Statistik in Deutschland
Heinz Grohmann · Walter Krämer · Almut Steger Herausgeber
Statistik in Deutschland 100 Jahre Deutsche Statistische Gesellschaft
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Herausgeber Prof. Dr. Heinz Grohmann Hauburgsteinweg 27 61476 Kronberg Deutschland
[email protected] Prof. Dr. Walter Krämer TU Dortmund Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik Vogelpothsweg 78 44221 Dortmund Deutschland
[email protected] Dr. Almut Steger Deutsche Bundesbank Abteilung Zahlungsbilanzstatistik, Auslandsvermögensstatus Hegelstr. 65 55122 Mainz Deutschland
[email protected] ISBN 978-3-642-15634-2 e-ISBN 978-3-642-15635-9 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Geleitwort
Die Deutsche Statistische Gesellschaft (DStatG) wurde im Jahr 1911 in Dresden gegründet, vollendet also jetzt die ersten hundert Jahre ihrer Tätigkeit. Für viele Mitglieder ist sie weit mehr als eine bloße Zweckgemeinschaft, eine starke emotionale Verbundenheit mit der Gesellschaft und große Anteilnahme an deren Geschicken sind geradezu kennzeichnende Elemente der DStatG. In diesem Geist ist auch die vorliegende Festschrift entstanden. Herausgeber und Autoren haben mit großem Einsatz Geschichte und Gegenwart der DStatG lebendig werden lassen und für die Nachwelt dokumentiert. Im Namen der Gesellschaft danke ich ihnen allen herzlich. Mein Dank gilt zugleich der Deutschen Bundesbank für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung des Bandes. Den Lesern wünsche ich eine anregende Lektüre. Auch wer nicht selbst in der Statistik zu Hause ist, sie aber vielleicht nutzen möchte, findet hier einen schönen Überblick über die Gebiete, in denen die DStatG traditionell besondere Kompetenzen besitzt. Die heutige Statistik hat ein tiefes Instrumentarium entwickelt, mit dem sie zu nahezu allen Wissenschaften und Gebieten des Lebens einen Beitrag leisten kann. Wir sind stolz, dass die DStatG durch die Arbeit ihrer Mitglieder und durch die Tätigkeit der Gesellschaft ihren Anteil daran hat. Es ist das Verdienst des historischen Teils der Festschrift, dass auch die Nazizeit als Bestandteil unserer Vergangenheit klar benannt wird. Auch in Bezug auf die anderen Epochen denke ich, dass die Beschäftigung mit unserer Geschichte die heute in der DStatG Tätigen nicht gleichgültig lassen wird. Die in allen historischen Kapiteln vermittelten Einsichten über mir Unbekanntes, andererseits aber auch eigenartig Vertrautes, haben mich immer wieder zur Lektüre dieses faszinierenden Teils des Festbandes verführt. Tiefer Respekt vor den großen Leistungen unserer Vorgänger sollte uns veranlassen, sorgsam mit deren Erbe umzugehen. Über die auf die Vergangenheit bezogene reine Entdeckerlust hinaus führt die Beschäftigung mit der Geschichte auch zu Einsichten in Strukturen der Gegenwart. Im Leben von Organisationen sind von Zeit zu Zeit Wegmarken wie spezielle Geburtstage nützliche Instrumente zur Bestimmung des Standorts und des weiteren Kurses. Wir sollten unser Jubiläum und das in der Festschrift gesammelte Wissen auch zu diesem Zweck nutzen. In mancher Beziehung scheint Statistik in Deutschland noch einen Sonderweg zu gehen. Erfreulicherweise ist die amtliche Statistik gut aufgestellt und organisiert. v
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Geleitwort
Die akademische Statistik dagegen, die in Theorie wie in praktischer Anwendung hervorragende Arbeit leistet, ist organisatorisch eigentümlich zersplittert - nur an einer einzigen Universität, der TU Dortmund, hat sie eine eigene Fakultät; es gibt nur wenige originäre Statistik-Studiengänge. Zumeist ist die Statistik mehr oder weniger geliebter Teil anderer Fakultäten, Studiengänge und Fachgesellschaften. Dennoch ist die von uns gelehrte Methode fruchtbar in vielen Anwendungen von Biometrie und Medizin bis zu Wirtschaftsforschung und Technik. Im Gegensatz zum Ausland nehmen aber in Deutschland Ingenieure nur zögerlich Kenntnis von Stochastik. Nicht zuletzt erstaunt es etwas, dass die wichtige amtliche Statistik in universitären Ausbildungsgängen so wenig Widerhall findet. Die DStatG hatte, wie alle historischen Kapitel zeigen, lange Zeit ein Verständnis von Statistik, das Methodik als eigenständige Wissenschaft und insbesondere mathematische Statistik ausschloss. Dieser Zustand konnte zwar überwunden werden, hat aber dennoch Nachwirkungen bis heute. Die Beschäftigung mit der Geschichte zeigt, was die Ursachen waren. Mit dem Wort „Statistik“ wurden eben völlig unterschiedliche Gegenstände bezeichnet, und die DStatG war lange Zeit konsequent in der Festlegung, welcher Variante sie sich verpflichtet fühlte. Der ursprüngliche Zuschnitt der Disziplinen ist überholt, aber eine etwas offenere Haltung der deutschen Statistik und darin auch der DStatG in der Vergangenheit hätte möglicherweise dazu beigetragen, die oben beschriebenen Zustände nicht so ausgeprägt entstehen zu lassen. Inzwischen arbeitet die DStatG gemeinsam mit den anderen Gesellschaften in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Statistik (DAGStat) daran, den Folgen der Zersplitterung zu begegnen. Die jeweilige fachliche Zukunft hingegen ist Thema der einzelnen Mitgliedsgesellschaften. In Kapitel 5 werden Herausforderungen beschrieben und Wege in die Zukunft skizziert. Strategieentwicklung beginnt scheinbar mit der Identifizierung und Besetzung von Zukunftsfeldern. Jeder in der Statistik Tätige hat hierzu Vorstellungen, die dann „nur“ noch zu synchronisieren wären. Natürlich gibt es einige für alle erkennbare Entwicklungen, dennoch würde es mich misstrauisch stimmen, wenn eine solche Synchronisation auf einfache Weise gelänge. Ich hielte sie nicht einmal für wünschenswert. Um Einseitigkeit und damit Erstarren zu vermeiden, scheint mir eher ein bewusstes Bekenntnis zu einer Kultur der Neugier, Vielfalt und Aufgeschlossenheit nötig. Ausgehend von den Gebieten und Methoden, in denen wir traditionell stark sind, sollten wir schrittweise weitere Bereiche erschließen. Die fachliche Entwicklung wird in einer solchen Kultur dadurch gewährleistet, dass in jeder Disziplin führende wie innovative Köpfe bei uns mitarbeiten. Die Verbindlichkeit hoher Qualitätsstandards muss gewährleistet sein. Hier können unsere beiden Zeitschriften (AStA – Advances in Statistical Analysis und AStA – Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv) eine wichtige Rolle spielen, und wir können auf unseren Tagungen Zeichen setzen. Die Einbeziehung von Nachbarwissenschaften oder Disziplinen, welche Statistik als Instrument benutzen, kann zur Anregung unserer eigenen fachlichen Entwicklung entscheidend beitragen. Tagungsbeteiligungen oder gemeinsame Workshops können hierzu ebenso dienen wie Weiterbildungsveranstaltungen und Beratung beispielsweise für Doktoranden aus anderen Fächern. Ob Statistiker oder nicht (warum
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spielt zum Beispiel die Informatik bei uns noch keine Rolle?), der Einbindung von Nachwuchskräften muss besonderes Augenmerk gewidmet werden. Obwohl wir in dieser Beziehung schon gute Arbeit leisten, ist mir daran gelegen, in noch stärkerem Maße jungen, ehrgeizigen Kräften unkomplizierte Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten jenseits des simplen Haltens von Vorträgen zu bieten. Neue, noch nicht kanonisierte Ansätze müssen bei uns ihre Chance bekommen. Viele weitere Tätigkeiten gehören zu einer Gesellschaft, welche ihre Verantwortung gegenüber der Entwicklung des gesamten Fachs wahrnimmt und nicht nur einem Teilgebiet gewidmet ist. Hierzu gehört die Auseinandersetzung mit der Ausbildung in Statistik, der Einsatz für adäquate Arbeitsmöglichkeiten (vom Datenzugang über berufliche Standespolitik bis zum Dialog mit der Politik über die Leistung der Statistik), die Beschäftigung mit der Rolle und Verantwortung der Statistik in der Gesellschaft (unvermeidliches Stichwort ist hier der Datenschutz, aber bei diesem endet die Diskussion beileibe nicht), der Transfer unserer Expertise in die Öffentlichkeit und vieles aus Platzgründen hier nicht Erwähnte mehr. Insgesamt sind wir auf gutem Weg, wenn sich die Statistik bei uns als intellektuelles Abenteuer erleben lässt, das besonders denjenigen Vergnügen bereitet, die notorisch die geistige Herausforderung suchen. Ich wünsche der Deutschen Statistischen Gesellschaft viel Erfolg und alles Gute auf ihrem Weg in die nächsten hundert Jahre! Wilfried Seidel Vorsitzender der Deutschen Statistischen Gesellschaft
Hamburg
Vorwort
Dies ist ein Buch für die Freunde der Statistik und der Deutschen Statistischen Gesellschaft. Was kann und will die Statistik, was trägt sie zum Wohl unseres Gemeinwesens im Allgemeinen und zum Funktionieren unserer Wirtschafts- und Staatsgestaltung im Besonderen bei? Und was konkret war und ist dabei die Rolle der Deutschen Statistischen Gesellschaft? Wohl kaum ein Anlass eignet sich so sehr, diesen Fragen einmal gründlich nachzugehen, wie ein 100-jähriger Geburtstag. Den feiern wir demnächst mit viel Stolz und Zuversicht. Seit dem Jahr 1911, als an einem warmen Juninachmittag in Dresden die Deutsche Statistische Gesellschaft gegründet wurde, bringt sie ihren Sachverstand bei der zahlenmäßigen Durchdringung von gesellschaftlichen, aber auch natürlichen Phänomenen des modernen Lebens mit großem Enthusiasmus ein: Stichproben und Konjunkturprognosen, Armutsmessung und Qualitätskontrolle, Ausgleich von Messfehlern und Datenanonymisierung, Mustererkennung in großen Datenmengen, Risikoabschätzung und die korrekte Berechung von Versicherungsprämien, Bevölkerungsmodellierung und Kreditbewertung, Volkszählung und Extrapolation von Klimadaten – keine Faser, keine Verästelung des modernen Lebens, in die nicht Statistik messend oder regulierend eingreift oder zumindest Daten liefert, die ein rationales Eingreifen erst ermöglichen. Zusammengewachsen aus drei Wurzeln – der deutschen Universitätsstatistik (Conring, Achenwall), der „Politischen Arithmetik“ (Graunt, Petty, Süßmilch) und der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Pascal, Bernoulli, Laplace, Gauß) – ist diese Wissenschaft – denn das ist die Statistik zweifellos geworden - für das Funktionieren eines Gemeinwesens inzwischen nicht mehr zu entbehren. Aber nicht jede Sammlung summarischer Daten ist bereits Statistik und nicht jedes Aneinanderreihen von Zahlen und Tabellen verschafft tragfähige Einsichten. Um hier einen Mehrwert zu schaffen, bedarf es intelligenter Methoden der Datenerhebung, Datenverarbeitung und Datenanalyse, also der Verfahren, deren Fortentwicklung sich die Deutsche Statistische Gesellschaft seit ihren Kindertagen auf die Fahne schreibt. Der Band umfasst drei Teile. Der erste zeichnet die historische Entwicklung der Deutschen Statistischen Gesellschaft und damit zum großen Teil auch der Statistik in Deutschland nach. Auch hier wird bereits deutlich, welche Aufgaben der Statistik in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gestellt waren und wie sie diesen nachgekommen ist. Dass dies nicht losgelöst von den politischen Ereignissen ix
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Vorwort
geschah, liegt auf der Hand. Dennoch gibt es eine Kontinuität in der Statistik ebenso wie eine ständige Weiterentwicklung und Anpassung an neue Aufgaben und Rahmenbedingungen. Insbesondere hat die moderne Computertechnik auch die Statistik revolutioniert. Der zweite Teil beleuchtet ausgewählte Arbeitsfelder der Deutschen Statistischen Gesellschaft im Detail. Dabei offenbart sich zum einen die umfassende Bedeutung, die der Statistik in der modernen Gesellschaft zukommt, und zum anderen, welche Rolle dabei die Deutsche Statistische Gesellschaft spielt. Jedes Kapitel gibt einen Einblick in aktuelle Probleme der Statistik und zeigt, was die Deutsche Statistische Gesellschaft zu deren Lösung beiträgt. Der dritte Teil macht nochmals deutlich, dass Statistik nicht in einem Vakuum stattfindet, sondern in all die politischen Strömungen und Spannungen eingebunden ist, die eine Gesellschaft von heute zu dem Faszinosum machen, das sie ist. Die Herausgeber danken allen Autoren für den großen Einsatz, mit dem jeder einzelne zum Gelingen dieses Jubiläumsbandes beigetragen hat. Möge dieser den Statistikern hierzulande die Geschichte ihres Faches näherbringen und den Nichtstatistikern bezeugen, welchen Nutzen diese Wissenschaft für uns alle hat. Heinz Grohmann Walter Krämer Almut Steger
Kronberg Dortmund Mainz August 2010
Inhaltsverzeichnis
Teil I
Die Deutsche Statistische Gesellschaft im Wandel der Zeit
1 Wie alles begann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Almut Steger 2 Die Deutsche Statistische Gesellschaft in der Weimarer Republik und während der Nazidiktatur . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Wilke
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3 Wiederbeginn nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . Heinrich Strecker und Rosemarie Bassenge-Strecker
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4 Neuausrichtung und Konsolidierung . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Grohmann
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5 Wege in die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Göran Kauermann und Karl Mosler
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6 Das Allgemeine Statistische Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Rinne
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Teil II
Ausgewählte Arbeitsfelder in der Gegenwart
7 Ausbildung als zentrale Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Krämer und Sibylle Schmerbach
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8 Methodik und Qualität statistischer Erhebungen . . . . . . . . . Walter Krug, Jürgen Schmidt und und Rolf Wiegert
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9 Unternehmens- und Marktstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Grömling und Ulrich Scheinost
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10 Regionalstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Eppmann und Michael Fürnrohr
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11 Statistik in Naturwissenschaft und Technik . . . . . . . . . . . . . Peter-Theodor Wilrich
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Inhaltsverzeichnis
12 Mikrodaten und statistische Auswertungsmethoden . . . . . . . . Reinhard Hujer
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13 Ökonometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Frohn
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14 Zeitreihenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Sibbertsen
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15 Preisstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Wolfgang Brachinger
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Teil III Die Deutsche Statistische Gesellschaft und die Politik 16 Herausforderungen durch die deutsche Wiedervereinigung . . . . Reiner Stäglin
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17 Volkszählung und Mikrozensus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Grohmann
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Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Liste der Autoren
Rosemarie Bassenge-Strecker Rosenstr. 11, 82319 Starnberg, Deutschland Hans Wolfgang Brachinger Department of Quantitative Economics, University of Fribourg Switzerland, Boulevard de Perolles 90, 1700 Fribourg, Schweiz,
[email protected] Helmut Eppmann Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Steckelhörn 12, 20547 Hamburg, Deutschland,
[email protected] Joachim Frohn Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Universität Bielefeld, Postfach 100131, 33501 Bielefeld, Deutschland,
[email protected] Michael Fürnrohr Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Neuhauser Str. 8, 80331 München, Deutschland,
[email protected] Heinz Grohmann Hauburgsteinweg 27, 61476 Kronberg, Deutschland,
[email protected] Michael Grömling Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Internationale Fachhochschule Bad Honnef-Bonn, Postfach 10 19 42, 50458 Köln, Deutschland,
[email protected] Reinhard Hujer Richard-Wagner-Weg 47, 64287 Darmstadt, Deutschland,
[email protected] Göran Kauermann Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Zentrum für Statistik, Universität Bielefeld, Postfach 100131, 33501 Bielefeld, Deutschland,
[email protected] Walter Krämer Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik, Technische Universität Dortmund, Vogelpothsweg 78, 44227 Dortmund, Deutschland,
[email protected] Walter Krug Trebetastr. 1, 54296 Trier, Deutschland,
[email protected] xiii
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Liste der Autoren
Karl Mosler Seminar für Wirtschafts- und Sozialstatistik, Universität zu Köln, 50923 Köln, Deutschland,
[email protected] Horst Rinne Röntgenstr. 1, 35444 Biebertal, Deutschland,
[email protected] Ulrich Scheinost Friedrich-Ebert-Str. 106, 61118 Bad Vilbel, Deutschland,
[email protected] Sibylle Schmerbach Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Studiendekanin für Studium und Lehre Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, Deutschland,
[email protected] Jürgen Schmidt Sonnenblumenweg 3a, 65201 Wiesbaden, Deutschland,
[email protected] Philipp Sibbertsen Institut für Statistik, Wirtschaftswiss. Fakultät, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover, Deutschland,
[email protected] Reiner Stäglin Seehofstr. 119, 14167 Berlin, Deutschland,
[email protected] Almut Steger Leiterin der Abt. Zahlungsbilanzstatistik, Auslandsvermögensstatus, Deutsche Bundesbank, Hegelstr. 65, 55122 Mainz, Deutschland,
[email protected] Heinrich Strecker Rosenstr. 11, 82319 Starnberg, Deutschland Rolf Wiegert Waldstr. 26, 72116 Mössingen, Deutschland,
[email protected] Jürgen Wilke Holzmarktstr. 75, 10179 Berlin, Deutschland,
[email protected] Peter-Theodor Wilrich Institut für Statistik und Ökonometrie, Freie Universität Berlin, Garystr. 21, 14195 Berlin, Deutschland,
[email protected] Teil I
Die Deutsche Statistische Gesellschaft im Wandel der Zeit
Kapitel 1
Wie alles begann Almut Steger
Zusammenfassung An deutschen Universitäten entstand die Statistik als selbständige Wissenschaft vor gut 250 Jahren. Sie war zunächst reine Staatenbeschreibung. Erst im 19. Jahrhundert bildete sich der heutige Begriff von Statistik heraus. In mehreren Ländern gründete man damals statistische Vereine und länderübergreifend das Internationale Statistische Institut (ISI). Die deutschen Statistiker waren zwar ebenfalls national und international sehr aktiv, doch zur Gründung der Deutschen Statistischen Gesellschaft kam es erst 1911. Das Kapitel beschreibt diese Entwicklung, besonders ausführlich den Gründungsprozess. Danach wird über die schon mit der Gründung beginnenden, äußerst regen und zum Teil kontrovers ausgetragenen wissenschaftlichen Diskussionen berichtet, die jedoch mit dem Kriegsausbruch 1914 weitgehend zum Erliegen kamen.
1.1 Die Vorgeschichte Als die Menschen im Zuge der Aufklärung im ausgehenden 17. Jahrhundert begannen, zur Lebensgestaltung mehr auf die Vernunft als auf bloßes Gottvertrauen zu setzen, war der Weg für die Statistik als Wissenschaft bereitet. An den deutschen Universitäten entstanden damals die sog. Staatswissenschaften, die von vornherein auch auf die praktische Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse abzielten. Unter ihnen bildete sich eine Teildisziplin heraus, die sich die Beschreibung der damals existierenden „vornehmsten“ Staaten zur Aufgabe machte (John 1884 S. 52 ff., Grohmann 1989 S. 4 f.). Hermann Conring (1606–1681, Helmstedt) nannte seine Vorlesungen darüber „notitia rerum politicarum“, Martin Schmeitzel (1679–1747, Jena und Halle) „collegium politico-statisticum“, und Gottfried Achenwall (1719–1772, Göttingen), durch den das Fach letztlich seine disziplinäre Selbständigkeit erlangte (Streidl 2003
A. Steger (B) Leiterin der Abt. Zahlungsbilanzstatistik, Auslandsvermögensstatus, Deutsche Bundesbank, Hegelstr. 65, 55122 Mainz, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_1,
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A. Steger
S. 123–126), gab – wie Otto Donner (1942 S. 18) es formulierte – dem „wohlgestalteten“ Kinde den „barbarischen“ Namen „Statistik“. Das Wort, das als Adjektiv schon Verbreitung gefunden hatte (John 1884 S. 6–10), war abgeleitet vom italienischen statista = Staatsmann. Inhaltlich ging es um alles, was für einen Staatsmann am eigenen oder an anderen Staaten von Interesse war: Lage, Größe, Klima, Zahl der Bewohner sowie deren natürliche und charakterliche Eigenschaften – „groß und klein, stark und schwach, gescheith und thöricht, tugendliebend und lasterhaft“, Verfassung, Justiz, Manufakturen, kurz alle „Staatsmerkwürdigkeiten“ (John 1884 S. 79–81). Während diese Art der Statistik – im Rückblick auch als deutsche Universitätsstatistik bezeichnet – weitgehend aus verbalen Beschreibungen bestand, übertrug sich der Begriff später auf rein zahlenmäßige Darstellungen, besonders als vom beginnenden 19. Jahrhundert an die ersten „statistischen Ämter“ gegründet wurden. Nach der Mitte des Jahrhunderts kam es, nicht zuletzt durch das Wirken Quetelets (1796–1874) mit seiner Vision von einer „physique sociale“ (1835), zur Herausbildung des heutigen viel umfassenderen Verständnisses von Statistik. Integrale, wenn nicht fundamentale Elemente wurden die ebenfalls im Zuge der Aufklärung entstandene Politische Arithmetick (Petty, Graunt, Süßmilch) und die Wahrscheinlichkeitsrechnung (Bernoulli, Gauß). Charakteristisch für die Politische Arthmetik ist Pettys Schrift „Political Arithmetic, or A Discourse concerning the Extent and Value of Lands, People, Buildings, Husbandry, Manufacture, Commerce . . .“(1691), in der er sagt: “instead of using only comparative and superlative Words and intellectual Arguments, I have taken the course to express myself in Terms of Number, Weight or Measure.” (Zitiert nach Donner 1942 S. 19). Hierher gehören auch Johann Peter Süßmilchs „Betrachtungen über die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechtes aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen“ (1741). Die wissenschaftliche Begründung der Wahrscheinlichkeitsrechnung lieferte Jakob Bernoulli’s „Ars conjectandi“ (1713), die bereits das Bernoullische Theorem und die Grundlage des Gesetzes der großen Zahlen enthält. Menges nennt es eine historische Kuriosität, dass der Name Statistik von einem Extrem, der Universitätsstatistik, über die – eine Mittelstellung einnehmende – Politische Arithmetik zum anderen Extrem, der angewandten Wahrscheinlichkeitslehre, gewandert ist (Menges 1982 S. 8). Während die Politische Arithmetik und die Wahrscheinlichkeitsrechnung außerhalb Deutschlands zunehmend dominierten, blieben in Deutschland noch lange Zeit Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft die zentralen Themen der Statistik. Es waren vor allem die Leiter großer statistischer Ämter, wie Gustav Rümelin (Stuttgart), Ernst Engel (Dresden, später Berlin) und Georg von Mayr (München), die die Statistik in diesen Bereichen methodisch und inhaltlich fortentwickelten und zu einer eigenständigen Wissenschaft ausbildeten (Grohmann 1989 S. 9–11). Nicht wenige von ihnen hatten hohe Ämter in Staatsdiensten inne oder waren Universitätsprofessoren. Georg von Mayr war nach seiner Amtsleitertätigkeit zeitweise Unterstaatssekretär der Abteilung Finanzverwaltung des Deutschen Reiches in Straßburg; danach ging er wieder zurück an die Universität und nahm 1898 einen Ruf an die Universität München an. Das alles schuf natürlicherweise eine Nähe zur
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Wie alles begann
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Nationalökonomie. Bekannte Nationalökonomen, wie G. Friedrich Knapp, Adolf Wagner und Karl Bücher waren in ihren jungen Jahren Statistiker gewesen.
1.2 Einige bemerkenswerte Vereinsgründungen So nimmt es nicht wunder, dass an der Gründung des Vereins für Socialpolitik im Jahre 1873 (Boese 1939 S. 1–18, Schäfer 1971 S. 20 ff.) neben bekannten Nationalökonomen wie Gustav Schmoller und Lujo Brentano auch Statistiker beteiligt waren, insbesondere Ernst Engel. Die Mehrheit waren, wie Schmoller in seiner Eröffnungsrede 1872 sagte, „Männer, welche auf den deutschen Universitäten Nationalökonomie, Geschichte und Jurisprudenz lehren, und die ersten statistischen Büros leiten“ (Boese 1939 S. 8). Der Verein war aber nicht nur wissenschaftlich, sondern auch sozialpolitisch engagiert. Er suchte angesichts der damals drängenden „sozialen Frage“ nach einem Mittelweg zwischen der von der Manchesterschule betriebenen Politik des Laissez-faire und den sozialrevolutionären Ideen des aufkommenden Sozialismus. Man nannte ihre Vertreter auf den Lehrstühlen – zunächst spöttisch gemeint – Kathedersozialisten. Später führte jedoch der sog. Werturteilsstreit, der insbesondere zwischen Schmoller und Max Weber ausgetragen wurde, zu inneren Auseinandersetzungen und, wenn auch nicht allein, im Jahre 1909 zu einer Abspaltung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) vom Verein für Socialpolitik (Rammstedt 1988). Das sollte für die Statistik noch eine entscheidende Bedeutung erlangen. Auf internationaler Bühne fanden, angeregt durch Quetelet, seit 1853 alle 2 bis 4 Jahre Statistische Kongresse statt. Sie hatten sich zur Aufgabe gemacht, Einheit in die amtlichen Statistiken der verschiedenen Staaten zu bringen und gleichförmige Grundlagen für die statistischen Arbeiten zu schaffen. 1885 wurde das Internationale Statistische Institut (ISI) gegründet, das von da an in zweijährigem Abstand Kongresse veranstaltete. Die Bedeutung der deutschsprachigen Statistiker bei diesen Kongressen zeigt sich allein daran, dass der Deutsch-Österreicher Karl Theodor von Inama-Sternegg einer der ersten Präsidenten (1899–1908) (DStZ 1909), Wilhelm Lexis einer der ersten Vizepräsidenten und Georg von Mayr wiederum dessen Nachfolger wurden (Zimmermann 1907/14 S. 155). Auch Friedrich Zahn wurde, wenngleich sehr viel später (1931–1935), Präsident und danach Ehrenpräsident des ISI. Sie alle waren Universitätsprofessoren und, außer Lexis, zeitweise hochrangige Vertreter der amtlichen Statistik gewesen. Neben den in der Amtsstatistik tätigen und den ihr fachlich eng verbundenen Statistikern gab es auch in Deutschland natürlich solche, die sich ausschließlich der Wissenschaft widmeten und hier in weit höheren Maße Mathematik und Wahrscheinlichkeitsrechnung nutzten. Zu ihnen zählten vor allem Wilhelm Lexis und Ladislaus von Bortkiewicz. In vielen anderen Staaten wurden im 19. Jahrhundert nationale statistische Vereine gegründet. Den Anfang machte 1834 die Royal Statistical Society. Frankreich, die Schweiz und andere folgten, nicht jedoch Deutschland. Damit stellt sich die
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Frage, warum das damals nicht geschehen ist. Das verwundert auch insofern, als Georg von Mayr zum 16. Jahrestag der Schweizerischen Statistischen Gesellschaft im Jahre 1889 die Eröffnungsrede hielt und dabei sagte, als es um die Wertschätzung der Statistik in der öffentlichen Meinung ging: „Für die Wirksamkeit statistischer Vereine, welche in dieser Hinsicht von großem Nutzen sein können und welche sonst in großen und kleinen Ländern mit Erfolg tätig sind, hat sich bisher in Deutschland kein rechter Boden gewinnen lassen. In sozialdemokratischen Kreisen wird solchen Fragen schon sehr lange Aufmerksamkeit zugewendet“ (von Mayr 1890 S. 53). Bald darauf heißt es: „Unmittelbarer als das der Zukunft zu überlassende Vereinsleben kann durch die Tages- und durch die Fachpresse dahin gearbeitet werden, dass die große Masse der Gebildeten lernt, mit der Statistik und ihren Ergebnissen vertrauter zu werden.“ Dieses Ziel verfolgte von Mayr selbst mit der Begründung des Allgemeinen Statistischen Archivs im Jahre 1890. Waren es gar politische Rücksichten, die ihn hinderten, den Vorstellungen aus „sozialdemokratischen Kreisen“ zu folgen? Diese standen damals in der sozialen Frage ja in offenem Gegensatz zu Bismarck. Dessen Einstellung zu solchen Vereinen spiegelt sich z. B. darin, dass er 1878 den amtlichen deutschen Statistikern untersagte, an den internationalen statistischen Kongressen teilzunehmen. Bismarck „décide en 1878 d’interdire aux statisticiens officiels allemands de participer à ces rencontres au statut ambigu. Ceci torpille pour sept ans l’internationalisme statistique, qui ne redémarrera, sous des formes nouvelles, qu’en 1885 avec la creation de l’IIS“ (Desrosières 2003). Nach der Gründung des ISI nahmen deutschsprachige Statistiker an dessen Tagungen aber nicht nur teil, sie stellten – wie bereits ausgeführt – auch frühzeitig wichtige Führungspersönlichkeiten. Doch findet sich im DStZ 1909 der Hinweis, dass sich gerade die Franzosen in besonderer Weise engagiert haben, „während der Einfluss Deutschlands unter der ablehnenden Haltung der Deutschen Reichsregierung, welche diese bis zu der Einladung für die Berliner Tagung 1903 einnahm, zu leiden hatte.“ Zur Gründung eines deutschen statistischen Vereins kam es aber auch da nicht. Im Rückblick mag das nach Auffassung des Direktors des Sächsischen Statistischen Amtes, Eugen Würzburger, daran gelegen haben, „dass für bestimmte besondere Gruppen von Statistikern bereits Veranstaltungen bestanden, die regelmäßige Gelegenheiten zur Aussprache boten“ (Würzburger 1914 S. 339). Es waren dies zum einen die Zusammenkünfte der Vertreter der Statistischen Ämter des Reichs und der Bundesstaaten (seit 1874 gelegentlich, seit 1897 jährlich) und zum anderen die seit 1879 auf Anregung von Richard Böckh eingeführten Versammlungen der Vorstände der städtischen statistischen Ämter, die sich 1903 mit der Gründung des Verbands Deutscher Städtestatistiker eine feste Organisation gegeben hatten. Im Übrigen waren ja nicht wenige Statistiker auch im Verein für Socialpolitik engagiert. In diese Zeit fiel dann aber jene schon erwähnte Gründung der DGS im Jahre 1909. Vorsitzender wurde Ferdinand Tönnies, der als Schüler von Ernst Engel und Richard Böckh der Statistik nicht fern stand. Ende 1910 forderte diese relativ kleine Gesellschaft (39 Gründungsmitglieder nach Rammstedt 1988) eine Anzahl von Vorständen statistischer Ämter zum Beitritt auf, und daraufhin „stellte einer der Aufgeforderten zur Erwägung, ob es sich nicht empfehle, auf die Gründung
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einer besonderen selbständigen Abteilung zuzukommen, in der nicht nur einige, sondern alle deutschen Statistiker jeglichen Berufs Mitglieder werden könnten.“ (Würzburger 1914 S. 341) Der Gedanke wurde dann im Vorstand der DGS weiter erörtert, „und seine Ausführung war gesichert, nachdem Georg von Mayr sich zur Übernahme des Vorsitzes bereit erklärt hatte.“
1.3 Die Gründung der Deutschen Statistischen Gesellschaft Die Entstehungsgeschichte der Deutschen Statistischen Gesellschaft ist in einem 3 1/2-seitigen Schreiben dargestellt, das Georg von Mayr und Eugen Würzburger am 28. März 1911 an eine größere Anzahl von Kollegen gerichtet haben. Es liegt der Gesellschaft in der Vervielfältigung an die aufgeforderten Kollegen1 vor und ist im Anhang 1 im vollen Wortlaut wiedergegeben. Es beginnt: Hochverehrter Herr Kollege! Die „Deutsche Gesellschaft für Soziologie“ hat bei ihrer letzten Hauptversammlung in Frankfurt a. M. im Oktober 1910 beschlossen, besondere Abteilungen für die Vertreter bestimmter Fächer zu begründen, darunter auch eine statistische Abteilung. Die Abteilungen sollen über ihre innere Organisation und über ihre Tätigkeit nach eigenem Ermessen beschließen und überhaupt ihren Aufgaben selbständig nachgehen. Hierdurch ist die Möglichkeit geboten, die Statistische Abteilung der DGS zu einer Deutschen Statistischen Vereinigung auszubauen. Um die Statistische Abteilung ins Leben zu rufen, hat sich der Vorstand der DGS an den mitunterzeichneten Georg von Mayr gewendet, welcher daraufhin eine Anzahl von Fachgenossen, die sich anlässlich seines 70. Geburtstages am 12. Februar 1911 in München zusammenfanden, zu einer Vorbesprechung einlud.“ Das Schreiben endet: „Zu dem Ende gestatten wir uns, unter Beifügung des Gründungsstatuts, an Sie hochgeehrter Herr Kollege, das Ersuchen zu richten, der zu begründenden „Deutschen Statistischen Gesellschaft“ beizutreten und Ihre Erklärung darüber spätestens bis 15. April dieses Jahres an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie . . . gelangen zu lassen.“ (DStatG 1911–1933)
1 Darunter war auch Dr. Franz A. Žižek, zu dieser Zeit Ministerialvizesekretär im K.K. Handelsministerium, Wien, der 1916 den Lehrstuhl für Statistik an der Universität Frankfurt übernahm und aus dessen Nachlass viele Zitate stammen.
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Bei dieser Besprechung waren anwesend: Georg von Mayr (München), Wilhelm Böhmert (Bremen), Ferdinand Schmid (Leipzig), Sigmund Schott (Mannheim), Eugen Würzburger (Dresden), Friedrich Zahn (München); außerdem als Vertreter der DGS Max Weber (Heidelberg) und Hermann Beck (Berlin). In dieser Vorbesprechung wurde auch eine Satzung der unter dem Namen „Deutsche Statistische Gesellschaft, Abteilung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ zu begründenden Vereinigung entworfen, um sie danach einer Versammlung beitrittswilliger Herren vorlegen zu können.
Georg von Mayr 1841–1925 Vorsitzender der Deutschen Statistischen Gesellschaft 1911–1925 In diesem Schreiben heißt es weiter: „Aufgabe der Gesellschaft soll sein, die Statistik vornehmlich nach ihrer wissenschaftlichen Seite hin zu pflegen. Demgemäß kommen für die Mitgliedschaft in erster Linie Personen in Frage, die in akademischer, verwaltungsdienstlicher oder privater Eigenschaft als Statistiker wissenschaftlich tätig sind; in zweiter Linie solche, die lediglich auf einem bestimmten Sondergebiete sich mit der Anwendung statistischer Methoden befassen. Zumal für die ersteren würde durch die Begründung der Gesellschaft ein noch immer fehlender
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Mittelpunkt im Bereiche der deutschen Zunge geschaffen werden, der zur mündlichen Erörterung und zum persönlichen Gedankenaustausch der Fachgenossen Gelegenheit böte.“ Sodann wird ausführlich das Bedürfnis nach einer solchen Vereinigung begründet. Die deutschen Statistiker sahen sich bis dahin genötigt, ggf. anderen wissenschaftlichen Vereinigungen beizutreten. Auch das Internationale Statistische Institut (ISI) erfüllte das Bedürfnis nur begrenzt, zum einen, weil nur eine beschränkte Zahl deutschen Statistiker in das ISI gewählt werden konnten, und zum anderen, weil dort des internationalen Charakters wegen die inhaltlichen Fragestellungen zum Teil andere waren. Verwiesen wird auch auf die bisherigen Statistiker-Konferenzen, bei denen aber der praktische amtliche Zweck überwiegt, während sie für rein wissenschaftliche Erörterungen kaum Gelegenheit böten. Nicht vergessen wird schließlich der Hinweis, dass eine wohlbegründete Veranlassung dafür vorliegt, auch für die deutschen Statistiker zu schaffen, was andere Nationen schon lange besitzen. Im Rückblick beklagt Würzburger später noch einmal die zuvor entstandene missliche Situation: „So ergab sich der seltsame Zustand, dass die deutschen amtlichen Statistiker ins Ausland zu den Tagungen des Internationalen Statistischen Instituts gehen mussten, wenn sie mit den Leuchten der deutschen akademischen Statistik zusammen beraten wollten“ (Würzburger 1914 S. 340). Dem in dem Schreiben enthaltenen Aufruf zum Beitritt folgten 84 Herren. Die überwiegende Mehrzahl (60) kam aus der amtlichen Statistik (Reichsstatistik: 7, Landesstatistik: 19, Städtestatistik: 34). Darunter verdienen neben Eugen Würzburger (Dresden) vor allem Robert René Kuczynski (Berlin), Rudolf Meerwarth (Berlin) und Siegmund Schott (Mannheim) der Erwähnung. 13 waren Universitätsprofessoren, darunter Ladislaus von Bortkiewicz (Berlin), Johannes Conrad (Halle), Wilhelm Lexis (Göttingen), und Ferdinand Schmid (Leipzig). Sieben Beitrittswillige kamen aus Österreich, darunter Franz Žižek, je einer aus der Schweiz und aus Serbien. Die Liste der Beitrittswilligen findet sich in Anhang 2. Die Aufteilung auf bestimmte Sparten ist etwas problematisch, weil verschiedene Kandidaten (11) sowohl Funktionen in Statistischen Ämtern innehatten als auch als Hochschullehrer tätig waren. Bis zum September 1911 stieg die Zahl der Mitglieder auf 100 an. Die konstituierende Versammlung der Deutschen Statistischen Gesellschaft fand am Sonnabend, dem 17. Juni 1911, im alten Stadtverordnetensaale in Dresden statt. Anwesend waren 50 Herren, die die Absicht ihres Beitritts erklärt hatten, sowie der Vorsitzende der DGS, Ferdinand Tönnies, und acht Gäste (DStatG 1911). Als provisorischer Vorsitzender eröffnete Unterstaatssekretär z. D. Georg von Mayr die Versammlung mit den Worten: „Hochverehrte Herren und liebe Kollegen! Tiefbewegt und mit besonderer Freude eröffne ich die heutige konstituierende Versammlung der Deutschen Statistischen Gesellschaft.“ Er befasste sich dann mit der „sozialen Masse“ der versammelten „Statistiker“, die man in „Verwaltungsstatistiker“ und andere Statistiker einteilen könnte, machte dann aber sogleich deutlich, dass eine Einteilung in „Verwaltungsstatistiker“ und „wissenschaftliche Statistiker“ missverständlich sei, weil beide in inniger Beziehung zur Wissenschaft stünden. „Der Verwaltungsstatistiker schöpft
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seine volle Leistungsfähigkeit erst aus dem Born wissenschaftlicher Durchdringung seiner Aufgabe“ . . . und der andere Statistiker verwertet dessen Ergebnisse „zu weiterer, insbesondere zusammenfassender und systematisch ausgestalteter wissenschaftlicher Erforschung. Das Bedürfnis des Zusammenschlusses von allen, die hiernach als Statistiker im weitesten Sinne zu bezeichnen sind, liegt somit im Wesen der statistischen Arbeit und Forschung“ (DStatG 1911 S. 1). Von Mayr schließt mit den Worten: „Viribus Unitis, mit aller Kraft voran in der Betätigung ernsten, sich wechselseitig ergänzenden Strebens zur Erkenntnis der aus erschöpfender Massenbeobachtung ersichtlichen mannigfaltigen Gestaltungen und Gesetzmäßigkeiten des menschlichen gesellschaftlichen Lebens“ (DStatG 1911 S. 2). Auf die Ansprache Georg von Mayrs folgten zunächst die Beratung und Beschlussfassung über den vorliegenden Satzungsentwurf, dem ein Gründungsstatut der Statistischen Sektion der DGS vorausgegangen war, und die Wahl des Vorstandes. Den Abschluss bildeten zwei Vorträge mit ausführlicher Diskussion (darauf wird in Abschnitt 1.4.2 näher eingegangen). Außerhalb der Tagesordnung fanden danach und am Folgetag gemeinschaftliche Veranstaltungen mit dem „Verband Deutscher Städtestatistiker“ statt, mit dessen 25. Versammlung die Sitzung verbunden wurde, sowie eine Besichtigung des Betriebes der elektrischen Zählmaschine im K. Sächsischen Statistischen Landesamt. Die auf der konstituierenden Versammlung am 17. Juni 1911 beschlossene Satzung der Deutschen Statistischen Gesellschaft enthält im Wesentlichen folgende Bestimmungen (DStatG 1911 S. 2 f.): • Voraussetzung und Erwerb der Mitgliedschaft und Festsetzung des Jahresbeitrags (10 Mark) • Zusammensetzung des Vorstands: 1 Vorsitzender, 3 stellvertretende Vorsitzende, 1 Schriftführer und 1 Mitglied des Gesamtvorstands der DGS2 . 1–4 weitere Mitglieder können hinzugewählt werden. • Die Wahl des Vorsitzenden, der Stellvertreter und des Schriftführers auf vier Jahre; Zuwahlen für die jeweilige Amtsperiode sind zulässig • Die Einberufung (alle 2 Jahre) und Beschlussweise der Mitgliederversammlung • Die Verbindung der Mitgliederversammlung mit Vorträgen und Diskussionen über wissenschaftliche Fragen. • Die möglichst vollständige Veröffentlichung der Verhandlungen sowie der Vorträge und Diskussionen
2 Dies ist festgelegt in einem der Satzung vorausgehenden Gründungsstatut der DGS, das deren Verhältnis zur Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) regelt und dieser mehr Rechte als Pflichten einräumt. Es bestimmt auch, dass der 1. Vorsitzende der DStatG kraft Amtes Mitglied des Gesamtvorstands der DGS ist und dass ein von der DStatG auszuwählendes Mitglied der DGS dem Vorstand der DStatG angehört.
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Aus der vorausgegangenen Diskussion über Änderungsvorschläge zur Satzung mag erwähnenswert sein, dass die Forderung, ein Vorstandsmitglied müsse einen Lehrstuhl für Statistik bekleiden, zwar abgelehnt wurde, aber dennoch Einigkeit darüber bestand, dass die Vertreter der Wissenschaft jederzeit im Vorstand vertreten sein sollten.
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Die auf der Mitgliederversammlung erfolgte Wahl des Vorstandes brachte die folgenden Ergebnisse. • Erster Vorsitzender: Unterstaatssekretär z. D. Prof. Dr. G. von Mayr, Universität München • Stellvertretende Vorsitzende: Dr. G. Evert, Vizepräsident des Königlich Preußischen Statistischen Landessamtes, Berlin Hofrat Dr. R. Mischler, Präsident der K.K. Statistischen Zentralkommission, Wien Prof. Dr. M.Neefe, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Breslau • Schriftleiter: Dr. E. Würzburger, Direktor des Königlich Sächsischen Statistischen Landesamts, Dresden • Als Vertreter des Gesamtvorstandes der DGS wurde Prof. Dr. F. Tönnies, Universität Kiel, gewählt. • Zugewählt wurde Dr. G. Lange, Direktor des Badischen Statistischen Landesamtes, Karlsruhe. Die beiden letztgenannten Informationen finden sich im ersten Rundschreiben der Gesellschaft vom 19. September 1911 (DStatG 1911–1933). Mit dieser konstituierenden Versammlung und dem Satzungsbeschluss hatte die Gesellschaft einen vielversprechenden Start.
1.4 Die ersten Jahre der neuen Gesellschaft 1.4.1 Institutionelle Entwicklung Auch in den Folgejahren gab es zunächst jährlich Mitgliederversammlungen, verbunden mit Vorträgen und Diskussionen. Am 22. und 23. Oktober 1912 tagte die Gesellschaft in Berlin in Verbindung mit dem Soziologentag und am 29. und 30. Juni 1913 in Breslau zusammen mit den Städtestatistikern. Auch für 1914 war eine solche Versammlung geplant. Wegen des Kriegsausbruches kam es jedoch nicht dazu, und auch danach schränkte die Gesellschaft ihre Aktivitäten stark ein. Erst am 23. Oktober 1920 fand wieder eine Mitgliederversammlung mit Vortragsveranstaltungen statt, und zwar in Erfurt. Im Vorstand wurde 1913 als Nachfolger des verstorbenen stellvertretenden Vorsitzenden Mischler Exzellenz Robert Meyer, ebenfalls Präsident der K.K. Statistischen Zentralkommission, Wien, gewählt. Außerdem wurde der Präsident des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Ernst Delbrück, in den Vorstand kooptiert. Bis 1920 gab es keine Vorstandswahlen mehr, obwohl zwei weitere Vorstandsmitglieder gestorben waren. Der Restvorstand blieb bis dahin ohne Wiederwahl
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geschäftsführend im Amt. (Siehe auch das Rundschreiben vom April 1917, DStatG 1911–1933). Erwähnenswert mag noch sein, dass Georg v. Mayr als Vizepräsident des ISI nach dem Kriegsende durch einen Spanier ersetzt worden war. Zwei Satzungsänderungen erwiesen sich nach der Gründung schon bald als notwendig: Die Aufnahme neuer Mitglieder durch den Vorstand, nicht mehr durch die Mitgliederversammlung, erleichterte das Verfahren wesentlich und Personen nichtdeutscher Muttersprache konnten von da an durch den Vorstand zu korrespondierenden Mitgliedern ernannt werden. (Niederschrift der Verhandlungen in der Vorstandssitzung in Breslau 1913, DStatG 1911–1933). Die Mitgliederzahl hat sich bis zum April 1920 auf 128 erhöht. 59 kamen weiterhin aus der amtlichen Statistik (Reichsstatistik: 9, Landesstatistik: 11, Städtestatistik: 39), darunter nun auch Ernst Delbrück und Johann Raths. 26 waren Universitätsprofessoren., u. a. Karl Bücher, Otmar Spann und Franz Žižek. 24 waren Angehörige von Ministerien, anderen staatlichen Institutionen, Banken, Unternehmen. Aus Österreich kamen 10, aus der Schweiz 4, aus Ungarn, Schweden, Holland und den USA je ein Mitglied. Noch eine bedeutsame Personalie sei angefügt: Georg von Mayr wurde 1913 zum Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München gewählt.
1.4.2 Wissenschaftliche Schwerpunkte Wissenschaftliche Schwerpunkte der Gesellschaft waren in den ersten Jahren die folgenden Themenbereiche: • Hochschulunterricht, • Eheschließungs-, Geburten- und Sterblichkeitsentwicklung, • Amtliche Texterläuterung statistischer Quellenveröffentlichungen. Weitere Themen waren die Statistik in der Verwaltung, graphisch-statistische Darstellungen, Zivilrechtsstatistik, Wohnungsstatistik und anderes mehr. Mehrfach wurden auch Ansätze zur Schaffung einer statistischen Zentralbibliothek und einer Literaturstatistik unternommen. Sie hatten jedoch in den Kriegsjahren schon aus finanziellen Gründen keinen Erfolg. 1.4.2.1 Hochschulunterricht Kein anderes Anliegen hat in der Frühzeit der Deutschen Statistischen Gesellschaft eine so hohe Priorität erlangt wie der Hochschulunterricht. Bereits auf ihrer ersten Versammlung am 17. Juni 1911 gaben Hellmut Wolff, Direktor des Statistischen Amtes Halle und Privatdozent an der dortigen Universität, und Ferdinand Schmid,
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Universität Leipzig, einen Bericht über die Statistik an den Hochschulen (DStatG 1911 S. 7 ff.)3 . Wolff verwies zunächst auf den hohen Bedarf an akademisch gebildeten Statistikern. Nur an 11 von den 21 deutschen Universitäten gab es statistische Vorlesungen. Unter den 19 beteiligten Dozenten, von denen die meisten auch volkswirtschaftliche Kollegs anboten, waren 5 Ordinarien und 4 Extraordinarien. Zumindest die großen Kollegs boten an Inhalten: Geschichte, Theorie, Methodik und Ergebnisse der Statistik. Schmid entwickelte ein detailliertes Frageprogramm für eine Untersuchung des damaligen Hochschulunterrichts, das danach an alle Dozenten der Statistik in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit der Bitte um Ausfüllung versandt wurde. (Rundschreiben vom 16. Januar 1912 und Originalfragebogen, DStatG 1911–1933). Auf der zweiten Jahrestagung 1912 in Berlin legten die beiden Berichterstatter die Ergebnisse der Mitgliederversammlung vor, und zwar detailliert für jede einzelne Hochschule. Eine von Ferdinand Schmid formulierte Beschlussvorlage4 , die unter anderem die Einrichtung von mehr Lehrkanzeln für Statistik und eine ausreichende Regelung des statistischen Prüfungswesens forderte, wurde von der Mitgliederversammlung angenommen und als Resolution an die in Frage kommenden Regierungen gerichtet. Außerdem ging ein Rundschreiben an die statistischen Zentralstellen aller Kulturstaaten, um auch Angaben über die Hochschulen fremder Zunge zu erhalten. 12 davon (darunter Australien, Japan und Russland) haben geantwortet. Im Zusammenhang mit einem weiteren Bericht über die Umfrageergebnisse auf der Mitgliederversammlung 1913 in Breslau kam es zu einer Kontroverse über den dem Unterricht zugrunde zu legenden Begriff von Statistik und seiner Abgrenzung gegenüber der Nationalökonomie. Tönnies erwartete von der Gesellschaft, die Statistik als Sozialwissenschaft in den Vordergrund zu stellen und sie von der Nationalökonomie zu emanzipieren. Andere wie Neuhaus und Bleicher verwiesen auf ihre guten Erfahrungen mit Seminaren, in denen Geschichte und Theorie der Statistik, Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Moralstatistik und nicht zuletzt auch mathematische Statistik behandelt und mit einem Praktikum in einem Statistischen Amte verbunden wurden. Most hingegen konnte sich besondere Lehrkanzeln für Statistik nur vorstellen, wenn das Schwergewicht auf die Methode, nicht auf die Ergebnisse gelegt wird. Dem widersprach Georg v. Mayr: „Für bloße Methode eine Lehrkanzel zu errichten, wäre ein Verwüstung. Die Methode ist zu
3 Tabellarische Übersicht mit Angaben über Vorlesungen und Übungen nach Stundenzahl für das WS 1910/11 und das SS 1911: DStatG 1911 S. 8. 4 „Die gegenwärtigen Einrichtungen des statistischen Hochschulunterrichts in Deutschland, Österreich und dem deutschen Teile der Schweiz sind mangelhaft und entsprechen in vielen Punkten nicht dem großen Aufschwunge, welchen die statistische Wissenschaft und Praxis seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genommen haben.“ (Mitteilungen für die Mitgliederversammlung 1913, DStatG 1911–1933).
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dünn. Die Darlegung des in Zahl und Maß erfassten Gesellschaftslebens ist unsere Hauptaufgabe“ (Mitteilungen für die Mitgliederversammlung 1913, DStatG 1911–1933). 1.4.2.2 Eheschließungs-, Geburten- und Sterblichkeitsentwicklung Demographische Themen gewannen damals besonders im Hinblick auf die rapide gesunkene Geburtenziffer (von 40 Ende der 1870er Jahre auf 27 bei Kriegsausbruch) wissenschaftliche und politische Brisanz. Auf der 1. Mitgliederversammlung 1911 in Dresden ging es in einem Vortrag von Tönnies über die langfristige Entwicklung der Eheschließungen von 1843 bis 1907 zunächst einmal nur um methodische Fragen. 1912 in Berlin berichtete K. Oldenberg, Universität Greifswald, über den Rückgang der Fruchtbarkeit und der Sterblichkeit und ging dabei sowohl den Ursachen als auch einigen Fragen seiner Berechnung nach. 1913 in Breslau führten jedoch zwei Vorträge über den „Geburten- und Sterblichkeitsrückgang und seine Literatur“ zu heftigen Kontroversen in der nachfolgenden Diskussion. Aus dem Vortrag von Tönnies sei hier nur als ein kaum mehr verständliches Aperçu festgehalten: Er begann mit der Feststellung, dass „die ehelichen Geburten der allgemeinen Volksempfindung und Volkssitte gemäß die allein normalen“ sind, „während die Fruchtbarkeit eines einzelnen Weibes an außerehelichen Kindern im günstigsten Falle als eine Kuriosität betrachtet wird“. Dieser These wurde aber schon in der Diskussion heftig widersprochen. Im nachfolgenden Vortrag ging Emil Eugen Roesle5 zunächst mit der seinerzeit vorhandenen Literatur ins Gericht. Er kritisierte die einseitige Beschränkung auf die Geburtenentwicklung, um nur ja keinen Optimismus aufkommen zu lassen. Es sei nötig, auch die übrigen Faktoren der Bevölkerungsentwicklung einzubeziehen. Mit Hilfe zahlreicher graphischer Darstellungen gelangte er zu Schlussfolgerungen von beachtlicher Tragweite. Aufgrund hygienischer Maßnahmen blieben immer mehr ein- und mehrjährige Kinder ihren Familien erhalten, die daraufhin ihre Geburtenzahl einschränkten. Da aber gleichzeitig die Sterblichkeit weiter sank, erwuchsen aus beiden nicht die befürchteten negativen Folgen. Die nachfolgende Diskussion wurde außerordentlich kontrovers geführt. In Rede und Gegenrede wurden nahezu alle Aspekte der Vorträge kritisiert oder verteidigt. Zentral war dabei die These von Wolff: Es ist die „Rationalisierung des Sexuallebens“, oder anders ausgedrückt, die bewusste Geburtenbeschränkung. Daran knüpften Stellungnahmen zur Prävention an, z.B. die Überzeugung: „dass, wenn die Prävention einmal eingerissen hat, kein Halt mehr ist, und dass die Geburtenziffer weiter sinken wird.“ Hinter all dem standen nicht zuletzt die politischen Gegensätze, die dem Thema erst seine Brisanz gegeben hatten: Ist der scharfe Geburtenrückgang seit 1875 eine
5 Roesle war von Karl August Lingner zum Leiter seines medizinalstatistischen Büros zur Vorbereitung einer Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911 bestimmt worden.
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nationale Bedrohung für Deutschland oder nicht? Während Roesle das eher verneinte, stand dem das Schlusswort des Vorsitzenden gegenüber: „Gestorben muss werden, aber geboren muss nicht werden. . . . Was uns als Angehörige des deutschen Volkes stört, ist die rapide Abnahme der Geburtlichkeit.“ Bei allem Streit war aber bei allen das Bestreben erkennbar, eine sozial brisante Entwicklung mit den damals verfügbaren Daten und Methoden wissenschaftlich zu analysieren.
1.4.2.3 Amtliche Texterläuterung statistischer Quellenveröffentlichungen Eine Frage, die die Beamten in den statistischen Ämtern immer wieder beschäftigt hat und noch heute aktuell ist, lautet: Inwiefern besteht für die Statistischen Ämter die Möglichkeit oder die Pflicht, die von ihnen ermittelten Zahlenergebnisse selbst textlich zu erläutern?. Präsident Meyer resümiert die zum Teil sehr differenzierten Stellungnahmen aus einer Umfrage so: Es gibt eine Übereinstimmung darin, dass Erläuterungen zu Anlass und Methode gegeben werden sollen, die vor missbräuchlicher Benützung schützen. Es gibt aber wohl auch eine Übereinstimmung darin, dass sich der Statistiker die größte Selbstkritik auferlegen muss, wenn er sich aufgrund nur allgemeiner Bildung an eine Interpretation wagt. Ein Spielraum bleibt ihm gleichwohl. Ein Verzicht auf alles Sachliche hätte eine außerordentlich unökonomische Verwertung der Statistik zu Folge. „Denn der Statistiker merkt doch, dass ihm eine Menge Fragen aufstoßen. Soll man ihm versagen, sich diese Fragen zu beantworten?“ (DStatG 1913 S. 15).
1.4.3 Veröffentlichungen An erster Stelle sei hier das zweibändige Sammelwerk genannt, das zugleich mit der Gründung der Gesellschaft entstanden war: „Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand – Georg von Mayr bei der Feier seines 70. Geburtstages am 12. Februar 1911 als Ehrengabe dargebracht von . . . (hier werden alle 51 Autoren aufgeführt) . . .und Friedrich Zahn (zugleich Herausgeber)“. Es enthält nach einem Allgemeinen Teil über Geschichte, Bedeutung, Organisation und Technik der deutschen Statistik, das auch ein Kapitel über die Statistik in der Wissenschaft einschließt, die Teile Bevölkerungsstatistik, Kulturstatistik und – den ganzen zweiten Band umfassend – Wirtschafts- und Sozialstatistik. Zur Zeitschrift der Gesellschaft wurde das schon 1890 von Georg von Mayr begründete Allgemeine Statistische Archiv erklärt. Davon sind seit der Gründung der Gesellschaft bis 1920 sechs Bände erschienen. Darin findet man neben bevölkerungs-, wirtschafts- und kulturstatistischen Aufsätzen auch wissenschaftstheoretische (z.B. zum Verhältnis von Statistik und Soziologie) und nicht zuletzt auch rein methodische unter extensiver Verwendung von Mathematik z.B. von Lexis, Bortkiewicz und Gumbel. Zahlreiche Rezensionen eröffnen einen weiteren Blick in die damalige rege Publikationstätigkeit.
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Als weiteres Publikationsorgan ist das Deutsche Statistische Zentralblatt zu nennen, das mit seiner ersten Ausgabe am 15. Januar 1909 erschien, herausgegeben von Johannes Feig, Eugen Würzburger und Friedrich Schäfer. In einer Art Geleitbrief wird in dieser Ausgabe hervorgehoben, dass man die an statistischen Informationen Interessierten auf allen gesellschaftlichen Ebenen regelmäßig über neue Entwicklungen informieren möchte. Diese Funktion hat das Zentralblatt bis 1943 wahrgenommen.
1.5 Rückblick auf die Gründungsidee Um den Geist zu kennzeichnen, der 1911 unter den Gründern der Deutschen Statistischen Gesellschaft im Verhältnis zu ihrem Fach herrschte, seien zum Schluss die ersten Sätze aus dem Sammelwerk „Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand“ zitiert, das Georg von Mayr aus Anlass seines 70. Geburtstages am 12. Februar 1911 als Ehrengabe überreicht worden war: „Die Statistik nimmt heute auf weiten Gebieten des öffentlichen Lebens eine achtunggebietende, einflussreiche Stellung ein. Reich, Staat, Kommune, Allgemeinheit, Privatwirtschaft, Wissenschaft bedienen sich ihrer Hilfe in ausgedehntem Maße. Die Statistik ist selbst zu einer Wissenschaft geworden.“
Literatur Boese F (1939) Geschichte des Vereins für Socialpolitik 1872–1932. Duncker & Humblot, Berlin Desrosières (2003) Entre l’administration et la science: les transformations de l’internationalisme statistique. Proceedings ISI 2003 Berlin. Invited Paper, vorgetragen am 14. August 2003. (http://isi.cbs.nl/iamamember/cd3/index.html ) Deutsche Statistische Gesellschaft, Abteilung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie – DStatG (1911) Niederschrift der Verhandlungen der konstituierenden Versammlung am 17. Juni 1911. Beilage zum Deutschen Statistischen Zentralblatt Deutsche Statistische Gesellschaft – DStatG (1913) Niederschrift der Verhandlungen der dritten Mitgliederversammlung vom 29. bis 30 Juni 1913. Beilage zum Deutschen Statistischen Zentralblatt Deutsche Statistische Gesellschaft – DStatG (1911–1933) Archivmaterial der Deutschen Statistischen Gesellschaft Deutsches Statistisches Zentralblatt – DStZ (1909) 6:164 Donner O (1942) Statistik. 2. Aufl. Hanseatische Verlagsgesellschaft Hamburg Grohmann H (1989) Von der "Kabinettsstatistik" zur "Statistischen Infrastruktur" – Reflexionen über die Entwicklung einer Dienstleistung für die Gesellschaft. Allg Stat Archiv 73:1–15 John V (1884) Geschichte der Statistik. Erster Teil. Enke, Stuttgart Lorenz Ch (1964) Quetelet, Lambert Adolphe Jacques. In: von Beckerat E et al. (Hrsg) Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Bd 8. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S. 661 ff Menges G (1982) Die Statistik – Zwölf Stationen des statistischen Arbeitens. Gabler, Wiesbaden. Rammstedt O (1988) Wertfreiheit und die Konstitution der Soziologie in Deutschland. ZfS 4:264–271 Schäfer UG (1971) Historische Nationalökonomie und Sozialstatistik als Gesellschaftswissenschaften. Böhlau, Köln/Wien
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Streidl P (2003) Naturrecht, Staatswissenschaften und Politisierung bei Gottfried Achenwall. Herbert Utz, München Von Mayr G (1890) Statistik und Verwaltung. Allg Stat Archiv 1:33–53 Würzburger (1914) Die Deutsche Statistische Gesellschaft. Allg Stat Archiv 8:339–343 Zahn F (Hrsg) (1911) Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand. Ehrengabe für Georg von Mayr. 2 Bde. Schweitzer, München und Berlin Zimmermann FWR (1907/1914) Das Internationale Statistische Institut im letzten Jahrzehnt. Allg Stat Archiv 07:155–178
Kapitel 2
Die Deutsche Statistische Gesellschaft in der Weimarer Republik und während der Nazidiktatur Jürgen Wilke
Zusammenfassung Nach anfänglichen Schwierigkeiten durch den 1. Weltkrieg erlangte die Deutsche Statistische Gesellschaft (DStatG) unter dem renommierten Statistiker und Vorsitzenden der DStatG, Friedrich Zahn, durch eine Vielzahl von Aktivitäten hohes Ansehen. Es gab Bestrebungen, Statistiker aus allen Arbeitsfeldern der Statistik in die DStatG zu integrieren, wobei die „Mathematische Statistik“ nur zögerlich akzeptiert wurde (Konjunkturforschung, Zeitreihenanalyse). Nach der Machtübernahme 1933 durch Adolf Hitler geriet die DStatG in das Fahrwasser nationalsozialistischer Ideologie und Politik (Führerprinzip, Gleichschaltung des Vereinswesens). Damit war eine personelle Umstrukturierung in der DStatG verbunden. Politisch Missliebige und rassisch Verfolgte mussten die DStatG verlassen (Bernstein, Freudenberg, Gumbel u.a.). Unter den Statistikern gab es alle Abstufungen im Verhalten zum Regime von Ablehnung und zwangsweiser Anpassung über bereitwilliges Mitläufertum bis zu bewusster Täterschaft. Besonders die Bevölkerungsstatistik wurde durch die NS- Rassenpolitik auf lange Sicht diskreditiert. Im Rahmen von Wirtschaftsplanung und Aufrüstung wurden neue zukunftsträchtige statistische Modelle (Grünig, Bramstedt, Leisse) entwickelt.
2.1 Die Zeit der Weimarer Republik 2.1.1 Die Deutsche Statistische Gesellschaft als Institution Die Deutsche Statistische Gesellschaft (DStatG) nahm kurz nach dem 1. Weltkrieg ihre Arbeit wieder auf. Allerdings wurden die Tagungen 1920 bis 1926 der Satzung nach nur alle zwei Jahre abgehalten. Die Mitgliederzahl verharrte in dieser Zeit bei 160 (1926), davon 124 deutsche, 33 ausländische und 3 körperschaftliche Mitglieder. Unter den 124 deutschen Mitgliedern waren 65 beamtete Reichs-, J. Wilke (B) Holzmarktstr. 75, 10179 Berlin, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_2,
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Landes- und Städtestatistiker, 9 sonstige Berufsstatistiker, 29 Hochschullehrer einschließlich der Assistenten und 21 sonstige Mitglieder. Die Kontakte der DStatG zur Deutschen Gesellschaft für Soziologie, als deren Glied sie ja entstanden war, waren nach dem Krieg nur noch lose. 1920 stellte die Deutsche Gesellschaft für Soziologie durch Beschluss des Hauptausschusses zunächst ihre praktische Wirksamkeit ein, im Jahre 1929 erklärte der langjährige Vorsitzende der soziologischen Gesellschaft, Ferdinand Tönnies, seinen Austritt aus dem Vorstand der DStatG; damit hatte sich diese vollends von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie gelöst. Im Jahre 1927 trat eine neue Satzung in Kraft. Die Mitgliedschaft in der DStatG wurde im §1 der Satzung wie folgt geregelt: „Die Mitgliedschaft der DStatG können Staatsangehörige des Deutschen Reichs und Österreichs sowie Danzigs und Deutschsprachige anderer Staatsangehörigkeit erwerben, die in ihrer beruflichen Stellung oder in privater Eigenschaft als Statistiker tätig sind oder waren. Andere Personen können vom Vorstand zu korrespondierenden Mitgliedern ernannt werden. Die Mitgliedschaft entsteht durch Beschluss des Vorstandes. Gegen einen ablehnenden Beschluss ist Berufung an die Mitgliederversammlung zulässig.“ Nichtdeutschsprechende Ausländer konnten nur korrespondierende Mitglieder werden. Ohnehin waren die internationalen Beziehungen der Gesellschaft, insbesondere zu Frankreich und England, aber auch zu anderen internationalen Organisationen wie denen des Völkerbundes, nach dem Ersten Weltkrieg sehr gestört. Der immer mehr an Einfluss gewinnende Friedrich Zahn verlangte sogar, dass sich Statistiker wie Würzburger bei der Kooperation mit der ökonomischen Kommission des Völkerbundes zurückhalten sollten, da diese deutschfeindliche Haltungen zeige. Nach dem Tode von Georg von Mayr wurde Friedrich Zahn 1926 zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er war Professor in München und Präsident des Bayrischen Statistischen Landesamtes und ein fachlich renommierter, national und international anerkannter Statistiker. Schon 1901 in das Internationale Statistische Institut (ISI) kooptiert, wurde er 1927 dessen Vizepräsident. Von 1931 bis 1936 war er der bisher einzige deutsche Präsident des ISI. Diese guten Kontakte zu den statistischen Gesellschaften anderer Länder hat Zahn für die DStatG genutzt und so viel für das Ansehen der Gesellschaft geleistet. 1936 wurde er Ehrenpräsident des ISI. Mit der Wahl Friedrich Zahns zum Vorsitzenden wurde auch der jährliche Turnus der Tagungen wieder eingeführt. Die Hamburger Tagung 1928 wurde zur Statistischen Woche, die nunmehr auch das Treffen der Städtestatistiker/Gemeindestatistiker und das anschließende Treffen der amtlichen Statistiker einschloss. Ab 1934 wurde sie zur Deutschen Statistischen Woche und 1938, nach dem Anschluss Österreichs an das Reich, als Großdeutsche Statistische Woche bezeichnet. Das war aber zugleich die letzte bis zum Kriegsende. Die von Zahn betriebene Aktivierung und Verbreiterung der Arbeit der Gesellschaft lässt sich an der Mitgliederzahl ablesen. Waren 1925 ca. 160 Mitglieder registriert, stieg die Zahl bis 1931 trotz Wirtschaftskrise auf 277 Mitglieder an. Die Anzahl der beamteten Reichs- und Landesstatistiker (1931= 73), der beamteten Städtestatistiker (1931=53), der sonstigen Berufsstatistiker (1931=10) und der korporativen Mitglieder (1931=9) war über ein Jahrzehnt nahezu konstant
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geblieben. Die Mitgliedschaft unter den Hochschullehrern (1931=44) und den korporativen Mitgliedern (1931= 9) hatte leicht zugenommen. Den wesentlichen Zuwachs brachten die Statistiker von Interessenvertretungen (1931=52) sowie die ausländischen Mitglieder (1931=36). Die Anzahl von weiblichen Mitgliedern in der DStatG war äußerst gering. Von 1920 bis 1945 lassen sich nur 5 Frauen mit zeitweiliger Mitgliedschaft nachweisen.
Friedrich Zahn 1869–1946 Vorsitzender der Deutschen Statistischen Gesellschaft 1925–1943 Das offizielle Publikationsorgan der Gesellschaft, das Allgemeine Statistische Archiv (AStA), erschien 1921/22 und 1923/24 in Form von Zweijahresbänden, ab 1925, mit Friedrich Zahn als alleinigem Herausgeber, dann wieder jedes Jahr. Auf Veranlassung von Zahn wurden im AStA auch die Verhandlungen auf den Statistischen Wochen ab 1928 publiziert und so einem größeren Interessentenkreis zugänglich. Als zweites offizielles Publikationsorgan der DStatG und des Verbandes Deutscher Städtestatistiker fungierte schon ab 1914 das „Deutsche Statistische Zentralblatt“ (DStZ). Dieses erschien ab 1909 viermal jährlich unter der anfänglichen Herausgeberschaft von Eugen Würzburger, Johannes Feig und Friedrich Schäfer.
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Im Jahr 1944 wurde die Publikation eingestellt und nach dem Krieg nicht wieder aufgenommen. Diese Zeitschrift veröffentlichte alle Mitteilungen der DStatG sowie wissenschaftliche Aufsätze und Berichte aus der neusten statistischen Literatur, insbesondere der amtlichen Statistik; unter der Rubrik „Organisation, Geschichte, Theorie und Technik der Statistik“ informierte sie auch über den internationalen Entwicklungsstand der Statistik und stellte in Annotationen und Rezensionen die Publikationen namhafter Statistiker wie Tschuprow, Bowley, Ezekiel, Yule, Kendall, Ronald Fisher und Thurstone vor.
2.1.2 Die wissenschaftliche Arbeit Die Reorganisation der staatlichen Verwaltung nach 1918 benötigte statistische Informationen vielfacher Art, und die Vertreter der amtlichen Statistik drängten darauf, die anstehenden Probleme auf den Tagungen der Gesellschaft zu erörtern. 1920 fand in Erfurt die erste Tagung zu „Aufgabenkreis und Einrichtung der nichtzentralen Statistischen Ämter“ statt. Weitere Themen waren die Herausgabe eines gesamtdeutschen Statistischen Jahrbuches (Wilhelm Winkler), die Berücksichtigung des Religionsbekenntnisses bei der Statistik der Bevölkerungsbewegung (Krose) und die Einstellung von Statistikern in öffentliche und private Betriebe. Auch die international neue Entwicklung der Statistik, insbesondere ausgelöst durch die angelsächsische Schule, beeinflußte die Tagungen und die Veröffentlichungen der DStatG. Schon 1922 wurde in Magdeburg zum ersten Male die „Repräsentative Methode“ (Walter Grävell) und das Thema „Mathematik und Statistik“ (Wilhelm Winkler) diskutiert. Doch die Einstellung der Mehrheit der Mitglieder zu den neuen mathematisch-statistischen Methoden blieb reserviert bis kritisch. Als Winkler seinen Vortrag zu „Mathematik und Statistik“ hielt, war der Vorsitzende Georg v. Mayr empört über diese Thematik, wie Winkler noch 45 Jahre später lebhaft in Erinnerung hatte (vgl. Wilhelm Winkler, 60 Jahre erlebter Wissenschaft, AStA 1966, S. 296: „Als ich zu meinem Referat “Statistik und Mathematik“ aufgerufen wurde, war Georg von Mayr erstaunt, empört, sprang von seinem Sitz auf und rief: Solange ich Präsident bin, wird dieses Referat nicht gehalten. Hoher Wellengang im Saal, Unterbrechung der Sitzung. Geheimrat Würzburger sprach beruhigend auf Georg von Mayr ein. . . Das Referat wurde gehalten.“) Mit dem Amtsantritt Zahns nahmen die wissenschaftlichen Aktivitäten beträchtlich zu. Zur Prüfung besonderer Fragen wurden vier Kommissionen, für statistische Gesetzgebung, für methodische Fragen, für Berechnung des Volkseinkommens und für Voraussetzungen zur Berechnung des Volkswohlstandes eingesetzt. Aber auch Forschung und Lehre sowie die statistische Publizistik passten sich den neuen Zeiten an. Schon bald nach dem Ersten Weltkrieg wuchs in der Volkswirtschaftslehre und in der wirtschaftlichen Praxis ein großes Interesse an Konjunkturdiagnose und Konjunkturprognose, und so lag es nahe, statistische Methoden in den Dienst der Konjunkturforschung zu stellen. Auch mathematisch-statistische Verfahren, z. B. die Zeitreihenanalyse und die Wahrscheinlichkeitsrechnung, sollten der Statistik allmählich dienstbar gemacht werden. Der Konjunkturforscher Ernst Wagemann, ab
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1941 Ehrenmitglied der DStatG und Leiter des Berliner Konjunkturforschungsinstituts (seit 1941 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)) popularisierte mit seinen Publikationen „Die Zahl als Detektiv“ oder „Der Narrenspiegel der Statistik“ diese neuen Denkweisen und beeinflusste die Statistik in der breiten Öffentlichkeit und bei Generationen von Studenten im Studium der Wirtschaftswissenschaft. Auf den Tagungen 1926 in Königsberg und 1928 in Hamburg wurden Themen der Konjunkturstatistik erörtert. Der Medizinstatistiker Eugen Roesle präsentierte 1931 in Anlehnung an das Havardbarometer ein Gesundheitsbarometer für die Messung der Morbidität. Die Medizinstatistiker mit ihren bedeutenden Repräsentanten Prinzing, Roesle und Freudenberg waren in der Weimarer Republik und z. T. bis 1945 in die DStatG integriert. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten die Medizinund Biostatistiker eigene wissenschaftliche Gesellschaften. Der Themenkreis der Tagungen erweiterte sich auch nach der betriebswirtschaftlichen Seite hin. Auf den Tagungen von 1927, 1929 und 1930 wurde über „die wissenschaftliche und praktische Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Statistik“ (Otto Most, Curt Eisfeld) und die „Grenzgebiete der volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Statistik“ (Wilhelm Morgenroth, Alfred Isaac) diskutiert. Weitere Themen auf den Statistischen Wochen waren „Moral und Moralstatistik“ (1930) und Bevölkerungsstatistik. Friedrich Burgdörfer sprach 1927 zu seinem Lieblingsthema „Familie und Statistik“, zu dem er schon 1916 eine Dissertation vorgelegt hatte. Bis zum heutigen Tage muss sich die amtliche Statistik in der Öffentlichkeit gegen den Vorwurf wehren, dass man mit Statistiken alles beweisen oder sogar ein Lügengebäude errichten kann. Auf der Tagung 1929 hielt der Wiener Statistiker Winkler dazu einen bemerkenswerten und originellen Beitrag unter dem Titel: „Lügt die Statistik?“ Mit dem Beitrag von Franz Žižek über „Ursachenbegriffe und Ursachenforschung in der Statistik“ auf der Tagung 1927 wurde der Grundstein für die Frankfurter Statistikerschule (Žižek, Flaskämper, Blind) gelegt. 1928 setzte sich Paul Flaskämper kritisch mit Irving Fishers „The Making of Index Numbers“ auseinander, was die Einstellung deutscher Statistiker zu Preisindexzahlen und Deflationierung bis heute geprägt hat. Die Haltung der Mehrheit der Gesellschaft zu mathematisch-statistischen Methoden blieb jedoch auch weiter kritisch. Und obwohl Friedrich Zahn 1928 forderte, dass die Gesellschaft eine „Sammelstätte für alle Träger der Statistik sein solle“, zählte er im gleichen Atemzug nur sozialwissenschaftliche Disziplinen auf. Die von der Mathematik und der Wahrscheinlichkeitsrechung her kommenden Statistiker an deutschen Universitäten, wie Ladislaus von Bortkiewicz, Emil Julius Gumbel und Richard von Mises, die im Rückblick zu den Großen ihres Faches zählen, haben damals in der DStatG nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Vertreter der mathematischen Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie rekrutierten sich aus den mathematisch-physikalischen Fachrichtungen und hatten wenig Interesse und Verständnis für die amtliche Statistik. Außerdem war die Statistik als Lehrfach in den Sozialwissenschaften noch eng mit der Volkswirtschaftslehre, die Bevölkerungs-
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statistik mit der Bevölkerungslehre (Mombert, Ipsen) und die Sozialstatistik mit der Soziologie (Tönnies) verbunden. Das Dilemma einer inhaltlichen Abgrenzung und Ausgestaltung des selbständigen Lehrfachs Statistik war offensichtlich. Schon 1920 hatten v. Bortkiewicz, Günther und Zahn im Rahmen der Reform der staatswissenschaftlichen Studien dazu gutachterlich, wenn auch unterschiedlich, Stellung genommen. Bortkiewicz erstrebte ein Gleichgewicht zwischen der stofflichen und methodologischen Seite der Statistik. Jedoch befürchtete er, die statistische Methodologie und Analytik könnten ins Hintertreffen geraten, wenn selbständige Professuren für Statistik eingerichtet würden und in die Hände reiner Verwaltungsstatistiker fielen. Günther betonte die Bedeutung der „Praktischen Statistik“ in der Lehre, befürchtete aber, dass vorwiegend Juristen von der Lehrstuhlvergabe profitieren würden. Nach Auffassung des Juristen Zahn sollte das Lehrfach Statistik als Bildungsmittel für die staatsbürgerliche Erziehung dienen. Sowohl Günther wie auch Zahn legten Wert darauf, dass die Lehrenden entweder enge Verbindungen zu den statistischen Ämtern besaßen oder praktische Erfahrungen in diesen gesammelt hätten. Als Folge daraus waren Amtsleiter und führende Mitglieder in der DStatG häufig als Lehrkräfte an den Universitäten, technischen Hochschulen und Handelshochschulen tätig, wie z.B. der Nestor des Bayrischen Statistischen Amtes Georg v. Mayr an der Münchner Universität und sein Nachfolger Zahn ebendort im Bereich Staatswissenschaften/Nationalökonomie. Würzburger, am Sächsischen Statistischen Amt tätig, war gleichzeitig Lehrstuhlinhaber für Statistik an der Universität Leipzig. Burkhardt war zeitweise am Statistischen Landesamt tätig und lehrte an der Technischen Hochschule in Dresden und an der Universität Leipzig. Der Präsident des Thüringischen Statistischen Landesamtes Johannes Müller war Professor für Statistik und Volkswirtschaft an der Universität Jena. Wagemann leitete das Konjunkturinstitut und bis 1933 das Statistische Reichsamt und lehrte an der Berliner Universität Konjunkturstatistik. Diese Aufzählung von Statistikern mit Doppelfunktionen ließe sich noch weiter fortsetzen. In den Sozialwissenschaften sollten Theorie und Praxis in der Lehre eng verbunden bleiben. Dies schlug sich auch in den wichtigsten Lehrbüchern der Statistik aus dieser Zeit (Meerwarth (1920), v. Tyszka (1924) und Žižek (1921)) nieder. Dagegen waren die Monographie von Emanuel Czuber (Wien 1921) und die 3. erweiterte Auflage Czuber/Burkhardt mit dem Titel: „Die statistischen Forschungsmethoden“ (Wien 1938) stark mathematisch-statistisch orientiert. Das gleiche kann man von Wilhelm Winklers Publikationen „Statistik“ (Leipzig 1925) und „Grundriß der Statistik“ (Berlin 1931-1933) sagen. Im Jahre 1925/1926 wurde insgesamt an 31 deutschen Universitäten und Hochschulen Statistik gelehrt. Vorlesungen und Spezialseminare gab es hauptsächlich in den Bereichen: Bevölkerungsstatistik an 12, Wirtschaftsstatistik ebenfalls an 12, und Allgemeine Statistik/Theorie und Technik der Statistik an 17 Universitäten bzw. Hochschulen. Kritisch ist zu bemerken, dass die Wirtschaftsstatistik häufig nur aus Einführungen und ausgewählten Kapiteln bestand. An 6 Universitäten wurden Vorlesungen in mathematischer Statistik allgemein, aber auch für Ökonomen, Pädagogen, Naturwissenschaftler und Sozialwissenschaftler angeboten. Im Vorlesungsverzeichnis 1932/33 erhöhte sich Anzahl der Vorlesungen mit dem Thema mathematisch-statistische Methoden auf 13, insbe-
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sondere bei den Technischen Hochschulen bestand ein erhöhter Bedarf. Eine - wenn auch zögerliche - Akzeptanz der mathematisch-statistischen Methoden ist zu erkennen. Beispielsweise verfasste 1931 der Studienassessor Hans Kellerer im Rahmen eines Seminars der Wirtschaftsmathematik an der TH Berlin eine Dissertation mit dem Titel: „Mathematische Methoden in der Eisenbahnstatistik“. Auf Grundlage der Korrelations- und Stichprobentheorie gelang es Kellerer „als erster in Deutschland, das ungeheure statistische Material der Eisenbahn mathematisch-statistisch korrekt zu bearbeiten.“ Zweifelsohne wurden die Zeichen der Zeit für die zukünftige Gestaltung des statistischen Hochschulunterrichts richtig erkannt. Flaskämper (1933) formulierte sehr prägnant das Ziel der statistischen Ausbildung: „1. Neben der theoretischen Ausbildung muss eine praktische einhergehen und 2. die Grundlagen der mathematischen Statistik müssen mit behandelt werden.“ (Über dieses Problem der Beziehungen zwischen „mathematischer“ und „nichtmathematischer“ Statistik siehe auch Eugen Würzburger, Die Zukunft der Statistik, DStZ 1928, H. 10, Sp.149ff. und Rapport sur l’enseignement de la statistique dans les écoles des hautes études, Bull. de l’Institut International de Stat., Bd.XXIII. 8. Lief. S.719) Diese Diskussion über die Ausgestaltung des Lehrfaches Statistik wurde in der DStatG bis 1943 geführt, aber offensichtlich nicht befriedigend gelöst. Beispielsweise war das Fach Statistik ab 1937 für Diplomvolkswirte und für Diplomkaufleute kein Pflichtfach mehr. Die Ausbildung von Statistikern wurde in einem von der DStatG eingerichteten Ausschuss weiter erörtert. Dabei konnte man in der Nationalökonomie und insbesondere in der Volkswirtschaftlichen Einkommensrechnung unter Einbeziehung der Mathematik durchaus erste Forschungserfolge vorweisen. Im Jahre 1928 promovierte der spätere Nobelpreisträger Wassily Leontief mit dem Thema „Wirtschaft als Kreislauf“ an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Seine Gutachter waren keine Geringeren als Werner Sombart und Ladislaus v. Bortkiewicz. In einem längeren Gespräch mit Leontief äußerte er sich mir gegenüber, dass die Berliner Zeit für sein späteres Wirken besonders prägend war. Es überrascht auch nicht, dass der Ingenieur Ferdinand Grünig 1933 als Leiter der Abteilung für Zentrale Wirtschaftsbeobachtung im Stab des Stellvertreters des Führers Rudolf Hess bahnbrechende Forschungen zum Wirtschaftskreislauf publiziert hatte. Unter der Ägide des späteren Präsidenten der Reichswirtschaftskammer, Ferdinand Pietzsch, hat Grünig seine innovativen Forschungen zur modernen Makroökonomik in der Zeit der Nazidiktatur noch fortgeführt. In der Weimarer Republik haben Mitglieder der DStatG häufig wissenschaftliche Gutachten zu aktuellen wirtschaftlichen Themen erarbeitet oder, wie Walter Grävell in Chile, den Aufbau der amtlichen Statistik im Ausland unterstützt. Friedrich Zahn leitete 1930 eine Arbeitsgruppe des Reichsenquete-Ausschusses, die die Wandlungen in der sozialen Schichtung des deutschen Volkes untersuchte. Nach Erlass der Notverordnungen des Reichspräsidenten vom 8. Dezember 1931 wurde Zahn zum Generalbeauftragten des Reichskommissars für Preisüberwachung in Bayern ernannt. In dieser Eigenschaft konnte er die Preise aller lebenswichtigen Gegenstände des täglichen Bedarfs bestimmen. Häufig haben die zumeist beamteten Statistiker auch Verwaltungsaufgaben außerhalb der Statistik übernommen,
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insbesondere die städtischen Statistischen Ämter waren Verwaltungsbehörden und hatten neben ihrer statistischen Tätigkeit eine Vielzahl von anderen Verwaltungsaufgaben zu erfüllen. Auch bei den Statistischen Landesämtern bestanden Referate für Wahlen, Topographie, Meteorologie, Geologie u.a. Als wegen der Weltwirtschaftskrise 1930 die anstehende Volkszählung verschoben werden musste, wurde als Ersatz eine Personenstandsaufnahme erwogen. Diese war ohnehin unter Mitwirkung des Statistischen Reichsamtes entwickelt worden und wurde in einigen Großstädten wie Hamburg und Bremen bereits für die laufende Bevölkerungsstatistik herangezogen. Der Vorschlag, auf der Basis von Melderegistern eine reichsumfassende Bevölkerungszählung durchzuführen, wurde aber letztendlich verworfen (Burgdörfer 1930).
2.2 Die Deutsche Statistische Gesellschaft im Fahrwasser der Nationalsozialistischen Bewegung 2.2.1 Institutionelle Veränderungen der DStatG Die meisten führenden Mitglieder der DStatG der Weimarer Zeit waren Beamte und treue Diener des Staates und in der Mehrzahl von konservativ-nationaler Gesinnung. Von der Nationalsozialistischen Bewegung erhofften sich viele eine Blütezeit der Statistik und damit erhöhte Karrierechancen. So gerieten sie nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler am 30. Januar 1933 unweigerlich in das Fahrwasser der neuen Machthaber. Eine Fülle von Gesetzen veränderte damals das gesamte gesellschaftliche Leben in Deutschland mit dem Ziel, das „Führerprinzip“ durchzusetzen und zentralistische Strukturen zu schaffen. Das betraf auch die Statistik. Mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 gingen die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich über und das wichtigste, größte und seit 1805 bestehende Preußische Statistische Landesamt mit ca. 500 Mitarbeitern wurde am 1. Oktober 1934 in das Statistische Reichsamt eingegliedert. Im Rahmen der Gleichschaltungspolitik des Vereinswesens in der NS-Zeit gab es im wesentlichen zwei Strategien: Entweder unterwarf man sich bedingungslos oder man taktierte mit dem neuen Regime, um alte Strukturen zumindest zeitweise zu bewahren. Anderenfalls wurden Vereine und auch wissenschaftliche Gesellschaften aufgelöst oder lösten sich selber auf. So stellte etwa die Deutsche Soziologische Gesellschaft, mit der die DStatG über Jahre eng verbunden war, ihre Arbeit ein. Der „Verband der Städtestatistiker“ wurde in die „Arbeitsgemeinschaft für gemeindliche Statistik“ überführt und dem „deutschen Gemeindetag“ (1934) angeschlossen. Die schwierige Situation, in der sich die DStatG 1933 befand, hat der Direktor des statistischen Amtes Bremen, Wilhelm Böhmert, bei der Wiederwahl Zahns zum Vorsitzenden der Gesellschaft wie folgt charakterisiert: „Wir haben aus den Vorträgen sowohl amtlicher Vertreter und namentlich aus dem, was unser verehrter Herr Vorsitzender (Zahn) schon am Eingang ausgeführt hat, erfahren, dass sowohl
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die amtliche Statistik wie vor allen Dingen unser wissenschaftlicher Verein sich rückhaltlos auf den Boden der neuen Regierung stellt und alles tun wird, an der großen Idee des Aufbaus unseres Volkes und Vaterlandes mitzuarbeiten. Das ist ja auch selbstverständlich. Die Statistik hat ja nur die Aufgabe, die objektiven Tatsachen festzustellen und die Bausteine zu liefern, mit denen die Verwaltung arbeiten soll. Eine Kritik, ein Urteil steht ihr im allgemeinen nicht zu. Das überlassen wir der Praxis. Wir haben infolgedessen auch gar keine Ursache, an der Zusammensetzung unseres Vorstandes zu ändern, um eine Um- oder Gleichschaltung oder sonst etwas vorzunehmen“ (Verhandlungen 1933/1934, S. 213). Klar kommt hier die Auffassung der beamteten Statistiker zum Ausdruck: wir dienen loyal der neuen Regierung, aber möglichst ohne organisatorische Veränderungen. Hinsichtlich der Umgestaltung irrte sich Böhmert, denn der Druck zu Veränderungen nahm zu. Schon auf der Tagung 1934 in Dresden kam es zur Satzungsänderung. Die Diskussion leitete Zahn mit folgenden Worten ein: „Ich habe bereits in meiner Eröffnungsrede darauf hingewiesen: Neue Zeiten erfordern neue Formen. Der Führergrundsatz, der im Reich, im Lande, in der Gemeinde durchgesetzt ist, soll auch in den wissenschaftlichen Organisationen zur Geltung kommen. Wir haben deshalb in unsern Entwurf den Vorschlag aufgenommen, die Leitung der Gesellschaft auf den Führer-Grundsatz umzustellen, und haben einen entsprechenden Statutenentwurf vorgelegt“ (Verhandlungen 1934/1935, S. 283-284). Zur Beruhigung der Anwesenden erklärte Zahn: „Selbstverständlich wird auch nach dieser Umstellung die freie wissenschaftliche Tätigkeit der einzelnen Mitglieder nicht beeinträchtigt und es ist eine ernste Sachberatung durch Beirat und Mitglieder möglich, so dass nach wie vor auf die Wünsche der Mitglieder gebührend Rücksicht genommen wird.“ Anlass für die Satzungsänderung war das Bestreben des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ), die DStatG einzugliedern. Das sollte durch Satzungsänderung verhindert werden. Man argumentierte, die DStatG sei eine wissenschaftliche Vereinigung, keine Standesorganisation. Vorwiegend jüngere Statistiker traten daraufhin dem BNSDJ bei, so z. B. Friedrich Behrens, der spätere Leiter der Zentralverwaltung für Statistik der DDR. Das Mitglied der Gesellschaft Otto von Zwiedeneck-Südenhorst, Professor für Statistik und Volkswirtschaftslehre der Münchener Universität, war einer der Initiatoren der „Akademie für Deutsches Recht“, einer wissenschaftlichen Einrichtung mit der Aufgabe, an der Umgestaltung und Fortbildung des deutschen Rechts im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung mitzuwirken. An deren Spitze stand ab 1933 der spätere Reichsminister Hans Frank. Alle staatswissenschaftlichen, wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten erklärten als Korporativmitglieder ihren Beitritt, aber auch prominente Einzelmitglieder wie u.a. Werner Sombart und Arthur Spiethoff. Mit einstimmigem Beschluss regte Zahn dann 1936 den Beitritt in die „Akademie für Deutsches Recht“ an, die DStatG sollte jedoch relativ selbständig bleiben (Verhandlungen 1935/1936, S. 193-194). Zu einer vertieften Zusammenarbeit kam es nach bisherigem Erkenntnisstand nicht, obwohl sich einige Beiträge von Statistikern in den Publikationsorganen der Akademie nachweisen lassen. Von den guten Kontakten der Führung der DStatG zum Reichskommissar Frank erhoffte man sich
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aber eine Aufwertung des Faches Statistik, denn Frank sah in der Statistik eine unerlässliche Bildungsvoraussetzung für Juristen. Mit der neuen Satzung von 1934 wurde die DStatG unter Anerkennung des Führerprinzips gleichgeschaltet. Es hieß in § 2 des Entwurfes: Die Mitgliedschaft der Deutschen Statistischen Gesellschaft können Staatsangehörige Deutschlands und Deutsch-Österreichs sowie Danzigs und Deutschstämmige anderer Staatsangehörigkeit erwerben, die in ihrer beruflichen Stellung und in privater Eigenschaft als Statistiker wissenschaftlich tätig sind und waren. Die Mitgliedschaft entsteht durch Aufnahmeerklärung des Führers der Gesellschaft oder in seinem Auftrage durch Aufnahmeerklärung des Schriftführers. Der Führer kann Mitglieder aus der Gesellschaft ausschließen, die durch ihre Person oder ihr Verhalten die Erreichung des Zweckes der Gesellschaft gefährden . . .. und in § 3 : Der Führer bestimmt die Mitglieder des Beirates für den gleichen Zeitraum, für den er selbst gewählt ist, doch kann er aus zwingenden Gründen jederzeit Mitglieder des Beirates abberufen und durch andere ersetzen“ (Verhandlungen 1934/1935, S. 285). Vorsichtig regte sich Widerstand und Kritik. „In verschiedenen Zuschriften aus Mitgliederkreisen war die Befürchtung ausgesprochen, durch diese Umstellung könnte der wissenschaftliche Charakter der Gesellschaft leiden, diese Befürchtungen sind wie ich (Zahn) zur Beruhigung ausdrücklich betone, keineswegs begründet.“ Aus dem Kreise der Versammlung wurde vorgeschlagen, das Wort „Führer“ durch „Führer der Gesellschaft“ zu ersetzen. Der Präsident stellte fest, dass die Mehrheit der Versammlungsteilnehmer die Bezeichnung „Führer der Deutschen Statistischen Gesellschaft“ für zulässig hält. Zugleich wurde er ermächtigt, statt dessen ein anderes Wort, etwa „Leiter“ oder „Vorsitzender“ in der Satzung zu verwenden (Verhandlungen 1934/35, S. 284-285). In der endgültigen Fassung entschied sich Zahn für das Wort „Vorsitzender“. Im Jahre 1938 erfolgte die letzte Änderung des § 2 Abs.1 der Satzung: “Die Mitgliedschaft der Deutschen Statistischen Gesellschaft können besitzen oder erwerben deutsche Reichsbürger und Angehörige anderer Staaten, soweit sie deutschen oder artverwandten Blutes sind, vorausgesetzt, dass sie in ihrer beruflichen Stellung oder Privateigenschaft als Statistiker wissenschaftlich tätig sind oder waren.“ „Wenn sich kein Widerspruch ergibt – das ist nicht der Fall, wie ich (Zahn) feststelle –, so darf ich die Satzungsänderung als angenommen betrachten“ (Verhandlungen 1939, S. 209). Das ius sanguinis und Abstammungskriterien, seit 1914 in Deutschland bei der Feststellung der Staatsbürgerschaft angewendet, wurden nun auch Aufnahmemerkmal bei der DStatG. Friedrich Zahn besaß eine große Machtfülle und hatte sich an das Führerprinzip gewöhnt.
2.2.2 Personelle Veränderungen in der DStatG Auch in der Mitgliedschaft ließen sich Veränderungen beobachten. 1933 sank die Gesamtmitgliederzahl auf 257, im Jahr 1934 auf 242 und erst 1938 wurde mit 283 Mitgliedern der Stand von 1931 wieder leicht übertroffen. Im Jahre 1932, auf
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dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, fiel die Statistische Woche aus. Begründete man den Rückgang im Jahre 1933 mit den schwierigen Zeiten der Wirtschaftskrise, so konstatierte Zahn im Rechenschaftsbericht 1934: „Erfreulicherweise konnte die Mitgliedzahl der Deutschen Statistischen Gesellschaft trotz der besonderen Schwierigkeiten des vergangenen Jahres ungefähr auf der Entwicklung der bisherigen Höhe gehalten werden“ (Verhandlungen 1933/1934, S. 212). Im Jahre 1938 wird die Steigerung der Mitgliederzahl per saldo um 43 Mitglieder damit begründet, dass 25 Wirtschaftsgruppen als korporative Mitglieder der Gesellschaft beitraten. Viel interessanter sind strukturelle Veränderungen in der Mitgliedschaft. Von 1933 bis 1938 gab es 94 Austritte bzw. „Streichungen“ und 125 Eintritte, davon die Hälfte im Jahr 1938. Diese Zahlen belegen einen enormen Wechsel der Mitgliedschaft zwischen 1933 bis 1938. Der Statistiker und späteres Ehrenmitglied der Gesellschaft, Hans Freudiger aus Bern, war 1938 auf der Jahrestagung der DStatG in Würzburg überrascht von den rasanten Veränderungen. Er sprach von Verjüngung innerhalb der DStatG und fügte mahnend hinzu: „Aber meine Herren von der Deutschen Statistischen Gesellschaft und von der Arbeitsgemeinschaft für gemeindliche Statistik, diesen jüngeren Kräften möchte ich doch zurufen: Vergesst nie, dass es die Alten waren, die den Ruf der deutschen Statistik sowohl im Reich wie im Ausland und insbesondere bei uns in der Schweiz begründet haben!“ (Verhandlungen 1939, S. 188). Wie groß im Detail die personellen Veränderungen in den Jahren 1933 bis 1935 in der DStatG und in den Statistischen Ämtern waren, lässt sich wegen der schwierigen Quellenlage nicht genau sagen. Im folgenden soll an Hand von Beispielen die Bandbreite der Mitgliederabgänge dargelegt werden. Entscheidend waren das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 und die Nürnberger Gesetze von 1935. Damit war die Möglichkeit gegeben, jeden Missliebigen, insbesondere Statistiker jüdischer Herkunft, aus der DStatG und aus der Verwaltung auszuschließen. Der schon erwähnte Wilhelm Böhmert, Mitglied der DDP und der Weimarer Nationalversammlung, Senator der Stadt Bremen, Direktor des Statistischen Amtes Bremen und gewähltes Mitglied des ISI, wurde 1933 aus dem Direktorat des Statistischen Amtes entlassen und in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Ernst Wagemann, von 1924 bis 1933 Präsident des Statistischen Reichsamtes und Reichswahlleiter und seit 1925 in Personalunion Leiter des Institutes für Konjunkturforschung, wurde auf Betreiben der Hugenbergfraktion innerhalb der Reichsregierung 1933 von der Präsidentschaft des Statistischen Reichsamtes entbunden. Anlass war der sogenannte Wagemann-Plan (1932) zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise, in welchem er ohne Absprache mit dem Kabinett Brüning eine Ausweitung der Geldmenge empfahl. Nach seinem Rücktritt als Reichswahlleiter wurde Wagemann im Mai 1933 Mitglied der NSDAP und konnte jetzt mit wohlwollender Unterstützung der Nationalsozialisten bis 1945 das Konjunkturinstitut (DIW) weiterleiten. Der Oberregierungsrat Eugen Roesle aus dem Reichsgesundheitsamt wurde auf der Grundlage des neuen Beamtengesetzes als Parteiloser entlassen. Der eigentliche
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Grund für die Suspendierung waren vermutlich seine Schriften zur russischen und sowjetischen Gesundheitsstatistik in der Weimarer Zeit. Er zog sich zurück und lebte fortan als Privatgelehrter. Der renommierte Medizinalstatistiker Karl Freudenberg, Schüler von Ladislaus von Bortkiewicz und Richard von Mises, verlor 1935 seinen Lehrstuhl an der Berliner Universität und verlies das Land. Der Statistiker Bruno Gleitze, seit 1919 SPD-Mitglied, wurde 1933 kurzeitig inhaftiert und arbeitete danach als Statistiker in der Wirtschaft. Nach dem Kriege war er Professor für Statistik in Berlin und Leiter der Zentralverwaltung für Statistik der Sowjetzone, floh dann in den Westen und arbeitete dort an verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen und in der Politik. Jüdische Mitglieder der DStatG wurden spätestens nach 1935 aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Das Gründungsmitglied der DStatG Eugen Würzburger, Ehrenmitglied der Royal Statistical Society und Mitglied des ISI, verlor seinen Lehrstuhl an der Leipziger Universität und trat nach 25 Jahren Vorstandsarbeit bei der Herausgabe des Deutschen Statistischen Zentralblattes von dieser Tätigkeit zurück. Obwohl seine statistischen Leistungen im DStZ in einem Artikel gewürdigt wurden, nahm er ab 1934 nicht mehr an der Statistischen Woche teil. Emil Julius Gumbel musste auf Grund seiner jüdischen Herkunft und seiner radikalen linken politischen Haltung 1933 ins Ausland emigrieren. Gumbel hatte 1914 bei v. Mayr in München promoviert und lehrte nach seiner Habilitation 1923 an der Heidelberger Universität Mathematische Statistik und Bevölkerungsstatistik. Im Sommer 1932 wurde ihm aus politischen Gründen - nach vorhergehenden Auseinandersetzungen mit nationalsozialistischen Studenten - die Lehrberechtigung entzogen. Aufgeführt in der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs von 1933, ging Gumbel nach Frankreich und später in die USA. Politisch war er ein entschiedener Pazifist und unabhängiger Sozialist und trat offen für die Weimarer Republik ein. Seine hervorragendste Leistung in der Statistik war die Entwicklung der auf Erkenntnissen von v. Bortkiewicz beruhenden statistischen Extremwerttheorie. Nach ihm ist die Gumbel-Verteilung in der Extremwerttheorie benannt. Seit 2006 findet ihm zu Ehren im Rahmen der „Statistischen Woche“ eine Sondervorlesung von international hochkarätigen Wissenschaftlern, die sogenannte „Gumbel-Vorlesung“, statt. Die Deutschen in Ost und West taten sich Jahrzehnte schwer, die Leistungen Emil Julius Gumbels ausreichend zu würdigen. Für die einen war er zu weit links und für die anderen zu pazifistisch. Ähnlich erging es Felix Bernstein, Professor für Mathematische Statistik, Variations- und Erblichkeitsstatistik an der Universität Göttingen. Anfang 1933 befand er sich auf einer Studienreise in den USA und kehrte nach der Machtergreifung der Nazis nicht mehr nach Deutschland zurück. In Amerika überlebte er an einem kleinen College, wo er weit unter seinem Talent und seiner wissenschaftlichen Befähigung tätig war. Hart traf es auch Dr. Fels, den Experten des Statistischen Reichsamtes bei der Volkszählung von 1933. Er emigrierte in die USA, schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, bevor er eine leidliche Anstellung als Berater bei IBM erhielt.
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Der Wahrscheinlichkeitstheoretiker jüdischer Herkunft, Richard Edler von Mises, konvertierte 1933 zum Katholizismus. Als Teilnehmer des Ersten Weltkrieges und wegen seiner deutsch-nationalen Ansichten durfte er vorerst seinen Lehrstuhl behalten. Wegen der Unsicherheiten in der politischen Entwicklung in Deutschland emigrierte er jedoch noch 1933 in die Türkei und später in die USA. Der Bevölkerungswissenschaftler und Statistiker Robert René Kuczynski, ein Experte der Fertilitätsmessung, verließ ebenfalls 1933 Deutschland in Richtung England. Zwei hoffnungsvolle Talente der Statistik und angewandten Statistik, H.O. Hartley (Hirschfeld) und Jacob Marschak, emigrierten nach England und letztendlich in die USA. Hartley ging 1934, nachdem er in Berlin mit 22 Jahren seinen Doktor in Mathematik erworben hatte, nach London. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit E. S. Pearson an den berühmten Biometrischen Tabellen machten ihn in aller Welt bekannt. Er wurde einer der prominentesten und einflussreichsten Statistiker des 20. Jahrhunderts. Der Ökonometriker Jakob Marschak arbeitete nach seinem Doktorexamen 1922 als Wirtschaftsjournalist und später an der Konjunkturforschungsabteilung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, dort gemeinsam mit dem Konjunkturforscher Adolph Löwe, der ebenfalls nach der Machtergreifung der Nazis emigrierte. Und obgleich Marschak 1929 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatte, wurde er als Jude und Sozialdemokrat von der Universität Kiel nicht zur Habilitation zu gelassen. Jedoch erhielt er nach erfolgreicher Habilitation an der Heidelberger Universität dort einen Lehrauftrag. Marschak floh im Frühjahr 1933 über Wien, Spanien, Niederlande nach England, um 1938 in die USA zu gehen. 1946 wurde er Präsident der Econometric Society. Die Ökonometrie und die 1930 gegründete Econometric Society spielten im Deutschland der Dreißigerjahre bei den deutschen Ökonomen und Statistikern keine Rolle. Zwei Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung entfernte man auch die jüdischen Frontkämpfer, die zu Lebzeiten des Reichspräsidenten von Hindenburg noch in ihren Beamtenstellen geduldet waren. Zu ihnen zählten der Oberregierungsrat Otto Plaut und der Regierungsrat Julius Flechtheim im Statistischen Reichsamt. Schon seit 1933 hatte der NSDAP-Betriebszellenobmann mit Beschwerdebriefen an den Chefideologen Rosenberg, Innenminister Frick und Propagandaminister Goebbels alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Juden zu entfernen. Der parteilose Präsident des Statistischen Reichsamtes Reichardt konnte aber bis 1935 eine Entlassung verhindern (Wietog 2001, S. 94-96). Der Statistiker, Ökonom und Kommunist Henryk Grossmann lehrte ab 1930 an der Universität Frankfurt. Im Februar 1933 flüchtete er nach Paris und emigrierte dann über London nach New York. Mit dem Anschluss Österreichs 1938 setzten dort ebenfalls Verfolgungen ein. Abraham Wald, der Schöpfer der statistischen Entscheidungstheorie, verließ Wien 1938 in Richtung Amerika. Er erhielt eine Stelle bei der Cowles Commission, um über Ökonometrie zu forschen. Dort entwickelt er auch die Sequenzanalyse. Der jüdische Wahrscheinlichkeitstheoretiker und Mathematiker Felix Hausdorf war in Deutschland geblieben. Als die Repressionen und Verfolgungen zu groß wurden, beendete er 1942 sein Leben, obwohl er sich schon in jungen Jahren
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von der jüdischen Religion distanziert hatte und seine Frau zum Protestantismus konvertiert war. Der Rassenwahn der Nationalsozialisten ging soweit, auch die Mischehen zwischen „Ariern und artverwandtem Blut“ und Juden zu diskriminieren. Der Statistiker Wilhelm Winkler, ein ständiger Gast der Statistischen Wochen, sollte sich von seiner jüdischen Frau scheiden lassen. Da er dieser Aufforderung nicht nachkam, verlor er von 1938 bis 1945 seinen Lehrstuhl an der Wiener Universität. Nach Kriegsende wurde er rehabilitiert und im Jahr 1954 Ehrenmitglied der DStatG. Auch während des Zweiten Weltkrieges gab es Diskriminierungen. Dr. Karl Wagner wurde 1941 aus politischen Gründen aus dem Statistischen Reichsamt entlassen. Bei der Neugründung der DStatG 1948 wurde er deren erster Nachkriegsvorsitzender. Nach 1933 suchten viele Statistiker nach neuen Anstellungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, verständlich nach den Entbehrungen und Rückschlägen der Weltwirtschaftskrise. Jetzt forderten die „Alten Kämpfer“ der NSDAP unverhohlen Posten und Karrieremöglichkeiten. Dabei kam es zu grotesken Situationen. Jutta Wietog (2001 S.102–103) schildert solch einen Fall: „So sollte im Statistischen Landesamt 1938 in Braunschweig eine wissenschaftliche Hilfsarbeiterstelle besetzt werden. Unter den 10 Bewerbern hatte der Leiter des Statistischen Landesamts Müller zwei in die engere Wahl gezogen, beides Mitarbeiter der NSDAP, beides promovierte Statistiker mit einer soliden Ausbildung und mit langjährigen Erfahrungen. Für einen der beiden hatte er sich dann entschieden, doch ein dritter, Dr. Genuit, wurde auf Weisung der vorgesetzten Behörden genommen – ein Mann mit nur begrenzten Erfahrungen in der Arbeitslosenstatistik, ohne gründliche methodische Aus- und Durchbildung’, wie Müller bemängelt hatte, dafür aber Mitglied in der NSDAP schon vor 1933.“ Müller musste für seine „Fehlentscheidung“ Konsequenzen tragen. Er wurde kurze Zeit danach für den Statistischen Dienst beurlaubt.“ Die „Alten Kämpfer“ der NSDAP (bis zur Mitgliednummer 300 000) sprachen despektierlich von den „Märzgefallenen“ und „Konjunkturrittern“. Dabei handelte es sich um Personen, die erst ab März 1933 in die Partei eingetreten waren. Dazu gehörten u.a. die Statistiker Friedrich Zahn, Friedrich Burgdörfer, Curt Godlewski, Josef Griesmeier, Felix Burkhardt und Paul Flaskämper. Trotz aller Anpassung blieb z. B. Flaskämper ein eher unbequemer Zeitgenosse. So berichtete 1934 der Dozentenführer an der Frankfurter Universität, dass der die Tragweite der Umwälzung wohl nur teilweise begriffen hätte. Nicht jeder, der ohne Parteibuch blieb, tat dies aus Überzeugung. Der Leiter des Thüringischen Statistischen Landesamts, Johannes Müller, bemühte sich schon 1933 und danach mehrmals um Aufnahme in die NSDAP, die ihm jedoch stets verweigert wurde; selbst gerichtlich wollte Müller sich in die Partei einklagen. Nachdem seine Klage 1942 endgültig abgewiesen wurde, versuchte er erfolglos über den „Gnadenweg“ die Parteimitgliedschaft zu erwerben. Als Ablehnungsgrund erwies sich seine Mitgliedschaft in der Freimaurerloge „Amalia“ (1926 bis 1933). Müller war Mitglied des NS-Rechtswahrerbunds und in der NS-Volkswohlfahrt, sowie langjähriger stellvertretender Vorsitzender der DStatG, deren Geschäfte er ab 1943 bis zum Kriegsende 1945 führte. Müller vertrat schon 1934 in dem Beitrag:
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„die Stellung der Statistik im neuen Reich“ die Auffassung, „dass nicht wenige und gerade besonders wichtige Probleme, an deren Lösung man zur Zeit herangeht, einen weltanschaulichen Charakter tragen – Erbhöfe, Rassenpolitik – und daher einer statistischen Durchleuchtung besonders bedürfen“ (Müller 1934/1935, S. 244). Verallgemeinernd kann man feststellen, dass in der NS-Zeit ein beachtlicher Teil von Statistikern und Mathematikern aus der DStatG, aus den statistischen Ämtern und von den Lehrstühlen für Statistik ausgeschlossen wurden und in die innere Immigration oder in das Ausland gingen. Der größere Teil war jedoch bereit, ob aus politischer Überzeugung oder im vermeintlichen Anpassungszwang, sich mit dem NS-Regime zu arrangieren. Insbesondere der damalige Vorsitzende Zahn hatte die DStatG voll auf den Kurs der nationalsozialistischen Bewegung gebracht. 1940 stellte er fest: „Tatsächlich erwiesen sich denn auch gerade solche Staatsmänner, die besonders lebhaft sich um die Verwaltung ihrer Länder kümmerten, als besondere Freunde der Statistik, z. B. Friedrich der Große, Napoleon, Montgelas, Mussolini. Die Regierung unseres Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler ist ebenfalls statistisch-freundlich.“ Zahn beschrieb die Statistiker als „wissenschaftliche Soldaten“ und fuhr dann fort: „Kein Wunder. Steht doch die Statistik schon nach ihrem Wesen der nationalsozialistischen Bewegung nahe. . .. die deutsche Statistik wurde so nicht nur registrierender Zeuge, sondern Mitgestalter am großen Geschehen der Zeit“ (Zahn 1940 S. 370). Noch deutlicher wurde Friedrich Burgdörfer in dem Zahn gewidmeten Monumentalwerk „Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand“, Berlin 1940: „Im nationalsozialistischen Deutschland hat die Statistik eine Blüte erlebt, die in ihrer Geschichte ohne Vorbild ist. Sie ist längst über die Rolle der bloßen Buchführung und zahlenmäßigen Kontrolle des Volks-, Wirtschafts- und Staatslebens hinausgewachsen, sie ist im Führer-Staat von heute zum unmittelbaren Instrument der Staatspolitik, zur unentbehrlichen Beraterin für Planung und Lenkung des Volks-, Staats- und Wirtschaftsleben geworden.“ Im gleichen Atemzug sprach Burgdörfer von Verfalls- und Niedergangserscheinungen auf allen Gebieten während der „Übergangszeit des Zwischenreichs“ (Weimarer Republik), „woran die Statistik und Statistiker keine Schuld hätten.“ Die freiwillige Indienststellung einer Reihe von führenden Statistikern und Mitgliedern der DStatG ging also offensichtlich über Huldigungsadressen und Treugelöbnisse an Gauleiter, an den Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht oder an Adolf Hitler anlässlich der Tagungen der DStatG hinaus.
2.2.3 Wissenschaftliche Arbeit der Mitglieder innerhalb der DStatG, in der Wirtschaft und in der Verwaltung Nur für die kurze Zeit von 1933 bis 1938 trafen sich die Statistiker noch auf der Statistischen Woche. Während des Krieges spielte sich das Vereinsleben der DStatG nur in den beiden Zeitschriften der Gesellschaft ab. Mit Ausbruch des Krieges wurden viele statistische Erhebungen, so auch das „Statistische Jahrbuch“, zur
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Geheimsache erklärt. Die Naziführung misstraute den alten Strukturen in Wirtschaft und Verwaltung. Die neuen Standesorganisationen, z. B. der Reichsnährstand, die Deutsche Arbeitsfront und die Organe der Vierjahrspläne, schufen sich eigene Informationssysteme, überwacht von den Statistikern der NSDAP (Reichsamt für Statistik der NSDAP). In allen Bereichen wurden individuelle Register angelegt. Zahn schreibt dazu: „Umgekehrt geht eine neuerliche Bewegung dahin, neben der summarischen noch die individuelle Darstellung zu pflegen. Zu letzterem Zweck werden Karteien für die einzelnen Volksgenossen (Volkskartei, Gesundheitspass, Arbeitsbuch usw.) und für die einzelnen Betriebe (Hofkarten, Bodenkarten, Gewerbekataster, Lagerbuch) angestrebt, um daraus den Werdegang, das Leistungsvermögen, und die tatsächliche Leistung zu erkennen“ (Zahn 1940, S. 384). Welch ein Paradigmenwechsel! Register und Karteien wurden nicht der inneren Verwaltung, sondern der Statistik zugeordnet. Noch 1930 hatten die gleichen Statistiker die Volkszählung auf Basis der Melderegister abgelehnt. Auffallend ist die Dominanz des Zeitgeistes bei der Themenwahl sowohl auf den Tagungen wie auch in den beiden Publikationsorganen der Gesellschaft. 1933 sprach Wilhelm Morgenroth zu „organisatorischen Zeitfragen deutscher Statistik“ und 1934 hielt Johannes Müller einen programmatischen Beitrag zum Thema: „Die Stellung der Statistik im neuen Reich.“ Als sich abzeichnete, dass die Wirtschaft mit Hilfe eines Vierjahresplanes reguliert werden sollte, standen 1935 auf der Tagung der DStatG aktuelle wirtschaftliche Themen zur Diskussion: „Gefüge und Entwicklung der Volkswirtschaft“ (Paul Bramstedt) und „Verbrauchsstatistik im Dienste der Bedarfsdeckung und Wirtschaftsplanung“ (Leonhard Achner). Bei der Einführung der Wehrpflicht 1935 sah sich Zahn veranlasst, wegen der „errungenen Wehrfreiheit“ einen Artikel mit dem Titel „Allgemeine Wehrpflicht und die Statistik“ zu verfassen. Burgdörfer hielt auf der Statistischen Woche 1936 in Braunschweig ein Grundsatzreferat über die „Bevölkerungsentwicklung und Wehrmacht“ und Heinz Müller schrieb im AStA über „Musterung und Statistik“. Aus Anlass der Olympiade 1936 wurden Vorträge zu „Sport und Statistik“ (Schumann) und zur „Konstitutions–Statistik“ (Kümmel) gehalten. Im Zusammenhang mit dem 1941 gegründeten „Zentralforschungsinstitut für nationale Wirtschaftsordnung und Großraumwirtschaft“ und den Instituten der Südosteuropagesellschaft erwuchsen neue, wichtige Aufgaben, „die letzten Endes in eine Art Gleichschaltung der maßgebenden Statistiken der an dieser Neuordnung beteiligten Länder ausmünden werden. Bei dieser Entwicklung wird hoffentlich die Deutsche Statistische Gesellschaft zu entsprechender Mitwirkung herangezogen“ (Zahn 1941/1942, S. 342). Die Führung der DStatG und mit ihr viele Statistiker waren bis Kriegsende gern bereit, aktuelle Themen und Entwicklungen statistisch zu begleiten. Friedrich Zahn hatte in zwei Beiträgen das Verhältnis der Statistik zum NS-Regime am Anfang des Krieges dargelegt: „Es gibt kaum einen Lebensbereich des deutschen Volkes, der von der nationalsozialistischen Weltanschauung nicht befruchtet wird. Dies gilt auch für die Statistik. Sie ist als Erkenntnisquelle dem neuen Reich unerlässlich und es sind ihr vom neuen Reich erweiterte, erhöhte Aufgaben für den Frieden und für den Krieg gestellt“ (Zahn 1940, S. 369). Immerhin stellte Zahn in einem anderen Artikel die Behauptung auf, dass „seit 1933 unsere Wissenschaft gleich
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anderen Wissenschaften keineswegs stagnierte, vielmehr in vielseitiger Weise nach der Breite und nach Tiefe sich rasch entwickelte“ und dass „eine gegenteilige Legende vom Ausland geflissentlich verbreitet wird“ (Zahn 1941/1942, S. 339). Zieht man das zu Ehren von Zahn herausgegebene zweibändige Sammelwerk „Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand“ (1940) als Maßstab heran, könnte man durchaus geneigt sein, Zahns oben erwähnter Auffassung zu zustimmen. Jedoch befassen sich von den 156 Beiträgen in den Sammelbänden 137 mit der Erfassung von sozialen Massenerscheinungen und der Organisation dieser Aufgabe. Nur 7 Beiträge thematisieren Geschichte und Theorie der Statistik, 5 Beiträge das Verhältnis Statistik und Biologie und 7 weitere Beiträge die Stellung der Statistik zu den Naturwissenschaften. Zu neuen statistischen Methoden wird kaum Stellung genommen. Trotz allem gab es in diesen Jahren innerhalb der DStatG Diskussionen über „Statistik und Kausalforschung“ (Flaskämper), die „Zahl als Erkenntnismittel in den Sozialwissenschaften“ (Saenger), „Statistische Methoden und Induktion“ (Jacobs), „Grenzgebiete der Repräsentativstatistik“ (Peter), „Mathematik und die statistische Praxis“ (Burkhardt) und „Mathematisierungsprozess und Nationalökonomie“ (Britzelmayr). Auch die methodischen Arbeiten des Tschuprowschülers Oskar Andersons sen. zur Indextheorie und „Statistik und Langlebigkeit“ im AStA gehören hier dazu. Die NSDAP war sicherlich ein Sammelbecken reaktionärer, irrationaler und atavistischer Strömungen, aber trotz nationalsozialistischer Ideologie trug die Bewegung modernistische und technokratische Züge. Am Beispiel der empirischen Wirtschaftsforschung, insbesondere der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, lässt sich sozialwissenschaftliche Rationalität im Rahmen des Aufrüstungsprogramms und der Wirtschaftsplanung nachweisen. Paul Bramstedt hat mit seinen Mitarbeitern, insbesondere mit von der Gablentz, am Statistischen Reichsamt die ersten volkswirtschaftlichen Verflechtungsmodelle (Input-Output-Tabellen) aufgestellt. Als Wilhelm Leisse 1939 Chef des Reichsamtes für Wehrwirtschaftliche Planung wurde, stand dieses Amt hinsichtlich der Verflechtungsbilanzierung in Konkurrenz mit Bramstedt im Statistischen Reichsamt. Dies war typisch für das System der Statistik im Verhältnis zu den übrigen Verwaltungen im Dritten Reich. Man wollte ein zentralistisches System der Statistik etablieren, jedoch die polykratischen Strukturen – es gab zu viele „kleine Führer“ unter dem „großen Führer“ – führten zu einer unglaublichen Zersplitterung, die Zahl der Erhebungen und Umfragen stieg unkontrolliert und unkoordiniert an. Die Mitarbeiterzahl im Statistischen Reichsamt musste verdoppelt werden, so dass man vom Scheitern eines einheitlichen zentralistischen statistischen Systems in Nazi-Deutschland sprechen kann. Auch die von Walter Grävell, als Chef des neugegründeten Statistischen Zentralausschusses, am Anfang des Krieges angestrebte Koordinierung und Einschränkung statistischer Umfragen brachte nur Teilerfolge, weil der Krieg neue Aufgaben an die Statistik stellte. Dies hatte auch personelle Konsequenzen. Beispielsweise ging der Chef der Industriestatistik beim DIW, Rolf Wagenführ, zum Planungsstab des Ministeriums von Albert Speer. Dieser von Kehrl geleitete Planungsstab konkurrierte wiederum mit dem Reichsamt für Wehrwirtschaftliche
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Planung. Der Statistiker Friedrich Behrens wurde zum Oberkommando der Wehrmacht „abkommandiert“. Beide haben nach dem Krieg als gefragte Spezialisten beachtliche Karrieren in West bzw. Ost gemacht. Besonders ausgeprägt war die Beteiligung von Statistikern in der Sippen-, Rassen- und Erbforschung sowie in der biologischen Bevölkerungsforschung. Stellvertretend seien einige Beiträge aus dem von Friedrich Burgdörfer herausgegebenen zweibändigen Werk „Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand“ genannt. Josef Götz: Rassenforschung und Statistik, Eugen Fischer: Statistik und Erblehre, Hans Luxenburger: Statistik und psychiatrische Erbforschung. Im AStA waren es u. a. Franz Reichert: Methoden der volksbiologischen Betrachtung (1939), Max Beckh: Der Wert der deutschen Sippenforschung für die Statistik, (1934/1935), Karl Keller: Zur Frage der Rassenstatistik, (1934/1935) und Friedrich Zahn: Fortbildung der deutschen Bevölkerungsstatistik durch erbbiologische Bestandsaufnahmen (1937/1938). Alle diese Themen und Forschungsgebiete waren schon vor 1933 Gegenstand der Diskurse in Deutschland und auch im Ausland gewesen. So hat der führende Bevölkerungsstatistiker Friedrich Burgdörfer sein Hauptwerk, den Bestseller „Volk ohne Jugend“, schon 1932 verfasst und Hans Grimm veröffentlichte 1926 das Gegenkonzept „Volk ohne Raum“. Beide theoretischen Ansätze, so widersprüchlich sie auch waren, fanden Eingang in die nationalsozialistische Politik. Entscheidend war, dass Teilerkenntnisse der Rassen- und Erblehre der vorhergehenden 50 Jahre das geistige Rüstzeug für die Vernichtung von „unwertem kranken Leben“ und von „rassisch minderwertigen Leben“ bildete. Zwischen Bevölkerungsstatistik/Bevölkerungslehre und der Rassen- und Erbforschung in Verbindung mit den ideologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten entstand eine unheilvolle Symbiose. Burgdörfer betrachtete sich selbst als Bevölkerungsstatistiker und Bevölkerungspolitiker unter Einbeziehung der Rassenforschung. Die Rassenideologie überwölbte nahezu die Bevölkerungslehre. Schon 1930, während der Weimarer Republik, war Burgdörfer Mitglied des „Reichsausschusses für Bevölkerungsfragen“ und 1933 hatte er einen Sitz neben namhaften Rasseforschern im „Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassepolitik“ beim Reichsinnenministerium. Ab 1934 trat er als Sachverständiger beim „Rassenpolitischen Amt der NSDAP“ und ab 1935 beim „Amt für Bevölkerungspolitik der SS“ in Erscheinung. Neben seinem Sitz im Komitee für Bevölkerungspolitik der „Akademie für Deutsches Recht“ war er gleichzeitig Mitglied zahlreicher nationaler wissenschaftlichen Gesellschaften und Institutionen, wie „Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung“, „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“ und „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland“. Burgdörfer genoss im Ausland hohes Ansehen als Mitglied des ISI und der „Union Internationale pour l’Etude Scientifique de la Population“. Er arbeitete eng mit Erbforschern wie Ernst Rüdin und Eugen Fischer zusammen und schätzte 1938 die Zahl der „Rassejuden“ in Deutschland und in der Welt (Burgdörfer 1938). Er erstellte 1940 ein statistisches Gutachten für die Umsiedlung der europäischen Juden nach Madagaskar (Madagaskar-Plan) und hob 1941 in einem Reisebericht über die Volkszählung im faschistischen Rumänien „die Lösung der Judenfrage“ und die „Zigeunerfrage“ hervor (Burgdörfer 1941/1942).
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Es waren häufig junge, karrierebewusste und hochqualifizierte Statistiker, die sich den neuen Machthabern andienten. Zu ihnen gehörten die Mathematikerin Erna Weber und der Statistiker und Sozialmediziner Siegfried Koller. Beide können nach dem Kriege hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Biometrie und Medizinstatistik nachweisen, aber darüber sollte ihre Tätigkeit in der NS-Zeit in der Rasseund Erbforschung nicht verschwiegen werden. Erna Weber, langjähriges Mitglied der DStatG, arbeitete zeitweise bei dem Rasseforscher und Anthropologen Otmar Freiherr von Verschuer am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, anschließend am Thüringischen Landesamt für Rassewesen und hatte bis zum Ende des Krieges einen Lehrauftrag für politische Biologie und biologische Statistik am rassenhygienischen Institut in Jena bei dem exponierten Rassenforscher und Rektor der Universität, Karl Astel. Sie publizierte mit Astel mehrere Forschungsberichte über das Heiratsverhalten. Nach dem Kriege setzte sie nach kurzer Unterbrechung ihre Karriere in Berlin-Ost an der Akademie der Wissenschaften der DDR und an der Berliner Universität fort. Sie galt als eine der führenden Biometrikerinnen in Europa. Siegfried Koller, ein Schüler Felix Bernsteins, sprach mit Wilhelm Kranz in einer Buchserie mit dem Titel: „Die Gemeinschaftsunfähigen: Beitrag zur wissenschaftlich und praktischen Lösung des sogenannten Asozialenproblems“ (Gießen 1939) Empfehlungen aus, in dem auch Zwangsterilisationen, Eheverbote und „Sonderbehandlungen“ für die Lösung des sogenannten Asozialenproblems Mittel der Wahl sein sollten. Von 1945 bis 1952 war Koller Gefangener im Zuchthaus Brandenburg. Nach seiner Entlassung übersiedelte er in die Bundesrepublik und machte erfolgreich Karriere beim Statistischen Bundesamt und in der Medizinstatistik. In der NS-Zeit gab es unter den Statistikern alle Abstufungen im Verhalten zum Regime, von Ablehnung, zwangsweiser Anpassung über bereitwilliges Mitläufertum und Kollaboration bis zu bewusster Täterschaft. Den Moralstatistiker Richard Korherr und den Bevölkerungsstatistiker Roderich Plate muss man zu den aktiven Unterstützern des Systems rechnen. Korherr war während des Krieges Leiter der „Statistischen Abteilung im SS-Hauptamt“ und „Inspektor für Statistik beim Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei“ und beim „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“. 1943 verfasste Korherr im Auftrage von Himmler einen umfassenden Bericht zur „Endlösung der Judenfrage“. Plate arbeitete zeitweise bei Korherr in der statistischen Abteilung der SS. Die Volkszählung 1939 macht besonders deutlich, wie die Unabhängigkeit der Statistik und die Wahrung des Statistikgeheimnisses gefährdet waren. Es gab zu dieser Zeit streng genommen kein Statistikgeheimnis, alle bei der Zählung Beteiligten waren auf das allgemeine Amtsgeheimnis eingeschworen. Die Weitergabe oder das „Hineinschauen“ in die Datenbestände waren nicht eindeutig geregelt. „Das alte Geheimhaltungsprinzip“, so schrieb Grävell 1941, könne „nicht im alten Umfang aufrechtgehalten werden. Es habe eine Berechtigung in einer Zeit gehabt, in der statistische Erhebungen lediglich zur Gewinnung statistischer Ergebnisse durchgeführt wurden“ (Grävell 1941/1942, S. 68-69). Der polnische Botschafter protestierte daher beim deutschen Außenministerium, weil im Volkszählungsgesetz von 1938 keine Klausel vorhanden war, die regelte, dass die Ergebnisse der Zählung nur zu statistischen Zwecken verwendet werden sollten.
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Bei der Volkszählung 1939 setzte der „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ sogenannte Ergänzungskarten durch, auf denen die Religionszugehörigkeit aller vier Großeltern angegeben werden mussten, um die „Rassezugehörigkeit“ zu ermitteln. Ab April 1941 war die Auswertung im wesentlichen abgeschlossen und Ende 1941 gingen die Ergänzungskarten an die Meldebehörden und an das Reichssippenamt. Wegen der großen Verzögerung der Arbeiten waren die Daten allerdings keineswegs mehr aktuell und für die Erfassung der Juden waren andere Wege besser geeignet. Dennoch lag darin ein Bruch in der Berufs-Ethik der Statistiker. Die Statistik im Allgemeinen hat sich während der NS-Diktatur lange Zeit auf vielen Ebenen bemüht, ihre Tätigkeit im traditionellen Sinne fortzusetzen, zum Teil durchaus auch im Glauben, damit dem neuen Regime in einem positiven Sinne zu dienen. Aber das bedingungslos diktatorische Regime hat auch die Statistik zur Gewaltausübung missbraucht und nicht wenige ihrer Vertreter bis hin zur Mitwirkung an menschenverachtenden Aktionen veranlasst. Besonders die Bevölkerungsstatistik, ein Kernstück der Arbeit der DStatG, wurde durch die Rassentheorie auf lange Zeit diskreditiert. Nach 1938 wurde die DStatG in der internationalen Statistik, z. B. im ISI, zusehends isoliert; die DStatG erwog sogar, eine neue internationale Vereinigung der Statistiker unter deutscher Führung zu gründen. Der Krieg verhinderte jedoch diese Pläne, und nach dem Krieg und den politisch-ideologischen Verwerfungen durch die NS-Diktatur war ohnehin ein grundsätzlicher Neuanfang von Nöten.
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Kapitel 3
Wiederbeginn nach dem Zweiten Weltkrieg Heinrich Strecker und Rosemarie Bassenge-Strecker
Zusammenfassung Dieses Kapitel schildert zunächst die Ausgangslage für die Statistik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: Der statistische Dienst in den Besatzungszonen musste teilweise erst aufgebaut und der statistische Unterricht an den Hochschulen wieder in Gang gebracht werden. In dieser Lage ergriff der Präsident des Bayerischen Statistischen Landesamtes, Karl Wagner, tatkräftig unterstützt von Gerhard Fürst, dem späteren Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, die Initiative zur Neugründung der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG). Die Gründungsversammlung 1948 im München wurde zu einem Meilenstein in der Geschichte der DStatG. Ziel war es, alle Statistiker zur Zusammenarbeit anzuregen, ihre Qualifikation an das internationale Niveau heranzuführen und die Anwendung neuerer statistischer Methoden in der Praxis zu fördern. Es folgten 24 Jahre fruchtbarer Arbeit unter Karl Wagner (1948–1960) und Gerhard Fürst (1960–1972). Der Beitrag skizziert die Statistischen Wochen, die Tätigkeit der Ausschüsse und die Veröffentlichungen in dieser Zeit.
3.1 Die Ausgangslage 3.1.1 Amtliche Statistik Nach dem Zweiten Weltkrieg war auch in der Statistik ein neuer Anfang vorzunehmen und der amtliche Statistische Dienst in den vier Besatzungszonen (12 Länder im Westen und 5 Länder in der Sowjetischen Besatzungszone) neu zu organisieren. Gleichzeitig bestand wegen des allgegenwärtigen Mangels an allem und infolge des ständigen Stroms von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten
H. Strecker (B) Rosenstr. 11, 82319 Starnberg, Deutschland
H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_3,
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ein dringender Bedarf an statistischen Daten sowohl bei den Militärregierungen als auch bei den deutschen Verwaltungsstellen. So wurde bereits 1946 auf Beschluss des Alliierten Kontrollrats eine Volks- und Berufszählung durchgeführt. Zu deren Vorbereitung fanden ab Juli 1946 in Berlin Sitzungen mit deutschen Statistikern aus allen Zonen statt, die eine erste Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch gaben. Soweit statistische Ämter, wie z.B. in Bayern, existierten, konnten diese ihre Arbeit wieder aufnehmen. War das nicht der Fall, mussten in den westlichen Besatzungszonen statistische Landesämter neu errichtet werden. Zum Beispiel erhielt Ende 1945 Gerhard Fürst von der U.S. Militärregierung einen Auftrag zum Aufbau des Hessischen Statistischen Landesamtes in Wiesbaden. Und in Hamburg übernahm Alfred Jacobs, ehemaliger Direktor im Statistischen Reichsamt Berlin, die neu eingerichtete Dienststelle Hamburg des Statistischen Amtes der Britischen Besatzungszone. (Zusammen mit seiner Frau Margret hatte er im Mai 1945 einen Lastwagen mit wichtigem Quellenmaterial nach Hamburg-Bergedorf gebracht.) Aber nicht überall kamen Fachstatistiker zum Zug, und so entstand in den drei westlichen Zonen zunächst ein gewisser Wildwuchs an oft methodisch auch noch unzulänglichen Erhebungen. Erst gegen Ende der 40er Jahre wurde die amtliche Statistik – der deutschen Tradition entsprechend – wieder aus den Verwaltungen ausgelöst, fachlich zentralisiert und regional dezentralisiert. In der sowjetischen Besatzungszone hatte das Statistische Zentralamt aufgrund einer Anordnung von Marschall Schukow vom 19.10.1945 unter der Leitung von Bruno Gleitze in einem weniger zerstörten Gebäudeteil des ehemaligen Statistischen Reichsamtes seine Arbeit aufgenommen, unterstützt von fünf statistischen Landesämtern und insgesamt 178 in allen Stadt- und Landkreisen gebildeten statistischen Kreisreferaten. Im April 1948 setzte dann die sowjetische Militärregierung die „Deutsche Verwaltung für Statistik“ ein, im Jahr 1950 wurde das – inzwischen reorganisierte – Statistische Zentralamt in das Ministerium für Planung eingegliedert. In Westdeutschland fand 1949, gefördert von den Besatzungsmächten, eine Landwirtschaftliche Betriebszählung und 1950 wieder eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung statt (Statistisches Bundesamt und Statistische Landesämter). Unter den Beratern befand sich Edward Deming (USA), der wertvolle Anregungen für die Konzeption des Mikrozensus gab. Im Jahr 1960 wurde er Ehrenmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG). Bei den laufenden Erhebungen wurden schrittweise Stichprobenverfahren eingeführt, beginnend mit der für die Ernährungslage wichtigen landwirtschaftlichen Produktion (Ernteermittlung, Viehzählungen). Zu ihrer Vorbereitung und Durchführung wurden in den statistischen Landesämtern und im Statistischen Bundesamt mathematisch ausgebildete Mitarbeiter eingestellt, deren Aufgabenbereich stetig zunahm. Im Jahr 1960 veröffentlichte das Statistische Bundesamt zusammen mit Mitarbeitern aus den statistischen Landesämtern einen 626 Seiten umfassenden Band mit einer Übersicht über die durchgeführten und geplanten Stichprobenerhebungen (Stichproben in der amtlichen Statistik).
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Sehr früh schon erhob sich auch das Bedürfnis nach einem Gesamtbild der Wirtschaftsstruktur und des Wirtschaftsablaufs. Diese Aufgabe übernahm vor allem das Statistische Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, das spätere Statistische Bundesamt unter Leitung von Gerhard Fürst. Ab Mitte der 50er Jahre galten die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen als selbstverständlicher Bestandteil der amtlichen Statistik für Regierung, Verwaltung, Wirtschaft und Wirtschaftsforschung. Dabei waren auch durchaus ideologische Hürden zu überwinden, denn das System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erschien einigen Kreisen als Vorstufe zu einer staatlichen Wirtschaftsplanung und als nicht vereinbar mit dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Den rechtlichen Rahmen für die amtliche Statistik in der Bundesrepublik schuf das 1953 erlassene Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke; es legt u.a. die Auskunftspflicht der Befragten und die Geheimhaltungspflicht fest.
3.1.2 Statistik an Universitäten und Hochschulen In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg wurde die Statistik in den wirtschaftswissenschaftlichen und in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten der deutschen Universitäten und Hochschulen vernachlässigt; zu den wenigen Ausnahmen gehörte Franz Žižek, der an der Universität Frankfurt a. M. ein Ordinariat für Statistik innehatte. Nach dem Krieg war infolge der unterbrochenen Teilnahme an der internationalen Entwicklung die Pflege insbesondere der theoretischen Statistik an den deutschen Universitäten nur unzureichend möglich. Nachdem diese die Arbeit wieder aufgenommen hatten, bestanden an den Universitäten der späteren Bundesrepublik nur drei Lehrstühle für Statistik in wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten. In Köln lehrte seit 1922 Jakob Breuer. In Frankfurt a. M. wirkte seit 1941 Paul Flaskämper als Nachfolger Žižeks. In München wurde 1947 Oskar Anderson sen. auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Statistik berufen. Er hatte in Russland (St. Petersburg, Kasan) Mathematik und Wirtschaftswissenschaften studiert. Während der russischen Revolution habilitierte er sich in Kiew/Ukraine und flüchtete weiter nach Bulgarien, wo er dann auf Initiative von A. A. Tschuprow als Professor in Varna und Sofia tätig wurde. 1942 berief ihn die Universität Kiel. Er beklagte den tiefen Stand statistischen Wissens in Deutschland gegenüber anderen Ländern, in denen die mathematische Ökonomie mit ihren Modellen und Verfahren weiter entwickelt war (Anderson 1949). In anderen westdeutschen Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultäten vertraten außerordentliche oder außerplanmäßige Professoren das Fach Statistik, z.B. die Professorin Charlotte Lorenz in Göttingen. In seltenen Fällen wurden in Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten mathematisch-statistische Vorlesungen angeboten, so in Göttingen von Hans Münzner, in Köln von A. Noack und in München an der Ludwig-Maximilians-Universität von H. Richter. Außerdem wurde die Statistik von Professoren gelesen, die ein
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anderes Hauptfach lehrten oder auch von Honorarprofessoren und Lehrbeauftragten, darunter jahrzehntelang bewährte Praktiker aus der amtlichen Statistik und der Wirtschaft. An der Universität in Frankfurt a. M. und an der Freien Universität in Berlin gab es noch jeweils eine außerordentliche Professur für medizinische Statistik, die mit Maria Pia Geppert und Karl Freudenberg besetzt waren. In Mainz und Heidelberg las Siegfried Koller Medizinische Statistik, seit 1953 als Honorarprofessor, ab 1963 vertrat er das Fach in Mainz als Ordinarius. In der sowjetischen Besatzungszone bestanden unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Professuren für Statistik an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin (Jürgen Kuczynski), und in Leipzig (Felix Burkhardt). Der wissenschaftliche Nachwuchs konnte von der Natur der Sache her nur von den Ordinarien betreut werden. Hier sind die Schüler von Flaskämper in Frankfurt a. M., Adolf Blind und dessen Schüler Heinz Grohmann (Frankfurter Schule) sowie von Anderson sen. in München Hans Kellerer und Heinrich Strecker (Münchner Schule) zu nennen. Aber auch andere Professoren wurden dieser Aufgabe durchaus gerecht, so dass es schon in wenigen Jahren gelang, neue Lehrstühle zu besetzen. Berufen wurden u.a. Oscar Anderson jun. (Mannheim), Heinz Gollnick (Hamburg), Asta Hampe (Marburg), Günter Menges (Saarbrücken), Johann Pfanzagl (Köln), Kurt Stange (Aachen), Heinz Stöwe (Mainz), Kurt Weichselberger (Berlin) und Wolfgang Wetzel (Kiel). Nach 1960 wuchs die Zahl der Lehrstühle für Statistik auf Grund der Empfehlungen des Wissenschaftsrates weiter an. In dieser Periode verschoben sich auch die Inhalte der statistischen Ausbildung. Wurde traditionell hauptsächlich die angewandte Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Sozialstatistik gelehrt, gewann nun die wahrscheinlichkeitstheoretisch begründete Methodenlehre und besonders die Stichprobentheorie an Bedeutung. Diese setzten mehr mathematische Grundkenntnisse voraus. Deshalb überrascht es kaum, dass 1961 fast die Hälfte der Statistik-Professoren ausgebildete Mathematiker waren.
3.2 Die Neugründung der Deutschen Statistischen Gesellschaft 3.2.1 Die Organisatoren Seit 1944 existierte die DStatG praktisch nicht mehr. Im Februar 1946 verstarb ihr langjähriger Vorsitzender Friedrich Zahn, sein Stellvertreter Johannes Müller aus Weimar-Eisenach, der ab 1943 formal die Geschäftsführung übernommen hatte, verstarb im gleichen Jahr. Entsprechend den Vorschriften der Militärregierung war daher die DStatG wie alle anderen Vereinigungen in den Besatzungszonen neu zu begründen. Die Initiative dazu ergriff der damalige Präsident des Bayerischen Statistischen Landesamtes Karl Wagner. Wagner hatte 1922 seine berufliche Laufbahn im Statistischen Reichsamt in Berlin begonnen und war 1925 der für die Volkszählung zuständige Referent. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten
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wurden seine Arbeitsmöglichkeiten immer mehr beschränkt, bei fälligen Beförderungen wurde er übergangen, nach Erlass des Deutschen Beamtengesetzes vom 26.01.1937 durfte er nur noch als Angestellter im Hintergrund arbeiten. 1942 wechselte er zur Wirtschaftskammer Bayern und noch während des Krieges zur Industrieund Handelskammer in München, bei der er nach Kriegsende für kurze Zeit die Geschäftsführung übernahm. Im Februar 1946 übertrug ihm das Bayerische Staatsministerium des Innern die kommissarische Leitung des Bayerischen Statistischen Landesamtes. Im Mai 1947 wurde er dessen Präsident. In dieser Funktion beteiligte sich Karl Wagner maßgeblich am Wiederaufbau der amtlichen Statistik in den Besatzungszonen und wirkte beim Aufbau des föderalistischen Systems gestaltend mit. Daneben bereitete er die Gründung des Ifo-lnstituts für Wirtschaftsforschung vor, das er bis 1955 leitete. Für die DStatG war vor allem von Bedeutung, dass er die Initiative zu ihrer Neugründung ergriff, diese engagiert vorbereitete und dann bereit war, die erste Präsidentschaft zu übernehmen. 1959 schied Karl Wagner aus dem Bayerischen Statistischen Landesamt aus gesundheitlichen Gründen aus, 1960 trat er vom Vorsitz der DStatG zurück. Er verstarb am 23. Mai 1963.
Karl Wagner 1948 −1960
Gerhand Fürst 1960 −1972
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Die Neugründung der DStatG unterstützte Gerhard Fürst von Anfang an. Er und Wagner kannten sich aus der gemeinsamen Zeit im Statistischen Reichsamt Berlin. Fürst wechselte 1930 in das Sekretariat des Völkerbundes als Sekretär des Ausschusses Statistischer Sachverständiger. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges übersiedelte er wieder nach Berlin und arbeitete in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farbenindustrie AG, einem Zufluchtsort mancher Wissenschaftler, die sich den Zwängen des nationalsozialistischen Regimes entziehen wollten. Im Februar 1945 wurde diese Abteilung nach Marburg a. d. Lahn verlegt. So kam Fürst nach Hessen, wo er im Dezember 1945 mit dem Aufbau des Hessischen Statistischen Landesamtes beauftrage wurde. Die Mitglieder der DStatG wählten Gerhard Fürst erstmals 1948 und dann zwei weitere Male zum ersten stellvertretenden Vorsitzenden und 1960, 1964 und 1968 zum Vorsitzenden. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. durch eine Ehrenpromotion durch die Staatswirtschaftliche Fakultät der Ludwig-MaximiliansUniversität München 1959. Bis zu seinem Lebensende fühlte er sich mit der DStatG eng verbunden und nahm regelmäßig an ihren Veranstaltungen teil. 1987 hielt er anlässlich seines 90. Geburtstags noch eine Ansprache in dem Saal im Statistischen Bundesamt, der später seinen Namen tragen sollte. Er verstarb am 27. Juli 1988.
3.2.2 Die Gründungsversammlung 1948 und die Jahrestagung 1948 Wann Wagner begann, den Kreis der Mitglieder, die den Zweiten Weltkrieg überstanden hatten, ausfindig zu machen und die Neugründung zu planen, ist nicht eindeutig festzustellen. In einem Rundschreiben vom 26. Februar 1948 erwähnt er eine Anfrage vom 4. November 1947 an einen größeren Kreis von Fachstatistikern, in der er um Stellungnahme zu der geplanten Neugründung gebeten hatte. Die Zustimmung war offensichtlich groß, denn nun schlug Wagner vor, einen vorbereitenden Ausschuss zu bilden und kündigte an, auch das „Allgemeine Statistische Archiv“ wieder herausgeben zu wollen. Dem vorbereitenden Ausschuss sollten außer ihm angehören:
• Wilhelm Britzelmayr, Bankdirektor, München, • Emil C. Chandon, Leiter des Statischen Landesamtes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, • Peter Deneffe, Leiter des Statistischen Amtes der Stadt Frankfurt a. M., • Friedrich Eicher, Wirtschaftrat im Statistischen Amt der Stadt München, • Ellynor Eichert, Statistisches Landesamt für Württemberg-Hohenzollern, Tübingen, • Gerhard Fürst, Direktor des Hessischen Statistischen Landesamtes, Wiesbaden, • Bruno Gleitze, Präsident des Statistischen Zentralamtes in der sowjetischen Besatzungszone, Ost-Berlin,
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• Bernhard Mewes, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Braunschweig, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Städtestatistiker in der britischen Zone, • Otto Most, Universität Mainz, • Albert Zwick, Präsident des Statistischen Landesamtes Rheinland-Pfalz, Bad Ems. Dieser Ausschuss setzte sich also aus Vertretern der Landes- und Städte- sowie der Hochschul- und Wirtschaftsstatistik aus den vier Besatzungszonen und OstBerlin zusammen. Nach den Vorgaben der amerikanischen Militärregierung für das Vereinswesen mussten die betreffenden Personen politisch unbelastet, d.h. nach dem Entnazifizierungsgesetz als Entlastete oder als Mitläufer eingestuft worden sein. Sie hatten vor allem die Satzung der neu zu gründenden Gesellschaft zu formulieren, über die dann auf einer Gründungsversammlung abzustimmen war. Mit Schreiben vom 14. Mai 1948 präsentierte Wagner den Mitgliedern des vorbereitenden Ausschusses einen weitgehend an die Satzung von 1927 angelehnten Entwurf, der auch grundsätzlich akzeptiert wurde. Anschließend lud er zur Gründungsversammlung am 27. Juli 1948 nach München ein, auf der die Satzung verabschiedet und gleichzeitig beschlossen wurde, die erste NachkriegsJahresversammlung im September des gleichen Jahres ebenfalls in München abzuhalten. Diese erste Tagung der Nachkriegszeit fand am 22. September 1948 in München statt. Im Hinblick auf die am selben Tag stattfindende Versammlung der Städtestatistiker und die anschließende Tagung des Statistischen Ausschusses für das Vereinige Wirtschaftsgebiet sowie des Arbeitsauschusses zur Vorbereitung der Wohnungszählung sprach Wagner bereits wieder von einer „Statistischen Woche“. Getagt wurde im Sitzungssaal des Neuen Rathauses am Marienplatz, dem einzigen für derartige Zwecke geeigneten Raum der Stadtverwaltung im schwer zerbombten München. Es hatten sich über 150 Teilnehmer eingefunden. Die Teilnehmerliste ist im Allgemeinen Statistischen Archiv abgedruckt (siehe AStA 33: 159–161), die zahlreichen Glückwünsche zur Neugründung durch die Schweizer Gesellschaft für Statistik und Volkswirtschaft, die Royal Statistical Society, die Société de Statistique de Paris, die Niederländische Statistische Gesellschaft und die Societa Italiana di Statistica dokumentierten die Erfolge Wagners bei seinem Bestreben, den Anschluss an die internationale Statistik wieder herzustellen. Wagner seinerseits gedachte der Mitglieder, die sich große Verdienste um die Gesellschaft erworben hatten, aber aus Altersgründen nicht teilnehmen konnten: Moriz Hecht, früher Karlsruhe, Siegmund Schott, früher Mannheim, Karl Seutemann, Bad Pyrmont, C.A. Verrinj-Stuart, Niederlande, Adolf Günther, Innsbruck, Alois Kovaca, Ungarn. Anschließend ergriff K. Shafer von der amerikanischen Militärregierung (OMGUS, Organisation of the Military Government of Germany, United States) das Wort und kündigte die Gründung eines „Institute of Public Affairs“ an, das für die deutsche Statistik wie für viele andere kulturelle Bereiche Hilfe bei der Anschaffung von Büchern und anderer Forschungsmittel aus dem Ausland sowie bei der Vermittlung von Kursen im Ausland bieten sollte. Obwohl eine gemeinsame
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amerikanisch-deutsche Einrichtung, würden die Mittel ín den ersten fünf Jahren von der Militärregierung allein übernommen werden. Damit wies Shafer als einziger Redner auf die allgemeinen Mangelerscheinungen in den Nachkriegsjahren hin. Bei allen anderen schwang im Unterton stets die Zufriedenheit mit, dass mit der Neugründung der DStatG ein weiteres Stück Normalität geschaffen worden war. Kurt Treitschke, West-Berlin, dankte dafür, dass auch Berlin an der Neugründung beteiligt worden sei und vermittelte das Interesse derjenigen Kollegen aus Ost-Berlin und der sowjetischen Besatzungszone, die „infolge der staatsrechtlichen Lage“ und Verzögerungen bei der Ausstellung ihrer Pässe nicht nach München reisen konnten. Anschließend beklagte F. P. Hoeber vom Bipartite Control Office in Frankfurt, dass es in der Industriestatistik bisher nur Zensen gäbe und plädierte dafür, die „repräsentative Methode“ (also Stichproben) in die Industrieberichterstattung einzuführen. Das sei für die Durchführung des Marshall-Plans dringend erwünscht. Für die Umstellung auf Stichproben fehle es immer wieder an entsprechender Literatur, besonders in deutscher Sprache. Als letzter Redner der Begrüßungsrunde übermittelte Vizepräsident a. D. Platzer, ehemals Statistisches Reichsamt Berlin, als offizieller Vertreter des Internationalen Statistischen Instituts Glückwünsche an die Versammlung und machte eine mögliche engere Zusammenarbeit des Instituts mit den nationalen statistischen Organisationen, etwa in Form korporativer Mitgliedschaften aufmerksam. Das gelte auch für die DStatG und werde sicher helfen, im Ausland die „ablehnende Zurückhaltung, die dem Deutschen heute auch sonst noch oft begegnet“, abzubauen. Es folgten zwei Vorträge von Klaus Szameitat über „Neue Wege für die Volkszählung“ und Charlotte Lorenz über „Werdegang und gegenwärtiger Stand des statistischen Hochschulunterrichts unter besonderer Würdigung seines Begründers (Gottfried Achenwall)“. Trotz ausführlicher und teilweise kontroverser Diskussion einte alle das Bestreben, die Methoden der Statistik zu verbessern und die Qualifikation der Statistiker zu fördern. Beide Referate sind im Allgemeinen Statistischen Archiv (AStA 33, 1949) veröffentlicht. Im selben Heft beklagte Oskar Anderson sen. in seinem Beitrag „Der statistische Unterricht an deutschen Universitäten und Hochschulen“ den Niedergang der statistischen Ausbildung während der Herrschaft des Nationalsozialismus, und Hans Kellerer berichtete über „Neue Stichprobenverfahren in der amtlichen Statistik unter besonderer Berücksichtigung amerikanischer Erfahrungen“. Wichtigster Tagesordnungspunkt der folgenden Mitgliederversammlung war die Wahl des Vorstands. Gewählt wurden • Karl Wagner zum Vorsitzenden, • Gerhard Fürst zum 1. stellvertretenden Vorsitzenden, • Lorenz Fischer zum 2. stellvertretenden Vorsitzenden. Des Weiteren gehörten dem ersten Nachkriegsvorstand an: • Oskar Anderson sen., Ordinarius für Statistik an der Ludwig-MaximiliansUniversität München,
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• Wilhelm Britzelmayr, Bankdirektor, München, • Peter Heim, Statistisches Landesamt Rheinland Pfalz, Bad Ems, • Bernhard Mewes, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Braunschweig und Vorsitzender des Verbandes Deutscher Städtestatistiker, • Kurt Treitschke, Leiter des Hauptamtes für Statistik, West-Berlin, • Albert Zwick, Präsident des Statistischen Landesamtes Rheinland-Pfalz, Bad Ems.
Dann wurde vereinbart, Arbeitsgemeinschaften oder Fachausschüsse zu bilden. Als vordringlich galt die Einsetzung eines Ausschusses für Ausbildungs- und Prüfungswesen. Die Leitung übernahm Paul Flaskämper, Universität Frankfurt a. M.
3.3 Die Deutsche Statistische Gesellschaft 1948–1972 3.3.1 Die Statistische Woche Unter den Vorsitzenden Karl Wagner und Gerhard Fürst gewann die DStatG schnell an Attraktivität und Wirksamkeit. Die Zahl der Mitglieder stieg von etwas über 100 im Jahr 1948 auf über 560 im Jahr 1972 (siehe Anhang 6). Darunter befanden sich zeitweise mehr als 40 korporative Mitglieder. Die größte Gruppe bildeten die Mitarbeiter der amtlichen Statistik und die im Laufe der Jahre an Zahl zunehmenden Vertreter der Hochschulstatistik. Aber auch bei den in Wirtschaft und Verwaltung arbeitenden Produzenten und Konsumenten der Statistik stieß die Arbeit der Gesellschaft auf immer größere Resonanz. Die Vertreter der Städtestatistik Friedrich Eicher, Lorenz Fischer und Bernhard Mewes waren dagegen schon bei der Neugründung 1948 beteiligt. Die schon seit 1913 traditionelle Zusammenarbeit zwischen der DStatG und dem Verband Deutscher Städtestatistiker wurde Jahr für Jahr unter großem Aufwand für die betroffenen Ämter und Stadtverwaltungen fortgesetzt. Eine im Anschluss an Referate von Adolf Blind, Frankfurt a.M., und Oskar Anderson sen., München, in Heidelberg 1953 auf hohem Niveau geführte Diskussion (AStA 37, 1953, S. 289–361) zeugt von den verschiedenen Auffassungen in damaliger Zeit. Auch 15 Jahre später wurde in Kassel wieder über die Anwendung mathematisch-statistischer Methoden in der praktischen Statistik diskutiert. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Substanzstatistik und den mathematisch-statistischen Methoden bestehe und eine wechselseitige Befruchtung beider Verfahrensweisen notwendig sei (AStA 53, 1968, 73–93). Die Bemühungen des Vorstands, die Kontakte zu ausländischen Kollegen und Institutionen wieder anzuknüpfen, die infolge der nationalsozialistischen Herrschaft und insbesondere des Zweiten Weltkriegs unterbrochen waren, hatten durchaus Erfolg. Den Einladungen zu den Jahresversammlungen folgten regelmäßig Vertreter des Internationalen Statistischen Instituts sowie von Ämtern und Gesellschaften,
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u. a. aus der Schweiz, Österreich, Frankreich, Italien, den Niederlanden, dem ehemaligen Jugoslawien und Ungarn. Andererseits erhielt die DStatG Einladungen internationaler und ausländischer Vereinigungen. Über den Besuch dieser Veranstaltungen berichteten die Mitglieder im AStA, um die Informationen über neue Entwicklungen und Arbeitsergebnisse weiterzugeben. Dem ersten Ziel der Neugründung, die deutschen Statistiker wieder zu vereinen, dienten vor allem die Jahreshauptversammlungen, die im Rahmen der zusammen mit dem Verband Deutscher Städtestatistiker veranstalteten „Statistischen Wochen“ stattfanden. 1949 nahm die Tagung bereits zwei Tage in Anspruch, ab 1954 drei, da für die Ausschüsse mehr Zeit eingeplant werden musste. In späteren Jahren standen aus aktuellen Anlässen auch ausgewählte Aufgabenbereiche der amtlichen Statistik wie auch der Konjunktur- oder Verbrauchsforschung oder der Demographie auf der Tagesordnung. Diese Vielzahl der Themen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es meistens die Anwendungen der Statistik im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften waren, die hier im Fokus standen, während auf internationaler Ebene das Spektrum der von den statistischen Gesellschaften behandelten Themen weitaus breiter war. Insbesondere fühlten sich seinerzeit die mathematisch-statistisch arbeitenden Statistiker durch die DStatG nicht ausreichend repräsentiert.
3.3.2 Die Ausschüsse Einer der wichtigsten Ausschüsse der DStatG ist der Ausschuss für Ausbildungsfragen. Er tagte erstmals im Juni 1949 unter Vorsitz von Paul Flaskämper in Frankfurt a. M. und dann regelmäßig im Rahmen der Statistischen Wochen bis 1953. Als aktives Mitglied kämpfte auch Oskar Anderson sen. für eine Verbesserung des im Vergleich zum Ausland schlechten Ausbildungsstandes der Wirtschaftswissenschaftler. Bereits 1949 forderte die DStatG in einer an die Kultusministerien gerichteten Resolution, dass die Statistik obligatorisches Prüfungsfach im Diplomexamen für Volks- und Betriebswirte werden sollte, und hatte damit immerhin an einigen Universitäten Erfolg. Im Jahr 1953 formulierte der Ausschuss ein Minimalprogramm für die statistische Ausbildung (Heidelberger Programm). Die Studierenden sollten danach nicht nur gründliche Kenntnisse in der Methodenlehre, sondern auch in der „materiellen“ Statistik erwerben. Es sei zwar nicht Aufgabe der Universitäten, Berufsstatistiker auszubilden, aber Wirtschaftswissenschaftler müssten Statistiken richtig lesen, kritisch beurteilen und für weitere Analysen benutzen können. In den 60er Jahren wandte sich die DStatG angesichts der sehr schnellen Entwicklung der statistischen Theorie und der sich ausweitenden Anwendungsgebiete abermals Fragen der Ausbildung zu. 1961 stand das Thema „Ausbildung und Weiterbildung der Statistiker“ sogar auf dem Programm der Jahrestagung in Saarbrücken. 1964 kam es im Rahmen der Jahrestagung in München unter dem Dreierkollegium Adolf Blind, Ingeborg Esenwein-Rothe und Klaus Szameitat zu einer Empfehlung an die Universitäten – mit großem Erfolg, wie die weitere
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Entwicklung des Faches Statistik an den Hochschulen zeigte. In die Grundausbildung aller wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge wurde die Statistik eingebaut und die erfolgreiche Teilnahme an einer Klausur gefordert. Außerdem wurde die Statistik allgemein als Wahlfach in den Diplom-Prüfungen zugelassen. In den folgenden Jahren diskutierte der Ausschuss über Detailfragen des statistischen Lehrprogramms und legte Regeln für die wechselseitige Anerkennung von im Grundstudium erworbenen Scheinen fest. Gegen Ende der 60er Jahre drängte der Ausschuss unter der Leitung von Kurt Weichselberger auf die Einführung eines Studiengangs für Diplomstatistiker. Eine vom Ausschuss vorgelegte Resolution wurde im Februar 1972 vom Vorstand beschlossen und an die Kultusministerien und -senatoren weitergeleitet. Etwa gleichzeitig richtete die Universität Dortmund eine Abteilung „Statistik“ ein und begann mit der Ausbildung von Diplomstatistikern. Die Universität München folgte damit 1979 nach (vgl. Kapitel 7). Gelegentlich bot die DStatG selbst Kurse zur Fortbildung akademischer Statistiker an. Im Juni 1952 und im Oktober 1954 leitete Hans Kellerer in München mehrtätige, stark nachgefragte Einführungen in das Stichprobenverfahren. Dabei referierten außer Kellerer selbst u. a. Helga Schmucker, Siegfried Koller und Heinrich Strecker. Ein weiterer wichtiger Ausschuss der DStatG ist der für Stichprobenverfahren. Auch dieser Ausschuss wurde schon 1949 als Antwort auf ein von Praktikern und Theoretikern gleichermaßen empfundenes deutsches Defizit gegründet. Vorsitzender wurde Hans Kellerer, damals Referent im Bayerischen Statistischen Landesamt, später Professor an der Freien Universität Berlin und an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Die vordringliche Aufgabe des Ausschusses bestand darin, ausländische, vor allem angelsächsische Literatur zu beschaffen und deutsche Literatur zur Stichprobenproblematik zu fördern und zu verbreiten. Diesem Zweck dienten verschiedene, zum Teil im Bayerischen Statistischen Landesamt hergestellte und im Selbstverlag vertriebene Veröffentlichungen: 1950 erschienen drei Broschüren, 1953 von Hans Kellerer die „Theorie und Technik des Stichprobenverfahrens“ als Nr. 5 der Einzelschriften der DStatG. Die Nachfrage war so groß, dass drei Auflagen nötig waren. Die Sitzungen des Ausschusses erfreuten sich großen Interesses, sie wurden gelegentlich von über 200 Teilnehmern besucht. Die Themen der Vorträge ergaben sich aus den Aufgaben der amtlichen Statistik, wie z.B. Volkszählungen, Landwirtschaftsstatistiken oder Lohnsteuerstatistik. Daneben wurden Anwendungen aus der Markt- und Meinungsforschung sowie der Versicherungswirtschaft behandelt. Im Jahr 1957 wurde der Stichprobenausschuss in „Ausschuss für neue (ab 1972 neuere) statistische Methoden“ umbenannt, da die Entwicklung moderner Methoden der Statistik weit über die Stichprobenverfahren hinausgegangen war. Damit erweiterte sich das Betätigungsfeld des Ausschusses erheblich, u.a. auf Medizinalstatistik, Bankwirtschaft, Energiewirtschaft, Konjunkturforschung, Entscheidungstheorie, Zeitreihenanalyse, Input-Output-Rechnungen, Faktorenanalyse, Bayes-Analysen und vieles anderes.
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Neben dem Ausschuss für Stichprobenverfahren war auch der 1950 begründete Ausschuss für die Anwendung statistischer Methoden in der Industrie ein Zentrum des wissenschaftlichen Arbeitens in der DStatG. Im Ausland waren schon Jahre zuvor geeignete statistische Methoden entwickelt und angewandt worden, um die Leistungen der Industrie durch systematische Aufzeichnungen und Kontrollen zu steigern. Einige deutsche Großbetriebe folgten dieser Entwicklung, aber eine breite Anwendung statistischer Methoden gab es noch nicht. Ausgewählte Themen waren Wirtschaftlichkeit in der (Unternehmens-)Verwaltung, Qualitäts- und Ausschusskontrolle, das statistisch nicht Erfassbare im Markt, Rundfunkwirtschaft und Statistik in der chemischen Industrie. Erster Vorsitzender war Andres Mulzer, Nürnberg. Von 1953 bis 1963 war Siegfried Balke, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen und Erster Vorsitzender des Vereins der Bayerischen Chemischen Industrie, sein Nachfolger. Ab 1956 tagte der Ausschuss gemeinsam mit dem Ausschuss für Stichprobenverfahren auf den Jahresversammlungen, 1964 wurden sie im „Ausschuss für neue statistische Methoden“ unter dem Vorsitz von Hans Kellerer vereinigt. Ein Unter-, ab 1964 selbständiger Ausschuss Marktbeobachtung und Marktanalyse behandelte unter dem Vorsitz von Walter Behrens, Leiter der Wirtschafts- und Marktforschung der Adam Opel AG, statistische Methoden und Anwendungen in der Marktforschung. Die Veranstaltungen stießen auf großes Interesse. 100 bis über 200 Teilnehmer waren keine Seltenheit. Darüber hinaus waren die Zusammenarbeit betrieblicher Marktforschung mit der amtlichen Statistik sowie von Marktforschung und Verbandsstatistik Gegenstand der Diskussionen. Ferner gab der Unterausschuss informative Merkblätter und Schriften heraus, in denen statistische Verfahren für die in der Marktforschung tätigen Mitarbeiter in Unternehmen und Verbänden erläutert wurden. Die Nachfrage nach diesen Heften war so groß, dass mehrere Auflagen erforderlich wurden. Nach dem Tod von Walter Behrens im Jahr 1963 setzte Karl Georg Mahnke, Leiter der volkswirtschaftlichen und statistischen Abteilung der Landeszentralbank Berlin, die Arbeit des Ausschusses fort. Ein zweiter Unterausschuss für innerbetriebliche Statistik (diesen Namen bekam er 1953) setze sich zum Ziel, die deutschen Unternehmen, insbesondere die mittleren und kleinen, für die Anwendung statistischer Methoden zu gewinnen. Ihm gehörten neben Vertretern von Industrie und Verbänden auch solche von Behörden und Hochschulen an. Den Vorsitz hatte zunächst G. Bickert, Düsseldorf, inne. 1957 übergab er ihn an Hans Wittmeyer vom Verband der chemischen Industrie, Frankfurt a.M., dem 1969 K.H. Freitag vom Bundesverband der Deutschen Industrie, Köln, folgte. Zu den behandelten Themen gehörten z.B. Produktionsmessungen, Qualitätskontrolle, modernes industrielles Rechnungswesen, Input-OutputTabellen, die Einführung elektronischer Rechenanlagen oder die innerbetriebliche Statistik. Daneben setze sich der Unterausschuss auch für die Fortbildung der für die Statistik zuständigen Mitarbeiter in Betrieben und Verbänden ein; dazu dienten allgemeinverständliche Schriften über die innerbetriebliche Statistik, die Messung der Produktivität oder die statistische Erfassung des Vertriebs (siehe Anhang 11). Heute
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sind die vormaligen Unter-, später selbständigen Ausschüsse für „Marktbeobachtung und Markanalyse“ sowie „Innerbetriebliche Statistik“ zu einem „Ausschuss für Unternehmens- und Marktstatistik“ zusammengefasst. Angesichts des zunehmenden Bedarfs an regionalstatistischen Daten wurde auf der Mitgliederversammlung 1953 in Heidelberg ein weiterer Arbeitskreis Regionalstatistik unter dem Vorsitz von Friedrich L. Hoffmann, Oberregierungsrat in der Bundesanstalt für Landeskunde, Remagen, gegründet. Dieser Arbeitskreis, ab dem Jahr 1964 als Ausschuss geführt, widmet sich Fragen der wirtschaftlichen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland, der Ermittlung von strukturell und funktional verbundenen Räumen, der Abgrenzung von Stadtregionen und Gemeindeteilen, der Gliederung von strukturell verschiedenen Agglomerationen (städtische Kerngebiete, gewerbliche Regionen, vorstädtische Siedlungsgebiete) und der Tragfähigkeit einzelner Räume. Dabei wurde auch ein regionalstatistisches Mindestprogramm für die Großzählungen wie Volks-, Arbeitsstätten-, Wohnungs- und Landwirtschaftliche Betriebszählungen erarbeitet.
3.3.3 Das West-Ost-Verhältnis Für Wagner und die anderen Mitglieder des die Neugründung der DStatG vorbereitenden Ausschusses war es selbstverständlich, die in Ost-Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone wirkenden wissenschaftlichen Statistiker zu den geplanten Veranstaltungen einzuladen und ihnen die Mitgliedschaft zu ermöglichen. Zur Neugründung 1948 in München konnten aber keine Statistiker aus Ostdeutschland kommen, sie hatten ihre Pässe nicht rechtzeitig erhalten. Ein Jahr später, nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, waren es nur zwei Vertreter des Statistischen Zentralamtes in Ost-Berlin, die an der Jahresversammlung in Freiburg i.Br. teilnahmen. In den Mitgliederverzeichnissen der DStatG 1954 und 1958 finden sich nur noch drei Professoren und eine Lehrbeauftragte mit Wohnsitz in der DDR. Wissenschaftliche Kontakte mit Vertretern der Hochschulstatistik und der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin gab es aber weiterhin. Gelegentlich konnten Referenten und Autoren zur Mitarbeit gewonnen werden. So sprach 1949 Bruno Gleitze, damals noch Leiter des Statistischen Zentralamtes und Professor an der Humboldt-Universität, Ost-Berlin, über die Reformbestrebungen für das wirtschaftswissenschaftliche Studium an ostdeutschen Universitäten, 1950 sprach Gerhard Bondi, Universität Halle/S, über die Rolle der Statistik in einer Planwirtschaft und 1952 Felix Burkhardt über eine „experimentelle Untersuchung zur Stichprobentheorie“. 1959 erschien im AStA (AStA 43, 62–64) sein Beitrag „Zur Statistik der Säuglingssterblichkeit im Zeitraum 1948–1956“. Die Verdienste des Letztgenannten um die deutsche Statistik wurden im AStA (AStA 47, 1963; AStA 52, 1968; AStA 57, 1973) gewürdigt, im Jahr 1962 wurde Burkhardt zum Ehrenmitglied der DStatG gewählt. Als wissenschaftliche Zeitschrift gab das Statistische Zentralamt der DDR die „Statistische Praxis – Monatsschrift für theoretische und angewandte Forschungs-,
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Verwaltungs- und Betriebsstatistik“ – heraus. Die Konzeption stammte von Bruno Gleitze, der jedoch 1949 aus politischen Gründen in die Bundesrepublik übersiedelte. Die Schriftleitung der Zeitschrift blieb danach anonym. Später wurde der Charakter der Zeitschrift geändert, was auch im neuen Untertitel zum Ausdruck kommt: Zeitschrift für Rechnungslegung und Statistik.
3.4 Veröffentlichungen Eine wichtige und umfangreiche Aufgabe der DStatG war seit jeher die Herausgabe von Veröffentlichungen. So war etwa die Fortsetzung des AStA dem ersten Nachkriegsvorsitzenden Karl Wagner von Anfang an ein großes Anliegen. Dabei ging es neben der Verbreitung von Arbeitsergebnissen insbesondere auch um die Bekanntmachung von methodischer Literatur des In- und Auslandes, die zu der Zeit nicht ohne weiteres zugänglich war. 1948 und 1949 wurden auch die Teilnehmerlisten von den Jahresversammlungen aufgenommen, um die Erneuerung alter und die Anknüpfung neuer Kontakte in einer Zeit zu ermöglichen, in der die Statistiker, die den Krieg überlebt hatten und durch die Grenzen der Besatzungszonen getrennt waren, erst wieder zusammenfinden mussten. Neben dem AStA gab die DStatG Monographien in Form von Einzelschriften heraus, welche die deutsche Fachliteratur ergänzen und an den internationalen Standard heranbringen sollte. Auch die Schriftenreihen der Ausschüsse seien in diesem Zusammenhang erwähnt. Im Jahr 1948 initiierte die DStatG ferner das Mitteilungsblatt für mathematische Statistik, wohl aus der Erkenntnis heraus, dass die mathematisch-statistischen Methoden, wie sie bereits im Ausland gepflegt wurden, immer mehr an Bedeutung gewinnen würden. Dieses Mitteilungsblatt erschien vierteljährlich in vervielfältigter Form, die Schriftleitung lag bei Oskar Anderson sen., Hans Münzner und Hans Kellerer. Doch löste sich 1958 die DStatG von der Herausgabe dieser Zeitschrift. Das Mitteilungsblatt und die bislang in Wien veröffentlichte „Statistische Vierteljahresschrift“ wurden unter dem Namen METRIKA vereinigt und zunächst von Oskar Anderson sen. und Wilhelm Winkler, Wien, herausgegeben. Als Schriftleiter wirkten Hans Kellerer und Slawtscho Sagoroff, Wien. Danksagung Die Verfasser hätten diesen Beitrag nicht ohne die Unterstützung vieler Personen und Institutionen vollenden können. Wir danken dem Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, München, insbesondere Frau Ltd. Regierungsdirektorin Anna Staudhammer und Frau Bibliotheksrätin Christine Wiens, M.A., für die tatkräftige Unterstützung unserer Recherchen sowie Frau Angelika Bleibinhaus für die sorgfältige Anfertigung des Manuskripts, ferner Herrn Rudolf Schulmeyer, Frankfurt a. M., Herrn Dipl.-Ing. Hermann Klein, Braunschweig, Hern Joachim Hahn, Heidelberg, und Frau Romy Schneider, Braunschweig, für die aufwändige Suche nach zeitgenössischen Dokumenten.
Literatur Allgemeines Statistisches Archiv (AStA) 33 bis 56 (1948–1972) Anderson sen. O (1949) Der statistische Unterricht an deutschen Universitäten und Hochschulen. Allg Stat Archiv 33:71–83
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Anderson sen. O (1953) Moderne Methoden der statistischen Kausalforschung in den Sozialwissenschaften. Allg Stat Archiv 37:289–300 Anderson sen. O (1956) Der derzeitige statistische Unterricht an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland. Allg Stat Archiv 40:45–57 Blind A (1961) Die Grundausbildung in der sozialwissenschaftlichen Statistik. Allg Stat Archiv 45:342–346 Blind A (1963) Ausbildung und Weiterbildung von Statistikern. Allg Stat Archiv 47:55–57 Buhrow K (1949) Tagung des Verbandes Deutscher Städtestatistiker am 21. September 1948 in München. Allg Stat Archiv 33:162–169 Buhrow K (1949) Tagung des Verbandes Deutscher Städtestatistiker am 13. und 14. September in Freiburg i.Br. Allg Stat Archiv 33:532–542 Flaskämper P (1940) Die Lage des statistischen Hochschulunterrichts in Deutschland. Allg Stat Archiv 29:83–93 Flaskämper P (1956) Statistik in der Ausbildung des Diplomkaufmanns. Allg Stat Archiv 40:58–59 Fürst G (1940) Aufgaben und Organisation der amtlichen Statistik. Allg Stat Archiv 33:433–443 Fürst G (1951) Probleme eines statistischen Gesamtbildes von Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftsablauf. Allg Stat Archiv 35:277–290 Fürst G (1963) Karl Wagner. Allg Stat Archiv 47:278–280 Grohmann H (1988) Gerhard Fürst zum Gedenken. Allg Stat Archiv 72:310–313 Kapferer C (1967) Alfred Jakobs 70 Jahre alt. Allg Stat Archiv 51:154–155 Kellerer H (1950) Das Stichprobenverfahren, insbesondere in der amtlichen Statistik. Allg Stat Archiv 34:291–302 Kellerer H (1961) Die statistische Grundausbildung an den Universitäten. Allg Stat Archiv 45:339– 342 Nourney M (1969) Bericht über die Diskussion der Vorträge zum Thema „Mathematisch-statische Methoden und ihre Anwendung in der praktischen Statistik. Allg Stat Archiv 53:73–93 Strecker H (1954) Stichprobenverfahren in der amtlichen westdeutschen Agrarstatistik. Allg Stat Archiv 38:17–27 Strecker H (1955) Sampling in West German official agricultural statistics. In: US Department of Agriculture (ed) Agric Econ Res 7:12–19 Szameitat K (1949) Neue Wege für die Volkszählung. Allg Stat Archiv 33:7–48 Rinne H (1991) 100 Jahre Allgemeines Statistisches Archiv. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Statistisches Bundesamt, bearbeitet von Lisa Kaiser (1956) Festschrift 1956 – Kleine Chronik des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden, 69 Seiten, Wiesbaden Statistisches Bundesamt (Hrsg) (1960) Stichproben in der amtlichen Statistik. W. Kohlhammer, Stuttgart
Unveröffentlichte Quellen Akten des Statistischen Landesamtes Hamburg die DStatG betreffend von 1948 bis 1972 mit Schriftwechsel des Vorsitzenden der DStatG mit den statistischen Landesämtern, Rundschreiben an die Mitglieder, Mitgliederverzeichnisse 1951 und 1954, Tätigkeitsbericht aus Anlass der 25. Jahresversammlung 15. bis 17. September 1954 in Trier, Satzungen Akt von Professor Dr. Heinz Grohmann, 1960 bis 1970, mit Rundschreiben des Vorsitzenden Gerhard Fürst an die Vorstandsmitglieder und Schriftwechsel das Allg Stat Archiv betreffend Akt von Professor Dr. Horst Rinne mit Rundschreiben an die Mitglieder von 1969 bis 1972 Akt Dr. Karl Wagner im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, München, Germany
Kapitel 4
Neuausrichtung und Konsolidierung Heinz Grohmann
Zusammenfassung Mit der Wahl von Wolfgang Wetzel zum Vorsitzenden der Deutschen Statistischen Gesellschaft im Jahre 1972 begann eine 32jährige Ära, in der die praktische und die theoretische Statistik in einem ausgewogenen Verhältnis gepflegt wurden. Ein regelmäßiger vierjähriger Wechsel im Vorsitz stärkte die Gemeinschaft und die praktische wie die wissenschaftliche Arbeit gleichermaßen. Die jährlichen Hauptversammlungen behandelten gesellschaftlich aktuelle wie zukunftsorientierte Themen, und die Ausschüsse sowie weitere Veranstaltungen gaben Gelegenheit zur Förderung und Pflege einer Vielzahl von Arbeitsgebieten der Statistik. Darüber wird nicht nur in diesem Kapitel, sondern auch in den Teilen II und III des Bandes berichtet.
4.1 Eine Periode fairer Partnerschaft von praktischer und theoretischer Statistik 4.1.1 Beginn einer neuen Ära Mit den Vorstandswahlen 1972 ging eine Ära der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) zu Ende, und eine neue begann. Nachdem die letzten beiden Vorsitzenden Präsidenten großer Statistischer Ämter gewesen waren, wurde auf der Mitgliederversammlung am 27.9.1972 mit Wolfgang Wetzel, Universität Kiel, ein Hochschullehrer der Statistik zum Vorsitzenden gewählt. Er wirkte von Anfang an darauf hin, den Einfluss und die Gestaltungsmöglichkeiten der universitären Statistik in der DStatG zu verstärken und sie zu einem gleichrangigen Aktivitätsfeld neben der amtlichen Statistik zu machen. Nicht minder war ihm aber auch an einer Kontinuität in der Entwicklung der Gesellschaft gelegen. H. Grohmann (B) Hauburgsteinweg 27, 61476 Kronberg, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_4,
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Mit beidem hatte er Erfolg. Es bleibt Wolfgang Wetzels persönliches Verdienst, die Gesellschaft modernisiert und gleichwohl eine faire Partnerschaft von praktischer und theoretischer Statistik bewahrt zu haben. Es begann mit einer Einladung des Ausschusses für Neuere Statistische Methoden und des Hochschullehrerkreises im Ausschuss für Ausbildungsfragen zu einer gemeinsamen Sitzung in der Woche nach Pfingsten 1972 in Kiel. Das war die Basis für die später erweiterte, als Pfingsttagung bezeichnete Veranstaltung. Als neuen Schriftleiter für das Allgemeine Statistische Archiv gewann er 1973 mit Heinz Grohmann, Universität Frankfurt am Main, einen Universitätsprofessor, doch einen solchen, der als Schüler und Nachfolger von Adolf Blind der amtlichen Statistik eng verbunden war. Einen weiteren auf Dauer angelegten Impuls gab Wetzel der Gesellschaft durch die Gründung eines neuen, für die Wissenschaft attraktiven Ausschusses. Er unterbreitete seine Idee im Frühjahr 1974 zunächst dem Vorstand. Dieser stimmte zu, und man war sich auch schnell über den Kandidaten für den Vorsitz einig. Dieser sollte jedenfalls auch für die an praktischen Anwendungen der Statistik Interessierten ein Gewinn sein. Während der darauf folgenden Statistischen Woche in Dortmund kam es – teils im Vorfeld, teils in der entscheidenden Sitzung – zu durchaus kritischen Auseinandersetzungen. Auf der Seite der Hochschullehrer wäre es beinahe zu einer Gegenkandidatur gekommen, und die in der Praxis tätigen Statistiker verlangten einen hinreichenden Anwendungsbezug in der Aufgabenstellung des Ausschusses. So kam es zu dem etwas ominösen Namen „Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie“. Da zugleich der von Wetzel vorgeschlagene Kandidat, Joachim Frohn, Universität Bielefeld, als Leiter der Sitzung die Zuhörer auf exzellente Weise überzeugte, stand der Gründung dieses Ausschusses nichts mehr im Wege. Im Rückblick muss man sagen: Es war eine Sternstunde der Gesellschaft. Nach kritischem Beginn wurde dieser Ausschuss zu einem überaus attraktiven Vortragsund Diskussionsforum, besonders, aber nicht nur für die aus den Hochschulen kommenden Gesellschaftsmitglieder. Noch im selben Jahr wurden die beiden eher praxisbezogenen Ausschüsse „Marktbeobachtung und Marktanalyse“ und „Statistik im Betrieb“ zu einem einzigen neuen für „Unternehmens- und Marktstatistik“ verschmolzen. Dennoch kam es keineswegs zu einer Prädominanz der universitären Statistik in der Gesellschaft. Für Kontinuität und Ausgewogenheit sorgte vor allem eine über Jahrzehnte hinweg nahezu unverändert bewahrte strukturelle Zusammensetzung des Vorstands. Ihm sollten nach Möglichkeit je ein Vertreter des Statistischen Bundesamtes, der Statistischen Landesämter, das Verbands Deutscher Städtestatistiker, eines Wirtschaftsforschungsinstituts und des Bundeswirtschaftsministeriums oder der Deutschen Bundesbank sowie mehrere Hochschullehrer angehören. Auch der Schriftleiter des Allgemeinen Statistischern Archivs und der Schatzmeister sollten Vorstandsmitglieder sein. Das alles stand zwar lange Zeit nicht in der Satzung, war aber eine kaum je in Frage gestellte ungeschriebene Regel. Spätere Satzungsänderungen haben ihre Einhaltung dadurch erleichtert, dass Schriftleiter und Schatzmeister nicht mehr von den Mitgliedern gewählt, sondern vom Vorstand eingesetzt wurden.
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Für Kontinuität und Ausgewogenheit sorgte in dieser Zeit weiterhin die schon vorher praktizierte Regel, dass die Ausschussvorsitzenden an allen Vorstandssitzungen mit vollem Rede-, wenn auch nicht mit Stimmrecht teilnehmen konnten und dieses Recht auch weitgehend wahrnahmen. Nach Ablauf der vierjährigen Wahlperiode von Wolfgang Wetzel zog dieser seine zunächst angekündigte Bereitschaft zu einer abermaligen Kandidatur aus gesundheitlichen Gründen zurück. Neue Vorsitzende wurde die bisherige stellvertretende Vorsitzende und Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, Hildegard Bartels. Das bedeutete aber keineswegs eine Abkehr vom neuen Kurs, sondern war eher Ausdruck der anvisierten Ausgewogenheit der Interessen in der Gesellschaft. Wolfgang Wetzel wurde stellvertretender Vorsitzender. Die neue Wahlperiode brachte eine weitere Neuerung, die ebenfalls ins Konzept der Modernisierung und der personellen Ausgewogenheit passte: Eine neue Satzung bestimmte, dass eine unmittelbare Wiederwahl zum Vorsitzenden, als weiteres Vorstandsmitglied oder zum Ausschussvorsitzenden jeweils nur einmal zulässig ist. Als ungeschriebene Regel etablierte sich von da an außerdem, dass jeder Vorsitzende für dieses Amt nur einmal kandidierte.
4.1.2 Kontinuität und Flexibilität Das alles hat der Gesellschaft neben Kontinuität auch eine beachtliche Flexibilität verliehen. Immer wieder wurden neue Ideen eingebracht und verwirklicht, ohne dass sie sogleich zu festen Traditionen werden mussten. In den 32 Jahren, über die in diesem Kapitel berichtet wird, hatte die Gesellschaft somit acht Vorsitzende: – – – – – – – –
Wolfgang Wetzel, Universität Kiel, 1972–1976, Hildegard Bartels, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, 1976–1980, Karl-August Schäffer, Universität zu Köln, 1980–1984, Heinz Grohmann, Universität Frankfurt am Main, 1984–1988, Siegfried Heiler, Universität Konstanz, 1988–1992, Joachim Frohn, Universität Bielefeld, 1992–1996, Peter-Theodor Wilrich, Freie Universität Berlin, 1996–2000, Reiner Stäglin, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2000–2004.
Außer Hildegard Bartels waren sie alle Hochschullehrer. Das hat die statistische Theorie und die Ökonometrie im Arbeitsfeld der Gesellschaft nachhaltig verankert, ohne die amtliche Statistik, die empirische Wirtschaftsforschung und die Statistik in Unternehmen und Behörden in ihrer Bedeutung zu schmälern. Bei den Wahlvorschlägen für den Vorsitz wurde stets auf einen Wechsel zwischen stärker theoretischer und stärker empirischer Orientierung geachtet. Jeder Vorsitzende setzte natürlich auch eigene Akzente. Nur einige wenige seien hier genannt. Hildegard Bartels reformierte die Satzung, Karl-August Schäffer gab der Gesellschaft eine von der amtlichen Statistik unabhängige EDV-gestützte Verwaltung (von da an wanderte die Geschäftstelle alle vier Jahre weiter an den Dienstort des neuen Vorsitzenden). Heinz Grohmann begründete nach intensiver
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Wolfgang Wetzel 1972–1976
Karl-August Schäffer 1980–1984
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Heinz Grohmann 1984–1988
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Siegfried Heiler 1988–1992
Joachim Frohn 1992–1996
Peter-Theodor Wilrich 1996–2000
Reiner Stäglin 2000–2004
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Vorarbeit von Heinrich Strecker den anfangs ebenfalls nicht unumstrittenen, inzwischen sehr erfolgreichen, die verschiedenen Mitgliedergruppen thematisch besonders stark verbindenden „Ausschuss für die Methodik Statistischer Erhebungen“. Während seiner Amtszeit vertrat er die DStatG in der Diskussion um die Volkszählung (siehe Kapitel 17). Auf Anregung von Karl-August Schäffer schuf er mit einer kleinen Arbeitsgruppe die erste Auflage der Informationsschrift der Gesellschaft. Siegfried Heiler hat den Einsatz von Computern in der Statistik besonders thematisiert und internationale Verbindungen (Stichwort: ECAS) wahrgenommen. Joachim Frohn führte den jährlichen Workshop für Nachwuchswissenschaftler mit Beteiligung hochrangiger Wissenschaftler ein. In seiner Zeit wurden nach der Wiedervereinigung die Statistiker der neuen Bundesländer erfolgreich integriert (siehe Kapitel 16). Peter Th. Wilrich gewann den renommierten Springer-Verlag für das Allgemeine Statistische Archiv, verbunden mit der Einführung eines GutachterSystems und einem Pflichtbezug durch die Mitglieder der Gesellschaft. Später hatte er wesentlichen Anteil am Gelingen des Weltkongresses des Internationalen Instituts im Jahr 2003. Reiner Stäglin, der daran als aktiver Vorsitzender ebenfalls mitwirkte, sorgte zugleich für eine Neuauflage der Informationsschrift der Gesellschaft nun auch in englischer Sprache und die zugehörige Werbung durch ein zweisprachiges Infoblatt. Tatsächlich geht der Aktionsradius aller Vorsitzenden und der mit ihnen tätigen Vorstände und Ausschussvorsitzenden natürlich sehr viel weiter. Er manifestiert sich in den vielfältigen Veranstaltungen der Gesellschaft, auf die in den folgenden Abschnitten näher eingegangen wird. Dazu trug nicht zuletzt eine relativ stabile Struktur des Vorstandes bei. Ihm gehörten stets vier, später fünf Universitätsprofessoren, je ein Vertreter der Bundes-, der Landes- und der Städtestatistik, eines Wirtschaftsforschungsinstituts sowie des Bundeswirtschaftsministerium oder der Bundesbank an. Besonders wichtig war dabei auch der permanent hohe persönliche Einsatz der Schriftleiter des Allgemeinen Statistischen Archivs und der Schatzmeister, die stets zu den Vorstandsmitgliedern zählten (siehe Anhang 4). So positiv sich die Entwicklung der DStatG in den gut drei Jahrzehnten, die Gegenstand dieses Kapitels ist, aber auch ausnimmt, ging das alles nicht ohne kritische Diskussionen und Kontroversen vonstatten. Herkunft und Individualität der agierenden Persönlichkeiten sorgten für divergierende Leitvorstellungen und Zielrichtungen. Die Vertreter der Wissenschaft folgten gemäß ihrem eigenen Verständnis von Statistik als einer allgemeinen, im Wesentlichen wahrscheinlichkeitstheoretisch begründeten Methodenlehre einem anderen Paradigma als die mit der praktischen Erhebung, Aufbereitung und Analyse wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Fakten und Entwicklungen befassten Statistiker. So mag sich erklären, dass die stets angestrebte wechselseitige Befruchtung der verschiedenen Bereiche der Statistik letzten Endes doch nur begrenzt gelungen ist. Die Nutzung der in der Forschung entwickelten Methoden zur Lösung der Aufgaben in der wirtschafts- und sozialstatistischen Praxis auf der einen Seite und die Einsicht in die Rahmenbedingungen, Aufgaben und Probleme der praktischen Statistik bei der weiteren Methodenforschung auf der anderen, ist auf beiden Seiten nur begrenzt
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thematisiert und gepflegt worden. Ziele und Methoden, ja selbst die Sprache waren dazu zu verschieden. Dennoch gelang angesichts der großen Spannweite der Aufgaben von wissenschaftlicher und praktischer Statistik etwas durchaus nicht Selbstverständliches: Alle Mitgliedergruppen, ob aus der amtlichen Statistik, der empirischen Wirtschafts- und Sozialforschung, von den Hochschulen, aus Wirtschaftunternehmen oder aus Behörden, fühlten sich stets der Gesellschaft als Ganzer verbunden und sahen in ihr ein Forum, das auch ihren Belangen Rechnung trägt.
4.2 Die Veranstaltungen 4.2.1 Die Statistische Woche Die zentrale Veranstaltung der DStatG ist die Statistische Woche. Traditionsgemäß wird sie einmal im Jahr – meist Ende September oder Anfang Oktober – gemeinsam mit dem Verband Deutscher Städtestatistiker durchgeführt. Seit 1995 nimmt auch die Deutsche Gesellschaft für Demographie daran teil. Der Tagungsort wechselt von Jahr zu Jahr, meist ist es eine der großen Städte des Landes. Die Statistische Woche ist die umfassendste Begegnungsstätte der Mitglieder und zugleich ihr wichtigster öffentlicher Auftritt. Während der Statistischen Woche hält die Gesellschaft ihre Jahreshauptversammlung sowie ihre Mitgliederversammlung ab. Daneben tagen der Vorstand und sämtliche Ausschüsse. Jede Statistische Woche ist mit einer Pressekonferenz und einem Empfang der veranstaltenden Stadt verbunden. Jede Jahreshauptversammlung (kurz: Hauptversammlung) war einem bestimmten Thema, meist von hoher wirtschafts- oder sozialpolitischer Bedeutung, gewidmet. Immer wieder befasste sich die Gesellschaft mit Grundsatzfragen der Statistik. 1979 lautete das Thema „Entwicklungstendenzen in der Statistik“ und wurde mit einer Podiumsdiskussion zum Datenschutz verbunden. 1988 ging es um die „Statistik als gesellschaftspolitische Aufgabe“ unter besonderer Berücksichtigung von historischen und rechtlichen Aspekten. 2000 befasste man sich unter dem Motto „Statistik und Gesellschaft“ mit dem Selbstverständnis der Statistik, deren Wahrnehmung in Politik und Öffentlichkeit sowie mit der universitären Statistikausbildung im Hinblick auf die Anforderungen, die Wirtschaft und Gesellschaft beim Umgang mit statistischen Daten und Analysen stellen. Oft gaben drängende gesamtwirtschaftliche Fragestellungen Anlass, sie im Rahmen einer Hauptversammlung aus statistischer Sicht zu beleuchten. Als Mitte der 70er Jahre der erste Ölpreisschock das Vertrauen in die gesamtwirtschaftliche Konjunktursteuerung erschüttert hatte, war 1976 der „Strukturwandel der Wirtschaft“ ein hochaktuelles Thema. Nach Aufdeckung der vorhandenen begrifflichen und statistischen Defizite begann die Diskussion um eine adäquate Methodik und eine permanente Strukturberichterstattung unter Einschluss der Input-Output-Rechnung.
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1981 gelangte – weit vorausschauend – „das „Energieproblem“ in den Fokus, 1982 die „Geld- und Währungspolitik“. War dabei die Methodik noch weitgehend traditionell, so änderte sich das später. In den Hauptversammlungen 1989 zur „Beobachtung und Analyse des Arbeitmarktes“ und 1996 über die „Statistische Analyse von Finanzmärkten“ fanden bereits in extensiver Weise mikround makroökonometrische Methoden Anwendung. Ziel war aber stets, neben den statistischen Bestandsaufnahmen empirische Einsichten in entscheidungsrelevante Zusammenhänge zu gewinnen. 1996 wurde bereits eingehend über die Formen und (exorbitanten) Risiken von Derivaten sowie deren Modellierung referiert und diskutiert. Sehr früh schon galt ein hohes Interesse dem Umweltschutz. 1974 ging es darum, das Umweltbewusstsein und dessen Langfristproblematik in der Öffentlichkeit zu verankern, die damals verfügbaren Daten zu sichten und deren systematische Dokumentation voranzutreiben. 1987 konzentrierte man sich bereits auf Einzelthemen, wie Wald-Ökosysteme und Wassergütedaten, aber auch auf den Aufbau eines Umwelt-Satellitensystems zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. 1999 wurden unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit neuere methodische Ansätze in die Umweltforschung eingebracht, wie die Einbindung der Umwelt in ökonometrische Modellrechnungen und die Konzeption eines Umweltbarometers auf der Basis von Umweltindikatoren. Besonders oft waren soziodemographische Themen Gegenstand einer Hauptversammlung. War 1972 das „Integrierte System demographischer Daten“ noch eher Wunschvorstellung und zielte 1975 das Thema „Soziale Indikatoren“ auf einen Brückenschlag zur empirischen Sozialforschung, so führte 1985 das Thema „Die Bedeutung der Bevölkerungsentwicklung für Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ bereits mitten hinein in die immer drängender werdenden Probleme des demographischen Wandels und der zu erwartenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen bis hin zum Problem der Generationensolidarität. Die politischen Umbruchzeiten zwischen 1989 und 1992 mit den dadurch ausgelösten immensen Wanderungsbewegungen gaben 1995 Anlass, Migration zum Thema einer Hauptversammlung zu machen. Auf die Darstellung und Analyse der internationalen Wanderungsströme von und nach Deutschland seit 1945 und einen makroökonomischen Erklärungsansatz für Migration folgte die Untersuchung ausgewählter Zusammenhänge zwischen Migration und Arbeitsmarkt, insbesondere auch im Hinblick auf die erwartete Alterung der Bevölkerung und speziell der Erwerbsbevölkerung. Nicht zuletzt erregten wanderungsbedingte Veränderungen der Siedlungsstruktur eine erhöhte Aufmerksamkeit: zunehmende Verstädterung (besonders im Westen), Entleerung zentrenferner Räume (besonders im Osten) und wachsende Ausländer- und Aussiedleranteile in vielen Städten und Gemeinden. 1998 galt das Interesse den Sozialen Sicherungssystemen in langfristiger Perspektive. Neue Modellrechnungen für die Rentenversicherung bestätigten die bisherigen Ergebnisse und differenzierten sie weiter aus. Bei der Pflegeversicherung standen neben sozialpolitischen Grundsatzfragen vor allem der Finanzbedarf und
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die Finanzverflechtung mit der öffentlichen Hand und den anderen Sozialsystemen im Vordergrund der Diskussion. Modellrechnungen über die Entwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung ließen erkennen, dass die Beitragssätze selbst unter Status-Quo-Bedingungen künftig stärker steigen werden als die Pro-KopfAusgaben. Bemerkenswerte Ergebnisse lieferten auch empirische Untersuchungen über die Anreizwirkungen der sozialen Sicherungssysteme auf den Arbeitsmarkt und über die Entwicklung der Einkommensungleichheit in der Gesellschaft. Schließlich wurde die damals völlig neue Gesundheitsberichterstattung des Bundes vorgestellt. Trotz der Dominanz wirtschafts- und sozialpolitischer Themen erhielten auch rein methodenorientierte Themen immer wieder den Vorzug. Beispiele dafür sind: „Explorative Datenanalyse“ (1983), „Statistik und Computer“ (1992), „Statistische Analyse qualitativer Daten (1993), „Planung und Analyse von Panelstudien“ (2001). Reine Querschnittsthemen waren: „Internationale Statistik“ (1980), „Statistik im vereinten Deutschland“ (1991) sowie „Statistik und Europäische Integration“ (1994). Den Abschluss der Hauptversammlungsthemen im hier behandelten Zeitraum bildeten die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (2002). Deren Ergebnisse erlangten damals eine besondere politische Bedeutung wegen der Gründung der Europäischen Währungsunion, der Einführung des Euro als einer gemeinsamen Währung und der damit verbundenen Notwendigkeit einer gemeinsamen Geldpolitik sowie des Koordinationsbedarfs in der nationalen Fiskalpolitik. Auch die Gründe für die stärkere Politisierung der Ergebnisse waren Gegenstand der Analyse. Die Vorträge der Hauptversammlungen, verbunden jeweils mit einem kurzer Diskussionsbericht können im Allgemeinen Statistischen Archiv nachgelesen werden. Überblickt man die in den 32 Jahren auf den Jahreshauptversammlungen gehaltenen Referate und Diskussionsbeiträge in ihrer Vielfalt und in ihrer zeitlichen Abfolge, so gewinnt man drei bemerkenswerte Eindrücke:
1. Komplexe wirtschafts-, sozial- und umweltstatistische Themen verlangen in hohem Maße konzeptionelle Leistungen, bevor an eine statistische Messung auch nur gedacht werden kann (Adäquationsproblem). 2. Statistische Beschreibungen und Analysen erfordern ein formal und inhaltlich geeignetes Methodenarsenal und dessen sachkundigen und sachgerechten Einsatz. 3. Da jedes Thema in seinem historischen Umfeld und mit den jeweils verfügbaren Methoden behandelt wird, zeigt ein Gang durch die Geschichte der Hauptversammlungen (siehe Anhang 7) die Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialstatistik und der dabei eingesetzten Methoden und erinnert zugleich an die der großen wirtschafts- und sozialpolitischen Hersausforderungen dieser drei Jahrzehnte.
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4.2.2 Die Pfingsttagungen Schon in den späten 60er Jahren hatten sich Hochschullehrer der Statistik regelmäßig im Frühjahr zu Vorträgen und Diskussionen über aktuelle Methodenfragen zusammengefunden. Manche waren Mitglieder der DStatG, insbesondere des Ausbildungsausschusses, andere standen ihr eher skeptisch gegenüber. Da sie alle Professoren an Universitäten waren, nannte man sich „Hochschullehrerkreis“ im „Ausschuss für Ausbildungsfragen“. Auf Initiative von Wolfgang Wetzel tagte dieser 1972 in der Woche nach Pfingsten zusammen mit dem „Ausschuss für Neuere Statistische Methoden“. Daraus wurde in den Folgejahren die Pfingsttagung der Gesellschaft als Gemeinschaftsveranstaltung aller vorwiegend für Hochschullehrer interessanten Ausschüsse. Ihr Charakter als Forum für den wissenschaftlichen Austausch, besonders unter Hochschullehren, blieb dabei erhalten. Von 1987 an beteiligten sich die Sektion der Stochastiker der Deutschen Mathematikervereinigung und zuletzt auch weitere Ausschüsse der Gesellschaft daran. Veranstaltungsorte waren meist kleinere Universitätsstädte, wie Konstanz, Würzburg und Tübingen. Die Pfingsttagung hatte nie ein festes Thema. Unter der Leitung der Ausschussvorsitzenden bzw. eines Vertreters der Deutschen Mathematikervereinigung wurden Vorträge zu jeweils einer Sitzung zusammengestellt und diskutiert.
4.2.3 Die Ausschüsse Zu Beginn der Amtszeit von Wolfgang Wetzel hatte die Gesellschaft Ausschüsse für Ausbildungsfragen, für Neuere Statistische Methoden, für Regionalstatistik, für Marktbeobachtung und Marktanalyse sowie für die Statistik des Betriebes. Die beiden Erstgenannten waren vor allem für Hochschullehrer attraktiv, die drei anderen eher für Praktiker. Im Jahr 1974 trat der Ausschuss Unternehmens- und Marktstatistik an die Stelle der beiden Ausschüsse für Marktbeobachtung und Marktanalyse sowie für die Statistik des Betriebes. Neu hinzu kam der Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökometrie. 1982 wurde der Ausschuss für Technische Statistik gegründet, 1990 umbenannt in Ausschuss für Naturwissenschaft und Technik. 1986 folgte der Ausschuss für die Methodik Statistischer Erhebungen. Alle Ausschüsse tagten stets im Rahmen der Statistischen Woche, die meisten von ihnen ein zweites Mal im Jahr. Die eher methodisch orientierten Ausschüsse taten dies regelmäßig im Rahmen der Pfingsttagung. Die anderen hatten dafür oftmals eigene Veranstaltungen. Die Arbeit in den Ausschüssen machte in den vergangenen Jahrzehnten einen großen Teil der Tätigkeiten der DStatG überhaupt aus. In den von den Ausschüssen behandelten Arbeitsgebieten spiegelt sich die ganze Vielfalt der Statistik, wie sie in der DStatG gepflegt und gefördert worden ist. Die meisten Kapitel in Teil II dieses Bandes sind deswegen inhaltlich an einem der sieben bis heute aktiven Ausschüsse ausgerichtet und informieren über deren Arbeit.
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4.2.4 Weitere Veranstaltungen Nach seinem Ausscheiden als Vorsitzender der DStatG initiierte Gerhard Fürst besondere Fortbildungskurse. Sie waren vor allem gedacht zur Weiterbildung von Statistikern in Behörden, Verbänden und Unternehmen, waren aber auch für andere Interessierte offen. Sie bestanden regelmäßig aus zweitägigen Kursen mit einem Generalthema. Über lange Zeit geschah das in Zusammenarbeit mit der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Die Referate der meisten dieser Kurse wurden in Sonderheften zum Allgemeinen Statistischen Archiv (siehe Anhang 11) veröffentlicht. Im Jahre 1992 begründeten der Ausschuss für die „Methodik Statistischer Erhebungen“ und das „Institut für Forschung und Entwicklung in der Bundesstatistik“ eine jährlich im November stattfindende zweitägige Gemeinschaftsveranstaltung: das Wiesbadener Kolloquium. Es geht auf eine Initiative des damaligen Ausschussvorsitzenden Rolf Wiegert und des damaligen Leiters des genannten Forschungsinstituts Jürgen Chlumsky zurück. Veranstaltungsort ist das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Zielgruppen dieses Kolloquiums sind zum einen die Produzenten statistischer Daten, vor allem die des Statistischen Bundesamtes selbst, und zum anderen die Nutzer solcher Daten in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Behandelt wurden Themen wie „Statistische Informationen zum Arbeitsmarkt“, „Einkommen und Vermögen in Deutschland“, „Unternehmen in der Statistik“, „Sozialer Wandel“. Das Wiesbadener Kolloquium erwies sich auf Dauer als überaus attraktiv für Mitglieder aus vielen Bereichen der Gesellschaft. Die bei diesen Kolloquien gehaltenen Vorträge wurden bisher regelmäßig in einem besonderen Band der Reihe „Forum der Bundesstatistik“ publiziert. Inhaltlich eher den theoretisch orientierten Ausschüssen verbunden ist der 1994 eingeführte Nachwuchsworkshop. Er geht auf eine Initiative von Joachim Frohn zurück und gibt jüngeren Wissenschaftlern die Möglichkeit, mit renommierten Hochschullehrern über ihre Forschungsprojekte zu diskutieren. Tagungsort ist üblicherweise eine internationale Begegnungsstätte in Berlin. Die Teilnehmerzahl soll 20 nicht überschreiten. Ausgewählte Tagungsthemen waren: „Bootstrap und nichtparametrische Regression“, „Empirische Anwendungen struktureller Modelle für kausale Analysen und Prognosen“, „Mikroökonometrie“.
4.3 Rückschau und Fazit In der Zeit von 1972 bis 2004 war die DStatG auf einer Vielzahl von Gebieten in Theorie und Praxis der Statistik außerordentlich aktiv. Ihren weit über 800 Mitgliedern bot sie ein Forum zu engagierter, oft harmonischer, oft auch streitiger Mitwirkung. Im Zentrum stand die jährliche Statistische Woche als wichtigste Begegnungsstätte. Über deren thematische Schwerpunkte informiert in einiger Ausführlichkeit Abschnitt 4.2.1.
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Das Wirken der Ausschüsse spiegelt sich vor allem in Teil II dieses Bandes wider. Da dessen Autoren nicht nur Funktionsträger der DStatG, sondern entweder Führungspersönlichkeiten in der praktischen Statistik oder Universitätsprofessoren sind oder waren, bietet Teil II zugleich authentische Einblicke in die amtliche und in die Wirtschaftstatistik sowie in Forschung and Lehre an den Universitäten. Außergewöhnliche gesellschaftliche Herausforderungen für die DStatG brachten die Volkszählungsdiskussion der 80er Jahre mit dem nachfolgenden Paradigmenwechsel hin zum Zensus 2011 sowie die deutsche Wiedervereinigung 1990. Beide werden in Teil III eingehender behandelt. Als weiteres herausragendes Ereignis im Berichtszeitraum ist die von der DStatG wesentlich mitgestaltete Tagung des Internationalen Statistischen Instituts (ISI) 2003 in Berlin zu nennen. Darüber hinaus haben Vorstand und Mitglieder der DStatG in Beiräten und anderen Einrichtungen ihre spezifischen statistischen Erkenntnisse und Erfahrungen eingebracht. Ein Beispiel ist das Zusammenwirken mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Zum einen hat diese spezielle Veranstaltungen der DStatG unterstützt. Zum anderen hat der Vorstand der Gesellschaft regelmäßig Mitglieder der DStatG als Fachgutachter für die DFG benannt, die diese ebenso ehren- wie anspruchsvolle Aufgabe engagiert wahrnahmen. Resümierend kann man sagen: Ausgewogenheit zwischen Theorie und Praxis im Hinblick auf die Themen und faire Partnerschaft im Hinblick auf die agierenden Personen waren ein Kennzeichen dieser Periode. Quellen: Die Informationen für dieses Kapitel stammen weitgehend aus den Unterlagen der DStatG (Vorstandsprotokolle, Tagungsunterlagen, Rundschreiben usw.), dem Allgemeinen Statistischen Archiv als der Zeitschrift der Gesellschaft sowie den Erinnerungen des Verfassers und anderer beteiligter Personen.
Kapitel 5
Wege in die Zukunft Göran Kauermann und Karl Mosler
Zusammenfassung Die Zukunft stellt große Herausforderungen an die Arbeit der Deutschen Statistischen Gesellschaft. Sie betreffen die gestiegenen Anforderungen der Nutzer von Statistik, die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets sowie die Dynamik der statistischen Wissenschaften und ihrer Anwendungsgebiete. Das Kapitel 5 beschreibt, wie sich die Gesellschaft diesen Herausforderungen stellt und welche Ziele sie sich in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und im Kampf gegen das Innumeratentum gesetzt hat.
5.1 Große Herausforderungen Den Beginn des neuen Jahrtausends erlebte die Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) in stabiler Lage. Sie zählte rund 800 Mitglieder, verfügte über ausgeglichene Finanzen, veranstaltete mehrmals jährlich gut besuchte Tagungen. Von früheren Spannungen keine Spur: Amtliche und universitäre Statistiker, Ostund Westwissenschaftler arbeiteten einträchtig und effizient im Vorstand und in den Ausschüssen zusammen. Und mit dem Jahrgang 2000 wechselte das Allgemeine Statistische Archiv unter der Herausgeberschaft von Karl Mosler zum international operierenden Springer-Verlag. Damit wurde die weltweite Sichtbarkeit der DStatG und ihres Flaggschiffjournals nochmals erhöht. Das neue Jahrtausend brachte aber auch neue und größere Herausforderungen, in der Statistik wie in den gesamten Wissenschaften, denen sich die DStatG stellen musste. Zu nennen sind erstens die gestiegenen Anforderungen an die statistischen Ämter und Wirtschaftsforschungsinstitute und die dort arbeitenden Wissenschaftler. Von ihnen wird zunehmend erwartet, dass sie Daten und Analysen zu allen möglichen komplexen Problemen der Wirtschaft und Gesellschaft liefern, und dies methodisch auf dem neuesten Stand der Forschung. Nicht nur Breite und G. Kauermann (B) Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Zentrum für Statistik, Universität Bielefeld, Postfach 100131, 33501 Bielefeld, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_5,
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wissenschaftliches Niveau ihres Outputs sollen sie steigern; auch ist die Produktion von Daten und Methoden stärker an den Bedürfnissen der Anwender zu orientieren. Hinzu kommen die Anforderungen der europäischen Institutionen nach inhaltlich vergleichbaren und einheitlich erhobenen Daten. Die zweite Herausforderung ergibt sich aus dem technischen Fortschritt in der Speicherung und Übertragung von Daten und speziell den daraus resultierenden Möglichkeiten der statistischen Kommunikation im Internet. Das Internet bietet eine Fülle von jederzeit verfügbaren Daten und Informationen, deren Verlässlichkeit der Nutzer im Einzelnen nur schwer beurteilen kann. Benötigt werden vertrauenswürdige Datenanbieter, die eine hohe Reputation besitzen und gleichzeitig die enorm gestiegenen Ansprüche der Konsumenten auf Umfang und Verfügbarkeit der Daten befriedigen. Die dritte Herausforderung liegt in der Dynamik der statistischen Wissenschaften: Immer neue Wissensfelder verlangen empirische Methoden und die Weiterentwicklung des statistischen Instrumentariums. Dies betrifft die an Hochschulen und Forschungseinrichtungen arbeitenden Wissenschaftler. Als Beispiele genannt seien der Finanzbereich, die Energiewirtschaft und die Biologie. An den Finanzmärkten werden zahlreiche Produkte per Computer gehandelt; ihre Preise liegen als hochfrequente Daten vor, deren Analyse völlig neue statistische Methoden erfordert. Im Energiebereich etwa stellt die statistische Analyse des Beitrags der Windkraft den Statistiker vor neuartige Probleme. In den Biowissenschaften müssen Testverfahren zur Analyse von Geninteraktionen entwickelt werden. Viertens ist die Notwendigkeit zu nennen, Kinder und Jugendliche schon in der Schule an quantitativ-empirische Methoden heranzuführen und sie so zu befähigen, mit statistisch begründeten Aussagen und Analysen verständig umzugehen (siehe dazu auch Kapitel 7). Und schließlich stellt sich für die DStatG das Problem, junge Menschen für eine Mitgliedschaft zu gewinnen und deren Arbeit für die Ziele der Gesellschaft nutzbar zu machen, dies in Zeiten der allgemein sinkenden Bereitschaft, sich in Organisationen – seien es Parteien oder andere Verbände – dauerhaft zu binden. Diesen Herausforderungen stellt sich die DStatG und stellen sich ihre Mitglieder mit verstärkter Kraft. Sie prägten die Arbeit der Gesellschaft unter den Vorsitzenden Karl Mosler (2004–2008) und Wilfried Seidel (2008 – jetzt), und sie werden ihre Entwicklung noch auf absehbare Zeit bestimmen. So sieht sich die amtliche Statistik unter stetem öffentlichem Druck, die Qualität der Datenproduktion zu steigern und gleichzeitig deren Kosten zu senken, im Rahmen von EUROSTAT international zu agieren und überhaupt ihre Tätigkeit vor dem Steuerzahler zu rechtfertigen. (Die Diskussion um Art und Umfang des Zensus 2011 ist nicht etwa wie bei der Volkszählung 1987 durch den Datenschutz bestimmt, sondern in erster Linie durch die Höhe und die Verteilung der Kosten.) Um amtliche Mikrodaten veröffentlichen zu können, bedarf es wirksamer Anonymisierungsmethoden. Um Kosten zu senken, sind die Rationalisierungsmöglichkeiten auszuschöpfen, die das Internet für die Datenerhebung und Datenveröffentlichung bietet. Die statistischen Ämter haben in den letzten Jahren ihre Zusammenarbeit mit der Wissenschaft stark intensiviert: einerseits durch
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ein breites und großzügiges Angebot amtlicher Mikrodaten über die neuen Forschungsdatenzentren – vorangetrieben durch den ebenfalls neu gegründeten Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten, dem auch Mitglieder der DStatG angehören -, andererseits durch die Förderung wissenschaftlicher Projekte ihrer eigenen Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit den Hochschulen. Dafür bietet die DStatG auf ihren Tagungen und in ihren Publikationen ein vielgenutztes Forum.
Karl Mosler 2004−2008
Wilfried Seidel seit 2008
Die Herausforderungen an die Hochschulstatistik sind von anderer Art. Der Wettbewerb zwischen den Hochschulen – initiiert durch diverse Evaluationen und Exzellenzinitiativen – zwingt die Hochschulstatistiker und insbesondere den wissenschaftlichen Nachwuchs, primär in referierten Journalen, die die eingereichten Manuskripte einer förmlichen Begutachtung unterziehen, zu publizieren. Gleiches gilt für die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Wirtschaftsforschungsinstitute, die zunehmend gehalten sind, ihre ökonometrischen und statistischen Analysen weltweit sichtbar darzustellen. Die DStatG trägt dem Rechnung, indem sie ihren Mitgliedern über das Internet geeignete elektronische Ressourcen zur Verfügung stellt und ihre Mitgliederzeitschrift im Jahr 2007 in ein rein englischsprachiges internationales Journal AStA – Advances in Statistical Analysis und ein deutschsprachiges AStA – Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv aufgespalten und ersteres mit einem internationalen Herausgeberbeirat ausgestattet hat. Diese Aufteilung des AStA erlaubt es, für das englischsprachige Journal einen vom Institute of Science
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Information (ISI) ermittelten impact factor anzugeben, der die Zeitschrift im weltweiten Wissenschaftsmarkt positioniert (was immer man sonst von solchen Faktoren halten mag). Gleichzeitig kommen wichtige Aspekte der deutschen Wirtschaftsund Sozialstatistik, die ein ausländisches Publikum weniger interessieren, durch den deutschsprachigen Zweig des AStA, das Wirtschafts- und Sozialstatistische Archiv (WiSoStA), nicht zu kurz. Wichtige Artikel und Sonderhefte des WiSoStA der letzten Jahre behandelten unter anderem Probleme der Inflationsmessung, der Betriebsund Unternehmensstatistik sowie der Belastung der Wirtschaft durch statistische Erhebungen, der Qualität von Daten, des Paradigmenwechsels von der Volkszählung zum registerbasierten Zensus, der Zukunft des Pflegebedarfs in Deutschland.
5.2 Kooperation mit verwandten Disziplinen Statistik als Disziplin spannt einen weiten Bogen, vom Generieren der Daten bis zur mathematischen Theorie statistischer Verfahren. Dazwischen liegt ein breites Spektrum von Methoden, deren Dynamik von neu erschlossenen Anwendungsfeldern, von speziell dabei auftretenden Datensituationen und natürlich von der Entwicklung der Computertechnik gespeist wird. Diese Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen; man denke an die wachsende Rolle statistischer Methoden in der Finanzmarktanalyse, der Energiewirtschaft und der Genforschung, aber auch in der Umweltforschung und der Forensik. Der technische Fortschritt besteht für die Statistik dabei vor allem in der Verfügbarkeit umfangreicher Datensätze aus den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen, in den erweiterten Recherche- und Übertragungsmöglichkeiten des Internets sowie in den durch die schnelleren Kleinrechner neu ermöglichten Auswertungsverfahren der computergestützten Statistik. Letztere Methoden sind auch Gegenstand einer wachsenden Zahl von Artikeln in „AStA – Advances in Statistical Analysis“. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren die Kultur der statistischen Beratung gewachsen, so dass es heute an zahlreichen deutschen Universitäten professionell betriebene statistische Beratungszentren gibt. Dieser weite Bogen hat verschiedene „Fachkulturen“ erzeugt. Historisch sind die Statistik und auch die DStatG aus den Staatswissenschaften entstanden, doch haben sich bereits früh in den Naturwissenschaften eigene statistische Traditionen und Vereinigungen entwickelt, daneben auch die mathematische Statistik als Teil der Wahrscheinlichkeitstheorie. In Deutschland ist die Landschaft der wissenschaftlichen Gesellschaften, in denen sich Statistiker organisieren, besonders vielfältig. Neben der DStatG, die ausschließlich aus Statistikern besteht, existieren bedeutende wissenschaftliche Gesellschaften, die jeweils eine große Anzahl von Statistikern zu ihren Mitgliedern zählen: die Deutsche Sektion der Internationalen Biometrischen Gesellschaft, die Fachgruppe Stochastik der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, die Deutsche Gesellschaft für Klassifikation und die Deutsche Gesellschaft für Versicherungs- und Finanzmathematik. Zu nennen sind ferner der Verband Deutscher Städtestatistiker, die Deutsche Gesellschaft für Demographie, der Fachbereich Biometrie der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, der Verein zur
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Förderung des schulischen Stochastikunterrichts, die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie, der Ökonometrische Ausschuss des Vereins für Socialpolitik, die Fachgruppe Methoden und Evaluation der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und die Sektion Methoden der empirischen Sozialforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Im Jahre 2005 haben sich daher auf Initiative von Göran Kauermann, Karl Mosler und Joachim Röhmel fünf dieser Gesellschaften zur Deutschen Arbeitsgemeinschaft Statistik (DAGStat) zusammengeschlossen. Gründungsmitglieder der DAGStat waren neben der DStatG (unter dem Vorsitz von Karl Mosler) die Biometrische Gesellschaft (unter der Präsidentschaft von Joachim Röhmel), die Fachgruppe Stochastik der DMV (mit Christine Müller), die Gesellschaft für Klassifikation (mit Claus Weihs) und der Verband Deutscher Städtestatistiker (mit Ernst-Joachim Richter). Erklärtes Ziel der DAGStat ist es, die in unterschiedlichen Anwendungsbereichen arbeitenden Statistiker zusammenzubringen und ihnen ein Forum des produktiven Austauschs von Methoden und Ergebnissen zu bieten. Zum einen will die DAGStat die Kräfte aller Statistiker in Deutschland bündeln. Darin sieht sie ihre wichtigste Aufgabe. Zum anderen will sie die Wahrnehmung der Statistik in der Öffentlichkeit verbessern. Beides geschieht unter maßgeblicher Beteiligung der DStatG. Bis 2008 waren der DAGStat alle dreizehn oben genannten Gesellschaften beigetreten. Die 2009 gegründete deutsche Region des European Network for Business and Industrial Statistics (ENBIS) hat inzwischen ebenfalls die Mitgliedschaft erworben. Die DStatG sieht sich im Zentrum dieser Initiative, die aber weit über den Rahmen der eigenen Gesellschaft hinausweist. Denn nur im Rahmen eines umfassenden Verbundes von Statistikern lassen sich Aktivitäten entwickeln und Ziele anstreben, für die die Kräfte und die inhaltliche Kompetenz einer einzelnen Fachgesellschaft nicht ausreichen. Hier sind in erster Linie die Tagungen und Symposien zu nennen, die von der DAGStat bzw. gemeinsam mit ihr ausgerichtet werden. Unter dem Motto „Statistik unter einem Dach“ trafen sich im März 2007 die deutschsprachigen Statistiker erstmals zu einer gemeinsamen großen Konferenz, die dem Fach Statistik in seiner gesamten Breite gewidmet war. Sie wurde von der DAGStat gemeinsam mit der DStatG und der Deutschen Biometrischen Gesellschaft in Bielefeld ausgerichtet, unter aktiver Beteiligung aller übrigen in der DAGStat organisierten Gesellschaften und zahlreicher ausländischer Gäste. Offenbar kam die Bielefelder Tagung einem weit verbreiteten Bedürfnis entgegen: sie versammelte bereits aus dem Stand über 650 Wissenschaftler. Drei Jahre später fand, getragen von denselben Gesellschaften, eine weitere gemeinsame Konferenz „Statistik unter einem Dach“ in Dortmund statt, jetzt bereits mit 800 Teilnehmern. Dies soll sich im Dreijahresabstand fortsetzen. Die öffentliche Wahrnehmung von Statistik zu verbessern, ist das zweite große Ziel, das die DStatG seit je und künftig auch im Rahmen der DAGStat verfolgt. Viele Menschen verstehen Statistik als langweiliges und oft belangloses „Zählen von Köpfen und Daumen“, etliche verbinden mit dem Begriff Statistik sogar „Lüge“ und „Manipulation“. Die Tatsache, dass fast alle modernen Wissenschaften
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empirische Aspekte einschließen und sich dazu statistischer Methoden bedienen, ist der breiten Öffentlichkeit vergleichsweise weniger bekannt. Um dem abzuhelfen und Verständnis für Aufgaben und Nutzen der Statistik über den Bereich der Fachwissenschaftler zu wecken, veranstaltet die DAGStat regelmäßig Symposien zu Themen, die in der aktuellen politischen Diskussion einen hervorragenden Platz einnehmen und bei deren Analyse und Lösung Statistik eine zentrale Rolle spielt. Die Symposien der DAGStat sollen sowohl das breite Spektrum als auch die Relevanz der statistischen Methoden widerspiegeln. Sie wenden sich ausdrücklich an eine außerwissenschaftliche Öffentlichkeit. Themen vergangener Symposien waren „Die Zukunft des Pflegebedarfs in Deutschland“ (2008), „Die Folgen von Hartz IV“ (2009) und „Die Fettleibigkeit der Deutschen“ (2010). Das Symposium 2011 ist dem in diesem Jahr stattfindenden registergestützten Zensus als dem Nachfolger der alten Volkszählung gewidmet.
5.3 Kampf dem Innumeratentum Ein besonderes Anliegen der DStatG, das sie vor allem im Rahmen der DAGStat vorantreibt, ist es, die Bildung in Statistik zu verbessern, und zwar bereits in den allgemeinbildenden Schulen. Der verständige Umgang und die Auswertung von Daten sowie die darauf basierenden zulässigen Aussagen gehören zu den fundamentalen kulturellen Fertigkeiten des Bürgers in der Informationsgesellschaft, vergleichbar mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Die im Englischen so genannte statistical literacy ist somit ein wichtiger Bestandteil der Allgemeinbildung. Die erste PISAStudie hat gezeigt: In Deutschland stand es bisher mit der Schulbildung in den quantitativ-mathematischen ebenso wie in den verbalen Fächern nicht zum Besten. Dies hat zu großen Anstrengungen geführt, deren Erfolg zum Teil bereits sichtbar ist. So enthalten die Lehrpläne der weiterführenden Schulen inzwischen die Forderung, den Schülern die Grundlagen der Gewinnung und Auswertung statistischer Daten zu vermitteln. Natürlich muss dies in den Schulalltag und in geeignete Lehrund Unterrichtsmaterialien umgesetzt werden. Hier ist wiederum die Gemeinschaft aller Statistiker gefordert. Die DStatG unterstützt deshalb das Projekt „Statistik und Schule“. Seit die Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 2004 in die nationalen Bildungsstandards die Leitidee „Daten und Zufall“ aufgenommen hat, ist die Statistikausbildung im schulischen Mathematikunterricht fest verankert. Die Umsetzung der Leitidee ist jedoch nicht einfach, da Statistik als Disziplin zahlreiche Facetten aufweist und nur konkrete Beispiele die Notwendigkeit und die Vielseitigkeit der Methoden demonstrieren können. Hier will die DStatG Hilfestellung leisten und für Statistik als Methode zur Beschreibung von „Daten und Zufall“ ein Forum zur Verfügung stellen. Unter der Adresse www.statistik-schule.de soll eine virtuelle Plattform und Informationsbörse entwickelt werden, die Anlaufstelle für Lehrer und Schüler sein soll. Die Seite soll einerseits möglichst viele der verfügbaren und vorhandenen Bausteine aus schulischer und universitärer Ausbildung bündeln. Andererseits soll sie Informationsforum für die flankierenden Bausteine einer frühen
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Wege in die Zukunft
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Nachwuchsförderung sein. Gedacht ist hierbei an ein ausgearbeitetes Weiterbildungsprogramm für Lehrerinnen und Lehrer, an ein Netz von lokalen Ansprechpartnern und an Statistik-Sommeruniversitäten. In letzteren sollen Schülerinnen und Schüler schon früh die faszinierende Welt der Statistik kennenlernen. Das Projekt ist derzeit noch in Planung, aber die Notwendigkeit, bereits in der Schule aktiv, frühzeitig und nachhaltig die Förderung des statistischen Nachwuchses anzugehen, wird von allen Beteiligten gesehen. Die DStatG bringt sich daher mit der Expertise und dem Engagement ihrer Mitglieder maßgeblich in dieses Projekt ein, gemeinsam mit Spezialisten der übrigen DAGStat-Gesellschaften, insbesondere solchen der Statistik-Didaktik. Sie profitiert so in vielerlei Hinsicht von der Allianz der DAGStat, in der sie eine zentrale Rolle innehat. Die Herausforderungen an die DStatG im Besonderen und an die Statistikerinnen und Statistiker im Allgemeinen sind zahlreich und groß. Sowohl auf der Basis ihrer hundertjährigen Tradition als auch im Rahmen der neu gegründeten DAGStat hat sich die Gesellschaft gut gerüstet und die Wegweiser aufgestellt, die sie auf neue und erfolgreiche Straßen führen werden.
Kapitel 6
Das Allgemeine Statistische Archiv Horst Rinne
Zusammenfassung Das Allgemeine Statistische Archiv1 , nachfolgend kurz Archiv genannt, ist die älteste, ausschließlich der Statistik gewidmete deutschsprachige wissenschaftliche Fachzeitschrift. Sie ist gut zwanzig Jahre älter als die Deutsche Statistische Gesellschaft, zu deren Publikationsorgan sie mit der Gründung der Gesellschaft im Jahre 1911 wurde. Zeitschrift und Gesellschaft blicken auf eine sehr wechselvolle, aber erfolgreiche gemeinsame Geschichte zurück. Die wissenschaftliche Arbeit der Gesellschaft ist im Archiv und seinen Sonderheften für nachfolgende Generationen dokumentiert.
6.1 Die historische Entwicklung Als Georg von Mayr (1841–1925) im Jahre 1890 das Archiv gründete, schrieb er im Vorwort des ersten Bandes zum Programm u. a.: Das Archiv soll zunächst ein literarischer Mittelpunkt für die wissenschaftliche statistische Forschung sein. Dass dieser ein besonderes Organ geschaffen werde, entspricht den Grundsätzen der berechtigten und in stetem Fortschritt begriffenen wissenschaftlichen Arbeitsteilung. Nunmehr ist für die deutsche statistische Wissenschaft die Möglichkeit geboten, dass Erörterungen, welche – den gemeinsamen Stempel statistischer Forschung tragend – bisher in den verschiedensten periodischen Veröffentlichungen zerstreut waren, eine eigene Heimstätte finden. Besonderes Gewicht soll im Archiv auf die Verarbeitung des Materials gelegt werden, welches die amtliche Statistik ununterbrochen neu fördert, und welches in seiner Mannigfaltigkeit und Rechhaltigkeit die Wissenschaft wie die Politik zu
H. Rinne (B) Röntgenstr. 1, 35444 Biebertal, Deutschland e-maiil:
[email protected] 1
Dieser Beitrag stützt sich weitgehend auf den von mir herausgegebenen Registerband „100 Jahre Allgemeines Statistisches Archiv“, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1991. Für wertvolle Hinweise zur Entwicklung der Zeitschrift nach meiner Zeit als Schriftleiter des Archivs danke ich meinen Nachfolgern Karl Mosler, Universität zu Köln, und Wilfried Seidel, Helmut-SchmidtUniversität (Universität der Bundeswehr, Hamburg).
H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_6,
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H. Rinne einem nicht immer genügend zum öffentlichen Ausdruck gebrachten Dank verpflichtet. . . . In übersichtlichen Zusammenfassungen und in angenehm lesbarer Weise die Hauptergebnis dessen vorzuführen, was Errungenschaft der Statistik im In- und Ausland ist, soll eine hauptsächliche Aufgabe des Archivs sein.
Georg von Mayr war ein Enzyklopädist, ein Fakten und Beobachtungen sammelnder Gelehrter, der alles Statistik-Relevante in seiner Zeitschrift nachweisen wollte. So sollte das Archiv ein Fundort für alles werden, was man seinerzeit unter Statistik verstand und mit ihr verband, nämlich die zahlenmäßige Dokumentation dessen, was in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft geschieht. Mit einer aus fünf Abschnitten bestehenden Struktur des Archivs ging von Mayr an die Bewältigung seiner sich gesetzten Aufgabe. Diese Abschnitte und ihre Zwecke sind: 1. Abhandlungen aus dem Gebiete der theoretischen Statistik und aus dem Bereiche allgemeiner Erörterungen über Wesen, Bedeutung und Pflege der Statistik, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung derselben für das Staatsleben und die Verwaltung. 2. Fortlaufende Erörterungen und Mitteilungen über die statistische Technik und deren Fortschritte. 3. Mitteilung statistischer Ergebnisse, tunlichst in Form abgerundeter Essays. 4. Übersicht und Besprechung der statistischen Literatur. 5. Verschiedenes; dabei soll dasjenige berücksichtigt werden, was – ohne unter die vorbezeichneten Abschnitte zu fallen – für den Leserkreis des statistischen Archivs von Interesse ist. Im Laufe der letzten 120 Jahre hat sich die Struktur des Archivs mehrfach geändert. Als Friedrich Zahn (1869–1946) im Jahre 1914 die Herausgeberschaft übernahm, wurden aus den fünf Abschnitten die folgenden vier: A B C D
– Abhandlungen, – Statistische Gesetzgebung, Verwaltung und Organisation, – Miszellen, – Literatur.
Diese Struktur wurde bei Neuerscheinung des Archivs 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal gestrafft, indem die Abschnitte B und C mit einem neuen Titel zusammengefasst wurden und der Abschnitt D zum Abschnitt C wurde: A – Abhandlungen, B – Rundschau, C – Literatur. Diese Struktur ist bis 2006 beibehalten worden. Georg von Mayr war nicht nur Gründer des Archivs, er wurde auch Mitbegründer und neuer Vorsitzender der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG). Die Gründung der DStatG in Anlehnung an die Deutsche Gesellschaft für Soziologie
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und unter ihrem Dach war nicht Zufall. Sie wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass Georg von Mayr der Vorsitzende dieses neuen Kreises war. Sein wissenschaftliches Ziel war die Etablierung einer empirischen Gesellschaftslehre, die aus einer systematisch geordneten Sammlung von Zähl- und Messergebnissen bestehen sollte. Diese deskriptive und zugleich induktive Soziologie war also auf die Statistik gegründet, die von Mayr insofern als materielle Wissenschaft verstand. Statistik als Wissenschaft war in jener Zeit – bis etwa zum Ersten Weltkrieg – und in Deutschland tatsächlich vorwiegend mit gesellschaftlichen Vorgängen befasst, sei es im Dienste der Sozialwissenschaften oder der staatlichen Verwaltung. Dazu gehörten auch die Statistik der gesundheitlichen Verhältnisse, die Kultur- und die Kriminalstatistik. Dies reflektiert sich auch in den Themen der Aufsätze im Archiv während der Herausgeberzeit Georg von Mayrs. Die enge Verbindung zwischen Archiv und Gesellschaft kommt auch darin zum Ausdruck, dass die ersten drei Vorsitzenden der Gesellschaft in Personalunion Herausgeber des Archivs waren: – Georg von Mayr, Vorsitzender der Gesellschaft von 1911 bis 1925, – Friedrich Zahn, Vorsitzender der Gesellschaft von 1925 bis 1943, – Karl Wagner, Vorsitzender der Gesellschaft von 1948 bis 1960. Mit dem 45. Jahrgang 1961 übernahm ein aus Mitgliedern des Vorstandes gebildeter, von der Mitgliederversammlung bestätigter Herausgeberkreis bis 1972 die Herausgabe des Archivs. Diesem Kreis gehörten an – – – – –
Adolf Blind Gerhard Fürst (Vorsitzender der Gesellschaft), Walther Gustav Herrmann, Willi Hüfner, Bernhard Mewes
Die Schriftleitung übernahm Willi Hüfner. Der Herausgeberkreis war so zusammengesetzt, dass in ihm möglichst viele Fachrichtungen der Gesellschaft vertreten waren. (Man vergleiche dazu die Vita dieser fünf Personen im Registerband.) Mit Beginn des Jahres 1973 ging die Herausgeberschaft auf den gesamten Vorstand der Gesellschaft als Institution über, und die Vorsitzenden der Gesellschaft – – – – – – –
Wolfgang Wetzel, 1972–1976, Hildegard Bartels, 1976–1980, Karl-August Schäffer, 1980–1984, Heinz Grohmann, 1984–1988, Siegfried Heiler, 1988–1992, Joachim Frohn, 1992–1996, Peter-Th. Wilrich, 1996–2000
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setzten gemeinsam mit den übrigen, von der Mitgliederversammlung der Gesellschaft gewählten Vorstandsmitgliedern den Schriftleiter ein, der – als weiteres Vorstandsmitglied – das Archiv redaktionell betreute und wissenschaftlich verantwortlich war, – Heinz Grohmann, 1973–1980, – Horst Rinne, 1981–1997. Nach Georg von Mayrs Tod 1925 wurde Friedrich Zahn (1869–1946) Vorsitzender der DStatG, nachdem er bereits 1914 die faktische Herausgeberschaft des Archivs übernommen hatte. Zahn war eine sehr starke Persönlichkeit (vgl. seine Biographie im Registerband), aber aus heutiger Sicht wegen seiner Einstellung zu Staat und Partei nicht unumstritten. Er führte zur Intensivierung der wissenschaftlichen Arbeit der Gesellschaft den jährlichen Turnus der Tagungen ein. Er förderte die Arbeiten der Gesellschaft und die Publikationen im Archiv durch Nutzung seiner guten Kontakte zu statistischen Gesellschaften des Auslandes als langjähriges Mitglied und späterer Präsident (1931) und Ehrenpräsident (1936) des Internationalen Statistischen Instituts. Durch die politischen Verhältnisse in Deutschland ab l933 wurde diese internationale Verbindung der DStatG jedoch empfindlich gestört. Auch die innerdeutsche Arbeit der Gesellschaft verlor an Breitenwirkung. Die Wahl der Themen der Jahrestagungen ab 1933 und auch die der Publikationen im Archiv trugen den neuen Verhältnissen im Übermaß Rechnung. Ende 1944 stellte das Allgemeine Statistische Archiv sein Erscheinen ein. Zuvor hatte bereits mit einem Schreiben vom 22. 10. 1943 Friedrich Zahn mit Wirkung zum Jahresende 1943 den Vorsitz der DStatG niedergelegt (Allg Stat Archiv 32, 1943/44, S. 93). Der stellvertretende Vorsitzende, Prof. Dr. Johannes Müller aus Weimar, führte die Geschäfte der Gesellschaft weiter, bis sie mit dem allgemeinen deutschen Zusammenbruch nach dem Zweiten Weltkrieg zu bestehen aufhörte. Zum Wiederaufbau einer staatlichen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg musste auch die praktische Statistik ihren Teil beitragen. Die wissenschaftliche Statistik musste sich aus der jahrelangen Isolierung lösen und den Anschluss an die Entwicklung im Ausland suchen. Vergangenheitsbewältigung hat sie allerdings nicht oder so gut wie nicht betrieben, obwohl es dazu mehr als einmal Gelegenheit gegeben hat. So vermisst man in Henningers Nachruf (Allg Stat Archiv 33, 1949, S. 3 ff.) auf Friedrich Zahn im ersten Nachkriegsband des Archivs eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Rolle in den Jahren von 1933 bis 1943. Bei allen Verdiensten, die sich Friedrich Zahn um die deutsche Statistik zweifellos erworben hat, hätte Henninger einen Versuch zur Erklärung der Zahnschen Position geben können. Die DStatG und das Allgemeine Statistische Archiv dürfen sich überaus glücklich schätzen, zu ihrem Wiederbeginn nach dem Zweiten Weltkrieg eine Persönlichkeit wie Karl Wagner (1893–1961) besessen zu haben. Er war politisch nicht vorbelastet und darüber hinaus allem Neuen in der Statistik aufgeschlossen. Zum Neubeginn des Archivs schreibt er u. a. (Allg Stat Archiv 33, 1949, S. 1):
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Nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 fällt der deutschen Statistik die Aufgabe zu, mit ihren Mitteln und Kräften zum Wiederaufbau unseres sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens beizutragen. Sie bedarf dazu einer eigenen wissenschaftlichen Zeitschrift mehr denn je. In allen statistischen Anwendungsgebieten, in der Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Kulturstatistik, in der mathematischen und Versicherungsstatistik, der kirchlichen, medizinischen und naturwissenschaftlichen Statistik, der betriebswirtschaftlichen, technischen und industriellen Großzahlforschung treten im Zusammenhang mit der notwendigen Neuordnung vielfältige methodische und organisatorische Fragen auf, die einer gründlichen wissenschaftlichen Durchleuchtung bedürfen. . . . Die Notwendigkeit, der wissenschaftlichen statistischen Forschung in Deutschland wieder ein Organ zu schaffen, wurde durch die gleichgerichteten Wünsche von Kreisen der amtlichen, wissenschaftlichen und privaten Statistik nachdrücklich unterstrichen.
Die Einstellung der Mehrheit in der Gesellschaft zu den mathematischen Methoden war über viele Jahrzehnte bis in die 1970er Jahre kritisch. Die Ideen der kontinentalen Schule der mathematischen Statistik haben in der Gesellschaft keine bedeutende Rolle gespielt. Von ihren großen Vertretern hat Wilhelm Lexis (1837–1914) nie im Allgemeinen Statistischen Archiv publiziert. Ladislaus von Bortkiewicz (1868–1931) hat – allerdings nur bis 1915 – vier Arbeiten für das Archiv geschrieben, und von Oskar Anderson sen. (1887–1960) erschienen Veröffentlichungen im Archiv erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Emil Julius Gumbel (1891–1966) konnte vor seiner Emigration über Frankreich in die USA vier Aufsätze im Archiv publizieren. Die Repräsentanten der Gesellschaft übernahmen auch nicht die sich international durchsetzende, aus dem angelsächsischen Bereich stammende Auffassung von einer einheitlichen Methodenlehre für die sozial- und naturwissenschaftliche Statistik. Erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser Methodenstreit auf zwei Jahrestagungen (1953 in Heidelberg und 1968 in Kassel) öffentlich ausgetragen, und man darf heute wohl sagen, dass beide Ansätze der Statistik – die mehr deskriptiv sozialwissenschaftliche Ausrichtung und die mehr formal-mathematische und naturwissenschaftliche Ausrichtung – in der Gesellschaft und in den Aufsätzen im Archiv nebeneinander und im friedlichen Wettbewerb koexistieren. Die Integration moderner, stärker formal-mathematisch ausgerichteter und auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung gegründeter Ansätze, wie sie insbesondere in den angelsächsischen Ländern schon weit entwickelt worden waren, gelang allerdings zunächst nur zögernd. Lediglich moderne Stichprobenverfahren fanden bald vielfach Beachtung und Anwendung. Besonders pointiert offenbarten sich die unterschiedlichen Auffassungen in einer heftigen Diskussion auf der Jahrestagung 1953, ausgelöst durch die Referate von Oskar Anderson sen. über „Moderne Methoden der statistischen Kausalforschung in den Sozialwissenschaften“ und von Adolf Blind über „Probleme und Eigentümlichkeiten sozialstatistischer Erkenntnis“ (Allg Stat Archiv 37, 1953, S. 289–313). Anderson stritt für die verstärkte und erweiterte Anwendung moderner Methoden auch in den Sozialwissenschaften, Blind hob hingegen gerade die spezifischen Probleme sozialstatistischer Begriffsbildung und Verfahrenswahl hervor, die der Eigenart des Erkenntnisobjekts Rechnung zu tragen haben. Obwohl beide Auffassungen gar nicht im Gegensatz zueinander
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standen, wurde das doch von vielen so aufgefasst, und die an den angelsächsischen Vorbildern orientierte methodische Weiterentwicklung kam nur langsam voran. Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass die meisten Mitglieder der Gesellschaft in jener Zeit solche der praktischen, insbesondere der amtlichen Statistik waren, DStatG und das Allgemeine Statistische Archiv blieben traditionell und hauptsächlich sozial-ökonomischen statistischen Problemen zugewandt. Diese Grundhaltung blieb auch in der nachfolgenden Amtszeit von Gerhard Fürst (1960–1972) noch mehr als ein Jahrzehnt lang dominierend. Fürst war schon vom Neubeginn 1948 an stellvertretender Vorsitzender gewesen und hatte seitdem als Präsident des Statistischen Bundesamtes die amtliche Statistik in der Bundesrepublik entscheidend geprägt. Dies blieb naturgemäß nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung der DStatG und des Allgemeinen Statistischen Archivs. Gleichwohl war Fürst als Vorsitzender der Gesellschaft darum bemüht, durch Änderungen in der Ausschussarbeit möglichst viele Richtungen der Statistik in der Gesellschaft zur Geltung kommen zu lassen. Der Arbeitskreis für Regionalstatistik wurde in einen Ausschuss umgewandelt. Die beiden Unterausschüsse für Marktbeobachtung und Marktanalyse sowie für Innerbetriebliche Statistik wurden zu selbständigen Ausschüssen. Der Ausbildungsausschuss wurde neu belebt, währen der Arbeitskreis für Statistische Qualitätssicherung bei den Mitgliedern der Gesellschaft zunächst keinen Anklang fand. Erst 1982 wurde der Ausschuss für Technische Statistik gegründet, der 1990 in Ausschuss für Statistik in Naturwissenschaft und Technik umbenannt wurde. Alle diese Aktivitäten setzten freilich – wie Wetzel dazu meint (Allg Stat Archiv 70, 1986, S. 237) – keine wesentlich neuen Akzente, die eine wissenschaftliche Öffnung der Gesellschaft signalisieren. Er beklagt damit vor allem die mangelnde Berücksichtigung der Bedürfnisse der Hochschulen, an denen zu jener Zeit immer mehr Lehrstühle für Statistik eingerichtet wurden. Gegen Ende der Amtszeit von Gerhard Fürst begann man, angestoßen vom damaligen Leiter des Ausschusses für Neuere Statistische Methoden, Wolfgang Wetzel, den vielen abseits stehenden Statistikern, die an wahrscheinlichkeitsorientierten Modellen interessiert sind, ein Forum für wissenschaftliche Diskussionen in Form der seit 1972 stattfindenden Pfingst-Tagungen zu eröffnen, an denen seit 1987 auch Mathematiker und Stochastiker teilnehmen. Wetzel als Nachfolger von Fürst im Vorsitz der Gesellschaft bewirkte, um diesen Bestrebungen Raum zu geben, eine Reihe struktureller Änderungen in der Ausschussarbeit. 1974 wurden die beiden verwandten Ausschüsse Marktbeobachtung und Marktanalyse und Statistik des Betriebes zu einem Ausschuss für Unternehmens- und Marktstatistik zusammengeschlossen und 1973 wurde ein neuer Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie gegründet. Viele der in diesen Ausschüssen vorgetragenen Referate wurden im Archiv abgedruckt. Darüber hinaus ließ Wetzel ließ auch die Sonderhefte zum Allgemeinen Statistischen Archiv herausgeben. Mit der Übernahme der Herausgeberschaft des Allgemeinen Statistischen Archivs durch den Vorstand als Institution und dem Wechsel der Schriftleitung im Jahre 1973 wurde gleichzeitig versucht, dieser traditionsreichen wissenschaftlichen Zeitschrift ein neues, zeitgemäßes Programm zu geben. Dazu heißt es u. a. in einem
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Vorwort des ersten Bandes unter dieser neuen Ägide (Allg Stat Archiv 57,1973, S. 2): Die inhaltliche Ausrichtung wird – der Tradition der Zeitschrift und der Zielsetzung der Gesellschaft gemäß – anwendungsorientiert bleiben. Das impliziert keineswegs eine Zurückhaltung gegenüber der statistischen Theorie, sondern soll im Gegenteil den Weg zu deren Fruktifizierung und Verbreitung ebnen helfen. Viele bedeutsame Fortschritte der statistischen Theorie sind noch überhaupt nicht oder höchst unzureichend der empirischen Analyse nutzbar gemacht. Vielfach sind die neu entwickelten Ansätze allerdings auch noch nicht oder nur unzulänglich harter empirischer Erprobung – gerade im ökonomischen und gesellschaftlichen Bereich – ausgesetzt gewesen. Beides zu fördern, erscheint deswegen als eine besonders lohnenswerte Aufgabe. Mochte man eine Zeitlang den Eindruck haben, dass viele, die als Produzenten oder Konsumenten in empirischer zielgebundener Deskription und Analyse unmittelbar engagiert waren, theoretische Entwicklungen nur unzureichend zur Kenntnis nahmen und dass viele Wissenschaftler an den Hochschulen empirische Daten wenig schätzten, weil diese den Modellanforderungen nicht entsprachen, oder sie allenfalls gelegentlich zu Demonstrationszwecken benutzten, so ist seit einiger Zeit ein Wandel darin, eine zunehmende Annäherung, unverkennbar. Bedenkt man darüber hinaus noch, dass die Zahl der Lehrstühle für Statistik an den Hochschulen und damit auch die der nachwachsenden Wissenschaftler in unserem Fachgebiet in den letzten zehn Jahren immens zugenommen hat, so erscheint heute eine Begegnung beider Seiten im Medium einer wissenschaftlichen Zeitschrift dringend notwendig und viel versprechend. Hat das Allgemeine Statistische Archiv bisher in erster Linie seine Impulse von der amtlichen oder allgemeiner: von der praxisbezogenen Statistik erhalten, so ist jetzt eine zunehmende Öffnung für die Universitäten geboten. Dass das nicht ohne Schwierigkeiten vor sich gehen wird, ist vorauszusehen. Die Herausgeber bitten deswegen schon jetzt um Verständnis, wenn mancher statistisch-theoretische Beitrag für den Empiriker nicht immer sofort voll durchschaubar und in seiner Bedeutung für die Weiterentwicklung der praktischen Statistik abschätzbar sein wird, und wenn mancher konzeptionelle oder empirische Beitrag nicht immer die wünschenswerte Verbindung mit einer hoch entwickelten, aber damit oft praxisferneren statistischen Theorie aufweist. Maßstab für den Gewinn, den ein Beitrag erbringt, sollte jedoch stets sein Nutzen für das sein, was Statistik allemal intendiert: die sachgerechte Beschreibung, die Erklärung und die Prognose realer – hier insbesondere wirtschaftlicher und gesellschaftlicher – Prozesse und Strukturen und damit die Bereitstellung von Orientierungshilfen für ziel- und mittelgerechte Entscheidungen.
Diesen Ausführungen, die auf einer vom Vorstand der DStatG gebilligten Vorlage von Heinz Grohmann beruhen, fühlten sich besonders die beiden nach 1973 eingesetzten Schriftleiter verpflichtet. Unter der Schriftleitung von Horst Rinne wurden in zunehmendem Maße methodisch und theoretisch ausgerichtete Aufsätze publiziert. Dabei galt es eine gute Balance zwischen Beiträgen zu halten, die Leser aus den verschiedensten Anwendungsbereichen der Statistik, vornehmlich der amtlichen Statistik, und aus den Hochschulen ansprechen. Auch englischsprachige Arbeiten fanden langsam Einzug ins Archiv. Zudem wurden zu eingereichten Beiträgen fallweise Gutachter um eine Beurteilung gebeten. Die Tradition des Allgemeinen Statistischen Archivs blieb gleichwohl bis heute erhalten, nämlich ein Forum für die Weiterentwicklung der Statistik zu sein und dabei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Themen der reinen Theorie, der anwendungsbezogenen Theorie, deren praktischer Nutzung und der Interpretation von Ergebnissen zu wahren. Unter den anwendungsorientierten Beiträgen nahmen nach wie vor Fragen der
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Gewinnung und Auswertung wirtschafts- und sozialstatistischer Daten einen breiten Raum ein. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die Methoden der technischen Statistik.
6.2 Die aktuelle Entwicklung Anfang 1998 beschloss der Vorstand der Gesellschaft, die Herausgeberschaft statt vom Gesamtvorstand von einem einzelnen Wissenschaftler wahrnehmen zu lassen; ihm steht ein Herausgeberbeirat zur Seite, dessen Mitglieder die verschiedenen Aspekte der Statistik abdecken. Als Herausgeber des Allgemeinen Statistischen Archivs wurden gewählt: – Karl Mosler, 1998–2004, – Wilfried Seidel, 2005–2006 Auf Basis der erweiterten Expertise des Beirats wurde 1998 ein formales Begutachtungsverfahren eingeführt: Eingereichte Beiträge werden außer vom Herausgeber von einem Mitglied des Beirats und mindestens einem weiteren Gutachter evaluiert. Mit dem Jahrgang 2000 wechselte das Archiv vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht zum Springer-Verlag. Ziel dieses Schritts war es, durch einen großen, international operierenden Verlag die Verbreitung der Zeitschrift und damit auch deren Attraktivität für die Autoren zu verbessern. Die Zeitschrift erhielt ein neues Design und wird seitdem auf den Werbeplattformen des Springer-Verlags beworben. Zugleich wurde die Verbindung der Zeitschrift mit allen Mitgliedern der Gesellschaft intensiviert. Seit 2000 schließt die Mitgliedschaft in der Gesellschaft ein Abonnement des Archivs ein. Die dazu notwendige Erhöhung der Mitgliedsbeiträge ging nicht ohne Diskussionen ab; doch überwogen schließlich die Stimmen, die darin eine verbesserte wissenschaftliche Außendarstellung der Gesellschaft und eine Förderung vornehmlich junger Autoren sahen. Inhaltliche Schwerpunkte der Zeitschrift in diesen Jahren waren zum einen die Themen der Hauptvorträge der Jahresversammlungen und zum anderen auch Spezialhefte mit folgenden Themen: – Sampling Inspection and Statistical Process Control, 2000, – The Geometry of Data, 2004, 2005 und 2006 wurde das Allgemeines Statistisches Archiv durch W. Seidel herausgegeben. In dieser Zeit gab es zwei Schwerpunkthefte: – Item nonresponse and data quality (2005, Gastherausgeberin Regina Riphahn), – Special Issue on Modern Econometric Analysis – Surveys on Recent Developments (2006, Gastherausgeber J. Frohn und O. Hübler). Die Schwerpunkthefte waren wissenschaftlich exzellent. Andererseits zeigten sich die Grenzen der Struktur einer Zeitschrift immer deutlicher, die das gesamte
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Spektrum der in der DStatG vertretenen statistischen Aktivitäten in sich vereinen will. Angesichts der Entwicklung in der Gesellschaft würde dies inzwischen bedeuten, dass sich innovative Forschungsarbeiten über statistische Theorie ebenso darin fänden wie Aufsätze über praktische, politische, gesellschaftliche und institutionelle Aspekte der Statistik oder problemorientierte Arbeiten insbesondere aus dem wirtschafts- und sozialstatistischen Bereich. Tatsächlich standen beispielsweise englischsprachige und in einer abstrakten mathematischen Terminologie formulierte Artikel über ökonometrische Zeitreihenverfahren neben engagiert geführten Debatten über statistische Ausbildung oder Föderalismus in der amtlichen Statistik. Ein Forum für Themen wie die letztgenannten ist für eine lebendige Fachgesellschaft unverzichtbar. Nur haben darin mathematische Aufsätze etwa über Quasilikelihood-Methoden nichts zu suchen. Umgekehrt sollte eine selbstbewusste Gesellschaft eine hochwertige methodische Fachzeitschrift herausgeben. Dann aber hat sie für internationale Verbreitung und Aufmerksamkeit zu sorgen. Heutige Leistungskriterien in Universitäten und Forschungsinstituten verbieten geradezu die Publikation in einem Organ, welches nicht im Science Citation Index mit hohem Verbreitungsfaktor geführt wird. Der Aufnahme des Archivs in den Citation Index standen jedoch das fehlende Profil als rein methodische Fachzeitschrift sowie der deutschsprachige Teil entgegen. Da inzwischen das Artikelaufkommen erfreulich gestiegen war, konnte die Gesellschaft schließlich zu Beginn des Jahres 2007 die erforderliche Profilierung mit der Aufgliederung des Allgemeinen Statistischen Archivs in die beiden Reihen „AStA – Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv“ und „AStA – Advances in Statistical Analysis“ anstoßen. Beide Zeitschriften erscheinen vierteljährlich bei Springer, beide arbeiten mit Begutachtungsverfahren und Herausgeberbeirat. Das Wirtschafts- und Sozialstatistische Archiv, herausgegeben von Hans Wolfgang Brachinger, Universität Fribourg/Schweiz, versteht sich als zentrales deutschsprachiges Organ für die Publikation wirtschafts- und sozialstatistischer Arbeiten. Diese behandeln substantielle Fragestellungen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit einer Methodik, die Konzepte der klassischen Wirtschaftsstatistik mit modernen mathematisch geprägten statistischen Ansätzen verbindet. Publiziert werden methodisch fundierte, problemorientierte Arbeiten. Im Vordergrund stehen Themen, die für eine breitere wissenschaftliche und auch außerwissenschaftliche Öffentlichkeit von Interesse sind. Das Wirtschafts- und Sozialstatistische Archiv will die Lücke zwischen der Vielzahl rein methodisch orientierter, meist englischsprachiger statistischer Fachzeitschriften und der allgemeinen deutschsprachigen Presse, insbesondere der Wirtschaftspresse, schließen. Es werden Aufsätze publiziert, – die statistische Probleme aus dem Bereich von Volks- und Betriebswirtschaftslehre, insbesondere der Finanzwirtschaft, sowie aus dem Bereich der Sozialwissenschaften behandeln, – die wissenschaftliche Analysen von wirtschafts-, sozial- und bevölkerungsstatistischen Problemen liefern, – in denen politische, institutionelle oder organisatorische Aspekte oder Qualitätsstandards der öffentlichen Statistik erörtert werden,
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– in denen die Rolle der Statistik in der Gesellschaft thematisiert wird, – welche die Beziehungen zwischen Produzenten, Nutzern und Auskunftgebenden einer Statistik untersuchen, – die ethische Fragen der Statistik sowie Probleme des Datenschutzes behandeln, – in denen Fragen diskutiert werden, welche den Berufsstand der Statistiker betreffen, insbesondere solche der statistischen Ausbildung, – die einen Überblick bieten über den Forschungsstand in Teilgebieten der Statistik und – die offene Fragen der statistisch-methodischen Forschung aufwerfen. AStA – Advances in Statistical Analysis ist eine rein englischsprachige Fachzeitschrift für Statistische Methoden. Erster Herausgeber war Wilfried Seidel. Zu Beginn wurde der Herausgeberbeirat international ergänzt, die hinzugekommenen teilweise führenden Fachvertreter standen insbesondere für das gegenüber dem Archiv deutlich erweiterte Themenspektrum. Erfreulicherweise wurde AStA – Advances sofort in den Science Citation Index aufgenommen. Drei Hefte hatten Themenschwerpunkte, nämlich „Statistical Consulting“ (Heft 4/2007, Gastherausgeber Göran Kauermann und Claus Weihs), „Microeconometrics and Disclosure Control“ (Heft 4/2008, Gastherausgeber Winfried Pohlmeier und Gerd Ronning) und „Capture-Recapture Methods in Life and Social Science“ (Heft 1/2009, Gastherausgeber Dankmar Böhning und Peter van der Heijden). Mit Heft 2/2009 ging die Herausgeberschaft auf Göran Kauermann (Bielefeld) und Stefan Lang (Innsbruck) über. Das AStA-Advances hat inzwischen drei Abschnitte: – Statistical Applications (Hier soll der innovative Einsatz statistischer Modelle und Analysetechniken in den verschiedensten Anwendungsgebieten gezeigt werden.) – Statistical Methodology (Hier sollen Arbeiten zur Weiterentwicklung der statistischen Methoden und Theorie erscheinen.) – Statistical Reviews ( Hier finden sich Übersichtsartikel zu den einzelnen Gebieten der Statistik einschließlich Software und Computing sowie Rezensionen.) Die DStatG hat auf ihrer Internetseite (http://www.dstatg.de) im Abschnitt „Publikationen“ ein auf dem in der ersten Fußnote genannten Registerband beruhendes Online-Register abgelegt. Es enthält für Interessenten – in der Sortierung nach Bänden und Jahrgängen – die Titel aller seit 1890 im Archiv erschienen Beiträge. Dem Allgemeinen Statistischen Archiv mit seinen beiden Reihen ist zu wünschen, dass es sich auf dem großen und immer noch wachsenden internationalen Markt statistischer Zeitschriften lange und erfolgreich behaupten möge.
Teil II
Ausgewählte Arbeitsfelder in der Gegenwart
Kapitel 7
Ausbildung als zentrale Aufgabe Walter Krämer und Sibylle Schmerbach
Zusammenfassung Anders als Lesen und Schreiben zählen Grundkenntnisse in Statistik heute noch nicht zu den Voraussetzungen einer sinnvollen Teilhabe am Sozialgeschehen. Und auch in der akademischen Statistik-Ausbildung gibt es noch einiges zu tun. Das vorliegende Kapitel zeichnet die Geschichte dieser akademischen Ausbildung an deutschen Universitäten nach dem zweiten Weltkrieg nach, stellt aktuelle Defizite vor und weist auf mögliche Verbesserungen hin.
7.1 Das Problem „A basic literacy in statistics will be one day as necessary for efficient citizenship as the ability to read and write“. So schrieb der englische Romanschriftsteller H. G. Wells vor über 100 Jahren (zitiert nach Huff, 1954), und seitdem hat diese Einsicht nichts von ihrer Aktualität verloren. Mit Daten und Fakten vernünftig umzugehen, in Zahlen gefasste Abbilder der Wirklichkeit korrekt zu interpretieren, vielleicht sogar selbst zum sinnvollen Beschreiben einer immer komplexeren Welt und Umwelt beizutragen, diese Fähigkeiten scheinen den mündigen Bürger des 3. Jahrtausends geradezu zu definieren. Und eine der wichtigsten Aufgaben der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG), zu der sie sich auch rückhaltlos bekennt und die sie seit ihrer Gründung mit großen Nachdruck wahrnimmt, ist deshalb die Aus- und Weiterbildung in Statistik, und zwar gleichermaßen für die allgemeine Bevölkerung, also die Konsumenten von Statistik, wie für alle, die im Beruf mit Statistik und den Ergebnissen statistischer Erhebungen und Analysen arbeiten oder arbeiten müssen. Diese Aufgabe erscheint heute wichtiger denn je. Denn leider ist die Realität von dem Wells’schen Ideal einer „basic literacy in statistics“ noch immer weit entfernt.
W. Krämer (B) Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik, Technische Universität Dortmund, Vogelpothsweg 78, 44227 Dortmund, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_7,
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Auch in Deutschland scheint sich ganz im Gegenteil ein gewisses „Innumeratentum“ breitzumachen, ja geradezu salonfähig zu werden, das sich darin äußert, mit Mathematik und Zahlen nicht zurecht zu kommen und sogar noch stolz darauf zu sein. Während es hier wie in vielen anderen entwickelten Industrienationen eine soziale Deklassierung nach sich ziehen würde, als Analphabet erkannt zu werden, scheint das Zugeständnis, von Mathematik und Zahlen wenig zu verstehen, das soziale Ansehen ganz im Gegenteil sogar noch zu erhöhen. Diese Unwissenheit und dieses Ungeschick im Beurteilen von Fakten und Zahlen haben unabsehbare Folgen für das Funktionieren des Gemeinwesens. Wenn auf die Frage „Was sind 40%?“ rund die Hälfte aller befragten Kunden einer großen Bank in England mit „einer von vierzig“ oder „ein Viertel“ (Young 1990) antwortet, wie sollen da demokratisch legitimierte, rationale Entscheidungen über Renten, Arbeitgeberbeiträge oder Steuergesetze entstehen? Oder wie in Deutschland die Norderneyer Zeitung einmal formulierte: „Fuhr vor einigen Jahren noch jeder zehnte Autofahrer zu schnell, so ist es heute schon jeder fünfte. Doch auch fünf Prozent sind zu viele, und so wird weiterhin kontrolliert, und Schnellfahrer haben zu zahlen“ (zitiert nach Krämer 2008, S. 52). Diese verbreiteten Defizite im zahlenmäßigen Erfassen der Wirklichkeit beleuchten das Ausmaß der Arbeit, die hier noch zu bewältigen ist und die sich die DStatG als eine ihrer Aufgaben seit jeher vorgenommen hat. Über die in verschiedenen Fachausschüssen geleistete Herkulesarbeit, die nach zwölf Jahren Naziherrschaft akademisch zurückgebliebene deutsche Statistik wieder an das Weltniveau heranzuführen, informieren bereits Kap. 3 und 4, und über die verstärkte Einbindung der Statistik in den Schulunterricht und in den Medien äußert sich Kap. 5. In diesem Kapitel werfen wir ein Licht auf die Statistikausbildung an den deutschen Universitäten und Fachhochschulen und auf gewisse darin vorhandene Defizite, die einer stärkeren Verankerung der Statistik in den Anwendungswissenschaften und in der Gesellschaft als ganzer derzeit noch entgegenstehen.
7.2 Statistik als eigenständiges Studienfach An fast jeder größeren englischen oder nordamerikanischen Universität gibt es heute ein eigenes Department of Statistics. Nach aktueller Zählung sind es in Kanada sieben, in Großbritannien zwölf und in den USA weit über 70 (siehe Loftsgarden und Watkins 1998). Dass es nun auch in Deutschland eine eigene – wenn auch leider immer noch nur eine einzige – Fakultät Statistik gibt, ist zum Teil auch ein Verdienst der DStatG. Traditionell gab es Statistik im heutigen Sinn als Gegenstand des Unterrichts an deutschen Universitäten nur in Anwendungsfächern, und das auch nur vereinzelt, verschiedentlich sogar aktiv bekämpft. Von Peter Hofstätter (1993) etwa wissen wir, dass ein „junger Psychologe“, in der Nazizeit das Lehramt an einer Universität des deutschen Sprachgebietes anstrebend, von seiner Fakultät mit dem Argument abschlägig beschieden wurde, dass er gewisse „dem deutschen Geiste völlig fremde [statistische] Methoden“ in seinen Arbeiten verwendet hätte. Und auch noch in den
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ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg führte die Statistik an deutschen Universitäten ein Schattenleben; an allen westdeutschen Wirtschaftsfakultäten zusammen gab es zunächst nur drei Lehrstühle für Statistik (Jakob Breuer in Köln, Paul Flaskämper in Frankfurt und Oskar Anderson sen. in München.) An anderen Standorten wurde Statistik an mathematisch-naturwissenschaftlichen oder medizinischen Fakultäten angeboten, so in Göttingen von Hans Münzner oder in München von Hans Werner Richter, ohne aber das flächendeckende Angebot in den angelsächsischen Ländern auch nur ansatzweise zu erreichen. Dieser Standortnachteil wurde von der DStatG seit ihrer Neubegründung im Jahr 1948 deutlich als solcher wahrgenommen und entschieden attackiert. Schon 1949 forderte die DStatG in einer an die Kultusministerien gerichteten Resolution, dass die Statistik obligatorisches Prüfungsfach im Diplomexamen für Volks- und Betriebswirte werden sollte, und hatte damit immerhin an einigen Universitäten Erfolg. Später wurde das Fach Statistik auf Betreiben der DStatG auch in die Grundausbildung aller wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge eingebaut und allgemein als Wahlfach in den Diplom-Prüfungen zugelassen. Und dann folgte, wenn auch recht spät, der Ruf nach eigenständigen Studiengängen. Das Beschlussprotokoll der Jahrestagung 1970 der DStatG vermerkt dazu: Die DStatG appelliert nachdrücklich an alle zuständigen Stellen, vor allem in den Kultusbehörden und Universitäten, die Einrichtung und den Ausbau entsprechender Studiengänge [gemeint sind Studiengänge in Statistik] zu fördern, wobei verschiedene Modelle der Gewichtsverteilung zwischen methodischer und stofflicher Ausrichtung erprobt werden sollen. Nur damit können die Chancen verbessert werden, dass Deutschland in absehbarer Zeit auf dem Gebiet der quantitativen Methoden und ihrer Anwendungen den Anschluss an die internationale Entwicklung findet.
Dieser Beschluss ging auf intensive Vorarbeiten des Hochschullehrerkreises im Ausschuss für Ausbildungsfragen der DStatG und seines damaligen Vorsitzenden Kurt Weichselberger zurück. Parallel dazu und durch diese Unterstützung durch die DStatG ermutigt, betrieb der Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der neu gegründeten Universität Dortmund, Frank E. Münnich, tatkräftig unterstützt von dem Ordinarius für Mathematik Friedhelm Eicker, die Gründung einer eigenen Fakultät Statistik. Schon am 24. Oktober 1969 hatte er wie folgt an das Rektorat der Universität geschrieben (zitiert nach Hering 1994): Wie aus der regelmäßig im „Allgemeinen Statistischen Archiv“ veröffentlichten Übersicht über statistische Vorlesungen und Übungen hervorgeht, erfolgt bislang in der Bundesrepublik die Ausbildung in Statistik zersplittert in den Bereichen der Mathematik und aller Anwender, wie Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Biologie, Meteorologie, Soziologie, Psychologie usf. Die Ausbildung ist dabei im Hinblick auf theoretische Grundlegung, Breite der Anwendung und Betonung der Praxis sehr unterschiedlich. Sowohl für die Wirtschaft, insbesondere aber auch für die amtliche und halbamtliche Statistik, werden jedoch Fachleute benötigt, die auf einer guten theoretischen Grundlage mit den Schwierigkeiten praktischer Arbeit und den inhaltlichen Problemen in breiterer Streuung als bisher üblich vertraut sind. Ihnen sollten auch die neuen Techniken der Datenerfassung und -speicherung bekannt sein. Aus diesen Gründen will die Universität Dortmund einen eigenständigen Studiengang Statistik schaffen, der von einer eigens dafür geschaffenen Abteilung getragen wird. [. . .] Der geplante Studiengang soll den Studenten auf breiter Grundlage in mathematischer Statistik und deren Anwendungen eine Spezialisierung auf ein bestimmtes Gebiet ermöglichen. Als
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W. Krämer und S. Schmerbach Abschluss ist der neu zu schaffende Grad eines Diplomstatistikers vorgesehen, da das hier beabsichtigte integrierte Statistikstudium in keinen der bisherigen Studiengänge sinnvoll eingeordnet werden kann.
Diese gemeinsamen Anstrengungen hatten Erfolg – einer der seltenen Fälle, in denen innerakademische Reformen in der deutschen Wissenschaftspolitik tatsächlich von innerhalb und nicht von außerhalb des Universitätsbetriebes angestoßen wurden. Die Abteilung (heute Fakultät) Statistik der Universität (heute TU) Dortmund wurde dann im Februar 1973 tatsächlich eingerichtet, der Lehrbetrieb begann im Sommersemester 1973 (siehe Eicker 1973), heute werden dort rund 350 Studierende in den Studiengängen Statistik Diplom (leider auslaufend), Statistik Bachelor und Statistik Master, Datenanalyse Bachelor und Datenwissenschaft Master ausgebildet. Bis heute ist die Dortmunder Statistik-Fakultät die einzige ihrer Art im ganzen deutschen Sprachgebiet. Parallel zu ihrer Gründung betrieb Kurt Weichselberger gleiches an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität, allerdings ohne die formale Selbständigkeit der beteiligten Hochschullehrer durchsetzen zu können; zusammen mit Kollegen aus der Philosophie bildeten sie einen gemeinsamen Fachbereich. Heute sind sie Teil der Fakultät für Mathematik, Informatik und Statistik. In München begann der Lehrbetrieb im Wintersemester 1979. Einen weiteren eigenständigen Studiengang in Statistik gibt es heute auch noch an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal, ähnliche oder verwandte Aufbaustudiengänge auch noch in Berlin (Master; gemeinsam durch die Freie, die Humboldt- und die Technische Universität sowie die Charité), in Bremen (Master in Biostatistik) und an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Master in Biostatistik, berufsbegleitend).
7.3 Statistik im Rahmen anderer Studiengänge An anderen akademischen Ausbildungsstätten ist die Statistik weiterhin Teil der Wirtschaftswissenschaften, der Soziologie, der Psychologie oder der Medizin, mit je nach Fach verschiedenen Schwerpunkten in der Ausbildung, und bei den Studierenden mal mehr und mal weniger beliebt. Nur wenige Fachbereiche haben dabei eigene Lehrstühle für Statistik. Am stärksten verankert ist die Statistik in den Wirtschaftswissenschaften; hier hält fast jede größere Fakultät einen oder zwei Lehrstühle vor, mit allerdings abnehmender Tendenz. In den traditionellen Diplomstudiengängen war Statistik obligatorischer Teil des Grundstudiums und im Hauptstudium immerhin noch Wahlfach, allein oder mit anderen quantitativen Fächern wie etwa Operations Research zusammen. Das Grundstudium gliederte sich dabei in aller Regel in zwei Teile (Statistik I und Statistik II) und umfasste die „deskriptive Statistik“, die „Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung“ und die „schließende Statistik“. Vorgesehen waren dafür zwischen 6 und 10 Semesterwochenstunden Vorlesungen und Übungen. Lange Zeit galten diese mit ein oder zwei Klausuren abzuschließenden Veranstaltungen
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als größte Hürde in den Anfangssemestern, die man als Studierender oft auch genau als solche sah und danach so schnell wie möglich wieder vergaß. Zu diesem Irrweg einer Statistik als „l’art pour l’art“ weiter unten mehr. Nur an wenigen Fachbereichen gab es daneben ein Fachgebiet „Wirtschaftsstatistik“, das zudem selten obligatorisch war und oftmals von externen Dozenten angeboten wurde. Ausgewählte wirtschaftsstatistische Fragen kamen gelegentlich im Rahmen der deskriptiven Statistik vor. Im Hauptstudium waren die Studieninhalte weitgehend den Fachvertretern überlassen und oft mit deren Forschungsinteressen wie Ökonometrie oder Zeitreihenanalyse verbunden. Diese Struktur hat sich mit der Umstellung der Diplomstudiengänge auf das Bachelor-Master-System teilweise, aber nicht grundlegend geändert; dazu weiter unten mehr.
7.4 Der Ausbildungsausschuß Die Koordinierung, Vereinheitlichung und Weiterentwicklung der einschlägigen Lehrstoffe, vor allem der Lehrstoffe in den Wirtschaftswissenschaften, ist seit je eine der Aufgaben des Ausbildungsausschusses (jetzt „Ausschuss für Ausbildung und Weiterbildung“). Er traf sich erstmals im Juni 1949 unter Vorsitz von Paul Flaskämper in Frankfurt a. M. und ist damit einer der ältesten Ausschüsse der DStatG überhaupt; neben Flaskämper stritt damals auch Oskar Anderson sen. für eine Verbesserung der im Vergleich zum Ausland noch sehr schlechten statistischen Ausbildung deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Den Studierenden der Wirtschaftswissenschaften sei von den Hochschulen eine mathematische Grundausbildung zu vermitteln, so die mehrfach vorgetragenen Ausschussforderungen, weil die Schulkenntnisse nicht mehr ausreichten, um die modernen Verfahren und Modelle der statistischen Methodenlehre zu verstehen. Im Jahr 1953 formulierte der Ausschuss ein Minimalprogramm für die statistische Ausbildung (Heidelberger Programm), das den einzelnen Dozenten aber noch Spielraum für eigene Schwerpunkte gewährte. Insbesondere sollten die Studierenden gründliche Kenntnisse gleichermaßen in der Methodenlehre wie in der „materiellen“ Statistik erwerben. Es sei zwar nicht Aufgabe der Universitäten, Berufsstatistiker auszubilden, aber Wirtschaftswissenschaftler müssten Statistiken richtig lesen, kritisch beurteilen und für weitere Analysen benutzen können. Im Jahr 1961 stand das Thema „Ausbildung und Weiterbildung der Statistiker“ sogar auf dem Programm der Jahrestagung in Saarbrücken; die dort und später im Ausbildungsausschuss erarbeiteten Empfehlungen mündeten in einer republikweiten Etablierung der Statistik an westdeutschen Wirtschaftsfakultäten. Ferner diskutierte der Ausschuss auch Detailfragen des statistischen Lehrprogramms und legte Regeln für die wechselseitige Anerkennung von im Grundstudium erworbenen Scheinen fest. Zu seinen aktuellen Tätigkeitsfeldern gehört die standortübergreifende Koordinierung des akademischen Statistikunterrichts sowie dessen Anpassung an die Anforderungen der Praxis oder die Entwicklung neuer Medien für die Statistikausbildung im Internet.
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Unabhängig vom Ausbildungsausschuss bot und bietet die DStatG auch spezielle Kurse zur Fortbildung akademischer Statistiker an. Im Juni 1952 und im Oktober 1954 leitete Hans Kellerer in München mehrtätige, stark nachgefragte Einführungen in das Stichprobenverfahren. 1966 begründete Gerhard Fürst eine neue Folge von Fortbildungsveranstaltungen, deren Referate – beginnend mit einem Kurs von Wolfgang Wetzel über neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Zeitreihenanalyse im Februar 1970 - in Sonderheften zum AStA veröffentlicht wurden. Auch die in den letzten Jahren sehr attraktiv gewordenen Nachwuchsworkshops, in denen sich frisch promovierte oder kurz vor der Promotion stehende Statistiker unter Anleitung etablierter Kollegen über ihre Arbeiten austauschen, gehören in diese Tradition.
7.5 Die akademische Ausbildung in Statistik aktuell Trotz aller Bemühungen der DStatG im allgemeinen und des Ausbildungsausschusses im besonderen klafft zwischen der akademischen Ausbildung in Statistik und den Erfordernissen der Praxis in manchen Fächern derzeit noch eine gewisse Lücke, die auch schon mehrfach Gegenstand von Diskussionen auf Veranstaltungen oder in Journalen der DStatG gewesen ist (siehe etwa Krämer 1995, 2008; von der Lippe und Schmerbach 2003, Stäglin 2004, Rendtel 2006, Lorscheid 2010). Diese Lücke betrifft die unzureichende Kenntnis vieler Absolventen wirtschaftswissenschaftlicher wie auch „rein“-statistischer Studiengänge auf Gebieten, die man gemeinhin unter „Datenanalyse“ zusammenfasst. Hier scheint ein Pendel, das in den ersten Nachkriegjahrzehnten zu weit in Richtung Anwendungen ausgeschlagen hatte, nunmehr in die reine Methodenrichtung abzuweichen, so dass viele „Abnehmer“ von Studierenden mit Statistik-Schwerpunkt über fehlende Basiskompetenzen in der praktischen Statistik klagen. Dergleichen Basiskompetenzen umfassen die adäquate Definition von Begriffen wie Einkommen, Arbeitslosigkeit, Produktivität, Inflation, Armut usw. sowie deren Operationalisierung in den statistischen Erhebungssystemen. Dann folgen Fragen der Datenbereinigung und Messfehler, solche der Datensicherheit und -anonymisierung sowie des Datenbankdesigns ganz allgemein. Weitere Basiskompetenzen sind das praktische Ziehen von Stichproben, die optimale Gestaltung von Fragebögen und die Behandlung von fehlenden Daten und Antwortverweigerungen, die Qualitätsberücksichtigung bei Preisindizes und nicht zuletzt die optimale grafische Präsentation von Daten. „Wie der Vergleich mit dem Ausland zeigt, gibt es in Deutschland ein Defizit im Stand der Ausbildung und Forschung in Methoden der empirischen Sozial- und Wirtschaftsforschung. Die Kommission empfiehlt die Einrichtung von Lehrstühlen oder Zentren an Hochschulen, die in Forschung und Lehre in besonderer Weise auf methodische Probleme der Umfrageforschung und der amtlichen Statistik ausgerichtet sind“ (KVI 2001). Ob dagegen ein Schätzverfahren erwartungstreu oder konsistent ist, oder ein Signifikanztest gleichmäßig effizient, hat auf die Qualität einer damit gewonnen empirischen Aussage weit weniger Einfluss als die Art und
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Weise, wie die Daten überhaupt gewonnen worden sind. Oder um mit WirtschaftsNobelpreisträger Trygve Haavelmo (1958) zu sprechen: “The concrete results of our efforts at quantitative measurement often seem to get worse the more refinement of tools . . . we call into play.“ Dieses “refinement of tools“ wird schnell zur „l’art pour l’art“, und hier gibt es für die DStatG noch Handlungsbedarf, um die modellbasierte, mathematische Statistik und Stochastik wieder enger an die Probleme der Praxis anzubinden.
7.6 Ausblick: Der Bologna-Prozess und die Zukunft der Statistik an deutschen Universitäten Im Jahr 1999 verpflichtete sich Deutschland gemeinsam mit 29 anderen europäischen Staaten, bis zum Jahre 2010 die Ziele der Bologna-Deklaration vom 19. Juni 1999, später allgemein als Bologna-Reform bezeichnet, umzusetzen. Insbesondere sieht diese ein zweistufiges Studiensystem mit den neuen Bachelor- und Masterabschlüssen vor. Für Deutschland bedeutete dies neben der Abschaffung eines in langen Jahren erarbeiteten Markenwertes (allein die Marke „Diplomingenieur“ hat einen Wert von mehreren hundert Millionen Euro, siehe TU München 2004) das Ende eines im akademischen Leben und am Arbeitsmarkt lange Zeit bewährten einstufigen Diplomabschlusses. Unter den inzwischen über 1000 Absolventen des Diplomstudiengangs Statistik der TU Dortmund etwa ist Arbeitslosigkeit so gut wie unbekannt, mehr als 50 dieser Absolventen sind heute selber Hochschullehrer für Statistik an Universitäten in aller Welt. Deshalb sieht eine deutliche Mehrheit der Dortmunder Statistik-Hochschullehrer keinen Grund, im Fach Statistik von dieser bewährten Art der Ausbildung abzuweichen. In anderen Fächern und an anderen Universitäten sieht man das aus fachspezifischen Gründen anders; man wird abwarten müssen, welches die präferierten und erfolgreicheren Studienverläufe sind. Nach den Vorstellungen der BolognaReformer soll nach bereits sechs Semestern Vollzeitstudium der erste berufsqualifizierende Hochschulabschluss möglich sein. Neben den grundlegenden und vertiefenden fachlichen Kenntnissen gewinnen die auf dieser Stufe erstmals vermittelten Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen für eine erfolgreiche Tätigkeit in der Wirtschaft zunehmend an Bedeutung. So bilden jetzt zum Beispiel Sprachunterricht, Projektmanagement, Präsentations- und Moderationstechniken, Zeit- und Selbstmanagement, die verstärkte Orientierung auf die Anwendung von theoretischem Wissen auf konkrete praktische Fragestellungen sowie die Einbettung von nationalen und internationalen Praktika und Studienaufenthalten vielerorts feste Bestandteile der Curricula. Der Master, in der Regel auf vier Semester ausgelegt, kann bzw. soll – so die Absicht der Initiatoren – entweder ein wissenschaftliches oder ein anwendungsorientiertes Profil vermitteln. Die erste Option des Master ist für Studierende gedacht, die eine Laufbahn in Forschung und Lehre anstreben, letztere bereitet auf eine Führungsposition in Wirtschaft oder Verwaltung vor.
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Leider haben zahlreiche Wirtschaftsfakultäten in Deutschland diese Umstellung zum Anlass genommen, die Lehrangebote im Fach Statistik auf ein Mindestmaß zu reduzieren: Bemerkenswert ist auch die Streubreite der Statistik-Pflichtstunden innerhalb der einzelnen Fachrichtungen. Diese ist – gemessen an Minimum und Maximum – für alle Fachrichtungen erheblich und reicht etwa für Betriebswirtschaftslehre von 0 bis 13 SWS und für Volkswirtschaftslehre von 4 bis 18 SWS. Diese Differenzen dürften dem zunehmenden Druck auf die Hochschulen zur Profilbildung geschuldet sein, erschweren aber auf der anderen Seite den Hochschulwechsel zwischen der Bachelor und Masterphase (Lorscheid 2010, S. 290).
Die DStatG sieht dieses stellenweise Ausdünnen der Statistik-Ausbildung als ein Alarmsignal für alle, die Verantwortung für ein fachspezifisch-anspruchsvolles und umfassendes Lehrangebot Statistik in den Universitäten und Hochschulen tragen. Nicht die Reduzierung des Statistik-Angebotes im Rahmen der neuen Studiengangstrukturen darf die Antwort auf die nicht zufriedenstellende Akzeptanz des bisherigen Statistik-Lehrangebotes bei den Studierenden wie auch in weiten Bereichen der zukünftigen Arbeitgeber sein. Vielmehr geht es unter den neuen Rahmenbedingungen um ein Lehrangebot, das ein ausgewogenes Verhältnis zwischen allen Phasen der statistischen Arbeit von der fachlichen Problemstellung über die Datengewinnung, die Methodenwahl und Methodenanwendung bis zur kompetenten Interpretation der erzielten Ergebnisse und schließlich bis zur wissenschaftlichen Analyse enthält. Allein in den neuen Bachelor-Studiengängen wird sich das nicht realisieren lassen. Angesichts des knappen Zeitbudgets werden kaum mehr als erste Schritte der statistischen Datenanalyse in dem Lehrprogramm unterzubringen sein. Folgt danach im Masterprogramm jedoch die angemessene Fortsetzung in Form eines zwischen Wissenschaft und Praxisorientierung ausgewogenen Lehrangebots, dann besteht im neuem Studiensystem durchaus die Chance, Interesse und Engagement der Studierenden für das Fach Statistik besser als in der Vergangenheit zu wecken, zu eigenständigen Ideen, Studien und Anwendungen anzuregen und sie damit zu gefragten Experten auf dem Arbeitsmarkt zu machen, die mit ihren Kollegen aus den alten Diplomstudiengängen durchaus konkurrieren können. In Schmerbach (2005) wird aufgezeigt, wie das für ausgewählte Fakultäten bereits heute möglich ist.
Literatur Eicker F (1973) Der Studiengang und der Fachbereich Statistik an der Universität Dortmund. Allg Stat Archiv 57:213–218 Deutsche Statistische Gesellschaft (1973) Denkschrift zur Einführung eines Studienganges im Fach Statistik. Verabschiedet am 15. Februar Haavelmo T (1958) The role of the econometrician in the advancement of economic theory. Econometrica 26:351–357 Hering F (1994) Eine Chronik des Fachbereichs Statistik. Unveröffentlichtes Manuskript, Dortmund Hofstätter P (1993) Von Zahlen wegschauen. Die Welt, Hamburg, 7. Juni Huff D (1954) How to lie with statistics. Norton, New York, NY
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Krämer W (1995) Was ist faul an der Statistik-Grundausbildung an deutschsprachigen Wirtschaftsfakultäten? Allg Stat Archiv 79:196–211 Krämer W (2008) Verhindert die Statistikausbildung den Fortschritt der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften? WiSoStA 2:41–50 Krämer W (2009) So lügt man mit Statistik, 12. Aufl. Piper, München KVI (2001) Empfehlungen der Kommission für die Verbesserung der Statistischen Infrastruktur. Nomos Verlag, Baden-Baden Loftsgarden DO, Watkins AE (1998) Statistics teaching in colleges and universities: courses, instructors, and degrees in fall 1995. Am Stat 52:13–17 Lorscheid P (2010) Statistik-Ausbildung im wirtschaftswissenschaftlichen Bachelor-Studium: Eine kommentierte Bestandsaufnahem an deutschen Universitäten. WiSoStA 3:285–298 Lippe Pvd, Schmerbach S (2003) Mehr Wirtschaftsstatistik in der Statistikausbildung für Volksund Betriebswirte. Allg Stat Archiv 88:362–367 Rendtel U (2006) Wieviel Statistik wird für den Bachelor benötigt? Empirische Ergebnisse einer Umfrage. Statistische Woche 2006, www.statistische-woche.dstatg.de. Schmerbach S (2005) Datengrundlagen der Wirtschaftspolitik. Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik I. Vorlesungsskript Berlin 2005, www.wiwi.hu-berlin.de/ Stäglin R (2004) Plädoyer für mehr Wirtschaftsstatistik in der Ausbildung für Volks- und Betriebswirte. Allg Stat Archiv 88:106–108 München TU (2004) Presserklärung: Der deutsche Diplom-Ingenieur hat Weltstandards gesetzt, München Young P (1990) The perils and pitfalls of percentages. The Times, 2. Mai
Kapitel 8
Methodik und Qualität statistischer Erhebungen Walter Krug, Jürgen Schmidt und Rolf Wiegert
Zusammenfassung Kapitel 8 wirft einen Blick hinter die Kulissen statistischer Arbeit und ihrer Methoden, insbesondere auch hinter die der amtlichen Statistik: Wie kommen die Myriaden von Zahlen zustande, die heute aus statistischen Quellenwerken aller Art und aus Datenbanken abgerufen werden können? Dabei wird deutlich, welche Schwierigkeiten bei Erhebungen, insbesondere bei Stichprobenerhebungen, zu überwinden sind, wie man Antwortverweigerer kooperativer stimmt, wie sich auch aus kleinen Stichproben auf intelligente Weise verlässliche Ergebnisse erzielen lassen und wie Großstichproben auf europäischer Ebene harmonisiert werden. Am Beispiel des Zensus 2011 wird gezeigt, wie sich eine Kombination von Stichproben und Registerauswertungen als Ersatz für eine Volkszählung nutzen lässt. Mitglieder der Deutschen Statistischen Gesellschaft waren daran kooperativ beteiligt.
8.1 Statistische Erhebungen – eine wissenschaftliche Aufgabe Statistische Daten fallen nicht vom Himmel – sie werden nach wissenschaftlichen Methoden von Statistikern erhoben. Die Deutsche Statistische Gesellschaft (DStatG) hat deshalb 1986 einen Ausschuss Methodik statistischer Erhebungen gegründet. Dieser war von Heinrich Strecker, dem ersten Vorsitzenden, als deutsches Gegenstück zur International Association of Survey Statisticians (IASS) des Internationalen Statistischen Instituts (ISI) mit Nachdruck gefordert und über mehrere Jahre vorbereitet worden. Seitdem hat sich der Ausschuss überaus erfolgreich fortentwickelt. Er sieht seine vorrangige Aufgabe darin, die Weiterentwicklung der Erhebungsmethodik – für Vollerhebungen wie für Stichproben und Registerauswertungen – zu fördern,
W. Krug (B) Trebetastr. 1, 54296 Trier, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_8,
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die Qualität statistischer Daten zu verbessern und die Ergebnisse einem weiten Publikum bekannt zu machen. Er pflegt zu diesem Zweck den wissenschaftlichen Dialog zwischen den in der Praxis tätigen Statistikern, insbesondere denen der amtlichen Statistik, den Statistikern aus Universitäten, Forschungsinstituten und namhaften Kollegen aus dem Ausland. Dieser wechselseitige Erfahrungsaustausch hat sich als besonders wegweisend erwiesen. Als weitere Aktionsform für seine Bestrebungen begründete der Ausschuss 1992 auf Initiative von Rolf Wiegert und Jürgen Chlumsky und in Kooperation mit dem Institut für Forschung und Entwicklung in der Bundesstatistik das Wiesbadener Kolloquium. Diese zweitägige Gemeinschaftsveranstaltung findet seither jährlich im November im Statistischen Bundesamt statt; sie richtet sich zum einen an die Produzenten statistischer Daten, vor allem an die des Statistischen Bundesamtes selbst, und zum anderen an die Nutzer solcher Daten in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Die dabei gehaltenen Vorträge wurden in der Reihe „Forum der Bundesstatistik“ publiziert und neuerdings ins Internet gestellt. Beide Foren – Ausschuss und Kolloquium – tragen in enger Kooperation von amtlicher Statistik und Wissenschaft Beachtliches zur Weiterentwicklung der statistischen Erhebungsmethodik bei. Diese Weiterentwicklung wird von den unabweisbaren Bedürfnissen der Informationsgesellschaft an immer detaillierteren, schneller verfügbaren sowie zuverlässigeren und inhaltlich ergiebigeren Daten vorangetrieben. Das erfordert eine intelligentere Erhebungsmethodik und Fehleranalytik als traditionell praktiziert (Strecker u. Wiegert 1986, 1989, 1994). Im Idealfall sollten gleichzeitig die Erhebungskosten reduziert, die Erhebungsfehler vermindert und die Bürger und Institutionen bei den Erhebungen entlastet werden. Dieses Kapitel referiert exemplarisch die methodischen Neuerungen und Verfahrensverbesserungen, die u. a. auch aus den Vorträgen und Diskussionen in Kolloquium und Ausschuss von deren Gründung bis heute entstanden sind.
8.2 Methodische Innovationen beim Zensus 2011 Die Notwendigkeit, die Auskunftgebenden zu entlasten und die Kosten einer Großzählung zu senken, hat einen Paradigmenwechsel in der Methodik der Volkszählung in Deutschland herbeigeführt; diese wird künftig so weit wie möglich aus Verwaltungsregistern (Einwohnermelderegister, Register der Bundesagentur für Arbeit), ergänzt um primärstatistische Erhebungen (Gebäude- und Wohnungszählung, Stichprobe), gewonnen werden (siehe auch Kapitel 17).
8.2.1 Eignungstests der Register und Verfahren Um die Tauglichkeit eines registergestützten Zensus zu prüfen, wurden auf Basis des Zensusvorbereitungsgesetzes vom 27.07.2001 verschiedene Tests durchgeführt und im Ausschuss diskutiert. Es ging dabei u.a. um
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• Verfahren zur statistischen Bereinigung der Melderegister um Übererfassungen (Karteileichen), Untererfassungen (Fehlbestände) und Mehrfachfälle, • Unterschiede in den Ergebnissen zwischen einer postalischen Erhebung der Wohnungsdaten bei den Gebäude-/Wohnungseigentümern und deren Erhebung durch direkte Befragung der Haushalte (Wohnungsnutzer) • sowie um die maschinelle Generierung von Haushaltszusammenhängen durch kombinierte Nutzung der Registerdaten und der Daten der Gebäude- und Wohnungszählung. Diese Tests haben gezeigt, dass die neue registergestützte Methode verlässliche Ergebnisse erwarten lässt (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2004). Die ergänzende Stichprobe wird als Zufallsstichprobe von Anschriften im Umfang von etwa 10% der Bevölkerung konzipiert; sie soll einmal den Umfang an Registerfehlern ermitteln sowie Daten über nicht in Registern verfügbare Merkmale liefern, z. B. aus den Bereichen Bildung und Erwerbstätigkeit. Die Korrektur der Melderegister wird auf Gemeinden mit 10.000 und mehr Einwohnern beschränkt, da vor allem hier die Melderegister oft Ungenauigkeiten aufwiesen. Die über die Stichprobe zusätzlich erhobenen Merkmale werden in der Regel für Gemeinden nachweisbar sein. Ob sich mit Hilfe von Small-Area-Verfahren auch kleinräumige Ergebnisse für Stadtteile oder Stadtbezirke nachweisen lassen, wird z. Z noch untersucht.
8.2.2 Optimierung der Stichprobe im Zensus 20111 Die aus dem Paradigmenwechsel resultierende Stichprobenziehung sowie die zugehörige Schätzmethodik wurden wiederholt im Ausschuss diskutiert. Welche Kriterien etwa sollen die Verteilung der Stichprobeneinheiten (Anschriften) bestimmen? Genauigkeit und Kosten sind hierbei erwartungsgemäß konfliktär, so dass bei gegebenen Ressourcen ein optimales Stichprobenverfahren zu finden war. Sehr aufwändige moderne Methoden wie etwa die größenproportionale Auswahl oder das „Balanced Sampling“ erwiesen sich zwar bei der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen als effizient, führten aber bei Modellbildungen bzw. bei Stadt-LandVergleichen vielfach zu sehr ungünstigen Lösungen. Auch eine Neyman-Allokation bei geschichteten Stichproben führt auf Grund sehr unterschiedlicher Auswahlwahrscheinlichkeiten zu ähnlichen Problemen. Eine proportionale Allokation würde überdies bei Erfüllung der vorgegebenen Genauigkeit zu spürbar höheren Kosten führen. Münnich, Gabler und Ganninger (2007) lieferten der Zensuskommission eine multikriterielle Zielfunktion, welche auf Basis einer hierarchischen Einteilung des Bundesgebietes in Stadtteile, Gemeinden ab 10.000 Einwohner, 1 Die
Ausführungen zu 8.2.2 verdanken die Autoren R. Münnich, Universität Trier.
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Verbandsgemeindereste und Kreisreste eine eindeutige und effiziente Allokation der Gesamtstichprobe ermöglicht. Durch eine methodische Verfeinerung gelang es außerdem, auch Antworten auf regional diversifizierte Fragestellungen zu ermöglichen und eine zu unterschiedliche Behandlung der Bürger zu vermeiden. Bei der Frage nach einer geeigneten Schätzmethodik standen sowohl die in der amtlichen Statistik seit langem eingesetzten designbasierten Methoden als auch moderne modellbasierte, unter dem Begriff Small-Area-Methoden zusammengefasste Techniken zur Diskussion. Erstgenannte weisen erwünschte Eigenschaften wie asymptotische Unverzerrtheit auf, können allerdings für kleine Nachweisgruppen, wie etwa Subpopulationen in Gemeinden, auffällig große Varianzen haben. Dies liegt daran, dass für die Schätzung im klassischen Sinne nur Informationen dieser kleinen Nachweisgruppe verwendet werden. Zieht man dagegen Informationen anderer, insbesondere ähnlicher Gruppen hinzu, so lassen sich mit Hilfe von geeigneten statistischen Modellen erhebliche Effizienzgewinne erzielen. Der Nachteil kann jedoch bei nicht vollständiger Erfüllung der Modellannahmen eine Designverzerrung sein. Dieser Austausch zwischen Effizienz und Verzerrung, welcher bisher in der deutschen amtlichen Statistik vermieden wurde, kann als „zweiter Paradigmenwechsel“ im Rahmen des registergestützten Zensus bezeichnet werden. Es ist davon auszugehen, dass Small-Area-Methoden bei kleinen Nachweiseinheiten, insbesondere tiefer untergliederten Teilgesamtheiten, zur Schätzung herangezogen werden müssen. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass daraus abgeleitete Aggregate den übergeordneten, durch klassische Methoden erzielten Schätzungen entsprechen.
8.3 Innovationen bei wichtigen Stichprobenerhebungen Der Paradigmenwechsel beim Zensus 2011 ist vor allem mit den hohen Kosten und der fehlender Akzeptanz einer traditionellen Zählung bei den Bürgern begründet worden. Die methodische Weiterentwicklung von amtlichen Stichprobenerhebungen ganz allgemein wurde dagegen hauptsächlich von neuen Datenanforderungen wichtiger Nutzergruppen vorangetrieben. Auch daran war die DStatG maßgeblich beteiligt.
8.3.1 Der Mikrozensus: Vom Querschnitt zum Längsschnitt In der amtlichen Bevölkerungsstatistik stand insbesondere die methodische Weiterentwicklung des Mikrozensus (MZ), der mit einem Auswahlsatz von 1% der Bevölkerung größten Haushaltserhebung in Deutschland, im Mittelpunkt des Interesses. Die schon seit längerem geäußerten Nutzerwünsche nach schnell verfügbaren Ergebnissen für Quartals- und Jahresdurchschnitte konnte die amtliche Statistik 2005 auf der Basis eines neuen MZ-Gesetzes erstmals erfüllen (Iversen 2007). In diesem Jahr erfolgte der Übergang von einer festen Berichtswoche einmal jährlich zu
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einer kontinuierlich durchgeführten Befragung mit einer über das ganze Jahr hinweg gleitenden Berichtswoche. Dafür hatte sich bereits 1989 der Wissenschaftliche Beirat für Mikrozensus und Volkszählung ausgesprochen (siehe Kapitel 17). Der Wunsch nach schneller Verfügbarkeit der Ergebnisse machte außerdem eine Änderung der Erhebungstechnik notwendig: Mit Beginn der unterjährigen Erhebungen erfolgen diese computergestützt durch Interviewer. Auch die Schätzmethodik war geeignet anzupassen, da die alten Schätzverfahren wegen der niedrigeren Besetzungszahlen keine stabilen Quartalsergebnisse garantierten. Hier folgte die amtliche Statistik dem aktuellen internationalen Trend und den in Ausschussvorträgen von Wissenschaftsvertretern der DStatG gegebenen Empfehlungen, verstärkt modellbasierte Schätzverfahren einzusetzen. Für den MZ erwies sich die verallgemeinerte Regressionsschätzung (GREG-Schätzer) als am besten geeignet (Afentakis u. Bihler 2005). Die Nutzer des MZ verlangen aber nicht nur unterjährige Querschnittsergebnisse; seit vielen Jahren werden von der Wissenschaft und von der DStatG unterstützt auch Längsschnittdaten und Verlaufsanalysen eingefordert, siehe das im Jahr 2001 veröffentlichte Gutachten „Wege zur besseren informationellen Infrastruktur“ der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingesetzten Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur. Als Reaktion stellt die amtliche Statistik seit einigen Jahren auch Längsschnittdaten bereit. Die Verlaufsanalysen werden allerdings beim MZ von zwei grundlegenden methodischen Aspekten des Auswahlplans, dem Flächenstichproben- und dem Rotationsprinzip a priori eingeschränkt. Wegen der Stichprobenrotation können Haushalte und Personen höchstens vier aufeinander folgende Jahre beobachtet werden, und wegen der Flächenstichprobe werden wegziehende Haushalte und Personen durch zuziehende ersetzt. Trotz dieser Einschränkungen ist mit den Längsschnittdaten über zwei, drei oder vier Jahre hinweg ein inhaltlich und methodisch beachtliches und vielseitig nutzbares Analysepotenzial geschaffen worden.
8.3.2 Haushaltserhebungen der amtlichen Statistik ohne Auskunftspflicht Bei Erhebungen ohne Auskunftspflicht ist wegen der unvermeidlichen Antwortausfälle mit teilweise beträchtlichen Ergebnisverzerrungen zu rechnen. Trotz dieser methodischen Schwäche, die alle Erhebungen der Sozial- und Marktforschung betrifft, kennt auch die amtliche Statistik seit längerem Erhebungen ohne Auskunftspflicht und hat deren Zahl in den letzten Jahren sogar noch ausgeweitet. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) und die Laufenden Wirtschaftsrechnungen (LWR) etwa gehören seit jeher zu den Haushaltserhebungen, bei denen wegen des hohen Anschreibungsaufwandes, den die Befragten zu leisten haben, auf die Auskunftspflicht verzichtet wurde. Dabei ist gerade die EVS seit ihrer Einführung 1962/63 unverzichtbar; das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09. 02. 2010 zum „Hartz IV-Gesetz“ wäre ohne sie nicht umzusetzen.
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Die Stichprobenmethodiken der EVS und LWR, insbesondere die verbesserten Schätzverfahren, waren mehrfach Thema auf den Tagungen der DStatG (Kühnen 2001, 2005). Eine besondere methodische Aufmerksamkeit erhielt auch die Gemeinschaftsstatistik „LEBEN IN EUROPA“ (EU-SILC), eine weitere Haushaltserhebung ohne Auskunftspflicht, die seit 2005 jährlich in Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der EU (sowie in Norwegen und Island) durchgeführt wird und EU-weit harmonisierte und vergleichbare Mikrodaten zu Lebensbedingungen, Armut und sozialer Ausgrenzung liefert. Zuvor war die Methodik von EU-SILC in einer Reihe von EU-Verordnungen detailliert geregelt worden, u. a. hinsichtlich Definitionen, Feldarbeit, Stichprobenauswahl (Zufallsauswahl), Imputationsverfahren, Hochrechnung (Kalibrierungsverfahren) und Fehlerrechnung. Die Forderung, EU-SILC als Zufallsstichprobe zu konzipieren, gab in Deutschland die Anregung, eine neue, vielseitig einsetzbare Auswahlgrundlage für Haushaltsstichproben ohne Auskunftspflicht in Form einer Dauerstichprobe befragungsbereiter Haushalte (Access-Panel) zu schaffen. Mit ihrem Aufbau wurde 2004 begonnen. Das Access-Panel besteht aus Haushalten aus dem Mikrozensus, die im Anschluss bereit waren, von Zeit zu Zeit freiwillig an Erhebungen der amtlichen Statistik mitzuwirken. Die statistische Diskussion dazu beschäftigte sich insbesondere mit den methodischen Defiziten der Dauerstichprobe und des damit verbundenen Non-Response-Bias. Trotzdem kam man zu dem Ergebnis, dass sich so in Kombination mit einem geeigneten Hochrechnungsverfahren freiwillige Haushalts- und Personenerhebungen flexibel, aktuell und mit angemessener Ergebnisgenauigkeit durchführen lassen (Körner et al. 2006). Außer für EU-SILC wird die Dauerstichprobe auch als Auswahlgrundlage für Erhebungen für besondere Zwecke nach § 7 Bundesstatistikgesetz (das sind Erhebungen zur Deckung eines kurzfristig auftretenden Datenbedarfs oberster Bundesbehörden oder zur Klärung wissenschaftlich-methodischer Fragestellungen auf dem Gebiet der Statistik) sowie für die Erhebungen über die Informations- und Kommunikationstechnologie in privaten Haushalten genutzt.
8.3.3 Unternehmensstichproben Bei den Unternehmensstichproben der Amtsstatistik waren – anders als bei Bevölkerungsstichproben – die methodischen Neuerungen weniger auffallend. Anlass gaben auch hier die an den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen orientierten Datenanforderungen, etwa die jährlichen Kostenstrukturerhebungen, die wegen der in den letzten Jahren stark gestiegenen volkswirtschaftlichen Bedeutung des Dienstleistungssektors auf alle Zweige des Dienstleistungsbereichs ausgeweitet worden sind. Und zur Erfüllung wichtiger Datenanforderungen über die Informations- und Kommunikationstechnologie in Unternehmen, deren Verbreitung und Nutzung zu einem wesentlichen Faktor für Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit geworden ist, war eine neue Unternehmensstatistik nötig. Eine EU-Verordnung verlangt dafür seit 2006 eine jährliche, in allen Mitgliedstaaten harmonisierte Erhebung ohne Auskunftspflicht.
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8.3.4 Panelerhebungen Auf die zunehmende Bedeutung von Verlaufsdaten wurde bereits oben hingewiesen. Adäquates Erhebungsinstrument für eine Verlaufsstatistik ist das Panel; hierbei werden die gleichen Erhebungseinheiten über mehrere Zeitpunkte hinweg („Wellen“) nach den gleichen Merkmalen befragt. Die daraus resultierenden Paneldaten weisen im Vergleich zu Querschnittsdaten, bei denen zwar auch bestimmte Merkmale zu unterschiedlichen Zeitpunkten, aber an unterschiedlichen Objekten erhoben werden, einige Vorteile auf. Es lassen sich individuelle Veränderungen der interessierenden Merkmale über die Zeit beobachten, um kausalen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Nachteilig für die Datenqualität machen sich die „Paneleffekte“ (mögliche Antwortvariabilität infolge wiederholter Befragungen) und die nicht zufällige „Panel-Mortalität“ (Ausfälle) bemerkbar. Das älteste und bekannteste deutsche Panel ist das Sozioökonomische Panel des DIW (Hujer et al. 1997). Weitere bekannte Panelerhebungen (genaugenommen oft „nur“ Rotationsstichproben) der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sind das Europäische Haushaltspanel (ECHP), die Erhebung zum Leben in Europa (EU-SILC) und der Mikrozensus. Außerdem gibt es Panelerhebungen, meist im Auftrag von Bundes- und Landesministerien, auch von Forschungsinstituten oder bei der Bundesagentur für Arbeit: Mobilitätspanel Deutschland, Nationales Bildungspanel und Niedrigeinkommenspanel, BA-Beschäftigtenpanel, IAB-Betriebspanel. Die jährliche Einkommensteuerstatistik ist ein Beispiel dafür, dass sich über Identifikationsmerkmale auch aus Querschnittsdaten Panels konstruieren lassen.
8.4 Weiterentwicklung der Erhebungsinstrumente Immer wieder gab es bei den Tagungen der DStatG die Gelegenheit, auch mit renommierten Statistikern anderer Länder den aktuellen Stand der Entwicklungen auf dem Gebiet der Erhebungs- und Schätzmethodik zu erörtern und engere Kontakte zu knüpfen. Dieser Wissensaustausch hat sich sehr positiv auf die nationale Entwicklung insbesondere der Schätzmethodik ausgewirkt.
8.4.1 Auswahlverfahren und Befragungstechniken Als geeignetes Instrument zur Steigerung der Genauigkeit gegenüber einfacher Zufallsauswahl hat sich die Auswahl mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten erwiesen (jedes Element der Grundgesamtheit besitzt eine individuelle Wahrscheinlichkeit, in die Stichprobe zu gelangen). Für die Wirksamkeit des Verfahrens ist vor allem eine hohe Korrelation zwischen dem Erhebungsmerkmal und dem Hilfsmerkmal entscheidend, mit dem die Auswahlwahrscheinlichkeiten größenproportional festgelegt werden.
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Einen Sonderfall bildet die Befragung von Minderheitengruppen (z. B. prekäre soziale Schichten, Drogenbereich). Hier gibt es gute Erfahrungen mit dem Schneeballverfahren (Gabler 1992). Dabei werden in einer ersten Welle Personen, die der gesuchten Subpopulation angehören, bewusst ausgewählt. Diese geben dann Auskunft über weitere gesuchte Personen (Freunde, Bekannte, Verwandte) mit den relevanten Merkmalen und so fort. Als schwerwiegender Nachteil des Verfahrens zeigt sich, dass die Ergebnisse wegen der engen Korrelation zwischen den Merkmalen der verschiedenen Befragten möglicherweise stark verzerrt sind. Sofern eine Ursache für die Verweigerung der Beantwortung eine „heikle“ Thematik (wie Drogenmissbrauch, Sexualverhalten, Abtreibungen oder kriminelle Delikte) ist, können speziell für solche Fälle entwickelte randomisierte Antworttechniken (Quatember u. Freudenthaler 2007) die Verweigerungsrate reduzieren. Die unter diesem Begriff subsumierten Befragungsstrategien machen es dem Interviewer unmöglich, die konkrete Frage, auf die der Respondent tatsächlich antwortet, zu identifizieren. Auf diese Weise kann der Interviewer aus der gegebenen Antwort nicht auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der heiklen Eigenschaft schließen. Häufig arbeitet man in der europäischen Markt-, Meinungs- und Sozialforschung außer mit Erhebungen mit vielen Einzelfragen (hohe Kosten) auch mit Datenfusionen. Dabei werden unterschiedliche Umfragen über gemeinsam beobachtete Merkmale verknüpft. Viele Interviews in der Sozial- und Marktforschung finden in Deutschland gegenwärtig als Telefonstichproben über das Festnetz statt. Als Auswahlgrundlage hat sich Ende der 90er Jahre der bei GESIS (früher ZUMA) entwickelte GablerHäder-Auswahlrahmen durchgesetzt, der sowohl in das Telefonbuch eingetragene wie auch nicht eingetragene Anschlüsse enthält, die über ein Ortsnetz erreichbar sind. In den letzten Jahren hat sich aber gezeigt, dass eine wachsende Zahl von Haushalten nur über Mobilfunk erreichbar ist. Die Kombination einer Festnetz- und Mobilfunkstichprobe ist daher eine wichtige Komponente der gegenwärtigen und zukünftigen Umfragepraxis (Häder u. Häder 2009). Zusätzlich werden in den Auswahlgrundlagen des Arbeitskreises der deutschen Marktforschungsinstitute (ADM) die Festnetznummern mit regionalen Zuordnungen versehen.
8.4.2 Schätzverfahren Die Entwicklung der Schätzmethodik wurde in den letzten Jahren von modellbasierten Schätzverfahren geprägt (Särndal et al. 1992). Anders als beim traditionellen Ansatz des designbasierten Schätzens, bei dem ausschließlich das Auswahlverfahren die Hochrechnung der Stichprobendaten bestimmt, ziehen modellbasierte Schätzer Hilfsinformationen aus anderen Quellen heran. Sind etwa die Modellvoraussetzungen für Kalibrierungsverfahren erfüllt, so lassen sich beträchtliche Präzisionsgewinne gegenüber den klassischen Schätzverfahren erzielen und außerdem Antwortausfälle kompensieren. Allerdings sind die Schätzwerte im Allgemeinen verzerrt. Und bei Verletzung der Modellannahmen können weitere
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verfahrensinduzierte Ergebnisverzerrungen die Folge sein. Small-Area-Verfahren stellen Schätzergebnisse auch für sehr kleine Teilgesamtheiten (Small Areas) mit nur wenigen Stichprobeneinheiten bereit, sie benötigen dazu Hilfsinformationen über die Teilgesamtheiten, z. B. aus früheren Erhebungen, benachbarten Bereichen oder auch Registern. Bei den Small Areas kann es sich sowohl um geografisch abgegrenzte Gebiete (z. B. Gemeinden, Bezirke) als auch um fachlich gegliederte Gesamtheiten (nach z. B. Alter, Geschlecht, Nationalität) handeln. A priori liefert das Verfahren allerdings keine verzerrungsfreien Schätzwerte und wurde für nationale Zwecke bisher nur im Zusammenhang mit dem Zensus 2011 (siehe hierzu 8.2.2) diskutiert. Internationale Erfahrungen zeigen aber, dass der Einsatz von Small-Area-Verfahren nicht auf bevölkerungsstatistische Anwendungen beschränkt ist. Bei den Varianzschätzern hat es ebenfalls große methodische Fortschritte gegeben, vor allem durch Resampling-Verfahren, die durch die enorm gestiegene Leistungsfähigkeit der Computer möglich geworden sind. Bei den sehr rechenintensiven Resampling-Verfahren werden die Konfidenzintervalle direkt aus einer großen Zahl von zufällig gezogenen Unterstichproben aus der Ausgangsstichprobe geschätzt. Als wichtige Vertreter dieser Verfahrensklasse standen das Bootstrapund das Jackknifeverfahren im Mittelpunkt des Interesses der DStatG. Da sie praktisch keine Annahmen über die Verteilung der Grundgesamtheit erfordern, lassen sie sich breit und auch bei komplexen Stichproben anwenden und funktionieren auch dann, wenn die parametrische Schätzung der Konfidenzintervalle nicht oder nicht mit vertretbarem Aufwand möglich ist.
8.4.3 Verfahren zur Behandlung von Antwortausfällen Antwortausfälle sind eine wichtige, bei praktisch allen Erhebungen auftretende Fehlerquelle. Dabei wird zwischen Nichtbeantwortung bei Einheiten (unit-nonresponse) und Nichtbeantwortung bei Merkmalen (item-non-response) unterschieden. Da Antworten im Allgemeinen nicht zufällig ausfallen, können sie beträchtliche Ergebnisverzerrungen auslösen. Um deren Ausmaß zu begrenzen, versucht man, Antwortausfälle durch geeignete Ersatzverfahren zu kompensieren. Es ist Standard, unit-non-response durch Gewichtung und item-non-response durch Imputation auszugleichen. Bei den Imputationsverfahren unterscheidet man zwischen der singulären und der multiplen Imputation. Bei der singulären Imputation wird jeder fehlende Wert durch jeweils einen Schätzwert ersetzt. Das kann ein einfaches Lagemaß sein, aber auch ein Verhältnisschätzer. Die multiple Imputation ist methodisch anspruchsvoller, da sie für jeden fehlenden Wert mehrere Schätzwerte in mehreren Imputationsschritten liefert. Diese können anschließend zu einem Schätzwert gemittelt werden. Eine häufige Vorgehensweise bei der Schätzwertbestimmung ist die Simulation aus einem als plausibel erachteten multivariaten Verteilungsmodell (Little u. Rubin 2002).
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8.4.4 Verfahren zur Entlastung von Berichtspflichten und zur Kostenreduzierung Der in den letzten 20 Jahren stetig gewachsene politische Druck, Unternehmen und Betriebe von statistischen Berichtspflichten zu entlasten (Stichwort Bürokratieabbau) und der Zwang zur Kostenreduzierung waren die Hauptmotive für weitere grundlegende Änderungen der Methodik wirtschaftsstatistischer Erhebungen. Kernstück der Entlastungsmaßnahmen war der Aufbau eines statistischen Unternehmensregisters, dessen Zweck und Inhalte durch eine EU-Verordnung (1993) und das Statistikregistergesetz (1998) definiert worden sind. Das Register wird durch die Finanzbehörden, das Bundeszentralamt für Steuern, die Bundesagentur für Arbeit, die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern gespeist und jährlich aktualisiert; ergänzend fließen Informationen aus fachstatistischen Erhebungen ein. Entlastungs- und Einspareffekte werden vor allem dadurch erreicht, dass mit dem Unternehmensregister jährlich fachlich tief gegliederte Strukturdaten der Wirtschaft bereitgestellt werden, die in der Vergangenheit aufwändig durch mehrjährliche Großerhebungen ermittelt werden mussten; diese lieferten allerdings einen umfangreicheren Merkmalskatalog. Darüber hinaus dient das Register als Auswahlgrundlage für Unternehmensstichproben. Hauptkritikpunkt am Unternehmensregister war und ist das Alter der darin enthaltenen administrativen Daten; zwischen Berichts- und Verfügbarkeitszeitpunkt liegen in der Regel zwei Jahre. Deshalb kann auch weiterhin nicht ganz auf ergänzende primärstatistische Wirtschaftsstatistiken, insbesondere für konjunkturstatistische Zwecke, verzichtet werden. Das Internet eröffnet eine weitere Möglichkeit zur Entlastung der Wirtschaft vom Meldeaufwand. Zwei Verfahren haben sich etabliert: Die Online-Übermittlung der Daten an die Statistischen Ämter und die (medienbruchfreie) automatisierte Datengewinnung aus dem betrieblichen Rechnungswesen der Unternehmen selbst. Die Datenübermittlung online wird auch bei nicht wirtschaftsstatistischen Erhebungen genutzt. Die automatisierte Datenübernahme aus dem betrieblichen Rechnungswesen war technisch aufwändiger zu realisieren; wegen unterschiedlicher Unternehmenssoftware sind dafür unternehmensspezifische Schnittstellen nötig. Beide Verfahren sind von den Datenlieferanten gut angenommen worden.
8.5 Datenqualität Damit statistische Ergebnisse sachgerecht interpretierbar sind, benötigen deren Nutzer Informationen über deren Qualität. Auch darüber wurde in der DStatG intensiv diskutiert. Als erfreuliches Ergebnis der steten methodischen Auseinandersetzung mit diesem Thema hat die amtliche Statistik in den letzten Jahren den Qualitätsbegriff inhaltlich stärker an den Bedarf der Datennutzer angepasst und die Dokumentation über die Datenqualität wesentlich ausgeweitet.
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8.5.1 Vom Standardfehler zum Qualitätsbericht In der amtlichen Statistik war es bis vor wenigen Jahren gängige Praxis, Angaben über die Genauigkeit der Daten im Allgemeinen nur für ausgewählte Stichprobenergebnisse zu veröffentlichen und sich dabei auf die Präzision, d.h. eine Auskunft über den Stichprobenzufallsfehler, zu beschränken. Über die weiteren Komponenten der Genauigkeit, insbesondere die große Gruppe der nicht stichprobenbedingten Fehler (Fehler durch die Erfassungsgrundlage, durch Antwortausfälle, Mess- und Aufbereitungsfehler), die erhebliche Ergebnisverzerrungen zur Folge haben können, waren nur in Ausnahmefällen Angaben möglich, da ihr Nachweis zusätzliche aufwändige Kontrollerhebungen erfordert. Seit 2006 stehen nunmehr für alle amtlichen Bundesstatistiken sogenannte Qualitätsberichte zur Verfügung (Körner u. Schmidt 2006). Sie orientieren sich inhaltlich an den im Europäischen Statistischen System vereinbarten Qualitätskriterien: Relevanz (Zweck und Ziele der Statistik), Genauigkeit, Aktualität und Pünktlichkeit, Verfügbarkeit und Transparenz, Vergleichbarkeit sowie Kohärenz. Zu allen genannten Qualitätskriterien werden Informationen gegeben, und zwar entweder beschreibend mit qualitativer Bewertung oder – soweit verfügbar – auch durch quantitative Angaben. Beispielsweise werden zur Bewertung von Fehlern durch Antwortausfälle im Allgemeinen neben der Antwort- bzw. Non-responseQuote auch Erkenntnisse zum Ausfallmechanismus sowie eine Beschreibung der verwendeten Imputationsverfahren gegeben. Die Angaben über die Datenqualität werden ergänzt um Informationen zu Definitionen und zur Erhebungsmethodik der jeweiligen Statistik sowie um Hinweise zu weiterführenden Veröffentlichungen und Kontaktmöglichkeiten. Alle Qualitätsberichte besitzen eine einheitliche Struktur mit standardisierter Gliederung. In der statistischen Diskussion wurde das mit den Qualitätsberichten wesentlich erweiterte Informationsangebot der amtlichen Statistik über die Datenqualität allgemein positiv beurteilt.
8.5.2 Statistische Geheimhaltung in Tabellen Eine unverzichtbare Voraussetzung für eine hohe Antwortqualität bei statistischen Erhebungen ist die Geheimhaltung der Einzeldaten (so auch das Bundesverfassunsgericht in seinem Urteil vom 15.12.1983). Alle Befragten müssen sich darauf verlassen können, dass ihre individuellen Angaben geheim bleiben. Wenn in tiefer gegliederten Tabellen Felder (Zellen) existieren, deren Werte sich vollständig oder überwiegend aus den Einzelangaben von ein oder zwei Befragten zusammensetzen, so sind diese vor Offenlegung zu schützen. Auch darüber hinausgehende mathematische Verfahren zur Sicherung der statistischen Geheimhaltung in Tabellen waren seit 1997 mehrfach Gegenstand der Diskussion in der DStatG. Mit ihrer Weiterentwicklung reagierte die amtliche Statistik auf das durch die rasant gestiegene Leistungsfähigkeit der Computer gewachsene Risiko, Einzelangaben in Tabellen zu reanonymisieren.
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Bei wirtschaftsstatistischen Wertetabellen geschieht die Sicherung üblicherweise durch Zellsperrungen in zwei Schritten. Im Rahmen der sogenannten primären Geheimhaltung werden zunächst die Felder gesperrt, bei denen ein Risiko besteht, dass Einzelangaben aufgedeckt werden könnten. Wegen der additiven Zusammenhänge in Statistiktabellen sind zur Sicherung der primär geheimen Felder im zweiten Schritt weitere Felder zu sperren, die sogenannten Sekundärsperrungen. Dabei soll der so entstandene Informationsverlust möglichst gering bleiben. Das Sekundärsperrungsproblem ist somit ein komplexes, schon bei kleinen Tabellen sehr rechenintensives kombinatorisches Optimierungsproblem. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen Bund und Ländern ist es gelungen, praxistaugliche, zur abgestimmten Tabellengeheimhaltung im föderal organisierten Aufbereitungsprozess der statistischen Ämter geeignete Algorithmen zur sekundären Geheimhaltung zu entwickeln (Gießing u. Dittrich 2006). Als Alternative zu Zellsperrungen werden derzeit auch datenverändernde Verfahren geprüft, da Zellsperrungen bei sehr tief gegliederten Tabellen die Aussagefähigkeit der Daten gravierend beeinträchtigen können.
8.6 Mikrodaten für die Forschung Die amtliche Statistik in Deutschland hat die genuine Aufgabe, die Ergebnisse ihrer Erhebungen für Öffentlichkeit, Politik, Demographie, Wirtschaft und Wissenschaft zugänglich zu machen. Dabei ist die Geheimhaltung der Einzeldaten (z. B. von Personen, Haushalten oder Unternehmen) verpflichtend, so dass Einzeldaten statistischer Einheiten (Mikrodaten) für potentielle Nutzer lange Zeit nicht zugänglich waren. Auswertbar waren nur Tabellen mit aggregierten Daten, z. B. in den statistischen Jahrbüchern auf Länder- und Bundesebene und ggf. nach Bedarf zweckmäßig klassierte Daten. Das war der Stand Anfang der 70er Jahre (Müller et al. 1991). Für realitätsnähere Modelle und Analysen forderten empirische Wirtschafts- und Sozialforschung, Ökonometrie und weitere Wissenschaftszweige ausgangs der siebziger Jahre in wachsendem Maße den Zugang zu Mikrodaten aus der amtlichen Statistik. Da die Geheimhaltung nicht verletzt werden sollte, eine absolute Sicherung gegen eine Reidentifizierung aber auch nicht möglich war, entstand für die Weitergabe von Einzeldaten an wissenschaftliche Nutzer das Problem der faktischen Anonymisierung von Mikrodaten. Dafür hatte der Bundesgesetzgeber im Bundesstatistikgesetz den Weg frei gemacht. Seine Lösung erfordert, Einzeldaten so zu maskieren, dass einerseits eine Reidentifizierung durch missbräuchliche Nutzung ausgeschlossen ist, andererseits jedoch die substanzielle Qualität der Einzeldaten für die Forschung, für welche die Einheit nur als Merkmalsträger, nicht als Individuum, von Interesse war, erhalten bleibt. Vorreiter und Förderer dieser Entwicklung war der Sonderforschungsbereich 3 in Frankfurt, Mannheim und Berlin (Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik). Zwei große Forschungsprojekte entwickelten Methoden zur Maskierung der Mikrodaten. Sie ermöglichten die Generierung sogenannter public-use-files (Statistisches Bundesamt 2005). Diese Forschung erwies sich als besonders diffizil
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und erforderte neue Ideen, weil die heute sehr leistungsfähigen Computer gerade auch dem Datenangreifer weite Spielräume verschafften, um im Wege der Simulation, Enumeration und Modellierung die hinter den Einzeldaten liegenden Merkmalsträger zu reidentifizieren. Sie verhalf zu einer breiten Palette von Anonymisierungsverfahren, die jedoch auf wenige Grundformen der datenverändernden Verfahren rekurrierten, wie Mikroaggregation, stochastische Überlagerungen und Imputation. Härtetests erwiesen, dass beim jetzigen Stand der Informationstechnologie Reidentifizierungen praktisch ausgeschlossen sind. Diese Forschungen werden laufend fortgeführt, um die erreichten Standards der Geheimhaltung weiterhin zu garantieren. Der Zugang zu anonymisierten Einzeldaten aus der amtlichen Statistik ist jetzt innerhalb der Amtsstatistik in Forschungsdatenzentren möglich. Hier können Interessenten unbürokratisch auf Datenbestände anonymisierter Mikrodaten (publicuse-files) zugreifen. Diese Innovation hat die Datenversorgung der Forschung und Anwendung verbessert und zugleich den Kontakt zwischen Amtsstatistik und Nutzern belebt. Wie die aus anonymisierten Daten gewonnenen Ergebnisse zu beurteilen waren, wurde zunächst theoretisch anhand verschiedener statistischer Standardberechnungen untersucht. Zu prüfen war, wie z. B. Schätzungen von Mittelwerten, Medianen, Korrelationen, Konzentrationsmaßen etc. bei anonymisierten Daten numerisch reagieren. Auch die Eigenschaften der Schätzer in ökonometrischen Modellen bei Verwendung anonymisierter Mikrodaten waren kritisch zu analysieren. Die Untersuchungen bestätigten die praktische Relevanz der Ergebnisse aus anonymisierten Mikrodaten, die durch Anonymisierung erzeugten Schätzfehler lassen sich separieren und kenntlich machen. Das war für die Akzeptanz der public-use-files in der empirischen Forschung sehr bedeutsam. Die DStatG und Ihre Ausschüsse haben dieses Wissen über die innovativen Möglichkeiten der Forschung mit anonymisierten Mikrodaten engagiert verbreitet und so für die amtliche Statistik wie für die angewandte Forschung ein neues Feld für zukunftsweisende Initiativen eröffnet.
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Kapitel 9
Unternehmens- und Marktstatistik Michael Grömling und Ulrich Scheinost
Zusammenfassung Deutschland verfügt über ein gut ausgebautes System amtlicher und nicht amtlicher Unternehmens- und Marktstatistiken, das sich in einem fortwährenden Wandel befindet. Wird es sinnvoll genutzt, können für einzelne Marktteilnehmer wie für die gesamte Gesellschaft kostspielige Fehlentwicklungen vermieden werden. Dazu bedarf es eines sachkundigen Überblicks über die Vielfalt der Statistiken und der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen sowie einer ständigen Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung. Als eine mögliche Orientierung kann der auf der Güter- und Faktorebene zu beobachtende Wandel dienen. Einer adäquaten Abbildung der ökonomischen Realität stehen in Deutschland mit seiner starken Verrechtlichung der Statistik jedoch mancherlei Schwierigkeiten im Wege. Teilweise tiefgreifende Reformbestrebungen sind vor allem auf europäischer Ebene im Gange. Als eine ergebnisorientierte Innovation für das Gesamtsystem der Unternehmens- und Marktstatistik wird ein modular aufgebautes System vorgestellt, das auch bei unterschiedlichen und sich wandelnden Rahmenbedingungen schrittweise realisiert werden kann.
9.1 Einleitung Der Ausschuss Unternehmens- und Marktstatistik der Deutschen Statistischen Gesellschaft hat die umfangreichen Arbeiten im Bereich der Unternehmens- und Marktstatistik in vielen Veranstaltungen progressiv gefördert. Dabei lag das hauptsächliche Augenmerk auf Art und Umfang der Datenbasis und deren Fortentwicklung, weniger dagegen auf Fragestellungen der theoretisch fortgeschrittenen Analysewerkzeuge. Diese werden mit allen Verfeinerungen oftmals auf ein nicht hinreichend aussagefähiges Datenmaterial angewandt. M. Grömling (B) Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Internationale Fachhochschule Bad Honnef-Bonn, Postfach 10 19 42, 50458 Köln, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_9,
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M. Grömling und U. Scheinost
Die Datenbasis speist sich vor allem aus Erhebungen des Statistischen Bundesamtes, die für Deutschland das breiteste Spektrum für die statistische Erfassung der Unternehmens- und Marktaktivitäten darstellen und auch Grundlage und Referenz für viele nicht amtliche Statistiken anderer, zum Teil privater Institutionen bilden. Die Verwendungsmöglichkeiten dieser Daten für mikro- und makroökonomische Fragestellungen ganz unterschiedlicher Nutzergruppen wurden immer wieder in das Arbeitsgebiet des Ausschusses einbezogen.
9.2 Dimensionen des Strukturwandels Im Folgenden werden kurz die wesentlichen Dimensionen des unternehmerischen Strukturwandels dargestellt, um daraus eine Orientierung für die Unternehmensund Marktstatistik abzuleiten. Der ökonomische Strukturwandel findet auf mindestens zwei Ebenen statt: auf der Güterebene und auf der Faktorebene. Strukturwandel auf der Input- oder Produktebene: Die Anteile der verschiedenen Sektoren an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung zeigen, welche Art von Gütern heute erstellt wird und wie sich die Bedeutung einzelner Produkte im Zeitablauf verändert hat. In den meisten Volkswirtschaften haben Dienstleistungen in den letzten Dekaden ihr Gewicht im gesamtwirtschaftlichen Branchengefüge ausgebaut. Dieses Ergebnis ist trotz der problematischen Abgrenzung der Sektoren festzustellen. Der Anteil des Dienstleistungssektors (des „tertiären“ Sektors) am Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg zum Beispiel in Westdeutschland von 1970 bis 1991 von gut 48 auf knapp 62 Prozent. Gleichzeitig sank der Industrieanteil von 36,5 auf knapp 29 Prozent. Gleichwohl lag die nominale Wertschöpfung des westdeutschen Verarbeitenden Gewerbes im Jahr 1991 mit fast 370 Milliarden Euro um mehr als das Dreifache über dem Niveau des Jahres 1970. Eine weitere Phase der Tertiarisierung erfolgte in Deutschland in den frühen 1990er-Jahren. Hier stieg der Dienstleistungsanteil am BIP im Zeitraum 1991 bis 1996 von 62 auf über 67 Prozent, gleichzeitig sank der Industrieanteil um über 5 Prozentpunkte auf nur noch gut 22 Prozent. Seitdem ist der Industrieanteil jedoch weitgehend stabil geblieben und bis zum Jahr 2007 sogar wieder leicht angestiegen. Die De-Industrialisierung in Deutschland ist anders als in anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften offensichtlich seit einigen Jahren gestoppt. Bei der empirischen Bestimmung von Stand und Dynamik des Strukturwandels bestehen anhaltende Probleme bei der Definition von Dienstleistungen (Pilat u. Wölfl 2005). Vor allem die heute immer stärker angebotenen Kombinationen von Waren und produktbegleitenden Dienstleistungen erschweren eine traditionelle Aufspaltung in Industrie- und Dienstleistungssektoren. In gesamtwirtschaftlichen Rechenwerken werden Dienstleistungen oftmals als eine Restgröße behandelt, sie sind also jene Güter, die nicht explizit dem Produzierenden Gewerbe zugeordnet werden können. Ökonomisch wurden Dienstleistungen traditionell als nicht materielle und kaum lagerbare Güter bezeichnet. Diese erforderten im Prinzip eine räumliche und zeitliche Übereinstimmung von Produktion und Konsum. Dieses Merkmal verlor allerdings im Zeitalter der modernen Informations- und Kommu-
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nikationstechnologien vielfach an Bedeutung. Eine Reihe von Dienstleistungen – zum Beispiel im industrienahen Bereich – ist heute international handelbar. Ein Teil der Dienstleistungen steckt heute als wichtige Komponente in den Industriewaren. Auf der Güterebene wird es dabei immer schwieriger, zwischen der reinen Industrieware und den vielfältigen produktbegleitenden Dienstleistungen zu unterscheiden. Das Ausmaß der produktbegleitenden Dienstleistungen kann auf Basis der laufenden amtlichen Statistiken nur unzureichend erfasst werden, gleichwohl werden durch Umfragen Anstrengungen in dieser Richtung unternommen (Mödinger u. Redling 2004). Zuvor haben bereits der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie und der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer mit ihren Untersuchungen zu produktbegleitenden Dienstleistungen wichtige Anstöße gegeben und begonnen, bedeutsame statistische Lücken zu füllen (Scheinost 2001). Oftmals ist es kaum möglich, die von der Industrie erstellten Dienstleistungen in ihrer Breite zu erfassen. Die Güterstruktur und ihre Veränderungen im Zeitablauf gehen auch mit Veränderungen in der Zusammensetzung der Unternehmen einher. Durch den Strukturwandel hin zu Dienstleistungen und besonders durch eine intensivere Zusammenarbeit von Industrie- und Serviceunternehmen gewinnen Dienstleistungsunternehmen an Bedeutung. Dies kann zu Änderungen in der Größenstruktur der in einem Land ansässigen Unternehmen führen. Auch die Gründungs- und Sterberaten von Unternehmen, also die gesamten Aspekte der Unternehmensdemografie (Eurostat u. OECD 2007) und die Verflechtungen von Unternehmen (Hellwig u. Feuerstack 2002; Sturm et al. 2009), können in diesem Kontext analysiert werden und bedürfen dementsprechend einer aussagekräftigen statistischen Basis. Der Strukturwandel auf der Güterebene bietet auch einen Ansatzpunkt, um die Bedeutungsänderung von Märkten – etwa einzelner Industrie- oder Dienstleistungsmärkte – zu untersuchen. Hier besteht eine kommunizierende Röhre zwischen der Unternehmens- und der Marktstatistik. Es kann zum Beispiel gefragt werden, ob es im Zeitablauf zu einer unterschiedlichen Akzentuierung des Inlandsmarktes oder der Auslandsmärkte kommt. Dies ist eine wichtige Dimension der ökonomischen Globalisierung. Das Marktkonzept ist unter Berücksichtigung der Exporte und Importe weiter zu fassen als das Produktionskonzept. Dies erfordert allerdings eine enge Übereinstimmung im Sinne klar definierter Gütergruppen innerhalb und vor allem zwischen den einzelnen Statistiken, wie zum Beispiel bei der Produktionsund Außenhandelsstatistik. Auf dem Güterkonzept bauen prinzipiell auch die Konjunkturanalysen auf – sofern sich diese auf die Entstehungsseite einer Volkswirtschaft konzentrieren. Die statistische Messung der konjunkturellen Wechsellagen kann an der Produktions- und Wertschöpfungsentwicklung der Unternehmen und der zusammengefassten Wirtschaftszweige ansetzen. In der Tat gelten die Produktions- und Auftragseingangsstatistik für das Verarbeitende Gewerbe als eine sehr wichtige Basis für die Konjunkturdiagnose, denn zumindest in Deutschland, aber auch in den wichtigsten fortgeschrittenen Ländern ist das Verarbeitende Gewerbe immer noch der konjunkturelle Taktgeber. Gleichwohl ist in diesem Zusammenhang auch die kurzfristige wirtschaftliche Entwicklung bei den unternehmensnahen
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Dienstleistungsunternehmen von wachsender Bedeutung. Die Dienstleistungsstatistik kann für Konjunkturanalysen derzeit allerdings nur sehr begrenzt eingesetzt werden (Kaumanns 2007; Fischer u. Oertel 2009). Neben der amtlichen Statistik bieten zum Beispiel das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und das ifo-Institut regelmäßige Konjunkturumfragen zu ausgewählten Dienstleistungsbereichen an. Strukturwandel auf der Faktor- oder Produktionsebene: Im Folgenden geht es nicht mehr um die Frage, was, sondern wie die Unternehmen produzieren. Hier ist zunächst festzustellen, dass sich der gesamtwirtschaftliche Arbeitsinput ebenfalls hin zur Erstellung von Dienstleistungen verschiebt. In Deutschland hat sich die Anzahl der Erwerbstätigen im Verarbeitenden Gewerbe vor allem in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre stark zurückgebildet. Sie sank von 1991 bis 1997 um 2,5 Millionen Personen oder um fast ein Viertel. Danach hat sich die Arbeitsmarktlage für Industriebeschäftigte stabilisiert, bevor es im Zeitraum 2001 bis 2006 nochmals zu einem Rückgang um insgesamt fast 700.000 Arbeitsplätze kam. In den Jahren 2007 und 2008 ist dagegen die Anzahl der direkt im Verarbeitenden Gewerbe Erwerbstätigen wieder angestiegen. Im Dienstleistungsbereich gab es im gesamten Zeitraum 1991 bis 2008 – nach herkömmlicher statistischer Abgrenzung – nur im Jahr 2003 einen minimalen Beschäftigungsrückgang. Der Anteil der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor ist von 59,5 Prozent im Jahr 1991 auf 72,5 Prozent im Jahr 2008 angestiegen. Bei der Entwicklung der Zeitarbeit, die statistisch im Dienstleistungssektor verbucht wird, stellt sich jedoch die Frage, in welchen Wirtschaftsbereichen die entsprechenden Arbeitnehmer wirtschaftlich tatsächlich tätig sind und welche Art von Tätigkeit sie ausführen. In diesem Kontext muss auch das sich im Zeitablauf verändernde Tätigkeitsprofil der Erwerbstätigen berücksichtigt werden. Für das Ausmaß des Dienstleistungsgehalts im Produktionsprozess ist letztlich nicht entscheidend, in welchem Sektor jemand beschäftigt ist, sondern vielmehr, was die Beschäftigten tatsächlich tun. Angaben für das Jahr 2004 zeigen, dass 88 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland mit Dienstleistungen – in welchem Sektor auch immer – beschäftigt waren. Die anhand der ausgeübten Tätigkeiten gemessene Tertiarisierung ist also erheblich höher als die anhand des Erwerbstätigenanteils gemessene. Der Erwerbstätigenanteil betrug im Jahr 2004 erst 71 Prozent, an der Wertschöpfung hatte der Servicesektor einen Anteil in Höhe von 70 Prozent. Auch bei dieser Betrachtung zeigen sich in den vergangenen Jahrzehnten markante Veränderungen (Grömling 2008). Ein wichtiger Aspekt des Strukturwandels beim Arbeitseinsatz – und damit beim Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt als einem wichtigen Faktormarkt – sind besonders die Veränderungen in der Qualifikationsstruktur. Der steigende Anteil der höher Qualifizierten am gesamten Arbeitseinsatz ist eine wichtige Facette der Entwicklung in den Unternehmen und erfordert ein gutes statistisches Abbild, das es bislang nicht in hinreichender Qualität gibt. Das gilt auch für die Erfassung der Humankapitalbildung in den Unternehmen. Bei der Messung und Analyse des Strukturwandels auf der Produktionsebene kommt auch der Verschiebung hin zum verstärkten Kapitaleinsatz eine hohe Bedeutung zu. Nahezu alle Unternehmen und Wirtschaftsbereiche zeichnen sich
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langfristig durch eine deutliche Kapitalintensivierung ihrer Produktionsprozesse aus. Dem Faktor Arbeit wird ein steigender Kapitalstock zur Verfügung gestellt. Diese Entwicklung gilt es, im Rahmen der Unternehmensstatistik adäquat zu erfassen. Damit zusammen hängen auch der steigende Technologieeinsatz in Unternehmen und der technologische Fortschritt auf der Unternehmensebene – zum Beispiel durch eigene Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen (Oltmanns et al. 2009; Stifterverband 2009). Das Wachstum von Unternehmen und Märkten lässt sich nur zu einem Teil durch einen verstärkten Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und/oder Kapital erklären. Um das Residuum zu bestimmen, bedarf es einer Datenbasis, die beständig der technischen Entwicklung angepasst wird. Eine Analyse zum Strukturwandel auf der Güterebene zeigt, dass Industrieunternehmen Kombinationen aus Waren und produktbegleitenden Diensten anbieten, wobei sie die einzelnen Komponenten nicht unbedingt auch selbst erstellen. Denn parallel zu der Strategie einer Ausweitung des betrieblichen Leistungsangebots ist zu beobachten, dass sich Industrieunternehmen auf der Produktionsebene auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und bestimmte Leistungen an Spezialunternehmen auslagern. Damit hat sich die Art, wie Unternehmen ihre Produkte erstellen, ebenfalls verändert. Als Folge dieser strukturellen Veränderungen sind auch konjunkturelle Effekte zu erwarten, die einer gesonderten Analyse bedürfen. Ein verstärkter Einsatz von Vorleistungen aus anderen Unternehmen kann als eine Veränderung des unternehmerischen Faktoreinsatzes interpretiert werden. Diese stärkere intersektorale Arbeitsteilung kommt in den Vorleistungsquoten zum Ausdruck. Diese können mithilfe der Kostenstrukturstatistik gemessen werden, die auch zeigt, wie sich die Produktion einer Branche aus eigenen Leistungen und bezogenen Leistungen anderer Branchen zusammensetzt (Hennchen 2006). Für eine empirische Bestandsaufnahme zur intersektoralen Arbeitsteilung können auch die Input-Output-Tabellen des Statistischen Bundesamtes (Bleses 2007) herangezogen werden oder spezielle Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes, die jedoch nicht systematisch zur Verfügung stehen. Diese (organisatorischen) Veränderungen haben nicht nur eine nationale, sondern auch eine internationale Dimension. Viele inländische Unternehmen haben in den vergangenen zwei Dekaden die Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen in vielfältiger Weise ausgebaut. Nicht nur die intersektorale Arbeitsteilung, sondern auch die internationale Arbeitsteilung wurde intensiviert. Das kann sich zum Beispiel in einem zunehmenden Einsatz von Vorleistungen aus dem Ausland bei der Inlandsproduktion niederschlagen. Die kontroverse Diskussion um die „Basarökonomie Deutschland“ hat deutlich gemacht, dass solche Vermutungen auch einen empirischen Beleg und entsprechende Daten erfordern.
9.3 Aufgaben der Unternehmens- und Marktstatistik Vor dem Hintergrund der vielschichtigen Dimensionen des unternehmerischen Strukturwandels verändern sich auch die Anforderungen der Nutzer an die Informationsbasis (Haß u. Gross 2004; Lichtblau/Neligan 2009). Zu den Nutzern zählen
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der Staat, die Unternehmen selbst oder Wirtschaftsforscher mit ihren Analysen zum Struktur- und Marktwandel und zur konjunkturellen Entwicklung. Sie alle brauchen ein auf Konsistenz angelegtes Gesamtsystem, in dem nicht Einzelstatistiken nebeneinander existieren, sondern methodisch wie inhaltlich verknüpft werden können (Stiftung Brandenburger Tor 2005). Diese Integration von Einzelstatistiken in ein Gesamtkonzept erfordert ein hohes Maß an Vereinheitlichung von Definitionen und Abgrenzungen. Am deutlichsten wird der Gedanke des Systemzusammenhangs bei den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR). Denn die Qualität der VGR hängt von der kohärenten Verfügbarkeit vieler Basisdaten aus Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Steuerstatistiken ab. Bei der Überprüfung einzelner Statistiken müssen daher immer auch die Auswirkungen auf das Gesamtsystem berücksichtigt werden, damit für sich genommen scheinbar unproblematische Änderungen insgesamt gesehen nicht zu Informationsverlusten führen. Völlig verfehlt wäre es, aus Etat- oder Harmonisierungsgründen tragende Elemente aus dem aktuellen Bestand herauszulösen. Eine Stärkung des Systems kann nur durch die Schließung von Lücken, die zum Beispiel nach wie vor im Bereich der Dienstleistungen bestehen, erfolgen. Hier widerspricht zudem eine unterschiedliche Erfassung gleicher Marktvorgänge dem Prinzip der Kohärenz: Dienstleistungsunternehmen, die produktionsbezogene Dienstleistungen erbringen, sollten im Grundsatz dem gleichen Erhebungsprogramm unterliegen wie Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe. Erst dadurch kann die vorhandene, rein statistische Trennung zwischen den Wirtschaftsbereichen entsprechend der ökonomischen Realität überwunden und dem Adäquationsprinzip gefolgt werden. Ziel muss es sein, den Output (zum Beispiel die Wertschöpfung) und die dafür eingesetzten Produktionsfaktoren richtig zu messen und zu erfassen. Gerade in den Dienstleistungsbereichen – zum Beispiel bei den unternehmensnahen Diensten und im Finanzsektor – ist die Wertschöpfungsmessung weiterzuentwickeln. Vor dem Hintergrund der intensiveren Arbeitsteilung und der schwierigeren Abgrenzung von Güterkomponenten darf die güter- und branchenmäßig richtige Zuordnung der Leistungen nicht verloren gehen. Dem steht derzeit noch das starre gesetzliche Regelungswerk der amtlichen deutschen Wirtschaftsstatistik entgegen. In diesem sind für die einzelnen Bereiche der Wirtschaft alle Einzelheiten der jeweiligen Erhebungen nach Berichtskreisen, Merkmalen und Periodizitäten spezifisch geregelt, wobei die Zuordnung der Befragungseinheiten in der Regel nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgt. Bereichsübergreifende Erhebungen sind in einem zu geringen Umfang vorgesehen, und vergleichenden Analysen der einzelnen Bereiche sind somit bereits enge Grenzen gesetzt, so dass gleiche ökonomische Sachverhalte statistisch nicht vergleichbar erfasst und dargestellt werden können (Scheinost 2002). Generell steht den relativ gut ausgebauten – gleichwohl einer anhaltenden Erosion unterliegenden – Statistiken mit kurz- und langfristigen Daten für das Produzierende Gewerbe kein gleichwertiges Zahlengerüst für die Dienstleistungsbereiche gegenüber. Zwar konnte mit der Einführung einer Dienstleistungsstatistik ab dem Jahr 2001 ein Teil abgedeckt werden. Die neue Erhebung liefert lediglich jährliche
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Angaben über Unternehmen, die dem Dienstleistungssektor zugeordnet sind. Die Dienstleistungen jedoch, die von Industrieunternehmen erbracht werden, bleiben außer Betracht, auch wenn es sich um die gleichen Tätigkeiten handelt. Hier wird ein grundsätzliches Dilemma der statistischen Erhebungspraxis offenkundig, auf das immer wieder hinzuweisen ist: Ökonomisch gleiche Sachverhalte werden statistisch unterschiedlich erfasst, wenn sie von Unternehmen unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche erbracht werden. Hier folgt die Statistik dem institutionellen Prinzip und lässt die funktionalen Zusammenhänge beiseite. Somit fehlen nach wie vor statistische Angaben über den intrasektoralen Strukturwandel im Produzierenden Gewerbe und über die intersektoralen Veränderungen. Um die Veränderungen in den Unternehmen und auf den Märkten sowie den unternehmens- und wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf zu erkennen, muss „die“ Statistik insgesamt in die Lage versetzt werden, schnell und flexibel zu reagieren (Wagner 2009). Dies fällt im bestehenden Ordnungsrahmen der amtlichen Statistik besonders schwer, da die starren gesetzlichen Vorschriften eine schnelle Anpassung an neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Gegebenheiten verhindern (Scheinost 2002). Diese systemimmanente Trägheit der Statistik trifft auf ein Wirtschaftsgeschehen, das sich zunehmend schneller und radikaler verändert. Um die Bedeutung der Statistik als Kernelement der InformationsInfrastruktur einer Wissensgesellschaft zu erhalten, bedarf es ihrerseits jedoch erheblich verkürzter Anpassungsreaktionen. Datenlücken werden gegenwärtig häufig durch punktuelle Erhebungen zu schließen versucht, die oftmals nicht konsistent sind. Daher besteht die große Herausforderung, diejenigen Bereiche in das System zu integrieren, die das Wirtschaftsgeschehen nachhaltig verändern. Eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist hierfür Voraussetzung, um mehr Flexibilität zu ermöglichen. Durch eine intensivere methodische und inhaltliche Integration von Datenerhebungen durch nicht amtliche Organisationen, zum Beispiel Wirtschaftsforschungsinstitute, kann die Flexibilität erhöht werden. Amtliche Statistiken und wissenschaftsgetragene Erhebungen privater Datenproduzenten arbeiten immer noch nicht systematisch zusammen (Rolf et al. 2008).
9.4 Reform der Unternehmensstatistik Angesichts der geschilderten systemimmanenten Mängel der Erhebungen und des daraus folgenden unbefriedigenden Aussagenutzens wurde seit Mitte der 1990erJahre eine vom Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat) ausgehende breit angelegte Diskussion über eine grundlegende Reform der Unternehmensstatistik geführt, die die nationalen Besonderheiten der EU-Mitgliedstaaten und die notwendige Harmonisierung zur Erlangung vergleichbarer Ergebnisse zu berücksichtigen versuchte (Gnoss 2010). Vorrangiges Ziel der auf den verschiedenen Stufen durchgeführten Projektarbeiten war und ist es, für den Datenbedarf der Nutzer ein konsistentes System der Unternehmensstatistik zu entwickeln. Dem seit Jahrzehnten geforderten – und im Ausschuss für Unternehmens- und Marktstatistik vielfach erörterten – Systemansatz sollte somit Rechnung getragen werden. Die
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Diskussion wurde nach den Zielvorstellungen geführt, termingerecht, fachlich und regional ausreichend tief gegliederte Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. Vorhandene Datenlücken sollen geschlossen, die Datenqualität soll gehalten, wenn möglich verbessert werden. Die Reform ist der Wirtschaftlichkeit der Datenerstellung, der politischen Vorgabe zum Bürokratieabbau und der Entlastung der Unternehmen von statistischen Auskünften verpflichtet. Neben Daten aus originären Erhebungen aus Auswertungen des Unternehmensregisters sollen unterjährige Verwaltungsdaten und fundierte Schätzungen verwendet werden, um den Nutzen zu optimieren. Dies kann zur Folge haben, dass zum Beispiel im Dienstleistungsbereich ein verbessertes Datenangebot entsteht, während im Produzierenden Gewerbe auf bislang gewohnte Informationen verzichtet werden muss. Neben diesen unterschiedlichen Methoden zur Datengewinnung umfasst das Reformprojekt auch Werkzeuge der statistischen Infrastruktur, vor allem das Unternehmensregister (Lippe 2002; Nahm u. Philipp 2005; Sturm u. Tümmler 2006; Sturm 2010). Ihm kommt eine herausragende Rolle bei der Umgestaltung einer auf Zensen basierenden Statistik für die Erhebungen und Aufbereitungen zu. Auch technische und organisatorische Umgestaltungen bei den internen Produktionsprozessen werden berücksichtigt. Die Reform soll sich auf alle Statistiken beziehen, in denen am Markt tätige Unternehmen oder deren Einheiten, die den Marktproduzenten zugerechnet werden können, befragt werden: also Unternehmensgruppen, sogenannte „statistische“ Unternehmen, rechtliche Einheiten, örtliche Einheiten (Betriebe) und fachliche Einheiten. Eine umfassende Darstellung zu dem Problem der statistischen Einheit bieten Fürst (1957) und Voy (2002). Die Entwicklung des Rahmenkonzepts der Reform erfordert eine Koordinierung aller zum System herangezogenen Statistiken und Institutionen (Gnoss 2010). Die wichtigsten Rahmenbedingungen auf internationaler Ebene sind die mittlerweile in diversen Verordnungen geregelten Datenanforderungen der Europäischen Union (EU), insbesondere zur Struktur und Konjunktur mit ihren jeweiligen Katalogen über Merkmale, Periodizitäten und zur Qualität. Auf nationaler Ebene muss der Datenbedarf von Bund und Ländern berücksichtigt werden. Dabei werden die nationalen einzelstaatlichen Regelungen der gegenseitigen Anpassung bedürfen. Zu berücksichtigen sind auch die Arbeiten zu der Frage der sogenannten „Statistischen Einheiten“, die sich mit der Umsetzung der auf europäischer Ebene abgestimmten Unternehmensdefinition befassen. Von grundlegender Bedeutung sind die Entwicklungen im Bereich der Wirtschaftszweigklassifikationen, die mit der Einführung der Version NACE Rev. 2 oder WZ 2008 für die nächste Zeit zu einem Abschluss gebracht wurden. Die inhaltliche Abstimmung der jeweiligen Tätigkeiten in den einzelnen Bereichen ermöglicht aber weiterhin keine gegenseitige Durchlässigkeit, und viele einzelne Wirtschaftszweige sowohl im Bereich des Produzierenden Gewerbes als auch bei den Dienstleistungen sind nicht hinreichend realitätsnah und anwendungsfreundlich definiert. Positiv ist hervorzuheben, dass mit der Gestaltung und Weiterentwicklung des Unternehmensregisters ein Instrument geschaffen wurde, das die notwendige Voraussetzung dafür bildet, dem Systemansatz gerecht zu werden. Außerdem wird es möglich, Angaben mehrfach zu verwenden und somit den arbeitsintensiven
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Befragungsaufwand in unterschiedlichen Erhebungen zu vermeiden. Vor allem können nun auch Verwaltungsdaten integriert werden. Gleichwohl ist das Erhebungssystem zu einseitig auf die Interessen internationaler und nationaler Behörden ausgerichtet, die eher an gesamtwirtschaftlichen Größen und weniger an fachlich tief gegliederten Ergebnissen interessiert sind. Die für Detailanalysen notwendigen Daten, wie sie von Unternehmen und Verbänden gefordert werden, sind dagegen nicht in hinreichender Tiefe verfügbar. Hinzu kommen die Schwächen der Wirtschaftszweiggliederung, die auch in der neuesten Fassung von 2008 viele strukturelle Mängel beibehält. Meldepflichtige Unternehmen und Betriebe werden zum Beispiel nach wie vor nach dem Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zugeordnet. Zum Teil gehen die zu bemängelnden Ergebnisse des Reformvorhabens auch auf die vorwiegend politisch motivierte sogenannte „Entlastungsdiskussion“ zurück, die bei den Reformzielen immer in vorderster Linie genannt wurde. Dabei zeigen Untersuchungen (Stäglin u. Pfeiffer 2006), dass die Belastung der Unternehmen durch statistische Auskunftspflichten nur eine marginale Größenordnung im Gesamtkostenblock darstellt. Auch wird bei dieser Diskussion oft übersehen, dass die „gefühlte“ Belastung umso höher ist, je weniger die Auswertungsergebnisse dem Meldepflichtigen nach seiner Ansicht nützen. Dies provoziert eine Vielzahl von kostenträchtigen Datenerhebungen, die nicht in ein System integrierbar sind.
9.5 Ein modulares Informationssystem Die verfügbaren Daten genügen nur teilweise den Anforderungen der Nutzer und führen häufig zu einer vermeintlichen oder tatsächlichen Statistikverdrossenheit. Berechtigte und unberechtigte Klagen über die Aussagefähigkeit der Daten sind Ausdruck dieses Dilemmas (Blanc et al. 2001). Als Ergebnis langjähriger Diskussionen über die Reform der Unternehmensstatistik hat der Ausschuss Unternehmens- und Marktstatistik in einer Reihe von Arbeitstreffen das Konzept eines modularen Informationssystems entwickelt und veröffentlicht (Stiftung Brandenburger Tor 2005). Dieses wird dem Systemcharakter gerecht, weil es neben einer Effizienzsteigerung bei der „Statistikproduktion“ durch amtliche und nicht amtliche Organisationen und einer organisatorisch bedingten Meldeentlastung bei den Unternehmen die Prinzipien Modularität, Flexibilität, Verknüpfbarkeit und Systemfähigkeit in der Weise verbindet, dass es den Nutzeransprüchen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weitgehend Genüge leisten kann. Der Ansatz folgt dem Prinzip eines Baukastens, der die folgenden Elemente enthält: • ein Register aller Einheiten und ihrer örtlichen Untereinheiten, • einen Katalog aller von diesen erstellten Güter- und Leistungsarten, • einen Katalog aller interessierenden Merkmale der ökonomisch relevanten Prozesse sowie • einen Katalog der Erhebungsperiodizitäten.
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Die Wirkungsweise des „Baukastens“ ist in der o. a. Veröffentlichung dargelegt. Die nach einheitlichen methodischen und inhaltlichen Abgrenzungen erhobenen Kern- und Zusatzdaten können – auch wenn sie aus verschiedenen Quellen stammen – flexibel zu Ergebnissen kombiniert werden, die den unterschiedlichen Nutzergruppen (Politik, Wissenschaft, Unternehmen) dienen. Somit stünde den Belastungen aus diesen Meldungen und Aufbereitungen im Vergleich zu der heutigen statistischen Praxis ein deutlich erhöhter Nutzen in Form vergleichbarer Ergebnisse durch die Möglichkeit integrierter Zusammenführung gegenüber, der durch eine entsprechend ausgerichtete Ausbildung von Ökonomen und Statistikern gefördert werden könnte.
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Kapitel 10
Regionalstatistik Helmut Eppmann und Michael Fürnrohr
Zusammenfassung Viele Aufgaben in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erfordern nicht nur globale, sondern auch regionale Lösungen. Die Regionalstatistik ist deshalb unentbehrlich für viele Planungs- und Entscheidungsprozesse. Ihren Ausbau und ihre Nutzung zu fördern, hat sich der Ausschuss für Regionalstatistik der Deutschen Statistischen Gesellschaft zum Ziel gesetzt. Dieses Kapitel stellt zunächst einige Grundlagen der Regionalstatistik und die Aufgaben des Ausschusses dar. Es folgen das umfangreiche regionalstatistische Datenangebot der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder und seine Nutzung. Ein ergänzender Abschnitt ist der Arbeit des Instituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung gewidmet. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf die Weiterentwicklung des regionalstatistischen Datenangebotes aus Sicht der amtlichen Statistik.
10.1 Regionalstatistik – unverzichtbar für regionale Planung und Gestaltung Trotz fortschreitender Globalisierung ist das Interesse an regionalen Entwicklungen nicht geringer geworden. Die großen Herausforderungen der Zukunft – Demographischer Wandel, Energie- und Wasserversorgung, Migration und Integration – nehmen regional oft recht unterschiedliche, mancherorts dramatische Formen an. Aber auch Wohnungs- und Straßenbau, Naturschutz und Landschaftspflege, Bildungswesen, Verkehrsinfrastruktur und vieles andere verlangen fundierte Struktur-
H. Eppmann (B) Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Steckelhörn 12, 20547 Hamburg, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_10,
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und Entwicklungsplanungen. Regionalstatistische Informationen sind deswegen unverzichtbar für jede Planung und politische Gestaltung, die sich auf kleinräumige Einheiten bezieht, mögen das Landkreise, Arbeitsamtsbezirke, Wirtschafts- oder Naturräume, Regionalverkehrsbezirke oder Sanierungsgebiete sein. In der kommunalen, oft auch der kommunenübergreifenden Praxis ist die Regionalstatistik kaum wegzudenken: Wo besteht noch Baubedarf, wo muss man sich über einen Rückbau Gedanken machen? Sind neue Kindergartenplätze nötig oder doch eher Pflegeeinrichtungen? Aus welchen Gebieten wandern Menschen ab, was sind die Gründe dafür? Die Regionalstatistik liefert Antworten und stellt den Planern vor Ort eine breite Informationsbasis zur Verfügung, mit der Probleme erkannt, Handlungsschwerpunkte gesetzt und letztendlich geeignete Maßnahmen eingeleitet werden können. Die Relevanz der regionalstatistischen Daten für die Regionalforschung und -politik lässt sich in vielen Bereichen und anhand einer Vielzahl von Projekten aufzeigen. Nachfolgend seien einige Beispiele aus dem Bildungs- und Sozialbereich genannt. Die regionalisierten amtlichen Schüler-, Lehrer- und Studentenzahlen dienen zu Vorausberechnungen (besser: Vorausschätzungen) für den künftigen Bedarf an Schulen und Hochschulen. Die Daten der amtlichen Hochschulstatistik sind eine Grundlage des Steuerungsinstruments „leistungsorientierte Mittelverteilung“, die an den Hochschulen direkt finanzwirksam sind. Ein herausragendes Beispiel ist das Verbundprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter Beteiligung des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) in Dortmund, des Zentrums für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) und der amtlichen Statistik zur Konstruktion von forschungsökonomisch praktikablen und validen schulspezifischen Sozialindizes. Sozialplanungen und speziell Jugendhilfeplanungen sowie die Erstellung seniorenpolitischer Gesamtkonzepte wären ohne ein fundiertes Datenangebot zu Bevölkerungsverteilung und -bewegung, zum Bildungswesen und zu sozialen Belastungen vor Ort kaum denkbar. Auch für die Raumordnungs- und Städtebaupolitik auf Bundes- und Länderebene sind regionalstatistische Datengrundlagen unverzichtbar. Ganz besonders hat die Wiederherstellung der deutschen Einheit 1990 den innenpolitischen Stellenwert räumlich orientierter Politik erhöht und ihr eine besondere politische Legitimation verschafft. Ihre zentrale Aufgabe, räumliche Entwicklungsunterschiede entsprechend der Leitvorstellung „Schaffung gleichwertiger regionaler Lebensverhältnisse“ abzubauen, ist auch heute noch von großem politischen Gewicht und verlangt ein entsprechendes Datenangebot. Das Datenangebot der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder ist ein zentraler Bestandteil der regionalstatistischen Infrastruktur in Deutschland. Aber auch andere Einrichtungen, wie das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) ergänzen oder erweitern das Datenangebot. In der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) ist es der Ausschuss für Regionalstatistik, der all diese Arbeiten unterstützt und eine Mittlerrolle zwischen Datenproduktion und Datennutzung einnimmt.
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10.2 Entstehung und Aufgabe des Ausschusses für Regionalstatistik Nach der Neugründung der DStatG 1948 durch den damaligen Präsidenten des Bayerischen Statistischen Landesamtes, Karl Wagner, war es dieser selbst, der 1954 den Arbeitskreis (später Ausschuss) für Regionalstatistik ins Leben rief. Der Ausschuss konnte damit im Jahre 2009 sein 55jähriges Bestehen feiern. Im Ausschuss sind Datenproduzenten und -nutzer der EU, des Bundes, der Länder, der Kommunen, der Wissenschaft und der Wirtschaft vertreten. Der Ausschuss befasst sich vorrangig mit der Erstellung, Bereitstellung und Nutzung empirischer Daten für alle räumlichen Einheiten unterhalb der nationalen Ebene. Im Spannungsfeld zwischen steigenden Informationsanforderungen und zunehmender Bedeutung von Informationen einerseits und wachsenden Widerständen gegen die Erhebung von Daten für die amtliche Statistik andererseits trägt er dazu bei, den Bedarf an räumlich und sachlich tief gegliederten Informationen zu verdeutlichen und an der Verbesserung des regionalstatistischen Datenangebots mitzuwirken. Ein weiteres Ziel besteht darin, die Zusammenarbeit von Regionalstatistik und räumlich orientierter Forschung und Planung zu verbessern, zum einen um den Datenbedarf der Nutzer berücksichtigen zu können, zum anderen um die sachgerechte Nutzung der Regionalstatistik in Forschung und Planung zu sichern.
10.3 Grundlagen der Regionalstatistik Eine allgemein gültige Definition des Begriffs Regionalstatistik gibt es ebensowenig wie eine feststehende Bestimmung der Raumeinheit Region. Zunächst ist Regionalstatistik kein Teilgebiet der statistischen Methodenlehre, auch wenn es statistische Methoden gibt, die in der Regionalstatistik häufiger verwendet werden als andere (z.B. Shift-Share-Analyse oder Indizes zur Untersuchung regionaler und sektoraler Entwicklungen). Regionalstatistik ist vielmehr ein Instrument, „das dazu dient, raumrelevante Informationen in allen sozialen und ökonomischen Bereichen zu gewinnen und regionale Strukturzusammenhänge, Verflechtungsbeziehungen und Entwicklungsvorgänge zu analysieren“ (Boustedt 1975 S. 16). Ihre Aufgabe ist die Bereitstellung von Daten, anhand deren Strukturen und Entwicklungen in verschiedenen Teilräumen (Regionen) beschrieben werden können.
10.3.1 Auswertungen für Regionen Eine Region ist nach überwiegendem Verständnis ein örtliches Gebiet, das mehrere Städte und Gemeinden umfasst, u. U. auch über Landesgrenzen hinweg. Für die Regionalstatistik als Grundlage der Regionalforschung ist diese Definition unzureichend. Es gibt Städte, die größer sind als viele Regionen im Sinne dieser Definition.
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Außerdem bleibt hier die Struktur einer solchen Raumeinheit, z.B. die Sozialstruktur oder die Wirtschaftsstruktur, unberücksichtigt. Je homogener die Räume im Hinblick auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand sind, desto größere Raumeinheiten können gewählt werden. Der Begriff der Region als räumlicher Einheit kann daher sehr unterschiedlich abgegrenzt werden, z.B. naturräumlich, historisch oder administrativ. Die amtliche Statistik orientiert sich sowohl aus erhebungstechnischen Gründen als auch aufgrund der Nutzbarkeit der Ergebnisse für Verwaltungszwecke überwiegend an den administrativen Gebietseinheiten mit der Gemeinde als kleinster Aufbereitungsebene. Dieser Regionsbegriff lässt einige wichtige Abgrenzungskriterien unberücksichtigt wie die • • • •
historische Vergleichbarkeit (Gebietsreformen), soziale und ökonomische Strukturen, Bebauungs- und Bevölkerungsdichte und naturräumliche Grenzen.
Aus diesem Grund stellt die amtliche Statistik auch Informationen über andere räumliche Einheiten wie siedlungsstrukturelle Kreistypen oder Arbeitsmarktregionen bereit. Dennoch wird in der amtlichen Statistik wohl auch in Zukunft die administrativ abgegrenzte Region im Vordergrund stehen.
10.3.2 Kleinräumige Auswertungen Die Regionalstatistik beschäftigt sich aber aus gutem Grund auch mit Ergebnissen unterhalb der Gemeindeebene. Regionale oder besser kleinräumliche Gliederungen unterhalb der Gemeindeebene, die sich mosaikartig zu beinahe beliebigen räumlichen Einheiten aggregieren lassen, weisen unter Auswertungsaspekten die größte Flexibilität und das größte Analysepotenzial für die Regionalforschung auf. Eine möglichst kleinräumige Aufgliederung ist für Differenzierungen am vorteilhaftesten, da durch diese große Unterschiede in den Strukturen (z.B. Sozial-, Wirtschaftsstruktur, Verstädterungsgrad) besser erfasst werden können. Allerdings können hier grundsätzlich nur dann die entsprechenden empirischen Informationen bereitgestellt werden, wenn sie auf primärstatistischen Vollerhebungen oder vorhandenen Verwaltungs- oder Registerdaten gründen und für die Statistik und Forschung zur Verfügung stehen. In der Vergangenheit bedeutete dies für die amtliche Statistik, dass Ergebnisse möglichst bis zur kleinräumlichen Raumeinheit Blockseite oder besser Baublockseite zu erstellen waren. Diese Aufgliederung wurde jedoch in der Regel nur im Rahmen der Volkszählungen vorgenommen. Die Baublockseite orientiert sich am Straßennetz, passt sich damit dem städtebaulichen Gefüge an und ermöglicht die Bildung von nahezu beliebigen kleinen Raumeinheiten unterhalb der Gemeindeebene, aber auch über die Gemeindegrenzen hinaus. Bei der Zusammenfassung von
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Blockseiten können sozialstrukturelle Merkmale berücksichtigt werden und somit relativ homogene räumliche Einheiten (Wohnquartiere, Gemeindeteile, Planungsräume etc.) gebildet werden. Eine noch größere Trennschärfe wäre erreichbar, wenn als kleinste räumliche Einheit die Anschrift dauerhaft für Auswertungszwecke verfügbar wäre. Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist in der amtlichen Statistik die dauerhafte Speicherung der Anschrift in Verbindung mit personenbeziehbaren Daten jedoch bisher unzulässig.
10.3.3 Georeferenzierung Diese Einschränkung hat auch Auswirkungen auf den seit einigen Jahren in der amtlichen Statistik verfolgten Weg der Georeferenzierung anhand der Gauß-KrügerKoordinaten. Während bei Wirtschaftsstatistiken, speziell im Unternehmensregister, eine adressscharfe Georeferenzierung grundsätzlich rechtlich zulässig ist, ist eine dauerhafte Speicherung personenbeziehbarer Daten in Verbindung mit Raumkoordinaten derzeit nicht möglich. Im Ergebnis wird die Georeferenzierung zur Bildung von Planquadraten führen, für die ebenso flexibel wie auf Basis der Blockseiten Auswertungen erstellt werden können. Die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse können sich auf Quadrate mit unterschiedlicher Gitternetzweite beziehen. Die minimalen Abmessungen dürften bei 100 x 100 m oder 200 x 200 m liegen und so in etwa den Baublöcken entsprechen. Es sind damit aber auch statistische Ergebnisse für größere Quadrate mit mehreren Kilometern Kantenlänge erstellbar, die von den Fallzahlen her vergleichbar mit Gemeinden oder Regionen sind. Auch können so in Bezug auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand homogene räumliche Einheiten gebildet werden, die nicht mit den administrativen Gebietseinheiten identisch sind. Die Georeferenzierung weist damit neue Möglichkeiten der Auswertung und Analyse auf, wirft allerdings auch eine Reihe von Fragen auf, insbesondere solche der statistischen Geheimhaltung. Ein Problem ergibt sich auch dann, wenn es sowohl Ergebnisse für Gebietseinheiten auf Basis der Georeferenzierung als auch solche für administrative oder andere herkömmliche Gliederungseinheiten geben wird. Die Statistische Geheimhaltung ist über diese unterschiedlichen Abgrenzungen hinweg einheitlich und in sich konsistent sicherzustellen.
10.4 Die regionalstatistischen Daten der amtlichen Statistik 10.4.1 Das Datenangebot Die amtliche Statistik hat nach § 1 des Bundesstatistikgesetzes die Aufgabe, Ergebnisse zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Zusammenhängen unter anderem für Bund und Länder einschließlich Gemeinden und Gemeindeverbänden aufzuschlüsseln. Somit ist ihr Auftrag, auch kleinräumige Ergebnisse bereitzustellen, gesetzlich verankert. Neben der amtlichen Statistik stellen auch andere Datenproduzenten Informationen auf kleinräumiger Ebene bereit. Als wichtige
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überregionale Datenanbieter sind die Bundesagentur für Arbeit und das Institut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (ehemals Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung) zu nennen. Daneben bieten insbesondere die größeren Kommunen für ihren eigenen Zuständigkeitsbereich sowie private Markt- und Meinungsforschungsinstitute regionalstatistische Informationen an. Da sich der Ausschuss für Regionalstatistik insbesondere mit der amtlichen Statistik als wichtigster Datenquelle beschäftigt, wird in diesem Abschnitt zunächst nur das regionalstatistische Datenangebot der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder kurz dargestellt. Die amtliche Statistik führt jährlich mehr als 250 Statistiken in folgenden Bereichen durch: Gebiet, Bevölkerung, Erwerbstätigkeit, Wahlen, Bildung und Kultur, Öffentliche Sozialleistungen, Gesundheitswesen, Gebäude und Wohnen, Umwelt, Flächennutzung, Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Verarbeitendes Gewerbe, Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden, Energieund Wasserversorgung, Baugewerbe, Verkehr- und Nachrichtenübermittlung, Unternehmen und Arbeitsstätten, Preise, Öffentliche Haushalte, Steuern, Personal im öffentlichen Dienst. Die Mehrheit der amtlichen Statistiken basiert auf primäroder sekundärstatistischen Vollerhebungen, so dass die Ergebnisse in der Regel auf Kreis- und Gemeindeebene regionalisiert werden können. Bei vielen Statistiken sind in den letzten Jahren Veränderungen aufgetreten bzw. stehen an. Hier nur einige Beispiele: Derzeit erfolgt die amtlichen Bevölkerungsfortschreibung auf der Basis der Wanderungsstatistik und der Statistik der Geburten und Sterbefälle, die auch die Grundlage für die Bevölkerungsvorausberechnungen liefern. Innerhalb der amtlichen Statistik wird derzeit diskutiert, ob und inwieweit die Bevölkerungsfortschreibung künftig durch eine Auszählung des zentralen Bundesmelderegisters ersetzt werden soll. In den nächsten Jahren sollen Konzepte zur Reform des Mikrozensus entwickelt werden mit dem Ziel, die Anforderungen der EU und der Arbeitsmarktberichterstattung besser zu erfüllen, die Kohärenz mit den Ergebnissen aus den Verwaltungsdaten zu verbessern sowie die Breite und Flexibilität des Datenkranzes zu erhöhen. Dies könnte bedeuten, dass der gesamte Stichprobenumfang nicht mehr für das ganze Merkmalsspektrum zur Verfügung steht und Verluste an regionalstatistischen Ergebnissen aus dem MZ auftreten. In der Wirtschaftsstatistik mit ihrer Vielzahl von großen primär- und sekundärstatistischen Einzelerhebungen haben bereits beträchtliche Veränderungen stattgefunden. Große Primärerhebungen, wie die Arbeitsstättenzählung, die Handels- und Gaststättenzählung oder die Handwerkszählung, sind weggefallen. Als Ersatz dient das Unternehmensregister, das aus Verwaltungsdaten und Daten aus großen Primärerhebungen aufgebaut wurde und gepflegt wird, jedoch nur einen begrenzten Merkmalskatalog enthält. Allerdings gibt es noch eine Reihe von großen primärstatistischen Teilerhebungen, die eigentlich Vollerhebungen mit Abschneidegrenzen sind (d.h. es werden nur Betriebe bzw. Unternehmen einbezogen, die eine Mindestzahl an Mitarbeitern haben). Durch die Einführung oder Erhöhung der Abschneidegrenzen in den letzten Jahren sind für die Regionalstatistik deutliche Informationsverluste entstanden.
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Allerdings sind diese geringer als bei einer ebenfalls und noch aktuell diskutierten Umstellung dieser Statistik auf eine Stichprobe. Des Weiteren wird die Prüfung von Verwaltungsdaten auf ihre Nutzbarkeit für die Wirtschaftsstatistik intensiv vorangetrieben, um soweit wie möglich die Berichtspflichtigen zu entlasten. Für einige Statistiken erfolgte bereits eine Umstellung auf die Auswertung von Verwaltungsdaten, wenn auch ein großer Teil noch und wohl auch künftig primär erhoben werden muss.
10.4.2 Die Datennutzung Die Veröffentlichung der Ergebnisse der amtlichen Statistik erfolgt länderübergreifend und einheitlich in Form des Regionalstatistischen Datenkataloges, genannt Regio-Stat-Katalog. Dieser besteht vor allem aus Bundesstatistiken, die regelmäßig erhoben werden, und umfasst kurzfristig lieferbare Ergebnisse aus den oben genannten Bereichen auf Gemeinde- und Kreisebene. Diese regionalstatistischen Daten sind sowohl online1 als auch in Publikationen verfügbar. Der Regionalstatistische Datenkatalog stellt ein einheitliches und standardisiertes Datenangebot für alle Länder auf Kreis- und/oder Gemeindeebene bereit. Auf dieser Basis kann ein großer Teil des regionalstatistischen Informationsbedarfs kostengünstig abgedeckt werden. Sofern der Datenbedarf eines Nutzers über dieses Angebot hinausgeht, kann er Sonderaufbereitungen bei den Statistischen Ämtern der Länder in Auftrag geben. Daneben haben Hochschulen und sonstige wissenschaftliche Einrichtungen die Möglichkeit, für regionalwissenschaftliche Analysen Einzelangaben der amtlichen Statistik über die Forschungsdatenzentren der amtlichen Statistik zu nutzen2 . Das regionalstatistische Datenangebot der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder wird intensiv nachgefragt. Allein im Bereich des On-Line-Datenangebotes waren im Jahr 2009 durchschnittlich etwa 14 500 Nutzer pro Monat registriert. Sie haben im gesamten Jahr 2009 mehr als 120 000 Tabellen abgefragt. Im Jahr 2005 waren es nur rund 4 000 Nutzer pro Monat gewesen, die im gesamten Jahr etwa 26 700 Tabellen abgerufen haben. Daran gemessen hat sich diese Art der Nutzung also fast verfünffacht. Die Regionaldaten der Statistischen Ämter bilden auf allen staatlichen Ebenen die Grundlage für fundierte politische und wirtschaftliche Entscheidungen und gehen in viele unterschiedliche Berichtssysteme, die der politischen Steuerung dienen, ein. Wichtige Berichtssysteme sind die zum demografischen Wandel, zu Migration und Integration, zur Bildung, zur sozialen Lage, zur Gesundheit, zur Umwelt und zur Wirtschaftsberichtserstattung. Teilweise werden sie von den Statistischen Ämtern selbst betrieben. Meist jedoch wirken die Statistischen Ämtern neben anderen Datenproduzenten an der Erstellung mit und bringen so sowohl ihr statistisches und 1 Siehe 2 Für
https://www.regionalstatistik.de/genesis/online/logon weitere Informationen siehe http://www.forschungsdatenzentrum.de/
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methodisches Know-How als auch ihre Daten ein. Das Ergebnis sind Berichtssysteme, die auf den Datenquellen unterschiedlicher Datenproduzenten basieren und eine integrative Sicht auf die regionalen Phänomene erlauben. Regionalstatistische Daten dienen nicht zuletzt aber auch als Grundlage für wirtschaftliche Entscheidungen. Viele Unternehmen ziehen für ihre Investitions- oder Standortentscheidungen sowohl ihre eigenen Informationen als auch die der Statistischen Ämter heran. Diese dienen zudem in der Markt- und Meinungsforschung, z.B. in der Demoskopie, als Basis für die Anpassung und Hochrechnung der eigenen Daten. In diesem Zusammenhang stellt die DStatG in einer Erklärung des Regionalausschuss von 2008 fest: „Mit der Bereitstellung amtlich erhobener regional differenzierter Daten schafft der Staat nicht nur die Grundlage für die Erfüllung seiner Aufgaben, sondern leistet zudem einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Wirtschaft.“
10.5 Das Berichtssystem des BBSR und seine Nutzung3 Ein Beispiel für ein Berichtssystem, das sich weitgehend auf das regionalstatistische Datenangebot der amtlichen Statistik stützt, doch selbst zu einer unentbehrlichen Grundlage für die Regionalforschung geworden ist, ist die Laufende Raumbeobachtung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR). Im Raumordnungsgesetz (ROG) von 2008 hat der Bundesgesetzgeber die politische Bedeutung der Raumbeobachtung gesetzlich fixiert. Das Gesetz verpflichtet die BBSR/BBR, ein Informationssystem zur räumlichen Entwicklung im Bundesgebiet und in den angrenzenden Gebieten zu führen. Die darauf gestützte Laufende Raumbeobachtung leistet u. a. eine bundesweit flächendeckende, vergleichende Beobachtung der Lebensverhältnisse bis zur Kreis- und Gemeindeebene. Ergebnisse werden in regelmäßigen Publikationen der Öffentlichkeit vorgestellt. Das geschieht zum einen in Form periodischer Raumordnungsberichte sowie Städtebau- bzw. Stadtentwicklungsberichte des Bundes und zum anderen – in Kooperation mit den Statistischen Ämtern des Bundes und der Bundesländer – jährlich auf einer interaktiven CD-ROM: „INKAR – Indikatoren und Karten zur Raumentwicklung“. INKAR ermöglicht dem Nutzer die Zusammenstellung von Indikatoren aus verschiedenen Themenbereichen und Raumbezugsebenen in Tabellen sowie deren Visualisierung in Form thematischer Karten oder Graphiken. Mit der Internetpräsenz4 bietet das BBSR seit 2007 einen Überblick über sein Raumbeobachtungssystem in Form von Indikatoren, Karten, Abbildungen und Tabellen auf unterschiedlichen räumlichen Bezugsebenen zur Raum- und Stadtentwicklung in Deutschland und Europa. Die weit über 500 alphabetisch geordneten Indikatoren reichen von den „Alleinstehenden“ über „Haushaltseinkommen“ und 3 Diesen
Abschnitt verdanken die Autoren Hans-Peter Gatzweiler, BBSR, Bonn.
4 www.raumbeobachtung.de
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„Nachbarschaftsverhältnis“ bis zur „Zufriedenheit mit der Wohnungsgröße“ und sind jeweils graphisch und/oder kartographisch dargestellt, dabei nach Merkmalen, wie Ost/West, Siedlungsstrukturtyp, Altersgruppe usw. differenziert und kurz kommentiert. So zeigt sich, um ein Beispiel zu nennen, dass die Durchschnittsgröße der Miet- wie der Eigentumswohnungen im Ostdeutschland seit 1990 zugenommen hat, auch die der Eigentumswohnungen im Westen, nicht aber die der Mietwohnungen im Westen. Die Wohnungszufriedenheit hat sich zwischen beiden Landesteilen tendenziell angenähert. Zuletzt waren die ostdeutschen Befragten sogar zufriedener mit der Wohnungsgröße als die westdeutschen. Die Bedeutung bundesweit flächendeckender aktueller und regional wie sachlich tief gegliederten Daten der fortlaufenden Raumbeobachtung soll an drei Beispielen aus dem Arbeitsbereich der BBSR verdeutlicht werden: (1) Chancen zum Abbau regionaler Disparitäten eröffnen sich immer nur, wenn die knappen Mittel problemadäquat eingesetzt werden. Erfolgt z.B. die Abgrenzung von Fördergebieten auf der Grundlage problemadäquater Regionalindikatoren, so schafft das für alle Beteiligten gemeinsame Einsichten und eröffnet Konsensmöglichkeiten über Maßnahmeprogramme, wie etwa regionale Wirtschaftsförderungsprogramme, Infrastrukturprogramme, Städtebauförderung. Politiker lassen sich von den Vorteilen einer koordinierten Maßnahmeregionalisierung am ehesten überzeugen, wenn diese durch einsichtige regionalstatistische Daten und Indikatoren gestützt werden. (2) Auf mittlere Sicht dürfte auch die Aktivierung von vor Ort vorhandenen Potenzialen bedeutsam werden. Solche endogenen Entwicklungsstrategien zielen darauf, die Eigenverantwortung der Gemeinden und Regionen bei der Prioritätensetzung und dem Abbau von Defiziten zu stärken. Endogene Entwicklungsstrategien können ihrerseits unterstützt werden durch eine regional problemadäquate Ausgestaltung von Steuern und Abgaben und/oder durch die Einführung von indikatorgestützten Sonder- und Nebenansätzen in die bestehenden Finanzausgleichsgesetze, z.B. durch zweckfreie Zuweisungen. (3) Um die knapper werdenden öffentlichen Finanzmittel künftig mehr denn je effizient einsetzen und dies kontrollieren zu können, ist ein permanentes Regional- und Stadtmonitoring ein wichtiges Anliegen angewandter Raum- und Stadtforschung. Denn mit Art. 104 b des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber der Exekutive den Auftrag erteilt, seine Finanzhilfeprogramme einer stetigen Evaluierung zu unterziehen. Gleiches gilt auch für die Gemeinschaftsaufgaben, wie die zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW).
10.6 Aktuelle und künftige Entwicklungen in der Regionalstatistik Die amtliche Statistik und damit auch die Regionalstatistik befinden sich seit einigen Jahren in einem Prozess, der durchaus als Paradigmenwechsel bezeichnet werden kann. Um die Belastungen der Auskunftspflichtigen und der öffentlichen Haushalte zu reduzieren, ist seit einiger Zeit die Tendenz einer Abkehr von großen primärstatistischen Erhebungen zu Gunsten einer intensiveren und breiteren Nutzung
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vorhandener Verwaltungsdaten zu beobachten. Dies ist aus regionalstatistischer Sicht einerseits positiv zu bewerten, denn die Nutzung von Verwaltungsdaten bzw. Registern bilden wegen der hohen Fallzahlen eine sehr gute Basis für regional differenzierte Auswertungen. Nachteilig ist andererseits jedoch, dass sehr viele empirische Informationen nicht oder nicht in hinreichender Qualität oder Aktualität in Registern oder Verwaltungsdateien vorhanden sind. Dieses Dilemma prägte entscheidend auch die Entwicklung des Modells für den registergestützten Zensus 2011 (Siehe dazu Kap. 17). Der Zensus 2011 wird aber nicht das Vorbild für die Zukunft der Statistik insgesamt sein. Denn künftig soll es sich bei den primärstatistischen Erhebungen i.d.R. um kleine Stichproben handeln, die im Wesentlichen nur Ergebnisse auf Bundesebene bereitstellen, unter Umständen sogar nur auf EU-Ebene, die – so die „Visionen“ von EUROSTAT – auch ohne Beteiligung der nationalen Statistik durchgeführt werden können. Eine solche Tendenz ist bereits in anderen Statistikbereichen festzustellen, zum Beispiel bei den Reformen der Unternehmens- und Haushaltsstatistiken. Letztlich bedeutet diese Entwicklung, dass für die Regionalstatistik nur die Informationen aus Registern oder Verwaltungsdateien vorhanden sein werden. Das Konzept des „multiple source mixed mode design“ mit seiner Kombination von Register- bzw. Verwaltungsdaten mit Daten aus primärstatistischen Erhebungen stellt sich für die Regionalstatistik also ambivalent dar. Angesichts dieser – politisch gewollten – Entwicklung zeigt sich der Regionalausschuss der DStatG besorgt, dass in der Diskussion um Bürokratieabbau die Statistik primär als Belastung und Kostenfaktor betrachtet wird, obwohl eine DIWStudie gezeigt hat, dass die amtliche Statistik nur einen sehr geringen Anteil an der Bürokratiebelastung der Wirtschaft hat. Der vielfältige Nutzen regionalstatistischer Informationen, durch die teure Investitionen rationaler gesteuert und verlustreiche Fehlinvestitionen vermieden werden könnten, wird dagegen kaum in die Wagschale geworfen. Es ist zu befürchten, dass alles, was nicht oder nicht mit hinreichender Qualität oder Aktualität in den Registern oder Verwaltungsdateien vorhanden ist, künftig für die Regionalstatistik nicht mehr zur Verfügung steht. Der Regionalausschuss hat sich daher intensiv mit der Verwendung von Verwaltungsdaten und deren Auswirkung auf das regionalstatistische Datenangebot befasst. In seiner Erklärung vom September 2008 begrüßt er ausdrücklich die Nutzung von Verwaltungsregistern zur Verbesserung der regionalstatistischen Datenlage und zur Erweiterung der Auswahlgrundlage für Primärerhebungen. Er fordert allerdings gleichzeitig, „dass vor der jeweiligen Entscheidung über den Abbau oder den Methodenwechsel einer Statistik die Maßnahmen ergebnisoffen auf ihre Eignung zur Sicherstellung quantitativ hinreichender und qualitativ hochwertiger regionalstatistischer Ergebnisse zu überprüfen sind. Bei der Beurteilung neuer Verfahren ist das Verhältnis von Kosten und Nutzen bzw. von Kosteneinsparungen und Entlastungseffekten auf der einen und den ggf. zu erwartenden Informationsverlusten auf der anderen Seite zu bewerten. Insbesondere wird zu untersuchen sein, ob die auf andere Weise (z.B. aus Verwaltungsregistern oder aus Stichproben) gewonnenen Ergebnisse
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hinreichend regionalisierbar sind zu Informationsverlusten gegenüber dem bisherigen Verfahren führen die zu ermittelten Sachverhalte zutreffend abbilden (Adäquation) eine hinreichende Genauigkeit und Aktualität aufweisen und in unterschiedlicher fachlicher und regionaler Gliederung widerspruchsfreie Ergebnisse liefern (Kohärenz).
Der Ausschuss empfiehlt darüber hinaus, die Durchführung geeigneter Qualitätssicherungsmaßnahmen, z.B. in Form primärstatistischer Kontrollerhebungen. Er fordert auch, dass der Prozess der Weiterentwicklung von unabhängigen Wissenschaftlern begleitet wird. Der Vorstand der DStatG hat die dargestellte Position des Ausschusses Regionalstatistik unterstützt und sich zu Eigen gemacht. Vor dem Hintergrund der politischen Vorgaben ist zu erwarten, dass ein regionalstatistischer Datenbedarf, der über die in Registern oder Verwaltungsdaten enthaltenen Informationen hinausgeht, nur noch abgedeckt werden kann, wenn er sehr gut begründet wird und politische Unterstützung gewinnt. Dies zu erreichen und die methodischen Entwicklungen sachkundig zu begleiten, wird in den nächsten Jahren eine wesentliche Aufgabe des Ausschusses für Regionalstatistik sein.
Literatur Boustedt O (1975) Grundriss der empirischen Regionalforschung, Teil IV: Regionalstatistik. Schroedel, Hannover
Kapitel 11
Statistik in Naturwissenschaft und Technik Peter-Theodor Wilrich
Zusammenfassung Mit dem Aufschwung von Naturwissenschaft und Technik zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand die mathematische Statistik, angeregt aus der Geodäsie (wie die Methode der kleinsten Quadrate) und der Anthropologie (wie die statistische Analyse mehrdimensionaler Beobachtungen und ihrer stochastischen Abhängigkeiten). Im Gegensatz zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, in denen Daten vorwiegend aus Beobachtungsstudien gewonnen werden, stehen in den Naturwissenschaften Experimente im Vordergrund. Daher gehört die statistische Versuchsplanung zu den insbesondere in Naturwissenschaft und Technik angewendeten statistischen Methoden, aber auch die Extremwertstatistik und Lebensdaueranalysen sowie die Methoden der räumlichen Statistik (insbesondere in der Umweltforschung). Im 20. Jahrhundert wurden Stichprobenpläne und Regelkarten (Kontrollkarten) zur Prozessregelung als Hilfsmittel der statistischen Qualitätssicherung entwickelt. Diese Methodenbündel, mit denen sich der Ausschuss Statistik in Naturwissenschaft und Technik immer wieder befasst, werden im Folgenden vorgestellt.
11.1 Einleitung Die Statistik hat sich in Deutschland aus den Staatswissenschaften heraus entwickelt und war über lange Zeit vorwiegend auf die Beschreibung und Analyse von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ausgerichtet. Erst mit dem Aufschwung von Naturwissenschaft und Technik zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewann die mathematische Statistik praktische Bedeutung. In der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) fand die technische Statistik erst spät eine institutionelle Verankerung. Auf Anregung von Wolfgang Wetzel
P.-Th. Wilrich (B) Institut für Statistik und Ökonometrie, Freie Universität Berlin, Garystr. 21, 14195 Berlin, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_11,
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gründete die Gesellschaft während der Statistischen Woche 1982 in München den „Ausschuss Technische Statistik“ (später in „Ausschuss für Statistik in Naturwissenschaft und Technik“ umbenannt). Zwar wurden Themen aus Naturwissenschaft und Technik auch vor 1982 sowohl während der Statistischen Wochen als auch während der Pfingsttagungen behandelt – meist im Ausschuss für Neuere Statistische Methoden –, aber mit der Gründung des Ausschusses 1982 gab man den Anwendungen der Statistik in Naturwissenschaft und Technik ihr Forum, so wie es die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit einer ganzen Reihe von Ausschüssen seit langem hatten (siehe Kap. 4, Abschn. 4.2.3). Erster Vorsitzender wurde Peter-T. Wilrich, Freie Universität Berlin. Anfangs standen Themen aus dem Bereich der Technik im Vordergrund. Inzwischen sind solche aus anderen Bereichen, insbesondere aus den Umweltwissenschaften, hinzugekommen. Themen aus den Lebenswissenschaften, insbesondere aus Medizin und Epidemiologie, werden dagegen traditionell in der Deutschen Sektion der Internationalen Biometrischen Gesellschaft behandelt.
11.2 Historische Entwicklung der Statistik in Naturwissenschaft und Technik Die im Laufe der geschichtlichen Entwicklung entstehenden Staaten benötigten schon frühzeitig Daten über die Bevölkerung und wirtschaftliche Vorgänge. Am Anfang der Statistik standen daher Volkszählungen und Erhebungen wirtschaftlicher Daten. Dagegen entstand die mathematische Statistik erst mit dem Aufschwung von Naturwissenschaft und Technik zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Um Beobachtungsfehler in der Geodäsie auszugleichen, entwickelten Adrien Marie Legendre (1805) und Carl Friedrich Gauss (1809) unabhängig voneinander die Methode der kleinsten Quadrate. Der Anthropologe F. Galton (1822–1911) begründete die statistische Analyse mehrdimensionaler Beobachtungen und ihrer stochastischen Abhängigkeiten. Er stand am Anfang der englischen Schule der modernen mathematischen Statistik: Karl Pearson (1857–1936) führte den Chiquadrat-Test ein, William Sealy Gosset (1876–1937) leitete unter dem Pseudonym Student die t-Verteilung und den t-Test her. Von Sir Ronald Aylmer Fisher (1890–1962) stammt das Konzept des randomisierten Versuchsplans und die Methode der Varianzanalyse zur statistischen Auswertung von Versuchsergebnissen. Jerzy Neyman (1894–1981) und Egon Sharpe Pearson (1895–1980) führten die Testtheorie weiter und schufen die Methode der Konfidenzschätzung. Im deutschsprachigen Raum waren die Verbindungen von mathematischer Statistik mit den Anwendungen in Naturwissenschaft und Technik während dieser Zeit eher spärlich. Zu nennen sind der Geodät F. Helmert (nach ihm und Pearson wird die Chiquadrat-Verteilung manchmal Helmert-Pearson-Verteilung genannt) und Ladislaus von Bortkiewicz (1868–1931), der mehr über bevölkerungswissenschaftliche Probleme arbeitete und fast jedem Studenten der Statistik durch sein Beispiel für
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die Poisson-Verteilung der Hufschlagtoten der preußischen Armee bekannt ist. Bortkiewicz regte mit Arbeiten zur Variationsbreite normalverteilter Daten die Extremwerttheorie an. Hierzu lieferten Richard von Mises (1883–1953) und Emil Julius Gumbel (1891–1966) entscheidende Beiträge. Auf Abraham Wald (1902–1950) gehen die sequentiellen Verfahren und die Entscheidungstheorie zurück.
11.3 Statistische Versuchsplanung Multivariate statistische Analysen sind nicht an bestimmte Anwendungen der Statistik gebunden. Die multivariaten Daten stammen allerdings in den Wirtschaftsund Sozialwissenschaften meist aus Beobachtungsstudien, während sie in Naturwissenschaft und Technik überwiegend aus Experimenten gewonnen werden. Ein Einzelexperiment besteht in der einmaligen Messung der Zielgröße (der Zielgrößen) an einem Untersuchungsobjekt unter bestimmten Bedingungen. Der Bedingungskomplex setzt sich aus den eingestellten Werten der Einflussgrößen (Faktoren) zusammen, deren Wirkung auf die Zielgröße(n) untersucht werden soll, weiterhin aus Werten von Einflussgrößen, die nicht eingestellt, aber zahlenmäßig erfasst werden können, und schließlich weiteren Einflussgrößen, die dem Experimentator nicht bekannt sind. Ein Versuch (gesamtes Experiment) besteht aus mehreren Einzelversuchen, die in einer bestimmten Reihenfolge ausgeführt werden. Vermutlich hat jeder Naturwissenschaftler oder Ingenieur während seines Studiums die Regel kennengelernt: Will man die Wirkung eines Faktors auf eine Zielgröße erfassen, muss man diesen Faktor variieren und alle anderen Faktoren konstant halten. Diese Regel ist zwar nicht falsch, aber ziemlich nutzlos, denn die damit erfasste Wirkung des Faktors gilt nur, falls alle anderen Faktoren, d.h. der gesamte Bedingungskomplex so ist wie bei dem durchgeführten Experiment. Um die Wirkung des zu untersuchenden Faktors nicht nur unter einem einzigen Bedingungskomplex zu erfassen, sondern unter verschiedenen Bedingungen, muss also nicht nur der zu untersuchende Faktor variiert werden, sondern auch alle anderen Faktoren. Die statistische Versuchsplanung stellt dazu ein großes Bündel von zweckdienlichen, in verschiedener Hinsicht auch optimalen Versuchsplänen oder Algorithmen bereit. Dabei kommen nur wenige Grundprinzipien zur Anwendung, was sich am einfachsten an einem Sortenversuch zeigen lässt, mit dem der Ernteertrag verschiedener (Getreide-)Sorten untersucht werden soll. Der Versuch läuft so ab, dass die zu vergleichenden Getreidesorten auf verschiedenen Versuchsfeldern bzw. Feldabschnitten angebaut und der Ernteertrag (etwa in dz/ha) gemessen wird. Der zu untersuchende Faktor ist die Getreidesorte. Es ist leicht, weitere Einflussgrößen zu nennen, wie etwa die Düngung, die Bewässerung, Unkraut- und Schädlingsvernichtungsmittel, die Bodenbeschaffenheit, das Wetter, das Kleinklima. Würde man jede der Getreidesorten auf einem anderen Versuchsfeld anbauen, dann bliebe offen, ob
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ein Ertragsunterschied durch die Getreidesorte oder durch die Bedingungen verursacht ist, die von Feld zu Feld unterschiedlich sind. Würde man andererseits alle Getreidesorten auf einem einzigen – entsprechend aufgeteilten – Feld anbauen, dann bliebe offen, wie die Ertragsunterschiede ausfallen würden, wenn der Anbau unter anderen Bedingungen erfolgte. Eine Lösung des Problems ergibt sich durch Blockbildung: Der Versuch läuft auf mehreren Versuchsfeldern (Blöcken), und jedes Feld wird so aufgeteilt, dass alle (vollständiger Blockplan) oder eine möglichst große Anzahl der zu untersuchenden Sorten (unvollständiger Blockplan) angebaut werden. Innerhalb der Blöcke ist ein Unterschied im Ertrag der Sorte zuordenbar; die Unterschiede zwischen den Blöcken ermöglichen eine Verallgemeinerung des Ergebnisses. Damit unbekannte Einflussgrößen, wie z.B. Boden- oder Niederschlagsunterschiede innerhalb des Versuchsfeldes, nicht zu systematischen Fehlern führen, werden die Getreidesorten den Feldabschnitten nach dem Zufall zugeordnet (Randomisierung), wodurch sich eventuelle Wirkungen nicht systematisch auswirken, sondern nur die Streuung der Ergebnisse erhöhen. Die Werte weiterer Einflussgrößen, die man zwar erfassen, aber nicht einstellen kann, misst man und berücksichtigt sie bei der statistischen Auswertung als Kovariablen. Schließlich muss man sich durch mehrfache Durchführung ein und desselben Einzelversuchs (Versuchswiederholung) Informationen über die Streuung der Zielgröße verschaffen, wenn der Bedingungskomplex konstant ist, damit man entscheiden kann, welche Unterschiede der Zielgrößenwerte den Effekt eines oder mehrerer Faktoren zeigen. Will man neben der Getreidesorte auch den Einfluss unterschiedlicher Düngemittel und unterschiedlicher Insektizide auf den Ertrag untersuchen, dann muss man darauf achten, dass man die Wirkung der nun drei zu untersuchenden Faktoren unvermengt erfassen kann. Am einfachsten wäre es, im Versuch jede Sorte mit jedem Düngemittel und mit jedem Insektizid anzubauen, also jede Faktorstufenkombination zum Einsatz zu bringen (vollständiger Faktorversuch). Da das fast immer technisch oder ökonomisch unmöglich ist, muss man für den Versuch Faktorstufenkombinationen so auswählen, dass sich keine (oder nur geringfügige) Vermengungen der Faktoren ergeben (Teilfaktorversuch). Aufbauend auf diese Grundprinzipien ermöglicht es ein statistisch geplanter Versuch, die Wirkung von Faktoren auf die Zielgröße(n) unbeeinflusst von anderen (bekannten oder unbekannten) Einflussgrößen mit geringst möglichem Aufwand zu erfassen. Im Ausschuss gibt es immer wieder Vorträge zu diesem Themenkreis, so etwa „Die Taguchi-Methode (1988/1),1 „Tests auf faktorielle Dispersionseffekte bei zweistufigen Teilfaktorplänen“ (1991/2), „Planung von Experimenten bei Vorliegen von Wechselwirkungen“ (1993/1), „Zur Wahl des Stichprobenumfangs bei vollständig randomisierten Versuchsplänen“ (1993/2), „Varianzschätzung bei nichtwiederholten Faktorplänen“ (1996/1) und „Teilfaktorpläne in Fouriermodellen“ (1996/2).
1 Hier und im Folgenden weist Jahreszahl/1 auf die Pfingsttagung, Jahreszahl/2 auf die Statistische Woche hin.
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11.4 Extremwertstatistik und Lebensdaueranalysen Vielleicht ist es nicht falsch zu behaupten, die Statistik habe mit der Bevölkerungsstatistik begonnen. Erste Sterbetafeln wurden 1693 von dem Astronomen E. Halley (1656–1742) und 1741 von dem preußischen Probst J.P. Süßmilch (1707–1767) veröffentlicht. Die menschliche Lebensdauer in sachlich, räumlich und zeitlich abgegrenzten Populationen ist ein Aufgabengebiet der Demographie. Sie soll hier nicht weiter betrachtet werden. Wir wollen unter der Lebensdauer eines Untersuchungsobjekts die Zeitspanne zwischen einem definierten Anfangsereignis und einem definierten Endereignis verstehen, z.B. die Brenndauer einer Glühlampe zwischen dem Einschalten und dem Ausfall, die Nutzungsdauer eines Kfz-Auspuffs zwischen Einbau in das Kfz und Ausfall, die Lebensdauer eines Versuchstiers zwischen dem Beginn einer Exposition und dem Tod. Ladislaus von Bortkiewicz (1868–1931) wies 1922 erstmalig darauf hin, dass die Extremwerte in Stichproben aus Normalverteilungen eine eigenständige Verteilung haben. Maurice Fréchet (1878–1973) und R.A. Fisher (1890–1963) zusammen mit L.H.C. Tippett zeigten 1927/1928, dass die Extremwerte in Stichproben, wenn ihre Verteilung nicht entartet, nur eine von drei möglichen Verteilungen haben können, die als Asymptote I oder II oder III bezeichnet werden. Richard von Mises (1883–1953) und B.V. Gnedenko (1912–1995) lieferten Antworten auf die Frage, welche Ausgangsverteilung zu welcher der drei asymptotischen Verteilungen der Extremwerte führen. Emil Julius Gumbel (1891–1966), a. o. Professor für Statistik in Heidelberg, wurde wegen seiner politischen Aktivitäten gegen rechte Parteien bereits 1932 die Lehrbefugnis entzogen. Er stand auf einem der Spitzenplätze der Ausbürgerungsliste der Nationalsozialisten und emigrierte nach deren Machtergreifung 1933 nach Frankreich, von dort 1939 in die USA. Gumbel hatte sich bereits in Deutschland mit Extremwertstatistik befasst und arbeitete in den USA auf diesem Gebiet weiter. Er konnte zeigen, dass die jährlichen Hochwasser von Flüssen (gemessen als Abflussmenge je Sekunde) in den USA der Typ I-Extremwertverteilung folgen. Mit der darauf basierenden Wiederkehrperiode (return period), die die erwartete Zeitdauer angibt, bis zu der ein Hochwasserstand übertroffen wird, hat man eine gute Planungsgrundlage für die Höhe von Dämmen und Deichen. Die Typ I-Extremwertverteilung heißt inzwischen auch Gumbel-Verteilung. Ohne dass sie Verbindung zur Extremwertstatistik hatten, befassten sich P. Rosin, E. Rammler und K. Sperling mit der Verteilung der Korndurchmesser von körnigen Materialien. Diese gewinnt man empirisch, indem man das körnige Gut durch Normsiebe mit bestimmten Maschenweiten absiebt und die Rückstände auf den Sieben auswiegt. Sie fanden heuristisch, dass sich die doppelten Logarithmen der Rückstände, lnlnR, graphisch dargestellt über den Logarithmen der jeweiligen Siebdurchmesser, lnx, in vielen Fällen gut durch eine Gerade ausgleichen lassen. Die Auswertung von Siebanalysen mit dem darauf basierenden RRSB-Netz (Rosin-Rammler-Sperling-Bennett-Netz) hat bis heute eine große Bedeutung. Das RRSB-Netz ist in der internationalen Norm ISO 9276 „Representation of results of
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particle size analysis“ standardisiert. Es ist leicht zu zeigen, dass das RRSB-Netz nichts anderes ist als ein Wahrscheinlichkeitsnetz, in dem die Verteilungsfunktion der Typ III-Extremwertverteilung eine Gerade ist. Wiederum unabhängig von den anderen publizierte Ernst Hjalmar Waldoddi Weibull (1887–1979), schwedischer Ingenieur und Professor am Königlichen Institut für Technologie in Stockholm, 1939 zwei Arbeiten, die sich mit der Festigkeit von Wellen befassten. Er fand empirisch, dass die Festigkeiten der Wellen wie auch vieler anderer Materialien gut einer Typ III-Extremwertverteilung folgten. Ab 1949 publizierte er mehrere weitere Arbeiten, durch die die Verteilung als Festigkeitsverteilung international bekannt wurde. Sie heißt seitdem Weibull-Verteilung. Das Wahrscheinlichkeitsnetz der Weibull-Verteilung hat viele Namen: RRSB-Netz, Körnungsnetz, Weibull-Netz und Lebensdauernetz. Der letzte Name ergibt sich aus der großen Bedeutung der Weibull-Verteilung bei Lebensdaueranalysen. Die Lebensdauer vieler technischer Produkte, d.h. die Zeit von der Inbetriebnahme bis zum Ausfall, kann als Weibull-verteilt angesehen werden, was folgendem Modell entspricht: Der Ausfall kann durch verschiedene konkurrierende Ausfallereignisse verursacht werden; er tritt ein, wenn das früheste der konkurrierenden Ereignisse eintritt, d.h. die Lebensdauer ist der Minimalwert einer Anzahl von möglichen Ausfallzeiten. So ist auch die Festigkeit ein Minimalwert oder anders gesagt das schwächste Glied in einer Kette. Kurt Stange (1907–1974) hat 1954 im Mitteilungsblatt für mathematische Statistik zur Weibull-Verteilung (ohne sie bei diesem Namen zu nennen, der damals noch nicht üblich war) die Arbeit „Zur Ermittlung der Abgangslinie für wirtschaftliche und technische Gesamtheiten“ publiziert. Darin findet man viele Beispiele für Weibull-verteilte Lebensdauern, wie z.B. die von Eisenbahnschwellen, Masten, Luft- und Erdkabeln, Kraftwagen (Abb. 11.1), Dampflokomotiven, aber auch Aktiengesellschaften, Kolonialwarengeschäften und Beschäftigungsverhältnissen (Abb. 11.2). Horst Rinne hat 2009 die Monographie „The Weibull Distribution – A Handbook“ vorgelegt, in die ungefähr 1200 Arbeiten eingeflossen sind. Die WeibullVerteilung, die in ganz unterschiedlichen Anwendungsgebieten „entdeckt“ worden ist, zeigt eindrucksvoll die Tragweite statistischer Verfahren. Lebensdauerdaten können aus Beobachtungsstudien und aus Experimenten gewonnen werden. Beginnt man ein Lebensdauerexperiment mit n Objekten, z.B. Glühlampen, die alle unter denselben Bedingungen betrieben werden, dann kennt man die Zeit nicht, die man für das Experiment benötigt, wenn man bis zum letzten Ausfall warten will, d.h. bis zur größten beobachteten Lebensdauer. Um das Experiment abzukürzen gibt es zwei ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Die eine besteht darin, das Experiment vorzeitig zu beenden, z.B. nach einer vorgegebenen Zeit (Typ I-Zensierung) oder nach dem r-ten Ausfall (Typ II-Zensierung) oder indem man für jedes Objekt eine zufällige oder nichtzufällige Zensierungszeit vorgibt (multiple Zensierung), aber auch, indem man bei jedem Ausfall eine bestimmte Anzahl weiterer Objekte aus dem Lebensdauerexperiment entfernt. Berücksichtigt man das bei der Auswertung nicht, dann unterschätzt man die Lebensdauer insbesondere bei starken Zensierungen erheblich. Die Statistik stellt aber Schätzmethoden bereit, bei deren Anwendung die Lebensdauerverteilung oder Kenngrößen dieser Verteilung
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Abb. 11.1 Die Überlebenshäufigkeitsfunktion von Kraftwagen in Michigan, USA, im WeibullNetz (nach Untersuchungen von Griffin um 1928). Danach sind nach 7 Jahren noch 50% und nach 12 Jahren noch 10% der Kfz in Benutzung
unverzerrt geschätzt werden können. Eine andere Möglichkeit der Verkürzung von Lebensdauerexperimenten besteht darin, die Bedingungen zu verschärfen, unter denen das Lebensdauerexperiment abläuft, z.B. die Spannung zu erhöhen, unter der Glühlampen geprüft werden. Durch geschickte Kombination der statistischen Analyse mit einem (physikalischen) Modell der Lebensdauerveränderung unter Stress lassen sich auch solche Experimente erfolgreich auswerten. Vorträge zu Extremwertstatistik und Lebensdaueranalysen werden im Ausschuss oft angeboten. Bei der Gründungssitzung (1982/2) des Ausschusses gab es die beiden Vorträge „Sensitivität von Zuverlässigkeitsmodellen“ und „Verbesserung der Zuverlässigkeit durch Vorlaufzeiten“. Einige weitere Beispiele: „Beschleunigungsfunktionen und deren Schätzung bei zeitraffenden Lebensdauerprüfungen“ (1983/2), „Das Teissier-Modell als Kfz-Lebensdauerverteilung“ (1985/1), „Ein neuer Ansatz für Lebensdauerverteilungen mit badewannenförmiger Ausfallrate“ (1993/2), „Stochastische Modelle für den Rücklauf von gebrauchten Geräten“ (1997/1), „Zuverlässigkeitsmodelle für Ausfall- und Schädigungsdaten auf Basis des Wienerprozesses“ (2000/2), „Progressive Typ II-Zensierung und optimale Zensierschemata“ (2002/2).
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Abb. 11.2 Die Überlebenshäufigkeitsfunktionen von englischen Aktiengesellschaften um 1900 (G), Einzelhandelsgeschäften in Illinois, USA, um 1932 (E), Kolonialwarengesellschaften in Buffalo um 1925 (K), Beschäftigungsverhältnissen in der italienischen Textilindustrie um 1925 (J), Beschäftigungsverhältnissen in der britischen Industrie um 1949 (B) im Weibull-Netz
11.5 Statistik in der Umweltforschung Umweltforschung soll zur Erhaltung unserer natürlichen Umwelt und der Lebensqualität beitragen. So gesehen ist sie kaum abgrenzbar, und demzufolge kommen in ihr praktisch alle statistischen Methoden vor. Das Umweltmonitoring wie auch Wetter- und Klimaprognosen stützen sich auf zeitlich und räumlich erhobene Daten. Die statistische Analyse von zeitlich erhobenen Daten ist Gegenstand der Zeitreihenanalyse. Die Analyse von räumlich erhobenen Daten ist eine wesentliche Aufgabe der Geostatistik. Um beispielsweise die durchschnittliche Belastung eines Untersuchungsgebietes durch bestimmte Schadstoffe zu ermitteln, greift man auf die an meist unregelmäßig angeordneten Messstellen im Untersuchungsgebiet gemessenen Schadstoffwerte z(x) zurück. Diese werden als Realisationen eines räumlichen stochastischen Prozesses Z(x) angesehen und zur Modellierung und Schätzung der Abhängigkeitsstruktur dieses stochastischen Prozesses benutzt. Das Semivariogramm γ (x, x + h), das in engem Zusammenhang zur Kovarianz steht, beschreibt den räumlichen Zuwachs der Zufallsvariablen Z von Ort x zu Ort x + h. Zur Schätzung des Semivariogramms muss man Annahmen über die Wahrscheinlichkeitsstruktur von Z(x) machen (und validieren). Ist Z(x) schwach stationär, dann
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hängt das Semivariogramm nur von Betrag und Richtung des Abstandes h zwischen den beiden Punkten x und x + h, nicht von der Messstelle x selbst ab. Ist Z(x) außerdem isotrop, dann hängt es nur vom Betrag des Abstandes h ab. Oft wird versucht, das Semivariogramm unter diesen Modellannahmen der Stationarität und Isotropie zu schätzen. Um die Schadstoffbelastung auch an Punkten zu schätzen, an denen nicht gemessen wurde, z.B. auf einem regelmäßigen Gitter, bildet man gewichtete Mittelwerte aus Messwerten in einer spezifizierten Umgebung des interessierenden Punktes. Unter Verwendung des Semivariogramms kann man mit der als „Kriging“ bezeichneten Methode die Gewichte der in den Mittelwert eingehenden Messwerte so bestimmen, dass die Schätzgenauigkeit am interessierenden Punkt möglichst groß ist. Mit den Schätzwerten der Schadstoffkonzentration an den Gitterpunkten lassen sich die gewünschten Aussagen wie z.B. über die mittlere Schadstoffkonzentration in bestimmten Teilgebieten machen. Einige Vortragsthemen zur Umweltforschung: „Simulation der Wahrscheinlichkeitsverteilung von Immissionskonzentrationen am Beispiel der Geruchsstoffe“ (1987/2), „Grenzwerte im Lebensmittelbereich“ (1987/2), „Probleme bei der Verwendung der Zeitreihenanalyse auf umweltbezogene Daten“ (1990/2), „Modellieren von Daten aus 9 km unter der Erde: Anwendung von verschiedenen Regressionsmodellen zur Charakterisierung von Kataklasezonen beim kontinentalen Tiefbohrprojekt (KTB)“ (2000/1), „Das Überwachungsmodell von Euratom“ (2000/1), „Regressionsanalyse von Waldzustands-Daten mit zeitlichen und räumlichen Abhängigkeiten“ (2001/2).
11.6 Stichprobenpläne in der Qualitätssicherung Jeder gute Handwerker fühlt sich für die Qualität des von ihm geschaffenen Werkes verantwortlich – und prüft sie deshalb. Mit den im 17. Jahrhundert entstehenden Manufakturen, mehr noch mit der im 19. Jahrhundert einsetzenden Industrialisierung wurden die Produktionsprozesse in immer mehr Teilprozesse mit vielen beteiligten Personen aufgetrennt, von denen keiner mehr allein die Verantwortung für die Qualität übernehmen kann. Qualitätssicherung ist damit zu einer Aufgabe des gesamten Unternehmens geworden. Da jeder Teilprozess auf die gute Qualität der Produkte angewiesen ist, die er weiter verarbeitet, konzentrierte sich die Qualitätssicherung zunächst auf die Wareneingangsprüfung gelieferter Produkte. Diese konnte in der industriellen Massenproduktion nicht mehr darin bestehen, jedes einzelne gelieferte Produkt auf Einhaltung der Qualitätsforderungen zu prüfen. Stattdessen wurden Stichproben gezogen, um die Qualität des Loses (der Lieferung oder Charge) zu beurteilen. Im einfachsten Falle geschieht das so, dass eine Stichprobe gezogen wird; wenn die Anzahl der fehlerhaften Einheiten in der Stichprobe nicht größer ist als eine bestimmte Annahmezahl, wird das Los als qualitätsmäßig in Ordnung angenommen, andernfalls wird es abgelehnt. Dieser Einfach-Stichprobenplan für Attributprüfung ist durch die beiden Parameter Stichprobenumfang und Annahmezahl gekennzeichnet.
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Werden mit diesem Stichprobenplan alle „guten“ Lose angenommen und alle „schlechten“ Lose abgelehnt? Oder anders gefragt: Wie groß sind die Risiken, dass Lose falsch beurteilt werden? Das hängt sicher von der Annahmezahl und vom Stichprobenumfang ab, und je kleiner deren Quotient, umso mehr Lose werden in dem Sieb hängen bleiben, das der Stichprobenplan darstellt. Eine quantitative Beurteilung der Effizienz bzw. der Risiken eines Stichprobenplans ist das nicht. Diese ist nur mit statistischen Methoden möglich. Es ist daher verwunderlich, dass die statistische Betrachtung von Stichprobenplänen erst sehr spät einsetzte. Harold French Dodge (1893–1976) arbeitete seit seinem Studium der Elektrotechnik am MIT als Entwicklungsingenieur in der Western Electric Company, die später in den Bell Laboratories aufging. Hier widmete er sich ab 1922 in einem Team der Erarbeitung von Grundkonzepten der Qualitätssicherung und stellte die Stichprobenpläne auf eine statistische Grundlage. Von ihm stammen die Konzepte der LTPD (lot tolerance percent defective), d.h. eines vorgegebenen Anteils von fehlerhaften Einheiten im Los, bei der das Los bei Prüfung mit einem Stichprobenplan eine geringe Annahmewahrscheinlichkeit (von 10%) hat. Ein weiteres Konzept war die AOQL (average outgoing quality limit), d.h. der höchste durchschnittliche Anteil von fehlerhaften Einheiten in einer Serie von angenommenen Losen, wenn die abgelehnten Lose nicht (oder alternativ nur nach 100%-Prüfung und Ersatz der fehlerhaften Einheiten) weiter gegeben werden. Zusammen mit H. G. Romig schuf Dodge das Stichprobensystem „Single Sampling and Double Sampling Inspection Tables“, das 1941 im Bell System Technical Journal und 1944 als Buch erschien. Während dieses Stichprobensystem mit dem spezifizierten LTPD bzw. AOQL auf einem weitgehenden Schutz des Abnehmers aufgebaut war, gingen die Army Ordnance Tables der Armee der USA von einem spezifizierten AQL-Wert (acceptable quality level) aus: wenn der Anteil fehlerhafter Einheiten im Los nicht größer ist als der AQL-Wert, soll das Los mit großer Wahrscheinlichkeit (90–95%) angenommen werden. Der daraus später entwickelte Military Standard 105 (Ausgabe 105 D im Jahre 1963) ist bis heute das weltweit angewendete Stichprobensystem, seit 1974 in seiner zivilen Form ISO 2859. Dodge war einer der wesentlichen Mitarbeiter des Teams, das den Military Standard seit 1943 entwickelt hat. Ergibt sich die Fehlerhaftigkeit einer Einheit allein daraus, dass ein quantitatives Qualitätsmerkmal wie etwa eine Abmessung eine obere Spezifikationsgrenze überschreitet oder eine untere Spezifikationsgrenze unterschreitet, dann liegt es nahe, die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des Loses nicht auf die Anzahl fehlerhafter Einheiten in der Stichprobe, sondern auf Mittelwert und Standardabweichung der gemessenen Werte des Qualitätsmerkmals zu gründen. Aus der Attributprüfung wird dann eine Variablenprüfung, die bei gleichen Risiken wie bei der Attributprüfung mit geringeren Stichprobenumfängen auskommt. Ein anderer Weg zur Reduktion des Prüfaufwands besteht darin, anstelle von Einfachplänen, bei denen die Entscheidung über das Los anhand einer einzigen Stichprobe fällt, Doppel- oder Mehrfachpläne oder auch sequentielle Stichprobenpläne zu verwenden. Man beginnt mit der Prüfung einer ersten vergleichsweise kleinen Stichprobe, deren Prüfung zur Annahme oder Ablehnung des Loses führt oder zur Entscheidung, eine weitere Stichprobe zu prüfen, bis das Stichprobenverfahren zum Stehen kommt.
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Kennt man die mit der Prüfung einer Einheit verbundenen Prüfkosten sowie die der Fehlentscheidung über ein Los (Annahme eines schlechten oder Ablehnung eines guten Loses), dann kann man Stichprobenpläne kostenoptimal festlegen. Gegebenfalls kann man dabei noch Vorinformationen über die Verteilung der fehlerhaften Einheiten in den vorgestellten Losen hinzu ziehen und gelangt zu kostenoptimalen Bayes-Plänen. Der Ausschuss hat sich regelmäßig mit Weiterentwicklungen der Stichprobenpläne befasst: „Kostenoptimale Bayes-Prüfpläne“ (1983/2), „Die Auswirkungen von Inspektionsfehlern auf attributive Stichprobenpläne“ (1985/2), „Zur Ausnutzung unvollständiger Vorinformation bei der Minimax-Regret-Methode“ (1985/2), „Ein neuer Variablenprüfplan für den Fall der Normalverteilung mit unbekannter Varianz und zweiseitigen Toleranzgrenzen“ (1988/2), „Exakte Bestimmung der Kenngrößen sequentieller Prüfpläne in der Gut-Schlecht-Prüfung“ (1990/1), „Ist Variablenprüfung für endliche Lose ungeeignet? Ein Vergleich mit Attributprüfung und Anmerkungen zum Fall unbekannter Varianz“ (1995/2).
11.7 Statistische Prozessregelung Es ist eine Binsenweisheit, dass Qualität nicht in das Produkt hineingeprüft werden kann, sondern erzeugt werden muss. Qualitätssicherung darf sich daher nicht in Stichprobenprüfung nach der Herstellung erschöpfen, sondern muss bereits während der Produktion einsetzen (Prozessregelung, In-Prozess-Kontrolle). Qualitätsrelevante Merkmale des Produktes müssen innerhalb vorgegebener Bereiche gehalten werden, damit die Qualität des Produktes zufriedenstellend ist. Ein weiteres Mitglied des Teams bei Western Electric, Walter Andrew Shewhart (1891–1967), machte dazu 1924 einen einfachen Vorschlag: Zu festgelegten Zeitpunkten werden dem Fertigungsvorgang n (meist n = 5) Einheiten entnommen, das zu überwachende Qualitätsmerkmal X gemessen, daraus das arithmetische Mittel x¯ berechnet und in ein Diagramm als Punkt über dem Prüfzeitpunkt eingetragen. Das Diagramm enthält drei waagerechte Geraden: eine Mittellinie, die dem aus Erfahrung bekannten langfristigen Prozessmittel beim ungestörtem Prozess entspricht, und zwei Eingriffsgrenzen (control limits) im Abstand der dreifachen (aus Erfahrung bekannten) Standardabweichung des Mittelwertes nach oben und unten. Wenn der Produktionsvorgang hinsichtlich X in Ordnung ist, dann wird x¯ mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen den Eingriffsgrenzen liegen. Liegt x¯ außerhalb der Eingriffsgrenzen, dann vermutet man eine Störung und versucht, den Produktionsprozess zu adjustieren. Die graphische Darstellung heißt Shewhart-Regelkarte (Shewhart-Kontrollkarte). Shewhart hat das Konzept in erweiterter Form 1931 in dem Buch „Economic Control of Quality of Manufactured Product“ publiziert. Seine Idee war der Ausgangspunkt für ein immer weiter wachsendes Bündel von Regelkarten. Abbildung 11.3 zeigt eine zweispurige(¯x, R)-Shewhart-Regelkarte. Die obere Spur dient der Überwachung des Prozessmittelwertes mit dem arithmetischen Mittel x¯ (aus jeweils n = 5 Einzelwerten), die untere Spur der Überwachung der Prozessstreuung mit der Spannweite R.
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Abb. 11.3 Eine zweispurige Shewhart-Regelkarte zur Überwachung des Abmaßes der Spaltbreite von Duraluminiumklemmen.2 Zum Zeitpunkt 5 wird eine Vergrößerung des Prozessmittelwertes angezeigt, zum Zeitpunkt 16 vor einer Verkleinerung des Prozessmittelwertes gewarnt; hinsichtlich der Prozessstreuung gibt es Warnungen zu den Zeitpunkten 1 und 5
Shewhart-Regelkarten haben einen Nachteil: Ob eine Störung des Produktionsprozesses vorliegt oder nicht, wird immer nur anhand des letzten in die Regelkarte eingetragenen Punktes entschieden. Die Regelkarte hat kein Gedächtnis, auch wenn das Diagramm, in dem die aufeinanderfolgenden Punkte oft durch Streckenzüge verbunden werden, das Gegenteil suggeriert. Alles Vergangene ist – zunächst – nur Dekoration. Oder, wie mancher Nutzer sagt: Die Regelkarte ist die Visitenkarte des Produktionsprozesses. Die Praktiker haben bald versucht, diesem Nachteil mit zusätzlichen Regeln zu begegnen, etwa damit, dass 7 aufeinanderfolgende Punkte auf einer Seite der Mittellinie eine Verschiebung des Prozessmittelwertes anzeigen. E.S. Page führte 1961 die CUSUM-Karte (cumulative sum chart) ein, bei der zu jedem Inspektionszeitpunkt die Abweichung des gemessenen Einzelwertes (oder des aus mehreren Einzelwerten gebildeten arithmetischen Mittelwertes) von einem Zielwert 2 Nach Graf U, Henning H-J, Stange K, Wilrich P-Th (1987) Formeln und Tabellen der angewandten mathematischen Statistik. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.
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gebildet und diese Abweichungen ab Start aufsummiert und in der Karte dargerstellt werden. Ist der Prozessmittelwert gleich dem Zielwert, dann wird der CUSUMStreckenzug nur zufällig um Null streuen, andernfalls von Null allmählich ansteigen (oder abfallen). Die Steigung des CUSUM-Streckenzugs wird zur Erkennung einer Störung statistisch ausgewertet. Als Alternative zu CUSUM-Karten werden auch EWMA-Karten (exponentially weighted moving average charts) verwendet, die mit exponentiell gewichteten Mittelwerten arbeiten. In der Gründungssitzung des Ausschusses gab es den Vortrag „CUSUM-Annahmekontrollkarten“ (1982/2), dann „Nomogramme zur Bestimmung kostenoptimaler Prozessregelkarten“ (1986/2), „Design einer Fuzzy-Shewhart-Kontrollkarte“ (1995/1), „Anwendung von nichtparametrischer Kurvenschätzung und EWMAKontrollkarten in der Langzeitüberwachung jugendlicher Diabetiker“ (1999/1), „CUSUM control schemes for multivariate time series“ (2004/1) und „Multivariate Prozesskontrolle mit Hilfe des Wünschbarkeitsindexes“ (2005/2).
11.8 Statistik in Naturwissenschaft und Technik in Deutschland Abgesehen von Stichprobenplänen beim amerikanischen Militär wurden statistisch fundierte Stichprobenpläne und Regelkarten bis 1945 nur bei Western Electric angewendet. Erst ab 1945 setzten sich diese Methoden nach und nach auch andernorts durch, was auch durch die Gründung der American Society for Quality Control 1946 zum Ausdruck kommt. Bis etwa 1950 gab es in Deutschland nur wenige Anwendungen der Statistik bei naturwissenschaftlichen Untersuchungen; statistische Methoden der Qualitätssicherung waren bis dahin so gut wie unbekannt. Das lag vor allem daran, dass nach 1945 so gut wie gar keine deutschsprachigen Einführungen in die Statistik für Naturwissenschaftler und Ingenieure zur Verfügung standen und die englischsprachige Literatur wegen Schwierigkeiten bei der Beschaffung und mangelnder Kenntnis des Englischen nicht genügend beachtet wurde. Die OECD ermöglichte 1956 einer europäischen Arbeitsgruppe einen mehrmonatigen Aufenthalt in den USA, um dort die Anwendung moderner statistischer Verfahren in Technik und Industrie kennen zu lernen. Kurt Stange, einer der deutschen Teilnehmer und später einer der wenigen Universitätsstatistiker, die sich um die Einführung statistischer Methoden in Technik und Industrie verdient gemacht haben, schrieb darüber: „Alle Teilnehmer waren tief beeindruckt von dem umfassenden Einsatz statistischer Verfahren in der betrieblichen Praxis“. Vermutlich geht auf diese Gruppe die fehlerhafte Übersetzung von quality control in Qualitätskontrolle und control charts in Kontrollkarten zurück. „Control“ sollte man eher mit „Regelung“ übersetzen. In der Praxis spricht man deshalb schon lange von Qualtätsregelung und Regelkarten; im akademischen Bereich sind die alten Begriffe bisher leider nicht verschwunden. Auch nach 1956 entwickelte sich in Deutschland die Verwendung statistischer Methoden in der Qualitätssicherung nur langsam, was vor allem auch am Fehlen einführender Darstellungen lag.
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Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien einige deutschsprachige Bücher genannt, die in der 1. Auflage vor 1960 erschienen sind. Für die naturwissenschaftlichen Anwendungen sind dies: E. Weber „Grundriss der biologischen Statistik für Naturwissenschaftler, Landwirte und Mediziner“ (1948), H. Gebelein und H. J. Heite „Statistische Urteilsbildung, erläutert an Beispielen aus Medizin und Biologie“ (1951), J.J. Post „Anleitung zur Planung und Auswertung von Feldversuchen mit Hilfe der Varianzanalyse“ (1952), S. Koller „Graphische Tafeln zur Beurteilung statistischer Zahlen“ (1953), A. Linder „Planen und Auswerten von Versuchen“ (1959) und W.A. Wallis und V. Roberts „Methoden der Statistik“ (1959, mit Abschnitten zur Versuchsplanung und zur statistischen Qualitätskontrolle). Auf dem Gebiet der technischen Statistik: R. Becker, H. Plaut und I. Runge „Anwendungen der mathematischen Statistik auf Probleme der Massenfabrikation“ (1927), E. Kohlweiler „Statistik im Dienste der Technik“ (1931), K. Daeves und A. Beckel „Auswertung durch Großzahl-Forschung“ (1942), P. Leinweber „Mathematisch-statistische Verfahren im Fabrikbetrieb“ (1951), U. Graf und H.-J. Henning „Statistische Methoden bei textilen Untersuchungen“ (1952), U. Graf und H.-J. Henning „Formeln und Tabellen der mathematischen Statistik“ (1953), W. Masing „Statistische Qualitätskontrolle in der Baumwollspinnerei“ (1955), H. Lustig und J. Pfanzagl „Industrielle Qualitätskontrolle“ (1957) und H. Lustig, J. Pfanzagl und L. Schmetterer „Moderne Kontrolle“ (1958). Erst ab 1960 wurden die Lücken in der Literatur geschlossen. Inzwischen ist die Flut der Publikationen so groß, dass die Literaturliste hier nicht weiter geführt wird. U. Graf , bis 1945 Professor für Mathematik in Danzig, bot ab 1949 bis zu seinem frühen Tode im Jahr 1954, oft gemeinsam mit H. J. Henning, der als Physiker in der Textilindustrie arbeitete, mehrtägige Seminare zu verschiedenen Teilgebieten der technischen Statistik an, vor allem im Haus der Technik in Essen und in der Technischen Akademie Wuppertal. K. Stange setzte dieses Programm mit Seminaren zu den Themen „Pläne für messende Prüfung in der Qualitätskontrolle“ und „Stichprobenverfahren zur Qualitäts-Überwachung von Massengütern“ fort. Seit 1960 werden Seminare zu Themen der Statistik in Naturwissenschaft und Technik von vielen Institutionen angeboten.
Kapitel 12
Mikrodaten und statistische Auswertungsmethoden Reinhard Hujer
Zusammenfassung Mit der zunehmenden Verfügbarkeit immer größerer Querschnitts- und Längschnittsdatensätze für Personen, Haushalte und Betriebe sowie deren Verknüpfungen hat sich die mikroökonometrische Forschung in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Dies gilt sowohl aus methodischer als auch aus empirischer, anwendungsorientierter Sicht. Mikrodaten und mikroökonometrische Ansätze dienen dazu, aktuelle, politikrelevante Fragen aufzugreifen, sie zu analysieren und fundierte politische Empfehlungen zu geben, beispielsweise im Rahmen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, der Finanzanalyse und der Marketingforschung. Die Deutsche Statistische Gesellschaft (DStatG) und deren Mitglieder haben sich in den Ausschüssen und in Hauptversammlungen kontinuierlich mit den Weiterentwicklungen der mikroökonometrischen Methodik und den empirischen Anwendungen befasst. Zahlreiche Publikationen von Mitgliedern der DStatG haben entscheidend zum kritischen Diskurs und zum wissenschaftlichen Fortschritt in diesem Bereich beigetragen.
12.1 Ziele und Bedeutung mikroökonometrischer Analysen Während sich die Makroökonometrie mit aggregierten Größen, wie Bruttoinlandsprodukt, Investitionen, Konsum, Beschäftigung, Preisen, usw. auf volkswirtschaftlicher oder regionaler Ebene befasst, steht in der mikroökonometrischen Analyse die Mikro-Einheit, Person, Haushalt oder Betrieb, im Zentrum des Interesses. Empirische Mikro-Studien setzen komplexe Querschnitts- und Längschnittsdaten-Sätze voraus und erfordern auch neue, spezifische methodische Ansätze, die unter dem Begriff „Mikroökonometrie“ zusammengefasst werden. Die Mikroökonometrie in Deutschland ist insbesondere durch grundlegende methodische Arbeiten in den USA geprägt, so beispielsweise durch Manski u. McFadden 1981 sowie Amemiya R. Hujer (B) Richard-Wagner-Weg 47, 64287 Darmstadt, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_12,
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1985. Den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielten McFadden und Heckman im Jahre 2000 für ihre innovativen Beiträge zur mikroökonometrischen Forschung. Die Deutsche Statistische Gesellschaft widmet sich diesen Fragen, mit aktuell zunehmender Intensität seit Beginn der achtziger Jahre. Besonders die Ausschüsse „Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie“ und „Neuere Statistische Methoden“ haben sich immer wieder mit den methodischen und inhaltlichen Problemen der Mikroökonometrie befasst. 1991 ist das erste deutschsprachige Lehrbuch zur Mikroökonometrie von Ronning erschienen. Datenanalysen und methodische Ansätze in Panel-Studien werden in einem Sammelband von Hujer et al. 1997 vorgestellt und schließlich neuere methodische Ansätze der Mikroökonometrie in Hübler u. Frohn 2006 behandelt. Die Anwendungen mikroökonometrischer Analysen sind sehr vielfältig; sowohl volks- als auch betriebswirtschaftliche Fragen lassen sich damit behandeln. Im Rahmen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik werden beispielsweise folgende Probleme untersucht: • Welches sind die wichtigsten Determinanten einer Arbeitsangebotsentscheidung, z.B. Wahl zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung? • Welche Effekte haben spezielle Maßnahmen, beispielsweise Trainingsmaßnahmen oder Eingliederungszuschüsse auf die Übergangschancen in reguläre, ungeförderte Beschäftigung? • Welche Wirkungen sind von gesetzlichen Änderungen bei der Anwendung von Förderinstrumenten auf die Beschäftigung, beispielsweise im Rahmen der HartzReformen zu erwarten? • Welche Effekte haben staatliche Förderprogramme, z.B. Forschungsförderung, auf die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen von Betrieben? In den Bereichen Marketing und Finanz-Analyse sind u. a. folgende Fragen relevant: • Durch welche Einflussfaktoren werden Kaufentscheidungen zwischen verschiedenen Produkten beeinflusst und welche Zielgruppen ergeben sich daraus? • Welche spezifischen Kauf-Muster zeigen sich beim Kauf eines Produktes im Hinblick auf Kauf-Häufigkeit und die zeitliche Abfolge? • Ist der zeitliche Prozess der Handelsdauern von Aktien an der Börse durch bestimmte Regime gekennzeichnet?
12.2 Daten Die zur Beantwortung dieser Fragen notwendigen Informationen über Personen, Haushalte, Betriebe und dazugehörige Ereignisse haben in den letzten drei Jahrzehnten stetig zugenommen, da sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass
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bei der Umsetzung politischer Maßnahmen der Mikroebene eine zentrale Bedeutung zukommt, z.B. bei der Ausgestaltung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen oder bei einer Zielgruppenanalyse im Marketing. Empirische Studien im Marketing verwenden zumeist Konsumentenpanels, z. B. das Nielsen-Panel, in der Finanzanalyse stehen Börsen-Daten, z.B. der New York Stock Exchange zur Verfügung. Zur empirischen Analyse von arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Fragestellungen sind inzwischen in Deutschland eine Reihe von Mikrodatensätzen verfügbar, die sich durch ein breites Spektrum an Merkmalen, große Fallzahlen und einen hohen Detaillierungsgrad auszeichnen (siehe dazu auch Kap. 14). Zunächst ist das Sozioökonomische Panel (SOEP) für West-Deutsche und Ausländer (seit 1984) und Ostdeutsche (seit 1990) zu nennen. Die Stichprobe umfasste im Erhebungsjahr 2007 etwa 12 000 Haushalte mit mehr als 20 000 Befragungspersonen und über 6 000 Kindern, die in den Haushalten leben. Themenschwerpunkte sind Haushaltszusammensetzung, Erwerbs- und Familienbiographie, Erwerbsbeteiligung und berufliche Mobilität, Einkommensverläufe, Gesundheit und Lebenszufriedenheit (Wagner et al. 2007). Zur Untersuchung der Mikroebene der Betriebe stehen die Daten des Betriebspanels des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zur Verfügung. Dies ist eine repräsentative Arbeitgeber-Befragung bei ca. 16 000 Betrieben zu betrieblichen Bestimmungsgrößen der Beschäftigung; sie wird seit 1993 in Westdeutschland und seit 1996 auch in Ostdeutschland jährlich bei den denselben Betrieben durchgeführt. Dabei werden Informationen über Beschäftigung und Beschäftigungserwartungen sowie über Umsatz, Investitionen, Löhne, Innovationen, Arbeitszeit, Ausund Weiterbildung, und weitere betriebliche Merkmale erhoben (Bellmann 2002). Die Daten des Betriebspanels werden mit Personendaten aus der BeschäftigtenLeistungsempfänger-Historik zum Linked Employer-Employee-Datensatz des IAB (LIAB) verknüpft. Derzeit sind unterschiedliche Versionen des LIAB verfügbar. Das Längschnittsmodell Version 3 umfasst den Zeitraum 1996 bis 2005 für Betriebe, 1993 bis 2006 für Personen. Die Fallzahl für Betriebe beträgt ungefähr je 2100 in West- und Ostdeutschland mit ca. 1,9 Mio. Beschäftigten. Eine zentrale Daten-Grundlage für mikroökonometrische, arbeitsmarktpolitische Evaluationsstudien sind die Integrierten Erwerbsbiographien (IEB) als Verknüpfung vier verschiedener Datenquellen, und zwar • der Beschäftigten-Statistik mit Informationen zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, • der Leistungsempfänger-Historik mit Daten zu Unterstützungsleistungen, • der Maßnahme-Teilnehmer-Datei mit Episoden zu Maßnahmeteilnahmen und • Informationen über Arbeitssuchende. Aus der IEB wird zu empirischen Analysen eine 2,2%ige Zufallsstichprobe gezogen (IEBS) und damit werden 1,487 Mio. Personen berücksichtigt. Europaweit stehen für vergleichende Studien insbesondere das Haushaltspanel der Europäischen Gemeinschaft (ECHP) und die Statistik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) zur Verfügung. Das ECHP
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ist eine Panelerhebung, in der Haushalte und Personen jährlich zu ihren Lebensbedingungen gefragt werden. Es sind die Daten von acht Wellen im Zeitraum 1994 bis 2001 verfügbar. In der EU-SILC werden seit 2004 Querschnitts- und Längschnitts-Mikrodaten über Einkommen, Armut, soziale Ausgrenzung und Lebensbedingungen in 13 EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen und Island erhoben.
12.3 Methoden Die verfügbaren Mikrodaten dienen als Grundlage für die mikroökonometrische Modellierung. Dabei kann zwischen Querschnitts- oder Längschnitts-(Panel-)Analysen unterschieden werden. Während bei Querschnittsanalysen die Variation über die Personen, Haushalte oder Betriebe zu einem fixen Zeitpunkt erfolgt, ist bei Panel-Analysen sowohl die Variation über die Mikroeinheiten als auch über die Zeit zur modellieren (Wooldridge 2002, Greene 2008). Im Rahmen der mikroökonometrischen Querschnittsanalysen wird die Methoden- Auswahl vom Skalenniveau der abhängigen Variablen bestimmt. Soll beispielsweise die Abhängigkeit zwischen Einkommen und Bildung modelliert werden, d.h. die abhängige Variable (Einkommen) ist eine kontinuierliche Variable, so genügt das Standard-Regressions-Modell. Ist die abhängige Variable jedoch binomial mit den Ausprägungen 0 oder 1, d.h. soll eine Kaufentscheidung für ein bestimmtes Produkt analysiert werden, so sind binomiale Logit- oder Probit-Modelle zu verwenden. Dabei wird für das Logit- Modell eine logistische Verteilung, für das Probit-Modell eine Normalverteilung unterstellt. Besitzt die abhängige Variable ein ordinales Skalenniveau, d.h. wird beispielsweise nach der Risiko-Aversion eines Finanz-Investors auf einer Likert-Skala zwischen 1 und 5 gefragt, so eignen sich zur empirischen Analyse Ordered Logit- oder Probit-Modelle. Bei der Analyse von Kaufentscheidungen zwischen verschiedenen Produkten A, B, C oder D werden multinominale Logit- oder Probit-Modelle eingesetzt. Bei einer Kaufentscheidung ist es jedoch wichtig, nicht nur die qualitative Entscheidung Kauf oder Nicht-Kauf, sondern auch die Wahl der Kaufmenge, also die quantitative Entscheidung zu modellieren. Die abhängige Variable ist dann zensiert, und es bieten sich Tobit-Modelle an. Auch Modelle mit Zähldaten sind ein wichtiger mikroökonometrischer Ansatz. So werden Poisson- und Negative Binomial-Modelle verwendet, um beispielsweise die Determinanten der Anzahl von betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten zu analysieren. Paneldaten sind erforderlich, um Verweildauer-Modelle anzuwenden. Auf dieser Grundlage wird analysiert, welche Bestimmungsgründe über die individuelle Arbeitslosigkeitsdauer entscheiden, wobei die Arbeitslosigkeits-Episoden als abhängige Variable dienen. Als methodischer Ansatz wird das Proportional Hazard-Modell gewählt. Schließlich können auf der Grundlage von Paneldaten in Abhängigkeit von dem Skalenniveau der abhängigen Variablen lineare oder nichtlineare Panelmodelle geschätzt werden. Alle Modell-Variablen variieren dabei über die Individuen i=1,. . .,N, und über die Zeit t=1,. . .,T. Berücksichtigt man die unbeobachtete
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Mikrodaten und statistische Auswertungsmethoden
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Heterogenität über die Individuen, so ist ein individualspezifischer Term im Modellansatz zu berücksichtigen und zu schätzen. Wird dieser Term als unbekannter, zu schätzender Parameter behandelt, so wird der „Fixed Effects“-Ansatz verwendet. Wird dagegen für den individualspezifischen Term eine Verteilung unterstellt, so wird zur Schätzung der „Random-Effects“-Ansatz herangezogen (Baltagi 2008).
12.4 Empirie: Anwendung in der arbeitsmarktpolitischen Evaluationsforschung Ein höchst aktueller Anwendungsbereich mikroökonometrischer Methoden ist die arbeitsmarktpolitische Evaluationsforschung, die das Ziel verfolgt, die kausalen Effekte von Maßnahmen zu ermitteln und deren Effektivität in Hinblick auf bestimmte politische Zielsetzungen, beispielsweise Eingliederung in reguläre Beschäftigung, zu bewerten. Bei Verwendung experimenteller Daten, die eine Zufallsauswahl von Maßnahme-Teilnehmern bzw. Nichtteilnehmern enthalten, gibt ein Vergleich zwischen den beiden Gruppen im Hinblick auf ein Ziel, z.B. Beschäftigung, Arbeitslosigkeitsdauer oder Einkommen, den kausalen Effekt an. Bei nicht-experimentellen Daten – dies ist bei arbeitsmarktpolitischen Daten der Regelfall – unterscheiden sich Teilnehmer und Nichtteilnehmer zumeist auch unabhängig von den Programmen. In diesem Fall würde eine Approximation des unbeobachtbaren Ergebnisses der Teilnehmer bei Nichtteilnahme durch das Ergebnis der Nichtteilnehmergruppe zu einem verzerrten Effekt-Schätzer führen (Heckman u.Vytlacil 2007). Um dies zu vermeiden, können verschiedene mikroökonometrische Ansätze wie etwa die Matching-Methode verwendet werden. Die grundlegende Idee besteht darin, für alle Teilnehmer aus einer genügend großen Kontrollgruppe diejenigen zu finden, die den Teilnehmern in allen relevanten Charakteristika möglichst ähnlich sind („statistischer Zwilling“). Gesamtwirtschaftliche Wirkungen, wie Substitutionsoder Mitnahme-Effekte, werden in diesem Ansatz nicht berücksichtigt. Der Erfolg von Matching-Verfahren und deren empirische Aussagekraft hängt vor allem von zwei Faktoren ab. Zum einen muss ein informativer Datensatz mit einem breiten Merkmalsspektrum vorliegen. Zum anderen muss es aber auch Kontrollindividuen mit ähnlichen Charakteristika wie denen der Teilnehmer geben, damit Teilnehmer und Nichtteilnehmer einen gemeinsamen Stützbereich („common support“) haben. Die Implementierung von Matching-Verfahren unter Berücksichtigung aller Kovariaten gestaltet sich in der Praxis schwierig, wenn der Merkmalsvektor viele Variablen enthält. Bereits bei n dichotomen Kovariaten ergeben sich 2n mögliche Match-Kombinationen. Zur Lösung des Dimensionsproblems werden in empirischen Studien deshalb nicht die einzelnen Kovariaten, sondern die Teilnahmewahrscheinlichkeit P(X) an den Programmen („Balancing Score“) verwendet. Ein methodischer Ansatz ist die Berechnung des „propensity score“ mit Hilfe bivariaten oder multivariaten Probit- oder Logit-Schätzungen. In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl von empirischen EvaluationsStudien insbesondere in der empirischen Arbeitsmarktforschung vorgelegt, die eine
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R. Hujer
hohe Relevanz für die praktische Politik erlangt haben. Die Wirkung der verschiedenen Arbeitsmarktprogramme, wie Training und Weiterbildung im Gültigkeitsbereich des Sozialgesetzbuchs III (ab 1. Januar 1998) mit Programmbeginn 2000 bis 2002 werden von Wunsch u. Lechner (2008) für Westdeutschland ermittelt. Im Hinblick auf das Ziel der Erhöhung der regulären Beschäftigung zeigen sich auch 2,5 Jahre nach Programmbeginn keine positiven Wirkungen. Ein Konzept zur Modellierung dynamischer Teilnahme-Effekte wird von Sianesi 2004 vorgeschlagen. Arbeitsvermittler und Arbeitssuchender entscheiden in einem iterativen Prozess über die optimale zeitliche Strategie zur Beendigung der Arbeitslosigkeit. Dabei werden die möglichen Optionen für den Arbeitssuchenden in Abhängigkeit von seiner Qualifikation und den Vermittlungsbemühungen, aber auch nach den verfügbaren Programmen ausgewählt. Dieser methodische Ansatz wird in der empirischen Studie von Hujer u. Thomsen 2010 verwendet. Sie analysieren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit Programmstart zwischen Juli 2000 und Mai 2001. Bis 30 Monate nach Programmbeginn zeigen sich für Ostdeutschland negative oder insignifikante Effekte, für Westdeutschland bis auf wenige Ausnahmen insignifikante Wirkungen. Zur Analyse der Wirkungen von arbeitsmarktpolitischen Unterstützungsleistungen und deren gesetzlichen Änderungen werden insbesondere Hazard-RatenModelle angewandt. Fitzenberger u. Wilke 2009 analysieren die gesetzlichen Änderungen Mitte der 80er Jahre in Deutschland im Hinblick auf die Effekte für die Arbeitslosigkeitsdauern. Insbesondere für ältere Arbeitnehmer zeigen sich im Hinblick auf den vorzeitigen Renteneintritt deutliche Effekte.
12.5 Fazit Die zunehmende Verfügbarkeit von Mikrodaten auf Personen-, Haushalts- und Betriebsebene, insbesondere auch im administrativen Bereich, und der hohe Detaillierungsgrad der Daten haben es ermöglicht, fundierte empirische Analysen vorzulegen, die zumeist eine hohe Aktualität und Politikrelevanz besitzen. Gleichzeitig sind die mikroökonometrischen Methoden stetig weiterentwickelt worden, insbesondere bei der dynamischen Analyse von Paneldaten. Gerade in diesem Forschungsfeld wird aktuell auch die Verknüpfung zu zeitreihenökonometrischen Ansätzen, die vor allem in der Makroökonometrie Verwendung finden, weiterentwickelt. Diese verstärkte mikroökonometrische anwendungsbezogene Orientierung zeigt sich auch anhand der aktuellen Forschungsschwerpunkte in den meisten deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten.
Literatur Amemiya T (1985) Advanced econometrics. Blackwell, Oxford Baltagi B (2008) Econometric analysis of panel data, 4th ed. Wiley & Sons, New York, NY Bellmann L (2002) Das IAB-Betriebspanel: Konzeption und Anwendungsbereiche. Allg Stat Archiv 86 (2):177–188
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Mikrodaten und statistische Auswertungsmethoden
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Fitzenberger B, Wilke R (2009) Unemployment duration in West Germany before and after the reform of the unemployment compensation during the 1980s. German Economic Review 11(3): 336–366 Greene W (2008) Econometric analysis, 6th ed. Prentice Hall, London Heckman J, Vytlacil E (2007) Econometric evaluation of social programs, Part I. In: Heckman J, Leamer E (eds) Handb Econom 6B:4479–4874 Hübler O, Frohn J (2006) Modern econometric analysis. Springer, Berlin, Heidelberg Hujer R, Thomsen S (2010) How do the employment effects of job creation schemes differ with respect to the foregoing unemployment duration? Labour Econ 17:38–51 Hujer R, Rendtel U, Wagner G (1997) Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Panel-Studien. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Manski CF, McFadden D (1981) Structural analysis of discrete data with econometric applications. MIT Press, Cambridge Ronning G (1991) Mikroökonometrie. Springer, Berlin, Heidelberg Sianesi B (2004) An evaluation of the Swedish system of active labour market programs in the 1990s. Rev Econ Stat 86(1):133–155 Wagner G, Frick J, Schupp J (2007) The German Socio-Economic Panel Study (SOEP): Scope, evaluation and enhancements. Schmollers Jahrb 127(1):139–170 Wooldridge JM (2002) Econometric analysis of cross section and panel data. MIT Press, Cambridge Wunsch C, Lechner M (2008) What did all the money do? On the general ineffectiveness of recent West German labour market programmes. Kyklos 61:134–174
Kapitel 13
Ökonometrie Joachim Frohn
Zusammenfassung Die Ökonometrie, als eine Wissenschaft auf der Schnittstelle zwischen Mathematik, Statistik und den Wirtschaftswissenschaften, ist auch in der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) zu einer tragenden Säule geworden. Das vorliegende Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die Entwicklung der wichtigsten Gebiete der Ökonometrie und die Arbeit im „Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie“.
13.1 Was ist Ökonometrie? Eine allgemein gültige Festlegung des Begriffs „Ökonometrie“ fällt nicht leicht; die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte darunter subsumierten, sehr unterschiedlichen Arbeiten füllen ein weites Spektrum aus. In Anlehnung an Überlegungen von P.A. Samuelson, T.C. Koopmans, J.R.N. Stone (1954) kann man vielleicht folgende Definition versuchen: Ökonometrie ist die quantitative Analyse ökonomischer Phänomene unter Verwendung ökonomischer Theorien, empirischen Beobachtungsmaterials und der Methoden des statistischen Schlusses.
Grundsätzlich kann man die Ökonometrie damit als eine selbständig gewordene Tochter der Statistik ansehen (etwa so wie auch die Biometrie und Psychometrie): Ohne die statistischen Grundkonzepte für Schätzen und Testen ist ökonometrische Arbeitsweise nicht denkbar. Aber bald – spätestens mit den eindrucksvollen Arbeiten der Cowles-Commission seit Ende der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts – haben sich spezifisch ökonometrische Schwerpunkte herausgebildet, die sich aus dem Anwendungsgebiet „Ökonomie“ ergaben. J. Frohn (B) Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Universität Bielefeld, Postfach 100131, 33501 Bielefeld, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_13,
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J. Frohn
Traditionell legt man den „Geburtstag“ der so definierten Ökonometrie in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts: Am 30. Dezember 1930 wurde die Econometric Society gegründet und zwei Jahre später die Herausgabe eines eigenen Journals, der „Econometrica“, beschlossen. Die wegweisenden Arbeiten von J. Tinbergen mit der Aufstellung der ersten makroökonometrischen Modelle (1936 für die Niederlande, 1939 für die Vereinigten Staaten von Amerika) markieren zwei weitere wichtige Daten in diesem Zusammenhang.
13.2 Ökonometrie in Deutschland In Deutschland hat die Ökonometrie erst sehr spät ihren Platz in Lehre und Forschung gefunden. Das hängt natürlich mit der weitgehenden wissenschaftlichen Abschottung im Nationalsozialismus zusammen. Die wissenschaftliche Befassung mit den ökonometrischen Konzepten und Methoden und ihren Anwendungen begann hier etwa Mitte der fünfziger Jahre. Erste ökonometrische Vorlesungen an Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten fanden Anfang/Mitte der sechziger Jahre statt, die ersten umfassenden deutschsprachigen Lehrbücher (G. Menges 1961, P. Schönfeld 1969, 1971, H. Schneeweiss 1971) erschienen etwa zur gleichen Zeit – zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Ökonometrie in den angelsächsischen Ländern schon längst als etablierte Wissenschaftsdisziplin anzusehen war. Der erste nur auf Ökonometrie ausgerichtete Lehrstuhl wurde an der 1962 gegründeten Universität Regensburg eingerichtet und mit Peter Schönfeld besetzt. Es dauerte dann noch bis 1974, bis auf der Statistischen Woche in Dortmund der „Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie“ der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) aus der Taufe gehoben wurde; zwei Jahre später folgte der Ökonometrie-Ausschuss des Vereins für Socialpolitik. Vorher waren die wenigen deutschen Wissenschaftler, die sich der Ökonometrie verschrieben hatten, Mitglieder im Ausschuss für Neue Statistische Methoden der DStatG und im Theorie–Ausschuss des Vereins für Socialpolitik und waren dort auch mit ökonometrischen Referaten hervorgetreten (so hat z. B. W. Krelle mehrfach in der DStatG über die Arbeiten am Bonner Modell berichtet). Von Anbeginn hat sich der Ausschuss gleichermaßen an der Statistischen Woche wie an der Pfingsttagung beteiligt. Die dort vorgetragenen Arbeiten wurden oft im Allgemeinen Statistischen Archiv bzw. seinen beiden Nachfolgern Advances in Statistical Analysis und Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv veröffentlicht; in vielen Bänden beträgt der Anteil der dem Arbeitsbereich des Ausschusses zuzurechnenden Arbeiten deutlich mehr als fünfzig Prozent. In unregelmäßigen Abständen wurden ferner Sonderhefte des Allgemeinen Statistischen Archivs zu ökonometrischen Schwerpunkthemen herausgegeben, später eigenständige Veröffentlichungen (zuletzt O. Hübler, J. Frohn (Hrsg) (2006) „Modern Econometric Analysis – Surveys on Recent Developments“). Die Gründungsgeschichte des Ökonometrie-Ausschusses der DStatG ist in Kap. 4 schon ausführlich beschreiben worden. Hier sei nur noch einmal kurz auf
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Ökonometrie
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die etwas komplizierte Bezeichnung dieses Ausschusses eingegangen. Sie hat mit dem damaligen (Anfang der siebziger Jahre) vorherrschenden Grundverständnis von Statistik in der DStatG zu tun: Abgesehen vom Methoden-Ausschuss wurde dort statistische Methodik primär unter Anwendungsgesichtspunkten gesehen. Diese Schwerpunktsetzung sollte auch für den neuen Ökonometrie-Ausschuss festgeschrieben werden (daher die Festlegung auf die beiden Adjektive „empirisch“ und „angewandt“). Diese generelle Anwendungsorientierung begann sich erst unter dem Einfluss des Vorsitzes (1972 bis 1976) von Wolfgang Wetzel zu ändern. Auch den Gründungsmitgliedern des Ökonometrie-Ausschusses war klar, dass der neue Ausschuss ohne eine intensive Theorie- und Methoden-Befassung nicht überlebensfähig sein konnte. Und so haben sich von Anfang an und bis auf den heutigen Tag theoretische und angewandte Aspekte in der wissenschaftlichen Arbeit die Waage gehalten. Als kurze Zeit später der Ökonometrie-Ausschuss im Verein für Socialpolitik gegründet wurde und sich natürlich weitgehend aus dem gleichen Personenkreis zusammensetzte, bemühte sich der Autor als damaliger Vorsitzender des DStatGAusschusses darum, von Zeit zu Zeit gemeinsame Aktivitäten und Sitzungen der beiden Ausschüsse zu vereinbaren. Dies war nicht von Erfolg gekrönt – vor allem, weil die Strukturen der beiden Gesellschaften sehr unterschiedlich waren (in den Ausschüssen der DStatG gab es keine Eintrittsbeschränkungen, die Mitgliedschaft in Ausschüssen des Vereins setzte – abgesehen von der grundsätzlich verlangten Habilitation – ein Aufnahmeverfahren mit akzeptiertem Einführungsvortrag voraus). Auf lange Sicht war aber die Parallelität der Ausschussarbeit in der DStatG und im Verein für Socialpolitik von Vorteil: So gibt es nun seit mehr als dreißig Jahren zwei unterschiedlich strukturierte sehr erfolgreiche Diskussionsforen für die Ökonometrie.
13.3 Arbeitsgebiete Die Arbeit im Ausschuss umfasst ein weites Spektrum und hat sich entlang den international verfolgten Linien orientiert: Da waren zunächst die großen und sehr großen makroökonometrischen Modelle. Diskutiert wurden vor allem methodische Probleme der Parameterschätzung, aber auch die Modell-Spezifikation und die Anwendung in der Wirtschaftspolitik. Das erste vom Ausschuss betreute Sonderheft des Allgemeinen Statistischen Archivs (1978) befasste sich folgerichtig mit „Makroökonometrischen Modellen für die Bundesrepublik Deutschland“. Die vor allem auf Grund der mangelnden Zuverlässigkeit dieser Modelle aufkommende Kritik (Instabilität der Parameter, Lucas-Kritik an der Eignung der Modelle für wirtschaftspolitische Anwendungen, mangelnde Berücksichtigung der Erwartungsbildung) wurde natürlich auch im Ausschuss rezipiert: Ende der siebziger Jahre setzte sich – angestoßen durch den berühmten Aufsatz von Sims (1980) mit der Propagierung der Vektor-autoregressiven Modelle – die Zeitreihen-Analyse, die lange Zeit als „Konkurrent“ der strukturellen Ökonometrie der „Modellbauer“ angesehen worden war, endgültig als wichtiges Analyse- und Prognose-Instrument für ökonometrische Fragestellungen durch.
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J. Frohn
Ab Mitte der achtziger Jahre trat – vor dem Hintergrund der Arbeiten von Engle / Granger (1987) und Johansen (1988) – die Kointegrationsanalyse zur Analyse nicht-stationärer ökonomischer Variablen ihren Siegeszug an. Etwa gleichzeitig verlagerte sich das Interesse vieler Ökonometriker von der Makro-Ökonomie hin zur Mikro-Ökonomie. Hier wurde ein weitgehend neuer Methoden-Apparat geschaffen, der dank der immer größer werdenden Leistungsfähigkeit der Rechner erfolgreich auch auf die umfänglichen Daten-Mengen sozio-ökonomischer Panels angewendet werden konnte. In den letzten Jahren rückte auch die ökonometrische Analyse von Finanzmarkt-Daten in den Vordergrund. Aber auch Fragestellungen, die eher der empirischen Wirtschaftsforschung als der Ökonometrie zuzurechnen sind, wurden im Ausschuss über die Jahre hinweg immer wieder behandelt – z. B. aus dem Bereich Input-Output-Analyse (1982 Thema einer großen Tagung in Dortmund mit W. Leontief), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Indizes, Messung von Arbeitslosigkeit, Erfassung des technischen Fortschritts.
13.4 Fazit Durch die im ökonometrischen Ausschuss geleistete Verbindung von Theorie und Anwendung ist die Ökonometrie zu einer tragenden Säule der DStatG geworden: Die Sitzungen des Ausschusses für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie wie auch die ökonometrisch ausgerichteten Hauptversammlungen auf der Statistischen Woche sind wichtige Diskussionsforen für Vertreter der unterschiedlichsten Arbeitsgebiete der DStatG.
Literatur Engle RF, Granger WJ (1987) Cointegration and Error Correction: Representation, Estimation and Testing. Econometrica 55:251 Frohn J (Hrsg) (1972) Makroökonometrische Modelle für die Bundesrepublik Deutschland, Göttingen Hansen G (2001) Zur Entwicklung der Ökonometrie in den letzten fünfzig Jahren. Festveranstaltung zur Erinnerung an Erich Schneider, Kiel. S. 15 ff Hübler O, Frohn J (Hrsg) (2006) Modern econometric analysis – Surveys on recent developments. Springer, Berlin Johansen S (1988) Statistical analysis of cointegration vectors. J Econ Dyn Control 12:231 Menges G (1961) Ökonometrie. Gabler, Wiesbaden Samuelson PA, Koopmans TC, Stone R (1954) Report of the Evaluative Committee for Econometrica. Econometrica 22:141 Schneeweiss H (1971) Ökonometrie. Physica, Würzburg Schönfeld P (1969) Methoden der Ökonometrie, Band I. Vahlen, Berlin Schönfeld P (1971) Methoden der Ökonometrie, Band II. Vahlen, Berlin Schönfeld P (1980) Ökonometrie. In: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), Tübingen, S. 633 ff Schönfeld P (2002) 25 Jahre ökonometrischer Ausschuss – 25 Jahre Ökonometrie. Universität Bonn, Bonn
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Ökonometrie
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Sims C (1980) Macroeconomics and Reality. Econometrica 48:1 Tinbergen J (1939) Statistical testing of Business Cycle Theories. I: A Method and its Application to Investment Activity. II: Business Cycles in the United States of America, 1919–1932, League of Nations, Geneva
Kapitel 14
Zeitreihenanalyse Philipp Sibbertsen
Zusammenfassung Die Analyse und Prognose zeitlich sortierter Daten hat naturgemäß auch in der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) eine lange Tradition. Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich insbesondere der Ausschuss für Neuere Statistische Methoden und der Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie dieser Thematik angenommen. Auch verschiedene Jahrestagungen der DStatG haben sich zeitreihenanalytischen Problemen zugewandt. Das vorliegende Kapitel stellt diese Probleme und die Beiträge von DStatG-Mitgliedern zu deren Lösungen überblicksartig dar.
14.1 Zeitreihenanalyse – was ist das? Die Zeitreihenanalyse beschäftigt sich mit der Beschreibung zeitlich geordneter Daten. Es ist offensichtlich, dass solche Datenstrukturen in allen möglichen Bereichen auftreten. Klassische Beispiele sind Arbeitslosenzahlen, Inflationsraten, Aktienkurse, Klimadaten oder der Datenverkehr in einem Computernetz. Es ist intuitiv, dass diese verschiedenen Daten sehr unterschiedliche statistische Eigenschaften aufweisen. So können die Daten beispielsweise eine saisonale Struktur enthalten oder sie können einen Trend aufweisen. Dennoch haben alle diese Daten über ihre zeitliche Struktur hinaus eine Gemeinsamkeit, die im Rahmen der Zeitreihenanalyse ausgenutzt wird. Zeitlich geordnete Daten weisen in der Regel eine Abhängigkeitsstruktur auf. Der DAX-Kurs von heute wird in irgendeinem Zusammenhang mit dem DAX-Kurs von gestern stehen. Gleiches gilt für Temperaturdaten oder Niederschläge. Daraus ergeben sich einige typische Fragestellungen, die durch Methoden der Zeitreihenanalyse beantwortet werden sollen:
P. Sibbertsen (B) Institut für Statistik, Wirtschaftswiss. Fakultät, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_14,
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P. Sibbertsen
• Wie können die vorliegenden Daten statistisch beschrieben werden? Welche Strukturen wie saisonale Schwankungen oder langfristige Trends liegen in den Daten vor? • Sind diese Strukturen über den Zeitablauf hinweg konstant oder verändern sie sich zu bestimmten Zeitpunkten? • Bleiben die grundlegenden statistischen Eigenschaften über den Zeitablauf konstant oder sind auch diese zeitvariabel? Man spricht hier von Stationarität. • Wie können die Abhängigkeitsstrukturen in den Daten beschrieben werden? • Können die zeitlichen Strukturen der Daten für Prognosen verwendet werden?
Die grundlegende Idee der Zeitreihenanalyse ist es daher, eine möglichst gute statistische Beschreibung der Zeitstrukturen der Daten zu finden, um hieraus Rückschlüsse auf das zukünftige Verhalten der Zeitreihe zu gewinnen. Der Erfolg dieser Vorgehensweise ist dabei sehr stark vom Anwendungsproblem abhängig. Kann man beispielsweise die Inflation sehr gut prognostizieren, so ist das bei Aktienrenditen etwa nicht der Fall, ganz im Sinne der ökonomischen Theorie. Dennoch können Zeitreihenmodelle für Aktienkurse wichtige Informationen für Finanzdienstleister liefern, hierauf wird später eingegangen. Aus statistischer Sicht stellt sich in der Zeitreihenanalyse eine ganz besondere Herausforderung. Das übliche Vorgehen statistischer Analyse ist, dass man ein Zufallsexperiment betrachtet und so oft wie möglich wiederholt. Durch das häufige Wiederholen des Experiments versucht man dann statistische Regelmäßigkeiten zu erkennen. Dies ist in der Zeitreihenanalyse nicht möglich. Geht man auch hier davon aus, dass die Beobachtungen zu jedem Zeitpunkt aus einem Zufallsexperiment gezogen wurden, woher auch immer diese Zufälligkeit kommen mag, so ist eine Wiederholung des Experiments ausgeschlossen. Das Zufallsexperiment „Bestimmung der Tageshöchsttemperatur an einer bestimmten Stelle in Deutschland am 1. Januar 2010“ kann man nicht wiederholen. Die Temperatur wurde gemessen, man kann die Zeit natürlich nicht zurückdrehen und noch eine weitere komplett neue Messung vornehmen. Daher stellt man die Forderung, dass sich die grundlegenden statistischen Eigenschaften einer Zeitreihe im Zeitablauf nicht verändern dürfen. Diese starke Forderung führt in vielen Fällen zu durchaus sinnvollen Ergebnissen. Gerade neuere Entwicklungen zeigen aber, dass viele wichtige Zeitreihen diese Eigenschaft nicht erfüllen. Aktienkurse sind ein Beispiel hierfür.
14.2 Entwicklungen in der Zeitreihenanalyse Entsprechend der sich stets neu ergebenden Anwendungsbereiche und damit verbunden auch neuen Datenstrukturen hat die Zeitreihenanalyse eine lange und vielfältige Entwicklung hinter sich, deren Ende nicht absehbar ist. Historisch am Beginn der Entwicklung stand sicherlich die Beschreibung der gewonnenen
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Zeitreihenanalyse
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Beobachtungen und das Erkennen von Strukturen hierin. Dabei stand die Erkennung von zwei wichtigen Strukturarten im Vordergrund. Einerseits ging es darum, eine eventuell vorhandene zyklische Struktur, die durch saisonale Schwankungen hervorgerufen werden kann, zu erkennen. Andererseits sollte das langfristige Verhalten der Zeitreihe, also eventuelle Zeittrends, aufgedeckt werden. Dabei entsteht das Problem, dass sich beide Effekte gegeneinander aufheben können. Ein typisches Beispiel für diese Problematik ist die immer wiederkehrende Diskussion, ob ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf einen Saisoneffekt oder auf eine langfristige Entwicklung zurückzuführen ist. Solche saisonalen Effekte sind nicht nur in Arbeitslosenzahlen vorhanden, sondern intuitiv auch in Temperaturdaten, aber auch in Inflationsdaten, wo man sie vielleicht auf den ersten Blick nicht unbedingt erwarten würde. Wie man am Beispiel der Arbeitslosenzahlen gut erkennt, kann es zu erheblichen Fehlinterpretationen führen, wenn man saisonale Einflüsse nicht vorab aus den Beobachtungen herausrechnet. Daher ist die Entwicklung so genannter Saisonbereinigungsverfahren ein wichtiges Problem in der Zeitreihenanalyse gewesen, bei dem auch deutsche Statistiker wegweisende Beiträge geliefert haben. Beispielhaft sei hier das „Berliner Verfahren“ genannt. Dieses Verfahren wurde in den 1960er Jahren gemeinschaftlich an der Technischen Universität Berlin und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin entwickelt (siehe Nullau u. Heiler 1969). Die Saisonbereinigung des Berliner Verfahrens beruht dabei auf einer anderen Darstellungsform von Zeitreihen, der so genannten Spektraldarstellung. Bei dieser hier nicht näher diskutierten Darstellungsform von Zeitreihen steht die Darstellung des Schwingungsverhaltens von Zeitreihen im Vordergrund. Das Berliner Verfahren hat die großen Vorteile, dass es sehr einfach zu handhaben ist, seine Ergebnisse benutzerunabhängig und ökonomisch plausibel interpretierbar sind. Abwandlungen hiervon werden immer noch in der amtlichen Statistik zur Saisonbereinigung verwendet (siehe Speth 2004). Alternativ zu diesem Saisonbereinigungsverfahren wird häufig das Verfahren X12-ARIMA verwendet. Dieses Verfahren wird hauptsächlich vom amerikanischen statistischen Amt benutzt und basiert auf einer klassischen Saisonbereinigung mittels der im folgenden Absatz näher beschriebenen gleitenden Durchschnitte. Dieses Verfahren ist allerdings schwieriger durchzuführen und häufig nicht so intuitiv interpretierbar wie das Berliner Verfahren. Das Statistische Bundesamt empfiehlt beide Methoden, da das X12-ARIMA Verfahren Schwächen des Berliner Verfahrens, die insbesondere bei nachträglichen Revisionen der Zeitreihenwerte auftreten können, ausgleichen kann. Abbildung 14.1 zeigt die Anzahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland von Januar 2002 bis April 2010 (monatliche Daten, Quelle: Statistisches Bundesamt). Die durchgezogene Kurve zeigt die Absolutzahl der Arbeitslosen an. Klar erkennbar sind die saisonalen Schwankungen mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Wintermonaten und einer Verringerung in den Sommermonaten. Bereinigt man diese Absolutzahlen mit dem Berliner Verfahren um diese Saisoneffekte, so erhält man die gestrichelte Kurve. Diese ist nun wesentlich glatter und macht die saisonalen Schwankungen nicht mehr mit.
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P. Sibbertsen Registierte Arbeitslose
3000
3500
4000
4500
5000
Originalwert Saisonbereinigter Wert
2002
2004
2006 Zeit
2008
2010
Abb. 14.1 Registrierte Arbeitslose 2002–2010
Zur Approximation der langfristigen Entwicklung sind zwei Situationen vorstellbar. Einerseits, dass sich das Trendverhalten der Zeitreihe im Zeitablauf nicht ändert und der Trend auch noch eine relativ einfache lineare Struktur aufweist. In diesem Fall kann man den Trend global für die gesamte Zeitreihe schätzen. Dieses Vorgehen erscheint zwar im ersten Moment als vielleicht nicht sonderlich realistisch, hat aber entscheidende Vorteile bei der Prognose des Trends. Viele Zeitreihen weisen zumindest annäherungsweise auch ein derartiges Trendverhalten auf. Oft ist der Trend aber nicht über den gesamten Zeitablauf gleich und schon gar nicht linear. In diesem Fall muss der Trend lokal approximiert werden, was eine Prognose erschwert. Diese lokale Approximation erfolgt mittels so genannter gleitender Durchschnitte. Bei einem gleitenden Durchschnitt betrachtet man einen Ausschnitt aus den Beobachtungen und berechnet als Wert für den Trend den Mittelwert aus den Beobachtungen innerhalb dieses Ausschnitts. Nun lässt man diesen Ausschnitt schrittweise über die Zeitreihe gleiten, ohne seine Größe zu verändern. Hierdurch erhält man eine Approximation für das Trendverhalten der Reihe. Gleitende Durchschnitte sind insbesondere bei unterjährigen Beobachtungsstrukturen wie Quartalsdaten geeignet. Da sie stets den mittleren Punkt innerhalb eines Fensters approximieren, liefern sie keine Werte für die Randbereiche des Beobachtungszeitraums. Eine Prognose des Trends mittels gleitender Durchschnitte ist daher nur schwierig möglich. Hier sind in den letzten Jahren mit Methoden aus der nichtparametrischen Statistik erhebliche Fortschritte erzielt worden. Diese beruhen insbesondere auf der Idee, dass man innerhalb des ausgewählten Ausschnitts nicht mehr nur einen Punkt über ein gleitendes Mittel approximiert, sondern für den gesamten Ausschnitt ein Polynom
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Zeitreihenanalyse
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anpasst. Man spricht von lokalen Polynomen. Hierdurch erhält man auch Werte für die Randbereiche und somit verbesserte Prognosen. In dieser nicht modellgestützten Zeitreihenanalyse ermöglicht die Idee des exponentiellen Glättens eine allgemeine Prognose der Zeitreihenwerte. Dem exponentiellen Glätten liegt dabei die Annahme zu Grunde, dass die letzten Werte einen stärkeren Einfluss auf die nächsten zu prognostizierenden Werte haben als weiter in der Vergangenheit liegende Werte. Man gewichtet daher den Einfluss der Beobachtungen auf die Prognose mit einem exponentiell abfallenden Gewichtungsschema. Die genaue Wahl dieses Gewichtungsschemas wird dabei von einem Parameter bestimmt, der insbesondere von der Variabilität der Zeitreihe beeinflusst wird. Ist die Variabilität der Zeitreihe eher klein, schwankt die Zeitreihe also nur wenig, so ist der Einfluss vergangener Werte auf zukünftige eher groß, die Gewichtung wird also nur langsam kleiner und abfallend. Beobachtet man hingegen starke Schwankungen, so beeinflussen insbesondere die letzten beobachteten Werte die Prognose und somit wählt man ein schnell abfallendes Gewichtungsschema. Die Bestimmung dieses Gewichtungsschemas zeigt das Hauptproblem des exponentiellen Glättens auf. Die richtige Wahl der Gewichtung ist entscheidend für die Qualität der Prognose. Es ist allerdings schwierig, eine objektive, sprich datengetriebene Wahl des Gewichtungsschemas zu finden. Dies erschwert die Anwendung dieses ansonsten sehr intuitiven Verfahrens, das auch sehr leicht auf Modelle mit Saison- und Trendkomponente erweitert werden kann. Man spricht dann vom Holt-Winters Verfahren. Die moderne Zeitreihenanalyse geht über diese intuitive Prognose erheblich hinaus. Der modernen Zeitreihenanalyse liegt die Idee zu Grunde, dass bei einer bloßen Prognose des Trendverhaltens der Zeitreihe Informationen, die in der Abhängigkeitsstruktur der Beobachtungen stecken, nicht ausgenutzt werden. Die statistische Beschreibung dieser Abhängigkeitsstrukturen ist das Ziel der modernen Zeitreihenanalyse. Dabei geht man zunächst einmal davon aus, dass sich die statistischen Eigenschaften der Zeitreihe nicht im Zeitablauf verändern. Dies bedeutet, dass Trend- und Saisoneffekte zunächst aus der Zeitreihe herausgerechnet werden müssen. Übrig bleiben alleine zufällige Einflüsse, die man mittels eines geeigneten Zeitreihenmodells modellieren kann. Wegweisend hier ist die Monographie von Box und Jenkins (1970), die eine Philosophie zur Spezifikation von Zeitreihenmodellen vorschlägt. Bei den einzelnen Modellen steht der Grundgedanke, dass der heute beobachtete Wert in irgendeinem Zusammenhang zu den in der Vergangenheit liegenden Werten steht. Dieser Zusammenhang wird durch Zeitreihenmodelle konkretisiert. Zur Vermeidung numerischer Probleme und um ein möglichst einfaches Modell zu erhalten, wird versucht, eine möglichst gute Approximation dieses Zusammenhangs zu finden und nicht den exakten Zusammenhang zu beschreiben, was wahrscheinlich ohnehin nicht möglich wäre. Dieses Vorgehen geht von drei grundsätzlichen Annahmen aus: zum einen bleibt der statistische Zusammenhang im Zeitablauf gleich, zum zweiten geht die heutige Beobachtung linear aus den vergangenen Beobachtungen hervor und zum dritten reicht die Abhängigkeitsstruktur nicht weit in die Vergangenheit zurück, sondern klingt schnell ab. In den letzten dreißig Jahren hat sich herausgestellt, dass diese Grundannahmen in vielen Anwendungen unzutreffend sind. Eine Weiterentwicklung der
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P. Sibbertsen
Zeitreihenanalyse über dieses ursprüngliche Korsett hinaus hat sie sicherlich zu einer ihrer größten Blüten geführt. Die Annahme, dass der statistische Zusammenhang der Beobachtungen im Zeitablauf unverändert bleibt, kann in mehrfacher Hinsicht verletzt werden. Diese Annahmeverletzung kann sich auf eine nicht zufällige Komponente wie den Mittelwert beziehen. In diesem Fall spricht man von Strukturbrüchen. Die Identifikation von Strukturbrüchen ist für die Interpretation und Prognose von entscheidender Bedeutung. Die Erkennung von Strukturbrüchen steht dabei vor dem großen Problem, dass in der Regel der genaue Zeitpunkt der Strukturveränderung nicht bekannt ist. Dies gilt auch für den Fall, dass der Zeitpunkt eines bedeutenden externen Ereignisses, das die Ursache der Strukturveränderung ist, bekannt ist. Beispielhaft sei hier die deutsche Wiedervereinigung genannt. Viele Ereignisse werden häufig bereits vorher antizipiert und somit sind ihre Auswirkungen schon vor dem eigentlichen Ereignis in den Daten erkennbar. Zu dem Problem der Strukturbrucherkennung hat auch die deutsche Statistik wegweisend beigetragen. Exemplarisch sei hier die Arbeit von Krämer et al. (1988) genannt. Neben derartigen abrupten, selten auftretenden Strukturveränderungen kann es auch vorkommen, dass die Annahme eines zeitinvarianten statistischen Zusammenhangs schlicht falsch ist. Man spricht in diesem Fall von Instationarität. Ein typisches Beispiel einer instationären Zeitreihe ist ein Aktienkurs. Dieser scheint sich absolut zufällig zu verhalten auch in dem Sinne, dass er nicht um einen konstanten Mittelwert schwankt und auch mal größere und mal kleinere Ausschläge hat. Trotzdem lassen sich aber auch in vielen instationären Zeitreihen Strukturen erkennen. Unterschiedliche Aktienkurse haben häufig einen sehr ähnlichen Verlauf. Diese Verläufe sind häufig sogar so ähnlich, dass eine geeignete Linearkombination der Zeitreihen wieder zeitinvariante statistische Strukturen hat. Dieses von Clive Granger (1981) entdeckte Phänomen nennt man Kointegration. Unter anderem für die Entdeckung der Kointegration erhielt Granger 2003 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Auf Grund der großen Bedeutung der Kointegration für die Interpretation ökonomischer Zusammenhänge hat sich die Zeitreihenanalyse in den vergangenen Jahren mit Verfahren zur Aufdeckung von Kointegrationsbeziehungen beschäftigt. Hier waren auch wieder deutsche Statistiker wegweisend beteiligt (siehe u. a. Lüdtkepohl 2007). Beispielhaft erkennt man das Phänomen der Kointegration in der folgenden Grafik. In der oberen Grafik sind die Tageskurse des Deutschen Aktienindex DAX (unten) und des Dow Jones Index (oben) vom 28. 5. 2008 bis zum 28. 5. 2010 abgetragen (Abb. 14.2; Quelle: Datastream). Man kann erkennen, dass sich beide Kurse sehr ähnlich verhalten, obwohl sie instationär sind. Die untere Grafik enthält eine Linearkombination dieser Reihen. Man sieht, dass diese Reihe gleichmäßig um die Null als Gleichgewicht herum schwankt, ihre statistischen Eigenschaften sich im Zeitablauf also nicht ändern. Sie ist somit stationär. Obwohl man also zwei Reihen hat, deren statistischen Eigenschaften sich im Zeitverlauf verändern, verhalten sie sich derartig ähnlich, dass ihre Differenz im Zeitablauf gleich bleibende statistische Eigenschaften aufweist.
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Zeitreihenanalyse
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0
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600 4000 6000 8000 1000012000
DAX 30 and Dow Jones Industrial Cointegration residuals
Abb. 14.2 Kointegrationsbeziehung zwischen DAX und Dow Jones
Die zweite wichtige Annahme in der Zeitreihenanalyse, neben der Stationarität, ist die Linearität. Dabei versteht man unter Linearität im Kontext der Zeitreihenanalyse, dass sich die aktuelle Beobachtung der Zeitreihe als eine gewichtete Mittelung der vergangenen Werte der Zeitreihe und vergangener zufälliger Schocks ergibt. Diese Annahme erlaubt insbesondere eine einfache und anschauliche Interpretation der verwendeten Zeitreihenmodelle und stellt häufig auch eine sehr gute Approximation an die Realität dar. Allerdings ist auch diese Annahme in wichtigen Anwendungsfeldern entscheidend verletzt. Schaut man sich beispielhaft die Wachstumsraten von Aktienkursen, also die Renditen, an, so stellt man fest, dass es Zeiten mit stark schwankenden Renditen und Zeiten mit weniger stark schwankenden Renditen gibt. Man spricht von Volatilitätsclustern. Diese Volatilitätscluster sind gut an der Renditereihe des Deutschen Aktienindex DAX vom 25. 11. 1990 bis 11. 5. 2010 zu erkennen (Abb. 14.3; Quelle: Datastream). So gibt es beispielsweise in den Zeiträumen von 2003–2004 und 2007–2008 sehr große Ausschläge bei den Renditen und somit Phasen sehr hoher Volatilitäten, während die Renditen im Zeitraum dazwischen nur sehr wenig geschwankt haben und die Reihe eher ein ruhigeres Verhalten gezeigt hat. Die Volatilitäten, die bedingten Varianzen, müssen daher zeitabhängig modelliert werden. Dies führt zu der Klasse der ARCH-Modelle, die Robert Engle (1982)
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DAX 30 Renditen (25.11.1990−11.05.2010)
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Abb. 14.3 DAX-Renditen von 1990–2010
vorgeschlagen hat. Hierfür erhielt er 2003 gemeinsam mit Clive Granger den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. ARCH-Modelle sind nicht linear und beschäftigen die Zeitreihenanalyse seit nunmehr über 20 Jahren. Aber auch andere Anwendungsbereiche führen zu nichtlinearen Datenstrukturen wie die Modellierung von Konjunkturzyklen oder die Modellierung realer Wechselkurse, die zu der Klasse der Markov-Switching Modelle (Hamilton 1989) beziehungsweise der STARModelle (Teräsvirta 1994) geführt haben. Diese Zeitreihenmodelle sind inzwischen gängiges Handwerkszeug für jeden Ökonomen. Die dritte Annahme, dass die Abhängigkeitsstrukturen nicht weit in die Vergangenheit reichen, hat sich insbesondere bei meteorologischen Zeitreihen als unzutreffend erwiesen. Dieses als langes Gedächtnis bezeichnete Phänomen, dass weit entfernt liegende Datenpunkte sich noch stark beeinflussen, wurde erstmals von Hurst (1951) anhand der Abflüsse des Nils entdeckt. Auch Temperaturdaten und Niederschlagsdaten weisen ein derartiges langes Gedächtnis auf. Interessanterweise ist dieses Phänomen über einen speziellen Anwendungsbereich hinaus verbreitet. So findet man langfristige Abhängigkeitsstrukturen auch beim Datenverkehr in Computernetzwerken und in vielen volkswirtschaftlichen Zeitreihen wie Inflationsreihen. Granger und Joyeux (1980) haben als erste ein zeitreihenanalytisches Modell zur Beschreibung dieser langfristigen Abhängigkeiten angegeben. Neben seinen zuvor erwähnten Arbeiten zur Kointegration war dies die zweite Begründung für die Verleihung des Nobelpreises. In diesem Bereich war die deutsche Statistik ebenfalls sehr erfolgreich. Beran (1994) hat in einem für die Forschung
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in diesem Bereich wegweisenden Buch die bis dahin erzielten Resultate zusammengefasst. Die Erkenntnis, dass das Phänomen des langen Gedächtnisses auch in volkswirtschaftlichen Reihen zu finden ist, ist Hassler und Wolters (1995) zu verdanken. Als Ausblick auf die weitere Entwicklung der Zeitreihenanalyse seien zwei Felder exemplarisch genannt. Die Erforschung nichtlinearer Zeitreihenmodelle steht sicherlich derzeit noch am Anfang und erfährt aktuell große Aufmerksamkeit. Das Problem besteht hier darin, dass zeitreihenanalytische Verfahren für nichtlineare Zeitreihen derzeit im Wesentlichen auf einer Linearisierung der Modelle basieren, was zu erheblichen Problemen führt. Die Entwicklung einer fruchtbaren nichtlinearen Theorie steckt noch in den Kinderschuhen, wird aber derzeit von zahlreichen Forschern verfolgt. Zudem ist auch eine Verknüpfung von mikroökonometrischen Methoden mit der Zeitreihenanalyse eine aktuell stark verfolgte Stoßrichtung in der Zeitreihenforschung. Hier geht es um eine Kombination von Panelmodellen mit der Betrachtung instationärer Zeitreihen. Auch hier liefert die deutsche Statistik wegweisende Beiträge, siehe etwa Breitung und Das (2008).
14.3 Die Zeitreihenanalyse in der Deutschen Statistischen Gesellschaft Angesichts der Breite der Problemfelder und Anwendungsbereiche hat die Zeitreihenanalyse naturgemäß seit jeher auch in der DStatG einen breiten Raum eingenommen. Das gilt sowohl für angewandte Arbeiten wie auch für eine statistischmethodische Ausrichtung. Die DStatG hat stets beiden Forschungsausrichtungen Rechnung getragen und so zu einem intensiven Dialog und Austausch der beiden Ansätze beigetragen. Dies war für den Bereich der Zeitreihenanalyse von besonderer Bedeutung, da rein theoretisch-methodische Modelle ohne Anwendungsbezug in der Luft hängen und andererseits die Komplexität der Anwendungsfelder immer neuere fortgeschrittenere Methoden benötigt. Die anwendungsorientierten Arbeiten wurden dabei hauptsächlich im Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie diskutiert, während die methodisch orientierten Arbeiten Eingang in den vormaligen Ausschuss für Neuere Statistische Methoden, jetzt Ausschuss für Statistische Theorie und Methodik, gefunden haben. Dieser Ausschuss wurde auch mehrfach von Zeitreihenanalytikern geleitet. Hier seien beispielhaft Uwe Hassler und der derzeitige Ausschussvorsitzende Philipp Sibbertsen genannt. Dies unterstreicht die Bedeutung der Zeitreihenanalyse für den Ausschuss und die DStatG. Neben der Ausschussarbeit wurden und werden verstärkt Sektionen zu zeitreihenanalytischen Themen auf der Statistischen Woche und auf der Tagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Statistik abgehalten. So widmete sich die Jahrestagung der DStatG 1990 in Stuttgart schwerpunktmäßig dem Thema Zeitreihenanalyse. Auf dieser Tagung wurde die Zeitreihenanalyse in ihrer ganzen breite diskutiert. So kamen die klassischen Methoden wie die Komponentenzerlegung von Zeitreihen genauso zur Sprache wie moderne Ansätze
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mittels Zustandsraummodellen und multivariate Erweiterungen der Zeitreihenanalyse. Einen guten Überblick über die Themen liefert das erste Heft der Allgemeinen Statistischen Archivs (AStA), der Zeitschrift der DStatG, aus dem Jahr 1991, in dem die wichtigsten Beiträge dieser Tagung abgedruckt sind. Einen besonderen Schub erlebte die Zeitreihenanalyse auch in der DStatG durch ihre Anwendungen im Bereich der Finanzstatistik. Hier wurde und wird eine besonders fruchtbare Kombination aus anwendungs- und methodisch orientierter Forschung erreicht. Auch das AStA hat sich über den oben erwähnten Band hinaus intensiv der Zeitreihenanalyse gewidmet. In den 1970er Jahren sind gleich zwei Sonderhefte zu dieser Thematik erschienen. Im ersten Band aus dem Jahr 1970, dem ersten Sonderband der Zeitschrift überhaupt, ging es unter dem Titel „Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Zeitreihenanalyse“ insbesondere um das oben bereits beschriebene Berliner Verfahren. Auch das zweite Sonderheft zur Zeitreihenanalyse aus dem Jahr 1976 mit dem Titel „Beiträge zur Zeitreihenanalyse“ widmet sich noch dem Berliner Verfahren, greift aber auch die von Box und Jenkins vorgeschlagene Vorgehensweise zur modellgestützten Zeitreihenanalyse auf und liefert Beiträge hierzu. Die thematische Ausrichtung der Sektionen im Bereich der Zeitreihenanalyse orientierte sich dabei stets an der internationalen Diskussion in diesem Bereich. Dass diese Strategie erfolgreich war, belegen die zahlreichen im vorigen Abschnitt erwähnten international beachteten Beiträge deutscher Statistiker zur Zeitreihenanalyse. Es lässt sich festhalten, dass die DStatG in der Zeitreihenanalyse traditionell gut aufgestellt war und auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Weiterentwicklung dieses Gebiets spielen wird.
Literatur Beran J (1994) Statistics for long memory processes. Chapman and Hall, New York, NY Box GEP, Jenkins GM (1970) Time series analysis, forecasting and control. Holden-Day, San Francisco Breitung J, Das S (2008) Testing for unit roots in panels with a factor structure. Econom Theory 24:88–108 Engle RF (1982) Autoregressive conditional heteroscedasticity with estimates of the variance of United Kingdom inflation. Econometrica 50:987–1007 Granger C (1981) Some properties of time series data and their use in econometric model specification. J Econom 16:121–130 Granger C, Joyeux R (1980) An introduction to long-range time series models and fractional differencing. J Time Ser Anal 1:15–30 Hamilton JD (1989) A new approach to the economic analysis of nonstationary time-series and the business cycle. Econometrica 57:357–384 Hassler U, Wolters J (1995) Long memory in inflation rates: international evidence. J Bus Econ Stat 13:37–45 Hurst HE (1951) Long-term storage capacity of reservoirs. Trans Am Soc Civ Eng 116:770–799 Krämer W, Ploberger W, Alt R (1988) Testing for structural change in dynamic models. Econometrica 56:1355–1369 Lütkepohl H (2007) New introduction to multiple time series analysis. Springer, Berlin Nullau B, Heiler S (1969) Das „Berliner Verfahren“ – ein Beitrag zur Zeitreihenanalyse. DIWBeiträge zur Strukturforschung, Heft 7
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Zeitreihenanalyse
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Speth HT (2004) Komponentenzerlegung und Saisonbereinigung ökonomischer Zeitreihen mit dem Verfahren BV4.1. Methodenbericht des Statistischen Bundesamts, Heft 3, Berlin Teräsvirta T (1994) Specification, Estimation and Evaluation of Smooth Transition Autoregressive Models. J Am Stat Assoc 89:208–218
Kapitel 15
Preisstatistik Hans Wolfgang Brachinger
Zusammenfassung Preis und Preisveränderungen sind schon immer ein wichtiger Gegenstand von praktischer und theoretischer Statistik gewesen, neben der Bevölkerungsstatistik vielleicht sogar der älteste und wichtigste. Seit jeher haben sich auch deutsche Statistiker, speziell Mitglieder der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG), diesem Thema zugewandt. Methodisches Kernstück der Preisstatistik sind die Preisindizes. Das vorliegende Kapitel gibt einen Überblick über die historische Entwicklung dieser Methodik von den Anfängen bis in die neueste Zeit und stellt ausgewählte Beiträge der DStatG und ihrer Mitglieder heraus.
15.1 Die Klassik statistischer Preisindizes Er ist der wohl berühmteste deutsche Statistiker, und er wird es noch lange bleiben: Ernst Louis Étienne Laspeyres, geboren am 28. November 1834 in Halle an der Saale, gestorben am 4. August 1913 in Gießen, wo er 26 Jahre lang einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft innehatte und auf dem Alten Friedhof begraben liegt. Er hat also die Gründung der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) nur um zwei Jahre überlebt, aber dennoch deren Arbeit, speziell die Bemühungen der DStatG um die korrekte Messung von Preisen und Preisveränderungen, geprägt. Laspeyres hat 1871 eine Preisindexformel vorgeschlagen, die zu den berühmtesten Preisindizes gehört und noch heute weltweit in der einen oder anderen Form angewendet wird. Beim Laspeyresschen Preisindex wird der fiktive Wert eines Warenkorbs einer Basisperiode zu den Preisen einer Vergleichsperiode ins Verhältnis gesetzt zum tatsächlichen Wert dieses Warenkorbs in der Basisperiode (Laspeyres 1871). Dieser Index gibt also an, wie viel ein bestimmter Warenkorb der Basisperiode zu den Preisen der Berichtsperiode kostet und zwar relativ zum Wert dieses Warenkorbs in der Basisperiode. Er ermöglicht einen reinen Preisvergleich H.W. Brachinger (B) Department of Quantitative Economics, University of Fribourg Switzerland, Boulevard de Perolles 90, 1700 Fribourg, Schweiz e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_15,
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zwischen zwei Perioden, bei dem der Einfluss der Mengenstruktur auf das Preisniveau konstant gehalten wird. Durch den Laspeyresschen Ansatz wurde die bis dahin übliche Messung von Preisveränderungen durch Quotienten von ungewichteten Preisen oder ungewichteten Preisverhältnissen überwunden. Der älteste dieser sogenannten Elementarindizes stammt von Dutot (1738). Bei diesem Index wird die Preisveränderung von einer Basis- zu einer Berichtsperiode durch den Quotienten der Durchschnittspreise gemessen. Ein weiterer Ansatz stammt von Carli (1764). Er hat vorgeschlagen, die Preisveränderung von einer Basis- zu einer Berichtsperiode durch das arithmetische Mittel der Preismesszahlen, also der Quotienten aller Preise zu erfassen. Ein dritter Vorschlag schließlich stammt von Jevons (1865). Er empfahl, die Preisveränderung von einer Basis- zu einer Berichtsperiode durch das geometrische Mittel der Preismesszahlen zu erfassen. Diese Indizes spielen noch heute eine wichtige Rolle bei der sogenannten Basisaggregation eines Preisindexes, bei der Preisveränderungen zu quantifizieren sind, ohne dass Mengenangaben vorliegen (vgl. Abschn. 15.6 und 15.7). Laspeyres’ Ansatz wurde von seinem deutschen Zeitgenossen Hermann Paasche kritisiert, weil das Schema, mit dem die Preise der beiden zu vergleichenden Perioden gewichtet werden, zum Vergleichszeitpunkt mehr oder weniger veraltet ist. Paasche (1874) hat deshalb vorgeschlagen, beim Vergleich der gewichteten Durchschnittspreise statt der Mengen der Basisperiode jene der Berichtsperiode zu nehmen. Beim Paascheschen Preisindex wird der tatsächliche Wert eines Warenkorbs in der Berichtsperiode ins Verhältnis gesetzt zum fiktiven Wert dieses Warenkorbs zu den Preisen der Basisperiode. Dieser Index gibt also an, wie viel ein bestimmter Warenkorb der Vergleichsperiode zu den Preisen der Vergleichsperiode kostet und zwar relativ zum Wert dieses Warenkorbs in der Basisperiode.
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15.2 Die Moderne statistischer Preisindizes Die Moderne der Preisstatistik wurde vor allem durch das bahnbrechende Werk von Fisher (1922) eingeläutet. Er hat als erster energisch darauf hingewiesen, dass es problematisch sei, zur Gewichtung von Preisen die Verbrauchsmengen einer bestimmten Periode heranzuziehen. Schon Marshall (1887) und Edgeworth (1888) hatten vorgeschlagen, zur Gewichtung der Preise „mittlere“ Verbrauchsmengen zu verwenden, nämlich das arithmetische Mittel der Verbrauchsmengen aus Basis- und Berichtsperiode. Walsh hat 1921 vorgeschlagen, zur Gewichtung statt des arithmetischen das geometrische Mittel zu verwenden. Der Walshsche Preisindex ist entsprechend definiert als Quotient des mit dem geometrischen Mittel der Verbrauchsmengen gewichteten Durchschnittspreises der Berichtsperiode und des ebenso gewichteten Durchschnittspreises der Basisperiode. Fisher (1922) hatte eine einfachere Idee: Er betrachtete die Preisindizes von Laspeyres und von Paasche als Wachstumsfaktoren des Preisniveaus zwischen Basisund Berichtsperiode. „Ideal“ sei es, zur Messung der Preisveränderung zwischen einer Basis- und einer Berichtsperiode den mittleren Wachstumsfaktor zu nehmen. Dementsprechend ist der Fishersche Preisindex definiert als das geometrische Mittel von Laspeyres- und Paasche-Index. Zwei weitere Ansätze schlagen in der Tradition des Ansatzes von Jevons vor, zur Messung der Preisveränderung zwischen einer Basis- und einer Berichtsperiode ein mit „mittleren“ Verbrauchsmengen gewichtetes geometrisches Mittel der Preismesszahlen zu verwenden. Beim geometrischen Preisindex dient zur Gewichtung der Preismesszahlen eine beliebige Funktion der Ausgabenanteile in Basis- und Berichtsperiode. Törnquist (1936) schlug vor, zur Gewichtung der Preismesszahl eines Gutes gerade das arithmetische Mittel der Ausgabenanteile dieses Gutes in Basisund Berichtsperiode zu verwenden. In dieser Zeit wurde eine Vielzahl von Indexformeln entwickelt. Fishers Monographie listet insgesamt 134 Indexformeln auf. Welcher Indexformel sollte man nun den Vorzug geben? Auf welcher Grundlage sollten Preisindizes beurteilt werden? Zur Klärung dieser Frage schlug Fisher (1922) vor, Preisindizes auf der Grundlage bestimmter „Tests“ zu beurteilen. Damit legte er den Grundstein für den modernen sogenannten axiomatischen Ansatz der Preisstatistik. Gegen diesen Ansatz argumentierte Paul Flaskämper, später Ehrenmitglied der DStatG, in seinem Buch „Theorie der Indexzahlen“ (Flaskämper 1928). Er betonte, dass nicht formale Kriterien, sondern die Logik des statistischen Vergleichs als Beurteilungsmaßstab von Indizes dienen sollten.
15.3 Der axiomatische Ansatz Beim axiomatischen Ansatz der Preisstatistik wird ausgehend von bestimmten Axiomen, in denen wünschenswerte Eigenschaften von Preisindizes formuliert werden, nach all jenen Preisindexkonzepten gesucht, die diese Axiome erfüllen. Ein Preisindex ist in diesem Sinn umso besser, je mehr Axiome er erfüllt.
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Eine erste Eigenschaft, die ein statistisches Preisindexkonzept erfüllen sollte, ist das Identitätsaxiom. Dieses Axiom besagt, dass ein Preisindex bei identischen Verbrauchsmengen den Wert eins annehmen sollte, falls die Preise zwischen Basisund Berichtsperiode unverändert bleiben. Eine zweite sinnvolle Forderung stellt das Homogenitätsaxiom dar. Dieses Axiom besagt, dass für den Fall, dass alle Preise der Basisperiode um einen gemeinsamen positiven Faktor steigen, auch der Preisindex um genau diesen Faktor steigen sollte. Eine dritte Eigenschaft, die ein statistisches Preisindexkonzept erfüllen sollte, ist das Axiom der Preisdimensionalität, das besagt, dass der Wert eines Preisindexes unabhängig von der gewählten Währungseinheit sein sollte. Viele Indexaxiome stellen wie diese selbstverständliche und vollständig plausible Forderungen dar. Die beiden Tests, die Fisher für die wichtigsten hielt, sind der Zeitumkehrtest („time reversal test“) und der Faktorumkehrtest („factor reversal test“). Den Zeitumkehrtest besteht ein Preisindex dann, wenn der Wert des Preisindexes bei Vertauschung von Basis- und Berichtsperiode reziprok ist zum ursprünglichen Wert des Preisindexes. Der Faktorumkehrtest betrifft das Verhältnis des Wertes eines Warenkorbs in der Berichtsperiode zu seinem Wert in der Basisperiode, den so genannten Wertindex. Den Faktorumkehrtest besteht ein Preisindex dann, wenn der Wertindex gleich ist dem Produkt des Preisindexes mit dem zugehörigen Mengenindex, der aus dem Preisindex durch Vertauschen von Preisen und Mengen hervorgeht. Eine weitere wichtige Eigenschaft, die ein Preisindex erfüllen sollte, ist die Verkettbarkeit („circular test“). Dieses Axiom geht über den bloßen Vergleich zweier Perioden hinaus: Das Produkt aus dem Wert des Preisindexes für den Vergleich der Basisperiode mit einer Zwischenperiode und dem Wert des Preisindexes für den Vergleich der Zwischenperiode mit der Berichtsperiode sollte gleich dem Wert des Preisindexes sein, der sich beim direkten Vergleich zwischen Basis- und Berichtsperiode ergibt. Einen Überblick über weitere Indexaxiome findet man bei Diewert (1987) oder Balk (1995). Der Laspeyressche Preisindex erfüllt ebenso wie der Paasche-Index eine Reihe von Axiomen, etwa das oben genannte Identitätsaxiom und das Homogenitätsaxiom. Beide Indizes besitzen aber im Lichte des axiomatischen Ansatzes schwerwiegende Mängel. Sie bestehen weder den Zeitumkehrtest noch den Faktorumkehrtest. Beide erfüllen auch nicht das Axiom der Verkettbarkeit. Dieser Mangel ist für die Praxis Laspeyresscher Preisindizes nicht unerheblich. Nach einer Neubasierung ist die aktuelle Indexreihe mit der alten zu verketten. Die dabei übliche Vorgehensweise ist streng genommen nur dann korrekt, wenn die Indexformel tatsächlich verkettbar ist. Überlegen ist im Lichte des axiomatischen Ansatzes der Fishersche Preisindex. Dieser Index besteht den Zeitumkehrtest und als einziger der oben definierten bekannten Preisindizes auch den Faktorumkehrtest. Aber auch er erfüllt nicht die Verkettbarkeitsforderung. Auf der Jahreshauptversammlung 1979 der DStatG in Hannover waren diese Fragen Gegenstand der Verhandlungen im Ausschuss „Neuere Statistische Methoden“. Die wichtigsten deutschen Repräsentanten des axiomatischen Ansatzes, Wolfgang Eichhorn und seine „Karlsruher Schule“, stellten neueste Forschungsergebnisse vor. Die Monographie von Eichhorn und Völler (1976) hatte da schon erhebliche internationale Beachtung gefunden.
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Dennoch war und ist der axiomatische Ansatz innerhalb der DStatG umstritten. Die deutsche Preisstatistik war traditionell von der Leitidee eines durchgängigen Parallelismus von Sach- und Zahlenlogik geprägt, wie sie von den Gründervätern der Frankfurter Schule der Wirtschaft- und Sozialstatistik, Franz Žižek, Paul Flaskämper und Adolf Blind sowie ihren Schülern und Nachfolgern Heinrich Hartwig, Heinz Grohmann und Werner Neubauer vertreten wurde. Gemäß dieser Leitidee hat sich die jeweils anzuwendende formale Methodik (Zahlenlogik) stets zu orientieren an der jeweiligen sozialökonomischen Fragestellung (Sachlogik). Für Neubauer ist die Theorie der Indexzahlen „der exemplarische Fall des Widerstreits von zwei grundlegenden Leitideen der statistischen Methodenlehre“. Der „Leitidee, dass statistische Maßzahlen in allererster Linie von ihrem sachlogischen Aussagegehalt her entwickelt werden müssen“ stehe die Leitidee gegenüber, dass „statistische Maßzahlen mathematische Konstruktionen sind, deren methodische Dignität äquivalent ist mit ihrer formal-mathematischen Dignität“ (Neubauer 1995a, S. 7). Dieser Widerstreit markiert zum Teil immer noch einen gewissen Graben zwischen den Indexexperten innerhalb der DStatG.
15.4 Der mikroökonomische Ansatz Eine weitere wichtige Etappe der Preisstatistik wurde durch einen berühmten Aufsatz von Ragnar Frisch, dem späteren ersten Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften, eingeläutet. In einem Aufsatz, der 1936 in der Zeitschrift Econometrica erschien, unterschied Frisch zwischen dem axiomatischen Ansatz, den er „atomistisch“ nannte, und dem „funktionalen“ Ansatz. Anders als beim axiomatischen Ansatz, bei dem Preise und Mengen der einzelnen Güter als unabhängige Variable betrachtet werden, wird beim funktionalen Ansatz angenommen, dass zwischen Preisen und Mengen charakteristische Beziehungen bestehen. Frisch (1936, S. 3) betonte, dass dieser Ansatz anders als der axiomatische eine logisch begründete und eindeutige Indexdefinition ermöglicht, nämlich den so genannten Lebenshaltungskostenindex („Cost-of-living Index“, COLI). Die Idee des Lebenshaltungskostenindex geht zurück auf Alexander Konüs, der diesen Index bereits 1924 in einem in Russisch erschienenen Aufsatz entwickelt hatte (Konüs 1939). Grundlage ist das haushaltsökonomische Standardmodell, das einen Zusammenhang herstellt zwischen der Versorgung mit Gütern und dem Nutzen, den ein Konsument daraus zieht, einerseits und den Kosten dieser Güter andererseits. Auf der Grundlage dieses Modells werden die Kosten für eine nutzenkonstante Lebenshaltung zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander verglichen. Der Lebenshaltungskostenindex gibt an, wie hoch die Mindestkosten für einen bestimmten Lebensstandard bei den Preisverhältnissen der Berichtsperiode sind relativ zu den Mindestkosten dieses Lebensstandards bei den Preisverhältnissen der Basisperiode. Der Lebensstandard, auf den sich dieser Index bezieht, ist durch die Mengen der konsumierten Waren und Dienstleistungen bestimmt. Der Lebenshaltungskostenindex hängt somit von den konsumierten Mengen ab. Wählt man gerade die kostenminimalen Mengen der Basisperiode, so ergibt sich der
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sogenannte Laspeyres-Konüs Lebenshaltungskostenindex, wählt man die kostenminimalen Mengen der Berichtsperiode, so ergibt sich der Paasche-Konüs Lebenshaltungskostenindex. Frisch (1936) hat gezeigt, dass der Lebenshaltungskostenindex vom Referenznutzen unabhängig ist, falls die Nutzenfunktion homothetisch ist, also eine bestimmte naheliegende Struktur besitzt. In diesem Fall liegt der Wert des Lebenshaltungskostenindex zwischen dem Wert des Laspeyresschen Preisindex und dem des Paascheschen Preisindex. Der klassische Laspeyres-Index stellt also im neoklassischen Fall eine obere Schranke für den Lebenshaltungskostenindex dar und der Paaschesche eine untere. Der Lebenshaltungskostenindex erfüllt eine Reihe von Indexaxiomen, etwa das Homogenitätsaxiom und damit insbesondere das Identitätsaxiom. Er erfüllt ferner das Axiom der Preisdimensionalität, ist also unabhängig von der gewählten Währungseinheit. Er besteht überdies den Zeitumkehrtest. Schließlich ist er monoton wachsend: Unterscheiden sich zwei Berichtsperioden dadurch, dass die Preise aller Güter in der einen größer sind als die Preise in der anderen, so weist der Lebenshaltungskostenindex für den Vergleich der ersten Berichtsperiode mit der Basisperiode einen Wert auf, der größer ist als der Wert für den Vergleich der zweiten Berichtsperiode mit der Basisperiode. Eine vollständige axiomatische Charakterisierung des Lebenshaltungskostenindexes ist allerdings noch nicht entwickelt worden. Insofern kennzeichnen die oben dargestellten Eigenschaften den Lebenshaltungskostenindex nur unvollständig.
15.5 Exakte und superlative Preisindizes Das Konzept des Lebenshaltungskostenindex konnte sich in der Praxis lange nicht durchsetzen, weil es nicht operational ist. Die im Sinne des haushaltsökonomischen Standardmodells optimalen Mengen sind empirisch im Allgemeinen nur schwer zu erheben und bei nicht-homothetischen Nutzenfunktionen hängt der COLI vom Referenznutzen ab. Überdies ist davon auszugehen, dass Präferenzstruktur und Substitutionsverhalten von Haushalt zu Haushalt variieren. Preisstatistische Bedeutung erlangte das Konzept des Lebenshaltungskostenindex erst, als Erwin Diewert (1976) in einem Aufsatz im Journal of Econometrics eine Idee von Konüs und Byushgens (1926) aufgriff und das Konzept der Exaktheit eines statistischen Indexes einführte. Dieses Konzept stellt eine Verbindung her zwischen herkömmlichen statistischen Preisindizes und dem Lebenshaltungskostenindex. Ein statistischer Preisindex heißt für eine Nutzenfunktion und die zugehörige Kostenfunktion exakt, falls er für alle in Basis- bzw. Berichtsperiode nutzenmaximierenden Mengen mit dem Lebenshaltungskostenindex übereinstimmt. Man kann zeigen, dass der Laspeyres- und der Paasche-Preisindex jeweils exakt sind für zwei der bekanntesten Typen von Nutzenfunktionen, nämlich für die Leontief-Nutzenfunktion und für die lineare Nutzenfunktion (vgl. Diewert 1981). Dies bedeutet, dass für ein und dieselbe Nutzenfunktion mehrere Preisindexkonzepte exakt sein können und dass ein und dasselbe Indexkonzept für verschiedene
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Nutzenfunktionen exakt sein kann. Konüs und Byushgens (1926) hatten bereits gezeigt, dass der Fishersche Preisindex exakt ist für quadratische Nutzenfunktionen. Andererseits ist er auch für die oben eingeführte lineare Nutzenfunktion exakt. Überdies hatten sie gezeigt, dass der geometrische Index exakt ist für die Cobb-Douglas-Nutzenfunktion (vgl. Diewert 1976, S. 116 f). Das Konzept der Exaktheit eines statistischen Preisindexes ist für die Praxis noch wenig hilfreich. Ein statistischer Preisindex ist exakt immer nur in Bezug auf eine bestimmte Nutzenfunktion. Da die Nutzenfunktion des repräsentativen Haushalts aber in der Praxis unbekannt ist, kann nie behauptet werden, dass ein bestimmter Preisindex exakt ist. Ein Ansatz, der über dieses Problem hinweg hilft, ist das von Diewert (1976) eingeführte Konzept der Superlativität. Diesem Konzept liegt die Idee zugrunde, Funktionen zu betrachten, die flexibel sind in dem Sinne, dass sie für eine weite Funktionenklasse hinreichend gute Approximationen liefern. Ein statistischer Preisindex heißt superlativ, wenn er exakt ist für eine Nutzenfunktion mit einer flexiblen Kostenfunktion. Hat man einen superlativen statistischen Preisindex gefunden, so hofft man auf eine bestimmte Form von Stetigkeit des Preisindexes. Ist er für eine Kostenfunktion exakt, die in der „Nähe” der wahren Kostenfunktion liegt, so wird er für diese annähernd exakt sein. Diewert (1976, S. 133 f.) hat gezeigt, dass der Fishersche Preisindex ein superlativer Preisindex für die quadratische Nutzenfunktion ist. Diewert (1976, S. 121) hat überdies gezeigt, dass der Törnquist Preisindex superlativ ist für Kostenfunktionen vom Trans-LogTyp (vgl. Christensen, Jorgenson und Lau 1971). Aufgrund dieses Ergebnisses spielt der Törnquist Preisindex heute in Fachdiskussionen eine besondere Rolle. Steht bei der Berechnung eines Verbraucherpreisindexes (VPI) die Messung der Veränderung der Lebenshaltungskosten im Vordergrund, so orientiert man sich heute aufgrund dieser Erkenntnisse am theoretischen Konzept des Lebenshaltungskostenindexes. Das Bureau of Labor Statistis (BLS), das den US–amerikanischen Verbraucherpreisindex („consumer price index“, CPI) ermittelt, hat diesen Paradigmenwechsel im Anschluss an den Boskin-Report (vgl. Abschn. 15.8) vollzogen. Der COLI stellt heute das erklärte Ziel dar, das mit der Berechnung des CPI zu approximieren versucht wird. Seit August 2002 berechnet das BLS daher auch einen Törnquist-Index (Bureau of Labor Statistics 2007, S. 2 ff).
15.6 Die harmonisierten europäischen Verbraucherpreisindizes Nach dem zweiten Weltkrieg wurden keine weiteren wesentlichen Indexformeln mehr entwickelt. Bis in die 90er Jahre hinein waren die Preisstatistiker vor allem damit beschäftigt, praktische Probleme zu lösen, die sich aus aktuellen Anforderungen der Wirtschaftsanalyse ergaben. So widmete die DStatG 1970 einen Teil ihrer Jahreshauptversammlung dem Thema „Probleme der Preismessung“ (Deutsche Statistische Gesellschaft 1971). Gerhard Fürst, der damalige Präsident des Statistischen Bundesamtes und Vorsitzende der DStatG rekapitulierte die Ziele der Preisstatistik und widmete sich Problemen der Deflationierung. Das DStatG-Vorstandsmitglied Rolf Krengel präzisierte Anforderungen der Wirtschaftswissenschaften an die
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Preisstatistik und führende Mitarbeiter des Statistischen Bundesamts wie der spätere Leiter der Abteilung Preisstatistik, Siegfried Guckes, diskutierten methodische und praktische Probleme des zeitlichen bzw. des räumlichen Preisvergleichs. Die Situation änderte sich in den 90er Jahren, als mit wachsender wirtschaftlicher und politischer Integration der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) auch die Integration der amtlichen Statistik in der EU immer wichtiger wurde. Das Ziel verstärkter Transparenz bei der Gestaltung der europäischen Politik verlangte international vergleichbare Statistiken. Eine besonders bedeutsame Aufgabe stellte die Entwicklung eines harmonisierten europäischen Verbraucherpreisindexes dar. Nach welcher Formel sollte gerechnet werden? Wie sollte man in einheitlicher Weise Qualitätsänderungen berücksichtigen? Der Widerstreit der preisstatistischen Leitideen prägte auch das Ringen um die richtige europäische Indexformel. Auf deutscher Seite widmeten sich führende Mitglieder der DStatG mit großem Engagement dieser Aufgabe. Im November 1994 veranstaltete die DStatG zusammen mit dem Statistischen Bundesamt unter der Leitung der langjährigen Ausschussvorsitzenden Jürgen Chlumsky und Rolf Wiegert in Wiesbaden ihr drittes wissenschaftliches Kolloquium zum Thema „Indizes – Status quo und europäische Zukunft“ (Statistisches Bundesamt 1995). Neubauer (1995a) und andere machten keinen Hehl daraus, dass sie im Sinne der Leitidee der Sach- und Zahlenlogik für die Beibehaltung des traditionellen Laspeyresschen Indexkonzepts einträten. Demgegenüber vertrat Brachinger (1995) die Auffassung, dass sich „statistische Indexkonzepte an . . . einem ökonomischen Deutungsmuster zu orientieren“ hätten. Er plädierte dafür, das Paradigma des Lebenshaltungskostenindex als Orientierungspunkt für praktische Indexberechnungen heranzuziehen, diese aber stets im Lichte ihrer statistischen Eigenschaften zu sehen. Im Herbst 1995 hatte der Ausschuss über das Statistikprogramm (SPC) bei Eurostat über die europäischen Indexstandards zu entscheiden. Besonders umstritten war, ob man beim herkömmlichen Laspeyresschen Konzept mit fünfjährlichen Basiswechseln bleiben oder zu einem Laspeyresschen Kettenindex übergehen sollte. Bei einem solchen Index werden die zu vergleichenden Perioden nicht direkt, sondern indirekt verglichen, d.h. über miteinander multiplizierte Kettenglieder. Ein Kettenindex hängt also auch von Preisen und Mengen von Perioden ab, die zwischen Basisund Berichtsperiode liegen. Der Vorteil von Kettenindizes wird darin gesehen, dass man damit das Verhalten der Konsumenten bei Preisveränderungen genauer erfassen kann. Zur Beschlussfassung legte Neubauer (1995b) ein Gutachten vor, das im Wesentlichen die traditionelle deutsche Position beschrieb. Ganz im Geiste dieser Tradition plädierte Neubauer für die „sachlogische Interpretation“ des Indexproblems. Er befürwortete, „auf der Ebene des Idealtypus die Leitidee des reinen Preisvergleichs“ beizubehalten und das Laspeyressche Indexkonzept nicht aufzuweichen (Neubauer 1995b, S. 6). Diese Leitidee habe eine besondere Affinität zum wirtschaftspolitischen Ziel der Erhaltung der Preisstabilität. Die deutsche Position konnte sich aber nicht durchsetzen. Im Rahmen der 1993er Revision des Systems of National Accounts (SNA) war nachdrücklich für Kettenindizes plädiert worden und Ende der 90er Jahre waren die USA im Begriff, auch
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in der Preisstatistik zu Kettenindizes überzugehen. Seit 1999 werden dort verkettete Fisher-Indizes zur Deflationierung verwendet. Die Entscheidung für das Konzept von Kettenindizes konnte auch durch die Kritik des DStatG-Statistikers Peter von der Lippe (2001a) nicht abgewendet werden. Seit 1997 berechnet Eurostat, das statistische Amt der EU, monatlich für jedes Mitgliedsland harmonisierte Verbraucherpreisindizes (HVPI). Rechtliche Grundlage dieser Indizes bilden eine Reihe von EU-Verordnungen, deren Ziel es ist, auf Gemeinschaftsebene die Berechnung „vergleichbarer“ Verbraucherpreisindizes sicherzustellen. Die HVPIs werden auf der Grundlage eines Laspeyresschen Kettenindex mit jährlich aktualisierten Gewichten erstellt. Zur Basisaggregation sind nur der Dutot-Index oder der Jevons-Index zugelassen (vgl. Eurostat 2001, S. 189 ff). Die HVPI bilden die Grundlage für den Verbraucherpreisindex der Währungsunion (VPI-EWU), der der Europäischen Zentralbank (EZB) als amtliches Maß für die Inflation in der Eurozone dient.
15.7 Der Boskin Report und seine Folgen Vollends ins Rampenlicht des wissenschaftlichen, aber auch des politischen Interesses trat das Thema der Teuerungsmessung, als am 4. Dezember 1996 der so genannte „Boskin-Report“ (Boskin et al. 1996) publiziert wurde. Zu Beginn dieses Jahres hatte der Finanzausschuss des amerikanischen Senats eine „Advisory Commission To Study The Consumer Price Index“ eingesetzt, die von Michael J Boskin, dem früheren Chief Economic Advisor von Präsident Bush sen. geleitet wurde. Auslöser der Arbeit der "Boskin Kommission" war die Sorge mancher amerikanischen Politiker, dass der US-Konsumentenpreisindex (CPI) die tatsächliche Teuerung überzeichne. Die Boskin-Kommission ging ohne weitere Diskussion davon aus, dass das Ziel des CPI in der Messung der Veränderung der Lebenshaltungskosten besteht und beurteilte den amerikanischen CPI, der zu diesem Zeitpunkt ein Laspeyresscher Index mit fester Basisperiode war, aus diesem Blickwinkel. Dabei wurden beim CPI fünf Arten von Verzerrungen („biases“) diagnostiziert: Eine obere und eine untere Substitutionsverzerrung („Upper Level Substitution Bias“ und „Lower Level Substitution Bias“), eine Verzerrung aufgrund von neuen Produkten („New Product Bias“) und aufgrund von Qualitätsveränderungen („Quality Bias“) sowie eine Absatzkanal-Verzerrung („Outlet Substitution Bias“). Die obere Substitutionsverzerrung entsteht bei einem Index mit festem Warenkorb dadurch, dass die Konsumenten bei einer Änderung der relativen Preise relativ teurer gewordene Güter durch relativ billigere ersetzen und der Warenkorb dadurch immer mehr veraltet. Eine untere Substitutionsverzerrung resultiert aus einem nicht adäquaten Basisaggregationsverfahren, d.h. einer inadäquaten Art der Amalgamierung der für eine Indexposition erhobenen Einzelpreise zum Preis oder zur Preismesszahl dieser Indexposition. Eine Verzerrung aufgrund von neuen Produkten liegt vor, wenn neue Produkte nicht oder verspätet in den Warenkorb aufgenommen werden und eine Verzerrung aufgrund von Qualitätsveränderungen, wenn
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die Preise nicht hinreichend um Qualitätsverbesserungen korrigiert werden. Eine Absatzkanal-Verzerrung liegt vor, wenn Käufe in Discount-Läden nur unzureichend berücksichtigt werden. Die Boskin-Kommission kam zu dem Ergebnis, dass sich diese Verzerrungen beim CPI auf eine Überschätzung der Lebenshaltungskosten um jährlich 1.1 Prozentpunkte summieren. Das Hauptergebnis der Boskin-Kommission war, dass „the limitations imposed by the . . . Laspeyres formula make the CPI unsuitable for cost of living measurement” (Boskin et al. 1996, S. 69). Die Kommission machte eine Reihe von Vorschlägen. Die Hauptempfehlung bestand darin, dass das Bureau of Labor Statistics einen Lebenshaltungskostenindex als „its main objective in measuring consumer prices“ (Boskin et al. 1996, S. 77 ff) etablieren sollte. Dazu sollte auf der Ebene der Preismesszahlen zum Törnquist-Index übergegangen und zur Basisaggregation das geometrische Mittel verwendet werden. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Boskin-Kommission als Ziel eines Verbraucherpreisindexes die Messung der Veränderung der Lebenshaltungskosten sah, blieb nicht unwidersprochen. Deaton (1998, S. 37) brachte auf den Punkt, was viele, vor allem europäische Preisstatistiker dachten, als er meinte, dass “perhaps the Boskin Commission, along with many others in the economics profession, has been too quick to embrace the cost-of-living approach”. Tatsächlich konnte sich diese Position der Boskin-Kommission bei der Konstruktion der europäischen HVPI nicht durchsetzen. Im Beschluss, die HVPI als Laspeyressche Kettenindizes zu konzipieren, ist aber ihr Einfluss deutlich zu erkennen. In der Folge des Boskin-Reports stellten sich viele nationale statistische Ämter weltweit die Frage, inwieweit der Vorwurf der Überzeichnung der Preisentwicklung auch auf ihre Preisindizes zutrifft. Entsprechende Studien wurden von Lequiller (1997) für Frankreich, Hoffmann (1998) für Deutschland und von den DStatGStatistikern Brachinger, Schips und Stier (1999) für die Schweiz durchgeführt. Die Ergebnisse fielen weit weniger dramatisch aus. Für Frankreich diagnostizierte Lequiller eine Substitutionsverzerrung von 0.1% und einen Outlet-Bias von 0.1%. Für Deutschland bezifferte Hoffman das Überzeichnungspotenzial insgesamt mit immerhin 0.8%. Für die Schweiz schätzen Brachinger et al. (1999), dass der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) die tatsächliche Teuerung um etwa 0.5 bis 0.6% überzeichnet. Wesentliche Empfehlungen dieser Studie wurden im Rahmen der Revision 2000 des LIK umgesetzt.
15.8 Hedonische Methodik Unabhängig davon, ob man das Ziel eines Preisindexes in der Erfassung der reinen Preisveränderung oder der Messung der Veränderung der Lebenshaltungskosten sieht, sind Güterpreise um Qualitätsveränderungen zu bereinigen. Die statistische Erfassung des Anteils eines Preises, der allein durch Qualitätsverbesserungen bedingt ist, gilt als „die eigentliche Crux der Preisstatistik“ (Neubauer 1996, S. 14). In welchem Ausmaß soll der aktuelle Preis eines heutigen Laptops, der einen
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schnelleren Prozessor und eine größere Festplatte besitzt als das Vorgängermodell, nach unten korrigiert werden? Ein wesentlicher Kritikpunkt des Boskin-Reports war, dass der amerikanische CPI Qualitätsveränderungen nur unzureichend berücksichtigen würde. Die BoskinKommission kritisierte die vom BLS eingesetzten Methoden und schlug vor, stärker auf die so genannte hedonische Methode zurückzugreifen. Bei dieser Methode, die zum ersten Mal schon Ende der 30er Jahre für den amerikanischen Automobilmarkt eingesetzt worden war (Court 1939, Griliches 1961), wird die Qualität eines Gutes mit einem Vektor von Produktmerkmalen identifiziert und angenommen, dass der Preis des Gutes eine Funktion dieses Merkmalsvektors ist. Auf der Grundlage eines geeigneten Regressionsansatzes kann für beliebige Merkmalsvektoren (und somit auch für beliebige Qualitäten) ein qualitätsbereinigter Preis des Gutes geschätzt werden. Solche Schätzungen sind zwar methodisch und praktisch aufwändig, vermeiden aber Verzerrungen, denen herkömmliche Verfahren tendenziell unterliegen. Mit hedonischen Methoden hatte sich die deutsche amtliche Statistik schon lange vorher beschäftigt. Bereits auf der oben erwähnten Jahreshauptversammlung von 1970 (DStatG 1971) wies der Vertreter des Statistischen Bundesamtes auf die „zahlreichen Unsicherheiten“ hin, die mit den herkömmlichen Methoden verbunden sind und empfahl die Prüfung der praktischen Brauchbarkeit der hedonischen Methoden für die Bundesstatistik (Kunz 1971, S. 30-32). Die Erfahrungen, die man mit diesen Methoden anschließend etwa bei der Indexposition „Personenkraftwagen“ machte, waren aber nicht sonderlich gut (Guckes 1979, S. 215-216). In den 80er Jahren startete das Amt erneut ein Forschungsprojekt zum Einsatz hedonischer Methoden. Als Ergebnis dieses Projekts (Statistisches Bundesamt 1990) wurde damals festgehalten, dass die hedonischen Methoden „eine erfolgversprechende Alternative“ seien zu den traditionellen Ansätzen der Qualitätsbereinigung. Gleichzeitig wurde auf praktische Schwierigkeiten dieser Ansätze wie etwa die Notwendigkeit einer umfangreichen Datenbasis hingewiesen. Die Propagierung der hedonischen Methode durch die Boskin-Kommission sorgte dann Ende der 90er Jahre für erhebliches Aufsehen. Dies insbesondere deshalb, weil der Quality-Bias nach Ansicht der Kommission den größten Beitrag zur Überzeichnung des CPI leistete und Regierungen damals wie heute Interesse daran hatten, dass die nationalen Teuerungsraten möglichst niedrig ausfallen. In vielen nationalen Statistikämtern begann man sich verstärkt Gedanken darüber zu machen, inwieweit es sinnvoll und möglich ist, die herkömmlichen Methoden der Qualitätsbereinigung durch hedonische Ansätze zu ergänzen. Im Auftrag des Statistischen Bundesamts organisierte Brachinger im Juni 2001 in Wiesbaden einen Workshop, zu dem alle international führenden Fachvertreter Beiträge leisteten. Triplett (2001) lieferte einen Vergleich von konventionellen Methoden mit hedonischen. Diewert (2001) präsentierte eine Neubewertung der Theorie hedonischer Preisindizes. Von der Lippe (2001) warnte dagegen vor einem „Fundamentalismus“ in Sachen Qualitätsbereinigung. Am Ende herrschte Einigkeit darüber, dass hedonische Methoden als Ergänzung der herkömmlichen Methoden zu sehen sind.
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Der Vormarsch hedonischer Methoden war nicht mehr aufzuhalten. Das BLS in Washington hatte bereits bei der 1998er Revision des CPI verstärkt auf hedonische Methoden gesetzt. Auch in den Diskussionen um den harmonisierten europäischen Verbraucherpreisindex spielten hedonische Methoden eine wichtige Rolle. Verschiedene Länder hatten bereits Erfahrungen mit solchen Methoden gemacht, es wurde allerdings kein Konsens über die Praktikabilität dieser Verfahren erzielt. Im Juni 2002 begann auch das Statistische Bundesamt mit dem Einsatz hedonischer Methoden, und zwar bei der Berechnung des Elementarindexes für Personal Computer (Linz und Eckert 2002). Inzwischen hat es sein Hedonik-Programm auch auf Gebrauchtwagen, Immobilien, EDV-Investitionsgüter sowie Waschmaschinen und Fernseher ausgeweitet (vgl. etwa Linz, Behrmann und Becker 2004). Dabei zeigte sich, dass der Übergang zu hedonischen Methoden bei einzelnen Positionen wie „Computer“ und „Neuwagen“ nur geringe Auswirkungen auf das VPI-Ergebnis hatte.
15.9 Verbraucherpreisindex und Inflationswahrnehmung Das Statistische Bundesamt sah sich in seiner über 60-jährigen Geschichte immer wieder öffentlichen Attacken ausgesetzt. Was aber nach der Einführung des Euro-Bargeldes im Januar 2002 passierte, stellte alles Bisherige in den Schatten. Überall in den Ländern der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion war eine erhebliche Diskrepanz zwischen der durch die amtlichen Verbraucherpreisindizes gemessenen Entwicklung des Preisniveaus und der öffentlichen Wahrnehmung der Preisentwicklung feststellbar. Insbesondere in Deutschland herrschte das Gefühl, dass die Einführung des Euro-Bargeldes die Verbraucherpreise sprunghaft hatte ansteigen lassen. Der Euro wurde zum „Teuro“. Emsig suchte das Bundesamt in den Preisdaten nach Spuren, die das TeuroGefühl belegen. Viele rechneten einfach mit dem Faktor zwei um und überschätzten dabei die Inflation. Häufig wurden „attraktive“, d. h. auf 0, 5, 8 oder 9 endende DM-Preise durch (höhere) attraktive Euro-Preise ersetzt. Manche Dinge waren tatsächlich stark im Preis gestiegen: Brötchen kosteten im November 2002 um 5.1 % mehr als im November 2001, die Eintrittskarte zu einem Fußballspiel war zweieinhalb Jahre nach der Euro-Einführung um 14.9 % teurer. Trotz dieser Anstrengungen gelang es dem Bundesamt nicht, die Gemüter der Euro-Kritiker zu beruhigen, Auf der Statistischen Woche 2004, die im September dieses Jahres an der Universität Frankfurt stattfand, lud Walter Radermacher, der damalige Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes und Vorstandsmitglied der DStatG, den Schweizer Wirtschaftsstatistiker Brachinger dazu ein, ins Amt zu kommen, um gemeinsam mit der Gruppe Preisstatistik seine neuartige Idee eines „Index der wahrgenommenen Inflation“ (IWI) (Brachinger 2004, 2008) praktisch umzusetzen. Dieser Index basiert auf den Annahmen, dass die Verbraucher Preissteigerungen höher bewerten als Preissenkungen und dass in der Wahrnehmung besonders die häufig gekauften Güter zu Buche schlagen. Der IWI-Index ergibt sich durch den Einbau dieser psychologischen Annahmen in die klassische Laspeyressche Indexformel mit einem
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festen Wägungsschema der Basisperiode. Sein Ziel ist also nicht die Messung der tatsächlichen Inflation, sondern die Erfassung der Teuerung, so wie sie die Käufer bei ihren täglichen Einkäufen wahrnehmen. Auf der Statistischen Woche, die im September 2005 in Braunschweig stattfand, wurde das Ergebnis der IWI-Berechnungen der Öffentlichkeit vorgestellt (Brachinger 2005). Es war frappant: Zum Jahresende 2000 stimmten VPI und IWI noch überein. Dann aber ging der IWI steil nach oben, erreichte im Juni/ Juli 2001 einen Höchstwert von 8.8% und blieb das ganze Jahr auf über 7%. Der VPI dagegen bewegte sich um die 2%-Marke. Und just im Januar 2002 bei der Euro-Umstellung ging der IWI noch einmal auf 10.6% hoch. Damals ging auch der VPI hoch, aber er stieg von 1.6 im Dezember 2001 auf nach öffentlicher Wahrnehmung lächerliche 2.1%. Im Juni 2002 beruhigte sich der VPI wieder auf 1.0% und verblieb das ganze restliche Jahr auf etwas über einem Prozent. Auch der IWI fiel im Verlauf des Jahres und im Juli lag er wieder auf dem Niveau des VPI. Die „Kluft“ zwischen der wahrgenommenen und der amtlich gemessenen Inflation hatte sich wieder geschlossen. Das Euro-Inflationspuzzle konnte dadurch erklärt werden, dass vor und während der Euro-Bargeldeinführung überdurchschnittlich große Preiserhöhungen gerade bei solchen Gütern auftraten, die durch eine überdurchschnittlich hohe Kaufhäufigkeit gekennzeichnet sind. Es war plötzlich eine in der jüngeren Vergangenheit in dem Ausmaß nie dagewesene positive Korrelation zwischen Preisveränderung und Kaufhäufigkeit aufgetreten. Am Ende zeigte sich, dass beide Seiten – das Amt ebenso wie die Öffentlichkeit – in der Euro-»Teuro«-Debatte Recht hatten. Der VPI und der IWI beleuchten zwei verschiedene Aspekte desselben Phänomens. Der IWI erfasst mit der Inflationswahrnehmung einen Aspekt der Inflation, der bei der herkömmlichen Inflationsmessung ausgeblendet wird. Die Öffentlichkeit lernte, dass man dem Statistischen Bundesamt und seinem VPI unrecht tut, wenn man ihm vorwirft, dass er genau dies nicht leistet. Der VPI ist für einen gänzlich anderen Zweck konstruiert: Er zielt auf die Messung der Preisentwicklung, von der die privaten Haushalte tatsächlich betroffen sind, wenn sie ihr Kaufverhalten nicht ändern, und damit zugleich auf die Messung der allgemeinen Geldwertstabilität. Er kann und darf anders als ein Wahrnehmungsindex nicht auf psychologische Aspekte abheben!
15.10 Fazit Seit Laspeyres’ Tod hat die Preisstatistik wechselvolle Zeiten durchlebt. Viel und heftig wurde um das „richtige“ Indexkonzept gestritten. In den letzten Jahren ist das Gegensätzliche der verschiedenen Indexkonzepte und -methoden mehr und mehr in den Hintergrund getreten und hat einer friedlichen Methodenpluralität Platz gemacht. Schon 1983 hatte Pál Köves betont, dass in der Praxis der Indexberechnung selbstverständlich alle theoretischen, methodischen und praktischen Standpunkte simultan zu berücksichtigen seien. Dem sei nichts hinzugefügt.
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Teil III
Die Deutsche Statistische Gesellschaft und die Politik
Politik ist auf allen Ebenen und in allen Bereichen auf Statistik angewiesen. Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Wirtschafts- und Finanz-. ja selbst Kulturpolitik verlangen nach Orientierung auf der Grundlage von Statistiken. Indikatoren wie Inflationsrate, Verschuldungsgrad und Leistungsbilanzsaldo gehen heute unmittelbar in politische Regelwerke und Entscheidungen ein. Die Deutsche Statistische Gesellschaft hat deshalb auf ihren Jahrestagungen, aber auch auf anderen Veranstaltungen, immer wieder politikrelevante Themen behandelt. Berichte darüber findet man in den Kapiteln 1 bis 5. Die ganze Bandbreite offenbart sich zudem bei einem Überblick über die Themen der Jahrestagungen im Anhang 7. Die auf den Jahrestagungen gehaltenen Vorträge, meist verbunden mit einem Diskussionsbericht, sind zum großen Teil in den Publikationen der Gesellschaft (Allgemeines Statistisches Archiv und Deutsches Statistisches Zentralblatt) nachzulesen. In diesem Teil des Bandes geht es um zwei politische Ereignisse, die die DStatG zu besonderem Engagement herausgefordert haben: Die Deutsche Wiedervereinigung und die Volkszählungsdiskussion der 1980er Jahre mit dem nachfolgenden Paradigmenwechsel hin zum Zensus 2011.
Kapitel 16
Herausforderungen durch die deutsche Wiedervereinigung Reiner Stäglin
Zusammenfassung Die Wiedervereinigung stellte auch die Statistik vor große Aufgaben. Die als Organ der staatlichen Planung staatsnah orientierte Statistik der DDR musste auf das zur Neutralität und wissenschaftlichen Unabhängigkeit verpflichtete System der Bundesrepublik umgestellt werden. Ebenso verlangten die Universitäten eine Neuorientierung. Die Deutsche Statistische Gesellschaft hat sich vor allem dreier Aufgaben mit großem Engagement, aber auch mit Bedachtsamkeit angenommen: Aufnahme und Integration der Statistiker aus den neuen Bundesländern in die Gesellschaft, Begleitung der Neuausrichtung des Faches Statistik an deren Hochschulen und Sicherung sowie Nutzung von Datenbeständen der ehemaligen DDR.
16.1 Neuordnung der amtlichen und der universitären Statistik 16.1.1 Amtliche Statistik Trotz gemeinsamer Wurzeln hat sich die amtliche Statistik in den beiden Teilen Deutschlands zunehmend auseinander entwickelt. Während die Bundesstatistik ihre Neutralität, ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit und ihre organisatorische Eigenständigkeit weitgehend bewahren konnte, war die amtliche Statistik in der DDR als wichtiges Organ der staatlichen Planung staatsnah orientiert und organisiert. An der Spitze stand die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik in Berlin (Ost). Statistische Ämter in den Bezirken und anderen lokalen Instanzen waren ihr untergeordnet. Die Abteilungen des Zentralamtes waren zwar wie in der Bundesrepublik fachlich ausgerichtet. Die Planungen, Auswertungen und Analysen standen aber stark unter politischem Einfluss. R. Stäglin (B) Seehofstr. 119, 14167 Berlin, Deutschland e-mail:
[email protected] H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_16,
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Eine gesetzliche Basis für die Neuordnung der amtlichen Statistik in den neuen Bundesländern bildete der Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990. In einem gemeinsamen Protokoll über Leitsätze in Ergänzung dieses Staatsvertrags (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 1990) heißt es unter anderem: „Zum Zwecke der Gewinnung vergleichbarer Grundlagen wird die Deutsche Demokratische Republik ihre Statistiken an die der Bundesrepublik Deutschland anpassen und in Abstimmung mit dem Statistischen Bundesamt oder der Deutschen Bundesbank Informationen nach den Maßstäben der Bundesstatistik aus folgenden Bereichen bereitstellen: Arbeitsmarkt, Preise, Produktion, Umsätze, Außenwirtschaft und Einzelhandel“. Diese Umstellung der DDR-Statistik wurde durch frühe Kontakte zwischen dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden und der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik der DDR in Berlin (Ost) (ab dem 8. März 1990 „Statistisches Amt der DDR“) bereits vorbereitet. Schon im Dezember 1989 nahmen die Präsidenten der Statistischen Zentralämter, für die Bundesrepublik Deutschland Egon Hölder und für die DDR Arno Donda, erste Kontakte auf, die im März 1990 zur Gründung der temporären Arbeitsgruppe Deutsche Statistik führten. Diese Arbeitsgruppe hatte das Ziel, „die DDR bei der Einführung eines Systems von Statistiken zu unterstützen, das den Anforderungen einer sozialen und ökologisch orientierten Marktwirtschaft gerecht wird“ (Angermann 1991, S. 51); sie war in der Zweigstelle Berlin (West) des Bundesamtes angesiedelt und existierte bis zum 3. Oktober 1990. Von da an waren alle Bundesstatistikgesetze im Beitrittsgebiet rechtswirksam und das Statistische Bundesamt wurde zuständig für das gesamte neue Bundesgebiet. Damit gab es aber noch keine Statistischen Landesämter im Beitrittsgebiet. Dazu kam es auf folgende Weise: Im Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990 ist der Statistik als besonderem Sachgebiet ein eigenes Kap. XVIII gewidmet. Darin sind Ausnahmen und Ergänzungen zum Inkrafttreten des Bundesrechts auf dem Gebiet der Statistik aufgeführt. In § 3 Absatz 1 wird festgelegt: „Das Statistische Amt der Deutschen Demokratischen Republik wird mit dem Wirksamwerden des Beitritts bis spätestens zum 31. Dezember 1992 als gemeinsames Statistisches Amt der in Artikel 1 Abs.1 des Einigungsvertrages genannten Länder weitergeführt, soweit es Aufgaben wahrnimmt, die in die Zuständigkeit der Länder fallen. Es ist insoweit innerhalb des in Satz 1 genannten Zeitraums zum frühestmöglichen Zeitpunkt in entsprechende Einrichtungen der Länder zu überführen“.
16.1.2 Statistik an Universitäten Forschung und Lehre in Statistik wurden an den Universitäten und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR intensiv gepflegt. Die Zahl der Lehrkräfte übertraf dabei oft die vergleichbarer Hochschulen in den alten Bundesländern. Die Lehre hatte sich jedoch an den vom Ministerium für Wissenschaft und Technik vorgegebenen Lehrplänen zu orientieren. Auf diese hatte der Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Arno Donda, einen großen Einfluss. So wurde das
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von ihm im Autorenkollektiv herausgegebene Lehrbuch Statistik (Donda, Herrde, Struck, Kuhn 1972) vom Politbüro der DDR zum amtlichen Lehrbuch erklärt. Außerdem spielte die von Donda forcierte Ausrichtung auf „Rechnungsführung und Statistik“ eine zentrale Rolle; an der Hochschule für Ökonomie zu Berlin gab es dafür einen entsprechenden Studiengang. Trotz staatlicher Aufsicht und Beeinflussung haben die einzelnen Universitäten, entsprechend der Linientreue und dem jeweiligen Statistik-Verständnis der Lehrkörper, diese Vorgaben unterschiedlich interpretiert und ausgefüllt. So wurde neben der Behandlung von ökonomischen, insbesondere betriebswirtschaftlichen und technischen Fragestellungen auch theoretische Forschung betrieben. Gerade diese mehr methodisch orientierte Statistik bot vielen dem System eher fern stehenden Wissenschaftlern eine willkommene fachliche Nische.
16.2 Die Rolle der Deutschen Statistischen Gesellschaft 16.2.1 Aufnahme und Integration der Statistiker aus den neuen Bundesländern Schon bald nach dem Fall der Mauer und erst recht nach der Deutschen Einheit 1990 hat sich die Deutsche Statistische Gesellschaft (DStatG) mit der Aufnahme von Statistik-Kollegen aus der DDR befasst. Auf der Vorstandssitzung am 19. Januar 1990 in Konstanz wurde erstmals über Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit den Statistikern der DDR diskutiert. Da es keine mit der DStatG vergleichbare Organisation in der DDR gab und die DStatG sich somit für beide Teile Deutschlands zuständig fühlte, sollten die DDR-Kollegen in die Gesellschaft aufgenommen werden, sobald nach der Klärung einiger offener Fragen, darunter auch der des Mitgliederbeitrags, ein gangbarer Weg gefunden sei. Nach kontroverser Diskussion über die Vorgehensweise, durch die vermieden werden sollte, nicht nur linientreue Statistiker zu erreichen, sondern gerade auch solche mit „unbelasteter“ Vergangenheit einzubinden, wurde eine „Politik der kleinen Schritte“ beschlossen. Dazu gehörte neben dem angestrebten Informationsaustausch auch die Idee, möglichst viele DDR-Statistiker zu Tagungen der DStatG einzuladen und die Hauptversammlung 1991 in Berlin durchzuführen. Den Monaten nach der Vorstandssitzung folgte ein reger Briefwechsel zwischen den an Kontakten und Zusammenarbeit interessierten Hochschullehrern der Universitäten Jena, Leipzig, Rostock und Kollegen des Statistischen Amtes der DDR auf der einen und der DStatG, vertreten durch die Vorstandsmitglieder Heinz Grohmann und Almut Steger, auf der anderen Seite. Heinz Grohmann hielt in Rostock einige Vorlesungen über Wirtschaftsstatistik und die wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten Kiel und Rostock vereinbarten eine Kooperation. Ein erster Erfahrungsbericht wurde auf der DStatG-Vorstandssitzung am 6. Juni 1990 in Trier diskutiert. Dabei stand die ungelöste Frage im Mittelpunkt, wie bei
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der Aufnahme in die Gesellschaft zwischen linientreuen Statistikern und anderen, bisher besonders benachteiligten Kollegen in der DDR unterschieden werden könne. „Durch das satzungsmäßige Erfordernis zweier Bürgen allein lässt sich die Mitgliedschaft von Statistikern, die vom bisherigen System profitiert haben, nicht vermeiden“, heißt es im Protokoll. Es wurde vereinbart, interessierte Kollegen aus der DDR zunächst in eine Interessentenliste aufzunehmen, um ihnen die DStatGRundschreiben und die Einladungen zu den Tagungen zugänglich zu machen. Über formelle Aufnahmeanträge sollte jedoch erst 1991 entschieden werden. Zusätzlich wurde festgelegt, die Teilnahme von DDR-Statistikern an der Jahrestagung 1990 in Stuttgart finanziell zu unterstützen, und zwar durch einen Verzicht auf die Tagungsgebühr und einen Reisekostenzuschuss von 300,-- DM je Teilnehmer. Von exemplarischer Bedeutung im Prozess der Wiederannäherung der Statistiker aus Ost und West war die Sitzung des Ausschusses für Ausbildungsfragen im Rahmen der Statistischen Woche 1990 in Stuttgart. Sie wurde vom Ausschussvorsitzenden Ulrich Kockelkorn mit einer Nachzeichnung seiner von Berlin durch mehrere ostdeutsche Landschaften führenden Reise nach Stuttgart eröffnet. Es folgten fünf Beiträge von Kollegen aus der ehemaligen DDR: Hans Gerhard Strohe von der Humboldt Universität, Berlin(Ost), und Jürgen Wilke von der Akademie der Wissenschaften, Berlin(Ost), präsentierten eine „Bestandsaufnahme zur Analyse und Prognose von Zeitreihen in der statistischen Forschung in der DDR“, und drei weitere Wissenschaftler, Bernd Rönz von der Humboldt Universität, Ursula Kück von der Universität Rostock und Heinrich Schwarz von der Hochschule für Ökonomie Bruno Leuschner, Berlin(Ost), vermittelten im Rahmen einer „Diskussionsrunde über Aspekte der Statistikausbildung in der DDR“ viele für die westdeutschen Kollegen bemerkenswerte Einsichten. Sehr emotional war die erstmalige Begegnung zweier Wissenschaftler aus Ost und West, die seit Jahrzehnten über wissenschaftliche Fragen der Stichprobentheorie und –praxis korrespondiert, sich aber bisher nie gesehen hatten: Heinrich Schwarz, Berlin(Ost) und Heinrich Strecker (München). Auf der Vorstandssitzung der DStatG, die im Rahmen dieser Jahrestagung stattfand, ging es wieder vornehmlich um die Aufnahme und Förderung von Mitgliedern aus dem Gebiet der ehemaligen DDR: die vorliegenden 21 Aufnahmeanträge, davon 18 aus den Statistischen Ämtern, wurden wiederum kontrovers diskutiert. Schließlich wurde folgender Beschluss gefasst und protokollarisch festgehalten: „Bis Pfingsten 1991 werden keine weiteren persönlichen Mitglieder aufgenommen. In der Woche nach Pfingsten wird eine Vorstandssitzung angesetzt, auf der über die dann vorliegenden Aufnahmeanträge Fall für Fall entschieden wird. Die Interessentenliste wird für eine Übergangszeit weitergeführt. Aufnahmen erfolgen nur gemäß den Richtlinien der Satzung.“ Über dieses Vorgehen wurden alle Antragsteller auf Mitgliedschaft in der DStatG vom Vorsitzenden informiert. Auf einer Vorstandssitzung im Mai 1991 wurde erneut über das zukünftige Vorgehen diskutiert. Als konsensfähig erwies sich, über die Aufnahmen auf Vorstandssitzungen nach Diskussion der Einzelfälle zu entscheiden, und zwar in aller Regel positiv, es sei denn, es gäbe ernsthafte Bedenken über die Rolle des Antragstellers in der DDR.
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Anlässlich der Statistischen Woche in Berlin im September 1991 wurde neben der Aufnahme weiterer Mitglieder eine Werbeaktion beschlossen, um für die Zeitschrift Allgemeines Statistisches Archiv (AStA) in den fünf neuen Bundesländern Abonnenten zu gewinnen. Dazu stiftete die DStatG für fünf Bibliotheken in der ehemaligen DDR, die ihre AStA-Fehlbestände mit einem Verlagsnachlass von 50% ergänzen bzw. das Archiv vollständig anschaffen würden, ein Abonnement für fünf weitere Jahre. Weitere Aufnahmen von DDR-Statistikern folgten auf Sitzungen des Vorstands im Februar und im Juni sowie im September 1992. Von da an wurde das Aufnahmeverfahren vereinfacht und auf der Vorstandssitzung am 5. Februar 1993 in Bielefeld letztmalig angewandt. Danach gab es keine Sonderregelungen mehr. Auch die Liste mit den Interessenten aus der ehemaligen DDR, die nicht Mitglied der DStatG geworden waren, wurde nur bis zum Jahresende 1992 gepflegt.
16.2.2 Neuausrichtung des Faches Statistik an den Hochschulen der neuen Bundesländer Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 enthält in Artikel 38 auch Bestimmungen zu Wissenschaft und Forschung (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 1990a). Dort heißt es im Absatz 1: „Wissenschaft und Forschung bilden auch im vereinten Deutschland wichtige Grundlagen für Staat und Gesellschaft. Der notwendigen Erneuerung von Wissenschaft und Forschung unter Erhaltung leistungsfähiger Einrichtungen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet (neue Bundesländer – der Autor) dient eine Begutachtung von öffentlich getragenen Einrichtungen durch den Wissenschaftsrat, die bis zum 31. Dezember 1991 abgeschlossen wird, wobei einzelne Ergebnisse schon vorher schrittweise umgesetzt werden sollen. Die nachfolgenden Regelungen sollen diese Begutachtung ermöglichen sowie die Einpassung von Wissenschaft und Forschung in dem in Artikel 3 genannten Gebiet in die gemeinsame Forschungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland gewährleisten“. Dabei wurde die Entscheidung über die Fortführung der Akademie der Wissenschaften der DDR, der Bauakademie und der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR sowie der Forschungsinstitute und der sonstigen Einrichtungen den Ländern übertragen. Die Bundesregierung war für die künftige Forschungsförderung im Beitrittsgebiet verantwortlich. Von Anfang an war die DStatG bemüht, die von DDR-Kollegen geäußerten Wünsche um Unterstützung bei der Umstrukturierung und Neuausrichtung der Ausbildung auf dem Gebiet der Wirtschaftsstatistik an den Universitäten Jena, Leipzig und Rostock zu erfüllen. In einem Brief vom Frühjahr 1990 an den stellvertretenden Vorsitzenden der DStatG, Heinz Grohmann, der sich durch seine vielfältigen Aktivitäten, von Materialbereitstellung über persönliche Kontakte bis zu Vorlesungen, große Verdienste erworben hat, heißt es u.a.: „In unserem Bemühen um eine wirkliche Unabhängigkeit der Statistik in Lehre und Forschung haben namentlich die Kollegen, die durch die bisherige Hochschulpolitik in der zweiten Reihe standen,
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den Wunsch, einen Erfahrungsaustausch mit Hochschullehrern der Bundesrepublik durchzuführen“. Diese Forderung nach Unabhängigkeit der amtlichen statistischen Arbeit in einem künftigen einheitlichen Deutschland wurde von 32 DDR-Hochschullehren der Statistik unterstützt, die sich zu einer Tagung im thüringischen Gießübel getroffen hatten: „Die Vergangenheit war dadurch gekennzeichnet, dass die amtliche Statistik der DDR unter dem Einfluss der staatlichen Macht den Stand der gesellschaftlichen Entwicklung oft einseitig oder schöngefärbt widergespiegelt hat. Deshalb betonen sie die Notwendigkeit der freien und unverfälschten Informationsversorgung für jedermann in einem demokratischen Gemeinwesen“. Wegen der schwierigen Umsetzung der Regelungen des Artikels 38 des Einigungsvertrages über Wissenschaft und Forschung, insbesondere wegen der unbefriedigenden Neuordnung des Hochschulwesens in der ehemaligen DDR, sah sich die DStatG veranlasst, Ende 1991 ein fünfseitiges Memorandum zur Entwicklung des Faches Statistik an den Hochschulen in den neuen Bundesländern und Ostberlin zu verfassen; es wurde am 28. Januar 1992 an die zuständigen Ministerien und an den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultätentag verschickt, später auch noch den Gründungsdekanen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten in den neuen Bundesländern zugestellt. Die beiden Hauptanliegen des Memorandums wurden auf der Vorstandssitzung der DStatG im Februar 1992 in Konstanz noch einmal zusammengefasst. Im Protokoll ist zu lesen:
– ”Die an den Entscheidungen über neue Fach- und Personalstrukturen Beteiligten werden aufgefordert, dem für das Verständnis wirtschaftlicher und sozialer Vorgänge und Zusammenhänge notwendigen Fach Statistik die erforderliche Bedeutung beizumessen. Die DStatG ist auf Wunsch dazu bereit, Fachvertreter für die Beratung, Begutachtung, Urteilsbildung oder dergleichen zu benennen. – Die DStatG äußert sich besorgt über die Verfahrensweisen zur Neustrukturierung und Neubesetzung der Lehrkörper an den Hochschulen der ehemaligen DDR. Daher werden Übergangsregelungen vorgeschlagen, bei denen zum einen das vorhandene wissenschaftliche und pädagogische Potenzial in den neuen Bundesländern erhalten, motiviert, aktiviert und sinnvoll genutzt werden soll und die es zum anderen ermöglichen, Frustration, Enttäuschung und Verbitterung der Lehrenden in den neuen Bundesländern abzubauen. Insgesamt sollte der Übergangsprozess mit Würde vollzogen werden.“
Ob und inwieweit dieses Memorandum der DStatG die wissenschaftspolitischen Entscheidungen bei der Restrukturierung des Hochschulwesens in den neuen Bundesländern beeinflusst hat, ist nicht nachweisbar. Auf jeden Fall blieb das Thema bei der DStatG, insbesondere beim Ausbildungsausschuss, auf der Tagesordnung, siehe etwa die Vorträge über „Lage der Statistik an den Hochschulen der neuen Bundesländer“ auf der Statistischen Woche 1992 in Braunschweig.
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16.2.3 Die Sicherung und Nutzung von Datenbeständen der ehemaligen DDR Seit dem Jahr 1990 haben sich viele DStatG-Veranstaltungen und Veröffentlichungen mit dieser Problematik beschäftigt. Zu nennen sind die Vorträge beim Statistischen Beirat auf seiner Tagung am 3. Juli in Berlin (Statistisches Bundesamt 1990), die Präsentationen auf einem Workshop der Gesellschaft für Programmforschung in der öffentlichen Verwaltung e.V. (Furmaniak und Kiock 1991) und die Aufsätze in der Zeitschrift Wirtschaft und Statistik (Angermann und Mitarbeiter 1990, Heske 1990). Sogar auf einer vom U.S. Bureau of Labor Statistics und Eurostat gesponserten Tagung in Washington im Februar 1991 wurde über „The Role of Economic Statistics in the German Unification Process“ berichtet (Melzer und Stäglin 1991) Eine erweiterte Problematik „Rückrechnungen gesamtwirtschaftlicher Daten für die ehemalige DDR“ stand dann im Mittelpunkt einer gemeinsam vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Statistischen Bundesamt veranstalteten Statistiktagung im Mai 1992 in Berlin. Dabei spielten Fragen der Umbewertung von Angaben in Mark der DDR in die D-Mark und die Modellhaftigkeit von Sozialproduktsberechnungen für die ehemalige DDR in DM eine wichtige Rolle (Statistisches Bundesamt 1993a). Der Umbewertung eines Input-Output-Datensatzes der DDR für das Jahr 1987 von Mark in D-Mark widmete sich auch ein Forschungsvorhaben über „Vergleichende Verflechtungsanalysen für die Volkswirtschaften der DDR und der Bundesrepublik Deutschland“, das bereits im Juli 1990 von der Volkswagen-Stiftung zur Förderung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Deutschen Demokratischen Republik genehmigt worden war und bis Ende 1993 lief. Dieses Vorhaben, das zum Zeitpunkt seiner Bewilligung noch von einem Fortbestand der Zweistaatlichkeit in Deutschland ausging, wurde vom DIW und dem Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften in Berlin (Ost) beantragt. Die deutsche Einheit im Oktober 1990 verursachte dann zweimalige organisatorische Veränderungen bei den am Vorhaben beteiligten wissenschaftlichen Mitarbeitern in Ostberlin und führte zu einer ursprünglich nicht vorgesehenen Kooperation mit dem Arbeitsbereich Deutsche Einheit, Osteuropa (DEO) in der Zweigstelle Berlin des Statistischen Bundesamtes. Das war letztlich von Vorteil, weil es durch diese Zusammenarbeit nur eine Input-Output-Tabelle 1987 für die DDR in D-Mark nach bundesdeutschem Konzept gibt. Das Ergebnis dieses trotz der Vereinigungswirren erfolgreichen Forschungsvorhabens wurde dann vom DIW veröffentlicht (Ludwig, Stäglin, Stahmer 1996). Die DStatG, getragen von dem Gedanken, dass eine Aufarbeitung und Dokumentation der Auswirkungen der deutschen Vereinigung auf das Gebiet der Statistik unbedingt erforderlich ist, widmete sich dieser Aufgabe seit der Vorstandssitzung im Februar 1993. Ging es dort zunächst um ein mögliches „Forschungsprojekt zur Dokumentation der Vorgaben, Konzepte und Methoden zur Erstellung wichtiger amtlicher Statistiken der DDR im Umfeld der Vereinigung“, so wurde im Frühjahr
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damit begonnen, eine Gesprächsrunde mit dem Thema Sicherung der Datenbestände der ehemaligen DDR (Dokumentation, VGR-Rückrechnung,. . .) für die anstehende Statistische Woche 1993 in Köln vorzubereiten. Diese Gesprächsrunde fand im Anschluss an einen Vortrag von Oswald Angermann, Arbeitsbereich DEO des Statistischen Bundesamtes, Zweigstelle Berlin, über „Sammlung, Sicherung und Rückrechnung von statistischen Angaben über die ehemalige DDR“ am 29. September auch statt. Die von Joachim Frohn, dem Vorsitzenden der DStatG, geleitete Diskussion führte (i) zur Einrichtung einer temporären Arbeitsgruppe Sicherung und Rückrechnung von Statistiken der ehemaligen DDR, geleitet vom Vorstandsmitglied Reiner Stäglin vom DIW in Berlin, deren Notwendigkeit sich sowohl aus den Datenerfordernissen für zukünftige Forschungsarbeiten als auch aus einer sich abzeichnenden Verringerung der Aktivitäten des Statistischen Bundesamtes auf diesem Gebiet ergab, und (ii) zu einer Erklärung der DStatG im Rahmen der Statistischen Woche 1993 in Köln betreffend Sicherung und Dokumentation der statistischen DDR-Datenbestände. Diese Erklärung hat folgenden Wortlaut: Kölner Erklärung der Deutschen Statistischen Gesellschaft zur Sicherung und Dokumentation der statistischen Datenbestände der ehemaligen DDR Mit der Vollendung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 ging die mehr als 40jährige Geschichte der DDR zu Ende. Das vorherrschende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System hat die Lebensverhältnisse der dort lebenden Menschen wesentlich und nachhaltig geprägt. Über diese Epoche liegt eine Fülle von statistischen Daten und sonstigen Materialien vor. Die Deutsche Statistische Gesellschaft sieht es als einmalige historische Aufgabe an, dieses Datenmaterial zu sichern, zu dokumentieren und so aufzubereiten, dass künftige Forschungen möglich werden, insbesondere über: – die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung in diesem Teil Deutschlands aus historischer Sicht, – die Funktion und Wirkungsweise einer sozialistischen Planwirtschaft im Vergleich zu einer sozialen Marktwirtschaft. Das vorhandene Datenmaterial muss sachkundig erschlossen werden unter Mitwirkung von Fachleuten, die noch die Interna und die sachlichen Rahmenbedingungen des Entstehens der Daten kennen. In den vergangenen zwei Jahren hat sich vor allem das Statistische Bundesamt dieser Aufgabe angenommen. Die Fortführung der Arbeiten ist akut gefährdet, weil die dafür vorgesehenen Bundesmittel ab 1994 nicht mehr zur Verfügung stehen und damit das vorhandene Expertenwissen verloren zu gehen droht. Die Deutsche Statistische Gesellschaft appelliert an Staat, Öffentlichkeit und private Einrichtungen der Wissenschaftsförderung, sich der geschichtlichen Verantwortung zu stellen und für die Sicherung und ausführliche Dokumentation der Datenbestände über die ehemalige DDR Sorge zu tragen. Die Deutsche Statistische Gesellschaft ist bereit, den Sachverstand ihrer Mitglieder in die Entwicklung eines Gesamtkonzeptes und in Forschungsprojekte einzubringen.
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Diese Erklärung fand in der Politik ein positives Echo und inhaltlich volle Zustimmung. Doch wenn es um finanzielle Unterstützung ging, wurde in mehreren Antworten auf Einsparungen im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms verwiesen, die auch „eine Fortführung der Datensicherung durch das Statistische Bundesamt ausschließen dürften“. Im Antwortschreiben des damaligen Chefs des Bundeskanzleramtes vom 25. November 1993 an den DStatGVorsitzenden heißt es u.a.: „Ich möchte Sie daher um Verständnis bitten, wenn aufgrund der Einsparvorgaben Haushaltsmittel für das von Ihnen angesprochene Projekt leider nicht zur Verfügung stehen. Umso mehr begrüße ich Ihren Appell an die Öffentlichkeit und private Einrichtungen der Wissenschaftsförderung in Ihrer Kölner Erklärung“. Und in der Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 16. Dezember heißt es nach dem erneuten Hinweis auf die Mittelkürzungen durch das Föderale Konsolidierungsprogramm: „Ich könnte mir vorstellen, dass die Arbeiten wenigstens zum Teil in Form von Forschungsprojekten an Universitäten und Forschungseinrichtungen fortgeführt werden. Unter diesen Voraussetzungen könnte auch eine Antragstellung auf Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in Betracht gezogen werden. Ich schlage Ihnen vor, die Möglichkeiten hierfür zu prüfen“. Da sich die Anregungen der Kölner Erklärung mit den eigenen Vorstellungen der DStatG deckten, wurde durch die temporäre Arbeitsgruppe ein Kreis von Interessenten an Rückrechnungen von Daten für die ehemalige DDR ermittelt. Aus diesem Kreis wurden dann Antragsteller gesucht, die bereit waren, innerhalb des von der DFG im Jahre 1992 aufgelegten Schwerpunktprogramms „Wirtschaftliche Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel in Deutschland nach 1945“ Projektanträge zu formulieren. Auf der DStatG-Vorstandssitzung im Februar 1994 in Bielefeld wurde wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen, „dass das Knowhow der Mitarbeiter der DDR-Statistik genutzt werden muss“. In einem Rundschreiben der Vorsitzenden von DStatG und temporärer Arbeitsgruppe vom 14. April 1994 an den Kreis der Interessenten konnte vermeldet werden, „im Rahmen der durch die DStatG initiierten Aktivitäten sind bis zum 31. März 1994 fünf Anträge gestellt worden; sie stellen mehr oder weniger alle auf eine Zusammenarbeit mit der Zweigstelle Berlin des Statistischen Bundesamtes ab. Diese Anträge liegen nun bei der DFG zur Begutachtung vor“. Der in der Zweigstelle angesiedelte Arbeitsbereich DEO hatte die Aufgabe, sich sowohl um eine Zusammenstellung von statistischen Informationen der ehemaligen DDR zu kümmern, die für eine mit dem bundesdeutschen Statistiksystem vergleichbare Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung vorhanden waren, als auch eine Rückrechnung von Ausgangsdaten in Zeitreihenform vorzunehmen. Letztere sind in den neunziger Jahren nach und nach vom Statistischen Bundesamt in 34 Heften der Sonderreihe mit Beiträgen für das Gebiet der ehemaligen DDR veröffentlicht worden (Statistisches Bundesamt 1990–2000). Im Jahr 1994 wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Wirtschaftliche Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel in Deutschland nach 1945“ zwei Anträge genehmigt.
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Einer von Reiner Stäglin, DIW und Freie Universität Berlin, über „Sektoraler Strukturwandel in beiden deutschen Volkswirtschaften im Spiegel von Produktion, Wertschöpfung, Erwerbstätigkeit und Einkommen 1970–1990“ (Kennwort: Faktoreinsatz in Ost – und Westdeutschland) und einer von Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle über „Wirtschaftlicher Strukturwandel im Lichte von Verwendungskomponenten des Sozialprodukts für die beiden deutschen Volkswirtschaften von 1970 bis 1990“ (Kennwort: Nachfrage in Ost- und Westdeutschland). Beide Forschungsvorhaben wurden zweimal von der DFG verlängert und unter Einbeziehung von Mitarbeitern des Statistischen Bundesamtes durchgeführt, die noch mit den Statistiken der ehemaligen DDR vertraut waren. Hierfür wurden mit dem Arbeitsbereich DEO gesonderte Werkverträge geschlossen. Zwischenergebnisse der Forschungsprojekte wurden auf den Kolloquien zum DFG-Schwerpunktprogramm vorgestellt, aber auch auf den Folgetreffen der temporären Arbeitsgruppe anlässlich der Statistischen Wochen 1995 und 1996. Die Schlussergebnisse sind unter den Titeln „Struktureller Wandel von Produktion, Faktoreinsatz und Nachfrage in Ostund Westdeutschland in den achtziger Jahren“ und „Das Bruttoinlandsprodukt in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland von 1980 bis 1989 – Quellen, Methoden und Daten – “ im Sammelband Deutsch-Deutsche Wirtschaft 1945 bis 1990 (Baar, Petzina 1999) veröffentlicht, der eine Zusammenfassung des DFGSchwerpunktprogramms enthält. Auch das Statistische Bundesamt (2000) publizierte die Ergebnisse der beiden von der DFG geförderten Forschungsvorhaben über die ehemalige DDR. Eine weitere Rückrechnung wurde von der Deutschen Bundesbank über „Die Zahlungsbilanz der ehemaligen DDR 1975 bis 1989“ durchgeführt (Deutsche Bundesbank 1999). Für die DDR lagen zwar Daten über außenwirtschaftliche Aktivitäten auf einzelnen Gebieten vor, aber es existierte keine zusammenfassende Statistik aller grenzüberschreitenden Transaktionen. Die Bundesbank hat durch Auswertung von Bilanzen und Rechnungslegungsunterlagen von Banken und Unternehmen sowie von Budgetdaten von Ministerien, Protokollen und Arbeitsunterlagen des Politbüros und der Staatlichen Plankommission eine Zahlungsbilanz nach dem Muster des internationalen Währungsfonds vorgelegt. Summa summarum kann sicherlich zu Recht behauptet werden, dass die DStatG den selbst gestellten Anspruch erfüllt hat, durch initiierte oder selbst unternommene Aktivitäten auf ihren Tätigkeitsfeldern einen Beitrag zur Wiedervereinigung Deutschlands zu leisten.
Literatur Angermann O (1991) Thesen zum Vortrag: Auf dem Weg zur Einheit der deutschen amtlichen Statistik. In: Furmaniak K, Kiock H (Hrsg) S. 51–57 Angermann O and Mitarbeiter (1990) Statistik der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Weg zur Einheit. Wirtsch Stat 8:523–528, 323∗ Baar L, Petzina D (Hrsg) (1999) Deutsch-Deutsche Wirtschaft 1945 bis 1990. Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel – Ein Vergleich. Scripta Mercaturae Verlag, St. Katharinen
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Deutsche Bundesbank (Hrsg) (1999) Die Zahlungsbilanz der ehemaligen DDR 1975–1989. Eigenverlag der Deutschen Bundesbank, Frankfurt a. M. Deutsche Statistische Gesellschaft (1990–1995) Protokolle der Vorstandssitzungen und interne Arbeitsunterlagen Donda A, Herrde O, Struck E, Kuhn R (1972) Statistik Lehrbuch. Verlag Die Wirtschaft, Berlin Furmaniak K, Kiock H (Hrsg) (1991) Programmforschung in der und über die (ehemalige) DDR. Gesellschaft für Programmforschung in der öffentlichen Verwaltung e.V. Werkstattbericht 13, München Grohmann H (1990–1991) Interne Unterlagen über Kontakte und Briefwechsel mit Statistikern aus der DDR Heske G (1990) Statistik der DDR im Umbruch. Sonderdruck zu Wirtsch Stat 4:1–4 Ludwig U, Stäglin R, Stahmer C et al (1996) Verflechtungsanalysen für die Volkswirtschaft der DDR am Vorabend der deutschen Vereinigung. DIW-Beiträge zur Strukturforschung. Heft 163. Duncker & Humblot, Berlin Melzer M, Stäglin R (1991) The role of economic statistics in the German Unification Process. In: U.S. Bureau of Labor Statistics and Eurostat (ed) Economic statistics for economies in transition: Eastern Europe in the 1990’s. U.S. Bureau of Labor Statistics, Washington, DC Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (1990) Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. In: Bulletin Nr. 63. Bonn. 18. Mai 1990 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (1990a) Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – . In: Bulletin Nr. 104. Bonn. 6. September 1990 Stäglin R, Filip-Köhn R (1994) Quantitative Analyse der wirtschaftlichen Verflechtungen von alten und neuen Bundesländern und ihrer Arbeitsmarktwirkungen. BeitrAB 183. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg Statistisches Bundesamt (1990) Die Statistik auf dem Weg zur deutschen Einheit. Sonderdruck zu Wirtsch Stat 7:1–13 Statistisches Bundesamt (Hrsg) (1990) Zur Sozialproduktsrechnung der Deutschen Demokratischen Republik. Heft 12 der Schriftenreihe Ausgewählte Arbeitsunterlagen zur Bundesstatistik, Wiesbaden Statistisches Bundesamt (Hrsg) (1990–2000) Sonderreihe mit Beiträgen für das Gebiet der ehemaligen DDR. Hefte 1–34. Arbeitsunterlagen, Wiesbaden Statistisches Bundesamt (Hrsg) (1993) Einführung der Bundesstatistik in den neuen Bundesländern. Forum der Bundesstatistik Bd 22. Metzler-Poeschel, Stuttgart Statistisches Bundesamt (Hrsg) (1993a) Rückrechnungen gesamtwirtschaftlicher Daten für die ehemalige DDR. Forum der Bundesstatistik Bd 24. Metzler-Poeschel, Stuttgart Statistisches Bundesamt (Hrsg) (2000) Entstehung und Verwendung des Bruttoinlandsprodukts 1970 bis 1989. Ergebnis eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsvorhabens. Heft 33 der Sonderreihe mit Beiträgen für das Gebiet der ehemaligen DDR. Arbeitsunterlage, Wiesbaden Steger A (1990–1995) Archivmaterialien der Deutschen Statistischen Gesellschaft
Kapitel 17
Volkszählung und Mikrozensus1 Heinz Grohmann
Zusammenfassung Die Volkszählung (Zensus) ist seit langem weltweit eine statistische Erhebung über Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. In vielen Ländern wird sie heute in etwa 10jährigem Abstand durchgeführt. In Deutschland wurde sie in den 80er Jahren zum Politikum. Datenschutzängste, verbunden mit politischen Vorgängen (Friedensbewegung), erregten die Menschen, und das Bundesverfassungsgericht steckte neue Grenzen ab. Nach kontroversen Auseinandersetzungen, an denen die Deutsche Statistische Gesellschaft (DStatG) konstruktiv beteiligt war, kam es zur Volkszählung 1987. Den nachfolgenden Paradigmenwechsel hin zu einem registergestützten Zensus 2011 hat die DStatG ebenfalls kreativ mitgestaltet. Im Beitrag wird dieser Weg nachgezeichnet. Das neue Konzept wird vorgestellt und kritisch gewürdigt. Betroffen war auch der Mikrozensus als größte Bevölkerungsund Arbeitsmarktstichprobe zwischen den Zensen. Nicht zuletzt durch das Wirken eines wissenschaftlichen Beirats, dessen Mitglieder von der DStatG vorgeschlagen wurden, blieb diese Erhebung in ihrem Kern für die Zukunft erhalten.
17.1 Wie die Volkszählung zum Politikum wurde Volkszählungen gehören zu den ältesten Zeugnissen der Statistik überhaupt. Aber erst im 19. Jahrhundert erwachte im Zuge der Industrialisierung in vielen Staaten und Städten ein vitales Interesse an Informationen über die Bevölkerung, die Wirtschaft und die Kultur, und so wurde die Volkszählung in Deutschland wie anderswo zu einer zentralen statistischen Erhebung.
H. Grohmann (B) Hauburgsteinweg 27, 61476 Kronberg, Deutschland e-mail:
[email protected] 1 Der
Beitrag stützt sich zum Teil auf den Aufsatz desselben Autors (Grohmann 2009).
H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9_17,
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Nach dem zweiten Weltkrieg empfahl die UN, alle 10 Jahre Volkszählungen durchzuführen. Seither folgen immer mehr Staaten dieser Empfehlung. In Deutschland 2 geschah das 1950, 1961 und 1970. Das Gesetz für 1981 (Volkszählungsgesetz 1981, Entwurf) scheiterte zwar zunächst im Streit um die Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern. Doch folgte bald darauf – noch zur Regierungszeit von Helmut Schmidt - ein neues Volkszählungsgesetz mit Stichtag 27. April 1983 (Volkszählungsgesetz 1983). Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Gegen Ende das Jahres 1982 – inzwischen war Helmut Kohl Bundeskanzler geworden – rief eine Gruppe von Nachrüstungsgegnern zu einem Volkszählungsboykott auf. Bald darauf wurde darüber hinaus das Menetekel einer Totalerfassung der Daten des einzelnen Bürgers heraufbeschworen, verbunden mit den Schlagworten vom „gläsernen Bürger“ und „Orwell 1984“ (Scheuch 1989, S 37). Diese Beschwörungen fanden ein verbreitetes Echo, was angesichts der neuesten Entwicklung der Informationstechnologie auch nicht unverständlich war. Es kam bundesweit zu heftigen Protestbewegungen, einer weitgehenden Verunsicherung, ja Verängstigung der Bürger und zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, das daraufhin die Volkszählung erst einmal aussetzte (BVG Einstweilige Verfügung). Die Volkszählung war zum Politikum geworden. In dieser Situation konnte und wollte die Deutsche Statistische Gesellschaft (DStatG) nicht schweigen. Während der Statistischen Woche 1983 in Wuppertal formulierte der Vorstand einen Resolutionsentwurf und legte ihn am 24.9.1983 der Mitgliederversammlung vor. Nach einer langen und heftigen Diskussion wurde die Resolution, die die Notwendigkeit der Volkszählung begründete und sich nachdrücklich für deren Durchführung aussprach, einmütig verabschiedet. (Der Text der Resolution ist in Anhang 13 abgedruckt.) Am 15.12.1983 erging dann das bekannte Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (Bundesverfassungsgericht 1983). Darin wurden der Melderegisterabgleich und zwei weitere Vorschriften über die Weiterleitung personenbezogener Daten für verfassungswidrig erklärt. Abgeleitet aus dem Grundgesetz kreierte das Gericht ein „informationelles Selbstbestimmungsrecht“, demzufolge der Einzelne befugt ist, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebensverhältnisse offenbart werden. Dieses Recht kann aber unter bestimmten Bedingungen im überwiegenden Allgemeininteresse eingeschränkt werden. In diesem Sinne hob das Verfassungsgericht die Notwendigkeit statistischer Erhebungen zur allgemeinen Daseinsvorsorge ausdrücklich hervor und erkannte die Methode (Totalerhebung mit Pflichtauskunft) sowie das
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Folgenden ist damit immer die Bundesrepublik gemeint.
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vorgesehene Erhebungsprogramm als verfassungsgemäß an. Vom Gesetzgeber aber wurde verlangt, sich vor künftigen Entscheidungen erneut mit dem dann erreichten Stand der Methodendiskussion auseinanderzusetzen. In diese Diskussion waren auch weiterhin die DStatG bzw. ihre Vertreter einbezogen. Bei der Neufassung des Mikrozensusgesetzes (Mikrozensusgesetz 1985), das vom Volkszählungsurteil ja auch nicht unberührt bleiben konnte, wurde ein vierköpfiger wissenschaftlicher Beirat geschaffen3 , dessen Mitglieder auf Vorschlag der DStatG vom Bundesminister des Innern berufen wurden. Dieser Beirat wirkte aufgrund eines späteren Bundestagsbeschlusses auch an der Vorbereitung der Volkszählung mit. Er pflegte einen regen Gedankenaustausch mit der amtlichen Statistik, regte eine Reihe von Volkszählungsbegleituntersuchungen an (Scheuch et al 1989), verfasste eine eigene Resolution und berichtete dem Innenausschuss des Bundestages über seine Ergebnisse. Die politische Auseinandersetzung ging indessen weiter. Die Bedeutung der Volkszählung für alle Teile der Gesellschaft und die absolute Sicherung der Geheimhaltung vertrat in der Öffentlichkeit vor allem Egon Hölder, der damalige Präsident des Statistischen Bundesamtes („10 Minuten, die allen helfen“). Ähnliches taten viele weitere Persönlichkeiten der amtlichen Statistik, fast alle Mitglieder der DStatG. Freilich zählten auch zu den Gegnern der Volkszählung neben den Mitgliedern von Friedens- und anderen -bewegungen Persönlichkeiten, wie etwa der Informatik-Professor Karl Brunnstein, mit dem der Beirat einen heftigen Disput ausfocht.
Werbung für die Volkszählung
3 Näheres
dazu im Abschn. 17.2.
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Protest gegen die Volkszählung
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Erfolg der Volkszählung Inzwischen begannen die Beratungen zu einem neuen Volkszählungsgesetz, das den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfang Rechnung tragen sollte. Beide großen Parteien setzten sich mit Nachdruck dafür ein. In einer öffentlichen Anhörung im Bundestagsinnenausschuss am 15.4.1985 präsentierte der damalige Vorsitzende der DStatG, Heinz Grohmann, als Sachverständiger auch die Argumente der Wissenschaft. Die Zustimmung zu diesem Gesetz (Volkszählungsgesetz 1987) kam danach aus allen Parteien außer der der GRÜNEN. Nachdem die Volkszählung mit Stichtag 17.5.1987 erfolgreich durchgeführt war, brach die bis dahin heftig geführte öffentliche Diskussion schlagartig ab. Alle datenschutzrechtlichen Befürchtungen erwiesen sich als haltlos. Aber eine latente Verunsicherung der Bevölkerung und eine skeptische Grundhaltung bei Politikern aus allen Parteien beim Stichwort „Volkszählung“ blieben dennoch. Aus heutiger Sicht sind - angesichts der exorbitanten Sammlung und Verbreitung auch personenbezogener Daten - die damaligen Ängste kaum mehr zu begreifen.
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Die Zählung war dringend notwendig gewesen. Bei der Fortschreibung der Einwohnerzahlen seit 1970 hatten sich erhebliche Fehler kumuliert, und die Zahl der Wohnungen musste gar um eine Million nach unten korrigiert werden (Würzberger P u. Wedel E 1988). Die Kosten waren am Ende statt der ursprünglich für 1981 veranschlagten 430 Mill. DM (Volkszählungsgesetz 1981, Entwurf 1979) vor allem wegen der inzwischen notwendig gewordenen, sehr aufwändigen Datenschutzvorkehrungen auf rund eine Mrd. DM angestiegen.
17.2 Auswirkungen auf den Mikrozensus Der Mikrozensus als größte jährliche repräsentative Stichprobe über Bevölkerung und Arbeitsmarkt blieb vom Wirbel um die Volkszählung nicht unberührt. Da wie die Volkszählung mit Auskunftspflicht verbunden, wurde im Bundestag die Forderung nach deren Aufhebung laut, sobald dies vertretbar schien. Sie fand ihren Niederschlag im gerade zur Novellierung anstehenden Mikrozensusgesetz (Mikrozensusgesetz 1985). Um zu prüfen, ob in künftigen Mikrozensuserhebungen ganz oder teilweise auf die Auskunftspflicht verzichtet werden könne, wurden in § 13 des Gesetzes für die Jahre 1985 bis 1987 zusätzlich zu den jährlichen 1 %igen Mikrozensuserhebungen Testerhebungen mit einem Auswahlsatz von 0,5 % und freiwilliger Auskunftserteilung angeordnet, denen alternative Verfahren zugrunde zu legen seien. Bei deren Festlegung sowie bei der Auswertung der Testerhebungen sollte ein wissenschaftlicher Beirat, bestehend zwei Hochschullehren der Statistik und zwei Vertretern der Sozialforschung, mitwirken. Dieser Beirat wird, so heißt es in § 13, Abs. 3 des Gesetzes, „vom Bundesminister des Innern auf Vorschlag des Vorstandes der Deutschen Statistischen Gesellschaft berufen“. Vorgeschlagen und berufen wurden sodann Karl-August Schäffer, Heinz Grohmann, Wolfgang Müller und Wolfgang Zapf, der wegen eines Forschungsaufenthalts in den USA bald durch Hartmut Esser ersetzt wurde. In 50 ganztägigen Sitzungen von 1985 bis 1989 hat der Beirat nicht nur seinen gesetzlichen Auftrag erfüllt, sondern auch zahlreiche Vorschläge zur Weiterentwicklung dieser Großstichprobe erarbeitet. Die Ergebnisse sind in dem Band „Mikrozensus im Wandel“ (Esser et al. 1989) enthalten. Der Beirat kommt darin zu dem Schluss, „dass auf die Auskunftspflicht zur Erfüllung der Grundfunktionen des Mikrozensus nicht verzichtet werden kann“ (Esser et al S. 325). Hinweise darauf, dass bei freiwillig erhobenen Daten sich eine höhere Antwortqualität einstellt als bei Antwortverpflichtung, fanden sich nicht, eher war das Gegenteil der Fall. Vor allem aber führt die Erhebung mit freiwilliger Antworterteilung wegen der unvermeidlich selektiven, kaum je unter 30 % liegenden Antwortausfälle zu Verzerrungen, die bei einer so fundamentalen Erhebung nicht hinnehmbar sind. Da z. B. Personen mit unterdurchschnittlichem Einkommen bei Freiwilligkeit eher die Antwort verweigern, würde ein solcher Mikrozensus ein geschöntes Bild zeichnen. Tief gegliederte Tabellen und Vergleiche zwischen zeitlich aufeinander folgenden Mikrozensen wären nicht mehr verlässlich.
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Die Empfehlungen des Beirats zur Weiterentwicklung des Mikrozensus zielten vor allem auf eine Flexibilisierung dieses Instruments. Die bis dahin übliche Festlegung der Merkmale per Gesetz für mehrere Jahre behindere eine Anpassung an veränderte Problemlagen und politische Fragestellungen. Außerdem empfahl und begründete der Beirat den Übergang zu einer über das Jahr verteilten Erhebungsweise. Die weitere Entwicklung mag als ein Beispiel für die Schwierigkeit der Umsetzung wissenschaftlicher Empfehlungen in praktische Politik gelten. Für die im Jahr 1990 anstehende Novellierung des Mikrozensusgesetzes legte das Bundesinnenministerium Ende 1989 einen Entwurf vor, der – wie vom Beirat empfohlen – die Auskunftspflicht in den Kernteilen des Mikrozensus weiterhin vorsah, die Empfehlungen für seine Weiterentwicklung jedoch nicht aufgriff – wohl wegen eines befürchteten Widerstands im Parlament. Dieser „Referentenentwurf“ wurde zunächst den maßgeblichen Innenpolitikern zur Abstimmung vorgelegt. Dazu waren auch einige Nichtpolitiker geladen, darunter der Beiratsvorsitzende Heinz Grohmann. Zu einer Einigung unter den Politikern kam es gleichwohl nicht. Von den Gegnern kamen wieder die alten, inzwischen widerlegten Argumente (Datenhunger der Statistiker, unerträgliches Eindringen in die Privatsphäre, höhere Antwortqualität bei Freiwilligkeit). Offensichtlich waren weder die Befunde der Testerhebungen noch die Analysen des Beirats zur Kenntnis genommen worden. Erst in einem mühevollen Schriftverkehr unter Beteiligung des Beiratsvorsitzenden gelang es dem Obmann der einen Koalitionsfraktion im Innenausschuss, den der anderen zur Zustimmung zu bewegen, allerdings unter Verzicht auf ein weiteres Merkmal (Bildungsabschluss) im Pflichtkatalog. Da sich die anderen fachlich betroffenen Ministerien inzwischen für die Erhaltung des Mikrozensus mindestens im Sinne des Referentenentwurfs eingesetzt hatten, wurde daraus nun ein Regierungsentwurf. Damit war jedoch der Bundesrat nicht einverstanden. Er verlangte die Rückkehr zu mehr Auskunftspflicht und die Wiederaufnahme der im Referentenentwurf gestrichenen Wohnungsfragen. Die Bundesregierung signalisierte Prüfungsbereitschaft. Nach der 1. Lesung im Bundestag befassten sich die fachlich betroffenen Ausschüsse damit und sprachen sich wieder für eine Verstärkung der Pflichtauskunft und des Frageprogramms aus. Dennoch blieb der federführende Innenausschuss bei dem, was er zuvor intern gerade noch als akzeptabel hingenommen hatte. Beinahe wäre das Gesetz dann trotzdem noch gescheitert. Der Innenausschuss des Bundesrates hätte nämlich seinem Plenum die Ablehnung empfohlen, weil er durch die Abstriche die Leistungsfähigkeit des Mikrozensus be-einträchtigt sah. Der Bundesrat selbst musste aber zustimmen, weil andernfalls das Gesetz wegen der bevorstehenden Bundestagswahl 1990 nicht mehr zu retten gewesen wäre. So konnte denn der Mikrozensus mit Pflichtauskunft in seinen Kernbereichen 1991 zum ersten Mal in ganz Deutschland durchgeführt werden. Seitdem hat er sich außerordentlich fruchtbar weiterentwickelt, inzwischen ist auch die vom Beirat empfohlene unterjährige Erhebungsweise Standard geworden (siehe zu alledem Grohmann 1991, S 30-32)
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17.3 Der Weg zum Paradigmenwechsel in der Volkszählung Unmittelbar nach der Volkszählung 1987 und deren Begleiterscheinungen begann die amtliche Statistik, Lehren aus alledem zu ziehen. Im Jahr 1991 veranstaltete sie ein gemeinsames Symposium mit Vertretern der Wissenschaft und der Politik zum Thema „Volkszählung 2000 oder was sonst?“ (Statistisches Bundesamt 1992). Das Ziel war, den Datenbedarf einer Volkszählung für die Zukunft abzuklären, alternative Wege aufzuspüren und ausländische Erfahrungen einzuholen. Moderator war Heinz Grohmann. Bis 1995 erarbeitete sodann eine Arbeitsgruppe der amtlichen Statistik unter der Bezeichnung „Künftige Zensen“ (Statistisches Bundesamt 1995) – ohne wissenschaftliche Beteiligung – einen Bericht, in dem 12 verschiedene Verfahrensansätze einander gegenübergestellt wurden. Bevor es jedoch zu einer Entscheidung für ein bestimmtes Modell kam, legte das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaft einen Verordnungsentwurf für einen gemeinschaftsweiten Zensus 2001 vor. Durch Intervention des deutschen Bundeskanzlers wurden daraus jedoch nur unverbindliche Leitlinien (Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaft 1997), an die sich alle anderen EU-Staaten hielten, Deutschland nicht. Aus Kosten- und aus Akzeptanzgründen sollte es eine Volkszählung wie 1987 nicht geben. Da man sich weltweiten Zensen aber nicht auf Dauer verschließen konnte, sah man in einer Auswertung vorhandener Register einen Ausweg. Die nordischen Staaten taten dies schon seit längerem, freilich unter ganz anderen Rahmenbedingungen. So entschied sich die Konferenz der Innenminister und Innensenatoren gegen eine herkömmliche Volkszählung und forderte, Vorbereitungen zur Durchführung eines registergestützten Zensus zu treffen (Eppmann 2004). Eine Arbeitsgruppe „Gemeinschaftsweiter Zensus 2001“ (Statistisches Bundesamt 1998) entwickelte daraufhin zwei Modelle für einen registergestützten Zensus: das Bundes- und das Ländermodell (Siedt 1999 S 40 und Rost 1999 S 51 ff). Dies alles geschah ohne Beteiligung der Öffentlichkeit und auch der Wissenschaft (Wiegert 1999) Ein skeptisches Interesse an dieser Entwicklung regte sich zuerst in der Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftlicher Institute e.V. (ASI) und bald darauf auch in der DStatG. Deren Ausschüsse für die Methodik Statistischer Erhebungen und für Regionalstatistik widmeten zusammen mit dem Verband Deutscher Städtestatistiker und der ASI einen vollen Tag der Statistischen Woche 1998 der Volkszählung. Darin wurden das Bundes- und das Ländermodell vorgestellt, weitere Methodenfragen erörtert sowie die Bedeutung der Volkszählung für die moderne Informationsgesellschaft, für die Bevölkerungswissenschaft, die empirische Sozialforschung und die Raumordnung, Landes- und Regionalplanung exemplarisch artikuliert. Diese Veranstaltung fand ein außerordentliches Interesse; die Referate sind in einem Sonderheft zum Allgemeinen Statistischen Archiv abgedruckt (Grohmann et al 1999). Fast zur gleichen Zeit führte die Bundestagswahl 1998 zu einem weiteren Regierungswechsel. In einem ersten Gespräch, das die nunmehr zuständige Staats-
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sekretärin im Bundesinnenministerium, Brigitte Zypries, mit Vertretern der amtlichen Statistik führte, wurden die politischen Weichen für das weitere Vorgehen gestellt: 1. Im Jahr 2001 gibt es in Deutschland keinen Zensus. Eurostat erhält ersatzweise Daten, vor allem aus der Bevölkerungsfortschreibung und dem Mikrozensus. 2. Es wird ein Methodenwechsel hin zu einem Registerzensus vollzogen. Es werden aber keine weiteren Modelle dafür entwickelt. 3. Stattdessen wird ein Gesetz vorbereitet für Tests zur Klärung der für einen Registerzensus offenen Fragen. Erst danach wird über das endgültige Zensusverfahren entschieden. Damit war klar, dass es auch unter der neuen Regierung keinen traditionellen Zensus mehr geben würde. Klar war aber auch, dass eine alternative Methode für einen Zensus 2001 nicht zur Verfügung stand. Eurostat mochte sich mit dem angeboten Ersatz zufrieden geben, Bund und Länder vielleicht auch noch. Für die Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Sozialstatistik, für die Regionalforschung in Deutschland und vor allem für die Gemeinden bedeutete das Fehlen verlässlicher Einwohnerzahlen und vieler weiterer aktueller demographischer und sozioökonomischer Grunddaten über 2 Jahrzehnte hinweg jedoch einen unwiederbringlichen Informationsrückstand. Für die weiteren Planungen war der Weg aber für einen registergestützten Zensus politisch vorgegeben. Ins Auge gefasst wurde dafür ein im Wesentlichen auf dem Ländermodell beruhendes Konzept. Politik und amtliche Statistik waren sich aber im Klaren, dass ein solcher Zensus in Deutschland im nächsten Jahrzehnt nicht ohne gründliche Vorprüfungen und Vorbereitungen zu brauchbaren und rechtlich haltbaren Ergebnissen führen würde. So erließ der Gesetzgeber am 27. Juli 2001 ein Gesetz (Zensusvorbereitungsgesetz 2001), das eine Reihe von Qualitäts- und Verfahrenstests anordnete. Diese Tests förderten beachtliche Mängel in den Einwohnermelderegistern zutage, lieferten zugleich aber auch Ansatzpunkte für Verbesserungen. Auch die wichtigsten anderen im Ländermodell vorgesehenen Verfahrensschritte wurden geprüft und zu konstruktiven Verbesserungen genutzt. In der DStatG war es weiterhin der Ausschuss für die Methodik Statistischer Erhebungen, der sich mit der Zensusthematik befasste. Der Vorsitzende Walter Krug wirkte in einer der von den Statistischen Ämtern zur Durchführung der Tests eingerichteten Arbeitsgruppen mit (Krug 2002, S 340).
17.4 Das Zensusgesetz 2011 Am 29.8.2006 beschloss die Bundesregierung, sich an der 2010/2011 anstehenden nächsten EU-weiten Zensusrunde mit einem registergestützten Verfahren zu beteiligen. Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen und Kosten sollen dabei die
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Vorgaben der EU möglichst 1:1 umgesetzt werden. (Bundesministerium des Innern 2006). Auch diesmal wurde eine „Zensuskommission“ eingesetzt (Bundesministerium des Innern 2007), berufen vom Bundesminister des Innern auf Vorschlag des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten. In der DStatG war es weiterhin der Ausschuss für die Methodik Statistischer Erhebungen, jetzt unter dem Vorsitz von Jürgen Chlumsky und seinem Stellvertreter Ralf Münnich, der sich den Fragen des Zensus 2011 widmete. Anlass dazu gab vor allem ein vom Bundesministerium des Inneren bzw. den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder gefördertes Stichprobenforschungsprojekt zum Zensus 2011. Der Ausschuss bot die geeignete Plattform, um die öffentliche Diskussion darüber, insbesondere zwischen amtlicher Statistik und akademischer Welt, anzuregen. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden die Universität Trier (Ralf Münnich) und GESIS Mannheim (Siegfried Gabler) beauftragt, insbesondere zwei Fragestellungen im Zusammenhang mit der in den Zensus integrierten Haushaltsstichprobe (siehe unten Ziffer 4) nachzugehen. Zum eine geht es darum, den Gesamtstichprobenumfang von etwa 9% unter teilweise konkurrierenden Gesichtspunkten optimal auf die Gemeinden in Deutschland aufzuteilen. Zum anderen soll geklärt werden, welche Schätzmethoden im Zusammenhang mit einem registergestützten Zensus überhaupt zum Einsatz kommen können. Spezielle Small AreaVerfahren stehen hier in Konkurrenz zu den klassischen Methoden. Mehr denn je ist dabei – besonders für politisch relevante Kenngrößen – die in Kauf zu nehmende Stichprobenvarianz gegen etwaige Verzerrungen abzuwägen. Am 2.9.2008 trat die erwartete EU-Verordnung in Kraft, die gemeinsame Regeln für die Bereitstellung umfassender Daten über die Bevölkerung und die Wohnsituation im Abstand von 10 Jahren festlegte. Die Zahl der im Einzelnen aufgeführten demographischen, sozialen, wirtschaftlichen und wohnungsbezogenen Erhebungsmerkmale entspricht im Wesentlichen dem Standard herkömmlicher Zensen. Eine Erhebungsmethode wurde nicht vorgeschrieben. Wenige Monate später beschloss das Bundeskabinett den Entwurf eines Zensusanordnungsgesetzes. Als Erhebungsstichtag wurde der 9. Mai 2011 vorgesehen. Es folgten eine Stellungnahme der Zensuskommission sowie eine öffentliche Anhörung im Bundestagsinnenausschuss. Die Zensuskommission schlug unter anderem eine Aufnahme von neun zusätzlichen Merkmalen vor, darunter die Bildung im Elementarbereich, den Migrationshintergrund sowie die Energie- bzw. Heizkosten. Bei der öffentlichen Anhörung, in der der Vorsitzende der Zensuskommission als einer der Sachverständigen diese Forderungen wiederholte, forderte der Vertreter der Statistischen Landesämter neben Verfahrensvorschlägen zusätzlich die Differenzierung der Haushaltsstichprobe nach Stadtteilen (etwa 200.000 Einwohner) in Städten mit mindesten 400.000 Einwohnern, der Vertreter der Kirchen die Aufnahme der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft. Danach wurden Migrationshintergrund, innergroßstädtische Regionaldifferenzierung und Religionsgesellschaftszugehörigkeit in das Zensusgesetz aufgenommen, die anderen von der Zensuskommission geforderten Merkmale dagegen nicht.
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Am 15.5.2009 stimmte auch der Bundesrat zu, und am 8.7.2009 trat das Gesetz über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) in Kraft. Nach § 1 des Gesetzes dient der Zensus folgenden Zwecken: (1) der Feststellung der amtlichen Einwohnerzahlen von Bund, Ländern und Gemeinden und der Bereitstellung der Grundlage für die Fortschreibung der amtlichen Einwohnerzahlen für die Zeit zwischen zwei Volkszählungen, (2) der Gewinnung von Grunddaten für das Gesamtsystem der amtlichen Statistik sowie von Strukturdaten über die Bevölkerung als Datengrundlage insbesondere für politische Entscheidungen von Bund, Ländern und Kommunen auf den Gebieten Bevölkerung, Wirtschaft, Soziales, Wohnungswesen, Raumordnung, Verkehr, Umwelt und Arbeitsmarkt sowie (3) der Erfüllung der Berichtspflichten nach der Verordnung (EG) Nr. 763/2008 (Verordnung EG 2008). Der Zensus wird die folgenden Grundelemente umfassen: 1. Übermittlung von Daten der Melderegister aller Gemeinden an drei Stichtagen, verbunden mit einer Mehrfachfallprüfung und nachfolgender (maschineller) Fehlerbereinigung, aber ohne Fehlerrückmeldung an die Meldebehörden, 2. Übermittlung von Daten der Bundesagentur für Arbeit über sozialversicherungspflichtig beschäftigte, arbeitslos gemeldete oder an arbeitsfördernden Maßnahmen teilnehmende Personen, 3. Übermittlung von Daten des Bundes und der Länder über unmittelbar in einem Dienst- oder Dienstordnungsverhältnis stehende Personen, 4. Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis (Haushaltsstichprobe), verbunden mit Auskunftspflicht; der Auswahlsatz wird durch Genauigkeitsvorgaben für die Ergebnisse bestimmt, soll aber nicht über 10 % liegen, 5. Gebäude- und Wohnungszählung durch schriftliche Befragung der Gebäudeeigentümer oder -verwalter, wobei ebenfalls Auskunftspflicht besteht, 6. Erhebung in Sonderbereichen wie Gemeinschaftsunterkünften, Wohnheimen, Justizvollzugsanstalten usw., weil hierfür die Melderegisterdaten zu fehleranfällig sind, 7. Zusammenführung der gewonnenen Daten für jede Person, wobei die Zusammenführung mit den Gebäude- und Wohnungsdaten jedoch nur über die Wohnanschrift möglich ist, und anschließende Haushaltegenerierung. Die zu erhebenden Merkmale, durchweg die konventionellen Erhebungsmerkmale von Volks-, Gebäude- und Wohnungszählungen wie in der EU-Verordnung auch, also Alter (Geburtstag), Geburtsort, Geschlecht, Familiestand, Nationalität, Bildungsstand, Angaben zur vorherigen Wohnung, Beruf, Wirtschaftszweig, Arbeitsort, Wohnungsgröße und –ausstattung usw., sind im Gesetz ausführlich aufgezählt. Nur ein Teil lässt sich aus Registern gewinnen. Die Haushaltsstichprobe hat daher zwei Aufgaben. Die erste besteht darin, die tatsächliche Karteileichen- und Fehlbestandsrate jeder Gemeinde zu ermitteln und zur Korrektur der Einwohnerzahl zu verwenden. Das geschieht aber nur in Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern. Die zweite ist, die familien-, bildungs- und
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erwerbsbezogenen Merkmale zu erheben, die in Registern nicht enthalten sind; dazu zählt auch der Migrationshintergrund. Auch hier gilt zunächst die Beschränkung auf Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern. In den kleineren Gemeinden erfolgt die Stichprobenziehung auf Kreisebene. Die Haushaltegenerierung erfolgt durch Zuordnung aller unter derselben Anschrift wohnenden Personen zu den Wohnungen dieser Anschrift. Bei den Wohnungsinhabern ist das einfach. Darüber hinaus können Informationen aus den Melderegistern über Ehegatten und minderjährige Kinder herangezogen werden. Weitere Anhaltspunkte liefern Namensübereinstimmungen, gleiche Einzugsdaten, frühere gemeinsame Wohnanschriften in Verbindung mit bestimmten Konstellationen der demographischen Grunddaten und anderes mehr. Die Kosten des Zensus werden in der Begründung des Gesetzentwurfs auf 528 Mill. C veranschlagt. Die Geheimhaltung der Einzeldaten ist durch eine Vielzahl allgemeiner und spezieller Regelungen gewährleistet.
17.5 Kritische Würdigung des Zensus 2011 Eine solche Würdigung muss von den Aufgaben ausgehen, die ein Zensus heute zu erfüllen hat. Das ist ausführlich in einem Beitrag geschehen, der 2009 im Allgemeinen Statistischen Archiv erschienen ist und auf den sich dieses Kapitel teilweise stützt (Grohmann 2009, S 15-20). Die Feststellung der Einwohnerzahlen für Bund, Länder und Gemeinden als dem zentralen Ziel eines Zensus dürfte mindestens für die Gemeinden mit 10.000 und mehr Einwohnern mit einer Genauigkeit erreicht werden, die der früherer Volkszählungen kaum nachsteht. Fehler in den kleineren Gemeinden und für Stadtteile mit weniger als 200.000 Einwohnern werden offenbar in Kauf genommen Der Zensus 2011 wird neben den Einwohnerzahlen auch eine Angabe über die Zahl der Haushalte bereitstellen. Dass ihre Ermittlung im Wege der Hauhaltegenerierung nicht ganz ohne Fehler bleiben kann, lässt sich beklagen. Dass es aber überhaupt zur Bildung von Hauhalten ohne vorhandene Wohnungsregister und ohne Haushaltsbezug in den Melderegistern bei diesem Zensus kommt, ist eine beachtenswerte Leistung der daran beteiligten (insbesondere Städte-) Statistiker. Ohne die Haushaltegenerierung (Klitzing F von und Osenberg H 1995) wäre dieser Zensus nicht akzeptabel gewesen. Das Fehlen von Absolutzahlen über die Familien und anderen Lebensformen ist sicher eine Schwäche dieses Zensus. Ebenso wird es an einer Gesamtzahl der Erwerbspersonen fehlen; denn die Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen stehen in keinem Register. Die Zahl der Gebäude und Wohnungen ließen sich, wenn sich die Erfahrungen im Verfahrenstest bestätigen, hinreichend verlässlich ermitteln. Immerhin handelt es sich hierbei um die einzige mit einer Befragung verbundene Vollerhebung im Rahmen des Zensus 2011. Absolutzahlen sind aber nur der Ausgangpunkt für politik- und forschungsrelevante demographische, haushalts-, gebäude-, wohnungs-, bildungs- und erwerbsbezogene Strukturdaten. Ihre Möglichkeiten und Chancen werden determiniert
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durch die in den Zensus aufgenommenen Erhebungsmerkmale. Diese bleiben im Gesetzentwurf weitgehend auf die in der EU-Verordnung genannten beschränkt. Immerhin ist aber der Migrationshintergrund, der für die Analyse von Migration und Integration von eminenter Bedeutung ist, noch mit aufgenommen worden. Im Bildungsbereich ist das nicht gelungen. Bei den Gebäude- und Wohnungsmerkmalen fehlt es an Fragen zur Energieversorgung und zur Umwelt. Ein herausragendes Charakteristikum eines Zensus ist die beliebige Kombinierbarkeit aller Merkmale, die bei den gängigen Stichprobenerhebungen wegen zu geringer Fallzahlen oft unzulänglich bleibt. Beim Zensus 2011 wird sie unbegrenzt nur für Merkmale möglich sein, die aus den genutzten Registern gewonnen, bei der Gebäude- und Wohnungszählung postalisch erhoben oder im Zuge der Haushaltegenerierung erzeugt werden. Für alle anderen Merkmale setzt die Stichprobengröße Grenzen. Man darf wohl annehmen, dass damit Bundes- und Länderinteressen hinreichend befriedigt werden, nicht jedoch die der Gemeinden. Für sie ist die Beschränkung auf eine Stichprobe bei den lebensform- und bildungsrelevanten Daten schmerzlich, haben doch gerade sie den größten Bedarf an einer flexiblen intensiven Auswertbarkeit aller sie betreffenden Daten. Eine ganz wichtige Aufgabe eines Zensus ist schließlich die Bereitstellung von Basis- und Rahmendaten für eine Vielzahl von amtlichen und nichtamtlichen Statistiken. Vor allem die beiden zentralen Erhebungen der amtlichen Statistik für die Zeit zwischen zwei Volkszählungen, die Fortschreibung der amtlichen Einwohnerzahlen und der Mikrozensus, stützen sich maßgeblich auf die Daten des jeweils letzten Zensus. Für die Fortschreibung der amtlichen Einwohnerzahlen ist der Zensus die Ausgangsbasis. Für den Mikrozensus bietet er allein die adäquate Auswahlgrundlage. Nicht zuletzt dienen die Zensusdaten in Verbindung mit Fortschreibung und Mikrozensus der Adjustierung oder Qualitätsprüfung vieler anderer Statistiken. Das Fehlen einer Volkszählung seit nunmehr über 20 Jahren hat nicht nur die Einwohnerzahlen von Bund, Ländern und Gemeinden vielfach obsolet, sondern auch weite Teile der amtlichen, zum Teil auch der nichtamtlichen Bevölkerungs- und Erwerbsstatistik für Zweifel anfällig gemacht. Abgesehen von dem Manko, dass Fehler in den Melderegistern, die im Zuge des Zensus entdeckt werden, aus verfassungsrechtlichen Gründen in den Melderegistern nicht korrigiert werden dürfen, wird der Zensus 2011 also eine tragfähige Grundlage für die weitere Fortschreibung und den Mikrozensus schaffen. Bei aller Kritik am Zensus 2011 bleibt doch festzuhalten: Hier hat die amtliche Statistik, insbesondere das Statistische Bundesamt und mit ihm einige Statistische Landesämter, eine beachtliche Leistung vollbracht. Sie haben nicht nur frühzeitig ein tragfähiges Konzept (Ländermodell) entwickelt, sondern mit viel Kreativität beachtliche Anstrengungen unternommen, um zumindest die zentralen Aufgaben eines Zensus befriedigend zu lösen und damit auch die Anforderungen der EU zu erfüllen. Die DStatG hat nach einer wissenschaftlich begründeten Unterstützung der Volkszählung 1987 auch den Paradigmenwechsel kritisch und kreativ begleitet. Da die mit der Zensusentwicklung befassten Personen der amtlichen Statistik meist auch Mitglieder der Gesellschaft sind oder waren, ergab sich ganz von selbst ein
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reger Gedankenaustausch. Auch der Ausschuss für die Methodik Statistischer Erhebungen ist bis heute eine Diskussionsplattform für Fragen des Zensus geblieben und mit seinem stellvertretenden Vorsitzenden Ralf Münnich an der endgültigen Gestaltung der Haushaltsstichprobe im Zensus beteiligt. Und nicht zuletzt wurde stets ein intensiver Informationsaustausch mit den Vertretern der Städtestatistik gepflegt. Der registergestützte Zensus 2011 wird wegen seiner Kosten- und Belastungsbegrenzungen Akzeptanz bei Politikern, in den Medien und in der Öffentlichkeit finden. Dass damit nicht alles gelingt, was andere entwickelte Staaten mit ihrem Zensus erreichen, ist den besonderen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen in Deutschland geschuldet, nicht der amtlichen Statistik. Dass aber die Gemeinden die stärksten Informationseinschränkungen werden hinnehmen müssen, ist deswegen besonders schmerzlich, weil sie in Deutschland mehr als in vielen anderen Ländern Eigenverantwortung für die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse tragen.
Literatur Bundesministerium des Innern (2006) Beschlussvorschlag, Anlage 1 zur Kabinettvorlage G I 3 – 142 262. Pressemitteilung vom 29.8.2006. Bundesministerium des Innern (2007) „Zensuskommission“ der Bundesregierung ins Leben gerufen. Pressemitteilung vom 14.9.2007. Bundesverfassungsgericht (1983) Urteil vom 15.Dezember 1983. BVerfGE Eppmann H (2004) Von der Volkszählung 1987 zum registergestützten Zensus 2010? Statistische Analysen und Studien NRW, Bd 17 Esser H, Grohmann H, Müller W, Schäffer KA (1989) Mikrozensus im Wandel. Forum der Bundesstatistik 11. Metzler- Poeschel, Stuttgart Grohmann H (1991), Volkszählung und Mikrozensus – Fundamente oder Ladenhüter der Demographie? In: VALET . . . Ansprachen und Vorträge anlässlich des 80. Geburtstages der emeritierten Universitäts-Professorin Dr. Dr. h.c. Esenwein-Rothe am Johannistag 1991, S. 15–33 Grohmann H, Sahner H, Wiegert R (Hrsg) (1999) Volkszählung 2001 – Von der traditionellen Volkszählung zum Registerzensus. Sonderheft 33 zum Allg Stat Archiv. Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen. Grohmann H (2009) Von der Volkszählung zum Registerzensus: Paradigmenwechsel in der deutschen amtlichen Statistik. AStA Wirtsch Sozialstat Arch 3(1): 3–23 Klitzing F von and Osenberg H (1995) Haushaltsdaten aus dem Melderegister. Stadtforschung und Statistik, Heft 1, S. 13–28 Krug W (2002) Strategien zur deutschen Volkszählung unter Beachtung internationaler Erfahrungen. Jahrb Nationalökonomie Stat 3:337–345 Magg K, Münnich R, Schäfer J (2006) Small Area Estimation beim Zensus 2011. In: Forschungsdatenzentrum der Statistischen Landesämter (Hrsg) Amtliche Mikrodaten für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Beiträge zu den Nutzerkonferenzen des FDZ der Statistischen Landesämter 2005 Münnich R, Vogt M (2010) Small Area-Methoden: Modelle, Anwendungen und Praxis. AStA Wirtsch Sozialstat Arch 5, in Vorbereitung Rost R (1999) Ein Zensus auf der Grundlage einer Registerauswertung: das Ländermodell. In: Grohmann et al (Hrsg) Volkszählung 2001 – Von der traditionellen Volkszählung zum Registerzenus. Göttingen 1999, S. 51–63
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Scheuch EK, Graf L, Kühnel S (1989) Volkszählung, Volkszählungsprotest und Bürgerverhalten Ergebnisse der Begleituntersuchung zur Volkszählung 1987. Forum der Bundesstatistik Bd 12, Stuttgart. Scheuch EK (1989) Argumentationsfeld Volkszählung 87 ´ – Pro und Contra im Kontext soziologischer Aspekte. In: Statistischen Bundesamt (Hrsg) Wie spricht der Staat mit seinen Bürgern? Stuttgart, S. 35–64 Siedt HG (1999) Ein Zensus auf der Grundlage einer Registerauswertung: das Bundesmodell. In: Grohmann et al Göttingen, 1999, S. 35–49 Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaft (1997) Leitlinien für die Volks- und Wohnungszählung 2001, verabschiedet durch den Ausschuss für das Statistische Programm auf der Sitzung am 26./27.11.1997 in Luxemburg Statistisches Bundesamt (Hrsg) (1992) Volkszählung 2000 – oder was sonst? Forum der Bundesstatistik Bd 21. Stuttgart Statistisches Bundesamt (1995), Künftige Zensen in Deutschland, Ergebnisse der Untersuchungen der Arbeitsgruppe „Künftige Zensen“ zu Inhalt und Methode, Wiesbaden Statistisches Bundesamt (1998), Bericht der Arbeitsgruppe „Gemeinschaftsweiter Zensus 2001“, Wiesbaden Wiegert R (1999) Einführung in die Diskussion um einen Zensus 2001 in Deutschland. In: Grohmann et al . Göttingen, 1999, S. 9–14 Würzberger P, Wedel E (1988) Erste Ergebnisse der Volkszählung 1987. Wirtsch Stat 12:829–836
Gesetze Entwurf eines Gesetzes über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1981), Bundestagsdrucksache 8/2516 vom 16.1.1979. S 2 Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1983) vom 25. März 1982. BGBl I S 369 Gesetz zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt (Mikrozensusgesetz) vom 10. Juni 1985, BGBl I S 955 Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1987) vom 8. November 1985. BGBl I S 2078 Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus (Zensusvorbereitungsgesetz 2001) vom 27. Juli 2001, BGBl. I S 1882 Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zensusvorbereitungsgesetz-2011-ZensVorbG 2011) vom 8.Dezember 2007, BGBl I S 2808–2811 Verordnung (EG) Nr. 763/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über Volks- und Wohnungszählungen, ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 14 Gesetz über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011-Zensg 2011), BGBl I S 1781–1792
Anhänge
Anhang 1
Einladung zur Gründung 19111 München und Dresden, am 28. März 1911 Hochgeehrter Herr Kollege! Die „Deutsche Gesellschaft für Soziologie“ hat bei ihrer letzten Hauptversammlung in Frankfurt a. M. im Oktober 1910 beschlossen, besondere Abteilungen für die Vertreter bestimmter Fächer zu begründen, darunter auch eine statistische Abteilung. Die Abteilungen sollen über ihre innere Organisation und über ihre Tätigkeit nach eigenem Ermessen beschließen und überhaupt ihren Aufgaben selbstständig nachgehen. Hierdurch ist die Möglichkeit geboten, die Statistische Abteilung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zu einer Deutschen Statistischen Vereinigung auszubauen. Um die Statistische Abteilung ins Leben zu rufen, hat sich der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie an den mitunterzeichneten Georg von Mayr gewendet, welcher daraufhin eine Anzahl von Fachgenossen, die sich anlässlich seines 70. Geburtstages in München zusammenfanden, zu einer Vorbesprechung einlud.2 In dieser ist eine Satzung der unter dem Namen „Deutsche Statistische Gesellschaft, Abteilung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ zu begründenden Vereinigung entworfen worden, um einer Versammlung vorgelegt zu werden, zu welcher diejenigen Herren werden eingeladen werden, die aus Anlass gegenwärtiger Zuschrift ihre Bereitwilligkeit zum Beitritt zu der Deutschen Statistischen Gesellschaft erklären werden. Aufgabe der Gesellschaft soll sein, die Statistik vornehmlich nach ihrer wissenschaftlichen Seite hin zu pflegen. Demgemäß kommen für die Mitgliedschaft in erster Linie Personen in Frage, die in akademischer, verwaltungsdienstlicher oder privater Eigenschaft als Statistiker wissenschaftlich tätig sind; in zweiter Linie solche, die lediglich auf einem bestimmten Sondergebiet sich mit der Anwendung statischer Methoden befassen. Zumal für die ersteren würde durch die Begründung der Gesellschaft ein noch immer fehlender Mittelpunkt im Bereiche der deutschen Zunge geschaffen werden, der zur mündlichen Erörterung der bewegenden Probleme und zum persönlichen Gedankenaustausch der Fachgenossen Gelegenheit böte. Dahin zu gelangen, liegt nachgerade ein fühlbares Bedürfnis vor. Für die deutschen Statistiker mit wissenschaftlicher Bildung und wissenschaftlichen Zielen fehlt es bislang noch immer an der Möglichkeit, sich zur Förderung ihrer eigenen Disziplinen und ihrer besonderen Interessen in gleichsam chemisch reiner Gestaltung zu
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des Originalschreibens. waren: W. Böhmert (Bremen), F. Schmid (Leipzig), S. Schott (Mannheim), E. Würzburger (Dresden), F. Zahn (München); außerdem als Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Soziologie M. Weber (Heidelberg) und H. Beck (Berlin). 2 Anwesend
H. Grohmann et al. (eds.), Statistik in Deutschland, C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 DOI 10.1007/978-3-642-15635-9,
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Anhang 1 Einladung zur Gründung 1911
verbinden. Sie sehen sich daher, wo sie das Verlangen nach Anschluss empfinden, genötigt, anderen, ihren eigenen Bestrebungen nur bis zu einem gewissen Grade nahekommenden wissenschaftlichen Vereinigungen beizutreten. Nur soweit sie dem Internationalen Statistischen Institut angehören, ist den deutschen Statistikern der Weg zu einer fachlichen, wissenschaftlichen Körperschaft erschlossen; aber abgesehen davon, dass satzungsgemäß stets nur eine beschränkte Zahl deutscher Statistiker, die noch dazu durch mit den deutschen Verhältnissen unbekannte Ausländer gewählt werden, Mitglied des Instituts sein kann, bringt es dessen internationaler Charakter und die Art seiner an oberster Stelle auf die Herbeiführung international vergleichbarer Tatsachenbeschaffungen gerichteten Beschreibungen mit sich, dass das Institut nicht dasselbe in Bezug auf die nähere Erforschung der sozialen Lebensverhältnisse und auf die Ausgestaltung der wissenschaftlichen Statistiken bieten kann, wie eine allen wissenschaftlichen qualifizierten Kräften offen stehende Vereinigung der Statistiker deutscher Zunge. Allerdings finden bekanntlich regelmäßige Statistiker-Konferenzen zu verschiedenen amtlichen Zwecken statt. Wie aber hieran nur Beamte und zwar nicht immer notwendig eigentliche Statistiker beteiligt sind, so überwiegt bei diesen Konferenzen der praktische amtliche Zweck, insbesondere die Vorbereitung der jeweils bevorstehenden Erhebungen, so sehr, dass für rein wissenschaftliche Erörterungen sich kaum Gelegenheit bietet. Überdies tagen die verschiedenen Konferenzen getrennt, sodass bei der Erörterung einer Frage nicht alle zuständigen Praktiker – ganz abgesehen von den Akademikern – ihre Erfahrungen und Ansichten mitteilen können. Sonach liegt eine wohlbegründete Veranlassung vor, das, was andere Nationen schon lange besitzen, auch für die deutschen Statistiker zu schaffen, und damit zur Entfaltung der gerade hier eifrig betriebenen Studien auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Statistik beizutragen und zugleich ihr Ansehen vor der Öffentlichkeit zu heben. Zu dem Ende gestatten wir uns, unter Beifügung des Gründungsstatus, an Sie, hochgeehrter Herr Kollege, das Ersuchen zu richten, der zu begründenden „Deutschen Statistischen Gesellschaft“ beizutreten und Ihre Erklärung darüber spätestens bis 15. April dieses Jahres an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zu Händen des Herrn Dr. Hermann Beck, Berlin W.50, Spichernstraße 17, gelangen zu lassen.
Anhang 2
Liste der Beitrittswilligen 1911
227
Anhang 2
Liste der Beitrittswilligen 19113 Ihren Beitritt zur Deutschen Statistischen Gesellschaft haben angemeldet die Herren: Dr. Philipp Arnold, Regierungsassessor im Statistischen Landesamt, München, Dr. Badtke, Direktor des Statist. Amtes der Stadt, Charlottenburg, Dr. Berthold, Landesrat u. Direktor des schlesischen landesstatistischen Amtes, Troppau, Dr. Beukemann, Direktor des Statistischen Amts, Hamburg, Dr. Bleicher, Magistratsrat, Professor, Frankfurt a/M., Dr. Blenck, Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat, Präsident des Königl. Preussischen Statist. Landesamtes, Berlin, Dr. Böhmert, Direktor des Statistischen Amtes, Bremen, Dr. L. von Bortkiewicz, Universitätsprofessor, Berlin, Dr. Büchner, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Rixdorf, Dr. Busch, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Frankfurt, Dr. R. Claus, Ständiger Mitarbeiter des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Berlin, Dr. Johannes Conrad, Universitätsprofessor, Geheimer Regierungsrat, Halle, Dr. Rudolf Dreydorff, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Wilmersdorf, Dr. Ehrler, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Freiburg i/Breisgau, Dr. Franz Eulenburg, Universitätsprofessor, Leipzig, Dr. Evert, Oberregierungsrat, Vizepräsident des Königl. Preussischen Statistischen Landesamtes, Berlin, Dr. Johannes Feig, Regierungsrat, Mitglied des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Berlin, Dr. Hugo Forcher, Hofsekretär der K.K. Statistischen Zentralkommission, Wien, Dr. Freiherr Josef von Friedenfels, K.K. Hofrat, K.K. Statistische Zentralkommission, Wien, Dr. Haacke, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Barmen, Dr. von Haffner, Direktor des Königl. Württembergischen Statistischen Landesamtes, Stuttgart, Dr. J. Hartwig, Direktor des Statistischen Amtes, Lübeck, Dr. R. Jaeckel, Statistiker des Kreises Teltow, Charlottenburg, Dr. Knöpfel, Regierungsrat, Mitglied der Großherzoglichen Hessischen Zentralstelle für die Landesstatistik, Darmstadt, Dr. Kollmann, Geheimer Oberregierungsrat, Dresden, Kurfürstenstr. 37,
3 Abschrift
der Originalliste.
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Anhang 2 Liste der Beitrittswilligen 1911
Dr. W. Krebs, Direktorialassistent des Statistischen Amts der Stadt, Kiel, Dr. R. Kuczynski, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Schöneberg, Dr. O. Landsberg, Professor, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Magdeburg, Dr. G. Lange, Oberregierungsrat, Direktor des Großherzoglich Badischen Statistischen Landesamtes, Karlsruhe, Dr. W. Lexis, Universitätsprofessor, Geheimer Oberregierungsrat, Göttingen, Dr. G. Lommatzsch, Regierungsrat, Mitglied des Königl. Sächsischen Statistischen Landesamtes, Dresden, Dr. Losch, Oberfinanzrat, Mitglied des Königlich Statistischen Landesamtes, Stuttgart, Dr. W. Lotz, Universitätsprofessor, München, Dr. Maass, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Elberfeld, Dr. Victor Mataja, Exzellenz, Sektionschef u. Vorstand des Arbeitsstatistischen Amtes im K.K. Handelsministerium, Wien, Dr. Mayet, Geheimer Regierungsrat, Mitglied des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Berlin, Dr. von Mayr, Universitätsprofessor, Unterstaatssekretär z. D., München, Georgenstraße 38, Dr. R. Meerwarth, Ständiger Mitarbeiter des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Berlin, Dr. Mendelson, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Aachen, Dr. M. Meyer, Direktor des Statist. Amtes der Stadt, Nürnberg, Dr. Otto Meyer, Leiter der städt. Statistischen Stelle, Stettin, Dr. R. Mischler, Hofrat, Präsident der K.K. Statistischen Zentralkommission, Wien, Dr. R. Mögel, Direktorialassistent am Statistischen Amt der Stadt, Dresden, Dr. jur. Ewald Moll, Reg.-Rat im Kais. Statistischen Amt, Berlin, Dr. Mombert, Privatdozent an der Universität, Freiburg i/Breisgau, Dr. O. Most, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Düsseldorf, Privatdozent an der Universität Bonn, Düsseldorf, Dr. M. Neefe, Professor, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Breslau, Dr. G. Pabst, vormaliger Direktor des Statistischen Amtes, Lübeck, Dr. Richard Passow, Professor an der Kgl. Technischen Hochschule, Aachen, Ronheider Weg 32, Dr. Peter, Direktorialassistent am Statistischen Amt der Stadt, Mannheim, Dr. A. Petersilie, Professor, Geheimer Regierungsrat, Mitglied des Königl. Preussischen Statistischen Landesamtes, Berlin, Dr. A. Pfütze, Regierungsamtmann, Mitglied des Königl. Sächischen Statistischen Landesamtes, Dresden, Dr H. Platzer, Direktor des Statistischen Landesamts für Elsass-Lothringen, Straßburg, Dr. Ludwig Pohle, Professor, Frankfurt a/M., Oberlindau 81, Dr. Prigge, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Dortmund, Dr. F. Prinzing, Sanitätsrat, Ulm a. D., Judenhof 8,
Anhang 2
Liste der Beitrittswilligen 1911
229
Dr. Rahlson, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Wiesbaden, Dr. J. Rahts, Professor, Regierungsrat, Mitglied des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Berlin Dr. Carl von Rasp, Regierungsdirektor a. D., Direktor der Bayrischen Hypotheken- und Wechselbank, vormaliger Direktor des Königl. Bayrischen Statistischen Landesamtes, München, Dr. Hans Rizzi, Direktor des Statistischen Landesamtes für Oesterreich unter der Enns, Wien, E. Rosenberg, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Kiel, Dr. Roesle, derzeitiger Leiter des Statistischen Bureaus der Internationalen Hygiene-Ausstellung, Dresden, Dr. Rössger, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Stuttgart, Dr. Fr. Schäfer, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, a.o. Professor an der Königlichen Technischen Hochschule, Dresden, Dr. W. Schiff, Professor, Sektionsrat im K.K. Handelsministerium, Wien, Dr. F. Schmid, Universitätsprofessor, Leipzig, Schöbel, Professor, Direktor d. Statist. Amts der Stadt, Chemnitz, Dr. A. Schott, Finanzrat, Mitglied des Königl. Statistischen Landesamtes, Stuttgart, Dr. S. Schott, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Mannheim, Professor an der Universität Heidelberg, Mannheim, Dr. R. Silbergleit, Professor, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Berlin, Dr. O. Spann, Professor an der Deutschen Technischen Hochschule, Brünn, Dr. W. Stieda, Geh. Hofrat, Universitätsprofessor, Leipzig, Dr. J. Strauss, Regierungsrat, Vorstand des Statistischen Departements der Landesregierung, Sarajevo, Dr. G. Tenius, Regierungsrat, Mitglied des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Berlin, Dr. Thomann, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Zürich, Weigel, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Leipzig, Dr. Wolff, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Privatdozent an der Universität, Halle, Dr. E. Würzburger, Geheimer Regierungsrat, Direktor des Königlich Sächsischen Statistischen Landesamtes, Dresden, Dr. R. Wuttke, Professor an der Königlichen Technischen Hochschule, Dresden, Dr. F. Zahn, Ministerialrat, Direktor des Königlich Bayrischen Statistischen Landesamtes, München, Dr. H. von Zeller, vormaliger Direktor des Königlich Württembergischen Statistischen Landesamtes, Baden-Baden, K. Zimmermann, Direktor des Statistischen Amtes der Stadt, Köln, Dr. R. Zimmermann, Finanzpräsident, vormaliger Vorstand des herzoglichen Statistischen Landesamtes, Braunschweig, am Gaussberg 5, Dr. Franz. A. Žižek, Ministerialvizesekretär im K.K. Handelsministerium, Wien
Anhang 3
Ehrenvorsitzende und Ehrenmitglieder Ehrenpräsident/Ehrenvorsitzende Friedrich Zahn (1938 Ehrenpräsident) Karl Wagner (1960 Ehrenvorsitzender) Gerhard Fürst (1972 Ehrenvorsitzender) Ehrenmitglieder bis 1945
Ehrenmitglieder nach 1945
E. Milliet (1928, Bern) Viktor von Mataja (1928, Wien) C.A. Verrijn Stuart (1928, Utrecht) Gustav Thirring (1928, Budapest) Eugen Würzburger (1928) Hermann Losch (1930) Walther Breisky (1933, Wien) Walter Francis Willcox (1933, USA) Oskar Hugo Jenny (1934, Basel) Henri Wilhelm Methorst (1934, Den Haag) Konrad Sänger (1934) Alois Kovacz (1936, Budapest) Friedrich Prinzing (1936) Franco Savorgnan (1936 Rom) Siegmund Schott (1936) Moritz Hecht (1937) Hans Platzer (1937) Karl Seutemann (1937)) Johannes Müller (1938) Fritz Soltau (1938) Wolfgang Reichardt (1941) Ernst Wagemann (1941)
Hans Freudiger (1951) Otto Most (1951) Otto von ZwiedineckSüdenhorst (1951) Wilhelm Winkler (1954) Oskar Anderson sen. (1956) Paul Flaskämper (1956) Friedrich Burgdörfer (1960) Edward Deming (1960, USA) Josef Griesmeier (1960) Walter Grävell (1961) Felix Burkhardt (1962) Hans Langelütke (1963) Alfred Jacobs (1968) Hans Kellerer (1968) Adolf Blind (1972) Willi Hüfner (1972) Kurt Stange (1972) Hans Münzner (1973) Karl Georg Mahnke (1973) Hildgard Bartels (1980) Rolf Krengel (1980) Klaus Szameitat (1980) Wolfang Wetzel (1987) Karl-August Schäffer (1993) Heinz Grohmann (1996) Heinrich Strecker (1997) Joachim Frohn (2007) Peter-Theodor Wilrich (2008)
Sociétié Statistique de Paris, heute: Sociétié Française de Statistique Assoziiertes Ehrenmitglied (1960)
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Anhang 4
Vorsitzende und Mitglieder des Vorstandes 1948–1952 Vorsitzender 1. stellv. Vorsitzender 2. stellv. Vorsitzender
Schriftleiter 1952–1956 Vorsitzender 1. stellv. Vorsitzender 2. stellv. Vorsitzender
Schriftleiter 1956–1960 Vorsitzender 1. stellv. Vorsitzender 2. stellv. Vorsitzender Schatzmeister
Schriftleiter
Dr. Karl Wagner, München Dr. Gerhard Fürst, Wiesbaden Dr. Lorenz Fischer, Köln Prof. Dr. Oscar Anderson sen., München Prof. Dr. Wilhelm Britzelmayr, München Dr. Bernhard Mewes, Braunschweig Dr. Kurt Treitschke, Berlin Prof. Dr. Albert Zwick, Bad Ems Olaf Boustedt (kein Vorstandsmitglied)
Dr. Karl Wagner, München Dr. Gerhard Fürst, Wiesbaden Dr. Lorenz Fischer, Köln Prof. Dr. Oscar Anderson sen., München Prof. Dr. Siegfried Balke, München Prof. Dr. Josef Griesmeier, Stuttgart Dr. Jakob Gugumus, Köln Dr. Bernhard Mewes, Braunschweig Prof. Dr. Albert Zwick, Bad Ems Olaf Boustedt (kein Vorstandsmitglied)
Dr. Karl Wagner, München Dr. Gerhard Fürst, Wiesbaden Dr. Bernhard Mewes, Braunschweig Prof. Dr. Albert Zwick, Bad Ems Prof. Dr. Siegfried Balke, München/Bonn Prof. Dr. Adolf Blind, Saarbrücken (ab 1957 Frankfurt a. M.) Prof. Dr. Hans Kellerer, München Prof. Dr. Walther G. Herrmann, Köln Prof. Dr. Josef Griesmeier, Stuttgart Olaf Boustedt (kein Vorstandsmitglied)
233
234
Anhang 4
1960–1964 Vorsitzender 1. stellv. Vorsitzender 2. stellv. Vorsitzender Schatzmeister Schriftleiter
1964–1968 Vorsitzender 1. stellv. Vorsitzender 2. stellv. Vorsitzender Schatzmeister Schriftleiter
1968–1972 Vorsitzender 1. stellv. Vorsitzender 2. stellv. Vorsitzender Schatzmeister
1972–1976 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeister Schriftleiter (ab 1973)
Vorsitzende und Mitglieder des Vorstandes
Dr. Gerhard Fürst, Wiesbaden Dr. Bernhard Mewes, Braunschweig Prof. Dr. Adolf Blind, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Hans Kellerer, München Dr. Willi Hüfner, Wiesbaden Prof. Dr. Siegfried Balke, München Prof. Dr. Walther G. Herrmann, Köln ORR Friedrich Hoffmann, Bad Godesberg Dr. Alfred Jacobs, Bremen Prof. Dr. Kurt Stange, Berlin Dr. Dr. h.c. Gerhard Fürst, Wiesbaden Dr. Bernhard Mewes, Braunschweig Prof. Dr. Adolf Blind, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Hans Kellerer, München Dr. Willi Hüfner, Wiesbaden Prof. Dr. Walther G. Herrmann, Köln ORR Friedrich Hoffmann, Bad Godesberg Dr. Alfred Jacobs, Bremen Präsident Patrick Schmidt, Wiesbaden Prof. Dr. Kurt Stange, Aachen Dr. Dr. h.c. Gerhard Fürst, Wiesbaden Prof. Dr. Adolf Blind, Frankfurt a. M. Dr. Willi Hüfner (zugleich Schriftleiter) Dr. Günther Schwartz, München Prof. Dr. Rudolf Gunzert, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Kurt Weichselberger, Berlin Prof. Dr. Kurt Stange, Aachen Dr. Hildegard Bartels, Wiesbaden Prof. Dr. Rolf Krengel, Berlin Präsident Patrick Schmidt, Wiesbaden Prof. Dr. Wolfgang Wetzel, Kiel Dr. Hildegard Bartels, Wiesbaden Dr. Günther Schwartz, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Heinz Grohmann, Frankfurt a.M. Dr. Karl-Heinz Raabe, Bonn Prof. Dr. Kurt Weichselberger, München Prof. Dr. Klaus Szameitat, Stuttgart Dir. Günter Bamberger, Köln Prof. Dr. Rolf Krengel, Berlin Prof. Dr. Werner Uhlmann, Würzburg
Anhang 4
Vorsitzende und Mitglieder des Vorstandes
1976–1980 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeister (bis 1977) Schatzmeister (ab 1978) Schriftleiter
1980–1984 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeister Schriftleiter (bis 1980) Schriftleiter ab 1981)
1984–1988 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeister Schriftleiter
Dr. Hildegard Bartels, Wiesbaden Prof. Dr. Wolfgang Wetzel, Kiel Dr. Karl-Heinz Raabe, Bonn Dr. Günther Schwartz, Frankfurt a. M. Dr. Werner Endres, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Heinz Grohmann, Frankfurt a. M. Dir. Günter Bamberger, Köln Prof. Dr. Rolf Krengel, Berlin Prof. Dr. Klaus Szameitat, Stuttgart Prof. Dr. Werner Uhlmann, Würzburg Prof. Dr. Kurt Weichselberger, München
Prof. Dr. Karl-August Schäffer, Köln Prof. Dr. Heinz Grohmann, Frankfurt a. M. Dr. Günter Hamer, Wiesbaden Dr. Werner Endres, Frankfurt a. M Prof. Dr. Heinz Grohmann, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Horst Rinne, Gießen Dr. Klaus Hanau, Frankfurt a. M. Dr. Erhard Hruschka, Hamburg Dr. Dieter Mohr, Kiel Dr. Karl-Heinz Oppenländer, München Prof. Dr. Wolfgang Wetzel, Kiel
Prof. Dr. Heinz Grohmann, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Karl-August Schäffer, Köln Prof. Lothar Herberger, Wiesbaden Dr. Werner Endres, Frankfurt a. M Prof. Dr. Horst Rinne, Gießen Prof. Dr. Joachim Frohn, Bielefeld Dr. Klaus Hanau, Frankfurt a. M. Dr. Erhard Hruschka, Hamburg Prof. Dr. Karl-Heinrich Oppenländer, München Prof. Dr. Max Wingen, Stuttgart
235
236
Anhang 4
1988–1992 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzende Schatzmeisterin Schriftleiter
1992–1996 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeisterin Schriftleiter
1996–2000 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeisterin Schriftleiter
2000–2004 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeisterin Schriftleiter
Vorsitzende und Mitglieder des Vorstandes
Prof. Dr. Siegfried Heiler, Konstanz Prof. Dr. Heinz Grohmann, Frankfurt a. M. Dir.b.Stat.B. Marianne Jäger, Wiesbaden Dr. Almut Steger, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Horst Rinne, Gießen Dr. Karl Heinz Freitag, Köln Prof. Dr. Joachim Frohn, Bielefeld Prof. Dr. Karl-August Schäffer, Köln Prof. Dr. Max Wingen, Stuttgart Ltd.Verw.Dir. Klaus Trutzel, Nürnberg Prof. Dr. Joachim Frohn, Bielefeld Prof. Dr. Siegfried Heiler, Konstanz Dir.b.Stat.B. Marianne Jäger, Wiesbaden Dr. Almut Steger, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Horst Rinne, Gießen Präsident Rudolf Giehl, München Prof. Dr. Heinz Grohmann, Frankfurt a .M. Prof. Dr. Reiner Stäglin, Berlin Prof. Dr. Gerhard Strohe, Berlin Ltd.Verw.Dir. Klaus Trutzel, Nürnberg Prof. Dr. Peter-Th. Wilrich, Berlin Prof. Dr. Joachim Frohn, Bielefeld Dir.b.Stat.B. Günter Kopsch, Wiesbaden Dr. Almut Steger, Frankfurt a.M. Prof. Dr. Horst Rinne, Gießen Prof. Dr. Ludwig Fahrmeier, München Prof. Dr. Peter Fischer, Dresden Prof. Dr. Gerd Hansen, Kiel Prof. Dr. Reiner Stäglin, Berlin Dr. Michael Müller, Nürnberg Dr. Ernst-Joahim Richter, Oberhausen Prof. Dr. Reiner Stäglin, Berlin Prof. Dr. Peter-Theodor Wilrich, Berlin Dir.b.Stat.B. Günter Kopsch, Wiesbaden Dr. Almut Steger, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Karl Mosler, Köln Prof. Dr. Joachim Frohn, Bielefeld Prof. Dr. Ursula Gather, Dortmund
Anhang 4
Vorsitzende und Mitglieder des Vorstandes
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Dr. Werner Grünewald, Luxemburg Dr. Hans Loreth, Stuttgart Dr. Michael Müller, Nürnberg Dr. Ernst-Joahim Richter, Oberhausen 2004–2008 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeisterin (bis 2006) Schatzmeister (ab 2007) Schriftleiter AStA (bis 2007) Ab 2007 Schriftleiter (Advances) Schriftleiter (Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv)
ab 2009 Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender Schatzmeisterin Schriftleiter (Advances) Schriftleiter (Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv)
Prof. Dr. Karl Mosler, Köln Prof. Dr. Reiner Stäglin, Berlin Präsident Walter Radermacher, Wiesbaden Dr. Almut Steger, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Eckardt Bomsdorf, Köln Prof. Dr. Wilfried Seidel, Hamburg Prof. Dr. Wilfried Seidel, Hamburg Prof. Dr. Hans Wolfgang Brachinger, Fribourg (Schweiz) Prof. Dr. Ursula Gather, Dortmund Prof. Dr. Stefan Mittnik, Ph.D., München Prof. Dr. Ulrike Rockmann, Berlin Abtl. Ulrich Scheinost, Frankfurt a. M. Amtsl. Rudolf Schulmeyer, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Mark Trede, Münster Prof. Dr. Wilfried Seidel, Hamburg Prof. Dr. Karl Mosler, Köln Abt Präs. Jürgen Chlumsky, Wiesbaden Nana Dyckerhoff„ Köln Prof. Dr. Stefan Lang, Innsbruck (Österreich) Prof. Dr. Hans Wolfgang Brachinger, Fribourg (Schweiz) Prof. Dr. Walter Krämer, Dortmund Prof. Stefan Mittnik, Ph.D., München Prof. Dr. Ulrike Rockmann, Berlin Prof. Dr. Wolfgang Schmid, Frankfurt/O. Prof. Axel Werwatz, Ph.D., Berlin Dr. Ralph Wiechers, Frankfurt a. M.
Anhang 5
Ausschüsse und Ausschussvorsitzende Ausschuss für Ausbildungsfragen (ab 2000: Ausschuss für Ausbildung und Weiterbildung) 1949–1952 Prof. Dr. Paul Flaskämper, Frankfurt a. M 1962–1969 Prof. Dr. Adolf Blind, Frankfurt a. M. 1969–1981 Prof. Dr. Kurt Weichselberger, München 1981–1989 Prof. Dr. Horst Stenger, Mannheim 1989–1996 Prof. Dr. Ulrich Kockelkorn, Berlin 1996–2004 Prof. Dr. Bernhard Rüger, München ab 2004 Prof. Dr. Ulrich Rendtel, Berlin Ausschuss für Stichprobenverfahren 1949–1957 Prof. Dr. Hans Kellerer, München Ausschuss für die Anwendung statistischer Methoden in der Industrie 1950–1953 Andreas Mulzer, Nürnberg 1953–1963 Prof. Dr. Siegfried Balke, Bundesminister, München/Bonn Unterausschuss I Marktbeobachtung und Marktanalyse 1953–1963 Walter Behrens, Rüsselsheim 1963–1964 Karl Georg Mahnke, Berlin Unterausschuss II Innerbetriebliche Statistik 1953–1957 Georg Bickert, Düsseldorf 1957–1964 Dr. Hans Wittmeyer, Frankfurt a. M. Ausschuss Marktbeobachtung und Marktanalyse (vorher Unterausschuss I) 1964-1973 Karl Georg Mahnke, Berlin Ausschuss Statistik des Betriebes (vorher Unterausschuss II) 1964–1969 Dr. Hans Wittmeyer, Frankfurt a. M. 1969–1973 Karl Heinz Freitag, Köln Ausschuss (ursprünglich Arbeitskreis) für Regionalstatistik 1954–1968 Friedrich Hoffmann, Remagen 1968–1972 Dr. Heinz Hollmann, Bremen 1972–1978 Prof. Dr. Rainer Thoss, Münster 1978–1986 Prof. Dr. Dr. Friedrich Schneppe, Hannover 1986–1994 Dr. Hans Peter Gatzweiler, Bonn 1994–1998 Dr. Reinhard Rost, München 1998–2002 Dr. Reinhold Koch, München 2002–2006 RD Wolfgang Walla, Stuttgart ab 2006 Abt. Leiter Helmut Eppmann, Düsseldorf
239
240
Anhang 5 Ausschüsse und Ausschussvorsitzende
Ausschuss für Neue/Neuere Statistische Methoden (hervorgegangen aus dem Ausschuss für Stichprobenverfahren und dem Ausschuss für die Anwendung statistischer Methoden in der Industrie) Ab 2008 Ausschuss „Statistische Theorie und Methodik“ 1957–1970 Prof. Dr. Hans Kellerer, München 1970–1972 Prof. Dr. Wolfgang Wetzel, Kiel 1972–1980 Prof. Dr. Karl-August Schäffer 1980–1988 Prof. Dr. Siegfried Heiler, Dortmund 1988–1992 Prof. Dr. Ludwig.Fahrmeir, Regensburg 1992–1996 Prof. Dr. Herbert Büning, Berlin 1996–2000 Prof. Dr. Ursula Gather, Dortmund 2000–2004 Prof. Dr. Friedrich Schmid, Frankfurt /Oder 2004–2008 Prof. Dr. Uwe Hassler, Frankfurt a. M. ab 2008 Prof. Dr. Philipp Sibbertsen, Hannover Ausschuss Unternehmens- und Marktstatistik (Verschmelzung der Ausschüse „Marktbeobachtung und Marktanalyse“ und „Statistik des Betriebes“) 1974–1980 Karl Heinz Freitag, Köln 1980–1988 Dr. Herbert Kriegbaum, Frankfurt a. M. 1988–1996 Dr. Michael Müller, Nürnberg 1996–2004 Ulrich Scheinost, Frankfurt a. M. 2004–2008 Dr. Ralph Wiechers, Frankfurt am Main ab 2008 Prof. Dr. Michael Grömling, Köln Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie 1975–1983 Prof. Dr. Joachim Frohn, Bielefeld 1983–1987 Prof. Dr. Gerd Hansen, Kiel 1987–1995 Prof. Dr. Hans Schneeweiß, München 1995–1999 Prof. Dr. Gerd Ronning 1999–2003 Prof. Dr. Jürgen Wolters, Berlin 2003–2007 Prof. Dr. Reinhard Hujer, Frankfurt a.M. ab 2007 Prof. Dr. Olaf Hübler, Hannover Ausschuss für Technische Statistik Ab 1990 Ausschuss für Naturwissenschaft und Technik 1982–1990 Prof. Dr. Peter-Th. Wilrich, Berlin 1990–1994 Prof. Dr. Wolf Krumbholz, Hamburg 1994–1996 Prof. Dr. Hans Wolf, Ulm 1996–2000 Prof. Dr. Bernhard Arnold, Hamburg 2000–2004 Prof. Dr. Wolfgang Schmid, Frankfurt/Oder ab 2004 Prof. Dr. Waltraut Kahle, Magdeburg
Anhang 5
Ausschüsse und Ausschussvorsitzende
Ausschuss für die Methodik Statistischer Erhebungen 1986–1990 Prof. Dr. Heinrich Strecker, Tübingen 1990–1998 Dr. Rolf Wiegert, Tübingen 1998–2002 Jürgen Schmidt, Wiesbaden 2002–2006 Prof. Dr. Walter Krug, Trier 2006–2008 Jürgen Chlumsky, Wiesbaden Ab 2008 Prof. Dr. Ralf Münnich, Trier
241
Anhang 6
Entwicklung der Mitgliederzahlen 1911 bis 2010 Jahr
Anzahl der Mitglieder Insgesamt
1911 1913 1914 1922 1924 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1941
100 127 127 160 168 160 209 223 246 269 227 257 242 243 246 244 283 298 320
1948 1951 1952 1953 1954 1955 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975
112 279 328 365 416 421 471 491 492 489 500 510 522 531 547 551 563 558 565 623 623 631
persönliche
korporative
262 268 249
7 9 8
237 240 238
6 6 6
427 446
44 45
447 459 470 481 488 503 507 520 514 519 575 576 586
42 41 40 41 43 44 44 43 44 46 48 47 45
243
244
Anhang 6 Entwicklung der Mitgliederzahlen 1911 bis 2010
Jahr
1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1996 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Anzahl der Mitglieder Insgesamt
persönliche
korporative
663 674 675 680 698 707 698 703 705 724 726 735 748 765 774 793 802 831 804 786 805 813 798 822 812 779 769 774 764 762
618 630 633 638 656 666 656 660 661 680 682 692 705 722 729 747 755 788 768 746 765 774 759 780 771 739 732 737 726 724
45 44 42 42 42 41 42 43 44 44 44 43 44 43 45 46 47 43 40 40 40 39 39 42 41 40 37 37 38 38
Bis 2005 beziehen sich die Zahlen auf den Termin der Jahrestagungen, ab 2006 auf den jeweiligen Jahresanfang.
Anhang 7
Jahrestagungen 1911 bis 2011 Bei den Jahrestagungen vor dem 2.Weltkrieg und seit 2010 gab/gibt es keine Generalthemen. Hier sind jeweils die (wichtigsten) Vortragsthemen aufgeführt. Von 1948 bis 2009 stand jede Jahrestagung unter einem oder zwei Generalthemen oder sie bestand aus zwei Grundsatzreferaten Ort/Zeit
Themen
1. Dresden (1911)
Bewegung der Eheschließungen 1843 bis 1907/Statistik an den Hochschulen Statistik an den Hochschulen/Statistik in der Verwaltung/Graphische statistische Darstellungen/Geburtenrückgang Geburten- und Sterblichkeitsrückgang/ Statistik an den Hochschulen/Amtliche Texterläuterung statistischer Quellenveröffentlichungen Nichtzentrale statistische Ämter/ Gesamtdeutsches Statistisches Handbuch/Zahlenfriedhöfe Statistik an den Hochschulen/Einstellung von Statistikern in privaten und öffentlichen Betrieben/Repräsentative Methode/Statistik und Mathematik Medizinalstatistik und ihre Einfügung in die Bevölkerungsstatistik/Statistische Gesetzgebung Konjunkturstatistik/100 Jahre Geburtenstatistik in Bremen Ursachenbegriffe und Ursachenforschung in der Statistik/Volk, Familie und Statistik/ Betriebswirtschaftliche Statistik/Statistik der politischen Wahlen Statistik und Soziographie/Heutige Haushaltung und Volkszählung/ Betriebswirtschaftliche Statistik im Dienste der Konjunkturforschung Lügt die Statistik?/Wirtschaft und Statistik/Internationale Arbeitsstatistik/ Zusammenarbeit der volkswirtschaftlichen und privatwirtschaftlichen Statistik
2. Berlin (1912)
3. Breslau (1913)
4. Erfurt (1920)
5. Magdeburg (1922)
6. Dresden (1924)
7. Königsberg (1926) 8. Nürnberg (1927)
9. Hamburg (1928)
10. Köln (1929)
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246
Anhang 7 Jahrestagungen 1911 bis 2011
11. Stuttgart (1930)
12. Stettin (1931)
13. Berlin (1933)
14. Dresden (1934)
15. Königsberg (1935)
16. Braunschweig (1936)
17. Düsseldorf (1937)
18. Würzburg (1938)
19. Wien (1939)
20. Wien (1940)
Deutschlands weltwirtschaftliche Verflechtung/Moral und Moralstatistik/ Statistik der privatwirtschaftlichen Marktbeobachtung Dynamik der Statistischen Zahlen/ Gesundheitsbarometer/Statistik des Binnenmarktes Organisatorische Zeitfragen der deutschen Statistik/Die Zahl als Erkenntnismittel der Sozialwissenschaften/ Handelsspanne in der Statistik Die Stellung der Statistik im neuen Reich/ Grenzgebiete der Repräsentativstatistik/ Statistische Methoden und Induktion Gefüge und Entwicklung der Volkswirtschaft/Mathematik und die statistische Praxis/Verbrauchsstatistik im Dienste der Bedarfsdeckung und Wirtschaftsplanung Bevölkerungsentwicklung und Wehrmacht/ Sport und Statistik/ Wirtschaftsbeobachtung in der Großunternehmung Nordwesteuropäische Wirtschaftsgemeinschaften/Motorisierung in der Statistik/ Die praktische Statistik in der Raumordnung Italienische Bevölkerungspolitik und Bevölkerungsstatistik/Zeitfragen der deutschen Handelsstatistik/Der Beitrag Österreichs zur wissenschaftlichen Statistik Südosteuropa im Lichte der Statistik/Die Statistik der deutschen Industrieorganisation/Ungarische Erhebung über die Bevölkerungsschicht mit höherer Schulbildung (Wegen des Kriegsausbruchs fand diese Tagung nicht statt; Referate im AStA) Die Statistik und die DStatG im Krieg/ Statistik und Großraumwirtschaft/ Statistik, Langlebigkeit und Altersforschung (auch diese Tagung fand nicht statt; Referate im AStA)
Anhang 7
Jahrestagungen 1911 bis 2011
21. München (1948)
22. Freiburg i. B. (1949)
23. Berlin (1950) 24. Stuttgart (1951)
25. Hamburg (1952) 26. Heidelberg (1953)
27. Trier (1954)
28. Augsburg (1955) 29. Essen (1956) 30. Nürnberg (1957) 31. Köln (1958)
32. Darmstadt (1959) 33. Bremen (1960) 34. Saarbrücken (1961)
35. Berlin (1962)
36. Bonn (1963) 37. München (1964)
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Neue Wege der Volkszählung/Werdegang und gegenwärtiger Stand des statistischen Hochschulunterrichts unter besonderer Berücksichtigung seines Begründers Gottfried Achenwall Aufgaben und Organisation der amtlichen Statistik/Soziale Topographie der Großstadt Stichprobenverfahren Probleme eines statistischen Gesamtbildes von Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftsablauf/Statistische Probleme der sozialökonomischen Topographie Statistik und Betrieb Moderne Methoden der statistischen Kausalforschung in den Sozialwissenschaften/Probleme und Eigentümlichkeiten sozialstatistischer Erkenntnis Integrative Tendenzen in der Sozialforschung und ihre Bedeutung für die Statistik/Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen als modernes Instrument der Wirtschaftspolitik Wechselbeziehungen zwischen Bevölkerung und Wirtschaft Statistisches Messen Probleme der modernen Agrarstatistik in volkswirtschaftlicher und statistischer Sicht Methoden und Probleme des internationalen Preisvergleichs/Das Unternehmen als Objekt der Statistik Maschinenverwendung und Automatisierung in der Statistik Verkehrs- und Verkehrsunfallstatistik Das Zusammenführen volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Aspekte in der Wirtschaftsstatistik/Die Ausbildung und Weiterbildung von Statistikern Neue Methoden und Ziele der Verbrauchsforschung/Die Grenzen zwischen Statistik und Ökonometrie Einkommensstatistik Betrieb und Statistik
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Anhang 7 Jahrestagungen 1911 bis 2011
38. Frankfurt (1965) 39. Hamburg (1966) 40. Göttingen (1967) 41. Kassel (1968)
42. Freiburg i. Br. (1969) 43. München (1970)
44. Stuttgart (1971) 46. Mannheim (1973) 47. Dortmund (1974) 48. Nürnberg (1975) 49. Frankfurt a. M. (1976) 50. Münster (1977) 51. Kiel (1978) 52. Hannover (1979) 53. Hamburg (1980) 54. Saarbrücken (1981) 55. München (1982) 56. Wuppertal (1983) 57. Augsburg (1984) 58. Bonn (1985)
59. Frankfurt a.M. (1986) 60. Berlin (1987) 61. Bremen (1988)
62. Duisburg (1989)
Bildungswesen und Statistik Statistik und Vorausschätzung Aktuelle Aufgaben und Probleme der Bevölkerungsstatistik Mathematisch-statistische Methoden und ihre Anwendung in der praktischen Statistik Über die Genauigkeit statistischer Daten Probleme der Preismessung/Die Bedeutung der automatischen Datenverarbeitung für die Beschaffung und Bereitstellung statistischer Daten Statistik regionaler Verflechtungen/Probleme der Statistik des Volksvermögensbestandes Gesamtwirtschaftliche Prognose und Konjunkturindikatoren Umweltschutz und Statistik Soziale Indikatoren Zur Analyse des Strukturwandels der Wirtschaft Probleme der Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung 1981 Langfristprognosen Entwicklungstendenzen in der Statistik – Aufgaben, Methoden, Techniken Internationale Statistik Das Energieproblem im Lichte der Statistik Statistik im Dienst der Geld- und Währungspolitik Moderne Verfahren der Datenauswertung (Explorative Datenanalyse) Qualität statistischer Daten Die Bedeutung der Bevölkerungsentwicklung für Arbeitsmarkt und soziale Sicherung-Statistische Methoden und Analysen Erfassung und Analyse der Dienstleistungen - eine Herausforderung der Statistik Umwelt und Statistik Statistik als gesellschaftspolitische Aufgabe – Aktuelle Probleme und Zukunftsperspektiven Beobachtung und Analyse des Arbeitsmarktes
Anhang 7
Jahrestagungen 1911 bis 2011
63. Stuttgart (1990) 64. Berlin (1991) 65. Braunschweig (1992) 66. Köln (1993) 67. Wien (1994)
68. Leipzig (1995) 69. Karlsruhe (1996) 70. Bielefeld (1997) 71. Lübeck (1998) 72. Hannover (1999) 73. Nürnberg (2000) 74. Dortmund (2001) 75. Konstanz (2002) 76. Potsdam (2003) 77. Frankfurt a.M. (2004) 78. Braunschweig (2005) 79. Dresden (2006)
80. Kiel (2007) 81. Köln (2008) 82. Wuppertal (2009) 83. Nürnberg (2010) 84. Leipzig (2011)
Analyse und Prognose von Zeitreihen Statistik im vereinten Deutschland Statistik und Computer Panel-Modelle für qualitative Daten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der nationalen statistischen Systeme in der Europäischen Union Migration Statistische Analyse von Finanzmärkten Konjunkturanalysen und Statistik Soziale Sicherungssysteme Umwelt – Nachhaltige Entwicklung Statistik in der Gesellschaft Planung und Analyse von Panelstudien Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Verkürzte Statistische Woche als Satellitentagung zu ISI 2003: Europatag Arbeitsmarkt und Statistik Fehlende und fehlerbehaftete Daten Unternehmensstatistik: Melden wir nur oder nutzen wir sie auch? – Ein Beitrag zum Bürokratieabbau Statistik im Risikomanagement Statistik im Marketing Wahlen Energie/Armutsforschung/Jump Regression Analysis Räumliche Statistik/Beyond GDP
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Anhang 8
Pfingsttagungen 1979 bis 2004 Vorläufer: Von 1973 bis 1978 fand regelmäßig in der Woche nach Pfingsten eine Sitzung des Ausschusses für Neuere Statistische Methoden statt. 1973 nahm daran auch der Hochschullehrerkreis im Ausschuss für Ausbildungsfragen und ab 1976 der Ausschuss für Empirische Wirtschaftsforschung und Angewandte Ökonometrie teil. 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1887 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2008 2009
Gießen Bielefeld Stuttgart-Hohenheim (Dortmund) Keine Pfingsttagung, sondern Internationales Kolloquium Trier Hamburg Konstanz Bamberg Würzburg Marburg Münster Trier Innsbruck Passau Kiel Dortmund Dresden Tübingen Wittenberg München Heidelberg Frankfurt/Oder Magdeburg Jena Rostock Leipzig Münster Hamburg Berlin Halle
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Anhang 9
Herausgeber bzw. Schriftleiter des Allgemeinen Statistischen Archivs Zeitraum
Herausgeber/Schriftleiter Ort des Herausgebers
1890 – 1914 1914 – 1944 1949 – 1960 1961 – 1972 1973 – 1980 1981 – 1997 1998 – 2004 2005 – 2006
Georg v. Mayr Friedrich Zahn Karl Wagner Willi Hüfner Heinz Grohmann Horst Rinne Karl Mosler Wilfried Seidel
München München München Wiesbaden Frankfurt am Main Gießen Köln Hamburg
Ab 1. Januar 2007 Zweiteilung der Publikation in: 1. AStA – Advances in Statistical Analysis 2007 – 2009/Heft 1 Wilfried Seidel Ab 2009/Heft 2 Göran Kauermann Stefan Lang
Hamburg Bielefeld Innsbruck (Österreich)
2. AStA – Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv Ab 2007
Hans Wolfgang Brachinger Fribourg (Schweiz)
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Anhang 10
Einzelschriften 1951 bis 1960 Band
Themen
Band 1
Kellerer H (1951) Übertragung einiger in der Bevölkerungsstatistik gebräuchlicher Begriffe und Methoden auf das Wirtschaftsleben. Deutsche Statistische Gesellschaft, München TrappV (1951) Statistisches Wörterbuch Englisch-Deutsch. Deutsche Statistische Gesellschaft, München ohne Verfasser (1952) Bibliographie der amtlichen westdeutschen Statistik 1945-51. Deutsche Statistische Gesellschaft, München Morgenstern O (1952) Über die Genauigkeit wirtschaftlicher Beobachtungen. Deutsche Statistische Gesellschaft, München Kellerer H (1953) Theorie und Technik des Stichprobenverfahrens. Deutsche Statistische Gesellschaft, München Anderson O sen. (1954) Probleme der statistischen Methodenlehre in den Sozialwissenschaften. Physica, Würzburg Kellerer H (1955) Bibliographie der seit 1928 in Buchform erschienenen deutschsprachigen Veröffentlichungen über theoretische Statistik und ihre Anwendungsgebiete. Deutsche Statistische Gesellschaft, München Kellerer H (1969) Bibliographie der seit 1928 in Buchform erschienenen deutschsprachigen Veröffentlichungen über theoretische Statistik und einige ihrer Anwendungsgebiete. Deutsche Statistische Gesellschaft, Wiesbaden Strecker H (1957) Moderne Methoden in der Agrarstatistik. Physica, Würzburg Adam/Ferschl/Klamecker/Klingst/Pichler/Roppert/ Scholz/Wenke/Wetzel (1959) Anwendung der Matrizenrechnung auf wirtschaftliche und statistische Probleme. Physica, Würzburg
Band 2
Band 3
Band 4
Band 5
Band 6
Band 7
Band 7a
Band 8 Band 9
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Anhang 10
Band 10
Einzelschriften 1951 bis 1960
ohne Verfasser (1960) Statistische Vorlesungen und Übungen an Universitäten und anderen Hochschulen der Bundesrepublik Deutschen vom SW 1955/56 bis SS 1958. Deutsche Statistische Gesellschaft, München
Quelle: Rinne H (1991) 100 Jahre Allgemeines Statistisches Archiv. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S 56
Anhang 11
Schriften zur Anwendung statistischer Methoden in der Industrie 1954 bis 1961 Kohlhammer, Stuttgart
I. Marktbeobachtung im Betrieb Reihe A: Statistische Methoden und graphische Darstellungen Heft 1: Heft 2: Heft 3: Heft 4:
K. G. Mahnke, Tabellenkunde, 1954 K. G. Mahnke, Graphische Darstellungen, 1954 K. G. Mahnke, Berechnung und Anwendung von Vergleichszahlen, 1954 K. G. Mahnke, Der Saisonindex, 1954
Reihe B: Informationen für die Wirtschaft Heft 1: Heft 2:
Informationsstellen und Wirtschaftsinstitute, 1953 Die amtliche Statistik als Informationsquelle, 1954
Reihe C: Auswertung der Statistik für die Markbeobachtung Heft 1: Heft 2: Heft 3: Heft 4:
H. Lopinski, Allgemeiner Überblick, 1954 H. Lopinski, Betriebsstatistik, 1954 H. Lopinski, Branchenstatistik, 1954 H. Lopinski, Allgemeine Wirtschaftsstatistik, 1954
Reihe E: Praktische Beispiele aus der Markstatistik Heft 1:
G. Lucae, Durchführung einer Marktanalyse für den Export in einem Industriezweig, 1954
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Anhang 11
Schriften zur Anwendung statistischer Methoden in der Industrie
II. Innerbetriebliche Statistik Reihe F: Messung der Produktivität Heft 1: Heft 2:
Allgemeine Anleitung zur Messung der Produktivität in der Industrie Beispiele zur praktischen Durchführung
Reihe G: Statistische Erfassung des Vertriebs Heft 1: Heft 2:
G. Bickert, Auftragsstatistik, 1961 K. Wobbe, Umsatzstatistik, 1960
Quelle: Rinne H (1991) 100 Jahre Allgemeines Statistisches Archiv. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S 57/58
Anhang 12
Sonderhefte zum Allgemeinen Statistischen Archiv 1970 bis 1999 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Band
Themen
Band 1
Wetzel W (Hrsg) Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Zeitreihenanalyse. 1970 Fürst G (Hrsg) Zur Reform der amtlichen Industriestatistik. 1971 Freitag K-H (Hrsg) Zur Messung von Erträgen. 1973 Krengel R (Hrsg) Neuere Methoden der Produktivitätsmessung. 1973 Krengel R (Hrsg) Aufstellung und Analyse von InputOutput-Tabellen. 1973 Fürst G (Hrsg) Stand der Einkommensstatistik (Individual- und Haushaltseinkommen, Einkommensschichtung). 1973 Fürst G (Hrsg) Konjunktur-Indikatoren. 1975 Freitag K-H (Hrsg) Der Baumarkt im Wandel und seine statistische Messung. 1975 Schäffer K-A (Hrsg) Beiträge zur Zeitreihenanalyse. 1976 Fürst G (Hrsg) Messung der Kaufkraft des Geldes. 1976 Fürst G (Hrsg) Statistiken der Erwerbstätigkeit und Beschäftigung. 1977 Frohn J (Hrsg) Makroökonometrische Modelle für die Bundesrepublik Deutschland. 1978 Fürst G (Hrsg) Grundlagen und Methoden der Verbrauchsstatistiken und Konsumforschung. 1978 Schäffer K-A (Hrsg) Splinefunktionen in der Statistik. 1978 Zindler H-J (Hrsg) Statistische Informationssysteme. 1979 Frohn J (Hrsg) Methodik und Anwendung ökonometrischer Entscheidungsmodelle. 1980 Stenger H (Hrsg) Praktische Anwendungen von Stichprobenverfahren. 1980 Krengel R (Hrsg) Die Weiterentwicklung der Input-Output-Rechnung in der Bundesrepublik Deutschland. 1982 Stäglin R (Hrsg) International Use of Input-Output Analysis. 1982 Anderson O jun (Hrsg) Qualitative und quantitative Konjunkturindikatoren. 1982 Heiler S (Hrsg) Recent Trends in Statistics. 1983
Band 2 Band 3 Band 4 Band 5 Band 6 Band 7 Band 8 Band 9 Band 10 Band 11 Band 12 Band 13 Band 14 Band 15 Band 16 Band 17 Band 18 Band 19 Band 20 Band 21
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Band 22 Band 23 Band 24 Band 25 Band 26 Band 27 Band 28 Band 29 Band 30
Band 31 Band 32 Band 33 Band 34
Anhang 12
Sonderhefte zum Allgemeinen Statistischen Archiv 1970 bis 1999
Buttler G (Hrsg) Arbeitsmarktanalyse. 1984 Frohn J (Hrsg) Zur Spezifizierung und Analyse ökonometrischer Modelle. 1984 Gerstenberger W (Hrsg) Ansätze und Methoden der Strukturanalyse. 1985 Hanau K (Hrsg) Statistische Erfassung und Analyse der Bautätigkeit. 1986 Reich U-P (Hrsg) Aufgaben und Probleme der Einkommensstatistik (Erstellung, Nutzung, Interpretation). 1988 Grohmann H (Hrsg) Außenhandels- und Zahlungsbilanzstatistik. 1991 Grohmann H (Hrsg) Indikatoren der Wirtschaftsentwicklung: zum verantwortungsvollen Umgang mit der Statistik. 1994 Frohn J, Gather U, Stute W, Thöni H (Hrsg) Applied statistics – recent developments: proceedings. 1995 Hujer R, Rendtel U, Wagner G (Hrsg) Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Panel-Studien: Datenstrukturen und Analyseverfahren. 1997 Müller M (Hrsg) Die Industriestatistik Europas im Umbruch. 1998 Jäger M, Stäglin R (Hrsg) Europäische Union und ihre Auswirkungen auf das deutsche Statistiksystem. 1998 Grohmann H, Sahner H, Wiegert R (Hrsg) Volkszählung 2001: Von der traditionellen Volkszählung zum Registerzensus. 1999 Hanau K, Steger A (Hrsg) Währungsunion und monetäre Statistiken. 1999
Anhang 13
Volkszählungsresolution 1983 Köln, 30.09.1983
Stellungnahme der Deutschen Statistischen Gesellschaft zur Volkszählung – von der Mitgliederversammlung am 29.09.1983 in Wuppertal einmütig beschlossen – Die Diskussion über die Volkszählung ist in der Öffentlichkeit nicht immer sachkundig und zu einem erheblichen Teil emotional geführt worden. Die Deutsche Statistische Gesellschaft als wissenschaftliche Vereinigung von Statistikern aller Fachrichtungen macht deshalb auf folgende Gesichtspunkte nachdrücklich aufmerksam: 1. Volkszählungen werden in fast allen Ländern der Erde als notwendig angesehen und – unabhängig von ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung – durchgeführt. 2. Die Volkszählung liefert erstens Global- und Strukturdaten für das Bundesgebiet, die Länder und Gemeinden, die in vergleichbarer Qualität anders nicht gewonnen werden können, zweitens die Ausgangsdaten für die Bevölkerungsfortschreibung, drittens Grundlagen für die Planung und Durchführung von Stichprobenerhebungen. Bei Verzicht auf die Volkszählung wäre dem Gesamtsystem der Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Sozialstatistik die wesentliche Stütze entzogen. 3. Das für die Volkszählung 1983 vorgesehene Frageprogramm ist gegenüber dem von 1970 deutlich gekürzt worden. Angesichts des erheblichen Informationsbedarfs ist es eher zu knapp als zu reichhaltig. Die Belastung der Befragten ist vergleichsweise gering. 4. Die Geheimhaltung bei der statistischen Erhebung, Aufbereitung und Datenweitergabe ist von den Statistikern von jeher äußerst erst genommen worden: Sie ist die Existenzgrundlage der amtlichen Statistik. Alle bisherigen Erfahrungen rechtfertigen volles Vertrauen in die Geheimhaltung der amtlichen Statistik. Ihre umfassenden rechtlichen und organisatorischen Datenschutzregelungen beugen möglichen Gefahren auch der modernen Datenverarbeitungstechnik wirksam vor. 5. Stichproben können Totalerhebungen nur zum Teil ersetzen. Zugleich sachlich und regional tief gegliederte Ergebnisse sind damit nicht erreichbar. Vor allem aber ist eine zuverlässige Stichprobe überhaupt erst möglich, wenn sie auf einer Totalerhebung aufbauen kann. Eine Stichprobe in Kombination mit einer
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Anhang 13 Volkszählungsresolution 1983
Melderegister-Auswertung scheitert daran, dass der Inhalt der Melderegister dafür weder zuverlässig noch informativ genug ist. Ein Ersatz der Volkszählung durch kombinierte Auswertung verschiedener vorhandener Dateien scheidet aus, weil er die Probleme des Datenschutzes verstärkt, ohne die Aufgaben einer Volkszählung erfüllen zu können. 6. Bei einer Überprüfung des bisher vorgesehenen Verfahrens ist vor allem folgendes zu beachten: • In Verbindung mit der Volkszählung aktualisierte und mit deren Ergebnissen synchronisierte Melderegister sind unverzichtbar. Sie stellen unter anderem eine wichtige Grundlage für eine verlässliche Bevölkerungsfortschreibung dar. Die Weitergabe der Originalfragebögen an die Meldeämter ist dabei auszuschließen. • Jede weitere Einschränkung der im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten einer Weitergabe anonymisierter Daten für wissenschaftliche Zwecke würde die Auswertung und damit den Nutzen der Volkszählung erheblich mindern. Modellrechnungen über die künftigen Familien- und Haushaltsstrukturen, über die Auswirkungen von Steuer- und Sozialgesetzesänderungen usw. können ohne Zugriff auf personen- und haushaltsbezogene – selbstverständlich anonymisierte – Einzeldaten nicht sachgerecht durchgeführt werden. 7. Die Tragweite der jetzt geführten Diskussion geht weit über die Volkszählung hinaus. Wird schon die Volkszählung nicht mehr akzeptiert, so werden bald auch die Widerstände gegen die zahlreichen anderen Erhebungen wachsen, die zwar alle nur Teile der Bevölkerung und Wirtschaft belasten, diese aber um ein Vielfaches mehr als die Volkszählung. Die Bevölkerungs-, Wirtschaftsund Sozialstatistik als Teil der in Jahrzehnten aufgebauten immateriellen Infrastruktur unseres Landes würde zunehmend schlechter werden, rationalem politischen Handeln würde damit der Boden entzogen und der Fortschritt empirischer Wirtschafts- und Sozialwissenschaft behindert. Für das Gemeinwohl entstände ein unübersehbarer Schaden.