Wieland Appelfeller / Wolfgang Buchholz Supplier Relationship Management
Wieland Appelfeller Wolfgang Buchholz
Suppl...
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Wieland Appelfeller / Wolfgang Buchholz Supplier Relationship Management
Wieland Appelfeller Wolfgang Buchholz
Supplier Relationship Management Strategie, Organisation und IT des modernen Beschaffungsmanagements 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2005 Nachdruck 2006 2. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Ulrike Lörcher | Katharina Harsdorf Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-8349-1809-3
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur zweiten Auflage
Fünf Jahre sind mittlerweile vergangen seit der ersten Auflage unseres Buchs „Supplier Relationship Management“. In dieser Zeit hat das Thema sicher nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil, nach wie vor entdecken Unternehmen die Potenziale, die in optimierten Beschaffungsprozessen verborgen liegen. Schön war es in den letzten Jahren zu verfolgen, wie sich unsere Interpretation des SRM, die entwickelte Vorgehensweise und die konzipierten Strukturierungen, wie z.B. das 3-EbenenModell, in vielen Unternehmen, aber auch bei diversen Toolanbietern etabliert haben. Nach fünf Jahren ist es für uns geboten, unser SRM-Buch grundlegend zu überarbeiten. Der bewährte Bezugsrahmen des 3-Ebenen-Modells ist dabei erhalten geblieben. Innerhalb des Rahmenkonzepts sind diverse Neuerungen in das Buch eingeflossen. Die wichtigsten Veränderungen sind:
Die IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen wird in einem eigenen Kapitel erweitert und aktualisiert.
Das Instrumentarium zur strategischen Analyse in der Beschaffung wird ergänzt und weiterentwickelt. Bei der IT-Unterstützung erfolgt eine ausführliche Darstellung des Ablaufs einer Spend Analysis.
Das GFSR- und das PFSR-Modell werden als weitere Rahmenkonzepte für die Strukturierung der Supplier Relations entwickelt.
Die Methoden zum Beschaffungscontrolling werden erheblich erweitert.
Neue Praxisbeispiele der Unternehmen wedi, Schmitz Cargobull und SupplyOn zeigen die Anwendung des von uns entwickelten SRM-Instrumentariums.
Auch an der zweiten Auflage haben wieder diverse Helfer mitgewirkt. Zunächst gilt unser Dank wieder den Praktikern, die mit ihren Beiträgen maßgeblich zum Praxisbezug des Buches beigetragen haben. Zu nennen sind dieses Mal Daniel Meiners, Eva Maria Streppel, Henrik Westkamp (wedi), Melanie Albers (Detecon), Dr. Dirk Steinebach (Schmitz Cargobull), Bernd Kodinger, Ertugrul Aras (DEUTZ) und Wolfgang Grzmehle (SupplyOn). Von Seiten der Fachhochschule Münster haben mehrere studentische Mitarbeiter am Buch mitgewirkt: Für die Erstellung von Abbildungen waren Rabea Hullerum und Eva Maria Streppel zuständig. In den Händen von Frau Streppel lagen bei der zweiten Auflage auch die formale Gesamtkoordination sowie die Erstellung des Schlagwortregisters. Ralf Gebhardt und Holger de Bie waren für das Korrekturlesen verantwortlich. Vielen Dank für die engagierte und zuverlässige Mitarbeit. Ebenso danken wir den Kollegen Prof. Dr. Nonhoff und Prof. Dr. Vallée für diverse konstruktive Hinweise.
V
1.1
Vorwort zur zweiten Auflage
Wieland Appelfeller bedankt sich bei der Gemeinde Hagen a.T.W. für die Sanierung und Aufrechterhaltung des Freibads, das in kurzen Schreibpausen die Möglichkeit zur sportlichen Betätigung und damit zur Entstehung neuer Gedanken gegeben hat. Ferner bedankt er sich bei allen Lesern und Nachbarn, die nach dem Studium des Buchs noch besser verstanden haben werden, was ein Professor in der vorlesungsfreien Zeit macht. Wolfgang Buchholz bedankt sich dieses Mal besonders bei Theo für angenehme Ablenkung bei der Manuskriptarbeit sowie seiner Joggingstrecke und seiner Telecaster für Entspannung und Unterstützung bei der Ideenfindung.
Wieland Appelfeller und Wolfgang Buchholz
1.1
VI
Inhaltsverzeichnis
Münster, im August 2010
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur ersten Auflage
In vielen Unternehmen ist die optimierte Gestaltung der kundenbezogenen Geschäftsprozesse unter Nutzung moderner Informationstechnologien (IT) bereits gang und gäbe. Dagegen ist die durchgängige Optimierung von lieferantenbezogenen Prozessen, gerade bei Klein- und mittelständischen Unternehmen, noch am Anfang ihrer Verbreitung. Das vorliegende Buch zeigt auf, wie Beschaffungsprozesse und die durch sie wesentlich bestimmten Supplier Relations unter Einsatz moderner IT systematisch, innerhalb eines schlüssigen Gesamtkonzeptes optimiert werden können. Unter Supplier Relationship Management (SRM) wird dementsprechend die von einer Beschaffungsgesamtstrategie ausgehende Gestaltung der strategischen und operativen Beschaffungsprozesse verstanden. Gegenstand des Buchs ist die Beschreibung einer Methode zum Thema SRM, die einerseits dem Praktiker eine Orientierung für die Beschaffungsoptimierung im Unternehmen geben und andererseits in der praxisnahen Lehre an Hochschulen ihre Verbreitung finden soll. Im Kapitel 1 des Buches erläutern wir die Grundbegriffe und entwickeln das 3Ebenen-Modell des SRM als Bezugsrahmen. Die drei Ebenen des Modells, Beschaffungsgesamtstrategie, strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene und operativer Beschaffungsprozess, füllen wir in den folgenden Kapiteln sukzessive mit Inhalt. Die Beschaffungsgesamtstrategie stellt dar, welche Analysen des Beschaffungsbereichs für das SRM erforderlich sind (Kapitel 2), welche grundsätzlichen Optimierungsansätze bei Lieferantenbeziehungen bestehen (Kapitel 3) und wie diese im Unternehmen zu implementieren sind (Kapitel 4). Die Ausgestaltungsmöglichkeiten des strategischen Beschaffungsprozesses auf Materialgruppenebene werden im Kapitel 5, die des operativen Beschaffungsprozesses im Kapitel 6 behandelt. Im Vordergrund steht hierbei die systematische Optimierung der Prozesse auf Basis von moderner IT. Im Kapitel 7 werden schließlich zusammenfassend Gesamtstrategien für die Beschaffungsprozesse und die unterstützende IT dargestellt. In diesem Kontext werden unterschiedliche Unternehmensgrößen berücksichtigt und aktuell gängige Beispielsysteme vorgestellt. Abgerundet wird das Buch in den Kapiteln 8 bis 11 durch konkrete Beispiele zum Einsatz von SRM in den Unternehmen Philips, Volkswagen, hpi und Windmöller & Hölscher. Ein Buchprojekt lebt von der Unterstützung einer Vielzahl von Helfern. Zum einen möchten wir den Praktikern danken, die durch ihre Beiträge maßgeblich zu einem runden Gesamtwerk beigetragen haben. Zu nennen sind hier Dr. Andreas Schumm (Philips), Frank Iker (VW), René Müller, René Petri (hpi), Nadja Ahlers und Dirk Picklaps (Windmöller & Hölscher).
VII
1.1
Vorwort zur ersten Auflage
Zum anderen haben auch unsere äußerst engagierten studentischen Mitarbeiter großen Anteil am Gelingen dieses Buches. Marcus Schulte in den Bäumen und Thorsten Zepp haben sowohl inhaltlich substanzielle Beiträge geleistet als auch bei der Abbildungsgestaltung mitgewirkt. Für die Erstellung von Abbildungen waren weiterhin Jan Beuershausen und Alina Claussen zuständig. In den Händen von Frau Claussen lagen auch die formale Gesamtkoordination sowie die Erstellung des Schlagwortregisters. Verena Müller hat die Aufgabe übernommen, das ganze Werk Korrektur zu lesen. Daneben waren noch Olaf Hähnel, Barbara Kippelt und Markus Schulte-Kellinghaus mit diversen kleineren Arbeitsaufträgen in die Bucherstellung eingebunden. Auch möchten wir unseren Kollegen aus den Fachgruppen Logistik und Organisation/Wirtschaftsinformatik danken, die uns an vielen Stellen wertvolle Hinweise gegeben haben. Schließlich geht ein solches Buchprojekt immer auch auf Kosten der Zeit, die man sonst mit „seinen Lieben“ verbracht hätte. Wieland Appelfeller bedankt sich bei seiner Frau Christel, die sich - wie schon so oft - weitgehend alleine um viele Dinge gekümmert hat. Wolfgang Buchholz bedankt sich bei Ulli, die in diesem Jahr mit „Nighttime in Clubland“ und „Supplier Relationship Management“ sogar zwei zeitfressende Projekte unterstützt hat.
Wieland Appelfeller und Wolfgang Buchholz
VIII
Münster, im Juni 2005
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur zweiten Auflage ..................................................................................................V Vorwort zur ersten Auflage...................................................................................................VII Inhaltsverzeichnis.................................................................................................................... IX Abbildungsverzeichnis .........................................................................................................XIX Tabellenverzeichnis ............................................................................................................. XXV Abkürzungsverzeichnis.....................................................................................................XXVI 1
2
Einleitung............................................................................................................................ 1 1.1
Aktuelle Entwicklungstrends in der Beschaffung........................................... 1
1.2
Begriff des Supplier Relationship Managements ............................................ 4
1.3
3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements.......................... 7
1.4
Systematische Ableitung von Supplier Relations.......................................... 10
IT-Unterstützung in der Beschaffung ........................................................................... 15 IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen ............................................ 15
2.1 2.1.1
Überblick............................................................................................................. 15
2.1.2
ERP-Systeme....................................................................................................... 15
2.1.3
Data Warehouse-Systeme................................................................................. 17
2.1.4
SRM-Systeme ..................................................................................................... 18
2.1.4.1
Grundlagen und Abgrenzung zu ERP-Systemen ............................... 18
2.1.4.2
SRM-Tools zur Unterstützung des strategischen Beschaffungsprozesses ............................................................................ 19
2.1.4.3
SRM-Tools zur Unterstützung des operativen Beschaffungsprozesses ............................................................................ 21
2.1.5
Document Management-Systeme ................................................................... 22
2.1.6
Workflow Management-Systeme .................................................................... 23
2.1.7
Master Data Management-Systeme ................................................................ 24
2.1.8
Portal-Systeme.................................................................................................... 25
IX
1.1
Inhaltsverzeichnis
2.2
Basisarchitektur von Beschaffungssystemen und 3-Ebenen-Modell des SRM .............................................................................................................. 25
2.3
Implementierung der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen ..... 27
2.3.1
Unternehmensindividuelle Implementierungen .......................................... 27
2.3.2
Integration der Systeme der Basisarchitektur ............................................... 29
2.3.3
Hosting der SRM-Tools..................................................................................... 31 Vertiefte Betrachtung ausgewähIter IT-Systeme ........................................... 32
2.4 2.4.1
Überblick............................................................................................................. 32
2.4.2
Merkmale und Ziele von Data Warehouse-Systemen.................................. 33
2.4.3
Architektur und Arbeitsweise von Data Warehouse-Systemen ................. 34
2.4.3.1
Überblick der Architektur von Data Warehouse-Systemen .............. 34
2.4.3.2
Zusammenführung der Rohdaten......................................................... 35
2.4.3.3
Transformation der Rohdaten ................................................................ 36
2.4.3.4
Verdichtung der konsolidierten Daten ................................................. 37
2.4.3.5
OLAP und OLAP-Operationen.............................................................. 39
2.4.3.6
Überblick der Endbenutzer-Tools.......................................................... 41
2.4.4
2.4.4.1
Master Data Management....................................................................... 42
2.4.4.2
Master Data Management-Systeme....................................................... 43
2.5
3
X
Master Data Management und Master Data Management-Systeme......... 42
IT-seitige Anbindung von Lieferanten ............................................................ 45
2.5.1
Überblick............................................................................................................. 45
2.5.2
EDI (Electronic Data Interchange) .................................................................. 46
2.5.3
XML (Extensible Markup Language).............................................................. 48
2.5.4
WebEDI (Web Electronic Data Interchange).................................................. 49
2.5.5
Supplier Portal ................................................................................................... 50
2.5.6
Weitere Formen der Lieferantenanbindung .................................................. 51
Zielbildung und strategische Analyse.......................................................................... 52 3.1
Strategieentwicklungsprozess für die Beschaffung ...................................... 52
3.2
Zielbildung.......................................................................................................... 53
Inhaltsverzeichnis
Interne strategische Analyse............................................................................. 56
3.3 3.3.1
Stärken-Schwächen-Analyse in der Beschaffung ......................................... 56
3.3.2
Materialanalyse.................................................................................................. 57 Externe strategische Analyse ............................................................................ 65
3.4 3.4.1
3.4.1.1
Inhalte der Beschaffungsmarktanalyse................................................. 65
3.4.1.2
Methoden der Beschaffungsmarktanalyse ........................................... 70
3.4.2
Lieferantenanalyse und -bewertung............................................................... 72 IT-Unterstützung in der strategischen Analyse ............................................. 80
3.5 3.5.1
4
Beschaffungsmarktanalyse............................................................................... 65
IT-gestützte Ausgabenanalyse (Spend Analysis).......................................... 80
3.5.1.1
Aufgabenstellung und Überblick .......................................................... 80
3.5.1.2
Ausgabenanalysen mit dem Contract Management von SRM-Systemen.......................................................................................... 82
3.5.1.3
Ausgabenanalysen mit ERP-Systemen ................................................. 83
3.5.1.4
Ausgabenanalysen mit Data Warehouse- und MDM-Systemen ...... 84
3.5.1.5
Ausgabenanalysen mit Spend Analysis-Tools..................................... 89
3.5.2
IT-gestützte Beschaffungsmarktanalyse......................................................... 91
3.5.3
IT-gestütztes Lieferantenmanagement ........................................................... 94
3.5.3.1
Benötigte Informationen für das Lieferantenmanagement ............... 94
3.5.3.2
Bereitstellung der Informationen in der IT-Basisarchitektur für die Beschaffung............................................................................................... 94
3.5.3.3
Ganzheitliche Sichten auf Lieferanten .................................................. 98
Strategieformulierung..................................................................................................... 99 4.1
Ableitung von Handlungsempfehlungen ...................................................... 99
4.1.1
Portfolios zur Materialklassifizierung ............................................................ 99
4.1.2
Portfolios zur Lieferantenklassifizierung..................................................... 104
4.1.3
Kombinierte Material- und Lieferantenklassifizierung ............................. 108
XI
1.1
Inhaltsverzeichnis
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations ............................................ 111
4.2 4.2.1
Schwerpunkt Lieferantenbasis ...................................................................... 112
4.2.1.1
Geografische Struktur ........................................................................... 112
4.2.1.2
Lieferantenanzahl................................................................................... 119
4.2.2
Vertikale Kooperationsintensität................................................................... 123
4.2.2.1
Wertschöpfungsleistung ....................................................................... 123
4.2.2.2
Entwicklungseinbindung...................................................................... 128
4.2.3
Materialgruppe ................................................................................................ 135
4.2.3.1
Standardisierungsgrad .......................................................................... 135
4.2.3.2
Mengenbündelungsgrad....................................................................... 140
4.2.4
Horizontale Kooperationsintensität.............................................................. 143
4.2.4.1
Partnereinbindung ................................................................................. 143
4.2.4.2
Dienstleisternutzung ............................................................................. 149
Strategieimplementierung............................................................................................ 156
5
5.1
Grundlegende Ausführungen zur Strategieimplementierung.................. 156
5.2
Ausgestaltung der Aufbauorganisation........................................................ 157
5.2.1
Gestaltungsdimensionen ................................................................................ 157
5.2.2
Hybride Organisationsformen....................................................................... 161
5.3
Umgang mit Mitarbeitern bei der Einführung von SRM ........................... 165
5.4
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings .................................. 171
XII
5.4.1
Aufgaben des strategischen Beschaffungscontrollings.............................. 171
5.4.2
Messung des monetären Beschaffungserfolgs ............................................ 173
5.4.3
Working Capital Management ...................................................................... 176
5.4.4
Kennzahlen in der Beschaffung..................................................................... 179
5.4.5
Procurement-Balanced Scorecard ................................................................. 181
5.4.6
Risikomanagement in der Beschaffung........................................................ 182
5.4.7
IT-Unterstützung für das Beschaffungscontrolling.................................... 186
Inhaltsverzeichnis
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene...... 190 Vorbereitung ..................................................................................................... 190
6.1 6.1.1
Materialgruppenportfolio als Ausgangspunkt ........................................... 190
6.1.2
Materialgruppenstrategien ............................................................................ 193
6.1.2.1
Entwicklung von Materialgruppenprofilen....................................... 193
6.1.2.2
Materialgruppenstrategie für Standardmaterial ............................... 194
6.1.2.3
Materialgruppenstrategie für Hebelmaterial..................................... 196
6.1.2.4
Materialgruppenstrategie für Engpassmaterial ................................ 198
6.1.2.5
Materialgruppenstrategie für strategisches Material ....................... 199
6.1.3
PFSR-Modell zur Ausgestaltung der lieferantenbezogenen Prozesse..... 201
6.1.4
IT-Unterstützung in der Vorbereitungsphase ............................................. 203 Anbahnung ....................................................................................................... 204
6.2 6.2.1
Gestaltung der Supplier Relation durch den Ausschreibungsprozess.... 204
6.2.2
Verschiedene Varianten des IT-gestützten Ausschreibungsprozesses .... 205
6.2.2.1
Manueller Ausschreibungsprozess ..................................................... 205
6.2.2.2
ERP-gestützter Ausschreibungsprozess ............................................. 206
6.2.2.3
Internetgestützter Ausschreibungsprozess ........................................ 207
6.2.2.4
Vergleich der Varianten des Ausschreibungsprozesses ................... 210
6.2.2.5
Implementierung und ERP-Integration internetgestützter Ausschreibungen ................................................................................... 210
6.2.2.6
Beispieltools für internetgestützte Ausschreibungen ....................... 213
6.2.3
Kollaboration beim Ausschreibungsprozess ............................................... 214
6.2.3.1
Gemeinsames Erstellen von Ausschreibungsunterlagen ................. 214
6.2.3.2
Zusammenführen von Bedarfen.......................................................... 217
6.2.4
Kriterien für die Ausprägung der Supplier Relation durch den Ausschreibungsprozess .................................................................................. 221
XIII
1.1
Inhaltsverzeichnis
Vereinbarung .................................................................................................... 222
6.3 6.3.1
Gestaltung der Supplier Relation durch die Preisverhandlung und die Vertragsart ........................................................................................................ 222
6.3.2
Verschiedene Varianten des IT-gestützten Preisverhandlungsprozesses ........................................................................................................... 223
6.3.2.1
Manueller Prozess der Preisverhandlung .......................................... 223
6.3.2.2
Internetgestützter Prozess der Preisverhandlung............................. 224
6.3.3
6.3.2.2.1
Grundlagen elektronischer Auktionen .................................... 224
6.3.2.2.2
Kriterien für die Auktionierbarkeit........................................... 225
6.3.2.2.3
Prozessablauf der internetgestützten Preisverhandlung ...... 226
6.3.2.2.4
Vorteile der internetgestützten Preisverhandlung ................. 227
6.3.2.2.5
Implementierung und ERP-Integration internetgestützter Preisverhandlungen .................................................................... 228
6.3.2.2.6
Beispieltools für internetgestützte Preisverhandlungen ....... 230
Kriterien für die Ausprägung der Supplier Relation durch die Preisverhandlung und die Vertragsart......................................................... 230
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess .......................................................... 232
7
Einführung und Überblick.............................................................................. 232
7.1 7.1.1
Gestaltung der Supplier Relation durch den operativen Beschaffungsprozess ....................................................................................... 232
7.1.2
Varianten der IT-gestützten Optimierung operativer Beschaffungsprozesse ..................................................................................... 234 IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material ......... 235
7.2 7.2.1
XIV
IT-gestützte Optimierung der Vorratsbeschaffung .................................... 235
7.2.1.1
Einführung .............................................................................................. 235
7.2.1.2
Suboptimale Vorratsbeschaffung......................................................... 236
7.2.1.3
Konventionelle Vorratsbeschaffung ohne Integration des Lieferanten................................................................... 238
7.2.1.4
Konventionelle Vorratsbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten................................................................... 239
Inhaltsverzeichnis
7.2.1.5
Internetbasierte Vorratsbeschaffung mit teilweiser Integration des Lieferanten................................................................... 241
7.2.1.6
Internetbasierte Vorratsbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten .............................................................................................. 243
7.2.1.7
Vergleich der Prozessvarianten für die Vorratsbeschaffung und Bewertung der Vorratsbeschaffung..................................................... 244
7.2.2
IT-gestützte Einzelbeschaffung...................................................................... 244
7.2.3
IT-gestützte produktionssynchrone Beschaffung ....................................... 246
7.2.4
IT-gestütztes Vendor Managed Inventory ................................................... 248
7.2.5
IT-gestütztes Standardteilemanagement...................................................... 250
7.2.6
IT-Unterstützung für das Vertragslagerkonzept......................................... 252
7.2.7
Gegenüberstellung der Beschaffungsmodelle für die operative Beschaffung direkter Materialien.................................................................. 252
7.2.8
Optimierung operativer Beschaffungsprozesse durch erweiterten ITEinsatz ............................................................................................................... 253
7.2.8.1
Optimierung durch den Einsatz von RFID-Systemen...................... 253
7.2.8.2
Optimierung durch den Einsatz von Document ManagementSystemen.................................................................................................. 255
7.2.8.3
Optimierung durch den Einsatz von Workflow ManagementSystemen.................................................................................................. 256
7.2.9
Beispielhafte SRM-Tools für den operativen Beschaffungsprozess direkter Materialien......................................................................................... 259 IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen ...................................................................................... 260
7.3 7.3.1
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von Katalogmaterial ............ 260
7.3.1.1
Einführung .............................................................................................. 260
7.3.1.2
Suboptimale Katalogbeschaffung........................................................ 260
7.3.1.3
Konventionelle Katalogbeschaffung ohne Integration des Lieferanten .............................................................................................. 262
7.3.1.4
Konventionelle Katalogbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten .............................................................................................. 264
XV
1.1
Inhaltsverzeichnis
7.3.1.5
Internetbasierte Katalogbeschaffung .................................................. 265
7.3.1.5.1
Bausteine der internetbasierten Katalogbeschaffung ............ 265
7.3.1.5.2
Implementierung und ERP-Integration internetbasierter Katalogbeschaffung..................................................................... 266
7.3.1.5.3
Internetbasierte Katalogbeschaffung mit eigenem Hosting und ERP-Integration ................................................................... 272
7.3.1.5.4
Internetbasierte Katalogbeschaffung mit fremdem Hosting ohne ERP-Integration .................................................. 274
7.3.1.5.5
Freitextbestellungen als Alternative zur Katalogbeschaffung .................................................................................. 275
7.3.1.5.6
Beispieltools für die internetbasierte Katalogbeschaffung.... 276
7.3.1.5.7
Vergleich der Prozessvarianten für die Katalogbeschaffung .................................................................................. 277
7.3.2
Beschaffung von Investitionsgütern ............................................................. 278
7.3.3
Beschaffung von Dienstleistungen................................................................ 280
7.3.3.1
Überblick ................................................................................................. 280
7.3.3.2
Suboptimale und konventionelle Dienstleistungsbeschaffung....... 281
7.3.3.3
Internetbasierte Dienstleistungsbeschaffung..................................... 282
7.3.3.4
Beispielsysteme ...................................................................................... 284
7.4
Beschaffungsmodelle und Supplier Relationship Management ............... 285
7.4.1
Vor- und Nachteile der vorgestellten Beschaffungsmodelle..................... 285
7.4.2
Kriterien für die Ausprägung der Supplier Relation ................................. 286
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien ............... 288
8
8.1
Firmenindividuelle SRM-Landkarte und Festlegung konkreter Supplier Relations ........................................................................................... 288
8.1.1
Generische SRM-Landkarte als Ausgangspunkt ........................................ 288
8.1.2
Ableitung der firmenindividuellen SRM-Landkarte ................................. 290
8.1.3
Festlegung der materialgruppenbezogenen konkreten Supplier Relations............................................................................................................ 292
8.2
Ableitung der IT-Strategie für das SRM........................................................ 295
8.3
Beispielhafte IT-Strategien für das SRM ....................................................... 302
XVI
Inhaltsverzeichnis
8.4
9
Sukzessive Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien .................................. 310
8.4.1
Projektportfolio und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen ............................ 310
8.4.2
Professionelles Projektmanagement zur Umsetzung von SRM ............... 314
8.4.3
Projektmanagement i.e.S. – Sach-rationale Aspekte eines SRM-Projekts.................................................................................................... 315
8.4.4
Change Management – Personenbezogene Aspekte eines SRM-Projekts.................................................................................................... 321
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH ....................................... 324 9.1
Einleitung und Unternehmensvorstellung................................................... 324
9.2
Überblick zum SRM-Projekt bei der wedi GmbH....................................... 325
9.3
Entwicklung der Beschaffungsstrategien ..................................................... 326
9.4
Prozessmodell für Hebel- und Strategisches Material................................ 328
9.5
Auswahl des SRM-Tools ................................................................................. 331
9.6
Roadmap............................................................................................................ 334
9.7
Fazit .................................................................................................................... 336
10 Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie............................................ 337 10.1
Lieferantenbewertung als Herausforderung................................................ 337
10.2
Vorstellung der Schmitz Cargobull AG ........................................................ 338
10.3
Analyse der Ist-Situation................................................................................. 338
10.3.1
Lieferantenstruktur ......................................................................................... 338
10.3.2
Erfassung der Lieferantenleistung ................................................................ 339
10.3.3
Bewertung der Lieferantenleistung .............................................................. 342
10.3.4
Beurteilung der Ist-Situation.......................................................................... 343
10.4
Konzept zur Lieferantenbewertung .............................................................. 344
10.4.1
Strategische Ausrichtung und Prozess......................................................... 344
10.4.2
Einheitliche Erfassung der Lieferantenleistung .......................................... 345
10.4.3
Modell für die Lieferantenbewertung .......................................................... 347
10.4.4
Implementierungsvorschläge und -maßnahmen........................................ 349
10.5
Fazit .................................................................................................................... 351
XVII
1.1
Inhaltsverzeichnis
Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG............ 352
11
11.1
Einleitung und Kurzportrait der DEUTZ AG .............................................. 352
11.2
Neustrukturierung der Lieferantenbeziehungen ........................................ 354
11.2.1 Probleme im Lieferantenmanagement vor Projektstart............................. 354 11.2.2 Projektansatz und Projektziele ...................................................................... 354 11.3
Auswahl des Systempartners und Lösungsarchitektur ............................. 355
11.4
Einsatz der SupplyOn-Lösungen im Qualitätsmanagement..................... 357
11.5
Die Lösungen im Detail................................................................................... 358
11.5.1 Performance Monitor – Lieferantenbewertung........................................... 358 11.5.2 Business Directory – Zentrales Lieferantenverzeichnis ............................. 359 11.5.3 Project Management – Qualitätsvorausplanung......................................... 360 11.5.3.1
APQP-Methode ...................................................................................... 360
11.5.3.2
APQP in der Praxis (fiktives Beispiel)................................................. 361
11.5.4 Problem Solver – Reklamationsmanagement.............................................. 363 11.5.4.1
8D-Methode ............................................................................................ 363
11.5.4.2
8D-Report in der Praxis: ein Beispiel .................................................. 365
11.5.5 Management Cockpit – Alle Informationen auf einen Blick ..................... 366 11.6
Fazit .................................................................................................................... 366
Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 369 Stichwortverzeichnis ............................................................................................................. 397
1.2 XVIII
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1-1:
Beschaffung gestern, heute und morgen............................................. 3
Abbildung 1-2:
3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements ............ 8
Abbildung 1-3:
Merkmale von Supplier Relations im Überblick .............................. 11
Abbildung 1-4:
Vorgehen beim Supplier Relationship Management....................... 14
Abbildung 2-1:
IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen ............................... 16
Abbildung 2-2:
Unterstützung der Beschaffungsprozesse durch IT ........................ 27
Abbildung 2-3:
Alternative Integrationsarchitekturen ............................................... 30
Abbildung 2-4:
Architektur eines Data Warehouse-Systems..................................... 35
Abbildung 2-5a:
Zusammengeführte Rohdaten aus Vorsystemen ............................. 36
Abbildung 2-5b:
Zusammengeführte und konsolidierte Daten .................................. 37
Abbildung 2-5c:
Verdichtete Daten.................................................................................. 38
Abbildung 2-6:
Mehrdimensionalität am Beispiel eines Info Cubes für die Beschaffung ............................................................................... 40
Abbildung 2-7:
Beispiele für Slice- and Dice-Operationen ........................................ 41
Abbildung 2-8:
Verteilung von Stammdaten................................................................ 44
Abbildung 2-9:
Lieferantenanbindung per EDI ........................................................... 47
Abbildung 2-10:
Unterschiede zwischen EDIFACT und XML am Beispiel einer Bestellung ...................................................................... 48
Abbildung 2-11:
Lieferantenanbindung per WebEDI ................................................... 50
Abbildung 2-12:
Lieferantenanbindung über Supplier Portal ..................................... 51
Abbildung 3-1:
Zusammenhang zwischen Vision und strategischer Zielbildung . 54
Abbildung 3-2:
Beispiel für eine ABC-Analyse ........................................................... 60
Abbildung 3-3:
Gesamtübersicht zur Materialklassifizierung................................... 64
Abbildung 3-4:
Strukturanalyse des Beschaffungsmarkts ......................................... 68
Abbildung 3-5:
Prozess der Beschaffungsmarktanalyse............................................. 71
Abbildung 3-6:
Regelkreis des Lieferantenmanagements.......................................... 73
XIX
1.2
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3-7:
Beispiel einer Cost-Break-Down-Analyse ......................................... 76
Abbildung 3-8:
Kostenvorteile bei einer Volumenbündelung................................... 77
Abbildung 3-9:
Kriterien zur Lieferantenbewertung .................................................. 79
Abbildung 3-10:
Schritte zur Durchführung einer globalen Ausgabenanalyse ........ 85
Abbildung 3-11:
Konsolidierung von Lieferantenstammdaten mit Dun & Bradstreet .................................................................................. 87
Abbildung 3-12:
Informationen zum Lieferanten in der IT-Basisarchitektur der Beschaffung .................................................. 95
Abbildung 4-1:
Kriterien zur Bewertung des materialgruppenbezogenen Versorgungsrisikos............................ 102
Abbildung 4-2:
Materialportfolio ................................................................................. 103
Abbildung 4-3:
Portfolio zur Lieferantenklassifizierung.......................................... 105
Abbildung 4-4:
Lieferantenklassifizierung nach dem SAZUG-Ansatz .................. 106
Abbildung 4-5:
Lieferantenportfolio............................................................................ 107
Abbildung 4-6:
Kriterien zur Bewertung des lieferantenbezogenen Versorgungsrisikos.............................................................................. 108
Abbildung 4-7:
Kombiniertes Material- und Lieferantenportfolio ......................... 110
Abbildung 4-8:
GFSR-Modell zu den Supplier Relations auf Gesamtunternehmensebene .............................................................. 111
Abbildung 4-9:
Global Sourcing-Prozess .................................................................... 114
Abbildung 4-10:
Lieferantenpyramide in Abhängigkeit von der Wertschöpfungsleistung...................................................... 124
Abbildung 4-11:
Struktur eines Wertschöpfungsnetzwerks am Beispiel BMW...... 125
Abbildung 4-12:
Prozesslandkarte des Forward Sourcing......................................... 130
Abbildung 4-13:
Rolle der Beschaffung im Forward Sourcing-Prozess ................... 132
Abbildung 4-14:
Methoden des Komplexitätsmanagements..................................... 137
Abbildung 4-15:
Kriterien für die Bündelungsfähigkeit von Materialien................ 142
Abbildung 4-16:
4C-Modell der Beschaffungskooperationen ................................... 144
Abbildung 4-17:
Cooperative Sourcing Prozess .......................................................... 148
Abbildung 4-18:
Varianten des Procurement Service Providing............................... 151
Abbildung 5-1:
Gestaltungsdimensionen der Beschaffungsorganisation.............. 158
XX
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 5-2:
Geschäftsbereichsübergreifende, cross-funktionale Materialgruppen-Teams ................................................................................... 163
Abbildung 5-3:
Procurement Trucks and Busses der Daimler AG als Beispiel für das Lead Buyer-Konzept......................................... 164
Abbildung 5-4:
Soll-Kompetenzprofil eines Project buyer....................................... 170
Abbildung 5-5:
Einfluss der Beschaffung auf den ROI............................................. 173
Abbildung 5-6:
Niedrigster Angebotspreis > Alter Preis.......................................... 175
Abbildung 5-7:
Cash-to-cash-cycle .............................................................................. 177
Abbildung 5-8:
Supply Risk Management Map ........................................................ 183
Abbildung 5-9:
Bosch-Supply-Risk-Management-Ansatz ....................................... 185
Abbildung 6-1:
Materialgruppenportfolio.................................................................. 191
Abbildung 6-2:
Materialgruppenspezifisches Lieferantenportfolio ....................... 192
Abbildung 6-3:
Materialgruppenprofil für Verpackungsmaterialien..................... 193
Abbildung 6-4:
PFSR-Modell zu den prozessbezogenen Supplier Relations........ 202
Abbildung 6-5:
Office-gestützter Ausschreibungsprozess....................................... 205
Abbildung 6-6:
ERP-gestützter Ausschreibungsprozess .......................................... 207
Abbildung 6-7:
Internetgestützter Ausschreibungsprozess..................................... 208
Abbildung 6-8:
Szenarien für die ERP-Integration bei e-Ausschreibungen .......... 212
Abbildung 6-9:
Office-gestützte Ausschreibungserstellung bei mehreren Beteiligten........................................................................... 215
Abbildung 6-10
Internetgestützte Ausschreibungserstellung auf Basis einer Kollaborationsplattform .......................................... 216
Abbildung 6-11:
Office-gestütztes Zusammenführen von Bedarfen ........................ 218
Abbildung 6-12:
Internetgestütztes Zusammenführen von Bedarfen über eine Kollaborationsplattform ................................................... 219
Abbildung 6-13:
Manueller Prozess der Preisverhandlung ....................................... 224
Abbildung 6-14:
Internetgestützter Prozess der Preisverhandlung.......................... 227
Abbildung 7-1:
Beschaffungsmodelle für direkte Materialien ................................ 233
Abbildung 7-2:
Beschaffungsmodelle für indirekte Materialien und Dienstleistungen.......................................................................... 234
Abbildung 7-3:
Prozessvariante: Suboptimale Vorratsbeschaffung........................ 237
XXI
1.2
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 7-4:
Prozessvariante: Konventionelle Vorratsbeschaffung ohne Integration des Lieferanten................................................................ 239
Abbildung 7-5:
Prozessvariante: Konventionelle Vorratsbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten................................................................ 240
Abbildung 7-6:
Prozessvariante: Internetbasierte Vorratsbeschaffung mit teilweiser Integration des Lieferanten.............................................. 242
Abbildung 7-7:
Prozessvariante: Internetbasierte Vorratsbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten................................................................ 243
Abbildung 7-8:
Prozessvariante: Internetbasierte Einzelbeschaffung mit Teilintegration des Lieferanten.......................................................... 245
Abbildung 7-9:
Internetbasierte produktionssynchrone Beschaffung mit teilweiser Integration des Lieferanten (JIT/JIS)............................... 247
Abbildung 7-10:
Internetbasierte Beschaffung per VMI und teilweiser Integration des Lieferanten..................................................................................... 249
Abbildung 7-11:
Beschaffung über Standardteilemanagement mit Bedarfsermittlung durch den Dienstleister ..................................... 251
Abbildung 7-12:
Gegenüberstellung der Beschaffungsmodelle................................ 253
Abbildung 7-13:
Prozessvariante: Suboptimale Katalogbeschaffung....................... 261
Abbildung 7-14:
Prozessvariante: Konventionelle Katalogbeschaffung ohne Integration des Lieferanten ...................................................... 263
Abbildung 7-15:
Prozessvariante: Konventionelle Katalogbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten..................................................... 264
Abbildung 7-16:
Komponenten der internetbasierten Katalogbeschaffung............ 266
Abbildung 7-17:
Contentstrategien für internetbasierte Beschaffung von Katalogmaterial............................................................................ 267
Abbildung 7-18:
ERP-Integration................................................................................... 271
Abbildung 7-19
Prozessvariante: Internetbasierte Katalogbeschaffung mit eigenem Hosting und ERP-Integration..................................... 273
Abbildung 7-20:
Prozessvariante: Internetbasierte Katalogbeschaffung mit fremdem Hosting ohne ERP-Integration .................................. 275
Abbildung 7-21:
Beschaffung von Investitionsgütern................................................. 279
Abbildung 7-22:
Suboptimale Dienstleistungsbeschaffung ....................................... 281
XXII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 7-23:
Internetbasierte Dienstleistungsabwicklung mit teilweiser Integration des Lieferanten ............................................. 283
Abbildung 8-1a:
Generische SRM-Landkarte, allgemeine Supplier Relations und Varianten der strategischen Prozesse ...................................... 288
Abbildung 8-1b:
Generische SRM-Landkarte, operative Beschaffungsmodelle und deren Varianten........................................................................... 289
Abbildung 8-2:
Beispielhafte firmenindividuelle SRM-Landkarte ......................... 291
Abbildung 8-3a:
Festlegung materialgruppenbezogener, allgemeiner Supplier Relations............................................................................... 293
Abbildung 8-3b:
Festlegung materialgruppenbezogener Supplier Relations für die Prozesse ................................................................................... 293
Abbildung 8-4a:
Homogenität versus Best-of-Breed................................................... 297
Abbildung 8-4b:
Homogenität versus Best-of-Breed................................................... 298
Abbildung 8-5:
Mögliche IT-Architektur für Beschaffungssysteme in Großunternehmen .......................................................................... 303
Abbildung 8-6:
Mögliche IT-Architektur für Beschaffungssysteme in Konzernen ....................................................................................... 305
Abbildung 8-7:
Mögliche IT-Architektur für Beschaffungssysteme bei einem großen Mittelständler......................................................................... 306
Abbildung 8-8:
Beispielhafte firmenindividuelle SRM-Landkarte für ein KMU......................................................................................... 308
Abbildung 8-9:
Mögliche IT-Architektur für Beschaffungssysteme bei einem KMU ................................................................................... 309
Abbildung 8-10:
Projekte für das SRM .......................................................................... 311
Abbildung 8-11:
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Beschaffungsprojekten........ 313
Abbildung 8-12:
Idealtypisches Vorgehensmodell eines SRM-Projekts................... 315
Abbildung 8-13:
Beispielhafte Organisation eines SRM-Projekts ............................. 317
Abbildung 8-14:
Projektstrukturplan für das Teilprojekt „Materialgruppen- und Lieferantenanalyse“............................................................................ 318
Abbildung 9-1:
Phasenmodell des SRM-Projekts bei der wedi GmbH .................. 325
Abbildung 9-2:
Materialgruppenportfolio bei der wedi GmbH.............................. 328
Abbildung 9-3:
wedi-spezifisches Modell für Hebel- und Strategisches Material ........................................................................ 330
XXIII
1.2
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 9-4:
SRM-Roadmap .................................................................................... 335
Abbildung 10-1:
Lieferantenstruktur............................................................................. 339
Abbildung 10-2:
Arten der Leistungserfassung von Lieferanten .............................. 340
Abbildung 10-3:
Aktueller Aufbau der SAP Lieferantenbewertung ........................ 342
Abbildung 10-4:
Prozess der Lieferantenbewertung................................................... 345
Abbildung 10-5:
Datenpool für die Lieferantenbewertung........................................ 346
Abbildung 10-6:
Kennzahlenmodell für die Lieferantenbewertung......................... 347
Abbildung 10-7:
Ermittlung der Lieferantenkennzahl ............................................... 349
Abbildung 10-8:
Portfolio zur Ableitung von Handlungsempfehlungen................ 350
Abbildung 11-1:
Anbindung von DEUTZ und Lieferanten an SupplyOn .............. 357
Abbildung 11-2:
Lieferantenbewertung über SupplyOn............................................ 359
Abbildung 11-3:
APQP-Prozess über SupplyOn ......................................................... 360
Abbildung 11-4:
Fünf Phasen eines Entwicklungsprojekts bei DEUTZ................... 361
Abbildung 11-5:
Reklamationsabwicklung nach der 8D-Methode über SupplyOn .................................................................................... 364
1.3
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle 2-1:
Analogien zwischen Warenlager und Data Warehouse.................. 34
Tabelle 2-2:
Vergleich unterschiedlicher Speicherebenen .................................... 39
Tabelle 3-1:
SRM-Kompetenz-Check ....................................................................... 57
Tabelle 3-2:
Fragen zu beschafften Materialien und zur Lieferantenbasis ........ 81
Tabelle 3-3:
Vergleich manuelle vs. internetbasierte Beschaffungsmarktanalyse .................................................................. 93
Tabelle 6-1:
Varianten des Ausschreibungsprozesses im Vergleich ................. 210
Tabelle 6-2:
Varianten des Zusammenführens von Bedarfen im Vergleich .... 220
Tabelle 6-3:
Manuelle und internetgestützte Preisverhandlung im Vergleich ......................................................................................... 228
Tabelle 7-1:
Vergleich der Prozessvarianten für Vorratsbeschaffung............... 244
Tabelle 7-2:
Vergleich der Prozessvarianten für Katalogbeschaffung.............. 278
Tabelle 7-3a:
Vor- und Nachteile der verschiedenen Beschaffungsmodelle ..... 285
Tabelle 7-3b:
Vor- und Nachteile der verschiedenen Beschaffungsmodelle ..... 286
Tabelle 7-4:
Einsatzkriterien der verschiedenen Beschaffungsmodelle ........... 287
Tabelle 8-1:
Bedeutung von SRM-Tools in Abhängigkeit von der Materialart ............................................................................. 296
Tabelle 8-2:
Vergleich von Implementierungsvarianten für SRM-Tools .......... 299
Tabelle 9-1 :
Übersicht der Hauptkriterien der Nutzwertanalyse ..................... 333
Tabelle 11-1:
Anwendungsgebiete von DEUTZ-Motoren.................................... 353
XXV
1.3
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ASP
Application Service Provider
B2B
Business to Business
BANF
Bestellanforderung
BCG
Boston Consulting Group
BSC
Balanced Scorecard
BME
Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik
BU
Business Unit
CAD
Computer Aided Design
CI
Coded Information
CPFR
Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment
CRM
Customer Relationship Management
CSCM
Collaborative Supply Chain Management
DMS
Document Management-System
DPS
Desktop Purchasing-System
DUNS
Data Universal Numbering System
EDI
Electronic Data Interchange
EDIFACT
Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport
EPI
Einkaufs Performance Index
e-RFI
Electronic Request for Information
e-RFP
Electronic Request for Proposal
e-RFQ
Electronic Request for Quotation
e-RFx
Electronic Request for x
ERP
Enterprise Resource Planning
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
ETL
Extrahieren, Transformieren und Laden
F&E
Forschung und Entwicklung
FTP
File Transfer Protocol
GFSR
General Features of Supplier Relations
GuV
Gewinn- und Verlustrechnung
http
Hypertext Transfer Protocol
IPO
International Procurement Office
IT
Informationstechnologie
JIS
Just-in-sequence
JIT
Just-in-time
KMU
Kleine und Mittelständische Unternehmen
KVP
Kontinuierlicher Verbesserungs-Prozess
MDM
Master Data Management
MGM
Materialgruppenmanagement
MRO
Maintenance, Repair, Operations
MS-Office
Microsoft Office
NCI
Non-Coded Information
OCI
Open Catalogue Interface
OCR
Optical Character Recognition
OEM
Original Equipment Manufacturer
OLAP
Online Analytical Processing
OLTP
Online Transaction Processing
PEP
Procurement Enhancement Program
PSP
Procurement Service Provider
ROI
Return on Investment
SE
Simultaneous Engineering
SMI
Supplier Managed Inventory
SMTP
Simple Mail Transfer Protocol
SOAP
Simple Object Access Protocol
XXVII
1.3
Abkürzungsverzeichnis
SRM
Supplier Relationship Management
SR
Supplier Relation
TCO
Total Cost of Ownership
MM-SRV
Material Management-Service
UN/SPSC
United Nations Standard Products and Service Code
VMI
Vendor Managed Inventory
WAN
Wide Area Network
WWW
World Wide Web
XML
Extensible Markup Language
XXVIII
Aktuelle Entwicklungstrends in der Beschaffung
1
1.1
Einleitung
Aktuelle Entwicklungstrends in der Beschaffung
„Milliardengrab Einkauf – Die meisten Konzerne verschleudern bei der Beschaffung enorme Summen und merken es oft nicht einmal.“ (Müller 2004a, S.54). So lautete der Einstieg in die erste Auflage dieses Buches vor fünf Jahren. Mittlerweile hat sich einiges getan in den Einkaufsorganisationen. Transparenz und Effizienz haben sich in vielen Unternehmen verbessert, nicht zuletzt durch den Einsatz von SRM-Systemen. Der Prozess der Optimierung dauert aber weiterhin an. Die Wirtschaftskrise hat das Augenmerk noch einmal stärker in Richtung Einkauf gelenkt, wobei lange nicht alle Potenziale ausgeschöpft worden sind (vgl. Makowski/Walter 2010, S.8). Bei den Optimierungen muss differenziert werden hinsichtlich Branche und Unternehmensgröße. Das folgende Zitat spiegelt die Branchensituation recht gut wider: „Was in der Autoproduktion jahrelang Usus ist, lässt andere Industrien erst jetzt richtig aufmerken.“ (o.V. 2009). So werden mittlerweile auch in Branchen mit eher geringerer Einkaufsrelevanz wie bspw. bei Finanzdienstleistern Beschaffungsthemen angefasst. Eine ähnliche Tendenz ist hinsichtlich der Unternehmensgröße zu konstatieren (vgl. auch eine aktuelle empirische Studie Makowski/Walter 2010, S.8ff). Insbesondere eher vertriebsgetriebene größere Mittelständler entdecken den Einkauf und adaptieren die Optimierungskonzepte, die Großunternehmen vielfach schon umgesetzt haben. Betrachtet man die kleineren Mittelständler ist das Handlungspotenzial jedoch noch gewaltig. Dies lässt sich sehr gut mit den Projekterfahrungen der Autoren bei Unternehmen aus dem Münsterland belegen, die vielfach Umgestaltungen des Einkaufs angestoßen haben bzw. diese aktuell forcieren. Welches sind nun die neuen Themen, mit denen sich Einkaufsabteilungen verstärkt auseinandersetzen? Die nachfolgende Auflistung gibt hierzu einen Überblick:
Beschaffung als Innovationstreiber und „Steuermann“ der Supply Chain Die Beschaffung kann Innovationstreiber oder auch Flaschenhals für die Innovationskraft sein (vgl. BrainNet 2008, S.14; Rast 2008, S.26). Sie hat einen massiven Einfluss auf die Innovationstätigkeit im Unternehmen, da die Beschaffung die Schnittstelle zum Innovationspartner Lieferant darstellt. Lieferanten unterstützen ihre Kunden massiv in der Innovationsgenerierung, kompetente Partner sind frühzeitig zu identifi-
1 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.1
1
Einleitung
zieren und der Prozess der Zusammenarbeit muss professionell gesteuert werden. Dies wird zu einer Kernaufgabe des Einkaufs. Daneben geht es um die Steuerung von komplexen Supply Chains (vgl. Kerkhoff 2010, 187f.). Der Unternehmenserfolg hängt nicht nur von der Qualität der Vorprodukte des unmittelbar vorgelagerten Lieferanten (1-tier-supplier) ab, auch die Vor-Vorlieferanten in einer mehrgliedrigen Supply Chain (n-tier-supplier) sind professionell zu steuern. Auch für diese Aufgabe ist die Beschaffung als der primäre Ansprechpartner für die vorgelagerten Partner in der Supply Chain prädestiniert.
Nachhaltigkeit in der Beschaffung Trotz Wirtschaftskrise ist das Thema „Nachhaltiger Einkauf“ in den letzten drei Jahren nicht in der Bedeutung für die Unternehmen zurückgegangen, im Gegenteil, dieser Trend wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen (vgl. Kerkhoff 2010, S.189f.). In der Fachzeitschrift „Beschaffung aktuell“ widmeten sich zwischen Sommer 2008 und 2010 drei Schwerpunkthefte dieser Fragestellung (vgl. exemplarisch Heft 7/2010). Nachhaltigkeit umfasst die drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales, welche in allen Entscheidungen integriert berücksichtigt werden sollen. In betriebswirtschaftlichen Betrachtungen wurden die Säulen Ökologie und Soziales bislang häufig weitgehend ausgeblendet. Hier hat jedoch ein Wandel eingesetzt. Viele Unternehmen erkennen, dass sich ihre Verantwortung nicht nur auf das Endprodukt erstreckt, sondern auf sämtliche ökologische und soziale Auswirkungen, die bei der Herstellung des Produktes über die gesamte Wertschöpfungskette entstehen. Nachhaltigkeit ist kein „notwendiges Übel“ mehr, sondern ein Differenzierungsfaktor im Wettbewerb. Die Beschaffung bietet hier einen guten Ansatzpunkt, sich insbesondere mit ökologischen und sozialen Anforderungen an Materialien, Lieferanten und Beschaffungsprozesse zu beschäftigen. Augenscheinlich ist aber auch, dass einerseits die Relevanz gesehen wird und die Unternehmen gerade im Einkauf Nachhaltigkeit berücksichtigen wollen. Andererseits ist jedoch noch kein wirklich ausgereiftes und erprobtes Instrumentarium zur nachhaltigen Beschaffung verfügbar. Hier besteht für Forschung und Praxis noch Handlungsbedarf.
Risikomanagement über die Supply Chain Ein weiteres Thema, dass auf der Agenda der Einkäufer heute und in Zukunft ganz oben stehen wird ist Risikomanagement. Auch hier ließe sich die Anzahl der Artikel in der „Beschaffung aktuell“ als Indikator verwenden. Qualität beim Global Sourcing, volatile Rohstoffpreise, soziale Missstände beim Low Cost Country Sourcing, schwankende Wechselkurse oder Insolvenzen bei Lieferanten sind Risiken, die es frühzeitig zu identifizieren, zu bewerten und zu steuern gilt. Dabei ist nicht nur das Risiko für das eigene Unternehmen zu betrachten. Potenzielle Probleme bei n-tier-Lieferanten einer mehrstufigen Lieferkette sollen rechtzeitig erkannt werden, um hinreichend Zeit für Gegenmaßnahmen zu haben. Galt es im ersten Schritt sich dem Thema konzeptionell anzunehmen, steht in Zukunft die Professionalisierung einer entsprechenden Tool-Unterstützung an (vgl. Balthazar/Theisinger 2010, S.32f.).
2
Aktuelle Entwicklungstrends in der Beschaffung
Abbildung 1-1:
Beschaffung gestern, heute und morgen
Roll-Out und Weiterentwicklung von SRM-Tools Der Verbreitungsgrad von elektronischen Katalogen liegt nach dem BMEStimmungsbarometer 2010 bei Großunternehmen bei 89%, bei KMU bei 60%. Größer ist die Diskrepanz bei Ausschreibungen (61% vs. 25%) und Auktionen (51% vs. 16%). Insgesamt sind die elektronischen Kataloge das Tool, welches sich großflächig durchgesetzt hat (vgl. BME 2010, S.24). Die Zahlen des BME machen deutlich, dass insbesondere bei KMUs noch großes Einsatzpotenzial für die oben genannten SRM-Tools besteht. Beobachtet man, was aktuell bei den Anbietern der Tools passiert, so entstehen vor allem zwei Eindrücke: Erstens sind die Anbieter damit beschäftigt ihre schon länger vorhandenen Tools bei weiteren Unternehmen einzuführen, die bisher ggf. fast noch gar keine internetgestützte Beschaffung im Einsatz haben. Zweitens entwickeln
3
1.1
1
Einleitung
sie für Unternehmen, die frühzeitig auf internetgestützte Beschaffung gesetzt haben, Tools mit weiterführenden Funktionalitäten, die in einigen Unternehmen bereits zum Einsatz kommen. Diese recht neuen internetgestützten Tools beschäftigen sich intensiv mit Themen wie Lieferanten-, Materialgruppen- und Qualitätsmanagement. Weitere Themen die stärker unterstützt werden sind Spend Analysis und VMI und in ersten Ansätzen auch das oben bereits erwähnte Risikomanagement. Das vorliegende Buch ordnet diese Tools im Kapitel 2 in die Basisarchitektur von Beschaffungssystemen ein und stellt in ausgewählten weiteren Kapiteln die Detailfunktionalitäten der Tools vor. Durch die weiter voranschreitende Optimierung von Prozessen, den verstärkten Einsatz von IT und nicht zuletzt durch die Erhöhung der Mitarbeiterqualifikation werden sowohl Effektivität als auch Effizienz in der Beschaffung maßgeblich gesteigert. Angestrebt wird hierbei eine Beziehung zum Lieferanten, die alle Teilaspekte des strategischen Zieldreiecks Kosten, Qualität und Zeit gleichermaßen berücksichtigt und optimiert. Abbildung 1-1 zeigt zusammenfassend, wie sich die Situation in der Beschaffung gestern, heute und morgen darstellt. Im Rahmen dieses Buches wird für diese Denkweise in der Beschaffung, die die Optimierung der Beziehung zum Lieferanten in den Mittelpunkt stellt, der Begriff Supplier Relationship Management verwendet. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Beschaffung, ihre Rolle vom reinen Erfüllungsgehilfen zu einem Unternehmensprozess mit hohem Einfluss auf die Wettbewerbsstärke in vielen Branchen bereits wesentlich geändert hat. Andere Branchen haben diesen Weg noch vor sich und finden in diesem Buch wertvolle Hinweise, wie dieser Weg zu beschreiten ist.
1.2
Begriff des Supplier Relationship Managements
Der Begriff Supplier Relationship Management hat mehrere Wurzeln. Zum einen ist der Begriff stark von IT-Anbietern besetzt worden:
Onventis: SRM beinhaltet alle Module zur strategischen Ausrichtung und operativen Abwicklung der Beschaffungsprozesse eines Unternehmens (vgl. Onventis 2004, S.1).
SAP: SRM ist eine Softwarelösung für die Einbindung von Lieferanten in den gesamten Beschaffungsprozess. Eine SRM-Lösung muss den vollständigen Beschaffungsprozess innerhalb des Unternehmens und hin zum Lieferanten automatisieren (vgl. Barking/König 2002, S.23ff.).
Peoplesoft: SRM ist eine leistungsfähige Lösung, die den gesamten Einkaufsprozess kostengünstiger gestaltet und zudem strategisch sorgfältiger durchdachte Ausga-
4
Begriff des Supplier Relationship Managements
benentscheidungen ermöglicht. SRM hat das Ziel, verschiedene e-BusinessInitiativen im Bereich der Beschaffung aufeinander abzustimmen (vgl. Knörr 2003, S.15)
Oracle: „Viele Anbieter sagen, dass SRM primär die internetunterstützte Abbildung der Beschaffungs- und Sourcingprozesse ist.“ „.. eine umfassende Definition darf hier aber nicht enden. Nach unserer Sicht muss eine SRM-Lösung alle Aspekte der Lieferantenzusammenarbeit erfüllen.“ (Oracle 2010, S.2f.) Verständlicherweise stehen bei diesen Definitionen die IT-Lösungen im Vordergrund. Zunächst wurde Supplier Relationship Management vielfach als Oberbegriff für die Ende der 1990er Jahre aufkommenden und in der Folgezeit kontinuierlich ergänzten internetgestützten Beschaffungslösungen gesehen. Hierzu zählen z.B. die eProcurement-Lösungen für die Beschaffung über elektronische Kataloge und die etwas später entwickelten e-Sourcing-Tools. Inzwischen werden unter dem Begriff SRM aber häufig herkömmliche (ERP, Data-Warehouse) und internetgestützte Beschaffungssysteme zusammengefasst (vgl. Beckmann et al. 2002, S.34). Eine Gemeinsamkeit der oben aufgelisteten Definitionen ist die Ganzheitlichkeit. Es geht um alle Module für das Beschaffungsmanagement, die Betrachtung des gesamten Beschaffungsprozesses und die Abstimmung mehrerer Einzelinitiativen. Eine weitere Wurzel des Supplier Relationship Managements ist das Lieferantenmanagement bzw. die strategische Beschaffung:
Supplier Relationship Management (SRM) ist die proaktive Gestaltung aller Lieferbeziehungen eines Unternehmens über alle Geschäftsbereiche mit dem Ziel, durch eine bessere Zusammenarbeit mit Lieferanten und Vorlieferanten Produkte besser, schneller und zu niedrigeren Kosten zu entwickeln, zu beschaffen und herzustellen. SRM betrachtet sowohl das Prozessmanagement in Lieferantenbeziehungen als auch strategische Beschaffungsaufgaben wie Strategieentwicklung, Outsourcingentscheidungen, Lieferantenintegration und Materialgruppenmanagement (vgl. Corsten 2001, S.130f.).
„SRM ist die kontinuierliche Weiterentwicklung des strategischen Lieferantenmanagements und die gelebte Partnerschaft mit Schlüssellieferanten.“ (Pechek 2003, S.26).
Als Teilbereich des Partner Relationship Managements, das alle Maßnahmen zur Planung, Durchführung und Kontrolle der zwischenbetrieblichen Beziehungen zum Inhalt hat, konzentriert sich das SRM auf die Beziehung zu externen Lieferanten (vgl. Riemer/Klein 2002, S.7).
“A systematic approach to supplier management to optimize the value delivered through the relationship over its life cycle.” (Accenture 2010, S.3) Bei diesen Definitionen steht die grundsätzliche Gestaltung der Beziehung zum Lieferanten im Rahmen der strategischen Beschaffung im Vordergrund. Auch wenn der
5
1.2
1
Einleitung
Einsatz von IT hier nicht explizit erwähnt wird, gehen die Autoren in ihren entsprechenden Beiträgen auf die unterstützende Rolle der IT ein. Neben der Beschreibung der Wurzeln des SRM soll weiterhin eine Einordnung in das Wertschöpfungsmanagement erfolgen. Das Management der gesamten Wertschöpfungskette wird häufig als Supply Chain Management (SCM) bezeichnet und bezieht sich auf die strategische Planung und operative Abstimmung logistischer Aktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Rohstofflieferanten bis zum Endkunden. Hierbei konzentriert sich das SCM auf den Material- und Informationsfluss (vgl. Riemer/Klein 2002, S.8f.). SRM bezieht sich in diesem Kontext auf das Management der Beziehung zum Lieferanten und kann damit als Teil des SCM verstanden werden. Als Komplement zum SRM und weiterer Bestandteil des SCM muss dann zwangsläufig das Customer Relationship Management (CRM) gesehen werden, welches auf die Optimierung der Kundenbeziehungen fokussiert (vgl. Große-Wilde 2004, S.61). Trotzdem ergeben SRM und CRM in Summe aber noch nicht vollständig das SCM. Beide Konzepte haben eine primär einstufige Anbindung von Lieferanten bzw. Kunden im Fokus. SCM hingegen hat die Abstimmung aller in der Wertschöpfungskette vertretenen Unternehmen zum Gegenstand, dies bedeutet für die Beschaffungsseite z.B., dass nicht nur Tier-1-Lieferanten, sondern auch Tier-2 bis Tier-n Lieferanten berücksichtigt werden. Die hierfür einzusetzenden IT-Systeme sind Advanced Planning Systems (APS) bzw. Collaborative-SCM-Systems (CSCM). Während APS-Systeme ihren Schwerpunkt in der standortübergreifenden Koordination von Material- und Informationsflüssen innerhalb von Konzernen haben, wird durch CSCM-Systeme die unternehmensübergreifende Anbindung der Partnerunternehmen realisiert (vgl. Busch et al. 2003, S.28ff.). Nach der Betrachtung der Wurzeln des SRM und der Einordnung in das Wertschöpfungsmanagement soll nun die für das vorliegende Buch relevante Definition von SRM geklärt werden. Gegenstand des Buches ist, die oben beschriebenen Wurzeln bzw. die hiermit verbundenen Sichtweisen und Aspekte des SRM miteinander zu verschmelzen, um die Zusammenarbeit mit den Lieferanten zu optimieren. Hiermit ist gemeint, dass auf der einen Seite die IT-gestützten Möglichkeiten zur Optimierung der Lieferantenbeziehungen und Beschaffungsprozesse untersucht werden. Auf der anderen Seite sind aber auch grundsätzliche Fragen der Gestaltung von Lieferantenbeziehungen Gegenstand der Betrachtung, bei denen ein unterstützendes IT-System ggf. eine untergeordnete oder auch gar keine Rolle spielt. SRM wird dementsprechend angelehnt an eine Definition vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (vgl. Beckmann et al. 2002, S.33f.) wie folgt definiert: Unter SRM soll die von einer Beschaffungsgesamtstrategie ausgehende IT-gestützte Gestaltung der strategischen und operativen Beschaffungsprozesse und des Lieferantenmanagements verstanden werden.
6
3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements
Die übergeordneten Ziele von SRM sind:
Optimierung der Beziehungen zur gesamten Lieferantenbasis, Reduzierung der Prozesskosten und Durchlaufzeiten für strategische und operative Beschaffungsprozesse,
Reduzierung der Einstandspreise, Erhöhung der Prozessqualität und Erhöhung der Transparenz über materialgruppenbezogene und lieferantenbezogene Ausgaben, Bewertungen und Maßnahmen.
1.3
3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements
Mit welchen Konzepten lassen sich Beschaffungsprozesse sowie das Lieferantenmanagement nun gestalten und somit der Aufbau eines Supplier Relationship Managements unterstützen? In Theorie und Praxis zum Beschaffungsmanagement wird bezüglich der Beschaffungsprozesse zwischen den bereits erwähnten strategischen und operativen Beschaffungsprozessen unterschieden. Bei den nachfolgenden Überlegungen wird diese Prozesssicht kombiniert mit der im strategischen Management üblichen Differenzierung von Gesamtunternehmensstrategie und Geschäftsfeldstrategie (vgl. exemplarisch Hungenberg 2008, S.15f.). Das Pendant der Geschäftsfelder stellen auf der Beschaffungsseite die Materialgruppen dar. Es ergibt sich daraus das 3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements bestehend aus der Beschaffungsgesamtstrategie, dem strategischen Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene und dem operativen Beschaffungsprozess. (vgl. Abbildung 1-2). Auch auf der Inputseite ist zunächst aus einer übergreifenden Perspektive heraus eine Beschaffungsgesamtstrategie zu definieren. Dies ist umso bedeutsamer, je heterogener die Unternehmensstruktur ausgeprägt ist, da nur so den verbreiteten „Geschäftsbereichsalleingängen“ entgegengewirkt und Synergiepotenziale realisiert werden können. Beispielsweise beschaffte bei ABB jedes der 120 Transformatorenwerke sein benötigtes Kupfer unabgestimmt in Eigenregie (vgl. Müller 2004a, S.56). Um solchen Missständen entgegenzuwirken, sind zunächst die gemeinsamen Ziele der beteiligten dezentralen Beschaffungseinheiten zu entwickeln. Darauf aufbauend ist im nächsten Schritt der Beschaffungsgesamtstrategie eine strategische Analyse durchzuführen (vgl. Kapitel 3). Differenziert wird hier in die externe und interne Analyse. Die externe Analyse untersucht die Beschaffungsmärkte sowie die Lieferantenstruktur, die interne Analyse betrachtet die Stärken und Schwächen der Einkaufsorganisation sowie die zu beschaffenden Materialgruppen.
7
1.3
1
Einleitung
Abbildung 1-2:
3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements
Beschaffungsgesamtstrategie (Ebene 1)
Zielbildung
Strategische Analyse
Strategieformulierung
Strategieimplementierung
Strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene (Ebene 2)
Vorbereitung
Anbahnung
Vereinbarung
Operativer Beschaffungsprozess (Ebene 3)
Bedarfsermittlung
Bestellung
Abwicklung
Als Ergebnis und somit als Ausgangspunkt für die nächste Phase der Strategieformulierung (vgl. Kapitel 4) erfolgt häufig die Klassifizierung von Materialien und Lieferanten im Rahmen von Portfoliodarstellungen. Diesen können Normstrategien wie „Effizient beschaffen“ oder „Partnerschaften aufbauen“ zugeordnet werden (vgl. Wildemann 2002, S.550ff.). Hierbei werden für einzelne Portfoliofelder aus einer materialgruppenübergreifenden Sichtweise grundsätzliche Handlungsempfehlungen bezüglich der Ausprägung der Supplier Relations gegeben. Innerhalb der dritten Phase, der Strategieimplementierung, wird schließlich beschrieben, wie die Umsetzung der definierten Strategien realisiert werden kann (vgl. Kapitel 5). Den Geschäftsfeldern auf der Outputseite entsprechen auf der Inputseite die schon angesprochenen Materialgruppen, so dass auf der zweiten Ebene der strategische Beschaffungsprozess für die jeweilige Materialgruppe zu gestalten ist. Hier geht es jetzt darum, bei einzelnen Materialgruppen, wie z.B. dem oben angesprochenen Kupfer bei ABB, systematisch und geplant vorzugehen und zu optimieren. Dabei werden in der Vorbereitungsphase der genaue Bedarf an Materialien einer Warengruppe analysiert und erste Festlegungen zur Zusammenarbeit mit den Lieferanten getroffen. Diese Aktivitäten stehen in enger Verbindung mit der Anbahnungsphase, in der nach geeigneten Lieferanten und Produkten gesucht wird. In der Vereinbarungsphase
8
3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements
werden von den Lieferanten abgegebene Angebote verglichen und bewertet sowie dezidierte Preisverhandlungen durchgeführt. Zum Schluss erhalten ein oder mehrere Lieferanten Rahmenverträge für die betrachtete Materialgruppe und es wird festgelegt, wie eng und über welche Prozesse mit diesen Lieferanten zusammengearbeitet werden soll. Das beschriebene Vorgehen setzt auf den Ergebnissen der Gesamtbeschaffungsstrategie auf. So wird z.B. eine Normstrategie wie „Effizient beschaffen“ durch die Auswahl nur eines Lieferanten für die entsprechende Materialgruppe (Single Sourcing) unterstützt. Die konkrete Realisierung der Materialgruppenstrategien im Tagesgeschäft ist im Rahmen der operativen Beschaffungsprozesse zu leisten, die die dritte Ebene des Modells darstellen. In der Praxis ist für die operativen Prozesse eine Vielzahl verschiedener Beschaffungsmodelle denkbar; so sind z.B. Vorratsbeschaffung, Just-in-time Beschaffung, Katalogbeschaffung oder Dienstleistungsbeschaffung zu unterscheiden. Gemeinsam haben diese Varianten, dass sie alle mit einer Bedarfsermittlung beginnen. Diese kann als periodisch durchgeführte Disposition ablaufen oder erst im konkreten Bedarfsfall durchgeführt werden. Nachdem der Bedarf feststeht, erfolgt die Bestellung, die auf unterschiedliche Weise dem Lieferanten übermittelt werden kann. Im letzten Schritt der Abwicklung werden Bestellüberwachung, Lieferung, Rechnungsprüfung und Zahlung zusammengefasst. Im Rahmen des vorliegenden Buches wird das 3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements konkret mit Inhalten gefüllt. Hierzu werden die jeweiligen Prozesse bzw. Prozessvarianten sowie die unterstützenden Informationstechnologien detailliert beschrieben. Ein grundlegender Überblick zum Status quo der ITUnterstützung im Supplier Relationship Management findet sich im Kapitel 2. Einen Schwerpunkt des Buches bildet die Darstellung von Optimierungspotentialen durch IT-basierte Reorganisation der einzelnen Teilprozesse. Diese Reorganisation stellt eine wichtige Grundlage für das Supplier Relationship Management dar, bei dem mit den Lieferanten über optimierte und standardisierte Prozesse zusammengearbeitet werden soll. Entlang des 3-Ebenen-Modells wird hierzu pro Ebene und Prozessschritt aufzeigt, welche Aktivitäten durchzuführen sind, um eine konsequente Beschaffungsoptimierung durch Supplier Relationship Management zu realisieren. Dieses Vorgehen soll sowohl von Unternehmen für die Beschaffungsoptimierung angewendet als auch an Hochschulen in der anwendungsorientierten Lehre eingesetzt werden. Weitere gesamthafte Ansätze eines strategischen Beschaffungsmanagements beschreiben Wildemann mit der Einkaufspotenzialanalyse (vgl. Wildemann 2000, S.23ff.), Rüdrich/Kalbfuß/Weißer mit dem Konzept des Materialgruppenmanagements (vgl. Rüdrich/Kalbfuß/Weißer 2004, S.11ff.), Pfohl/Large mit Lieferanten- und Kooperationsstrategien (vgl. Pfohl/Large 2003, S.432ff.), Jahns mit dem Supply Management Navigator (vgl. Jahns 2003a, S.34f.), Heß mit der 15M-Architektur (vgl. Heß 2008, S.39ff.) sowie Rast mit dem Prozessrahmen (vgl. Rast 2008, S.162).
9
1.3
1
Einleitung
1.4
Systematische Ableitung von Supplier Relations
Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Definition für SRM abgeleitet und ein Gesamtmodell dazu entwickelt wurde, soll nun auf den Begriff der Supplier Relation eingegangen werden. Eine genaue Klärung dieses Begriffs ist erforderlich, um zu verstehen, an welchen Stellen ein Supplier Relationship Management aufsetzen muss. Eine Supplier Relation ist die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen abnehmendem Unternehmen und Lieferanten. Diese kann reichen von
eng bis weit, vertrauensvoll bis skeptisch, partnerschaftlich bis gegeneinander, kurzfristig bis langfristig, effizient bis ineffizient, direkt bis indirekt und von papierbasiert bis elektronisch. Diese Aufzählung von Merkmalen einer Lieferantenbeziehung soll im Folgenden systematisch durch einen konzeptionellen Rahmen beschrieben werden. Zunächst wird das Profil einer konkreten Supplier Relation durch eine Reihe übergeordneter Merkmale bestimmt, die in Abbildung 1-3 im Überblick dargestellt werden. Sechs Schwerpunkte sind hier in verschiedene Merkmale unterteilt. Dabei wird eine Unterscheidung vorgenommen zwischen allgemeinen und prozessbezogenen Merkmalen. Weiterhin kann zwischen Merkmalen mit direktem und Merkmalen mit indirektem Einfluss auf die Supplier Relation unterschieden werden. Die Detailerläuterungen zu den Merkmalen, zu ihren Wechselbeziehungen und ihren möglichen Ausprägungen erfolgen in den Kapiteln 4 bis 7. Nachfolgend werden zum besseren Gesamtverständnis vorab Kurzerläuterungen zu den allgemeinen und prozessbezogenen Merkmalen gegeben.
10
Systematische Ableitung von Supplier Relations
Abbildung 1-3:
Merkmale von Supplier Relations im Überblick GFSR-Modell (General Features of Supplier Relations) Allgemeine Supplier Relations
Lieferantenbasis Geographische Struktur Lieferantenanzahl
Lieferant
Vertikale Kooperationsintensität Wertschöpfungsleistung Entwicklungseinbindung
Materialgruppe Materialstandardisierungsgrad Mengenbündelungsgrad
Horizontale Kooperationsintensität Partnereinbindung Dienstleisternutzung
Supplier Relation
Strategischer Beschaffungsprozess Ausschreibungsprozess Preisverhandlung
Beschaffendes Unternehmen
Operative Beschaffungsmodelle Für direkte Materialien Für indirekte Materialien und Dienstleistungen
Prozessbezogene Supplier Relations PFSR-Modell (Process Features of Supplier Relations) Indirekter Einfluss auf die Supplier Relation Direkter Einfluss auf die Supplier Relation
Zunächst wird auf die allgemeinen Merkmale von Supplier Relations im Rahmen des GFSR-Modells (General Features of Supplier Relations) eingegangen. Dem Schwerpunkt Lieferantenbasis lassen sich die beiden Merkmale geographische Struktur und Lieferantenanzahl zuordnen. Die geografische Struktur definiert die regionale Herkunft der Lieferanten, d.h. betrachtet man den weltweiten Beschaffungsmarkt (Ausprägung Global Sourcing) oder kauft man bei den Lieferanten vor Ort ein (Ausprägung Local Sourcing). Das Merkmal Lieferantenanzahl beschreibt, wie viele Lieferanten für die Versorgung in einer speziellen Materialgruppe eingesetzt werden. Unterschieden wird hier zwischen der Konzentration auf wenige, im Grenzfall einen Lieferanten (Ausprägung Single Sourcing), und der Nutzung einer Vielzahl an Lieferanten (Ausprägung Multiple Sourcing). Die vertikale Kooperationsintensität ist der zweite Schwerpunkt zur Beschreibung der Supplier Relation. Betrachtet wird hier, in welchem Umfang Lieferanten in die Produktentwicklung mit einbezogen werden (Entwicklungseinbindung) sowie der Umfang der durch die Lieferanten erbrachten Wertschöpfung (Wertschöpfungsumfang). Diese beiden Merkmale spielen auch im Hinblick auf die individuelle Lieferantenbeziehung eine wichtige Rolle. Insgesamt üben die vier Merkmale der beiden genannten Schwerpunkte einen direkten Einfluss auf die Supplier Relation aus.
11
1.4
1
Einleitung
Eine Supplier Relation wird immer geprägt durch die zu beschaffenden Materialien bzw. Materialgruppen und damit letztendlich auch durch das Management der Materialgruppen. Das Merkmal Standardisierungsgrad beschreibt, inwieweit über eine Standardisierung der Materialien Lieferantenbeziehungen optimiert werden können. Das zweite Merkmal der Mengenbündelung zielt auf die Zusammenfassung von Materialbedarfen und die anschließende gebündelte Vergabe an den Lieferanten ab. Lieferantenbeziehungen können auch durch das Einbinden von Partnern in den Beschaffungsprozess optimiert werden (horizontale Kooperationsintensität). Dies kann zum einen durch den gemeinschaftlichen Einkauf von Unternehmen (Partnereinbindung), zum anderen durch die Nutzung von Beschaffungsdienstleistern realisiert werden. Die beiden Schwerpunkte Materialgruppe und horizontale Kooperationsintensität haben indirekten Einfluss auf die Supplier Relation. So wird z.B. durch die Standardisierung einer Materialgruppe nicht automatisch die Lieferantenbeziehung geändert. Die Standardisierung schafft aber die Voraussetzung hierfür. Nach einer Standardisierung kann häufig die Anzahl der Lieferanten stark reduziert und zu den verbleibenden Lieferanten die Beziehung effizienter gestaltet werden. Im Weiteren sollen im Rahmen des PFSR-Modells (Process Features of Supplier Relations) nun die prozessbezogenen Merkmale von Supplier Relations beschrieben werden. Bei diesen Merkmalen geht es darum, wie der konkrete Beschaffungsvorgang im Zusammenspiel mit dem Lieferanten abgewickelt wird. Dabei wird unterschieden zwischen dem strategischen Beschaffungsprozess und dem operativen Beschaffungsmodell. Für den strategischen Beschaffungsprozess wird die Supplier Relation stark durch die Abwicklungsform des Ausschreibungsprozesses sowie die Abwicklungsform der Preisverhandlung bestimmt. Beide Abwicklungsformen können sowohl konventionell als auch internetgestützt ausgeprägt werden. Die Art und Weise der Zusammenarbeit und damit die Supplier Relation wird hierdurch wesentlich bestimmt. Beim operativen Beschaffungsmodell wird zwischen Modellen für direkte Materialien und Modellen für indirekte Materialien und Dienstleistungen unterschieden. Die Ausprägungen dieser Modelle (Vorratsbeschaffung, Just-in-time Beschaffung, Katalogbeschaffung etc.) legen fest, wie die Aktivitäten der Nachschubversorgung auf Kunde und Lieferant verteilt werden und determinieren somit wesentlich und direkt die Art und Weise der Zusammenarbeit und damit die Supplier Relation. Abschließend sei für das weitere Buch noch einmal klar auf die hier verwendete Terminologie bezüglich der Supplier Relations hingewiesen: Ein Merkmal einer Supplier Relation beschreibt einen Teilaspekt einer Lieferantenbeziehung. Als Beispiel kann die „Geografische Struktur“ genannt werden. Logisch zusammengehörende Merkmale werden zu Schwerpunkten zusammengestellt. So bilden z.B. die Merkmale „Geografische Struktur“ und „Lieferantenanzahl“ den Schwerpunkt „Lieferantenbasis“. Ein einzelnes Merkmal kann verschiedene Ausprägungen haben. Das Merkmal „Geografische Struktur“ hat z.B. die Ausprägungen „Global Sourcing“ und „Local Sourcing“. Für die Ausprägung der Merkmale können Kriterien aufgestellt werden. Kriterien für die Ausprägung des Merkmals „Geografische Struktur“ sind z.B. die Standorte mögli-
12
Systematische Ableitung von Supplier Relations
cher Lieferanten, Transportkosten und auch die Sprachkenntnisse der Einkaufsmitarbeiter. Werden für eine konkrete Supplier Relation alle Merkmale ausgeprägt, so wird diese hierdurch umfassend beschrieben. Im Weiteren werden die allgemeinen bzw. die prozessbezogenen Merkmale von Supplier Relations auch vereinfacht als allgemeine bzw. prozessbezogene Supplier Relations bezeichnet. Wie sollte ein Unternehmen nun bei der Ausgestaltung der Beziehungen zu seinen Lieferanten konkret vorgehen? Das vorliegende Buch zeigt einen am 3-Ebenen-Modell (vgl. Abbildung 1-4) orientierten Weg auf, der im Folgenden zunächst kurz skizziert und anschließend in den weiteren Kapiteln des Buches dann im Detail beschrieben wird. Auf der Ebene 2 des 3-Ebenenmodells werden im ersten Schritt der Vorbereitung die allgemeinen Merkmale der Supplier Relations für die einzelnen Warengruppen ausgeprägt, d.h. hier wird anhand der in der Strategieformulierung aufgestellten Kriterien entschieden, wie materialgruppenbezogen die Beziehungen zu den Lieferanten auszugestalten sind. Beispielsweise wird hier für eine Materialgruppe festgelegt, dass sie mit Hilfe eines Dienstleisters beschafft wird. Diese Festlegung erfolgt auf Basis der in Ebene 1 definierten Kriterien. Ferner wird aus den in Ebene 1 vorselektierten Providern ein konkreter für die Beschaffung der betrachteten Materialgruppe ausgewählt. Die prozessbezogenen Merkmale der Supplier Relations müssen von der logischen Abfolge in der Strategieformulierung auf Ebene 1 bearbeitet und ausgeprägt sowie in der Strategieimplementierung umgesetzt werden. Am Beispiel des Merkmals Beschaffungsmodell für direkte Materialien sieht dies dann z.B. wie folgt aus. In der Strategieformulierung wird festgelegt, dass das Unternehmen für die Beschaffung von direkten Materialien Vorratsbeschaffung, Vendor Managed Inventory und Standardteilemanagement einsetzen will. In der Strategieimplementierung werden die entsprechenden Beschaffungsprozesse dann im Detail definiert und in Form eines Projekts im Unternehmen umgesetzt.
13
1.4
1
Einleitung
Abbildung 1-4:
Vorgehen beim Supplier Relationship Management
Beschaffungsgesamtstrategie (Ebene 1) Zielbildung
Strategische Analyse
- Strategische Vorarbeiten zur Optimierung der SRs
Strategieformulierung - Bearbeitung, ggf. grundsätzliche Ausprägung der allgemeinen SRs - Bearbeitung und Ausprägung der prozessbezogenen SRs
Strategieimplementierung - Vorarbeiten zur Umsetzung ausgewählter allgemeiner SRs - Umsetzung prozessbezogener SRs
Strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene (Ebene 2) Anbahnung
Vorbereitung - Detailausprägung der allgemeinen SRs - Umsetzung ausgewählter allgemeiner SRs
Vereinbarung
- Umsetzung ausgewählter allgemeiner SRs - Anwendung der prozessbezogenen SRs zum strategischen Beschaffungsprozess
Operativer Beschaffungsprozess (Ebene 3) Bedarfsermittlung
Bestellung
Abwicklung
- Anwendung der prozessbezogenen SRs zum operativen Beschaffungsmodell SRs = Supplier Relations
Die Anwendung der prozessbezogenen Supplier Relations und damit die Abwicklung der entsprechenden Beschaffungsprozesse erfolgt anschließend auf den Ebenen 2 und 3 des 3-Ebenen-Modells. In den Schritten Anbahnung und Vereinbarung werden durch die Anwendung der entsprechenden Prozesse gleichzeitig viele allgemeine Supplier Relations umgesetzt. So werden mit der Abwicklung der Ausschreibung und der Preisverhandlung z.B. Global und/oder Single Sourcing umgesetzt. Da bei diesen prozessbezogenen Merkmalen der Supplier Relation sehr stark auf die Beschreibung der Anwendung der verschiedenen Varianten strategischer und operativer Beschaffungsprozesse eingegangen wird, erfolgt die Darstellung der Merkmale abweichend von der logischen Abfolge erst in den Ebenen 2 und 3 bzw. den entsprechenden Kapiteln 6 und 7.
14
IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
2.1
IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
2.1.1
Überblick
Die IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen wird in Abbildung 2-1 grafisch dargestellt. Sie umfasst die für das Thema Beschaffung relevanten Anwendungssysteme. Nur wenige Unternehmen haben jedoch alle dargestellten Systeme im Einsatz. Die Basisarchitektur soll als Referenzrahmen dienen für Unternehmen, die ihren ITEinsatz in der Beschaffung prüfen und ggf. erweitern wollen. Dabei ist wegen der besseren Übersichtlichkeit davon abstrahiert worden, dass in großen Konzernen Systeme wie z.B. das ERP-System oder das Data Warehouse-System auch mehrfach vorkommen können. In den nachfolgenden Abschnitten werden die einzelnen Systeme der Basisarchitektur zunächst grob dargestellt. Die weiteren Kapitel des Buchs gehen dann im Detail auf die Anwendung dieser Systeme und die von ihnen abgebildeten Prozesse ein.
2.1.2
ERP-Systeme
In nahezu allen Unternehmen wird gegenwärtig der Beschaffungsbereich durch IT unterstützt. Diese Unterstützung kann in der einfachsten Form durch Office-Produkte oder kleine Standardsoftwarepakete für die Materialwirtschaft erfolgen. Bei etwas größeren Unternehmen sind die Lösungen für den Bereich der Materialwirtschaft in ein Enterprise Resource Planning-System (ERP-System) integriert, das den ersten Baustein in der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen darstellt (vgl. Abbildung 2-1). ERP-Systeme sind modular aufgebaute, integrierte Standardsoftwaresysteme, die die operativen Prozesse in allen wesentlichen betrieblichen Funktionsbereichen unterstützen. Alle Module greifen auf eine einheitliche Datenbank zu, wodurch die Abwicklung von abteilungsübergreifenden Geschäftsprozessen vereinfacht wird. Als Standardsoftware sind ERP-Systeme auf Allgemeingültigkeit und mehrfache Nutzung ausgelegt. Die Anpassung an betriebsspezifische Besonderheiten erfolgt über das sogenannte Customizing (vgl. Stahlknecht/Hasenkamp 2005, S.326ff; Gluchowski et. al. 2008, S.6ff.).
15 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
2.1
16
Document Access
Rech- Material- Prowirtnungsdukwesen- schafts- tionsbelege belege belege
... ... ...
Vertriebsbelege
Document Management-System
Desktop Purchasing-System
Produktion
... ... ...
Vertrieb
Master Data Management-System
Workflow Management-System
Plan Driven Purchasing
Rech- Materialnungswirtwesen schaft
ER P XML/E DI
Supplier Management
Quality Management
Commodity Management
ER P
Große Lieferanten Lie
Spend Analysis
Rech- Material- Pronungswirtdukwesen- schafts- tionsdaten daten daten
... ... ...
Vertriebsdaten
Data Warehouse-System
e-Collaboration
operativ
Contract Management
Supplier Self Service
Spend Analysis
strategisch
Enterprise Resource Planning-System
e-Supplier Directory
e-RFx e-Auction
Browser
Supplier Portal
Browser
Internet
Supplier Relationship Management-System
Browser
Portal-System
Browser
Internet/Intranet
Mitarbeiter Portal
Browser
Intranet
Kleine Lieferanten n
Abbildung 2-1:
e-Catalogue-System
Browser
Mitarbeiter
2 IT-Unterstützung in der Beschaffung
IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
Zum Funktionsumfang des materialwirtschaftlichen Moduls eines ERP-Systems gehören üblicherweise Materialanforderung und Freigabe, Angebotseinholung und –vergleich, Bestellabwicklung, Auswertungen, Rechnungsprüfung, Rechnungsbuchung sowie Bestandsführung und Disposition. In vielen Bereichen besteht hierbei eine enge Verzahnung mit den Modulen für die Produktionsplanung/-steuerung und für das Rechnungswesen. Einen Schwerpunkt in ERP-Systemen stellt häufig die Unterstützung von Plan Driven Purchasing dar. Hierunter versteht man die geplante, in regelmäßigen Abständen, meistens unter Berücksichtigung des Produktionsprogramms und aktueller Bestände durchgeführte Beschaffung für direkte Materialien (vgl. Eyholzer et al. 2002, S.71). Detaillierte Ausführungen zum Einsatz von ERP-Systemen in der Beschaffung enthalten die Kapitel 6 und 7.
2.1.3
Data Warehouse-Systeme
Zur IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen gehört in größeren Unternehmen als zweiter Baustein ein Data Warehouse-System. In einem Data Warehouse-System werden die Daten aus verschiedenen internen operativen Informationssystemen sowie ggf. weiteren externen Quellen zusammengeführt. Es verfügt über Werkzeuge, die insbesondere mehrdimensionale Auswertungen effizient unterstützen. Eine solche Auswertung ist z.B. das Beschaffungsvolumen, in den Dimensionen Zeiträume, Materialgruppen und Lieferanten. Im Gegensatz zu ERP-Systemen, die die operativen Prozesse im Fokus haben und auch als Transaktionssystem oder Online Transaction Processing-System (OLTP) bezeichnet werden, konzentrieren sich Data WarehouseSysteme, auch Online Analytical Processing-Systeme (OLAP) genannt, auf strategische Auswertungen. Im Unterschied zu den herkömmlichen Datenmodellen der operativen Systeme sind die Datenmodelle bzw. Datenbanken von Data WarehouseSystemen auf kurze Antwortzeiten auch bei komplexen Abfragen auf großen Datenmengen ausgelegt. Bei den operativen Systemen stehen hingegen die Konsistenzerhaltung der Datenbank und die Koordination von konkurrierenden Zugriffen im Vordergrund (vgl. Chamoni/Gluchowski 2006, S.145ff; Gluchowski et. al. 2008, S.6ff; Chamoni 1998, S. 18 und Hansen/Neumann 2009, S.1026). Für die Beschaffung sind Data Warehouse-Systeme insbesondere bei Unternehmen mit mehreren ERP-Systemen von großer Bedeutung. Für diese können sie z.B. weltweite Beschaffungsdaten zusammenführen und übergreifend auswerten. Data WarehouseSysteme stellen somit eine wichtige Grundlage für die vielfach angestrebte, gesamthafte Analyse aller einkaufsbezogenen Ausgaben dar. In diesem Kontext wird auch der Begriff Spend Analysis oder Global Spend Analysis verwendet. Voraussetzung für solche Analysen sind konsolidierte Stammdaten. Die Konsolidierung kann entweder direkt im Data Warehouse-System oder mit einem Master Data Management-System vorgenommen werden (vgl. Abschnitt 2.4.3). Genau wie bei ERP-Systemen ist der
17
2.1
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
Einsatz von Data Warehouse-Systemen nicht auf die Beschaffung begrenzt. Vielmehr können hier auch die Daten aus anderen Unternehmensbereichen wie z.B. dem Vertrieb ausgewertet werden. Detaillierte Ausführungen zum Einsatz von Data Warehouse-Systemen in der Beschaffung enthält Abschnitt 2.4.2 und Kapitel 3, Abschnitt 3.5.1.2.4.
2.1.4
SRM-Systeme
2.1.4.1
Grundlagen und Abgrenzung zu ERP-Systemen
Auf der Internettechnologie basierende und dementsprechend über einen Browser zu bedienende Beschaffungstools sollen im Weiteren als SRM-Tools bezeichnet werden. Sie werden unter dem Begriff SRM-System zusammengefasst und stellen den dritten Baustein in der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen dar. In Abschnitt 1.2 wurde darauf hingewiesen, dass inzwischen herkömmliche und internetgestützte Beschaffungssysteme unter dem Begriff SRM zusammengefasst werden. Zwecks einer klaren Differenzierung werden die Begriffe SRM-System im weiteren und im engeren Sinn unterschieden. Ein SRM-System im engeren Sinn soll dabei die oben beschriebene Zusammenfassung von SRM-Tools sein. Unter einem SRM-System im weiteren Sinn hingegen soll die gesamte IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen verstanden werden (vgl. Abbildung 2-1). Wird im weiteren Verlauf von einem SRMSystem gesprochen, ist der engere Begriff gemeint, soweit nicht anders erwähnt wird. Sowohl in der Praxis als auch in der Literatur werden die SRM-Systeme im engeren Sinn auch als Supplier Portale, Einkaufsportale oder SRM-Portale bezeichnet (vgl. Heß et.al. 2010, S. 122; Schweiger et. al. 2009, 57ff.). Die Funktionalitäten von SRM-Systemen stellen einerseits eine Erweiterung von ERPSystemen dar. Andererseits überschneiden sich die beiden Systeme aber auch in einem Teil ihrer Funktionalitäten. So können z.B. auch mit SRM-Tools Ausschreibungen und Bestellungen abgewickelt werden. Die SRM-Tools bieten im Unterschied zu ERPSystemen aber eine einfachere Anbindung der Lieferanten über das Internet an. Das bedeutet z.B. im Fall von elektronischen Ausschreibungen, dass die Lieferanten ihre Angebote über einen einfachen Webbrowser direkt in das SRM-System des beschaffenden Unternehmens einpflegen können. Im Fall von Bestellungen können diese über einen Browser heruntergeladen und Auftragsbestätigungen oder Rechnungen vom Lieferanten in das SRM-System des Kunden eingepflegt werden. Die Abgrenzung zwischen SRM- und ERP-Systemen kann wie folgt beschrieben werden: SRM-Systeme sind im Gegensatz zu ERP-Systemen grundsätzlich internetfähig und sehen anders als ERP-Systeme an ausgewählten Stellen browser- (internetbasierte) Interaktionen mit dem Lieferanten vor. Ferner besteht ein Unterschied darin, dass ERP-Systeme neben dem Bereich der Beschaffung auch alle anderen betriebswirtschaftlichen Prozesse in einem Unternehmen unterstützen.
18
IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
Eine weitere Art der Anbindung von Lieferanten an das SRM-System, die in erster Linie mit großen Lieferanten realisiert wird, besteht im Aufbau von XML oder EDI Verbindungen (vgl. Abbildung 2-1 bzw. Abschnitt 2.5). Beide Formen ermöglichen eine direkte Anbindung des ERP-Systems des Lieferanten. Diese macht einen elektronischen Belegaustausch zwischen Kunden- und Lieferantensystem möglich. Eine per EDI aus dem Kundensystem übertragene Bestellung wird z.B. automatisch zu einem Auftrag im Lieferantensystem, ohne dass dieser manuell eingreifen muss. Bei der browserbasierten Anbindung sieht das anders aus. Hier muss die vom Lieferanten heruntergeladene Bestellung manuell in das eigene ERP-System eingepflegt werden, es sei denn, der Lieferant hat ein Programm im Einsatz, mit dem er die heruntergeladene Datei in sein System einspielen kann. Die beschriebene XML/EDI Verbindung kann analog auch zwischen dem ERP-System des beschaffenden Unternehmens und dem ERP-System des Lieferanten aufgebaut werden. Weitere Anbindungsformen und Unterschiede der einzelnen Anbindungen werden in Abschnitt 2.5 besprochen. In Abbildung 2-1 werden die zu einem SRM-System gehörenden Tools im Überblick dargestellt (vgl. Eyholzer et al. 2002, S.70ff.). Unterschieden wird hierbei zwischen strategischen und operativen Tools, die die Ebenen 1 und 2 (strategisch) bzw. die Ebene 3 (operativ) des 3-Ebenen-Modells unterstützten (vgl. Abbildung 2-2 in Abschnitt 2.2).
2.1.4.2
SRM-Tools zur Unterstützung des strategischen Beschaffungsprozesses
e-RFx (electronic Request for x) steht für e-RFI (Information), e-RFQ (Quotation) und e-RFP (Proposal). In allen drei Fällen werden Daten von Lieferanten über das Internet eingeholt. Diese Daten reichen von allgemeinen Informationen zum Unternehmen und dessen Produktionsmöglichkeiten beim e-RFI, über die eigentliche Ausschreibung des Beschaffungsbedarfes (e-RFQ) bis zum e-RFP, bei dem der Lieferant eine Problemlösung vorschlagen soll (vgl. Buchholz/Müller 2003, S.34ff.). Bei der Nutzung von e-RFx kann im Rahmen der vorausgehenden Beschaffungsmarktanalyse auf e-Supplier Directories wie z.B. Wer liefert was? zugegriffen werden. Diese über das Internet erreichbaren Verzeichnisse enthalten nach verschiedenen Kategorien sortierte Lieferanten, die als Empfänger der e-RFx berücksichtigt werden können. Alternativ können auch interne Lieferantenverzeichnisse, die im SRM- oder ERP-System abgelegt sind, genutzt werden. Mit e-Auctions lassen sich über das Internet Preisverhandlungen parallel mit einer Vielzahl von Bietern führen. Für die Beschaffung sind hier besonders die Reverse Auctions interessant, bei denen die Bieter einen vorgegebenen Preis sukzessive unterbieten sollen. Detaillierte Ausführungen zum Einsatz der beschriebenen Tools enthält Kapitel 6, Abschnitte 6.2.2.3 und 6.3.2.2.
19
2.1
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
Beim Thema Spend Analysis wird, wie in Abschnitt 2.1.3 schon dargestellt, der Frage nachgegangen wer, was, bei welchem Lieferanten, mit welchem Volumen beschafft hat. Zur Beantwortung dieser Fragen wird als zentrales Auswertungssystem in der Regel das Data Warehouse eingesetzt. Zusätzlich sind, falls vom Data Warehouse nicht bereitgestellt, ergänzende Tools erforderlich, die z.B. Datenveredelungen, Bereinigungen und Transformationen vornehmen. Diese Tools werden entweder von Spezialanbietern oder zunehmend auch von den Anbietern der SRM-Systeme bereitgestellt. Die genaueren Ausführungen hierzu enthält Kapitel 3 mit Abschnitt 3.5.1.2.
Contract Management ist insbesondere für Konzerne mit vielen Tochterunternehmen interessant. Es wird ermöglicht neben „einfachen“ Kontrakten, wie sie aus ERP-Systemen bekannt sind, Zentralkontrakte zu verwalten, aus denen jedes Tochterunternehmen Bestellungen abrufen kann. Diese Zentralkontrakte können übergreifend verhandelte Konditionen wie Rabatte oder Zahlungsbedingungen enthalten, die dann bei lokalen Bestellungen von beliebigen Produkten berücksichtigt werden. Alternativ hierzu können in den Zentralkontrakten auch die Preise für konkrete Materialien aufgeführt sein. Diese gelten dann für alle Tochterunternehmen, die den Kontrakt nutzen. Zentralkontrakte stehen in engem Zusammenhang mit den Tools für Spend Analysis und Master Data Management. Zunächst muss über diese Tools herausgefunden werden, bei welchen Lieferanten für welche Materialien die Bündelungsmöglichkeiten in zentralen Kontrakten bestehen. Detaillierte Ausführungen zum Einsatz des Contract Managements enthält Kapitel 3, Abschnitt 3.5.1.2.2.
Mit dem Tool für das Supplier Management kann eine Vielzahl von unterschiedlichen Funktionen rund um den Lieferanten bereit gestellt werden. Es beginnt mit Funktionen, die die Prozesse der Lieferantenregistrierung, -selbstauskunft und -qualifizierung und somit den Weg vom potentiellen Lieferanten bis zum freigegebenen Lieferanten unterstützen. Weiter geht es mit den Themen Lieferantenbewertung und Lieferantenklassifizierung bei denen das SRM-Tool stark auf die Daten vom ERP- und Data Warehouse-System zugreift. Abschließend können die Ergebnisse von Lieferantenaudits und geplante Maßnahmen zur Lieferantenentwicklung im Supplier Management-Tool mit abgelegt werden. Insgesamt soll ein Lieferantencockpit bereitgestellt werden, dass dem Einkäufer erlaubt, durch wenige Klicks eine integrierte Sicht auf die vielfältigen Informationen zum Lieferanten zu erhalten und ihn zu managen. Detaillierte Ausführungen zum Einsatz der Supplier Management-Tools enthält Kapitel 3, Abschnitt 3.5.3.
Analog zum Supplier Management wird beim Commodity Management mit wenigen Klicks eine integrierte Sicht auf eine Materialgruppe ermöglicht. D.h. die zugehörigen Materialien und Lieferanten inklusive der realisierten Beschaffungsvolumina sowie die Einordnung der Materialgruppe in Portfolios und andere Klassifizierungen sind abrufbar. Damit wird die Basis für die Strategieentwicklung
20
IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
und die für die Materialgruppe zu treffenden Maßnahmen gelegt, die dann ebenfalls mit dem Tool verwaltet werden. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit bestehen, weitere Informationen zur Materialgruppe, etwa zu den Beschaffungsmärkten, den zukünftigen Bedarfen und den Risiken zu hinterlegen. Detaillierte Ausführungen zum IT-gestützten Commodity Management enthält Kapitel 6, Abschnitt 6.1.4.
2.1.4.3
SRM-Tools zur Unterstützung des operativen Beschaffungsprozesses
Mit Desktop Purchasing-Systemen (DPS) können Fachabteilungsmitarbeiter eine Vielzahl von indirekten Materialien wie Büromaterialien, Werkzeuge, Bücher etc. ohne operative Einbindung des Einkaufs beschaffen. Über die DPS wird auf eCatalogue-Systeme zugegriffen, die entweder im Internet oder im Intranet liegen. Diese Systeme enthalten Kataloge von verschiedenen Anbietern mit den oben genannten Materialgruppen. Über eine einheitliche Oberfläche können die Materialien aus den Katalogen selektiert und anschließend direkt bestellt werden. Der Fachabteilungsmitarbeiter kann auf diesem Weg genauso komfortabel wie z.B. bei einem Internetbuchhändler seine Materialien für den indirekten Bereich beschaffen. Ferner besteht die Möglichkeit, im Freitext spezifizierte Bedarfe beim Einkauf anzufordern, und diese vom Einkauf in Bestellungen umsetzen zu lassen. Detaillierte Ausführungen zum Einsatz der beschriebenen Tools enthält Kapitel 7, Abschnitt 7.3.1.5.
Der Supplier Self Service ermöglicht die eigenständige Bearbeitung ausgewählter Vorgänge durch den Lieferanten. Er kann hier einerseits z.B. Bestellungen mit dazugehörigen Anhängen herunterladen. Andererseits können zu einer Bestellung Auftragsbestätigungen und Rechnungen eingepflegt werden. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Pflege der Lieferantenstammdaten durch den Lieferanten. Die in vielen älteren Veröffentlichungen erwähnten Purchasing Homepages stellen ebenfalls eine Schnittstelle zum Lieferanten dar. Häufig werden hier aber nur einfache Up- und Downloadmöglichkeiten von Bestellungen, Anfragen, Bestätigungen, Angeboten etc. ermöglicht. Detaillierte Ausführungen zum Einsatz des Supplier Self Services enthält Kapitel 7, Abschnitte 7.2. und 7.3.
SRM-Tools für e-Collaboration ermöglichen eine enge Zusammenarbeit mit Lieferanten. So wird z.B. im Rahmen des Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) dem Lieferanten Einsicht in die Bestände und Forecasts des Abnehmers gegeben und so eine gemeinsame Planung ermöglicht. Auf Basis der zur Verfügung gestellten Daten kann dann ein Vendor Managed Inventory erfolgen, in dessen Rahmen der Lieferant ohne explizite Bestellung das Kundenlager auffüllt. Detaillierte Ausführungen zum Vendor Managed Inventory enthält Kapitel 7, Abschnitt 7.2.4. Weitere Ausprägungen von e-Collaboration gibt es z.B. beim
21
2.1
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
gemeinsamen Erstellen von Ausschreibungsunterlagen oder bei der Bedarfsbündelung (vgl. Kapitel 6, Abschnitt 6.2.3).
SRM-Tools im Bereich des Quality Managements sind noch recht jung. Die Tools unterstützen z.B. ein Reklamationsmanagement nach der 8D-Methode oder die Qualitätsvorausplanung nach der APQP-Methode (Advanced Product Quality Planning). Mit der 8-D Methode soll durch ein strukturiertes Vorgehen zur Behebung eines Fehlers die Wahrscheinlichkeit für eine Wiederholung minimiert werden. 8D steht für die acht Disziplinen (Prozessschritte), die bei der Abarbeitung einer Reklamation durchzuführen sind. Das SRM-Tool übergibt die im QM-Modul des ERP-Systems angelegte Reklamation dem Lieferanten. Der Lieferant dokumentiert die Abarbeitung der acht Schritte (z.B. Problembeschreibung, Ursachenermittlung, Maßnahmen zur Problembeschreibung, Erstellung 8D-Bericht) im SRM-Tool. Hiermit verfügt das reklamierende Unternehmen immer über den aktuellen Status der Reklamationsbehebung und kann die Einhaltung vorher vereinbarter Zeitvorgaben automatisch überprüfen und ggf. als Input für die Lieferantenbewertung nutzen. Die APQP-Methode stellt ein strukturiertes Vorgehen für Entwicklungsprojekte bereit. Mit Einsatz der APQP-Methode sollen in einem Entwicklungsprojekt alle erforderlichen Schritte rechtzeitig abgeschlossen und die Erfüllung der Kundenanforderungen an ein Produkt sichergestellt werden. SRM-Tools begünstigen das Erreichen dieser Zielsetzung, indem sie eine Plattform bereitstellen, auf der Projekte gemeinsam mit dem Lieferanten abgewickelt werden können. Über diese Plattform soll die Kommunikation zwischen den Beteiligten vereinfacht, der Projektstatus transparent gemacht, Versionskonflikte vermieden und die Zeiteinhaltung überwacht werden. SRM Tools stellen zum Teil auch unabhängig hiervon ganz allgemein Projektmanagementunterstützung für standort- und organisationsübergreifende Projektteams zur Verfügung. Je nachdem ob bzw. wie stark Qualitätsaspekte im Fokus stehen, können solche Tools den Bereichen Quality Management oder Kollaboration von SRM-Systemen zugeordnet werden. Detaillierte Ausführungen und konkrete Beispiele zum Quality Management enthält der Gastbeitrag von SupplyOn in Kapitel 11.
2.1.5
Document Management-Systeme
Als vierter Baustein der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen ist das Document Management-System (DMS) zu nennen. Ein solches System erlaubt das Speichern und Wiederauffinden u.a. von papierbasierten Dokumenten, nachdem diese über einen Scanner in ein elektronisches Dokument umgewandelt worden sind. In Verbindung mit Workflow Management-Systemen sollen DMS helfen, eine enge Verzahnung von formatierten Daten und papiergestützten Dokumenten zu erreichen. So erlauben z.B. Links zwischen einer im DMS abgespeicherten Lieferantenrechnung und der entsprechenden im ERP-System erfassten Rechnung, dass bei Anzeige des formatierten Datensatzes im ERP-System gleichzeitig das eingescannte Rechnungsdokument
22
IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
am Bildschirm erscheint (vgl. Mertens 2009, S.15; Lehner 2008, S.203). Gelegentlich wird zwischen DMS im engeren Sinne und DMS im weiteren Sinne unterschieden. Im engeren Sinne haben DMS das Speichern und Wiederauffinden von Dokumenten im Fokus. Im weiteren Sinne ordnet man den DMS auch Funktionalitäten wie Scannen, Schriftenerkennung, automatische Indizierung sowie Vorgangssteuerung zu (vgl. Götzer 2008 et. al., S.5, S.42, S.80) Im vorliegenden Buch sollen bis auf die Vorgangssteuerung mit DMS die DMS im weiteren Sinne gemeint sein. Bei den Dokumenten wird zwischen CI- (Coded Information) und NCI- (Non Coded Information) Dokumenten unterschieden. Erstere enthalten kodierte, d. h. durch ITSysteme auswertbare Informationen. CI-Dokumente werden bearbeitbar, z.B. als Worddatei abgespeichert. Ein NCI-Dokument hingegen wird als Bild z.B. im TIFFormat abgespeichert. Es kann sich hierbei um ein eingescanntes Papierdokument handeln. Eine Auswertung des Textinhaltes ist erst einmal nicht möglich. Wird das Dokument jedoch mit einer Schrifterkennungssoftware (OCR-Software, Optical Character Recognition) bearbeitet, kann zusätzlich zum ursprünglichen NCI-Dokument ein entsprechendes CI-Dokument erzeugt werden. Beim Indizieren von Dokumenten werden diese mit Attributen versehen, die ein rasches Wiederauffinden und Identifizieren der Dokumente ermöglichen. Das Indizieren kann sowohl manuell als auch automatisch erfolgen (vgl. Götzer et. al. 2008, S.30 und 42ff.). In der Beschaffung stellt das DMS ein wichtiges unterstützendes System für ERP-, SRM- und Workflow Management-Systeme dar, da es verschiedene Dokumente bereitstellt, die diese Systeme benötigen: Z.B. Rechnungen, Angebote, Rahmenverträge, Lieferscheine, Auftragsbestätigungen, Anhänge von Bestellungen wie Zeichnungen, technische Spezifikationen, Datenblätter oder allgemeine Geschäftsbedingungen. Zum Teil könnten die Informationen aus den aufgezählten Dokumenten auch als formatierte Daten in ein ERP- und/oder SRM-System eingepflegt werden. Dies gilt z.B. für interne Dokumente, wie allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Rahmenverträge, die in einem Textdokument erstellt worden sind. Häufig ist es dem Anwender jedoch zu mühsam diese Dokumente in den Transaktionssystemen zu erfassen. Weitere Ausführungen zum Einsatz von Document Management-Systemen enthält Kapitel 7, Abschnitt 7.2.8.2.
2.1.6
Workflow Management-Systeme
Workflow Management-Systeme (WFMS) stellen den fünften Baustein der ITBasisarchitektur dar. Unter Workflow Management (Vorgangssteuerung) versteht man die Steuerung des Arbeitsablaufs zwischen allen an der Bearbeitung eines Geschäftsprozesses beteiligten Personen (vgl. Stahlknecht 2004, S.424). Workflow ManagementSysteme unterstützen die Vorgangssteuerung, indem sie an jedem Arbeitsplatz das zu bearbeitende Dokument und die damit auszuführenden Tätigkeiten direkt am Bildschirm anzeigen. Der Mitarbeiter bekommt hierbei seine durchzuführenden Aktivitä-
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2.1
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
ten als Workitem in den elektronischen Eingangskorb. Das System fordert den Mitarbeiter hiermit auf, bestimmte Aktivitäten durchzuführen. Es steuert somit den Prozess bzw. die beteiligten Mitarbeiter. Das WFMS arbeitet mit dem DMS und ausgewählten Anwendungssystemen zusammen. Die Aufgabenteilung sieht hierbei so aus, dass das DMS die für einen Vorgang benötigten Dokumente (z.B. eine eingescannte Lieferantenrechnung) zur Verfügung stellt, das Anwendungssystem bestimmte Transaktionen durchführt (z.B. Verbuchen einer Rechnung) und das WFMS die Koordination übernimmt. Das WFMS steuert also den Prozess, während das DMS die Dokumente verwaltet und zur Verfügung stellt. Für die Beschaffung haben DMS und WFMS eine hohe Bedeutung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass einerseits papierbasierte Belege wie z.B. Lieferantenrechnungen für die Beschaffungsprozesse eine große Rolle spielen und andererseits die Prozesse häufig Routineprozesse sind, die immer nach dem gleichen Muster ablaufen und deshalb für Workflowunterstützung sehr geeignet sind. Detaillierte Ausführungen und Beispiele zum Einsatz von Workflow Management-Systemen enthält Kapitel 7, Abschnitt 7.2.8.3.
2.1.7
Master Data Management-Systeme
Den sechsten Baustein der IT-Basisarchitektur stellen die Master Data ManagementSysteme (MDM-Systeme) dar. Ihr Ziel ist es, die Stammdaten in verschiedenen Systemen konsistent zu halten und den Aufwand für die Pflege der Stammdaten zu reduzieren (vgl. Loshin 2009, S.9). In der Beschaffung geht es dabei vor allem um die Material- und Lieferantenstammsätze. Diese Stammsätze sind ggf. in mehreren ERPSystemen, den verschiedenen SRM-Tools und im Data Warehouse-System vorzuhalten. In historisch gewachsenen IT-Landschaften besteht hier häufig das Problem, dass die gleichen Stammsätze mit verschiedenen, identifizierenden Schlüsseln in den Systemen hinterlegt sind und die Attributausprägungen nicht vollständig übereinstimmen. So kann z.B. der Materialstammsatz für einen Hammer im System A die Nummer 4711 und die Bezeichnung Hammer und im System B die Nummer HA-4712 und die Bezeichnung Schlagwerkzeug haben. Solche Inkonsistenzen führen z.B. dazu, dass übergreifende Auswertungen nicht möglich sind und Bündelungspotenziale nicht erkannt und ausgeschöpft werden können. Analog gelten diese Ausführungen für Lieferantenstammsätze. Wie können MDM-Systeme hier nun Abhilfe schaffen? MDM-Systeme sind separate, zentrale Stammdatenverwaltungssysteme. Sie ermöglichen das zentrale Anlegen und Pflegen von Stammsätzen sowie deren schnelle und automatisierte Verteilung in die Zielsysteme. Ist beispielsweise ein neuer Material- oder Lieferantenstammsatz anzulegen, so wird dieser zunächst im MDM-System erfasst und von hier aus z.B. in angeschlossene ERP-Systeme und SRM-Tools verteilt. Die Änderung eines Stammsatzes erfolgt analog zunächst im MDM-System und dann per Verteilung in den angeschlos-
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Basisarchitektur von Beschaffungssystemen und 3-Ebenen-Modell des SRM
senen Systemen. Bei bestehenden Stammsätzen muss zunächst eine Konsolidierung vorgenommen werden, d.h. gleiche Stammsätze in verschiedenen Systemen sind zu identifizieren, ggf. zu standardisieren und dann über das MDM-System miteinander zu verbinden (vgl. Legner/Otto 2007, S.567; Heilig/Karch 2007, S.80ff.) Detaillierte Ausführungen zum Einsatz von Master Data Management-Systemen enthält Kapitel 2, Abschnitt 2.4.3.
2.1.8
Portal-Systeme
Als letzter Baustein der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen sind die PortalSysteme zu nennen. Unter einem Portal wird im Allgemeinen ein Zugang verstanden. In der IT bezeichnet ein Portal den strukturierten Zugang zu Informationen und Systemen über eine Weboberfläche. Portal-Systeme sollen der Informationsfragmentierung entgegenwirken, die aufgrund einer zunehmenden Anzahl von Informationssystemen immer stärker wird (vgl. Lehner et al. 2008, S.203). Sie ermöglichen z.B. den Single Sign On für Benutzer, die mit mehreren IT-Systemen arbeiten, d.h. der Anwender loggt sich einmal in das Portal ein und kann dann auf alle für ihn relevanten Systeme und Informationen direkt zugreifen. Häufig erfolgt hierbei auch eine entsprechende Personalisierung, d.h. der Benutzer bekommt nach dem Einstieg ins Portal nur die Transaktionen der angebundenen Systeme angezeigt, die für ihn relevant sind und für die er die Berechtigung besitzt. Für den Benutzer ist ggf. nicht mehr erkennbar, in welchem System er arbeitet. Für ihn entsteht der Eindruck, dass er in einem System arbeitet und alle Informationen aus einer Quelle stammen. Im betrachteten Fall ist das Portal für die Mitarbeiter (Mitarbeiter Portal) des beschaffenden Unternehmens und für die Lieferanten (Supplier Portal) der Zugang zu ausgewählten Transaktionen der bereitgestellten Beschaffungssysteme. Ein Einkäufer wird auf viele verschiedene Transaktionen der bereitgestellten Systeme zugreifen können, während ein Lieferant ggf. nur auf den Supplier Self Service sowie die Kollaborations- und e-RFx-Tools zugreifen kann.
2.2
Basisarchitektur von Beschaffungssystemen und 3-Ebenen-Modell des SRM
Die vorausgegangene Beschreibung der IT-Basisarchitektur zeigt auf, welche Komplexität der IT-Einsatz in der Beschaffung hat, wenn man alle aktuell zur Verfügung stehenden IT-Systeme einsetzen möchte. Neben der Vielzahl der Systeme kommt erschwerend hinzu, dass einige Funktionalitäten von mehreren Systemen angeboten werden. So können z.B. Auswertungen sowohl im ERP- als auch im SRM- und Data Warehouse-System durchgeführt werden. Ähnlich sieht es mit der Bestellabwicklung
25
2.2
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
oder mit der Angebotseinholung aus. Beides wird sowohl vom ERP- als auch vom SRM-System unterstützt. Diese Sachverhalte werfen eine Reihe von Fragen auf:
Welche (Teil-) Prozesse werden in welchem IT-System abgewickelt? Wie weit müssen diesbezügliche Entscheidungen in Abhängigkeit von den Eigenschaften der zu beschaffenden Materialgruppen oder auch von dem Verhältnis zu den Lieferanten getroffen werden?
In welchen Systemen werden welche Stamm- und Bewegungsdaten gehalten? Wie weit werden Redundanzen zugelassen?
Welcher Baustein der beschriebenen Gesamtarchitektur stellt das führende System dar? Für die aufgelisteten Fragen werden im vorliegenden Buch sukzessive Antworten entwickelt, um im Kapitel 8 dann verschiedene sinnvolle SRM-Landkarten darzustellen, die aufzeigen, wie Beschaffungsprozesse und IT in Abhängigkeit von den betrachteten Materialgruppen optimal zusammenwirken können. Einen ersten Eindruck, welche (Teil-) Prozesse in welchem System abgewickelt werden, liefert Abbildung 2-2. Ein Teil der vorgestellten Bausteine der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen bzw. einzelne SRM-Tools werden hier in vereinfachter Form mit dem 3-Ebenen-Modell der Beschaffung in Verbindung gebracht. Abbildung 2-2 zeigt auf, wie die Zuordnung zu den einzelnen Prozessschritten, Prozessen und Ebenen aussieht. Ohne die in den Kapiteln 6-8 beschriebenen Details vorwegzunehmen, kann man hier bereits sehen, dass die strategische Beschaffung (Ebene 1 und 2) durch verschiedene SRM-Tools und das Data Warehouse-System unterstützt wird. Die operative Beschaffung (Ebene 3) wird sowohl durch das ERP-System als auch durch verschiedene SRM-Tools getragen. Das Document Management-System stellt seine abgespeicherten Dokumente den Prozessen der Ebenen 2 und 3 zur Verfügung. Ähnliche Zuordnungen wie in Abbildung 2-2 finden sich z.B. bei Wirtz/Kleineicken (vgl. 2003, S.250ff.), Buchholz/Müller (vgl. 2003, S.32ff.), Eyholzer (vgl. 2002, S.70) oder Allweyer (vgl. 2003, S.36ff.).
26
Implementierung der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
Abbildung 2-2:
Unterstützung der Beschaffungsprozesse durch IT
Beschaffungsgesamtstrategie (Ebene 1) Spend Analysis
Zielbildung
Strategieimplementierung
Strategieformulierung
Strategische Analyse
Strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene (Ebene 2) Supplier Management Document Access Spend Analysis, Commodity Management
e-RFx, e-Supplier Directory
Vorbereitung
e-Auction, Contract Management
Anbahnung
Vereinbarung
Operativer Beschaffungsprozess (Ebene 3) Plan Driven Purchasing Desktop Purchasing-System, e-Catalogue-System Supplier Self Service e-Collaboration
Quality Management Document Access
Bedarfsermittlung
Bestellung
Abwicklung
2.3
Implementierung der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
2.3.1
Unternehmensindividuelle Implementierungen
Die in Abschnitt 2-1 dargestellte IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen hat generischen Charakter. Sie beschreibt idealtypisch, was gegenwärtig in einer modernen IT-Landschaft für die Beschaffung enthalten ist. Abstrahiert worden ist hierbei von konkreten Systemen und deren spezifischen Leistungsumfängen und von den vor-
27
2.3
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
handenen, historisch gewachsenen IT-Landschaften der Unternehmen. Die Abbildung 2-1 ist als Basisarchitektur bzw. Referenzrahmen für die Systeme im Bereich der Beschaffung zu sehen, d.h. sie soll einen Überblick und Orientierung hinsichtlich der relevanten Systeme geben. In einem konkreten Unternehmen kann jedoch der Aufbau auch leicht anders aussehen:
Einzelne oder mehrere Systeme der Basisarchitektur können je nach Unternehmensgröße und dem Stellenwert der Beschaffung entfallen.
Handelt es sich bei dem konkreten Unternehmen um einen Konzern, kommen die eingezeichneten Systeme ggf. mehrfach vor. Dies gilt vor allem für die ERP- und die Data Warehouse-Systeme.
Das DMS kann je nach Anbieter schon eine Komponente für das Workflow Management enthalten, womit ggf. das separate WFMS entfällt.
Workflow Management-Funktionalitäten können auch im Portal-System integriert sein.
Für die eigenen Mitarbeiter und die Lieferanten können historisch gewachsen verschiedene Portal-Systeme zum Einsatz kommen.
Die SRM-Tools können im Sinne eines Best-Of-Breed Ansatzes auch von verschiedenen Anbietern kommen, dementsprechend auf separate, eigene Datenbanken zugreifen und somit keine homogene Lösung darstellen.
Individualentwicklungen können Systeme der dargestellten Architektur ersetzen oder auch ergänzen. Wegen des grundsätzlichen Charakters soll auf die Themen Homogenität und Individualentwicklungen genauer eingegangen werden. Das in Abbildung 2-1 dargestellte SRM-System umfasst verschiedene SRM-Tools für die strategische und für die operative Beschaffung. Diese Tools können wie dargestellt alle von einem Anbieter kommen und auf eine zentrale Datenbank zugreifen. In diesem Fall soll von einem homogenen SRM-System gesprochen werden. Alternativ können hier aber auch im Rahmen eines sogenannten Best-of-Breed Ansatzes die SRM-Tools verschiedener Anbieter mit separaten Datenhaltungen zusammengestellt werden. Im ersten Fall hat man mit dem homogenen System den Vorteil, keine Schnittstellen zwischen den verschiedenen SRM-Tools pflegen zu müssen. Im zweiten Fall besteht der Vorteil für den jeweiligen Bereich, das beste Tool zu haben (vgl. Appelfeller 2008, S.6ff.). In vielen Unternehmen gibt es umfassendere Harmonisierungsbestrebungen, die nicht nur ein homogenes SRM-System, sondern darüber hinaus eine möglichst homogene, komplette IT-Landschaft zum Ziel haben. In größeren Unternehmen bedeutet das dann häufig, dass in allen Bereichen, für die es SAP-Produkte gibt, auch SAP eingesetzt wird (vgl. auch Kapitel 8, Abschnitt 8.2).
28
Implementierung der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
Neben der Frage der Homogenität der Systeme stellt sich die Frage, ob Individualsoftware oder Standardsoftware zum Einsatz kommen soll. Individualsoftware umfasst Programme, die für einen konkreten Anwendungsfall eigens erstellt worden sind und die spezifischen Bedingungen in einem einzelnen Unternehmen berücksichtigen. Unter Standardsoftware versteht man Programme, die auf Allgemeingültigkeit und mehrfache Nutzung hin ausgelegt sind und dementsprechend in mehreren Unternehmen eingesetzt werden können (vgl. Hansen 2009, S.259f.). Während Individualsoftware den Vorteil hat, besser auf die Bedürfnisse des eigenen Unternehmens zugeschnitten werden zu können, sind die Vorteile von Standardsoftware u.a. schnellere Verfügbarkeit, geringere Kosten und sofern die Software schon länger im Einsatz ist, auch eine höhere Fehlerfreiheit (vgl. Gadatsch 2008, S.346ff. für weitere Vor- bzw. Nachteile). Im Bereich der Beschaffung setzen die meisten Unternehmen Standardsoftware ein. Dies ist nicht erstaunlich, da für sämtliche Bausteine der Basisarchitektur der Beschaffung zahlreiche Standardsoftwaresysteme am Markt erhältlich sind. Zum Teil trifft man allerdings auch auf Individualentwicklungen. Dies kann zum einen der Fall sein, wenn Unternehmen frühzeitig SRM-Funktionalitäten für ihr Unternehmen nutzen wollten, die in der gewünschten Form am Markt nicht verfügbar waren. D.h. die Systeme waren (noch) nicht in der Lage, die spezifischen Prozesse der Unternehmen abzubilden. Darüber hinaus treten in Unternehmen zum Teil kleinere, auf Basis von Access Datenbanken individuell erstellte Applikationen auf, die „auf die Schnelle und an der IT-Abteilung vorbei“ entwickelt worden sind und beispielsweise die Lieferantebewertung unterstützen.
2.3.2
Integration der Systeme der Basisarchitektur
Portal-Systeme, Workflow Management-Systeme und Master Data ManagementSysteme überspannen in Abbildung 2-1 die anderen IT-Systeme der IT-Basisarchitektur. Hiermit soll zum Ausdruck kommen, dass diese Bausteine je nach Bedarf bzw. Erfordernis auf die anderen Systeme zugreifen. Das Portal-System, um auf die entsprechenden Applikationen weiterzuleiten, das Workflow Management-System, um die Transaktionen und Daten verschiedener Systeme koordiniert aufzurufen und bereitzustellen und das Master Data Management-System, um die Stammdatenkonsistenz der angeschlossenen Systeme zu gewährleisten. Neben diesen Austauschbeziehungen zwischen den dargestellten Systemen gibt es häufig viele weitere Schnittstellen z.B. zwischen ERP- und SRM-System. Man spricht in diesem Kontext auch von der sogenannten ERP-Integration. Hiermit ist gemeint, dass Daten die in einem der beiden Systeme erzeugt worden sind, über ein Programm automatisch in das jeweils andere Systeme übertragen werden. Hierbei kann es sich beispielsweise um eine im SRM-System erzeugte Bestellung handeln, die ins ERPSystem übertragen wird oder um einen Kreditorenstammsatz, der vom ERP-System ins SRM-System repliziert wird. Damit sind aber bei weitem noch nicht alle Schnitt-
29
2.3
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
stellen zwischen den Systemen erwähnt. In den folgenden Kapiteln werden die Schnittstellen zwischen den Systemen weitergehend nach Bedarf erläutert. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass mit Ausnahme der EDI/XML Kopplungen in Abbildung 2-1 die Schnittstellen bewusst nicht eingezeichnet wurden, da die Abbildung andernfalls völlig überfrachtet worden wäre. Abbildung 2-3 zeigt dafür aber, wie die Schnittstellen zwischen den Systemen grundsätzlich realisiert werden können. Die Kopplungen zwischen den Systemen kann entweder über individuelle Punkt-zu-Punkt Verbindungen oder durch Einsatz einer Hub-and-Spoke Architektur erfolgen. Bei letzterer wird unter Zugriff auf eine zentrale EAI- (Enterprise Application Integration) Software, die typischerweise von Middlewaresystemen bereitgestellt wird, die Kommunikation zwischen den Systemen ermöglicht. Der Begriff Hub-and-Spoke wurde erstmals in den 1970-er Jahren im Logistikumfeld verwendet. Er bezeichnet eine Netzwerkarchitektur, bei der ein zentraler Umschlagspunkts (Hub, Nabe) die angeschlossenen Spokes koordiniert.
Abbildung 2-3:
Alternative Integrationsarchitekturen
e-Supplier Directory SRM
e-Supplier Directory e-Catalogue
DWS
Portal
WFMS
DMS MDM
ERP
Punkt-zu-Punkt Architektur
e-Catalogue
SRM DWS
Portal EAI DMS
WFMS MDM
ERP
Hub-and-Spoke Architektur
Der Vorteil einer solchen Architektur besteht darin, dass bei n Systemen, falls alle miteinander verbunden werden sollen, n Verbindungen mit der EAI-Software aufgebaut werden müssen, nicht aber wie bei der Punkt-zu-Punkt Architektur n*(n-1)/2 Verbindungen. Damit ist der Aufwand deutlich geringer und man hat einen zentralen Punkt von dem aus alle Schnittstellen gesteuert und überwacht werden können (vgl. Laudon et. al. 2010, S.492ff.).
30
Implementierung der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen
2.3.3
Hosting der SRM-Tools
Als letzter Punkt werden im Rahmen der Implementierung noch die Themen Hosting und Administration der Systeme besprochen. Auch wenn die Administration kein Implementierungsthema ist, soll es hier mit behandelt werden, da viele Dienstleister sowohl das Hosting als auch die Administration anbieten. Grundsätzlich stellt sich für alle in der Architektur aufgelisteten Systeme die Frage, ob das beschaffende Unternehmen diese auf eigenen Rechnern installiert und mit eigenen Mitarbeitern administriert oder ob ein Dienstleister eingesetzt wird. Im Folgenden soll diese Frage aber nur für das SRM-System diskutiert werden, da es das einzige reine Beschaffungssystem ist und auch bei den anderen Betrachtungen am stärksten fokussiert wird. Darüber hinaus soll der Einfachheit halber angenommen werden, dass bei einer selbst entwickelten Individuallösung, diese im eigenen Unternehmen betrieben wird. Die nachfolgenden Überlegungen beziehen sich dementsprechend nur auf SRM-Standardsoftware. Folgende Varianten kommen häufig zum Einsatz: 1. Hosting und Administration der SRM-Standardsoftware durch die IT-Abteilung des beschaffenden Unternehmens. 2. Hosting und Administration der SRM-Standardsoftware durch einen Application Service Provider. 3. Hosting und Administration der SRM-Standardsoftware durch einen elektronischen Marktplatz. Grundsätzlich sind auch Mischformen denkbar, bei denen ein fremdes Unternehmen das Hosting durchführt und die eigene IT-Abteilung die Administration übernimmt. Diese gelegentlich vorkommenden Varianten sollen hier aber nicht weiter vertieft werden. Mit Variante 1 ist gemeint, dass ein Unternehmen eine SRM-Standardsoftware wie z.B. SAP SRM beschafft, diese auf eigenen Rechnern installiert, für seine individuellen Belange anpasst (customized) und selber administriert. Diese Variante wird insbesondere von großen Konzernen angewendet, die das SRM-System von mehreren Tochtergesellschaften nutzen lassen und deren ERP-Systeme anbinden wollen. Eine solche Situation liegt z.B. beim weltweit agierenden Philips-Konzern vor, der diese Variante in ähnlicher Form realisiert hat. Variante 2 macht SRM-Systeme für kleine und mittelständische Unternehmen interessant. So genannte Application Service Provider (ASP) hosten die SRMStandardsoftware auf ihren Rechnern und stellen sie dem Unternehmen gegen eine monatliche Gebühr, die auch die Administration umfasst, zur Verfügung. In dem Unternehmen entfallen die Kosten für die Anschaffung von Hard- und Software sowie die Kosten für die Administration. Eine Anpassung an die Besonderheiten wird wie in der ersten Variante über Customizing vorgenommen. Der Application Service Provider ist häufig auch gleichzeitig Hersteller der Software. Als Beispiele seien hier die
31
2.3
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
Onventis GmbH aus Stuttgart mit dem System TradeCore SRM und die Selected Services GmbH aus Wien mit dem System POOL4TOOL genannt. Beide Unternehmen stellen ihre Systeme auf die beschriebene Weise bereit. Man spricht in diesem Kontext auch häufig von Software on Demand. Bei Variante 3 nutzen die einkaufenden Unternehmen die von einem elektronischen Marktplatz bereitgestellten SRM-Funktionalitäten. Auch hier entfallen die Kosten für die Anschaffung von Hardware und Software sowie die Kosten für den Betrieb. Im Gegensatz zur zweiten Variante sind die Individualisierungsmöglichkeiten hier aber tendenziell geringer, da sich alle Unternehmen ein System teilen und nicht etwa wie bei den ASP für jedes Unternehmen ein zusätzliches System aufgesetzt wird. Dafür bilden elektronische Marktplätze aber häufig die Besonderheiten spezieller Branchen ab und haben ggf. eine Vielzahl von Lieferanten, auf die die einkaufenden Unternehmen sofort zugreifen können, bereits angebunden. Als Beispielmarktplatz sei hier SupplyOn für die Automobilzuliefererindustrie und techpilot für die Fertigungsindustrie genannt. Marktplätze werden manchmal auch als Portale bezeichnet. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass bezüglich der im vorliegenden Buch beschriebenen SRM-Tools kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Umfangreichere Marktübersichten werden in Form von Bachelor- und Masterarbeiten, als Beiträge von Fachzeitschriften oder als Studien verschiedener Beratungsunternehmen immer wieder angeboten. Da die „Verfallszeiten“ dieser Analysen sehr kurz sind, werden an dieser Stelle Ergebnisse konkreter Untersuchungen nicht beschrieben. Es sei aber angemerkt, dass an der FH Münster im Lehrgebiet der beiden Autoren häufig Markterhebungen vorgenommen werden. Ferner sei auf die Homepage des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (www.bme.de) und des Competence Centers Einkauf der Competence-Site (www.competence-site.de) hingewiesen. Auf beiden Seiten sind immer wieder Untersuchungen zu SRM-Tools abrufbar. Zwei Untersuchungen aus 2010, die SRM-Tools bzw. Tools für die strategische Beschaffung zum Gegenstand hatten sind zu finden bei (Heß et. al. 2010, S.121ff. und Gartner 2010).
2.4
Vertiefte Betrachtung ausgewähIter ITSysteme
2.4.1
Überblick
Die strategische Analyse wird aktuell in der Beschaffung immer bedeutsamer. Das nachfolgende Kapitel 3 beschäftigt sich ausschließlich mit diesem Thema. Die ITUnterstützung spielt hier eine zentrale Rolle. Um die Möglichkeiten der IT-Unterstützung in diesem Bereich gut nachvollziehen zu können, werden die für dieses Thema
32
Vertiefte Betrachtung ausgewähIter IT-Systeme
relevanten Systeme nachfolgend zunächst genauer erläutert, um dann insbesondere im Kapitel 3 die Anwendung im Bereich der Beschaffung gut nachvollziehen zu können. Ferner werden mit der genaueren Systembeschreibung auch gleichzeitig die Grundlagen für die IT-Unterstützung des Beschaffungscontrollings (vgl. Kapitel 5, Abschnitt 5.4.7) gelegt.
2.4.2
Merkmale und Ziele von Data Warehouse-Systemen
Data Warehouse-Systeme gehören zu den analytischen Informationssystemen, bei denen Analysen zur Informationsversorgung betrieblicher Fach- und Führungskräfte im Vordergrund stehen. Sie können als logisches Komplement zu den operativen Informationssystemen wie etwa ERP-Systemen gesehen werden. Data WarehouseSysteme werden definiert als themenorientierte, vereinheitlichte, beständige und zeitbezogene Sammlungen von Daten zur Unterstützung von Managemententscheidungen (vgl. Abs/Mülder 2009, S.252; Chamoni/Gluchowski 2006, S.13f.).
Themenorientiert bedeutet, dass die Datensammlung und –haltung sich nicht an operativen Prozessen, sondern an potenziellen, inhaltlichen Analysezielen bzw. Themenschwerpunkten (alle Informationen zu Lieferanten, Materialien etc.) orientiert.
Die Vereinheitlichung von Daten (z.B. Währungen, Datumsformate, Mengeneinheiten, Stammsatznummern) ist eine Voraussetzung für ihre übergreifende Auswertung.
Die Beständigkeit bzw. Unveränderbarkeit der Daten stellt sich wie folgt dar. Im Data Warehouse werden die Daten unabhängig von den operativen Anwendungssystemen durch eine eigene physische Datenhaltung, die zusätzlich zu den operativen Datenbanken existiert, gespeichert. Es handelt sich um ein reines Ausgabesystem, d.h. zu den vorhandenen Daten werden weitere Daten hinzugefügt, es werden aber mit Ausnahme von Bereinigungen und Harmonisierungen keine bestehenden Daten verändert.
Im Data Warehouse-System stehen einzelne zeitbezogene Aussagen wie etwa der Materialbestand zum Zeitpunkt xy oder die Umsätze am Tag xy eher im Hintergrund. Es werden vielmehr Daten mit Zeitbezug gesammelt, um dann für kurze, mittlere und längere Zeiträume (Wochen-, Monats-, Jahresbetrachtungen) Auswertungen zu ermöglichen. Ohne den Zeitbezug der importierten Daten wären die Analysen für bestimmte Zeiträume nicht möglich.
33
2.4
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
Tabelle 2-1:
Analogien zwischen Warenlager und Data Warehouse (angelehnt an Gadatsch, 2008, S.335) Warenlager
Data Warehouse (Datenlager)
Funktion
physikalische Lagerung von Waren
digitale Lagerung von Informationen
Inhalt
Waren unterschiedlicher Art, Menge und Qualität
gespeicherte Informationen unterschiedlicher Art, Menge und Qualität
Ziele der Lagerorganisation
Verfügbarkeit aller gewünschten Waren und kurze Auslagerungszeit
Verfügbarkeit aller gewünschten Informationen und kurze Zugriffszeit
Aktualität
regelmäßige Belieferung frischer (aktueller) Waren
regelmäßiges Einspielen aktueller Daten
Das wichtigste Ziel von Data Warehouse-Systemen besteht darin, die unterschiedlichen Daten aus operativen internen und ggf. auch externen Systemen systematisch zusammenzuführen. Die hierdurch entstandene Datenbasis soll dem Endbenutzer für seine Analysen einen möglichst einfachen, schnellen und flexiblen Zugriff ermöglichen (vgl. Chamoni/Gluchowski 2006, S.12f; Gadatsch 2008, S.334). Ein Data Warehouse lässt sich mit einem Warenlager vergleichen. Der analoge Begriff, der auch etwa der Übersetzung ins Deutsche entspricht, ist der Begriff des Datenlagers. Tabelle 2-1 verdeutlicht eine Vielzahl von Aspekten die analog für Waren- und Datenläger gelten.
2.4.3
Architektur und Arbeitsweise von Data WarehouseSystemen
2.4.3.1
Überblick der Architektur von Data Warehouse-Systemen
Abbildung 2-4 zeigt die Architektur eines Data Warehouse-Systems und das Zusammenspiel mit anderen Komponenten auf:
34
Vertiefte Betrachtung ausgewähIter IT-Systeme
Abbildung 2-4:
Architektur eines Data Warehouse-Systems (angelehnt an Chamoni et. al. 2005, S.19 und 39; Abts/Mülder 2009, S.259)
Endbenutzer Tools OLAP
Info Cubes 2. Speicherebene
Operational Data Store 1. Speicherebene Staging Engine
Data Warehouse-System
3. Speicherebene
Themenzentrierte, mehrdimensional strukturierte, verdichtete Daten (Verdichtungsebene)
Zusammengeführte, konsolidierte Daten (Belegebene)
Zusammengeführte Rohdaten (Belegebene)
ETL-Tools Operative Vorsysteme
2.4.3.2
Externe Daten
Zusammenführung der Rohdaten
Bei den Rohdaten für ein Data Warehouse-System handelt es sich um externe Daten und Daten aus operativen Vorsystemen. Als externe Daten kommen z.B. Marktanalysen über potenzielle Nachfrageentwicklungen auf Abnehmerseite bzw. Angebotsentwicklungen auf Lieferantenseite in Frage. Insgesamt haben die externen Daten für den Bereich der Beschaffung im Vergleich zu den internen Daten eine eher untergeordnete Rolle. Die operativen Vorsysteme sind im Falle der Beschaffung die im Unternehmen eingesetzten ERP- und SRM-Systeme sowie ggf. eingesetzte Individualsoftware für die Beschaffung. Darüber hinaus könnten noch kleine Datenbankanwendungen relevant sein, die z.B. Informationen zur Lieferantenbewertung o.ä. verwalten. Der Datenbewirtschaftungsprozess für ein Data Warehouse-System wird mit Unterstützung sogenannter ETL-Werkzeuge (Extrahieren, Transformieren und Laden) durchgeführt (vgl. Chamoni et. al., 2005, S.15 und S.37ff.). Die Daten aus den operativen Vorsystemen werden mit den ETL-Werkzeugen zunächst aus den Vorsystemen extrahiert und in die sogenannte Staging Engine (1. Speicherebene) des Data Warehouse-Systems geladen (vgl. Abbildung 2-5a). Für ERP-Systeme wie z.B. SAP ERP gibt
35
2.4
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
es eine Vielzahl an Standardextraktoren, die zur Abdeckung des typischen Informationsbedarfs in verschiedenen Anwendungsbereichen dienen. Sie können im Standardfall in die ERP-Umgebung eingespielt werden und sind dann sofort einsatzbereit. Die Extraktion bzw. Übertragung der Daten kann periodisch, ereignisgesteuert (z.B. bei Änderung eines Datensatzes) oder auf Anfrage des Zielsystems erfolgen.
Abbildung 2-5a: Zusammengeführte Rohdaten aus Vorsystemen
2.4.3.3
Transformation der Rohdaten
Die Transformationskomponente der ETL-Werkzeuge widmet sich der Bereinigung, Umwandlung und Harmonisierung der Daten. Da diese Schritte zum Teil sehr umfassend und komplex sind, kommt dieser Komponente in der Gesamtarchitektur eine zentrale Bedeutung zu. Die Abbildungen 2-5a und 2-5b zeigen ein Beispiel für den Transformationsprozess. Aus den Vorsystemen werden Bestellungen extrahiert (vgl. Abbildung 2-5a), die zum Teil Materialien der gleichen Materialgruppe und gleiche Lieferanten enthalten. Die aus verschiedenen Systemen stammenden Belege sind hinsichtlich folgender Bestandteile aber nicht harmonisiert: Datumsformate, Lieferantennummern, Materialgruppensystematik, Mengeneinheiten und Materialnummern. Das Datum wird in einigen Belegen sechsstellig in anderen achtstellig abgespeichert. Die Lieferantennummern sind unterschiedlich, auch wenn es sich um denselben Lieferanten handelt, das gleiche gilt für Materialien. Die Materialgruppe Rohstoffe kommt in allen Systemen vor, hat aber jedes Mal ein anderes Kürzel (RSTO, RSF etc.) Das Gleiche gilt für die Mengeneinheit Kilogramm (KL, KG, KGR). Durch den Transformationsprozess, der je nach Ausgangssituation voll- oder halbautomatisch erfolgen kann,
36
Vertiefte Betrachtung ausgewähIter IT-Systeme
sind die Daten im Beispiel bis auf die Materialnummern harmonisiert (vgl. Abbildung 2-5b). Eine Harmonisierung der Materialnummern könnte auch erfolgen; sie wird wegen des hohen Aufwands aber nicht immer durchgeführt. Nach der Transformation werden die transformierten bzw. konsolidierten Daten in die 2. Speicherebene geladen.
Abbildung 2-5b: Zusammengeführte und konsolidierte Daten
Die 2. Ebene wird bei einigen Data Warehouse-Anbietern Operational Data Store genannt. Sie ist flach strukturiert und enthält die zusammengeführten und harmonisierten Daten aus unterschiedlichen Vorsystemen auf der Belegebene, ihrem ursprünglichen Detaillierungsniveau. Darüber hinaus können auch Stammdaten in diese Ebene mit übernommen werden. Einzelne Felder der Stammdaten können hilfreich sein, wenn Auswertungen der Bewegungsdaten vorgenommen werden und Informationen wie z.B. Bezeichnungen, Namen etc. in den Bewegungsdaten nicht vorhanden sind, die Verständlichkeit einer Auswertung aber erhöhen würden. Der Operational Data Store stellt die Basis für ein eher operatives Berichtswesen zur Verfügung. Gleichzeitig ist die 2. Speicherebene Datenlieferant der analytischen Anwendungen der 3. Ebene.
2.4.3.4
Verdichtung der konsolidierten Daten
Auf der 3. Speicherungsebene befinden sich mehrdimensional strukturierte, so genannte Info Cubes. Jeder Info Cube enthält verdichtete und abgestimmte Daten aus einem abgegrenzten und in sich geschlossenen thematischen Bereich und adressiert damit ein spezielles betriebswirtschaftliches Anwendungsfeld. Abbildung 2-5c zeigt
37
2.4
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
zwei Beispiele für Verdichtungen der Belegdaten aus der 2. Ebene. Auf der linken Seite wurden materialgruppenbezogen alle Bestellungen eines Monats verdichtet, auf der rechten Seite wurde eine monatsweise Verdichtung der Bestellungen lieferantenbezogen vorgenommen. Je nachdem welche Informationen aus den Info Cubes abgeleitet werden sollen, werden verschiedene Verdichtungen erstellt. Hinweis: Im Beispiel aus Abbildung 2-5c wurde unterstellt, dass die Mengeneinheiten bei allen selektierten Materialien gleich sind. Andernfalls würde eine Aggregation der Mengen keinen Sinn machen.
Abbildung 2-5c: Verdichtete Daten
Tabelle 2-2 stellt die Unterschiede der verschiedenen betrachteten Speicherebenen gegenüber.
38
Vertiefte Betrachtung ausgewähIter IT-Systeme
Tabelle 2-2:
Vergleich unterschiedlicher Speicherebenen (angelehnt an Chamoni et. al. 2005, S.55) Staging Area Puffer
Operational Data Store Harmonisierung und Konsolidierung
Info Cube Aggregation Abfrageoptimierung
konsolidierte Bewegungsdaten
aggregierte Daten
Speicherdauer
Bewegungs- und Stammdaten als Rohdaten ca. 30 Tage
permanent
permanent
Datenstruktur
relationale Tabellen
relationale Tabellen
Reporting
kein Reporting
Berichte in sehr detaillierter Granularität, flach strukturiertes Berichtswesen
Star Schema denormalisiert multidimensionales Berichtswesen mit hoher Verdichtung
Funktionen Was wird gespeichert?
2.4.3.5
OLAP und OLAP-Operationen
Auf Basis der Info Cubes der 3. Speicherungsebene wird das sogenannte Online Analytical Processing (OLAP) durchgeführt, das 1993 von Codd, dem Erfinder der relationalen Datenbanksysteme, geprägt und durch 12 Regeln präzisiert wurde. Der wesentliche Inhalt von OLAP wird durch die Abkürzung FASMI (Fast Analysis of Shared Multidimensional Information) zusammengefasst. Führungskräften soll schnell im Mehrbenutzerbetrieb eine umfassende, mehrdimensionale Analyse aller betrieblichen Informationen möglich sein (vgl. Chamoni/Gluchowski 2006, S.145ff; Stahlknecht/Hasenkamp, 2004, S.390). Was die Mehrdimensionalität bedeutet, stellt der Info Cube in Abbildung 2-6 dar. Das Beschaffungsvolumen ist hier entlang der Dimensionen Zeitraum, Material und Lieferant analysierbar. Das heißt, das Beschaffungsvolumen kann z.B. für einen bestimmten Zeitraum (Z4) und ein definiertes Material (M4) bei einem ausgewählten Lieferanten (L4) ermittelt werden. Die Dimensionen sind hierbei hierarchisch strukturiert. Beispielhaft hat die Dimension Zeit die Hierarchieknoten Jahr, Quartal und Monat. Zur Analyse hat der Anwender eine Reihe verschiedener OLAP-Operationen zur Verfügung: Roll-Up und Drill-Down: Unter Roll-Up und Drill-Down wird das Aggregieren bzw. Deaggregieren der Informationen innerhalb der einzelnen Dimensionen verstanden. Eine Roll-Up-Operation wäre beispielsweise die Konsolidierung aller Beschaffungsvolumina bei einem Mutterkonzern über eine ausgewählte Warengruppe in einem Quartal, wenn die Volumina zuvor nur für einen Lieferanten des Konzerns untersucht wurden. Eine Drill-Down-Operation wäre z.B. das Fokussieren auf ein kleineres Zeitintervall, wenn vorab das ganze Jahr als Auswertungszeitraum gewählt wurde.
39
2.4
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
Abbildung 2-6:
Mehrdimensionalität am Beispiel eines Info Cubes für die Beschaffung
Monat
Quartal
Beschaffungsvolumen für ein Material M4 bei einem Lieferanten L4 im Zeitraum Z4
… Monat
Quartal
Jahr
Zeit
L4
… …
…
Slice: Mit einer Slice-Operation ist das Herausschneiden einer bestimmten Schicht aus dem Info Cube gemeint. Der Cube wird dabei um eine Dimension reduziert. Im Beispiel könnten durch Herausschneiden eines einzelnen Monats (horizontaler Schnitt) sämtliche Beschaffungsvolumina in diesem Monat für beliebige Materialien bei beliebigen Lieferanten analysiert werden. Die Dimension Zeit wird also auf einer bestimmten Aggregationsebene, durch Auswahl eines Zeitraums auf dieser Ebene, festgehalten. Abbildung 2-7 zeigt diesen Sachverhalt beispielsweise für den Zeitraum Z2. Alle Analysen wären nun auf den Zeitraum Z2 begrenzt. Analog könnte man das Material oder eine Materialgruppe (vertikaler Schnitt) festhalten und diese detailliert auswerten (vgl. Hansen 2009, S.1026). Dice: Mit einer Dice-Operation werden einzelne Teilwürfel aus dem Info Cube herausgeschnitten und somit kleinere Datenbestände in den Analysefokus genommen, wobei aber nicht die Dimensionen eingeschränkt werden. Im betrachteten Info Cube bedeutet das, bestimmte Materialien, Zeiträume und Lieferanten werden herausgeschnitten und andere nicht mehr betrachtet. Abbildung 2-7 zeigt diesen Sachverhalt für die Materialien M3, M4, die Zeiträume Z1, Z2, Z3 und die Lieferanten L4, L3. Der für die beiden Lieferanten verantwortliche Einkäufer könnte nun für den selektierten
40
Vertiefte Betrachtung ausgewähIter IT-Systeme
Zeitraum die Beschaffungsvolumina der Materialien M3 und M4 bei diesen Lieferanten vergleichen.
Abbildung 2-7:
Beispiele für Slice- and Dice-Operationen
* Dice *
* Slice *
Z3 Z2 Z1
2.4.3.6
Zeitraum
Zeitraum
Z4
Z4 Z3 Z2 Z1
Überblick der Endbenutzer-Tools
Die letzte Komponente in Abbildung 2-4 stellen die Endbenutzer-Tools dar. Diese Zugriffswerkzeuge entscheiden neben der Datenbasis und dem Antwortzeitverhalten ganz wesentlich über die Akzeptanz der analytischen Systeme beim Anwender. Sie haben ein sehr unterschiedliches Funktions- und Leistungsvermögen. Das Spektrum reicht von einfachen Berichts- und Abfragegeneratoren über Tabellenkalkulationsprogramme bis hin zu OLAP-Clients, die sich auf die Anzeige und Analyse multidimensionaler Datenbestände konzentrieren. Immer mehr werden auch handelsübliche Browser und Portale als Zugriffsoberflächen genutzt (vgl. Chamoni et. al. 2005, S.18 und 97).
41
2.4
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
2.4.4
Master Data Management und Master Data Management-Systeme
2.4.4.1
Master Data Management
Stammdaten sind die wesentlichen Grunddaten eines Unternehmens, die sich nur selten ändern. Sie dienen der Beschreibung und der Identifikation von Geschäftsobjekten wie Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern, Materialien etc. In der Beschaffung stehen die Stammdaten von Materialien und Lieferanten sowie die Infosätze im Fokus der Betrachtung. Insbesondere die Materialien verfügen über eine Vielzahl von Attributen (Feldern), mit denen sie beschrieben werden. In ERP-Systemen werden die Felder nach verschiedenen Kategorien (Sichten) gruppiert. In der Kategorie Grunddaten sind bei Materialien etwa Felder wie Materialnummer, Materialbezeichnung oder Materialgruppe enthalten. Die Felder Einkäufer, Bestelltext und Bestelleinheit sind Beispiele für die Kategorie Einkauf. Die Felder der Lieferantenstammsätze können ebenfalls in Kategorien strukturiert werden. Meistens ist der Lieferantenstammsatz aber weniger komplex. Die in einigen ERP-Systemen vorkommenden Infosätze sind Stammsätze, die Verbindungen zwischen einem Material und einem Lieferanten herstellen. Sie enthalten Felder wie etwa den Preis für das Material beim Lieferanten, die lieferantenspezifische Materialnummer oder die Lieferzeiten des Lieferanten für das Material. Zum Management der Stammdaten muss ein Datenmodell für sämtliche Stammdatenobjekte auf Unternehmensebene definiert sein. Aus diesem Modell muss u.a. klar hervorgehen, welche Attribute, an welchem Standort relevant und welche Ausprägungen für die Attribute möglich sind. Ferner muss die organisatorische Verantwortung für die Anlage, Pflege und Archivierung der Stammdaten geklärt werden. Ebenso zum Thema Stammdatenmanagement gehören die IT-Systeme zur Stammdatenhaltung und deren Verteilung. Die Qualität von Stammdaten kann an Hand verschiedener Kriterien beurteilt werden, von denen nachfolgend einige genannt und erläutert werden (vgl. Legner/Otto 2007, S.562ff.):
Die Vollständigkeit gibt an, wie weit einzelne Attribute eines Stammsatzes gepflegt worden sind.
Die Aktualität beschreibt, wie zeitnah die Daten bei einer Änderung des realen Zustands angepasst werden (z.B. Adressfelder bei Umzug eines Lieferanten).
Die Konsistenz der Stammdaten ist gegeben, wenn sie frei von Dubletten sind. Ist zum Beispiel ein Lieferant in einem System doppelt angelegt worden, besteht die Gefahr, dass die Einträge in einzelnen Feldern sich widersprechen.
Die Zugänglichkeit macht eine Aussage dazu, ob ein Stammsatz für den Nutzer auffindbar bzw. verfügbar gemacht werden kann.
42
Vertiefte Betrachtung ausgewähIter IT-Systeme
Die Korrektheit gibt an, wie weit die einzelnen Felder der Stammdaten fehlerfrei gepflegt sind. Konsistenz und Aktualität sind Kriterien, die in Unternehmen mit historisch gewachsenen IT-Landschaften häufig schlecht ausgeprägt sind. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die mehrere Standorte haben. Hier sind ggf. unterschiedliche ERPSysteme im Einsatz, die über lokale Datenhaltungen verfügen, bei denen die Daten in anderen Systemen nicht berücksichtigt werden. So kann es vorkommen, dass in einem Konzern die gleichen Materialien bei den gleichen Lieferanten beschafft werden, dieser Sachverhalt aber auf Grund verschiedener Materialnummern und einer lokalen Betrachtung der Systeme überhaupt nicht transparent wird. Sind die Redundanzen in den Systemen bekannt und die Daten harmonisiert, so besteht eine Herausforderung darin, bei Änderungen der Daten die Änderungen in allen Datensätzen schnell durchzuführen. Dies gilt z.B. für ERP-Systeme an verschiedenen Standorten, ERP-Systeme und SRM-Systeme oder ERP-Systeme und zusätzliche Individualentwicklungen.
2.4.4.2
Master Data Management-Systeme
Master Data Management-Systeme ermöglichen das zentrale Speichern und Aktualisieren von Stammdaten sowie die schnelle Verteilung in die Zielsysteme. Die Grundidee besteht darin, Daten zentral einzugeben und die Verteilung an die relevanten lokalen Systeme zu automatisieren. Im Detail werden an Master Data ManagementSysteme folgende Anforderungen gestellt (vgl. Heilig/Karch 2007, S.44ff; S.75 und S.80):
Extraktionsmechanismen: MDM-Systeme müssen die Stammdaten aus den relevanten Systemen extrahieren können. Hierzu müssen ähnlich wie bei den Data Warehouse-Systemen Extraktionstools verfügbar sein.
Exportmechanismen: MDM-Systeme müssen Stammdaten in die Zielsysteme verteilen können.
Data-Cleaning-Funktionalitäten: MDM-Systeme müssen Dubletten finden und anschließend den Datenbestand bereinigen können.
Anwendungsneutral: MDM-Systeme müssen mit allen Anwendungen eines Unternehmens Daten austauschen können.
Rollenbasiertheit/Workflowfähigkeit: Da die Zuständigkeit für Stammdaten ggf. in mehreren Bereichen (Buchhaltung, Einkauf, Disposition etc.) liegt, müssen Aufgaben rollenbasiert zugeordnet werden können. Ferner müssen Prüfbedarfe workflowgestützt adressierbar sein. Die oben beschriebenen Master Data Management-Systeme sind separate, zentrale Stammdatensysteme, von denen aus die Verteilung vorgenommen wird. Alternativ kann die Verteilung auch über ein bereits bestehendes Anwendungssystem erfolgen,
43
2.4
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
das dann als führendes System deklariert wird (vgl. Abbildung 2-8). In beiden Fällen hat man eine zentrale Lösung, d.h. ein zentrales System koordiniert die anderen Systeme, wodurch sicher gestellt wird, dass ein „Single Point of Truth“ existiert. Alternativ kann das Stammdatenmanagement auch dezentral in den lokalen Systemen erfolgen. Hier kann es jedoch trotz einer übergreifenden Definition von Standards zu Inkonsistenzen kommen (vgl. Legner/Otto 2007, S.566f.).
Abbildung 2-8:
Verteilung von Stammdaten
Zentrales Stammdatensystem
Führendes System
Im Kontext des Stammdatenmanagements sind harmonisierte und teilweise harmonisierte Datenmodelle zu unterscheiden. Bei ersteren sind die Stammdatenattribute, deren Formate sowie mögliche Ausprägungen im gesamten Unternehmen gleich. Für ein Material, das in mehreren Bereichen vorkommt, heißt dies beispielsweise, dass die Beschreibung abgesehen von der Sprache an allen Standorten identisch ist. Insbesondere hat das Material überall die gleiche Schlüsselnummer. In der Praxis kommen eher teilweise harmonisierte Stammdatenmodelle vor. Hier ist lediglich ein Teil der Attribute und der Attributausprägungen harmonisiert. Das bedeutet für die Verteilung der Stammsätze, dass in diesem Fall ein Mapping der Attribute und insbesondere der Schlüsselnummern zu erfolgen hat. Darüber hinaus können Ergänzungen von Daten in den lokalen Systemen erforderlich sein. Sind bei teilweise harmonisierten Datenmodellen die Schlüsselnummern gleicher Stammsätze nicht identisch, dient das führende System als Klammer für diese Stammsätze. D.h. das System verwaltet, welche Daten aus welchen Systemen zusammengehören. MDM-Systeme haben eine ganze Reihe von Vorteilen. Die verschiedenen stammdatenhaltenden IT-Systeme werden alle schnell und automatisch auf den aktuellen Stand gebracht. Werden zentral keine Fehler gemacht, liegen die Daten in allen Systemen fehlerfrei vor. Für die Mitarbeiter reduzieren sich administrative Tätigkeiten und die Verfügbarkeit von aktuellen Daten steigt für sie. Die Fehlerfreiheit der Daten führt zu optimierten Prozessen, weil beispielsweise sofort zu richtigen Preisen bestellt wird
44
IT-seitige Anbindung von Lieferanten
und eine erneute Abwicklung nicht erforderlich ist bzw. Nachfragen vermieden werden. Ähnlich kann neben dem Preis für andere materialwirtschaftliche Stammdatenfelder (Kontoverbindung, Ansprechpartner beim Lieferanten) argumentiert werden. Insgesamt führen die MDM-Systeme zu einer höheren Datenqualität, die wiederum schnellere und günstigere Prozesse zur Folge hat. Wie bei allen zentralen Systemen gibt es aber auch bei MDM-Systemen den typischen Nachteil, dass bei einem Ausfall die angeschlossenen Systeme in Mitleidenschaft gezogen werden. Ferner wird ein Fehler an zentraler Stelle in die anderen Systeme repliziert. Wie schon oben angedeutet, haben MDM- und Data Warehouse-Systeme Gemeinsamkeiten. Beide beschäftigen sich mit großen Mengen von Daten und verfügen über Extraktionstools mit denen Daten aus anderen Systemen entnommen werden können. Im Kern sind es aber unterschiedliche Systeme. MDM-Systeme gehören zu den operativen Systemen, die Daten verändern und zum Ziel haben, Stammdaten abzugleichen, um ihre Qualität, insbesondere die Konsistenz, zu erhöhen. Data Warehouse-Systeme hingegen zählen zu den strategischen Systemen. Sie nehmen keine Veränderungen an den verfügbaren Daten vor. Ihr Ziel besteht darin, Daten zu analysieren und für Controllingzwecke auszuwerten. Wie MDM-Systeme und Data Warehouse-Systeme auch im Verbund eingesetzt werden können, stellt Kapitel 3, Abschnitt 3.5.1.2.4 dar.
2.5
IT-seitige Anbindung von Lieferanten
2.5.1
Überblick
Wie Abbildung 2-1 zum Teil schon gezeigt hat, können Lieferanten IT-seitig in verschiedenen Formen an das beschaffende Unternehmen angebunden werden. In den nachfolgenden Abschnitten soll auf folgende Anbindungsformen genauer eingegangen werden: 1.
EDI
2.
XML
3.
WebEDI
4.
Supplier Portal/Supplier Self Service
5.
Weitere Anbindungsformen
Kriterien für die Auswahl der Anbindungsform sind z.B. die Häufigkeit des Datenaustauschs, die technischen Möglichkeiten auf Abnehmer- und Lieferantenseite, die Machtstellung des beschaffenden Unternehmens gegenüber seinen Lieferanten sowie die gewünschten Integrationstiefen. Wichtig ist, dass im Rahmen der SRM-
45
2.5
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
Gesamtstrategie (vgl. Kapitel 8, Abschnitt 8.2) eine gut überlegte Auswahl der Anbindungsformen erfolgt. Anschließend kann dann für jeden Lieferanten die geeignete Anbindungsform zugeordnet werden.
2.5.2
EDI (Electronic Data Interchange)
EDI (Electronic Data Interchange) ist der elektronische Austausch strukturierter Geschäftsdokumente wie z.B. Bestellungen, Rechnungen oder Lieferscheine zwischen Geschäftspartnern. EDI ermöglicht es, Geschäftsdaten zwischen räumlich getrennten Anwendungssystemen so auszutauschen, dass diese von der Anwendung des empfangenden EDI-Partners automatisch ohne manuelles Eingreifen verarbeitet werden können. Das Hauptziel von EDI ist die Vermeidung von Medienbrüchen (vgl. Schubert et al. 2001, S.17 und Silberberger 2003, S.13). So wird z.B. eine per EDI verschickte Bestellung automatisch zu einem Auftrag im Anwendungssystem des Lieferanten. Für den Austausch der Dokumente zwischen den verschiedenen Systemen müssen Standards festgelegt und Kommunikationsverbindungen etabliert werden. Mit den Standards ist zu definieren, in welcher Reihenfolge und Größe einzelne Felder eines Dokumentes übertragen werden. Z.B. muss für eine Bestellung geklärt werden, wo der Name und die Adresse des Auftraggebers stehen, an welcher Stelle die einzelnen Bestellpositionen beginnen, wie die einzelnen Bestellpositionen aufgebaut sind usw.. Für EDI gibt es eine Reihe verschiedener Standards. Hier sind zum einen der internationale, branchenneutrale Standard EDIFACT (EDI for Administration, Commerce and Transport) und zum anderen branchenspezifische Standards wie ODETTE für die Automobilindustrie oder SEDAS für die Konsumgüterbranche zu nennen. Bei ODETTE handelt es sich um eine europäische Initiative, SEDAS kommt hingegen nur in Deutschland und Österreich zum Einsatz. Als Gegenstück zum Standard EDIFACT, der in Europa sehr verbreitet ist, gilt in Amerika der ANSI-X.12-Standard. Die Kommunikationsstandards sind damit weder branchen- noch länderübergreifend. Man kann also nicht einfach eine Rechnung per EDI an ein beliebiges Unternehmen auf der Welt schicken und auf sein Geld warten. Vorher ist die Einigung auf einen Standard erforderlich (vgl. Preißner 2002, S.178ff.). Häufig erfolgt diese „Einigung“ nach dem Machtprinzip und nicht im Konsens. Der mächtige Auftraggeber diktiert seinen Zulieferern den Standard (vgl. Merz 2002, S.686). Dies hat letztendlich zu einer Vielzahl unterschiedlicher Standards geführt, die eine blühende Industrie für EDI-Konverter entstehen ließ, die zwischen verschiedenen Formaten übersetzen (vgl. Abbildung 2-9). Kommuniziert ein Unternehmen auf Basis mehrerer Standards, sind entsprechend viele EDI-Konverter zu verwenden. Die Kommunikationsverbindungen für EDI wurden in der Vergangenheit häufig über von Dienstleistern bereitgestellte Private Networks realisiert. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Value Added Networks und Value Added Providern, da die Dienstleister neben dem Datentransport über Standleitungen auch Serviceleistungen
46
IT-seitige Anbindung von Lieferanten
wie Speicherung und Sicherheitsprüfung sowie die Durchführung der oben beschriebenen Konvertierungen anbieten (vgl. Preißner 2002, S.178). Für die Nutzung sind vergleichsweise hohe Gebühren zu zahlen. In KMUs hat EDI kaum eine Bedeutung, da es speziell wegen der hohen Investitionskosten im fünfstelligen Bereich hier kaum einsetzbar ist. In industriellen Großunternehmen insbesondere in der Automobilbranche hingegen ist EDI seit den 80er Jahren stark verbreitet. Aus heutiger Sicht ist das bis hierher beschriebene EDI als technisch veraltet einzustufen. Bei den Entwurfszielen wurde in den 80er Jahren besonderer Wert auf ein möglichst kompaktes Datenformat gelegt, das allerdings relativ unflexibel gegenüber Änderungen ist (vgl. Zwißler 2002, S.148f.). EDI Verbindungen eignen sich daher besonders dort, wo eine überschaubare Anzahl von Geschäftspartnern große Transaktionsvolumina abbilden wollen, die sich inhaltlich und formal nur relativ selten ändern lassen müssen (vgl. Silberberger 2003, S.14).
Abbildung 2-9:
Lieferantenanbindung per EDI
Beschaffendes Unternehmen ERPSystem
EDIKonverter
Erzeugung/ Verarbeitung der Dokumente
Übersetzung in standardisiertes Format (z.B. EDIFACT, XML..)
Lieferant Private Network (geschlossenes WAN)
EDIKonverter
ERPSystem
Übersetzung in firmenapplikationsspezifisches Format
Verarbeitung der Dokumente
Internet (offenes WAN)
Mit dem Internet hat sich eine preisgünstige Kommunikationsplattform etabliert, die die Einstiegsbarriere für EDI deutlich verringert. Mit Hilfe der Dienste E-Mail (SMTP – Simple Mail Transfer Protocol), Dateitransfer (FTP – File Transfer Protocol) oder WWW (HTTP – Hypertext Transfer Protocol) lassen sich EDI-Nachrichten kostengünstig empfangen und versenden. Wie weit sich Probleme wie Sicherheit oder die Qualität der Datenübertragung hierbei lösen lassen, wird kontrovers diskutiert (vgl. Merz 2002, S.689 und Müller 2004b, S.49).
47
2.5
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
2.5.3
XML (Extensible Markup Language)
Hinsichtlich der Strukturierung der Geschäftsdokumente ist in Verbindung mit dem Internet mit XML eine weitere Innovation entstanden. XML ist eine Beschreibungssprache, die zur Beschreibung von strukturierten Informationen, wie z.B. Webseiten oder Geschäftsdokumenten eingesetzt wird (vgl. Stahlknecht 2005, S.288). Für letztere stellt XML eine Alternative zu den oben beschriebenen Standards wie EDIFACT etc. dar. Insofern kann XML als zusätzliches Werkzeug verstanden werden, um EDI zu realisieren. Die Unterschiede zwischen EDIFACT und XML stellt Abbildung 2-10 dar.
Abbildung 2-10: Unterschiede zwischen EDIFACT und XML am Beispiel einer Bestellung
Die Gegenüberstellung in Abbildung 2-10 lässt folgende Unterschiede deutlich werden:
EDIFACT ist in Zeiten teurer Datenverbindungen entstanden und legt besonderen Wert auf eine speichersparende Abbildung der Daten.
Zur Interpretation der EDIFACT-Daten wird zusätzlich eine genaue Erklärung benötigt.
48
IT-seitige Anbindung von Lieferanten
XML Dateien sind weitgehend selbsterklärend, schon mit geringem Abstimmungsaufwand zwischen den beiden Beteiligten einer Datenübertragung kann eine Schnittstelle programmiert werden. Da XML das grundlegende Prinzip von HTML – den sogenannten - nutzt, hat es sich als Beschreibungssprache für Daten sehr schnell verbreitet. Dies bewirkte wiederum, dass diverse Softwareprodukte, z.B. auch EXCEL und ACCESS, mittlerweile einen Import und Export von XML-Dateien unterstützen. So führt ein Import in ACCESS bei obigem Beispiel dazu, dass zwei Tabellen – Bestellung und Bestellposition – mit den entsprechenden Daten angelegt werden. Die Importmöglichkeiten sind ein sehr guter Beweis dafür, dass die XML-Dateien weitgehend selbsterklärend sind (Für eine weiterführende Erläuterung der Vorteile von XML gegenüber EDIFACT vgl. Merz 2002, S.699). Es wird zum Teil angenommen, dass XML mittelfristig den EDIFACT Standard ersetzen wird (vgl. Zwißler 2002, S.22). Wird im vorliegenden Buch von EDI gesprochen, ist der elektronische Datenaustausch mit den älteren oben genannten Standards unter Nutzung von Private Networks gemeint. Mit XML hingegen, wird hier der XML-basierte elektronische Datenaustausch über das Internet bezeichnet.
2.5.4
WebEDI (Web Electronic Data Interchange)
WebEDI wird gelegentlich auch als halbseitiges EDI bezeichnet. Während auf der einen Seite (meistens der Einkaufsseite) mit EDI gearbeitet wird, steht auf der anderen Seite nur ein Internetzugang mit Browser zur Verfügung. Abbildung 2-11 verdeutlicht die Datenübermittlung beim WebEDI. Die zu verschickenden Dokumente werden durch den WebEDI-Server von Standards wie EDIFACT in HTML übersetzt und mittels Internet an den Lieferanten übertragen. Dieser kann sich die empfangenen Daten nun im Browser ansehen. Schickt der Lieferant Daten an den Kunden zurück, dann erfolgt die Abwicklung nach Eingabe der Daten im Browserfenster genau umgekehrt. Der Vorteil von WebEDI besteht auf Seite des beschaffenden Unternehmens darin, dass die bestehende Infrastruktur mit klassischem EDI weiterhin benutzt werden kann. Für den Lieferanten besteht der Vorteil von WebEDI in den extrem geringen Voraussetzungen und den niedrigen Leitungskosten. Aus diesem Grund wird WebEDI auch als KMU-Version des EDI bezeichnet. Der Nachteil besteht beim nicht EDI-fähigen Partner darin, dass die empfangenen Daten manuell in die eigenen weiterverarbeitenden IT-Systeme eingegeben werden müssen.
49
2.5
2
IT-Unterstützung in der Beschaffung
Abbildung 2-11: Lieferantenanbindung per WebEDI
Beschaffendes Unternehmen ERPSystem
EDIKonverter
Erzeugung/ Verarbeitung der Dokumente
Übersetzung in HTML
Lieferant
Zugriff über Browser
Internet Eigenes ERP-System
manuelle Eingabe/Bearbeitung
2.5.5
Supplier Portal
Bei den bisher beschriebenen Anbindungen werden Dokumente des beschaffenden Unternehmens für den Lieferanten aufbereitet und diesem zur Verfügung gestellt. Beim Supplier Portal hingegen loggt sich der Lieferant über das Internet auf dem System des beschaffenden Unternehmens ein (vgl. Abbildung 2-12). Wie beim WebEDI benötigt der Lieferant hierzu lediglich einen Internetzugang und einen Web-Browser. Er nutzt das Anwendungsprogramm des beschaffenden Unternehmens, um hier z.B. Rechnungen, Lieferavise, Angebote etc. einzupflegen oder um z.B. Bestandsdaten abzufragen. Für das beschaffende Unternehmen bringt diese Form der Lieferantenanbindung erhebliche Vorteile, da es die benötigten Daten in sein System eingepflegt bekommt. Die Lieferanten hingegen haben wie beim WebEDI das Problem, ihre Daten in zwei Systemen einpflegen zu müssen.
50
IT-seitige Anbindung von Lieferanten
Abbildung 2-12: Lieferantenanbindung über Supplier Portal
Lieferant
Beschaffendes Unternehmen ERPSystem
Supplier Portal
Zugriff über Browser
Supplier Self Service Lieferant loggt sich ein
Internet Eigenes ERP-System
manuelle Eingabe/Bearbeitung
2.5.6
Weitere Formen der Lieferantenanbindung
Als weitere Formen für die Lieferantenanbindungen sind noch die folgenden zu nennen: WebServices, Telefon, „gelbe“ Post, Fax und e-Mail. WebServices sind unabhängige Softwarekomponenten, die eine bestimmte Funktionalität oder einen Geschäftsprozess realisieren und über eine standardisierte Schnittstelle verfügen. Sie sind primär zur Integration verteilter, ggf. heterogener Systeme entstanden und stellen eine neuere Form der Lieferantenanbindung dar (vgl. Küster 2003, S.5ff.) Das Telefon wird auch in Zukunft zur mündlichen Weitergabe von Bestellungen oder zum Klären verschiedenster Aspekte sicherlich eine nicht unwesentliche Bedeutung behalten. Der traditionelle Postweg und auch das Fax bekommen - auch wenn sie immer noch verbreitet sind - voraussichtlich immer weniger Bedeutung. Sie werden abgelöst durch den Datenaustausch per e-Mail oder die anderen vorgestellten Anbindungsformen.
51
2.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
3
Zielbildung und strategische Analyse
3.1
Strategieentwicklungsprozess für die Beschaffung
Der klassische Strategieentwicklungsprozess besteht aus den Phasen der strategischen Analyse, der Strategieformulierung sowie der Strategieimplementierung (vgl. Hungenberg 2008, S.10f.). Für die Entwicklung einer Beschaffungsgesamtstrategie wird diesen drei Phasen die Phase der Zielbildung vorgeschaltet, welche als gemeinsame Basis die Richtung des weiteren Vorgehens definiert (vgl. das 3-Ebenen-Modell in Kapitel 1, Abschnitt 1.3). Ausgewählte Konzepte, Methoden und Instrumente zu den Phasen des Strategieentwicklungsprozesses in der Beschaffung werden in den Kapitel 3 bis 5 vorgestellt. Die strategische Analyse hat die Aufgabe, die notwendigen Informationsgrundlagen für die bestmögliche Ausgestaltung der Beschaffungsstrategie zu erarbeiten. Sie untergliedert sich klassisch in die beiden Bereiche der internen und externen Analyse. Die interne Analyse beschäftigt sich mit der internen Einkaufsorganisation und den zu beschaffenden Materialgruppen (vgl. Abschnitt 3.3), die externe Analyse untersucht den Beschaffungsmarkt und die Lieferantenstruktur (vgl. Abschnitt 3.4). Innerhalb der Strategieformulierung sollen strategische Handlungsempfehlungen für die Beschaffung definiert werden. Ein wichtiges Instrument dafür stellt die PortfolioMethode dar, die zur Ableitung von Normstrategien dient. Die Analyseergebnisse bezüglich Materialgruppen und Lieferanten werden im Materialgruppen- und im Lieferantenportfolio zusammengeführt, die den Wegweiser für das weitere Vorgehen darstellen (vgl. Kapitel 4, Abschnitt 4.1). Wie die aus dem Portfolio abgeleiteten Normstrategien konkret mit Inhalt gefüllt werden können, d.h. die Frage welche Maßnahmen zu einer strategischen Optimierung der Beschaffung in Frage kommen, wird durch die allgemeinen Supplier Relations im GFSR-Modell (General Features of Supplier Relations) beschrieben. Deren denkbare Ausprägungsformen werden im Kapitel 4, Abschnitt 4.2 beschrieben. Die Strategieimplementierung beinhaltet die konkrete Umsetzung dieser Maßnahmen in den jeweiligen Materialgruppen, was zur zweiten Ebene des zugrunde liegenden 3-Ebenen-Modells, der Materialgruppenstrategie, hinführt (vgl. Kapitel 6). Bei der
52 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Zielbildung
Implementierung sind weiterhin Fragen der organisatorischen Neuausrichtung, der Einbindung der Mitarbeiter sowie des strategischen Controlling zu thematisieren (vgl. Kapitel 5). Weitere Modelle zur Strategieentwicklung für die Beschaffung finden sich bei Large (vgl. Large 2000a, S.36ff.), de Quervain/Wagner (vgl. de Qervain/Wagner 2003, S.104ff.), Brenner/Zarnekow (vgl. Brenner/Zarnekow 2003, S.327ff.), Jahns (vgl. Jahns 2003c, S.26ff; 2005, S.148ff.) oder van Weele (vgl. van Weele 2005, S.81ff.).
3.2
Zielbildung
Auf Gesamtunternehmensebene werden im Rahmen der Zielbildung aus der Unternehmensvision die strategischen Ziele abgeleitet (vgl. Welge/Al-Laham 1999, S.96ff.). Diese Überlegungen aus der Gesamtunternehmenssicht lassen sich auf die Perspektive der Beschaffung übertragen. Unternehmensvision und strategische Unternehmensziele bilden dabei eine Art Überbau für die Beschaffungsvision und die strategischen Beschaffungsziele. Beschaffungsstrategie und Unternehmens- bzw. Wettbewerbsstrategie sind zwingend miteinander zu verzahnen (vgl. Rast 2008, S.18 und S.42ff; Heß 2008, S.71ff.). Innerhalb der Beschaffungsperspektive sind die strategischen Beschaffungsziele aus der Beschaffungsvision heraus zu entwickeln (vgl. Abbildung 3-1). Die Unternehmensvision ist Bestandteil des normativen Managements. Sie ist Ursprung und Leitidee der unternehmerischen Tätigkeit, beantwortet die Frage nach der zukünftigen Unternehmensausrichtung und definiert den Rahmen in dem sich alternative strategische Stoßrichtungen abspielen können. Die Vision soll über das Zukunftsbild des Unternehmens Identität stiften, den Mitarbeitern eine Identifikationsmöglichkeit mit dem Unternehmen bieten und sie zu aktiver Mitwirkung mobilisieren (vgl. Hungenberg 2008, S.26f.). Der Bezugsbereich einer Vision kann sich von der Gesamtunternehmenssicht auf einen Teilbereich, wie z.B. die Beschaffung verlagern. In diesem Fall spricht man von der Beschaffungsvision oder auch der Supply Vision als Quelle des Selbstverständnisses des Einkaufs (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.12ff; Jahns 2003b, S.28ff u. 2005, S.148ff; Heß 2008, S.70f.). Neben den oben angesprochenen Zielen einer Vision dient sie im Einkauf zur Kommunikation, zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses und zur Förderung einer besseren Zusammenarbeit mit Lieferanten und internen Kunden. Die Beschaffungsvision sollte in wenigen Worten prägnant schriftlich ausformuliert werden. Weit wichtiger allerdings ist, dass sie von den Führungskräften vorgelebt wird.
53
3.2
3
Zielbildung und strategische Analyse
Abbildung 3-1:
Zusammenhang zwischen Vision und strategischer Zielbildung Gesamtunternehmensperspektive Unternehmensvision
Strategische Unternehmensziele
Beschaffungsvision
Strategische Beschaffungsziele
Beschaffungsperspektive
Als Praxisbeispiel sei hier BASF angeführt, deren Beschaffungsvision „Deliver competitive advantage through world-class procurement and supply chain excellence“ lautet. IPS (International Procurement Services), der für die weltweite Beschaffung von Nichtproduktionsmaterial bei der Daimler AG verantwortliche Dienstleister, definiert seine Vision wie folgt: „Wir sind die anerkannte Autorität für das Globale Nichtproduktionsmaterial- und Dienstleistungs-Management im Daimler Konzern“. Weitere Beispiele für Unternehmen, die eine Beschaffungsvision definiert haben, sind BMW, Ford Europe, 3M, Infineon oder ABB. Die Vision kann als grobe Richtungsvorgabe dienen, zu konkretisieren ist sie im weiteren Verlauf des Zielbildungsprozesses durch die Definition der langfristigen strategischen Ziele (vgl. Hungenberg 2008, S.414ff; Heß 2008, S.79ff.). Sie sind die Orientierungsgrößen für die Beschaffungsstrategie und dienen als Maßstäbe, anhand derer die Leistung des Beschaffungsbereichs beurteilt werden kann. Eine denkbare generische Systematisierung stellen die Kategorien Objektkosten (Einstandspreise) senken, Prozesskosten und Total Cost of Ownership (TCO) senken, Objekt- und Prozessqualität steigern sowie betriebsnotwendiges Vermögen senken dar (vgl. Heß 2008, S.79ff; vgl. zum Einfluss der Beschaffung auf den ROI Abschnitt 4.4.3). Beim Hersteller von Gabelstaplern, der Jungheinrich AG beispielsweise lauten die aus der Unternehmensstrategie und Einkaufsstrategie abgeleiteten strategischen Ziele (vgl. Mielke 2009, S.43):
Jährliche Reduzierung der Materialkosten um X % Einkaufsorganisation in Form des Warengruppen-Managements 54
Zielbildung
Ständige Optimierung der Performance der Lieferanten Konsequente Umsetzung des Corporate Designs Positionierung des Einkaufs als absolut integeren, loyalen und neutralen Partner, der Konzerninteressen vor Einzelinteressen stellt Bei IPS wurden im Jahre 2006 beispielsweise die folgenden strategischen Ziele aus der Vision abgeleitet:
Radikaler Abbau der Lieferantenanzahl Einstellung von Vollzeit-Lead Buyer Abschaffung geringwertiger Kleinbeauftragungen Initiierung eines virtuellen Teams Im Zuge der stärkeren Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Unternehmensentwicklung werden entsprechende Ziele auch für die Beschaffung zunehmend bedeutsamer. Ökologische Ziele (Green Procurement) und soziale Ziele (Corporate Social Responsibility) spielen daher auch im Einkauf eine wichtige Rolle. (vgl. Heß 2008, S.66ff.) Zahlreiche in 2009 und 2010 von Unternehmensberatungen veröffentlichte Studien unterstützen diese These nachhaltig (Accenture 2009; Blome/Henke/Luibl 2009; Ballas/Wamser 2009). Allgemein versteht man unter einer Beschaffungsstrategie die grundsätzliche Ausrichtung der Beschaffung im Unternehmen. Abgeleitet aus der Beschaffungsvision definiert sie die strategischen Ziele, legt die Positionierung in den relevanten Beschaffungsmärkten fest und trägt dafür Sorge, die wettbewerbsrelevanten Ressourcen zu identifizieren und zu entwickeln (vgl. ähnlich Pfohl/Large 2003, S.433f; Sydow/Möllering 2004, S.151ff; Jahns 2005, S.161.) Heß spricht hier von der Supply Strategie als Kernprozessstrategie, die die Unternehmens- und Wettbewerbsstrategie im Hinblick auf den Versorgungsprozess zu konkretisieren hat (vgl. Heß 2008, S.31f.). Strategische Ziele sind häufig wenig konkret und für ihre Implementierung zu operationalisieren, um sie für die Umsetzungsverantwortlichen greifbarer zu machen. Insbesondere sollte auch die Messung des Zielerreichungsgrades möglich sein, da sonst die Steuerung auf Basis dieser Ziele schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist („If you can’t measure it, you can’t manage it“). Ein hilfreiches und in der Praxis mittlerweile verbreitetes Instrument, um die Zielerreichung anhand von Kennzahlen messbar zu machen, stellt die Balanced Scorecard (BSC) dar. Dieses ursprünglich für die Gesamtunternehmenssteuerung konzipierte Instrument wird mittlerweile auch zur Teilbereichssteuerung und nicht zuletzt zur Steuerung des Beschaffungsbereiches verwendet (vgl. zum Einsatz der BSC in der Beschaffung Kapitel 5, Abschnitt 5.4.5).
55
3.2
3
Zielbildung und strategische Analyse
3.3
Interne strategische Analyse
3.3.1
Stärken-Schwächen-Analyse in der Beschaffung
Im Rahmen der internen Unternehmensanalyse geht es u.a. darum, die gegenwärtigen und zukünftigen Stärken und Schwächen aufzuzeigen. Für die hier interessierende Fragestellung ist der Beschaffungsbereich das Betrachtungsobjekt der Analyse. Für den Einkauf selbst und für mit Beschaffungsaufgaben betraute Unternehmensfunktionen ist ein Stärken-Schwächen-Profil zu erstellen (vgl. Jahns 2003c, S.28). Im Vergleich mit anderen Beschaffungsorganisationen (Benchmarking) erlangt man relativ schnell Transparenz über den aktuellen Status der Einkaufsperformance im Unternehmen (vgl. zu Benchmarking in der Beschaffung Boutellier/Locker 1998, S.209ff.). Aus den identifizierten Stärken und Schwächen können Leistungslücken erkannt und konkrete Handlungsempfehlungen, im Sinne von Ausbau der Stärken und Beseitigung der Schwächen, abgeleitet werden. In der praxisnahen Literatur zur Beschaffungsoptimierung werden verschiedene Konzepte für eine Stärken-Schwächen-Analyse in der Beschaffung behandelt:
Konzept der kritischen Erfolgsfaktoren des Einkaufs (vgl. Flake 2001, S.54f.) Referenzmodell im Rahmen der Einkaufspotenzialanalyse (vgl. Wildemann 2000, S.138ff.)
Einkaufs-Performance-Index (EPI) (vgl. Vollrath/Nase 2003, S.31ff.) Supply Management Health Check (vgl. Jahns/Schulte 2004, S.30ff.) Im Rahmen der in diesem Buch vorgestellten SRM-Methode werden die Inhalte der verschiedenen Studien in einem SRM-Kompetenz-Check zusammengeführt, der zur internen Stärken-Schwächen-Analyse herangezogen werden kann. Der SRMKompetenz-Check arbeitet mit den sechs Kompetenzfeldern Vision und Strategie, Prozesse, IT-Systeme, Strukturen, Human Resources und Controlling. Innerhalb der Kompetenzfelder werden auf der Stufe 2 im Modell in einer verfeinerten Betrachtung Kompetenzkategorien unterschieden (vgl. Tabelle 3-1). In Stufe 3 wird das Modell operationalisiert. Hier wird für jede Kompetenzkategorie eine Checkliste mit Fragen hinterlegt (Kompetenzindikatoren), die im betrachteten Unternehmen geprüft werden können. Eine detaillierte Übersicht zu den Kompetenzindikatoren mit den korrespondierenden Fragenlisten findet sich auf den Homepages der beiden Autoren. Mit der Durchführung des SRM-Kompetenz-Checks kann ein Unternehmen überprüfen, wo es sich auf dem Weg zur Implementierung einer zeitgemäßen SRM-Konzeption befindet und an welchen Stellen die größten Handlungsbedarfe bestehen.
56
Interne strategische Analyse
Tabelle 3-1:
SRM-Kompetenz-Check
Stufe 1: Kompetenzfelder
Stufe 2: Kompetenzkategorien
1. Vision und Strategie
a) Beschaffungsvision und -ziele b) Beschaffungsgesamtstrategie c) Materialgruppenstrategie
2. Prozesse
a) Ausgestaltung der strategischen Beschaffungsprozesse b) Ausgestaltung der operativen Beschaffungsprozesse
3. IT-Systeme
a) ERP-Systeme b) SRM-Systeme c) Data Warehouse-Systeme d) Workflow Management-Systeme e) Document Management-Systeme f) Master Data Management-Systeme g) Portal-Systeme
4. Strukturen
a) Stellung der Beschaffung in der Unternehmensorganisation b) Interne Beschaffungsorganisation c) Stellenwert der Beschaffung im Unternehmen
5. Human Resources
a) Qualifikation der Mitarbeiter b) Führungs- /Anreizsysteme
6. Controlling
a) Lieferantenbewertungssysteme b) Kennzahlensysteme
3.3.2
Materialanalyse
Ein zentrales Objekt in der Beschaffung sind naturgemäß die zu beschaffenden Bedarfe, die einer eingehenden Analyse zu unterziehen sind. Unter Materialbedarf sind alle zu beschaffenden Materialien i.w.S., d.h. auch Dienstleistungen werden hierunter subsumiert, nach Art, Menge und Qualität zu verstehen. Die Materialbedarfsanalyse kann sich zum einen auf zukünftig benötigte Bedarfe beziehen, zum anderen kann der Betrachtungsfokus rückwärts gerichtet sein. Die Frage lautet dann: Welche Materialien wurden in der vergangenen Periode beschafft und wie hoch war das Ausgabevolumen? Man spricht hier auch von Spend Analysis (vgl. Kapitel 2, Abschnitt 2.1.2). Basis für die Analyse ist eine saubere Klassifikation der Bedarfe (vgl. zur Bedarfsklassifikation exemplarisch Eichler 2003, S.118ff.). Was unmittelbar einleuchtend klingt und als Muss für darauf aufbauende strategische Beschaffungsüberlegungen erscheint, ist in der Unternehmenspraxis häufig nicht zufrieden stellend gelöst. Es fehlt in vielen Fällen der Überblick, wie viel Geld in der Beschaffung wofür ausgegeben
57
3.3
3
Zielbildung und strategische Analyse
wird. Eine Studie der London Business School kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass über die Hälfte der Einkaufsleiter europäischer Konzerne keine Kontrolle über die Einkaufsausgaben besitzen (vgl. Müller 2004a, S.56). Dies gilt zum einen für das gesamte Beschaffungsvolumen, zum anderen – und dies ist noch gravierender – fehlt die Transparenz für die Ausgaben in einzelnen Materialgruppen. Je größer das Unternehmen, umso vielfältiger ist die IT-Systemlandschaft und umso schwieriger ist die Spend Analysis. Oft ist es ein enormer händischer Aufwand, beispielsweise die konzernweiten Ausgaben für eine bestimmte Materialgruppe aus den unterschiedlichen ERP-Systemen zu ermitteln. Erschwert wird dies zum einen durch die uneinheitlichen Materialklassifizierungssysteme, die in vielen Unternehmen trotz aller Standardisierungsbemühungen nach wie vor vorhanden sind. Zum anderen wird die korrekte Zuordnung von Bestellungen zu Materialgruppen im operativen Beschaffungsprozess häufig unzureichend vorgenommen. Freitextbestellungen mit ganz grober Angabe der Warengruppe (z.B. Werkzeuge allgemein) oder Bestellungen ohne Eingabe in das System prägen nach wie vor das Geschehen. Mögliche Lösungen der beschriebenen Probleme hängen sehr stark mit dem Einsatz moderner Informationstechnologien zusammen. Ihre Betrachtung erfolgt in Kapitel 2, Abschnitt 2.5, der sich mit der ITUnterstützung der strategischen Analyse beschäftigt. Welche Klassifikationen von Materialien sind nach Bearbeitung der obigen Probleme nun sinnvoll vorzunehmen? Ein für die Klassifikation häufig angewendetes Unterscheidungsmerkmal stellt der Wertbeitrag der Materialien dar. Dieser lässt sich im Rahmen der ABC-Analyse ermitteln, bei der es sich um ein universell einsetzbares Verfahren zur Klassifizierung von Objekten in Klassen bzw. Kategorien handelt. Klassifizierungsobjekte können Lieferanten, Kunden oder natürlich Materialien sein. Führt man eine ABC-Analyse für Materialien durch, so werden folgende Schritte durchlaufen: 1. Festlegung einer Betrachtungsperiode (z.B. 12 Monate) 2. Ermittlung der Beschaffungsvolumina aller Materialien innerhalb der Betrachtungsperiode und Ermittlung des gesamten Beschaffungsvolumens in der Periode 3. Absteigende Sortierung der Materialien nach Beschaffungsvolumina 4. Ermitteln der prozentualen Anteile am Beschaffungsvolumen für jedes Material 5. Zuordnung der Materialien zu den Wertgruppen A, B und C: Von oben beginnend werden die prozentualen Anteile kumuliert, bis 75 % erreicht sind. Diese Materialien werden der Gruppe A zugeordnet. Die Materialien mit den nächsten 20% werden der Gruppe B und die Materialien mit den letzten 5% des Beschaffungsvolumens der Gruppe C zugeordnet Die so zugeordneten Materialien haben dann idealerweise die folgenden Eigenschaften (vgl. Abbildung 3-2):
58
Interne strategische Analyse
A-Material hat per Definition einen hohen kumulierten Wertbeitrag am Gesamteinkaufsvolumen, aber nur einen geringen Anteil in Bezug auf die Anzahl der beschafften Materialien und die hierfür genutzten Lieferanten.
B-Material besitzt einen mittleren kumulierten Wertbeitrag am Gesamteinkaufsvolumen und einen ebenfalls vergleichsweise geringen Anteil in Bezug auf die Anzahl der beschafften Materialien und die hierfür genutzten Lieferanten.
C-Material schließlich ist Material, das einen geringen kumulierten Wertbeitrag am Gesamteinkaufsvolumen hat, aber auf der anderen Seite einen extrem hohen Anteil in Bezug auf die Anzahl der beschafften Materialien und die hierfür genutzten Lieferanten besitzt. Die in Abbildung 3-2 dargestellten Relationen schwanken natürlich unternehmensabhängig und sind durch eine leicht geänderte Festlegung der Klassengrenzwerte beeinflussbar. Grundsätzlich ist aber in nahezu allen Unternehmen das Phänomen zu beobachten, dass vergleichsweise wenige Materialien einen hohen Anteil am Wertbeitrag besitzen und sich dieser Sachverhalt bei C-Materialien gerade umkehrt. Durch die ABC-Analyse soll der Fokus der Beschaffungsaktivitäten auf die wesentlichen Vorgänge gerichtet bzw. Optimierungspotenziale bei den eher unwesentlichen Vorgängen identifiziert werden. Ein solches Optimierungspotenzial zeigt Abbildung 3-2. Man sieht hier deutlich, dass die Anzahl der Bestellvorgänge und die Anzahl der Lieferanten bei C-Materialien sehr hoch sind und daher große Optimierungspotenziale in sich bergen. Abschließend sei noch erwähnt, dass die beschriebene Analyse analog auch auf Warengruppen angewendet werden kann. Aussagen hinsichtlich der Prognosegenauigkeit des mengenmäßigen Verbrauchs von Materialien lassen sich mit der XYZ-Analyse treffen:
X-Güter sind durch einen im Zeitverlauf gleich bleibenden Verbrauch gekennzeichnet. Der Bedarf weist nur gelegentlich Schwankungen um ein konstantes Niveau auf, so dass die Prognosegenauigkeit des Verbrauchs sehr hoch ist.
Y-Güter weisen einen trendförmig steigenden oder fallenden Verlauf und/oder saisonal schwankenden Verlauf auf, so dass die Prognosegenauigkeit des Verbrauchs mittel ist.
Z-Güter weisen einen unregelmäßigen Verbrauch auf. Der Verbrauch kann stark schwankend sein oder lediglich sporadisch auftreten, so dass die Prognosegenauigkeit des Verbrauchs sehr gering ist.
59
3.3
3
Zielbildung und strategische Analyse
Abbildung 3-2:
Beispiel für eine ABC-Analyse (Quelle: Möhrstedt et al. 2001, S.12) 3% 12 %
4%
8%
21 % 32 %
20 % 75 %
C-Artikel
60 %
75 %
85%
A-Artikel
Bestellvorgänge
WERTMÄSSIGES BESCHAFFUNGSVOLUMEN
Lieferanten
Materialien
ANZAHL
ABC- und XYZ-Analyse lassen sich in einer Matrix zusammenführen, aus der sich die passenden operativen Beschaffungsmodelle für die jeweiligen Materialien ableiten lassen (vgl. Eichler 2003, S.122f; Brunner/Novoszel 2008, S.32ff.). Der Landmaschinenhersteller Claas hat beispielsweise basierend auf der ABC-Analyse alle Materialien in die fünf Versorgungsklassen Just-in-sequence-, Fließ-, Lager-, KANBAN- und Nachfüllteile einsortiert und leitet daraus unterschiedliche Beschaffungs- und Logistikstrategien ab. Eine wichtige Voraussetzung für eine aussagekräftige Materialbedarfsanalyse ist die zu Beginn dieses Abschnitts bereits angesprochene Zuordnung der Materialien in ein einheitliches Klassifikationssystem. Notwendig sind hier unternehmensübergreifende Standards, die Produkte und Dienstleistungen beschreiben und diese in Klassen einordnen. Zwar ist die Notwendigkeit einer einheitlichen Materialklassifizierung in der Praxis weitgehend bekannt, trotzdem existieren noch viele Problemfelder (vgl. ähnlich Sauer 2003, S.40; Manz 2005, S.32f.):
Existenz vieler Individualstandards in den Unternehmen (160 Standards) Innerhalb von Konzernen haben Tochtergesellschaften oder Werke aus historischen Gründen oft eigene Materialgruppenschlüssel
Korrekte Zuordnung zu einer Klasse wird von den Bedarfsträgern häufig nicht akribisch verfolgt
Standardisierung der Klassifizierungssysteme ist häufig mit aufwendigen ITProjekten verbunden
60
Interne strategische Analyse
Die Materialklassifizierung sollte sich am Markt orientieren und weniger interne, verwendungsorientierte Belange in den Vordergrund stellen. Wichtige Klassifikationsstandards, die sich mehr und mehr durchsetzen sind eCl@ss und UN/SPSC. Daneben haben noch ETIM, ein Standard in der Elektrobranche, sowie Proficl@ss, der die Bereiche Bauen, Gebäudetechnik und Industriebedarf abdeckt, zumindest in Deutschland eine gewisse Verbreitung (vgl. Dorloff et al. 2001, S.1528ff; Sauer 2003, S.40; Stendal/Bötcher 2003, S.47f; Müller/Franke 2004, S.195ff; Braun/Dittrich 2007, S.123ff.). Seit 2006 ist ETIM Mitglied von eClass und umgekehrt. Der vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln getragene Klassifikationsstandard eCl@ss (www.eclass.de) basiert auf einem vierstufigen, hierarchischen Merkmalgruppensystem (Bsp.: Sachgebiet – Kommunikationsartikel 24, Hauptgruppe – Büromaterial 11, Gruppe – Schreibartikel 01, Untergruppe – Tintenschreiber 05). Jede Hierarchieebene ist durch eine zweistellige Zahlenkombination definiert, so dass eine achtstellige Klassifikationsnummer entsteht (24-11-01-05). Daneben lassen sich die Untergruppen mit vordefinierten Merkmalen, die aber auch individuell erweiterbar sind, beschreiben. Vorteile dieses Standards sind die Branchenunabhängigkeit, die Möglichkeit sowohl Produkte als auch Dienstleistungen zu klassifizieren sowie die Unterstützung durch Großkonzerne wie Siemens, BASF, RWE oder Audi. Der Hauptnachteil liegt im hohen Aufwand beim Hinzufügen von neuen Klassen. Der ebenfalls für Produkte und Dienstleistungen geeignete Standard UN/SPSC (United Nations Standard Products and Services Code, www.un-spsc.net) wurde vom United Nations Development Programm und dem Unternehmen Dun & Bradstreet Corp. entwickelt. Dieser Standard besitzt fünf Klassifikationsebenen, wobei hier keine Produktbeschreibung auf der Basis von Merkmalen integriert ist. Der Vorteil hier ist ganz klar die starke internationale Verbreitung. Ergebnis der Materialbedarfsanalyse sollte die Klassifizierung aller zu beschaffenden Materialien in einem einheitlichen geordneten Materialgruppensystem sein. Dabei gilt auch hier die 80:20-Regel, d.h. es muss nicht bis auf die letzte Schraubenspezifikation klassifiziert werden; vielmehr ist eine pragmatisch handhabbare Klassifizierung anzustreben (vgl. Droege & Comp. 1998, S.125f.). Wie Materialien IT-unterstützt in ein neues, standardisiertes Klassifizierungssystem überführt werden können wird in Kapitel 2, Abschnitt 2.4.2 dargestellt. Im Rahmen der in diesem Buch beschriebenen SRM-Methode ist eine Klassifizierung und Priorisierung der Materialien eine unabdingbare Voraussetzung. Welche der hier vorgestellten Instrumente Anwendung finden, hängt vom jeweiligen Status quo im Unternehmen ab – eine ABC-Analyse ist jedoch absolute Mindestvoraussetzung. Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass gerade bei KMU hier noch großer Handlungsbedarf besteht. Nur auf Basis dieser Vorarbeiten lassen sich materialgruppenbezogene Strategien, wie beispielsweise Bündelung oder Standardisierung inklusive eines kennzahlengestützten Controllings umsetzen (vgl. Rüdrich/Kalbfuß/Weißer 2004, S.31ff.). Bei den oben beschriebenen Analysen werden die Materialbedarfe innerhalb bestimmter Klassen untersucht, um hierauf basierend Strategieempfehlungen für bestimmte
61
3.3
3
Zielbildung und strategische Analyse
Materialklassen zu geben. Im Folgenden werden weitere Klassifizierungsansätze beschrieben, bei denen nicht der Materialbedarf, sondern der Verwendungszweck und die logistische sowie die informationstechnische Abwicklung des Materials im Vordergrund stehen. Hinsichtlich des Verwendungszwecks von Materialien ist die Differenzierung nach direkten und indirekten Materialien vorzunehmen. Direkte Materialien gehen unmittelbar in den eigentlichen Wertschöpfungsprozess des Unternehmens ein. Bei einem Handelsunternehmen sind das die für den Weiterverkauf bestimmten Produkte, bei einem Industrieunternehmen handelt es sich um für die Weiterverarbeitung in der Produktion bestimmte Produkte. Indirekte Materialien sind für Betrieb und Unterhalt eines Unternehmens nötig, fließen aber nicht in das Endprodukt ein und sind somit nicht für Weiterverarbeitung und Weiterverkauf bestimmt. Der Bedarf an diesen Produkten kann bei jedem Mitarbeiter oder auch in der Produktion anfallen. Typische Beispiele sind MRO- (Maintenance, Repair und Operations) Produkte, Computerzubehör und Software sowie Büroausstattung und -material. In der Regel handelt es sich um nicht bestandsmäßig geführte Materialien. Auch eher indirekten Charakter haben Dienstleistungen (Services). Hierbei handelt es sich um bei Externen in Anspruch genommene immaterielle Dienste, die zur Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft im Unternehmen notwendig sind (z.B. Kopierservice, Kantine, Beratung). Hinsichtlich der Spezifität unterscheidet man zwischen Commodities und spezifischen Materialien. Commodities sind standardisierbare, in verschiedenen Unternehmen einsetzbare Produkte. Bei direkten Materialien wären dies z.B. Rohmaterialien in der chemischen Industrie oder Leiterplatten in der Elektronikbranche, bei indirekten Materialien wäre typischerweise Büromaterial zuzuordnen. Spezifische Produkte besitzen hingegen unternehmensindividuellen Charakter. Bezüglich direkter Materialien handelt es sich häufig um gemeinsam mit den Lieferanten entwickelte Vorprodukte, bei denen eine enge Abstimmung notwendig ist (z.B. zeichnungsgebundene Teile wie eine Türinnenverkleidung in der Automobilbranche). Spezialwerkzeuge oder maschinen sind Beispiele aus dem indirekten Bereich. Bezogen auf die logistische Abwicklung im Unternehmen ist bei den direkten Materialien zwischen Lagermaterial, Verbrauchsmaterial und produktionssynchronem Material zu differenzieren. Ein Hauptunterschied liegt in der Bestandsführung. Lagermaterialien sind im Lager vorrätig und werden hier bestandsmäßig geführt, d.h. jeder Materialzu- und -abgang wird verbucht. Verbrauchsmaterialien wie z.B. Schrauben, Nieten, Unterlegscheiben etc. werden entweder am Ort der Produktion und/oder in einem vorgeschalteten Lager bereitgestellt. Diese Materialien werden mit dem Wareneingang sofort in den Verbrauch, d.h. auf eine Kostenstelle gebucht. Die Entnahmen werden wegen des geringen Wertes der Materialien nicht verbucht. Dementsprechend hat man hier keine systemgestützte Bestandsführung. Produktionssynchrone Materialien werden direkt in der Produktion angeliefert und gehen sofort in
62
Interne strategische Analyse
den Produktionsprozess ein. Eine Lagerhaltung findet bis auf Minimalmengen nicht statt. Will man indirekte Materialien hinsichtlich der Abwicklungsform abgrenzen, bietet sich die Einteilung in Katalogmaterial, Dienstleistungen und Investitionsgüter an. Katalogmaterialien sind eher standardisiert, haben einen geringen Wert und können aus konventionellen oder auch elektronischen Katalogen bestellt werden. In der Regel werden sie vom Bedarfsträger kurzfristig beschafft, sobald ein Bedarf in der Fachabteilung besteht. Denkbar ist aber auch der Fall, dass ein Lager per Katalogbeschaffung aufgefüllt wird (z.B. Werkzeuglager). In bestimmten Fällen ist aber auch möglich, dass direkte Materialien über Kataloge beschafft werden, dies ist aber nicht die typische Anwendung. Eine weitere spezifische Abwicklungsvariante stellen die schon angesprochenen Dienstleistungen dar. Die Besonderheiten von Dienstleistungen stellen die Nicht-Lagerfähigkeit, die Möglichkeit der Qualitätsbeurteilung erst nach Erbringung und die generelle Schwierigkeit der Qualitätsmessung dar. Gerade beim Dienstleistungseinkauf sind die Unternehmen häufig von der Problematik Maverick buying und von mangelhafter Standardisierung betroffen. Die Fachabteilungen sehen oft nicht die Notwendigkeit der Einbeziehung des Einkaufs (vgl. exemplarisch zu MarketingDienstleistungen Eßig et al. 2009, S.32ff.). Außerdem stellt die Automatisierung der Dienstleistungsbeschaffung eine besondere Herausforderung für die Optimierung von Beschaffungsprozessen dar (vgl. das Best-Practice-Beispiel der Landesbank BadenWürttemberg hierzu bei Staudenmayer 2008, S.18f.). Investitionsgüter (Capital equipment) sind unregelmäßig anfallende Investitionen in Produktionsanlagen oder Maschinen. Die Bandbreite kann hier von einem Spezialwerkzeug über einen Standardgabelstapler bis hin zur individuell zu spezifizierenden Produktionsanlage ausgeprägt sein. Diese eher teuren und spezifischen Güter besitzen überwiegend eine hohe Komplexität und werden in Projektform beschafft. Im Hinblick auf die informationstechnische Abwicklung differenziert man zwischen kodierten und nicht-kodierten Materialien. Kodierte Materialien bzw. Dienstleistungen werden im IT-System mit Material- oder Leistungsstamm erfasst und haben deshalb im Unternehmen eine Material- oder Leistungsnummer. Sie erlauben eine einfache Bestellabwicklung sowie detaillierte Auswertungen. Kodierte Materialien können bestandsmäßig geführt werden. Ein weiterer Grund für die Kodierung ist häufig die einfachere Bestellabwicklung. Die seltene oder einmalige Bestellung bei nichtkodierten Materialien (Freitextmaterialien) rechtfertigt die Anlage eines Materialstamms nicht. Bei Bestellungen wird der Materialtext hier frei eingegeben. Die vorgestellten Materialbedarfskategorien werden in der zusammenfassenden Abbildung 3-3 grafisch dargestellt.
63
3.3
3
Zielbildung und strategische Analyse
Abbildung 3-3: Lagermaterial
Gesamtübersicht zur Materialklassifizierung Prod.synchr. Material
Verbrauchsmaterial
Katalogmaterial
Dienstleistungen
Investitionsgüter
Commodities
Commodities
Indirektes Mat./Dienstl.
Direktes Material
Spezifisches Mat./Dienstl.
Spezifisches Material
Kodiertes Material
Kodiertes Material
Nicht-kodiertes Material
Die Wertanalyse, als letzte hier beschriebene Form der Materialanalyse, ist ein strukturierter Ansatz zur Identifikation unnötiger Kosten und potenzieller Leistungsverbesserungen bei Materialien oder Dienstleistungen und dient der Rationalisierung und Produktverbesserung (vgl. Wildemann 2000, S.125ff; Riffner/Weidelich 2001, S.147ff; Wannenwetsch 2002, S.39ff; Hartmann et al. 2007, S.23ff; Schuh et al. 2008, S.105ff.). Objekte der Wertanalyse können Fertigungsverfahren, Abläufe, Maschinen oder eben Materialien und Dienstleistungen sein. Hier werden systematisch die Funktionen und die Kosten eines Objektes von einem cross-funktional besetzten Expertenteam untersucht. Für die erforderlichen Funktionen des Produktes sollen kostengünstigere Lösungen ermittelt werden, indem z.B. unnötige Funktionen eliminiert werden. Denkbar ist aber auch, die Funktionspalette eines Erzeugnisses zu erweitern, falls hierdurch eine Umsatzsteigerung zu erreichen ist. Insbesondere für die Beschaffung bietet die Wertanalyse eine wichtige Hilfestellung für Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen. Droege & Comp. sind sogar der Meinung, dass die Wertanalyse der wichtigste Hebel ist, um Einsparpotenziale im Einkauf zu realisieren (vgl. Droege & Comp. 1998, S.41). Es bietet sich die folgende Vorgehensweise an:
Detaillierte und präzise technische Beschreibung des zu analysierenden Produktes Beschreibung der Produktfunktionalitäten bzw. des Kundennutzens Analyse der funktionsbezogenen Total Cost of Ownership (TCO) Suche nach Alternativen, die die gewünschten Produktfunktionalitäten ebenfalls erfüllen
Ermittlung der Kosten für die neuen Komponenten 64
Externe strategische Analyse
3.4
Externe strategische Analyse
3.4.1
Beschaffungsmarktanalyse
3.4.1.1
Inhalte der Beschaffungsmarktanalyse
Die Begriffe Beschaffungsmarketing (in einem engeren Begriffsverständnis) oder auch Beschaffungsmarktforschung sind in Theorie und Praxis verbreitete Bezeichnungen für die strategische Beschaffungsmarktanalyse. Das Hauptziel der Beschaffungsmarktanalyse lässt sich wie folgt formulieren: Die Beschaffungsmarktanalyse soll durch die systematische Bereitstellung von Informationen zum Beschaffungsmarkt dazu beitragen, dass die Entscheidungsunsicherheit im Einkauf reduziert und das Risiko von Fehlentscheidungen begrenzt wird. Der Beschaffungsmarkt soll in seinen Zusammenhängen und Wechselbeziehungen durch Marktbeobachtungen, -analysen und -prognosen transparent gemacht werden. Als Objekte der Beschaffungsmarktforschung werden in der Literatur Produkt, Markt, Lieferant und Preis unterschieden Im strategischen Management ist für die externe strategische Analyse auch der Begriff Umfeldanalyse verbreitet, wobei dann zwischen dem generellen Umfeld bzw. Makroumfeld und dem Branchenumfeld bzw. Mikroumfeld differenziert wird (vgl. Hungenberg 2008, S.89ff.). Im Folgenden werden die Inhalte der generellen Umfeldanalyse, auch bekannt als PESTEL-Analyse, und der Branchenstrukturanalyse auf die Beschaffung übertragen. Das generelle Umfeld beeinflusst maßgeblich den Handlungsspielraum für Unternehmen in einem bestimmten geografischen Raum. Zu differenzieren sind die Segmente ökonomisches, technologisches, sozio-kulturelles, ökologisches und politischrechtliches Umfeld. Im Gegensatz zur Branchenumwelt lässt sich das generelle Umfeld vom Unternehmen nicht oder nur in geringem Maße beeinflussen und hat branchenübergreifenden Charakter. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich Unternehmen an die von der generellen Umwelt gegebenen Vorgaben halten müssen. Ziel der generellen Umfeldanalyse ist es, Trends frühzeitig aufzuspüren, um die zukünftigen Veränderungen für das Unternehmen vorhersagen und in die strategische Planung aufnehmen zu können (proaktive Planung). Im Optimalfall sollte die generelle Umwelt, genauso wie die Branchenumwelt und das eigene Unternehmen, regelmäßig analysiert werden, insbesondere wenn sich das Unternehmen in einer sehr dynamischen Umwelt befindet. Die Auswirkungen der generellen Umweltfaktoren betreffen natürlich auch den Beschaffungsbereich, so dass die entsprechende Analyse auch für die Fundierung einer Beschaffungsstrategie von nicht zu vernachlässigender Bedeutung ist. Wichtige ausgewählte Einflussfaktoren für die Beschaffung werden im Folgenden beschrieben.
65
3.4
3
Zielbildung und strategische Analyse
Ökonomisches Umfeld Innerhalb der ökonomischen Umwelt werden allgemeine volkswirtschaftliche Entwicklungen analysiert. Wichtige Einflussfaktoren sind u. a. die Entwicklung des Wirtschaftswachstums, der Zinsen, der Inflationsrate oder der Wechselkurse. Für die Beschaffung stellt hier der Purchasing Managers’ Index eine wichtige Kenngröße dar. Dieser Index wird vom Institute for Supply Management in den USA ermittelt und monatlich auch in der Zeitschrift „Beschaffung aktuell“ publiziert. Weitere wichtige dort monatlich vorzufindende Indices sind z.B. Produktions-Entwicklung, Auftragsbestände, Beschäftigung oder Preisentwicklung. Gerade wenn ein Unternehmen neue globale Beschaffungsmärkte erschließen will, sind solche allgemeinen volkswirtschaftlichen Indikatoren von hoher Bedeutung.
Technologisches Umfeld Dieses Umfeld Segment behandelt alle technologischen Einflüsse auf das Unternehmen. Einleuchtend ist, dass die Beschaffung über den aktuellen und zukünftigen technologischen Status eines Marktes genauestens Bescheid wissen sollte. Angefangen von der Infrastruktur bis hin zur Leistungsfähigkeit der Lieferanten reicht das Spektrum der relevanten Informationen. Exemplarisch sei auf die Relevanz der Informationstechnologie verwiesen. Im Supplier Relationship Management wäre es kaum möglich, die Prozesse optimal durch die IT zu unterstützen, wäre man sich nicht im Vorfeld über alle technologisch möglichen Varianten im Klaren. Dieses Segment kann höchst wettbewerbsentscheidend sein und muss daher mit der notwendigen Sorgfalt und Tiefe analysiert werden.
Sozio-kulturelles Umfeld Im Mittelpunkt dieses Segments stehen die Menschen, die mit dem Unternehmen im Zusammenhang stehen, seien es Lieferanten, Kunden oder die eigenen Mitarbeiter (Stakeholder). Ziel ist es, Aufschluss über Themen wie Bildungsstand, Bevölkerungsstruktur und Wertvorstellungen zu erlangen. Einflüsse auf die Beschaffung haben hierbei u.a. kulturelle, religiöse und ethische Vorstellungen der Menschen. Ist in Deutschland der Bildungsstand für das Unternehmen evtl. wichtiger als religiöse Ansichten und die dazugehörigen Werte, so kann das auf dem globalen Beschaffungsmarkt durchaus anders sein. Wer schon einmal an Verhandlungen mit asiatischen Partnern teilgenommen hat, weiß um die Bedeutung sozio-kultureller Aspekte.
Ökologisches Umfeld Themen der ökologischen Umfeldanalyse sind zum einen aus Sicht des Umweltschutzes zu sehen. Hier kann es sich für das Unternehmen durchaus lohnen, weniger belastende Materialen zu beschaffen, um dadurch die Entsorgungslogistik zu entlasten. Man sieht hier, dass gesamtwirtschaftliche und unternehmensbezogene Ziele auch bei Ökologiefragen durchaus im Einklang stehen können. Zum anderen spielen Themen wie die geografische Lage der Lieferanten oder die Rohstoffverfügbarkeit eine Rolle.
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Externe strategische Analyse
Viele Unternehmen haben das Thema Umweltschutz in ihrer Unternehmensphilosophie verankert, so dass sich für sie die ökologische Umfeldbetrachtung als Selbstverständlichkeit darstellt.
Politisch-rechtliches Umfeld Welche staatliche Einflussnahme wird auf das Handeln von Unternehmen ausgeübt? Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich die politisch-rechtliche Umfeldanalyse. Besonders rechtliche Normen, wie z.B. Regelungen zur Unternehmensverfassung, zur Besteuerung oder zur Unternehmenshaftung, stehen dabei im Vordergrund. Nicht weniger wichtig können z.B. Investitions-, Umweltschutz- und Patentvorschriften sein. Typisch deutsch sind langwierige Genehmigungsverfahren, die ggf. im Ausland umgangen werden können. Auch die politische Stabilität in den Märkten spielt natürlich für Unternehmen, die Global Sourcing betreiben, eine herausragende Rolle. Das bekannteste Modell zur Branchenstrukturanalyse ist das Five-Forces-Modell von Michael E. Porter (vgl. Porter 1980, S.4; Hungenberg 2008, S.101ff.). Insbesondere dieser Ansatz lässt sich auf den Bereich der Beschaffung übertragen (vgl. erste Überlegungen in dieser Hinsicht bei Boutellier/Locker 1998, S.51; Jahns 2003c, S.27; Jahns 2005, S.164ff.). Bei der Branchenstrukturanalyse geht es um die Betrachtung der strukturellen Besonderheiten auf der Angebots- und Nachfrageseite. Unter dem Begriff Branche werden Unternehmen auf der gleichen Wertschöpfungsstufe verstanden, die ähnliche Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Daneben werden vorgelagert die Lieferanten und nachgelagert die Abnehmer in das Modell mit einbezogen. Überträgt man den Gedanken auf die Strukturanalyse des Beschaffungsmarkts, verschieben sich die Betrachtungsobjekte um eine Wertschöpfungsstufe nach vorne. Im Mittelpunkt steht sodann der Wettbewerb unter den Lieferanten, die Bedrohung durch neue Lieferanten oder Substitutionsprodukte sowie die Verhandlungsstärke der Vorlieferanten und der abnehmenden Unternehmen (vgl. Abbildung 3-4). Ziel ist es, die Wettbewerbsintensität und das Optimierungspotenzial eines Beschaffungsmarkts zu bestimmen.
Verhandlungsmacht der Abnehmer Im Five-Forces-Konzept des Beschaffungsmarkts wirken die Abnehmer durch die ständige Forderung nach niedrigeren Preisen, besserer Qualität und steigenden Serviceansprüchen negativ auf die Rentabilität der Branche. Aus diesem Grund ist es für ein Unternehmen, das als Abnehmer fungiert, wichtig zu analysieren, wie groß die Verhandlungsmacht des eigenen Unternehmens und der weiteren Abnehmer ist. Je größer diese Macht, desto geringer die Rentabilität der Branche für die Lieferanten. Besteht ein hoher Konzentrationsgrad der Abnehmer, so haben diese natürlich eine sehr starke Verhandlungsposition, sichtbar ist dies beispielsweise in der Automobilbranche. Auch ein hoher Wert der Produkte führt dazu, dass sich Abnehmer besser informieren und preisempfindlicher reagieren. Stark standardisierte Materialien begünstigen den Druck auf die Lieferanten genauso wie eine hohe Markttransparenz.
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3.4
3
Zielbildung und strategische Analyse
Im Falle von großen Abnehmern besteht auch in Zeiten sinkender Wertschöpfungstiefe die Gefahr der Rückwärtsintegration, also dem Insourcing von zuvor an Lieferanten vergebenen Wertschöpfungsstufen. Es wird die starke Abhängigkeit der Lieferanten von den Abnehmern deutlich, so dass in diesem Fall eher mit einem niedrigeren Preisniveau zu rechnen ist. Bei einer stärkeren Lieferantenposition wird das Preisniveau hingegen tendenziell steigen. Das eigene Unternehmen als Abnehmer sollte seine eigene Position bei den Abnehmern erkennen und sich über die eigene Einflussnahme, bzw. über Auswirkungen von Handlungen bewusst werden. Die Frage an dieser Stelle sollte sein, wie sehr kann und soll man als Abnehmer Druck auf seine Lieferanten ausüben. Reduziert man die Attraktivität der Lieferantenbranche erheblich, können Lieferanten aus dem Markt ausscheiden, wodurch die Verhandlungsmacht der bestehenden, wenigen Lieferanten gestärkt wird. Wichtig ist es, eine Sensibilität für das richtige Maß an Druck auf die Branche zu entwickeln.
Abbildung 3-4:
Strukturanalyse des Beschaffungsmarkts
Potenzielle neue Lieferanten/Konkurrenten Bedrohung der Lieferanten durch neue Konkurrenten
Verhandlungsmacht der Vorlieferanten Verhandlungsstärke der Lieferanten der vorherigen Wertschöpfungsstufen
Lieferantenwettbewerb in den jeweiligen Branchen untereinander Abnehmer Verhandlungsmacht
Rivalität unter den bestehenden Lieferanten
Substitutionsprodukte Bedrohung der Produkte unserer Lieferanten durch Ersatzprodukte/ -dienste
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Unser Unternehmen und andere Abnehmer
Perspektive unseres Unternehmens
Externe strategische Analyse
Rivalität unter den bestehenden Lieferanten (1-Tier-Supplier) Die Rivalität zwischen den Lieferanten führt zu einer wachsenden Intensität des Wettbewerbs und wird von den vier anderen Wettbewerbskräften beeinflusst. Äußern kann sich die Rivalität in Form von aggressiven Strategien wie extremem Preiswettbewerb, aufwendigen Werbekampagnen oder zusätzlichen Service- und Garantieleistungen. Neben dem Einfluss der vier Wettbewerbsgrößen ist die Rivalität auch von der Anzahl der Wettbewerber, der Verteilung der Marktanteile, dem Wachstum der Branche, dem Ausmaß der Produktdifferenzierung, der Differenzierung der Unternehmensstrategien, von Überkapazitäten sowie von vorhandenen Austrittsbarrieren abhängig. Wichtig sind aus Abnehmersicht Informationen zur Marktpreisentwicklung in der Lieferantenbranche. Abgeleitet werden können daraus die Dynamik der Branche und die Leistungsfähigkeit der betrachteten Lieferanten. Aus Sicht des abnehmenden Unternehmens ist eine gesunde Rivalität zwischen den Lieferanten einer Branche positiv zu sehen.
Bedrohung der Lieferanten durch potenzielle neue Lieferanten Potenzielle neue Lieferanten sind noch nicht in der Branche tätig, erwägen jedoch einen Brancheneintritt. Je attraktiver eine Branche, desto größer das Interesse, einen Anteil abzubekommen. Je mehr Lieferanten in die neue Branche vorstoßen, um so mehr nimmt die Attraktivität aus der Sicht der Teilnehmer ab. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts hängt hauptsächlich davon ab, wie die erwartete Reaktion der etablierten Wettbewerber ist und wie hoch die Eintrittsbarrieren eingestuft werden. Die Folgen des Markteintritts neuer Anbieter sind absatzseitig z.B. ein sinkendes Preisniveau, wodurch sich die Rentabilität verringert und der Wettbewerbsdruck erhöht. Für die Lieferanten hat dies zur Folge, diesen erhöhten Wettbewerbsdruck auffangen zu müssen. In der Regel bedeutet das die Notwendigkeit von niedrigeren Einstandspreisen und optimierten Beschaffungsprozessen. Für das abnehmende Unternehmen vergrößern sich die Handlungsoptionen bezüglich der Supplier Relations zur Lieferantenbasis oder zur vertikalen Lieferanteneinbindung (vgl. Kapitel 4, Abschnitt 4.2).
Verhandlungsmacht der Vorlieferanten (2-Tier-Supplier) Lieferanten, die Vorlieferanten der 1-tier Lieferanten sind, stellen ebenfalls einen wichtigen Faktor zur Definition der Supplier Relations dar. Ihr Ziel ist natürlich ebenfalls die Erzielung höherer Preise bzw. die Verknappung des Angebots. Gelingt ihnen das, üben sie damit Druck auf die beschaffenden Unternehmen (1-Tier-Supplier) aus. Ihre Verhandlungsmacht wird von den gleichen Faktoren wie die der Abnehmer, nur mit geänderten Vorzeichen, beeinflusst. Die Attraktivität des Beschaffungsmarkts ist also auch davon abhängig, in welchem Umfang unsere Lieferanten den Forderungen, z.B. nach höheren Preisen, nachkommen müssen. Da die 1-Tier-Lieferanten diese Preiserhöhungen weitergeben wollen, erhöht sich auch der Druck auf die abnehmenden Unternehmen. Im Einkauf von Stahl plante beispielsweise VW den Bedarf der 1-TierLieferanten mit dem eigenen zu bündeln und diesen an die Stahlhersteller zu verge-
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3.4
3
Zielbildung und strategische Analyse
ben. Neben den Bündlungsvorteilen versprach sich VW davon die Kontrolle über die Kostenstrukturen vorgelagerter Wertschöpfungsstufen (vgl. o.V. 2005a).
Druck durch Substitutionsprodukte Substitutionsprodukte sind Ersatzprodukte, die die gleiche Funktion wie ein anderes Produkt erfüllen. D.h. ein Substitutionsgut kann ein bereits vorhandenes Produkt ersetzen. Verändert sich das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Substitutionsguts zu Gunsten eines neuen Lieferanten, ist das ein Vorteil, da der Druck auf den bisherigen Vorlieferanten erhöht werden kann. Aus Sicht des beschaffenden Unternehmens ist eine hohe Anzahl von Substitutionsgütern ein Vorteil, da sich die Handlungsoptionen bezüglich der Supplier Relations erhöhen. Aus Sicht des verkaufenden Unternehmens verhält sich der Sachverhalt genau gegenteilig. Es geht bei der Branchenstrukturanalyse des Beschaffungsmarkts in erster Linie darum, die Dynamik und Attraktivität der Branche zu analysieren, Machtverhältnisse ausfindig zu machen und die Position der Lieferanten im Geflecht aus Vorlieferanten, potentiellen Lieferanten, Substitutionsgütern, dem eigenen Wettbewerb und den Abnehmern heraus zu finden. Im Ergebnis sollte eine Klarheit über Chancen und Risiken der Lieferanten in der Branche herrschen. Nur dann kann ein Unternehmen die Lieferantenbeziehungen auch bestmöglich definieren und ausprägen. Für die Anwendung der SRM-Methode ist die Analyse von generellem Umfeld und Branchenstruktur der Lieferanten eine wichtige Voraussetzung. Der Detaillierungsgrad der Analyse hängt von Unternehmensgröße und Umfang der angestrebten Veränderung ab. Eine verwandte, aber leicht abgewandelte Variante der Beschaffungsmarktanalyse stellt auch Heß vor (vgl. Heß 2008, S.139ff.).
3.4.1.2
Methoden der Beschaffungsmarktanalyse
Nachdem die Inhalte der Beschaffungsmarktanalyse betrachtet wurden, wird im Folgenden der Frage nachgegangen, wie ein Unternehmen die benötigten Informationen erlangt. Differenziert nach der Herkunft der ermittelten Informationen unterscheidet man Primär- und Sekundärerhebungen. Während bei einer Primärerhebung die Information unmittelbar z.B. durch Befragung oder Beobachtung gewonnen wird, ermittelt die Sekundärerhebung die Informationen aus bereits vorher zu anderen Zwecken erhobenen Daten (vgl. Reinelt 2002, S.574). Um eine zielführende Analyse des Beschaffungsmarkts zu gewährleisten, ist im ersten Schritt die genaue Kenntnis über das Produkt und die Produktionstechnologie (Materialbedarfsanforderungen) notwendig. Die Bedarfe sollten sowohl technisch als auch mengenmäßig genau spezifiziert werden. Diese Informationen lassen sich aus den Ergebnissen der Materialanalyse ableiten. Im nächsten Schritt ist der relevante Beschaffungsmarkt zu definieren und zu beschreiben. Ein Modell zur Identifikation von potenziell relevanten Beschaffungsmärkten wird von Brodersen vorgestellt (vgl. Bro-
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Externe strategische Analyse
dersen 2003, S.34ff.). Um eine Verkleinerung des Untersuchungsfeldes für die Beschaffungsmarktanalyse zu gewährleisten, kommt der Vorauswahl im Sinne einer Filterfunktion eine hohe Bedeutung zu. Hier sind bereits die Märkte zu eliminieren, die grundsätzlich nicht in Frage kommen. Entscheidungskriterien können u.a. prinzipielle Materialverfügbarkeit oder spezifische Werthaltungen des Unternehmens sein. Die Makroanalyse differenziert in diesem Modell zwischen situationsunabhängigen Kriterien, die nichts mit der konkreten Beschaffungssituation zu tun haben (z.B. Inflationsrate, Wirtschaftsordnung) und situationsabhängigen Kriterien (z.B. Lohnkosten, technologische Leistungsfähigkeit). In der dritten Stufe, der Mikroanalyse, wird der Markt im Hinblick auf die eigene Position in Relation zur Stärke der Lieferanten untersucht. An dieser Stelle kann die oben vorgestellte Branchenstrukturanalyse zum Einsatz kommen. Insbesondere interessiert, welche potenziellen neuen Lieferanten die vorher definierten Anforderungen an den Materialbedarf erfüllen können. Zielsetzung bei diesem systematischen Vorgehensmodell ist nicht zuletzt die optimale Ressourcenallokation bei der Beschaffungsmarktanalyse, um nicht unnötig Zeit und Geld in der Untersuchung von irrelevanten Beschaffungsmärkten zu vergeuden (vgl. Abbildung 35).
Abbildung 3-5:
Prozess der Beschaffungsmarktanalyse (Quelle: nach Brodersen 2003, S.36) Voranalyse
Weltmarkt Vorauswahlkriterien
grundsätzlich geeignete Beschaffungsmärkte
Checkliste
situationsunabhängige Kriterien
Makroanalyse Länderpool tendenziell unsicherer Märkte
Länderpool tendenziell sicherer Märkte
Segmentierung
situationsabhängige Kriterien
objektunspezifische sichere Märkte
Länderprofil
Mikrokriterien
objektspezifische Mikroanalyse sichere Märkte objektspezifische sichere Märkte mit Lieferantenmacht
Segmentierung
objektspezifische sichere Märkte mit Einkäufermacht
Im Hinblick auf die Informationsquellen der Beschaffungsmarktanalyse lässt sich zwischen klassischen und internetbasierten Quellen differenzieren. Bei der klassischen Beschaffungsmarktanalyse funktioniert die Recherche offline auf der Basis von
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3.4
3
Zielbildung und strategische Analyse
CD-Roms, Lieferantenverzeichnissen, Messekatalogen, Verbandsverzeichnissen, Informationen der Industrie- und Handelskammern oder Fachinformationsdiensten. Daneben können natürlich auch interne Informationsquellen über bestehende Kontakte zu Unternehmen genutzt werden. Gerade auch für die Analyse globaler Märkte ist die Gewinnung von unmittelbaren Eindrücken vor Ort unerlässlich. Hier kann zum einen die Dienstleistung internationaler Einkaufsbüros (International Procurement Offices - IPO) in Anspruch genommen werden, zum anderen sind persönliche Besuche beim Lieferanten (Einkaufsreisen) absolut notwendig (vgl. Reinelt 2002, S.576ff; Droege & Comp 1998, S.141). Besonders zu Beginn der Analysetätigkeit ist die manuelle Informationssuche mit hohem Aufwand verbunden. Außerdem ist die Gefahr groß, nur unvollständige und nicht mehr aktuelle Daten zu recherchieren. Die internetbasierten Quellen zur Beschaffungsmarktanalyse stellen hier eine wichtige Ergänzung dar. Sie werden bei der IT-Unterstützung der strategischen Analyse in Abschnitt 4.5.2 vorgestellt.
3.4.2
Lieferantenanalyse und -bewertung
Die Lieferantenanalyse ist die erste Phase im Regelkreis des Lieferantenmanagements. Nach der Analyse sind die Lieferanten zu bewerten. Auf der Basis der Bewertung erfolgt eine Klassifikation und darauf aufbauend die Ableitung von Handlungsalternativen zum Umgang mit den Lieferanten, die grob in Ausphasen der Lieferanten und Lieferantenentwicklung eingeteilt werden können (vgl. Abbildung 3-6). Lieferantenklassifizierung und –entwicklung werden im folgenden Kapitel 4 der Strategieformulierung behandelt. Als Ergebnis der Beschaffungsmarktanalyse liegen konkrete Informationen über den analysierten Markt vor. Insbesondere sind potenziell für eine Geschäftsbeziehung in Frage kommende Lieferanten identifiziert, die nunmehr ex ante jeweils einer differenzierteren Lieferantenanalyse zu unterziehen sind. Erste Informationen lassen sich über die bei der Beschaffungsmarktanalyse verwendeten Kanäle erlangen. Dies reicht aber nicht aus für eine fundierte Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Lieferanten, tiefer gehende Analysen sind von zwingender Notwendigkeit. Beispielsweise kann von Interesse sein, wie der Lieferant konzernmäßig verflochten ist. Gehört er zu einem Konzern mit dem unser Unternehmen bereits anderweitig Geschäftsbeziehungen pflegt? Dies ist eine wichtige Information, die insbesondere für Preisverhandlungen die eigene Ausgangsposition verbessert. Der Informationsdienstleister Dun & Bradstreet (www.dnb.com) liefert diese Information, indem er jedem registrierten Unternehmen eine entsprechende weltweit eindeutige DUNSNumber (Data Universal Numbering System) zuordnet (vgl. Hepp/Thome 2003, S.514f; Braun/Dittrich 2007, S.121f.). Mit dieser Nummer lassen sich über die D&BFamily-Trees Konzernbeziehungen zwischen Unternehmen identifizieren, indem man einen Verweis auf die Landes- oder Weltmutter des jeweiligen Unternehmens erhält.
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Externe strategische Analyse
In einer umfassenden Datenbank (D&B-Worldbase) sind zu jedem Unternehmen ca. neunzig weitere, für die Lieferantenanalyse wichtige Kenngrößen (wie z.B. Branchencodes, Umsatzzahlen, Anzahl Mitarbeiter) hinterlegt. Wie diese Informationen aus der D&B-Datenbank in die Lieferantenstammsätze eines Unternehmens übernommen werden und zusätzlich zur Eliminierung redundanter Lieferantenstammsätze beitragen können, wird in Abschnitt 3.5.1 dargestellt.
Abbildung 3-6:
Regelkreis des Lieferantenmanagements
Folgende Methoden zur Lieferantenanalyse können auf Ebene der Beschaffungsgesamtstrategie, ggf. aber auch auf Ebene der Materialgruppenstrategie, zum Einsatz kommen: Eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem Lieferanten erfolgt bei einer Lieferantenbefragung (vgl. Wagner 2003, S.718ff; Verbeck et al. 2003b, S. 38f.) Hiermit kann im Rahmen einer bestehenden Beziehung auch umgekehrt die Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit aus der Sicht des Lieferanten eruiert werden. Im Anfangsstadium des Kontaktes kommen hier eher schriftliche, standardisierte Befragungen zum Einsatz. Diese auch als Lieferanten-Selbstauskunft bezeichnete Erhebung ermöglicht eine mit geringem Zeit- und Arbeitsaufwand verbundene erste Beurteilung von potenziellen Lieferanten. Ist eine Geschäftsbeziehung mit dem Lieferanten bereits angelaufen bzw. wird bereits intensiver praktiziert, so ist das regelmäßige persönliche Gespräch angebracht. Solche i.d.R. einmal jährlich stattfindenden Lieferantengespräche sollten dazu genutzt werden, eventuelle Unstimmigkeiten auszuräumen. Insbesondere wer-
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3.4
3
Zielbildung und strategische Analyse
den hier jedoch die im Lieferantenprofil dokumentierten Ergebnisse der Lieferantenbewertung thematisiert (vgl. Hartmann 2004, S. 56; Hofmann 2008, S.22ff.). Eine noch intensivere Form des persönlichen Kontakts unmittelbar vor Ort ist das Lieferantenaudit (vgl. Riffner/Weidelich 2001, S.63ff; Wagner 2003, S.709ff; Verbeck et al. 2003b, S. 39f; Hartmann 2004, S.35ff.). Bei der Auditierung wird bei einem über ein Gespräch hinausgehenden Besuch beim Lieferanten eine kritische Bestandsaufnahme beispielsweise der Produktionsanlagen vorgenommen. Weitere zu auditierende Sachverhalte lassen sich aus den Bewertungskriterien zur Lieferantenanalyse (vgl. Abbildung 3-9) ableiten. Solche recht aufwändigen Primärerhebungen sind allerdings nur bei A-, bestenfalls B-Lieferanten wirtschaftlich vertretbar. Wichtig ist die exzellente Vorbereitung und genaue Ablaufplanung eines solchen Besuchs, in den neben dem Einkauf auch Techniker aus der Fertigung oder der Produktentwicklung sowie das Qualitätsmanagement involviert sein sollten. Ggf. kann auch auf einen externen Auditor zurückgegriffen werden. Auf Lieferantenseite sollten Führungskräfte aus Vertrieb, Produktion, Entwicklung oder Logistik verfügbar sein, i.d.R. ist als Zeitrahmen ein Tag anzusetzen. Zu beachten ist, dass nicht eine Schauveranstaltung des Lieferanten daraus wird, es sollte eine realistische Darstellung der Situation aufgezeigt werden. Bei einer erstmaligen Zusammenarbeit kann sichergestellt werden, dass der Lieferant die Qualitätsanforderungen erfüllt, bei weiteren Besuchen kann die Qualität der Zusammenarbeit kontinuierlich verbessert werden. Audits stellen die Basis für eine Lieferantenentwicklung dar. Auch aus Lieferantensicht sollte ein solches Audit positiv gesehen werden, da es ihm hilft Schwachstellen zu identifizieren und Optimierungsmaßnahmen mit Unterstützung des Kunden anzugehen. VW führte im Rahmen des Forums Materialkosten, einem Projekt mit der Zielsetzung die Materialkosten in den Jahren 2006 bis 2008 um 15 % zu reduzieren, sogenannte Lieferantenklausuren durch. Dabei handelte es sich um ca. sechswöchige Projekte mit Lieferanten, innerhalb derer in einem standardisierten Ablauf Hebel zur gemeinsamen Kostenreduzierung erarbeitet wurden (vgl. Berkenhagen/Vrbica 2006, S.25ff.). Zur Information der bestehenden Lieferanten, aber auch zur Definition von Anforderungen, ist die Durchführung eines Lieferantentags gedacht. (vgl. Wildemann 2000, S.345ff; Wagner, 2003, S. 713f; Hartmann 2004, S.42ff.) Dabei werden wichtige Lieferanten eingeladen und im Rahmen einer Tagesveranstaltung über das Unternehmen und insbesondere beschaffungsrelevante Themen informiert. Allerdings kann das durchführende Unternehmen auch umgekehrt neue Ideen der Lieferanten eruieren und informelle Kontakte knüpfen. Als Praxisbeispiel sei der Lieferantentag von Windmöller & Hölscher, einem Maschinenbauunternehmen in Lengerich, vorgestellt. Hier wurde mit den geladenen Top-70 Lieferanten zum einen ein Rückblick auf die erfolgreich durchgeführten Projekte getätigt. Zum anderen ging es darum, wie man gemeinsam mit den Lieferanten die zu dieser Zeit vorherrschende Krise in der metallverarbeitenden Branche bewältigen kann. Weiterhin wurden die versammelten A- und BLieferanten über beschaffungsstrategische Themen, wie beispielsweise das neu eingeführte Lieferantenbewertungssystem für die Top-Lieferanten „SUPRA“ (Supplier
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Externe strategische Analyse
Rating), aufgeklärt. Schließlich konnten sich auch die Lieferanten zu Problemen und Unstimmigkeiten aber auch zu Verbesserungsvorschlägen der partnerschaftlichen Beziehung äußern. Primäres Ziel der Veranstaltung war es, die Supplier Relations zu den Top-Lieferanten zu pflegen und weiterzuentwickeln. Das schon zur Materialklassifikation vorgestellte Instrument der ABC-Analyse kann natürlich auch zur Segmentierung von Lieferanten herangezogen werden (vgl. Riffner/Weidelich 2001, S.67f; Wagner 2003, S.696f; Hartmann 2004, S.27ff.). Bei dieser eindimensionalen Betrachtung werden die Lieferanten i.d.R. nach dem Beschaffungsvolumen klassifiziert. In diese Analyse sind naturgemäß nur solche Lieferanten einzubeziehen, mit denen bereits Geschäfte getätigt wurden. Im Ergebnis zeigt sich meistens, dass mit einer relativ überschaubaren Anzahl an Lieferanten (A-Lieferanten) ein Großteil des Beschaffungsvolumens abgewickelt wird. Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl an Lieferanten mit nur geringen Beschaffungsvolumina pro Jahr (CLieferanten). Bereits aus dieser einfachen Analyse sind wichtige Hinweise für die Ausgestaltung der Supplier Relations abzuleiten. Eine ABC-Klassifizierung kann aber durchaus auch nach anderen Kriterien, wie z.B. Lieferantenperformance in Bezug auf Technologie, Qualität, Logistik oder Preis, Entwicklungskompetenz, Fertigungskompetenz sowie strategische Bedeutung erfolgen. Von besonderem Interesse für die Materialgruppenstrategie sind Kenntnisse zur Kostenstruktur beim Lieferanten, die sich mit Hilfe der Cost-Break-Down-Analyse ermitteln lässt. In der Literatur werden hierfür auch die Begriffe Lieferantenkostenmodell oder Einkaufspreis- bzw. Kostenstrukturanalyse verwendet (vgl. Wildemann 2000, S.122ff; Leenders et al. 2006, S.234ff; Dechene 2008, S.42ff.). Es geht darum die Kostenstruktur für das zu beschaffende Material auf der Basis von Recherchen und ggf. Annahmen zu ermitteln. Ein grundlegendes Verständnis über die Produktkosten erhöht den Verhandlungsspielraum des Abnehmers, da er nunmehr bessere Argumente gegenüber den Preisvorstellungen des Lieferanten besitzt. Kennt der Einkauf die Kostenstruktur eines Materials, lässt sich ein kostenbasierter Preis ermitteln. Für jeden Prozessschritt zur Erstellung des Teiles beim Lieferanten wird versucht, ein Kostensatz zu ermitteln. Beträgt beispielsweise der Materialkostenanteil lediglich 20% bei sehr hohem Fertigungskostenanteil, so kann durch Prozessoptimierung in der Produktion eine Einsparung erzielt werden. Der Lieferant kommt in Argumentationszwang für seine ggf. überhöhte Preisforderung und der Einkäufer ist in einer stärkeren Verhandlungsposition, da er faktenbasiert argumentieren kann (vgl. Leenders et al 2006, S.197ff; Schuh et al. 2008, S.158f.). Der Nutzen einer Cost-Break-Down-Analyse wird in den folgenden drei Anwendungsfällen deutlich:
Mit Hilfe der Cost-Break-Down-Analyse lassen sich Spezifikationsänderungen bewerten. Ein Beispiel beim Einkauf von Packmitteln illustriert den Sachverhalt. Durch die Reduzierung der Wanddicke bei Fässern konnten die Materialkosten des Lieferanten pro Fass um 10% reduziert werden. Da auch der Einkäufer jetzt über
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3.4
3
Zielbildung und strategische Analyse
diese Informationen verfügt, kann er darauf drängen, dass diese Einsparung zu einer Preisreduzierung führt.
Der Einkauf gewinnt mit Kostenmodellen Transparenz über die Kostenstruktur im Beschaffungsmarkt (Preisbenchmarking). Durch die Erzielung von Branchenkostentransparenz gelingt es die kosteneffizientesten Lieferanten zu identifizieren. Diese Analyse ist eine wichtige Entscheidungsgrundlage für einen Lieferantenwechsel bzw. eine Volumenbündelung bei einzelnen Lieferanten (vgl. Schuh et al. 2008, S.162f.). Im vorliegenden Beispiel gibt es vier Lieferanten, die ein identisches Produkt liefern und für die Herstellung zwei Vormaterialien beziehen müssen. Der in der Produktion günstigste Lieferant (L2) hat schlechtere Preise bei den Vormaterialien. Gelingt es die günstigeren Beschaffungskonditionen der Lieferanten 3 und 4 zu erzielen, könnte ein Bauteilpreis von 108 erreicht werden (vgl. Abbildung 3-7).
Abbildung 3-7:
Beispiel einer Cost-Break-Down-Analyse (Quelle: Mohr/Eßig 2007, S.41)
Schließlich können Kostenmodelle zur Bewertung von Volumenbündelungen genutzt werden. Bekommt ein Lieferant eine größere Menge eines Vorprodukts vom Kunden beauftragt, erhöhen sich, freie Produktionskapazitäten vorausgesetzt, die variablen Gesamtkosten. Die fixen Kosten bleiben weitgehend konstant, so dass Fixkostendegressionseffekte zum Tragen kommen. Bei einer fairen Zusammenarbeit zwischen Lieferant und Kunde kann der zusätzliche Gewinn aufgeteilt werden - eine klassische Win-win-Situation ist erreicht (vgl. Abbildung 3-8).
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Externe strategische Analyse
Abbildung 3-8:
Kostenvorteile bei einer Volumenbündelung
Umsatzvolumen des Lieferanten in T€ 200 50
100 Variable Kosten
50
Fixkosten plus Gewinn
50
1.000 Einheiten
Der zusätzliche Gewinn von 50 T€ kann zwischen Lieferant und Kunde aufgeteilt werden
100
50
Der Vorteil für den Kunden führt bei fairem Geschäft zu Einsparungen in Höhe von 25 T€; dies entspricht einer Preissenkung von 12,5%
2.000 Einheiten
Die Frage ist natürlich: Wie kommt der Einkauf an Informationen zur Kostenstruktur beim Lieferanten? Dieser ist verständlicherweise, zur Stärkung seiner eigenen Position, daran interessiert, solche Informationen nicht publik zu machen. Auch hierfür werden sowohl die im Rahmen der Beschaffungsmarktanalyse ermittelten Daten als auch Erkenntnisse aus einem Lieferantenaudit genutzt. Kreativität ist auch hier gefordert, die Kunst ist es, aus extern verfügbaren Informationen wie Marktberichten, Bilanzund GuV-Zahlen oder auch Presseberichten Rückschlüsse auf die Kostenstruktur beim Lieferanten zu ziehen. Es kommt nicht darauf an eine „Punktlandung“ zu tätigen. Wenn der Lieferant feststellt, dass der Kunde über die Standardrecherchen hinausgehende Informationen verfügbar gemacht hat, wird er in Verhandlungen eine defensivere Position einnehmen und die Einkäuferposition wird gestärkt. Ein weiterer aktuell wichtiger Bereich der Lieferantenanalyse stellt die Risikoanalyse dar. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten steigt beispielsweise das Insolvenzrisiko beim Lieferanten, so dass eine Einschätzung darüber für eine Beschaffungsentscheidung von wichtiger Bedeutung ist. Es empfiehlt sich lieferantenspezifische Risikoprofile zu erstellen, wofür zunächst mögliche Risikokategorien und –treiber zu identifizieren sind. Eine mögliche Einteilung wird von Stölzle/Kirst vorgestellt (vgl. Stölzle/Kirst 2006, S.25f; ähnlich auch Heß 2008, S.269ff.).
Ökonomische Risiken: Haftungs-, Wettbewerbs-, Insolvenz-, strategisches Risiko Ökologische Risiken: Nichtbeachten von Umweltstandards, Elementarschadenrisiko
Prozessrisiken: Technologie-, Qualitäts-, IT-System-, Produktdesignrisiko 77
3.4
3
Zielbildung und strategische Analyse
Logistische Risiken: Risiko der Sublieferanten, Lagerbestands-, Kapazitäts-, Bestellflexibilitätsrisiko Die Risikotreiber sind dann hinsichtlich Grad der Auswirkung und Eintrittswahrscheinlichkeit zu bewerten. Die Vorgehensweise beim Risikomanagement in der Beschaffung wird ausführlicher im Abschnitt Beschaffungscontrolling thematisiert (vgl. Kapitel 5, Abschnitt 5.4.6). Alle Ergebnisse der Lieferantenanalyse münden letztendlich in einer Lieferantenbewertung, worunter die regelmäßige und strukturierte Überprüfung der Leistung und Leistungsfähigkeit der aktuellen sowie der potenziellen Lieferanten anhand von quantitativen sowie qualitativen Bewertungskriterien zu verstehen ist (synonym: Lieferantenbeurteilung, Lieferantenrating) (vgl. Wagner 2003, S.720; Hartmann 2004, S.46ff; Hartmann 2005, S.28ff; Leenders et al. 2006, S. 263ff; Heß 2008, S.261ff.). Die Ergebnisse der Lieferantenbewertung werden häufig in einem Lieferantenprofil hinterlegt. Lieferantenprofile spielen sowohl eine Rolle für die gesamtunternehmensbezogene Beschaffungsstrategie, die materialgruppenübergreifend die Lieferanten betrachtet (generelles Leistungsprofil), als auch für die Materialgruppenstrategie, die dies auf die einzelne Materialgruppe bezogen praktiziert (materialgruppenbezogenes Leistungsprofil). Je systematischer diese Daten im Unternehmen ermittelt und hinterlegt sind, umso effizienter kann der strategische Beschaffungsprozess durchgeführt werden. Der Prozess der Materialgruppenstrategie kann beschleunigt und vereinfacht werden, indem man auf im Unternehmen vorliegende generelle Leistungsprofile von Lieferanten zurückgreift, die um materialgruppenspezifische Aspekte ergänzt werden. Lieferantenbewertungen sind nicht nur vor der Aufnahme einer Geschäftsbeziehung durchzuführen (Ex ante-Lieferantenbewertung), sondern sie gehören zu den Basisaufgaben des Lieferantenmanagements. Unternehmen sollten zumindest ihre Kernlieferanten permanent „im Auge behalten“ und die Analyseergebnisse in Lieferantenprofilen „up to date“ halten (Ex post-Lieferantenbewertung) (vgl. Wagner 2003, S.720ff; ähnlich auch Hess 2008, S.262ff; der von Leistungspotenzial und Leistungsbewertung spricht). Die Ergebnisse einer Lieferantenbewertung bieten zum einen eine wichtige Basis für strategische Beschaffungsentscheidungen, zum anderen sind aber auch durchaus operative Kennzahlen von Relevanz, um im Tagesgeschäft bei Bedarf kurzfristig gegensteuern zu können. Die Aussagekraft der Bewertung steht und fällt mit dem Katalog der zugrunde gelegten Bewertungskriterien. Abbildung 3-9 gibt eine Übersicht zu möglichen Kriterien. Die Bandbreite der Bewertungskriterien hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert. Standen früher die Produktqualität und ggf. noch die Logistik im Vordergrund, wird heute der Lieferant als Ganzes unter die Lupe genommen. Hierbei werden insbesondere zusätzlich die Innovationsfähigkeit und sein Qualitätsmanagementsystem berücksichtigt. Neben den u.a. bei Lieferantenbesuchen ermittelten Informationen sollten auch aus ERP-Systemen oder Data Warehouse-Systemen verfügbare Daten mit einfließen. Hierzu sind durch die Systeme zu generierende Kennzahlen wie Beschaf-
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Externe strategische Analyse
fungsvolumen, Anzahl Bestellungen, Preisveränderungsraten, Falschlieferungen, Mengen- oder Terminabweichungen zu definieren. Das Thema der lieferantenbezogenen Kennzahlen wird im Kapitel zum Beschaffungscontrolling in Kapitel 5, Abschnitt 5.4.4 behandelt. Die Möglichkeiten der IT-gestützten Lieferantenbewertung wird im Abschnitt 3.5.3 thematisiert.
Abbildung 3-9:
Kriterien zur Lieferantenbewertung
Strategie und Organisation • Geschäftsfelder • Organisationsstruktur • Standorte • Konzernbeziehungen • Partnerschaften • Zulieferbeziehungen
Wirtschaftlichkeit • Finanzielle Situation • Wettbewerbsfähigkeit der Preise • „Legitimität“ von Preiserhöhungen • Abnahme- und Lieferbedingungen • Bezugsnebenkosten • Kostenoptimierungspotenzial
Qualität • Qualitätsrichtlinien u. Dokumentation • Zertifizierungen • Beherrschung der Prozesse • KVP-Programme • Erstmusterprüfungen • Personalqualifikation
Logistik • Infrastruktur • Beherrschung der Logistikprozesse • Herstellfähigkeit • Maschinenkapazität und -auslastung • Belieferungskonzepte • Zykluszeiten
Technologie • Produkt-Know-how • Patente und Lizenzen • Fertigungsprozesse • Produktentwicklungsprozesse • Technologie-Infrastruktur • Dokumentation
Ökologie • Umweltstandards • Ökobilanzierung • Verwendung von recyclingfähigen Produkten und Materialien • Suche nach Substitutionsmöglichkeiten
Im Einkauf von Mercedes wird die Lieferantenleistung mit Hilfe einer External Balanced Scorecard (EBSC) in den vier Dimensionen Qualität, Kosten, Technologie und Logistik bewertet. Den Lieferanten werden die Bewertungsergebnisse über das Daimler Supplier Portal zugänglich gemacht. (vgl. o.V. 2007c, S.36) Ebenfalls mit diesen vier Kategorien arbeiten die Bewertungsmodelle von MAN und Siemens. Weitere Beispiele für Lieferantenbewertungssysteme finden sich in der Literatur für Bosch Dieselsysteme (vgl. Neumann/Werner 2007, S.32ff.), die Bühler AG (vgl. Hänel et al. 2007, S.28ff.), BMW (vgl. Kuhn et al. 2007, S.22ff.), die Ammann Group (vgl. Boutellier et al. 2007, S.66f.) und Hugo Boss (vgl. Hofmann 2008, S.22ff.). Zur Ergebnisauswertung und –darstellung der Lieferantenbewertung können Instrumente wie die Nutzwertanalyse, die Profiltechnik oder das Spinnenweb-Diagramm eingesetzt werden. Die Einzelkriterien sind zu gewichten und die Einzelbewertung
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3.4
3
Zielbildung und strategische Analyse
der Kriterien zu einer Gesamtgröße zu aggregieren. In Großunternehmen bzw. Konzernen ist eine unternehmenseinheitliche Verwendung von Bewertungssystemen eine wichtige Anforderung, da sonst „Äpfel mit Birnen verglichen werden“. Häufig existieren historisch gewachsene, dezentrale Lösungen, so dass Lieferanten vom gleichen Kunden nach unterschiedlichen Kriterien bewertet werden. Hier sollte eine unternehmensweite Harmonisierung der Lieferantenbewertung stattfinden. Das Praxisbeispiel von Schmitz-Cargobull im Kapitel 10 befasst sich genau mit dieser Problematik.
3.5
IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
3.5.1
IT-gestützte Ausgabenanalyse (Spend Analysis)
3.5.1.1
Aufgabenstellung und Überblick
Unter Spend Analysis wird die Analyse und Auswertung der Menge und des Wertes von Einkaufstransaktionen eines Unternehmens verstanden. Handelt es sich um einen Konzern oder hat das Unternehmen mehrere Standorte, die beschaffen, spricht man von Global Spend Analysis, wenn übergreifend sämtliche Einkaufstransaktionen berücksichtigt werden (vgl. Westerheide 2007, S.3). In der Folge wird mit den Begriffen Ausgabenanalyse und globale Ausgabenanalyse gearbeitet. Bei Bedarf wird auch von lokaler Ausgabenanalyse gesprochen, wenn betont werden soll, dass es sich nicht um eine globale Betrachtung handelt. Mit der strategischen Analyse sollen, wie zu Beginn des Kapitels bereits erläutert, die notwendigen Informationen für die Ausgestaltung der Beschaffungsstrategie bereitgestellt werden. Im Fokus stehen hierbei Material- und Lieferantenanalysen. Wichtige im Rahmen dieser Analysen zu beantwortenden Fragen stellt Tabelle 3-2 dar.
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IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
Tabelle 3-2:
Fragen zu beschafften Materialien und zur Lieferantenbasis
Die Fragen aus der Tabelle 3-2 sind überwiegend schnell und einfach zu beantworten, wenn ein Unternehmen
lokal agiert, ein einzelnes ERP-System im Einsatz hat, alle Stammdaten sauber gepflegt worden sind, keine Dubletten vorliegen, ein übergreifendes, standardisiertes und aussagekräftiges Klassifizierungssystem einsetzt
und jeder Beschaffungsvorgang im ERP-System sauber dokumentiert wird. Die Praxis sieht anders aus: Unternehmen sind
zunehmend international aufgestellt, sie setzen für die Beschaffung mehrere, ggf. unterschiedliche operative Systeme ein,
die Stammdaten sind häufig unvollständig und innerhalb der Systeme sowie systemübergreifend mehrfach unter verschiedenen Schlüsselnummern und damit inkonsistent angelegt,
81
3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
übergreifend werden verschiedene Klassifizierungssysteme eingesetzt, in denen Materialien im schlechtesten Fall nur in generischen Sammelwarengruppen zugeordnet werden und
viele Beschaffungen werden am System und Einkauf vorbei realisiert. Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus, wenn an der Zielsetzung, Ausgabentransparenz zu bekommen, festgehalten werden soll? Die internationale Aufstellung der Unternehmen kann und soll nicht rückgängig gemacht werden. Die Reduktion und Harmonisierung der operativen Systeme ist ein Ziel, das langfristig verfolgt werden sollte, aber nicht ausschließlich im Kontext der Beschaffung zu sehen ist. Die Daten aus den verschiedenen operativen Systemen lassen sich nach der Extraktion aus diesen Systemen in einem Data Warehouse-System zusammenführen und auswerten (vgl. nachfolgende Abschnitte). Die Stammdatenund Klassifizierungsproblematik kann z.B. durch ein MDM-System gelöst werden (vgl. nachfolgende Abschnitte). Das Maverick Buying, Beschaffen am Einkauf vorbei ohne Nutzung der vorgesehenen Systeme, kann nur organisatorisch gelöst werden, in dem etwa Sanktionen für die auslösenden Besteller vereinbart werden. Die obigen Fragen zu Materialien und Lieferanten können nicht durch Einsatz eines einzelnen IT-Systems beantwortet werden. Hier sind mehrere Systeme der ITBasisarchitektur für die Beschaffung relevant. Welchen Beitrag diese Systeme leisten und wie sie im Zusammenspiel die oben aufgeführten Fragen beantworten bzw. die Ausgabenanalyse durchführen, beschreiben die nachfolgenden Abschnitte.
3.5.1.2
Ausgabenanalysen mit dem Contract Management von SRMSystemen
SRM-Systeme können über das zentrale Contract Management Transparenz über Beschaffungsvolumina eines Materials und/oder eines Lieferanten liefern. Das Contract Management kann hierzu auf zwei verschiedene Arten realisiert werden:
Im Zentralkontrakt im SRM-System werden Konditionen wie etwa Boni über alle Materialgruppen sowie materialgruppenspezifische Konditionen wie etwa Rabatte hinterlegt. Die lokalen Kontrakte in den dezentralen ERP-Systemen „erben“ diese Konditionen und werden lokal ergänzt um die zu beschaffenden Materialien und deren Preise.
Im Zentralkontrakt im SRM-System werden neben den allgemeinen und materialgruppenspezifischen Konditionen bereits die einzelnen Materialien mit ihren Preisen angelegt. Die Zentralkontrakte werden in die ERP-Systeme repliziert, in denen sie dann ohne weitere Ergänzungen genutzt werden können. Diese Art von Kontrakt setzt jedoch die Konsolidierung der zu beschaffenden Materialien bei diesem Lieferanten voraus.
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IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
Bei Abrufen aus den ERP-Systemen werden in beiden Fällen die Bestellungen ins SRM-System zurückrepliziert. Im ersten und zweiten Fall kann durch das Contract Management Transparenz des gesamten Beschaffungsvolumens beim betrachteten Lieferanten erzeugt und damit die globale Ausgabenanalyse in Bezug auf den Lieferanten realisiert werden. Bzgl. der Materialtransparenz ist bei der ersten Variante eine Ausgabenanalyse auf Materialgruppenebene und bei der zweiten Variante auf Materialebene möglich. Allerdings immer nur beschränkt auf den betrachteten Lieferanten. Damit ist die Materialtransparenz nur im Fall des Single Sourcing wirklich gegeben.
3.5.1.3
Ausgabenanalysen mit ERP-Systemen
Die Bedeutung des ERP-Systems für die strategische Analyse ist abhängig vom Umfang der Nutzung und von der Anzahl der eingesetzten ERP-Systeme. Wird im Unternehmen nur ein ERP-System mit einem Buchungskreis eingesetzt und es gelten die weiteren oben beschriebenen Bedingungen wie Verzicht auf Maverick Buying etc., könnten abgesehen von Performanceproblemen die oben aufgeführten Fragen durch ERP-Auswertungen weitgehend beantwortet werden. Die gleichen Aussagen gelten für ein Unternehmen mit mehreren ERP-Systemen oder ein ERP-System mit mehreren Buchungskreisen, in dem die gestellten Fragen lediglich lokal beantwortet werden sollen und eine globale Ausgabenanalyse nicht angestrebt wird. ERP-Systeme verfügen insbesondere für den Bereich Materialwirtschaft über eine Vielzahl von Funktionen zur Analyse. Z.B. stehen ABC-Analysen für Materialien und Lieferanten bereit. Darüber hinaus können bei gepflegten Infosätzen alle Lieferanten eines Materials oder alle Materialien eines Lieferanten inkl. der Beschaffungsvolumina abgerufen werden. Problematisch bleibt hier aber insbesondere bei größeren Datenmengen die Performance. Ein ERP-System ist wie in Kapitel 2, Abschnitt 2.1.1 schon dargestellt primär für die Abwicklung von operativen Geschäftsprozessen ausgelegt und nicht für die strategische Auswertung von Massendaten. Dementsprechend kommen die ERPbasierten Analysen eher in kleineren mittelständischen Unternehmen zum Einsatz, die ein Data Warehouse-System ggf. nicht zur Verfügung haben. Um ERP-Systeme für die lokale Analyse besser nutzen und um Data WarehouseSystemen mit besseren und vollständigeren Daten versorgen zu können, empfehlen sich folgende Maßnahmen:
Alle Bestellungen konsequent im ERP-System oder alternativ im SRM-System erfassen.
Bei Freitextbestellungen und beim Anlegen von Materialstammsätzen auf die Zuordnung von sinnvollen und unternehmensweit standardisierten Materialgruppen achten.
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3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
Dubletten bei Material- und Lieferantenstammsätzen entfernen und anschließend durch einen sauber definierten Prozess der Neuanlage sicherstellen, dass der konsolidierte Stand dauerhaft bestehen bleibt.
3.5.1.4
Ausgabenanalysen mit Data Warehouse- und MDM-Systemen
Für Unternehmen, die an diversen Standorten tätig und ggf. international aufgestellt sind, ist das Data Warehouse-System für die globalen Ausgabenanalysen ein unerlässliches Hilfsmittel. Im Data Warehouse-System fließen die materialwirtschaftlichen Daten aus den ERP-Systemen, SRM-Systemen und falls vorhanden älteren LegacySystemen zusammen. Die Hauptherausforderungen einer globalen Ausgabenanalyse liegen in der Regel neben dem Anbinden verschiedener Systeme an das Data Warehouse-System in der Heterogenität der Stammdaten. Historisch gewachsen verfügt jeder Standort über seine individuellen Lieferanten- und Materialstammdaten, mit einer individuellen Nummernsystematik. Die Materialstämme werden hierbei häufig nach ebenfalls historisch gewachsenen, unterschiedlichen Klassifizierungssystemen geordnet. Möchte man das Data Warehouse-System nicht einfach nutzen, um die lokalen Datenbestände mit besserer Performance und vielleicht etwas weitgehender auszuwerten, sind die in Abbildung 3-10 beschriebenen Schritte zur Durchführung einer globalen Ausgabenanalyse erforderlich. Im Kern ist bei diesen Schritten die in Kapitel 2, Abschnitt 2.4.2.2 dargestellte Arbeitsweise eines Data Warehouse-System wieder erkennbar.
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IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
Abbildung 3-10: Schritte zur Durchführung einer globalen Ausgabenanalyse (angelehnt an Braun/Dittrich 2007, S.36ff.)
Formatharmonisierung Lieferantenharmonisierung
Materialharmonisierung Standardisierung der Klassifizierung
Ad 1) Eine globale Ausgabenanalyse umfasst im besten Fall sämtliche Tochterunternehmen eines Konzerns. Aus diesem Grund ist es erforderlich auf Ebene des kaufmännischen Vorstands oder des CPOs (Chief Procurement Officers) ein klares Mandat für das Projekt zu erhalten. Idealerweise liegt ein Konzernvorstandsbeschluss für das Projekt vor. Ad 2) In großen Konzernen mit gegebenenfalls einer dreistelligen Anzahl an Tochterunternehmen und ebenso vielen Systemen wird aus Aufwandsgründen nicht zwangsläufig jede Gesellschaft bei der globalen Analyse berücksichtigt. Hier sollte eine ABCKlassifizierung der Systeme bzw. Gesellschaften hinsichtlich der von ihnen abgebildeten Beschaffungsvolumina vorgenommen werden. Werden die vergleichsweise wenigen A- und B-Gesellschaften bzw. Systeme berücksichtigt, hat man in der Regel mehr als 90% des Beschaffungsvolumens abgedeckt. Neben dem Umsatzvolumen sind noch die Verbreitung der Systeme und die unterstützten Sprachen als Kriterien zu berücksichtigen. Exotische Systeme und Sprachen sind häufig nicht mit vertretbarem Aufwand mit dem Data Warehouse-System zu koppeln. Ad 3) Für die Datenerhebung kann entweder mit Standardextraktionsprogrammen aus Data Warehouse-Systemen gearbeitet werden oder es sind individuelle Programmierungen bzw. Anpassungen erforderlich. In jedem Fall müssen die Programme in die lokalen Systemumgebungen eingespielt und der Datenabzug mehrfach getestet
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3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
werden, bevor tatsächlich die Echtdaten für die 1. Ebene des Data Warehouse-Systems (vgl. Kapitel 2, Abbildung 2-4) zur Verfügung stehen. Ad 4) Der aufwendigste Schritt der globalen Ausgabenanalyse besteht in der Transformation der Rohdaten. Die Formatharmonisierungen sind vergleichsweise einfach, hier geht es wie in Kapitel 2 in Abbildung 2-5(a-b) schon dargestellt z.B. um die Anpassungen von Datumsformaten. Die Harmonisierung von Lieferanten, Materialien und Klassifizierungssystemen ist hingegen extrem aufwändig. Für die Harmonisierung sind grundsätzlich zwei Ansätze denkbar (vgl. Bradler 2010, S. 440ff.)
Die Daten werden wie in Schritt 1 beschrieben durch die ETL-Tools aus den angeschlossenen Systemen extrahiert, ins Data Warehouse System geladen und hier mit Hilfe der Transformationstools konsolidiert.
Die Daten werden durch die ETL-Tools aus den angeschlossenen Systemen extrahiert und die Stammdaten werden zur Weiterbearbeitung an das MDM-System übergeben. Im MDM-System erfolgt die Konsolidierung der Stammdaten. Anschließend werden sie an das Data Warehouse-System zurückexportiert, wo dann die Konsolidierung der Bewegungsdaten durchgeführt wird. Die zweite Variante benötigt mit dem MDM-System ein weiteres System, hat aber zwei wesentliche Vorteile: MDM-Systeme können zur Konsolidierung von Daten noch mehr Funktionen und Komfort besitzen als die Transformationtools aus den Data Warehouse-Systemen. Ferner sind die MDM-Systeme dafür ausgelegt, nach der Konsolidierung der Daten als zentrale Stammdatensysteme eingesetzt zu werden, um so dauerhaft dafür zu sorgen, dass die Stammdaten konsolidiert bleiben. Wie läuft eine Harmonisierung nun genau ab? In den Abschnitten 3.3.2 und 3.4.2 wurde bereits auf die Standardklassifizierungssysteme UN/SPSC und eCl@ss sowie auf den Anbieter Dun & Bradstreet hingewiesen. Abbildung 3-11 zeigt, wie der Ablauf in Zusammenarbeit mit Dun & Bradstreet funktioniert. Die aus den operativen Systemen im Data Warehouse-System zusammengefügten Lieferantenstammsätze werden aus dem Data Warehouse-System extrahiert und an D&B geschickt. Hier werden die Daten mit der D&B Lieferantendatenbank z.B. über Firmenname, Adressdaten etc. abgeglichen. Je nach Übereinstimmungsgrad erfolgt das Matching der zugesendeten Lieferantenstammdaten mit den D&B Lieferantenstammdaten vollautomatisch oder halbautomatisch. Anschließend werden die zugesendeten Lieferantenstammdaten mit der DUNS-Nummer und ggf. weiteren Daten wie dem Umsatz des Lieferanten angereichert. Der Prozess endet mit dem Rücksenden der angereicherten Daten und dem erneuten Hochladen ins Data Warehouse-System. Anstelle des Data WarehouseSystems kann auch ein MDM-System zum Einsatz kommen.
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IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
Abbildung 3-11: Konsolidierung von Lieferantenstammdaten mit Dun & Bradstreet
Die Etablierung von neuen, standardisierten Klassifizierungssystemen oder einheitlichen Materialstammnummern kann vereinfacht dargestellt wie folgt ablaufen (angelehnt an Bradler 2010, S.440ff.):
Die Materialstammdaten werden aus den operativen Systemen mit Hilfe von MDM- oder Data Warehouse-Systemen extrahiert.
Das neue Klassifizierungssystem wird eingelesen. Alle Materialien, deren Bezeichnung einen bestimmten Text enthält oder die zu einer bestimmten Materialgruppe aus den alten Klassifizierungssystemen gehören, werden angezeigt.
Von den angezeigten Materialien werden manuell, halbautomatisch oder automatisch diejenigen selektiert, die einer bestimmten Klasse des neuen Klassifizierungssystems zugeordnet werden sollen. Anschließend erfolgt die Zuordnung.
Alternativ bei der Vereinheitlichung von Materialstammnummern: Von den angezeigten Materialien werden diejenigen manuell, halbautomatisch oder automatisch selektiert, die gleich sind und eine neue einheitliche Materialnummer bekommen sollen. Anschließend wird die neue Nummer vergeben. Moderne Tools setzen für die beiden letzten Schritte Verfahren der künstlichen Intelligenz ein, die einen hohen Automatisierungsgrad bei der Zuordnung von Materialien zu den Klassifizierungssystemen oder zu einheitlichen Materialnummern ermöglichen. Unterschieden werden wie oben erwähnt die automatische Zuordnung, bei der die Materialien voll IT-gestützt zugeordnet werden und die halbautomatische Zuordnung, bei der ein Vorschlag vom Tool gemacht wird, der dann manuell zu bestätigen
87
3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
und/oder zu korrigieren ist. Bei der manuellen Zuordnung können mit dem Tool Selektionen vorgenommen werden; die Zuordnung erfolgt dann aber durch den Mitarbeiter. Trotz der Existenz der Tools ist immer noch ein hoher personeller Aufwand für die Durchführung der Schritte erforderlich (vgl. Braun/Dittrich 2007, S.48). Ad 5) Im 5. Schritt erfolgt die Verdichtung der Rohdaten. Hier werden ggf. mehrere hunderttausend oder sogar Millionen Belegen aggregiert, um schnelle und flexible Auswertungen möglich zu machen. Kapitel 2 hat mit Abbildung 2-6 hier schon exemplarisch einen Info Cube mit verschiedenen Verdichtungen dargestellt. Ad 6) Mit der Auswertung der Daten, die über die sogenannten Endbenutzer-Tools erfolgt, sollen die Einsparpotenziale transparent werden. Welche der in Tabelle 3-2 gestellten Fragen können mit der Auswertung der Daten beantwortet werden? Die nachfolgende Aufstellung gibt hierzu die Antworten: Transparenz über beschaffte Materialien:
Welche Materialien werden beschafft und welches Beschaffungsvolumen verursacht ein Material? => Kann bei Einsatz eines MDM- und eines Data WarehouseSystems sowie der dazu gehörigen ERP-Systeme nach Konsolidierung der Materialstammdaten sowohl lokal als auch übergreifend beantwortet werden. Ausnahme: Materialien, die über eine Freitextbestellung beschafft wurden.
Wie ist ein Material zu klassifizieren? Materialgruppe? A/B/C-Material? => Kann nach der Einführung eines übergreifenden, standardisierten Klassifizierungssystem lokal und auch übergreifend mit Unterstützung des Data Warehouse-Systems und der ERP-Systeme beantwortet werden.
Beschaffen verschiedene Organisationseinheiten/Standorte das gleiche Material oder Material der gleichen Materialgruppe? => Kann bei Einsatz eines MDM- und eines Data Warehouse-Systems sowie der dazu gehörigen ERP-Systeme nach Konsolidierung der Materialstammdaten und der Standardisierung der Klassifizierungssysteme beantwortet werden.
Welche Lieferanten liefern ein Material bzw. Materialien einer Materialgruppe? => Kann bei Einsatz eines MDM- und eines Data Warehouse-Systems sowie der dazu gehörigen ERP-Systeme nach Konsolidierung der Material- und Kreditorenstammdaten und der Standardisierung der Klassifizierungssysteme sowohl lokal als auch übergreifend beantwortet werden. Transparenz über die Lieferanten: Bis auf die folgende Frage erfolgt die Beantwortung der Fragen analog zu den Materialfragen:
Gehört ein Lieferant zu einem übergeordneten Mutterkonzerns? Die eingespielten DUNS-Nummern ermöglichen die Beantwortung dieser Frage.
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IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
Die Beantwortung der Fragen könnte den Schluss zulassen, dass die komplette Material- und Lieferantenanalyse mit den richtigen Tools durchaus machbar ist. Theoretisch ist diese Aussage richtig. In der Praxis sind aber die in Schritt 2 (vgl. Abbildung 3-10) vorgenommenen Einschränkungen zu berücksichtigen. Nicht alle Gesellschaften und Systeme werden bei der globalen Ausgabenanalyse berücksichtigt. Dementsprechend fehlen in den Auswertungen ggf. noch etwa 10% des Beschaffungsvolumens. Darüber hinaus müssen ggf. Abstriche gemacht werden, wenn in den berücksichtigten Systemen doch nicht alle Bestellungen angelegt wurden, die Datenharmonisierungen nicht vollständig umsetzbar waren und Freitextbestellungen angelegt worden sind. Was ist der Nutzen der Beantwortung der vielen aufgelisteten Fragen und damit der globalen Ausgabenanalyse? Die Analysen haben vor allem zum Ziel, Einsparpotenziale aufzudecken. Das ggf. weltweite Beschaffungsvolumen bei einem Lieferanten wird transparent. Es wird erstmals möglich, über das gebündelte Volumen zu verhandeln. Auf der Ebene der Materialgruppen oder ggf. zusätzlich auf der Ebene der Materialien wird sichtbar, welche bzw. wie viele Lieferanten ein Material oder eine Materialgruppe liefern. Wenn dann zusätzlich noch gesellschaftsbezogene Vergleiche durchgeführt werden können, sind optimale Voraussetzungen für eine Lieferantenreduktion und damit weitere Bündelungen gegeben. Eine Faustformel sagt hierzu, dass bei einer Volumenverdoppelung der Beschaffungspreis um 6-10% fällt (vgl. Braun/Dittrich 2007, S. 82 und 43).
3.5.1.5
Ausgabenanalysen mit Spend Analysis-Tools
Im Kontext der Ausgabenanalysen stellen immer mehr Anbieter sogenannte Spend Spend Analysis-Tools bzw. Spend Analysis-Systeme bereit. Diese Systeme oder Tools sind bisher weder in der Literatur, noch in der Praxis sauber definiert und abgegrenzt worden. Nachfolgend werden die für eine globale Ausgabenanalyse in der Regel eingesetzten Tools und Systeme aufgelistet:
Analytisches Informationssystem zur Auswertung von großen Datenmengen auf Basis von Online Analytical Processing (OLAP) ETL (Extraction, Transformation, Loading)-Tools MDM (Master Data Management)-System Datenveredelungstools z.B. für die Klassifizierung oder Bereinigung von Daten Endbenutzer-Tools
Angelehnt an Braun und Dittrich, die von Spend Management sprechen, soll mit einem Spend Analysis-System ein komplettes Lösungsportfolio von Informationssystemen verstanden werden, das durch eine globale Ausgabenanalyse die Einkäufer dabei unterstützt, Einsparungen zu erreichen (vgl. Braun/Dittrich 2007, S.30). Unter einem Spend Analysis-Tool hingegen, soll eine einzelne Komponente aus der obigen Auflistung, die die globale Ausgabenanalyse partiell unterstützt, verstanden werden.
89
3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
Der Markt im Bereich der Spend Analysis stellt sich sehr fragmentiert dar. Kern der Spend Analysis-Systeme sind die analytischen Informationssysteme, die die relevanten Stamm- und Bewegungsdaten zusammenführen und auswerten. Diese Systeme können „neutrale“ Data Warehouse-Systeme wie z.B. SAP BW sein, die nicht speziell für die Beschaffung konzipiert worden sind, aber durch entsprechende Einstellungen und ggf. durch die Integration zusätzlicher ausgewählter Spend Analysis-Tools oder die Inanspruchnahme von Dienstleistern wie D&B die globale Ausgabengabenanalyse realisieren können. Dieser Fall wurde in Abschnitt 3.5.1.3 beschrieben. Alternativ können die analytischen Informationssysteme aber auch von Spezialanbietern für Spend Analysis bereitgestellt werden. In diesem Fall hat man ein spezialisiertes Procurement Data Warehouse-System mit ergänzenden Tools, die von vornherein für die Bearbeitung von Einkaufsdaten ausgelegt sind. D.h. es stehen Veredelungswerkzeuge wie z.B. Klassifizierungstools für die Klassifizierung nach ecl@ss oder UN/SPNC sofort zur Verfügung oder die Endbenutzertools enthalten bereits vordefinierte typische materialwirtschaftliche Abfragen. Auch könnte im Bereich Stammdatenmanagement ein MDM-System bereits integriert sein. Ist ein Procurement Data Warehouse-System im Einsatz, kann dies die in Kapitel 2 in Abbildung 2-1 dargestellte Basisarchitektur nochmals erweitern, da in diesem Fall ggf. trotzdem auch ein neutrales Data Warehouse für andere Zwecke zum Einsatz kommen kann. In diesem Fall ist sogar denkbar, dass das neutrale Data Warehouse, da es bereits mit den operativen Systemen verbunden ist, die Extraktion der relevanten Einkaufsdaten vornimmt und diese dann zur Auswertung an das Procurement Data Warehouse weitergibt. Einen Überblick bzw. eine genauere Kategorisierung der verschiedenen Anbieter von Spend Analysis-Systemen bzw. Tools wie etwa Ariba, Zykus, Ketera, Emptoris stellen Braun/Dittrich 2007 und Westerheide 2007 bereit. Das Thema Spend Analysis wird zunehmend auch von SRM-Anbietern mit abgedeckt, die entsprechende Spend Analysis-Tools in ihre SRM-Systeme mit aufgenommen haben. Hier sind z.B. XCITEC, Selected Services oder Onventis zu nennen. Welche der oben für die globale Ausgabenanalyse aufgelisteten Komponenten die SRMSysteme umfassen, ist im Einzelfall zu prüfen. Die System- bzw. Toolauswahl hängt von den bestehenden IT-seitigen Voraussetzungen ab. Sind im Unternehmen beispielsweise ein Data Warehouse-System und ein MDM-System bereits im Einsatz, so ist zu prüfen, wie hoch der Aufwand ist, mit diesen Systemen, die globale Ausgabenanalyse zu realisieren. Ggf. müssen nur einzelne Spend Analysis-Tools zum Beispiel zur Klassifizierung integriert oder ein Dienstleister zur Bearbeitung der Daten beauftragt werden. Der Aufwand muss verglichen werden mit dem Aufwand bzw. den Kosten für die Einführung eines komplett neuen Spend Analysis-Systems, dass von vornherein für die Beschaffung ausgelegt ist. Abschließend sei noch angemerkt, dass neben Spend Analysis zum Teil auch der zuvor schon erwähnte Begriff Spend Management verwendet wird. Die Verwendung
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IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
erfolgt zum einen synonym, zum anderen wird der Begriff aber auch als optimiertes Ausgabenmanagement im Anschluss an eine Spend Analysis verstanden. Legt die Spend Analysis z.B. die Bündelungsmöglichkeiten von Materialien offen, so kann die anschließend bei einem Lieferanten gebündelt durchgeführte Beschaffung als eine Aktivität im Rahmen des Spend Managament verstanden werden.
3.5.2
IT-gestützte Beschaffungsmarktanalyse
Neben der in Abschnitt 3.4.1.2 vorgestellten manuellen Beschaffungsmarktanalyse bietet die Nutzung internetbasierter Informationsquellen vielfältige Möglichkeiten, die in der „Prä-Internet-Welt“ nicht realisierbar waren. Andererseits besteht mehr denn je die Gefahr einer Informationsüberflutung, da sich aus dem „Wust an Daten“ die relevanten Informationen ggf. nicht mehr erkennen lassen. Für die internetbasierte Beschaffungsmarktanalyse stellen Suchmaschinen wie z.B. Google ein grundlegendes Instrument dar, mit deren Hilfe relevante Information im WorldWideWeb identifiziert werden können. Da diese Suchmaschinen nicht speziell auf die Anforderungen und den Informationsbedarf von Einkäufern zugeschnitten sind, besteht aber gerade hier die Gefahr einer Informationsüberflutung. Ggf. müssen die bereitgestellten Links sehr lange manuell gefiltert werden bis letztendlich die relevanten Informationen gefunden werden. Die wichtigsten internetbasierten Quellen, die auf Einkäufer zugeschnitten und für die Beschaffungsmarktanalyse relevant sind, werden nachfolgend beschrieben:
Daten über Lieferanten, die früher in Papierform oder bestenfalls als CD-ROM verfügbar waren, sind inzwischen seit mehreren Jahren via Internet auf Lieferantendatenbanken verfügbar. Zu den bekanntesten gehören hier WLW (Wer liefert was? http://www.wlw.de) und Hoppenstedt (http://www.hoppenstedt.de). Beide auch als Lieferantenverzeichnisse oder e-Supplier-Directories (vgl. Kapitel 2, Abschnitt 2.1.3.2) bekannte Datenbanken verwalten mehrere hunderttausend Lieferanten. Bei WLW liegt der Schwerpunkt in der Verwaltung der von den Unternehmen lieferbaren Produktgruppen. Es gibt hier sogar eine Funktion, die Anfragen an die für bestimmte Produkte selektierten Unternehmen generiert. Bei Hoppenstedt liegt der Schwerpunkt mehr in der Gesamtbeschreibung der Unternehmen. Die Hoppenstedt-Datenbank wird aus diesem Grund nicht nur für die Beschaffungsmarkt-, sondern auch für die Absatzmarktanalyse eingesetzt. Verfügen die Verzeichnisse über entsprechende Schnittstellen, so sind sie direkt mit SRM-Tools für e-RFx kombinierbar (vgl. Kapitel 2, Abschnitt 2.1.3.2). Das bedeutet, dass z.B. in elektronischen Ausschreibungen die Lieferanten aus den entsprechenden Verzeichnissen direkt übernommen werden können. Im Gegensatz zu den oben genannten Anfragefunktionalitäten von WLW findet bei dieser Lösung also eine direkte Integration mit der im beschaffenden Unternehmen eingesetzten IT statt.
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3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
Als passive Art der internetbasierten Beschaffungsmarktanalyse kann ein Unternehmen seine Bedarfe über das Supplier Portal publizieren (vgl. Kapitel 2, Abschnitt 2.1.7). Das Supplier Portal stellt eine Schnittstelle zu den potentiellen und bereits aktiven Lieferanten eines Unternehmens dar. Über das Portal können die Bedarfe eines Unternehmens publiziert werden. Ein potentieller Lieferant hat die Möglichkeit, sich über das Supplier Portal für die Lieferung bestimmter Materialgruppen zu bewerben. Der Vorteil dieser Art der Bewerbung besteht darin, dass der Einkäufer nicht bei seiner täglichen Arbeit gestört wird und er bei Neuausschreibung der Materialgruppe die im Portal abgelegte Bewerbung einfach berücksichtigen kann. Das beschaffende Unternehmen bekommt neue Lieferanten, ohne selbst aktiv Recherche betreiben zu müssen. Nachdem der Lieferant einen Qualifizierungsprozess durchlaufen hat, wird er ggf. als Lieferant freigegeben und bekommt über das Portal den Zugang zu ausgewählten SRM-Tools, wie z.B. e-RFx oder den Supplier Self Service. Ein schönes Beispiel für ein Supplier Portal mit den beschriebenen Funktionalitäten liefert der westfälische Landmaschinenhersteller CLAAS mit dem CLAAS Supplier.Net. Vorläufer der Supplier Portale waren früher die sogenannten Purchasing Homepages.
Elektronische Marktplätze können wie in Kapitel 2 erläutert, die Funktionalitäten von SRM-Systemen bereitstellen. Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie eine Plattform anbieten, die sich mehrere Anbieter und Nachfrager teilen. Auf Grund dieses Sachverhalts kann ein Marktplatz auch für die Informationsgewinnung genutzt werden. Über schwarze Bretter bzw. Bulletin Boards können nach Materialgruppen sortierte Kauf- und Verkaufsangebote platziert und gesucht werden. Eine weitere Möglichkeit Angebot und Nachfrage zusammenzuführen wird über Business Directories ermöglicht, die auf Basis einer vordefinierten Materialgruppenstruktur Auskunft über Lieferanten zu konkreten Materialgruppen geben. Die Lieferanten tragen sich in der Materialgruppenstruktur für die Materialgruppen ein, die sie beliefern können. Ein beschaffendes Unternehmen hat dann ohne große Recherche alle Unternehmen, die die Materialgruppe beliefern können und auf dem Marktplatz vertreten sind, im Überblick. Diese Business Directories sind vergleichbar mit den in der IT-Basisarchitektur von Beschaffungssystemen angegebenen eSupplier Directories. Im Unterschied zu diesen sind die Business Directories je nach Ausrichtung des Marktplatzes aber ggf. branchenspezifisch. D.h. die Materialgruppenstrukturen bilden die Materialspektren der Branche ab und die eingetragenen Lieferanten kommen überwiegend aus der jeweiligen Branche. Als Beispiel sei das Business Directory des Automobilzulieferermarktplatzes SupplyOn genannt.
Von Dienstleistern betriebene Einkaufsportale bieten ebenfalls relevante Informationen für die Beschaffungsmarktanalyse an. Hier findet man beispielsweise Kennzahlen, Branchenstudien, Benchmarkingstudien oder auch wissenschaftliche Publikationen zu beschaffungsrelevanten Themenfeldern. Beispiele hierfür sind das
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IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
Competence Center Einkauf der Competence-site (www.competence-site.de) oder auch das Center of Advanced Purchasing Studies (www.capsresearch.org). Die technischen Voraussetzungen, die beschriebene internetgestützte Beschaffungsmarktanalyse durchzuführen, sind abgesehen vom Aufbau eines Lieferantenportals extrem gering. Es wird lediglich ein internetfähiger PC mit einem der gängigen Browser benötigt. Tabelle 3-3 stellt zusammenfassend die Varianten der manuellen und internetbasierten Beschaffungsmarktanalyse gegenüber. Die Optimierungspotenziale einer internetgestützten Beschaffungsmarktanalyse werden hier unmittelbar ersichtlich.
Tabelle 3-3:
Vergleich manuelle vs. internetbasierte Beschaffungsmarktanalyse
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3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
3.5.3
IT-gestütztes Lieferantenmanagement
3.5.3.1
Benötigte Informationen für das Lieferantenmanagement
Für das zielgerichtete Management eines Lieferanten ist eine Vielzahl von Informationen erforderlich, die durch entsprechende IT-Systeme bereitzustellen sind. Die nachfolgende Auflistung gibt einen Überblick dieser Informationen und kategorisiert sie. Vom Lieferanten ggf. im Rahmen der Selbstauskunft bereitgestellte Informationen:
Stammdaten des Lieferanten wie z.B. Adresse, Bankverbindung Kennzahlen des Unternehmens wie Mitarbeiteranzahl, Standorte etc. Produktionsfähigkeiten- und kapazitäten Zertifikate (ISO 9000 etc.) Von Dritten bereitgestellte Informationen:
Ergänzende Unternehmensinformationen, z.B. von D&B Kreditwürdigkeit und Zahlungsverhalten Unternehmensinterne Informationen:
Kontraktdaten Bestellungen, beschaffte Materialien und deren Beschaffungsvolumen Rechnungen Bewertungen des Lieferanten Klassifizierungen des Lieferanten Geplante Entwicklungsmaßnahmen Weitere Informationen wie etwa Ergebnisse aus Lieferantenaudits oder Lieferantenkostenmodelle.
3.5.3.2
Bereitstellung der Informationen in der IT-Basisarchitektur für die Beschaffung
Im Folgenden wird erläutert, welche Systeme die verschiedenen Informationen typischerweise verwalten und wie die Informationen in die Systeme gelangen. Abbildung 3-12 stellt die Zuordnung der Informationen an Hand der IT-Basisarchitektur für die Beschaffung dar.
94
IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
Abbildung 3-12: Informationen zum Lieferanten in der IT-Basisarchitektur der Beschaffung
Die vom Lieferanten bereitgestellten Informationen können im Rahmen der Selbstauskunft abgefragt werden. Moderne SRM-Tools für das Supplier Management unterstützen über das Supplier Portal hierzu mehrstufige Prozesse der Lieferantenbewerbung, in denen sich der Lieferant zunächst mit einigen Stammdaten registriert und dann ggf. fragebogenbasiert weitere Selbstauskünfte, z.B. zu einzelnen Materialgruppen, gibt. Auf diese im SRM-System abgespeicherten Informationen kann das Unternehmen bei Ausschreibungen zu den einzelnen Materialgruppen dann zurückgreifen und den Lieferanten zu konkreten Angeboten auffordern (vgl. Abschnitt 3.5.2 zur ITgestützten Beschaffungsmarktanalyse). Ggf. erfolgen dann noch weitere Prüfungen bis der Lieferant akzeptiert und freigegeben wird und es kommt zu ersten Bestellungen. Spätestens jetzt müssen die Lieferantenstammdaten vom SRM- ins ERP-System übernommen werden, da andernfalls keine Bestellungen, Wareneingänge und Rechnungen zu dem Lieferanten im ERP-System gebucht werden können. Bei Änderungen der Stammdaten kann der Lieferant diese über das Supplier Portal vornehmen. Die vom Lieferanten ggf. bereits im Rahmen der oben genannten Prüfungen bereitzustellenden Zertifikate können im Document Management-System abgelegt und mit seinen Einträgen im SRM- und ERP-System verknüpft werden. Die von Dritten bereitgestellten Informationen gelangen auf verschiedenen Wegen ins System. Für die D&B-Daten können wie in Abschnitt 3.5.1.3 beschrieben die Lieferantenstammsätze beispielsweise aus dem ERP- bzw. Data Warehouse-System extrahiert, bei D&B angereichert und anschließend wieder ins Ursprungssystem zurückgespielt werden. Die Ergebnisse von Auskünften zur Kreditwürdigkeit können im Lieferantenstammsatz und die entsprechenden Dokumente im Document ManagementSystem abgelegt werden.
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3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
Die unternehmensinternen Informationen zu einem Lieferanten sind vielschichtig. Die Informationen zu Kontrakten sind auf mehrere Systeme verteilt. Lokale Kontrakte liegen in den ERP-Systemen und zentrale Kontrakte im SRM-System (vgl. Abschnitt 3.5.1.2). Ggf. sind weitere Kontraktinformationen, die z.B. ergänzend in Word erfasst wurden oder Unterschriften enthalten, im Document Management-System abgelegt. Das Data Warehouse-System führt die Kontrakte aus ERP- und SRM-Systemen zusammen. Das gleiche gilt für Rechnungen und Bestellungen, die ebenfalls im SRMSystem oder den einzelnen ERP-Systemen erzeugt werden. Die Beschaffungsvolumina für die vom Lieferanten gelieferten Materialien bzw. die Auflistungen der gelieferten Materialien sind über Auswertungen der Bestellungen lokal im ERP-System und übergreifend im Data Warehouse-System abrufbar. Abschnitt 3.5.1.3 hat hierzu den aufwändigen Prozess der Analyse dargestellt. Die Lieferantenbewertung ist wie in Abschnitt 3.4.2 bereits erwähnt ein Thema mit dem sich Unternehmen in den letzten Jahren zunehmend beschäftigt haben. Für eine zielgerichtete Lieferantenentwicklung stellt die Lieferantenbewertung den Ausgangspunkt dar. Bei der IT-Unterstützung muss zwischen den objektiv messbaren Hardfacts und den von subjektiven Einschätzungen abhängigen Softfacts unterschieden werden. Betrachtet man beispielsweise die Kriterien aus Abbildung 3-9 so kann die Beherrschung der Logistikprozesse u.a. über die Anzahl unpünktlicher Lieferungen objektiv gemessen werden. Das gleiche gilt für Falschlieferungen und Mengenabweichungen. Die hier genannten Beispielkennzahlen werden typischerweise automatisch durch ein ERP-System ausgeprägt. Das gilt jedoch nicht für alle Hardfacts. Die Existenz von Zertifikaten, die Produktionskapazitäten, die Anzahl der Standorte oder die Fähigkeit bestimmte Belieferungskonzepte umzusetzen, sind Beispiele für Hardfacts, die über die Lieferantenselbstauskunft oder beim Audit abgefragt werden. Mit der Erhebung der Softfacts setzen sich zunehmend SRM-Tools für das Supplier Management auseinander. Einige Anbieter dieser Tools unterstützen durch einen Workflow die folgenden Prozessschritte: 1.
Fragebogen mit Kriterien und Gewichtungen anlegen
2.
Lieferanten auswählen
3.
Bewerter auswählen
4.
Befragung an die Bewerter versenden
5.
Ausfüllen der Fragebögen durch die Bewerter
6.
Beantwortung überwachen
7.
Abspeichern der Ergebnisse im SRM-Tool oder direkt im Data Warehouse-System (vgl. Hofmann, G. 2009, S. 17, Schweiger/Dieringer et. al. 2009, S.70f.)
Auf diese Weise können systematisch Bewertungen zu wichtigen Lieferanten aus der Perspektive unterschiedlicher Bewerter beispielsweise aus den Bereichen Einkauf,
96
IT-Unterstützung in der strategischen Analyse
Entwicklung oder Logistik durchgeführt werden. Die abgefragten Softfacts sind etwa Aspekte wie die Personalqualifikation, die Legitimität von Preiserhöhungen oder die Innovationskraft eines Lieferanten. Diese Kriterien können zwar auch auf entsprechend definierten Skalen quantifiziert werden, die Einträge auf den Skalen sind aber eher subjektiv. Für eine ganzheitliche Bewertung ist in der Regel das Data WarehouseSystem einzusetzen. Hier werden die Hard- und Softfacts aus den anderen Systemen zusammengeführt und übergreifend ausgewertet. Die Ergebnisse der Lieferantenbewertung können in vielen Fällen über die SRM-Tools für das Supplier Management den Lieferanten online zur Verfügung gestellt werden. Sie haben so die Möglichkeit, ihre eigene Performance beim Kunden ständig im Auge zu behalten und ggf. schnell gegenzusteuern. Informationen zur Klassifizierung von Lieferanten sind in der Regel ebenfalls über mehrere Systeme verteilt. Klassische ABC-Analysen der Lieferanten sind lokal in den ERP-Systemen und übergreifend im Data Warehouse-System abrufbar. Werden die Ergebnisse der Lieferantenbewertung für eine Klassifizierung der Lieferanten genutzt, gilt die gleiche Aufteilung. SRM-Tools für das Supplier Management stellen auch auf dem Sektor der Klassifizierung wieder zusätzliche, neue Funktionalitäten bereit. Sie erlauben beispielsweise, die Lieferanten auf Basis der vorliegenden, zum Teil aus den anderen Systemen extrahierten Daten in Lieferantenportfolios (vgl. Kapitel 4, Abschnitt 4.1.3) einzuordnen. Diese Portfolios können zu unterschiedlichen Zwecken erstellt werden. Beispielsweise ist eine Risikobetrachtung möglich, wenn vorher über die Lieferantenbewertung entsprechende Risikofaktoren berücksichtigt worden sind. Gerade in diesem Bereich werben einige Anbieter damit, das Thema Risikomanagement abdecken zu können. Unmittelbar auf den Klassifizierungen und den Ergebnissen der Lieferantenbewertung aufbauend, sind die Entwicklungsmaßnahmen für Lieferanten (vgl. Kapitel 4, Abschnitt 4.2.2.1) zu treffen. Die geplanten Maßnahmen werden im SRM-Tool für das Supplier Management angelegt. In Verbindung mit den Daten zur Lieferantenbewertung können zu den Entwicklungsmaßnahmen Zielwerte für die einzelnen Kriterien festgelegt werden. Eine laufende Lieferantenbewertung führt dann dazu, dass der Erfolg der Maßnahmen überprüft werden kann. Bei einigen Toolanbietern werden an dieser Stelle auch Funktionen zum Projektmanagement mit angeboten, die die systematische Umsetzung der Maßnahmen zusammen mit dem Lieferanten unterstützen sollen. Diese webfähigen Tools erlauben ähnlich wie die in Kapitel 2 kurz dargestellten Tools zum Qualitätsmanagement, die kollaborative Abwicklung und das Controlling von Projekten auf Basis einer gemeinsamen Plattform. Weitere Informationen wie etwa Ergebnisse aus Lieferantenaudits oder Cost-BreakDown-Analysen können typischerweise ebenfalls in den SRM-Tools für das Supplier Management bei den einzelnen Lieferanten mit abgelegt werden.
97
3.5
3
Zielbildung und strategische Analyse
3.5.3.3
Ganzheitliche Sichten auf Lieferanten
Wie bereits bei der IT-Unterstützung für die Material- und Lieferantenanalyse gilt auch beim Lieferantenmanagement, dass die Informationen auf unterschiedliche ITSysteme verteilt sind. Der vorangegangene Abschnitt hat diesen Sachverhalt im Detail dargestellt. Der Einkäufer möchte möglichst einen zentralen Überblick der relevanten Informationen haben und sie nicht aus verschiedenen Systemen zusammensuchen müssen. Besonders für die schnelle und gute Vorbereitung von Einkaufsverhandlungen ist eine aktuelle, ganzheitliche Darstellung des Lieferanten wünschenswert. Es sollten z.B. Preisentwicklungen, Beschaffungsvolumina, Bewertungen, Reklamationen etc. für zurückliegende Perioden schnell zugreifbar sein, um mit dem Lieferanten ohne großen Aufwand, gut vorbereitet verhandeln zu können. Die Anbieter von SRM-Tools für das Supplier Management haben sich in den letzten Jahren zunehmend dieser Anforderung gestellt. Neben den in Abbildung 3-12 in den SRM-Tools enthaltenen und hier direkt angelegten Informationen werden die Lieferanteninformationen aus den anderen Systemen zusammengetragen. Die Anbieter der Tools haben zum Ziel, eine ganzheitliche Sicht, einige Anbieter sprechen von 360° Sicht, auf den Lieferanten zu bekommen. Hierzu greifen sie auf umfangreiche Daten aus den ERP-Systemen und/oder aus dem Data Warehouse-System zu. Die Daten werden entweder in eine eigene umfangreiche Datenbank eingelesen und hier weiterbearbeitet oder aber lediglich zur gemeinsamen Darstellung mit anderen Lieferantendaten abgerufen. Auf dieser erweiterten Datenbasis soll mit sogenannten Lieferantencockpits durch wenige Clicks eine integrierte Sicht auf die vielfältigen Informationen zum Lieferanten abrufbar werden. Ferner sollen die SRM-Tools zum Supplier Management zur Schaltzentrale für die Themen Lieferantenbewerbung, -bewertung, -klassifizierung und -entwicklung werden. Abbildung 3-12 hat beispielhaft dargestellt, wie die Informationen über die Lieferanten auf die verschiedenen Systeme verteilt sind. Die Abbildung soll die Komplexität der Datenhaltung in den für die Beschaffung relevanten Systemen deutlich machen. Je nachdem welche Systeme zum Einsatz kommen, kann die Zuordnung auch leicht anders aussehen und es können noch weitere bzw. andere Informationen bereitgestellt werden. In jedem Fall ist bei Einführung eines IT-gestützten Lieferantenmanagements genau zu prüfen bzw. festzulegen, welche Systeme, welche Daten bereitstellen und wie der Datenaustausch zwischen den Systemen zu erfolgen hat. Wenn Anbieter von SRM-Systemen auf ihre Lieferantendatenbank hinweisen, sollte hinterfragt werden, was in dieser Datenbank abgespeichert wird und aus welchen Systemen die Daten kommen. Typische Anbieter von Tools zum Lieferantenmanagement sind beispielswiese Unternehmen wie Xcitec GmbH, www.xcitec.de, Selected Services GmbH, www.pool4tool.com, Onventis GmbH, www.onventis.de oder die SAP AG, www.sap.com und apsolut Gmbh www.ap-solut.com.
98
Ableitung von Handlungsempfehlungen
4
Strategieformulierung
4.1
Ableitung von Handlungsempfehlungen
4.1.1
Portfolios zur Materialklassifizierung
Um aus den Ergebnissen der strategischen Analyse konkrete Handlungsempfehlungen für eine Strategieformulierung ableiten zu können, müssen die erarbeiteten Informationen in verdichteter Art und Weise zusammengestellt werden. Für eine solche aggregierte Darstellung von strategisch relevanten Informationen hat sich die Portfolio-Methode als hilfreiches Instrument erwiesen. Portfolios sind für absatzmarktorientierte Strategieempfehlungen in der Theorie lange bekannt und in der Praxis weit verbreitet. Man denke an die Varianten der BCG- oder der McKinsey-Matrix. In den 1980er Jahren hat sich diese Methode auch für beschaffungsseitige Betrachtungen entwickelt, wenngleich ihre Anwendung hier noch lange kein Allgemeingut darstellt. Die Idee einer Portfolio-Analyse ist, die Analyseobjekte in einer Matrix mit zwei Dimensionen zu platzieren, wobei in der Regel eine interne, beeinflussbare und eine externe, nicht beeinflussbare Dimension unterschieden werden. Abhängig von der Position des Betrachtungsobjektes in diesem zweidimensionalen Raum wird eine Strategieempfehlung abgeleitet. In der BCG-Matrix werden z.B. innerhalb der beiden Matrixdimensionen Marktwachstum (extern) und relativer Marktanteil (intern) strategische Geschäftsfelder positioniert und Normstrategien wie „Abschöpfen“ oder „Investieren“ abgeleitet. Für die Analyse der Beschaffungsseite ist das Mitte der 1980er Jahre von Kraljic entwickelte Portfolio mit den beiden Dimensionen Komplexität der Beschaffungsmärkte (extern) und Bedeutung des Einkaufs (intern) richtungsweisend gewesen (vgl. Kraljic 1985, S.8 und 1986, S.78ff.). Die zu gruppierenden Objekte stellen hier die Materialgruppen dar. In der Folge wurde dieses Modell von verschiedenen Autoren aufgegriffen und weiterentwickelt. Beispielsweise wurde das Instrument nicht nur für Materialgruppen, sondern auch zur Klassifizierung der Lieferanten verwendet:
Materialportfolio mit den Dimensionen technische Komplexität und Beschaffungsvolumen (vgl. Hubmann/Barth 1990, S.26ff.)
Materialportfolio mit den Dimensionen Einfluss auf den Lieferanten und Beschaffungskomplexität (vgl. Plötz/v. Strachwitz 2002, S.25)
99 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
4.1
4
Strategieformulierung
Materialportfolio mit den Dimensionen Einkaufsposition und Marktattraktivität (vgl. Jahns 2003c, S.28)
Lieferantenportfolio mit den Dimensionen Bedeutung des Produkts und Komplexität des Beschaffungsmarkts einerseits sowie spezifische Investitionen des Lieferanten bzw. des Abnehmers andererseits (vgl. Wagner 2003, S.699ff.)
Lieferantenportfolio mit den Dimensionen Kosten- und Erlöspotenzial des Lieferanten (vgl. Large 2000, S.70f; Pfohl/Large 2003, S.435ff.)
Supply-Chain-Portfolio mit den Dimensionen Beanspruchung der Beziehung und Belastbarkeit der Beziehung (vgl. Kaufmann/Thiel 2006, S.24f.)
Macht-Portfolio mit den Dimensionen Einkäufer-Unabhängigkeit und LieferantenUnabhängigkeit (vgl. Kaufmann/Thiel 2006, S.24f.)
Spielfeld des Einkaufs mit den Dimensionen Angebots- und Nachfragemacht (vgl. Schuh et al. 2008, S.22ff.) Eine Weiterentwicklung stellen schließlich diejenigen Portfolio-Methoden dar, die mehrere Portfolios, i.d.R. ein Material- und ein Lieferantenportfolio, miteinander kombinieren:
Kombinationsmatrix Einkauf, die aus einer Einkaufsmatrix, einer A-Teilematrix und einer Lieferantenmatrix entwickelt wird (vgl. Besslich/Lumbe 1994, S.22ff.)
Kombiniertes Beschaffungsgüter-/Beschaffungsquellenportfolio (vgl. Wildemann 2000, S.86ff; Wildemann 2002, S.550ff; Wildemann 2007, S.30ff.)
Kombination von Warengruppen- und Lieferantenportfolio (vgl. Verbeck et al. 2003a, S.50ff.)
Berücksichtigung von Marktmacht und Abhängigkeiten in den Portfolioquadranten als zusätzlichen Einflussfaktoren (vgl. Caniels/Gelderman 2005, S.141ff.)
Beschaffungsobjekt-/markt-Portfolio mit den Dimensionen Lieferanten-Rivalität und Anspruchsniveau der Spezifikationen (vgl. Kaufmann/Thiel 2006, S.24f.) Kritisch bei den meisten dieser Konzepte ist anzumerken, dass zum Teil gewisse Inkonsistenzen festzustellen sind und dass häufig die Operationalisierung für die praktische Anwendung zu wünschen übrig lässt. Daher wird im Folgenden aufbauend auf den oben genannten Literaturquellen als wichtiger Baustein der SRM-Methode zunächst ein Materialportfolio entwickelt. Im zweiten Teil werden Portfolios zur Klassifizierung von Lieferanten vorgestellt, bevor Teil drei die Zusammenführung der beiden Varianten behandelt. Diese Portfolio-Konzepte stellen somit die Schnittstelle zwischen strategischer Analyse und Strategieformulierung dar. Die Ergebnisse von interner und externer Analyse werden in den beiden Matrixdimensionen verdichtet zusammengefasst und dienen als Basis für die weitere Ausarbeitung der Supplier Relations.
100
Ableitung von Handlungsempfehlungen
Die Portfolio-Methode besitzt aber nur dann einen Aussagegehalt, wenn zwei sinnvolle Dimensionen zugrunde gelegt werden. Zur konkreten Ausprägung der Dimensionen sollten diese im Idealfall quantifizierbar sein oder aber ein Kriterienkatalog zur Bewertung hinterlegt sein. In diesem Fall müssen zum einen die Merkmale die Dimension hinreichend beschreiben, zum anderen sollte aber auch die praktische Durchführbarkeit mit einem vertretbaren Aufwand gewährleistet sein. Das Materialportfolio (vgl. Abbildung 4-2) arbeitet mit den beiden Dimensionen Versorgungsrisiko und wertmäßiger Anteil am Beschaffungsvolumen. Die Erarbeitung des Portfolios erfolgt in fünf Schritten (vgl. Buchholz 2007, S.86ff.): Zur Erreichung von aussagekräftigen Ergebnissen sind im ersten Schritt möglichst homogene Materialgruppen zu bilden, die in dem Portfolio positioniert werden und eine unabhängige Durchführung von Beschaffungsstrategien und -maßnahmen erlauben. Eine solche Gruppierung sollte im Rahmen der Materialbedarfsanalyse erarbeitet worden sein. Als eine gut zu handhabende Anzahl werden 10 bis max. 25 Materialgruppen auf der obersten Ebene empfohlen. Im Best Practice-Beispiel des Maschinenbauunternehmens ESEC wurden beispielsweise 20 Hauptmaterialgruppen unterschieden (vgl. Verbeck et al. 2003a, S.52). Liegt eine solche Materialgruppenklassifizierung bereits im Unternehmen vor, muss sie eingehend auf Homogenität geprüft werden. Im zweiten Schritt sind die Materialgruppen hinsichtlich der quantifizierbaren Dimension ihres wertmäßigen Anteils am Beschaffungsvolumen (interne Dimension) zu analysieren. Als Instrument zur Messung des wertmäßigen Anteils bietet sich hier die materialgruppenspezifische ABC-Analyse des Einkaufsvolumens an (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.3.2). A-Materialien haben einen hohen kumulierten Wertbeitrag am Gesamteinkaufsvolumen, aber nur einen geringen Anteil in Bezug auf die Anzahl der beschafften Materialien und die hierfür genutzten Lieferanten. Bei C-Materialen verhält es sich genau umgekehrt. Eine häufig verwendete Wertrelation ist 75% (A), 20% (B) und 5% (C). Die Definition der Grenzen ist allerdings nicht festgeschrieben, sondern abhängig von der Struktur der Materialgruppen. Denkbar sind auch die Varianten 80-15-5, 70-20-10 und 60-30-10. Wichtig ist, dass sich möglichst eindeutige Grenzen zwischen den Kategorien ergeben. Damit lassen sich die Materialgruppen nach der ersten Dimension des Portfolios sortieren. Nach dieser internen Betrachtung ist drittens zur Beschreibung der externen Dimension das materialgruppenspezifische Versorgungsrisiko zu ermitteln (vgl. ähnlich auch Heß 2008, S.129). Notwendige Informationen hierzu können aus der Beschaffungsmarkt- bzw. der Lieferantenanalyse abgeleitet werden. Die Generelle Umfeldanalyse ist eher auf Regionen und weniger auf Materialgruppen bezogen. Deren Ergebnisse spielen auch eine wichtige Rolle zur Bewertung von Länderrisiken, sie fließen in der Regel jedoch nicht in das materialgruppenbezogene Versorgungsrisiko ein. Die Branchenstrukturanalyse enthält hingegen Spezifika hinsichtlich der Materialgruppe, so dass ihre Ergebnisse auch in dieser Bewertungsdimension zu berücksichtigen sind. Als weiteres Instrument der Informationsgewinnung ist ein strukturierter Fragebogen
101
4.1
4
Strategieformulierung
sinnvoll, mit dem Einkaufsverantwortliche, aber auch Mitarbeiter aus Produktentwicklung, Produktion, Logistik oder Qualitätsmanagement, befragt werden. Hier werden die Einschätzungen zu den einzelnen Kriterien erfasst, die beispielsweise in einer Skala zwischen 1 und 5 ausgeprägt sein können. Die einzelnen Kriterien können je nach Präferenz der Befragten auch unterschiedlich gewichtet werden, um daraus dann die Dimensionsausprägung zu ermitteln. Wichtige Kriterien zur Bewertung des materialgruppenbezogenen Versorgungsrisikos und ihre Ausprägungen sind in Abbildung 4-1 dargestellt.
Abbildung 4-1:
Kriterien zur Bewertung des materialgruppenbezogenen Versorgungsrisikos niedrig sehr gering
1. Anforderung an die technische Zusam m enarbeit m it Lieferanten 2. Kosten des Lieferantenwechsels 3. Anforderung an die Zusam m enarbeit m it F&E
5. M öglichkeit zur Eigenfertigung
gering
m ittel
hoch
hoch sehr hoch
1
2
3
4
5
2
3
4
5
3
4
5
1
2 hoch
m ittel
gering
sehr gering
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
Stark rückläufig
rückläufig
6. Anzahl verfügbarer Lieferanten 7. W ettbewerbsintensität in der M aterialgruppenbranche
o
Versorgungsrisiko
1
sehr hoch
4. Standardisierbarkeit/Austauschbarkeit der M aterialgruppe
m
gleich- steigend stark bleibend steigend
8.
Voraussichtliche Um satzentwicklung der M aterialgruppe beim Abnehm er
1
2
3
4
5
9.
Voraussichtliche M arktpreisentwicklung der M aterialgruppe
1
2
3
4
5
10. Voraussichtliche Nachfrageentwicklung der M aterialgruppe
1
2
3
4
5
11. Technologische Entwicklung der M aterialgruppe
1
2
3
4
5
Entsprechend der Zuordnung der Materialgruppen zu den beiden Dimensionen erfolgt im vierten Schritt die Eingruppierung im Materialportfolio. Differenziert man für jede Dimension die beiden Ausprägungen hoch und niedrig ergeben sich vier Materialgruppenkategorien, die die Basis für die Ableitung der Normstrategien sind. (vgl. Abbildung 4-2). Beim wertmäßigen Anteil liegt die Grenze häufig zwischen AMaterial (hoch) und B-/C-Material (niedrig).
102
Ableitung von Handlungsempfehlungen
Abbildung 4-2:
Materialportfolio
Wertmäßiger Anteil am Beschaffungsvolumen
hoch
niedrig
Hebelmaterial
Standardmaterial
niedrig
Strategisches Material
Engpassmaterial
hoch
Materialgruppenbezogenes Versorgungsrisiko
Fünftens erfolgt nun die Ableitung von Handlungsempfehlungen für die positionierten Materialgruppen (vgl. ähnlich van Weele 2005, S.152f; Caniels/Gelderman 2005, S.143ff.).
Bei Standardmaterialien mit geringem Anteil am Beschaffungsvolumen und einem geringen Versorgungsrisiko lautet die Normstrategie „Effizient beschaffen“. Dies kann zum einen über die Optimierung der Beschaffungsprozesse, zum anderen über Bedarfsbündelung erreicht werden.
Für Hebelmaterialien mit hohem Anteil am Beschaffungsvolumen und geringem Versorgungsrisiko liegt der Schwerpunkt auf der Reduzierung der Einstandspreise, die korrespondierende Normstrategie lautet „Marktpotenzial ausschöpfen“.
Engpassmaterialien haben zwar nur einen geringen wertmäßigen Anteil am Beschaffungsvolumen, es besteht aber ein hohes Versorgungsrisiko, so dass die Strategie „Verfügbarkeit sicherstellen“ im Vordergrund steht.
Bei strategischen Materialien ist sowohl der wertmäßige Anteil als auch das Versorgungsrisiko mit hoch einzustufen. Eine Optimierung wird hier nicht durch verschärfte Preisverhandlungen, sondern durch die intensivere Zusammenarbeit und das gemeinsame Senken von Kosten realisiert, so dass die Normstrategie dementsprechend „Wertschöpfungspartnerschaft aufbauen“ lautet.
103
4.1
4
Strategieformulierung
Mit dem gesamtunternehmensbezogenen Materialportfolio lassen sich aus einer übergreifenden Sichtweise generelle Handlungsempfehlungen für die Materialgruppen erkennen. Detaillierter mit Inhalt zu füllen sind die Normstrategien für jede einzelne Materialgruppe auf der Ebene der Materialgruppenstrategie, was im Kapitel 6 konkreter vorgestellt wird.
4.1.2
Portfolios zur Lieferantenklassifizierung
Neben den Materialien sind auch die Lieferanten für daraus abzuleitende Handlungsempfehlungen sinnvoll zu klassifizieren. In einer eindimensionalen Klassifizierung lassen sich Lieferanten zunächst in zwei Kategorien einteilen. In der ersten Kategorie werden die Lieferanten eher als zu dominierende Partner verstanden. Das einkaufende Unternehmen nutzt seine Machtposition, um durch Preisdruck Kostensenkungen zu erzielen (Macht-Modell). Im Partnerschafts-Modell sind sie Lieferanten in einer eher gleichberechtigten Kooperationsbeziehung mit dem einkaufenden Unternehmen verbunden. Sie sind in einer aktiven Rolle und man versucht durch gemeinschaftliche Aktivitäten Optimierungspotenziale zu realisieren (vgl. Wendt/Schmitzer 2007, S.28f.). Eine zweidimensionale Portfolio-Variante zur Lieferantenklassifizierung arbeitet mit den beiden Dimensionen strategische Bedeutung der Vorprodukte und Bewertung der Lieferanten (vgl. Zachau/Momber 1999, S.39ff.). Dieses Konzept wird beispielsweise von RWE, CLAAS oder auch Siemens in ähnlicher Art und Weise eingesetzt. Die Geschäftsbereiche sind bei Siemens verpflichtet die Lieferanten zu bewerten, die 80% des Einkaufsvolumens darstellen, wobei es sich um 8 bis 20% der Lieferanten handelt (ALieferanten). Innerhalb der vier Kategorien Einkauf, Qualität, Logistik und Technologie werden sechzehn Bewertungskriterien unterschieden, die jeweils durch weitere Subkriterien beschrieben werden. Die sechzehn Kriterien sind für das ganze Unternehmen einheitlich vorgegeben, wohingegen die Unterkriterien geschäftsspezifisch ausgeprägt werden können. Daneben kann bei Bedarf eine fünfte geschäftsspezifische Bewertungskategorie eingeführt werden. Die Subkriterien sind unterschiedlich gewichtet und werden jeweils innerhalb einer Punkteskala bewertet. Die gewichteten Einzelergebnisse je Kategorie werden zu einer Gesamtpunktzahl je Lieferant summiert. Abhängig von der erreichten Punktzahl erfolgt die Eingruppierung der Lieferanten in vier siemensweit einheitlich definierte Leistungsklassen: desourced, restricted, accepted und preferred. Die Lieferantenbewertung wird in einem Portfolio mit den Ergebnissen der Materialanalyse zusammengeführt und dient zur Ableitung von Handlungsempfehlungen zum Umgang mit den Lieferanten. Die möglichen Strategieempfehlungen gehen von Ausphasen des Lieferanten über die Reduktion von Volumen oder die Eigenoptimierung des Lieferanten bis hin zur aktiven Lieferantenentwicklung (vgl. Abbildung 4-3). Ausschlaggebend für die Entscheidung über die notwendigen Maßnahmen zum Umgang mit dem Lieferanten sollte immer das identifizierte Entwicklungspotenzial des Lieferanten sein (vgl. Hoffmann/Lumbe 2002, S.634ff.).
104
Ableitung von Handlungsempfehlungen
Abbildung 4-3:
Portfolio zur Lieferantenklassifizierung (Quelle: Zachau, T./Momber, A. 1999, S.41)
z.B. Verbesserung Logistikprozesse beim Lieferanten (evtl. mit Berater)
Strategische Bedeutung der Vorprodukte hoch
Aktive Entwicklung
Ausphasen Eigenoptimierung z.B. Entwicklungspartnerschaft aufbauen
Ausgangsprüfung beim Lieferanten verbessern
Volumen reduzieren
gering desourced
restricted
accepted
preferred
Bewertung der Lieferanten
Als weiteres Best-Practice-Beispiel zur Lieferantenklassifizierung wird in der Literatur die SAZUG-Einteilung von ZF Friedrichshafen vorgestellt (vgl. Kamzelak et al. 2007, S24ff; ähnlich auch Heß 2008, S.276ff.). Die Dimension strategische Klassifizierung differenziert Lieferanten in fünf Kategorien:
Strategische Lieferanten (S) sind Partner zur Konzentration und Bedarfsbündelung, mit denen eine langfristige Zusammenarbeit auch in der Produktentwicklung angestrebt wird.
Aufbaulieferanten (A) sollen zu strategischen Lieferanten weiterentwickelt werden.
Bei Abbaulieferanten (Z) sollen keine Neuteile mehr bestellt werden. Unerwünschte Lieferanten (U) sind Abbaulieferanten, die jedoch aus besonderen Gründen noch benötigt werden.
Gesperrte Lieferanten (G) werden momentan von Neubestellungen ausgeschlossen, wobei Maßnahmen zur Aufhebung der Sperrung ergriffen werden sollen. Die zweite Dimension beschreibt die operative Performance der Lieferanten, die auf den Ergebnissen der Lieferantenbewertung beruht und die Lieferanten in die Kategorien A bis C einstuft. Die Kategorie A erfordert hier beispielsweise einen Erfüllungs-
105
4.1
4
Strategieformulierung
grad der operativen Performance von mehr als 90 %. In Abhängigkeit von der Einordnung der Lieferanten werden dann die in Abbildung 4-4 ersichtlichen Normstrategien empfohlen.
Abbildung 4-4:
Lieferantenklassifizierung nach dem SAZUG-Ansatz (Quelle: Kamzelak et al. 2007, S.26)
Mercedes klassifiziert die Lieferanten als Ergebnis seines Bewertungssystems innerhalb des sogenannten Performance Based Sourcing Set. Lieferanten mit überdurchschnittlicher Leistung werden dem „Top Performing Supplier Set“ zugeordnet, welches exklusiv für Neu-Produkt-Vergaben zu verwenden ist. Mittlere Leistungsfähigkeit bedeutet die Zuordnung zum „Moving Supplier Set“, unterdurchschnittliche Leistung führt zur Einordnung in das „Watch and Resourcing Supplier Set“, dessen Zugehörige nur zu Testzwecken angefragt werden (vgl. o.V. 2007c, S.36). Analog zum Materialportfolio gibt es auch das Lieferantenportfolio bei dem der wertmäßige Anteil am Beschaffungsvolumen, hier bezogen auf den Lieferanten, sowie das lieferantenspezifische Versorgungsrisiko dargestellt wird (vgl. Abbildung 4-5). Auf der Gesamtunternehmensebene sollten ggf. die A-, B- und C-Lieferanten jeweils separiert betrachtet werden, da sonst sehr schnell die Übersichtlichkeit verloren geht. Detaillierte Auswertungen in Bezug auf die Lieferantenstruktur sind auf der Materialgruppenebene für jede einzelne Materialgruppe sinnvoll.
106
Ableitung von Handlungsempfehlungen
Abbildung 4-5:
Lieferantenportfolio
Wertmäßiger Anteil am Beschaffungsvolumen
hoch
niedrig
Hebellieferant
Standardlieferant
niedrig
Strategischer Lieferant
Engpasslieferant
hoch
Lieferantenbezogenes Versorgungsrisiko
Das lieferantenspezifische Versorgungsrisiko prüft, inwieweit die Gefahr einer zu starken Abhängigkeit vom einzelnen Lieferanten zum Tragen kommen könnte. Es ist somit ein Indikator für die Angebotsmacht des Lieferanten. Das lieferantenspezifische Versorgungsrisiko lässt sich über die vom jeweiligen Lieferanten bezogenen Materialgruppen anhand der Kriterien des materialgruppenspezifischen Versorgungsrisikos bewerten. Hinzu kommen weitere lieferantenspezifische Risikokriterien (vgl. Abbildung 4-6). Analog zum Materialportfolio werden auch hier vier generische Portfolio-Felder mit entsprechend ähnlich lautenden strategischen Empfehlungen unterschieden.
107
4.1
4
Strategieformulierung
Abbildung 4-6:
Kriterien zur Bewertung des lieferantenbezogenen Versorgungsrisikos niedrig sehr gering
m
Versorgungsrisiko
gering
o
hoch
mittel
hoch
sehr hoch
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
sehr hoch
hoch
mittel
gering
sehr gering
3. Austauschbarkeit des Lieferanten
1
2
3
4
5
4. Relativer Abnehmeranteil am Umsatz
1
2
3
4
5
1. Abhängigkeit bei anderen Materialgruppen 2. Umsatzanteil des Lieferanten in der Materialgruppe beim Abnehmer
des Lieferanten sehr gut
gut
5. Stellung des Lieferanten in der Branche
1
2
3
4
5
6. Wirtschaftliche Situation des Lieferanten
1
2
3
4
5
mittel
sehr schlecht schlecht
Häufig findet sich auch die Variante eines Lieferantenportfolios in der Literatur, die anstatt mit dem wertmäßigen Beschaffungsanteil mit der Dimension „Lieferantenentwicklungspotenzial“, bestehend aus Produktions-, Logistik- und Entwicklungs-Knowhow, arbeitet (vgl. Wildemann 2000, S.92f; Verbeck et al. 2003a, S.53). Als kritisch ist bei dieser Darstellung anzumerken, dass beispielsweise der strategische Lieferant sein Entwicklungspotenzial ausgeschöpft haben kann, obwohl ihm in der Matrix ein hohes Potenzial zugesprochen wird. Andererseits kann aber der Engpasslieferant durchaus Entwicklungspotenzial besitzen, obwohl er mit „niedrig“ eingestuft wird. Das Lieferantenentwicklungspotenzial sollte daher in einer separaten Analyse im Rahmen der Lieferantenbewertung betrachtet werden (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.4.2).
4.1.3
Kombinierte Material- und Lieferantenklassifizierung
Die Portfolio-Methoden lassen sich auf beiden „Strategie-Ebenen“ in dem zugrunde liegenden 3-Ebenen-Modell wie folgt anwenden. Zum einen können auf Gesamtunternehmensebene in einem Portfolio alle bzw. die wichtigsten Materialgruppen positioniert werden, für die dann in der Materialgruppenstrategie zu konkretisierende und umzusetzende Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Zum anderen hat auch das Gesamtportfolio aller Lieferanten hier sein Anwendungsgebiet. Daraus lassen sich Handlungsempfehlungen für Entwicklungsmaßnahmen mit den jeweiligen Lieferan-
108
Ableitung von Handlungsempfehlungen
ten definieren. Die Portfolios lassen sich jedoch auch für einzelne Lieferanten bzw. einzelne Materialgruppen erstellen, indem ein „Filter“ für einen Lieferanten oder eine Materialgruppe gesetzt wird:
Das lieferantenspezifische Materialportfolio stellt alle bei einem Lieferanten beschafften Materialgruppen dar. Da die Lieferantenanalyse und –bewertung im Schwerpunkt auf der ersten Ebene durchgeführt wird und ein Lieferant verschiedene Materialgruppen liefern kann, ist dies primär ein Instrument für die materialgruppenübergreifende Betrachtung. Es kann durchaus sein, dass ein Lieferant für bestimmte Materialien der optimale Kooperationspartner, für andere allerdings nicht geeignet ist. Daher ist es notwendig, jede Supplier Relation dieses Lieferanten in unterschiedlichen Materialgruppen getrennt voneinander zu betrachten.
Seine primäre Anwendung auf der Ebene der Materialgruppenstrategie hat das materialgruppenspezifische Lieferantenportfolio. Hieraus ist ersichtlich, bei welchen verschiedenen Lieferanten eine Materialgruppe beschafft wird, so dass Optimierungspotenziale oft auf der Hand liegen (vgl. hierzu Kapitel 6, Abschnitt 6.1.1). Insgesamt wird damit noch einmal deutlich, wie wichtig sowohl die Materialgruppenals auch die Lieferantenperspektive für die Supplier Relation ist. Abhängig von den im Unternehmen verfügbaren Daten kann anstatt der materialgruppenbezogenen Optimierung auch ggf. die lieferantenbezogene Optimierung im Vordergrund stehen. Sind keine homogenen Materialgruppen definiert und im ERP-System auch keine materialgruppenbezogenen Daten zu generieren, kann der Weg über die wichtigsten Lieferanten sinnvoll sein. Die Lieferanten werden wie oben beschrieben im Lieferantenportfolio positioniert und, soweit es die Datenlage zulässt, in individuelle materialgruppenspezifische Lieferantenportfolios überführt. Hieraus lassen sich ebenfalls Optimierungsmaßnahmen mit Fokus auf den Lieferanten entwickeln. Die Empfehlung im Rahmen der SRM-Methodik lautet jedoch, möglichst die materialgruppenbezogene Vorgehensweise zu präferieren. Eine interessante Überlegung stellt auch die schon angesprochene Kombination aus Material- und Lieferantenportfolio dar (vgl. Abbildung 4-7). In der Diagonalen liegt der anzustrebende Zielbereich, d.h. beispielsweise, dass Standardmaterialien auch bei einem Standardlieferanten beschafft werden usw. Links von dieser tendenziellen Ideallinie befindet sich der Bereich, in dem die Lieferanten eher überqualifiziert sind, rechts davon sind die Lieferanten eher unterqualifiziert. Da bei einzelnen Lieferanten häufig verschiedene Materialgruppen eingekauft werden, ergeben sich in der Praxis immer wieder solche Konstellationen abseits der Diagonalen. Zu hinterfragen ist in diesen Fällen, ob die Konstellationen akzeptiert oder vermieden werden sollten. Wird Standardmaterial nicht bei Standardlieferanten eingekauft (Spalte 1), so hat das in der Regel zu bedeuten, dass bei diesen Lieferanten neben anderen Materialien auch Standardmaterial eingekauft wird. Insbesondere die Kombination Standardmaterial und strategischer Lieferant (Pfeil 1, Spalte 1) hört sich im ersten Moment paradox an,
109
4.1
4
Strategieformulierung
ist aber häufig Realität in Unternehmen, die sich bislang noch keine Gedanken zum CTeile-Management gemacht haben. Neben strategischem Material werden in diesem Fall beim gleichen Lieferanten auch Standardteile bezogen. Hier sind hohe Prozesskosten bei den Standardmaterialien zu vermuten, da der gleiche aufwändige Prozess wie bei strategischen Materialien genutzt wird. Generell sollten Standardmaterialen tatsächlich über passende Lieferanten beschafft werden, da man sonst ggf. für die nicht notwendige „Überqualifikation“ der Lieferanten zu zahlen hat.
Abbildung 4-7:
Kombiniertes Material- und Lieferantenportfolio
Lieferant Wertschöpfungspartnerschaften
Strategisch
Marktpotenzial nutzen
Hebel
Standard
anzustrebende Verlagerungen
Verfügbarkeit sicherstellen
Engpass
Effizient beschaffen
Standard
Regelfall
Engpass
Hebel
gelegentlich vorkommende Situationen
Strategisch
Material
i.d.R. nicht vorkommende Situationen
Durchaus sinnvoll kann hingegen die Kombination von Engpassmaterial und strategischem Lieferanten (Spalte 2) sein. Da es hier primär darum geht, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, kann man die gute Beziehung zum strategischen Lieferanten nutzen. Beschafft das Unternehmen Hebelmaterial über strategische Lieferanten (Spalte 3) besteht die Gefahr, dass nicht zum möglichen günstigeren Marktpreis beschafft wird. Hier ist ein Lieferantenwechsel durchaus sinnvoll, um den „Preishebel“ besser anwenden zu können.
110
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
4.2
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Wie können die in Abschnitt 4.1 angesprochenen Normstrategien mit Inhalt gefüllt werden? Dafür spielen neben organisatorischen und IT-bezogenen Maßnahmen die Ausprägungen der Merkmale der allgemeinen Supplier Relations eine wichtige Rolle. In diesem Abschnitt werden die schon in Kapitel 1 vorgestellten vier Schwerpunkte (Beispiel: Lieferantenbasis) mit jeweils zwei Merkmalen (Beispiel: Geografische Struktur) von Supplier Relations vorgestellt und deren mögliche Ausprägungen (Beispiel: Local Sourcing) diskutiert (vgl. Abbildung 4-8).
Abbildung 4-8:
GFSR-Modell zu den Supplier Relations auf Gesamtunternehmensebene Allgemeine Supplier Relations
Lieferantenbasis f Geografische Struktur f Local Sourcing f Global Sourcing f Lieferantenanzahl f Single Sourcing f Multiple Sourcing
Lieferant Horizontale Kooperationsintensität f Partnereinbindung f Autonome Beschaffung f Cooperative Sourcing f Dienstleisternutzung f Keine Dienstleisternutzung f Procurement Service Providing
Vertikale Kooperationsintensität f Wertschöpfungsleistung f Unit Sourcing f System Sourcing f Entwicklungseinbindung f Lieferantenunabhängige Entwicklung f Forward Sourcing
Beschaffendes Unternehmen
Materialgruppe f Materialstandardisierungsgrad f Geringer Standardisierungsgrad f Hoher Standardisierungsgrad f Mengenbündelungsgrad f Zersplitterte Beschaffung f Vollständig gebündelte Bedarfe
Das GFSR-Modell (General Features of Supplier Relations) stellt im Prinzip den modernen „Werkzeugkasten“ des strategischen Beschaffungsmanagements dar. Für die Supplier Relations sind innerhalb der Beschaffungsgesamtstrategie die für das jeweilige Unternehmen in Frage kommenden Ausprägungen pro Merkmal grundsätzlich festzulegen. Im Rahmen der Materialgruppenstrategie (Ebene 2) wird dann jeder Materialgruppe die passende Ausprägung zugeordnet.
111
4.2
4
Strategieformulierung
4.2.1
Schwerpunkt Lieferantenbasis
4.2.1.1
Geografische Struktur
Betrachtet man Supplier Relations unter geografischen Gesichtspunkten, so lässt sich in der weitestgehenden Variante der Weltmarkt als potenzieller Beschaffungsmarkt definieren. Bei dieser systematischen Ausdehnung der Beschaffung unter strategischer Ausrichtung auf weltweite Beschaffungsquellen spricht man von Global Sourcing (vgl. Zentes et al. 2005, S.317ff; Seiffer 2005, S.38f; Kerkhoff 2005, S.34; Leenders et al. 2006, S.370ff; Heß 2008, S.193ff; Schumacher et al. 2008, S.216ff; Schuh et al. 2008, S.121ff; Bakker et al. 2009, S.23). Wichtig ist hier die gezielte strategische Intention und somit die Abgrenzung von internationaler Beschaffung, bei der aus anderen Ländern Produkte bezogen werden. Primäre Zielsetzung ist es, im eigenen Land knappe bzw. nicht vorhandene oder zu teure Güter und Dienstleistungen in der gewünschten Qualität und Menge preisgünstig und termingerecht auf globalen Beschaffungsmärkten zu beziehen. Dass Unternehmen diesen Weg gehen, ist aufgrund der weltweit stark unterschiedlichen Kostenstrukturen in den Beschaffungsmärkten unstrittig. So liegen beispielsweise die Arbeitskosten im verarbeitenden Gewerbe pro Stunde in Deutschland (2008) bei 34,29 €, in Polen im Vergleich dazu bei 5,90 € (vgl. BDI 2009). Die Größenordnungen für Länder wie China oder Indien liegen nochmals deutlich darunter. Neben dem Begriff Global Sourcing sind in Theorie und Praxis für die geografische Ausdehnung der Beschaffungsaktivitäten weitere Begriffe zu finden:
Low Cost Country Sourcing legt den Schwerpunkt auf Beschaffungsaktivitäten in Niedriglohnländern (vgl. Nowosel/Rodriguez 2008, S.36f; Schuh et al. 2008, S.143ff.).
Beim Best Cost Country Sourcing wird im Sinne des TCO-Gedankens explizit auf die Bedeutung weiterer Entscheidungskriterien neben dem Preis hingewiesen (vgl. Voigt/Römer 2007, S.58; Rast 2008, S.64; Winterstein/Fischer 2008, S.35ff.).
Best Value Country Sourcing geht noch einen Schritt weiter und impliziert eine nachhaltige Wertsteigerung durch die globale Beschaffung (vgl. BrainNet 2009). Für global aufgestellte Konzerne ist der weltweite Einkauf eine zwingende Notwendigkeit, da eine weltweite Präsenz vor Ort auch in der Beschaffung vorteilhaft genutzt werden kann. Die Kunst besteht hier darin, die weltweit besten Lieferanten ausfindig zu machen und mit diesen globale Rahmenverträge abzuschließen. Neben den günstigeren Einstandspreisen sind aber weitere Entscheidungskriterien zu berücksichtigen. Zu nennen wären hier beispielsweise (vgl. ähnlich Voigt/Römer 2007, S.58f; Rast 2008, S.61ff.):
112
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Logistikkosten Bedingt durch die längeren und aufwendigeren Transportwege steigen die Logistikkosten bei der Beschaffung im globalen Kontext, z.B. für Verpackung, Zwischenlagerung, Dokumentation und Zollformalitäten. Ggf. sind auch zusätzliche Versicherungsprämien zur Risikoabsicherung notwendig.
Qualität Die Qualitätsproblematik bei bestimmten Lieferanten ist eine der größten Barrieren im Global Sourcing. Zusätzliche Qualitätsprüfungen sowie erhöhte Ausschuss- und Retourenquoten sind an der Tagesordnung. Nur durch die Nutzung von Qualitätsmanagementinstrumenten kann man die Vorteile globaler Beschaffungsmärkte nutzen. Denkbare Maßnahmen an dieser Stelle sind Technologietransfer vor Ort sowie die konsequente Lieferantenentwicklung.
Koordinationsaufwand Zur professionellen Steuerung des Lieferanten sind vielfältige zusätzliche Koordinationsaktivitäten zu leisten, wie z.B. zusätzlicher Reiseaufwand, sprachliche Anpassung von Dokumenten oder längere Reaktionszeiten der Lieferanten. Zwingend notwendig sind kompetente Ansprechpartner vor Ort. Dies müssen nicht direkt im ersten Schritt eigene Mitarbeiter sein. Zunächst lassen sich die Einkaufsbüros (International Procurement Offices) allgemein tätiger Dienstleister in den jeweiligen Ländern nutzen. Im zweiten Schritt bietet sich an, eine eigene Dependence vor Ort zu installieren, die den spezifischen Anforderungen des jeweiligen Landes gerecht werden sollte (vgl. Leenders et al. 2006, S.384f; zu International Procurement Offices in Indien Moser/Lockström 2009, S.46f.). IBM geht sogar soweit, dass das Unternehmen seine globale Einkaufsorganisation direkt in China angesiedelt hat (vgl. o.V. 2009).
Innovationskosten Von den Lieferanten aus Low Cost Countries sind weniger Innovationsimpulse zu erwarten. Da Unternehmen sehr stark auch in der Produktentwicklung mit Lieferanten kooperieren kann dies nachteilig sein. Der eigene Innovationsaufwand nimmt dadurch zu bzw. es ist gezielter nach kompetenten Innovationspartnern Ausschau zu halten. Als Beispiel einer guten Zusammenarbeit mit globalen Lieferanten hinsichtlich Innovation ist Puma, das Unternehmen lässt jährlich ca. 8000 Artikel in Asien entwickeln.
Kundensensibilität Bei Markenprodukten mit Premiumpreisen erwartet der Kunde oft, dass die Herstellung der Produkte auch vor Ort stattfindet. Die Produktion in Niedriglohnländern verwässert womöglich die Marke. Eine Gegenmaßnahme hierzu ist, dass etablierte Lieferanten unter ihrem Namen im Niedriglohnland produzieren, so dass deren guter Name in Kombination mit Kostenvorteilen genutzt werden kann.
113
4.2
4
Strategieformulierung
Know-how-Schutz Ein großes Problem stellt die Vergabe innovativer Produkte in rechtsunsichere Länder, wie z.B. China, dar. Geistiges Eigentum genießt in weiten Teilen der Welt keinen hinreichenden Schutz, auch zu sehen daran, dass die Produktpiraterie 5% des gesamten Welthandelsvolumens ausmacht. Schnelle Innovationszyklen helfen hier, so dass die nachgebauten Produkte bei ihrer Markteinführung bereits veraltet sind. Aktuelle Studien zur zukünftigen Entwicklung von Global Sourcing zeigen, dass die Entscheidungskriterien im Hinblick auf Qualität, Qualifikation des Personals, Risikominimierung, aber auch Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnen werden (vgl. zu den Studien BrainNet 2009, S. 17ff; Bogaschewsky/Müller 2008; Bogaschewsky et al. 2008, S.50f.). Es wird zunehmend zu einer Verlagerung der Einkaufsvolumina aus Westeuropa (-20%) und Nordamerika (-14%) kommen. Profitieren werden davon Osteuropa, China (vgl. zu China Sourcing Würstl 2006, S.40f; Kaufmann et al. 2006, S.42; Lockström et al. 2008, S.36ff; Feisel et al. 2008, S.26ff; Lockström et al. 2009, S.32ff.) und vor allem Indien mit einem prognostizierten Zuwachs von ca. 40% (vgl. zu India Sourcing Chaudhuri/Meyer 2006, S.54ff; Moser/Lockström 2008, S.30ff; Blome/Moser 2008, S.36ff; Hildebrandt/Lorenzen 2009, S.42ff.). Wie findet ein Unternehmen aber nun die richtigen Beschaffungsmärkte, die richtigen Lieferanten und die richtigen Produkte, die sich für eine weltweite Beschaffung eignen? Um das herauszufinden, sollten Unternehmen systematisch vorgehen und den im Folgenden näher beleuchteten Global Sourcing-Prozess durchlaufen (vgl. ähnlich Kerkhoff 2005, S.52; Bakker et al. 2009, S.27ff.). Der Prozess besitzt sowohl Relevanz für die Beschaffungsgesamtstrategie als auch für den strategischen Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene. Die Schritte 1, 2, 3 und 7 gehören primär zur Beschaffungsgesamtstrategie, die Schritte 4 bis 6 zur Materialgruppenebene (vgl. Abbildung 4-9).
Abbildung 4-9:
Prüfung der Notwendigkeit
Global Sourcing-Prozess
Identifikation Analyse der der MateBeschafrialgruppen fungsländer
Lieferanten- Vertragsveranalyse und handlung u. -auswahl -abschluss
Lieferantenmanagement
Controlling
Im ersten Schritt ist die tatsächliche Notwendigkeit von Global Sourcing zu prüfen. Sowohl eine übertriebene Abwehrhaltung auf der einen Seite als auch das übereilte „Aufspringen auf einen Zug“ auf der anderen Seite finden sich in der Unternehmens-
114
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
praxis wieder. Wie so oft ist der gesunde Mittelweg die beste Variante. Die Fragen, die sich der Einkauf zu stellen hat, lauten: Werden die wichtigsten Materialgruppen bei den weltweit besten Lieferanten beschafft? Wie groß ist der Unterschied zwischen den globalen Best Practice-Lieferanten und den eigenen Zulieferern? Hiernach ist die Entscheidung zu treffen, ob Global Sourcing-Aktivitäten verfolgt werden sollen. In Schritt zwei sind dann geeignete Materialgruppen für eine weltweite Beschaffung zu identifizieren. Bei Materialgruppen mit den folgenden Eigenschaften kann Global Sourcing in Betracht gezogen werden, wobei es sich nach der oben vorgenommenen Portfolioklassifizierung tendenziell um Hebelmaterialien handeln dürfte (vgl. Droege & Comp. 1998, S.136; Heß 2008, S.204; Bakker et al. 2009, S.30):
Marktgängige Standardteile Hohes Einkaufsvolumen, das zusätzlichen Steuerungsaufwand rechtfertigt Produkte mit hohem Personalkostenanteil Reproduzierbare Qualitäten erreichbar Effizienzpotenziale bei den Lieferanten noch nicht ausgeschöpft Da eine tiefgehende Kenntnis der globalen Beschaffungsmärkte notwendig ist, erfolgt in Schritt drei die Analyse der Beschaffungsländer. Das im Rahmen der Beschaffungsmarktanalyse vorgestellte Instrumentarium (vgl.Kapitel 3, Abschnitt 3.4.1) findet hier seine Anwendung, wobei der Risikoanalyse eine besondere Bedeutung zukommt. Die Markttransparenz in Beschaffungsmärkten aus Übersee ist doch deutlich schlechter als beispielsweise in Europa. Auch hier hat das Internet natürlich Vieles vereinfacht, doch schnell und effizient an aussagekräftige Marktdaten zu kommen, ist nach wie vor nicht einfach. Beschaffungsrelevante Informationen zu diversen Ländern bietet beispielsweise das Global Sourcing-Portal vom BME (www.supply-markets.com). Wichtige Analysekriterien für globale Beschaffungsmärkte sind:
Angebot (Lieferanten) in Menge und Qualität Preisniveau sowie Import- / Exportbedingungen Vorhandene Infrastruktur Rechtssicherheit und politische Stabilität Besonderheiten der Landeskultur Zahlungs- und Währungsrisiken Produktivität, Arbeitsmotivation Arbeitskräfteverfügbarkeit (Menge und Qualität) Innovationskraft und Flexibilität 115
4.2
4
Strategieformulierung
Im Ergebnis sollten nach dieser Phase die in Frage kommenden Länder ausgewählt und idealerweise auch schon potenzielle Lieferanten identifiziert sein. Im Schritt vier werden die in Frage kommenden Anbieter im Detail analysiert und diejenigen ausgewählt, mit denen in Vertragsverhandlungen eingestiegen werden soll (Lieferantenanalyse und -auswahl). Dabei ist es ungleich schwieriger weltweit die Lieferanten zu analysieren, da das Instrumentarium der Lieferantenanalyse (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.4.2) über große Entfernungen und bei starken kulturellen Unterschieden natürlich aufwändiger in der Anwendung ist. Schritt fünf behandelt die Vertragsverhandlungen und schließlich den Abschluss des Vertrags. Auch hier spielen natürlich kulturelle Unterschiede, man denke an Verhandlungen mit asiatischen Partnern, und insbesondere rechtliche Aspekte eine besondere Rolle. Welches Landesrecht soll angewendet werden? Wie können zukünftige Vertragsänderungen abgesichert werden? Welche Möglichkeiten bestehen bei mangelhafter Vertragserfüllung? Solchen Fragen muss in einer länderübergreifenden Zusammenarbeit besondere Aufmerksamkeit zukommen. Sind die Verträge unter Dach und Fach, muss im Rahmen des Lieferantenmanagements die operative Zusammenarbeit mit dem Lieferanten organisiert werden. Es geht darum, die Qualität und die Zuverlässigkeit des Lieferanten auf Dauer zu gewährleisten. Die logistische Abwicklung ist zu managen und auch die Lieferantenentwicklung sollte sichergestellt sein. Ein Ansprechpartner vor Ort ist für diese Aufgaben unerlässlich. Schließlich spielt auch das Controlling der Global Sourcing-Aktivitäten eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Gerade hier muss geprüft werden, ob sich die Zusammenarbeit rentiert oder die Einsparungen bei den Einstandspreisen ggf. von anderen Kostenfaktoren überkompensiert werden. Häufig erfolgt über den Einkauf auch nur ein erster Schritt in Richtung Globalisierung. Über den Aufbau einer Produktionsanlage im entsprechenden Land bis hin zur Erschließung der dortigen Absatzmärkte gehen die weiteren, häufig praktizierten Entwicklungsstufen, wie sie beispielsweise in der Automobilindustrie sichtbar sind. Neu erschlossene Beschaffungsmärkte bieten also die Möglichkeit, diese auch proaktiv zur Entwicklung neuer Absatzgebiete zu nutzen (vgl. Jahns/Kästle 2004, S.36). Global Sourcing steht bei einem Klein- oder Mittel-Unternehmen, das vielleicht erstmalig dieses Terrain betritt, unter anderen Vorzeichen, als beim Großkonzern, der per se international ausgerichtet ist. Für KMUs muss der Weg in den globalen Einkauf zunächst über Kooperationen führen, die entweder mit Großunternehmen oder aber auch mit anderen KMUs eingegangen werden können. In jedem Fall sind Personalentwicklungsmaßnahmen im Einkauf durchzuführen, da sich das Aufgabenfeld des Einkäufers doch erheblich erweitert. Sprache, interkulturelle Kompetenz, spezifisches Markt Know-how, neue technologische Kenntnisse sowie Netzwerkkompetenz sind einige der neuen Themengebiete, mit denen Global Sour-
116
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
cing den Einkauf konfrontiert. Zusammenfassend lassen sich die folgenden Chancen und Risiken beim Global Sourcing festhalten. Chancen:
Preisvorteil gegenüber den inländischen Anbietern durch niedrige Lohn- und Sozialkosten, sowie niedrigere Kosten für Energie, Rohstoffe, Lagerung und Unternehmensbesteuerung
Sicherung neuer Bezugsquellen durch die Erschließung neuer Lieferantenmärkte; bei Vertiefung der Kontakte können auch neue Absatzmärkte entstehen
Größere Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung in Preis, Qualität und Menge Optimale Nutzung der spezifischen Vorteile internationaler Standorte, ggf. durch den Aufbau von Produktionsstandorten in Übersee Risiken:
Mangelhafte Produkt- bzw. Leistungsqualität, bedingt durch unterschiedliches Qualitätsbewusstsein
Zuverlässigkeit, Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft des Lieferanten schwieriger sicherzustellen
TCO nicht in der Gesamtheit berücksichtigt Termin- und Transportprobleme (produktionssynchrone Anlieferung ist schwierig), Ausgleich dieser logistischen Probleme durch höhere Lager- und Sicherheitsbestände und somit über höhere Kapitalbindung
Unwägbarkeiten im generellen Umfeld wie politische Probleme, Arbeitsmarktprobleme (Qualifikation, Streiks), rechtliche Risiken (Vertragsrisiken, Enteignung) oder Währungsrisiken Von Local Sourcing wird gesprochen, wenn bei einer Beschaffungsquelle, die in räumlicher Nähe des beziehenden Unternehmens liegt, eingekauft wird (vgl. Eichler 2003, S.64f; Heß 2008, S.199ff.). Zu hinterfragen ist, wie dabei der Begriff „räumliche Nähe“ zu interpretieren ist. Vom Lieferanten „um die Ecke“ bis zum Einkauf im eigenen Land kann hier das Spektrum gesehen werden, eine fest definierte Entfernung wird nicht zugrunde gelegt. Beim Bezug von Lieferanten im Heimatmarkt des Verbrauchsortes wird auch der Begriff Domestic Sourcing verwendet. Die Zusammenarbeit mit in der Nähe angesiedelten Lieferanten bietet sich an, bei in Relation zum Materialwert hohen Logistikkosten, bei flexibler Reaktionsnotwendigkeit oder bei sehr anspruchsvollen operativen Beschaffungsprozessen, wie z.B. Just-in-sequence-Beziehungen. Local-for-local Sourcing bezeichnet den Sachverhalt, dass ein Unternehmen einen Produktionsstandort direkt am Absatzmarkt betreibt und die benötigten Vorprodukte
117
4.2
4
Strategieformulierung
bei entsprechenden Lieferanten dort vor Ort bezogen werden, d.h. im Land werden eigenständig funktionierende Supply Chains aufgebaut. Eine spezielle Ausprägung der lokalen Beschaffung wird unter dem Begriff Cluster Sourcing behandelt. Unter einem Cluster versteht man eine räumlich konzentrierte, zu einer Wertschöpfungskette gehörende Agglomeration von Unternehmen sowie Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen (vgl. Ebert/Schönberger 2008, S.54ff; Jahns/Walter 2008, S.26ff.). Das bekannteste Beispiel für ein regionales Branchencluster ist Silicon Valley für die Computer- und Halbleiterbranche, aber auch die Struktur der Automobilzulieferer in Österreich oder die Medizintechnik in Bayern können als Cluster gesehen werden. Zugehörige eines Clusters haben oft eine höhere Produktivität und Innovationskraft als isoliert tätige Unternehmen. Häufig werden die Clusterinteressen in entsprechenden Foren gebündelt, für Medizintechnik z.B. das Forum MedTech Pharma e.V.. Ein Cluster zeichnet sich auch durch besondere Ausbildungsangebote an den ansässigen Hochschulen aus (vgl. Santo 2007, S.15). Die spezifische Ansammlung von zueinander passenden Partnern kann auch für die Beschaffung Vorteile bringen. Zum einen kann man bestimmte Materialien bei den weltweit besten Clustern einkaufen, indem man nicht nach einzelnen Lieferanten, sondern nach Branchenclustern recherchiert. Der Rechercheprozess nach passenden Lieferanten wird dadurch erheblich vereinfacht (vgl. Moser/Lockström 2008, S.32; Schiele 2007, S.18). Zum anderen kann man als Bestandteil eines eigenen Clusters die Vorteile kurzer Wege und enger Zusammenarbeit nutzen. Gerade für sehr spezifische Teile mit hohem Versorgungsrisiko (Engpass- oder strategische Materialien) ist Cluster Sourcing eine adäquate Strategie mit der Zielsetzung beim Lieferanten zum Preferred Customer zu werden (vgl. hierzu Schumacher et al. 2008, S.240ff; die zur Identifikation solcher Teile das Instrument der ABS-Analyse vorschlagen). Insgesamt ist die Beschaffungsstrategie des Local Sourcing wie folgt zu beurteilen: Chancen:
Niedrige Transportkosten, -zeiten und -risiken Geringerer Steuerungsaufwand bedingt durch persönliche und kulturelle Nähe Höhere Flexibilität und damit geringere Fehlmengenkosten Niedrigere Kapitalbindung, da kleinere Sicherheitsbestände vorzuhalten sind I.d.R. keine Absicherung von Währungsrisiken notwendig Risiken:
Geringerer Wettbewerb, wodurch höhere Preise resultieren können Fehlende Markttransparenz, wodurch Lieferantenwechsel erschwert wird Gefahr der Abhängigkeit vom Lieferanten 118
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
4.2.1.2
Lieferantenanzahl
Die Anzahl der Lieferanten ist das zweite Merkmal einer Gestaltung der Lieferantenbasis. Die zu unterscheidenden Ausprägungen sind Single bzw. Multiple Sourcing (vgl. Droege & Comp 1998, S.66ff; Boutellier/Locker 1998, S.60ff; Gadde/Hakanson 2001, S.156ff; Melzer-Ridinger 2002, S.34f; Eichler 2003, S.54ff; Wagner 2003, S.701ff; Leenders et al. 2006, S.270f; Heß 2008, S.211ff.). Hier handelt es sich um zwei Extremausprägungen in einem Kontinuum, wobei Single Sourcing eine Zusammenarbeit mit nur einem einzigen Lieferanten anstrebt und bei Multiple Sourcing Geschäftsbeziehungen mit einer großen Anzahl an Lieferanten realisiert werden. Wichtige Bestimmungsgrößen für die Entscheidung über die optimale Anzahl an Lieferanten in einer Materialgruppe sind die folgenden internen und externen Faktoren, wobei jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, was die optimale Lieferantenanzahl ist (vgl. Droege & Comp. 1998, S.66f.). Detaillierte Ausführungen hierzu finden sich bei der Diskussion der Materialgruppenstrategien (vgl. Kapitel 6, Abschnitt 5.1.2):
Einkaufsvolumen der Materialgruppe ABC-Klassifizierung Strategische Bedeutung der Produktgruppe Mengenbezogenes Versorgungsrisiko Preisschwankungen am Markt Macht der Lieferanten Anzahl potenzieller Lieferanten Wettbewerbssituation im Beschaffungsmarkt Die Fokussierung auf einen einzigen Lieferanten (Single Sourcing) bedingt eine sehr enge Zusammenarbeit. Der Trend geht bei strategischen Materialien häufig in Richtung Single Sourcing, da hier Wertschöpfungspartnerschaften eine sinnvolle Option darstellen, die hohe Investitionen in die Lieferantenanbindung erforderlich machen. In der Verantwortung stehen aber eindeutig beide Partner, auch der Lieferant ist gefordert, die gemeinsame Wertschöpfung permanent zu optimieren. Bei einer exklusiven Beziehung zum Lieferanten ist für diesen der Anreiz dazu erheblich höher (vgl. Wagner 2003, S.701). Eine enge Verbindung ist sowohl ein Risikoschutz als auch ein Anschub für Innovationsstärke und Effizienzsteigerung. Die hohe Abhängigkeit von einem Single Source-Lieferanten erfordert im Vorfeld eine ganz besonders akribische Risikoanalyse, zunächst in Form von Insolvenzfrühwarnung später dann durch gemeinsame Teams, um die notwendige Versorgungssicherheit zu gewährleisten (vgl. Rast 2008, S.49; Blome 2009, S.25). Häufig wird bei diesem Thema auch ein Zielkonflikt zwischen Produktion und Einkauf augenscheinlich. Während die Produktion die einfachere Zusammenarbeit mit einem einzigen Lieferanten schätzt, muss der Einkauf
119
4.2
4
Strategieformulierung
stärker die Gefahr der Abhängigkeit beachten und nach Alternativen Ausschau halten. Single Sourcing kann aber auch für Standardmaterialien eine sinnvolle Vorgehensweise sein, indem beispielsweise alle Büromaterialien bei einem Lieferanten gebündelt bezogen werden. Neben der Realisierung von Preisvorteilen kann in diesem Fall insbesondere über Desktop Purchasing-Systeme und elektronische Kataloge der Abwicklungsprozess vereinfacht werden. Voraussetzung ist, dass der Lieferant in der Lage ist, das gesamte benötigte Sortiment auch zu liefern. Zu betonen ist weiterhin, dass es sich beim eigentlichen Single Sourcing um den freiwilligen Bezug eines Materials bei nur einem Lieferanten handelt. Denkbar ist natürlich auch eine ebenfalls als Single Sourcing zu bezeichnende Situation, bei der ein Unternehmen ungewollt in eine derartige Abhängigkeitssituation gerät. Bei produktionsbezogenen Materialen ist eine Single Source-Strategie manchmal unerlässlich, da nur einmal in die ggf. sehr hohen notwendigen Vorleistungen beim Lieferanten (z.B. Werkzeugkosten) investiert werden soll. Chancen:
Bündelung von Beschaffungsvolumina Größendegressionseffekte beim Lieferanten, die dessen Kostenstruktur verbessern Möglichkeiten zur Prozessoptimierung, da nur eine Lieferantenbeziehung organisiert werden muss
Bessere Amortisation spezifischer Investitionen, wie z.B. in Behälter, Werkzeuge oder auch IT-Lösungen
Potenzial zu einer partnerschaftlichen Geschäftsbeziehung Risiken:
Hohe gegenseitige Abhängigkeit zwischen Abnehmer und Lieferant Reduzierung des Lieferantenwettbewerbs Kurzfristiger Lieferantenwechsel ist kaum möglich Gefahr, dass Anreize für Innovationen fehlen Bei Multiple Sourcing ist die Stimulation von Preis- und Leistungswettbewerb zwischen den Lieferanten eine wichtige Zielsetzung. Die zu beschaffenden Materialien sind in der Regel Hebelmaterialien, d.h. gekennzeichnet durch hohes Beschaffungsvolumen bei niedrigem Versorgungsrisiko. Der Beschaffungsmarkt ist dort durch starke Preisschwankungen bei hoher Lieferantendichte gekennzeichnet, so dass durch langfristige Rahmenverträge eher Nachteile entstehen können. In einer solchen Marktsituation ist die Möglichkeit eines schnellen Lieferantenwechsels ein hilfreicher Optimierungshebel. Ein Beispiel im Einkauf elektronischer Bausteine ergab durch die Nutzung des Wettbewerbs und die Vergabe an mehrere Zulieferer eine Einsparung von 45%
120
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
(vgl. zu diesem Beispiel im Detail Droege & Comp. 1998, S.70ff.). Daneben ist aber auch die Versorgungssicherheit ein wichtiges Argument. Bei Multiple Sourcing ist das Unternehmen nicht abhängig vom einzelnen Lieferanten und Alternativen zum Wechsel sind recht einfach zu finden. Allerdings ist zu konstatieren, dass in Situationen in denen Multiple Sourcing vor Risiken schützen sollte, beispielweise bei Engpassmaterialien, Alternativlieferanten oft nicht zur Verfügung stehen (vgl. Blome 2009, S.24). Chancen:
Wirksamer Wettbewerb zwischen den Lieferanten in zweierlei Hinsicht, und zwar kurzfristiger Preiswettbewerb und langfristige Angebotsvielfalt
Flexible Wechselmöglichkeit zwischen Lieferanten und damit Vermeidung von Abhängigkeiten
Beim Lieferanten geringere Gefahr einer „Überspezialisierung“ Minimale transaktionsspezifische Investitionen Risiken:
Kostennachteile aufgrund geringerer Liefermengen im Hinblick auf Einstandspreise
Höhere Prozesskosten durch mehrere Abwicklungsvarianten, verschiedene Verpackungssysteme oder die erhöhte Anzahl an Vorgängen Eine verbreitete Variante bezüglich der Lieferantenanzahl ist der Quotenbezug (auch: Preferential Sourcing oder Vorzugslieferantenstrategie), bei dem über einen längeren Zeitraum feste Mengenkontingente auf eine bestimmte Anzahl an Lieferanten verteilt werden. Die Differenzierung erfolgt häufig nach Standorten oder Produktlinien. Beispielsweise erhält in der Automobilbranche ein anderer Systemlieferant den Auftrag für die in Europa produzierte Highline-Version im Vergleich zur in Südamerika produzierten Standard-Version. Bei dieser Lieferantenbeziehung kann man die Vorteile von Single Sourcing (definierte Mengen, abgesicherte Prozesse) mit denen von Multiple Sourcing (reduzierte Abhängigkeit) kombinieren. Bei einer Zusammenarbeit mit zwei Lieferanten spricht man auch von Dual Sourcing oder von einer Second-SourceStrategie (vgl. Riffner/Weidelich 2001, S.104f.). Es sollte eine genaue Betrachtung der Kosten einer solchen Variante durchgeführt werden. Zusätzlichen Transaktionskosten, wie z.B. Qualifizierungs- oder Werkzeugkosten, stehen reduzierte Risikokosten aufgrund von verminderten Insolvenzgefahren, Kapazitätsengpässen oder Qualitätsproblemen entgegen, die mit Wahrscheinlichkeiten zu gewichten sind (vgl. Ahrens et al. 2008, S44f.) Nicht bei allen Materialien wird aber wegen der jeweiligen Spezifität ein völlig unproblematischer Wechsel zwischen den einzelnen Quotenlieferanten möglich sein. Schließlich ist auch die Option einer im Zeitablauf abwechselnden Zusammenarbeit mit verschiedenen Lieferanten denkbar (vgl. Eichler 2003, S.58ff.).
121
4.2
4
Strategieformulierung
Die Fragestellung nach der optimalen Lieferantenanzahl bezieht sich sinnvollerweise stark auf die Ebene der einzelnen Materialgruppe. Gleichwohl hat das Thema Reduzierung der Lieferantenanzahl auf der Ebene der Gesamtunternehmensstrategie eine hohe Bedeutung, geht es hier doch darum die Unüberschaubarkeit der Lieferantenvielfalt zu vereinfachen (vgl. Homburg 2002, S.181ff.). Eine wichtige Maßnahme zur Lieferantenreduzierung auf Gesamtunternehmensebene ist die Einführung und Verwendung eines Lieferantenbewertungssystems (vgl. hierzu Kapitel 3, Abschnitt 3.4.2). Nur wenn die Lieferanten dort hinterlegt und positiv bewertet sind, dürfen sie genutzt werden. Ähnlich zu sehen ist die bei direkten Materialien eingesetzte Lieferantenvorzugsliste. Dort finden sich vom strategischen Einkauf analysierte und bewertete Lieferanten, die beispielsweise vom Produktingenieur direkt angesprochen werden können (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.68). Bei indirekten Materialien sind Rahmenverträge, die umgesetzt über elektronische Kataloge die Auswahlmöglichkeit für den Bedarfsträger vordefinieren, ein probates Mittel. Letztendlich gilt, dass die optimale Anzahl an Lieferanten vom Teilespektrum abhängt und nicht umgekehrt. Großunternehmen haben in den letzten Jahren immense Anstrengungen unternommen, ihre Lieferantenbasis zu reduzieren. So pflegt Siemens 370.000 Lieferantenbeziehungen, hat aber nur 100.000 Lieferanten. Dies bedeutet mit jedem Lieferanten bestehen irgendwo im Konzern durchschnittlich vier Lieferantenbeziehungen. Weiterhin machen 300.000 dieser Lieferantenbeziehungen nur 5% des Beschaffungsvolumens aus. Ziel ist es, die Anzahl der Lieferantenbeziehungen um 74.000, d.h. um ca. 20 % zu reduzieren (vgl. Köhn 2009; o.V. 2009). Zu unterscheiden ist bei der Lieferantenanzahl auch zwischen aktiven und passiven Lieferanten. Die bisher diskutierten Optimierungsansätze zielen auf die aktiven Lieferanten ab, d.h. Lieferanten, mit denen in den letzten beiden Jahren nennenswerte Geschäfte getätigt wurden. Ein ebenfalls existierendes Problem ist die ausgeuferte Anzahl der passiven Lieferanten im System, die sogenannten „Karteileichen“. Uraltbestände von Zulieferern, bei denen schon lange nicht mehr eingekauft wurde oder gleiche Lieferanten, die in den unterschiedlichsten Schreibweisen (Firma Müller, Müller GmbH, K.Müller u.s.w.) im System hinterlegt sind und nicht als identisch identifiziert wurden blähen Lieferantenlisten immens auf und erschweren das Arbeiten damit. Beispielsweise ist die genaue Zuordnung des Umsatzes auf einen Lieferanten quasi unmöglich. Zur Bereinigung solcher Daten liefert insbesondere ein Data Warehouse wertvolle Hilfestellung. Über die Nutzung der DUNS-Nummer (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.4.2) lassen sich Lieferantendubletten erkennen und bereinigen (vgl. Pfleghar/Decker 2001, S.119ff.).
122
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
4.2.2
Vertikale Kooperationsintensität
4.2.2.1
Wertschöpfungsleistung
Die Zusammenarbeit mit Lieferanten befindet sich in vielen Branchen in einem Veränderungsprozess, so dass die direkten Lieferanten für eine größere Wertschöpfungsleistung verantwortlich sind (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.68ff; Droege & Comp 1998, S.77ff; Freudenberg 2002, S.157f; Eichler 2003, S.65ff; Reiss/Präuer 2003, S.28ff; Heß 2008, S.122ff.). Vorbild für diese Form der Zusammenarbeit mit Lieferanten ist das japanische Keiretsu-System, das schon seit Mitte des letzten Jahrhunderts auf der Basis einer hierarchisch aufgebauten Pyramidenstruktur funktionierte (vgl. Buchholz 1996, S.233). Die Wertschöpfungsleistung beschreibt die aus Sicht des abnehmenden Unternehmens an den Lieferanten vergebenen Wertschöpfungsaktivitäten. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Wertschöpfungsleistung der Lieferanten abnimmt, je weiter man in der Zulieferpyramide nach unten kommt. Abbildung 4-10 zeigt die Zulieferpyramide am Beispiel der Automobilindustrie. Die einfache Aufteilung in 1-Tier, 2nd-Tier usw. ist in den letzten Jahren einer differenzierteren Verteilung gewichen. Aufgrund der jeweiligen Kompetenz und des spezifischen Produktprogramms des Zulieferers kann dieser verschiedene Rollen innerhalb der Wertschöpfungskette einnehmen. Der Teile- und Komponentenlieferant (3rd-Tier) erbringt nur relativ geringe Leistungen in den Bereichen Montage und Entwicklung. Sein Wertschöpfungsbeitrag beschränkt sich zumeist auf die Produktion von Normteilen mit einem hohen Standardisierungsgrad. In Bezug auf die Wertschöpfungsleistung spricht man hier von Unit Sourcing (Particular-, Element Sourcing). Häufig ist er als Sub-Zulieferer für einen in der Wertschöpfungskette höher klassifizierten Zulieferer tätig. Der Systemspezialist (2nd-Tier) ist auf der nächsthöheren Stufe angesiedelt. Er verfügt über die Fähigkeit kreative, technologische Lösungen zu realisieren. Diese auf einer hohen technischen Entwicklungskompetenz basierenden Produktinnovationen werden vom Systemspezialisten häufig in Eigenverantwortung und nicht im Auftrag des OEMs umgesetzt. Der Lieferant trägt somit auch das gesamte Risiko. Im Bereich der Montage erbringt der Systemspezialist nur geringe Leistungen. Der Modullieferant (1st-Tier) ist das Gegenstück zum Systemspezialisten. Einer umfangreichen Montageleistung, die als Modular Sourcing charakterisiert werden kann, steht hier eine geringe Leistung im Bereich der Entwicklung gegenüber. Die wesentliche Aufgabe besteht darin, den OEM mit montagefertigen Modulen zu versorgen, deren Teile und Komponenten er von den vorgelagerten Zulieferern bezieht. Neben einer hohen fertigungsbezogenen Integrationskompetenz muss er auch über logistische Kompetenz verfügen, da er die logistische Verantwortung trägt.
123
4.2
4
Strategieformulierung
Abbildung 4-10: Lieferantenpyramide in Abhängigkeit von der Wertschöpfungsleistung (Quelle: Becker 2007, S.168)
Den Systemintegrator (1st-Tier) zeichnet neben seiner hohen fertigungsbezogenen Integrationskompetenz auch eine hohe technologische Kompetenz aus. Er vereint die Entwicklungskompetenz des Systemspezialisten mit der Fertigungskompetenz des Modullieferanten. Daneben ist auch hier eine ausgesprochene Logistikkompetenz gefordert, um eine fertigungssynchrone Anlieferung der Systeme an den Ort der Weiterverarbeitung zu gewährleisten. Dazu gehört häufig auch die räumliche Nähe zum Hersteller. Alle großen Automobilhersteller haben beispielsweise die Systemintegratoren in Zulieferparks direkt vor Ort angesiedelt. Für diese umfängliche Verlagerung der Wertschöpfungsleistung auf Lieferanten wird der Begriff System Sourcing verwendet. Durch die Veränderungen in der Wertschöpfungskette übernimmt der Systemintegrator Aufgaben, die früher dem Kerngeschäft der OEMs zuzurechnen waren, was auch die Übernahme der damit verbundenen Risiken beinhaltet (vgl. Präuer 2005, S.30ff; Becker 2007, S.168). Beispiele für Systeme wären ein kompletter Motor, das Getriebe, das Fahrwerks- und Lenkungssystem, die gesamte Innenausstattung oder der Autositz inkl. Unterbau. Dementsprechend sind der Unterbau für Autositze, Fahrwerks- und Antriebseinheiten wie Bremsanlagen oder die Armaturentafel als Module zu interpretieren. Auch beim System Sourcing war die Automobilindustrie in einer Pionierrolle (vgl. Freudenberg 2002, S.155ff; Böhm 2003, S.471, mit einem detaillierten Beispiel aus der LKW-Herstellung). In den 1990er Jahren hat sich die Anzahl der Direktlieferanten in der Automobilindustrie von 30.000 auf 8.000 reduziert, von denen die größten 100 Lieferanten 30% des Beschaffungsvolumens verantworten. Erwartet wird, dass in dieser Branche in 2010 20-30 Megalieferanten ihre eigenen Zuliefernetzwerke koordinieren (vgl. Schuff 2002, S.57). BMW beispielsweise hat im Jahr 2007 50% seines Be-
124
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
schaffungsvolumens mit sogenannten Mega-Lieferanten mit einem Umsatzanteil >2,5 Mrd. € getätigt, gegenüber 35% im Jahre 2000 (vgl. Hartig 2007). Die hierarchisch aufgebaute Zulieferstruktur entwickelt sich hin zu netzwerkartigen Strukturen, in die neben den Lieferanten in der Vertikalen auch horizontal Partner integriert sind (vgl. Abbildung 4-11). Gerade beim System Sourcing spielt die systematische Qualifizierung der Lieferanten eine bedeutende Rolle, wofür sich der Begriff der Lieferantenentwicklung etabliert hat (vgl. Wagner/ten Hoevel 2003, S.1023ff; Hartmann 2006, S.24ff.). Hierunter ist ein umfassendes Konzept zur Stärkung der Leistungsfähigkeit von Lieferanten, sowohl zur Vermittlung und Verbesserung von benötigten Fertigkeiten und Fähigkeiten als auch zur Reduzierung von Kosten zu verstehen. Bei bestehenden Lieferanten spricht man auch von Lieferantenförderung, bei neuen Lieferanten von Lieferantenaufbau (vgl. Wagner 2002, S.90ff.). Es handelt sich um Aktivitäten, die über die routinemäßige Zusammenarbeit mit dem Lieferanten im Tagesgeschäft hinausgehen. Lieferantenentwicklungsprogramme können technische, wirtschaftliche, personenbezogene und kommunikationsfördernde Maßnahmen umfassen und reichen von direkten Aktivitäten, wie das Bereitstellen von Fertigungseinrichtungen und Personal, bis hin zu indirekten Aktivitäten der Kommunikation und Bewertung, die die Basis für eine Eigenentwicklung des Lieferanten liefern sollen.
Abbildung 4-11: Struktur eines Wertschöpfungsnetzwerks am Beispiel BMW (Quelle: Richter/Hartig 2007, S.253)
125
4.2
4
Strategieformulierung
Bei einer aktiven Lieferantenentwicklung initiiert das einkaufende Unternehmen gemeinsam mit strategischen Lieferanten Entwicklungsprojekte. Das Unternehmen unterstützt den Lieferanten aktiv bei der Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit, indem ein Know-how- und ggf. sogar Personal-Transfer stattfindet. Es betrachtet die Lieferantenentwicklung als Investition und setzt die Maßnahmen gemeinsam mit dem Lieferanten um. Von hoher Bedeutung sind eine vertrauensvolle, transparente Kommunikation und eine faire Aufteilung der Kostensenkungspotenziale. VW optimiert z.B. im Rahmen von sog. Lieferantenklausuren gemeinsam mit den Lieferanten die Beschaffungskosten. Dies geschieht in einem einwöchigen, bereichsübergreifend besetzten Workshop zur Erarbeitung von Kostensenkungsideen bei Produkt und Logistik (vgl. Berkenhagen/Vrbica 2006, S.25ff.). Passive Lieferantenentwicklung heißt, dass das einkaufende Unternehmen dem Lieferanten Entwicklungsvorgaben macht, die dieser in einem definierten Zeitraum eigenverantwortlich umsetzen soll. Der Abnehmer hat hier lediglich eine beratende Funktion. DaimlerChrysler unterscheidet im Geschäftsfeld Nutzfahrzeuge beispielsweise vier Varianten einer Lieferantenentwicklung (vgl. Wagner/ten Hoevel 2003, S.1023ff.):
Die präventive Lieferantenentwicklung will Lieferanten frühzeitig fördern, um Problemen beim Serienanlauf bzw. bei der Serienproduktion vorzubeugen und das Leistungsniveau nachhaltig zu steigern. Hier geht es vorwiegend um neue Lieferanten, neue Standorte eines Lieferanten oder um neue Fertigungsverfahren.
Die reaktive Lieferantenentwicklung erfolgt im Sinne einer kurzfristig notwendigen Lieferantenhilfe bei Problemen mit bestehenden Lieferanten, die durch die operativen Bereiche im Tagesgeschäft nicht gelöst werden können.
Eine kostenorientierte Lieferantenentwicklung greift in dem Fall, dass der Lieferant seine technischen Möglichkeiten nicht optimal ausschöpft bzw. die Prozesse mit dem nachfragenden Unternehmen nicht optimal abgestimmt sind. Im Mittelpunkt steht hier die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Lieferanten durch die gemeinsame Identifikation und Realisierung von Kostensenkungspotenzialen.
Die innovative Lieferantenentwicklung schließlich ist auf zukünftige Chancen gerichtet und versucht neue Lieferanten und neue Technologien zu erschließen. Die Maßnahmen der Lieferantenentwicklung sind auch in Abhängigkeit von der Dauer und Intensität der Zusammenarbeit zu differenzieren. Bosch hat hierzu ein Reifegradmodell mit vier Stufen entwickelt. Zum Startlevel erhält der Lieferant ein Starttraining, das die wesentlichen Anforderungen und Abläufe von Bosch vermittelt. Level 0-Lieferanten bekommen die Chance ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. In Level 1 sind dann bestehende Lieferanten, die das 0-Fehler-Ziel noch nicht erreicht haben und im Rahmen eines Entwicklungsplans betreut werden. Level 2 bedeutet schließlich, dass die Lieferanten das 0-Fehler-Niveau erreicht haben und in Richtung Lean Management entwickelt werden sollen (vgl. Neumann/Werner 2007, S.34).
126
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Bekanntestes Beispiel und Vorreiter von System Sourcing ist die in 1997 von der Micro Compact Car GmbH (MCC) eröffnete SMART-Produktionsstätte in Hambach im Elsass. Die Fertigungstiefe beträgt hier nur noch 10%. 75% der Wertschöpfung inklusive der Produktentwicklung wird von sieben direkt vor Ort angesiedelten Systemlieferanten erbracht, die völlig selbständig gegenüber dem OEM agieren. Die Kernkompetenzen von MCC liegen im Marketing und Design, in der Steuerung der FranchiseVertriebspartner sowie in der Koordination aller Produktionsprozesse und -systeme. (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.74; Wannenwetsch 2002, S.291; Sydow/Möllering 2004, S.1ff.). Reiss/Präuer haben im Rahmen einer empirischen Untersuchung zur Lieferantenintegration nach den wichtigsten Koordinationsmechanismen einer erfolgreichen Partnerschaft gefragt. Als die drei wichtigsten Faktoren wurden die Folgenden genannt: Die enge Partnerschaft zwischen OEM und Systemlieferant kann nur funktionieren, wenn eine hinreichende Vertrauensbasis zwischen den Partnern existiert. Der Abnehmer muss zudem bereit sein, Verantwortung an den Lieferanten zu delegieren. Schließlich sollte die Vergütung des Systemlieferanten am Erfolg des Endprodukts orientiert werden (vgl. Reiss/Präuer 2003, S.31). Nicht zu vernachlässigen ist aber auch hier die Bedeutung der IT-Infrastruktur. Erst die Möglichkeiten des elektronischen Datenaustauschs zwischen den Partnern lassen solch enge Kooperationen Realität werden. DaimlerChrysler beispielsweise hat 97 % der 1-Tier-Lieferanten per EDI angebunden, bei den 2-Tier-Lieferanten liegt die Quote bereits nur noch bei 20 %. Je weiter man in der Lieferantenpyramide nach unten geht, umso mehr prägt nach wie vor Faxund Telefon-Kommunikation das Bild (vgl. Graf 2004, S.72). Chancen:
Reduzierung der Anzahl und Vielfalt an Beschaffungsobjekten, wodurch der Koordinationsaufwand abnimmt
Reduzierung der Anzahl an direkt betreuten Lieferanten, womit der Koordinationsaufwand bei Prozessen und Schnittstellen reduziert werden kann
Verringerung der eigenen Fertigungstiefe Verantwortung liegt bei einem Ansprechpartner Nutzung von Ressourcen der Systemlieferanten Langfristige Zusammenarbeit bedingt hohe Leistungsanforderungen an Systemlieferanten
Erhöhung der Wettbewerbsintensität im Beschaffungsmarkt, da sich Lieferanten als Systemlieferant qualifizieren wollen
127
4.2
4
Strategieformulierung
Risiken:
Hoher Abstimmungsbedarf der Systeme mit dem Gesamtprodukt Hoher individueller Abstimmungsaufwand mit 1-Tier Lieferanten Starke Machtposition des Systemlieferanten verbunden mit der Gefahr der Abhängigkeit
4.2.2.2
Entwicklungseinbindung
Von besonderer strategischer Bedeutung ist häufig die Zusammenarbeit mit Lieferanten in der Produktentwicklung. Die Vielzahl an neuen Modellen und die Einführungsgeschwindigkeit von Innovationen haben zur Folge, dass Innovationen und technischer Fortschritt zu wettbewerbsdifferenzierenden Merkmalen werden. Den steigenden Ausgaben in den Bereichen Forschung und Entwicklung stehen sinkende Deckungsbeiträge gegenüber. Was liegt da also näher, als neben der Produktion auch Teile der Produktentwicklung auf die vorgelagerten Wertschöpfungsstufen zu verlagern. Die Supplier Relation verändert sich demgemäß vom reinen Teilefertiger über einen Produktions- bzw. Logistikpartner bis hin zum Entwicklungs- oder Wertschöpfungspartner (vgl. Wildemann 2000, S.217ff; Bratzler 2003, S.603f; Schuhmacher et al. 2008, S.246). In der Automobilbranche wird beispielsweise für 2010 ein Produktentwicklungsanteil beim Lieferanten von mehr als 50% prognostiziert (vgl. Meyer 2006, S.17). Bei BMW hat sich die eigene Entwicklungstiefe von 70 % in 1985, über 45 % in 2003 bis auf 30 % im Jahre 2007 verringert (vgl. Hartig 2007). Die im Jahre 2008 von der Unternehmensberatung BrainNet durchgeführte Studie „Die Rolle des Einkaufs aus CEO-Perspektive“ prognostiziert eine Bedeutungszunahme der Beschaffung für Produktdesign und -spezifikation sowie für den Einkauf von Innovationen: Die Beschaffung wird zum Innovations- bzw. zum Technologietreiber. (vgl. BrainNet 2008, S.14; Rast 2008, S.27f. sowie S. 82ff.). Da bereits in frühen Phasen des Produktlebenszyklus die späteren Produktkosten maßgeblich determiniert werden, 80% der Produktkosten in der Konzeptionsphase, lohnt es sich, frühzeitig die Lieferanten mit in die Verantwortung zu nehmen und deren Know-how zu nutzen (vgl. Rast 2008, S.97). Daneben lassen sich auch die oft sehr hohen Entwicklungskosten mit dem Zulieferer teilen. Die Auswahl von Unternehmen in vorgelagerten Wertschöpfungsstufen, deren Entwicklungs-, Prozess- und Produktkompetenzen die des OEMs optimal ergänzen und die auch noch über das passende Produktions-Know-how verfügen, wird daher zu einer immer wichtigeren Aufgabe der Beschaffung. Für diese frühzeitige Einbindung von Lieferanten in den Produktentwicklungsprozess hat sich der Begriff Forward Sourcing etabliert. Diese „nach vorn gerichtete Beschaffung“ wird auch als Early Supplier Involvement, CoDevelopment, Solution Sourcing oder Advanced Sourcing bezeichnet. Die Einbindung von Lieferanten in diesen Prozess erfolgt unter Berücksichtigung von Leistungen und
128
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Anforderungen, die der Lieferant in den Punkten Innovations- und Entwicklungsfähigkeit, Projektmanagement, Preis, Qualität, Termin und Service erfüllen muss (vgl. Droege & Comp. 1998, S.82; Wolters 2002, S. 339ff; Eichler 2003, S.77f; Schumacher et al. 2008, S.257; Rast 2008, S.91f; Rink/Wagner 2009, S.20ff.). In Bezug auf die vom Lieferanten erbrachte Wertschöpfungsleistung eignen sich aufgrund der ausgeprägten Entwicklungskompetenz insbesondere Systemspezialisten oder –integratoren. Für das abnehmende Unternehmen stellt sich damit die Frage, suche ich einen Partner, der den Gesamtprozess, d.h. Entwicklung und Fertigung, abdeckt oder wechselt das Unternehmen zwischendrin die Pferde. Forward Sourcing hat Einfluss auf die strategischen Erfolgsfaktoren Zeit, Kosten und Qualität. Im Wesentlichen verfolgt Forward Sourcing die folgenden Ziele (vgl. Seidel 2008):
Risikostreuung Kostenreduktion Konzentration auf Kernkompetenzen Zeitersparnis im Prozess Auslastung von Kapazitäten Know-how-Aufbau Entwicklung von Systemlösungen Beschleunigter Marktzugang Im Rahmen eines Konsortialbenchmarkings mit sechs Best-Practice-Unternehmen (Deckel Maho Gildemeister, BMW, Leica Geosystems, Magna Steyr, Bosch Siemens Hausgeräte, Cherry) wurden Strategie, Prozesse und Aufbauorganisation als wichtige Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Integration von Lieferanten in den Produktentwicklungsprozess identifiziert (vgl. Schiele/Haas 2007, S.30f; Schumacher et al. 2008, S.255ff.).
Strategie und Prozesse Ein detailliert dokumentierter Produktentwicklungsprozess mit definierten Teilprozessen, Meilensteinen, Go- oder No Go-Entscheidungen sowie Aufgaben- und Verantwortungszuordnung ist ein wesentliches Erfolgskriterium für Entwicklungsprojekte. Das hier vorgestellte Prozessmodell orientiert sich zum einen an den Lebenszyklusphasen eines Entwicklungsnetzwerks und am klassischen Produktentwicklungsprozess (vgl. Boomers 2006, S.20 u. S.42), zum anderen am 3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements. Abbildung 4-12 zeigt die Prozesslandkarte eines idealtypischen Forward Sourcing-Prozesses.
129
4.2
4
Strategieformulierung
Abbildung 4-12: Prozesslandkarte des Forward Sourcing
Forward Sourcing Strategiebildung
Strategischer Forward Sourcing Prozess
Operativer Forward Sourcing Prozess
Produktkonzeption
In der Ebene 1 ist analog zum 3-Ebenen-Modell zunächst eine Forward SourcingGesamtstrategie zu entwickeln. Bei erfolgreichen Unternehmen ist die Beschaffung unmittelbar in die Formulierung von Innovationsstrategien eingebunden. Für einzelne Technologiefelder existieren Roadmaps mit Zeithorizonten zwischen zwei und zehn Jahren. Eine Roadmap beschreibt die Entwicklungsziele eines Technologiefelds im Unternehmen und die notwendigen Schritte zur Zielerreichung. Damit sollen Kompetenzlücken identifiziert werden, die durch geeignete Entwicklungslieferanten gedeckt werden sollen. Aus der Analyse der strategischen Ziele des Gesamtunternehmens lassen sich auch die spezifischen Ziele für das Forward Sourcing ableiten. So könnte z.B. die Gesamtunternehmensstrategie die Fokussierung auf die Kernkompetenz vorgeben. Die Forward Sourcing-Strategie könnte dann beispielsweise so formuliert werden: Die nicht zur Kernkompetenz gehörenden Kompetenzen, die jedoch für die Innovationsfähigkeit von Bedeutung sind, sollen dem Unternehmen durch Forward Sourcing zugänglich gemacht werden. Dies dient der Sicherstellung der stetigen Verfügbarkeit von Know-how und der Partizipation an Innovationen in diesem Kompetenzfeld. Der durch Forward Sourcing abzudeckende Kompetenzbedarf ist dann konkreter zu bestimmen. Es wird festgelegt, welche Kompetenzen neben den Kern-
130
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
kompetenzen des Unternehmens für dessen Wettbewerbsfähigkeit und Fortbestand von Bedeutung sind. Auch hierfür können spezifische Portfolio-Ansätze verwendet werden, die dabei helfen die Kompetenzfelder zu klassifizieren und entsprechende Handlungsempfehlungen abzuleiten. (vgl. Buchholz/Helming 2008, S.307f.) In der zweiten Ebene wird der strategische Forward Sourcing-Prozess bezogen auf einen konkret zu deckenden Kompetenzbedarf dargestellt (vgl. Boomers 2006, S.24ff.). Der erste Schritt ist die Suche nach geeigneten Lieferanten. Ziel dieses Schritts ist die Identifikation potenzieller Lieferanten, die über die benötigten Kompetenzen verfügen und sich daher grundsätzlich für die Einbindung in den Produktentwicklungsprozess eignen. Nicht unüblich ist in dieser Phase die Durchführung eines Konzeptwettbewerbes, bei dem verschiedene Lieferanten aufgefordert werden Lösungsvorschläge für ein vorgegebenes Problem einzureichen. Im zweiten Schritt werden die potenziellen Lieferanten bewertet, wobei neben monetären und nicht-monetären Bewertungskriterien der Punkt Vertrauen eine große Rolle spielt. Nach einer zusammenfassenden Bewertung mit der Nominierung des Entwicklungslieferanten erfolgt schließlich die konzeptionelle Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Unternehmen in Schritt 4. Es werden grundlegende Vereinbarungen über die Struktur, die Aufgabenbereiche und die rechtlichen Rahmenbedingungen der Entwicklungskooperation getroffen. In der Ebene 3 geht es darum, die operative Durchführung des Forward SourcingProzess konkreter zu beschreiben. Ausgangspunkt ist hier ein, auf einer Produktidee basierendes, konkretes Projekt oder die Vergabe eines speziellen Teils oder einer Komponente an einen oder mehrere Lieferanten. Hier ist ein sechsstufiger Prozess von der Anforderungsdefinition bis zur Fertigungsüberleitung bzw. bis zum Anlauf mit dem SOP (Start of Production) als Schlusspunkt zu durchlaufen (vgl. zu dem Prozess im Detail Buchholz/Köster 2008).
Aufbauorganisation Bei Best-Practice-Unternehmen erfolgt eine klare Aufgabentrennung zwischen Forward Sourcing und Aufgaben der Serienbeschaffung (vgl. Abbildung 4-13). Die Forward Sourcing-Aufgaben lassen sich weiter in zwei Subkategorien differenzieren. Das strategische Forward Sourcing umfasst die Einkaufsverantwortung in den beiden strategischen Ebenen der Forward Sourcing-Prozesslandkarte und geht bis zur Nominierung der Lieferanten. Die Aufgaben innerhalb dieser Rolle umfassen die Mitwirkung bei der Auswahl der Fertigungstechnologie, der Lieferantenauswahl sowie bei Kostenstrukturanalysen. Das Anforderungsprofil eines Einkäufers umfasst hier sehr stark technische Komponenten.
131
4.2
4
Strategieformulierung
Abbildung 4-13: Rolle der Beschaffung im Forward Sourcing-Prozess
Strategisches Forward Sourcing (Ebene 1 u. 2)
Produktidee
Projekt-Beschaffung (Operatives Forward Sourcing)
Lieferantennominierung
Serien-Beschaffung
SOP + 3 Monate Kammlinie
Die Einkaufsverantwortung des operativen Forward Sourcing reicht vom Zeitpunkt der Nominierung des Entwicklungslieferanten bis zur abgesicherten Serienproduktion am Ende der Hochlaufphase (Kammlinie). In der Praxis sind hier häufig die Begriffe Projekt-Beschaffung oder Prototypen-Beschaffung gebräuchlich. Im operativen Forward Sourcing-Prozess verändert sich die Rolle der Beschaffung stärker in Richtung Projekt-Verantwortung für die Sicherstellung der Herstellbarkeit für das entsprechende Kaufteil. Zentrale Einkaufsaufgaben sind jetzt die Planung und Umsetzung von Werkzeuginvestitionen, das Kaufteilemanagement und insbesondere das Änderungsmanagement aufgrund von Konstruktionsanpassungen. Technische Änderungen aufgrund von Interdependenzen mit anderen Bauteilen oder wegen gesetzlicher Vorgaben sind nicht völlig vermeidbar. Die frühzeitige Identifikation von Änderungsnotwendigkeiten und das Management des Änderungsprozesses sind hier wichtige Aufgaben. Die Einkaufsmitarbeiter sollten innerhalb ihrer Rollen den Projekten fest zugeordnet sein und keine Linienaufgaben wahrnehmen müssen. Das SE-Team verändert seine Ausrichtung im Verlaufe des Prozesses ebenfalls, in der Automobilbranche spricht man in dieser Phase von sog. Anlauf-Support-Teams oder bei VW beispielsweise vom Projekthaus. Mit dem Erreichen der Kammlinie, d.h. nach einer ca. dreimonatigen Serienanlaufphase, obliegt die Einkaufsverantwortung in der Serienproduktion dann der SerienBeschaffung, die für die langfristige Abwicklung im Tagesgeschäft verantwortlich ist. Eine ähnliche Struktur findet sich bei VW, die die Einheiten Beschaffung Neue Produktanläufe, Projekteinkauf und Serieneinkauf unterscheiden (vgl. Martens 2008, S. 110f.). Um beim Forward Sourcing-Prozess ein optimales Ergebnis zu erzielen, ist die Integration vieler interner und externer Organisationseinheiten/Abteilungen mit ihren jeweiligen Kernkompetenzen von großer Bedeutung. Dabei ist es unabdingbar, von der sequenziellen Bearbeitung zur Parallelbearbeitung von Teilprozessen zu kommen. Das bezeichnet man auch als Simultaneous Engineering (SE). Von Beginn an arbeiten alle beteiligten Funktionen, wie z.B. Forschung und Entwicklung, Produktion, Ein-
132
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
kauf, Logistik oder Qualitätsmanagement, in cross-funktionalen Teams simultan im Entwicklungsprojekt zusammen. Das SE-Team spielt im Forward Sourcing eine herausragende Rolle, indem es zunächst maßgeblich den Auswahlprozess des Entwicklungslieferanten begleitet und diesen später dann in das Team integrieren muss (vgl. Droege & Comp. 1998, S.81; Gassmann 2003, S.635). Bei den Lieferanten handelt es sich i.d.R. um Systemlieferanten, mit denen eine dauerhafte Beziehung angestrebt wird, so dass Forward Sourcing in Kombination mit System- bzw. Single Sourcing praktiziert wird. Außerdem müssen die Lieferanten eine hohe Spezialisierung und ein hohes Innovationspotenzial mitbringen. Bezogen auf die Materialien besitzt diese Art der Zusammenarbeit in erster Linie für strategische Materialien Relevanz. Eng verknüpft mit Forward Sourcing sind die beiden Konzepte Target Costing und Design-to-cost. Beim Target Costing werden aus dem am Markt erzielbaren Preis für ein Produkt die Kosten für die einzelnen Bauteile abgeleitet. Daraus werden dann für die fremdbezogenen Teile die Preisvorgaben für die Lieferanten definiert, die im Entwicklungsprozess einzuhalten sind (vgl. Boutellier/Locker 1998, S. 80ff; Schuff 2002, S.64; Kümpel 2004, S.1363ff; Werner 2008, S.343ff.). Auf der Basis dieser Preisvorgaben muss der Lieferant eine passende Lösungsvariante finden. Dieses dem Target Costing nachgelagerte Konzept wird auch als Design-to-cost bezeichnet (vgl. Droege & Comp. 1998, S.29ff.) und lässt sich vereinfacht als „kostengerechtes Konstruieren“ übersetzen. Zwei Unternehmen die Forward Sourcing praktizieren und die jeweils mit dem BMEInnovationspreis ausgezeichnet wurden sind die Rehau-Gruppe sowie CLAAS. Die Rehau-Gruppe ist ein international führender Systemhersteller polymerbasierter Lösungen und erhielt den Preis für das Konzept „Innovationsmanagement im RehauEinkaufsnetzwerk“. Relevante Produkte, Märkte und Technologien werden systematisch nach Suchfeldern kategorisiert und Top-down vorgegeben. Die Beschaffung treibt den Innovationsprozess voran und ist an ihm beteiligt. Innerhalb eines Bottomup-Prozesses wird das Innovationspotenzial von Lieferanten durch sog. „InnovationScouts“ identifiziert. Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist die Durchführung von Innovation Days mit Lieferanten zur Generierung von Innovationsideen (vgl. Abbich 2006, S.24f; Rast 2008, S.89f.). „Growing Together – Creating Value: Mit Value Sourcing zu nachhaltigem und profitablem Wachstum”, so heißt der prämierte Ansatz des Landmaschinenherstellers CLAAS. Neben weiteren Elementen aus den Bereichen Standardisierung, Lieferantenmanagement und Global Sourcing ist auch die Lieferantenintegration in den Innovationsprozess ein zentraler Baustein. CLAAS fokussiert sich auf seine Kernkompetenzen und baut die Kooperation mit Systemlieferanten aus, um diese früh und intensiv in den Lebenszyklusprozess einzubinden. Unter Anwendung von Methoden wie Target Costing, Wert- und Wertstromanalyse werden gemeinsam mit den Lieferanten Technologien entwickelt und Prozesse optimiert. (vgl. o.V. 2007b, S.22ff.)
133
4.2
4
Strategieformulierung
Ein gelungenes Beispiel stellt auch die Entwicklung des iDrive beim 7er BMW dar, einem Gerät, das eine Vielzahl von Anwendungen wie Navigationssystem, Audiogeräte, Serviceabrufe oder Bordcomputer sehr einfach integriert bedienen lässt. Der iDrive wurde von einem auf Computerspiele spezialisierten High-Tech-Unternehmen aus Silicon Valley entwickelt, das vom Einkauf entdeckt wurde. Nach Design und Prototypenbau wurde in der Phase der Industrialisierung ein weiterer Serienlieferant eingebunden, ein Prozess der auch vom Einkauf gemanagt wurde. Diese „Durchbruchinnovation“ kommt mittlerweile auch bei weiteren BMW-Modellen zum Einsatz. (vgl. Schuhmacher et al. 2008, S.245). Abschließend lassen sich die folgenden Chancen und Risiken zum Forward Sourcing identifizieren (vgl. Wildemann 2000, S.342; Wolters 2002, S.348; Gassmann 2003, S.632ff; Dürr 2004; Schuhmacher et al. 2008, S.247). Chancen:
Reduzierung von Entwicklungs- und Fertigungskosten, da Lieferanten daran beteiligt werden
Verkürzung der Produktentwicklungszeit und damit der Time-to-Market Höherer Innovationsgrad, verbesserter Technologiezugang und externer Knowhow-Zufluss durch Nutzung des komplementären Wissens und der Kernkompetenzen der Lieferanten
Verbesserte Ressourcenallokation im Entwicklungsbereich auf kerngeschäftsrelevante Aktivitäten
Möglichkeit kurzfristiger Kapazitätsanpassungen Bessere Herstellbarkeit von Lieferantenlösungen Risiken:
Know-how-Abfluss durch Übertragung der Entwicklungsaktivitäten auf Lieferanten, dadurch Gefahr des Kompetenz- und Know-how-Verlustes auf Seiten des Herstellers
Not-Invented-Here-Syndrom, d.h. mangelnde Akzeptanz gegenüber der Entwicklungsleistung eines Lieferanten
Prozess ist aufwändig, zeitintensiv und mit hohem Risiko verbunden (Hohe Koordinations- und Transaktionskosten)
Gegenseitige Abhängigkeit zwischen Abnehmer und Lieferanten nimmt stark zu Systemlieferantenwechsel ist extrem teuer und aufwändig, wodurch der Wettbewerb eingeschränkt ist
134
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Insgesamt lässt sich festhalten, dass sowohl Forward als auch System Sourcing Ausprägungen der Supplier Relations sind, die sich für strategische Materialien eignen. Dieser Entwicklungstrend ist in vielen Brachen unverkennbar (vgl. hierzu Kapitel 6, Abschnitt 6.1.2.5).
4.2.3
Materialgruppe
4.2.3.1
Standardisierungsgrad
Die bisher vorgestellten Merkmale der Supplier Relation haben einen direkten Bezug zum Lieferanten. Zu den indirekt wirkenden Merkmalen gehören solche, die sich über die beschafften Materialien (Materialgruppe) oder die zusätzlich eingebundenen Partner (horizontale Kooperationsintensität) auswirken. In den letzten Jahren haben die steigende Kundenorientierung der Unternehmen, die häufig nicht langfristige Modellplanung und die hohe Änderungshäufigkeit zu einer wahren Explosion der Produktvarianten geführt. Beispielsweise hat der Käufer eines Audi A6 insgesamt 1023 Möglichkeiten, die Bestandteile dieses Automobils nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu konfigurieren (vgl. o.V. 2005, S.38). Diese immense Zunahme der Variantenvielfalt führt zu einer ausufernden Komplexität sowohl bei den Prozessen als auch bei den benötigten Materialien im Unternehmen. Zur Bewältigung dieser Problematik sind Maßnahmen zur Standardisierung von Nöten. Standardisierung im Allgemeinen bedeutet die Vereinheitlichung von Waren, Dienstleistungen und Verfahren nach einem bestimmten Muster. Der Materialstandardisierungsgrad beschreibt das Ausmaß der umgesetzten Möglichkeiten zur Reduzierung der Teileanzahl. Die denkbaren Ausprägungen dieses Merkmals lauten: geringer vs. hoher Standardisierungsgrad. Der allgemeine Begriff der Standardisierung wird häufig auch in anderem Zusammenhang verwendet, der im Rahmen von SRM an vielen Stellen eine bedeutende Rolle spielt. Ein wichtiger Aspekt ist die Standardisierung der Beschaffungsprozesse, die im Mittelpunkt der Kapitel 6 und 7 in diesem Buch steht. Weiterhin ist Standardisierung auch für die Klassifizierung von Materialien bedeutsam, um unternehmensübergreifend eine eindeutige Zuordnung von Materialnummern erreichen zu können (vgl. hierzu Kapitel 3, Abschnitt 3.3.2). Materialstandardisierung darf nicht auf Kosten der vom Kunden wahrgenommenen Angebotsvielfalt geschehen. Angebotsvielfalt bietet zwar einerseits Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung, andererseits ist die ausufernde Variantenvielfalt aber ein immenser Kostentreiber und Zeitfresser. „Das Unternehmen und die gesamte dazugehörige Logistikkette müssen […] eine Art Chamäleonkompetenz entwickeln – mit weitestmöglicher Standardisierung nach innen und an den Kunden angepasste Angebotsvielfalt nach außen.“ (Kersten/Meyer 2004). Standardisierung führt nicht nur zu Effekten der Komplexitätsreduktion in der Fertigung, sondern hat auch weitreichende
135
4.2
4
Strategieformulierung
Implikationen für den Einkauf. Neben der Möglichkeit von reduzierten Einstandspreisen ergeben sich Einspareffekte über den gesamten Produktlebenszyklus, d.h. bei vielen TCO-Komponenten, da beispielsweise auch logistische Prozesse oder Instandhaltungs- bzw. Reparaturkosten optimiert werden können (vgl. Burghardt et al. 2002, S.676). Materialstandardisierung wird häufig auch unter dem Begriff Komplexitätsmanagement behandelt, wobei es um die interne Komplexität der Materialien, Prozesse und Ressourcen im Unternehmen geht. Die Steuerung der externen Komplexität, d.h. des Sortiments, der angebotenen Produktvarianten oder der Märkte, wird unter dem Begriff Variantenmanagement gefasst (vgl. Schuff 2002, S.60f; Schuh 2005, S.34ff.) Auf der Basis einer Analyse der vorhandenen Komplexität setzen Maßnahmen des Komplexitätsmanagements an, die sich in die folgenden drei Strategien einteilen lassen:
Komplexitätsreduzierung: Senkung der bereits vorhandenen Komplexität im bestehenden Produkt- bzw. Dienstleistungsprogramm
Komplexitätsbeherrschung: Effiziente Handhabung der zukünftig nicht vermeidbaren Komplexität, insbesondere mit Fokus auf den Prozessen
Komplexitätsvermeidung: Präventive Verhinderung der Entstehung von Komplexität im zukünftigen Produkt- bzw. Dienstleistungsprogramm sowie in den Prozessen Abbildung 4-14 gibt einen Überblick zu Methoden des Komplexitätsmanagements, wovon einige ausgewählte Methoden in der Folge näher erläutert werden.
136
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Abbildung 4-14: Methoden des Komplexitätsmanagements
Komplexität reduzieren
Komplexität beherrschen
Komplexität vermeiden
Gleichteileverwendung, Normung, Typung Baukastenprinzip, Modularisierung, Plattformstrategie
ABC-Analyse XYZ-Analyse
Anlauf-/Auslaufmanagement
Forward Sourcing
Portfolio-Analyse Logistik-Outsourcing
Design-for-manufacturing
Behälter-/Transportmgt.
Postponement
Rahmenverträge Prozessmanagement Mitarbeiterschulung/ -information
Bei der Gleichteileverwendung werden Einzelteile von Produkten im Hinblick auf Farbe, Abmessung, Form oder Qualität vereinheitlicht und in einer Vielzahl von Produkten verwendet. Zu nennen sind hier DIN- und Normteile, Markt- bzw. Industriestandards oder auch Lieferanten- bzw. Unternehmensstandards (vgl. Heß 2008, S.176). Diese Komponentenstandardisierung führt zu einer Reduktion der Teilevielfalt. Die Devise lautet: „Suchen und Finden statt Neukonstruktion“ (Dürrmüller 2006). Je weniger unterschiedliche Teile in einem Produkt verwendet werden, umso größer sind auch für den Einkauf die Möglichkeiten, Größenvorteile gegenüber den Lieferanten geltend zu machen. Daneben reduziert sich der Abwicklungs- und Bestellaufwand sowie die Lagerhaltung wird einfacher. Gleichteileverwendung ist eine Standardisierungsmaßnahme für direkte Materialien. Zu prüfen ist, inwieweit durch veränderte Spezifikationsprozesse bezüglich der Vorprodukte deren Vielfalt reduziert werden kann. Zu unterscheiden ist zwischen Seller furnished equipment, hier wird weitgehend auf standardisierte Vorprodukte des Lieferanten zurückgegriffen, und Buyer furnished equipment, wo der Kunde starken Einfluss auf die Spezifikation der Vorprodukte ausübt. Durch die stärkere Verwendung von Seller furnished equipment können sowohl Effekte der Material- als auch der Prozessstandardisierung realisiert werden (vgl. Buchholz 1996, S.230f; Burghardt et al. 2002, S.681f; die ein ausführliches Beispiel aus der Flugzeugbranche vorstellen). Denkbar ist auch die Substitution durch andere schon an anderer Stelle im Unternehmen verwendete Materialien, wodurch dann ebenfalls Größendegressionseffekte im Einkauf entstehen.
137
4.2
4
Strategieformulierung
Eine andere wichtige Methode zur Komplexitätsbeherrschung und -vermeidung stellt die Anwendung des Baukastenprinzips dar (vgl. Buchholz 1996, S.226ff.). Hierbei kommt es modellreihenübergreifend zu einer Verwendung von identischen Komponenten und Modulen und damit zu einer signifikanten Verringerung der Variantenvielfalt und Komplexität. Vielfalt nach außen und Standardisierung nach innen wird durch eine begrenzte, genau definierte Anzahl von Bauteilen und Baugruppen erzeugt, die zu individuellen Endprodukten zusammengesetzt werden. Synonym wird häufig auch von der Modularisierung der Produktstruktur gesprochen. In der Automobilbranche ist diese Vorgehensweise als Plattformstrategie bekannt und kann innerhalb einer Produktlinie (z.B. Golf), produktlinienübergreifend (z.B. Golf vs. Passat) oder markenübergreifend (z.B. VW vs. Audi) betrieben werden. Ein Beispiel ist die gemeinsame Plattform von VW Golf, VW Bora, VW New Beetle, Škoda Octavia, Seat Leon, Seat Toledo, Audi A3 und Audi TT. Die steigende Variantenvielfalt führt auch dazu, dass es zu häufigeren Wechseln in der Belegung der Produktion kommt, die zu organisieren sind (An- und Auslaufmanagement). Insbesondere Serienhersteller müssen eine große Anzahl komplexer An- und Ausläufe von Produkten kosten- und zeitoptimal bewältigen. Die Anlaufphase, englisch ramp-up, ist der Übergang zwischen Entwicklung und Serienproduktion. Sie beginnt mit Abschluss der Konstruktion und endet, wenn die Produktion prozesssicher eine Ausbringungsmenge von 100% schafft. Die Anforderung ist hier das Produkt so schnell wie möglich in eine abgesicherte Serienproduktion zu bringen. Die Auslaufphase, englisch phase-out, ist der Übergang von der Serienproduktion zur Produktionseinstellung. Sie kann in Produktionsrücklauf und Auslaufblock unterteilt werden, wobei der Produktionsrücklauf die sukzessive Reduktion der Produktion mit Altteilen und der Auslaufblock die Verwertung von Restbeständen umfasst. Zielsetzung hier ist es, Restbestände im Auslauf von Produkten zu vermeiden, da sie hohe Kosten verursachen, die nachträglich die Effizienz der Produktion senken. (vgl. Buchholz/Kirsch 2008, S.45ff.) Die Produktionsprozesse sind so zu organisieren, dass der Kundenindividualisierungs- bzw. Entkopplungspunkt möglichst spät im Prozess liegt. Der Entkopplungspunkt trennt den Herstellungsprozess in einen erwartungs- und einen auftragsorientierten Bereich. Prozesse vor dem Entkopplungspunkt werden nach dem Push-Prinzip gesteuert, d.h. die Produktions- und Logistikprozesse laufen ohne konkreten Kundenauftrag, rein prognosebasiert ab. Die Steuerung der Prozesse nach dem Entkopplungspunkt erfolgt nach dem Pull-Prinzip, d.h. auf Basis eines Kundenauftrags. Dies bedeutet, dass bis zu diesem Punkt standardisierte Vorprodukte innerhalb standardisierter Prozesse gefertigt werden und erst danach durch den kundenspezifischen Zusammenbau die Individualisierung erfolgt (Postponement). Dadurch soll die Produktdifferenzierung auf einen möglichst späten Zeitpunkt im Prozess verschoben werden, in dem das Produkt möglichst lange in einem neutralen, standardisierten Zustand belassen wird. Sonderausführungen sollen so spät wie möglich im Wertschöpfungsprozess vom Standard abweichen. Diese Strategie ist insbesondere auch für
138
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
modular aufgebaute Produkte geeignet, um Vorteile der Produktdifferenzierung und Nutzung von Skaleneffekten gleichzeitig zu realisieren. Ermöglicht wird eine bessere Anpassung an Kundenwünsche bei gleichzeitiger Reduktion des Risikos von Fehlbeständen (vgl. Pagh/Cooper 1998, S.13ff; Buchholz/Moncada 2006, S.33ff.). Design-to-manufacturing ist eine Methode, die bei der Konstruktion der Produkte explizit die Anforderungen der späteren Produktionsprozesse im Hinblick auf Kosten und einfache Prozesse berücksichtigt. Zunächst sind hier die Kosten für Vormaterialien detailliert zu erfassen und damit die Hauptkostentreiber zu identifizieren. In einem interdisziplinären Team aus Einkauf, Produktion, Entwicklung, Controlling, Verkauf und ggf. Lieferanten werden Ideen für ein kostengünstiges Produktdesign erarbeitet (vgl. Das/Narasimhan 2006, S.17ff; Schuh et al. 2008, S.119f.) Postponement und Design-to-manufacturing sind Methoden die eher längerfristig greifen und somit eher auf die zukünftige Komplexitätsvermeidung abzielen. Eine umfassende Schulung und Information der Mitarbeiter ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Komplexitätsmanagement. Nur damit gelingt es, das notwendige Kostenbewusstsein und die Sensibilität für die Variantenproblematik als notwendige Voraussetzungen für eine Komplexitätsanpassung zu erzielen. Ebenfalls bietet das Prozessmanagement einen wichtigen Hebel im Komplexitätsmanagement. Durch eine Analyse der Ist-Prozesse, die Ermittlung von Schwachstellen und die Neukonzipierung von Soll-Prozessen lassen sich vielfältige Vereinfachungen und damit Kostenund Zeitverbesserungen erreichen (vgl. Schweiger/Brunner 2006, S.31). Bei indirekten Materialien liegt ebenfalls ein starker Optimierungshebel in der Standardisierung. Angefangen von der Vereinheitlichung der Fahrzeugflotte, über Standards bei Büromöbeln und IT bis hin zu Vorgaben in der MRO-Beschaffung sind Standardisierungsmaßnahmen denkbar. Idealerweise geht ein Unternehmen die Teilereduktion in Verbindung mit der Reduktion der Lieferanten an. Ergreift ein Unternehmen im ersten Schritt Maßnahmen zur Materialstandardisierung, lässt sich auch die Lieferantenanzahl reduzieren. Diese beiden Ausprägungen einer Supplier Relation sind nicht unabhängig voneinander. Zusammenfassend sollen auch für diese Ausprägung einer Supplier Relation die Chancen und Risiken dargestellt werden. Chancen:
Vereinfachte Prozesse bei Bestellung, Wareneingang, Qualitätskontrolle und Lagerhaltung
Mengendegressionseffekte bei den Einstandspreisen Kürzere Beschaffungszeiten und reduzierte Kapitalbindung durch höheren Umschlag
139
4.2
4
Strategieformulierung
Reduzierung von Entwicklungskosten und –zeiten durch Wiederverwendung von Teilen
Vereinfachung der Ersatzteilbeschaffung sowie Wartungs- und Reparaturarbeiten Breitere Lieferantenbasis, da die Anforderungen an die Lieferanten bei standardisierten Produkten nicht so hoch sind Risiken:
Qualitätseinbußen beim Endprodukt wegen nicht genau passender Vorprodukte Technische Grenzen bei der Wiederverwendung von Teilen Verringerte Differenzierungsmöglichkeit des Endprodukts Verlust an Innovationsfähigkeit durch Rückgriff auf Standards Gefahr, dass die Kundenbedürfnisse vernachlässigt werden 4.2.3.2
Mengenbündelungsgrad
Eine weitere Möglichkeit zur Gestaltung der Supplier Relation stellt die Mengenbündelung dar. Im Unterschied zu dem im Anschluss diskutierten Konzept des Cooperative Sourcing geht es um die Bündelung der Bedarfe im Unternehmen und nicht um Zusammenarbeit zwischen Unternehmen (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.123ff; Heß 2008, S.167ff; Schuhmacher et al. 2008, S.126ff.). Die denkbaren Ausprägungen gehen von der fehlenden Bündelung (zersplitterte Beschaffung) über die teilweise bis hin zur vollständigen Bedarfsbündelung. Die Strategie der Mengenbündelung ist auf den ersten Blick einleuchtend, wird aber umso schwieriger in der Umsetzung, je größer ein Unternehmen ist. Häufig werden Bedarfe dezentral in einzelnen Geschäftsbereichen (BUs) beschafft und es fehlt die bereichsübergreifende Koordination, welche die Bündelungspotenziale überhaupt identifizieren und auch durchsetzen kann. Durch die Nutzung von unterschiedlichen Lieferanten in den dezentralen Einheiten kommt es zu einer Fragmentierung des Beschaffungsvolumens. Dies kann auch dazu führen, dass gleiche Materialien beim gleichen Lieferanten zu unterschiedlichen Preisen beschafft werden. (vgl.Eßig/Mohr 2007, S.40). Ein Grund dafür ist häufig die Tatsache, dass die Verantwortlichen in den dezentralen Einheiten nicht dazu bereit sind strategische Beschaffungsaufgaben abzugeben. Dass beispielsweise bei Dr. Oekter die einzelnen Landesgesellschaften weitgehend autonom beschaffen, liegt in erster Linie an den ausgeprägten dezentralen Entscheidungswegen und Profit Center-Strukturen. Uneinheitliche Klassifikationsnummern sind eine weitere, häufige Ursache für nicht genutzte Bündelungspotenziale. Eine Mengenbündelung kann nach unterschiedlichen Dimensionen durchgeführt werden (vgl. Hapke 2004, S.18; Sibbel/Hartmann 2005, S.26f; Heß 2008, S.167ff; Schuh et al. 2008, S.28).
140
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Die Bündelung von Beschaffungsvolumen über verschiedene Geschäftsbereiche ist die naheliegendste Variante. Bei stark dezentralisierten Beschaffungsorganisationen verspricht das rasch wirksame Optimierungspotenziale, funktioniert in der Regel allerdings nur dann, wenn eine aufbauorganisatorische Lösung etabliert ist, die auch entsprechende Kompetenzen für einen bereichsübergreifenden Einkauf besitzt (vgl. hierzu Kapitel 5, Abschnitt 5.2). Diese Variante der Mengenbündelung ist bei Unternehmenszusammenschlüssen eine wichtige Maßnahme. So lassen sich bereits mit einer Vertragsharmonisierung, d.h. der Angleichung der Vertragsbedingungen aller Unternehmensteile an die optimalen Bedingungen schnell realisierbare Einsparerfolge erzielen (vgl. Jahns/Kästle 2004, S.37). Ähnlich ist eine Bündelung über Produktlinien oder über Projekte zu sehen. Bei der Mehrproduktbündelung geht es um eine Konzentration von verwandten Teilen auf einzelne Lieferanten. Dies ist sinnvoll bei Ähnlichprodukten, unterschiedlichen Produkten aus gleichen Materialien oder ähnlichen Produktionsabläufen. Die Materialgruppen sind dafür „mit den Augen der Lieferanten“ (Droege & Comp. 1998, S.75) zu sehen. Häufig sind Materialgruppen rein nach internen Kriterien wie Verwendungszweck oder Einkaufsverantwortung eingeteilt, so dass die angesprochenen Gemeinsamkeiten nicht erkannt werden. Versucht ein Unternehmen aktiv diese Gemeinsamkeiten zu identifizieren, lassen sich Bündelungseffekte realisieren. Ein Beispiel aus der Maschinenbauindustrie ergab, dass ein bisher aus 904 Teilen bestehendes Blechgehäuse auf 32 Teile reduziert werden konnte (vgl. Droege & Comp. 1998, S.76). Eine Voraussetzung für die produktbezogene Mengenbündelung stellen die im vorherigen Abschnitt behandelten Standardisierungs- bzw. Substitutionsaktivitäten bei den betroffenen Materialien dar. Gegebenenfalls sind Produktmodifikationen notwendig, um diese Bündelungsstrategie zu realisieren. Die regionale Bündelung bedeutet, dass die Einkaufsvolumina von mehreren Standorten zusammengefasst werden. Schließlich ist auch eine zeitliche Bündelung denkbar. Bedarfe für einen längeren Zeitraum werden kurzfristig auf dem Spotmarkt beschafft oder es werden längerfristige Jahres- oder auch Mehrjahresverträge abgeschlossen. Eine Mengenbündelung geht einher mit einer eher kostenorientierten Strategie und eignet sich somit vorwiegend für Hebel- und Standardmaterialien (vgl. Nowack et al. 2002b, S.33ff.). Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Bündelungsfähigkeit von Materialien abhängig von ihrer Ähnlichkeit zueinander ist. Darüber hinaus spielen weitere Kriterien eine Rolle, die in Abbildung 4-15 dargestellt werden (vgl. ähnlich auch der Entscheidungsbaum bei Hackethal 2003, S.30).
141
4.2
4
Strategieformulierung
Abbildung 4-15: Kriterien für die Bündelungsfähigkeit von Materialien (Quelle: Rüdrich/ Kalbfuß/Weißer 2004, S.62)
gering
Bündelungsfähigkeit
hoch
heterogen
Beschaffungsobjekt
identisch/ähnlich
gering
gemeinsames Beschaffungsvolumen
hoch
verschieden
Beschaffungsprozesse
identisch/ähnlich
hoch
Grad der Spezifität
gering
hoch
Komplexität
gering
Single Sourcing
Lieferantenanzahl
Multiple Sourcing
hoch
Lieferantenwechselkosten
gering
hoch
Versorgungsrisiko
gering
„strategic items“
Klassifikation
„non-critical items“
gering
Steigerung der Nachfragemacht durch gemeinsame Bündelung
hoch
Die grundsätzliche Entscheidung darüber, eine Mengenbündelung zu realisieren, ist im Rahmen der Beschaffungsgesamtstrategie zu treffen. Die konkrete Durchführung für die einzelne Materialgruppe ist auf der Materialgruppenebene zu bearbeiten. Chancen:
Materialpreiseinsparungen durch die größere Verhandlungsmacht und die damit verbundenen Stückkostendegressionseffekte
Abgestimmtes Auftreten am Beschaffungsmarkt ermöglicht eine bessere Koordination der Beschaffungsaktivitäten
Durch die mit der Mengenbündelung einhergehende Reduzierung der Lieferantenzahl werden auch die hier eintretenden Vorteile wirksam Risiken:
Spezifische Anforderungen der dezentralen Bedarfsträger können ggf. nicht optimal berücksichtigt werden
Mangelnde Flexibilität aufgrund von langfristigen Vertragsbindungen Gefahr einer größeren Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten 142
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
4.2.4
Horizontale Kooperationsintensität
4.2.4.1
Partnereinbindung
Eine Volumenbündelung kann nicht nur unternehmensintern erfolgen, denkbar ist auch in der Beschaffung eine Zusammenarbeit zwischen externen Partnern (Partnereinbindung). Diese Ausprägung der Supplier Relation unter Einbindung von Partnern ist in den letzten Jahren mehr und mehr auch einer wissenschaftlichen Bearbeitung unterzogen worden (vgl. exemplarisch Eßig 1999; Aylesworth 2003; Schotanus 2007). Da die Zusammenarbeit auf der gleichen Wertschöpfungsstufe, der Beschaffung, stattfindet, handelt es sich um eine horizontale Kooperation, in Theorie und Praxis wird hierfür der Begriff Cooperative Sourcing i.w.S. verwendet (vgl. Arnold/Eßig 1997; Eßig 1999; Eßig 2002, S.263ff; Heß 2008, S.169ff; Schulte i.d.B. 2009; Schork/Zimmermann 2009, S.22f.). Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Untersuchung stand hauptsächlich der öffentliche Sektor. Bezogen auf die Industrie ist mittlerweile jedoch eine hohe Praxisrelevanz zu konstatieren. Eine Studie von ProcurementNet zu Beschaffungskooperationen im Mittelstand aus dem Jahre 2008 zeigt, dass jedes dritte Unternehmen bereits kooperativ eingekauft hat und 75% der Unternehmen dies auch positiv bewerten (vgl. Wölfing/Lindemann 2009, S.40f.). Praktische Relevanz hat das Thema vorwiegend im Bereich der traditionellen Handelskooperationen, die heute in einzelnen Branchen, wie Spielwaren oder Nahrungsmittel, einen Beschaffungsanteil von mehr als 30% ausmachen (vgl. Eßig 2002, S.265). Vertikale Einkaufskooperationen zwischen Lieferanten und Abnehmern fanden in den späten 1980er Jahren schon eher Anwendung, zum Beispiel in den Partnerschaftsprogrammen Success bei Siemens oder Tandem bei Daimler. Im Zuge der generellen Bedeutungszunahme der Beschaffung einerseits und der neuen Möglichkeiten einer internetgestützten Zusammenarbeit andererseits, rückte in den späten 1990er Jahren die unternehmensübergreifende Beschaffungskooperation in ein neues Licht. Die Vorteile traten stärker in den Vordergrund, wobei die existierenden Vorbehalte, wie Verlust an Autonomie, Preisgabe von Informationsvorteilen oder Starkmachen der Konkurrenz, nach wie vor eine stärkere Verbreitung verhindern. Gerade aber auch in Krisensituationen, wie im Jahr 2009, ist die Beschaffungskooperation ein probates Mittel die eigene Position zu verbessern. Eine tragfähige Systematisierung von Beschaffungskooperationen wird von Schulte in den Bäumen mit dem 4C-Modell der Beschaffungskooperationen vorgestellt (vgl. zu den folgenden Ausführungen Schulte i.d.B. 2009). Hergeleitet auf der Basis der Transaktionskostentheorie, werden hier zwischen den Optionen „Make“ (Unternehmen führt die Beschaffung klassisch autonom durch) und „Buy“ (Beschaffung wird komplett an einen Dienstleister übertragen) vier Varianten des Cooperative Sourcing unterschieden (vgl. Abbildung 4-16).
143
4.2
4
Strategieformulierung
Abbildung 4-16: 4C-Modell der Beschaffungskooperationen (Quelle: Schulte i.d.B. 2009)
Cooperate Buy
BDL
Marktnahe BK
Neutrale BK
Hierarchienahe BK
Coopetition Sourcing
Cooperative Sourcing
Chain Sourcing
Make
Company Sourcing
Beschaffungskooperationen i.e.S. BK=Beschaffungskooperation BDL=Beschaffungsdienstleister
Beschaffungskooperationen i.w.S.
Die Variante Company Sourcing beinhaltet eine Beschaffungskooperation zwischen rechtlich und wirtschaftlich verflochtenen Organisationseinheiten innerhalb eines Unternehmens oder Konzerns. Daher handelt es sich um keine Kooperation i.e.S., da jedoch ähnliche Fragestellungen wie bei den anderen Kooperationsformen von Relevanz sind, ist diese Variante hier mit aufgeführt. Die Bündelungspotenziale sowohl bei direkten und indirekten Materialien sind vielfach augenscheinlich und gehen oft einher mit einer Zentralisierung der Beschaffung bzw. mit hybriden Modellen zwischen zentraler und dezentraler Beschaffung (vgl. hierzu auch Kapitel 5, Abschnitt 5.2.2). Company Sourcing bietet insbesondere bei multinationalen Konzernen große Optimierungspotenziale. Ein Beispiel hierfür bietet das Konzernunternehmen Siemens. Innerhalb der neuen, ab 2009 gültigen Einkaufsstrategie, sollen die Synergiepotenziale im Einkauf zwischen den verschiedenen Geschäftsbereichen noch stärker genutzt werden. Bisher dominieren die dezentralen Einkaufschefs der Geschäftsbereiche. Bereits im ersten Jahr soll u.a. dadurch eine Einsparung im dreistelligen Millionenbereich realisiert werden (vgl. Köhn 2009; o.V. 2009). Chain Sourcing wird als hierarchienahe Kooperation eingestuft und bedeutet, dass Abnehmer und Lieferanten gemeinsam beim Vorlieferanten einkaufen und es somit zu einer Bedarfsbündelung entlang der Supply Chain kommt. Da es um Bedarfsbündelung geht, wird diese Art der Partnerschaft unter horizontaler Kooperation subsumiert. Durch die Aufteilung der Fertigung über die verschiedenen Stufen der Supply Chain entstehen jeweils kleinere Einzelbedarfe auf den einzelnen Stufen. Dabei kann es sich durchaus um Bedarfe der gleichen Materialien handeln, z.B. Rohstoffe, Kleinund Standardmaterialien, Dienstleistungen oder einfache Baugruppen. Durch die Fragmentierung der Produktion verliert die Supply Chain zu Gunsten des Rohstofflieferanten an Größenvorteilen. Ein weiterer Effekt ist, dass die kleineren Lieferanten auf
144
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
den ersten Stufen der Supply Chain oftmals nicht das notwenige Know-how und die notwendigen Ressourcen besitzen, um die Aufgaben der strategischen Beschaffung professionell durchzuführen. Schließlich kann es natürlich auch zu redundanten Aufgaben zwischen den Partnern kommen. Dem kann durch Chain Sourcing entgegen gewirkt werden. Der OEM kann durch die Bündelung über die Supply Chain seine Versorgungssicherheit erhöhen, den Anforderungen an Qualität und Produkthaftung durch Kontrolle der Lieferkette besser gerecht werden, das Risiko von Preisschwankungen minimieren und er kann zudem einer ausufernden Materialvielfalt gezielter gegensteuern. Moh/Eßig beschreiben die folgenden Abwicklungsvarianten des Chain Sourcing (vgl. Mohr/Eßig 2007, S.40f.):
Rahmenvertragsmodell Der OEM schließt im Namen der teilnehmenden Kooperationspartner einen Rahmenvertrag über gebündelte Bedarfe mit Rohstofflieferanten ab, der den Partnern zugänglich gemacht wird. Das Modell wird häufig mit einer Rabattregelung kombiniert, die sich auf das aggregierte Beschaffungsvolumen von OEM und dessen direkten Lieferanten bezieht. Es ist darauf zu achten, dass die Partner nur soviel Material über diesen vergünstigten Weg beziehen, wie sie auch zur Versorgung des OEM benötigen. So bündelte VW im Zuge der Stahlkrise in 2005 den Stahlbedarf mit seinen Lieferanten (Stahlpooling). Über seine große Marktmacht kann VW hier sicherstellen, dass seine Systemlieferanten mit Stahl versorgt sind und kann somit auch die eigene Versorgung mit deren Vorprodukten sichern (vgl. o.V. 2004f; o.V. 2005a).
Beistellungsmodell Hier handelt es sich um eine Art Konsignationsmodell, bei dem der OEM Eigentümer der Materialien bleibt und diese zur Verarbeitung an den Vorlieferanten gibt, der als reiner Lohnfertiger fungiert. Zu beachten sind hier Kontrollkosten zur Vermeidung von Schwund und die erhöhte Kapitalbindung.
Handelsmodell Bei dieser Variante tritt der OEM als Händler zwischen Lieferant und teilnehmenden Partnern auf. Er verhandelt die gebündelten Bedarfe, beschafft im eigenen Namen und schlägt eine Handelsmarge auf. Die Partner bestellen die Materialien beim OEM zur Herstellung von Bauteilen oder Systemen und bekommen sie direkt vom Vorlieferanten ohne Einbindung des OEM geliefert.
Beratungsmodell Der OEM unterstützt in dieser Variante die eigenen Lieferanten als Beschaffungsberater hinsichtlich Bezugsquellen und -preisen. Durch die Nutzung dieser Informationen zu Bezugsquellen und -preisen können die Partner günstigere Konditionen aushandeln.
145
4.2
4
Strategieformulierung
Beim Cooperative Sourcing i.e.S. handelt es sich um eine Beschaffungskooperation zwischen nicht konkurrierenden Organisationen ohne Zuliefer-Abnehmer-Beziehung (laterale Kooperation). Da es sich um Unternehmen handelt, die nicht in einer Wettbewerbssituation zueinander stehen lässt sich hier von einer neutralen Kooperation sprechen. Vertrauen ist bei dieser Kooperation ein wichtiger Koordinationsmechanismus, so dass diese häufig unter bekannten, regional ansässigen Unternehmen oder zwischen Unternehmen, die bereits in anderen Bereichen zusammenarbeiten stattfindet. Eine gewisse Branchenverwandtschaft ist ebenfalls hilfreich, da dann die Schnittmenge an potenziell bündelbarem Material größer ist als bei völlig branchenfremden Unternehmen. Ein gelungenes Beispiel liefert die Raiffeisen-Allianz zwischen dem Agrarhandels- und Dienstleistungsunternehmen Agravis, der Humana Milchunion und Westfleisch. Die drei Unternehmen mit genossenschaftlichem Hintergrund stehen in keiner direkten Konkurrenzbeziehung zueinander und sind bereits durch langjährige partnerschaftliche Verbindungen geprägt. Im Jahr 2006 wurde die Beschaffungskooperation RaiffeisenAllianz gegründet. Im ersten Schritt wurden Arbeitskreise gebildet, um nach übergreifenden bündelbaren Materialien zu suchen. Nach gemeinschaftlich durchgeführten Ausschreibungen und Verhandlungen schließt jedes Unternehmen einen eigenen Rahmenvertrag, z.B. zu Verpackungsmaterialien, ab. Eine Ausweitung des Materialspektrums auf Versicherungsleistungen, technische Bedarfe sowie die gesamte C-TeileAbwicklung ist geplant. Die anspruchsvollste Variante ist die marktnahe Kooperation des Coopetition Sourcing, d.h. eine Beschaffungskooperation zwischen konkurrierenden Unternehmen. Insbesondere gleiche Bedarfe im Bereich strategisch wichtiger Materialien macht Coopetition Sourcing interessant. Einerseits ist der potenzielle Bündelungseffekt hier sehr groß, andererseits bestehen aber auch große Risiken, so z.B. die Gefahr der Preisgabe unternehmensindividueller und somit potenziell wettbewerbsrelevanter Daten. Oftmals unterscheiden sich die Produkte von Konkurrenten jedoch nicht technisch, sondern über Marketing, d.h. Styling, Marken- und Firmenimage. Hier entspannt sich die Konkurrenzsituation und die Basis für eine Beschaffungskooperation ist günstiger. Ein Beispiel für Coopetition Sourcing stellt die geplante Zusammenarbeit zwischen Mercedes und BMW dar. Die beiden Unternehmen wollen kooperieren, um Kosten beim Kauf von nicht-markendifferenzierenden Komponenten, wie Fensterheber, Zugangssysteme, Verstellmotoren, Lüftungssysteme oder Sitzgestelle, zu sparen. Während die „Kaufleute“ einer solchen Verbindung offen gegenüber stehen, gibt es bei den „Technikern“ gewisse Ressentiments Alleinstellungsmerkmale zu verlieren. Eine gemeinsame, eigenständige Einkaufsorganisation (Betriebsvariante) steht allerdings nicht zur Debatte (vgl. o.V. 2008a; Heck 2009). Um eine Einkaufskooperation erfolgreich zu realisieren, gilt es vielfältige Aspekte zu beachten. Eine denkbare Vorgehensweise wird in Abbildung 4-17 visualisiert. Am Anfang steht die Suche und Auswahl der passenden Partner und die Verständigung
146
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
auf eine gemeinsame Beschaffungsstrategie. Bei der Partnerwahl stehen Synergien der gemeinschaftlichen Beschaffung von Materialgruppen im Vordergrund. Die im vorangegangenen Abschnitt behandelten Merkmale zur Prüfung der Bündelungsfähigkeit von Materialen können hier Anwendung finden. Daneben sind natürlich kartellrechtliche Fragen zu prüfen. Jede Einkaufskooperation sollte beim Bundeskartellamt angemeldet werden (vgl. Regula 2004, S.8f.). In 2007 veröffentlichte das Bundeskartellamt überarbeitete Leitlinien, die insbesondere für KMU die Bedingungen für wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Absprachen präzisieren. Danach können unter bestimmten Bedingungen „Mittelstandskartelle“ vom allgemeinen Kartellverbot ausgenommen werden. So werden Einkaufskartelle zur Bündelung der Marktmacht akzeptiert, solange der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen < 5 % ist (vgl. o.V. 2007a). Insbesondere beim Cooperative Sourcing i.e.S. und dem Coopetition Sourcing verfügen die Partner über eine in etwa vergleichbare Leistungsfähigkeit, damit der Nutzen für alle Beteiligten ungefähr gleich groß ist. Die Zusammenarbeit sollte innerhalb einer gemeinsamen, verbindlichen Vereinbarung festgeschrieben werden, die von einer formlosen Absprache bis hin zum schriftlichen Vertrag reichen kann. Dann gilt es im Sinne von „structure follows strategy“ eine organisatorische Lösung zu finden, im Rahmen derer die Kooperation auch operativ umgesetzt werden kann. Die folgenden organisatorischen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Cooperative Sourcing sind denkbar (vgl. ähnlich Eßig 2002, S.273):
Ad hoc-Variante: Einmalige bzw. sporadisch vorkommende Ad hoc-Kooperation, die beispielsweise über elektronische Marktplätze abgewickelt wird.
Informationsaustausch-Variante: Abgestimmter Informationsaustausch über globale Beschaffungsmärkte zwischen den Partnern.
Projekt-Variante: Der gemeinschaftliche Einkauf wird im Rahmen eines zeitlich befristeten Projekts organisiert, man spricht hier auch von einem Einkaufskonsortium (vgl. Schuh et al. 2008, S.85f.).
Spezialisierungs-Variante: Jeder Partner übernimmt den speziellen Bereich, in dem er die größten Kompetenzen besitzt.
Beauftragungs-Variante: Der am besten geeignete Partner übernimmt die Aufgabe des gemeinschaftlichen Einkaufs für die anderen mit.
Betriebs-Variante: Die Kooperation erfolgt im Rahmen einer formalen Struktur, d.h. in der Form eines neugegründeten Unternehmens, z.B. Joint-Venture. Hierfür wird auch der Begriff der Einkaufsgemeinschaft gegründet. Einer Studie von A.T. Kearney zufolge bilden 81% der Unternehmen Einkaufsgemeinschaften mit Partnern aus der eigenen Branche (vgl. Schuh et al. 2008, S.68f.).
147
4.2
4
Strategieformulierung
Abbildung 4-17: Cooperative Sourcing Prozess
Finden der richtigen Partner
Prüfung Strategie und Ziele
Vertragsgestaltung
Organisations- Abstimmung lösung für interne Kooperation Organisation
Sicherstellen langfristiger Stabilität
ControllingKonzept
Bei jeder Variante müssen die Partnerunternehmen die Einkaufskooperation mit der eigenen internen Beschaffungsorganisation abstimmen. Gemeinschaftlich müssen die Beschaffungsprozesse, wie z.B. Bedarfsermittlung, Lieferantenauswahl, Ausschreibung oder Verhandlung angepasst werden. Kompatibilität bezüglich der verwendeten IT-Systeme und bezüglich der Materialklassifizierung sind weitere wichtige Themenfelder. Eine Schlüsselrolle für die IT-Unterstützung der Zusammenarbeit spielt auch hier das Internet. SRM-Lösungsanbieter wie beispielsweise Onventis oder elektronische Marktplätze bieten mittlerweile spezifische Funktionalitäten an, die eine gemeinschaftliche Beschaffung zwischen Unternehmen unterstützen. Auch der unternehmenskulturelle Fit zwischen den Partnern und die frühzeitige Einbindung der betroffenen Mitarbeiter sind wichtige Erfolgsfaktoren. Problematisch erscheint an dieser Stelle, dass ggf. Mitarbeiter von Wettbewerbern zusammenarbeiten sollen. Gerade das partnerschaftliche Denken ist eine grundlegende Voraussetzung zur Realisierung von Cooperative Sourcing. In diesem Sinne haben die Partnerunternehmen dafür zu sorgen, dass für den Bereich der Kooperation eine gemeinsame Kooperationskultur entsteht und auch gelebt wird. Um eine Kooperation langfristig überlebensfähig zu machen, muss es zur gerechten Nutzenverteilung kommen, bei der der entstandene Nutzen für jedes Partnerunternehmen größer sein muss als der entgangene Nutzen bei autonomer Beschaffung (Win-win-Situation). Schließlich ist ein Controlling-Konzept notwendig, mit dessen Hilfe die Vorteile für die beteiligten Partner auch aufgezeigt und gemessen werden können. Eine detaillierte Behandlung der Konzeption von Beschaffungskooperationen findet sich bei Schulte i.d.B. (vgl. Schulte i.d.B. 2009). Unter dem Begriff Joint Procurement arbeitet beispielsweise die Deutsche Flugsicherung GmbH mit anderen europäischen Flugsicherungsorganisationen in der Beschaffung zusammen. Die Partner erfüllen die gleichen Aufgaben, stehen jedoch nicht in Konkurrenz zueinander, da die Tätigkeitsfelder regional abgegrenzt sind. Positive Erfahrungen der gemeinschaftlichen Beschaffung wurden bei Spezialsoftware, Radarsystemen und indirekten Materialien gemacht. (vgl. Meyer 2006a, S. 37ff; 2006b, S.40ff.) Eine branchenübergreifende Einkaufskooperation wurde in 2000 von dem Unterhaltungselektronikhersteller Loewe AG ins Leben gerufen. Zielsetzung ist die Mengenbündelung bei elektronischen Produktionsmaterialien. Als Erfolgsfaktoren für diese
148
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Kooperation werden das gegenseitige Vertrauen der Mitglieder, klar definierte Spielregeln der Zusammenarbeit und eine Datenbank, mit deren Hilfe die unterschiedlichen Bedarfe der Partner konsolidiert werden, genannt. Nach zwei Jahren mit Anlaufschwierigkeiten arbeitet die Kooperation mittlerweile sehr erfolgreich und ist gerade für KMUs eine interessante Option zur Verbesserung ihrer Einkaufsposition (vgl. Keck 2004, S.42f.). Ein weiteres Beispiel stellt der regionale Einkaufsverbund von Messtechnikunternehmen im Raum Göttingen dar. 34 Mitgliedsunternehmen haben hier einen Arbeitskreis Einkauf gebildet, der gemeinsame Rahmenverträge für Strom, Personaldienstleistungen, Mobiltelefonie oder Zeichnungsteile abschließt (vgl. o.V. 2004d, S.6). Chancen:
Materialpreiseinsparungen durch Nutzung der gebündelten Einkaufsmacht der Partner
Gegenseitiger Nutzen durch die Fachexpertise der Partner Optimierung der Prozesskosten, z.B. bei den logistischen Prozessen der Lieferung und Vorratshaltung durch Adaption der Lösungen der „Best-Practice-Partner“
Wettbewerbsvorteile gegenüber Wettbewerbern, die sich in einer Stand-alone Position befinden Risiken:
Bei Ungleichgewicht der Machtverhältnisse Gefahr der Abhängigkeit von stärkeren Partnern
Gefahr der Preisgabe vertraulicher Informationen Kartellrechtliche Schwierigkeiten bei marktbeherrschender Position Probleme bei zu starken Unterschieden zwischen den Partnern in Bezug auf strategische Ausrichtung, Unternehmenskultur oder IT-Systeme
Höherer Koordinationsaufwand als in einer Stand-alone Position Auch bezüglich der Partnereinbindung ist die grundsätzliche Frage, ob überhaupt eine gemeinsame Beschaffung in Frage kommt, im Rahmen der Beschaffungsgesamtstrategie zu entscheiden. Konkrete Ausgestaltungsfragen hinsichtlich einzelner Materialgruppen gehören dann auf die Ebene 2.
4.2.4.2
Dienstleisternutzung
Vieler Unkenrufe zum Trotz ist das Thema Outsourcing nach wie vor „up-to-date“ in der Unternehmenspraxis, dies gilt umso mehr in Zeiten der Krise. Für die Unternehmen stellt sich die Frage: Welche Prozesse eignen sich zur Fremdvergabe an einen Dienstleister? IT, Personal und Rechnungswesen sind mittlerweile schon fast etablierte
149
4.2
4
Strategieformulierung
Outsourcing-Kandidaten. Mehr und mehr wird seit Ende der 1990er Jahre die Outsourcing-Frage auch für die Beschaffung relevant (vgl. Buchholz 1999a, S.271ff; Thiel 2004, S.46ff.). Der Hintergrund ist der zu beobachtende Trend der Dekonstruktion von Wertschöpfungsketten. Danach verändern sich die Wertschöpfungsstrukturen von Unternehmen der Gestalt, dass nicht mehr die gesamte Bearbeitung einer integrierten Wertschöpfungskette der Gegenstand der Unternehmenstätigkeit ist, sondern sich eigenständige Wertschöpfungsschichten (Value layer) entwickeln, die von jeweils darauf spezialisierten Unternehmen bearbeitet werden (vgl. Buchholz 2002b, S.822ff.). Dekonstruktion ist aber auch ein Thema bezogen auf die klassischen Unternehmensfunktionen, wie z.B. die Beschaffung. Innerhalb der Wertschöpfungsschicht Beschaffung entwickeln sich Dienstleister, so genannte Layer player, die Beschaffung als eigenes Geschäft anbieten. Verstärkt wurde dieser Trend durch die Verbreitung der Internettechnologie zum Ende der 1990er Jahre, indem Dienstleister innovative, IT-basierte Beschaffungsmethoden, man denke an elektronische Auktionen oder Marktplätze, anboten und in den Beschaffungsprozess integrieren. Das dafür notwendige spezifische Know-how war in den Einkaufsabteilungen i.d.R. nicht vorhanden (vgl. Schäfer/Schäfer 2001, S.53ff; Tripp 2003, S.291f.). In den letzten Jahren hat das Outsourcing von Beschaffungsprozessen, nicht zuletzt bedingt durch die Rezession, einen erneute Renaissance erfahren. Der Begriff des Beschaffungsdienstleisters, im englischen auch als Procurement Service Provider (PSP) bezeichnet, steht für die Gesamtheit aller externen Dienstleister, die den Einkauf eines anderen Unternehmens unterstützen. Dadurch ergibt sich eine neue Konstruktion bezüglich der Supplier Relation, da jetzt ein Intermediär in die Beziehung zwischen einkaufendem Unternehmen und Lieferant zwischengeschaltet ist. Auf Grund des Tätigkeitsfelds eines Beschaffungsdienstleisters besitzt dieser häufig ein sehr weites Netzwerk an Lieferanten- und Kundenbeziehungen. Hier kommt dem Dienstleister eine Art Konsolidierungsfunktion zu. Er bildet die Schnittstelle zwischen einer Vielzahl von Lieferanten einerseits und einer großen Anzahl von Kunden andererseits. Zielsetzung ist nicht ausschließlich die Senkung der Kosten, sondern die Leistungsfähigkeit des Unternehmens soll gesteigert werden. Differenziert nach der Art der Tätigkeit lässt sich Procurement Service Providing in drei Kategorien einteilen, die Abbildung 4-18 in der Übersicht zusammenfasst (vgl. BME 2006; Buchholz/Stepniak 2008, S.7ff.):
150
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Abbildung 4-18: Varianten des Procurement Service Providing
Procurement Outsourcing (PO) Third Party Procurement
Procurement Service Providing
Procurement Consulting
Procurement Software Providing
Category Service Providing (CSP) Strategie-, Prozess- und Change Mgt. Spezialisiertes BeschaffungsConsulting Application Service Provider e-Marktplatz
Third Party Procurement Ganz konkrete Teilprozesse des Beschaffungsprozesses werden bei der Variante Third Party Procurement vom Dienstleister übernommen. Das Leistungsangebot kann sich dabei sowohl auf strategische als auch auf operative Beschaffungsprozesse beziehen (vgl. Everest Research Institute 2007). Nahe liegend ist die Nutzung eines Dienstleisters für den strategischen Einkauf von indirekten Materialien. Aus diesen Vorprodukten resultieren keine strategischen Wettbewerbsvorteile für das beschaffende Unternehmen, so dass die Verantwortung hierfür einem Dritten übergeben werden kann. Ferner besitzen die Unternehmen hierzu häufig kein einkaufsspezifisches Know-how. Die Beschaffungsaktivitäten werden im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrags zwischen dem Kunden und dem Dienstleister geregelt. Dieser schließt Rahmenverträge mit den Lieferanten ab, die der Kunde nutzt, wobei die Lieferung direkt zum Kunden erfolgt. Zurückhaltender sind die Unternehmen bei der Vergabe von direkten Materialien, die sie verständlicherweise lieber in Eigenregie einkaufen (vgl. Nowosel 2007, S.42f.). Mittlerweile ist auch die Fremdvergabe der operativen Beschaffung eine gangbare Option. Für Großunternehmen bietet diese Lösung bei hoher Standardisierung und Vergabe an lohnkostengünstige Dienstleister ein nicht zu vernachlässigendes Einsparpotenzial. Abhängig vom Umfang der fremdvergebenen Materialgruppen sowie vom Umfang und Inhalt der ausgelagerten Prozesse sind somit zwei Unterformen zu konstatieren.
151
4.2
4
Strategieformulierung
Beim Category Service Providing (CSP) übernimmt der Dienstleister i.d.R. die operativen, materialgruppenspezifischen Beschaffungsprozesse für ausgewählte Produkte und Services. Es erfolgt eine starke Spezialisierung auf einzelne Materialgruppen, wie z.B. MRO-Materialien oder Flottenmanagement, wobei aber auch z.T. strategische Beschaffungsaufgaben wahrgenommen werden können. Procurement Outsourcing (PO) hingegen beinhaltet sämtliche operativen und strategischen Beschaffungsaktivitäten für eine Vielzahl von Materialgruppen, die i.d.R. nicht zum Kerngeschäft eines auftraggebenden Unternehmens gehören und an einen Beschaffungsdienstleister ausgelagert werden. Die vertraglich festgelegte Vereinbarung ist langfristig angelegt und beinhaltet alle Tätigkeiten, die in der Prozesskette der Beschaffung anfallen. Der externe Dienstleister trägt die gesamte Verantwortung für die übernommenen Prozesse. Am häufigsten werden hier die Materialgruppenkategorisierung sowie das Lieferantenmanagement für indirekte Materialien und Services fremd vergeben. Third Party Procurement hat seinen Ursprung häufig in der Umstrukturierung von Großkonzernen (Beschaffungs-spin-off). Zwei Beispiele für Unternehmen mit einem solchen Hintergrund sind die HPI, ehemals Hoechst Procurement International (vgl. Freienstein et al. 2002, S.840ff.) sowie die Siemens Global Procurement Services (vgl. Winkler 1999; Walter 2001, S.44; Nenninger 2007, S.48f.). War man zunächst nur für die Unternehmen aus dem alten Hoechst-Orbit bzw. für die Siemens Geschäftsbereiche tätig, richteten sich beide Unternehmen dann sehr schnell auf die Gewinnung von externen Kunden aus. Haupterfolgsfaktoren für diese Art der Einkaufsdienstleistung sind die Möglichkeiten zur Bedarfsbündelung und die Verfügbarkeit von spezifischer Beschaffungsexpertise (vgl. Buchholz/Kaufmann 1998, S.9ff.).
Procurement Consulting Beratungsleistungen mit dem Schwerpunkt auf der Beschaffung sind eine weitere Dienstleistungsvariante. Das Leistungsspektrum erstreckt sich von der Strategie- und Prozessberatung bis hin zum Change Management. Projekte im Bereich der Beschaffungsstrategie und der Informationstechnologie werden häufig bis hin zur Implementierung begleitet. Die Anbieter sind hier zum einen die klassischen Beratungshäuser, die den Einkauf als ein Themenfeld besetzen (z.B. McKinsey oder A.T. Kearney). Zum anderen gibt es aber auch Spezialisten, die nur auf dieses eine Thema fokussiert sind (z.B. BrainNet, Kerkhoff-Consulting, Gicom oder Inverto). Denkbar ist auch eine temporäre Zusammenarbeit, bei der ein Dienstleister ausgewählte Aufgaben in gemischt besetzten Einkaufsteams eines Kunden übernimmt. Insbesondere in kritischen Verhandlungssituationen mit Lieferanten kann der Berater eine hilfreiche Unterstützung darstellen. Der Auftraggeber ergänzt bzw. erweitert seine eigenen Ressourcen, gerät aber nicht in die vollständige Abhängigkeit und kann das Know-how der eigenen Mitarbeiter weiterentwickeln. Für diese Art der Zusammenarbeit wird auch der Begriff CoSourcing verwendet (vgl. Schreiter et al. 2004, S.40f.).
152
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Procurement Software Providing Wie die meisten Geschäftsprozesse können auch Beschaffungsprozesse mit Hilfe verschiedenster IT-Applikationen unterstützt werden. Durch die Entstehung von eProcurement-Lösungen hat das Internet hier seit Ende der 1990er Jahre einen fast revolutionär zu bezeichnenden Einfluss. Bei der Einführung von internetbasierten ITSystemen greifen Unternehmen auf die Unterstützung von Dienstleistern zurück. Ein Einkaufssoftware-Anbieter stellt, neben Standardsoftware und individuell angepassten Systemen für operative und strategische Prozesse, auch das dazugehörige Implementierungs-Know-how zur Verfügung. Für kleine und mittelständische Unternehmen lohnt es sich häufig nicht eigene Systeme anzuschaffen. Sie nutzen so genannte Applikation Service Provider (ASP), welche die Software auf ihren Servern betreiben und gegen eine monatliche Gebühr zur Verfügung stellen. Denkbar ist auch die Nutzung von elektronischen Marktplätzen. Das Leistungsangebot von Beschaffungsdienstleistern in der Praxis lässt sich allerdings meistens nicht ausschließlich einer Kategorie zuordnen. Häufig liegt der Ursprung eines Dienstleisters in einem Themenschwerpunkt, z.B. Procurement Consulting - darauf aufbauend strebt er aber die Erweiterung seines Angebots auf andere Bereiche an. Ist beispielsweise Know-how bezüglich Beschaffungsstrategie und -prozessen vorhanden, ist zwar eine Voraussetzung für Volumenbündelung gegeben, es fehlt aber die IT-Umsetzung. Bietet ein Unternehmen IT-Know-how und das dazugehörige Equipment an, fehlt die Sicht auf die Strategie nicht selten gänzlich. Sourcing Tools wie elektronische Auktionen bringen ohne Einkaufs-Know-how und Marktexpertise nicht den gewünschten Erfolg. Um ein gesamthaftes Angebot bieten zu können, muss ein Beschaffungsdienstleister die Lücke zwischen Strategie-, Beschaffungsprozess- und IT-Know-how schließen. Für den Kunden entsteht daraus der Vorteil, alles aus einer Hand zu bekommen: Die Strategieentwicklung, die Prozessgestaltung und das dazugehörige IT-Know-how. HPI versteht sich beispielsweise als Full Service Provider, der alle drei Felder des Procurement Service Providing abdecken kann. Eine typische Kundenbeziehung beginnt i.d.R. im Rahmen eines Beratungsprojekts und setzt sich mit einem längerfristigen Warengruppenmanagement fort. Im nächsten Schritt kann sich eine umfassende Auslagerung von strategischen und operativen Beschaffungsaufgaben über verschiedene Materialgruppen ergeben. Schließlich können Kunden auch die elektronische Katalogbeschaffung komplett über ein von HPI in Partnerschaft mit einem IT-Dienstleister angebotenes System abwickeln und dabei vom bereits vorhandenen und gepflegten Lieferantenpool profitieren. Charakteristisch ist, dass die Branche des Procurement Service Providing in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, noch sehr jung und der europäische Markt noch nicht klar abgegrenzt ist. Eine Studie von Gartner sieht das Outsourcing der Beschaffungsprozesse als eines der am schnellsten wachsenden Outsourcing-Felder mit einer jährlichen Wachstumsrate von 17% (vgl. Nenninger 2008, S.36). Für Deutschland wurde im
153
4.2
4
Strategieformulierung
Jahr 2003 ein Marktvolumen von 4,2 Mrd. € ermittelt (vgl. BME 2004a). Es besteht eine starke Heterogenität und Intransparenz des Marktes, der sich noch in einem Veränderungsprozess befindet. Große Beratungsunternehmen, wie accenture oder IBM, versuchen, eine Führungsposition auf dem noch nicht aufgeteilten Markt zu erlangen, um auch die Leistung des Procurement Outsourcing zusätzlich zum angestammten Geschäft anzubieten. Ein Vorteil der großen Anbieter ist, dass sie neben der Beschaffungsexpertise auch IT-Know-how anbieten können. Wichtige Kriterien für die Auswahl des passenden Beschaffungsdienstleisters sind (vgl. Schäfer/Schäfer 2001, S47ff.):
Leistungsangebot Kosten der Dienstleistung Erfahrungen und Referenzen Finanzielle Stabilität IT-Potenzial und -kompatibilität Lieferantenunabhängigkeit Die Deutsche Bank hat beispielsweise den weltweiten Einkauf inklusive der Rechnungsabwicklung an Accenture ausgelagert. Der entsprechende Vertrag hat eine Laufzeit von sieben Jahren und soll ein Einkaufsvolumen von ca. 5 Mrd. € umfassen. Der Nahrungsmittelhersteller Zamek hat den Einkauf für technische Materialien an den Beschaffungsdienstleister B-S-M Service GmbH fremdvergeben und dadurch Verbesserungen bei den Prozesskosten um 65% sowie drastische Verkürzungen der Beschaffungszeiten realisiert (vgl. Bittermann 2005, S.42f.). Chancen:
Günstigere Einstandspreise durch Bedarfsbündelung sowie bessere Einkaufs- und Lieferkonditionen durch Verhandlungs-Know-how
Reduzierung und genauere Zuordnung der Gemeinkosten durch Umwandlung von Fixkosten in variable Kosten
Weniger Abwicklungsaufwand durch Reduzierung der Ansprechpartner Nutzung von produkt- und branchenspezifischem Beschaffungs-Know-how sowie bessere nationale und internationale Markttransparenz
Breiteres Dienstleistungsspektrum des Beschaffungsdienstleisters, z.B. einfacherer Zugang zu neuen Technologien
Optimierte Organisation und Personalkapazitäten
154
Allgemeine Merkmale von Supplier Relations
Risiken:
Fehlende Lerneffekte bei den eigenen Mitarbeitern Schwierigkeiten bei der Reintegration von vorher ausgelagerten Beschaffungsprozessen
Schwierigere Koordination des Beschaffungsprozesses Gefahr der Preisgabe sensibler Informationen Im Rahmen der Beschaffungsgesamtstrategie erfolgt die generelle Auswahl des Beschaffungsdienstleisters. Die konkrete Ausgestaltung für die jeweils über den Dienstleister abgewickelte Materialgruppe erfolgt wiederum auf Materialgruppenebene.
155
4.2
5
Strategieimplementierung
5
Strategieimplementierung
5.1
Grundlegende Ausführungen zur Strategieimplementierung
Implementierung einer Strategie bedeutet, „dass eine angestrebte Strategie nicht nur planerisch durchdacht und verabschiedet, sondern auch tatsächlich realisiert wird“ (Hungenberg 2008, S.330). Hierzu müssen Rahmenbedingungen in den Bereichen Aufbau- und Prozessorganisation, Informationstechnologie, Mitarbeiter und Controlling geschaffen werden, die eine bestmögliche Umsetzung der Strategie erlauben. Ferner sind konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie einzuleiten. Sowohl Rahmenbedingungen als auch konkrete Maßnahmen können in Projektform umgesetzt werden. Beim Thema SRM stellt die Optimierung der Lieferantenbeziehungen durch eine ITbasierte Optimierung der Beschaffungsprozesse und eine optimierte Ausgestaltung der allgemeinen Supplier Relations die übergeordnete strategische Zielsetzung dar. Zwei der oben genannten Rahmenbedingungen (Prozessorganisation und IT) sind somit Hauptgegenstand von SRM. Die Möglichkeiten ihrer Ausgestaltung und die anschließende Umsetzung in Projektform werden in den Kapiteln 6-8 beschrieben. Die Themen Aufbauorganisation, Mitarbeiter und Controlling werden in diesem Kapitel behandelt. Welche aufbauorganisatorischen Lösungen sinnvoll mit der Einführung von SRM korrespondieren, wird in Abschnitt 5.2 diskutiert. SRM verändert die Arbeit der Mitarbeiter im Einkauf in nicht geringer Art und Weise. Welche neuen Anforderungen auf die Mitarbeiter zukommen, welche neuen Rollen durch sie zu erfüllen sind und wie diese Veränderungen vom Unternehmen zu begleiten sind, behandelt Abschnitt 5.3. Eine nicht zu vernachlässigende Rahmenbedingung ist auch ein aussagekräftiges Controllingkonzept. Gerade im Beschaffungsbereich haben Unternehmen hier häufig einen großen Nachholbedarf. Wie können die durch SRM avisierten Optimierungspotenziale nachhaltig und greifbar gemacht werden? Abschnitt 5.4 stellt ausgewählte Aspekte des Beschaffungscontrollings vor. Thematisiert werden in diesem Abschnitt der Einfluss der Beschaffung auf den ROI, die Messung monetärer Beschaffungserfolge, Working Capital Management, Kennzahlen, Balanced Scorecards und Risikomanagement.
156 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Ausgestaltung der Aufbauorganisation
5.2
Ausgestaltung der Aufbauorganisation
5.2.1
Gestaltungsdimensionen
Im Sinne des klassischen Paradigmas „Structure follows strategy“ kann eine erfolgreiche Strategieimplementierung nur gelingen, wenn auch die organisatorischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Dies gilt uneingeschränkt auch bezogen auf die Beschaffung. Im Mittelpunkt steht im Folgenden die aufbauorganisatorische Gestaltung, die abhängig von den abzubildenden Beschaffungsprozessen zu konzipieren ist. Die Aufbauorganisation definiert insbesondere für die Beschaffung Aufgabe, Kompetenz (Handlungsrecht) und Verantwortung (Rechenschaftspflicht) für die entstandenen Organisationseinheiten. Weiterhin ist die hierarchische Einordnung der Beschaffung zu bestimmen, d.h. beispielsweise ob die Beschaffung eine Ressortverantwortung auf Vorstands- oder Geschäftsführungsebene besitzt. Schließlich ist die Binnenstruktur der Beschaffungseinheiten zu definieren. Für die Gestaltung der Beschaffungsorganisation sind drei Aspekte zu berücksichtigen, zwischen denen eine konfliktäre Zielbeziehung besteht (vgl. Jahns 2003g, S.28f; Jahns 2005):
Sicherstellung höchstmöglicher Flexibilität Maximale Ausschöpfung von Bündelungspotenzialen Maximale Realisierung von Standardisierungspotenzialen Um eine für das Unternehmen passende Organisationsform zu finden, bewegt man sich innerhalb eines Spektrums von Gestaltungsdimensionen, die in Abbildung 5-1 in einer Übersicht dargestellt werden. Von besonderer Relevanz, insbesondere auch für den Stellenwert der Beschaffung im Unternehmen, sind die beiden ersten Dimensionen Handlungsspielraum und Zentralisierungsgrad (vgl. auch Boutellier/Locker 1998, S.36ff.). Der Handlungsspielraum bezieht sich auf die, auch dem Bezugsrahmen dieses Buches zugrunde liegende, Differenzierung von strategischen und operativen Beschaffungsaufgaben. Es ist sinnvoll diese Aufgaben auch organisatorisch voneinander zu trennen, d.h. bestimmte Organisationseinheiten befassen sich mit strategischen Aufgaben, andere hingegen mit den operativen Aufgaben. Seit ca. Mitte der 1990er Jahre ist dies ein unverkennbarer Trend in der organisatorischen Umgestaltung des Einkaufs, der zunächst in Großunternehmen, mittlerweile aber auch bei mittelständischen Unternehmen realisiert wird. Die Vorteile liegen in der Fokussierung auf strategische Beschaffungsaufgaben, der personellen Entkoppelung der Ansprechpartner für Preisverhandlung und Abwicklung sowie der Absenkung von emotionalen Barrieren bezüglich eines Lieferantenwechsels (vgl. Droege & Comp. 1998, S.107; Rast 2008, S.38f.). Operative Beschaffungsaufgaben lassen sich weitgehend automatisieren (vgl. Kapitel 7) und für indirekte Materialien in einfacher Weise von den Bedarfsträgern durchfüh-
157
5.2
5
Strategieimplementierung
ren. Durch das für das SRM vorgestellte 3-Ebenen-Modell wird diese Maßnahme voll unterstützt. Die klar vorgenommene Trennung und die Beschreibung der strategischen und operativen Aktivitäten erleichtert eine entsprechende Zuordnung von Mitarbeitern.
Abbildung 5-1:
Gestaltungsdimensionen der Beschaffungsorganisation (Quelle: nach Jahns 2003g, S.29)
Dimension:
Ausprägungen:
1
Handlungsspielraum
Strategische Beschaffung
versus
Operative Beschaffung
2
Zentralisierungsgrad
Zentrale Beschaffung
versus
Dezentrale Beschaffung
3
Aufgabenspezialisierung
Verrichtungsorientierte Beschaffung
versus
Objektorientierte Beschaffung
4
Struktur der Weisungslinien
Einliniensystem
versus
Mehrliniensystem
5
Kooperationsgrad
6
Internationalisierungsgrad
Konzern -/Unternehmens versus interne Kooperation Nationale Einkaufsorganisation
versus
Konzern -/Unternehmens übergreifende Kooperation Globale Einkaufsorganisation
Seit eh und je ist der Zentralisierungsgrad der Einkaufsorganisation ein kontrovers diskutierter Gestaltungsparameter. Es lässt sich im Zeitablauf eine Pendelbewegung ausmachen, wonach Unternehmen ihren Einkauf einmal mehr in Richtung zentraler oder dezentraler Lösung ausrichten. Bei der ersten Option gibt es im Unternehmen eine zentrale Einkaufsabteilung die für die strategischen und operativen Beschaffungsaufgaben zuständig ist. Dezentrale Organisation bedeutet, dass die Gesellschaften bzw. Werke eigene Einkaufsverantwortung besitzen. Die Vor- und Nachteile der beiden Optionen stellen sich wie folgt dar (vgl. Jahns 2005, S.268ff; Leenders et al. 2006, S.37; Kerkhoff/Michalak 2007, S.59ff; Reinelt 2010, S.32ff.):
Vorteile Zentraleinkauf: - Bereichs- und standortübergreifende Bedarfsbündelung - Klare Verantwortlichkeiten - Erhöhte Transparenz über die Bedarfsstrukturen in den dezentralen Einheiten - Möglichkeiten zur Standardisierung wodurch die Variantenvielfalt reduziert wird - Optimierte Disposition und Losbildung beim Lieferanten - Einheitliche Beschaffungsprozesse und einheitliches Controlling möglich
158
Ausgestaltung der Aufbauorganisation
- Möglichkeit zur Reduzierung von Sicherheitsbeständen - Häufig höhere Mitarbeiterqualifikation
Nachteile Zentraleinkauf: - Geringe Flexibilität bezüglich individueller standortbezogener Bedarfe - Lange Entscheidungswege wegen hoher Entfernung von den Bedarfsträgern - Mangelnde standortbezogene Kenntnisse - Gefahr von Zielkonflikten zwischen Zentraleinkauf und dezentralen Einheiten
Vorteile dezentraler Einkauf: - Nähe und Integration in die dezentrale Organisationseinheit - Bessere Nutzung des dezentralen Know-hows und bessere Problemfokussierung - Kürzere Entscheidungswege - Bessere Erreichbarkeit - Höhere Motivation in den dezentralen Einkaufseinheiten
Nachteile dezentraler Einkauf: - Fehlende Bündelungseffekte und geringere Marktmacht - Gefahr der uneinheitliche Konditionen in den dezentralen Einheiten - Redundante Prozesse durch fehlende Standardisierung - Fehlendes Know-how-Pooling, da breites Spektrum an Materialien zu betreuen ist - Unklare Verantwortlichkeiten und dadurch ineffiziente Abwicklung Abhängig von der verfolgten Zielsetzung kann sowohl die eine als auch die andere Variante sinnvoll sein. Deutlich wird an dieser Stelle auch wieder die Verzahnung mit der Unternehmensgesamtstrategie. Beim Kauf oder Verkauf von Unternehmensteilen verändert sich auch das Beschaffungsvolumen und der Zentralisationsgrad des Einkaufs ist neu auszurichten. Ein anderes Beispiel liefern dezentral verantwortliche Profit-Center-Leiter, die sich ungern Vorgaben von einem Zentraleinkauf machen lassen. Unstrittig ist, dass reinrassige zentrale oder dezentrale Lösungen den aktuellen Erfordernissen nicht mehr Rechnung tragen. Es bietet sich an, strategische Beschaffungsaufgaben eher in Zentralbereichen, operative Aufgaben in der Tendenz in dezentralen Einheiten zu verankern (vgl. Large 2000b, S.291ff.). Intelligente Kombinationsformen, die beispielsweise durch die im nächsten Abschnitt behandelten hybriden Organisationslösungen gewährleistet werden, sind notwendig. Bezüglich der Aufgabenspezialisierung ist zwischen verrichtungs- und objektorientierten Lösungen zu unterscheiden. Diese Dimension bezieht sich primär auf die Bin-
159
5.2
5
Strategieimplementierung
nenstruktur des Beschaffungsbereichs. Verbreitet sind in der Praxis objektbezogene Gliederungen, die nach Materialgruppen aufgestellt sind. So ist in der chemischen Industrie beispielsweise eine Einteilung in Rohmaterialien, technische Materialien, Verpackungen und Dienstleistungen nicht untypisch. Denkbar sind auch Untergliederungen nach Einkaufsregionen, Bedarfsträgergruppen oder Lieferantengruppen (vgl. Large 2000a, S.247f.). Die Differenzierung in strategische und operative Beschaffungsaufgaben ist eine Ausprägung des Verrichtungsprinzips (Funktionale Organisation). Ebenfalls eine klassische aufbauorganisatorische Fragestellung ist die Struktur der Weisungslinien. Zu unterscheiden ist zwischen Einlinien- und Mehrliniensystemen. Beim Einliniensystem sind alle Mitarbeiter einer Leitungsstelle unterstellt, d.h. die Einkäufer unterstehen dem Einkaufsleiter. Im Mehrliniensystem gibt es hingegen eine Mehrfachunterstellung. Praxistauglich ist die zweidimensionale Matrixorganisation, bei der die Mitarbeiter zwei Vorgesetzte, z.B. einen funktionalen Einkaufsverantwortlichen und einen objektorientierten Geschäftsbereichsleiter haben. Den Vorteilen von gesamthafter Interessenberücksichtigung und von unmittelbarer Kommunikationsmöglichkeit stehen die Nachteile von Ressourcenkonflikten und Zeitverlusten durch langwierige Abstimmungen gegenüber. In der Praxis finden sich Matrixorganisationen häufig zwischen einem Zentralbereich Einkauf und dezentralen, in den Geschäftsbereichen eines Unternehmens angesiedelten Einkaufseinheiten (vgl. zu Möglichkeiten, das Zusammenspiel in einer Matrixorganisation zu optimieren Jahns 2003g, S.30f; Hildebrandt 2010, S.59ff.). Die fünfte Gestaltungsdimension bezieht sich auf den Kooperationsgrad, der sowohl unternehmensintern als auch in der unternehmensübergreifenden Perspektive betrachtet werden kann. In der unternehmensübergreifenden Sicht geht es um die einkaufsbezogene Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen. Horizontale Kooperationen zielen auf den gemeinsamen Einkauf von Unternehmen ab und wurden bereits unter der Überschrift Cooperative Sourcing im Rahmen der allgemeinen Supplier Relations thematisiert (vgl. Kapitel 4, Abschnitt 4.2.4.1). Die Zusammenarbeit mit in der Wertschöpfungskette vorgelagerten Partnern wird als vertikale Kooperation bezeichnet, hierzu ist beispielsweise die Lieferantenintegration in die Produktentwicklung (Forward Sourcing) oder die Vergabe der Bestandsverantwortung an Lieferanten (Vendor Managed Inventory) zu rechnen. Bei jeder Form der Zusammenarbeit ist eine eindeutige Definition und Abgrenzung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen zwischen den Partnern zu finden. Unternehmensintern ist der Kooperationsgrad bei dezentralen Einkaufsorganisationen zur Realisierung von Bündelungspotenzialen von hoher Bedeutung. Organisiert werden sollte die interne Zusammenarbeit in der Form eines Netzwerkes. Beispiele für netzwerkartige Organisationen sind die unten erläuterten Materialgruppenteams und das Lead Buyer-Konzept. Der Internationalisierungsgrad stellt die sechste Gestaltungsdimension zur Beschreibung einer Beschaffungsorganisation dar. Der Einkauf auf weltweiten Beschaffungsmärkten (Supplier Relation: Geografische Struktur, Ausprägung: Global Sourcing)
160
Ausgestaltung der Aufbauorganisation
muss seinen Niederschlag auch in einer entsprechenden organisatorischen Aufstellung des Unternehmens finden. Bevor man umfassendere Veränderungen der Aufbauorganisation anstößt bietet es sich an, das Thema zunächst in Form eines Projekts zu bearbeiten (Task Force „Global Sourcing“). Erweisen sich die globalen Einkaufsaktivitäten als erfolgversprechend, sollten die Aufgaben dauerhaft in der Primärorganisation verankert werden. Denkbar wären die mit zunehmenden Kompetenzen versehenen Varianten einer Stabsstelle, einer Matrixlösung mit expliziter Regionaldimension oder eines permanent agierenden Global Sourcing Teams (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.142ff.). Von großer Bedeutung ist die regionale Präsenz vor Ort. Eine ausschließliche Marktbearbeitung aus dem Heimatland kann auf Dauer nicht funktionieren. Vom Einkaufsagenten, über ein internationales Einkaufsbüro, ein Joint Venture bis hin zur eigenen Tochtergesellschaft reicht die Bandbreite der Möglichkeiten. Insbesondere Großkonzerne bauen auf globalen Märkten internationale Beschaffungsbüros auf, die als eigenständige Unternehmen auch Dienstleistungen für Dritte erbringen (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.144ff.).
5.2.2
Hybride Organisationsformen
Nach der Diskussion der Gestaltungsdimensionen werden nun einige für die Umsetzung der SRM-Methode geeignete hybride Organisationslösungen vorgestellt, welche versuchen die Vorteile von eigentlich gegensätzlichen Ausprägungen der Gestaltungsdimensionen in sich zu vereinen. Behandelt werden Shared Service Center, das Materialgruppen-Management und das Lead Buyer-Konzept. Bei einem Shared Service Center handelt es sich um konzentrierte Unternehmenseinheiten, die gebündelte Support-Aufgaben in eigener Ergebnisverantwortung (Profit Center) den meist internen Kunden zur gemeinsamen Nutzung anbieten. Die serviceund marktorientierte Organisationseinheit übernimmt transaktionsbezogene und standardisierbare Unterstützungsprozesse (z.B. Finanz-, IT- oder Personalprozesse). Diese internen Dienstleistungen, die bisher dezentral aber auch zentral erstellt wurden, werden zusammengefasst und über Verrechnungspreise den dezentralen Einheiten angeboten. Zielsetzung ist es, die Vorteile von Outsourcing und Zentralisierung zu vereinen, ohne jedoch die Risiken dieser Ansätze einzugehen. Synergien und Skaleneffekt sollen über die Konsolidierung und Vereinheitlichung von Systemen und Prozessen erreicht werden. Dabei soll ein ausgeprägter Dienstleistungsgedanke helfen, die Probleme der Kunden zu verstehen und sinnvolle Lösungen zu finden, ohne auf Standardisierung zu verzichten. Zwischen dem Shared Service Center und den Kunden werden Service Level Agreements vereinbart. Dabei handelt es sich um schriftlich festgehaltene Abmachungen, die eine Beschreibung der Leistung inkl. Leistungsniveau, eine Abgrenzung der Pflichten von Shared Service Center und Kunden sowie Preise für die Leistungen enthalten. Zielsetzung ist ein einfaches, transparentes und transaktionsorientiertes Preismodell,
161
5.2
5
Strategieimplementierung
bei dem der Kunde die Kostentreiber erkennen kann. Eine Wettbewerbssituation zu externen Anbietern soll erreicht werden, so dass ein Angebot der Leistungen zu Marktpreisen möglich ist. Für die Beschaffung bieten sich im klassischen Modell eher operative Prozesse für die Abwicklung im Shared Service Center an, da hier Standardisierungsgrad und Transaktionsbezug eher gegeben sind. Die Praxis spricht aber auch bei der zentralen Abwicklung von strategischen Aufgaben von Shared Services, wie das Beispiel RWE Systems zeigt. Bei diesem Unternehmen erfolgte die Neugestaltung des Konzerneinkaufs als Shared Service Center RWE Systems. Dabei handelt es sich um ein rechtlich verselbständigtes Unternehmen, in dem der Konzerneinkauf als eigenständige Sparte geführt wird. Dieser ist mit allen Vollmachten zur Steuerung der Einkaufsvorgänge ausgestattet, d.h. es werden sowohl strategische als auch operative Aufgaben gebündelt. Rahmenverträge werden durch dezentral agierende Sourcing-Teams verhandelt und von der zentralen Einheit abgeschlossen. Die Zusammenarbeit zwischen den konzerninternen Kunden und dem Konzerneinkauf basiert auf Service Level Agreements und Preisvereinbarungen. Das zugrunde liegende Preismodell besteht aus zwei Komponenten: Für strategische Aufgaben kommt es zu einem prozentualen Aufschlag auf das Beschaffungsvolumen. Die Berechnung von Transaktionskosten für die Nutzung wird bei operativen Einkaufsprozessen zugrunde gelegt. (vgl. Piepel/Werner 2007, S.32ff.) Eine weitere verbreitete hybride Organisationsvariante stellt das Materialgruppenmanagement (MGM) dar (vgl. hierzu Kerkhoff/Michalak 2007, S.66ff; Reinelt 2010, S.39ff.). Bei diesem Ansatz übernimmt ein Materialgruppenmanager die Verantwortung über alle strategischen Aufgaben für die Beschaffung einer Materialgruppe. Dieser leitet die Materialgruppenteams, die zeitlich befristet einzelne Themen der Beschaffung im Unternehmen bearbeiten und optimieren (z.B. Standardisierung, Abschluss von Rahmenverträgen, Ausschöpfen von Synergiepotenzialen). Es handelt sich um die Installation einer Projektorganisation mit fest installierten Ansprechpartnern für einzelne Materialgruppen. Die Teams setzen sich aus Bedarfsträgern sowie Mitarbeitern der dezentralen Beschaffungseinheiten zusammen. Daneben wirken Fachexperten aus einkaufsverwandten Funktionen wie Controlling, Produktentwicklung oder Logistik mit, um eine gesamthafte Optimierung der TCO zu ermöglichen. Zur Abstimmung ist eine übergreifende Organisationseinheit notwendig, die von einem temporären MGM-Ausschuss bis hin zu einer zentralen Abteilung reichen kann. Diese besitzt die Rolle eines Lenkungsausschusses, sollte mit Vorstands- bzw. Geschäftsführungsmitgliedern besetzt sein und bei Konflikten die Rolle des Schlichters einnehmen. Das MGM-Kernteam führt die Teilergebnisse der MG-Teams zusammen, koordiniert die Zusammenarbeit und stellt sicher, dass mögliche Synergien realisiert werden (vgl. Abbildung 5-2). In der Praxis ist der Begriff Materialgruppenmanagement für eine solche Vorgehensweise verbreitet. Man findet aber analoge Vorgehensweisen auch unter anderen Bezeichnungen. So wurde Ende der 1990er Jahre der Einkauf der Hoechst AG innerhalb
162
Ausgestaltung der Aufbauorganisation
des Procurement Enhancement Programs (PEP) mit Hilfe so genannter PEP-Teams optimiert. Da auch die SRM-Methode auf einer materialgruppenbezogenen Vorgehensweise basiert, ist diese Organisationslösung gut geeignet für die Implementierung von SRM. Jedes MG-Team kann die Supplier Relations für seine Materialgruppe optimieren.
Abbildung 5-2:
Geschäftsbereichsübergreifende, cross-funktionale Materialgruppen-Teams (Quelle: nach Rüdrich/Kalbfuß/Weißer 2004, S.51) Unternehmensleitung
Organisation/IT
MGM-Ausschuss Controlling Produktentwicklung Logistik…
MGM-Kernteam
MGTeam
Leitung des MGM-Kernteams Mitglied des MG-Teams Leitung des MG-Teams
Ein Beispiel hierfür stellt die Umstrukturierung des Einkaufs der Weidmüller Interface GmbH & Co.KG, einem Anbieter elektronischer Verbindungstechnik, dar. Hier wurden zwei Rollen in der Beschaffungsorganisation etabliert. Zum einen sogenannte Category Manager, die den jeweiligen Produktlinien als Key-Accounts zugeordnet sind und eine aktive Rolle in Innovationsprojekten und die Verantwortung der produktlinienspezifischen Beschaffungsmärkte übernehmen. Zum zweiten wurden Commodity Manager eingeführt, die produktlinien-übergreifenden Bedarfe bündeln sollen. Grundlegende Voraussetzungen für den Erfolg waren einheitliches Auftreten gegenüber Lieferanten, klare Verteilung von Verantwortlichkeiten und die Fixierung von Rechten des Einkaufs (vgl. Gentz et al. 2009, S.38f.). Die auf Dauer angelegte Institutionalisierung des geschäftsbereichsübergreifenden Einkaufs in einer Art Matrixorganisation erfolgt im Rahmen des Lead BuyerKonzeptes (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.126f; Droege & Comp. 1998, S.53f. sowie S.108ff; Jahns 2003g, S.30; Sibbel/Hartmann 2005, S.24f; Kerkhoff/Michalak 2007, S.63ff.). Ein anderer in der Praxis häufig verwendeter Begriff ist der Mandats-Einkauf. Hierbei ist jeweils ein Geschäftsbereich für die gesamtunternehmensweite strategische Beschaffung einer Materialgruppe verantwortlich. Dezentrale Beschaffungseinheiten
163
5.2
5
Strategieimplementierung
übernehmen somit zentrale, strategische Beschaffungsaufgaben für das Gesamtunternehmen bzw. den Konzern. In der Rolle des Lead Buyers befindet sich i.d.R. der Geschäftsbereich mit dem größten Bedarf oder dem größten Produkt- oder Markt-Knowhow bzgl. einer Materialgruppe. Er verhandelt die Bedarfe der anderen Geschäftsbereiche mit, öffnet seine Verträge für diese und veranlasst, dass allen anderen Geschäftsbereichen die gleichen günstigeren Konditionen zur Verfügung stehen. Disziplinarisch untersteht der Lead Buyer dem Geschäftsbereichsleiter, was dazu führen kann, dass die Bereichsinteressen die übergreifenden Interessen dominieren. Eine „zentrale Einheit“, das sogenannte Sourcing Center, ist daher sinnvoll zu Koordinations- und Unterstützungszwecken. Seine Aufgaben liegen in der Definition von gemeinsamen Spielregeln, im Beschaffungscontrolling sowie der Harmonisierung bzw. Betreuung der IT-Systeme. Bei der Verteilung der Verantwortlichkeiten sind im Idealfall alle Einheiten zu berücksichtigen, um etwaigen „Eifersüchteleien“ zwischen den Bereichen entgegen zu wirken. Eine optimale technische Unterstützung des Lead Buyer-Konzeptes kann das in Kapitel 3, Abschnitt 3.5.1 beschriebene Contract Management aus einem SRM-System liefern. Der Lead Buyer hat durch seine alleinige strategische Verantwortung für die Materialgruppe eine ideale Voraussetzung, um eine optimierte Supplier Relation für die Materialgruppe auszugestalten.
Abbildung 5-3:
164
Procurement Trucks and Busses der Daimler AG als Beispiel für das Lead Buyer-Konzept (Quelle: Buchner et al. 2007, S.25)
Umgang mit Mitarbeitern bei der Einführung von SRM
Das Lead Buyer-Konzept findet mittlerweile in der Praxis eine große Verbreitung, da der Implementierungsaufwand vergleichsweise gering ist. Ein Beispiel ist Procurement Trucks and Busses der Daimler AG, deren Beschaffungsstruktur in Abbildung 5-3 dargestellt ist. Auch die Dr. Oetker Nahrungsmittel KG hat in 2009 das Lead Buyer-Konzept eingeführt. Hier stellte sich die besondere Herausforderung 14 sehr autarke Landesorganisationen, die auch die Beschaffung bisher in Eigenregie durchgeführt haben und somit Bündelungspotenziale oft nicht realisieren konnten, in das Konzept zu integrieren. Da die Entscheidungsprozesse im Familienunternehmen Dr. Oetker nach dem Konsensprinzip funktionieren, war für diese Reorganisation besondere Überzeugungsarbeit von Nöten. Bisher arbeitete man in 35 Produktteams zur Abstimmung der Einkaufsaktivitäten zusammen, was aber bei zunehmender Größe immer schwerer zu koordinieren war. Einer stärkeren Zentralisierung standen ganz klar die Vorteile der Nähe zum Beschaffungsmarkt sowie die Profit Center Strukturen in den Landesgesellschaften entgegen. Das neue Konzept sieht 25 Lead Buyer vor, die nochmal zu sechs Clustern zusammengefasst werden. Damit sollen 90% des Beschaffungsvolumens hauptsächlich in den Bereichen Rohstoffe und Verpackung abgedeckt werden. Übergeordnet ist ein Procurement Board, in dem die sechs Lead Coaches der Cluster sitzen und das als Entscheidungsinstanz fungiert. Die Rolle als Lead Coach rolliert im jährlichen Wechsel, so dass auch hier eine breite Einbindung aller Landesgesellschaften sichergestellt ist. Die Lead Buyer stellen i.d.R. die größten Bedarfsträger dar und entwickeln die Materialgruppenstrategie, die dann im Procurement Board verabschiedet wird. Fachlich unterstehen die Lead Buyer dem Procurement Board, disziplinarisch der jeweiligen Landesgesellschaft. Die Aufgabe des Lead Buyers endet mit dem Abschluss eines Rahmenvertrages, die operative Beschaffung findet dezentral an den jeweiligen Standorten statt. Weiterhin ist geplant, die Rolle eines Lead Engineers zu etablieren, um ggf. auch Standardisierungspotentiale bei Materialien übergreifend besser koordinieren zu können.
5.3
Umgang mit Mitarbeitern bei der Einführung von SRM
Die Schaffung von organisatorischen Rahmenbedingungen ist, wie im Grundlagenteil dieses Kapitels bereits erwähnt, ein wichtiger Aspekt der Strategieimplementierung. Veränderungen müssen durch die in ihr agierenden Mitarbeiter mit Leben gefüllt werden. Nur wenn bei den Einkäufern das Wissen, Können und Wollen um eine Veränderung vorhanden ist, funktioniert auch die Einführung von SRM. Unter dem Begriff Change Management wird die Berücksichtigung der psychologisch-personenbezogenen Aspekte in Veränderungsprojekten subsumiert. Dies wird im Rahmen der Ausführungen zum Projektmanagement in Kapitel 8 ausführlicher behandelt.
165
5.3
5
Strategieimplementierung
Ein wichtiger Aspekt ist die Auswahl der passenden Mitarbeiter für eine strategische Neuausrichtung der Beschaffung. Der Begriff Talent Management im Einkauf zielt darauf ab, die erfolgsrelevanten Rollen und Funktionen mit hochqualifizierten Personen zu besetzen. (vgl. Feisel/Hartmann 2007, S.32ff; Hartmann/Feisel 2007, S.32ff.) Das Berufsbild des Einkäufers hat sich maßgeblich gewandelt, die Anforderungen sind mit der Erweiterung der Aufgaben drastisch gestiegen. Eine Studie des Supply Management Institutes (SMI) in Zusammenarbeit mit McKinsey ermittelt, dass qualifizierte Mitarbeiter einen herausragenden Einfluss auf die Einkaufsperformance ausüben (vgl. Feisel/Hartmann 2007, S.34). Im Folgenden werden einige Überlegungen zur Forcierung von Wissen, Können und Wollen bei den Mitarbeitern angestellt bevor auf Kompetenzprofile differenziert nach unterschiedlichen Beschaffungsrollen eingegangen wird.
Wissensvermittlung durch Information und Kommunikation (Wissen) Die Information der Beteiligten und Kommunikation mit den Beteiligten sind wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung jeglicher Neuerungen im Unternehmen. Den Mitarbeitern muss die Notwendigkeit und der Sinn der Neuerung plausibel erläutert werden. Verstehen die Mitarbeiter dies nicht, so entsteht Unsicherheit und Widerstände sind vorprogrammiert. Dies gilt auch in Bezug auf die SRMMethode. Wichtig ist die rechtzeitige Information über Ziele und Nutzen der neuen Lösung. Jeder Mitarbeiter sollte Klarheit darüber erlangen, welche persönlichen Konsequenzen die Veränderungen im Unternehmen für ihn besitzen. Information und Kommunikation ist eine zentrale Aufgabe des Managements. Nur wenn diese Aufgabe auch wahrgenommen wird und das Commitment durch das Top-Management deutlich wird, versprechen die Maßnahmen Erfolg. Information und Kommunikation spielen dabei unter zwei Gesichtspunkten eine Rolle. Neben der Kommunikation mit den Mitarbeitern im Einkauf, deren Aufgabenbereiche sich massiv verändern können, ist auch die Kommunikation des Einkaufs mit den anderen Unternehmenseinheiten zu berücksichtigen. Die Rolle der anderen Unternehmensfunktionen verändert sich vom Bedarfsträger zum internen Kunden. Demgemäß muss sich auch die Rolle des Einkaufs vom Erfüllungsgehilfen zum internen Dienstleister verändern. Denkbar ist sogar die Einführung eines Key-Account Managements im Einkauf (vgl. Jahns 2003e, S.28ff.). Danach wird den wichtigsten internen Kunden ein direkter Ansprechpartner aus der Beschaffungsorganisation zugeordnet, der für eine ganzheitliche Kundenbetreuung verantwortlich ist. Zielsetzung ist es, durch eine frühzeitige und aussagekräftige Kommunikation Konflikte und Reibungsverluste auszuräumen. Daneben ergeben sich auch Vorteile für die inhaltliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit, die qualitativ hochwertiger realisiert werden kann. Letztendlich wird damit eine höhere Kundenzufriedenheit, eine stärkere Kundenbindung und somit eine Aufwertung der Beschaffungsfunktion erreicht. Der Einkäufer entwickelt sich zum „Verkäufer“ der Dienstleistung Beschaffung.
166
Umgang mit Mitarbeitern bei der Einführung von SRM
Qualifizierungsoffensive in der Beschaffung (Können) Nur wenn den Mitarbeitern das notwendige Know-how zum modernen Beschaffungsmanagement an die Hand gegeben wird, können sie SRM auch umsetzen. Gefordert sind neben dem Beherrschen des Handwerkszeugs des strategischen Einkäufers zusätzlich weitere Kompetenzfelder, die abzudecken sind (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.159ff; Droege & Comp 1998, S.182ff; Vlcek 2003, S.204ff; Feisel/Hartmann 2007, S.32ff; Rast 2008, S.183ff.). Um sich auf internationalem Parkett bewegen zu können, sind zum einen Fremdsprachenkenntnisse unabdingbar. Zum anderen ist auch interkulturelle Kompetenz nicht zu vernachlässigen, die gerade für Verhandlungen mit internationalen Partnern das notwenige Fingerspitzengefühl vermittelt. Die hohe Affinität zwischen Einkauf und moderner IT ist in diesem Buch schon häufig betont worden. Der Einkäufer muss hierzu natürlich nicht in die Tiefen der Programmierung von Softwarelösungen hinabsteigen. Gleichwohl benötigt er ein weitgehendes Verständnis über die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von IT-Applikationen. Er muss beispielsweise die Anforderungen des Einkaufs für die Einführung von ERP-Systemen artikulieren können. Er muss SRM-Systeme beurteilen können, um aus der Vielzahl an möglichen Lösungsoptionen die für seine Belange passende Anwendung auszuwählen. Schließlich muss er seinen Informationsbedarf definieren, um aus einem Data Warehouse-System die für seine Entscheidungen relevanten Auswertungen generieren zu lassen. Der moderne Einkäufer benötigt betriebswirtschaftlichen und technischen Sachverstand, um mit den jeweiligen Experten aus Finanzwesen und Controlling einerseits, sowie Produktentwicklung und Produktion andererseits „auf Augenhöhe“ diskutieren zu können. Ferner darf auch eine ausgeprägte Projektmanagementkompetenz nicht vergessen werden, da die Optimierung von Beschaffungsprozessen, aber auch bestimmte Beschaffungsprozesse an sich (Investitionsgütereinkauf, Forward Sourcing) in Form von Projekten durchgeführt werden. Der Einkäufer muss zum „strategisch aufgeklärten Projektmanager“ (Wolff 2004) weiterentwickelt werden. Denn kaum ein anderer Bereich in einem Unternehmen hat so viele Schnittstellen zu anderen Prozessen im Unternehmen, dies gilt sowohl zu internen als auch zu externen Prozessen. Die Akademikerquote im Einkauf ist nach wie vor steigerungswürdig. In einer Untersuchung der Universität Köln ergab sich, dass nur bei ca. 20 % der deutschen Unternehmen mehr als die Hälfte der Einkäufer einen Hochschulabschluss haben (vgl. Müller 2004a, S.56). Die Unternehmen müssen bereit sein, in Eigenverantwortung in die geforderte Qualifikation der Einkäufer zu investieren. Diesbezüglich war der Einkauf über Jahre hinweg in einer stiefmütterlichen Position. Der Schulungsaufwand für Einkäufer in Relation zu Marketingmitarbeitern ließ stark zu wünschen übrig. In der Konsequenz bedeutete dies, dass in Vergabeverhandlungen die Verkäufer häufig besser ausgebildet als ihr Pendant auf der Einkaufsseite und somit in einer überlegenen Position waren (vgl. Rast 2008, S.36 und S.176). Mittlerweile ist zumindest in Großunternehmen ein Umdenkprozess im Gange, indem mehr für die Personalentwicklung der Beschaffungsmitarbeiter getan wird. Viele Unternehmen sind dabei, ein professio-
167
5.3
5
Strategieimplementierung
nelles Kompetenzmanagement in der Beschaffung zu etablieren (vgl. Hartmann/Feisel 2007, S.33). Auch an den Hochschulen findet dieses geforderte Anforderungsprofil für den modernen Einkäufer inzwischen seinen Niederschlag. Spielte früher die Beschaffung in der Hochschulausbildung eine geringe Rolle, so haben sich mittlerweile zumindest im Bereich Logistik verstärkt Angebote herausgebildet, die auch Beschaffungsthemen stärker in den Mittelpunkt rücken. In jüngster Zeit entstehen sogar Lehrstühle, die den Begriff Einkauf explizit in ihrem Namen tragen, z.B. das Supply Management Institute an der European Business School in Wiesbaden. Alles in allem ist die Beschaffung bezüglich der Qualifikation der Mitarbeiter auf einem guten Weg, der jedoch konsequent weiter zu beschreiten ist.
Akzeptanzerzielung bei den betroffenen Mitarbeitern (Wollen) Da Veränderungsprozesse häufig mit Widerständen bei den betroffenen Mitarbeitern einhergehen, besteht eine große Herausforderung in der Akzeptanzsicherung bei den Betroffenen. Dementsprechend sind geeignete Maßnahmen zur Motivation der Mitarbeiter zu ergreifen, die für die Notwendigkeit der Einführung von SRM sensibilisieren. Motivationsmaßnahmen können an der Einstellungs- bzw. Verhaltensakzeptanz der Mitarbeiter ansetzen (vgl. Bach 2002, S.173ff.). Die Einstellungsakzeptanz basiert auf dem generellen Einverständnis bezüglich einer Veränderung und wird durch positive Erfahrungen hervorgerufen. Umgekehrt bedeutet fehlende Einstellungsakzeptanz, dass die Mitarbeiter prinzipiell negativ gegenüber einer Neuerung eingestellt sind. Demgegenüber ist die Verhaltensakzeptanz auf die konkreten Handlungen des Mitarbeiters bezogen. Am Beispiel SRM-System hieße das, bei einer positiven Verhaltensakzeptanz arbeitet der Mitarbeiter mit dem neuen System, bei negativer Ausprägung macht er dies nicht. Akzeptanzsicherungsmaßnahmen können an beiden Akzeptanzkategorien ansetzen, wobei die Beeinflussung der Verhaltensakzeptanz einfacher ist. Die Steigerung der Verhaltensakzeptanz funktioniert häufig über die Verwendung eines intelligenten Anreizsystems (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.178ff; Jahns 2003h, S.28ff.). Ein Anreizsystem muss die Mitarbeiter zur Erreichung der definierten Ziele motivieren. Abgeleitet aus den strategischen Zielen der Beschaffung werden mit den Mitarbeitern zum Jahresbeginn individuelle Ziele vereinbart. Diese Ziele sollten ambitioniert, aber nicht unerreichbar sein. Ferner sollte eine direkte Verknüpfung mit dem Aufgabengebiet des Mitarbeiters erfolgen und die Messung der Zielerreichung für alle Beteiligten eine hohe Transparenz aufweisen. Abhängig von der Zielereichung, die am Jahresende festgestellt wird, erfolgt dann die Belohnung des Mitarbeiters, z.B. in Form von variablen Gehaltsbestandteilen, Dienstwagen o.ä.. Hiermit kann eine Verhaltensänderung beim Mitarbeiter erreicht werden, eine positive Einstellung ergibt sich jedoch noch nicht ohne Weiteres. Hierfür notwendig sind von allen Mitarbeitern geteilte und akzeptierte Werte- und Zielsysteme.
168
Umgang mit Mitarbeitern bei der Einführung von SRM
Rollenmodelle und Kompetenzprofile in der Beschaffung Rollenmodelle und Kompetenzprofile sind aktuell stark in der Praxis des modernen Personalmanagements verwendete Instrumente (vgl. Schumacher et al. 2008, S.161ff; Kerkhoff/ Michalak 2007, S.133 ff.). Um eine genau auf die jeweilige Aufgabenstellung zugeschnittene Qualifikation der Mitarbeiter zu gewährleisten, liefern sie einen wichtigen Beitrag. Eine Rolle ist definiert als ein auf den Inhaber einer Position gerichtetes Bündel von Verhaltenserwartungen durch mehrere Bezugspersonen (vgl. Henecka 2000, S.87). Bezogen auf eine Rolle lassen sich auch Kompetenzanforderungen definieren, die sich in verschiedene Teilkompetenzen unterteilen lassen. Es entstehen sog. Kompetenzprofile, mit deren Hilfe zum einen die geforderten Kompetenzen einer bestimmten Rolle im Unternehmen ermittelt werden können (Soll-Profil). Zum anderen lassen sich die Ist-Profile erstellen, so dass sich aus der Differenz entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen ableiten lassen (vgl. Schuhmacher et al. 2008, S.163ff.). Im Rahmen einer empirischen Untersuchung an der FH-Münster wurde zunächst ein beschaffungsspezifisches Kompetenzprofil mit den Kategorien Einkaufskompetenz, Managementkompetenz und Selbstmanagementkompetenz entwickelt. Im zweiten Schritt identifizierte die Studie vier in der Praxis besonders relevante Beschaffungsrollen: Global buyer, Local buyer, Project buyer und Lead buyer. Im dritten Schritt wurden dann Sollprofile für die vier Beschaffungsrollen herausgearbeitet. Exemplarisch zeigt die Abbildung 5-4 das Soll-Profil eines Project buyers, wobei die 1 für eine niedrige und die 5 für eine hohe Ausprägung stehen.
169
5.3
5
Strategieimplementierung
Abbildung 5-4:
Soll-Kompetenzprofil eines Project buyer (Quelle: Bolz et al. 2009, S.16)
Es wird deutlich, dass beispielsweise die Management- und Selbstmanagementthemen viel höher ausgeprägt sein sollten als die beispielsweise bei einem lokalen Einkäufer der Fall ist. (vgl. zu den detaillierten Ergebnissen der Studie Bolz et al. 2009) Wie sehen nun die neuen Mitarbeiter in der Beschaffung aus? Vielfalt ist gefordert. Generalisten und Spezialisten bzw. erfahrene und hungrige, entwicklungsfähige Mitarbeiter sollten gleichermaßen Berücksichtigung finden. Unterschiedliche Beschaffungsstrategien erfordern ggf. auch unterschiedliche Persönlichkeiten bei den Mitarbeitern. Der „harte Verhandler“ ist eher beim Einkauf von Standard- und Hebelmaterial gefordert. Kreativität und Innovationsfähigkeit hingegen sind wichtige Eigenschaften in der Beschaffung strategischer Materialien (vgl. Jahns 2003h, S.29). Insgesamt ist die richtige Mischung wünschenswert, um den vielschichtigen Anforderungen des modernen Beschaffungsmanagements gerecht zu werden.
170
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
5.4
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
5.4.1
Aufgaben des strategischen Beschaffungscontrollings
In Kapitel 3 wurde im Rahmen der Zielbildung bereits kurz auf die Notwendigkeit eines aussagekräftigen Controlling-Instrumentariums verwiesen. Es handelt sich hierbei um einen wichtigen Baustein, der für eine erfolgreiche Strategieimplementierung unabdingbar ist. Unter Beschaffungscontrolling ist die informationelle Sicherstellung einer ergebnisorientierten Planung, Steuerung und Kontrolle von Zielen und Maßnahmen der Beschaffung eines Unternehmens zu verstehen. Die wichtigsten Aufgaben des Beschaffungscontrollings sind (vgl. ähnlich Boutellier/Locker 1998, S.189; Droege & Comp 1998, S.171ff; Eichler 2003, S.309ff; Schild 2005, S.24ff.):
Unterstützung bei der Erarbeitung der strategischen und operativen Ziele für den Einkauf in Abstimmung mit den Unternehmenszielen
Entwicklung und Einführung von Methoden und Instrumenten zur Effizienzbeurteilung des Einkaufs sowie die Definition von geeigneten Bezugsgrößen, anhand derer Leistungen gemessen werden können
Kontrolle der Zielerreichung auf der Basis der Zielplanung, Erstellung von Abweichungsanalysen und Einleiten von Gegenmaßnahmen
Aufbau von Informations- und Kennzahlensystemen zur Früherkennung von Entwicklungstrends und zur Ausschöpfung der Optimierungspotenziale im Einkauf
Aufbereiten und Verteilen der relevanten Beschaffungsinformationen entsprechend den Anforderungen der Empfänger im Unternehmen Diese Aufgaben werden in der Praxis häufig unzureichend wahrgenommen. Gerade in KMU sind die Unternehmen noch dabei, ein BeschaffungscontrollingInstrumentarium zu etablieren. Hauptschwachstellen sind die mangelhafte Verzahnung mit der Gesamtunternehmenssteuerung, das Fehlen aussagefähiger Kennzahlensysteme und die einseitige Ausrichtung auf Preisreduzierungen. Im Vordergrund der folgenden Ausführungen steht die strategische Sicht des Beschaffungscontrollings. Einige der hier behandelten Inhalte, wie z. B. Kennzahlen, sind jedoch auch für das operative Controlling auf kurzfristiger Basis im Tagesgeschäft herunter zu brechen. Zwei Aspekte des strategischen Beschaffungscontrollings sind für die Umsetzung der SRM-Methode besonders zu betonen. Zum einen hat strategisches Beschaffungscontrolling die Aufgabe, die Umsetzung der Gesamtbeschaffungsstrategie zu begleiten,
171
5.4
5
Strategieimplementierung
indem Messgrößen zur Feststellung des Umsetzungsgrades definiert, diese erhoben und ggf. Maßnahmen zur Gegensteuerung vorgeschlagen werden. Zum anderen sind Vorgaben zu machen bzw. Instrumente bereitzustellen, damit auch auf den Ebenen der Materialgruppenstrategie bzw. der operativen Beschaffungsprozesse der Erfolg der SRM-Aktivitäten transparent abgebildet werden kann. In neueren Veröffentlichungen werden für diese Thematik auch die Begriffe Financial Supply Management bzw. Financial Supply Management verwendet, die Beschaffungscontrolling als Unterpunkt neben Planung, Risikomanagement oder Leistungsmessung verstehen (vgl. exemplarisch Henke/Jahns 2007,S.26ff; BrainNet 2008; Rast 2008, S.137ff; Henke 2009, S.22f.). Durch diese Begriffsverwendung soll die finanzorientierte Sichtweise des Einkaufs besonders hervorgehoben werden. Der Relevanz dieser Sichtweise wird hier nicht widersprochen, dies kann aber auch unter der Thematik Beschaffungscontrolling subsumiert werden. Aus der Sicht der Unternehmensleitung steht bezüglich des Erfolgs von SRM die Frage im Vordergrund: Welche Auswirkungen hat die Optimierung der Supplier Relations auf das Unternehmensergebnis? Mit anderen Worten: Wie lässt sich der Beschaffungserfolg möglichst aussagekräftig und transparent darstellen? Zum Teil schlagen sich Optimierungsmaßnahmen unmittelbar im Unternehmensergebnis nieder, zum Teil wirken sie sich aber auch nicht in direkt messbaren, monetären Einsparungen aus. Prozessvereinfachungen beispielsweise sind nur dann direkt ergebniswirksam, wenn sie mit entsprechender Personalreduzierung verbunden sind. Andere Maßnahmen sind u.U. rein qualitativer Natur, z.B. die Entwicklung von Lieferanten, und lassen sich zumindest kurzfristig nur sehr schwer monetär bewerten. Versucht man die Ergebniswirkungen von Beschaffungsaktivitäten näher zu beleuchten, bietet es sich an, den Einfluss auf den Return on Investment (ROI) zu untersuchen. Abbildung 5-5 zeigt die vier Hebel, über die der Einkauf den ROI beeinflussen kann. Diese werden in den Folgeabschnitten näher beleuchtet (vgl. Espich 2003, S.39ff.).
172
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
Abbildung 5-5:
Einfluss der Beschaffung auf den ROI (Quelle: nach Espich 2003, S.39) Materialaufwand Erträge Betriebsergebnis
Aufwendungen
Aufwand für Dienstleistungen Personal- und Sachaufwendun gen im Einkauf
Reduzierung der Prozesskosten
Umlaufvermögen
Vorräte
Reduzierung der Bestände
Anlagevermögen
Verbindlich keiten
Reduzierung der Verbindlichkeiten
Return on Investment
Kapitaleinsatz
Reduzierung der Einstandspreise
Durch die Beschaffung beeinflussbar
5.4.2
Messung des monetären Beschaffungserfolgs
Unter Beschaffungserfolg kann die Reduzierung der Kosten der Beschaffung (Einstandspreise und Prozesskosten) sowie die Steigerung der Leistung der Beschaffung verstanden werden. Die Erfolgsmessung bezüglich der Einstandspreise hängt dabei von zahlreichen Einflussfaktoren ab, die eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse häufig beeinträchtigen. Zu nennen wären exemplarisch die Branchensituation (z.B. Einzel- vs. Serienfertigung) oder auch der Betrachtungszeitraum (kurz- vs. langfristige Betrachtung). Oft wird in Unternehmen als rein kurzfristiger Indikator die Senkung der Materialkosten zwischen zwei Perioden herangezogen. Die Problematik bezüglich der Reduzierung bei den Einstandspreisen (Savings) ist, dass nicht jede Preisreduzierung einen Einkaufserfolg darstellt und nicht jeder Einkaufserfolg auch positive Ergebniswirkungen zeigen muss (vgl. zu der Problematik Leistungsmessung in der Beschaffung Buchholz 2002a, S.363ff; Wagner/Weber 2007, S.17ff; Jahns et al. 2007, S.28ff.). Drei grundlegende Unterscheidungen sind in Bezug auf die Einsparungen bei den Einstandspreisen zu treffen:
Einmal- vs. Wiederholbedarf Diese Unterscheidung ist wichtig, da Einmalbedarf auch nur zu einer einmaligen Einsparung führt. Hier handelt es sich um Materialien, für die in den letzten zwölf
173
5.4
5
Strategieimplementierung
Monaten kein Bezug stattgefunden hat oder um komplexe Projekte, die sich nicht in vergleichbare bzw. einzelne Leistungseinheiten herunter brechen lassen und die als Gesamtvorgang einmalig beschafft werden. Demgegenüber führt Wiederholbedarf bis zum Abschluss einer neuen Preisvereinbarung zu einer langfristigen, mehrperiodischen Einsparung. Für diese Materialien bestand typischerweise in den letzten zwölf Monaten ein Rahmenvertrag, auf den abgerufen wurde. Bei der Abwicklung von Projekten kann es sich ebenfalls um Wiederholbedarf handeln, wenn es sich bei den Einzelkomponenten des Projekts um Wiederholteile handelt. Der größte Teil des Beschaffungsvolumens ist Wiederholbedarf, da i.d.R. vergleichbare Materialien bzw. Dienstleistungen auch in der Vergangenheit bereits beschafft wurden.
Beschaffungsergebnis vs. Beschaffungsleistung Bei dieser Unterscheidung geht es darum zwischen einer tatsächlichen Kostenreduzierung (harter Beschaffungserfolg), die im Unternehmensergebnis abzulesen ist, und einer Kostenvermeidung (weicher Beschaffungserfolg) zu unterscheiden. Eine Kostenvermeidung ist dabei als Leistung des Einkaufs zu bewerten, stellt aber keine Verbesserung des Unternehmensergebnisses dar (vgl. Rüdrich/Kalbfuß/Weißer 2004, S.80ff; Wagner/Weber 2007, S.23ff; ähnlich auch Espich, der zwischen Materialpreisveränderung und Materialkostenproduktivität unterscheidet, vgl. 2003, S.41). Das Beschaffungsergebnis bewertet eine Einkaufsmaßnahme, die zu einer Veränderung der Ausgaben gegenüber der Vorperiode bzw. gegenüber dem geplanten Budget geführt hat (Kostenreduzierung). Bei Wiederholbedarf ermittelt sich das Beschaffungsergebnis im Periodenvergleich aus der Differenz zwischen altem Preis und dem Vergabepreis. Bei Einmalbedarf handelt es sich um die Differenz zwischen Budget und Vergabepreis. Die Beschaffungsleistung ist die Leistung des Einkaufs, die zwar zu einer tatsächlichen Reduzierung der Ausgaben, aber nicht zwangsläufig zu einer Preissenkung gegenüber der Vorperiode bzw. gegenüber dem Budget geführt hat (Kostenvermeidung). Bei Wiederholbedarf sind hier verschiedene Fälle zu differenzieren. Im ersten Fall kann das niedrigste Angebot kleiner als der alte Preis sein. Bei einer eher positiven Interpretation für den Einkauf resultiert die Beschaffungsleistung aus der Differenz zwischen altem Preis und Vergabepreis. Hier würde z.B. das Finden neuer Lieferanten gewürdigt, was zu günstigeren Angeboten geführt hat. Ist der niedrigere Angebotspreis durch gesunkene Marktpreise hervorgerufen, ist der Vergleich zwischen Marktpreisniveau und Vergabepreis die eigentlich gerechtfertigtere Bewertung. Für den Fall, dass der niedrigste Angebotspreis höher als der alte Preis ist, errechnet sich die Einkaufsleistung aus der Differenz zwischen niedrigstem Angebotspreis und Vergabepreis. Dieser Fall tritt beispielsweise bei gestiegenen Marktpreisen ein. Hier kann es trotz eines negativen Beschaffungsergebnisses zu einer positiven Beschaffungsleistung kommen. Dies ist beispielsweise gerechtfertigt, wenn es dem Einkäufer gelingt eine Preissteigerung von 10 % unterhalb der Marktpreissteigerung von 20 % zu realisieren (vgl. Abbildung 5-6). Umgekehrt kann eine ergebniswirksame Einsparung über die schon angesprochenen sinkenden Marktpreise hervorgerufen
174
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
werden. Sinkt der Marktpreis sogar stärker als die realisierte Preisreduzierung des Unternehmens, wird dann zwar eine Einsparung (Ergebnisverbesserung) erzielt, die jedoch nicht als Einkaufsleistung einzustufen ist, da der Einkäufer in Relation zum Marktpreis zu teuer eingekauft hat.
Abbildung 5-6:
Niedrigster Angebotspreis > Alter Preis 120
10 110
B-Ergebnis
100 Alter Preis
B-Leistung
Niedrigster Angebotspreis
Vergabepreis
-10
Handelt es sich um einen Einmalbedarf greift der Angebotsvergleich. Die Beschaffungsleistung ergibt sich durch die Differenz zwischen dem günstigsten Angebot verschiedener Anbieter vor Verhandlungen und dem tatsächlich zu zahlenden Preis nach Verhandlungen. Als ergebniswirksam kann dies klassifiziert werden, falls dieses günstigste Angebot bereits in der Budgetplanung mit aufgenommen war. Der Angebotsvergleich bietet sich insbesondere für den Investitionsgütereinkauf an.
Realized Savings vs. Savings Forecast Hinsichtlich des Realisierungsgrades ist zu unterscheiden zwischen dem Savings Forecast, der sich auf geplante zu beschaffende Mengen bezieht, sowie den Realized Savings, die auf der Basis der tatsächlich bestellten Mengen errechnet werden (vgl. Schoddel/Krentscher 2004, S.29). Bereits im Savings Forecast wird, beispielsweise über die geplanten Mengen in einem neu abgeschlossenen Rahmenvertrag, ein Einkaufserfolg sichtbar. Ergebniswirksame Einsparungen ergeben sich jedoch erst durch die Realized Savings. Wichtig sind in jedem Fall unternehmensweit einheitlich definierte Spielregeln darüber, was unter dem monetären Beschaffungserfolg bzw. einer Einsparung zu verstehen und wie diese zu ermitteln ist. Die Definition dieser Spielregeln ist eine wichtige
175
5.4
5
Strategieimplementierung
Aufgabe des strategischen Beschaffungscontrollings (vgl. Schoddel/Krentscher 2004, S.28). Problematisch ist häufig, aussagekräftige Marktpreise, die für einen Vergleich sinnvoll sind, zu finden (vgl. zur Problematik des Marktpreisvergleichs Buchholz 2002a, S.372ff.). Bei Commodities lassen sich einfacher Marktindices identifizieren als bei spezifischeren Materialien. Existiert kein passender Index, muss das Unternehmen ggf. einen passenden Index über einen Warenkorb generieren. Denkbar ist auch der Vergleich mit der Preisentwicklung auf dem Absatzmarkt. Als Kennzahl bietet sich an: p = Preisreduktion der eigenen Produkte am Markt / Reduktion der Einstandspreise. Ist p < 1, haben die Lieferanten ihre Preise stärker reduziert als die Preisreduzierung, die sich am Absatzmarkt darstellt. Ist p > 1, konnte der Druck der Kunden nur teilweise an die Lieferanten weitergegeben werden. Gerade bei den SRM-Maßnahmen geht es im Wesentlichen um die Verbesserung der Effizienz der strategischen und operativen Beschaffungsprozesse. Damit verbunden ist die Zielsetzung einer Reduzierung der Prozesskosten. Die bedeutet nicht zwingend ein Abbau von Personal, sondern kann zu einem effektiveren Einsatz des Personals in anderen Bereichen führen. Eine genaue Darstellung von Prozesskosteneinsparungen gelingt nur mit Hilfe einer Prozesskostenrechnung. Dabei sind für die Aktivitäten innerhalb eines Prozesses die Kostentreiber zu identifizieren. Die Einzelaktivitäten werden mit Kostensätzen bewertet, über die dann die Kosten des Gesamtprozesses dargestellt werden können (vgl. Boutellier/Locker 1998, S.197ff.). Verwendet ein Unternehmen das Instrumentarium der Prozesskostenrechnung, so lassen sich auch die Kostenwirkungen von Prozessverbesserungen transparent machen. Die Prozesskostenrechnung wird bisher, insbesondere wegen des hohen Aufwands ihrer Einführung, nicht häufig genutzt. Aus diesem Grund werden zur Darstellung von Prozessverbesserungen in der Unternehmenspraxis eher nicht-monetäre Kenngrößen verwendet, die auch als Key Performance Indicators (KPI) bezeichnet werden (vgl. Voegele 2004). Beispielkennzahlen für die Effizienzmessung bei den operativen Beschaffungsprozessen sind die durchschnittliche Wiederbeschaffungszeit, die Fehlerhäufigkeit oder der Zeitaufwand pro Bestellung (vgl. hierzu auch Abschnitt 5.4.4).
5.4.3
Working Capital Management
Die beiden weiteren Hebel, mit denen die Beschaffung das Unternehmensergebnis beeinflussen kann, (Bestände und Verbindlichkeiten) lassen sich unter dem Oberbegriff Working Capital Management subsumieren (vgl. Abbildung 5-5). Auch das Forderungsmanagement gehört dazu, hier ist jedoch die Beschaffung i.d.R. nicht involviert. Die Zusammenhänge lassen sich an der Abbildung 5-7 zeigen, in der vier Kenngrößen abgebildet werden (vgl. Rast 2008, S.139f; Rüffer 2009, S.26f.).
176
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
Abbildung 5-7:
Bestellung
Cash-to-cash-cycle (Quelle: ähnlich Rast 2008, S.140)
Wareneingang
Verkauf der Ware und Rechnungsstellung
Days Inventory Held
Zahlungseingang
Days Sales Outstanding
Days Payable Qutstanding
Days In Receivables
Bezahlung der Vorprodukte
t
Erwarteter Zahlungseingang
Days Working Capital, Cash to-cash Cycle Operating Cycle
Die Außenstandstage beim Lieferanten (Days Payable Outstanding, DPO) beschreiben den Zeitraum zwischen dem Wareneingang der Vorleistungen und der Begleichung der Eingangsrechnung.
Die Lagerdauer (Days Inventory Held, DIH) gibt Auskunft über den Zeitraum vom Wareneingang der Vorprodukte bis zum Warenausgang der Endprodukte.
Der Zahlungsausstand beim Käufer (Days Sales Outstanding, DSO) misst den Zeitraum zwischen Rechnungsstellung bzw. dem Warenausgang an den Kunden und dem Zahlungseingang im eigenen Unternehmen. Days In Receivables misst beim Warenverkauf auf Ziel, den Zeitraum bis zum erwarteten Zahlungseingang.
Die Summe aus Lagerdauer und Zahlungsausstand wird als Operating Cycle bezeichnet.
Schließlich zeigt die Größe Days Working Capital (DWC) bzw. Cash-to-cash Cycle den Zeitraum zwischen der Bezahlung einer Rechnung beim Lieferanten bis zur Begleichung der Rechnung durch den nachgelagerten Käufer. Diese Größe beschreibt die Dauer der Kapitalbindung im gesamten Leistungserstellungsprozess von der Beschaffung über die Produktion bis zum Absatz und verdichtet die drei vorangegangenen Kennzahlen zu einer Kennzahl (DWC = DIH + DSO – DPO). Hierüber lässt sich ermitteln, wie lange Finanzmittel in den Kauf von Vorprodukten gebunden sind und nicht verzinst werden können, bevor sie wieder zurückfließen. Best Practice-Handelsunternehmen im Bereich Fast Moving Consumer
177
5.4
5
Strategieimplementierung
Goods wie Aldi oder Lidl schaffen es, sich durch Außenstände beim Lieferanten zu finanzieren, indem sie die Waren schneller verkauft haben als sie Lieferantenkredite bezahlen. Im Folgenden werden die drei Optimierungshebel des Working Capital etwas genauer beleuchtet:
Management der Verbindlichkeiten (Accounts Payable, Purchase-to-pay-Prozess): Die Zielsetzung ist hier die Zahlungsziele mit den Lieferanten, d.h. die Days Payables Outstanding zu verlängern. Je später das Unternehmen die Rechnung begleicht, umso höher ist die eigene Liquidität und das in den Vorprodukten gebundene Kapital wird reduziert. Gelingt es mit den Lieferanten eine Konsignationsabwicklung zu vereinbaren, d.h. die Bezahlung der Vorprodukte erfolgt nicht bei Lieferung sondern erst bei Verwendung in der Produktion, hat dies einen verlängernden Effekt auf die DPO. Ggf. wird der positive Effekt des „Skonto-Ziehens“ bei früher Rechnungsbegleichung durch Liquiditätseinbußen überkompensiert. Mit diesem Thema haben sich in den letzten Jahren viele Unternehmen auseinandergesetzt, wobei häufig auch eine Vereinheitlichung und Vereinfachung der Zahlungsbedingungen intendiert wurde. Kritisch zu sehen ist, dass gerade bei kleineren Lieferanten eine zeitnahe Rechnungsbegleichung oft überlebensnotwendig ist und dass der Lieferant die entgangene Liquidität sich durch versteckte Preiserhöhungen wieder zurückholen könnte. Hier bietet sich eine gemeinsame Optimierung der Liquiditätsströme nach dem Motto an: Derjenige Partner, der am „flüssigsten“ ist, trägt die größte Last (vgl. Protopappa-Sieke/Schimke 2010, S.22f.).
Management der Bestände (Inventory Held, Forecast-to-fulfill-Prozess): Die Bestände und damit die Days Inventory Held sind zu reduzieren, um damit auch das in Beständen gebundene Kapital zu vermindern, wodurch sich die Rentabilität steigern lässt. Optimierte operative Beschaffungsprozesse für direkte Materialien wie die produktionssynchrone Beschaffung haben hier ihre Wirkungsschwerpunkte (vgl. Kapitel 7). Weitere Maßnahmen sind die bessere Abstimmung von Absatzund Produktionsplanung oder die Standardisierung von Materialien. Das Bestandscontrolling lässt sich dadurch operationalisieren, indem pro Materialgruppe die Summe aus Kapitalkosten, Fehlmengenkosten und Zusatzkosten, z.B. durch Eillieferungen, betrachtet und über die Auswahl des am besten geeigneten Beschaffungsmodells minimiert wird. Allerdings sind auch hier nicht-monetäre Kennzahlen wie Umschlagshäufigkeiten, Bestandsreichweiten oder Abrufschwankungen zu berücksichtigende Steuerungsgrößen.
Management der Forderungen (Accounts Receivable, Order-to-cash-Prozess): Der Order-to-cash-Prozess, d.h. die Days Sales Outstanding sollen verringert werden. Je schneller der Kunde seine Rechnung bezahlt, desto geringer ist das in Kundenaußenständen gebundene Kapital und umso höher ist die Liquidität für das Unternehmen. Optimierungsmaßnahmen sind die zeitnahe Fakturierung durch zügige Rechungserstellung und kurze Zahlungsziele, die Festlegung von Finanz- und
178
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
Kreditrichtlinien, die Optimierung von Zahlungsvorgängen durch Nutzung des Lastschriftverfahrens oder auch die Rückgewinnung von gebundenem Kapital durch Factoring, d.h. den Verkauf von Forderungen. Kritisch ist anzumerken, dass die unternehmensbezogene Working CapitalReduzierung u.U. negative Auswirkungen auf die gesamte Supply Chain haben kann. Ziel sollte daher die unternehmensübergreifende Working Capital-Optimierung entlang der gesamten Lieferkette sein (vgl. Henke/Pohl 2009, S.37f; ProtopappaSieke/Schimke 2010, S.22f.). So hat BMW in der Wirtschaftskrise die vereinbarten Vorprodukte eines Lieferanten von Spezialkomponenten über einen längeren Zeitraum abgenommen, obwohl der Bedarf aktuell nicht mehr gegeben war. Ziel war die Stabilisierung der Supply Chain, um insbesondere den mittelständischen Zulieferer mit Spezial-Know-how in Bezug auf Umsatz und Ergebnis in schwierigen Zeiten zu stützen. Dem Lieferanten wurde so die Möglichkeit gegeben, in der Konjunkturkrise 2009 seine Absatzziele zu erfüllen, mit der Maßgabe sich nach der Abnahme der geplanten Life-Cycle-Mengen der Komponenten alternative Absatzquellen erschlossen zu haben. BMW hat damit das Absatzrisiko in der Krise übernommen und die Spezialkomponenten für die zukünftige Produktion gelagert.
5.4.4
Kennzahlen in der Beschaffung
„Kennzahlen geben quantitativ messbare Tatbestände sowie Zusammenhänge in verdichteter Form wieder und können im Rahmen des Beschaffungscontrollings zu Planungs-, Steuerungs- und Kontrollzwecken eingesetzt werden.“ (Wagner/Weber 2007, S.11) Zu unterscheiden sind zum einen Ergebniskennzahlen, die den Zielerreichungsgrad bzw. die Wirkungen von getätigten Maßnahmen im Sinne von Spätindikatoren anzeigen. Zum anderen unterscheidet man Leistungstreiber, die als Früherkennungsindikatoren die Ergebnisursachen identifizieren sollen (vgl. Schulte i.d.B. 2009, S.54). Eine wichtige Anforderung an Kennzahlen ist die Verwendbarkeit, d.h. bildet sie den zu steuernden Sachverhalt auch gut ab, ist der Zusammenhang zum zu messenden Ziel erkennbar und ist sie für den Nutzer verständlich. Der Aufwand der Erzeugung von Kennzahlen muss sich im Rahmen halten. Im Idealfall lässt sie sich aus dem vorhandenen IT-System generieren (Verfügbarkeit). Schließlich sollten Kennzahlen so genau definiert sein, dass Vergleiche mit andere Unternehmensbereichen oder sogar anderen Unternehmen im Sinne eines Benchmarking möglich sind (Vergleichbarkeit). Im Folgenden werden einige wichtige Kennzahlen zur Messung der Einkaufsleistung dargestellt (vgl. hierzu Wagner/Weber 2007, S.11ff; Panzer/Steg 2007, S.62f; Schild 2008, S.18f; Koppelmann et al. 2008, S.22f; BME 2008; Shao et al. 2008, S.26ff; Mielke 2009, S.42ff.):
179
5.4
5
Strategieimplementierung
Preise/Kosten: - Beschaffungsvolumen nach Materialgruppen und Standorten - Absolute bzw. relative Einsparungen/Savings (vgl. hierzu Abschnitt 5.4.2) - Materialkostenveränderung: Materialkosten eines Teils im Vergleich zur Vorperiode - Beschaffungsvolumen pro Einkaufsmitarbeiter - Durchschnittliches Beschaffungsvolumen pro Bestellung
Prozesse: - Beschaffungsprozesskosten - Beschaffungsbudget / Beschaffungsvolumen - Umfang des über elektronische Kataloge abgewickelten Beschaffungsvolumens - Umfang des über e-Auktionen bzw. e-Ausschreibungen abgewickelten Beschaffungsvolumens - Durchlaufzeit des Demand-to-Pay-Prozesses - Cash-out-Quote: Rechnungseingangswerte, die nicht über den Einkauf gelaufen sind - Rahmenvertragsquote: Anteil des über Rahmenverträge abgewickelten Beschaffungsvolumens
Qualität und Verfügbarkeit: - Fehlerquote: Anteil der fehlerhaften Teile - Lieferzuverlässigkeit: Anteil der zeit- und mengengerecht erfüllten Bestellungen - Lieferfähigkeit: Anteil der Übereinstimmungen zwischen gewünschtem und bestätigtem Liefertermin - Lieferzeit: Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Auftragserteilung (Bestellauslösung) und Bereitstellung der Ware durch den Lieferanten
Bestände: - Bestandsmenge und –wert - Lagerreichweite: Zeitraum, in welchem Vorräte bei einer durchschnittlichen Lagerabgangsrate aufgebraucht sind - Umschlagshäufigkeit: Häufigkeit, wie oft der durchschnittliche Lagerbestand eines Materials in einer Periode komplett ersetzt wurde - Sicherheitsbestand: Bestand, der nicht unterschritten werden darf, um die Betriebsbereitschaft aufrecht zu erhalten
180
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
- Anteil ungängiger Materialien
Lieferanten: - Anzahl der aktiven Lieferanten (Gesamtunternehmen, pro Materialgruppe) - Höhe und prozentualer Anteil des Beschaffungsvolumens je Lieferant (Lieferanten einer Region, Vorzugslieferanten, Materialgruppen) - Anzahl über EDI angebundener Lieferanten - Lieferantenabhängigkeit: Anteil Lieferantenumsatz am Gesamtumsatz Im Idealfall werden die Kennzahlen in einem Kennzahlensystem zusammengeführt, das die Einzelkennzahlen sinnvoll kombiniert. Die Procurement-Balanced Scorecard stellt beispielsweise ein solches, strategiebasiertes Kennzahlensystem dar.
5.4.5
Procurement-Balanced Scorecard
Zur Unterstützung der Strategieimplementierung kann die schon angesprochene Procurement-Balanced Scorecard (BSC) wertvolle Dienste leisten (vgl. Buchholz/Roos 2002, S.54ff; Engelhardt 2003, S.411ff; Jahns 2004a, S.27ff. und 2004b, S.278ff; Aich/Fiedler 2004, S.41ff; Germer/Wintermantel 2005, S.22f; Kaufmann/Germer 2006, S.28f; Hess 2008, S.103ff; Sievers/Fröhlich 2010, S.30f.). Deren Grundidee ist es, die strategischen Ziele der Beschaffung mit wenigen aussagefähigen Kennzahlen zu hinterlegen. Für diese Kennzahlen werden dann zu erreichende Ausprägungen im Sinne einer Messlatte festgelegt. Schließlich sind geeignete Maßnahmen zu definieren, die bei unzureichender Zielerreichung zu ergreifen sind. Die Verwendung einer BSC ermöglicht eine kontinuierliche Messung und Verfolgung der definierten, strategischen Ziele. Es sollen hierfür nicht nur finanzielle Steuerungsgrößen verwendet werden. Die Leistung des Einkaufs ist als Gleichgewicht („Balance“) aus verschiedenen Perspektiven auf einer übersichtlichen Anzeigetafel („Scorecard“) abzubilden. Die BSC verarbeitet zum einen monetäre und nicht-monetäre Kennzahlen, zum anderen kombiniert sie die schon angesprochenen nachlaufende Zielgrößen (Ergebniskennzahlen, Spätindikatoren) mit vorlaufenden Indikatoren (Leistungstreiber, Frühindikatoren) und kann somit auch als Früherkennungssystem genutzt werden. In der auf die Steuerung von Gesamtunternehmen zugeschnittenen Ursprungsvariante werden finanzielle Zielsetzungen (finanzielle Perspektive) mit den Leistungsperspektiven bezüglich Kunden, interner Prozesse sowie Mitarbeitern verbunden. Für den Einkauf sind diese Perspektiven natürlich zu modifizieren. Zunächst wird augenscheinlich, dass es schwierig ist für die Beschaffung finanzielle Ziele zu definieren. Die Bezeichnung Wertperspektive passt hier besser als finanzielle Perspektive, da im Einkauf ja kein Geld verdient, sondern eingespart wird. Der Wertbeitrag der Beschaffung lässt sich durch die erzielten Einsparungen (Savings) darstellen. Die Ermittlung von Einkaufseinsparungen ist ein umstrittenes Thema, auf das weiter unten noch ausführ-
181
5.4
5
Strategieimplementierung
licher eingegangen wird. Bei der Kundenperspektive geht es um die Beziehung zu den Geschäftsbereichen und Fachabteilungen, den internen Kunden des Einkaufs. Eine hohe Qualität in der Beschaffung und damit verbunden eine hohe Kundenzufriedenheit sind die hier verfolgten Ziele. Die Prozessperspektive spielt in der Procurement-BSC eine besonders wichtige Rolle. Darzustellen ist an dieser Stelle die Effizienz der Beschaffungsprozesse, die auch im Mittelpunkt von SRM stehen. Mögliche Messgrößen sind das Beschaffungsbudget in Relation zum Beschaffungsvolumen oder das Beschaffungsbudget in Relation zum Gesamtunternehmensbudget. Als Vergleichswerte lassen sich hierfür Branchenbenchmarks heranziehen (vgl. zum EinkaufsBenchmarking Dorloff/Möller 2001, S.40ff; Hanussek/Lebelt 2004, S.33ff.). Gerade für SRM ist die Reduzierung des am Einkauf vorbeilaufenden Beschaffungsvolumens, des sogenannten „Maverick-Buying“, eine bedeutsame Zielsetzung. Nutzbare Kennzahlen sind hierfür die Rahmenvertragsquote - ein Benchmark liegt bei 70% des Beschaffungsvolumens (vgl. Hanussek/Lebelt 2004, S.34) - oder das abgewickelte Beschaffungsvolumen über elektronische Kataloge. Bezüglich der Mitarbeiterperspektive ergeben sich für die BSC im Einkauf ähnliche Probleme wie bei der klassischen BSC. Sinnvolle und messbare Kenngrößen für Mitarbeiterqualifikation und -motivation sind nicht ohne Weiteres zu ermitteln. Für den modernen Einkauf sind in Bezug auf Qualifikation der Mitarbeiter insbesondere Sprachen und IT-Kenntnisse relevant. Gemessen werden kann das beispielsweise über die Schulungszeit pro Mitarbeiter. Motivation kann, zumindest in der Tendenz, über den Anteil an Fehlzeiten im Vergleich zu anderen administrativen Bereichen gemessen werden. Als bedeutsame Zusatzperspektive des Einkaufs enthält die Procurement-BSC eine Lieferantenperspektive. Dort sind strategische Ziele wie Verbesserung der Lieferantenqualität, Optimierung der Lieferantenanbindung oder auch Lieferantenreduzierung abgebildet. Kennzahlen wie Anteil der C-Lieferanten an den Gesamtlieferanten oder Anzahl der strategischen Partnerschaften lassen sich als Messgrößen verwenden. Neben ihrer Funktion als Controllinginstrument erfüllt die BSC auch eine wichtige Rolle als Informationsinstrument für die Mitarbeiter. Sie sollte im Intranet für alle Einkäufer zugänglich gemacht werden.
5.4.6
Risikomanagement in der Beschaffung
Eine stärkere Vernetzung der Unternehmen mit ihren Partnern in der Supply Chain führt zu vielfältigen Chancen, daneben ist aber auch ein höheres Risiko zu konstatieren. Wenn ein Unternehmen z.B. mit chinesischen Lieferanten zusammenarbeitet, ist dies zwangsläufig risikoreicher. Aber auch die Anfälligkeit gegenüber externen Unsicherheiten wie volatile Rohstoffpreise oder Währungsschwankungen nimmt zu. Nicht zuletzt Compliance-Anforderungen, wie das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), der Sarbanes-Oxley Act (SOX) oder die Ergänzung der Eigenkapitalvereinbarung für Banken („Basel II“) sind von Unternehmen zu erfüllen (vgl. zu Compliance im Einkauf Wiedling/Bagceci 2008, S.18f; Höffken/Schröder 2008, S.20f; Roßner 2010, S.26f; vgl. zu SOX Bernzen/Theisinger 2006, S.56f.). Ange-
182
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
sichts dieser Entwicklungen ist ein Beschaffungs-Risikomanagement (Supply Risk Management) ein wichtiges Instrument für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. In den meisten Unternehmen, die Risikomanagement betreiben, ist dies in das Beschaffungscontrolling eingebunden (vgl. Zurlino/Jäger 2005, S.27). Dass dieses Thema aktuell von hoher Relevanz ist belegen diverse Studien, wie beispielsweise „Risk management reloaded - A procurement perspective“ (vgl. BrainNet 2007) oder die Studie des Supply Chain Management Institute (SMI) der European Business School in Oestrich Winkel (vgl. Blome/Henke 2009, S.30ff.). In der Studie von BrainNet werden Beschaffungsrisiken kategorisiert und nach ihrem Gefahrenpotenzial und der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens bewertet (vgl. Abbildung 5-8).
Abbildung 5-8: Supply Risk Management Map (Quelle: BrainNet 2007, S.14)
Existenz4,75 bedrohend = 6
Schutz geistigen Eigentums
Liefer-Risiken Verfügbarkeit qualifizierter Einkaufsfachkräfte
4,50 Outsourcing-Risiken 4,25 Lieferanten-Risiken Schadenspotenzial
4,0
ComplianceRisiken
Marktrisiken
3,75
Prozessrisiken Wirtschaftskriminalität
3,50
EnergiepreisRisiken Organisations-Risiken
Geopolitische Regelungen Niedrig = 1
2
3
Unwahrscheinlich = 1
Eintrittswahrscheinlichkeit
RohstoffRisiken
Fremdwährungs-Risiken 4 Sehr wahrscheinlich = 6
Die Kreisgröße reflektiert den Fokus des Risikomanagements der Studienteilnehmer
Der Umgang mit lieferantenbezogenen Risiken ist danach in den befragten Unternehmen schon recht stark etabliert. Klarer Handlungsbedarf besteht im Umgang mit Energiepreis-, Rohstoff- und personellen Risiken, wie im Schaubild durch die Anordnung rechts oben zu sehen. Für ein Unternehmen stellt sich die generelle Frage: Was beinhaltet Risikomanagement in der Beschaffung und gibt es einen aktuelle Risikomanagement-Standard? Eine gän-
183
5.4
5
Strategieimplementierung
gige Vorgehensweise setzt sich aus den folgenden vier Schritten zusammen (vgl. hierzu Kirchner 2002; Henke/Jahns 2007, S.22ff; Blome/Henke 2009, S.30ff.).
Risikoidentifikation Im ersten Schritt geht es darum, sich einen Überblick über die potenziellen Risiken für die Beschaffung zu verschaffen. Eine Relevanz-Analyse ist in dieser Phase zunächst noch nicht zu empfehlen, da nicht erkannte Risiken später nicht mehr gesteuert werden können. Eine ausschließliche Fokussierung auf Lieferanten-Risiken sollte nach Möglichkeit ebenfalls vermieden werden. Wichtig ist eine strukturierte Vorgabe, um keine wichtigen Aspekte zu vergessen. In einer Grobeinteilung lassen sich drei RisikoKategorien unterscheiden, die auch die Quellen für Risiko-Indikatoren darstellen (vgl. Jahns et al. 2006, S.26; ähnlich auch Conte 2006, S.36; Präuer/Bernecker 2006, S.25ff; Moder et al. 2007, S.23ff.): Unternehmensinterne Risiken: Auf dieser Stufe werden Risiken identifiziert, die die Beschaffungsprozesse im eigenen Unternehmen betreffen. Beispiele können der Verlust von qualifizierten Mitarbeitern oder die Weitergabe sensibler Informationen an Konkurrenten sein. Supply Chain-Risiken: Risiken auf dieser Stufe umfassen ausschließlich die eigene Supply Chain und werden durch Lieferanten, Sublieferanten und Logistikdienstleister hervorgerufen. Insbesondere in Zeiten steigender Insolvenzen und stärkerer Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber Lieferanten spielt die Identifikation dieser Risiken eine wichtige Rolle. Externe Risiken: Auf dieser Stufe sind die allgemeinen Risiken wie zum Beispiel Naturkatastrophen, Handelsbarrieren sowie Gesetzgebungen und Währungsschwankungen angesiedelt. Zwar steigt die operative Arbeitsbelastung auf den nachgelagerten Prozessstufen (Risikobewertung, Risikosteuerung) mit der Anzahl der erfassten Risiken an, jedoch kann jedes Risiko, das bei der Erfassung vergessen wird einen ungleich größeren Schaden verursachen. Die Instrumente der strategischen Analyse wie die Umfeldoder die Branchenstrukturanalyse leisten auch für die Identifikation von Risiken wertvolle Hinweise.
Risikobewertung Die Risikobewertung stellt das Kernstück des Risikomanagements dar und beinhaltet die Selektion der wesentlichen Risiken. Die meisten Unternehmen betrachten in dieser Phase die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos und dessen Schadenspotential (vgl. auch Abbildung 5-8). Sinnvoll ist es hier, die zu untersuchenden Lieferanten in Risikoklassen, z.B. nach Beschaffungsvolumen, Versorgungsrisiko oder geographischer Lage einzuteilen. Einige Unternehmen gehen noch einen Schritt weiter und klassifizieren ihre Lieferanten nach deren Einfluss auf den EBIT. Weitere wichtige Ansätze, um eine mögliche Schadenshöhe zu prognostizieren, können zum Beispiel eine Szenario- oder
184
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
eine Abhängigkeitsanalyse sein. Bei der Abhängigkeitsanalyse geht man der Frage nach, wie kritisch der jeweilige Lieferant ist und welche Ausweichalternativen das Unternehmen hat. Die Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens sollte durch ein erfahrenes Team auf Basis von Erfahrungen aus der Vergangenheit erfolgen. Eine monetäre Quantifizierung des Schadens ist in dieser Phase des Risikomanagements noch nicht notwendig. Es geht hier um die Risikosensibilisierung und um die Vorauswahl potentieller Risiken und Risikolieferanten. Nach der Risikoselektion geht es im Anschluss darum, diese mit Indikatoren zu verknüpfen, um tatsächlich drohende Risiken so frühzeitig wie möglich zu identifizieren. Die dafür notwendigen Risiko-Indikatoren können unter anderem Liefertreue, Qualitätsleistungen oder Insolvenzwahrscheinlichkeiten beinhalten. Des Weiteren können auch Informationen über die Auftragslage beim Lieferanten, die Mitarbeiterzufriedenheit, die Fluktuationsrate und die technischen Kennzahlen wie Durchlaufzeit, Ausschussrate und Werkzeugkapazität wichtige Erkenntnisse liefern, um drohenden Risiken frühzeitig zu erkennen (vgl. Jahns et al. 2006, S.27). Abbildung 5-9 zeigt eine beispielhafte Indikatorstruktur der Firma Bosch.
Abbildung 5-9:
Bosch-Supply-Risk-Management-Ansatz (Quelle: Moder et al. 2007, S.23)
185
5.4
5
Strategieimplementierung
Risikosteuerung Deuten die Indikatoren auf ein Risiko hin, müssen präventive Maßnahmen zur aktiven Beeinflussung der erkannten Risiken in angemessener und effizienter Weise eingeleitet werden. Auch wenn keine Standardlösungen zum Umgang mit Risiken existieren, empfiehlt es sich, sogenannte Normstrategien, wie z.B. Akzeptanz, Vermeidung, Minderung oder Übertragung, im Vorfeld eines Risikos festzulegen. So ist es z.B. im Fall einer drohenden Insolvenz eines Lieferanten vorteilhaft zu wissen, welche Gegenmaßnahmen noch ergriffen werden können. Um Risiken wie Preis- und Währungsschwankungen frühzeitig entgegen zu wirken, eignen sich sogenannte HedgingGeschäfte. Hedging in der Beschaffung beinhaltet alle Maßnahmen zur Absicherung gegen finanzielle Risiken wie steigende Wechselkurse oder Rohstoffpreisschwankungen (vgl. Wildemann 2008, S.16; Rast 2008, S.31f; Richter/Gramolla 2010, S.24f.). Zum Umgang mit Risiken können auch bereits vorhandene Strategien und Maßnahmen des Beschaffungsmanagements eingesetzt werden.
Risikoüberwachung Angesichts der vorherrschenden komplexen Risikosituationen ist es de facto unmöglich alle Supply Risiken abzudecken. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Risikosituation im Unternehmen immer wieder zyklisch zu analysieren und zu bewerten. Ein Früherkennungssystem kann hierzu hilfreiche Dienste leisten, wobei die im vorangegangenen Abschnitt vorgestellte Balanced Scorecard den Charakter eines solchen Frühwarnsystems besitzt. Auch die Kontrolle der Gegenmaßnahmen sollte Teil der Risikoüberwachung sein. Zudem empfiehlt es sich, Risikotrends im Zeitverlauf nachzuzeichnen, um Volatilität und Bedeutung der Risiken herauszufinden (vgl. Jahns et al. 2006, S.26ff.) Es ist festzuhalten, dass ein professionell erstelltes Risikomanagementsystem genau aufzeigt, wodurch Probleme entstehen können und welche Maßnahmen (proaktiv und reaktiv) im Falle eines Risikoeintritts zu ergreifen sind. Wer erst im Falle einer Krise mit dem Risikomanagement beginnt, ist meistens zu spät und betreibt kein Risikomanagement sondern Krisenmanagement.
5.4.7
IT-Unterstützung für das Beschaffungscontrolling
Für die IT-Unterstützung des Beschaffungscontrollings soll der Fokus auf die in Abschnitt 5.4.4 aufgestellten Kennzahlen gelegt werden. Nachfolgend werden diese Kennzahlen nochmals aufgelistet, um dann zu beschreiben, mit welchen Systemen und Tools der IT-Basisarchitektur für die Beschaffung sie abgeleitet werden können. Die Grundlagen hierzu sind in Kapitel 3, Abschnitt 3.5 beschrieben worden.
186
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
Preise/Kosten:
- Kennzahlen: Beschaffungsvolumen nach Materialgruppen und Standorten, absolute bzw. relative Einsparungen/Savings, Materialkostenveränderung, Beschaffungsvolumen pro Einkaufsmitarbeiter, Durchschnittliches Beschaffungsvolumen pro Bestellung. => Sämtliche Kennzahlen können lokal über die ERP-Systeme und übergreifend über das Data Warehouse-System ermittelt werden. Bei den Einsparungen/ Savings ist die Ermittlung der Marktpreise ggf. schwierig. Beim durchschnittlichen Beschaffungsvolumen pro Bestellung ist zu beachten ist, dass sich der Wert nur auf die Bestellungen bezieht, die in IT-Systemen erfasst wurden.
Prozesse: - Beschaffungsprozesskosten => Die Prozesskostenberechnungen werden in der Regel ohne IT-Unterstützung durchgeführt, ggf. wird Excel zur Kalkulation mit eingesetzt. - Beschaffungsbudget / Beschaffungsvolumen => Das Beschaffungsbudget als Summe der für die Einkaufsabteilung bereitgestellten Mittel wird manuell errechnet. Das Beschaffungsvolumen kann lokal über die verbuchten Kreditorenrechnungen im ERP-System ermittelt werden, übergreifend im Data Warehouse-System. Achtung: Die Bestellungen können nicht als Grundlage verwendet werden, da sie ggf. nicht vollständig im System angelegt werden und noch nicht zwangsläufig etwas über die tatsächliche Lieferung aussagen. - Umfang des über elektronische Kataloge abgewickelten Beschaffungsvolumens => Die in Verbindung mit Katalogen erzeugten Bestellungen sind im SRM- bzw. ERPSystem klar abgrenzbar, dementsprechend lässt sich der Umfang ableiten. - Umfang des über e-Auktionen bzw. e-Ausschreibungen abgewickelten Beschaffungsvolumens. => Die in Verbindung mit e-Auktionen bzw. e-Ausschreibungen erzeugten Bestellungen sind im SRM- bzw. ERP-System klar abgrenzbar, dementsprechend lässt sich der Umfang ableiten. - Durchlaufzeit des Demand-to-Pay-Prozesses => Verschiedene Durchlaufzeiten u.a. die des Demand-to-Pay-Prozesses lassen sich im ERP-System ermitteln, in dem die Zeitpunkte der Erzeugung von Banfen, Bestellungen, Wareneingängen und Rechnungen eines Beschaffungsvorgangs abgefragt und entsprechende Differenzen gebildet werden.
187
5.4
5
Strategieimplementierung
- Cash-out-Quote => Dieser Wert lässt sich aus den ERP-Systemen ermitteln, indem die Summe über alle Rechnungswerte gebildet wird, bei denen die Rechnungen keinen Bestellbezug haben. Hierbei wird allerdings vorausgesetzt, dass Beschaffungen über den Einkauf grundsätzlich mit im System angelegten Bestellungen abgewickelt werden. - Rahmenvertragsquote => Dieser Wert lässt sich aus den ERP-Systemen ermitteln, indem die Summe über alle Rechnungswerte gebildet wird, bei denen die Rechnungen einen Bestellbezug haben und die Bestellungen aus einem Rahmenvertrag abgerufen wurden. Die einzelnen Kennzahlen können in einem Data Warehouse-System zusammengeführt werden, um hier Durchschnittswerte zu ermitteln bzw. um aus einer übergreifenden Sicht Best Practise Analysen durchzuführen.
Qualität und Verfügbarkeit: - Fehlerquote => Die Fehlerquote kann im ERP-System über die Wareneingangsbuchungen bzw. die vorgenommen Rückbuchungen ausgewertet werden. - Lieferzuverlässigkeit => Die Lieferzuverlässigkeit kann im ERP-System über die Wareneingangsbuchungen bzw. die dort angegeben Zeit- und Mengendaten ausgewertet werden. - Lieferfähigkeit => Die Lieferfähigkeit kann im ERP-System über die Bestellungen ausgewertet werden. Hierfür müssen jedoch die Auftragsbestätigungen konsequent gepflegt sein. Leider ist dies in vielen Unternehmen nicht der Fall. - Lieferzeit => Die Lieferzeit kann im ERP-System über die Daten aus der Bestellung und den Wareneingangsbuchungen ausgewertet werden. Sollen die Daten zu Qualität und Verfügbarkeit übergreifend ausgewertet werden, müssen vorher ggf. die DUNS-Nummern bei den Lieferanten ergänzt werden. Ferner ist dann auch hier das Data Warehouse-System einzusetzen.
Bestände: - Bestandsmenge und –wert, Lagerreichweite, Umschlagshäufigkeit, Sicherheitsbestand, Anteil ungängiger Materialien
188
Aufbau des strategischen Beschaffungscontrollings
=> Sämtliche Daten können auf Basis von Auswertungen im ERP-System ermittelt werden. Für übergreifende Best Practise Analysen kann ein Data Warehouse-System zum Einsatz kommen.
Lieferanten: - Anzahl der aktiven Lieferanten (Gesamtunternehmen, pro Materialgruppe), Höhe und prozentualer Anteil des Beschaffungsvolumens je Lieferant (Lieferanten einer Region, Vorzugslieferanten, Materialgruppen), Anzahl über EDI angebundener Lieferanten, Lieferantenabhängigkeit. => Sämtliche Daten können lokal über ein ERP-System und übergreifend über ein Data Warehouse-System ermittelt werden. Eine Herausforderung für die übergreifende Auswertung besteht in der Standardisierung der Materialgruppenstruktur, ferner müssen die Lieferantenstammsätze ggf. um die DUNS-Nummern ergänzt werden (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.5.1.2.4). Ein Teil der aufgelisteten Kennzahlen kann ggf. auch über SRM-Tools für das Supplier Management ermittelt werden. Anstelle der neutralen Data Warehouse-Systeme, und/oder zusätzlich zu diesen, können Spend Analysis-Systeme oder Spend AnalysisTools zum Einsatz kommen. Diese haben den Vorteil, dass sie von vorn herein für den Einsatz im Einkauf entwickelt worden und viele Kennzahlen und entsprechende Reports schon definiert sind. Einige Anbieter im deutschsprachigen Raum wie etwa SoftconCIS bezeichnen ihre Lösungen auch als Einkaufscontrolling-Informationssysteme. Hier handelt es sich auch um auf den Einkauf zugeschnittene Systeme. Vom Leistungsumfang her ähneln sie den Spend Analysis-Tools. Abschließend soll noch auf die IT-Unterstützung des im vorangegangenen Abschnitt 5.4.6 beschriebenen Risikomanagements eingegangen werden. Relevant für die ITUnterstützung sind zum einen Risikomanagement-Systeme, die sich im Kern mit der Bearbeitung aller im Unternehmen auftretenden Risiken beschäftigen. Anbieter sind z.B. die Schleupen AG oder die Decisio GmbH. Zum anderen sind auch SRM-Systeme für die Unterstützung des Risikomanagements zu berücksichtigen. Mehrere Anbieter von SRM-Systemen wie z.B. die Xcitec GmbH sind aktuell dabei, in ihren Systemen das Thema Risikomanagement in der Beschaffung mit abzubilden. Die zentrale Anforderung an die Systeme besteht in der Unterstützung des gesamten Risikomanagementprozesses. Im Rahmen der Risikoidentifikation müssen die Risiken in einem Risikokatalog in verschiedenen Risikoklassen hinterlegt werden können. Für die Risikobewertung sollten Bewertungen hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeit und des Schadenpotenzials sowie deren grafische Darstellung in einem Portfolio (vgl. Abbildung 5-8) möglich sein. Anschließend muss für die Risikosteuerung die Verwaltung der entsprechenden Maßnahmen unterstützt werden. Für die Risikoüberwachung sind Frühwarnindikatoren festzulegen, die durch das RisikomanagementSystem, ggf. unter Zugriff auf andere Systeme (vgl. Abbildung 5-9), leicht abrufbar sein müssen.
189
5.4
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
6.1
Vorbereitung
6.1.1
Materialgruppenportfolio als Ausgangspunkt
Auf der ersten Ebene des 3-Ebenen-Modells wurde das Materialportfolio benutzt, um Materialien und Materialgruppen zu klassifizieren und um ihnen Normstrategien zuzuweisen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Normstrategien für jede einzelne Materialgruppe erfolgt nun auf der Ebene der Materialgruppenstrategie. Im ersten Schritt, der Vorbereitungsphase, geht es darum, die relevanten Informationen für die Beschaffung dieser Materialgruppe zu ermitteln und die für die Materialgruppe passenden Merkmalsausprägungen der allgemeinen Supplier Relations festzulegen. Des Weiteren sind an dieser Stelle auch die prozessbezogenen Supplier Relations festzulegen. Dies gilt sowohl für den strategischen Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene (Ebene 2) als auch für den operativen Beschaffungsprozess auf Ebene 3. In der Phase der Anbahnung werden die am besten geeigneten Lieferanten identifiziert. Die Vereinbarungsphase schließlich beinhaltet die Ausgestaltung und den Abschluss der vertraglichen Bedingungen mit den Lieferanten. Das Ergebnis des strategischen Beschaffungsprozesses einer Materialgruppe ist ein abgeschlossener Rahmenvertrag zu diesem Material. In der Phase der Vorbereitung wird auf bereits in der strategischen Analyse für die Beschaffungsgesamtstrategie ermittelte Daten zurückgegriffen, woraus sich letztendlich die Positionierung im Materialportfolio ergibt. Diese vorliegenden Informationen sind in der Regel durch weitere, tiefer gehende materialgruppenbezogene Untersuchungen zu verfeinern. Beispielsweise könnten Informationen zu Lieferanten aus einem Lieferantenbewertungssystem vorliegen, die durch ein Lieferantenaudit vor Ort zu ergänzen sind. Des Weiteren sind die Normstrategien des Materialportfolios mit Inhalt zu füllen, indem konkrete Maßnahmen zum Umgang mit dieser Materialgruppe geplant und umgesetzt werden (vgl. Abschnitt 5.1.2). Dies geschieht unter Rückgriff auf die in Abschnitt 4.2 vorgestellten allgemeinen Merkmale der Supplier Relations, die für jede Materialgruppe auszuprägen sind. Abbildung 6-1 zeigt ein anonymisiertes Beispiel für das Materialgruppenportfolio eines Unternehmens, das die sechzehn bedeutsamsten Materialgruppen abbildet. So handelt es sich beispielsweise bei der Mate-
190 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Vorbereitung
rialgruppe mit der Nummer acht um Elektroteile, die als strategisches Material eingestuft werden.
Abbildung 6-1:
Materialgruppenportfolio
Wertmäßiger Anteil am Beschaffungsvolumen 15,8% 6 1
Hebelmaterial
Strategisches Material
8
3
7 2
6,1%
14 9
Standardmaterial
16 15
Engpassmaterial
5 11
4
10 12
13
Materialgruppenbezogenes Versorgungsrisiko
Eine wichtige weiterführende Untersuchung befasst sich mit den Lieferanten für diese Materialgruppe. Hierfür empfiehlt es sich, ein materialgruppenspezifisches Lieferantenportfolio zu erstellen. Wie in Abschnitt 4.1 schon ausgeführt, besitzt diese Variante der Portfolioanalyse im Gegensatz zu den anderen beschriebenen Ansätzen ihren Schwerpunkt eindeutig auf der Ebene der Entwicklung einer Materialgruppenstrategie. In Abbildung 6-2 sind alle Lieferanten für die Materialgruppe Elektroteile dargestellt. Stimmen die Einordnung der betrachteten Materialgruppe und die des Lieferanten überein, ist das auf den ersten Blick die optimale Lösung. Da es sich bei Elektroteilen um ein strategisches Material handelt, sollten diese auch bei strategischen Lieferanten beschafft werden. In Abbildung 6-2 ist zu erkennen, dass dies weitgehend gewährleistet ist, einige Lieferanten jedoch als Hebellieferanten eingestuft werden. Darin ist die Gefahr zu sehen, dass die Qualität der Zusammenarbeit durch die beim Hebellieferanten durchaus sinnvollen kosten- und preisreduzierenden Maßnahmen leiden kann.
191
6.1
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Für strategische Materialien ist die enge und dauerhafte Beziehung zum Lieferanten ein wichtiger Erfolgsfaktor, der nicht gefährdet werden sollte. Weiterhin kann man feststellen, dass die Lieferantenanzahl für ein strategisches Produkt als sehr hoch einzustufen ist. Maßnahmen zur Lieferantenreduzierung scheinen bei dieser Materialgruppe deshalb sinnvoll zu sein.
Abbildung 6-2:
Materialgruppenspezifisches Lieferantenportfolio
Wertmäßiger Anteil am Beschaffungsvolumen 2
3,5% 29
Hebellieferant
10 13
24 26 33 14 132 4 11 3 23 34 917 727 1231 2530 8 15 22 5 16 39 19 20 38 37 356 18 21 1
Strategischer Lieferant
0,06%
Standardlieferant
36
Engpasslieferant
0 1
3
5 Lieferantenspezifisches
Versorgungsrisiko
Weitere Beispiele für die Anwendung der Portfolio-Methode innerhalb einer Materialgruppe finden sich auch in der Literatur:
Beim Unternehmen Geberit wurden innerhalb der Materialgruppe Rohstoffe sowohl die Untermaterialgruppen als auch die Lieferanten jeweils in einem Portfolio eingruppiert (vgl. Gilde 2003, S.999ff.).
Ein weiteres Beispiel betrachtet die Materialgruppe Hilfs- und Betriebsstoffe/Verbrauchsmaterial und führt eine material- und lieferantenbezogene Portfolioanalyse durch (vgl. Schneid/Seeger 2003, S.30ff.).
192
Vorbereitung
6.1.2
Materialgruppenstrategien
6.1.2.1
Entwicklung von Materialgruppenprofilen
Die grundsätzliche Entscheidung darüber, wie die Merkmale der Supplier Relation auszugestalten sind, wird auf der ersten Ebene im 3-Ebenen-Modell getroffen. Die konkrete Durchführung für die einzelne Materialgruppe ist dann in der Vorbereitungsphase auf der Materialgruppenebene zu bearbeiten. Mit dem GFSR-Modell steht ein Instrumentarium zur Verfügung, das herangezogen werden kann, um für jede zu beschaffende Materialgruppe ein spezifisches Profil der Supplier Relation sowohl im Ist zu ermitteln als auch im Soll auszuprägen. Die Visualisierung von Ist- und SollAusprägung der Merkmale der allgemeinen Supplier Relations erfolgt mit sog. Materialgruppenprofilen (vgl. Appelfeller/Buchholz/Schulte i.d.B. 2006, S.70ff.). Abbildung 6-3 zeigt exemplarisch ein solches Materialgruppenprofil für Verpackungsmaterialien aus einem Praxisprojekt. Es handelt sich um eine Materialgruppe, die den Hebelmaterialien zuzuordnen ist.
Abbildung 6-3:
Materialgruppenprofil für Verpackungsmaterialien
Dort wo eine Diskrepanz zwischen Ist und Soll erkennbar ist besteht der größte Handlungsbedarf für den strategischen Einkäufer. Mit den Materialgruppenprofilen lässt sich darstellen, wie die vier aus dem Portfolio abgeleiteten Normstrategien konkret
193
6.1
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
auszugestalten und mit Inhalten zu füllen sind. Dies wird im Folgenden für die vier denkbaren Materialgruppenstrategien im Detail ausgeführt (vgl. zu den Ausprägungen der Normstrategien auch Wildemann 2000, S.99ff; Plötz/v. Strachwitz 2002, S.25ff; Gilde 2003, S.1004ff.).
6.1.2.2
Materialgruppenstrategie für Standardmaterial
Standardmaterialien sind Materialien mit geringem wertmäßigem Anteil am Beschaffungsvolumen und einem geringen Versorgungsrisiko. Diese Materialien sind wenig komplex und gut standardisierbar. Völlig unvorhersehbare Marktpreis- und Nachfrageentwicklungen sind nicht zu erwarten und das Potenzial einer Einstandspreisreduzierung ist häufig weitgehend ausgereizt. Es sind ausreichend Lieferanten vorhanden und die Kosten eines Lieferantenwechsels sind als gering einzustufen. In dieses Feld fallen typischerweise indirekte Materialien wie Büromaterialien oder auch Teile der MRO-Produkte. Bei den direkten Materialien sind hier Verbrauchsmaterialien wie Schrauben, Bolzen oder Clipse einzusortieren. Die Normstrategie lautet hier „Effizient beschaffen“. Folgende Merkmalsausprägungen bei den Supplier Relations sind sinnvoll:
Lieferantenbasis Nicht unbedingt eindeutig sind Standardmaterialien bezüglich der geografischen Struktur der Lieferanten zu beurteilen. Da die möglichst kostengünstigste Abwicklung bei diesen Materialen im Vordergrund steht, sind zur Reduzierung von logistischen Kosten auch kurze Wege von Bedeutung. Auf den ersten Blick macht der globale Einkauf von Standardmaterialien also eher keinen Sinn. Denkbar wäre jedoch auch der Fall, dass Standorte vom beschaffenden Unternehmen und vom Lieferanten bei beiderseitiger globaler Ausrichtung räumlich nahe beieinander liegen. Es könnte ein Rahmenvertrag mit einem global tätigen Lieferanten abgeschlossen werden, wenn dieser die lokale Versorgung vor Ort gewährleisten kann. Der globale Rahmenvertrag sollte dann über eine Contract Management Komponente eines SRM-Systems in die lokalen ERP-Systeme übertragen werden (vgl. Kapitel 2, Abschnitt 2.1.4.2) und damit dezentral zur Verfügung stehen. Bezüglich der Lieferantenanzahl geht die Beschaffung von Standardmaterialien stark in Richtung Single Sourcing. „Zersplitterte Beschaffungsvolumina“ können auf eine reduzierte Anzahl an Lieferanten fokussiert werden. Je weniger Lieferanten anzubinden sind, desto geringer der technische Aufwand und desto höher kann die Prozesseffizienz der jeweiligen Abwicklung sein (Lern- und Größendegressionseffekte). Da kaum Differenzen zwischen den Einstandspreisen der Anbieter zu erwarten sind, bietet sich Multiple Sourcing hingegen nicht als nutzbringende Option an. Auch Sicherheitsaspekte sprechen nicht unbedingt dafür, da bei Standardprodukten das Versorgungsrisiko niedrig ist.
194
Vorbereitung
Vertikale Kooperationsintensität Die vertikale Kooperationsintensität ist kein entscheidender Faktor bei Standardmaterialien. Bezüglich des Wertschöpfungsumfanges hat die Supplier Relation den Charakter einer ausschließlichen Lieferbeziehung eines Teilefertigers (Unit Sourcing). Die Lieferanten werden nicht in Entwicklungsprozesse einbezogen, so dass auch das Merkmal Entwicklungseinbindung nicht relevant ist.
Materialgruppe Ein denkbarer Hebel der Optimierung liegt bei Maßnahmen der Standardisierung und Mengenbündelung. Zum einen ist die Produktvielfalt wenig bedeutsam bei standardisierbaren, strategisch nicht relevanten Produkten, so dass hier Vereinheitlichungen durchaus Einsparungen erbringen. Zudem lassen sich durch eine reduzierte Teileanzahl auch die Prozesskosten senken. Hand in Hand mit der Standardisierung geht auch die Vergabe von größeren Mengen an definierte Vorzugslieferanten. Da sowohl die Preisspielräume im Markt als auch das wertmäßige Beschaffungsvolumen gering sind, ist das Gesamteinsparpotenzial durch diese Maßnahmen zwar vorhanden, aber nicht exorbitant groß.
Horizontale Kooperationsintensität Bündelungspotenziale sind auch eine zentrale Zielsetzung beim gemeinschaftlichen Einkauf von Partnern (Partnereinbindung). Beim Cooperative Sourcing gelten allerdings die gleichen Einschränkungen wie beim vorangegangenen Punkt. Spürbare Einsparungen lassen sich nur in Verbindung mit optimierten Prozessen zum Lieferanten erzielen. Diese stehen zwar nicht im Mittelpunkt einer horizontalen Beschaffungskooperation, mit einer entsprechenden IT-Unterstützung sind sie aber durchaus denkbar. Das Unternehmen Geberit hat beispielsweise bei als Standardmaterialien klassifizierten Produkten wie Telekomservices, Verpackungen oder Automieten durch das Bedarfspooling mit fünf anderen Unternehmen deutliche Einsparungen erzielt (vgl. Gilde 2003, S.1005). Die Kombination aus Bündelung und Prozessoptimierung kann auch durch die Einbindung eines Dienstleisters gewährleistet werden, vor allem wenn dieser als Procurement Service Provider aufgestellt ist, der sowohl Beschaffungs- als auch IT-Kompetenz anbieten kann. Vorteilhaft ist auch die Tatsache, dass nur noch ein Ansprechpartner für diese Materialien existiert, was ebenfalls zu Prozessvereinfachungen führt. Die Dienstleisternutzung ist somit für Standardmaterialien, beispielsweise auch durch den Einkauf über horizontale elektronische Marktplätze, eine interessante Optimierungsoption. Der Hauptoptimierungshebel liegt bei Standardmaterialien eindeutig in den standardisierten automatisierten operativen Beschaffungsprozessen. Detaillierte Ausführungen hierzu finden sich im Kapitel 7. Abschließend werden die wichtigsten Handlungsempfehlungen für die Normstrategie „Effizient beschaffen“ zusammengefasst:
195
6.1
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Vereinfachung der operativen Beschaffungsprozesse Dezentralisierung und Optimierung der operativen Beschaffungsprozesse durch Kompetenzerweiterung der Bedarfsträger und Automatisierung
Lieferantenreduzierung verbunden mit Mengenbündelung und Standardisierung 6.1.2.3
Materialgruppenstrategie für Hebelmaterial
Vom Versorgungsrisiko her ähnlich einzustufen wie Standardmaterial, allerdings mit hohem wertmäßigem Anteil am Beschaffungsvolumen, sind Hebelmaterialien. Der Begriff resultiert aus der starken Hebelwirkung, die ein Unternehmen über die hohen Beschaffungsvolumina ausnutzen kann. Bedingt durch das geringe Versorgungsrisiko geschieht dies unter Einsatz der großen Nachfragemacht, so dass ein Schwerpunkt hier die Reduzierung der Einstandspreise ausmacht. Bei direkten Materialien spricht man hier häufig von Commodities, die von großen Lieferanten standardisiert produziert werden. Zum einen sind für diese Produkte ausreichend qualifizierte Lieferanten verfügbar, zum anderen lassen sich ohne große Schwierigkeiten Substitutionsprodukte einsetzen. Die korrespondierende Normstrategie lautet „Marktpotenzial ausschöpfen“ mit den folgenden Ausprägungen der allgemeinen Supplier Relations.
Lieferantenbasis Für Hebelmaterialien ist bezüglich des Merkmals der geografischen Struktur die Ausprägung Global Sourcing von hoher Bedeutung. Gerade für standardisierbare Produkte mit hohem Beschaffungsvolumen macht es Sinn, weltweite Arbeitskostenvorteile und damit den globalen Beschaffungsmarkt zu nutzen. Die Variante von Local Sourcing, bei der ein international produzierendes Unternehmen einen lokalen Lieferanten in dem entsprechenden Land beauftragt, ist für Hebelmaterialien ebenfalls denkbar. Bezogen auf die Lieferantenanzahl sind unterschiedliche Ausprägungen der Supplier Relation diskussionswürdig. Multiple Sourcing macht hier in jedem Fall Sinn, um möglichst viele Optionen in Bezug auf einen Lieferantenwechsel zu haben. Single Sourcing wäre wegen der Vergabemöglichkeit von größeren Mengen an einzelne Lieferanten denkbar. Auflösen lässt sich dieser scheinbare Widerspruch über die Vertragsdauer. Bei Hebelmaterialien sollten größere Mengen an einzelne Lieferanten vergeben werden, allerdings mit nur recht kurzen Vertragslaufzeiten. Dadurch wird der Wettbewerb zwischen den Lieferanten, die sich das Geschäft sichern wollen, permanent aufrechterhalten. Allerdings ist Vorsicht geboten, den Bogen nicht zu überspannen, da sich sowohl die Marktsituation als auch die Kapazitätsauslastung der Lieferanten zu Ungunsten des Abnehmers verändern können. In einer solchen Situation ist ein partnerschaftliches Verhältnis zum Lieferanten hilfreich.
196
Vorbereitung
Vertikale Kooperationsintensität Auch bei den Hebelmaterialien steht die vertikale Kooperationsintensität nicht im Mittelpunkt der Betrachtung. Lieferanten werden i.d.R. nicht in die Produktentwicklung mit einbezogen und sind auch nicht als Systemlieferanten tätig.
Materialgruppe Ganz wichtig für die Ausgestaltung der Supplier Relation bei Hebelmaterialien sind die beiden Merkmale Standardisierung und Mengenbündelung. Ausschlaggebend für das niedrige Versorgungsrisiko bei Hebelmaterialien sind die Austauschbarkeit der Produkte sowie die geringe Produktkomplexität. Daraus resultiert die Möglichkeit, durch Komponentenstandardisierung und Gleichteileverwendung die Materialvielfalt zu reduzieren. Geringe Spezifität der Materialien, hohe Nachfragemacht, geringe Lieferantenwechselkosten und ähnliche Beschaffungsprozesse sprechen auch dafür die Mengenbündelung von Bedarfen über Unternehmensbereiche als eine wichtige Maßnahme zu ergreifen.
Horizontale Kooperationsintensität Die beiden Merkmale der Partnereinbindung bzw. der Dienstleisternutzung bieten für Hebelmaterialien interessante Optimierungspotenziale. Eine Schwierigkeit beim Cooperative Sourcing (Partnereinbindung) stellt das Finden von passenden Materialien dar. Aufgrund des niedrigen Versorgungsrisikos ist Hebelmaterial im Prinzip gut geeignet, um unter Einbindung von Partnern beschafft zu werden. Dagegen sprechen könnte der hohe wertmäßige Anteil dieser Materialgruppen. Je nachdem kann das Beschaffungsvolumen beim einzelnen Unternehmen schon so groß sein, dass eine weitere Bündelung sowohl über Partner als auch über Dienstleister von einzelnen Lieferanten nicht mehr „gestemmt“ werden kann. Beim Cooperative Sourcing entsteht für die beteiligten Unternehmen auch nur dann ein Nutzen, wenn sie ungefähr gleich großes Beschaffungsvolumen einbringen. Hat ein Partner ein erheblich höheres Volumen als die anderen Partner, so ist sein Zusatznutzen marginal (vgl. auch Kapitel 4, Abschnitt 4.2.4.1). Neben den auch hier vorhandenen Bündelungspotenzialen kommt bei der Dienstleisternutzung als weiterer positiver Aspekt der Zugriff auf das umfassendere Markt-Know-how des Dienstleisters hinzu. Die zusammenfassenden Handlungsempfehlungen für die Normstrategie „Marktpotenzial ausschöpfen“ lauten:
Nutzung der Lieferantenbasis des weltweiten Beschaffungsmarkts Aufbau einer Wettbewerbssituation zwischen den Lieferanten Mengenbündelung über bisher dezentral beschaffende Unternehmensbereiche hinweg
Verstärkung der Einkaufsmacht durch Kooperation mit Partnern 197
6.1
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
6.1.2.4
Materialgruppenstrategie für Engpassmaterial
Bei Engpassmaterialien besteht ein hohes Versorgungsrisiko, diese Materialien haben aber nur einen geringen wertmäßigen Anteil am Beschaffungsvolumen. In der Regel existiert eine hohe Abhängigkeit vom Lieferanten. Gründe hierfür können eng spezifizierte Anforderungen der Materialien, Verfügbarkeit der Materialien bei nur wenigen Lieferanten, sehr hohe Qualitätsanforderungen oder eine übermäßig stark ausgeprägte Lieferantenmacht sein. Engpassmaterialien sind nur sehr schwer zu substituieren und es existieren nur wenige Alternativen bezüglich der Lieferanten. Im Mittelpunkt steht die Minimierung des Versorgungsrisikos, so dass die Normstrategie hier „Verfügbarkeit sicherstellen“ lautet.
Lieferantenbasis Über die Ausdehnung der geografischen Struktur der Lieferanten in Richtung globaler Beschaffungsmarkt können Alternativlieferanten ausfindig gemacht werden, die vorher einfach nicht im Betrachtungsfokus der Beschaffungsmarktforschung gelegen haben. Auf diesem Weg lassen sich zusätzliche Beschaffungsquellen aufbauen und das Versorgungsrisiko wird verringert. Bezüglich der Lieferantenanzahl können auch bei Engpassmaterialien zwei Argumentationslinien verfolgt werden. Multiple Sourcing ist natürlich aufgrund der größeren Auswahlmöglichkeiten bei den Lieferanten eine sinnvolle Option. Oftmals sind hier aber die Möglichkeiten aufgrund der hohen Spezifität der Materialien eingeschränkt. Beim Single Sourcing ist natürlich die Abhängigkeit vom Lieferanten problematisch. Gelingt es jedoch ggf. weitere Bedarfe von ähnlichen oder verwandten Produkten bei diesem Lieferanten zu platzieren, gelangt das beschaffende Unternehmen in eine komfortablere Situation. Langfristige Lieferverträge mit Abnahmegarantien für den Lieferanten, eine intensivere Lieferantenpflege und vertraglich vereinbarte Sicherheitsbestände reduzieren das Versorgungsrisiko auch bei Single Sourcing-Beziehungen. Schließlich kann die Zusammenarbeit so weit intensiviert werden, dass der Lieferant zum strategischen Lieferanten entwickelt wird. Allerdings sollte eine Second-Source-Strategie in jedem Fall in Erwägung gezogen werden, um zumindest eine Alternative verfügbar zu haben.
Vertikale Kooperationsintensität Wegen des eher geringeren Beschaffungsvolumens ist für Engpassmaterialien die intensive Entwicklungseinbindung der Lieferanten nicht das primäre Thema. Zumindest nicht zu dem Zeitpunkt, wenn ein Engpassmaterial als solches identifiziert ist. Jedoch lässt sich durchaus bereits früher ein Hebel ansetzen. Praktiziert ein Unternehmen Forward Sourcing, wird im frühen Stadium des Produktentwicklungsprozesses der Einkauf mit einbezogen. Dessen Aufgabe ist es dann dafür zu sorgen, dass im späteren Produktionsprozess das Versorgungsrisiko möglichst gering ist. Supplier Relations mit einem hohen Wertschöpfungsumfang können ex definitione nicht für Engpassmaterialien relevant sein, da in diesem Fall auch der wertmäßige Anteil am Beschaffungsvolumen hoch ist und es sich somit um strategische Materialien handelt.
198
Vorbereitung
Materialgruppe In Bezug auf die Materialgruppe sollte die Zielsetzung des Einkaufs sein, daran mitzuwirken, dass ein Material nicht als Engpassmaterial eingestuft werden muss. Die frühzeitige Kommunikation mit Fertigung, Produktentwicklung und Qualitätswesen ist eine wichtige Maßnahme hierfür. Eine umfassende Standardisierung wird bei Engpassmaterialien nicht sinnvoll sein, jedoch können auch Schritte in Richtung einer Reduktion der technischen Komplexität, einer realistischen Festlegung des notwendigen Qualitätsniveaus oder einer möglichen Produkt- bzw. Lieferantensubstitution sinnvolle Verbesserungen erbringen. Das Thema Mengenbündelung könnte dergestalt hilfreich sein, dass sich bei einer geschäftsbereichsübergreifenden Zusammenlegung von Bedarfen die Verhandlungsposition gegenüber dem Lieferanten verbessert, so dass auch bezüglich der Engpassmaterialien eine höhere Einkaufsmacht in die Waagschale geworfen werden kann.
Horizontale Kooperationsintensität Die Partnereinbindung kann in diesem Fall sogar kontraproduktiv wirken, da die Materialien für die Partner ebenfalls Engpassmaterial darstellen und die Knappheit der Materialien nun noch stärker zum Tragen kommt. Allerdings kann sich auch hier das Argument der größeren Einkaufsmacht durch die Beschaffung im Verbund positiv auf die eigene Einkaufsposition auswirken. Eine Dienstleisternutzung ist für Engpassmaterialien u.U. sinnvoll, um besser an neue Beschaffungsquellen zu kommen. Dagegen spricht allerdings, dass der Einkauf von Produkten mit hohem Versorgungsrisiko nicht aus der Hand gegeben werden sollte. Zum einen ist es wichtig für ein Unternehmen, diesbezüglich weiterhin umfassendes Beschaffungs-Know-how vorzuhalten, zum anderen wäre es „blauäugig“ das Risiko auf einen Dienstleister übertragen zu wollen. Der kann allerdings durchaus unterstützende Funktionen beim Einkauf von Engpassmaterialien übernehmen. Abschließend werden auch hier die Handlungsempfehlungen für die Normstrategie „Verfügbarkeit sicherstellen“ zusammengefasst:
Schaffen von Lieferantenalternativen durch Ausdehnung des geografischen Beschaffungsraumes
Verringerung der Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten Frühzeitige Einbindung der Beschaffung in Produktentwicklung und Produktion zur Vermeidung von Engpassmaterial
6.1.2.5
Materialgruppenstrategie für strategisches Material
Strategische Materialien sind sowohl durch einen wertmäßig hohen Anteil am Beschaffungsvolumen als auch durch ein hohes Versorgungsrisiko gekennzeichnet. Sie besitzen eine durchschlagende Wirkung auf das Unternehmensergebnis und weisen
199
6.1
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
eine sehr hohe technische Produktkomplexität auf. Bei diesen Produkten handelt es sich um direkte Materialien und es ist eindeutig die engste Verbindung mit den jeweiligen Lieferanten anzustreben. Dabei steht nicht ausschließlich die Senkung der Einstandspreise im Vordergrund. Neben diesem nach wie vor wichtigen Ziel sollte die Optimierung der TCO eine gemeinsame Zielsetzung sein, wobei auch die hohen Qualitätsanforderungen und die Sicherstellung der langfristigen Materialverfügbarkeit zu berücksichtigen sind. Für strategische Materialien lautet die Normstrategie „Wertschöpfungspartnerschaft aufbauen“.
Lieferantenbasis Strategische Materialien können sowohl bei globalen als auch bei lokalen Partnern bezogen werden (geografische Struktur). Global Sourcing kann hier sinnvoll sein, um weltweit den kompetentesten Partner zu finden. Bedingt durch die häufig notwendige enge logistische Anbindung (z.B. Just-in-time Anlieferung) sind kurze Wege von hoher Bedeutung. Da es sich um ein sehr hohes Geschäftsvolumen für einkaufende Unternehmen und Lieferanten handelt, werden häufig Investitionen in neue Standorte getätigt. So ist es üblich, dass auch die Lieferanten für strategische Materialien vor Ort eine eigene Produktion etablieren, wenn z.B. VW in Südamerika einen Produktionsstandort aufbaut. Findet sich ein einheimischer Lieferant vor Ort, der die gestellten Anforderungen erfüllt, kann auch Local Sourcing eine denkbare Option sein. Bezüglich der Lieferantenanzahl ist hier eindeutig eine Single Sourcing-Beziehung zu präferieren. Da für die enge Anbindung zwischen Zulieferer und einkaufendem Unternehmen hohe Investitionen notwendig sind, wird eine solche Lieferantenbeziehung nur mit ausgewählten Partnern eingegangen. In der Automobilbranche legt sich der OEM meistens für den gesamten Lebenszyklus eines Modells für einen strategischen Lieferanten fest. Es entsteht eine beiderseitige Abhängigkeitssituation zwischen den beteiligten Partnern. Denkbar sind ggf. unterschiedliche Partner für unterschiedliche Varianten eines Modells.
Vertikale Kooperationsintensität Ganz klar bilden strategische Produkte den primären Anwendungsfall für eine intensive vertikale Kooperation mit den Lieferanten. Konsequenz einer Wertschöpfungspartnerschaft sollte die frühzeitige Nutzung des Lieferanten-Know-hows in der Produktentwicklung sein. Nur bei einer solchen Art der Zusammenarbeit gelingt es, die angestrebte gesamthafte TCO-Optimierung auch zu realisieren. In der Konsequenz führt das dazu, auch große Wertschöpfungsumfänge an den Lieferanten zu vergeben, so dass System Sourcing für strategische Materialien eine wichtige Maßnahme darstellt.
Materialgruppe Die Standardisierung der Produkte kann bei strategischen Materialien zum Tragen kommen, ist aber kein zwingendes Merkmal für die Supplier Relation. Wichtiger ist hier die Standardisierung der Prozesse zur Gewährleistung einer höchstmöglichen
200
Vorbereitung
Prozesssicherheit. Lassen sich die Materialien standardisieren, reduziert sich das Versorgungsrisiko, so dass sie dann eher als Hebelmaterialien zu klassifizieren und entsprechend zu behandeln sind. Bezüglich des wertmäßigen Umfangs ist bei strategischem Material von hohen Anteilen auszugehen. Damit Abhängigkeitssituationen nicht eine noch höhere Wahrscheinlichkeit erlangen, ist auch eine weitere Mengenbündelung eher unwahrscheinlich. Die hohe technische Komplexität und die oft heterogene Ausprägung sprechen ebenfalls gegen Standardisierung und Mengenbündelung. Optimierungsaktivitäten bezüglich der Materialgruppe sind hier frühzeitig beim Aufbau der Supplier Relation zu realisieren, so dass die unter diesem Schwerpunkt angesprochenen Maßnahmen für strategische Materialien eine insgesamt eher untergeordnete Rolle spielen.
Horizontale Kooperationsintensität Da bei strategischen Materialien individuelle Wertschöpfungspartnerschaften mit 1Tier-Lieferanten aufgebaut werden, ist auch die Partnereinbindung keine adäquate strategische Stoßrichtung. Die zwischen den Partnern ausgetauschten Informationen besitzen eine hohe Wettbewerbsrelevanz, so dass man hier nicht mit anderen Unternehmen aus der gleichen Branche zusammen arbeiten wird. Für eine Zusammenarbeit mit Unternehmen aus fremden Branchen ist die Spezifität der Materialien zu hoch. In Bezug auf eine Dienstleisternutzung gelten ähnliche Argumente wie bei Hebelmaterialien: die strategische Beschaffung wird nicht in fremde Hände gegeben. Außerdem macht es wenig Sinn für die enge Partnerschaft mit dem Lieferanten einen Intermediär zwischenzuschalten. Die Handlungsempfehlungen für die Normstrategie „Wertschöpfungspartnerschaft aufbauen“ lauten:
Frühzeitige Einbindung der strategischen Lieferanten in Produktentwicklungsprozesse
Intensive Zusammenarbeit mit den Lieferanten während des gesamten Lebenszyklus des Produktes
6.1.3
PFSR-Modell zur Ausgestaltung der lieferantenbezogenen Prozesse
Das PFSR-Modell (Process Features of Supplier Relations-Modell) stellt in Ergänzung zum GFSR-Modell den modernen „Werkzeugkasten“ für die Prozessgestaltung in der Beschaffung dar (vgl. Abbildung 6-4). Es gibt einen Überblick der möglichen Ausprägungen der strategischen und operativen Beschaffungsprozesse in dem es verschiedene Varianten bzw. Modelle der strategischen und operativen Prozesse darstellt. Insofern kann es auch als Referenzmodell für Beschaffungsprozesse angesehen werden. Für jede Materialgruppe soll eine Variante für den strategischen Beschaffungsprozess
201
6.1
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
und ein Modell für den operativen Beschaffungsprozess ausgewählt werden, das prozessseitig die Umsetzung der für die Materialgruppe ausgewählten Normstrategien unterstützt. Durch die Auswahl der Prozessmodelle bzw. –varianten für eine Materialgruppe wird gleichzeitig die Supplier Relation zu den Lieferanten für die betrachtete Materialgruppe festgelegt. Diese Auswahl erfolgt gemeinsam mit den Festlegungen der allgemeinen Supplier Relations aus dem PSFR-Modell auf der 2. Ebene des 3Ebenen-Modells in der Phase Vorbereitung. In den Kapiteln 6 und 7 werden nachfolgend sämtliche Ausprägungen der strategischen und operativen Prozesse im Detail vorgestellt. Dabei wird der Fokus stark auf die IT-Unterstützung der Modelle gerichtet. Im Anschluss an die Vorstellung der Prozesse wird jeweils besprochen, welche Prozessvarianten für welche Materialgruppen geeignet sind. Es wird damit ergänzend zur Ausprägung der Merkmale der allgemeinen Supplier Relations (vgl. Abschnitt 6.1.2) die Umsetzung der Materialgruppenstrategien durch die Ausprägung der prozessbezogenen Supplier Relations diskutiert (vgl. Abschnitte 6.2.4 und Kapitel 7, Abschnitt 7.3.3.2).
Abbildung 6-4:
202
PFSR-Modell zu den prozessbezogenen Supplier Relations
Vorbereitung
6.1.4
IT-Unterstützung in der Vorbereitungsphase
Um geeignete Strategien für die Materialgruppen entwickeln zu können, werden eine Vielzahl an Informationen über die Materialien benötigt. Einige Anbieter haben hierzu inzwischen SRM-Tools für das Materialgruppenmanagement (Commodity Management) entwickelt. Diese Tools stellen analog zum Bereich des Lieferantenmanagements die für die Materialgruppenstrategie benötigten Informationen bereit:
Zur Materialgruppe gehörende Materialien mit Beschaffungsvolumen
Verteilung des Beschaffungsvolumens der Materialgruppe nach Standorten/Tochtergesellschaften
Einordnung der Materialgruppe in das Materialportfolio (Dimensionen Beschaffungsvolumen, Versorgungsrisiko)
Sämtliche Lieferanten in der Materialgruppe mit den Beschaffungsvolumina in dieser Gruppe (materialgruppenspezifisches Lieferantenportfolio)
Marktdaten zu der Materialgruppe (Preisentwicklung, technologische Entwicklungen, Bedarfsentwicklungen, Risiken etc.)
Die Anbieter der Tools haben zum Ziel, analog zur 360° Sicht auf die Lieferanten, eine ganzheitliche Sicht auf die Materialgruppen zu bekommen, um hierauf basierend die strategischen Entscheidungen treffen und anschließend im Tool dokumentieren zu können. Hierzu greifen sie auf umfangreiche Daten aus den ERP-Systemen und/oder aus dem Data Warehouse-System zu. Die Daten werden entweder in eine eigene umfangreiche Datenbank eingelesen und hier weiterbearbeitet oder aber lediglich zur gemeinsamen Darstellung mit anderen Materialgruppendaten abgerufen. Angenommen es handelt sich um die Materialgruppe Büromaterialien, die dem Portfoliosegment Standardmaterial zugeordnet worden ist. Dann könnte das Tool an dieser Stelle durch die Auflistung der Materialien und Lieferanten Unterstützung dabei leisten, Transparenz über Standardisierungsmöglichkeiten bei den Materialien und über Möglichkeiten der Lieferantenreduktion zu bekommen. Beispielsweise könnte transparent werden, dass Ordner von fünf verschiedenen Herstellern in der Materialgruppe enthalten sind und die Büromaterialien bei acht verschiedenen Lieferanten bezogen werden. Zur Umsetzung der Normstrategie „Effizient beschaffen“ wäre es sinnvoll nun festzulegen, dass die Materialgruppe standardisiert wird und eine Umstellung auf Single oder Dual Sourcing erfolgt. Tools, die eine umfassende Unterstützung leisten, schaffen nicht nur Transparenz, sondern erlauben wie oben schon angedeutet, die abgeleiteten Strategien zu dokumentieren. Im Optimalfall werden für die Materialgruppen Profile angelegt, in denen dokumentiert wird, wie für die einzelne Materialgruppe das GFSR- und PFSR-Modell auszuprägen sind. Für diese Sollprofile müssen Maßnahmen hinterlegt werden können, mit denen die Umsetzung der Profile erreicht wird. Tools, die ein Materialgrup-
203
6.1
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
penmanagement in etwa in der beschriebenen Art und Weise unterstützen, werden z.B. von den Unternehmen Xcitec und Selected Services angeboten. Neben den Tools für das Materialgruppenmanagement kommen in dieser Phase auch die Tools für das Lieferantenmanagement (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.5.3) zum Einsatz. So ist z.B. bei den Entscheidungen zu den generellen Suplier Relations nicht nur von Interesse, welche Umsätze ein Lieferant in der betrachteten Materialgruppe realisiert. Es muss vielmehr die Möglichkeit bestehen, von der Materialgruppenperspektive in die Lieferantenperspektive ausgewählter Lieferanten zu wechseln, um die Gesamtvolumina bei den Lieferanten und die Bewertung des Lieferanten betrachten zu können.
6.2
Anbahnung
6.2.1
Gestaltung der Supplier Relation durch den Ausschreibungsprozess
Im strategischen Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene wird im Rahmen der Anbahnung Kontakt mit den potenziellen Lieferanten aufgenommen. Dies geschieht über den Ausschreibungsprozess, der in dieser Phase maßgeblich die Form der Zusammenarbeit zwischen beschaffendem Unternehmen und Lieferanten beeinflusst. Somit stellt die Abwicklungsform des Ausschreibungsprozesses ein Merkmal der Supplier Relation dar. Das PFSR-Modell (vgl. Abbildung 6-3) listet die möglichen Ausprägungen dieses Merkmals auf. Die verschiedenen Ausprägungen stellen Varianten des Ausschreibungsprozesses dar, die sich im Wesentlichen in den unterstützenden Informationssystemen und in ihrer Effizienz unterscheiden. In den nachfolgenden Abschnitten werden die zu den Ausprägungen gehörenden Prozessvarianten beschrieben und hiermit verdeutlicht, wie durch den Einsatz von modernen Informationssystemen der Ausschreibungsprozess sukzessive optimiert werden kann. Zum Abschluss wird in Abschnitt 6.2.4 dann diskutiert, welche Kriterien bei Anwendung einer bestimmten Variante erfüllt sein sollten, d.h. wann welche Ausprägung der Supplier Relation Sinn macht. In diesem Kontext wird wie bei der Ausprägung der allgemeinen Supplier Relations auch der Bezug zum Materialportfolio und zur Umsetzung der Normstrategien hergestellt.
204
Anbahnung
6.2.2
Verschiedene Varianten schreibungsprozesses
des
6.2.2.1
Manueller Ausschreibungsprozess
IT-gestützten Aus-
Ausgangspunkt der Betrachtung ist der in Abbildung 6-5 dargestellte manuelle Ausschreibungsprozess. Dieser Prozess ist durch eine extrem geringe IT-Unterstützung charakterisiert. Lediglich MS-Office Produkte kommen für die Erstellung der Ausschreibung und dem Angebotsvergleich zum Einsatz.
Abbildung 6-5:
Office-gestützter Ausschreibungsprozess
Der Prozess beginnt damit, dass in einer Fachabteilung ein Bedarf entsteht und dieser per schriftlicher Bedarfsmeldung nach Freigabe durch einen Vorgesetzten zum Einkauf gelangt (1a, 2). Alternativ wird der Bedarf durch das Ablaufen eines Rahmenvertrags ausgelöst (1b). Der Einkauf führt dann bei Bedarf eine Beschaffungsmarktanalyse durch oder greift auf Analysen der Ebene 1 zurück (3). Die verschiedenen hierbei einsetzbaren Methoden wurden bereits in Abschnitt 3.4.1.2 dargestellt. Es folgen die Auswahl der Bieter sowie das Erfassen und n-malige Ausdrucken der Ausschreibungen, die dann über die Poststelle an die potenziellen Lieferanten verschickt werden (4, 5, 6). Nach Entgegennahme der Ausschreibung erstellen diese ein Angebot, das sie an
205
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
das nachfragende Unternehmen zurückschicken, wo es dann über die Poststelle wieder zum Einkauf gelangt (7, 8, 9, 10). Die von den Lieferanten in der Regel unterschiedlich strukturierten Angebote werden hier standardisiert bzw. vergleichbar gemacht (11). Je nach Komplexität und Bedeutung der Angebote werden diese in MSExcel oder ähnlichen Kalkulationsprogrammen erfasst und verglichen (12, 13). Dann werden in der Regel Preisverhandlungen durchgeführt (vgl. Abschnitt 6.3.3), die mit dem Abschluss von Rahmenverträgen oder Bestellungen bzw. mit Absagen enden (14, 15). Beim Versenden der entsprechenden Dokumente kommt zum Schluss erneut die Poststelle zum Einsatz (16). Der beschriebene Prozess kommt trotz vieler papierbasierter Tätigkeiten, Doppelerfassungen, dementsprechenden Fehlerquellen, langen Durchlaufzeiten und hohen Kosten sowie einer geringen Lieferantenintegration in der Praxis noch häufig vor. Dies gilt sowohl für die beschriebene Abwicklungsform als auch für ähnliche telefonbasierte Abwicklungen. In kleinen und mittelständischen Unternehmen charakterisiert der beschriebene Prozess oft noch die Standardabwicklung. In größeren Unternehmen wird bei komplexen Ausschreibungen, an denen mehrere Abteilungen beteiligt sind, vielfach genauso vorgegangen. Die Mitarbeiter sind häufig der Meinung, dass sich die Daten in Office-Produkten flexibler und einfacher bearbeiten lassen als im eingesetzten ERP-System. Diese Meinung wird insbesondere dann vertreten, wenn Fachabteilungen, die zum Teil wenig ERP-Erfahrung besitzen, in die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen stark eingebunden sind (siehe hierzu auch Abschnitt 6.2.3.2). Neben der Fehleranfälligkeit, den hohen Prozesskosten und der langen Durchlaufzeit hat der Prozess weitere gravierende Nachteile. Die verschickten Anfragedateien, die zurückerhaltenen Angebote sowie die Auswertungen der Angebote liegen ggf. dezentral elektronisch auf den Laufwerken der Einkäufer oder papierbasiert in den jeweiligen Aktenschränken vor. Der Vorgang ist nur für den durchführenden Einkäufer transparent. Möchte jemand anderes zu einem späteren Zeitpunkt die Ausschreibung wiederholen oder nachvollziehen, ob bei der Ausschreibung alles regelkonform durchgeführt wurde, so ist dies kaum möglich. Darüber hinaus sind keine Auswertungen der strategischen Beschaffung möglich, in denen z.B. herausgefunden wird, welche Materialgruppen, mit welchem Volumen, wie häufig ausgeschrieben wurden.
6.2.2.2
ERP-gestützter Ausschreibungsprozess
Wie verändert sich der oben beschriebene Prozess, wenn ein ERP-System zum Einsatz kommt? Abbildung 6-6 stellt diesen Ausschreibungsprozess vor. Viele der aufgeführten Schritte aus dem Office-gestützten Prozess bleiben bestehen. Sie werden jetzt aber mit dem ERP-System durchgeführt. Dies gilt zum Beispiel für die Bedarfserfassung und Freigabe (1a, 2). Ferner wird überall MS-Office durch das ERP-System ersetzt (5, 10, 11 und 13). Ein weiterer Unterschied zwischen der Office-gestützten und ERPgestützten Variante besteht im Datenaustausch. Im Office-gestützten Prozess werden
206
Anbahnung
die Dokumente zwischen einkaufendem Unternehmen und den Bietern per e-Mail bzw. Fax ausgetauscht. Auf diese Weise können die Aktivitäten der Poststelle eliminiert werden. Der Office-gestützten Prozess stellt unter der Voraussetzung, dass das ERP-System wirklich genutzt wird, eine erste Verbesserung dar. Papierbasierte Tätigkeiten, Durchlaufzeiten und Kosten sind reduziert worden und der gesamte Ausschreibungsvorgang liegt in einem System vor, das den Prozess auch zu späteren Zeitpunkten noch leicht nachvollziehbar, wiederholbar und auswertbar macht. Ferner werden die Folgeschritte im Beschaffungsprozess (Bestellung, Wareneingang, Rechnung) ebenfalls im ERP-System dokumentiert, was zu einer erhöhten Transparenz des gesamten Prozesses führt.
Abbildung 6-6:
6.2.2.3
ERP-gestützter Ausschreibungsprozess
Internetgestützter Ausschreibungsprozess
In der dritten Variante wird der Ausschreibungsprozess internetgestützt abgewickelt. Man spricht bei dieser Variante auch von elektronischen Ausschreibungen oder kurz e-Ausschreibungen. Die drei verschiedenen Ausprägungsformen e-RFI, e-RFQ und eRFP sind in Kapitel 2, Abschnitt 2.1.3.2 bei den Erläuterungen zu den verschiedenen SRM-Tools bereits beschrieben worden.
207
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Bei der betrachteten Variante des Ausschreibungsprozesses wird anstelle des ERPSystems ein SRM-Tool eingesetzt (vgl. Abbildung 6-7). Der Hauptunterschied zum ERP-gestützten Prozess besteht in der Anbindung der Lieferanten. Diese bekommen einen Link auf das SRM-Tool des nachfragenden Unternehmens (6). Über das Internet pflegen die Lieferanten ihr Angebot direkt in die Datenbank dieses Tools ein (7). Aus diesem Grund entfällt der Schritt der Standardisierung und Erfassung der Angebote aus dem ERP-gestützten Prozess (vgl. 9, 10 in Abbildung 6-6). Der Einkäufer kann nach Eingang der Angebote direkt mit dem Vergleich beginnen (8). Die spätere Übermittlung der Rahmenverträge oder Bestellungen kann bei dieser Variante auf verschiedene Arten realisiert werden. Für große Lieferanten, mit denen viele Daten ausgetauscht werden, kann die Datenübermittlung per XML oder EDI erfolgen. In beiden Fällen können die übermittelten Dokumente direkt zu Aufträgen im ERP-System des Lieferanten werden. Kleinere Lieferanten erhalten die Bestelldokumente per e-Mail oder können sich diese über den Supplier Self Service des SRM-System herunterladen (10).
Abbildung 6-7:
Internetgestützter Ausschreibungsprozess
Der Hauptvorteil des internetgestützten Prozesses ist oben bereits genannt worden. Die Angebote werden von den Lieferanten in das System des Abnehmers eingepflegt. Die Lieferanten werden hierbei gezwungen, sich an bestimmte Vorgaben des Systems zu halten. Damit entfällt die in den anderen Varianten erforderliche und zum Teil sehr
208
Anbahnung
aufwändige Standardisierung und Eingabe der Angebote. Dies führt zum einen zu einer weiteren Reduzierung von Durchlaufzeiten und Prozesskosten. Zum anderen kann die vereinfachte Abwicklung den Einkäufer motivieren, noch mehr Angebote einzuholen, um auf diesem Weg ggf. die Einstandspreise zu senken. Aufgrund der Tatsache, dass alle Angebote automatisch im System hinterlegt werden, steigt auch die Transparenz des Ausschreibungsprozesses bzw. der Auftragserteilung. Voraussetzung für die Realisierung der beschriebenen Vorteile ist die Bereitschaft und Fähigkeit der Lieferanten, den beschriebenen Prozess zu unterstützen. Ferner müssen sich die Ausschreibungen so komfortabel einpflegen und die Angebote so einfach auswerten lassen, dass die Mitarbeiter des Abnehmers das SRM-Tool akzeptieren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und ein entsprechendes System implementiert, kann grundsätzlich jede bisher Office-gestützte oder ERP-gestützte Ausschreibung internetgestützt durchgeführt werden. Aus Sicht des Lieferanten ist der beschriebene Prozess nicht unbedingt ein Vorteil. Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das Angebot zunächst in seinem eigenen IT-System kalkulieren. Das Einpflegen der kalkulierten Daten in das e-RFX-Tool des beschaffenden Unternehmens stellt für ihn eine zusätzliche Aufgabe dar. Ggf. hat er es je nach Kunde immer wieder mit neuen e-RFX-Tools zu tun, in die er sich einarbeiten muss. Durch die standardisierten Felder wird er mit seiner Angebotserstellung in seinen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die beim Kunden ggf. automatisch entstehende Vergleichbarkeit ist von ihm eher nicht gewollt. Wie weit die Lieferanten sich trotzdem auf die Abwicklung über e-RFX-Tools einlassen, ist letztendlich eine Machtfrage. Ein kleines Unternehmen, dessen Beschaffungsvolumen beim Lieferanten wenig Bedeutung hat, wird sich schwerer tun als ein großer Konzern mit großem Beschaffungsvolumen.
209
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
6.2.2.4
Vergleich der Varianten des Ausschreibungsprozesses
Tabelle 6-1 stellt die verschiedenen Varianten des Ausschreibungsprozesses bzgl. der diskutierten Aspekte aus Sicht des einkaufenden Unternehmens gegenüber.
Tabelle 6-1:
Varianten des Ausschreibungsprozesses im Vergleich
Merkmal
Officegestützt
ERPgestützt
Internetgestützt
PapierbasierteAktivitäten
viele
keine
viele
Durchlaufzeit
hoch
leichtverkürzt
starkverkürzt
Mehrfacherfassung
viele
einige
keine
Angebotserfassungerforderlich(beim einkaufendenUnternehmen)
ja
ja
nein
Angebotsstandardisierung
ja
ja
nein
GradderLieferantenintegration
gering
gering
mittel
TransparenzdesProzessesund Recherchemöglichkeiten
gering
hoch
sehrhoch
6.2.2.5
Implementierung und ERP-Integration internetgestützter Ausschreibungen
Die in Kapitel 2, Abschnitt 2.3.3 vorgestellten Implementierungsvarianten von SRMSystemen gelten insbesondere bei SRM-Tools für e-Ausschreibungen: 1. Hosting und Administration eines SRM-Tools für e-Ausschreibungen durch die ITAbteilung des beschaffenden Unternehmens 2. Hosting und Administration eines SRM-Tools für e-Ausschreibungen durch einen Application Service Provider 3. Hosting und Administration eines SRM-Tools für e-Ausschreibungen durch einen elektronischen Marktplatz In allen drei Varianten kann das SRM-Tool jeweils Bestandteil eines umfassenderen SRM-Systems sein. Variante 1 ist die dem vorausgegangenen Abschnitt zu Grunde gelegte Variante. Hier loggt sich der Lieferant über das Internet auf ein beim Kunden implementiertes SRMTool ein.
210
Anbahnung
Ein bei einem Application Service Provider (ASP) gehostetes Ausschreibungstool, Variante 2, ermöglicht die gleichen Prozessabwicklungen und Vorteile wie in Variante 1. Im Unterschied zu 1 loggen sich die Lieferanten aber auf einem Rechner bzw. Tool beim ASP ein. Variante 3 hat in der Regel den Vorteil, dass auf dem elektronischen Marktplatz ein so genanntes Business Directory hinterlegt ist. Dies ist ein Materialgruppenverzeichnis, bei dem sich Lieferanten für ausgewählte Materialgruppen eintragen und hiermit ihre Lieferfähigkeit für die jeweilige Gruppe dokumentieren können. Für den Abnehmer vereinfacht sich durch dieses Directory der Ausschreibungsprozess ein weiteres Mal. Die in Abbildung 6-7 angegebenen Schritte der Beschaffungsmarktanalyse und Bieterauswahl (3, 4) können deutlich schneller abgewickelt werden. Der Abnehmer lässt sich auf dem Marktplatz alle hinterlegten Lieferanten der für ihn relevanten Materialgruppe anzeigen und kann somit seine Beschaffungsmarktanalyse stark verkürzen. Er selektiert die gewünschten Lieferanten und versendet an diese die Ausschreibungsunterlagen. Bei gut frequentierten Marktplätzen kann man von einer Umkehrung der Beschaffungsmarktanalyse sprechen. Nicht der Nachfrager, sondern die Lieferanten machen mit dem Eintrag in das Business Directory den ersten Schritt zur Geschäftsanbahnung. Grundsätzlich kann ein Business Directory auch bei den anderen Varianten hinterlegt werden. Für die Lieferanten wird der Eintrag im Directory aber umso interessanter, je mehr Unternehmen es auf der Nachfrageseite nutzen. Ein Nachteil der Marktplatzabwicklung kann darin bestehen, dass der Ablauf des Ausschreibungsprozesses weitgehend wie vom Marktplatz vorgegeben abgewickelt werden muss. Da sich hier mehrere Unternehmen eine Applikation teilen, bestehen nicht die gleichen Individualisierungsmöglichkeiten wie bei der ersten und zweiten Variante. Einen weiteren Aspekt, der in Verbindung mit den Implementierungsvarianten betrachtet werden muss, stellt die Integration zwischen ERP-System und SRM-Tool dar. Abbildung 6-8 beschreibt die möglichen Szenarien dieser Integration im Hinblick auf e-Ausschreibungen. Die relevanten Stamm- und Bewegungsdaten sind in der Abbildung aufgeführt.
211
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Abbildung 6-8:
Szenarien für die ERP-Integration bei e-Ausschreibungen
Ohne ERP-Integration Bewegungsdaten y y y y
Bedarfsmeldungen Ausschreibungen Angebote Bestellungen
Bewegungsdaten y y y y
Stammdaten
Bedarfsmeldungen Ausschreibungen Angebote (Bestellungen)
Stammdaten
• Materialien
• Materialien
• Lieferanten
• Lieferanten
ERP
SRM
Teilweise ERP-Integration Bewegungsdaten y y y y
Bedarfsmeldungen Ausschreibungen Angebote Bestellungen
Bewegungsdaten y y y y
Bedarfsmeldungen Ausschreibungen Angebote (Bestellungen)
Stammdaten
Stammdaten
• Materialien
• Materialien
• Lieferanten
• Lieferanten
ERP
SRM
Volle ERP-Integration Bewegungsdaten y y y y
Bedarfsmeldungen Ausschreibungen Angebote Bestellungen
Bewegungsdaten y y y y
Bedarfsmeldungen Ausschreibungen Angebote (Bestellungen)
Stammdaten
Stammdaten
• Materialien
• Materialien
• Lieferanten
• Lieferanten
ERP
SRM
Wird auf eine ERP-Integration völlig verzichtet (vgl. oberer Bereich in Abbildung 68), so sind die im ERP-System angelegten Materialien und Lieferanten, falls sie für den Ausschreibungsprozess relevant sind, im SRM-Tool manuell nochmals anzulegen. Aus der anderen Sicht ist die aus dem Ausschreibungsprozess abgeleitete Bestellung ma-
212
Anbahnung
nuell ins ERP-System zu übertragen, da hier alle Bestellungen zusammenlaufen sollten. Bei einigen Tools ist das manuelle Anlegen der Bestellung im ERP-System auch deshalb erforderlich, weil die Ausschreibungskomponenten der SRM-Tools den Bestellvorgang nicht unterstützen. Die Alternativen zum Verzicht einer ERP-Integration bestehen in der teilweisen oder vollständigen ERP-Integration. Bei der teilweisen Integration (vgl. mittlerer Bereich in Abbildung 6-8) werden nach Bedarf Materialien und Lieferanten zwischen SRM-Tool und ERP-System ausgetauscht. Ferner wird die aus dem Ausschreibungsprozess abgeleitete Bestellung automatisch ins ERP-System übertragen. Alternativ kann auch aus dem Angebot im SRM-Tool eine Bestellung im ERP-System erzeugt werden. Bei der vollen ERP-Integration (vgl. unterer Bereich in Abbildung 6-8) werden zusätzlich sämtliche Ausschreibungen und Angebote des SRM-Tools ins ERP-System übertragen, um den gesamten Ausschreibungsvorgang auch im ERP-System nachvollziehbar zu machen. Darüber hinaus besteht bei diesem Szenario die Möglichkeit, eine im ERP-System formulierte Bedarfsmeldung an das SRM-Tool zu übertragen, um dann hier den Ausschreibungsprozess vorzunehmen. Wann ist nun welcher Integrationsgrad sinnvoll? Das erste Szenario ohne ERPIntegration ist sicherlich dann gut anwendbar, wenn e-Ausschreibungen eher selten bzw. sporadisch angewendet werden, wie z.B. in einer Testphase. In diesem Fall hält sich der Aufwand für die doppelte Pflege der Daten in Grenzen. Die aufwendige Implementation von Schnittstellen ist deshalb nicht sinnvoll. Werden in einem Unternehmen jedoch viele Ausschreibungen abgewickelt und soll hiervon ein Großteil über das Internet realisiert werden, wird der Aufwand für die doppelte Pflege in SRM-Tool und ERP-System zu hoch. In diesem Fall ist eine der beiden integrierten Szenarien anzuwenden. Häufig genügt die teilweise Integration, es sei denn, das Unternehmen hat einen hohen Bedarf, sämtliche Ausschreibungsvorgänge z.B. auf Ausschreibungsquoten in einem System auswerten zu können.
6.2.2.6
Beispieltools für internetgestützte Ausschreibungen
Die nachfolgende Auflistung der Tools gibt für die im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Implementierungsvarianten jeweils einige Beispiele:
Eigenes Hosting eines SRM-Tools für e-Ausschreibungen -
SAP SRM - Bidding Engine von der SAP AG
Hosting eines SRM-Tools für e-Ausschreibungen durch einen Application Service Provider
-
TradeCore SRM on demand – Modul E-Sourcing von der Onventis GmbH
-
Portum Smart Sourcing RFX-Engine von der Portum AG (IBX Gruppe)
213
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
-
Sourcing Enterprise von der Healy Hudson GmbH
-
POOL4TOOL Sourcing Portal-eSourcing von der Selected Services GmbH
Hosting auf elektronischem Marktplatz mit e-Ausschreibungskomponente -
SupplyOn Sourcing von der SupplyOn AG (Branche: Automobilindustrie und Fertigungsindustrie )
-
TechPilot von der DynamicMarkets GmbH (Branche: Fertigungsindustrie)
Ergänzt sei noch, dass einzelne Anbieter wie z.B. die Healy Hudson GmbH oder die Administration Intelligence AG Ausschreibungstools entwickelt haben, die die Besonderheiten bei öffentlichen Ausschreibungen und Vergaben abbilden. Bezüglich der Zuordnung der verschiedenen Tools zu den Implementierungsvarianten ist anzumerken, dass diese nicht immer ganz trennscharf vorgenommen werden kann. So bieten einige ASP-Anbieter ihre Tools auch für das eigene Hosting an. Andersherum können Tools, die überwiegend selbst gehostet werden ggf. auch im ASP-Modus angeboten werden.
6.2.3
Kollaboration beim Ausschreibungsprozess
6.2.3.1
Gemeinsames Erstellen von Ausschreibungsunterlagen
Die in Abschnitt 5.2.2.1 vorgestellten Varianten von elektronischen Ausschreibungen haben alle weitgehend davon abstrahiert, dass der Schritt der Erstellung von Ausschreibungsunterlagen (vgl. z.B. Abbildung 6-5, Schritte 1a und 5) häufig einen hochkomplexen Teilprozess darstellt, an dem verschiedene Mitarbeiter beteiligt sind. Wenn z.B. eine große technische Anlage beschafft, eine umfangreiche Baumaßnahme durchgeführt oder ein Beratervertrag vergeben werden soll, sind in aller Regel viele Abteilungen in die Spezifikation der auszuschreibenden Leistung bzw. der Produkte involviert. Abbildung 6-9 stellt einen möglichen Ablauf dieser Spezifikation dar.
214
Anbahnung
Abbildung 6-9:
Office-gestützte Ausschreibungserstellung bei mehreren Beteiligten
Der in der Abbildung skizzierte Prozess besitzt eine Vielzahl von Problemen:
Unstrukturierte Bearbeitung der Dokumente ggf. mit verschiedenen Tools, Dokumentformaten und Gliederungen,
wiederholte Verteilung der Unterlagen in Papierform oder per e-Mail, keine Übersicht über alle vorhandenen Unterlagen, keine Versionsverwaltung, keine vollständige, systematische Verwaltung abgeschlossener Ausschreibungen, schlechte Wiederverwendungsmöglichkeiten, Zeitverlust wegen mangelnder Transparenz und hohe Prozesskosten. Einige internetgestützte Ausschreibungstools bieten Funktionalitäten an, die bei der Lösung der beschriebenen Probleme helfen können. Kernstück dieser Tools sind so genannte Ausschreibungsprojekte. Mit diesen kann eine komplexe Ausschreibung strukturiert werden. Zu jedem Ausschreibungsprojekt lassen sich Basisdaten, Projektmitglieder, Text-, Produkt- und Fragenstrukturen, Anforderungen an den Lieferanten
215
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
etc. zentral und in standardisierter Form anlegen. Ferner kann auf Standardtextbausteine zugegriffen und eine Versionsverwaltung genutzt werden. Die an der Ausschreibung beteiligten Mitarbeiter bekommen individuelle Berechtigungen, die Ausschreibungsunterlagen zu bearbeiten. Hierbei greifen sie über einen Browser auf die mit dem e-RFX-Tool bereitgestellte zentrale Kollaborationsplattform zu. Abbildung 610 stellt im Überblick dar, wie die geänderte Form der Zusammenarbeit in diesem Fall aussehen kann.
Abbildung 6-10
216
Internetgestützte Ausschreibungserstellung auf Basis einer Kollaborationsplattform
Anbahnung
Die Abbildung zeigt einen im Gegensatz zu Abbildung 6-9 stark verschlankten Informationsaustausch und Abstimmungsprozess: Die initiierende Fachabteilung legt ein Ausschreibungsprojekt mit Basisdaten sowie Informationen zur Team- und Produktstruktur an (1). Der Einkauf nimmt Ergänzungen vor, ist aber nicht mehr mit der Informationsverteilung beschäftigt (2, 6). Durch den Einsatz der zentralen Plattform, die über eine Versionsverwaltung verfügt, können alle Beteiligten auf die jeweils aktuellen Dokumente ohne vorherige Verteilung zugreifen (3, 4, 5, 6). Dies macht eine persönliche Abstimmung zwischen den Beteiligten zwar nicht überflüssig, vereinfacht diese aber, da alle den gleichen Informationsstand haben. Ferner werden durch den immer gleichen Aufbau der Ausschreibungsstruktur Synergieeffekte erzielt. Das systematische Ablegen der vollständigen Ausschreibungsunterlagen auf der Kollaborationsplattform führt auch zu einer leichteren Wiederverwendung bei ähnlichen Ausschreibungsprojekten. Durch die standardisierte Abwicklung werden auf Grund der höheren Transparenz Zeit und Kosten eingespart. Ferner wird die optimale Vorbereitung von Einkaufsverhandlungen begünstigt, da alle Informationen leicht abrufbar sind. Bei den Implementierungsvarianten und der ERP-Integration sind die Überlegungen aus Abschnitt 6.2.2.2 übertragbar, da mit der gemeinsamen Ausschreibungserstellung lediglich ein Teilprozess des dort beschriebenen Ausschreibungsprozesses anders abgewickelt wird. Ein SRM-Tool, das kollaborative Ausschreibungen unterstützt, ist Trade Core SRM on demand - Modul E-Sourcing von der Onventis GmbH.
6.2.3.2
Zusammenführen von Bedarfen
Die Kollaboration im Ausschreibungsprozess kann auch in der Zusammenführung gleicher Bedarfe bestehen. Hier ist das im GFSR-Modell aufgeführte Merkmal horizontale Kooperationsintensität betroffen, das u.a. durch das Zusammenführen von Bedarfen ausgeprägt wird. Verschiedene Abteilungen eines Unternehmens, die Tochterunternehmen eines Konzerns oder auch völlig verschiedene Unternehmen haben immer wieder gleiche Bedarfe an bestimmten Standardgütern, schreiben diese gemeinsam aus und kaufen dann gemeinsam ein. Welche Unternehmen bei diesen Beschaffungskooperationen sinnvoll zusammenarbeiten können, ist in Kapitel 4, Abschnitt 4.2.4.1 mit Bezug auf das 4C-Modell der Beschaffungskooperationen von Schulte i.d.B. (vgl. Schulte i.d.B. 2009) detailliert vorgestellt worden. Der Einfluss von Beschaffungskooperationen auf die Supplier Relation ist unmittelbar nachvollziehbar. Je mehr Partner eingebunden werden können, umso stärker kann die Nachfrageseite die Art und Weise der Zusammenarbeit beeinflussen bzw. ggf. die Einstandspreise senken. Die nachfolgenden Ausführungen stellen das office-gestützte Zusammenführen von Bedarfen und das internetgestützte Zusammenführen gegenüber. Auch wenn bei der ersten Variante das ERP-System mit zum Einsatz kommt, soll von office-gestütztem
217
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Zusammenführen gesprochen werden, da die MS-Office-Produkte bei der Prozessabwicklung im Vordergrund stehen.
Abbildung 6-11: Office-gestütztes Zusammenführen von Bedarfen
1) Anforderer: Bedarfsmeldung für Standardmaterial (ERP)
2) Vorgesetzter: elektronische Freigabe (ERP) 3) Einkauf Manuelle Auswahl geeigneter Ausschreibungsteilnehmer und Abfrage der benötigten Mengen (MS-Office) 4) Ausschreibungsteilnehmer Benötigte Menge erfassen und mitteilen (MS-Office)
9) Einkauf: Gesamtbestellung mit Teillieferungsmengen und Anschriften der Teilnehmer aufgeben (ERP, MS-Office) 8) Ausschreibungsteilnehmer: Zu- oder Absage zum angebotenen Preis (Staffelpreis) abgeben (MS-Office) Zusammenstellung der Ausschreibungsunterlagen
5) Einkauf Bündelung der Bedarfe aller AusschreibungsTeilnehmer (MS-Office) 7) Einkauf: Manuelle Zu- und Absagen der Ausschreibungsteilnehmer zum angebotenem Preis (Staffelpreis) einholen (MS-Office)
6) Einkauf: Angebote einholen, Preise aushandeln (vgl. Ausschreibungsprozess)
Abbildung 6-11 stellt dar, wie der office-gestützte Prozess des Zusammenführens von Bedarfen von vielen Unternehmen aktuell praktiziert wird: Für einen im eigenen Unternehmen entstandenen Bedarf erkennt der Einkäufer, dass auch andere (Schwester-) Unternehmen das gleiche Material benötigen könnten (1, 2, 3). Diese Unternehmen werden als Ausschreibungsteilnehmer manuell ausgewählt und einzeln angeschrieben (4). Nach dem Zurückschicken der Bedarfe durch die Ausschreibungsteilnehmer bündelt der Einkauf diese Bedarfe und schreibt die zusammengefassten Mengen aus. Mit den Lieferanten werden dann häufig mengenabhängige Staffelpreise ausgehandelt (5, 6). Die Verhandlungsergebnisse bekommen die Ausschreibungsteilnehmer mitgeteilt, woraufhin diese die Möglichkeit haben, ihre Teilnahme an der gemeinsamen Beschaffung zu- oder abzusagen (7, 8). Im letzten Schritt wird die eigentliche Bestellung mit den jeweiligen Teilmengen der Ausschreibungsteilnehmer aufgegeben (9). Der Prozess ist durch eine Vielzahl von manuellen, papierbezogenen, nicht standardisierten Schritten gekennzeichnet. Der Aufwand für das ausschreibende Unternehmen ist enorm hoch und wächst mit jedem Ausschreibungsteilnehmer, der dazu kommt. Die Gefahr, dass die Reduzierungen der Einstandspreise durch die erhöhten Prozess-
218
Anbahnung
kosten aufgezehrt werden, ist in Abhängigkeit vom Beschaffungsvolumen und den erzielten Einsparungen ggf. sehr hoch. Abbildung 6-12 stellt die internetgestützte Variante des Zusammenführens von Bedarfen bzw. gemeinsamen Ausschreibens dar. Analog zum in Abschnitt 5.2.3.2 beschriebenen Prozess wird auch hier durch das e-RFx-Tool eine Kollaborationsplattform bereitgestellt, über die die beteiligten Firmen bzw. Abteilungen in vereinfachter Weise zusammenarbeiten können. Die Vereinfachungen sehen dabei wie folgt aus: Für die verschiedenen Materialgruppen verwaltet das SRM-Tool die für eine Ausschreibung in Frage kommenden Firmen. Diese werden im Bedarfsfall automatisch vorgeschlagen (3) und per e-Mail auf die geplante Ausschreibung hingewiesen. Über das SRM-Tool haben die Ausschreibungsteilnehmer dann die Möglichkeit, ihre Bedarfe abzugeben (4). Die im SRM-Tool eingepflegten Bedarfe können anschließend automatisch summiert und ausgeschrieben werden (5, 6). Das Einholen der Zu- und Absagen der Ausschreibungsteilnehmer erfolgt in den beiden anschließenden Schritten erneut in vereinfachter Weise über die Kollaborationsplattform (7, 8).
Abbildung 6-12: Internetgestütztes Zusammenführen von Bedarfen über eine Kollaborationsplattform 2) Vorgesetzter: Elektronische Freigabe (ERP, SRM)
1) Anforderer: Bedarfsmeldung für Standardmaterial (ERP,SRM)
3) Einkauf: Automatische Vorschläge von Ausschreibungsteilnehmern durch SRM-Tool, Auswahl durch Einkäufer, automatische Anfrage bei ausgewählten Teilnehmern per e-Mail (SRM)
4) Ausschreibungsteilnehmer: Eingang der elektronischen Teilnahmeanfrage und Systemlink, Einpflegen der benötigten Menge im System des ausschreibenden Unternehmens (SRM) 9) Einkauf: Gesamtbestellung mit Teillieferungsmengen und Anschriften der Teilnehmer elektronisch an Lieferanten übertragen (SRM, ERP)
. ..
8) Ausschreibungsteilnehmer: Zu- oder Absage zum angebotenen Preis (Staffelpreis) im System des ausschreibenden Unternehmens abgeben (SRM)
5) Einkauf: Bedarfe werden vom System automatisch gebündelt (SRM) 6) Einkauf: Angebote einholen, Preise aushandeln (vgl. Ausschreibungsprozess) 7) Einkauf: Zu- und Absagen der Ausschreibungsteilnehmern zum angebotenem Preis (Staffelpreis) elektronisch einholen (SRM)
Zusammenstellung der Ausschreibungsunterlagen
219
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Tabelle 6-2 stellt die Eigenschaften der beiden vorgestellten Prozessszenarien gegenüber. Wie schon bei den anderen Vergleichen des aktuellen Kapitels zeichnet sich der internetgestützte Prozess durch die elektronische Abwicklung und verkürzte Durchlaufzeit aus. Der Abstimmungsprozess der Beteiligten wird durch den von der IT klar vorgegebenen Workflow standardisiert und automatisiert und damit letztendlich stark vereinfacht. Ein mühsames Zusammenführen und Verwalten mehrerer Exceltabellen oder anderer Dokumente entfällt. Die beschriebenen Vorteile des internetgestützten Prozesses sind aber nicht ohne entsprechende Vorarbeiten zu realisieren. Neben dem auch beim office-gestützten Prozess erforderlichen Abstimmen der gemeinsam zu beschaffenden Materialien bzw. Materialgruppen, sind diese genau wie die zugeordneten Ausschreibungsteilnehmer im System im Detail zu hinterlegen. Einstandspreisreduktionen sind in beiden Fällen möglich, werden aber beim internetgestützten Prozess wegen der einfacheren Abwicklung, die zu einer vermehrten Anwendung des gemeinsamen Ausschreibens führen kann, wahrscheinlich noch häufiger realisiert.
Tabelle 6-2:
Varianten des Zusammenführens von Bedarfen im Vergleich
Merkmal
Manuell
Internetgestützt
Medium
stark papierbasiert
elektronisch
Durchlaufzeit
sehr lang
stark verkürzt
Abstimmungsprozess der Beteiligten
sehr komplex
durch Automatisierung und Standardisierung stark vereinfacht
Erforderliche Vorarbeiten
strategische Vorarbeiten erforderlich
erhebliche strategische und ITseitige Vorarbeiten erforderlich
Einstandspreisreduktion
möglich
möglich
Bei den Implementierungsvarianten und der ERP-Integration sind die Überlegungen aus Abschnitt 5.2.2.2 übertragbar. Neben dem oben beschriebenen Prozess sind auch diverse weitere Varianten des Zusammenführens von Bedarfen denkbar. So kann auch unabhängig von einem aktuell vorliegenden Bedarf versucht werden, im Voraus die Jahresbedarfe mehrerer Einheiten zu bündeln und hierfür einen entsprechenden Rahmenvertrag abzuschließen. Für das Abstimmen der Jahresbedarfe und Aushandeln der Preise könnte dann leicht abgeändert der oben beschriebene Prozess eingesetzt werden. Unternehmen einer Branche, die aus vorverhandelten Rahmenverträgen ihre Bedarfe abrufen wollen, gründen hierfür ggf. eine eigenständige Gesellschaft, die dann wiederrum einen e-Marktplatz aufsetzt. Über den e-Marktplatz können die Abrufe
220
Anbahnung
und ggf. die oben beschriebenen Prozesse des Zusammenführens realisiert werden. Ein Beispiel für einen solchen e-Marktplatz stellt pharmaplace (www.pharmaplace.de) dar. pharmaplace bündelt die Bedarfe für mittelständische pharmazeutische Unternehmen und ermöglicht nach eigenen Angaben, mit etwa 60 Kontrakten 40% des Einkaufsvolumens der angeschlossenen Unternehmen optimieren zu können. Zu Beginn des e-Business-Hypes Ende der 1990er Jahre war das gemeinsame Beschaffen über e-Marktplätze eines der TOP-Themen, von denen erwartet wurde, dass sie eine sehr starke Verbreitung erfahren würden. Hierzu kann aus aktueller Sicht festgehalten werden, dass es einige erfolgreiche e-Marktplätze gibt, viele aber auch gescheitert sind und das Thema insgesamt nicht die damals prognostizierte Verbreitung gefunden hat.
6.2.4
Kriterien für die Ausprägung der Supplier Relation durch den Ausschreibungsprozess
Nachdem nun die verschiedenen Varianten des Ausschreibungsprozesses vorgestellt wurden, sollen zunächst die lieferantenseitigen Voraussetzungen für ihre Anwendung betrachtet werden:
Office-gestützter Ausschreibungsprozess: Diese Variante stellt eine suboptimale Abwicklung einer Ausschreibung dar. Da hier keine besonderen Anforderungen an den Lieferanten gestellt werden, stellt sich hier nicht so sehr die Frage, mit welchen speziellen Lieferanten die Ausschreibung in der beschriebenen Form abzuwickeln ist. Vielmehr müssen in dem beschaffenden Unternehmen alternative Abwicklungsformen realisiert werden.
ERP-gestützter Ausschreibungsprozess: Bei dieser bereits stark optimierten Variante werden ebenfalls keine besonders hohen Anforderungen an den Lieferanten gestellt. Es müssen lediglich die Anfragen per Fax oder e-Mail empfangen werden können.
Internetgestützter Ausschreibungsprozess: Die technischen Anforderungen an den Lieferanten sind auch hier eher gering. Der Lieferant muss lediglich einen Internetanschluss haben, über den er per Webbrowser auf das e-Ausschreibungstool des Kunden zugreifen kann. Stehen in einem Unternehmen sämtliche Varianten zur Verfügung, sollte die erste möglichst nicht angewendet werden. Die zweite halbautomatische Form bietet sich an bei Lieferanten, die nur sporadisch oder einmalig angefragt werden. Hier ist der vorher erforderliche Schulungsaufwand des Lieferanten und der Abstimmungsaufwand ggf. zu hoch. Bei Lieferanten, die sehr häufig angefragt werden, liegt die internetgestützte Variante nah. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Anwendung der dritten Variante natürlich auch stark von der Macht des nachfragenden Unternehmens abhängt.
221
6.2
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Große Unternehmen, die die dritte Variante implementiert haben, werden unter Umständen bei allen Lieferanten ausschließlich die internetgestützte Abgabe eines Angebots akzeptieren (vgl. Ausführungen in Abschnitt 4.2.2.1.3). Bei sehr enger Zusammenarbeit mit den Lieferanten könnte anstelle des Einsatzes eines Webbrowsers alternativ eine EDI-Verbindung zum Lieferanten aufgebaut werden. Diese würde dann auch für den Austausch anderer Bewegungsdaten wie z.B. Bestellungen genutzt. Der Vorteil dieser Lösung besteht darin, dass die Daten beim Lieferanten nicht nochmals erfasst werden müssen, sondern hier sofort automatisch in das entsprechende ITSystem eingespielt werden. Was kann nun im Hinblick auf die Ausgestaltung der Normstrategien in Verbindung mit dem Ausschreibungsprozess empfohlen werden? Für welche Materialgruppen bietet sich welche Ausschreibungsform an? Am intensivsten sollten Ausschreibungen unabhängig von der technischen Abwicklung bei Hebelmaterialien vorgenommen werden, da hier die größten Einsparpotenziale zu realisieren sind. Wegen des großen Marktpotenzials können die Lieferanten hier sicherlich auch am ehesten zu einer Nutzung des vom einkaufenden Unternehmen eingesetzten e-Ausschreibungstools aktiviert werden. Dies gilt in ähnlicher Weise für Standardmaterialien mit dem Unterschied, dass wegen des geringen Beschaffungsvolumens dieser Materialien der Ausschreibungsprozess hier nicht so häufig durchgeführt werden sollte. Bei strategischen Materialien kann zur Suche nach dem richtigen strategischen Partner die elektronische Ausschreibung ebenfalls sinnvoll sein, wenn dieses Medium von Seiten der potenziellen Lieferanten akzeptiert wird. Ist dies nicht der Fall sollte die Ausschreibung halbautomatisch erfolgen. Ist der richtige strategische Lieferant gefunden, so hat das Thema Ausschreibungen für die entsprechenden Materialgruppen für längere Zeit nur geringe Bedeutung, da langfristige Wertschöpfungspartnerschaften mit den ausgewählten Lieferanten aufgebaut werden sollten. Bei Engpassmaterialien steht mehr der e-RFI (Request for Information) im Vordergrund, da es hier nicht so sehr um den Preis, sondern vielmehr um das Finden zusätzlicher Lieferanten geht, durch die das Versorgungsrisiko reduziert werden soll.
6.3
Vereinbarung
6.3.1
Gestaltung der Supplier Relation durch die Preisverhandlung und die Vertragsart
Hauptgegenstand der Vereinbarungsphase ist neben dem Festlegen von rechtlichen Bedingungen und der detaillierten Abstimmung der zu liefernden Leistung die Verhandlung der endgültigen Preise. Werden vom Abnehmer die ggf. durch eine Ausschreibung ermittelten Preise akzeptiert und sind rechtliche Rahmenbedingungen
222
Vereinbarung
sowie die Leistung im Ausschreibungsprozess schon genau beschrieben worden, können diese Schritte entfallen. Bei hohen Beschaffungsvolumina gibt es in der Vereinbarungsphase aber häufig noch erheblichen Handlungsbedarf. Dies gilt insbesondere für die Preisverhandlung, die ein Merkmal der Supplier Relation darstellt. Abbildung 6-3 listet die beiden Ausprägungen dieses Merkmals (manuell, internetgestützt) auf. Die Varianten unterscheiden sich in den unterstützenden Informationssystemen und in ihrer Effizienz. Im nachfolgenden Abschnitt werden die beiden Prozessvarianten im Detail gegenübergestellt. Als Ergebnis der Vereinbarungsphase entsteht ein Vertrag. In Abhängigkeit von der angestrebten Dauerhaftigkeit der Beziehung und dem Umfang der Bedarfe handelt es sich um eine Einzelbestellung oder einen Rahmenvertrag. Der Rahmenvertrag kann in Abhängigkeit von den Liefermöglichkeiten der betreffenden Lieferanten und von den Orten, an denen der Bedarf besteht, als lokaler oder globaler Vertrag ausgeprägt sein. Die Vertragsart beeinflusst die Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferant ganz wesentlich, deshalb ist sie genau wie die Preisverhandlung als Merkmal der Supplier Relation zu interpretieren.
6.3.2
Verschiedene Varianten des IT-gestützten Preisverhandlungsprozesses
6.3.2.1
Manueller Prozess der Preisverhandlung
Abbildung 6-13 zeigt die typischen Schritte der Preisverhandlung, wie sie in vielen Unternehmen bei komplexen Beschaffungsvorhaben heute praktiziert werden: Das Sekretariat stimmt nach Vorgabe der Einkaufsleitung Verhandlungstermine mit den potenziellen Lieferanten ab (1, 2). Die Verhandlungen werden eine nach der anderen mit den verschiedenen Bietern durchgeführt (3, 4, 5). Ggf. wird mit Bietern, die in die engere Wahl kommen, eine weitere Verhandlungsrunde abgewickelt (6, 7, 8). Letztendlich erhält einer der Bieter den Zuschlag (9). Dieses vielfach praktizierte Vorgehen hat den Vorteil, dass neben dem Preis auch sofort andere Aspekte, wie ggf. bei Bedarf eine genauere Spezifikation der Leistungen, verhandelt werden können. Nachteilig bei dem skizzierten Prozess ist aus Abnehmersicht der hohe Zeitbedarf.
223
6.3
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Abbildung 6-13: Manueller Prozess der Preisverhandlung
6.3.2.2
Internetgestützter Prozess der Preisverhandlung
6.3.2.2.1 Grundlagen elektronischer Auktionen Vor der Erläuterung des genauen Ablaufs einer internetgestützten Preisverhandlung soll zunächst ein Überblick elektronischer Auktionen gegeben werden, die das Kernstück dieser Form der Verhandlung sind. Die Grundidee von elektronischen Auktionen (kurz: e-Auktionen) besteht darin, den Preis einer Leistung bzw. eines Materials gleichzeitig mit mehreren Lieferanten über das Internet auszuhandeln (vgl. Schwab 2003, S.4). Häufig kommen hierbei zwei verschiedene Formen zum Einsatz:
Bei den so genannten Englischen Auktionen geht es darum, als Anbieter seine Leistungen oder Materialien meistbietend zu versteigern. Dieses Vorgehen wird im B2B-Bereich z.B. für Überbestände praktiziert. Im C2C-Bereich hat der Internet-
224
Vereinbarung
marktplatz ebay dieser Art von Preisverhandlungen zu einer stark gestiegenen Bekanntheit verholfen.
Bei nachfragerseitigen Auktionen, den Reverse Auktionen (deutsch: umgekehrte Auktion), haben die Einkäufer die Möglichkeit, ihre Bedarfe zu versteigern. Sie geben den Preis vor, den sie bereit sind, für die zu beschaffenden Materialien zu bezahlen. Die Bieter haben dann die Möglichkeit, innerhalb eines Zeitraumes von z.B. einer Stunde diesen Vorgabepreis bzw. die Preise der Mitbewerber laufend zu unterbieten. In der Praxis kommen noch weitere Formen von Auktionen vor wie etwa die holländische oder japanische Auktion, zur Vertiefung siehe (Stoll 2007, S.31f.) Im Folgenden sind mit elektronischen Auktionen immer die für die Beschaffung relevanten Reverse Auktionen gemeint. Diese Form der Preisverhandlung ist als alternatives Instrument gedacht, das die manuelle Preisverhandlung jedoch nicht überflüssig macht. Der Grund hierfür besteht in der beschränkten Einsetzbarkeit von elektronischen Auktionen.
6.3.2.2.2 Kriterien für die Auktionierbarkeit Bei weitem nicht jedes Material oder jede Leistung ist für eine Auktion geeignet. Nachfolgend werden einige Kriterien aufgezählt, die bei Prüfung eines Materials auf Auktionierbarkeit bewertet werden sollten:
Die Anzahl der potenziellen Lieferanten beeinflusst die Auktionierbarkeit. Gibt es nur sehr wenige Lieferanten sollte eine Auktion nicht durchgeführt werden. Grundsätzlich wird eine Auktion durch jeden weiteren Lieferanten begünstigt.
Das Kriterium Lieferantenwechselrisiko bewertet die Gefahren, denen sich das Unternehmen aussetzt, wenn es einen anderen oder neuen Lieferanten beauftragt (z.B. Know-how-Abfluss, Qualitätsgesichtspunkte oder auch Produktivitätsveränderungen).
Mit dem Kriterium Lieferantenwechselkosten sollen die finanziellen Auswirkungen eines Lieferantenwechsels berücksichtigt werden, vor allem produktionsbezogene Umrüstkosten oder Qualifizierungskosten.
Mit dem Auswahlkriterium Preis soll die Bedeutung des Preises bei der Materialbeschaffung berücksichtigt werden. Spielt der Preis bei der Auswahl der Lieferanten nur eine untergeordnete Rolle, ist eine Beschaffung über Auktionen wenig sinnvoll.
Der Markt kann sich von unübersichtlich bis sehr transparent darstellen. Bei sehr transparenten Märkten treten die Produkte bzw. Lieferanten eher in Wettbewerb als bei unübersichtlichen Märkten. Aus diesem Grund wirkt eine hohe Markttransparenz tendenziell auktionsfördernd.
225
6.3
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Die Preisdynamik ist ein wichtiges Indiz für die Auktionierbarkeit eines Materials. Bei sehr starren Marktpreisen wird vermutlich kaum der Einstandspreis reduziert und der Wettbewerb intensiviert werden können. Bei schwankenden Preisen kann eher von einem nicht völlig ausdifferenzierten Markt ausgegangen und somit auf Verhandlungsspielraum bzw. funktionierenden Wettbewerb geschlossen werden.
Elektronische Auktionen lohnen sich wegen der durch sie verursachten Kosten erst bei einem höheren Beschaffungsvolumen.
Nur wenn die zu beschaffende Leistung vorab genau spezifiziert werden kann (Spezifikation), ist eine Vergleichbarkeit möglich, die eine Voraussetzung für die Auktion darstellt.
Sind bei den Materialien viele unterschiedliche Leistungen zu bewerten (spezifische Eigenschaften mit ausgewiesenen Einzelpreisen), wird eine Auktion erschwert.
Die Akzeptanz der Form stellt genau wie die Internetfähigkeit der Teilnehmer eine Grundvoraussetzung für eine Auktion dar.
Werden mit den Lieferanten viele Gegengeschäfte abgewickelt kommt eine Auktion eher nicht in Frage. Um die Auktionierbarkeit eines Materials zu beurteilen, sind die obigen Kriterien für das Material zu bewerten. Nur wenn nahezu alle Kriterien so ausgeprägt sind, dass die Auktion begünstigt wird, ist eine Auktion insgesamt auch sinnvoll. Bei einigen Kriterien, z.B. Preisdynamik, Spezifikation oder Akzeptanz der Form, kann bei einer auktionshemmenden Ausprägung die Betrachtung sofort abgebrochen werden, da sie in der Regel als K.O.-Kriterien einzustufen sind. Die Erfahrung zeigt, dass Materialien aus dem Portfoliofeld der Hebelmaterialien (vgl. Abschnitt 6.1.2.2) auf Grund ihrer hohen Standardisierung und den vielen Wettbewerbern am häufigsten für eine Auktion geeignet sind. Für eine genauere Darstellung der Anwendung obiger Kriterien vgl. Appelfeller/Ohlms/Schinz 2003, S.37ff. Einen ähnlichen Kriterienkatalog stellt Schwab vor (vgl. Schwab 2003, S.78ff.).
6.3.2.2.3 Prozessablauf der internetgestützten Preisverhandlung Abbildung 6-14 stellt den internetgestützten Prozess der Preisverhandlung dar: In diesem Prozess entfällt die individuelle Terminabsprache mit den Bietern. Die Lieferanten bekommen per e-Mail oder auf dem Postweg eine Information über den Auktionstermin und einen Zugang zum Auktionssystem (1). Handelt es sich um eine erstmalige Auktionsteilnahme führt ein Dienstleister, der ggf. auch das System bereitstellt, eine Schulung der Lieferanten durch (2). Die eigentliche Preisverhandlung findet anschließend zum angekündigten Termin statt. Vom zeitlichen Umfang wird häufig etwa eine Stunde zur Abgabe der Gebote eingeplant (3). Wird in den letzten Minuten vor
226
Vereinbarung
Auktionsende noch ein Gebot abgegeben, wird die Auktion verlängert. Nach Abschluss der Auktion bekommt einer der Bieter den Zuschlag, der dann elektronisch mitgeteilt wird (4).
Abbildung 6-14: Internetgestützter Prozess der Preisverhandlung
6.3.2.2.4 Vorteile der internetgestützten Preisverhandlung Das besondere an der Auktion ist die Parallelität der Verhandlung. Es wird automatisch mit allen Bietern gleichzeitig verhandelt. Die Bieter bekommen dabei Transparenz, ob und in welcher Höhe Konkurrenten, die jedoch anonym bleiben, ihr eigenes Gebot unterbieten. Diese Situation wird bei einer manuellen Preisverhandlung so nicht hergestellt und soll zu noch höheren Preiszugeständnissen der Lieferanten führen. Anbieter von Auktionsplattformen geben hier zum Teil sehr hohe Einsparungen an. Bei diesen Angaben muss jedoch genau geprüft werden, von welchem Basispreis ausgegangen wird. Ferner stellt sich auch die Frage, ob das gleiche Ergebnis nicht auch bei einer manuellen Verhandlung erzielt worden wäre. Ein weiterer für e-Auktionen häufig genannter Vorteil besteht in der Prozesskostenersparnis. Dieser Vorteil ist insbesondere dann nachvollziehbar, wenn der Bieterkreis eAuktionen bereits kennt und nicht für jede Auktion extra geschult werden muss. Der Wegfall der sequenziellen Preisverhandlung kann in diesem Fall zu beträchtlichen
227
6.3
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
Zeit- und damit Prozesskosteneinsparungen führen. Hierbei darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch bei e-Auktionen, falls es sich nicht um klar spezifizierte Standardgüter handelt, Vorverhandlungen zur detaillierten Leistungsabstimmung und zu den Rahmenbedingungen geführt werden müssen. Tabelle 6-3 stellt die beschriebenen Eigenschaften von manuellen und internetgestützten Preisverhandlungen im Überblick dar.
Tabelle 6-3:
Manuelle und internetgestützte Preisverhandlung im Vergleich
Merkmal
Manuell
Internetgestützt
Anwendbarkeit
immer
wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind
Preistransparenz
beim Abnehmer ggf. nicht im Detail vorhanden, beim Bieter häufig gar keine Transparenz
sowohl beim Abnehmer als auch beim Bieter während der Verhandlung und im Nachhinein gegeben
Reduktion der Einstandspreise
möglich
möglich, auf Grund besonderer Situation ggf. höher als bei manueller Verhandlung (umstritten)
Zeitbedarf
hoch, wegen sequenzieller, persönlicher Verhandlungen
reduziert, wegen paralleler elektronischer Durchführung
Prozesskosten
hoch
bei Standardgütern und auktionserfahrenen Bietern geringer als im manuellen Fall
Vorarbeiten zur Preisverhandlung
erforderlich, abhängig von zu beschaffenden Leistungen
erforderlich, abhängig von zu beschaffenden Leistungen
6.3.2.2.5 Implementierung und Preisverhandlungen
ERP-Integration
internetgestützter
Die in Kapitel 2, Abschnitt 2.3.3 vorgestellten Implementierungsvarianten von SRMSystemen gelten wie schon bei e-Ausschreibungen analog bei SRM-Tools für eAuktionen: 1.
Hosting und Administration eines SRM-Tools für e-Auktionen durch die ITAbteilung des beschaffenden Unternehmens
2.
Hosting und Administration eines SRM-Tools für e-Auktionen durch einen Application Service Provider
3.
Hosting und Administration eines SRM-Tools für e-Auktionen durch einen elektronischen Marktplatz
228
Vereinbarung
In allen drei Varianten kann das SRM-Tool für e-Auktionen jeweils Bestandteil eines umfassenderen SRM-Systems sein. In vielen Fällen sind insbesondere die Tools für eAusschreibungen und e-Auktionen eng aufeinander abgestimmt. Bei den Implementierungsvarianten ASP und elektronischer Marktplatz werden von den Anbietern neben der Bereitstellung des Tools häufig ergänzende Dienstleistungen angeboten. Hierzu gehören z.B.:
Auswahl auktionsgeeigneter Materialien Festlegung des Auktionsdesign (Dauer, Verlängerungsmöglichkeiten, Bietschritte) Vorschlag von Lieferanten Auktionsbetreuung Schulung von Lieferanten und Abnehmern Die Diskussion der ERP-Integration ist analog zu den e-Ausschreibungen zu führen. Die gleichen Stamm- und Bewegungsdaten sind hier relevant. Wann ist nun welche Implementierungsvariante und welches Integrationsszenario zu empfehlen? Die Frage sollte im Wesentlichen in Abhängigkeit von den beiden folgenden Kriterien beantwortet werden:
Umfang auktionierbarer Materialien und Dienstleistungen Erfahrungen mit e-Auktionen Gibt es noch wenige Erfahrungen mit e-Auktionen und kann der Umfang der auktionierbaren Güter noch nicht eingeschätzt werden, empfiehlt sich grundsätzlich eine Testphase ohne ERP-Integration, in der die Auktionen über einen e-Marktplatz abgewickelt werden. Hierbei können die ergänzenden Dienstleistungen des e-Marktplatzes zum Einsatz kommen. Stellt sich heraus, dass dauerhaft nur wenige Materialien über Auktionen verhandelt werden, kann dieser Ansatz auch eine langfristige Lösung darstellen. Ist nach der Testphase absehbar, dass sich die internetgestützte Preisverhandlung auf viele Materialien und Dienstleistungen anwenden lässt, sollte auch über die anderen Implementierungsvarianten in Verbindung mit einer teilweisen oder vollständigen ERP-Integration nachgedacht werden. Die Entscheidungen für eine Implementierungsvariante und ein Integrationsszenario für e-Auktionen sollten nicht unabhängig von den entsprechenden Entscheidungen für e-Ausschreibungen getroffen werden. Ein Unternehmen, das den Einsatz von eAuktionen plant, sollte in diesem Kontext auch e-Ausschreibungen betrachten, da es hier häufig Abhängigkeiten gibt. Sind z.B. die Ergebnisse einer e-Ausschreibung für das einkaufende Unternehmen unbefriedigend, so kann darüber nachgedacht werden, eine e-Auktion anzuschließen. Einige SRM-Tools sehen hier die Umwandlung einer eAusschreibung in eine e-Auktion sogar explizit vor. Darüber hinaus muss wie oben beschrieben weitgehend mit den gleichen Stamm- und Bewegungsdaten gearbeitet
229
6.3
6
IT-gestützter strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene
werden. Auch vor diesem Hintergrund ist die Auswahl der Implementierungsvariante und des Integrationsszenarios für Auktionen und Ausschreibungen aufeinander abzustimmen bzw. im Regelfall sogar identisch zu wählen. In Kapitel 8 werden die Diskussion um die Implementierungsvarianten und Integrationsszenarien der verschiedenen SRM-Tools im Kontext sämtlicher SRM-Tools geführt und verschiedene Gesamtstrategien dargestellt.
6.3.2.2.6 Beispieltools für internetgestützte Preisverhandlungen Wie bei den elektronischen Ausschreibungen sollen auch für e-Auktionen einige Beispieltools genannt werden. Bezüglich Vollständigkeit und Quellen für die Recherche nach aktuellen Tools gelten die Hinweise aus Kapitel 2, Abschnitt 2.3.3. Die Tools werden auch hier orientiert an den Implementierungsvarianten vorgestellt:
Eigenes Hosting eines SRM-Tools für e-Auktionen -
SAP SRM - Bidding Engine von der SAP AG
Hosting eines SRM-Tools für e-Auktionen durch einen Application Service Provider
-
POOL4TOOL Sourcing Portal-eAuction von der Selected Services GmbH
-
Portum Smart Sourcing Auction Engine von der Portum AG (IBX Gruppe)
Elektronischer Marktplatz mit e-Auktionsstool -
newtron SME (Small/Medium Enterprises) Auktionsmodul von der newtron AG
-
SupplyOn Bidding von der SupplyOn AG
Bezüglich der Zuordnung der Tools zu den Implementierungsvarianten gelten die gleichen Anmerkungen wie in Abschnitt 6.2.2.3 bei den e-Ausschreibungen. Die Tools kommen zum Teil auch von den gleichen Anbietern. Dies ist nicht erstaunlich, da viele Anbieter umfassende SRM-Lösungen anbieten (vgl. Kapitel 8).
6.3.3
Kriterien für die Ausprägung der Supplier Relation durch die Preisverhandlung und die Vertragsart
Nach der Darstellung der verschiedenen Varianten zur Durchführung der Preisverhandlungen soll auch hier abschließend nochmals auf die Anwendbarkeit und Verbreitung der verschiedenen Formen eingegangen werden. Im Gegensatz zu der Anwendung elektronischer Ausschreibungen muss bei elektronischen Auktionen eine Vielzahl weiterer Voraussetzungen erfüllt sein. In Abschnitt 6.3.3.2.2 sind die entsprechenden Kriterien aufgelistet worden. Bei e-Auktionen hängt die Anwendbarkeit ne-
230
Vereinbarung
ben der Zustimmung der Lieferanten auch sehr stark vom zu beschaffenden Material ab. Ist dieses nicht vorab klar spezifizierbar (vgl. Germer/Kaufmann 2004, S.63), verfügt es über viele Teile mit Einzelpreisen, ist der Preis nur eins von vielen Kriterien bei der Beschaffung des Materials, so scheidet die e-Auktion mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Die höchste Wahrscheinlichkeit für eine e-Auktion geeignet zu sein, besitzen Hebelmaterialien. Für diese lässt sich mit einer e-Auktion auch die Normstrategie „Marktpotenzial nutzen“ sehr gut unterstützen, da die potenziellen Lieferanten durch die Auktion stark in den Wettbewerb eintreten müssen. Bei Standardmaterialien ist in der Regel das Beschaffungsvolumen für die Durchführung einer Auktion zu gering, es sei denn, es wird z.B. ein Jahresbedarf versteigert. Sowohl strategische als auch Engpassmaterialien kommen für eine e-Auktion eher nicht in Frage, da hier die Lieferantenbasis zu klein ist. Darüber hinaus ist bei strategischen Materialien eine Auktion mit der Normstrategie „Wertschöpfungspartnerschaften aufbauen“ eher nicht vereinbar. Bezüglich der Verbreitung von e-Auktionen lässt sich die Aussage treffen, dass diese im Vergleich zur Verbreitung von e-Ausschreibungen zurück liegen. Nutzen eAusschreibungen schon mehr als 20% der Unternehmen länger als 3 Jahre, so sind es bei den e-Auktionen nur 14% der Unternehmen, die diese schon länger als drei Jahre anwenden (vgl. Bogaschewsky 2010, S.2). Grundsätzlich besteht gegenüber Auktionen bei vielen Einkäufern Skepsis im Hinblick auf die Reduktion der Einstandspreise. Hier sind Einkäufer zum Teil der Meinung, dass die Reduktionen auch konventionell erreichbar gewesen und vielleicht noch höher ausgefallen wäre. Die geringere Verbreitung von e-Auktionen kann aber auch darauf zurückzuführen sein, dass sie wie oben beschrieben nur auf einen Teil der zu beschaffenden Materialien anwendbar sind. Welche Vertragsart für die Beschaffung eines Materials gewählt wird, hängt davon ab, ob es sich um einen einmaligen oder mehrfachen Bedarf handelt. Im letzteren Fall sollte versucht werden, einen Rahmenvertrag auszuhandeln, um durch die langfristige Abnahme größerer Mengen Einstandspreisreduktionen zu realisieren. Bei Hebelmaterialien ist hierbei darauf zu achten, dass die Laufzeiten kürzer gewählt werden, um immer wieder nach alternativen ggf. günstigeren Lieferanten suchen zu können. Im Falle eines global agierenden Unternehmens sollte bei Verfügbarkeit entsprechender Lieferanten der Rahmenvertrag ebenfalls global ausgeprägt sein. D.h. der Lieferant sollte das Unternehmen in allen Niederlassungen beliefern. Einkaufsseitig kann dies technisch durch das Contract Management Tool eines SRM-Systems (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.5.1.1.2) unterstützt werden. Dieses Tool verwaltet den globalen Kontrakt und bietet die Möglichkeit, lokale Instanzen des Kontraktes in die ERP-Systeme der einzelnen Niederlassungen bzw. Länder zu replizieren.
231
6.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
7.1
Einführung und Überblick
7.1.1
Gestaltung der Supplier Relation durch den operativen Beschaffungsprozess
In diesem Kapitel wird dargestellt, wie die Beschaffung nach den Vorarbeiten auf gesamtstrategischer Ebene und der Ableitung der Materialgruppenstrategien nun operativ umgesetzt werden kann. Zu diesem Zweck werden sowohl für direkte als auch für indirekte Materialien und Dienstleistungen verschiedene Beschaffungsmodelle und innerhalb der Modelle nochmals verschiedene Prozessvarianten für den operativen Beschaffungsprozess beschrieben. Hierbei wird konsequent die unterstützende Informationstechnologie dargestellt. Die Prozessbeschreibungen sind durchgängig sehr detailliert, um für Optimierungsvorhaben konkrete Vorschläge und Orientierungen zu geben. Grundsätzlich unberücksichtigt bleiben in diesem Kapitel Beschaffungsmarktforschung und Preisverhandlungen. Es wird vorausgesetzt, dass diese gemäß dem beschriebenen 3-Ebenen-Modell der Beschaffung bereits durchgeführt worden sind und dementsprechend auf Basis von Rahmenverträgen oder individuellen Preisverhandlungen Bestellungen abgerufen werden können. Wo ist nun der Zusammenhang zum Supplier Relationship Management? Mit den verschiedenen Beschaffungsmodellen und Prozessvarianten wird ein Angebot für die operative Beschaffung der einzelnen Materialgruppen bereitgestellt. Jeder Materialgruppe ist ein operatives Beschaffungsmodell bzw. eine Prozessvariante zuzuordnen, mit der die Materialgruppe operativ beschafft werden soll. Durch diese Zuordnung wird eine wohl definierte, optimierte und standardisierte Prozessabwicklung ermöglicht und letztendlich die Supplier Relation auf operativer Ebene festgelegt. Das in Kapitel 6 vorgestellte PFSR-Modell (vgl. Abbildung 6-3) stellt die Ausprägungen des Merkmals operatives Beschaffungsmodell im Überblick dar. Je nachdem welche der Ausprägungen gewählt wird, entsteht eine andere Form der Zusammenarbeit auf operativer Ebene und damit eine andere Supplier Relation. So arbeiten z.B. Lieferant und beschaffendes Unternehmen bei der Vorratsbeschaffung weniger eng abgestimmt zusammen als bei einem Vendor Managed Inventory oder einer produktionssynchronen Beschaffung.
232 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Einführung und Überblick
Was charakterisiert nun die zu unterscheidenden Beschaffungsmodelle? Die Abbildungen 7-1 und 7-2 nehmen eine erste Konkretisierung der verschiedenen Modelle vor und stellen dabei heraus, wer jeweils für die Abwicklung von Beschaffung und Lagerhaltung verantwortlich ist (vgl. Nyhuis/Rottbauer 2003, S.123ff.). In den Abschnitten 7.2 und 7.3 werden die zu den Modellen gehörenden Prozesse und deren ggf. vorkommenden Varianten im Detail beschrieben. Hierbei stehen die Material- und Informationsflussgestaltung im Mittelpunkt. In Abschnitt 7.4 erfolgt dann ein Vergleich der Modelle, der insbesondere die Einsatzkriterien gegenüberstellt und somit Aussagen darüber trifft, wann und welche Supplier Relation gewählt werden sollte.
Abbildung 7-1:
Beschaffungsmodelle für direkte Materialien
233
7.1
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Abbildung 7-2:
7.1.2
Beschaffungsmodelle für indirekte Materialien und Dienstleistungen
Varianten der IT-gestützten Optimierung operativer Beschaffungsprozesse
Die oben genannten Beschaffungsmodelle können in einer Vielzahl von Varianten, die sich in der Prozesslogik und –effizienz unterscheiden, implementiert werden. Fünf dieser Varianten werden nachfolgend vor den Detailbetrachtungen in den Abschnitten 7.2 und 7.3 im Überblick dargestellt: 1.
Suboptimale Beschaffung
2.
Konventionelle Beschaffung ohne Integration des Lieferanten
3.
Konventionelle Beschaffung mit Vollintegration des Lieferanten
4.
Internetbasierte Beschaffung mit teilweiser Integration des Lieferanten
5.
Internetbasierte Beschaffung mit Vollintegration des Lieferanten
Der Begriff konventionelle Beschaffung soll grundsätzlich ausdrücken, dass das Internet in den beschriebenen Beschaffungsprozessen nicht zum Einsatz kommt. Bei Variante 1 wird grundsätzlich der Einkauf für das Auslösen der Bestellung eingesetzt. Die Datenübertragung erfolgt papierbasiert sowohl intern als auch unternehmensübergreifend. Die Rechnungsprüfung wird mit Hilfe eines Umlaufs der Rechnung im Unternehmen realisiert.Variante 2 stellt eine erste Optimierung der suboptimalen Variante dar. Der Abruf der Bestellung wird ggf. von Lager- oder Fachabteilungsmitarbeitern durchgeführt. Die Datenübertragung erfolgt papierbasiert oder per Fax. Die Rechnungsprüfung wird ohne Umlauf auf Basis der Daten im ERPSystem durchgeführt. Eine Integration des Lieferanten findet hier insofern nicht statt,
234
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
als dass er keine Verbindung zu den IT-Systemen des Abnehmers hat und auch keine Daten frühzeitig bereitgestellt bekommt. Variante 3 stellt eine weitere Optimierung dar. Für die Datenübertragung wird nun EDI eingesetzt und hiermit eine direkte Verknüpfung mit dem Lieferantensystem vorgenommen. Darüber hinaus wird auch die organisatorische Integration des Lieferanten verstärkt. Er braucht keine Rechnungen mehr zu stellen, sondern bekommt sein Geld über eine Gutschrift. Die Variante 4 setzt zur Optimierung das Internet ein. Der Lieferant bekommt über ein Supplier Portal Zugriff auf Kundendaten wie Bestände, Bedarfe, Bestellungen etc.. Diese Daten kann er einsehen und ggf. herunterladen, aber nicht automatisiert in seinem System weiterverarbeiten. Aus diesem Grund wird von einer teilweisen Integration des Lieferanten gesprochen. Die Rechnung wird dem Abnehmer bei dieser Variante über das Supplier Portal bereitgestellt. Variante 5 nutzt ebenfalls das Internet. Sie stellt das Gegenstück zur dritten Variante dar. Der Datenaustausch erfolgt hier anstelle von EDI per XML. Die Abrechung erfolgt ebenfalls über eine Gutschriftenabwicklung. Die Ausführungen zu den einzelnen Varianten machen deutlich, dass nicht nur durch die Wahl des Beschaffungsmodells die Supplier Relation bestimmt wird. Auch die konkrete Umsetzung des Modells durch die verschiedenen Varianten, hat einen weiteren wichtigen Einfluss auf die Zusammenarbeit zwischen abnehmendem Unternehmen und Lieferant.
7.2
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
7.2.1
IT-gestützte Optimierung der Vorratsbeschaffung
7.2.1.1
Einführung
Die Vorratsbeschaffung stellt einen klassischen Beschaffungsprozess dar, der trotz aller Bemühungen, Materialien Just-in-time zu liefern, in vielen Unternehmen, insbesondere wenn Serienproduktion vorliegt, nach wie vor relevant ist. Die Bestandsverantwortung liegt bei diesem Beschaffungsmodell beim Abnehmer. Er ist dafür verantwortlich, dass immer ausreichend Ware in seinem eigenen Lager verfügbar ist. Der Abnehmer nimmt die Disposition manuell oder automatisch selber vor. Die Anliefe-
235
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
rung erfolgt entweder periodisch oder nach Bedarf am Lager des Abnehmers. Der Lieferant fakturiert in der Regel nach der Anlieferung. Das skizzierte Beschaffungsmodell wird in der Praxis in allen fünf oben genannten Prozessvarianten realisiert. Dementsprechend wird für die Vorratsbeschaffung die Umsetzung der fünf Varianten im Detail beschrieben. Bei den anderen Beschaffungsmodellen werden die Varianten dann vielfach durch eine Beschreibung der Abweichungen zur Vorratsbeschaffung dargestellt.
7.2.1.2
Suboptimale Vorratsbeschaffung
Abbildung 7-3 zeigt die Variante der suboptimalen Vorratsbeschaffung: Im ersten Schritt werden für die bestandsmäßig geführten Materialien auf Basis einer periodischen Bedarfsermittlung vom ERP-System automatisch Bestellanforderungen mit den zu beschaffenden Mengen generiert (1a). Dieser auch als Dispositionslauf bezeichnete Vorgang wird für nicht bestandsmäßig geführte Materialien manuell durchgeführt. In diesem Fall prüft ein Lagermitarbeiter per Sichtkontrolle die Bestände, ermittelt aus Erfahrung die Bestellmenge und trägt diese in eine im ERP-System von ihm manuell angelegte Bestellanforderung ein (1b). Im nächsten Schritt wandelt der Einkauf die Bestellanforderungen im ERP-System in eine Abrufbestellung um. Dies setzt jedoch voraus, dass vorher Rahmenverträge für die Materialien ausgehandelt wurden (2). Beim Lieferanten wird die auf dem Postweg übermittelte Bestellung als Auftrag im ERP-System erfasst und eine Auftragsbestätigung versendet, die dann wiederum im Einkauf des Abnehmers erfasst wird (3,4). Anschließend erfolgen die Warenanlieferung und die Rechnungsstellung (5). Beim Abnehmer wird dann kontrolliert, ob die richtigen Materialien in der richtigen Menge, termingerecht und unbeschädigt angeliefert worden sind. Anschließend erfolgt die Wareneingangsbuchung, mit der die Anlieferung der Ware dokumentiert und der Bestand im System erhöht wird (6). Die nun folgende Rechnungsprüfung gestaltet sich im suboptimalen Prozess hoch komplex. Die Kreditorenbuchhaltung nimmt zunächst eine rechnerische Prüfung der Rechnung vor, d.h. sie prüft unterstützt durch das ERP-System, ob es bei der zu bezahlenden Summe zu Rechenfehlern gekommen ist. Dann wird, auch wenn keine Fehler vorliegen, zunächst nur eine Vorerfassung der Rechnung durchgeführt (7). Hieran anschließend wird die Rechnung, häufig verbunden mit einem sogenannten Korrekturbeleg, an das Lager weitergeleitet. Dort wird dann mit der fachtechnischen Richtigkeit geprüft, ob die in Rechnung gestellten Mengen auch tatsächlich geliefert wurden (8). Die nächste im Einkauf vorgenommene Prüfung bestätigt die Richtigkeit der in Rechnung gestellten Preise (9). Zum Schluss gelangt die Rechnung zurück in die Kreditorenbuchhaltung, wo die im Korrekturbeleg festgehaltenen Bestätigungen oder Abweichungen vor der endgültigen Buchung der Rechnung berücksichtigt werden (10).
236
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Abbildung 7-3:
Prozessvariante: Suboptimale Vorratsbeschaffung
Der beschriebene Prozess weist eine Vielzahl von Nachteilen auf:
Die Arbeitsteilung zwischen Lager und Einkauf verzögert den Prozess in unnötiger Weise und verlängert die Durchlaufzeit.
Der Bestelldatenaustausch zwischen Abnehmer und Lieferant ist ineffizient. Die im einkaufenden Unternehmen erfassten Bestelldaten werden beim Lieferanten in Form des Auftrags noch einmal eingegeben. Das gleiche gilt für die Auftragsbestätigung in umgekehrter Art und Weise.
Der Rechnungsprüfungsprozess ist stark papierbasiert, ineffizient und hat eine sehr lange Durchlaufzeit, die dazu führt, dass Skonti ggf. nicht mehr abgezogen werden können.
Bei genauer Betrachtung ist der Durchlauf der Rechnung durch das Unternehmen, den man als „Rechnungstourismus“ bezeichnen könnte, überflüssig. Im ERPSystem liegen mit den Wareneingangsdaten und den Bestelldaten alle zur Rechnungsprüfung erforderlichen Informationen vor. Werden im Einkauf nur Bestellungen mit aktuell gültigen Preisen angelegt und im Lager verlässlich nur die zu bezahlenden Mengen gebucht, kann der Rechnungsdurchlauf entfallen.
Insgesamt verursacht der Prozess wegen der hohen Arbeitsteilung und vieler unnötiger Schritte sehr hohe Prozesskosten.
237
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
7.2.1.3
Konventionelle Vorratsbeschaffung ohne Integration des Lieferanten
Der vorgestellte suboptimale Prozess kann durch einige einfache Veränderungen in der Prozessgestaltung schon erheblich optimiert werden. Solche Veränderungen in der Ablauforganisation, die zum Teil durch eine weitreichende oder geänderte Nutzung des ERP-Systems möglich werden und noch nicht vom Internet Gebrauch machen, sollen im Weiteren auch als konventionelle Optimierungen bezeichnet werden. Die entsprechenden Varianten der Beschaffungsmodelle werden, wie im Überblicksabschnitt 7.1.2 schon kurz erwähnt, ebenfalls als konventionell bezeichnet. Abbildung 7-4 stellt die Veränderungen des suboptimalen Prozesses im Detail dar: Im ersten Schritt werden nicht mehr nur die Bestellanforderungen bearbeitet, sondern darüber hinaus durch die Mitarbeiter vom Lager auch sofort die Abrufbestellungen erzeugt (1a, 1b). Diese werden dann automatisch aus dem ERP-System per Fax an den Lieferanten übertragen (2). Die Schritte 3, 4, 5 und 6 bleiben unverändert. Die anschließende Rechnungsprüfung hingegen wird im optimierten Prozess anders abgewickelt. Hier wird vorausgesetzt, dass die in der Bestellung ausgewiesenen Preise und Bedingungen aktuell und richtig sind. Vom Wareneingang wird erwartet, dass nur die unbeschädigte und zu bezahlende Menge gebucht wird. Auf Basis dieser Voraussetzungen hat der Kreditorenbuchhalter alle zur Rechnungsprüfung benötigten Informationen im ERP-System bei Eingang der Rechnung bereits vorliegen. Dementsprechend kann er die Prüfung in einem Schritt ohne weitere Beteiligung anderer Mitarbeiter komplett durchführen und anschließend sofort die Rechnungsbuchung vornehmen (7). Die Nachteile des suboptimalen Prozesses sind durch die konventionelle Optimierung weitgehend beseitigt. Für den neuen Prozess gelten folgende Eigenschaften:
Die Arbeitsteilung ist stark reduziert, die papierbasierten Aktivitäten sind weitgehend reduziert, die Durchlaufzeiten sind verkürzt, der „Rechnungstourismus“ ist abgeschafft und die Prozesskosten sind gesenkt worden. Der Bestelldatenaustausch bleibt bei der vorgestellten Optimierung aus Sicht des Lieferanten noch unbefriedigend. Er muss weiterhin die bereits beim Abnehmer erfassten Daten in seinem System erneut erfassen. Der Lieferant ist bei dieser Variante technisch nicht integriert. Auch organisatorisch erfolgt mit ihm keine besondere Abstimmung. Er bekommt die Bestellung und hat zu liefern. Anschließend erhält er sein Geld auf Basis der gestellten Rechnung.
238
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Abbildung 7-4:
7.2.1.4
Prozessvariante: Konventionelle Vorratsbeschaffung ohne Integration des Lieferanten
Konventionelle Vorratsbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten
Eine noch radikalere Änderung des suboptimalen Prozesses stellt die zweite, konventionelle Prozessoptimierungsvariante dar, die in Abbildung 7-5 beschrieben wird: Diese Variante unterscheidet sich von den beiden ersten Varianten in den Schritten der Bestelldatenübermittlung (2), der Auftragserzeugung (3), der Übermittlung der Auftragsbestätigung, der Rechnungsstellung (5) und der Rechnungsprüfung (7) (vgl. Abb. 7-3 und Abb. 7-4): Die Bestelldatenübermittlung zum Lieferanten erfolgt per EDI (2). Diese technische Integration des Lieferanten ermöglicht es, wie in Kapitel 2, Abschnitt 2.5.2 beschrieben, dass auf Basis der Bestellung des beschaffenden Unternehmens automatisch ein Auftrag im ERP-System des Lieferanten erzeugt wird (3). Andersherum werden die vom Lieferanten per EDI übertragene Auftragsbestätigung (3) und später ggf. auch Lieferavisen und Lieferscheine automatisch im ERP-System des Abnehmers eingepflegt. Hier besteht dann die Möglichkeit, den Wareneingang mit direktem Bezug zum Lieferschein zu buchen.
239
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Eine Grundüberlegung der betrachteten Variante besteht in der Abschaffung der Rechnungsstellung durch den Lieferanten. Das einkaufende Unternehmen hat mit den Preisen aus der Bestellung und den im Wareneingang gebuchten, gelieferten Mengen alle Informationen zur Bezahlung des Lieferanten vorliegen. Die Multiplikation von Menge und Preis und die Addition der einzelnen Positionen, die letztendlich zum Rechnungsgesamtbetrag führt, kann auch im ERP-System des abnehmenden Unternehmens durchgeführt werden. Einige ERP-Systeme unterstützen diesen Vorgang, der zum Teil als automatische Wareneingangsabrechnung bezeichnet wird. Das System liest periodisch die noch nicht abgerechneten Wareneingänge von Lieferanten, mit denen eine Abschaffung der Rechnungsstellung vereinbart worden ist. Durch Zugriff auf die korrespondierenden Bestellungen werden die Preise ermittelt, der Rechnungsgesamtbetrag berechnet und letztendlich die Buchung durchgeführt, ohne dass eine Rechnung vom Lieferanten vorliegt. Der Lieferant erhält dann in regelmäßigen Abständen ein Protokoll der geleisteten Zahlungen und ist nun seinerseits gefordert die eingegangenen Beträge zu überprüfen. Da der Lieferant hier ohne Rechnungsstellung Geld bekommt, wird das beschriebene Vorgehen auch als Gutschriftenabwicklung bezeichnet.
Abbildung 7-5:
240
Prozessvariante: Konventionelle Vorratsbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Die Vorteile dieser nochmaligen Optimierung sind unmittelbar nachvollziehbar. Die Prüfung der Rechnung entfällt komplett und damit werden die Prozesskosten ein weiteres Mal erheblich gesenkt. Die einmal in Form von Bestellung und Wareneingang im System hinterlegten Daten werden in dieser Prozessvariante als Basis für die Automatisierung genutzt. Weitere Prozesskostenreduktionen entstehen durch das nicht mehr erforderliche Einpflegen der Auftragsbestätigung im Einkauf. Neben dieser Optimierung auf Kundenseite wird der Prozess aber auch für den Lieferanten einfacher. Er braucht die erhaltene Bestellung in seinem System nicht mehr manuell anzulegen. Die beschriebenen Vereinfachungen bedürfen jedoch einer intensiven organisatorischen und technischen Abstimmung mit den betroffenen Lieferanten. Aus diesem Grund ist diese Prozessvariante nur bei Lieferanten zu empfehlen, mit denen eine Vielzahl von Rechnungen bzw. Bestellungen abgewickelt werden.
7.2.1.5
Internetbasierte Vorratsbeschaffung mit teilweiser Integration des Lieferanten
Die nachfolgend vorgestellte Prozessvariante setzt, im Unterschied zu den konventionellen Optimierungsansätzen zur Datenübertragung, das Internet ein. Abbildung 7-6 beschreibt die entsprechende Variante der Vorratsbeschaffung bei teilweiser Integration des Lieferanten. Diese Variante kann als Gegenstück zur konventionell optimierten Vorratsbeschaffung ohne Lieferantenintegration (vgl. Abbildung 7-4) gesehen werden: Die in den Schritten 1a oder 1b erzeugte Abrufbestellung wird automatisch an das SRM-Tool Supplier Self Service übertragen. Der Lieferant kann sich über das Supplier Portal auf dem Supplier Self Service einloggen und findet hier insbesondere die erzeugte Abrufbestellung, die er nun auf seinen lokalen Rechner herunterladen kann (2). Im nächsten Schritt pflegt er diese Bestellung in sein ERP-System oder sein Auftragsverwaltungsprogramm ein und bestätigt den Auftrag über den Supplier Self Service (3). Nach der anschließenden Anlieferung der Ware erfolgt die Rechnungsstellung erneut über den Supplier Self Service. Der Lieferant loggt sich hier wieder ein und gibt die Rechnungsdaten mit Bezug zur Bestellung direkt in das SRM-System seines Kunden ein (4). Im beschaffenden Unternehmen kann nun die Rechnung, wie schon vorher die Auftragsbestätigung, aus dem Self Service Bereich in das ERP-System übernommen und anschließend geprüft und gebucht werden (5). Anmerkung: In allen in Abbildung 6-11 dargestellten Schritten handelt es sich um das SRM-System des abnehmenden Unternehmens.
241
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Abbildung 7-6:
Prozessvariante: Internetbasierte Vorratsbeschaffung mit teilweiser Integration des Lieferanten
Im Vergleich zur konventionellen Vorratsbeschaffung ohne Lieferantenintegration wird der Lieferant hier teilweise integriert. Hiermit ist gemeint, dass er über den Supplier Self Service auf Daten des Kundensystems zugreifen und hier auch Daten einpflegen kann. Er kann die Daten ohne Einsatz weiterer Tools jedoch nicht wie bei einer Vollintegration automatisch in sein System übernehmen. Er muss die Daten doppelt pflegen, in seinem System und im SRM-System des beschaffenden Unternehmens. Wichtig ist, dass diese Variante unterschieden wird von einer Lösung, bei der Bestellungen, Auftragsbestätigungen und Rechnungen per e-Mail ausgetauscht werden. Durch den Supplier Self Service werden die entsprechenden Dokumente sowohl für den Abnehmer als auch für den Lieferanten systematisch verwaltet und nicht in ein beliebiges Verzeichnis kopiert. Darüber hinaus kann der Lieferant die Bestellung direkt weiterbearbeiten, in dem er z.B. die Auftragsbestätigung oder auch die Rechnung mit Bezug zu der Bestellung im Supplier Self Service erfasst. Die vom Lieferanten erfassten Daten werden wie oben beschrieben automatisch ins ERP-System des Abnehmers übertragen. Das beschaffende Unternehmen hat damit nahezu die gleichen Vorteile wie bei der vorgestellten Vollintegration des Lieferanten. Es kann diese Vorteile über den Supplier Self Service nun auch mit kleinen Lieferanten generieren. Die Lieferanten wiederum sehen die Anbindung über den Supplier Self Service häufig kritisch. Sie müssen die Daten in ihren Systemen und zusätzlich in den ggf. unterschiedlichen SRM-Systemen der Abnehmer pflegen. Wie schon bei den e-RFx-Tools ist
242
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
es auch hier letztendlich eine Machtfrage, ob der Einsatz von Tools durch den Abnehmer vorgegeben werden kann.
7.2.1.6
Internetbasierte Vorratsbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten
Die hier vorgestellte internetbasierte Variante (vgl. Abbildung 7-7) kann als Gegenstück zur konventionell optimierten Vorratsbeschaffung mit voller Lieferantenintegration (vgl. Abbildung 7-5) gesehen werden, von der sie nur der Schritt 2 unterscheidet. Die Bestelldatenübermittlung wird nach entsprechender Konvertierung im XMLFormat an den Lieferanten übertragen (2). Hier erfolgt dann eine erneute Konvertierung des XML-Dokuments, die es ermöglicht, die Bestelldaten automatisch im ERPSystem des Empfängers als Auftrag anlegen zu lassen (3).
Abbildung 7-7:
Prozessvariante: Internetbasierte Vorratsbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten
Vom Ergebnis wird hier das Gleiche wie in der zweiten konventionellen Variante erreicht; lediglich die technische Übertragung der Daten erfolgt anders (vgl. Kapitel 2, Abschnitte 2.5.2. und 2.5.3). Wegen der intensiven organisatorischen und technischen Abstimmung mit den betroffenen Lieferanten ist auch diese Prozessvariante nur bei Lieferanten zu empfehlen, mit denen eine Vielzahl von Rechnungen bzw. Bestellungen abgewickelt werden.
243
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
7.2.1.7
Vergleich der Prozessvarianten für die Vorratsbeschaffung und Bewertung der Vorratsbeschaffung
Tabelle 7-1 stellt die beschriebenen Varianten der Vorratsbeschaffung bzgl. verschiedener Merkmale gegenüber. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass ein großer Teil der Verbesserungen bereits durch die konventionellen Optimierungsvarianten erreicht wird. Diese basieren lediglich auf der Umgestaltung des Prozesses und dem geschickten Einsatz eines ERP-Systems.
Tabelle 7-1:
Vergleich der Prozessvarianten für Vorratsbeschaffung
Abschließend sollen noch kurz die Vor- und Nachteile des betrachteten Beschaffungsmodells beschrieben werden. Der Hauptvorteil der Vorratsbeschaffung liegt in der schnellen Verfügbarkeit der Materialien, die durch die Lagerung vor Ort gewährleistet wird. Die Möglichkeit aufgrund der Lagerkapazitäten größere Menge abzunehmen, kann zu guten Einkaufskonditionen und geringen Transportkosten führen. Auf der anderen Seite ist die Vorratsbeschaffung mit Kosten für das Lager und mit den Kapitalbindungskosten der Materialien verbunden. Ferner besteht ggf. das Risiko des Verderbs und der Überalterung (vgl. Kopsidis 1997, S.192).
7.2.2
IT-gestützte Einzelbeschaffung
Bei der Einzelbeschaffung wird der Beschaffungsprozess erst ausgelöst, wenn ein konkreter Bedarf vorliegt. Die gelieferten Materialien gehen anschließend entweder direkt in die Produktion oder werden nur für kurze Zeit zwischengelagert (vgl. Kopsidis 1997, S.192). Dieser Prozess ist bei Kundenauftragseinzelfertigern von hoher Bedeutung. Hier können Materialien zu einem großen Teil nicht beliebig vorgehalten werden, weil im Detail noch nicht feststeht, wie das Endprodukt aussieht und dementsprechend auch die eingesetzten Materialien nicht festliegen.
244
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Abbildung 7-8:
Prozessvariante: Internetbasierte Einzelbeschaffung mit Teilintegration des Lieferanten
Der Prozess der Einzelbeschaffung kann analog zur Vorratsbeschaffung in den dort beschriebenen fünf Prozessvarianten vorkommen. Unterschiede bestehen jedoch in den Schritten Bedarfsermittlung, Bestellerzeugung und Wareneingang. In Abbildung 7-8 sind die Unterschiede exemplarisch an Hand der Prozessvariante „Internetbasierte Einzelbeschaffung mit Teilintegration des Lieferanten“ dargestellt: Die Erstellung der Bedarfsmeldung erfolgt hier durch einen produktionsnahen Disponenten, der bei Eingang eines Auftrags die Einzelbeschaffungsbedarfe manuell anlegt (1). Da es sich zum Teil auch um neue, bisher noch nicht beschaffte Materialien handeln kann, erfolgt die Bestellung ggf. nach einer Beschaffungsmarktanalyse und/oder Preisverhandlung durch den Einkauf (2). Alternativ ist aber auch denkbar, dass im Falle bekannter Materialien der Abruf wie bei der Vorratsbeschaffung direkt durch den Disponenten erfolgt. Die weiteren Schritte 3, 4, 5, 6 und 7 laufen wie bei der Vorratsbeschaffung ab, mit dem kleinen Unterschied, dass die vom Lager oder einer anderen Stelle entgegengenommenen Materialien direkt in die Produktion weitergeleitet werden. Die oben beschriebenen Änderungen lassen sich leicht auf die anderen bei der Vorratsbeschaffung beschriebenen Varianten übertragen, deshalb werden sie nicht noch einmal im Detail abgebildet und erläutert. Für den praktischen Einsatz sind in erster Linie die in Abbildung 7-8 vorgestellte Variante und die erste konventionelle Optimierung relevant. Sowohl die internetbasierte als auch die konventionelle Anbindung mit voller Integration der Lieferanten scheinen wegen der wahrscheinlich eher geringen
245
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Anzahl von Vorgängen nicht sinnvoll. Wird jedoch bei bestimmten Lieferanten ein großes Spektrum verschiedener Materialien auf dem Wege der Einzelbeschaffung eingekauft, so könnten diese Varianten doch zum Einsatz kommen. Da die Einzelbeschaffung als Gegenstück zur Vorratsbeschaffung gesehen werden kann, fällt die Bewertung genau entgegengesetzt aus. Lager- und Kapitalbindungskosten entfallen hier; dafür sind die Materialien aber nicht beliebig verfügbar und die Einstandspreise und Transportkosten tendenziell höher.
7.2.3
IT-gestützte produktionssynchrone Beschaffung
Bei der produktionssynchronen Beschaffung wird wie bei der Einzelbeschaffung keine Lagerung der Materialien vorgenommen. Im Gegensatz zur Einzelbeschaffung werden die Materialien aber immer wiederkehrend beschafft (vgl. Kluck 2002, S.137). Häufig ist dies bei Serienfertigern der Fall. Grundidee ist hier, durch eine sehr enge Abstimmung mit den Lieferanten, die Materialien Just-in-time (JIT) zum Produktionsprozess anzuliefern. Werden verschiedene Varianten von Zulieferteilen benötigt, z.B. unterschiedlich starke Motoren, so sollen diese in der Reihenfolge ihres Einbaus angeliefert werden; man spricht in diesem Fall von Just-in-sequence (JIS) Belieferung. Auch bei der produktionssynchronen Beschaffung können die aus der Vorratsbeschaffung bekannten Varianten übertragen werden. Zur Erläuterung des grundsätzlichen Ablaufs bei diesem Beschaffungsmodell soll erneut die internetbasierte Variante mit Teilintegration des Lieferanten herangezogen werden. Abbildung 7-9 stellt den Ablauf bei dieser Variante dar: Im ersten Schritt legt der Einkauf im ERP-System einen Lieferplan an (1). Auf Basis eines Dispositionslaufs erzeugen Mitarbeiter aus dem Fertigungs- oder Logistikbereich dann durch die Erstellung von Lieferabrufen eine etwa wochengenaue Vorschau der Bedarfe. Diese werden an das Supplier Portal übermittelt (2), in das sich der Lieferant über das Internet einloggt, um die Planung seines Kunden nachvollziehen zu können (3). Über den gleichen Weg werden dem Lieferanten die tages- ggf. stundengenauen Feinabrufe mitgeteilt (4), die dieser dann über das Supplier Portal bestätigt (5). Anschließend legt der Lieferant die Bestellung als Auftrag in seinem ERP-System an und liefert die Ware ggf. direkt in die Produktionshalle seines Kunden (6). Dieser bucht das Material als Wareneingang auf einen Produktionsauftrag und verarbeitet es direkt im Anschluss (7). Die Abrechnung des Materials erfolgt periodisch per Gutschriftenabwicklung. Alternativ ist hier auch die Rechnungsstellung über einen Supplier Self Service denkbar.
246
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Abbildung 7-9:
Internetbasierte produktionssynchrone Beschaffung mit teilweiser Integration des Lieferanten (JIT/JIS)
Wie sehen nun die anderen Varianten bei der produktionssynchronen Beschaffung aus?
Bei der internetbasierten Variante mit Vollintegration wird die Datenübertragung zwischen Lieferant und Abnehmer nicht über das Portal, sondern per XML abgewickelt. Dies hat den Vorteil, dass der Lieferant die Lieferabrufe automatisch in seinem System als Aufträge angelegt bekommt.
Die suboptimale Variante sieht so aus, dass bei den Abrufbestellungen der Einkauf zwischengeschaltet ist und die Rechnungen zur Prüfung weiterhin durch das Unternehmen gehen.
In den beiden konventionellen Varianten werden die Abrufbestellungen und Bestätigungen per Fax bzw. per EDI ausgetauscht. Die Datenübertragung per Fax wird auch hier mit klassischer Rechnungsstellung kombiniert und die Übertragung per EDI mit einer Gutschriftenabwicklung. Am sinnvollsten für die Praxis sind die vorgestellte Variante mit Teilintegration und die beiden Varianten mit Vollintegration. Bei einer so intensiven Abstimmung der logistischen Prozesse, wie sie beim JIT vorliegt, wäre der Einsatz der Varianten ohne IT-Integration ein krasser Widerspruch.
247
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Die Vorteile der Just-in-time Versorgung sind unmittelbar einleuchtend. Die Bestände werden bis auf eventuell vorkommende Minimalbestände direkt am Verbrauchsort, die für wenige Stunden reichen, bis „auf null heruntergefahren“. Damit werden die Kosten für ein sonst erforderliches Lager und die Kapitalbindungskosten eingespart. Ebenso entfallen innerbetriebliche Transporte der Ein- und Auslagerung. Dies führt zu einer Reduzierung der Prozesskosten und zur Verkürzung der Durchlaufzeiten. Die Durchführung von JIT ist jedoch mit einigen Voraussetzungen verbunden. Die Lieferanten sollten sich in Kundennähe befinden und mit ihren Kunden wie oben beschrieben sowohl organisatorisch als auch informationstechnisch eng verknüpft sein, was im Regelfall erheblicher Vorarbeiten bedarf. Alternativ zur Werksansiedlung in Kundennähe kann jedoch auch ein Lager eines logistischen Dienstleisters in Kundennähe eingesetzt werden (vgl. Abschnitt 7.2.5, Vertragslagerkonzept). Wird durch die JITBelieferung auf Grund kleiner Mengen die Transportkapazität von LKWs nicht voll ausgeschöpft, kann JIT zu erhöhten Transportkosten führen. Ein weiteres Problem kann entstehen, wenn die gewünschten Kapazitäten auf Grund von Produktions- oder Transportproblemen nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Wegen der nicht vorhandenen Reservebestände kann in diesem Fall die Produktion sehr schnell zum Stillstand kommen, was erhebliche Folgekosten verursacht (vgl. Kluck 2002, S.138).
7.2.4
IT-gestütztes Vendor Managed Inventory
Vendor Managed Inventory (VMI) gehört zu den Beschaffungsmodellen mit Lagerhaltung beim abnehmenden Unternehmen. Im Gegensatz zur Vorratsbeschaffung übergibt der Abnehmer hier aber die Bestandsverantwortung an den Lieferanten. Der Lieferant ist dafür verantwortlich, dass der Lagerbestand sich innerhalb vorher gemeinsam mit dem Abnehmer definierter Mindest- und Höchstgrenzen bewegt. Die hierfür erforderlichen Informationen zu den jeweils aktuellen Lagerbeständen bekommt der Lieferant über eine elektronische Anbindung (vgl. Busch et. al. 2003, S.14f.). Ein VMI-Einsatz kann sich in produzierenden Unternehmen anbieten, wenn Vorratsbeschaffung vermieden werden soll und gleichzeitig eine JIT-Versorgung nicht sinnvoll oder möglich ist, weil z.B. die Bedarfe nicht kontinuierlich genug sind. Dies kann z.B. bei Materialien der Fall sein, die nur benötigt werden, wenn das Endprodukt in einer bestimmten Variante produziert wird. Einen Einsatzschwerpunkt hat das VMI-Konzept bei der Versorgung von Handelsunternehmen durch die Hersteller, man spricht hier auch von herstellergesteuerten Bestandsmanagement. Abbildung 7-10 beschreibt im Detail, wie der Versorgungsprozess beim Vendor Managed Inventory abläuft: Aus dem ERP-System des Abnehmers werden die aktuellen Bestände und zukünftigen Bedarfe für die vom Lieferanten gelieferten Materialien an das Supplier Portal übertragen (1). Der Lieferant kann über das Portal auf die Bestände und Bedarfe zugreifen und bekommt Ausnahmemeldungen, falls die Bedarfe nicht innerhalb der vereinbarten Grenzen liegen (2). Auf Basis dieser Daten kann der Lieferant seine Produktion planen und falls die Bedarfe genügend weit in der Zukunft
248
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
liegen, diese entsprechend optimieren. Die Lieferungen zur Bedarfsdeckung teilt der Lieferant in zwei Stufen über das Supplier Portal mit. Zunächst werden die geplanten Lieferungen veröffentlicht (3). Kurz vor der eigentlichen Lieferung legt der Lieferant in seinem ERP-System einen Auftrag an und übermittelt nun ein konkretes Lieferavis, das verbindlich und genau dem Abnehmer den Zeitpunkt der Lieferung mitteilt (4). Das einkaufende Unternehmen empfängt dieses Avis über das Portal. Von hier aus wird es automatisch ins ERP-System übertragen (5). Nach Lieferung der Ware (6) wird beim Abnehmer ein entsprechender Wareneingang mit Bezug zum Lieferavis gebucht (7). Die Abrechnung erfolgt auch hier periodisch auf Basis einer Gutschriftenabwicklung. Entsteht die Verbindlichkeit hierbei erst bei der Entnahme der Materialien aus dem Lager und nicht schon bei Anlieferung in das Lager, spricht man von einer Konsignationsabwicklung bzw. einem Konsignationslager. In diesem Fall gehören die gelagerten Materialien bis zur Entnahme dem Lieferanten (vgl. Steinbuch 2001, S.237 und S.321).
Abbildung 7-10: Internetbasierte Beschaffung per VMI und teilweiser Integration des Lieferanten
Welche Varianten können für VMI in Betracht gezogen werden? Die oben vorgestellte Variante der internetbasierten Abwicklung mit Teilintegration des Lieferanten ist sehr naheliegend, da die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten über das Supplier Portal
249
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
vergleichsweise einfach abgebildet werden kann. Alternativ sind aber auch die beiden Varianten mit Vollintegration gut denkbar, wenngleich diese sicherlich aufwendiger sind. Die Varianten ohne Integration des Lieferanten kommen nicht in Frage, da ohne einen Onlinezugriff auf die aktuellen Daten des beschaffenden Unternehmens der Prozess nicht abbildbar ist. Was ist nun das Besondere an dem beschriebenen Prozess? Im Gegensatz zu den zuvor skizzierten Beschaffungsmodellen kann der Lieferant eigenverantwortlich ohne explizite Beauftragung durch den Kunden die Materialien anliefern. Als Restriktionen hat er nur die zu Beginn vereinbarten Unter- und Obergrenzen für die Bestände einzuhalten. In Verbindung mit der frühzeitigen Bekanntgabe der Bruttobedarfe bekommt der Lieferant auf diese Weise die Möglichkeit, seine eigene Produktion und die Auslieferungsmengen zu optimieren. Werden die erzielten Einsparungen zum Teil an den Abnehmer weitergegeben, entsteht eine echte Win-Win-Situation für Kunden und Lieferanten. Voraussetzung hierfür ist neben der informationstechnischen Integration eine enge organisatorische Abstimmung der Geschäftsprozesse und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit (vgl. Reindl/Oberniedermaier 2002, S.195f.).
7.2.5
IT-gestütztes Standardteilemanagement
Das Standardteilemanagement hat mit dem VMI gemeinsam, dass auch hier die Bestandsverantwortung beim Lieferanten liegt. Im Gegensatz zum VMI ist der Lieferant aber nicht zwangsläufig elektronisch angebunden; er führt die Bestandsüberprüfung vor Ort per Sichtkontrolle durch. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Materialien häufig direkt am Verbrauchsort in der Produktion und nicht wie beim VMI am Lager angeliefert werden. Beim Standardteilemanagement spricht man auch vom Outsourcing der Beschaffung und der Lieferant wird häufig als Dienstleister bezeichnet. Dieser Sachverhalt ist darauf zurückzuführen, dass er die gelieferten Teile nicht selber herstellt, sondern als Händler ein großes Spektrum an Materialien ohne explizite Einzelbeauftragung direkt in der Produktion bereitstellt (vgl. Nyhuis/Rottbauer 2003, S.124). Im Gegensatz zur Just-in-time Belieferung handelt es sich nicht um teure, individuelle Materialien, sondern um Standardgüter wie Schrauben, Nägel, Muttern, Federn, Unterlegscheiben etc., die meistens den C-Materialien zuzuordnen sind. Abbildung 7-11 stellt den Prozess des Standardteilemanagements im Detail dar: Der Dienstleister fährt den Lieferanten periodisch an (1) und überprüft die Bestände vor Ort (2). In der Regel wird nach dem Kanban-Prinzip gearbeitet (vgl. Oeldorf/Olfert 2002, S.287ff.). Hierbei sind die Materialien in jeweils mindestens zwei Standardbehältern in einem sogenannten Kanbanregal gelagert. Ist einer der Behälter leer, tauscht der Dienstleister ihn entweder direkt gegen einen vollen Behälter aus oder er nimmt den Austausch bei der nächsten Anlieferung vor (2). In jedem Fall müssen der Anlieferungszyklus bzw. die Behältergröße so ausgelegt sein, dass für die Produktion nie ein
250
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Engpass entsteht. Eine Bestandsführung erfolgt für die Materialien höchstens auf Ebene der Behälter. Die Rechnungsstellung wird periodisch in Form von Sammelrechnungen realisiert. Bei einem sehr engen Vertrauensverhältnis werden die Rechnungen nur auf Plausibilität geprüft und dann im ERP-System gebucht. Alternativ kann der Dienstleister den Rechnungen bestätigte Lieferscheine hinzufügen. In diesem Fall hat der Abnehmer die Möglichkeit einer genauen Rechnungsprüfung.
Abbildung 7-11: Beschaffung über Standardteilemanagement mit Bedarfsermittlung durch den Dienstleister
Auch beim Standardteilemanagement sind Varianten denkbar:
Die Standardteile müssen nicht unbedingt direkt in der Produktion angeliefert werden. Der Abnehmer kann auf seinem Lager auch größere Mengen der Standardteile vorhalten und dann die Produktion durch eine interne Kanbanabwicklung mit den Standardteilen versorgen.
Anstelle der Überprüfung der Bedarfe durch den Dienstleister vor Ort könnten ihm im Falle leerer Behälter entsprechende Kanbankarten übermittelt werden, die den Bedarf nach einem aufgefüllten Behälter anzeigen. Diese Übermittlung kann per Fax, EDI oder Supplier Portal erfolgen.
Das Standardteilemanagement ist ein gutes Beispiel dafür, wie auch ohne großen ITEinsatz (vgl. Kluck 2002 S.135) auf Basis einer engen organisatorischen Abstimmung
251
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
zwischen einkaufendem Unternehmen und Lieferant bzw. Dienstleister Optimierungen vorgenommen werden können. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Entlastungsmöglichkeit des Einkaufs von operativen Tätigkeiten bei der Beschaffung geringwertiger Materialien.
7.2.6
IT-Unterstützung für das Vertragslagerkonzept
Bei einem Vertragslager handelt es sich um ein vom Lieferanten oder einem logistischen Dienstleister unterhaltenes Lager in räumlicher Nähe zum Abnehmer. Aus dem Vertragslager kann der Abnehmer die benötigten Materialien kurzfristig abrufen. Erst dann erfolgt die Berechnung durch den Lieferanten (vgl. Nyhuis, P./Wiendahl, H.-P., 2006, S.333). Insofern handelt es sich auch hier um eine Konsignationsabwicklung. Das Vertragslager wird ggf. von mehreren Lieferanten beliefert. Der Dienstleister, bei dem es sich häufig um einen Spediteur handelt, der sich zum Logistik-Dienstleister weiterentwickelt hat, stellt die Materialien dann Just-in-time und gebündelt in der Produktion des einkaufenden Unternehmens bereit. Es entstehen somit zwei Transportketten: Vom Lieferanten zum Vertragslager, vom Vertragslager zum Kunden (vgl. Kluck 2002, S.136). Die Versorgung des Vertragslagers könnte z.B. im Rahmen der Vorratsbeschaffung oder auch nach dem VMI-Prinzip erfolgen. Bei der zweiten Versorgungskette wird wie angedeutet das JIT-Prinzip angestrebt. Für beide Beschaffungsmodelle wurde die IT-Unterstützung bereits in den vorausgegangenen Abschnitten vorgestellt.
7.2.7
Gegenüberstellung der Beschaffungsmodelle für die operative Beschaffung direkter Materialien
Nach den Detailbetrachtungen in den vorausgegangenen Abschnitten bietet Abbildung 7-12 die Möglichkeit, die wichtigsten Unterschiede der einzelnen Beschaffungsmodelle im Überblick nochmals nachzuvollziehen.
252
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Abbildung 7-12: Gegenüberstellung der Beschaffungsmodelle (angelehnt an Nyhuis, P./Wiendahl, H.-P., 2006, S.334)
7.2.8
Optimierung operativer Beschaffungsprozesse durch erweiterten IT-Einsatz
7.2.8.1
Optimierung durch den Einsatz von RFID-Systemen
RFID ist die Abkürzung für Radio Frequency Identification. RFID ermöglicht es, Objekte per Funkübertragung kontaktlos zu identifizieren und zusätzlich Informationen über das Objekt (z.B. seinen Transportweg) zu lesen und zu speichern. RFID-Systeme bestehen aus drei Komponenten: Transponder, Erfassungsgerät und weiterverarbeitendes IT-System (Abts/Mülder 2009, S. 178ff). Der Begriff Transponder, auch Tag genannt, ist eine Verschmelzung der Begriffe Transmitter (Sender) und Responder (Empfänger). Ein Transponder setzt sich zusammen aus einer Antenne, einem Chip, auf dem die Daten gespeichert werden und einem Träger bzw. Gehäuse. Transponder gibt es z.B. in Form von Klebeetiketten, Knöpfen oder Textiletiketten. Sie werden an dem Objekt (z.B. Ware, Verpackung,
253
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Palette), über das Informationen gespeichert werden sollen, fest angebracht. Der Chip enthält eine Identifikationsnummer und ggf. weitere Daten über das Objekt. Das Erfassungsgerät besteht aus einer Lese-/Schreibeinheit und einer Antenne. Es liest die Daten vom Transponder und sendet diesem ggf. weitere Daten zur Speicherung. Die Datenübertragung erfolgt dabei berührungs- und drahtlos, ein Sichtkontakt ist nicht erforderlich. Ferner erfolgt die Datenübertragung nur auf Abruf, d.h. das Erfassungsgerät muss diesen Vorgang einleiten. Die Geräte lassen sich hinsichtlich ihrer Mobilität unterscheiden. Es gibt sowohl stationäre Reader, die an Wareneingangstoren, Tunneln oder Packtischen positioniert sind, als auch portable Handhelds oder RFID unterstützte Stapler. Das Erfassungsgerät ist meistens mit einer Schnittstelle ausgestattet, um die empfangenen Daten an ein anderes System zur Auswertung weiterzuleiten. Das weiterverarbeitende IT-System kann z.B. ein ERP-System sein. Werden mit Tags versehene Materialien am Wareneingang automatisch erfasst, so kann nach Übertragung der Daten vom Erfassungsgerät an das ERP-System hier eine ebenfalls automatische Verbuchung der Wareneingänge erfolgen. Die Einsatzmöglichkeiten von RFID sind vielfältig. Sie reichen von der Identifikation von Materialien, Behältern, Personen, Tieren über Zutrittskontrollen und Diebstahlsicherungen bis hin zur Warenverfolgung in der Logistik (vgl. Abts/Mülder 2009, S. 181ff., Feige 2010). Im Folgenden soll der Einsatz von RFID in den operativen Beschaffungsprozessen betrachtet werden. In nahezu allen Varianten des Vorratsbeschaffungsprozesses kommt der Schritt „Wareneingangskontrolle und -buchung“ vor (vgl. Abbildung 7-3 bis Abbildung 7-7). In diesem Schritt wird die Lieferung daraufhin überprüft, ob die richtigen Materialien, in der richtigen Menge termingerecht und unbeschädigt geliefert worden sind. Dazu wird ein Abgleich mit der Auftragsbestätigung, der Bestellung, dem Lieferavis und/oder dem Lieferschein vorgenommen. Dieser Abgleich kann manuell erfolgen, in dem die Positionen des entsprechenden Belegs mit der gelieferten Ware per Sichtkontrolle verglichen werden. Verfügen die gelieferten Waren über einen Barcode, können Sie mit Hilfe eines Lesegerätes eingescannt werden. Anschließend erfolgt dann automatisch eine entsprechende Wareneingangsbuchung im bestandsführenden System. Die Wareneingangsbuchung, die nun die Lieferung dokumentiert, kann automatisch mit der zugehörigen Bestellung oder auch, sofern im System elektronisch hinterlegt, mit Auftragsbestätigung, Lieferavis oder Lieferschein abgeglichen werden. Dementsprechend entfällt dann der oben beschriebene manuelle Abgleich. Je nachdem, um welche Art von Ware es sich handelt, wird anschließend eine Qualitätskontrolle vorgenommen. Mit Einsatz von RFID kann der beschriebene Schritt der Wareneingangskontrolle- und buchung erheblich vereinfacht werden. Ist ein entsprechendes RFID-System mit einem Erfassungsgerät im Wareneingangsbereich installiert und sind die Materialien vom Lieferanten mit Tags versehen worden, so können die gelieferten Waren automatisch identifiziert und über die Verbindung mit dem bestandsführenden System verbucht werden. Beim oben beschriebenen Prozess besteht der Nachteil, dass zwischen dem
254
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Barcode auf der Ware und dem Lesegerät ein Sichtkontakt bestehen muss. Die Herstellung dieses Sichtkontaktes kann sehr aufwendig sein. Ist z.B. eine Palette mit vielen unterschiedlichen Kartons bepackt, kann ein Umpacken der Palette erforderlich werden. Selbst wenn die Barcodes alle gut zugreifbar sind, muss das Lesegerät auf jeden Barcode positioniert bzw. müssen gleichartige Waren vorher gezählt werden. Bei Einsatz eines RFID-Systems ergibt sich der Vorteil, dass diese Tätigkeiten und damit auch eine mögliche Fehlerquelle entfallen. Die Ware muss sich lediglich innerhalb einer bestimmten Entfernung zum Erfassungsgerät befinden, damit dieses die Datenübertragung einleiten kann. Anmerkung: Die RFID-Systeme sind nicht in der Basisarchitektur von Beschaffungssystemen aufgeführt worden, da es sich nicht Anwendungssysteme handelt, sondern um ein automatisches Datenerfassungssystem.
7.2.8.2
Optimierung durch den Einsatz von Document ManagementSystemen
Document Management-Systeme (vgl. Kapitel 2, Abschnitte 2.1.4) spielen in den betrachteten Beschaffungsprozessen vielfach eine große Rolle. Die für den operativen Beschaffungsprozess relevanten Dokumente sind vielfältig: Bei den Dokumenten vom Lieferanten kann es sich beispielsweise um Auftragsbestätigungen, Lieferscheine, Rechnungen, Lieferantenerklärungen oder Zertifikate handeln. Eigene Dokumente können z.B. Anhänge von Bestellungen wie Zeichnungen, technische Spezifikationen, Datenblätter oder allgemeine Geschäftsbedingungen sein. Die Bestellung selber ist in der Regel im ERP-System abgespeichert und muss nicht zusätzlich im DMS verwaltet werden. Auf die Bearbeitung dieser Dokumente ist bei der Beschreibung der Beschaffungsprozesse bisher nur am Rande eingegangen worden. Nachfolgend erfolgen deshalb Ausführungen, die den Prozessablauf mit den zu bearbeitenden Dokumenten genauer beschreiben:
Bestellübermittlung mit Anhängen
In vielen der beschriebenen Beschaffungsprozesse übermittelt der Abnehmer neben der Bestellung eine Vielzahl von Anhängen wie z.B. Zeichnungen. In den Prozessbeschreibungen ist bisher nur auf die reine Bestellübermittlung und deren Optimierung eingegangen worden. Wie sieht nun die Übermittlung der Anhänge aus? Bei der papierbasierten Bestellübermittlung in der suboptimalen Variante (vgl. Abbildung 7-3) wird man die Anhänge ebenfalls papierbasiert übermitteln, was z.B. bei Maschinenbauunternehmen mit vielen Zeichnungsteilen, insbesondere bei nachträglichen Änderungen der Zeichnungen, zu einem enormen Zeitaufwand und hohe Durchlaufzeiten führt. Die Faxvariante wäre ähnlich aufwendig und könnte bei Zeichnungen und schlechter Übertragungsqualität ggf. zu Problemen führen. Die Vollintegration der Lieferanten ist auf die Anhänge nicht erweiterbar. Eine gute Optimierung stellt der gekoppelte Einsatz von ERP-System, Supplier Self Service und DMS dar. Die Anhänge werden im DMS verwaltet, die Bestellung im ERP-System mit ihnen verknüpft und bei
255
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
der Übertragung an das SRM-System werden die Anhänge aus dem DMS zusammen mit der Bestellung im Supplier Self Service für den Lieferanten bereitgestellt. Der Lieferant kann nun auf alle Dokumente an einer zentralen Stelle zugreifen.
Verwaltung von Lieferantenzertifikaten, Geheimhaltungserklärungen und ähnlichen Dokumenten
Lieferantenzertifikate, Geheimhaltungserklärungen o.ä. Dokumente des Lieferanten werden auch heute noch in vielen Unternehmen papierbasiert in Ordnern abgeheftet. Vorher erfolgt häufig ein aufwendiger Dokumentenaustausch. Durch Einsatz der Systeme der IT-Basisarchitektur können hier Optimierungen vorgenommen werden. So kann für den Austausch der Dokumente der Supplier Self Service eingesetzt werden. Der Lieferant lädt sich hier bei Bedarf entsprechende Vordrucke herunter und stellt die ausgefüllten Dokumente oder auch bei ihm vorliegenden Zertifikate nach dem Einscannen per Upload bereit. Der Einkauf kann die Dokumente dann mit dem Lieferanten verknüpft im DMS ablegen und z.B. über das SRM-Tool für das Supplier Management bei Bedarf wieder aufrufen. Bei dieser Abwicklung werden Zeit und Prozesskosten für die Kommunikation mit dem Lieferanten und die Ablage der Dokumente eingespart. Ferner sind die Dokumente im Bedarfsfall schnell auffindbar und Vollständigkeitsprüfungen leichter durchführbar. Das Ziel muss darin bestehen, dass individuelle Lösungen und Abwicklungen, die sich ggf. einzelne Einkäufer im Laufe der Jahre geschaffen haben, durch standardisierte, für alle Lieferanten und Einkäufer geltende Best-Practice Prozesse ersetzt werden.
Verwaltung von Auftragsbestätigungen, Lieferavisen und Lieferscheinen
Die in der Überschrift genannten Dokumente liegen bei intensivem IT-Einsatz bereits in elektronischer Form vor weil Sie per EDI oder über den Supplier Self Service vom Lieferanten bereit gestellt worden sind. Da noch nicht alle Lieferanten in dieser Weise angebunden sind und auch in Zukunft nicht angebunden sein werden, liegen die Dokumente häufig noch papierbasiert vor. Zunächst sollte dann überlegt werden, ob die Dokumente grundsätzlich benötigt werden und ob sie dauerhaft verfügbar gehalten werden müssen. In diesem Fall kann eine elektronische Archivierung (Einscannen und im DMS ablegen) der Dokumente sinnvoll sein. Die Dokumente sind hierbei mit den entsprechenden Bestellungen aus dem ERP- oder SRM-System zu verknüpfen. Damit wird ein schnelles Auffinden der Belege sichergestellt.
7.2.8.3
Optimierung durch den Einsatz von Workflow ManagementSystemen
Workflow Management-Systeme (vgl. Kapitel 2, Abschnitt 2.1.5) können in den betrachteten Beschaffungsprozessen häufig zur Optimierung eingesetzt werden. Hierbei arbeiten sie in vielen Fällen mit den Document Management-Systemen zusammen.
256
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Bevor die Einsatzmöglichkeiten im Beschaffungsumfeld beschrieben werden, erfolgt zunächst eine Klassifizierung der grundsätzlichen Einsatzmöglichkeiten von WFMS. 1.
Informationsfluss: Bei Eintreten bestimmter Ereignisse erhalten ausgewählte Personen durch einen automatisch ausgelösten Workflow eine Information.
2.
Ausnahmebehandlung: Bei Auftreten eines Fehlers oder einer Abweichung erhalten ausgewählte Personen durch einen automatisch ausgelösten Workflow eine Information.
3.
Genehmigungen: Genehmigungsvorgänge werden nicht mehr durch Papier und handschriftliche Unterschriften abgewickelt. Das zu genehmigende Dokument wird IT-unterstützt erstellt und durch einen Workflow automatisch an den Genehmigenden weitergeleitet, der das Dokument dann elektronisch freigibt.
4.
Koordinierte Systemtätigkeiten/Arbeitsabläufe: Bei Abläufen, an denen mehrere Mitarbeiter immer nach der gleichen Prozesslogik ggf. unter Zugriff auf die gleichen Dokumente arbeiten, kann ein WFMS in Verbindung mit einem DMS den Vorgang koordinieren und überwachen und dadurch die Durchlaufzeit verkürzen sowie die Prozesssicherheit erhöhen.
Ad 1) Der automatisch ausgelöste Informationsfluss kann wie folgt in den operativen Beschaffungsprozessen eingesetzt werden:
Nach dem Verbuchen eines Wareneingangs wird der Bedarfsträger automatisch von der Anlieferung der Ware informiert. Dies könnte vor allem für die im Abschnitt 7.3 beschriebene Beschaffung von indirekten Materialien interessant sein, setzt aber voraus, dass Bestellungen bei denen die Nachricht bei Erhalt der Ware erfolgen soll, entsprechend gekennzeichnet werden.
Einen Monat vor Ablauf eines Rahmenvertrags erhält der Einkäufer automatisch eine Mail, in der er auf die notwendige Neuverhandlung hingewiesen wird.
Ad 2) Eine Ausnahmebehandlung ist in der Beschaffung an mehreren Stellen denkbar:
Der für einen Lieferanten zuständige Einkäufer wird per Mail informiert, wenn die Bewertung des Lieferanten bestimmte Grenzwerte überschreitet. Beispiel: Der Lieferant liefert innerhalb von einem Monat Materialien mehr als zehn Mal verspätet an, was durch die Wareneingangsbuchungen transparent wird.
Ein Lieferant mit dem VMI vereinbart wurde, erhält automatisch bei Unterschreitung der Mindestbestände per Mail eine entsprechende Nachricht.
Ad 3) Genehmigungsvorgänge treten in Beschaffungsprozessen ggf. für die Genehmigung des einzelnen Beschaffungsvorgangs oder aber auch bei der Freigabe von Rechnungen auf.
257
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Eine Bestellanforderung ist ggf. erst durch einen Vorgesetzten freizugeben, bevor der Einkauf die Bestellung auslösen kann. In diesem Fall erhält der Vorgesetzte in seinen elektronischen Eingangskorb ein Workitem, bei dessen Anklicken er direkt in die Transaktion zum Freigeben von Banfen im ERP-System gelangt und die elektronische Freigabe vornehmen kann. Er muss also nicht laufend im ERPSystem nachschauen, ob neue für ihn relevante Bestellanforderungen vorliegen. Vielmehr wird er durch das WFMS bzw. den entsprechenden Workitem angestoßen, die Anforderung freizugeben. Anmerkung: Dieser Teilprozess besitzt für Ausschreibungsprozesse und operativen Beschaffungsprozesse für indirekte Materialien eine noch höhere Relevanz als für die operative Beschaffung von direktem Material (vgl. z.B. Kapitel 6, Abbildung 6-6 oder Abbildung 7-14).
Eine von Mitarbeiter A gebuchte Rechnung muss ab einer bestimmten Höhe von Mitarbeiter B zusätzlich freigegeben werden. Die Rechnung wird nach dem Verbuchen von A per Workflow an Mitarbeiter B weitergeleitet. Dieser bekommt die zu prüfende Rechnung als Workitem in seinen Eingangskorb. Bei Anklicken des Items gelangt er automatisch in die Transaktion zum Freigeben der Rechnung.
Ad 4) Bei den koordinierten Arbeitsabläufen mit Dokumentenzugriff ist im Beschaffungsumfeld der gesamte papierbasierte Rechnungsprüfungsprozess (vgl. Abbildungen 7-3 und 7-4) prädestiniert, workflowunterstützt abgewickelt zu werden:
258
Die Rechnung wird eingescannt und im DMS abgespeichert, dies löst den Start des WFMS aus, das die Rechnung einem Kreditorenbuchhalter über ein entsprechendes Workitem im elektronischen Eingangskorb zur Verfügung stellt. Ruft der Sachbearbeiter das Workitem auf, gelangt er automatisch in die Transaktion zum Rechnungen erfassen und hat gleichzeitig die eingescannte Rechnung auf seinem Bildschirm. Hat der Sachbearbeiter die Rechnung im System erfasst, kann er die Überprüfung mit Bezug zur Wareneingangsbuchung und zur Bestellung vornehmen. Gibt es keine Abweichungen, führt er automatisch die Buchung durch. Liegen Abweichungen vor, kann der Workflow weiter aktiv werden und die eingescannte Rechnung an den Bedarfsträger und/oder Einkäufer zur Stellungnahme schicken. Diese bearbeiten die Rechnung ebenfalls durch Zugriff über einen Workitem. Anschließend steuert der Workflow die Rechnung und die Stellungnahmen wieder in den Einkaufskorb des Kreditorenbuchhalters, der mit den Informationen nun die Buchung vornehmen kann. Die Vorteile des Prozesses liegen auf der Hand: Durch die elektronische Weiterleitung wird die Durchlaufzeit des Prozesses verkürzt. Der Workflow erlaubt eine Standardisierung und Überwachung des Prozesses, die wiederrum Eskalationsmechanismen auslösen kann, wenn die Belege bei den Prozessbeteiligten nicht innerhalb vorgegebener Fristen bearbeitet werden. Gibt es nachträglich Rückfragen zur Rechnung, kann diese z.B. durch eine Verlinkung mit der Bestellung im ERP-System leicht aus dem DMS herausgesucht werden.
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von direktem Material
Bei dem oben beschriebenen Prozessdurchlauf wird unterstellt, dass die Rechnung als NCI-Dokument im DMS abgelegt wird. Ein Alternative hierzu besteht darin, mit OCR-Software die Rechnung in ein CI-Dokument zu konvertieren und im DMS abzulegen. Im besten Fall können aus diesem Dokument dann sämtliche Rechnungsdaten wie Lieferantennummer, Bestellnummer, Materialien, Preise, Mengen etc. ausgelesen werden. Dies wiederum ermöglicht bei Rechnungen mit Bestellbezug die sogenannte dunkle Verarbeitung (vgl. EMC 2010, S.15). D.h. die ausgelesenen Werte werden ins SAP automatisch übertragen und für den Fall, dass keine Abweichungen vorliegen, wird der Vorgang ohne Einsicht der Kreditorenbuchhalter verbucht. In diesen Fällen ist der Rechnungsprüfungsprozess dann komplett automatisiert und stellt so eine noch weitere Optimierung als die oben beschriebene Prozessvariante dar.
Anmerkung: Die unter 4 beschriebene Abwicklung ist sowohl in den Beschaffungsprozessen für direktes als auch in den Beschaffungsprozessen für indirektes Material anwendbar. In den Prozessmodellen wird sie jedoch aus Übersichtlichkeitsgründen nur bei den indirekten Beschaffungen eingezeichnet (vgl. z.B. Abbildung 7-14).
7.2.9
Beispielhafte SRM-Tools für den operativen Beschaffungsprozess direkter Materialien
Beispiele für SRM-Systeme mit Supplier Portal bzw. Supplier Self Service: SAP SRM von der SAP AG, TradeCore SRM on demand von der Onventis GmbH, POOL4TOOL von der Selected Services GmbH. Beispiele für SRM-Systeme mit VMI-Tool: SupplyOn von der SupplyOn AG, clevercure von der curecomp Software Services GmbH, SAP SCM ICH (Inventory Collaboration Hub) von der SAP AG.
259
7.2
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
7.3
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
7.3.1
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von Katalogmaterial
7.3.1.1
Einführung
Im Rahmen der Katalogbeschaffung werden Materialien eingekauft, die standardisiert sind, eine große Anzahl an Varianten besitzen, häufig einen geringen Wert haben und in Katalogen beschrieben werden. Zu dieser Gruppe gehören z.B. Büromaterialien, ITZubehör, Werkzeuge, Bücher, Arbeitskleidung, Ersatzteile u.ä. Diese Materialien gehen in der Regel nicht in die zu produzierenden Güter ein und gehören deshalb überwiegend zu den sogenannten indirekten Materialien. Sie werden in einigen Unternehmen zum Teil auf dem Lager vorgehalten und auch bestandsmäßig geführt. In anderen Unternehmen werden sie grundsätzlich erst, wenn Bedarf in einer Fachabteilung besteht, kurzfristig beschafft. Für die Beschaffung von Katalogmaterial werden in diesem Kapitel fünf Prozessvarianten vorgestellt, die im konventionellen Bereich mit den in Abschnitt 7.2.1 beschriebenen Varianten korrespondieren. Bei den nachfolgenden Prozessbeschreibungen wird davon ausgegangen, dass in den Unternehmen keine Lagerhaltung für die Katalogmaterialien vorkommt, sondern diese erst bei einem konkreten Bedarf beschafft werden. Im Gegensatz zu den Beschaffungsmodellen im direkten Bereich wird hier darauf verzichtet, die Prozessschritte zur Bearbeitung von Auftragsbestätigung, Lieferavis und Lieferschein zu beschreiben. Die Abwicklung erfolgt bei den indirekten Beschaffungen analog.
7.3.1.2
Suboptimale Katalogbeschaffung
Abbildung 7-13 zeigt die Variante der suboptimalen Katalogbeschaffung: Im ersten Schritt wird in der Fachabteilung, die das Material benötigt, ggf. nach Durchsicht eines Katalogs in Papierform oder eines Katalogs auf CD-ROM, der Bedarf auf einem Vordruck handschriftlich spezifiziert (1). Im nächsten Schritt wird das Anforderungsformular wertabhängig an verschieden viele Vorgesetzte weitergeleitet, die die Beschaffung genehmigen und/oder die Kontierung, das Budget, die Konformität mit Unternehmensstandards o.ä. prüfen (2). Der Einkauf gibt anschließend die auf dem Vordruck eingetragene Spezifikation im ERP-System als Bestellung ein und schickt diese auf dem Postweg zu einem Lieferanten (3). Dieser erfasst die Bestellung in sei-
260
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
nem ERP-System als Auftrag und liefert die Ware z.B. an der Poststelle oder auch im Lager des Abnehmers an (4). Von hier aus erfolgt eine Weiterleitung der Materialien in die anfordernde Fachabteilung (5). Die ebenfalls in der Poststelle eingehende Rechnung wird an die Kreditorenbuchhaltung weitergeleitet, die die Rechnung zunächst vorerfasst (4, 5, 6). Dann beginnt der bereits bei der Vorratsbeschaffung beschriebene „Rechnungstourismus“. In der Fachabteilung wird die in Rechnung gestellte Menge bestätigt (7) und im Einkauf die in Rechnung gestellten Preise (8). Erst dann erfolgt in der Kreditorenbuchhaltung die eigentliche Rechnungsbuchung (9).
Abbildung 7-13: Prozessvariante: Suboptimale Katalogbeschaffung
Der beschriebene Prozess weist eine Vielzahl an Schwachstellen auf:
Die Durchlaufzeit ist extrem hoch. Dies gilt zum einen für die Zeit zwischen Anforderung und Erhalt der Ware; zum anderen trifft dies für die Zeit zwischen Eintreffen und Buchen der Rechnung zu.
Wegen der langen Durchlaufzeit halten die Bedarfsanforderer den vorgesehenen Prozess nicht ein und führen die Beschaffung selbst durch, indem sie z.B. Büromaterialien oder Werkzeuge während der Arbeitszeit in entsprechenden Fachmärkten einkaufen. Man nennt dieses „am Einkauf vorbei beschaffen“ auch Maverick Buying.
261
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Ebenfalls wegen der langen Durchlaufzeiten wird die Rechnung erst spät bezahlt und deshalb mögliche Skonti nicht mehr abgezogen.
Für die Bedarfsanforderer besteht keine Möglichkeit eines einfachen Statustracking. Der aktuelle Status einer Anforderung (freigegeben, angefragt, bestellt, eingegangen, bezahlt) kann nur durch mühsames Telefonieren und Nachforschen herausgefunden werden. Ein IT-gestütztes Tracking ist nicht möglich.
Der Prozess enthält viele nicht-wertschöpfende Aktivitäten, wie das Freigeben der Bestellanforderung und die Mehrfacherfassung der Bedarfsdaten in Fachabteilung, Einkauf und beim Lieferanten.
Der Prozess ist fehleranfällig. Wegen der beschriebenen Mehrfacherfassung der Daten kann es zu Übertragungsfehlern kommen, die zur Lieferung falscher Produkte führen.
Der Einkauf wird durch den Prozess mit einer Vielzahl von operativen Routinearbeiten belastet.
Ingesamt hat der Prozess wegen starker Papierbasierung, vieler Medienbrüche, hoher Arbeitsteilung, unnötiger Schritte und der Vielzahl von beteiligten Mitarbeitern sehr hohe Prozesskosten. Die aufgeführte Liste zeigt, dass im indirekten Beschaffungsbereich ähnliche und zum Teil noch mehr Schwachstellen vorkommen als im direkten Bereich.
7.3.1.3
Konventionelle Katalogbeschaffung ohne Integration des Lieferanten
Der vorgestellte suboptimale Prozess kann ähnlich wie bei der suboptimalen Vorratsbeschaffung durch einige einfache Veränderungen in der Prozessgestaltung schon erheblich optimiert werden. Abbildung 7-14 stellt diese ersten Optimierungen dar: Die Bedarfsmeldung wird im ersten Schritt nicht mehr auf einem Vordruck, sondern direkt im ERP-System erfasst. Handelt es sich um ein häufiger beschafftes Katalogmaterial, für das ein Materialstamm angelegt wurde, kann hierbei auf diesen referenziert und die Spezifikation hierdurch vereinfacht werden. Liegt kein Materialstamm vor, muss das Material über die Eingabe eines freien Textes beschrieben werden (1). Die Weiterleitung an den Vorgesetzten erfolgt elektronisch über einen Workflow, d.h. der Vorgesetzte wird vom ERP-System informiert, dass eine freizugebende Anforderung vorliegt (vgl. Abschnitt 7.2.7.3). Die Anzahl der Freigabestellen ist reduziert worden. Wertabhängig erfolgt nun gar keine oder nur noch eine Freigabe (2). Für die korrekte Kontierung oder das Einhalten von Standards ist bei dieser Prozessvariante der Anforderer selbst verantwortlich. Nach der ggf. erfolgten Freigabe legt der Einkauf die Bestellung mit Bezug zur Bedarfsmeldung an und schickt sie wie bisher an den Lieferanten (3). Die Schritte beim Lieferanten ändern sich in dieser Variante kaum. Ein
262
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
kleiner Unterschied besteht jedoch bei der Anlieferung. Diese erfolgt jetzt durch den Lieferanten direkt in der Fachabteilung (4). Hier wird im Gegensatz zum suboptimalen Fall bei Erhalt der Ware ein Wareneingang gebucht (5). Die anschließend vom Lieferanten geschickte Rechnung wird in der Poststelle eingescannt, im DMS gespeichert und per Workflow an die Kreditorenbuchhaltung weitergeleitet (6). Hier wird nun wie bei der Vorratsbeschaffung (vgl. Abschnitt 6.2.1.3) die Rechnung in einem Schritt geprüft und gebucht. Diese Änderung setzt auch hier voraus, dass die Bestellung den aktuellen, zu zahlenden Preis enthält und bei der Wareneingangsbuchung die tatsächlich gelieferte und unbeschädigte Menge gebucht wird (7).
Abbildung 7-14: Prozessvariante: Konventionelle Katalogbeschaffung ohne Integration des Lieferanten
Die vorgestellte Variante löst viele der für den suboptimalen Fall beschriebenen Probleme und hat deshalb die folgenden Vorteile:
Durchlaufzeit und Prozesskosten werden wegen der konsequenten ITUnterstützung, der eliminierten Freigabeschritte, der unnötigen Doppelerfassungen und der vereinfachten Rechnungsprüfung stark reduziert. Wegen der Verkürzung der Durchlaufzeit können darüber hinaus Skonti nun abgezogen und das Maverick Buying vermindert werden.
Der Bedarfsanforderer kann den Status seiner Beschaffung in der elektronischen Bedarfsmeldung nachvollziehen, da bei jedem Prozessschritt eine Aktualisierung des Statusfeldes erfolgt.
263
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Wegen der Reduzierung der Doppelerfassungen (nur der Lieferant erfasst die Materialdaten ein zweites Mal) sinkt die Fehlerquote.
Der Einkauf wird wegen des Wegfalls der nochmaligen Erfassung der Bedarfsdaten von nicht-wertschöpfenden Routinearbeiten entlastet. Weiterhin suboptimal bleibt bei dieser Variante analog zur Vorratsbeschaffung die Einbindung des Lieferanten. Er ist weder technisch noch organisatorisch mit dem einkaufenden Unternehmen eng verbunden.
7.3.1.4
Konventionelle Katalogbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten
Bei dieser Prozessvariante werden die gleichen Ideen wie beim Übergang der beiden, bei der Vorratsbeschaffung beschriebenen, konventionellen Varianten verwendet (vgl. Abschnitt 7.2.1.3. und 7.2.1.4). Abbildung 7-15 beschreibt die Variante im Detail. Wegen der Analogien zur Vorratsbeschaffung werden an dieser Stelle nur noch einmal kurz die Unterschiede zur Variante ohne Lieferantenintegration skizziert: Die Bestellübermittlung erfolgt automatisch per EDI (3). Der Auftrag im Lieferantensystem kann aus diesem Grund automatisch erzeugt werden (4). Die Abrechnung wird periodisch per Gutschriftenabwicklung realisiert.
Abbildung 7-15: Prozessvariante: Konventionelle Katalogbeschaffung mit voller Integration des Lieferanten
264
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
Die Vorteile liegen hier in der nochmaligen Prozesskostensenkung beim einkaufenden Unternehmen. Darüber hinaus wird die Abwicklung durch die automatische Auftragsanlage nun auch für den Lieferanten einfacher. Wegen des hohen Abstimmungsbedarfs im Vorfeld ist die beschriebene Lieferantenintegration jedoch nur bei einer Vielzahl von Rechnungen bzw. Bestellungen sinnvoll.
7.3.1.5
Internetbasierte Katalogbeschaffung
7.3.1.5.1 Bausteine der internetbasierten Katalogbeschaffung Bei der internetbasierten Katalogbeschaffung kommen die in Kapitel 2, Abschnitt 2.1.3.3 bereits kurz beschriebenen e-Kataloge und Desktop Purchasing-Systeme zum Einsatz:
Der e-Katalog hat die Aufgabe, die zu beschaffenden Materialien zu verwalten. Im Gegensatz zu einem Materialstamm in einem ERP-System können im e-Katalog neben Nummern, Texten, Preisen u.ä. auch Bilder, technische Detailinformationen und Datenblätter hinterlegt werden. Der e-Katalog ermöglicht durch Such- und Recherchemechanismen das einfache Auffinden von Materialien und stellt die Basis für das Füllen eines Warenkorbs dar (vgl. Eyholzer 2002, S.69). Für den Lieferanten ist der e-Katalog ein Vertriebsinstrument, für den Bedarfsträger ein Beschaffungsinstrument und für den Einkauf ein Steuerungsinstrument. Der Einkauf kann durch das Aufnehmen und Weglassen bestimmter Produkte sowie durch die vorherige Verhandlung der abgebildeten Preise über den e-Katalog die Beschaffung steuern. Der e-Katalog kann somit auch als eine Art Rahmenvertrag gesehen werden.
Das Desktop Purchasing-System (DPS) ist ein Beschaffungstool für indirekte Materialien, das es beliebigen Bedarfsträgern aus Fachabteilungen ermöglicht, insbesondere Katalogmaterialien direkt und ohne operative Einbindung des Einkaufs zu beschaffen. Das DPS greift hierzu auf die oben beschriebenen e-Kataloge zu. DPS haben in der Regel eine einfach zu bedienende Browseroberfläche, die auch ungeübten und nur sporadisch bestellenden Fachabteilungsmitarbeitern, die Beschaffung von Materialien vereinfacht (vgl. Kluck 2002, S. 245). Die zu beschaffenden Materialien können aus e-Katalogen übernommen oder im Freitext formuliert werden. DPS verfügen in der Regel über weitere Funktionen zur Wareneingangsbuchung und Rechnungsfreigabe sowie über Workflow-Unterstützung für Genehmigungsprozesse.
265
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Abbildung 7-16: Komponenten der internetbasierten Katalogbeschaffung
Abbildung 7-16 stellt den Zusammenhang der beiden beschriebenen Komponenten ergänzt um ein ERP-System grafisch dar. Betont sei hier noch einmal, dass es sich beim DPS um ein Beschaffungstool für Fachabteilungsmitarbeiter und nicht etwa für Einkäufer handelt. Die in der Abbildung dargestellten e-Kataloge enthalten Materialien verschiedener Materialgruppen wie z.B. Büromaterialien, Werkzeuge, IT-Zubehör oder Arbeitskleidung. Werden die Kataloge selbst gehostet erfolgt der Zugriff über das Intranet; beim fremden Hosting wird über das Internet auf die Kataloge zugegriffen. Das in Abbildung 7-16 dargestellte ERP-System kann mit dem DPS über eine Schnittstelle verbunden sein. Details zur Integration und zu den Implementierungsvarianten beschreibt der folgende Abschnitt.
7.3.1.5.2 Implementierung und ERP-Integration internetbasierter Katalogbeschaffung Wie die anderen SRM-Tools auch, können sowohl e-Kataloge als auch DPS in verschiedenen Varianten implementiert werden. Bei e-Katalogen spricht man in diesem Kontext auch von Contentstrategien. Abbildung 7-17 stellt diese im Detail dar (vgl. auch Brenner/Lux 2000, S.160ff.). Im Folgenden werden sie kurz charakterisiert und bewertet (für eine Detailbewertung siehe Eyholzer 2002, S.69ff.):
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IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
Abbildung 7-17: Contentstrategien für internetbasierte Beschaffung von Katalogmaterial
Sell-Side Lösung -
Zugriff auf verschiedene Online Shops mit separaten Logins (ohne DPS möglich),
-
zum Teil bestehen Möglichkeiten zur Produktkonfiguration,
-
fremdes Hosting,
-
geringer Aufwand, schnelle Implementierung,
-
aber: unterschiedliche Bedienung der einzelnen Shops, Bestelldaten nicht im System des beschaffenden Unternehmens.
e-Marktplatz -
Zugriff auf vom Marktplatz aggregierte Kataloge,
-
fremdes Hosting,
-
mehrere beschaffende Unternehmen greifen auf die gleichen Kataloge zu,
-
geringer Aufwand, schnelle Implementierung,
267
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
-
einheitliche Bedienung,
-
aber: meistens gelten für alle Kunden die gleichen Preise für die Katalogmaterialien.
Application Service Provider Lösung -
Zugriff auf Standardkataloge des Providers oder individuelle Kataloge eigener Lieferanten,
-
fremdes Hosting,
-
geringer Aufwand bei Standardkatalogen,
-
einheitliche Bedienung,
-
aber: ggf. ist der Dienstleister gleichzeitig auch Händler und ein Aufschlag für die Materialien ist zu bezahlen.
Buy-Side Lösung -
Zugriff auf individuell zusammengestellte Kataloge,
-
eigenes Hosting,
-
einheitliche Bedienung, eigene Lieferanten in jedem Fall integrierbar,
-
aber: hoher Aufwand.
eigener Marktplatz -
Spezialfall der Buy-Side Lösung, der für Konzerne interessant ist,
-
die selbst gehosteten Kataloge werden für mehrere Tochterunternehmen eines Konzerns geöffnet,
-
man bekommt einen konzernweiten eigenen Marktplatz,
-
der alternativ auch für fremde Unternehmen geöffnet werden kann,
-
aber: hoher Aufwand.
Beim Hosting der Kataloge muss sich ein Unternehmen nicht zwangsläufig auf eine der oben beschriebenen Varianten begrenzen. So können z.B. in eine Buy-Side Lösung einzelne Online Shops oder Kataloge von Marktplätzen integriert werden. Man spricht dann auch von Punch Out-Katalogen. Dies macht z.B. Sinn bei Katalogen, die einer hohen Änderungshäufigkeit unterliegen, wie z.B. Kataloge für Bücher oder ITMaterialien. Diese Kataloge werden dann im Gegensatz zu den anderen Katalogen der Buy-Side Lösung nicht in den internen Multilieferantenkatalog aufgenommen. Das DPS greift extern auf diese Kataloge zu. Der Einstieg über das DPS stellt sich für den Benutzer wie bei den anderen Katalogen dar, nach dem Aufruf des Katalogs folgt dann aber die individuelle Bedienung des externen Katalogs. Einige Anbieter haben
268
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
ihre Katalogmanagementsysteme inzwischen dahingehend weiterentwickelt, dass eine zentrale Suche über interne und externe Kataloge möglich ist (vgl. Bechthold 2010, S.9). In Verbindung mit der Frage des Hostings der Kataloge ist gleichzeitig auch immer zu klären, wer das Content Management der Kataloge übernimmt. Unter Content Management (vgl. auch Preißner 2002, S.78ff.) versteht man alle Aufgaben, die mit der Pflege der Datenbasis eines Katalogs verbunden sind. Hierzu zählen:
Erstmaliges Abstimmen
der Katalogformate www.bmecat.de) mit den Lieferanten,
(z.B.
nach
BMEcat,
vgl.
initiales Einpflegen (Upload) der Lieferantenproduktdaten in das Katalogsystem, regelmäßiges Update der Lieferantenproduktdaten (neue Preise, neue Produkte) bei Bedarf Veredeln der Lieferantendaten z.B. durch Klassifizierungen der Daten (z.B. nach eClass, vgl. www.eclass.de), durch Ergänzung von Bildern, durch Pflege von Synonymen zu den Artikelbezeichnungen oder Langtextpflege. Auf die beschriebenen Aufgaben haben sich sogenannte Content Provider spezialisiert (vgl. Möhrstädt et al. 2001, S.175). Werden als Contentstrategie e-Marktplätze oder Sell-Side Lösungen ausgewählt, so braucht sich das einkaufende Unternehmen mit dem Thema Content Management nicht auseinanderzusetzen. Die jeweiligen Betreiber übernehmen das Content Management selbst oder setzen hierfür ihrerseits einen Content Provider ein. Bei der Buy-Side Lösung bzw. ihrer Erweiterung, dem eigenen Marktplatz, muss das einkaufende Unternehmen entweder ebenfalls einen Content Provider einsetzen oder diese Aufgabe selbst übernehmen. Häufig wird diese Entscheidung vom Umfang des Content Managements abhängig gemacht. Viele Unternehmen bauen hier bei geringen Bedarfen an Content Management kein eigenes Know-how auf, sondern vertrauen auf Content Provider, die hier ihre Kernkompetenz einbringen. Insgesamt sind Aufwand und Kosten für das Content Management nicht zu unterschätzen (vgl. Eyholzer 2002, S.78). Dies gilt insbesondere für die initiale Bereitstellung der Katalogdaten bei Einführung der internetbasierten Katalogbeschaffung auf Basis von Buy-Side Lösungen. Beim e-Marktplatz sind die Kosten für das Content Management für das einzelne Unternehmen geringer, da sie auf mehrere Unternehmen verteilt werden. Dies gilt in gleicher Weise für den Application Service Provider, wenn er Standardkataloge bereitstellt, die für den einzelnen Kunden nicht weiter angepasst werden. Häufig wird der Application Service Provider in Abgrenzung zum Marktplatz aber eingesetzt, um individuelle Kataloge pflegen und hosten zu lassen. Dies bietet sich an, da der Application Service Provider meistens auch Content Provider ist. Man spricht in diesem Fall auch von Hosted-Buy-Side Lösungen (vgl. Schubert et al. 2002, S.4ff.). Einige Application Service Provider sind gleichzeitig auch Procurement Service Provider oder arbeiten mit solchen eng zusammen. Es handelt sich hier um
269
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Händler, die für verschiedene Warengruppen die Materialien auf ihrem Lager bereitgestellt halten und dann nach Bestellung über das durch sie bereitgestellte DPS alles aus einer Hand liefern und eine Sammelrechnung schicken. Insgesamt sind die verschiedenen Realisierungsvarianten und Dienstleistungsmodelle auch hier nur sehr schwer abgrenzbar und treten in vielfältigen Mischformen auf. Neben dem Hosting der Kataloge ist noch zu berücksichtigen, wer das DPS hostet. Vereinfacht kann hier gesagt werden, dass meistens das Hosting von Katalog und DPS in dieselben Hände gelegt wird. Wie sieht die Integration zwischen ERP und DPS aus? Abbildung 7-18 stellt die verschiedenen Möglichkeiten sowie die zu berücksichtigenden Stamm- und Bewegungsdaten dar.
Integration bei den Bewegungsdaten: Im DPS sind von Seiten der Bewegungsdaten Warenkorb, Wareneingang und Rechnung relevant. Bei der Rechnung ist anzumerken, dass die Rechnungsdaten im DPS zwar verwaltet werden können, eine „echte“ Rechnungsbuchung aber nicht möglich ist, da es sich beim DPS nicht um ein Rechnungswesen-System handelt. Sind DPS und ERP-System nicht integriert (vgl. oberer Teil von Abbildung 7-18), wird die Rechnungsprüfung schwierig, da im ERP-System die Bezugsdaten wie Bestellung und Wareneingang fehlen. Bei einer Integration wird der Warenkorb des DPS in eine Bestellung oder Bestellanforderung im ERP-System umgewandelt; Wareneingang und Rechnung werden vom DPS ins ERP-System repliziert (vgl. mittlerer Teil von Abbildung 7-18). Die Rückintegration sieht so aus, dass die vom ERP-System erzeugten Belegnummern ins DPS zurückgemeldet werden (vgl. unterer Teil von Abbildung 7-18).
Integration bei den Stammdaten: In beiden Systemen müssen Material- und Lieferantenstammsätze betrachtet werden. Die Integration spielt hier aber, solange es um die Beschaffung über elektronische Kataloge geht, eine untergeordnete Rolle. Die Kataloglieferanten müssen in beiden Systemen verfügbar sein, andernfalls funktioniert z.B. die Replikation der Bestellungen nicht. Da das ERP-System in der Regel führend ist, müssen von hier die Lieferanten ins DPS übertragen werden. Wegen der geringen Anzahl von Kataloglieferanten ist die automatische Übertragung nicht von besonders großer Bedeutung. Die wenigen Lieferanten können auch manuell doppelt gepflegt werden. Die Materialstammsätze spielen in DPS und ERP-System bei der Katalogbeschaffung keine Rolle. Sie sind lediglich im Katalog abgespeichert und erhalten in DPS und ERP-System keine Stammsatznummer. In den Bestellungen werden sie im Wesentlichen über die Textfelder spezifiziert. Bedeutung haben die Materialstammsätze nur, falls im ERP-System spezifizierte Materialien über das DPS angefordert werden sollen. Besteht diese Anforderung für eine Vielzahl von Materialien, so ist eine Replikation der Stammsätze aus dem ERP-System ins DPS sinnvoll.
270
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
Abbildung 7-18: ERP-Integration Ohne ERP-Integration Bewegungsdaten
y y y y
Bewegungsdaten
y Warenkorb y Wareneingang y Rechnung
Bestellanforderung Bestellung Wareneingang Rechnung
Stammdaten
Stammdaten
• Material
• Material
• Lieferanten
• Lieferanten
ERP
DPS
Mit ERP-Integration (DPS => ERP) Bewegungsdaten y y y y
Bewegungsdaten y Warenkorb y Wareneingang y Rechnung
Bestellanforderung Bestellung Wareneingang Rechnung
Stammdaten
Stammdaten
• Material
• Material
• Lieferanten
• Lieferanten
ERP
DPS
Mit ERP-Integration (ERP => DPS) Bestellanforderungs-/Bestellnummer im ERP-System Bewegungsdaten
Bewegungsdaten
y Bestellanforderung y Bestellung
Wareneingangsnummer im ERP-System
y Warenkorb
y Wareneingang
y Wareneingang
y Rechnung
y Rechnung
Stammdaten
Rechnungsnummer im ERP-System
Stammdaten
• Material
• Material
• Lieferanten
• Lieferanten
ERP
DPS
Nach dieser Vorstellung des erforderlichen Grundlagen-Know-hows für die internetbasierte Katalogbeschaffung soll nun ein kurzer Überblick der Varianten dieses Beschaffungsprozesses gegeben werden. Bei der internetbasierten Beschaffung von Katalogmaterialien kann analog zu der im Abschnitt 7.2.1 vorgenommenen Variantenbeschreibung zwischen der teilweisen und der vollen Integration des Lieferanten unterschieden werden. Bei der teilweisen Integration erfolgt der Datenaustausch per
271
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Supplier Self Service und bei der vollen Integration per XML. Für die Prozessgestaltung wichtiger als diese Unterscheidung ist aber die zuvor diskutierte Frage des Hostings von e-Katalogen und DPS sowie die Frage der ERP-Integration. Aus diesem Grund werden nachfolgend zwei Prozessvarianten beschrieben, die durch diese beiden Aspekte maßgeblich beeinflusst werden und sinnvolle Kombinationsmöglichkeiten von Hosting und ERP-Integration beschreiben. Hierbei wird in beiden Fällen eine XML-Anbindung des Lieferanten unterstellt. Die nachfolgend beschriebenen Prozessvarianten sind als internetbasierte Weiterentwicklungen der in den Abschnitten 7.2.1.5 und 7.2.1.6 vorgestellten Varianten zu verstehen.
7.3.1.5.3 Internetbasierte Katalogbeschaffung mit eigenem Hosting und ERP-Integration Die hier betrachtete Variante der Katalogbeschaffung kann als die aufwändigste angesehen werden. Sowohl das DPS als auch die e-Kataloge werden vom beschaffenden Unternehmen auf eigenen Rechnern gehostet (Buy-Side Lösung). Bei dieser Variante hat das Unternehmen den Vorteil, die Inhalte der Kataloge voll auf seine Bedürfnisse individuell auszurichten. Ebenso kann das Customizing für das DPS gemäß eigener Anforderungen erfolgen und eine Integration mit dem ERP-System realisiert werden. Der Prozess der internetbasierten Katalogbeschaffung sieht dann wie in Abbildung 719 beschrieben aus: Der Bedarfsanforderer greift über das DPS auf die im eigenen Unternehmen gehosteten Kataloge zu, wählt hier die gewünschten Materialien aus und füllt auf diese Weise einen Warenkorb, den er anschließend abschickt und abhängig vom Wert durch seinen Vorgesetzten freigeben lässt (1, 2). Der Warenkorb wird dann automatisch in eine Bestellung im ERP-System umgewandelt. Diese wird per XML an den Lieferanten übertragen (3), in dessen ERP-System wiederum automatisch ein Auftrag erzeugt wird (4). Die anschließend angelieferte Ware wird vom Bedarfsanforderer als Wareneingang gebucht (5). Wegen der Integration kann diese Wareneingangsbuchung automatisch ins ERP-System repliziert werden (6). Hiermit liegen dann sowohl die Bestelldaten als auch die Wareneingangsdaten redundant zum DPS auch im ERP-System vor. Dementsprechend kann auch hier die Zahlung periodisch per Gutschriftenabwicklung erfolgen. Beim Schritt 2 des beschriebenen Prozesses gibt es noch eine Variante. Anstelle des Freigebens der Warenkörbe ab einer Wertgrenze kann auch für bestimmte Zeiträume ein Budget mit den Mitarbeitern vereinbart und im DPS hinterlegt werden. Das DPS verwaltet dann diese Budgets und lässt automatische Bestellungen nur so lange zu, wie noch Budget vorhanden ist (vgl. Konhäuser 1999, S.86). Auf diese Weise können die Vorgesetzten vom elektronischen Freigeben entlastet werden. Der gleiche Effekt kann jedoch auch in der obigen Variante durch eine hohe Wertgrenze erzielt werden.
272
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
Abbildung 7-19: Prozessvariante: Internetbasierte Katalogbeschaffung mit eigenem Hosting und ERP-Integration
Der beschriebene Prozess stellt gegenüber den konventionellen Varianten nochmals eine Verbesserung dar:
Mit der browsergestützten Oberfläche des DPS sind Bedarfsmeldungen in Form von Warenkörben leichter zu erstellen als dies beim Anlegen einer Bedarfsmeldung im ERP-System der Fall ist.
Solange die definierte Wertgrenze nicht unterschritten wird, steuert der Bedarfsträger den gesamten Prozess alleine. Außer ihm ist operativ in den Beschaffungsprozess niemand mehr involviert.
Der Einkauf wird in diesem Szenario von Routinearbeiten völlig befreit. Er kann die gewonnene Zeit für strategische Einkaufsaktivitäten nutzen.
Der Bedarfsträger bekommt mit den elektronischen Katalogen ein umfassendes, ausführlich beschriebenes Sortiment präsentiert, das auch seltener beschaffte Materialien umfasst. Durch diese insbesondere in Bildform bereitgestellten Informationen und durch den Wegfall von Mehrfacherfassungen sinkt die Fehlerquote.
Für den Einkauf bedeuten die elektronischen Kataloge auch insofern Arbeitsentlastung, als dass diese vom Lieferanten bereitgestellt werden. Das Pflegen von Stammdaten und Rahmenverträgen im ERP-System entfällt. Sämtliche Informationen sind im Katalog bereits enthalten.
273
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
7.3.1.5.4 Internetbasierte Katalogbeschaffung mit fremdem Hosting ohne ERP-Integration Bei der in diesem Abschnitt betrachteten Variante werden sehr viele Arbeiten an Dienstleister abgegeben. Dies gilt z.B. für das Hosting von e-Katalogen und DPS sowie für die Rechnungsprüfung und die Zahlungsabwicklung. Durch die Übernahme dieser Aktivitäten durch den Dienstleister sinkt der Aufwand im eigenen Unternehmen. Dafür bestehen bei dieser Variante unter Umständen aber nicht so große Möglichkeiten der Individualisierung. Dies gilt z.B. für die Prozessgestaltung oder auch für die Aufnahme von Katalogen eigener Lieferanten. Bei den Dienstleistern kann es sich einerseits um die im letzten Abschnitt beschriebenen Application Service Provider handeln, die individuell DPS und e-Kataloge hosten. In diesem Fall sind die Individualisierungsmöglichkeiten die gleichen wie in der vorangegangenen Variante und die oben genannten Einschränkungen treffen nicht zu. Andererseits können die Dienstleistungen auch von e-Marktplätzen angeboten werden, bei denen mehrere beschaffende Unternehmen auf DPS und gemeinsame Standard e-Kataloge zugreifen. In beiden Fällen werden häufig ergänzende Dienstleistungen wie das Erstellen von Sammelrechnungen, Rechnungsprüfung und Zahlungsabwicklung von Dienstleistern übernommen. Die Abgrenzung zwischen e-Marktplätzen und ASP-Anbietern kann in der Praxis schwierig sein, da die beiden Formen sich immer mehr angleichen, was man z.B. daran erkennt, dass auch Marktplatzbetreiber zum Teil individualisierte Kataloge anbieten. Eine mögliche Abwicklung der hier diskutierten Prozessvariante beschreibt Abbildung 7-20. Die beiden ersten Schritte unterscheiden sich für den Endanwender nicht von der Variante im vorausgegangenen Abschnitt. Der Unterschied besteht hier lediglich darin, dass DPS und e-Kataloge nicht im eigenen Unternehmen gehostet werden (1, 2). Im dritten Schritt wird die Bestellung direkt aus dem DPS erzeugt und per XML verschickt (3). Beim Lieferanten läuft der weitere Prozess wie in der anderen Variante ab, mit dem Unterschied, dass dieser seine Rechnung an dem Dienstleister stellt und von diesem auch sein Geld erhält (4). Der Dienstleister hat Zugriff auf sämtliche abgewickelten Bestellungen und bekommt vom einkaufenden Unternehmen Mitteilungen, falls bestellte Waren mangelhaft oder gar nicht geliefert worden sind. Auf Basis dieser Informationen kann er die Rechnungen der Lieferanten prüfen und bezahlen. Parallel hierzu aggregiert er die Rechnungen der verschiedenen Lieferanten und stellt dem einkaufenden Unternehmen periodisch eine Sammelrechnung (5). Diese Sammelrechnung wird vom Abnehmer, da die einzelnen Positionen bereits durch den Dienstleister geprüft wurden, nur noch stichprobenartig kontrolliert und anschließend gebucht (6).
274
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
Abbildung 7-20: Prozessvariante: Internetbasierte Katalogbeschaffung mit fremdem Hosting ohne ERP-Integration
Die Variante weist im Wesentlichen die gleichen Vorteile wie die vorausgegangene Variante auf. Hinzu kommt als Vorteil, dass das beschaffende Unternehmen von Arbeit entlastet wird und die ggf. aufwändige ERP-Integration entfällt. Unterschiede bestehen im Umfeld der Rechnungsprüfung. Die Wareneingangsbuchungen bei Erhalt der Ware entfallen; dafür müssen aber in bestimmten Abständen die Sammelrechungen gebucht werden. Die hier nicht realisierte ERP-Integration führt dazu, dass nicht mehr alle Beschaffungsvorgänge im ERP-System abgebildet sind. Eine einfache übergreifende Auswertung aller Beschaffungsvorgänge ist dementsprechend nur im Data Warehouse-System möglich. Genau zu ermitteln sind in dieser Variante die Kosten, die der Dienstleister für das Hosting sowie für die Rechnungsprüfung und Zahlungsabwicklung verursacht. Diese Kosten sind vor der Entscheidung für eine Prozessvariante denen bei eigener Abwicklung gegenüberzustellen. Abschließend sei zu den beiden vorgestellten Varianten noch angemerkt, dass auch ein externes Hosting mit ERP-Integration und ein internes Hosting ohne ERP-Integration möglich sind.
7.3.1.5.5 Freitextbestellungen als Alternative zur Katalogbeschaffung Die Einrichtung eines elektronischen Katalogs für eine bestimmte Materialgruppe wird in der Regel nur dann vorgenommen, wenn eine Vielzahl von Materialien aus
275
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
der Warengruppe immer wieder beschafft wird. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Aufwand für die Einrichtung der Kataloge nicht mehr im vernünftigen Verhältnis zum Nutzen steht. Einige Softwareanbieter versuchen dieses Problem zu entschärfen, indem sie Tools entwickeln, die eine einfache Erstellung von e-Katalogen, speziell bei einer geringen Anzahl von Materialien, unterstützen. Als Alternative zum Katalogzugriff kann die Bestellung der betreffenden Materialien auch durch eine sogenannte Freitextbestellung erfolgen. Bei dieser werden die Materialien in der Bedarfsmeldung durch einen vom Anforderer frei formulierten Text spezifiziert. Das in Abbildung 7-19 eingesetzte DPS kann auch für die Anforderung solcher Freitextmaterialien eingesetzt werden. Nach der Freigabe durch die Führungskraft wird dann automatisch eine Bedarfsanforderung im ERP-System erstellt. Die weitere Prozessabwicklung sieht dann wie bei der konventionellen Katalogbeschaffung ohne Integration des Lieferanten aus (vgl. Abbildung 7-14). Natürlich können die ersten anfordernden Schritte auch, wie in Abbildung 7-14 dargestellt, sofort über das ERP-System abgewickelt werden. In diesem Fall würde der Anforderer aber für im Freitext und für auf Basis von e-Katalogen bestellte Materialien verschiedene Tools (DPS und ERP-System) einsetzen müssen. Freitextbestellungen können auch für alle andere Materialien oder Dienstleistungen eingesetzt werden, für die kein Stammsatz vorliegt (vgl. auch Abschnitt 7.3.2).
7.3.1.5.6 Beispieltools für die internetbasierte Katalogbeschaffung Die nachfolgende Auflistung gibt exemplarisch einige Tools zu den jeweiligen Contentstrategien an:
Sell-Side Lösung -
Onlineshop mit Konfigurationsfunktionen für PCs etc. (www.dell.de)
-
Onlineshop für Bürobedarf und Büromöbel (www.ibs-buerosysteme.de)
e-Marktplatz -
Marktplatz mit e-Katalogen für C-Materialien (www.cadirekt.de)
-
Marktplatz mit e-Katalogen für C-Materialien (www.mercateo.de)
ASP Lösung
276
-
Dynamic Ordering mit Dynamic Staging von der Healy Hudson GmbH
-
wps und catbuy von der Wallmedien AG
-
Brüggershemke & Reinkemeier KG als Beispiel für Procurement Service Provider, der Tools anderer Unternehmen einsetzt
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
Buy-Side Lösung -
SAP SRM-EBP (Enterprise Buyer Professional) und SAP SRM-MDM Catalog von der SAP AG
eigener Marktplatz -
Die RWE Service GmbH stellt für die Unternehmen des RWE Konzerns einen Marktplatz mit elektronischen Katalogen bereit
In vielen Fällen können die Tools mehrfach zugeordnet werden. Dies gilt z.B. für die Tools der SAP AG oder auch der Wallmedien AG. Bei den Sell-Side Lösungen und eMarktplätzen stehen die Kataloge im Vordergrund. Die mit diesen Lösungen angebotenen Beschaffungstools sind keine vollständigen DPS im obigen Sinn. Bei den ASP und Buy-Side Lösungen sowie bei den eigenen Marktplätzen handelt es sich jeweils um Katalogsysteme mit vollständigem DPS.
7.3.1.5.7 Vergleich der Prozessvarianten für die Katalogbeschaffung Tabelle 7-2 stellt die beschriebenen Varianten der Katalogbeschaffung bzgl. verschiedener Merkmale gegenüber. Auch hier ist besonders anzumerken, dass konventionell schon viele Optimierungen erreicht werden können. Wichtig ist in allen Fällen, dass die Prozessoptimierung mit einer Umstellung auf Single Sourcing verbunden ist. Hierdurch wird die Komplexität der Beschaffung nochmals erheblich reduziert. Die Anzahl von Verhandlungspartnern und Schnittstellen sinkt und es wird eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um die optimierten Prozesse mit den einzelnen Lieferanten aufsetzen zu können. Ist ein Unternehmen z.B. in der Vergangenheit von fünf verschiedenen Büromateriallieferanten versorgt worden, macht es keinen Sinn, mit diesen fünf Lieferanten in Zukunft über elektronische Kataloge zusammenzuarbeiten. Hier müssen die Bedarfe beim stärksten Lieferanten gebündelt werden. Die Prozess- und Katalogabstimmung würde mit fünf Lieferanten zuviel Aufwand verursachen. Für welche der Varianten sollte sich ein Unternehmen nun entscheiden, das aktuell noch das suboptimale Szenario realisiert? Sind die verfügbaren Budgets klein, kann sicherlich ein erster wirksamer Schritt mit Umsetzung einer der konventionellen Varianten erfolgen. Eine Alternative stellt in dieser Situation ggf. aber auch die beschriebene internetbasierte Katalogbeschaffung mit fremdem Hosting ohne ERP-Integration dar. Hier kann insbesondere eine standardisierte Marktplatzlösung interessant sein. Voraussetzung ist jedoch, dass das beschaffende Unternehmen die bereitgestellten Kataloge inklusive ihrer Lieferanten und deren Preise akzeptiert. Ferner dürfen die Anforderungen an das bereitgestellte Beschaffungstool nicht besonders individuell sein. Ist dies der Fall, kann eine solche Lösung mit geringen Kosten eingeführt und genutzt werden. Sind die beschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt, spricht vieles für die konventionelle Optimierung.
277
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Tabelle 7-2: Vergleich der Prozessvarianten für Katalogbeschaffung
Im Falle eines größeren Budgets müssen die Unternehmen entscheiden, ob die zusätzlichen Vorteile einer internetbasierten Katalogbeschaffung die höheren Kosten im Vergleich zur konventionellen Optimierung rechtfertigen. Wird diese Frage positiv beantwortet, ist im zweiten Schritt zu klären, welche der beiden internetbasierten Varianten zum Einsatz kommen soll. Sollen hohe Anfangsinvestitionen vermieden werden und ist im Unternehmen die Bereitschaft da, Prozesse wie den Betrieb der Software oder auch einen Teil der Rechnungsprüfung auszulagern, liegt die internetbasierte Katalogbeschaffung mit fremdem Hosting nah. Besteht im Unternehmen aber die Philosophie, diese Dinge nicht nach außen zu geben und will man die Lösung vielleicht mehreren Tochterunternehmen oder auch Kunden mit anbieten, ist die BuySide Lösung zu wählen. Grundsätzlich ist zum Beschaffungsmodell der Katalogbeschaffung noch anzumerken, dass dieses Modell immer mehr die Vorratsbeschaffung ablöst. Wurden in der Vergangenheit Materialien wie Bürobedarf, Werkzeuge o.ä. vielfach in Form der Vorratsbeschaffung in separaten Lagern vorgehalten, so werden diese aktuell immer mehr abgebaut. Dies ist durch die verbesserte Verbindung zu den Lieferanten und die optimierten logistischen Prozesse, die vielfach zu einer Belieferung innerhalb von 24 Stunden führen, möglich geworden.
7.3.2
Beschaffung von Investitionsgütern
Investitionsgüter sind im Gegensatz zum Katalogmaterial nicht oder nur wenig standardisierbar und müssen individuell konfiguriert werden. Typische Investitionsgüter
278
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
sind z.B. Maschinen oder Produktionsanlagen. Solche Güter weisen häufig einen hohen Preis sowie eine hohe Komplexität und Individualität auf und kommen im Vergleich zu anderen Beschaffungsvorgängen meistens relativ selten vor. Bei sehr komplexen Gütern wie z.B. den erwähnten Produktionsanlagen wird die Beschaffung in Projektform abgewickelt. In diesem Fall empfiehlt es sich, für die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen, wie in Kapitel 6, Abschnitt 6.2.3.1 beschrieben, eine Kollaborationsplattform einzusetzen. Auf diese Weise kann die entsprechende Anlage unter Mitwirkung aller Beteiligten systematisch spezifiziert werden. Realisiert werden die Beschaffungen häufig über die bereits in Abschnitt 6.3.1.5.5 beschriebenen Freitextbestellungen, d.h. es wird hier nicht auf bestehende Materialstämme zugegriffen, sondern eine individuelle, freie Beschreibung der zu beschaffenden Güter vorgenommen.
Abbildung 7-21: Beschaffung von Investitionsgütern
Der stark vereinfachte Ablauf der Investitionsgüterbeschaffung wird im Detail in Abbildung 7-21 beschrieben: Das zu beschaffende Investitionsgut wird im einfachen Fall im ersten Schritt mit einer Bestellanforderung im ERP-System spezifiziert. Handelt es sich um eine komplexe Spezifikation, die wie oben beschrieben im Rahmen eines Projekts erfolgt, so sollte eine Kollaborationsplattform eingesetzt werden. In Abbildung 721 wird dies vorausgesetzt und vereinfacht dargestellt (1). Der Einkauf setzt die Anforderung nach Freigaben und Prüfungen von Führungskräften in eine Bestellung um (2, 3). Das Investitionsgut wird vom Lieferanten geliefert und ggf. installiert (4). Die
279
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
anschließend von ihm geschickte Rechnung (4, 5) wird vor der Buchung (9) vorerfasst (6) und von Fachabteilung (7) und Einkauf (8) detailliert überprüft. Der beschriebene Prozess ähnelt an mehreren Stellen den suboptimalen Beschaffungsvarianten. Trotzdem ist der Ablauf für die Beschaffung von Investitionsgütern aus folgenden Gründen akzeptabel:
Die zweistufige Freigabe kann hier, da es sich ggf. um ein sehr hohes Volumen handelt, sinnvoll sein.
Ein papierbasierter Austausch der Bestellung ist auf Grund der geringen Häufigkeit als angemessen einzustufen.
Eine wareneingangsbezogene Rechnungsprüfung ist bei komplexen Investitionsgütern wie in den anderen Varianten beschrieben nicht realisierbar. Hier erfolgen häufig Abnahmen und Abschlagszahlungen, die im Detail von Fachabteilung und Einkauf zu prüfen sind. Die Buchung eines Wareneingangs wäre hier zu undifferenziert. Das Hauptoptimierungspotenzial bei diesem Beschaffungsmodell steckt in der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen. Es sollte im Unternehmen geprüft werden, ob eine komplexe Erstellung von Ausschreibungsunterlagen so häufig vorkommt, dass der Einsatz einer Kollaborationsplattform gerechtfertigt ist. Grundsätzlich ist auch zu prüfen, ob der Lieferant eine solche Spezifikationsplattform im Einsatz hat. Dies ist insbesondere bei Maschinenbauern denkbar, die auf Kollaborationsplattformen die Zusammenarbeit mit ihren Kunden und Lieferanten optimieren wollen. Man spricht dann auch von Collaborative Engineering. Für eine ausführlichere Beschreibung dieses Spezialthemas und für mögliche IT-Unterstützungen vgl. Kersten/Kern 2002, S.290ff. und Bätz 2005, S.198ff.
7.3.3
Beschaffung von Dienstleistungen
7.3.3.1
Überblick
Die von einem Unternehmen zu beschaffenden Dienstleistungen können, wie die nachstehende Auflistung zeigt, vielfältige Ausprägungen haben: Hotelübernachtungen und Reisen, Catering, logistische Dienstleistungen, Handwerkerleistungen, Reparaturen und Instandhaltungen, Bauleistungen, Beratungsleistungen, Personaldienstleistungen, Reinigungsleistungen, Sicherheitsdienste, Schulungen usw.. Die Variantenvielfalt bei der Beschaffung von Dienstleistungen ist hoch. Nachfolgend werden diese jedoch nicht alle im Detail vorgestellt. Es erfolgt vielmehr eine Darstel-
280
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
lung von zwei Grundvarianten, von denen ausgehend ähnliche Varianten durch eine Beschreibung der Abweichungen skizziert werden.
7.3.3.2
Suboptimale und konventionelle Dienstleistungsbeschaffung
Die Beschaffung von Dienstleistungen wird in vielen Unternehmen wenig standardisiert und ineffizient abgewickelt. Die IT-Unterstützung bleibt häufig hinter den aktuellen Möglichkeiten zurück. Abbildung 7-22 zeigt den Prozess der Dienstleistungsbeschaffung, wie er in vielen Unternehmen realisiert wird: Der Einkauf erhält nach Freigabe durch den Vorgesetzten eine vom Fachabteilungsmitarbeiter handschriftlich ausgefüllte Bestellanforderung, die er in eine Bestellung umsetzt und per Post zum Lieferanten schickt (1, 2, 3). Die Bestellung wird beim Lieferanten als Auftrag angelegt. Nach Erbringung der Leistung stellt dieser eine Rechnung, in der er die erbrachten Leistungen im Detail aufführt (4). Die Rechnung durchläuft nun vor ihrer Buchung den bereits für andere Prozesse beschriebenen „Rechnungstourismus“ (5, 6, 7, 8). Hierbei wird in der Fachabteilung die erbrachte Leistung geprüft und ggf. bestätigt.
Abbildung 7-22: Suboptimale Dienstleistungsbeschaffung
Der Prozess hat die gleichen Nachteile wie die suboptimalen Varianten anderer Beschaffungsmodelle. Die Durchlaufzeit ist lang, die Prozesskosten sind hoch und darüber hinaus ist der Prozess fehleranfällig. Trotz dieser Nachteile wird der Prozess wie
281
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
oben beschrieben oder in ähnlicher Form z.B. für Maschinenreparaturen, Handwerkeroder Beraterleistungen in vielen Unternehmen so durchgeführt. Nicht selten nimmt hierbei die Fachabteilung den gesamten Vorgang selbst in die Hand und wickelt den Prozess ohne Beteiligung des Einkaufs ab. Eine weitere Besonderheit ist die schwierige Qualitätsprüfung in dem beschriebenen Prozess. Das sachgerechte Erbringen einer Dienstleistung genau zu beurteilen, stellt für die Fachabteilungen häufig eine große Herausforderung dar. Die konventionellen Optimierungsvarianten anderer Beschaffungsmodelle können hier weitgehend übertragen werden. So kann z.B. auch hier die Bedarfsmeldung elektronisch erfolgen und die Bestellung per Fax oder EDI übermittelt werden. Ferner können die erbrachten Leistungen bereits vor der Rechnungsstellung durch die Fachabteilung bestätigt werden. Dies kann zum Beispiel durch das Unterschreiben eines Stundenzettels geschehen. Werden diese bestätigten Leistungserbringungen der Rechnung beigefügt, kann der oben skizzierte „Rechnungstourismus“ grundsätzlich unterbleiben. Einige ERP-Systeme bieten innerhalb der Materialwirtschaft besondere Teilmodule an, die die Verwaltung komplexer Leistungsverzeichnisse ermöglichen. Analog zum Materialstamm können Leistungsstammsätze angelegt werden, auf die in den Leistungsverzeichnissen zugegriffen wird. Erbrachte Dienstleistungen können in solchen Modulen erfasst und wie ein Wareneingang gebucht werden. Dies ermöglicht auch hier eine wareneingangsbezogene Rechnungsprüfung oder eine Gutschriftenabwicklung. Unternehmen, die viel mit Dienstleistern zusammenarbeiten, wie etwa Energieversorger, die bei der Erschließung von Neubaugebieten intensiv mit Rohr- und Tiefbauern kooperieren, setzen solche Teilmodule zur konventionellen Optimierung ihrer Dienstleistungsbeschaffung ein. Eine andere suboptimale Variante des oben beschriebenen Prozesses kommt z.B. bei Schulungen, Catering oder Hotel- und Reisebuchungen vor. Die Einbindung des Einkaufs unterbleibt bei solchen Dienstleistungen zum Teil völlig. Die Bestellung bzw. Buchung wird durch die Fachabteilung telefonisch oder per Fax vorgenommen und nicht im ERP-System abgebildet. Dies macht den beschriebenen Prozess der Rechnungsprüfung nochmals schwieriger. Der Bestellbezug und unter Umständen auch Angaben zu der Person, die die Dienstleistung genutzt hat, fehlen. In diesem Fall kann es extrem schwierig werden, die fachtechnische Rechnungsprüfung vorzunehmen, da in der Kreditorenbuchhaltung nicht klar ist, wer für diese Prüfung verantwortlich ist. Weitere Nachteile dieser Variante sind, dass Mengenbündelungen nicht ausgeschöpft und Auswertungen nicht vorgenommen werden können.
7.3.3.3
Internetbasierte Dienstleistungsbeschaffung
Die im vorausgegangenen Abschnitt beschriebene Dienstleistungsabwicklung kann durch den Einsatz des Supplier Self Service vereinfacht werden. Abbildung 7-23
282
IT-gestützte Optimierung der Beschaffung von indirektem Material und Dienstleistungen
beschreibt einen solchen Prozess: Der Fachabteilungsmitarbeiter stellt die gewünschten Dienstleistungen aus einem Rahmenvertrag zusammen und erzeugt eine Abrufbestellung, die vom ERP-System an den Supplier Self Service übergeben wird (1). Alternativ kann die Bestellung bei Vorliegen der entsprechenden Daten auch direkt im SRM erzeugt werden. Der Lieferant ruft die Bestellung aus dem Supplier Self Service ab und legt in seinem System einen entsprechenden Auftrag an (3). Die anschließend erbrachten Leistungen pflegt er über den Supplier Self Service mit Bezug zur Bestellung wieder ein (4). Der Fachabteilungsmitarbeiter kann die nun elektronisch dokumentierte, vom Lieferanten erbrachte Leistung über den Supplier Self Service bestätigen (5). Dies löst im ERP-System eine Buchung der Leistung aus, die als Gegenstück zur Wareneingangsbuchung bei Materialien gesehen werden kann (6). Damit sind die Grundlagen für die Gutschriftenabwicklung vorhanden, über die periodisch die Abrechnung der Leistungen erfolgt.
Abbildung 7-23: Internetbasierte Dienstleistungsabwicklung mit teilweiser Integration des Lieferanten
Der beschriebene Prozess kann abhängig von der Intensität der Zusammenarbeit nochmals verschiedene Varianten haben, die hier aber nicht im Detail aufgeführt, sondern nur kurz skizziert werden sollen:
Die Kommunikation mit dem Lieferanten kann anstelle des Supplier Self Service bei einer sehr intensiven, dauerhaften Zusammenarbeit auch über eine XML-
283
7.3
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Verbindung erfolgen. In diesem Fall hätte man dann auch hier die volle Integration des Lieferanten.
Für die Verwaltung der Leistungsverzeichnisse können anders als in der obigen auf Rahmenverträgen im ERP-System basierenden Variante auch elektronische Kataloge eingesetzt werden. Einige Anbieter haben ihre Kataloge speziell hierfür entsprechend weiterentwickelt.
Ist die Zusammenarbeit mit den Lieferanten nicht so intensiv, so können die Fachabteilungsmitarbeiter die oben beschriebene Abrufbestellung, die einen Rahmenvertrag voraussetzt, nicht direkt vornehmen. In diesen Fällen spezifizieren die Fachabteilungsmitarbeiter in einer Bestellanforderung die Leistung und der Einkauf legt nach entsprechenden Verhandlungen die Bestellung an, die anschließend zum Supplier Self Service übertragen wird. In diesem Fall würde man an Stelle der Gutschriftenabwicklung eher mit einer Rechnungsstellung arbeiten. Die internetbasierten Varianten weisen ähnliche Vorteile wie bei den anderen Beschaffungsmodellen auf. Der Lieferant ist enger angebunden, die Bestellübermittlung und die Rechnungsprüfung werden vereinfacht, Durchlaufzeiten werden verkürzt und Prozesskosten gesenkt.
7.3.3.4
Beispielsysteme
Folgende Beispielsysteme unterstützen die beschriebenen Prozesse:
Als ERP-System sei hier stellvertretend für andere SAP ERP genannt. SAP ERP unterstützt mit dem Teilmodul MM-SRV insbesondere die im vorletzten Abschnitt beschriebenen Leistungsverzeichnisse. Mit dem SAP SRM Supplier Self Service kann der oben skizzierte internetbasierte Beschaffungsprozess für Dienstleistungen abgebildet werden. Auch hier steht das eigene Hosting der Software wieder im Vordergrund.
Im ASP Modus bietet die Wallmedien AG mit spe (service procurement engine) eine auf die Dienstleistungsbeschaffung zugeschnittene katalogbasierten Lösung an.
284
Beschaffungsmodelle und Supplier Relationship Management
7.4
Beschaffungsmodelle und Supplier Relationship Management
7.4.1
Vor- und Nachteile der vorgestellten Beschaffungsmodelle
Die in den vorausgegangenen Abschnitten jeweils angesprochenen Vor- und Nachteile der verschiedenen Beschaffungsmodelle werden in Tabelle 7-3 komprimiert gegenüber gestellt. Hierbei werden die Sicht des Abnehmers und die Sicht des Lieferanten unterschieden; im Fokus stehen die optimierten Prozessvarianten der jeweiligen Beschaffungsmodelle.
Tabelle 7-3a:
Vor- und Nachteile der verschiedenen Beschaffungsmodelle
Beschaffungsmodell Sicht des Abnehmers
Sicht des Lieferanten
Vorratsbeschaffung
+ hohe Materialverfügbarkeit – hohe Bestandskosten – hohe Prozesskosten
+ keine hohen Prozessanforderungen – geringes Potential zur Kundenbindung
Einzelbeschaffung
+ sehr geringe Bestandskosten – hohe Prozesskosten – geringe Materialverfügbarkeit
+ keine hohen Prozessanforderungen – geringes Potential zur Kundenbindung
Produktionssynchrone Beschaffung (JIT/ JIS)
+ sehr geringe Bestandskosten – hoher initialer Abstimmungsaufwand mit Lieferant – hohe Lieferantenwechselkosten – bei Problemen schlechte Materialverfügbarkeit
+ hohes Potential zur Kundenbindung – hohe Prozessanforderungen
Vendor Managed Inventory (VMI)
+ sehr geringe Bestandskosten (bei Konsiabwicklung) + hohe Materialverfügbarkeit + sehr geringe Prozesskosten – hoher, initialer Abstimmungsaufwand mit Lieferant – hohe IT-Anforderungen
+ hohes Potential zur Kundenbindung + eigene Produktionsoptimierung durch Flexibilität bei der Anlieferung möglich + Senkung der Logistikkosten möglich – hohe Bestandskosten (bei Konsiabwicklung)
Standardteilemanagement
+ + – –
+ hohes Potential zur Kundenbindung – hohe Prozessanforderungen
geringe Bestandskosten sehr geringe Prozesskosten hohe Lieferantenwechselkosten Kosten für einen Dienstleister
285
7.4
7
IT-gestützter operativer Beschaffungsprozess
Tabelle 7-3b:
7.4.2
Vor- und Nachteile der verschiedenen Beschaffungsmodelle
Kriterien für die Ausprägung der Supplier Relation
Um im konkreten Fall entscheiden zu können, welche Beschaffungsmodelle für ein Unternehmen in Frage kommen, muss Transparenz bzgl. der Einsatzkriterien bestehen. Tabelle 7-4 schafft diese Transparenz, indem sie wichtige Kriterien für Materialien und Lieferanten bewertet, die bei Einsatz der einzelnen Modelle erfüllt sein müssen. Noch ausführlicher beschäftigt sich Nyhuis mit diesem Thema (vgl. Nyhuis 2009). Über die Auswahl der verschiedenen Beschaffungsmodelle wird, wie in Abschnitt 7.1.1 bereits erwähnt, die Supplier Relation wesentlich mitgestaltet. Die Tabelle 7-4 kann hierbei für das Aufsetzen der richtigen Supplier Relations eine wichtige Grundlage liefern.
286
Beschaffungsmodelle und Supplier Relationship Management
Tabelle 7-4:
Einsatzkriterien der verschiedenen Beschaffungsmodelle
287
7.4
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRMGesamtstrategien
8.1
Firmenindividuelle SRM-Landkarte und Festlegung konkreter Supplier Relations
8.1.1
Generische SRM-Landkarte als Ausgangspunkt
Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln die Einzelbetrachtungen der Supplier Relations im Vordergrund standen, sollen diese im aktuellen Kapitel nun zusammengeführt werden. Abbildung 8-1 stellt zu diesem Zweck sämtliche Ausprägungen aller bisher diskutierten Merkmale von Supplier Relations mit Bezug zum 3-Ebenen-Modell im Überblick dar. Dies sind zum einen die Ausprägungen der allgemeinen Supplier Relations (vgl. Ebene 2, Phase Vorbereitung) aus dem GFSR-Modell und zum anderen die Ausprägungen der prozessbezogenen Supplier Relations (vgl. Ebene 2 und 3) aus dem PFSR-Modell.
Abbildung 8-1a: Generische SRM-Landkarte, allgemeine Supplier Relations und Varianten der strategischen Prozesse
288 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_8, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Firmenindividuelle SRM-Landkarte und Festlegung konkreter Supplier Relations
Diese Darstellung soll als generische SRM-Landkarte bezeichnet werden, von der ausgehend ein Unternehmen seine individuelle SRM-Gesamtlandkarte ableiten kann. Die Ebene 1 des 3-Ebenen-Modells wird bei dieser Betrachtung nicht berücksichtigt. Auch wenn hier die grundsätzlichen Festlegungen zu den Supplier Relations getroffen werden, erfolgt die endgültige Ausprägung für eine konkrete Materialgruppe erst auf der zweiten und dritten Ebene. Aus diesem Grund sind in den SRM-Landkarten nur diese Ebenen berücksichtigt.
Abbildung 8-1b: Generische SRM-Landkarte, operative Beschaffungsmodelle und deren Varianten
289
8.1
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
8.1.2
Ableitung der firmenindividuellen SRM-Landkarte
Wie kann ein Unternehmen nun beim SRM insgesamt vorgehen, um für alle Materialgruppen die optimalen Wege zum Lieferanten zu implementieren? In Abschnitt 1.4 ist ein solches Gesamtvorgehen erstmals skizziert worden. An dieser Stelle soll dieses Vorgehen nun wieder aufgegriffen und mit den nun vorhandenen Detailkenntnissen zu den einzelnen Supplier Relations an einem Beispiel erklärt werden. Hierbei wird die generische SRM-Landkarte in eine wie in Abbildung 8-2 dargestellte, firmenindividuelle SRM-Landkarte überführt. Anschließend werden für die einzelnen Materialgruppen die konkreten Supplier Relations festgelegt. Die nachfolgenden Ausführungen erläutern den ersten Schritt. Diese Festlegung der konkreten Supplier Relations wird dann im nächsten Abschnitt erklärt. Auf Ebene 1 ist nach der strategischen Analyse im Rahmen der Strategieformulierung festzulegen, welche Ausprägungen der allgemeinen und der prozessbezogenen Supplier Relations für das Unternehmen überhaupt in Frage kommen. Grundsätzlich hängen die möglichen Ausprägungen in erster Linie von der Branche und den zu beschaffenden Materialien ab. So braucht sich etwa ein Dienstleistungsunternehmen nicht um Themen wie Forward- oder System Sourcing zu kümmern; ebenso scheidet hier eine Ausprägung wie produktionssynchrone Beschaffung aus. Grundsätzlich für ein Unternehmen geeignete Ausprägungen lassen sich daran erkennen, dass ihnen viele Materialgruppen zugeordnet werden können. Genau dieser Sachverhalt ist bei der Ableitung der firmenindividuellen SRM-Landkarte grob abzuschätzen. Bei den prozessbezogenen Supplier Relations ist zusätzlich zu klären, welche Varianten der relevanten Beschaffungsmodelle ausgewählt werden sollen. Hierbei kann es vorkommen, dass für bestimmte Modelle mehrere Varianten zugelassen werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn innerhalb eines Beschaffungsmodells mit den Lieferanten eine verschieden enge Zusammenarbeit erfolgen soll. Im Rahmen der Strategieimplementierung müssen für ausgewählte allgemeine Supplier Relations Vorarbeiten für deren Umsetzung erfolgen. Entscheidet sich ein Unternehmen etwa für Cooperative Sourcing, so sind entsprechende Abstimmungen mit Unternehmen, mit denen gemeinsam beschafft werden soll, durchzuführen. Die prozessbezogenen Supplier Relations müssen in der Strategieimplementierung umgesetzt werden, d.h. die ausgewählten Beschaffungsmodelle und deren Prozessvarianten sind mit der für sie benötigten IT im Unternehmen einzuführen. Beispiel: Sind die grundsätzlichen Ausprägungsmöglichkeiten der Merkmale der Supplier Relations auf Ebene 1 festgelegt worden, kann das Ergebnis wie in Abbildung 8-2 als firmenindividuelle SRM-Landkarte beschrieben werden. Bei den allgemeinen Supplier Relations sind in dem betrachteten Unternehmen bis auf Cooperative und Forward Sourcing sowie Procurement Service Providing alle möglichen Ausprägungen der Supplier Relation zugelassen worden. Die Ausgrenzung kann z.B. den Hintergrund haben, dass das Unternehmen grundsätzlich im Bereich der Beschaffung und Entwicklung nicht mit anderen zusammenarbeiten und die Dienstleistungen Dritter
290
Firmenindividuelle SRM-Landkarte und Festlegung konkreter Supplier Relations
nicht in Anspruch nehmen möchte. Bei den Prozessen ist im strategischen Bereich das gemeinsame Erstellen von Ausschreibungsunterlagen vorgesehen, das Zusammenführen von Bedarfen wegen der negativen Entscheidung zum Cooperative Sourcing aber nicht berücksichtigt worden. Eine konventionelle und eine internetgestützte Ausschreibungsvariante sind in der Landkarte enthalten. Die Preisverhandlung möchte das betrachtete Unternehmen hingegen lediglich manuell durchführen. Bei der operativen Beschaffung werden bis auf Vendor Managed Inventory und das Vertragslagerkonzept alle Beschaffungsmodelle aus der generischen SRM-Landkarte übernommen. Bei mehreren Modellen werden sowohl konventionelle als auch internetbasierte Varianten zugelassen. Zusammenfassend zeigt das Beispiel also auf, dass in der firmenindividuellen SRM-Landkarte sämtliche für ein Unternehmen in Frage kommenden Ausprägungen von Supplier Relations dargestellt werden. Im Vergleich zu der generischen SRM-Landkarte bekommt man eine zum Unternehmen passende, reduzierte Anzahl möglicher Supplier Relations für die einzelnen Materialgruppen.
Abbildung 8-2:
Beispielhafte firmenindividuelle SRM-Landkarte
291
8.1
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
8.1.3
Festlegung der materialgruppenbezogenen konkreten Supplier Relations
Auf den Ebenen 2 und 3 wird davon ausgegangen, dass die erforderlichen Vorarbeiten für die ausgewählten, allgemeinen Supplier Relations durchgeführt und die relevanten Beschaffungsmodelle und Varianten der prozessbezogenen Supplier Relations implementiert worden sind. Hierauf setzt nun das SRM für eine konkrete Materialgruppe auf. Der Materialgruppe werden in der Vorbereitungsphase von Ebene 2 sinnvolle Ausprägungen der allgemeinen Supplier Relations zugeordnet, die entweder noch in der Vorbereitungsphase oder aber in den nachfolgenden Phasen Anbahnung und Vereinbarung umgesetzt werden. Ebenfalls in der Vorbereitungsphase werden für die Materialgruppe geeignete strategische und operative Beschaffungsprozesse festgelegt. Kriterien für die Zuordnung der Ausprägungen der allgemeinen Supplier Relations liefern die in Verbindung mit den Materialportfolios dargestellten Materialgruppenstrategien in den Abschnitten 6.1.2.1 bis 6.1.2.4. Für die Ausprägungen der prozessbezogenen Supplier Relations liefern die Abschnitte 6.2.4 und 6.3.3 sowie 7.4.2 die entsprechenden Kriterien. Die Festlegung der konkreten Ausprägungen für eine Materialgruppe kann als Aufgleisung der Materialgruppe auf bestimmte Prozessschienen interpretiert werden. Mit der Durchführung der strategischen und operativen Beschaffungsprozesse auf den Ebenen 2 und 3 werden die prozessbezogenen Supplier Relations dann letztendlich angewendet. Hiermit wird sichergestellt, dass für die Beschaffung der Materialgruppen wohldefinierte, optimierte Prozesse eingesetzt werden. Beispiel: Nachfolgend wird die Verbindung zu den oben erwähnten, in Kapitel 6 vorgestellten Materialportfolios und den entsprechenden Materialgruppenstrategien hergestellt. Für jede der vier Materialarten wird am Beispiel einer konkreten Materialgruppe aufgezeigt, wie das Angebot der firmenindividuellen SRM-Landkarte genutzt und hiermit die Normstrategien umgesetzt werden können. Die firmenindividuelle Landkarte mit den verschiedenen Ausprägungen darf als Angebot an die Materialgruppen für ihre Beschaffungsabwicklung angesehen werden. Auch hier kann man wieder sagen, dass die Landkarte verschiedene Schienen für die Aufgleisung der Materialgruppen bereitstellt.
292
Firmenindividuelle SRM-Landkarte und Festlegung konkreter Supplier Relations
Abbildung 8-3a: Festlegung materialgruppenbezogener, allgemeiner Supplier Relations
Abbildung 8-3b: Festlegung materialgruppenbezogener Supplier Relations für die Prozesse
293
8.1
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Materialgruppe 1 (MG 1=Standardelektromotor, vgl. Abbildung 8-3) möge abweichend von den anderen Beispielen für ein einzelnes, einmalig in großer Menge zu beschaffendes, sehr teueres Material aus der Gruppe der Hebelmaterialien stehen. Für dieses Material wird globale Beschaffungsmarktforschung betrieben, internetgestützt ausgeschrieben und anschließend auch internetgestützt der Preis verhandelt. Die operative Beschaffung wird über eine konventionelle Einzelbeschaffung durchgeführt. Materialgruppe 2 liefert ein Beispiel für strategisches Material (MG 1=Bremssysteme, vgl. Abbildung 8-3). Sie besteht aus wenigen Materialien mit Systemcharakter, für die die Entscheidung getroffen wurde, diese bei einem der lokal ansässigen Lieferanten zu beziehen. Dieser noch auszuwählende Lieferant soll in die Entwicklung mit einbezogen werden. Nach der gemeinsamen Erstellung von Ausschreibungsunterlagen werden diese im ERP-gestützten Ausschreibungsprozess an die Bieter verteilt. Die nach Eingang der Angebote stattfindenden Preisverhandlungen werden manuell geführt. Die operative Beschaffung der Materialgruppe erfolgt produktionssynchron bei teilweiser Integration des Lieferanten. Materialgruppe 3 (MG 3=individuelle Dichtungen, vgl. Abbildung 8-3) ist den Engpassmaterialien zuzuordnen. Für dieses Material wird, um weitere Lieferanten zu finden und um dann ein Multiple Sourcing zu realisieren, ebenfalls globale Beschaffungsmarktforschung betrieben. Der Ausschreibungsprozess wird ERP-gestützt abgewickelt und der Preis manuell verhandelt. Operativ wird mit Vorratsbeschaffung ohne Integration des Lieferanten gearbeitet. Für Materialgruppe 4 (MG 4=IT-Zubehör, vgl. Abbildung 8-3), die als Standardmaterial einzuordnen ist, wird eine andere Supplier Relation aufgebaut. Es wird zunächst genau wie für Materialgruppe 1 festgelegt, dass diese lokal und nur bei einem Lieferanten beschafft werden soll. Darüber hinaus wird für die Materialgruppe Standardisierung und Mengenbündelung gefordert. Der Ausschreibungsprozess erfolgt internetgestützt, die Preisverhandlung wird manuell durchgeführt. Operativ wird die Materialgruppe über die internetbasierte Katalogbeschaffung abgewickelt. Die vier Beispielmaterialgruppen stellen typische Ausprägungen der Supplier Relations für die entsprechenden Materialarten dar. Grundsätzlich sei aber betont, dass diese Ausprägungen nicht automatisch für alle Materialgruppen der jeweiligen Materialart gelten müssen. So kann z.B. bei einem Hebelmaterial zusätzlich die Ausprägung Cooperative Sourcing sinnvoll sein. Bei einem strategischen Material kann anstelle von Single Sourcing auch Multiple Sourcing realisiert werden.
294
Ableitung der IT-Strategie für das SRM
8.2
Ableitung der IT-Strategie für das SRM
In den vorangegangenen Kapiteln sind die verschiedenen Tools zur Unterstützung von Beschaffungs- und Auswertungsprozessen mit Fokus auf den jeweiligen Prozess dargestellt worden. Bevor ein Unternehmen jedoch einzelne Tools einführt, sollte zunächst eine Strategie für die komplette IT-Unterstützung der Beschaffung abgeleitet werden. Diese Strategie wiederum, ist unter Berücksichtigung der unternehmensweiten IT-Infrastruktur bzw. der IT-Gesamtstrategie eines Unternehmens zu erstellen (vgl. Brenner/Zarnekow 2003, S.330). Ausgangspunkt für die IT-Strategie in der Beschaffung ist die im Abschnitt 7.1.2 abgeleitete, firmenindividuelle SRM-Landkarte. Diese Landkarte gibt Auskunft darüber, welche Prozesse in der Beschaffung IT-unterstützt durchzuführen sind. Im Folgenden werden die Fragen aufgelistet, die ein Unternehmen bei der Ableitung der IT-Strategie für das Supplier Relationship Management zu klären hat. Hierbei wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen bisher ein ERP-System u.a. für die Beschaffung nutzt und erste Erfahrungen mit einzelnen SRM-Tools sammeln konnte. Ferner sei in dem Unternehmen für Beschaffungsanalysen ein Data-Warehouse-System im Einsatz. Die zu klärenden Fragen lauten dann: 1.
Welche SRM-Tools werden für die in der firmenindividuellen SRM-Landkarte ausgewählten Prozesse benötigt (e-RFx, DPS, Kataloge etc.)?
2.
Welche SRM-Tools sind bereits im Einsatz?
3.
Wird für die SRM-Tools der Ansatz eines homogenen SRM-Systems oder ein BestOf-Breed Ansatz gewählt?
4.
Welche Implementierungsvariante (vgl. Kapitel 2, Abschnitt 2.3.3) soll für die SRM-Tools gewählt werden?
5.
Welche Schnittstellen sollen für die Lieferantenanbindung genutzt werden? EDI, XML, WebEDI etc.?
6.
Welche Prozesse werden im ERP-System und welche Prozesse werden im SRMSystem abgebildet? Wie ist bei der ERP-Integration bzgl. der Bewegungsdaten vorzugehen?
7. In welchen Systemen sollen die Stammdaten (Kreditoren- und Materialstammsätze etc.) gehalten werden? Wie ist bei der ERP-Integration bzgl. der Stammdaten vorzugehen? Ad 1) Benötigte SRM-Tools Für die Auswahl der benötigten SRM-Tools kann eine Orientierung an den in Kapitel 6 und 7 dargestellten Beschaffungsprozessen erfolgen. Ist ein bestimmtes Beschaffungsmodell und/oder eine Prozessvariante ausgewählt worden, lassen sich aus den
295
8.2
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
grafischen Darstellungen der Prozesse die benötigten SRM-Tools ableiten. In einem Extremfall wird ein Unternehmen ggf. gar keine SRM-Tools auswählen, weil es sich vollständig auf konventionelle Prozessvarianten beschränkt hat. Im anderen Extremfall wird ein komplettes SRM-Systems, wie in Kapitel 2 beschrieben, benötigt. Häufig wird die konkrete Lösung zwischen diesen beiden Extremfällen liegen. Der Umfang des SRM-Einsatzes und die Auswahl der einzelnen Tools hängt nicht zuletzt davon ab, bei welchen Materialarten die SRM-Unterstützung besonders forciert werden soll. Die Tabelle 8-1 stellt in diesem Zusammenhang dar, bei welchen Materialarten welche Tools besonders stark benötigt werden.
Tabelle 8-1:
Bedeutung von SRM-Tools in Abhängigkeit von der Materialart
Ad 2) Homogenes System oder Best-Of-Breed Bei einem homogenen SRM-System kommen alle SRM-Tools von einem Anbieter, in dessen System diese unter einer einheitlichen Oberfläche und ggf. mit einer einheitlichen Datenhaltung integriert sind. Der Nutzung dieser Vorteile steht gegenüber, dass nicht unbedingt jedes der integrierten Tools die Anforderungen des Unternehmens bestmöglich abbildet. Ferner handelt es sich ggf. nicht wie beim Best-of-Breed Ansatz um das Beste am Markt verfügbare Tool. Neben der Frage der Homogenität auf Ebene des SRM-Systems muss das Thema auch im Kontext der gesamten IT-Architektur
296
Ableitung der IT-Strategie für das SRM
gesehen werden, d.h. es ist auch zu überlegen, ob das SRM-System vom gleichen Anbieter wie das ERP-System sowie der weiteren Systeme kommen soll. Ist dies der Fall, wird das die Integration der Systeme erleichtern. Abbildung 8-4 stellt verschiedene Szenarien für die Auswahl des SRM-Systems bzw. der SRM-Tools in Verbindung mit dem ERP-System dar. Für eine vollständige Beschreibung aller Schritte bei der Auswahl eines SRM-Systems siehe (Appelfeller, 2008).
Abbildung 8-4 a: Homogenität versus Best-of-Breed
297
8.2
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Abbildung 8-4 b: Homogenität versus Best-of-Breed
Ad 3) Bereits vorhandene SRM-Tools Für die Ableitung der IT-Strategie in der Beschaffung sind die SRM-Tools zu berücksichtigen, die ggf. bereits im Einsatz sind. Hat ein Unternehmen z.B. ein komplettes SRM-System beschafft, hiervon aber zunächst nur das DPS und den e-Katalog im Einsatz, so ist zu prüfen, ob die anderen Tools des Systems die weiteren Bedarfe abdecken können. Wurden erste Erfahrungen mit der Ausschreibungskomponente eines elektronischen Marktplatzes gesammelt, so ist zu prüfen, ob dieser die weiteren benötigten Tools ebenfalls anbieten kann. Insofern besteht ein enger Zusammenhang zur Homogenitätsfrage aus dem letzten Punkt. Ad 4) Implementierungsvariante Wie in Kapitel 2, Abschnitt 2.3.3 beschrieben, kommen die folgenden Varianten für das Hosting des SRM-Systems in Frage: Eigenes Hosting, Hosting durch einen ASP, Hos-
298
Ableitung der IT-Strategie für das SRM
ting durch einen e-Marktplatz. Einen Vergleich dieser Varianten nimmt die Tabelle 7-2 vor. Abschließend sei noch erwähnt, dass die Nutzung von Mischformen bei den Implementierungsvarianten sinnvoll sein kann. Dies gilt z.B., wenn wenig genutzte SRMTools durch einen ASP bereitgestellt und stark eingesetzte SRM-Tools selber betrieben werden. Zum Aufwand für das Einführungsprojekt (vgl. letzte Zeile in Tabelle 7-2) sei noch angemerkt, dass viele ASP-Anbieter mit einem extrem geringen Aufwand für die Einführung werben. Hierbei bleibt leider außer Acht, dass der Anbieter zwar das System schnell grundsätzlich installiert hat, diverse andere Aktivitäten aber natürlich trotzdem im beschaffenden Unternehmen durchzuführen sind: Daten- und Prozessanalyse, Sollkonzeptionen, Vorgaben für Schnittstellen und Customizing, Schulungen von Mitarbeitern etc. Am stärksten wird der Aufwand nicht von der Implementierungsvariante sondern vom einzuführenden Funktionsumfang beeinflusst.
Tabelle 8-2:
Vergleich von Implementierungsvarianten für SRM-Tools
Ad 5) Lieferantenanbindung Für die Auswahl geeigneter Schnittstellen zum Lieferanten kann erneut die unternehmensspezifische SRM-Landkarte einen ersten Anhaltspunkt liefern. Für die ausgewählten Prozesse sind in den vorangegangenen Kapiteln jeweils Vorschläge für die Anbindung der Lieferanten gemacht worden. Die hier vorgeschlagenen Anbindungen müssen betrachtet und mit bestehenden Anbindungen abgeglichen werden. Daran anschließend sind verschiedene Anbindungsszenarien zu definieren (vgl. Kapitel 2,
299
8.2
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Abschnitt 2.5). Hierbei sind die Möglichkeiten der Lieferanten, die Häufigkeit des Datenaustauschs und die gewünschten Integrationstiefen zu berücksichtigen. Ad 6) Prozesszuordnung, ERP-Integration der Bewegungsdaten Für die Zuordnung der Prozesse zu den verschiedenen Systemen bzw. Tools kann wieder die firmenindividuelle SRM-Landkarte herangezogen werden. Durch die hier ausgewählten Beschaffungsmodelle und Prozessvarianten wird gleichzeitig festgelegt, in welchem System/Tool welcher Prozess abgebildet wird. Als Ergebnis lassen sich, wenn viele internetgestützte Modelle und Varianten ausgewählt wurden, grob die folgende Grundregeln erkennen:
Die operative Beschaffung direkter Materialien findet wegen des hier durchzuführenden Dispositionslaufs primär im ERP-System statt. Ggf. werden die Bestellungen und entsprechende Rückmeldungen wie Auftragsbestätigungen und Rechnungen jedoch über den Supplier Self Service des SRM-Systems ausgetauscht. Bei Beschaffungsmodellen wie z.B. VMI wird das entsprechende SRM-Tool zusätzlich für den weiteren Datenaustausch z.B. von Beständen und Forecasts genutzt.
Die operative Beschaffung indirekter Materialien wird überwiegend im SRMSystem, speziell mit Hilfe von DPS und e-Katalogen, abgewickelt.
Die strategische Beschaffung auf Ebene der Materialgruppenstrategie wird sowohl für direkte als auch für indirekte Materialien im SRM-System durchgeführt.
Die Entwicklung der Gesamtstrategie für die Beschaffung wird bei Unternehmen mit mehreren ERP-Systemen durch Auswertungen im Data-Warehouse-System oder durch SRM-Tools für Spend Analysis unterstützt. Verfügt das Unternehmen nur über ein ERP-System, können die Auswertungen ggf. auch im ERP-System vorgenommen werden. Die Ausführungen, insbesondere zur operativen Beschaffung direkter Materialien, machen deutlich, dass ein SRM-System das materialwirtschaftliche Modul eines ERPSystems nicht ersetzt. Für die Prozesse Bestandsführung, Dispositionslauf und Rechnungsbuchung spielt das ERP-System nach wie vor die zentrale Rolle. Welche Auswirkungen hat die Zuordnung der Prozesse zu den Systemen für die ERPIntegration der Bewegungsdaten? Folgende Empfehlungen können hierzu gegeben werden:
Für die operative Beschaffung direkter Materialien sind die Bestellungen in das SRM-System zu replizieren, falls diese von hier aus an den Lieferanten übertragen werden sollen.
Für die operative Beschaffung indirekter Materialien sind Bestellungen, Wareneingänge und Rechnungen vom SRM- ins ERP-System zu übertragen, wenn hier Gesamtauswertungen vorgenommen werden sollen. Ferner ist die Übertragung für
300
Ableitung der IT-Strategie für das SRM
eine einfache Rechnungsabwicklung erforderlich, falls diese nicht von einem Dienstleister übernommen wird.
Für die strategische Beschaffung stehen für die ERP-Integration Bestellanforderung, Anfrage und Angebot zur Diskussion. Diese müssen nicht zwangsläufig im ERP-System verfügbar sein. Es sei denn, die strategische Beschaffung wird zum Teil weiterhin im ERP-System durchgeführt und man möchte hier Auswertungen über die gesamte strategische Beschaffung vornehmen.
Das Ergebnis der strategischen Beschaffung kann ein zentraler Kontrakt sein, der für mehrere Niederlassungen eines Unternehmens relevant ist. Ein solcher Kontrakt ist im SRM-System anzulegen und von hier aus in sämtliche ERP-Systeme des Unternehmens zu replizieren. Die Abrufe wiederum sind zur Auswertung des Kontrakts von den ERP-Systemen an das SRM-System zurückzumelden. Ad 7) Stammdatenhaltung, ERP-Integration der Stammdaten Die Fragen zur Datenhaltung sind in Kapitel 6, Abschnitt 6.2.2.5 und Kapitel 7, Abschnitt 7.3.1.5.2 im Detail für ausgewählte SRM-Tools diskutiert worden. Nachfolgend soll dieses Thema nun nochmals aus einer Gesamtperspektive für Material- und Lieferantenstammdaten dargestellt werden. Hierbei wird unterstellt, dass noch kein Master Data Management-System im Einsatz ist. Materialstammdaten liegen in den meisten Unternehmen im ERP-System vor. Bei Empfehlungen für die Datenhaltung in Verbindung mit einem SRM-System muss zwischen Materialstämmen für direkte und indirekte Materialien unterschieden werden:
Für die Materialstämme direkter Materialien bleibt das ERP-System das führende System. Die Materialstämme sind von hier aus über eine Schnittstelle ins SRMSystem zu replizieren, wenn hier Tools wie e-Ausschreibungen, Supplier Self Service, VMI etc. genutzt werden sollen. Die genannten SRM-Tools benötigen die Materialstämme.
Für die Materialstämme indirekter Materialien sieht die Situation anders aus. Hier muss unterschieden werden zwischen Materialien, die über einen e-Katalog beschafft werden können und Materialien, für die sich die Aufnahme in einen eKatalog nicht lohnt, weil sie z.B. zu einer Materialgruppe mit sehr wenigen Materialien gehören. Für letztere wahrscheinlich recht kleine Gruppe von Materialien, können die gleichen Empfehlungen wie für die Stammdaten direkter Materialien gegeben werden (s.o.), d.h. das ERP-System sollte auch hier das führende System sein, aus dem die Materialstämme ins SRM-System repliziert werden. Für die indirekten Materialien, die über e-Kataloge und DPS beschafft werden, entfällt die Stammdatenhaltung im ERP-System. Die Materialstämme werden ausschließlich im e-Katalog gehalten und hier vom Lieferanten gepflegt.
301
8.2
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Lieferantenstammdaten liegen in der Regel genau wie die Materialstammdaten im ERP-System vor. Sobald SRM-Tools wie z.B. e-Ausschreibungen oder Supplier Self Service im größeren Umfang genutzt werden sollen, ist eine automatische, vollständige Replikation der Stammdaten vom ERP- ins SRM-System notwendig. Die Stammdaten werden hier benötigt, um z.B. bei e-Ausschreibungen auf bestehende Lieferanten zugreifen zu können oder um Bestellungen über einen Supplier Self Service bereit zu stellen. Auf der anderen Seite können die Stammdaten der Lieferanten aber auch zuerst im SRM-System vorliegen. Dies gilt zum Beispiel, wenn Lieferanten aus einem angebundenen Lieferantenverzeichnis oder von einem e-Marktplatz übernommen werden. Ebenso können die Lieferanten ihre Stammdaten über den Supplier Self Service selbständig ins SRM-System einpflegen. Werden bei diesen Lieferanten Waren bestellt, müssen spätestens beim Eintreffen der Rechnung die Stammdaten auch im ERP-System verfügbar sein. Andernfalls ist eine Verbuchung hier nicht möglich. Es empfiehlt sich, die potenziellen Lieferanten tatsächlich erst dann ins ERP-System zu überspielen, wenn sie den ersten Auftrag erhalten. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das ERP-System nicht unnötig durch Lieferantenstammdaten aufgebläht wird.
8.3
Beispielhafte IT-Strategien für das SRM
Wie sehen konkrete IT-Strategien aus, wenn die Fragen des vorangegangenen Abschnitts beantwortet worden sind? Im Folgenden sollen fünf konkrete Strategien vorgestellt werden, bei denen die diskutierten Fragen unterschiedlich beantwortet wurden. Für die fünf Strategien werden individuelle Ausgangssituationen dargestellt, die mögliche Situationen in Unternehmen verschiedener Größenordnungen beschreiben. Die beschriebenen IT-Architekturen konzentrieren sich auf die Kernbereiche ERP-, Data Warehouse- und SRM-System.
Strategie I, Großunternehmen:
Ausgangssituation Bei dem betrachteten Unternehmen möge es sich um einen Industriebetrieb mit einigen tausend Mitarbeitern, einem Umsatz von 600 Millionen Euro und der individuellen SRM-Landkarte aus Abbildung 8-2 handeln. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Landkarte insbesondere bzgl. der Auswahl der Beschaffungsmodelle nicht stellvertretend für andere Großunternehmen stehen muss. Hier könnte alternativ oder auch ergänzend zum VMI z.B. eine produktionssynchrone Beschaffung oder ein Standardteilemanagement zum Einsatz kommen. Benötigte SRM-Tools Passend zu den Prozessen aus der firmenindividuellen Landkarte sind die in Abbildung 8-5 dargestellten SRM-Tools ausgewählt worden. Ferner wurde die Entschei-
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Beispielhafte IT-Strategien für das SRM
dung getroffen, auch direkt die Tools für Spend Analysis, Supplier Management, Commodity Management und Quality Management einzuführen. Bereits vorhandene SRM-Tools Es wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen bereits das DPS seines ERPAnbieters nutzt und dieses als Buy-Side-Lösung mit individuellen Katalogen seiner bisherigen Lieferanten betreibt. Ferner sind extern Online Shops eines Hardwareanbieters und eines Buchhändlers angebunden. Implementierungsvariante Das SRM-System des ERP-Anbieters wird eingesetzt und selber gehostet. Homogenes System oder Best-Of-Breed Da bereits das DPS des ERP-Anbieters ausgewählt wurde und die IT-Gesamtstrategie des Unternehmens eine homogene Landschaft zum Ziel hat, werden nun auch die anderen benötigten SRM-Tools vom ERP-Anbieter benutzt.
Abbildung 8-5:
Mögliche IT-Architektur für Beschaffungssysteme in Großunternehmen
ȱ
303
8.3
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Lieferantenanbindung Große Lieferanten werden für den Prozess der Vorratsbeschaffung per EDI angebunden. Für die internetbasierte Vorrats-, Einzel- und Dienstleistungsbeschaffung erfolgt die Anbindung über das Supplier Portal bzw. Supplier Self Service. Für Vendor Managed Inventory bekommen die entsprechenden Lieferanten über das Supplier Portal einen Zugriff. Das gleiche gilt für elektronische Ausschreibungen, das Supplier Management, Commodity Management und das Quality Management. Lieferanten, die elektronische Kataloge bereitstellen, werden für den Bestelldatenaustausch per EDI angebunden. Prozesszuordnung, ERP-Integration der Bewegungsdaten Die Prozesszuordnung und Integration der Bewegungsdaten folgen den im letzten Abschnitt aufgestellten Grundregeln und Empfehlungen. Stammdatenhaltung, ERP-Integration der Stammdaten Für die Stammdatenhaltung und ERP-Integration der Stammdaten wird ebenfalls davon ausgegangen, dass den Empfehlungen aus dem letzten Abschnitt gefolgt wird. Bewertung der Strategie I Strategie I stellt eine häufig anzutreffende Lösung in Großunternehmen dar. Wegen hoher Integrationsanforderungen und der übergeordneten IT-Gesamtstrategie wird hier das SRM-System des ERP-Anbieters ausgewählt. Als Vorteile der beschriebenen Lösung werden immer wieder die vergleichsweise einfache Integration und die einheitliche Bedienung der einzelnen SRM-Tools genannt. Auf der anderen Seite sind diese Systeme häufig mit hohen Kosten verbunden.
Strategie II, Konzern:
Beschreibung und Bewertung der Strategie II Strategie II stellt eine Variante von Strategie I dar. Anstelle eines großen Unternehmens wird hier ein Konzern mit mehreren Tochterunternehmen betrachtet, die alle eigene ERP-Systeme im Einsatz haben (vgl. Abbildung 8-6). Im SRM-System ist aus diesem Grund zusätzlich das Contract Management verankert worden, mit dem globale Rahmenverträge verwaltet werden können. Die elektronischen Kataloge werden in dieser Variante zu einem firmeninternen Marktplatz, da grundsätzlich alle Tochterunternehmen auf die Kataloge zugreifen sollen. Der Konzern hat sich darüber hinaus für den Einsatz von e-Auktionen entschieden. Von besonders großer Bedeutung in Konzernen ist das Data-Warehouse, das materialwirtschaftliche Auswertungen über alle ERPSysteme und somit die in Kapitel 3 vorgestellte Global Spend Analysis erlaubt. Für Konzerne kommen neben der beschriebenen Standardlösung auch individuelle SRMSysteme oder Mischlösungen in Frage.
304
Beispielhafte IT-Strategien für das SRM
Abbildung 8-6:
Mögliche IT-Architektur für Beschaffungssysteme in Konzernen
Strategie III, großer Mittelständler:
Ausgangssituation Bei dem hier betrachteten Unternehmen möge es sich um einen großen Mittelständler mit mehreren hundert Beschäftigten und dreihundert Millionen Euro Umsatz handeln. Die individuelle SRM-Landkarte dieses Unternehmens hat bei den prozessbezogenen Supplier Relations die gleichen Ausprägungen wie bei Strategie I. Bei der Katalogbeschaffung besteht jedoch der Unterschied, dass mit fremdem Hosting gearbeitet werden soll. Ferner sollen e-Auktionen eingesetzt werden. Die Umsetzung der Themen Spend Analysis, Supplier Management, Commodity Management und Quality Management verschiebt das Unternehmen mangels Ressourcen auf einen späteren Zeitpunkt. Benötigte SRM-Tools Passend zur Ausgangssituation sind die in Abbildung 8-7 dargestellten SRM-Tools ausgewählt worden.
305
8.3
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Abbildung 8-7:
Mögliche IT-Architektur für Beschaffungssysteme bei einem großen Mittelständler
Bereits vorhandene SRM-Tools Es wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen bereits internetgestützte Katalogbeschaffung auf Basis eines Onlineshops für Katalogmaterial realisiert hat. Implementierungsvariante Standardlösungen von zwei verschiedenen Application Service Providern kommen zum Einsatz. Bei den e-Katalogen werden vom ASP I, der auch als Content Provider tätig ist, individuelle Kataloge bestehender Lieferanten des beschaffenden Unternehmens eingesetzt. ASP I hostet darüber hinaus die SRM-Tools für e-RFx und eAuktionen. Das Tool für VMI wird von einem anderen ASP-Anbieter (ASP II) bereitgestellt. Homogenes System oder Best-Of-Breed Das Unternehmen wendet eine Best-Of-Breed Strategie an. Auf die Lösung des ERPAnbieters wird verzichtet, da diese sehr umfangreich und kostenintensiv ist. Die Ablösung des genutzten Onlineshops stellt sich als unkritisch dar.
306
Beispielhafte IT-Strategien für das SRM
Lieferantenanbindung Große Lieferanten werden für den Prozess der Vorratsbeschaffung per XML angebunden. Für die internetbasierte Vorrats-, Einzel-, Katalog- und Dienstleistungsbeschaffung erfolgt die Anbindung über den Supplier Self Service des fremd gehosteten SRMSystems. Über das gleiche System werden die Lieferanten für elektronische Ausschreibungen und Auktionen angebunden. Da das System des ASP I ein VMI nicht unterstützt, wird hierfür ein weiteres spezialisiertes SRM-Tool eingesetzt, über das die Lieferanten per Webbrowser auf Bestände und Forecasts des beschaffenden Unternehmens zugreifen können. Prozesszuordnung, ERP-Integration der Bewegungsdaten Die Prozesszuordnung und die Integration der Bewegungsdaten folgen auch hier den im letzten Abschnitt aufgestellten Grundregeln und Empfehlungen. Stammdatenhaltung, ERP-Integration der Stammdaten Für die Stammdatenhaltung und ERP-Integration der Stammdaten wird ebenfalls davon ausgegangen, dass den Empfehlungen aus dem letzten Abschnitt gefolgt wird. Bewertung der Strategie III Strategie III stellt eine Alternative für Großunternehmen oder große Mittelständler dar. Die Vor- und Nachteile können hier mit denen der Strategie I vertauscht werden. Die beschriebene Lösung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit insgesamt günstiger als Strategie I, wenngleich die Aufwände für die ERP-Integration hoch ausfallen dürften. Die Anforderungen des Unternehmens werden durch den Best-Of-Breed Ansatz gut abgebildet. Von Nachteil sind die verschiedenen Oberflächen der eingesetzten Systeme. Die Entscheidung, Themen wie Supplier Management oder Spend Analysis zu vertagen, ist zwar nachvollziehbar, aber trotzdem als kritisch einzustufen da gerade hier erhebliche Potenziale gehoben werden können.
Strategie IV, kleine und mittelständische Unternehmen:
Ausgangssituation Bei dem hier betrachteten Unternehmen handelt es sich um ein kleines bis mittelständisches Unternehmen mit etwa ein- bis zweihundert Beschäftigten und mehreren Millionen Euro Umsatz. Die individuelle SRM-Landkarte wird durch Abbildung 8-8 beschrieben. Benötigte SRM-Tools Passend zu den Prozessen aus der firmenindividuellen Landkarte sind die in Abbildung 8-9 dargestellten SRM-Tools ausgewählt worden.
307
8.3
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Abbildung 8-8:
Beispielhafte firmenindividuelle SRM-Landkarte für ein KMU
Bereits vorhandene SRM-Tools Keine Implementierungsvariante Es kommen zwei elektronische Marktplätze zum Einsatz. Marktplatz I bietet ausschließlich vorgegebene e-Kataloge in Verbindung mit Dienstleistungen wie Sammelrechnungen und Rechnungsprüfung an. Marktplatz II hat sich auf e-Ausschreibungen und e-Auktionen spezialisiert und stellt hierfür entsprechende SRM-Tools und Dienstleistungen bereit. Homogenes System oder Best-Of-Breed Das Unternehmen wendet eine Best-Of-Breed Strategie an. Der ERP-Anbieter hat keine eigene SRM-Lösung im Angebot.
308
Beispielhafte IT-Strategien für das SRM
Abbildung 8-9:
Mögliche IT-Architektur für Beschaffungssysteme bei einem KMU
Lieferantenanbindung Für die operative Beschaffung direkter Materialien werden die Lieferanten ausschließlich per Fax angebunden. Die operative Beschaffung indirekter Materialien erfolgt über den oben erwähnten Marktplatz I, der DPS und e-Kataloge bereitstellt und die Lieferanten wahlweise per XML oder Webbrowser anbindet. Für die strategische Beschaffung, die über Marktplatz II abgewickelt wird, werden die Lieferanten per Webbrowser angebunden. Prozesszuordnung, ERP-Integration der Bewegungsdaten Für die Prozessoptimierung sind bei der betrachteten Strategie überwiegend konventionelle Varianten eingesetzt worden. Für die operative Beschaffung direkter Materialien wird ausschließlich das ERP-System genutzt. Der strategische Beschaffungsprozess und die Beschaffung indirekter Katalogmaterialien erfolgen internetbasiert. Eine ERP-Integration ist nicht vorgesehen. Bei Marktplatz I ist dies sinnvoll, da die Rechnungsprüfung als Dienstleistung angeboten wird (vgl. Kapitel 7, Abschnitt 7.3.1.5.4). Bei Marktplatz II möge die ERP-Integration wegen der sporadischen Nutzung der angebotenen SRM-Tools entbehrlich sein (vgl. Kapitel 6, Abschnitt 6.2.2.5). Stammdatenhaltung, ERP-Integration der Stammdaten Das klar führende System für die Stammdatenhaltung ist im betrachteten Fall das ERP-System. Bzgl. der ERP-Integration können folgende Aussagen getroffen werden: Für die Materialstammdaten in den e-Katalogen ist eine ERP-Integration grundsätzlich
309
8.3
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
nicht sinnvoll (vgl. Kapitel 7, Abschnitt 7.3.1.5.2). Wegen des sporadischen Einsatzes von e-Ausschreibungen und e-Auktionen ist eine ERP-Integration weiterer Stammdaten insbesondere der Lieferantenstammdaten nicht gerechtfertigt. Bewertung der Strategie IV Strategie IV richtet sich an kleine und mittelständische Unternehmen, bei denen das zu Grunde gelegte ERP-System evtl. auch durch kleinere Lösungen für einzelne Funktionsbereiche ersetzt werden muss. Im beschriebenen Fall nutzt das Unternehmen überwiegend konventionelle Optimierungsansätze in Verbindung mit dem ERPSystem. Hiermit können bereits erhebliche Optimierungspotenziale erschlossen werden. Bei den internetgestützten Ansätzen werden die Kosten durch Nutzung eines eMarktplatzes gering gehalten. Für e-Ausschreibungen und Auktionen kann vereinbart werden, dass nur bei der tatsächlichen Nutzung Gebühren anfallen. Die Nutzung des Marktplatzes für e-Kataloge ist, sofern man auf die vorhandenen Lieferanten des Marktplatzes zugreift, unter Umständen sogar kostenfrei. Die beschriebene Strategie stellt auch hier eher ein Einstiegsszenario dar. Es sollte geprüft werden, wie weit weitere „schlanke Tools“ z.B. für den Supplier Self Service, das Supplier Management oder für die Spend Analysis sinnvoll ergänzt werden können.
8.4
Sukzessive Umsetzung von SRMGesamtstrategien
8.4.1
Projektportfolio und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen
Eine SRM-Gesamtstrategie besteht aus der firmenindividuellen SRM-Landkarte und der hierzu passenden IT-Strategie für das SRM. Die Gesamtstrategie stellt das Rahmenkonzept für die späteren SRM-Umsetzungsprojekte bereit. Dieses Konzept wird in Projektform als Vorstudie entwickelt und hat die folgenden Hauptschritte zum Inhalt:
Erarbeitung einer Vision und strategischer Ziele für die Beschaffung. Analyse und Strukturierung der Materialgruppen und Lieferanten durch Portfoliotechnik und ABC-Analysen.
Grobe Festlegung der allgemeinen Supplier Relations, d.h. es wird festgelegt, welche Ausprägungen der Merkmale der allgemeinen Supplier Relations zugelassen werden (Beispiel: Single Sourcing, Third Party Sourcing etc.).
310
Sukzessive Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Grobe Festlegung der prozessbezogenen Supplier Relations, d.h. es wird festgelegt, welche Beschaffungsmodelle und Prozessvarianten in Zukunft angewendet werden sollen.
Ableitung der IT-Strategie mit (Vor-) Auswahl von Tools, Festlegung von Implementierungsvarianten etc. Als Ergebnis liegen nach der Vorstudie klare Ziele und grobe Strukturen für die allgemeinen Supplier Relations, die Sollprozesse (prozessbezogene Supplier Relations) und die IT-Architektur vor.
Abbildung 8-10: Projekte für das SRM
Vorstudie Individuelle SRMGesamtlandkarte
IT-Strategie für das SRM
Umsetzungsprojekte Strategieprojekte
Standardisierungsprojekte
Prozessoptimierungsprojekte
Wie erfolgt nun die Umsetzung? Welche Projektinhalte können sinnvoll in einzelnen Teilprojekten (vgl. Abbildung 8-10) eines SRM-Projekts umgesetzt werden? Orientierung kann hier erneut das 3-Ebenen-Modell geben: Auf der ersten Ebene lassen sich Strategieprojekte zuordnen, die zur Optimierung der allgemeinen Supplier Relations beitragen. Mögliche Themen wären hier beispielsweise:
Entwicklung eines Global Sourcing Konzeptes Einbindung der Lieferanten in die Produktentwicklung Lieferantenreduzierungen Nutzung von Procurement Service Providern Ebenfalls auf der ersten Ebene lassen sich Standardisierungsprojekte zuordnen, die auch der Optimierung der allgemeinen Supplier Relations dienen:
311
8.4
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Materialstandardisierungen (Festlegung einheitlich zu verwendender Standardmaterialien, Verringerung von vielfältigen ähnlichen Materialien)
Erhöhung der Stammdatenqualität (Löschen veralteter Stammdaten, Zusammenführung von Dubletten, Anlegen von fehlenden Stammdaten, Aktualisierung von Preisen, Beschreibungen, Adressen etc.)
Optimierung und Standardisierung von Materialgruppenschlüsseln (Festlegung von Standards und Nutzung der Standards) Eine weitere Kategorie von Projekten widmet sich der Prozessoptimierung, die häufig mit der Einführung neuer oder der optimierten Nutzung bestehender IT-Systeme im Zusammenhang steht. Hier werden die prozessbezogenen Supplier Relations auf den Ebenen 2 und 3 angesprochen. Orientierung für mögliche Teilprojekte gibt die firmenindividuelle SRM-Landkarte, die mit den Projekten dann letztendlich umgesetzt wird. Exemplarische Projektinhalte sind hier:
Einführung optimierter Ausschreibungsprozesse mit e-RFx Einführung optimierter Verhandlungsprozesse mit e-Auktionen Einführung einer internetbasierten Katalogbeschaffung Einführung von VMI Einführung eines SRM-Tools für das Lieferantenmanagement Die in Kapitel 5 behandelten Rahmenbedingungen, die für die Implementierung von SRM notwenig sind, d.h. beispielsweise die Schaffung einer adäquaten aufbauorganisatorischen Lösung bzw. die Einführung von Beschaffungscontrolling, können ebenfalls im Rahmen von Projekten bearbeitet werden. Für die im Folgenden behandelten Beispiele werden allerdings nur die unmittelbar dem SRM zuzuordnenden, oben genannten Themenbereiche weiterbetrachtet. Was kann nun bzgl. der Projektreihenfolge und der Abhängigkeiten gesagt werden? Die oben beschriebene Vorstudie stellt sicher, dass zuerst die Strategie, dann die Prozesse und anschließend die unterstützende IT betrachtet werden. Es wird also dem Postulat „Strategie vor Organisation vor Technik“ gefolgt. Durch die Vorstudie wird ein schlüssiger Gesamtrahmen erstellt, von dem ausgehend die einzelnen Teilprojekte sukzessive abzuleiten sind. Anschließend kommt ein Multi-Projektmanagement zum Einsatz, das die unterschiedlichen Umsetzungsprojekte steuert und dabei deren Abhängigkeiten berücksichtigt (vgl. Brehm et al. 2009, S.243ff.). Bei der Priorisierung der Projekte ist zunächst zu berücksichtigen, an welchen Stellen der „größte Leidensdruck“ besteht. Zur Validierung einer ggf. hieraus entstehenden Reihenfolge sollten die Teilprojekte hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit gegenübergestellt werden. Abbildung 8-11 zeigt ein grundsätzlich anwendbares Schema für die Wirtschaftlichkeitsermittlung, angewendet auf Beschaffungsprojekte (vgl. Stahlknecht
312
Sukzessive Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
2005, S.252). Dieses Schema ist für die einzelnen SRM-Teilprojekte anzuwenden. Bei den verschiedenen Kategorien sind die für das Projekt relevanten Aspekte einzutragen und ggf. die Quantifizierung vorzunehmen (Für weitere Details hierzu siehe Stahlknecht 2005, S.249ff.).
Abbildung 8-11: Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Beschaffungsprojekten Wirtschaftlichkeit
Kosten
einmalige Kosten
laufende Kosten
- Anschaffungskosten • Hardware • Software - Einführungsprojekt
- laufende Gebühren bei ASP-Lösung - Wartungsgebühren - Betreuung des Systems
Nutzen
quantifizierbarer Nutzen
monetär bewertbarer Nutzen
nicht monetär bewertbarer Nutzen
- Reduzierung von Einstandspreisen - Prozesskostenreduktion - Personalverringerung - Reduzierung von Überstunden
- mehr Zeit für den strategischen Einkauf - Rückgang von Fehlern - Verkürzung von Durchlaufzeiten
nicht quantifizierbarer Nutzen - Erhöhung der Datenaktualität - verbesserte Informationen - zufriedenere, besser versorgte Mitarbeiter - bessere Zusammenarbeit mit den Lieferanten
Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass auch auf Basis des vorgestellten Schemas letztendlich jedes Projekt schön oder schlecht gerechnet werden kann. Das Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung wird ganz erheblich von den zu Grunde gelegten Annahmen beeinflusst. Stellschrauben sind z.B. die kalkulierten Stundensätze für die Mitarbeiter, die angenommenen prozentualen Einstandspreisreduzierungen oder auch der Umfang zu realisierender Zeiteinsparungen. Je nachdem, ob hier eher optimistisch oder pessimistisch geschätzt wird, fällt das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung positiv oder negativ aus. Bei der Kategorie monetär bewertbarer Nutzen sei noch speziell auf den Aspekt der Prozesskostenreduktion hingewiesen. Einige Anbieter von SRM-Tools heben diesen Vorteil immer wieder besonders hervor, vernachlässigen aber gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass diese Kostenreduktionen in der Regel nicht ergebniswirksam sind. Erst wenn Mitarbeiter im entsprechenden Umfang freigesetzt würden, wirkt sich die Kostenreduktion auf das Ergebnis aus. Dieser Hinweis soll aber nicht als Aufforderung zur Personalfreisetzung verstanden werden. Im Gegenteil: Spart ein Mitarbeiter insbesondere im Einkauf bei einem operativen Prozess Zeit ein, kann er diese Zeit im strategischen Einkauf nutzen und hier ggf. Wertschöpfungsbei-
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8.4
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
träge leisten, die die Einsparungen seiner Freisetzung weit übersteigen. Bei vielen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen im SRM-Umfeld geht es genau um dieses Thema: Was kostet die Einführung eines Tools, das die operative Arbeit erleichtert und wie hoch ist die durchschnittliche Reduktion der Einstandspreise, die durch die stärkere Beschäftigung mit strategischen Tätigkeiten ermöglicht wird? Neben der Wirtschaftlichkeit und dem Leidensdruck, die beide eine wichtige Rolle bei der Projektpriorisierung spielen, sollte eine grundsätzliche Regel beachtet werden. Die oben genannten Strategie- und Standardisierungsprojekte sind zum Teil vor den Prozessoptimierungsprojekten durchzuführen. Es macht z.B. wenig Sinn, eine internetbasierte Katalogbeschaffung einzuführen, wenn nicht vorher die Lieferantenanzahl in den entsprechenden Warengruppen erheblich reduziert worden ist oder diese Reduktion zusammen mit der Katalogeinführung erfolgt. Genau so wenig sinnvoll ist es, einen Prozess zu optimieren, wenn dieser auf eine nicht aktuelle, standardisierte Datenbasis zugreift. Für sämtliche Prozessoptimierungsprojekte sollte dementsprechend vor ihrer Abwicklung überlegt werden, ob zunächst durch Projekte zu Themen der ersten Ebene des 3-Ebenen-Modells notwendige Voraussetzungen geschaffen werden müssen.
8.4.2
Professionelles Projektmanagement zur Umsetzung von SRM
Projektmanagement als Führungskonzept für komplexe Veränderungsvorhaben im Unternehmen (vgl. Brehm et al. 2009, S.236ff.) eignet sich auch für die Umsetzung von SRM. Dabei ist, insbesondere beim SRM, Projektmanagement nicht nur als die Behandlung der sach-rationalen Aspekte der Projektarbeit (Projektmanagement i.e.S.) zu verstehen. Vielmehr ist auch die psychologisch-personenbezogene Seite von Veränderungsprozessen zu betrachten. Diese eher weichen Faktoren werden häufig unter dem Oberbegriff des Change Management subsumiert. Die beiden Themenfelder sind in der Projektarbeit integriert zu betrachten. Beispielsweise sind bei der Einführung eines internetgestützten Beschaffungssystems immer auch die Widerstände und Ängste der betroffenen Mitarbeiter ernst zu nehmen und mit entsprechenden Maßnahmen zu berücksichtigen.
314
Sukzessive Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Abbildung 8-12: Idealtypisches Vorgehensmodell eines SRM-Projekts
In der Literatur zum Projektmanagement findet sich eine Vielzahl von Vorgehensmodellen, die entweder mehr die sach-rationale Seite (vgl. hierzu exemplarisch Schmidt 1989) oder aber die Change Management-Aspekte (vgl. hierzu exemplarisch Krüger 2009a) in den Vordergrund stellen. Für die Umsetzung der im Rahmen einer Vorstudie abgeleiteten firmenindividuellen SRM-Landkarte und der entsprechenden ITGesamtstrategie wird ein 5-Phasen-Modell verwendet. Dieses in Abbildung 8-12 dargestellte Modell berücksichtigt sowohl „harte“ als auch „weiche“ Faktoren und ist auf die Umsetzung von Beschaffungsprojekten zugeschnitten. Vor der Abwicklung der fünf Phasen sind unabdingbar der genaue Projektauftrag und die zu erreichenden Projektziele zu definieren. Nur bei einer eindeutigen Vorgabe von Zielen kann auch im Verlauf des Projekts der Zielerreichungsgrad festgestellt werden. Für die Projektleitung ist es zudem wichtig, Ziele als „Leitplanken“ für die eigenen Steuerungsaktivitäten zu benutzen.
8.4.3
Projektmanagement i.e.S. – Sach-rationale Aspekte eines SRM-Projekts
Unter dem Oberbegriff Projektmanagement i.e.S. wurden im vorangegangenen Abschnitt die klassischen, sach-rationalen Aufgaben der Projektarbeit subsumiert. In diesem Abschnitt wird ein Überblick zu den wichtigsten Aufgaben in einem SRMProjekt gegeben, systematisiert nach den Phasen des idealtypischen Vorgehensmodells.
315
8.4
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Projektinitialisierung In der Teilphase der Projektinitialisierung sind die Definition der Projektorganisation und die Erarbeitung des Projektplanes die zentralen Aufgaben. In der Projektorganisation werden Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung der Projektbeteiligten festgeschrieben. Die übergreifende Steuerung wird vom SRM-Lenkungsausschuss geleistet. Die hochkarätige Besetzung dieses Gremiums ist für ein umfassendes SRM-Projekt unerlässlich das zuständige Vorstands- oder Geschäftsführungsmitglied für den Einkauf sollte in jedem Fall dabei sein. Bei dezentralen Unternehmensstrukturen sollten auch hochrangige Manager aus den betroffenen Geschäftsbereichen bzw. Standorten im Lenkungsausschuss sitzen. Die Führung des SRM-Gesamtprojekts obliegt der SRM-Projektleitung, die für die den definierten Zielen entsprechende Durchführung des Projekts verantwortlich ist. Für diese Rolle eignet sich eine Person aus dem mittleren Management der Beschaffung oder der IT, die ausgewiesenen Background in den Themengebieten Beschaffung, IT, Prozessgestaltung und Projektmanagement mitbringt. Ähnliche Kenntnisse sollten auch die Mitwirkenden im Kernteam besitzen. Das Kernteam arbeitet i.d.R. Vollzeit in einem SRM-Projekt. Je nach inhaltlichen Schwerpunkten der zu bearbeitenden Teilprojekte sind dann die jeweiligen Teilteams zu besetzen. Geht es beispielsweise um die Optimierung der operativen Beschaffung, dürfte die Beteiligung von Mitarbeitern aus der Rechnungsprüfung unabdingbar sein. Bei direkten Materialien ist zusätzlich eine Mitwirkung von Kollegen aus der Fertigung und aus dem Lager relevant. Die Anbindung der Teilteams sollte im Rahmen einer Matrixorganisation erfolgen, d.h. die Teammitglieder arbeiten zu einem Teil im Tagesgeschäft weiter und unterstehen dabei ihrem Fachvorgesetzten, zu einem anderen Teil arbeiten sie im SRM-Projekt und sind dem Projektleiter unterstellt. Lenkungsausschuss, Projektleitung und Kernteam sollten möglichst im Rahmen der Vorstudie schon aufgestellt worden sein, um dann bei den Realisierungsprojekten in gleicher Konstellation weiterzumachen. Auf diese Weise wird begünstigt, dass die zu Beginn definierten Ziele kontinuierlich verfolgt werden. Eine beispielhafte Projektorganisation mit möglichen Teilthemen zeigt Abbildung 8-13. Die in dem Beispiel zu bearbeitenden Teilprojekte sind nach einer Priorisierung der insgesamt zu behandelnden Projekte als diejenigen mit der höchsten Priorität ausgewählt worden. Teilprojekt 1 und 2 zielen auf die Optimierung der allgemeinen Supplier Relations ab. Ihre hohe Priorisierung kann darauf zurückzuführen sein, dass im Rahmen der Vorstudie bei der Analyse erkannt wurde, dass z.B. im C-Segment deutlich zu viele Lieferanten vorhanden sind, die die Komplexität der Beschaffung unnötig aufblähen. Anstelle der Einführung eines DPS hat sich das Unternehmen dafür entschieden, zunächst durch eine Lieferantenreduzierung und Umstellung auf Single Sourcing die Beschaffung zu vereinfachen. Die DPS-Einführung hat das Unternehmen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Das Global Sourcing Projekt besitzt hier eine hohe Priorität, weil eine grobe Analyse im Rahmen der Vorstudie bisher unbekannte, vielversprechende Beschaffungsmärkte identifiziert hat. Die beiden ande-
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Sukzessive Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
ren Teilprojekte tragen zur Optimierung der prozessbezogenen Supplier Relations bei. Hier ist auf Basis der Vorstudie klar geworden, dass mit der Optimierung der aufgeführten Prozesse im Bereich der Prozessgestaltung die größten Potenziale zu erschließen sind. Bei Teilprojekt 4 kommt wegen der Komplexität eine weitere Zerlegung in Teilprojekte in Frage. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass bei allen vier Teilprojekten unterschiedliche Materialarten und Materialgruppen schwerpunktmäßig betrachtet werden. Bei Teilprojekt 1 kann es sich primär um Standardmaterialien handeln, bei Teilprojekt 2 und 3 um ausgewählte Warengruppen im Bereich der Hebelmaterialien, bei Teilprojekt 4 stehen strategische und Engpassmaterialien im Vordergrund.
Abbildung 8-13: Beispielhafte Organisation eines SRM-Projekts
Die Projektplanung ist die vorausschauende Festlegung der zukünftigen Projektdurchführung bezüglich der Aktivitäten, Termine und Ressourcen. Nur so lassen sich individuelle, aufgabenspezifische Verantwortlichkeiten definieren. Im Rahmen der Projektplanung sind die folgenden sechs Teilplanungen zu berücksichtigen: Innerhalb der zunächst durchzuführenden Projektstrukturplanung geht es darum, die Projektgesamtaufgabe in Teilaufgaben zu zerlegen. Zu diesem Zweck werden Arbeitspakete definiert, denen dann Verantwortlichkeiten, Ressourcen und Termine zugeordnet werden können. Abbildung 8-14 zeigt exemplarisch einen Projektstrukturplan für das Teilprojekt „Materialgruppen- und Lieferantenanalyse“, das im Rahmen der Vorstudie relevant ist.
317
8.4
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Abbildung 8-14: Projektstrukturplan für das Teilprojekt „Materialgruppen- und Lieferantenanalyse“
Materialgruppen- und Lieferantenanalyse
Material analysieren
Beschaffungsvolumen Versorgungsrisiko
Material kategorisieren
Erstellung des Materialportfolios
Lieferanten analysieren
Lieferanten kategorisieren
Schwachstellenanalyse und SRdefinition
Beschaffungsvolumen
Erstellung des Lieferantenportfolios
Gegenüberstellung vom Material- und Lieferantenportfolio
Versorgungsrisiko
Schwachstellenanalyse Definition der Supplier Relations
Die Personaleinsatzplanung definiert den konkreten Einsatz der Mitarbeiter im Projekt. Diese sind entsprechend ihres Backgrounds und ihrer Qualifikation den Arbeitspaketen bzw. den einzelnen Aktivitäten zuzuordnen. Zu berücksichtigen ist deren Auslastung im Tagesgeschäft sowie deren Mitwirkung in anderen Projekten. Wichtige Aufgabe der Projektleitung ist es die richtigen Personen auszuwählen, die sowohl fachlich geeignet sind als auch dem Thema SRM positiv gegenüber stehen und somit als Change Agents genutzt werden können. Auch die Einbindung von externen Beratern scheint bei SRM-Projekten sinnvoll. Insbesondere zu den Themen methodisches Vorgehen, IT-Applikationen oder spezifischem Beschaffungsmarkt-Know-how können externe Berater fachliches Wissen in ein SRM-Projekt einbringen. Daneben haben sie eine größere Unabhängigkeit als unternehmensinterne Mitarbeiter und können Erfahrungen aus ähnlichen Projekten in einem anderen Unternehmen mit einbringen. Denkbar wäre auch die Zusammenarbeit mit Hochschulen, die eine entsprechende SRM-Kompetenz besitzen. Gut ausgebildete Studenten können im Rahmen eines Projektstudiums in einem SRM-Projekt durchaus die Rolle von Junior-Beratern einnehmen. Meilensteine sind wesentliche Projekt-Zwischenergebnisse, die sich aus der zeitlichen Reihenfolge der Projektabwicklung ergeben. In der Meilensteinplanung werden vorab die Termine festgelegt, wann diese Zwischenergebnisse erreicht werden sollen. Sie werden häufig von der Projektleitung vor dem Lenkungsausschuss präsentiert. Im Anschluss wird über die nächsten Projektphasen entschieden.
318
Sukzessive Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Eng miteinander verwoben sind Aufwands- und Budgetplanung. Hier werden die für die Projektarbeit notwendigen Ressourcen geplant und im Rahmen der Budgetplanung monetär bewertet. Der größte Block dürfte auch bei einem SRM-Projekt der Personalaufwand sein, der von der Anzahl und Einsatzdauer der internen und externen Projektmitarbeiter bestimmt wird. Aufwandstreiber sind hier häufig umfangreiche, überwiegend manuell durchzuführende Stammdatenverbesserungen, langwierige Abstimmungen von Sollprozessen, komplexe Datenübernahmen und Schnittstellenentwicklungen sowie Fehlerbehebungen in unausgereifter Standardsoftware. Zu berücksichtigen sind hierüber hinaus die Investitionen oder Mietkosten für Hard- und Software, die bei SRM-Projekten häufig ebenso einen großen Bestandteil darstellen. Schließlich ist die Dokumentationsplanung ein nicht zu vernachlässigender Bestandteil der Projektplanung. Die Projektdokumentation umfasst alle projektinternen und projektexternen schriftlichen Berichte und Dokumente, die während des Projekts erstellt werden. Gerade für recht komplexe Fragestellungen zu Beschaffungsprozessen und IT-Applikationen ist es wichtig, eine benutzerfreundliche Dokumentation zu gewährleisten. Eine Einrichtung einer Projektdatenbank im Intranet des Unternehmens ist hier eine sinnvolle Maßnahme.
Analysephase In der Analysephase geht es darum, eine Erhebung und Dokumentation des IstZustandes durchzuführen, um daraus Schwachstellen zu ermitteln und Hinweise für ein optimiertes Soll-Konzept zu erlangen. Neben den Materialgruppen- und Lieferantenstrukturen sind Beschaffungsprozesse und unterstützende IT-Systeme die Analyseobjekte in SRM-Projekten. Eine erste grobe Analyse findet wie erwähnt im Rahmen der Vorstudie statt. Hierauf aufbauend werden je nach Teilprojektthema ausgewählte Objekte genauer betrachtet. Hat ein Unternehmen sich beispielsweise im Rahmen der Ableitung der firmenindividuellen SRM-Landkarte für einen internetgestützten Ausschreibungsprozess (e-Ausschreibungen) entschieden, so ist in einem korrespondierenden Teilprojekt folgendermaßen vorzugehen. Im ersten Schritt sind im Rahmen der Materialgruppenanalyse die für elektronische Ausschreibungen in Frage kommenden Materialgruppen zu identifizieren. Im nächsten Schritt ist der Anbahnungsprozess bei diesen Materialgruppen einer Prozessanalyse zu unterziehen. Zielsetzung ist die Identifikation von Optimierungspotenzialen, z.B. von überflüssigen Teilprozessen oder von Teilprozessen, die sich internetbasiert abwickeln lassen. Wichtig ist eine transparente Dokumentation der Beschaffungsprozesse, die bedingt durch ihre Komplexität häufig schnell unübersichtlich werden kann. Als Hilfsmittel der Prozessanalyse und darstellung können Excel, Grafiktools wie Visio oder spezifische ProzessmanagementTools wie Prometheus oder Aris zum Einsatz kommen. Schließlich ist auch die aktuell verwendete IT-Unterstützung des betrachteten Prozesses zu untersuchen. Denkbar im betrachteten Fall ist, dass bereits MS-Office-Produkte oder das ERP-System im Einsatz sind. An diesem Beispiel wird nochmals ersichtlich, dass eine hohe Effektivität des
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8.4
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Projektergebnisses nur bei einer ganzheitlichen Vorgehensweise unter Berücksichtigung der drei Ebenen (Strukturen, Prozesse und IT) zu erreichen ist.
Soll-Konzept Das Soll-Konzept beschreibt u.a. den neuen, optimierten Beschaffungsprozess. Eine erste Festlegung bzgl. dieses Prozesses liefert wieder die Vorstudie mit der individuellen SRM-Landkarte und den hiermit verbundenen Prozessbeschreibungen. Im Sollkonzept geht es jetzt darum, den Sollprozess zu verfeinern und, sofern nicht in der ITStrategie schon geschehen, ein zur Unterstützung geeignetes SRM-Tool auszuwählen. Liegt dieses vor, ist im Sollkonzept festzulegen, wie der Prozess in dem gewählten Tool genau abgebildet werden soll. D.h. es muss beschrieben werden, welche Customizingeinstellungen vorzunehmen und welche Parts ggf. individuell zu entwickeln sind. Ferner sind die Datenstrukturen im Zielsystem und ggf. Abbildungsregeln für die Datenübernahme zu definieren. Angewendet auf den Ausschreibungsprozess heißt das, dass der Prozess mit seinen ggf. vorkommenden Varianten, seine Abbildung in einem e-RFX-Tool und die Stammdatenstrukturen für Lieferanten und Materialien detailliert beschrieben werden.
Realisierung Die Realisierungsphase dient dazu, das bisher auf dem Papier existierende SollKonzept in eine nutzbare Lösung zu überführen. Abhängig von der Art des Projektinhaltes sind unterschiedliche Realisierungsvarianten denkbar. Bei Strategieprojekten kann es z.B. um den konkreten Kontaktaufbau zu Lieferanten in China über ein dort eingerichtetes International Procurement Office (Global Sourcing) oder um die Verhandlung mit Beschaffungsdienstleistern über Beschaffungsoutsourcing (Third Party Sourcing) gehen. Hat das Projekt einen IT-Bezug wie das e-Ausschreibungsprojekt, so sind innerhalb dieser Phase in der Regel Programmier- und Customizing-Aktivitäten zu leisten. Weitere Tätigkeiten sind ausführliche Tests und die Produktivsetzung des Systems.
Nutzung In der Nutzungsphase soll aus der im Prinzip nutzbaren und im Idealfall auch akzeptierten Lösung eine erprobte Lösung werden. In der Verantwortung steht hier nicht mehr in erster Linie das Projektteam, vielmehr wird nun im Tagesgeschäft mit allen Beteiligten aus der Primärorganisation in den neuen Strukturen und Prozessen gearbeitet. Während des Einsatzes der neuen Lösung sollen Schwachstellen und Fehler identifiziert werden, die dann innerhalb von weiteren Anpassungen und Feinjustierungen eliminiert werden.
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Sukzessive Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
8.4.4
Change Management – Personenbezogene Aspekte eines SRM-Projekts
Projektinitialisierung Basis für eine erfolgreiche Initialisierung eines SRM-Projekts ist die Kenntnis der Koordinaten des Wandels. Veränderungsprozesse in einem Unternehmen im Allgemeinen und auch die Einführung von SRM im Speziellen werden von den drei Kategorien Wandlungsbedarf, Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit beeinflusst (vgl. Krüger 2009b, S.27ff.). Der Wandlungsbedarf ist „das Ausmaß der sachlich notwendigen Veränderungen der Unternehmung, ihrer Teilbereiche und Mitglieder sowie ihrer externen Kopplungen mit marktlichen und außermarktlichen Anspruchsgruppen“ (Krüger 2009b, S.28). Die Bereitschaft der betroffenen Mitarbeiter einen Veränderungsprozess mitzutragen, d.h. ihre Einstellung und ihr Verhalten gegenüber den Zielen und Maßnahmen des SRM-Projekts ist als Wandlungsbereitschaft zu bezeichnen. Schließlich ist auch geeignetes Wissen und Können erforderlich, um Veränderungsprozesse im Unternehmen erfolgreich zu gestalten. In diesem Zusammenhang spricht man von der Wandlungsfähigkeit. Um ein SRM-Projekt auch bezüglich der „weichen Faktoren“ erfolgreich durchführen zu können, müssen unterschiedliche Maßnahmen jeweils an den Wandungskoordinaten ansetzen. Im Mittelpunkt der Projektinitialisierungsphase steht der Wandlungsbedarf, der hier zu bestimmen ist. Nur bei detaillierter Kenntnis der objektiven Veränderungsnotwendigkeit können sinnvolle Folgemaßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden. Bei der Beschreibung des Wandlungsbedarfs sind deshalb insbesondere in SRM-Projekten verschiedene Dimensionen des Wandels zu analysieren. In der Praxis hat es sich bewährt, hier wenigstens die Dimensionen IT, Prozesse und Daten zu unterscheiden. Es ist zu Beginn des Projekts zu überlegen, in welchen der Dimensionen die Veränderungen am stärksten sind, um diese dann zielgerichtet im Projekt berücksichtigen zu können. Beim Projekt zu internetgestützten Ausschreibungen gibt es z.B. in der Regel erhebliche Veränderungen in der IT und in den Prozessen. Eher geringe Veränderungen hat man aber bei den Stammdaten. Beim e-Ausschreibungsprojekt ist die Gefahr groß, dieses als IT-Projekt einzustufen und die Vorbereitungen für die Prozessveränderungen zu vernachlässigen. Will man diese Gefahr gering halten und die Mitarbeiter auf alle Veränderungen gut vorbereiten bzw. sie bei diesen involvieren, so sollten die Dimensionen des Wandels zu Beginn eines Projekts intensiv diskutiert werden. Eine weitere wichtige Aktivität zu Beginn eines Projekts ist die Identifikation und Aktivierung von Wandlungsträgern bzw. Change Agents. Hierbei handelt es sich um Beteiligte, die eine positive Einstellungsakzeptanz zu dem Projekt haben (Promotoren) und die im weiteren Projektverlauf als Multiplikatoren zur Erhöhung der Wandlungsbereitschaft genutzt werden können (vgl. Bach 2009, S.205ff.).
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8.4
8
Systematische Ableitung und Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Analysephase In der Analysephase sind die Change Management Aktivitäten in erster Linie auf die Generierung von Wandlungsbereitschaft auszurichten, primär geht es um die Mobilisierung der Mitarbeiter. Bei Veränderungsprojekten wird es immer eine große Anzahl von Gegnern geben, die sogenannten Opponenten. Daneben befinden sich andere Mitarbeiter noch in der Phase der Meinungsbildung und sind unentschieden in ihrer Einstellung zum Projekt. Das zentrale Instrument zur Beeinflussung der Personen in dieser Projektphase ist die aktive Kommunikation zu Wandlungsbedarf und Projektzielen. Hierfür sind zum einen formale Kommunikationskanäle im Unternehmen bzw. Projekt, wie Mitarbeiterversammlungen, Newsletter, Projektzeitungen bzw. die regelmäßige Information durch die jeweiligen Vorgesetzten zu nutzen. Zum anderen spielt aber ganz besonders auch die informale Kommunikation eine wichtige Rolle. Hierbei handelt es sich um den Informationsaustausch jenseits der offiziellen Kommunikationskanäle, z.B. das Gespräch in der Frühstückspause oder beim Kaffee. Dazu können die Promotoren als Katalysatoren der Veränderung genutzt werden, um die Opponenten und Unentschlossenen vom Sinn und Zweck des Projekts zu überzeugen und deren Einstellungsakzeptanz positiv zu beeinflussen (vgl. Brehm 2009, S.320f.).
Soll-Konzept Die Wandlungsfähigkeit steht in der Phase zur Erarbeitung des Soll-Konzeptes stärker im Mittelpunkt der Betrachtung. Den Mitarbeitern muss verdeutlicht werden, wie sich ihre Arbeitsprozesse in der neuen „SRM-Welt“ verändern werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre neuen Aufgaben im Rahmen der neuen Prozesse zu bewältigen. Ihnen müssen Perspektiven aufgezeigt werden und es sind Anreizsysteme zu konzipieren, die dem Mitarbeiter einen unmittelbaren Nutzen aufzeigen, wenn er sich für das Thema SRM engagiert. Daneben gilt es auch weiterhin, die Wandlungsbereitschaft positiv zu beeinflussen und sich mit existierenden Widerständen permanent aktiv auseinandersetzen.
Realisierung Die detaillierte Schulung der Mitarbeiter in den Details zu SRM ist schließlich in der Phase der Realisierung zu gewährleisten. Parallel zur Umsetzung und Programmierung der neuen Lösungen müssen die Mitarbeiter hierzu entsprechend qualifiziert werden. Die neue Lösung ist also nicht nur organisatorisch und technisch umzusetzen, sondern die Mitarbeiter sollen sie akzeptieren und schließlich damit arbeiten können. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Wandlungsfähigkeit. Wegen des engen Bezugs zu den Themen Prozessoptimierung und Prozessorientierung ist es hilfreich, die Mitarbeiter zunächst grundsätzlich in diesen Themen zu schulen, damit ein generelles Umdenken in Richtung Prozesse begünstigt wird.
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Sukzessive Umsetzung von SRM-Gesamtstrategien
Nutzung Die Nutzung soll dafür sorgen, dass aus der akzeptierten Lösung eine „in Fleisch und Blut der Mitarbeiter eingegangene“ Lösung wird. Aus Sicht des Change Management ist auch der Begriff der Verstetigung hierfür verbreitet (vgl. Krüger 2009c, S.81ff.). Die Neuerungen gehen über aus dem Verantwortungsbereich der Projektorganisation in die Verantwortung der Linie, der Primärorganisation. Sie sind nachhaltig und auf Dauer in den Arbeitsprozessen des Unternehmens zu verankern. Die Linienverantwortlichen in einer ggf. umgestalteten Beschaffungsorganisation sind dafür verantwortlich, dass die Neuerungen ins Tagesgeschäft übergehen und „gelebt“ werden. Um dieses zu begünstigen, empfiehlt es sich, in der ersten Phase der Nutzung mehrere Feedbackworkshops mit den Mitarbeitern durchzuführen. Im direkten Dialog mit den Mitarbeitern lassen sich häufig wichtige Verbesserungsvorschläge erarbeiten und vielfach anschließend auch schnell umsetzen.
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8.4
9
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH
9
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH
Von Daniel Meiners, Eva Maria Streppel und Henrik Westkamp. Daniel Meiners ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Münster am Fachbereich Wirtschaft und unterstützt die wedi GmbH im Rahmen seines berufsbegleitenden Promotionsstudiums. Eva Maria Streppel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Münster am Fachbereich Wirtschaft. Henrik Westkamp ist im strategischen Einkauf der wedi GmbH tätig.
9.1
Einleitung und Unternehmensvorstellung
Die wedi GmbH wurde von Helmut Wedi in Emsdetten gegründet und zunächst als kleiner Familienbetrieb geführt. In nur gut 25 Jahren hat sich die wedi GmbH von einem Fliesenverlegebetrieb zum Marktführer im Bereich verfliesbarer Bauplatten entwickelt. Stephan Wedi, der Sohn des im Jahre 1998 verstorbenen Helmut Wedi, leitet heute die Geschäfte der wedi GmbH. Sie beschäftigt ca. 250 Mitarbeiter im In- und Ausland und konnte im Jahre 2008 ein Umsatzvolumen von ca. 60 Millionen Euro verbuchen. Die Geschäftsbereiche der wedi GmbH gliedern sich in die Schwerpunkte Baustoffe, Designobjekte und Objektbauservice. Im Jahre 2006 begann die wedi GmbH mit der Fachhochschule Münster im Rahmen eines SRM-Projekts zu kooperieren. Mit dieser Maßnahme wurde bereits ein Grundstein für die Optimierung der Beschaffungsprozesse der wedi GmbH gelegt. Aus diesem Projekt resultierte die Empfehlung für die Einführung eines Desktop-PurchasingSystems (DPS). Der Einsatz des DPS optimierte die Prozesse für die Beschaffung indirekter Materialien. Mit Hilfe dieses Systems werden im Unternehmen Bürobedarfe, Verbrauchs- und Verschleißmaterial über bereitgestellte Kataloge beschafft. Daneben besteht auch die Option der Bestellung nicht katalogisierten Materials.
324 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Überblick zum SRM-Projekt bei der wedi GmbH
9.2
Überblick zum SRM-Projekt bei der wedi GmbH
Im Jahr 2009 wandte sich die wedi GmbH erneut an die Fachhochschule Münster, da sie aufgrund suboptimaler Prozessabläufe insb. bei der Beschaffung direkter Materialien, wie z.B. vorherrschender papierbasierter Beschaffungsprozesse mit mehreren Medienbrüchen, weiteren Anlass zur Optimierung sah. Im Rahmen dieses Kooperationsprojekts der Fachhochschule Münster beauftragte die wedi GmbH eine Projektgruppe, um zunächst eine Entscheidungsgrundlage zur Auswahl eines SRM-Tools zu entwickeln und im Anschluss daran eine konkrete Anbieterempfehlung zu geben. Das Projekt hierzu war in sieben Phasen unterteilt. Nachdem in der ersten Phase Eckpunkte für den Projektablauf definiert bzw. erarbeitet wurden, stand zunächst während der Analyse der Ist-Situation die Aufnahme der gesamten Beschaffungsprozesse der wedi GmbH im Fokus. Diese war Grundlage für das Aufzeigen von Schwachstellen bei einzelnen Beschaffungsprozessen.
Abbildung 9-1 :
Projektvorbereitung
Phasenmodell des SRM-Projekts bei der wedi GmbH
IstAnalyse
Projektauftrag
Grundlagen
Projektorganisation
Ist-ProzessModellierung
Projektplan
MaterialGruppenbezogene Ist-Analyse
SollKonzept
Anforderungsanalyse
Grobanalyse / Vorauswahl
Detailanalyse / Feinauswahl
Theoretische Grundlagen
Konzepterarbeitung
Anforderungsdefinition
Marktanalyse II
Bewertung
Materialportfolio
Marktanalyse I
Gewichtung
Versand Lastenheft
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
Angebotsvergleich / Vorauswahl
Anbieterempfehlung
Lastenheft/ Schwachstellen- Materialgruppen- Soll-ProzessAusschreibungsModellierung analyse strategie unterlagen
Kick-off
Maßnahmen
Projektdokumentation (Tools)
SRMRoadmap
Im Anschluss daran wurde eine materialgruppenbezogene Ist-Analyse durchgeführt. Ergebnis dieser Phase war ein aktualisiertes Materialgruppenportfolio und eine Zuordnung von Beschaffungsmodellen zu den Materialgruppen. Fokus der vierten Phase war die Erarbeitung eines Soll-Konzepts. Mit Hilfe des in der vorherigen Phase aktualisierten Materialgruppenportfolios wurden konkrete Maß-
325
9.2
9
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH
nahmen für die Materialgruppen abgeleitet. Die in dieser Phase durchgeführte Marktanalyse hatte die Funktion, einen Überblick über mögliche Funktionalitäten und das Angebotsspektrum von SRM-Software zu erarbeiten. Zu diesem Zeitpunkt stand es im Vordergrund, das Soll-Konzept an gegebene Möglichkeiten anzupassen und ggf. um weitere neue Aspekte zu erweitern. Im Anschluss entwarf und modellierte das Projektteam anhand der in der Fachliteratur beschriebenen Normstrategien, für die jeweiligen Materialgruppen Soll-Prozesse. Zudem wurden Handlungsempfehlungen in einem Maßnahmenkatalog zusammengestellt. Im Anschluss daran wurde eine SRMRoadmap entwickelt, welche beschreibt, wie bei Implementierung einer SRM-Software bei der wedi GmbH innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren vorzugehen ist. Als die relevanten Beschaffungsprozesse optimiert und modelliert waren, konnte mit der fünften Phase begonnen werden. Es wurde ein Anforderungsprofil für ein geeignetes SRM-Tool erarbeitet, Anforderungen gewichtet, K.O.-Kriterien aufgestellt und ein Grundgerüst für eine später, in Phase 6 und 7, benötigte Nutzwertanalyse konzipiert. Dies diente dazu, Transparenz zu schaffen und nicht monetäre Einflussgrößen bei der Auswahl eines geeigneten Anbieters mit einzubeziehen. Daran anschließend nahm die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen eine zentrale Stellung in dieser Phase ein. Hierin wurden die Anforderungen, welche die zu beschaffende Softwarelösung erfüllen soll, klar formuliert. Auf Basis der Anforderungsdefinition wurde in den nächsten Schritten untersucht, welche SRM-Lösungen diesen Anforderungen entsprechen. Nach einer Auswertung der gewonnenen Informationen wurden die zuvor in einem Lastenheft festgehaltenen Anforderungen als offizielle Ausschreibung an die in Frage kommenden SRMAnbieter versandt. Nach Ablauf der in der Ausschreibung angegebenen Frist verglich das Projektteam die Angebote und nahm eine Vorauswahl anhand der im Vorfeld definierten K.O.-Kriterien und anderer Entscheidungsmerkmale, die für eine Grobfilterung festgelegt worden waren, vor. In der siebten und letzten Phase wurden anhand der in Phase 5 konzipierten Nutzwertanalyse die nach der Vorauswahl verbliebenen Anbieter verglichen, in eine Rangfolge gebracht und bezogen auf einen wirtschaftlichen Nutzen näher untersucht. Diese war die Grundlage für eine Anbieterempfehlung.
9.3
Entwicklung der Beschaffungsstrategien
Um im Verlauf des Projekts die aktuellen Materialgruppen in das Materialgruppenportfolio richtig einordnen zu können, war es nötig, das vorhandene, im Jahre 2006 erstellte, Materialgruppenportfolio zu aktualisieren.
326
Entwicklung der Beschaffungsstrategien
Aufgrund der gestiegenen Produktions- und Umsatzzahlen der letzten drei Jahre, ergab sich eine neue Einordnung der Materialgruppen in das Portfolio, gerade in dem Bereich der Hebelmaterialien. Durch die neue Einordnung der Materialgruppen ergab sich ein neues Bild, denn durch den Aufbau einer Zwei-Lieferantenstrategie und den erhöhten Einsatz bestimmter Materialgruppen, befanden sich nun mehr Materialgruppen in den Hebelmaterialien als noch im Jahre 2006. Das Materialportfolio dient zur Ableitung einer passenden Materialgruppenstrategie. Da bereits eine Beschaffungsoptimierung im Bereich der Standardmaterialien durch die Einführung des DPS-Systems und weitere Ansätze wie z.B. Kanban stattgefunden hatten, wurden diese sowie auch die Engpassmaterialien nicht näher untersucht. Aufgrund des im Gegensatz zu den bei Engpass- und Standardmaterialien höheren Umsatzvolumens im Bereich der Hebel- und strategischen Materialien, wurde dort ein größerer Optimierungshebel gesehen und sich auf diese konzentriert. Nachdem das Materialportfolio für Hebel- und strategische Materialien erarbeitet wurde, konnte mit der Betrachtung der strategischen Materialgruppen begonnen werden. Außerdem wurden den einzelnen Beschaffungsmodellen in den Warengruppen einzelne Ausprägungen, die den operativen Ablauf und die Anbindung bestimmen, zugewiesen. Zu der Gruppe der strategischen Materialien gehören die Materialgruppen „Schaum“, „Beschichtung“, „Abläufe“ und „Gewebe“. Da für die Materialgruppe „Schaum“ aus Sicht des Projektteams bereits eine optimale Beschaffung vorlag, wurde diese nicht weiter betrachtet. Für die Artikelgruppen „Beschichtung“ und „Abläufe“ wurde aufgrund des hohen Versorgungsrisikos, das Beschaffungsmodell der Vorratsbeschaffung, in Verbindung mit einer EDI- oder WEB-EDI-Anbindung, empfohlen. In der Materialgruppe „Gewebe“ hingegen erhielten die wert- und verbrauchsmäßig hohen Materialien das Beschaffungsmodell der produktionssynchronen Beschaffung. Den weniger wertmäßig ins Gewicht fallenden und verbrauchsmäßig niedrigen Materialien wurde die Vorratsbeschaffung zugeschrieben. Nachdem die strategischen Materialgruppen den operativen Beschaffungsmodellen zugeordnet waren, konnte mit der Zuordnung der Beschaffungsmodelle für Hebelmaterialien begonnen werden. Die Materialgruppen, mit den dazu gehörigen Materialien, mussten aufgrund der nachfolgend aufgeführten Gründe einzeln betrachtet werden.
Liefert ein Lieferant sowohl Hebel- als auch strategisches Material, so ist zu prüfen, ob die Hebelmaterialien bereits mit einer Beschaffungsstrategie und Anbindung aus dem angewandten, strategischen Beschaffungsmodell für diesen Lieferanten abgedeckt werden können.
Aufgrund der hohen Wertigkeit einzelner Materialien werden die Materialien auf ihre Verbrauchshäufigkeit und die derzeitigen Mindestbestände geprüft, um ggf. durch ein Vendor Managed Inventory mit Konsignationsabwicklung Kapitalbindungskosten zu minimieren
327
9.3
9
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH
Abbildung 9-2 :
Materialgruppenportfolio bei der wedi GmbH
Beschaffungs- Hebelmaterial volumen
Strat. Material 11 16
17 Beschaffungsvolumen in Höhe von X €
22 14
23
10
18
18 Schaum 11 Beschichtung 16 Gewebe 10 Abläufe 22 Verpackung 17 Handelswaren 23 Verkaufsförderung 14 Commodity
Versorgungsrisiko
Unter Berücksichtigung dieser Punkte wurden die Materialgruppen „Commodity“, „Handelswaren“, „Verpackung“ und „Verkaufsförderung“ den Beschaffungsmodellen für Hebelmaterialien zugeordnet. Um Handlungsempfehlungen für die strategischen Beschaffungsprozesse festzulegen, stand die Einordnung der Materialgruppen in die im 3-Ebenen-Modell dargestellten Phasen „Anbahnung“ und „Vereinbarung“ im Vordergrund. Zu prüfen galt, ob einzelne Materialgruppen zum einen in der Anbahnungsphase mit einer halbautomatischen oder einer internetbasierten Ausschreibung und zum anderen in der Vereinbarungsphase mit einer manuellen Preisverhandlung oder e-Auktion eingegliedert werden sollten. Dabei wurden die Hebelmaterialien der internetbasierten Ausschreibung, aufgrund des niedrigen Versorgungsrisikos und der damit verbundenen hohen Anzahl an potentiellen Lieferanten, zugeteilt. In der Vereinbarungsphase hingegen sind die Hebelmaterialien nur unter Vorbehalt der internetbasierten Preisverhandlung (eAuktion) zugeteilt worden. Hier sollten einzelne Materialien auf ihre Auktionierbarkeit geprüft werden. Die strategischen Materialgruppen wurden aufgrund ihrer Komplexität in der Beschaffungsanbahnung und Vereinbarung der halbautomatischen Ausschreibung und manuellen Preisverhandlung zugeteilt.
9.4
Prozessmodell für Hebel- und Strategisches Material
Im Zuge der Erstellung des Soll-Konzepts wurde ein Modell erarbeitet, welches die Informationen aus der materialgruppenbezogenen Analyse und der Marktanalyse verdichtet.
328
Prozessmodell für Hebel- und Strategisches Material
Dieses Modell stellt das Soll-Konzept hinsichtlich der Beschaffung von strategischen und Hebel Materialien dar. Das Soll-Konzept lehnt sich an das 3-Ebenen-Modell der Beschaffung an. In dem Modell finden sich der strategische Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene (2. Ebene) und der operative Beschaffungsprozess (3.Ebene) wieder. Auf der ersten Ebene des 3-Ebenen-Modells werden die grundsätzlichen Festlegungen zu den Supplier Relations getroffen. Diese Ebene ist nicht in das Modell integriert, da nur die endgültige Ausprägung für eine konkrete Materialgruppe (Ebene 2 und 3) betrachtet werden sollte. Das Materialgruppenportfolio bildet den Ausgangspunkt für die Vorbereitungsphase der zweiten Ebene. In dieser Phase wird die inhaltliche Ausgestaltung der Normstrategien für jede einzelne Materialgruppe vorgenommen. In der Anbahnungsphase beginnt die Suche nach geeigneten Lieferanten und Produkten über den Ausschreibungsprozess. Angebotsvergleich, -bewertung und Preisverhandlungen sind Aktivitäten der Vereinbarungsphase, welche mit dem Abschluss eines Rahmenvertrages mit einem oder mehreren Lieferanten endet. Auf der dritten Ebene, den operativen Beschaffungsprozessen, geht es um die konkrete Realisierung im Tagesgeschäft. Der operative Beschaffungsprozess beinhaltet die Phasen Bedarfsermittlung, Bestellung und Abwicklung. Da diese Phasen in den aus den Beschaffungsmodellen abgeleiteten Soll-Prozessen wieder zu finden sind, werden in dem Modell nur die operativen Beschaffungsmodelle aufgeführt und auf eine Abbildung der einzelnen Phasen der dritten Ebene verzichtet. Das Modell gibt Aufschluss darüber, welche Materialgruppe über welches Beschaffungsmodell und mit Hilfe welcher IT beschafft wird. Teilweise existieren für Materialien innerhalb einer Materialgruppe unterschiedlich empfohlene Beschaffungsmodelle. Deswegen wurde zur Übersichtlichkeit eine neue Nummer eingeführt, die sich aus der Nummer der Materialgruppe und den ersten zwei Buchstaben des empfohlenen Beschaffungsmodells zusammensetzt. Mithilfe dieser Systematik ist schnell zu erkennen, welche Beschaffungsmodelle innerhalb einer Materialgruppe empfohlen werden.
329
9.4
Abbildung 9-3 :
wedi-spezifisches Modell für Hebel- und Strategisches Material
SOLL Strategischer Beschaffungsprozess-Materialgruppenstrategie (Ebene 2) Anbahnung
Halbautomatische Ausschreibung
18 10
Beschaffungsmarktanalyse
11 16
14 22 17 23
Materialgruppe Schaum Abläufe Beschichtung Gewebe
Internetbasierte Ausschreibung
Vereinbarung
18 10 11 16
14 22 17 23
Manuelle Preisverhandlung E-Auktionen
Operative Beschaffungsprozesse (Ebene 3) Beschaffungsmodell
IT
Vorratsbeschaffung
EDI/ S.P
Produktionssynchr. Beschaffung
EDI/ S.P.
Standardteilemanagement
S.P.
VMI
S.P.
Einzelbeschaffung
S.P.
18Vo 18Pr 10Vo 11Vo 16Pr 16Vo
Strat. Material
Vorbereitung
14St
Commodity
14VM 14Ei 17St
Handelswaren
17VM 17Ei 17Vo 22St
Verpackung
22Ei 22Pr
VK-förderung
Hebelmaterial
9
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH
23Ei
Für strategische Materialien wurde der halbautomatische und für Hebel Materialien der internetgestützte Ausschreibungsprozess als Soll-Zustand definiert. Verhandlungen in der Vereinbarungsphase sollen entweder manuell oder internetgestützt durchgeführt werden. Für strategische Materialien sollen in Zukunft manuelle Preisverhandlungen geführt und für Hebelmaterialien e-Auktionen durchgeführt werden. Um ein Beispiel für die dritte Ebene zu nennen, wurde in der Gruppe „Commodity“ in Abhängigkeit vom Material die Beschaffungsmodelle Standardteilemanagement, Vendor Managed Inventory oder Einzelbeschaffung gewählt.
330
Auswahl des SRM-Tools
Somit fasst das Wedi-spezifische Modell für die strategische und operative Beschaffung von Hebel- und strategischen Materialien die Empfehlungen des Projektteams für die operative und strategische Beschaffung der betrachteten Materialgruppen zusammen. Dieses Modell war der Ausgangspunkt für die anschließende Soll-ProzessModellierung, bei der für jedes operative Beschaffungsmodell und für die strategischen Beschaffungsprozesse entsprechend Soll-Vorgehensweisen festgelegt wurden.
9.5
Auswahl des SRM-Tools
Die Auswahl des SRM-Tools im engeren Sinne lässt sich innerhalb des bei der wedi GmbH durchgeführten SRM-Projekts in folgende Schritte einteilen.
Anforderungen definieren
Kriterien ableiten
Lastenheft erstellen
Marktanalyse durchführen
Vorauswahl treffen
Detailanalyse durchführen
Anforderungen definieren Auf Basis des Soll-Konzepts der Beschaffung bei der wedi GmbH wurden die Anforderungen definiert. Entscheidend hierbei war eine starke Orientierung an den SollProzessen, da es im Vordergrund stehen sollte, diese durch den Einsatz der SRMSoftware zu realisieren. Diese Grundanforderung wurde für jedes Beschaffungsmodell um zusätzliche Anforderungen ergänzt. Unabhängig vom Soll-Konzept besteht der Wunsch zur Unterstützung bzw. Durchführung von Lieferantenbewertung und qualifizierung. Ebenso wurde das Soll-Konzept um die bereits bestehende DPSLösung erweitert. Forderung war es hier, dass die Applikation das bei der wedi GmbH etablierte DPS in ihren Funktionen und Prozessfolgen abbilden kann. Zudem wurde der Homogenitätsgrad bestimmt. Dieser gibt Aufschluss darüber, ob alle Anforderungen durch eine einzige zentrale Softwarelösung erfüllt werden sollen, oder dies durch mehrere Einzel-Lösungen im Sinne einer Best-of-Breed-Lösung realisiert werden soll. Die wedi GmbH entschied sich für eine zentrale Softwarelösung. Kriterien ableiten Aus den definierten Anforderungen wurden im nächsten Schritt Kriterien abgeleitet und deren Gewichtung zur Auswahl einer SRM-Software bestimmt. Ebenso wie bei der Anforderungsdefinition wurde sich bei der Festlegung der Kriterien stark an den Soll-Prozessen orientiert. Allerdings wurden diese um Funktionen einer SRMSoftware, Sicherheitsaspekte, technische Aspekte etc. ergänzt. Schließlich waren die Kriterien, ihrer Relevanz entsprechend, zu gewichten. Die K.O.-Kriterien-Definition hat hierbei eine besondere Bedeutung, da dadurch von einer großen Anzahl potentieller Vertragspartner schnell jene ausgeschieden werden können, welche nicht in der
331
9.5
9
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH
Lage sind, absolute Muss-Anforderungen zu erfüllen. Entsprechend der Homogenitätsgradbestimmung war sicherzustellen, dass in der Vorauswahl mithilfe der Kriterien direkt alle Anbieter ausscheiden, die die gewünschten Prozesse durch ihr Funktionalitätsspektrum nicht abdecken können. Des Weiteren wurden Kriterien abgeleitet, die sich sowohl auf die Prozessabbildung als auch auf gewünschte Funktionalitäten bezogen. Neben diesen auf die Applikation bezogenen Merkmalen wurden auch Kriterien zur Beurteilung des Anbieters aufgestellt. Beispielsweise wurde das Vorhandensein bzw. die Vielzahl an Referenzen als ein Unterscheidungszeichen festgelegt. Für eine Vorauswahl waren zunächst die K.O.-Kriterien entscheidend. Die Gewichtung der weiteren Kriterien erfolgte im Zuge der Erstellung der Nutzwertanalyse. Lastenheft erstellen Im nächsten Schritt wurden die Ausschreibungsunterlagen in Form eines Lastenhefts erstellt. Das Lastenheft gibt einen Überblick über die Ist-Situation und das SollKonzept. Es werden sowohl die einzelnen Soll-Prozesse beschrieben, welche um Prozesszeichnungen ergänzt sind, als auch prozessübergreifende Anforderungen dargestellt. Vorgaben für den Angebotsaufbau, die Organisation der Ausschreibung, Fragenkatalog sowie ein Preisblatt sind weitere Inhalte des Lastenhefts. Diese dienten dazu, bei späterem Angebotsvergleich die Vergleichbarkeit zu erhöhen und einen festen Zeitrahmen für die Ausschreibung zu bestimmen. Marktanalyse durchführen Um die Informationen aus der ersten Marktanalyse über die Leistungsfähigkeit von SRM-Anbietern zu erweitern, wurde eine weitere Marktanalyse durchgeführt. Nach einer Auswertung der durch diese erweiterte Marktrecherche gewonnenen Informationen versendete die wedi GmbH im nächsten Schritt die zuvor in einem Lastenheft festgehaltenen Anforderungen als offizielle Ausschreibung an die in Frage kommenden SRM-Anbieter. Vorauswahl treffen Nach Ablauf der in der Ausschreibung angegebenen Frist wurden die Angebote verglichen und eine Vorauswahl anhand der K.O.-Kriterien vorgenommen. In dieser Phase wird eine Reduktion der Anbieter auf fünf bis sieben empfohlen, um eine umfassende Detailanalyse und Feinauswahl unter ökonomischen Gesichtspunkten zu gewährleisten. Detailanalyse durchführen Bevor die nach der Vorauswahl verbliebenen Angebote im Rahmen einer Detailanalyse miteinander verglichen werden konnten, galt es ein geeignetes Bewertungsverfahren zu wählen. Die wedi GmbH entschied sich für eine kombinierte Betrachtung bestehend aus:
332
Auswahl des SRM-Tools
Nutzwertanalyse (NWA)
Auflistung weiterer nicht monetär messbarer Größen
Kostenverlaufsdarstellung mit Be- Gegenüberstellung: Realisierung des zug zur SRM-Roadmap
Tabelle 9-1 :
Zentraleinkaufs mit und ohne Nutzung einer SRM-Software
Übersicht der Hauptkriterien der Nutzwertanalyse
GesamtGesamt Gesamt gewicht Gewicht gewicht gewicht SRMHauptSRM Anbieter App. kriterium Sollprozess / Funktion 80
gewichtete Bewertung
gewichtete Bewertung
gewichtete Bewertung
ANBIETER A ANBIETER B ANBIETER C 1,454
2,1832
1,76216
0,288
1,047
0,865
0,4655
0,49
0,379
100 40 20 10 4 3 2 3 10 3 5
Operative Beschaffung strategische Beschaffung ERP-Integration Implementierungsvarianten Varianten der Lieferantenanbindung Import / Export von Daten Sprache Schnittstellen technische Aspekte Kostenaspekte
20
Anbieterdaten
100 Gesamtwertung: Rang:
0,3
0,3
0,3
0,094
0,112
0,102
0,054
0,09
0,0327
0,04
0,06
0,06
0,09
0,09
0,084
0,3
0,3
0,14
0,081
0,09
0,09
0,105
0,15
0,15
0,37
0,52
0,37
1,85
2,6
1,85
1,824
2,7032
2,13216
3
1
2
Die Basis für die Erstellung der NWA bildeten die vorab definierten Kriterien. Das NWA-Evaluierungsblatt besteht aus mehreren Spalten, in welchen sortiert nach den zu bewertenden Aspekten die einzelnen gewichteten Kriterien aufgelistet sind. Hierauf basierend bewerteten die Projektmitarbeiter die einzelnen Alternativen (SRM-Anbieter und -Applikationen). Man entschied sich hierbei für eine Bewertungsskala von 0-3, um die Erfüllung der Anforderungen zu beurteilen. Vor Bewertung der einzelnen Alternativen galt es, das Evaluierungsblatt zu entwerfen. Zunächst nahmen die Projektmitarbeiter eine grobe Aufteilung zwischen den Kriterien in Form von Aussagen aus dem in der Ausschreibung verwendeten Preisblattes oder in Form von Fragen aus dem Fragenkatalog vor. Diese erste Aufteilung ermöglichte die Kriterien zur Applikation und die zum SRM-Anbieter unterschiedlich zu gewich-
333
9.5
9
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH
ten. Den Kriterien der SRM-Lösung wurde ein Gesamtgewicht von 80% zugeteilt und denen der SRM-Anbieter ein Gesamtgewicht von 20%. Im zweiten Schritt wurden innerhalb dieser beiden Gruppen Hauptkriterien gebildet. Die Hauptkriterien der anbieterbezogenen Kriteriengruppe waren die Inhalte, die in der Ausschreibung zum Unternehmen erfragt wurden, ergänzt um die Bewertung der Beratungskosten und der Angebotsvorstellung. In der applikationsbezogenen Kriteriengruppe wurden weitere Unterteilungen in Haupt-, Unter- und Teilkriterien vorgenommen, um eine möglichst anforderungsgetreue Gewichtung vorzunehmen. Nach Fertigstellung des Evaluierungsblattes beurteilte das Projektteam mithilfe der oben genannten Bewertungsskala, inwieweit der Anbieter bzw. die Applikation die einzelnen Kriterien erfüllt. Im Folgenden multiplizierten sie die Punkte mit den versehenen Gewichtungen. Nach Addition der erreichten Punkte eines Anbieters je Kriteriengruppe wurde jeweils erneut gewichtet, bis sich schlussendlich ein Gesamtnutzwert ergab. Ergänzend zur NWA wurden oben aufgelistete Auswertungen als Entscheidungsgrundlage zur Auswahl eines SRM-Anbieters herangezogen. Hierdurch sollte die Gefahr einer subjektiven Betrachtung reduziert werden. Die in den Analyseund Auswahlschritten gewonnenen Informationen wurden verdichtet und schlussendlich eine Anbieterempfehlung abgegeben.
9.6
Roadmap
Im Zuge der durch vorherige Projekte der wedi GmbH und die im SRM-Projekt konzipierten Maßnahmen vorangetriebenen Optimierungshandlungen wurde ein Plan zur schrittweisen Realisierung eines zentralen Einkaufs bei der wedi GmbH verfasst. Die Einführung einer SRM-Software wird ausschlaggebenden Einfluss auf die Realisierung dieses Plans haben. Um den Verlauf der einzelnen Einführungsphasen zu verdeutlichen und die Relevanz bei Realisierung eines Zentraleinkaufs zu demonstrieren, wurde im Zuge des Auswahlprozesses der SRM-Software eine SRM-Roadmap erstellt. Neben der Darstellung, dass die Implementierung einen Beitrag zur Realisierung des zentralen Einkaufs bei der wedi GmbH leistet, ist je nach zeitlichen und budgetären Rahmenbedingungen eine sukzessive Einführung einzelner Teilbereiche einer SRM-Software, und somit auch die Erstellung und das spätere Vorgehen nach einer solchen Roadmap, von Vorteil. Die Roadmap beschreibt die Vorgehensweise bei Implementierung einer SRMSoftware bei der wedi GmbH bezogen auf die zeitliche Dauer von drei Jahren.
334
Roadmap
Für das erste Halbjahr des Jahres 1 sind noch die Auswahlempfehlung der vorliegenden Arbeit mit einbezogen. Nach tatsächlicher Anbieterauswahl sollen zunächst die operativen Beschaffungsprozesse implementiert werden. Diese Implementierung soll in zwei Schritten erfolgen. Im ersten Schritt sollen die Beschaffungsmodelle produktionssynchrone Beschaffung, Vorratsbeschaffung und Einzelbeschaffung implementiert werden. Im zweiten Schritt sollen VMI und Kanban implementiert werden. Desweiteren ist eine Ausweitung der Nutzung des DPS-Systems auf weitere Beschaffungsgüter geplant.
Abbildung 9-4 :
SRM-Roadmap
335
9.6
9
Supplier Relationship Management bei der wedi GmbH
9.7
Fazit
Die Auswahl einer SRM-Software bei der wedi GmbH erforderte zur genauen Anforderungsdefinition detaillierte Ist-Analysen und Strategieableitung. Dies war notwendig, da bisher keine Prozesse dokumentiert und Materialgruppenstrategien definiert waren. Für die wedi GmbH erwies sich das sukzessive und detaillierte Vorgehen unter besonderer Berücksichtigung einer Ist-Analyse der Prozesse und Ableitung von Materialgruppenstrategien als unverzichtbar. Ohne fundierte Kenntnisse der Ist-Situation und der in Zukunft zu verfolgenden Beschaffungsstrategien wäre die Qualität der Erstellung eines Soll-Konzepts und daraus entsprechender Anforderungen an eine SRM-Applikation in Frage gestellt. Zusätzlich wurde darauf geachtet, die betriebswirtschaftlichen als auch die informationstechnologischen Aspekte zu berücksichtigen. Die gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Anwender- und Kostenvorteile, die in einer SRM-Lösung liegen, führen dazu, dass bei der wedi GmbH eine Umsetzungsempfehlung auszusprechen ist. Die detaillierten Erkenntnisse der Ist-Analyse und die konkreten Handlungsvorschläge stellen sich als nachhaltig vorteilhaft für das Unternehmen dar. Sie können Grundlage für die Optimierung der Beschaffungsprozesse und Lieferantenbeziehungen sein. Darüber hinaus konnte durch die Entwicklung des Soll-Konzepts und die Durchführung der einzelnen Analyse- und Auswahlschritte der wedi GmbH eine konkrete Anbieterempfehlung, durch die Erstellung der SRMRoadmap ein argumentativer Nutzen geschaffen und ein Leitfaden für die Implementierung gegeben werden.
336
Lieferantenbewertung als Herausforderung
10
10.1
Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie
Von Melanie Albers und Dr. Dirk Steinebach
Melanie Albers ist Beraterin für Supply Management bei der Detecon International GmbH (Bonn) und hat ihre Masterthesis über das Thema Lieferantenbewertung bei der Schmitz Cargobull AG geschrieben (Stand 2008).
Dr. Dirk Steinebach führt zum Zeitpunkt der Masterthesis die Funktion „Leiter Lieferantenintegration“ bei der Schmitz Cargobull AG (Altenberge) aus. Die Tätigkeit besteht im Wesentlichen in der Optimierung der Versorgungsprozesse und in der Entwicklung der beteiligten Lieferanten (Stand 2008).
10.1
Lieferantenbewertung als Herausforderung
Durch die Auslagerung von Wertschöpfungsschritten und die Umstellung auf produktionssynchrone Anlieferung ist die Abhängigkeit vieler Unternehmen von den Zulieferern angestiegen. Das vorgestellte Unternehmen verfügt heute über zahlreiche Modulund Systemlieferanten, die einen Teil der Wertschöpfung übernehmen und produktionssynchron anliefern. Dadurch ergeben sich erhöhte Anforderungen an die Lieferzuverlässigkeit und –qualität der Lieferanten. Fehler der Lieferanten können stärker als bisher zu Beeinträchtigungen der Produktion führen. Ein professionelles Lieferantenmanagement kann dieses Risiko von Lieferausfällen minimieren, indem die Leistungen der Lieferantenbasis gezielt verbessert werden. Bislang gibt es in dem hier betrachteten Unternehmen keine verlässlichen, konzernweiten Daten zur Qualität der aktuellen Lieferanten. Diese Informationen sind jedoch unerlässlich, um Transparenz über die Leistung und Leistungsfähigkeit der Lieferanten zu gewinnen und Verbesserungspotenziale zu erkennen. Daher besteht das Ziel des vorgestellten Projekts in der Entwicklung eines Konzeptes zur konzernweit einheitlichen Lieferantenbewertung, um einen umfassenden Blick auf die Leistung und Leistungsfähigkeit der aktuellen Lieferantenbasis zu ermöglichen und um Anstöße für Verbesserungen, z.B. mittels Lieferantenentwicklungsmaßnahmen, zu liefern.
337 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
10
Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie
10.2
Vorstellung der Schmitz Cargobull AG
Die Schmitz Cargobull AG ist der führende Hersteller von Aufliegern und Anhängern für Nutzfahrzeuge in Europa. Das im Jahr 1892 im münsterländischen Altenberge gegründete Unternehmen hat sich in seiner Geschichte von einem kleinen Produktionsbetrieb zu einem Konzern mit acht europäischen Produktionsstätten und etwa 5.500 Mitarbeitern im Jahr 2008 entwickelt. Schmitz Cargobull konnte in den Jahren zuvor von der starken Nachfrage in der Nutzfahrzeugbranche profitieren und erhebliche Absatz- und Umsatzsteigerungen erzielen. Im Geschäftsjahr 2007/2008 wurden mehr als 66.500 Fahrzeuge verkauft und ein Umsatz von 2,14 Mrd. € erwirtschaftet. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum konnte der Umsatz damit um 30 Prozent gesteigert werden. Die Fertigung der Produkte läuft streng auftragsbezogen nach Kundenwunsch, wobei das Unternehmen große Erfolge in der Varianten- und Komplexitätsreduzierung erzielt hat. Die Produktpalette umfasst dabei Planenfahrzeuge, Sattelkoffer, Sattelkipper sowie Container- und Wechselfahrgestelle.
10.3
Analyse der Ist-Situation
10.3.1
Lieferantenstruktur
Das Unternehmen verfügt über eine breite Lieferantenbasis. Im Jahr 2006/2007 waren über 1700 Lieferanten als Kreditoren im Einkauf verzeichnet. Davon erreichen 65 Lieferanten zusammen einen Anteil von 80% am gesamten Beschaffungsvolumen(ALieferanten). Bei den übrigen Lieferanten wird bisher keine weitere Unterteilung vorgenommen. Für die Lieferantenbewertung ist es sinnvoll, sich auf Lohnfertiger und Lieferanten von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen zu konzentrieren, bei denen große Einkaufsvolumina platziert sind. Daher bietet sich eine weitere Klassifizierung der übrigen Lieferanten in B-, C- und D-Lieferanten an (vgl. Abbildung 10-1). Um den operativen Aufwand gering zu halten, ist es sinnvoll, sich bei der Lieferantenbewertung zunächst nur auf die A- und B-Lieferanten (192 Lieferanten) zu beschränken. Außerdem haben die A- und B-Lieferanten einen großen Einfluss auf die Nachschubversorgung der Produktion. Viele direkte Materialien werden unmittelbar in der Fertigung angeliefert. Hierbei kommen zum Teil produktionssynchrone Anlieferverfahren, wie Just-in-Sequence, zum Einsatz. Die Steuerung der Nachschubversorgung geschieht in 80% der Lieferketten über Kanban-Verfahren.
338
Analyse der Ist-Situation
Abbildung 10-1:
Lieferantenstruktur
65
127
80% Anteil Beschaffungsvolumen
A
B B
15% Anteil Beschaffungsvolumen
273 C 4% Anteil Beschaffungsvolumen
D
1272
1% Anteil Beschaffungsvolumen
Lieferverzögerungen oder eine zu geringe Liefermenge können sich daher direkt auf die Fertigung auswirken und unter Umständen zu einem Produktionsstillstand führen. Neben diesen Fehlern im logistischen Ablauf spielt auch die Qualität der gelieferten Materialien eine entscheidende Rolle. Sind die gelieferten Teile von mangelhafter Qualität und wird dieser Mangel erst in der Fertigungslinie erkannt, kann dies zu einer Beeinträchtigung der Fertigung und im schlimmsten Fall zu einem Produktionsstillstand führen.
10.3.2
Erfassung der Lieferantenleistung
Um die Leistung des Lieferanten bewerten zu können, müssen zunächst Informationen zur Leistung des Lieferanten erfasst werden. Abbildung 10-2 zeigt die drei Arten der Leistungserfassung von Lieferanten.
339
10.3
10
Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie
Abbildung 10-2: Arten der Leistungserfassung von Lieferanten
Leistungserfassung
Manuelle Leistungserfassung Erfassung qualitativer und logistischer Fehler
Automatische Leistungserfassung Messung der logistischen Leistung (Liefertreue)
Audits Qualitative Bewertung von Leistung und Leistungsfähigkeit
Die manuelle Leistungserfassung durch die Aufnahme von Lieferantenfehlern in der Fertigung ist die wichtigste Art der Leistungserfassung und läuft in drei Phasen ab: 1. Fehler erkennen und dokumentieren: Bei Qualitätsfehlern erfolgt die Dokumentation im Qualitätsmanagement-System; bei Logistikfehlern mittels eines Formulars „Logistische Prozessstörung“. 2. Fehler auf Verursacher und Auswirkung prüfen: An erster Stelle steht hier die Ermittlung des Fehlerverursachers und die Ermittlung der durch den Fehler entstandenen Kosten (z.B. Nacharbeitskosten). Bei Feststellung einer externen Ursache mit logistischem Hintergrund folgt die Fehlerbeschreibung im Formular „Logistische Prozessstörung“. Bei Qualitätsfehlern wird das fehlerhafte Material im Sperrlager von einem Mitarbeiter des Qualitätswesens begutachtet und die weitere Verwendung des Materials wird festgelegt. 3. Maßnahmen / Meldung an Lieferant: Bei externen Fehlern folgt eine so genannte Mängelrüge an den Lieferanten. Hierzu nutzt man eine spezielle Transaktion in SAP im Modul QM (Qualitätsmanagement). Die Erstellung der Mängelrügen erfolgt bei logistischen Fehlern durch die Logistikunterstützung, bei Qualitätsfehlern durch das Qualitätswesen. Die Art des Fehlers beschreibt der Fehlercode in der Mängelrüge. Er bestimmt, wie der Fehler später in der Lieferantenbewertung Berücksichtigung findet. Es gibt vier Fehlercodes, die in die Lieferantenbewertung eingehen:
Qualitätsfehler, die für die Qualitätskennzahl „Parts per Million“ (PPM)-Quote relevant sind
Falscher Liefertermin Falsche Verpackung/ falsches Behältnis Falsche Liefermenge 340
Analyse der Ist-Situation
Ergänzend zu diesem Ablauf sind eine zusätzliche manuelle Erfassung von Lieferantenfehlern und eine separate Dokumentation durch die Supply Chain Manager vorgesehen, die jeweils für die Lieferkette einer bestimmten Komponente zuständig sind. Die Dokumentation von Prozessstörungen erfolgt manuell. Jeder Supply Chain Manager verfügt über eine eigene Prozessstörungsliste für seinen Bereich. Einerseits beinhalten diese die logistischen Prozessstörungen aus dem jeweiligen Fertigungsbereich. Andererseits sind auch die Qualitätsfehler in dieser Liste ergänzt. Dies geschieht aufgrund der Information über die Qualitätsmängelrüge. Zudem wird diese Liste um Prozessstörungen ergänzt, die bei Lohnfertigern oder Vorlieferanten in der jeweiligen Lieferkette auftreten. Somit liefern diese Prozessstörungslisten eine vollständige Sicht auf alle Prozessstörungen der Lieferanten in der jeweiligen Lieferkette. Neben diesen manuellen Erfassungsweisen gibt es eine automatische Leistungserfassung durch die systemgestützte Auswertung der Liefertreue. Hierbei wird jeder Beschaffungsvorgang, der mit dem Lieferanten stattfindet, ausgewertet. Die Auswertung beinhaltet zum einen die Termintreue (Abgleich von Sollliefertermin mit Wareneingangstermin) und zum anderen die Mengentreue (Abgleich von Sollliefermenge mit Wareneingangsmenge). Die bestehenden Prozesse des Unternehmens, die insbesondere kurze Durchlaufzeiten bewirken, sind im eingesetzten SAP-System umgesetzt. Diese weichen stark von den bestehenden Automotive-Prozessen nach VDA ab. Deshalb kann die SAP-und VDAStandard-Lieferantenbewertung hier keine Anwendung finden. Die automatische Auswertung der Liefertreue basiert auf den Bestell- und Wareneingangsdaten in SAP. Es gibt momentan fünf unterschiedliche Beschaffungsverfahren, die auch im SAP-System unterschiedlich abgebildet sind. Neben Normalbestellungen lassen sich die Abwicklung per Lieferplan, die Kanbanabwicklung (per Faxformular oder in SAP) sowie die Just-in-Sequence (JIS)-Abwicklung finden. Abhängig vom jeweiligen Beschaffungsverfahren geben die SAP-Soll-Lieferdaten das tatsächliche Solllieferdatum nur unzureichend wieder. Bei der JIS-Abwicklung ist beispielsweise das tatsächliche Soll-Lieferdatum nicht in der kaufmännischen Bestellung abgebildet. Das tatsächliche Soll-Lieferdatum richtet sich nach der Fertigungsreihenfolge und wird als Lieferabruf ohne direkten kaufmännischen Bezug in SAP versendet. Lediglich bei Normalbestellungen kann davon ausgegangen werden, dass das in SAP angegebene Lieferdatum auch dem tatsächlichen Soll-Lieferdatum entspricht. Eine automatische Auswertung der Liefertreue in SAP liefert also keine aussagekräftigen Ergebnisse. Die dritte Art der Leistungserfassung sind Lieferantenaudits. Es lässt sich zwischen Prozess- und Logistikaudits unterscheiden. Prozessaudits bewerten die Leistungsfähigkeit des Lieferanten im Bereich Qualität. Hierbei soll anhand eines Fragebogens beurteilt werden, wie die Fertigung beim Lieferanten organisiert ist. Dazu wird u.a. die Qualifikation der Mitarbeiter, die Qualität der Betriebsmittel und Einrichtungen, das Teilehandling und die Durchführung von
341
10.3
10
Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie
Fehleranalysen und Verbesserungsmaßnahmen beim Lieferanten betrachtet. Die Durchführung eines solchen Audits erfolgt durch das Qualitätswesen. Logistikaudits prüfen die logistische Leistungsfähigkeit des Lieferanten. Hierzu existiert ebenfalls ein Fragebogen, um die Termintreue, den Lieferservice und die Informationsbereitschaft des Lieferanten zu bewerten. Für die Durchführung ist der Logistikbereich, insbesondere der Bereich Lieferantenintegration, zuständig.
10.3.3
Bewertung der Lieferantenleistung
Zur Bewertung von Lieferanten wurde eine eigens programmierte Anwendung in SAP angelegt. Die Transaktion berechnet anhand eines Scoring-Modells eine Gesamtpunktzahl, die die Leistung des Lieferanten ausdrückt. Die Kriterien sind hierarchisch in Haupt- und Teilkriterien gegliedert. Abbildung 10-3 zeigt den aktuellen Aufbau der SAP-Lieferantenbewertung mit den Haupt- und Teilkriterien und den jeweiligen Gewichtungen.
Abbildung 10-3:
Qualität 50 %
Lieferung 50 %
Aktueller Aufbau der SAP Lieferantenbewertung Prozessaudit (wenn vorhanden) 10 %
Modul QM Modul MM
Reklamationen (ppm relevant)
90 %
Falsches Behältnis
10 %
Falsche Menge
20 %
Falscher Termin
20 %
Termintreue (automatisch)
20 %
Mengentreue (automatisch)
20 %
Logistikaudit (wenn vorhanden) 10 %
Die Gesamtpunktzahl ergibt sich dabei aus den Punkten für die Hauptkriterien und diese wiederum ergeben sich aus den jeweiligen Punktzahlen der Teilkriterien. Hier werden derzeit die Hauptkriterien Qualität und Lieferung benutzt und mit je 50 Prozent gewichtet. Der Wert für die Qualität berechnet sich aus einem Wert für die Reklamationen (90% Gewichtung) und aus dem Ergebnis von Prozessaudits beim Lieferanten – falls hierzu Ergebnisse vorliegen (10% Gewichtung). Der Wert für die Reklamationen ergibt sich
342
Analyse der Ist-Situation
aus der „Parts per Million“ (PPM)-Quote, die aus den reklamierten Mengen in den Qualitätsmängelrügen ermittelt wird. Der Wert für die Lieferung ergibt sich zur Hälfte aus den logistischen Mängelrügen: falsche Menge (20%), falscher Termin (20%) und falsches Behältnis (10%). Die zweite Hälfte der Punktzahl berücksichtigt die automatische Auswertung der Termintreue (20%) und der Mengentreue (20%) sowie das Ergebnis eines Logistikaudits beim Lieferanten – falls vorhanden (10%). Die erforderlichen Basisdaten zur Punktevergabe für die Teilkriterien stammen aus SAP – entweder aus dem Modul QM (Qualitätsmanagement) oder aus dem Modul MM (Materialmanagement). Unabhängig von der SAP-Lieferantenbeurteilung gibt es verschiedene separate Ansätze, Kennzahlen zur Lieferantenleistung zu ermitteln und Lieferanten zu bewerten. Im Qualitätswesen eines Werkes wird z.B. anhand der PPM-Quote (aus den Qualitätsmängelrügen) ein monatliches Qualitätsranking der Lieferanten vorgenommen. Dem Lieferanten wird die PPM-Quote in Form eines PPM-Briefes monatlich bekannt gegeben. Im Supply Chain Management werden auf Basis der im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen, manuell erfassten Prozessstörungen Auswertungen vorgenommen. Es wird z.B. die Anzahl von Prozessstörungen pro Lieferant in einem bestimmten Zeitraum ermittelt. Diese Kennzahl kann von den Supply Chain Managern in Gesprächen mit den Lieferanten genutzt werden. In einem anderen Werk existiert darüber hinaus eine Datenbank zur Auswertung von logistischen Kennzahlen. Diese wird mit Daten aus verschiedenen Quellen gepflegt und daraus ein Kennzahlenbericht erstellt. Darin sind Probleme beim Lieferanten gemessen an Fehlteilen und logistischen Prozessstörungen – sowie mögliche Ursachen und Maßnahmen zur Problemlösung dargestellt.
10.3.4
Beurteilung der Ist-Situation
Bei der Erfassung und Bewertung der Lieferantenleistung lassen sich bislang noch einige Probleme feststellen. Zum einen wird bei der Datenerfassung mit unterschiedlichen Systemen (QSYS, SAP, Excel) gearbeitet, wodurch keine einheitliche Datenbasis für die Bewertung der Lieferanten vorhanden ist. Teilweise werden Daten doppelt erfasst und in separaten Datenbanken gespeichert. Für die Bewertung gibt es bereits zahlreiche dezentrale Ansätze in den verschiedenen Abteilungen, jedoch kein einheitliches Konzept. Daher bilden die verschiedenen ermittelten Kennzahlen (z.B. PPM-Quote, Prozessstörungen pro Lieferant) jeweils nur einen Ausschnitt der Lieferantenleistung ab und liefern kein ganzheitliches Bild.
343
10.3
10
Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie
Durch die Transaktion zur Lieferantenbewertung in SAP wird versucht, eine zentrale Auswertungsmöglichkeit für die Lieferantenbewertung zu schaffen. Bei der Detailanalyse stellte sich jedoch heraus, dass die Transaktion bislang noch einige Schwachstellen und Inkonsistenzen aufweist. Insbesondere die automatische Auswertung der Terminund Mengentreue, die in die SAP-Lieferantenbewertung einfließt, liefert keine aussagekräftigen Ergebnisse. Dadurch dass das Solllieferdatum bei vielen Beschaffungsvorgängen nicht korrekt oder gar nicht in SAP vorhanden ist, werden einige Lieferanten systematisch zu gut und andere wiederum systematisch zu schlecht bewertet. Hinsichtlich der Kriterien für die SAP-Lieferantenbewertung muss angemerkt werden, dass bisher eine reine Fokussierung auf die Bereiche Qualität und Logistik stattfindet. Dem Anspruch einer ganzheitlichen Bewertung (z.B. auch der Leistungsfähigkeit des Lieferanten bei der Entwicklung) kann somit nicht Rechnung getragen werden.
10.4
Konzept zur Lieferantenbewertung
10.4.1
Strategische Ausrichtung und Prozess
Die Gestaltung einer einheitlichen Lieferantenbewertung zählt zu den strategischen Zielen in der Unternehmenslogistik. Dabei soll ein möglichst ganzheitliches und konzerneinheitliches Konzept aufgesetzt werden, dass die bisherigen Ansätze zusammenführt. Grundsätzlich sollen mit der Lieferantenbewertung folgende Ziele verfolgt werden: 1.
Transparenz über die tatsächliche Leistung der Lieferanten
2.
Optimierungspotenziale für die Lieferantenbasis aufdecken
3.
Versorgungsengpässe frühzeitig erkennen (Prävention)
Im Rahmen dieses Projekts sind erste Ansätze für einen solchen Prozess erarbeitet worden, der sich mit folgenden Prozessschritten darstellt (vgl. Abbildung 10-4):
344
Konzept zur Lieferantenbewertung
Abbildung 10-4: Prozess der Lieferantenbewertung
Lieferantenbewertung
Lieferantenleistung erfassen
Lieferantenleistung bewerten
Kommunikation der Ergebnisse/ Maßnahmen
Bei der Erfassung der Lieferantenleistung müssen alle relevanten Leistungsdaten des Lieferanten aufgenommen und zentral gespeichert werden. Diese Daten dienen anschließend als Input für den nächsten Prozessschritt „Lieferantenleistung bewerten“. Die Bewertung erfolgt nach einem Punktbewertungsverfahren, d.h. die erfassten Daten werden mit Punkten bewertet und diese Punkte anschließend gewichtet und zu einer gesamten Lieferantenpunktzahl verdichtet. Dieses Ergebnis wird im nächsten Prozessschritt in geeigneter Weise – sowohl intern als auch gegenüber dem Lieferanten – kommuniziert und ggf. Maßnahmen zur weiteren Vorgehensweise mit dem Lieferanten abgeleitet, z.B. eine aktive Entwicklung des Lieferanten.
10.4.2
Einheitliche Erfassung der Lieferantenleistung
Die Lieferantenbewertung erfordert eine vollständige Datenbank mit allen relevanten Informationen zum Lieferanten. Um dies zu erreichen, werden im Folgenden einige Verbesserungen zur manuellen und automatischen Leistungserfassung vorgeschlagen: Die Prozessstörungen, die momentan noch händisch von den Supply Chain Managern in Excel erfasst werden, könnten zukünftig beispielsweise direkt in SAP erfasst werden. Hierzu wurde im Laufe dieser Untersuchung bereits ein Projekt gestartet und die Sollanforderungen festgelegt. Somit wäre eine separate Datenhaltung in Excel-Listen nicht mehr notwendig, da man zukünftig alle Prozessstörungen in den jeweiligen Lieferketten zentral gespeichert hätte. Da die automatische Auswertung der Liefertreue in SAP bislang keine belastbaren Ergebnisse liefert, sollten diese Daten zunächst nicht für die Lieferantenbewertung berücksichtigt werden. Um hier belastbare Daten zu erhalten, sind umfangreiche An-
345
10.4
10
Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie
passungen in SAP bzw. eine stärkere Standardisierung der Belieferungsprozesse erforderlich. Außerdem ist es sinnvoll, einen strukturierten Auditprozess zu etablieren und die Ergebnisse der Lieferantenaudits zukünftig konsequent in SAP einzupflegen. Dadurch können die wertvollen Erkenntnisse zur Leistung und Leistungsfähigkeit des Lieferanten, die bei einem Audit gewonnen werden, in der Lieferantenbewertung Berücksichtigung finden. Ein ganzheitliches Bild sollte sich zukünftig auch aus zusätzlichen Daten ergeben, die den Lieferanten nicht nur aus Sicht von Qualität und Logistik bewerten. Hierzu kann man bereits vorhandene Informationsquellen, z.B. das QSYS-System oder Lieferantenselbstauskünfte nutzen. Bei qualitativen Sachverhalten (z.B. Entwicklungskompetenz des Lieferanten) kann man auch auf eine subjektive Einschätzung der Fachabteilung zurückgreifen. Ziel ist es, alle lieferantenbezogenen Daten in einem zentralen Datenpool in SAP zu speichern – wie in Abbildung 10-5 dargestellt.
Abbildung 10-5: Datenpool für die Lieferantenbewertung
Qualität Prozessstörungen Qualität
Prozessstörungen Vorlieferanten/ Lohnfertiger
Logistik Prozessstörungen Logistik
Direkte Erfassung in SAP
Prozessaudits
Logistikaudits
Reklamationen Im Feld im
Extern bedingte Fehlteile
Datenpool für die Lieferantenbewertung
technisches Datenmanagement
Preisniveau …
Einkauf
346
Bonität
… technische Kompetenz
Entwicklung
Konzept zur Lieferantenbewertung
10.4.3
Modell für die Lieferantenbewertung
Um die erfassten Daten strukturiert auswerten zu können, wird zunächst ein Modell für die Bewertung mit verschiedenen Perspektiven und darin enthaltenen Kenzahlen benötigt. Ausgehend vom bisherigen Ansatz wird das Modell zunächst um die beiden Perspektiven „Einkauf“ und „Entwicklung“ erweitert, um einen ganzheitlichen Blick auf die Lieferantenleistung zu bekommen. Viele der bisher definierten Kennzahlen (z.B. PPMQuote oder Termintreue) beziehen sich auf die Leistung des Lieferanten in der operativen Abwicklung der Beschaffungsprozesse. Diese Kennzahlen lassen sich deshalb als operative Kennzahlen bezeichnen. Darüber hinaus soll der Lieferant auch nach seiner Leistungsfähigkeit und seinem Potenzial über einen längerfristigen Zeitraum betrachtet werden. Diese Kennzahlen, die den Lieferanten nicht aufgrund von konkreten Transaktionen, sondern nach seiner Leistungsfähigkeit beurteilen, lassen sich als taktische Kennzahlen bezeichnen. Das neue Kennzahlenmodell soll sowohl operative als auch taktische Kennzahlen zum Lieferanten in den vier Bereichen Qualität, Logistik, Einkauf und Entwicklung enthalten. Der Aufbau dieses Modells mit Vorschlägen für die Kennzahlen ist in Abbildung 10-6 dargestellt.
Abbildung 10-6: Kennzahlenmodell für die Lieferantenbewertung
Taktische Kennzahlen
Qualität • Prozessaudit
Logistik Operative Kennzahlen
• Anlieferqualität • Qualität im Feld
• Preisniveau
Einkauf
• Belieferungsqualität
Lieferant Kennzahl
• LogistikLogisitkaudit
• Versorgungssicherheit
• techn. Datenmanagement
Entwicklung • Bonität
• techn. Kompetenz
347
10.4
10
Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie
Bei Qualität und Logistik werden die bisherigen Kennzahlen zum Teil beibehalten und um zusätzliche Komponenten ergänzt:
Anlieferqualität: Dahinter verbirgt sich die PPM-Quote, die die Qualität der angelieferten Materialien beschreibt.
Qualität im Feld: Diese Kennzahl kommt neu hinzu und gibt die Qualität der ausgelieferten Fahrzeuge beim Kunden an. Sie wird vom Kundendienst aufgrund von Schadensmeldungen erhoben. Es kann klar festgestellt werden, ob der Schaden aufgrund eines fehlerhaften Teils des Zulieferers verursacht wurde.
Prozessaudit: Diese Kennzahl ist auch im bisherigen Modell enthalten und wird als taktische Kennzahl im Bereich Qualität verwendet.
Versorgungssicherheit: Diese neu gestaltete Kennzahl drückt aus, wie zuverlässig der Lieferant in seiner Anlieferung ist. In die Bewertung fließen die logistischen Mängelrügen bezüglich Termin, Menge und korrekter Art der Ware sowie die Anzahl der extern verursachten Fehlteile ein.
Belieferungsqualität: Diese Kennzahl wird ebenfalls neu gestaltet und beschreibt die Qualität der gelieferten Verpackungseinheiten. Sie setzt sich aus Mängelrügen zu falscher Verpackung/ falsches Behältnis und Mängelrügen zu fehlenden Lieferinformationen zusammen.
Logistikaudit: Diese Kennzahl ist auch im bisherigen Modell enthalten und wird als taktische Kennzahl im Bereich Logistik verwendet. Bei den neuen Perspektiven Einkauf und Entwicklung wurden mit den entsprechenden Fachabteilungen einige Vorschläge für Kennzahlen entwickelt:
Preisniveau: Diese Kennzahl gibt den Einkaufspreis beim Lieferanten im Vergleich zum Wettbewerb oder im Vergleich zum durchschnittlichen Marktpreis.
Bonität: Die Bonität des Lieferanten wird durch eine Kreditwürdigkeitsprüfung ermittelt und sagt etwas über die finanzielle Stabilität des Lieferanten aus.
Technisches Datenmanagement: Das Unternehmen verfügt über einige Entwicklungslieferanten, mit denen technische Konstruktionszeichnung ausgetauscht werden. Dem technischen Datenmanagement (d.h. Qualität des Datenaustauschs und hohe Standards beim Datenschutz) kommt damit eine große Bedeutung zu.
Technische Kompetenz: Die technische Kompetenz des Lieferanten drückt die Innovationsfähigkeit des Lieferanten aus und setzt sich aus einer Bewertung der Fertigungskompetenz, der Mitarbeiterkompetenz und der Entwicklungskompetenz zusammen. Für jede einzelne dieser Kennzahlen wird anhand eines Berechnungsschemas eine Punktzahl zwischen 0 und 100 Punkten vergeben.
348
Konzept zur Lieferantenbewertung
Anschließend werden die einzelnen Punktwerte gewichtet und zu einer Gesamtpunktzahl für den Lieferanten (Lieferantenkennzahl) verdichtet. Abbildung 10-7 stellt die Zusammensetzung und Gewichtung der einzelnen Kennzahlen dar.
Abbildung 10-7: Ermittlung der Lieferantenkennzahl
Lieferantenkennzahl
Einkauf 10 %
Qualität 40 %
Logistik 40 %
Entwicklung 10 %
10.4.4
Preisniveau
60 %
Bonität
40 %
Prozessaudit
10 %
Qualität bei Anlieferung (ppm)
60 %
Qualität im Feld
30 %
Versorgungssicherheit
60 %
Belieferungsqualität
30 %
Logistikaudit
10 %
Technische Kompetenz Techn. Datenmanagement
Modul QM Neu
MR = Mängelrüge MR Termin
25 %
MR Menge
25 %
MR Falschlieferung
25 %
Externe Fehlteile
25 %
MR Verpackung
50 %
MR Lieferinformation
50 %
Fertigungskompetenz
60 %
60 %
Mitarbeiterkompetenz
20 %
40 %
Entwicklungskompetenz
20 %
Implementierungsvorschläge und -maßnahmen
Um das beschriebene Modell zur Lieferantenbewertung einzuführen, empfiehlt es sich schrittweise vorzugehen und zunächst die Erfassung der Lieferantenleistung zu überarbeiten. Hierzu wurde bereits ein Projekt zur Prozessstörungserfassung in SAP gestartet. Damit ist der erste Schritt zur Schaffung eines zentralen Datenpools in SAP bereits angestoßen. Anschließend kann das neue Kennzahlenmodell mit den einzelnen Kennzahlen und Gewichtungen sowie das darunter liegende Berechnungsschema für die Punktevergabe in der vorhandenen Transaktion zur SAP-Lieferantenbewertung abgebildet werden. Zu einem späteren Zeitpunkt können die zusätzlichen Kennzahlen für Einkauf und Entwicklung eingebunden und die jeweiligen Datenquellen hierfür festgelegt werden.
349
10.4
Damit die Lieferantenbewertung anschließend zum Leben erweckt werden kann, ist es sinnvoll das Thema auch organisatorisch zu verankern und klare Zuständigkeiten festzulegen. Hierzu könnte z.B. ein Koordinator für die Lieferantenbewertung benannt werden, der zusammen mit Vertretern aus den verschiedenen Unternehmensbereichen (Logistik, Supply Chain Management, Qualitätswesen, Einkauf, Entwicklung, IT) und den verschiedenen Werken ein bereichsübergreifendes Team für die Einführung und spätere kontinuierliche Durchführung der Lieferantenbewertung bildet. Das Ergebnis der Lieferantenbewertung soll Ausgangspunkt für bestimmte Maßnahmen bezüglich des Lieferanten sein. Die konkrete Maßnahme hängt dabei nicht nur vom Ergebnis der Lieferantenbewertung, sondern auch von der strategischen Bedeutung des Lieferanten ab. Durch die Einordnung des Lieferanten in ein Portfolio (vgl. Abbildung 10-8), das die beiden Achsen „Lieferantenbewertung“ und „strategische Bedeutung“ enthält, können erste Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, aus denen sich anschließend konkrete Maßnahmen ableiten lassen. Bei einem Lieferant, der 70 Punkte in der Lieferantenbewertung erhalten hat und von hoher strategischer Bedeutung ist, wird bspw. nach diesem Portfolio eine aktive Lieferantenentwicklung empfohlen.
Abbildung 10-8: Portfolio zur Ableitung von Handlungsempfehlungen Strategische Bedeutung
10
Lieferantenbewertung in der Nutzfahrzeug-Industrie
Prüfung Strateg. Partnerschaft
hoch Aktive Lieferantenentwicklung Anreiz zur Eigenoptimierung
mittel
Wechsel
gering
0
350
20
40
60
80 100 Lieferantenbewertung
Fazit
10.5
Fazit
Die vorgestellte Untersuchung erarbeitet die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer strukturierten Lieferantenbewertung. Die mit der Lieferantenbewertung verbundene Problematik wurde aufgedeckt und ein entsprechendes Soll-Konzept vorgestellt. Der Praxistauglichkeit für mittelständische Unternehmen kam bei den vorhandenen Ansätzen besondere Bedeutung zu. Es liegt damit ein Leitfaden vor, der schrittweise die konzernweite Einführung der Lieferantenbewertung aufzeigt. Ein besonders erfolgskritischer Aspekt bildet dabei die Qualität der erfassten Daten, die das Ergebnis der Lieferantenbewertung maßgeblich beeinflusst. Davon wiederum hängt die Glaubwürdigkeit und die Verbesserungsbereitschaft des gesamten Supply Netzwerks ab. Die Umsetzung der dargestellten Maßnahmen führte im genannten Unternehmen zu einer neuen Qualität der Lieferantenbewertung. Auf Basis dieser realistischen Bewertung konnte das Unternehmen die Lieferantenentwicklung auf deutlich mehr Lieferanten ausweiten, so dass der kontinuierliche Verbesserungsprozess des Supply Netzwerkes ein neues Niveau erreichte.
351
10.5
11
Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
11
Internetbasiertes LieferantenQualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
Von Bernd Kodinger, Ertugrul Aras und Wolfgang Grzmehle Bernd Kodinger ist Head of Corporate Quality und verantwortlich für Qualitätsmanagement, -strategie, und –tools sowie für Zertifizierung und interne Audits bei der DEUTZ AG Ertugrul Aras ist TQM Manager und verantwortlich für die Einführung von QTools und internen Audits bei der DEUTZ AG Wolfgang Grzmehle ist Customer Project Manager bei der SupplyOn AG und verantwortlich für Kundenbetreuung, Change Management und die erfolgreiche Implementierung der SupplyOn-Lösungen.
11.1
Einleitung und Kurzportrait der DEUTZ AG
Die Automobil- und Fertigungsindustrie geht durch einen der turbulentesten Abschnitte ihrer Geschichte. Die Gewährleistung nachhaltiger Profitabilität in einem zunehmend schwierigen Markt wird zu der zentralen Herausforderung der nächsten Jahre. Den Druck globaler Konkurrenz, wachsender Qualitätsanforderungen und verkürzter Innovationszyklen kann heute kein Unternehmen im Alleingang bewältigen. Eine verstärkte Integration von Lieferanten sowie die synergetische Nutzung der verschiedenen Kompetenzen sind deshalb von strategischer Bedeutung. Voraussetzung dafür sind klar strukturierte und standardisierte Prozesse sowie eine zentrale ITPlattform, über die alle lieferantenbezogenen Prozesse abgebildet werden. Diese Rahmenbedingungen waren für den global agierenden Motorenhersteller DEUTZ AG der Anlass, das bestehende Lieferantenmanagement unter die Lupe zu nehmen und es unter Einsatz moderner Technologie neu zu gestalten und auf die Herausforderungen der nächsten Jahre vorzubereiten. Die DEUTZ AG wurde 1864 als N.A. Otto & Cie. in Köln gegründet und ist heute als älteste Motorenfabrik der Welt führender Hersteller von Dieselmotoren für unterschiedlichste Einsatzgebiete. Mit rund 5000 Mitarbeitern erwirtschaftete das Unternehmen 2008 weltweit mit dem Absatz von 252.000 Motoren einen Gesamtumsatz von
352 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3_11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Einleitung und Kurzportrait der DEUTZ AG
rund 1,5 Mrd. Euro. Die Motoren von DEUTZ kommen in fünf Anwendungsgebieten zum Einsatz, die in der Tabelle 11-1 aufgelistet werden.
Tabelle 11-1 : Anwendungsgebiete von DEUTZ-Motoren Anwendungsgebiet
Produkte
Mobile Arbeitsmaschinen
Anwendungen für Baustellen und Untertagebau von der Rüttelplatte bis zum Muldenkipper
Stationäre Anlagen
Anwendungen für alle Leistungsklassen von Kompressoren, Pumpen und Stromerzeugungsanlagen
Landtechnik
Herstellung von luft- und wassergekühlten Dieselmotoren für Agrarmaschinen
Automotive
Motoren für Nutz- und Schienenfahrzeuge
Marine
Motoren für Fracht- und Personenschifffahrt
DEUTZ arbeitet für die Entwicklung und Herstellung der unterschiedlichen Dieselmotoren weltweit mit insgesamt rund 1.000 Lieferanten zusammen. Dazu zählen rund 150 strategische Lieferanten, die für einen Großteil des Einkaufsvolumens stehen. Vor allem diese wichtigsten Partner galt es, im Rahmen des Projekts über das neu konzipierte Lieferantenmanagementsystem an die DEUTZ-Standorte Köln und Ulm anzubinden.
353
11.1
11
Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
11.2
Neustrukturierung der Lieferantenbeziehungen
11.2.1
Probleme im Lieferantenmanagement vor Projektstart
Die Einführung des neuen Lieferantenmanagementsystems zu Beginn des Jahres 2009 markierte für DEUTZ eine grundsätzliche Wende. Die Mitte 2008 durchgeführte Analyse aller lieferantenbezogenen Prozesse zeigte, dass das Unternehmen im Lieferantenmanagement mit mehreren Problemen zu kämpfen hatte, die sich negativ auf Qualität, Performance und Profitabilität auswirkten. Größtes Manko im Lieferantenmanagement bei DEUTZ war das Fehlen einheitlicher Prozesse auf der Basis einer leistungsstarken IT-Umgebung, was zu folgenden Problemen führte:
eine inkonsistente und von Medienbrüchen geprägte Informationskette fehlende Standards für Daten und Prozesse keine automatisierte Lieferantenkommunikation keine durchgängig aktuellen und validen lieferantenbezogenen Daten Konkret bedeutete das, dass die Zusammenarbeit mit Lieferanten unstrukturiert ablief, häufig auf der Basis komplexer Excel-Tabellen. Lieferantenbezogene Vorgänge wurden nicht in einer zentralen Datenbank erfasst, sondern lokal gespeichert. Es war nicht möglich, Probleme mit einem Lieferanten schnell zu identifizieren. Das Antwortverhalten von Lieferanten bei Reklamationen war unbefriedigend; Lieferantenentwicklungspläne konnten nur schwer überwacht werden. Größtes Problem war die mangelnde Transparenz. Sie ist nötig, um Qualitätsprobleme in der Lieferkette schnell zu erkennen und nachhaltig wirkungsvolle Verbesserungsmaßnahmen einzuleiten. Diese Arbeitsweise verursachte darüber hinaus einen hohen administrativen Aufwand.
11.2.2
Projektansatz und Projektziele
Als Ergebnis der Ist-Analyse beschloss DEUTZ die skizzierten Probleme im Rahmen eines ganzheitlichen Lösungsansatzes zu beseitigen. Ziel war es, eine zukunftsfähige Basis für das Lieferantenmanagement zu schaffen, die über Jahre hinweg eine erfolgreiche Kollaboration mit Lieferanten ermöglicht und die langfristig von allen Unternehmensbereichen mit Lieferantenkontakt – insbesondere von den Bereichen Einkauf, Logistik und Qualitätsmanagement – genutzt werden kann.
354
Auswahl des Systempartners und Lösungsarchitektur
Das neue Kooperationsmodell sollte zum einen eine effiziente Prozesssteuerung ermöglichen. Zum anderen sollte es eine transparente und standardisierte Kommunikation zwischen DEUTZ und seinen Lieferanten unterstützen. Beide Seiten – sowohl DEUTZ als auch seine 150 strategischen Lieferanten – sollten nach Einführung der neuen Prozesse von Qualitätsverbesserungen und niedrigeren Kosten profitieren. Das Instrument dazu sah DEUTZ in einer Web-basierten Plattform. Diese sollte alle Unternehmensbereiche mit Lieferantenbezug vernetzen und Informationen in hoher Qualität und Aktualität zur Verfügung stellen. Um das Projekt auf eine breite Basis zu stellen und die Berücksichtigung aller Anforderungen sicherzustellen, wurde ein abteilungsübergreifendes Team gebildet mit Mitgliedern aus den Bereichen Einkauf, Logistik, Qualität und IT. Dieses Team sollte der Tatsache gerecht werden, dass bei vielen Prozessen, beispielsweise bei Auswahl eines neuen oder der Bewertung eines bestehenden Lieferanten, mehrere Abteilungen zusammenarbeiten. Die Projektkoordination und den Kontakt zum Systempartner in der Anfangsphase übernahm die Abteilung Zentrales Qualitätsmanagement. Diese Entscheidung erklärt sich aus der Tatsache, dass der Bereich bereits seit einigen Jahren an der standardisierten Aufbereitung der Lieferantenbewertungsdaten arbeitet und an diese Erfahrungen anknüpfen konnte. Langfristig sollten alle auf der Plattform integrierten Unternehmensbereiche selbst für das jeweilige Prozessmanagement und diesbezügliche Koordination mit dem Dienstleister verantwortlich sein. Für das Gesamtprojekt wurden fünf wesentliche Zielsetzungen formuliert: (1)
Informationsverluste vermeiden und Datenqualität sicherstellen;
(2)
Standardisierte und automatisierte Prozesse etablieren;
(3)
Hohe Prozesstransparenz und Möglichkeiten für Monitoring und gezielte Adhoc-Interventionen schaffen;
(4)
Non-Quality-Costs reduzieren;
(5)
Basis für eine konsistente Datenhaltung schaffen und alle relevanten Lieferanteninformationen einfach und zeitnah für alle am Prozess Beteiligten verfügbar machen.
11.3
Auswahl des Systempartners und Lösungsarchitektur
Die Auswahl des Systempartners geschah in einem mehrstufigen Prozess und orientierte sich an einem umfassenden Kriterienkatalog:
355
11.3
11
Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
Die Lösungen des Systempartners sollten bereits einen hohen Verbreitungsgrad in der Industrie aufweisen, eine nahtlose Integration in die bestehende SAPUmgebung ermöglichen und skalierbar sein;
Der Systempartner sollte über nachweisbare finanzielle und strategische Stabilität verfügen, wobei der Blick sich auch auf die Anteilseignerstrukturen richtete;
Der Systempartner sollte sicherstellen, dass die Kontinuität bestehender Lieferantenbeziehungen gewahrt blieb;
Darüber hinaus musste ein von der IT-Abteilung formulierter technischer Anforderungskatalog insbesondere bezüglich Datensicherheit, Betriebsaufwand und Verfügbarkeit berücksichtigt werden. Nach eingehender Marktprüfung wählte DEUTZ den Plattformbetreiber SupplyOn als Systempartner aus. Den Ausschlag gaben dabei das Know-how bei Implementierung und Betrieb in SAPUmgebungen, die solide finanzielle und gesellschaftsrechtliche Basis (zu den Eigentümern zählen Bosch, Continental, ZF, Schaeffler und SAP) sowie der hohe Verbreitungsgrad von SupplyOn in der Industrie. Eine Umfrage unter DEUTZ-Lieferanten ergab, dass die Lösungen von SupplyOn von vielen Lieferanten bereits genutzt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt war das vollständige Portfolio, das alle lieferantenbezogenen Prozesse abdeckt. Für die Verbindung zu SupplyOn setzt DEUTZ auf die SAP NetWeaver-Technologie, konkret: die SAP Exchange Infrastructure (SAP XI), welche die Komponente für Prozessintegration innerhalb des NetWeaver darstellt. Der Datenaustausch erfolgt aus Sicherheitsgründen mittels VPN (Virtual Private Network) und https. Datenübertragungsformat für Bewertungen ist XML, für Reklamationen und 8D-Berichte XML basierend auf dem Standard QDX (Quality Data Exchange). Die Lieferanten von DEUTZ greifen ausschließlich über einen Web-Zugang auf SupplyOn zu. Dabei hat SupplyOn die Rolle der zentralen Plattform, über die alle lieferantenbezogenen Prozesse abgewickelt werden (vgl. Abbildung 11-1).
356
Einsatz der SupplyOn-Lösungen im Qualitätsmanagement
Abbildung 11-1 : Anbindung von DEUTZ und Lieferanten an SupplyOn
11.4
Einsatz der SupplyOn-Lösungen im Qualitätsmanagement
DEUTZ entschied sich, im ersten Schritt folgende Qualitätsmanagement-Lösungen einzusetzen, deren Einsatz nach einer ca. dreimonatigen Projekt- und Testphase im Januar 2009 begann:
Performance Monitor zur Kommunikation und Auswertung von Lieferantenbewertungsdaten, um mögliche Probleme bereits im Ansatz zu erkennen und Gegenmaßnahmen frühzeitig einzuleiten;
Problem Solver zur transparenten und konsequenten Abwicklung von Reklamationen nach dem standarisierten 8D-Prozess;
Project Management zur Sicherstellung eines erfolgreichen Serienstarts bereits in der Entwicklungsphase nach dem APQP-Ansatz;
357
11.4
11
Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
Business Directory zum schnellen Abruf aktueller Qualitätsmanagement- und Umwelt-Zertifikate von Lieferanten sowie für das Handling von Lieferantenselbstauskünften;
Management Cockpit zur aggregierten Gesamtdarstellung aller entscheidungsrelevanten Informationen zu einem bestimmten Lieferanten;
Sourcing und Document Manager für Anfragen und den Dokumentenaustausch (Diese Lösung befindet sich derzeit in der Umsetzung mit den Fachbereichen Beschaffung und Logistik und wird im Weiteren nicht näher betrachtet).
11.5
Die Lösungen im Detail
11.5.1
Performance Monitor – Lieferantenbewertung
Ein wesentliches Element im Qualitätsmanagement von DEUTZ ist die Messung der Lieferantenperformance und die Analyse der Bewertungsdaten. Die Daten werden aus den Wareneingängen, den Feldreklamationen sowie den sogenannten Null-StundenFehlermeldungen (Fehler, die in den ersten zehn Betriebsstunden auftreten) in das zentrale SAP Business Warehouse geladen, automatisch an den Performance Monitor übertragen und auf diesem Wege den Lieferanten von DEUTZ zur Verfügung gestellt (vgl. Abbildung 11-2). Die Bewertungsdaten werden monatlich aktualisiert. Die Lieferanten erhalten per EMail eine automatische Benachrichtigung, sobald neue Bewertungen vorliegen. Den Lieferanten stehen die Detailangaben zu den Key Performance Indicators (KPIs) zur Verfügung. Die Daten stehen als aktuelle Monatswerte in Tabellenform und zusätzlich als Historienwerte in Form einer Tabelle oder Grafik zur Verfügung. Diese lassen sich als CSV-Datei exportieren, um sie zum Beispiel in MS Excel weiter zu bearbeiten. Der Performance Monitor unterstützt den konsistenten und unternehmensweiten Ansatz zur Lieferantenbewertung. Dabei setzt DEUTZ auf messbare Qualitäts- und Leistungskennzahlen. Als Qualitätskennzahl wird zum einen der PPM-Wert (Parts per Million) verwendet, der sich aus der Relation der fehlerhaft gelieferten Menge zur Gesamtliefermenge ergibt. Zum anderen wird die Reaktionszeit auf Reklamationen dokumentiert (siehe hierzu Abschnitt 4.4. Problem Solver – Reklamationsmanagement). Mit diesem Instrument können beide Seiten Probleme schnell erkennen, analysieren und gemeinsam Lösungsansätze erarbeiten. Zur Fokussierung auf die Problemfelder bietet die Lösung eine Ampelfunktion auf jeder Bezugsebene. Dabei werden die Einzelbewertungen nach einer definierten Logik klassifiziert und Ampelfarben zugeord-
358
Die Lösungen im Detail
net. Über eine Filterfunktion können die Bewertungsdaten gezielt nach kritischen Werten durchsucht werden. Eine Reihe weiterer Filter- und Analysefunktionen erlaubt die Auswertungen der Daten und deren Darstellung auf unterschiedlichen Detailniveaus. Der Performance Monitor ist sowohl für DEUTZ, als auch für den Lieferanten ein wertvolles Werkzeug, um die Leistungsfähigkeit der Lieferanten kontinuierlich zu verbessern und die Lieferanten zielgerichtet zu entwickeln.
Abbildung 11 -2: Lieferantenbewertung über SupplyOn
11.5.2
Business Directory – Zentrales Lieferantenverzeichnis
Auch das Business Directory, das zentrale Lieferantenverzeichnis der Kollaborationsplattform, spielt beim Qualitätsmanagement eine wichtige Rolle. Es enthält detaillierte Informationen zu den Qualitäts- und Umweltzertifikaten, über die ein Lieferant verfügt. Bei Ablauf eines Zertifikats wird der Lieferant automatisch aufgefordert, die aktuelle Version des Zertifikats einzustellen. Auf diese Weise wird die Aktualität der hinterlegten Zertifikate sichergestellt und DEUTZ erbringt den für Qualitätsmanagement-Audits notwendigen Nachweis der Lieferantenzertifizierung. Die Lieferanten informieren zudem via Lieferantenselbstauskunft über die Stabilität ihres Unternehmens. So können etwa Angaben zur Einschätzung eines Insolvenzrisi-
359
11.5
11
Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
kos abgerufen werden. Für DEUTZ entsteht dadurch eine höhere Planungs- und Ausfallsicherheit.
11.5.3
Project Management – Qualitätsvorausplanung
11.5.3.1
APQP-Methode
Der ganzheitliche und unternehmensübergreifende Ansatz, für den sich DEUTZ entschieden hat, umfasst auch die Qualitätsvorausplanung. Diese basiert auf der sogenannten APQP-Methode (Advanced Product Quality Planning), die in der Automobilund Fertigungsindustrie als Standard gilt (vgl. Abbildung 11-3). Die Qualitätsvorausplanung wird von der Lösung Project Management unterstützt, deren Einführung bei DEUTZ geplant ist. Anhand vorab definierter Vorlagen können DEUTZ-Mitarbeiter Entwicklungsprojekte aufsetzen und steuern sowie den Projektstatus in einem zentralen Projektplan verfolgen, auf den auch der im Projekt beteiligte Lieferant zugreift.
Abbildung 11-3: APQP-Prozess über SupplyOn
Die von Project Management unterstützte APQP-Methode erlaubt den Projektleitern trotz hoher Komplexität der Projekte, der großen Anzahl der Projektmitarbeiter und des Zeitdrucks, den Blick auf das Wesentliche und die gefährdeten Termine. Dies wird erreicht durch die Standardisierung der Projektstrukturen und Abläufe, hohe Prozesstransparenz, zentrale Projektdokumentation und eine Vielzahl von Funktionalitäten, wie etwa individuelle E-Mail-Benachrichtigungen bei Überschreitung bestimmter
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Die Lösungen im Detail
Zielwerte. Aufgaben gelten erst dann als erledigt, wenn dies von beiden Parteien bestätigt wird. Basierend auf einer Ampelschaltung kann bei hoher Priorität eine einzelne Aktion sowohl die Projektphase als auch das gesamte Projekt auf den Status „rot“ setzen und dadurch eine Information an den Projektleiter auslösen. Entsprechende Projektvorlagen wird es zukünftig auch für die Lieferantenentwicklung geben. Mit bestimmten Lieferanten soll anhand solcher Entwicklungsprojekte die Qualität oder die Projektkompetenz verbessert werden. Wie auch bei anderen APQPProjekten, werden die Phasen und Aufgaben im Projektplan mit Verantwortlichen und Zielterminen hinterlegt.
11.5.3.2
APQP in der Praxis (fiktives Beispiel)
Gemeinsam mit einem Lieferanten soll eine Kurbelwelle entwickelt werden. Das Entwicklungsprojekt, das eine Laufzeit von zwei Jahren hat, soll über SupplyOn gesteuert werden. Zunächst stellt DEUTZ in einem Auftaktmeeting das interne Projektteam zusammen, bestehend aus einem Projektleiter, einem Supplier Quality Engineer (SQE), einem Projekteinkäufer, einem Entwickler und einem Mitarbeiter aus der Bemusterung.
Abbildung 11-4: Fünf Phasen eines Entwicklungsprojekts bei DEUTZ
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11.5
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Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
Der SQE legt mit Hilfe eines Templates einen APQP-Projektplan im System an. Das Template definiert die fünf Phasen, die ein Entwicklungsprojekt bei DEUTZ durchlaufen muss (vgl. Abbildung 11-4). Es entspricht im Wesentlichen den APQP-Phasen, die der US-amerikanische Verband AIAG (Automotive Industry Action Group) definiert hat. Die fünf APQP-Phasen richten sich nach dem Gesamt-Entwicklungsplan für den neuen Motor: 1. Plan & Define Program 2. Product Design and Development 3. Process Design and Development 4. Product & Process Validation 5. Production Der SQE trägt zunächst die Meilensteintermine für Designfreigabe, Prototypenfreigabe, Vorserienfreigabe, Serienfreigabe und Projektabschluss in den Projektplan ein. Außerdem definiert er die Zieltermine für alle Aufgaben der fünf Phasen. Dann benennt der Lieferant, mit dem die Kurbelwelle entwickelt werden soll, sein Projektteam, bestehend aus einem Projektleiter, einem Projekt-Qualitätsleiter, einem Vertriebsmitarbeiter und weiteren Projektmitarbeitern. Die Kontaktdaten des Teams werden im System hinterlegt. Die DEUTZ AG sowie das Lieferanten-Projektteam gleichen den Projektstatus regelmäßig live im System ab. Drei Monate nach dem Auftaktmeeting sind alle Aufgaben der Phase 1 (Plan & Define Program) abgearbeitet und die Anforderungen abgestimmt, fixiert und in den APQPProjektplan eingetragen. Somit kann die eigentliche Produktentwicklung beginnen. Die nächsten drei Monate sind der Phase 2 (Product Design and Development) gewidmet. In dieser Phase werden zum Beispiel die Ergebnisse der Design-FMEAWorkshops (Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse) im Projektplan hinterlegt. Außerdem werden Prototypzeichnungen und Spezifikationen erstellt. Das nächste halbe Jahr – also Monat 7 bis 12 des laufenden Projekts – ist der Phase 3 (Process Design and Development) gewidmet. Hier wird die Produktion geplant sowie die Prototypen gefertigt und getestet. Außerdem liegt typischerweise das ProzessFlussdiagramm für den Produktionsplanungsprozess sowie das Ergebnis der ProzessFMEA vor. In einer Sitzung des Lenkungsausschusses wird die Freigabe für den Prototypen erteilt. Abgeschlossen wird diese Phase mit der Erteilung der Vorserienfreigabe. Das nächste dreiviertel Jahr – Monat 13 bis 21 des Projekts – durchläuft das Projekt die Phase 4 (Product & Process Validation). Hier werden typischerweise der SerienProzesslenkungsplan und Produktionsbewertungstests wie zum Beispiel Fähigkeitsuntersuchungen abgeschlossen. Im Monat 16 kommt es zu einem ersten Produktionsprobelauf. Hier können – wie in allen anderen Phasen des Projekts – Probleme auftau-
362
Die Lösungen im Detail
chen, deren Abstellmaßnahmen in einer Maßnahmenliste im SupplyOn Project Management erfasst werden. Diese Liste wird so schnell wie möglich abgearbeitet. Im Monat 22 des Projekts werden die letzten Vorarbeiten für den Serienstart erledigt: Festlegung des ersten Anlieferdatums und Start der Bedarfsplanung. Die Entwicklung wird mit der Freigabe der Erstmuster und einem Lessons-learned-Workshop abgeschlossen, in dem alle Erkenntnisse ausgetauscht und protokolliert werden. Zu Dokumentationszwecken werden alle Projektelemente DEUTZ-intern archiviert. Damit kann DEUTZ zwei Jahre nach Projektbeginn die Serienfreigabe erteilen und die Serienproduktion starten. Wird ein Entwicklungsprojekt über SupplyOn Project Management abgewickelt, können Probleme im Projekt schneller erkannt und frühzeitig gelöst werden. Dies führt zu Kosteneinsparungen und einem pünktlichen Serienstart. Das Risiko für Umsatzausfälle, Regressforderungen, Imageverlust und Vertragsstrafen sinkt.
11.5.4
Problem Solver – Reklamationsmanagement
11.5.4.1
8D-Methode
Ein zentrales Element zur Umsetzung einer „Null-Fehler-Strategie“ ist eine schnelle, effiziente und nachhaltige Abwicklung von Reklamationen. Bei diesem Prozess nutzt DEUTZ die Lösung Problem Solver, ein Instrument für das Reklamationsmanagement nach der 8D-Methode. Bei der 8D-Methode handelt es sich um ein strukturiertes Vorgehen zur Behebung eines Fehlers, das die Wahrscheinlichkeit für eine Wiederholung des Fehlers minimiert. Der durch den Verband der Automobilindustrie (VDA) standardisierte Prozess sieht nach dem Eintreffen der Reklamation acht Schritte vor, die im 8D-Bericht dokumentiert werden:
Teambildung (D1), Problembeschreibung (D2), Maßnahmen zur unmittelbaren Schadensbegrenzung (D3), Ursachenermittlung (D4), Festlegung von Maßnahmen zur Ursachenbeseitigung und Problemlösung (D5), Aufstellen von möglichen Abstellmaßnahmen (D6), Einführung und Wirksamkeitsvalidierung der ausgewählten Abstellmaßnahmen (D7),
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Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
Abschlussbericht (D8). Im Rahmen einer Reklamationsbearbeitung werden bei DEUTZ die Reklamationen direkt aus dem SAP QM-System über SupplyOn an die Lieferanten zur Bearbeitung nach der 8D-Methode übertragen (vgl. Abbildung 11-5). Zahlreiche Funktionen wie Fortschrittskontrollen und Terminüberschreitungsmeldungen unterstützten den Prozess und stellen eine nachhaltige Problembehebung sicher. Sowohl der DEUTZMitarbeiter als auch die Lieferanten haben Zugriff auf dieselben aktuellen Daten und können den Status einer Reklamation einfach nachverfolgen. Antworten des Lieferanten werden automatisch in das DEUTZ-QM-System übermittelt, so dass der DEUTZMitarbeiter ausschließlich im internen System arbeiten kann.
Abbildung 11-5: Reklamationsabwicklung nach der 8D-Methode über SupplyOn
Feste Zeitvorgaben sorgen für eine konsequente Umsetzung: DEUTZ erwartet von seinen Lieferanten, dass der Schritt D3 (Definition von Maßnahmen zur unmittelbaren Schadensbegrenzung) 24 Stunden nach Eingabe der Reklamation ins System und der Schritt D6 (Maßnahmeneinführung und Kontrolle) 14 Tage danach erledigt werden. Der Abschlussbericht (D8) muss spätestens zwei Monate nach der Reklamation vorliegen. Die Einhaltung dieser Reaktionszeiten fließt automatisch in die Lieferantenbewertung ein und wird im Performance Monitor (siehe hierzu 11.5.1. Performance Monitor – Lieferantenbewertung) dokumentiert. Der Hauptnutzen des systemgestützten 8D-Prozesses liegt darin, dass auf diese Weise die vollständige und termingerechte Abarbeitung des 8D-Reports sichergestellt wird und sich Wiederholfehler weitgehend vermeiden lassen.
364
Die Lösungen im Detail
11.5.4.2
8D-Report in der Praxis: ein Beispiel
Bei einem Motor wird während der Testphase ein Schaden am Kolben festgestellt: ein sogenannter Kolbenfresser, der vermutlich die Folge einer falschen Polbelegung eines Kabelbausteckers ist. DEUTZ legt die Reklamation im internen SAP-QM-System an. Über den SupplyOn Problem Solver wird sie automatisch an den Lieferanten des Kabelbaums übermittelt. Parallel wird der defekte Motor per Kurier an den Lieferanten geschickt. Auf Lieferantenseite wird nun das für die Lösung des Problems zuständige Team definiert und als Schritt D1 im Problem Solver dokumentiert: Der Lieferant benennt eine Teamleiterin und acht weitere Personen aus den Bereichen Qualitätssicherung, Wartung, Arbeitsvorbereitung und Fertigung, die sich um das Problem kümmern. Nachdem das Problem – es handelt sich um vertauschte Anschlüsse am Kabel zum Injektor – gefunden und im Detail beschrieben ist (D2), ergreift der Lieferant folgende drei Sofortmaßnahmen (D3):
100 Prozent der Bestände an den bei den in Frage kommenden Standorten werden kontrolliert
Alle betroffenen Mitarbeiter des Lieferanten werden über die Beanstandung informiert
Sowohl die Fertigungsausstattung als auch der Prüfstand werden einer intensiven Prüfung unterzogen. Bis zum Abschluss dieser drei Sofortmaßnahmen vergehen 24 Stunden. Sobald der Lieferant diese Maßnahmen im Problem Solver eingegeben hat, erhält DEUTZ automatisch eine Rückmeldung. Jetzt hat der Lieferant zwei Wochen Zeit, das Problem genauer zu analysieren und die Ursache zu identifizieren (D4), langfristig wirksame Abstellmaßnahmen zu definieren (D5) und diese zu implementieren (D6). Jeder dieser Schritte wird nach Abschluss vom Lieferanten im Problem Solver dokumentiert, wodurch eine Nachricht über die Aktualisierung an DEUTZ ausgelöst wird. Im beschriebenen Beispiel soll die falsche Polbelegung in Zukunft durch den Einsatz eines Adapters und die Aktualisierung des Steuerprogramms zur Prüfung des Kabelbaumes nach der Blechmontage verhindert werden. Zwei Wochen nach Auftreten des Fehlers nimmt die Qualitätssicherung den Arbeitsplatz, an dem der neue Adapter eingeführt wurde, sowie das aktualisierte Steuerprogramm ab. Diese Abnahme wird im Problem Solver dokumentiert. Mit dem nächsten Schritt D7 werden vorbeugende Maßnahmen eingeführt, die verhindern sollen, dass dieses oder ein ähnliches Problem in Zukunft nochmals auftritt. Dazu werden alle Arbeitsplätze identifiziert, an denen Kabelbäume montiert werden.
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11.5
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Internetbasiertes Lieferanten-Qualitätsmanagement bei der DEUTZ AG
Da jeder dieser Arbeitsplätze die potenzielle Gefahr der Vertauschung von Anschlüssen birgt, wird jeder Platz mit dem Adapter ausgestattet. Zwei Monate nach Erhalt der Reklamation gibt der Lieferant des Kabelbaums seinen Abschlussbericht (D8) im Problem Solver ein. Mit der vollständig abgearbeiteten und erfolgreich abgeschlossenen Reklamation ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser oder ein ähnlicher Fehler nochmals auftritt, deutlich reduziert. Während der Reklamationsbearbeitung, die sich wie das Beispiel zeigt über einen Zeitraum von acht Wochen erstreckt, stellt der Problem Solver sicher, dass Aufgaben rechtzeitig erledigt und sowohl kurzfristige als auch langfristig wirksame Maßnahmen konsequent eingeführt werden. Der Problem Solver unterstützt beide Parteien dabei, den Prozess strukturiert bis zum Ende durchzuführen.
11.5.5
Management Cockpit – Alle Informationen auf einen Blick
Als ein weiteres Instrument des strategischen Lieferantenqualitätsmanagements nutzt DEUTZ das Management Cockpit von SupplyOn. Mit dem Cockpit lassen sich Informationen aus den oben beschriebenen Prozessen – Lieferantenbewertungen, Reklamationen, Stand von Entwicklungsprojekten oder die Gültigkeit von Zertifikaten – pro Lieferant auf Knopfdruck abrufen und übersichtlich in einem PDF-Dokument darstellen. Die Daten stehen hochaktuell und ohne zusätzlichen Aufwand zur Verfügung. Das Management Cockpit unterstützt insbesondere die Entscheidungsträger bei DEUTZ: Mit ihm können sie sich schnell und einfach einen Überblick wesentlicher Schlüsselinformationen verschaffen, ohne sich durch die Details der Prozesse durcharbeiten zu müssen. Management-Entscheidungen, etwa im Zusammenhang mit Vergabeentscheidungen, Lieferantengesprächen oder Projektmeetings, können auf Basis tagesaktueller, valider Daten getroffen werden.
11.6
Fazit
Um seine Wettbewerbsposition zu sichern, hat DEUTZ das konzernweite Programm MOVE ins Leben gerufen (Motivation – Operative Exzellenz – Vision und Strategie – Effizienz). Das Programm ist darauf ausgerichtet, flexibel auf sich verändernde konjunkturelle Entwicklungen reagieren zu können – in dem für die Fertigungsindustrie so schwierigen Jahr 2009 und darüber hinaus. MOVE setzt sich zusammen aus kurzfristigen Ansätzen zur Absicherung der Profitabilität und aus langfristig angelegten strukturellen Ansätzen zur nachhaltigen Ertragsverbesserung.
366
Fazit
Die Optimierung der Wertschöpfungskette spielt in beiden Ansätzen eine wesentliche Rolle. Vor diesem Hintergrund leistet die erfolgreiche Neuausrichtung des Lieferanten-Qualitätsmanagements einen unmittelbaren Beitrag zur Erreichung der strategischen Ziele des Unternehmens. Durch Prozessoptimierung, Automatisierung des Reklamationsmanagements, insgesamt höhere Systemtransparenz und Qualitätsverbesserungen konnte DEUTZ signifikante Einsparungen erzielen. Die Ausweitung der neuen Organisation auf weitere lieferantenbezogene Prozesse ist deshalb ein logischer Schritt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. In den meisten Unternehmen ist der Bereich Einkauf/Beschaffung die treibende Kraft bei der Einführung eines Lieferantenportals. Im Falle DEUTZ hat der Bereich Qualitätsmanagement die Initiative ergriffen und die Realisierung des Portals vorangetrieben. Der Erfolg gibt DEUTZ recht und zeigt, dass diese Vorgehensweise zur Nachahmung durchaus geeignet ist.
367
11.6
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395
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Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis
ABC-Analyse...........................58, 75, 101
Best Cost Country Sourcing ............. 112
8D-Methode................................ 22, 263f.
Bestandsverantwortung.................... 248
Akzeptanz............................................168
Best-of-Breed Ansatz ................28, 295ff.
Anbahnungsphase..........................8, 190
Branchenstrukturanalyse.................... 67
Anlaufmanagement............................138
BSC (Balanced Scorecard)........... 55, 181
APQP-Methode......................... 22, 360ff.
Business Directory ............... 92, 211, 358
ASP .............................. 31, 211, 268f., 276
Buy-Side Lösung................ 268, 272, 277
Aufbauorganisation ...........................157
Cash-to-cash-cycle ............................. 177
Aufgabenspezialisierung...................159
Chain Sourcing................................... 144
Auktionierbarkeit ...............................225
Change Management ................ 314, 321
Ausgabenanalyse..................................80
CI (Coded Information) ...................... 23
Auslaufmanagement..........................138
Cluster Sourcing................................. 118
Ausschreibung .......................... 12, 205ff.
Collaborative Engineering................ 280
AutomatischeWareneingangsabrechnung..........240
Commodities ........................................ 62
Baukastenprinzip..........................26, 138 Bedarfsermittlung...................................9 Benchmarking .................................56, 76 Beschaffungscontrolling ....................171 Beschaffungsdienstleister ....................12 Beschaffungserfolg .............................173 Beschaffungsmarketing .......................65 Beschaffungsmarktanalyse......65, 70, 91 Beschaffungsmodelle .............. 233f., 253 Beschaffungsstrategie ..............7, 55, 326
Commodity Management .......... 20, 203 Company Sourcing ............................ 144 Content Management........................ 269 Content Provider ............................... 269 Contentstrategien............................... 266 Contract Management................... 20, 82 Cooperative Sourcing................ 143, 146 Coopetition Sourcing ........................ 146 Cost-Break-Down-Analyse........... 75, 97 CPFR (Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment) .. 21
Beschaffungsvision...............................53
397 W. Appelfeller, W. Buchholz, Supplier Relationship Management, DOI 10.1007/ 978-3-8349-6424-3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Stichwortverzeichnis
Customer Relationship Management.......................................6
Elektronischer Marktplatz ....... 31f., 92, 211, 267, 276
Data Warehouse-System..........17, 33, 84
e-Lieferantenverzeichnis..................... 19
Design-to-cost......................................133
Endbenutzertool .................................. 41
Design-to-manufacturing ..................139
Engpassmaterial................. 103, 198, 294
Dice-Operation......................................40
Entwicklungseinbindung ........... 11, 128
Dienstleisternutzung..........................149
Erfassungsgerät.................................. 253
Dienstleistung ...................... 12, 62f., 280
e-RFI..................................................... 207
Dienstleistungsbeschaffung .......... 281ff.
e-RFP.................................................... 207
Direktes Material ............................12, 62
e-RFQ ................................................... 207
DMS (Document ManagementSystem) ............................ 22, 24, 255ff.
e-RFx .............................................. 19, 209
Domestic Sourcing..............................117
ERP-gestützter Ausschreibungsprozess.................................... 206, 221
DPS (Desktop Purchasing System) ..............................21, 265, 270
ERP- Integration. 29, 210, 212, 228, 266, 271f., 295, 301
3-Ebenen-Modell...............................7, 25
ERP-System................. 15, 17, 18, 83, 255
Drill-Down.............................................39
ETL-Tools ........................................ 35, 86
Dual Sourcing......................................121
Firmenindividuelle SRMLandkarte ..................... 290f., 295, 308
DUNS-Nummer......................72, 86, 122 eClass................................................61, 86 e-Collaboration......................................21 EDI (Electronic Data Interchange)..................... 19, 45f., 295
Five Forces Modell............................... 67 Forward Sourcing .............................. 128 Freitextbestellung ...................... 275, 279 Generelles Umfeld ............................... 65
Eigener Marktplatz.....................268, 277
Generische SRM-Landkarte ............. 288
Einkaufsportal.......................................92
Geografische Struktur ................. 11, 112
Einzelbeschaffung............................ 244f.
GFSR-Modell ........................ 11, 111, 201
Elektronische Auktion .................19, 224
Gleichteileverwendung..................... 137
Elektronische Ausschreibung .............18
Global Sourcing.................................. 112
Elektronischer Katalog.......................265
Global Spend Analysis .................. 17, 80 Green Procurement ............................. 55
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Stichwortverzeichnis
Gutschriftenabwicklung ....................240
Kodiertes Material ............................... 63
Hebelmaterial..............103, 196, 294, 328
Kollaboration...................................... 214
Homogenes SRM-System ........ 28, 295ff.
Kollaborationsplattform ........................ 216, 219, 279
Horizontale Kooperationsintensität....................................12, 143
Kompetenzprofil................................ 169
Hosted-Buy-Side Lösung...................269
Komplexitätsmanagement ............... 136
Hosting...................................................31
Konsignationsabwicklung................ 249
Hub-and-Spoke Architektur ...............30
Konventionelle Optimierung ........... 238
Hybride Organisationsformen..........161
Konzeptwettbewerb .......................... 131
Implementierungsvariante ...............298
Lagermaterial ....................................... 62
Indirektes Material .................12, 62, 260
Lead-Buyer Konzept.......................... 163
Info Cube .........................................35, 37
Leistungsverzeichnis ......................... 282
Innovation................................1, 113, 128
Lieferantenanalyse............................... 72
Internetgestützte Ausschreibungserstellung............216
Lieferantenanbindung....................... 299
Internetgestützter Ausschreibungsprozess 207, 213, 221 Investitionsgüter ........................ 63, 278f. IT-Architektur ...........15f., 26, 303ff., 309 IT-Strategie...................................295, 302 JIS (Just-in-sequence) .........................246 JIT (Just-in-time) .................................246 Kanban-Prinzip ...................................250 Katalogbeschaffung............. 260ff., 272ff., 278 Katalogmaterial......................... 63, 260ff. Kennzahl ..............................179, 186, 349 Key Performance Indicator ...............176 Klassifikation.........................................97 Klassifikationssystem...........................60
Lieferantenanzahl ........................ 11, 119 Lieferantenaudit..................... 74, 97, 341 Lieferantenbasis ......................... 112, 338 Lieferantenbefragung.......................... 73 Lieferantenbewertung .... 72, 78, 96, 337, 342, 358 Lieferantencockpit ............................... 98 Lieferantendatenbank ................... 91, 98 Lieferantenentwicklung...... 73, 125, 350 Lieferantengespräch ............................ 73 Lieferantenklassifizierung .......... 73, 104 Lieferantenmanagement........... 5, 72, 94 Lieferantenportfolio .................... 97, 107 Lieferantenspezifisches Materialportfolio........................... 109 Lieferantentag ...................................... 74
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Stichwortverzeichnis
Lieferantenverzeichnis.........................91 Lieferantenvorzugsliste .....................122 Local Sourcing.....................................117 Local-for-local Sourcing.....................117 Low Cost Country Sourcing .............112
OLAP (Online Analytical Processing)..................... 17, 35, 39, 89 OLTP (Online Transaction Processing)....................................... 17 Operational Data Store........................ 35
Master Data Management ...................42
Operativer Beschaffungsprozess.......................................... 9, 12
Master Data ManagementSystem ................................ 24, 43f., 84
Operatives Beschaffungsmodell............................................. 232
Materialanalyse.....................................57
Outsourcing ....................................... .250
Materialbedarf.......................................70
Partnereinbindung....................... 12, 143
Materialgruppe .............................12, 101
PFSR-Modell......................... 12, 201, 232
Materialgruppenmanagement......9, 162
Plattform-Strategie............................. 138
Materialgruppenprofil .......................193
Portal-System........................................ 25
Materialgruppenspezifisches Lieferantenportfolio ........... 109, 191f.
Portfolio-Methode................................ 99
Materialgruppenstrategie..................193 Materialklassifizierung ........................99 Materialportfolio.........................101, 327 Materialstandardisierung..................135 Mengenbündelung .......................12, 141 Mitarbeiter-Portal .................................25 Modular Sourcing...............................123 Modularisierung .................................138 Multiple Sourcing ...............................120 Nachhaltigkeit.........................................2 NCI (Non-Coded Information) .............................23, 259 Nicht-kodiertes Material .....................63 Not-Invented-Here-Syndrom ...........134 OCR-Software .....................................259
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Postponement..................................... 138 Preisverhandlung......... 12, 223, 226, 228 Primärerhebung ................................... 70 Procurement Consulting................... 152 Procurement Data Warehouse ........... 90 Procurement Service Provider.................................. 150, 269 Procurement Service Providing ....................................... 151 Procurement Software Providing ....................................... 153 Produktionssynchrone Beschaffung ........................... 233, 246 Produktionssynchrones Material ...... 62 Prozesskosten ..................................... 176 Prozessmanagement.......................... 139
Stichwortverzeichnis
Punch-out-Katalog .............................268
Stammdatenhaltung .......................... 301
Punkt-zu-Punkt Architektur ...............30
Standardisierungsgrad................ 12, 135
Purchasing Homepage.........................21
Standardmaterial ............... 103, 194, 294
Quality Management ...........................22
Standardteilemanagement ............. 250f.
Quotenbezug .......................................121
Stärken-Schwächen-Analyse.............. 56
Rahmenvertrag ...................................122
Strategieentwicklungsprozess ........... 52
Reverse Auktion..................................225
Strategieformulierung..................... 8, 52
RFID-System........................................253
Strategieimplementierung...... 8, 52, 156
Risikoanalyse.........................................77
Strategische Analyse.................. 7, 52, 56
Risikomanagement.................2, 182, 189
Strategische Beschaffung ...................... 5
Rollenmodell .......................................169
Strategischer Beschaffungsprozess.............................................. 12
Roll-Up ...................................................39 Savings .................................................173 Second-Source-Strategie ....................121 Sekundärerhebung ...............................70 Sell-Side Lösung .........................267, 276 Shared Service Center ........................161 Simultaneous Engineering ...............132 Single Sourcing ...................................119 Slice-Operation......................................40 Software-on-Demand ...........................32 Spend Analysis....................17, 20, 57, 80 Spend Analysis Tool .............................89 SRM-Kompetenz-Check ......................56 SRM-Lenkungsausschuss..................316 SRM-Projektleitung ............................316 SRM-System ....................................18, 82 SRM-Tools............................... 3, 18f., 331
Strategisches Material .................. 103, 199, 294, 328 Suchmaschinen..................................... 91 Supplier Management......................... 20 Supplier Portal.................. 25, 50, 92, 246 Supplier Relation ................. 10, 111, 292 Supplier Relationship Management.......................... 4, 7, 324 Supplier Self Service....................... 21, 241, 256, 282 Supply Chain Management.................. 5 System Sourcing................................. 124 Talent Management ........................... 166 Target Costing .................................... 133 Third Party Procurement.................. 151 UN/SPSC (United Nations Standard Products and Service Code) .... 61, 86 Variantenmanagement ...................... 136
Staging Engine ......................................35
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Stichwortverzeichnis
Verbrauchsmaterial ..............................62
Wertanalyse .......................................... 64
Vereinbarungsphase.......................8, 190
Wertschöpfungsleistung ................... 123
Versorgungsrisiko.......................101, 107
Wertschöpfungsmanagement .............. 6
Vertikale Kooperationsintensität........11
Wertschöpfungsumfang ..................... 11
Vertragsart ...........................................223
WFMS (Workflow ManagementSystem) .................................23f., 256f.
Vertragslagerkonzept .........................252 VMI (Vendor Managed Inventory) ...................... 21, 233, 248f. Vorbereitungsphase........................8, 190 Vorratsbeschaffung.......232, 235f., 238, 241ff. WebEDI ....................................45, 49, 295 WebServices...........................................51
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung............................ 310, 313 Working Capital Management......... 176 XML (Extensible Markup Language) .................... 19, 45, 48, 295 XYZ-Analyse ........................................ 59 Zentralisierungsgrad......................... 158 Zielbildung ......................................... 52f.
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