Kim Gerber Räumliche Mobilität im Wandel
Kim Gerber
Räumliche Mobilität im Wandel Wanderungen im Lebenslauf und ihre...
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Kim Gerber Räumliche Mobilität im Wandel
Kim Gerber
Räumliche Mobilität im Wandel Wanderungen im Lebenslauf und ihre Auswirkungen auf die Stadtentwicklung in Nordrhein-Westfalen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zugl. Dissertation Universität zu Köln, 2010
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18305-3
Danksagung
Diese Arbeit ist als Dissertation am Forschungsinstitut für Soziologie der Universität zu Köln verfasst worden. Für die konstruktiven Gespräche, fachlichen Anregungen und die umfassende Unterstützung danke ich: Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Michael Wagner, der sich bereits in seiner Dissertation mit räumlicher Mobilität befasst hat. Ihm danke ich überdies für die intensive Betreuung sowie dafür, dass er mir ermöglicht hat, soziologisch, aber auch interdisziplinär zu arbeiten. Prof. Dr. Josef Nipper, der bereit gewesen ist, mein Zweitgutachter zu sein. Durch die ausgiebigen Gespräche mit ihm ist die geographische Perspektive in dieser Arbeit nicht vernachlässigt worden. Dr. habil Ulrich Pötter, für den stets umgehenden konstruktiven sowie aufbauenden Austausch. Dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung für die Bereitstellung der Lebensverlaufsstudien, der Akademie für Raumforschung und Landesplanung für die zur Verfügung gestellten Forschungs- und Sitzungsberichte und der Bezirksregierung Köln / Geobasis NRW für die Erlaubnis, die Geobasisdaten der Kommunen und des Landes NRW zu nutzen. Zudem bin ich für die unzähligen Anregungen sowie die über das Fachliche hinausgehenden Gespräche Sabine Gründler, Christine Zachmann, Dr. Imke Dunkake und Dr. Bernd Weiß sehr dankbar. Mein besonderer Dank für ihre fortwährende Unterstützung gilt meinen Eltern, Gabriele und Carl-Philipp Gerber, Simon Gerber sowie meinen Großmüttern, Käthe Gerber und Marianne Dohmen. Schließlich danke ich meinem Lebensgefährten Markus Lücking, der mich in dieser Zeit beständig begleitet und mir zur Seite gestanden hat. Kim Gerber
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 9 Tabellenverzeichnis ........................................................................................ 13 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................. 15 1 Quo vadis? ................................................................................................. 1.1 Zielsetzung .......................................................................................... 1.2 Untersuchungsregion ........................................................................... 1.3 Untersuchungsaufbau ..........................................................................
17 19 22 24
2 Nahräumliche Mobilität ........................................................................... 2.1 Von Nahwanderungen und ihren Verwandten .................................... 2.2 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordamerika und Europa 2.3 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Deutschland .................... 2.4 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordrhein-Westfalen ......
27 28 31 37 44
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete ......................................................... 3.1 Internationale Raumabgrenzungen ...................................................... 3.2 Nationale Raumabgrenzungen ............................................................ 3.2.1 Ballung, Verdichtung, Agglomeration ..................................... 3.2.2 Stadtregion ............................................................................... 3.3 Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen ................................................ 3.3.1 Nordrhein-westfälische Gemeinden im Wandel ...................... 3.3.2 Szenarien der Stadtentwicklung ............................................... 3.4 Zusammenfassung ...............................................................................
51 53 62 63 65 73 73 79 83
4 Theorien, Modelle und Hypothesen ......................................................... 85 4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle ........................... 88 4.1.1 Allgemeine makrotheoretische Ansätze ................................... 89 4.1.2 Das Modell der Phasen urbaner Entwicklung .......................... 94 4.1.3 Makrotheoretische Hypothesen .............................................. 101 4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien .......................................... 104 4.2.1 Allgemeine mikrotheoretische Ansätze ................................. 105 4.2.2 Die Perspektive des Lebenslaufs............................................ 111 4.2.3 Mikrotheoretische Hypothesen .............................................. 115 4.3 Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem ....................... 119
8
Inhaltsverzeichnis
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung? .................................................................................... 5.1 Amtliche Wanderungsstatistik .......................................................... 5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen? ..................................................... 5.2.1 (Nah-)Wanderungsströme und -salden................................... 5.2.2 (Modifizierte) Phasen urbaner Entwicklung .......................... 5.3 Suburbanes Ruhrgebiet? .................................................................... 5.3.1 (Nah-)Wanderungsströme und -salden................................... 5.3.2 (Modifizierte) Phasen urbaner Entwicklung .......................... 5.4 Zusammenfassung .............................................................................
121 121 124 124 146 163 164 173 180
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950 ..................... 6.1 Lebensverlaufsstudien ....................................................................... 6.1.1 Datenaufbereitung und -qualität ............................................. 6.1.2 Ereignisanalyse ...................................................................... 6.1.2.1 Nicht-parametrische Verfahren ............................... 6.1.2.2 (Semi-)Parametrische Verfahren ............................. 6.2 Nahwanderungen von 1950 bis 1999 ................................................ 6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen ............................................... 6.3.1 Erste Bildungsaufnahme ........................................................ 6.3.2 Erste Erwerbstätigkeit ............................................................ 6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen .............................. 6.4.1 Erste Heirat und Lebenspartnerschaft .................................... 6.4.2 Bevorstehende Geburten ........................................................ 6.4.3 Erste Trennung ....................................................................... 6.5 Zusammenfassung .............................................................................
185 186 188 194 197 199 208 217 219 228 237 238 246 254 260
7 Nahräumliche Wanderungen in Nordrhein-Westfalen........................ 267 7.1 Synthese der makro- und mikrotheoretischen Erkenntnisse .............. 267 7.2 Exeo .................................................................................................. 275 Literaturverzeichnis ..................................................................................... 283 Anhang ........................................................................................................... 309
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24:
Zielsetzung der Arbeit............................................................. 21 Untersuchungsaufbau der Arbeit ............................................ 25 Verortung des Untersuchungsgegenstandes ‚Wanderung‘ in der Soziologie und Geographie ............................................... 27 Das Ringmodell ...................................................................... 56 Das Sektorenmodell ................................................................ 57 Das Mehrkerne-Modell ........................................................... 58 Schema der Stadtregion .......................................................... 67 Zeitliche Abfolge der verwendeten Modelle der Stadtregion . 72 Stadtregionen 1950 in Nordrhein-Westfalen .......................... 75 Stadtregionen 1961 in Nordrhein-Westfalen .......................... 76 Stadtregionen 1970 in Nordrhein-Westfalen .......................... 77 Stadtregionen 2004 in Nordrhein-Westfalen .......................... 78 Schematische Darstellungen von vier räumlichen Entwicklungsmodellen............................................................ 80 Szenarien zukünftiger Siedlungsstrukturen und Interaktionsmuster .................................................................. 82 Entscheidungen in einem Mehrebenensystem ........................ 86 Wanderungsentscheidung in einem Mehrebenensystem......... 87 Makrotheoretisches Wanderungsentscheidungsmodell .......... 88 Modell der Mobility Transition............................................... 91 Suburbanisierungsspirale ........................................................ 93 Modell der Phasen der urbanen Entwicklung ......................... 95 Typ-ȕ-Schema......................................................................... 99 Mikrotheoretisches Wanderungsentscheidungsmodell ......... 104 Modellhafte Rekonstruktion des Handlungsablaufs ............. 106 Modell der Perspektive des Lebenslaufs ............................... 114
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 25: Mobilitätsentscheidung in einem erweiterten Mehrebenensystem ............................................................... 120 Abbildung 26: Schematische Darstellung: Suburbanisierung (I / II) und Reurbanisierung (III) der Bevölkerung ................................. 125 Abbildung 27: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen in NRW von 1985 bis 2005 ........................................................................ 128 Abbildung 28: Wanderungssalden von Stadtregionen in NRW (1985 - 2005) 130 Abbildung 29: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen in NRW (1985 -2005) – Altersgruppen ............................................... 133 Abbildung 30: Mittlere Wanderungsströme der 18- bis 24-Jährigen innerhalb der Stadtregionen in NRW (1985 - 2005) ............. 135 Abbildung 31: Mittlere Wanderungsströme der 50- bis 64-Jährigen innerhalb der Stadtregionen in NRW (1985 - 2005) ............. 138 Abbildung 32: Mittlere Wanderungsströme in allen Stadtregionen in NRW (1985 – 2000) – Geschlecht .................................................. 139 Abbildung 33: Schematische Darstellung von Wanderungsströmen einer Stadtregion ............................................................................ 140 Abbildung 34: Mittlere Fern- und Nahwanderungssalden aller Stadtregionen in NRW (1985 – 2005) ......................................................... 141 Abbildung 35: Fern- und Nahwanderungssalden einzelner Stadtregionen in NRW (1985 – 2005) ............................................................. 144 Abbildung 36: Stadtregionen Nordrhein-Westfalens (1988 - 2005), Typ-ĮSchema .................................................................................. 157 Abbildung 37: Stadtregionen Nordrhein-Westfalens (1988 - 2005), Typ-ȕSchema .................................................................................. 159 Abbildung 38: Wachstum aller Stadtregionen Nordrhein-Westfalens (1985 1994 und 1997 -2005) ........................................................... 162 Abbildung 39: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 2005) ..... 165 Abbildung 40: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen im Ruhrgebiet (1985 - 2005) – Altersgruppen ........................... 168 Abbildung 41: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen im Ruhrgeb. und in NRW o. Ruhrgeb. (1985 - 2005) – Nationalität ......... 170 Abbildung 42: Mittlere Fern- und Nahwanderungssalden aller Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 2005) 172
Abbildungsverzeichnis
11
Abbildung 43: Absolute Bevölkerungsveränderungen aller Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 – 2005) .... 175 Abbildung 44: Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1988 - 2005), Typ-ȕ-Schema ............................................... 177 Abbildung 45: Wachstum der Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 1994 und 1997 - 2005) .................. 178 Abbildung 46: Makrotheoretisches Wanderungsentscheidungsmodell (1985 - 2005) ................................................................................... 182 Abbildung 47: Erhebungswellen der Lebensverlaufsstudien Westdeutschlands.................................................................. 187 Abbildung 48: Verlaufsdiagramm: Auswahl der in NRW geborenen Personen ................................................................................ 189 Abbildung 49: Wohnepisoden des Untersuchungszeitraums ........................ 190 Abbildung 50: Verlaufsdiagramm: Zuordnung von Raumkategorien........... 192 Abbildung 51: Multi-Episoden (A) und Single-Episoden (B) von Wohndauern .......................................................................... 197 Abbildung 52: Modellvergleich: Anpassung der Wohndauern unter Einbezug von Kovariaten (Geburtskohorte, Geschlecht) ...... 200 Abbildung 53: Beispielhafte Darstellung des Episodensplittings ................. 203 Abbildung 54: Ausmaß der nahräumlichen Wanderungsströme in NRW (1950 - 1999) (in Prozent)..................................................... 212 Abbildung 55: Kaplan-Meier Überlebensfunktion: Erste Nahwanderungen im Zeitraum von 1950 bis 1999 ............................................ 214 Abbildung 56: Kaplan-Meier Überlebensfunktion: Erste Nahwanderungen im Zeitraum von 1950 bis 1999 – Geschlecht ...................... 215 Abbildung 57: Kaplan-Meier Überlebensfunktion: Erste Nahwanderungen im Zeitraum von 1950 bis 1999 – Geburtskohorten ............. 216 Abbildung 58: Art der ersten Ausbildung – Geburtskohorten ...................... 219 Abbildung 59: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Bildungsbezug ...................................................................... 227 Abbildung 60: Durchschnittliche Anzahl der Erwerbstätigkeiten bis zum Interviewzeitpunkt ................................................................ 229 Abbildung 61: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Erwerbsbezug........................................................................ 236
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 62: Median des Alters zu Beginn der ersten Partnerschaft – Geburtskohorten und Geschlecht .......................................... 239 Abbildung 63: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Partnerschaftsbezug .............................................................. 245 Abbildung 64: Anteil der Kinder – Geburtskohorten.................................... 247 Abbildung 65: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Geburtsbezug ........................................................................ 253 Abbildung 66: Art der Trennung – Geburtskohorte ...................................... 255 Abbildung 67: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Trennungsbezug .................................................................... 260 Abbildung 68: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Zusammenführung ................................................................ 269 Abbildung 69: Zusammenführung des Modells der Phasen der urbanen Entwicklung und des Modells der Mobility Transition ........ 309 Abbildung 70: Modell des Ablaufs der Suburbanisierung ............................ 311 Abbildung 71: Typ-Į Schema ....................................................................... 311 Abbildung 72: Mittlere Wanderungsströme aller Stadtregionen in NRW (1985 - 2005) – Altersgruppen .............................................. 312 Abbildung 73: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 2005) – Altersgruppen .................. 313 Abbildung 74: Mittlere Wanderungsströme aller Stadtregionen in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 2005)– Altersgruppen ................... 314 Abbildung 75: Mittlere Wanderungsströme aller Stadtregionen im Ruhrgebiet (1985 - 2005) – Altersgruppen ........................... 315 Abbildung 76: Mittlere Wanderungsströme aller Stadtregionen im Ruhrgeb. und in NRW o. Ruhrgeb. (1985 - 2005) – Geschlecht .......... 316 Abbildung 77: Median des Alters zu Beginn der ersten Ausbildung ............ 316 Abbildung 78: Durchschnittliche Anzahl von Ausbildungen bis zum Interviewzeitpunkt ................................................................ 317 Abbildung 79: Median des Alters bei der Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit .................................................................... 317 Abbildung 80: Median des Alters bei der Geburt des 1. und 2. Kindes ........ 318
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17:
Merkmale und Schwellenwerte für die Abgrenzung von Stadtregionen 1950/61 und 1970 in der BRD ......................... 68 Merkmale und Schwellenwerte für die Abgrenzung von Stadtregionen 1995, 2000 und 2004 in der BRD .................... 70 Stadtregionen Nordrhein-Westfalens 1950 bis 2004 .............. 74 Phasen urbaner Entwicklung................................................... 96 Kategorisierungsmatrix für metropolitane Gebiete ............... 100 Wohnungsnachfragemuster in Abhängigkeit von Lebensphasen ........................................................................ 109 Bevölkerungsveränderungen in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens ........................................................... 150 Bevölkerungswachstum der Stadtregionen NordrheinWestfalens............................................................................. 161 Makrotheoretische Ergebnisse .............................................. 183 Stichprobenbeschreibung ...................................................... 209 Gemeinde-Stayer bis einschließlich des 25. Lebensjahres.... 210 Raumkategorie des Geburtsortes (Geburtskohorten) ............ 211 Einfluss der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen (1950 – 1999) ........................................................................ 221 Einfluss der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet und in die Stadtregion (1950 - 1999) ....... 223 Einfluss der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet – NRW o. Ruhr. und Ruhr. (1950 – 1999) 224 Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen (1950 - 1999) ........................................................................ 230 Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet und in die Stadtregion (1950 - 1999) ....... 232
14 Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37:
Tabellenverzeichnis
Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet – NRW o. Ruhr. und Ruhr. (1950 - 1999) 233 Einfluss der ersten Heirat bzw. Lebenspartnerschaft auf Nahwanderungen (1950 - 1999) ........................................... 240 Einfluss der ersten Heirat bzw. NEL auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland / aus der Stadtregion (1950 bis 1999) 242 Einfluss der ersten beiden Geburten auf Nahwanderungen (1950 – 1999) ........................................................................ 248 Einfluss der ersten beiden Geburten auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland / aus der Stadtregion (1950 - 1999) . 250 Einfluss der ersten Trennung auf Nahwanderungen (1950 1999) ..................................................................................... 256 Einfluss der ersten Trennung auf Nahwanderungen nach Geschlecht (1950 - 1999) ...................................................... 258 Mikrotheoretische Ergebnisse ............................................... 263 Variablen zur Wohngeschichte ............................................. 319 Raumkategorien aller Wohnorte von 1950 bis 1999 – Geburtskoh. ........................................................................... 319 Codierung der Variable ‚erste Bildungsaufnahme‘ ............... 320 Wohnepisoden nach Wanderungsrichtung (1950 - 1999) ..... 321 Einfluss der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet insgesamt und für Frauen (1950 - 1999) .. 322 Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet insgesamt und für Frauen (1950 - 1999) .. 322 Einfluss der ersten (N)EL auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland (1950 - 1999) – NRW o. Ruhr. und Ruhr. ......... 323 Einfluss der ersten (N)EL auf Wanderungen vom Kerngebiet ins das Umland (1950 - 1999) – Geburtskohorten ................ 323 Einfluss der ersten Geburt auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland – NRW o. Ruhr. und Ruhr. (1950 - 1999) ......... 324 Einfluss der ersten Geburt auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland (1950 - 1999) – Geburtskohorten ..................... 324 Einfluss der ersten Trennung auf Nahwanderungen (1950 1999) – Geburtskohorten und Frauen ................................... 325 Verwendete Kovariaten ........................................................ 326
Abkürzungsverzeichnis
Abb.: ARL: BBR: bzw.: f.: ff.: IT.NRW: (LDS NRW) Kap.: LVS: LV-West I: LV-West II: LV-West III: LV-West 64/71: MPIfB: Tab.: u.a.: v.a.: vgl.: z.B.:
Abbildung Akademie für Raumforschung und Landesplanung Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung beziehungsweise folgende fortfolgende Information und Technik Nordrhein-Westfalen (vormals LDS NRW: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen) Kapitel Lebensverlaufsstudien erste westdeutsche Lebensverlaufsstudie „Lebensverläufe und Wohlfahrtsentwicklung“ zweite westdeutsche Lebensverlaufsstudie „Die Zwischenkriegskohorte im Übergang zum Ruhestand“ dritte westdeutsche Lebensverlaufsstudie „Berufszugang in der Beschäftigungskrise“ vierte westdeutsche Lebensverlaufsstudie „Ausbildungs- und Berufsverläufe der Geburtskohorten 1964 und 1971 in Westdeutschland“ Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Tabelle unter anderem vor allem vergleiche zum Beispiel
1 Quo vadis?
Nicht selten brachten unvorhersehbare Ereignisse die großen Seefahrer von ihrer Route ab, infolge derer sie in ihnen unbekannten Häfen vor Anker gingen. An vorderster Stelle der meteorologischen Unwegsamkeiten stand der Wind. In der Antike noch als Gottheit verehrt verdrängen erkenntnistheoretische Erklärungen im Verlauf der Jahrhunderte den mystischen Glauben. Die Gottheiten weichen dem Ergebnis unterschiedlicher Luftdruckverteilung in Verbindung mit der Erdrotation (Häckel 1999: 229). Die wachsende Kenntnis über die planetarische Zirkulation war den Seefahrern zunehmend dienlich, der See vermeintlicher Herr zu werden: In der Südhemisphäre nimmt in den 40° Breiten aufgrund der starken Druckabnahme die Westwinddrift ihren Anfang. Diese stürmischen westlichen Winde sind Roaring Forties getauft worden. Ihnen folgen die Furious Fifties und die Shrieking Sixties (Häckel 1999: 279f., Lauer 1999: 110). Diese eingängigen Bezeichnungen gaben den Seglern eine Vorstellung davon, wohin es sie treiben würde. Wird in Betracht gezogen, dass Wind im Gegensatz zu den meisten meteorologischen Phänomenen durch Geschwindigkeit und Richtung bestimmt wird (Häckel 1999: 229), dann liegt ein Vergleich zu räumlicher Mobilität nicht fern: Die Fragen, wie lange Menschen an einem Ort verweilen, durch welche, nicht nur meteorologischen, Ereignisse sie diesen verlassen und in welche Richtung sie ziehen, bleiben ungebrochen aktuell. Denn Wanderungen und ihre weitreichenden Auswirkungen sind seit jeher eng mit der Geschichte der Menschheit verbunden. Nach Quast und Knaut (2005: 8) bilden Wanderungsbewegungen sogar „fundamentale Faktoren der menschlichen Geschichte (…)“: Die heutige Verteilung der europäischen Bevölkerung beruht auf Wanderungen ganzer Völker (Pohl 2005: 14ff.). In jüngerer Zeit sind die Ost-West-Binnenwanderungen in Deutschland nach der Wiedervereinigung zu nennen, welche mit Bevölkerungsverlust, Wohnungsleerstand sowie starken wirtschaftlichen Einbußen für die neuen Bundesländer einhergehen (Aring/Herfert 2001: 49, BiB-Mitteilungen 2004: 25ff., Heinrich Böll Stiftung 2004: XXI). Doch nicht nur großräumige Wanderungen auf globaler und nationaler Ebene sind von wissenschaftlichem Interesse. Die Untersuchung von Nahwanderungen erfährt vermehrt Beachtung, da sie immer entscheidender für den Bestand der Bevölkerung wird. Für die Industrieländer gilt, dass sich Fertilität (Frucht-
K. Gerber, Räumliche Mobilität im Wandel, DOI 10.1007/978-3-531-92909-5_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Quo vadis?
barkeit) und Mortalität (Sterblichkeit) in den letzten Jahrzehnten relativ konstant auf einem niedrigen Niveau halten. Es sind daher Wanderungen, die vor allem kleinräumige Bevölkerungsgewinne und -verluste zunehmend bestimmen (Gaebe 1987: 143, Bähr et al. 1992: 498). Diese stehen ihrerseits im Zusammenhang mit wirtschaftlichen und städtebaulichen Auswirkungen. In Deutschland erhalten beispielsweise Städte und Gemeinden staatliche Zuwendungen pro Einwohner: „Gesetzliche Verteilregeln sorgen dafür, dass der örtliche Anteil an der Einkommenssteuer, der den Gemeinden zukommt, nach dem Wohnsitzprinzip zugewiesen wird“ (Jungfer 2005: 199). Mehr Einwohner führen zu einer besseren finanziellen Stellung. Dies ist dann von Relevanz, wenn hohe Beträge für Infrastruktureinrichtungen aufgewendet werden müssen. Der öffentliche Nahverkehr, Straßen, Abwassersysteme, Museen, Theater sowie Schwimmbäder, um nur einige wenige städtische Einrichtungen zu nennen, werden nicht nur bereitgestellt, sondern ebenfalls instand gehalten. Verlieren Städte an Einwohnern, dann werden zwar Maßnahmen zu Einsparungen wie die Schließung von Bädern getroffen, ein Großteil der Infrastruktur muss dennoch aufrecht erhalten werden. Neben den kulturellen Einbußen bedeutet dies oftmals nicht tragbare monetäre Belastungen für die Kommunen (Bähr et al. 1992: 800, Aring 1999a: 338, Mäding 2001: 116, Jungfer 2005: 199f.).1 Aufgrund dessen sind Städte und Gemeinden nicht nur am Erhalt, sondern ebenso an einer Steigerung ihrer Einwohnerzahl interessiert. Dieser Wunsch wird überschattet durch ein seit Jahrzehnten zu beobachtendes Phänomen – das der Stadt-Umland-Wanderungen. In der Regel sind es Haushalte in der Familiengründungsphase, die aus den Städten in das Umland ziehen. Im Umland bleibt die Nähe zu breit gefächerten Infrastrukturleistungen und Arbeitsplätzen erhalten, gleichzeitig muss weniger für Miet- und Grundstückspreise aufgebracht werden, die Wohnumgebung ist ländlicher. Die sprachliche Wendung vom „Wohnen im Grünen“ steht dafür sinnbildlich (Kühn 1998: 498, Wagner/Mulder 2000: 57, Aring/Herfert 2001: 52). Seit den 1970er Jahren werden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um der flächenhaften Ausbreitung der Städte, welche auch ökologische Konsequenzen zur Folge hat, entgegenzuwirken. In jüngerer Zeit wird u.a. ein intensives Stadtmarketing betrieben: Die Attraktivität der Stadt als Wohnstandort wird auf Basis einer eingehenden Situationsanalyse hervorgehoben. Ziel ist es, dass sich die Bewohner mit ihrer Stadt identifizieren und unabhängig von beruflichen oder familialen Ereignissen dort ihren Wohnstandort wählen (Friedrich-Ebert-Stiftung 2001, Heineberg 2006).
1
Verstärkt werden diese Bürden durch das Steuergesetz, welches Pendlern eine Steuerentlastung gewährt. Daneben ist es dem Umland aufgrund der höheren Einnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer möglich, die Realsteuersätze niedrig zu halten (Jungfer 2005: 199).
1.1 Zielsetzung
19
Der Zusammenhang zwischen beruflichen sowie familialen Begebenheiten und Wohnortwechseln wird nicht nur in Bezug zu Stadt-Umland-Wanderungen verschiedentlich postuliert (Wagner 1985: 63, Huinink/Wagner 1989: 669, Birg/Flöthmann 1990: 1f., Herlyn 1990: 5, Spiegel 1992: 125, Flöthmann 1996: 69), doch von welcher Natur ist er? Zu den Ereignissen, die traditionell in Zusammenhang mit Nahwanderungen gesetzt werden, zählen beispielsweise der Beginn einer Ausbildung oder die Aufnahme eines Studiums der meist jüngeren Akteure (Häußermann/Siebel 1987: 23, Strohmeier 1989: 169, LTS 2001: 35). Ebenso wie bei der Aufnahme einer ersten Berufstätigkeit wird klassischerweise angenommen, dass in die Stadt gezogen wird. Demgegenüber führen Heirat und die Geburt von Kindern die entsprechenden Akteure in den suburbanen Raum. Die Bildung von Wohneigentum trägt ebenfalls zu Wanderungen in weniger urban verdichtete Räume bei (vgl. Kap. 2). – Wussten die Segler, welcher Wind sie wohin treibt, so sollte die Kenntnis von Ereignissen im Lebenslauf Rückschluss auf die Art der Wanderung geben. Kennt man das berufliche bzw. familiale Ereignis, so kennt man die Wanderungsrichtung? Und wenn solche Zusammenhänge nachzuweisen sind, bleiben sie über die Zeit konstant? Wandert ein Stadtmensch bei der anstehenden Geburt seines Kindes stets in das Umland sowie sich die Westwinddrift immer gen Osten bewegt? 1.1 Zielsetzung Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind nahräumliche Wanderungen in Nordrhein-Westfalen verbunden mit dem Ziel, ihre Veränderungen hinsichtlich der vorherrschenden Richtungen sowie die zugrunde liegenden wanderungsauslösenden Ereignisse im zeitlichen Verlauf zu erfassen. Dies erfordert Analysen sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikro-Ebene. Dabei gilt es, die beiden Ebenen aufeinander zu beziehen: Auf der Makro-Ebene gibt die Untersuchung der Wanderungsströme primär Aufschluss über das Ausmaß der Wanderungen. Daneben werden allgemeine Aussagen zu der soziodemografischen Struktur der Gesamtheit der Wandernden getroffen. Nachdem seit den 1950er Jahren Stadt-Umland-Wanderungen und der damit verbundene Prozess der Suburbanisierung thematisiert werden, nehmen in jüngerer Zeit Diskussionen um Wanderungen in die Stadt verstärkt zu (Lichtenberger 1984: 167, Geppert/Gornig 2003: 411, Hannemann/Läpple 2004: VI). Das Magazin des Kölner Stadtanzeigers titelt am 15. April 2008: „Zurück in die Stadt. Auch Familien wollen zentral wohnen“ und bezieht sich dabei auf die Difu-Studie (2005) „Wohnen in der Innenstadt – eine Renaissance?“. Demgegenüber spricht Ismaier
20
1 Quo vadis?
(2002: 1f.) von einem erneuten „Aufflammen der Stadtflucht-Debatte“. Neben der Widersprüchlichkeit dieser Befunde kann nach Weichhart (1984) festgehalten werden, dass es an Untersuchungen mit ausreichender Erklärungskraft fehlt: „Although urbanization and suburbanization are conceived as dynamic processes, most empirical studies in this field do not depend on longitudinal surveys using the continuous flux of time, but rather on temporal cross sections, which, of course, are also a consequence of data availability. (…) Yet, when reflecting on the explanatory qualities of such approaches, we sometimes cannot help feeling that the various networks of causes and effects, the complex interdependencies and trigger mechanisms behind the process of suburbanization still lack proper explanation.” (Weichhart 1984: 70; Hervorhebungen im Original)
Birg (1992a: 1) betont ebenfalls, dass durch Längsschnittdaten eine „sachgerechte inhaltliche Interpretation der Analyseergebnisse“ ermöglicht wird. Neben der Auswertung von amtlichen Querschnittdaten werden deshalb auf der MikroEbene Nahwanderungen anhand von Längsschnittdaten analysiert. Diese ermöglichen einen Einblick darin, inwiefern berufliche und familiale Ereignisse Nahwanderungen auslösen, und erlauben differenzierte Aussagen zu den sozialen Merkmalen von Wandernden. Um die beschriebene nahräumliche Mobilität intensiv untersuchen zu können, ist ein entsprechend langer Untersuchungszeitraum gewählt worden: Dieser beginnt Mitte des vorigen Jahrhunderts, einer Zeit, in welcher die Suburbanisierung in Deutschland ihren Anfang nimmt, und endet mit Beginn des 21. Jahrhunderts, einer Zeit, in welcher eine sich einleitende Reurbanisierung diskutiert wird (vgl. Kap. 2.3). In Abbildung 1 werden die jeweiligen Ziele grafisch dargestellt: Die hellgrauen großen Pfeile bilden den Zeitraum ab, der mithilfe der Lebensverlaufsstudien des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung, welche Längsschnittdaten sind, untersucht wird. Die vier verschiedenen Pfeile beziehen sich auf die Zeitspannen, in denen die jeweiligen Stadtregionenmodelle eingesetzt werden (vgl. Kap. 3.3). Die dunkelgrauen kleinen Pfeile beziehen sich auf die Untersuchungszeitpunkte, die auf Grundlage der amtlichen Statistik analysiert werden. Die abschließende Zusammenführung der Ergebnisse in einem Mehrebenensystem leistet einen empirisch fundierten Beitrag zu der Auseinandersetzung mit Nahwanderungen. Neben den empirischen Defiziten besteht eine oftmals atheoretische Herangehensweise an die Thematik der räumlichen Mobilität (Buzar et al. 2007: 652). Bereits Anfang der 1970er Jahre stellt Albrecht (1972: 7f.) fest: „Fast alle neueren Autoren über Migrationsfragen sind sich der Tatsache bewußt, daß – trotz der weitverstreuten und massenhaften Arbeiten über Wanderungsphänomene – nur in wenigen Publikationen Ansätze zu theoretischen Aussagen versucht wer-
21
1.1 Zielsetzung
den, die dann allerdings meist auch noch relativ unbedeutsam zu sein pflegen (…)“. Albrecht (1972: 7f.) sieht die Theoriebildung dadurch erschwert, dass eine Vielzahl an Einzeldisziplinen sich mit Wanderungen auseinandersetzt, wodurch eine Unüberschaubarkeit an theoretischen Orientierungen und Ansätzen entsteht. Beispielhaft nennt er die Anthropologen, Demografen, Ökonomen, Sozialgeographen, Genetiker, Politikwissenschaftler, Psychologen, Statistiker, Ethnologen und Linguisten. Seit den 1970er Jahren hat sich die Herangehensweise an die Untersuchung räumlicher Mobilität nicht wesentlich verändert.2 Daher ist es ein weiteres Ziel, ein theoretisches Fundament zu sichern, das Makro- und MikroEbene angemessen miteinander verbindet.
NRW Amtliche Wanderstatistik Bestimmung und Veränderung a) des Ausmaßes der Wanderungen b) soziodemografischer Merkmale von Wandernden
1950
1960
1970
1980
1990
Lebensverlaufsstudien Bestimmung und Veränderung a) wanderungsauslösender Ereignisse b) soziodemografischer Merkmale von Wandernden (Pfeile stellen die betrachteten Untersuchungszeiträume bzw. -punkte dar)
Abbildung 1:
Zielsetzung der Arbeit
Quelle: Eigene Darstellung
2
Eine Ausnahme stellt die theoretisch angelegte Arbeit von Kalter (1997) dar.
2000
22
1 Quo vadis?
Um die Veränderungen von Wanderungen zwischen Stadt und (Um-)Land adäquat untersuchen zu können, bedarf es nicht nur eines umfassenden Datensatzes und eines theoretischen Fundaments, sondern ebenso einer umfangreichen räumlichen Klassifikation. Es ist eine große Herausforderung zu bestimmen, welchem zeitlichen Wandel eine Gemeinde unterliegt. Wird sie beispielsweise im Jahr 2000 als städtisch angesehen, kann sie im Jahr 1950 dem ländlichen Raum angehören. Eine weitere Schwierigkeit ist die Veränderung von Gemeindegrenzen im Zuge der Gebietsreformen: Porz, bis 1975 eigenständig, ist nun ein Stadtteil Kölns. Angesichts des immensen Aufwandes, der mit dieser Datenaufbereitung verbunden ist, sind keine Studien bekannt, welche die städtische Genese von Gemeinden über Jahrzehnte hinweg einbeziehen. Es ist jedoch unabdingbar, den wechselnden Charakter einer Gemeinde zu erfassen, um dem Wandel nahräumlicher Wanderungen gerecht zu werden. Ein weiteres Teilziel dieser Arbeit ist es deshalb, eine entsprechende Zuordnung aller Gemeinden Nordrhein-Westfalens in die Kategorien Stadt, näheres, weiteres Umland und Land für den Zeitraum von 1950 bis 2005 vorzunehmen. Die Ziele der Arbeit lauten wie folgt: 1. 2. a. b. c.
Zeitlich angepasste Klassifikation aller Gemeinden Nordrhein-Westfalens hinsichtlich der Kategorien Kernstadt, Ergänzungsgebiet, näheres und weiteres Umland sowie Land für den Untersuchungszeitraum (1950 - 2005). Auf Grundlage der theoretischen Erschließung des Themas und unter Verwendung amtlicher Daten und Längsschnittdaten die Quantifizierung des Ausmaßes räumlicher Mobilität, Bestimmung von wanderungsauslösenden Ereignissen, Zusammenführung der Ergebnisse von 2a. und 2b.
Die soziodemografischen Merkmale von Wandernden finden dabei Berücksichtigung. Zudem werden Veränderungen im zeitlichen Vergleich analysiert, um auf diese Weise einen empirischen Beitrag zur aktuellen Diskussion um eine Reurbanisierung und den zugrunde liegenden Auslösern zu erhalten (Abb. 1). 1.2 Untersuchungsregion Es werden in dieser Arbeit nahräumliche Wanderungen, welche mit Prozessen der Ver- bzw. Entstädterung einhergehen (Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung; vgl. Kap. 2.1), analysiert (Hall 1998: 7f.). Diese Prozessabfolge findet sich vor allem in den Industriestaaten Europas und
1.2 Untersuchungsregion
23
Nordamerikas wieder (Bähr et al. 1992: 574). Die Wahl der Untersuchungsregion ist auf Deutschland als europäisch industrialisiertes Land gefallen: Infolge der sich von Großbritannien ausbreitenden Industrialisierung hat im europäischen Vergleich die Urbanisierung in Deutschland – namentlich im Ruhrgebiet – früh ihren Verlauf genommen (Krabbe 1989: 70, Morris 1994: 2). Darüber hinaus ist die Untergliederung von Agglomerationen in einen städtischen Kern und das ihn umgebende Umland in Deutschland systematisch und flächendeckend bereits zur Mitte des 20. Jahrhunderts vorgenommen worden (Boustedt 1960: 1ff.). Wanderungen können auf dieser Grundlage angemessen dargestellt und untersucht werden. Die Untersuchung wird zusätzlich durch die vorhandene Datenlage in Deutschland erleichtert: Die amtliche Wanderungsstatistik erlaubt für die vergangenen Jahrzehnte eine ‚gemeindescharfe‘ Aufschlüsselung von Wanderungen. Ebenso lassen die umfangreichen Lebensverlaufsstudien des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung in Berlin (1981 bis 1999) eine genaue Zuordnung der Herkunfts- und Zielgemeinden von Wanderungen zu. Diese Datenlage ermöglicht eine eingehende Auseinandersetzung mit räumlicher Mobilität im Verlauf eines halben Jahrhunderts. Da die Analyse von Nahwanderungen in der gesamten Bundesrepublik zu umfangreich ist, wird der Fokus auf ein Bundesland gerichtet (vgl. Kap. 3.3, Kap. 5 und Kap. 6.1): Nordrhein-Westfalen ist mit rund 18 Millionen Einwohnern nicht nur das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands. Mit Ausnahme der Stadtstaaten weist es auf einer Fläche von 34.088 km² die höchste Bevölkerungsdichte auf (Statistische Ämter 2010). Im Jahr 2008 gibt es 8,59 Millionen Haushalte in Nordrhein-Westfalen. Damit hat sich die Anzahl der Haushalte seit dem Untersuchungsbeginn im Jahr 1950, mit 4,25 Millionen Haushalten, verdoppelt. Während die Anzahl der Haushalte stetig steigt, nimmt die Anzahl der Personen pro Haushalt kontinuierlich ab: 1950 liegt sie noch bei 3,04 Personen pro Haushalt, 1970 bei 2,75, 1990 bei 2,27 und 2008 bei 2,09 Personen pro Haushalt (IT.NRW 2010a). Diese Veränderung ist in der fortschreitenden Individualisierung und der Herausbildung neuer Haushaltstypen begründet (Beck 1983, Droth/Dangschat 1985, Spiegel 1992, Schneider et al. 2002; vgl. Kap. 4.2.2). Aufgrund dieser hohen Bevölkerungsdichte sind vergleichsweise viele (Nah-)Wanderungen zu beobachten, obgleich sich die Mobilitätsziffer konstant verringert. Beträgt die Anzahl der Fort- und Zuzüge pro 1.000 Einwohner 43,8 im Jahr 1990, fällt sie bis zum Jahr 2008 auf 32,4 (IT.NRW 2010b). Zudem nimmt in Nordrhein-Westfalen das Ruhrgebiet aufgrund seiner einzigartigen wirtschaftlichen Vergangenheit eine Sonderstellung ein: Im Ruhrgebiet mit seinen Eisen- und Stahlhütten vollzieht sich die Industrialisierung und mit ihr der wirtschaftliche Aufschwung so schnell wie in keiner anderen europäischen Region vergleichbarer Größe. Die monostrukturelle Ausrichtung hat je-
24
1 Quo vadis?
doch spätestens seit der Kohlekrise gegen Ende der 1950er Jahre zur Folge, dass sich das Ruhrgebiet mit dem (wirtschaftlichen) Strukturwandel und den damit verbundenen Wanderungen in besonderer Weise auseinandersetzen muss (Gramberg 1959: 142f., Clemens 1961, Ganser 1997: 7ff.). Die hohe Bevölkerungsdichte bzw. Verstädterung führt dazu, dass Nordrhein-Westfalen mehr als 20 Stadtregionen zählt. Nahräumliche Wanderungen zwischen den verwendeten Raumkategorien können demnach gemäß der Zielsetzung (vgl. Kap. 1.2) intensiv untersucht werden. Überdies bietet die vergleichende Untersuchung von Wanderungen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes differenzierten Aufschluss darüber, inwiefern sich strukturelle Unterschiede auf Nahwanderungen auswirken (Zelinsky 1971: 219ff., Bähr et al. 1992: 574). 1.3 Untersuchungsaufbau Die Untersuchung nahräumlicher Wanderungen basiert auf einer ZweiEbenenstruktur: Auf der Makro-Ebene werden Wanderungsströme, auf der Mikro-Ebene individuelle Wanderungen analysiert (Abb. 2). Die beiden Ebenen werden fortwährend zueinander in Beziehung gesetzt. In den ersten vier Kapiteln liegt der Fokus auf den inhaltlichen, konzeptionellen und theoretischen Grundlagen der Untersuchung. Darauf aufbauend werden in den folgenden drei Kapiteln die Daten gemäß den Fragestellungen ausgewertet und die Ergebnisse der Zielsetzung entsprechend zusammengeführt.
In Kapitel 2 wird der Forschungsstand zu bzw. die Genese von Nahwanderungen exemplarisch für Nordamerika und Europa, Deutschland, Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet dargestellt. Diese Ausführungen bilden den historischen sowie gegenwärtigen Kontext für die Untersuchungen in dieser Arbeit. In Kapitel 3 werden internationale und nationale Raumabgrenzungen vorgestellt. Es wird das Modell der Stadtregion eingeführt, auf dessen Basis dem ersten Teilziel dieser Arbeit, die räumliche Klassifikation der Gemeinden Nordrhein-Westfalens, nachgegangen wird. Die theoretische Fundierung und die daraus abgeleiteten Hypothesen werden in Kapitel 4 beschrieben. Aufgrund des Untersuchungsgegenstands wird dabei eine Untergliederung in makrotheoretische und mikrotheoretische Ansätze vorgenommen, welche abschließend in einem Mehrebenensystem zusammengeführt werden.
25
1.3 Untersuchungsaufbau
Untersuch.Gegenstand
Nahwanderungen in und zwischen Stadtregionen Nordrhein-Westfalens
Ebene
Makro-Ebene (Wanderungsströme)
Mikro-Ebene (Ind. Wanderung)
Theorie
Modell der Phasen urbaner Entwicklung
Perspektive des Lebenslaufs
Amtliche Wanderungsstatistik
Lebensverlaufsstudien
1985 bis 2005
1950 bis 1999
Deskriptive Statistik
Ereignisanalyse
Daten
Zeitraum
Methode
Kapitel 1 bis 3
Kapitel 4
Kapitel 5 und 6
Bestimmung des Ausmaßes von Wanderungsströmen / soziodemogr. Merkmale v. Wandernden
wanderungsauslös. Ereignisse / soziodemogr. Merkmale v. Wandernden
und deren Veränderung in der Zeit
Ziel
Abbildung 2:
Veränderung nahräumlicher Mobilität in und zwischen Stadtregionen in NRW und der daran beteiligten Personen auf Grundlage eines Mehrebenensystems
Untersuchungsaufbau der Arbeit
Quelle: Eigene Darstellung
Kapitel 7
26
1 Quo vadis?
In Kapitel 5 und Kapitel 6 werden zunächst die verwendeten Daten, deren Aufbereitung sowie die eingesetzten Methoden einleitend dargestellt. Die Daten werden entsprechend der Zielsetzung analysiert: In Kapitel 5 wird die amtliche Wanderungsstatistik hinsichtlich der Veränderungen von Wanderungen zwischen Stadt und Umland, mit Fokus auf aktuell stattfindende Prozesse, ausgewertet. In Kapitel 6 werden die Lebensverlaufsstudien hinsichtlich wanderungsauslösender beruflicher und familialer Ereignisse im zeitlichen Verlauf auf Basis der vier verwendeten Stadtregionenmodelle analysiert. Auf Grundlage der in Kapitel 5 und Kapitel 6 gewonnenen Erkenntnisse werden in Kapitel 7 Makro- und Mikro-Ebene zusammengeführt. Es folgt ein Ausblick, in welchem die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst, offene Forschungsfragen benannt und praxisorientierte Anwendungen aufgezeigt werden.
2 Nahräumliche Mobilität
Da sich eine Vielzahl von Forschungsdisziplinen mit Wanderungen in all ihren Dimensionen beschäftigt (vgl. Albrecht 1972: 7f., Nipper 1975: 1, Franz 1984: 13ff., Wagner 1989a: 15, Frick 1996: 27), trägt eine Verortung des Themas dazu bei, eine zielsetzungsorientierte Auswahl in der beachtlichen Fülle wissenschaftlicher Beiträge zu wanderungsbezogenen Fragestellungen zu treffen (Abb. 3).3
Soziologie
Allgemeine Soziologie
u.a.
Relig.Soziol.
Fam.Soziol.
Geographie
Spezielle Soziologie StadtSoziol.
Thematisch
Regional
Anthropogeographie
Physische Geographie
Stadtgeogr.
Verk.Geogr.
Wirt.Geogr.
u.a.
Wanderung Verweis auf Unterdisziplin Verweis auf nicht dargestellte Unterdisziplin
Abbildung 3:
Verortung des Untersuchungsgegenstandes ‚Wanderung‘ in der Soziologie und Geographie
Quelle: Eigene Darstellung 3
Sucht man in gängigen Datenbanken (URBANET library, CSA, SSCI, VIBSoz, GESIS SocioGUIDE, Geo-Guide, GeoScienceWorld u.a.) anhand von Schlagworten (migra*, urban*, suburb*, mobil*, wand* u.a.) nach räumlicher Mobilität, gehen die Trefferzahlen in die Millionen.
K. Gerber, Räumliche Mobilität im Wandel, DOI 10.1007/978-3-531-92909-5_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
28
2 Nahräumliche Mobilität
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der vertiefenden Untersuchung nahräumlicher Wanderungsströme, deren Herkunfts- und Zielgebiete, sowie auf den sie bedingenden Ereignissen im individuellen Lebenslauf (vgl. Kap. 1.1). Werden demnach die Auswirkungen menschlichen Handelns im Raum betrachtet, so kann der Untersuchungsgegenstand im interdisziplinären Zusammenspiel von Soziologie und Geographie verortet werden (vgl. Abb. 3; zu Definitionen der Soziologie und Geographie: Weber 1976: 1, Wiswede 1985: 17ff., Leser 1998: 335ff., Werlen 2000: 9ff., Henecka 2006: 34f., Meulemann 2006: 11, Deutsche Gesellschaft für Geographie 2002, nach Gebhardt et al. 2007: 48). Aufgrund des Handlungsund Raumbezuges zu Stadtregionen erfolgt eine präzisere Einordnung des Gegenstandes der vorliegenden Arbeit in den Schnittbereich von Stadtsoziologie und Stadtgeographie. Um Mehr- und Undeutigkeiten zu vermeiden, wird in dem folgenden Kapitel zunächst der Begriff der nahräumlichen Wanderung definiert und von verwandten Bezeichnungen abgegrenzt (Kap. 2.1). Im Anschluss erfolgt ein Überblick über die Entwicklung von (Nah-)Wanderungen in Nordamerika und Europa (Kap. 2.2), welche hinsichtlich der (nah-)räumlichen Mobilität in Deutschland (Kap. 2.3) und in Nordrhein-Westfalen als Untersuchungsregion (Kap. 2.4) konkretisiert wird. Dabei wird die Sonderstellung des Ruhrgebietes herausgearbeitet. 2.1 Von Nahwanderungen und ihren Verwandten Fachbegriffe, welche sich auf die Bewegung von Menschen im Raum sowie damit verbundenen funktionalen Veränderungen beziehen, sind vielfältig und reichen von räumlicher Mobilität, Suburbanisierung oder gar Postsuburbanisierung bis hin zu schlichten Stadt-Umland-Wanderungen (Lichtenberger 1998: 27). Ein erster Oberbegriff ist derjenige der Mobilität, unter welchem ein Positionswechsel zwischen definierten Einheiten eines Systems verstanden wird. Dieser kann sowohl sozialer als auch räumlicher Natur sein. Beschreibt soziale Mobilität die Veränderung einer Position in einem sozialen System (Sorokin 1964: 133), bezieht sich die regionale oder räumliche Mobilität auf einen geographischen Ortswechsel unabhängig von der zurückgelegten Distanz oder Regelmäßigkeit. „Der Wechsel zwischen räumlich definierten Einheiten eines Systems ist allgemein als regionale Mobilität definiert.“ (Mackensen et al. 1975: 9)
Im Vordergrund dieser Arbeit steht die räumliche Mobilität. Dennoch sind soziale und räumliche Mobilität eng verwoben. Beispielsweise kann der Wechsel in
2.1 Von Nahwanderungen und ihren Verwandten
29
eine höhere berufliche Position mit dem des Wohnsitzes einhergehen (Meusberger 1980: 180). Wird räumliche Mobilität hinsichtlich der Verweildauer charakterisiert, so sind Wanderung und Zirkulation voneinander abzugrenzen. Wanderungen zeichnen sich durch Wohnsitzwechsel aus, weshalb Zimmermann (1998: 515f.) sie residentielle Mobilität nennt. Bei einer Zirkulation wird hingegen der Wohnsitz beibehalten. Eine klassische Form der Zirkulation ist das Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsplatz (Franz 1984: 34, Bähr et al. 1992: 439ff.).4 In den internationalen Statistiken werden Wanderungen aktuell geführt, wenn der Wohnsitz länger als ein Jahr beibehalten wird. Bis 1998 galt eine Verweildauer von fünf Jahren. In Deutschland gelten andere Kriterien, damit ein Wohnungswechsel in die amtliche Wanderungsstatistik einbezogen wird (Han 2005: 6): Nach dem Statistischen Bundesamt (2007: 30) umfassen Wanderungen sowohl Wohnungswechsel als auch Änderungen des Wohnstatus, z.B. von Haupt- zu Nebenwohnsitz, sofern sie über Gemeindegrenzen hinweg verlaufen.5 Da die Wanderungsstatistik Deutschlands auf der meldeamtlichen An- und Abmeldung des Wohnsitzes beruht, wird nicht jeder Wohnsitzwechsel erfasst. Dies ist dann der Fall, wenn keine offizielle Meldung erfolgt oder innerhalb des gleichen Ortes oder sogar des gleichen Hauses umgezogen wird. Ferner liegen ausschließlich Angaben darüber vor, wie hoch die gesamte Anzahl an Fort- und Zuzügen an einem Ort ist, personenbezogene Aufschlüsselungen über Herkunftsund Zielgebiete sind nicht vorhanden. Daher können keine Aussagen über die Richtung individueller Wanderungen getroffen werden. Neben der Verweildauer an einem Wohnsitz sind weitere Dimensionen der Wanderung die Motivation sowie der überwundene Raum (Han 2005: 9). Die Motivation zu wandern kann durch individuelle sowie gesellschaftlich strukturelle Ereignisse ausgelöst werden. Sie steht für einen lang währenden Prozess, der zunächst innerlich mit dem Wanderungsgedanken, dessen Abwägung und gegebenenfalls den Vorbereitungen zum Umzug beginnt. Han (2005: 9) unterstellt dieser „inneren psychosozialen Mobilität“ eine besondere Zeitintensivität und Schwere, der erst im Anschluss die „äußere physische Mobilität“ folgt (vgl. Nipper 1975: 11, Kalter 1998: 295ff.; vgl. Kap. 4.2.2). Von dieser Einteilung sind unfreiwillige Wanderungen, wie Vertreibungen, welchen oftmals keine gezielten Planungen vorausgehen, abzugrenzen. In einer weiteren Dimension, der zurückgelegten Distanz, wird zwischen Fern- und Nahwanderung differenziert. Neben internationalen Wanderungen werden auch interregionale Verlagerungen des Wohnsitzes als Fernwanderungen 4 5
Im Nachstehenden ist Pendeln im Gegensatz zu Wanderungen ausschließlich für die Abgrenzung von Stadtregionen bedeutsam (vgl. Kap. 3.3). Im Vergleich dazu berücksichtigt Frick (1996) in Anlehnung an Lee (1972: 117) ebenso Wohnungswechsel innerhalb desselben Gebäudes, sofern es sich um Hauptwohnsitze handelt.
30
2 Nahräumliche Mobilität
aufgefasst, sofern eine relativ große Distanz zurückgelegt wird. Relativ groß sind beispielsweise Wanderungen zwischen Agglomerationen (städtische Gebiete) (Leser 1998: 203). Wanderungen über kurze Distanzen, insbesondere innerhalb von Agglomerationen, bezeichnet Leser (1998: 545) dagegen als nahräumlich. Die Unterscheidung zwischen Fern- und Nahwanderungen auf Grundlage dessen zu treffen, ob eine Wanderung zwischen oder innerhalb von Agglomerationsräumen verläuft, ist ein vages Kriterium. Im Ruhrgebiet liegen Verdichtungsräume beispielsweise nah beieinander, weshalb die Entfernung zwischen zwei Agglomerationen geringer sein kann als zwischen dem Inneren einer Agglomeration und ihrem Rand. Der Definition von Leser (1998) und der amtlichen Wanderungsstatistik (Statistisches Bundesamt 2007) folgend, werden in dieser Arbeit ausschließlich gemeindeüberschreitende Wanderungen innerhalb von Stadtregionen Nordrhein-Westfalens als nahräumlich aufgefasst, wenn die amtlichen Daten ausgewertet werden (vgl. Kap. 5). Da Nordrhein-Westfalen einen hohen Verstädterungsgrad aufweist und die Fallzahlen für Wanderungen innerhalb von Stadtregionen in den Lebensverlaufsstudien gering sind, werden sie in diesem Fall auch dann als nahräumlich verstanden, wenn sie zwischen Stadtregionen Nordrhein-Westfalens erfolgen (vgl. Kap. 6). Wanderungen gehen über die beschriebenen Charakteristika hinaus mit urbanen Prozessen einher: Während die Urbanisierung eine Verstädterung mit Ausbreitung städtischer Lebensweisen bezeichnet (Leser 1998: 935), wird nach Friedrichs (1977: 170) unter Suburbanisierung die „Verlagerung von Nutzungen und Bevölkerung aus der Kernstadt, dem ländlichen Raum oder anderen metropolitanen Gebieten in das städtische Umland bei gleichzeitiger Reorganisation der Verteilung von Nutzungen und Bevölkerung in der gesamten Fläche des metropolitanen Gebietes“ verstanden. Ein Teilprozess ist die Suburbanisierung der Bevölkerung, welche Stadtrandwanderungen beschreibt (Leser 1998: 83). Im Zuge der Counterurbanisierung erfolgt ebenfalls eine Dekonzentration der Bevölkerung in Agglomerationsräumen – im Gegensatz zur Suburbanisierung findet die erneute Bevölkerungskonzentration nicht in den Umlandgemeinden der metropolitanen Gebiete, sondern in entfernt liegenden, ländlichen Ansiedlungen statt. Dieser Vorgang kann als eine Reaktion auf die Überbelastung der industrialisierten urbanen Gebiete gedeutet werden (Bähr et al. 1992: 737f., Leser 1998: 127). Die Desurbanisierung wird mitunter der Counterurbanisierung gleichgesetzt, da sie sich auch auf den Rückgang bzw. die Stagnation von Einwohnerund Beschäftigtenzahlen in urbanen Verdichtungsräumen bei einem gleichzeitigen Bevölkerungsanstieg in ländlichen Räumen bezieht (Leser 1998: 137). Seit den 1990er Jahren sind, vornehmlich bedingt durch die Arbeiten von Kling et al. (1991) und Aring (1999a), Postsuburbia und Postsuburbanisierung wiederkehrende Begriffe (vgl. Kap. 2.4). Das sich an die Kernstadt anschließen-
2.2 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordamerika und Europa
31
de Umland wird im Zuge der Postsuburbanisierung zunehmend von städtischen Eigenschaften, wie steigende Wohndichte und Bodenpreise sowie eine Ausbreitung des tertiären Sektors, geprägt. Infolge dessen verlagert sich der suburbane Raum in die am Rande des Verdichtungsraums liegenden Gemeinden (Aring 1999a: 24, ILS NRW 2005: 53). Dadurch, dass sich der Kontrast zwischen Umland und Agglomerationskern allmählich auflöst, treten sie in Konkurrenz zueinander. „We label this ‘new city’ a postsuburban spatial formation because it evolves from the spatial organization of a low-density suburban region.” (Kling et al. 1991: 6; Hervorhebung im Original)
Befasst man sich mit Postsuburbanisierung, Counterurbanisierung und Desurbanisierung, sollte kritisch hinterfragt werden, ob nicht vielfach das Phänomen einer sich ausbreitenden Suburbanisierung beschrieben wird, so wie dies auch der Periurbanisierung unterstellt werden kann (Schmied 2000: 21, Heineberg 2006: 46). Die Reurbanisierung stellt hingegen eine Umkehr der Suburbanisierung einhergehend mit einer Verlagerung der Bevölkerung in die Kernstädte dar. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass ein Nebeneinander der beschriebenen Prozesse möglich ist, da ein „Zugleich von Wachstums-, Stagnations- und Schrumpfungsprozessen“ (Matthiesen 2006: 156) besteht. Werden in den beschriebenen strukturellen Vorgängen ausschließlich Wanderungen betrachtet, dann sind die Bezeichnungen Stadt-Umland- bzw. Umland-Stadt-Wanderungen angemessen (vgl. Schönert 2001: 1). Es ist festzuhalten, dass in dieser Arbeit ausschließlich gemeindeübergreifende Wanderungen (Wohnortwechsel) in bzw. zwischen Stadtregionen Nordrhein-Westfalens betrachtet werden. In Anlehnung an van den Berg et al. (1982) werden die Begriffe der Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung sowie Reurbanisierung verwendet, welche sich primär auf die mit diesen Prozessen einhergehenden Bevölkerungs- und nicht funktionalen Veränderungen beziehen (vgl. Kap. 4.1.2). 2.2 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordamerika und Europa Räumliche Mobilität steht in Zusammenhang mit wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungen, weshalb nicht-industrialisierte Länder nur bedingt mit westlich industrialisierten Ländern vergleichbar sind (Zelinsky 1971: 219ff., Bähr et al. 1992: 576, Heineberg 2006: 274ff.). Da die Untersuchungsregion dieser Arbeit zu den westlich industrialisierten Ländern zählt (vgl. Kap. 1.2),
32
2 Nahräumliche Mobilität
liegt auf diesen der Schwerpunkt des Kapitels: Aufgrund der Vielfältigkeit des internationalen Wanderungsgeschehens wird exemplarisch ein Überblick über die jüngeren Wanderungsbewegungen in Nordamerika und Europa gegeben. Zunächst wird die Genese der nahräumlichen Mobilität in Nordamerika seit Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben, da dort die Auseinandersetzung mit (kleinräumigen) Wanderungsvorgängen sehr früh und intensiv erfolgte (vgl. Kap. 3.1). Im Anschluss wird kurz auf die Ausprägungen nahräumlicher Mobilität und deren Veränderungen in Europa eingegangen und ein Vergleich zum nordamerikanischen Raum gezogen. Eine ausführliche Darstellung erfolgt in Kapitel 2.3, wenn die Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Deutschland, welche beispielhaft für viele europäische Länder steht, beschrieben wird. Die Erkenntnisse leiten rahmengebend zu der (nah-)räumlichen Mobilität in NordrheinWestfalen (Kap. 2.4) über. Entwicklung nahräumlicher Mobilität in Nordamerika und Europa Nordamerika Im nordamerikanischen Raum setzt sich die Chicagoer Schule der Sozialökologie mit den sozialen, städtischen und wohnungsmarktbezogenen Gegebenheiten in Städten zu Beginn des 20. Jahrhunderts auseinander (Dear 2001: 11.857, Han 2005: 6). Aus der Beschäftigung mit der Stadt Chicago sind drei Modelle der Stadtentwicklung mit dem Ziel hervorgegangen, Regelmäßigkeiten in städtischen Strukturen zu erfassen (vgl. Kap. 3.1). Nach Burgess (1927) findet beispielsweise eine stetige selektive Verlagerung der Bevölkerung statt, welche konzentrisch von stadtnahen Gebieten in die nächstgelegenen Umlandgemeinden erfolgt. Thieme und Laux (2005: 40ff.) weisen nach, dass die Wohnsuburbanisierung ethnischer Gruppen in den 1920er Jahren von der Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg bestimmt war, und bezeichnen die Suburbanisierung als bedeutend für das amerikanische Siedlungswesen (vgl. Bell 1956: 276ff.). In den folgenden Jahrzehnten geht die Suburbanisierung in eine Counterurbanisierung über: Vor allem ländliche Räume gewinnen Einwohner durch massive Abwanderungen aus den Städten (Berry 1976: 17ff., Lichtenberger 1998: 26ff., Schmied 2000: 20ff.; vgl. Kap. 2.1). Mit der fortschreitenden Inanspruchnahme des Umlandes, urban sprawl (vgl. Wolf/Hagedorn 2002: 16, Galster et al. 2001: 685, in Couch et al. 2005: 119), gehen längere Wegstrecken, eine erhöhte Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr sowie massive Umweltbelastungen einher. Die sich in den 1960er und 1970er Jahren anschließende Ansiedlung von Einkaufszentren im suburbanen Raum stellt nach Garreau (1991) eine
2.2 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordamerika und Europa
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zweite Suburbanisierungswelle dar. Eine dritte Phase der Suburbanisierung, welche mit der Verlagerung von Arbeitsstätten ins Umland einhergeht, tritt Anfang der 1980er Jahre mit dem Entstehen der sogenannten Edge Cities ein (Wiegandt 1997: 13). „First, we moved our homes out past the traditional idea of what constituted a city. This was the suburbanization of America, especially after World War II. Then we wearied of returning downtown for the necessities of life, so we moved our marketplaces out to where we lived. This was the malling of America, especially in the 1960s and 1970s. Today, we have moved our means of creating wealth, the essence of urbanism – our jobs – out to where most of us have lived and shopped for two generations. That has led to the rise of Edge City.” (Garreau 1991: 4)
Den Ergebnissen von Lee et al. (2006: 2.525ff.) zufolge wächst in Nordamerika das metropolitane Umland im Vergleich zu den Kerngebieten im Zeitraum von 1980 bis 1990 um ein Vielfaches und gewinnt zugleich an Beschäftigungsmöglichkeiten. Das originäre Pendeln zwischen Stadt und Umland wird durch die Zunahme des Pendelns zwischen den Gemeinden modifiziert. Hanlon et al. (2006: 2.129) stellen anhand von Zensusdaten ebenfalls veränderte Strukturen im Verhältnis von amerikanischen Metropolen zu ihrem Umland für den Zeitraum von 1980 bis 2000 fest. Ihrer Ansicht nach wird die bisherige Zweiteilung des Raumes in Metropole und Umland den vorhandenen Strukturen nicht gerecht. Sie postulieren daher eine neue Herangehensweise an räumliche Klassifikationen.6 Europa Im europäischen Raum hat sich Ravenstein Ende des 19. Jahrhunderts als einer der Ersten weltweit mit Wanderungen beschäftigt. Auf ihn wird auch in der jüngeren Wanderungsforschung Bezug genommen (vgl. Széll 1972: 115ff., Grigg 1977: 41ff., Scheiner 2007: 161): Ravenstein untersucht Binnenwanderungen der bereits von der Industrialisierung ergriffenen Gesellschaft in England und leitet aus den Ergebnissen seine nach ihm benannten „Gesetze“ ab.7 Die räumliche Mobilität in der vorindustriellen Gesellschaft, welche sich in demografischer 6 7
In Kapitel 3.3.2 wird anstelle einer Zweiteilung der räumlichen Strukturen die Unterscheidung zwischen Kernstadt, Ergänzungsgebiet, näherem und weiterem Umland sowie Land vorgenommen. Aufgrund der zeitlichen und räumlichen Abhängigkeiten (das industrialisierte England Ende des 19. Jahrhunderts) erscheint es angebrachter, den Begriff „empirische Regularitäten“ (HoffmannNowotny 1969: 45, nach Bähr et al. 1992: 571) zu verwenden.
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2 Nahräumliche Mobilität
Hinsicht durch hohe Fertilitäts-, aber auch Mortalitätsraten auszeichnet, ist nur sehr schwach ausgeprägt. Die Einwohner einer Gemeinde wohnen und arbeiten vor Ort, wobei sich ihr berufliches Tätigkeitsfeld auf den primären Sektor konzentriert. Dies ändert sich im Zuge des sozioökonomischen Wandels. Medizinische Fortschritte senken die Mortalität bei konstant bleibender Fertilität. Infolge steigt der Bevölkerungsdruck in ländlichen Gebieten erheblich. Der Ertrag des bewirtschafteten Landes reicht nicht mehr, um den Lebensunterhalt zu sichern. Hervorgegangen aus der einsetzenden Industrialisierung siedeln sich Betriebe des sekundären Sektors in den Städten an, welche ihrerseits einen hohen Bedarf an einfachen Arbeitern fördern. Land-Stadt-Wanderungen nehmen ihren Anfang und mit ihnen der Prozess der Urbanisierung (Zelinsky 1971: 219ff.). In der industriellen Gesellschaft sinkt jedoch die Fertilität, wodurch der Bevölkerungsdruck auf dem Land abnimmt und mit ihm Wanderungsströme in urbane Gebiete. Derweil verstärkt sich in Städten die soziale Segregation. Der Wohnsitz von Arbeitern befindet sich in fußläufiger Entfernung zu ihren Arbeitsstätten. Die Fabrikanten fördern diese räumliche Nähe durch den fabriknahen Bau von Arbeitersiedlungen. Der mangelhaften Ausstattung zum Trotz bieten diese Wohnungen günstigen Wohnraum und stärken die Bindung zu bzw. Abhängigkeit von der jeweiligen Industriestätte. Prägend für diese Zeit ist die „mangelhafte Hygiene und das soziale Elend der Arbeiter“ (Aring 1999a: 62). Aufgrund dieser Zustände siedelt sich die wohlhabendere Bevölkerung in Wohnviertel am Stadtrand an. Diese Verlagerung des Wohnsitzes an den städtischen Rand kann als eine frühe Form der Suburbanisierung angesehen werden, welche sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts massiv fortsetzt (Aring 1999a: 64; ausführlicher: Kap. 2.3). Eine nähere Betrachtung der urbanen Prozesse in den Ländern Europas zeigt dabei vielfältige Ausprägungen. „The picture is a complicated one (…). In Austria, Czechoslovakia, Finland, Norway, and Portugal urbanization is still the dominant process, though in each country there is evidence of deconcentration from capital cities. Italy, Ireland, and Spain appear to be in process of moving from an urbanization pattern (1970s) to a moderate counterurbanization in the 1980s and 1990s. Denmark, France, Germany, Sweden, and Switzerland all exhibited consistent counterurbanization patterns over the 1970s, 1980s, and 1990s.” (Rees 2001: 7.745)
Nordamerika und Europa im Vergleich Insbesondere seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind sowohl der nordamerikanische als auch der europäische Raum von einer deutlich sichtbaren Agglomerationsausbreitung betroffen. Der ähnlichen wirtschaftlichen Vergangenheit und
2.2 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordamerika und Europa
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den daraus resultierenden Stadtstrukturen zum Trotz unterscheiden sich Wanderungen in diesen Industrienationen. Die weiträumige Suburbanisierung in den USA weist beispielsweise Mitte der 1990er Jahre extremere Züge auf als in Deutschland (Wiegandt 1997: 3; vgl. Kap. 2.3). Ein Grund für die verstärkte siedlungsstrukturelle Ausdehnung in Nordamerika sind die weitläufigen Flächen unbesiedelten Raums, über welche Europa in dieser Form nicht verfügt. In den letzten drei Jahrzehnten unterliegen diese Industrieländer einer neuen demografischen Entwicklung (Buzar et al. 2007: 651ff.): Unter dem vielfach zitierten demografischen Wandel ist „(…) in raumwissenschaftlicher Sichtweise die Summe aller Änderungen in der Zahl, in der Struktur und in der räumlichen Verteilung der Bevölkerung eines Gebietes oder einer Gebietskörperschaft“ (Grüber-Töpfer et al. 2008: 7; vgl. Van de Kaa: 1987) zu verstehen. Es wird seltener und später geheiratet, Haushalte werden kleiner, Fertilitätsraten sinken und die Bevölkerung wird älter (vgl. Kap. 4.2.2). Nahwanderungen gewinnen im Zuge des demografischen Wandels an Bedeutung (Gatzweiler/Schlömer 2008: 247). Es wird insbesondere eine beginnende Reurbanisierung postuliert: Als Bedingung für eine erfolgreiche Reurbanisierung wird oftmals das Herausbilden einer Wissensökonomie angeführt. Wissensbasierte Industrien siedeln sich demnach vorzugsweise in städtischen Gebieten an und führen zu einem Anstieg der wirtschaftlichen Bedeutung einer Stadt. Städte werden dadurch wieder attraktiver, vorrangig für hochqualifizierte Arbeiter, so dass der Zuzug in die Städte sozial selektiv verläuft (vgl. Musterd 2006: 1.326). Ebenso stellen die veränderten Haushaltsstrukturen neue Anforderungen an den Wohnungs- und Städtebau (Grüber-Töpfer et al. 2008: 7; vgl. Kap. 4.2.1). Aufgrund dieser Umbrüche erfahren auch innerstädtische Gebiete Veränderungen und decken die Bedürfnisse der neuen Haushaltsformationen (Lichtenberger 1984: 167, Geppert/Gornig 2003: 411, Hannemann/Läpple 2004 VI). Fishman (2000: 212 in Buzar et al. 2007: 652) stellt für Amerika fest: „Shrinking household size will encourage the revival of central cities, as nontraditional households seek the flexibility, convenience, and diversity that cities provide.”
Empirische Studien zur Reurbanisierung liegen vergleichsweise selten vor. Für den europäischen Raum wird auf eine Untersuchung des EU-Rahmenprogramms sowie auf zwei weitere Untersuchungen in Frankreich und Schweden kurz verwiesen: Mit einer möglichen Reurbanisierung europäischer Städte im Rahmen des demografischen Wandels befasst sich das EU-Rahmenprogramm „Re Urban Mobile - Mobilising Reurbanisation Under Conditions of Demographic Change“. Auf Basis von Zensus- und Gemeinderegisterdaten, sowie Fragbogensurveys und
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2 Nahräumliche Mobilität
Interviews wurden vier europäische Städte, Leipzig in Deutschland, Ljubljana in Slowenien, Bologna in Italien und León in Spanien, hinsichtlich Haushaltstrukturen und Wanderungsströme untersucht. Potenziale und Hindernisse innerstädtischer Entwicklung wurden erarbeitet und die Bedeutung der Immigration für die Reurbanisierung herausgestellt: „For all partner cities (…) it can be supposed that several forms of immigration are getting more and more important for reurbanisation processes and the present demographic changes in inner city areas.” (Haase et al. 2003: 14f.; Hervorhebung im Original)
Im französischen Raum gehen Odgen und Hall (2000: 367ff.) einer möglichen Reurbanisierung infolge des demografischen Übergangs anhand von Zensusdaten nach. In den 1980er Jahren stellen sie für die meisten Städte eine Tendenz zur Reurbanisierung und nur für wenige Bevölkerungsverluste fest. Damit gehen neue Muster in der Bevölkerungsstruktur einher, insbesondere die wachsende Anzahl von kleinen, vorrangig Einpersonenhaushalten in den innerstädtischen Bereichen (Détang-Dessendre/Molho 2000: 247ff.). Für Schweden untersucht Nilsson (2003: 1.243ff.) Stadtwanderungen der Geburtskohorte 1965 auf Grundlage einer Totalerhebung der schwedischen Bevölkerung (TOPSWING, Total Population of Sweden, Individual and Geographical). In jungen Jahren ziehen Schweden überwiegend in Richtung der Städte, Frauen häufiger als Männer. Wanderungen in die Städte nehmen mit der Gründung einer Familie hingegen ab (vgl. Kap. 4.2.1, Häußermann/Siebel 1987: 23, Strohmeier 1989: 169). Der Aufenthalt in Städten ist für ein Drittel der Zugewanderten nur vorübergehend, in der Folgezeit kehren diese zu ihrem ursprünglichen Wohnort zurück. Die bisherigen empirischen Ergebnisse zur Reurbanisierung können wie folgt zusammengefasst werden (Siedentop 2008: 197): In den USA ist mittels Zensusdaten in den 1990er Jahren eine signifikante Bevölkerungszunahme in Mittelund Großstädten, auch in einigen altindustrialisierten Gebieten, festzustellen. Nachdem die Wohnfunktion lange Zeit aus den Innenstädten aufgrund der hohen Bodenpreise verdrängt worden ist, scheint sie nunmehr in diese zurückzukehren. Dennoch werden die Metropolen durch fortschreitende Dekonzentrationsprozesse bestimmt. Allerdings sind eher fortgesetzte Suburbanisierungs-, denn Counterurbanisierungserscheinungen zu erkennen. Es bleibt für Europa festzuhalten, dass sich seit Anfang der 1990er Jahre die siedlungsstrukturelle Dekonzentration verringert. In der Schweiz ziehen gut situierte Haushalte in die Zentren; die spanischen Metropolregionen, allen voran Madrid und Barcelona, gewinnen seit Mitte der 1990er Jahre an Bevölkerung.
2.3 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Deutschland
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Allerdings sind Städte mit Strukturproblemen weiterhin von Abwanderungen betroffen (Siedentop 2008: 206). Storper und Manville (2005: 1.247) weisen auf die Fülle urbaner Prozesse hin: „The resurgence of big, old cities and their regions is real, but it is merely a part of a broader pattern of urban change in the developed countries, whose broadest tendency is urban emergence, including suburbanization (…).”
Wenn es auch an empirischen Belegen für eine einsetzende Reurbanisierung fehlt, so besteht Einigkeit darüber, dass extreme Entwicklungen wie die des urban sprawls in Nordamerika in Europa vorerst nicht zu erwarten sind (Dear/Flusty 1998, Hesse/Schmitz 1998, Müller/Rohr-Zänker 2001, Burdack et al. 2005a). 2.3 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Deutschland In diesem Kapitel werden (nah-)räumliche Wanderungen in Abhängigkeit von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland gemäß ihrer zeitlichen Abfolge beschrieben; die in Kapitel 2.2 skizzierten Vorgänge werden ausgeführt. Es werden vorrangig Wanderungsströme dargestellt; inwiefern Nahwanderungen von der individuellen Stellung im Lebenslauf und deren Veränderungen abhängen, wird in Kapitel 4.2 ausgeführt. Erst auf Grundlage dieser Erkenntnisse können die Ergebnisse zu Wanderungsbewegungen in Nordrhein-Westfalen (vgl. Kap. 5 und Kap. 6) inhaltlich erfasst werden. Urbanisierung und Industrialisierung Die Bevölkerungszunahme in Deutschland, welche in Verbindung mit der Industrialisierung zu einer Verstädterung bis dahin unbekannten Ausmaßes führt, vollzieht sich in zwei Wellen. Voraus gehen die Bauernbefreiung, eine zunehmende Freizügigkeit in der Wahl von Bildung, Beruf und Arbeitsort, die Einführung der Gewerbefreiheit sowie die Möglichkeit der freien Familienbildung. Aber auch die obsolete Befestigung und damit eine Öffnung der Stadt sind Rahmenbedingungen für die weitere wirtschaftliche und demografische Genese (Gatzweiler 1982: 15, Brake 2001: 15). Schließlich haben die Liberalisierung der individuellen Lebensweise sowie Fortschritte in der Medizin einen Anstieg der Bevölkerung gegen Ende des 18. Jahrhunderts zur Folge. Die Agrargesellschaft ist auf dieses Wachstum nicht vorbereitet.
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„Die großen Städte sind seit dem 19. Jahrhundert ein Gegenstand der Nachdenklichkeit gewesen. Von Anfang an hat die Sorge die werdenden Großstädte begleitet. Dieses Wachsen ins Grenzenlose und Unabsehbare erweckte das Mißtrauen von Königen und Staatsmännern.“ (Pfeil 1950, nach Bergmann 1968: 1)
Da die Beschäftigungsmöglichkeiten im landwirtschaftlichen Bereich sehr begrenzt sind und der Ertrag des Bodens die Vielzahl an Menschen nicht ernähren kann, führt die Bevölkerungszunahme zu Massenarbeitslosigkeit. Der Begriff des Pauperismus, eine „massenhafte Verelendung einer sich rasch verbreitenden Unterschicht land- und zunftlos gewordener Elemente“ (Bergmann 1968: 13), entsteht. Auswanderungen und Landesausbau wirken der Problematik nicht ausreichend entgegen. Dagegen steigt durch die Industrialisierung in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts die Nachfrage an Arbeitern massiv. Binnenwanderungen vom Land in die neu entstehenden industriellen Zentren nehmen ihren Anfang. Diese ausgeprägten Land-Stadt-Wanderungen sind anfänglich vor allem nahräumlicher Natur und sind eine notwendige Bedingung des Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft (Sudek 1982: 31). Eine zweite Welle der Bevölkerungszunahme, welche u.a. durch die steigende Lebenserwartung hervorgerufen wird, setzt Ende der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts ein. Zählt eine Großstadt zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehr als 10.000 Einwohner, so sind es 70 Jahre später bereits 100.000 Einwohner (Sudek 1982: 29). Fortgeschrittene Techniken und Arbeitsmöglichkeiten leiten zur gleichen Zeit eine zweite Industrialisierungswelle ein, welche mit Binnenwanderungen einhergeht (Rathcke 1937: 6). Dieses Mal setzen neben den nahräumlichen Wanderungsbewegungen Ost-West-Fernwanderungen von den Agrarregionen des Ostens in die Industrieregionen von Rhein und Ruhr ein. Diese innerdeutschen Wanderungen stellen die erste große Massenbewegung in der deutschen Geschichte dar. Ihr höchstes Ausmaß erreicht die Binnenwanderungen in den 1890er Jahren, als Auswanderungen ab- und Verstädterungen im ähnlichen Maße zunehmen. An den Wanderungen in die Städte sind nicht allein Landarbeiter beteiligt, ebenso ziehen Angehörige bäuerlicher Familien in die Städte, da ihnen aufgrund des Erbrechtes eine selbstständige landwirtschaftliche Tätigkeit verwehrt bleibt. Im Zuge dieser Entwicklung weicht die ständische einer industriellen Gesellschaft von Klassen und Verbänden (Bergmann 1968: 12ff., Sudek 1982: 57).8
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Die Zunahme an industriellen Arbeitern verdeutlicht das folgende Beispiel: Im Jahr 1835 beschäftigt die Firma Krupp 62 Personen, 1873 sind es bereits 16.000 und 1914 sogar 38.000 Arbeiter (Sudek 1982: 42).
2.3 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Deutschland
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Frühe Suburbanisierung und kriegsbedingte Wanderungen Der strukturelle Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft führt zu einer Umgestaltung der Stadt: In der Gründerzeit wachsen die Industriestädte hauptsächlich entlang von Eisenbahnnetzen. Es entstehen Fabriken, Zechen und Arbeitersiedlungen, welche zu neuen Stadtkernen avancieren (Pietsch/Kamieth 1991: 32). Die steigende Anzahl von Fabriken, fabriknahe Arbeitersiedlungen und desaströse hygienische Zustände kennzeichnen die industrielle Stadt. Infolge setzt eine erste frühe Form der Suburbanisierung dadurch ein, dass das Bürgertum in Villen am Stadtrand zieht, um den städtischen Zuständen zu entkommen (Häußermann/Siebel 1987: 22f., Aring 1999a: 63f.). Findet die frühe Industrialisierung noch liberal, demnach ohne staatlichen Eingriff statt, so erfordert die postliberale Phase das öffentliche Eingreifen des Staates durch Bauvorschriften. Neue Ordnungsvorstellungen und Planungsträger entstehen. Ausreichend Grün- und Freiraumstrukturen werden zunehmend in der Planung berücksichtigt. Dementsprechend gilt die Gartenstadt zur Jahrhundertwende als städtebauliches Ideal und wird Vorbild für die Arbeitersiedlungen der Margarethenhöhe in Essen (Pietsch/Kamieth 1991: 27ff., Aring 1999a: 61). Das Wachstum der Städte verlangsamt sich erst durch die abnehmende Bevölkerungszahl als Folge des Ersten Weltkrieges (Rathcke 1937: 24). Zwar setzen sich die Land-Stadt-Wanderungen bis Mitte der 1920er Jahre fort, einige Großstädte verzeichnen dennoch Wanderungsverluste. Ursachen dafür sind sowohl eine beginnende Wohnungsnot in den Städten als auch die zunehmende Schwierigkeit, in Zeiten der Inflation einen Arbeitsplatz zu finden. Zudem verschlechtert sich die Ernährungssituation in den urbanen Kernen. Diese Entwicklungen dauern bis Anfang der 1930er Jahre fort (Wenning 1996: 110). Nachdem die Wirtschaftskrise überwunden ist und neue Gewerbestandorte vor allem für die Rüstungsindustrie entstehen, verstärkt sich die Landflucht (Wenning 1996: 111). Den Anstrengungen, eine idyllische Bauernlandschaft zu erschaffen, zum Trotz, kommen die Nationalsozialisten nicht gegen die Verstädterung an. Umsiedlungen bedingen während des Zweiten Weltkrieges und danach eine Umverteilung der Bevölkerung. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist von einer extremen Wohnungsnot geprägt. Flüchtlinge, Vertriebene und Evakuierte finden in der Nachkriegszeit vorerst auf dem Land einen Wohnsitz. Dort ist die Ernährungssituation besser und das Platzangebot größer als in den bombardierten und schuttbeladenen Städten. Gleichzeitig werden alte Industriestandorte reaktiviert (Mackensen et al. 1975: 35, Pietsch/Kamieth 1991: 32, Nipper 1993: 74, Hewitt et al. 1995: 204, Wenning 1996: 112ff., BBR 2000a: 46).
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Suburbanisierung und Tertiärisierung Die kriegsbedingte Entstädterung relativiert sich durch die Wiederaufnahme von Produktions- und Handlungstätigkeiten. Im Verlauf der 1950er Jahre füllen sich die Städte allmählich mit Bevölkerung (Mackensen et al. 1975: 35). Es sind zunächst Arbeitssuchende, Jüngere und Flüchtlinge, welche in die Innenstädte kommen und schlechte Wohnbedingungen in Kauf nehmen. Mit zunehmender Integration und sozialem Aufstieg zieht es diese Gruppe jedoch an den Stadtrand. Die Ausbreitung des kommerziellen Zentrums verstärkt aufgrund steigender Boden- und Mietpreise die Suburbanisierung gegen Ende der 1950er Jahre. Die Städte weisen negative Wanderungssalden auf. Der Ballungsrand wächst sowohl durch Abwanderungen aus den Zentren als auch durch Zuwanderungen aus agglomerationsfernen Gemeinden. Als Resultat vergrößern sich die Ballungsgebiete gewaltig. Die Stadtkerne kämpfen dadurch zunehmend mit Funktionsverlusten (Mackensen et al. 1975: 36f., Häußermann/Siebel 1987: 25f., Wenning 1996: 144, Aring 1999a: 96, Brake et al. 2001a: 273). Verstärkt werden die Stadt-Umland-Wanderungen zunächst durch das städtebauliche Leitbild der aufgelockerten und gegliederten Stadt in Orientierung an der Charta von Athen (Nipper 1993: 77f., BBR 2000a: 46). In dieser fordert Le Corbusier (1946) die Trennung der vier Funktionen Arbeit, Wohnen, Freizeit und Verkehr.9 Die Funktion des Wohnens wird in suburbane Gebiete verlegt, während die Funktion der Arbeit in der Stadt verortet bleibt. Infolge führt diese Funktionstrennung zu einem Anstieg des Verkehrs und einem ausufernden Flächenverbrauch (Pietsch/Kamieth 1991: 32f.). „Nach dem Einschnitt des 2. Weltkriegs haben sich die Entwicklungslinien der Zwischenkriegszeit, wie zunehmender Individualverkehr, die Entwicklung von Vorstädten mit hohem Freiraumanteil, verbunden mit extensiver Flächennutzung und verstärkt durch Einflüsse aus Amerika, dessen Städte anderen Traditionen und Entwicklungsbedingungen unterlagen, beschleunigt fortgesetzt.“ (Pietsch/Kamieth 1991: 33)
Waren es zunächst nur die Reichen, welche sich im Umland ansiedelten, so sind es nach dem Zweiten Weltkrieg die Mittelschichten, die sich maßgeblich in der Familiengründungsphase ihren Traum vom Eigenheim am Stadtrand erfüllen (vgl. Kap. 4.2). Unterstützt wird diese Bewegung durch die zunehmende Motorisierung (Gatzweiler 1982: 43; vgl. Institut für Wohnen und Umwelt 1980, Schönert 2003). Auch industrielle Verdichtungsräume sind verstärkt von Ab9
„Les clefs de l’Urbanisme sont dans les quatre fonctions: Habiter, Travailler, Se récréer (Heures libres), Circuler“ (Le Corbusier 1946: 67).
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wanderungen betroffen (Gatzweiler 1982: 19; vgl. Kap. 2.4). Der Bevölkerungsverlust der Städte wird zum Teil durch die einsetzenden Gemeindegebietsreformen verdeckt (Mayr/Temlitz 2006: 4; vgl. Kap. 2.4). Nach der Suburbanisierung der Bevölkerung folgt in den 1960er und 1970er Jahren die Suburbanisierung von Industrie und Gewerbe. Die neuen Standorte im Umland sind verkehrstechnisch, vor allem durch den Anschluss an Autobahnen, besser erreichbar. Zeitgleich wird ein wirtschaftlicher Strukturwandel eingeleitet, der zu einem Arbeitsplatzabbau im sekundären und einem Zuwachs im tertiären Sektor führt (Häußermann/Siebel 1987: 28ff.). Der Prozess der Suburbanisierung hält in dieser Form bis Mitte der 1980er Jahre an. Gatzweiler (1982: 45) spricht sogar von einer Tendenz zur Desurbanisierung. Suburbanisierung und Gegenbewegungen Eine Gegenbewegung zu den Stadt-Umland-Wanderungen kommt in den 1980er Jahren auf, als sich neue Haushaltstypen, wie Singles und nichteheliche Lebensgemeinschaften, herausbilden (vgl. Kap. 4.2.2). Deren Bedürfnisse nach räumlicher Nähe zu Wohn-, Arbeits- und Freizeitangeboten können am ehesten in den Kernstädten erfüllt werden (Droth/Dangschat 1985, Neubauer 1988: 219, Bertels 1990, Krämer 1992: 5). Eng damit verbunden ist der Prozess der Gentrification, unter dem die Instandsetzung des innerstädtischen Gebäudebestandes und die Erneuerung der zentralen Funktionen für die Interessen einer neuen Mittelschicht verstanden wird (Dangschat 1988: 273; vgl. BBR 2000a: 51). Anfang der 1990er Jahre werden die Binnenwanderungen in Deutschland vor allem durch die Ost-West-Wanderungen10 im Zuge der Wiedervereinigung geprägt. Zum anderen werden wiederum eine zunehmende räumliche Ausdehnung und Verdichtung der Umlandregionen registriert. Stärker als bisher sind auch entferntere und nicht an Verkehrsachsen liegende Gemeinden Ziel von ‚Stadtflüchtigen‘, während neben den Kernstädten auch deren nächstgelegene Umlandregionen vielfach nur ein sehr geringes Bevölkerungswachstum oder sogar Verluste aufweisen (Kemper 1997: 93, BBR 2000a: 182ff., Aring/Herfert 2001: 45, Wfa 2001, BBR 2005). Daneben setzt sich die seit den 1960er Jahren bestehende Suburbanisierung von Unternehmen fort und führt zu einer verstärkten ökonomischen Unabhängigkeit des suburbanen Raums von der Kernstadt (Hatzfeld 2001, Karsten/Usbeck 2001, Kunzmann 2001). Das verstädterte Um10 Nahwanderungen in den neuen Bundesländern unterliegen aufgrund der zentralistischen Steuerung der ehemaligen DDR nicht erst seit der Wiedervereinigung vielen Besonderheiten. Diese sind nicht Thema dieser Arbeit. Einen Einblick geben: Wenning (1996), Herfert (1998), Herfert (2002), Schlömer (2004), BBR (2006), Beetz und Neu( 2006), Hirschle und Schürt (2008).
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land hat neue Qualitäten erzielt und baulich, ökonomisch, kulturell sowie sozial an Vielfalt gewonnen. „Die Wohnsuburbanisierung hat (…) ein gewisses Reifestadium erreicht, dessen neue Qualität sich u.a. in stark diversifizierenden Haushaltsstrukturen und zunehmender sozialer Heterogenität zeigt.“ (Aring/Herfert 2001: 43)
Die Auflösung des Gegensatzes von Stadt und Umland sowie die zunehmende Eigenständigkeit des Letzteren bezeichnet Aring (1999a) als Postsuburbia (vgl. Kap. 2.1). Ähnliches versteht Sieverts (2001: 14) unter dem Begriff der Zwischenstadt. Reurbanisierung und aktuelle Forschung In den letzten Jahren werden parallel zur Entstehung neuer Haushaltsstrukturen Anzeichen einer Reurbanisierung diskutiert (Geppert/Gornig 2003, Hannemann/Läpple 2004, Brühl 2005a): Die in den Medien viel beachtete Difu-Studie unterstützt die These eines wiederentdeckten Wohnens in der Stadt und trägt dazu bei, dass vermehrt über Reurbanisierungstendenzen gesprochen wird (Brühl 2005b, Difu 2005, 2008). Vornehmlich die Mittelschicht zieht der Studie nach in die Städte. Dennoch halten Hirschle und Schürt (2008: 211) fest: „Gleichwohl mehren sich in der Fachöffentlichkeit neuerdings Beiträge, die eine ‚Renaissance der Städte‘ als Wohnstandorte konstatieren bzw. einen Trend zurück in die Stadt identifizieren. Meist bleiben dabei empirische Belege dieser proklamierten Trendwende jedoch aus.“
Siedentop (2008: 193ff.) betont, dass die bislang erzielten empirischen Befunde widersprüchlich und die möglichen Ursachen einer erneuten Wanderung in die Stadt nur unzureichend geklärt sind.11 In Deutschland sind folgende Projekte der jüngeren Zeit zu nennen, die sich mit Wanderungen auseinandersetzen: Das BBR (2006: 20ff.) führt in der Diskussion um eine mögliche Reurbanisierung einen Vergleich von Stadtregionen der Jahre 1996 und 2004 durch. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass sich die Stadtregionen verstärkt ausdehnen und damit der Anteil der in den Stadtregionen lebenden Bevölkerung zunimmt. Es wird ein Rückgang der Stadt-Umland-Wanderungen und Außenwanderungen zugunsten von Wanderungen in die Kernstädte festgestellt. 11 Nagel und Schmidt (2001: 89) weisen auf einen Mangel an Studien bereits im Zusammenhang mit der Industrialisierung hin.
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Darüber hinaus ist das vom BBR durchgeführte Programm „Akteure, Beweggründe, Triebkräfte der Suburbanisierung: Motive des Wegzugs – Einfluss der Verkehrsinfrastruktur auf das Ansiedlungs- und Mobilitätsverhalten“ bedeutsam. Die Ergebnisse zeigen, dass primär das Bauland- und Mietpreisgefälle bzw. ein fehlendes Wohnangebot in den Städten dazu führt, dass ins Umland gewandert wird. Es sind dabei immer noch Familien, welche diesen Trend tragen. Kostenvorteile werden jedoch beim Umzug ins Umland überschätzt (Adam et al. 2007: 122f., vgl. Scheiner 2008: 54ff.). Weiterhin muss das DFG-Projekt „Suburbanisierung im 21. Jahrhundert. Stadtregionale Entwicklungsdynamiken des Wohnens und Wirtschaftens“ genannt werden, welches zwischen 2003 und 2007 durchgeführt worden ist. Ein zentrales Ergebnis ist, dass sich unterschiedliche Pfadausprägungen der Suburbanisierung zeigen: Die Suburbanisierung verliert an Dynamik und wird durch reurbane Prozesse überlagert (Breckner et al. 2007). Bislang scheint eine Gleichzeitigkeit von urbanem Schrumpfen und Wachstum zu bestehen (Kemper 2004: 23). Diese widersprüchlichen Tendenzen werden durch verschiedene Planungsvorstellungen begründet. Städte ergreifen Maßnahmen, wie die Zweitwohnsitzsteuer, um Einwohner in der Stadt zu halten, die Eigenheimzulage fördert hingegen Ansiedlungen im Umland (Kaltenbrunner 2003: 319ff., Couch et al. 2005: 122). Für den jüngsten Forschungsstand bleibt allerdings festzuhalten, dass seit dem Ende des 20. Jahrhunderts Stadt-UmlandWanderungen abnehmen und sich in einigen westdeutschen Großstädten positive Bevölkerungssalden abzeichnen. Die Gründe für diesen Wandel sind jedoch nicht ausreichend geklärt (Dobberkau 1980: 4, Siedentop 2008: 193ff.). Zusammenfassung Werden die Ergebnisse, welche in diesem Kapitel gewonnen worden sind, zusammengefasst, dann können vier urbane Phasen nach dem Zweiten Weltkrieg unterschieden werden (verändert nach Birg et al. 1993: 10). 1. 2. 3. 4.
Urbanisierung bis zu den 1950er Jahren: Die Stadtkerne wachsen. Suburbanisierung seit den 1950er Jahren: Die Randzonen der Kernstädte wachsen. Ausdehnung der Sub- / Desurbanisierung seit den 1970er Jahren: Die weiteren Randzonen der Kernstädte wachsen. Tendenzen der Reurbanisierung Ende der 1990er Jahre: Das erneute Wachstum der Städte.
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Von diesen ist die letzte Phase noch nicht ausreichend empirisch beleg, weshalb sie ein Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist (vgl. Kap. 1.1). 2.4 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordrhein-Westfalen Da Nordrhein-Westfalen die Untersuchungsregion dieser Arbeit darstellt (vgl. Kap. 1.3), wird in diesem Kapitel die Entwicklung nahräumlicher Mobilität in Nordrhein-Westfalen beschrieben. Diese ähnelt jener in Gesamtdeutschland aufgrund ähnlicher wirtschaftlicher und soziodemografischer Hintergründe (vgl. Kap. 2.3). Der Fokus liegt daher auf dem Ruhrgebiet mit seinen strukturellen Besonderheiten. Es wird insbesondere die Deindustrialisierung und ihre Auswirkungen auf Wanderungsbewegungen dargestellt. Schließlich werden sowohl die jüngere wirtschaftliche Situation als auch gegenwärtige Nahwanderungen in Nordrhein-Westfalen und dem Ruhrgebiet beschrieben, um auf das Thema dieser Arbeit hinzuführen (vgl. Kap. 5 und Kap. 6). Urbanisierung und Industrialisierung Im Ruhrgebiet vollzieht sich die Industrialisierung und mit ihr der wirtschaftliche Aufschwung wie in keiner anderen europäischen Region vergleichbarer Größe. Dominierend sind vor allem der Steinkohlenbergbau und die Hüttenindustrie. An anderen Standorten wird zudem Braunkohle- und Erzabbau betrieben (Blotevogel 2006: 28, Mayr/Temlitz 2006: 4ff.). Die neuen industriellen Zentren benötigen fortwährend neue Arbeiter, so dass zunächst die Bewohner des ländlichen Umlandes und schließlich fernerer Gebiete in die Städte ziehen (vgl. Kap. 2.3). In den 1870er Jahren deckt die Anzahl an einheimischen Arbeitern nicht mehr die bestehende Nachfrage, so nehmen Zuwanderungen aus den preußischen Gebieten und Ostprovinzen (Posen, Schlesien) und schließlich aus Polen und Masuren ihren Anfang. Diese Massenzuwanderungen führen hauptsächlich in den westfälischen Teil der Emscher- und Vestischen Zone. Die räumliche Mobilität wird jedoch nicht allein durch diese Zuwanderungen bestimmt, ebenso finden Saisonwanderungen sowie innerstädtische Wechsel zwischen den Betrieben statt. In einem ähnlichen Maß wie die Industrialisierung fortschreitet nimmt daher die Bevölkerung zu. Diese steigt ebenfalls aufgrund eines Geburtenüberschusses, herbeigeführt durch die Vielzahl junger Arbeiter im heiratsfähigen Alter, welche sich vornehmlich in den betriebseigenen Werkssiedlungen niederlassen (Goch 2002: 68). Den unvorhersehbaren Auswirkungen der Industrialisierung fehlt es in ihrer Anfangszeit an einem angemessenen Instrumentarium zur
2.4 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordrhein-Westfalen
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siedlungsstrukturellen Planung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden erste Planungsvorschriften verfasst (vgl. Kap. 2.3). Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und zu Beginn der 1920er Jahre finden die massenhaften Zuwanderungen und steigenden Bevölkerungszahlen bedingt durch die erste Strukturkrise ihr Ende. 1923 wird das Ruhrgebiet von der belgisch-französischen Besatzung eingenommen. Im Folgejahr der Reparationskonferenz von 1924 kommt es zu einem Abzug aller fremden Besatzungen. Kohleförderung und Produktion werden erst nach der Währungsreform wieder intensiviert (Goch 2002: 67ff.). Die wirtschaftlichen Zentren Nordrhein-Westfalens, v.a. solche der Schwerindustrie, werden nach dem Zweiten Weltkrieg durch den deutschen Wiederaufbau derart gestärkt, dass ausgeprägte Wanderungsströme in die Städte führen. Nordrhein-Westfalen ist zu dieser Zeit das wachstumsstärkste Bundesland Deutschlands. Zeitgleich werden Um- und Aussiedlungsmaßnahmen durchgeführt. Aufgrund der wirtschaftlichen Prosperität nehmen die Städte Nordrhein-Westfalens mehr als drei Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene auf. Zusätzlich werden ausländische Arbeitnehmer angeworben, die Geburtsrate steigt und mit ihr die Bevölkerungszahl bis zur Mitte der 1970er Jahre (Mackensen et al. 1975: 38, Ziesemer 2004: 84, Mayr/Temlitz 2006: 4, Grüber-Töpfer 2008: 17). Suburbanisierung und Deindustrialisierung Abwanderungen im Zuge der Deindustrialisierung Der wirtschaftliche Aufschwung hält im Ruhrgebiet bis Ende der 1950er Jahre an. Im Jahr 1958 wird es von der ersten Kohlekrise ergriffen, die sich auf die wirtschaftliche Situation der folgenden Jahrzehnte auswirkt (Miegel 1987). Günstigere Importkohle, der Ausbau der Atomenergie sowie die Substitution der Kohle durch Erdöl führen bis 1964 zu einer Stilllegung von zahlreichen Zechen, womit ebenfalls steigende Arbeitslosenzahlen einhergehen. Der Kohlekrise folgt 1974 die Stahlkrise12, so dass sich die strukturellen Veränderungen massiv bis zum Ende der 1980er Jahre auswirken. Daneben werden verwaltungstechnische Veränderungen vorgenommen: Von 1967 bis 1976 findet in NordrheinWestfalen eine Gemeindegebietsreform statt, wodurch eine Vielzahl an Gemeinden zusammengelegt wird (Mayr/Temlitz 2006: 4). Diese Zusammenlegung wird 12 Die Ursachen für diesen wiederholten wirtschaftlichen Rückschlag sind vielfältig. Die Produktion wird in Erwartung verstärkter Anfrage, welche nicht eintritt, immens erhöht, ausländische Stahlproduktionen werden subventioniert und nahezu inflationär auf dem Weltmarkt feilgeboten; die weltweite Konkurrenz steigt (Ziesemer 2004: 84).
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so intensiv betrieben, dass selbst die kleinsten Gemeinden nach Abschluss der Reform mehr als 5.000 Einwohner aufweisen. Infolge des beginnenden Strukturwandels wird das Ruhrgebiet in den 1960er Jahren zur Abwanderungsregion (Wenning 1996: 144, Ziesemer 2004: 84, Mayr/Temlitz 2006: 7): Zwischen 1965 und 1968 verzeichnet es jährliche Wanderungsverluste von 30.000 bis 40.000 Personen. Insbesondere jüngere und hochqualifizierte Arbeiter wandern aus der Region ab. Diese Wanderungen werden durch Fortzüge in andere Bundesländer, vor allem nach Süddeutschland, bestimmt, aber ebenso durch Rückwanderungen ausländischer Arbeiter, unterstützt durch sogenannte Rückkehrprämien. Durch die Abwanderungen der 1970er und 1980er Jahre verringert sich die Nachfrage an Arbeitsplätzen, weshalb der wirtschaftliche Niedergang nicht so deutlich hervortritt (Goch 2002: 157f.). Insgesamt bewirkt der ökonomische Umbruch eine Veränderung der sektoralen Wirtschaftsstruktur. Die Bedeutung des sekundären Sektors nimmt dabei zugunsten des tertiären stetig ab.13 Neben den Fernwanderungen tritt die Suburbanisierung, wie zuvor die Urbanisierung, sehr früh auf (Gramberg 1959, Clemens 1961, Ganser 1997). Dieser typisch großstädtische Entwicklungstrend ist durch die schwerindustriell geprägten Stadtregionen verstärkt worden (Strohmeier 2003: 65). In dem Bestreben, Wohneigentum zu bilden, führen die Wanderungen von den Ballungskernen in deren Randbereiche; die Geburtenraten sinken und mit ihnen die Kaufkraft in den Städten (Mackensen et al. 1975: 38, Jeschke 2004: 345, Mayr/Temlitz 2006: 4). Suburbanisierung und weitere Abwanderungen Ende der 1980er Jahre nehmen die Wanderungen ins Ruhrgebiet zunächst zu. Der Zusammenbruch der Sowjetunion begünstigt starke Zuwanderungsströme von Aussiedlern aus dem östlichen Europa. Neben Asylbewerbern und Kriegsflüchtigen sind es vornehmlich die innerdeutschen Ost-West-Wanderungen, welche zu einem Anstieg der Bevölkerung führen. Damit kompensiert der Wanderungssaldo das bestehende Geburtendefizit. Zeitgleich werden in den 1980er Jahren erste großräumige Maßnahmen ergriffen, eine urbane Kulturlandschaft mit Bezug zu ihrer historischen Genese zu schaffen. Dabei ist vorrangig die Internationale Bauausstellung Emscher Park zu nennen, in deren Rahmen ein umfassendes regionales Freiraumkonzept entstanden ist (BBR 2000a, IBA 2008). Die ergriffenen Maßnahmen haben einen langfristigen Wandel zum Ziel: Deshalb zeichnen sich Mitte der 1990er Jahre, als die Zuwanderungen ihr Ende 13 Dennoch stammen auch in jüngerer Zeit nahezu ein Drittel der Steinkohle und elf Prozent des Stahls in der EU aus dem Ruhrgebiet (Ziesemer 2004: 85).
2.4 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordrhein-Westfalen
47
finden, wieder Bevölkerungsverluste im Ruhrgebiet, aber auch im übrigen Nordrhein-Westfalen ab (Goch 2002: 158, Mayr/Temlitz 2006 4ff.). Da die Städte des Ruhrgebietes Wohngebiete des raschen Wiederaufbaus der 1960er und 1970er Jahre sowie Industriebrachen aufweisen, wird ihre Attraktivität als Wohnstandort weiter gemindert (Schrumpf 2001: 162). Die sich fortsetzende Wohnsuburbanisierung verläuft im Ruhrgebiet sozial selektiv, so dass das Umland an „deutschen Mittelschichttypen mit (jungen) Kindern“ (Strohmeier 2003: 66) gewinnt, während in den Städten entweder eine Schrumpfung zu beobachten ist oder bei erhöhten Geburtsraten nicht-deutscher Bewohner eine Stagnation der Bevölkerungszahl eintritt. Aufgrund der höheren Geburtenrate ausländischer Bewohner stellt Mielke (2004: 13) eine Verdopplung des Anteils der Nichtdeutschen in den Kernstädten des Ruhrgebietes für den Zeitraum von 1975 bis 2002 fest (vgl. Neumann 2001, Goch 2002, Mielke 2003, 2004).14 Die Mehrheit in den ärmeren Vierteln der Ruhrgebietsstädte stellen demnach junge Erwachsene mit Migrationshintergrund dar. Doch auch im Umland befinden sich nicht ausschließlich Haushalte in der Familiengründungsphase: Aufgrund des sozialen Mietwohnungsbaus ist der Anteil ökonomisch schwächerer Bevölkerungsgruppen relativ hoch, der Mieteranteil liegt bei über 50 Prozent. Ehepaare oder nicht verheiratete Paare mit Kindern stellen einen vergleichsweise geringen Anteil dar (Blotevogel/Jeschke 2003: 18ff.). Jüngere wirtschaftliche Entwicklungen und Wanderungsbewegungen Bezogen auf die jüngere wirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens und des Ruhrgebietes ist festzuhalten, dass sich in den ländlichen Regionen Nordrhein-Westfalens die industriellen Zweige relativ stabil halten. Dagegen werden im Ruhrgebiet Fertigungsstätten aufgegeben oder in andere Regionen verlagert. Dennoch ist nicht außer Acht zu lassen, dass bedeutende Industrie- und Handelssitze ihren Hauptsitz weiterhin an Rhein und Ruhr haben und sich große Werke der Chemie- und Stahlindustrie entlang der Rheinschiene von Köln nach Duisburg befinden. Im Ruhrgebiet wird darüber hinaus die Bereitstellung einer Wissens- und Forschungsinfrastruktur angestrebt, gleichzeitig stehen die Sanierung von Industriebrachen sowie hohe Subventionen im Bereich der Steinkohle an. Wissensindustrien sind deshalb bislang nicht in demselben Maß wie im übri14 In diesem Zusammenhang spricht Strohmeier (2003: 67) von einer „fortgesetzten kleinräumigen Polarisierung sozialer Lagen und einer wachsenden sozialräumlichen Spaltung in Ruhrgebietsstädten“. Dies bedeutet, dass die Segregation zu unterschiedlichen Entwicklungschancen führt, da Kinder entweder aus der „prosperierenden bürgerlichen Vorstadt“ oder aus „Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf“ stammen.
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2 Nahräumliche Mobilität
gen Nordrhein-Westfalen errichtet worden (Lageman/Schmidt 2006). In jüngster Zeit findet die Förderung von neuen Industrien und Dienstleistungen umso stärker statt, wie die Bewerbung der Metropole Ruhr15 um den Titel „Stadt der Wissenschaft 2007“ demonstriert. Zudem wird die IBA durch das Projekt Emscher Landschaftspark 2010 fortgesetzt (Schwarze-Rodrian 2006: 48ff.); in Essen ist die Zeche Zollverein im Jahr 2001 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden und im Jahr 2010 wird Essen zur Kulturhauptstadt Deutschlands. Diese Maßnahmen haben zur Folge, dass sich das Ruhrgebiet von seinem Image als Industriegebiet löst – ohne jedoch seinen historischen Hintergrund zu vergessen. Dennoch fehlt es bislang an einer Vielzahl von attraktiven Beschäftigungsmöglichkeiten, so dass die Abwanderungsströme ungebrochen bleiben (Lageman/Schmidt 2006). Es ist davon auszugehen, dass die Städte des Ruhrgebietes künftig weiterhin von Schrumpfungen aufgrund geringer Geburts- und hoher Abwanderungsraten betroffen sein werden. Auffallend ist, dass bei einem Wegzug aus dem Ruhrgebiet oftmals die ganze Region verlassen wird (Steinweg 2003: 5ff.). Neben den Fernwanderungen werden die kreisfreien Städte des Rhein-Ruhr-WupperBallungsraumes, insbesondere die Hellwegstädte, weiter Einwohner im Zuge fortschreitender Suburbanisierungsprozesse verlieren. Die Kreise des Umlandes gleichen durch diese Zuwanderungen ihre Sterbeüberschüsse aus, wobei die Einwohnergewinne eher als gering einzustufen sind (Schrumpf 2001: 159, Klemmer 2002: 31, Mayr/Templitz 2006: 7). Im gesamten Nordrhein-Westfalen sind unterschiedliche Entwicklungen hinsichtlich der demografischen Merkmale Fertilität, Mortalität und Wanderungen festzustellen, welche sich ebenso verschiedenartig auf das Bevölkerungswachstum und die demografische Alterung auswirken (Birg/Flöthmann 2003: 35, Flöthmann 2007: 137). Wanderungen werden aber auch künftig für die Bevölkerungsverteilung in Nordrhein-Westfalen von Bedeutung sein:16 Seit Ende der 1990er Jahre wird eine Abnahme der Stadt-Umland-Wanderungen festgestellt (Osterhage 2003: 69ff., Gerber 2008: 76). Eine mögliche Reurbanisierung der Bevölkerung kann dadurch begünstigt werden, dass jüngere Personen seltener Vollzeitstellen erhalten, wodurch eine nicht zu planende Erwerbsbiografie bedingt wird. Aufgrund dieser Unsicherheit verringert sich eine Festlegung auf 15 Die Metropole Ruhr besteht aus Dortmund, Bochum, Duisburg, Essen und dem Regionalverband Ruhr. 16 Das Projekt des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik der Universität Bielefeld „Regionale Analyse und Projektion der natürlichen und migrationsbedingten Bevölkerungsentwicklung und ihre Auswirkungen auf die Infrastrukturausstattung in den Städten und Gemeinden NRW“ befasst sich u.a. mit der Bedeutung von Wanderungen im demografischen Wandel.
2.4 Entwicklung (nah-)räumlicher Mobilität in Nordrhein-Westfalen
49
einen Wohnort durch die Bildung von Wohneigentum. Zudem bietet das Wohnen in der Stadt kulturelle und sozial vielfältige Angebote, ebenso werden Mobilitätskosten niedriger gehalten. Im Alter birgt innenstadtnahes Wohnen den Vorteil erreichbarer und gut ausgebauter Infrastrukturen. Da es an diesbezüglichen Forschungsarbeiten mangelt, ist allerdings infrage zu stellen, inwiefern diese Angebote wirklich bestehen, inwiefern ausreichend städtische Flächenangebote vorhanden sind und mit welchen Kosten ein Leben in der Stadt verbunden ist (Osterhage 2008, vgl. Kap. 4.2.1). Zusammenfassung Nachdem die Industrialisierung den Prozess der Urbanisierung eingeleitet hat, führt die immense Deindustrialisierung dazu, dass das Ruhrgebiet seine Stellung als industrielles Zentrum Deutschlands verliert. Die Kommunen des Ruhrgebietes sind somit besonders stark vom Rückgang des sekundären Sektors betroffen und können diesen Verlust bis zur Gegenwart – anders als das übrige NordrheinWestfalen – nicht durch einen höheren Anteil der wissens- und produktionsorientierten Dienstleistungen ausgleichen (Brückner/Mammes 2006: 22). Dieser Rückgang wirkt sich auf die Zahl der Arbeitslosen des Ruhrgebietes aus, welche im Vergleich zum gesamten Nordrhein-Westfalen deutlich erhöht ist.17 Bedingt durch diese ungünstige Beschäftigtensituation findet eine Abwanderung junger Erwachsener statt, welche zu einer zunehmenden Überalterung führt. Diese demografische Entwicklung beinhaltet einen rückläufigen Anteil von Personen im üblichen Erwerbsalter, zugleich ist der Seniorenanteil im Ruhrgebiet bereits relativ hoch (Mielke 2003: 81, vgl. Schrumpf 2001: 160, Bäumer/Reutter 2005: 23f., Grüber-Töpfer 2008: 30). Werden die jüngsten Wanderungsbewegungen im gesamten NordrheinWestfalen in drei Phasen unterteilt, so sind Anfang der 1990er Jahre positive Wanderungssalden in den Kernstädten zu verzeichnen. Diese beruhen jedoch nicht auf Zuwanderungen aus dem Umland, sondern primär auf Fernwanderungen im Zuge der Wiedervereinigung. Durch die Ost-West-Wanderungen können die nahräumlichen Stadt-Umland-Wanderungen ausgeglichen werden. Mitte der 1990er Jahre nimmt der Zustrom durch Fernwanderungen ab, so dass die bestehenden Abwanderungen in das Umland stärker hervortreten und Kernstädte Bevölkerungsverluste hinnehmen müssen (Fischer et al. 2007: 2, Grüber17 Die Arbeitslosenquote liegt im März 2010 in der Bundesrepublik bei 8,5%, in NRW bei 9,1% und erreicht in den einzelnen Kreisen des Ruhrgebietes bis zu 13%: Stand der Arbeitslosenquote in ausgewählten Kreisen: Gelsenkirchen 13,2%; Recklinghausen 11,2%, Oberhausen 10,6%, Hagen 10% (Bundesagentur für Arbeit 2010).
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2 Nahräumliche Mobilität
Töpfer 2008: 9). Ende der 1990er Jahre nehmen die Stadt-Umland-Wanderungen wieder ab. Dieser Rückgang lässt Spekulationen über Anzeichen einer Re- oder Postsuburbanisierung aufkommen (Osterhage 2003: 69ff., Steinweg 2003: 5ff., Reutter 2008: 71; vgl. Kap. 2.3). Osterhage (2008: 75) spricht den Widerspruch zwischen einem großen Interesse an der Renaissance der Städte, aber fehlenden Forschungsarbeiten an (vgl. Bäumer /Reutter 2005: 60; vgl. Keil 2003: 61). Schematisch stellen sich die Nahwanderungen seit Beginn der 1990er Jahre wie folgt dar (vgl. Osterhage 2003): 1. 2. 3.
Anfang 1990: Ausgleich der Stadt-Umland-Wanderungen durch Ost-West-Wanderungen Mitte 1990: Zunahme der Stadt-Umland-Wanderungen Ende 1990: Abnahme der Stadt-Umland-Wanderungen
In den vorangegangenen Kapiteln ist verdeutlicht worden, dass Nahwanderungen, insbesondere der Prozess der (Bevölkerungs-)Suburbanisierung, in den letzten fünf Jahrzehnten ein wichtiger Forschungsgegenstand waren. Die Bedeutung dieses Themas ist eng mit den Folgen von Dezentralisierungsvorgängen wie die Entleerung der Kernstädte, der steigende Siedlungsflächenverbrauch und die sinkenden kommunalen Einnahmen durch den Wegzug von Einwohnern verbunden (Clemens 1961, ARL 1970, 1975a und 1978, Friedrichs 1985 und 1997, Brake et al. 2001b, Steinweg 2003, Burdack et al. 2005b; vgl. Kap. 2.1 bis Kap. 2.4). Umso mehr gewinnt die Diskussion um eine beginnende Reurbanisierung an Tragweite (Difu 2005, Siedentop 2008). Werden in den letzten Jahren Agglomerationen auf Anzeichen einer möglichen Reurbanisierung, insbesondere auf Tendenzen vermehrter Umland-Stadt-Wanderungen hin untersucht, dann beschränken sich die Fallregionen meist auf eine begrenzte Anzahl von Städten (Steinweg 2003, Difu 2005 und 2008, Mönnich 2005, BBR 2007, Breckner et al. 2007, Föbker et al. 2007, Kramer/Pfaffenbach 2007). In dieser Arbeit wird ein Beitrag dazu geleistet, diesem Mangel an empirischen Studien zu begegnen (vgl. Kap. 1.1).
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
Bevor den beiden inhaltlichen Zielsetzungen nachgegangen werden kann, die Quantifizierung des Ausmaßes nahräumlicher Mobilität sowie die Bestimmung wanderungsauslösender Ereignisse (vgl. Kap. 1.1), müssen Herkunfts- und Zielgebiete der Wanderungen unter Berücksichtigung des urbanen Wandels seit 1950 einheitlich festgelegt sein. Der Definition in Kapitel 2.1 folgend finden Nahwanderungen innerhalb und zwischen Stadtregionen Nordrhein-Westfalens statt, weshalb sich Herkunfts- und Zielgebiete auf die Raumkategorien der Stadtregion, Kernstadt, Ergänzungsgebiet, näheres sowie weiteres Umland und ebenso Land, beziehen (vgl. Kap. 3.2.2). Deshalb lautet ein erstes wesentliches Ziel dieser Arbeit, das in diesem Kapitel verfolgt wird (vgl. Kap. 1.1): 1.
Zeitlich angepasste Klassifikation aller Gemeinden Nordrhein-Westfalens hinsichtlich der Kategorien Kernstadt, Ergänzungsgebiet, näheres und weiteres Umland sowie Land für den Untersuchungszeitraum (1950 - 2005).
Erst die Darstellung von internationalen und nationalen Modellvorstellungen bzw. Typisierungen erlaubt es, das Modell der Stadtregion in seiner Genese sowie den damit verbundenen konzeptionellen Vor- aber auch Nachteilen zu verstehen (Kap. 3.1 und Kap. 3.2). Die konkrete Anwendung auf die Gemeinden Nordrhein-Westfalens wird in Kapitel 3.3 ausgeführt. In Kapitel 3.4 wird die gewählte Kategorisierung diskutiert. Grundlegend für alle Klassifikationen ist die Technik der Typisierung, welche nachstehend kurz ausgeführt wird. Technik der Typisierung Vor der Untersuchung des handelnden Menschen im Raum (vgl. Kap. 2.1) steht das sich wechselseitig beeinflussende Verhältnis von Mensch und Raum (Bollnow 1963, Moewes 1980, Sodeur/Hoffmeyer-Zlotnik 2005). Die Stellung zueinander wird durch zahlreiche Faktoren determiniert und ist in ihrer Komplexität nur schwer zu fassen: Der Raum bildet die physische Umwelt des Menschen, bedingt beispielsweise topografische und meteorologische Formen der menschlichen Umgebung. Der Mensch nutzt seinerseits natürliche Ressourcen und überformt seine materielle Umwelt kulturell (Moewes 1980: 17f.). Im Raum sind
K. Gerber, Räumliche Mobilität im Wandel, DOI 10.1007/978-3-531-92909-5_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
wichtige Bezugssysteme menschlichen Handelns, wie Wohnen, Arbeiten, Freizeit, verortet. Diese beeinflussen das menschliche Verhalten, indem sie Handlungsalternativen des einzelnen Akteurs begrenzen oder erweitern (Moewes 1980: 58, Huinink/Wagner 1988: 1f., Sodeur/Hoffmeyer-Zlotnik 2005: 9ff.). Der daraus resultierende Handlungsspielraum wird von verschiedenen Individuen unterschiedlich wahrgenommen und raumbezogenes Verhalten von diesen Bewertungen geleitet. Daher ist Raum in den Sozialwissenschaften menschlicher Daseins- und Erlebnisraum, der von der Gesellschaft nicht nur geprägt, sondern ebenso bewertet wird (Landwehr 1975: 4, Moewes 1980: 86ff., HoffmeyerZlotnik 2000a: 15). Verschiedene Teilräume sind hinsichtlich ihrer funktionsräumlichen Merkmale und Nutzungen unterschiedlich ausgestattet (Moewes 1980: 67, vgl. Feijten et al. 2008: 143ff.). Um Raum- und Siedlungsstrukturen angemessen zu beschreiben und bewerten, sind Klassifikationen und Typisierungen in der Stadtund Regionalforschung seit jeher grundlegende Themen (Schürt et al. 2005: 1). Veränderungen in der physischen und kulturellen Welt führen ebenso wie sich fortentwickelnde Methoden und zur Verfügung stehende Indikatoren zu einem stetigen Wandel der Abgrenzungen (Henckel et al. 2002: 5). Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts werden Städte nahezu übereinstimmend anhand ihrer Einwohnergröße klassifiziert. Unterschieden werden zum Beispiel Klein-, Mittel-, Groß- und Weltstädte. Die Bevölkerungsexplosion im Zuge der Industrialisierung und mit ihr die unterschiedliche regionale Entwicklung lassen die Betrachtung der Einwohnerzahl zweitrangig erscheinen und verlagern das Augenmerk auf wirtschaftliche Faktoren (vgl. Kap. 2.2). Werden Städte entsprechend ihrer ökonomischen Prägung gruppiert, dann stellen Industrie-, Hochschul- und Kulturstädte die vorrangig genannten wirtschaftlichen Strukturtypen dar (Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen 1972: 9ff.). Mit dem Ende der Massenproduktion und damit oftmals dem Ende eines vorherrschenden Wirtschaftszweiges werden neue klassifizierende Merkmale wie die Produktionsstruktur und Dimensionen der Kontroll- und Finanzkapazitäten in die Typenbildung einbezogen (Henckel et al. 2002: 15). Ungeeignet für räumliche Abgrenzungen erscheint dagegen der Verwaltungsstatus. Das historisch verliehene Stadtrecht berechtigt beispielsweise, den Titel der Stadt zu führen, ohne dass notwendigerweise städtische Strukturen vorherrschen (Blankenburg 1965: 14). Grundlegend für Klassifikationen ist das mit ihnen verfolgte Ziel, welches die Gestalt der Typisierung festlegt (Blankenburg 1965: 10, Henckel et al. 2002: 7). Die Typisierung von Städten birgt dabei die Schwierigkeit, sowohl der jeweiligen Einzigartigkeit als auch einer allgemeinen Abstraktion gerecht zu werden (Boskoff 1970: 28, Landwehr 1975: 20, Lichtenberger 1998: 29ff.; Henckel et al. 2002: 7ff.).
3.1 Internationale Raumabgrenzungen
53
„If modern cities (…) share a number of distinctive features, it is likewise true that cities possess some uniqueness, divergences, and idiosyncrasies. (…) Therefore, it will be some use to search for some order in this variety, through a meaningful classification of urban regions.” (Boskoff 1970: 28)
Kennzeichnend für eine Typisierung18 ist die Reduktion auf das Wesentliche in einer Reihe von Indikatoren. Durch dieses Vorgehen bilden sich Grundformen heraus, welche sich durch ein ähnliches Verhalten gegenüber Umwelteinflüssen auszeichnen (Blankenburg 1965: 19; vgl. Nipper/ Streit 1977: 243f.). Wirtschaftliche Strukturen sowie Verflechtungen stellen konventionelle Merkmale dar, welche vielfach zur Bestimmung von Stadt-Land-Beziehungen verwendet werden (Hoffmeyer-Zlotnik 2005). Bevölkerungs- und siedlungsstrukturelle Charakteristika werden ebenfalls einbezogen. Neben einer Gewichtung der Merkmale ist es unerlässlich, Schwellenwerte für die Raumabgrenzung, z.B. anhand von theoretischen Kriterien oder mittels empirischer Häufigkeiten, festzulegen. Ferner können sogenannte weiche Faktoren, wie die Attraktivität einer Stadt, nur durch Annäherungen über sogenannte harte Faktoren, wie statistische Kennwerte, erhoben werden (Blankenburg 1965: 15ff., Boskoff 1970: 29, Landwehr 1975: 47ff., Henckel et al. 2002: 8, Mielke/Schulze 2006: 27). In dieser Arbeit wird eine Regionalisierung gewählt, die es ermöglicht, Stadt, Umland und Land auf Grundlage allgemeingültiger Kontextmerkmale wie Einwohnerzahl oder Pendlerverflechtungen miteinander zu vergleichen, ohne auf die konkreten Gemeinden einzugehen (vgl. Kap. 1.1). Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist, die unterschiedlichen Stadien der Verstädterung mittels verschiedener zeitabhängiger Klassifikationen zu beachten (vgl. Kap. 3.3). Die Verwendung verschiedener Klassifikationen ist notwendig, da „[e]ine Regionsabgrenzung (…) nicht für ‘ewige’ Zeiten vorgenommen werden [kann], ändern sich doch die Probleme laufend“ (Markwalder 1973: 21; Hervorhebung im Original). 3.1 Internationale Raumabgrenzungen Um urbane Konzentrationen zu erfassen, sind gemäß der jeweiligen Entstehungszeit und länderspezifischen Lage zahlreiche Klassifikationen und Modelle19 18 Es können Typologien, Klassifikationen, Gruppierungen, logische Gliederungen und Regionalisierungen inhaltlich voneinander abgegrenzt werden. Eine Trennschärfe ist allerdings nur begrenzt gegeben. In dieser Arbeit werden die genannten Begriffe synonym verwendet, da sie das gemeinsame Ziel verfolgen, räumliche Gegebenheiten zu ordnen (vgl. Söker 1977, HoffmeyerZlotnik 2000b, Henckel et al. 2002, Sodeur/Hoffmeyer-Zlotnik 2005, Mielke/Schulze 2006). 19 Im Gegensatz zu Klassifikationen werden in Modellen (der Stadtstruktur) theoretische Vorstellungen mit räumlichen Gegebenheiten abgeglichen, Schwellenwerte sind dabei von untergeord-
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3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
entstanden: Wesentlich für die Darstellung städtischer Strukturen sind die Modelle der Stadtentwicklung von Burgess (1927), Hoyt (1939) sowie Harris und Ullman (1945), welche für den US-amerikanischen Raum konzipiert worden sind. Da sie tief greifende Erkenntnisse über die Beziehung von Städten und ihrem Umland vermitteln, wird auch in aktuellen Beiträgen auf sie Bezug genommen. Zu den gegenwärtigen Modellen der Agglomeration zählen die CBSA (Core Based Statistical Areas) des nordamerikanischen Raums sowie die NUTS (Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques) für den europäischen Raum, aber auch die FUR (Functional Urban Regions). Vor allem die im nordamerikanischen Raum verwendeten Abgrenzungen und deren Kriterien sind richtungsweisend für die Entwicklung des in dieser Arbeit verwendeten Modells der Stadtregion (Kap. 3.2.2). Ring-, Sektoren- und Mehrkerne-Modell Aus der klassischen Chicagoer Schule der Sozialökologie sind drei Modelle der Stadtstruktur hervorgegangen, welche zum Ziel haben, Regelmäßigkeiten in städtischen Strukturen zu erfassen. Historisch und inhaltlich beziehen sie sich auf nordamerikanische Städte vor der massiven Suburbanisierung (Nipper 1975: 2, Lichtenberger 1998: 57f., Heineberg 2006: 109ff.). Die Modelle gründen auf der Vorstellung, dass – analog zu den Prinzipien des Darwinismus – in menschlichen Gesellschaften ein Kampf ums Überleben besteht, der sich durch eine Konkurrenz um soziale Positionen auszeichnet (Heineberg 2006: 109). Menschen stehen somit im Wettbewerb zueinander, der in einer stetig wachsenden Arbeitsteilung bzw. einer voranschreitenden Spezialisierung der Individuen mündet (vgl. Durkheim 1977). Diese Spezialisierung übt ihrerseits Einfluss auf die räumliche Verteilung der Bewohner aus. Attraktive Standorte, meist Gebiete mit hohen Bodenpreisen, werden von einer gut verdienenden Bevölkerungsschicht eingenommen, während sich die verbleibende Bevölkerung in Gebieten günstigeren Wohnraums ansiedelt. Allen drei Modellen liegen daher implizit Annahmen von Bodenrentmodellen zugrunde, durch welche verschiedene Nutzungen des städtischen Raums in einem freien Bodenmarkt erklärt werden. Die natürliche Begrenzung von Boden bedingt bei einer erhöhten Nachfrage steigende Bodenrenten. Dies führt zur Verlagerung von Raumnutzungen: In zentralen städtischen Gebieten wird die Wohnfunktion durch tertiäre Nutzungen in periphere Gebiete verdrängt (Heineberg 2006: 117ff.). neter Bedeutung. Klassifikationen von Städten und Modelle der Stadtstruktur können ineinander übergehen (Lichtenberger 1986: 54).
3.1 Internationale Raumabgrenzungen
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Ringmodell Als eines der ersten Modelle zur Erfassung der Stadtstruktur ist jenes von Burgess (1927) zu nennen, das er am Beispiel der Stadt Chicago entwickelt hat (Hudson 2006: 15). Zunächst beschreibt Burgess (1927) die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse Chicagos, welche er abschließend in seinem ringförmigen Stadtmodell abstrahiert. Das Ringmodell basiert auf der Annahme, dass sowohl Nutzungen als auch Bevölkerungsgruppen nicht gleichmäßig über die Stadt verteilt sind. Zwei Hypothesen sind dabei von entscheidender Bedeutung: Die Hypothese des konzentrischen Wachstums beruht darauf, dass sich eine Stadt räumlich ausdehnt. Findet diese Ausdehnung statt, dann erfolgt sie von innen nach außen und tendenziell in alle Richtungen gleich stark. Die Hypothese eines von der City ausgehenden Wachstums- und Verdrängungsprozesses bezieht sich ebenfalls auf die räumliche Expansion der Stadt. Dabei verlagern sich die Nutzungen und Bevölkerungszonen von einer Zone in die sich jeweils anschließende Zone. Die in der City befindlichen Nutzungen dehnen sich am stärksten aus (Friedrichs 1977: 101ff.). Die Stadt gliedert sich dem Modell nach in verschiedene Ringe, die vom Zentrum ausgehend wie folgt charakterisiert sind (Abb. 4): Die City (Loop) ist kultureller, politischer sowie wirtschaftlicher Mittelpunkt. Der Stadtkern wird am stärksten durch den CBD (Central Business District) bestimmt, in welchem der tertiäre Sektor überwiegt. An wirtschaftlich vorteilhaften Lagen, wie an bedeutsamen Verkehrskreuzungen, steigt die Konkurrenz um Grundstücke. Damit verbunden ist ein Anstieg der Bodenpreise. Da nach außen hin die gewerbliche Konkurrenz abnimmt, sinken dort die Renten und die Wohnbevölkerung nimmt zu. Im Inneren der Stadt befinden sich somit vornehmlich tertiäre Nutzungen, während Industrie- und Gewerbebetriebe durch die hohen Bodenpreise von der City in die Übergangszone (Zone in Transition) verdrängt werden. Diese Zone ist zunehmend von Verfall betroffen und zeichnet sich durch hohe soziale Desintegration, Kriminalitäts- und Mobilitätsraten aus. Benachteiligte Bevölkerungsgruppen ziehen aufgrund der günstigen Mietpreise dorthin. Erst nach deren sozialem Aufstieg suchen sie sich Wohnraum in besseren Gegenden, ihr Platz wird durch den Zuzug anderer benachteiligter Personen eingenommen (vgl. Hudson 2006: 15).20 Es schließt sich die Arbeiterwohnzone (Zone of Workingsmen’s Home) an. Sie bildet den ersten Ring der nun folgenden Wohngebiete. Ihre physische Gestalt erhält die Zone durch die Einfamilienhäuser aus Zeiten der Jahrhundertwende. Diese sind mehrfach in Wohneinheiten aufgeteilt und in ihrer Bau20 Bleiben mit Aussicht auf kurzfristige Gewinne Investitionen der Hausbesitzer in die bestehenden Häuser der Übergangszone aus, kann dies mit der Zeit zur Entstehung von Gettos führen (Heineberg 1989).
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3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
substanz nicht gepflegt worden. Überwiegt in der Wohnbevölkerung der Anteil an Arbeitern, so nimmt nach außen hin der Sozialstatus der Bevölkerung zu. Die Zone der Residential Home stellt vornehmlich ein Mittelschichtwohngebiet dar. Die Mittelschichtwohngebiete sind durch Einfamilienhäuser sowie Geschäfte und kleinere Zentren längs der Hauptverkehrsstraßen geprägt.
1 2 3 4 5
Abbildung 4:
1
Loop
3
2
Zone in Transition
4
Zone of Workingmen’s Home Residential Home
5
Commuters Zone
Das Ringmodell
Quelle: Verändert nach Heineberg 1989: 13 Die wohlhabendere Bevölkerung zieht vermehrt in die Pendlerzone (Commuters Zone), welche durch den Pendlerverkehr mit dem Stadtgebiet verbunden ist. Sie umfasst sowohl Vororte als auch Satellitenstädte (Burgess 1967: 50, Friedrichs 1977: 105f., Lichtenberger 1998: 57f., Heineberg 2006: 111). Sektorenmodell Das von Hoyt (1939) entworfene, durch die Ablehnung des Ringmodells (Burgess 1927) entstandene Sektorenmodell basiert auf einer empirischen Untersuchung der räumlichen Mietpreisstruktur von 30 US-amerikanischen Städten (Abb. 5). Fokussiert wird insbesondere die Lage von Wohngebieten der oberen Mittelschicht und der Oberschicht.
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3.1 Internationale Raumabgrenzungen
Während bei Burgess (1927) die Stadtentwicklung durch die Ausdehnung des CBDs (Central Business District) erfolgt, wird sie bei Hoyt (1939) mit den veränderten Wohnstandorten der statushöheren Bevölkerung in Verbindung gebracht (Lichtenberger 1998: 59, Heineberg 2006: 113).
3 2
4 3
3
1
3
5
3 2
1 2
Abbildung 5:
Central Busi3 ness District Großhandel, 4 Leichtindustrie
4 3
Mittelschicht5 Wohngebiet OberschichtWohngebiet
Nebengeschäftszentr.
Das Sektorenmodell
Quelle: Verändert nach Heineberg 1989: 14 Nach dem Sektorenmodell können Städte in einzelne homogene Sektoren unterteilt werden: Bestimmte Bodenbeschaffenheiten ziehen bestimmte Nutzungen an. Sektoren verlaufen entlang von Kommunikationskanälen, welche z.B. Eisenbahnstrecken im Industriesektor sein können. Während Arbeiter ihren Wohnort in unmittelbarer Nachbarschaft zu diesen Bereichen suchen, siedeln sich statushöhere Bevölkerungsschichten in davon entfernten Sektoren mit einer Tendenz zur Peripherie an. Wie Burgess (1927) belegt Hoyt (1939) die Verdrängung der Nutzungen vom Zentrum in die Peripherie (Carter 1973: 173, Friedrichs 1977: 108, Heineberg 2006: 113f.).
58
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
Mehrkerne-Modell Ein weiteres Modell der Stadtstruktur ist das von Harris und Ullman (1945) entwickelte Mehrkerne-Modell (Abb. 6). Dieses Modell stellt den Versuch dar, die Abstraktion zugunsten eines Realitätsbezuges gering zu halten. Konzentrische und sektorale Formen der Stadtstruktur werden übernommen, jedoch unter dem Verweis, dass große Städte unter Einflüssen stehen, die nicht vorhersehbar sind (Hudson 106: 19). Grundlegend ist die Hypothese, dass mit der Größe der Stadt die Zahl und damit die Spezialisierung ihrer Kerne zunehmen. Gemäß der verschiedenen Anforderungen der städtischen Nutzungen untergliedert sich die Stadtstruktur in unterschiedliche Distrikte. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise CBD (Central Business District), peripher gelegene Geschäftszentren, Shopping- und Kulturzentren, Parks, kleine Industriezentren unterscheiden.
3
2
1
3
4
7
3
5
6
8
9 1 2 3
Abbildung 6:
CBD
4
Großhandel, 5 Leichtindustrie Unterschicht 6 Wohngebiet
Mittelschicht Wohngebiet Oberschicht Wohngebiet Schwerindustrie
7
Nebengeschäftszentr.
8
Wohnvorort
9
Arbeitsvorort
Das Mehrkerne-Modell
Quelle: Verändert nach Heineberg 1989: 14 Kennzeichnend für das Modell ist die Annahme, dass sich Aktivitäten gruppieren, um von Synergieeffekten zu profitieren. Manche Nutzungen wie bessere Wohn- und Industriegebiete schließen sich hingegen aus. Zudem können aufgrund der hohen Bodenpreise nicht alle Interessengruppen ihren präferierten
3.1 Internationale Raumabgrenzungen
59
Standort realisieren (Carter 1973: 175). Der Vorteil besteht darin, dass die Unterschiede zwischen den Nutzungen im eigentlichen Stadtkern und dem umgebenden Raum deutlich werden (Lichtenberger 1998: 59, Heineberg 2006: 114). Kritik an den Modellen der Stadtstruktur Die drei beschriebenen Stadtstrukturmodelle sind einer Vielzahl von kritischen Anmerkungen ausgesetzt: Ein Kritikpunkt betrifft die theoretische Grundlage sowie die empirische Überprüfbarkeit. Das Ringmodell von Burgess (1927) beruht auf einer Beschreibung der Stadt Chicago in den 1920er Jahren, weshalb eine Allgemeingültigkeit dieses Modells sowohl zeitlich als auch räumlich nicht gerechtfertigt ist. Beispielsweise ist der von Burgess (1927) angenommene Sozialgradient in den kolonialzeitlichen Städten Lateinamerikas sowie in den vorindustriellen Städten Europas entgegengesetzt ausgerichtet. Dem Sektorenmodell von Hoyt (1939) wird dagegen eine Beliebigkeit in der Wahl des für die Stadtentwicklung entscheidenden Faktors, der wohlhabenden Bevölkerungsschicht, vorgeworfen. Harris und Ullman (1945) legen hingegen die Definition des Begriffs Kern, welcher grundlegend für das Modell ist, nicht eindeutig fest (Friedrichs 1977, Heineberg 2006). Hoffmeyer-Zlotnik (1977) kritisiert an allen drei Modellen, dass die vertikale Differenzierung bzw. die Abfolge der Nutzungen nicht berücksichtigt wird, während Carter (1973) den fehlenden Zusammenhang zwischen Nutzung und Gebäudehöhe beanstandet. Trotz dieser tief gehenden Kritik darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Modelle und deren Kombination zu einem weitreichenden Verständnis der kapitalistischen Stadtstruktur beigetragen haben. Sie vervollständigen ebenfalls das Verständnis der zonalen Abgrenzung der Stadtregion (vgl. Kap. 3.2.2). Annahmen über die Verteilung von sozialen und wirtschaftlichen Nutzungen, z.B. aufgrund von unterschiedlich hohen Bodenrenten, gründen auf den beschriebenen Modellen. CBSA, NUTS und FUR Neben den eher beschreibenden Stadtstrukturmodellen gibt es eine Vielzahl räumlicher Abgrenzungen, welche die statistische Grundlage für länderspezifische bzw. länderübergreifende Analysen darstellen:21 Die bedeutsamsten Ab21 In Großbritannien wird die Conurbation abgegrenzt, in Frankreich ist es die Agglomération. Einen Überblick geben Fawcett (1932), Lichtenberger (1986) und Hofmeister (1999).
60
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
grenzungen stellen die CBSA des US-amerikanischen Raums, die NUTS für den europäischen Raum sowie auf internationaler Ebene die FUR dar. Core Based Statistical Areas Die Core Based Statistical Areas (CBSA) gehen auf die in den USA vom Zensusbüro im Jahr 1930 eingeführten Metropolitan Districts zurück. Aufgrund des rapiden Wachstums der suburbanen Gemeinden (vgl. Kap. 2.2) und damit einhergehenden Bevölkerungsverschiebungen ändern sich die Abgrenzkriterien und damit die Begrifflichkeiten fortwährend.22 Ziel der CBSA und deren Modifikationen in den folgenden Jahrzehnten ist es, einen einheitlichen landesweiten Vergleich von statistisch abgrenzbaren Räumen zu erreichen (Office of Management and Budget 2000: 82.228; vgl. Lichtenberger 1998: 40, Hofmeister 1999: 106). Das grundlegende Konzept der CBSA besteht aus einem Kernbereich, der sozial und ökonomisch mit seinem Umland verbunden ist. Es gibt zwei Kategorien von CBSA: Umfassen die Kerne einer County, welche die administrative Grundlage bildet, mehr als 50.000 Einwohner, handelt es sich um eine Metropolitan Statistical Area, bei einer Einwohnerzahl zwischen 10.000 und 49.999 Einwohnern um eine Micropolitan Statistical Area. Neben der Einwohnerzahl werden als Verflechtungsmerkmal zwischen Kern und Umland Pendlerbeziehungen herangezogen (Office of Management and Budget 2000: 82.228ff.). Der Nachteil dieser Abgrenzung besteht darin, dass die Zuordnung jeweils für die ganze County erfolgt, auch wenn nur ein Teil den genannten Kriterien entspricht. CBSA umfassen daher sowohl urbane als auch rurale Gebiete und stellen somit kein geographisches Rahmenwerk für nicht-statistische Aktivitäten, z.B. lokale Politiken, dar (Office of Management and Budget 2000: 82.228). Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques Eine bedeutungsvolle räumliche Abgrenzung für Europa stellt die NUTS (Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques) dar (Hoffmeyer-Zlotnik 2000: 43ff., Pöckl/Hagspiel 2004: 707). NUTS steht für eine statistische Systematik von Gebietseinheiten und ist von Eurostat mit dem Ziel eingeführt worden, 22 In den 1940 Jahren werden die Standard Metropolitan Statistical Areas (SMSA) eingeführt. Den SMSA folgen die Standard Consolidated Statistical Areas (SCSA). Eine Abwandlung stellen die in den 1990er Jahren entstandenen Metropolitan Statistical Areas (MSA) dar. Diejenigen MSAs, die einem Verbund von MSA, den Consolidated Metropolitan Statistical Area (CMSA) zuzurechnen sind, werden als Primary Metropolitan Statistical Area (PMSA) bezeichnet.
3.1 Internationale Raumabgrenzungen
61
die regionale Abgrenzung in den Ländern der EU konsistent zu vereinheitlichen.23 Zudem sollen Gebiete sozioökonomisch analysiert und entsprechend der europäischen Regionalpolitik gestaltet werden. Dennoch bestehen flächen- und bevölkerungsmäßige Unterschiede (Europäische Kommission 2007: 9ff.). NUTS basiert auf drei Grundkriterien: Sie orientiert sich an Verwaltungseinheiten, stellt eine hierarchische Systematik dar und bildet Gebietseinheiten genereller Art (im Gegensatz dazu beziehen sich spezielle Abgrenzungen beispielsweise auf landwirtschaftliche Regionen). Die Hierarchie der NUTS basiert zurzeit auf drei Gliederungsebenen, wobei die erste (NUTS 1) eine durchschnittliche Einwohnerzahl von drei bis sieben Millionen aufweist. Die zweite Ebene umfasst 800.000 bis drei Millionen Einwohner und die dritte Ebene 150.000 bis 800.000 Einwohner. Tiefere Ebenen werden als LAU (Local Administrative Units), lokale Verwaltungseinheiten, zusammengefasst. Dabei wird zwischen einer oberen LAU-, der ehemaligen NUTS 4-, und einer unteren LAU-Ebene, vormals NUTS 5, unterschieden. Functional Urban Regions Ein erster Ansatz, landesüberschreitende Vergleiche zu ermöglichen, sind die in den 1970er Jahren entwickelten Functional Urban Regions (FUR), welche sich an den Standard Metropolitan Statistical Areas (SMSA) orientieren. Für eine FUR werden neben demografischen Merkmalen (z.B. Einwohnerzahl, Haushaltsgrößen) und ökonomischen Kriterien (z.B. sektorale Bruttowertschöpfungen) auch Pendlerbeziehungen zur Bestimmung herangezogen (Cattan 2002: 3; vgl. Hofmeister 1999: 108): Sherrill (1976) hat FUR in Österreich, Deutschland und schließlich in der Schweiz ausgewiesen. Der Kern dieser FUR besteht aus mindestens 50.000 Einwohnern oder 20.000 Beschäftigten. Das Umland wird durch Pendlerströme vom Kern abgegrenzt. Eine weitere Abgrenzung erfolgt durch das Interreg IIC Projekt GEMACA (Group for European Metropolitan Areas Comparative Analysis) (Mielke/Schulze 2006: 18). Im Projekt GEMACA II werden 14 FUR in Nord-WestEuropa bestimmt.24 Für Europa grenzen Perlik et al. (2001: 243ff.) Agglomerationen auf Basis der European Functional Urban Areas (EFUA) in acht alpinen 23 Seit 1988 wird in der Gesetzgebung auf NUTS Bezug genommen, eine Verordnung erfolgt jedoch erst im Jahr 2003: Verordnung (EG) Nr. 1059/200383 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Schaffung einer gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS). 24 Die Kriterien beziehen sich auf die Beschäftigungsdichte sowie Pendlerbeziehungen zwischen Kern und Umland (Pöckl/Hagspiel 2004: 708, IAURIF 2008).
62
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
Ländern ab. Diese unterscheiden sich von den FUR durch geringere Schwellenwerte, um topografische Besonderheiten und territoriale Begrenzungen beachten zu können.25 Trotz dieser Anwendungen im europäischen Raum haben FUR vornehmlich im US-amerikanischen Raum ihre Verbreitung gefunden (Pöckl/Hagspiel 2004: 708). Es ist gezeigt worden, dass Raumabgrenzungen von Städten und Gebieten vielfältig sind. Zwar sind Versuche unternommen worden, internationale Vergleichbarkeiten herzustellen, es wird jedoch deutlich, dass Abgrenzungen durch nationale Gegebenheiten bestimmt werden. Mit Blick auf die Untersuchungsregion Nordrhein-Westfalen werden daher in Kapitel 3.2 die maßgeblichen Raumabgrenzungen der Bundesrepublik Deutschland dargestellt. 3.2 Nationale Raumabgrenzungen Verschiedene Wissenschaften, wie die Soziologie und Geographie, befassen sich in Deutschland mit dem Begriff der Stadt und seiner Abgrenzung zum Umland. Der jüngere Stadtbegriff orientiert sich an der Anordnung um einen Mittelpunkt, von dem ein Kern-Rand-Gefälle ausgeht und welcher sich durch eine bauliche Sonderstellung, die Geschlossenheit der physischen Struktur, auszeichnet (Lichtenberger 1998: 30f.). In der deutschen Tradition ist diese modellhafte Anordnung bereits von J.H. von Thünen (1910) beschrieben worden. Die Thünenschen Kreise stellen das erste deutsche ringförmige Raumgliederungsmodell dar. Mit Bezug zu der Untersuchungsregion Nordrhein-Westfalen können drei Gebietstypisierungen angeführt werden: das Strukturdreieck von Fehre (vgl. Blankenburg 1965: 21ff.), die Regionalen Entwicklungskonzepte (REK) (vgl. Heinze/Voelzkow 1997: 14ff.) sowie die neuere Klassifizierung der Gemeinden in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Enquete-Kommission des Landtages Nordrhein-Westfalen „Zukunft der Städte“ (Henckel et al. 2002: 5ff., Mielke/Schulze 2006: 10). Diese Klassifizierungen von Gemeinden in NordrheinWestfalen können in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht verwendet werden, da Angaben für den gesamten Untersuchungszeitraum von 1950 bis 2005 fehlen. Es wird deshalb auf eine Klassifikation, welche für das gesamte Deutschland gilt, zurückgegriffen: Zunächst werden räumliche Abgrenzungen der Nachkriegszeit in Deutschland kurz beschrieben (Kap. 3.2.1), um die gewählte Raumkategorisierung der Stadtregion (Kap. 3.2.2) ihrer Bedeutung entsprechend einordnen zu können. 25 Die FUA weisen mindestens 10.000 Einwohner oder 5.000 Arbeitsplätze auf. Die Verflechtungen ihrer Gemeinden erfolgen aufgrund von Pendlerbewegungen.
3.2 Nationale Raumabgrenzungen
63
3.2.1 Ballung, Verdichtung, Agglomeration In Deutschland bestehen weder in Raumordnungsprogrammen noch -plänen einheitliche Gebietsabgrenzungen. Da Planungen entsprechend der vorherrschenden räumlichen Gegebenheiten durchgeführt werden und sich urbane Räume stetig ausbreiten, ändern sich die Abgrenzungskriterien der bestehenden Typisierungen fortwährend (vgl. Markwalder 1973). Aufgrund der Fülle von Systematiken, welche zum Ziel haben, den verdichteten Raum in Deutschland abzugrenzen, wird ein Überblick über die bislang bedeutsamsten Kategorisierungen, von Ballungs- und Verdichtungsgebieten hin zu Agglomerationsräumen, gegeben. Ballung Die von Isenberg (1957) eingeführten Ballungsgebiete gewinnen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland an Bedeutung (Behrens 2005a: 44). Unter Ballungsgebiet wird „ein größeres Gebiet, in dem Menschen, Gebäude, wirtschaftliche Tätigkeit und technische Infrastruktur konzentriert sind“ (Leser 1998: 63) verstanden. Es werden Ballungskerne und Ballungsrandzonen, Gebiete mit überwiegend ländlicher Raumstruktur und solitäre Verdichtungsgebiete unterschieden. Die administrative Abgrenzung erfolgt zumeist auf Stadt- bzw. Landkreisebene. Kriterien sind die Bevölkerungsdichte und räumliche Lage (Mielke/Schulze 2006: 4): Ballungskerne beziehen sich auf urbane Räume mit einer Bevölkerungsdichte von mindestens 2.000 Einwohnern/km² und einer Mindestfläche von 50 km², während in Ballungsrandzonen die Bevölkerungsdichte zwischen 1.000 und 2.000 Einwohnern/km² liegt.26 Gebiete mit ländlicher Struktur27 zeichnen sich durch eine mittlere Bevölkerungsdichte von weniger als 1.000 Einwohnern sowie eine aufgelockerte Verteilung städtischer und dörflicher Strukturen aus (§21 Abs. 2a LEPro). Für die Abgrenzung von Ballungsgebieten werden zwar Strukturschwellenwerte genannt, Verflechtungsmerkmale bleiben jedoch weitgehend unberücksichtigt (Heineberg 2006: 59). Ähnlich wie bei der Verwendung von Countys als administrative Grundlage für CBSA (vgl. Kap. 3.1) kann es Schwierigkeiten in 26 Aufgrund der zunehmenden Urbanisierung (vgl. Kap. 2.3) werden die ursprünglichen Kriterien für dessen Abgrenzung zunächst im Rahmen des Landesentwicklungsprogramms (LEPro NRW) von 1974 und des Landesentwicklungsplans (LEP) I/II von 1979 und dann im LEP NRW von 1995 aktualisiert. 27 Ländliche Räume gibt es in NRW nur bedingt. Vielmehr stehen sich Räume mit heterogenen Eigenschaften gegenüber, da Siedlungs- und Verkehrsflächen in NRW hohe Anteile einnehmen und geschlossene Landschaftsräume selten zu finden sind (Brückner/Mammes 2006: 29).
64
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
sich bergen, Landkreise als räumliche Grundlage heranzuziehen, wenn diese neben Ballungen auch dünn besiedelte Gebiete einschließen (Isenberg 1957: 2). Da der Ausdruck Ballungsgebiet aufgrund von Assoziationen mit hohen Bodenpreisen und Luftverschmutzung eher negativ konnotiert ist, wird er mit Verdichtungs- und Agglomerationsraum oft synonym verwendet (Leser 1998: 63). Verdichtung Der Verdichtungsraum beschreibt eine „regionale Konzentration von Einwohnern und Arbeitsplätzen mit entsprechender Bebauung und Infrastruktur und mit intensiven internen sozio-ökonomischen Verflechtungen“ (Leser 1998: 942). Der Begriff entsteht in den 1960er Jahren und wird zunächst durch die Raumordnungsgesetzgebung sowie durch die Landesplanungsgesetze einzelner Bundesländer verbindlich festgelegt.28 Der Verdichtungsraum hat im zeitlichen Verlauf verschiedene Modifizierungen erfahren. Voraussetzung für den gesamten Verdichtungsraum ist, dass er in der Regel mehr als 150.000 Einwohner in einem zusammenhängenden Gebiet aufweist. Die Einwohner-Arbeitsplatzdichte (EAD) von mindestens 1.250 Einwohnern und Arbeitsplätzen pro Quadratkilometer wird zu einem weiteren Merkmal (Leser 1998: 942). Der überlastungsverdächtige Verdichtungsraum umfasst eine Mindestfläche von 500 km² und 500.000 Einwohnern. In dieser Klassifikation gewinnt die EAD an Gewicht, da sie Aufschluss über die Konzentration der gewerblichen Arbeitsstätten in den Kernen gibt. Die Belastung des Raums wird ihrerseits als Maßzahl einer relativen Bevölkerungszunahme berechnet. Dabei wird der Vorstellung Rechnung getragen, dass ein rapider Bevölkerungszuwachs eine erhöhte Beanspruchung hinsichtlich infrastruktureller Ausbauerfordernisse darstellt. Auf Grundlage dieser Kriterien werden vier Zonen unterschieden, welche sich hauptsächlich durch eine Abnahme der EAD unterscheiden (Isenberg 1957: 346ff., Boustedt et al. 1968: 11ff.; Boustedt 1975a: 345ff.). Der Hauptausschuss der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) beschließt im Jahr 1993 gemeinsam mit den Ländern eine Abgrenzung von Verdichtungsräumen auf Gemeindeebene mit dem Ziel, ein ausgewogenes Verhältnis von Verdichtungsräumen und ländlichen Räumen aufrecht zu erhalten (BBR 28 Die für den Verdichtungsraum geltenden Kriterien gründen auf dem Boustedtschen Modell der Stadtregion (1966) (ARL 1966: 2.178f., vgl. Kap. 3.2.2). Die Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) erklärte 1968 jedoch nicht den Begriff der Stadtregion, sondern den des Verdichtungsraums für die amtliche Raumordnung der Bundesrepublik Deutschland als verbindlich (Heineberg 1989: 10).
3.2 Nationale Raumabgrenzungen
65
2000b: 49ff.). Dieses Konzept kann sich jedoch nicht durchsetzen, da die aufgeführten Merkmale nicht ausreichend differenziert sind: Relativ dünn besiedelte Teilräume werden in die überlastungsgefährdeten Verdichtungsräume einbezogen, wohingegen Randgebiete, die kurz vor der Verdichtung stehen, nicht betrachtet werden. Daher entscheidet die MKRO, den Verdichtungsraum oder Ballungsbereich mit Ballungsrandzonen zu „Ordnungsräumen“ oder sogenannten „Verdichtungsgebieten“ zusammenzuschließen (Hofmeister 1999: 103). Agglomeration Unter Agglomeration wird die „regionale Konzentration von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, Einwohnern, Arbeitsplätzen und dazugehöriger Infrastruktur mit intensiven sozio-ökonomischen Verflechtungen“ (Leser 1998: 17) verstanden (vgl. ARL 1966: 25). Im Gegensatz zu Ballungs- und Verdichtungsräumen existieren für den Agglomerationsraum keine eindeutigen Kriterien.29 Allerdings finden Agglomerationsräume in der Klassifikation der ‚Siedlungsstrukturellen Gebietstypen‘ konkretere Anwendung. Diese werden für die laufende Raumbeobachtung in der Bundesrepublik verwendet. Siedlungsstrukturelle Gebietstypen werden auf Ebene der Raumordnungsregionen30 vom Bundesamt für Bauwesen und Raumforschung abgegrenzt. Sie gliedern sich in Agglomerationsräume, verstädterte Räume und ländliche Räume, welche sich durch eine abnehmende Bevölkerungsdichte unterscheiden und ihrerseits weiter untergliedert sind (BBR 2000b, BBR 2008). Weitere Instrumente zur Raumabgrenzung sind z.B. die Verdichtungsräume der MKRO sowie Raumstrukturtypen.31 In der ‚Laufenden Stadtbeobachtung‘ ist die Stadt Analyseeinheit. Instrumente sind innerstädtische Lagetypen, Stadt- und Gemeindetypen sowie Stadtregionen (BBR 2008). Letztere werden im folgenden Kapitel 3.2.2 beschrieben. 3.2.2 Stadtregion Wenngleich der Begriff Stadtregion als Sammelbegriff für die engen Verflechtungen zwischen Städten und ihren Umlandbereichen dient, geht er ursprünglich 29 Heineberg (1989: 8) gibt eine Mindestbevölkerungszahl von 250.000 Einwohnern an. 30 Raumordnungsregionen sind Beobachtungs- und Analyseraster der Bundesraumforschung (BBR 2008). 31 Raumstrukturtypen stehen in einem engen Bezug zur Leitbildentwicklung der Bundesraumordnung und sind unabhängig von administrativen Grenzen. Unterschieden wird zwischen Zentralraum, Zwischenraum und Peripherraum (Schürt et al. 2005: 1, BBR 2008a).
66
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
auf eine eindeutige Definition Olaf Boustedts (1960) zurück. Die Stadtregion ist vor dem Hintergrund entwickelt worden, dass die Stadt als verwaltungsrechtliche Einheit aufgrund der sich ausdehnenden Verdichtungen stetig an Bedeutung verliert. Der Ursprung dieser Verdichtungen geht auf die Suburbanisierung Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück (vgl. Kap. 2.3). „Städte bilden schon lange nicht mehr die Lebensräume ihrer Bewohnerinnen und Bewohner ab. Die alltäglichen Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, Freizeiteinrichtungen und Einkaufszentren sind längst in den meisten Fällen regional (…). Fest steht, dass städtische Strukturen und Lebensräume längst Stadtregionen bilden.“ (Adam 2002)
Die flächenhafte Ausdehnung urbaner Gebiete begründet eine der beiden Modellannahmen Boustedts (1960): Erstens wachsen Städte über ihre administrativen Grenzen hinaus. Die umliegenden Gemeinden werden zusehends durch Charakteristika bestimmt, die ähnlich denen der Städte sind (vgl. Giese/Nipper 1979: 12). Zweitens gehören zu einer Stadtregion die Umlandgemeinden, deren Einwohner stärker durch einen urbanen, denn durch einen ländlichen Lebensstil gekennzeichnet sind (BBR 2000b: 15). Das Konzept der Stadtregion ist daher mit dem Ziel entwickelt worden, Städte und ihr Umland als sozioökonomische Einheit abzubilden. Boustedt orientiert sich dabei an die in den USA verwendeten SMA, wobei er das Umland stärker modifiziert (Behrens 2005a: 44ff.; vgl. Kap. 3.1). Ein weiteres Anliegen ist es, Veränderungen von Agglomerationsprozessen empirisch überprüfen und eine vergleichende Stadtforschung betreiben zu können (ARL 1966: 1.916f.). Bezeichnend für die Stadtregion sind eine hohe Verdichtung sowie eine starke soziale und ökonomische Verflechtung zwischen Stadt und Umland. Es wird zwischen Kernstadt und Ergänzungsgebiet, welche zusammen das Kerngebiet bilden, sowie verstädterter und Randzone unterschieden (Abb. 7). Während die Kernstadt als Verwaltungsgebiet der zentralen Stadtgemeinden gilt, schließt sich das Ergänzungsgebiet mit Gemeinden, die der Kernstadt in struktureller und funktionaler Hinsicht ähneln, an. Die verstädterte Zone umfasst den Nahbereich der Umlandgemeinden. Im Unterschied zum Ergänzungsgebiet ist die Siedlungsweise aufgelockert und die Erwerbsstruktur der Wohnbevölkerung, welche zum größten Teil in der Kernstadt arbeitet, überwiegend gewerblich. Die Randzonen sind der verbleibende Teil der Umlandgemeinden, wobei der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Erwerbspersonen nach außen hin zunimmt. Der Anteil der gewerblichen Erwerbspersonen ist dennoch relativ hoch, so dass sich die Pendlerströme auf das Kerngebiet richten (Boustedt 1975a: 342ff., Heineberg 2006: 59ff.).
67
3.2 Nationale Raumabgrenzungen
6
1 2 3 4 5 Außenzone
Umlandzone
(1 = Kernstadt, 2 = Ergänzungsgebiet, 3 = Verstädterungszone, 4 = enge Randzone, 5 = weitere Randzone, 6 = Trabant)
Abbildung 7:
Schema der Stadtregion
Quelle: Verändert nach Boustedt 1960: 8 Im Folgenden wird dargelegt, wie dieses Modell sowohl durch Boustedt (1960) als auch durch die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) bzw. das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) verschiedentlich modifiziert worden ist (Göddecke-Stellmann/Kuhlmann 2000). Die Modelle der Stadtregionen von Boustedt Die von Boustedt (1960) entwickelten Modelle der Stadtregion von 1950 und 1961 beziehen sich auf die jeweiligen Volkszählungen (Tab. 1): Zur Kennzeichnung der Wirtschaftsstruktur der Gemeinden und des Grades der sozialen Verstädterung wird der Anteil der landwirtschaftlichen Erwerbspersonen in Prozent aller Erwerbspersonen angegeben. Die Auspendler in Richtung des städtischen Kerngebietes unterschieden nach Erwerbspersonen und Auspendler in Prozent weisen auf die Verflechtungsintensität des Umlandes mit dem Kerngebiet hin.
68
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
Ferner werden Gravitationszentren – Kernstädte bzw. Kerngebiete – durch die absolute Zahl der Einpendler ermittelt. Die Bevölkerungsdichte gibt Aufschluss über den Siedlungscharakter der Gemeinden, insbesondere des Grades der baulichen Verstädterung (Boustedt 1975a: 342). „Die Stadtregion erweist sich somit als eine sozioökonomische Raumeinheit, als deren entscheidendes Bestimmungsmerkmal neben einer erheblichen Größe und Verdichtung eine besondere enge soziale und wirtschaftliche Verbundenheit zwischen der Stadt und ihrem Umland hervortritt.“ (Boustedt 1975a: 342)
Im Zuge der kommunalen Gebietsreform sind Großgemeinden entstanden (vgl. Kap. 2.3), welche eine Veränderung der Schwellenwerte der zugrunde gelegten Verdichtungs-, Struktur- und Verflechtungsmerkmale für das Modell der Stadtregion von 1970 nach sich ziehen (Tab. 1). Trotz des ursprünglichen Bestrebens können die Stadtregionen im zeitlichen Verlauf nicht verglichen werden. Tabelle 1: Merkmale und Schwellenwerte für die Abgrenzung von Stadtregionen 1950/61 und 1970 in der BRD Zonen der Stadtregionen
Verdichtungsmerkmal
Strukturmerkmal
Verflechtungsmerkmal Anteil der in das Kerngebiet auspendelnden Erwerbspers. an
EW/km² EAD*
Umlandzone
Kerngeb.
Jahr
1950/61 1970 1. Kernstadt
Agrarquote** 1950/61
1970
Erwerbspers. insgesamt 1950/61
1970
Auspendlern insgesamt 1950/61
1970
--
--
--
--
--
--
--
--
> 500
> 600
< 10
--
--
--
--
--
500
250 – 600
< 30
< 50
> 30
> 25
> 60
--
2. Randzonen
--
--
--
--
> 20
> 25
> 60
--
a. engere
--
--
< 50
--
--
--
--
--
b. weitere
--
--
50 – 65
--
--
--
--
--
2. Erg.-Gebiet 1. Verst. Zone
200 –
* EAD = Einwohner-Arbeitsplatzdichte ** Agrarquote = landwirt. Erwerbspersonen in Prozent aller Erwerbspersonen
Quelle: Verändert nach Heineberg 1989: 10
3.2 Nationale Raumabgrenzungen
69
In den Jahren nach der Entwicklung des letzten Modells breiten sich Stadtregionen fortwährend aus, weshalb die drei gewählten Merkmale für eine angemessene Abgrenzung nicht ausreichend erscheinen. Zudem werden durch die Abgrenzungskriterien Teilräume einbezogen, die eher dünn besiedelt sind.32 Daher wird das Grundmodell der Stadtregion nach 1970 nicht weiter fortgeschrieben. Stattdessen wird zunehmend das Konzept des Verdichtungsraums verwendet (Hoffmeyer-Zlotnik 1994: 4, Hofmeister 1999: 103; vgl. Kap. 3.2). Die Modelle der Stadtregionen des BfLR und BBR Eine Neuabgrenzung der Stadtregion findet erst im Jahr 1995 durch die damalige Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) statt, welche die Pendlerdaten der Volkszählung von 1987 verwendet.33 Auf diese Weise können die Berufspendlerverflechtungen auf Gemeindeebene einbezogen werden, allerdings ausschließlich für die alten Bundesländer (Göddecke-Stellmann/Kuhlmann 2000: 1ff.). Die Überarbeitung der Abgrenzungskriterien wird aufgrund von wirtschaftsstrukturellen Veränderungen, vorrangig des an Bedeutung verlierenden Agrarsektors, notwendig (Göddecke-Stellmann 1995: 200ff.). Die Stadtregion wird anhand der Kriterien Einwohnerzahl und Tagesbevölkerungsdichte abgegrenzt (Tab. 2). Der innere und äußere Pendlereinzugsbereich, vormals die verstädterte und die Randzone, werden durch Pendleranteile von Auspendlern und Erwerbstätigen mit dem Kerngebiet bestimmt (GöddeckeStellmann/Kuhlmann 2000: 3f.). Im Jahr 2000 erfolgt durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) eine erneute Abgrenzung der Stadtregion, durch welche das Modell der Stadtregion von 1995 weitgehend verändert wird. Um das Modell zu vereinfachen, sind Zusatzbedingungen zum Teil ausgelassen worden (Tab. 2). Eine der grundlegendsten Veränderung betrifft die Wahl der administrativen Einheiten: Anstelle der Gemeinden treten nun die Verbandsgemeinden. Dies sind Verbünde von Gemeinden, die gemeinsam Verwaltungsangelegenheiten nachgehen. Die Zuordnung von Umlandgemeinden erfolgt wie im Modell von 1995 aufgrund der stärksten Verflechtung mit einem stadtregionalen Kernbereich. Nach diesem Modell gibt es im Jahr 2000 in Deutschland 62 Stadtregionen, in denen 70 Pro-
32 Es muss berücksichtigt werden, dass sich sozio-strukturelle Zusammenhänge nicht immer nach den administrativen Einteilungen richten. 33 Ähnlich der Stadtregion von 1995 entwickelt BIK auf Basis der Volkszählung von 1987 die BIK-Stadtregionen. Bislang fehlt allerdings die offizielle Gültigkeit (BIK 2001: 1ff., Behrens 2005b: 45f.).
70
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
zent der Bevölkerung wohnen. Die größte Stadtregion stellt das Rhein-RuhrGebiet dar (Göddecke-Stellmann/Kuhlmann 2000: 4). Basierend auf der Pendlerrechnung von 2004 ist das Modell der Stadtregion 2004 vom BBR (2006) weiter modifiziert worden (Tab. 2): Kernstädte werden unterteilt zum einen in Metropolkerne und zum anderen in Großstädte.
Einwohner (absolut in Tausend)
Tagesbev.-dichte (EW/km²)
EinpendlerAuspendlerRelation
Einpendler aus Kernstadt (in Prozent)
Auspendler in Kernstadt (in Prozent)
Auspendler in Kerngebiet (in Prozent)
Erwerb. Pendl. in Kerngebiet (in Prozent)
Umland
Kerngebiet
Tabelle 2: Merkmale und Schwellenwerte für die Abgrenzung von Stadtregionen 1995, 2000 und 2004 in der BRD
Kernstadt 1995
80
--
--
--
--
--
--
Kernstadt 2000
80
--
--
--
--
--
--
Kernstadt 2004
> 300 und < 500
--
--
--
--
--
--
Erg.-Gebiet 1995
--
500
1
5
50
--
--
Erg.-Gebiet 2000
--
500
1
--
50
--
--
Erg.-Gebiet 2004
--
500
1
--
50
--
--
Innerer Pendlereinzugsber.1995
--
--
--
--
--
50
25
Innerer Pendlereinzugsber. 2000
--
--
--
--
--
50
--
Engerer Pendlerverfl.-Raum 2004
--
--
--
--
--
50
--
Äußerer Pendlereinzugsber.1995
--
--
--
--
--
25 bis 50
25
Äußerer Pendlereinzugsber.2000
--
--
--
--
--
25 bis 50
--
Weiterer Pendlerverfl.-Raum 2004
--
--
--
--
--
25 bis 50
--
3.2 Nationale Raumabgrenzungen
71
Metropolkerne zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehr als 500.000 Einwohnern zählen. Großstädte weisen dagegen mehr als 100.000 Einwohner auf und sind damit im Gegensatz zu Metropolkernen weniger stark besiedelt.34 Sieht man von dem flächenmäßigen Zusammenhang ab, dann sind die Kriterien für das Ergänzungsgebiet beibehalten worden.35 Ebenso sind die Schwellenwerte für den inneren und äußeren Pendlereinzugsbereich, die jetzigen engeren und weiteren Pendlerverflechtungsräume, bestehen geblieben. Ein wesentlicher Unterschied zum Stadtregionenmodell von 2000 ist darin zu sehen, dass die Abgrenzung erneut auf Gemeinde- und nicht Verbandsgemeindeebene erfolgt.36 Ein weiteres Kriterium, das für alle vier Zonen gilt, ist der räumliche Zusammenhang. Gemeinden, welche die Kriterien zwar erfüllen, aber nicht an eine stadtregionale Zone angrenzen, werden deshalb keiner Stadtregion zugeordnet. Eine aktuelle Anwendung erfährt das Modell der Stadtregion des BBR (2000) in dem DFG-Projekt „Suburbanisierung im 21. Jahrhundert“ (vgl. Kap. 2.3). Verwendet werden veränderte Kriterien auf Grundlage der Pendlerdaten von 2002. „Die Weiterentwicklung (…) ist eine engere Definition der Kernstadtergänzungsgebiete sowie eine stärkere Gewichtung von regional selbstständigen Zentren (…).“ (Wixforth/Soyka 2005: 11)
Eine Neuerung ist, dass im Umland suburbane Eigenzentren mit einer eigenständigen Arbeitsmarktzentralität unterschieden werden. Dies impliziert, dass die Arbeitsmarktzentralität dieser Städte so groß ist, dass mehr als die Hälfte der in der Stadt wohnenden Beschäftigten auch dort eine Anstellung finden und eine relative Unabhängigkeit von dem Arbeitsmarkt der Kernstadt angenommen werden kann (Wixforth/Soyka 2005: 11). Zusammenfassung Stadtregionen sind auch aktuell von besonderer Bedeutung, wenn Re- oder Suburbanisierungsprozesse untersucht werden (BBR 2006: 18). Die Raumkategorien der Stadtregion bilden deshalb auch in dieser Arbeit die räumlichen Analyseeinheiten (vgl. Kap. 3.3): Das Modell der Stadtregion und seine Modifikationen werden seit 1950 nahezu durchgängig zur Untersuchung raumrelevanter Prozesse verwendet. Die Merkmale und Kriterien der einzelnen Stadtregionenmodelle 34 Metropolregionen sind besondere Stadtregionen (vgl. Adam/Göddecke-Stellmann 2002: 514ff.). 35 Von diesen muss eins erfüllt sein, um dem Ergänzungsgebiet zugeordnet zu werden. 36 Die Zuordnung von Gemeinden zu einem bestimmten Kerngebiet ist nicht vorgesehen, aber möglich.
72
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
haben in dieser Zeit gravierende Veränderungen erfahren: So sind beispielsweise die Agrarquote und Einwohner-Arbeitsplatzdichte ausgelassen und die Tagesbevölkerungsdichte hinzugefügt worden. Umfasste die gesamte Stadtregion 1950 noch 80.000 Einwohner, zählt die Kernstadt der Stadtregion von 2004 allein mindestens 300.000 Einwohner (Tab. 2, vgl. Heineberg 2006). Dessen zum Trotz geben die jeweiligen Modelle für die Zeitspanne, in welcher sie entwickelt worden sind, das vorherrschende Verständnis von Stadt, Umland und Land wieder. Im Untersuchungszeitraum von 1950 bis 2005 haben die Gemeinden Nordrhein-Westfalens vielfach einen Wandel erfahren: Vor allem ländliche Gemeinden sind im zeitlichen Verlauf zunehmend städtischer geworden. Um dieser zeitlich variierenden Zuordnung von Gemeinden zu Stadt und Umland gerecht zu werden, werden verschiedene Modelle der Stadtregion eingesetzt (Abb. 8): Die Modelle der Stadtregion von 1950, 1961 und 1970 geben die Verhältnisse des urbanen, suburbanen und ländlichen Raums in einem zeitlichen Abstand von ca. 10 Jahren wieder. Es folgen mit einem zeitlichen Sprung von 25 Jahren die Modelle der Stadtregion von 1995, 2000 und 2004 (vgl. Tab. 1 und Tab. 2).
Modell der Modell der Stadtregion 1950 Stadtregion 1961
1950
Abbildung 8:
1960
1970
Modell der Stadtregion 1970
1980
Modell der Stadtregion 2004
1990
2000
Zeitliche Abfolge der verwendeten Modelle der Stadtregion
Quelle: Eigene Darstellung Es können allerdings nicht alle Modelle der Stadtregion im Rahmen dieser Arbeit eingesetzt werden: Das Modell der Stadtregion von 2000 kann nicht verwendet werden, da es sich auf Verbandsgemeinden und nicht auf einzelne Gemeinden bezieht. Da die Aufbereitung der Daten für die verwendeten Stadtregionenmodelle immens war (vgl. Kap. 5 und Kap. 6.1), ist aus Gründen der Durchführbarkeit zudem auf das Modell von 1995 verzichtet worden. Die Verwendung des Modells von 2004 anstelle des von 1995 birgt den Vorteil, dass nahräumliche Wanderungen hinsichtlich ihrer Tendenz zur Sub- oder Reurban-
3.3 Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen
73
isierung anhand aktueller stadtregionaler Abgrenzungen untersucht werden können. Es werden somit die vier Modelle der Stadtregion von 1950, 1961, 1970 und 2004 verwendet. Das Modell von 1970 wird für die Zeitspanne von 1970 bis 1984 und das Modell von 2004 für die Zeitspanne von 1985 bis 2005 eingesetzt.37 Die somit abgedeckten Untersuchungszeiträume gliedern sich wie folgt: 1. 2. 3. 4.
Das Modell von 1950 umfasst den Zeitraum von 1950 bis 1960. Das Modell von 1961 umfasst den Zeitraum von 1961 bis 1969. Das Modell von 1970 umfasst den Zeitraum von 1970 bis 1984. Das Modell von 2004 umfasst den Zeitraum von 1985 bis 2005.
3.3 Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen In Kapitel 3.2.1 sind die in dieser Arbeit verwendeten Modelle der Stadtregion vorgestellt worden. In diesem Kapitel erfolgt eine erste kartografische Zuordnung der Gemeinden Nordrhein-Westfalens zu diesen Modellen (Kap. 3.3.1) und eine Übersicht zu Szenarien der Entwicklung von Stadtregionen (Kap. 3.3.2). 3.3.1 Nordrhein-westfälische Gemeinden im Wandel Nordrhein-Westfalen umfasst im jüngsten Stadtregionenmodell von 2004 fünfundzwanzig Stadtregionen (Tab. 3): Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Bottrop, Düsseldorf, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Herne, Köln, Krefeld, Leverkusen, Mühlheim, Münster, Mönchengladbach, Oberhausen, Paderborn, Remscheid, Siegen, Solingen und Wuppertal. Dies sind nahezu doppelt so viele wie in den vorangegangenen Modellen: 1950 sind es 14 Stadtregionen, 1961 und 1970 jeweils 13. Der Grund für diese Zunahme ist nicht der fortschreitenden Verstädterung zuzuschreiben, sondern methodisch bedingt: Für den jüngsten Zeitraum von 1985 bis 2005 werden Veränderungen im Ausmaß von Nahwanderungen bestimmt (vgl. Kap. 5). Um möglichst differenzierte Aussagen treffen zu können, wird die Agglomeration Ruhrgebiet entsprechend ihrer einzelnen Kerngebiete und dem dazugehörigen Umland aufgeschlüsselt. 38 37 Es wird das Jahr 1985 und nicht das Jahr 1987 als „eigentliches“ Mittel des Zeitraums von 1970 bis 2004 gewählt. Aufgrund dessen, dass Mitte der 1980er Jahre das Modell von 2004 verwendet wird, wird der Anteil an urbanen Gemeinden eher überschätzt. Unter Verwendung des Modells von 1970 wäre er dagegen unterschätzt worden (vgl. BBR 2006). 38 Ruhrgebiet: Bezeichnung 1950 = Ruhrgebiet, 1961 = Rhein-Ruhr, 1970 = Agglomeration RheinRuhr. Kernstädte: Duisburg, Oberhausen, Mühlheim, Essen, Bottrop, Gladbeck, Gelsenkirchen,
74
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
Tabelle 3: Stadtregionen Nordrhein-Westfalens 1950 bis 200439 Gemeinden Kerngebiet
Nr. Stadtregion
Gemeinden näheres Umland
Gemeinden weiteres Umland
1950 1961 1970 2004 1950 1961 1970 2004 1950 1961 1970 2004 1 Aachen 2 Bielefeld 3 Bochum 4 Bonn 5 Bonn/Siegb. 6 Bottrop 7 Düren 8 Düsseldorf 9 Dortmund 10 Duisburg 11 Essen 12 Gelsenkirchen 13 Hagen 14 Hamm 15 Herford 16 Herne 17 Iserlohn 18 Köln 19 Krefeld 20 Leverkusen 21 Lüdenscheid 22 Minden 23 Mülheim 24 Münster 25 M’gladbach 26 Oberhausen 27 Paderborn 28 Remscheid 29 RMV 30 Ruhrgebiet 31 Siegen 32 Solingen 33 Wuppertal 34 WSR
13 7 --40 9 ---4 -----6 --2 10 6 --3 -1 ----5 48 8 --9
15 9 --18 -6 ------6 9 -----1 9 -3 --1 -5 103 11 ----
25 18 --1 -7 ------6 8 -----3 13 -2 --2 -3 112 3 ----
8 10 3 5 -1 -14 13 7 1 3 5 2 -4 -14 5 3 --1 1 2 1 1 1 --1 1 7 --
8 18 -3 ---15 -----4 --4 21 4 --7 -1 ----1 34 18 --4
10 23 --30 -13 ------5 9 -----0 12 -7 --8 -2 106 27 ----
6 12 --9 -7 ------1 7 -----1 14 -4 --3 -7 47 6 ----
8 19 0 5 -0 -1 3 8 2 1 1 2 -0 -16 4 1 --0 14 7 0 8 3 --4 0 0 --
8 7 -18 ---11 -----4 --2 51 12 --64 -8 ----7 24 18 --4
1 2 --13 -1 ------4 3 -----1 12 -8 --10 -3 43 9 ----
11 7 --8 -19 ------2 3 -----0 25 -20 --30 -4 56 4 ----
5 9 0 0 -0 -0 2 4 3 0 4 4 -0 -14 3 0 --0 15 2 0 5 1 --3 0 0 --
Wattenscheid, Wanne-Eickel, Recklinghausen, Herne, Bochum, Witten, Castrop-Rauxel, Dortmund, Lünen, Hagen. Zusätzliche Kernstädte 1961 und 1970: Düsseldorf, Krefeld, Leverkusen, Neuss, Remscheid, Solingen, Wuppertal, Köln, Iserlohn. 39 Es werden dabei folgende Abkürzungen verwendet: RMV = Remscheid, Mönchengladbach, Viersen. (Bezeichnung 1961 bis 1970 = Mönchengladbach-Rheydt-Viersen.) WSR = Wuppertal, Solingen, Remscheid 40 ‚--': Zu diesem Zeitpunkt werden die Kriterien für eine Stadtregion nicht erfüllt.
3.3 Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen
75
Ohne diese Aufschlüsselung liegen für den jüngsten Zeitpunkt sieben Stadtregionen vor. Diese Verminderung wird neben veränderten Abgrenzungskriterien dadurch verursacht, dass durch die Gebietsreformen kleinere zu größeren Gemeinden zusammengeschlossen worden sind (vgl. Kap. 2.4 und Kap. 3.2.2). Abbildung 9 zeigt die Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen von 1950.41
Abbildung 9:
Stadtregionen 1950 in Nordrhein-Westfalen
Quelle: ARL 1960, Ausschnitt Kartenbeilage:„Die Stadtregionen in der BRD“ 41 In den Abbildungen 9 bis 11 sind die Stadtregionen nachgezeichnet worden, um eine einheitliche Farbgebung und somit Vergleichbarkeit zu erzielen. Aufgrund dieser Überarbeitung kann es zu geringfügigen Abweichungen hinsichtlich der einzelnen Gemeindegrenzen kommen.
76
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
Der Kartenausschnitt verdeutlicht die Aufteilung des Gebietes in eine Vielzahl kleiner Gemeinden vor allem im östlichen und südlichen Nordrhein-Westfalen. Die Stadtregionen bilden weitgehend solitäre Gebilde. Sie sind sehr kompakt, eher kleinräumig und von größeren Gebieten umgeben, die keiner Stadtregion angehören – dem ländlichen Raum. Dieses Bild wird durchbrochen von der zentralen Stadtregion des Ruhrgebietes. Das Ruhrgebiet nimmt weite Teile Nordrhein-Westfalens ein, andere Stadtregionen wie Köln oder Krefeld schließen sich unmittelbar an.
Abbildung 10: Stadtregionen 1961 in Nordrhein-Westfalen Quelle: ARL 1967, Ausschnitt Kartenbeilage:„Die Stadtregionen in der Bundesrepublik Deutschland 1961“
3.3 Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen
77
In Abbildung 10 werden die Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen von 1961 dargestellt. Die Stadtregionen haben sich seit 1950 in den ländlichen Raum ausgebreitet, so dass sich der räumliche Abstand zwischen ihnen verkleinert. Dies zeigt sich zum Beispiel in Form der neu entstandenen Stadtregion Düren, welche Aachen und Köln nahezu miteinander verbindet.
Abbildung 11: Stadtregionen 1970 in Nordrhein-Westfalen Quelle: ARL 1975, Ausschnitt Kartenbeilage: „Die Stadtregionen in der Bundesrepublik Deutschland 1970“
78
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
Die zu beobachtende Ausdehnung der Stadtregionen setzt sich 1970 fort (Abb. 11). Die Stadtregionen gewinnen an Gemeinden, so dass sich ein zusammenhängendes urbanes Geflecht bildet. Überdies sind die ersten Auswirkungen der Gebietsreformen erkennbar. Dies wird besonders durch einen Vergleich mit den Gemeinden Hessens und Rheinland-Pfalz deutlich: Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Darstellungen gibt es weniger, dafür aber größere Gemeinden (vgl. Abb. 10 und Abb. 11).
mit: 1 = Aachen, 2 = Bielefeld, 3 = Bochum, 4 = Bonn, 5 = Bottrop, 6 = Düsseldorf, 7 = Dortmund, 8 = Duisburg, 9 = Essen, 10 = Gelsenkirchen, 11 = Hagen, 12 = Hamm, 13 = Hannover (keine Stadtregion NRW), 14 = Herne, 15 = Köln, 16 = Krefeld, 17 = Leverkusen, 18 = Mühlheim a.d.R., 19 = Münster, 20 = Mönchengladbach, 21 = Oberhausen, 22 = Osnabrück (keine Stadtregion NRW), 23 = Paderborn, 24 = Remscheid, 25 = Siegen, 26 = Solingen, 27 = Wuppertal
Abbildung 12: Stadtregionen 2004 in Nordrhein-Westfalen Quelle: Eigene Darstellung nach BBR: 2008a; Kartengrundlage: Geobasisdaten der Kommunen und des Landes NRW © Geobasis NRW 2011
3.3 Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen
79
In dem jüngsten Modell von 2004 können neben den einleitend aufgeführten Stadtregionen zwei weitere unterschieden werden (Abb. 12):42 Da die Kerngebiete von Hannover und Osnabrück außerhalb Nordrhein-Westfalens liegen, werden sie im Folgenden nicht betrachtet. Es können 295 der 396 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen einer Stadtregion zugeordnet werden. Somit gehören 74,5% aller nordrhein-westfälischen Gemeinden im Jahr 2004 einer Stadtregion an. Bis auf Siegen sind alle Stadtregionen durch ihre Umlandgemeinden miteinander verbunden. In diesem Kapitel ist die Zuordnung der Gemeinden Nordrhein-Westfalens in die vier Modelle der Stadtregion kartografisch vermittelt worden. Die Zuordnung der Raumkategorien zu den Gemeinden in den verwendeten Datensätzen wird in Kapitel 5 und Kapitel 6.1 vorgenommen. 3.3.2 Szenarien der Stadtentwicklung Bislang sind Abgrenzungen von Räumen dargestellt worden, die es ermöglichen, gegebene Raumverhältnisse hinsichtlich ausgewählter Kriterien darzustellen. Um darüber hinaus künftige Entwicklungen von Städten und ihrem Umland abzubilden, sind modellhafte Vorstellungen entworfen worden: Zwei erwünschte Szenarien siedlungsstruktureller Formen stehen sich dabei oftmals gegenüber, welche mit den Ausdrücken kompakte Stadt und Netzstadt umschrieben werden. Während der flächenhaften Ausdehnung in der kompakten Stadt Einhalt geboten wird, sind Funktionen und Interaktionen von Zentren und Unterzentren in der Netzstadt nutzbringend miteinander verknüpft (Bose 2001: 249ff.). Sieverts (1997), Adrian (1997) sowie Aring (1999b) beschreiben jeweils vier Szenarien, die sich mit der künftigen räumlichen Entwicklung von Städten bzw. Stadtregionen auseinandersetzen und ebenfalls Bezug auf kompakte bzw. vernetzte Städte nehmen. Ausgangspunkt der Szenarien ist das idealtypische Städtesystem Deutschlands gegen Ende der 1990er Jahre. Im Kern der Agglomerationen befindet sich ein städtisches Gefüge mit zentralen Funktionen, das Umland wird durch Subzentren und kleinere Ansiedlungen geprägt. Darauf basierend werden vier mögliche Stadtentwicklungsszenarien diskutiert, welche sich primär auf Funktionsverlagerungen der städtischen Zentren in solche des suburbanen Raumes beziehen (Bose 2001: 250ff., Abb. 13).
42 Ich möchte Dipl.-Geogr. Simon Hennig für seine Unterstützung bei der Erstellung dieser Karte danken.
80
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
Das Szenario des Status-Quo-Trends (Modell der ausgesaugten Stadt43) beschreibt die jüngere Siedlungsentwicklung. Diese geht mit einem ausgeprägten Bedeutungsverlust der Innenstadt einher. Der Stadtkern bleibt zwar bestehen, seine Erhaltung beruht jedoch allein auf Aspekten der Denkmalpflege. Im suburbanen Raum entstehen vermehrt Zentren, welche alle Bedürfnisse der dort ansässigen Wohnbevölkerung befriedigen. Die Flächenausdehnung in diesem Szenario setzt sich nahezu ungehindert fort. Dennoch verläuft sie konzentrierter und kompakter als in dem Szenario der Dispersion (Aring 1999b: 88). In der Dispersion (Stadt der künstlichen Welten) setzt sich die Spezialisierung der Fach- und Einkaufsmärkte im Umland fort. Eine erste Vorstellung davon geben Freizeitparks, Spaßbäder, die zunehmend publikums- bzw. kundenwirksam inszeniert werden. Um einzelne Funktionen in Anspruch zu nehmen, müssen relativ große Entfernungen überwunden werden, weshalb das Verkehrsnetz autobahnorientiert ausgerichtet ist (Bose 2001: 252). Status-Quo-Trend
Dispersion
x x xx x x xxx x x x x xx x xx x xxx x xx x x x xx x x xxxx x x
x x x xxxxx xx x xxx x xx x x x x xx xxx x x x xxxx xxx x x x x x xx x x x x xxx x
x x x x x x x x x x x x x x x x
x x x x x x x x x x x x x x x x
Kompakte Verstädterung
x x x x x x x x x x x x x x x x
Mittelstadt-Modell
Abbildung 13: Schematische Darstellungen von vier räumlichen Entwicklungsmodellen Quelle: Verändert nach Aring 1999b: 88 43 Es wird Bezug auf die Szenarien Arings (1999b) genommen. In Klammern werden die sich ähnelnden Begrifflichkeiten Sieverts (1997) bzw. Adrians (1997) angeführt.
3.3 Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen
81
Von den beiden verbleibenden Entwicklungsszenarien nimmt Aring (1999b: 88) an, dass sie den bisherigen räumlichen Zielvorstellungen eher entsprechen: In der kompakten Verstädterung (Modell der bewahrten Stadt) bleibt die bislang erzielte Raumstruktur durch eine restriktive städtebauliche und kommunale Politik erhalten. Ein weiteres Szenario ist jenes des Mittelstadt-Modells (Stadt der kooperierenden Zentren). Die Innenstadt stellt weiterhin den Standort mit den zentralsten Funktionen dar. In den suburbanen Gebieten entstehen zunehmend Subzentren, die auf den mittelfristigen Bedarf ausgerichtet sind. Diese Modelle erfassen Wanderungen nur implizit: Es kann beispielsweise geschlussfolgert werden, dass im Modell der Dispersion Wanderungen nach außen und damit auch Prozesse der Suburbanisierung bzw. Desurbanisierung zunehmen, während diese im Modell der kompakten Verstädterung abnehmen. Hesse und Schmitz (1998: 453f.) nehmen dagegen Bezug auf die Prozesse der Desurbanisierung und Reurbanisierung als Szenarien für eine Stadtentwicklung: Sie beschreiben drei Phasen der bisherigen und drei Szenarien künftiger Siedlungsentwicklung, welche jeweils um die entsprechenden Muster der Interaktion erweitert werden (Abb. 14). In der Phase der Urbanisierung konzentriert sich die Siedlungsstruktur auf einen zentralen Kern. Interaktionen finden vorrangig innerhalb dessen Grenzen statt. Die Phase der Suburbanisierung endet zu Beginn der 1980er Jahre. Neben dem Kern gewinnen für die Siedlungsstruktur nun auch Gemeinden außerhalb des Kerns an Bedeutung. Zwischen Kern und Umland, jedoch nicht zwischen den Umlandbereichen, nehmen wechselseitige Interaktionen ihren Anfang. Die sich anschließende Phase der Desurbanisierung hält bis zum Jahr 2000 an und spiegelt hinsichtlich der Siedlungsstruktur eine Fortsetzung der bisherigen Entwicklung wider. Die urbane Ausdehnung erfasst zunehmend Gemeinden außerhalb des Kerns (vgl. Kap. 2.3). Die Interaktionen sind nicht länger ausschließlich auf die Kernstadt ausgerichtet, auch zwischen den Gemeinden findet ein Austausch statt. Davon ausgehend werden drei Szenarien der künftigen Stadtentwicklung dargestellt: In Zukunft 1 wird ähnlich der Dispersion von einer sich fortsetzenden Desurbanisierung ausgegangen (vgl. Abb. 13). Immer mehr zentrumsferne Gemeinden werden von der Ausdehnung der Agglomeration erfasst, die Zahl der interkommunalen Beziehungen nimmt zu. Dagegen wird in Zukunft 2, welche dem Szenario der kompakten Verstädterung gleicht, eine sich einleitende Reurbanisierung angenommen. Die dezentrale Konzentration bewirkt, dass nicht nur der ursprüngliche Kern für die Siedlungsentwicklung an Bedeutung gewinnt. Im Umland bilden sich ebenfalls Kerne, welche die Aktivitäten der suburbanen Gebiete auf sich richten. In Zukunft 3 wird das Szenario einer nachhaltigen Stadtlandschaft vorgestellt, in dem die Vernetzung von Aktivitäten kleinräumig er-
82
3 Typisierung kleinräumiger Gebiete
folgt. Die Gemeinden des Umlandes und des Kerns stehen in einem sich ergänzenden funktionalen Zusammenhang. Siedlungsstruktur
Interaktionsmuster
Urbanisierung (ca. 1850 - 1950)
Suburbanisierung (ca. 1850 - 1980)
Desurbanisierung (ca. 1980 - 2000)
Zukunft 1: Fortsetzung der Desurbanisierung (urban sprawl)
Zukunft 2: Reurbanisierung (Dezentrale Konzentration)
Zukunft 3: Die nachhaltige Stadtlandschaft
Abbildung 14: Szenarien zukünftiger Siedlungsstrukturen und Interaktionsmuster Quelle: Verändert nach Hesse/Schmitz 1998: 452
3.4 Zusammenfassung
83
Während der Desurbanisierung im weiteren Zeitverlauf möglicherweise soziale, auf jeden Fall aber räumliche Grenzen gesetzt sind, bedarf die Reurbanisierung eines weitreichenden Eingriffs in das Planungsgeschehen. Dies scheint wie im Szenario der kompakten Stadt nicht realisierbar (vgl. Aring 1999b). Demgegenüber weist die nachhaltige Stadtlandschaft zukunftsfähige Vorteile auf: Nach diesem Szenario wird der räumlichen Ausbreitung nicht direkt entgegengewirkt. Vielmehr werden die bestehenden flächenhaften Ausdehnungen neu organisiert. Die Interaktionsmuster sind trotz disperser Siedlungsstruktur kleinräumig ausgelegt (Hesse/Schmitz 1998: 453). 3.4 Zusammenfassung Typisierungen sind landes- und zeitabhängig (vgl. Kap. 3.1 und Kap. 3.2). Um dem zeitlichen Wandel, dem städtische Strukturen unterliegen, methodisch gerecht zu werden, sind vier historisch aufeinander folgende Modelle der Stadtregion eingeführt worden (vgl. Kap. 3.3.1). Diese spiegeln die räumliche Verteilung von Stadt, Umland und Land in Nordrhein-Westfalen für verschiedene Zeitspannen seit Mitte des 20. Jahrhunderts wider. Die Betrachtung unterschiedlicher Stadtregionen in der zeitlichen Analyse von Wanderungen zwischen Städten und ihrem Umland ist in dieser Form noch nicht vorgenommen worden. Sie ermöglicht aber, zu den jeweiligen Zeiten die Begriffe von Stadt und Land angemessen zu erfassen (vgl. Kap. 5 und Kap. 6). Somit ist in diesem Kapitel das erste Ziel der Arbeit erreicht worden (vgl. Kap. 1.1). In den Modellen der Stadtregion wird generell zwischen Kerngebieten und Umland unterschieden, die Begrifflichkeiten der weiteren Umlandunterteilungen ändern sich, auch wenn die inhaltliche Bedeutung erhalten bleibt. Eine namensgleiche Verwendung ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit, weshalb die nachstehende Zuordnung vorgenommen wird: Die Ausdrücke Kernstadt und Ergänzungsgebiet werden in allen Modellen verwendet und bleiben daher erhalten. Ihnen schließt sich das nähere Umland an, welches je nach Modell verstädterte Zone, innerer Pendlerverflechtungsbereich bzw. engerer Pendlerverflechtungsraum genannt wird. Dem näheren folgt das weitere Umland, welches sich auf die Begriffe Randzone, äußerer Pendlerverflechtungsbereich sowie weiterer Pendlerverflechtungsraum bezieht (vgl. Tab. 2). Gemeinden, die keiner Kategorie der Stadtregion zugeordnet werden können, erhalten die Bezeichnung Land. Unter Verwendung der verschiedenen Modelle der Stadtregion kann zudem nachgegangen werden, welches der dargestellten Szenarien der Stadtentwicklung (vgl. Kap. 3.3.2) am ehesten zu Beginn des 21. Jahrhunderts zutrifft.
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Die verschiedenen Aspekte des facettenreichen Themas Wanderung, wie beispielsweise Wanderungsmotive und -bewegungen, aber auch die Auswirkungen von Wanderungen, haben dazu geführt, dass unterschiedliche Forschungsdisziplinen räumliche Mobilität zum Untersuchungsgegenstand haben (vgl. Kap. 2, vgl. Albrecht 1972). Zusätzlich bedingt durch die weit zurückreichende Forschungstradition ist aus diesen Fachbereichen eine Vielzahl von Theorien zur Migration hervorgegangen. „Der Literaturbestand erweist sich als faktisch undurchschaubar. Obwohl dieser Eindruck auch bei der Beschäftigung mit anderen sozialwissenschaftlichen Themen entstehen mag, scheint die Vielfalt in bezug auf das Wanderungsverhalten besonders ausgeprägt zu sein. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß sich das Thema ‚Migration’ – bedingt durch die große gesellschaftspolitische Bedeutung, die mit den Folgen verbunden ist, – von jeher als ein höchst interdisziplinärer Gegenstand präsentiert hat. (…) Jede Darstellung der Entwicklung theoretischer Ansätze in der Wanderungsforschung ist demnach notwendigerweise selektiv.“ (Kalter 1997: 15)
Eine erste Klassifizierung von Migrationstheorien orientiert sich an der Analyseebene und unterscheidet system- und handlungsorientierte Ansätze. In Ersteren werden strukturelle Bedingungen untersucht, während der Fokus bei Letzteren auf den einzelnen Akteur und seine Bedürfnisse und Wahrnehmungen gerichtet ist (Wagner 1989a: 21). Da individuelle Handlungsweisen im Kontext eines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmens zu sehen sind, scheint eine Verbindung von system- und handlungstheoretischen Ansätzen angemessen (vgl. De Jong/Gardner 1981, Weichhart 1993).44 Das Ausgangsmodell dieser Arbeit, durch welches die makro- und mikrotheoretische Ebene von Wanderungen gemäß der Zielsetzung dieser Arbeit theoretisch miteinander verbunden werden, stellt die sogenannte Coleman‘sche Badewanne dar (Abb. 15).
44 Nach dem Push- und Pull-Modell werden beispielsweise makrotheoretische Informationen über das Herkunfts- und Zielgebiet zu mikrotheoretischen Faktoren, wie die individuelle Wahrnehmung und Bewertungen von Situationen, zueinander in Beziehung gesetzt (Lee 1972: 120).
K. Gerber, Räumliche Mobilität im Wandel, DOI 10.1007/978-3-531-92909-5_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
86
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
4
Soziale Situation
Kollektives Explanandum
1
3
Akteur
Handlung 2
1
Logik der Situation
3
Logik der Aggregation
2
Logik der Selektion
4
Kollektivhypothese
Abbildung 15: Entscheidungen in einem Mehrebenensystem Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98 Mittels eines mikrotheoretischen Zwischenschrittes wird ein makrotheoretischer Sachverhalt durch einen anderen begründet, weshalb die Erklärung ausnahmslos indirekt erfolgt: Das erklärende Phänomen, Explanans, erfasst die soziale Situation, in welcher sich die Akteure befinden, und stellt einen soziologischen Tatbestand45 dar (Meulemann 2006: 11). Die Logik der Situation verbindet eine spezielle soziale Situation auf der Makro-Ebene mit der Mikro-Ebene der Akteure. Erwartungen und Bewertungen der Handelnden werden mit Alternativen und Bedingungen der Situation über Brückenhypothesen in Zusammenhang gesetzt. Auf der Mikro-Ebene wird das individuelle Handeln der Akteure erklärt. In der gegebenen Situation wählt der Handelnde eine zur Verfügung stehende Handlungsalternative aus. Durch diese Auswahl wird die Logik der Selektion bestimmt, der unterschiedliche Handlungstheorien, meist Werterwartungstheorien, zugrunde liegen. In einem letzten Schritt werden die individuellen Handlungen aggregiert, um das Explanandum zu erklären. Durch diese Logik der Aggregation findet der Übergang von der Mikro- auf die Makro-Ebene statt. Angewandt auf Wanderungen, insbesondere auf die Suburbanisierung in Deutschland zur Mitte des letzten Jahrhunderts, wird die soziale Situation durch 45 Ein soziologischer Tatbestand ist nach Durkheim „(…) jede ‚soziale Erscheinung‘, die sich von den individuellen Handlungen, Bestrebungen und Manifestationen verselbstständigt hat“ (nach Esser 1999: 20; Hervorhebung im Original).
87
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
eine Vielzahl sich gegenseitig bedingender Faktoren bestimmt (Abb. 16): Die Verbreitung des Pkws ermöglicht das Überwinden großer Distanzen (Opportunität) und somit das Entstehen des städtebaulichen Leitbildes der gegliederten und aufgelockerten Stadt, in welchem die Grunddaseinsfunktionen voneinander getrennt werden (vgl. Le Corbusier 1946). Die zentralen Funktionen der Stadt, vor allem die Dominanz des tertiären Sektors, bewirken hohe Bodenmieten (Constraints), welche im Umland geringer sind. Gleichzeitig wird der Umlandbereich verstärkt infrastrukturell ausgestattet und erlaubt ein Wohnen in weniger emissionsbelasteten Gebieten (vgl. Kap. 2.3).
4
Opportunitäten, Constraints
Suburbanisierung
1
3
Wanderungsabwägung
2
Wanderung ins Umland
1
Logik der Situation
3
Logik der Aggregation
2
Logik der Selektion
4
Kollektivhypothese
Abbildung 16: Wanderungsentscheidung in einem Mehrebenensystem Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98 Diese makrotheoretischen Rahmenbedingungen stellen den Kontext für die Entscheidung des einzelnen Akteurs dar. Die Umzugsentscheidung wird zusätzlich durch die individuelle Situation bestimmt (Logik der Situation). Auslöser für eine Wanderung kann beispielsweise eine Heirat oder die bevorstehende Geburt eines Kindes sein (Präferenz) (vgl. Kap. 6.4). Fehlende finanzielle Ressourcen schränken räumliche Mobilität hingegen ein, ebenso wie eine starke Bindung an das lokale soziale Netzwerk (Restriktion). Aufgrund der Rahmenbedingungen, wie eine geringere Miete und höhere Lebensqualität im Umland, kann für den Einzelnen ein Anreiz bestehen, in diese Richtung zu wandern (Logik der Selektion). Überwiegt diese Wanderungsentscheidung bei einer Vielzahl von Einzel-
88
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
akteuren, führt die Aggregation dieser individuellen Handlungsweisen (Logik der Aggregation) zu dem Phänomen der Suburbanisierung auf der Makro-Ebene. Dieses Mehrebenensystem bildet den Rahmen für die spezielleren theoretischen Ansätze, welche verwendet werden, um der Zielsetzung dieser Arbeit nachzugehen: In Kapitel 4.1 werden zunächst allgemeine makrotheoretische Ansätze zur Erklärung nahräumlicher Wanderungen dargestellt. In Kapitel 4.2 werden mikrotheoretische Ansätze beschrieben. Makro- und mikrotheoretische Ansätze werden in Kapitel 4.3 in dem Mehrebenensystem zusammengeführt. 4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle In den beiden nachstehenden Unterkapiteln liegt der theoretische Fokus auf der Makro-Ebene. Bezogen auf Entscheidungen im Mehrebenensystem werden daher handlungstheoretische Ansätze der Mikro-Ebene nicht betrachtet (vgl. Kap. 4, Abb. 17). Stattdessen werden Migrationen in Nordrhein-Westfalen systemorientiert erörtert. Opportunitäten, Constraints (z.B. Wohnungsmarkt)
4
Urbanisierung Suburbanisierung Desurbanisierung Reurbanisierung
1
3
Wanderungsabwägung
2
(keine) Wanderung in den Kern / ins Umland
1
Logik der Situation
3
Logik der Aggregation
2
Logik der Selektion
4
Kollektivhypothese
Abbildung 17: Makrotheoretisches Wanderungsentscheidungsmodell Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98 Zu den betrachteten Elementen des nahräumlichen Migrationssystems Nordrhein-Westfalen zählen auf der Makro-Ebene Wanderungsströme in Form von
4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle
89
amtlich registrierten Zu- und Fortzügen. Der Untersuchungsraum NordrheinWestfalen wird des Weiteren durch die Raumkategorien der Stadtregion auf Gemeindeebene strukturiert. Soziale Subsysteme werden aufgrund von Alter, Geschlecht und Nationalität unterschieden (vgl. Wagner 1989a, Steinweg 2003). Zunächst werden allgemeine Makrotheorien und -modelle zur Erklärung von Wanderungsströmen, insbesondere solche im Zuge der Suburbanisierung, beschrieben (Kap. 4.1.1). Die Anwendung dieser Ansätze erfordert makrotheoretische Merkmale wie Angaben zum Wohnungs- oder Arbeitsmarkt. Über die betrachtete Zeitspanne von 55 Jahren liegen diese Informationen jedoch nicht vor. Um dennoch konzeptionell fundierte Aussagen über die Entwicklung von Wanderungen treffen zu können, werden das Modell der Phasen urbaner Entwicklung sowie eine modifizierte Anwendung eingeführt (Kap. 4.1.2). Darauf beruhend und unter Verwendung der amtlichen Wanderungsdaten können empirisch gesicherte Aussagen zu Tendenzen der Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung und Reurbanisierung in Nordrhein-Westfalen getroffen werden (vgl. Abb. 17). 4.1.1 Allgemeine makrotheoretische Ansätze Um Wanderungen im Sinne dieser Arbeit zu erklären, müssen systemorientierte Theorien verschiedene Anforderungen erfüllen: Sie sollten Wanderungen über kurze Distanzen zum Gegenstand haben und dabei Aussagen über die Wanderungsrichtung zulassen. Diese Bedingungen begrenzen die Anzahl der makrotheoretischen Ansätze trotz ihrer Vielzahl. Distanz- und Gravitationsmodelle46 (vgl. Hägerstrand 1957, Nipper 1975, Frick 1996, Schwartz 1973) ebenso wie makroökonomische oder wohnungsmarktbezogene Ansätze47 (vgl. Sjaastad 1962, Wagner 1989a, Frick 1996, Bähr 2004) beziehen sich beispielsweise auf interregionale Wanderungen. Da der Untersuchungszeitraum bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts zurückreicht und damit die grundlegenden Phasen der Stadt-Um46 In Analogie zu physikalischen Gesetzen werden Wanderungen aufgrund der Anziehungskraft, aber auch der Distanz von Agglomerationen erklärt. Wanderungen zwischen zwei entfernter liegenden Raumeinheiten finden gemäß empirischen Beobachtungen seltener statt, da zum einen der Aufwand an Informations- und Transaktionskosten steigt. Zum anderen nehmen die psychischen Kosten mit der Entfernung zum sozialen Netzwerk zu (Frick 1996: 29). 47 In makroökonomischen Ansätzen werden Wanderungen aufgrund von ökonomischen Aspekten, vor allem Lohnsatzdifferenzen zwischen verschiedenen Regionen, und daraus resultierenden Kosten-Nutzen-Rechnungen erklärt. Die Struktur des Wohnungsangebotes und der -nachfrage bestimmt in wohnungsmarktbezogenen Ansätzen die räumliche Mobilität. Allgemeiner formuliert wird aus systemtheoretischer Sicht die ungleiche Verteilung von sozialen Gütern als Auslöser von Wanderungsbewegungen angesehen (Wagner 1989a: 22).
90
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
land-Wanderungen im Zuge der Suburbanisierung erfasst, erscheinen Theorien und Modelle zur Suburbanisierung mit Fokus auf die damit verbundene räumliche Mobilität sinnvoll. Forschungen zur Suburbanisierung finden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Anfänge in Nordamerika (vgl. Kap. 2.2 und Kap. 3.1). In Deutschland beginnt die intensive Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Suburbanisierung in den 1960er Jahren unter der maßgeblichen Beteiligung der Akademie für Landesplanung und Raumentwicklung (ARL), insbesondere durch die Arbeiten Olaf Boustedts (1960) (Clemens 2001; vgl. Kap. 3.2.2). Der bis heute ungebrochenen Auseinandersetzung mit der Thematik zum Trotz fehlt es bislang an der Theorie zur Suburbanisierung. Dies ist hauptsächlich in den zahlreichen Aspekten und Auswirkungen von Suburbanisierungsprozessen begründet. Statt des gesamten Ablaufes werden vielmehr einzelne Aspekte bzw. Determinanten, z.B. Transportmittel, Umweltbedingungen (vgl. Greuter 1977, Lichtenberger 1998), isoliert und intensiv analysiert (Clemens 2001). Dies gilt nicht nur für Wanderungen im Zuge der Suburbanisierung: „A good deal of useful information has come from the analysis of migration differentials by categories of occupation, income, race, and, especially, age (…). However, predictive models have not been designed to include these findings and to consider the interdependence of these characteristics in migration behavior.” (Wolpert 1965: 159)
Das Modell der Mobility Transition (Zelinsky 1971) wird oftmals zur Untersuchung von Wanderungen verwendet und wird neben allgemeinen Modellen zur Suburbanisierung nachstehend ausgeführt. Das Modell der Mobility Transition Ein bedeutendes Modell, welches sich in Analogie zum Modell des demografischen Wandels (vgl. Grüber-Töpfer et al. 2008: 7) auf die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in Zusammenhang mit Fern- sowie Nahwanderungen konzentriert, ist das Modell der Mobility Transition von Zelinsky (1971). Zelinsky (1971) unterscheidet fünf Phasen nach dem sozioökonomischen Entwicklungsstand einer Gesellschaft und dem Niveau der Fertilitäts- und Mortalitätsraten. Im Verlauf dieser Phasen nimmt der Grad der Modernisierung zu (Zelinsky 1971: 231).
91
4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle
„Der Grundgedanke (…) besagt, daß mit unterschiedlichem sozio-ökonomischen Entwicklungsstand auch ein unterschiedliches Mobilitätsverhalten einhergeht (…).“ (Bähr et al. 1992: 574)
Bezogen auf Nahwanderungen lassen sich folgende Phasen unterscheiden (Abb. 18): In der vorindustriellen Gesellschaft (Premodern Traditional Society), welche sich durch hohe Fertilitäts- aber auch Mortalitätsraten sowie eine vorindustrielle Wirtschaftsweise auszeichnet, ist die räumliche Mobilität nur sehr schwach ausgeprägt. Dies ändert sich in der frühen Transformationsphase (Early Transitional Society), in welcher die Mortalität rapide abnimmt, wodurch wiederum in ländlichen Gebieten der Bevölkerungsdruck steigt. Im Zuge der beginnenden Industrialisierung bieten Städte ausreichend Arbeitsplätze, so dass ausgeprägte Land-Stadt-Wanderungen ihren Anfang nehmen. Die späte Transformationsphase (Late Transitional Society), in welcher die Fertilität zunehmend sinkt, ist ebenfalls von dieser Landflucht, wenn auch nicht mehr im gleichen Ausmaß, betroffen.
S SI
Intensität
A LS Vorind. Gesell.
Frühe Transf.
Mod. Gesell.
Späte Transf.
A
Auswanderung
SI
Stadt-Stadt-Wanderung Innerstädt. Wanderung
Postm. Gesell.
LS Land-Stadt-Wanderung S
Sonstige räumliche Bewegung (Zirkulation)
Abbildung 18: Modell der Mobility Transition Quelle: Verändert nach Zelinsky 1971: 233
92
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Bezogen auf Deutschland, insbesondere auf das Ruhrgebiet, bestätigen sich die vermehrten Land-Stadt-Wanderungen zu Zeiten der Industrialisierung (vgl. Kap. 2.3 und Kap. 2.4). In der modernen Gesellschaft (Advanced Society), so auch in Deutschland, gleichen sich Fertilitäts- und Mortalitätsraten wieder an. LandStadt-Wanderungen gehen weiter zurück und die schon in der Phase zuvor stattfindenden Stadt-Stadt-Wanderungen verstärken sich ebenso wie Pendlerbewegungen (vgl. Moewes 1980: 125f.; vgl. Kap. 2.3). Für die postmoderne Gesellschaft (Future Superadvanced Society) wird angenommen, dass Fertilitäts- und Mortalitätsraten auf einem niedrigen Level bleiben, während verbesserte Kommunikationssysteme räumliche Mobilität, sofern sie sich nicht auf inter- und intraurbane Wanderungen beschränkt, weitgehend nivellieren. „[N]early all residential migration may be of the interurban and intraurban variety.” (Zelinsky 1971: 231)
Das Modell der Mobility Transition (Zelinsky 1971) ermöglicht eine erste Annäherung an aktuelle Prozesse der Migration. Es stellt jedoch vielmehr eine Beschreibung bereits stattgefundener sozio-ökonomischer Prozesse als eine eigenständige Theorie dar. Zudem bezieht es sich nicht ausschließlich auf Wanderungen im Zuge der Suburbanisierung (Bähr et al. 1992). Modelle zur Suburbanisierung Eines der wenigen Modelle, die den komplexen Ablauf der Suburbanisierung wiedergeben, wird in Abbildung 70 des Anhangs unter besonderer Berücksichtigung der Einflussgrößen auf die selektive Migration dargestellt (Friedrichs 1977: 180): Das stetige Wachstum der Bevölkerung und die zunehmenden Flächenansprüche führen zu einer Ausdehnung der besiedelten Fläche. Zum einen dehnt sich der tertiäre Sektor im Innenstadtbereich aus, zum anderen werden Wohnstandorte in das Umland von Städten verlagert. Diese Verlagerung erfolgt selektiv, da beispielsweise Familien mit Kindern in entferntere Umlandgebiete ziehen (Lee 1972: 126; vgl. Kap. 2.3). Die fortschreitende Siedlungsdispersion im Zuge der Suburbanisierung beschreiben auch Pfeiffer und Aring (1993: 76ff., Abb. 19). Ein Ergebnis dieses Prozesses ist nicht nur die zunehmende Flächeninanspruchnahme, sondern ebenso das erhöhte Verkehrsaufkommen. Zunächst findet im Umland eine verstärkte Siedlungstätigkeit statt, weshalb die Funktion des Wohnens im suburbanen Raum überwiegt. Erst in nachfolgender Zeit wird sie durch die Funktion des Arbeitens ergänzt. Aufgrund des diffusen Funktionsgeflechts zwischen Kernstadt
93
4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle
und Umland, aber auch zwischen den Umlandgemeinden, nimmt der PkwVerkehr zu, so dass „Pkw-Verkehr (…) Suburbanisierung [erzeugt], und Suburbanisierung (…) Pkw-Verkehr [erzeugt]“ (Pfeiffer/Aring 1993: 76). Durch die negativen Auswirkungen des Verkehrs wie Staus, Luftverschmutzung, Lärmbelästigung und Flächenverbrauch, aber auch den Abbau des ÖPNV, verliert die Stadt weiter an Attraktivität, die Stadtflucht verstärkt sich. Clemens (2001: 37) spricht in diesem Zusammenhang von einer Suburbanisierungsspirale.
Ausstattungsdefizite im Umland
Ausstattungsüberschuss in der Kernstadt „Stadtflucht“ als Reaktion auf sich verschlechternde Lebensbedingungen
Verstärkte Siedlungstätigkeit Umland
Abnehmende Umweltqualität in der Kernstadt Zunahme des kernstadtorientierten Pkw-Verkehrs
Abbildung 19: Suburbanisierungsspirale Quelle: Verändert nach Pfeiffer/Aring 1993: 78 Im Gegensatz zum Prozess der Suburbanisierung, welcher die letzten Jahrzehnte in Deutschland maßgeblich geprägt hat, gibt es nur wenige konzeptionelle Ansätze, welche sich mit dem Prozess der Reurbanisierung befassen. Dennoch werden in den letzten Jahren die Reurbanisierung und mit ihr zunehmende Wanderungen vom Umland in die Stadt diskutiert und zum Teil auch beobachtet (Ogden/Hall 2000: 367; vgl. Kap. 2.3). Ein Ansatz, der sich mit einer möglichen Reurbanisierung auseinandersetzt, ist z.B. der idealtypische Verlauf der Gentrification (vgl. Kap. 2.3). Auch wenn dieses Konzept den Vorteil hat, dass es sich auf intraurbane Wanderungen bezieht, liegt der Fokus auf einzelne Gruppen der Bevölkerung. Zudem stellen Stadtviertel die Analyseeinheit dar, weshalb es für diese Arbeit nicht anwendbar ist.
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4 Theorien, Modelle und Hypothesen
„Reurbanisation is undertheorised in the mainstream urban studies literature and it is still unclear how this process relates to the parallel, and much better-known, dynamic of gentrification. The demographic contingencies of reurbanisation also need to be investigated in further detail (…).” (Buzar et al. 2007: 651f.)
Die bislang aufgeführten Ansätze verdeutlichen Folgendes: Theorien und Modelle, welche sich auf Nahwanderungen beziehen, sind rar und bedürfen weiterer wissenschaftlicher Arbeiten. Bei den bestehenden Konzepten zur Suburbanisierung darf nicht vergessen werden, dass die Migration der Bevölkerung nur ein Bestandteil der Suburbanisierung ist (vgl. Kap. 2.1). Ein Modell, das auch aktuell verwendet wird, um die urbane Siedlungsentwicklung zu bestimmen, ist das Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982). Da dieses für die vorliegende Arbeit wegweisend ist, wird es im folgenden Kapitel 4.1.2 erläutert. 4.1.2 Das Modell der Phasen urbaner Entwicklung Das Modell der Phasen urbaner Entwicklung von van den Berg et al. (1982) wird in dieser Arbeit vornehmlich herangezogen, um zu bestimmen, ob sich Nordrhein-Westfalen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der Phase der Suburbanisierung oder der Reurbanisierung befindet. Es ist ursprünglich im Rahmen des CURB Projektes (CURB = Cost of URBan growth) entstanden, um Aussagen über Entwicklungen der Siedlungsstruktur und den damit verbundenen Kosten treffen zu können (van den Berg et al. 1982: 84f.).48 Im Folgenden wird das ursprüngliche Modell (van den Berg et al. 1982) sowie eine Modifizierung von Kawashima (1987) dargestellt. Das Modell der Phasen urbaner Entwicklung Die räumliche Grundeinheit des Modells der Phasen urbaner Entwicklung bildet die Agglomeration (agglomeration), welche aus einem Kern (core) und einem den Kern umschließenden Ring (ring) besteht. Der Ring wird durch einen auf den Kern ausgerichteten Auspendleranteil bestimmt. Betrachtet wird die Veränderung der Wohnbevölkerung – vorrangig durch Wanderungen – sowohl in der gesamten Agglomeration als auch getrennt nach Kern und Ring. Die von van den 48 Anhand empirischer Auswertungen werden im CURB-Projekt 14 west- und osteuropäische Agglomerationen für die Jahre 1950 bis 1960, 1960 bis 1970 und 1970 bis 1975 jeweils einer Phase des Modells zugeordnet.
95
4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle
Berg et al. (1982) verwendeten Begrifflichkeiten können denen dieser Arbeit angepasst werden: An die Stelle der Agglomeration tritt die Stadtregion. Dem Kern entspricht das Kerngebiet. Da der Ring wie auch das Umland aufgrund seines Einpendleranteils in den Kern festgelegt wird (vgl. Kap. 3.2.2), werden Ring und Umland synonym verwendet. Das Modell basiert auf der Annahme sozioökonomischer Veränderungen, die zyklisch erfolgen. „[P]rocesses are cyclical in nature. Vulnerable subnational units swing from phases of population growth to decline and back again to growth, and from economic prosperity to depression with an eventual return to prosperity.” (van den Berg et al. 1982: 2)
Bevölkerungsveränderung
Ausgehend von der Phase der Urbanisierung wird die Entstehung der Suburbanisierung, Desurbanisierung und einer hypothetisch möglichen Reurbanisierung beschrieben (Bischoff 2005: 2f., Abb. 20). Jede dieser vier Phasen wird in zwei weitere Teilphasen gegliedert, welche sich ihrerseits durch absolute bzw. relative Dezentralisierung bzw. Zentralisierung auszeichnen (Pacione 2005: 83).
Kern
Agglomeration
0
Umland
1 1
AZ
2
3
4
5
6
7
8
RZ
RD
AD
AD
RD
RZ
AZ
Urbanisierung 1
Suburban.
Desurban.
Reurban.
Teilphase Phase
mit A= absolut, R = relativ, Z = Zentralisierung, D = Dezentralisierung
Abbildung 20: Modell der Phasen der urbanen Entwicklung Quelle: Verändert nach van den Berg et al. 1982: 38, Urbanczyk 2006: 33
96
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Zur Beschreibung des Modells kann auf die Ausführungen von Kapitel 2.3 zurückgegriffen werden: Die Phase der Urbanisierung ist zeitlich der frühen Industrialisierung und den damit einhergehenden Land-Stadt-Wanderungen der Bevölkerung zuzuordnen. Der Kern und damit die Agglomeration wachsen auf Kosten des Ringes (absolute Zentralisierung). Aufgrund der mangelhaften Lebensumstände im Kern werden Wohnstandorte im Ring mit einer höheren Wohn- und Wohnumfeldqualität im Laufe der Zeit vorgezogen. Zwar bleibt die Bevölkerungsentwicklung im Kern positiv, sie nimmt jedoch zugunsten des Ringes ab. Die Agglomeration in ihrer Gesamtheit wächst (relative Zentralisierung). Es folgt die Phase der Suburbanisierung. Das Bevölkerungswachstum des Ringes übersteigt jenes des Kerns, da Haushalte vermehrt ins Umland ziehen. Da der Arbeit weiterhin im Kern nachgegangen wird, wird ein hohes Verkehrsaufkommen in Richtung Kern erzeugt (relative Dezentralisierung). Dieser Prozess verstärkt sich, wobei die Agglomeration insgesamt im Wachstum begriffen ist (absolute Dezentralisierung). Dies ändert sich in der Phase der Desurbanisierung. Aufgrund der sich erhöhenden Bodenpreise im Ring zieht es die Bevölkerung vermehrt in Gemeinden jenseits des Rings. Ermöglicht wird der Umzug durch die verbesserte Infrastruktur auch in ländlicheren Bereichen. Die Bevölkerung im Kern nimmt weiter ab, ebenso diejenige des Rings (absolute Dezentralisierung). Tabelle 4: Phasen urbaner Entwicklung Bevölkerungsveränderung1 Entwicklungsphase
Teilphase
Urbanisierung
1 AZ2
++
-
+
2 RZ
++
+
+++
3 RD
+
++
+++
4 AD
-
++
-
5 AD
--
+
-
6 RD
--
-
---
7 RZ
-
--
---
Suburbanisierung
Desurbanisierung
Reurbanisierung
Kernstadt
Umland
Agglomerat.
gesamte Entwicklung
8 AZ + -1 Pluszeichnen und Minuszeichen zeigen Bevölkerungswachstum, respektive -abnahme an 2 mit A= absolut, R = relativ, Z = Zentralisierung, D = Dezentralisierung
Quelle: Verändert nach van den Berg/Klaassen 1987: 88
+
+
-
4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle
97
Aufgrund von städtebaulichen Maßnahmen, die Städte attraktiver zu gestalten, erhöht sich die Bevölkerung im Kern wieder, während die des Rings fortwährend abnimmt (relative Dezentralisierung). Es schließt sich die Phase der Reurbanisierung an. Der zuvor beschriebene Prozess setzt sich fort, so dass die negativen Bevölkerungsentwicklungen des Kerns und Rings ihr Ende finden (relative Zentralisierung). Im zuletzt beschriebenen Stadium verzeichnet der Kern der Agglomeration eine positive Bevölkerungsveränderung, die Agglomeration befindet sich im Gleichgewicht (absolute Zentralisierung) (vgl. Tab. 4). Nach van den Berg und Klaassen (1987) befindet sich ein Großteil der von ihnen untersuchten Agglomerationen gegen Ende der 1970er bzw. zu Beginn der 1980er Jahre im Stadium der Desurbanisierung. Dennoch wird die gleichzeitige Existenz von wachsenden und schrumpfenden Agglomerationen betont: „The fact that some cities are disurbanising while others, even those in the same region, are still urbanising or suburbanising, means that urban growth and decline can occur simultaneously at regional or national level.” (van den Berg et al. 1982: 84)
Mit der Phase der Desurbanisierung enden die beschreibenden Aussagen des Modells, die Szenarien über künftige Entwicklungen basieren auf drei Annahmen (van den Berg et al. 1982: 91): 1. 2. 3.
In der Bevölkerung steigt die Bedeutung der Lebensqualität. Als Konsequenz hängt die Attraktivität von Städten zunehmend von qualitativen Faktoren wie Wohnen und Wohnumfeld ab. Das Wohlbefinden der Bevölkerung wird zunehmend durch den Zugang zu städtischen Einrichtungen und Service bestimmt. Der Zugang zum Arbeitsplatz wird hingegen unwichtiger für die Wohnstandortwahl, da die Beschäftigungsstruktur vom tertiären und quartären Sektor geprägt ist. Diese Arbeitsplätze entstehen infolge von Wohnstandortverlagerungen.
Aufgrund der Ergebnisse von CURB gehen van den Berg et al. (1982) davon aus, dass sich die Phase der Desurbanisierung weiter durchsetzen wird und gemäß der getroffenen Annahmen selbst verstärkt: Die Bevölkerung einer Agglomeration im Stadium der Desurbanisierung wandert in Agglomerationen, welche sich in der Phase der Urbanisierung oder Suburbanisierung befinden – angezogen durch bessere Lebensqualität. Durch dieses Ansiedeln wird der Vorgang der Desurbanisierung am neuen Wohnort beschleunigt, so dass „disurbanisation at one place stimulates urban growth elsewhere” (van den Berg et al. 1982: 97). Die angeführte Phase der Reurbanisierung halten sie für eine mögliche, jedoch un-
98
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
wahrscheinliche Zukunft für Agglomerationen aufgrund der Stärke der Desurbanisierung. Sie kann ihrer Auffassung nur dann eingeleitet werden, wenn starke Interventionen in Form von Sanierungen der Innenstädte oder entsprechende Maßnahmen seitens der Politik stattfinden. Aus dem Vorangegangenen kann auf die Grundzüge des Modells geschlossen werden: Annahme:
Wanderungen sind für die Bevölkerungsveränderung von entscheidender Bedeutung.
Szenario I:
Die Phase der Desurbanisierung setzt sich fort (wahrscheinlich).
Szenario II: Die Phase der Reurbanisierung setzt ein (unwahrscheinlich).
Ein modifiziertes Modell der Phasen urbaner Entwicklung Kawashima (1987) modifiziert das Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) mit dem Ziel, japanische und US-amerikanische Agglomerationen hinsichtlich ihres Entwicklungsstandes im Zeitraum von 1975 bis 1980 zu vergleichen. Eine erste Veränderung betrifft die Verwendung der Bevölkerungswachstumsrate anstelle der absoluten Bevölkerungsveränderung. Zudem werden nicht Kern und Umland, sondern der Kern und die gesamte Agglomeration betrachtet und zueinander ins Verhältnis gesetzt. Grafisch stellt Kawashima (1987) das Modell von van den Berg et al. (1982), Typ-Į-Schema, sowie seine Modifikation, Typ-ȕ-Schema, in Form eines Koordinatensystems dar (Abb. 21; vgl. Abb. 71, Anhang). Wird das Typ-ȕSchema betrachtet, dann steht die x-Achse für die Wachstumsrate der Kernstadt, die y-Achse für die Wachstumsrate der Agglomeration. Nehmen beispielsweise beide Wachstumsraten positive Werte an, dann befindet sich die Stadtregion je nach Ausprägung in den mit ‚1‘ oder ‚2‘ gekennzeichneten Feldern und somit in der Phase der Urbanisierung. Ist die Wachstumsrate im Kerngebiet negativ, in der gesamten Stadtregion dagegen positiv, ist die Phase der Suburbanisierung, gekennzeichnet durch ‚3‘ oder ‚4‘, eingetreten. Darüber hinaus setzt Kawashima (1987) die Bevölkerungswachstumsraten des Kerns und der Agglomeration ins Verhältnis zu dem nationalen Durchschnitt (Tab. 5). Ziel ist es, Aussagen darüber treffen zu können, ob die Agglomeration wächst, quasi-wächst oder schrumpft: Die Bevölkerungswachstumsraten der Agglomeration und der Kernstadt werden jeweils in drei Kategorien untergliedert.
99
4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle
Y < 3
2
4
1 X
0 8
5 6
7 >
1 2 3 4
AZ Urbanisierung RZ Urbanisierung RD Suburbanisierung AD Suburbanisierung
5 6 7 8
AD Desurbanisierung RD Desurbanisierung RZ Reurbanisierung AZ Reurbanisierung
(mit x = Bevölkerungswachstumsrate in Kerngebiet, y = Bevölkerungswachstumsrate in Stadtregion, A = absolut, R = relativ, Z = Zentralisierung; D = Dezentralisierung)
Abbildung 21: Typ-ȕ-Schema Quelle: Verändert nach Kawashima 1987: 107 In der ersten Klasse liegt das Bevölkerungswachstum über dem nationalen Durchschnitt, in der zweiten ist es zwar positiv, aber kleiner als der nationale Durchschnitt, und in der dritten Klasse negativ. Diese Einteilung führt zu einer Untergliederung in neun Fälle, welche mit den Buchstaben von A bis I gekennzeichnet sind und mit den Phasen urbaner Entwicklung korrespondieren: Gemeinden, welche sich im Wachstum befinden, gehen zum Beispiel mit einer Urbanisierung einher, während Gemeinden in der Degeneration mit dem Prozess der Desurbanisierung verbunden sind. Die Zellen A, B und C stellen aktiv wachsende Agglomerationen dar (actively growing SMSAs‘). Die Zellen D, E und F werden als quasi-wachsende Agglomerationen (quasi-growing SMSAs‘) bezeichnet. Mit dem Begriff des Quasi-Wachstums wird der Umstand beschrieben, dass die Bevölkerung zwar wächst, jedoch unterhalb des nationalen Durchschnitts. Die Kategorien G, H und I werden degenerierende Agglomerationen (degenerating SMSAs‘) genannt. Diese grobe Einteilung kennzeichnet Trends in der Wachstumsrate der Bevölkerung.
100
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Tabelle 5: Kategorisierungsmatrix für metropolitane Gebiete Bevölkerungswachstumsrate der Kernstadt
positiv
Bevölkerungswachstumsrate der Agglomeration
positiv negativ
unter nat. Durchschnitt
über nat. Durchschnitt
über nat. Durchschnitt
C
B
A
unter nat. Durchschnitt
F
E
D
negativ
G
H
I
Quelle: Verändert nach Kawashima 1987: 105 Das Modell von van den Berg et al. (1982) stellt die geläufigste und eine der wenigen modellhaften Möglichkeiten zur Quantifizierung von Reurbanisierung dar, auf die auch aktuell Bezug genommen wird (Bischoff 2005: 2f., Wehrhan 2000, Osterhage 2008). Das IÖR (Institut für ökologische Raumentwicklung) hat beispielsweise im Jahr 2003 im Auftrag des BBR das Projekt „Siedlungsstrukturelle Veränderungen im Umland der Agglomerationsräume” durchgeführt (Siedentop et al. 2003). Siedlungsstrukturelle Trends sind bundesweit auf Grundlage des Modells der Phasen urbaner Entwicklung untersucht worden. Sowohl die Modifikation des Modells der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) als auch der Vergleich mit dem länderspezifischen Durchschnitt (Kawashima 1987) werden auf die Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen zu verschiedenen Zeitpunkten übertragen. Ziel ist es, fundierte Aussagen darüber zu erhalten, inwiefern es sich um wachsende oder degenerierende Stadtregionen handelt (vgl. Kap. 5).49 Darüber hinaus wird im Anhang a das Modell der Mobility Transition (Zelinsky 1971) mit demjenigen der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) zusammengeführt.
49 Zudem kann das Modell (van den Berg et al. 1982) mit dem von Hesse und Schmitz (1998) in Zusammenhang gebracht werden: Die Phase der Reurbanisierung wird in beiden Modellen gleich benannt. Der Desurbanisierung kann die fortgesetzte Desurbanisierung bzw. urban sprawl zugeordnet werden (vgl. Kap. 3.3.2). Hinsichtlich der künftigen städtischen Entwicklung ähneln sich die Szenarien: Am wahrscheinlichsten wird die Phase der (fortgesetzten) Desurbanisierung angesehen, die Reurbanisierung wird hingegen nur bei kommunalen Restriktionen angenommen (Bose 2001: 250ff.).
4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle
101
4.1.3 Makrotheoretische Hypothesen Das von van den Berg et al. (1982) als unwahrscheinlich angesehene Szenario der Reurbanisierung wird in jüngsten Diskussionen um siedlungsstrukturelle Entwicklungen aufgegriffen (vgl. Kap. 2.3 und Kap. 2.4). Buzar et al. (2007: 651f.) stellen fest: „It has even been argued that reurbanisation represents the most recent of four phases of urban transformation observed in Europe during the past two centuries, following processes of urbanisation, suburbanisation and desurbanisation (...).”
Hat der Prozess der Suburbanisierung tatsächlich sein Ende gefunden? Zeichnet sich der Prozess der Reurbanisierung ab? In Anlehnung an die durchschnittlichen Zeitabschnitte von zehn Jahren, die van den Berg et al. (1982) in ihren Untersuchungen verwenden, werden die Veränderungen der Zeiträume 1985 bis 1994 (t1) und 1997 bis 2005 (t2) untersucht. Die beschriebenen Annahmen sollten sich wie folgt widerspiegeln: Am Prozess der Reurbanisierung sollen vorrangig jüngere Bevölkerungsgruppen der sogenannten neuen Haushaltstypen beteiligt sein (vgl. Détang-Dessendre/Molho 2000: 247ff., Geppert/Gornig 2003, Hannemann/Läpple 2004, Brühl 2005a, Musterd 2006: 1.326, Hirschle/Schürt 2008: 211; vgl. Kap. 2.3). Zudem wird in jüngster Zeit untersucht, ob ältere Bevölkerungsgruppen, welche zunehmend mobiler werden, die Nähe zu infrastrukturellen Einrichtungen der Stadt suchen (vgl. Kramer/Pfaffenbach 2007: 393ff Nuissl/Bigalke 2007, Gatzweiler/Schlömer 2008; vgl. Kap. 2.3). Ein erstes Anzeichen für eine Reurbanisierung wäre dann gegeben, wenn in der zweiten Untersuchungshälfte mehr jüngere sowie mehr ältere Personen ins Kerngebiet ziehen als in der ersten Untersuchungshälfte (H1 und H2). Die Ausführungen von van den Berg et al. (1982) implizieren überdies die nachstehenden Hypothesen. Es wird vermutet, dass wie von van den Berg et al. (1982) beobachtet ein Nebeneinander von Stadtregionen in den verschiedenen urbanen Phasen besteht, eine dieser Phasen in den betrachteten Zeiträumen jedoch überwiegt. Hypothese 1 H1
Eine Reurbanisierung zeichnet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann ab, wenn in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens die Kerngebiete durchschnittlich mehr 18- bis 24-Jährige Einwohner durch Zuzüge aus dem Umland gewinnen als im Zeitraum t1 (1985 bis 1994).
102
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Hypothese 2 H2
Eine Reurbanisierung zeichnet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann ab, wenn in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens die Kerngebiete durchschnittlich mehr 50- bis 64-Jährige Einwohner durch Zuzüge aus dem Umland gewinnen als im Zeitraum t1 (1985 bis 1994).
Da der Zeitraum t1 (1985 bis 1994) dem Untersuchungszeitraum von van den Berg et al. (1982) nahe ist und bis in die 1990er Jahre eine Ausbreitung der städtischen Gebiete erfolgte, sollte sich zeigen, dass van den Berg et al. (1982) mit ihrer Prognose der fortschreitenden Desurbanisierung weitgehend recht behalten. Die Einschränkung bezieht sich darauf, dass der Prozess der Desurbanisierung in Deutschland eher schwach ausgeprägt ist. Zudem erfolgen Anfang der 1990er Jahre Ost-West-Wanderungen im Zuge der deutschen Einheit. Statt einer Desurbanisierung wird daher eine Suburbanisierung angenommen (H3, vgl. Kap. 2.3). Hypothese 3 H3
Die Mehrheit der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens befindet sich im Zeitraum t1 (1985 bis 1994) dann in der Phase der Suburbanisierung, …
H3a
… wenn sich die Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
H3b
… wenn sich die Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
H3c
… wenn sich die Stadtregionen in die Kategorie der Degeneration einordnen lassen.
Bezogen auf die aktuelle Diskussion um eine Reurbanisierung (Difu 2005 und 2008, Siedentop 2008) und die ergriffenen Maßnahmen, das Image von Städten zu verbessern (Friedrich-Ebert-Stiftung 2001, Heineberg 2006), wird angenommen, dass die städtebauliche Politik vieler Gemeinden erfolgreich war. Dem schließen sich eine Zunahme der Wanderungen in die Stadt bzw. Tendenzen einer Bevölkerungsreurbanisierung an (H4, vgl. Kap. 2.3 und Kap. 2.4).
4.1 Systemorientierte Migrationstheorien und -modelle
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Hypothese 4 H4
Die Anzahl der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens, welche sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) in der Phase der Reurbanisierung befinden, nimmt im Vergleich zu t1 (1985 bis 1994) dann zu, …
H4a
… wenn sich mehr Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Reurbanisierung einordnen lassen.
H4b
… wenn sich mehr Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Reurbanisierung einordnen lassen.
H4c
… wenn sich mehr Stadtregionen in die Kategorie des aktiven Wachstums einordnen lassen.
Das Ruhrgebiet als Altindustrieregion stellt einen Sonderfall in Nordrhein-Westfalen dar. Es werden zwar verschiedene städtebauliche und -politische Maßnahmen ergriffen, um die Städte attraktiver zu gestalten, Herausforderungen des Arbeitsmarktes bleiben dennoch bestehen (BBR 2000a, IBA 2008, vgl. Kap. 2.4). Deshalb wird angenommen, dass im Ruhrgebiet Abwanderungen, in Form einer andauernden Suburbanisierung, fortbestehen (H5). Hypothese 5 H5
Die Mehrheit der Stadtregionen des Ruhrgebietes befindet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann in der Phase der Suburbanisierung,
H5a
… wenn sich die Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
H5b
… wenn sich die Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
H5c
… wenn sich die Stadtregionen in die Kategorie der Degeneration einordnen lassen.
Diesen Hypothesen wird in Kapitel 5 detailliert anhand der amtlichen Wanderungsstatistik nachgegangen.
104
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien Da es an hinreichendem Wissen über die interne Struktur der Migrationssysteme fehlt, wird zur Erklärung von Wanderungsentscheidungen oftmals auf Handlungsweisen des einzelnen Akteurs verwiesen (Knaap/Sleegers 1984). Handlungstheorien haben sich daher erst aus der Notwendigkeit, den Erklärungsmangel systemorientierter Ansätze zu beheben, entwickelt und weisen somit eine historisch jüngere Forschungstradition auf (Esser 1980). Handlungsweisen werden aufgrund spezifischer soziodemografischer, humankapitaltheoretischer, psychosozialer oder monetärer Eigenschaften des Einzelnen erklärt. Dies impliziert, dass handlungsorientierte Ansätze Wanderungen erklären können, sie aber prinzipiell für die Erklärung aller sozialen Handlungen anwendbar sind (Vanberg 1971, Gatzweiler 1975, Esser 1980, Wagner 1989a, Frick 1996). Sind im vorangegangenen Kapitel Theorien und Modelle von Wanderungen auf der Makro-Ebene thematisiert worden, so steht in diesem Kapitel die MikroEbene im Vordergrund (Abb. 22). Es werden theoretische Ansätze dargestellt, welche das Handeln des einzelnen Akteurs bezogen auf (nah-)räumliche Mobilität erklären können. In Kapitel 4.2.1 werden allgemeine theoretische Ansätze dargestellt, die den Rahmen für den verwendeten Ansatz der Perspektive des Lebenslaufs bilden (vgl. Kap. 4.2.2).
Opportunitäten, Constraints (z.B. Wohnungsmarkt)
4
Urbanisierung Suburbanisierung Desurbanisierung Reurbanisierung
1
3
Wanderungsabwägung
2
(keine) Wanderung in den Kern / ins Umland
1
Logik der Situation
3
Logik der Aggregation
2
Logik der Selektion
4
Kollektivhypothese
Abbildung 22: Mikrotheoretisches Wanderungsentscheidungsmodell Quelle:
Verändert nach Esser 1999: 98
4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien
105
4.2.1 Allgemeine mikrotheoretische Ansätze In handlungsorientierten Ansätzen wird der Handlung des einzelnen Akteurs nachgegangen, welche im Kontext dieser Arbeit der Akt des Wanderns bzw. des Nicht-Wanderns darstellt. Eine grundlegende Unterscheidung betrifft die Verwendung der Begriffe Verhalten und Handeln. Dem klassischen Behaviourismus zufolge stellt Verhalten eine „beobachtbare, d.h. sinnlich wahrnehmbare Tätigkeit“ (Werlen 1988: 10) dar, welche durch einen vorangegangenen Stimulus ausgelöst wird. Dagegen umfasst Handeln im Sinne der handlungstheoretischen Sozialgeographie eine intentionale und reflexive Tätigkeit. „‚Handeln‘ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“ (Weber 1978: 9; Hervorhebung im Original)
Handeln zeichnet sich demnach durch zielgerichtete und bewusste Vorgänge anstelle von Reaktionen auf vorgegebene Reize aus (Thomale 1974: 12, Weichhart 1986: 85). Bevor der Ansatz des Lebenszyklus dargestellt wird, werden im Folgenden allgemeine Ansätze zur Erklärung von Handlungen beschrieben. Ansätze zur Erklärung von Handlungen Der Handlungsablauf kann wie folgt rekonstruiert werden (Werlen 1988, Abb. 23): Der Akteur befindet sich in einer Situation I, welche er in eine erwünschte Situation II überführen möchte. Diese Situation wird antizipiert und Entwürfe zur Erreichung des Ziels in einem Handlungsentwurf gegenübergestellt. Entsprechend der verfolgten Absicht werden die zur Verfügung stehenden Mittel gemäß der wahrgenommenen Situationsdefinition ausgewählt. Der Übergang von diesen mentalen Prozessen in die gegebene Umwelt stellt die Handlungsverwirklichung dar. Die Handlungsfolgen können sowohl der erwünschten Situation II entsprechen als auch aufgrund von nicht intendierten Einflüssen davon abweichen (Weichhart 1986: 87, Werlen 1988: 122ff., vgl. Münch 1982: 234). In der handlungstheoretischen Sozialgeographie werden menschliche Tätigkeiten nicht allein hinsichtlich der soziokulturellen, sondern ebenfalls hinsichtlich physisch-materieller Gegebenheiten analysiert. Räumliche Eigenschaften können demnach Handeln sowohl ermöglichen als auch einschränken (Werlen 2000: 309ff.; vgl. Kap. 3). Eine Übertragung des räumlichen Einflusses auf Nahwanderungen wäre beispielsweise die Folgende: In Situation I wohnt der Akteur im Elternhaus, welches sich im weiteren Umland einer Stadtregion befindet. Die
106
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
von ihm erstrebte Situation II ist, nach dem entsprechenden Bildungsabschluss ein Studium aufzunehmen. Dieses ist dem Akteur im Umland nicht möglich, da der Studienort in der Kernstadt liegt und die tägliche Pendeldistanz zu groß ist. Durch die Aufnahme eines Nebenerwerbs sowie den Umzug zum Studienort findet die Handlungsverwirklichung statt. Die erstrebte Situation wird erreicht.
Zielsetzung
Mittelwahl
Bezugsrahmen der Orientierung
Abwägen als Wahl zwischen Handl.-Entw.
Handelnder in der Situation I
Handlungsentwurf Antizipation de erwarteten Situation, die Ego herbeiführen möchte
Entschluss
Abwägen zw. alternativen Mitteln
Verfolgtes Ziel
Situationsdefinition Situation I des Handelns a) physische b) soziale Komponente
Entscheidung für Mittel in Bezug auf verfolgtes Ziel
Handlungsverwirklichung Gemäß der ZielZweck-Mittelkomb. als Eingriff in physische oder soziale Welt
Handlungsfolgen (Un-)beabsichtigte Folgen der Situation II
t
Abbildung 23: Modellhafte Rekonstruktion des Handlungsablaufs Quelle: Verändert nach Werlen 1988:13 Die Handlungstheorie gründet auf abstrahierten Vorstellungen über die menschliche Natur. In Zweck-Rationalen-Handlungsmodellen wird der Mensch als Homo oeconomicus verstanden. In diesem auf Spranger (1921: 130ff.) zurückgehenden Konstrukt wird der Akteur als ausschließlich nach rationalen Prinzipien handelndes Wesen angesehen, welchem alle Bedingungen seiner Umwelt sowie die zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen bewusst sind. Von dieser vollständigen Information ausgehend trifft der Einzelne Entscheidungen allein nach dem maximalen Nutzenprinzip. Diese Art der Nutzenmaximierung wird
4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien
107
vorrangig in mikro-ökonomischen Modellen angenommen (De Jong/Gardner 1981, Frick 1996: 61). Vollständiges Wissen über die Umwelt ist in der Realität jedoch nur schwer, falls überhaupt, zu erreichen. Zudem stellt die wirtschaftliche Nutzenmaximierung nicht das einzige erstrebenswerte Ziel dar, ebenso werden beispielsweise soziale Interessen berücksichtigt, welche in einem normorientierten Handlungsmodell münden. Der Homo oeconomicus wird dabei durch den von Dahrendorf (1971: 20ff.) konzipierten Homo soziologicus ersetzt. Dieser verkörpert den Schnittpunkt des Einzelnen mit der Gesellschaft. Dahrendorf (1971) versteht ihn als Träger sozial vorgefertigter Rollen, weshalb er sein Handeln entsprechend der Erwartungen anderer ausrichtet. Prinzipiell wird der Mensch nicht mehr ausschließlich als Optimizer, sondern vielmehr als Satisficer aufgefasst, der die wahrgenommene und nicht die reale Situation als Grundlage für sein Handeln heranzieht (Beck 1982: 64, Werlen 1988: 122ff.). In der Werterwartungs- bzw. der SEU-Theorie sind es sowohl Faktoren auf der Mikro- als auch auf der Makro-Ebene, welche die Handlungsentscheidung des Einzelnen beeinflussen. Weitere mikro-theoretische Ansätze sind beispielsweise die Humankapitaltheorie, der zufolge ein Umzug als eine langfristige Investition in das Lebenseinkommen verstanden wird (Sjaastad 1962, Cebula/Vedder 1973, Mackensen 1981, Wagner 1989a, Siebert 1995), oder die Theorie der sozialen und räumlichen Organisation. Nach dieser führt – ausgehend von der Theorie der Arbeitsteilung nach Durkheim (1977) – soziale zu räumlicher Differenzierung (vgl. Kap. 3.1). Räumliche Mobilität wird somit als Prozess verstanden, der soziale und räumliche Ungleichheit miteinander verbindet (Friedrichs 1977). Aufgrund der ungleichen ökonomischen Chance einzelner Personen oder Haushalte, einen gewünschten Standort durch Migration zu erreichen, wird räumliche Mobilität selektiv. Friedrichs (1977) leitet eine auf den Lebenslauf bezogene Hypothese ab, nach der Migration wahrscheinlich ist, wenn sich die Stellung im Lebenslauf ändert.50 In dieser Arbeit wird ebenfalls angenommen, dass eine Veränderung in der Stellung des Lebenslaufs zu nahräumlicher Mobilität führen kann. Um diese Veränderungen zu erfassen, wird im Folgenden der Ansatz des Lebenszyklus ausführlich dargestellt. Der Lebenszyklusansatz Nach dem Lebenszyklusansatz werden berufliche oder familiale Ereignisse im Lebensverlauf als Auslöser für Wanderungen betrachtet. Die Stellung im Le50 Diese Wanderungen erfolgt vorrangig in die jeweils nächste äußere Zone (vgl. Kap. 3.1).
108
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
bens- bzw. Familienzyklus steht vielfach im Zusammenhang mit bestimmten Altersphasen (Schindler 1985: 29f., Herlyn 1990).51 „Die erhöhte Neigung, zu wandern während bestimmter Stadien des Lebenszyklus, ist wichtig für die Selektion von Wandernden. (…) Darum tendieren Menschen, die in den Arbeitsprozeß eintreten oder heiraten, zum Auszug aus dem Elternhaus; Personen, die geschieden oder verwitwet sind, tendieren ebenfalls zum Umzug.“ (Lee 1972: 128)
Der Lebenslauf wird idealtypisch in sechs Phasen eingeteilt (Friedrichs 1977: 143; vgl. Nipper 1975: 52): Kindheit, Jugend, frühe Ehephase ohne Kinder, mittlere Ehephase mit Kind(ern), späte Ehephase, Kinder haben das Haus verlassen und Altersphase (ab Pension/Rente und/oder Verwitwung). Die Klassifikation erfolgt dabei anhand der drei Merkmale Alter, Familienstand und Kinderzahl. Diese Variablen werden ebenso wie Schulbildung, Wohndauer und Wohnstatus oftmals in der Wanderungsforschung betrachtet und stehen mit nahräumlicher Mobilität in Zusammenhang (vgl. Rossi 1980, Gatzweiler 1982, Wagner 1989a, 1992, Birg/Flöthmann 1990, Flöthmann 1996, Wagner/Mulder 2000, Schneider et al. 2002).52 Wie im nachstehenden Kapitel 4.2.2 deutlich wird, ist die Annahme dieses idealtypischen Verlaufs aufgrund des gesellschaftlichen Wandels seit den 1960er Jahren nicht mehr haltbar. Dennoch ist auch in jüngerer Zeit davon auszugehen, dass bestimmte Ereignisse im Lebenslauf – unabhängig von den klassischen Phasen – mit Wanderungen einhergehen (vgl. Lee 1972, Rossi 1980, Herlyn 1990, Frick 1996). In dieser Arbeit werden deshalb berufliche Ereignisse (erste Bildungsaufnahme, Eintritt in das Berufsleben) und familiale Ereignisse (erste Heirat/Lebenspartnerschaft, Geburt von Kindern, erste Trennung) im Lebenslauf als Auslöser für Nahwanderungen unterschieden (vgl. Kap. 6). Die Abhängigkeiten zwischen Erwerbs- und Familienbiografie sowie räumlicher Mobilität sind höchst komplex. Eine enge Beziehung besteht zwischen Bildung und räumlicher Mobilität: Je höher der Bildungsgrad ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Umzuges. Wirken große Entfernungen generell mobilitätshemmend, so sind es gerade Personen mit bildungshöheren Abschlüssen, die oftmals aufgrund des geringen lokalen Arbeitsangebotes zur Erwerbs51 Es sind Alters- und Lebenszykluseffekte zu unterscheiden (vgl. Krämer 1992: 9): Ist das Stadium im Lebenszyklus das gleiche, das Alter demgegenüber nicht, können daraus unterschiedliche Mobilitätsraten resultieren. Als Beispiel führt Frick (1996: 46) an, dass Personen, die spät heiraten, weniger oft umziehen als Personen, die früh heiraten. 52 Sie lassen sich nur z.T. von Variablen auf der Haushaltsebene (Haushaltstyp, Haushaltseinkommen etc.) abgrenzen, ebenso wie der individuelle Lebensverlauf nicht von der Familienbiografie zu trennen ist.
109
4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien
aufnahme überregional wandern (vgl. DaVanzo 1978: 55, Dobberkau 1980: 222ff., Cramer 1992: 69ff., Birg et al. 1993: 90, Schlömer 2004: 97ff.). Demgegenüber begünstigen familienbezogene Gründe Nahwanderungen, wie nachstehend dargelegt wird (Mulder 1993, Frick 1996). In Tabelle 6 wird der idealtypische Verlauf der Wohnungsnachfragemuster in der Abhängigkeit von verschiedenen Lebens- sowie den damit oftmals verbundenen Altersphasen wiedergegeben. Diese Zusammenhänge werden auch von Dittrich-Wesbuer und Brzenczek (2008: 38) in ihrer qualitativen Untersuchung von Wanderungsentscheidungen im Bergischen Land festgestellt (vgl. Ganser 1970, Bähr et al. 1992, LTS 2001). Tabelle 6: Wohnungsnachfragemuster in Abhängigkeit von Lebensphasen Altersphase
Lebenszyklus
Verallgemeinerte Wohnnachfrageund Mobilitätsmuster
0 bis 17 Jahre
Kinder und Jugendliche, vorwiegend im Elternhaus lebend
Keine eigenständigen Wanderungen
18 bis 29 Jahre
Junge Erwachsene, Haushaltsgründung für Ausbildung und Berufseinstieg, beginnende Familiengründung
Starke Nachfrage, v.a. nach kleineren Wohnungen im unteren Marktsegment zumeist in städtischer Lage
30 bis 49 Jahre
Junge Familien mit steigenden Wohnraumansprüchen
Hohe Nachfrage, insbes. nach größerem Wohnraum, verstärkte Eigentumsbildung im Umland
50 bis 64 Jahre
Berufliche Konsolidierung, stabile Lebensphase, in der Regel kein Wohnungswechsel
Geringe Mobilität und Nachfrageentwicklung
65 Jahre und älter
Rückzug aus dem Berufsleben, erhöhter Bedarf an Versorgungs- und Dienstleistungsangeboten
Nachfrage nach altengerechten Wohnformen (z.T. stadtnah), Wohnraumfreisetzung im Umland
Quelle: Verändert nach LTS 2001: 35 Da Kinder und Jugendliche im Elternhaus wohnen, führen sie keine eigenständigen Wanderungen durch. Aufgrund des Auszuges aus dem Elternhaus weisen die 18- bis 21-Jährigen eine besonders hohe Wanderungswahrscheinlichkeit auf (Birg et al. 1993: 46, Statistisches Bundesamt 2009a: 27ff.). Alleinstehende, deren Anspruch an Wohnfläche geringer ist und welche der urbanen Freizeitgestaltung einen höheren Stellenwert beimessen als Familienhaushalte, ziehen vorzugsweise in die Städte. Dazu zählen auch junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren, die vorwiegend zur Ausbildung, zum Studium oder zur Berufsaufnahme stadtnahe Wohnräume suchen. Personen in altindustrialisierten Regionen ziehen nur mit einer besonders niedrigen Wahrscheinlichkeit um: Aufgrund der
110
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
schlechteren Arbeitssituation bleiben ausbildungs- und berufsbedingte Wanderungen nach dem 16. Lebensjahr aus. (Dobberkau 1980: 222, Gatzweiler 1982: 27, Häußermann/Siebel 1987: 22f., Birg 1992b: 19, Birg/Flöthmann 1992: 45, Birg et al. 1993: 12, Mulder/Hooimeijer 1999: 159ff., Feijten et al. 2008: 143ff.).53 In der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen befinden sich überwiegend junge Familien. Familiale Veränderungen wie Heirat oder die Geburt eines Kindes können aufgrund günstiger Miet- und Bodenpreise zu einer Ansiedlung bzw. zum Erwerb von Wohneigentum im Umland des städtischen Kerns führen. Es konnte belegt werden, dass die Bildung von Wohneigentum zunächst zu einem Anstieg der räumlichen Mobilität führt, da meist ein Umzug in das Eigentum erfolgt. Nach diesem Umzug stellt sich Wohneigentum jedoch als mobilitätshemmend dar. Daneben erhöht sich das Pendleraufkommen, da zumeist die städtische Arbeitsstelle beibehalten wird (Huinink/Wagner 1988: 13, Birg 1992b: 6ff., Kühn 1998: 498, Wagner/Mulder 2000: 57, Aring/Herfert 2001: 52, Adam et al. 2007: 122f., Scheiner 2008: 54ff.). In der Phase der beruflichen Konsolidierung nimmt die Mobilität der über 50-Jährigen ab. Die Mobilität in der späten Ehephase und der Altersphase wird in jüngster Zeit diskutiert, da von einer mobilen Generation der über 50-Jährigen ausgegangen wird, die ihre Wanderungsentscheidung aktiv trifft und ihre Wohnung oder ihr Eigentum im Umland zugunsten einer stadtnahen Wohnung verlässt. Haushalte in der Schrumpfungsphase, deren Ansprüche an die Wohngröße zurückgegangen sind, ziehen demnach in städtische Bereiche (Bähr et al. 1992, Kramer/Pfaffenbach 2007: 393ff.; vgl. Kap. 2.3). Dies widerspricht der klassischen Annahme, nach welcher vornehmlich pflegebedingte Umzüge in Seniorenwohnheime oder zu Familienangehörigen stattfinden und die Bereitschaft umzuziehen im Alter sinkt (Langenheder 1968, Herlyn 1990, Krämer 1992, Heinze et al. 1997, Schader-Stiftung 1997, Nuissl/Bigalke 2007, Friedrich 2008, Gatzweiler/Schlömer 2008). Darüber hinaus hat die Lebensverlaufsforschung die Erkenntnis gebracht, dass räumliche Mobilität zu einem bestimmten Zeitpunkt abhängig ist von der räumlichen Mobilität, die zuvor bestand. Bei Personen, die oftmals in ihrem Leben umgezogen sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, auch künftig häufiger den Wohnsitz zu wechseln (vgl. Birg 1992b: 19). Die Bindung an einem Ort ist ebenfalls bedeutend und festigt den Gedanken an eine mögliche Rückkehr (Fischer/Malmberg 2001, nach Feijten et al. 2008: 141ff., Nilsson 2003: 1.243ff.). 53 Chilla et al. (2008: 260ff.) belegen beispielsweise für Unterfranken, dass insbesondere junge Erwachsene aus ruralen Gebieten abwandern. Dabei ist es diese Altersgruppe, welche für das demografische, ökonomische und gesellschaftliche Prosperieren primär verantwortlich ist. Generell fördert die mangelnde Anbindung an Oberzentren räumliche Mobilität (Birg 1993: 10).
4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien
111
4.2.2 Die Perspektive des Lebenslaufs Der im vorangegangenen Kapitel 4.2.1 beschriebene Lebenszyklus wird mit dem Aufkommen der sogenannten neuen Haushaltstypen vielfach durchbrochen (vgl. Beck 1983, Droth/Dangschat 1985, Spiegel 1992, Schneider et al. 2002). Der damit verbundene gesellschaftliche Wandel wird im Folgenden beschrieben, bevor die Perspektive des Lebenslaufs eingeführt wird. Veränderungen im Lebenszyklus Die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland abzeichnen, beinhalten beispielsweise eine Verkleinerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße aufgrund niedrigerer Geburtsraten und der Alterung der Gesellschaft im Zuge des demografischen Wandels. Zum einen sind mehr Menschen alleinlebend, zum anderen steigt der Anteil an Personen, die zusammenwohnen und kinderlos sind (Beck 1986, Zapf et al. 1987, Hill/Kopp 1999, Klein, 1999, Wagner/Franzmann 2000, Grüber-Töpfer et al. 2008: 7, IT.NRW 2010a; vgl. Kap. 1.2).54 Während sich darüber hinaus die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften erhöht, geht die Zahl der Eheschließungen zurück bei einem gleichzeitigen Anstieg der Scheidungen. In den ersten Jahren nach Beendigung der Ausbildung bzw. des Studiums wird zudem vermehrt der Arbeitsplatz gewechselt (Droth/Dangschat 1985, Held 1986, Herlyn 1990, Berger/Sopp 1992, Henretta 1992, Huinink/Wagner 1998, Kuijsten 1999, Wagner et. al. 2001, Brückner/Mayer 2005). Ein Grund für diesen gesellschaftlichen Wandel ist der wirtschaftliche Boom in den 1960er und frühen 1970er Jahren, der dazu führt, dass gerade in den westlichen Ländern das Einkommen steigt und mit ihm der allgemeine Wohlstand. Zeitgleich verändern sich Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen einzelner Akteure. Gesellschaftliche Traditionen nehmen ab, ebenso sinkt die soziale Kontrolle. Junge Erwachsene erlangen durch den steigenden Wohlstand Autonomie. Massenmedien geben dem Einzelnen darüber hinaus vermehrt Informationen über die Möglichkeit alternativer Lebensformen (Droth/Dangschat 1985: 158, Huinink/Wagner 1998: 97ff., Jagodzinski/Klein 1998: 13, Hill/Kopp 1999: 28ff., Nave-Herz 1999: 43ff.). Mit dem wirtschaftlichen Wohlstand gehen die Demokratisierung der Bildungschancen sowie der Ausbau der Bildungsinstitutionen einher. Diese Expan54 Es muss jedoch beachtet werden, dass die amtliche Statistik auch Fehlschlüsse zulässt: Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft kann beispielsweise zusammenwohnen, beide Partner jedoch jeweils als Einpersonenhaushalt geführt werden (Droth/Dangschat 1985).
112
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
sion hat dazu geführt, dass Personen bis zu Beginn des dritten Lebensjahrzehnts verstärkt in das Bildungssystem einbezogen werden: Der Anteil der Jugendlichen, die ihr Elternhaus verlassen, um ihre Bildung zu vervollständigen, ist in den letzten Jahrzehnten angestiegen. Insbesondere hat sich der Anteil an Frauen im Bildungssystem, ebenso wie auf dem Arbeitsmarkt, erhöht (Beck 1986: 175f., Huinink 1989: 2ff., Zapf et al. 1987: 18, Huinink 1995: 172f. Hill/Kopp 1999: 27, Liefbroer 1999: 64). Familien können zudem unabhängiger vom Einkommen gegründet werden. Aufgrund der Zunahme der Teilzeitarbeit sowie Kurzzeitverträgen finden jedoch weniger Familiengründungen statt. (Droth/Dangschat 1985: 152ff., Kuijsten 1999: 116, Liefbroer 1999: 63ff.; vgl. Sacher 1998: 176f.). Zieht man in Betracht, dass sich die Familiengründung in spätere Lebensphasen verlagert, die Präferenzen des Umzuges jedoch konstant bleiben, dann sollte sich im zeitlichen Verlauf zeigen, dass die gleichen Wanderungen zu einem späteren Zeitpunkt im Leben stattfinden (Droth/Dangschat 1985: 148, Liefbroer 1999: 64). Die Auflösung des klassischen Lebenslaufs bewirkt, dass Wanderungen nicht mehr so eng an Stadien des Lebenslaufs gebunden sind (Speare 1970: 449). Überdies können die Bedürfnisse der neuen Haushaltstypen nach räumlicher Nähe zu Wohn-, Arbeits- und Freizeitangeboten am ehesten in den Kernstädten erfüllt werden (Droth/Dangschat 1985, Neubauer 1988: 219, Bertels 1990, Krämer 1992: 5). Um weitere Abhängigkeiten zwischen Wanderungen und veränderten Erwerbs- und Familienbiografien bestimmen zu können (Meusberger 1980: 180ff.), fehlt es nach Scheiner (2007: 161) an Lebensverlaufsdaten. „Die Etappen ‚Kindheit/Jugend‘, ‚Ausbildung/Postadoleszenz‘, ‚Familienzeit‘ und ‚Alter‘ lassen sich zwar wohnbiographisch noch nachzeichnen, gestalten sich aber bereits in Bezug auf ihre Länge sehr unterschiedlich und weisen durch Trennungen u.ä. persönliche Umstände vielfach gebrochene Verläufe auf.“ (DittrichWesbuer/Brzenczek 2008: 37; Hervorhebungen im Original)
Aufschluss über den sozialen Kontext nahräumlicher Mobilität geben vor allem Längsschnittstudien, welche in dieser Arbeit verwendet werden (vgl. Kap. 6.1). Diese Daten ermöglichen es, den Zusammenhang zwischen Wanderungen, Geburtskohortenzugehörigkeit und der bisherigen Lebensbiografie aufzudecken (Wagner 1987, 1989a, 1989b, 1990a). Es konnte nachgewiesen werden, dass sich jede Geburtskohorte nicht nur durch ein eigenes generatives Verhalten, sondern ebenfalls durch ein spezifisches Wanderungsverhalten auszeichnet (Birg 1992b: 6ff.). Rahmengebend für die Untersuchung der Lebensverlaufsstudien ist die Perspektive des Lebenslaufs.
4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien
113
Die Perspektive des Lebenslaufs Nach dem Risiko-Ansatz (risk approach) bedarf es eines Auslösers für die Wanderungsabwägung, da Personen wegen der mit dem Umzug verbundenen Kosten eher dazu tendieren, nicht umzuziehen. Dieser Auslöser kann der Wunsch sein, einen bestimmten Zustand zu verändern, oder aber ein Ereignis im Lebenslauf (vgl. Mulder 1993: 118). Opportunitäten und Constraints auf der Makro-Ebene sowie Präferenzen und Restriktionen auf der Mikro-Ebene werden als Faktoren angesehen, die das Risiko bestimmen, mit dem eine Person umziehen wird. Wird die Entscheidung zu wandern aus der Perspektive des Lebensverlaufs betrachtet, dann lässt sich der bisher entwickelte handlungstheoretische Ansatz auf der Mikro-Ebene differenzierter darstellen (vgl. Huinink/Wagner 1988: 3f.; vgl. Kap. 4.2.1). „The life course perspective has proved to be a powerful instrument in developing a general theoretical framework to interpret a variety of phenomena pertaining to residential relocation.“ (Mulder/Hooimeijer 1999: 159)
Es werden Stränge von Karrieren, welchen der Auslöser angehören kann, unterschieden. Oftmals werden dabei die Bildungs-, Erwerbs-, Familien- und Wohnkarriere angeführt. Diese Karrieren verlaufen parallel zueinander. Treten Veränderungen in einem dieser Teilbereiche ein, kann dies zu einer Unzufriedenheit mit dem bisherigen Wohnort führen. Ein neuer Wohnort wird präferiert. Der Auslöser gibt zudem die Richtung der Wanderung vor. Die Wanderungsentscheidung an sich, d.h. die Gegenüberstellung und Gewichtung von Präferenzen und Restriktionen, findet im einzelnen Individuum statt (Abb. 24). Da dieser Entscheidungsvorgang nicht von außen zugänglich ist, wird er auch als Blackbox bezeichnet (vgl. Abb. 23). Wodurch werden Wanderungen ausgelöst? – Mulder (1993) belegt beispielsweise, dass Veränderungen in der Familienkarriere zu einem Umzug über kurze Distanzen führen. „However, studies treating childbirth or pregnancy as an event and examining the influence of (…) this event’s occurrence on migration find a positive influence on short distance moves (…).” (Mulder 1993: 119)
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4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Opportunitäten, Constraints
Präferenz, Auslöser Wanderungsabwägung Restriktion, Hindernisse
(keine) Wanderung in den Kern / ins Umland
Erwerbs- / Bildungs- / Familien- / Wohnungskarriere
Abbildung 24: Modell der Perspektive des Lebenslaufs Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98, Mulder/Hooimeijer 1999: 164 In dieser Arbeit werden die erste Bildungs- und Erwerbsaufnahme sowie die erste Partnerschaft bzw. Heirat, eine bevorstehende Geburt, die Trennung vom ersten (Ehe-)Partner als Auslöser für eine Wanderung angenommen (vgl. Mulder 1996: 214, Willekens 1999: 23; vgl. Kap. 4.2.2). Faktoren in den anderen Karrieren des Lebenslaufs können jedoch Restriktionen für den Umzug darstellen. Fehlende finanzielle Ressourcen, welche vielfach in Zusammenhang mit Einkommen bzw. der Erwerbskarriere stehen, schränken Umzüge primär ein. In der Wohnkarriere stellt beispielsweise Wohneigentum ein Hindernis für Wohnungsbzw. Wohnortwechsel dar. Wird die Familienkarriere betrachtet, so können Kinder mobilitätshemmend wirken. Migrationstheorien allein auf der Mikro-Ebene zu verorten, geht mit verschiedenen Schwierigkeiten einher: Zum einen beeinflussen äußere Faktoren die Entscheidung eines Akteurs. Wanderungen können zum Beispiel durch Zwangsräumungen, Eigenbedarf, Abriss oder Mietpreiserhöhungen auch gegen den Wunsch des Akteurs erzwungen werden (Esser 1980, Rossi 1980, Frick 1996). Zum anderen wird die Wanderungsentscheidung meist nicht allein, sondern von dem ganzen Haushalt getragen (vgl. Kalter 1997). Die Kritik an handlungsorientierten Erklärungsansätzen betrifft daher den Umstand, dass die Bedingungen des sozialen Kontextes, welche auf den Handelnden wirken, vielfach nicht einbezogen werden (Wagner 1989a: 25). In der Perspektive des Lebenslaufs werden deshalb den Umzug fördernde oder auch einschränkende Bedingungen auf der Makro-Ebene einbezogen (Abb. 24). Die externen Möglichkeiten werden als Opportunitäten bezeichnet, die
4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien
115
externen Hindernisse als Constraints. Ein ausreichendes Angebot an passenden Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt ist beispielsweise als Opportunität, ein Mangel an Wohnungen als Constraints zu verstehen. 4.2.3 Mikrotheoretische Hypothesen Ausgehend von den Ausführungen in Kapitel 4.2 wird auf der Mikro-Ebene den folgenden Hypothesen nachgegangen: Ausbildungs- und Erwerbsstätten befinden sich vornehmlich in städtischen Gebieten. Wird die Bildungs- und Erwerbskarriere von Akteuren fokussiert, dann findet eine erste Bidungs- oder Erwerbsaufnahme in einem vergleichsweise frühen Lebensalter statt, in welchem die Familiengründungsphase noch aussteht. Es wird die Nähe zu den städtischen Einrichtungen gesucht, weshalb Wanderungen in die Stadt stattfinden (Gatzweiler 1982: 27, Häußermann/Siebel 1987: 22f., Birg 1992b: 19, Birg/Flöthmann 1992: 45, Mulder/Hooimeijer 1999: 159ff.; vgl. Kap. 4.2.1). Es sollte sich deshalb zeigen, dass die erste Bildungs- und Erwerbsaufnahme Personen in das Kerngebiet einer Stadtregion führt (H6 und H7). Die von der Deindustrialisierung betroffenen Städte verzeichnen einen Verlust von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen; räumliche Mobilität im erwerbsfähigen Alter nimmt daher ab (vgl. Birg 1992b, Lageman/Schmidt 2006; vgl. Kap. 2.4 und Kap. 4.2.1). Es wird deshalb davon ausgegangen, dass im Ruhrgebiet als Altindustrieregion das Risiko, in das Kerngebiet zur ersten Bildungs- und Erwerbsaufnahme zu wandern, geringer ist als im verbleibenden Nordrhein-Westfalen (H6a und H7a). Es wird darüber hinaus angenommen, dass unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Geburtskohorte die Nähe zu der infrastrukturellen Ausstattung, insbesondere zu Ausbildung- und Erwerbsstätten gesucht wird, wenn eine erste Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme erfolgt. Im gesamten Nordrhein-Westfalen sollte daher das Ereignisrisiko, im Zuge der ersten Bildungs- und Erwerbsaufnahme in das Kerngebiet zu wandern, über die Geburtskohorten nahezu gleich bleiben (H6b und H7b). Ein Unterschied sollte sich dann ergeben, wenn das Geschlecht betrachtet wird: Mit den jüngeren Geburtskohorten profitieren vor allem Frauen von der Bildungsexpansion sowie der Abnahme der sozialen Kontrolle bzw. der traditionellen Werte (vgl. Beck 1986: 175f., Huinink 1989: 2ff., Hill/Kopp 1999: 27, Liefbroer 1999: 64). In den jüngeren Geburtskohorten sollte daher für Frauen das Risiko, mit der ersten Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme ins Kerngebiet zu wandern, zunehmen (H6c und H7c).
116
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Hypothese 6 H6
Wenn eine erste Ausbildung oder ein erstes Studium (= erste Bildungsaufnahme) aufgenommen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko zu, in das Kerngebiet zu ziehen.
H6a
Wenn eine erste Bildungsaufnahme erfolgt, dann ist das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet geringer als in NordrheinWestfalen ohne Ruhrgebiet.
H6b
Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet im Zuge der ersten Bildungsaufnahme zu ziehen, nicht.
H6c
Je jünger die Geburtskohorten sind, desto höher ist das Ereignisrisiko, dass Frauen aufgrund der ersten Bildungsaufnahme in das Kerngebiet ziehen.
Hypothese 7 H7
Wenn ein erster Erwerb aufgenommen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko zu, in das Kerngebiet zu ziehen.
H7a
Wenn eine erste Erwerbsaufnahme erfolgt, dann ist das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet geringer als in NordrheinWestfalen ohne Ruhrgebiet.
H7b
Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet im Zuge der ersten Erwerbsaufnahme zu ziehen, nicht.
H7c
Je jünger die Geburtskohorten sind, desto höher ist das Ereignisrisiko, dass Frauen aufgrund der ersten Erwerbsaufnahme in das Kerngebiet ziehen.
Neben der Bildungs- und Erwerbskarriere wird die Haushalts- bzw. Familienkarriere betrachtet: Eine erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft sowie die Geburt von Kindern führen zu einer Vergrößerung des Haushaltes und somit zu einer Vergrößerung des Wohnraumanspruches. Dieser geht oftmals aufgrund der geringeren Miet- bzw. Bodenpreise mit Wanderungen ins Umland einher (vgl. Kühn 1998: 498, Wagner/Mulder 2000: 57, Aring/Herfert 2001: 52, Adam et al. 2007:
4.2 Handlungsorientierte Migrationstheorien
117
122f., Scheiner 2008: 54ff.; vgl. Kap. 4.2.1). Wird eine (nicht-)eheliche Partnerschaft geschlossen oder steht eine Geburt bevor, dann sollte sich zeigen, dass Personen, die im Kerngebiet wohnen, ins Umland ziehen. Da angenommen wird, dass der Umzug vom Kerngebiet ins Umland bereits zur Geburt des ersten Kindes erfolgt, sollten die Effekte für die bevorstehende Geburt des zweiten Kindes geringer sein (H9a, vgl. Kap. 4.2.1). Das Ereignisrisiko, im Zuge der ersten Ehe bzw. Lebenspartnerschaft sowie der bevorstehenden Geburt des ersten Kindes vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, sollte sich besonders stark in den Stadtregionen des Ruhrgebietes abzeichnen (H8a und H9b). Dort hat der strukturelle Wandel generell zu einer Bevorzugung des Umlandbereichs als Wohnstandort geführt (Schrumpf 2001, Blotevogel/Jeschke 2003, Strohmeier 2003, vgl. Kap. 2.4). Die Präferenz, in der Familiengründungsphase einen Wohnstandort im Umland zu wählen, sollte sich in den verschiedenen Geburtskohorten nicht ändern (vgl. Adam et al. 2007: 122f., vgl. Kap. 2.3). Dafür spricht, dass im Untersuchungszeitraum der Prozess der Suburbanisierung vorherrscht (Hatzfeld 2001, Karsten/Usbeck 2001, Kunzmann 2001). Gegen Ende des 20. Jahrhunderts werden zwar Tendenzen einer Reurbanisierung diskutiert, daran beteiligt sollen jedoch eher Personen der neuen Haushaltstypen und nicht Personen in der Familiengründungsphase sein (Lichtenberger 1984: 167, Geppert/Gornig 2003: 411, Hannemann/Läpple 2004 VI, Buzar et al. 2007: 652; vgl. Kap. 2.2). Deshalb sollten keine Unterschiede bestehen, wenn der Einfluss der ersten Ehe bzw. Lebenspartnerschaft oder der ersten Geburt auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland für die verschiedenen Geburtskohorten bestimmt wird (H8b und H9c). Hypothese 8 H8
Wenn eine erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft geschlossen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet in das Umland zu ziehen, zu.
H8a
Wenn eine erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft geschlossen wird, dann ist das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu wandern, im Ruhrgebiet höher als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet.
H8b
Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland aufgrund der ersten Heirat bzw. Lebenspartnerschaft zu ziehen, nicht.
118
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Hypothese 9 H9
Wenn die erste Geburt bevorsteht, dann nimmt das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet in das Umland zu ziehen, zu.
H9a
Wenn die zweite Geburt bevorsteht, dann erhöht sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, nicht in demselben Maß wie bei der ersten Geburt.
H9b
Wenn die erste Geburt bevorsteht, dann ist das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu wandern, im Ruhrgebiet höher als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet.
H9c
Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland aufgrund der ersten Geburt zu ziehen, nicht.
Ein letztes Ereignis der Familienkarriere, welches in dieser Arbeit betrachtet wird, ist die Trennung vom ersten (Ehe-)Partner: Eine Trennung sollte zunächst die nahräumliche Mobilität erhöhen, da sie mit der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes einhergeht (H10; vgl. Lee 1972, Mulder/Wagner 2010; vgl. Kap. 4.2.1). Bei einer Trennung übernehmen Frauen vielfach die Betreuung der gemeinsamen Kinder. Generell mindert das Vorhandensein von Kindern räumliche Mobilität (Statistisches Bundesamt 2006: 26, Statistisches Bundesamt 2009b: 88; vgl. Kap. 4.2.1). Es wird demgemäß angenommen, dass das Risiko einer Nahwanderung für Frauen geringer als für Männer ist, wenn Kinder vorhanden sind (H10a). Die gesellschaftlichen Veränderungen seit Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts bewirken einen Wandel der traditionellen Wertvorstellungen und infolge eine Minderung der sozialen Kontrolle sowie eine zunehmende Gleichberechtigung der Geschlechter (vgl. Beck 1986: 175f., Huinink 1989: 2ff., Hill/Kopp 1999: 27, Liefbroer 1999: 64; vgl. Kap. 4.2.2). Es wird deshalb angenommen, dass in älteren Geburtskohorten traditionelle Werte stärker als in jüngeren Geburtskohorten ausgeprägt sind. Frauen der jüngeren Geburtskohorten sollten aus diesem Grund im Zuge einer ersten Trennung daher ein höheres nahräumliches Wanderungsrisiko aufweisen als Frauen der älteren Geburtskohorten (H10b).
4.3 Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem
119
Hypothese 10 H10
Wenn die erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird, dann nimmt das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität zu.
H10a
Wenn die erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird und Kinder vorhanden sind, dann ist das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität bei Frauen geringer als bei Männern.
H10b
Wenn die erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird, dann nimmt das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität bei Frauen mit den jüngeren Geburtskohorten zu.
Der Zusammenhang zwischen beruflichen und familialen Ereignissen in der Bildungs-, Erwerbs-, Haushalts- und Familienkarriere sowie Nahwanderungen der einzelnen Akteure wird den Hypothesen entsprechend anhand der Lebensverlaufsstudien überprüft. 4.3 Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem Wanderungen sind ein interdisziplinäres Thema, weshalb es vielfältige theoretische Forschungsansätze gibt. Dessen ungeachtet erfolgt ihre Untersuchung oftmals atheoretisch (Albrecht 1972, Gatzweiler 1975, Frick 1996, Kalter 1997, Duranton/Puga 2000, Buzar et al. 2007). In dieser Arbeit bedarf es gemäß der Fragestellungen (vgl. Kap. 1.1) eines theoretischen Rahmens, der Makro- und Mikro-Ebene gleichermaßen umfasst: Beide Ebenen werden durch ein Mehrebenensystem zueinander in Bezug gesetzt (vgl. Abb. 15), welches Kapitel 4 einleitend ausführlich dargestellt worden ist. Nachstehend werden die Grundzüge wiederholend dargelegt, welche in Abbildung 25 um die theoretischen Ansätze dieses Kapitels erweitert werden: Mittels des Modells der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) werden die urbanen Phasen (Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung) in NordrheinWestfalen, das Explanandum, bestimmt. Dafür wird die amtliche Wanderungsstatistik für den Untersuchungszeitraum 1985 bis 2005 ausgewertet. Opportunitäten und Constraints bilden den makrotheoretischen Rahmen der urbanen Phasen. Dieser gesellschaftliche Kontext und dessen Veränderungen sind in Kapitel 2.3, Kapitel 2.4 sowie in Kapitel 4.2 ausführlich dargestellt worden. Zu ihnen gehören der Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen, das
120
4 Theorien, Modelle und Hypothesen
Aufkommen der neuen Haushaltstypen ebenso wie die Veränderungen des wirtschaftlichen Sektors hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensindustrie. Diese gesellschaftlichen Bedingungen stellen gleichzeitig den Rahmen für die Karrieren des Lebenslaufs des einzelnen Akteurs auf der Mikro-Ebene dar. Die Perspektive des Lebenslaufs (Mulder 1996) bildet die theoretische Grundlage für die Untersuchung der Lebensverlaufsstudien. Für den Zeitraum von 1950 bis 1999 wird untersucht, inwiefern ausgewählte berufliche und familiale Ereignisse Auslöser für Wanderungen in das Kerngebiet oder ins Umland sind und welche individuellen Faktoren restriktiv wirken. Die Summe dieser Einzelentscheidungen resultiert in den verschiedenen urbanen Phasen, wodurch wiederum der Bezug zur Makro-Ebene hergestellt wird.
Opportunitäten, Constraints (z.B. Wohnungsmarkt)
Urbanisierung Suburbanisierung Desurbanisierung Reurbanisierung
4
1 Perspektive des Lebenslaufs
3
Präferenz, Auslöser Wanderungsabwägung Restriktion, Hindernisse
2
Wanderung in den Kern / ins Umland
Erwerbs- / Bildungs- / Familien- / Wohnungskarriere
1
Logik d. Situation
2
Logik d. Selektion
3
Logik d. Aggregation
4
Kollektivhypothese
Abbildung 25: Mobilitätsentscheidung in einem erweiterten Mehrebenensystem Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98, Mulder/Hooimeijer 1999: 164 Aufgrund der unterschiedlichen Zeiträume sowie verwendeten Datensätze können die vorherrschenden urbanen Phasen auf der Makro-Ebene nur exemplarisch durch die Mikro-Ebene erklärt werden. Trotz dieser Einschränkungen und angesichts der wenigen theoretischen Ansätze zu Nahwanderungen ist das Mehrebenensystem dazu geeignet, den theoretischen Rahmen für die Zielsetzung dieser Arbeit sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makro-Ebene zu bilden.
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Das Wanderungsgeschehen in Nordrhein-Westfalen wird seit Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts vorrangig durch den Prozess der (Bevölkerungs-)Suburbanisierung geprägt. Gegen Ende des 20. sowie zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird – trotz fehlender empirischer Belege – vermehrt diskutiert, ob eine Reurbanisierung der Bevölkerung zu beobachten ist (Osterhage 2003, Difu 2005, Reutter 2008, Siedentop 2008; vgl. Kap. 2.4). Zeichnet sich diese Trendwende tatsächlich ab? Oder besteht die Suburbanisierung ungebrochen fort? Um diese Fragen auf der Makro-Ebene erörtern zu können, wird in diesem Kapitel das zweite Teilziel der Arbeit verfolgt (vgl. Kap. 1.1): 2a. Quantifizierung des Ausmaßes räumlicher Mobilität sowie die Untersuchung soziodemografischer Merkmale von Wandernden. Die ausgeprägte Deindustrialisierung und die hohen Arbeitslosenquoten bewirken, dass die Städte des Ruhrgebietes stärker als diejenigen des übrigen Nordrhein-Westfalens von nah-, aber auch fernräumlichen Abwanderungen betroffen sind (Lageman/Schmidt 2006; vgl. Kap. 2.4). Aufgrund dieser regionalen Unterschiede und auf Basis der amtlichen Wanderungsstatistik (Kap. 5.1) gliedert sich das Kapitel in Analysen für das gesamte Nordrhein-Westfalen (Kap. 5.2) sowie für das Ruhrgebiet in Abgrenzung zum verbleibenden Nordrhein-Westfalen (Kap. 5.3). In Kapitel 5.4 werden die Ergebnisse mit Bezug zu den Hypothesen zusammengefasst. Bevor der Zielsetzung dieses Kapitels nachgegangen wird, wird die zugrunde liegende amtliche Wanderungsstatistik, deren Aufbereitung sowie die verwendete Methode näher beschrieben. 5.1 Amtliche Wanderungsstatistik Die Quantifizierung der nahräumlichen Wanderungsströme in Nordrhein-Westfalen erfolgt mittels der amtlichen Wanderungsstatistik des vormaligen Landes-
K. Gerber, Räumliche Mobilität im Wandel, DOI 10.1007/978-3-531-92909-5_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
122
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
amtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalens (LDS NRW; gegenwärtig: Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW)). Aufgeschlüsselt nach Gemeinden umfasst diese Statistik Angaben über die Zahl der Fort- und Zuzüge zwischen beliebigen Ziel- bzw. Herkunftsgemeinden in Nordrhein-Westfalen. Von Bedeutung für diese Arbeit sind Fortzüge von einer Gemeinde einer Stadtregion in eine andere Gemeinde derselben Stadtregion (vgl. Kap. 2.1). In einem ersten Schritt sind deshalb diejenigen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ermittelt worden, welche einer der 25 Stadtregionen des Stadtregionenmodells von 2004 angehören (vgl. Abb. 12, Kap. 3.3.1). Eine Tabelle der ‚gemeindescharfen‘ Zuordnung hat das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung zur Verfügung gestellt. Um Veränderungen im Ausmaß der Wanderungsströme gegen Ende des 20. Jahrhunderts bzw. zu Beginn des 21. Jahrhunderts feststellen zu können, sind die Fort- und Zuzüge zwischen diesen Gemeinden für verschiedene Zeitpunkte angefordert worden: Die amtliche Wanderungsstatistik ist vom LDS rückwirkend bis Ende der 1970er Jahre digital aufbereitet worden. Der früheste Untersuchungszeitpunkt stellt allerdings das Jahr 1985 dar, welches den zeitlichen Beginn des Stadtregionenmodells von 2004 markiert (vgl. Kap. 3.2.2). Die Betrachtung eines früheren Zeitpunktes bedingt die Aufbereitung der Daten für das Stadtregionenmodell von 1970 und ist aufgrund der intensiven Aufbereitung der Lebensverlaufsstudien des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung (MPIfB) im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten (vgl. Kap. 6.1). Die Daten liegen im Dreijahresrhythmus bis 2003 und zusätzlich für das Jahr 2005 vor. Damit werden die Zeiträume zwischen den Zeitpunkten möglichst gering gehalten. Die betrachteten Jahre sind somit: 1985, 1988, 1991, 1994, 1997, 2000, 2003 und 2005. Neben den Zu- und Fortzügen zwischen Gemeinden einer Stadtregion sind für jede Gemeinde die Anzahl der Zu- und Fortzüge insgesamt sowie Angaben zur Wohnbevölkerung vorhanden. Diese Daten sind zudem differenziert nach Geschlecht, Nationalität (deutsch, nicht-deutsch55) und Alter der gewanderten Personen (unter 18 Jahre, 18 bis 24 Jahre, 25 bis 29 Jahre, 30 bis 49 Jahre, 50 bis 64 Jahre, 65 Jahre und älter). Insgesamt liegen ca. 476.000 Einzeldaten vor. Die Daten für Geschlecht, Nationalität und Altersgruppen liegen für die Ausprägungen Mann, deutsch sowie die Altersgruppen der unter 18- bis 64Jährigen vor. Die Daten der fehlenden soziodemografischen Gruppen (Frauen, nicht-deutsch sowie 65 Jahre und älter) werden dadurch bestimmt, dass die jeweilige Differenz zu den gesamten Wanderungs- bzw. Bevölkerungsdaten gebildet wird: Liegt beispielsweise die Gesamtzahl aller Wanderungen (ܹ௦ ) sowie
55 Die Unterscheidung beruht auf den Kriterien des LDS.
123
5.1 Amtliche Wanderungsstatistik
die Anzahl aller Wanderungen von Männern (ܹ ) vor, so ergibt sich die Anzahl der Wanderungen von Frauen (ܹ ) wie folgt: ܹ ൌ ܹ௦ െ ܹ
(5.1)
Nachdem alle Angaben ermittelt worden sind, ist jeder Gemeinde die ihr entsprechende Raumkategorie der Stadtregion zugeordnet worden. Es folgte eine Gruppierung der Gemeinden je nach Zugehörigkeit zum Kerngebiet, näheren und weiteren Umland. Dieses Vorgehen ist jeweils für die betrachteten soziodemografischen Merkmale wiederholt worden. Abschließend sind für jede Stadtregion die gesamten sowie die nach Geschlecht, Nationalität und Altersgruppen differenzierten Daten zusammengefügt worden. Das Resultat sind 25 stadtregionale Datenbanken, in denen die jeweiligen Fort- und Zugzüge zwischen allen Gemeinden einer Stadtregion dargestellt sind. Zusätzlich liegen Angaben zu den jeweiligen räumlichen Kategorien, den soziodemografischen Merkmalen sowie den acht Untersuchungszeitpunkten vor. Darüber hinaus sind Datenbanken für das gesamte Nordrhein-Westfalen sowie getrennt für die Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes erstellt worden. Die Auswertungen der amtlichen Wanderungsstatistik dienen dazu, einen Beitrag zur Debatte um reurbane oder suburbane Entwicklungen zu leisten (vgl. Kap. 1.1). Da es somit vorrangiges Ziel ist, das Ausmaß nahräumlicher Mobilität zu bestimmen, erfolgt die Auswertung der Daten deskriptiv. Grundlage der Analysen stellen die nachstehenden Umrechnungen dar: In ihrer ursprünglichen Form liegen alle Angaben in absoluten Werten vor. Damit die Wanderungsbewegungen der verschiedenen Stadtregionen vergleichbar sind, werden relative Werte berechnet. In Abhängigkeit von der Fragestellung werden die Wanderungen von Frauen, Männern, Deutschen, Nicht-Deutschen sowie den jeweiligen Altersgruppen an den Fortzügen insgesamt und an der Wohnbevölkerung einer Gemeinde (bzw. Raumkategorie) relativiert. Stadtregionen mit nur einer Gemeinde stehen neben solchen mit mehreren Gemeinden als Kerngebiet. Damit die Wanderungen zwischen den Raumkategorien von verschiedenen Stadtregionen miteinander verglichen werden können, werden die Daten dergestalt aufbereitet, dass nahräumliche Mobilität innerhalb eines Kerngebietes nicht berücksichtigt wird. Es werden durch die Statistik ausschließlich amtlich registrierte Umzüge erfasst (vgl. Boustedt 1983: 109ff.; vgl. Kap. 2.1). Es ist den Daten nicht zu entnehmen, ob Personen mehrfach umgezogen sind bzw. welche Wanderungen aufeinanderfolgen. Die Verbindung soziodemografischer Merkmale ist aufgrund der amtlich geforderten Anonymität ebenfalls nicht möglich: Es ist zum Beispiel
124
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
nicht ersichtlich, wie viele männliche, deutsche Personen unter 18 Jahren umziehen. Dieses Defizit wird allerdings zum Teil dadurch kompensiert, dass die Lebensverlaufsstudien in Kapitel 6 analysiert werden. Während die Lebensverlaufsstudien ebenso eine akteursbezogene Zuordnung der Herkunfts- und Zielgebiete von Nahwanderungen erlauben, werden durch die amtliche Statistik Wanderungsströme dargestellt. Da es auf der Makro-Ebene Ziel ist, diese Ströme zu quantifizieren, stellt dies keine Restriktion dar. Trotz der aufgeführten Einschränkungen sind die amtlichen Wanderungsdaten die aktuellsten und umfassendsten Daten, die derzeit zur Untersuchung von Wanderungen zur Verfügung stehen: Bezogen auf Wanderungen innerhalb von Stadtregionen liegt durch die amtlichen Wanderungsdaten eine Vollerhebung für die ausgewählten Zeitpunkte zwischen 1985 und 2005 vor. Auf deren Grundlage können alle Wanderungen innerhalb von Stadtregionen quantifiziert und zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander verglichen werden. 5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen? In diesem Kapitel wird dargelegt, ob und inwiefern sich die vorherrschende Richtung von Wanderungsströmen in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens mit Beginn des 21. Jahrhunderts ändert (Kap. 5.2.1) und mit ihr urbane Prozesse56 (Kap. 5.2.2). 5.2.1 (Nah-)Wanderungsströme und -salden Zunächst werden die stärksten Wanderungsströme bzw. die Wanderungssalden innerhalb der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens bestimmt. Auf dieser Grundlage wird erörtert, inwiefern Kerngebiete, näheres und weiteres Umland von Bevölkerungsgewinnen bzw. -verlusten infolge nahräumlicher Mobilität betroffen sind. Um in Erfahrung zu bringen, welche Personengruppen an welchen Nahwanderungsströmen maßgeblich beteiligt sind, werden die Ergebnisse für die sechs Altersgruppen sowie für Frauen und Männer differenziert. Nahräumliche Wanderungsströme und -salden stellen jedoch nur einen Teil der räumlichen Mobilität im Zuge urbaner Prozesse dar. Fortzüge aus entfernten Gemeinden in die Stadtregionen bzw. entgegengesetzte Wanderungen tragen ebenfalls zu diesen Vorgängen bei (Friedrichs 1977: 170; vgl. Kap. 2.1). Sie 56 Unter „urbanen Prozessen“ werden im Folgenden die Phasen der urbanen Entwicklung, Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung sowie Reurbanisierung verstanden (vgl. Kap. 4.1.2).
125
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
werden deshalb in einem zweiten Schritt zusätzlich in die Untersuchung einbezogen. Nahwanderungsströme und -salden Im Zuge der Suburbanisierung der Bevölkerung bestimmen Wanderungen vom Kerngebiet ins nähere Umland die nahräumliche Mobilität (Abb. 26, Phase I). Um eine Ausbreitung der Bevölkerungssuburbanisierung (Desurbanisierung) zu belegen, sollte zu beobachten sein, dass neben Fortzügen vom Kerngebiet ins nähere Umland, ebenso Fortzüge in das weitere Umland das Wanderungsgeschehen dominieren (Abb. 26, Phasen I und II). Eine Zunahme der Fortzüge vom näheren sowie weiteren Umland in das Kerngebiet unterstützt hingegen die These einer einsetzenden Reurbanisierung (Abb. 26, Phase III). Die zeitliche Abfolge dieser Phasen entspricht der Entwicklung der urbanen Phasen nach van den Berg et al. (1982) – ausgehend von der Phase der Suburbanisierung.
Phase I
Phase II
Phase III
t Kerngebiet
weiteres Umland
näheres Umland
Stärke des Wanderungsstroms
Abbildung 26: Schematische Darstellung: Suburbanisierung (I / II) und Reurbanisierung (III) der Bevölkerung Quelle: Eigene Darstellung Es werden die Wanderungsströme (W) zwischen Kerngebiet (K) und näherem sowie weiterem Umland (NU und WU, zusammen U) betrachtet. Auf deren Grundlage wird jeweils ein Saldo (S) der Nahwanderungen zwischen zwei
126
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Raumkategorien gebildet. Dieser gibt darüber Aufschluss, welche Wanderungsrichtung überwiegt bzw. welche Raumkategorie im Vergleich zu einer anderen Einwohner gewinnt oder verliert: Wandern beispielsweise mehr Personen vom Kerngebiet ins nähere Umland als in die umgekehrte Richtung, dann ist der Wanderungssaldo für das Kerngebiet – mit Bezug auf das nähere Umland – negativ. Das Kerngebiet verliert aufgrund von Fortzügen Einwohner an das nähere Umland. Um eine Vergleichbarkeit zu verschiedenen Zeitpunkten, aber auch zwischen verschiedenen Stadtregionen zu ermöglichen, werden die Wanderungssalden auf 100.000 Einwohner (E) der jeweiligen Stadtregion (St) bezogen (vgl. Schönert 2001: 4). Für die einzelnen Wanderungssalden gilt: ܵே ൌ
ሺௐಿೆ՜಼ ିௐ಼՜ಿೆ ሻ
ܵௐ ൌ ܵ ൌ
ாೄ
ൈ ͳͲͲǤͲͲͲ
ሺௐೈೆ՜಼ ିௐ಼՜ೈೆ ሻ ாೄ
(5.2)
ൈ ͳͲͲǤͲͲͲ
ሺௐಿೆ՜಼ ାௐೈೆ՜಼ ሻିሺௐ಼՜ಿೆ ାௐ಼՜ೈೆ ሻ
ܵேௐ ൌ
ாೄ ሺௐೈೆ՜ಿೆ ିௐಿೆ՜ೈೆ ሻ ாೄ
(5.3) ൈ ͳͲͲǤͲͲͲ
ൈ ͳͲͲǤͲͲͲ
(5.4) (5.5)
Bezogen auf die in Abbildung 26 dargestellten Phasen gilt ferner: Phase I: Phase II: Phase III:
ܵே ൏ Ͳ ܵ ൏ Ͳ ܵ Ͳ
(5.6) (5.7) (5.8)
Darüber hinaus lassen sich durch die Wanderungssalden weitere urbane Tendenzen abbilden. Überwiegen beispielsweise Wanderungen vom näheren ins weitere Umland, verstärkt dies den Prozess der Suburbanisierung. Überwiegen Wanderungen vom weiteren ins nähere Umland, wirkt dies der Suburbanisierung entgegen: Ausbreitung der Suburbanisierung: Verringerung der Suburbanisierung:
ܵேௐ ൏ Ͳ ܵேௐ Ͳ
(5.9) (5.10)
127
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
Bevor das Wanderungsgeschehen in den einzelnen Stadtregionen betrachtet wird, erfolgt ein Überblick für das gesamte Nordrhein-Westfalen. Dafür sind die Wanderungen zwischen Kerngebiet, näherem und weiterem Umland von allen Stadtregionen mit Umland57 in Nordrhein-Westfalen (n1 bis n18) jeweils summiert und durch die Anzahl der einbezogenen Stadtregionen geteilt worden. Die Wanderungen vom Kerngebiet ins nähere Umland für Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise wie folgt ermittelt worden: ܹேோௐ಼՜ಿೆ ൌ
ௐೄభ
಼՜ಿೆ
ାǥାௐೄభఴ
಼՜ಿೆ
(5.11)
Analog zu diesem Vorgehen sind die verbleibenden Wanderungsströme zwischen Kerngebiet und näherem sowie weiterem Umland für das gesamte Nordrhein-Westfalen bestimmt worden. Auf deren Grundlage sind entsprechend der Gleichungen 5.2 bis 5.5 die Wanderungssalden für Nordrhein-Westfalen berechnet worden. In Abbildung 27 werden diese Wanderungssalden dargestellt: Die dunkelgraue Linie entspricht dem Wanderungssaldo zwischen Kerngebiet und dem gesamten Umland. Verläuft sie im negativen Bereich, finden mehr Fortzüge vom Kerngebiet ins Umland als in die entgegengesetzte Richtung statt (vgl. Abb. 26, Phase II). Dementsprechend deutet ein Verlauf im positiven Bereich an, dass mehr Fortzüge vom Umland ins Kerngebiet als in die umgekehrte Richtung erfolgen (vgl. Abb. 26, Phase III). Zu allen Untersuchungszeitpunkten verliert das Kerngebiet in NordrheinWestfalen mindestens 30 Personen pro 100.000 Einwohner an sein Umland (Abb. 27).58 Wird der Wanderungssaldo ܵ differenzierter betrachtet, so zeigt sich, dass der Einwohnerverlust an das nähere Umland um ein Vielfaches größer ist als der Einwohnerverlust an das weitere Umland. Mit Bezug zu Abbildung 26 lässt sich daraus schlussfolgern, dass die Suburbanisierung noch nicht weit fortgeschritten ist. Dadurch, dass zu allen Untersuchungszeitpunkten das nähere Umland Einwohner an das weitere verliert, wird jedoch deutlich, dass sich die Suburbanisierung ausbreitet.
57 Für Stadtregionen ohne Gemeinden im Umland kann ein Wanderungssaldo zwischen Kerngebiet und Umland nicht berechnet werden (vgl. Tab. 3 und Abb. 28). 58 Die Wanderungsströme zwischen Kerngebiet und Umland, aus denen die Wanderungssalden resultieren, können Abbildung 72 des Anhangs entnommen werden. Wird der letzte Untersuchungszeitpunkt, d.h. das Jahr 2005, nicht einbezogen, dann wird deutlich sichtbar, dass sich die Stärke der Wanderungsströme zwischen Kerngebiet und Umland der Stadtregionen vorrangig parallel verändert.
128
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Nordrhein-Westfalen Wanderungssaldo pro 100.000 Einwohner
1985
1988
1991
1994
1997
2000
2003
2005
10 0 -10 -20 -30
Zunahme Suburbanisierung
Zunahme Suburbanisierung
Abnahme Suburbanisierung
-40 -50 -60
Abnahme Suburbanisierung
-70 -80 -90 WanderungssaldoKNU* SKNU Wanderungssaldo Wanderungssaldo WanderungssaldoNUWU* SNUWU
WanderungssaldoKWU* SKWU Wanderungssaldo Wanderungssaldo WanderungssaldoKU* SKU
Jahr
Abbildung 27: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen in NRW von 1985 bis 2005 Quelle: Eigene Darstellung Es lassen sich im Einzelnen drei Phasen unterscheiden:
Von 1985 bis zum Ende der 1990er Jahre erhöht sich der negative Wanderungssaldo ܵ um mehr als das Doppelte: Während im Jahr 1985 das Kerngebiet 33 Personen pro 100.000 Einwohner an sein Umland verliert, ist mit 83 Personen pro 100.000 Einwohner die größte Ausprägung im Jahr 1997 erreicht. Die Verstärkung der negativen Wanderungssalden ܵ sowie ܵேௐ zur Mitte der 1990er Jahre spricht für eine Ausdehnung der Bevölkerungssuburbanisierung. Darüber hinaus ist zu erkennen, dass der negative Wanderungssaldo ܵ im Jahr 1991 kurzfristig seine Stärke einbüßt: Das Kerngebiet verliert 9 Personen pro 100.000 Einwohner weniger an sein Umland als zum vorangegangenen Untersuchungszeitpunkt. Im Jahr 1994 sind es hingegen 47 Personen pro 100.000 Einwohner mehr als im Jahr 1991.
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
129
Der punktuelle Wanderungsgewinn des Kerngebietes erklärt sich wie folgt: Das Jahr 1991 stellt den ersten Untersuchungszeitpunkt nach der deutschen Wiedervereinigung dar. Die mit diesem Ereignis einhergehenden Ost-WestWanderungen führen zu Wanderungsgewinnen in den westdeutschen Agglomerationen und wirken der Suburbanisierung entgegen (Osterhage 2003: 69ff., Grüber-Töpfer 2008: 9; vgl. Kap. 2.4). Fernwanderungen werden jedoch erst nachstehend in die Auswertungen einbezogen (vgl. Abb. 34 und Abb. 35). Die in Abbildung 27 dargestellten Ergebnisse erwecken jedoch den Anschein, dass sich die Ost-West-Wanderungen auch kleinräumig auswirken: Es ist denkbar, dass Zuwanderungen in einem ersten Schritt in das Umland der Agglomerationen erfolgen und erst in einem zweiten Schritt in die Kerngebiete. Zudem kann der Zustrom in die Kerngebiete deren Attraktivität auch für andere Bewohner der Stadtregionen steigern. Nach dem Untersuchungszeitpunkt von 1997 verringert sich der negative Wanderungssaldo ܵ wieder um mehr als die Hälfte auf 30 Personen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2005. In diesem Jahr verzeichnet das Kerngebiet zum ersten Mal einen Zuwachs von 2 Personen pro 100.000 Einwohner aus dem weiteren Umland. Die Verringerung der Wanderungssalden ܵ sowie ܵேௐ gegen Ende des Untersuchungszeitraums deutet eine Abnahme der Suburbanisierung an. Der einzig positive Wanderungssaldo ܵௐ kann darüber hinaus als ein erstes Anzeichen einer sich einleitenden Reurbanisierung gedeutet werden (vgl. Grüber-Töpfer 2008, Osterhage 2003, Steinweg 2003; vgl. Kap. 2.4). Deren Ursachen wird detaillierter in Kapitel 6 nachgegangen.
In Abbildung 28 werden die Wanderungssalden, welche bislang für das gesamte Nordrhein-Westfalen beschrieben worden sind, für die einzelnen Stadtregionen dargestellt. Zunächst ergibt sich ein sehr heterogenes Bild: Während die Wanderungssalden in manchen Stadtregionen über den Untersuchungszeitraum nahezu konstant sind, nehmen sie in anderen einen eher wellenförmigen Verlauf. Erste Übereinstimmungen zeigen sich für die Stadtregionen Düsseldorf, Essen, Hagen sowie Leverkusen. Diese weisen während des gesamten Untersuchungszeitraums einen relativ gleichbleibenden Wanderungssaldo auf: Dass sich Wanderungsgewinne und -verluste annähernd ausgleichen, wird durch die geringe Anzahl an Umlandgemeinden bedingt (vgl. Tab. 3): Wenn der Umlandbereich klein ist, ist der Wanderungsaustausch zwischen Kerngebiet und Umland geringer. Gemeinsam ist den verbleibenden Stadtregionen, dass ihre Wanderungssalden überwiegend negativ sind; das Kerngebiet verliert somit zugunsten des Umlandes an Einwohnern. Die Stadtregionen befinden sich in der Phase der sich ausbreitenden Suburbanisierung (vgl. Abb. 26, Phase II).
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
200
Jahr
100 0 85 88 91 94 97 00 03 05
Jahr
Essen
100 0 85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo
-200
200
Hamm
100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo
-200
200
Jahr
0 85 88 91 94 97 00 03 05
-200
200
Jahr
0 85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Wand.-Saldo SKNU
-100
85 88 91 94 97 00 03 05
Jahr
200
Jahr
100 0 -100
200
85 88 91 94 97 00 03 05
85 88 91 94 97 00 03 05
200
-100
85 88 91 94 97 00 03 05
200
-100
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Wand.-Saldo SKWU
Jahr
Jahr
Hagen
200 100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
Jahr
Krefeld
200 100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
200
Jahr
Mönchengladbach
100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo
-200
Jahr
0
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Remscheid
100
0
-200
Jahr
0
100
-200
Münster
100
Jahr
Duisburg
200
-100
Köln
0
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Jahr
100 -100
0 -100
Gelsenkirchen
-200
Paderborn
100 -100
0
-200
Leverkusen
100 -100
100
-200
Jahr Wand.-Saldo
-100
Wand.-Saldo
Wand.-Saldo
200
200
Jahr
100
Dortmund
-200
Wand.-Saldo
-100
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Düsseldorf
-200
Wand.-Saldo
-100
Wand.-Saldo
Wand.-Saldo
-200
0
Wand.-Saldo
85 88 91 94 97 00 03 05
100
Bonn
200
Wand.-Saldo
-100
Bielefeld
Wand.-Saldo
0
200
Wand.-Saldo
100
Wand.-Saldo
Aachen Wande.-Saldo
200
Wand.-Saldo
Wand.-Saldo
130
Jahr
Siegen
200 100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Wand.-Saldo SNUWU
Jahr
Wand.-Saldo SKU
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Stadtregion)
Abbildung 28: Wanderungssalden von Stadtregionen in NRW (1985 - 2005) Quelle: Eigene Darstellung
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
131
Für die einzelnen Stadtregionen lässt sich der in Abbildung 27 beschriebene Verlauf der Wanderungssalden in unterschiedlicher Ausprägung nachvollziehen:
Mit Ausnahme von Gelsenkirchen und Siegen vergrößern sich die negativen Wanderungssalden ܵ bis zum Untersuchungszeitpunkt von 1997: Im nahezu gesamten Nordrhein-Westfalen ist somit eine Ausbreitung der Suburbanisierung zu beobachten (vgl. Abb. 26, Phase II). Die temporäre Verringerung des negativen Wanderungssaldos ܵ für das Jahr 1991 wird besonders deutlich in den Stadtregionen Bielefeld, Hamm, Münster und Remscheid – und somit eher im nordöstlichen NordrheinWestfalen (vgl. Abb. 12, Kap. 3.3.1). Das Kerngebiet von Paderborn gewinnt sogar 79 Personen pro 100.000 Einwohner. Es ist davon auszugehen, dass diese Gebiete aufgrund ihrer geographischen Lage erste Zuwanderungsgebiete der Ost-West-Wandernden gewesen sind. Nach dem Jahr 1997 verringern sich die negativen Wanderungssalden ܵ bis zum Ende des Untersuchungszeitraums: In den Stadtregionen Aachen, Bielefeld, Hagen und Hamm – und somit sowohl außerhalb als auch innerhalb des Ruhrgebietes – verzeichnen die Kerngebiete zu Beginn des 21. Jahrhunderts überdies einen leichten Einwohnergewinn aus dem Umland. In diesen Stadtregionen ist daher die erste Tendenz einer Reurbanisierung zu erkennen (vgl. Abb. 26, Phase III). Dagegen weisen die eher im südlichen bzw. östlichen Nordrhein-Westfalen gelegenen Stadtregionen Bonn, Paderborn, Remscheid und Siegen, aber auch Duisburg vergleichsweise hohe negative Wanderungssalden ܵ auf.
Es kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen geklärt werden, weshalb manche Stadtregionen Wanderungsgewinne und andere Wanderungsverluste aufweisen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich hinter diesen Wanderungssalden unterschiedliche stadtpolitische Maßnahmen verbergen. Gerade in den Ruhrgebietsstädten wird beispielsweise ein intensives Stadt- bzw. Regionalmarketing betrieben, damit sich Einwohner mit ihren Städten identifizieren und dort wohnen bleiben (BBR 2000a, IBA 2008, vgl. Kap. 2.4). Eine Phase der Reurbanisierung kann für das gesamte Nordrhein-Westfalen nicht beobachtet werden. Es zeigt sich jedoch eine Abnahme der Einwohnerverluste des Kerngebietes an das Umland zum Ende des Untersuchungszeitraums. Darüber hinaus weisen die Kerngebiete einzelner Stadtregionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts positive Wanderungssalden auf. Dies deutet auf eine beginnende Reurbanisierung hin.
132
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Nahwanderungen in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht In Diskussionen um eine Reurbanisierung der Bevölkerung mit Beginn des 21. Jahrhunderts sind zum einen jüngere, vermehrt aber auch ältere Personen Träger dieser Reurbanisierung (vgl. Osterhage 2008; vgl. Kap. 2.4). Gemäß Hypothese 1 und Hypothese 2 werden daher die beiden Altersgruppen der 18- bis 24-Jährigen sowie der 50- bis 64-Jährigen eingehender betrachtet. Um Veränderungen in deren Wanderungsbewegungen feststellen zu können, werden die beiden Zeiträume von 1985 bis 1994 (t1) und 1997 bis 2005 (t2) einander gegenübergestellt (vgl. Kap. 4.1.3): Hypothese 1 H1
Eine Reurbanisierung zeichnet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann ab, wenn in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens die Kerngebiete durchschnittlich mehr 18- bis 24-Jährige Einwohner durch Zuzüge aus dem Umland gewinnen als im Zeitraum t1 (1985 bis 1994).
Hypothese 2 H2
Eine Reurbanisierung zeichnet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann ab, wenn in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens die Kerngebiete durchschnittlich mehr 50- bis 64-Jährige Einwohner durch Zuzüge aus dem Umland gewinnen als im Zeitraum t1 (1985 bis 1994).
Neben dieser Schwerpunktsetzung wird dargelegt, wie sich die Wanderungssalden zwischen Kerngebiet, näherem und weiterem Umland für die vom LDS bestimmten Altersgruppen der unter 18-Jährigen, 18- bis 24-Jährigen, 25- bis 29Jährigen, 30- bis 49-Jährigen, 50- bis 64-Jährigen und für die über 64-Jährigen unterscheiden: Wie in Kapitel 4.2.1 ausgeführt bedingen lebenszyklische Ereignisse oftmals bestimmte Formen nahräumlicher Mobilität (vgl. Lee 1972, Rossi 1980, Herlyn 1990, Flöthmann 1996). Die amtliche Wanderungsstatistik beinhaltet allerdings keine Ereignisse, die im direkten Einklang mit nahräumlicher Mobilität gebracht werden können. Manche Ereignisse, wie der Auszug aus dem Elternhaus, gehen jedoch mit bestimmten Altersphasen einher (Schindler 1985). Deshalb werden im Folgenden Altersgruppen betrachtet, für welche typische lebenszyklische Ereignisse angenommen werden (vgl. Nipper 1975, Gatzweiler 1982, Häußermann/Siebel 1987, Birg et al. 1993, LTS 2001, Gatzweiler/Schlömer 2008; vgl. Kap. 4.2.1). Es darf dennoch nicht außer Acht gelassen werden,
133
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
250 200 150 100 50 0 -50 -100 -150
250 200 150 100 50 0 -50 -100 -150
Wanderungssaldo
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
250 200 150 100 50 0 -50 -100 -150
Nordrhein-Westfalen 25- bis 29-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05
Wanderungssaldo
250 200 150 100 50 0 -50 -100 -150
Nordrhein-Westfalen unter 18-Jährige
Jahr Nordrhein-Westfalen 50- bis 64-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo SKNU
Jahr Wand.-Saldo SKWU
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
dass idealtypische Verläufe nicht der Regelfall sind (vgl. Droth/Dangschat 1985, Krämer 1992, Dittrich-Wesbuer/Brzenczek 2008; vgl. Kap. 4.2.2). In Abbildung 29 werden die Wanderungssalden zwischen Kerngebiet, näherem und weiterem Umland einer jeden Altersgruppe für ganz NRW dargestellt.
250 200 150 100 50 0 -50 -100 -150
250 200 150 100 50 0 -50 -100 -150
Nordrhein-Westfalen 18- bis 24-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr Nordrhein-Westfalen 30- bis 49-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr Nordrhein-Westfalen über 64-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo SNUWU
Jahr Wand.-Saldo SKU
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe)
Abbildung 29: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen in NRW (1985 2005) – Altersgruppen Quelle: Eigene Darstellung
134
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, werden diese Wanderungssalden an 100.000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe relativiert.Wie in Abbildung 27 stellt die dunkelgraue Linie den Wanderungssaldo zwischen Kerngebiet und dem gesamten Umland dar. Verläuft sie im positiven Bereich, gewinnt das Kerngebiet mehr Einwohner durch Zuzüge aus dem Umland als es durch Fortzüge in das Selbige verliert (Abb. 26, Phase II; vgl. Gleichung 5.7). Dagegen verliert das Kerngebiet Einwohner an das Umland, wenn sich der Wanderungssaldo im negativen Bereich befindet (Abb. 27, Phase III; vgl. Gleichung 5.8). Die diesen Wanderungssalden zugrunde liegenden Wanderungsströme können Abbildung 72 des Anhangs entnommen werden. Unter 18-Jährige Die Wanderungen der unter 18-Jährigen sind in den meisten Fällen von den Wanderungen ihrer Eltern abhängig (LTS 2001; vgl. Kap. 4.2.1). Da vielfach der Wunsch besteht, Kinder in einer weniger dicht besiedelten Umgebung aufwachsen zu lassen, werden oftmals Umzüge in das Umland unternommen. Zudem kann den erhöhten Flächenansprüchen durch die geringeren Boden- und Mietpreise im Umland entsprochen werden (vgl. LTS 2001, Adam et al. 2007, BBR 2007; vgl. Kap. 4.1.2). Für die unter 18-Jährigen zeigt sich dementsprechend für den gesamten Untersuchungszeitraum, dass das Kerngebiet durch Fortzüge mehr Einwohner an das Umland verliert als es durch Zuzüge gewinnt (Abb. 29). Diese Tendenz wird durch die großräumigen Prozesse in ihrem Ausmaß beeinflusst: Der Verlust an unter 18-Jährigen verringert sich zum ersten Untersuchungszeitpunkt nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991. Infolge verstärkt sich der Prozess der Suburbanisierung bis zum Jahr 1997, um sich bis zum Ende des Untersuchungszeitraums erneut zu verringern (vgl. Abb. 27). Diese Prozesse wirken sich ebenfalls auf die Wanderungssalden der verbleibenden Altersgruppen aus (Abb. 29). 18- bis 24-Jährige Die 18- bis 24-Jährigen befinden sich größtenteils zu Beginn ihrer Ausbildung bzw. ihres Studiums. Idealtypisch wandern Personen dieser Altersgruppe in die Kerngebiete von Stadtregionen zur Ausbildungs- und Studienaufnahme (vgl. Gatzweiler 1982, Häußermann/Siebel 1987, Birg et al. 1993, Feijten et al. 2008; vgl. Kap. 4.2.1). In Abbildung 29 spiegelt sich dieser klassische Verlauf in Form der Wanderungssalden wider: Für den gesamten Untersuchungszeitraum über-
135
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
Fortzüge
wiegen Nahwanderungen in das Kerngebiet. Es erfolgt dabei ein zweistufiger Anstieg, der durch die Wanderungsprozesse der jeweiligen Zeit hervorgerufen wird: Im Jahr 1991, dem ersten Untersuchungszeitpunkt nach der Wiedervereinigung, wandern 68 Personen pro 100.000 Einwohner dieser Altersgruppe mehr in das Kerngebiet als zum vorherigen Untersuchungszeitpunkt. Seit dem Jahr 1997, in welchem die Suburbanisierung an Stärke verliert (vgl. Abb. 27), erfolgt ein weiterer Anstieg. Im Jahr 2005 gewinnt das Kerngebiet durch Zuzüge aus dem Umland, welche nicht durch entgegengesetzte Wanderungen ausgeglichen werden, mit 209 Personen pro 100.000 Einwohner dieser Altersgruppe die meisten Einwohner im Untersuchungszeitraum.59 Um Hypothese 1 zu testen, werden die Nahwanderungen zwischen Kerngebiet, näherem und weiterem Umland für die beiden Untersuchungszeiträume von 1985 bis 1994 sowie von 1997 bis 2005 betrachtet (Abb. 30).
750 600 450 300 150 0
Nordrhein-Westfalen 18- bis 24-Jährige
1985/1994 Wanderung WKĺNU Wanderung WNUĺK
Jahr
1997/2005 Wanderung WKĺWU Wanderung WWUĺK
(relativiert an 100.000 Einwohner der Altersgruppe)
Abbildung 30: Mittlere Wanderungsströme der 18- bis 24-Jährigen innerhalb der Stadtregionen in NRW (1985 - 2005) Quelle: Eigene Darstellung Es zeigt sich, dass die stärksten Wanderungsströme zwischen Kerngebiet und näherem Umland stattfinden. Wanderungen zwischen Kerngebiet und weiterem Umland sind hinsichtlich ihres Ausmaßes nachrangig: Vom Kerngebiet ins nähere Umland wandern in der ersten Untersuchungshälfte 393 Personen, in die um59 Abbildung 72 des Anhangs ist zu entnehmen, dass dieser Einwohnergewinn auf einer Zunahme der Umland-Kerngebiet-Wanderungen basiert, während gleichzeitig die Kerngebiet-UmlandWanderungen leicht abnehmen.
136
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
gekehrte Richtung sind es 455 Personen. Demgegenüber wandern vom Kerngebiet ins weitere Umland 93 Personen, in die gegenläufige Richtung sind es 120 Personen. Diese Verhältnisse bleiben in der zweiten Untersuchungshälfte nahezu konstant. Unabhängig von der Wanderungsrichtung nehmen die Wanderungen in der zweiten Untersuchungshälfte leicht zu. Mit zusätzlichen 84 Personen pro 100.000 dieser Altersgruppe nehmen vorrangig Fortzüge vom näheren Umland ins Kerngebiet zu. Hypothese 1 kann daher nicht abgelehnt werden: Die 18- bis 24-Jährigen tragen zum Prozess der Reurbanisierung bei. 25- bis 29-Jährige Unter der Annahme, dass vor allem die 25- bis 29-Jährigen ihre erste Beschäftigung aufnehmen, sollte sie diese – wie die Aufnahme von Ausbildung bzw. Studium – in die Stadt führen (vgl. Gatzweiler 1982, Häußermann/Siebel 1987, Birg et al. 1993, Feijten et al. 2008; vgl. Kap. 4.2.1). Es zeigt sich jedoch für die 25bis 29-Jährigen, dass bis zum Jahr 2000 Fortzüge ins Umland überwiegen (Abb. 29). Erst zu den beiden jüngsten Untersuchungszeitpunkten finden mehr Wanderungen in das Kerngebiet als in umgekehrter Richtung statt: Die Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland verringern sich stärker als die gegenläufigen Wanderungen (vgl. Abb. 72, Anhang). Diese Veränderung kann auf den in Kapitel 4.2.2 diskutierten gesellschaftlichen Wandel beruhen: Die Familiengründung verschiebt sich, falls sie überhaupt stattfindet, in spätere Phasen des Lebensverlaufs. Die Wanderungsverluste an 25- bis 29-Jährigen in den Kerngebieten können darauf hinweisen, dass sich diese Altersgruppe in der ersten Untersuchungshälfte in der Familiengründungsphase befindet und somit vermehrt ins Umland zieht. Die Wanderungsgewinne der Kerngebiete in der zweiten Untersuchungshälfte können hingegen Anzeichen dafür sein, dass sich die 25- bis 29Jährigen nicht mehr in der Familiengründungsphase, sondern noch in der Phase der Bildungs- bzw. Berufsaufnahme befinden (vgl. Droth/Dangschat 1985: 148, Liefbroer 1999: 64). 30- bis 49-Jährige Die 30- bis 49-Jährigen sollten im Gegensatz zu den 25- bis 29-Jährigen überwiegend in die Familiengründungsphase eingetreten sein. In dieser nehmen Umzüge in das Umland von Städten, gemeinsam mit Kindern, zu (vgl. Aring 1999a, LTS 2001, Adam et al. 2007, BBR 2007; vgl. Kap. 4.2.1). Für die 30- bis 49-
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
137
Jährigen ist zu beobachten, dass sie tatsächlich vorwiegend ins Umland und nicht ins Kerngebiet ziehen (Abb. 29). Da der Verlauf der Kurve des Wanderungssaldos zwischen Kerngebiet und Umland im Wesentlichen dem der unter 18Jährigen entspricht, findet sich die Annahme, dass Kinder zusammen mit ihren Eltern verstärkt ins Umland ziehen, bestätigt. Die Kerngebiete verlieren jedoch mehr unter 18-Jährige als 30- bis 49Jährige. Dies ist darin begründet, dass Personen der beiden folgenden Altersgruppen sich in einer späteren Phase der Familiengründung befinden und ebenfalls mit unter 18-Jährigen zusammen im Haushalt wohnen können. Über 50-Jährige Die Mobilität der über 50-Jährigen sollte im Vergleich zu den anderen Altersgruppen abnehmen. Neben einer generellen Zunahme von Immobilität wird diese durch das vielfach im Umland erworbene Eigentum unterstützt (vgl. Herlyn 1990, Heinze et al. 1997, Birg 1992b, LTS 2001; vgl. Kap. 4.2.1). In aktuellen Diskussionen wird hingegen die Vorstellung der mobilen über 50-Jährigen forciert, die ihr Eigentum verkaufen und in Richtung Stadt ziehen, um den infrastrukturellen Einrichtungen näher zu sein (vgl. Kramer/Pfaffenbach 2007; vgl. Kap. 4.2.1). Zunächst wird in Abbildung 29 deutlich, dass die nahräumliche Mobilität in dieser Altersgruppe im Vergleich zu den zuvor dargestellten Altersgruppen abnimmt: Während in der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen über den gesamten Untersuchungszeitraum zwischen Kerngebiet und Umland durchschnittlich 297 Personen pro 100.000 der entsprechenden Altersgruppe umziehen, sind es bei den 50- bis 64-Jährigen 101 Personen (vgl. Abb. 72, Anhang). Ein ähnliches Bild zeigt sich für die über 64-Jährigen (Abb. 29). Entgegen der aktuellen Diskussion ist zu erkennen, dass für den gesamten Untersuchungszeitraum mehr Fortzüge von den Kerngebieten in die Umlandgemeinden als in die entgegengesetzte Richtung erfolgen. Um Hypothese 2 zu testen, werden Wanderungen zwischen Kerngebiet, näherem und weiterem Umland für die beiden Zeiträume von 1985 bis 1994 sowie von 1997 bis 2005 betrachtet (Abb. 31): Unabhängig von der Wanderungsrichtung nimmt die nahräumliche Mobilität der 50- bis 64-Jährigen zu. Damit bestätigt sich, dass die über 50-Jährigen, wenn auch nicht in demselben Maß wie die anderen Altersgruppen, zunehmend mobiler werden. Fortzüge vom näheren Umland ins Kerngebiet erhöhen sich in der zweiten Untersuchungshälfte um 19 Einwohner pro 100.000 dieser Altersgruppe.
138
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Fortzüge
Nordrhein-Westfalen 50- bis 64-Jährige 750 600 450 300 150 0 1985/1994 Wanderung WKĺNU Wanderung WNUĺK
Jahr
1997/2005 Wanderung WKĺWU Wanderung WWUĺK
(relativiert an 100.000 Einwohner der Altersgruppe)
Abbildung 31: Mittlere Wanderungsströme der 50- bis 64-Jährigen innerhalb der Stadtregionen in NRW (1985 - 2005) Quelle: Eigene Darstellung Demgegenüber nehmen die Fortzüge in die gegenläufige Wanderungsrichtung um 30 Einwohner pro 100.000 50- bis 64-Jähriger zu. Hypothese 2 ist zu verwerfen: Die 50- bis 64-Jährigen tragen in der zweiten Untersuchungshälfte nicht zum Prozess der Reurbanisierung bei. Frauen und Männer Um das Bild der an der nahräumlichen Mobilität in Nordrhein-Westfalen beteiligten Bevölkerungsgruppen zu vervollständigen, werden abschließend die Nahwanderungen von Frauen und Männern einander gegenübergestellt (Abb. 32): Das Ausmaß der jeweiligen Wanderungen nimmt einen nahezu identischen Verlauf. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass in den amtlichen Daten nicht unterschieden wird, ob Personen oder Haushalte umziehen. Ziehen Mehrpersonenhaushalte um, sind Frauen und Männer im gleichen Maß von Fortzügen betroffen. Handelt es sich dagegen um Einpersonenhaushalte, so ist anzunehmen, dass sich seit den 1980er Jahren aufgrund des gesellschaftlichen Wandels keine Unterschiede in der Mobilität von Frauen und Männern abzeichnen (vgl. Frick 1996, Liefbroer 1999; vgl. Kap. 4.2.2).
139
400
Nordrhein-Westfalen Frauen Fortzüge
Fortzüge
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
300 200 100
Nordrhein-Westfalen Männer
400 300 200 100
0
0 85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WKĺU
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WUĺK
(relativiert 100.000 Einwohner des jeweiligen Geschlechts)
Abbildung 32: Mittlere Wanderungsströme in allen Stadtregionen in NRW (1985 – 2000) – Geschlecht Quelle: Eigene Darstellung Wanderungsströme und -salden Bislang sind ausschließlich Nahwanderungen betrachtet worden. Im Folgenden werden zusätzlich Fernwanderungen in die Berechnung der Wanderungssalden einbezogen, da diese urbane Prozesse zusätzlich beeinflussen. Von Fernwanderung wird in dieser Arbeit dann gesprochen, wenn entweder die Herkunfts- oder die Zielgemeinde einer Wanderung außerhalb einer Stadtregion liegt (vgl. Kap. 2.1). Es wird dabei nicht unterschieden, ob es sich um eine Gemeinde im ländlichen Raum, in einem anderen Bundesland oder im Ausland handelt (Abb. 33). Unter Einbezug von Fernwanderungen (F) verliert die Aufteilung des Umlands in ein näheres und weiteres an Übersichtlichkeit. Näheres und weiteres Umland werden deshalb zusammengefasst und Wanderungssalden (ܵ) des Kerngebietes (ܵೆಷ ) solchen des Umlandes (಼ܵಷ ) gegenübergestellt. Um sowohl einen zeitlichen als auch einen Vergleich verschiedener Stadtregionen zu ermöglichen, werden die Wanderungen wie zuvor an 100.000 Einwohnern einer Stadtregion relativiert: ܵೆಷ ൌ
ሺௐೆ՜಼ ାௐಷ՜಼ ሻିሺௐ಼՜ೆ ାௐ಼՜ಷ ሻ
಼ܵಷ ൌ
ሺௐ಼՜ೆ ାௐಷ՜ೆ ሻିሺௐೆ՜಼ ାௐೆ՜ಷ ሻ
ாೄ
ாೄ
ൈ ͳͲͲǤͲͲͲ
(5.12)
ൈ ͳͲͲǤͲͲͲ
(5.13)
140
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
WFĺU
WUĺF
WKĺU WUĺK
WFĺK
WKĺF
Kerngebiet
Ferne Gemeinden
Umland
Wanderungsstrom
Abbildung 33: Schematische Darstellung von Wanderungsströmen einer Stadtregion Quelle: Eigene Darstellung Gewinnt das Umland durch Wanderungen mehr Personen bzw. verliert weniger Personen als das Kerngebiet wird von suburbanen Tendenzen gesprochen. Gewinnt dagegen das Kerngebiet durch Wanderungen mehr bzw. verliert weniger Personen als das Umland wird von reurbanen Tendenzen ausgegangen (vgl. Abb. 33): Suburbane Tendenz: Reurbane Tendenz:
಼ܵಷ ܵೆಷ ܵೆಷ ಼ܵಷ
(5.14) (5.15)
Um ein abstrahiertes Mittel der Wanderungsvorgänge in Nordrhein-Westfalen zu erhalten, wird ein Vorgehen analog zu Gleichung 5.11 gewählt: Die jeweiligen Wanderungen zwischen Kerngebiet, Umland und außerhalb der Stadtregion liegenden Gemeinden von allen Stadtregionen werden summiert und durch die Anzahl der einbezogenen Stadtregionen geteilt. Für Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland gilt beispielsweise: ܹேோௐ಼՜ೆ ൌ
ௐೄభ
಼՜ೆ
ାڮାௐೄభఴ
಼՜ೆ
(5.16)
141
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
Auf Grundlage dieser Wanderungsströme werden die Wanderungssalden gemäß der Gleichungen 5.12 und 5.13 gebildet. Die Wanderungssalden ܵೆಷ und ಼ܵಷ werden für den Untersuchungszeitraum in Abbildung 34 dargestellt.
Wanderungssalden pro 100.000 Einwohner
Nordrhein-Westfalen 700
Reurbane Tendenz
Suburbane Tendenz
600 500 400 300 200
Reurbane Tendenz
Suburbane Tendenz
Suburbane Tendenz
100 0 -100
1985
1988
1991
1994
Wanderungssaldo Kerngebiet
1997
2000
2003
2005 Jahr Wanderungssaldo Umland
Abbildung 34: Mittlere Fern- und Nahwanderungssalden aller Stadtregionen in NRW (1985 – 2005) Quelle: Eigene Darstellung) Im Vergleich zu Abbildung 27, in welcher ausschließlich die nahräumlichen Wanderungssalden betrachtet werden, zeigen sich Unterschiede: Zunächst fällt auf, dass die Wanderungssalden überwiegend positiv sind. Sowohl das Kerngebiet als auch das Umland gewinnen mehr Einwohner durch Zuzüge, als dass sie diese durch Fortzüge verlieren. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass es vor allem Fernwanderungen sind, die zum Erhalt der Bevölkerung in den Stadtregionen beitragen. Überdies lassen sich im Untersuchungsraum verschiedene urbane Tendenzen unterscheiden:
Zu Beginn des Untersuchungszeitraums, im Jahr 1985, ist der Wanderungssaldo des Umlandes ಼ܵಷ größer als derjenige des Kerngebietes ܵೆಷ Ǥ Nach Gleichung 5.14 ist eine suburbane Tendenz zu beobachten. Die seit den
142
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
1950er Jahren in Nordrhein-Westfalen zu beobachtende Suburbanisierung setzt sich demnach fort (vgl. Kap. 2.4). Ferner ist zu erkennen, dass das Kerngebiet bereits im Jahr 1988 – und somit vor und nicht nach der Wiedervereinigung – mit 604 Personen pro 100.000 Einwohner seinen höchsten Einwohnergewinn aus Umland- sowie außerhalb der Stadtregionen liegenden Gemeinden verzeichnet. Aufgrund dessen, dass der Wanderungssaldo des Kerngebietes größer als derjenige des Umlands ist, liegt nach Gleichung 5.15 eine reurbane Tendenz vor. Seit Mitte der 1980er Jahre sind in Deutschland, so auch in NordrheinWestfalen, viele Einwanderungen erfolgt. Zu diesen zählt beispielsweise ein starker Zustrom an Flüchtlingen und Asylbewerbern. Zusätzlich führen seit dem Jahr 1988 die Perestroika sowie der Postsozialismus zu einem Wanderungsgewinn durch (Spät-)Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa. Dieser Zuwachs beschränkt sich auf die Untersuchungszeitpunkte von 1988 und 1991: Um den beschriebenen Zustrom zu mindern, werden in den Jahren 1990 und 1991, aber auch 1996, in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Gesetzesmaßnahmen ergriffen (Goch 2002: 158, Geißler 2004, Mayr/Temlitz 2006 4ff.). Der Wanderungssaldo des Kerngebietes ist im Jahr 1991 ebenfalls hoch, er fällt jedoch mit 500 Personen pro 100.000 Einwohner niedriger als im Jahr 1988 aus. Überdies zeigt sich nun auch für die Umlandgemeinden, dass diese im Jahr 1991 mit 458 Personen pro 100.000 Einwohner ihren höchsten Bevölkerungsgewinn erzielen. Der Wanderungssaldo des Kerngebietes übersteigt jedoch denjenigen des Umlandes. Dies weist auf eine reurbane Tendenz hin (vgl. Gleichung 5.15). Aufgrund der zunehmend restriktiven Gesetzgebung in Bezug auf Einwanderungen in Deutschland (vgl. Geißler 2004) ist davon auszugehen, dass dieser Zugewinn im Jahr 1991 hauptsächlich durch die Ost-West-Wanderungen im Zuge der Wiedervereinigung hervorgerufen wird (vgl. Osterhage 2003, Grüber-Töpfer 2008; vgl. Kap. 2.4). Da Zuwanderungen aus Osteuropa und -deutschland einen temporären Bevölkerungsgewinn bedeuten, verringern sich zu den folgenden Untersuchungszeitpunkten sowohl für das Kerngebiet als auch für das Umland die Wanderungssalden: Der Wanderungssaldo des Umlandes sinkt stetig auf einen Zuwachs von 86 Personen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2005. Er verringert sich langsamer als derjenige des Kerngebietes und bleibt über den gesamten Zeitraum positiv. Nach Gleichung 5.14 weist dies auf eine suburbane Tendenz hin. Im Gegensatz dazu verliert im Jahr 1997 das Kerngebiet erstmalig 57 Personen pro 100.000 Einwohner durch Fortzüge in das Umland bzw. in fern-
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
143
ere Gemeinden, welche nicht durch entgegengesetzte Wanderungen ausgeglichen werden. Die suburbanen Tendenzen sind besonders stark ausgeprägt (vgl. Gleichung 5.14). Dies ändert sich bis zum Untersuchungsjahr 2003: Der Wanderungssaldo des Kerngebietes vergrößert sich stetig, zudem ist er höher als derjenige des Umlands. Es zeigen sich reurbane Tendenzen (vgl. Gleichung 5.15), die allerdings nicht bis zum Ende des Untersuchungszeitraums fortdauern. Dieser zeitlich begrenzte Anstieg der Wanderungsgewinne der Kerngebiete kann in Zusammenhang mit den Diskussionen um eine Reformation der Einwanderungsgesetze im Jahr 2000 gebracht werden. Während diese nach längeren Debatten nicht umgesetzt worden ist, so ist dennoch eine „Greencard“-Regelung in Form von zwei Verordnungen durchgesetzt worden.60 Mit dieser ist die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeiter erleichtert worden. Allerdings blieb der Zustrom relativ verhalten, so dass er den nur kurzzeitigen Wanderungsgewinn im Jahr 2003 erklären kann (Angenendt 2002). Ähnlich wie für die nahräumlichen Wanderungssalden (Abb. 27) ist zu beobachten, dass Kerngebiete seit 1997 Einwohner durch Wanderungen gewinnen. Zudem nehmen die Einwohnergewinne für das Umland ab. Dies deutet auf eine Abnahme der Suburbanisierung hin. Da die reurbane Tendenz zur Jahrhundertwende nur kurzzeitig wirkt, ist dieser Prozess noch nicht vollständig eingeleitet worden. In Abbildung 35 werden die Wanderungssalden von Kerngebiet und Umland der einzelnen Stadtregionen betrachtet. Es ergibt sich ein sehr heterogenes Bild (vgl. Abb. 28): Die Höhe der Wanderungssalden der Kerngebiete nimmt für die jeweiligen Stadtregionen, aber auch für die verschiedenen Untersuchungszeitpunkte sehr unterschiedliche Werte an. Die Höhe des Wanderungssaldos des Umlandes variiert dagegen weniger stark. Die Wanderungssalden des Umlandes der Stadtregionen Düsseldorf, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen und Leverkusen verlaufen für alle Untersuchungszeitpunkte nahe Null. Dies sind Stadtregionen – insbesondere solche des Ruhrgebietes –, denen nur wenige Umlandgemeinden angehören (vgl. Tab. 3). Der Austausch zwischen Umland- und anderen Gemeinden ist daher gering (vgl. Abb. 28).
60 „Verordnung über Aufenthaltserlaubnisse für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie“, „Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie“ Darüber hinaus tritt im Jahr 2000 das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft, das die Einbürgerung in Deutschland erleichtert.
-100
1400
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
400 -100 -600 1400
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
900 400 -100 -600 1400
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
400 -100 -600
Jahr
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85 88 91 94 97 00 03 05
Wanderungssaldo SKUF
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Jahr
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Jahr
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Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
400 -100 -600
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
Duisburg
900 400 -100
1400
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
Hagen
900 400 -100
1400
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
Krefeld
900 400 -100
1400
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
Mönchengladbach
900 400 -100 -600
Remscheid
900
1400
-600
Münster
900
400 -100
-600
Köln
900
1400
Wand.-Saldo
85 88 91 94 97 00 03 05
Bonn
900
-600
Gelsenkirchen
400
1400
Wand.-Saldo
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
900
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Paderborn
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Dortmund
400
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Leverkusen
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900
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Hamm
900
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Jahr
Wand.-Saldo
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Essen
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85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo
Wand.-Saldo
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Jahr
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Wand.-Saldo
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Wand.-Saldo
400
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-600
Düsseldorf
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85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo
Wand.-Saldo
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Jahr
Bielefeld
Wand.-Saldo
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1400
Wand.-Saldo
400
Wand.-Saldo
900
-600
Wand.-Saldo
Aachen
Wand.-Saldo
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5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Wand.-Saldo
Wand.-Saldo
144
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Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
Siegen
900 400 -100 -600
Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05
Wanderungssaldo SUKF
(relativiert an 100.000 Einwohnern der jeweiligen Stadtregion)
Abbildung 35: Fern- und Nahwanderungssalden einzelner Stadtregionen in NRW (1985 – 2005) Quelle: Eigene Darstellung
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
145
In unterschiedlich starker Ausprägung zeigt sich für die einzelnen Stadtregionen die urbane Entwicklung des gesamten Nordrhein-Westfalens (vgl. Abb. 34):
Gemeinsam ist einem Großteil der Stadtregionen, dass sich bis Anfang der 1990er Jahre eine Tendenz zur Reurbanisierung der Bevölkerung abzeichnet: Im Jahr 1988 übersteigt in Düsseldorf und Bonn der Wanderungssaldo des Kerngebietes denjenigen des Umlandes um 600 Personen, in Dortmund um 931 Personen und in Leverkusen sogar um 1.393 Personen pro 100.000 Einwohner. Düsseldorf als Landeshauptstadt und Bonn als ehemalige Hauptstadt gehören somit zu den primären Zielgebieten der Einwanderer. Von diesen wird angenommen, dass es sich größtenteils um (Spät-)Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa handelt (Geißler 2004). Demgegenüber erlangen die Kerngebiete in acht Stadtregionen, darunter Bielefeld, Münster, Paderborn und Siegen als süd- und nordöstlich gelegene Stadtregionen Nordrhein-Westfalens, im Jahr 1991 höhere Einwohnergewinne als im Jahr 1988. Aufgrund des Untersuchungszeitpunktes ist davon auszugehen, dass es sich um zusätzliche Wanderungen im Zuge der Wiedervereinigung handelt und die süd- und nordöstlichen Stadtregionen das erste Zielgebiet gewesen sind (vgl. Kap. 2.4). Bis Ende der 1990er Jahre geht diese reurbane Phase in eine Tendenz zur Suburbanisierung über: In den Jahren 1994 und 1997 tritt für alle Stadtregionen zu wenigstens einem Untersuchungszeitpunkt eine suburbane Tendenz auf. Die jeweiligen Ausprägungen stellen sich unterschiedlich stark dar: Während in Remscheid das Umland bis zu 1.500 Personen pro 100.000 Einwohner mehr als das Kerngebiet zu den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten gewinnt, sind es in Köln maximal 200 Personen pro 100.000 Einwohner. Dies zeigt, dass gerade in Köln das Kerngebiet als Wohnort vergleichsweise stark bevorzugt wird. Diese Bevorzugung ist im Fall der Stadtregion Köln dadurch zu erklären, dass das Kerngebiet einen universitären Standort darstellt. Gerade Studierende suchen die Nähe zu dieser Ausbildungsstätte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, insbesondere im Jahr 2003, zeichnet sich eine reurbane Tendenz für Aachen, Essen und Leverkusen ab. Unter Einbezug der Fernwanderungen treten somit nicht nur in Stadtregionen außerhalb, sondern ebenfalls innerhalb des Ruhrgebietes Tendenzen der Reurbanisierung auf. Mit fünf Stadtregionen, Aachen, Düsseldorf, Köln, Paderborn und Siegen, die sich im Jahr 2005 in einer reurbanen Phase befinden, sind es hingegen ausschließlich Stadtregionen außerhalb des Ruhrgebietes. Inwiefern dies auf strukturellen Unterschieden beruht, wird in Kapitel 5.3 untersucht.
146
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Nahräumliche und fernräumliche Wanderungssalden im Vergleich Die Prozesse der Bevölkerungssuburbanisierung bzw. -reurbanisierung, durch welche Stadtregionen Einwohner infolge von Fortzügen verlieren bzw. durch Zuzüge gewinnen, gründen nicht allein auf nahräumlicher Mobilität (vgl. Friedrichs 1977; vgl. Kap. 2.1): Werden ausschließlich Nahwanderungen betrachtet, dann verlieren Kerngebiete Einwohner vor allem durch Fortzüge in ihr Umland, welche nicht durch gegenläufige Wanderungen kompensiert werden. Durch den Einbezug der Fernwanderungen wird deutlich, dass diese wesentlich zum Einwohnerbestand der Stadtregionen beitragen. Werden alle Wanderungen betrachtet, gewinnen Gemeinden des Kerngebietes und des Umlandes vorwiegend Einwohner. Ohne diese Zuzüge aus ferneren Gemeinden, welche die entsprechenden Fortzüge überwiegen, hätten die Stadtregionen starke Bevölkerungsverluste durch Abwanderungen zu verzeichnen (vgl. Abb. 27 und Abb. 34). Während für die nahräumlichen Wanderungssalden Ende der 1980er Jahre eine Suburbanisierung zu beobachten ist, die sich im Jahr 1991 in ihrem Ausmaß verringert, ist für die fernräumlichen Wanderungssalden sogar eine reurbane Tendenz festzustellen. Dies ist insofern plausibel, als dass die Ost-West-Wanderungen im Zuge der Wiedervereinigung Fernwanderungen sind. Zudem erfahren die Kerngebiete Nordrhein-Westfalens bereits im Jahr 1988 einen gewaltigen Bevölkerungszuwachs – wie anzunehmen, vor allem durch ost- und südeuropäische Zuwanderungen. Trotz dieser Unterschiede verläuft die weitere Entwicklung der urbanen Prozesse (vgl. Abb. 27 und Abb. 34) auch unter Einbezug der Fernwanderungen ähnlich: Bis zum Ende der 1990er Jahre wirken sich die OstWest-Wanderungen nicht mehr auf die Wanderungssalden aus. Die Suburbanisierung setzt sich erneut fort. Dies ändert sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Während sich mit Fokus auf die Nahwanderungen die Suburbanisierung – maßgeblich durch die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen – verringert, wird durch Fernwanderungen zwischenzeitlich eine Reurbanisierung erzielt. Die drei Phasen der Wanderungsströme von Osterhage (2003: 69ff.) können für die 1990er Jahre somit nachvollzogen werden: Die Suburbanisierung ist zur Mitte der 1990er Jahre durch die Zuwanderungen aus Osteuropa bzw. Ostdeutschland weniger stark ausgeprägt als zu Beginn und zu Ende dieses Jahrzehnts (vgl. Goch 2002, Geißler 2004, Mayr/Temlitz 2006; vgl. Kap. 2.4). 5.2.2 (Modifizierte) Phasen urbaner Entwicklung In diesem Kapitel finden die Modelle der Phasen urbaner Entwicklung von van den Berg et al. (1982) sowie von Kawashima (1987) Anwendung (vgl. Kap.
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
147
4.1.2). Über die Ergebnisse von Kapitel 5.2.1 hinaus wird nicht allein die Entwicklung der (Nah-)Wanderungsbewegungen, sondern der gesamten Bevölkerungsbewegung in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens betrachtet. Auf dieser Grundlage können die bisherigen Erkenntnisse erweitert werden, indem die Phasen urbaner Entwicklung (Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung und Reurbanisierung) bestimmt werden. Abschließend werden die Stadtregionen hinsichtlich ihres Wachstums klassifiziert. Das Modell der Phasen urbaner Entwicklung Um den in Kapitel 5.2.1 dargestellten Veränderungen nahräumlicher Mobilität vertieft nachzugehen, wird mittels des Modells der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) zunächst untersucht, in welcher urbanen Phase sich die Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen bis zur Mitte der 1990er Jahre befinden: Trotz der zeitweiligen Zuwanderungen im Zuge der Wiedervereinigung wird mit Bezug zu Hypothese 3a von einem Fortbestehen bzw. einer Ausdehnung der Suburbanisierung ausgegangen (vgl. Wenning 1996, Aring 1999a, BBR 2000b, Brake et al. 2001b; vgl. Kap. 2.4 und Kap. 4.1.3): Hypothese 3 H3
Die Mehrheit der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens befindet sich im Zeitraum t1 (1985 bis 1994) dann in der Phase der Suburbanisierung, …
H3a
… wenn sich die Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
Im Anschluss an diese Untersuchungen wird analysiert, in welcher Phase der urbanen Entwicklung sich die Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von 1997 bis 2005 befinden. Vor dem Hintergrund der Diskussionen um eine Reurbanisierung der Bevölkerung wird entsprechend Hypothese 4a nachgegangen, ob sich im Vergleich zum Untersuchungszeitraum von 1985 bis 1994 mehr Stadtregionen in der urbanen Phase der Reurbanisierung befinden (vgl. Brühl 2005b, Difu 2005 und 2008, Siedentop 2008; vgl. Kap. 2.4 und Kap. 4.1.3):
148
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Hypothese 4 H4
Die Anzahl der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens, welche sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) in der Phase der Reurbanisierung befinden, nimmt im Vergleich zu t1 (1985 bis 1994) dann zu, …
H4a
… wenn sich mehr Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Reurbanisierung einordnen lassen.
Um die Hypothesen zu testen, werden die Stadtregionen in das Modell der Phasen urbaner Entwicklung eingeordnet (vgl. van den Berg et al. 1982; Kap. 4.1.2, Abb. 20): In diesem werden die Veränderungen der absoluten Bevölkerungsgewinne bzw. -verluste des Kerngebietes (BVK), des Umlandes (BVU) sowie der gesamten Stadtregion (BVST) zwischen zwei Zeitpunkten (tn-1 und tn) herangezogen, um urbane Prozesse zu bestimmen (vgl. Kap. 4.1.2; vgl. Tab. 4): I Urbanisierung Teilphase 1 (5.17) BVST(tn-1 zu tn) > 0 רBVK(tn-1 zu tn) > 0 רBVU(tn-1 zu tn) < 0 Teilphase 2 BVST(tn-1 zu tn) > 0 רBVK(tn-1 zu tn) > 0 רBVU(tn-1 zu tn) > 0 רBVK > BVU (5.18) II Suburbanisierung Teilphase 3 BVST(tn-1 zu tn) > 0 רBVK(tn-1 zu tn) > 0 רBVU(tn-1 zu tn) > 0 רBVK < BVU (5.19) Teilphase 4 (5.20) BVST(tn-1 zu tn) > 0 רBVK(tn-1 zu tn) < 0 רBVU(tn-1 zu tn) > 0 III Desurbanisierung Teilphase 5 (5.21) BVST(tn-1 zu tn) < 0 רBVK(tn-1 zu tn) < 0 רBVU(tn-1 zu tn) > 0 Teilphase 6 BVST(tn-1 zu tn) < 0 רBVK(tn-1 zu tn) < 0 רBVU(tn-1 zu tn) < 0 רBVK < BVU (5.22) IV Reurbanisierung Teilphase 7 BVST(tn-1 zu tn) < 0 רBVK(tn-1 zu tn) < 0 רBVU(tn-1 zu tn) < 0 רBVK > BVU (5.23) Teilphase 8 (5.24) BVST(tn-1 zu tn) < 0 רBVK(tn-1 zu tn) > 0 רBVU(tn-1 zu tn) < 0
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
149
Während in der Phase der Urbanisierung zunächst das Kerngebiet und anschließend das Umland einen Bevölkerungszuwachs erfahren (Teilphasen 1 und 2), gewinnt das Umland in der Suburbanisierung verstärkt an Bevölkerung. Zeitgleich verliert das Kerngebiet allmählich seine Einwohner (Teilphasen 3 und 4). Dieser Vorgang setzt sich in der Desurbanisierung fort, so dass die Stadtregion insgesamt an Bevölkerung verliert. Infolge büßt das Umland aufgrund von Fortzügen in Gemeinden außerhalb der Stadtregion Einwohner ein (Teilphasen 5 und 6). In der Phase der Reurbanisierung kehrt sich dieser Prozess um, das Kerngebiet gewinnt wieder an Bevölkerung (Teilphasen 7 und 8) (vgl. van den Berg et al. 1982; vgl. Kap. 4.1.2). Die Betrachtung der Bevölkerung schließt neben Wanderungen auch Fertilität und Mortalität ein. Die zusätzliche Untersuchung von Fertilität und Mortalität als Kontextfaktoren von Suburbanisierung bzw. Reurbanisierung erlaubt eine angemessene Auswertung dieser Prozesse, sofern ein ausreichend langer Zeitraum analysiert wird: Van den Berg et al. (1982) betrachten in ihrem Modell Zeitspannen von zehn Jahren. Um ein umfassendes Bild der urbanen Phasen von Nordrhein-Westfalen im Untersuchungszeitraum zu erhalten, werden zunächst die Phasen jeder Stadtregion zu allen Untersuchungszeitpunkten bestimmt. Erst in einem weiteren Schritt werden die beiden Untersuchungszeiträume von 1985 bis 1994 und von 1997 bis 2005 einander gegenübergestellt, wodurch sich einem Betrachtungszeitraum von jeweils zehn Jahren genähert wird. Überdies ist anzumerken, dass Stadtregionen sich zum gleichen Untersuchungszeitpunkt in unterschiedlichen urbanen Phasen befinden können (van den Berg et al. 1982; vgl. Schönert 2001). In Tabelle 7 werden für jede einzelne Stadtregion und das gesamte Nordrhein-Westfalen die Bevölkerungsveränderungen der Stadtregion insgesamt sowie ihres Kerngebietes und Umlandes zwischen zwei Untersuchungszeitpunkten dargestellt. Anhand der Gleichungen 5.17 bis 5.24 sind diese Veränderungen den entsprechenden acht urbanen Teilphasen zugeordnet worden. Dunkler unterlegt sind die Veränderungen zwischen den beiden Untersuchungszeiträumen von 1985 bis 1994 und von 1997 bis 2005. Trotz des geringen Abstandes der Untersuchungszeitpunkte von drei Jahren kann eine allmähliche Entwicklung der urbanen Phasen nachvollzogen werden (Tab. 7): Wird zunächst das gesamte Nordrhein-Westfalen betrachtet, dann befindet sich dieses im Jahr 198861 in der sechsten Teilphase und somit in der Phase der relativen Dezentralisierung (vgl. Tab. 4).
61 Wird bei der Bevölkerungsveränderung eine Jahreszahl angegeben, dann wird die Veränderung zu dem vorangegangenen Zeitpunkt angegeben: Das Jahr 1988 beinhaltet beispielsweise die Veränderung von 1985 (tn-1) auf 1988 (tn).
Aachen AachenKern AachenUmland Bielefeld BielefeldKern BielefeldUmland Bonn BonnKern BonnUmland Düsseldorf DüsseldorfKern DüsseldorfUmland Dortmund DortmundKern DortmundUmland Duisburg DuisburgKern DuisburgUmland Essen EssenKern EssenUmland Gelsenkirchen GelsenkirchenKern GelsenkirchenUmland Hagen HagenKern HagenUmland
1985/1988 BV TP -4.503 6 -4.244 -259 23.836 2 19.784 4.052 -6.295 6 -5.395 -900 22.845 1 22.883 -38 23.686 1 26.727 -3.041 26.827 2 22.572 4.255 2.340 3 603 1.737 7.528 2 4.955 2.573 14.925 2 10.367 4.558
1988/1991 BV TP 29.184 2 18.951 10.233 68.533 2 35.605 32.928 25.456 2 20.059 5.397 33.184 2 32.728 456 34.227 2 29.268 4.959 32.429 2 22.325 10.114 10.472 2 6.395 4.077 12.083 2 8.787 3.296 15.384 2 9.613 5.771
1991/1994 BV TP 12.933 3 6.259 6.734 33.912 3 17.672 21.011 8.618 3 2.309 6.309 3.324 2 3.038 286 13.998 2 9.645 4.353 14.602 3 7.091 7.511 -6.584 5 -9.034 2.440 962 4 -575 1.537 5.189 2 2.994 2.195
1994/1997 BV TP 6.889 3 618 6.371 26.367 3 7.885 18.482 20.224 2 14.759 5.465 3.001 2 2.917 84 5.946 3 2.676 3.270 2.929 4 -4.133 7.062 -6.570 5 -9.223 2.653 -8.300 5 -9.007 707 -2.451 6 -2.357 -94
1997/2000 BV TP 5.262 3 693 4.569 -75.350 5 -85.496 10.146 4.080 4 -1.177 5.257 3.696 2 3.597 99 -853 5 -2.601 1.748 79.238 4 -12.437 91.675 -11.327 5 -13.489 2.162 -10.339 5 -10.344 5 -8.153 6 -6.357 -1.796
2000/2003 2003/2005 1985/1994 1997/2005 BV TP BV TP BV TP BV TP 19.215 2 2.005 1 37.674 2 26.482 2 15.228 2.050 20.966 17.971 16.708 8.511 3.987 -45 99.475 2 -1.596 5 126.281 2 22.529 3 95.328 -1.803 73.061 8.029 57.991 14.500 4.147 207 16.182 2 4.253 2 27.779 2 24.515 3 10.643 2.512 16.973 11.987 10.806 12.537 5.539 1741 9.592 2 5.910 2 -14 5 59.353 2 5.812 -84 58.649 9.325 704 267 98 70 -4.784 5 -6.783 6 71.911 2 -12.420 5 -5.734 -6.399 65.640 -14.734 950 -384 6.271 2.314 -89.235 6 -5.354 5 73.868 2 -15.351 5 -7.792 -6.571 51.988 -26.800 21.880 11.499 -81.443 1.217 6.218 4 -19.183 5 -4.213 5 -3.643 5 -2.036 -23.302 -5.744 -4.069 1.531 426 8.254 4.119 -8.775 6 -6.293 6 20.573 2 -25.407 6 -8.109 -5.535 13.167 -23.988 7.406 -1.419 -666 -758 -5.472 6 -6.208 6 35.498 2 -19.833 6 -3.731 -4.445 22.974 -14.533 -1.741 -1.763 12.524 -5.300
Tabelle 7: Bevölkerungsveränderungen in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens
150 5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
1985/1988 1988/1991 1991/1994 1994/1997 1997/2000 2000/2003 2003/2005 1985/1994 BV TP BV TP BV TP BV TP BV TP BV TP BV TP BV TP 8.318 2 15.560 3 11.936 3 2.223 4 2.033 2 2.374 1 -1.180 6 35.814 2 Hamm HammKern 19.132 7.849 7.219 4.064 -2.564 1.526 2.448 -839 HammUmland 16.682 469 8.341 7.872 4.787 507 -74 -341 Köln 30.387 2 81.685 4 55.611 1 35.876 4 29.802 1 27.641 3 404.650 3 167.683 2 KölnKern 96.961 24.381 -6.918 79.498 -43.676 69.584 13.737 19.556 KölnUmland 70.722 6.006 88.603 -23.887 79.552 -39.782 13.904 385.094 Krefeld 25.555 2 22.882 2 15.560 2 5.209 3 1.976 4 3.378 3 633 4 63.997 2 21.956 17.473 10.164 1.042 -2.192 241 -638 KrefeldKern 49.593 KrefeldUmland 14.404 3.599 5.409 5.396 4.167 4.168 3.137 1.271 Leverkusen 5.169 2 5.721 2 1.837 2 2.005 2 -99 5 1.794 2 75 4 12.727 2 5.065 5.359 1.478 1.373 -593 1.184 -267 LeverkusenKern 11.902 LeverkusenUmland 825 104 362 359 632 494 610 342 Münster -18.969 2 42.269 3 23.810 3 20.997 3 14.878 3 14.329 3 4.405 3 47.110 4 -21.183 15.262 706 251 471 3.970 1.289 MünsterKern -5.215 MünsterUmland 52.325 2.214 27.007 23.104 20.746 14.407 10.359 3.116 M‘gladbach -5.035 6 20.699 2 13.268 3 9.250 3 3.391 4 3.823 4 .50 4 28.932 3 -3.911 11.166 3.173 191 -3.459 -1.150 -1.220 M‘gladbachKern 10.428 M‘gladbachUmland 18.504 -1.124 9.533 10.095 9.059 6.850 4.973 1.570 Paderborn 5.881 1 25.853 3 21.725 3 12.604 3 7.333 3 6.170 3 3.110 2 53.459 3 4.542 11.582 5.783 4.564 3.007 2.716 1.969 PaderbornKern 21.907 PaderbornUmland 31.552 1.339 14.271 15.942 8.040 4.326 3.454 1.141 Remscheid 9.704 3 1.211 4 7.237 3 1.256 4 -1.087 5 -835 5 -1.757 6 -2.312 6 -225 2.639 -549 -2.430 -1.352 -1.570 -1.853 RemscheidKern 1.865 RemscheidUmland 7.839 1.436 4.598 1.805 1.343 517 -187 -459 Siegen 633 4 11.505 3 4.606 3 546 4 -2.401 6 -1.188 6 -2.439 6 16.744 3 SiegenKern 4.120 -1.261 4.214 1.167 -694 -2.371 -708 -1.475 SiegenUmland 12.624 1.894 7.291 3.439 1.240 -30 -480 -964 NRW 164.339 6 494.373 2 236.613 2 135.758 4 42.332 4 84.867 1 383.659 4 895.325 2 135.465 251.727 144.883 -37.808 -62.990 116.769 391.481 NRWKern 235.075 NRWUmland 368.021 28.874 242.646 96.501 173.566 105.322 -31.902 -7.822 BV = Bevölkerungsveränderung; TP = Teilphase des Modells der Phasen urbaner Entwicklung von van den Berg et al. (1982) Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Daten des LDS NRW
Tabelle 7 (Fortsetzung): Bevölkerungsveränderungen in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens 1997/2005 BV TP 3.227 2 3.135 92 462.093 3 102.877 359.216 5.987 4 -2.589 8.576 1.770 3 324 1.446 33.612 3 5.730 27.882 7.564 4 -5.829 13.393 16.613 3 7.692 8.921 -4.904 6 -4.775 -129 -6.028 6 -4.554 -1.474 510.858 3 45.957 464.901
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
151
152
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Die für die Jahrzehnte zuvor proklamierte Suburbanisierung ist zu diesem Zeitpunkt in eine Desurbanisierung übergegangen (vgl. Hatzfeld 2001, Karsten/Usbeck 2001, Kunzmann 2001; vgl. Kap. 2.4). Zu den beiden folgenden Zeitpunkten von 1991 und 1994 zählen die Stadtregionen Nordrhein-Westfalens zur zweiten Teilphase der Urbanisierung. Diese positive Bevölkerungsentwicklung für die Kerngebiete zeigt sich auch in der Untersuchung der (nah-)räumlichen Wanderungssalden (vgl. Abb. 27 und Abb. 34). Sie steht in engem Zusammenhang mit den Zuwanderungen aus Osteuropa sowie den Ost-West-Wanderungen im Zuge der Wiedervereinigung (vgl. Grüber-Töpfer et al. 2008; vgl. Kap. 2.4 und Kap. 5.2.1). Für die verbleibenden Zeitpunkte ist die vierte Teilphase zu beobachten, welche zur Phase der Suburbanisierung gehört. Die Bevölkerungsgewinne nehmen ab, und der Prozess der Suburbanisierung tritt erneut hervor. Davon ausgenommen ist das Jahr 2003: Hier zeigt sich eine Urbanisierung – vermutlich in Folge der sogenannten „Greencard“-Regelung (Angenendt 2002), die ebenfalls in der Darstellung der fernräumlichen Wanderungssalden festzustellen ist (vgl. Abb. 34). In Übereinstimmung mit den bisherigen Annahmen nimmt die Suburbanisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts temporär ab (vgl. Kap. 4.1.3). An die Stelle einer Reurbanisierung tritt jedoch der Prozess der Urbanisierung. Werden die einzelnen Stadtregionen betrachtet, dann gehören sie unterschiedlichen Teilphasen urbaner Entwicklung an: Im Jahr 1991, dem Jahr nach dem Zugewinn durch osteuropäische und ostdeutsche Zuwanderer, befinden sich zwölf Stadtregionen in der Phase der Urbanisierung. Ein anderes Bild zeigt sich im Jahr 1997: Es zählen nunmehr nur noch drei Stadtregionen (Bonn, Düsseldorf und Leverkusen) zur Phase der Urbanisierung. Es ist gezeigt worden, dass diese Stadtregionen primäres Ziel der Einwandernden in Deutschland gegen Ende der 1980er Jahre gewesen sind (vgl. Abb. 35 und Kap. 5.2.1). Essen, Gelsenkirchen, Hagen und Remscheid sind demgegenüber bereits in die Phase der Desurbanisierung eingetreten. Diese Stadtregionen gehören überwiegend dem Ruhrgebiet an und haben daher eine andere wirtschaftliche und stadtpolitische Entwicklung erfahren. Dem Unterschied zwischen Stadtregionen des Ruhrgebietes und des verbleibenden Nordrhein-Westfalens wird in Kapitel 5.3 nachgegangen. Vergleichbare Resultate werden erzielt, wenn die beiden Untersuchungszeiträume von 1985 bis 1994 und von 1997 bis 2005 verglichen werden: Für die erste Untersuchungshälfte ist eine Urbanisierung für die Mehrheit der Stadtregionen sowie für das gesamte Nordrhein-Westfalen zu konstatieren. Aufgrund dieses Ergebnisses ist Hypothese 4a abzulehnen: Die großpolitischen Ereignisse Ende der 1980er wirken sich stärker als erwartet auf den betrachteten Untersuchungszeitraum aus (vgl. Kap. 4.1.3).
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
153
In der zweiten Untersuchungshälfte überwiegt die Phase der Suburbanisierung und somit ein Prozess, der sich seit Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts fortsetzt. In Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Remscheid und Siegen ist die Suburbanisierung in eine Desurbanisierung übergegangen. Insbesondere Stadtregionen des Ruhrgebietes sind somit von Bevölkerungsverlusten betroffen (vgl. Kap. 5.3). Hypothese 5a kann daher ebenfalls nicht angenommen werden: Keine der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens ist in der zweiten Untersuchungshälfte in die Phase der Reurbanisierung eingetreten. Die positive Bevölkerungsentwicklung für die Kerngebiete im Jahr 2003 wirkt sich nicht auf den gesamten Zeitraum aus. Das Modell der Phasen urbaner Entwicklung nach Kawashima (1987) Dieses Kapitel abschließend wird das durch Kawashima (1987) modifizierte Modell der Phasen urbaner Entwicklung eingesetzt: An die Stelle der absoluten Veränderung der Bevölkerung in Kerngebiet, Umland und Stadtregion tritt die Bevölkerungswachstumsrate. Zudem wird das Kerngebiet nicht ins Verhältnis zum Umland gesetzt. Statt das Kerngebiet im Verhältnis zum Umland zu sehen, wird es in Bezug zur gesamten Stadtregion gesetzt (vgl. Kap. 4.1.2). Die Verwendung dieses modifizierten Modells erlaubt einen Vergleich bzw. eine Einschätzung der zuvor erzielten Ergebnisse. Überdies wird nach Kawashima (1987) bestimmt, welche Stadtregionen Nordrhein-Westfalens wachsen, welche quasi-wachsen und welche Stadtregionen degenerieren. Diese Erkenntnisse werden mit dem modifizierten Modell in Übereinstimmung gebracht (vgl. Tab. 5, Kap. 4.1.2). In Fortführung der Hypothese 3, nach welcher sich die Mehrheit der Stadtregionen im Untersuchungszeitraum von 1985 bis 1994 in der Phase der Suburbanisierung befinden, wird in Hypothese 3b angenommen, dass sich die großräumigen politischen Ereignisse nicht auf den gesamten Zeitraum zwischen 1985 und 1994 auswirken. Dies ist dann gegeben, wenn sich die Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen. Eine Suburbanisierung der Bevökerung geht mit einem Verlust von Einwohnern einher. Da dieser Einwohnerverlust zu einer Verminderung des Wachstums von Stadtregionen führt, wird darüber hinaus gemäß Hypothese 3c erörtert, ob sich die Stadtregionen Nordrhein-Westfalens in die Kategorie der Degeneration einordnen lassen (vgl. Kap. 4.1.3).
154
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Hypothese 3 H3
Die Mehrheit der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens befindet sich im Zeitraum t1 (1985 bis 1994) dann in der Phase der Suburbanisierung, …
H3b
… wenn sich die Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
H3c
… wenn sich die Stadtregionen in die Kategorie der Degeneration einordnen lassen.
Die Modifikation des Modells der Phasen urbaner Entwicklung nach Kawashima (1987) wird ebenfalls herangezogen, wenn entsprechend Hypothese 4b ermittelt wird, ob die Phase der Reurbanisierung in der zweiten Untersuchungshälfte eintritt. Da eine Reurbanisierung mit einem Bevölkerungsgewinn für Stadtregionen einhergeht, sollten sich diese in Nordrhein-Westfalen mit Bezug zu Hypothese 4c der Kategorie des aktiven Wachstums zuordnen lassen (vgl. Kap. 4.1.3). Hypothese 4 H4
Die Anzahl der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens, welche sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) in der Phase der Reurbanisierung befinden, nimmt im Vergleich zu t1 (1985 bis 1994) dann zu, …
H4b
… wenn sich mehr Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Reurbanisierung einordnen lassen.
H4c
… wenn sich mehr Stadtregionen in die Kategorie des aktiven Wachstums einordnen lassen.
Wie für das ursprüngliche Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) werden die urbanen Phasen jeder Stadtregion zu jedem Untersuchungszeitpunkt sowie für die beiden Untersuchungszeiträume nach Kawashima (1987) dargestellt. Um die einzelnen urbanen Phasen nach Kawashima (1987) zu bestimmen, werden die Bevölkerungswachstumsraten (BR) zwischen zwei Zeitpunkten (tn-1
155
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
und tn) für die Kerngebiete (BRK), das Umland (BRU) sowie die gesamten Stadtregionen (BRST) ermittelt:
ܴܤൌ ൬
ଵ
௩Ú௨
ൈ ݒ݁ܤÚ݈݇݁݃݊ݑݎ௧షభ ൰ െ ͳͲͲ
(5.25)
Auf Grundlage der Bevölkerungswachstumsraten ergeben sich die einzelnen Teilphasen (vgl. Kap. 4.1.2; vgl. Tab. 4): I Urbanisierung nach Kawashima (1987) Teilphase 1 (5.26) BRST(tn-1 zu tn) > 0 רBRK(tn-1 zu tn) > 0 רBRU(tn-1 zu tn) < 0 Teilphase 2 BRST(tn-1 zu tn) > 0 רBRK(tn-1 zu tn) > 0 רBRU(tn-1 zu tn) > 0 רBRK > BRST (5.27) II Suburbanisierung nach Kawashima (1987) Teilphase 3 BRST(tn-1 zu tn) > 0 רBRK(tn-1 zu tn) > 0 רBRU(tn-1 zu tn) > 0 רBRK < BRST (5.28) Teilphase 4 (5.29) BRST(tn-1 zu tn) > 0 רBRK(tn-1 zu tn) < 0 רBRU(tn-1 zu tn) > 0 III Desurbanisierung nach Kawashima (1987) Teilphase 5 (5.30) BRST(tn-1 zu tn) < 0 רBRK(tn-1 zu tn) < 0 רBRU(tn-1 zu tn) > 0 Teilphase 6 BRST(tn-1 zu tn) < 0 רBRK(tn-1 zu tn) < 0 רBRU(tn-1 zu tn) < 0 רBRK < BRST (5.31) IV Reurbanisierung nach Kawashima (1987) Teilphase 7 BRST(tn-1 zu tn) < 0 רBRK(tn-1 zu tn) < 0 רBRU(tn-1 zu tn) < 0 רBRK > BRST (5.32) Teilphase 8 BRST(tn-1 zu tn) < 0 רBRK(tn-1 zu tn) > 0 רBRU(tn-1 zu tn) < 0 (5.33) Das Modell von van den Berg et al. (1982) stellt Kawashima (1987) als Typ-ĮSchema dar, die Veränderung als Typ-ȕ-Schema (vgl. Kap. 4.1.2; vgl. Abb. 71, Anhang und Abb. 21). In beiden Darstellungen werden die acht Teilphasen urbaner Entwicklung in ein Koordinatensystem übertragen: Die x-Achse bezeichnet dabei die Bevölkerungsveränderung bzw. -rate im Kerngebiet, die y-Achse gibt die Bevölkerungsveränderung bzw. -rate im Umland bzw. in der Stadtregion wieder. Die Phasen ergeben sich aus dem Verhältnis der jeweiligen Veränderun-
156
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
gen im Kerngebiet und Umland bzw. in der Stadtregion (vgl. Gleichungen 5.17 bis 5.24 und Gleichungen 5.25 bis 5.33). Im Modell der Phasen der urbanen Entwicklung (van den Berg et al. 1982) nehmen sie einen wellenförmigen Verlauf (vgl. Abb. 20, Kap. 4.1.2), weshalb ihre Darstellung in einem Koordinatensystem einen kreisförmigen Verlauf erfährt (vgl. Abb. 36 und Abb. 37). In Abbildung 36 und Abbildung 37 sind alle Stadtregionen NordrheinWestfalens, welche Umlandgemeinden aufweisen, zu den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten in das Typ-Į-Schema und in das Typ-ȕ-Schema eingetragen, um eine Vergleichbarkeit der Modelle zu erreichen. Da die Bevölkerungswachstumsrate der Stadtregion (y-Wert des Typ-ȕ-Schemas) im Gegensatz zur absoluten Bevölkerungswachstumsrate des Umlandes (y-Wert des Typ-ĮSchemas) in der ersten Teilphase der Urbanisierung positiv ist, beginnt die erste Teilphase des Typ-ȕ-Schemas im unteren Bereich des ersten Quadranten und die erste Teilphase des Typ-Į-Schemas in der oberen Hälfte des vierten Quadranten. In den beiden Abbildungen 36 und 37 bezeichnet der Exponent die Phase der urbanen Entwicklung, während die Basis die Anzahl der Stadtregionen darstellt, die sich zum betrachteten Zeitpunkt in dieser Phase befinden. Die beiden grafisch abgesetzten Stadtregionen geben die Veränderungen für die beiden Untersuchungszeiträume von 1985 bis 1994 sowie von 1997 bis 2005 wieder. Die Ergebnisse, welche in Abbildung 36 dargestellt werden, sind ausführlich im Abschnitt zum ursprünglichen Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) beschrieben worden (vgl. Tab. 7). An dieser Stelle werden deshalb lediglich die Grundzüge dargelegt. Werden die einzelnen Untersuchungszeitpunkte miteinander verglichen, dann findet eine Verschiebung der urbanen Phasen statt. Diese zeigt sich dadurch, dass sich anfänglich nur wenige Stadtregionen im zweiten und dritten Quadranten befinden, deren Anzahl mit den jüngeren Untersuchungszeitpunkten jedoch zunimmt: Während sich die Anzahl der Stadtregionen, die sich zu Beginn des Untersuchungszeitraums in der Phase der Urbanisierung befinden, zunehmend verringert, erhöht sich die Anzahl der Stadtregionen, die in die Phase der Suburbanisierung und zum Ende des Untersuchungszeitraums in die Phase der Desurbanisierung eintreten. In der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums von 1985 bis 1994 befinden sich zwölf Stadtregionen in der Phase der Urbanisierung; die verbleibenden sechs Stadtregionen zählen zur Phase der Suburbanisierung. In der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums von 1997 bis 2005 geht die Urbanisierung zurück und die Desurbanisierung nimmt zu: Drei Stadtregionen sind in der Phase der Urbanisierung, acht Stadtregionen lassen sich der Phase der Suburbanisierung zuordnen und sieben weitere der Phase der Desurbanisierung.
157
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
Y
A A A
11
25
X
2
11
0
X
AZ Urbanisierung AD Suburbanisierung RZ Reurbanisierung
2
ASt ASt5 ASt8
X
08
2003
Y < 24
12
0
>
2005
11
>
43
07
08
52
07
2000
5
06
43 0
56
08
24
2
0
66
22
Y
1997
X
08
>
33
07
Y < 34
07
11
Y
06
1991
44
73
07
01
52
0
Y
1988
44
24 12
0 07
>
1 St 4 St 7 St
53
5
08
Y
2005
AZ Urbanisierung AD Suburbanisierung RZ Reurbanisierung
ASt2 ASt5 ASt8
08
X
27
>
2003 Y
Y
1997
08
Y
15
1991
4
65
11
0
Y
1988
93
0
0 06
>
ASt1 ASt4 ASt7
1
X
143
42
4
07
Y
0 BRK > 0 BRK < 0 BRK > 0 BRK > 0 BRK < 0 BRK < 0 BRK > 0 BRK > 0
ר ר ר ר ר ר ר ר ר
BRK > BRDt רBRSt > 0 BRK < BRDt רBRSt > 0 BRSt > 0 BRK > BRDt רBRSt > 0 BRK < BRDt רBRSt > 0 BRSt > 0 BRSt < 0 BRK < BRDt רBRSt < 0 BRK > BRDt רBRSt < 0
ר ר ר ר ר ר
BRK > BRDt BRK > BRDt BRK > BRDt BRK < BRDt BRK < BRDt BRK < BRDt
(5.34) (5.35) (5.36) (5.37) (5.38) (5.39) (5.40) (5.41) (5.42)
In Tabelle 8 sind die Stadtregionen Nordrhein-Westfalens entsprechend der Gleichungen 5.34 bis 5.42 den Wachstumskategorien von Kawashima (1987) zugeordnet worden: Im Jahr 1988 überwiegen die aktiv wachsenden Stadtregionen, vor allem der Kategorie A, in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens. Drei Stadtregionen, Essen, Remscheid und Siegen, zählen zur Kategorie der quasi-wachsenden Stadtregionen, vier Stadtregionen, Aachen, Bonn, Münster und Mönchengladbach, zu derjenigen der degenerierenden Stadtregionen. Dies ändert sich 1991, dem ersten Untersuchungszeitpunkt nach der deutschen Wiedervereinigung. 16 Stadtregionen wachsen aktiv, davon sind 14 der Kategorie A zuzuordnen. Nur zwei Stadtregionen, Essen und Gelsenkirchen, sind quasiwachsend. Bis Ende der 1990er Jahre verschiebt sich diese Verteilung kontinuierlich, so dass immer weniger Stadtregionen aktiv wachsen. Dies spiegelt die Ergebnisse der nahräumlichen Wanderungssalden wider (vgl. Abb. 27): Bis zum Jahr 1997 verliert das Kerngebiet durch Nahwanderungen massiv Einwohner an sein Umland. Zu dem Untersuchungszeitpunkt von 2003 befinden sich erneut mehr Stadtregionen im aktiven Wachstum.
161
5.2 Reurbanes Nordrhein-Westfalen?
Tabelle 8: Bevölkerungswachstum der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens 1985/88 1988/91 1991/94 1994/97 1997/00 2000/03 2003/05 1985/94 1997/05 Aachen
G
A
B
B
B
A
A
B
A
Bielefeld
A
A
A
A
G
A
G
A
A
Bonn
G
A
B
A
C
A
A
B
A
Düsseldorf
A
A
E
E
A
A
G
E
A
Dortmund
A
A
E
E
G
G
G
A
G
Duisburg
A
A
E
F
C
G
G
A
G
Essen
E
E
G
G
G
G
G
F
G
Gelsenkirchen
A
E
F
G
G
G
G
E
G
Hagen
A
A
E
G
G
G
G
A
G
Hamm
A
A
A
F
A
A
G
A
A
Köln
A
C
A
F
A
A
A
A
A
Krefeld
A
A
A
B
C
B
C
A
C
Leverkusen
A
A
E
A
G
A
C
A
B
Münster
G
A
B
B
B
A
A
C
A
M‘gladbach
G
A
B
B
C
C
C
B
C
Paderborn
A
A
A
A
A
A
A
A
A
Remscheid
F
B
F
G
G
G
G
A
G
Siegen
F
A
B
F
G
G
G
A
G
NRW A A A C C A C A, B, C = aktiv wachsend; D, E, F = quasi-wachsend; G,H, I = degenerierend
A
C
Das Wachstum nimmt jedoch mit dem jüngsten Untersuchungszeitpunkt von 2005 wieder ab (vgl. Abb. 34): Eine Mehrheit von zehn Stadtregionen befindet sich in der Kategorie der Degeneration (vgl. Kap. 5.3.2). Im Gegensatz dazu zählt das gesamte Nordrhein-Westfalen zu allen Untersuchungszeitpunkten zur Phase des aktiven Wachstums. Die beschriebene Entwicklung wird deutlicher, wenn die beiden Zeiträume von 1985 bis 1994 und 1997 bis 2005 miteinander verglichen werden. In Abbildung 38 werden die Stadtregionen den Kategorien des (Quasi-)Wachstums bzw. der Degeneration zugeordnet. Diese werden ihrerseits in Übereinstimmung mit dem Typ-ȕ-Schema gebracht: Gehört eine Stadtregion beispielsweise der Kategorie A (Wachstum) an, so befindet sie sich zugleich in der Phase der Urbanisierung – einem Prozess, in welchem die Stadtregionen Bevölkerung gewinnen. Befindet sich demgegenüber eine Stadtregion in der Kategorie G (Degeneration), dann ist die Phase der Desurbanisierung zu beobachten – die Stadtregion verliert ihre Einwohner an umliegende Gemeinden (vgl. Kawashima 1987).
162
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Die meisten Stadtregionen wachsen in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums aktiv, elf Stadtregionen gehören der Kategorie A an. Drei Stadtregionen sind quasi-wachsend und keine Stadtregion zählt zu einer der drei Kategorien der Degeneration. Die bereits in Abbildung 34 festgestellten fernräumlichen Zuwanderungen äußern sich in einem Wachstum der Stadtregionen. Hypothese 4c wird daher verworfen. Y
Y
C
1
B
3
A
1
C
2
B
1
A
8
F
1
E
2
D
0
F
0
E
0
D
0
G
0
H
0
I
0
G
7
H
0
I
0
X
X
1997/2005 1985/1994 mit: x-Achse = Bevölkerungswachstumsrate im Kerngebiet; y-Achse = Bevölkerungswachstumsrate in der Stadtregion
Abbildung 38: Wachstum aller Stadtregionen Nordrhein-Westfalens (1985 1994 und 1997 -2005) Quelle: Eigene Darstellung, verändert nach Kawashima 1987: 108) Wird die zweite Untersuchungshälfte betrachtet, so ändert sich das Bild: Die Anzahl der Stadtregionen, die sich im aktiven Wachstum befinden, nimmt ab. An ihre Stelle treten sieben Stadtregionen, die der Kategorie G der Degeneration zuzuordnen sind. Aufgrund dessen, dass sich keine Stadtregion in der Kategorie des Quasi-Wachstums befindet, verschärft sich der Abstand zwischen Stadtregionen im Wachstum und solchen in der Phase der Degeneration. Dennoch befinden sich die Stadtregionen insgesamt in der Phase des aktiven Wachstums (vgl. Tab. 8). Hypothese 4c wird deshalb beibehalten. Zusammenfassung In diesem Kapitel sind die urbanen Phasen der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens für den Untersuchungszeitraum von 1985 bis 2005 bestimmt worden: In
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
163
einem ersten Schritt ist das Modell der Phasen urbaner Entwicklung nach van den Berg et al. (1982) eingesetzt worden. Anhand der Veränderung der absoluten Bevölkerung zwischen zwei Untersuchungszeitpunkten hat sich für den Zeitraum von 1985 bis 1994 gezeigt, dass die Phase der Urbanisierung überwiegt. Stärker als erwartet wirken sich die mit dem Postsozialismus sowie der Wiedervereinigung einhergehenden Fernwanderungen auf die Urbanisierung in diesem Zeitraum aus (vgl. Goch 2002: 158, Geißler 2004, Mayr/Temlitz 2006 4ff.). Für den Zeitraum von 1997 bis 2005 ist dagegen eine Suburbanisierung zu beobachten. Entgegen derzeitigen Diskussionen sind keine Tendenzen einer Reurbanisierung festzustellen (vgl. Difu 2005 und 2008; vgl. Kap. 2.4). Überdies sind nach Kawashima (1987) Bevölkerungswachstumsraten von Kerngebieten und Stadtregionen zwischen zwei Untersuchungszeitpunkten ermittelt worden (vgl. Kap. 4.1.2). Dieses abschließende Vorgehen rundet die Einordnung der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens in die urbanen Phasen ab. Es ist deutlich geworden, dass sich die aus großpolitischen Ereignissen resultierenden Wanderungen weniger stark auf die urbanen Phasen auswirken: Anstelle der Urbanisierung in der ersten Untersuchungshälfte ist eine Suburbanisierung zu beobachten, im zweiten Zeitraum sind bereits Anzeichen einer Reurbanisierung vorhanden. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Stadtregionen des gesamten Nordrhein-Westfalens während des Untersuchungszeitraums wachsen. Die Anzahl der Stadtregionen, die sich in der zweiten Untersuchungshälfte in der Kategorie der Degeneration befinden, nimmt jedoch im Vergleich zur ersten Untersuchungshälfte zu. Der Ursache dafür wird im folgenden Kapitel 5.3 nachgegangen. 5.3 Suburbanes Ruhrgebiet? Die wirtschaftliche Vergangenheit des Ruhrgebietes lässt diese Region eine Sonderstellung in Nordrhein-Westfalen einnehmen: Um der Deindustrialisierung und den damit verbundenen Abwanderungen entgegenzuwirken, sind im Ruhrgebiet vielfältige strukturpolitische Eingriffe erfolgt. Neben hohen Subventionen im Bereich der Steinkohle besteht gleichzeitig das Bestreben, die Wissens- und Forschungsinfrastruktur maßgeblich aus- und aufzubauen. Allerdings hat sich das Ruhrgebiet noch nicht im selben Maße als Wissensstandort konstituiert wie das übrige Nordrhein-Westfalen (Lageman/Schmidt 2006, Schwarze-Rodrian 2006; vgl. Kap. 2.4). Setzt sich deshalb der Prozess der Bevölkerungssuburbanisierung im Ruhrgebiet fort? Oder führen die ergriffenen Maßnahmen zu einer neuen Attraktivität der Kerngebiete, welche sich durch steigende Wanderungsund Bevölkerungsgewinne auszeichnet?
164
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
In diesem Kapitel wird die Entwicklung der räumlichen Mobilität des Ruhrgebietes derjenigen des übrigen Nordrhein-Westfalens gegenübergestellt. Damit die bislang erzielten Ergebnisse um regionsspezifische Erkenntnisse ergänzt werden können, erfolgt der Aufbau analog zu demjenigen des Kapitels 5.2: Zunächst werden in Kapitel 5.3.1 die Ströme und Salden von Nah-, aber auch Fernwanderungen betrachtet. In Kapitel 5.3.2 finden das Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) und seine Modifikation nach Kawashima (1987) Anwendung. 5.3.1 (Nah-)Wanderungsströme und -salden Der Fokus liegt zuerst auf den nahräumlichen Wanderungsströmen und -salden in den Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes.62 Es erfolgen differenzierte Auswertungen der Nahwanderungen und ihrer Salden zu den verschiedenen Altersgruppen sowie dem Geschlecht. Zusätzlich werden Unterschiede zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen berücksichtigt, da StadtUmland-Wanderungen im Ruhrgebiet vorrangig von deutschen Bewohnern unternommen werden (vgl. Neumann 2001, Goch 2002, Strohmeier 2003, Mielke 2003, 2004; vgl. Kap. 2.4). In einem folgenden Schritt werden zudem Fernwanderungen einbezogen, welche urbane Prozesse zusätzlich beeinflussen. Nahwanderungsströme und -salden In Übereinstimmung mit dem Vorgehen in Kapitel 5.2.1 und der Gleichung 5.11 folgend wird jeweils ein Mittel der Nahwanderungsströme für die Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes gebildet. Anhand dessen werden entsprechend der Gleichungen 5.2 bis 5.5 die Wanderungssalden zwischen Kerngebiet, näherem und weiterem Umland gebildet. In Abbildung 39 stellt die dunkelgraue Linie den Wanderungssaldo zwischen Kerngebiet und Umland dar (vgl. Abb. 27). Ein Verlauf im negativen Bereich bedeutet einen Verlust an Einwohnern für die Kerngebiete durch Fortzüge ins Umland und somit eine sich ausbreitende Suburbanisierung (vgl. Abb. 26, Phase II; Gleichung 5.7). Ein Verlauf im positiven Bereich geht für die Kerngebiete dementsprechend mit einem Gewinn
62 Zu den Stadtregionen des Ruhrgebietes zählen: Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen und Hamm. Zu jenen des verbleibenden Nordrhein-Westfalens gehören entsprechend: Aachen, Bielefeld, Bonn, Düsseldorf, Köln, Krefeld, Leverkusen, Mönchengladbach, Münster, Paderborn, Remscheid und Siegen.
165
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
an Einwohnern bzw. einer Bevölkerungsreurbanisierung einher (vgl. Abb. 26, Phase III; Gleichung 5.8). Werden die beiden Untersuchungsteilräume anhand der Wanderungssalden miteinander verglichen, fällt zunächst auf, dass die Höhe der Wanderungssalden im Ruhrgebiet um nahezu ein Drittel niedriger ist als im übrigen NordrheinWestfalen (Abb. 39): Während die Kerngebiete des Ruhrgebietes im Untersuchungszeitraum durchschnittlich 21 Personen pro 100.000 Einwohner an das Umland verlieren, sind es im verbleibenden Nordrhein-Westfalen 33 Personen pro 100.000 Einwohner. Dieser Unterschied wird vorrangig durch die unterschiedliche Größe der Stadtregionen bedingt: Durch die Nähe der Kerngebiete zueinander ist der Umlandbereich im Ruhrgebiet weniger stark ausgeprägt als im übrigen Nordrhein-Westfalen (vgl. Abb. 12, Kap. 3.3.1). Den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens ohne Ruhrgebiet gehören durchschnittlich 7,5 Gemeinden des näheren und 4,75 Gemeinden des weiteren Umlandes an. In den Stadtregionen des Ruhrgebietes sind es dagegen durchschnittlich sowohl 2,8 Gemeinden des näheren als auch des weiteren Umlandes. Der Umlandbereich der Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet ist daher 2,19-mal so groß. Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet hat im Vergleich zum Ruhrgebiet doppelt so viele Austauschmöglichkeiten mit seinem Umland. Die Fortzüge sind allerdings nur um ein Drittel höher. Dies bedeutet, dass im Ruhrgebiet Fortzüge ins Umland vergleichsweise häufiger stattfinden.
NRW ohne Ruhrgebiet
-20
85 88 91 94 97 00 03 05
-40 -60 -80 -100
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
Ruhrgebiet 0
0 -20 -60 -80 -100
Jahr Wanderungssaldo SKNU Wanderungssaldo SNUWU
85 88 91 94 97 00 03 05
-40
Jahr
Wanderungssaldo SKWU Wanderungssaldo SKU
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Stadtregionen)
Abbildung 39: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 2005) Quelle: Eigene Darstellung
166
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Werden die verschiedenen Wanderungssalden betrachtet, dann zeigt sich, dass der Wanderungssaldo ܵே in beiden Untersuchungsteilräumen stark negativ ausgeprägt ist. Kerngebiete verlieren ihre Einwohner überwiegend an das nähere Umland. Zudem verlieren die Kerngebiete des Ruhrgebietes vor allem zur Mitte des Untersuchungszeitraums mehr Einwohner an weitere Umlandgemeinden als die Kerngebiete außerhalb des Ruhrgebietes. Dies deutet auf eine stärkere Ausbreitung der Suburbanisierung im Ruhrgebiet hin (vgl. Abb. 26, Phase II). Des Weiteren fällt der unterschiedliche Verlauf der dunkelgrauen Kurve auf. Dieser wird wie in Kapitel 5.2.1 dargelegt durch folgende Phasen bestimmt: Zunächst nimmt die Suburbanisierung bis Ende der 1990er Jahre zu. Sie verringert zwischenzeitlich ihr Ausmaß aufgrund der Zuwanderungen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Eine Abnahme erfolgt ebenfalls gegen Ende des Untersuchungszeitraums. In Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet ist dieser Verlauf zu erkennen (vgl. Abb. 39). Es zeigen sich jedoch Besonderheiten, wenn das Ruhrgebiet betrachtet wird: Verliert im Jahr 1988 das Kerngebiet 31,57 Personen pro 100.000 Einwohner, sind es zum folgenden Untersuchungszeitpunkt 31,93 Personen pro 100.000 Einwohner. Die Stadt-Umland-Wanderungen bestimmen demnach auch zum Zeitpunkt nach der Wiedervereinigung die nahräumliche Mobilität. Eine anschließende Abnahme der Suburbanisierung leitet sich mit einer zeitlichen Verzögerung ein. Während sie in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens im Jahr 1997 eintritt, ist diese Verringerung für das Ruhrgebiet erst im Jahr 2000 zu beobachten. Nahwanderungen in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Nationalität In Anlehnung an Kapitel 5.2.1 werden nachstehend die Nahwanderungsströme und Nahwanderungssalden differenziert für die sechs verschiedenen Altersgruppen, das Geschlecht, aber auch für Deutsche und Nicht-Deutsche dargestellt. Da das Ruhrgebiet stärker als das übrige Nordrhein-Westfalen von der Deindustrialisierung betroffen ist, ist zu erwarten, dass dort in allen Altersgruppen – unabhängig von lebenszyklischen Ereignissen – die Tendenz, vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, überwiegt (Wenning 1996: 144, Ziesemer 2004: 84, Mayr/Temlitz 2006: 7; vgl. Kap. 2.4). Daneben wird die Höhe der Wanderungssalden zu den einzelnen Untersuchungszeitpunkten durch die vorherrschenden urbanen Prozesse bestimmt (vgl. Abb. 39).
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
167
Altersgruppen und Geschlecht Die Wanderungssalden zwischen Kerngebiet, näherem und weiterem Umland werden entsprechend der Gleichungen 5.2 bis 5.5 für die Altersgruppen der unter 18-Jährigen, der 18- bis 24-Jährigen, der 25- bis 29-Jährigen, der 30- bis 49Jährigen, der 50 bis 64-Jährigen sowie der über 64-Jährigen gebildet. Diese werden an 100.000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe relativiert (Abb. 29). Die Wanderungssalden der einzelnen Altersgruppen für Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet gleichen denen des gesamten Nordrhein-Westfalens und sind Abbildung 73 des Anhangs zu entnehmen (vgl. Abb. 74 und Abb. 75, Anhang). Dagegen zeichnen sich in den Stadtregionen des Ruhrgebietes Unterschiede ab (Abb. 40): Zunächst zeigt sich, dass die Höhe der Wanderungssalden unabhängig von der Altersgruppe geringer ist als im verbleibenden Nordrhein-Westfalen. Dieser Unterschied beruht, wie zuvor ausgeführt, auf dem kleineren Umlandbereich der Stadtregionen des Ruhrgebietes. Infolge dessen sind Wanderungsmöglichkeiten zwischen Kerngebiet und Umland geringer. Wie in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet verlieren die Kerngebiete des Ruhrgebietes Einwohner durch Fortzüge in das Umland, welche nicht durch Zuzüge aus dem Umland ausgeglichen werden können. Dies trifft mit Ausnahme der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen auf alle Altersgruppen zu. Mit der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen geht idealtypisch die Aufnahme des ersten Studiums bzw. der ersten Erwerbstätigkeit einher, welche ihrerseits die jeweiligen Akteure oftmals in das Kerngebiet von Stadtregionen führt (vgl. Gatzweiler 1982, Häußermann/Siebel 1987, Birg et al. 1993: 12, Feijten et al. 2008; vgl. Kap. 4.2.1). Für Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet ist dementsprechend ein positiver Wanderungssaldo der Kerngebiete für den gesamten Untersuchungszeitraum zu beobachten. Mit der Abnahme der Suburbanisierung im Jahr 1991 sowie seit dem Jahr 1997 ist ein Anstieg des positiven Wanderungssaldos zu beobachten (vgl. Abb. 73, Anhang). In den Kerngebieten des Ruhrgebietes ist für den Untersuchungszeitpunkt nach der Wiedervereinigung ebenfalls ein geringfügiger Anstieg des positiven Wanderungssaldos zu erkennen. Bis zum Jahr 2000 tendiert der Wanderungssaldo jedoch gegen Null, erst zu den letzten beiden Untersuchungszeitpunkten ist eine positive Zunahme bemerkbar: Im Gegensatz zum verbleibenden Nordrhein-Westfalen tragen die 18- bis 24-Jährigen im Ruhrgebiet weniger stark zu einem Einwohnergewinn der Kerngebiete bei. Entsprechendes gilt für die 25- bis 29-Jährigen: Seit dem Jahr 1994 zeichnet sich für Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet in dieser Altersgruppe eine Abnahme der Suburbanisierung ab. Diese geht im Jahr 2003 durch vermehrte Wanderungen vom Umland ins Kerngebiet in eine Reurbanisierung über (vgl. Abb.
168
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
300 240 180 120 60 0 -60 -120 -180
300 240 180 120 60 0 -60 -120 -180
Wanderungssaldo
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr Ruhrgebiet 25- bis 29-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05
Wanderungssaldo
300 240 180 120 60 0 -60 -120 -180
Ruhrgebiet unter 18-Jährige
Jahr Ruhrgebiet 50- bis 64-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo SKNU
Jahr Wand.-Saldo SKWU
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
75, Anhang). In den Kerngebieten des Ruhrgebietes zeigt sich erst im Jahr 2003 eine Verringerung der Suburbanisierung. Diese ist vor allem auf eine Abnahme der Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland zurückzuführen (vgl. Abb. 74, Anhang). Die 24- bis 29-Jährigen sind im Ruhrgebiet im Gegensatz zum übrigen Nordrhein-Westfalen weniger stark an einer Reurbanisierung beteiligt.
300 240 180 120 60 0 -60 -120 -180
300 240 180 120 60 0 -60 -120 -180
300 240 180 120 60 0 -60 -120 -180
Ruhrgebiet 18- bis 24-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr Ruhrgebiet 30- bis 49-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr Ruhrgebiet über 64-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo SNUWU
Jahr Wand.-Saldo SKU
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe)
Abbildung 40: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen im Ruhrgebiet (1985 - 2005) – Altersgruppen Quelle: Eigene Darstellung
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
169
Für die verbleibenden Altersgruppen können für beide Teilräume ähnliche Schlussfolgerungen gezogen werden (vgl. Abb. 29 und Abb. 73, Anhang): Die Wanderungssalden der unter 18-Jährigen gleichen vor allem denjenigen der 30bis 49-Jährigen. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesen vielfach um Familien, Kinder und deren Eltern, handelt, die gemeinsam umziehen. In der Phase der Familiengründung werden oftmals Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland unternommen. Gründe für diese Umzüge sind die ländlichere Umgebung der suburbanen Räume sowie die geringeren Miet- und Bodenpreise (vgl. Boustedt 1975b, LTS 2001, Adam et al. 2007, BBR 2007; vgl. Kap. 4.1.2). Der Wanderungssaldo ܵ nimmt für die nachfolgende Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen einen ähnlichen Verlauf. Da die Saldenhöhe geringer ist, verlieren die Kerngebiete weniger Personen in dieser Altersgruppe als an 30- bis 49-Jährigen. Gleiches gilt für die Altersgruppe der über 64-Jährigen (vgl. Herlyn 1990, Heinze et al. 1997, Birg 1992, LTS 2001). In Abbildung 76 des Anhangs werden die Wanderungen zwischen Kerngebiet und Umland für Frauen und Männer relativiert an 100.000 Einwohner des jeweiligen Geschlechts dargestellt. Diese Wanderungen werden darüber hinaus für Stadtregionen innerhalb sowie außerhalb des Ruhrgebietes ausgewiesen. Es zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Abbildung 32: Die Wanderungen von Frauen und Männern ähneln einander für jeden Untersuchungszeitpunkt – unabhängig davon, ob das Ruhrgebiet oder Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet betrachtet wird. Nationalität In Abbildung 41 werden die Nahwanderungssalden von Deutschen und NichtDeutschen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes dargestellt, welche an 100.000 Personen der entsprechenden Bevölkerungsgruppe relativiert worden sind (vgl. Gleichungen 5.2 bis 5.5). Im Ruhrgebiet wird deutlich, dass die Deutschen zu allen Untersuchungszeitpunkten am Prozess der Suburbanisierung beteiligt sind. Es wird die generelle Entwicklung der Wanderungssalden im Ruhrgebiet widergespiegelt (vgl. Abb. 39; vgl. Strohmeier 2003). Für die nichtdeutschen Bewohner lassen sich Besonderheiten feststellen: Sowohl zu Beginn des Untersuchungszeitraums als auch gegen dessen Ende verzeichnen die Kerngebiete einen Wanderungsgewinn in dieser Bevölkerungsgruppe. Die Zunahme der Wanderungen in die Städte wird bereits im Jahr 1997 eingeleitet. Dies kann u.a. darauf zurückgeführt werden, dass die Wanderungen ins Umland sozial selektiv verlaufen und dort eher die deutsche Mittelschicht hinzieht (vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung 2001, Strohmeier 2003).
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
90 60 30 0 -30 -60 -90 -120
85 88 91 94 97 00 03 05
Wanderungssaldo
90 60 30 0 -30 -60 -90 -120
Ruhrgebiet Deutsche
Jahr NRW ohne Ruhrgebiet Deutsche
85 88 91 94 97 00 03 05
Jahr
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
170
90 60 30 0 -30 -60 -90 -120
90 60 30 0 -30 -60 -90 -120
Ruhrgebiet Nicht-Deutsche
85 88 91 94 97 00 03 05
Jahr NRW ohne Ruhrgebiet Nicht-Deutsche
85 88 91 94 97 00 03 05
Wand.-Saldo SKNU Wand.-Saldo SKWU Wand.-Saldo SNUWU (relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Bevölkerungsgruppe)
Jahr Wand.-Saldo SKU
Abbildung 41: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen im Ruhrgeb. und in NRW o. Ruhrgeb. (1985 - 2005) – Nationalität Quelle: Eigene Darstellung Im verbleibenden Nordrhein-Westfalen zeichnet sich für die deutschen Bewohner der bereits für Abbildung 39 beschriebene Verlauf der Wanderungssalden ab (vgl. Abb. 41). Von diesem unterscheiden sich die Wanderungssalden der NichtDeutschen deutlich: Nicht-deutsche Bewohner tragen maßgeblich zum Prozess der Bevölkerungsreurbanisierung bei. Seit dem Untersuchungszeitpunkt von 1988 nimmt die Suburbanisierung ab und geht in eine Reurbanisierung über (vgl. Abb. 26, Gleichungen 5.7 und 5.8). Es ist davon auszugehen, dass dieser Zustrom in die Stadtregionen Nordrhein-Westfalens im Zusammenhang mit den verstärkten Einwanderungen von Asylbewerbern und Flüchtlingen, aber auch den Zuwanderungen im Zuge des osteuropäischen Postsozialismus steht (vgl. Geißler 2004; vgl. Abb. 34, Kap. 5.2.1). Seit dem Jahr 2000 ist zu erkennen, dass die durch die Wanderungen der nicht-deutschen Bewohner hervorgerufene Reurbanisierung in einem ähnlichen Maß abnimmt wie die durch die deutschen Bewohner bewirkte Suburbanisierung. Während demnach die Kerngebiete in den
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
171
Stadtregionen außerhalb des Ruhrgebietes zunehmend deutsche Bewohner gewinnen, verlieren sie an nicht-deutschen Bewohnern. Inwiefern dies einen Verdrängungsprozess nicht-deutscher Bewohner in das Umland von Stadtregionen bedeutet, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Aufschluss darüber werden erst künftige Untersuchungen geben. Wanderungsströme und -salden Nachdem bislang die nahräumlichen Wanderungssalden für das Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet beschrieben worden sind, werden in diesem Abschnitt zusätzlich Fernwanderungen, welche ihrerseits zu den Prozessen der Suburbanisierung bzw. Reurbanisierung beitragen, einbezogen (vgl. Kap. 2.1 und Kap. 5.2.1). Die Wanderungsströme zwischen Kerngebiet, Umland und außerhalb der Stadtregion liegenden Gemeinden werden für die beiden Untersuchungsteilräume entsprechend Gleichung 5.16 gebildet. Die Wanderungssalden des Kerngebiets (ܵೆಷ ) sowie des Umlands ሺ಼ܵಷ ሻ werden nach den Gleichungen 5.12 und 5.13 erzeugt. Verlaufen die Kurven der Wanderungssalden im positiven Wertebereich, dann ist eine reurbane Tendenz zu beobachten (vgl. Gleichung 5.15). Im Umkehrschluss bedeutet ein Verlauf im negativen Wertebereich, dass eine suburbane Tendenz vorliegt (vgl. Gleichung 5.14). Es ergibt sich das folgende Bild (Abb. 42): Da nicht nur Wanderungen zwischen Kerngebiet und Umland betrachtet werden, sind die Unterschiede in der Höhe der Wanderungssalden für beide Untersuchungsräume weniger stark ausgeprägt als in Abbildung 39. Die Wanderungssalden ܵೆಷ und ܵಷ nehmen sowohl für die Stadtregionen innerhalb als auch für diejenigen außerhalb des Ruhrgebietes einen ähnlichen Verlauf. Dieser ist in Kapitel 5.2.1 für das gesamte Nordrhein-Westfalen bereits ausführlich beschrieben worden (vgl. Abb. 34): Für die Untersuchungszeitpunkte von 1988 und 1991 zeigt sich eine reurbane Tendenz, die vornehmlich auf osteuropäische Zuwanderungen sowie innerdeutsche Binnenwanderungen als Folge der Wiedervereinigung zurückgeht. Zu den folgenden Untersuchungszeitpunkten verlieren diese Zuwanderungen an Bedeutung, so dass die reurbane Tendenz in eine suburbane übergeht. Eine Ausnahme stellt das Jahr 2003 dar, in welchem erneut eine reurbane Tendenz aufgrund Änderungen in der Einwanderungspolitik auftritt (Angenendt 2002). Ein erster wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Teilräumen zeigt sich im Jahr 1991: In Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet gewinnen sowohl Kerngebiete als auch das Umland an Bevölkerung. Im Gegensatz dazu nimmt der Einwohnergewinn der Kerngebiete des Ruhrgebietes massiv ab.
172
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
NRW ohne Ruhrgebiet Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
Ruhrgebiet 750 500 250 0 -250
85 88 91 94 97 00 03 05
Wanderungssaldo SK
Jahr
750 500 250 0 -250
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderungssaldo SU
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Stadtregion)
Abbildung 42: Mittlere Fern- und Nahwanderungssalden aller Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 2005) Quelle: Eigene Darstellung Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die Kerngebiete des Ruhrgebietes keine Zielgebiete im Zuge der Wiedervereinigung gewesen sind. Zudem wird der Wanderungssaldo ܵೆಷ bis zum Jahr 2000 negativ und steigt nur temporär zum Jahr 2003 an (Angenendt 2002). Das Umland verliert vergleichsweise mehr Einwohner durch Abwanderungen. Das Ruhrgebiet ist daher vor allem in der zweiten Untersuchungshälfte von 1997 bis 2005 stärker von vor allem fernräumlichen Abwanderungen betroffen als das verbleibende Nordrhein-Westfalen (vgl. Wenning 1996, Ziesemer 2004, Mayr/Temlitz 2006; Kap. 2.4). Zusammenfassung In diesem Kapitel ist den Unterschieden hinsichtlich Anzeichen für eine Suburbanisierung oder Reurbanisierung in Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes nachgegangen worden. Grundlage dafür sind sowohl nah- als auch fernräumliche Wanderungsströme gewesen: Die Wanderungsströme zwischen Kerngebiet und Umlandgemeinden fallen im Ruhrgebiet geringer aus als im verbleibenden Nordrhein-Westfalen aufgrund des kleineren Umlandbereichs. Dieser Unterschied gleicht sich aus, wenn zusätzlich Fernwanderungen in die Auswertungen einbezogen werden. Es lassen sich verschiedene Unterschiede in den Wanderungsbewegungen der beiden Teilräume erkennen:
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
173
Das Ruhrgebiet profitiert nicht in demselben Maß wie das verbleibende Nordrhein-Westfalen von den deutschen Binnenwanderungen zum Untersuchungszeitpunkt von 1991. Werden die nahräumlichen Wanderungssalden betrachtet, so nimmt die Suburbanisierung leicht zu. Werden zusätzlich die Fernwanderungen einbezogen, dann verzeichnen vor allem die Kerngebiete keine Bevölkerungsgewinne durch Zuwanderungen. Bis zum Ende der 1990er Jahre ist die Suburbanisierung im Ruhrgebiet stärker als im verbleibenden Nordrhein-Westfalen ausgeprägt. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass Kerngebiete auch unter Einbezug der Fernwanderungen Einwohner verlieren. Die Abnahme der Suburbanisierung tritt im Ruhrgebiet verzögert ein: Während sie für die Stadtregionen außerhalb des Ruhrgebietes bereits für das Jahr 1997 zu beobachten ist, zeigt sie sich in den Stadtregionen innerhalb des Ruhrgebietes erst im Jahr 2000. Für die nahräumlichen Wanderungssalden der einzelnen Altersgruppen ergibt sich innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes ein vergleichbares Bild. Allerdings sind 18- bis 24-Jährige sowie 25- bis 29-Jährige, welche vorwiegend zum Bevölkerungsgewinn der Kerngebiete beitragen, im Ruhrgebiet lediglich im geringen Maße und lediglich gegen Ende des Untersuchungszeitraums an Bevölkerungsgewinnen der Kerngebiete beteiligt. In den Stadtregionen NordrheinWestfalens ohne Ruhrgebiet deuten sich überdies sozial selektive Prozesse an: Die Kerngebiete verlieren nicht-deutsche Einwohner, während sie zugleich deutsche Einwohner gewinnen. Dieser grundlegende Unterschied ist im Ruhrgebiet nicht zu beobachten. 5.3.2 (Modifizierte) Phasen urbaner Entwicklung Dem Aufbau von Kapitel 5.2.2 folgend werden die Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes den Phasen urbaner Entwicklung nach den Modellen von van den Berg et al. (1982) und Kawashima (1987) zugeordnet. Zudem werden die Stadtregionen in die Kategorien von Wachstum, Quasi-Wachstum sowie Degeneration eingeordnet. Diese Klassifizierungen ermöglichen es mit Blick auf die Hypothesen, Aussagen über die Veränderung von urbanen Prozessen, insbesondere im Ruhrgebiet, zu treffen. Phasen urbaner Entwicklung Die Deindustrialisierung geht im Ruhrgebiet mit hoher Arbeitslosigkeit und massiven Abwanderungen einher. Bei diesen Abwanderungen handelt es sich sowohl um Fern- als auch um Nahwanderungen. Seit den 1980ern werden struk-
174
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
turfördernde Maßnahmen ergriffen, um diesen Auswirkungen entgegen zu wirken (vgl. Wenning 1996, BBR 2000b, Ziesemer 2004, Mayr/Temlitz 2006, IBA 2008; vgl. Kap. 2.4 und Kap. 5.3.1). Da die Maßnahmen vorrangig auf einen langfristigen Wandel angelegt sind, sollte für den Untersuchungszeitraum von 1997 bis 2005 zu beobachten sein, dass sich die Stadtregionen des Ruhrgebietes noch im Prozess der Suburbanisierung befinden (vgl. Kap. 4.1.3). Hypothese 5 H5
Die Mehrheit der Stadtregionen des Ruhrgebietes befindet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann in der Phase der Suburbanisierung, …
H5a
… wenn sich die Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
Um Hypothese 5a nachzugehen, werden die Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes in die Phasen urbaner Entwicklung nach dem Modell von van den Berg et al. (1982) eingeordnet (vgl. Kap. 5.2.2; Gleichungen 5.17 bis 5.24). In Abbildung 43 werden die auf diesem Modell beruhenden Bevölkerungsveränderungen zwischen zwei Zeitpunkten grafisch dargestellt. Die jeweiligen Werte für die einzelnen Stadtregionen können Tabelle 7 entnommen werden (vgl. Kap. 5.2.2): Es werden die Bevölkerungsveränderungen für die gesamte Stadtregion sowie für die Kerngebiets- und Umlandgemeinden abgetragen. Zusätzlich wird ein abstrahierter Verlauf der urbanen Phasen nach van den Berg et al. (1982) in die Abbildungen eingefügt (vgl. Kap. 4.1.2; vgl. Abb. 20). Diese Kurve ist in ihrer ursprünglichen Form nicht auf den gewählten Untersuchungszeitraum begrenzt, einzelne Phasen können sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Zudem gibt sie nur das Verhältnis der Bevölkerungsveränderungen der Agglomeration an – ohne konkrete Maßzahlen. Die Übertragung auf den Untersuchungszeitraum von 1985 bis 2005 sowie auf die Bevölkerungsveränderungen in Nordrhein-Westfalen ist deshalb ausschließlich als erste Orientierung für den Verlauf urbaner Phasen zu verstehen. Die Phasen für Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet und das Ruhrgebiet gleichen sich zunächst (vgl. Tab. 7, Kap. 5.2.2): Bis zum Jahr 1991 herrscht die Phase der Urbanisierung vor. Diese ist im Ruhrgebiet aufgrund der geringeren Wanderungsgewinne durch die deutsche Wiedervereinigung schwächer ausgeprägt.
175
Alle Stadtregionen des Ruhrgebietes
480000
Bev.-Veränderung
Bev.-Veränderung
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
360000 240000 120000 0 -120000
88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Urbanisierung
Desurbanisierung Suburbanisierung Reurbanisierung
480000
Alle Stadtregionen in NRW ohne Ruhrgebiet
360000 240000 120000 0 -120000
Kerngebiet
88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Umland
Stadtregion
Abbildung 43: Absolute Bevölkerungsveränderungen aller Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 – 2005) Quelle: Eigene Darstellung Es folgt in beiden Teilräumen die Phase der Suburbanisierung: In NordrheinWestfalen ohne Ruhrgebiet erreicht sie ihre stärkste Ausprägung im Jahr 2000 und geht aufgrund der positiven Bevölkerungsentwicklung in den Stadtregionen bis zum Ende des Untersuchungszeitraums in eine Urbanisierung über. Im Ruhrgebiet wird die stärkste Ausprägung der Suburbanisierung im Jahr 2003 erreicht. Da die gesamte Stadtregion Bevölkerungsverluste erfährt, kann – im Gegensatz zum verbleibenden Nordrhein-Westfalen – von einer Desurbanisierung gesprochen werden. Mit der Abnahme dieser Verluste zum Untersuchungsende ist die Phase der Reurbanisierung eingeleitet. Aufgrund der geringen zeitlichen Abstände zwischen den Untersuchungszeitpunkten spiegeln diese Ergebnisse lediglich erste Tendenzen wider. Werden demgegenüber die beiden Untersuchungszeiträume von 1985 bis 1994 und von 1997 bis 2005 einander gegenübergestellt, dann werden die Unterschiede zwi-
176
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
schen dem Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet deutlicher (vgl. Tab. 7, Kap. 5.2.2): In der ersten Untersuchungshälfte befindet sich in beiden Untersuchungsregionen die Mehrheit der Stadtregionen in der Phase der Urbanisierung. Da die gesamte Bevölkerungsentwicklung betrachtet wird, gilt dies, obwohl das Ruhrgebiet von den Ost-West-Wanderungen nur geringfügig profitiert (vgl. Kap. 5.3.1). Wird dagegen die Bevölkerungsveränderung von 1997 auf 2005 betrachtet, dann befinden sich fünf der sechs Stadtregionen des Ruhrgebietes in der Phase der Desurbanisierung und allein Hamm in der Suburbanisierung. In Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet ist der Großteil der Stadtregionen hingegen der Phase der Suburbanisierung zuzuordnen. Es wird deutlich, dass das Ruhrgebiet vergleichsweise stärker in die Phase der Desurbanisierung eintritt als Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet. Hypothese 5a ist daher abzulehnen: Die Stadtregionen des Ruhrgebietes befinden sich in der zweiten Untersuchungshälfte nicht in der Phase der Suburbanisierung. Phasen urbaner Entwicklung – Kawashima (1987) In diesem Abschnitt findet die Modifizierung des Modells der Phasen urbaner Entwicklung von Kawashima (1987) Anwendung. Hypothese 5 fortführend wird angenommen, dass sich die Stadtregionen des Ruhrgebietes im Zeitraum von 1997 bis 2005 in der Phase der Suburbanisierung befinden. Da Stadtregionen in dieser urbanen Phase Einwohner verlieren, wird zudem untersucht, ob sie sich in die Kategorie der Degeneration einordnen lassen (vgl. Kap. 4.1.3). Hypothese 5 H5
Die Mehrheit der Stadtregionen des Ruhrgebietes befindet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann in der Phase der Suburbanisierung, …
H5b
… wenn sich die Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
H5c
… wenn sich die Stadtregionen in die Kategorie der Degeneration einordnen lassen.
Die Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes werden in Abbildung 44 den urbanen Phasen entsprechend des Typ-ȕ-Schemas von Kawashima (1987) zugeordnet (vgl. Gleichungen 26 bis 33, Kap. 5.2.2). Im Gegensatz zum ursprünglichen Modell von van den Berg et al. (1987) werden Bevölkerungs-
177
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
wachstumsraten von Kerngebiet und Stadtregion anstelle des absoluten Wachstums der Bevölkerung von Kerngebiet und Umland zwischen zwei Zeitpunkten verwendet (vgl. Kap. 4.1.2 und Kap. 5.2.2).
Ruhrgebiet
Y
NRW o. Ruhr.
Y
2
1
6
1997/2005
< 2
0
1
>
X
0 6
0
1
0
0
0 6
1
4
0
0 0
2
0 1
4
1
0
Ruhrgebiet
Y
8
0
7
6
0
7
2
1985/1994
AZ Urbanisierung RD Suburbanisierung AD Desurbanisierung RZ Reurbanisierung
ASt2 ASt4 ASt6 ASt8
X
0 0
>
1997/2005
RZ Urbanisierung AD Suburbanisierung RD Desurbanisierung AZ Reurbanisierung
mit: AStx = Anzahl der Stadtregionen in den Teilphasen, (x = 1, … , 8), x-Achse = Bevölkerungswachstumsrate im Kerngebiet, y-Achse = Bevölkerungswachstumsrate in der Stadtregion, A = absolut, R = relativ, Z = Zentralisierung, D = Dezentralisierung
Abbildung 44: Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1988 - 2005), Typ-ȕ-Schema Quelle: Eigene Darstellung, verändert nach Kawashima 1987: 107 In der ersten Untersuchungshälfte gleichen sich die Verhältnisse: Sowohl die Stadtregionen innerhalb als auch außerhalb des Ruhrgebietes sind in die Phase der Suburbanisierung eingetreten. Unterschiede ergeben sich in der zweiten
178
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
Untersuchungshälfte: Die Stadtregionen des Ruhrgebietes gehören mehrheitlich der Phase der Desurbanisierung an. In Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet herrscht hingegen weiterhin die Phase der Suburbanisierung vor. Lediglich zwei Stadtregionen gehören der Phase der Desurbanisierung an (Abb. 44). Y
Y C
0
B
0
A
4
C
0
B
0
A
1
F
1
E
1
D
0
F
0
E
0
D
0
G
0
H
0
I
0
G
5
H
0
I
0
X
X
Ruhrgebiet 1997/2005
Ruhrgebiet 1985/1994
Y
Y C
1
B
3
A
7
C
2
B
1
A
7
F
0
E
1
D
0
F
0
E
0
D
0
G
0
H
0
I
0
G
2
H
0
I
0
X
X
NRW o. Ruhrgebiet 1985/1994
NRW o. Ruhrgebiet 1997/2005
mit: x-Achse = Bevölkerungswachstumsrate im Kerngebiet y-Achse = Bevölkerungswachstumsrate in Stadtregion
Abbildung 45: Wachstum der Stadtregionen im Ruhrgebiet und in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 1994 und 1997 - 2005) Quelle: Eigene Darstellung, verändert nach Kawashima 1987: 108 Wie bereits in Kapitel 5.2.2 deutlich geworden ist, kann festgehalten werden, dass durch das Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) die Zuwanderungsgewinne Anfang der 1990er Jahre in der ersten Untersuchungshälfte stärker hervortreten: Es ist die Phase der Urbanisierung und nicht
5.3 Suburbanes Ruhrgebiet?
179
der Suburbanisierung ermittelt worden. Hingegen gleichen sich die Ergebnisse für die zweite Untersuchungshälfte. Sowohl nach van den Berg et al. (1982) als auch nach Kawashima (1987) zeigt sich für Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet eine Phase der Suburbanisierung, das Ruhrgebiet befindet sich hingegen in der Phase der Desurbanisierung. Aufgrund dessen ist Hypothese 6b abzulehnen. Diese Ergebnisse spiegeln sich in dem Wachstum der Stadtregionen wider: In Tabelle 8 sind die Stadtregionen des Ruhrgebietes sowie Nordrhein-Westfalens ohne Ruhrgebiet in die Kategorien des Wachstums nach Kawashima (1987) eingeordnet worden (vgl. Kap. 5.2.2). In Anlehnung an Abbildung 38 werden diese Wachstumskategorien zusätzlich in Zusammenhang mit dem Typ-ȕSchema gebracht (vgl. Abb. 45) und für die beiden Untersuchungszeiträume von 1985 bis 1994 sowie von 1997 bis 2005 einander gegenübergestellt: Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Ruhrgebietes befinden sich die Stadtregionen im Zeitraum von 1985 bis 1994 überwiegend im Wachstum. Dies ändert sich im Zeitraum von 1997 bis 2005: Im Ruhrgebiet gehören fünf Stadtregionen, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen und Hagen, in die Kategorie der Degeneration. Nur eine einzige Stadtregion, Hamm, kann ein aktives Wachsen aufweisen. In Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet wachsen dagegen zehn Stadtregionen weiterhin aktiv, während sich mit Remscheid und Siegen nur zwei Stadtregionen in der Degeneration befinden. Da in den Stadtregionen des Ruhrgebietes eher eine Schrumpfung als ein Wachstum der Stadtregionen festzustellen ist, wird Hypothese 6d beibehalten. Zusammenfassung Das Vorgehen in diesem Kapitel gleicht jenem des Kapitels 5.2.2: Es sind urbane Phasen der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens auf verschiedene Weisen für den Untersuchungszeitraum von 1985 bis 2005 bestimmt worden. Der Schwerpunkt liegt in diesem Kapitel jedoch nicht auf Nordrhein-Westfalen insgesamt, sondern auf den Vergleich zwischen Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes. Zunächst ist das Modell der Phasen urbaner Entwicklung nach van den Berg et al. (1982) angewandt worden: Der Verlauf der urbanen Phasen in den Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes ähnelt sich. Die erste Untersuchungshälfte wird durch die Phase der Urbanisierung bestimmt. Unterschiede bestehen jedoch zum Ende des Untersuchungszeitraums. Während in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet die Phase der Suburbanisierung erreicht ist, befindet sich das Ruhrgebiet in der Phase der Desurbanisierung. In der Modifizierung durch Kawashima (1987) wirken sich die großpolitischen Ereignisse weniger stark aus, so dass in der ersten Untersuchungshälfte
180
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
eine Suburbanisierung zu beobachten ist. In der zweiten Untersuchungshälfte werden jedoch die gleichen Ergebnisse erzielt:
Phasen urbaner Entwicklung im Ruhrgebiet und in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet 1985 bis 1995 van den Berg et al. (1982) Kawashima (1987) 1997 bis 2005 van den Berg et al. (1982) Kawashima (1987)
NRW ohne Ruhrgebiet
Ruhrgebiet
Urbanisierung Suburbanisierung (aktives Wachstum)
Urbanisierung Suburbanisierung (aktives Wachstum)
Suburbanisierung Suburbanisierung (aktives Wachstum)
Desurbanisierung Desurbanisierung (Degeneration)
Dies spiegelt sich auch insofern wieder, als dass sich die Stadtregionen des Ruhrgebietes überwiegend in der Kategorie der Degeneration befinden, während sich die Stadtregionen des verbleibenden Nordrhein-Westfalens der Phase des aktiven Wachstums zuordnen lassen. 5.4 Zusammenfassung Es ist das Ausmaß der nahräumlichen Mobilität in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von 1985 bis 2005 mittels der amtlichen Wanderungsstatistik quantifiziert und somit das Ziel dieses Kapitels erreicht worden (vgl. Kap. 1.1). In Tabelle 9 werden diese Ergebnisse in Bezug zu den Hypothesen gesetzt. Darüber hinaus werden erste Zusammenhänge auf der Makro-Ebene in Abbildung 45 skizziert. Die Auswertung der nahräumlichen Wanderungssalden zeigt, dass im gesamten Untersuchungszeitraum die Phase der Suburbanisierung vorherrscht (vgl. Abb. 27 und Abb. 34). Gegen dessen Ende – im Ruhrgebiet mit einer kurzen zeitlichen Verzögerung – verringert sich das Ausmaß der Suburbanisierung. Daran beteiligt sind vorrangig Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren, nicht jedoch solche im Alter von 50 bis 64 Jahren (Tab. 9, Hypothesen 1 und 2). Unter Vorbehalt der kurzen zeitlichen Abstände können die von Osterhage (2008) beschriebenen Prozesse nahräumlicher Mobilität belegt werden (vgl. Kap. 2.4).
181
5.4 Zusammenfassung
Nahwanderungen in Nordrhein-Westfalen im Untersuchungszeitraum 1. Anfang 1990:
Verringerung der Suburbanisierung
2. Mitte 1990:
Verstärkung der Suburbanisierung
3. zu Beginn des 21. Jahrhunderts:
Verringerung der Suburbanisierung
Es ist überdies deutlich geworden, dass Fernwanderungen massiv zum Einwohnerbestand der Stadtregionen beitragen. Insbesondere zu den Untersuchungszeitpunkten von 1988 und 1991 gewinnen die Stadtregionen Einwohner durch osteuropäische Zuwanderungen sowie durch Wanderungsgewinne infolge der deutschen Wiedervereinigung. Im Ruhrgebiet wirken sich die innerdeutschen OstWest-Wanderungen weniger stark aus (Abb. 45; vgl. Abb. 39 und Abb. 42). Werden die Untersuchungszeiträume weiter gefasst und die Jahre von 1985 bis 1994 und von 1997 bis 2005 einander gegenübergestellt, so ergibt sich nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) sowie seiner Modifikation (Kawashima 1987) ein urbaner Wandel. Abbildung 45 ist zu entnehmen, dass sich die internationalen sowie innerdeutschen Zuwanderungen in der ersten Untersuchungshälfte nach dem Modell von van den Berg et al. (1982) stärker auf die urbanen Phasen auswirken als nach dem Modell von Kawashima (1987): Nach dem Ursprungsmodell ist entgegen Hypothese 3a eine Phase der Urbanisierung festzustellen, während nach dem modifizierten Modell, wie in Hypothese 3b angenommen, der seit den 1950er Jahren währende Prozess der Suburbanisierung fortdauert. Die Stadtregionen Nordrhein-Westfalens befinden sich aufgrund des gesellschaftlichen Kontextes mehrheitlich im Wachstum, weshalb Hypothese 3c nicht beibehalten wird (vgl. Tab. 9). In der zweiten Untersuchungshälfte ist sowohl nach dem Modell von van den Berg et al. (1982) als auch nach jenem von Kawashima (1987) die Phase der Suburbanisierung eingetreten. Eine Stadtregion befindet sich nach dem modifizierten Modell in die Phase der Reurbanisierung. Daher wird Hypothese 4a abgelehnt und Hypothese 4b beibehalten. Wie in der ersten Untersuchungshälfte wachsen die Stadtregionen aktiv; Hypothese 4c zeigt sich vorerst bestätigt (vgl. Tab. 9). Da in der zweiten Untersuchungshälfte (inter-)nationale Zuwanderungsströme geringer ausgeprägt sind als in der ersten Untersuchungshälfte, tritt der strukturelle Unterschied zwischen dem Ruhrgebiet und dem verbleibenden NordrheinWestfalen stärker hervor: Sowohl nach dem Modell von van den Berg et al. (1982) als auch nach demjenigen von Kawashima (1987) ist im Ruhrgebiet eine Phase der Desurbanisierung – und nicht wie angenommen der fortgesetzten Sub-
182
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
urbanisierung – eingetreten. Die Hypothesen 5a und 5b müssen abgelehnt werden. Aufgrund der Desurbanisierung befinden sich die Stadtregionen jedoch in der Degeneration. Hypothese 5c wird nicht verworfen. 1985 bis 1994:
1985 bis 1994:
- großpolitische Ereignisse (Perestroika / Postsozialismus) - deutsche Wiedervereinigung - strukturelle Ungleichheit: Ruhrgebiet und NRW ohne Ruhrgebiet
- osteuropäische + innerdeutsche Zuwanderungen ĺ Urbanisierung (van den Berg et al. 1982) ĺ Suburbanisierung (Kawashima 1987)
1997 bis 2005:
1997 bis 2005:
- restriktivere Wanderungsgesetze i. d. BRD - strukturelle Ungleichheit: Ruhrgebiet und NRW ohne Ruhrgebiet - stärkeres Herausbilden ‚neuer‘ Haushaltstypen
- weniger internationale Zuwanderungen - verstärkte Wand. 18-24-Jähriger in Kern ĺ (abnehmende) Suburbanisierung ĺ Desurbanisierung im Ruhrgebiet (van den Berg et al. 1982; Kawashima 1987)
4
1 Wanderungsabwägung
3
2
(keine) Wanderung in den Kern / ins Umland
1
Logik der Situation
3
Logik der Aggregation
2
Logik der Selektion
4
Kollektivhypothese
Abbildung 46: Makrotheoretisches Wanderungsentscheidungsmodell (1985 2005) Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98 Im Hinblick auf Diskussionen über eine Reurbanisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts (vgl. Osterhage 2003, Difu 2005, Reutter 2008, Siedentop 2008; vgl. Kap. 2.4) ist abschließend festzuhalten, dass vor allem die Auswertungen der nahräumlichen Wanderungsbewegungen für eine fortschreitende Suburbanisierung in Nordrhein-Westfalen zu Beginn des 21. Jahrhunderts sprechen.
183
5.4 Zusammenfassung
Tabelle 9: Makrotheoretische Ergebnisse Nr.
Hypothese
H1
Eine Reurbanisierung zeichnet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann ab, wenn in den Stadtregionen NordrheinWestfalens die Kerngebiete durchschnittlich mehr 18- bis 24Jährige Einwohner durch Zuzüge aus dem Umland gewinnen als im Zeitraum t1 (1985 bis 1994).
+
Eine Reurbanisierung zeichnet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann ab, wenn in den Stadtregionen NordrheinWestfalens die Kerngebiete durchschnittlich mehr 50- bis 64Jährige Einwohner durch Zuzüge aus dem Umland gewinnen als im Zeitraum t1 (1985 bis 1994).
–
H3
Die Mehrheit der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens befindet sich im Zeitraum t1 (1985 bis 1994) dann in der Phase der Suburbanisierung, …
(–)
H3a
… wenn sich die Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
–
H3b
… wenn sich die Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
+
H3c
… wenn sich die Stadtregionen in die Kategorie der Degeneration einordnen lassen.
–
H4
Die Anzahl der Stadtregionen Nordrhein-Westfalens, welche sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) in der Phase der Reurbanisierung befinden, nimmt im Vergleich zu t1 (1985 bis 1994) dann zu, …
(+)
H4a
… wenn sich mehr Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Reurbanisierung einordnen lassen.
–
H4b
… wenn sich mehr Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Reurbanisierung einordnen lassen.
+
H4c
… wenn sich mehr Stadtregionen in die Kategorie des aktiven Wachstums einordnen lassen.
+
H2
Ergebnis1
184
5 Urbanisierung, Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung?
H5
Die Mehrheit der Stadtregionen des Ruhrgebietes befindet sich im Zeitraum t2 (1997 bis 2005) dann in der Phase der Suburbanisierung, …
H5a
… wenn sich die Stadtregionen nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
–
H5b
… wenn sich die Stadtregionen nach dem von Kawashima (1987) modifizierten Modell der Phasen urbaner Entwicklung in die Phase der Suburbanisierung einordnen lassen.
–
H5c
… wenn sich die Stadtregionen in die Kategorie der Degeneration einordnen lassen.
+
(–)
1 Ein „+“-Zeichen bedeutet, dass die Hypothese noch nicht abgelehnt werden kann, ein „–“-Zeichen bedeutet hingegen, dass die Hypothese abzulehnen ist. „--" gibt an, dass die Hypothese aufgrund der Datenbasis nicht ausreichend untersucht werden konnte. „()“ gibt eine Tendenz an.
Es zeigt sich allerdings, dass sich die Stärke der Suburbanisierung verringert und in einzelnen Stadtregionen Anzeichen für eine Reurbanisierung bestehen. Nach van den Berg et al. (1982) ist die Reurbanisierung jedoch ein sehr unwahrscheinliches Szenario und bedarf tiefgehender strukturpolitischer Maßnahmen. Ob die bisher ergriffenen kommunalen Schritte tatsächlich eine Wende herbeiführen, werden erst künftige Befunde zeigen, denen ein längerer Untersuchungszeitraum zugrunde liegt. Dann wird sich ebenfalls zeigen, ob die starken Bevölkerungsverluste im Ruhrgebiet ein Ende gefunden haben.
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Im vorangegangenen Kapitel 5 sind aufgrund ihres Ausmaßes die vorherrschenden Wanderungsströme im zeitlichen Verlauf in Nordrhein-Westfalen auf der Makro-Ebene quantifiziert worden. Auf der Mikro-Ebene wird den Ursachen für die vom einzelnen Akteur ausgewählte Richtung nahräumlicher Mobilität aus der Perspektive des Lebenslaufs nachgegangen. Ein weiteres Ziel auf der Mikro-Ebene, das mithilfe der Lebensverlaufsstudien verfolgt wird, lautet daher (vgl. Kap. 1.2 und Kap. 4.2.2): 2b. Bestimmung von wanderungsauslösenden Ereignissen sowie die Untersuchung soziodemografischer Merkmale von Wandernden. Um dieses Teilziel zu erreichen, werden zunächst die Lebensverlaufsdaten, deren Aufbereitung sowie das angewendete Verfahren der Ereignisanalyse in Kapitel 6.1 dargestellt. In Kapitel 6.2 werden Nahwanderungen als Ereignisse im Lebenslauf, insbesondere in Abhängigkeit von Geschlecht und Zugehörigkeit zu einer Geburtskohorte betrachtet. Dadurch werden zum einen die makrotheoretischen Ergebnisse um mikrotheoretische Erkenntnisse ergänzt, zum anderen wird ein erster Überblick für die folgenden tiefer gehenden Erörterungen geboten. Den Hypothesen entsprechend werden in Kapitel 6.3 und Kapitel 6.4 Zusammenhänge zwischen beruflichen sowie familialen Ereignissen in der Bildungs- bzw. Erwerbs- sowie Haushalts- bzw. Familienkarriere eines Individuums und Nahwanderungen untersucht: Als berufliche Ereignisse, aus welchen die Präferenz für eine Nahwanderung hervorgehen kann, werden die Aufnahme der ersten Ausbildung bzw. des ersten Studiums sowie der ersten Erwerbstätigkeit betrachtet. Zu den familialen Ereignissen zählen die erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft, die bevorstehende Geburt der ersten beiden Kinder sowie eine mögliche Trennung vom ersten (Ehe-)Partner (vgl. Kap. 4.2.1). Die jeweiligen Kapitel abschließend wird dargelegt, inwiefern diese Ereignisse trotz möglicher Restriktionen in anderen Karrieren des Lebenslaufs mit Nahwanderungen in bestimmte Zielgebiete von Stadtregionen einhergehen. In Kapitel 6.5 werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassend dargestellt.
K. Gerber, Räumliche Mobilität im Wandel, DOI 10.1007/978-3-531-92909-5_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
186
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
6.1 Lebensverlaufsstudien Die Verwendung von Längsschnittdaten birgt im Vergleich zu Querschnittdaten mehrere Vorteile, welche in der aktuellen Forschung noch nicht ausgeschöpft sind. „(…) the opportunity to relate moves to both states and events in other life course trajectories; to relate current moves to past moving experience (…); to get closer to a ‘biographical approach’ of migration research (…); and to relate mobility to societal change.” (Mulder 1996: 128; Hervorhebung im Original)
Mithilfe von Längsschnittdaten kann beispielsweise der Einfluss von Ereignissen in der Arbeits- oder Familienkarriere auf die Wohnkarriere bestimmt werden (vgl. Clemens 2001). Die Lebensverlaufsstudien des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung (MPIfB) sind besonders geeignet, der Zielsetzung dieser Arbeit entsprechend Ereignisse im Lebenslauf, die Wanderungen bedingen, zu untersuchen. Die Lebensverlaufsstudien (LVS) bestehen aus einer Folge von Befragungswellen verschiedener west- und ostdeutscher Geburtsjahrgänge. Dabei sind Lebensverläufe von ca. 8.500 Personen aus West- und von ca. 2.900 Personen aus Ostdeutschland erhoben worden (vgl. Hilmert et al. 2004). Aufgrund dessen, dass Nordrhein-Westfalen die Untersuchungsregion darstellt, werden ausschließlich Wanderungen von in Nordrhein-Westfalen geborenen Personen in den westdeutschen Studien betrachtet. Da oftmals in die Herkunftsgemeinde zurückgekehrt wird (vgl. Feitjen et al. 2008), erhöht dieser Fokus die Wahrscheinlichkeit, dass mehrere aufeinanderfolgende Wohnortwechsel innerhalb Nordrhein-Westfalens beobachtet werden können. Eine Übersicht der westdeutschen Erhebungen wird in Abbildung 47 wiedergegeben. In der ersten Lebensverlaufsstudie „Lebensverläufe und Wohlfahrtsentwicklung“ (LV-West I) werden 2.171 Personen der Geburtsjahrgänge 1929 bis 1931, 1939 bis 1941 sowie 1949 bis 1951 im Interviewzeitraum von 1981 bis 1983 befragt. Ziel ist es, die Lebensverläufe von Geburtskohorten, die unterschiedliche historische Zeiten erfahren haben, zu quantifizieren. Es schließt sich die Studie „Die Zwischenkriegskohorte im Übergang zum Ruhestand“ (LV-West II) an, welche insbesondere den Einfluss des Ersten und Zweiten Weltkrieges auf die Lebensgeschichte zum Thema hat. Dafür werden insgesamt 1.414 Interviews in den Jahren 1985 bis 1987 mit Personen der Geburtsjahrgänge 1919 bis 1921 geführt. Mit dem Vorhaben, Personen derjenigen Jahrgänge zu befragen, die von der Bildungsexpansion profitieren, aber dennoch eine schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt vorfinden, werden in der Studie „Berufszugang in der Beschäftigungskrise“ (LV-West III) die Geburtsjahrgänge 1954 bis 1956 und 1959 bis 1961 interviewt. Zwischen 1988 und 1989 werden 2.008 Personen befragt.
187
6.1 Lebensverlaufsstudien
LV-West 64/71 LV-West III Erhebung
LV-West I Erhebung
LV-West II Erhebung 1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Abbildung 47: Erhebungswellen der Lebensverlaufsstudien Westdeutschlands Quelle: Eigene Darstellung nach Hillmert et al. 2004: 1 In der jüngsten Studie „Ausbildungs- und Berufsverläufe der Geburtskohorten 1964 und 1971 in Westdeutschland“ (LV-West 64/71) werden 2.909 Personen der Geburtsjahrgänge 1964 und 1971 zu ihrem Lebenslauf befragt. Analysiert wird die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt des geburtenstärksten Jahrgangs 1964. Die Kohorte 1971 wird zusätzlich einbezogen, um einen Vergleich zu einer ostdeutschen Studie zu ermöglichen. Diese Interviews werden in den Jahren 1998 bis 1999 geführt (Mayer/Brückner 1989, Brückner 1993, Brückner/Mayer 1995, Hillmert et al. 2004). Inhaltlich erfassen die Lebensverlaufsstudien neben allgemeinen Angaben zur Zielperson, eine Fülle von Aussagen zu verschiedenen Lebenskarrieren wie die Schul- und Berufsausbildung, Erwerbs- und Nebentätigkeiten, Familie (Eltern, Geschwister, Kinder) sowie die Wohngeschichte seit der Geburt. Berücksichtigung finden in den Erhebungen zur Wohngeschichte sowohl Umzüge, an denen die Befragten als Kinder im Haushalt ihrer Eltern teilgenommen haben, als auch jene, die sie seit der Gründung eines eigenen Haushaltes eigenständig unternommen haben. Da ebenfalls Informationen über Personen vorliegen, die in ihrem Leben nicht (nahräumlich) umgezogen sind, kann diesbezüglich eine Selektivität in der Auswahl der Befragten ausgeschlossen werden. In allen Studien liegen Angaben zu den Wohnorten, dem Wohnbeginn sowie -ende vor. In Tabelle 26 des Anhangs wird Aufschluss über die Items der Fragebögen gegeben. Die
188
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Listen der codierten Antwortmöglichkeiten sind sehr umfangreich, weshalb sie hier nicht aufgeführt werden. Sie können Brückner und Mayer (1995) entnommen werden. Tabelle 26 des Anhangs ist ebenfalls zu entnehmen, dass Fragen zur Wohngeschichte in der jüngsten Studie kurz gehalten sind. Es entfallen beispielsweise Fragen zu anderen Haushaltsmitgliedern, dem Orts- und Haushaltstyp. Für diese Arbeit ist jedoch vor allem der Umstand bedeutend, dass in LV-West 64/71 Umzüge erst dann erfasst werden, wenn die Gemeindegrenze überschritten wird. Umzüge innerhalb eines Ortes oder gar eines Hauses werden nicht einbezogen. Ein direkter Vergleich der LVS erfordert deshalb, dass in dieser Arbeit auch in den vorangegangenen Studien nur Wohnortwechsel Berücksichtigung finden. Die Fokussierung auf Wohnortwechsel geht mit den Zielen dieser Arbeit einher: Es werden Wanderungen über die Grenzen von Raumkategorien und somit über die Grenzen von Wohnorten bzw. Gemeinden betrachtet, wenn untersucht wird, ob beispielsweise im Zuge einer Geburt Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland erfolgen. Für die Untersuchung ist darüber hinaus die Verknüpfung bestimmter Lebensereignisse (Berufseinstieg, Heirat etc.) mit der Wanderungsbiografie bedeutsam. 6.1.1 Datenaufbereitung und -qualität In diesem Kapitel sind die verschiedenen Schritte der Datenaufbereitung dokumentiert. Zu den wesentlichen Schritten zählen (Abb. 48 und Abb. 50): 1. 2.
Bestimmung der Zielpersonen (in Nordrhein-Westfalen geborene Personen) Bestimmung der Wohnorte in Nordrhein-Westfalen und deren Zuordnung zu einer Raumkategorie der Stadtregionenmodelle von 1950, 1961, 1970 oder 2004
Zunächst werden die Zielpersonen aus den Datensätzen gefiltert (Abb. 48): Diese werden über ihren Geburtsort (erster Wohnort), der sich in NRW befinden muss, ermittelt. Liegt dieser in Nordrhein-Westfalen, geht der dazugehörige Fall in die Untersuchung ein, andernfalls wird er nicht einbezogen. Die Lage des Wohnortes ist zum größten Teil über die Variable ‚Bundesland‘ erfasst. Fehlen Angaben zum Bundesland, wird anhand der Variablen ‚neue bzw. alte Postleitzahlen (PLZ)‘ selektiert. Dafür ist zuerst anhand von Postleitzahlenverzeichnissen sowie Internetrecherchen ermittelt worden, welche neuen und alten Postleitzahlen zu Nordrhein-Westfalen gehören. Dieses Vorgehen wird nachstehend ausführlicher beschrieben.
189
6.1 Lebensverlaufsstudien Gesamtdaten LV-West I bis LV-West 64/71 Filter:
Erster Wohnort
erster Wohnort
weiterer Wohnort nicht einbezogen
Filter:
Bundesland
vorhanden NRW
nicht NRW nicht einbez.
nicht vorhanden Filter:
Neue Postleitzahl
vorhanden NRW
nicht NRW nicht einbez.
nicht vorhanden Filter:
Alte Postleitzahl
vorhanden NRW
nicht NRW nicht einbez.
nicht vorhanden Filter: Kartierung NRW
nicht NRW nicht einbez.
Personen, die in NRW geboren sind, erster Wohnort Gesamtdaten LV-West I bis LV-West 64/71 Filter: Personen, die in NRW geboren sind in NRW geboren
nicht in NRW geb. nicht einbezogen Personen, die in NRW geboren sind, alle Wohnorte
Abbildung 48: Verlaufsdiagramm: Auswahl der in NRW geborenen Personen Quelle: Eigene Darstellung
190
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Falls keine Postleitzahlen vorliegen, wird die geographische Lage des in offenen Fragen genannten Wohnortes herangezogen. Sind die Zielpersonen ermittelt worden, dann werden im Gesamtdatensatz in einem nächsten Schritt alle Wohnepisoden der Zielpersonen und nicht nur die jeweils erste ausgewählt. Die einbezogenen Wohnorte müssen des Weiteren den entsprechenden Kategorien der Stadtregionen (Kernstadt, Ergänzungsgebiet, näheres und weiteres Umland sowie Land63) bzw. anderen Wohnstandorten (Ausland, anderes Bundesland = Landkat.) zugeordnet werden. Die Zuordnung von Wohnstandorten und Raumkategorien erfolgt ausschließlich für den Untersuchungszeitraum von 1950 bis 1999 (Abb. 49).
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
(hellgrauer Kasten wird nicht betrachtet, dunkelgrauer Kasten wird einbezogen; gestrichelte Linien verweisen auf Zeitraum vor dem Untersuchungsbeginn)
Abbildung 49: Wohnepisoden des Untersuchungszeitraums Quelle: Eigene Darstellung Es werden alle Wohnepisoden betrachtet, in welchen der Zuzug zu einem neuen Wohnort nach dem Jahr 1949 erfolgt – unabhängig von dem Ende der Wohnepisode (durchgehend dunkelgrau umrandet). Zudem werden alle Wohnepisoden berücksichtigt, in welchen der Zuzug vor dem Jahr 1950, der Fortzug jedoch erst danach erfolgt (gestrichelt dunkelgrau umrandet). In diesem Fall werden die 63 Wohnorte in NRW, die zu keiner Stadtregion zählen, werden als Land codiert (vgl. Kap. 3.3).
6.1 Lebensverlaufsstudien
191
Herkunftsorte der Raumkategorie zugeordnet, welche die Gemeinde im Jahr 1950 innehat. In die Untersuchung gehen keine Wohnepisoden ein, in welchen Zu- und Fortzug vor dem Jahr 1949 stattfinden (gestrichelt hellgrau umrandet). Die Klassifikation der Herkunfts- und Zielgemeinden bedarf verschiedener Schritte (Abb. 50): Erst werden alle Wohnorte ausgewählt, die im Zeitraum von 1985 bis 1999 aufgeführt sind (Filter: Wohnort). Anschließend werden anhand der Variable ‚Bundesland‘ alle Wohnorte außerhalb Nordrhein-Westfalens ermittelt, welche einer eigenen Kategorie zugeordnet werden (Filter: Bundesland). Die verbleibenden Wohnorte werden anhand der offenen Frage nach dem Ortsnamen kategorisiert (Filter: Ortsname): Das Durchsehen jedes einzelnen Ortsnamens ist aufgrund unterschiedlicher Schreibweisen notwendig. Da nicht nur Gemeindenamen, sondern auch die Namen von Stadtvierteln bzw. Stadtteilen erfasst worden sind, müssen diese in einem weiteren Schritt den entsprechenden Gemeinden zugeordnet werden. Dieser Schritt erfolgt über Internetrecherchen. Bei den seltenen Unstimmigkeiten über die Zugehörigkeit eines Ortsnamens zu einer Stadtregion wird die Postleitzahl zur Identifizierung herangezogen. Wohnorte außerhalb Nordrhein-Westfalens werden der ihnen eigenen Kategorie zugeordnet. Wohnorte innerhalb Nordrhein-Westfalens werden entsprechend der jeweiligen Raumkategorie klassifiziert. Ist die Zuordnung über Ortsnamen nicht eindeutig oder fehlt diese Angabe, wird über die Variable ‚neue Postleitzahl‘ klassifiziert (Filter: neue Postleitzahl): Wird eine Großstadt durch mehrere Postleitzahlen gekennzeichnet, besteht kein methodisches Problem, da jede Postleitzahl auf die gleiche Stadt verweist. Falls durch Postleitzahlen Teile angrenzender Gemeinden erfasst werden, wird davon ausgegangen, dass der strukturelle Unterschied zwischen Postleitzahlen und Gemeinden zu vernachlässigen ist. Dann wird die einwohnerstärkere Gemeinde für die Zuordnung ausgewählt. Anhand des aktuellen Postleitzahlenverzeichnisses sowie der Postleitzahlenauskunft der Universität Stuttgart64 werden die neuen Postleitzahlen in Verbindung mit einem Gemeindenamen gebracht, welchen wiederum die entsprechende Raumkategorie zugewiesen wird. Für die Wohnorte, welchen keine neue Postleitzahl zugeordnet werden kann, erfolgt die Kategorisierung über die Variable ‚alte Postleitzahl‘ (Filter: alte Postleitzahl): In zehn Fällen gleichen sich die alten Postleitzahlen v.a. der alten und neuen Bundesländer.65 Diese Fälle gehen nicht in die Untersuchung ein.
64 http://www.informatik.uni-stuttgart.de/menschen/ako/plz.html (letzter Zugriff: 24. Mai 2010) 65 Borgentreich / Warburg (PLZ: 3530, Fälle LVS: 10037, 20095, 20154), Legden / Wardendorf (PLZ: 4410, Fälle LVS: 10025, 11206), Altenbeken / Lichtenau (PLZ: 4791, Fälle LVS: 20278), Erftstadt / Pulheim (PLZ: 5042, Fälle LVS: 10740), Kall / Dahlem (PLZ: 5370, Fälle LVS: 10094, 10278), Hallenberg / Medebach (PLZ: 5789, Fall LVS: 32552)
192
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950 Alle Wohnepisoden von Personen, die in NRW geboren worden sind
Filter:
Wohnort
a) 1985 - 1999, b) 1970 – 1984, c) 1961 - 1969, d) 1950 - 1960 Wohnorte a) bis d)
nicht Wohnort a) - d) nicht einbezogen
Filter:
Bundesland
vorhanden NRW
nicht vorhanden
nicht NRW Zuord. Landkat.
Filter:
Ortsname
vorhanden NRW
nicht NRW Zuord. Landkat.
nicht vorhanden Filter:
Neue Postleitzahl
vorhanden
Filter:
Schreibweise vereinheitlichen Stadtviertel u. -teile Städten zuordnen eindeutig
mehrdt.
Abgleich Ortsname mit Raumkategorien
nicht vorhanden
Zuordnung PLZ zu Ortsname NRW
nicht NRW
Zuord. Landkat. Abgleich Ortsname mit Raumkategorien
Alte Postleitzahl
vorhanden Zuord. PLZ zu Ort eindeutig
mehrdt.
nicht vorhanden Filter: NRW
‚Missing‘ NRW
nicht NRW
Zuord. Landkat. Abgleich Ortsname mit Raumkategorien
nicht NRW Zuord. Landkat.
für b) Abgleich Gemeinden u. Karten Abgleich Ortsname mit Raumkategorien
Zuordnung aller Wohnorte zu einer Raumkategorie (Landkat. = anderes Bundesland, Ausland)
Abbildung 50: Verlaufsdiagramm: Zuordnung von Raumkategorien Quelle: Eigene Darstellung
Kartierung
6.1 Lebensverlaufsstudien
193
Um nur Gemeinden innerhalb Nordrhein-Westfalens zu identifizieren, sind die alten Postleitzahlen aller jetzigen Gemeinden ermittelt worden. Die alten Postleitzahlen werden zum Teil durch die Postleitzahlenauskunft der Universität Stuttgart bestimmt. Hier lassen sich alte und neue Postleitzahlen einander zuordnen. Weitere Zuweisungen bedürfen einer tiefer gehenden Recherche.66 Für den Fall, dass die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen eindeutige alte Postleitzahlen haben, werden diese den bestehenden 396 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen zugewiesen. Ist keine eindeutige Zuordnung möglich, werden die Wohnorte als unbestimmt codiert. Nachdem die Wohnorte für den Zeitraum 1985 bis 1999 kategorisiert worden sind, erfolgen analoge Schritte für die Zeiträume 1970 bis 1984, 1961 bis 1969 und 1950 bis 1960. Im Gegensatz zu der Bestimmung der Stadtregionen von 2004 liegen für die anderen Modelle der Stadtregionen um ein Vielfaches mehr Ortsnamen vor, da die Gemeindereformen zum Teil noch nicht eingetreten sind: Zu Beginn des ersten Stadtregionenmodells von 1950 gibt es in NordrheinWestfalen 2.365 Gemeinden, 1970 gehören 1.277 Gemeinden zu NordrheinWestfalen, seit 1976 sind es 396 Gemeinden (Statistisches Bundesamt 2008a: 28). Die Stadtregionen in Nordrhein-Westfalen von 1970 bergen eine weitere methodische Herausforderung:67 Es fehlt eine tabellarische Auflistung der Zugehörigkeit einzelner Gemeinden zu den Stadtregionen. Für den Zeitraum von 1970 bis 1984 wird deshalb die geographische Lage der Gemeinden nachvollzogen (Filter: Kartierung). Es erfolgt ein Abgleich mit Abbildung 11, wodurch eine Zuordnung zu den Raumkategorien ermöglicht wird. Neben der Kategorie des Wohnortes ist die Wohndauer zu bestimmen. Kann sich der Befragte nicht an den Monat seines Ein- oder Auszuges erinnern, so werden Jahreszeiten erfragt. Um die Daten auswerten zu können, wird für solche Angaben von den mittleren Monaten ausgegangen, z.B. Januar bei der Angabe „Winter“. Dabei kann es zu Verzerrungen hinsichtlich der Häufigkeitsverteilung der Monate kommen, jedoch erleichtert diese Annäherung die weiteren Berechnungen.68
66 Außerdem ist die folgende Website verwendet worden: http://www.greuel.de/karten/akgeb1.htm (letzter Zugriff: 06. April 2010) 67 Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Akademie für Raumforschung und Landesplanung bedanken, welche mir die Veröffentlichungen zur Abgrenzung von Stadtregionen zur Verfügung gestellt hat. 68 Für die Fälle 202080, 203373, 204943, 208424, 208670, 306757 und 400562 fehlen Angaben zum Einzug oder Auszug. Diese werden durch die mittlere Zeit zwischen zwei erfassten Einbzw. Auszügen ersetzt.
194
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Die Lebensverlaufsstudien liegen getrennt für thematische Schwerpunkte vor. Nachdem die Fallauswahl getroffen und die Wohngeschichte aufbereitet worden ist, werden deshalb die benötigten Angaben zu Beruf und Familie den anderen Teildatensätzen entnommen und mit der Ausgangsdatenbank verknüpft. Generell ist die Qualität der Lebensverlaufsstudien als ausgesprochen gut zu bewerten: Das MPIfB hat die Studien sehr sorgfältig erhoben und aufbereitet. Einen ausführlichen Überblick bieten: Blossfeld (1989), Brückner (1989), Mayer und Brückner (1989), Brückner (1993), Brückner und Mayer (1995) sowie Hillmert et al. (2004). 6.1.2 Ereignisanalyse Mithilfe der Ereignisanalyse (event history analysis) werden die Lebensverlaufsstudien entsprechend ihrer zeitlichen Dimension angemessen ausgewertet. Mit Bezug zu Wagner (1989a) sowie Birg et al. (1993) verweist Hullen (1998: 2) jedoch auf die geringe Anzahl an Untersuchungen im deutschsprachigen Raum, in welchen Längsschnittdaten von Wanderungen mit Verfahren der Ereignisanalyse untersucht werden. In diesem Kapitel werden deshalb die Grundsätze sowie die grundlegenden Verfahren der Ereignisanalyse erläutert. Ereignisdaten geben Auskunft über „Zeitverläufe, d.h. die Länge des Zeitintervalls bis zum Auftreten eines Ereignisses“ (Diekmann/Mitter 1984: 11). Das Aufeinanderfolgen von Umzügen in der Zeit beschreibt beispielsweise den Prozess der Wanderungsbiografie. Der besondere Vorteil von Längsschnittdaten besteht darin, dass Kausalität zwischen verschiedenen Ereignissen im Lebensverlauf einzelner Personen ermittelt werden kann (Blossfeld/Rohwer 2002: 28). „The goal of life course research is not only to provide better descriptions and explanations of the processes shaping the life course, but also to link these together. Life course research is, we believe, an important – indeed, indispensable – instrument for studying societal change and differences between birth cohorts.” (Mayer/Tuma 1990: 3)
Durch den Vergleich von Ereignissen in der Wanderungsbiografie mit solchen in der Bildungs- bzw. Erwerbs- und Haushalts- bzw. Familienkarriere werden in den folgenden Kapiteln kausale Beziehungen bestimmt und Veränderungen zwischen Geburtskohorten herausgestellt. Die dafür zur Verfügung stehenden MeFür den Fall 20305 sind die Angaben für den fünften und sechsten Umzug gleich. Der sechste Umzug wird daher nicht einbezogen. Für den Fall 20317 gleichen sich die ersten beiden Umzüge, so dass der zweite Umzug nicht betrachtet wird.
195
6.1 Lebensverlaufsstudien
thoden besitzen gegenüber herkömmlichen Regressionsmodellen mindestens zwei entscheidende Vorteile: Sie können sowohl die Zeitabhängigkeit der Kovariaten berücksichtigen (z.B. Lebensalter) als auch auf Zensierungen (unvollständige Informationen) reagieren. Daten können sowohl links- als auch rechtszensiert sein (vgl. Pötter 1993: 41f.): Linkszensierungen liegen dann vor, wenn Angaben über die Anfangssituation bzw. Vorgeschichte einer Episode zu Beginn des Untersuchungszeitraums fehlen. In dieser Arbeit wird eine Wohnepisode durch einen nahräumlichen Zusowie Fortzug festgelegt. Aufgrund dessen, dass die Befragten retrospektiv zu ihren bisherigen Lebensverläufen seit der Geburt befragt worden sind, liegen zu Beginn des Untersuchungszeitraums keine Linkszensierungen bezüglich der einbezogenen Kovariaten vor.69 Rechtszensierungen sind gegeben, wenn bis zum Ende des Untersuchungszeitraums kein Wechsel des Anfangszustandes einer Episode stattgefunden hat, dieser aber noch erfolgen kann. Rechtszensierungen sind beispielsweise dann gegeben, wenn während des Untersuchungsraums kein Fortzug beobachtet worden ist, dieser jedoch nach Ende des Untersuchungszeitraums stattfinden kann. Wird der Umstand, dass der Wechsel des Anfangszustandes einer Episode nach dem Ende des Untersuchungszeitraums eintreten kann, nicht in die Berechnung der Parameter einbezogen, kann der Einfluss der Kovariaten nicht angemessen geschätzt werden. Um Rechtszensierungen berücksichtigen zu können, wird die Maximum-Likelihood-Schätzung verwendet (Golsch 2006: 13f., vgl. Andreß 1985, Blossfeld et al. 2007). Die Zeitpunkte, zu denen ein Ereignis auftritt, werden als Realisationen eines Zufallsprozesses angesehen. Dabei ist T die Zufallsvariable, welche die Zeit bis zum Eintritt eines Ereignisses angibt und keine negativen Werte annehmen kann (Allison 1995: 14, Cleves et al. 2004: 7). Die Wahrscheinlichkeitsverteilung kann mittels der Überlebensfunktion, der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion oder der Hazardrate beschrieben werden: Die Überlebensfunktion G(t) gibt Auskunft über die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem bestimmten Zeitpunkt t kein Ereignis eingetreten ist. Zum Zeitpunkt t = 0 nimmt die Überlebensfunktion den Wert 1 an. Mit fortschreitender Zeit kann sie Werte gegen bzw. gleich Null annehmen. Die Überlebensfunktion ist somit eine monoton fallende Funktion der Zeit: ܩሺݐሻ ൌ ሼܶ ݐሽ
(6.1)
69 Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass nur die Informationen vorliegen, die in den Fragen erfasst und von den Befragten auch vollständig beantwortet werden konnten (vgl. Courgeau 1988: 282).
196
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion f(t) steht in direktem Zusammenhang zur Überlebensfunktion: Sie ist deren negative Ableitung. ݂ሺݐሻ ൌ
݀ ሼͳ െ ܩሺݐሻሽ ݀ݐ
ൌ െ ܩᇱ ሺݐሻ
(6.2)
Üblicherweise wird jedoch nicht die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion berechnet bzw. angegeben, sondern die Hazard- bzw. Übergangsrate: Die Hazardrate r(t) beschreibt das unmittelbare Risiko, dass ein Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt t eintritt – unter der Voraussetzung, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein Ereignis eingetreten ist.70 „Roughly, it measures the probability per unit of time that an event or transition occurs in an infinitesimal interval of time among those at risk during the particular time interval in question.” (Mayer/Tuma 1990: 11; Hervorhebungen im Original)
Die Hazardrate kann als Verhältnis der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion zur Überlebensfunktion geschrieben werden: ݎሺݐሻ ൌ
௧՜ஶ
ൌ
ሼ ݐ ο ݐ ܶ ݐȁ ܶ ݐሽ οݐ
ሺ௧ሻ ீሺ௧ሻ
(6.3)
Der Wertebereich der Hazardrate liegt zwischen Null, d.h. es besteht kein Risiko, und unendlich, d.h. das Ereignis tritt augenblicklich ein. Über die Zeit kann die Hazardrate verschiedene Formen annehmen: Sie kann zunehmen, abnehmen oder auch konstant bleiben (Allison 1995: 14ff., Cleves et al. 2004: 7ff.). Auf diesen dargestellten Funktionen – Überlebensfunktion, Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion und Hazardrate – beruhen die verschiedenen statistischen Verfahren der Ereignisanalyse. Diese Verfahren lassen sich in nicht-parametrische Ansätze, parametrische Ansätze sowie semi-parametrische Ansätze gliedern.
70 Die Hazardrate ist keine Wahrscheinlichkeit, da sie in 1/t Einheiten angegeben wird.
197
6.1 Lebensverlaufsstudien
6.1.2.1 Nicht-parametrische Verfahren In einer ersten explorativen Phase ist es sinnvoll, die vorliegenden Längsschnittdaten zu beschreiben. Während bei der Untersuchung von Querschnittdaten oftmals Häufigkeitsauszählungen oder Korrelationsberechnungen durchgeführt werden, sind diese Verfahren für die Analyse von Ereignisdaten nicht geeignet, da beispielsweise die durchschnittliche Verweildauer aufgrund der Rechtszensierungen unterschätzt werden würde. Innerhalb der nicht-parametrischen Methoden gibt es zwei Schätzverfahren, mit deren Hilfe Zensierungen berücksichtigt werden (Meinken 1988: 16). Zu diesen nicht-parametrischen Methoden zählen die Sterbetafelschätzung (life table method) und die Kaplan-Meier-Schätzung (product-limit estimation). Letztere wird dazu verwendet, eine erste Übersicht über das Auftreten von Wanderungen mit voranschreitender Wohndauer (Prozesszeit) zu geben. Während für die Methode der Sterbetafelschätzung die Prozesszeit in willkürlich gewählte Zeitintervalle unterteilt wird, verwendet der Kaplan-Meier-Schätzer die erfassten Wartezeiten.
I1 I2 I3 I4 Historische Zeit A)
Multi-Episode
I11 I12 I13 I14 I21 I22 I31 I32 I33 I34 I41
B)
Single-Episode
I11 I21 I31 I41 I51 I61
I71
I81 I91 I101 I111 Prozesszeit
mit Iiw: I = Befragte, i = Rangord.-Zahl d. Befragt., w = Rangord.-Zahl d. Wohnepisode
Abbildung 51: Multi-Episoden (A) und Single-Episoden (B) von Wohndauern Quelle: Eigene Darstellung
198
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
In diesem Verfahren werden Wohnepisoden als sogenannte Single-Episoden aufgefasst (Abb. 51). Jede Wohnepisode wird unabhängig von der befragten Person betrachtet: Alle Wohnepisoden eines Befragten gehen somit einzeln und unabhängig voneinander in die Schätzung ein.71 Den Single-Episoden stehen die Multi-Episoden gegenüber. Bei diesen werden die Wohnepisoden einer Person in ihrer zeitlichen Abfolge betrachtet, weshalb sie der tatsächlichen Wohnkarriere entsprechen: Jede Wohnepisode wird gekennzeichnet durch die Zuordnung zu der entsprechenden Untersuchungsperson sowie der Rangordnungszahl der bisherigen Wohnepisode. Die Kaplan-Meier-Überlebensfunktion gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass ein Ereignis (Nahwanderung) in einem gesetzten Zeitintervall nicht eintritt (vgl. Gleichung 6.1). Sie berechnet sich wie folgt:72 ܩሺݐሻ ൌ ς௧ழ௧ ͳ െ
ௗ
(6.4)
Nicht-parametrischen Verfahren ist gemeinsam, dass keine Annahmen über die Verteilung der Verweildauern (Wohndauern) bestehen. Des Weiteren werden keine Annahmen über die Verteilung der Ereignisse und Rechtszensierungen in den jeweiligen Zeitintervallen getroffen (Golsch 2006: 25ff.). Um eingehendere Analysen vorzunehmen und vor allem um den Zusammenhang zwischen beruflichen und familialen Veränderungen und Nahwanderungen zu untersuchen, sind nicht-parametrische Verfahren nur bedingt geeignet. Nach Blossfeld et al. (2007: 87ff.) weisen diese Ansätze mindestens vier Nachteile auf: 1.
2.
Je mehr Gruppen unterschieden werden (z.B. Geburtskohorten oder verschiedene Arten der Nahwanderungen), desto geringer ist die Anzahl der Fälle in jeder Gruppe. Die Schätzung von Überlebensfunktionen ist dann nur schwer möglich. Je mehr Subgruppen von Überlebensfunktionen miteinander verglichen werden, desto schwieriger wird es, die Ergebnisse angemessen zu interpretieren.
71 Diese Unabhängigkeit ist allerdings nicht gegeben, da Wanderungen im Lebenslauf von vorangegangenen Wanderungen abhängig sind (vgl. Birg 1993). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Episoden insofern abhängig sind, als dass sie ausschließlich bis zum Interviewzeitpunkt betrachtet werden. Von diesem hängt zudem die Zensierung der letzten Wohnepisode ab. 72 G = Kaplan-Meier-Überlebensfunktion; ti = Zeitpunkte, zu denen mindestens eine Wohnepisode mit einem Ereignis endet; ni = Anzahl der Wohnepisoden mit einem Ereignis zu ti; di = Anzahl der Wohnepisoden im Risikoset zum Zeitpunkt ti (vgl. Blossfeld et al. 2007: 73).
6.1 Lebensverlaufsstudien
3. 4.
199
Stetige Variablen, wie das Alter der Befragten, müssen in Klassen eingeteilt werden, damit Überlebensfunktionen geschätzt werden können. Durch die Klassifizierung gehen Informationen verloren. Da in nicht-parametrischen Verfahren von Single-Episoden ausgegangen wird, können Prozesse, welchen Multi-Episoden zugrunde liegen, nicht dargestellt bzw. untersucht werden.
6.1.2.2 (Semi-)Parametrische Verfahren (Semi-)Parametrische Verfahren besitzen im Vergleich zu nicht-parametrischen Ansätzen verschiedene Vorteile: Zu diesen gehören im Umkehrschluss zu den in Kapitel 6.1.2.1 genannten Nachteilen von nicht-parametrischen Verfahren, dass beispielsweise stetige Kovariaten ohne vorangegangene Gruppierung in die Berechnungen einbezogen werden können. Zu den semi-parametrischen Verfahren zählt das Cox-Modell, welches in dieser Arbeit vorwiegend eingesetzt wird. Um die Wahl eines semi-parametrischen Ansatzes angemessen zu begründen, werden die Grundzüge parametrischer Verfahren ausgeführt, bevor eine ausführliche Darstellung des Cox-Modells erfolgt. In parametrischen Ansätzen werden Annahmen über die Verweildauerverteilung getroffen (Golsch 2006: 39, Blossfeld et al. 2007: 87ff.; vgl. Kap. 6.1.2.1). So wird beispielsweise im Exponential-Modell davon ausgegangen, dass die Verweildauer exponential verteilt ist. Es fehlt jedoch an gesicherten Erkenntnissen, welches Modell der Verteilung von Wohndauern (in NordrheinWestfalen) am besten entspricht. „The problem in substantive applications is that theories in the social sciences, at least at their current level of development, rarely offer strong arguments for a specific parametric model.” (Blossfeld et al. 2007: 223)
Wenn es keine haltbaren Theorien gibt, empfehlen Blossfeld et al. (2007), verschiedene Modelle zu schätzen und zu vergleichen. Diese Goodness-of-fit-Überprüfungen geben Hinweise darauf, welche Klasse an Modellen präferiert werden sollte, sie stellen allerdings keine strikten Tests für die Verwendung eines spezifischen Modells dar. Um einen Eindruck über die Verteilung der Wohndauern in dieser Arbeit zu erhalten, wird für das Exponential-, das Weibull-, das Log-logistische sowie das Log-normale Modell die Überlebensfunktion der Residuen geschätzt und die logarithmierte negative Überlebensfunktion െሺܩƸ ሺ݁Ƹ ሻሻ gegen die Pseudore-
200
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
siduen ݁Ƹ abgetragen (vgl. Abb. 52).73 Wenn das gewählte Modell den Daten entspricht, sollte der Graph (hellgraue Linie) eine gerade Linie (schwarze Linie) durch den Ursprung mit einer Steigung von 1 beschreiben (vgl. Meinken 1988: 31, Box-Steffensmeier/Jones 2004: 120, Blossfeld et al. 2007: 219ff.). Als zeitkonstante Kovariaten werden den Hypothesen entsprechend die Zugehörigkeit zu einer Geburtskohorte sowie das Geschlecht einbezogen (vgl. Kap. 4.3).
1 .5 0
0 0
.5
1
1.5
0
.5
1
1.5
Log-normal 1.5
1.5
Log-logistisch
0
0
.5
.5
1
1
-ln(Kaplan-Meier)
.5
1
1.5
Weibull
1.5
Exponential
0
.5
1
1.5
0
.2
.4
.6
.8
1
Cox-Snell Residuen
Abbildung 52: Modellvergleich: Anpassung der Wohndauern unter Einbezug von Kovariaten (Geburtskohorte, Geschlecht) Quelle: Eigene Darstellung
73 Es wird die negativ logarithmierte Überlebensfunktion verwendet, um eine positive Steigung von 1 zu erhalten. Pseudoresiduen sind der kumulierten Übergangsrate einer gegebenen Stichprobe gleichzusetzen. Es werden die Cox-Snell-Residuen verwendet. Es gilt: ௧
݁Ƹ ൌ න ݎƸ ሺ߬ǡ ܣ ሻ݀߬ ௦
6.1 Lebensverlaufsstudien
201
Es zeigt sich für alle Modelle, dass die Anpassung an die Gerade zunächst gut erfolgt, die Abweichungen jedoch zunehmen. Das Exponential-Modell scheint relativ gut an die Datenlage angepasst zu sein, es gründet jedoch auf einem konstanten Ereignisrisiko. Gemäß der Cumulative Inertia nimmt das Ereignisrisiko jedoch mit zunehmender Wohndauer ab: „[T]he probability of an individual staying in a particular place increases with increasing length of residence” (Speare 1970: 456, vgl. Gordon/Mohlho 1995). Da die theoretischen Begründungen für die zugrunde liegende Verteilung der Verweildauern zwischen Nahwanderungen nicht eindeutig sind, kann es zu einer mäßigen Anpassung des verwendeten Modells an die vorhandene Datenlage kommen.74 „[A] parametric characterization for time dependence (or duration dependence) leads to a poor fit of the model with data in many cases”. (Yamaguchi 1991: 71)
Das Cox-Modell als semi-parametrischer Ansatz wird vorrangig dann verwendet, wenn keine Informationen über die Art der zeitlichen Veränderung des Ereignisrisikos vorliegen – wie in dieser Arbeit – oder der empirische Verlauf der Risikofunktion so unregelmäßig ist, dass er durch eine mathematische Funktion nicht hinreichend angenähert werden kann. Es ist eine der am meisten angewandten Regressionsmethoden zur Untersuchung von Ereignisdaten. Nach Yamaguchi (1991: 101) wird das Cox-Modell vor allem in der demografischen Forschung zur Analyse von Heirat, Geburt, Scheidung, Migration und Job-Mobilität verwendet und vielfach den parametrischen Verfahren gegenüber vorgezogen (Beige/Axhausen 2006: 3, vgl. Stein/Nowack 2007: 45). „[T]here are few instances that we can think of where one would naturally prefer a parametric duration model over a Cox-type event history model for most kinds of social science applications. Most importantly, the strong theory required to choose a specific distribution is almost always lacking.” (Box-Steffensmeier /Jones 2004: 66f.)
Das Cox-Modell findet beispielweise in der Untersuchung, ob Heirat für Männer einen stabilisierenden Einfluss auf den Prozess der Jobmobilität hat, Anwendung (Blossfeld et al. 1989: 161). Aber auch Wagner (1989a) untersucht den Einfluss von Lebensereignissen auf räumliche Mobilität mithilfe des Cox-Modells. Ein weiterer Grund für die Verwendung des Cox-Modells ist dann gegeben, wenn das Interesse maßgeblich an dem Einfluss der exogenen Merkmale besteht und 74 Die in den Kapiteln 6.2 bis 6.4 durchgeführten Auswertungen sind ebenfalls auf Grundlage des Exponential-Modells durchgeführt worden: Es ergeben sich keine grundlegenden Änderungen. Das Exponential-Modell scheint daher – trotz des konstanten Ereignisrisikos – gut an die Verteilung angepasst zu sein.
202
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Veränderungen im Zeitablauf nur kontrolliert werden sollen (Andreß 1985: 249). Dies trifft auf das zentrale Ziel dieser Arbeit zu: Es soll der Einfluss erster beruflicher und familialer Ereignisse auf Nahwanderungen bestimmt werden, mögliche Veränderungen im Zeitverlauf sind von nachgeordnetem Interesse. Mittels semi-parametrischer Verfahren ist es daher möglich, den Einfluss von Kovariaten auf die Übergangsrate zu schätzen – ohne explizite Annahmen über die Zeitabhängigkeit bzw. den zeitlichen Verlauf der Hazardrate (Meinken 1988: 24f., Yamaguchi 1991: 71, Golsch 2006: 85). Die Hazardrate ist immer positiv, weshalb der Einfluss der Kovariablen im Cox-Modell oftmals durch ݁ ሺఈሻ modelliert wird (vgl. Pötter 1993: 23). Dabei bildet A die Matrix der Kovariaten und Į die Matrix der Parameter. Da keine spezifischen Parameterannahmen für den Zeitverlauf der Raten angenommen werden, wird die unspezifizierte Basisrate (baseline rate) ݄ሺݐሻ, welche für alle Subgruppen gleich ist, in die Berechnung der Hazardrate einbezogen. Voraussetzung ist, dass die Kovariaten für alle betrachteten Fälle vorliegen. ݎሺݐሻ ൌ ݄ሺݐሻ݁ ሺ௧ሻఈ
(6.8)
Der Einfluss der Kovariaten wird durch die jeweiligen Parameter konkretisiert (Meinken 1988: 22). Positive Koeffizienten implizieren, dass das Ereignisrisiko mit einer Veränderung der Kovariate steigt, negative Koeffizienten weisen im Umkehrschluss darauf hin, dass sich das Ereignisrisiko mit einer Veränderung der Kovariaten verringert (Box-Steffensmeier/Jones 2004: 59). Der Parameter Į wird im Cox-Modell durch die Partial-Likelihood-Methode mithilfe der Pseudoresiduen von Cox und Snell geschätzt (Meinken 1988: 23). Sind sogenannte ties vorhanden – ein Großteil der Ereignisse tritt zum gleichen Zeitpunkt auf – wird in dieser Arbeit der Ansatz von Breslow (1974)75 verwendet (Box-Steffensmeier/Jones 2004: 54, vgl. Andreß 1985: 260, Blossfeld et al. 1989: 223). Für den Zielzustand k, zum Beispiel eine ländliche Gemeinde als Zielgebiet eines Umzuges, kann die Funktion der Hazardrate spezifiziert werden (Blossfeld et al. 2007: 223): ݎ ሺݐሻ ൌ ݄ ሺݐሻ݁ ሼ
ሺೖሻ ሺ௧ሻఈሺೖሻ ሽ
(6.9)
Dadurch, dass Kovariaten in das Modell aufgenommen werden, können Unterschiede zwischen den Individuen erklärt werden. Es werden zeitkonstante von zeitabhängigen Kovariaten unterschieden. Während die Werte von zeitkonstan75 Es wird davon ausgegangen, dass unabhängig davon, welches Ereignis zuerst eingetreten ist, die Größe des Risikosets unverändert bleibt.
203
6.1 Lebensverlaufsstudien
ten Variablen, wie die Zugehörigkeit zu einer Geburtskohorte oder Geschlecht, innerhalb des Untersuchungszeitraums nicht variieren, können zeitabhängige Kovariaten ihren Wert stetig (z.B. Lebensalter) oder diskret (z.B. Familienstand) ändern (Blossfeld et al. 2007: 95). Eine Stärke des Cox-Modells ist, dass diese zeitvariierenden Kovariaten einbezogen werden können. „Hence, the Cox regression coefficients for the TVC’s [KG: Time-Varying Covariates] can be interpreted as the change in the log-hazard ratio for observations having a unit change in the value of covariates at time t compared to the value of the covariate for the remaining observations in the risk set at time t.” (Box-Steffensmeier/Jones 2004: 103f.)
Um Veränderungen von diskreten Variablen zu erfassen, wird die Methode des Episodensplittings eingesetzt (Abb. 53): Wenn sich der Wert einer Kovariate zu einem bestimmten Zeitpunkt ändert, wird die Episode aufgeteilt. Stellt die Kovariate beispielsweise die erste Heirat dar, dann wird eine Wohnepisode gesplittet, wenn die erste Heirat innerhalb dieser Episode stattfindet, andernfalls bleibt die ganze Episode erhalten. Die Teilung der Wohnepisode erfolgt zum Zeitpunkt der ersten Heirat, so dass die erste Subepisode mit dem Beginn der Wohnepisode anfängt und mit dem Beginn der ersten Heirat aufhört. Da das Ende dieser Subepisode durch die erste Heirat und nicht durch eine Wanderung bestimmt wird, ist sie rechtszensiert.
Heirat Wanderung
Wanderung
t1
t2
Episodensplitting
(mit t1 = Beginn Untersuchungszeitraum und t2 = Ende Untersuchungszeitraum)
Abbildung 53: Beispielhafte Darstellung des Episodensplittings Quelle: Eigene Darstellung
Historische Zeit
204
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Die zweite Subepisode findet ihren Anfang mit dem Beginn der ersten Heirat. Abhängig von der Art der Wohnepisode kann die zweite Subepisode mit einem Ereignis enden, es wird gewandert, oder sie ist ebenfalls rechtszensiert, falls bis zum Interviewzeitpunkt keine Wanderung stattgefunden hat. Um zu ermitteln, ob und inwiefern der Einbezug von Kovariaten das zugrunde liegende Modell verbessert, wird der Likelihood-Verhältnis-Test angewandt, welcher auf der Chi2-Verteilung beruht. Die Test-Statistik setzt sich dabei wie folgt zusammen: =ܴܮ2 × [݈݈݁݀݉ݒ݅ݐܽ݊ݎ݁ݐ݈ܣ݇݅ܮ݃ܮí )݈݈݁݀ܯ ݏ݁ݐݎ݁݅݃݊݅ݎݐݏܴ݁(݇݅ܮ݃ܮ
(6.10)
In dem Statistikprogramm Stata, welches in dieser Arbeit Anwendung findet, wird die Likelihood logarithmiert. Die Nullhypothese besagt, dass durch den Einbezug der Kovariaten keine Verbesserung des Ursprungsmodells bewirkt wird (Meinken 1988: 36f., Ludwig-Mayerhofer 2002, Golsch 2006: 43). Das Cox-Modell zählt zu den Proportional Hazards Models, da es auf der Annahme proportionaler Risiken gründet: Der Einbezug der Kovariaten kann in diesem Modell zu einer proportionalen Verschiebung der Übergangsrate führen, jedoch nicht deren Form ändern. Demnach unterscheiden sich die Übergangraten zweier Individuen allein durch einen Proportionalitätsfaktor voneinander (Andreß 1985: 265, Meinken 1988: 28f., Pötter 1993: 23, Blossfeld et al. 2007: 223). Bevor Kovariaten in das Modell einbezogen werden, muss daher ihre Proportionalität getestet werden: Werden die Übergangsraten ݎሺݐሻ und ݎᇱ ሺݐሻ mit den korrespondierenden Werten der i-ten Kovariate, ܣ und ܣᇱ , verglichen, dann gilt (Blossfeld et al. 2007: 223): ሺ௧ሻ ᇲ ሺ௧ሻ
ᇲ
ൌ ݁ ሼ൫ି ൯ఈሽ
(6.11)
Es gibt verschiedene Verfahren, um zu testen, ob eine Kovariate proportional ist (Pötter 1988: 17ff., Box-Steffensmeier/Jones 2004: 120f.): Falls nur wenige kategoriale Kovariaten vorliegen, kann zunächst grafisch überprüft werden, ob die nach Kaplan-Meier geschätzten Überlebensfunktionen proportional zueinander verlaufen oder sich überschneiden (Meinken 1988: 25ff.). In einem weiteren Verfahren, welches in dieser Arbeit Anwendung findet, kann mithilfe einer exogenen zeitabhängigen Kovariate die Proportionalitätsannahme überprüft werden: Nach der Proportionalitätsannahme unterscheiden sich die Risiken von zwei Untersuchungspersonen durch einen Proportionalitätsfaktor, der unabhängig vom betrachteten Zeitpunkt ist. Daher darf es keinen Interaktionseffekt zwischen den zu überprüfenden Kovariaten und der Zeit geben (An-
205
6.1 Lebensverlaufsstudien
dreß 1985). Um zu testen, ob die i-te Komponente von ܣeine Interaktion mit der Zeit aufweist, kann die folgende allgemeine Formel aufgestellt werden (Blossfeld et al. 2007: 235): ᇲ
ݎሺݐሻ ൌ ݄ሺݐሻ݁ ሼఈା௧ఈ ሽ
(6.12)
Wenn sich der hinzugefügte Interaktionsterm signifikant von Null unterscheidet, ist eine Proportionalität nicht gegeben. In diesem Fall gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit nicht-proportionalen Risiken umzugehen, so dass das Cox-Modell dennoch Anwendung finden kann (Andreß 1985: 250, Meinken 1988: 25ff., Yamaguchi 1991: 7, Berger 2001: 11). Eine Möglichkeit ist, ein Non-Proportional Hazards Model einzusetzen, „which includes the interaction effect and automatically corrects the violation of the proportionality assumption“ (Blossfeld et al. 2007: 237; vgl. Box-Steffensmeier/Jones 2004: 136). Die Verwendung von Modellen nicht-proportionaler Risiken ist sinnvoll, wenn – wie in der vorliegenden Arbeit – zeitabhängige Variablen einbezogen werden, da bei diesen die Proportionalitätsannahme nicht gegeben ist (vgl. Allison 1995: 155). Es kann dabei auf die zuvor aufgestellte Gleichung 6.12, welche eine Interaktion mit der Zeit einschließt, zurückgegriffen werden. Um eine Aussage darüber zu treffen, wie sich der Effekt eines Ereignisses (z.B. Berufsaufnahme) auf Nahwanderungen mit zeitlichem Abstand zu diesem Ereignis verändert, wird die zeitliche Komponente in dieser Arbeit durch den Term ܣ ሺ݈݃ሺ ݐെ ݐ ሻሻ ersetzt.76 Dabei stellt ݐdie Prozesszeit (Wohndauer) und ݐ den Zeitpunkt des betrachteten Ereignisses dar (vgl. Allison 1995: 155). Für ݐ ݐ gilt:77 ᇲ
ݎሺݐሻ ൌ ݄ሺݐሻ݁ ሼఈା ሺ୪୭ሺ௧ି௧బ ሻఈ ሻሽ
(6.13)
Da ausschließlich Wanderungen nach dem einbezogenen beruflichen bzw. familialen Ereignis betrachtet werden, beschreibt Į den Effekt auf die logarithmierte Hazardrate zum frühesten Zeitpunkt nach dem Ereignis, d.h. nach einem Monat. 76 An dieser Stelle möchte ich Dr. habil. Ulrich Pötter, München, für seine Anregungen danken. 77 Damit der Zeitpunkt des Ereignisses und die Wohndauer (= Auszug – Einzug) sinnvoll zueinander ins Verhältnis gesetzt werden können, gilt: t0 = Ereignis – Einzug. כ Der ursprünglich von Cox (1972) vorgeschlagene Term lautet wie folgt: ݁ ሼఉభ ାఉమሺ௧ି௧ ሻሽ ǡ dabei ist )…(„ כ ݐan arbitrary constant chosen close to the mean survival time (...)“ (Cox/Oakes 1984: 113). Die Vorhersagekraft einer Kovariaten geht mit ݐ՜ λ oftmals gegen Null. Um dies zuzulassen, kann die zeitabhängige Kovariate ݁ ିఊ௧ ݖ einbezogen werden (mit Z = A). Der zusätzliche Einbezug des Parameters Ȗ bietet nach Cox (1972: 198) „(…) a test of the adequacy of the assumption of simply related hazards”.
206
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Für ߙᇱ Ͳ ergibt sich ein ansteigender, für ߙᇱ ൏ Ͳ ein absteigender Trend der logarithmierten Hazardrate mit der Zeit nach dem betrachteten Ereignis (vgl. Cox/Oakes 1984: 113, Allison 1995: 155). Wird der Einfluss des Interaktionseffekts nicht berechnet, obwohl – wie bei zeitabhängigen Variablen gegeben – die Proportionalitätsannahme nicht zutrifft, dann stellt der geschätzte Effekt einen ungefähren Durchschnittswert für den Untersuchungszeitraum dar (vgl. Allison 1995: 154f.). Das Cox-Modell zur Untersuchung nahräumlicher Mobilität In den folgenden Kapiteln wird auf Grundlage des Cox-Modells der Einfluss der ersten Bildungs- und Erwerbsaufnahme, der ersten Heirat, der Geburt der ersten beiden Kinder und der ersten Trennung auf Nahwanderungen bestimmt. Es werden alle Wohnepisoden des Untersuchungszeitraums von 1950 bis 1999 einbezogen, sofern sie in Nordrhein-Westfalen stattfinden (vgl. Abb. 49). Sie erfolgen dann in Nordrhein-Westfalen, wenn die Befragten zu Beginn der Wohnepisode einen Wohnort in Nordrhein-Westfalen haben und diesen bis zum Ende des Untersuchungszeitraums entweder beibehalten (Rechtszensierung) oder ihn innerhalb Nordrhein-Westfalens wechseln (Ereignis). Für die Geburtskohorten von 1950 bis 1971 bedeutet dies, dass alle Wohnepisoden in Nordrhein-Westfalen von Geburt bis zum Interviewzeitpunkt in die Berechnungen eingehen. Für die Geburtskohorten von 1920 bis 1940 werden diejenigen Wohnepisoden nicht betrachtet, welche zum Jahr 1950 abgeschlossen sind. Dies bedeutet, dass Beginn und Ende der Wohnepisode sich vor dem Untersuchungsbeginn ereignet haben. Je nach Fragestellung wird ausschließlich ein Teil aller Nahwanderungen betrachtet. In solchen Fällen werden Wohnepisoden ohne die entsprechenden Herkunfts- und Zielgemeinden nicht in die Berechnungen einbezogen. Liegt zum Beispiel der Fokus auf Wanderungen vom Umland ins Kerngebiet, dann werden alle Wohnepisoden ausgeschlossen, die mit einem Wohnort im Kerngebiet oder ländlichen Raum beginnen und mit einem Wohnort im Umland oder ländlichen Raum enden. Es werden demnach alle der Fragestellung entsprechenden Wohnepisoden in die Auswertungen einbezogen. Dieses Vorgehen orientiert sich an der beispielhaften Darlegung in Blossfeld et al. (2007) und geht sowohl mit inhaltlichen als auch mit methodischen Konsequenzen einher: Es wird der generelle Einfluss eines beruflichen oder familialen Ereignisses auf bestimmte Richtungen von Nahwanderungen ermittelt. Aufgrund dessen, dass ein nicht-proportionales CoxModell berechnet wird, welches die zeitliche Komponente ܣ ሺ݈݃ሺ ݐെ ݐ ሻሻ
6.1 Lebensverlaufsstudien
207
enthält, werden allerdings Nahwanderungen vor dem einbezogenen beruflichen oder familialen Ereignis nicht berücksichtigt (vgl. Gleichung 6.13). Der Interaktionseffekt Į‘ gibt zudem an, wie sich das Risiko mit fortschreitender Prozesszeit verändert. In methodischer Hinsicht ist zu beachten, dass gegenseitige Abhängigkeiten der Wohnepisoden, aber auch der Zensuren auftreten, wenn alle nahräumlichen Wohnepisoden in die Untersuchung aufgenommen werden.78 Die Abhängigkeit der Episoden resultiert beispielweise daraus, dass Wohnepisoden von Personen, die mehrfach wandern, überrepräsentiert sind (Blossfeld/Rohwer 2002 84f.). Unterschiedliche Ereignis- und Zensierungsmuster ergeben sich zudem dadurch, dass zum Beispiel einzelne Geburtskohorten im Untersuchungszeitraum länger betrachtet werden (vgl. Blossfeld et al. 1989: 128f.; vgl. Abb. 47). Um den Einfluss von verschiedenen Geburtskohorten in Erfahrung zu bringen, werden für diese gesonderte Auswertungen vorgenommen. Werden demgegenüber ausschließlich die Wohnepisoden in NordrheinWestfalen betrachtet, in denen das berufliche oder familiale Ereignis stattfindet, dann erhöhen sich die Effektstärken und die Richtung der Effektstärken bleibt erhalten. Allerdings sind die jeweiligen Fallzahlen sehr gering, so dass die Werte ihre Signifikanz verlieren. Um die Fallzahl und somit die Signifikanz zu erhöhen, wird daran festgehalten, im Folgenden alle Wohnepisoden in NordrheinWestfalen zu betrachten (vgl. Andreß 1985: 258). Neben beruflichen und familialen Veränderungen werden weitere Kovariaten in das Cox-Modell aufgenommen, um nahräumliche Mobilität zu erklären. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass nicht alle erklärungskräftigen Variablen aufgenommen bzw. gemessen worden sind. Es tritt daher die Problematik der unbeobachteten Heterogenität auf: Durch diese wird entweder ein negativer Effekt über- oder ein positiver Effekt unterschätzt (vgl. Diekmann/Mitter 1984: 49, Pötter 1988: 1, Yamaguchi 1991: 130f., Allison 1994: 240, van Rij 1994: 103, Blossfeld/Rohwer 2002: 85). Es gibt verschiedene Wege, mit dem Auftreten unbeobachteter Heterogenität umzugehen. Ein erster Ansatz ist, Modelle mit verschiedenen Kovariaten zu testen und miteinander zu vergleichen, um zu verhindern, dass bedeutsame Kovariaten ausgeschlossen werden. In anderen Ansätzen wird die unbeobachtete Heterogenität als Fehlerterm in die Modellberechnungen eingeschlossen. In dieser Arbeit ist der erste Ansatz gewählt worden, indem verschiedene Modelle mit unterschiedlichen Kovariaten geschätzt worden sind. Trotz dieser Verfahren gibt es „(…) no simple remedies for this problem. In particular, transition rate models
78 Für diesen Hinweis danke ich Herrn Dr. habil. Ulrich Pötter, München.
208
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
with a mixture distribution do not provide an easy solution for the problems generated by unobserved heterogeneity (…)” (Blossfeld et al. 2007: 247). Schließlich muss ein weiterer Umstand Berücksichtigung finden, wenn dem Effekt von Ereignissen in der Berufs- bzw. Familienkarriere auf Nahwanderungen nachgegangen wird: Die Synchronisation bezieht sich auf die Gleichzeitigkeit von Ereignissen. „[B]ei synchronisierten Ereignissen ist (…) die Wahrscheinlichkeit höher, dass eines der Ereignisse das andere auslöste oder beide Ereignisse in einem geplanten Handlungszusammenhang stehen“ (Wagner 1989a: 65). Der Synchronisation von Ereignissen wird in dieser Arbeit insofern entsprochen, als dass mit dem nicht-proportionalen Hazard-Modell durch Į der Effekt auf das logarithmierte Risiko von Nahwanderungen bereits einen Monat nach dem beruflichen oder familialen Ereignis und durch den Interaktionseffekt Į‘ der Effekt mit zeitlichem Abstand zum Ereignis angegeben wird (vgl. Gleichung 6.13). 6.2 Nahwanderungen von 1950 bis 1999 Im Nachstehenden wird die den folgenden Analysen zugrunde liegende Stichprobe beschrieben. Darüber hinaus werden erste Auswertungen zu dem ‚Ereignis‘ Nahwanderung vorgenommen. Ziel ist es, einen Eindruck von dem Untersuchungsgegenstand zu erhalten. Die Stichprobe Im Untersuchungszeitraum von 1950 bis 1999 haben 2.052 Personen ihren ersten Wohnort in Nordrhein-Westfalen. Die Fallzahl reduziert sich auf 1.883 Personen, wenn diejenigen Befragten, welche ausschließlich fernwandern, nicht einbezogen werden (vgl. Kap. 6.1.1). Neben der Anzahl der Personen in den jeweiligen Geburtskohorten sind für die nachstehenden Berechnungen die Anzahl der Wohnepisoden sowie der Rechtszensierungen bedeutsam (vgl. Kap. 6.1.2). Diese werden in Tabelle 10 aufgeführt: Es gehen alle Wohnepisoden, die in NordrheinWestfalen stattfinden, als Single-Episoden in die Untersuchungen ein. Dies bedeutet, dass entweder Herkunfts- und Zielgemeinde zu Nordrhein-Westfalen gehören oder dass die Herkunftsgemeinde in Nordrhein-Westfalen liegt, zum Interviewzeitpunkt jedoch noch keine Wanderung erfolgt ist und somit eine Rechtszensierung vorliegt. Da im Umkehrschluss keine Wohnepisoden betrachtet werden, deren Herkunftsgemeinde außerhalb Nordrhein-Westfalens liegt, dies aber zum Interviewzeitpunkt möglich ist, kann die Anzahl der Rechtszensierungen kleiner als die Anzahl der Befragten sein.
209
6.2 Nahwanderungen von 1950 bis 1999
Tabelle 10: Stichprobenbeschreibung Geburtskohorte 1920 1930
1940
1950
1955
1960
1964
1971 gesamt
Personen
235
156
159
201
247
264
329
292
Wohnepisoden in NRW
324
231
285
365
551
525
739
517
1.883 3.537
Rechtszensierungen in NRW
215
152
157
188
225
240
307
283
1.767
1,68
1,28
1,57
0,96
1,15
1,356 1,208 1,589 1,540 2,164 1,514 1,807 1,373
1,655
Nahwanderungen in NRW im Zeitraum von 1950 bis 1999 arithm. Mittel Standardabweichung
0,60
0,67
1,09
1,01
Alle Wanderungen von Geburt bis zum Interviewzeitpunkt arithm. Mittel Standardabweichung
1,14
2,00
3,727 2,108 2,074 1,890 2,407 1,963 2,002 1,491
4,13
2,02
1,68
1,31
2,10
1,77
1,87
2,442
Das Verhältnis von Frauen (n = 923) zu Männern (n = 960) ist in der Stichprobe nahezu ausgeglichen.79 Die acht verschiedenen Geburtskohorten sind dagegen ungleich verteilt: Die Geburtskohorten von 1964 und 1971 sind am stärksten vertreten, da sie in einer gesonderten Studie untersucht worden sind (vgl. Kap. 6.1, Tab. 11).80 Werden alle Wanderungen von Geburt bis zum Interviewzeitpunkt berücksichtigt, dann ziehen die Befragten durchschnittlich zweimal um. Dieser Wert verringert sich auf 1,15-mal, wenn ausschließlich Nahwanderungen innerhalb des Untersuchungszeitraums betrachtet werden (vgl. Tab. 10): Fernräumliche Wanderungen werden ebenso wie Wanderungen der Geburtskohorten von 1920 bis 1940, welche vor 1950 stattgefunden haben, nicht einbezogen (vgl. Abb. 49). Da zu diesen Wanderungen kriegsbedingte sowie möglicherweise erste berufliche und familiale Umzüge zählen, ist die räumliche Mobilität der älteren Geburtskohorten im Untersuchungszeitraum vergleichsweise gering. Neben Personen der älteren Geburtskohorten wandern Befragte der jüngsten Geburtskohorte von 1971 selten nah: Im Vergleich zu Personen der Geburtskohorten von 1950 bis 1964 wird eine kürzere Lebensspanne betrachtet. Es ist davon auszugehen, dass in der Geburtskohorte von 1971 weitere (beruflich und familial bedingte) Wanderungen ausstehen, die in den folgenden Analysen als
79 Ein Ȥ²-Test des gesamten betrachteten Datensatzes ergibt ein Ȥ² von 0,70 mit einer Signifikanz von p = 0,402: Frauen und Männer sind unabhängig voneinander in der Stichprobe verteilt. 80 Ein Ȥ²-Test des gesamten betrachteten Datensatzes ergibt ein Ȥ² von 131,67 mit einer Signifikanz von p = 0,000: Die Geburtskohorten sind nicht unabhängig voneinander in der Stichprobe verteilt.
210
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Rechtszensierungen eingehen. Insgesamt reicht die Range von 0 bis 10 Nahwanderungen. Um eine Vergleichbarkeit hinsichtlich des betrachteten Lebensalters zu erreichen und zugleich der in Kapitel 2 beschriebenen Zunahme der räumlichen Immobilität in den verwendeten Daten nachzugehen, werden in Tabelle 11 diejenigen Personen betrachtet, die bis einschließlich des 25. Lebensjahres81 ihren Wohnort nicht gewechselt haben (Gemeinde-Stayer). Mit wenigen Ausnahmen sind Männer bis zu diesem Alter immobiler als Frauen. Dies ist darin begründet, dass bis zum 25. Lebensjahr der Auszug aus dem Elternhaus eine wesentliche Rolle in der bisherigen räumlichen Mobilität spielt: Frauen verlassen früher als Männer ihr Elternhaus und sind daher in diesem Alter deutlich mobiler (vgl. Statistisches Bundesamt 2009a: 27ff.). Tabelle 11: Gemeinde-Stayer bis einschließlich des 25. Lebensjahres Gemeinde-Stayer Männer
Frauen
gesamt
Geburtskohorte
abs.
rel.
abs.
rel.
abs.
rel.
1919 bis 1921
40
15,3
35
13,4
75
28,6
1929 bis 1931
37
22,2
39
23,4
76
45,5
1939 bis 1941
43
25,9
38
22,9
81
48,8
1949 bis 1951
53
24,5
57
26,4
110
50,9
1954 bis 1956
66
24,6
40
14,9
106
39,6
1959 bis 1961
66
22,2
51
17,1
117
39,3
1964
90
25,1
64
17,8
154
42,9
1971
102
32,3
60
19,0
162
51,3
gesamt
497
24,2
384
18,7
881
42,9
Die räumliche Mobilität nimmt bis zur Geburtskohorte von 1950 ab, da vor allem Personen der älteren Geburtskohorten kriegsbedingt oftmals ihren Wohnort wechseln mussten (vgl. Kap. 2.3). Die räumliche Immobilität verstärkt sich mit 81 Die jüngste Geburtskohorte von 1971 ist, wie ausgeführt, zum Interviewzeitpunkt 27 Jahre alt. Das vollendete 25. Lebensjahr lässt sich daher über alle Geburtskohorten hinweg vergleichen.
211
6.2 Nahwanderungen von 1950 bis 1999
den jüngeren Geburtskohorten seit 1955: Zum einen bestätigen sich damit Befunde, die eine zunehmende Immobilität postulieren (Grobecker et al. 2007; vgl. Kap. 5.2.1), zum anderen wird diese abnehmende räumliche Mobilität dadurch bedingt, dass Wanderungen innerhalb einer Gemeinde nicht betrachtet werden und jüngere Geburtskohorten kommunale Grenzen aufgrund der Zusammenlegung von Gemeinden im Zuge der Gebietsreformen seltener überschreiten (vgl. Kap. 2.1 und Kap. 2.3). Neben dem Ausmaß wird die Richtung von Wanderungen und deren Veränderung seit 1950 betrachtet (vgl. Kap. 1.1). Da die Wanderungsrichtung sich zum einen aus dem Herkunfts- und zum anderen aus dem Zielort zusammensetzt, ist ein erster Ausgangspunkt für deren Untersuchung die Raumkategorie des Geburtsortes (Tab. 12). Tabelle 12: Raumkategorie des Geburtsortes (Geburtskohorten) Geburtskohorte gesamt Raumkategorie
1920
1930
1940
1950
1955
1960
1964
1971
% Kernstadt n % Ergänzungsgeb. n näheres % Umland n % weiteres Umland n % Land n
10,1 191 0,5 9 0,1 1 0,0 0 1,8 34
5,5 104 0,7 14 0,1 1 0,5 10 1,7 32
6,3 119 0,4 7 0,1 1 0,2 3 1,5 29
12,0 142 0,5 9 0,1 2 0,2 3 2,4 45
5,0 94 1,6 31 0,4 8 0,4 7 5,7 107
7,2 135 0,7 14 0,6 12 0,6 12 5,2 97
7,7 145 3,2 61 0,4 8 0,1 2 6,0 113
5,0 94 3,8 71 0,5 10 0,2 4 6,0 113
%
12,5
8,3
8,4
10,7
13,1
14,0
17,5
15,5
n
235
156
159
201
247
264
329
292
gesamt
%
n
54,4 1.024 11,5
216
2,3
43
1,6
30
30,3
570
100 1.883
Die Kernstadt ist Herkunftsort von mehr als der Hälfte der untersuchten Personen; nahezu ein Drittel der Befragten stammt aus ländlichen Gemeinden. Der Anteil des näheren und weiteren Umlandes als Kategorie des ersten Wohnortes ist dagegen marginal. Umlandgemeinden als erster Wohnort nehmen erst mit der Geburtskohorte von 1950 zu. Diese Verteilung der ersten Wohnorte deckt sich mit den Ausführungen zu der zunehmenden Suburbanisierung seit 1950 (vgl. Kap. 2.4; vgl. Abb. 54): Erst für 1950 sind durch die Kategorisierung von Stadt-
212
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
regionen durch Boustedt Umlandgemeinden definiert worden (ARL 1966), die einen vergleichsweise geringen Anteil an den Stadtregionen darstellen.82
0,85
1,48 2,28 1,20
3,70 1,54
9,91
0,85
1,77
4,90
30,88
6,38
1,25
0,34
2,22
8,15
1,77
0,63
0,40
0,57 0,34 1,31 0,68
6,04
10,54
Kerngebiet
Näheres Umland
Land
Ergänzungsgebiet
Weiteres Umland
Wanderungsrichtung
Abbildung 54: Ausmaß der nahräumlichen Wanderungsströme in NRW (1950 1999) (in Prozent) Quelle: Eigene Darstellung 82 Die Wohnorte vor 1950 und damit auch die ersten Wohnsitze der älteren Geburtskohorten sind dem Modell der Stadtregion von 1950 zugeordnet worden (vgl. Kap. 6.1.1). Herkunftsorte der Kernstadt, des Ergänzungsgebietes und des Umlandes werden daher für diesen Zeitraum tendenziell überschätzt.
6.2 Nahwanderungen von 1950 bis 1999
213
In den folgenden Jahrzehnten nehmen der Anteil der Umlandgemeinden und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dort geboren zu werden, stetig zu. Werden alle genannten Wohnorte der 2.052 Befragten betrachtet (vgl. Tab. 27, Anhang), dann ist mit über 80% ein Großteil von diesen einer Raumkategorie NordrheinWestfalens zugehörig. Dies lässt darauf schließen, dass in Nordrhein-Westfalen geborene Personen oftmals einen Wohnort innerhalb und nicht außerhalb Nordrhein-Westfalens wählen. Während die älteren Geburtskohorten primär Wohnorte in Kernstädten aufsuchen (vgl. Tab. 27, Anhang), wandelt sich dieses Verhalten bis zu den jüngsten Geburtskohorten. Hier spiegeln sich die großräumig verlaufenden Prozesse stärker als bei der Untersuchung des ersten Wohnortes wider: Es zeichnet sich eine Verlagerung der Wohnsitze in suburbane Gemeinden ab (vgl. Kap. 2.4). Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Wohnorte sich auf das gesamte Leben der Befragten beziehen und die urbanen bzw. suburbanen Prozesse nicht in der beschriebenen Schärfe voneinander zu trennen sind. Um das Ausmaß der Wanderungen in und zwischen den Raumkategorien zu verdeutlichen, werden sie in Abbildung 54 für den gesamten Untersuchungszeitraum als Nahwanderungen innerhalb einer Stadtregion abstrahiert. Zwischen den Gemeinden der Kernstadt finden 30,88% aller Nahwanderungen von 1950 bis 1999 statt. Es wird bei der Betrachtung der Wanderungsströme deutlich, dass mehr Wanderungen von den inneren in die äußeren Raumkategorien der Stadtregion erfolgen als in die umgekehrte Richtung. Eine Ausnahme stellen die Wanderungen zwischen Kernstadt und Land dar: Dort überwiegen die Wanderungen in die Kernstadt. Insgesamt vermitteln die Daten des MPIfB einen Eindruck der Bevölkerungssuburbanisierung in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (vgl. Kap. 2.4). Nahwanderung als Ereignis Einen ersten Überblick über das Ereignis Nahwanderung und den Anteil der gewanderten Personen mit fortschreitender Prozesszeit bzw. Wohndauer vermittelt die Schätzung der Überlebensfunktion nach Kaplan-Meier (vgl. Kap. 6.1.2.1). Betrachtet wird von allen Befragten die erste Wohnepisode, die innerhalb Nordrhein-Westfalens im Untersuchungszeitraum stattfindet (n = 1.883) (Abb. 49, vgl. Kap. 6.1.1). Nach zwanzig Jahren Wohndauer ist bei einem Viertel der Befragten eine Nahwanderung erfolgt. Eine deutliche Zunahme der Nahwanderungen zeichnet sich bis nach 26 Jahren ab. Dieser temporäre Zuwachs kann in Verbindung mit einem zentralen Ereignis in der Wanderungsbiografie gebracht werden: Mit Ende des zweiten bzw. mit Beginn des dritten Lebensjahr-
214
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
zehnts nehmen Auszüge aus dem Elternhaus verstärkt zu (vgl. Wagner 1989a, Mulder 1993; Schimpl-Neimanns 2006; vgl. Kap. 4.2.1). In der Folgezeit verläuft die Überlebensfunktion weniger steil; nach 70 Jahren Wohndauer83 sind zwei Drittel der Befragten nahgewandert.
0.50
0.75
1.00
Nahwanderungen 1950 - 1999
0.00
0.25
Anteil Personen ohne Ereignis
Kaplan-Meier Überlebensfunktion
0
120
240
360
480
600
720
840
Wohndauer (in Monaten)
Abbildung 55: Kaplan-Meier Überlebensfunktion: Erste Nahwanderungen im Zeitraum von 1950 bis 1999 Quelle: Eigene Darstellung Wird die Kaplan-Meier Überlebensfunktion getrennt für Nahwanderungen von Frauen und Männern geschätzt, dann verlaufen die Kurven sehr ähnlich (n = 1.883; vgl. Abb. 56). Dies stimmt zunächst mit den Auswertungen der amtlichen Wanderungsstatistik überein (vgl. Abb. 32, Kap. 5.2.1). Nach 16 Jahren Wohndauer gehen die beiden Kurvenverläufe jedoch stärker auseinander als zuvor: 83 Dass die Wohndauer auch länger als die 49 Jahre des Untersuchungszeitraums sein kann, liegt darin begründet, dass manche Wohnepisoden bereits vor dem Untersuchungszeitraum begonnen haben (vgl. Abb. 49, Kap. 6.1.1).
215
6.2 Nahwanderungen von 1950 bis 1999
Frauen wandern früher und häufiger nah als Männer (vgl. Reding 1973, DétangDessendre/Molho 2000).
0.25
0.50
0.75
1.00
Nahwanderungen 1950 - 1999: Frauen und Männer
0.00
Anteil Personen ohne Ereignis
Kaplan-Meier Überlebensfunktion
0
120
240
360
480
600
720
840
Wohndauer (in Monaten) männlich
weiblich
Abbildung 56: Kaplan-Meier Überlebensfunktion: Erste Nahwanderungen im Zeitraum von 1950 bis 1999 – Geschlecht Quelle: Eigene Darstellung Es zeigt sich insbesondere, dass der temporäre Anstieg von Nahwanderungen nach 20 Jahren Wohndauer bei Frauen stärker als bei Männern zu beobachten ist (vgl. Abb. 55): Frauen verlassen das Elternhaus früher. Eine Untersuchung des Statistischen Bundesamt (2009a: 27ff.) belegt, dass im Jahr 2007 41% der 18bis 24-Jährigen Frauen ihr Elternhaus verlassen haben, während es bei den 18bis 24-Jährigen Männern lediglich 27% sind (vgl. Wagner 1989a: 180, Weick 2002: 11). Es ist festzuhalten, dass die nahräumlichen Wanderungsverläufe von Männern und Frauen wie in der amtlichen Statistik einen ähnlichen Verlauf nehmen. Die Untersuchung der Lebensverlaufsstudien zeigt darüber hinaus, dass Frauen
216
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
signifikant öfter als Männer nahwandern (Log-Rank-Test84: Ȥ2 = 11,42***, df = 1). Werden fern- und nahräumliche Wanderungen zusammen betrachtet, so besteht kein signifikanter Unterschied (Log-Rank-Test: Ȥ2 = 2,60, df = 1). Im Folgenden werden die Kaplan-Meier Überlebensfunktionen von Nahwanderungen getrennt für die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 bestimmt (n = 1.883; vgl. Abb. 57). Es zeichnet sich ab, dass der Anteil derjenigen, die nahwandern, in den Geburtskohorten von 1920 und 1930 vergleichsweise gering ist. Dieser Unterschied gründet auf dem Untersuchungszeitraum, da die erste Lebensphase der älteren Geburtskohorten nicht analysiert wird (vgl. Abb. 49, Kap. 6.1.1). In den anderen Geburtskohorten ist nach rund 240 Monaten Wohndauer der zuvor beschriebene Anstieg der nahräumlichen Mobilität im Zusammenhang mit dem Auszug aus dem Elternhaus ersichtlich (vgl. Abb. 55 und Abb. 56).
1.00 0.75 0.50 0.25 0.00
Anteil Personen ohne Ereignis
Kaplan-Meier Überlebensfunktion Nahwanderungen 1950 - 1999: Geburtskohorten
0
120
240
1919 bis 1921 1949 bis 1951 1964
360
480
600 720 840 Wohndauer (in Monaten)
1929 bis 1931 1954 bis 1956 1971
1939 bis 1941 1959 bis 1961
Abbildung 57: Kaplan-Meier Überlebensfunktion: Erste Nahwanderungen im Zeitraum von 1950 bis 1999 – Geburtskohorten Quelle: Eigene Darstellung 84 Signifikanzniveau in allen Analysen: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
217
Es lassen sich zwei weitere Gruppen unterscheiden: In den Geburtskohorten von 1940, 1950 und 1971 tritt das Ereignis Nahwanderung früher und häufiger auf als in den Geburtskohorten von 1920 bis 1940. Dies verstärkt sich in den Geburtskohorten von 1955, 1960 und 1964. Diese Ergebnisse verdeutlichen zum Teil jene der Tabelle 11: Die räumliche Mobilität nimmt mit den Geburtskohorten seit 1950 zu, um mit den jüngsten Geburtskohorten wieder abzunehmen. Dies wird insbesondere durch den Verlauf der Überlebensfunktion der Geburtskohorte von 1971 deutlich: In dieser tritt, vor allem im Vergleich zur Geburtskohorte von 1964, das Ereignis Nahwanderung selten auf. Dies kann als ein weiteres Indiz für die Abnahme der räumlichen Mobilität mit den jüngeren Geburtskohorten gedeutet werden (vgl. Tab. 11; vgl. Kap 5.2.1). Die dargelegten Unterschiede zwischen den Geburtskohorten sind signifikant (Log-Rank-Test: Ȥ² = 250,80***, df = 7). Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass im Untersuchungszeitraum Nahwanderungen aus der Stadtregion überwiegen. Dies spricht dafür, dass in den Lebensverlaufsstudien der Prozess der Suburbanisierung widergespiegelt wird (vgl. Kap. 2.4). Werden diese Nahwanderungen in Abhängigkeit von soziodemografischen Merkmalen betrachtet, die für die Hypothesen relevant sind, dann zeigt sich zunächst, dass Frauen früher und häufiger als Männer nahräumlich wandern. Eine Ursache dafür stellt der frühzeitigere Auszug aus dem Elternhaus dar. Aufgrund dessen, dass erste Nahwanderungen bereits vor dem Untersuchungszeitraum stattgefunden haben, ist die nahräumliche Mobilität der beiden ältesten Geburtskohorten am geringsten. Darüber hinaus nimmt die nahräumliche Mobilität mit der jüngsten Geburtskohorte stark ab und belegt diesbezügliche Befunde (vgl. Grobecker et al. 2007). In den folgenden Kapiteln werden nicht allein Nahwanderungen betrachtet: Es wird vielmehr den Hypothesen entsprechend untersucht, inwiefern Ereignisse in anderen Karrieren des Lebenslaufs nahräumliche Mobilität mindern oder fördern (vgl. Kap. 4.3). 6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen In diesem Kapitel werden zwei Karrieren des Lebenslaufs der in den Lebensverlaufsstudien befragten Akteure betrachtet, welche in Zusammenhang mit der Wohnkarriere gesetzt werden (vgl. Kap. 4.2): Die erste Bildungsaufnahme ist der Bildungskarriere des Lebenslaufs zuzuordnen. Sie umfasst den ersten Ausbildungs- oder Studienbeginn und wird als Vorbereitung auf die spätere Berufstätigkeit verstanden (Kap. 6.3.1). Die Erwerbsaufnahme ist ihrerseits in die Erwerbskarriere eingebettet. Sie bezieht sich auf die von den Befragten angegebene erste Erwerbstätigkeit (Kap. 6.3.2).
218
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Um die mikrotheoretischen Hypothesen 6 und 7, welche sich auf diese beiden Karrieren des Lebenslaufs beziehen (vgl. Kap. 4.2.3), zu überprüfen, werden folgende Untersuchungsschritte durchgeführt: 1. 2.
3.
Zunächst wird dem Einfluss der ersten Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme auf nahräumliche Mobilität in Nordrhein-Westfalen nachgegangen. In einem zweiten Schritt wird ebenfalls der Einfluss der ersten Bildungsund Erwerbsaufnahme auf nahräumliche Mobilität untersucht. Letztere wird jedoch hinsichtlich Fortzüge in die Stadtregionen sowie in die Kerngebiete von Stadtregionen spezifiziert.85 Abschließend wird der Einfluss der ersten Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen in die Kerngebiete getrennt für das Ruhrgebiet sowie das verbleibende Nordrhein-Westfalen, aber auch für die verschiedenen Geburtskohorten, Frauen und Männer analysiert.
Diesen Analysen liegt das Cox-Modell zugrunde. Da mit der ersten Bildungsund Erwerbsaufnahme zeitabhängige Kovariaten einbezogen werden, ist die Proportionalitätsannahme des Modells nicht erfüllt (vgl. Allison 1995: 155). Es wird daher ein nicht-proportionales Cox-Modell gerechnet (vgl. Gleichung 6.13, Kap. 6.1.2.2): Neben dem Effekt Į wird der Interaktionseffekt Į‘ angegeben. Während Į eine Aussage zu der nahräumlichen logarithmierten Wanderungsrate kurz nach der ersten Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme zulässt, gibt Į‘ an, wie sich diese Rate mit zunehmender Wohndauer bzw. zeitlichem Abstand zu diesem Ereignis verändert (vgl. Golsch 2006: 89ff.; Kap. 6.1.2.2).86 Zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden vom Risiko bzw. der Hazardrate gesprochen, wenn das logarithmierte Risiko bzw. die logarithmierte Hazardrate gemeint sind. Die Anzahl der Wohnepisoden sowie Rechtszensierungen, die in das CoxModell je nach Wanderungsrichtung aufgenommen werden, sind Tabelle 29 des
85 Unter Wanderungen in die Stadtregion werden Wanderungen von einer äußeren in eine innere Raumkategorie der Stadtregion verstanden (K = Kernstadt, EG = Ergänzungsgebiet, NU = näheres Umland, WU = weiteres Umland, L = Land): EG ĺ K, NU ĺ EG, NU ĺ K, WU ĺ NU, WU ĺ EG, WU ĺ K, L ĺ WU, L ĺ NU, L ĺ EG, Lĺ K Wanderungen in das Kerngebiet haben – unabhängig vom Herkunftsort in NRW – als Zielgebiet entweder das Ergänzungsgebiet oder die Kernstadt. Im Gegensatz zu Wanderungen in die Stadtregion werden daher auch Wanderungen innerhalb der Kernstadt bzw. des Ergänzungsgebietes einbezogen: K ĺ K, EG ĺ K, EG ĺ EG, NU ĺ K, NU ĺ EG, WU ĺ K, WU ĺ EG, L ĺ K, L ĺ EG 86 Für Įi‘ > 0 ergibt sich ein ansteigender, für Įi‘ < 0 ein absteigender Trend der (logarithmierten) Hazardrate mit zeitlichem Abstand zu dem betrachteten Ereignis (vgl. Cox/Oakes 1984: 113, Allison 1995: 155).
219
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
Anhangs ebenso zu entnehmen wie die Anzahl der Personen, die eine erste Bildungs- bzw. Erwerbstätigkeit aufgenommen haben. 6.3.1 Erste Bildungsaufnahme Nach der Perspektive des Lebenslaufs findet die Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums im Rahmen der Bildungskarriere des einzelnen Akteurs statt und stellt einen möglichen Auslöser für eine Wanderungsabwägung dar (vgl. Kap. 4.2.2; vgl. Birg/Flöthmann 1992, LTS 2001, Feijten et al. 2008): Die erste Bildungsaufnahme wird in den Lebensverlaufsstudien durch die Variable ‚Ausbildung‘ erfasst. Sie ist derart codiert, dass sie Angaben zum Schul-, Ausbildungs- und Studienbeginn enthält (vgl. Tab. 28, Anhang). Die Angaben zum Schulbesuch liegen vereinzelt und auch nur dann vor, wenn keine Ausbildung bzw. kein Studium abgeschlossen worden ist (Abb. 58).
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
7,6
2,4
21,5
28,1
1,91
2,48
65,0
65,2
3,8
1,6
0,6 13,5 2,7
2,0 13,1 5,56
5,4 15,0 5,79
6,9 21,4
2,5 10,7 7,32
3,86 9,32 9,32
79,4
77,49
7,61 78,3
70,2
62,9
4,7
9,0
10,8
52,2
11,7
0 0 1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1971 1921 1931 1941 1951 1956 1961 unklar kein Abschluss Hochschule Ausbildung Schule
Abbildung 58: Art der ersten Ausbildung – Geburtskohorten Quelle: Eigene Darstellung Am stärksten ausgeprägt ist der Anteil der Ausbildungen mit durchschnittlich 68,88%. Der Anteil an Personen, die ein Studium aufnehmen, nimmt mit den jüngeren Geburtskohorten stetig zu. Gleichzeitig erhöht sich das Alter zu Bildungsbeginn. Dies kann als eine Folge der Bildungsexpansion gedeutet werden (vgl. Kap. 4.2.2). Dennoch ist der Anteil von Personen, die ein Studium aufneh-
220
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
men, mit 5,34% im Durchschnitt gering.87 Darüber hinaus kann beobachtet werden, dass in allen Geburtskohorten Männer im Vergleich zu Frauen eine höhere Anzahl von Ausbildungen bis zum Interviewzeitpunkt aufweisen (vgl. Abb. 77 und Abb. 78, Anhang). In einem ersten Schritt wird untersucht, welchen Effekt die Aufnahme der ersten Ausbildung bzw. des ersten Studiums auf Nahwanderungen – unabhängig von deren Herkunfts- und Zielgebieten – hat. Mit 1.740 Personen hat der Großteil der Befragten eine Ausbildung bzw. ein Studium aufgenommen. Es gehen alle 3.537 Wohnepisoden in Nordrhein-Westfalen des Untersuchungszeitraums von 1950 bis 1999 in die Analyse ein (vgl. Tab. A4, Anhang; vgl. Kap. 6.1.2.2). Tabelle 13 ist zu entnehmen, dass die erste Bildungsaufnahme die Nahwanderungsrate mit Į = 1,95*** signifikant erhöht. Der Interaktionseffekt Į‘ = 0,90*** ist ebenfalls hochsignifikant: Wie zu erwarten ist, sinkt daher das Risiko einer Nahwanderung mit zeitlichem Abstand zu diesem Ereignis. Werden die Kovariaten einbezogen, dann erhöht sich der Effekt der ersten Bildungsaufnahme mit Į = 2,25*** (Į‘ = -1,02***): Den höchsten Einfluss hat mit Į = 0,27*** die Bildung der Befragten. Je höher der Bildungsgrad ist, desto größer ist das Risiko Nahwanderung. Dieses Ergebnis ergänzt Befunde, nach welchen vor allem höher Gebildete öfters (fernräumlich) wandern. Diese Wanderungen werden dadurch notwendig, dass mit zunehmendem Bildungsgrad das Angebot an passenden Erwerbstätigkeiten vor allem in suburbanen Gemeinden geringer wird (vgl. DaVanzo 1978: 55, Dobberkau 1980: 222ff., Wagner 1990b: 17, Cramer 1992: 69ff., Birg et al. 1993: 90, Schlömer 2004: 97ff.; vgl. Kap. 4.2.1). Bezogen auf die erste Bildungsaufnahme ist davon auszugehen, dass durch einen höheren Bildungsabschluss (z.B. Abitur) Ausbildungsstandorte (z.B. Universitäten) im suburbanen Raum ebenfalls seltener zu finden sind. Ein Kind zum Zeitpunkt der ersten Bildungsaufnahme verringert dagegen mit Į = -0,15*** die Nahwanderungsrate. Darüber hinaus deutet sich an, dass nahräumliche Mobilität ebenfalls abnimmt, wenn die Befragten zum Zeitpunkt der ersten Bildungsaufnahme verheiratet sind: Neben den individuellen Präferenzen und Restriktionen fließen solche der anderen Haushaltsmitglieder in die Wanderungsabwägung ein. Da die Lebenssituation aller Haushaltsmitglieder berücksichtigt wird, werden beispielsweise soziale Netzwerke seltener aufgegeben (vgl. Frick 1996). Kinder und Lebenspartner wirken sich daher mobilitätshemmend bzw. restriktiv auf nahräumliche Mobilität im Zuge der ersten Bildungsaufnahme aus.
87 Diese Werte beziehen sich auf die erste Bildungsaufnahme. Die Aufnahme eines Studiums im Zuge weiterer Bildungsaufnahmen ist daher nicht ausgeschlossen.
221
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
Tabelle 13: Einfluss der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen (1950 – 1999) Nahwanderungen Į erste Bildungsaufnahme ohne Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) erste Bildungsaufnahme Interaktionseffekt (Į‘) Bildung Familienstatus zur ersten Bildungsaufn. Kind zur ersten Bildungsaufnahme Geburtsort (Raumkategorien) 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df
ı
***
0,464
***
0,468
***
0,468
-1,02
***
0,468
0,27
***
0,028
-0,07
***
0,075
-0,15
***
0,070
0,07***
0,013
1,95 -0,90
2,25
563,87*** 6
Log-Likelihood
-13.164,12
Anzahl der Beobachtungen
4.939
Anzahl der Nahwanderungen
1.770
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Bildungsaufnahme gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
In einem zweiten Schritt wird untersucht, inwiefern die erste Bildungsaufnahme Wanderungen in das Kerngebiet bedingt, da dort das Angebot an Ausbildungsstätten vergleichsweise groß und vielfältig ist (vgl. Gatzweiler 1982, Häußermann/Siebel 1987, Wagner 1989a, Birg/Flöthmann 1992, Birg et al. 1993, Mulder/Hooimeijer 1999, Feijten et al. 2008). Es werden zuerst Wanderungen analysiert, welche als Zielgebiet ausschließlich das Kerngebiet haben. In das CoxModell werden die dazugehörigen 2.817 Wohnepisoden einbezogen, in denen 1.777 Befragte eine erste Bildung aufgenommen haben (vgl. Tab. A4, Anhang). H6
Wenn eine erste Ausbildung oder ein erstes Studium (= erste Bildungsaufnahme) aufgenommen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko zu, in das Kerngebiet zu ziehen.
222
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Überdies soll in Erfahrung gebracht werden, inwiefern tatsächlich das Kerngebiet Zielgebiet im Zuge einer ersten Bildungsaufnahme ist oder ebenso Gemeinden, die hinsichtlich ihrer Infrastruktur tendenziell besser ausgestattet sind als die Herkunftsgemeinde. Es werden deshalb zusätzlich Wanderungen in Richtung Stadtregion – und damit in Gebiete höherer Verdichtung – in Zusammenhang mit einer ersten Ausbildung oder einem ersten Studium gesetzt. Dafür gehen alle 1.241 Wohnepisoden von 1950 bis 1999 in die Untersuchung ein, in denen das Herkunftsgebiet mindestens eine Raumkategorie weiter von der Kernstadt einer Stadtregion entfernt liegt als das Zielgebiet. In diesen Wohnepisoden werden 940 Befragte erfasst, die eine erste Bildung ergriffen haben (vgl. Tab. A4, Anhang). Wird zunächst der Effekt der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet betrachtet (Tab. 14), dann ergibt sich ein ähnliches Bild wie für die Nahwanderungen insgesamt (vgl. Tab. 13): Die Nahwanderungsrate erhöht sich im Zuge der ersten Bildungsaufnahme mit Į = 2,84***. Mit zeitlichem Abstand zu der ersten Bildungsaufnahme verringert sich das Risiko einer Wanderung ins Kerngebiet. Die erste Bildungsaufnahme hat auch dann einen positiven und signifikanten Effekt, wenn Wanderungen in die Stadtregion betrachtet werden (Tab. 14). Der Effekt verliert mit Į = 2,04*** allerdings vergleichsweise an Bedeutung. Wie für die nahräumliche Mobilität insgesamt zeigt sich sowohl für Wanderungen ins Kerngebiet als auch für Wanderungen in die Stadtregion, dass der Bildungsgrad der Befragten einen positiven Effekt ausübt. Ebenso wirken sich Kinder und, wenn auch nicht signifikant, Ehepartner zum Zeitpunkt der ersten Bildungsaufnahme mobilitätsmindernd aus (vgl. Tab. 13). Darüber hinaus zeigt sich, dass die Raumkategorie des Geburtsortes die Wanderungsraten eher senkt: Personen aus eher ländlichen bzw. suburbanen Räumen ziehen seltener in die Stadtregion. Dies kann darauf hindeuten, dass Gemeinden bevorzugt werden, welche der Heimatgemeinde ähneln (vgl. Nilsson 2003, Feitjen et al. 2008). Es wird deutlich, dass eine erste Bildungsaufnahme eine Wanderung ins Kerngebiet bzw. in die Stadtregion deutlich stärker erhöht als nahräumliche Mobilität insgesamt (vgl. Tab. 13). Daraus kann geschlossen werden, dass die Kerne von Stadtregionen mit ihren vielfältigen Ausbildungsangeboten primäres Zielgebiet im Zuge der ersten Bildungsaufnahme sind. Hypothese 6 wird beibehalten. Über die bisherigen Ergebnisse hinaus können sich gebietsspezifische Unterschiede abzeichnen: Großräumige Maßnahmen, dem strukturellen Niedergang im Ruhrgebiet entgegenzuwirken, haben zu Beginn der 1980er Jahre ihren Anfang gefunden.
223
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
Tabelle 14: Einfluss der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet und in die Stadtregion (1950 - 1999) Nahwanderungen
erste Bildungsaufnahme o. Kov. Interaktionseffekt (Į‘) erste Bildungsaufnahme mit Kov. Interaktionseffekt (Į‘) Bildung
in das Kerngebiet
in die Stadtregion
Į
Į
ı ***
2,84 -1,68
*** ***
3,16 -1,81
***
0,31
***
Geburtsort (Raumkategorie) 1
1,053 1,052 1,053 0,037
2,04
0,664
-0,86
***
0,675
2,48
***
0,667
-0,97
***
0,673
0,34
***
0,055
***
0,129
***
0,097
-0,16
-0,16***
0,090
-0,28***
0,128
0,018
***
0,028
Fam.-Status zur ersten Bild.-Auf. -0,09 Kinder zur ersten Bildungsauf.
1,050
ı ***
-0,02
***
-0,05
***
196,31***
6
6
-7.597,34
-3.047,27
Anzahl der Beobachtungen
4.024
1.818
Anzahl der Nahwanderungen
1.050
484
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood
369,13
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Bildungsaufnahme gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Für den Untersuchungszeitraum von 1950 bis 2005 bedeutet dies, dass sich die ökonomische Situation der Stadtregionen im Ruhrgebiet u.a. durch eine hohe Arbeitslosigkeit auszeichnet (vgl. Wenning 1996, Goch 2002, Ziesemer 2004, Mayr/Temlitz 2006; vgl. Kap. 2.4). Vor dem Hintergrund dieser makrotheoretischen Bedingungen sollten die Kerngebiete des Ruhrgebietes für die Untersuchungspersonen als Wohnort weniger anziehend sein, um die erste Bildung aufzunehmen, als die Kerngebiete des verbleibenden Nordrhein-Westfalens (vgl. Birg 1992).
224 H6a
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Wenn eine erste Bildungsaufnahme erfolgt, dann ist das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet geringer als in NordrheinWestfalen ohne Ruhrgebiet.
Um diesen regionalen Vergleich durchzuführen, werden Wanderungen, welche ausschließlich innerhalb des Ruhrgebietes erfolgen, solchen, die ausschließlich im verbleibenden Nordrhein-Westfalen stattfinden, gegenübergestellt (Tab. 15). Es wird aufgrund der geringen Fallzahlen ein proportionales Cox-Modell gerechnet, welches sich auf alle Wohnepisoden und nicht nur auf solche nach der ersten Bildungsaufnahme bezieht (vgl. Gleichung 6.12, Kap. 6.1.2.2). Tabelle 15: Einfluss der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet – NRW o. Ruhr. und Ruhr. (1950 – 1999) Nahwanderungen in das Kerngebiet
erste Bildungsaufnahme o. Kov. erste Bildungsaufnahme mit Kov. Bildung Fam.-Status zur ersten Bild.-Auf Kinder zur ersten Bildungsauf. Geburtsort (Raumkategorie) 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood Anzahl der Beobachtungen Anzahl der Nahwanderungen
NRW ohne Ruhrgebiet
Ruhrgebiet
Į
Į
ı ***
2,76
0,404
ı
3,51
***
0,410
***
0,768
***
3,00
0,578
5,00
1,43***
0,103
1,27***
0,069
0,185
0,74
***
0,110
0,88
***
0,117
1,04
***
0,038
0,99
*** ***
0,96 0,94
***
0,168 0,037 ***
173,18***
5
5
-1.620,33
-3.099,65
1.010
1.879
277
474
85,46
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Bildungsaufnahme gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
225
Der Į-Effekt gibt an, wie sich das Ereignis der ersten Bildungsaufnahme auf die logarithmierte Hazardrate aller Nahwanderungsepisoden ins Kerngebiet auswirkt. Er kann als eine Art Durchschnittswert für den Untersuchungszeitraum verstanden werden (vgl. Allison 1994: 155). Wird ausschließlich die erste Bildungsaufnahme in das Cox-Modell einbezogen, dann erhöht sich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Ruhrgebietes das Risiko einer Wanderung ins Kerngebiet. Entgegen den Erwartungen ist der Effekt des ersten Bildungsbeginns für das Ruhrgebiet mit Į = 3,51*** höher als für Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet mit Į = 2,76***. Werden zudem die Kovariaten einbezogen, erhöhen sich beide Effekte. Im Ruhrgebiet wird der Effekt nahezu ausschließlich durch den Bildungsgrad der Befragten bestimmt: Höher Gebildete ziehen am ehesten ins Kerngebiet. Der Unterschied zwischen Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet ist signifikant (Log-RankTest: Ȥ² = 6,19**, df = 1). Aufgrund dieser Ergebnisse muss Hypothese 6a abgelehnt werden: Bildungsbedingte Wanderungen in die Kerngebiete bleiben im Ruhrgebiet nicht aus. Im Vergleich zum verbleibenden Nordrhein-Westfalen sind im Ruhrgebiet Kerngebiete als Ausbildungs- und Wohnstandort attraktiver.88 Seit den 1950er Jahren hat sich der Prozess der Suburbanisierung über Jahrzehnte hinweg verstärkt. Im Zuge der Bevölkerungssuburbanisierung ziehen vorrangig Personen in der Familiengründungsphase ins urbane Umland. Parallel zu diesen Wanderungen in den suburbanen Raum finden klassischerweise Wanderungen in das Kerngebiet zur Bildungs- und Erwerbsaufnahme statt (vgl. LTS 2001, Goch 2002: 158, Mayr/Temlitz 2006 4ff.; vgl. Kap. 2.4). Da das Kerngebiet generell, so auch für den betrachteten Untersuchungszeitraum, von einem vielfältigen Bildungsangebot und einer hohen Dichte an Ausbildungsstätten geprägt ist, sollte auf der Mikro-Ebene zu beobachten sein, dass sich der Einfluss einer ersten Bildungsaufnahme auf Wanderungen in das Kerngebiet mit den jüngeren Geburtskohorten nicht verändert (vgl. Kap. 4.3). H6b
Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet im Zuge der ersten Bildungsaufnahme zu ziehen, nicht.
88 Aufgrund der hohen Dichte der Kerngebiete im Ruhrgebiet übersteigen in diesen Berechnungen die Wanderungen vom Kerngebiet ins Kerngebiet diejenigen vom Umland ins Kerngebiet. Dieser Umstand dient jedoch nicht zur Erklärung des erhöhten Wanderungsrisikos in die Kerngebiete: Da im verbleibenden Nordrhein-Westfalen neben den Wanderungen innerhalb des Kerngebietes die Wanderungen vom Umland ins Kerngebiet vergleichsweise höher ausfallen, sollten sich diese Unterschiede ausgleichen.
226
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
In Tabelle 30 des Anhangs werden die Effekte der ersten Bildungsaufnahme auf eine Nahwanderung in das Kerngebiet differenziert nach Geburtskohorten dargestellt. Um die jeweilige Fallzahl – und damit die Aussagekraft – zu erhöhen, werden die Geburtskohorten vor dem Untersuchungszeitraum (Geburtskohorten 1920 bis 1940), die Geburtskohorten zu Beginn des Untersuchungszeitraums (Geburtskohorten 1950 bis 1960) sowie die beiden jüngsten Geburtskohorten (Geburtskohorten 1964 und 1971) jeweils zusammengefasst und ein proportionales Cox-Modell berechnet: Tabelle 30 des Anhangs ist zu entnehmen, dass von den ältesten zu den mittleren Geburtskohorten die Wanderungsrate geringer wird. Dies bestätigt die bereits beschriebenen Ergebnisse, nach denen die räumliche Mobilität im Kohortenvergleich abnimmt (vgl. Kap. 5.2.1 und Tab. 11). Für die jüngsten Geburtskohorten wird allerdings deutlich, dass mit Į = 3,78*** das Risiko einer Nahwanderung zunimmt: Gerade die jüngsten Geburtskohorten wandern zur ersten Bildungsaufnahme vergleichsweise oft in die Kerngebiete. Mit den gesellschaftlichen Veränderungen seit den 1960er Jahren nehmen die Freiheiten des Einzelnen ebenso wie die Verbreitung von Einpersonenhaushalten zu (Jagodzinski/Klein 1998, Hill/Kopp 1999, Nave-Herz 1999, IT.NRW 2010a; vgl. Kap. 4.2.2). Dieser Wandel sollte sich insbesondere für die Frauen in den einzelnen Geburtskohorten zeigen (vgl. Tab. 30, Anhang): Diese profitieren in einem besonderen Maß von der Bildungsexpansion sowie der fortschreitenden Autonomie. Es ist davon auszugehen, dass Frauen verstärkt eine Ausbildung bzw. ein Studium ergreifen und damit ein Anstieg von Wanderungen in Richtung Kerngebiet einhergeht (vgl. Abb. 58 und Kap. 4.2.2; vgl. Liefbroer 1999). H6c
Je jünger die Geburtskohorten sind, desto höher ist das Ereignisrisiko, dass Frauen aufgrund der ersten Bildungsaufnahme in das Kerngebiet ziehen.
Werden die drei gruppierten Geburtskohorten miteinander verglichen, dann ist Tabelle 30 des Anhangs zu entnehmen, dass die Nahwanderungsrate für die Frauen der Geburtskohorten von 1920 bis 1940 ähnlich hoch ist wie diejenige der Geburtskohorten von 1950 bis 1960. Sie steigt, wenn die jüngste Geburtskohorte betrachtet wird. Hypothese 6c kann somit nicht verworfen werden: Mit der jüngsten Geburtskohorte nimmt das Risiko, aufgrund der ersten Bildungsaufnahme in das Kerngebiet zu ziehen, für Frauen zu. Weitere Untersuchungen dazu, wie sich nahräumliche Mobilität von Frauen im Zuge der Bildungsaufnahme mit den jüngeren Geburtskohorten verändert, sind allerdings notwendig, da die Fallzahlen relativ gering sind (vgl. Kap. 7.2).
227
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die erste Bildungsaufnahme – unabhängig von Restriktionen in anderen Karrieren des Lebenslaufs – einen potenziellen Auslöser für Nahwanderungen darstellt (Abb. 59): Die erste Bildungsaufnahme hat einen positiven und zudem hochsignifikanten Effekt auf die Nahwanderungsrate, der sich mit zunehmender Wohndauer seit diesem Ereignis verringert. Zudem zeigt sich, dass das Risiko einer Wanderung mit einem höheren Bildungsgrad der Befragten zunimmt. Wenn dagegen ein Kind zum Zeitpunkt der ersten Bildungsaufnahme vorhanden ist, sinkt das Risiko einer Nahwanderung signifikant. Die Hazardrate verringert sich ebenfalls, allerdings nicht signifikant, wenn die Befragten zum Zeitpunkt der ersten Bildungsaufnahme verheiratet sind. Zusätzliche Personen im Haushalt mindern daher das Risiko einer Nahwanderung. Dies gilt auch, wenn die verschiedenen Richtungen nahräumlicher Mobilität berücksichtigt werden.
+ städtische Infrastruktur + (strukt. Maßnahm. i. Ruhrgeb.) + gesellschaftlicher Wandel (Bildungsexp., Autonomie u.a.)
4
(Bevölkerungs-) Reurbanisierung
1 Perspektive des Lebenslaufs – Bildungskarriere
3
Präferenz: erste Bildungsaufnahme
Wanderungsabwägung Restriktionen: - Kind (Ehepartner) - ältere Geburtskohorten Erwerbs- / Haushalts- / Familien- / Wohnungskarriere
1
Logik d. Situation
2
Logik d. Selektion
3
2
Logik d. Aggregation
Wanderung in das Kerngebiet
4
Kollektivhypothese
Abbildung 59: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Bildungsbezug Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98, Mulder/Hooimeijer 1999: 164 Wird zusätzlich das Zielgebiet dieser Nahwanderungen betrachtet, dann ziehen die Akteure nicht nur in Richtung Stadtregion, sondern vor allem in das Kerngebiet. Es wird somit ein Standort präferiert, an welchem sich (Aus-)Bildungsstätten konzentrieren.
228
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Neben der infrastrukturellen Ausstattung von Räumen wird als ein weiterer makrotheoretischer Faktor die unterschiedliche wirtschaftliche Situation des Untersuchungsraums einbezogen: Entgegen den Erwartungen zeigt sich, dass das Risiko, mit der ersten Bildungsaufnahme in das Kerngebiet zu ziehen, für Akteure mit einem Wohnstandort innerhalb des Ruhrgebietes stärker ausgeprägt ist als für Akteure mit einem Wohnstandort außerhalb des Ruhrgebietes. Die Kerngebiete des Ruhrgebietes scheinen somit ein attraktiver Wohnstandort im Zuge des ersten Bildungserwerbs zu sein: Dies kann auf die strukturfördernden Maßnahmen, die seit Beginn der 1980er Jahre ergriffen worden sind, um der Deindustrialisierung entgegenzuwirken, zurückgeführt werden. Von diesen sollten die Geburtskohorten seit 1960, vor allem aber, die jüngsten Geburtskohorten profitieren, da die Maßnahmen Zeit brauchen, um wirken zu können (vgl. Wenning 1996, BBR 2000b, Ziesemer 2004, Mayr/Temlitz 2006, IBA 2008; vgl. Kap. 2.4). Diesen Ergebnissen muss jedoch im Hinblick auf die verwendeten Fallzahlen weiter nachgegangen werden. Der Effekt, mit der ersten Bildungsaufnahme in das Kerngebiet zu ziehen, erhöht sich mit der jüngsten Geburtskohorte tendenziell. Dies trifft verstärkt für Frauen zu und unterstützt die Hypothese, nach der – im Zuge der Bildungsexpansion und zunehmenden Autonomie – Frauen selbstbestimmter ihren Wohnort wählen. Allerdings geben diese Ergebnisse aufgrund der geringen Fallzahlen in den einzelnen Geburtskohorten lediglich erste Tendenzen wieder und bedürfen weiterführender Untersuchungen, die an dieser Stelle nicht geleistet werden können. In der Summe der Einzelentscheidungen und mit Rückbezug zur MakroEbene zeigen die Ergebnisse eine Zunahme von Reurbanisierungstendenzen der Bevölkerung im Zuge des ersten Bildungserwerbs (vgl. Kap. 7.1). 6.3.2 Erste Erwerbstätigkeit Wie die erste Bildungsaufnahme stellt die erste Erwerbstätigkeit ein wichtiges Ereignis im Lebenslauf dar: Sie wird als potenzieller Auslöser für eine Wanderungsabwägung angesehen (vgl. Kap. 4.2.2; vgl. Gatzweiler 1982, Häußermann/Siebel 1987, Birg/Flöthmann 1992, Birg et al. 1993, Mulder/Hooimeijer 1999, Feijten et al. 2008): In der Stichprobe gibt es 1.810 Befragte, die nach der ersten Bildungsaufnahme die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit anführen (vgl. Tab. A4, Anhang). Im Durchschnitt haben die Befragten bis zum Interviewzeitpunkt ihre dritte Erwerbstätigkeit inne (Abb. 60; vgl. Abb. 78, Anhang). Dabei zeigt sich, dass in allen Geburtskohorten Männer mehr Erwerbstätigkeiten
229
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
durchschnitt. Anzahl Erwerbstätigkeiten
aufweisen als Frauen. Im Folgenden wird jedoch ausschließlich die erste Erwerbsaufnahme betrachtet. 6 5
4,74
4 2,85
3
2,95
3,32 2,56
2,58
2,97
2,96 1,86
2 1 0 1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1921 1931 1941 1951 1956 1961 Frauen Männer gesamt
1971 gesamt
Abbildung 60: Durchschnittliche Anzahl der Erwerbstätigkeiten bis zum Interviewzeitpunkt Quelle: Eigene Darstellung Der längere Ausbildungsweg im Zuge der Bildungsexpansion bzw. die spätere Aufnahme einer ersten Bildungsaufnahme (vgl. Abb. 58) wirkt sich ebenfalls auf die erste Erwerbsaufnahme aus: Das mittlere Alter zu Beginn der ersten Erwerbsaufnahme nimmt mit den jüngeren Geburtskohorten zu (vgl. Abb. 79, Anhang). In einem ersten Schritt wird der Effekt der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen im Untersuchungszeitraum bestimmt: Es werden alle 3.537 Wohnepisoden in Nordrhein-Westfalen einbezogen, in denen 1.810 Befragte eine Erwerbsaufnahme ergriffen haben (vgl. Tab. A4, Anhang). Tabelle 16 ist zu entnehmen, dass die Effekte der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen mit Į = 1,00* ohne und mit Į = 1,18*** unter Einbezug der Kovariaten positiv ausfallen; das Risiko einer Nahwanderung steigt. Mit zeitlichem Abstand zur ersten Erwerbsaufnahme sinkt dieser Einfluss. Werden die einzelnen Kovariaten betrachtet, dann hat Bildung mit Į = 0,33*** einen hohen Effekt auf Nahwanderungen. Dies konnte bereits bei der ersten Bildungsaufnahme beobachtet werden (vgl. Kap. 6.3.1): Mit zunehmendem Bildungsgrad wandern die Untersuchungspersonen eher nahräumlich. Es ist davon auszugehen, dass lokal das Angebot an entsprechenden Erwerbsstellen gering ist (vgl. DaVanzo 1978: 55, Schlömer 2004: 97ff.; vgl. Kap. 4.2.1 und
230
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Kap. 6.3.1). Wie bei der ersten Bildungsaufnahme mindert das Vorhandensein von Kindern zum Zeitpunkt der Erwerbsaufnahme mit Į = -0,19*** das Risiko einer Nahwanderung (vgl. Tab. 13). Tabelle 16: Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen (1950 1999) Nahwanderungen Į erste Erwerbsaufnahme o. Kov. Interaktionseffekt (Į‘) erste Erwerbsaufnahme mit Kov. Interaktionseffekt (Į‘) Bildung Fam.-Status zur ersten Erwerbsaufn. Kind zur ersten Erwerbsaufnahme Geburtsort (Raumkategorie) 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood
ı
1,00***
0,293
***
0,298
***
0,299
-0,49***
0,298
***
0,028
***
0,091
***
0,079
***
0,013
-0,56
1,18 0,33
0,05 -0,19
0,07
281,28*** 6 -13.305,41
Anzahl der Beobachtungen
4.989
Anzahl der Nahwanderungen
1.770
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Erwerbsaufnahme gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der Einfluss der ersten Erwerbstätigkeit auf das Risiko nahräumlicher Mobilität geringer ist als derjenige der ersten Bildungsaufnahme (vgl. Tab. 13; Kap. 6.3.1): Wenn nicht im Rahmen der ersten Ausbildung bzw. des Studiums ins Kerngebiet gewandert worden ist, ist anzunehmen, dass Restriktionen in anderen Karrieren des Lebenslaufs die Befragten an ihren Wohnstandort binden. Im Folgenden wird untersucht, welche Richtung nahräumlicher Mobilität im Zuge der ersten Erwerbsaufnahme präferiert wird: Kerngebiete zeichnen sich
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
231
durch eine hohe Einwohner-Arbeitsplatzdichte aus (Boustedt 1975, GöddeckeStellmann/Kuhlmann 2000; vgl. Kap. 3.2.2). Dies bedeutet, dass gerade urbane Kerne wirtschaftliche Zentren bilden, in denen das Angebot an Arbeitsplätzen im Vergleich zu ihrem Umland hoch ist. Wird die erste Erwerbstätigkeit betrachtet, dann sind die Untersuchungspersonen vergleichsweise jung – die Familiengründungsphase steht vielfach noch aus. Daher sollte der Fortzug zugunsten einer Wanderung in das Kerngebiet von Stadtregionen mit seinem vielfältigen Angebot an Berufsstätten ausfallen (vgl. Kap. 4.2.1; vgl. Dobberkau 1980, Droth/Dangschat 1985, Neubauer 1988, Bertels 1990, Krämer 1992). H7
Wenn ein erster Erwerb aufgenommen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko zu, in das Kerngebiet zu ziehen.
Zum einen wird analysiert, inwiefern sich der Fortzug auf das Zielgebiet Kerngebiet konzentriert. Um dem nachzugehen, werden die 2.817 Wohnepisoden betrachtet, in denen 1.776 Befragte einer ersten Erwerbstätigkeit nachgegangen sind (vgl. Tab. A4, Anhang). Da mit den inneren Raumkategorien einer Stadtregion die Verstädterung und damit das Angebot an beruflichen Möglichkeiten zunimmt, wird zum anderen untersucht, inwiefern das Risiko, mit der ersten Erwerbsaufnahme von einer äußeren in eine innere Raumkategorie einer Stadtregion zu wandern, steigt (vgl. Kap. 6.3.1). Dazu werden alle entsprechenden 1.241 Wohnepisoden einbezogen, in denen 761 Befragte einen ersten Erwerb aufgenommen haben. Wird als Zielgebiet das Kerngebiet von Stadtregionen fokussiert, dann wirkt sich die erste Erwerbsaufnahme sowohl ohne Kovariaten (Į = 1,31***) als auch mit Kovariaten (Į = 1,47***) stark positiv aus (vgl. Tab. 17): Das Risiko einer Nahwanderung steigt, verringert sich jedoch mit zeitlichem Abstand zur ersten Erwerbstätigkeit mit Į‘ = -0,99*** bzw. Į‘ = -0,93***. Wird der Einfluss der ersten Erwerbstätigkeit auf Nahwanderungen in die Stadtregion betrachtet, dann zeigt sich ebenfalls ein positiver Effekt mit Į = 0,74 (vgl. Tab. 17). Im Gegensatz zu Wanderungen ins Kerngebiet ist er jedoch nicht signifikant. Signifikanz gewinnt er erst unter Einbezug der Kovariaten mit Į = 1,22**: Wie bereits für den Einfluss der ersten Bildungsaufnahme dargelegt (vgl. Abb. 5.1, Kap. 6.3.1), nimmt mit höherem Bildungsgrad sowohl das Risiko einer Wanderung in die Stadtregion als auch in das Kerngebiet im Zuge der ersten Erwerbsaufnahme zu. Ebenso zeigt sich, dass das Vorhandensein von Kindern zum Zeitpunkt der ersten Erwerbsaufnahme nahräumliche Mobilität mindert.
232
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Tabelle 17: Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet und in die Stadtregion (1950 - 1999) Nahwanderungen in das Kerngebiet Į erste Erwerbsaufnahme o. Kov. Interaktionseffekt (Į‘) erste Erwerbsaufnahme mit Kov. Interaktionseffekt (Į‘) Bildung
ı ***
1,31 -0,99
*** ***
1,47 -0,93
*** ***
0,37
in die Stadtregion Į
0,327 0,335 0,337 0,334 0,036
ı
0,74
***
0,608
-0,47
***
0,618
1,22
***
0,610
-0,52
***
0,611
0,36
***
0,056
-0,02
***
0,157
***
0,147 0,028
Fam.-Status z. ersten Erwerbsauf. 0,10
***
Kind zur ersten Erwerbsauf.
-0,19
***
0,103
-0,37
-0,02
***
0,018
-0,09***
Geburtsort (Raumkategorie) 1
0,121
***
89,51***
6
6
-7.702,84
-3.100,67
Anzahl der Beobachtungen
4.076
1.777
Anzahl der Nahwanderungen
1.050
484
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood
158,14
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Erwerbsaufnahme gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Es ist ausgeführt worden, dass das Kerngebiet als wirtschaftlicher Standort primär aufgesucht wird, wenn eine erste Erwerbsaufnahme erfolgt. Hypothese 7 wird daher nicht abgelehnt. Aufgrund der zunehmenden Deindustrialisierung seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist das Ruhrgebiet vermehrt von Arbeitslosigkeit und infolge von Abwanderungen betroffen (Wenning 1996, Ziesemer 2004, Mayr/Temlitz 2006; vgl. Kap. 2.4). Werden das Ruhrgebiet und das verbleibende NordrheinWestfalen einander gegenübergestellt, sollte daher das Risiko, mit der ersten Erwerbsaufnahme in ein Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet geringer sein.
233
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
H7a
Wenn eine erste Erwerbsaufnahme erfolgt, dann ist das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet geringer als in NordrheinWestfalen ohne Ruhrgebiet.
Es werden ausschließlich Fortzüge innerhalb Nordrhein-Westfalens ohne Ruhrgebiet bzw. innerhalb des Ruhrgebietes betrachtet. Aufgrund der geringen Fallzahlen wird ein proportionales Cox-Modell gerechnet (vgl. Kap. 6.3.1): In beiden Teilgebieten erhöht sich mit der Aufnahme einer ersten Erwerbstätigkeit das Risiko einer Wanderung ins Kerngebiet. Dieses fällt im Ruhrgebiet mit Į = 1,84*** jedoch stärker aus und ist darüber hinaus signifikant (Tab. 18). Unter Berücksichtigung der Kontrollvariablen erhöht sich der Effekt für das Ruhrgebiet. Tabelle 18: Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet – NRW o. Ruhr. und Ruhr. (1950 - 1999) Nahwanderungen in das Kerngebiet NRW ohne Ruhrgebiet Į erste Erwerbsaufnahme o. Kov. erste Erwerbsaufnahme mit Kov. Bildung
ı ***
1,14
***
1,13
Fam.-Status z. ersten Erwerbsauf. 1,17 Kind zur ersten Erwerbsauf.
***
Geburtsort (Raumkategorie) 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood Anzahl der Beobachtungen Anzahl der Nahwanderungen
Į
0,152
1,22
***
0,99
ı ***
0,193
***
2,72
0,431
1,34***
0,072
***
0,145
***
0,120
***
0,039
1,84
0,252
1,52*** 0,109 ***
Ruhrgebiet
0,288
0,84
0,247
0,83
0,039
1,05
***
82,40***
5
5
-1.644,42
-3.123,79
1.029
1.914
277
474
37,29
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Erwerbsaufnahme gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
234
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Es ergeben sich somit regionale Unterschiede, wenn die Auswirkungen der ersten Erwerbsaufnahme auf Wanderungen in das Kerngebiet betrachtet werden: Entgegen den Erwartungen ist das Risiko, ins Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet höher als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet. Die Unterschiede innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes sind signifikant (Log-Rank-Test: Ȥ² = 6,19**, df = 1). Die Kerngebiete des Ruhrgebietes sind demnach für Personen innerhalb des Ruhrgebietes attraktiver als es die Kerngebiete des verbleibenden NordrheinWestfalens für Personen außerhalb des Ruhrgebietes sind. Dieses Phänomen hat sich bereits bei der ersten Bildungsaufnahme abgezeichnet (vgl. Tab. 15). Der Argumentation folgend ist davon auszugehen, dass die Kerngebiete im Ruhrgebiet als Erwerbs- und Wohnstandort attraktiv sind, da sich die strukturpolitischen Maßnahmen vor allem auf die Kerngebiete konzentrieren (vgl. Wenning 1996, BBR 2000b, Ziesemer 2004, Mayr/Temlitz 2006, IBA 2008; vgl. Kap. 2.4). Hypothese 7a ist abzulehnen. Wanderungen in das Kerngebiet im Zuge der ersten Erwerbsaufnahme erfolgen hauptsächlich aufgrund des größeren und vielfältigeren Angebotes an Erwerbsmöglichkeiten (vgl. Kap. 4.2.1, Boustedt 1975b, Bertels 1990, Krämer 1992). Dies sollte für den gesamten Untersuchungszeitraum gelten. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Geburtskohorte ist davon auszugehen, dass mit der ersten Erwerbsaufnahme eine Wanderung in das Kerngebiet einer Stadtregion erfolgt (vgl. Kap. 4.3). H7b
Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet im Zuge der ersten Erwerbsaufnahme zu ziehen, nicht.
Um Hypothese 7b zu testen, wird der Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet im Untersuchungszeitraum für die verschiedenen Geburtskohorten berechnet (vgl. Tab. 31, Anhang): Analog zu den Berechnungen für die erste Bildungsaufnahme erhöhen sich die Fallzahlen und damit einhergehend die Aussagekraft der Resultate, wenn die Geburtskohorten vor dem Untersuchungszeitraum (Geburtskohorten 1920 bis 1940), die Geburtskohorten unmittelbar zu Beginn des Untersuchungszeitraums (Geburtskohorten 1950 bis 1960) sowie die beiden jüngsten Geburtskohorten (Geburtskohorten 1964 und 1971) zusammengefasst werden und ein proportionales Hazard-Modell berechnet wird (vgl. Tab. 30, Anhang; vgl. Kap. 6.3.1). Tabelle 31 des Anhangs ist zu entnehmen, dass sich im Untersuchungszeitraum die erste Erwerbsaufnahme in allen Geburtskohorten positiv auf eine Nahwanderung in das Kern-
6.3 Bildung, Beruf und Nahwanderungen
235
gebiet auswirkt. Ähnlich wie bei der ersten Bildungsaufnahme sinkt der Effekt mit den mittleren Geburtskohorten von 1950 bis 1960 und steigt mit den beiden jüngsten Geburtskohorten. Allerdings ist der Anstieg mit den jüngsten Geburtskohorten weniger stark ausgeprägt als bei der ersten Bildungsaufnahme (vgl. Kap. 6.2). Hypothese 7b ist zu verwerfen. Mit dem gesellschaftlichen Wandel und der Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstandes seit den 1960er Jahren geht eine Veränderung von Normen und Wertvorstellungen einher. Infolge dieser Veränderungen nimmt u.a. der Anteil der erwerbstätigen Frauen zu (vgl. Beck 1986, Hill/Kopp 1999, Liefbroer 1999, Nave-Herz 1999; vgl. Kap. 4.2.2). Da die Möglichkeiten einer Erwerbsaufnahme wie zuvor ausgeführt im Kerngebiet am größten sind, sollte daraus eine Zunahme der Wanderungen ins Kerngebiet von Frauen mit den jüngeren Geburtskohorten resultieren. H7c
Je jünger die Geburtskohorten sind, desto höher ist das Ereignisrisiko, dass Frauen aufgrund der ersten Erwerbsaufnahme in das Kerngebiet ziehen.
Unter Berücksichtigung der geringen Fallzahlen erhöht die erste Erwerbsaufnahme für die Frauen aller Geburtskohorten das Risiko einer Wanderung ins Kerngebiet (vgl. Tab. 31, Anhang). Es zeigt sich ein ähnlicher Verlauf wie bei der Betrachtung der gesamten Geburtskohorten. Während das Nahwanderungsrisiko in den ältesten Geburtskohorten vergleichsweise gering ist, steigt es mit den jüngeren Geburtskohorten stärker an: Gerade jüngere Frauen ziehen vermehrt zur ersten Erwerbsaufnahme in die Kerngebiete. Hypothese 7c wird deshalb nicht abgelehnt. Zusammenfassend kann für den Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen ein ähnliches Bild wie für die erste Bildungsaufnahme gezeichnet werden (Abb. 61; vgl. Abb. 59; Kap. 6.3.1): Der Einstieg in den Beruf stellt einen potenziellen Auslöser für eine Nahwanderung dar. Mit zunehmender Zeit seit diesem Ereignis verringert sich der Effekt der Erwerbsaufnahme auf die nahräumliche Mobilität. Wird zusätzlich die Richtung des Fortzuges betrachtet, so führt das Zusammenspiel mit den einbezogenen Kovariaten in die Stadtregion; vorwiegend aber in das Kerngebiet als primären Standort von Erwerbsstätten. Es wird deutlich, dass insbesondere der Bildungsgrad einen hohen Einfluss auf Wanderungen in die Stadtregion bzw. ins Kerngebiet hat: Je höher dieser ist, desto eher wird eine entsprechende Nahwanderung unternommen. Während ein hoher Bildungsgrad das Risiko einer Nahwanderung in die Kerngebiete steigert,
236
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
wirkt sich vor allem das Vorhandensein von Kindern zum Zeitpunkt der Erwerbsaufnahme mobilitätshemmend aus. Überdies ist für die jüngsten Geburtskohorten zu beobachten, dass das Risiko einer Nahwanderung im Rahmen der ersten Erwerbsaufnahme zunimmt. Aufgrund der geringen Fallzahlen in den einzelnen Geburtskohorten sind diese Erkenntnisse als erste Tendenzen zu interpretieren, die weiterer Untersuchungen bedürfen.
+ städtische Infrastruktur + (strukt. Maßnahm. i. Ruhrgeb.) + gesellschaftlicher Wandel (Bildungsexp., Autonomie u.a.)
4
(Bevölkerungs-) Reurbanisierung
1 Perspektive des Lebenslaufs – Erwerbskarriere Präferenz: erste Erwerbsaufnahme Restriktionen: - Kind (Ehepartner) - ältere Geburtskohorten
3
Wanderungsabwägung
2
Wanderung in das Kerngebiet
Erwerbs- / Haushalts- / Familien- / Wohnungskarriere 1
Logik d. Situation
2
Logik d. Selektion
3
Logik d. Aggregation
4
Kollektivhypothese
Abbildung 61: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Erwerbsbezug Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98, Mulder/Hooimeijer 1999: 164 Mit Bezug zur Makro-Ebene hat sich entgegen den Erwartungen gezeigt, dass insbesondere die Kerngebiete des Ruhrgebietes oftmals Zielgebiet von Nahwanderungen im Zuge der ersten Erwerbsaufnahme sind. Wie in Kapitel 6.3.1 kann ein Rückbezug zu den regionalpolitischen Eingriffen seit Ende der 1980er Jahre hergestellt werden (vgl. BBR 2000b, IBA 2008; vgl. Kap. 2.4). In der Summe der Einzelentscheidungen verstärkt sich durch die Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit die Bevölkerungsreurbanisierung, wenn auch geringer als im Zuge der ersten Bildungsaufnahme (vgl. Kap. 6.3.1).
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
237
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen Während im vorangegangenen Kapitel der Einfluss von bildungs- und berufsbezogenen Ereignissen auf nahräumliche Mobilität dargestellt worden ist, liegt der Fokus in diesem Kapitel auf familialen Ereignissen, welche der Haushalts- bzw. Familienkarriere89 zugeordnet werden: Der idealtypische Ablauf des Familienzyklus mit einer frühen Ehephase ohne, einer mittleren Ehephase mit Kindern und einer späten Ehephase, in welcher die Kinder das Haus verlassen haben, wird infolge des Wandels von Lebensläufen seit den 1960er Jahren meist mehrfach durchbrochen. Anstelle der Ehe können nichteheliche Lebensgemeinschaften stehen, Partnerschaften werden mehrfach geschlossen und aufgelöst und Ehen stellen für die Geburt von Kindern keine gesellschaftlichen Erfordernisse dar (Jagodzinski/Klein 1998, Hill/Kopp 1999, Dittrich-Wesbuer/Brzenczek 2008; vgl. Kap. 4.2.1). Um diesen Veränderungen zumindest in Ansätzen gerecht zu werden, werden sowohl der Zeitpunkt der ersten Heirat als auch der Beginn einer ersten nichtehelichen Lebensgemeinschaft als Ereignisse, die Nahwanderungen auslösen können, betrachtet (Kap. 6.4.1). Weitere familiale Ereignisse, deren Einfluss auf nahräumliche Mobilität bestimmt wird, sind die Geburt der ersten beiden Kinder sowie eine Trennung vom ersten (Ehe-)Partner (Kap. 6.4.2 und Kap. 6.4.3). Auf diese Ereignisse beziehen sich die mikrotheoretischen Hypothesen 8, 9 und 10, welche in diesem Kapitel getestet werden. Die einzelnen Untersuchungsschritte gliedern sich wie folgt: 1. 2. 3.
Zunächst wird dargestellt, inwiefern sich die genannten familialen Ereignisse auf Nahwanderungen in Nordrhein-Westfalen auswirken. Zudem werden der Einfluss der ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft sowie der bevorstehenden Geburten auf Wanderungen vom Kerngebiet in das Umland von Stadtregionen sowie aus der Stadtregion untersucht.90 Des Weiteren werden regionale Unterschiede für Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet und das Ruhrgebiet herausgearbeitet. Es wird zudem gemäß den
89 Da von ‚Familie‘ erst dann gesprochen werden kann, wenn der Haushalt zwei Generationen umfasst, wird bezogen auf die erste (nicht)eheliche Partnerschaft die ‚Haushaltskarriere‘ und erst mit der Geburt von Kindern die ‚Familienkarriere‘ betrachtet (vgl. Huinink 1995: 121). 90 Unter Wanderungen aus der Stadtregion werden Wanderungen von einer inneren in eine äußere Raumkategorie der Stadtregion verstanden (K = Kernstadt, EG = Ergänzungsgebiet, NU = näheres Umland, WU = weiteres Umland, L = Land): K ĺ EG, K ĺ NU, K ĺ WU, K ĺ L, EG ĺ NU, EG ĺ WU, EG ĺ L, NU ĺ WU, NU ĺ L, WU ĺ L Wanderungen ins Umland haben als Zielgebiet entweder das nähere oder weitere Umland. Das Kerngebiet ist das Herkunftsgebiet: K ĺ NU, K ĺ WU, EG ĺ NU, EG ĺ WU
238
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Hypothesen nachgegangen, inwiefern sich die erzielten Ergebnisse mit der Zugehörigkeit zu einer Geburtskohorte bzw. mit dem Geschlecht eines Akteurs verändern. Wie in Kapitel 6.3 wird für die nachstehenden Analysen ein nicht-proportionales Cox-Modell verwendet (vgl. Kap. 6.1.2.2). Es werden zudem dieselben Kovariaten einbezogen: Zu diesen gehören der Bildungsgrad der Befragten sowie der Familienstatus zum Zeitpunkt der familialen Veränderung (verheiratet / nicht verheiratet, Kinder vorhanden / Kinder nicht vorhanden). Darüber hinaus finden die Raumkategorie des Geburtsortes und geburtskohorten- und geschlechtsspezifische Unterschiede Beachtung. Die Wohnepisoden bzw. Rechtszensierungen, die in das Cox-Modell je nach Wanderungsrichtung aufgenommen werden, sind in Tabelle 29 des Anhangs dargestellt. Auch in diesem Kapitel wird aus Gründen einer besseren Lesbarkeit von Hazardrate und Risiko anstelle von logarithmierter Hazardrate bzw. logarithmiertem Risiko gesprochen. 6.4.1 Erste Heirat und Lebenspartnerschaft Es hat sich gezeigt, dass familienbezogene Ereignisse Nahwanderungen begünstigen. Der Zeitpunkt der Heirat bzw. das Eingehen einer nichtehelichen Partnerschaft werden deshalb als potenzieller Auslöser für eine Wanderungsabwägung angesehen (vgl. Mulder 1993, Frick 1996, LTS 2001; vgl. Kap. 4.2.1): In den Lebensverlaufsstudien sind Angaben zu nichtehelichen Lebenspartnerschaften ausschließlich für die beiden jüngsten Geburtskohorten erhoben worden. Der Anteil der ersten nichtehelichen Partnerschaft an allen Partnerschaften liegt für die Geburtskohorten von 1964 und 1971 bei 38% bzw. 61%. Der hohe Anteil an Lebenspartnerschaften in der Geburtskohorte von 1971 ist mit dem relativ jungen Lebensalter zum Interviewzeitpunkt zu begründen. Zudem nimmt mit dem Aufkommen der neuen Haushaltsformen seit den 1960er Jahren der Anteil der nichtehelichen Partnerschaften an allen Haushaltsformen zu (vgl. Kap. 4.2.2; vgl. Berger/Sopp 1992, Kuijsten 1999). Die Hälfte der Untersuchungspersonen ist mit 24,3 Jahren eine erste (nicht)eheliche Partnerschaft eingegangen (Abb. 62)91: Von der Geburtskohorte von 1920 bis zur Geburtskohorte von 1950 sinkt dieser Altersmedian, um mit den folgenden Geburtskohorten anzusteigen. Dies stimmt mit Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes (2008b) überein, nach denen sich das Heiratsalter mit den jüngeren Geburtskohorten seit Mitte des vorigen 91 Der Median des Alters zu Beginn der (nicht)ehelichen Partnerschaft ist in der Geburtskohorte von 1971 vergleichsweise gering. Dies ist wiederum darin begründet, dass die Befragten zum Interviewzeitpunkt nicht älter als 27 Jahre sind.
239
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
Heiratsalter in Jahren
Jahrhunderts stetig erhöht. Es ist sowohl im Bundesdurchschnitt als auch in den vorliegenden Daten zu beobachten, dass Frauen in allen Geburtskohorten durchschnittlich jünger sind als ihre Partner. 30
25,8
25
24,5
23,1
22,4
23,3
24,4
25,8
23,9
24,3
20 15 10 5 0 1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1921 1931 1941 1951 1956 1961 Frauen Männer gesamt
1971 gesamt
(Datenwerte gelten für die gesamte Geburtskohorte)
Abbildung 62: Median des Alters zu Beginn der ersten Partnerschaft – Geburtskohorten und Geschlecht Quelle:
Eigene Darstellung
Für die älteren Geburtskohorten ist aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzunehmen, dass ein Zusammenzug erst mit der Heirat erfolgt. Daher werden der Monat sowie das Jahr der Heirat in die Analysen einbezogen. Für die jüngeren Geburtskohorten kann angenommen werden, dass eine Kohabitation bereits vor der Eheschließung erfolgt: Deshalb wird für die Geburtskohorten von 1964 und 1971 berücksichtigt, inwiefern bereits der Zeitpunkt des Zusammenkommens mit einem ersten Partner nahräumliche Mobilität bedingt. Um in einem ersten Schritt zu untersuchen, inwiefern eine erste Heirat bzw. nichteheliche Lebensgemeinschaft eine Nahwanderung auslöst, werden alle 3.537 Wohnepisoden in Nordrhein-Westfalen in das nicht-proportionale CoxModell einbezogen. Insgesamt sind 1.432 Befragte eine erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft eingegangen (vgl. Tab. 29, Anhang): Eine erste (nicht)eheliche Partnerschaft erhöht mit Į = 2,01* die Nahwanderungsrate (Tab. 19). Mit fortschreitender Zeit zu diesem Ereignis verringert sich der Effekt mit Į = -1,77*: Je länger der Zeitpunkt der Heirat zurückliegt, desto weniger Einfluss übt er auf nahräumliche Mobilität aus.
240
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Tabelle 19: Einfluss der ersten Heirat bzw. Lebenspartnerschaft auf Nahwanderungen (1950 - 1999) Nahwanderungen Į erste (nicht)eheliche Partnerschaft o. Kov. Interaktionseffekt (Į‘) erste (nicht)eheliche Partnerschaft mit Kov. Interaktionseffekt (Į‘) Bildung Kinder zur ersten (nicht)ehel. Partnerschaft Geburtsort (Raumkategorie) 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood
ı ***
0,122
***
1,217
***
1,219
***
1,217
***
0,027
***
0,106
***
0,013
2,01 -1,77
2,47 -1,79
0,31 -0,34
0,07
207,84 6 -13.342,13
Anzahl der Beobachtungen
4.785
Anzahl der Nahwanderungen
1.770
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten (nicht)ehelichen Lebenspartnerschaft gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Wenn die Kovariaten in das Cox-Modell einbezogen werden, erhöht sich der Effekt mit Į = 2,47*** und ist zudem hochsignifikant. Es wird deutlich, dass der Wohnort mit einem höheren Bildungsgrad eher verlassen wird. Die nahräumliche Mobilität wird mit Į = -0,34*** stark gemindert, wenn Kinder zum Zeitpunkt der ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft vorhanden sind. Kinder wirken somit – wie bereits bei der ersten Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme – mobilitätshemmend (vgl. Tab. 13 und Tab. 16, Kap. 6.3). Des Weiteren wird untersucht, wie sich die erste (nicht)eheliche Partnerschaft auswirkt, wenn zusätzlich Herkunfts- sowie Zielgebiete der Nahwanderungen einbezogen werden. Eng mit diesem Ereignis verbunden ist die Präferenz, gemeinsam zu wohnen. Durch diese steigen wiederum Ansprüche an einen vergrößerten Wohnraum. Da Miet- und Bodenpreise im suburbanen im Vergleich zum urbanen Raum günstiger sind, kann der Wunsch nach mehr Wohnraum dort eher verwirklicht werden (vgl. Kap. 4.2.1; vgl. Boustedt 1975a, Kühn
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
241
1998, Wagner/Mulder 2000, Aring/Herfert 2001, Dittrich-Wesbuer/Brzenczek 2008). Dieser Kostenvorteil überwiegt vor allem dann, wenn der bisherige Wohnort im Kerngebiet einer Stadtregion liegt. Daher wird das Herkunftsgebiet auf die Raumkategorien Kernstadt sowie Ergänzungsgebiet eingegrenzt: Wohnen die Befragten im Kerngebiet einer Stadtregion, so sollte zu beobachten sein, dass sich mit der ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft das Risiko einer Nahwanderung ins Umland einer Stadtregion erhöht (vgl. Kap. 4.3; vgl. Häußermann/Siebel 1987, Strohmeier 1989, Aring 1999a, LTS 2001). H8
Wenn eine erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft geschlossen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet in das Umland zu ziehen, zu.
Das Argument für eine Wanderung in das Umland einer Stadtregion bezieht sich auf das Preisgefälle von Miet- und Bodenpreisen. Diese Argumentation fortsetzend wird zudem betrachtet, ob das relative Verhältnis von Miet- und Bodenpreisen – ausgehend von einem aus der Kernstadt ausgerichteten Preisgefälle – für die Wanderungsrichtung bestimmend ist: Es werden daher neben Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland ebenfalls Wanderungen aus der Stadtregion untersucht. Unter diesen werden Wanderungen von Standorten in der Stadtregion in äußere Regionen der Stadtregion verstanden. Zunächst werden Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland betrachtet (Tab. 20). Es werden dabei 1.380 Wohnepisoden einbezogen; 1.031 Personen befinden sich in einer (nicht)ehelichen Partnerschaft. Die Anzahl der Wohnepisoden erhöht sich auf 1.860, wenn Wanderungen aus der Stadtregion fokussiert werden. In diesem Fall sind 1.168 Personen in einer (nicht)ehelichen Partnerschaft (vgl. Tab. 29, Anhang). Wenn ausschließlich Wanderungen aus dem Kerngebiet ins Umland betrachtet werden, dann ist die Fallzahl zu gering, um aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen. Es wird deshalb ein proportionales Cox-Modell gerechnet (vgl. Gleichung 6.12, Kap. 6.1.2.2): Ohne Einbezug der Kovariaten erhöht sich die Nahwanderungsrate mit Į = 1,12 (mit Kovariaten: Į = 1,17) (Tab. 20). Es zeigt sich somit, dass mit einer ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland zunimmt. Allerdings sind die erzielten Ergebnisse nicht signifikant. – Da die fehlende Signifikanz auf die geringen Fallzahlen zurückgeführt werden kann, ist Hypothese 8 nur unzureichend geklärt und bedarf weiterer Untersuchungen.
242
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Tabelle 20: Einfluss der ersten Heirat bzw. NEL auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland / aus der Stadtregion (1950 - 1999) Nahwanderungen vom Kerngebiet ins Umland Į erste (N)EL ohne Kovariaten
1,12
Interaktionseffekt (Į‘) erste (N)EL mit Kovariaten
1,17
-0,399
-***
1,70
Į
0,208
-***
Interaktionseffekt (Į‘) Bildung
ı
***
-0,165
***
0,326
Geburtsort (Raumkategorie) 1,63***
0,081
Kinder zur ersten (N)EL 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood Anzahl der Beobachtungen Anzahl der Nahwanderungen
0,92
aus der Stadtregion ı
1,31
***
0,913
-1,42
***
0,919
1,54
***
0,925
-1,33
***
0,919
0,43
***
0,055
-0,43
***
0,200
0,30***
0,030
***
184,15***
4
5
-896,85
-3.035,94
2.043
2.629
142
443
123,04
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale bzw. nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Werden hingegen Wanderungen aus der Stadtregion betrachtet (Tab. 20), dann zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Tabelle 19, die Effekte sind im Gegensatz zu jenen der gesamten Nahwanderungen jedoch geringer: Die erste (nicht)eheliche Lebenspartnerschaft erhöht das Risiko nahräumlicher Mobilität mit Į = 1,31* (mit Kovariaten: Į = -1,54*). Mit zeitlichem Abstand zu diesem Ereignis nimmt der Effekt auf Nahwanderungen aus der Stadtregion mit Į = -1,42* ab (mit Kovariaten: Į = -1,33*). Es ist erneut zu erkennen, dass mit einem höheren Bildungsgrad die nahräumliche Mobilitätsrate steigt. An dieser Stelle wirkt sich der höhere Bildungsgrad erstmals positiv auf Wanderungen aus der Stadtregion aus. In Kapitel 6.3 ist geschlussfolgert worden, dass sich Ausbildungs- und Berufsstätten von höher
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
243
Gebildeten vorrangig in den Kerngebieten von Stadtregionen befinden, weshalb diese im Zuge einer Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme bevorzugt aufgesucht werden (vgl. Kap. 4.2.1; vgl. Gatzweiler 1982: 27, Birg et al. 1993: 12). Im Zusammenhang mit der ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft ist anzunehmen, dass diese oftmals mit dem Erwerb von Eigentum im Umland einhergeht. Bedeutet ein höherer Bildungsabschluss ein höheres Einkommen, so wird Personen mit einem höheren Bildungsgrad der Erwerb von Wohneigentum eher ermöglicht (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: 2006). Das Vorhandensein von Kindern zum Zeitpunkt der ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft mindert dagegen das Risiko einer Wanderung aus der Stadtregion: Es ist davon auszugehen, dass ein entsprechender Umzug vielfach vor der Geburt von Kindern stattgefunden hat und somit bereits erfolgt ist (vgl. Kap. 6.4.2). Darüber hinaus hat die Raumkategorie des Geburtsortes mit Į = 0,30*** bzw. mit Į = 1,63*** einen entscheidenden Einfluss auf das Risiko einer Wanderung aus der Stadtregion bzw. ins Umland: Je weiter der Geburtsort von der Kernstadt entfernt liegt, desto eher wird aus der Stadtregion gezogen. Das spricht dafür, dass in eine Gemeinde gezogen wird, welche der Herkunftsgemeinde gleicht (vgl. Nilsson 2003, Feijten et al. 2008). Aufgrund der strukturellen Unterschiede wird Nordrhein-Westfalen für die folgende Auswertung aufgeteilt in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet sowie das Ruhrgebiet (vgl. Kap. 6.3.1 und Kap. 6.3.2): Durch die Deindustrialisierung seit Mitte des vorigen Jahrhunderts erscheinen die städtischen Gebiete des Ruhrgebietes als Wohnstandort weniger attraktiv als die urbanen Verdichtungen im verbleibenden Nordrhein-Westfalen (Wenning 1996, Ziesemer 2004, Mayr/Temlitz 2006; Kap. 2.4). Gemäß Hypothese 8a wird davon ausgegangen, dass eine erste (nicht)eheliche Partnerschaft für die Befragten im Ruhrgebiet eher zu einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland führt als für die Befragten außerhalb des Ruhrgebietes. H8a
Wenn eine Heirat bzw. Lebenspartnerschaft geschlossen wird, dann ist das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu wandern, im Ruhrgebiet höher als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet.
Aufgrund dessen, dass die nahräumliche Mobilität ausschließlich innerhalb der beiden Teilregionen betrachtet wird, sind in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet lediglich 76 und im Ruhrgebiet 46 Fortzüge vom Kerngebiet ins Umland zu beobachten. Die Ergebnisse sind nur eingeschränkt aussagekräftig, es fehlt ihnen an Signifikanz (vgl. Tab. 32, Anhang). Sowohl für Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet als auch für das Ruhrgebiet ist die Tendenz einer Wanderung vom
244
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Kerngebiet ins Umland mit einer (nicht)ehelichen Partnerschaft zu beobachten. Diese ist in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet geringfügig höher ausgeprägt als für das Ruhrgebiet. Es zeigt sich in Fortsetzung der Ergebnisse aus Kapitel 6.3, dass die Kerngebiete des Ruhrgebietes im Vergleich zu ihrem Umland attraktiv erscheinen. Hypothese 8a ist somit vorerst abzulehnen. Ihr sollte über die Analysen dieser Arbeit hinaus jedoch weiter nachgegangen werden. Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland im Zuge einer ersten Heirat verstärken den Prozess der Bevölkerungssuburbanisierung, der während des Untersuchungszeitraums überwiegend zu beobachten ist (vgl. Mackensen et al. 1975, Wenning 1996, Aring 1999a, Brake et al. 2001b; vgl. Kap. 2.3). Die mit diesen Wanderungen verbundenen Wanderungsmotive – mehr Wohnraum in Gebieten mit geringeren Miet- und Bodenpreisen sowie der Wunsch nach suburbanem Wohnen im Hinblick auf oftmals anstehende Familienplanungen – sollten sich nicht ändern (vgl. Kap. 4.2.1). Deshalb wird angenommen, dass das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland mit der ersten Heirat bzw. Lebenspartnerschaft nicht von der Zugehörigkeit zu einer Geburtskohorte abhängt. H8b
Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland aufgrund der ersten Heirat bzw. Lebenspartnerschaft zu ziehen, nicht.
Um die Aussagekraft zu erhöhen, werden die Geburtskohorten vor dem Untersuchungszeitraum (Geburtskohorten 1920 bis 1940), die Geburtskohorten unmittelbar zu Beginn des Untersuchungszeitraums (Geburtskohorten 1950 bis 1960) sowie die beiden jüngsten Geburtskohorten (Geburtskohorten 1964 und 1971) zusammengefasst und ein proportionales Cox-Modell berechnet (vgl. Kap. 6.3.1 und Kap. 6.3.2; vgl. Gleichung 6.12, Kap. 6.1.2.2). Die Ergebnisse sind in Tabelle 33 des Anhangs dargestellt: Es zeigt sich, dass die Wanderungsrate vom Kerngebiet ins Umland mit den jüngeren Geburtskohorten abnimmt. Dies kann in Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wandel gebracht werden: Traditionelle Werte nehmen ab, zugleich können die Bedürfnisse der neuen Haushaltstypen am ehesten in den Kerngebieten erfüllt werden (vgl. Droth/Dangschat 1985, Neubauer 1988, Bertels 1990, Krämer 1992; vgl. Kap. 4.2.2). Aufgrund der geringen Fallzahlen stellt diese Abnahme lediglich eine Tendenz dar. Hypothese 8b bedarf daher weiterer Analysen. Zusammenfassend können folgende Aussagen getroffen werden (Abb. 63): Eine erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft wirkt sich zunächst positiv auf nahräumliche Mobilität aus. Mit zeitlichem Abstand zu diesem Ereignis nimmt dieser Effekt ab. Es zeigt sich, dass insbesondere das Vorhandensein von Kindern
245
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
zu Beginn der Heirat bzw. Lebenspartnerschaft nahräumliche Mobilität einschränkt und somit als Restriktion wirkt. Es ist davon auszugehen, dass ein Umzug bereits im Rahmen der bevorstehenden Geburten unternommen worden ist. Dem wird im folgenden Kapitel 6.4.2 näher nachgegangen.
+ suburbane Wohnumgebung + Miet- und Bodenpreisgefälle + gesellschaftlicher Wandel (Bildungsexp., Autonomie u.a.)
4
(Bevölkerungs-) Suburbanisierung
1 Perspektive des Lebenslaufs – Haushaltskarriere Präferenz: erste Heirat / Lebenspartn. Restriktionen: - Kinder - (jüngere Geburtskohorten)
Wanderungsabwägung
3
2
Wanderung in das Umland (aus Stadtreg.)
Erwerbs- / Haushalts- / Familien- / Wohnungskarriere
1
Logik d. Situation
2
Logik d. Selektion
3
Logik d. Aggregation
4
Kollektivhypothese
Abbildung 63: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Partnerschaftsbezug Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98, Mulder/Hooimeijer 1999: 164 Werden Wanderungen von den inneren in die äußeren Raumkategorien einer Stadtregion fokussiert, dann ergibt sich ein ähnliches Bild: Die erste (nicht)eheliche Partnerschaft erhöht das Risiko einer Wanderung, welches sich mit zeitlichem Abstand zu diesem Ereignis verringert. Für Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland können aufgrund der geringen Fallzahlen nur Tendenzen ausgeführt werden: Das Eingehen einer ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft erhöht die Wanderungsrate, es fehlt ihr jedoch an Signifikanz. Die Fallzahlen sind ebenfalls sehr gering, wenn Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland getrennt für das Ruhrgebiet sowie Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet betrachtet werden. Unter diesem Vorbehalt wirkt sich eine erste (nicht)eheliche Partnerschaft positiv, jedoch nicht signifikant aus. Im Ruhrgebiet ist diese Tendenz weniger stark ausgeprägt. Dies spricht für die Attraktivität der Kerngebiete im Vergleich zum suburbanen Umland.
246
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Abschließend sind die jeweiligen Risiken einer Nahwanderung vom Kerngebiet ins Umland für die einzelnen Geburtskohorten in Erfahrung gebracht worden. Es ist festzustellen, dass das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland im Zuge der ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft mit den jüngeren Geburtskohorten abnimmt. Für jüngere Geburtskohorten scheint somit das Umland als Wohnstandort im Zuge einer potenziellen Familiengründungsphase an Attraktivität zu verlieren (vgl. Kap. 4.2.2). Aufgrund der geringen Fallzahlen ist auch hier nur von einer Tendenz zu auszugehen. In der Summe der Einzelentscheidungen wird der Prozess der Bevölkerungssuburbanisierung durch eine (nicht)eheliche Lebenspartnerschaft im geringen Maße verstärkt. 6.4.2 Bevorstehende Geburten Die Geburt eines Kindes stellt nach der Perspektive des Lebenslaufs einen Auslöser für eine Wanderungsabwägung dar (vgl. Kap. 4.2.2; vgl. Mulder 1996, Willekens 1999): In den Lebensverlaufsstudien werden die jeweiligen Geburtszeitpunkte aller Kinder eines Befragten festgehalten. Insgesamt haben 61 % der Untersuchungspersonen mindestens ein Kind. Bis einschließlich des 25. Lebensjahres haben 32,3% der Befragten ein Kind und weitere 10,7% zwei Kinder (Abb. 64). Diese Anteile nehmen mit den jüngeren Geburtskohorten ab: Sind es in der Geburtskohorte von 1940 noch 56,6% der Befragten, welche mindestens ein Kind haben, so sinkt dieser Anteil bis zur jüngsten Geburtskohorte von 1971 auf 12,7%. Ein ähnlicher Verlauf zeichnet sich ab, wenn der Anteil der Personen mit einem zweiten Kind bis zum 25. Lebensjahr fokussiert wird. Die Hälfte der Untersuchungspersonen ist bei der Geburt des ersten Kindes 25,6 Jahre alt, bei der Geburt des zweiten Kindes 28,4 Jahre (Abb. 80, Anhang). Dieser Rückgang an Kindern in frühen Lebensphasen ist ein Kennzeichen des demografischen Wandels (vgl. Grüber-Töpfer et al. 2008, vgl. Kap. 2.2). Werden die Verwandtschaftsverhältnisse der befragten Personen zu ihrem Kind92 erfasst, dann handelt es sich vorwiegend um das leibliche Kind. In 30 Fällen ist es das Kind des Partners. Jeweils einmal wird angegeben, dass es sich um ein adoptiertes bzw. ein Pflegekind handelt. Für die Geburtskohorten von 1964 und 1971 ist der Wohnort der Kinder zum Interviewzeitpunkt erhoben worden. Dabei zeigt sich, dass die Kinder größtenteils bei Ihren Eltern wohnen.93 92 Das Verwandtschaftsverhältnis ist nicht für die Geburtskohorten von 1955 und 1960 erhoben worden. 93 Von den erhobenen Fällen für das erste Kind wohnen 14 nicht zu Hause, bei dem zweiten Kind sind es vier. Einmal ist die Antwort nicht gegeben worden.
247
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
Anteil der Personen mit Kindern bis zum 25. Lebensjahr
60,0
56,6 47,4
50,0 40,0
41,3
40,0
34,8
32,2
27,7
30,0 19,2 20,0 11,1
22,6
21,0 13,9
11,3
9,8
10,0
12,7 5,2
10,7
3,4
0,0 1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1971 gesamt 1921 1931 1941 1951 1956 1961 1. Kind 2. Kind
Abbildung 64: Anteil der Kinder – Geburtskohorten Quelle: Eigene Darstellung In einem ersten Schritt wird dargestellt, inwiefern sich eine bevorstehende Geburt auf Nahwanderungen auswirkt (Tab. 21). Es wird nicht der Monat der Geburt in die Analysen einbezogen, sondern eine Zeit von vier Monaten vor der Geburt: Zum einen sollte zu diesem Zeitpunkt die Schwangerschaft bekannt sein. Da ein Kind die Lebenssituation grundsätzlich verändert, ist zum anderen anzunehmen, dass ein Umzug nicht zum tatsächlichen Zeitpunkt der Geburt bzw. kurz darauf erfolgt. Es werden alle 3.537 Wohnepisoden in Nordrhein-Westfalen betrachtet. 1.148 Befragte haben ein Kind, weitere 709 Befragte zwei Kinder (vgl. Tab. 29, Anhang). Sowohl mit der bevorstehenden ersten als auch mit der bevorstehenden zweiten Geburt erhöht sich das Risiko einer Nahwanderung mit Į = 0,46* bzw. Į = 1,21* signifikant. Mit zeitlichem Abstand zu diesen Zeitpunkten nehmen diese Effekte ebenfalls signifikant ab. Dies bedeutet, dass seltener zum Zeitpunkt der Geburt sowie der ersten Zeit mit dem Kind gewandert wird. Unter Kontrolle der Kovariaten erhöhen sich diese Effekte leicht. Insbesondere ein höherer Bildungsgrad hat einen positiven Einfluss auf Nahwanderungen (vgl. Tab. 19, Kap. 6.4.1). Darüber hinaus hat die Raumkategorie des Geburtsortes einen signifikanten, wenn auch geringen Effekt. Nahräumliche Wanderungen werden im Zuge der bevorstehenden Geburten eher unternommen, je weiter der Geburtsort von der Kernstadt entfernt liegt. Der Einfluss des Geburtsortes auf das Risiko einer Nahwanderung wird im Zusammenhang mit Hypothese 9 näher ausgeführt.
248
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Tabelle 21: Einfluss der ersten beiden Geburten auf Nahwanderungen (1950 – 1999) Nahwanderungen Į erste Geburt ohne Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) erste Geburt mit Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) Bildung Familienstatus zur ersten Geburt Geburtsort (Raumkategorie) zweite Geburt ohne Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) zweite Geburt mit Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) Bildung Familienstatus zur zweiten Geburt Geburtsort (Raumkategorie)
ı
***
0,327
***
0,333
***
0,387
-0,70
***
0,332
0,26
***
0,026
-0,16
***
0,226
0,07
***
0,013
1,21
***
0,690
***
0,696
***
0,845
***
0,696
0,26***
0,026
***
0,508
***
0,013
0,46 -0,70
0,76
-1,74
1,25 -1,74
0,07 0,07
1. Geburt 1
2. Geburt
***
172,21***
5
5
-13.370,13
-13.359,95
Anzahl der Beobachtungen
4.539
4.195
Anzahl der Nahwanderungen
1.770
1.770
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood
151,84
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der bevorstehenden ersten bzw. zweiten Geburt gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
In einem folgenden Schritt wird untersucht, welche Wanderungsrichtung bei der bevorstehenden Geburt von Kindern präferiert wird: Der Argumentation von
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
249
Kapitel 6.4.1 folgend wird angenommen, dass durch die Geburt von Kindern, mit welcher die Anzahl an Haushaltsmitgliedern zunimmt, mehr Wohnraum erforderlich wird. Zudem beeinflusst oftmals der Wunsch nach einer weniger urbanen Gegend, in der das Kind aufwachsen kann, den Prozess der Wanderungsabwägung wesentlich. Aufgrund des Preisgefälles von Miet- und Bodenpreisen – ausgehend vom urbanen Raum – bieten suburbane Gebiete günstigen Wohnraum (vgl. Lee 1972, Häußermann/Siebel 1987, Strohmeier 1989, Kühn 1998, Aring/Herfert 2001, LTS 2001, Heineberg 2006, Adam et al. 2007, BBR 2007; vgl. Kap. 2.3 und Kap. 4.2.1). Es wird daher gemäß Hypothese 9 angenommen, dass Personen, die im städtischen Kern wohnen, vor der Geburt eines Kindes in das urbane Umland ziehen. H9
Wenn die erste Geburt bevorsteht, dann nimmt das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet in das Umland zu ziehen, zu.
Sind Personen mit der ersten Geburt eines Kindes nicht ins Umland gezogen, ist anzunehmen, dass der Wohnraum entsprechend groß ist oder persönliche Bindungen zum Wohnort bestehen (vgl. Kap. 6.3.2; vgl. Frick 1996). Die bevorstehende erste Geburt sollte demnach das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland stärker erhöhen als die bevorstehende zweite Geburt (vgl. Kap. 4.2.2). H9a
Wenn die zweite Geburt bevorsteht, dann erhöht sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, nicht in demselben Maß wie bei der ersten Geburt..
Weiter vom Stadtkern entfernte Raumkategorien weisen im Vergleich zu näher am Stadtkern gelegenen Raumkategorien Miet- und Bodenpreisvorteile auf (Boustedt 1975b, Heineberg 2006). Um zu untersuchen, inwiefern diese relativen Wohnstandortvorteile nahräumliche Mobilität im Zuge der bevorstehenden Geburten der ersten beiden Kinder beeinflussen, werden Wanderungen aus der Stadtregion ebenfalls in das Cox-Modell einbezogen (vgl. Kap. 6.4.1). Werden ausschließlich Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland fokussiert, so gibt es 1.380 Wohnepisoden, in denen 820 Befragte ein Kind und weitere 515 Befragte zwei Kinder haben. Da die Fallzahl an Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland sehr gering ist, wird wie in Kapitel 6.4.1 ein proportionales Cox-Modell gerechnet (Tab. 22). Werden dagegen Wanderungen aus der Stadtregion betrachtet, dann liegen 1.860 Wohnepisoden vor; 923 Befragte haben ein Kind, 566 Befragte zwei Kinder (vgl. Tab. 29, Anhang).
250
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Tabelle 22: Einfluss der ersten beiden Geburten auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland / aus der Stadtregion (1950 - 1999) Nahwanderungen vom Kerngebiet ins Umland Į erste Geburt ohne Kovariaten erste Geburt mit Kovariaten Bildung Fam.Status z. ersten Geburt
ı
***
0,70
***
1,95
***
1,59
***
0,33
***
Geburtsort (Raumkategorie) 1,66
***
zweite Geburt ohne Kovariaten 0,56
1. 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood Anzahl der Beobachtungen Anzahl der Nahwanderungen
aus der Stadtregion Į
0,150 0,998 0,152 0,177 0,083 0,163 Geburt 128,46***
ı
0,62
***
0,079
0,97
***
0,300
1,50
***
0,081
0,61
***
0,199
1,26
***
0,041
0,53
***
0,092 Geburt 192,47***
2.
4
5
-894,14
-3.031,78
1.380
1.860
142
443
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten bzw. zweiten Geburt gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Zunächst wird der Effekt der bevorstehenden Geburten auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland betrachtet: Sowohl mit der ersten als auch mit der zweiten Geburt nimmt das Risiko einer Wanderung mit Į = 0,70* bzw. Į = 0,56** zu (Tab. 22). Das Risiko einer Wanderung ist somit für die erste Geburt größer als für die bevorstehende zweite Geburt. Werden alle Nahwanderungen einbezogen, hat sich hingegen gezeigt, dass das Risiko, mit einer zweiten Geburt nahzuwandern, im Vergleich zur bevorstehenden ersten Geburt nahezu doppelt so hoch ist (vgl. Tab. 21): Aufgrund des hohen Anteils an Umzügen, der sich auf das Kerngebiet bezieht (vgl. Tab. 27, Anhang), kann vermutet werden, dass Personen, die als Wohnort das Kerngebiet präferieren, ausreichend Wohnraum für ein Kind haben. Mit einem zweiten Kind ist dieser Wohnraum jedoch zu begrenzt, so dass ein Fortzug (innerhalb des Kerngebietes) erfolgt.
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
251
Werden die Kovariaten einbezogen, dann kann mit Bezug auf die geringen Fallzahlen keine Aussage über den Einfluss der bevorstehenden zweiten Geburt auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland getroffen werden. Für die bevorstehende erste Geburt zeigt sich, dass durch einen höheren Bildungsgrad der Befragten das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland steigt (vgl. Tab. 21). Zudem wird deutlich, dass dieses Risiko zunimmt, wenn die Befragten zum Zeitpunkt der bevorstehenden Geburt verheiratet sind. Sind Personen zu diesem Zeitpunkt verheiratet, ist anzunehmen, dass für sie traditionelle Werte bedeutsamer sind als Personen, die nicht verheiratet sind. Infolge ist davon auszugehen, dass ebenso der Wunsch nach dem Erwerb von Wohneigentum im suburbanen Raum stärker ausgeprägt ist, das Risiko, ins Umland zu wandern, sich demnach erhöht (vgl. Kap. 4.2.2; vgl. Bertels 1990, Krämer 1992). Die Raumkategorie des Geburtsortes hat mit Į = 1,66*** den größten Einfluss auf das Risiko von Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland: Je ländlicher der Geburtsort ist, desto eher wird ins Umland gezogen. Demnach zieht es Befragte, welche im suburbanen Raum aufgewachsen sind, mit der Geburt ihres Kindes wieder dorthin zurück (vgl. Feitjen et al. 2008). Liegt der Fokus auf Wanderungen aus der Stadtregion, dann gleichen sich die Ergebnisse (Tab. 22): Die bevorstehenden ersten beiden Geburten erhöhen das Risiko einer Wanderung aus der Stadtregion; die bevorstehende erste stärker als die bevorstehende zweite Geburt. Die Effekte sind mit Į = 0,62*** bzw. mit Į = 0,53*** jedoch geringer. Es wird somit eher vom Kerngebiet ins Umland von Stadtregionen als aus der Stadtregion gewandert. Da eine bevorstehende erste Geburt – stärker als eine bevorstehende zweite Geburt – das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland erhöht, sind Hypothese 9 und Hypothese 9a nicht zu verwerfen. In einem weiteren Schritt wird der Frage nachgegangen, ob sich regionale Unterschiede zeigen, wenn der Einfluss der ersten Geburt auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland untersucht wird: Aufgrund der industriellen Vergangenheit des Ruhrgebietes werden Kernstädte weniger als Wohnstandorte favorisiert. Dies gilt insbesondere für Familien mit Kindern (vgl. Wenning 1996, Strohmeier 2003, Mielke 2003, Ziesemer 2004, Mayr/Temlitz 2006; vgl. Kap. 2.4). Das Risiko, vor einer ersten Geburt vom Kerngebiet ins Umland von Stadtregionen zu ziehen, sollte demnach innerhalb des Ruhrgebietes höher als außerhalb sein. H9b
Wenn die erste Geburt bevorsteht, dann ist das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu wandern, im Ruhrgebiet höher als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet.
252
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Es werden ausschließlich Nahwanderungen einbezogen, deren Herkunfts- und Zielwohnorte entweder beide innerhalb oder außerhalb des Ruhrgebietes liegen. Aufgrund der geringen Fallzahlen wird ein proportionales Cox-Modell berechnet: Tabelle 34 des Anhangs ist zu entnehmen, dass die bevorstehende erste Geburt in beiden Teilräumen das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland erhöht. Dieses Risiko ist in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet tendenziell höher. Das Umland im Ruhrgebiet ist in der Familiengründungsphase als Wohnort somit weniger attraktiv als es das Umland im verbleibenden Nordrhein-Westfalen ist. Hypothese 9b ist daher abzulehnen. Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland im Zuge der Familiengründungsphase tragen zu dem Prozess der Bevölkerungssuburbanisierung bei. Dieser Prozess prägt das Wanderungsgeschehen im Untersuchungszeitraum (vgl. Mackensen et al. 1975, Wenning 1996, Aring 1999a, Brake et al. 2001b; vgl. Kap. 2.3). Deshalb sollten sich keine Unterschiede für die einzelnen Geburtskohorten zeigen, wenn das Risiko mit der bevorstehenden ersten Geburt, vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, betrachtet wird (vgl. Kap. 4.2.2). H9c
Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland aufgrund der ersten Geburt zu ziehen, nicht.
Wie in Kapitel 6.4.1 werden die Geburtskohorten vor dem Untersuchungszeitraum (Geburtskohorten 1920 bis 1940), die Geburtskohorten unmittelbar zu Beginn des Untersuchungszeitraums (Geburtskohorten 1950 bis 1960) sowie die beiden jüngsten Geburtskohorten (Geburtskohorten 1964 und 1971) zusammengefasst und ein proportionales Cox-Modell berechnet (vgl. Gleichung 6.12, Kap. 6.1.2.2). Dadurch werden die Fallzahlen und die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht. Das größte Risiko, aufgrund der bevorstehenden ersten Geburt vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, hat die älteste Geburtskohorte. Mit den folgenden Geburtskohorten verringert sich dieses Risiko massiv. Ähnlich wie für das abnehmende Risiko, infolge einer ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft ins Umland zu ziehen, kann diese Veränderung auf den gesellschaftlichen Wandel und die damit einhergehende Abnahme traditioneller Werte zurückgeführt werden: Das Wohnen im suburbanen Raum verliert in diesem Zusammenhang seinen ideellen Wert (vgl. Droth/Dangschat 1985, Neubauer 1988, Bertels 1990, Krämer 1992; vgl. Kap. 4.2.2). Da die Fallzahlen gering sind, stellt dieses Ergebnis lediglich eine erste Tendenz dar, aufgrund derer Hypothese 9c abzulehnen ist.
253
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden (Abb. 65): Im Rahmen der Familienkarriere stellen sowohl die bevorstehende erste als auch die zweite Geburt Auslöser für eine Nahwanderung dar. Das Risiko, vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, übersteigt jenes der Wanderungen aus der Stadtregion. Es wird davon ausgegangen, dass sich das Miet- und Bodenpreisgefälle als makrotheoretischer Faktor günstig auf diese Wanderungen auswirkt. Darüber hinaus konnte belegt werden, dass das Risiko, mit der bevorstehenden ersten Geburt vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, größer als bei der bevorstehenden zweiten Geburt ist. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass mit dem ersten Kind bereits ausreichend Wohnraum für weitere Kinder eingeplant worden ist.
+ suburbane Wohnumgebung + Miet- und Bodenpreisgefälle + gesellschaftlicher Wandel (Bildungsexp., Autonomie u.a.)
4
(Bevölkerungs-) Suburbanisierung
1 Perspektive des Lebenslaufs – Familienkarriere Präferenz: bevorstehende erste (und zweite) Geburt Restriktionen: - (jüngere Geburtskohorten)
3
Wanderungsabwägung
2
Wanderung vom Kerngebiet ins Umland bzw. aus Stadtregion
Erwerbs- / Haushalts- / Familien- / Wohnungskarriere
1
Logik d. Situation
2
Logik d. Selektion
3
Logik d. Aggregation
4
Kollektivhypothese
Abbildung 65: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Geburtsbezug Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98, Mulder/Hooimeijer 1999: 164 Das Risiko, ins Umland zu ziehen, erhöht sich mit einem höheren Bildungsabschluss. Es ist vermutet worden, dass dieser mit einem höheren Einkommen und größeren Möglichkeiten, Wohneigentum im suburbanen Raum zu bilden, einhergeht. Das Risiko erhöht sich ebenfalls, wenn die Akteure verheiratet sind und der Geburtsort eher einer ländlicheren Gemeinde zuzuordnen ist. Dies ist zum einen mit stärker vertretenen traditionellen Werten und zum anderen mit einer Bindung zur Heimatgemeinde in Zusammenhang gesetzt worden.
254
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Es zeigt sich die Tendenz, dass in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet eher ins Umland gewandert wird, während die Kerngebiete des Ruhrgebietes als Wohnstandort attraktiver als ihr Umland sind (vgl. Kap. 6.4.1). Aufgrund der geringen Fallzahlen können für die Unterschiede zwischen den Geburtskohorten ebenfalls ausschließlich Tendenzen aufgewiesen werden: Vermutlich infolge des gesellschaftlichen Wandels sinkt das Risiko, mit der bevorstehenden ersten Geburt vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, mit den jüngsten Geburtskohorten. Werden die Einzelentscheidungen aggregiert, dann tragen sie auf der Makro-Ebene zu dem Prozess der Bevölkerungssuburbanisierung bei. 6.4.3 Erste Trennung Die klassischen Phasen des Lebenszyklus, an deren Ende die Kinder ihr Elternhaus verlassen und die Altersphase der Ehepartner beginnt (vgl. Lee 1972, Friedrichs 1977, Rossi 1980, LTS 2001; vgl. Kap. 4.2.1) beinhalten keine Phase der Trennung der Ehepartner. Dennoch nimmt die Anzahl der Scheidungen seit Mitte des letzten Jahrhunderts nahezu stetig zu: Im Jahr 1955 beträgt die Anzahl der Scheidungen pro 1.000 Personen im alten Bundesgebiet 0,994, in der gesamten Bundesrepublik sind es im Jahr 2008 2,3 Scheidungen pro 1.000 Personen (Statistisches Bundesamt 2010a und 2010b). Diese Entwicklung ist Teil des gesellschaftlichen Wandels, von dem die Bevölkerung in Deutschland seit den 1960er Jahren betroffen ist (vgl. Kap. 4.2.2). Neben einer bewusst gewählten Trennung kann diese durch den Tod eines (Ehe-)Partners eintreten. Im Folgenden wird eine Trennung sowohl aus gewählten (Scheidung) als auch aus erzwungenen Gründen (Verwitwung) betrachtet. Die Trennung bezieht sich auf den ersten Ehepartner bzw. für die Geburtskohorten 1964 und 1971 zusätzlich auf den ersten nichtehelichen Lebenspartner. Demnach werden in Fortsetzung zu Kapitel 6.4.1 diejenigen Befragten betrachtet, auf deren erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft eine Trennung erfolgt.95 Abbildung 66 ist zu entnehmen, dass zum Interviewzeitpunkt zwei Drittel der Befragten sich in ihrer ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft befinden. Der Anteil der Verwitwung ist vor allem in den älteren Geburtskohorten aufgrund des höheren Lebensalters groß. Mit den jüngeren Geburtskohorten, welche zunehmend dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen, steigt der Anteil der ge94 In West- und Ostdeutschland zusammen: 1,0 Scheidungen pro 1.000 Personen. 95 Für alle Geburtskohorten sind der Monat sowie das Jahr der ersten Trennung aufgenommen worden. In den Lebensverlaufsstudien LV1 und LV2 sind zusätzlich die Monate der Trennung vor einer Scheidung erhoben worden. Damit die Ergebnisse vergleichbar sind, werden diese Angaben nicht berücksichtigt.
255
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
trennt Lebenden bzw. Scheidungen (vgl. Grüber-Töpfer et al. 2008, Statistisches Bundesamt 2010a und 2010b; vgl. Kap. 2.2).
100 90
0,4 9,76
1,9 5,6 4,9
0,6 7,1 1,9
1,6 9,6 1,1
80 70
2,2 14,2 1,8
2,5 10,2
20,4 48
33,7
68,5
60 50
87,7
40 30
56,1
20
90,4
87,8
81,4
87,3
7,6 5,7
5,8 0,4
66,3
46,2 30,3
10 0
1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1971 gesamt 1921 1931 1941 1951 1956 1961 getrennt lebend Ehe geschieden
Abbildung 66: Art der Trennung – Geburtskohorte Quelle: Eigene Darstellung Wie bereits das Zusammenkommen mit dem ersten (Ehe-)Partner ist die Trennung von diesem ein bedeutsames Ereignis in der Haushalts- bzw. Familienkarriere (vgl. Kap. 6.4.1): Es ist anzunehmen, dass eine Trennung ähnlich wie die Schließung einer ersten Ehe bzw. Lebenspartnerschaft Nahwanderungen auslöst. Durch Trennungen wird die Anzahl der Mitglieder eines Haushaltes verkleinert. Dies ist der Fall, wenn einer der beiden (Ehe-)Partner verstirbt, und ebenso, wenn es sich um die Auflösung der Ehe oder Lebenspartnerschaft handelt. Da infolge die Größe des Wohnraums und damit auch die Miete für nur einen Partner steigen, kann eine Trennung für beide Partner einen Fortzug bedeuten.96 H10
Wenn die erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird, dann nimmt das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität zu.
Da im Fall einer Trennung weder Ausbildungs- oder Berufsstätten im urbanen Raum noch die ländlichere Umgebung des suburbanen Raums von primärer Bedeutung (vgl. Kap. 6.3, Kap. 6.4.1 und Kap. 6.4.2) sind, findet die Richtung 96 Wohneigentum schränkt Mobilität ein (Birg 1992b: 6ff.). Es kann allerdings nicht in den Analysen berücksichtigt werden, ob die betrachteten Personen zur Miete oder im Wohneigentum gewohnt haben.
256
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
nahräumlicher Mobilität keine Berücksichtigung. Es werden alle 3.537 Wohnepisoden in Nordrhein-Westfalen einbezogen; bei 505 Befragten ist eine Trennung beobachtet worden (vgl. Tab. 29, Anhang; vgl. Tab. 23). Tabelle 23: Einfluss der ersten Trennung auf Nahwanderungen (1950 - 1999) Nahwanderungen Į erste Trennung ohne Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) erste Trennung mit Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) Bildung Familienstatus zur ersten Trennung Kinder zur ersten Trennung 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood
ı
***
0,866
***
0,869
***
0,874
***
0,870
0,26***
0,026
***
0,158
***
0,422
2,56 -2,03
2,67 -2,16 -0,24
0,12
162,17*** 5 -13.364
Anzahl der Beobachtungen
3.973
Anzahl der Nahwanderungen
1.770
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Trennung gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Tabelle 23 ist zu entnehmen, dass eine erste Trennung die Nahwanderungsrate signifikant erhöht. Dies gilt sowohl für das Cox-Modell ohne Kovariaten (Į = 2,56***) als auch mit Kovariaten (Į = 2,67***). Mit zeitlichem Abstand zur ersten Trennung verringern sich diese Effekte signifikant: Je mehr Zeit nach der Trennung vergeht, desto geringer wird das Risiko einer Nahwanderung. Sind die Befragten zum Zeitpunkt der Trennung verheiratet, dann verringert dies die nahräumliche Mobilität um Į = -0,24*. Dies kann zum einen dadurch erklärt werden, dass im Fall einer Verwitwung das (Wohn-)Eigentum an den verbleibenden Partner übergeht. Nahwanderungen bleiben somit aus. Zum anderen wird dieser Umstand in Tabelle 24 mit dem Geschlecht der Akteure und dem Vorhandensein von Kindern in Zusammenhang gebracht. Kinder haben jedoch
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
257
zunächst keinen signifikanten Einfluss auf die Nahwanderungen im Zuge einer ersten Trennung. Hypothese 10 wird beibehalten, da eine erste Trennung nahräumliche Mobilität erhöht. Über die beschriebenen Ergebnisse hinaus wird angenommen, dass sich eine Trennung unterschiedlich auf das Risiko einer Nahwanderung von Frauen und Männern auswirkt. Insbesondere Frauen sollten den Wohnort nicht verlassen, wenn Kinder vorhanden sind, um diese nicht von ihrem sozialen Netzwerk zu trennen. Dies scheint plausibel, da es trotz des gesellschaftlichen Wandels überwiegend Frauen sind, die nach einer Trennung ihre Kinder betreuen: Im Jahr 2008 sind in Westdeutschland 87% der Alleinerziehenden Frauen.97 Mütter betreuen ihre Kinder vor allem dann häufiger, wenn die Kinder jünger als 15 Jahre sind (Statistisches Bundesamt 2006: 26, Statistisches Bundesamt 2009b: 881). In diesem Fall wirkt das Vorhandensein von Kindern auf der Mikro-Ebene insbesondere für Frauen als Restriktion für eine Nahwanderung. H10a
Wenn die Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird und Kinder vorhanden sind, dann ist das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität bei Frauen geringer als bei Männern.
Bevor untersucht wird, inwiefern sich Kinder auf nahräumliche Mobilität im Zuge einer Trennung auswirken, wird dem Geschlechtereffekt nachgegangen (Tab. 24): Ohne Kovariaten erhöht sich sowohl bei Frauen mit Į = 3,75*** als auch bei Männern mit Į = 0,48*** das Risiko einer Nahwanderung als Folge einer ersten Trennung. Der Effekt der Frauen ist somit um ein Vielfaches höher als derjenige der Männer. Er verringert sich mit zeitlichem Abstand zur Trennung.98 Werden Kovariaten einbezogen, dann erhöht sich das Risiko einer Nahwanderung für Frauen zusätzlich. Für Männer verringert es sich dagegen und verliert seine Signifikanz: Frauen wandern eher als Männer im Zuge ihrer Trennung nahräumlich. Werden die einzelnen Kovariaten betrachtet, so werden geschlechtsspezifische Unterschiede deutlich: Sind Frauen zum Zeitpunkt der ersten Trennung verheiratet, dann geht das Risiko nahräumlicher Mobilität mit Į = 0,47*** signifikant zurück. Sind hingegen Männer zum Zeitpunkt der ersten Trennung verheiratet, so wirkt sich dieser Umstand nicht auf das Risiko nahräumlicher Mobilität aus.
97 Im Jahr 2008 sind in Ostdeutschland 88% aller Alleinerziehenden Frauen (Statistisches Bundesamt 2009b: 881). 98 Für eine erste Trennung der Männer lässt sich kein Interaktionseffekt Į‘ berechnen.
258
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Tabelle 24: Einfluss der ersten Trennung auf Nahwanderungen nach Geschlecht (1950 - 1999) Nahwanderungen Į Frauen erste Trennung ohne Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) Frauen erste Trennung mit Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) Bildung Familienstatus zur ersten Trennung Kinder zur ersten Trennung Männer erste Trennung ohne Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) Männer erste Trennung mit Kovariaten Interaktionseffekt (Į‘) Bildung Familienstatus zur ersten Trennung Kinder zur ersten Trennung 1
Likelihood-Ratio-Ȥ²
df Log-Likelihood Anzahl der Beobachtungen Anzahl der Nahwanderungen
ı
***
1,224
***
1,229
***
1,234
-3,45
***
1,230
0,27
***
0,038
-0,47
***
0,211
-0,18
***
0,202
***
0,117
--***
--
***
0,198
***
--
***
0,036
***
0,240
***
0,243
Frauen
Männer
***
70,26***
5
5
-6.286,92
-5.840
2.023
1.963
918
852
3,75 -3,19
4,29
0,48 0,10 -0,26
0,04
0,51 109,57
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das nicht-proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Trennung gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Es ist davon auszugehen, dass eine bedeutende Ursache für die unterschiedliche Wirkung des Familienstatus auf nahräumliche Mobilität das Vorhandensein von Kindern zum Zeitpunkt der Trennung ist: Sind Kinder vorhanden, so verringert
6.4 Heirat, Kinder, Trennung und Nahwanderungen
259
sich das Risiko einer Nahwanderung für Frauen zusätzlich, wenn auch nicht signifikant. Dagegen erhöht für Männer das Vorhandensein von Kindern mit Į = 0,51** das Risiko nahräumlicher Mobilität. Es liegt die Erklärung nahe, dass bei einer ersten Trennung Frauen bei ihren Kindern wohnen bleiben, während Männer den Wohnort verlassen. Dass diejenigen Personen den Wohnort nicht verlassen, welche die Kinder betreuen, deckt sich mit Befunden von Mulder und Wagner (2010: 1.270). Hypothese 10a wird nicht abgelehnt. Tabelle 24 ist zu entnehmen, dass das Risiko nahräumlicher Mobilität im Zuge der ersten Trennung für Frauen höher als für Männer ist. Es ist davon auszugehen, dass mit den jüngeren Geburtskohorten für Frauen das Risiko einer Nahwanderung infolge der ersten Trennung zunimmt: Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Zunahme der Autonomie des einzelnen Akteurs sollte sich zeigen, dass Frauen jüngerer Geburtskohorten bei ihrer Trennung eher den Wohnort verlassen als Frauen älterer Geburtskohorten (vgl. Kap. 4.2.2; vgl. Droth/Dangschat 1985, Hill/Kopp 1999, Nave-Herz 1999). H10b
Wenn die erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird, dann nimmt das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität bei Frauen mit den jüngeren Geburtskohorten zu.
Wie in den vorangegangenen Kapiteln werden die Geburtskohorten von 1920 bis 1940, von 1950 bis 1960 sowie von 1964 und 1971 jeweils gruppiert (vgl. Kap. 6.3, Kap. 6.4.1 und Kap. 6.4.2), um die Aussagekraft zu erhöhen. Zudem wird ein proportionales Cox-Modell gerechnet. Es wird deutlich, dass eine erste Trennung in der ältesten sowie in der mittleren Geburtskohorte für Frauen keinen Einfluss auf die Mobilitätsrate hat (vgl. Tab. 36, Anhang). Dies ändert sich mit den jüngsten Geburtskohorten: Mit Į = 2,02*** nimmt das Risiko einer Nahwanderung im Zuge der ersten Trennung signifikant zu. Hypothese 10b wird beibehalten. Werden die Ergebnisse dieses Kapitels zusammengetragen (Abb. 67), dann ist zunächst festzuhalten, dass eine Trennung vom ersten (Ehe-)Partner nahräumliche Mobilität erhöht. Somit fungiert die Trennung in der Haushalts- bzw. Familienkarriere als Auslöser für eine Nahwanderung. Es zeichnen sich überdies geschlechtsspezifische Unterschiede ab: Frauen wandern nach einer ersten Trennung eher nahräumlich als Männer. Dies gilt vor allem für die jüngste Geburtskohorte und kann als ein Zeichen des gesellschaftlichen Wandels, insbesondere der zunehmenden Autonomie der Frau, auf der Makro-Ebene gedeutet werden.
260
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
+ gesellschaftlicher Wandel (relativer Bedeutungsverlust traditioneller Werte, zunehmende Autonomie u.a.)
4
Zunahme der nahräumlichen Mobilität
1 Perspektive des Lebenslaufs – Haushalts- / Familienkarriere Präferenz: erste Trennung (Scheidung / Verwitwung) Restriktionen: - Männer / Kinder, Fam.Status, ält. Geb.-Koh. (Frau)
Wanderungsabwägung
3
Nahwanderung 2
Erwerbs- / Haushalts- / Familien- / Wohnungskarriere
1
Logik d. Situation
2
Logik d. Selektion
3
Logik d. Aggregation
4
Kollektivhypothese
Abbildung 67: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Trennungsbezug Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98, Mulder/Hooimeijer 1999: 164 Dieser Präferenz stehen jedoch bestimmte Restriktionen gegenüber: Sind Frauen verheiratet, so mindert dies das Risiko nahräumlicher Mobilität im Zuge einer Heirat. Zum einen wird davon ausgegangen, dass bei einer Verwitwung das (Wohn-)Eigentum übernommen wird. Zum anderen verringern Kinder das Risiko nahräumlicher Mobilität zusätzlich – wenn auch nicht signifikant. Es scheint sich somit zu bestätigen, dass Frauen im Fall einer Trennung primär für die Kinderbetreuung verantwortlich sind und daher ihren Wohnort seltener wechseln. Insgesamt fördert eine Trennung nahräumliche Mobilität. 6.5 Zusammenfassung Das in diesem Kapitel verfolgte Ziel ist erreicht worden: Es ist dargelegt worden, inwiefern ausgewählte berufliche und familiale Ereignisse Nahwanderungen auslösen – unter besonderer Berücksichtigung soziodemografischer Merkmale der Wandernden. Um dieses Ziel erreichen zu können, sind in Kapitel 6.1 zunächst die Lebensverlaufsstudien des MPIfB als Datengrundlage beschrieben sowie die verwendeten Verfahren der Ereignisanalyse eingeführt worden.
6.5 Zusammenfassung
261
In Kapitel 6.2 ist die zugrunde liegende Stichprobe dargestellt worden. Erste Auswertungen des Ereignisses Nahwanderung haben Aufschluss über den Untersuchungsgegenstand gegeben: Seit der Geburtskohorte von 1955 nimmt die durchschnittliche Anzahl der Nahwanderungen ab. Dieses Ergebnis ergänzt die in Kapitel 5.2.1 erzielten Erkenntnisse. Überdies zeigt sich, dass Frauen früher und häufiger als Männer nahräumlich mobil sind – beginnend nach einer Wohndauer von 20 Jahren, von der ausgegangen werden kann, dass sie den Auszug aus dem Elternhaus markiert. Werden die Zielgebiete der Nahwanderungen betrachtet, dann weisen die jüngeren Geburtskohorten mehr Wohnorte in den äußeren Gebieten der Stadtregion auf als die älteren Geburtskohorten. Diese individuelle Standortwahl ist Teil großräumiger Veränderungen: Mit der zunehmenden Suburbanisierung seit Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts werden Standorte außerhalb der Kernstädte zunehmend attraktiver; das Umland der Stadtregionen breitet sich aus (vgl. Kap. 2.4). Diese Expansion der Stadt in suburbane bzw. ländliche Räume spiegelt sich darin wider, dass die Wanderungsströme aus den inneren in die äußeren Raumkategorien der Stadtregionen für den gesamten Untersuchungszeitraum stärker sind als in umgekehrter Richtung. Von diesen Erkenntnissen ausgehend sind in Kapitel 6.3 und Kapitel 6.4 die mikrotheoretischen Hypothesen getestet worden. Die theoretische Einbettung erfolgt durch die Perspektive des Lebenslaufs: Durch individuelle Präferenzen und Restriktionen gehen zahlreiche Größen in die Wanderungsabwägung ein, welche weder in den Lebensverlaufsstudien angemessen erfasst worden sind bzw. werden konnten, noch soll bzw. kann diese Vielzahl an Faktoren im Rahmen dieser Arbeit bearbeitet werden. Es ist deshalb ein potenzieller Auslöser für eine Nahwanderung – die ausgewählten beruflichen und familialen Ereignisse – sowie das nahräumliche Wanderungsrisiko betrachtet worden. In Tabelle 25 sind die Ergebnisse zusammenfassend aufgeführt: Die erste Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme bezieht sich auf die gleichnamigen Karrieren im Lebenslauf der Befragten. Aufgrund des größeren und vielfältigeren Angebots an Bildungs- und Berufsstätten im städtischen im Vergleich zum suburbanen Raum ist entsprechend den Hypothesen 6 und 7 angenommen worden, dass eine erste Bildungsbzw. Erwerbsaufnahme das Risiko eines Umzuges in die Kerngebiete erhöht. Diese Annahmen konnten bestätigt werden und belegen somit bisherige (empirische) Befunde (vgl. Gatzweiler 1982, Häußermann/Siebel 1987, Birg/Flöthmann 1992, Birg et al. 1993, Mulder/Hooimeijer 1999, Feijten et al. 2008; vgl. Kap. 4.2.1). Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass das Risiko, mit Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit ins Kerngebiet zu ziehen, geringer ist als bei der ersten Bildungsaufnahme. Da Letztere nicht zu einem Fortzug in die Kerngebiete geführt hat, scheinen persönliche Bindungen zur Herkunftsgemeinde zu bestehen.
262
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Entgegen der Hypothesen 6a und 7a ist das Risiko – unter Vorbehalt der geringen Fallzahlen –, mit einer Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme ins Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet höher als im verbleibenden Nordrhein-Westfalen. Es ist geschlussfolgert worden, dass die Kerngebiete des Ruhrgebietes – unterstützt durch strukturpolitische Maßnahmen seit den 1980er Jahren – attraktiver sind. Die erste Bildungs- sowie Erwerbsaufnahme führen jüngere im Vergleich zu älteren Geburtskohorten eher in die Kerngebiete, wodurch die Hypothesen 6b und 7b widerlegt werden. Dieses Ergebnis kann darauf hindeuten, dass die jüngeren Geburtskohorten stärker durch den gesellschaftlichen Wandel seit den 1960er Jahren geprägt werden und Wohnstandorte in den Kerngebieten zunehmend wertschätzen. Dies gilt auch, wenn mit Blick auf die Hypothesen 6c und 7c ausschließlich die nahräumlichen Wanderungsrisiken von Frauen betrachtet werden. Im Zusammenspiel können diese Ergebnisse als ein erstes Anzeichen für eine beginnende Reurbanisierung gedeutet werden. Hier ist allerdings zu betonen, dass die Fallzahlen in den einzelnen Geburtskohorten sehr gering sind, so dass die Ergebnisse lediglich einen ersten Eindruck vermitteln. Werden die einbezogenen Kovariaten betrachtet, dann verstärkt sich das Risiko einer Wanderung ins Kerngebiet mit höheren Bildungsabschlüssen: Durch dieses Ergebnis werden Befunde ergänzt, nach denen höher Gebildete aufgrund des geringen lokalen Erwerbsangebotes überregional wandern (vgl. DaVanzo 1978: 55). Darüber hinaus wird deutlich, dass Ehepartner und Kinder restriktiv auf das Wanderungsrisiko (ins Kerngebiet) wirken: In die Wanderungsabwägung muss die Lebenssituation der anderen Haushaltsmitglieder Berücksichtigung finden (vgl. Frick 1996). Die erste (nicht)eheliche Partnerschaft, die bevorstehende Geburt der ersten beiden Kinder sowie die Trennung vom ersten (nicht)ehelichen Partner zählen zur Haushalts- bzw. Familienkarriere der Akteure. Mit Ausnahme der ersten Trennung wird entsprechend der Hypothesen 8 und 9 angenommen, dass diese familialen Ereignisse Auslöser für eine Wanderung vom Kerngebiet ins Umland darstellen. Inhaltlich gründen die Hypothesen primär auf den steigenden Wohnraumanspruch mit der Vergrößerung des Haushaltes. Dieser kann seinerseits eher im Umland aufgrund der günstigeren Miet- und Bodenpreise verwirklicht werden. Es konnte gezeigt werden, dass sich das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland mit diesen familialen Ereignissen erhöht. Dadurch werden bisherige Erkenntnisse zusätzlich empirisch gesichert (vgl. Kühn 1998, Wagner/Mulder 2000, Aring/Herfert 2001). Überdies ist festzuhalten, dass das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland im Zuge der bevorstehenden zweiten Geburt entsprechend Hypothese 9a abnimmt.
263
6.5 Zusammenfassung
Tabelle 25: Mikrotheoretische Ergebnisse Nr.
Hypothese
H6
Wenn eine erste Ausbildung oder ein erstes Studium (= erste Bildungsaufnahme) aufgenommen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko zu, in das Kerngebiet zu ziehen. Wenn eine erste Bildungsaufnahme erfolgt, dann ist das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet geringer als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet. Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet im Zuge der ersten Bildungsaufnahme zu ziehen, nicht. Je jünger die Geburtskohorten sind, desto höher ist das Ereignisrisiko, dass Frauen aufgrund der ersten Bildungsaufnahme in das Kerngebiet ziehen. Wenn ein erster Erwerb aufgenommen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko zu, in das Kerngebiet zu ziehen. Wenn eine erste Erwerbsaufnahme erfolgt, dann ist das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet zu wandern, im Ruhrgebiet geringer als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet. Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, ins Kerngebiet im Zuge der ersten Erwerbsaufnahme zu ziehen, nicht. Je jünger die Geburtskohorten sind, desto höher ist das Ereignisrisiko, dass Frauen aufgrund der ersten Erwerbsaufnahme in das Kerngebiet ziehen. Wenn eine erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft geschlossen wird, dann nimmt das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet in das Umland zu ziehen, zu. Wenn eine erste Heirat bzw. Lebenspartnerschaft geschlossen wird, dann ist das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu wandern, im Ruhrgebiet höher als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet. Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland aufgrund der ersten Heirat bzw. Lebenspartnerschaft zu ziehen, nicht.
H6a H6b H6c H7 H7a H7b H7c H8
H8a
H8b
Ergebnis1 +
-- (–)
-- (–)
-- (+) + -- (–)
-- (–)
-- (+)
-- (+)
-- (–)
-- (–)
264 H9 H9a H9b H9c H10 H10a H10b
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Wenn die erste Geburt bevorsteht, dann nimmt das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet in das Umland zu ziehen, zu. Wenn die zweite Geburt eines Kindes bevorsteht, dann erhöht sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu ziehen, nicht in demselben Maß wie bei der ersten Geburt. Wenn die erste Geburt bevorsteht, dann ist das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland zu wandern, im Ruhrgebiet höher als in Nordrhein-Westfalen ohne Ruhrgebiet. Wenn die Geburtskohorten von 1920 bis 1971 betrachtet werden, dann verändert sich das Ereignisrisiko, vom Kerngebiet ins Umland aufgrund der ersten Geburt zu ziehen, nicht. Wenn die erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird, dann nimmt das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität zu. Wenn die erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird und Kinder vorhanden sind, dann ist das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität bei Frauen geringer als bei Männern. Wenn die erste Ehe bzw. Lebenspartnerschaft getrennt wird, dann nimmt das Ereignisrisiko für nahräumliche Mobilität bei Frauen mit den jüngeren Geburtskohorten zu.
-- (+) +
-- (–)
-- (–) + +
-- (+)
1 Ein „+“-Zeichen bedeutet, dass die Hypothese noch nicht abgelehnt werden kann, ein „–“-Zeichen bedeutet hingegen, dass die Hypothese abzulehnen ist. „--" gibt an, dass die Hypothese aufgrund der Datenbasis nicht ausreichend untersucht werden konnte. „()“ gibt eine Tendenz an.
Es ist davon auszugehen, dass bereits mit der Geburt des ersten Kindes ein Wohnstandort gewählt worden ist, der auf die künftige Familienplanung ausgerichtet ist. – Wie auch in den folgenden Ausführungen zu Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland ist zu berücksichtigen, dass die Fallzahlen sehr gering sind. Die zusätzliche Untersuchung der Wanderungen aus der Stadtregion hat diese Ergebnisse weitgehend belegt; über die Analysen dieser Arbeit hinaus sollten dennoch weitere folgen. Gemäß der Hypothese 8a und Hypothese 9b sind Nahwanderungen danach unterschieden worden, ob sie innerhalb oder außerhalb des Ruhrgebietes stattfinden. Entgegen den Erwartungen zeigt sich, dass das Risiko einer Wanderung ins Umland in Nordrhein-Westfalen höher ist als im Ruhrgebiet. Dieses Ergebnis ergänzt die Analysen der Hypothese 6a und Hypothese 7a: Im Vergleich zum Umland sind die Kerngebiete des Ruhrgebietes – vermutlich aufgrund der zunehmenden regionalpolitischen Eingriffe – als Wohnstandort attraktiver. Darüber hinaus zeigt sich die Tendenz, dass das Risiko, mit der ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft bzw. der bevorstehenden ersten Geburt vom
6.5 Zusammenfassung
265
Kerngebiet ins Umland zu ziehen, für die jüngeren Geburtskohorten geringer ist. Da dieses Risiko somit nicht für alle Geburtskohorten konstant ist, sind Hypothese 8b und Hypothese 9c abzulehnen. Der Rückgang des Risikos einer Wanderung ins Umland kann ein erstes Anzeichen dafür sein, dass im Zuge des gesellschaftlichen Wandels Haushalte verstärkt Wohnorte in den Kerngebieten aufsuchen. In diesem Fall deutet diese Veränderung auf den sich einleitenden Prozess der Reurbanisierung hin. Die einbezogenen Kovariaten verdeutlichen überdies, dass ein höherer Bildungsgrad das Risiko einer Wanderung ins Umland verstärkt. Eine erste Erklärung bezieht sich auf das mit dem Bildungsabschluss verbundene Einkommen: Durch ein höheres Einkommen wird beispielsweise der Erwerb von Wohneigentum im suburbanen Umland eher ermöglicht. Ferner wirkt das Vorhandensein von Kindern auf das Risiko einer Wanderung ins Umland im Zuge einer ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft eher restriktiv: Es ist davon auszugehen, dass bereits zur bevorstehenden ersten Geburt ein Wohnstandort gewählt worden ist, der die Raumansprüche einer möglichen Familienplanung berücksichtigt. Sind die Akteure hingegen bei der bevorstehenden Geburt verheiratet, so erhöht dies das Risiko einer Wanderung vom Kerngebiet ins Umland: Es ist angenommen worden, dass im Vergleich zu unverheirateten Paaren traditionelle Werte – zu denen beispielsweise der Erwerb von Eigentum im Umland gehört – eine größere Bedeutung haben. Darüber hinaus wirkt sich die Raumkategorie des Geburtsortes entscheidend auf das Wanderungsrisiko aus: Je ländlicher dieser wird, desto höher ist das Risiko einer Wanderung ins Umland. Dies weist auf eine Bindung an die Heimatgemeinde hin. Gemäß Hypothese 10 zeigt sich, dass die Trennung vom ersten (Ehe-)Partner das Risiko nahräumlicher Mobilität – vor allem für Frauen – erhöht. Sind Frauen verheiratet, dann verringert sich das Risiko: Wird die Trennung durch den Tod des Ehepartners verursacht, ist davon auszugehen, dass das (Wohn-)Eigentum behalten wird. Wird die Trennung durch eine Scheidung bedingt, dann sind Frauen vielfach für die Kinderbetreuung zuständig und somit eher an den Wohnort gebunden. Es zeigt sich entsprechend Hypothese 10a, dass sowohl der Umstand, verheiratet zu sein, als auch das Vorhandensein von Kindern sich restriktiv auf das Risiko nahräumlicher Mobilität auswirken. In Übereinstimmung mit Hypothese 10b ist zudem die Tendenz aufgewiesen worden, dass sich für Frauen das Risiko einer Nahwanderung im Zuge der ersten Trennung mit den jüngeren Geburtskohorten erhöht. Dies wird auf den gesellschaftlichen Wandel, dem Bedeutungsverlust traditioneller Werte sowie der zunehmenden Autonomie des Einzelnen zurückgeführt. Abschließend ist anzumerken, dass die in diesem Kapitel erzielten Ergebnisse aufgrund der differenzierten Betrachtung von beruflichen und familialen
266
6 Stadt, (Um-)Land im Fluss – Wohnortwechsel seit 1950
Ereignissen sowie einzelnen Wanderungsrichtungen in Nordrhein-Westfalen für den Untersuchungszeitraum von nahezu 50 Jahren nicht repräsentativ sind. Sie weisen jedoch Tendenzen des gesamtgesellschaftlichen Prozesses in diesem Zeitraum auf. Aufgrund der geringen Fallzahlen können diese Ergebnisse nur ergänzend zu den Resultaten des Kapitels 5 verstanden werden: Eine Zusammenführung der Ergebnisse der amtlichen Wanderungsdaten auf der Makro- sowie der Lebensverlaufsstudien auf der Mikro-Ebene erfolgt im sich anschließenden Kapitel 7 über die bisherigen Erkenntnisse hinaus.
7 Nahräumliche Wanderungen in NordrheinWestfalen
In diesem Kapitel werden zunächst die erzielten Ergebnisse unter Berücksichtigung ihres theoretischen und methodischen Hintergrunds zusammengeführt (Kap. 7.1). Die Arbeit schließt mit einem Überblick über das Erreichte, einem Ausblick auf offene Forschungsfragen sowie praxisorientierten Anwendungsbeispielen (Kap. 7.2). 7.1 Synthese der makro- und mikrotheoretischen Erkenntnisse In den beiden vorangegangenen Kapiteln sind urbane Prozesse in NordrheinWestfalen und deren Veränderungen sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikro-Ebene analysiert worden (vgl. Kap. 5 und Kap. 6). Makro- und MikroEbene stehen in einem sich wechselseitig beeinflussenden Verhältnis und sind deshalb nicht unabhängig voneinander zu betrachten: Umfassenden Aufschluss über das Vorherrschen einzelner nahräumlicher Wanderungsströme sowie den zugrunde liegenden Ursachen bietet erst die Synthese makro- und mikrotheoretischer Ergebnisse (vgl. Lee 1972: 120, Schneider et al. 2002: 37f.). Ein letztes und zentrales Teilziel dieser Arbeit, welches in diesem Kapitel verfolgt wird (vgl. Kap. 1.1), ist daher die 2c. Zusammenführung der Ergebnisse auf der Makro- und Mikro-Ebene. Das Erreichen dieses Teilziels wird durch verschiedene Aspekte erschwert: Die Untersuchungszeiträume auf beiden Ebenen weisen zwar eine Überschneidung auf, sind jedoch nicht identisch. Auf der Makro-Ebene ist bestimmt worden, in welche urbane Phase die Stadtregionen Nordrhein-Westfalens im Zeitraum von 1985 bis 1994 eingetreten sind, und inwiefern sich diese Zuordnung im Zeitraum von 1997 bis 2005 wandelt. Auf der Mikro-Ebene sind berufliche sowie familiale Auslöser nahräumlicher Mobilität für den Zeitraum von 1950 bis 1999 ermittelt worden.
K. Gerber, Räumliche Mobilität im Wandel, DOI 10.1007/978-3-531-92909-5_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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7 Nahräumliche Wanderungen in Nordrhein-Westfalen
Um der jeweiligen inhaltlichen Schwerpunktsetzung gerecht zu werden, bildet das Modell der Phasen urbaner Entwicklung auf der Makro-Ebene den konzeptionellen Rahmen, auf der Mikro-Ebene ist es die Perspektive des Lebenslaufs. Nicht nur die theoretischen Ansätze unterscheiden sich, es werden ebenso zwei verschiedene Datensätze verwendet, um die inhaltlichen Ziele zu erreichen: In den amtlichen Querschnittdaten werden auf der Makro-Ebene alle offiziell registrierten Nahwanderungen über Gemeindegrenzen innerhalb von Stadtregionen aufgeführt. In den Längsschnittdaten des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung wird auf der Mikro-Ebene die nahräumliche Mobilität innerhalb sowie zwischen Stadtregionen von in Nordrhein-Westfalen geborenen Personen im zeitlichen Verlauf nachvollzogen (vgl. Abb. 2). Des Weiteren ist anzumerken, dass der Untersuchungsschwerpunkt auf den vorherrschenden Wanderungsbewegungen liegt. Unabhängig von der Untersuchungsebene und dem Untersuchungszeitpunkt finden gegenläufige Wanderungen statt. Die Ergebnisse einzelner Stadtregionen weichen zudem von denen des gesamten Nordrhein-Westfalens ab (vgl. Matthiesen 2006: 156). Überdies können Größen, welche die Nahwanderungen auf der Makro-Ebene als Opportunitäten oder Constraints beeinflussen, nur ausschnittsweise und beschreibend angeführt werden. Gleiches gilt für die Mikro-Ebene: Es werden ausgewählte potenzielle Auslöser nahräumlicher Mobilität der entsprechenden Karrieren des Lebenslaufs betrachtet. Konstellationen von Präferenzen und Restriktionen in anderen Karrieren des Lebenslaufs können sich jedoch zusätzlich auf die Wanderungsentscheidung auswirken. Eine Darstellung und Vernetzung des gesamten Ursachengefüges ist nicht zu leisten. Trotz dieser Einschränkungen kann nachstehend ausgeführt werden, dass die Synthese der erzielten Ergebnisse tief gehende Erkenntnisse über nahräumliche Mobilität in Nordrhein-Westfalen birgt. Gemeinsam ist den beiden Ebenen, dass sich die makro- und mikrotheoretischen Befunde inhaltlich aufeinander beziehen und gegenseitig ergänzen. Darüber hinaus basieren die beiden Ebenen auf der gleichen räumlichen Kategorisierung. Diese ermöglicht es, Herkunfts- und Zielgebiete nahräumlicher Mobilität einheitlich zu definieren. Die beiden Ebenen werden über das Modell der Coleman’schen Badewanne theoretisch miteinander verbunden (vgl. Abb. 68): Es wird im Folgenden zuerst der betrachtete makrotheoretische Rahmen nahräumlicher Mobilität beschrieben, welcher die gesellschaftlichen und strukturellen Gegebenheiten in Nordrhein-Westfalen umfasst. Darauf Bezug nehmend werden über Kollektivhypothesen die Veränderungen nahräumlicher Mobilität gegen Ende des 20. Jahrhunderts, das Explanandum, dargestellt. Die Ergebnisse auf der Makro-Ebene erlauben eine eindeutige Quantifizierung dieser Veränderungen.
Abbildung 68: Mobilitätsentscheidung in einem Mehrebenensystem – Zusammenführung
Quelle: Verändert nach Esser 1999: 98, Mulder/Hooimeijer 1999: 164 Wanderungsabwägung
4
2
C Individuelle Mobilität 1. erste Bildungsaufnahme: in Stadtregion / in Kerngebiet Abnahme mit jüng. Geburtskohorten 2. erste Erwerbsaufnahme: in Stadtregion / in Kerngebiet Abnahme mit jüng. Geburtskohorten Effekt Erwerb.< Effekt Bildung. 3. erste (N)EL: aus Stadtregion / ins Umland Abnahme mit jüng. Geburtskohorten 4. erste beiden Geburten: aus Stadtregion / ins Umland Abnahme mit jüng. Geburtskohorten 5. erste Trennung: Nahwanderung Effekte Bild.- u. Erwerbskarriere > Effekte Haush.- u. Familienkarriere
3
II Zeitraum 1997 bis 2005 - abnehmende Suburbanisierung (aktives Wachstum) - Beginn 21. Jhdt: in vereinzelten Stadtreg. Reurbanisierung - Ruhrgebiet: Desurbanisierung (Degeneration)
Urbane Phasen Zeitraum 1985 bis 1994 Ende 1980er: Suburbanisierung Wiedervereinigung: Urbanisierung (weniger stark im Ruhrgebiet ausgeprägt) - Mitte 1990er: Fortsetz. Suburbanisierung
D I -
1 = Logik der Situation / 2 = Logik der Selektion / 3 = Logik der Aggregation / 4 = Kollektivhypothese
B Mikrotheoretische Kontextbedingungen 1. Bildungskarriere: erste Bildungsaufnahme Präferenz: i. d. Stadt / i. Kerngeb. (v.a. Ruhrg.) Restriktion: Ehepartner, Kinder 2. Erwerbskarriere: erste Erwerbsaufnahme Präferenz: i. d. Stadt / i. Kerngeb. (v.a. Ruhrg.) Restriktion: Ehepartner, Kinder 3. Haushaltskarriere: erste (N)EL Präferenz: a. d. Stadt / i. Uml. (v.a. NRW o. R.) Restriktion: Kinder 4. Familienkarriere: erste / zweite Geburt Präferenz: a. d. Stadt / i. Uml. (v.a. NRW o. R.) Restriktion: -5. Haushalts-/Familienkarriere: erste Trenn. Präferenz: Nahwanderung Restriktion: Frauen: Ehepartner, Kinder
1
A Makrotheoretische Kontextbedingungen I Faktoren der Suburbanisierung seit 1950 - Verbreitung Pkw - städtebaul. Leitbild („geglied. u. aufgel. Stadt“) - Zunahme der Tertiärisierung ĺ Boden-Mietpreisgefälle v. Zentrum ausgehend - Eigenheimzulage und Pendlerpauschale - Wohnumgebung des suburbanen Raums - Ruhrgeb.: Deindustrialisierung (ĺ Desurb.) II Faktoren der Reurb. seit Ende d.es 20. Jhdt. - infrastrukturelle bzw. kulturelle Ausstattung der Städte (Bedürfnisse der neuen Haushaltstypen) - deutsche Wiedervereinigung - demograf. Wandel (weniger Heiraten / Geburten) - Ruhrgebiet: strukturpolitische Maßnahmen
7.1 Synthese der makro- und mikrotheoretischen Erkenntnisse
269
270
7 Nahräumliche Wanderungen in Nordrhein-Westfalen
Um dem Explanandum und somit dem Wandel nahräumlicher Mobilität ursächlich nachzugehen, wird über die Logik der Situation der Bezug zwischen makrotheoretischen Einflüssen und der Mikro-Ebene hergestellt. Auf Letzterer werden verschiedene Karrieren des Lebenslaufs fokussiert, in welchen potenzielle Auslöser und mögliche Restriktionen für ausgewählte Richtungen nahräumlicher Mobilität betrachtet werden. Gemeinsam bedingen sie die Wanderungsabwägung. Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Wanderungsrichtung wird aus der jeweiligen Logik der Selektion abgeleitet und durch die mikrotheoretischen Ergebnisse empirisch belegt. Der Logik der Aggregation entsprechend wird das Explanandum auf der Makro-Ebene beispielhaft erklärt: Die auf der Mikro-Ebene verursachte nahräumliche Mobilität ist ihrerseits Bestandteil der Prozesse auf der Makro-Ebene; die aus den Abwägungen resultierenden Nahwanderungsströme werden aggregiert (vgl. Kap. 4, vgl. Esser 1998, Mulder/Hooimeijer 1999). Wird die jüngste Geburtskohorte fokussiert, so befindet sie sich in der Schnittmenge der beiden Untersuchungszeiträume. Eine Veränderung in der Stärke der beruflichen und familialen Einflüsse auf einzelne Nahwanderungsströme mit den jüngeren Geburtskohorten beinhaltet erste Erkenntnisse über die Ursachen eines Wandels der urbanen Phasen. Kollektivhypothesen Der Prozess der Suburbanisierung prägt die nahräumliche Mobilität im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit. Er wird durch verschiedene gesellschaftliche und strukturelle Gegebenheiten sowie deren Zusammenspiel begünstigt (vgl. Kap. 2.3 und Kap. 2.4). Diese makrotheoretischen Kontextfaktoren werden nachstehend vereinfacht zusammengefasst (vgl. Abb. 68: Kasten A, Punkt I): Die zunehmende Verbreitung des Pkw-Verkehrs seit Mitte des vorigen Jahrhunderts ermöglicht die räumliche Trennung der Grunddaseinsfunktionen (Opportunität). Nach dem städtebaulichen Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt dienen urbane Verdichtungen der Verrichtung der Arbeit, während das Wohnen in suburbane Gebiete verlagert wird (vgl. Le Corbusier 1946). Die fortschreitende Tertiärisierung führt zu einem Gefälle der Miet- und Bodenpreise ausgehend von den urbanen Verdichtungskernen. Durch dieses wird die Wohnfunktion zusätzlich aus den Zentren verdrängt (Constraints). Zugleich steht das Wohnen im suburbanen Raum für eine familienfreundliche Wohnumgebung. In Kombination mit Pendlerpauschalen und Eigenheimzulagen in den folgenden Jahrzehnten breiten sich Städte stetig in ihr Umland aus, die Suburbanisierung verstärkt sich
7.1 Synthese der makro- und mikrotheoretischen Erkenntnisse
271
(vgl. Gatzweiler 1982, Häußermann/Siebel 1987: 28ff., Pietsch/Kamieth 1991: 32f., BBR 2000a: 46). Nachdem sich der Prozess der Suburbanisierung zunächst intensiviert, werden seit Ende des 20. Jahrhunderts Tendenzen der Reurbanisierung diskutiert (vgl. Abb. 68: Kasten A, Punkt II): In den 1980er Jahren erfährt die infrastrukturelle und insbesondere die kulturelle Ausstattung der Kerngebiete Wertschätzung durch die ‚neuen‘ Haushaltstypen (vgl. Droth/Dangschat 1985, Neubauer 1988, Bertels 1990, Krämer 1992). Anfang der 1990er Jahre bewirkt die deutsche Wiedervereinigung großräumige Veränderungen der Bevölkerungsverteilung in Deutschland. Sie führt zu massiven Wanderungsbewegungen von ost- in westdeutsche Städte (vgl. Osterhage 2003: 69ff.). Diese Ausführungen zum Hintergrund sind die Wanderungsströme in den Stadtregionen Nordrhein-Westfalens mittels der amtlichen Wanderungsstatistik analysiert worden (vgl. Abb. 68: Kasten D, Punkt I): Bis Ende der 1980er Jahre währt der Prozess der Suburbanisierung der Bevölkerung trotz des gesellschaftlichen Wandels fort. Der Einfluss der deutschen Wiedervereinigung auf die Wanderungsströme in Nordrhein-Westfalen spiegelt sich hingegen deutlich in den Ergebnissen wider: Zum ersten Untersuchungszeitpunkt nach diesem politischen Ereignis reduziert sich das Ausmaß der Suburbanisierung massiv. In einzelnen Stadtregionen ist der Prozess der Urbanisierung festzustellen. Zur Mitte der 1990er Jahre verlieren die Ost-West-Wanderungsströme an Stärke, der Prozess der Suburbanisierung tritt erneut zum Vorschein. Wird der Zeitraum von 1985 bis 1994 betrachtet, überwiegt nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) die Phase der Urbanisierung. Nach der Modifikation durch Kawashima (1987) ist hingegen die Phase der Suburbanisierung ermittelt worden – die Zuwanderungen im Zuge der Wiedervereinigung wirken sich weniger stark aus. Ende der 1990er Jahre ist der Prozess der Suburbanisierung ungebrochen, auch wenn er zunehmend an Stärke verliert (vgl. Abb. 68: Kasten A, Punkt II). Im Zeitraum von 1997 bis 2005 ist daher nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) sowie seiner Modifikation (Kawashima 1987) die Phase der Suburbanisierung zu beobachten. Einzelne Stadtregionen sind nach dem modifizierten Modell in die Phase der Reurbanisierung eingetreten. Es wird überdies deutlich, dass Fernwanderungen wesentlich zum Einwohnerbestand der Städte beitragen. Darüber hinaus zeigen sich Unterschiede zwischen Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes, die sich aus den jeweiligen strukturellen Besonderheiten ergeben (vgl. Abb. 68: Kasten A, Punkt I): Das Ruhrgebiet ist substanziell von der Deindustrialisierung seit Mitte des 20. Jahrhunderts betroffen. Diese wirkt sich in Form von hohen Arbeitslosenquoten aus (Constraints). Zu-
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7 Nahräumliche Wanderungen in Nordrhein-Westfalen
dem sind die ehemaligen Industriestädte des Ruhrgebietes nur eingeschränkt als Wohnstandorte attraktiv (vgl. Schrumpf 2001: 162, Goch 2002: 158, Mayr/Temlitz 2006 4ff.). Seit den 1980er Jahren sind großräumig Maßnahmen mit dem Ziel ergriffen worden, das Ruhrgebiet von einer Industrie- hin zu einer Kulturregion zu führen (Opportunitäten). Diese benötigen jedoch Zeit, um zu wirken (vgl. BBR 2000a, IBA 2008). Für die erste Untersuchungshälfte zeigt sich, dass das Ruhrgebiet weniger als das verbleibende Nordrhein-Westfalen von den Zuwanderungen im Zuge der Wiedervereinigung profitiert (vgl. Abb. 68: Kasten D, Punkt I). Dennoch ist im Ruhrgebiet nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung (van den Berg et al. 1982) und seiner Modifikation durch Kawashima (1987) die Phase der Urbanisierung zu beobachten. Bei dieser handelt es sich allerdings um eine temporäre Erscheinung, die strukturellen Bedingungen des Ruhrgebietes bestehen fort: In der zweiten Untersuchungshälfte herrscht nach beiden Modellen (van den Berg et al. 1982, Kawashima 1987) die Phase der Desurbanisierung vor (vgl. Abb. 68: Kasten D, Punkt II). Zudem lassen sich die Stadtregionen in dieser Zeit vorrangig der Degeneration und nicht wie im übrigen Nordrhein-Westfalen dem aktiven Wachstum zuordnen. Wird die nahräumliche Mobilität hinsichtlich der Nationalität der Wandernden untersucht, dann verlieren die Stadtregionen des Ruhrgebietes fortwährend deutsche Einwohner. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verringern sich diese Verluste jedoch. Es bleibt festzuhalten, dass das Ruhrgebiet stärker als das verbleibende Nordrhein-Westfalen von Bevölkerungsverlusten im Zuge von Wanderungen betroffen ist. Die Ursachen für den Rückgang der Suburbanisierung im gesamten Nordrhein-Westfalen sind bislang nur unzureichend geklärt (vgl. Osterhage 2008, Siedentop 2008). Ihnen wird auf der Mikro-Ebene nachgegangen. Logik der Situation und Logik der Selektion Die dargestellten makrotheoretischen Faktoren stellen über die Logik der Situation den Kontext für die individuelle Wanderungsabwägung dar (vgl. Abb. 68: Kasten A und Kasten B). Auf der Mikro-Ebene wird diese Abwägung durch potenzielle Auslöser bzw. Präferenzen für nahräumliche Mobilität in verschiedenen Karrieren des Lebenslaufs der einzelnen Befragten bestimmt. Konstellationen mit oder in anderen Karrieren können hingegen restriktiv wirken (vgl. Mulder/Hooimeijer 1999: 159; vgl. Kap. 4.2.2). Gemäß der Logik der Selektion sind für den Untersuchungszeitraum von 1950 bis 1999 ausgewählte Ereignisse mit der Perspektive des Lebenslaufs dahin gehend ausgewertet worden, inwie-
7.1 Synthese der makro- und mikrotheoretischen Erkenntnisse
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fern sie zum Prozess der Bevölkerungssuburbanisierung bzw. -reurbanisierung beitragen (vgl. Abb. 68: Kasten B und Kasten C): In der Bildungs- bzw. Erwerbskarriere zeigt sich, dass die erste Bildung sowie der erste Erwerb Auslöser nahräumlicher Mobilität sind. Es werden insbesondere Wanderungen ins Kerngebiet präferiert. Dies ist durch die makrotheoretischen Rahmenbedingungen zu erklären, da sich vorzugsweise in Kerngebieten das Angebot an Bildungs- und Berufsstätten konzentriert (vgl. Gatzweiler 1982: 27, Häußermann/Siebel 1987: 22f., Birg/Flöthmann 1992: 45, Birg et al. 1993: 12, Lichtenberger 1998: 316, Mulder/Hooimeijer 1999: 159ff., Feijten et al. 2008: 143ff.). Das Risiko einer solchen Wanderung ist im Zuge der ersten Bildungsaufnahme stärker ausgeprägt als zur ersten Erwerbsaufnahme: Es ist davon auszugehen, dass Personen, die nicht mit der ersten Bildungsaufnahme ins Kerngebiet gezogen sind, sich ebenso seltener mit der ersten Erwerbsaufnahme für eine solche Wanderung entscheiden, da sie am bisherigen Wohnort gebunden sind. Faktoren bzw. Restriktionen, welche nahräumliche Mobilität generell mindern, sind das Vorhandensein von Kindern sowie (Ehe-)Partnern. Erhöht sich die Zahl von Haushaltsmitgliedern, so erhöht sich die Zahl möglicher Restriktionen im Entscheidungsprozess (vgl. Kalter 1996). Es ist zudem festzuhalten, dass ein höherer Bildungsgrad nicht nur fernräumliche, sondern ebenso nahräumliche Mobilität fördert. Dies kann damit in Zusammenhang gebracht werden, dass für höher Gebildete das entsprechende Arbeitsangebot geringer ist (vgl. Dobberkau 1980: 222ff., Cramer 1992: 69ff., Birg et al. 1993: 90, Schlömer 2004: 97ff.). Darüber hinaus ist im Ruhrgebiet zu beobachten, dass Wanderungen ins Kerngebiet stärker ausgeprägt sind als im verbleibenden Nordrhein-Westfalen: Die Gemeinden der im Ruhrgebiet liegenden Kerngebiete haben eine vergleichsweise höhere Attraktivität. Dies kann darin begründet sein, dass sich Maßnahmen, die sozioökonomische Situation im Ruhrgebiet zu stärken, vornehmlich auf die Kernstädte beziehen. Die Auswertung der Lebensverlaufsstudien zeigt, dass familiale Ereignisse, die mit einer Vergrößerung des Haushaltes und damit des Bedürfnisses an Wohnraum einhergehen, das Risiko einer Wanderung aus der Stadtregion bzw. vom Kerngebiet ins Umland erhöhen. Zu diesen familialen Ereignissen zählen das Eingehen einer ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft sowie die bevorstehende Geburt der ersten beiden Kinder. Verschiedene makrotheoretische Faktoren begünstigen Wanderungen in das städtische Umland: Für Personen in der Familiengründungsphase bietet der suburbane Raum Vorteile aufgrund der ihm eigenen Wohnumgebung sowie des Gefälles von Boden- und Mietpreisen (Huinink/Wagner 1988: 13, Kühn 1998: 498, Lichtenberger 1998: 316, Wagner/Mulder 2000: 57, Aring/Herfert 2001: 52).
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Entgegen den bisherigen Befunden ist im Ruhrgebiet zu beobachten, dass diese Wanderungen weniger stark ausgeprägt sind als im verbleibenden Nordrhein-Westfalen (vgl. Strohmeier 2003: 66). In Übereinstimmung mit den Auswertungen der bildungs- und berufsbezogenen Ereignisse zeigt sich, dass die Kerngebiete des Ruhrgebietes als Wohnstandort vergleichsweise attraktiv sind. Darüber hinaus ist nachgewiesen worden, dass erste Trennungen das Risiko nahräumlicher Mobilität erhöhen. Handelt es sich bei den Befragten um Frauen und haben diese zudem Kinder, wirken sich die Faktoren restriktiv auf das Risiko einer Nahwanderung aus. Logik der Aggregation Damit ein Übergang von der Mikro- zur Makro-Ebene erfolgt, werden die mikrotheoretischen Befunde exemplarisch aggregiert (vgl. Abb. 68: Kasten C und D): Während die ersten beruflichen Ereignisse zum Prozess der Reurbanisierung beitragen, fördern erste familiale Ereignisse den Prozess der Suburbanisierung. Um den Ursachen nachzugehen, weshalb sich das Ausmaß der Suburbanisierung auf der Makro-Ebene verringert, ist es sinnvoll, die jüngsten Geburtskohorten, welche sich im Schnittbereich der Untersuchungszeiträume der Makro- und der Mikro-Ebene befinden, näher zu betrachten: Für die beruflichen Auslöser ist festzuhalten, dass sich das Risiko einer Wanderung ins Kerngebiet mit der jüngsten Geburtskohorte verstärkt. Demgegenüber verringert sich das Risiko einer Wanderung ins Umland mit den jüngeren Geburtskohorten, wenn familiale Auslöser betrachtet werden. Dieser Umstand wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass im Zuge des demografischen Wandels der Anteil von Personen, die heiraten und Kinder bekommen, mit den jüngeren Geburtskohorten abnimmt (vgl. Lichtenberger 1984: 167, Geppert/Gornig 2003: 411, Hannemann/Läpple 2004 VI, Grüber-Töpfer et al. 2008: 7; vgl. Abb. 68: Kasten A, Punkt II). Setzt sich dieser Wandel fort, verlieren familiale Gründe, in das Umland zu ziehen, an Bedeutung und somit der Prozess der Suburbanisierung. Dieser wird darüber hinaus zunehmend langsamer verlaufen, da festgestellt worden ist, dass die nahräumliche Mobilität mit den jüngeren Geburtskohorten abnimmt. Werden die Nahwanderungen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes einander gegenübergestellt, dann zeigt sich, dass Wanderungen in die Kerngebiete des Ruhrgebietes vergleichsweise stark im Zuge der ersten Bildungs- und Erwerbsaufnahme erfolgen. Das Risiko, infolge familialer Ereignisse die Kerngebiete zu verlassen, ist hingegen eher gering. Dies lässt darauf schließen, dass die erfolgten regionalplanerischen Eingriffe die Attraktivität der Kerngebiete im Vergleich zu ihrem Umland steigern. Aufgrund der geringen Fallzahlen ist dies
7.2 Exeo
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lediglich eine erste Tendenz, die sich in dieser Form nicht auf der Makro-Ebene widerspiegelt. Sie kann aber künftig dazu führen, dass sich der Prozess der Desurbanisierung verringert. 7.2 Exeo In dieser Arbeit ist der Bogen von den Fahrten der Seeleute der vorigen Jahrhunderte zu den Wanderungen der Menschen des 20. und. 21. Jahrhunderts gespannt worden: Wind lenkte die Seefahrten bedeutend. Gerieten die vormaligen Seefahrer in die Gefilde der Roaring Forties, Furious Fifties oder Shrieking Sixties, wurden sie von der Westwinddrift ergriffen, die Richtung der weiteren Reise schien vorgegeben. Wohin und wodurch werden Nahwanderungen ‚gelenkt‘? Bezogen auf diese Arbeit lauten die zentralen Forschungsfragen: Inwiefern löst gegen Ende des 20. Jahrhunderts der Prozess der Reurbanisierung denjenigen der Suburbanisierung in Nordrhein-Westfalen ab? Wodurch werden die mit diesen Prozessen einhergehenden Nahwanderungen in das Kerngebiet bzw. ins Umland von Stadtregionen ausgelöst? In der Auseinandersetzung mit Nahwanderungen in Nordrhein-Westfalen ist deutlich geworden, dass dieses Thema sehr facettenreich ist. Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist der handelnde bzw. wandernde Mensch im Raum, welcher interdisziplinär den Forschungsrichtungen der Stadtsoziologie sowie Stadtgeographie zuzuordnen ist. Darüber hinaus beschäftigen sich zahlreiche Disziplinen mit den vielfältigen Dimensionen (nah-)räumlicher Mobilität, ihren Ursachen, Ausprägungen sowie Auswirkungen (vgl. Albrecht 1972, Franz 1984, Wagner 1989a, Frick 1996; vgl. Kap. 2). Diese sind zusätzlich von den betrachteten Ländern bzw. Raumeinheiten sowie der historischen Zeit abhängig. Einen Überblick über den Forschungsstand zu erhalten, ist daher nur schwer möglich. Trotz dieser Vielfalt zeichnen sich zwei Defizite ab: Es fehlt an umfassenden empirischen Analysen, noch stärker mangelt es an theoretischen Arbeiten (vgl. Albrecht 1972, Buzar et al. 2007). Dies wird besonders deutlich, wenn die Diskussion über eine Reurbanisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts verfolgt wird (vgl. Geppert/Gornig 2003, Hannemann/Läpple 2004, Difu 2005 und 2008, BBR 2006, Siedentop 2008; vgl. Kap. 2.3): Weitreichende statistische Auswertungen nahräumlicher Mobilität bleiben nahezu aus, insbesondere Ursachen für einen Wandel urbaner Phasen werden nicht hinreichend geklärt (vgl. Difu 2005 und 2008, Mönnich 2005, BBR 2007). An dieser Forschungslücke setzt die vorliegende Arbeit an. Theoretisch fundiert und empirisch gestützt ist dem komplexen Thema der nahräumlichen Mobilität in ausgewählten Aspekten nachgegangen worden. Zunächst ist die
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7 Nahräumliche Wanderungen in Nordrhein-Westfalen
konzeptionelle Grundlage für die Ermittlung von Nahwanderungen im Untersuchungszeitraum geschaffen worden: Die Gemeinden Nordrhein-Westfalens werden für eine Zeitspanne von mehr als einem halben Jahrhundert ihrem historischen Kontext entsprechend den Raumkategorien von vier Stadtregionenmodellen zugeordnet (vgl. Boustedt 1960, BBR 2006; vgl. Kap. 3.3). Der Einsatz verschiedener Modelle der Stadtregionen erfordert einen demgemäß großen Aufwand der Datenaufbereitung. Es gibt keine Studien, in welchen eine dem historischen Wandel von Städten angepasste räumliche Klassifikation vergleichbare Anwendung erfahren hat. Es ist dargelegt worden, dass erst die vorgenommene Kategorisierung eine angemessene Grundlage schafft, urbanen Veränderungen methodisch und inhaltlich gerecht zu werden. Um Nahwanderungen zu erfassen und ursächlich zu erklären, bedarf es überdies eines theoretischen Ansatzes, der makro- und mikrotheoretische Vorgänge miteinander verknüpft. Der Einsatz eines Mehrebenensystems hat erheblich zu einer erweiterten Erkenntnis des Ursache-Wirkungs-Gefüges nahräumlicher Mobilität beigetragen (vgl. Schneider et al. 2002): Mit Bezug zur aktuellen Forschungsdiskussion ist auf dieser konzeptionellen und theoretischen Grundlage zunächst ermittelt worden, inwiefern sich der Prozess der Reurbanisierung empirisch belegen lässt. Die Auswertung der amtlichen Wanderungsstatistik erlaubt auf der Makro-Ebene eine umfassende Quantifizierung nahräumlicher Wanderungsströme. Es wird deutlich, dass zu den Untersuchungszeitpunkten im Zeitraum von 1985 bis 2005 Kerngebiete Einwohner zugunsten ihres Umlandes verlieren. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts verringern sich diese Verluste. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass Fernwanderungen maßgeblich zum Einwohnerbestand von Gemeinden beitragen. Nach dem Modell der Phasen urbaner Entwicklung ist ein Phasenwechsel zu beobachten (vgl. van den Berg et al. 1982; vgl. Kap. 5.2.2): Während bis Mitte der 1990er Jahre eine Urbanisierung als Folge der Ost-West-Wanderungen im Zuge der Wiedervereinigung überwiegt, setzt sich im Anschluss die seit den 1950er Jahren währende Phase der Suburbanisierung fort. Dies gilt jedoch nicht für das ganze Nordrhein-Westfalen (vgl. Kap. 5.3): In einzelnen Stadtregionen zeichnet sich für die jüngsten Untersuchungszeitpunkte die Phase der Reurbanisierung, in anderen die Phase der Desurbanisierung ab. In Letzterer befinden sich vorrangig Stadtregionen des Ruhrgebietes. Dies verdeutlicht den strukturellen Unterschied zwischen den beiden Untersuchungsteilräumen und weist nach, dass das Ruhrgebiet auch gegenwärtig von den Folgen der Deindustrialisierung betroffen ist. Nach Siedentop (2008) wird die Ursachenforschung aktueller urbaner Veränderung vernachlässigt (vgl. Osterhage 2008). Dies wird vorrangig dadurch bedingt, dass aussagekräftige Längsschnittdaten fehlen. Die zusätzliche Untersu-
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chung der Lebensverlaufsstudien des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung stellt deshalb einen weiteren Bestandteil des wanderungsbezogenen Mehrebenensystems dar. Sie ermöglicht es, den beschriebenen makrotheoretischen Nahwanderungsströmen ursächlich nachzugehen: Traditionell stehen Wanderungen im Zusammenhang mit bestimmten Phasen im Lebenslauf. Die bisherigen Forschungsergebnisse über die Richtung von Wanderungen infolge beruflicher und familialer Ereignisse finden sich für den Zeitraum von 1950 bis 1999 bestätigt, ebenso wie die Abnahme der (nah-)räumlichen Mobilität mit den jüngeren Geburtskohorten (vgl. Lee 1972, Dobberkau 1980, Rossi 1980, Cramer 1992., Birg et al. 1993, LTS 2001, Schlömer 2004; vgl. Kap. 6): Zum einen gehen die erste Bildungs- sowie Berufsaufnahme mit Wanderungen in die Stadtregion, insbesondere ins Kerngebiet als primären Standort von Bildungs- und Berufsstätten, einher. Zum anderen begünstigen das Eingehen einer ersten (nicht)ehelichen Partnerschaft sowie die bevorstehende Geburt der ersten beiden Kinder nahräumliche Mobilität aus der Stadtregion bzw. vom Kerngebiet ins Umland. Es werden somit Gemeinden bevorzugt, welche sich durch eine weniger verdichtete Wohnumgebung sowie geringere Bodenund Mietpreise auszeichnen (vgl. Kühn 1998, Wagner/Mulder 2000, Aring/Herfert 2001). Die Trennung vom ersten (nicht)ehelichen Partner fördert hingegen nahräumliche Mobilität unabhängig von deren Richtung. Restriktionen stellen persönliche Bindungen wie das Vorhandensein von Kindern sowie Ehepartner dar. Da sich die jüngsten Geburtskohorten im Schnittbereich der Untersuchungszeiträume befinden, können geburtskohortenspezifische Ergebnisse der MikroEbene die makrotheoretischen Vorgänge exemplarisch erklären (vgl. Kap. 7.1): In den jüngeren Geburtskohorten wird vermehrt mit der ersten Bildungs- bzw. Erwerbsaufnahme ins Kerngebiet gewandert. Zudem stellen (nicht)eheliche Partnerschaften sowie bevorstehende Geburten in diesen Geburtskohorten seltener einen Auslöser für Fortzüge vom Kerngebiet ins Umland dar. Infolge dieser Veränderungen verläuft der Prozess der Suburbanisierung langsamer – wie es die makrotheoretischen Ergebnisse belegen – bzw. derjenige der Reurbanisierung wird verstärkt. Werden diese Ergebnisse mit Blick auf die fortwährende Suburbanisierung in Nordrhein-Westfalen in Zusammenhang mit den Szenarien der Stadtentwicklung gebracht, dann setzt sich nach Hesse und Schmitz (1998) die bisherige Siedlungsentwicklung fort. Dies entspricht dem Status-Quo-Trend von Aring (1999b), nach welchem sich die Flächenausdehnung der Stadt ungehindert ausbreitet (Kap. 3.3.2). Der festgestellte Rückgang der Suburbanisierung gegen Ende des Untersuchungszeitraums deutet jedoch eine Änderung in der Stadtentwicklung an. Dieser entspricht das Szenario der einleitenden Reurbanisierung
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bzw. jenes der kompakten Stadt am ehesten (vgl. Hesse/Schmitz 1998, Aring 1999b). Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich diese Stadtentwicklungen ohne Anlass ergeben, sondern wie nachstehend ausgeführt im engen Zusammenhang mit stadt- und regionalpolitischen Maßnahmen stehen. Ohne diese ist es sehr unwahrscheinlich, dass Städte Einwohner gezielt gewinnen und somit ihr Stadtgefüge stärken (vgl. van den Berg et al. 1982, Hesse/Schmitz 1998; vgl. Kap. 3.3.2). Die vielfältigen Faktoren, welche Nahwanderungen sowohl auf der Makroals auch auf der Mikro-Ebene bedingen, sowie die zum Teil geringen Fallzahlen auf der Mikro-Ebene sind bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigen. Diese erlauben eine erste Einsicht in die Beschaffenheit des urbanen Wandels in Nordrhein-Westfalen. Zugleich ergeben sich Ansatzpunkte für weiterführende wissenschaftliche Arbeiten – über die Untersuchungsregion Nordrhein-Westfalen hinaus: Erst ein Vergleich, mit welchen Risiken nahräumlicher Mobilität dieselben Ereignisse im Lebenslauf von Akteuren verschiedener Geburtskohorten einhergehen, erklärt vorherrschende Wanderungsströme ursächlich. Es ist beispielsweise dargelegt worden, dass familiale Gründe seltener ins Umland führen. Im Hinblick auf künftige demografische Entwicklungen ist davon auszugehen, dass sich diese Wanderungen durch den steigenden Anteil an Einpersonenhaushalten und zunehmender Kinderlosigkeit zusätzlich verringern (vgl. IT.NRW 2010a). Darüber hinaus beeinflussen andere, nicht in dieser Arbeit untersuchte Ereignisse im Lebenslauf den Verlauf urbaner Prozesse: Die klassischen Phasen des Lebenslaufs verlieren zunehmend an Bedeutung (vgl. Kap. 4.2.2). Wie wirken sich in diesem Zusammenhang das Zusammenkommen mit neuen (Ehe-)Partnern und der ersten Erwerbstätigkeit folgende Beschäftigungen auf nahräumliche Wanderungsströme aus? Eine neue Herausforderung ist überdies die mit dem demografischen Wandel verbundene Alterung der Gesellschaft: Dieses Forschungsfeld, insbesondere die Analyse der räumlichen Mobilität der über 50-Jährigen, findet zunehmend Beachtung (vgl. Schader-Stiftung 1997, Kramer/Pfaffenbach 2007, Nuissl/Bigalke 2007, Gatzweiler/Schlömer 2008; vgl. Kap. 4.2.1). Daran schließen sich weitere Möglichkeiten für geburtskohortenspezifische Untersuchungen an: Im Vergleich zu früheren Generationen sind die über 50-Jährigen mobiler und haben eine längere Lebenserwartung. Daher wird aktuell diskutiert, ob sie die Nähe zu infrastrukturellen und kulturellen Einrichtungen der Kerngebiete suchen, wenn die Kinder ihr Elternhaus verlassen haben. Mit Bezug zu dem Wandel urbaner Prozesse tragen vermehrte Wanderungen dieser Altersgruppe in die urbanen Kerne zu dem Prozess der Bevölkerungsreurbanisierung bei. Für die Erforschung nahräumlicher Mobilität stellen diese (geburtskohortenspezifischen) Untersuchungsgegenstände Ansätze für künftige wissenschaftli-
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che Studien dar. Die Durchführung weiterer Längsschnittstudien in diesem Forschungsfeld – mit einer ausreichend großen Stichprobe für geburtskohorten- aber auch regionsspezifische Untersuchungen – ist daher wesentlich für den künftigen Erkenntnisgewinn. Neben diesen geburtskohortenspezifischen Untersuchungen auf Grundlage von Längsschnittdaten sollten verstärkt umfassende Analysen durchgeführt werden, welche die an den Wanderungsströmen beteiligten Personengruppen zum Gegenstand haben: Es ist beispielsweise die Tendenz deutlich geworden, dass in die Kerngebiete außerhalb des Ruhrgebietes zunehmend deutsche Personen ziehen, während die nicht-deutsche Bevölkerung die Kerngebiete in einem ähnlich hohen Maß verlässt. Aufschluss darüber, inwiefern dies einen Verdrängungsprozess nicht-deutscher Bewohner in das Umland von Stadtregionen bedeutet, können erst künftige Untersuchungen geben. In diesem Zusammenhang besteht mit Fokus auf die Untersuchungsregion ein weiterer Bedarf künftiger Wanderungsstudien: Es sollte vergleichend ermittelt werden, inwiefern sich die regionalpolitischen Eingriffe im Ruhrgebiet langfristig auf Nahwanderungen auswirken (vgl. Kap. 5.3, Kap. 6.3 und Kap. 6.4). Über die wissenschaftliche Bedeutung des Themas hinaus sind (Nah-)Wanderungen sowie die Diskussion um eine sich einleitende Reurbanisierung von wesentlicher Bedeutung für Städte und Kommunen: Der Beginn einer Reurbanisierung bedeutet das Ende des Bevölkerungsverlustes im Zuge der Suburbanisierung. Dieser seit Jahrzehnten fortdauernde Prozess hat schwerwiegende Konsequenzen zur Folge, welche beispielsweise städtebauliche, verkehrs- und umwelttechnische Belange betreffen. Die verschiedenartigen Auswirkungen können an dieser Stelle nur beispielhaft skizziert werden: Die flächenhafte Ausbreitung der Bevölkerung erfordert eine doppelte Ausstattung mit technischer und sozialer Infrastruktur sowohl im urbanen als auch im suburbanen Raum. Der Ressourcenverbrauch steigt enorm. Zeitgleich stellen Abwanderungen gewaltige Steuerverluste dar, mit denen Städte seit Jahren konfrontiert sind. Aufgrund dieser Einbußen bedeutet das Instandhalten der städtischen Infrastruktur eine große finanzielle Belastung für die Kommunen (vgl. Clemens 1961, ARL 1970, 1975a und 1978, Friedrichs 1985 und 1997, Brake et al. 2001b, Steinweg 2003, Burdack et al. 2005b; vgl. Kap. 2). Die fortschreitende Ausdehnung in das städtische Umland birgt jedoch weitere Handlungsfelder. Der Flächenverbrauch steigt auf Kosten des suburbanen bzw. ländlicheren Bereichs. Damit eng verbunden ist, dass sich der Verkehr zwischen der Stadt und ihrem Umland, aber auch innerhalb der Umlandgemeinden, potenziert und nachteilig auf die Umwelt auswirkt. Es ist bedenkenswert, dass trotz einer stagnierenden Bevölkerungsentwicklung der Siedlungs- und Verkehrsflächenzuwachs ca. 100 ha/Tag beträgt (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung 2004). Schließlich geht die Suburba-
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nisierung mit einer Segregation der Bevölkerung einher, da ins Umland eher finanziell besser gestellte Bevölkerungsgruppen ziehen (Friedrich-Ebert-Stiftung 2001). Wenngleich diese Arbeit einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zum Ziel hat – die Bestimmung vorherrschender Nahwanderungsströme in Nordrhein-Westfalen sowie ihrer Ursachen –, kann sie eine erste Grundlage für weiterführende Maßnahmen, nahräumlichen Abwanderungen und somit dem Prozess der Suburbanisierung entgegenzuwirken, bilden. Von den vielfältigen Maßnahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten von städtischer Seite ergriffen worden sind, können einige beispielhaft aufgeführt werden: Zu den ersten zählt die Ablösung des städtebaulichen Leitbildes der gegliederten und aufgelockerten Stadt durch das Leitbild Urbanität durch Dichte (vgl. Le Corbusier 1946, Heineberg 2006). In gegenwärtigen Ansätzen gewinnt die Zusammenarbeit von Städten und Gemeinden an Bedeutung. Neben Kooperationsmodellen von Städten (z.B. Städte-Netzwerk NRW) wirkt eine Organisation in Planungsverbänden von Großstadtregionen (z.B. Regionalverband Ruhr) der unkontrollierten Ausbreitung der Suburbanisierung entgegen. Daneben werden im Rahmen einer nachhaltigen Stadtentwicklung innerstädtische Flächen wiedergenutzt und innerstädtische Zentren gestärkt. Diskutiert wird zudem eine Reduzierung der Pendler- und Entfernungspauschalen, um Anreize für suburbane Ansiedlungen zu mindern, während eine Steuerverteilung, welche sich auch nach dem Arbeitsort richtet, die kommunale (Finanz-)Situation verbessern würde (Mäding 2000, Friedrich-Ebert-Stiftung 2001, BBR 2007). Zudem wird durch gezieltes Stadtmarketing versucht, den Wohnort Stadt für verschiedene Bevölkerungsgruppen attraktiver erscheinen zu lassen (Heinrich-Böll-Stiftung 2004, Heineberg 2006). Darauf Bezug nehmend können die Ergebnisse dieser Arbeit als ein erster Schritt des Stadtmarketings, der Situationsanalyse, interpretiert werden: An deren Ende steht eine umfassende Analyse der vergangenen sowie gegenwärtigen Situation nahräumlicher Mobilität in Nordrhein-Westfalen, vor allem im Hinblick auf eine sich einleitende Phase der Reurbanisierung. Diese Untersuchung berücksichtigt nicht nur den strukturellen Unterschied zwischen Stadtregionen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebietes, sondern darüber hinaus die Situation einzelner Stadtregionen. Auf dieser Basis können weitere Phasen des Stadt- bzw. Regionalmarketings, Konzeptionsphase, Maßnahmenplanung und Kontrollphase – aufbauen (Heinrich-Böll-Stiftung 2004, Heineberg 2006: 251). Es ist gezeigt worden, dass erst der Einsatz verschiedener Stadtregionenmodellen eine angemessene Untersuchung der Veränderungen nahräumlicher Wanderungsströme im zeitlichen Verlauf ermöglicht. Um Mobilitätsentscheidungen ursächlich nachzugehen, hat sich ein Mehrebenensystem, welches mak-
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ro- und mikrotheoretische Faktoren zueinander in Beziehung setzt, als geeignet erwiesen: Auf dieser Grundlage ist ein Wandel der nahräumlichen Mobilität im gesamten Nordrhein-Westfalen für mehr als ein halbes Jahrhundert nachvollzogen worden: Seit Ende der 1990er verringert sich das Ausmaß der Suburbanisierung. Damit dieses in eine Reurbanisierung übergeht, sollten bereits ergriffene stadtpolitische Maßnahmen weiter verstärkt werden. Nicht zuletzt ist dabei ein gemeindeübergreifendes Marketing, welches die Stadt als attraktiven Wohnstandort bewirbt, förderlich. Insgesamt bedarf es wohl überlegter und vielschichtiger kommunaler Anstrengungen, nahräumliche Mobilität in die gewünschte Richtung zu lenken: Vorherrschenden Nahwanderungsströmen ist eine gewisse Beständigkeit eigen – sie ist jedoch nicht so unumstößlich wie die Westwinddrift.
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Anhang
a.
Zusammenführung: Modell der Mobility Transition und Modell der Phasen urbaner Entwicklung
Da sich die Modelle von Zelinsky (1971) und van den Berg et al. (1982) ergänzen, werden sie im Folgenden zusammengeführt. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich mit Ausprägungen räumlicher Mobilität in einer Gesellschaft befassen. Vorindustrielle Frühe Transf.Gesellschaft phase
Späte Transf.phase
Moderne Gesellschaft
Postmoderne Gesellschaft S
Intensität
A 0
L AG
1
2
RZ AZ Urban.
3
4
RD AD Suburb.
5
6
AD RD Desurb.
A
Auswanderung
LS
Land-Stadt-Wanderung
S
Sonstige räuml. Bew. (Zirkulation)
AG
Agglomeration
SI
7
Bevölkerungsveränderung
SI
8
RZ AZ Reurb. Stadt-Stadt-Wanderung Innerstädt. Wanderung
Abbildung 69: Zusammenführung des Modells der Phasen der urbanen Entwicklung und des Modells der Mobility Transition Quelle: Verändert nach Zelinsky 1971: 233 und van den Berg et al. 1982: 38, vgl. Urbanczyk 2006: 33
K. Gerber, Räumliche Mobilität im Wandel, DOI 10.1007/978-3-531-92909-5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
310
Anhang
Während die letzte Phase des Modells von Zelinsky (1971) keine Aussagen über Wanderungen zwischen Stadt und Umland zulässt, können diese aus dem Modell von van den Berg et al. (1982) abgeleitet werden. Das Modell von Zelinsky (1971) bietet allerdings die Möglichkeit über die Wanderungen in Stadtregionen hinaus, Aussagen zu Zirkulationen und Auswanderungen zu treffen. Obwohl diese Umkehrung sehr aufschlussreich sein kann, wird sie nicht weiter verfolgt, da Fernwanderungen und zirkuläre Mobilität nicht Thema dieser Arbeit sind (vgl. Kap. 1.2). In Abbildung 69 werden die jeweils beschriebenen Phasen und die vorherrschenden Wanderungsströme bzw. Bevölkerungsveränderungen vergleichend dargestellt: Die frühe Transformationsphase entspricht dabei der Urbanisierung, während sich die späte Transformationsphase der Suburbanisierung zuordnen lässt. In der modernen Gesellschaft nimmt die Desurbanisierung ihren Verlauf. Finden politische Eingriffe statt, so ist für die postmoderne Gesellschaft eine Reurbanisierung denkbar.
311
Anhang
b.
Abbildungen Expansion Vergröß.d. Fläche Wachstum d. Bev. Erh. Flächenanspr.
Ausdehn. d. tert. Sektors i. d. City
Verlagerung v. Arb.Stätten a. d. Peripherie Verlag. v. Wohnstand. i. d. Suburbs
Sanierung von citynahen Gebieten Bau von Neusiedlungen
Selektive Migration Soziale Segregation
Bild./Stärk. von Subzentren
Erhöhung des Verkehrsaufk. Entstehen periph. Einkaufszentren
Straßenbau
Schwächung der City
Invest. in ÖPNV
Expansion
* Schwarze Schrift und Linien: Faktoren selektiver Migration
Abbildung 70: Modell des Ablaufs der Suburbanisierung Quelle: Verändert nach Friedrichs 1977: 180 Y < 4
3
5
2 0 7
1 5
AZ Urban. AD Desurban.
2 6
X
1
6 8 >
RZ Urban. RD Desurban.
3 7
RD Suburban. RZ Reurban.
4 8
AD Suburban. AZ Reurban.
mit: x = Bev.-Veränd. Kernst., y = Bev.-Veränd. Umland, A = abs., R = rel., Z = Zentr., D =Dezentr.
Abbildung 71: Typ-Į Schema Quelle: Verändert nach Kawashima 1987: 107
312
Anhang
Fortzüge
Nordrhein-Westfalen 2500 2000 1500 1000 500 0
800
Nordrhein-Westfalen unter 18-Jährige Fortzüge
Fortzüge
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
600 400 200
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Nordrhein-Westfalen 25- bis 29-Jährige
Nordrhein-Westfalen 30- bis 49-Jährige
Fortzüge
Fortzüge
400 0
400 200
800 600 400 200
0
0 85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Nordrhein-Westfalen 50- bis 64-Jährige
Nordrhein-Westfalen über 64-Jährige
Fortzüge
Fortzüge
600
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
600
800
800
200
0
800
Nordrhein-Westfalen 18- bis 24-Jährige
600 400 200
800 600 400 200
0
0 85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WKĺU
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WUĺK
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe)
Abbildung 72: Mittlere Wanderungsströme aller Stadtregionen in NRW (1985 2005) – Altersgruppen Quelle: Eigene Darstellung
313
Anhang
200 100 0 85 88 91 94 97 00 03 05
Wanderungssaldo
300
Jahr NRW ohne Ruhrgebiet 25- bis 29-Jährige
200 100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
300
NRW ohne Ruhrgebiet 50- bis 64-Jährige
100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Jahr
Wanderungssaldo SKNU Wanderungssaldo SNUWU
200 100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
300
Jahr NRW ohne Ruhrgebiet 30- bis 49-Jährige
200 100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Jahr
200
300
-200
Wanderungssaldo
-100
Wanderungssaldo
300
-200
Wanderungssaldo
NRW ohne Ruhrgebiet 18- bis 24-Jährige
Wanderungssaldo
Wanderungssaldo
NRW ohne Ruhrgebiet unter 18-Jährige
300
Jahr NRW ohne Ruhrgebiet über 64-Jährige
200 100 0 -100
85 88 91 94 97 00 03 05
-200
Jahr
Wanderungssaldo SKWU Wanderungssaldo SKU
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe)
Abbildung 73: Mittlere Wanderungssalden aller Stadtregionen in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 2005) – Altersgruppen Quelle: Eigene Darstellung
Anhang
1000 800 600 400 200 0
1000 800 600 400 200 0
Fortzüge
1000 800 600 400 200 0
NRW ohne Ruhrgebiet 18- bis 24-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
NRW ohne Ruhrgebiet 25- bis 29-Jährige
NRW ohne Ruhrgebiet 30- bis 49-Jährige
Fortzüge
1000 800 600 400 200 0
NRW ohne Ruhrgebiet unter 18-Jährige
1000 800 600 400 200 0
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
NRW ohne Ruhrgebiet 50- bis 64-Jährige
NRW ohne Ruhrgebiet über 64-Jährige
Fortzüge
Fortzüge
Fortzüge
Fortzüge
314
1000 800 600 400 200 0
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WKĺU
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WUĺK
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe)
Abbildung 74: Mittlere Wanderungsströme aller Stadtregionen in NRW ohne Ruhrgebiet (1985 - 2005) – Altersgruppen Quelle: Eigene Darstellung
315
1000 800 600 400 200 0
Fortzüge
1000 800 600 400 200 0
Ruhrgebiet unter 18-Jährige
1000 800 600 400 200 0
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Ruhrgebiet 25- bis 29-Jährige
Ruhrgebiet 30- bis 49-Jährige
1000 800 600 400 200 0
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Ruhrgebiet 50- bis 64-Jährige Fortzüge
Fortzüge
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
1000 800 600 400 200 0
Ruhrgebiet 18- bis 24-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Fortzüge
Fortzüge
Fortzüge
Anhang
1000 800 600 400 200 0
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WKĺU
Ruhrgebiet über 64-Jährige
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WUĺK
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe)
Abbildung 75: Mittlere Wanderungsströme aller Stadtregionen im Ruhrgebiet (1985 - 2005) – Altersgruppen Quelle: Eigene Darstellung
316
Ruhrgebiet Frauen
500 400 300 200 100 0
Fortzüge
500 400 300 200 100 0
Ruhrgebiet Männer
500 400 300 200 100 0
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
NRW ohne Ruhrgebiet Frauen
NRW ohne Ruhrgebiet Männer
Fortzüge
Fortzüge
Fortzüge
Anhang
500 400 300 200 100 0
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr Wanderung WKĺU
85 88 91 94 97 00 03 05 Jahr
Wanderung WUĺK
(relativiert an 100.000 Einwohner der jeweiligen Bevölkerungsgruppe)
Abbildung 76: Mittlere Wanderungsströme aller Stadtregionen im Ruhrgeb. und in NRW o. Ruhrgeb. (1985 - 2005) – Geschlecht
durchschnitt. Ausbildungsalter in Jahren
Quelle: Eigene Darstellung 20 18
16
16
15,99 15,45 15,92 16,49
18,41 17,5 17,81
16,98
14 12 10 8 6 4 2 0 1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1921 1931 1941 1951 1956 1961 Frauen Männer gesamt
1971 gesamt
Abbildung 77: Median des Alters zu Beginn der ersten Ausbildung Quelle: Eigene Darstellung
317
durchschnitt. Anzahl von Ausbildungen
Anhang
2,5 2,06 2
1,69
1,5
1,98 1,76
1,53
1,47
1,55
1,7
1,76
1 0,5 0 1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1921 1931 1941 1951 1956 1961 Frauen Männer gesamt
1971 gesamt
Abbildung 78: Durchschnittliche Anzahl von Ausbildungen bis zum Interviewzeitpunkt
durchschnitt. Alter bei ersten Erwerbstätigkeit
Quelle: Eigene Darstellung 25 20
17,7
17,7 17,9
18,1
18,7
19,8
20,4
20,9
19,3
15 10 5 0 1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1971 gesamt 1921 1931 1941 1951 1956 1961 Frauen Männer gesamt
Abbildung 79: Median des Alters bei der Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit Quelle: Eigene Darstellung
318
Durchschnittl. Alter bei Geburt
Anhang
35 30 25
30,8 26,6
29
25,8
29,5 28,5 28,4 27,3 27,3 27,2 25,8 25,5 26,0 24,1 24,3 24,1 25,6 24,5
20 15 10 5 0 1919 - 1929 - 1939 - 1949 - 1954 - 1959 - 1964 1971 gesamt 1921 1931 1941 1951 1956 1961 Alter 1. Kind
Alter 2. Kind
Abbildung 80: Median des Alters bei der Geburt des 1. und 2. Kindes Quelle: Eigene Darstellung
319
Anhang
c.
Tabellen
Tabelle 26: Variablen zur Wohngeschichte Thema Kriterien Wohnwechsel
Variablen anderer Wohnort1,2,3,4 / andere Wohnungen (innerhalb Wohnort)1,2,3 / Wohndauer mindestens drei Monate1,2,3 / Haushaltsveränderungen (z.B. elterlicher / eigener Haushalt)2,3 / Wohnartveränderungen (z.B. Miete/Eigentum)3 / privat, nichtprivate Wohnung2 Wohnort Ort1,2,3,4 / Stadtviertel2/ Stadt3 / Postleitzahl3 / Landkreis4 / Region1,2,3 / Bundesland4 / Land1,2 / Ausland4 Ortstyp (Kategorien Einwohnerzahl)1,2,3 / Entfernung zu vorigem Wohnort1,2 / Lage Entfernung Zentrum (nah-, fern)3 Haush.-Typ (z.B. eigener, elterlicher, anderer Personen)1,2,3 / Wohnart (z.B. Wohnung Miete, Eigentum)1,2,3 / Zimmerzahl1,3 (heutiger Wohnung)2 / Kaltmiete, Belastungen2,3 / and. Haush.-Mitglied. (z.B. (Schwieger-)Vater, Mutter, Anzahl ges.)1,3 Wohnwechsel Wohnbeginn, -ende (Monate und Jahre)1,2,3,4 / Gründe für Umzug1,2,3,4 / Zeitpunkt eigener Haushaltsgründung2,3,4 / erster Auszug Elternhaus4 / dauerhaftes Wohnen während Wehr-, Zivildienst3 / Wohnort nach Wehr-, Zivildienst3 Gemeinsam Fallnummer / Reihenfolge der Wohnungen / Wohnbeginn, -ende (Monate und aufbereitet Jahre) / Postleitzahl des Wohnortes1,2,3 / Text, Postleitzahl des Wohnortes4 / Gründe für Umzug (bis zu drei Nennungen, LV-West 64/71: eine Nennung) / Bundesland amtlich3 / Text Wohnort2,3,4/ Text, Gründe für den Wechsel2,3,4 1 = LV-West I, 2 = LV-West II, 3 = LV-West III, 4 = LV-West 64/71
Quellen: Mayer/Brückner 1989, 1995, Brückner 1993, Hillmert et al. 2004 Tabelle 27: Raumkategorien aller Wohnorte von 1950 bis 1999 – Geburtskoh. Raumkategorie Kernstadt (relativ) Ergänzungsgebiet (relativ) näh. Umland (relativ) weit. Umland (relativ) Land (relativ) and.Bundesland (relativ) Ausland (relativ) unbestimmt (relativ) Gesamt (relativ)
1920 203 43,47 49 10,49 14 3,00 4 0,86 91 19,49 94 20,13 9 1,93 3 0,64 467 100
1930 1940 209 275 70,85 74,73 4 6 1,36 1,63 0 0 0,00 0,00 0 0 0,00 0,00 38 31 12,88 8,42 37 43 12,54 11,68 5 7 1,69 1,90 2 6 0,68 1,63 295 368 100 100
Geburtskohorte 1950 1955 1960 1964 1971 358 311 325 315 191 71,74 37,38 39,39 30,52 28,21 6 73 94 163 145 1,20 8,77 11,39 15,79 21,42 0 41 33 87 47 0,00 4,93 4,00 8,43 6,94 0 19 21 62 40 0,00 2,28 2,55 6,01 5,91 53 203 161 217 154 10,62 24,40 19,52 21,03 22,75 63 153 170 159 78 12,63 18,39 20,61 15,41 11,52 13 32 21 21 16 2,61 3,85 2,55 2,03 2,36 6 0 0 8 6 1,20 0,00 0,00 0,78 0,89 499 832 825 1.032 677 100 100 100 100 100
gesamt 2.187 43,78 540 10,81 222 4,44 146 2,92 948 19,98 797 15,96 124 2,48 31 0,62 4.995 100
320
Anhang
Tabelle 28: Codierung der Variable ‚erste Bildungsaufnahme‘ Variable
Inhalt
Schule
Volks-/Hauptschulabschluss, Mittlere Reife/Realschulabschluss, Fach(ober)schule, Fachhochschulreife, Abitur/Fachabitur, Berufsvorbereitende Schulen
Ausbildung
Gewerbliche Lehre/Anlernzeit (öffentlicher Dienst), Kaufmännische Lehre/Anlernzeit (öffentlicher Dienst), Haus-/Landwirtschaftliche Lehre/Anlernzeit, Berufsfachschule, Fachschule (nach beruflicher Grundausbildung), Berufsakademie, sonstige Abschlüsse des berufsbildenden Schulwesens, Betriebliche Ausbildung, einfacher/mittlerer Dienst, sonstige Abschlüsse im öffentlichen Dienst, Berufliches Praktikum/Volontariat/BGJ (LVW6471), noch in Ausbildung
Studium
(Fach)Hochschule, 1./2. Staatsexamen, Diplom, Magister, Promotion
Unklar
Tnz (LVW6471), keine Angabe, weiss nicht, Teilabschnitt fortgesetzt, Teilabschnittsprüfung, Ausbildung unterbrochen, sonstiges – andere Angabe ohne spezifischen Abschluss, unklar welcher
321
Anhang
Tabelle 29: Wohnepisoden nach Wanderungsrichtung (1950 - 1999) Geburtskohorte 1920
1930
1940
1950
1955
1960
1964 1971
ges.
Nahwanderungen in NRW im Zeitraum von 1950 bis 1999 Personen Wohnep. in NRW Rechtszens. i. NRW erste Bildungsaufn. erste Erwerbsaufn. erste (N)EL. Partn. erste Geburt zweite Geburt erste Trennung
235 324 215 190 234 221 204 137 95
156 231 152 115 152 151 141 104 18
159 285 157 141 155 149 133 100 14
201 365 188 183 195 177 137 82 23
247 551 225 238 240 205 173 95 38
264 525 240 261 250 173 113 48 22
329 739 307 325 322 256 196 125 151
292 517 283 287 262 100 51 18 144
1.883 3.537 1.767 1.740 1.810 1.432 1.148 709 505
240 333 202 219 203
230 979 282 1.241 195 757 227 940 184 761
318 499 307 311 311
284 398 283 255 255
1.849 2.817 1.767 1.777 1.776
263 385 243 203 152 94
219 277 204 76 37 13
1.530 1.860 1.417 1.168 923 566
217 232 173 114 119 77
178 183 156 58 29 11
1.347 1.380 1.238 1.031 820 515
Nahwanderungen in NRW im Zeitraum von 1950 bis 1999 – in die Stadtregion Personen Wohnep. in NRW Rechtszens. i. NRW erste Bildungsaufn. erste Erwerbsaufn.
107 119 86 104 94
29 33 22 27 22
27 29 19 26 19
37 37 24 34 25
155 219 108 151 111
154 189 101 152 103
Nahwanderungen in NRW im Zeitraum von 1950 bis 1999 – in das Kerngebiet Personen Wohnep. in NRW Rechtszens. i. NRW erste Bildungsaufn. erste Erwerbsaufn.
232 281 215 231 231
156 219 152 152 151
159 270 157 155 155
201 347 188 195 195
243 401 225 236 236
256 402 240 242 242
Nahwanderungen in NRW im Zeitraum von 1950 bis 1999 – aus der Stadtregion Personen Wohnep. in NRW Rechtszens. i. NRW erste (N)EL Partn. erste Geburt zweite Geburt
187 205 166 175 159 107
135 139 133 130 120 86
146 152 142 136 121 91
169 172 164 150 113 66
200 259 170 164 137 76
211 271 195 134 84 33
Nahwanderungen in NRW im Zeitraum von 1950 bis 1999 – in das Umland Personen Wohnep.in NRW Rechtszens. i. NRW erste (N)EL Partn. erste Geburt zweite Geburt
170 170 154 158 145 96
133 133 133 128 119 85
142 142 142 132 118 90
164 164 164 147 111 64
160 167 145 131 108 62
183 189 171 163 71 30
322
Anhang
Tabelle 30: Einfluss der ersten Bildungsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet insgesamt und für Frauen (1950 - 1999) Nahwanderungen in das Kerngebiet Geburtskohorten insgesamt Frauen ohne Kovariaten Į ı Į ı *** *** 1920-40 1. Bild.-Auf. 3,59 0,634 2,70 0,542 1950-60 1. Bild.-Auf. 3,37*** 0,465 2,72*** 0,529 *** *** 1964-71 1. Bild.-Auf. 3,78 0,438 3,87 0,621 1920-40 1950-60 1960-71 1920-40 1950-60 1960-71 1 Likelih.-Ratio-Ȥ² 65,72*** 83,99*** 137,82*** 27,84*** 27,34*** 77,28*** df 1 1 1 1 1 1 Log-Likelihood -1.504,1 -1.983,0 -3.030,7 -767,74 -785,39 -1.384,63 Anzahl Beob. 1.018 1.073 1.933 520 499 915 Anzahl Nahwand. 246 335 469 139 150 243 1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Bildungsaufnahme gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Tabelle 31: Einfluss der ersten Erwerbsaufnahme auf Nahwanderungen in das Kerngebiet insgesamt und für Frauen (1950 - 1999) Nahwanderungen in das Kerngebiet Geburtskohorten insgesamt Frauen ohne Kovariaten Į ı Į ı *** *** 1920-40 1. Erw.-Auf. 2,83 0,534 1,66 0,372 1950-60 1. Erw.-Auf. 1,61*** 0,206 1,45*** 0,272 *** *** 1964-71 1. Erw.-Auf. 1,64 0,173 1,69 0,239 1920-40 1950-60 1960-71 1920-40 1950-60 1960-71 1 Likelih.-Ratio-Ȥ² 36,29*** 13,72*** 21,49*** 5,44*** 3,81* 13,18*** df 1 1 1 1 1 1 Log-Likelihood -1.518,8 -2.017,6 -3.088,9 -778,9 -797,2 -1.416,7 Anzahl Beob. 1.089 1.084 1.903 560 512 906 Anzahl Nahwand. 246 335 469 139 150 243 1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Erwerbsaufnahme gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
323
Anhang
Tabelle 32: Einfluss der ersten (N)EL auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland (1950 - 1999) – NRW o. Ruhr. und Ruhr.
erste (N)EL ohne Kovariaten erste (N)EL mit Kovariaten Bildung Kinder zur ersten (N)EL Geburtsort (Raumkat.) 1 Likelihood-Ratio-Ȥ² df Log-Likelihood Anzahl der Beobachtungen Anzahl der Nahwanderungen
Nahwanderungen vom Kerngeb. ins Umland NRW ohne Ruhrgeb. Ruhrgebiet Į ı Į ı *** *** 1,11 0,288 1,00 0,333 1,41*** 0,620 0,86*** 0,537 *** *** 1,47 0,183 2,36 0,438 0,73*** 0,342 1,24*** 0,799 *** *** 1,55 0,105 1,70 0,155 52,71*** 54,21*** 4 4 -390,80 -253,79 579 1.182 76 46
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten (N)EL gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Tabelle 33: Einfluss der ersten (N)EL auf Wanderungen vom Kerngebiet ins das Umland (1950 - 1999) – Geburtskohorten Nahwanderungen vom Kerngebiet ins Umland Geburtskohorten ohne Kovariaten 1920-1940 erste (N)EL 1950-1960 erste (N)EL 1964-1971 erste (N)EL 1
Likelihood-Ratio-Ȥ² df Log-Likelihood Anzahl der Beob. Anzahl Nahwand.
1920 - 1940 5,07** 1 -74,47 706 16
Į
ı
6,87*** 2,67*** 2,30*** 1950 - 1960 4,60** 1 -118,15 508 22
7,347 1,212 0,529 1960 - 1971 11,55** 1 -612,64 829 104
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten (N)EL gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
324
Anhang
Tabelle 34: Einfluss der ersten Geburt auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland – NRW o. Ruhr. und Ruhr. (1950 - 1999)
erste Geburt ohne Kov. erste Geburt mit Kovariaten Bildung Familienstand z. erst. Geburt Geburtsort (Raumkat.) 1 Likelihood-Ratio-Ȥ² df Log-Likelihood Anzahl der Beobachtungen Anzahl der Nahwanderungen
Nahwanderungen vom Kerngeb. ins Umland NRW ohne Ruhrgeb. Ruhrgebiet Į ı Į ı *** *** 0,60 0,187 0,57 0,222 1,98*** 1,437 1,67*** 1,700 *** *** 1,39 0,168 2,19 0,401 0,28*** 0,215 0,33*** 0,358 1,58*** 0,107 1,75*** 0,158 *** 56,44 56,40*** 4 4 -388,93 -252,70 554 1.112 76 46
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Geburt gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
Tabelle 35: Einfluss der ersten Geburt auf Wanderungen vom Kerngebiet ins Umland (1950 - 1999) – Geburtskohorten
1920-1940 erste Geburt 1950-1960 erste Geburt 1964-1971 erste Geburt 1
Likelihood-Ratio-Ȥ² df Log-Likelihood Anzahl der Beob. Anzahl Nahwand.
Nahwanderungen vom Kerngebiet ins Umland Į ı * 4,38 3,461 1,69* 0,813 1,37* 0,419 1920 - 1940 1950 - 1960 1960 - 1971 4,60** 1,13 0,97 1 1 1 -74,70 -119,89 -617,93 701 487 752 16 22 104
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Geburt gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
325
Anhang
Tabelle 36: Einfluss der ersten Trennung auf Nahwanderungen (1950 - 1999) – Geburtskohorten und Frauen
1920-1940 erste Trennung 1950-1960 erste Trennung 1964-1971 erste Trennung 1
Likelihood-Ratio-Ȥ² df Log-Likelihood Anzahl der Beob. Anzahl Nahwand.
1920 - 1940 0,32 1 -1.006,69 530 177
Nahwanderungen Į 1,16*** 1,14*** 2,02*** 1950 - 1960 0,12 1 -1.274,89 467 232
ı 0,292 0,440 0,238 1960 - 1971 30,58*** 1 -3.107,54 1.026 509
1 Die Likelihood-Ratio-Ȥ²- und Log-Likelihood-Werte beziehen sich auf das proportionale Modell mit allen Kontrollvariablen. Die Anzahl der Beobachtungen bezieht sich auf die nach der ersten Trennung gesplitteten Wohnepisoden. Signifikanzniveau: * p < 0,1; ** p < 0,05; *** p < 0,01
326
Anhang
Tabelle 37: Verwendete Kovariaten Variablenname Bildung
erste Bildungsaufnahme erste Erwerbsaufnahme erste (N)EL erste Trennung bevorstehende erste/zweite Geburt Familienstand zum Zeitpunkt der erst. Ͳ Bildungsaufn. Ͳ Erwerbsaufn. Ͳ Geburt Ͳ Trennung Geburtsort
Kinder zum Zeitpunkt der ersten Ͳ Bildungsaufn. Ͳ Erwerbsaufn. Ͳ Heirat Ͳ Trennung
Definition Höchster Schulabschluss zum Interviewzeitpunkt
Ausprägungen 0: kein Abschluss 1: Sonderschulabschluss 2: Haupt-/ Volksschulabschluss 3: Mittlere Reife 4: (Fach-)Abitur Zeitpunkt der ersten Bildungs- 0: vor erster Bildungsaufn. aufnahme 1: seit erster Bildungsaufn. Zeitpunkt der ersten Erwerbs- 0: vor der ersten Erwerbsaufnahme aufnahme 1: seit der ersten Erwerbsaufnahme Zeitpunkt der ersten Heirat 0: vor der ersten (N)EL (Geburtskohorten 64, 71: 1: seit der ersten (N)EL Zeitpunkt erster Lebenspartn.) Zeitpunkt der ersten Trennung 0: vor der ersten Trennung 1: seit der ersten Trennung vier Monate vor Zeitpunkt der 0: vor erster/zweiter Geburt ersten/zweiten Geburt 1: seit erster/zweiter Geburt Familienstand zum Zeitpunkt 0: nicht verheiratet der ersten 1: verheiratet Ͳ Bildungsaufnahme Ͳ Erwerbsaufnahme Ͳ Geburt Ͳ Trennung Raumkat. des Geburtsortes 1: Kernstadt 2: Ergänzungsgebiet 3: näheres Umland 4: weiteres Umland 5: ländlicher Raum Vorhandensein von Kindern 0: keine Kinder zum Zeitpunkt der ersten 1: Kinder Ͳ Bildungsaufnahme Ͳ Erwerbsaufnahme Ͳ Heirat Ͳ Trennung