Hut, mach, daß du wegkommst", murmelte er spöttisch. Emily fühlte, wie sie rot wurde. Sie kannte es nicht anders, als daß Jeffersons Besuche immer ungehörig kurzfristig waren. Der Ankunft folgte fast augenblicklich die hastige Abreise. Deshalb war ihr auch nicht danach, sich zu entschuldigen. Tatsachen blieben Tatsachen. "Em..." Aus seiner Stimme klang Bedauern.
Emily fragte sich, ob Jefferson, bevor er hier angekommen war, davon gewußt habe, daß sie mit Tristan zusammenwohnte. Sie nahm die Sonnenbrille ab, legte sie neben die Post und wandte sich der Küche zu. Was sollte sie zum Abendessen vorbereiten? Jefferson war ein Fleisch-und-Kartoffel-Typ, und sie war sich nicht sicher, ob sie etwas... "Verdammt", murmelte sie und drehte sich abrupt wieder zur Tür um. Die Lebensmittel... Jefferson stand direkt hinter ihr, und er umfaßte ihre Schultern, damit sie nicht mit ihm zusammenprallte. "Das war knapp." Erst jetzt bemerkte Emily den Gehstock aus geschnitztem Holz. Sie starrte auf seine gebräunte Hand, mit der Jefferson den gerundeten Griff umfaßt hielt. Daß ihr das entgangen war, war nur ein allzu sicheres Zeichen, wie sehr es ihr zugesetzt hattet. Jefferson wiederzusehen. "Du lieber .Himmel." Sie machte einen Schritt zurück, "Was ist geschehen?" Er blickte zu Boden und verbarg so den Ausdruck seiner Augen. Und da er die Lippen zusammenpreßte, klang seine Antwort undeutlich. "Ein kleiner Unfall." Emily überquerte die Eingangshalle zum großen Wohnraum und knipste eine Lampe an. Im Licht betrachtete sie Jefferson näher. Seit sie ihn kannte, hatte er sich immer wieder kleine Gesichtsverletzungen eingebracht. Und auch diesmal war eine neue hinzugekommen. Die dünne Narbe entlang seinem eckigen Kinn war immer noch blaßrosa, wie auch die halbmondförmig gleich am rechten Augenwinkel. "Wie klein?" Sie beobachtete, wie sein Gesichtsausdruck sich verschloß. "Jefferson?" Er zuckte die Schultern und setzte sich auf die lange karamelfarbene Couch. "Es gab einige gebrochene Rippen." Er hob das linke Bein auf den niedrigen Tisch vor ihm und lehnte
den Stock gegen die Couch. "Gebrochene Knochen. Alles ist inzwischen abgeheilt." Mit den Verletzungen machte Jefferson ihr etwas vor. Das wußte Emily. Und er wußte, daß sie es wußte. "Was ist passiert? Bist du von der Brücke gefallen, die du gebaut hast, oder war es etwas anderes?" Jefferson schwieg eine kurze Zeit. "Etwas anderes." Emily schüttelte den Kopf, ging zu ihm hinüber, griff nach einem Zierkissen und steckte es unter sein Knie. Sie schob den Tisch näher zu Jefferson, um ihm mehr Stütze für das Bein zu geben. Während sie sich herabbeugte, fiel ihr das Haar vor das Gesicht und über sein Bein. Jefferson steckte es mit einer liebevollen Geste hinter ihr Ohr. Emily erstarrte. "Es ist schön, dich wiederzusehen, Emily." Er fuhr mit den Fingern von ihrem Ohr bis hinunter zu ihrem bloßen Arm. Dann zog er die Hand zurück. Dumme Tränen brannten hinter ihren Lidern. Emily richtete sich abrupt auf und entfernte sich von ihm. "Ich muß die Lebensmittel aus dem Wagen holen", murmelte sie und verließ den Baum. Jefferson sah, wie sie aus dem Zimmer flüchtete. Er hätte ihr gern beim Hereintragen der Lebensmittel geholfen, aber in seinem Zustand wäre er mehr ein Hindernis denn eine Hilfe. Er schloß müde die Augen und ließ den Kopf zurück gegen die Rückenlehne fallen. In diesem Augenblick wollte er seine Entscheidungen nicht überprüfen, aber er hatte den Verdacht, daß es ein Fehler gewesen war zurückzukommen. Sogar nach dieser langen Zeit. "Du siehst aus, als ob dir jemand ganz schön hart zugesetzt und dich ramponiert zurückgelassen hätte." Jefferson öffnete die Augen und starrte seinen Bruder an. Tristan war der jüngste der Clay-Brüder und der größte. Mit seinen einsvierundneunzig stieß er mit dem blonden Kopf praktisch gegen den oberen Rahmen der breiten Tür, die von der
Eingangshalle zum Wohnzimmer führte. "Und du hörst dich wie Mr. Taktvoll an." Tristan grinste. "Schmeichelei bringt dich nirgendwohin." Er ließ sich in einem der übergroßen Ledersessel nieder und drapierte ein Bein über der Armlehne. "War keine Schmeichelei." Tristan lachte in sich hinein. "Du machst Witze." Er schwang das Bein zurück und setzte sich gerade hin. "Hast du in letzter Zeit mit Vater gesprochen?" "Nein." "Hast du vor, es zu tun?" "Nein." Tristan schnaubte. "Ich denke, damit ist das geklärt. Wie steht es mit Matt? Daniel? Sawyer?" Jefferson schüttelte bei jeder Erwähnung ihrer drei anderen Brüder den Kopf. Als er es direkt spüren konnte, wie sein kleiner Bruder ihn mit den Blicken förmlich durchbohrte, sah er auf und zog eine Augenbraue in die Höhe. "Sie sind alle drei okay." "Wie willst du das wissen?" fragte Tristan sanft. "Wir haben seit mehr als zwei Jahren nichts von dir gehört." Jefferson schloß die Augen und lehnte wieder den Kopf zurück. "Ich hab mich über sie auf dem laufenden gehalten." Mit Ausnahme der neun Monate allerdings. Damit Tristan nicht darauf kommen konnte, fügte er schnell hinzu: "Ich hab mich auch über dich auf dem laufenden gehalten." Mit dem Kinn wies er auf das komfortable und geräumige Haus, das sein kleiner Bruder sein Zuhause nannte. "Ich hab vor einigen Monaten in der Time einen Artikel gelesen. Über einen Hacker, den du in Schweden aufgespürt hast." Tristan zuckte die Schultern. "Es hörte sich aufregender an, als es war. Übrigens, wie hast du nur auffliegen können?"
"Emily bringt die Lebensmittel herein", warf Jefferson abrupt ein. "Warum hebst du nicht deinen Hintern und gehst ihr helfen?" "Und mische dich nicht in meine Angelegenheiten ein." Tristans Folgerung war logisch. Er zupfte an seinem Ohrläppchen, dann erhob er sich, gehorsam. "Irgendwann wirst du es sowieso, ausspucken." Immer noch der gutmütige Junge. "Rechne nicht damit", warnte Jefferson. Sein Bruder grinste nur, ging, um Emily zu helfen, und hinterließ einen Jefferson, der sich darüber wunderte, wann zum Teufel sein kleiner Bruder erwachsen geworden war. Sein Bein schmerzte, und seine Zehen waren taub, aber er stemmte sich langsam hoch und humpelte zu dem breiten Erkerfenster mit Blick auf die Fläche vor dem Haus. Durch die zarten winterweißen Spitzen beobachtete er, wie sein Bruder die flachen Stufen aus Backsteinen mit großen Sprüngen nahm und zur Straße hinübereilte, wo Emily aus dem Kofferraum die Lebensmitteltüten lud. Während Jefferson den beiden zuschaute, setzte Emily eine Tüte auf den Gehweg und lehnte sich gegen ihren kirschroten Mustang. Sie wirkte müde, vielleicht auch verdrossen. Sie schüttelte den Kopf über etwas, was Tristan sagte, dann strich sie ihr langes Haar aus dem Gesicht Und starrte die Straße hinunter, Sogar aus der Entfernung konnte Jefferson ihre hohen Wangenknochen sehen, die volle Unterlippe. Als sie die Arme kurz hob, schmiegte sich die weiße Weste um ihre Brust, und Jefferson erkannte, daß seine kleine Emily auch erwachsen geworden war. Beim letztenmal, als er es sich erlaubt hatte, Emily richtig anzuschauen, war sie neunzehn gewesen. Er verkrampfte sich noch immer bei dem Gedanken an jene Zeit. Sie war damals unglaublich reizvoll gewesen. Süß. Frisch wie eine Frühlingsblume. Und viel zu unschuldig. Er biß die Zähne zusammen.
Ihr Haar schimmerte wie dunkelbraune Seide im Licht der Straßenlampe. Emily schüttelte wieder den Kopf und machte mit der Hand eine entschiedene Bewegung. Aber Tristan fing ihre Hand und zog Emily an sich. Gegen Tristans riesige Gestalt wirkte sie zerbrechlich. Mit zusammengepreßten Lippen wandte Jefferson sich vom Fenster ab. Emily befreite sich aus Tristans Armen. "Ich bin okay", beharrte sie. "Wahrscheinlich bleibt er nicht lange." "Er bleibt nirgendwo lange." Sie mied Tristans Blick. Seine Augen waren einige Schattierungen heller als die intensiv blauen von Jefferson, aber sie konnten genauso durchdringend dreinblicken. Emily nahm die Tüte vom Straßenrand hoch und wandte sich zum Gehen, "Ich bin okay", wiederholte sie. "Ich werde nicht zusammenbrechen, nur weil Jefferson zurückgekommen ist." Sie konnte Tristans Gedanken genauso gut lesen, wie er ihre lesen konnte. "Und ich werde nicht zusammenbrechen, wenn er wieder geht." "Irgend etwas stimmt diesmal nicht." Tristan lud sich die anderen Tüten auf und ging mit Emily auf das Haus zu. "Ganz tief innen, da hat er sich geändert." Emily fragte nicht nach, was Tristan damit meinte. Tristan wußte immer um all die Dinge. Hatte es immer gewußt. Und sie hatte es aufgegeben, sich darüber zu wundern, wie das möglich sei. Sie nahm seine Einblicke einfach als Tatsache an und wollte nicht darüber nachdenken, ob Jefferson sich tatsächlich geändert habe. Sie wollte sich auch keine Gedanken darüber machen, woher er sich die Verletzungen geholt hatte. Sie wollte überhaupt nicht an ihn denken. Sie wollte zum Stall fahren, wo ihr Pferd, Bird, untergebracht war, wollte es satteln und stundenlang reiten, so lange, bis es ihr möglich War, die Gefühle der Sinnlosigkeit loszuwerden, die sie immer dann überfielen, wenn Jefferson wieder einmal da war.
"Er wird mit dir darüber sprechen, wenn er soweit ist", sagte sie. ,,Jefferson wird dir Dinge erzählen, die er uns anderen niemals erzählen würde." "Er hat mir nichts davon erzählt, was zwischen euch beiden passiert ist", erwiderte Tristan. "Nicht, daß ich es mir nicht selbst zusammenreimen konnte." Emily blieb abrupt stehen. "Da gibt es nichts zu erzählen." "Richtig." "Tris ..." "Schon gut." Er zuckte die Schultern. "Mach dir nicht gleich in die Hose." "Wie charmant", bemerkte Emily und stieß mit dem Fuß die angelehnte Tür zur Eingangshalle auf, um von da gleich in die Küche zu gehen. "Kein Wunder, daß du keine anständige Frau findest, die mit dir ausgehen will." Tristan lachte. "Süße, wenn ich mit einer Frau ausgehe, suche ich nicht nach Anständigkeit." Emily blickte wie hilfesuchend zur Decke und fühlte sich ein wenig leichter. Tristan hatte so eine Grabe, die Menschen aufzumuntern. Er packte die Tüten auf die weißgekachelte Theke, und Emily entließ ihn mit einer Handbewegung. "Geh und ärgere deinen Bruder", befahl sie, zog die viereckigen Pappkartons mit tiefgefrorener Pizza aus einer der Tüten heraus und verstaute sie im breiten Kühlschrank. "Es dauert noch eine Weile bis zum Abendessen." Kaum war Tristan weg, hielt Emily mit dem Wegpacken inne und schloß die Augen. Sie würde Jeffersons Besuch hinter sich bringen, nahm sie sich vor. Sie würde es schaffen. Ein oder höchstens zwei Tage, und er würde wieder aufbrechen, zu irgendeinem neuen Abenteuer. Eine Stunde später stellte sie eine dampfende Pfanne mit Enchilada in die Mitte des Küchentisches, dazu eine Schüssel mit Salat. "Riecht gut", bemerkte Tristan von der Tür her.
Jefferson kam langsam herein, ohne Stock. Emily drehte sich rasch zum Kühlschrank, aber nicht rasch genug, um es nicht mitzubekommen, wie er sein Bein schonte, als er den Stuhl unter dem Tisch hervorzog. "Was möchtest du trinken? Wir haben Eistee, Limonade ..." Während sie das sagte, holte sie automatisch eine Flasche Bier für Tristan aus dem Kühlschrank. Er kam hinter ihr vorbei und streckte genauso automatisch die Hand nach der kalten Bierflasche aus. "Traubensaft, Sodawasser, Kaffee, Milch, Bier, Wein..." Jefferson lächelte leicht. "Bier wäre okay." Emily holte noch drei Flaschen Bier heraus und warf mit dem Ellbogen die Kühlschranktür zu. Tristan zog sich den Stuhl her vor, auf dem er gewöhnlich saß, und wollte sich gleich eine Enchilada auf seinen Teller laden, als Emily ihn auf das große Glas vor ihm hinwies. Wie auch sonst immer ignorierte er es auch jetzt und nahm aus der Bierflasche einen großen Schluck, "Squire hätte dich zur Benimmschule schicken sollen, um dir Manieren beizubringen", verkündete Emily und wollte den Stuhl für sich herausziehen. Aber Jefferson kam ihr zuvor und tat es zuerst. Sie lächelte dünn in seine Richtung, froh, daß sie es tun konnte, ohne ihn dabei anzusehen. Jefferson faltete langsam die Serviette auseinander und legte sie sich auf den Schoß. Emily gab Tristan einen Klaps auf die Finger, als er sich wieder zu einer Enchilada verhelfen wollte. Sie nahm ihm den Servierlöffel ab und lud eine deftige Portion auf seinen Teller, dann auf Jeffersons. Für sich selbst nahm sie nur Salat, in dem sie herumstocherte. Jefferson beobachtete schweigsam seinen Bruder und Emily. Und wunderte sich. "Hab ich recht, daß das ein Leihwagen in der Auffahrt ist?" fragte Tristan. Jefferson nickte und nahm vorsichtig eine Gabel voll mit dampfender Enchilada in den Mund. Daß die Enchilada heiß war, war nichts im Vergleich zu der scharfen Würze, die ihm die
Kehle zu verbrennen schien. Er hätte fast das Glas mit dem Bier umgestoßen, als er abrupt danach griff. "Huuh", murmelte er, als er wieder atmen konnte. "Das war höllisch." Tristan grinste schadenfroh. "Wirst allmählich weich im Alter, ha?" Jefferson kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. "Das möchtest du wohl gern." Damit nahm er eine zweite Gabel voll Enchilada und führte sie zum Mund. Beim viertenmal mußte er den Bissen nicht einmal mehr mit einem Schluck eiskaltem Bier nachspülen. "Hat man euch diese Art von Küche in der feinsinnigen Schule in Hampshire beigebracht?" Emily schüttelte den Kopf und legte achtsam die Gabel auf ihren noch so gut wie vollen Teller. "Nein. Dort hat man mir beigebracht, wie man den Tisch elegant deckt und wie man ein Cordon bleu serviert. Squire hat genau das bekommen, wofür er bezahlt hat", versicherte sie ihm trocken. Sie war schon lange über ihren Ärger auf Jeffersons Vater hinweggekommen, weil er sie ins Internat geschickt hatte. Sie wies mit einer Kopfbewegung auf die Pfanne mit Enchiladas. "Mexikanisch kochen habe ich an einer Abendschule gelernt." "Dem Himmel sei Dank dafür", schaltete sich Tristan ein. "Mir würde die Brunnenkresse und ..." Das Telefon klingelte, und er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um es mit einem langen Arm zu greifen. "Jaa?" meldete er sich faul. Er zog die Augenbrauen hoch, während er zuhörte. "Nun, Süße, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dir heute abend zu essen." Er grinste zu was immer auch die Süße zu sagen hatte. Daß er bereits eine ganz schöne Portion weggeputzt hatte, erwähnte er nicht. "Was soll ich anziehen? Du bist ein ganz schön schlimmes Mädchen ..." Ohne sich um Jefferson und Emily zu kümmern, wanderte er mit dem schnurlosen Telefon an sein Ohr gepreßt aus der Küche in den Wohnraum.
Emily rollte die Augen. "Freundin Nummer 372." Sie lächelte leicht Und nahm das Glas Bier in die Hand. Ohne die unbeschwerte Anwesenheit seines ausgewachsenen kleinen Bruders verfiel Jefferson in Schweigen und konzentrierte sich auf das Essen. "Ich war überrascht, daß du hierhergezogen bist", sagte er schließlich. Emily nippte an ihrem Bier. Nun konnte sie sicher sein, daß Jefferson nicht ihretwegen nach San Diego gekommen war. "Meinst du hierher in die Stadt oder in Tristans Haus?" "Beides." "Ich bin Wirtschaftsprüferin", erinnerte Emily ihn. "Das weiß ich. Ich hatte nur gedacht, du wärst zur Ranch zurückgekehrt, um Matthew bei der Buchhaltung zu helfen oder so etwas in dieser Richtung. Vielleicht sogar dich selbständig gemacht hast." Emily zuckte die Schultern und war recht zufrieden mit sich selbst, daß ihr das so lässig gelang. "Die Bezahlung ist hier besser. Außerdem kommt Matt mit der Buchhaltung selbst sehr gut klar. Ich hätte mich auf der Ranch zu Tode gelangweilt." Jefferson runzelte die Stirn. "Lügnerin." Emily warf ihm einen kurzen Blick zu. Sie würde ihm nicht erzählen, daß sie seinetwegen nicht auf die Ranch zurückgekehrt war. Sie hob eine Schulter und trank ihr Bier. "Denk, was du willst. Tatsache ist aber, daß ich nach meiner Prüfung als vereidigte Wirtschaftsprüferin ein zu gutes Angebot bekommen habe, um es abzuschlagen. Und die Aktiengesellschaft, für die ich arbeite, hat nun einmal ihren Sitz in San Diego. Tristan war bereits hier. Mit ihm zu leben ist... praktisch." "Praktisch..." Emily lächelte spöttisch. "Ja. Praktisch." "Was hält Squire davon?" Emily hob erstaunt ihre zarten Augenbrauen. "Glaubst du etwa, er hätte etwas dagegen?" Sie preßte die Lippen zusammen, als die Vergangenheit sich plötzlich zwischen sie drängte.
Bittersüß, greifbar. "Er findet, daß meine ... Tugend ... gewahrt ist, wenn ich mit Tristan zusammenwohne." "Tut er das?" "Was?" "Bewahrt Tristan deine Tugend?" Emilys dunkle Augen zogen sich zu engen Schlitzen zusammen. "Ich habe es nicht nötig, daß einer der berüchtigten Clay-Brüder auf meine Tugend achtet. Ich kann es sehr wohl selbst, wenn ich es so will." Sie stand auf und fing an, den Tisch abzuräumen. Jefferson wischte sich mit der Serviette über den Mund und zerknüllte sie dann zwischen seiner Faust. "Ich hoffe, daß du dafür klug genug bist", warnte er leise. Sie sah ihn über die Schulter an. "Wie bitte?" "Wenn du es so willst." Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem halben Lächeln. "Meine Güte, Jefferson. Versuchst du mir irgendwie zu sagen, ich solle sicheren Sex praktizieren?" Sie lachte auf. Hart. "Ist das nicht geradezu süß?" "Du weißt, daß ich das nicht habe sagen wollen. Himmel, bist du schon immer ein solches Gör gewesen?" Emily drehte den Wasserhahn auf und begann das Geschirr abzuspülen. "Klar. Du bist nur nicht lange genug dagewesen, um es zu bemerken." Sie drehte sich mit einem spielerischen Lächeln kurz zu ihm um und bückte sich dann, um das Geschirr in den Geschirrspüler zu stellen. "Ich bin nicht ständig weg gewesen." Emily hielt inne, richtete sich dann auf, um nach einem Teller zu greifen. "Das liegt schon so lange zurück", erwiderte sie kurz angebunden. Jefferson hielt ihr das Bierglas hin. "Mir ist, als ob es gerade gestern gewesen wäre." Er hielt das Bierglas fest, als Emily es ihm aus der Hand nehmen wollte. "Manchmal."
Ihre vorgespielte Gleichmütigkeit war nur kurzlebig. "Ich werde nicht mit dir darüber reden." "Das hatte ich auch nicht vor." In ihren Augen spiegelte sich Schmerz. "Warum tust du es dann? Es ließ sich nicht vermeiden, daß wir uns hin und wieder gesehen haben, seit ..." Die wenigen Male, die sie seit ihrem neunzehnten Geburtstag einander gesehen hatten, konnte sie bequem an den Fingern einer Hand abzählen. Und an den Fingern der anderen Hand konnte sie die Worte abzählen, die sie miteinander ausgetauscht hatten. . "Du kannst es nicht einmal aussprechen, nicht wahr?" Emily ließ ihn mit dem Bierglas stehen, nahm das grünweiße Geschirrtuch vom Halter und trocknete sich langsam die Hände. Sie starrte dabei gedankenverloren vor sich hin, bis sie mitbekam, daß Jefferson um die Küchentheke herumgekommen war und sich hinter sie stellte. "Was willst du von mir, Jefferson? Willst du hören, daß Tristan und ich kein Verhältnis miteinander haben?" Sie faltete das Geschirrtuch zu einem adretten Viereck. "Ist es das, was dich nervt? Nun, wir haben kein Verhältnis miteinander. Tristan ist mein bester Freund. Mein Bruder." "Er ist genausowenig dein Bruder, wie ich es bin." "Nun ..." Emily faltete das Geschirrtuch wieder auseinander. "Das soll mich wohl in meine Schranken weisen. Das war doch deine Absicht, oder nicht? Mein Nachname ist immerhin Nichols. Nicht Clay. Ich bin ja nur das Kind, das euer Vater aufgenommen hat, als meine Eltern bei einem Autounfall starben. Weil ich eine weit entfernte Verwandte bin. So weit, daß es schon absurd ist. Laß mich einmal nachdenken. Die zweite Frau seines Urgroßvaters war die Schwiegermutter eines Onkels von der Tante der zweiten Cousine meiner Mutter ..., stimmt's?" "Verdammt, Em. Das habe ich absolut nicht gemeint."
Sie hängte das Geschirrtuch an den Haken. Sie wußte, daß Jefferson es nicht so gemeint hatte. Aber das war sicherer, als das andere zu erwähnen. Sie ging zum Tisch, um das letzte Geschirr zu holen. "Vergiß es, okay? Bitte ..." Jefferson lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Kühlschrank. Emily unterdrückte einen Seufzer, als sie nicht umhin konnte, es zu bemerken, daß er die Hemdsärmel hochgekrempelt hatte. Daß seine sehnigen Unterarme mit den langen, schmalen Handgelenken sonnengebräunt waren. So goldbraun wie zweifellos der Rest von ihm. Sie war noch nie einem Mann begegnet, der so kraftvoll wirkte wie Jefferson. Ihn nur anzusehen brachte in ihr den Wunsch auf nach allen möglichen unzüchtigen ... Sie blinzelte und sammelte die gebrauchten Servietten ein. "Die Männer in Kalifornien können nicht blind sein", sagte Jefferson. "Es muß doch einen geben, mit dem du eine Beziehung hast." Emily stützte die Hände auf den Tisch und ließ genervt den Kopf hängen. "Um Himmels willen, Jefferson. Deine Neugier übersteigt sogar die von Tristan." "Das hat nichts mit Neugier zu tun. Ich will nur wissen, was so im Leben meiner Schwester vor sich geht." Emily schüttelte den Kopf. "Wir haben bereits das eine festgehalten ..., daß du nicht mein Bruder bist." "Dann wird nur eben Tris verraten, was ich wissen will." Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und ließ sich auf den Stuhl fallen. "Laß mich das eine klarstellen. Fragst du mich, ob ich mit jemand gehe? Möchtest du seinen Namen, die Adresse und die Telefonnummer, damit du persönlich überprüfen kannst, ob er für deine Nichtschwester geeignet ist? Oder fragst du mich, ob ich mit jemand schlafe?" Seine Augen waren dunkel. Unergründlich. "Tust du das?" "Tust du das?" schoß sie zurück. "Nein."
"Herzliches Beileid." Sein Blick blieb fest auf sie gerichtet. "Spar dir das. Ich habe geantwortet. Nun bist du dran." "Ich schlafe mit niemand", erklärte Emily langsam. Absichtlich langsam. Wenn sie jemand anderer auf diese Weise ausgefragt hätte, hätte sie ihn zum Teufel gejagt. "Bist du nun zufrieden? Ist das Verhör vorbei? Ist der Verdacht entkräftet? Aber vielleicht sollte ich jetzt anfangen, dir Fragen zu stellen." Sie wandte sich von ihm ab. "Wie zum Beispiel, wo bist du während der vergangenen zweieinhalb Jahren gewesen? Noch immer beim Brückenbau? Oder auf einer Bohrinsel? Es ist ja nicht so, daß du uns Details über deine Arbeit gegeben hättest. Wie bist du zu der schweren Verletzung gekommen? Warum hast du nicht Squire angerufen und ihn wissen lassen, daß du okay bist? Und daß du noch lebst." Sie zögerte. "Oder hast du den Sinn für Familienverantwortung verloren, der dir immer so überaus wichtig war?" Sie sah ihn an. Jefferson schwieg und blickte ernst drein. Nach einer Weile drehte er sich um und humpelte aus der Küche. "Verdammt." Emily legte die Arme auf den Tisch und barg den Kopf darin. Das geschah immer, wenn sie und Jefferson zuviel miteinander redeten. Wenn sie ihr Gespräch nur im Rahmen von Nettes Wetter, das wir haben und Welches Team wird wohl den Sieg erzielen halten könnten, wäre ein jeder glücklicher. Doch sie konnte Jefferson nicht die ganze Schuld zuschieben. Sie trug auch ihren Teil daran. "He, Knirps, wo ist Jefferson?" Emily hob den Kopf und zuckte die Schultern. "Ich nehme an, nicht weit weg, schon allein seinem Bein zuliebe." Sie war daran gewöhnt, Tristan in verschiedener Kleidung zu sehen, aber diesmal war sie echt überrascht. "Seit wann trägst du eine Krawatte?" Er fuhr mit der Hand über den farbenfrohen Schlips. "Sitzt sie gerade?"
Emily schüttelte den Kopf und stand auf, um sie ihm zurechtzuzupfen. "Wo fährst du hin?" "Los Angeles." "Dann lohnt es sich wohl nicht, auf deine Rückkehr zu warten?" Er grinste und zog das maßgeschneiderte Jackett über. "Als ob du das jemals getan hättest." Emily lächelte und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Küchentheke. "He." Tristan hob mit einem Finger ihr Kinn an. "Du und Jefferson könntet mit uns kommen." Sie sah ihn spöttisch an. "Ich wette, daß das der Süßen kaum gefallen wird." Er zuckte die Schultern. "Na und? Ihr könnt trotzdem mitkommen. Es würde dir guttun, hier herauszukommen und ein wenig Spaß zu haben." "Das glaube ich nicht." "Warum nicht?" Emily schüttelte entschieden den Kopf. "Ich muß morgen früh zur Arbeit." "Jeffersons Rückkehr wäre ein Grund zum Feiern, oder nicht?" Emily seufzte ungehalten. "Tristan ..." "Okay, okay." Er drückte einen flüchtigen Kuß auf ihr Haar und zupfte ein wenig daran. "Benimm dich, während ich weg bin." "Daß ich nicht lache", murmelte sie. "Warum benimmst du dich nicht einmal?" Tristan lächelte nur und war mit einem kurzen Winken draußen. Er mußte Jefferson gefunden haben, weil Emily ihre tiefen Stimmen hörte, auch wenn sie die Worte nicht verstehen konnte. Bald darauf fiel die schwere Eingangstür zu. Nach einem tiefen, reinigenden Atemzug machte Emily sich auf die Suche nach Jefferson. Im riesigen Wohnzimmer war er
nicht. Sie blickte, in Tristans Zimmer und dann in das Arbeitszimmer. Schließlich fand sie Jefferson auf der Rückseite des Hauses, wo Tristan ein deckenhohes Atrium aus Glas angebaut hatte. Sie beobachtete ihn aus der Entfernung. Er bewegte sich langsam auf dem mit Backsteinen gepflasterten Boden, verschwand hinter einer breitgefächerten Zierpalme und kam wieder in Sicht. Er krempelte die Hemdsärmel neu hoch und öffnete den zweiten Knopf am Hals, Emily betrachtete ihn aufmerksam, füllte eine Leere in ihrem Inneren allein mit seinem Anblick. Sehnsucht, süß und bitter, durchflutete sie. Warum mußte sie ausgerechnet für Jefferson so fühlen? Warum konnte es nicht ein unkomplizierterer Mann sein? Wie Stuart Hansen zum Beispiel, der Manager, mit dem sie zusammenarbeitete und gelegentlich ausging. Oder sogar Tristan. Ja, warum nicht Tristan? Warum Jefferson? Es war eine Frage, die sie seit Jahren plagte. Leider hatte sie darauf noch immer keine Antwort bekommen. Seufzend öffnete Emily die Glastür zum Atrium. "Ich werde im Gästezimmer das Bett frisch beziehen", teilte sie Jefferson mit. "Das Bad liegt gleich daneben. Es hat einen Whirlpool: Es mag deinem Bein guttun." Jefferson nickte. "Gut." "Nun." Emily winkelte den Arm an, um auf ihre Uhr zu schauen. Es war absolut nicht spät. Vielleicht hätte sie Tristans Angebot annehmen sollen. Zumindest wäre sie dann nicht mit Jefferson allein. "Es ist das erste Zimmer links vom Treppenaufgang." "Tris hat es mir gezeigt, gleich als ich ankam." "Oh." Sie blickte wieder auf die Uhr. "Falls du etwas vorhaben solltest, laß dich nicht von mir ab halten."
"Hm? O nein. Nein, ich beziehe nur gleich dein Bett." Damit drehte Emily sich um und marschierte auf die Treppe zu. Oben holte sie eine Garnitur Bettbezüge aus dem Wäscheschrank und ging ins Gästezimmer. Eine einzige Reisetasche stand am Fußende des Bettes. Die Ledertasche war wahrscheinlich einstmals schwarz gewesen, mittlerweile war sie abgewetzt und fast farblos. Sie setzte die Tasche auf die Kommode. Sie wog kaum mehr als das Eigengewicht. Jefferson hatte offensichtlich die Kunst, mit minimalem Gepäck zu reisen, perfektioniert. Sie nahm die dunkelblaue Daunendecke vom Bett und zog zuerst das blütenweiße Leintuch straff. Sie war gerade dabei, das pluderige Kopfkissen zu beziehen, als Jefferson geräuschlos in der Tür erschien. Emily ignorierte ihn - oder besser, sie gab vor, ihn zu ignorieren - und legte das Kissen am Kopfende nächst dem zweiten in dem Doppelbett. Dann legte sie die Daunendecke auf das Bett. "Ich kann mich erinnern, wie du dich immer gesträubt hast, dein Bett zu machen." Emily sah zu Jefferson hinüber, der in der Tür stand. "Du hast darauf bestanden, es sei nur Zeitvergeudung, da du es ja beim Zubettgehen sowieso wieder durcheinanderbringen würdest." "Es war nur logisch", antwortete sie leichthin. "Squire hatte nie von euch Jungs verlangt, daß ihr eure Zimmer in Ordnung bringt. Oder die Betten jeden Morgen macht. Das war etwas, was allein den Mädchen vorbehalten war." Jefferson durchquerte das Zimmer und stellte sich auf die andere Seite des Bettes. "Ist es so schlimm gewesen? Ich meine, von Squire erzogen zu werden?" Emily schüttelte den Kopf. Das zumindest war etwas, worin sie ganz ehrlich sein konnte. "Nein. Es war nicht schlimm." Sie lächelte. "Was kann schon schlimm daran sein, auf einer Ranch aufzuwachsen? Es gab Hunde und Katzen. Pferde. Einen Teich
zum Schwimmen. Und ein Haufen großer Brüder, hinter denen man herlatschen konnte. Es war absolut nicht schlimm." Sie ging zum Wäscheschrank im Korridor. Es war der Himmel auf Erden gewesen für ein einsames kleines Mädchen. Es würde auch der Himmel auf Erden sein für eine einsame Frau, dachte Emily. Jefferson folgte ihr bis zur Tür und lehnte sich gegen den Rahmen. "Wie oft besuchst du die Ranch?" Emily holte aus dem Schrank zwei übergroße Handtücher und kehrte ins Gästezimmer zurück. "Zwei- oder dreimal im Jahr. Ich habe versucht, jede Weihnacht zurück zu sein, aber mit der Arbeit und allem ..." Sie ging an ihm vorbei und hängte die Handtücher über die Messingstangen im Badezimmer. "Wenn du alleinstehend bist, dann haben andere mit Familie Vorrang beim Weihnachtsurlaub." "Squire macht sich sowieso nicht viel aus dem Feiern." "Wenn man bedenkt, daß eure Mutter am Heiligabend gestorben ist, muß man es ihm wohl nachsehen." Emily nahm seine Reisetasche von der Kommode und stellte sie daneben. "Du bist Weihnachten auch nie zu Hause gewesen. Sogar als du noch auf der Ranch lebtest, hast du dich lieber in die Hütte zurückgezogen, als in dem großen Haus zu bleiben. Sawyer war während der Weihnachtszeit immer in Europa. Dan war ..." "Fort, um einen drauf zumachen", beendete Jefferson. "Und Matthew hat sich entweder ins Büro eingeschlossen, oder er streifte irgendwo auf dem Weideland herum. Eine wahrhaft große glückliche Familie." Jefferson ließ Emily nicht aus den Augen. "Und Tristan..." "Und Tristan ... was?" drängte Emily, als er sich unterbrach. Jefferson zuckte die Schultern. "Nichts." Emily lehnte sich mit der Hüfte gegen die Kommode und holte gedankenverloren ihr langes Haar nach vorn, um es in einen losen Zopf zu flechten.
"Eure Mutter starb bei seiner Geburt. Natürlich hat es bei ihm Narben hinterlassen." Sie ließ den Zopf los und ging zur Tür. "Wenn du dir ein Video angucken oder etwas lesen willst, findest du sicher etwas für deinen Geschmack in Tristans Zimmer. Es gibt nichts, was er nicht hat." "Was wirst du tun?" Entfliehen. Emily umfaßte den Türknauf. "Ich habe mir Arbeit aus dem Büro mitgebracht." Es war nicht direkt eine Lüge. "Du, hmm ..., falls du etwas brauchst, laß es mich wissen." Sie zwang sich zu einem Lächeln und entfloh. Jefferson rieb sich das Kinn und setzte sich schwer auf den Bettrand. Mit ausgestreckten Armen hob er vorsichtig sein Bein, bis er sich quer auf das Bett zurückfallen lassen konnte. Seine Zehen kribbelten, als der Tastsinn wieder zurückkehrte. Der Kopf tat ihm weh, und die Hüften schmerzten mehr als noch vor sechs Monaten, nachdem er aus dem Krankenhaus in Deutschland entlassen worden war. Sogar seine verspannten Schultern quälten ihn. Zweifellos hatte das mit dem entsetzlich langen Flug von Amsterdam zu tun. Er hatte Schmerztabletten in seiner Reisetasche, aber er hatte nicht die Energie, sich zu erheben und sie zu holen. Jefferson suchte mit der Hand über seinem Kopf nach dem Kissen und zog es zu sich heran. Als es nahe seinem Gesicht war, konnte er Emilys klaren, reinen Duft riechen, der dem Kissenbezug anhaftete. Erschloß mit einem tiefen Seufzer die Augen. Und schlief ein.
2. KAPITEL Die antike Uhr auf dem Kaminsims schlug an, und es überraschte Emily, daß es schon drei Uhr morgens war. Daß sie so lange vor dem Computer gesessen hatte, war ihr nicht bewußt gewesen. Sie schaltete den Computer aus, stand von dem Stuhl auf und ging gähnend in die Küche, um sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu holen. Sie schraubte den Verschluß auf, über zeugte sich, daß die Außentüren geschlossen waren, und schaltete die Lichter aus. Im Dunkeln ging sie die Treppe hinauf. Die Tür zum Gästezimmer stand offen, und das Licht war immer noch an. Sie blieb stehen. Im Haus war es still. Sie konnte das leise Ticken der Uhr von unten im Wohnzimmer hören, das sanfte Knacken der Holzdielen. Sie setzte die Flasche auf dein viereckigen Endpfosten der Treppe ab und ging hinüber zum Gästezimmer. Jefferson lag quer auf den Bett in einer unbequemen Lage. Ein Bein, wohl das verletzte, lag flach auf dem Bett, das andere hing so weit über dem Bettrand, daß der Absatz des Cowboystiefels den Boden berührte. Sein Gesicht war von ihr abgewandt, die Wange war in das Kissen geschmiegt. "O Jefferson", murmelte Emily und betrachtete ihn einen langen Moment. Wem machte sie etwas vor? Jetzt wo Jefferson wieder zurückgekommen war, würde das Leben einfach nicht mehr normal verlaufen.
Leise ging sie in ihr Zimmer, machte das Licht an und holte den weichen Afghan, der am Fußende ihres Bettes gefaltet lag, und kehrte in Jeffersons Zimmer zurück. Sie knipste die Lampe aus und entschied sich, ihm die Stiefel nicht auszuziehen, weil er wach werden könnte, und deckte ihn mit dem Afghan zu, Jefferson bewegte sich nicht. Bevor Emily sich wieder auf richtete, fuhr sie ihm leicht über das Haar. Und dann geschah alles so plötzlich; daß sie wie betäubt war. Jefferson sprang mit einem wilden Knurren auf, und seine großen Hände umgriffen wie Stahlseile ihre Oberarme. Er wirbelte mit Emily herum und stieß sie hart auf das Bett. Sprachlos starrte Emily zu ihm auf. Sein Atem ging schwer, als er sich über sie beugte und ihre Taille umfaßte. "Du bist so gut wie tot", stieß er hervor. Vor Schock konnte Emily sich nicht rühren. "Jeff...er...son", keuchte sie. Sogar in dem gedämpften Licht, das aus ihrem Zimmer auf der anderen Seite des Korridors hereinfiel, konnte sie sehen, wie er die Zähne bleckte. Ihr stockte der Atem. "Jefferson. Ich bin es ..., Emily." Seine Augen, zwei schwarze Tümpel, blickten auf sie herunter. Er war in einer anderen Zeit. An einem anderen Ort. An einem schrecklich dunklen Ort. "Ich bin es .., Emily", wiederholte sie mit zitternder Stimme. Er löste den eisernen Griff. "Alles ist in Ordnung, Jefferson", flüsterte sie und schloß die Augen mit einem Schluchzen, als er den Kopf auf ihre Brust sinken ließ. So schmerzhaft er sie vorher gepackt hatte, so sanft strich er mit den Händen jetzt von ihren Armen hinauf zu den Schultern. Mit aufgerissenen Augen lag sie steif da und blickte auf seinen Kopf herunter.
Emily biß sich auf die Lippen und schloß die Augen. Tränen traten unter ihren geschlossenen Lidern hervor. O Jefferson, was hast du nur durchgemacht? Sie holte zitternd Atem, hatte immer noch Angst, daß er sie wieder anfallen würde. Aber er rührte sich nicht. Nach langen Minuten hob sie die Hand und strich ihm das dichte Haar aus der Stirn. Sie kämpfte nicht mehr gegen die Tränen an. "Alles wird wieder okay, Jefferson", flüsterte sie. "Alles wird wieder gut." Nach etwa drei Stunden öffnete Emily verwirrt die Augen. Sie mußte eingenickt sein. Die graue Morgendämmerung drang durch die Stäbe der kirschroten Jalousien vor den Fenstern. Ihr Arm, der unter Jeffersons Schulter gefangen war, war völlig gefühllos. Jefferson schlief. Sein Schlaf war tief, wie seine regelmäßigen Atemzüge verrieten. Emily verzog das Gesicht bei den Nadelstichen in ihren Fingern, als sie den Arm unter Jeffersons Schulter behutsam hervorzog; Sie wollte Jefferson nicht wecken, und es dauerte eine Weile, bis sie sich von seinem Gewicht befreit hatte und sich auf den Bettrand setzen konnte. Jefferson seufzte, zog das Kopfkissen an sein Gesicht und schmiegte die Wange in die weiche Fülle. Emily hob den Afghan auf, der vom Boden gerutscht war, und legte ihn über Jefferson. Dann verließ sie den Raum. In ihrem Zimmer zog sie sich rasch aus, um ins Bett zu gehen, überlegte es sich aber wieder. Schlaf würde sie sowieso nicht finden. Dafür war sie zu aufgewühlt. Sie schlüpfte in eine Jogginghose und ein übergroßes Sweatshirt, das Tristan gehörte, das er aber abgelegt hatte. Mit eiskalten Fingern flocht sie ihr Haar zu einem Zopf und befestigte um ihr Handgelenk die praktische kleine Ledertasche, die den Hausschlüssel und einen Fünf-Dollar-Schein enthielt. Dann verließ sie das Haus und trat in den kühlen anbrechenden
Morgen hinaus. Die Nachmittage konnten Mitte August ganz schön heiß sein. Aber bei Tagesanbruch war es in San Diego so gut wie immer kühl. Und an diesem Morgen neblig dazu. Emily wärmte ihre verspannten Muskeln auf und streckte sich ausgiebig. Während sie dann in einen langsamen Lauf verfiel, ging Sie noch einmal all das durch, was in Jeffersons Zimmer passiert war. Sie hatte noch immer seine Augen vor sich. Dunkel vor Qual. Dieser verwundete Blick. Nur der rhythmische Laut ihrer Joggingschuhe auf der Asphaltstraße, die sie zweieinhalb Meilen weiter direkt zum Stall und zu Bird führte, war zu hören. Doch Emilys Gedanken kreisten noch immer um Jeffersons seltsames Verhalten in der vergangenen Nacht. Sie bekam seine bedrohliche Stimme nicht aus dem Kopf. Du bist so gut wie tot. Es war Nachmittag, als Jefferson endlich wach wurde. Wahrscheinlich wäre er noch immer nicht wach geworden, wenn Tristan nicht vor ihm gestanden und an seinem Stiefel heftig genug gezogen hätte, um Jefferson die Zähne zusammenbeißen zulassen. Er öffnete die Augen und blinzelte in den hellen kalifornischen Sonnenschein, der durch die Fenster strahlte. "Was ist?" "Steh auf, Bruder. Der Tag schwindet bereits dahin." Jefferson fühlte sich matt und schloß wieder die Augen. Er klopfte sich das Kissen zurecht, steckte es unter den Kopf und kratzte sich die Brust. "Wer sagt das?" "Ich. Komm schon, Jeff. Du schläfst auf eine Weise, daß es einem angst macht. Stand kurz davor, die Ambulanz anzurufen, um herauszufinden, ob du noch am Leben bist." "Geh und surf im Internet. Oder was immer du zum Teufel an diesen Computern tust." "Keine Arbeit heute", sagte Tristan fröhlich. "Wir gehen aus."
Mit einem Ruck hatte er das Kissen unter Jeffersons Kopf her vorgezogen. "Mach, daß du wegkommst", brummte Jefferson, setzte sich aber auf, wenn auch mühsam. Etwas Blaues, Seidiges rutschte von seinem Oberschenkel auf das Bett. Ein Gedanke blitzte auf, als er darauf sah, irrte wieder ab. Jefferson runzelte die Stirn, dann streckte er Tristan die Hand hin. "Hilf mir auf." "Verflixt, Buddy", sagte Tristan, als er Jefferson auf die Füße zog. "Du wirst ganz schön klapprig. " Jefferson legte die Hand auf Tristans Brust und schob ihn zur Seite. "Ich kann dir immer noch den Hintern versohlen", warnte er. Er zog sein Hemd aus und ließ es einfach neben dem Bett auf den Boden fallen. "Grundgüti..." Jefferson ignorierte Tristans unterdrückten Ausruf, als sein Bruder offensichtlich die Narbe auf seinem Rücken entdeckt hatte, und ging zum Badezimmer. Er setzte sich auf den geschlossenen Toilettendeckel und blickte auf seine Stiefel. Er wackelte mit den Zehen. Zumindest glaubte er, daß er es tat. Er hatte kein Gefühl in ihnen. Wieder einmal. Er verzog das Gesicht vor Schmerzen, als er den Stiefel mit beiden Händen packte, um ihn auszuziehen. "Vielleicht solltest du reden", bemerkte Tristan ruhig, der ihm bis zur Badezimmertür gefolgt war. "Wirst wohl kaum mit dem, was du sagst, meine Phantasie übertreffen." "Sei dir da nicht so sicher", stieß Jefferson zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als er den einen Fuß endlich vom Cowboystiefel befreit hatte. Tristan sah eine Weile Jefferson zu, wie er sich mit dem anderen Stiefel abmühte. "Oh, du meine ..." Er bückte sich, zog seinem Bruder den Stiefel vom Fuß und ließ den Stiefel mit einem Knall auf den marmorgefliesten Boden fallen. Dann wandte er sich um und drehte alle vier Hähne über der
Whirlpoolwanne voll auf. Während er in die Wanne sah, wie sie sich füllte, fragte er: "Wie lange warst du drin?" Jefferson rührte sich einen Moment nicht. "Wo drin?" "Im Krankenhaus." Entspann dich. "Lange genug." Tristan stöhnte und verließ das Badezimmer. Nach einer Weile brachte er eine neue Zahnbürste und eine Tube Zahncreme. "Hier." "Ich hoffe, du läßt Em mehr Freiraum, als du mir zugestehst", bemerkte Jefferson grantig. "Es ist nicht wahrscheinlich, daß mich Sinneslust überkommt beim Anblick deines Körpers, falls dich das nerven sollte", versicherte Tristan ihm trocken. "Zumindest hat Kalifornien dich nicht völlig verfälscht." Jefferson fing an, sich die Zähne zu putzen: Tristan drehte die Hähne zu, als die Wanne randvoll war, "Was für ein Gewehr reißt ein solches Loch wie dieses?" fragte er dann. Jefferson spuckte aus und spülte sich den Mund. Dann warf er einen Blick in den Spiegel, nur um zu sehen, wie sein Bruder ihn schweigend beobachtete. "Die Art von Gewehr, die ich nicht wieder tragen werde", antwortete Jefferson schließlich. Tristan zog die Augenbrauen zusammen, machte aber keine Bemerkung dazu. Nach einer Weile nickte er. "Ich bin froh, daß du es zurückgeschafft hast", sagte er schlicht. Jefferson musterte sich im Spiegel. Er wirkte keinen Tag jünger als seine sechsunddreißig Jahre. Und noch einige Monate dazu. Doch zum erstenmal nach über einem Jahr konnte er die Worte ehrlich aussprechen. "Ich bin auch froh." Die Brüder wechselten einen Blick. Dann drehte Tristan sich abrupt um und sagte ruppig: "Schrei, wenn du Hilfe brauchst. Wenn du fertig bist, leisten wir uns ein Bier." Mit einem kurzen Nicken verschwand er aus dem Badezimmer.
Jefferson hatte die Hände in die Vordertaschen seiner Jeans gesteckt und folgte seinem Bruder in die schwach beleuchtete Bar. Tristan hielt zwei Finger hoch, als der Barkeeper zu ihm rüberguckte. "He, Joe? Wie stehen die Dinge?" Der Barkeeper ließ zwei schäumende Gläser mit Bier in Richtung Tristan gleiten. "Kann mich nicht beklagen." Tristan warf zwei Geldscheine auf den Tresen. "Sag hallo zu meinem großen Bruder", forderte er den Mann gutmütig auf. Joe nickte und streckte Jefferson seine fleischige Hand hin. Jefferson schüttelte sie. "Joe Pastronie", stellte der Mann sich vor. "Wie geht's Klein-Emily?" fragte er. "Hab sie schon eine Weile nicht gesehen." Tristan nahm eins der Gläser und reichte es Jefferson. "Geht ihr gut." Er grinste. "Ich glaub, sie trifft sich mit einem dieser feinen Herren aus ihrer superfeinen Firma. Wird wohl auch so'n Wirtschaftsprüfer sein." Das weckte Jeffersons Aufmerksamkeit. Wirtschaftsprüfer? Tristan nahm das zweite Glas an sich und ging zum rückwärtigen Teil der Bar und dort auf einen Billardtisch zu. Er setzte das Glas auf die breite Tischkante. "Wie war's mit ein paar Stößen?" Jefferson hatte seit Jahren kein Billard gespielt. Aber er sah die brüderliche Herausforderung in Tristans Augen, und er wollte sich dem stellen. Es gab ihm auch die Gelegenheit, die Gedanken an Emily und ihren Wirtschaftsprüfer zu verdrängen. Vier Spiele und zwei Bier später stellte Jefferson den Billardstock zurück in den Ständer. "Genug." Tristan nahm einen Schluck von seinem Bier. "Kannst die Hitze nicht vertragen?" "Welche Hitze?" fragte Jefferson träge. Er trank sein Bier aus und knallte das Glas auf die Tischkante. Er fühlte sich gut. Das Bier. Das Billardspiel. Die unkomplizierte Gesellschaft seines
Bruders. Ihm brummte zwar der Schädel, aber nur ein wenig. "Wer ist dieser Wirtschaftsprüfer?" "Was?" "Emilys Wirtschaftsprüfer." Tristan drehte sich zum Gehen um. "Komm, laß uns von hier verschwinden." Jefferson wartete. Tristan preßte die Lippen zusammen. Er bemerkte die kurvige Blondine, die zu ihnen herüberstarrte. Mit dem Kinn wies er in ihre Richtung. "Warum gehst du sie nicht begrüßen? Sie ist interessiert." Jefferson war das völlig egal. Die Frau hätte sich ihnen nackt zur Schau Stellen können, und es wäre ihm gleichgültig gewesen. "Ist es ernst?" "Ich würde sagen, ja, so wie sie sich dort drüben die Lippen leckt." Jefferson wartete. Tristan begegnete Jeffersons Blick ... und schwieg. Im Haus war es still, und Jefferson wußte instinktiv, daß Emily nicht da war. Tristan machte sich gleich auf den Weg in sein Büro, und Jefferson ging in die Küche. Er trank fast eine ganze Flasche Mineralwasser aus, die er aus dem Kühlschrank geholt hatte. Emily. Wie sie sich in der Küche bewegte. Kochte. Den Geschirrspüler leerte. Mit Tristan über einen seiner dummen Witze lachte. Als das Wandtelefon neben ihm klingelte, fuhr Jefferson zusammen. Er verkniff sich einen Fluch. Er hatte es noch nicht geschafft; sich in den Griff zu bekommen. Diese unerwartete Attacke seiner Nerven. Dieses Zusammenfahren. Vielleicht würde er es niemals schaffen. Der Gedanke daran war mehr, als er ertragen konnte. Mit einem Fluch öffnete er den Hahn, beugte sich über das
Spülbecken und warf mit zitternden Händen das Wasser ins Gesicht. "Jefferson?" Er gefror. Er ließ die Stirn in die Hände sinken. Er hatte nicht gehört, daß sie hereinkam, geschweige denn, daß sie hinter ihm stand. Verdammt. Emily griff um ihn herum und stellte den Wasserhahn ab. Sie beugte sich zu ihm herunter. "Was ist, Jefferson? Was ist los?" Ihr Duft. So kühl. So sauber. Der Duft glich ihrer Stimme. Zärtlich. Weich. Jefferson richtete sich abrupt auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Ihr elegantes Kleid bedeckte sie vom Hals bis zu den Knien und dürfte eigentlich nicht ihre schlanke Figur umschmeicheln. Aber es tat es. Schwarz stand ihr. Genauso wie die schmale Linie, die jeder Kurve folgte. Jefferson ballte die Hände zu Fäusten. "Ich hätte nicht hierherkommen sollen." Emily zuckte zusammen. Als ob er sie geschlagen hätte. Es dauerte eine Weile, bis sie sich gefangen hatte. "Warum bist du dann gekommen?" Ihre Stimme war fest. "Vielleicht solltest du mit Tristan darüber reden, was dich innerlich zerfleischt." Sie sah ihn dabei nicht an. "Vielleicht könnte dir das ein wenig Frieden bringen." "Für mich gibt es keinen Frieden mehr." Die Worte kamen schleppend. "Nicht für mich." Jefferson konnte hören, wie Emily tief Atem holte. Auf einmal umschmiegte ihre kühle und weiche Hand seine Wange. Ihre braunen Augen fingen seinen Blick auf. "Doch, den gibt es für dich", versprach sie ihm. Mit dem Daumen strich sie zärtlich über sein Kinn. "Du wirst wieder Frieden finden, Jefferson." Er umfaßte ihr Handgelenk. "Wo?" Er fühlte sich wie ausgebrannt. "Wo versteckt er sich, Emily?" Er schüttelte kurz den Kopf. "Es gibt ihn nicht. Nirgendwo."
"Du irrst dich." Sie hielt inne. "Und du weißt es. Deshalb bist du hierhergekommen. Um loszuwerden, was ..." Emily bekam es nicht fertig, das auszusprechen, was sie sagen wollte. "Weil du und ... und Tristan Brüder seid", wich sie aus. Jefferson ließ ihre Hand los und legte seine Hände auf ihre Schultern. "Du bist eine Träumerin, Emily." Er meinte die Worte nicht unfreundlich. Es war nur, daß ihm keine Träume mehr geblieben waren. Nur Alpträume. Er ließ die Hände von den Schultern hinunter zu ihren Oberarmen gleiten, die er dann umschloß. Emily biß sich auf die Unterlippe. "Vielleicht bin ich tatsächlich eine Träumerin", gab sie leise zu. Jefferson zog die Hände zurück. "Du wirst Frieden finden", versicherte sie ihm wieder, ergriff seine Hand und verschränkte die Finger mit den seinen. Den Blick auf die verschränkten Hände gerichtet, flüstere sie. "Er ist nur verborgen unter dem Schmerz. Den Tränen." Jefferson strich ihr zärtlich über den Kopf. Ihr Haar, so seidenweich. "Ich habe keine Tränen mehr, Emily." Sie sah ihm voll ins Gesicht. Eine Träne löste sich aus ihrem Auge und hinterließ eine silberne Spur auf der Wange. "Ich habe Tränen." Sie sagte es so leise, daß er die Worte nur knapp verstehen konnte. "Ich gebe dir meine Tränen." Sie wandte den Blick von ihm ab und schloß die Augen. Unter ihren langen Wimpern glitt wieder eine Träne hervor. Mit dem Daumen fing Jefferson sie auf. Dann legte er die Hand in Emilys Nacken und zog sie an sich. Sie umschlang seine Schultern. Gab ihm das Gefühl von Sicherheit. Sie schmiegte das Gesicht in seine Halsbeuge, und er konnte ihre Tränen fühlen. Mit einem Stöhnen ließ er den Kopf auf ihre Schultern fallen, und so hielten sie einander, während Emily weinte. Seinetwegen. Sie schluckte. "Es tut mir leid", flüsterte sie. Wie war sie nur darauf gekommen, daß sie Jefferson helfen könnte?
Er legte die Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, daß sie ihm in die Augen sehen mußte. Emily fühlte sich hilflos, und als sie die Augen schloß, drückte Jefferson ihr einen federleichten Kuß auf die Lider. Emily zitterte, als er ihr die Spuren der Tränen von den Wangen küßte. "Süße Emily", murmelte er. Diese tiefe, schmerzende Sehnsucht, die seit Jahren ständig ihr Herz erfüllt hatte, überwältigte sie jetzt fast Nach so langer Zeit wieder in seinen Armen sein ... Jefferson steckte das Haar hinter ihr Ohr, dann umkreiste er mit dem Finger die Perle ihres Ohrrings. "Süße, süße Emily", flüsterte er wieder. Seine Kinnmuskeln waren angespannt, als er sie beobachtete. Dann schloß er die Augen und neigte den Kopf. Emily wartete mit klopfendem Herzen. Er berührte liebkosend ihre Lippen. "Jefferson", wisperte sie gegen seine Lippen. "Laß mich dir helfen." Er drückte seine Stirn an ihre, kämpfte gegen das Verlangen an, das in seinen Adern pochte. Es war nicht nur Sex. Er hatte sich schon vor langem daran gewöhnt, daß Emily ihn erregte, wie keine andere Frau auf der weiten Welt ihn erregen konnte. Und genauso lange hatte er die Flammen erstickt. Niemals würde er es zulassen, daß sie aufloderten. Er spürte, wie Emily zitterte. Und doch wußte Jefferson, daß sie nicht schwach war. Sie war stark. So stark, daß sie seinen Schmerz mittragen könnte, wenn auch nur eine kleine Weile. Das war die Sehnsucht, der er fast nachgab. Aber er verdiente die Erleichterung nicht, die nur Emily ihm verschaffen konnte. Er verdiente nicht die Freiheit. Und er würde Emily nicht mit dem Schmutz besudeln. Vielleicht war dies das einzige, was er in dieser verdammten Welt für sie tun konnte. Er umfaßte ihre Arme und schob sie von sich. "Nein."
Emily sagte lange nichts. Und dann: "Es ist immer dasselbe, nicht wahr, Jefferson?" Sie verschränkte wie schützend die Arme vor der Brust, und es erinnerte Jefferson an den süßen, trotzigen Teenager, der sie einst gewesen war. "Was meinst du damit?" "Du willst niemanden an dich heranlassen. Du willst mich nicht an dich heranlassen." Sie blickte von ihm weg und machte einen Schritt von ihm zurück. "Em..." Sie sah ihn wieder an. Es waren einfach zu viele Gefühle zwischen ihnen. "Ich habe immer gedacht", flüsterte sie nachdenklich, "daß du ..." Ihre Lippen zitterten, und sie schniefte und bemühte sich um Haltung. "Daß du immer wieder weggegangen bist, weil es dir gleichgültig war, was du hinter dir gelassen hast. Ich meine, die Menschen. Die Ranch." Sie selbst. "Weil dir die Abenteuer in irgend so einem gottverlassenen Land wichtiger waren." "Em..." "Früher oder später mußt du mit dem Weglaufen aufhören, Jefferson." Sie blinzelte heftig. Es waren heute genug Tränen vergossen worden. "Das war es doch, was du die ganze Zeit getan hast, Jefferson, nicht wahr? Abenteuern hinterherzujagen. Aber eines Tages wirst du damit aufhören müssen. Und wieder nach Hause zurückkehren." Und als er schwieg, flüsterte sie: "Feigling." Damit drehte Emily sich um und ging davon. Mit einem Fluch schlug Jefferson mit der Handfläche gegen die Tür des Hängeschranks. Er verkrampfte die Hand zur Faust, um es nicht wieder zu tun. "Verdammt", murmelte er. "Verdammt!" Sein Bein schmerzte, sein Fuß war taub, als er aus der Küche humpelte, das große Wohnzimmer überquerte und sich auf die Bank aus Backsteinen mitten im Atrium fallen ließ.
Der heftige Impuls verschwand, und der Gefühlsaufruhr hinterließ ihn erschöpft. Er fühlte sich unglaublich müde. Jefferson vernahm ihre leisen sich nähernden Schritte und hörte auf, seine Zehen im Stiefel zu bewegen. Er hob ein abgefallenes Blatt auf. "Es tut mir leid, Jefferson." Emily blieb einige Schritte vor ihm stehen. "Ich hatte nicht das Recht, das zu sagen, was ich gesagt habe." "Vergiß es." Sie sah ihm eine Weile dabei zu, wie er mit dem Finger die zarten Adern auf dem sterbenden Blatt nachzeichnete. "Ich kann es nicht vergessen." Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, ließ er das Blatt fallen. "Doch." Er sah zu ihr auf. "Doch, du kannst es." Wie die Motte zur Flamme. Das war sie. Wurde von dem Licht angezogen, gleichgültig, wie tödlich es auch war. Immer wieder und immer wieder. Mit einer einzigen Bewegung war Emily bei ihm und hockte sich vor ihn, ihre Hände lagen leicht auf seinen Knien. "Wir sind Freunde gewesen, Jefferson", erinnerte sie ihn. Sie unterdrückte einen Protest, als er vorsichtig ihre Hände von den Knien hob. Er hielt nicht einmal ihre Hände, sondern umgriff ihre Handgelenke mit den Fingern. Als ob er sie nicht berühren wollte. Er schüttelte den Kopf, und ihr Herz, das bereits arg mitgenommen war, erhielt eine frische Wunde. "Keine Familie. Keine Freunde." Es war ihr nicht einmal richtig bewußt, daß sie es laut ausgesprochen hatte. "Nicht einmal mehr ..." "Liebende", ergänzte Jefferson, als Emily es nicht aussprechen konnte. "Nein. Nicht einmal das." "Ich möchte dir nicht weh tun, Emily." Er spannte die Finger um ihre Handgelenke an. "Es wäre das letzte, was ich möchte." Sie zwang sich zu einem Lächeln. "Vergiß es."
"Gut pariert." Irgendwo im Haus klingelte das Telefon. Jefferson ließ ihre Handgelenke los, und Emily erhob sich. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, ging sie davon und ließ ihn allein.
3. KAPITEL Wieder einmal schlich Emily im Haus umher. Es war bereits die zweite Nacht, in der sie nicht schlafen konnte. Ihre Augen brannten vom fehlenden Schlaf. Sobald sie sich ins Bett legte, stürmten Gedanken auf sie ein, und es gelang ihr nicht, sie zu verdrängen. Ihr unruhiges Herumwandern führte sie schließlich in die Küche. Gegen Kuchenbacken mitten in der Nacht war eigentlich nichts einzuwenden, fand sie. Sie öffnete den Kühlschrank und holte einen Karton Eier heraus, den sie auf die Arbeitsplatte setzte. Sie schlug die Eier in die Backmischung und verrührte das Ganze. Mit. einem Seufzer fügte sie die geschmolzene Schokolade, die sie in der Pfanne hatte abkühlen lassen, in den Teig. Anschließend bestäubte sie das Backblech mit Mehl, füllte den Teig hinein und schob ihn in den Backofen. Sie stellte die Ofenuhr ein und kehrte ganz in Gedanken versunken wieder zum Arbeitstisch zurück, wo sie die Schüssel in die Armbeuge nahm, um mit dem Finger die Teigreste auszuwischen. Die dunkle Schokolade war klebrig und schmeckte süß, und Emily leckte genießerisch den Finger sauber. Dann spülte sie alles ab und stellte es in den Geschirrspüler. In wenigen Minuten blitzte die Küche wieder vor Sauberkeit. Der Geschirrspüler brummte leise, sanfte Musik klang aus dem Radio, und der erste warme Duft des Schokoladenkuchens füllte
den Raum. Emily setzte sich auf den Hochstuhl vor der Küchentheke, stützte die Ellbogen auf die Platte und schmiegte das Kinn in die Hand. Die leicht getönte obere Tür des Backofens warf ihr Spiegelbild zurück. Emily erstarrte. Sie sah nicht sich selbst. Sie sah die hohe, breitschultrige Gestalt eines Mannes. Sein volles, fast mittellanges Haar war zerzaust. Seine Brauen waren dunkler als sein Haar und hoben das Blau seiner Augen hervor. Sein Kinn war eckig, und eine feine Narbe zog sich bis zur Wange hin, beeinträchtigte jedoch nicht die Perfektion seiner Züge. Emily rieb sich die Augen. Aber der Anblick von Jefferson hatte sich zu tief in ihr Gemüt eingegraben. Seine breiten Schultern. Seine muskulöse Brust, bronzefarben und glatt... Sie faßte sich wieder, stand vom Barstuhl auf, holte einen Topflappen und öffnete die Ofentür, um den Schokoladenkuchen herauszuholen. Nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte, spiegelte sich Jefferson immer noch im Ofenfenster. Es war also keine Einbildung gewesen. Sie drehte sich zu ihm um. "Probleme mit dem Schlaf?" Statt ihm eine Antwort zu geben, zuckte Emily nur mit den Schultern. Sie war sich auf einmal bewußt, daß sie nur das weiße, fast durchsichtige Batistnachthemd mit dem tiefen spitzenbesetzten V-Ausschnitt anhätte. Jefferson stützte sich auf den Gehstock, während er sich auf den Barstuhl zubewegte und sich darauf hockte. Den Stock stellte er gegen die Theke. "Ich kann auch nicht schlafen", gab er zu und legte die Arme vor sich auf die Theke. Sein offenes Hemd fiel vorn noch einige Zentimeter weiter auseinander. Emily nagte an ihrer Unterlippe. "Möchtest du etwas essen? Du bist zum Abendessen nicht heruntergekommen." Der Ausdruck seiner Augen blieb ihr verborgen, weil er von ihr wegsah. "Nein, danke."
Sie ging zum Speiseschrank, öffnete ihn und stellte sich auf die Zehenspitzen, um aus dem oberen Fach den Puderzucker herunterzuholen. Ein erstickter Laut erschreckte sie, und sie wirbelte mit dem Päckchen Zucker an ihre Brust gedrückt herum. Jefferson war vom Barstuhl auf gestanden und zu ihr herübergekommen. Seine Augen brannten, als er ihren Arm über ihren Kopf hob. Der lose Ärmel glitt ihr bis zur Schulter zurück. Verwirrt wollte Emily sich Jefferson entziehen, aber er nahm ihr mit einer entschiedenen Bewegung das Päckchen Puderzucker aus der Hand und setzte es auf die Arbeitsplatte. Dann ließ er ihren Arm los, um gleich nach dem anderen zu greifen und den Ärmel ihres Nachthemds zurückzuschieben. Emily stockte der Atem. "Was tust du da?" fragte sie erschrocken. Sie machte zwei Schritte zurück, um von Jefferson Wegzukommen, stieß aber gegen den Kühlschrank. Und als sie seinem Blick folgte, erkannte Emily, was ihn so erschüttert hätte. Ihre Oberarme hatten je eine häßliche blutunterlaufene Stelle ... in der perfekten Form einer Männerhand. "Das war ich", stöhnte Jefferson und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Er litt Unsäglich. Das konnte Emily an seinen Augen sehen. Sie wollte ihn trösten, doch er hinderte sie daran. "Sag nichts." Es klang wie ein Flehen. Er wandte die Augen von ihr ab, als ob er den Anblick nicht ertragen könnte. "Es war meine Schuld", flüsterte Emily. "Ich hätte gestern nacht nicht deinen Schlaf stören dürfen." Sie machte einen Schritt auf ihn zu. "Ich wollte dich nur zudecken. Du hattest einen schlimmen Traum", fügte sie mit leiser Stimme zu. "Alptraum", verbesserte Jefferson automatisch. "Einen Alptraum, der nicht enden wollte." Sie faßte nach seiner Hand.
"Warum, Jefferson? Warum hast du Alpträume?" Emily konnte nicht anders als ihn danach fragen. Sie wollte wissen, warum er im Schlaf diese schreckliche Drohung hervorgestoßen hatte. Auch wenn klar war, daß er ihr die Frage nicht beantworten würde. "Ich hab dir Angst eingejagt", murmelte er und verzog das Gesicht, als ob es ihn anekelte. "Hab so fest zugepackt, daß du blaue Flecke bekommen hast." "Du hättest mir nie absichtlich weh getan." Emily zog seine zur Faust geballte Hand an die Lippen. "Es war ja ein Alptraum." "Du weißt nicht, was du da sagst", stieß Jefferson hervor. "Ich weiß es sehr wohl." Sie mußte es erzwingen, daß er sie verstand. Zumindest hier und jetzt, wenn auch nicht sonst. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf. "Du hörst mir jetzt gut zu, Jefferson Clay. Ich weiß, daß du mir niemals mit Absicht Schmerz zugefügt hättest. Ich gebe zu ...", fuhr Emily ruhig fort und hielt ihn am Arm fest, als Jefferson sich von ihr abwenden wollte, "... ich habe Angst gehabt. Angst um dich, nicht um mich. Angst, weil du in deinem Alptraum durch irgendeine Hölle gegangen bist. Ich hatte keine Angst vor dir." "Dann bist du eine Närrin", erklärte er. "Wenn du auch nur für einen Groschen Verstand hättest, dann würdest du davonlaufen, statt zu mir zu stehen." "Ich laufe nicht vor dir davon, Jefferson", entgegnete Emily. "Davonlaufen ist nicht mein Stil." "Das solltest du aber", sagte er mit einer so warnenden Stimme, daß sich ihr die Nackenhärchen sträubten. Emily schluckte und schüttelte den Kopf. Er legte die Hände auf ihre Schultern und sah, wie heftig ihr Puls am Hals schlug, "Ich bin kein Kind, Jefferson", flüsterte sie. "Was immer du austeilst, ich kann es hinnehmen." "Kannst du es wirklich?" Jefferson streifte ihr das Nachthemd von der einen Schulter.
Diesmal erschrak Emily nicht. Sie stand still da. Das Nachthemd wurde von ihrem angewinkelten Ellbogen gehalten, sonst wäre ihre Brust entblößt gewesen. Fast zögernd fuhr Jefferson mit den Fingern entlang dem weiten Ausschnitt tiefer, um gleich darauf die Hand über die Brust und die Knospe, die sich deutlich unter dem zarten Batist abzeichnete, gleiten zu lassen. Emily vergaß zu atmen. Ihre Lider flatterten, aber sie schlug den Blick nicht nieder, als Jefferson sie herausfordernd ansah. "Bereit davonzurennen, Emily?" Er legte die Handfläche auf ihre Brustspitze. "Nein." Emilys Stimme klang fest, obwohl ihr Herz wie wild schlug. Jefferson neigte den Kopf und drückte die heißen Lippen auf die empfindliche Stelle zwischen Hals und Schulter. Emily stöhnte leise, als er mit den Lippen eine Spur vom Nacken zu ihrem Öhr zog. Sein Atem ging stoßweise. "Jetzt?" Emily schluckte. "Nein." Sie rührte sich noch immer nicht, als Jefferson mit den Zähnen zart an ihrem Ohrläppchen zupfte. Doch als er kurz den Kopf hob, um dann mit den Lippen die feinnervige Haut vom Ohr bis zum Halsansatz zu liebkosen, überlief es Emily. Doch sie erzitterte nicht einmal. Nicht bis Jefferson die Brustknospe durch den Stoff hindurch in den Mund nahm und daran saugte. "Jetzt?" Falls Jefferson es nur als Spiel begonnen hatte, so hatte er sich jetzt darin verfangen. Genau wie Emily. "Nein", antwortete sie mit klarer Stimme. "Ich laufe nicht davon, Jefferson." Sie schob sein Hemd auseinander und legte die Hände flach auf seine Brust. "Ich laufe nicht davon, bis wir das beenden, was wir angefangen haben, als ich neunzehn war." Sie drängte sich an ihn. Es war für Jefferson wahrhaftig nicht leicht. Doch er widerstand. Er würde Emily nicht küssen. Und das wußte sie.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und preßte den Mund auf seine Lippen. Sie schmeckte. Sie kostete. Sie ließ all ihre angestauten Gefühle für ihn frei. Aber Jefferson erwiderte ihren Kuß nicht Frustriert, wütend stieß sie sich von ihm weg, streifte das Nachthemd von ihren Schultern und preßte ihre nackten Brüste an seine Brust. Emily hatte Jefferson da, wo sie ihn haben wollte. Beinahe. Er stöhnte, aber er umfaßte ihre Schultern, nur um Emily von sich zu schieben. Ohne seine Arme um sich, fiel die letzte Barriere, und ihr Nachthemd lag wie ein Häufchen aus Spitze und dünnem Batist zu ihren Füßen. Jefferson war, als ob er nicht genug Luft bekäme. Emily war reizvoll mit neunzehn gewesen. Süß, jung, unschuldig. Jetzt war sie immer noch jung. Immer noch süß. Aber reif. Eine Frau, Eine Frau, die immer noch zu jung für jemand wie ihn war. Jefferson befahl sich, sich umzudrehen. Er wußte, daß der Schmerz, den er. Emily dabei zufügen würde, viel weniger schlimm wäre, als wenn er es nicht täte. Er wußte das alles. Er streckte die Hände aus und fuhr mit den Fingerspitzen von ihren Schultern hinunter zu den blauen Flecken auf ihren Armen. Er spürte, wie Emily erzitterte. Er legte die Hände auf ihre Hüften, und Emily rührte sich nicht, sah ihn nur an. Ihre großen braunen Augen leuchteten. Mit einer Bewegung hob er ihr leichtes Gewicht und setzte sie auf die Küchentheke. Ihre Knie waren glatt. Ihre Schenkel noch glatter. Ihre Hände umschmiegten sein Gesicht, und er schob ihre Knie auseinander, um sich zwischen ihre Schenkel zu stellen. Wie er sie begehrte ... Wie er sie haben wollte ... Wie er sich danach sehnte, mit Emily zu verschmelzen. Er brauchte sich nur auszuziehen, und er hätte sie. Langsam legte er die Hände unter ihre wunderbar gerundete Kehrseite, um im nächsten Moment
die Hände wieder hervorzuziehen und den Rand des Hängeschrankes über der Theke zu umkrallen. Jefferson schloß fest die Augen, um das Bild seines Vaters loszuwerden. Aber Squires verächtlicher Gesichtsausdruck verschwand nicht. Ihre Hände berührten seine Wangen, zärtlich, besänftigend. "Bitte", flüsterte Emily und streichelte sein stoppeliges Kinn. "Bitte", flüsterte sie wieder und neigte den Kopf, um ihre Lippen auf seine Brust zu pressen. Sein Körper schmerzte vor Verlangen. Seine Augen brannten. Aber er mußte es tun. Jefferson legte die Finger unter ihr Kinn und zwang Emily, den Kuß zu unterbrechen. Dann trat er einen Schritt zurück, und ihre Schenkel schlössen sich wie von allein. Ihre Augen hatten den Ausdruck einer Taube. Weich. Traurig. Er fragte sich, ob sich Emilys Lächeln jemals wieder in ihren Augen zeigen würde. So wie es vor Jahren gewesen war. Und er wußte, daß er verdammt noch mal die Ursache von all dem war. "Warum?" fragte sie. "Warum ziehst du dich zurück, Jefferson? Willst du mich wirklich nicht haben?" Sie lächelte mühsam. "Ist es dir so zuwider?" "Emily.." "Ich möchte es wissen. Offensichtlich bin ich dir nicht gleichgültig." Sie blickte von ihm weg, schniefte und ließ sich abrupt von der Küchentheke herunter. Jefferson war, als ob er einen Schlag in den Magen bekommen hätte. Emily bückte sich, nahm ihr Nachthemd auf und zog es an. "Was mache ich nur falsch? Was bringt dich dazu, dich von mir abzuwenden?" Sie warf ihm einen trotzigen Blick zu. "Wenn du es mir nur sagen würdest, .dann könnte ich vielleicht die gleichen Fehler bei jemand anderem vermeiden." "Bei diesem Wirtschaftsprüfer etwa?"
Emily zog die Augenbrauen zusammen. "Wer? Oh." Sie nickte kurz nachdenklich. "Vielleicht." "Denk nicht einmal dran." "Warum nicht, Jefferson?" Emily lächelte wehmütig. "Warum sollte ich nicht daran denken? Das, was soeben zwischen uns geschah, geschah nicht das erste Mal. Damals, als du mich im Internat besuchtest, hätten wir uns fast... geliebt. Damals hast du eine Entschuldigung gehabt. Ich war knapp neunzehn. Und du konntest dich über dieses Geschwätz, daß wir eine Familie seien, nicht einfach so hinwegsetzen. Nun, ich bin sechsundzwanzig jetzt. Uns rinnt noch immer kein Tropfen Blut gemeinsam durch die Adern, und du weist mich noch immer ab. Warum sollte ich keinen Mann finden, der mich mag?" Emily sah Jefferson offen ins Gesicht, und diesmal gab es keine Tränen in ihren Augen. "Ich möchte nicht allein durchs Leben gehen. Ich möchte ein eigenes Heim haben. Meine eigene Familie." Sie tippte mit der Fingerspitze gegen ihre Schläfe. "Ich hab ein Bild in meinem Kopf. Soll ich dir davon erzählen?" Sie wartete Jeffersons Antwort nicht ab. "Ich sitze am Frühstückstisch. Ein Kind beendet in letzter Minute seine Schularbeiten, Ein anderes Kind versucht mit den kleinen Händen Müsli in den Mund zu stopfen, aber es gelingt ihm nur, den Boden damit vollzukleckern." Ihr Ausdruck war weich. Träumerisch, Jefferson konnte sich genau vorstellen, was ihre Worte heraufbeschworen. Ein Junge mit braunem Haar. Das kleine Mädchen mit blon... "Und am anderen Tischende ...", fuhr sie mit leiser Stimme fort; "...sollte mein Mann sitzen. Mein Geliebter. Mein ... Seelenfreund. Aber er ist nicht dort." Sie zog ein wenig die Brauen zusammen. "Ich wünschte, ich könnte ihn mir vorstellen, Jefferson. Ich wünschte, ich könnte einen Mann finden, der mich nicht abweist. Der sein Leben mit mir teilt. Der der Vater meiner Kinder sein möchte."
Emily wandte sich von ihm ab. Sie zitterte so sehr, daß sie glaubte, ihre Beine würden sie nicht die Treppe hinaufbringen. Sie setzte sich auf eine der Stufen und drückte die Stirn gegen das geschnitzte Holzgeländer. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie da saß. Sie wußte nur, daß sie Jefferson nicht aus der Küche hatte kommensehen. Sie fühlte sich steif, und ihre Füße waren kalt, als sie die Eingangstür sich öffnen und schließen hörte. Dann kam Tristan die Treppe herauf. Er sagte nichts, als er Emily im Dunkeln sitzen sah. Er brachte seine Aktentasche und seinen Notizblock hinauf in sein Zimmer und war gleich wieder zurück. "Komm", sagte er weich. "Warum ausgerechnet er, Tristan?" Tristan zuckte die Schultern. Er verstand auch ohne Worte alles. "Es ist halt so," Er stand eine Weile schweigend neben ihr, dann seufzte er und hob sie auf die Arme. Emilys Kopf fiel auf Tristans Schulter, als er sie die letzten Stufen der Treppe hinauftrug. "Gib ihn nicht auf, Kleines." "Ich habe wohl keine andere Wahl. Er kommt mir keinen Zentimeter entgegen, Tristan." "Diesmal wird es anders sein." "Wie willst du das wissen?" Emily stieß die Tür mit dem Fuß auf. "Ich hab so das Gefühl, daß die Reisetage bei ihm vorüber sind. Er ist der Abenteuer müde geworden", murmelte Tristan. "Halte nur durch." "Ich muß realistisch sein." "Seit wann ist Liebe realistisch?" Er tippte mit der Fingerspitze auf ihre Nasenspitze und ließ sie aufs Bett nieder. "Geh jetzt schlafen." Emily legte sich in die Kissen zurück, als Tristan das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloß. "Realistisch", murmelte
sie und starrte in die Dunkelheit. Sie rollte sich auf die Seite und schloß die Augen.
4. KAPITEL Emily stand am nächsten Morgen unausgeschlafen auf und ließ sich von der Routine leiten. Das Joggen zum Stall war fast ein selbsttätiger Vorgang. Beim Reiten konnte sie sich allerdings nicht so gehenlassen, es wäre sonst gut möglich gewesen, daß Bird sie abwarf und sie auf ihrem Allerwertesten in den Büschen entlang des Trampelpfades landete. Bis sie wieder zum Stall zurückritt, war sie hellwach. Jefferson war weg. Sie hatte nicht ins Gästezimmer reingucken müssen, um zu sehen, daß seine Reisetasche nicht mehr neben der Kommode stand. Sie hatte auch nicht in die Garage blicken müssen, um nachzusehen, ob der schwarze Leihwagen noch immer da war. Sie hatte es instinktiv gewußt. Ihre Schritte waren schleppend, als sie auf das Haus zuging. Jefferson war nur zwei Tage dagewesen, aber das Haus würde ohne ihn leer sein. So leer, wie sie sich fühlte. Sie würde überleben. Sie hatte schon Übung darin. So machte sie sich für den Tag fertig und fuhr zur Arbeit. Das Leben geht weiter, sagte sie sich. Und wieder einmal würde sie die hoffnungslosen Gefühle für Jefferson wegstecken. Vielleicht würde es ihr diesmal gelingen, sie ganz zu überwinden. Es war dieser Gedanke, der sie dazu brachte, Stuart Hansens Einladung anzunehmen, mit ihm und einigen Freunden ein Wochenende in Mexiko zu verbringen.
Tristans Gesichtsausdruck nach war er damit nicht einverstanden, als, Emily ihm beim Abendessen erzählte, daß sie das Wochenende weg sei. "Ich dachte, es wäre dir nicht ernst mit diesem Zasterzähler." "Ich bin selbst ein Zasterzähler", entgegnete Emily ruhig. "Und wer sagt, daß es mir ernst mit Stuart sein muß? Wir fahren nur übers Wochenende mit einigen anderen Leuten zum Rosarita Beach." "Warum jetzt?" "Weil er mich jetzt eingeladen hat, darum." "Wo bleibt ihr?" Emily zuckte die Schultern. Sie würde nicht überrascht sein, wenn sie schließlich am Strand campen müßten. "Wir finden schon eine Bleibe. Mach dir keine Sorgen." Sie lächelte angespannt. "Ich werde nichts Idiotisches tun. Wie durchbrennen, um mich zu trösten, oder so was." "Zumindest nicht mit diesem Esel." Tristan erschauerte. "Du bist schlimm. Ich dachte, du magst Stuart." Tristan lehnte sich mit dem Stuhl so weit zurück, daß er fast nach hinten kippte. "Er ist okay. Er ist nur nicht..." Emilys Lippen wurden schmal, "Nicht Jefferson", ergänzte sie, stand auf und trug ihr Geschirr zur Spüle, "Hör mal, Tristan, Jefferson ist weg. Ich wußte, daß er gehen würde. So ist es wohl besser, wir reden nicht mehr über ihn." "Du bist diejenige, die über ihn redet, Schätzchen. Ich wollte nur sagen, daß Stuart kein aufregender Mann ist." Emily wurde rot. "Vielleicht will ich nichts Aufregendes", erwiderte sie. "Vielleicht will ich einen netten, verläßlichen Mann." Sie lachte auf. "Richtig, du mußt es mir nicht unter die Nase reiben. Du kannst dich immer darauf verlassen, daß Jefferson verschwindet." Tristan betrachtete sie nur, und ihre Augen fingen an zu brennen. "Wir fahren morgen gleich nach der Arbeit los", teilte sie ihm mit. "So werden wir uns wohl erst wiedersehen, wenn ich zurück bin."
"Mir wäre lieber, wenn ich wüßte, wo ihr abbleibt." "Vielleicht möchtest du mitkommen und Anstandswauwau spielen", schlug Emily bissig vor. "Aber irgendwie glaube ich nicht, daß du dich dafür eignest." "Ruf mich zumindest an, wenn ihr da seid." "Okay", stimmte sie erschöpft zu. "Du bist heute mit dem Abwasch dran", erinnerte sie Tristan. "Ich gehe packen." Damit drehte Emily sich um und verschwand aus der Küche, ehe Tristan noch mehr Bedenken kamen, die er unbedingt äußern mußte. "Reden Sie nicht drumherum", warnte Jefferson. Seine Stimmung war im Eimer. Seit Stunden hatte er in diesem verdammten Sprechzimmer gesessen und auf den Chirurgen gewartet. "Der Splitter hat sich verschoben, stimmt's?" Der Arzt setzte sich hinter seinen Schreibtisch, öffnete eine dicke Akte und schien sich für eine Weile darin zu vertiefen. Dann nickte er. "Wir wußten um die Möglichkeit, daß das Schrapnell sich verschiebt. Das war die Ursache für die Gefühllosigkeit in Ihrem Fuß und den Zehen." Er faltete die Hände auf der Akte und blickte Jefferson prüfend an. "Sie müssen sieh entscheiden, Jeff. Das Risiko, den Splitter zu entfernen, ist jetzt schon groß genug. Je mehr es sich der Wirbelsäule nähert..." Jefferson unterbrach den Chirurgen mit einer Handbewegung. Er hatte diese Töne schon so oft gehört, er kannte sie auswendig. "Sie wissen, wie viele Operationen ich gehabt habe, seit ich ..." Der Chirurg nickte. Er wußte sehr genau, was Jefferson hatte erdulden müssen. Der dicke Aktenordner vor ihm bestätigte diese Tatsache. "Trotzdem", sagte er fest, "Sie müssen noch eine durchstehen." "Und diese könnte mich gelähmt zurücklassen." Oder tot. "Sie können auch ohne die Operation gelähmt werden. .Darum habe ich auch nicht zu einer Operation, gedrängt, als ich mit Ihnen in Amsterdam zusammentraf. Aber offensichtlich hat
die Sache einen unerwarteten Verlauf genommen. Und es wird schlimmer werden. Sie könnten sterben, Jeff." Auf die eine oder andere Art standen die Chancen schlecht für ihn. Es war Jefferson nicht länger möglich, in dem Ledersessel zu sitzen. Er sprang auf und ging zum Fenster hinüber und blickte hinunter auf die weite Fläche von gepflegten Anlagen. Niemand, der auf das weitläufige Gebäude schaute, das im nördlichen Teil von Connecticut seinen Standort hatte, wäre auf die Idee gekommen, daß es nicht das war, was es zu sein schien. Einer dieser uninteressanten Industriekomplexe. Nur, daß die Trucks, die regelmäßig herein- und wieder hinausfuhren, keine alltäglichen Güter mit sich trugen. Jefferson selbst war vor sechsunddreißig Stunden im Zentrum angekommen ..., sicher versteckt in dem Anhänger eines Trucks, der nach außen hin Papierprodukte zu enthalten schien. Toilettenpapier, um genau zu sein. Wenn er bedachte, daß sein Leben jetzt in der Toilette war, so war das nur passend. Er preßte die Faust gegen die Fensterscheibe. "Ich will nicht, daß an mir wieder herumgeschnippelt wird", sagte er. Der Chirurg seufzte und kritzelte etwas auf einen Notizblock. "Hier", sagte er. "Ein Rezept. Es lindert Ihre Schmerzen;" Jefferson steckte es in die Jeanstasche. Er hatte noch fast eine volle Flasche mit schmerzstillenden Tabletten von der letzten Untersuchung. Er konnte mit dem körperlichen Schmerz umgehen. Es war die verdammte Gefühllosigkeit im Fuß und in den Zehen, die ihn zermürbte. "Ich hoffe, Sie Überlegen es sich noch einmal", sagte der Arzt, als Jefferson zur Tür ging. "Sie haben bessere Chancen mit der Operation." Jefferson reagierte nicht darauf. Er verließ das Sprechzimmer und ging nach unten in die Cafeteria, um etwas zu essen. Er fand einen Tisch, zog einen zweiten Stuhl hervor, um sein Bein darauf zu legen, dann griff er nach der Tasse Kaffee und aß
ein paar Happen der lächerlich milden Enchilada. Der Koch hätte ein paar Tips von Emily gebrauchen können. "Du hättest Rinderbraten nehmen sollen", sagte eine tiefe Stimme neben ihm. "Er ist trocken und zäh, aber um vieles besser als dieser Mist." Jefferson drehte den Kopf dem dunkelhaarigen Mann zu, der plötzlich wie aus dem Nichts neben ihm stand. Einen langen Moment sagte er vor Überraschung nichts. "Nanu?" murmelte er schließlich. "Was hast du hier zu suchen?" Sawyer Clay, der älteste Bruder der Clay-Crew grinste sarkastisch und schlug seinem Bruder auf die Schulter. "Freut mich auch, dich wiederzusehen." Er hielt eine Tasse Kaffee in der Hand und setzte sich zu Jefferson, "Verdammt, Jefferson, du siehst wie der Tod auf Latschen aus." "Typisch Clay." Jefferson verzog das Gesicht. Er wußte, daß er kaputt aussah. Er fühlte sich kaputt. "Ich habe das Gefühl, deine Anwesenheit hier ist kein reiner Zufall. Also, faß dich kurz. Warum bist du hier?" Sawyer blickte sich gemächlich in der Cafeteria um. "Es ist eine Weile her, daß ich hier war", sagte er. "Aber seitdem hat sich nichts geändert." Jefferson bemerkte das goldene Ehrenzeichen auf der dunkelblauen Uniform seines Bruders. Noch eine Stufe die Karriereleiter hoch. Er bemerkte auch, daß sein Bruder seiner Frage auswich. Sawyer nahm einen Schluck vom Kaffee. "Was hat der Doc über deinen Rücken gesagt?" Jefferson lehnte sich im Stuhl zurück und fragte sich, wieviel Sawyer von seiner Betätigung wußte. Vor allem von dem Vorfall, der ihn hierher zu dieser medizinischen Einrichtung gebracht hatte. Doch so wie er Sawyer einschätzte, wußte er wahrscheinlich alles. Sein Bruder hatte die Fähigkeit, alles herauszufinden, was er über andere herausfinden wollte. Offensichtlich auch über
einen Bruder, der so weit im Untergrund gesteckt hatte, daß er Gerüchten zufolge längst tot und begraben war. "Überrascht mich, daß du den ärztlichen Bericht noch nicht gelesen hast." Er kreuzte die Arme vor der Brust. Trotz der lässigen Haltung, waren seine Augen scharf auf das Gesicht seines Bruders gerichtet. "Oder hast du es?" Sawyer zuckte die Schultern. "Mir ist das Wesentliche bekannt", gab er zu. "Was wirst du tun?" "Darüber habe ich gerade mit dem Doktor palavert. Ich möchte das Ganze wirklich nicht noch einmal aufrollen." "Also lehnst du es immer noch ab, operiert zu werden. Nun ..." Sawyer schob die Tasse Kaffee von sich. "Ich kann nicht behaupten, daß es mich überrascht. Du bist schon immer dickköpfig gewesen. Niemand konnte dir jemals sagen, was du tun sollst. Hast du mit Tris darüber gesprochen? Nein. Du weißt wahrscheinlich auch, daß Emily mit ihm zusammenwohnt. Das zu entdecken muß für dich interessant gewesen sein." Er redete, ohne eine Antwort von Jefferson zu erwarten. "Hast du Pläne? Nein? Gut. Weil ich hier bin, um dich nach Hause zu holen." Jefferson zog die Augenbrauen hoch. "Nicht in mein Haus", betonte Sawyer. "Mein Apartment ist nicht groß genug für zwei Clays. Ich bringe dich zur Ranch. Heute abend." Jefferson setzte sich abrupt auf. "Den Teufel wirst du tun. Ich will Squire gerade jetzt nicht sehen. Trotzdem, danke." Sawyer betrachtete ihn. Und Jefferson fühlte, wie sein Magen sich zusammenzog. "Es ist an der Zeit heimzukommen, Jefferson. Nicht allein deinetwegen." Sawyer preßte die Lippen zusammen. "Squire ist im Krankenhaus. Er hatte vor zwei Tagen einen Herzanfall." Emilys Hand zitterte, als sie die Notiz näher ans Licht hielt und sie noch einmal durchlas. "Lieber Himmel", flüsterte sie. Sie mußte sich setzen. Die Notiz entfiel ihrer Hand und segelte zu Boden.
Squire war im Krankenhaus. Tristan hatte es in seiner unordentlichen Handschrift hingekritzelt, Squire habe einen Herzanfall gehabt, und Emily solle sich sofort auf den Weg nach Wyoming machen. Er habe sie - vergeblich! - in Mexiko zu erreichen versucht. Emily schluckte die Tränen hinunter, telefonierte mit der Linienfluggesellschaft, nahm die Wochenendtasche wieder auf und machte sich auf den Weg zum Flughafen. Sie war zu Hause. Emily atmete tief ein. Als das robust wirkende zweistöckige Steinhaus in Sicht kam, hielt sie den Leihwagen an, verschränkte die Arme über dem Lenkrad und blickte durch den Tränenschleier auf das Bild vor sich. Die Veranda verlief über die gesamte Vorderseite. Geranien blühten in den Blumenkästen vor den Fenstern. Lilien wuchsen in Büschen an der Südseite des Hauses. Eine Gruppe von Zitterpappeln stand seitwärts von der kreisförmigen Rasenfläche vor dem Haus. Sogar aus der Entfernung konnte sie den Setter sehen, der im grünen Gras unter den Bäumen schlief. Ja, sie war zu Hause. Emily betrat das Haus durch den Hintereingang. Die Fliegentür klappte wieder zu, für Emily ein so vertrauter Laut, daß es weh tat. Cowboyhüte hingen von einem Wandhalter, und mehrere Paare von Cowboystiefeln lagen oder standen darunter. Emily zog die Nase kraus und öffnete die Tür zur Küche. "Da bist du ja." Matthew Clay erhob sich hinter dem länglichen Eichentisch, der in der Mitte der geräumigen Küche stand, solange Emily sich zurückerinnern konnte. Er schwang sein langes Bein über den Stuhl und war mit nur zwei Schritten bei Emily, um sie fest an sich zu drücken. "Wie geht's dir, Knirps?" Emily zuckte die Schultern. "Wahrscheinlich so ähnlich wie dir." Sie marschierte zum riesigen Kühlschrank auf der anderen Seite der geräumigen Küche. "Wie geht es Squire?" Sie holte
eine Flasche mit Apfelsaft heraus und trank die Hälfte davon fast in einem Schluck. Matthew fuhr sich über das kurzgeschnittene blonde Haar. "Er lebt", sagte er frei heraus. "Wird er es schaffen?" "So schnell gibt er nicht auf", meldete sich eine andere Stimme. Emily blickte über die Schulter zur Tür hin, die zum Eßzimmer führte. "Hallo, Daniel." Sie ging zu ihm, um noch an eine Clay-Brust gedrückt zu werden. "He, Babydoll." Der vierte der Clay-Söhne schwang sie in die Arme. Er küßte sie mitten auf den Mund, bevor er sie auf die Füße stellte. "Mach dir ja keine Sorgen um Squire, hörst du? Er ist so dickköpfig wie ein Maultier und denkt nicht daran, diese Erde zu verlassen, ehe jemand damit angefangen hat, ihn mit Enkelkindern zu versorgen, die er verwöhnen kann." Matthew schnaubte, und Daniel zuckte die Schultern. Emily trank den Rest des Apfelsaftes. "Weiß Sawyer Bescheid?" Und Jefferson? Daniel nickte. Er schien etwas sagen zu wollen, unterdrückte es aber. "Wo ist Tristan?" "Hier." Er hielt seine Wange kurz an ihre und füllte sich dann einen Becher mit Kaffee. "Wie war Mexiko?" "In Ordnung." "Ich hab versucht, dich zu erreichen." "Ich weiß." Emily verzog das Gesicht. "Wir sind nicht am Ort geblieben", erklärte sie einsilbig. "Ist Squire bei Besinnung? Was ist genau mit ihm?" "Er hatte einen dreifachen Bypass. Sein Zustand ist befriedigend. Aber er ist auch ein zäher alter Mann." Tristan lächelte aufmunternd, obwohl der Ausdruck seiner Augen nicht ganz zu seinem Lächeln paßte. "Was er jetzt braucht, ist Ruhe. Und das Wissen, daß wir alle für ihn hier sind." Seine Brüder
hatten sich bereits verzogen, und Tristan folgte ihnen. Die Küche schien auf einmal bedrohlich groß, so leer und still ohne die Männer. Emily legte die Arme um sich und rieb ihre Ellbogen, während sie sich umschaute. Der Raum hatte sich seit dem Tag, wo Squire sie in dieses Haus brachte, nicht viel verändert. Sie war damals vollkommen verängstigt gewesen. Hatte sich gefühlt, als ob die Welt für sie geendet hätte. Squire hatte sie in die Küche geführt, und die Jungen waren alle dagewesen. Mit Ausnahme von Sawyer, der als ältester der Clay-Brüder schon aus dem Haus gewesen war. Aber der Rest von ihnen hatte um den großen Eichentisch gesessen und ihr Abendessen hinuntergeschlungen mit nur einem Anflug von Manieren. Sie hatten Emily einige Momente neugierig betrachtet. Dann hatte Jefferson den leeren Stuhl zwischen ihm und Tristan hervorgezogen, und Emily hatte sich darauf gesetzt. Seit dem Augenblick hatte sie zur Familie gehört. "Scheint seltsam, daß der alte Mann nicht mehr dasitzt und uns erzählt, wie wir unser Leben leben sollen, nicht wahr?" Emily drehte sich um und lächelte Sawyer an. "Sehr seltsam." Sie musterte den ältesten Clay-Sohn. Sein Haar wurde grau an den Schläfen, und er sah seinem Vater sehr ähnlich. "Wir sind wohl alle zur Ranch zurückgerufen worden", murmelte sie. Wo war Jefferson? Sawyer ging zur Kaffeekanne, und im Vorübergehen drückte er Emily einen Kuß auf den Kopf. "Wo steckt der Rest?" fragte er, als er sich Kaffee in den Becher goß. "Sind gerade rausgegangen." Sie umfaßte die Lehne eines der Stühle und zögerte. Dann fragte sie: "Weißt du, wo Jefferson ist? Er war letzte Woche in San Diego, und er ist in keiner sehr guten Form, Sawyer. Er wollte mir nichts erzählen ... Nicht, daß ich es erwartet habe, natürlich, ich meine, das tue ich nicht ... Aber er wollte nicht einmal Tristan etwas sagen. Und ich bin wirklich sehr ..."
Sawyer hob die Hand, um sie zu unterbrechen. "Atme einmal tief durch, ehe du weitersprichst, Knirps. Und ja, ich weiß, wo Jefferson ist. Er ist hier auf der Ranch." Emily stockte der Atem. "Dann kam er von Kalifornien hierher?" "Nein, er ist erst gestern abend angekommen. Er kam mit mir." Die Fliegentür zur Küche quietschte, und Daniel erschien. "He, Em ..., oh, großartig, Sawyer, komm für 'ne Minute 'raus, okay? Dieses verdammte geile Pferd von Matt ist dabei, die Hälfte seiner Box kurz und klein zu kicken, um zu den Stuten zu kommen, und wir brauchen deine Hilfe für eine Sekunde." Emily folgte ihnen bis zur Veranda und kehrte gleich wieder in die Küche zurück. Als sie aufsah, stand Jefferson da. Er trug ausgewaschene Jeans und ein am Kragen ausgefranstes beiges Trikothemd. Sein feuchtes Haar war dunkel und streng aus der Stirn zurückgekämmt. Er war schön. Ein Teil von Emily wollte sich abrupt umdrehen und einfach davonlaufen. Ein anderer Teil, der stärkere, wollte sich ihm in die Arme werfen, Emily wußte kein Wort zu sagen. Sie stand nur da und sah ihn an. "Emily." Sie schluckte und bemühte sich um eine gleichmütige Miene. "Ja?" Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. "Geht es dir gut?" "Ja", antwortete sie. "Und dir?" Sie bemerkte, wie er die Kinnmuskeln anspannte. "Auch gut", antwortete er. Er fügte dem nichts mehr hinzu, und Emily, die nichts anderes von ihm erwartet hatte, ging ohne ein weiteres Wort auf die Treppe zu. Ihr Zimmer, das seit ihrer Kindheit ihr gehörte, lag oben.
"Emily..." Sie drückte die Schultern durch, und wie ein Feigling gab sie vor, ihn nicht zu hören, während sie die Stufen hinaufeilte. Jefferson stand noch lange da, nachdem Emily verschwunden war. Zwei Stunden später stemmte Emily die Arme in die Hüften und starrte Tristan wütend an. "Warum um alles in der Welt sollte ich nicht allein ins Krankenhaus fahren? Ich bin auf diesen Straßen die Hälfte meines Lebens gefahren! Ich werde kaum im Straßengraben landen, weil ich mir Sorgen um Squire mache. Meine Güte, Tristan, ich habe es nach Wyoming allein geschafft ohne deinen überheblichen Beistand..." "Hört auf zu streiten", ordnete Matthew an. "Seit zehn ganzen Minuten raunzt ihr euch ah. Tris, du weißt verdammt genau, daß wir nicht alle in den Wagen passen, also hör auf, Emily zu nerven. Sie kann ins Krankenhaus fahren, wann immer sie will, und sie hat es bereits gesagt, daß sie nicht mit uns allen im Geländewagen eingepfercht sein will." Tristan gab unvermittelt auf, zuckte die Schultern und öffnete die Beifahrertür von ihrem Leihwagen. "Ich fahre mit dir", verkündete er. "Spinner", brummelte Emily und ging um den Wagen zur Fahrerseite herum. In diesem Moment bemerkte sie Jefferson, der nur wenige Meter von ihnen entfernt stand und sich schwer auf den Gehstock stützte. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, und er hatte seine Augen zusammengezogen, während er Emily beobachtete. Ihre Kehle wurde ihr auf einmal trocken. Er wirkte so ... einsam. Obwohl seine Brüder ganz in seiner Nähe waren. "Mach schon, Jeff", rief Daniel, als er in den hinteren Sitz von Matthews Geländewagen kletterte. Jefferson rührte sich nicht. Emily konnte sehen, wie ein Muskel an seinem Kinn zuckte. Schließlich humpelte er zum
Geländewagen und kletterte auf den Vordersitz. Seine Tür fiel zu, und Emily setzte sich in ihren geliehenen Zweisitzer. Tristan saß mit praktisch bis zum Kinn angezogenen Knien auf dem Beifahrersitz. "Willst du hier herumstehen, oder fahren wir endlich zum Krankenhaus?" quengelte er. Emily startete den Motor. "Ich weiß nicht, ob ich damit fertig werde", murmelte sie. "Weil Squire im Krankenhaus ist?" Tristan griff unter den Sitz und schaffte es, ihn ein paar kostbare Zentimeter nach hinten gleiten zu lassen. "Das schaffst du schon." Er stellte die Klimaanlage an. "Ich meine nicht nur Squire", gestand Emily, als sie dem Geländewagen folgte. "Du wirst auch mit Jefferson fertig, Süße." Sie lachte kurz auf. "Das wäre das erste Mal."
5. KAPITEL Der Aufsichtstisch für die Krankenschwestern mit der zentralen Überwachungsanlage stand in der Mitte der Intensivstation für Herzkranke. Die Patientenbetten waren rundum angeordnet wie Speichen am Rad. Vorhänge trennten die Betten voneinander. Squire war in dem allerersten. Emily entdeckte ihn, sobald sie durch die Doppeltür hereinkam, und blieb abrupt stehen. Jefferson prallte fast gegen sie, und er legte die Hand kurz in ihren Nacken. Emily schluckte und betrat den abgeteilten Raum. Schläuche führten von Squires Nase und den Armen. Monitore standen am Kopfende des Bettes. Wenn dies alles nicht gewesen wäre, hätte Emily denken können, daß Squire nur schlief. Sein volles silbergraues Haar war aus der eckigen Stirn gekämmt, und er war unter seiner Bräune leicht blaß. Eine weiße Bandage bedeckte einen Teil seiner bloßen Brust, und ein hellblaues Bettuch war bis zur Taille hochgezogen. "Ob er es mitbekommt, daß wir hier sind?" "Sicher." Jefferson stellte sich auf die andere Bettseite und stützte sich schwer auf den Stock. Nun, da sie Squire sehen konnte, fielen die schlimmsten Ängste von Emily ab. Instinktiv wußte sie, daß er es schaffen würde. Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und nahm zart Squires Hand, in ihre.
Sie lehnte sich über ihn und küßte seine wettergegerbte Wange. "Squire, ich bin's, Emily. Du mußtest nicht all diese Unannehmlichkeiten auf dich nehmen, nur um uns alle hierherzulotsen." Sie blickte zu Jefferson herüber. Seine Lippen waren zu einem Strich zusammengezogen, und in seinen Augen spiegelte sich Schmerz, während er auf seinen Vater herunterschaute. Nur allzu schnell waren die bewilligten fünf Minuten vorbei, und Jefferson hatte kein Wort zu seinem Vater gesagt. Emily war nach Weinen zumute. Sie drückte sachte einen zärtlichen Kuß auf Squires kühle Wange und versprach ihm, daß sie sehr bald wieder bei ihm sein werde. Die übrigen Clay-Brüder hatten immer zu zweit ihren Vater Bereits besucht und waren im Warteraum versammelt. "Laßt uns in das Restaurant hier gleich um die Ecke gehen und eine Kleinigkeit essen. Dann könnt ihr auf die Ranch zurückkehren", schlug Sawyer vor. "Ich bleibe hier in der Nähe, und einer von euch kann mich heute abend nach der Besuchszeit abholen." Daniel brauchte keine zweite Aufforderung. Er nickte und war bereits zur Tür hinaus, noch bevor Sawyer den Satz zu Ende gebracht hatte. Die anderen stimmten Sawyer zu, und sie marschierten alle in Richtung Restaurant. Es brauchte einige Minuten, um zwei Tische zusammenzustellen, damit sie alle sechs beieinander bleiben konnten. Entgegen Emilys Versuchen landete sie schließlich neben Jefferson. Tristan saß Jefferson gegenüber und lächelte so ironischsanft, daß Emily ihm am liebsten gegen das Schienbein getreten hätte. Sie zweifelte nicht daran, daß sie ihren Platz neben Jefferson seinem Manöver zu verdanken hatte. Die junge Kellnerin nahm einen Blick auf die Männer um den Tisch herum, kam sofort strahlend auf sie zu und zwitscherte: "Ich bin Ihre Serviererin, nennen Sie mich Candy." Emily mußte sich ein Lachen verbeißen, als Candy mit ihrer
Bestellung von eisgekühltem Tee sehr bald zurückkam und ihren blaßrosa Lippenstift aufgefrischt und die zwei oberen Knöpfe ihrer rosa Kellnerinnenbluse geöffnet hatte. Emily schaute in die Menükarte, hatte aber so wenig Appetit, daß sie sie sofort wieder schloß und zur Seite legte. "Hast dich schon entschieden?" Daniel lächelte über seine Menükarte zu ihr herüber. "Laß es mich raten. Frittierte Hühnerbeinchen mit Tunke. Richtig?" Emily nahm ein Päckchen Zucker, öffnete es und schüttete den Zucker in den Tee. "Nenn mich beständig." "Beständig!" Tristan lachte in sich hinein. "Sie hat das, seit sie zehn ist, so gut wie in jedem verdammten Restaurant, ob zu Mittag oder zu Abend, bestellt." "Na und?" Emily ließ es kalt. "Ich kann nichts dafür, wenn ich weiß, was ich mag." Sie bemerkte, daß Jefferson auf dem Stuhl unruhig hin und her rutschte. Und als er sich bückte, um seine vom Schoß auf den Boden geglittene Serviette aufzuheben, hatte sie Mühe, ihre Aufmerksamkeit von seinem Rücken abzulenken, über dessen Muskeln sich sein dunkelblaues Hemd so unwiderstehlich gestrafft hatte. "Ihr solltet euch schnell entscheiden, was ihr haben wollt", sagte sie. "Bevor Candy zurückkommt, um eure Bestellung aufzunehmen." Daniel nippte an seinem Eistee und blickte zu Candy hinüber, die gerade die Order einer jungen Familie aufnahm. "Wetten, daß sie noch einen Knopf geöffnet hat, wenn sie zurückkommt?" Er setzte sein Glas ab und lehnte sich leicht vor. "Sie stellt sich so dicht vor dich hin, daß du ja auch einen wirklich guten Einblick bekommst." Matthew schüttelte mißbilligend den Kopf. Sawyer wirkte gelangweilt. Tristan lachte. Jefferson rutschte wieder auf seinem Stuhl, und sein Knie berührte leicht Emilys Knie. Nach dem Muster dieses ersten Tages verliefen alle folgenden Tage. Sie fuhren allesamt in den zwei Wagen zum
Krankenhaus. Sie aßen Mittag in demselben Restaurant. Dann kehrten sie zur Ranch zurück, bis auf einen der Brüder, der in der Nähe des Krankenhauses bis zum Abend blieb. Fünf Tage waren vergangen, seit Emily Squire zuerst im Krankenhaus besucht hatte. Und wieder fand sie sich mit Jefferson zusammen an Squires Bett. Seit jenem ersten Tag im Krankenhaus hatten sie keine drei Worte miteinander gesprochen. Emily wäre deshalb vor Überraschung fast vom Stuhl gefallen, als Jefferson ihr im Warteraum sagte, daß er mit ihr zusammen zur Intensivstation käme. Aber sie war entschlossen, über Jeffersons seltsames Betragen nicht weiter zu grübeln, solange sie an Squires Bett saß. "Squire, wir möchten wirklich, daß du die Augen öffnest", sagte sie mit klarer Stimme, nachdem sie ihn auf die Stirn geküßt hatte. "Matt weiß mit einer Rechnung nichts anzufangen, die auf irgendein Gerät ausgestellt ist, das du wahrscheinlich bestellt hast. Und ich bin ziemlich sicher, daß Daniel wieder mit dem Rauchen angefangen hat. Du weißt, wie schwer es ihm fiel, damit aufzuhören." Sie blickte zu Jefferson herüber. Seine Aufmerksamkeit war nicht auf seinen Vater gerichtet. Er sah Emily an mit Augen, die dunkel waren und unergründlich. Sie schluckte. Ihre Kehle fühlte sich auf einmal so trocken an. "Nächste Woche geht mein Urlaub zu Ende, und ich erwarte es einfach, daß du bis dahin auf bist", fuhr sie fort. Sie nahm seine Hand in ihre, hielt sie an ihre Wange. "Jefferson ist auch hier, Squire", flüsterte sie. "Und er sieht eigentlich schlimmer aus als du." Sie vermied es, Jefferson dabei anzusehen. "Er hat ein paar neue Narben in seinem häßlichen Gesicht. Wenn du wach werden würdest, würde er dir vielleicht erzählen, was er die letzten Jahre getrieben hat." Jefferson schnaubte. "Rechne nicht damit." "Oh, er kann reden", stichelte sie. Squires Finger spannten sich in ihrer Hand an, als ob er ihr zustimmen wollte. Völlig perplex starrte Emily ihn an. "Squire?"
"Was ist?" fragte Jefferson "Er hat seine Finger bewegt." Sie beugte sich zu Squire vor. "Squire, kannst du mich hören? Beweg deine Finger. O bitte, Squire, beweg noch einmal deine Finger." Emily wäre fast vom Stuhl hochgeschossen, als sie den schwachen Druck seiner Finger spürte. Sie küßte Squire auf die Wange. "Ich hol die Krankenschwester", sagte sie und ließ vorsichtig seine Hand los. Während Emily mit der Krankenschwester sprach, stand Jefferson vom Stuhl auf. "Mach schon, alter Mann", sagte er weich. "Ich bin nicht den weiten Weg hierhergekommen, um zuzusehen, wie du in diesem Bett wie ein alter Heusack liegst." Emily kehrte nur kurz zurück. "Jefferson, der Arzt wurde benachrichtigt. Warum setzt du dich nicht und hältst Squires Hand?" Damit war sie wieder verschwunden. Jefferson konnte nicht anders als lächeln. Er folgte Emilys Anweisung soweit, daß er sich setzte. Aber er hielt nicht die Hand seines Vaters. Er wußte, daß Squire so etwas nicht haben wollte. "Sie kann ganz schön herrisch sein, weißt du. Emily. Muß der Clay-Einfluß sein." Er beobachtete lange seinen Vater. "Ich weiß, daß du mich hören kannst, Squire. Vielleicht wird dies genug Ärger für dich sein, um deine alten Knochen zusammenzuraffen und mir die Meinung zu sagen." Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Himmel, wie er Krankenhäuser haßte. Wie er den Geruch haßte. Die gedämpften Geräusche. Emily stand auf einmal hinter ihm. Er wußte es von dem sauberen Duft, der von ihr ausging. Sie legte die Hand auf seine Schulter, als sie sich nach vorn lehnte. "Squire, versprich mir, dem Arzt zu beweisen, daß ich es mir nicht eingebildet habe. Du hast meine Hand gedrückt, das hast du doch, oder?" Squires Wimpern zuckten. Einmal. Zweimal. Dann hob er die Lider unendlich langsam, bis sich ein blaßblauer Schlitz zeigte.
Seine Lippen öffneten sich, und Emily beeilte sich, um den gebogenen Strohhalm aus dem Plastikbecher zwischen seine Lippen zu stecken. Er schloß die Augen wieder, als er die Energie sammelte, um durch den Strohhalm das Wasser schlückchenweise zu trinken. Squire seufzte und entspannte sich, und Emily stellte den Becher zurück auf den Nachttisch. Sie grub die Finger in Jeffersons Schultern und legte ihren Kopf auf seinen. Jefferson wußte, daß sie mit aller Macht die Tränen zurückhielt. Und er wußte auch, welches Bild sie beide für Squire abgaben, als Squire die Augen ganz öffnete. Jeffersons Hände umkrampften bereits den Gehstock, noch bevor Squire darauf reagierte. "Ver...schwinde ...", formte er mit den Lippen. Emily löste sich abrupt von Jefferson, und er erhob sich. "Willkommen zurück bei den Lebenden, alter Mann." Der Stuhl kratzte über den Boden, als Jefferson ihn zurückschob und aus der Intensivstation hampelte. : Bestürzt über Jeffersons Abgang, starrte Emily Squire an. "Was..." "Emily." Sie konnte kaum seine Stimme hören und beugte sich über ihn. "Ich bin hier, Squire." Sie nahm seine Hand, aber er hatte die Augen wieder geschlossen und war eingeschlafen. Die Krankenschwester überprüfte die Herzstromkurve auf dem Monitor. "Es sieht bestens aus", erklärte sie. "Sein Arzt muß jeden Augenblick hier sein. Jetzt braucht Mr. Clay viel Ruhe." Emily nickte, küßte Squires Hand, drehte sich um und eilte in den Warteraum. Sie waren alle da mit Ausnahme von Jefferson. Offensichtlich hatte er seinen Brüdern erzählt, daß Squire sein Bewußtsein wiedererlangt habe. Das sah Emily ihren Gesichtern an. "Wo ist Jefferson hin?"
"Zurück auf die Ranch", antwortete Tristan. "Mit dem Geländewagen?" "Er sagte, er würde ein Taxi nehmen oder zu Fuß gehen." "Das kann er doch nicht im Ernst meinen." "Wenn du dich beeilst, dann fängst du ihn unten im Eingang hoch ab", sagte Daniel und grinste. "Oh, ihr dickköpfigen Kerle", murmelte Emily. Sie ließ sich nicht die Zeit auf den Lift zu warten, sondern nahm die Treppe. Sie mußte herausfinden, was zwischen Jefferson und Squire vor sich ging. Und wenn sie es aus dem Sohn herauspressen müßte. Hinter der sich automatisch öffnenden Ausgangstür traf sie Jefferson. Sie ging neben ihm her, ohne ein Wort zu sagen. "Willst du mir nun erzählen, was sich da drin soeben abgespielt hat?" fragte sie schließlich. "Nein." "Komm schon, Jefferson. Es war klar, daß du über das, was Squire sagte, nicht überrascht gewesen bist. Es war, als ob du es erwartet hättest. Meine Güte, du warst praktisch halb aus der Tür, noch bevor er ..., bevor er ..." Jefferson sah sie kühl an. "Noch bevor er mir sagte, ich solle verschwinden?" Emily stellte sich vor ihn und zwang ihn stehenzubleiben. "Okay, warum hat er es gesagt? Warum um alles in der Welt wollte er nicht, daß du da bist?" "Laß es gut sein, Emily," Sie kreuzte die Arme vor der Brust. "Nein, das werde ich nicht. Habt ihr beide irgendwelche Auseinandersetzungen gehabt?" "Hör auf." Er spuckte die Worte förmlich heraus. "Jefferson.'' Sie legte ihre Hand an seine Wange, "Was immer es ist, es kann wieder zurechtgebogen werden." "Da gibt es nichts zurechtzubiegen:"
"Du bist genau wie er, und du weißt es." Emily verschränkte wieder die Arme. "Starrköpfig." Sie schüttelte angewidert den Kopf. Dann öffnete sie mit einem Ruck ihre Schultertasche, holte die Schlüssel heraus und drückte sie ihm in die Hand. "Hier, du kannst den Leihwagen haben. Ich fahre mit den Jungs zur Ranch zurück." Damit wirbelte sie herum. Er stieß einen Fluch aus und ergriff sie beim Arm, ehe sie einen zweiten Schritt tun konnte. "Ich kann nicht fahren." Emily blieb wie angewurzelt stehen. Ganz sicher hatte sie sich verhört. "Was?" Jefferson hatte das Kinn vorgestreckt. "Ich sagte ..., ich kann nicht ...fahren." Sie starrte ihn an. Männer mit ihrem idiotischen Stolz! "Das hab ich nicht gewußt, Jefferson." Sie hakte sich bei ihm unter und ging mit ihm langsam auf den Parkplatz zu. "Natürlich fahre ich dich nach Haus. Hat es etwas mit der Kupplung vom Leihwagen zu tun? Ich weiß, deine Wagen hatten immer Automatik. Mit deinem Knie kannst du sicher die Kupplung nicht so gut bedienen. Übrigens, wie lange wird es noch dauern, bis das Knie geheilt ist?" Jefferson machte sich von ihr los und schloß kurz die Augen. "Eine Weile", antwortete er einsilbig. Bei ihrem Wagen angelangt, ging Emily sogleich zu der Fahrerseite und öffnete die Tür. Sie wußte, daß Jefferson sich niemals von ihr würde helfen lassen. So glitt sie hinter das Steuerrad, beugte sich zur anderen Seite hinüber, um von innen die Tür zu öffnen. Dann ließ sie den Motor an und wartete schweigend, bis Jefferson sich mühsam auf den Sitz neben ihr niedergelassen hatte. Sie drehte das Radio auf, als er ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Und sie half ihm zwei Stunden später auch nicht aus dem Wagen, als sie vor dem großen Haus anhielt.
Sie ging Jefferson voraus ins Haus und stand in der Küche vor dem Kühlschrank, um sich kalte Milch in ein Glas zu gießen, als er hereingehumpelt kam. Erst nach einer Kunstpause drehte Emily sich zu ihm um, und erst da merkte sie, daß an seiner rechten Hand Blut war. "Du hast dich geschnitten." Er schloß die Hand. "Es ist nichts." "Sei kein solcher Macho", murmelte sie und nahm entschieden seine Hand. "Ich hol das Verbandszeug", sagte sie dann und ging nach oben. Jefferson zog den Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich schwer darauf fallen. Dann öffnete er die Hand, und frisches Blut trat aus der Wunde. Er holte aus dem Körbchen mitten auf dem Tisch einige Papierservietten und drückte sie in die verletzte Handfläche. Nach einer kurzen Weile hob er die Serviette, um zu sehen, ob das Bluten aufgehört hatte. Es hatte. Er wollte sich vom Stuhl erheben, legte die gesunde Hand auf den Tisch, um sich abzustützen, aber er überlegte es sich und sank wieder zurück. Nicht die kleine Verletzung machte ihm zu schaffen. Er sorgte sich um den unerwartet heftigen Schmerz, der von seiner Hüfte bis hinunter zum Bein ausstrahlte. Das war auch der Grund, warum er sich nicht hinter das Steuerrad hatte setzen wollen. Emily kam zurück. Sie war barfuß und hatte ihr langes volles Haar in einen losen Zopf geflochten. Sie setzte einen Verbandskasten auf den Tisch und riß einen antiseptischen Tupfer auf. "Das war nicht nötig." Aber Jefferson hielt ihr trotzdem die Hand hin. "Halt den Mund." Aus irgendeinem Grund kam Humor in ihm auf. Er grinste. "Maulesel, wie?" Mit zur Seite geneigtem Kopf wischte sie ihm die Wunde aus.
"Oh!" Er wollte ihr die Hand entziehen, aber sie ließ es nicht zu. "Das brennt." Doch Emily blieb unbarmherzig. "Du wirst doch wohl ein bißchen Brennen aushalten." "Göre." Jefferson verzog das Gesicht. Es brannte wirklich höllisch. "Squire hätte dir öfter einen Klaps geben sollen." "Hah! Squire hat niemals auch nur die Hand gegen mich erhoben." "Das war ein Fehler." Emily schloß den Verbandskasten, sammelte alles Überflüssige vom Tisch und warf es in den Abfalleimer. "Der einzige, der mir einen Klaps gegeben hatte, das bist du gewesen, Mister. Das war als ..." "Als du eine von Squires Zigaretten geklaut hast und sie im Stall zu rauchen versuchtest. Du hast fast den Heuboden in Brand gesteckt, als du das dumme Ding anzünden wolltest." "Ich war weit davon entfernt, auch nur irgend etwas in Brand zustecken." "Du warst ganz schön wild, so klein wie du damals warst Du hast mich geboxt, als ich dir die Zigarette wegnahm und deinen niedlichen Hintern versohlte." Emily mußte lächeln. "Ich war vierzehn", sagte sie. Sie war natürlich wütend gewesen, weil Jefferson ihr ein paar Klapse auf den Allerwertesten gegeben hatte. Aber noch wütender war sie gewesen, weil er sie leichtsinnig und unreif genannt hatte. "Vierzehn oder nicht, du warst klein und zierlich; Nach jenem Sommer machtest du dich auf zur Internatsschule." "Mm." Emily wischte den Tisch ab. "Ich dachte, das Schicksal habe dich mir zur Rettung geschickt, als du unerwartet zurück gekommen bist." Sie spülte das Wischtuch unter dem Hahn und drückte es aus. "Ich war so sicher, daß du Squire davon abbringen würdest, mich wegzuschicken." Es hätte ihr fast das Herz gebrochen, weil Jefferson nicht einmal den Versuch gemacht hatte.
Minutenlang sagten beide nichts. "Jefferson?" Emily setzte sich zu ihm an den Tisch. "Ja?" Ihr Herz klopfte so hart, daß sie glaubte, es würde ihr aus der Brust springen. "Warum bist damals zum Internat gekommen, um mich zu sehen?" Sie hörte das Quietschen des Stuhls, als Jefferson sein Gewicht verlagerte. "Du hast Geburtstag gehabt. Du bist in dem Jahr nicht zu Hause gewesen. Squire wollte dir ..." "Ja", unterbrach Emily seine Erklärung. "Ich weiß das alles. Squire wollte, daß ich zum neunzehnten Geburtstag die Perlhalskette eurer Mutter ausgehändigt bekomme. Und er traute der Post nicht." Sie sah Jefferson fragend an. "Warum du?" Jefferson prüfte den Verband um seine Hand. "Hat sich so ergeben. War kurz hier auf der Ranch. Als Squire herausfand, daß ich mich auf den Weg nach Washington machte, hat er mich gebeten, bei dir vorbeizukommen und dir das Geburtstagsgeschenk persönlich zu geben." Emily hatte diese Version der Geschichte bereits zuvor gehört. Doch sie gab die Hoffnung nicht auf, die ganze Wahrheit zu erfahren, "Du bist fast eine ganze Woche in New Hampshire geblieben." "Was willst du von mir hören?" Jefferson seufzte. "Nun, Emily? Reden wir darüber, daß ich dich im Internat besucht habe, oder reden wir darüber, daß ich dir praktisch die Unschuld gestohlen habe, während ich dort war?" Emily nahm es den Atem. Sie fühlte sich auf einmal leicht verrückt, fast übermütig. "Es war nicht stehlen", entgegnete sie. Sie hatten fünf Tage miteinander verbracht. Waren spazierengegangen. Hatten miteinander geredet. Gelacht. Sich ineinander verliebt... Jedenfalls hatte Emily es angenommen. Jeden Abend, nachdem Jefferson sie im Internat abgeliefert hatte, um in sein Motel zurückzukehren, war es für sie schwerer und schwerer geworden, sich von ihm zu trennen. Und dann
jene Nacht, als ein keuscher Kuß auf ihre Stirn sich in etwas mehr verwandelt hatte ... "Warum bestehst du darauf, das wiederaufzuwärmen?" "Du hast mir nie eine klare Antwort gegeben. Hast du deshalb aufgehört? Weil ich keine Erfahrung hatte und nicht gut darin war? Hat es dich gelangweilt?" Jefferson stöhnte verzweifelt. "Um Himmels willen ..." Emily sprang vom Stuhl auf und ging vor ihm in die Hocke. "Ich muß es wissen, Jefferson. Kannst du das nicht verstehen?" Sie legte die Arme auf seine Oberschenkel und sah zu ihm auf. "Ich muß es wissen!" "Du willst es wissen?" Seine Augen verdunkelten sich. "Gut. Du sollst es wissen." Er legte die Hände um ihre Wangen, bedeckte ihren Mund mit seinem Mund und zwang ihre Lippen auseinander. Eine Hand hatte er ihr in den Nacken gelegt, während er sie heftig küßte. Und als er den Kopf hob, zitterte Emily. Sie hatte den schwachen Geschmack von Blut auf der Zunge, doch sie wollte nicht weinen. Obwohl ihr ganz danach zumute war, weil sie all den Schmerz in ihm herausfühlte. Schmerz, den Jefferson hinter seinem rauhen Verhalten versteckt hielt. "Genau das habe ich tun wollen", sagte er unverblümt, "als du neunzehn warst." Er hielt die Hand noch immer in ihrem Nacken. "Dich nur anzusehen erregte mich." Er beobachtete, wie Emily rot wurde. "Ich wollte dir dein Shirt herunterreißen", fuhr er mit rauher Stimme fort. "Und ich wollte genau das tun." Er ließ ihren Nacken los und umfaßte ihre Brust nicht gerade zart. Er ließ die Hand von der Brust zu ihrem Bauch wandern. "Ich wollte dich berühren. Wollte dich schmecken." Er legte beide Hände auf ihre Schultern. "Du hast von Rosen und Kerzenlicht geträumt, während es mir nur darum ging, ein Bett zu finden, um mich in dich zu versenken. Teufel, ein Bett wäre nicht einmal nötig gewesen."
Emily schwankte, als Jefferson sich zurücksetzte und sie in der Hocke allein ließ. "Mir war damals verdammt klar, daß du für so etwas nicht vorbereitet warst." Er wandte den Kopf von ihr ab. "Du bist es noch immer nicht." Schauer rieselten ihr über den Rücken. Es waren keine Schauer der Angst. "Du erschreckst mich nicht, Jefferson. Du hast mich nicht erschreckt, als ich neunzehn war. Du hast mich auch nicht in San Diego erschreckt. Und du erschreckst mich auch jetzt nicht." Sie erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und ging aus der Küche. * Der Raum war leer. Leblos ohne ihre Anwesenheit; Jefferson starrte vor sich hin. "Ich hab mich selbst erschreckt", murmelte er. Aber es war keiner da, der ihn hörte.
6. KAPITEL "Was soll das heißen, du willst heute nicht mit ins Krankenhaus?" Aufgeregte Stimmen kamen von draußen. Emily runzelte die Stirn und eilte auf den Flur. Tristan war neugierig aus seinem Zimmer herausgetreten. "Hast du das Geschrei gehört?" fragte sie. "Wer hat es nicht?" erwiderte er. "Hört sich an, als ob jemand mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden ist. Wetten, daß ich weiß, wer heute auf der Ranch bleiben will." Er legte den Arm um ihre Schultern und ging mit ihr zusammen die Treppe hinunter. "Du siehst heute hübsch aus", sagte er, als sie die Küche betraten, Er drückte ihr einen Kuß auf die Stirn und ging zur Kaffeemaschine. Emily blickte an sich herunter auf die ziemlich abgetragene Jeans und die schlichte weiße Baumwollbluse. Beides war sauber, aber wohl kaum schmeichelnd für die Figur oder den Teint. Sie wollte gerade Tristan fragen, was in ihn gefahren sei, als die Streithähne in den Vorraum der Küche stolperten. Die Fliegentür knallte zu, als Jefferson hereinhumpelte mit Matthew dicht hinter ihm. "Mir ist es egal, was Squire sagt", schrie Matthew. Jefferson drehte sich abrupt um. Seine Handknöchel waren weiß über dem Griff seines Stocks. "Bleib mir vom Leibe."
Emily füllte hastig einen Becher mit Kaffee und steckte ihn in Matthews erhobene Hand. "Hier nimm den Kaffee", murmelte sie. Er sah sie an. Dann den Becher in seiner Hand. Der größte Ärger verflog. Obwohl der Kaffee heiß war, trank er die Hälfte davon fast in einem Schluck und setzte den Becher ab. "Hör, Jeff, wir haben alle genug zu tun, okay? Ich hab mindestens fünfzig Dinge zu erledigen und hab sie liegenlassen, seit Squire ins Krankenhaus gekommen ist. Aber ich fahre heute morgen ins Krankenhaus. Wie immer. Wir fahren alle ins Krankenhaus. Und auch du wirst es tun." Jefferson sah miserabel aus. Emily konnte es an seinen rotunterlaufenen Augen sehen, daß er keinen Schlaf gefunden hatte. Tristan fing ihren Blick auf und schüttelte leicht den Kopf, als ob er wüßte, daß sie zwischen den beiden vermitteln wollte. "Nicht heute", entgegnete Jefferson leise. Er wandte sich von seinem Bruder ab, und sein Blick traf Emilys. Mit zusammengepreßten Lippen schaute er wieder weg und humpelte nach draußen. Matthew stieß einen Fluch aus, aber Tristan packte ihn bei der Schulter, um zu verhindern, daß er Jefferson nachging. "Laß ihn." Seine Augen sandten die gleiche Botschaft zu Emily. "Denkt er, daß es nur für ihn allein schwer ist?" brummelte Matthew, folgte aber dem Hinweis seines Bruders. Wenn Emily die Absicht gehabt hätte, Jefferson zu folgen, dann hätte sie es getan. Auch wenn sie es mit Tristan hätte aufnehmen müssen. Nur hatte sie keine Ahnung, was sie zu Jefferson sagen sollte. So blieb sie in der Küche. Die Männer waren alle zum Heuen hinausgefahren, und Emily machte sich in der Küche zu schaffen. Es war noch immer frühmorgens, und ihr blieben noch einige Stunden, ehe sie sich auf den Weg zu Squire machten. Sie rief Luke Hawkins, den Stallbesitzer in San Diego an und erkundigte sich nach Bird. Ihr Pferd, versicherte er Emily, werde
regelmäßig von den Stallhelfern ausgeritten, und es gehe Bird gut. Sie legte auf, klopfte mit dem Bleistiftende auf ihren geöffneten Terminkalender und brütete vor sich hin. Zumindest hätte Bird die Anständigkeit besitzen sollen, sie zu vermissen, fand Emily. Nun, es ging ihm gut, und das allein zählte. Sie warf den Bleistift auf den Beistelltisch, schloß den Terminkalender, griff nach einem Apfel aus dem Korb auf dem Tisch und verließ das Haus. Die ständige Brise umwehte sie, und sie atmete den ganz besonderen Geruch von weiten Feldern ein. Von Rindern und Pferden. Ihre Stimmung hellte sich ein wenig auf. Wer brauchte Büros und Computer und tolle Restaurants, wenn man das hier hatte? Der Pferdestall lag dem Hauptgebäude am nächsten, und Emily schlug die Richtung ein. Mehr als die Hälfte der Pferde war auf der Koppel, aber sie fand eine hübsche graue Stute. Sie redete auf das schlanke Tier leise ein und schlüpfte in die Box. Innerhalb von Minuten hatte sie Freundschaft mit dem Pferd geschlossen, und die Stute ließ es zu, daß Emily sie aufzäumte und hinaus in den Sonnenschein führte. Emily stellte sich auf eine der Zaunsprossen und schwang sich auf Daisys bloßen Rücken. Ein Ziel hatte sie nicht. Aber sie ließ Daisy die Zügel schießen, und nach einem leichten Galopp auf verschlungenen Pfaden landeten sie schließlich bei einem Teich, der ungefähr zwei Meilen von dem großen Haus entfernt lag. Emily glitt vom Pferd und ließ die Zügel hängen. Offenbar kannte Daisy diese Stelle hier, denn sie wanderte nicht davon, sondern beugte ihren schlanken Hals und zupfte das saftige Gras rund um den Teich. Emily zog die Sandalen aus und kletterte auf den flachen Felsstein, der ein Stück über das Wasser hinausragte und als
Sprungbrett diente. Sie setzte sich auf das Ende und tauchte ihre Zehen in das kalte Wasser. Um seiner Frau einen Gefallen zu tun, hatte Squire das Geländer umzäunt, damit die Rinder nicht bis hierher kamen. Sarah Clay hatte Fliederbüsche angepflanzt, die immer noch um den Teich herum üppig blühten. Das Wasser nährte den Klee und die Wildblumen, die jedes Frühjahr kamen, noch bevor der Schnee ganz geschmolzen war. Es war ein Platz, den Squires Frau offenbar geliebt hatte. Es war nicht das erste Mal, daß Emily über die Frau nachdachte, die Squire fünf Söhne geboren hatte. Ihr Porträt hing über dem Kamin im Wohnzimmer. Sie war eine sehr hübsche Frau gewesen mit goldblondem Haar und tiefblauen Augen. Mit einem zarten Kinn und einem Grübchen in der Wange. Jefferson und Tristan ähnelten ihr am meisten, aber eigentlich nur, was die Farben anging. All die Clay-Söhne hatte die starken Gesichtszüge von Squire geerbt. "Wie bist du mit all diesen Männern zurechtgekommen, Sarah?" Die einzige Antwort, die Emily erhielt, war das Glucksen von Wasser, als sie die Füße herauszog. Mit einem Seufzer legte sie die Wange auf die angezogenen Knie. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dasaß, bevor das Geräusch von einem brechenden Ast sie aufschauen ließ. Sie blickte sich nach Daisy um, aber das Pferd mampfte zufrieden in der Nähe. "Dir hat es hier draußen schon immer gefallen." Emily hielt den Atem an. Dann schluckte sie und wandte den Kopf. Jefferson stand da, an einen Baum gelehnt. "Ja, das stimmt." Er wickelte um seine Hand ein dickes Seil, das von einem der hohen Äste baumelte. "Du hast dich an diesem Seil geschwungen und mitten über dem Wasser fallen lassen. Du und Tristan. Ihr wart wie zwei kleine Äffchen, die in den Bäumen herumkletterten."
"Ich erinnere mich." Wenn Jefferson sich so benehmen konnte, als ob zwischen ihnen gestern in der Küche nichts gewesen wäre, dann konnte sie es auch, "Du bist auch oft genug hier zum Schwimmen gewesen." Er bückte sich unter einem Ast und näherte sich dem Felsstein. "Wie bist du hierhergekommen?" "Zu Fuß." Er verzog das Gesicht. "Hinkend." "Wo ist dein Stock?" Es zuckte um seine Mundwinkel. "Irgendwo mitten im Feld, wo ich ihn reingeworfen hab." Emily zog die Augenbrauen hoch. "Du hast deinen Stock ins Feld geworfen?" "So ist es." Jefferson setzte sich auf den Felsen gute dreißig Zentimeter von Emily entfernt. "Ich werde es diesen Nachmittag ganz schön bedauern, weil ich dann wieder steif sein werde." Er lächelte trocken und streckte sich auf dem Felsen aus. Sie schwiegen eine ganze Weile. Emily musterte ihn. Noch ehe ihr bewußt wurde, was sie tat, streckte sie die Hand aus und fuhr mit der Fingerspitze über sein kantiges Kinn. "Woher hast du diese Narbe?" Jefferson hielt ihren Finger fest. "Verdanke ich meiner Dummheit", antwortete er. Was überhaupt keine Antwort war. Sie zog ihre Hand zurück. "Jefferson ..." "Pst." Seine Augen verdunkelten sich. "Laß es." "Du weißt nicht einmal, was ich sagen wollte." "Wahrscheinlich weiß ich es doch." "Dein Ego ist ungeheuerlich." Emily wandte sich von ihm ab und blickte über das Wasser. Jefferson zog spielerisch an ihrem Pferdeschwanz. "Laß uns den Morgen genießen." "Oh, du kannst also etwas genießen. Wie erfrischend." "Göre." "Und wenn schon."
Jefferson seufzte. Er bewegte seine Zehen und war erleichtert, als er sie im Stiefel fühlte. Die Taubheit schien weg zu sein. Im Augenblick. "Erzähl mir von deinem Job." "Meinem Job?" "Deinem Job." "Ooo-kay", murmelte Emily. Sie ließ die Füße wieder ins Wasser baumeln. "Laß mich kurz überlegen. Ich bin jetzt einige Jahre in dem Unternehmen tätig. Aber ich nehme an, das weißt du bereits." Dann erzählte sie ihm ein wenig über ihre Tagesroutine. "Und wer ist dieser Wirtschaftsprüfer, mit dem du dich triffst?" "Stuart? Nun, wir treffen uns nicht soo oft. Nun ja, wir waren zusammen nach Mexiko gefahren, kurz bevor ich hierherkam, aber das wird wohl..." "Du bist mit ihm in Mexiko gewesen?" Emily tadelte sich für das deutliche Gefühl von Befriedigung, das sie bei Jeffersons offensichtlichem Mißfallen beschlich. "Nur für ein Wochenende." "Nur du und dieser Stuart? Wie zum Teufel konnte Tristan es zulassen..." "He." Emily blickte ihn böse an. "Tristan läßt nicht zu, sondern ich treffe meine eigenen Entscheidungen." "Und superkluge dazu. Nach Mexiko abhauen mit irgend so einem Witzbold. Wenn er nun ..." "Was? Was wolltest du sagen? Wenn er versuchen würde, bei mir zum Zuge zu kommen? Und wenn ich es nun mögen würde? Wenn ich ihn mögen würde?" Jefferson biß die Zähne zusammen. Dann lächelte er plötzlich so breit, daß sich in seiner Wange ein Grübchen zeigte. Er faltete die Hände hinter seinem Kopf. "Es ist nichts passiert." Emily war sich nicht sicher, über wen sie mehr entrüstet sein sollte. Über Jefferson wegen seiner lächerlichen Einstellung. Oder über sich selbst, weil sie fast vom Fels gefallen wäre nach
einem Blick auf sein so selten sichtbares Megawatt-Lächeln. Sie stellte sich auf die Füße. "Wie willst du das wissen? Es gibt einige Männer in dieser Welt, die mich attraktiv finden." "Oh, das bezweifle ich nicht", stimmte Jefferson ihr mit whiskyrauher Stimme zu. Dabei musterte er aus halb geschlossenen Augen ihre schlanke Figur von oben bis unten. "Du hast dich wirklich nett entwickelt, Emily." "Oh, danke", erwiderte sie sarkastisch. "Danke. Ich bin ja so beglückt." "Gern geschehen." Verstimmt schüttelte Emily den Kopf, dann warf sie einen Blick auf das Wasser und wieder zurück auf Jefferson, der noch immer dicht am Rand des Felsbrockens ausgestreckt lag. Sie hockte sich heben ihn. "Weißt du, was ich denke, Jefferson?" Seine Augen waren geschlossen. "Was?" "Ich denke, daß du wahrscheinlich zu lange nicht geschwommen bist." Mit einem Stoß beförderte sie ihn vom Felsbrocken in den Teich. Wasser spritzte in einer Fontäne auf. Zufrieden mit sich selbst starrte Emily hinunter auf Jefferson, der langsam hochkam. Das Wasser reichte ihm bis zu den Schultern. Er schüttelte so heftig den Kopf, daß es nach allen Seiten spritzte, und strich sich mit beiden Händen das nasse Haar aus dem Gesicht. Emily stand einige Meter über ihm. Doch trotz der Entfernung machte sie sicherheitshalber ein paar Schritte zurück, als seine Hände sich um den Rand des Felsbrockens schlössen. "Du hast es verdient", verteidigte Emily sich und machte noch einen Schritt zurück. Wasser floß in kleinen Rinnsalen von seinen Schultern, als er sich auf den Felsbrocken hievte. "Meine Stiefel sind voll Wasser", klagte er. "Nun ja, das werden sie wohl sein." Plötzlich verunsichert biß Emily sieh auf die Lippen und trat so weit zurück, bis sie Gras
unter den Fußen hatte. Dabei schätzte sie die Entfernung zwischen ihr und Jefferson und ihr und Daisy ab. "Die trocknen. Oder... oder ich kauf dir ein Paar neue." "Weißt du, wie lange man braucht, bis so ein Paar Stiefel eingelaufen sind? Jahre." Jefferson setzte sich auf den Stein und stöhnte. Emily dachte nicht mehr an Flucht. Spontan lief sie zu ihm ... und wußte nicht, wie ihr geschah, als sie plötzlich durch die Luft flog. Sie konnte gerade noch die Augen schließen, als sie ins Wasser platschte. Ihre Zehen berührten den Kiesboden, und sie tauchte auf. "He!" Sie trat auf der Stelle und fuhr mit der Handfläche durch das Wasser, um Jefferson eine ganze Ladung ins Gesicht zu spritzen. "Schuft." Jefferson lachte. Verblüfft vergaß Emily zu treten und ging wieder unter. Als sie spuckend hochkam, lachte Jefferson noch immer. Es war ein herrlicher Laut. Emily lächelte zu ihm hoch. Allmählich würde ihr kalt, und sie schwamm auf den Felsbrocken zu. "So gern ich dir dabei zuhöre, wie du dich krumm und schief lachst, ich muß hier raus. Ich hab schon eine Gänsehaut." Sie streckte ihm die Hand hin. Er verschränkte seine Finger mit ihren und zog sie aus dem Teich. "Ich kann es nicht glauben, daß wir in diesem Loch bis Mitte September geschwommen sind." Emily grinste. "Dann mußten wir nur wenige Wochen warten, so schien es uns jedenfalls, und wir legten die Badesachen weg und holten die Schlittschuhe hervor." Die Blätter in den Bäumen rauschten, und die Brise schickte Emily einen Schauer über den Rücken. Sie nahm ihr Shirt beim Saum und wrang es so gut sie es konnte aus, Jefferson stieß leise eine Verwünschung aus. "Was ist?" Er schüttelte den Kopf und öffnete die Knöpfe an seinem Hemd. Er zog es aus und hielt es Emily hin. "Hier."
"Ich mag es dir nicht sagen, Jefferson, aber ich werde ganz sicher nicht warm, indem ich dein nasses Hemd über mein nasses Hemd ziehe." "Stimmt, aber zumindest kann ich dann nicht durch den dünnen Stoff sehen." Er hielt ihr das Hemd immer noch hin. Emily blickte an sich herunter und erkannte, wie durchsichtig das nasse Shirt mit dem nassen BH darunter war. "Oh." "Ja, oh. Herrje, Em, gib mir eine Chance!" Emily betrachtete die nackte Brust genau vor ihrer Nase. Mehr als alles andere wollte sie sich genau an diese Brust schmiegen. Sie wollte jeden einzelnen Muskel erforschen. Jede Einkerbung küssen. Jede Narbe, "Gib du mir eine Chance", konterte sie und versuchte ungerührt zu klingen. Aber sie nahm sein Hemd und zog es über. Obwohl sie die Ärmel bis zu den Ellbogen hochkrempelte, hingen sie ihr immer noch fast bis zum Handgelenk. Sie rümpfte die Nase über noch eine Lage von nassem Stoff. Jefferson zog seine Stiefel aus. "Es waren meine liebsten Stiefel", teilte er Emily mit anklagendem Ton mit, als er sie umstülpte und das Wasser herauslaufen ließ. "Es sind immer noch deine liebsten", versicherte Emily ihm ungerührt. "Sie sind ruiniert." "Sie sind naß." "Ruiniert," "Du hast sie im Regen getragen, oder nicht? Und im Schnee wahrscheinlich auch. Du bist durch Pfützen mitten auf der Straße marschiert. Was ist da der Unterschied?" Jefferson zog die Stiefel wieder an. "Der Unterschied, mein Engel, ist, daß bei jenen Gelegenheiten die Außenseite naß wurde." Er verzog das Gesicht, als die Socken in den Stiefeln matschten. "Jetzt ist es die Innenseite." Ein kurzes scharf es Pfeif en, das er zwischen den Zähnen hervorstieß, brachte Daisy im gemächlichen Gang zurück. Jefferson nahm die Zügel, und
mit einem Schwung saß er auf. Er hielt Emily die Hand hin. "Komm, laß uns zurückreiten und in etwas Trocknes wechseln." Er zog sie vor sich auf das Pferd, legte den Arm um ihre Taille und lenkte Daisy durch die Bäume zurück zum großen Haus. Es war einfach nicht möglich, daß zwei Menschen auf einem Pferd ohne Sattel ritten und zwischen ihren Körpern Distanz halten konnten. Emily versuchte es nicht einmal. Sie lehnte sich zurück und genoß den Ritt und die Wärme seines Körpers durch die triefenden Stofflagen. "Kannst du dich erinnern, wie du immer davon gesprochen hast, eine eigene Ranch zu haben mit Pferden? Möchtest du das noch immer?" Jefferson schwieg eine Weile, und Emily schmiegte sich mit dem Rücken an seine Brust. Erst als das große Haus in Sicht kam, antwortete er gleichmütig: "Ich habe eine Menge Unsinn geredet. Ich war damals jung." Emily lachte. "Du bist nicht gerade klapprig. Du redest, als ob du bereits mit einem Fuß im Grab stehen würdest." Sie spürte, wie Jefferson sich versteifte. "Du mußt dich gleich umziehen, sonst erkältest du dich", sagte er abrupt und zog die Zügel an, daß Daisy die letzten Meter im leichten Galopp zurücklegte. Erbrachte das Pferd vor dem hinteren Eingang zum Stehen. "Ich kümmere mich um Daisy", sagte er einsilbig. Der helle glückliche Morgen, den sie miteinander verbracht hatten, endete damit. Schweigend glitt Emily vom Pferd. Jefferson wartete gerade lange genug, um sie einen Schritt zurücktreten zu lassen. Dann wendete er Daisy und ritt dem Stall zu. Zum tausendstenmal fragte Emily Sich, was in Jeffersons Kopf vor sich ging. Da keiner im Haus war, zog Emily sich im Wäscheraum bis auf ihren Slip aus und wickelte sich in ein großes blaues Frotteetuch, das zuoberst auf einem Stapel von sauberer und
gefalteter Wäsche lag. Ihre feuchte Kleidung steckte sie in die Waschmaschine und ging die Schlafräume durch, um nachzusehen, Ob in den Wäschebeuteln der einzelnen Badezimmer Schmutzwäsche lag. Zurück im Waschraum durchsuchte sie die Jeanstaschen. Vor allem Tristan war die Nachlässigkeit in Person. Der Mann würde nie seine Taschen durchgehen, bevor er die Hemden oder Hosen zum Waschen freigab. Sie hatte mehr als eine Ladung Kleidung ruiniert, ehe sie ihre Lektion gelernt hatte. Und tatsächlich fand Emily zwei Kugelschreiber. Nachdem sie auch diese Jeans in die Waschmaschine gesteckt hatte, zog sie noch einmal die oberen Enden des Frotteetuchs über der Brust fest, ehe sie sich bückte, um Jeffersons Jeans aufzuheben. Sie griff prüfend in die Taschen und holte ein kleines viereckiges Papier hervor. Zerstreut bemerkte sie, daß es ein Rezept war, und legte es zur Seite. Die Jeans wanderte in die Maschine. Emily hob ein Hemd auf, als die Tür sich quietschend öffnete. Jefferson kam herein. Er hatte sich umgezogen, das verschlissene Hemd stand vorne offen., "Hier." Emily reichte ihm das Rezept. "Es war in deiner Jeanstasche." Jefferson steckte es automatisch in die Hemdtasche. "Was tust du?" "Oh, eine Ladung Wäsche. Willst du auch dein nasses Zeug reinstecken?" "Du trägst ein Handtuch." "Ach, wirklich?" Sie rollte die Augen, drehte sich zur Waschmaschine um, warf sein nasses Hemd in die Trommel und schloß sie. "Du marschierst hier im Haus voller Männer herum mit nichts als einem Handtuch?" Lieber Himmel, der Mann war echt wütend. "Das kannst du nicht im Ernst meinen. Meine Güte, Jefferson, ich bin jetzt mehr
angezogen, als wenn ich einen Badeanzug anhätte. Außerdem ist niemand hier. Außer dir." "Benimmst du dich so in San Diego?" "Benehmen?" wiederholte Emily. "Benehmen?" Ihre Stimme hob sich, als sie das Wort wiederholte. Reifen knirschten über den Schotter, und sie sah durch das Fenster Daniel, Matthew und Tristan aus dem Truck steigen. Großartig. Wirklich großartig. Das hatte ihr noch gefehlt! Matthew und Daniel kamen durch die Hintertür herein und hatten kaum einen zweiten Blick für Emily. Daniel schien eine Bemerkung zu Jefferson machen zu wollen. Aber ein Blick auf seinen Bruder genügte, um es sich zu überlegen und statt dessen doch lieber Matthew ins Büro zu folgen. Tristan war natürlich bei weitem nicht so entgegenkommend. Er sah gezielt auf Jefferson, dann auf Emilys mangelhafte Bekleidung und pfiff. "Hallooo, da sieh doch einer her. Wenn die Katze fort ist..." "Sei still", schnitt Emily ihm das Wort ab, ohne Tristan auch nur anzusehen. Mit den Händen in den Hüften starrte sie noch immer auf Jefferson. "Was genau willst du damit andeuten? Stört es dich, daß ich..." Sie legte dramatisch die Handflächen an ihre Wangen. "O nein, ich mag das gar nicht aussprechen..., daß ich tatsächlich mit einem Handtuch um mich gewickelt im Haus herumlaufe?" Sie beachtete Tristan nicht, der als interessierter Beobachter dastand. "Gütiger Himmel, Jefferson, du bekommst wahrscheinlich einen Herzanfall bei dem Gedanken, daß ich mich ab und zu entkleide. Es duscht sich nun einmal besser, wenn man nackt ist." Tristan erstickte fast am unterdrückten Lachen und handelte sich beim ersten Laut wütende Blicke aus zwei Augenpaaren ein. Er fand, das sei genug, drehte sich um und ging schnurstracks hinaus. Emilys Aufmerksamkeit war wieder ganz auf Jefferson gerichtet. Oh, sie war wütend! "Mein ganzes Leben lang bin ich
von Männern umgeben, die es völlig in Ordnung finden, in ihrer Unterwäsche im Haus herumzuspazieren. Doch wehe, wenn ich mich in etwas weniger als einer Nonnentracht zeige." Sie zog die Enden des Frotteetuchs über ihrer Brust auseinander. "Nun, hier hast du's. Schlimmer wird es nicht mehr." Sie hob die Augen zur Decke. "Und siehe da, das Dach stürzt nicht ein. Oh, schlimm, schlimm, schlimm." Jefferson hatte die Enden verknotet, schneller als eine Kammerzofe es hätte tun können. "Jetzt reicht's", murmelte er, bückte sich, faßte Emily bei der Taille und schwang sie sich auf die Schulter. Mit einem starken Arm hielt er ihre Schenkel umklammert, als sie anfing zu zappeln. "Hör auf damit." Emily schlug auf seinen Rücken ein. "Laß mich runter! Ich bin kein Kind." "Dann hör auf, dich wie ein Kind zu betragen." Er öffnete die Tür zur Küche, durchquerte sie und marschierte, ohne stehenzubleiben, in Emilys Schlafzimmer. Das Handtuch, das unter ihren Achseln und über den Brüsten gewickelt war, offnete sich, als er sie auf das Bett fallen ließ. "Du wolltest es so haben!" "Leere Versprechen, alles nur leere Versprechen", forderte sie ihn heraus. Jefferson beugte sich abrupt über sie, stützte die Hände rechts und links von ihr ab und starrte Emily an. "Du benimmst dich wie eine Nutte, aber es beeindruckt mich nicht, Emily." Er fing ihre Hand auf, noch ehe sie seine Wange traf. Emily rang mit ihm, und er packte kurz entschlossen ihre Arme und hielt sie über Emilys Kopf. "Laß... mich... los!" Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, aber es fiel Jefferson nicht schwer, sie zu bändigen. Auf einmal richtete er den Blick krampfhaft auf die Holzdielen.
Er mußte einfach wegschauen von Emilys glatter Haut. Ihrer schlanken Taille. Den rosigen Brustknospen. Jefferson unterdrückte einen Fluch, ließ Emily abrupt los und legte das Handtuch auf sie. "Bedeck dich." Sie nahm es, glitt aus dem Bett und warf es ihm an den Kopf. "Wenn du meinen Anblick nicht ertragen kannst, dann sieh zu, daß du von hier verschwindest, Chauvi." Statt darauf zu reagieren, riß er eine Schublade der Kommode auf. Dann eine andere und noch eine, bis er gefunden hatte, was er haben wollte. Er drehte sich zu Emily um und hielt ihr mit ausgestrecktem Arm ein langärmeliges T-Shirt entgegen. "Zieh das über." Emily hob eine Augenbraue, verschränkte die Arme und starrte ihn herausfordernd an. Die Brustknospen guckten vorwitzig über ihren Armen hervor. Und sie wußte es ..., die kleine Hexe. Mit verbissenem Gesichtsausdruck zog Jefferson ihr das Shirt über den Kopf und die Schultern. Die Arme hielt Emily fest untergeschlagen. "Laß es nicht darauf ankommen", warnte er. "Daß ich nicht lache!" Er griff unter das Shirt nach ihren Armen und handelte sich einen Rippenstoß ein. "Verdammt, Em. Halt still." "Ich laß mich nicht von dir herumkommandieren." Mit einem Ruck machte sie sich von ihm los. "Nur weil du sagst, spring, bedeutet es nicht, daß ich nicht frage, wie hoch." Mit einer heftigen Bewegung hatte sie das T-Shirt wieder ausgezogen. "Ich hab dich gewarnt", stieß Jefferson leise hervor und griff mit der Hand in ihr volles Haar. Dann küßte er sie. Emily biß ihm in die Lippe. Er hob den Kopf und tastete mit der Fingerspitze nach dem winzigen Blutstropfen. "Du magst es wohl rauh." Ihre Wangen waren gerötet. Niemand sonst hatte die Fähigkeit, sie so weit zu treiben, daß sie nicht mehr vernünftig denken oder handeln konnte. Sie sah Jefferson an, ihre Blicke
kreuzten sich. Emilys Brüste fühlten sich auf einmal schwer an, als seine Augen sieh verdunkelten. Ohne sich dessen bewußt zu sein, schwankte sie gegen Jefferson und stöhnte leise, als seine Hände sich um ihre Brüste schlossen. Sie vergrub ihre Finger in sein Haar. Ihr Atem ging schwer. Bevor Emily wußte, was sie tat, hielt sie sein Hemd auseinander, neigte den Kopf und küßte ihn auf die Brust. Plötzlich schob Jefferson sie von sich und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er stand einen Augenblick wie benommen da, seine Kinnmuskeln arbeiteten. Dann wirbelte er herum und stürmte aus dem Zimmer. Die Tür fiel mit einem Knall hinter ihm zu.
7. KAPITEL Squire lag wach, als sie ankamen. Die Krankenschwester sagte, daß sie alle zu ihm gehen könnten. Er saß gegen die Kissen gelehnt, seine lebhaften blauen Augen leuchteten auf, als sie hereinkamen. Emily küßte ihn auf die Wange. "Du siehst heute viel besser aus." Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte jeden einzelnen, von ihnen an. Dann fragte er: "Wo ist Jefferson?" Emily setzte sich in den einzigen Stuhl neben dem Bett. "Das Wetter macht ihm zu schaffen", murmelte sie und warf Tristan einen warnenden Blick zu. "Wie fühlst du dich?" erkundigte sich Sawyer, um Squire abzulenken. Der alte Mann schnaubte. "Wie ein verdammtes Nadelkissen. Jedesmal, wenn ich ein Nickerchen machen will, kommt dieser Dragoner, um mich zu stören. Das mindeste, was sie einem sterbenden Mann zugestehen könnten, wäre, ihn mit einigen hübschen Krankenschwestern zu versorgen." "Du stirbst noch nicht", entgegnete Sawyer. "Obwohl du es ganz sicher versucht hast", bemerkte Emily. Sie ließ ihre Hand in seine gleiten. "Du hast uns ganz schön erschreckt." Squire schnaubte nur mißmutig. Aber er drückte zärtlich ihre Hand, und Emily hörte lächelnd zu, als er sich von seinen Söhnen über den Fortgang auf der Ranch berichten ließ.
"Und wann entscheidest du dich, für immer nach Hause zu kommen?" Squire wandte sich wieder an Emily, nachdem er offensichtlich mit dem Tätigkeitsbericht zufrieden war. "Squire, du weißt, daß ich einen Job in San Diego habe." "Na und? Erzähl mir nicht, daß du damit glücklich bist, Ich kann es dir an den Augen ansehen, Mädchen, daß dich irgend etwas entmutigt. Wenn es also nicht der Job ist, was ist es dann?" "Mein Job ist nicht langweilig", verteidigte Emily sich. "Es gibt sogar einige Hinweise, daß ich eine Stufe der Karriereleiter höhersteige, und das würde bedeuteten, daß ich mehr reisen werde. Wie schlimm kann es also sein?" "Flugplätze und noch mehr Flugplätze. Sehr bald wird es dir scheinen, daß du alle Flugplätze in- Und auswendig kennst", antwortete Squire ruhig. Sie redeten noch eine Weile über alles mögliche; bis die Krankenschwester hereinkam und sie alle hinausscheuchte. "Das ist die Intensivstation", vermerkte sie überflüssigerweise. "Mr. Clay wird in ein Privatzimmer verlegt, sobald wir Zeit dafür finden." Sawyer schlug vor, daß sie im Restaurant zu Mittag äßen. Doch Emily wollte bei Squire bleiben, und die strenge Krankenschwester, die eigentlich gar nicht so streng, sondern nur pflichtbewußt war, bewilligte es. Während Squire dann in sein Privatzimmer verlegt wurde, ging Emily in die Cafeteria des Krankenhauses, um eine Kleinigkeit zu essen; Anschließend dann auch in den kleinen Geschenkladen, um sich ein Taschenbuch und eine Cola zu kaufen. Als sie zurück zu Squire kam, schlief er. Sie hatte vier ganze Kapitel des Romans durchgeackert, ehe er die Augen öffnete. Sie schloß das Buch und sah ihn an. "War ich tatsächlich eingenickt?" fragte Squire verschlafen.
Emily schüttelte ihm die Kissen auf und half ihm, sich aufzusetzen. "Möchtest du etwas haben, ein Mineralwasser vielleicht?" "Was ich möchte", sagte Squire väterlich, "ist, daß du mir erzählst, worüber du dir den Kopf zerbrichst." Sein Gesichtsausdruck hätte Jeffersons sein können. Oder Tristans. Oder auch das eines seiner anderen Söhne. Jedem seiner Söhne hätte sie wohl ausweichen können, aber Squire konnte sie sich nicht entziehen. Er war der einzige Vater, den sie gekannt hatte, seit sie sieben Jahre alt gewesen war. Ihre Eltern wären in ihrer Erinnerung so verblaßt, daß sie ab und zu in ihr altes Fotoalbum schauen mußte, um sich darauf zu besinnen, wie sie ausgesehen hatten. Und obwohl das alles sehr traurig War, so war sie doch von dem ruppigen Mann in dem Krankenhausbett aufgezogen worden, und er hatte es mit Liebe getan. "Nun?" Emily rutschte nach vorn auf die Stuhlkante. Sie steckte die Hände zwischen die Knie und überlegte, wie sie das Thema am geschicktesten anfangen solle. Schließlich entschloß sie sich, den Stier bei den Hörnern zu packen. "Ich wüßte gern, was zwischen dir und Jefferson nicht stimmt." Squires Gesicht verschloß sich. "Wer sagt, daß es zwischen uns nicht stimmt?" Emily zählte bis zehn. "Das erste, was du deinem Sohn gesagt hast", antwortete sie schließlich, "nachdem du aus deinem Tiefschlaf aufgewacht bist, war Verschwinde." Sie seufzte und mußte sich dazu zwingen, mit dem halsstarrigen, einschüchternden Mann den Augenkontakt zu halten. "Einem Sohn, den du über zwei Jahre nicht gesehen hast", fügte sie leise hinzu. "Ich hätte gern gewußt, warum." "Ist dir nicht der Gedanke gekommen, daß es dich nichts angeht, kleine Lady?"
"Ich bin um Jefferson besorgt. Und um dich", entgegnete sie fest. "Ich werde wieder so gut wie neu sein.'" Emily nickte. "Das glaube ich auch. Aber das ist es nicht, was ich gemeint hab." Und er wußte es. Sie sah es ihm an. "Squire, ich lie... Ich kann Jefferson helfen." Sie verschränkte die Finger. "Ich weiß, daß ich es kann. Aber nicht, wenn ich im dunkeln tappe." "Wer behauptet, daß er Hilfe braucht?" schnauzte Squire. "Was hat er angestellt?" Emily ergriff ihn bei den Schultern, als er sich aufsetzen wollte. "Entspann dich." Sie drängte ihn wieder sanft in die Kissen. "Jefferson steckt in keinen Schwierigkeiten", versicherte sie ihm besänftigend! Und hoffte, daß dies keine Lüge war. "Dann weiß ich nicht, warum zum Teufel du herumnörgelst." Emily mußte sich bezähmen, um ihm nicht im gleichen patzigen Tonfall zu antworten. "Es tat ihm weh, als du ihm sagtest, daß er verschwinden soll." "Ich habe ihm nicht gesagt, daß er verschwinden soll", entgegnete er kurz angebunden. "O Squire, um Himmels willen! Ich war dabei." Sein Gesicht bekam einen eigensinnigen Ausdruck. Und Emily wußte, daß sie mit Squire genausowenig weiterkommen würde wie mit Jefferson. Am liebsten hätte sie vor Frustration geheult. Aber ein Krankenhauszimmer mit einem sich gerade erholenden Squire war nicht der Ort, sich so gehenzulassen. "Okay", sagte sie mit angespannter Stimme. "Du hast gewonnen." Er schien ein wenig weicher zu werden. "Hier gibt es kein Gewinnen oder Verlieren, Mädchen." "Wir alle verlieren irgendwann einmal", murmelte sie traurig und bemerkte nicht den scharfen Blick, den ihr Squire zuwarf. Sie stand auf. "Ich laufe ein wenig herum. Kann ich dir irgend etwas bringen? Eine Illustrierte? Ein Buch?"
"Wie war's mit dieser rothaarigen Krankenschwester, von der mir jemand erzählt hat, wie ich mich vage erinnere." "Es wäre überflüssig, nachzuforschen, von wem deine Söhne ihre Lebenskraft geerbt haben." Emily schüttelte den Kopf und lächelte zögernd. "Du bist unverbesserlich." "Geh schon", sagte er und machte eine entsprechende Handbewegung. In diesem Moment öffnete sich die Tür. Emily sah hinüber und erwartete Tristan. Oder vielleicht auch Sawyer. Aber niemals Jefferson. "Hallo", sagte sie. Er nickte, rührte sich aber nicht von der Türschwelle. "Bist du mit meinem Wagen gekommen?" Er lächelte spöttisch. "Tristan wartet auf dem Parkplatz." "Oh." Squire tippte auf Emilys Arm. "Wach auf, Mädchen." Sie riß den Blick von Jefferson. "Hm? O ja, richtig." "Geh schon", sagte Squire trocken. "Der alte Mann braucht jetzt ein bißchen Ruhe." "Alter Mann? Daß ich nicht lache", sagte Emily. Dann beugte sie sich zu ihm herunter und küßte ihn auf die stoppelige Wange. "Morgen abend bin ich wieder hier." Er brummelte etwas und ließ sich wieder in die Kissen zurückfallen. Emily wollte sich wieder in den Zorn gegen Jefferson bringen, der sie am Morgen gepackt hatte. Aber es wollte ihr nicht gelingen. So war es schon immer gewesen. Sie nahm das Taschenbuch und ihre Handtasche und ging zur Tür, die Jefferson blockierte. Sie blickte ihm in die Augen, aber er rückte nur wenige Zentimeter zur Seite. "Sohn." Jefferson versteifte sich und schob Emily durch die Tür. "Ich komme gleich nach." "Ich warte lieber..."
"Geh." Jefferson wollte nicht, daß Emily mitbekam, welche Predigt sein Vater ihm diesmal halten würde. "Geh schon." Er schnitt ihr das Wort von den Lippen, noch ehe sie es ausgesprochen hatte, und wandte sich ab. Sie schloß den Mund, wirbelte herum und eilte den Korridor hinunter, hinterließ in Jefferson das Gefühl, daß er gerade einem kleinen Hündchen einen Tritt versetzt hatte. Er murmelte eine Verwünschung. "Schließ endlich die verdammte Tür, Sohn." Jefferson blickte zu seinem Vater herüber. Squire wirkte fast wieder wie sein altes Selbst. Einschließlich des gebieterischen Ausdrucks in seinen eisblauen Augen. Jefferson verschränkte die Arme über der Brust und lehnte sich gegen die Wand. "Was willst du?" Squire blickte von der immer noch geöffneten Tür zu seinem mittleren Sohn. "Komm auf den Punkt, alter Mann. Ich bin genausowenig begeistert, in Krankenzimmern herumzuhängen, wie du begeistert bist, mich hier zu sehen." Squire wirkte gequält. "Das ist nicht wahr, Sohn." Jefferson zog ironisch die Augenbrauen hoch. Er warf einen prüfenden Blick nach draußen auf den Korridor und sah, daß Emilys Lift endlich angekommen war. Er beobachtete sie, bis sie aus seiner Sicht verschwand. "Du kannst noch immer kein Auge von ihr lassen, nicht wahr?" Jefferson wandte sich seinem Vater zu. "Falls das alles ist, weswegen du mich hier zurückhältst, dann verschwendest du deine Zeit ... und meine dazu." Jefferson machte Anstalten hinauszugehen. "Moment mal", rief Squire ihm gereizt nach. "Ich habe keine Lust, mir von dir eine Standpauke wegen Emily anzuhören", warnte Jefferson. "Das hab ich noch nie getan."
"Quatsch." Squire starrte ihn wütend an. Dann hustete er. Und hustete. Er wurde blaß im Gesicht. Mit zwei großen Schritten war Jefferson am Bett und goß aus der Flasche Wasser in ein Glas, das er seinem Vater in die Hand drückte. Nach wenigen Schlucken erholte Squire sich und lehnte sich in die Kissen zurück. Aber er sah aus, als ob er um Jahre gealtert wäre. Jefferson stand verlegen herum. "Teufel, Squire, ich will mit dir nicht streiten." Squire seufzte schwer. "Weil du denkst, ich sei jetzt zu alt, um es mit dir aufzunehmen?" "Du bist schlimm dran, weißt du das?" Jefferson schüttelte den Kopf. "Was hast du von mir gewollt? Spuck es aus, oder ich mach mich auf den Weg nach Hause." "Nach Hause. Sieh einer an, eine interessante Wortwahl." Er klopfte mit der Hand auf die Decke. "Bedeutet es, daß du endlich nach Hause gefunden hast? Daß du aufgehört hast, durch die Welt zu streifen?" "Machst du dir Sorgen, daß ich mich womöglich entscheide, für eine Weile hier herumzuhängen? Fürchtest du, daß du mir wieder einen Tritt geben mußt, damit ich der Ranch ade sage? Vielleicht wärst du sogar froh, wenn ich in Wyoming bliebe, jetzt wo Em weit weg in Kalifornien lebt." "Hör auf, mir die Worte im Mund zu verdrehen, Junge", entgegnete Squire mit erhobener Stimme. Jefferson senkte die Stimme. "Dann hör auf, mir die Zeit zu stehlen. Falls du nur vorhast, dein Mißfallen über mich wiederaufzuwärmen, dann kann ich nur sagen ..., kein Interesse." "Verdammt, Junge, vom Mißfallen war niemals die Rede gewesen!" "Gentlemen!" Die strenge Stimme unterbrach ihren Wortwechsel. Jefferson drehte sich um und sah eine Krankenschwester in der Tür stehen, ihre Hände hatte sie in
wohlgeformte Hüften gestemmt. "Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein wenig leiser zu sein? Man kann Sie den ganzen Korridor hinunter hören!" Sie kam in den Raum, umrundete Squires Bett. Dann zog sie seine Bettdecke energisch glatt. "Die Besuchszeit ist vorbei." "Du hättest die Tür schließen sollen, wie ich es dir gesagt habe", nörgelte Squire. "Ich war es nicht, der geschrien hat", wies Jefferson ihn hin. "Sie sollten auch nicht so aufgeregt sein", tadelte die Krankenschwester. Noch bevor Squire sich äußern konnte, steckte sie ihm das Thermometer in den Mund. Mit einem breiten Lächeln sah sie Jefferson an. "Mein Patient ist wohl Ihr Vater, ja? Nun, Sie können Ihren Vater morgen wieder besuchen." Squire nahm das Thermometer aus dem Mund. "Ich bin noch nicht fertig ..." "Doch." Sie schnappte das Thermometer aus seinen Fingern und steckte es ihm wieder in den Mund. "Sie sind fertig. Jedenfalls für heute." Sie schlug ihm leicht auf die Hand, als Squire wieder das Thermometer aus dem Mund nehmen wollte. "Seien Sie ein Schatz und lassen mich meinen Job tun." Jefferson mußte über die" resolute Vorgehensweise der Schwester wider Willen lächeln. "Dann ... gute Nacht, Miss...?" "Mrs. Day", verbesserte sie. Squire sah zu ihr auf und betrachtete die Kurven, die sich unter der weißen Uniform abzeichneten. Sein Blick begegnete dem von Jefferson, und trotz der Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen, teilten sie einen schlichten Moment der reinsten männlichen Würdigung weiblicher Formen. "Schade", murmelte Squire um das Thermometer herum. Mrs. Days Gehör und Augen waren völlig in Ordnung, und ihre Wangen färbten sich leicht rosa. Sie hob nur eine Augenbraue und schüttelte den Kopf, während sie einige Notizen in Squires Krankenblatt machte.
Mit einem Nicken verließ Jefferson die Krankenschwester und ihren Patienten.
8. KAPITEL Als Emily am nächsten Morgen wach wurde, wußte sie, daß sie im Haus allein war. Sie gähnte, während sie die Beine aus dem Bett schwang und aufstand. Draußen bellte ein Hund. Der Motor eines Traktors wurde angelassen. Sie machte sich rasch frisch und schlüpfte in ihre Shorts, die eigentlich eine Sweathose war, deren Beine Emily vor langer Zeit abgeschnitten und umgelegt hatte. Über den BH zog sie ein enges T-Shirt und ging mit ihren Joggingschuhen in der Hand nach unten. Im Waschraum streckte sie ihre Beinmuskeln und trat dann auf die hintere Veranda hinaus, um mit ihrem morgendlichen Jogging zu beginnen. Sie trabte an den Ställen und dem Unterstand für die Rancharbeiter vorbei und nahm Richtung auf den Teich. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, dorthin zu joggen. Der Ort war zu sehr mit Jefferson verknüpft. Sie hielt die Augen vor sich auf den Boden gerichtet, während sie an den Büschen und Bäumen vorbeitrabte. Und so landete sie fast wie von allein doch noch am Teich. Sie zog das T-Shirt aus, tauchte es ins kalte Wasser und zog es wieder über. So abgekühlt machte sie sich im gemächlichen Tempo auf den Weg zurück. Tristan war in der Küche mit dem Telefonhörer am Ohr, und als er sie sah, reichte er ihn ihr. "Stuart", sagte er nur. Emily hielt den Hörer eine Weile nachdenklich in der Hand. Sie wollte nicht mit Stuart sprechen. Er wartete auf ihre
Entscheidung wegen des Jobs, den er ihr angeboten hatte. Dann schloß sie die Sprechmuschel mit der Hand und flüsterte: "Schade, daß ich nicht ein paar Minuten später gekommen bin." "Sag ihm das, was du tun willst." "Wenn ich das nur wüßte", murmelte sie. Dann setzte sie sich an den Tisch und hielt den Hörer ans Ohr. "Hallo, Stuart", begrüßte sie ihn. Zehn Minuten später war Emily sich nicht sicher, ob sie ihren Job noch hatte oder nicht. Sie hatte nicht zugestimmt, die etwas höhere Position zu übernehmen. Aber Stuart hatte sie nicht ausdrücklich gefeuert. Also nahm sie an, daß dies ein gutes Zeichen sei. Sie fühlte sich nervös und gereizt, überlegte, ob sie sich duschen sollte, schob es auf später hinaus und machte sich auf den Weg zum Pferdestall. Daisy begrüßte sie mit einem leisen Wiehern, und Emily holte sich Bürste und Striegel und trat in Daisys Box. Sie vermißte ihr eigenes Pferd. Vermißte die morgendlichen Ausritte, wenn Bird munter und keck war. Vermißte das regelmäßige Striegeln, das zur besänftigenden Gewohnheit geworden war. Emily fuhr mit der Bürste über Daisys Rücken. "Nun, du bist auch nicht zu verachten", versicherte sie dem Pferd mit weicher Stimme. "Du und Bird könntet zusammen hübsche Babys haben. Meinst du nicht auch?" Daisy Schwanz zuckte hin und her. "Mit Bird in San Diego und du hier in Wyoming sind die Chancen natürlich gering;" Sie nahm den Striegel und kämmte Daisys Mähne. "Du hast ungefähr die gleiche Chance mit Bird wie ich mit Jefferson." Daisy bewegte den Kopf auf und ab. "Du stimmst mir doch zu, oder nicht?" "Aber", fuhr Emily nach einer kleinen Weile fort, "sollte ich meinen Job doch noch verlieren, könntest du unter Umständen mit Bird zusammenkommen." Sie legte den Arm um Daisys Nacken und seufzte. "Was soll ich tun, Daisy? Ich weiß, daß du
ein gescheites Mädchen bist. Ich kann es deinen Augen ansehen. Also, was meinst du soll ich tun? Hmm?" "Hör auf, von Pferden Ratschläge zu erwarten." Emily wirbelte herum. "Verdammt, Jefferson, schleich dich nicht an mich heran." Sie drehte sich wieder Daisy zu und fuhr mit dem Striegeln fort. Jefferson stand immer noch da, als sie damit fertig war, und sie schoß ihm einen Blick über die Schulter zu. "Was willst du?" "Ganz schön gereizt heute, wie?" "Und wenn? Meinst du, daß du nur allein ein Anrecht darauf hast?" Sie drehte sich um, wollte die Box verlassen und erwartete, daß Jefferson zur Seite treten würde. Aber er dachte nicht daran. Sie zog die Augenbraue hoch. "Wärst du so nett..." Schweigend ließ er sie durch. Sie brachte den Striegel und die Bürste zurück in den Geräteraum, und als sie herauskam, stand Jefferson noch immer vor Daisys Box. Seine abgetragene Jeans war um die Knie fadenscheinig, und sein Jeanshemd war durch das viele Waschen fast farblos geworden. Doch Jefferson sah einfach umwerfend attraktiv aus, ganz gleich, was er trug. Neben ihm fühlte Emily sich wie ein schmutziger Abwaschlappen in ihrer formlosen Shorts und dem nassen TShirt. Wahrscheinlich roch sie tauch entsprechend. Großartig, wirklich großartig. Sie schob eine verschwitzte Haarlocke aus dem Gesicht und wünschte sich, daß sie sich geduscht hätte, anstatt... "Warum hast du mir nichts davon gesagt, daß du dir Sorgen um deinen Job machst?" "Was?" Emily war in ihren Gedanken zu weit weg gewesen, um sich so schnell auf seine Frage einzustellen. " Gestern am Teich, da hättest du es erwähnen können." Emily zuckte die Schultern und betrachtete die verstaubten Joggingschuhe. "Das Thema kam nicht auf." Jefferson hob ihr Kinn mit einem Finger. "Ich habe dich ausdrücklich nach deinem Job gefragt", tadelte er.
Wie es schon zur Gewohnheit geworden war, fühlte Emily sich völlig durcheinandergebracht, sobald sie Jefferson in die himmelblauen Augen schaute. "Es ..., hm ... es schien nicht wichtig", antwortete sie lahm. "Es war wichtig genug, um es Tristan zu erzählen." Emily blinzelte die Vorstellung hinweg, wie sich seine Lippen auf ihre Lippen preßten, und konzentrierte sich auf seine Worte. Lieber Himmel, er hörte sich fast eifersüchtig an. "Ich hätte es dir gesagt, wenn mir der Gedanke gekommen wäre, daß du wirklich interessiert sein könntest." Jefferson schwieg dazu, aber er wirkte angespannt. Emily erkannte es an der steifen Haltung seiner Schultern unter dem Jeanshemd. "Ich würde dir alles erzählen", fügte sie weich hinzu. "Ich würde auf alles hören, was du mir sagst. Wenn du ..., wenn du ..." Sie zögerte. "Wenn du nur interessiert wärst", endete sie. Die Qual in seinen Augen schmerzte Emily. Seine Fingerknöchel waren weiß, als er das oberste Geländer von Daisys Box umkrampfte. "Geh!" stieß er mit gesenktem Kopf hervor. Sie berührte vorsichtig seine Wange. "Jefferson ..." Sogar vor dieser leichten Berührung zuckte er zurück. "Verdammt, Emily, ich sagte, geh!" Sie öffnete den Mund, ohne daß ein Laut herauskam, schloß die Augen und sah sich dann wie suchend nach einem Fluchtweg um. Sie betete, daß sie sich nicht in eine noch peinlichere Lage brachte, wenn sie über ihre eigenen Füße stolperte. Sie rannte los, hatte nur das eine im Sinn, sich vor noch größerem Schmerz zu schützen. Emily hatte das Stalltor noch nicht erreicht, als sie seine Schritte hinter sich hörte, und doch war sie nicht darauf vorbereitet, daß Jefferson sie um die Taille packte und sie zu sich herumschwenkte.
Sie drückte gegen seine Arme. "Laß mich los", flehte sie. "Es tut mir leid", flüsterte Jefferson. Er legte die Handfläche auf ihren Hinterkopf und murmelte gegen ihre Lippen: "Verzeih mir. Bitte, verzeih mir." Emily konnte seinem zärtlichen Kuß nicht widerstehen. Er nahm ihre Hände und drückte sie auf seine Brust. "Ich verdiene deine Berührung nicht", flüsterte er zwischen kurzen brennenden Küssen. Emily wollte nachfragen, was er damit meinte. Sie wollte, daß er alles, Was er auf dem Herzen hatte, ihr erzählte. Daß er von seinen Träumen sprach. Von seinen Alpträumen. Aber als er mit den Händen unter den überweiten Ärmel ihres nassen TShirts ihre Arme hinaufglitt und dann bis zu den Brüsten hinunter, vergaß Emily das alles. "Ich kann nicht denken'', wisperte sie. "Fühle nur." Jefferson zog seine Hände unter ihrem Ärmel heraus, hob ihren Pferdeschwanz, um den sanften Schwung ihres Nackens bloßzulegen und ihn mit kleinen Küssen zu bedecken. Jefferson hielt Emily so dicht an sich gepreßt, daß sie ihre Hände auf seiner Brust nicht bewegen konnte. Seine Hitze brannte durch ihre Kleidung, und sie drückte sich an ihn. Ihr Atem gingen schwer, es war der einzige Laut in der Stille des Stalls. Und dann schlossen sich seine Lippen über ihrem Mund. Mit den Händen fuhr Jefferson über ihre Schultern hinunter zu ihrem Rücken, glitt über ihre Hüften, und als er die Hände auf ihre Hüften legte, um Emily fest an sich zu ziehen, bewegte sie sich an ihm. Er unterdrückte ein Stöhnen. Die Küsse wurden länger, heftiger, leidenschaftlicher, und Emily fühlte ein wunderbares Kribbeln bis in ihre Zehenspitzen. Sterne tanzten vor ihren Augen, als er sich mit den Fingern unter das weite Hosenbein ihrer schäbigen Shorts vorwagte, Er erstickte ihren Schrei mit einem tiefen Kuß, als er mit dem Daumen über ihren weichen Bauch fuhr. Ihren nackten Bauch.
Er murmelte ihren Namen, als er mit den Händen ihre Kehrseite umschmiegte und Emily fest an sich drückte. Daisy schnaubte, und Jefferson blickte abrupt hoch. "Nein", flehte Emily leise. Ihre Knie waren so schwach, sie konnte nur gegen Jefferson sinken. Aber sie hörte genau das, was auch er gehört hatte. Das Geräusch von Stiefeln, die über Kies knirschten, und das Gemurmel von Stimmen. Sie näherten sich eindeutig dem Stall. Jefferson zog langsam die Hand zurück und brachte ihre Shorts in Ordnung. Ohne ein Wort zu sagen, schob er Emily von sich. Und einen Moment vor Daniel, der gähnend den Stall betrat, war Jefferson durch die Tür des Geräteschuppens nach draußen verschwunden. Nachdem Emily sich geduscht hatte, zog sie ein Sommerkleid mit dünnen Schulterträgern an. Ihr Haar hatte sie handtuchgetrocknet und feucht in einen dicken Zopf geflochten. Dann legte sie einen Hauch Make-up auf. Nun gut, sie fühlte sich innen wie ein Wrack, aber zumindest vermittelte sie nach außen den Eindruck von Gelassenheit. Und das tröstete sie ein wenig. Sie räumte noch in ihrem Zimmer auf und ging dann nach unten. Vom Quartier der Rancharbeiter schallte die Glocke herüber. Maggie, die Frau des Vorarbeiters und Köchin auf der Ranch, rief die Männer zum Mittagessen. Auf bloßen Füßen betrat Emily die Küche. Sie lehnte sich gegen die Spüle vor dem Fenster und schaute hinaus auf das Treiben draußen, das Maggies Aufforderung zum Essen ausgelöst hatte. Ein Pick-up rollte heran, und eine Gruppe von jungen Männern sprang herunter und marschierte schnurstracks auf ihren Unterstand zu. Es war Erntezeit, und die Arbeit auf der Ranch lief wie immer gut voran. . Was blieb ihr hier zu tun? Es gab keine Arbeit, die hier getan werden mußte und die nicht durch irgend jemand erledigt wurde. Und so wie die Dinge
sich in ihrer Arbeit entwickelten, würde sie entweder ihre Zustimmung geben müssen zu einem Job, den sie niemals hatte haben wollen, oder sie würde sich nach einer anderen Stellung umsehen müssen. Emily wurde bewußt, daß sie auf dem besten Wege war, in Trübsinn zu versinken. Sie seufzte schwer, drückte die Schultern durch, und während sie ihr Frühstück vorbereitete, sprach sie sich gut zu. Sie war eine qualifizierte Kraft und hatte einen ausgezeichneten Werdegang in ihrem Arbeitsfach. Sie mochte sogar ihre Arbeit. Sie fand es befriedigend, wenn sie einen guten Abschluß Vorweisen konnte. Zahlen blieben Zahlen. Man konnte auf sie zählen. Oh, natürlich, man konnte sie wie alles andere manipulieren, aber die Zahlen Selbst? Die blieben beständig. Nicht so wie andere Dinge. Sie rührte den Eierkuchenteig mit soviel Kraft, daß er aus der Schüssel spritzte. Sei ehrlich zu dir selbst, Emily, mein Mädchen. Du wirst niemals vollkommen befriedigt sein. Weil du wirklich nur das eine haben möchtest. Einen Ehemann. Und nicht nur irgendeinen Ehemann. "Was um alles in der Welt rührst du da so heftig?" Tristans Stimme schreckte sie auf, und sie traf mit dem Ellbogen eine geöffnete Tüte Schokoladenflocken. Die Packung segelte zu Böden, und die Flocken flogen verstreut durch die Küche. Sie zog eine Grimasse, als Tristan Handfeger und Schaufel holte, um alles aufzukehren. "Okay, Knirps, was nervt dich?" "Nichts", antwortete Emily schnoddrig; stellte eine Pfanne auf den Herd und tat ein Stück Butter hinzu. "Komm schon." Er füllte sich ein Glas mit Wasser, trank es aus, dann füllte er es von heuern und trank es wieder in einem Zug aus. Emily nahm die Pfanne vom Herd, stellte sie zur Seite und drehte sich zu Tristan um. Mit untergeschlagenen Armen und
schiefgelegtem Kopf betrachtete sie ihn eine Weile. "Weißt du, Tristan, du bist wirklich ein atttaktiver Mann." Er zog die Augenbrauen hoch. . "Nein, ich meine es ernst." Sie musterte ihn wieder ein paar Sekunden lang. "Wie kommt das, daß du niemals ..., du weißt schon." Sie wedelte mit der Hand. "Was soll ich wissen?" fragte er argwöhnisch. "Du weißt schon." Emily warf ihm einen bedeutsamen Blick zu. "Du. Ich. Es ist ja nicht so, daß du Frauen nicht magst." "Herrje, Em! Wir haben solche Gefühle nicht, und du weißt es." Er schüttelte den Kopf und ging schnurstracks auf die Hintertür zu. "He, warte!" Emily packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. Sein weißes T-Shirt war Verschwitzt, und seine Jeans war staubig. Sein gewöhnlich goldbrauner Teint hatte sich von der Arbeit im Freien vertieft, und seine blauen Augen sahen mißtrauisch auf sie herunter. Er hatte einen So scharfen Verstand, daß es einem schon Angst einjagen konnte, und sein phantastisches Aussehen kam Jeffersons gleich. Wenn es einen Mann auf der weiten Welt gab, der es mit Jefferson Clay aufnehmen konnte, dann war es sein jüngster Bruder. Aber für Emily war Tristan einfach nur ihr bester Freund. "Wenn ich mich jetzt nicht beeile, bleibt kein Essen für mich übrig." "Vergiß für eine Minute deinen Magen." Sie runzelte die Stirn, "Ich meine es ernst. Sag mir, warum." "Em..." "Mach schon. Sieh es als eine Art Forschungsfrage an," "Oh, Teufel." Mit einer Kopfbewegung schnippte er das Haar aus der Stirn und ließ sich auf einen Küchenstuhl plumpsen. "Du fragst mich Dinge ...", murmelte er verwundert. Dann blitzten seine Augen übermütig auf. "Man soll nicht behaupten, daß ich jemals eine Frau enttäuscht habe."
"Vergiß es, okay? Ich hab mich anders besonnen. Ich will es doch nicht wissen." "Du hast mich jetzt neugierig gemacht. Ich möchte alles erfahren." Emily schoß ihm einen empörten Blick zu, und Tristan wurde wieder ernst, als sie sich ihm gegenüber an den Küchentisch setzte. "Weißt du, was dein Problem ist?" fragte er dann. "Ganz sicher wirst du es mir gleich sagen." "Mangel an Sex." Emily stöhnte und ließ den Kopf auf den Tisch fallen. "Erzähl mir etwas, das ich nicht weißt", murmelte sie. Sie seufzte schwer und setzte sich wieder aufrecht. "Sag mir, was ich tun soll, Tris. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Und ich beziehe mich nicht auf Sex", fügte sie hastig hinzu. "Dank dem Himmel dafür. Ich liebe dich, Knirps, aber Lektionen in Sex wäre wohl etwas, was ich dir nicht gern erteilen möchte. Ich ziehe Schülerinnen vor, die mehr ... an mir persönlich interessiert sind." Emily schnaubte entrüstet und stand auf, um die Pfanne wieder auf den Herd zu stellen. "Ich wohne mit dir zusammen", erinnerte sie ihn. "Ich habe deine Schülerinnen gesehen." "Okay, dieses ganze Dilemma hat entweder mit deinem Job oder mit Jefferson zu tun. Ich tippe auf Nummer zwei ..., auf meinen bösen großen Bruder. Und sosehr es mir auch weh tut, es dir zu sagen, aber ich habe keine Ahnung, was du tun solltest." Emily ließ den Pfannkuchenteig in die heiße Butter einlaufen. "Ich weiß nicht, ob ich hier länger bleiben soll", sagte sie und drückte eine unangenehme Idee aus, die ihr im Kopf herumgegangen war. "Emily, dies hier ist für dich genauso ein Zuhause wie für uns übrige."
Sie lächelte traurig. "Es ist schon ironisch, Tristan. All diese Jahre, wo ich Jeffersons Abreisen ertragen habe. Und diesmal werde ich es sein, die weggeht." "Du wirst also auch San Diego verlassen." Sie wich seinem Blick aus und sagte nichts. "Emily?" "Vielleicht ist die Zeit für Wechsel gekommen",' flüsterte sie. "Sie war längst überfällig." "Verdammt! Ich will: nicht meine beste Freundin verlieren, weil mein dickköpfiger Brüder nicht einsehen kann, was er vor der Nase hat. Emily nahm den Pfannkuchen heraus; "Ärger dich nicht über Jefferson. Er kann nichts dafür, daß er so ..." Tristan unterbrach sie mit einem offenen Wort. "Er liebt dich, Emily. Einfach und schlicht, er liebt dich." "Wenn er mich liebte ...", brachte, sie mit erstickter Stimme heraus, "... würde er damit aufhören, mich von sich zu stoßen." Sie gab es auf, sieh mit dem Pfannkuchen zu beschäftigen. "Ich weiß, daß er Gefühle für mich hat", räumte sie ein. "Daß er sich zu mir hingezogen fühlt." Sie wurde rot. "Aber ich brauche mehr. Ich möchte, daß er sich mir mitteilt. Weißt du? Seine Gedanken. Seine Träume. Seine Vergangenheit. Doch was noch wichtiger ist, er braucht jemand, dem er sich mitteilen kann." Sie kämpfte gegen die Tränen an. "Und diese Person bin nicht ich. Und es wird Zeit, daß ich das einsehe." Sie sah Tristan an. "Also nimmst du dir Jefferson als Vorbild und rennst vor den Menschen davon, die dich lieben." Es schmerzte Emily, was Tristan so unverblümt geäußert hatte. "Wahrscheinlich tue ich das tatsächlich", gab sie zu. "Aber ich kann nicht so weitermachen. Vielleicht wird ein kompletter Bruch helfen." "Es wird nicht mir helfen", entgegnete Tristan. "Und es wird ganz sicher Jefferson nicht helfen." "Ich weiß es nicht!" Emily schluchzte.
"Das ist alles so idiotisch", fuhr Tristan auf. "Jefferson wird mir wahrscheinlich das Genick umdrehen, wenn er herausfindet, daß ich es ausgeplaudert habe. Aber er hat diesen verrückten Gedanken, daß seine Gefühle für dich unstatthaft sind. Weil Squire dich sozusagen an Kindes Statt angenommen hat und all das." "Aber das ist lächerlich. Jefferson weiß, daß wir nicht verwandt sind. Wir haben sogar darüber gesprochen." Tristan zuckte die Schultern. "Hast du Jefferson von deinen Plänen erzählt?" "Noch nicht." . "Dann versprich mir eines." "Was?" "Zuerst dein Versprechen." Sie rollte die Augen. "Ich verspreche." "Sag weder Squire noch sonst jemandem, daß du weggehst, nicht bevor du mit Jefferson darüber gesprochen hast." Er riß die Tür auf. "Ich schwöre dir, Emily, du wirst nicht dein Zuhause und deine Familie aufgeben, und wenn ich das, was ich Jefferson angedroht habe, wahrmachen müßte und dich selbst heiraten würde." Und damit war er draußen. Emily blinzelte verwirrt. Dann lief sie vor die Tür und rief ihm hinterher: "Was hat das schon wieder zu bedeuten, Tristan?" Ohne sich umzudrehen, rief er zurück: "Vergiß dein Versprechen nicht!" Emily stand eine ganze Weile da und überlegte. Was hatte Tristan Jefferson angedroht?
9. KAPITEL Emily hatte sich halbwegs entschlossen, gleich nachdem, sie wieder in San Diego sein würde, Bewerbungen nach New York zu schicken. Warum sollte es nicht zur Abwechslung einmal der Osten des Landes sein? Aber erst einmal war die allnachmittagliche Fahrt ins Krankenhaus geplant. Als sie Daniel mit einem in Plastikfolie gewickelten Schokoladenkuchen zum Wagen folgte, sah sie Sawyer und Jefferson zusammenstehen und miteinander streiten. Emily beobachtete die beiden offen, obwohl sie zu weit weg waren, um auch nur ein Wort, zu verstehen. "Willst du hier den ganzen Tag stehenbleiben?" Tristan gab ihr einen sanften Schubs, nahm sie bei der Hand und ging auf das Auto zu. "Ich würde diese Blechdose, die du dir geliehen hast, fahren, aber der Fahrersitz geht mir nicht weit genug nach hinten." "Was soll das da drüben bedeuten?" Sie wies mit dem Kopf in Sawyers und Jeffersons Richtung. Tristan legte den Arm um ihre Schultern. "Schlecht zu sagen. Vielleicht gibt der weise alte Sawyer Jefferson einige Ratschläge für sein Liebesleben." Emily stieß Tristan mit dem Ellbogen in die Rippen. "Sehr lustig." Sie ging um den Wagen herum und öffnete die Tür. Über das Wagendach sah sie, wie Sawyer gestikulierte. Plötzlich hob Jefferson den Kopf, und über die Entfernung hinweg suchte er Emilys Blick. Sie hielt den Atem an.
Jefferson sagte etwas zu Sawyer, der entschieden den Kopf schüttelte. Doch dann verabschiedeten sie sich mit einem Händedruck. Jefferson blieb stehen und schaute Sawyer hinterher, der zum Geländewagen ging. Eine abgewetzte Reisetasche stand auf dem Kies nahe dem Wagen, und Sawyer nahm sie auf und warf sie auf den Rücksitz, bevor er um den Geländewägen herumging und sich neben Matthew setzte. "Was hat es mit dieser Reisetasche auf sich?" fragte sie Tristan. "Hmm?" Er bemerkte ihren Gesichtsausdruck. "Ist was vorgefallen?" "Verläßt Jefferson die Ranch?" "Wie kommst du auf diesen Gedanken?" "Aber die Reisetasche ..." Tristan zuckte die Schultern. "Oh ... Darin sind wahrscheinlich Sachen für Squire. Er wollte, daß wir ihm das eine oder andere bringen. Also beruhige dich." "Warum hat dann Sawyer nicht Squires Tasche genommen?", fragte Emily und stellte die Kuchenplatte auf den Boden vor dem Rücksitz. "Was?" "Die Reisetasche", sagte Emily ungeduldig. "Warum sollte Sawyer Squires Sachen in Jeffersons Reisetasche tun? Aber vielleicht ist es ja doch Sawyers Reisetasche." "Wie zum Teufel soll ich das wissen? Vielleicht hat er Squires Tasche nicht gefunden. Meine Güte, Emily. Faß dich!" "Du würdest es mir sagen, wenn Jefferson wegginge, nicht wahr?" Tristan stöhnte. "Ich würde es dir sagen", versprach er. "Und er geht nicht weg." Emily biß sich auf die Lippen. Sie wandte den Blick von Tristans aufgebrachtem Starren zu Matts Geländewagen. Jefferson war der einzige, der nicht drin saß. "Okay, ich glaube
dir", murmelte sie und stieg ein. Sie startete den Motor und folgte dem Geländewagen. Im Rückspiegel erblickte sie Jefferson, der bei den Zitterpappeln stand und ihnen nachsah. Kurz nachdem er aus der Sicht hinter dem großen Haus verschwunden war, brachte Emily den Wagen zum Halten. "Was tust du da?" Emily drehte sich zu Tristan um. "Du hast Jefferson doch nicht etwa erzählt, daß wir ein Verhältnis miteinander hätten, oder?" Tristan blickte betreten drein. "Du hast es." Am liebsten wäre Emily ihm an die Kehle gegangen. "Tristan, was soll ich mit dir tun? Kein Wunder, daß Jefferson uns seltsam beobachtet, wenn wir beide zusammen sind." "Er hat es mir nicht abgenommen", versicherte Tristan ihr. "Ich wollte ihm nur ein wenig Feuer unter dem Hintern machen", fügte er hinzu. "He, was soll das nun schon wieder?" Emily öffnete den Sicherheitsgurt und stieg aus. "Du mußt fahren. Ob deine Beine nun zu lang sind oder auch nicht. Sag Squire, ich bin morgen bei ihm. Und gib den Krankenschwestern den Schokoladenkuchen. Iß ihn nicht auf, bevor du da, bist." "Was hast du vor?" "Einige Antworten zu bekommen", antwortete sie. "Oder endgültig eine komplette Idiotin aus mir zu machen." Sie zuckte die Schultern. "Such es dir aus." Tristan stieg aus und ging zur Fahrerseite. "Erzähl ihm von deiner verrückten Idee von vorhin, daß er abreist", riet er ihr und mühte sich hinter das Steuer. Er stieß sein Knie daran und stöhnte. "Vielleicht sollte ich doch lieber hierbleiben", murmelte er.
"Wag es ja nicht." Emily drückte seinen Kopf nach innen und schloß die Tür; "Endlich ein Abend ohne Menschengewimmel hier, und ich habe vor, es auszunutzen." Tristan lachte in sich hinein und startete den Wagen, "Laß dich nicht von ihm bange machen", sagte er sachlich. "Du bist genau das, was er braucht," "Genau das, was er braucht", wiederholte Emily, während Tristan davonfuhr. Sie atmete; tief ein, und mit klopfendem Herzen ging sie auf das Haus zu. Sie durchstreifte die Räume im Erdgeschoß, aber Jefferson war nicht da. Auch nicht oben oder auf der Veranda oder im Keller. Es war klar, daß Jefferson nicht im Haus war, Sie wollte schon das Ganze aufgeben, aber dann schalt sie sich einen Feigling. Jefferson mußte irgendwo sein. Also mußte sie ihn nur finden. Und das würde sie auch. Sie trat durch die vordere Eingangstür nach draußen und mußte die Augen gegen die grelle Sonne zusammenkneifen, die genau über dem Horizont schwebte. Streifen von Bot und Orange flammten über den Himmel in einem grandiosen Sonnenuntergang. Die Hollywoodschaukel, die schon von jeher hier auf der Veranda gestanden hatte, pendelte leicht in der warmen Brise. Emily nahm die Treppe hinunter und ging um das Haus herum. Auch hier gab es kein Zeichen von Jefferson. Emily machte sich auf den Weg zum Pferdestall, aber auch da waren die einzigen Laute das sanfte Wiehern der Dutzend Pferde, die in ihren Boxen standen. Sie marschierte zum Korral. Der einzige, der ihr Aufmerksamkeit zeigte, war der Setter, der sich langsam aus seiner ausgestreckten Lage erhob und sieh eingehend streckte, ehe er zu Emily herübertrottete. "He, Sandy", begrüßte sie Matthews Hündin und kraulte sie hinter den Ohren. "Wo ist Jefferson?" Die Hündin legte den Kopf zur Seite und sah Emily aus ihren sanften Augen an.
Emily tätschelte Sandys Kopf und blickte sich um. Zu ihrer Rechten lag der Schotterpfad, der zur Halle mit den Feldmaschinen führte. Stimmen und Musik klang von dem Quartier der Rancharbeiter herüber. Die Männer saßen wohl noch beim Abendessen. Sie ging den Weg zurück, den sie gekommen war, kam an dem Pferdestall vorbei und blieb stehen. In einer weichen Kurve führte der Kiesweg von hier zum Schwimmteich. Als Emily die Fliederbüsche erreichte, die dick und üppig zwischen den Bäumen um das Wasser herum blühten, sandte die Sonne ihre letzten Strahlen in den schwindenden Tag. Trockene Zweige knisterten unter ihren Sandalen, als sie zwischen den Bäumen hindurchschlüpfte. Ein Sonnenstrahl, der durch die Bäume fiel, hob das Goldblond von Jeffersons kinnlangem Haar hervor. Emily blieb abrupt stehen und drückte die Hand auf das Herz. Jefferson lag auf dem Rücken auf dem flachen Felsblock, der von der Böschung herausragte. Fast wie im Traum sah sie, wie seine Augen sich auf sie richteten. Als ob er sie erwartet hätte. Sehnsüchtiges Verlangen erfüllte sie. Es war kein Traum. Während dieses kurzen Moments, den Emily brauchte, um die wenigen Meter zum Felsbrocken zu überqueren, flackerte das Sonnenlicht noch einmal auf, um sich dann zu verlieren. Die Abenddämmerung breitete sich aus, hielt noch eine Weile die Dunkelheit der Nacht zurück. "Ich dachte, du wolltest zu Squire." "Das wollte ich." Emily bückte sich, um die Riemen ihrer Sandalen zu lösen, und kickte sie dann von den Füßen. Sie verringerte den Abstand. Unter ihren Füßen war der Stein noch immer warm von der Hitze des Tages. Jefferson beobachtete sie schweigend. Was er dachte, wußte sie nicht. "Squire wird dich vermissen", murmelte er schließlich.
"Ich bin sicher, daß er auch dich vermissen wird. Ganz gleich, welche Probleme ihr miteinander habt." Er legte den Arm über die Augen. Aber er sagte nichts dazu. Er hörte, wie Emily auf ihn zukam, und dann spürte er ihre Wärme an seinen Knien, als sie sich neben ihn setzte. Er betrachtete sie unter dem Arm hervor. Sie zog die Beine an, zupfte ihren weiten Rock zurecht und legte die Arme um die Knie. "Zwischen Tristan und mir gibt es nichts anderes als Freundschaft", sagte sie leise. Sie wollte keine Einleitung. Sie wollte zumindest das geklärt haben. "Ich weiß nicht, was Tristan dir erzähl hat. Ich weiß nur, daß er dir etwas erzählt hat. Er war nur ..., nur ..." Sie unterbrach sich. "Ich weiß, weshalb er es gesagt hat." Emily nagte an der Unterlippe und war froh für die aufkommende Dunkelheit. "Hätte es dir etwas ausgemacht, wenn es so gewesen wäre?" Emily gab einen frustrierten Laut von sich über sein Schweigen und erhob sich. Sie nahm ihre Sandalen auf. "Eines Tages", murmelte sie bitter, während sie auf die Bäume zuging, "werde ich es wohl gelernt haben, dich in Ruhe zu lassen." Ihre Stimme klang leise, aber Jefferson hatte es trotzdem gehört. "Ich werde dann endlich begriffen haben, daß du nichts von mir wissen willst." Jefferson setzte sich auf und blickte ihr nach. Er rief sogar ihren Namen, doch Emily hörte ihn nicht. Oder vielleicht hörte sie ihn und kümmerte sich nicht darum. Er nannte sich selbst einen Idioten, sprang auf und eilte ihr nach. Sie stand gegen einen Baum gelehnt und schlüpfte in die Sandale. "Emily." Sie blickte über die Schulter zu ihm herüber, und er erkannte, daß sie weinte. "Geh weg." "Laß mich das tun." Er nahm ihr die andere Sandale aus der Hand, kniete sich vor sie hin und bürstete die Blätter von ihrer Fußsohle, bevor er ihr die Sandale überstreifte. Emily wollte
sich von ihm wegbewegen, aber er stellte sich ihr in den Weg. Mit dem Daumen fuhr er über ihre Wange. "Es tut mir leid." "Mir tut es auch leid", schniefte sie. "Mir tut es leid, daß du ein dickköpfiger, schäbiger, rückständiger, dämlicher, sturer Bock bist!" Jefferson brachte sie auf die einfachste Weise, die er kannte, zum Schweigen. Er küßte sie. Emily schnappte nach Luft, als er den Kopf hob. Aber sie war zumindest still. "Rückständig?" "Oh, verdammt, Jefferson Clay", murmelte sie und legte ihm die Hände in den Nacken. Sie zog seinen Kopf herunter und küßte ihn. Sein Atem ging stoßweise, als sie den Kuß abbrach, und er nahm ihre Hände von seinem Nacken. "Wir können das nicht tun." "Das hast du bereits gesagt." Sie wollte ihm die Hände entziehen, aber sein Griff wurde nur noch stärker. Wenn er ein Gentleman wäre, würde er einen Schritt zurücktreten, nachdem er ihre Kurven so dicht an seinem Körper spürte. Aber natürlich, wenn er ein Gentleman wäre, würde er sie nicht gegen den Baum drücken. "Laß mich los", stieß Emily zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Jefferson verbiß sich einen Fluch. "Ich wünschte, ich könnte es", murmelte er. Emily ließ einen Schwall von Schimpfworten vom Stapel, die er von ihr, seit sie ein Teenager gewesen war, nicht wieder gehört hatte. "Beeindruckend", sagte er trocken. Aber er ließ sie noch immer nicht los. Sie wurde schlaff. Ihr Kopf sank nach vorn. "Bitte, Jefferson. Treib kein Spiel mit mir." Er ließ sie los und umschmiegte mit der Hand zärtlich ihre satinweiche Wange. "Em ..., verdammt!"
Emily hatte ihm in den Magen geboxt! Die Überraschung war total. In der winzigen Zeitspanne, die Jefferson brauchte, um sich zu erholen, war sie um ihn herumgeschlüpft und rannte auf das Haus zu. Jefferson setzte ihr nach, und obwohl er mit seinem Bein behindert war, hatte er sie bald eingeholt. "Bleib stehen", murmelte er und umfaßte ihre Taille. Emily versuchte sich von ihm zu lösen. "Zieh Leine", zischte sie. "Ich hasse dich!" "Teufel auch", brummte Jefferson und ließ sich einfach mit ihr zu Boden fallen. Er dämpfte den Fall mit seinem Körper, aber Emily versuchte sich wieder aufzurappeln. Er drehte sich mit ihr, bis er sie unter sich hatte und mit seinem Gewicht zu Boden preßte. Sein Körper reagierte prompt darauf. "Ich hasse dich", wiederholte sie, obwohl ihre Hände wie von selbst sich auf seine Schultern legten. Mit der rosa Zungenspitze fuhr sie sich über die Lippen. Es war der Himmel ..., ein peinigender Himmel. Jefferson stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab, um sich anzuheben, und war sich schmerzhaft bewußt, wie Emilys Schenkel sich unter dem geblümten Rock entspannten. Er brauchte sich nur herabzusenken. Sie lagen hier in der Dunkelheit, verborgen durch das hohe Gras. Sie konnten genau das tun, was sie ersehnten, ohne daß jemand sie sah. Emily verschlug es den Atem, als Jefferson sich in seiner ganzen Länge auf sie legte. Sie ließ den Kopf zurückfallen, und die schlanke Linie ihres Halses wurde sichtbar. Das Verlangen nach ihr brachte Jefferson fast um den Verstand. Er drückte die geöffneten Lippen auf ihren Hals. Emily war süßer als Honig. Er legte die Hand an ihre Wange, und Emily drehte den Kopf und küßte seine Handfläche. Mit der anderen Hand fuhr er von ihrer Hüfte entlang zu ihrem flachen Bauch. Ihre dunklen Augen waren unergründlich
im Schimmer des aufsteigenden Mondes. Er ließ die Hand nach oben gleiten und umfaßte ihre Brust. "Ich habe dich heute abend beobachtet, als du in den Wagen gestiegen bist, um ins Krankenhaus zu fahren." Jefferson neigte den Kopf und nahm die Knospe durch den Stoff ihres Kleides zwischen die Zähne. Emily bog sich ihm sehnsüchtig entgegen. "Ich habe noch nie etwas Schöneres als dich gesehen. Und auf einmal tauchtest du beim Teich auf, und mir war, als ob ich dich durch meine Gedanken heraufbeschworen hätte." Emily flüsterte seinen Namen. "Ich wußte ..." Jefferson hob den Kopf und sah hinauf zu den Sternen, die am Himmel glitzerten. "Ich wußte genau, was in deinem Kopf vorgegangen ist." Als er Emily wieder ansah, erkannte er, daß sie sich wappnete. Sie fürchtete, daß er sie wie schon so oft, von sich stoßen würde. "Du wolltest, daß wir beide zusammenkommen. Daß wir uns berühren. Daß wir uns lieben." Er schloß die Augen. "Das wollte ich auch." Er öffnete die Augen und sah, wie sie schluckte. "Der Himmel möge mir vergeben, aber ich kann es nicht aufhalten." Seine Stimme klang rauh vor Gefühlen. Ihr Herz wurde so weit, daß Emily fürchtete, es würde bersten. "Vielleicht will der Himmel gar nicht, daß du es aufhältst", wisperte sie. Sie wollte es jedenfalls nicht. "Du solltest verheiratet sein", sagte Jefferson nach einer Weile des Nachdenkens. Eine seltsame Ruhe überkam Emily. "Ich sollte geliebt werden", entgegnete sie fest. "Aufrichtig geliebt werden." Jefferson zuckte zusammen. "Sag das nicht." "Jefferson..." Er zog die Hand von ihrer Brust und berührte ihre Lippen. "Psst." Emily nahm die Hand und küßte sie. "Ich liebe dich, Jefferson."
Er schüttelte leicht den Kopf. "Nein." "Ja." Sie hielt seine Hand fest, als er sie zurückziehen wollte. "Ich liebe dich." "Das meinst du nicht so." Emily drückte seine Hand auf ihr Herz. "Doch, ich meine es so." "Du läßt dich im Augenblick nur von den Gefühlen hinreißen." Er hob sich von ihr und setzte sich neben sie. Wie oft hatte Emily Jefferson sagen wollen, wie es um ihr Herz stand. Und wie oft war sie zurückgewichen. Diesmal würde sie nicht zurückweichen. Noch nicht. "Ich habe dich geliebt, so lange ich zurückdenken kann, Jefferson. Wenn ich mich im Augenblick von meinen Gefühlen hinreißen lasse ..." Sie mußte schlucken, ehe sie die Worte aussprechen konnte, "... dann tust du es auch." Sie kniete sich und lehnte sich zu ihm vor. Sie küßte seine Braue. Seine Schläfe. Die mittlerweile vertraute Narbe neben seinem Auge. Sein Atem streifte warm ihre Wange, und sie hielt ihre Lippen nur eine Haaresbreite von seinen Lippen entfernt. "Du mußt mir keine Eingeständnisse machen, Jefferson", flüsterte sie. "Gib nur nicht vor, daß ich zu jung oder zu naiv sei oder daß du meine Gefühle kennst." Mit der Zungenspitze fuhr sie leicht über seinen Mundwinkel. "Ich liebe dich wirklich." Sie küßte sein Kinn. "Und ich glaube, daß, wenn du es zulassen würdest, wir glücklich miteinander sein könnten. Was ich mir genau jetzt am meisten wünsche, ist, daß wir uns lieben", murmelte sie an seinem Ohr. "Mehr als alles andere, was ich mir in meinem Leben gewünscht habe." Sie setzte sich zurück auf die Fersen. "Aber wenn du mir jetzt sagst, daß du ... mich ... nicht willst ..." Sie holte tief Luft. "Dann laß ich dich allein." Emily wußte zwar nicht, wie sie das Versprechen würde halten können. Aber sie würde es. Sie würde von hier verschwinden, wie sie es bereits Tristan gesagt hatte. Sie würde aus Jeffersons Leben für immer verschwinden.
Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als er sich erhob. Sie versuchte, in seinem Gesicht zu lesen, doch die Schatten der Nacht machten es ihr unmöglich. "Ich bin zu alt für dich, Emily. Ich bin es schon immer gewesen. Warte", sagte er, als sie die Schultern hängen ließ. "Ich bin noch nicht fertig. Mein ganzes Leben steht zwischen uns. Meine Erfahrungen. Aber das bedeutet nicht, daß es mich davon abhält, dich zu begehren." Squires Ärger ..., sein Mißfallen ..., seine Drohung, ihn für immer aus dem Haus zu weisen, falls er Emily auch nur anrührte, hatten ihn nicht davon abgehalten, sie zu begehren. "Ich möchte dir nicht weh tun, Emily, aber ich weiß, daß ich es tun werde." "Also ist es besser, mir jetzt weh zu tun als später. Richtig?" "Nein! Verdammt, das ist nicht das, was ich sagen wollte." Jefferson zog Emily zu sich hoch. "Ich wollte sagen, ich begehre dich so sehr, daß es schmerzt. Und im Augenblick bin ich zu müde und zu egoistisch, um dich wieder von mir zu weisen." Er sah sie prüfend an. "Ich warne dich, Emily. Weil, wenn ich einmal beginne, ich nicht aufhören kann." Eine Wolke zog vor den Mond, verdunkelte kurz das blasse Licht. Emily befeuchtete ihre Lippen. "Ich möchte, daß wir uns lieben." Jefferson entspannte sich und fuhr mit dem Daumen über ihre tränenfeuchten Wangen. Emily konnte kaum atmen, ihr Herz hämmerte. Er nahm ihre Hand und führte Emily zum Teich an eine Stelle, wo das Gras und der Klee eine dicke Matte bildeten. Im Wasser spiegelte sich der Mond. Ein Frosch quakte. Die Blätter der Bäume raschelten. Noch nie zuvor hatte Emily eine solch süße Nachtmusik gehört. Jefferson knöpfte sein Hemd auf, zog es aus und warf es zur Seite. Emily schluckte nervös, als er die Jeans ablegte, die er auch auf den Boden warf. Dann ging er vor ihr in die Hocke. "Heb den Fuß", ordnete er leise an. Sie gehorchte, und er zog ihr erst die eine Sandale, dann die andere aus. Das Gras war
kühl und weich unter ihren Füßen. Er umfaßte ihre Gelenke, und Emily zitterte. Sie stützte sich mit den Händen auf seine Schultern. Langsam ließ er die Hände unter ihren langen, weiten Rock nach oben gleiten. Er sah zu Emily auf, gab ihr Zeit, sich zu fangen. Sie ließ seine Schultern los und strich ihm das Haar aus der Stirn. Sein Blick hielt ihren fest, als er mit den Fingerspitzen zu ihren Hüften bis zum Rand ihres Spitzenhöschens hinauf strich. Emily wußte, daß ihre ganze Liebe für Jefferson sich in ihren Augen spiegelte. Jefferson zog das kleine Nichts aus Spitze an ihren Beinen herunter, warf es zu seinem Hemd und stand langsam auf. Er überragte Emily und versperrte das blasse Mondlicht hinter ihm. Er war in seiner Männlichkeit großartig. Viel, viel großartiger, als Emily es sich in ihren Träumen ausgemalt hatte. Er zog ihr das Kleid aus, dann streifte er den Träger ihres BHs von der Schulter und entblößte eine Brust. Er neigte den Kopf und nahm die Knospe in den Mund. "Küß mich", flüsterte Emily unerträglich erregt. Und Jefferson küßte sie. Auf die Schläfe. Ihr Kinn. Ihre Schulter. "Küß mich", flehte sie. Flüchtige Küsse genügten ihr nicht mehr. Jefferson zog am Pferdeschwanz ihren Kopf zurück und legte die Lippen leicht auf den Puls, der in der Halsbeuge sichtbar schlug. "Du machst mich verrückt", warf Emily ihm atemlos vor. "Ich will dich verrückt haben", flüsterte Jefferson und nahm ihr den BH ab, "So verrückt und so völlig verzweifelt, wie ich all diese Jahre gewesen bin." Emily keuchte seinen Namen, als er sich vor sie kniete und zu ihr aufschaute. Zu ihren vollen Brüsten, die im Mondlicht weiß schimmerten. Emily krallte ihre Finger in seine Schultern, als er sich vorlehnte und die Lippen auf ihren Bauch drückte. Er fühlte, wie sie erzitterte. "Wie oft hast du davon geträumt?"
Sie beugte sieh über ihn und drückte die Stirn auf sein Haar. Jefferson hatte darauf gewartet. Auf ihre Berührung. Auf ihre Hingabe. Auf genau dies hier. Und er sollte erschossen werden für das, was er tat. Es gab keine Zukunft für sie beide. Keine Zukunft für ihn. "Jefferson ..." Ihre Stimme klang süß und sanft. Er biß die Zähne zusammen und zwang sich, zärtlich vorzugehen. Langsam. Emily verdiente zumindest das von ihm. "Jefferson, du..., oh ..., du tust es nicht nur..., oh, bitte ..." Sie brach mit einem kleinen Aufschrei ab, als er sie genau da küßte, wo sie am empfindlichsten war. "Hm?" Er hatte nur ihre Stimme gehört, verstanden hatte er sie nicht. Das, was er jetzt tat, beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Emily zitterte am ganzen Körper. Und als Jefferson sich erhob und sie betrachtete, wußte sie, wieviel Lust ihm ihr Anblick bereitete. Dann nahm er sie bei den Schultern und drückte sie sanft zurück in den duftenden Klee. Er legte sich auf sie und glitt mit einer Hand unter sie, um Emily an sich zu drücken. "Ist das Antwort genug?" fragte er rauh. "Ich werde Sex mit dir haben, weil ich dich liebe", flüsterte Emily.. "Ich werde Sex mit dir haben, weil ich dich will", entgegnete Jefferson leise. Doch diesmal ließ Emily sich von dem abweisenden Klang nicht berühren. Sie lächelte und bewegte sich herausfordernd unter ihm. Es war eine himmlische Lust, seine Nacktheit zu spüren. Jeden Muskel, jedes Härchen von ihm. "Du verdienst Kerzenlicht und Wein", murmelte Jefferson. "Wir haben Mondlicht und Klee", flüsterte Emily und küßte ihn auf das Kinn. "Nichts könnte perfekter sein", fügte sie hinzu. "Schließ die Augen", bat Jefferson leise. Emily tat es und hielt den Atem an, als Jefferson sie liebkoste,
während er sie fast andächtig küßte. Jefferson brauchte all seine Selbstbeherrschung, um Emily nicht schnell und rücksichtslos zu nehmen. Sie kam seinen Zärtlichkeiten völlig losgelöst entgegen; und Jefferson begriff, daß sie sich ihm hingebungsvoll schenken wollte. Sie war so klein. So zerbrechlich. Er stützte sich auf die Ellbogen und löste sich kurz von ihr, um sich dann von ihrer süßen Weiblichkeit aufnehmen zu lassen. "Schau mich an", forderte er Emily auf. Er wollte ihr in die Augen sehen, wenn sie verbunden waren. Er beobachtete, wie sie ihre schweren Lider langsam hob. Vertrauend. Ihre Augen so von Liebe gefüllt, daß sich ihm die Kehle zuzog. Ihre Augen weiteten sich. Ihre Finger krallten sich in seine Arme. Sie waren vereinigt. Jefferson beherrschte sich unbarmherzig. Er führte sie rücksichtsvoll, liebevoll, bis die Leidenschaft ihn übermannte und er sich gehenlassen mußte. "Emily ..." Sie biß sich auf die Lippen. Sie konnte nicht atmen. Sie stöhnte seinen Namen heraus. Lichter explodierten. Die Welt hörte auf zu existieren. Emily war alles, was Jefferson in dieser Welt haben wollte. Das war sein letzter zusammenhängender Gedanke, ehe er nichts mehr um sich herum wahrnahm. Sie hatten miteinander geschlafen. Es war der erste Gedanke, den Emily hatte, noch ehe sie ganz wach war. Die Vertrautheit war da. Keine Sekunde, auch nicht der Bruchteil einer Sekunde der Verwunderung, wo sie sich befand, kam in ihr auf. Offensichtlich hatte Jefferson sie beide irgendwann mit ihren Kleidungsstücken spärlich zugedeckt. Emily lächelte weich, drehte sich so, daß sie ihn ansehen konnte, und schmiegte sich in seine Wärme, während die Morgendämmerung sich langsam ausbreitete. Jefferson atmete tief ein und drückte ihren Kopf gegen seine Schulter. "Hör auf zu hampeln", murmelte er verschlafen.
"Ich dachte, du schläfst." "Das habe ich." Emily drängte sich an ihn. Sie mochte es, wie Jefferson sie hielt. Mochte es, wie er sie zärtlich und auf eine viel sanftere und genußvollere Weise beim zweiten Mal geliebt hatte. Jefferson beobachtete sie still. Sie hatte Grashalme und vertrocknete Ästchen im Haar. Und er begehrte sie wieder. Mehr sogar also zuvor. "Jefferson ..." "Nein", warnte er abrupt, denn er wußte, was kommen würde. Emily zog die Stirn kraus und setzte sich auf, "Warum erzählst du mir nicht, was zwischen dir und Squire vorgeht?" Jefferson schüttelte nur den Kopf und griff nach ihr. Aber sie wich ihm geschickt aus, ließ sich zur Seite fallen und rollte ein ganzes Stück von ihm weg. "Komm her zu mir." "Nein." Emily lachte. "Es sei denn, du läßt dich auf eine Vereinbarung ein." Jefferson zog die Augen zusammen. "Ich lasse mich auf so etwas grundsätzlich nicht ein." Sie überhörte seinen Einwurf. "Ich komme zu dir herüber, und du erzählst mir, warum es zwischen deinem Vater und dir eine so tiefe Kluft gibt", sagte sie statt dessen. "Okay", seufzte sie schließlich, als Jefferson darauf nicht reagierte, und kroch einige Zentimeter auf ihn zu. "Ich komme zu dir, wenn du mir erzählst, was du die letzten Jahre getan hast. Warum du Alpträume hast." Jefferson legte sich auf die Seite, stützte den Kopf in die Hand und betrachtete sie. Ihre Brustspitzen hatten die Farbe von süßen Erdbeeren. Und er wußte, daß sie auch so schmeckten. "Okay", bot Emily ihm wieder an und schloß die Entfernung zwischen ihm um weitere Zentimeter. "Ich komme zu dir herüber, wenn du mir erzählst, woher du die Narbe auf der Hüfte hast."
Jefferson warf einen Blick an sich herunter und bemerkte zerstreut die Operationsnarbe. "Okay, ich komme zu dir herüber und ..." Schnell streckte er seinen langen Arm aus, umfaßte ihre Taille und zog Emily neben sich. "Du bist bereits hier." "Und du sagst mir gleich jetzt, letzte Nacht war die absolut beste, phantastischste, unglaublichste Erfahrung, die du jemals gehabt hast." "Oh, das ist leicht." Jefferson lächelte. "Letzte Nacht war die absolut beste, phantastischste, unglaublichste Erfahrung, die du jemals gehabt hast." Emily boxte ihn in die Schulter und beugte sich zu ihm herunter. "Du solltest öfter lächeln", murmelte sie an seinen Lippen. Jefferson küßte sie, bis ihr der Atem ausging. "Letzte Nacht", sagte er ihr, "war die unglaublichste Erfahrung, die ich jemals in meinem Leben gehabt habe." "Und du möchtest es wieder und wieder und wieder tun", schloß sie mit einem glücklichen Lächeln. "Und ich möchte es wieder und wieder und wieder tun", wiederholte Jefferson gehorsam. Wahrheitsgemäß. Hinreißende Momente später öffnete Emily die Augen und mußte sie gleich wieder gegen das Sonnenlicht schließen. Sie streckte sich wohlig und gähnte und blinzelte zu Jefferson hinüber, der in seine Jeans schlüpfte. Er nahm ihr Kleid auf und warf es ihr zu. Emily stand auf und zog es an und sah sich um. "Wo ist der Rest meiner ... meiner Sachen?" Jefferson drehte sich von ihr ab und hob ihre Sandalen auf. Als er sich wieder Emily zuwandte, starrte sie ihn entgeistert an. Sie beachtete nicht die Sandalen in seiner Hand, sondern ging um ihn herum. "Was um Himmels willen ist das?" Jefferson hätte sich treten können. Er war so von anderen Dingen beansprucht gewesen; daß er dummerweise die scheußliche Narbe auf seinem Rücken vergessen hatte.
Er zog Emily am Arm zu sich herum. "Laß das, Emily ..." Nur eine kleine Weile länger. Er wollte noch ein wenig mehr Zeit, ehe das Vertrauen, das jedesmal aus ihren Augen leuchtete, wenn sie ihn ansah, für immer verschwinden würde. "Wag es ja nicht zu sagen, das sei nichts", warnte Emily ihn. "Wo bist du gewesen, um eine solche Wunde zu bekommen? Und erzähl mir nicht, sie sei von einem kleinen Unfall. Man schießt gewöhnlich nicht auf Brückenbauer, nicht wahr?" "Ich habe dich gewarnt, Emily, aber du wolltest nicht hören. Ist dir schon jemals der Gedanke gekommen, daß es dich nichts angeht?" Emily zuckte zurück, als ob Jefferson sie geschlagen hätte. Auf einmal war die Barriere zwischen ihnen wieder da. Als ob sie beide nicht eine unvergeßliche Nacht miteinander verbracht hätten. "Wie ..., wie lange ist es her?" flüsterte sie. "Ich meine, daß du angeschossen worden bist." Seine Augen waren ausdruckslos. "Wie lange?" fragte sie mit erhobener Stimme. "Zumindest das könntest du beantworten!" Jefferson kniff die Lippen zusammen. "Zwei Jahre." Zwei Jahre. "Und diese hier?" Sie berührte die kleine Narbe neben seinem Auge. "Und diese hier?" Mit der Fingerspitze fuhr sie die Narbe an seinem Kinn entlang. "Stammen die auch aus dieser Zeit? Was ist mit der Narbe auf deiner Hüfte?" Jefferson wünschte sich, er könnte ihre Fragen ohne weiteres beantworten. Er wünschte sich, er wäre als Mensch besser. Und tapferer. "Sag mir das eine, Jefferson", flüsterte Emily und drehte sich abrupt von ihm weg, aber nicht schnell genug; daß ihm der Tränenschleier in ihren Augen verborgen geblieben wäre. "Was?" "Wenn die Kugel dich vor zwei Jahren getötet hätte, hätten wir davon erfahren? Oder wären wir weiter im Glauben
verblieben, du würdest immer noch den Globus umrunden, von einem Abenteuer zum anderen jagen?" "Man hätte euch Bescheid gegeben", antwortete Jefferson einsilbig. Er sah, wie ihre schlanken Schultern zitterten. "Man hätte es getan." Sie drückte die Schultern durch und wandte sich ihm wieder zu. "Wer immer man auch ist." "Du hast kein Recht, Em, dich in mein Leben, ob vergangen oder gegenwärtig, einzumischen." Emily warf ihm einen verstörten Blick zu, wirbelte herum und eilte davon. Jefferson. wollte ihr folgen, aber die Nacht auf dem Boden hatte ihn körperlich arg mitgenommen, und ein stechender Schmerz schoß ihm bis ins Rückgrat. Er blieb stocksteif stehen und wartete, daß der Schmerz nachließ. Als er schließlich abklang, war Jefferson schweißbedeckt. Er hielt sich am Baum fest, um sein Jeanshemd mit zwei Fingern aufzuheben. Mühsam richtete er sich wieder auf. Der Schmerz, der ihn jetzt überfiel, machte Jefferson klar, daß der zuvor nur eine milde Warnung gewesen war. Ihm wurde übel. Als der Schmerz ein wenig erträglicher wurde, humpelte Jefferson langsam auf das Haus zu.
10. KAPITEL Emily ging Jefferson aus dem Weg. Sie vermied es, ihn anzusehen oder ein persönliches Wort mit ihm zu reden. Als sie wieder einmal an ihm vorbei die Verandatreppe zum Haus hinaufeilte, folgte er ihr. Sie stand in der Küchentür mit hängenden Schultern. "Emily!" Sie zuckte zusammen, ging zum Backofen und öffnete ihn. Ohne Jefferson dabei anzuschauen, holte sie eine schwere Auflaufform heraus und stellte sie auf einen Dreifuß. "Was ist los, Emily?" Sie warf die Topflappen auf die Arbeitsplatte. "Du willst wissen, was los ist?" Sie schob eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ich kann nicht so tun, als ob es die vorige Nacht nicht gegeben hätte, Jefferson. Vielleicht kannst du es, ich kann es jedenfalls nicht. Wenn du es also nicht magst, wie ich mich dir gegenüber benehme, so bleib mir fern." "Ich kann unsere Nacht auch nicht vergessen", gab er mit rauher Stimme zu. Sie riß ein Stück von der Alufolie ab, wickelte damit das Weißbrot ein und schob es in den Backofen. "Hör mal, Squire kommt morgen wieder nach Haus, und ich verlasse euch bald. Alles wird sich wieder normalisieren. Aber bis dahin müssen wir miteinander auskommen." "Du wirst also diesen dummen Job annehmen."
"Was soll ich sonst tun? Ich habe Rechnungen, die bezahlt werden müssen, verdammt noch mal!" "Komm auf die Ranch zurück." "Und was soll ich hier tun? Mein Pferd würde hier frei unterkommen; aber mein Auto muß noch abbezahlt werden. Und du weißt sehr wohl, daß ich nicht auf Squires Kosten hier leben würde. Ich teile die Unkosten mit Tristan. Ich habe laufende Ausgaben." "Du würdest nicht auf Squires Kosten leben. Er möchte, daß du zurückkommst." Emily nahm eine Limone aus der Glasschale auf der Arbeitsplatte und schnitt sie in vier Teile. "Squire will uns alle hierhaben." "Nicht alle von uns." Sie sah Jefferson an. "Was soll das heißen?" Ein Muskel zuckte an seinem Kinn. "Squire hat mich vor sieben Jahren von der Ranch gejagt", sagte er nach einem Moment des Schweigens. "Was?" Emily dachte, sie hätte sich verhört. Vorsichtig wischte sie das Messer ab und steckte es zurück in den Schlitz des Holzblocks. "Das kannst du nicht im Ernst meinen. Du bist immer hiergewesen, seit du ..." "Zweimal. Innerhalb von sieben Jahren. Beide Male hat Squire es mir kristallklar zu verstehen gegeben, daß ich nicht willkommen sei:" "Nein. Squire würde niemals..." Emily blickte Jefferson ungläubig an. "Warum?" "Das spielt keine Rolle." "Natürlich spielt es eine Rolle!" In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken herum. "Etwa meinetwegen?" Sie sank auf einen Stuhl. "Warum sollte er so etwas tun?" "Er wollte dich beschützen." "Wovor? Vor seinem eigenen Sohn?" Emily schüttelte den Kopf. "Ich kann es nicht glauben."
"Er hat recht getan." "Er hat unrecht getan." Emily schlang die Arme um sich. "Du bist sein Sohn! Wie kann er sein eigenes Fleisch und Blut so behandeln?" "Du bist sein kleines Mädchen. Er wußte, daß ich früher oder später mich von dir nicht würde fernhalten können, und er wollte sichergehen, daß das nicht geschieht." "Aber vor sieben Jahren war ich noch in der Schule. Wie konnte er dich von hier, deinem Zuhause, verbannen?" "Ich glaube nicht, daß Squire logisch dachte", murmelte Jefferson mit riesiger Untertreibung. Denn Squire war vor Zorn ausgeflippt, als Jefferson ihm anvertraute, daß seine Gefühle für Emily mehr als brüderlich seien. "Es spielt wirklich keine Rolle mehr. Dies ist Squires Haus. Er hat das Recht, hier nach seinem Willen zu schalten und zu walten." Emily sprang auf. "Das ist lächerlich. Er hat nicht das Recht. Und ich werde es ihm sagen, sobald er hier ist!" "Nein!" "Nein? Hör mir gut zu, Freundchen. Wenn ich es Squire sagen will, dann sage ich es ihm! Und du wirst mir keine Befehle geben, wie ich mich verhalten soll." "Ich gebe dir keine Befehle. Und ich will auch nicht, daß du mit mir streitest." "Ich mit dir streiten? Ich streite nicht. Es regt mich nur auf, daß ich der Anlaß für seine ..." "Psst", flüsterte Jefferson und küßte sie hart auf den Mund. "Du wirst Squire gegenüber nichts davon erwähnen. Jede Aufregung könnte ihm schaden." Emily fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Jefferson hatte recht, wie gewöhnlich. "Es ergibt nur keinen Sinn." "He, essen wir oder nicht?" Tristan kam in die Küche geschossen. "Oh. Tschuldigung." Er verschwand genauso abrupt.
Emily warf einen Blick auf den dampfenden Auflauf. Dann nahm sie die Topflappen und holte das Brot aus dem Ofen. Jefferson nahm ihr das Brot aus den vor Aufregung noch immer zitternden Händen. "Groll ihm nicht, Emily. Es würde ihm das Herz brechen." "Wie kannst du von Herz sprechen?" Ihr standen Tränen in den Augen. "Ein Vater, der seinem eigenen Sohn sagt, daß er in seinem Haus nicht willkommen ist, hat kein Herz." Jefferson legte das Brot auf den Tisch und umfaßte ihre Schultern. "Er ist immer noch derselbe Mann, der dir Gutenachtgeschichten vorgelesen und dir das Fischen beigebracht hat. Er ist immer noch derselbe Mann, der dich aufs Internat schickte, weil er wußte, daß Bildung für dich eine gute Sache sei, obwohl es ihm Weh tat, dich wegzuschicken. Er hat sogar geweint.", "Wie kannst du ihn verteidigen?" "Ich stimme nicht immer mit Squire überein", sagte Jefferson. "Aber ich verstehe ihn." Er trocknete mit der Fingerspitze eine Träne, die ihr über die Wange rollte. "Mich von der Ranch zu weisen war nur ein Zeichen, Emily. Er wußte, daß ich es mir niemals erlauben würde, mich mit dir einzulassen." Das schmerzte. "Wirklich? Was würde er denn sagen, wenn er das von voriger Nacht erfahren würde?" "Er wird es nicht erfahren." Emily machte sich von Jefferson frei und stellte das Essen auf den Tisch. Gerade rechtzeitig genug für die Männer, die ausgehungert hereinkamen. Es war mitten in der Nacht, als Emily hinunter in die Küche ging, um sich heiße Schokolade zu machen. Sie hatte keinen Schlaf finden können. Was sie am meisten beschäftigte, war die Tatsache, daß Jefferson seinen Vater verteidigte, trotz allem, was Squire ihm angetan hatte.
Während sie die dampfende Schokolade in kleinen Schlucken trank, blickte sie aus dem Küchenfenster und glaubte, im Pferdestall Licht zu sehen. Sie ging zur Hintertür hinaus, achtete darauf, daß die Fliegentür nicht zuschlug. Und tatsächlich, im Pferdestall brannte genau über der Tür zum Geräteschuppen die Glühlampe. Sie warf einen Blick hinein. Jefferson saß auf einem Hocker über etwas gebeugt, neben ihm stand das Gefäß mit der Sattelseife. "Ist es nicht ein wenig spät; um die Sättel zu reinigen?" Er fuhr überrascht auf. Als Antwort hob er einen seiner Stiefel, den er mit der Seife einrieb. "Oh." Emily erkannte, daß es einer der Stiefel war, die er getragen hatte, als sie ihn ins Wasser stieß. "Nun, ist es nicht ein wenig spät, um Stiefel zu reinigen?" "Konnte nicht schlafen." "Ich weiß genau, wovon du redest." Er warf ihr einen kurzen Blick zu; "Du solltest nicht hiersein. Du erkältest dich." Emily mußte lächeln. "Jefferson, wir haben vor zwei Nächten draußen miteinander geschlafen. Und ich hatte weniger an, als ich jetzt anhabe." "Das wird nicht wieder geschehen", erwiderte er nach einer Weile des Schweigens. Emily gab nicht vor, ihn mißverstanden zu haben. "Warum?" "Weil ich dir nichts bieten kann", antwortete er in einem Tonfall, als ob sie schwer von Begriff wäre. "Weil daraus sich nichts Gutes entwickeln kann." "Da bin ich anderer Meinung." Sie schluckte. "Außerdem, wer hat gesagt, daß du mir etwas bieten mußt?" "Mein Engel, du bist für bis-daß-der-Tod-uns-scheidet geschaffen." "Ich hab dich nicht darum gebeten, warum machst du dir also deswegen Sorgen?"
Emily erstarrte, als er seine Hand über ihre legte. "Sieh mich nicht so an", sagte er rauh. "Wie sehe ich" dich an?" "Aus großen Augen." Er zog die Hand zurück und nahm wieder den Lappen auf. "Voller Verlangen." Emily wurde rot und zugleich auch sehr ärgerlich. "Dann hör auf, mich so ..., so begehrlich anzustarren." "Es wäre leichter, von mir zu verlangen, daß ich zu atmen aufhöre", murmelte Jefferson und griff nach ihr. Nur allzu willig ließ Emily sich zwischen seine Schenkel ziehen. Er küßte sie. "Ich liebe dich", sagte sie, als er schließlich den Kuß abbrechen mußte, um nach Luft zu schnappen. "Em..." "Ich kann die Worte nicht bei mir behalten, Jefferson. Es hat keinen Zweck, mir zu sagen, ich solle es versuchen," Sie strich mit der Fingerspitze über die Falten zwischen seinen. Augenbrauen. "Es wäre leichter, von mir zu verlangen, daß ich zu atmen aufhöre." Jefferson fuhr zärtlich mit den Fingern durch ihr langes Haar. "Ganz schön schlagfertig, wie?" "Hab die besten Lehrmeister gehabt," Mit halbgeschlossenen Augen fing sie an, sein Hemd aufzuknöpfen. "Ich liebe deine Brust", murmelte sie. Er umfaßte ihr Gesicht. "Nicht so sehr, wie ich deine Brüste liebe", erwiderte er leise, bevor er Emily leidenschaftlich küßte. Er schob Emily von sich und stand auf. "Geh zu Bett", sagte er, kehrte ihr den Rücken zu und tat so, als ob seine ganze Aufmerksamkeit den Satteln und Zäumen, die an der Wand hingen, gelten würde. "Nur wenn du mitkommst." Er atmete tief ein und ballte die Hände zu Fäusten. "Versuch mich nicht." "Bist du versucht?" Jefferson schnaubte. "Und wie!"
Emily stellte sich dicht hinter ihn und küßte ihn durch das Hemd auf den Rücken, genau auf die Stelle, wo er seine schreckliche Narbe hatte. "Tut es weh?" "Unerträglich", stieß er hervor. "Ich meine die Narbe." Er schüttelte den Kopf. "Nicht mehr." Sie legte den Kopf auf seine Schulter. "Mir tut der Gedanke weh", flüsterte sie, "daß du verletzt worden bist. Fern von deiner Familie, der Himmel weiß, wo. Fern von den Menschen, die dich lieben." Sie legte den Arm um seine Taille und schmiegte sich an seinen Rücken. Sie schloß die Augen und fühlte, wie seine Muskeln sich allmählich entspannten. Sie ließ ihn los. Dann entfernte sie sich von ihm. Jefferson blickte über die Schulter und sah Emily an der Stalltür stehen. "Komm mit mir, Jefferson. Komm ins Bett." "Nicht in seinem Haus." "Dann begleite mich ins Haus." Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß er allein hier zurückblieb. Emily schien so zart in ihrem pfirsichfarbenen leichten Morgenmantel. Wie konnte er da widerstehen? Sie kehrte zu ihm zurück, nahm seine Hand in ihre. "Folge mir einfach" flüsterte sie. "Ich passe auf, daß nichts passiert." Jefferson war ihr bis in ihr Schlafzimmer gefolgt, bis zu ihrem Bett. Nachdem Emily hineingekrochen war, deckte er sie bis zum Kinn zu und schaltete das Licht aus. "Jefferson? Du hast gesagt, du würdest bei mir bleiben." Sie faßte ihn bei der Hand. Es gibt nur einen Weg, die Nacht zu überstehen, entschied er. "Rück zur Seite", murmelte er. Emily tat es, und Jefferson legte sich auf das Bett, nahm eins der Kissen und steckte es unter seinen Kopf.
"Jeff..." "Pst", flüsterte er und zog Emily mitsamt der Decke dicht an seine Seite. "Du hast noch immer deine Stiefel an", protestierte sie. Jefferson rückte sich bequem zurecht. "Kümmer dich nicht darum. Schlaf jetzt." Sie tastete nach seiner Hand, die er zur Faust geballt hatte, hob sie an die Lippen und küßte sie. Dann zog sie seine mit ihren verschränkten Hände an ihr Herz und schlief so ein. Das Morgenlicht drang durch die Vorhänge in das Schlafzimmer, als Emily wach wurde. Jefferson hatte sie in ihrem Schlaf eine Weile beobachtet. Daß sie wach geworden war, hatte er bereits gewußt, ehe sie das Haar aus den Augen schob und zu ihm herübersah. "Hast du überhaupt nicht geschlafen?" fragte sie. "Doch, ein wenig." Sie drehte sich zu ihm und stützte sich auf den Ellbogen. "Wieder ein Alptraum?" Jefferson blickte in ihr verschlafenes Gesicht. "Nein, kein Alptraum." "Freut mich." Emily gähnte und schmiegte sich an ihn. "Willst du es mir nun erzählen?" Jefferson wußte genau, was Emily damit meinte. Er schloß die Augen und genoß ihre süße Wärme. Es half, daß er sie nicht ansah. Er war einer der schlimmsten Feiglinge, und er wußte, daß er sich niemals Emily öffnen könnte, wenn ihre großen braunen Augen auf ihn gerichtet wären. Und wenn er mit ansehen müßte, wie alle Wärme und alles Mitgefühl aus ihren Augen schwinden würde. Jefferson war froh, daß Emily schwieg. Wenn er sich sehr bemühte, könnte er sich vormachen, daß sie schlief. Daß sie ihn nicht hörte. Er schluckte schwer. "Mein Partner und ich hatten den Auftrag, einem politischen Gefangenen die Flucht zu ermöglichen." Soweit jedenfalls hatte er es glatt herausgebracht.
"Bevor Kim und ich den Rückzug antreten konnten, wurden wir gefaßt. Offiziell waren wir nicht dort, also konnten wir auf offiziellem Weg auch nicht herauskommen." Jefferson schwieg so lange, daß Emily schon glaubte, er würde wieder einen Rückzug machen und nichts weiter sagen. "Wir haben unsere eigene Flucht geplant." Er gab einen rauhen Laut von sich. "Neunzehn erfolgreiche Einsätze hintereinander, dann zwei erbärmliche Fehlschläge. Es mißlang uns hineinzukommen. Es mißlang uns herauszukommen." Jefferson hatte so etwas neunzehnmal getan? "Aber du bist hier." "Ich schon. Kim nicht." Emilys Herz zog sich zusammen bei dem Ausdruck in seiner Stimme. Wieviel Kim ihm bedeutet haben mußte! "Seid ihr längere Zeit... Partner gewesen?" "Einige Jahre." Emily wußte, daß das Geheimnis, das Jefferson ihr anvertrauen würde, für sie schwer zu ertragen wäre. Aber wenn er tapfer genug war, das zu tun, würde sie tapfer genug sein, ihm zuzuhören. "Ihr seid euch nahegestanden." "Wir waren Freunde", sagte Jefferson schlicht. "Er hätte nicht sterben dürfen." "Er?" "Kim Lee. Mein Partner. Er hat eine junge Frau und einen kleinen Sohn zurückgelassen." "O Jefferson." Emily legte die Hand an seine Wange. "Es tut mir so leid." Er drehte ihr den Rücken zu und schwang die Beine aus dem Bett. "Wenn ich meinen Job besser ausgeführt hätte, wäre es nicht dazu gekommen." Emily setzte sich auch auf. "Was passierte mit der Person, deretwegen ihr dort gewesen seid?"
"Der Mann kehrte in sein Land zurück und hat die Regierung fest unter Kontrolle. Wir haben ihn herausbekommen, bevor die ganze Sache aufflog." "Was war geschehen?" "Sie waren dicht hinter uns. Wir mußten ihn aus dem Land bekommen, so blieben Kim und ich zurück als eine Art Lockvögel, um sie davon abzuhalten, den Treffpunkt aufzuspüren, bevor unsere Männer die Chance hatten abzuheben." Jefferson brauchte nur die Augen zu schließen, um die Gewehrsalven zu hören, das dumpfe Dröhnen der Rotoren über ihren Köpfen, während Kim und er wie die Wilden kämpften, um den Kontaktleuten Zeit genug zu geben, aus dem Hubschrauber zu springen und ihre Fracht sicher an Bord zu bringen. Er preßte die Hände gegen seine geschlossenen Augen, als ob er die Erinnerung ausschließen wollte, "Kim hätte in dem Hubschrauber sein sollen." Emily rückte näher zu ihm. "Hättest du jemals deinen Partner freiwillig zurückgelassen?" "Nein." "Also, warum erwartest du, daß er sich anders verhalten hätte als du?" "Mindestens ein halbes Dutzend Leute hatten ihm das bereits gesagt. Seine eigene Logik hatte ihm das gesagt. Aber zwischen seiner Logik und den Gefühlen kreisten ständig seine Gedanken. Emily fuhr mit dem Finger federleicht über seine Narbe auf dem Rücken. "Wurdest du bei diesem Gefecht angeschossen?" "Nein." Da er nun angefangen hatte, Emily diese schmutzige Geschichte zu erzählen, wollte er sie hinter sich bringen. Er wollte sie loswerden. Ein für allemal. "Noch bevor der Hubschrauber aufgestiegen war, wurden wir überwältigt", fuhr er fort. "Ich schwöre, daß es drei Dutzend Männer gegeben hat." Obwohl es ihm damals wie einhundert erschienen war. Aber auch gegen diese Übermacht hatten sie gekämpft. Bis einer von
denen nahe genug gekommen war, um sein Sturmgewehr in Jeffersons Hüfte zu rammen. Er hatte nicht mehr laufen können, und so hatte man ihn an den Armen gepackt und ihn hinter sich her über die Erde geschleift. Kim wurde bewußtlos geschlagen, und zwei Soldaten hatten ihn wieder auf die Füße gezerrt. Jefferson berührte die Narbe am Kinn. "Die hatten uns ganz schön gezüchtigt." Davon wollte er nichts weiter erzählen. Oder über den Psychoterror, dem man sie unterworfen hatte. "Die haben Kim und mich einige Monate lang getrennt gehalten." Emily verschränkte ihre Finger mit seinen. Sagte ihm aber nicht, wie entsetzt sie war. "Sie warteten auf die Mannschaft, die uns befreien sollte. Kim und ich wußten aber, daß es keine Rettungsaktion geben würde." "Warum nicht? Ganz sicher hätten sie versucht..." Jefferson schüttelte den Kopf. "Es war zu riskant. Uns dorthin zu schicken, war bereits eine Ausnahme, die nicht wiederholt werden durfte." "Unsere Regierung ist verpflichtet, ihre Bürger zu schützen! Warum sollte sie nicht..." Jefferson seufzte. "Ich arbeite nicht für die Regierung, Emily. Das Hollins-Winword-Unternehmen ist eine Agentur auf dem Privatsektor. Die gehen einige der Herausforderungen an, die die Regierung für zu riskant hält, gleichgültig wie schwerwiegend und dringlich sie sein mögen." Er stand auf und ging zum Fenster. "Auf einer gewissen Ebene haben wir die Unterstützung von bewaffneten Kräften, aber grundsätzlich sind wir uns allein überlassen. Das ist die Regel bei dem Spiel." Er sagte das in knappen sachlichen Worten. "Ein tolles Spiel", murmelte Emily. "Und du hast so etwas all die Jahre über getan? Wie Um alles in der Welt bist du da hineingeraten? Weiß irgend jemand davon? Squire oder Sawyer?"
Jefferson dachte an seine Überraschung, als Sawyer in der privaten medizinischen Einrichtung in Connecticut aufgetaucht war. Er schnaubte. "Sawyer weiß davon. Aber nicht, weil ich es ihm erzählt habe." Er zog den Vorhang zur Seite und schaute hinaus auf die rotglühende Sonne, die gerade über dem Horizont aufgestiegen war. "Irgendwie bin ich hineingestolpert. Ich habe ein Talent für Sprachen. Verstand etwas von Landwirtschaft. Kannte mich mit Waffen aus." Er erinnerte sich vage an die Gefühle, die er als grüner Junge gehabt hatte. "Anfangs war es ein Abenteuer. Aufregend. Man kam in der Welt herum. Mein Spezialgebiet war, sich in die Örtlichkeiten hineinzufinden." Er hörte, wie Emily einen kleinen Überraschungslaut von sich gab. "Ich weiß, es ist seltsam. Aber ..." Er zuckte die Schultern. "... ich hab's getan. Rein ins Land. Den Auftrag ausgeführt. Raus aus dem Land. Und die Bezahlung war gut." Jefferson wollte Emily wissen lassen, daß er nicht gelogen hatte. "Ich habe an Brücken gearbeitet. Ich habe auf Ölplattformen gearbeitet. Ich habe den Einheimischen von einem Dutzend verschiedener Länder die Technik der Landwirtschaft beigebracht. Und Hollins-Winword stand bei alledem hinter uns. Hat uns strategisch eingesetzt, so daß wir unter den Einheimischen lebten, taten, was uns geheißen wurde, bis der Zeitpunkt heranrückte, wo wir das ausführten, wofür wir hingeschickt worden sind." "Das hört sich an wie ein Spionageroman." Emily hatte nicht gewußt, was sie zu hören erwartet hatte, aber ganz sicher nicht das. "Wie bist du schließlich entkommen?" "Nach einer Weile wurden unsere Wachposten ein wenig nachlässiger. Und schließlich steckte man Kim und mich in dieselbe Zelle. Aber wir brauchten noch einige Wochen, bis wir die Gelegenheit fanden auszubrechen." "Und dann?"
"Pech gehabt. Wir hatten jede Nacht denselben Wächter. Und wochenlang war es so, daß er jede Nacht heimlich verschwand, um wohl seine Freundin im Dorf zu besuchen. Während dieser zwei Stunden wurden wir nicht mit dem Gewehr bewacht. Die Zelle hatte einen Lehmboden. Während all der Wochen gruben wir einen Gang unter der Mauer hindurch. Das Loch verbargen wir unter der Matratze. In der Nähe des Dorfes hatten wir für den Notfall eine Tasche mit der Ausrüstung. Sobald wir an sie herankämen, hätten wir unseren Kontaktmann benachrichtigen und unsere Flucht vereinbaren können. Und ausgerechnet in jener Nacht, als wir aus der Zelle herauskrochen, war der Wächter eher zurück als üblich. Sobald er die Zelle leer fand, wußte er, daß es um seinen Kopf ging. Ich war schon draußen, aber Kim hatte es noch nicht ganz geschafft, Der Kerl hat ihn niedergestochen." "Und du?" fragte Emily mit Tränen in der Stimme. "Bis jetzt war noch alles ohne Lärm abgelaufen, und ich wollte nicht, daß der Wächter Alarm schlug. Ich oder du ..., darum ging es, Em." Jefferson hätte es nicht ertragen können, in ihren Augen den Abscheu zu sehen, so blickte er aus dem Fenster und erzählte mit ausdrucksloser Stimme den Fortgang. "Ich hab ihn ... ausgeschaltet. Dann hab ich Kim auf den Rücken geladen und preschte so schnell es mir möglich war davon. Ich fand die Tasche. Grub sie aus. Ein Hubschrauber war innerhalb kurzer Zeit da. Doch bevor er uns erreichte, hatten die Wachposten uns aufgespürt. Wir hinterließen ja eine blutige Spur. Der Chopper konnte nicht einmal landen, ließ nur ein Seil herunter, während er über uns schwebte. Ich habe das Seil um Kim gebunden und es dann selbst gepackt. Ich wurde zweimal angeschossen, noch bevor wir siebzig Meter vom Boden abgehoben wurden." Es war leicht, sich Jefferson vorzustellen, wie er am Seilende baumelte. Es war wahrscheinlich ein Wunder, daß er nicht losgelassen hatte, als ihn die Kugeln trafen. "Und Kim?"
Jefferson schwieg eine lange Weile. "Er hatte zuviel Blut verloren. Er starb, noch bevor sie ihn in den Chopper ziehen konnten." Emily hielt die Tränen zurück. "Wie traurig für seine Familie." Sie stand vom Bett auf und ging zu ihm hinüber. "Kein Wunder, daß du Alpträume hast", murmelte sie und schlüpfte zwischen seinen angespannten Körper und das Fenster. Jefferson sah sie nicht einmal an. Starrte nur aus dem Fenster. "Und du? Du warst verwundet." "Der Pilot brachte uns zu einem Flugzeugträger der Navy. Sie hielten mich am Leben. Ich wurde nach Deutschland geflogen, wo man mich operierte." "Was haben sie mit dir gemacht?" "Neue Hüfte. Einige Knochen, die gebrochen und neu gesetzt werden mußten. In meinem Knie ist ein Stift." Emily wurde fast übel. "Wir hätten dich verlieren können und hätten niemals erfahren, warum." Ein schwaches Lächeln zuckte um seine Lippen. "Eine ganz schön abstoßende Geschichte, nicht wahr?" "Sie ist schrecklich. Und tragisch. Aber es ist nun vorbei." Emily beobachtete ihn. "Oder nicht? Du arbeitest doch nicht mehr für Hollins-...?" "Winword", ergänzte Jefferson tonlos. "Ich bin das, was man dienstuntauglich nennt." "Hast du vor zurückzukehren?" "Nein." Dem Himmel sei Dank! "Was hast du dann vor?" "Weiß ich nicht. Vielleicht kaufe ich eine Pferdefarm. Geld ist genug da."" Emily atmete auf. "Solange es dich nicht von mir entfernt, ist es mir egal, was du tust, Jefferson", sagte sie mit gebrochener Stimme. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn. Jefferson ergriff sie bei den Armen und hielt sie von sich.
"Hast du es noch immer nicht begriffen? Ich habe einen Mann getötet." Emily sah ihn immer noch mit diesen sanften braunen Augen an. "Ich war verantwortlich", stieß er hervor. "Mein Partner starb meinetwegen. Sein kleiner Junge muß ohne seinen Daddy heranwachsen. Meinetwegen." "Wurde Kim zu diesem ... Auftrag gezwungen?" "Nein", knurrte Jefferson. "Dann muß er um die Risiken gewußt haben, auf die er sich eingelassen hat." Emily schüttelte den Kopf. "Es ist sehr traurig für seine Frau und seinen Sohn. Nein, Jefferson, wende dich nicht von mir ab!" Sie hielt ihn am Ärmel fest. "Du hast Kim nicht getötet. Der Wächter, der ihn niederstach, hat es getan." "Du verstehst nicht." "Vielleicht ja doch." "Ich war der Anführer. Ich hätte mich erst überzeugen sollen, daß der Einsatz nicht fehlschlägt. Kim hatte eine Familie." "Du auch." "Er hatte einen Sohn", stieß Jefferson hervor. Sie legte die Hand auf ihren Bauch. "Vielleicht wirst du auch einen Sohn haben." Die Worte trafen Jefferson mit aller Wucht. Jeder seiner unverdienten Wünsche würde damit erfüllt werden. "Du würdest kein Kind zur Welt bringen wollen mit einem Vater wie mich." Emily wischte sich eine Träne von der Wange und reckte angriffslustig ihr Kinn vor. "Und warum sollte ich mir nicht einen Vater wie dich für meine Kinder wünschen? Du bist der anständigste, rechtschaffenste Mann, den ich kenne." "Ich habe einen Mann mit meinen eigenen Händen getötet." Er hielt die Hände hoch. Emily zögerte nicht. "Und du hast zusehen müssen, wie dein Partner starb wegen der Wunden, die dieser Mann ihm beigebracht hatte. Du lebst, Jefferson. Nach all dem, was du mir erzählt hast, betrachte ich das als einen großen Segen." Tränen brannten ihm in den Augen. "Warum?"
"Weil ich dich liebe", antwortete Emily einfach, "Sogar nach dem, was ich dir erzählt habe?" War das seine Stimme? Heiser. Zitternd. "Besonders nach dem, was du mir erzählt hast. Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich verscheuchen, Jefferson?" flüsterte sie und schüttelte lächelnd den Kopf. "Wann wirst du es begreifen? Ich liebe dich. Dich! Obwohl du zu ernst, zu empfindsam und viel zu gutaussehend für meine Seelenruhe bist." Jefferson biß die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. "Es ist schon gut", wisperte Emily, stellte sich dicht vor ihn und zog seinen Kopf auf ihre Schulter. Ein solch starker Mann. Und wie er mit seinen Gefühlen kämpfen mußte. Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und küßte ihn auf den Mund? "Alles ist gut", besänftigte sie. Sie küßte die Narbe auf seinem Kinn. Und als eine Träne unter seinen geschlossenen Lidern hervorrollte, küßte sie sie weg. "Komm, laß uns ins Bett gehen." Jefferson ließ sich von ihr zum Bett führen, ließ es zu, daß sie seine Stiefel von den Füßen zog. Er ließ sie sogar sein zerschlissenes Hemd aufknöpfen und es auf den Boden werfen. Allerdings, als sie die Gürtelschnalle seiner Jeans öffnen wollte, hielt er ihre Hände fest. "Es ist Squires Haus," "Ja, das ist es", stimmte sie zu. "Aber es ist Emilys Bett. Und ich will mein Bett mit dem Mann, den ich liebe, teilen: Ich sehne mich danach, die Arme um ihn zu legen. Ihn zu haltend und von ihm gehalten zu werden." Emily streckte die Hand nicht wieder nach seiner Schnalle aus. Sie stand nur vor ihm, wartete still auf seine Entscheidung. Doch wirklich, welch andere Entscheidung konnte es noch geben? Sich von Emily jetzt zu entfernen würde das Beste in ihm töten. Jefferson stand auf, und die Schnalle schepperte schwach, als er sie aufmachte. Er beobachtete Emily aufmerksam, während er
den Reißverschluß öffnete. "Der Morgen graut bereits", murmelte er. "Ein neuer Tag." "Squire kommt heute nach Hause. Er wird lautstark dagegen sein. Bist du darauf vorbereitet?" Als Antwort zog Emily ihm die Jeans von den Hüften. "Früher oder später wird er für uns glücklich sein", sagte sie entschieden. "Seit Jahren liegt er uns allen wegen der Enkelkinder, die er gern hätte, in den Ohren. Vielleicht sollten wir ihm das geben, was er haben möchte." Es war Jefferson unbegreiflich, daß Emily noch immer so für ihn fühlen konnte. Jetzt, wo sie die Wahrheit über ihn wußte. Doch er war die Gewissensbisse noch nicht ganz los. Er hatte ihr immer noch nicht von dem Splitter im Rücken erzählt. "Du lebst", fuhr sie fort. "Und du wirst mehr geliebt, als du dir das erträumen könntest." Jefferson wollte ihr jeden Wunsch erfüllen. Er wollte ihr die Welt zu Füßen legen. Er hatte ihr schon vor langer Zeit sein Herz geschenkt, auch wenn sie es nicht gewußt hatte. Aber konnte er ihr eine Zukunft bieten? War es so schlimm von ihm, es auch nur in Betracht zu ziehen? "Gib mir unser Kind, Jefferson." "Verrückt", murmelte er. Aber er zog Emily in die Arme und küßte sie zärtlich. Emily hätte weinen können, so süß war sein Kuß. Er hätte es nicht besser in Worten ausdrücken können, daß er sie liebte. Er drückte sie sanft auf das Bett und legte sich auf sie. Sie berührte mit der Hand sein Gesicht, und er sah in ihre schönen Augen. Und zum ersten Mal in seinem Leben war er bereit, seine Seele der Frau, die er liebte, zu schenken. Ihr Vertrauen zu ihm, das er nicht verdiente, wie er meinte. Ihr Mitgefühl. Ihre Güte ... All das überwältigte ihn Tränen des Glücks liefen ihm über die Wangen.
Er glitt mit den Armen unter ihren Rücken, hielt Emily in einer fast schmerzhaften Umarmung, bevor leidenschaftliche Empfindungen sich in ihnen aufbauten und immer heftiger und unkontrollierter wurden.
11. KAPITEL Sawyer und Daniel waren in die Stadt gefahren, um Squire abzuholen. Emily war auf der Vorderveranda, ein Korb mit frisch gepflückten Erbsen stand neben ihr. Sie öffnete die Schoten und ließ die Zuckererbsen in die Schüssel auf ihrem Schoß fallen. Sobald sie die Staubwolke in der Entfernung bemerkte, setzte sie die Schüssel zur Seite und ging ins Haus. "Sie kommen", rief sie. Tristan legte die ausgedruckte Computerseite, in die er sich gerade vertieft hatte, ab und stand auf. Jefferson war im Büro, wo er mit Matthew Zahlen durchging. "Sie kommen", sagte Emily und steckte den Kopf zur Tür herein. Matthew nickte und ging gleich hinaus. Emily sah Jefferson prüfend an. Er wirkte immer noch müde. Aber der strenge Zug im Gesicht war gewichen. Es würde noch eine Weile dauern, bis er sich von dem, was er durchgemacht hatte, erholte. Aber dieser Morgen war ein Anfang gewesen. Ein guter Anfang. Ihr Herz machte eine kleinen Extraschlag, als er lächelte und ihr die Hand hinhielt. "Bereit für das, was auf uns zukommt?" fragte er, als Emily sich an ihn schmiegte. "Mmm, bin ich. Du?" Er grinste träge. "Ja." Er küßte sie auf die Nasenspitze. "Deine Finger sind grün."
"Ich habe Erbsen gepult", sagte sie. "Und einige davon gegessen." "Natürlich. Wofür ist das Erbsenpulen gut, wenn du die Frucht nicht kosten kannst?" "Erbsen sind ein Gemüse, Süße." "Unsinn! Etwas, was so gut schmeckt, kann kein Gemüse sein." Jefferson lächelte nur und öffnete die Fliegentür, dann folgte er Emily nach draußen und zur Auffahrt hin. Matthew und Tristan standen bereits da, und als die Limousine endlich in die Auffahrt einbog, war Emily ganz nervös. Sie wollte Squire nicht aufregen. Aber sie würde ihr Glück nicht seiner Meinung wegen für sich behalten. "Hören Sie auf, mich zu betüdeln." Über Squires streitsüchtigen Protest mußte Emily lächeln. Ein Grübchen vertiefte sich neben Jeffersons Mund, als sein Vater die Autotür aufstieß. "Ich bin nicht tot." "Sie sind laut genug, um die Toten zu erwecken", konterte eine weibliche Stimme. Es war die Stimme der Krankenschwester aus dem Krankenhaus, wie Jefferson erkannte. Sie umrundete die Limousine, um Squire herauszuhelfen. "Gehen Sie mir aus dem Weg, Mrs. Day." Irgendwie brachte diese Mrs. Day die Courage auf, ihn von oben herab anzusehen. "Ich kann es nicht glauben, daß ich mich darauf eingelassen habe, eine Woche hierzubleiben." Daniel und Sawyer stiegen grinsend aus dem Wagen. Sobald Squire Matthew entdeckt hatte, fragte er ihn barsch: "Ist der Traktor repariert?" Matthew nickte. "Jawohl." Squires Augen leuchteten auf, als er Emily entdeckte; "Nun, Mädchen, wie wär's, wenn du einen alten Mann umarmtest?" Emily konnte ihm nicht widerstehen. Es machte sie noch immer fuchsteufelswild, wie er Jefferson zugesetzt hatte. Aber
fuchsteufelswild oder auch nicht, sie liebte den Gauner. Sie ging auf ihn zu und umarmte ihn. Er küßte sie auf die Stirn. Dann legte er die Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. Er musterte sie. "Du hast dich hier auf der Ranch wirklich herausgemacht. Das Leben hier scheint dir zu bekommen." Mrs. Day lehnte sich in den Wagen und holte seine Tasche heraus. "Tristan, steh nicht wie ein Schwachkopf herum. Nimm der Lady die Tasche ab." Tristan fuhr zusammen wie ein folgsames Kind, das gerade gescholten wurde, und ergriff die Tasche. Squire schaute sich um. "Es ist gut, wieder zu Hause zu sein", sagte er mit einem wohligen Seufzer. Er tätschelte Emilys Wange, und mit noch einem Blick in die Runde ging er langsam auf den Hauseingang zu. "Erzählt mir", sagte Squire wenig später bei einer Tasse Kaffee, "was hat sich während der letzten Wochen hier abgespielt?" Jefferson lehnte sieh auf seinem Stuhl zurück, verfolgte zerstreut die Unterhaltung am Tisch und fragte sich, ob Mrs. Day aus diesem Hin und Her von Fragen und Antworten und Bemerkungen schlau werden könne. Es schien sie nicht zu stören, wie er fand, nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte. Er bewegte seine Zehen in den Stiefeln, die wieder einmal taub waren. Verdammt. Er stöhnte, wenn auch unterdrückt. Emily mußte es gehört haben. Sie blickte ihn fragend an und legte unter dem Tisch die Hand auf seinen Schenkel. Er umfaßte ihre Hand und drückte sie warnend. Jefferson blieb es nicht verborgen, daß Squire ihn die ganze Zeit über im Auge behalten hatte. Er blickte seinen Vater herausfordernd an, und es war Squire, der als erster wegschaute. Schließlich erhob Squire sich, schob den Stuhl nach hinten und verkündete: "Ich geh jetzt schlafen. Weckt mich vor dem Essen. Hab mich schon die ganze Zeit auf ein anständiges Steak
zu Kartoffeln gefreut." Er nickte in die Runde und verließ die Küche. "Bin beeindruckt", sagte Tristan zu Mrs. Day. "Wie Sie mit Squire umgehen, ist schon bemerkenswert." Sie, lächelte belustigt. "Ihr Vater ist ein ... interessanter Mann." Sawyer nahm sich eine Handvoll Trauben. "Habt ihr's vernommen? Squire ist interessant." Er warf sich eine Weinbeere in den Mund und kaute nachdenklich. "Hab's noch nie zuvor so ausgedrückt gehört." Während das Geplänkel noch weiterging, verzog Jefferson das Gesicht bei dem stechenden Schmerz im Rücken. "Ich mach einen Spaziergang", murmelte er und erhob sich, Emily wollte auch aufstehen. Aber Jefferson legte ihr die Hand auf die Schulter und hielt sie zurück. Seine Lippen waren zusammengepreßt. Noch ehe Emily etwas sagen konnte, beugte er sich zu ihr herunter und küßte sie voll auf den Mund. Vor Überraschung rührte sie sich erst einmal nicht. "Ich bin bald zurück", sagte er. "Hallooo ...", bemerkte Matthew, nachdem die Fliegentür hinter Jefferson zugefallen war. "Ich denke, wir wissen jetzt woher der Wind weht." Sogar Tristan starrte sie verblüfft an. "Sieht aus, als ob ihr euch wieder vertragt." Emily wurde rot bis unter die Haarwurzeln. Doch sie schwieg. Obwohl sie nur den einen Traum hatte, Jeffersons Frau zu werden, war sie bei weitem noch nicht sicher genug, welche Entscheidung Jefferson treffen würde. Nach einer Weile hielt sie es nicht mehr länger am Tisch. Sie machte sich Sorgen um Jefferson. Er hatte vorhin nicht gut ausgesehen. Sie schob den Stuhl zurück. "Ich brauche frische Luft", murmelte sie. Die Brüder hörten ihr gar nicht zu, sie wären wieder in eines ihrer Gespräche vertieft.
Sie ging geradewegs in den Pferdestall, legte Daisy den Halfter an und führte das Pferd aus dem Stall. Dann schwang sie sich auf Daisys bloßen Rücken und schnalzte mit der Zunge. Daisy fiel brav in Trab. Emily war beklommen zumute, und noch bevor sie den Teich erreicht hatte, wußte sie, warum. Sie zügelte Daisy und glitt von ihr herunter. Jefferson lag im Gras, seine Augen waren geschlossen. Wenn das Gras nicht vor wenigen Tagen gemäht worden wäre, wäre sie an ihm vorbeigeritten, ohne ihn zu sehen. Nein, o nein, o nein! Sie fiel neben ihm auf die Knie. "Jefferson?" Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und er öffnete langsam die Augen. "Was ist passiert?" Er blinzelte. "Em?" "Ich bin hier." Sie beugte sich über ihn. "Bist du gefallen? Hast du dir weh getan?" Es war eine unnütze Frage. Sie konnte es an seinen blauen Augen sehen, daß er große Schmerzen hatte. Jefferson preßte die Lippen zusammen und drückte ihre Hand ganz fest. Dann schloß er die Augen, öffnete sie gleich wieder, als ob er erst Kraft sammeln müßte. "Ich kann meine Beine nicht fühlen." Emilys Mund wurde trocken. Sie setzte sich auf die Fersen zurück. Jefferson auf Daisy zu hieven, würde sie nicht schaffen. Wenn er überhaupt bewegt werden durfte. "Ich muß Hilfe holen", sagte sie. "Bitte, beweg dich nicht, hörst du? Bitte." Sie küßte ihn auf den Mund. "Wirst du es noch ein wenig länger aushalten können?" "Ja." Sein schmerzhafter Griff um ihre Hand lockerte sich, und sie schwang sich aufs Pferd. "Em ..." Sie lenkte das Pferd neben ihn. "Ja?" Seine vor Schmerz umflorten Augen suchten ihren Blick.
Sie sprang vom Pferd, um ihm den Schweiß von der Stirn zu wischen. "Was ist?" "Liebe dich", murmelte er. Panik ergriff Emily. Es waren Worte, die sie ersehnt hatte. Aber jetzt jagten sie ihr Angst ein. Irgend etwas stimmte hier nicht. Irgend etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Noch ehe sie sich von der schrecklichen Angst überwältigen ließ, küßte sie ihn. "Ich bin gleich wieder zurück", versprach sie. Er schloß die Augen. "Ja." Mit einem Satz war Emily bei Daisy, ergriff eine Handvoll Mähne und zog sich auf den Pferderücken. Sie stieß die Fersen in Daisy Planken und galoppierte zum Haus, wo sie fast Tristan umgerannt hätte. "Meine Güte." Er half ihr vom Pferd herunter. "Was ist los?" "Jefferson ...", keuchte sie und hielt sich vorn an Tristans Hemd fest. "Er ist verletzt," "Wo?" "Auf halbem Wege zum Teich," Tristan schrie schon nach Matthew und Daniel. Mrs. Day und Sawyer kamen auch angerannt, Innerhalb von Sekunden wußten sie um das Problem und handelten entsprechend. Daniel lief den Truck holen. Sawyer brachte die Erste-Hilfe-Tasche, und Mrs. Day fand in dem Waschraum einen Stapel Handtücher. Squire kam verschlafen herunter und wurde im Nu hellwach, als er erfuhr, worum es ging, "Bringt mir den Jungen nach Haus. Drüben im Arbeiterhaus gibt es eine Trage."
EPILOG "Er sagte, daß es nur eine kleine Operation sein werde." Emily warf wieder einen Blick auf die runde Wanduhr im Wartebereich des Krankenhauses in Gasper, Connecticut. Zwischen den Reihen der harten Plastikstühle marschierte sie auf und ab. "Was hat er sich nur gedacht?" Tristan ergriff ihre Hand, als sie zum viertenmal an ihm vorbeikam. "Setz dich." Er zog sie auf den Stuhl neben sich. "Er wollte nicht, daß du dich aufregst", sagte Squire grantig. Krankenhäuser hatten es so an sich, seine Laune zu verschlechtern." "Aber diese Operation ist so gefährlich", murmelte Emily und rieb sich die kaltgewordenen Arme unter ihrem Sweater. Wenn sie nur daran dachte, daß sie die ganze Zeit über angenommen hatte; Jefferson habe nur ein Knieproblem! Und er hatte es auch dabei bewenden lassen, verdammt noch mal. Sie würde es ihn nicht so schnell vergessen lassen, das versprach sie sich und warf verstohlen noch einen Blick auf die Wanduhr. Es waren jetzt vier Stunden her, daß man Jefferson in den Operationsraum gebracht hatte. "Warum dauert das nur so lange?" Unruhig sprang sie vom Stuhl wieder auf, und Tristan rollte die Augen. Er gab es auf, ihre Anspannung irgendwie aufzulockern. Gloria Day kam in den Warteraum, mit zwei dampfenden Kaffeetassen auf einem Tablett. Sie setzte sich neben Squire und gab ihm die eine Tasse.
"Das ist doch nicht das koffeinfreie Zeugs, oder?" Er blickte mißtrauisch in die Tasse. "Natürlich nicht, Darling", antwortete sie und klopfte ihm beruhigend auf den Schenkel. Squires große Hand bedeckte ihre Hand. Ihre Finger waren ringlos, aber es war nur eine Frage der Zeit, wann Squire ihr seinen Ring überstreifen würde. Ein jeder wußte es. Vielleicht mit Ausnahme von Squire selbst. Der Mann war in manchen Dingen äußerst schwer von Begriff. "Ich kann dieses koffeinfreie Zeugs nicht trinken", murmelte er und nahm einen Schluck. "Schmeckt nicht schlecht für Krankenhauskaffee", fand er. "Ja, mein Lieber." Ohne mit der Wimper zu zucken, sah sie Daniel und Matthew an, die ihr gegenüber saßen. Sie blickte ihnen geradewegs in die Augen, daß sie es ja nicht wagen sollten zu lachen. Es gab nur einen Weg, mit dieser Männerbande hier fertig zu werden. Das hatte Mrs. Day auf Anhieb erkannt. Die beiden rutschten auf ihren Sitzen. Matthew wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Zeitschrift für Landwirtschaft zu. Daniel klopfte zerstreut seine Taschen ab auf der Suche nach Zigaretten, obwohl er das Rauchen wieder einmal vor wenigen Wochen aufgegeben hatte. Emily blieb vor der runden Wanduhr stehen und beobachtete den Minutenzeiger, der ihr viel zu langsam vorrückte. "Das macht mich noch verrückt", klagte sie. "Können wir nicht herausfinden, warum es so langsam vorangeht?" Sie blickte zu Mrs. Day herüber, "Könnten die uns nicht zumindest einen Zwischenbescheid geben?" Mrs. Day setzte ihre Kaffeetasse ab, stand auf und fuhr glättend über ihre tadellos sitzende Hose. "Ich versuch's herauszufinden." "Danke." Emily war so dankbar, daß sie schon fürchtete, sie würde zu heulen anfangen. Die Tränen saßen ihr in letzter Zeit recht locker.
Daniel setzte sich auf seinem Stuhl bequemer hin und streckte die Beine aus. "Ich kann's nicht glauben, daß der Arzt Jefferson vier Monate warten ließ, ehe er diese Operation vornahm." Emily hatte auch gedacht, daß es seltsam sei, aber Jeffersons Chirurg hatte das so entschieden. Und dann hatte es noch eine Weile gedauert, bis Jefferson der Operation zugestimmt hatte. Das Warten, wie sie wußte, hing damit zusammen, daß die Ärzte den Splitter in einer günstigeren Position haben wollten. Eine günstigere Position! Jefferson hatte auch darauf bestanden, daß die Operation in Connecticut durchgeführt werden solle. Und Emily hatte sich gefügt. Gloria Day kam zurück und lächelte. Mit bangem Herzen eilte Emily ihr entgegen. "Und?" Gloria legte den Arm um Emilys Schultern und drehte sie so, daß sie den Chirurgen in ihre Richtung kommen sah. Emilys Herz schlug so heftig, daß sie glaubte, ohnmächtig werden zu müssen. Ihr schien, daß der Arzt eine Ewigkeit brauchte, um den hellerleuchteten Korridor zu durchqueren: Nur vage bekam sie es mit, daß Squire aufgestanden war und sich hinter sie gestellt hatte. Die Hände hatte er ihr auf die Schultern gelegt. Matthew, Sawyer und Daniel standen neben ihr, und Tristan überragte sie alle. Der Chirurg blieb vor ihnen stehen und lächelte Emily freundlich an. "Die Operation verlief bestens. Er wird sich schnell erholen." Emily drehte sich um und ließ sich gegen Squires Brust sinken. Erleichtert blickte sie zu Tristan auf. Hab ich's dir nicht gesagt? schien sein Lächeln auszudrücken. Sie wandte sich wieder dem Arzt zu. "Wann dürfen wir ihn sehen?" "Er hat bereits nach Ihnen gefragt." Emily sah die Männer an.
"Nur zu", sagte Squire und schob sie nach vom. Alle anderen bestätigten ihr Einverständnis mit einem Nicken. Sie drückte schnell einen Kuß auf Squires Wange und folgte dann dem Chirurgen durch die Schwingtür am Ende des Korridors. Es gab eine verwirrende Reihe von Vorhängen um Betten. Aber als Emily durch den Schlitz eines Vorhangs einen goldblonden Haarschopf erblickte, steuerte sie geradewegs darauf zu, ohne auch nur einen Gedanken an den Arzt zu verschwenden. Sie trat an das Bett. Es war Jefferson, und er war blaß, und er war mit Schläuchen und Drähten an Monitore und Tropfinfusionen angeschlossen. Aber seine Augen waren geöffnet und auf sie gerichtet. "Hi." Jefferson lächelte leicht. "Neben dem Bett auf der anderen Seite ist meine Tasche mit der Kleidung und dem Nachtzeug", flüsterte er schwach. Seine Stimme klang heiser durch den Schlauch, der während der Operation in seiner Kehle gesteckt hatte. "Öffne sie." "Jefferson, du kannst dich jetzt nicht anziehen und einfach hier herausmarschieren", sagte Emily sanft. Aber sie holte gehorsam die Tasche und öffnete sie. "Was soll ich dir herausholen?" "Den Ring", antwortete er. Seine Augenlider waren schwer. Sie schaute in die Tasche. Und richtig, obenauf auf der schwarzen Jeans und dem weißen Hemd lag ein goldenes Band. Sie nahm den Ring und gab ihn Jefferson. Und als er ihr den Ring über den Finger streifte, wurde ihr das Herz weit. Sie lachte glücklich. "Jefferson..." "Sag nichts, Liebes. Du bist jetzt ganz mein. Ich wollte mit dem Ring so lange warten, bis ich wußte, daß ich es schaffe." Emily beugte sich über ihn und druckte einen zärtlichen Kuß auf seine Lippen.
"Und jetzt", murmelte er zufrieden. "Jetzt ... kann ich ... schlafen." "Ich liebe dich, Jefferson Clay." Er war kaum wach. Aber seine Worte waren klar. Er hatte es ihr bereits gesagt. Mehrere Male sogar. Aber die Worte hatten noch immer die Macht, Emily bis ins Innerste zu packen. Und so würde es wohl immer bleiben. "Ich liebe dich ... auch ..., Emily ... Clay." -ENDE-