1
Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Science Fiction Spezial
Visionen 7
'Visionen' ist eine kost...
15 downloads
1000 Views
158KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
1
Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Science Fiction Spezial
Visionen 7
'Visionen' ist eine kostenlose Science Fiction Anthologie von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Visionen 7 Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
2
Inhalt Cover von Marco Vernaglione Die Gesandten - oder: Die Rückkehr von Major Tom
4
von Annika Ruf Der Astronaut Thomas Feldmann müsste eigentlich tot sein. Aber ein kleines Wunder rettet ihn und verändert sein Leben für immer...
Audienz
15
von Marco Kaas Alles sollte glatt laufen beim Gipfeltreffen mit einem Clan der vertriebenen Oren, doch für Claire wird es zur Katastrophe...
Der blinde Passagier
23
von Patrizia Pfister Beim Start eines Shuttles kann man so einiges erleben…
Goldrausch
26
von Patrizia Pfister Es beginnt als Wettlauf zum Gold-Asteroiden...
Komma
31
von Alexander Kaiser Falsche Ernährung und ihre bestürzende Ursache...
Exodus
35
von Patrizia Pfister Das Terraforming des Mars wirft tödliche Probleme auf...
Geister im All? von Patrizia Pfister Großmutter warnt vor einer Katastrophe im Orbit. Aber sie ist eigentlich tot...
3
39
Die Gesandten - oder: Die Rückkehr von Major Tom von Annika Ruf
Der Astronaut Thomas Feldmann müsste eigentlich tot sein. Aber ein kleines Wunder rettet ihn und verändert sein Leben für immer...
Es war an einem kühlen sonnigen Tag im Frühherbst, als Jutta Feldmann erfuhr, daß sie Witwe geworden war. Ihr Mann Thomas Feldmann, Astronaut und Majorsrang der Luftwaffe, war in seiner Raumkapsel umgekommen. "Die Verbindung war unterbrochen und die Kapsel ist außer Kontrolle geraten. Er starb wahrscheinlich am Sauerstoffmangel", Dr. Martin Gärtner tätschelte ihr die Schulter, "ich glaube nicht, daß er leiden musste." Jutta hatte mechanisch genickt. Innerlich fühlte sie sich wie betäubt. Thomas, ihr Ehemann, ihr Kamerad war tot. Sie erinnerte sich an die letzte Nacht mit ihm, das war einen Monat her. Dann war er im Trainingszentrum gewesen und hatte sich auf den Flug vorbereitet. Sie erinnerte sich an den Start, Thomas' launige Grüße aus der Kapsel. Und dann war da diese Übelkeit gewesen, die sie nun morgens verspürte. "Du wirst deinen Vater wohl nie kennen lernen", flüsterte sie und strich über ihren Unterbauch. Ob das Kind ihm ähnlich sehen würde? Seine kristallklaren blauen Augen und sein dichtes schwarzes Haar haben würde? Ein Andenken an ihren Ehemann. Tränen tropften zu Boden, als sie endlich ihrem Schmerz freien Lauf ließ. Empfindungen des Gesandten Lyhhr: Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Sahhaar hatte ein kleines Leben aus der Kapsel geborgen. Die Impulse waren nur noch ganz schwach, aber als wir es mit seinen Atemgas versorgten und in eine Decke hüllten, wurden sie stärker. Das Wesen blieb jedoch noch bewusstlos, also warteten wir ab. Sahhaar untersuchte seinen Körper und stellte fest, daß es vermutlich männlich war, da war ein Geschlechtsapparat zur Zeugung zwischen den unteren Extremitäten. Das Wesen besaß ein Skelett aus Knochenmasse und Knorpel, daran waren die Muskeln befestigt. Das Blut basierte auf Eisen und wurde durch die Atmung über die Lunge mit Sauerstoff versorgt. Ein hohler Muskel pumpte das Blut mit regelmäßigen Schlägen durch die feinsten Äderchen. Der Körper bestand zum größten Teil aus Wasser. Wir entfernten die Stoffhüllen, in denen es war, um auf Verletzungen zu prüfen, doch die Haut war unversehrt. Schwarze Seide von der Farbe der Nacht bedeckte den Schädel, wärmte wohl den Kopf. Der Wahrnehmungsapparat war vorne am Kopf, seitlich längliche und abgerundete Gebilde. Sahhaar vermutete, daß es dabei vermutlich im Hörapparate handelte, diese Vermutung stützte sich auf Erfahrungen mit im Bau ähnlichen Tieren, die wir zuvor vom Planeten geholt hatten. Sahhaar stellte dem Wesen einige Schalen Wasser mit unterschiedlichen Beimischungen hin. Dann untersuchten wir die Kapsel, in der wir das Wesen gefunden hatten. Rasch fand ich heraus, daß es offenbar einem Sabotageakt zum Opfer gefallen war. Als Sahhaar wieder nach dem Wesen sah, schien es kurzfristig zu Bewusstsein gekommen zu sein, die Schalen waren leer. Bis auf Nr.3. Wasser darum herum verriet, daß es das Wasser probiert und wieder ausgespuckt hatte. Ich beschloss, Wache zu halten, bis es wieder aufwachte. Jutta lag auf dem Rücken auf ihrem Bett. Thomas war tot. Etwas in ihr weigerte sich, es zu glauben, aber es war nun mal unabänderliche Tatsache. Sie würde sich um die Bestattungszeremonie kümmern, um den Trauergottesdienst. Thomas war versichert gewesen, ihr stand eine Witwenrente zu. Und sie hatte ja einen Halbtagsjob in der Apotheke. Erneut quollen Tränen in ihre Augen. Warum er? Thomas war ein wundervoller Mensch gewesen. Sie erinnerte sich an ihr Kennenlernen, ihre gemeinsame Zeit, seinen scheu hervorgebrachten Heiratsantrag. Die Hochzeit war in kleinem Kreis gewesen, nur standesamtlich. Sie waren ein ganz normales 4
Ehepaar gewesen und nun war er tot und damit waren auch viele ihrer Hoffnungen gestorben. Jutta setzte sich auf und putzte sich die Nase, sie musste auch an ihr ungeborenes Kind denken. Zärtlich strich sie über ihren Bauch. In einem Jahr würde sie wissen, ob es ein Sohn oder eine Tochter war. Vielleicht sogar beides. Sie wusch sich das Gesicht und machte das Haus sauber. Das würde sie auf andere Gedanken bringen. Empfindungen des Gesandten Lyhhr: Geduldig saß ich auf den unteren Tentakeln und wartete. Dann regte sich der Deckenhaufen und ein Kopf erschien. Ich seufzte tief. Die schwarze Seide schimmerte und dann sah es.. er mich an. Die Augen weiteten sich, ich konnte erkennen, daß die Pupille von einem blauen Ring umgeben war. Dann empfing ich eine Welle aus Angst und Entsetzen. Noch während ich mich fragte, wovor er sich fürchtete, schrie er auf und versuchte zu fliehen. Weit kam er allerdings nicht. Ein Schott versperrte den Weg. Ich begriff, daß er sich vor mir fürchtete. Er presste sich dagegen, Panik strömte von ihm aus, und um größere Schwierigkeiten zu vermeiden, zog ich mich zurück. Er betrachtete mich, die Panik flaute langsam ab. Noch immer spürte ich Furcht in ihm, als er sich mir näherte. Ich blieb ganz ruhig sitzen, wollte ihn nicht verscheuchen. Er streckte eine Hand aus und berührte mich zart am Tentakelansatz. Ich hielt ihm einen Tentakel hin, den er sich ansah und betastete. Im Gegenzug streichelte ich ihn mit einem Tentakel. Die Haut war glatt und trocken. Und schimmerte verführerisch. Ich streichelte ihn weiter. Jutta hatte keine Probleme einzuschlafen. Sie hatte viel im Haushalt getan, das Haus war sauber. Und morgen würde sie nach der Arbeit anfangen, Thomas' Sachen zu packen, alles Nötige arrangieren. An den Mutterschaftsurlaub musste sie auch denken. Sie blickte zur anderen Betthälfte. Dort hatte Thomas gelegen. Mitunter leise durch die Nase schnarchend. Und sie hatten sich geliebt. Er war ein sanfter Liebhaber gewesen, sein Körper war herrlich warm und gut geformt und.. Sie kämpfte kurz mit den Tränen. Er war tot und sentimentale Erinnerungen würden ihn nicht zurückbringen. Als sie dann einschlief, träumte sie von einem Picknick mit ihm. Das schwarze Haar schimmerte in der Sonne und seine Augen leuchteten wie Saphire. Empfindungen des Gesandten Lyhhr: Ich hielt ihn in meinen Tentakeln und liebkoste ihn. Es war diese herrliche glatte Haut, sie machte mich verrückt. Ich ließ meine Tentakel über seinen ganzen Körper wandern, erkundete jeden Winkel, fand Haarbüschel unter den Armen und zwischen den Beinen, untersuchte seinen Fortpflanzungsapparat, spürte seine Gefühle, ein Zwiespalt aus Scham und Erregung. Mir fiel auf, daß er versuchte, den Geschlechtsapparat zu bedecken. Erst mit der Decke, dann mit den Händen. Schamgefühl war etwas Zivilisiertes und ich respektierte das. Ich hüllte ihn wieder in die Decke und beschränkte mich auf Zärtlichkeiten mit der Tentakelspitze. Ich liebkoste das kleine Leben sanft mit den Tentakeln, spürte, wie es sich beruhigte. Dann rief ich Sahhaar und teilte ihr mit, was geschehen war. Sie kam in den Raum. Das kleine Leben in meinem Tentakel zuckte zusammen und ich spürte, daß es.. er wieder Furcht empfand. Ich streichelte ihn beruhigend und er entspannte sich, ließ Sahhaar aber nicht aus den Augen. Sahhaar berichtete mir von der Möglichkeit, die wir hatten, auf die Erde zu kommen. Wir mussten uns nur gut tarnen, uns verändern. Die Menschen besaßen keine telepathischen Fähigkeiten und wenn doch, waren sie verschüttet oder die betreffenden galten als Verrückte. Ich seufzte tief. Dieses Volk, so lieblich es war, so anmutig und klug.. es musste noch viel lernen. Menschen waren so voller Liebe, so klug - und gleichzeitig so dumm und voller Hass. Als erstes mussten wir lernen, wie wir uns mit ihnen verständigen konnten. Das Wesen in meinen Tentakeln war nun nicht mehr verängstigt, aber angespannt. Wie gerne hätte ich es überall gestreichelt, liebkost und ihm jede Angst vor uns genommen. Er traute dem Frieden 5
jedoch nicht ganz. Was ich ihm offen gesagt auch nicht verübeln konnte. Boten, die wir auf der Erde eingeschleust hatten, berichteten immer wieder von fremdenfeindlichen Stimmungen. Und Außerirdische waren als Feinde besonders beliebt. Ich dachte an die Erde. Die Rohstoffe dort würden nie eine Invasion rechtfertigen, zumal ein potentieller Angreifer nicht nur die Menschheit am Hals hatte, sondern auch die Raumwacht, die darauf aufpasste, daß niemand so einfach einen Planeten einnehmen konnte, dessen Bevölkerung noch derart unterentwickelt war. Wir brachten den Menschenmann in den Trainingsraum, wo wir uns bemühten, ihm die Grundlagen der Telepathie beizubringen. Jutta sah auf die Listen von den Bestattungsinstituten. Es würde nur eine formelle Beerdigung sein, es gab ja keine Leiche. Sie empfand es als ungerecht, daß sie sich nicht von ihm hatte verabschieden können. Ihr Vater war an Krebs gestorben und ihre Mutter hatte ihn bis zum Schluss begleitet. Jutta war zwölf gewesen und sie erinnerte sich an das Ende, bis die Apparate keinen Herzschlag mehr registrierten. Nicht mal das war ihr selbst vergönnt gewesen. Sie hatte keine Hand halten können, bis es vorbei war, sie hatte es nicht mal geahnt! Sie sah zur Vitrine hinüber. Ihre Schwester hatte schon eine Beileidskarte geschickt. Und eine getrocknete Blume. Juttas Blick schweifte zu Thomas' Foto an der Wand hinüber. Sollte sie es mit einem schwarzen Band versehen? Sie entschied sich dagegen. Sie wusste ja auch so, daß ihr Mann tot war. Rasch überflog sie die Preislisten und entschied sich für eines. Einen Teil würden die Versicherungen übernehmen. Und dann musste sie noch zum Notar, wegen des Testamentes. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Den Einstieg machten Farben. Dann kamen Formen, dann Eindrücke. Er war ausgesprochen schnell von Begriff, lernte in rasantem Tempo. Ich lernte, mich auch in Lauten auszudrücken. Ich spürte, wie er seine Angst vor uns verlor, Freude am Lernen hatte und von unserer Kultur fasziniert war. Als ich ihn dann wieder mit den Tentakeln umschlang, streichelte und betastete, sträubte er sich nicht mehr. Wobei ich eine interessante Entdeckung machte: Als ich den Fortpflanzungsapparat erkundete, durchzog ihn eine Flut aus widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen. Ich erkundigte mich bei ihm über die Gedankenbrücke und bemerkte ein weibliches Wesen seiner Art, das im Zentrum seiner Gedanken stand. Als ich mich danach erkundigte, wurde ich mit seltsamen Gebräuchen konfrontiert. Ein männliches Wesen umwarb ein weibliches, die beiden lebten zusammen und zogen Nachwuchs auf. Das war die Grundform. Nun erschien es uns doch etwas seltsam, daß nur ein männliches Wesen die Balz beginnen konnte, aber er zeigte mir, daß mittlerweile weibliche Wesen auch beginnen konnten, mitunter taten sie es auf sehr subtile Weise, mit Körpersprache oder -geruch. Ich spürte die tiefe Verbundenheit, die er dem weiblichen Wesen entgegenbrachte. In der Lautsprache, war sie "seine Frau", so daß Sahhaar erst argwöhnte, die eine Hälfte der Menschheit würde die andere versklaven. Doch er korrigierte, sie "Jutta", wäre nicht sein Eigentum, sondern eine freiwillige Gefährtin. Sie könne ihn verlassen, wenn sie wolle und er war "ihr Mann". Als er uns das erklärte, strich Sahhaar sinnend mit den Tentakeln spielend über seinen Geschlechtsapparat und ein Aufjapsen und eine Flut sehr eigenartiger Gedanken waren die Folge. Daraufhin lernten wir Dinge über die Fortpflanzung, die von ihm mit einem verlegenen Gefühl untermalt war. Sahhaar und ich rätselten über die Widersprüchlichkeit dieser Dinge. Einerseits machten Menschen aus der Paarung regelrecht eine Kunst, andererseits erfüllte sie sie mit Verlegenheit. Jutta trocknete ihre Tasse ab. Sie sah auf den Geschirrspüler. Den brauchte sie wohl nicht mehr. Eine ihrer Tanten würde sicher Verwendung haben. Für eine Person war er zuviel. Sie ging zum Regal mit den CDs und Kassetten. Sie nahm eine der Lieblingskassetten ihres Man6
nes heraus. Legte sie ein. Hatte der Pastor nicht gesagt, daß Thomas durch sie immer da sein würde? Daß er in ihrem Herzen weiterleben würde? Sie lauschte der Musik und gestattete sich für eine Weile die Illusion, daß er jeden Moment nach Hause kommen würde. Und dann würde er mit ihr am Tisch sitzen und ihr von seinem Tag erzählen. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Wir besuchten die Erde. Sahhaar hatte schon öfter die Überwachung ausgetrickst und steuerte unser Landegerät sicher zur Heimat unseres unfreiwilligen Gastes. Der saß inzwischen sehr gelöst auf der Rückbank und wir unterhielten uns telepathisch. Als wir die Kontinente sahen, erklärte er uns, wie welche Landmasse hieß und wo welche Macht saß. Wir hatten uns zuvor unterhalten und ich hatte mich erkundigt, warum so viele Filme und Erzählungen, die wir aufgefangen hatten, das Außerirdische als etwas Bedrohliches darstellten. Rein rechnerisch würde sich eine gewaltsame Eroberung der Erde nicht lohnen. Die Rohstoffe gab es in der Menge woanders und umsonst. Hinzu kam der moralische Aspekt. Dieser hatte Verbitterung in ihm ausgelöst. "Moral.. das hat bei uns nur noch selten jemand." Ich widersprach ihm nicht, obwohl ich der Ansicht war, daß seine Spezies durchaus zur Moral fähig war. Leider standen Sahhaar und ich mit dieser Ansicht weitgehend allein auf weiter Flur. Sahhaar landete unser Fahrzeug in einem kleinen Waldgebiet und tarnte es. Dann nahmen wir die Gestalt von Menschen an. Zwar würde ein gründlicher Medo-Scan uns verraten, aber für den Weg zu Thomas nach Hause reichte es, wir mussten Energie sparen. Jutta trank eine Tasse Kräutertee, nahm aber den Geschmack kaum wahr. Sie blätterte in einer Zeitschrift, nahm aber den Inhalt kaum auf. Hin und wieder starrte sie auf das Fenster. Immer wieder fielen ihr Erlebnisse, Ereignisse und Aktivitäten mit Thomas ein. Wie sie gegrillt hatte und es angefangen hatte zu regnen. Eine kurze Auseinandersetzung wegen Möbeln. Weihnachtsfeiern bei Eltern. Einmal hatte sie hohes Fieber gehabt und er war zu Hause geblieben, hatte sie versorgt. Sie trank die Tasse leer. Egal, wie sie es betrachtete - er fehlte ihr einfach. Er hatte eine Mission im All machen sollen. In einer Woche wäre er fertig gewesen und dann hätte sie es ihm erzählen können. Daß er Vater wurde. Gott bürdet uns nicht mehr auf, als wir tragen können. Das hatte der Pastor am Grab ihres Vaters gesagt. Jutta fragte sich, woher er diese Gewissheit nahm. Sie stand auf und ging zur Anrichte. Sie hatten die alte Katze ihrer Mutter zu sich genommen, als die in ein anderes Haus zog, in dem Tierhaltung verboten war. Und die Katze hatte auf der Anrichte geschlafen, bis Jutta einen Küchenwecker aufgezogen und unter die Katze geschoben hatte. Die hatte es erst gemerkt, als der Wecker rappelte und schleunigst das Weite gesucht. Seitdem hatte sie nie wieder auf der Anrichte geschlafen. Und eines Tages lag sie auf dem Sessel und wachte nicht mehr auf. So sollte der Tod kommen, dachte Jutta, nach einem erfüllten Leben, im Schlaf. Nicht wie bei ihm. Tod durch Sauerstoffmangel stellte sie sich schrecklich vor. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Wir betraten den Vorgarten und er suchte an einem großen Behälter mit einer Pflanze. Ein kleiner Metallstreifen, an einer Seite gezackt und an einem Ende abgerundet, kam zum Vorschein und er schob diesen Metallstreifen in einen Spalt in einer Metallfläche auf einer großen Holzplatte, in die Glas eingelassen war. Sahhaar und ich staunten. So ein kompliziertes Ritual, um Zugang zur Behausung zu bekommen! Offenbar war die Technik mit dem Handabdruck noch nicht so weit. Obwohl es sie schon gab. Die Holzplatte schwang auf und er lächelte uns an. "Willkommen in meinem bescheidenen Heim." "Deine Partnerin ist im Haus", stellte Sahhaar fest. "Oh gut, dann lernt ihr euch gleich kennen!" Jutta hörte plötzlich einen Schlüssel im Schloss. Wer war das? Dann glaubte sie Thomas' Stimme zu hören. "Willkommen in meinem bescheidenen Heim." Eine Stimme sagte etwas, 7
was sie nicht verstand, dann hörte sie wieder Thomas' Stimme. „Oh gut, dann lernt ihr euch gleich kennen." Und dann trat Thomas, ihr totgeglaubter Ehemann in die Küche. "Hallo, Jutta. Liebling..", flüsterte er und seine Augen schwammen. Jutta stand auf. Das muss ein Traum sein!! schoss es ihr durch den Kopf. "Es ist kein Traum. Liebling, ich bin es wirklich. Sie haben mich gerettet.." Und dann fielen sich die beiden in die Arme und für eine Weile herrschte nur leises Schluchzen auf beiden Seiten und Stille von ihren Gästen. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Ich spürte Freude für die beiden. Liebende, die sich wiedersahen, das war auch bei unserer Unterhaltungsindustrie ein beliebtes Motiv. Sahhaar und ich blieben völlig still. Wir warteten, bis die beiden den ersten Freudenschock überwunden hatten. Dann sah sie uns an und er erzählte ihr in knappen Sätzen, wer und was wir waren. "Das muss ich erst mal verdauen", erklärte sie und ich scannte sie unauffällig, ob sie tatsächlich verdaute. Dabei fand ich etwas, was mich freute. Neues Leben keimte in ihrem Körper. Jutta erwartete ein Kind. Ich fragte mich einen Moment, ob sie mir erlauben würden, bei der Geburt dabei zu sein. Aber ich schob diesen Gedanken rasch zur Seite. Sahhaar trat zu den beiden und erklärte, was sie bei der Untersuchung der Kapsel gefunden hatte. Daß vermutlich einige Kabel absichtlich zertrennt worden waren. Von Jutta ging eiskaltes Entsetzen aus. "Wenn das stimmt, dann..", sie führte den Satz nicht zu Ende, aber ihre Gedanken reichten. "Wir müssen es beweisen." stellte Thomas fest. "Ich bin sicher, wir finden da einen Weg", sagte Sahhaar ruhig. "ich schlage vor, Lyhhr und ich holen noch einiges an Ausrüstung aus dem Gleiter und ihr beide könnt.. ", sie fand keine geeigneten Worte, aber es war auch so verständlich. Wir verzogen uns zum Gleiter und ich teilte ihr mit, was ich über Jutta herausgefunden hatte. Sie küssten sich. Jutta kam sich vor wie in einem Traum. Sie hatte ihn wieder. "Liebling?" flüsterte er. "Ja?" "Machst du mir Rührei mit Kräutern? Ich bin soo hungrig." "Haben sie dir nichts zu essen gegeben?" fragte sie etwas alarmiert, während sie zum Kühlschrank ging. "Doch, mir wurde was angeboten, aber wir wussten nicht, ob ich es vertrage. Ich habe außer Wasser auch nichts runterbekommen." Sie nickte und holte Eier aus dem Schrank. "Auch etwas?" fragte er. "Oh ja, ich bin auch hungrig.. hungrig wie ein Wolf!" sie lächelten sich an und er deckte den Tisch, während sie die Eier aufschlug. "Holst du bitte etwas Milch rauf? Hier ist keine mehr." "Gern. Soll ich noch was zu trinken raufbringen?" "Ich wollte Saft", Jutta öffnete den Kühlschrank, "hol bitte Traubensaft rauf. Es ist auch noch Bier da." "Danke nein. Saft ist auch mir recht." Damit ging er die Treppe herunter und holte Milch und Saft, sie nahm eine Pfanne und holte die Margarine hervor. Und die Kräutermischung. Als sie dann aßen, waren beide glücklich. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Wir warteten, bis die beiden fertig waren und machten uns am Fenster bemerkbar. Jutta war amüsiert und Thomas erklärte uns, daß ein Knopf neben der Tür im Haus ein Geräusch verursachte, das anzeigte, daß jemand hereinwollte. Sahhaar und ich hatten mit Speichereinheiten gekoppelte Scanner geholt. Wir wollten lediglich ein paar Messungen vornehmen. Wir vermaßen zunächst das Haus, um die Scanner zu prüfen und zu justieren. Ich fragte mich, ob Thomas schon wusste, daß Jutta schwanger war. Bei meinem Volk wusste der Vater sofort nach der Empfängnis Bescheid. Thomas' Gedanken waren jedoch frei davon und da ich wusste, wie schamhaft Menschen auf Paarung und Fortpflanzung reagierten, beschloss ich es lieber zu verschweigen. Jutta gab Sahhaar und mir auf unsere Bitten einen großen Krug mit Wasser. Die Sonne verschwand unter den Horizont oder sollte ich lieber sagen, daß sich die Erde mit unseren Koordinaten von der Sonne fortdrehte? Die beiden zeigten uns ein Spiel mit bedruckten Pappblättchen, die Bilder oder Symbole zeigten. Dieses Spiel nannte sich "Rommé" und war recht unterhaltsam. Es wurde dunkel und nach einer Weile zogen sich 8
Jutta und Thomas zurück. Ich spürte bei beiden eine gewisse Vorfreude, gepaart mit latenter sexueller Erregung. Offenbar wollten sich die beiden noch paaren. Ich fragte mich, ob auch dabei ein Kind entstehen sollte. Etwas später stellte ich fest, daß sich die Emotionen der beiden auf Sahhaar und mich übertragen hatten. Oben waren Thomas und Jutta ineinander verschlungen und unten schlangen sich unsere Tentakel ineinander. Am nächsten Morgen machte Thomas für Jutta Früchtetee und buk Croissants auf. Seine beiden Gäste waren zunächst nur ein Haufen von Gewebe und Tentakeln, bis sie sich entknoteten und aufrichteten. "Guten Morgen", Thomas stellte den Küchenwecker auf zehn Minuten und ließ den Tee ziehen. "Morgengruß", sagten dann beide Geschöpfe und tranken ihren Wasserkrug leer. "Ich wollte mich heute ins Institut begeben. Falls es wirklich Sabotage war..", Thomas sah nach den Croissants. "Ich werde dich begleiten", sagte Sahhaar freundlich, "wir haben nun genug Daten über eure Biomatrix." Noch bevor der Mensch sie fragen konnte, was damit gemeint war, veränderte sich die Körperform von Sahhaar, bis sie aussah wie eine hochgewachsene schlanke Menschenfrau. "Sehe ich echt genug aus?" "Ein bisschen ZU echt", war Thomas' Urteil, "du solltest dich etwas variieren, ich glaube nämlich nicht, daß ein Claudia-Schiffer-Double kein Aufsehen erregt." Lyhhrr reagierte amüsiert. "Vielleicht die Wangenknochen etwas ändern und die Haarfarbe", schlug er dann vor. Sahhaar tat das und dann war Thomas zufrieden. Als Jutta die Küche betrat, war sie sehr erstaunt, eine Besucherin vorzufinden. "Guten Morgen, aber wer sind Sie?" Fragend sah sie zu Thomas und Lyhhrr. "Ich bin Sahhaar", erklärte die Fremde freundlich, "ich habe meine Gestalt geändert, um Thomas zu begleiten." "Ich muss ins Institut", erklärte er, "wenn die Kapsel sabotiert war, dann kann das noch anderen passieren. Und die werden wohl nicht soviel Glück haben, rechtzeitig aufgefischt zu werden." Erinnerungen des Gesandten Lyhhrr: Ich blieb mit Jutta im Haus zurück, nahm auch menschliche Gestalt an und half ihr bei Tätigkeiten im Haushalt. Es war doch harte Arbeit und ich fragte mich, wieso diese Tätigkeit als lächerlich abgewertet wurde. Sie ging einkaufen und nahm mich mit. In einer kleinen Metallkiste mit einem Benzinverbrennungsmotor, die Räder hatte, bewegten wir uns in die Stadt. Jutta zeigte mir etwas, was Einkaufszentrum genannt wurde. Hier würden wir alles bekommen, was wir brauchten. Der erste Eindruck war überwältigend. Lichter, Farben und viele Seelen. Kleidung, Schmuck, Nahrung aller Art, zubereitet oder nicht, Bücher, Bilder, Informationsträger, Spielzeug .. Mir schwindelte. "Hier scheint es alles zu geben", stellte ich fest. "Stimmt", Jutta schmunzelte. "Gibt es hier auch lebende Wesen?" fragte ich. Gewundert hätte es mich nicht. "In der Zoohandlung. Dort." Wir gingen zu einem Schaufenster, in dem sich durchsichtige Behälter befanden. Darinnen waren kleine Nagetiere. "Ich denke, das sind Schädlinge", murmelte ich. "In freier Wildbahn, ja", erwiderte Jutta, "aber hier sind es Haustiere. Leute züchten sie und füttern und versorgen sie regelmäßig." Ich schaute mir ein Gerüst mit jungen Feliden an, Kätzchen. Sie waren sorgsam getrennt von den Nagern. Jutta und ich schlenderten weiter. Sahhaar ging neben Thomas und war vom Institut beeindruckt. Funktionell, aber auch einladend, was sie betraf. Er suchte Dr. Martin Gärtner auf. Sahhaar wartete geduldig draußen auf dem Flur. "Herr Feldmann?" Gärtner erbleichte. Thomas lächelte beruhigend. "Ja, ich bin es wirklich, keine Sorge." Der andere starrte ihn an. "Ich dachte, Sie wären tot." "Wäre ich auch. Hören Sie, meine Kapsel ist manipuliert worden. Ich fürchte, es gibt hier einen Verräter. Ich wäre gestorben, wenn nicht ein kleines Wunder geschehen wäre." Gärtner nickte nur. "Ich schlage 9
vor, Sie setzen sich erst mal hin. Kaffee?" "Ja, gern." Gärtner schenkte den Kaffee ein und ließ heimlich eine Kapsel hineinfallen, dann gab er viel Zucker hinzu. Thomas trank, während er beschrieb, wie die Raumkapsel plötzlich eine Fehlfunktion nach der anderen hatte und wie er plötzlich begriff, daß seine Überlebenschancen sehr schlecht standen. Er überlegte, ob er die Außerirdischen erwähnen sollte, unterließ es aber. Plötzlich umfasste ihn tiefe Müdigkeit. Er blinzelte. "Sie hätten nicht herkommen sollen, Thomas", sagte Gärtner leise, "wissen Sie, ich war immer der Ansicht, daß wir nicht ins All gehören." Der junge Mann vor ihm blinzelte und begriff. "Sie .. ", krächzte er dann mit sichtlicher Anstrengung, "haben die Kapsel .. sabotiert .. warum?" Gärtner lächelte traurig. "Ich wollte Ihnen einen heroischen Abgang verschaffen, der letzte Held im All, bevor die Raumfahrt eingestellt wird. Aber nun .. Sie sind ein Sicherheitsrisiko." Um Thomas wurde es schwarz. Gärtner musterte den anderen. Dann griff er zum Telefon. Sahhaar saß geduldig auf ihrem Sessel und fragte sich, was Thomas so lange mit dem anderen zu besprechen hatte. Er hatte sie doch hereinholen wollen. Dann plötzlich geschah noch viel Verwirrenderes. Zwei Männer, die uniformiert waren, betraten das Büro und trugen Thomas hinaus. Hinter ihnen ging ein älterer Mann, vermutlich Dr. Gärtner. Beunruhigt stand Sahhaar auf und trat zu ihnen hin. "Was ist passiert?" fragte sie. "Ihm ist schlecht geworden." Diese Auskunft ließ in Sahhaar alle Warnglocken schrillen, ihre empathischen Sinne empfingen die Lüge. "Was ist mit Thomas passiert?" fragte sie schärfer. Gärtner starrte sie an. "Ich bin seine Schwester", erklärte sie ruhig und wunderte sich, wie leicht die Lüge akzeptiert wurde. "Nun, Frau Feldmann ..", er lächelte, "ich schlage vor, wir setzen uns in meine Büro." Sahhaar spannte sich, als sie merkte, daß zwei weitere Uniformierte des Instituts-Sicherheitsdienstes auf sie zukamen. "Was haben Sie mit Thomas vor?" verlangte sie zu wissen. "Nehmt sie fest!" befahl Gärtner, von dem jetzt deutlich Nervosität und Erregung ausging. Sahhaar handelte, wirbelte herum und stieß einen Mann aus dem Weg. Der prallte schmerzhaft gegen die Wand. "Wahnsinn, das Weib hat ja Bärenkräfte!" Sahhaar bedauerte, Thomas im Moment nicht helfen zu können, sie musste sich nun retten. Sie stürmte ins Treppenhaus, stellte fest, daß niemand sie sah und nahm ihre wahre Gestalt an. Ihre Tentakel trugen sie schnell in Sicherheit hinauf zur Decke. Dort sandte sie eine telepathische Botschaft an Lyhhr. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Gerade, als Jutta mit mir zu ihrem Haus zurückkam, empfing ich die Botschaft von Sahhaar. Ich berichtete Jutta sofort davon. Aus ihrem Gesicht wich das Blut. "Das darf nicht wahr sein", flüsterte sie. Ich lauschte. "Ich fürchte, es kommt noch schlimmer, da ist jemand auf dem Weg hierher." "Schnell", Jutta zog mich ins Haus. "Wir könnten uns in der Raumfähre verstecken, sie steht etwas weiter auf dem Feld", ich deutete in die Richtung. "Sie dürfen keinen Hinweis auf euch oder Thomas finden", Jutta räumte rasch alles auf. Ich ging ihr zur Hand und zog mich dann ins Wohnzimmer zurück. Ich konzentrierte mich. Fragte Sahhaar, wo sie sei. Sie befand sich noch auf dem Gelände des Instituts. Aber, und das war für mich sehr wichtig, sie war nicht in Gefahr. Man suchte nach einer Menschenfrau, aber sie war wieder in ihrer ursprünglichen Gestalt. Ich floh mit Jutta, die einige Vorräte eingepackt hatte, zu unserer Raumfähre. An Bord angekommen, sah sie sich staunend um. Ich ließ sie in einem bequemen Sessel Platz nehmen und fragte, ob sie etwas brauche, ob ihr übel sei? "Im Moment nicht, wieso?" "Nun, wenn menschliche Frauen ein neues Leben in sich tragen, wird ihnen schnell schlecht, habe ich gehört." Ich lächelte sie freundlich an. "Woher weißt du ..?" fragte sie verblüfft. "Ich habe dich kurz medizinisch gescannt, daher." Ich schwieg noch einen Moment und fügte hinzu: "Ich wollte nur sehen, ob du verdaust .." Sie sah mich völlig verständnislos an und ich erklärte es ihr. Thomas kam wieder zu sich und ihm war übel. Alles drehte sich um ihn und er schloss wieder 10
die Augen. Dann öffnete er sie, um sich umzusehen. Er lag auf einer Pritsche in einer Zelle. Vorsichtig setzte er sich auf und ging zur Tür. Mit Klopfen und Rufen versuchte er sich bemerkbar zu machen - nichts. Unruhig ging er herum. Die Zelle war fünf mal drei Meter groß, neben dem primitiven Bett enthielt sie ein Waschbecken und ein Klo. Thomas ließ etwas Wasser laufen, wusch sich das Gesicht und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Was hatte man mit ihm gemacht? Er erinnerte sich an die Unterhaltung mit Gärtner, den Kaffee und .. Sahhaar fiel ihm ein. Wo war sie nun? Was war mit Jutta und Lyhhr? Hoffentlich waren sie in Sicherheit. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und dann betraten drei Männer in blauen Overalls die Zelle. „He, Kleiner“, begann der eine, nachdem er die Tür sorgsam zugezogen hatte, „du weißt, warum wir hier sind?“ „Nein“, erwiderte Thomas, während sich sein Magen zusammenzog, „aber ich nehme an, ihr werdet es mir erklären.“ „Und ob“, kicherte ein anderer, „wir sind gekommen, um ein wenig Spaß mit dir zu haben.“ „Das dürft ihr nicht.“ Thomas spürte, wie sein Herzschlag beschleunigte. Kichern. „Na und?“ Die drei kreisten ihn ein. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Ich brachte Jutta an Bord der Fähre. „Damit reist ihr durchs All?“ fragte sie staunend. „Na ja, eigentlich ist es für kürzere Strecken eingerichtet. Die ganz großen Distanzen werden von einem sogenannten Mutterschiff bewältigt.“ „Ist das in der Nähe?“ sie staunte die leuchtenden Instrumente an, berührte aber nichts. „Kommt drauf an, wie Nähe definiert wird“, gab ich zurück, „ist in der Umlaufbahn des Neptun genannten Planeten für dich nah?“ Sie runzelte die Stirn, dann lächelte sie. „Fürs Fahren mit dem Auto ist es etwas weit, aber ich denke, kosmisch gesehen, ist es nah.“ Aus der Zelle drangen seltsame Schreie und unterdrückte Laute. Thomas hatte sich verzweifelt zur Wehr gesetzt, aber gegen drei hatte er keine Chance. Schmerz durchpulste ihn, er spürte, wie sein Blut seine Schenkel herab floss. Die verrenkten Knochen protestierten. Die drei hatten ihn genommen, zusammengeschlagen, ihn verhöhnt und schließlich von ihm abgelassen. Er lag auf der Seite und versuchte, den Schmerz zu ignorieren. Jede Bewegung bescherte ihm die Hölle. Die Tür öffnete sich. Er schloss die Augen und entspannte die Muskeln. „Thomas?“ fragte Sahhaar leise. „Du?“ Thomas drehte sich um, obwohl jemand ihm ein glühendes Schwert durch den Körper jagte. „Du bist verletzt“, sagte das Wesen ruhig und fasste ihn an der Schulter. „Bitte, das tut weh“, protestierte er gedämpft. „Oh – das tut mir leid. Warte .. ich habe mein Medopack dabei“, Sahhaar behandelte ihn routiniert und sorgsam. Der Schmerz erlosch, die Blutung stoppte und Thomas seufzte tief. „Jetzt komm“, Sahhaar zog ihn hoch, „ich trage dich, wenn es sein muss.“ „Schon gut. Aber was ist den Wärtern?“ „Ich habe sie außer Gefecht gesetzt. Keine Sorge, sie schlafen nur.“ Sahhaar und Thomas schlichen sich durch den Gefangenentrakt und gelangten ins Freie. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Jutta lag auf einer weichen Couch, mit ihrer Erlaubnis scannte ich sie. Die Schwangerschaft war bei Menschen wie bei uns der Beginn eines neuen Lebens, ein kleines alltägliches Wunder – so widersprüchlich es auch klingt. Ich erinnerte mich, wie ich mit Sahhaar darüber geredet hatte, ob wir uns auch vermehren sollten. Einen Nachkommen hätte ich mir durchaus gewünscht. „Was wird mit Thomas und deiner Frau?“ fragte sie dann unvermittelt. „Ich nehme an, sie versuchen vom Gelände zu fliehen.“ „Können wir ihnen nicht helfen?“ Sie sah mich intensiv an. Ich lächelte. „Thomas hat eine tapfere Gefährtin ausgesucht.“ Sie lächelte zurück. Ich sah auf die Scanner. „Euer Haus ist durchsucht worden und wird nun bewacht. Ich schlage vor, wir suchen das Institut auf und versuchen Thomas und Sahhaar zu finden.“ „Worauf warten wir?“ Sie stand auf sah mich auffordernd an. Thomas ging neben Dr. Martin Gärtner her. Er trug nun einen hellgrauen Overall und eine 11
Schirmmütze. Hoffentlich kommen wir nach draußen, dachte er, Sahhaar kann die Tarnung nicht allzu lange aufrecht erhalten. Sie passierten anstandslos das Gefängnistor. Kamen durch den Sicherheitstrakt. „Wusste gar nicht, daß die im Institut so einen Knast überhaupt haben“, Thomas warf einen grimmigen Blick zurück und fügte hinzu: „Ich möchte lieber nicht wissen, welchem Zweck diese Räume dienen.“ Sahhaar spürte seine verhaltene Wut und hatte Verständnis dafür. Dank des guten Orientierungssinns des außerirdischen Geschöpfes und Thomas’ Kenntnis des Instituts fanden sie sich gut zurecht. „Ich will in Gärtners Büro“, Thomas deutete auf den Nordflügel, „dort finden wir sicher Unterlagen, die beweisen, was er vorhatte. Und Mord, auch versuchter, ist bei uns kein Spiel.“ „Ganz wie bei uns“, stimmte Sahhaar zu. Sie passierten die Korridore zum Nordflügel. Ein junger Wachmann sah sie auf dem Monitor und runzelte verwundert die Stirn. „Ist Dr. Gärtner nicht im Labor?“ Er rief dort an. „Gärtner!“ meldete sich eine bekannte Stimme. „Entschuldigen Sie, Dr. Gärtner, ich dachte, ich hätte Sie gerade im Nordflügel gesehen.“ „Erklären Sie das, bitte“, Gärtner spürte, wie sein Herz schneller schlug. „Ich sah Sie und einen Mann vom Technikerteam gerade vom Sicherheitstrakt zum Nordflügel gehen, zumindest nahm ich an, Sie wären das und deshalb fragte ich nach.“ „Interessant“, Gärtner lächelte, „ich nehme an, da habe ich einen Doppelgänger. Geben Sie stillen Alarm.“ Thomas hatte eine Akte zusammengestellt. „Damit kann ich beweisen, daß er zumindest der Anstifter war. Auch sein kluger Anwalt wird ihm da nicht weiterhelfen.“ Sahhaar starrte sinnend aus dem Fenster. Dann zuckte sie zusammen. „Ich spüre Lyhhr“, stellte sie fest, „und Jutta ist bei ihm.“ Thomas schluckte. „Kommen sie hierher?“ „Ja. Sie kommen.“ Dr. Gärtner lauschte den Worten seines Doppelgängers und beobachtete sie auf dem Bildschirm. „Nur gut, daß Feldmann nichts von den Kameras weiß“, er grinste kurz, und wandte sich an den Wachmann neben ihm, „in Kürze werden wohl Frau Feldmann und ein Begleiter eintreffen. Lassen Sie sie einfach passieren. Und schließen Sie die Türen A,C und D.“ „Ja, Dr. Gärtner“, erwiderte der Wachmann und betätigte die Schaltungen. Lautlos rasteten die Riegel ein. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Ich betrat mit Jutta das Gelände. Sahhaar und Thomas waren im Nordflügel und wir machten uns auf den Weg dorthin. Am Eingang wurden nur kurz unsere Ausweise geprüft, daß meiner im Prinzip nicht echt war, fiel nicht auf. Jutta wusste, wo Gärtners Büro lag und wir machten uns auf den Weg. Wir trafen Thomas und Gärtner im Büro an. Und Gärtner strahlte übers ganze Gesicht. „Schön dich wiederzusehen.“ Ich erwiderte das Lächeln und wir küssten uns. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Thomas zeigte Jutta das Material in der Akte. „Damit nageln wir ihn fest.“ „Ist das die übliche Strafe für versuchten Mord?“ erkundigte sich Sahhaar etwas erstaunt. „Was?“ fragte Thomas verwundert. „Nägel durch den Körper zu treiben und die betreffende Person zu fixieren.“ Die beiden Menschen schaute sich kurz an und schmunzelten. „Nein, das war nur ein umgangssprachlicher Ausdruck.“ „Gut., aber nun sollten wir hier raus.“ Ich warf einen Blick zur Tür. Thomas und Jutta nickten. Sahhaar blieb unschlüssig stehen. „Soll ich weiterhin wie Dr. Gärtner aussehen?“ fragte sie dann, „ich mag den Typen nämlich nicht.“ „Besser wäre es“, erwiderte ich, „er könnte uns hier herausbringen.“ Sie nickte und blieb in ihrer Gestalt. Sie gingen durch das Treppenhaus und Thomas wollte eine Tür öffnen. Doch die blieb verschlossen. „Hoppla“, murmelte er verwundert, dann benutzte Jutta eine andere und sie gingen hindurch. Die verschlossenen Türen lenkten sie schließlich in einen unterirdischen Raum. „Was zum ..?“ Thomas sah sich um. „Wie kommen wir jetzt hier raus?“ fragte Jutta. „Keine 12
Ahnung“, brummte ihr Mann, dann hob Lyhhr ein Stück Metall hoch. „Ich könnte versuchen, das Schloss zu knacken“, bot er an. „Das wird nicht nötig sein“, erwiderte Dr. Gärtner kalt und trat ein. Die vier fuhren herum und starrten in den Lauf der Waffe, die vorhielt. „Was ist das für ein Gerät?“ erkundigte sich Sahhaar leise. Thomas erwiderte leise: „Es ist eine Waffe. Durch den Lauf werden Projektile mit hoher Geschwindigkeit und Durchschlagskraft abgefeuert.“ „Wie barbarisch, damit könnte jemand verletzt werden“, urteilte Lyhhr. „Halten Sie den Mund!“ brüllte Dr. Gärtner, „Sie haben vielleicht Nerven, hier einfach reinzuspazieren und Sie auch! Mich auch noch zu kopieren, Sie dämliche Schwuchtel!“ Sahhaar runzelte die Stirn. „Ich nehme an, das Wort „Schwuchtel“ sollte beleidigend sein“, stellte sie dann fest. „Ganz recht“, knurrte Dr. Gärtner, „und nun muss ich leider dafür sorgen, daß niemand von Ihnen dieses Gebäude lebend verlässt.“ „Wenn Sie uns unbedingt töten müssen“, wandte Lyhhr ein, „dann nehmen Sie bitte Jutta davon aus.“ „Warum sollte ich?“ grollte Gärtner nur. „Sie trägt neues Leben in sich“, erwiderte Sahhaar leise. Thomas blickte erstaunt auf seine Frau. „Ist das wahr?“ fragte er leise. „Ja, ich habe es kurz nach deinem Abflug bemerkt.“ „Ersparen Sie mir das“, Gärtner fand zu seiner Ruhe zurück und hob die Waffe, „wenn Sie nicht so dämlich gewesen wären, hätten Sie als Held sterben können.“ „Würden SIE gerne sterben?“ erwiderte Thomas scharf. „Ich weiß nicht, wie Sie es fertig brachten, aus der Kapsel zu entkommen“, Gärtner atmete nun heftiger, „vielleicht finde ich das eines Tages ja raus, aber nun ..“ „Ich wurde von Außerirdischen gerettet“, sagte Thomas leise. Gärtner lachte spöttisch. „Glauben Sie, das nehme ich Ihnen ab? Major Feldmann, es gibt keine Außerirdischen.“ „Doch, die gibt es“, erwiderte Sahhaar ruhig, ging etwas abseits und nahm ihre eigentliche Gestalt an. „Sie sehen, so bin ich in Wirklichkeit. Um Sie und die anderen Menschen nicht zu erschrecken, sind wir in eine andere Gestalt geschlüpft. Wir wollen niemandem schaden.“ Gärtner starrte mit riesigen Augen auf die Gestalt. „Nein“, krächzte er. „Schauen Sie, ich bin unbewaffnet“, Sahhaar hob ihre Tentakel, „Ich liebe euren Planeten. Ich habe gesehen, wie ihr Menschen miteinander umgeht und daß ihr zur Liebe und Vernunft fähig seid. Ihr seid ein so wundervolles Volk, lasst uns doch miteinander leben.“ Sie sandte nun tiefe Wellen der Zuneigung aus. „Ja .. „, unschlüssig senkte Gärtner die Waffe. „Wie wäre es, Sie stecken die Waffe weg“, schlug Sahhaar vor, „berühren Sie mich doch ruhig, spüren Sie, wie ich gebaut bin.“ Sie glitt ein klein wenig näher. Lyhhr, Thomas und Jutta atmeten kaum noch. Fasziniert blickten sie auf das fremde Wesen, das sich Dr. Gärtner behutsam näherte. Dann zerriss ein Schuss die Stille, dann noch einer und noch einer. „NEIIIN!“ kreischte Dr. Gärtner und leerte das gesamte Magazin in Sahhaar. Lyhhr schrie auf, als er spürte, wie Sahhaars Leben erlosch. Sie fiel ohne Laut zu Boden. „Oh mein Gott“, Jutta konnte nicht glauben, was sie sah. Thomas sprang auf Gärtner zu und schlug ihm die Waffe aus der Hand. „Eine Bedrohung .. musste sie abwenden .. uns schützen“, brabbelte Gärtner, dann schlug Thomas ihn zu Boden. Lyhhr kniete sich neben seine tote Gefährtin. Nahm einen Kristall aus ihrem Körper und betätigte eine Taste an ihrem Gürtel. Sahhaars Körper glühte auf und verschwand spurlos. „Geliebte Gefährtin“, murmelte Lyhhr. Dann ging er zu einer Tür und öffnete sie mit einem Stück Metall. „Kommt, wir gehen“, sagte er leise. Wie betäubt folgten ihm die beiden Menschen. Sie gelangten zurück zur getarnten Raumfähre. „Ich kann euch in einem Land eurer Wahl absetzen“, bot Lyhhr an. „Nein“, flüsterte Jutta, „ich will hier nicht mehr leben.“ „Gibt es die Möglichkeit, bei dir zu bleiben?“ fragte Thomas leise. „Ja. Ich würde mich freuen. Und nun muss ich Sahhaar zurückholen.“ Die beiden warfen sich verwunderte Blicke zu, dann fing Jutta leise an zu weinen. „Es tut mir so leid um Sahhaar“, sie schluchzte und nun begannen auch Thomas’ Augen feucht zu schimmern, „sie war so wundervoll. Es tut mir so leid, Lyhhr, wenn wir nicht gewesen wären, dann könnte sie noch leben.“ „Gib dir nicht die Schuld, Jutta“, erwiderte Lyhhr sanft. Und startete die Fähre. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr 13
Im Schiff angekommen, legte ich den Kristall in dem Tank. Dann bereitete ich alles vor. Bald würde Sahhaar wieder bei mir sein. Thomas und Jutta waren sehr erstaunt, als ich Ihnen erklärte, daß der Tod für uns nichts Endgültiges sein musste. Sahhaar würde wieder neu entstehen, mit allen Erinnerungen. Dafür sorgte der Kristall. Auch ich trug so einen im Körper. Er speicherte die Erinnerungen und Erfahrungen und würde im Falle meines Ablebens alles bewahren. Ich war auch schon einige Male gestorben. Und nun würde es an der Zeit sein, Leben entstehen zu lassen. Nach soviel Tod. Und Thomas musste seine Verletzungen erst mal gründlich ausheilen. Sahhaar stieg nach einem Ablauf von fünf Mondzyklen aus dem Tank. Juttas Bauch wölbte sich bereits leicht und Thomas war aufgeregt und besorgt und voller Freude. Sahhaar änderte ihren Namen, in Erinnerung an „diese aufregende Geschichte“ nahm sie die beiden Anfangsbuchstaben unserer beiden irdischen Freunde in ihren Namen auf. Satjaar erinnerte sich genau an Dr. Gärtner. „Ich fürchte, mein Erscheinungsbild hat ihm den Verstand zertrümmert.“ „Ich staune immer wieder, wie du mit diesen Todeserfahrungen umgehst, geliebte Gefährtin“, erwiderte ich. Sie nahm meine Tentakel. „Lass es uns Thomas und Jutta gleichtun. Ich möchte ein Kind.“ Ich blickte sie erstaunt an. „Es ist an der Zeit. Lass uns eine Familie haben. Die Zeit des Forschens ist vorbei. Und zwei, bzw. drei Forschungsobjekte habe wir ja hier bei uns.“ Ich gab ihr recht. Der Pfleger ging mit Dr. Martin Gärtner durch den nächtlichen Garten. „Sehen Sie, Dr. Gärtner“, er deutete zum Himmel, „was für ein prächtiger Himmel.“ Die Sterne leuchteten und funkelten. Gärtner erstarrte. „Da, eine Sternschnuppe“, rief der Pfleger begeistert, „wünschen Sie sich was!“ „Neiin“, Gärtner zuckte zurück, „das sind sie! Sie! Sie kommen, sie wollen uns vernichten! Sie sind da!!“ Seufzend zog der Pfleger eine Spritze mit Beruhigungsmittel auf. Es würde noch lange dauern, bis Dr. Gärtner aus der Psychiatrie wieder entlassen werden konnte. Erinnerungen des Gesandten Lyhhr Jutta schrie. Thomas fiel in Ohnmacht. Ich war völlig aufgeregt. Aber dann war dieses kleine Menschenkind auf der Welt. Ein weibliches Wesen. Thomas kam wieder zu sich, er strahlte übers ganze Gesicht, als er seine kleine Tochter in den Arm nahm. Satjaar versorgte Mutter und Baby, ihre eigene Schwangerschaft wurde nun langsam sichtbar. „Habt ihr schon über einen Namen nachgedacht?“ fragte ich. „Da es ein Mädchen ist, soll sie Julia heißen“, Jutta trank etwas Wasser, „so hieß meine Mutter.“ Thomas strich dem Neugeborenen zart übers Gesicht. „Ich bin sicher, sie wird so hübsch wie ihre Mama.“ Und nun reise ich mit meiner Familie durchs All. Zwei Menschen haben wir an Bord genommen, aber nun sind es fünf. Satjaar und ich haben nun zwei Nachkommen und wir wollen auch bald wieder die Erde besuchen. Dann ist nämlich, wie Jutta und Thomas es ausdrücken „genug Gras über die Sache gewachsen.“ Und Dr. Gärtner hat sich hoffentlich wieder erholt. ENDE
14
Audienz von Marco Kaas
Alles sollte glatt laufen beim Gipfeltreffen mit einem Clan der vertriebenen Oren, doch für Claire wird es zur Katastrophe...
Argwöhnisch starrte Claire das gewaltige taktische Diagramm an, das an der freien Wand ihrer großräumigen Suite flackerte. Sie hatte es sich im Schneidersitz auf ihrer goldfarbenen Bettdecke bequem gemacht und war sich ziemlich sicher, dass sie - auch nach 30 Stunden, ohne ein Auge zutun zu können - heute keinen Schlaf mehr finden würde. Zu angespannt schien die Situation, zu misstrauisch war sie gegenüber dem kleinen, grauen Punkt, der auf der taktischen Projektion blinkte, dem Maßstab nach etwa 500 000 Kilometer vom Zentrum des Diagramms entfernt. Im Mittelpunkt der Grafik prangte das Symbol des Terranischen Imperiums, ein von Sternen umringter Globus. Dieses Emblem repräsentierte die "TDS Executive" und ihre Eskorte. Das schwere Raumschiff umkreiste einen kleinen, unbewohnten Planeten mit atembarer Atmosphäre, der eigentlich als Verhandlungsort für das erste Gipfeltreffen mit einem bisher unbekannten Clan der Oren vorgesehen war, doch das Diplomatenschiff der Oren - der graue Punkt auf dem Diagramm - hielt nun schon seit über 15 Stunden seine Position am gleichen Ort, in einer halben Million Kilometer Abstand von der "Executive" und ihrer Begleitflotte. Claire hatte bereits Verhandlungen mit Oren geführt und stufte sie normalerweise als vertrauenswürdig ein, aber dieser Clan hier schien ihr suspekt. So etwas hatte sie im Gefühl. Dieses Diplomatenschiff machte keinerlei Anstalten, sich dem Verhandlungsort auch nur zu nähern. Irgendetwas schien nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Doch nach über 30 Stunden merkte Claire, wie ihre Augenlider von Minute zu Minute schwerer wurden, allen offenen Fragen zum Trotz. "Schiff", sprach Claire schließlich die Executive an, "schalt' die Taktik ab und lass' mich mit dem Commodore sprechen." "Selbstverständlich", antwortete die freundliche, computergenerierte Stimme, woraufhin das taktische Diagramm an der Wand verschwand und wieder einen täuschend echt wirkenden, nächtlichen Südseestrand offenbarte. Wenige Augenblicke später meldete sich auch die Stimme des Commodore über die schiffsinternen Koms: "Maniaci hier." "Commodore", begann Claire und ließ sich todmüde in ihr Kissen fallen, "ich lege mich zur Ruhe. Ich möchte informiert werden, sobald irgendetwas passiert, das von Bedeutung sein könnte. Lassen Sie mich wecken, wenn sich das Schiff der Oren auch nur einen Millimeter bewegt." "Aye, Ma'am." Schnell wurde Claire von der Müdigkeit überwältigt und schlief in dem seligen Wissen ein, dass die Präsidentengarde vor der Tür pflichtbewusst ihren Schlaf bewachte. "Mrs. President!" Schon wieder tönte diese Stimme an ihr Ohr, während langsam auch die restliche Geräuschkulisse zu ihrem Bewusstsein durchdrang. Undefinierbarer Lärm. Schreie, Donnergetöse. Claire öffnete die schweren Augenlider und blickte in verschwommene Schatten. "Sie ist bei Bewusstsein", sagte irgendjemand. "Mrs. President! Ma'am, wissen Sie, wo Sie sich befinden?" Claire ließ ihre Augen von links nach rechts wandern, konnte jedoch nicht sehr viel erkennen, außer Schattengestalten und freiem Nachthimmel. Sie konnte stetige Erschütterung spüren, und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie auf dem Rücken lag. Als sie versuchte, sich aufzurichten, attackierte nicht nur ein stechender Schmerz ihren Rücken, sondern sie wurde auch sofort wieder von einer menschlichen Hand zurück gehalten. "Bleiben Sie bitte liegen, Ma'am." Die Stimme hob sich kaum von den wirren Hintergrundgeräuschen ab, doch nun glaubte Claire zu erkennen, dass sie der Gestalt auf der linken Seite gehörte. Es handelte sich um einen Menschen, um einen uniformierten Menschen, soweit sie erkennen könnte. Und Claire selbst schien auf einer Trage zu liegen, die von dem Soldaten und einigen anderen Gestalten geschleppt wurde. "Ich kann mein rechtes Bein nicht spüren", keuchte Clai15
re und musste feststellen, dass ihr das Sprechen sehr schwer fiel. "Tut mir leid, Ma'am", antwortete der Soldat mit etwas zittriger Stimme - bei genauerem Hinsehen erwiesen sich alle anderen Gestalten auch als uniformierte Menschen, "wir konnten das Bein nicht finden." Claire wurde von Panik gepackt und wollte sich erneut aufrichten, was mit einem noch heftigerem Schmerz bestraft wurde. "Bitte, Ma'am, bleiben Sie ruhig liegen", lautete die hilflos klingende Antwort des Unformierten, "wir müssen Schmerzmittel sparen, bis wir Nachschub kriegen." Und schlagartig wurde Claire durch ihren benebelten Verstand klar, dass es sich bei den aus der Ferne kommenden Geräuschen um Gefechtslärm handeln musste. Das Donnern von schweren Plasmageschützen. Schreiende Menschen. Planetare Jäger und Atmosphärenbomber, die mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit durch die Lufthülle dieser Welt rasten. "Nennen Sie mir Name und Dienstgrad, Soldat", forderte Claire, und die nächste Frage hatte sie sich bereits zurecht gelegt. "Sergeant Xinzhi, Ma'am. Ich bin Sanitäter. Wir bringen Sie hier raus." "Was ist passiert, Sergeant?" wollte sie nun energisch wissen. "Die Executive ist angegriffen worden und abgestürzt", lautete die Antwort. Claire verfluchte Commodore Maniaci. Sie hatte ihm doch aufgetragen, sie zu wecken. "Von wem sind wir angegriffen worden? Von den Oren?" "Nein, Ma'am. Es handelt sich um eine Flotte aus unbekannten Kriegsschiffen. Sie haben uns UND das Diplomatenschiff der Oren attackiert, doch die Oren konnten flüchten." "Was ist das für Gefechtslärm, Sergeant Xinzhi?" "Nach dem Absturz der Executive hat unsere Begleitflotte Rettungstrupps auf den Planeten geschickt um nach Ihnen zu suchen, Ma'am, doch die Fremden haben ebenfalls Bodeneinheiten abgesetzt. Deren Truppen sind in der Überzahl, aber wir können sie noch von der Absturzstelle fernhalten, bis wir Sie hier rausgeholt haben, Ma'am." "Dann beeilen Sie sich, Sergeant. Sind die feindlichen Raumschiffe noch immer da?" "Ja, Ma'am, sie befinden sich noch immer im Gefecht mit der Begleitflotte der Executive. Nach meinen letzten Informationen sieht es aber so aus, als könnte unsere Begleitflotte zumindest die Raumschiffe der Fremden zurück schlagen, aber Ma'am..." Er stockte einen Augenblick, bevor er mit beherrschter Wut fortfuhr: "Wir machen schwere Verluste: Captain Hansen hat angeordnet, die 'Legionary' zu evakuieren, sie hält dem Feindfeuer nicht mehr stand. Die 'Musketeer' können wir auch nicht viel länger in einem Stück halten... Ma'am, die 'Lancer' und die 'Dragoon' haben wir bereits verloren, ganz zu schweigen von unseren Jägerstaffeln." Ein anderer Soldat hielt es für nötig, hinzuzufügen: "Die haben bis zum letzten Moment gekämpft, Ma'am." "Und das sollen auch unsere anderen Schiffe tun", beschloss Claire. Da fielen ihr die Oren wieder ein. Wer auch immer die Angreifer waren, sie hatten es also auf die Menschen und die Oren abgesehen, doch die Oren waren geflüchtet, anstatt der Terranischen Flotte Beistand zu leisten. Das würde sicherlich noch ein diplomatisches Nachspiel haben, falls es zu einem weiteren Treffen kommen sollte. Natürlich ließ sich auch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass diese Oren in die Sache verwickelt waren, in diesem Fall war der Erstkontakt vielleicht nichts als ein Köder gewesen, um einen Anschlag auf die Präsidentenflotte zu verüben... Claire wurde schwindelig vom vielen Nachdenken, und während sie über eine Rampe in ein Landungsboot gebracht wurde, entschwand ihr langsam wieder das Bewusstsein. Durch eine Wand aus Schmerz und Benommenheit vernahm sie noch einen nahen Wortwechsel: "Sie ist an Bord, starten Sie!" "Unmöglich", rief Sergeant Xinzhi, wobei sich seine Stimme überschlug, "wir haben noch Truppen da draußen!" "Gehen Sie zurück auf Ihren Platz, Sergeant", antwortete die zweite Stimme mit Nachdruck, "die Überreste von Ihren Leuten sammeln wir später auf, wenn wir zurück kommen! Jetzt gilt es erst mal, die Präsidentin in Sicherheit zu bringen!" Müde schwang Claire die Beine aus dem Bett. Erst ihr unversehrtes, dann das nachgezüchtete. Ihre Suite im Kapitol war praktisch identisch mit der Luxus-Kabine, die sie auf der Executive zur Verfügung gehabt hatte, doch sie hatte das dreidimensionale Wandpanorama von einem Südseestrand zur Skyline von New York geändert, um nicht jeden Morgen erneut an das katastrophale Treffen mit den Oren erinnert zu werden. Ein Monat war seit dem Anschlag auf die 16
Präsidentenflotte nun vergangen, und in dieser kurzen Zeit hatte der gewaltige Apparat der Terranischen Regierung seine Arme ausgestreckt und einiges vollbracht. Ein zweites, erfolgreicheres Treffen mit den Oren hatte stattgefunden, und es hatte sich schnell herausgestellt, dass die unbekannten Angreifer es auf die Oren abgesehen hatten und deren friedliche Ausbreitung unter allen Umständen unterbinden wollten. Doch diese Fremden hatten die Macht der menschlichen Zivilisation unterschätzt, und sie hatten den großen Fehler gemacht, sich mit Claire anzulegen. Die United Terran Space Force hatte keine drei Wochen gebraucht, um die Vorposten der Fremden Stück für Stück zu liquidieren. Wie ein gewaltiger Heuschreckenschwarm war die gesammelte Terranische Flotte durch den feindlichen Raum gewandert und hatte mit minimalen Verlusten auf dem Weg alles ausradiert, das sich ihr in den Weg gestellt hatte, und nun war die gewaltige intergalaktische Streitmacht der Menschen dabei, den Heimatplaneten der Fremden zu belagern. Ohne die Oren wäre der Menschheit natürlich all der teure Ärger erspart geblieben, und gerade die Oren hatten in diesem Krieg keinen einzigen Finger gerührt. Sie hatten lediglich passiv zugesehen. Schlimmer noch: Als die Fremden einen Waffenstillstand erbeten hatten, hatten die Oren die Menschen tatsächlich darum ersucht, das Friedensangebot anzunehmen. Doch die Terranische Flotte war schon zu weit gekommen, um aufzugeben, und so hatten die Fremden Tag für Tag mindestens einen Planeten an die Menschen verloren, bis ihnen nur noch ihr Heimatplanet geblieben war. Claire stand auf und machte sich einen Kaffee. "Ich will fernsehen", beschloss sie, woraufhin das New-York-Panorama an der Wand der Silhouette des kegelförmigen Kapitols in der Morgendämmerung wich. Davor befand sich das kritisch dreinblickenden Gesicht einer Reporterin. Janine Perkins, Claires persönliche Todfeindin. Wenn es um politische Angelegenheiten ging, so hatte Claire festgestellt, blickten Reporter entweder kritisch oder zufrieden drein, und diese Janine Perkins hatte bei ihren Berichten meistens einen kritischen Ausdruck im Gesicht. Und deshalb war sie Claires persönliche Todfeindin. "Weitere Gefechte mit orbitalen Verteidigungseinheiten der Fremden bestätigten erneut die taktische Überlegenheit der Terranischen Flotte", erklärte Janine und verschwand von der Bildfläche, um den Aufnahmen aus dem Cockpit eines Space-Force-Jägers Platz zu machen, die am Vortag von der Presseabteilung rausgegeben worden waren. Der kurze FlugschreiberAusschnitt zeigte etwas unscharf eine perfekt gezielte Plasma-Salve, die einen fremden Abfangjäger in einen kläglich rauchenden Trümmerhaufen zerlegte, dann erschien wieder Janines kritisches Gesicht, und sie ließ wieder einen dieser Sätze los, wie ihn die Opposition nicht besser hingekriegt hätte: "Und während unsere Piloten ganz offenkundig ihren Spaß haben, bleibt die Frage nach dem Sinn dieses Krieges bestehen. Nach anfänglicher patriotischer Euphorie, die ganz im Sinne der Präsidentin für eine Erhöhung des Verteidigungsetats und vorbehaltlose Genehmigung von militärischen Schritten gegen die Fremden gesorgt hatte, kommen nun sogar in der Regierung Zweifel an der Kompetenz der Präsidentin auf. Vermutungen, bei 'Operation Nightfall' handele es sich um einen persönlichen Rachefeldzug, scheinen seit dem abgelehnten Waffenstillstand sogar dem Regierungskoalitionspartner nicht mehr aus der Luft gegriffen, und überall in Terranischem Raum werden die ursprünglich wenigen Stimmen, die nach einem Rückzug der Space Force rufen, lauter und lauter. Unbestätigten Gerüchten zufolge will die Opposition in Kürze geschlossen ein Misstrauensvotum gegen die Präsidentin einreichen, doch es bleibt auch dann fraglich, ob eine Entscheidung gefällt werden kann, noch bevor die Präsidentin den Befehl zum Zugriff gibt und damit den Heimatplaneten der Fremden regelrecht in Schutt und Asche legen lässt." Sie machte eine kurze Pause. "Ich bin Janine Perkins für TEN." "Mrs. President!" meldete sich die Stimme des Adjutanten hastig über das Kom. Claire konnte aus dem Tonfall hören, dass die Lage ernst war. "Ja? Was ist los?" erkundigte sie sich und befahl dem Computer, den Fernseher abzuschalten. "Ma'am, Transportschiffe der Oren haben unsere Verteidigungslinien durchquert und Gruppen von Oren auf dem Heimatplaneten der Fremden abgesetzt." Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf Claires Lippen. Nun mischten 17
sich die Oren also doch in den Krieg ein, und Bodenunterstützung war genau das, was die Menschen nun brauchen würden. Diese Oren hatten einen grandiosen Sinn für Timing. "Wie wird die Truppenstärke der Oren eingeschätzt?" erkundigte sich Claire. "Ma'am", setzte ihr Adjutant nach einer kurzen Pause wieder an, "es sind keine Truppen. Es sind einige Millionen pazifistische Aktivisten, und es sieht so aus, als hätten sie vor, den Planeten erst zu verlassen, wenn sich unsere Flotte zurückgezogen hat." Claire nahm einen kräftigen Schluck Kaffee. Zehn Minuten später betrat sie das große Konferenzzimmer und nahm in ihrem schwarzen Ledersessel am Kopfende des langen Ebenholztischs Platz. Verteidigungsminister Lampo, Außenministerin Wedenjapin, Raumfahrtminister Suyin, ihr Adjutant und ein Teil des Generalstabs waren versammelt. Der große Monitor am anderen Ende des Raums zeigte unter dem Emblem des Terranischen Imperiums das Porträt von Flottenadmiral Whitefeld, die im Augenblick auf ihrem Flagschiff "TSS Spirit Of Freedom" die Belagerung leitete. "Haben die Oren bereits zu den Aktivisten Stellung genommen?" erkundigte sich Claire sofort. "Ja, Ma'am", antwortete die Außenministerin und legte das Abbild eines Oren auf den großen Bildschirm, direkt neben Admiral Whitefeld, "diese Nachricht haben wir eben empfangen:" Bei dem Oren handelte es sich um ein aufrecht gehendes Wesen mit grünlich-gelber Hautfarbe, einem hervorstehenden, geriffelten Wulst über der Mundöffnung und drei gelblichen Augen. Bis auf sein Gesicht war der gesamter Körper des Wesens in eine bunte, traditionelle Kutte gehüllt, wie sie auch bei anderen Gruppierungen von Oren üblich waren. "Mrs. President", sprach das Wesen, das Claire als den Bürgermeister des Clans von Oren wiederzuerkennen glaubte, "Sie haben sicher erfahren, dass 30 Millionen Oren auf dem Heimatplaneten der Fremden gelandet sind, um gegen Ihren bevorstehenden Angriff zu protestieren. Wir stehen geschlossen hinter dieser Aktion und sehen sie als einzige vernünftige Möglichkeit, dem Völkermord, den die Menschen planen, entgegen zu wirken. Uns ist klar, dass unsere kriegerischen Verfolger durch den tragischen Anschlag auf unser erstes Gipfeltreffen vor einem Monat zu Ihren Feinden geworden sind. Die einstige Hochkultur der Oren wurde vor langer Zeit durch einen grausamen Angriff der Fremden zerschlagen, und die überlebenden Oren wurden in kleinen Gruppen in alle Winkel des Universums verstreut. Das ist Ihnen sicher bekannt, und umso merkwürdiger mag es Ihnen nun erscheinen, dass wir uns friedlich an die Seite der Fremden stellen, um deren Überleben zu sichern. Wir mussten in den vergangenen Wochen mit gebundenen Händen zusehen, wie die Terranische Flotte gnadenlos Massaker anrichtete, die den Aktionen der Fremden in Grausamkeit nicht nachstanden. Nun stehen Sie und Ihre sicherlich großartige Flotte davor, die Kultur der Fremden genauso zu zerschlagen, wie es einst mit der unseren geschehen ist, aber anstatt von instinktiven Rachegefühlen getrieben die bevorstehende Bluttat der Menschen zu unterstützen, trauern wir um die Fremden. Um die tragischen Überreste einer Kultur. Sie sehen in Ihrer Operation womöglich das schrittweise Ausschalten einer potentiellen Bedrohung, doch wir sehen das schlagartige Ausschalten von Jahrtausenden Kulturgeschichte, von Milliarden Leben. Wir bitten Sie, Ihren Feldzug nicht zu Ende zu führen, sondern den Fremden nun ihre kulturelle Souveränität zuzugestehen. 30 Millionen Oren auf diesem Planeten riskieren ihr unschätzbar wertvolles Leben, um positiv auf das Gewissen einer einzigen menschlichen Frau einzuwirken. Ich kann Sie nur ersuchen, den Planeten nicht anzugreifen, wenn schon nicht des Lebens von 30 Milliarden Feinden Willen, dann wenigstens des Lebens von 30 Millionen Freunden Willen. Mrs. President." Hier endete die Nachricht. Claire unterbrach die entstandene Stille im Raum gerade rechtzeitig, um sie nicht als betroffenes Schweigen bezeichnen zu können: "Wie stehen unsere Chancen bei einer Bodeninvasion?" Ein General ergriff das Wort: "Wenn wir diesem Oren glauben können, besitzt der Heimatplanet der Fremden 30 Milliarden Einwohner. Das bedeutet, im ungünstigsten Falle könnten wir es mit 30 Milliarden kämpfenden Truppen zu tun kriegen. Unsere Angriffsflotte trägt an die 10 Milliarden Soldaten, die wir bis morgen Früh auf der Oberfläche absetzen 18
könnten. Nachschub könnte innerhalb von zwei Wochen eintreffen, und mit aktiver Luft- und Raumunterstützung..." "Das dauert zu lange", stellte Claire fest und verzog das Gesicht, "bis Montag hat die Opposition das Misstrauensvotum durch." "Meine Stimme hat die Opposition jedenfalls", kommentierte Außenministerin Wedenjapin mit düsterem Gesichtsausdruck. Claire hatte keine Schwierigkeiten, den Blick zu erwidern, bevor sie ihre Überlegung fortführte: "Für eine mehr oder weniger saubere Bodenoperation bleibt uns also keine Zeit", stellte sie fest, wobei sie mit kalter Fassade versuchte, den Kloß zu ignorieren, der sich langsam in ihrer Kehle bildete, "Admiral Whitefeld - wie sieht's mit einem gezielten Bombardement aus der Umlaufbahn aus?" "Schwierig zu sagen", antwortete die Kommandantin der Belagerungsflotte in einem beiläufig klingenden Tonfall, "es würde sicherlich bis morgen Abend, wenn nicht Montag Morgen, dauern, um die taktisch relevanten Ziele zu identifizieren und auszuschalten, aber dann hätten wir die Fremden zumindest soweit gestutzt, dass sie keine Bedrohung mehr darstellen. Ich möchte aber zu bedenken geben, dass dabei wahrscheinlich ein Großteil der Oren-Friedensaktivisten den Tod finden würde." Claire biss sich auf die Zunge. Verdammt, jetzt mach' bloß keinen Fehler, sagte sie sich, die Fremden sind eine Bedrohung für die Menschheit. "Das könnte knapp werden", merkte ihr Adjutant an, "was das Misstrauensvotum angeht." Es gab da natürlich noch eine Variante, die keine Zeit kostete. Claire ließ ihre kühle Hülle vollends fallen, und ihre Kehle wurde plötzlich erschreckend trocken, als sie langsam und deutlich fragte: "Wie lange brauchen wir für einen planetaren Vernichtungsschlag?" Admiral Whitefeld atmete tief durch, bevor sie antwortete: "Wir bräuchten eine halbe Stunde, um die Schlachtschiffe in Position zu bringen. Die Raumabwehr und Schutzschilde der Fremden sind bereits größtenteils ausgeschaltet, wir hätten also freies Schussfeld, Ma'am." Nun wandte Claire wieder ihren Blick von dem Bildschirm ab und sah den Anwesenden, die sie erwartungsvoll anstarrten, nacheinander in die Augen. Bis auf Außenministerin Wedenjapin schafften es alle, zumindest äußerlich kühl zu bleiben, aber nicht ohne die ein oder andere verzogene Miene. "Das dürfen Sie nicht tun", stammelte Wedenjapin, "das ist Wahnsinn! Sehen Sie nicht, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, das zu entscheiden!" Claire musste einige Male Luft holen und wieder ausatmen, und auch dadurch gelang es ihr nicht, ihre eigenen Zweifel völlig über den Haufen zu werfen. Sie ignorierte Wedenjapins Ausbruch und wandte sich stattdessen an alle. Ihre Stimme hatte einiges von ihrer gewohnten Härte und Bestimmtheit verloren. "Ich weiß, dass wir hier an einer fragwürdigen Grenze angelangt sind, von der Sie womöglich alle glauben, dass sie nicht überschritten werden darf. Ich möchte aber eine Sache zu bedenken geben: Die Fremden haben es einst geschafft, die Hochkultur der Oren fast völlig auszulöschen. Sie sind unberechenbar, und ihr Heimatplanet befindet sich in Reichweite der Menschen. Manche mögen behaupten, Operation Nightfall sei mein Rachefeldzug gegen diejenigen, die einen Anschlag auf mein Leben verübt haben. Sie sehen hoffentlich, dass diese Behauptung absurd ist. Es handelt sich tatsächlich um eine Verteidigungsmaßnahme. Das Schicksal der antiken Oren sollte uns allen gezeigt haben, dass die Fremden eine Bedrohung sind, und auch wenn wir sie nun bis in ihre Heimatwelt zurückgedrängt haben, ist doch nicht auszuschließen, dass ein weiteres Massaker an einer zivilisierten Kulturen, womöglich uns Menschen, geschehen wird." Claire legte die Hände auf den Tisch, um nicht zu zittern, während ihre Worte wie Ausflüchte klangen. "Indem wir das Universum von diesen ominösen Fremden befreien, sichern wir den Frieden." Dann wurde ihre Stimme wieder fester, sie selbst wieder sicherer, als sie hinzu fügte: "Und wir üben Vergeltung für ein feiges Massaker an Wesen, die nicht den Mut aufbringen, selbst Vergeltung zu üben. Die einzig sichere Option ist ein planetarer Vernichtungsschlag." Ja. Die Terranische Flotte, ein schier unendlicher, metallisch glänzender Schwarm aus Raumschiffen, der über dem Horizont der Fremden Heimatwelt die Sonne verfinsterte, würde als Ganzes reagieren und nicht nur eine akute Bedrohung beseitigen, sondern auch den Peinigern der Oren ihre Strafe bringen, gleichsam einem riesigen Heer aus Racheengeln. Claire ballte eine Faust und stellte sich vor, den Planeten der bösartigen Fremden wie eine Apfelsine zu zerquetschen. Sie schloss die Au19
gen, als sie langsam das Wort sagte, das die Apokalypse über die Fremden und 30 Millionen Oren hereinbrechen lassen würde: "Zugriff." "Ich wage es kaum zu glauben, aber es ist offenbar wirklich so einfach für Sie." Claire riss die Augen auf und drehte sich mit ihrem Sessel erschrocken herum. Der Oren aus dem Friedensgesuch stand in voller Lebensgröße direkt vor ihr. "Wachen", rief sie fast reflexartig, "Eindringling!" Der Oren blickte kurz über die Schulter auf die geschlossene Tür, hinter der Tag und Nacht zwei Soldaten standen, doch niemand stürzte mit einem Gewehr in den Konferenzraum. Claire sprang auf und tat entlang dem Konferenztisch einige Schritte zurück, doch der Oren folgte ihr nicht, sondern rang sich nur ein fast menschlich wirkendes, melancholisches Lächeln ab. Claire stieß versehentlich rücklings gegen Verteidigungsminister Lampo, doch das störte diesen nicht. Er saß regungslos an seinem Platz und starrte noch immer erwartungsvoll den nun leeren Ledersessel der Präsidentin an. Ein hastiger Blick in die Runde verriet Claire, dass alle Anwesenden, ihr Adjutant, drei Minister der Terranischen Regierung und ein fast kompletter Generalstab wie eingefroren waren. Nicht einmal das Abbild von Admiral Whitefeld bewegte sich. "Was soll das... Was ist das hier?" keuchte Claire. Der Oren hob einen bunt verhüllten Arm und ging gerade weit genug auf Claire zu, um sie erkennen zu lassen, dass er auf ihre Stirn deutete. "Das ist alles in Ihrem Kopf, Claire", sagte er. Sie hatte sich unbewusst in der Sitzlehne des Verteidigungsministers festgekrallt, und nun ließ sie etwas lockerer. "Was soll das bedeuten?" Die Situation war zu grotesk, um Sinn zu ergeben, aber Claire stellte sich wieder bewusst aufrecht hin und erkundigte sich mit etwas mehr Nachdruck: "Und wer sind Sie?" "Ich bin Jaralain, offizieller Oren-Bürgermeister", stellte sich das Wesen vor, "und ich befinde mich im Augenblick auf meinem Schiff nur eine halbe Million Kilometer von Ihnen entfernt." Claire blickte sich noch einmal kurz um, bevor sie nachfragte: "Wie konnten Sie sich der Erde unbemerkt bis auf eine halbe Million Kilometer nähern? Und was haben Sie mit meinen Leuten gemacht?" "Sie verstehen nicht. Ich habe doch gesagt, es ist alles in Ihrem Kopf. Dies ist nicht die Erde. Claire, Sie befinden sich in Ihrer Kabine an Bord der Executive und schlummern friedlich vor sich hin, während Sie darauf warten, dass ich mich mit meinem Schiff endlich der Präsidentenflotte nähere, wie es vereinbart war." Nun fiel es Claire wie Schuppen von den Augen. Ihre Kinnlade klappte nach unten, und eine gute Minute lang liefen ihr die Ereignisse des letzten Monats durch den Kopf. Langsam wurde ihr bewusst, dass alles nicht stattgefunden hatte. Und da fiel ihr ein Stein vom Herzen. Eine Welle des Glücks erfasste sie, wie einige Sekunden nach dem Erwachen aus einem entsetzliche Albtraum. Und doch war die Situation noch immer so surreal... "Es war nicht wirklich?" flüsterte sie. Der Oren lächelte, und sie fühlte, dass er ihr das plötzliche Glück aus tiefstem Herzen gönnte. "Es hat keinen Angriff der Fremden auf unser Gipfeltreffen gegeben", versicherte er ihr, "die Executive ist nicht abgestürzt. Es hat keinen Krieg gegeben. Und auch keinen planetaren Vernichtungsschlag." "Alles nur ein Traum?" Ihre Augen leuchteten wie die eines kleinen Kinds. "Es war kein Traum", erklärte Bürgermeister Jaralain ihr, "sondern das vereinbarte Gipfeltreffen." Nun entschwand ihr Glücksgefühl wieder, als sie auf einmal erkannte, dass sie alles falsch gemacht hatte, das sie nur hatte falsch machen können. Es war nichts als eine Reifeprüfung gewesen, und Claire hatte jämmerlich versagt. Bitter presste sie die Lippen aufeinander und gab dem Drang nach, auf den Boden zu starren. "Ich werde die Sache kurz machen, Claire", seufzte der Oren-Bürgermeister und machte keinen Hehl daraus, dass ihm ein anderer Ausgang des "Treffens" viel lieber gewesen wäre, "wir werden uns nun aus Ihrem Kopf und aus dem Konferenzgebiet zurück ziehen. Sie verstehen sicherlich, dass wir in Anbetracht Ihrer potentiellen Handlungen vorerst keine Beziehungen zur menschlichen Zivilisation aufbauen werden." Claire hob den Blick wieder und fragte mit ehrlichem Bedauern: "Bürgermeister? Sie wollen Ihre Augen einfach vor dem Hässlichen verschließen?" Nun schien Jaralain überrascht. Er nickte anerkennend, dann antwortete er: "Wie würden Sie sagen...? Wir sind auch keine Heiligen." Er lächelte schwach, bevor er sagte: "Sie wissen, was 20
den Oren einst widerfahren ist. Wir haben gelernt, vorsichtig zu sein. Die Fremden sind noch immer hinter uns her, und was wir sicherlich nicht brauchen, sind neue Feinde." "Wir müssen keine Feinde sein", widersprach Claire, "im Gegenteil: Wir könnten Ihnen gegen die Fremden beistehen." Jaralain schüttelte den Kopf und setze eine missbilligende Miene auf. "Sie haben es ja doch nicht verstanden, Claire. Wir brauchen Ihre Plasmakanonen und AntimaterieMarschflugkörper nicht. Aber das scheinen Sie nicht zu verstehen, also geben Sie sich mit der pragmatischen Erklärung zufrieden: Ihre Flotte ist den Fremden nicht gewachsen." "Aber..." setzte Claire an, doch Jaralain winkte ab. "Die Fremden, die wir Ihnen präsentiert haben, haben so gut wie nichts mit den realen Fremden gemeinsam. Es ist nicht die herkömmliche Kolonialkultur, wie wir sie Ihnen vorgesetzt haben, es ist eine unberechenbare Supermacht. Man kann Jahrhunderte durch das Universum reisen, ohne auf sie zu treffen, aber wo ein Fremdes Kriegsschiff steckt, sind meist noch tausende weitere. Diese Schiffe sind riesengroß. Sie sind überall und nirgendwo, und sie sind darauf aus, uns zu vernichten. Hätten es die Fremden auf die Menschheit abgesehen, wären Sie und Ihre Space Force genauso hilflos wie einst die Kultur der Oren." Claire legte den Kopf schräg und musterte den Bürgermeister. "Nach dem, was Sie mir erzählen, scheint die einzige Lösung darin zu bestehen, militärische Entwicklung zu fördern." "Militärische Entwicklung ist kulturelle Rückentwicklung, Claire. Aber wir Oren sehen uns als Kultur." Claire empfand plötzlich eine tiefe Sympathie für Jaralain. Trotz seiner offenbar hochentwickelten Technologie wirkte er unheimlich naiv, und sie musste sich eingestehen, dass sie Mitleid mit dem Oren empfand. "Das klingt zwar idealistisch", meinte sie vorsichtig, "doch in meinen Augen ist Ihr Standpunkt sehr naiv, Bürgermeister." Der Oren musste wieder lächeln, und plötzlich wurde Claire klar, dass er für sie das gleiche Mitleid empfand. "Ist mein Standpunkt wirklich so naiv", gab er ihr zu bedenken, "Sie nennen mich naiv, dabei haben Sie doch noch gar nicht gesehen, wie Operation Nightfall ausgeht..." Claire verspürte ein Schwindelgefühl, und der Konferenzraum begann, sich wirr zu drehen, bevor er vollends verschwand. Als sie wieder klar sehen konnte, wurde ihr sofort klar, dass Bürgermeister Jaralains kleine Illusion noch immer nicht ganz vorbei war. Claire stand im Zentrum eines riesigen Platzes, umschart von Fremden Zivilisten. Vereinzelte Grüppchen von Oren befanden sich in der drängelnden Menge, die angespannt in den dunkelblauen Himmel starrte. Zwielicht schimmerte in den ausdruckslosen Gesichtern der Massen und an den entfernten Stahltürmen, denn die Terranische Flotte lag wie ein klumpiger Nebel vor der Sonne. Dunkle Punkte füllten den Himmel aus, nur wenige große, bewegliche Umrisse waren etwas deutlicher erkennbar. Als diese langsam aber sicher zum Stillstand kamen, war Claire klar, dass sie die Feuerpositionen eingenommen hatten. Admiral Whitefeld führte pflichtbewusst ihren Befehl aus. "Nein", murmelte Claire vor sich hin, "bitte nicht." Sie tat einige Schritte vorwärts und stieß die apathisch starrenden Wesen, die ihr dabei im Weg standen, beiseite. Dann begann sie, zu rennen. "Nein!" rief sie in die Sonne und hob die Hände, um damit wild zu winken, "nicht schießen!" Einige Sekunden lang tat sich nichts. "Nein!!" brüllte sie. "Das dürft ihr nicht tun!! Nicht schießen!!" Je zwei leuchtende Punkte lösten sich von den großen, finsteren Silhouetten und rasten tiefer, um irgendwo hinter dem Horizont zu verschwinden. Einige Oren stürzten aufeinander zu und pressten sich fest aneinander. Die Menge schwieg, nur irgendwo in der Ferne begann jemand, wild zu schreien. Wenige Sekunden vergingen, dann wurde der Platz von allen Seiten in gleißendes Licht gehüllt. Ganz schwache Vibrationen fuhren durch den Boden, gefolgt von stärkeren Erschütterungen, die sich schließlich zu ausgewachsenen Erdbeben mauserten, während das weiße Licht intensiver und intensiver wurde. Claire musste die Augen schließen, hörte das langsam anschwellende Geräusch, das die Masse von sich gab, Schreie, Kreischen. Sie fühlte die Vibrationen, die ihren Körper durchfuhren, bis sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Sie riss die Augen auf, als sie zu Boden stürzte, doch der blendende Schein raubte ihr das Augenlicht. Das laute Krachen der zusammenstür21
zenden Bauwerke und das berstende Geräusch von aufklaffenden Schluchten konnten nicht die Todesschreie derjenigen übertönen, die darin ihr Leben verloren, die gesamte Geräuschkulisse wuchs zu einem grotesken, wabernden Ton an, und Claire musste nicht mehr mit ihren Augen sehen, wie sie alle in der Strahlung verbrannten. Sie wusste nicht, ob sie selbst schrie, als die glühende Hitze über sie hereinbrach und nichts mehr von ihren Sinnen übrig ließ, als grausame Schmerzen. Einige Sekunden lang fraß die verbrennende Luft an ihrer Haut, bevor die Druckwelle ihrem Leiden ein Ende bereitete. Mission erfüllt. Claire brüllte sich die Kehle aus dem Leib, als sie aus ihrem Bett sprang und um sich schlagend auf den Boden stürzte. Ihr Todesschrei rief binnen drei Sekunden die beiden gepanzerten Wachsoldaten, ein Mann und eine Frau, mit erhobenen Gewehren in den Raum. Bis die Soldaten erkannt hatten, dass niemand sonst hier war, war auch Claires ohrenbetäubendes Gebrüll langsam abgeebbt, und sie blieb auf dem Boden liegen, schwer atmend. Sofort ergriff die Infanteristin das Kopfkissen von Claires Bett, kniete sich vor die Präsidentin und legte ihr vorsichtig den Kopf auf das Kissen. "Mrs. President, Ma'am, was ist passiert?" erkundigte sie sich fürsorglich, während der Wachmann den persönlichen Arzt der Präsidentin verständigte. "Mrs. President?" erkundigte sich die Soldatin noch einige Male verzweifelt, während Claire Atemzug für Atemzug nahm und ihren Blick langsam wieder gezielt auf verschiedene Dinge richtete. "Wo bin ich?" rief sie zweimal. "Sie sind in Ihrem Quartier, Ma'am", erklärte ihr die Soldatin hilfsbereit, "Deck 14." In diesem Augenblick meldete sich Commodore Maniaci über das Kom: "Mrs. President, hier Maniaci. Die Oren verlassen das Gebiet mit hoher Geschwindigkeit." "Sir", unterbrach ihn die Infanteristin, "jetzt bitte nicht. Die Präsidentin steht aus irgendeinem Grund unter Schock." "Schon gut", keuchte Claire und versuchte langsam wieder, sich zu fassen. Sie setzte sich vorsichtig auf, unterstützt von den beiden Soldaten. "Mrs. President?" wollte Maniaci verwundert wissen, "was ist da unten geschehen?" "Das ist etwas kompliziert zu erklären", brachte Claire hervor und schnaufte hastig, "das Gipfeltreffen ist gescheitert. Ich versichere Ihnen, dass die Oren nicht mehr wieder kommen werden. Wir sollten uns zurück ziehen." "Ma'am", redete der Wachmann auf sie ein, "Sie sind im Augenblick nicht..." "Ich weiß, wovon ich rede, glauben Sie mir, Soldat." "Ma'am, ich verstehe nicht ganz, was das zu bedeuten hat", erkundigte sich Maniaci vorsichtig. Claire stützte sich an ihrem Bett ab und stand vollends auf. "Commodore", begann sie, "die Oren kennen uns. Oh ja, sie kennen uns gut." Sie nickte dazu bitter. "Ma'am", meldete sich der Commodore, "reden Sie etwa von taktischen Informationen?" "Schlimmer", entgegnete Claire und setzte sich vor den Augen der bewaffneten und doch völlig hilflos wirkenden Soldaten langsam auf ihr Bett, "sie wissen, wofür Menschlichkeit steht." ENDE
22
Der blinde Passagier von Patrizia Pfister
Beim Start eines Shuttles kann man so einiges erleben…
"X minus zehn Minuten..." Würde man den Countdown noch stoppen oder nicht? Die Wettervorhersagen kündigten das Herannahen einer Sturmfront an, doch wenn man dieses Startfenster nicht benutzte, würde die nächste Möglichkeit zum Start des Space Shuttle´s sich erst wieder in einer Woche ergeben, und bis dahin konnte er sich die Beine gebrochen haben... tausend Pannen konnten passieren, die verhinderten, dass er, Thomas Fligge aus Deutschland, nie in den Weltraum gelangen würde. Der Countdown musste einfach weitergehen! "X minus drei Minuten..." Major Tom, wie ihn seine Kollegen nannten, wartete bangen Herzens, während die Minuten sich zu Tagen auszudehnen schienen. Die letzten Checks waren durchgeführt und Donald Pearson, der Commander dieser Mission, Tom und Susan Kreiczeck konnten nur noch warten, während Tom´s Finger über dem roten Knopf zitterten, der die Newton abheben lassen würde. Schließlich war es soweit: "Vier, drei, zwei, eins..." Tom zündete die Boosterraketen. Auf den Bildschirmen konnte die Besatzung der Newton die Flammen und den Qualm sehen, während im Innern das Shuttle heftig vibrierte als es abhob. Etwa dreißig Sekunden später hörten Tom und Donald einen unterdrückten Aufschrei von Susan, die auf einem der hinteren Plätze lag, doch sie ignorierten ihn, da sie mit ihren eigenen Gefühlen genug zu tun hatten. Würde alles glatt verlaufen? Obwohl es schon seit Jahren keine Pannen beim Start eines Shuttles mehr gegeben hatte, war jeder Lift-off ein Risiko, doch alles ging gut. Nach zwei Minuten hatte die Newton bereits 45 Kilometer Höhe erreicht und die Booster abgeworfen. Sie würden ins Meer fallen und könnten später dann wieder verwendet werden. Nach neun Minuten wurde auch der große Treibstofftank abgeworfen und Tom lenkte das Space Shuttle in die Umlaufbahn. Dort angekommen, konnte Tom die Erde durch das Cockpitfenster sehen, denn das Shuttle stand relativ zur Erde gesehen auf dem Kopf. Um einen besseren Blick erhaschen zu können, schnallte er sich ab. Während er noch mit der ungewohnten Schwerelosigkeit kämpfte, erhaschte er einen Blick auf Susan, die völlig regungslos den Sitz neben sich betrachtete und noch gar nicht bemerkt zu haben schien, dass sie sich im Weltraum befanden. Es war erst ihre zweite Mission, daher konnte sie kaum schon so abgebrüht sein, dass sie diesem besonderen Moment keine Beachtung schenkte. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet. Da Susan nicht zu den schreckhaften Menschen gehörte, sonst wäre sie auch keine Astronautin geworden, musste ihre Reaktion einen guten Grund haben. Tom wandte sich daher dem Sitz zu, den Susan anstarrte und blieb ebenfalls mitten in der Bewegung stecken, da er nicht glauben konnte, was er da sah. Tom hing kopfüber mit den Füßen an der Decke und rührte sich ebenfalls nicht mehr. Donald, der alle Checks und den Funkverkehr mit der Bodenstation abgeschlossen hatte, schnallte sich nun ebenfalls los, drehte sich gekonnt seitlich um 180 Grad, so dass er sich direkt vor dem Sitz befand, in dem sich etwas befand, dass beim Start noch nicht da gewesen war. Ein leuchtend gelber Ball von ungefähr einem halben Meter Durchmesser saß wie ein Passagier auf dem freien Sitz und schaute die drei Menschen frech an. Er schaute natürlich nicht wirklich, schließlich hatte er keine Augen, doch die kleinen rasch hüpfenden Bewegungen ließen diesen Eindruck entstehen. "Was ist das?" fragte er erstaunt. Susan hatte sich von ihrem Schrecken und ihrer Verwunderung inzwischen erholt und antwortete nun mit einem leichten Lächeln in der Stimme. "Er..." und sie betonte dieses Wort, als wäre sie ganz sicher, dass die Kugel ein er wäre, 23
"tauchte kurz vor den Abstoßen der Booster hier auf, und zwar direkt auf dem Sitz, als hätte er gewusst, dass dort ein Platz frei war. Er ist wohl das, was man einen Kugelblitz nennt, aber einer von der Sorte, die Neugier, also ein intelligentes Verhalten zeigen." "Intelligent, ein Blitz?" schnaubte Donald. "Der muss hier raus, ich will keine blinden Passagiere an Bord und schon gar keinen dieser...dieser Sorte. Er ist lediglich ein elektrisches Phänomen und sonst nichts. Los, verschwinde von hier." Donald machte scheuchende Bewegungen und kam dem "Blitz" dabei sehr nahe. Einem warnenden Aufblitzen folgte eine leichte elektrische Entladung, die Don zurückschrecken ließ. "Heh, er ist gar nicht heiß, er ist ... kalt." Maßlose Verwunderung schwang in seiner Stimme mit. Nun ergriff Tom das Wort: "Was immer es ist, es oder er muss warten. Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen, und dazu bleibt uns nicht viel Zeit, wie ihr wisst." "Du hast recht Tom, an die Arbeit." Die Mission der beiden war es, den Satelliten, der aus der Bahn geraten war, wieder einzufangen, bevor er in der Atmosphäre verglühen konnte. Da es sich um einen wichtigen Kommunikationssatelliten handelte, wollte man ihn retten, denn der Bau eines neuen würde viel Zeit und mehr Geld verschlingen, als der Einsatz des Space Shuttles. Damit sich das ganze Unternehmen noch mehr lohnte, sollte ein weiterer Satellit, dessen Sonnenpaneele sich nicht ganz entfaltet hatten, noch repariert werde. Es war ein kommerzielles Unternehmen, dass der NASA zum ersten Male einen Gewinn einbringen würde, und so war die Bedeutung der Mission entsprechend groß. Der erste Satellit sollte gleich am ersten Tag eingefangen werden und dann auf die richtige Umlaufbahn gebracht werden. Da der Satellit nicht mehr rotierte, gab es dabei keine Probleme. Und so wurde er mit Hilfe des Robotarmes in der Ladebucht verstaut und am nächsten Tag am richtigen Platz ausgesetzt und wieder in Rotation versetzt. Mission Control meldete, dass der Satellit wieder einwandfrei funktionierte und fragte nach, was unser Passagier so trieb. Er schien die Leute "unten" weit mehr zu interessieren, als die eigentliche Aufgabe der Besatzung. Der Kugelblitz hatte sich bei allem, was wir taten, völlig passiv verhalten. Er bemühte sich, uns so gut es ging in der engen Kabine aus dem Weg zu gehen um nicht zu stören. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit hing er seine "Nase", oder zumindest ein Stück seines runden Körpers, an die Scheibe des Shuttles. Tom antwortete auf die Anfrage der Bodenstation daher entsprechend, nämlich, dass das Wesen vom Anblick der Erde anscheinend nicht genug bekommen konnte, genau wie seine menschlichen Bordkollegen. Mit welchen Sinnen er seine Umwelt allerdings wahrnahm, war nicht ersichtlich. Eine richtige Kommunikation war aber leider anscheinend unmöglich. Auf Susans vorsichtige Frage, wer es sei und woher er komme, hüpfte er nur aufgeregt hin und her. Die Schwerelosigkeit schien ihm keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten. Die Leute von der Bodenstation meinten, dass wir "ihn" wohl beim Start aufgelesen hätten, weil sich zu dieser Zeit ein Gewitter in der Nähe zusammenbraute. Susan war anderer Meinung. Nachdem sie ihn, wann immer sie konnte, beobachtet und studiert hatte, meinte sie am vierten Tag der Mission: "Jungs, ist euch schon aufgefallen, wie sehr Charly den Flug genießt?" "Charly?" Tom starrt sie an, doch sie zuckte nur mit den Achseln. "Irgendwie müssen wir ihn doch nennen. Doch was ich sagen wollte: Ich glaube er ist hier an Bord, weil er mitkommen wollte. Vielleicht wurde dieses Gewitter nur erzeugt, damit er sozusagen erscheinen und einsteigen konnte. Vielleicht können "sie", seine Leute, die Erde nicht verlassen. Klingt das verrückt?" "Schon, aber es macht auch Sinn. Andererseits, glaubst du wirklich es gibt noch mehr von seiner Sorte?" "Natürlich! Denk doch an die Berichte von Flugzeugpassagieren, die erzählten, dass ein Ku24
gelblitz im Flugzeug erschienen ist und den Gang entlang schwebte. Solche Geschichten gibt es mehr, als man denkt. Vielleicht teilen wir unseren Planeten mit Wesen aus Energie. Wäre das nicht eine aufregende Entdeckung?" fragte Tom. Donald unterbrach die Unterhaltung, weil der zu reparierende Satellit in Sichtweite war und sie mit der Arbeit weitermachen mussten. Susan und Tom stiegen in ihre Raumanzüge, überprüften sie und stiegen mit ihrem Werkzeug ausgerüstet aus und schwebten zu dem Satelliten. Doch bevor sie das Sonnenpaneel von Hand ausrichten konnten, stoppte Don sie aufgeregt: "Wartet einen Moment. Charly hüpft aufgeregt hin und her und schubst mich andauernd, als wolle er mir etwas sagen. Wenn ich nur wüsste was, was könnte es nur sein? Er leuchtet auf, fast wie bei einer Explosion, und wird wieder dunkler. Tom, hast du einen Stromprüfer bei dir?" "Ja, warum?" "Prüf' mal das Paneel und rühr vorher nichts an." "Hoppla, das leuchtet wie ein Weihnachtsbaum. Danke Charly. Wenn du Donald nicht gewarnt hättest, wäre ich gegrillt worden. Wir müssen zuerst die Energiequelle abklemmen, aber ich finde keine Stelle, die nicht unter Strom steht. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Don, Commander, wir müssen abbrechen. Ich habe keinen Ansatzpunkt." "O.K. kommt erst einmal an Bord. Mission Control soll entscheiden, was wir tun sollen." Drei Stunden später waren die beiden wieder draußen und mit einem Spannungsmesser bewaffnet. "Commander, die Werte, die das Gerät angibt, können unmöglich stimmen. Kein Satellit hat soviel Saft. Wir kommen nicht heran. Wir können das Paneel nicht entfalten." "In Ordnung, wir brechen ab. Sollen die da unten sich für die nächste Crew, die hierher kommt, eine Lösung einfallen lassen, den Strom abzuleiten und dann zu unterbrechen. Mit unseren Mitteln wird das nichts." Als wieder alle an Bord waren, versammelten sie sich um Charly, und Susan fragte ihn eindringlich: "Woher wusstest du es? Wie konntest du es merken? Tom und ich verdanken dir wahrscheinlich unser Leben, danke." Charly wurde eine Spur dunkler und nahm dann wieder seine ursprüngliche Farbe an, das hieß wohl soviel wie: bitte schön, gern geschehen. Mission Control gab den Befehl zum Abbruch der Mission, und so bereiteten die drei ihren Abstieg vor. Durch die verfrühte Landung würden sie allerdings die Landebahn in White Sands benutzen müssen, da nur hierfür ein Fenster zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stand. Alle begaben sich auf ihre Plätze. Nur Charly brauchte sich nicht anzuschnallen. Alles verlief planmäßig. Die Triebwerke wurden gedrosselt und das Shuttle stürzte der Erde entgegen. Durch die Reibung der immer dichter werdenden Luftschichten wurde das Shuttle immer heißer, bis es zum großen Teil rotglühend war. Der Funkverkehr riss ab, und erst nach drei Minuten hatten sie wieder Verbindung. Das erste, was Donald mitteilte, war, dass ihr blinder Passagier, Charly, sich nicht mehr an Bord befand. Die drei Menschen waren zu sehr mit der Landung beschäftigt gewesen, und so hatte niemand bemerkt, wie er verschwand. Seltsamerweise bildete sich beim Aufsetzen des Shuttles an der rechten Tragfläche ein Elmsfeuer, das Charly verblüffend ähnlich sah. Thomas, Donald und Susan lachten, als er auf der Tragfläche hüpfte wie ein Clown, und sie wussten, dass der sich auf seine Weise bedankte und auch verabschiedete. Obwohl ihre Mission nur zum Teil erfolgreich abgeschlossen worden war, brachten sie viele neue Erkenntnisse und noch mehr Rätsel auf die Erde zurück. Ende
25
Goldrausch von Patrizia Pfister
Es beginnt als Wettlauf zum Gold-Asteroiden...
Gelangweilt streifte ich die Monitore mit einem Blick, nur um festzustellen, daß sich seit dem letzten Mal - natürlich - nichts verändert hatte. Was sollte auch passieren? Wir waren nun seit fast einem Jahr unterwegs und nichts hatte die langweilige Routine unterbrochen. Dabei dürften wir uns eigentlich nicht langweilen. Sehr viele Spezialforschungsaufträge anderer Firmen sorgten dafür, daß wir genug zu tun hatten. Und trotzdem hatte sich die Eintönigkeit jeder längeren Raumreise bei uns eingeschlichen, vor der man uns gewarnt hatte. Dabei hatte es so aufregend für mich, Mark Eden, angefangen. Als ich gehört hatte, daß die größte europäische Firma, die sich mit Raumfahrt befaßte, nach Freiwilligen zur Astronautenausbildung suchte, hatte ich mich sofort beworben, denn erstaunlicherweise mußte man nur einen guten Hochschulabschluß und gute körperliche Voraussetzungen mitbringen. Mit 1,85 Körpergröße, durchtrainiertem Körper und einem Geologieabschluß mit Bestnote hatte ich gute Chancen, so hoffte ich, und versuchte es einfach. Normalerweise gehörten zur Elite der Raumfahrt nur hochrangige Wissenschaftler und ausgezeichnete Piloten mit sehr großer Flugerfahrung. Doch diesmal war alles anders. Trotzdem mußten die Bewerber zahllose Tests, vor allem körperliche, absolvieren, bevor sie in die engere Wahl gezogen wurden. Und dann wurde man den Psychologen ausgeliefert. Da mich das Abenteuer in den Weltraum lockte, gab ich das auch unumwunden zu, allerdings mit dem unguten Gefühl im Bauch, daß man nur grundsolide, nüchterne Leute nehmen würde. Wie sehr ich mich doch irrte, denn ich wurde zur Ausbildung zugelassen. Als ich feststellte, daß man mich zusammen mit einem Haufen Romantiker ausbildete, die wie ich davon träumten, die großen Entdecker eines neuen Zeitalters zu sein, wuchs meine Verwunderung immer mehr. Allerdings nur bis zu dem Tag, als ich erfuhr, was das eigentliche Ziel unseres Raumfluges werden sollte. Es ging schlicht und einfach um Gold! Man hatte im Asteroidengürtel einen riesigen Goldbrocken entdeckt, und da er zu einer bestimmten Zeit der Marsbahn sehr nahe kam, er also in annehmbarer Zeit zu erreichen wäre, hatte ein Wettlauf der, ... nein nicht der Nationen, sondern der Konzerne um diese Resource begonnen! Soviel wir wußten, wurden insgesamt drei Expeditionen vorbereitet, von drei verschiedenen Firmen. Jede wollte den Brocken für sich in Anspruch nehmen. Da es noch keine allgemeingültigen Gesetze und Besitzrechte für Dinge außerhalb der Erde gab, galt das Motto: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Das erinnerte an die Zeiten, als man im wilden Westen durch einen gefährlichen Wettlauf das markierte Land erhielt, das man erreichte, so wie beim Oklahomawettrennen im 19. Jahrhundert. Die Unterschiede zu dem damaligen Rennen und dem heutigen waren gar nicht so groß, wie man im ersten Augenblick vielleicht glauben könnte. Der Weg führte ebenfalls durch gefährliche, "unberührte" Weltraumregionen. Wir hatten zwar nicht gegen Indianer zu kämpfen, dafür war die Umgebung sehr viel lebensfeindlicher. Der große Unterschied war, daß noch niemand vor uns dort gewesen war und daher auch keine Parzellen markiert waren. Wer zuerst ankam und seine Markierung anbrachte, dem gehörte der ganze Goldklumpen. Ein Klumpen, der immerhin 100km im Durchmesser maß. Was konnte man damit alles anstellen! Gold war für viele Dinge nützlich, nicht etwa nur für Schmuck, hier würden die Preise wohl in den Keller fallen. Doch Gold war für die Halbleiterindustrie ein wertvoller Rohstoff. Stünde er billig zur Verfügung, würde das die Technik revolutionieren. Mit der größenwahnsinnigen Vorstellung, dazu beizutragen, eine bessere Welt zu schaffen, 26
waren wir schließlich aufgebrochen. Wir, das waren fünf junge, unerfahrene Leute, die im Schnellverfahren zwei Jahre lang ausgebildet und dann auf die Reise geschickt wurden. Unsere Firma hatte das russische Raumfahrtgelände in Baikonur aufgekauft und modernisiert, während wir von russischen Kosmonauten gedrillt wurden. Unser Raumschiff bestand aus Teilen der Mir, die, als sie ausgedient hatte, häppchenweise verkauft worden war, da Russland pleite war. Drei Module der Mir wurden mir vier neuen, größeren gekoppelt. Auf dieser Weise sparte unsere Firma viel Zeit und Geld, so daß wir immerhin als zweite Expedition in Richtung Asteroidengürtel starteten. Die Japaner waren eine Woche vor uns gestartet, und eine amerikanische Firma würde zwei oder drei Wochen nach uns von der NASA ins Weltall gebracht werden. Die ersten Monate waren noch interessant gewesen, wir genossen die Schwerelosigkeit ausgiebig, bis sie zum Alltag gehörte. Die beiden Frauen versetzten uns Männer dabei ins Staunen, denn sie überwanden die anfängliche Übelkeit am schnellsten. Die Experimente, die wir durchführen sollten, waren so narrensicher konzipiert, daß selbst wir sie ausführen konnten, und so wurde auch das schließlich langweilig. Das statische Rauschen unserer Funkanlage, die ständig in Betrieb war, wurde plötzlich durch pfeifende Geräusche unterbrochen. Ich schreckte aus meinen gelangweilten Gedanken hoch und versuchte den Funkspruch einzufangen, den wir offenbar erhielten. Da sendete jemand, ohne unsere genaue Frequenz zu kennen. Es konnte sich also nicht um die Erdstation der Firma handeln, doch wer sollte versuchen uns hier draußen zu erreichen? "S.O.S., hier ist die Yakusata. Unser Treibstofftank ist explodiert. Wir treiben hilflos im Weltall. S.O.S., kann mich jemand hören?" kreischte es aus der Anlage. Hastig regulierte ich die Lautstärke und weckte meine Crew. Wir stellten die Position der Yakusata fest, änderten unseren Kurs etwas und riefen die Leute dann. "Hier ist die "Golden Eye". Wir können euch hören und sind unterwegs. Wir werden etwa 17 Stunden benötigen, um euch zu erreichen." "Golden Eye?" Die Verblüffung des Sprechers war sogar über Funk zu spüren. "Wir sind vier Mann Besatzung. Wir haben noch für elf Stunden Sauerstoff. Könntet ihr euch bitte etwas beeilen? Die Explosion hat uns im Schlaf überrascht und das Wohnmodul vom Rest getrennt. Wir sind ohne Antrieb, ohne Nahrung und fast ohne Luft. Und ich glaube, wir stürzen auf den Goldasteroiden zu. Wenn ihr euch nicht beeilt, werden wir in seiner Atmosphäre verglühen." "Atmosphäre?" Verblüfft starrte ich das Mikrofon an, als wäre es Schuld für die verrückten Worte, die dort herauskamen. "Ja, wir haben ... hatten ausgezeichnete Geräte an Bord, die die genaue Zusammensetzung des Brockens feststellen konnten. Das Gold, das von der Erde aus beobachtet wurde, ist sozusagen in der äußeren Hülle der Atmosphäre. Soweit wir das verstehen, könnte es als Wärmefalle benutzt werden, schließlich sind wir schon ziemlich weit von der Sonne weg. Und nun haltet euch fest: Die Atmosphäre ist atembar für uns. Das wird uns aber nichts nützen, wenn wir in ihr verglühen. Wir warten dringend auf euch. Ende." Wir hatten 15 Stunden Zeit, diese Neuigkeit zu verdauen. Schneller konnten wir es unmöglich schaffen. Wir kamen zu dem Schluß, daß die japanische Besatzung wohl bereits unter Sauerstoffmangel leiden mußte und daher Wahnvorstellungen hatte. Doch je näher wir ihnen und damit auch dem Asteroiden kamen, desto verwirrter wurden wir. Das Ding war rund und schimmerte so gleichmäßig golden, als wäre es eine goldene Perle im Weltraum. Es handelte sich nicht um eine massive goldene Wand, sondern um eine Goldschicht in der Luft, so ähnlich, wie unsere Ozonschicht und hatte wohl auch ähnliche Funktionen. Die Yakusata meldete sich nicht mehr. Entweder hatte das Funkgerät versagt, oder die Besatzung war bereits tot. Wir wußten es nicht. Da wir keine Landefähre oder ein Shuttle dabei hatten, näherten wir uns dem Schiff, das nur noch aus einem Modul bestand, in vorsichtigen Manövern, um anzukoppeln. Das Manöver gelang und meine Leute holten die Japaner aus ihrem Schiff. Die zwei Männer und die beiden Frauen waren schon stundenlang bewußtlos. Sie hatten sich ein Medi27
kament verabreicht, das sie in einen Tiefschlaf versetzte. Da sie wußten, daß Rettung nahte, war dies die einzige Möglichkeit gewesen, den Sauerstoffverbrauch weit genug zu senken, um bis zu unserer Ankunft zu überleben. Jeder der vier umklammerte im Schlaf einen Sack, der wohl die persönlichen Sachen enthielt. Wir hatten deshalb große Mühe gehabt, sie überhaupt durch die Schleuse zu bringen. Etwas Adrenalin würde sie wieder beleben, doch nun mußten wir uns rasch entscheiden, ob wir abkoppeln sollten, oder ob wir noch genug Treibstoff und Sauerstoff hatten, um mitsamt der Yakusata in einen Orbit um Goldie, so war der Brocken von uns getauft worden, zu gehen. Wir entschieden uns für letzteres, da es für zehn Personen ohnehin sehr eng werden würde. Nachdem unsere Passagiere aufgewacht waren, hatten wir uns so gut wie möglich in einem Raum versammelt, indem wir uns irgendwo festhakten. Wir hatten uns daran gewöhnt, uns zu unterhalten, während einer am Boden arbeitete und der andere kopfüber an der Decke schwebte. Als nun jedoch noch vier fremde Gesichter seitlich von uns sozusagen quer "hingen", wurde es doch etwas ungemütlich. Vielleicht lag es aber auch daran, daß wir darüber berieten, wem Goldie nun eigentlich gehörte. Mei Ling, der weibliche Kommandant der Japaner, war der Ansicht, daß Goldie ihrem Konzern gehörte, da sie zuerst da gewesen waren. Sie hatten aber keine Gelegenheit mehr gefunden, ihn in Besitz zu nehmen und ohne uns würden sie gar nicht mehr leben. Darauf wies ich sie in aller Sachlichkeit hin und als dies nichts half, etwas lautstärker. Sie sah mich nur stumm an, denn von ihrer Besatzung war sie so einen Tonfall nicht gewohnt, doch glomm Respekt in ihren Augen auf, und so schwieg sie kurz, nur um sich dann unserem nächsten Problem zuzuwenden: "Eden San, bevor wir über die Besitzrechte streiten, sollten wir vielleicht erst einmal feststellen, ob sich das streiten überhaupt lohnt. So wie es aussieht, ist Goldie wohl nicht aus dem Material, das uns hierherlockte. Vielleicht ist er für keinen von uns von Interesse. Wir sollten das erst einmal feststellen." "Das ist ein vernünftiger Vorschlag, ehrenwerte Mei Ling" stimmte ich zu und so entwarfen wir einen vorläufigen Arbeitsplan. Wir hatten nicht genug Instrumente an Bord, um alle gleichzeitig arbeiten lassen zu können. Außerdem war das auch nicht sinnvoll, und so teilten wir die Schichten zu je 5 Personen auf, die aus drei europäischen und zwei japanischen Besatzungsmitgliedern bestanden. Diese Einteilung erwies sich als äußerst effektiv, da die japanischen Kollegen ihr Handwerk verstanden. Ihre Seesäcke hatten nicht etwa Kleidungsstücke enthalten, sondern das, was sie von ihrer Ausrüstung hatten retten können, und dies kam uns nun zustatten. Erst viel später erfuhr ich, daß die vier im Wohntrakt nur deshalb hatten überleben können, weil der Wachhabende die Gefahr, die im Anzug war, rechtzeitig erkannt, die Schleusen geschlossen und den Wohntrakt abgestoßen hatte, was ihm allerdings das Leben kostete. Die Vier hatten mitansehen müssen, wie ihr Raumschiff explodierte und ihr Kamerad dabei starb. Nichts von all dem war ihnen anzumerken. Eine Woche blieben wir im Orbit von Goldie und stellten erstaunliches fest. Die Luft war tatsächlich atembar, wenn auch mit einem wesentlich höheren Sauerstoffanteil, nämlich 32% anstatt 21% wie auf der Erde. Die Atmosphäre war nur drei Kilometer dick, weshalb man sie von der Erde aus auch nicht sehen konnte, nicht einmal mit dem Hubble-Weltraumteleskop. Außerdem gab es auf Goldie eine goldfarbene Stadt, unbewohnt wie es schien, es war jedoch eindeutig eine Stadt. Sie bestand aus pyramidenförmigen Gebäuden und minarettähnlichen Türmen. Umgeben war sie von einer Landschaft, die von oben gesehen einem Garten mit unzähligen Obstbäumen glich. Auf Goldie herrschte fast die gleiche Schwerkraft wie auf der Erde. Er mußte wesentlich massereicher sein als er aussah, und tatsächlich stellten wir einen hohen Goldanteil im Gestein fest. Man hatte sich auf der Erde also nicht getäuscht. Das konnte jedoch nicht die hohe Schwerkraft erklären. Wir vermuteten daher, daß die Gravitation künstlich aufrecht erhalten 28
wurde. Irgendwann im Laufe dieser Woche wurde uns klar, was wir da gefunden hatten. Mei Ling erinnerte sich, daß sie ein Buch gelesen hatte, in dem die Theorie aufgestellt wurde, daß das erste chinesische "Reich der Mitte" auf einem Planeten existiert haben soll, der auf der fünften. Bahn dahinzog. Wenn man die Sonne mitzählte, wäre er von außen und von innen gezählt der mittlere Planet, gäbe es ihn noch. Goldie hatte zwar eine exzentrische Umlaufbahn, doch ihr Ursprung lag in dieser Mitte, und genau dort sollte auch das germanische Midgard, das aztekische Paradies und die zweite Welt der Hopi gelegen haben. Allen Mythen gemein war, daß es irgendwo im Himmel einen Wohnsitz der Götter gab, und genau diesen hatten wir gefunden! Die Frage war jetzt, was fingen wir damit an? Keine unserer Firmen konnte für sich allein Besitzansprüche anmelden, dies war ohnehin etwas, das die ganze Welt betraf, nicht allein einen Konzern. Wir mußten näheres in Erfahrung bringen und das konnten wir nur, indem wir landeten. Da wir keine Landefähre hatten, beschlossen wir, in das Yakusata-Modul einige unserer Steuerdüsen einzubauen, so daß es zumindest landen konnte. Ein Zurück für die Besatzung würde es allerdings nicht geben, denn wir hatten keine Möglichkeit, das Modul wieder in den Orbit zu bringen. Zwei Mann würden diesen "Way of no return" gehen müssen, denn die "Golden Eye" würde mit den zur Verfügung stehenden Energie- und Nahrungsreserven nur 8 Mann mit nach Hause nehmen können. Keiner von uns hatte sich darüber Gedanken gemacht, als wir die Japaner an Bord nahmen, doch wenn alle zusammenblieben, würde keiner zurückkommen. Da bot Goldie den idealen Ausweg. Zumal ein weiteres Schiff hierher unterwegs war. Und selbst wenn man uns nicht zurückbrachte, würden weitere Schiffe folgen. Hier warteten archäologische Entdeckungen auf die Menschen, die vielleicht alle Rätsel der menschlichen Geschichte aufklären könnten. Da sich alle freiwillig meldeten, mußte das Los entscheiden. Es traf Mei Ling und mich. Wir waren alle gleich gut ausgebildet. Wenn es keine unvorhergesehenen Störungen gab, würden sie wohl auch ohne Kommandanten sicher zur Erde zurückkehren, daher beließen wir es bei dieser Entscheidung. Aus der hydroponischen Anlage nahmen wir ausreichend Samen mit für den Fall, daß die Obstbäume wider Erwarten kein Obst trugen, doch alle unsere Messungen sprachen dafür. Fünf Tage später war es soweit. Mei Ling und ich lagen im Yakusata-Modul und koppelten ab. Wir würden Goldie neunmal umrunden, dabei immer tiefer sinken und immer etwas mehr abbremsen. Mit den Steuerdüsen hatte ich allerdings nur wenige Eingriffsmöglichkeiten, da es sich nur um eine Behelfsmaßnahme handelte, doch es genügte, um das Modul während des Sinkfluges in waagerechter Position zu halten. Einen Hitzeschild hatten wir natürlich nicht, doch die Atmosphäre war ja nicht sehr dick und unser Weg nicht sehr weit. Mit mehr Glück als Verstand setzten wir nur wenige Kilometer von der Stadt entfernt sehr hart auf. Dabei ging das Modul, das ohnehin schon ramponiert war, endgültig zu Bruch. Leider auch unser Funkgerät, so daß wir uns von unseren Freunden nicht mehr verabschieden konnten. Mei Ling und ich blieben unverletzt und liefen mit unserem wenigen Gepäck zur Stadt, wo wir uns in einem der Gebäude häuslich einrichteten. Wir beide lebten unter dem großen Sauerstoffgehalt der Luft sichtbar auf, hatten wir im letzten Jahr doch nur wiederaufbereitete Luft geatmet. Wir fühlten uns anfangs wie berauscht, doch schließlich gewöhnten wir uns daran. Der Himmel hatte eine goldene Farbe, und man konnte die Sonne nicht sehen, was uns anfangs doch sehr irritierte. Irgendwie verloren wir jedes Zeitgefühl, da unsere Uhren uns hier nicht viel nützten. Doch wir waren noch nicht lange auf Goldie, ich schätze ungefähr 10 Tage, als uns ein leises Sirren aus dem Gebäude lockte, das wir gerade untersuchten. Ein fremdartiges Gefährt näherte sich 29
uns von oben, und als wir es sahen, war uns klar: Die Götter sind zurückgekehrt! Hier endet der Bericht von Mark Eden, den eine weitere Expedition, die drei Jahre später eintraf, bei seinen Sachen vorfand. Er und die Frau waren verschwunden. Was aus dem dritten Raumschiff geworden war, wußte niemand. Waren auch sie den "Göttern" begegnet? Die acht Leute an Bord der "Golden Eye" waren bis zur Erde gelangt, doch sie konnten natürlich nicht beim nächsten Flug dabei sein, da sie sich erst einmal von den Auswirkungen der langen Raumreise erholen mußten. Merkwürdigerweise hatten Mark Eden und Mei Ling anscheinend nicht darunter zu leiden, da sie kein Wort davon erwähnten. Experten vermuteten, daß die Zusammensetzung der Luft den Muskelschwund und alle Nebenwirkungen sehr rasch kompensiert hatten. Die goldene Stadt existierte nicht mehr, die Atmosphäre löste sich bereits auf und von der üppigen Vegetation, die die acht Heimkehrer beschrieben hatten, war nichts mehr zu sehen. Goldie war kurz nach dem Eintreffen des zweiten Raumschiffes nur noch das, was man ursprünglich von ihm gedacht hatte, ein Asteroid, der hauptsächlich aus goldhaltigen Materialien bestand und darauf wartete, ausgeschlachtet zu werden. - Ende -
30
Komma von Alexander Kaiser
Falsche Ernährung und ihre bestürzende Ursache...
Wie lange war Lieutenant Mac Kenzie jetzt schon im Lager? Eine Woche? Zwei? Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Und der Beginn des Krieges gegen die Nassanta schien noch länger her zu sein. Sein Bauch schmerzte, also wälzte sich der Kampfpilot auf die Seite. Das erleichterte, hatte er festgestellt. Es war eigentlich ein regulärer Konflikt. Die Terranische Hegemonie beanspruchte das System Candra 055, das Imperium Nassanta Prime beanspruchte Candra 055. Die Vermittlung vor dem Galaktischen Rat hatte kein Ergebnis erzielt, und so hatte der Hohe Kanzler den beiden Völkern die Erlaubnis erteilt, ihren Konflikt mit vorher festgelegten Mitteln und Personalaufwand zu regeln. Neben Mac fing Defrie Sikorsky an zu rülpsen. Es dauerte über eine Minute. Verlegen sah Sikorsky zu Mac rüber und hob entschuldigend die Schulter. Bei dieser Bewegung entstanden auf seinem schwabbeligen nackten Oberkörper regelrechte Wellen, die bis zur Taille flossen. Oh, was hatte Mac doch alles angestellt, um in die Siebte Flotte versetzt zu werden. Denn die Hegemonie hatte diesen Verband und das Achte LandungsCorps als Streitmacht geboten. Ihre Gegner waren die Axt von Parvul-Division und die Himmelsstürmer-Flotte. Ein Kampf, kein richtiger Krieg zwar, aber zumindest ein Kampf. Action, das war es, was Mac erleben wollte. Und er hatte Action bekommen. Direkt gegenüber versuchte sich Colonel Masters zu erheben, doch er schaffte es nicht einmal, seinen kugelrunden Körper auf die Seite zu drehen. Major Skitt mußte ihm helfen, obwohl er selbst an seinem eigenen Fett zu kämpfen hatte. Mac war an Bord der ADMIRAL COREY WANG stationiert gewesen. Er hatte sieben brandgefährliche Einsätze geflogen und auf sein Konto gingen allein neunzehn Abschüsse. Außerdem hatte er den entscheidenden Schiffstorpedo auf die FROHER SCHEIN abgefeuert, das schwerste Schlachtschiff der Himmelsstürmer-Flotte. Das hatte die Macht des Imperiums in diesem Konflikt entscheidend geschwächt. Doch niemand war unverwundbar. Er schon gar nicht, wie er hatte feststellen müssen, als ihn ein noch besserer Pilot als er es war mit einem feindlichen Legendenkiller aus seiner Todesbote geschossen hatte. Seither war er hier. Auffanglager für Kriegsgefangene TREUER GLAUBE auf Nassanta Prime. Oh, er wußte noch, als man ihn eingewiesen hatte, wie sehr ihn dieser Anblick schockiert hatte. Waren das hier denn noch Menschen? Waren sie es denn jemals? Niemand in diesem Saal schien unter hundertzwanzig Kilo zu wiegen, viele waren sogar noch schwerer, einige konnten nicht einmal aus eigener Kraft aufstehen. So hatte er unter ihnen gestanden, gertenschlank und durchtrainiert. Heute, nach zwei Wochen, war er ebenso fett wie die meisten hier. Mac glaubte, sein Bett würde zusammenbrechen, als sich Kennon schwungvoll darauf niederließ. Der dicke Mann röchelte vor Anstrengung und tupfte sich seine Speckwülste mit einem Fetzen Stoff ab. Er stank erbärmlich, aber Mac wußte, daß er selbst nicht einen Deut besser roch. "Hast du gehört? Sie haben Tairyss zur Untersuchung geholt. Er ist ausgewählt worden." "Tairyss? Verdammt, so ein guter Pilot. Wir hätten ihn noch sehr gut gebrauchen können." "Gebrauchen?" Kennon lachte häßlich. "Gebrauchen? Wer kann uns jemals noch gebrauchen, von den Nassanti einmal abgesehen." "Sei nicht so zynisch. Es gibt immer Hoffnung." "Ha! Glaubst du immer noch, daß der Galaktische Rat seine Kontrolleure einsetzt, um festzustellen, ob es den paar terranischen Gefangenen gut geht? Vergiß nicht, die Hegemonie ge31
winnt. Sie werden die terranischen Läger untersuchen, aber nicht unseres." Kennon stöhnte unterdrückt. "Gleich ist Essenszeit. Sieh es dir genau an. Dann wirst du mir endlich glauben. Außerdem... So fett, wie du schon bist, glaube ich, daß du bald schon von einer medizinischen Untersuchung nicht mehr zurückkommen wirst." "Ja, red´ du nur. Sieh lieber zu, daß du zu deiner Pritsche kommst und deinen Fraß runterwürgst. Oder willst du den Schlauch schmecken?" Kennon erhob sich mühevoll und watschelte zurück zu seinem Schlafplatz. Er hatte wahrscheinlich den fettesten Hintern, den ein Terraner diesseits des Galaktischen Zentrums jemals gehabt hatte. Vor Macs Pritsche öffnete sich eine Bodenplatte. Auf einer Säule fuhr sein Abendessen hervor. Zwei Schalen, die eine gefüllt mit einem guten Liter Flüssigkeit, die andere mit dampfenden Nahrungsbrei, etwa drei Liter. Mac hatte keinen Hunger, aber er haßte die Schmerzen, die einem von den Nassanti zugefügt wurden, wenn man nicht aß. Also schaufelte er den Nahrungsbrei gehorsam in sich hinein. Dabei warf er den frisch Angekommenen an den äußeren Pritschen neugierige Blicke zu. Sie waren rechtzeitig zum Mittag gekommen, und alle drei hatten ihre ganze Portion verschlungen. Sie konnten unmöglich schon wieder hungrig sein. Tatsächlich verweigerte einer das Essen. Das veranlaßte den Auftritt der Nassanti. Sie waren Arachnoidenähnlich. Sie besaßen acht Beine, einen riesigen Hinterleib, einen kleinen Vorderleib, an dem die Beine und das Zentrale Nevensstem hingen. Ganz vorne prangte der mächtige Kopf, an dem sich die Arbeitszangen befanden. Mit ihnen und den abertausenden Borsten waren die Nassanti fähig, ungewöhnlich feinmotorische Arbeiten zu verrichten. Ansonsten waren die blauen Leiber glatt. Als die Kontrolle bemerkte, daß einer der Neuen nicht aß, kam ein Nassanti herein. Er ging zu dem Neuen hin und sagte in gebrochenem terranisch: "Du essen. Essen gut." Zum Beweis seiner These tauchte er eine Schöpfkelle ein und verspeiste den Nahrungsbrei. Der Terraner lächelte dankbar und erwiderte: "Tut mir leid, aber ich bin noch ganz satt vom Mittag." Das verwirrte die Nassanti. "Aber du brauchen. Du benötigen. Du müssen werden stark." "Ich will aber nicht", erwiderte der Terraner, böse diesmal. "Du müssen, sonst ich Ärger." Aber auch dieses Argument konnte den Hegemonie-Soldaten nicht erweichen. Da wurde es dem Nassanti zuviel. Er griff mit seinen Greifklauen in seine vielen Taschen und zog ein längliches Paket hervor. Nachdem er die sterile Verpackung entfernt hatte, umklammerte er den Terraner, so daß dieser sich nicht mehr rühren konnte und schob ihm den Inhalt, eine lange Röhre, in den Mund. Seine beiden Kameraden sprangen protestierend auf, aber was sollten sie machen? Der Nassanti war ihnen körperlich überlegen wie ein Elefant einem Schimpansen. Schließlich schüttete der Nassanti äußerst geschickt den Inhalt der Schüssel in das Röhrchen, bis nicht ein Brocken mehr in ihr war. Danach zog er das Röhrchen wieder heraus. "Du besser essen in Zukunft. Ich wissen, was gut ist." Während der ganzen Szenerie hatte Mac brav weitergegessen. Auch wenn alles dafür sprach, er wollte nicht an Kennons Theorie glauben, daß die Nassanti sie mästeten um sie zu verspeisen. Gut, es gab einige Dinge, die nicht einmal er rational erklären konnte. So die Zwangsernährung. Oder daß einige besonders Dicke von der medizinischen Untersuchung nicht wiedergekehrt waren. Aber Mac glaubte mehr daran, daß das zusätzliche Körpergewicht die Terraner daran hindern sollte, auszubrechen. Als der Nassanti an ihm vorbeiging, verschluckte sich Mac und mußte husten. Der Nassanti blieb stehen. "Dir nicht gut, Mac?" Der Terraner wollte antworten, aber der Hustenreiz war stärker. So stark, daß er schon Atemnot bekam. Der Wächter reagierte sofort, ergriff den Gefangenen mit seinem Klauen und trug ihn hinaus. "Sie haben dich erwählt, Mac", spottete Kennon. Doch Mac hörte ihn nicht mehr. Er war 32
ohnmächtig geworden. Als Mac erwachte lag er in einem der Behandlungsräume. Neben ihm standen zwei Nassanti, der Wächter und der behandelnde Arzt. Der Arzt starrte auf die Körperanalyse des Terraners. "Nicht gut, nicht gut." "Es geht mir aber gut!" brüllte Mac, der es plötzlich mit der Angst bekam. "Es geht mir gut! Ich will zurück zu den anderen!" "Du nicht gehen dorthin, Mac", sagte der Wächter. "Du sehr, sehr krank. Wir dich schicken nach Hause, wo dir geholfen." "Ja klar, Ihr schickt mich nach Hause. Aber eines sage ich euch, ich schmecke furchtbar, ganz furchtbar." Der Wächter hob ihn wieder an und brachte ihn hinaus, in einen endlosen Korridor, vorbei an blinkenden Lichtquellen, weiter, immer weiter, und plötzlich war der Terraner eingeschlafen. Epilog I: Der nassantiarische Arzt hieß Qorgal. Bevor er zum Lagerarzt ernannt worden war, hatte er noch nie einen Menschen gesehen, geschweige denn behandelt, aber er hatte sein Bestes gegeben, ihnen nach den Statuten der Galaktischen Republik die bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten. Mittlerweile war er sogar ein richtiger Experte auf dem Gebiet der Menschenkunde, aber eines machte ihm noch Sorgen. "Ah, Doktor Pererda vom Galaktischen Rat", rief Qorgal erfreut, als ein älterer Teridaler den Behandlungsraum betrat. Der humanoide Fremde sträubte die Kopfschuppen und erwiderte in seiner gutturalen Sprache: "Ich bringe die Grüße des Rates. Sowohl er als auch der Botschafter der Hegemonie sind hocherfreut über die gute Behandlung, die man den Kriegsgefangenen angedeihen läßt. Man versicherte mir, daß es den Gefangenen auf Terra ebenso gut geht." "Das höre ich gerne. Aber weswegen ich Sie rufen ließ: Ich habe ein Problem mit meinen Terranern. Ich behandle sie mit all meinem Wissen, ich lasse extra für sie artgerechte Nahrung replizieren, achte auf Vitamine und Spurenelemente, aber auf eine mir unerklärliche Weise verfetten sie. Viele sind mittlerweile den Strapazen der Kriegsgefangenschaft nicht mehr gewachsen. Ich muß die Woche drei von ihnen nach Hause schicken. Was meinen Sie, Doktor, könnte das eine biologische Waffe der Terraner sein, um die Kriegsgefangenschaft zu unterminieren?" "Hm, darf ich einmal Ihren Ernährungsplan sehen?" Der Nassanti runzelte zwar die Härchen auf den Arbeitszangen, gewährte dem Arzt aber jeden Zugriff auf seine Unterlagen. "Ah, ja, da ist der Fehler. Sie teilen jedem Terraner eine Nahrungsmenge von zweihundert Tragess pro Tag zu. Sehen Sie, hier ist ein Komma verrutscht. Es dürfen nur zwanzig Tragess sein." "Oh. So ein dummer Fehler", lachte der Nassanti. "Ja, so ein dummer Fehler", lachte auch der Teridaler. "Nach drei Wochen kann man einen Menschen mit diesem Nahrungsvolumen kugeln. Sie sollten Ihren Schützlingen eine Diät verpassen." "Das ist wohl besser so, Doktor. Aber wie sagt ein Sprichwort meines Volkes so schön: Irren ist Nassanti." Beide Ärzte lachten. Epilog II: In Hab acht-Stellung stand Lieutenant Mac Kenzie vor dem Generalstab der Hegemonie. Der Vorsitzende, General Carol Ryan, ergriff das Wort: "Dies ist nur eine Anhörung, Lieutenant. Wir möchten nach Ihrer vollständigen Genesung von Ihnen wissen, wie ist Ihr Eindruck 33
von den Gefangenschaft im Imperium Nassanta Prime?" Mac sah an sich herab. Flacher Bauch, schlanke Beine, schmale Hüfte. Ein Grinsen spielte um seine Lippen. "Nun, Ma´am, ich würde sie als...gehaltvoll bezeichnen." Ende
34
Exodus von Patrizia Pfister
Das Terraforming des Mars wirft tödliche Probleme auf...
"Wo bleibt Ray denn, Mama", quengelte Timmy und sprach damit aus, was alle dachten. Melinda Coburn drückte ihren 8-jährigen Sohn, die eine Hälfte eines Zwillings, an sich, doch sie war genauso ungeduldig wie die vier Kinder, die sich um sie versammelt hatten. Die zwei Jungs waren ihre eigenen und die Zwillingsmädchen die ihres Mannes aus erster Ehe. Aus irgendeinem Grund bekamen alle Frauen, die auf dem Mars geboren waren, nur Zwillinge. Die innere Unruhe trieb sie auf die Veranda, und die Kinder folgten ihr stumm. Nur wenige Minuten später hörten sie die Hufe von Sam, dem Islandpony, als es sich im Galopp dem Haus näherte. Keines der "normalen" Pferde hatte es geschafft, auf dem Mars heimisch zu werden, trotz genetischer Veränderungen. Nur die angepaßten Ponies fühlten sich hier so wohl, als wären sie auf ihre Heimat zurückgekehrt. Atemlos sprang Ray vor die Füße der Wartenden. "Schnell, pack das nötigste zusammen, Mel. Wir müssen schleunigst hier weg, die Schlammlawine ist nur noch etwa 30 Kilometer von hier entfernt und nähert sich mit 30 Stundenkilometern." Die große Besorgnis in Ray´s Stimme ließ Melinda erschauern. Beide dachten in diesem Augenblick an das Unglück, das vor drei Jahren Ray´s Frau mit den jüngsten Kindern sowie Melindas Mann das Leben gekostet hatte. Auch damals war nach wochenlangem Regen eine gewaltige Schlammlawine durch´s Tal gebraust und hatte mehrere Farmhäuser mit sich gerissen. "Wir haben längst gepackt, Ray. Wir haben nur noch auf dich gewartet", meinte Melinda und zog bereits die Kinder zum Rover. Ray bestieg den Fahrersitz, nachdem er Sam an den Seitenspiegel gebunden hatte. "Wir lassen Sam frei, sobald wir höheres Gelände erreicht haben, er kann nicht so schnell wie der Rover laufen. Sein Instinkt funktioniert ausgezeichnet, ihm wird nichts passieren", flüsterte er. Im Normalton fragte er Melinda: "Hast du alles gepackt, was du mitnehmen möchtest, Liebes?" "Wenn ich das getan hätte, dann hätten wir noch einen Anhänger gebraucht", bemerkte sie in trockenem Tonfall, der Ray, trotz der Gefahr, in der sie schwebten, laut auflachen ließ. Rasch wurde er wieder ernst, denn er löste heimlich den Knoten, um das Pony laufen zu lassen und gab dann Vollgas. Melinda drehte unterdessen den Rückspiegel zu sich. Als Ray protestieren wollte, meinte sie: "Es ist besser, wenn du nicht nach hinten siehst und dich voll auf die Fahrt konzentrierst." Die Kinder saßen stumm im Fond des Geländewagens. Sie spürten genau, daß alle in großer Gefahr waren. Melinda krallte die Hände ineinander und hielt die Luft an, als sie wenig später in den Rückspiegel sah. Ray wußte dadurch, daß die Lawine bereits zu sehen war. Da weder Phobos noch Deimos viel Licht spendeten, konnte das nur bedeuten, daß das Verderben nur noch wenige Meter hinter ihnen war. "Wir haben es gleich geschafft. Da ist der Little Mountain, dort führt die Straße aufwärts." "Beeil' dich, Liebling", preßte Melinda hervor, doch es war zu spät, der Schlamm hatte den Wagen bereits erreicht. Ray entriegelte den Anhänger, riß das Steuer des Rovers herum und verließ die Straße. Die Lawine riß den Anhänger mit sich, erreichte den Rover jedoch nicht mehr, der sich bereits einen matschigen Abhang hinaufkämpfte und oben angekommen wieder die Straße erreichte. Ray hielt an und holte tief Luft. "Tut mir leid, Liebes, nun haben wir doch alles verloren." Melinda zuckte mit den Achseln. "Es sind ja nur Dinge. Viel wichtiger ist es, daß uns nichts 35
passiert ist. Aber, Ray, ich möchte so etwas nie mehr mitmachen. Das ist nun schon das zweite Mal innerhalb von 7 Jahren, daß ich alles verloren habe. Wir waren gerade wieder auf dem Weg, uns zu erholen. Wie soll es nun weitergehen?" "Ich werde etwas unternehmen, das verspreche ich dir." Die Coburns fuhren die ganze Nacht hindurch, bis sie schließlich Marscity erreichten, die Hauptstadt des Planeten. Auf dem Mars gab es nur einen einzigen Staat und auch nur eine Sprache. Die einheitliche Sprache war Bedingung für alle Marssiedler gewesen. Man hoffte, ohne die Sprachbarriere gäbe es weniger Konflikte. Bisher ging diese Rechnung auf, denn die ansässigen Familien waren viel zu sehr damit beschäftigt, den neuen Lebensraum urbar zu machen. Niemand hatte Energie für und Interesse an Konflikten. Die Lawine hatte 45 Familien obdachlos gemacht, die alle in einem langgestreckten fruchtbaren Canyon gelebt hatten. Man hatte für sie und andere katastrophengebeutelte Marsbewohner ein Flüchtlingslager eingerichtet. Ray war meist nicht zu Hause. Er setzte alle Hebel in Bewegung, um mit dem Regenten des Mars zu sprechen. Eines Tages war es soweit, Ray wurde wenigstens zur Stellvertreterin des Regenten, Emily Gamisch, vorgelassen. Er hatte alle Schwierigkeiten in Kauf genommen, um endlich Antworten auf Fragen zu erhalten, die ihn schon lange beschäftigten. Voller Ungeduld saß er im Besucherzimmer. Schließlich betrat eine Frau, Mitte dreißig, den Raum. "Bitte entschuldigen sie die Verspätung, aber wir mußten ein weiteres Flüchtlingslager einrichten. Der Olympos Mons ist völlig unerwartet und überaus heftig ausgebrochen. Wir mußten die Evakuierung dieses Gebietes einleiten." "Das bringt mich gleich auf mein Anliegen, Frau Gamisch", kam Ray gleich zur Sache. "Meine Farm wurde gleich zweimal durch Schlammassen vernichtet. Mein Vater baute wegen der Stürme sein Haus dreimal wieder auf und meinem Großvater wurde die Ernte immer wieder völlig vernichtet. Man hat uns immer wieder versprochen, daß das Wetter sich mit der Zeit beruhigen würde, statt dessen wird es immer schlimmer. Was stimmt nicht mit dem Mars? Was geht da schief?" Nachdenklich blickte Frau Gamisch Ray an, dann schien sie einen Entschluß zu fassen. "Nun, Herr Coburn, sie haben ganz klar erkannt, daß wir ein Problem haben. Anfangs lief das Projekt Marsforming ganz phantastisch. Anstatt der veranschlagten 150 Jahre benötigten wir nur 75 um eine sehr dünne aber atembare Atmosphäre zu schaffen. Zu Hilfe kamen uns hier die im Dauerfrostboden gebundenen gewaltigen Massen von Sauerstoff, die freigesetzt wurden, als die Spiegel die Marsatmosphäre aufheizten. Die Hälfte aller Atomwaffen der Erde wurde dazu benutzt, den Marskern wieder zu verflüssigen. Es bildeten sich Risse in der Kruste und die Kontinentaldrift begann. Mit ihr wurde das vor Sonnenwind schützende Magnetfeld aufgebaut. Bereits nach 75 Jahren konnten die ersten genetisch angepaßten Pflanzen ausgesiedelt werden, denen später die Tiere und dann die Menschen folgten. Eine Millionen Menschen siedelten sich mit der Zeit auf dem Mars an. Alles schien in Ordnung. Doch bei allen Erfolgen hatten die Wissenschaftler eine Kleinigkeit übersehen. Ihnen war zwar bewußt, daß der Mars eventuell Wasser genug gespeichert hatte, um eine 150 Meter hohe Schicht rund um den Planeten zu ergeben, doch niemand rechnete damit, daß es tatsächlich so viel sein könnte. Alle gingen davon aus, daß das meiste davon sich mit der Atmosphäre vor langer Zeit verflüchtigt hatte. Mit dem Sauerstoff stieg also auch die Feuchtigkeit nach oben, regnete wieder ab und füllte alle Vertiefungen aus, wie geplant. Diese waren jedoch bald gefüllt und es regnete noch immer in solchen Massen, daß man bald nicht mehr wußte, wohin mit dem Wasser. Also nutzte man die Canali und schuf zusätzliche Kanäle , um das Wasser in das Vallis Marineris zu leiten." "Moment einmal. Vallis Marineris, was ist das, Frau Gamisch?" "Das ist der alte Name für den Großen Graben." 36
"Oh, sicher. Er ist jetzt ein Meer, nicht wahr? Ich war nicht sehr lange in der Schule. Mein Vater brauchte jedes Paar Hände für seine Farm." Ray zuckte entschuldigend die Schultern. "Bitte fahren sie fort." "Nun ja, auch der Große Graben war bald voll, und nun werden wir der Wassermassen nicht mehr Herr. Die Wissenschaftler haben errechnet, daß in ca. 90 Jahren das Wasser überall ca. 20m hoch sein wird. In weiteren 90 Jahren wird nur noch der Olympos Mons aus dem Wasser hervorlugen. Wir haben keine Wahl, wir müssen diesen Planeten wieder verlassen. Wir haben etwas in Gang gesetzt, worüber wir keine Kontrolle mehr haben." "Was..., habe ich sie richtig verstanden, sie wollen, daß alle Menschen den Planeten wieder verlassen? Das, das ist doch hirnrissig, völlig unmöglich." "Herr Coburn, ich kann ihre Aufregung verstehen. Keiner will hier weg, wir alle sind hier geboren. Der Mars ist unsere Heimat, doch ich versichere ihnen, es muß sein und es ist durchführbar." "Aber wohin sollen sie denn gehen? Die Erde ist unbewohnbar, wollen sie zur Venus?" "Nein, die Menschen auf der Venus wollen keine 17 Millionen Marsianer auf ihrer Welt. Das haben sie uns ganz unmißverständlich klar gemacht. Sie haben unser Raumschiff mit den Diplomaten abgeschossen. Wir haben gar keine Wahl, wir müssen zur Erde zurück. Wir beobachten sie seit der Katastrophe ununterbrochen. Wir benutzen einige der noch intakten Satelliten im Orbit und ein paar eigene Einheiten. Die Zustände auf der Erde beruhigen sich allmählich. Sicher, wir müßten anfangs unterirdisch leben, da die Niederschläge noch immer giftig sind. Wir müßten auch die Hälfte der Spiegel mitnehmen, um das Dämmerlicht, daß durch die 1500 aktiven Vulkane herrscht, durchdringen zu können, aber ich verspreche ihnen, wir haben alles durchdacht und es ist machbar. Wir planen das schon seit 20 Jahren, obwohl wir nicht wirklich damit gerechnet haben, es durchführen zu müssen." "Aber Frau Gamisch, selbst, wenn das alles stimmt, wie wollen sie 17 Millionen Menschen zur Erde schaffen? Oder wollen sie selektieren?" Die Wut, die Ray bisher unterdrückt hatte, stand nun deutlich in seinem Gesicht geschrieben. "Beruhigen sie sich, wir haben ein Transportmittel, daß 5 Millionen Menschen gleichzeitig transportieren kann. Die Reise wird ein Jahr dauern und in dieser Zeit wird ihr Körper an die stärkere Schwerkraft angepaßt. Ich habe diese Anpassung bereits hinter mir und ich war auch schon auf der Erde. Der Planet kann wieder bewohnbar gemacht werden, davon bin ich überzeugt." "Aber von welchem Transportmittel reden sie denn nur, wenn ein derartig großes Objekt im Orbit wäre, müßten wir das doch wissen." "Oh, sie kennen es sehr gut. Es ist der Mond Phobos. Als die Menschen den Mars besiedelten, untersuchten sie natürlich auch die Monde, und Phobos stellte sich, wie angenommen, als hohl heraus. Doch es kam noch besser. Er ist ein ausgehöhlter Asteroid, mit 5 Millionen Überlebenseinheiten und einem Antrieb. Er wurde bereits einmal von irgendwem für eine Auswanderung benutzt und wir werden das ebenfalls tun. Wir hatten 350 Jahre Zeit, die fremde Technik zu studieren. Ich habe eine dieser Einheiten bei meinem Flug zur Erde benutzt. Während ich schlief, wurde ich künstlich ernährt, meine Muskeln gestärkt und mein Knochenbau umstrukturiert. Es ist alles eine Frage der Programmierung. Mit vier Flügen haben wir alle Marsbewohner evakuiert. Ein paar Freiwillige werden hierbleiben, um alles zu produzieren, was wir brauchen werden. Die meisten Menschen werden jedoch nicht wissen, was mit ihnen geschieht. Wir haben keine Zeit, um uns um die sicher ausbrechenden Krawalle zu kümmern, wenn die Menschen erfahren, daß sie ihre Heimat verlassen müssen. Es wird immer welche geben, die uns nicht glauben und hier bleiben wollen. Wir sind daher dabei, alle Flüchtlingslager zu entleeren. Diese Menschen werden die erste Ladung sein. Bei der Rückkehr des Phobos, wir haben ihn in Arche umgetauft, werden nach und nach alle anderen abgeholt, eingeschläfert und in die neue "Arche" gebracht." "Aber irgendwann werden die Menschen merken, daß etwas vor sich geht und sich wehren." 37
Ray war entsetzt. Irgendwie schien ihm das alles nicht richtig zu sein, obwohl ihr aller Überleben vom Gelingen dieses Plans abhängen würde. "Es wird klappen, da können sie sicher sein. Ich stelle sie nun vor die Wahl: Bleiben sie als Freiwilliger hier oder melden sie sich mit ihrer Familie für die erste Ladung?" Ray dachte an seine tote Frau und die beiden jüngsten Kinder, die keine Chance bekommen hatten. Ihm bot sich hier eine neue Möglichkeit. Er hatte Bilder gesehen, die die Erde vor der Katastrophe gezeigt hatten. Sie könnte wieder so schön werden und er konnte dabei mithelfen. Er teilte Frau Gamisch seine Entscheidung mit und so kam es, daß er und seine Familie bereits zwei Wochen später mit vielen anderen Menschen in einem der gläsernen Särge schlief, die ihnen jedoch nicht den Tod, sondern das Überleben bringen würden. Während der Mond seine Umlaufbahn verließ, träumte Ray, daß er diesem Exodus bereits mehrmals hinter sich gebracht hatte, und als er wieder erwachte, wußte er, daß ein neuer Zyklus der Menschheitsgeschichte begonnen hatte und er ein Teil davon sein würde.
Ende
38
Geister im All? von Patrizia Pfister
Großmutter warnt vor einer Katastrophe im Orbit. Aber sie ist eigentlich tot...
Erleichtert warf ich das Schott hinter mir zu. Obwohl meine Kabine nicht viel größer als eine Sardinenbüchse war, war ich im Moment froh um die Zufluchtsstätte. Dieses einzige Mal hatte ich nichts dagegen, daß man mir auf Grund meines Namens eine Einzelkabine zugewiesen hatte. Ich verspürte nicht die geringste Lust, irgendjemanden zu erklären, warum ich am ganzen Leib zitterte und bleich wie ein Gespenst war. Ich klappte das Bett herunter und ließ mich drauffallen. Alles war hier ausklappbar, selbst die Toilette. Das war auch kein Wunder, denn ich befand mich 36.000km über der Erde in einer Raumstation, die der Firma Toshi gehörte. Platz war hier Mangelware. Viele Industriezweige befanden sich nun im Weltraum, da für moderne Produkte bestimmte Materialien nur unter diesen Schwerkraftbedingungen hergestellt werden konnten. Mich hatten die olympische Spiele hierhergeführt, an denen ich eine Woche teilnehmen wollte. Einige der olympischen Disziplinen des Jahres 2098 wurden im Weltraum ausgetragen, und jede der 6 Raumstationen hatte einige Athleten aufgenommen, damit sie sich entsprechend vorbereiten konnten. Es war eine Prestigefrage, die Athleten unterzubringen und Milliarden Zuschauer bei der Austragung der Spiele zu haben, und ... es war gut fürs Geschäft. Ich startete im Anti-Grav-Lauf über 6000m. Hierbei mußte ich die gesamte Felge der radförmigen Station entgegen der Rotation durchlaufen. Dabei wurde man etwas leichter und konnte Zeiten erreichen, die auf der Erde niemals möglich waren. Hierfür war eine völlig neue Lauftechnik entwickelt worden. Diese Technik stellte hohe Anforderungen an die Athleten, die nur durch hartes Training erreicht werden konnte. Meinen letzten Trainingslauf hatte ich allerdings nicht beendet, denn ich war panikartig in mein Quartier gestürzt. Vermutlich schlug ich an diesem Tag meinen eigenen Rekord, den ich im Jahr zuvor aufgestellt hatte. All dies erschien mir im Moment nicht mehr so wichtig, obwohl ich noch vor einer Stunde nur an das Erringen einer Medaille gedacht hatte. Ich setzte mich an den Bildschirm, um die Daten von Lisa MacCormac aufzurufen, deren Enkelin gleichen Namens ich war. Ihr war es gelungen, fast die gesamte Besatzung der ersten Internationalen Raumstation Alpha (IFA) in Sicherheit zu bringen, als diese im Jahre 2015 explodierte. Allerdings büßte sie selbst dabei ihr Leben ein. Ich war mit dieser Geschichte aufgewachsen und konnte und wollte sie irgendwann nicht mehr hören. Ich war daher völlig unvorbereitet gewesen, als mir heute auf meiner Laufstrecke der Geist meiner Großmutter begegnete. Die Gestalt, die ich dort sah, war mir so ähnlich, daß für mich kein Zweifel bestand; ich kannte sie natürlich auch von Fotos. Anhand der Computerdaten erfuhr ich, daß die Toshi-Station ca. 100km von dem Punkt entfernt war, an dem die IFA damals explodiert war. Hatte ich mir alles nur eingebildet? Nein, die durchsichtige Gestalt im Raumanzug mit zurückgeklapptem Helm war nur zu deutlich zu sehen gewesen. Sie hatte mit den Armen gewunken, als wolle sie mich vor irgendetwas warnen, doch wovor? Vielleicht kam ich dahinter, wenn ich das Leben meiner Großmutter näher durchleuchtete. Seit ca. 50 Jahren wurden die Daten aller Menschen routinemäßig erfaßt. Alle Bemühungen, den "gläsernen Menschen" zu verhindern, waren gescheitert, denn die einmal eingeleitete Entwicklung des Computerzeitalters war nicht mehr aufzuhalten, da die Vorteile die Nachteile einfach überwogen. Alle persönlichen Daten unterlagen strengen Schutzbestimmungen. Ein geschickter Operateur konnte trotzdem alle Informationen erhalten, die er wollte. Besonders geschickt war ich nicht, doch ich hatte den Familiencode, und so erwartete ich keinerlei 39
Schwierigkeiten. Um so überraschter war ich, als ich keinen Zugang zu den Daten erhielt. Außer ihren Geburts- und Sterbedaten konnte ich nichts abrufen. Heftiges Klopfen beendete meine Bemühungen, bevor sie richtig begonnen hatten. Verwundert öffnete ich, denn ich kannte niemanden auf der Station und wollte auch keine Bekanntschaften. Meine Teamkollegen würden erst Ende der Woche eintreffen. Ich hatte mir durch Beziehungen einen Vorsprung vor ihnen verschafft. Als vor dem Schott drei Sicherheitsbeamte standen, wußte ich, daß man meine Hackversuche bemerkt hatte und ich nun Rede und Antwort stehen mußte. Ich kam also folgsam, aber mit klopfendem Herzen, der Aufforderung mitzukommen nach und harrte der Dinge, die da kommen würden. Zu meinem Erstaunen wurde ich vor den Kommandanten der Station, Tanaka San, gebracht, der gleichzeitig auch Werksleiter war. Nachdem meine drei Begleiter den Raum verlassen hatten, starrte er mich entgegen den Höflichkeitssitten des japanischen Volkes lange Zeit an, bevor er das Wort an mich richtete. "Was hat Sie veranlaßt, die Daten ihrer Ahnin abzurufen?" fragte er schließlich mit unbewegtem Gesicht. "Es handelt sich um eine Familienangelegenheit, die niemanden etwas angeht", erwiderte ich mit trotzigem Tonfall. Ich konnte ihm unmöglich erklären, ich hätte ein Gespenst gesehen, er hätte mir ja doch nicht geglaubt. "Sie benutzen Einrichtungen, die nicht ihr Eigentum sind, also geht es uns etwas an. Außerdem ist diese Angelegenheit viel wichtiger als Sie glauben. Sagen Sie bitte die Wahrheit." "Sie würden mir ja doch nicht glauben", winkte ich immer noch mißtrauisch ab. "Versuchen Sie es doch einfach, bitte. Es ist wirklich wichtig." "Und wenn ich ihnen mitteilen würde, daß mir vor knapp zwei Stunden der Geist meiner Großmutter erschienen ist, um mich vor irgendetwas zu warnen, dann würden Sie mich doch schnurstracks in eine Gummizelle befördern, oder nicht?" "Nein, denn ich glaube ihnen. Sie vergessen, daß ich aus einem anderen Kulturkreis stamme als Sie. Für uns ist der Umgang mit Geistern oder Ahnen viel selbstverständlicher als für Sie. Ich bin sicher, daß nur eine große Gefahr Ihre Ahnin veranlaßt haben kann, hierher zurückzukehren. Anscheinend weiß sie, daß man das Artefakt wiedergefunden hat." "Das Artefakt, wovon reden Sie denn nur?" Verwirrt starrte ich Tanaka an. "Anscheinend hat sie auch innerhalb ihrer Familie Stillschweigen bewahrt, genau wie sie es sollte. Nun, ich werde es Ihnen erklären, aber nur, wenn Sie mir vorher diese Erklärung unterzeichnen, daß Sie nichts von dem, was Sie nun erfahren werden, weitererzählen." Ich starrte einen Moment auf den vorbereiteten Wisch und drückte dann ohne zu zögern meinen Daumenabdruck auf die gekennzeichnete Stelle. Ich wollte unbedingt wissen, was hier eigentlich los war. "Sehen Sie, eine Woche, bevor die Station 2015 vernichtet wurde, fand man im Weltraummüll etwas, womit man nicht gerechnet hatte. Sie wissen ja, daß man zu dieser Zeit all den Müll, der sich in den Anfängen der Raumfahrt angesammelt hatte, einfing und zur Sonne beförderte, da der Schutt die gesamte Raumfahrt gefährdete. Während dieser Aktion fand man, ja, wie soll ich es nennen, eine Art Zeitkapsel, die von irgendeiner raumfahrenden Rasse im Orbit um die Erde zurückgelassen wurde. Natürlich war man neugierig und wollte sie öffnen. Ihre Großmutter warnte immer wieder vor der Gefahr, das war auch ihre Aufgabe, denn sie war Sicherheitschef der IFA. Man nahm ihre Mahnungen nicht ernst, und als man das Artefakt näher untersuchte, veranstaltete sie kurzerhand eine Übung zum Verlassen der Station. Nur wenige Minuten, nachdem alle bis auf drei Personen von der IFA fortsteuerten, explodierte sie. Was genau geschehen ist, wissen wir nicht. Wir vermuten jedoch, daß Lisa MacCormac versuchte, die beiden Wissenschaftler, die das Objekt öffnen wollten, davon abzuhalten. 40
Und ausgerechnet jetzt, wo man das Artefakt wiedergefunden hat, taucht auch sie wieder auf. Das kann kein Zufall sein. Das Ding ist völlig unbeschädigt, als wäre es nie im Zentrum einer Explosion gewesen. Eine meiner Aufgaben bestand darin, nach dem Ding zu suchen. Darum befindet sich diese Station auch so nah an der damaligen Position. Aber unter diesen Umständen werde ich davon abraten, sich mit dem Ding zu beschäftigen. Danke für ihre Offenheit. Sie können jetzt gehen." Völlig in Gedanken versunken fand ich mich plötzlich an der gleichen Stelle wieder, an der ich meine Großmutter gesehen hatte und sie war noch immer (oder wieder?) dort. Ihre Gesten scheuchten mich regelrecht fort. Sie wollte eindeutig, daß ich die Station sofort verließ. Seit dem damaligen Vorfall befanden sich auf jedem Deck Rettungskapseln, um der Besatzung auch aus den entlegensten Winkeln der Station eine rasche Fluchtmöglichkeit zu bieten. Ich schüttelte den Kopf, um Lisa anzudeuten, daß ich noch nicht gehen konnte, und steuerte auf einen Alarmknopf zu, von dem man uns bei Betreten der Station erklärt hatte, daß man ihn nur betätigen durfte, wenn eindeutig eine Gefahr für alle bestand. Man hatte uns auch das Signal vorgeführt, das bedeutete, daß man die Raumstation sofort verlassen mußte. Diesen Alarm löste ich, im Vertrauen auf einen Geist, nun aus. Der schrille Ton jagte mich regelrecht in die Kapsel. Ein kurzer Blick zurück zeigte mir, daß die Erscheinung Lisas nur noch ein nebelhafter, verwehender weißer Schleier war. Ich wartete noch einige Minuten, ob sich mir jemand anschloß. Da das nicht der Fall war, verriegelte ich das Schott, woraufhin sich die Kapsel automatisch löste und durch Notdüsen von der Station fortgeschleudert wurde. Eine Stunde lang trieb ich durchs All und ich fragte mich, ob ich nicht völlig irrsinnig war, weil ich auf einen Geist gehört hatte, denn nichts geschah. Natürlich würde ich sowieso keinen Knall hören, schließlich gab es außerhalb der Kapsel keine Schallwellen tragende Luft. Es gab keine Luke, also würde ich auch nichts sehen... Doch plötzlich beschleunigte die Rettungskapsel so stark, daß ich für einige Sekunden mein Gewicht wieder hatte und da wußte ich, daß auch diese Station auf Grund des fremden Artefakts explodiert war. Tanaka hatte es für eine Art Zeitkapsel gehalten, vielleicht mit Informationen für die wir noch nicht reif waren? Bei diesem Gedanken schüttelte ich den Kopf. Nach allem, was ich gehört und gesehen hatte, stellte dieses Ding für mich eine Bombe dar. Und genau das schrieb ich auch in den Bericht, den man von mir verlangte, nachdem ich von einem Shuttle aufgefischt worden war. Wieder hatten es drei Menschen nicht geschafft: Tanaka und zwei Wissenschaftler. Waren es die, die das Ding untersucht hatten? Hatte auch Tanaka vergebens versucht, sie zum Aufhören zu bewegen? Man sagte mir nichts. Doch vier Jahre später gab es wieder eine Raumstation in der Nähe eines bestimmten Punktes...
Ende
41