Wege zur Männlichkeit im Rom der Späten Republik: Cicero und die adulescentia seiner Zeit*
Inaugural-Dissertation zur E...
372 downloads
796 Views
11MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Wege zur Männlichkeit im Rom der Späten Republik: Cicero und die adulescentia seiner Zeit*
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br.
vorgelegt von
Claudia Humpert aus Berlin
*Diese Dissertation wurde im Wintersemester 1999/2000 unter dem Titel: "Detur a/iqui Iudus aetati: Untersuchungen zu Ciceros Begriff der adulescentia" von der Philosophischen Fakultät IV der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. angenommen.
Die Deutsche Bibliothek - CIP - Einheitsaufuahme Humpert, Claudia Sabine: Wege zur Männlichkeit im Rom der späten Republik: Cicero und die adulescentia seiner Zeit I Claudia Sabine Humpert.- Halle: Trift, 2001 Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2000 ISBN 3-934909-11-6
©Trift Verlag, Halle 2001 Lion- Feuchtwanger- Str. 13 06132 Halle Telefon: 0345-775 7 007 Telefax: 0345-775 7 008 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustinunung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
1. Auflage, 2001 ISBN 3-934909-11-6
Erstgutachterin: Prof. Dr. Renate Zoepffel Zweitgutachter: Prof. Dr. Jochen Martin Vorsitzender des Promotionsausschusses des Gemeinsamen Ausschusses der Philosophischen Fakultäten I-IV: Prof. Dr. Dr. Franz-JosefBrüggemeier Datum der letzten Fachprüfung im Rigorosum: 6.07.2000
DANKSAGUNG
Bei diesem Buch handelt es sich ·um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 1999/2000 unter dem Titel ,,Detur aliqui Iudus aetati: Untersuchungen zu Ciceros Begriff der adulescentia" von der Philosophischen Fakultät IV der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angenommen wurde. Nach Abschluß meiner Überarbeitung möchte ich alljenen danken, ohne deren Unterstützung diese Arbeit nie vollendet worden wäre: zunächst meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Renate Zoepffel, die mir stets mit konstruktiver Kritik an meinem Vorhaben und mit Verständnis für meine persönliche Situation hilfreich zur Seite stand, dann Herrn Prof. Dr. Martin, der das Korreferat meiner Arbeit übernahm, für seinen verständnisvollen Einsatz in letzter Minute, zuletzt auch Frau Dr. Marie-Luise Deißmann-Metten, durch deren Vermittlung ich am Seminar für Alte Geschichte arbeiten und erste Anregungen für mein Projekt sammeln durfte. Den Frauenbeauftragten und dem Rektor der Universität Freiburg bin ich für die Gewährung eines Wiedereinstiegsstipendiums zu Dank verpflichtet.
Für Rebecca, Layla und Zeyad
INHALT
I. Einleitung: Virilität und adulescentia in Rom .................................................. 7 ·1. l. Die adulescentia als Schule der Virilität: Die Fragestellungen und das Problem der Repräsentativität.. .................. ~ ........................ 10 1. 2. Die moderne Begrifflichkeit: Adoleszenz zwischen Anpassung und Rebellion .................................................................................... 15 1. 3. Das römische Modell: adulescentia zwischen Integration und Segregation................................................................................ 20 II. (Römische) Männlichkeit und Geschichte ..................................................... 25 2. 1. Theoretische Ansätze ........................................................................ 25 2. 2. Virilität und römische Geschichte I: Die Suche nach dem pater..... 33 2. 3. Virilität und römische Geschichte II: amor coniugalis und servitium amoris .............................................................................. .39 2. 4. Neuere Untersuchungen zur Virilität in Rom .................................. .45 III. adulescentia und römische Männlichkeit. .................................................. .49 3. 1. Der virtus- Begriff Ciceros vor dem Hintergrund der Krise der Späten Republik................................................................................ 49 3. 2. Die Sestiana: Die adulescentes in der Politik. .................................. 60 3. 3. Cato maior de senectute: Hierarchien der Virilität... ....................... 70 IV. Marcus Caelius Rufus adulescens ................................................................75 4. 1. Ein adulescens und sein Biograph: Caelius und Cicero ................... 75 4. 2. Zur Biographie .................................................................................. 79 V. Die Caeliana: Eine Apologia adulescentiae ................................................ 101 5. 1. Anklage und Ankläger.................................................................... I 0 I 5. 2. Dasexordium (c. I, I- c. I, 2): Der Beginn des Spiels ............... .l04 5. 3. Die praemunitio (c. 2, 3 - c. 20, 50): Der Kampf der Charaktere .. ! 08 5. 4. Die argumentatio (c. 21,51- c. 29, 69): Geschichten von Gold und Gift ............................................................................................ 149 5. 5. Die peroratio (c. 29, 70- c. 32, 80): Der adulescens als Garant der res publica ................................................................................. 162 5. 6. Zusammenfassung: Die Darstellung der adulescentia in der Caeliana .......................................................................................... 169
5
VI. Stationen und Aspekte der adulescentia ................................~ ....... ;........... .173 6. 1. Der Beginn der adulescentia: Das tirocinium fori.. ....................... l73 6. 2. Das Ende des tirocinium fori: Das Ritual der inlustris accusatio und das Ideal des Redners .............................................. ;... ;... :....... J88 6. 3. Der adulescens und die Frauen: Iudus aetatis und · meretrices amores ................................................... ;...................... 198. VII. Cicero im Dialog mit der adulescentia ..................................................... 209 7. 1. Die Briefe an Curio: Vom adulescens zum vir.............................. 211 7. 2. Die Briefe an Caelius: Männerunter sich ...................................... 224 7. 3. Der adulescens als Konsul: Cicero und Dolabella........................ 233 7. 4. Zusammenfassung: Das Ende der adulescentia .............................242 VIII. Epilog: Das Urteil der Männer über den adulescens Octavian Virilität im Umbruch ................................................................................ 245 IX. Schlußbetrachtung: Cicero und die adulescentia ....................................... 271 X. Literaturverzeichnis ...................................................................................... 277 10. 1. Textausgaben und Kommentare ................................................... 277 10. 2. Sekundärliteratur........................................................................... 279
6
I. EINLEITUNG: VIRILITÄT UND ADULESCENTIA IN ROM
"Ich will versuchen, dieses. Leben von fünf Monaten zusammenzufassen, das . abschließt, was man die Kindheit nennt, und jenes Etwas eröffnet, das keinen Namen hat, das Leben eines Mannes von zwanzig Jahren, und es ist (vor allem in meiner Natur) weder die Jugend noch das reife Alter..." Gustave Flaubertl
Männlichkeitsparadigmen sind keine kulturübergreifenden Konstanten. Sie gehorchen vielmehr den Gesetzen, Vorgaben und Forderungen ihrer jeweiligen kulturellen Umgebung. Sozialgeschichte und historische Anthropologie, Psychologie und Soziologie haben deshalb begonnen, "Männlichkeit" als soziales und kulturelles Konstrukt zu interpretieren und Kriterien für Virilität, die ihrerseits von Kultur zu Kultur, von sozialer Schicht zu sozialer Schicht signifikante Unterschiede aufweisen können, zu beschreiben. Im Kontext der Virilität besitzt die Lebensphase der Adoleszenz, ,jenes Etwas, das keinen Namen hat", zentrale Bedeutung. Denn gerade während der Adoleszenz müssen Normen und Rituale der Virilität erlernt werden. Auch die althistorische Forschung versucht, dem Phänomen ,,Männlichkeit" auf die Spur zu kommen; allerdings konzentriert sich die Forschungsdisskussion im Bereich der römischen Geschichte vor allem noch auf die Rolle des pater, also auf einen Teilaspekt römischen Mann-Seins. Eine Rekonstruktion römischer Ideologien von Virilität, in denen der pater nur eine, wenn auch zentrale Spielart der männlichen Identität darstellt, ist noch Desiderat. Ich möchte in dieser Arbeit abseits von der immer noch andauernden Diskussion um Rolle, Funktion und Spielraum des pater in Familie und Gesellschaft die Etappen des Weges verfolgen, den das männliche Selbst in Rom einschlagen mußte, um ein Mann zu werden. Virilität war auch in Rom keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, sie mußte erlernt werden, und sie 1 Flaubert 1982, 28.
7
mußte sich bestimmt~n gesellschaftlichen Normen unterwerfen. Deshalb setzt meine Arbeit ihren Schwerpunkt auf · die adulescentia, also · auf . den Lebensabschnitt der männlichen Existenz, der meiner Ansicht nach als Schule der römischen Männlichkeit apostrophiert werden kann. Denn iin Verlaufe der. adulescentia mußte das Individuum vor allem die gesellschaftlichen Spielregeln und Rituale der Männer unter sich erlernen, es mußte aber auch gegenüber den Frauen Position beziehen. Die Frage nach Wesen und Stationen der adulescentia erfordert zunächst einführend die Aufarbeitung moderner und römischer Begrifflichkeiten (Abschnitt 1): Was umschreibt der Begriff der ,.Adoleszenz"? Kann die moderne Begrifflichkeil zum Verständnis der römischen adulescentia beitragen? Gibt es signifikante Unterschiede? Da ich davon ausgehe, daß männliches Verhalten vor allem während der Adoleszenz/adulescentia erlernt wird, widme ich Abschnitt II dem Themenkomplex ,,Männlichkeit und Geschichte", in dem ich den aktuellen Forschungsstand zu Vorstellungen von Männlichkeit in Rom referieren werde. Im Zentrum meines Vorhabens steht Ciceros Versuch einer Theorie der adulescentia. In der Späten Republik hat vor allem Cicero die Auseinandersetzung mit der adulescentia gesucht, sei es auf der theoretischen Ebene mit dem Versuch, Handlungsvorschriften für die adulescentes seiner Zeit zu formulieren, sei es in der konkreten politischen und gesellschaftlichen Praxis mit dem Anspruch, adulescentes bilden und leiten zu können. Die theoretischen Ansätze Ciceros werde ich nach einer Diskussion des Begriffes der virtus, also der vollendeten Männlichkeit in Rom, deren Erreichen gesellschaftlich gefordertes Ziel des adulescens war, anband seiner Sestiana und seines Cato maior nachzeichnen (Abschnitt III). Denn die Sestiana thematisiert die politischen Anforderungen an einen adulescens, während Cato maior auch über männliche Hierarchien in Rom, also das Verhältnis zwischen alten und jungen Männern spricht. Ciceros konkrete gesellschaftliche und politische Praxis werde ich zunächst an seiner Freundschaft zu Marcus Caelius Rufus, einem adulescens, dessen Biographie exemplarischen Charakter für eine adulescentia vor dem Hintergrund der krisengeschüttelten Späten Republik besitzt, skizzieren (Abschnitt IV). Ausgehend von der Darstellung des Caelius in Ciceros Caeliana wird dann zu klären sein, welchen gesellschaftlichen Regeln der adulescens unterworfen war, mit welchen Bildern und Konzeptionen virilen Verhaltens er konfrontiert wurde und wie er unter Männern agieren mußte, um seinen Platz in der Hierarchie der Männereinnehmen zu können (Abschnitt V). Männlichkeit entsteht nicht allein in der Konfrontation des einzelnen mit postiven und negativen Beispielen virilen Verhaltens, sie wird auch in
8
entscheidendem Maße durch Bilder von Weiblichkeit beeinflußt, da sich die Inhalte der Geschlechtscharaktere "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" komplementär zueinander verhalten. Von Marcus Caelius Rufus ist bekannt, daß er während seiner adulescentia eine Beziehung zur Clodia Metelli unterhielt.. Clodia steht für eine Spielart von Weiblichkeit, die für die Späte Republik charakteristisch war: Wie sah diese Spielart weiblichen Verhaltens aus, und wie reagierte der adulescens auf sie? clceros Caeliana thematisiert dep.-geseflsc4aftlichen Status des adulescens wie kaum ein andere Quelle: In Abschnitt VI werde ich deshalb die Schwerpunkte der. Darstellung Ciceros -+ das tirocinium'\,ri, die Beschreibung der adulescentia als Iudus aeta~ii, den Hang des adul cens zu meretrices amoresweiter vertiefen. ( Die Beziehung zwischen