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Zwei Freunde – das sind Georg, die eigentlich Georgina heißt, und der Hund Tim. Noch bevor sie als Fünf Freunde welt...
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Zwei Freunde – das sind Georg, die eigentlich Georgina heißt, und der Hund Tim. Noch bevor sie als Fünf Freunde weltberühmt werden, gehen Georg und Tim schon zusammen durch dick und dünn und lösen mutig ihre ersten Fälle. In diesem Band erleben sie ihr drittes Abenteuer. Weil ihr die Besucher ihrer Eltern auf die Nerven gehen, beschließt Georg, mit ihrem Freund Tim einen Tagesausflug auf die Felseninsel zu unter nehmen. Und zwar allein! Auf der Insel muss sie jedoch feststellen, dass sie alles andere als allein ist. Sie stößt auf zwei unheimliche Kerle und hört, wie diese ein Verbrechen planen. Zu dumm, dass Tim ausgerechnet in diesem Augenblick bellt und sie dadurch verrät …
Enid Blyton, 1897 in London geboren, begann im Alter von 14 Jahren, Gedichte zu schreiben. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1968 verfasste sie über 700 Bücher und mehr als 10000 Kurzgeschichten. Bis heute gehört Enid Blyton zu den meistgelesenen Kin derbuchautoren der Welt. Ihre Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt. Von Enid Blyton sind beim C. Bertelsmann Ju gendbuch Verlag und bei OMNIBUS folgende Se rien erschienen: »Zwei Freunde«, »Fünf Freunde«, »Fünf Freunde und Du«, »Die schwarze 7«, »Die verwegenen 4« und »Lissy im Internat«.
Zwei Freunde
und die Spur im Sand Aus dem Englischen von
Anna Claudia Wang
Illustriert von Lesley Harker
OMNIBUS
Der OMNIBUS Verlag gehört
zu den Kinder‐ & Jugendbuch‐Verlagen
in der Verlagsgruppe Random House
München Berlin Frankfurt Wien Zürich
www.omnibus‐verlag.de
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
1. Auflage 2001
© 2001 für die deutschsprachige Ausgabe
OMNIBUS/C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© für den Originaltext 2000 Enid Blyton Limited, London
Enid Blytons Unterschrift ist ein eingetragenes Warenzeichen
von Enid Blyton Limited.
Die englische Ausgabe erschien unter dem Titel »Just George – George,
Timmy and the Footprint in the Sand « bei Hodder Headline Limited,
London, und wurde geschrieben von Sue Welford.
The right of Sue Welford to be identified as the Author of the Work
has been asserted by her in accordance with the Copyright,
Designs and Patents act 1998.
© für die Innenillustrationen 2000 Lesley Harker
Übersetzung: Anna Claudia Wang
Umschlagbild: Michael Braman/Which Art
Umschlagkonzeption und Reihengestaltung: Atelier Langenfass
st • Redaktion: Brigitta Taroni (Büro linguart, Zürich)
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck: GGP Media, Pößneck
ISBN 3‐570‐12639‐0
Printed in Germany
Inhalt 1 In Schwierigkeiten!
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2 Besuch
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3 Georg fällt in Ungnade
26
4 Entwischt!
35
5 Unterwegs
44
6 Ein gefährliches Geheimnis
51
7 Tims Heldentat
61
8 Schnell nach Felsenburg
71
9 Corinna kommt zu Besuch
81
10 Und noch einmal nach Felsenburg
91
11 Das Gewitter
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12 Der Plan
110
13 Georg hat eine Idee
116
14 Das Abenteuer ist zu Ende
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1 In Schwierigkeiten!
»Er hat es doch nicht absichtlich getan, Vater«, rief sie. »Er dachte, das sei einer von seinen Stöcken.« Georg war ein eigenwilliges Mädchen mit kur zen dunkeln Locken und lebhaften blauen Augen. Seit sie den kleinen Hund gefunden und nach Hause gebracht hatte, war dieser schon oft in Schwierigkeiten geraten. Das Hauptproblem be stand darin, dass Tim am liebsten auf allen mögli chen Dingen rumkaute und sich einfach nicht be herrschen konnte. »Dann muss er draußen bleiben«, meinte der Vater streng. Seine buschigen Augenbrauen ballten 9
sich in der Mitte zu einem ärgerlichen Knäuel. »Ich will ihn nicht im Haus haben, wenn ihm nicht zu trauen ist.« Er blickte auf Georg hinab. Georgs Vater war groß und wirkte Respekt einflößend. Sein Haar und seine Augen waren dunkel und er hatte ein hitziges Temperament, genau wie Georg. Die zwei stritten sich oft, obwohl sie einander sehr gern hatten. »Also gut«, entgegnete Georg aufgebracht. »Dann bleibe ich eben auch draußen und komme nie mehr rein, damit du’s weißt!« Damit hob sie ihren kleinen ungezogenen Hund hoch und stürzte aus der Küche ins Freie. Die Tür schmiss sie hinter sich kräftig zu. Voller Zorn rannte Georg durch den Garten. Sie kletterte die Leiter zu ihrem Baumhaus hoch und zog Tim in seinem Aufzug nach oben. Dann hock ten sie gemeinsam in ihrem Haus und blickten verdrießlich aufs Meer hinaus. Das war total un gerecht! Kleine Hunde zerkauten nun einmal Din ge, das lag ihnen im Blut. Georg wohnte in einem großen alten Haus na mens Felsenhaus. Ihr Vater war ein bekannter Wissenschaftler und arbeitete zu Hause. Sein Ar beitszimmer lag ganz am Ende des Flurs. Das weiße Steinhaus hatte eine Eingangstür aus glän zendem, altem Holz und war von einem Garten 11
voller Rosen und Gemüsebeete umgeben. Es stand auf einer niederen Klippe, von der man auf den goldenen Sandstrand der Felsenbucht hinabblick te. Die Familie besaß das Haus schon seit vielen Jahren und weder Georg noch ihre Eltern konnten sich vorstellen, woanders zu wohnen. Der Eingang zur Bucht wurde von einer kleinen felsigen Insel bewacht, in deren Mitte sich eine ge heimnisvolle Burgruine erhob. Die Burg war uralt und hatte einst stolz und erhaben die Küste vor Eindringlingen beschützt. Georg spielte sehr gern auf der Felseninsel und ruderte häufig in ihrem kleinen Holzboot durch das gefährliche Riff dorthin. Georg war kein Bilderbuchmädchen. Puppen fand sie öde und Rüschenkleider hasste sie. Sie in teressierte sich mehr für abenteuerlichere Spiele. Deshalb hatte sie sich auch die Haare geschnitten, und zwar selbst. Kurze Haare waren viel prakti scher. Auf Bäume klettern, rennen, pfeifen und segeln, das machte ihr Spaß. Tim, den kleinen zot tigen Hund mit den großen Ohren und den treu herzigen Augen, hatte sie oben im Moor gefunden und niemand hatte ihn je vermisst. Jetzt war er ihr allerbester Freund und ein Leben ohne ihn konnte sie sich nicht vorstellen. Georgs Eltern hatten erlaubt, dass Tim im Fel senhaus bleiben durfte, allerdings nur solange er brav war. Leider war er das nur selten! 12
»Mach dir bloß nichts draus«, tröstete ihn Ge org, als sie im Baumhaus saßen. Sie knuddelte ihn ganz fest. »Vater wird seinen Stock schon bald vergessen haben und dann darfst du wieder ins Haus.« Georgs Vater war sehr zerstreut und vergaß ständig etwas. Daher hoffte sie, dass es auch diesmal so sein würde. »Wuff«, meinte Tim traurig. Er war sehr gern im Felsenhaus und die Aussicht, draußen bleiben zu müssen und nicht mehr jede Minute mit seiner Besitzerin verbringen zu können, behagte im gar nicht. So saßen die beiden eine Zeit lang nachdenklich da, bis sie plötzlich Georgs Mutter nach ihnen ru fen hörten. »Wir sind hier, Mutter!«, rief Georg und beugte sich etwas vor. Unter dem alten Apfelbaum, auf dem sich das Baumhaus befand, stand ihre Mutter und betrat eben eine der unteren Leiterspros sen.»Ach da seid ihr ja«, sagte sie und lächelte den beiden zu. »Warum hat Vater denn so rumge schimpft?« Georg band Tim in seinem Aufzug fest und ließ ihn vorsichtig zu Boden. Dann kletterte sie die Lei ter hinab und wandte sich ihrer Mutter zu. »Tim hat seinen Spazierstock zerkaut, das ist alles«, er klärte sie empört, die Hände in die Hüften ge 13
stemmt. »Aber er hat es nicht absichtlich getan. Er hat gedacht, es sei einer seiner Stöcke.« »Wuff, wuff«, bestätigte Tim und begrüßte Ge orgs Mutter mit freudigem Wedeln. Nach Georg war sie der ihm zweitliebste Mensch. Sie brüllte ihn nie so an, wie der eher unangenehme Mensch, den sie Vater nannten. »Ach herrje«, seufzte die Mutter. »Du solltest wirklich ein Auge auf ihn haben, Georg.« »Aber das habe ich ja«, protestierte ihre Tochter entrüstet. »Tja, dann musst du eben zwei Augen auf ihn haben«, lächelte ihre Mutter freundlich. Sie war die Streitereien zwischen Georg und ihrem Mann gewohnt und nahm sie aus Erfahrung nicht allzu
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ernst. »Du weißt, Tim darf nur hier bleiben, wenn er sich benimmt.« »Er gibt sich doch alle Mühe«, erwiderte Georg und bückte sich, um Tim nochmals zu umarmen. »Stimmt’s Tim?« »Wuff«, bekräftigte dieser und blickte unter sei nen dichten Augenbrauen zur Mutter hoch. Georgs Mutter musste beim Anblick ihrer hit zigen Tochter und des kleinen Hundes lachen. »Oh, übrigens«, sagte sie dann und warf einen Blick auf die Uhr. »Wir bekommen heute Besuch zum Tee. Ich möchte, dass du dich umziehst. Und bitte zeig dich von deiner besten Seite, Georg.« »Mich umziehen?«, rief Georg und blickte auf ihre ziemlich schmutzige kurze Hose und ihre Turnschuhe hinab. »Wozu denn das?« »Weil du reichlich unordentlich aussiehst«, be harrte ihre Mutter. »Frau Lieblich ist neu nach Fel senburg gezogen und ich habe sie zum Tee einge laden. Wenn sie dich so sieht, denkt sie, ich habe einen ziemlich schmuddeligen Jungen und nicht eine Tochter.« »Von mir aus, das ist mir sowieso lieber«, ent gegnete Georg trotzig. »Ich weiß«, antwortete ihre Mutter geduldig. »Aber ich habe ihr erzählt, dass ich eine Tochter habe, und möchte, dass du auch wie eine aus siehst. Zieh das blaue Kleid an, das ich dir gekauft 15
habe, als ich deinen Onkel und deine Tante be sucht habe.« Georg hatte einen Onkel und eine Tante samt zwei Vettern und einer Kusine, die in London wohnten. Die Vettern hießen Julius und Richard, die Kusine hieß Anne. Georg hatte sie noch nie gesehen und war auch nicht besonders scharf darauf. Vor allem das Mädchen konnte ihr gestohlen bleiben. Sie hielt Mädchen für zickig und kindisch und hatte keine Lust auf derlei Be kanntschaften! »Das ziehe ich aber bestimmt nicht an!«, sagte Georg voller Abscheu. »Ich finde es scheußlich.« Ihr Mutter seufzte erneut. Manchmal hatte sie die Streitereien mit ihrer Tochter satt. »Dann zieh wenigstens saubere Kleider an«, meinte sie. »Sie werden um drei hier sein.« »Wieso ›werden‹? Kommt sie nicht allein«, wollte Georg wissen, »diese Frau Dingsbums?« »Frau Lieblich«, sagte die Mutter. »Sie bringt ihre Tochter Corinna mit.« »Corinna? Sie hat eine Tochter?«, rief Georg entsetzt. »Ja«, antwortete ihre Mutter und ging auf das Haus zu. »Sie heißt Corinna und ich möchte, dass du nett zu ihr bist, bitte Georg. Wie wäre es, wenn du dieses eine Mal gehorchen würdest?« »Tut mir Leid, Mutter. Aber ich habe Tim ver sprochen, dass wir einen Spaziergang machen«, 16
erwiderte Georg. Der rettende Gedanke war ihr soeben gekommen. »Es kann gut sein, dass wir den ganzen Nachmittag weg sind!« Mit diesen reichlich ungezogenen Worten rann te sie los und rief ihren Hund: »Komm Tim, wer zuerst in der Bucht ist!« Die Mutter blickte ihr kopfschüttelnd nach und ging ins Haus zurück.
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2 Besuch
Georg und Tim hüpften und rannten im warmen Sonnenschein den Klippenweg hinab. Es war ein Sommertag wie im Paradies, der Himmel strah lend blau und die Vögel zwitscherten. Unvermit telt hoppelte ein Kaninchen vor ihnen über den Weg. Tim setzte ihm bellend nach. »Komm sofort zurück«, rief Georg. »Du willst dich doch nicht wieder verlaufen.« Tim gab die Jagd bald auf und trottete zu seiner Besitzerin zurück. Er tobte fürs Leben gern drau ßen herum, aber er würde nie vergessen, wie ein sam und verloren er damals im Moor gewesen 18
war, bevor Georg ihn gerettet hatte. Seither ent fernte er sich nie mehr allzu weit von ihr. Sie legten das letzte Stück des Klippenwegs zu rück und liefen dann den Sandstrand entlang. Das Meer war ruhig und friedlich. Sanfte Wellen schwappten ans Ufer und ließen kleine weiße Schaumspuren zurück. Georg fand es wunderbar, an einem so schönen Tag draußen in der frischen Luft zu sein. Sie atmete die frische Seeluft tief ein. Die beiden rannten zum Wasser und dann zu den zerklüfteten Felsen hinüber, wo die Klippe bis ans Meer reichte. Eine Zeit lang spielten sie Verste cken, dann erkundeten sie die Tümpel zwischen den Steinen. Am liebsten beobachteten sie die klei nen Krebse und die roten Seeanemonen, die darin lebten und im Wasser hin und her schwappten. Manchmal versuchte Georg, sie mit einem Stöck chen behutsam in Bewegung zu versetzen. »Zu einem Mädchen nett sein, das ist ja wohl das Letzte«, brummte Georg schmollend zu Tim, während sie vom Stein, auf dem sie saßen, einer Möwenschar nachsahen, die über die Wasserober fläche glitt. »Und überhaupt, weshalb lädt Mutter ein Mädchen zum Tee ein?« »Wuff«, antwortete Tim und blickte zu ihr hoch. Er spürte, dass seine Besitzerin unglücklich war, und drückte sich fest an sie, um sie aufzuheitern. Er mochte es nicht, wenn Georg bekümmert war. 19
Georg legte einen Arm um ihn. »Mutter versucht immer, Freunde für mich zu finden«, erklärte sie ihm. »Aber wozu bloß, wo ich doch dich habe, Tim.« »Wuff«, pflichtete Tim ihr bei. Er verstand wie immer ganz genau, was seine Besitzerin meinte. Nach einer gewissen Zeit fand Georg, dass es wohl besser war, ins Felsenhaus zurückzukehren. Es reichte, wenn sie wegen der Geschichte mit dem Spazierstock bei ihrem Vater schlechte Kar ten hatte. Da musste sie es nicht auch noch mit Mutter verderben! »Komm Tim«, rief sie und erhob sich widerwil lig. Georg brauste sehr oft auf und rannte dann gekränkt weg. Aber meist fing sie sich bald wie 20
der. Nun, da sie sich beruhigt hatte, war ihr klar, dass sie nach Hause gehen und die Besucherinnen begrüßen musste. Tim rannte bellend voraus. Er freute sich, wenn Besuch zum Tee kam. Wenn er sich vor den Leu ten manierlich hinsetzte und sie treuherzig ansah, bekam er fast immer etwas von ihren Leckerbissen ab! Als sie im Felsenhaus eintrafen, war der Besuch schon da. Johanna, die Haushälterin, stand in der Küche und richtete alles für den Tee her. Es gab mit Gurken belegte Brötchen, frische Tomaten aus dem Garten, knackigen Sellerie, einen Teller mit Zitronencremekeksen, einen riesigen Obstkuchen und eine Schokoladentorte. Georg lief das Wasser im Mund zusammen beim Anblick all der Köstlichkeiten, die nur noch darauf warteten, in den Garten hinausgetragen zu werden. Das Mittagessen war schließlich schon Ewigkeiten her und sie war furchtbar hungrig. Johanna gab ihr tadelnd einen Klaps auf die Hand, als sie im Vorbeigehen einen Keks zu stibit zen versuchte. »Deine Mutter lässt dir ausrichten, dass du nichts bekommst, bevor du dich umgezo gen hast«, sagte sie. Johanna war etwas mollig und hatte ein freund liches Gesicht, auf dem meist ein Lächeln zu sehen war. Heute aber blickte sie streng. 21
»Ach bitte Johanna, nur einen«, bettelte Georg. »Dann gehe ich und ziehe mich um, Ehrenwort.« »Also gut«, gab die Haushälterin nach und musste sich ein Lächeln verkneifen. »Aber wirk lich nur einen und dass du mir niemandem davon erzählst!« »Das werden wir bestimmt nicht tun, was Tim?«, grinste sie, nahm einen Keks und stürmte nach oben. Tim folgte ihr auf dem Fuß. Wenn er brav war, bekam er möglicherweise ein Stück Keks, noch bevor er den Besuch begrüßt hatte! »Und sei jetzt bitte ganz still«, flüsterte Georg. »Wenn Vater dich hört, erinnert er sich vielleicht daran, dass er dich nach draußen verbannt hat.« Zum Glück lag das Arbeitszimmer ihres Vaters genau auf der anderen Hausseite. Er hatte gar nicht gehört, wie Georg und Tim nach oben ge rannt waren. Ihr Zimmer lag direkt unter dem Dach. Es hatte eine schräge Decke und das eine der zwei Fenster gab den Blick aufs Meer frei. Georg übersah das schreckliche blaue Kleid, das ihre Mutter herausgelegt hatte. Statt dessen zog sie eine saubere kurze Hose und ein T‐Shirt an. Dann fuhr sie sich mit den Fingern durch das Haar und versuchte es etwas zu bändigen. Schließlich leckte sie mit der Zunge den rechten Daumen ab und rieb sich damit einen Schmutz fleck von der Nase. 22
»So, das muss reichen«, sagte sie zu Tim. »Komm, lass uns die Sache hinter uns bringen.« Die beiden rannten die Treppe hinunter und durch das Wohnzimmer in den Garten hinaus, wo Johanna eben den Tee servierte. »Ah, Georg, da bist du ja!«, rief ihre Mutter, als sie Georg erblickte, die mit finsterer Miene vor ih nen stand. In einem der Gartenstühle thronte eine große dünne, modisch gekleidete Dame mit knallroten Lippen und einem Strohhut. Sie betrachtete Georg erstaunt. Der Stuhl neben ihr war von Georg weggedreht und so sah sie von dem Mädchen nichts weiter als die beiden zwischen den Stuhlbeinen baumelnden Beine. Sie endeten in weißen Söckchen und hell blauen Sandalen. Kurz darauf blickte ein schmales Gesicht mit langen blonden Haaren Georg über die Stuhllehne an. Das Mädchen trug ein blassgelbes Kleid mit Puffärmeln und einem Rüschenkragen. Georg fand es das scheußlichste Kleid, das sie je gesehen hatte. »Georg«, rief ihre Mutter, »komm her und sag Frau Lieblich und Corinna guten Tag.« »Ach«, meinte die Dame zu Georgs Mutter, »ich hätte schwören können, dass du von einer Tochter erzählt hast, Fanny.« 23
»Na ja, eigentlich heißt sie Georgina«, erklärte die Mutter lachend. »Es ist nur so …« Weiter gelangte sie nicht, denn in diesem Mo ment kam Tim auf die Tür zugesaust. Er hatte ei nen Umweg über die Küche gemacht, um zu se hen, ob Johanna ihm noch etwas zustecken würde. Aber jetzt wollte er wieder zu Georg. Als er angerannt kam, stieß Corinna einen Schrei aus. »Ein Hund!«, kreischte sie. »Mutter! Mutter! Hilfe!« Sie sprang vom Stuhl auf und stürzte zu ihrer Mutter hinüber. Auweia, dachte Georg. Die ist vielleicht ein Ba by! Sich vor einem kleinen Hund zu fürchten! Die ser Teebesuch wurde offenbar noch schlimmer, als sie gedacht hatte.
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3 Georg fällt in Ungnade
»Keine Angst, Liebling«, versicherte Corinnas Mutter hastig. »Er ist doch noch ein Hundebaby. Er tut dir nichts.« Tim sah verwirrt aus. Das war ihm noch nie passiert, dass jemand ihn sah und zu kreischen begann! »Bring ihn fort«, beharrte Corinna, immer noch voller Angst. Tim wedelte mit dem Schwanz und grinste sie freundlich hechelnd an. »Es tut mir furchtbar Leid«, erklärte Frau Lieb lich. »Aber Corinna fürchtet sich vor Hunden.« »Bring ihn weg und binde ihn fest, Georg«, be 26
fahl ihr ihre Mutter. »Wir wollen doch nicht, dass sich unsere Gäste ängstigen.« »Ich werde ihn nicht festbinden!«, verkündete Georg empört. »Das ist sein Garten, nicht ihrer! Und er hat niemandem Angst gemacht. Sie ist to tal kindisch.« »Tut mir Leid, aber der Besuch geht vor«, ent gegnete ihre Mutter bestimmt. »Also bitte Georgi na, tu, was ich gesagt habe.« Georgina! Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Georg stürmte mit einem traurig aussehenden Tim davon. Er konnte es nicht verstehen. Was hat te er denn verbrochen? »Nimm es mir bitte nicht übel, Tim«, bat Georg. Sie holte einen Strick aus dem Geräteschuppen und befestigte das eine Ende an Tims Halsband. »Sobald ich kann, bringe ich dir ein Brötchen und einen Keks.« Das andere Strickende schlang sie um den Stamm eines Apfelbaums. Sie hasste es, Tim allein dort zu lassen. Aber sie wusste genau, dass es Momente gibt, in denen man besser ge horcht. Inzwischen schien Corinna sich von ihrem Schreck erholt zu haben. Sie saß wieder auf ihrem Stuhl und balancierte einen Teller mit Brötchen, Kuchen und Keksen auf dem Schoß. Als sie Georg mit finsterem Blick heranstampfen sah, verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse. Diese Corinna war 27
vielleicht kindisch! Fürchtete sich vor einem klei nen Hund! »Mein Mann und ich eröffnen ein Antiquitä tengeschäft in der Stadt«, erzählte Frau Lieblich Georgs Mutter. »Wir werden in den kommenden Wochen ganz schön viel zu tun haben.« »Wie schön«, erwiderte die Mutter. »Corinna kann jederzeit zu uns kommen und mit Georg spielen, wenn Ihr beide beschäftigt seid.« Georgs Gesicht verdüsterte sich noch mehr. Sie hatte gehofft, Corinna heute das erste und letzte Mal im Felsenhaus zu sehen. Nun sah es so aus, als würde sie wieder kommen! Das waren ja ät zende Aussichten! 28
Als sie mit Essen und Trinken fertig waren, kam Johanna und räumte ab. Georg war es gelungen, für Tim drei Kekse und etwas Schokoladentorte in die Hosentaschen zu schmuggeln. Sie wusste zwar genau, dass das alles eigentlich nichts für kleine Hunde war. Aber sie musste doch irgendwie wie der gutmachen, dass er den ganzen Nachmittag an einen Baum gebunden zugebracht hatte! »Zeig doch Corinna deine Schaukel und dein Baumhaus«, meinte ihre Mutter. »Ich gehe mit He len in den Rosengarten.« Georg rümpfte die Nase. Wer sich vor Hunden fürchtete, mochte vermutlich auch keine Baum häuser! »Geh ruhig, Corinna«, ermunterte sie Frau Lieblich. »Aber pass auf, dass dein Kleid nicht schmutzig wird.« Corinna hatte die ganze Zeit über noch kein einziges Wort zu Georg gesagt. Auch sie zog einen kräftigen Flunsch. Die zwei Mädchen waren ein ander bloß schmollend gegenübergesessen. »Und wo bitte ist dieses Baumhaus, Georgi na?«, fragte Corinna nun schnippisch, während sie hinters Haus gingen. »Auf diesen Namen höre ich schon gar nicht«, gab Georg darauf bloß überheblich zur Antwort. »Warum nicht?«, wollte Corinna wissen und warf ihr langes Haar über die Schultern. 29
»Darum. Ich höre nur auf Georg«, erwiderte Georg. »Gut, dann eben Georg«, lenkte Corinna ein. »Also wo ist nun dein berühmtes Baumhaus?« »Es ist gar nicht berühmt«, antwortete Georg, »und es ist auf einem Baum. Wo bitte sollte ein Baumhaus denn sonst sein? Du musst also eine Leiter hochklettern, um es dir anzusehen.« »Da gehe ich nicht hoch«, erklärte Corinna, als sie das Baumhaus erblickte und die alte Holzlei ter, die nach oben führte. »Mutti bringt mich um, wenn ich mein Kleid schmutzig mache.« »Wie du willst«, entgegnete Georg und lief zu Tim hinüber. Er hatte die Köstlichkeiten schon gewittert, die sie für ihn mitbrachte, und bellte aufgeregt. Corinna machte einen weiten Bogen um den kleinen Hund. Georg beugte sich zu ihm hinab und zog die ziemlich zerdrückten Leckerbissen aus ihren Hosentaschen. Blitzschnell hatte Tim sie verschlungen und steckte zur Sicherheit noch die Nase in Georgs Hosentaschen, um auch alle übrig gebliebenen Krümel zu erwischen. »Ich werde ihn jetzt losbinden«, verkündete Georg, als Tim fertig war. »Er hat es satt, ange bunden zu sein.« Corinna sah voller Angst zu, wie Georg den Strick von seinem Halsband löste. Eifrig sprang 30
Tim auf sie zu. Endlich bekam er Gelegenheit, mit dem Mädchen Freundschaft zu schließen. »Ahh«, kreischte Corinna und kletterte eilig die Leiter zum Baumhaus hoch. Die Angst, Tim könn te an ihr hochspringen, war größer als die Furcht davor, die Leiter hochzuklettern. »Ich komme nicht mehr herunter, bis du ihn wieder angebun den hast«, rief sie. »Von mir aus«, sagte Georg. »Dann bleib dort oben. Wir gehen Ball spielen.« Sie holte Tims Ball aus dem Geräteschuppen und begann mit dem Hund zu spielen. Zuerst musste er sich setzen. »Bleib!«, befahl sie. Dann warf sie den Ball, so weit sie nur konnte, in die Wiese hinaus. Tim zitterte vor Erregung. Das war eines seiner Lieblingsspiele, aber er durf te den Ball erst holen, wenn seine Besitzerin es er laubte. Er schaute mit seinen schmelzenden braunen Augen zu ihr hoch. »Also, Tim«, erlöste ihn Georg endlich und strahlte ihn an. »Jetzt – hol ihn!« Pfeilschnell flog Tim durch den Garten. Er packte den Ball, brachte ihn zurück und legte ihn Georg vor die Füße. »So ist’s brav!« Sie knuddelte ihn. »Du bist ein guter Hund!« Dann warf sie den Ball erneut. Etwas später kamen ihre Mutter und Frau Lieb lich um die Ecke. 31
»Wir müssen gehen«, rief Frau Lieblich. Als sie Georg mit Tim spielen sah, hielt sie inne. Ihre Tochter war nirgends zu sehen. Wo steckte sie bloß? »Ich bin hier oben, Mutti«, rief Corinna vom Baumhaus herab. »Corinna, was machst du denn da oben? Nun sieh dir dein Kleid an, es ist ganz schmutzig«, rief Frau Lieblich und blickte tadelnd zu ihrer Tochter hoch. Georg hielt Tim am Halsband fest, während Corinna die Leiter hinabkletterte und mürrisch unten ankam. Ihr Kleid war vorne mit grünen und braunen Schmutzstreifen übersät. »Tut mir Leid, Mutti«, sagte sie und ließ den Kopf tief hängen, damit das lange Haar ihr Gesicht verdeckte. Georgs Mutter ahnte, was geschehen war, und war sehr zornig. »Geh sofort in dein Zimmer, Ge org!«, befahl sie streng. Für gewöhnlich war sie sehr gerecht und gab Georg immer Gelegenheit zu einer Erklärung. Doch diesmal war sie wütend und verlegen zugleich. »Aber ich habe doch …«, setzte Georg an. »Sofort, Georgina«, beharrte ihre Mutter. »Und leg Tim bitte wieder an die Leine, bevor du gehst!« Georg band ihren kleinen Hund wieder an. »Es war nicht meine Schuld«, murmelte sie, obwohl sie genau wusste, dass das Gegenteil der Fall war. 33
»Das ist mir furchtbar peinlich, Helen, ent schuldige bitte«, bat Georgs Mutter. »Ich weiss nicht, was in Georg gefahren ist. Ich meine, zuzu lassen, dass Corinna sich so schmutzig macht.« Corinna stand da und starrte wortlos auf ihre Füße. »Mach dir keine Sorgen, Fanny«, antwortete Frau Lieblich. »Ich werde dafür sorgen, dass Co rinna morgen etwas Passenderes anzieht.« »Morgen!«, grummelte Georg aufgebracht vor sich hin, als sie, wütend wie schon lange nicht mehr, hinein und die Treppe hochstampfte. »Das darf doch nicht wahr sein! Das sind ja entsetzliche Aussichten!«
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4 Entwischt!
Oben angekommen, schmiss Georg ihre Zimmer tür so kräftig, wie sie nur konnte, ins Schloss. Es durften ruhig alle wissen, dass sie echt wütend war. Sie stampfte zu ihrem Bett, ließ sich darauf plumpsen und blickte finster aufs Moor hinaus. Im Grunde genommen hatte sie ein ziemlich schlechtes Gewissen. Sie war zu Corinna sehr un freundlich gewesen und hatte sie in Schwierigkei ten gebracht. Aber es war einfach ätzend, wenn die Erwachsenen einen zu etwas zwangen, das man verabscheute! Warum ließen sie Tim und sie nicht einfach in Ruhe? Mehr wollte sie doch gar 35
nicht. Sie wollte nur mit ihrem kleinen Hund zu sammen sein, ohne dass sich ständig jemand ein mischte oder sagte, was sie zu tun hatte. Sie war noch immer todunglücklich, als ihre Mutter ins Zimmer trat. »Du hast mich heute sehr enttäuscht, Georg«, begann sie und sah dabei ganz bekümmert aus. »Es tut mir Leid, Mutter«, murmelte Georg. »Aber es ist so kindisch, sich vor Tim zu fürchten.« »Damit musst du dich abfinden. Corinna wird morgen wieder herkommen«, antwortete ihre Mutter entschieden. »Du wirst Tim also wieder festbinden müssen.« Georg bedachte sie mit einem eisigen Blick und schwieg. Tim festbinden, das war mehr als sie er tragen konnte. Das würde sie nicht tun! Sie musste sich bloß überlegen, wie sie sich den ganzen Tag lang dünne machen konnten! Abends im Bett tüftelte Georg einen Plan aus. Im Haus war alles ruhig. Nur das Rauschen des Meeres war zu hören. Ihre Eltern waren zu Bett gegangen und Tim lag auf seinem Plätzchen in der Küche vor dem Herd. Nicht mehr lange und sie konnte ihn holen. Georgs Eltern erlaubten nicht, dass Tim auf ih rem Bett schlief. Deshalb wartete sie Nacht für Nacht, bis alle eingeschlafen waren, und schlich dann nach unten, um ihn zu holen. Am Morgen 36
stand sie ganz früh auf und brachte den Hund in die Küche zurück. Ihre Eltern fragten nie, wo Tim schlief, und so hatte sie es ihnen auch nie beichten müssen. Denn Georg sagte immer die Wahrheit. Falls ihre Eltern einmal Verdacht schöpften und sie fragten, würde sie es ihnen wohl oder übel ge stehen. Als sie sicher war, dass niemand sie hören wür de, warf Georg die Decke zurück und schlüpfte aus dem Zimmer. Sie schlich die Treppe hinab. Kaum konnte sie es erwarten, Tim von ihrem Plan zu erzählen. Der kleine Hund wartete lautlos an der Tür, als Georg die Küche betrat. Das gehörte auch zu sei nen Lieblingsspielen: vor dem Herd liegen und warten, bis seine Besitzerin kam und dann mit ihr ins Zimmer hochschleichen. Das machte Spaß! »Also Tim«, flüsterte das Mädchen, nachdem sie beide es sich im Bett bequem gemacht hatten. »Wir werden morgen Folgendes tun, wenn das grässliche Mädchen wiederkommt …« »Wuff«, antwortete Tim ganz leise. Er liebte es, wenn Georg ihm Geheimnisse ins Ohr flüsterte. Das bedeutete immer, dass sie ein Abenteuer erle ben würden. »Wir werden Johanna fragen, ob sie mir hilft, ein Picknick zusammenzustellen, und dann den ganzen Tag auf der Felseninsel verbringen«, wis 37
perte sie. »Dort wird uns das grässliche Mädchen niemals finden!« Beim Wort Felseninsel stellte Tim die Ohren auf. Georg hatte schon lange versprochen, einmal mit ihm hinauszufahren. »Wir werden zusammen spielen, Tim«, sagte Georg und kraulte ihn. »Und ich werde dir die Burgruine mit den beiden Türmen zeigen.« »Wuff!« Tims Schwanz trommelte voller Freude auf das Bett. Sein kleines Herz pochte aufgeregt. »Dann werden wir uns die Burg zusammen ganz genau ansehen«, fuhr Georg fort und strei chelte über seinen weichen Kopf. »Es gibt einen tollen Saal mit einem offenen Kamin. Wir könnten uns ausmalen, dass wir Soldaten sind und die
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Bucht bewachen.« Sie umarmte den kleinen Hund. »Ach Tim, das wird irre toll!« Als Georg am nächsten Morgen erwachte, war der Himmel strahlend blau. Ein weiterer wunder barer Sommertag kündigte sich an. Sie setzte sich auf, streckte sich und blickte aus dem einen Fenster auf das glitzernde Meer hinaus. Die Vorfreude durchfuhr sie wie ein Blitz. Auf der Felseninsel zu spielen zählte zu den allerliebsten Dingen, die sie tat! Die Felseninsel war seit vielen Jahren im Besitz ihrer Mutter. Und ihre Mutter hatte versprochen, sie würde eines Tages ihr, Georg, gehören. Unvermittelt flatterte eine Möwenschar mit auf gebrachtem Krächzen von der Insel hoch. Dann blitzte es ganz seltsam, als würde jemand am hell lichten Tag einen Scheinwerfer benutzen. »Tim, hast du das gesehen?«, rief Georg höchst erstaunt. Was war das für ein seltsames Licht? Tim sprang hoch, die Vorderpfoten auf der Fensterbank. Er konnte nichts sehen außer dem Himmel, dem Sonnenschein und einer Möwen schar, die durch die Luft segelte. »Irgendwas hat diese Vögel aufgeschreckt«, flüsterte Georg stirnrunzelnd. »Was wohl?« Sie starrte eine Weile zur Insel hinaus, doch bald ließen sich die Vögel wieder nieder und alles schien wieder ruhig zu sein. 39
Georg zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten, Tim.« Noch war es sehr früh und ihre Eltern schliefen tief und fest. Schnell schlüpfte Georg in Hose und T‐Shirt und schlich mit Tim nach unten und hin aus in den Garten. Dort sah sie, wie Johanna gera de ihr Fahrrad über den Gartenweg zum Haus schob. »Johanna, hilfst du mir bitte, ein Picknick zu rechtzumachen? Wir fahren zur Insel hinaus«, rief Georg ihr zu und rannte ihr entgegen. Tim kam ihr nach und lief dann neben dem Rad her. Er bellte und versuchte hopsend, mit den Zähnen einen der Reifen zu erwischen. »Es ist ein wunderbarer Tag für ein Picknick«, antwortete Johanna, die über den knurrenden und bellenden Tim lachen musste. »Warum nicht, wenn deine Mutter damit einverstanden ist.« »Ach, mach dir darüber keine Gedanken«, meinte Georg eilig. »Ich schreibe ihr einen Zettel, damit sie weiß, wo wir sind.« »Auch gut«, stimmte Johanna zu. »Wir gehen schon bald«, fügte Georg hinzu. »Wäre es möglich, dass wir das Picknick gleich zubereiten?« »Alles schön der Reihe nach«, sagte Johanna und stellte das Fahrrad vor der Hintertür ab. »Erst werde ich dir dein Frühstück machen.« 40
Nach dem Frühstück kritzelte Georg hastig ei nen Zettel für ihre Eltern und schob ihn unter de ren Schlafzimmertür durch. »Ich picknicke auf der Felseninsel«, hatte sie geschrieben. »Ich glaube nicht, dass Corinna heute gern mit mir spielen würde, aber sie darf ruhig mit meinen Sachen spielen, wenn sie möchte.« Georg war großzügig, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, dass Corinna gern mit ihrer Ei senbahn und ihren Autos spielte. Sie hielt Corinna mehr für die Sorte Mädchen, die Puppen und so mochte, also genau die Dinge, die sie selbst öde fand. Zu zweit füllten sie Georgs Rucksack mit Köst lichkeiten. Am Ende waren mit Tomaten belegte Brote, Kuchen, Kekse, eine Flasche hausgemachte Ingwerlimonade sowie eine weitere mit Wasser und ein paar Hundekekse für Tim drin. »Danke Johanna«, sagte Georg und warf sich den Rucksack um. »Komm Tim, auf geht’s.« Ein klitzekleines schlechtes Gewissen hatte sie schon, als sie sich mit Tim auf den Weg zur Bucht hinab machte. Mutter würde nicht gerade jubeln, wenn sie herausfand, dass Georg nicht da war, um mit Corinna zu spielen. »Tja, da kann man nichts machen. Habe ich Recht, Tim?« fragte Georg und verzog das Ge sicht. »Ich kann doch nicht zulassen, dass du bloß 41
wegen dieses doofen Mädchens den ganzen Tag an der Leine liegen musst.« »Wuff«, bellte Tim und rannte voraus. Hurra! Sie gingen auf die Insel. Das würde ein besonders aufregender Tag werden, er spürte es!
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5 Unterwegs
Georgs kleines Holzruderboot lag in der Felsen bucht, schön sicher an Land gezogen. Tim sprang hinein und setzte sich in den Bug. Er wedelte freudig und hechelte erwartungsvoll. Die salzige Meerluft machte ihn ganz aufgeregt. Georg legte ihren Rucksack auf die Bank und schob das Boot durch den Sand ins Wasser. Das Meer war ruhig und glitzerte freundlich, es war kaum eine Welle zu sehen. Sie sprang ins Boot und begann Richtung Insel zu rudern. Das Wasser schwappte sanft um das kleine Boot, während es durchs Wasser glitt. Tim 44
erhob sich und begann die kleinen Bugwellen vor sorglich anzubellen. Sollte unvermutet eine hohe Welle kommen, würde er sie mit seinem bedrohli chen Bellen sicher gleich verjagen. Um die Insel herum gab es ein gefährliches Fel senriff. Aber Georg kannte es wie ihre Hosenta sche und führte das Boot sicher hindurch. »Wir sind fast da, Tim«, keuchte sie zehn Minu ten später und steuerte das Boot zwischen zwei spitzen Felsen hindurch. Sie hielt auf einen halb mondförmigen Streifen von goldenem Sand zu und tat einen letzten, kräftigen Ruderzug. Dann glitt das Boot in den kleinen Naturhafen und lief knirschend auf dem Sandstrand auf. Sie waren gelandet! Tim sprang hinaus und Georg zog die Ruder ein. Dann folgte sie ihm und zog das Boot ein gu tes Stück am Ufer hoch, damit die Flut es nicht er reichen konnte. Tim sah sich um. Er traute seinen Augen nicht. Wo immer er hinblickte, sah er Kaninchen. Hier gab es mehr Kaninchen, als er in seinen schönsten Träumen gesehen hatte. Hunderte! Kleine, große, Babykaninchen und alte Karnickel. Er kläffte auf geregt, aber keines der Tiere nahm ihn auch nur zur Kenntnis. »Denk dran, Tim«, warnte Georg ihn und hob den Rucksack aus dem Boot. »Du darfst kein Ka ninchen jagen, hast du mich verstanden?« 45
Tim bebte von Kopf bis Schwanzspitze. Er sah Georg an. War das ihr Ernst? Sie hatte doch ge sagt, sie würden zusammen ein Abenteuer erle ben. Und Kaninchen jagen war ja wohl ein Aben teuer, oder nicht? Doch es war eindeutig. Seine Besitzerin meinte, was sie sagte. Sie sah ihn ganz streng an. Ihre Miene verriet ihm, dass er gehorchen musste. »Das sind meine Kaninchen und ich liebe sie. Ich lasse nicht zu, dass du ihnen Angst machst«, sagte sie entschieden. »Und du wirst auch die Möwen nicht jagen.« »Wuff«, blaffte Tim. Es klang sehr enttäuscht. Traurig sah er zu den Möwen hoch, die über ihm
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kreisten. Was hatte er hier auf Georgs Insel zu su chen, wenn er weder Kaninchen noch Möwen ja gen durfte? »Es tut mir Leid, mein Guter«, meinte Georg. Sie beugte sich hinab und knuddelte ihn liebevoll, als sie sein enttäuschtes Gesicht sah. »Komm, lass uns auf Entdeckungstour gehen, bevor wir etwas essen.« Die Kaninchen stoben in alle Richtungen aus einander, als Tim voraussauste. Er gab sich Mühe, die vielen kleinen putzigen Schwanzquasten zu ignorieren, die zu sehen waren, als die Tiere sich in ihre Höhlen trollten. Sie waren überall zu Hau se: in Grashügeln, unter Felsen und im Wurzel werk. »Hier lang Tim«, rief Georg. »Lass uns zur Burg gehen.« Es dauerte nicht lange, da rannten die beiden vergnügt den mit Gras bewachsenen Hügel hoch und in einen der beiden Türme hinein. Tim starrte verdutzt nach oben. Das war vielleicht ein komi sches Gebäude. Durch ein riesiges Loch im Dach konnte man den Himmel sehen. Er begann wie ein Kreisel herumzurennen und aufgeregt zu bellen! »Dieser Turm ist sehr baufällig«, erklärte ihm Georg. »Aber der andere ist mehr oder weniger ganz.« Eine Dohlenschar brach beim Anblick dieses 47
seltsamen Tiers mit dem braunen Fell in lautes Geschrei aus. So etwas hatten sie noch nie auf ih rer Insel gesehen. Krächz! Krächz! Was suchst du denn hier? »Diese Treppe führt zum Burghof«, sagte Georg zu Tim, der unter einem Torbogen oberhalb einer zerfallenen Steintreppe stand. Sie rannte hinab und nahm dabei immer zwei Stufen auf einmal. Tim folgte ihr auf den Fersen. »Schau Tim, dort ist der geheimnisvolle Saal«, rief Georg Tim zu. »Lauf, such ihn ab!« Tim rannte voraus und gelangte in einen dunk len gemauerten Raum mit einem offenen Kamin in der einen Wand. Der kleine Hund bellte laut und gleich darauf hallte ein Gebell von allen Seiten wi der. Gab es hier noch einen Hund? Einen mit einer Stimme, die wie seine klang? Er bellte erneut. Nur zur Sicherheit, falls es da tatsächlich einen anderen Hund gab und er ihn verjagen musste. »Aber Tim«, lachte Georg und umarmte ihn, als sie sein verdutztes Gesicht bemerkte. »Das ist doch bloß dein Echo.« »Wuff! wuff!«, bellte Tim erneut. Jetzt, da er wusste, dass er der einzige Hund hier war, konnte ihn nichts mehr erschüttern. »Komm«, meinte Georg, die es plötzlich schau derte. »Hier drin ist es dunkel und feucht. Nur durch die zwei Fensterschlitze dort oben dringt 48
etwas Licht. Lass uns in die Sonne gehen und pick nicken, ja?« »Wuff«, stimmte Tim ihrem Vorschlag zu. Pick nick gehörte zu seinen Lieblingswörtern. Und so setzten sich die beiden in den Hof der geheimnisvollen Burg, um ihr köstliches Picknick zu verzehren. Georg packte alles aus und breitete es auf einem flachen Steinblock aus, der von der Turmruine stammte und einen hervorragenden Tisch abgab. Die Sonne schien ihr beim Essen warm auf den Nacken. Zuerst machte sie sich über die Tomaten brote her, dann kamen die selbst gebackenen Ku chen und die Kekse an die Reihe. Zuletzt spülte sie alles mit Ingwerlimonade hinunter. Sie schmeckte wunderbar, besonders wenn man sie direkt aus der Flasche trank. Tim lag im Schatten und tat sich an seinen Kek sen gütlich. Johanna hatte noch einen seiner Spe zialknochen eingepackt, den er genussvoll zernag te. Dann schlappte er vom frischen Wasser, das ihm Georg aus einer Flasche in einen besonderen Picknicknapf für Hunde gegossen hatte. Georgs Mutter hatte diesen Napf in der Tierhandlung im Dorf gekauft. Am Ende waren sie so satt, dass sie fast platzten. Georg streckte sich auf dem Boden aus und wandte das Gesicht der Sonne entgegen. »Ach 49
Tim, es ist phantastisch hier und ich bin so müde. Du auch?« »Wuff«, kam die Antwort. Er war wirklich ziemlich schläfrig. Also legte er sich hin, die Nase zwischen den Pfoten, und döste ein. Georg spürte, wie ihre Lider immer schwerer wurden, und schlief ebenfalls ein – voller Glück und Inselpicknick. Bienen umschwirrten die Blu men rundum und die Kaninchen kamen wieder aus ihren Höhlen gehoppelt, um draußen zu spie len. Georg und Tim waren im Paradies!
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6 Ein gefährliches Geheimnis
Eine halbe Stunde später wachte Georg wieder auf. Sie öffnete die Augen und sah als Erstes ein dunkles Augenpaar, das sie anstarrte. Ein beson ders neugieriges Kaninchenbaby war ganz nahe herangehoppelt, um sich das Wesen anzusehen, das tief und fest vor seinem Bau schlief. Als Georg sich aufsetzte, floh es und warnte mit bebender Schwanzquaste alle anderen. Georg streckte sich und gähnte. »Komm Tim«, 51
befahl sie und stand auf. »Jetzt zeig ich dir den Rest der Insel. Und dann spielen wir Verstecken, abgemacht?« »Wuff« erwiderte Tim, der sich ebenfalls erhob, streckte und dann auch noch schüttelte. »Wuff, wuff.« Er rannte an den Strand hinunter und Georg folgte ihm. »Hier lang«, rief sie, »auf die andere Seite.« Sie kletterten um die Felsen herum und schlen derten am Ufer entlang auf die andere Seite der Insel. »Hier drüben gibt es eigentlich nicht viel zu se hen, bloß …«, setzte sie an. Dann verstummte sie unvermittelt und hielt den Atem an. Sie hatte im Sand etwas Seltsames und Eigenartiges entdeckt. Mit klopfendem Herzen bückte sie sich. »Sieh doch, Tim«, rief sie. »Fußspuren!« Und wirklich, hinter einem Felsen begann eine Fährte und führte zum Grashügel hinter der Burg hoch. Georg sah immer wütender aus. Jemand, der nicht das Recht dazu hatte, befand sich auf der Felseninsel! Dann erinnerte sie sich an das, was sie frühmorgens vom Schlafzimmerfenster aus gese hen hatte. »Ich wette, das war’s, was die Möwen heute Morgen erschreckt hat«, verkündete sie. »Es war jemand hier. So eine Frechheit!« Aufgebracht 52
stand sie auf, um sich gründlich umzusehen. »Lass uns die Leute finden und ihnen die Mei nung sagen, Tim! Wie können sie es wagen, auf unsere Insel zu kommen!« Da hörte sie zu ihrem Entsetzen plötzlich Stim men. Zwei dunkel gekleidete Männer kamen den Strand entlang. Sie sahen kräftig und brutal aus. Georg bekam Angst. »Schnell Tim! Versteck dich!«, zischte sie. Ihr Herz pochte laut. Inzwischen hatten die Männer angehalten und unterhielten sich laut miteinan der. Sie ahnten nicht, dass sie belauscht wurden. Georg packte den kleinen Hund am Nackenfell und zog ihn hinter ein paar Felsen. Sie legte sich flach auf den Bauch und zog Tim ebenfalls zu Bo den. Der Hund knurrte leise. Auch er hatte die Män ner entdeckt und hielt sie für zwei dunkle und ge fährliche Gestalten. Er wusste, dass er seine Besit zerin vor jeder Gefahr beschützen musste. Georg legte ihm sanft die Hand um die Schnauze. »Pst Tim«, flüsterte sie. »Bitte keinen Pieps. Ich fin de, die zwei sehen Furcht erregend aus. Es ist bes ser, wenn sie gar nicht wissen, dass wir hier sind.« Die Männerstimmen wehten zu ihr herüber. »Okay, Mike«, bemerkte der größere gerade. »Du glaubst also, du findest auch im Dunkeln durch das Riff?« 53
»Kinderleicht, Jupp«, antwortete der kleinere mit heiserer Stimme. »Wir bringen das Zeug her und lassen es hier, bis sich der Wirbel gelegt hat.« »Bestens«, erwiderte der andere und sah sich um. »So wie es aussieht, kommt nie jemand hierher. Die alte Burg ist das ideale Versteck für den Kram.« »Dann steigt die Sache also heute Nacht?«, frag te Mike. »Du sagst es, Mann«, brummte Jupp und grins te so breit, dass seine schwarzen, kaputten Vor derzähne zu sehen waren. »Und denk dran: Es ist das Haus mit der blauen Tür, in der kleinen Straße hinter der Kirche.« »Alles klar«, sagte Mike und lachte leise. »Hier zu suchen, da kommt keiner drauf. Das war eine echt gute Idee von dir, Jupp.« 54
Die beiden Männer gingen langsam weiter und ihre Stimmen verklangen. »Wie sind sie bloß hierher gekommen?«, flüs terte Georg. »Ich habe gar kein Boot gesehen, du vielleicht, Tim?« Tim winselte leise, um zu sagen, er habe außer Kaninchen und Möwen nichts gesehen. Mit einem Mal flatterten die Dohlen, die auf dem Burghügel herumstolziert waren, alarmiert und zeternd auf. Da konnte sich Tim nicht mehr beherrschen. Die zwei düsteren Typen machten sich dünne und er hatte nicht einmal versucht, sie am Hosenbein zu packen! Weil Georg ihm aber noch immer das Maul zuhielt, klang sein Gebell mehr wie ein Gequiet sche. »Pst«, zischte sie ihn wütend an. »Sei bloß still.« Doch zu spät. Die Männer hatten etwas gehört und sahen sich suchend um. »Hast du das gehört, Jupp?«, fragte Mike mit finsterem Blick. »Was?« fragte Jupp. »Ich weiß nicht«, meinte der andere achselzu ckend. »Eine der verdammten Möwen wahr scheinlich, die hören sich an wie sonst was.« In diesem Moment drehte Tim durch. Er befreite sich aus Georgs Griff, schoss aus dem Versteck 55
hervor und raste um die Felsen herum. Dann stürz te er sich auf die Männer und verbiss sich in Jupps Hosenbein. Er schüttelte es knurrend, als sei es eine Ratte. »He, weg da, du Köter«, schrie der stämmige Mann und trat nach Tim. Aber der mutige kleine Hund gab nicht auf. Er wich dem schwerfälligen Fuß aus und verbiss sich mit seinen kleinen schar fen Zähnen gleich wieder. Er zerrte und zerrte an der Hose, bis der Stoff zu reißen begann. Als Jupp zum zweiten Mal ausholte, erwischte er Tim je doch in einem unaufmerksamen Moment. Georg stöhnte entsetzt auf, als sie sah, wie der Kerl ihn in die Rippen trat und der kleine Hund sich darauf hin mehrfach überschlug. »He«, brüllte sie und sprang ebenfalls aus ih rem Versteck hervor. »Lassen Sie meinen Hund in Ruhe, sie schrecklicher Kerl!« Sie versuchte, zu Tim hinüberzurennen, der zu sammengekrümmt und benommen am Boden lag. Doch Jupp packte sie und hielt sie fest. »Was hast du hier zu suchen, du Lauseben gel?«, fragte der Mann und drückte ihr die Arme auf den Rücken. Georg wand sich und versuchte ihn zu treten. »Lassen Sie mich los!«, keuchte sie. »Das ist meine Insel und Sie haben hier nichts zu suchen.« »Deine Insel?«, höhnte Mike. »Was du nicht 56
sagst, du Lümmel. Wenn hier jemand nichts zu suchen hat, dann du.« »Hab ich doch«, schnaufte Georg mit zusam mengebissenen Zähnen und setzte sich noch stär ker zur Wehr. »Lassen Sie mich augenblicklich los! Haben Sie gehört?« »Wie lange versteckst du dich schon hier?«, fragte Jupp misstrauisch. »Hast du uns be lauscht?« »Das geht Sie gar nichts an«, ächzte Georg, die vor lauter Ringen einen roten Kopf bekommen hatte. »Wenn Sie meinem Hund etwas angetan haben, werde ich es der Polizei melden. Man wird Sie wegen Tierquälerei verhaften.« Jupp brach in ein lautes, herzhaftes Lachen aus. Es hallte unheimlich von den Burgtürmen wider. »Du wirst überhaupt niemandem etwas melden«, meinte er. »Fessle ihn, Mike. Ich kümmere mich um den räudigen Köter. Das wird ihnen eine Leh re sein! Andere Leute zu belauschen!« »Nein«, schrie Georg, als Mike ein starkes Sei lende aus seiner Hosentasche fischte und ihr die Hände auf dem Rücken zusammenband. »Bring ihn in die Burg«, befahl Jupp, der eben falls ein Seil hervorzog und es an Tims Halsband befestigte. Er zog, bis Tim aufstand. Als er ihn aber wegführen wollte, senkte der Hund trotzig den Kopf und stemmte alle viere in den Boden. Doch 57
der Mann riss einfach so lange, bis Tim nachgeben und ihm folgen musste. »Wo bringt ihr ihn hin?«, rief Georg und wand sich wie eine Wilde. »Das geht dich nichts an«, lachte Mike und trieb sie zur Burg hoch. Er schob sie durch den Torbogen, dann die Treppe in den Burghof hinun ter und in den dunkeln gemauerten Saal. Dort drückte der kräftige Kerl Georg neben dem offenen Kamin mit dem Rücken an die feuch te Wand gelehnt zu Boden. Dann band er ihr die Füße zusammen. »Wiedersehen, mein Sohn«, grinste er zum Abschied. »Gib Acht, dass die Ge spenster dich nicht holen.« »Geben Sie mir meinen Hund zurück!«, schrie Georg. Aber es war vergeblich. Die beiden Män ner hatten Tim mitgenommen und Georg allein gelassen. Sie versuchte sich mit aller Macht von den Fesseln zu befreien. Doch nach einiger Zeit waren ihre Hand‐ und Fußgelenke wundgescheu ert, ohne dass sie etwas erreicht hatte. Schließlich gelang es ihr aufzustehen und sich hüpfend zum Eingang zu bewegen. »Tim!«, rief sie. »Tim!« Von weit her ertönte das Knattern eines Motor boots. Sie sah, wie ein silberweißes Boot aus einer versteckten Bucht auf der anderen Seite der Insel auslief. Die Windschutzscheibe blitzte kurz im 58
Sonnenlicht auf. Nachdem das Boot das Riff hinter sich hatte, schwoll das Motorengeräusch an und das Boot schoss gischtspritzend über das Wasser. Danach war es still. Die Männer waren weg und hatten Tim mitge nommen. Vielleicht sah Georg ihren kleinen Hund nie wieder!
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7 Tims Heldentat
Georg sank zu Boden. Verzweiflung überkam sie. Sie weinte fast nie. Nur Babys weinten, fand sie. Doch jetzt rannen ihr zwei große, salzige Tränen über die Wangen. Aus dem Tag, der so wunder bar und aufregend begonnen hatte, war der Schlimmste ihres Lebens geworden! Georg zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie sich befreien könnte. Ihr Taschenmesser befand sich in der Hosentasche. Doch sie konnte sich dre hen und winden wie sie wollte, sie bekam es nicht zu fassen. Es war kalt in dem Raum. Der Boden war feucht und allmählich fühlte sich Georg ganz steif und alles schmerzte. Aber sie konnte nichts ande 61
res tun, als warten, bis Rettung kam. Johanna und Mutter wussten, wo sie war, und würden sie su chen kommen, sobald es dunkel wurde. Wenn ich nur wüsste, wohin sie Tim gebracht haben, dachte sie verzweifelt. Inzwischen konnte er schon sehr weit weg sein. Und wieder rollte ihr eine Träne über die Wange. Was soll ich nur tun ohne ihn? Nach einer Weile hörte sie plötzlich ein seltsa mes Geräusch. Ein scharrendes, kratzendes Ge räusch. Georgs Herz begann schmerzhaft heftig zu pochen. Waren die zwei schrecklichen Kerle zu rückgekehrt? Oder gab es hier Ratten? Auch wenn sie Tiere liebte, waren Ratten nicht gerade die Ge sellschaft, die sie sich wünschte! Sie schauderte. Georg war ein sehr mutiges Mädchen, doch jetzt begann sie sich zu fürchten. Sie erinnerte sich daran, was dieser Jupp über Ge spenster gesagt hatte, und sah zur dunkeln Decke doch. Die Ecken lagen im Schatten und das wirkte ziemlich unheimlich. Vielleicht hatte der grässliche Kerl Recht und es gab hier tatsächlich Gespenster? Plötzlich hörte sie ein Trippeln und eine schwarze Nase lugte um die Ecke. Georg schnappte sprachlos nach Luft. Hinter der Nase kam ein zotteliger brauner Kopf mit schmelzenden braunen Augen zum Vorschein. Ihr Herz hüpfte vor Freude. 62
»Tim!«, rief sie. »Tim! Du bist hier! Ich dachte, sie hätten dich mitgenommen!« Tim rannte heftig wedelnd zu Georg hinüber. Er war so außer sich vor Freude, seine Besitzerin gefunden zu haben, dass er ihr auf den Schoß sprang und mit seiner Schlabberzunge das ganze Gesicht ableckte. »Ach Tim, es geht dir gut, bin ich froh!«, lachte Georg glücklich. »Wo warst du denn?« Da entdeckte sie das Stück Seil, dass an Tims Halsband hing. Das Ende war völlig zerkaut und zerfranst. »Tim! Du warst angebunden und hast die gan ze Zeit damit verbracht, den Strick durchzubei ßen. Du bist der klügste Hund auf der ganzen Welt!«, sagte sie begeistert. »Und der mutigste.« »Wuff«, bellte Tim glücklich. »Wuff, wuff.« Da hatte Georg plötzlich eine tolle Idee. Wenn Tim seinen Strick durchgebissen hatte, konnte er doch auch ihre Fesseln durchbeißen. »Komm«, sagte sie und drehte sich um. »Hier! Beiß den Strick kaputt, Tim! Sei ein guter Hund!« Der kleine Hund verstand genau, was seine Be sitzerin wollte. Er zerrte und nagte so lange an dem Strick herum, bis er ihn ganz durchgebissen hatte. Georgs Hände waren frei. »Gut gemacht«, rief sie und umarmte Tim ganz fest. Dann rieb sie sich die wunden Handgelenke. 63
»Und jetzt schneide ich mir die Fußfesseln durch, dann können wir gehen.« Bald stand sie wieder sicher auf beiden Füßen und rieb sich die Stellen, an denen das Seil ihr die Haut wund gerieben hatte. Mit den dreckver schmierten Armen und Beinen und ihren feuchten und fleckigen Kleidern sah sie richtig verwahrlost aus. »Wir gehen besser gleich nach Hause, zurück und schlagen Alarm«, meinte sie. »Es klang ganz so, als würden die beiden Männer einen Einbruch planen. Wir müssen dafür sorgen, dass Mutter und Vater die Polizei benachrichtigen.« Sie verließen die Burg so schnell sie konnten. Die Dohlen unterhielten sich krächzend miteinan der, als Georg und Tim eilig zu ihrem Ruderboot in der kleinen Bucht liefen. Georg atmete erleich tert auf, als sie es ruhig und sicher auf dem Sand liegen sah. »Ich hatte Angst, diese zwei üblen Typen könn ten es entdeckt und versenkt haben«, erklärte sie Tim. »Dann hätten wir auf Rettung warten müs sen.« Georg warf den leeren Rucksack ins Boot. »Jetzt fahren wir so schnell wie möglich nach Hause.« Sie schob das Boot ins Wasser und sprang hinein. Tim war noch vor ihr mit einem großen Satz hi neingesprungen. Nun stand er eifrig wedelnd im 65
Bug. »Wuff«, bellte er. Es klang wie: Beeil dich Georg, wir dürfen keine Zeit verlieren. »Kannst du dich an den seltsamen Lichtblitz von heute Morgen erinnern?«, keuchte Georg, während sie so schnell sie nur konnte auf die Küste zu ru derte. »Das war die Sonne, die sich in der Wind schutzscheibe ihres Motorboots gespiegelt hat.« »Wuff«, ertönte es als Antwort vom Bug her. »Sie hatten es auf der anderen Seite der Insel versteckt«, fuhr Georg fort. »Trotzdem ist es selt sam, dass wir es nicht entdeckt haben.« »Wuff«, wiederholte der kleine Hund. Er hätte zu gern die beiden Kerle wieder gesehen. Das nächste Mal würde er nicht bloß ins Hosenbein beißen! Georg steuerte vorsichtig durch das Riff. Sie konnte hören, wie das Wasser leise gegen den Bug schwappte. Solange sie das hören konnte, war al les in Ordnung. Erst ein kratzendes Geräusch war ein schlechtes Zeichen. Es bedeutete Gefahr. Da war es sicherer, sich nicht zu sehr zu beeilen. Sie musste immerzu an den Plan der Diebe denken. Das ideale Versteck für den Kram. Kommt nie jemand hierher. Das Haus mit der blauen Tür. Sie hat te ihren Eltern unglaublich viele wichtige Dinge zu erzählen! Inzwischen war Wind aufgekommen und das Meer kräuselte sich erheblich. Georg brauchte viel 66
Kraft, um das Boot auf Kurs zu halten. Tim hob witternd die Nase. Auf dem Wasser gab es so vie‐ le hoch interessante Gerüche, nach Salz, Fisch, Al‐ gen und vielem mehr. »Da wären wir«, keuchte Georg, als sie schließ lich wieder sicher in der Felsenbucht gelandet wa ren. Sie sprang aus dem Boot und zog es auf den Sand. »Komm Tim. Lass uns Mutter so schnell wie möglich erzählen, was passiert ist.« Sie liefen, so schnell ihre Beine sie trugen, über den Sand und den Klippenweg zum Felsenhaus hinauf. Was für aufregende Dinge sie zu erzählen hatten! Neuigkeiten, die nicht warten konnten! Rund um das Felsenhaus war alles still. »Mut ter«, rief Georg aus vollem Hals, während sie zur Hintertür hineinstürmten. »Mutter! Wo bist du?« In der Küche war niemand. Sie eilten ins Wohn zimmer, aber auch da war Georgs Mutter nicht. »Mist«, keuchte Georg und biss sich auf die Un terlippe. »Wo kann sie bloß sein?« Georg raste nach oben, aber da war ebenfalls kein Mensch. Auch Johanna war nirgends zu sehen. Sie waren beide wie vom Erdboden verschluckt. »Mist! Mist! Mist!«, rief Georg außer sich. »Sie sind alle beide ausgegangen, Tim. Dann muss ich es Vater erzählen.« Sie wusste, dass ihr Vater es hasste, wenn er bei seiner Arbeit gestört wurde. Aber das war nicht zu ändern. 67
»Wuff«, pflichtete Tim ihr bei und wedelte et was unsicher mit dem Schwanz. Es war nicht das erste Mal, dass sie Georgs Vater störten. Tim wusste ebenfalls, dass der groß gewachsene Mann ganz schön zornig werden konnte. Sie rannten die Treppe hinunter und hielten schlitternd vor dem Arbeitszimmer des Vaters an. Mit pochendem Herz klopfte Georg kräftig an die Tür. »Weg da«, dröhnte eine ungehaltene Stimme von drinnen. »Ich bin mit einem Experiment be schäftigt.« »Vater, ich bin’s, Georg«, rief das Mädchen ban
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ge. »Ich muss dir etwas sehr Wichtiges und Auf regendes erzählen.« Die Tür des Arbeitszimmers flog auf und ihr Vater stand vor ihr. Er sah sehr wütend aus. »Ge org du nervst! Lass mich in Ruhe!«, tobte er. »Aber Vater«, wehrte sie sich. »Tim und ich müssen …« »Was immer es ist, geh und erzähl’s deiner Mutter«, beharrte ihr Vater. »Und stör mich nicht noch mal. Wenn mir dieses Experiment misslingt, kann ich die Formel nicht verkaufen! Und wovon sollen wir dann leben? Geh jetzt!« Er kehrte in sein Arbeitszimmer zurück und schmiss die Tür hinter sich zu. Georg stampfte wütend auf. Weshalb nahmen Erwachsene Kinder nie ernst? Tim winselte. Er sprang hoch und leckte ihr die Hand. Er mochte es nicht, wenn jemand seiner Be sitzerin nicht zuhörte. Er wusste, dass sie das furchtbar ärgerte. »Tja«, seufzte Georg. Sie drückte Tim kurz an sich und ging in die Küche zurück. »Dann müssen wir Mutter finden. Weit kann sie nicht sein.« Sie suchten das ganze Haus und den Garten nach ihr ab. Doch Georgs Mutter war nirgends zu finden. Georg konnte es sich nicht erklären. Und wo war Corinna? Sie sollte doch heute zum Spielen 69
ins Felsenhaus kommen. Auch von ihr fehlte jede Spur. Im letzten Moment entdeckte Georg schließlich einen Zettel von Johanna auf dem Küchentisch. Sie war vorhin zu sehr in Eile gewesen, um ihn zu bemerken. »Bin einkaufen gegangen«, stand darauf. »Dei ne Mutter ist bei Lieblichs. Corinna hatte Kopf schmerzen und ihre Mutter wollte deshalb zu Hause bleiben. Also ist deine Mutter zu ihnen hin.« »So ein Mist«, rief Georg noch einmal, als sie die Nachricht gelesen hatte. »Was machen wir denn jetzt?«
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8 Schnell nach Felsenburg
»Wuff«, meinte Tim. Er legte sich hin, den Kopf zwischen den Vorderpfoten, während Georg in der Küche auf und ab ging und überlegte, was sie tun sollte. Es war ein aufregender Tag gewesen und er war ziemlich müde. »Du darfst jetzt nicht einschlafen«, befahl Ge org streng. »Wir müssen jemandem von diesen Männern erzählen. Sie wollen irgendwo einbre chen. Das müssen wir verhindern!« »Wuff«, nuschelte Tim schläfrig. »Komm Tim, du Guter«, drängte Georg. Sie holte seine Leine und steckte sie in die Hosenta 71
sche. »Lass uns ins Dorf gehen und herausfinden, wo Frau Lieblich und Corinna wohnen. Dort fin den wir Mutter und können ihr alles erzählen.« Tim rappelte sich auf. Er war zwar wirklich mü de, aber wenn Georg noch einen Spaziergang ma chen wollte, war ihm das mehr als recht. Für ein Nickerchen blieb ihm später noch genügend Zeit. Es war ziemlich weit vom Felsenhaus bis ins Dorf. Der Weg führte durch das Moor von der Küste weg. Im Dorf kamen sie am kleinen Hafen vorbei, wo die Fischerboote vor Anker lagen. Rundum standen weiß gestrichene Häuschen. Der eine oder andere Fischer winkte Georg zu, als sie mit Tim vorbeieilte. Georg war in Felsenburg aufgewach sen und die Einheimischen kannten sie alle. Ein besonders guter Freund von Georg, der Fi scherjunge Alf, saß neben dem Boot seines Vaters und flickte die Netze. »Hallo Alf«, rief Georg und winkte. »Hallo Georg«, rief Alf zurück. »Wie geht es deinem kleinen Hund?« »Wuff«, bellte Tim, wie um zu sagen, dass es ihm gut ging. Da fiel Georg etwas ein. Alf kannte die Leute im Ort. Also wusste er vielleicht, wo Mutters Freundin wohnte. 72
Sie sprang von der kleinen Hafenmauer und rannte hinüber, um ihn zu fragen. »Den Namen habe ich noch nie gehört«, gab Alf kopfschüttelnd zur Antwort und beugte sich hin ab, um Tim zu knuddeln. »Sie hat eine Tochter namens Corinna«, fügte Georg hoffnungsvoll hinzu. »Sie ist ziemlich kin disch. Und …«, fuhr sie fort, »ach ja, sie hat einen Antikenmann.« »Einen Antikenmann?«, lachte Alf. »Du meinst wohl einen sehr alten Mann?« »Natürlich nicht, Quatschkopf«, kicherte Georg. »Ich meine, er verkauft Antiquitäten.« »Tut mir Leid, aber ich kann dir nicht weiterhel fen«, sagte Alf. »Warum fragst du nicht Frau Holze im Postamtladen, die kennt hier jede und jeden.« »Gute Idee«, rief Georg und eilte davon. »Dan ke Alf!« Sie lief den Strand hoch und sprang auf die Mauer. Dann zog sie Tims Leine aus der Tasche und befestigte sie an seinem Halsband. Der kleine Hund war den Straßenverkehr nicht gewohnt und rannte sonst womöglich vor ein Auto. »Komm Tim!« Der Postamtladen in der Hauptstraße von Fel senburg verkaufte alles von Konservendosen bis zu Nägeln. Als Georg und Tim in den Laden stürzten, ertönte auch schon die Türglocke. 73
Postmeisterin Holze thronte hinter dem Schal ter auf ihrem hohen Stuhl. Weit über ihrem Kopf hing ein Käfig, darin hockte Polly, ihr Papagei. »Wuff«, kläffte Tim zur Begrüßung und starrte sofort zum Käfig hoch. »Ding dong! Wer ist da?«, krächzte Polly. »Ei nen schönen Guten Morgen.« Georg rannte zum Schalter hinüber. »Guten Tag Frau Holze«, keuchte sie. »Kennen Sie eine Frau Lieblich mit einer Tochter namens Corinna? Meine Mutter ist dort und ich muss ihr etwas furchtbar Wichtiges sagen.« »Frau Lieblich?«, fragte die Postmeisterin nach denklich. »Und sie wohnt hier, in Felsenburg?« »Ja«, erwiderte Georg ziemlich ungeduldig. »Sie ist neu hierher gezogen.« »Ach, dann ist es sicher die Familie, die in dem Haus in der Kirchgasse wohnt«, sagte Frau Holze. »In welchem Haus denn?«, fragte Georg eifrig. »Es heißt Küstenhaus«, kam die Antwort. »Das dritte in der Straße. Du kannst es nicht verfehlen.« »Vielen Dank, Frau Holze«, sagte Georg. »Los komm, Tim.« Tim hörte auf, zum Papageienkäfig hochzustar ren. Er verstand nie ganz, woher diese seltsame Stimme kam. »Ganz gut«, krächzte Polly, als der kleine Hund mit seiner Besitzerin den Laden verließ. 75
Georg und Tim gingen die Hauptstraße hin unter, an der Kirche vorbei und bogen dann in die schmale Gasse ein. Es gab mehrere Häuser, aber es dauerte nicht lange, bis sie das Küsten haus fanden. Es war ganz weiß und auf beiden Seiten der Eingangstür standen hohe Säulen. Die Tür stand weit offen und ein elegant gekleideter Herr mit einer Aktenmappe in der Hand kam heraus. Er blickte verdutzt auf das ziemlich ab gerissene und schmutzige Mädchen und den kleinen Hund, die ihm über den Gartenweg ent gegeneilten. »Ich bin Georg«, erklärte Georg nur. »Ich hätte gern meine Mutter gesprochen, bitte. Soviel ich weiß, ist sie bei Ihnen.« »Georg?«, fragte der Mann verwirrt. »So viel ich weiß, hat die Freundin meiner Frau eine Tochter. Kann es sein, dass du die falsche Adresse erwischt hast?« »Nein«, erwiderte Georg ungeduldig. Sie war zu sehr in Eile, um sich darüber zu freuen, dass der Mann sie für einen Jungen hielt. »Ich bin ihre Tochter. Kann ich jetzt bitte zu ihr. Es ist furchtbar wichtig.« Der Mann schien noch immer verwirrt. »Ich muss weg, zu einem Treffen. Sie sind hinten im Garten.« Er starrte auf Georgs schmutzigen Klei der und ihre verschmierten Arme und Beine. 76
»Vielleicht ist es besser, wenn ihr außen herum geht«, fügte er dann hinzu. Georg sah im Flur schöne alte Möbel und Vasen stehen. Der Mann hatte vermutlich Angst, dass sie beim Hindurchrennen etwas kaputtmachten. »In Ordnung, danke«, sagte Georg. Sie ließ Tim von der Leine und er eilte ihr voraus. Er konnte die Stimme von Georgs Mutter hören. Sie würde sich sicher freuen, ihn zu sehen. Georg rannte ü ber den Gartenweg. »Warte auf mich, Tim!«, rief sie und versuchte ihn einzuholen. Ihre Mutter und Frau Lieblich saßen an einem kleinen Holztisch auf dem Rasen und tranken aus feinen Porzellan tassen Tee. Der Garten war voll von süß duften den Rosen und blühenden Büschen. Nicht weit vom Haus entfernt stand ein großer Schuppen, in dem sich all die Antiquitäten befanden, die im neuen Geschäft verkauft werden sollten. Die mas sive Holztür war mit einem schweren Vorhänge schloss und einem Riegel gesichert. Die beiden Frauen blickten erstaunt auf, als Tim auf sie zulief. »Tim«, rief Georgs Mutter erschrocken. »Was um alles in der Welt tust du hier? Und wo ist Georg?« »Wuff«, bellte Tim übermütig und sprang an ihr hoch. Er roch hausgemachten Kuchen und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Das Pick nick war Ewigkeiten her und er war sehr hungrig. 77
»Ich bin hier, Mutter«, sagte Georg, die eben um die Ecke kam. »Wir haben heute Morgen ein sehr spannendes Abenteuer erlebt und ich …« Weiter kam sie nicht. Ihre Mutter erhob sich wie der Blitz. Ihr war sehr peinlich, wie ihre Tochter aussah. »Georg!«, rief sie. »Du siehst fürchterlich aus. Wo hast du dich bloß herumge trieben?« »Das wollte ich dir doch gerade …«, setzte Ge org aufs Neue an, aber ihre Mutter unterbrach sie. »Bitte entschuldige, Helen«, wandte sie sich an ihre Freundin. »Ich bringe dieses Schmutzmäd chen auf der Stelle nach Hause und stecke sie in die Wanne. Wirklich, Georg!«, zischte sie ihrer Tochter ins Ohr. »Musst du in einem derartigen Aufzug hier aufkreuzen?« »Aber Mutter!«, protestierte Georg aufgebracht, doch diese nahm sie bei der Hand und zog sie am Haus vorbei hinter sich her. Tim eilte mit hängen‐ dem Schwanz und unglücklicher Miene hinterher. Es kam selten vor, dass Georgs Mutter wütend war. Und diesmal, das spürte er, war sie sehr wütend. »Es tut mir Leid«, rief Georgs Mutter Frau Lieb lich über die Schulter zu. »Danke für den wun derbaren Tee.« Sie schob Georg Richtung Gartentor und auf die Straße. Georg drehte sich rasch um, um zu se hen, ob Tim ihnen folgte. Da bemerkte sie ein 78
blasses Gesicht, das sie von einem Fenster im obe ren Stock aus beobachtete. Es war Corinna, die zu‐ sah, wie sie abgeführt wurde. Georg schnitt eine Grimasse und streckte ihr frech die Zunge heraus. Was erlaubte die sich, sie so schamlos zu beobach ten! Ausgerechnet jetzt, wo sie sich in Schwierig keiten befand!
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9 Corinna kommt zu Besuch
Georg schmollte auf dem ganzen Heimweg. Tim trottete mit hängendem Schwanz neben der Mutter her. Er verstand nicht, weshalb seine Besitzerin in Schwierigkeiten war. Wenn man ge fesselt wurde und auf dem Boden lag, wurde man doch von allein schmutzig! Oder etwa nicht? »Geh nach oben, nimm ein Bad und zieh saube re Kleider an«, befahl Georgs Mutter beim Heim kommen. »Das war nun wirklich ein schlechter Streich, Georg. In diesem Aufzug aufzutauchen. Warum kannst du nicht sauber bleiben wie andere Mädchen auch?« 81
»Weil ich nicht wie andere Mädchen bin«, er widerte Georg und blickte sie zornig an. Inzwi schen war sie viel zu wütend, um der Mutter von ihrem Abenteuer zu erzählen. Sie stürmte hinauf ins Badezimmer und Tim rannte ihr nach. Er sprang in ihrem Zimmer auf das Bett und wartete auf sie. »Jetzt werde ich niemandem je davon erzäh len!«, verkündete Georg ihm, als sie frisch gewa schen aus dem Badezimmer kam. »Wenn irgend‐ wo eingebrochen wird, ist das ja wohl nicht unsere Schuld, stimmt’s Tim?«, fügte sie noch hinzu. Sie setzte sich neben ihren Hund aufs Bett und schlang die Arme um ihn. Es ging ihr immer gleich besser, wenn sie ihn an sich drücken konnte. »Wuff«, antwortete Tim sanft. Ihm waren die Diebe inzwischen ziemlich egal. Was immer Ge org unglücklich machte, machte ihn ebenfalls traurig. Georg saß ziemlich lange auf dem Bett. Sie schmollte nach wie vor und hatte sich noch nicht beruhigt, als sie hörte, wie jemand an die Haustür klopfte. Dann ertönten Stimmen. »Oh, hallo, wie schön«, sagte ihre Mutter zu jemandem. »Ich fürchte, Georg ist in ihrem Zim mer und schmollt.« »Schmollt?«, rief Georg beleidigt. »Wir schmol 82
len gar nicht, habe ich Recht, Tim?« Sie ging zum Treppenabsatz, um zu sehen, wer gekommen war, und fügte leise hinzu: »Wir sind nur sauer, weil uns niemand zuhört und Mutter nicht einsieht, dass man manchmal einfach schmutzig wird.« Tim jaulte zur Bestätigung ebenso leise. Ihm machte es gar nichts aus, schmutzig zu werden. »Auweia!«, entfuhr es Georg, als sie zwischen dem Geländer hindurchspähte und sah, wer unten stand. Es war Corinna, die vor der Tür mit Georgs Mutter sprach. »Es ist dieses Mädchen! Was hat die denn hier zu suchen?« »Ich bringe Tims Leine zurück«, hörte sie Co rinna sagen. »Das ist aber nett, Liebes«, erwiderte die Mutter. »Wuff«, stimmte Tim zu, der ebenfalls durch das Geländer spähte. Ihm war allerdings ein Rät sel, wie Corinna an seine Leine gekommen war. »Ich muss sie verloren haben, als Mutter mich abgeschleppt hat«, flüsterte Georg in sein struppi ges Ohr. »Soll ich ihr die Leine hochbringen?«, fragte Corinna. »Wenn du Lust hast«, sagte die Mutter und trat einen Schritt zurück, damit Corinna eintreten konnte. »Ich weiß allerdings nicht, wie sie reagie ren wird. Sie ist, wie gesagt, nicht gerade bester Laune.« 83
»Ja, das kann ich mir denken«, sagte Corinna. »Welches ist ihr Zimmer?« »Das kleine, direkt unter dem Dach«, antworte te Georgs Mutter. »Mist, sie kommt hoch!«, zischte Georg. Sie schoss mit Tim in ihr Zimmer zurück und schloss entschieden die Tür hinter sich. Dann setzte sie sich auf das Bett, ließ die Beine hin und her bau meln und zog einen unglaublichen Flunsch. Gleich darauf klopfte es zaghaft. »Hallo Georg. Ich bin’s, Corinna. Ich bringe dir Tims Leine zurück«, sagte eine unsichere Stimme. Georg biss sich auf die Lippen. Wenn sie keinen Laut von sich gab, dachte das grässliche Mädchen vielleicht, sie sei weggegangen, ohne dass ihre Mutter etwas davon wusste. Georg war äußerst wütend auf ihre Mutter. Wie konnte sie zulassen, dass Corinna in Georgs Zimmer kam? Heute war vielleicht ein schrecklicher Tag! Es klopfte erneut. Tim konnte sich nicht mehr beherrschen. Er musste einfach kurz bellen. Für gewöhnlich gab er immer Laut, wenn geklopft wurde. Dann wusste die Familie, dass jemand vor der Tür stand. Weshalb sollte er jetzt nicht bellen? »Wuff, wuff«, rief der kleine Hund, bevor ihn Georg davon abhalten konnte. »Ach Tim«, ärgerte sie sich. »Jetzt hast du uns verraten.« 85
»Wuff«, wiederholte Tim und sah Georg ver wirrt an. Georg beschloss, dass es besser war, die Tür zu öffnen, bevor ihre Mutter merkte, was los war. Sonst würde sie sich schon wieder ärgern. Sie ging langsam auf die Tür zu und öffnete sie. Vor ihr stand Corinna und hielt ihr die Leine hin. »Hier«, meinte sie. »Du hast sie fallen lassen.« »Danke«, erwiderte Georg unwirsch und nahm die Leine an sich. Sie trat mit gesenktem Blick von einem Fuß auf den andern. Eigentlich war es ja ganz nett von dem Mädchen, die Leine zurückzu bringen. Corinna trat ängstlich einen Schritt zurück, als Tim herauskam, um sie zu begrüßen. Er wedelte heftig, obwohl er wusste, dass sie Angst vor ihm hatte. Er konnte einfach nicht anders, als immer wieder versuchen, Freundschaft mit ihr zu schlie ßen. »Bleib«, befahl ihm Georg. Es wäre echt gemein gewesen, zuzulassen, dass Tim Corinna erschreck te. Schließlich war sie so nett gewesen, seine Leine zurückzubringen. Tim setzte sich neben Georg und starrte das blondhaarige Mädchen an. Manchmal verstand er die Menschen überhaupt nicht! »Ich habe dich vom Fenster aus gesehen«, sagte Corinna und behielt dabei Tim im Auge. 86
»Ja«, murmelte Georg. »Ich habe gesehen, wie du mir hinterherspioniert hast.« »Ich habe dir nicht hinterherspioniert«, entgeg nete Corinna aufgebracht. »Ich wollte nur wissen, was los war.« Sie kicherte. »Du hast wahnsinnig lustig ausgesehen. Vor allem, als du mir die Zun ge herausgestreckt hast.« »Es war aber überhaupt nicht lustig«, schmollte Georg. »Wie würdest du dich fühlen, wenn deine Mutter dich vor allen Leuten bloßstellt?« »Meine Mutter stellt mich andauernd bloß«, sagte Corinna. »Sie zwingt mich, entsetzliche Kleider, weiße Söckchen und hässliche Schuhe an zuziehen. Deine Mutter lässt dich wenigstens an ziehen, was du willst.« »Das stimmt«, gab Georg zu und sah. Corinna an. Diese grinste noch immer. Ihre blauen Augen glänzten schalkhaft. Plötzlich konnte Georg nicht anders und lächel te ihr ebenfalls zu. Eigentlich war Corinna gar nicht so übel. Im Grunde konnte sie ja nichts dafür, dass ihre Mutter auf diese doofen Kleider bestand. Auch Mütter waren eben manchmal mühsam. »Ich hab wohl wirklich komisch ausgesehen«, gab Georg zu und begann zu lachen. Corinna tat ihr plötzlich ein wenig Leid. Sie würde es gar nicht aushalten, Rüschenkleider zu tragen und nett und brav sein zu müssen! 87
»Wie bist du denn so schmutzig geworden?«, wollte Corinna neugierig wissen. »Wir haben ein Abenteuer erlebt«, erwiderte Georg. »Ich wollte Mutter unbedingt davon erzäh len, darum bin ich aus dem Haus gerannt, ohne mich erst zu waschen. Jungs müssen sich nur halb so oft waschen wie Mädchen.« Ob Georg sich gern wusch oder nicht, interes sierte Corinna nicht. Sie wollte mehr über Georgs Abenteuer erfahren. »Ein Abenteuer?«, rief sie. »Was für eins denn?« Da erzählte Georg Corinna die ganze Geschich te. Diese hörte ihr mit weit aufgerissenen Augen zu und unterbrach sie immer wieder. »Die Insel gehört tatsächlich dir?«, staunte sie. »Wie aufregend. Ich wünschte, ich hätte auch eine.« »Naja, genau genommen gehört sie mir noch nicht«, räumte Georg ein. »Aber Mutter hat ver sprochen, dass sie sie mir eines Tages schenkt.« Sie führte Corinna zum Fenster, von dem aus man aufs Meer hinaussah, damit sie die Insel und die Burg sehen konnte, die stolz und beharrlich die Felsenbucht bewachte. »Toll«, seufzte Corinna. »Und ein Boot hast du auch! Ich habe nichts Derartiges. Meine Eltern ha ben viel zu viel Angst, dass mir etwas zustoßen könnte. Ich bin ein Einzelkind, musst du wissen.« »Ich bin auch eins«, erwiderte Georg etwas ver 88
ächtlich. »Aber ich habe Tim und wir erleben jede Menge Abenteuer. Wir brauchen keine anderen Freunde.« »Ach so«, bemerkte Corinna, die den kleinen Hund noch immer etwas unruhig beobachtete. »Erzähl mir noch mehr von den furchtbaren Ker len, die du dort gesehen hast.« Ihre Augen wurden größer und größer, als sie von Georg erfuhr, dass die Männer einen Ein bruch planten. »Hier in Felsenburg?«, fragte Corinna. »Ja«, sagte Georg, »aber dann haben sie mich entdeckt und nicht mehr darüber gesprochen.« 89
»Kein Wunder, bist du so schmutzig gewor den«, entfuhr es Corinna, als sie hörte, wie Georg gefesselt in den Saal geschleppt worden war und wie der mutige Tim sie befreit hatte. »Ach«, meinte Georg wegwerfend, »das ist mir egal. Nicht egal ist mir, dass die Typen ein Haus mit einer blauen Tür ausrauben wollen und ich es verhindern wollte.« »Mit einer blauen Tür!«, rief Corinna erschro cken. »Unser Haus hat eine blaue Eingangstür!« Georg starrte sie entsetzt an. »Ich habe eure Tür nicht gesehen, als ich kam. Sie stand gerade offen und dein Vater kam heraus.« »Sie ist blau, glaub mir«, wiederholte Corinna, »dunkelblau.« »Jetzt fällt es mir wieder ein. Sie haben auch noch gesagt, es sei ein Haus in der schmalen Stra ße hinter der Kirche«, fügte Georg mit entsetzter Stimme hinzu. »Es muss euer Haus sein, das sie ausrauben wollen! Was sollen wir bloß tun?«
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10 Und noch einmal nach Felsenburg
Corinna sah ganz verängstigt aus. »Wir müssen so schnell wie möglich Vater davon erzählen!«, rief sie. Die beiden verließen Georgs Zimmer und eilten die Treppe hinunter. »Rasch, Corinna! Wir dürfen keine Zeit verlie ren!«, trieb Georg sie zur Eile an. Sie nahm immer gleich zwei Stufen auf einmal. »Wo ist Mutter?«, fragte sie Johanna, als sie mit Tim in die Küche stürzten. »Bei deinem Vater in seinem Arbeitszimmer«, gab Johanna zur Antwort. Sie bereitete gerade das Abendbrot zu. »Sie wollen nicht gestört werden.« »Kannst du ihr ausrichten, dass wir nach Fel 91
senburg, zu Corinna gegangen sind«, bat Georg atemlos. »Wir müssen ihrem Vater etwas furcht bar Wichtiges erzählen.« »Aber doch wohl nicht vor dem Abendbrot?«, fragte Johanna erstaunt. Georg ging selten weg, bevor sie sich den Bauch voll geschlagen hatte. Georg zögerte. Sie hatte tatsächlich Hunger und es roch verführerisch nach Pastete mit Schinken und Ei. »Willst du etwas trinken, bevor wir gehen?«, fragte sie Corinna. »Schon, aber ich glaube, wir sollten uns wirklich beeilen«, sagte Corinna und schüttelte den Kopf. »Könntest du ein Stück Pastete einwickeln, Jo
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hanna?«, bat Georg. »Ich esse sie unterwegs. Möch test du auch welche, Corinna?« »Ich darf nicht essen, wenn ich mich dazu nicht hinsetze«, antwortete Corinna. Sie bedachte die Pastete, die Johanna aus der Speisekammer geholt hatte, mit einem sehnsüchtigen Blick. »Warum nicht?«, wollte Georg wissen. »Man kann Verstopfung bekommen davon«, erklärte Johanna. Sie säbelte ein großes Stück von der Pastete ab und wickelte es in Butterbrotpapier. »Ach wo«, widersprach Georg. »Ich habe das schon tausendmal gemacht und nie was bekom men. Mach schon Corinna, nimm dir auch welche. Deine Mutter wird es nie erfahren.« »Na gut«, meinte Corinna. »Und wenn schon. Die Pastete sieht so lecker aus, dass es mir egal ist, wenn sie davon erfährt. Dafür nehme ich sogar Schelte in Kauf.« »Es wir bald dunkel«, mahnte Johanna, wäh rend sie ein Stück Pastete für Corinna abschnitt sowie ein winziges für Tim. »Bleib also nicht zu lange weg.« »Versprochen«, antwortete Georg. »Und dass ihr mir ja keine Verstopfung be kommt!«, rief ihnen Johanna lachend nach, als sie davonrannten. Sie freute sich, dass Georg eine Freundin gefunden hatte. »Ich weiß nicht recht, ob wir Tim mitnehmen 93
können«, meinte Corinna, als Tim ihnen auf dem Fuß folgte. Sie betrachtete ihn nachdenklich. Sie war sehr froh, dass er nicht an ihr hochsprang, obwohl er seine Pastete eilig verschlungen hatte und nun hoffnungsvoll nach ihrem Stück schielte. Dann hätte sie wahrscheinlich wieder geschrien und Georg hätte wieder gesagt, sie sei kindisch. »Mutti mag keine Tiere im Haus«, fügte sie hinzu. »Sie findet, sie machen alles schmutzig«. Georg blieb stehen und biss ein großes Stück von ihrer Pastete ab. »Tja, dann komme ich auch nicht«, sagte sie mit vollem Mund. »Tim ist immer dabei, egal wo ich hingehe.« »Vielleicht könnten wir ihn draußen lassen«, schlug Corinna zaghaft vor. »Nein.« Georg schüttelte den Kopf. »Ohne ihn würde ich jetzt noch immer gefesselt auf der Insel sitzen und auf Rettung warten. Er war so mutig. Da kann ich ihn nicht wie einen Tunichtgut aus sperren.« »Na gut«, seufzte Corinna. »Ich weiß aber nicht, was Mutter dazu sagt.« »Manchmal ist es völlig egal, was Erwachsene sagen«, erwiderte Georg mit finsterem Blick. »Mein Vater sagt andauernd, dass Tim draußen bleiben muss, aber ich hole ihn immer wieder rein. Weißt du, Erwachsene wissen nicht immer, was das Beste ist!« 94
»Das ist wahr«, antwortete Corinna und seufzte erneut. Das war vielleicht ein seltsames Mädchen. Sie schluckte einen Bissen ihrer Pastete herunter und leckte sich die Lippen ab. Irgendwie schmeck te sie noch viel besser, weil ihre Mutter nichts da von wusste. Sie hoffte allerdings, dass sie keine Verstopfung bekam, auch wenn sie nicht so genau wusste, was das war. So machten sich die beiden Mädchen und der Hund auf den Weg nach Felsenburg zurück und mampften unterwegs ihre Pastete. Sie liefen den Hang hinab und am Hafen vorbei. Diesmal hatte Georg keine Zeit, um mit ihrem Freund Alf, dem Fischerjungen, zu sprechen. Sie hatte viel Wichti geres zu tun. Gegen Abend war Wind aufgekommen und graue Wolken zogen über den Himmel. Die Wel len in der Bucht trugen Gischtkronen und in der Ferne war der Himmel fast schwarz. Während sie erst durch die Hauptstraße und dann durch die Kirchgasse eilten, spürte Georg ein paar Regentropfen im Gesicht. »Hoffentlich ist Vater von seinem Treffen zu rück«, keuchte Corinna. Sie öffnete das Gartentor und rannte den Weg entlang. »Mutti wird Angst bekommen so allein, wenn wir ihr von der Sache erzählen.« »Hoffentlich glauben sie uns bloß«, meinte Ge 95
org unsicher. »Erwachsene haben die fürchterliche Angewohnheit, Kindern nicht zu glauben. Selbst wenn sie wie ich immer die Wahrheit sagen.« »Ich weiß«, warf Corinna ein. »Meine Mutti glaubt mir auch nicht, dass ich keine Röcke mag und alles für eine kurze Hose gäbe, wie du eine hast.« Frau Lieblich saß gerade mit einem neuen Kleid für ihre Tochter vor der Nähmaschine, als die bei den Mädchen und der kleine Hund ins Haus ge stürmt kamen. Sie ließ es vor Schreck beinahe fal len, als sie die vielen Füße und Pfoten durch das Haus traben hörte. »Mutti, wo bist du?«, rief Corinna und eilte von Zimmer zu Zimmer. »Vater? Bist du da?« Frau Lieblich sah stirnrunzelnd aus dem Näh zimmer. »Corinna, was machst du denn für einen Lärm?« Beim Anblick von Georg und Tim stutzte sie. »Oh, äh, Georgina? Wie schön, dich zu sehen.« »Sie heißt Georg«, warf Corinna ein, noch bevor Georg etwas sagen konnte. »Und sie hat dir und Vater etwas wahnsinnig Wichtiges zu erzählen.« »Etwas Wichtiges?«, wiederholte Frau Lieblich und blickte missbilligend auf Tim. »Hat deine Mutter dir aufgetragen, herzukommen und dich zu entschuldigen?« »Wofür?«, fragte Georg verdutzt. »Ich habe doch gar nichts getan. Ich bin gekommen, um Ih 96
nen zu sagen, dass zwei Männer ihr Haus ausrau ben wollen.« »So? Unser soll Haus ausgeraubt werden?«, fragte eine tiefe Stimme hinter ihnen. »Was sind das denn für Räubergeschichten?« Es war Herr Lieblich. Er war soeben nach Hau se gekommen und hatte beim Eintreten Georgs Worte gehört. Georg verließ der Mut. Das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte, hatte er erstaunt ausgesehen. Aber jetzt blickte er ziemlich streng drein. Wie sollte sie ihn davon überzeugen, dass sie die Wahrheit sagte? Sie beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. »Es sind keine Räubergeschichten«, beharrte sie atemlos und drehte sich um. »Es ist die Wahr heit.« »Ach Vati, ich bin ja so froh, dass du auch hier bist«, rief Corinna. Sie zog ihn an der Hand ins Wohnzimmer. »Bitte Vati … Mutti, ihr müsst Ge org zuhören.« Frau Lieblich sah Tim noch immer sehr un freundlich an. Der kleine Hund hatte die ganze Zeit über fast an Georg geklebt. Er hatte die Worte »draußen lassen« gehört und befürchtete, in einem fremden Garten angebunden zu werden. Und da er die missbilligenden Blicke der Frau bemerkt hatte, wusste er, dass er sich von seiner besten Sei te zeigen musste. 97
»Er heißt Tim«, sagte Georg, als sie sah, wie Co rinnas Vater den kleinen Hund ebenfalls betrach tete. »Er ist sauber und kommt immer mit mir mit.« »Aha«, sagte Herr Lieblich lächelnd. »Also, dann leg los mit deinen wichtigen Neuigkeiten, bevor du platzt.« Georg grinste Corinnas Vater an und atmete er leichtert auf. Der schien ja ganz in Ordnung zu sein. »Also«, begann sie, nachdem sich alle hinge setzt hatten. »Es ist so …«
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11 Das Gewitter
Georg erzählte ihr Abenteuer mit den beiden un heimlichen Männern so schnell sie konnte. Die Worte sprudelten förmlich aus ihr heraus, sodass sie die Geschichte zweimal erzählen musste, bis alle sie verstanden hatten. »Sie sprachen also von einem Haus mit einer blauen Tür?«, fragte Herr Lieblich und runzelte die Stirn. »Aber es gibt in Felsenburg sicher noch andere Häuser mit einer Tür in dieser Farbe.« »Schon«, meinte Georg, »aber nicht in einer Gasse hinter der Kirche.« »Verstehe«, erwiderte Herr Lieblich und nickte 100
nachdenklich. »Und du bist dir auch wirklich si cher, dass sie das gesagt haben?« »Ganz sicher«, rief Georg aus. »In solchen Din gen irre ich mich nie.« »Und du hast dir das alles auch bestimmt nicht bloß ausgedacht?«, setzte Frau Lieblich zweifelnd hinzu. Es fiel ihr schwer zu glauben, was dieses seltsame Mädchen erzählt hatte. »Woher sollte denn jemand wissen, dass es bei uns etwas zu ho len gibt?« »Natürlich habe ich das nicht bloß erfunden«, entgegnete Georg zornig und reichlich vorlaut. »So etwas würde ich nie tun.« Herr Lieblich erhob sich und begann nachdenk lich im Zimmer auf und ab zu gehen. »Solche Neuigkeiten sprechen sich rasch herum«, meinte er. »Es könnte jemand gesehen haben, wie wir die Antiquitäten hier abgeladen und in den Schuppen gestellt haben. Sie sind tatsächlich einiges wert.« »Sollten wir nicht die Polizei anrufen?«, dräng te Georg. »Diese Männer sahen sehr entschlossen und gefährlich aus.« »Wir haben noch keinen Telefonanschluss«, erwiderte Frau Lieblich. Sie staunte immer noch über Georgs direkte Art und starrte sie an. »Jemand muss hingehen, zur Polizeiwache«, beschloss Herr Lieblich. »Ja«, stimmte Georg zu. »Wachtmeister Mond 101
freut sich bestimmt, wenn er ein paar Diebe zu fassen kriegt.« »Am besten mache ich mich gleich auf den Weg«, bemerkte Herr Lieblich. »Bitte nicht, Harald. Du kannst uns doch jetzt nicht allein lassen«, bat ihn Frau Lieblich. »Wenn Georginas Geschichte stimmt, tauchen die Kerle womöglich auf, während du weg bist.« »Georg«, korrigierte Georg schmollend. »Ich heiße Georg.« »Ach von mir aus«, sagte Frau Lieblich und schüttelte etwas unwillig den Kopf. »Georg.« »Und wir können auch nicht alle miteinander gehen, für den Fall, dass sie in dieser Zeit tatsäch lich hier auftauchen«, meinte Corinna bekümmert. »Was sollen wir denn jetzt bloß tun?« »Wir warten, bis sie kommen, und erwischen sie auf frischer Tat«, verkündete Georg sachlich. »Tim wird uns helfen.« »Was, wenn sie gewalttätig sind?«, wandte Frau Lieblich schaudernd ein. »Und Tim ist doch noch ein Welpe.« »Aber ein sehr mutiger«, rief Georg empört. »Ja, das ist er wirklich«, meinte Herr Lieblich immer noch nachdenklich. »Ich denke, Georg hat Recht. Wenn wir sie auf frischer Tat ertappen, wie sie in den Schuppen einbrechen, können sie nichts abstreiten.« 102
»Richtig«, rief Georg aufgeregt. »Wir sind mucks mäuschenstill und dann fallen wir über sie her. Das wird toll!« »Wir müssen also einfach abwarten«, sagte Herr Lieblich. »Am liebsten würde ich dich nach Hause bringen, Georg. Aber im Moment lasse ich meine Frau und Corinna nicht gern allein hier.« »Ich will auch gar nicht nach Hause«, rief Ge org empört aus. »Johanna richtet Mutter sicher aus, wo ich bin. Dieses Abenteuer lasse ich mir doch nicht entgehen!« Und so warteten Georg, Tim und die ganze Familie Lieblich im Wohnzimmer, bis es dunkel wurde. Es war spannend, darauf zu warten, dass die Einbrecher auftauchten, aber auch ziemlich unheimlich. Georg schauderte leicht vor Aufre gung. Ihr Magen flatterte. Sie war sehr froh, dass Herr Lieblich da war. Sie wusste, dass er und auch seine Frau aufpassen würden, damit ihnen nichts zustieß. Auch Tim spürte die Anspannung. Er spitzte die Ohren wie nie zuvor. Alle fünf lauschten an gestrengt, ob ein Geräusch die Stille draußen un terbrach. Die grauen Wölkchen, die den Himmel überzo gen hatten, als Georg und Corinna unterwegs ge wesen waren, hatten sich zu einer dunkeln Ge 103
wittermasse zusammengeballt. Bald würde der Regen heftig gegen die Fenster prasseln. Inzwischen stürmte es richtig. Georg hörte die Bäume draußen rauschen. Plötzlich knisterte es und ein Blitz zerriss die Dunkelheit. »Huch«, entfuhr es Corinna. »Ich hasse Ge witter.« »Die tun dir doch nichts«, sagte Georg verächt lich. »Es macht Spaß, sie vom Fenster aus zu beo bachten.« »Nein danke«, meinte Frau Lieblich. Sie nahm Corinnas Hand und sah Georg befremdet an. Ein 104
Kind, das Gewitter mochte, war ihr noch nie be gegnet. Doof, dass sich Frau Lieblich vor so vielen Din gen fürchtet, dachte Georg. Kein Wunder, ist Co rinna so ein Angsthase. Tim lag neben Georg und verhielt sich mög lichst unauffällig. Draußen war es äußerst un freundlich und er fürchtete, die kleinste falsche Bewegung könnte ihn dorthin befördern. Die fremde Frau mochte ihn nicht und das Mädchen hatte Angst vor ihm. Warum, wusste er nicht. Immerhin hatte der Mann ihn angelächelt. Damit beruhigte sich der kleine Hund. Vielleicht war ja alles halb so schlimm. Frau Lieblich ging durchs Haus und machte überall Licht. Sie zog die Vorhänge zu, um das Gewitter auszusperren. »Mir ist es lieber, wenn ich nicht sehe, wie es blitzt«, erklärte sie und kehr te zu Corinna zurück. »Uhu, uhu«, ertönte es von einem nahen Baum und erschreckte alle fürchterlich. »Was war das?«, rief Herr Lieblich. »Alles in Ordnung«, erklärte Georg mit überle gener Miene. »Bloß ein Waldkauz.« »Puh«, stöhnte Corinna, die drauf und dran war, ihrer Mutter auf den Schoß zu kriechen. »Ich wünschte, alles wäre schon vorbei.« »Ich nicht«, erwiderte Georg und klang dabei 105
mutiger, als sie wirklich war. »Ich finde Abenteuer toll …, meistens!«, fügte sie hinzu. Plötzlich war sie sich auch nicht mehr sicher, ob sie das hier so toll fand. Es war wirklich sehr merkwürdig, bei diesem Gewitter hier zu sitzen und auf die Ein brecher zu warten. »Was machen wir eigentlich, wenn sie kom men?«, fragte Corinna zaghaft. »Wir müssen uns einen Plan zurechtlegen«, fand Georg. »Mach dir darüber keine Gedanken«, schaltete Herr Lieblich sich ein. »Wenn wir sie kommen hö ren, renne ich einfach mit einem Stock in der Hand hinaus und schlage sie in die Flucht.« »Aber Harald, vielleicht sind sie bewaffnet«, wandte Frau Lieblich ein. »Wir schreien alle und machen jede Menge Lärm«, sagte Georg. »Und Tim bellt wie ver rückt.« »Das ist eine gute Idee«, sagte Corinna. »Dann denken sie, es sind furchtbar viele Leute hinter ih nen her.« »Nein«, widersprach Herr Lieblich streng. »Ich kümmere mich ganz allein darum. Ich will nicht, dass ihr Frauen euch in Gefahr bringt.« Frauen!, dachte Georg empört. Was soll denn das? Weshalb macht er denn so ein Geschrei von wegen Frauen? 106
Nach etwa einer Stunde, die ihnen jedoch viel länger vorkam, hörten sie, wie sich draußen etwas tat. Jemand öffnete das Gartentor und kam auf das Haus zu. Zwei Personen schritten auf den feuch ten Steinplatten Richtung Haustür. Tim knurrte leise. Die Schritte gefielen ihm gar nicht. Er bebte vor Aufregung. Wenn Georg ihn doch nur bellen lassen würde, um die Leute zu verjagen. Aber ihre Hand lag entschieden auf sei ner Schnauze und das bedeutete, dass er still sein musste. Also gab er keinen Laut von sich, obwohl sein Herz vor Aufregung trommelte. »Wer ist das?«, flüsterte Corinna und rückte noch enger an ihre Mutter heran. »Ich habe Angst.« »Reg dich nicht auf, Corinna«, flüsterte ihr Va ter. »Und sei um Himmels willen still!« Alle hielten den Atem an. Nur das Ticken der alten Standuhr in der Zimmerecke war zu hören. Sie klang hundertmal lauter als sonst. »Ich gehe mal ans Fenster und gucke zwischen den Vorhängen hindurch«, wisperte Georg. »Wenn es die Einbrecher sind, rennen wir hinaus und schlagen sie in die Flucht!« »Nein …« setzte Herr Lieblich an, als Georg aufstand und zum Fenster ging. »Nicht …« In diesem Augenblick ertönte fast gleichzeitig mit einem grellen Blitz ein heftiger Donnerschlag und alle Lichter gingen aus. 107
»Mist«, schimpfte Georg und versuchte sich vorzutasten. Sie prallte mit dem Knie schmerz haft gegen eine Sessellehne. »Was ist denn jetzt passiert?« »Wahrscheinlich ein Stromausfall«, antwortete Frau Lieblich mit zitternder Stimme. »Als wir in London lebten, passierte das bei Gewittern oft.« »Ach Mutti, hilf mir«, jammerte Corinna, die jetzt vor Angst fast außer sich war. »Ruhe!«, zischte Georg und setzte sich wieder. Sie fürchtete sich ebenfalls, aber sie wollte es nicht zugeben. Ihr Herz pochte so heftig, dass es richtig schmerzte. Und das Knie tat ihr auch weh. Bei die ser Dunkelheit konnten die Diebe sich leicht durch den Garten schleichen, ohne dass jemand sie sah. Vielleicht kamen sie sogar ins Haus! Schließlich standen auch hier wertvolle Antiquitäten. Was sollten sie bloß tun?
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12 Der Plan
Da klopfte es laut an die Haustür. Sie sahen ein ander an. Einbrecher klopften doch nicht, oder? »Wir bekommen Besuch«, bemerkte Herr Lieb lich erleichtert. »Bleibt mal hier, ihr drei, ich sehe nach, wer es ist.« Er tastete sich zur Haustür. Dabei stieß er mehr mals gegen ein Möbelstück oder eine Wand. Georg wünschte, sie hätte ihre Taschenlampe dabei. Vom Flur her ertönten Stimmen. Tim begann, mit dem Schwanz zu wedeln und winselte kurz, als er sie hörte. »Ist Georgina bei Ihnen?«, hörte Georg ihren Vater fragen. Sie runzelte die Stirn. Was hatte denn ihr Vater hier zu suchen? 110
Frau Lieblich sprang auf, als Georgs Eltern ins Zimmer traten. Beide trugen Regenmäntel und Gummistiefel. Der Vater hielt eine Taschenlampe in der Hand. Sie waren pitschnass und sahen sehr ungehalten aus. »Tut mir Leid, dass es hier so dunkel ist«, sagte Herr Lieblich. »Nach einem Blitzschlag ist der Strom ausgefallen.« »Fanny«, rief Frau Lieblich. »Wir hielten euch für …« Doch sie wurde ziemlich unsanft unter brochen. »Georg, wir wussten nicht, wo du abgeblieben bist«, herrschte ihr Vater Georg an und richtete den Strahl der Taschenlampe auf sie. »Was fällt dir eigentlich ein, einfach loszuziehen und nach Einbruch der Dunkelheit wegzubleiben. Wir ha ben uns große Sorgen gemacht«, fügte er hinzu und sah sie äußerst missbilligend an. »Es tut mir Leid«, erwiderte Georg. »Aber ich musste Corinnas Eltern etwas furchtbar Wichtiges mitteilen.« Erst jetzt kam Georgs Mutter dazu, allen ande ren ihren Mann vorzustellen. »Sie hätten sie nach Hause schicken sollen«, murrte ihr Vater und klang noch immer sehr ver ärgert. Seine Frau hatte ihn mitten aus der Arbeit geholt und zum Mitkommen gezwungen. »Beruhige dich, Quentin«, meinte sie nun beschwichtigend und legte ihm die Hand auf den 111
Arm. »Georg und Tim sind in Sicherheit, das ist die Hauptsache. Komm Georg, lass uns jetzt nach Hause gehen.« »Wir warten auf Einbrecher«, gab Georg zur Antwort. Dann setzte sie sich hin und ver schränkte die Arme. »Tim und ich helfen, sie in die Flucht zu schlagen. Ich kann also noch nicht nach Hause.« »Einbrecher?« Der Vater blickte sie fragend an. »Erzähl keine Geschichten, Georg.« »Ich erzähle keine Geschichten!« Georg brauste wie immer gleich auf. »Ich habe sie belauscht. Sie wollen Lieblichs Antiquitäten klauen.« »Wuff, wuff«, bestätigte Tim. »Ist das wahr?«, fragte ihr Vater. Er zog die Brauen zusammen wie nie zuvor. »Scheinbar«, sagte Frau Lieblich. »Das klingt mir ziemlich weither geholt«, sagte Georgs Vater, der das alles noch immer nicht glauben wollte. »Also bitte Quentin«, wies ihn seine Frau zu recht. »Du weißt genau, dass unsere Tochter nicht lügt. Wenn sie sagt, sie hat gehört, wie jemand ei nen Einbruch plant, dann stimmt das auch. Das solltest du inzwischen wissen.« »Ja, du hast Recht«, musste ihr Mann zugeben. Er wandte sich an Herrn Lieblich. »Haben Sie die Polizei angerufen?« 112
Frau Lieblich erklärte, dass sie noch keinen An schluss hatten. »Dann muss jemand auf die Wache gehen«, sagte Georgs Mutter. »Ja, und zwar schnell«, warf Georg ein. »Ich wollte meine Frau und die Kinder nicht al lein lassen«, erklärte Herr Lieblich. »Deshalb beschlossen wir, einfach gemeinsam auf die Diebe zu warten«, fügte Corinna schau dernd hinzu. »Hm.« Georgs Vater strich sich nachdenklich über das Kinn. »Vielleicht sollten wir alle hier blei ben und auf sie warten.« »Ich glaube, es wäre besser, die Polizei zu a larmieren«, meldete sich Corinna zaghaft. »Wir können die Einbrecher ja nicht verhaften und wenn sie entkommen, brechen sie möglicherweise in ein anderes Haus ein.« Alle wandten sich ihr zu und sahen sie an. Ihr Gesicht wirkte im hellen Schein der Taschenlampe blass. »Verflixt, sie hat Recht«, bemerkte Georgs Vater bewundernd. »Dann gehen Quentin und ich jetzt so rasch wie möglich zur Polizei und melden den Fall«, schaltete sich Georgs Mutter ein. »Und ihr bleibt hier.« »In Ordnung«, antwortete Corinnas Vater. »Aber beeilt euch.« 113
Kaum waren Georgs Eltern weg, hüllte sich das Zimmer wieder in Dunkelheit. »Ich wünschte, wir hätten ein paar Kerzen«, jammerte Corinna, die wieder Angst bekam. Ge orgs Eltern hatten die Taschenlampe mitgenom men, da nach dem Blitz auch die Straßenbeleuch tung ausgefallen war. »Tut mir Leid, Liebes«, sagte ihre Mutter. »Das gehört zu den Dingen, die ich noch kaufen wollte. Aber ich bin noch nicht dazu gekommen.« »Es ist besser, wenn wir im Dunkeln sitzen«, meinte Georg. »Dann denken sie, es ist niemand zu Hause.« »Stimmt«, pflichtete Corinna ihr bei und schau derte noch einmal bei dem Gedanken. Draußen war das Gewitter abgeflaut. Der Wind legte sich und es herrschte Totenstille. Plötzlich sträubte sich Tims Nackenfell. Er knurrte und es klang bedrohlich. Er hatte etwas gehört, das Menschenohren nicht hören konnten: das Rascheln im Gebüsch, als jemand über den hinteren Gartenzaun kletterte, und dann den Tritt schwerer Stiefel über das nasse Gras. Dann fingen seine feinen Ohren das Klicken auf, als jemand das Vorhängeschloss aufbrach! Die Einbrecher waren da! Tim knurrte nun so laut und drohend er konnte. 114
»Warum knurrt er so?«, fragte Corinna mit be bender Stimme, als Tim wieder anfing. »Er hat etwas gehört«, flüsterte Georg und legte ihrem Hund die Hand auf den Nacken. »Er hat das beste Gehör der Welt.« »Ich sehe wohl besser nach«, meinte Herr Lieb lich und stand auf.
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13 Georg hat eine Idee
Mit einem Mal begann Tim noch lauter zu knurren. Er witterte die beiden grässlichen Kerle, die Lieb lichs Antiquitäten klauten. Er konnte doch nicht einfach tatenlos zusehen und sie entwischen lassen! »Pst«, zischte Georg und legte ihm die Hand auf die Schnauze. »Du schlägst sie noch in die Flucht!« Und tatsächlich hatten die beiden Männer im Schuppen etwas gehört. »Was war das denn?«, zischte Jupp. Er hob den Kopf und lauschte mit besorgter Miene. »Es klang wie ein Hund«, flüsterte Mike. Er hielt ebenfalls inne und lauschte. 116
»Du hast nichts davon gesagt, dass sie einen Hund haben.« Jupp wurde nervös. »Ich hab auch keinen gesehen«, erwiderte Mike und zuckte die Achseln. »Ich hab das Haus die ganze Woche über beobachtet und nie keinen Hund gesehen.« »Na ja, wenigstens scheint er drin zu sein, sonst hätten wir ihn schon längst auf dem Hals«, meinte Jupp. »Bringen wir die Sache hinter uns«. Er nahm eine sehr wertvolle Uhr vom Regal und legte sie in seinen Sack. Im Haus beobachteten Georg und Herr Lieblich das Geschehen noch immer. »Wenn sich die Polizei doch bloß beeilen wür de«, flüsterte Georg. Sie begann sich allmählich Sorgen zu machen. Ihre Eltern mussten die Poli zeiwache doch längst erreicht haben! »Keine Bange«, beruhigte sie Herr Lieblich. »Ich habe volles Vertrauen zur Polizei. Sie werden si cher bald hier sein.« Sie warteten und warteten, doch die Polizei kam nicht. Tim wurde immer ungeduldiger. Er knurrte und trippelte unruhig wie ein Zirkuspferd hin und her. Dann tauchte einer der Männer in der Tür des Schuppens auf. Er hatte sich einen schweren Sack über die Schulter geworfen und sah sich um. »Nun komm schon Mike«, flüsterte er. »Das reicht.« 117
»Ach Mist! Sie machen sich aus dem Staub«, ächzte Georg. »Was sollen wir bloß tun?« Jupp wartete, doch als sein Kumpel nicht kam, ging er in den Schuppen zurück. Da wusste Ge org, dass sie etwas tun musste. Jetzt oder nie! »Ich laufe hinüber und schließe sie ein«, flüster te sie Herrn Lieblich hastig zu. »Bleib Tim«, fügte sie hinzu. »Bleib! Ich rufe dich, wenn ich dich brauche!« »Nein! Du darfst auf keinen …«, begann Herr Lieblich, doch Georg war schon zur Hintertür hinausgeschlüpft. Zum Glück segelte gerade eine der letzten Wolken vor den hellen Mond und der Garten lag wieder im Dunkeln. Wie ein Wiesel flitzte Georg über den Rasen. Wenn die Diebe jetzt herauskamen und sie ent deckten, befand sie sich in höchster Gefahr. Doch Mike und Jupp stritten im Schuppen mit einander. »Ich hab dir doch gesagt, es reicht!«, beharrte Jupp. »Wir haben genug. Los, machen wir die Fliege.« Gerade als Georg die Tür erreichte, liefen die beiden von innen ebenfalls darauf zu. Sie warf sich dagegen und die Tür knallte zu. Hinter ihr kam Herr Lieblich angerannt. Er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, während Georg blitzschnell den Riegel vorschob. 118
»Gut gemacht, Georg«, keuchte Herr Lieblich. »Das hast du ausgezeichnet gemacht.« »He«, schrie einer der Kerle. »Lasst uns raus!« Ein Hämmern und Schlagen drang nach draußen. »Haha«, lachte Georg. »Pech gehabt, ihr zwei! Da bleibt ihr jetzt schön drin, bis die Polizei kommt.« »Komm, wir gehen besser wieder rein«, meinte Herr Lieblich. »Hier können wir sowieso nichts mehr tun.« Tim erwartete sie an der Hintertür und bebte vor Aufregung. Er hätte zu gern einen der beiden Kerle gebissen.
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»Wir haben sie eingesperrt, Tim«, strahlte Georg entzückt. »Die sitzen fest, für immer und ewig.« Doch die Einbrecher saßen ganz und gar nicht für immer und ewig fest. Kaum waren Georg und Herr Lieblich wieder im Haus, hörten sie ein Klir ren. Die Diebe hatten das Schuppenfenster einge schlagen und kletterten hinaus! Jetzt reichte es Tim aber endgültig. Er wusste genau, was geschah. Die Diebe saßen überhaupt nicht fest. Sie schickten sich an zu entkommen und das musste er verhindern. Der kleine Hund machte kehrt und rannte hin aus. Mit wildem Gebell stürzte er auf die Einbre cher zu, gerade als der zweite aus dem Fenster kletterte. Tim kriegte mit seinen scharfen Zähnen einen der beiden schweren Säcke zu fassen. Er zog und zog. Dabei knurrte er und schüttelte den Sack hin und her. Ein Höllenspektakel brach los. »Das ist der gleiche Hund wie auf der Insel!«, schrie Mike und trat nach Tim. »Wie bist du da weggekommen? Hau ab, du verfluchter Köter!« Aber Tim kannte das Spiel und war diesmal ge scheiter. Er wich den schweren Fußtritten flink aus, ohne den Sack auch nur einen Moment loszu lassen. Egal was der Mann tat, um nichts in der Welt würde er loslassen! Mike rannte mitsamt Tim und Beute durch den 120
Garten. Manchmal flog der kleine Hund ein Stück durch die Luft, dennoch ließ er den Sack nicht los. Der andere Dieb wollte sich ebenfalls aus dem Staub machen. Er rannte über den Rasen Richtung Vorgarten. »Hilfe, er entkommt!«, schrie Georg aufgeregt. Da kam zu ihrer Verblüffung Corinna aus dem Haus gerannt. Sie hatte die Szene vom Fenster aus mitverfolgt. Nun schoss sie über den Rasen und stellte dem Dieb ein Bein. Jupp stolperte und fiel Kopf voran auf die nasse Erde. Allerdings rappelte er sich schnell wieder auf und machte sich davon. In diesem Augenblick heulten Polizeisirenen auf und zwei Streifenwagen bremsten quiet schend vor dem Gartentor. Als Jupp vorbeirannte, stiegen gerade Wachtmeister Mond und vier wei tere Polizisten aus. Zwei Beamte kümmerten sich sofort um Mike. Doch Jupp drohte zu entkommen. »Fass ihn, Tim!«, rief Georg. Aber der kleine Hund brauchte keine Ermunterung. Er ließ Mikes Sack fahren und raste dem anderen Dieb durch das Tor hinterher. Zwei Polizisten folgten ihm auf den Fersen. Auf dem Friedhof holten sie Jupp ein. Einer der Beamten warf sich auf ihn und zog ihn zu Boden. Tim half ihm dabei. Er riss ein großes Loch in Jupps Strumpf und bis ihn kräftig in die Ferse. 122
»Wuff«, meinte er schließlich sehr zufrieden, als der Beamte den jämmerlich zugerichteten Böse wicht zum Streifenwagen zurückführte. »Wuff, wuff!«
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14 Das Abenteuer ist zu Ende
Tim hob den Strumpffetzen auf und rannte zu rück, um seine Besitzerin zu suchen und ihr seine Beute zu bringen. Sie würde sehr zufrieden sein mit ihm! Er fand Georg zusammen mit ihren Eltern und Corinna im Garten. Mike, der zweite Einbrecher, wurde gerade von einem der anderen Polizisten abgeführt. Stolz legte Tim Georg den Strumpffetzen vor die Füße. »Guter Hund«, rief sie stolz und ging auf die 124
Knie, um ihn zu umarmen und zu küssen. »Klu ger Hund!« »Ich muss schon sagen, er ist wirklich ein muti ger kleiner Kerl«, pflichtete ihr einer der Beamten bewundernd bei. »Ja, ich weiß«, erwiderte Georg. »Mutig und klug, der Beste auf der ganzen Welt.« Zu Georgs großer Verblüffung umarmte Corin na Tim ebenfalls. Er leckte ihr die Wange ab. Tim war überrascht, dass dieses Mädchen sich nun doch noch mit ihm anfreundete. »Jetzt weiß ich, dass er mir nichts tut«, sagte Co rinna und blickte zu Georg hoch. »Er kann zwi schen Freund und Feind unterscheiden. Nicht wie der Hund, der mich gebissen hat, als ich klein war.« »Welcher Hund?«, fragte Georg und blickte sie etwas verwirrt an. »Ein anderer Hund«, erklärte Corinna. »Ich wollte ihn bloß streicheln. Mutti meint, er hat sich wahrscheinlich vor mir gefürchtet und deshalb zugebissen.« »Das war ein dummer Hund«, erwiderte Georg, und fügte hinzu: »Ach, und da hast du gedacht, al le Hunde sind so.« Plötzlich verstand sie gut, wes halb sich Corinna vor Tim gefürchtet hatte. »Genau«, gab Corinna zur Antwort und legte von neuem die Arme um den klugen kleinen Hund. »Aber jetzt weiß ich es besser.« 125
»Komm doch mal rein und erzähl, woher du von diesem Einbruch wusstest«, wandte sich Wachtmeister Mond an Georg und zog sein No tizbuch hervor. »Wir suchen die beiden nämlich schon lange. Ich bin sehr gespannt auf deine Ge schichte.« Sie gingen alle miteinander ins Haus: Georgs Eltern, die zwei schmutzigen Mädchen, der sehr schmutzige kleine Hund, Herr Lieblich und der kräftige Polizist. »Hurra, hurra! Sie sind uns nicht entwischt!«, sang Georg. »Wir haben ein aufregendes Aben teuer erlebt!« Doch obwohl sie es nie zugegeben hätte, hatte sie jetzt, da alles vorbei war, pud dingweiche Knie. Aber das brauchte niemand zu wissen. Kaum standen sie im Haus, ging das Licht wie der an. »Gott sei Dank«, meinte Herr Lieblich. »Ist alles in Ordnung mit euch?«, fragte Frau Lieblich. Sie eilte ihrem Mann und Corinna entge gen und fiel beiden um den Hals. Frau Lieblich hatte die Ereignisse vom Küchenfenster aus mit verfolgt, aber aus lauter Furcht nicht gewusst, wie sie helfen könnte. »Uns geht es gut«, antwortete Corinna. »Hast du Tim gesehen? War er nicht mutig?« »O ja, das war er wirklich«, sagte Frau Lieblich 127
und schickte sich an, für alle Tee zu kochen. »Ihr seid überhaupt alle sehr mutig gewesen.« Am Wohnzimmertisch, mit einer großen Tasse heißem Tee, spürte Georg mit einem Mal, wie müde sie war, und gähnte kräftig. Es war ein sehr aufregender Tag gewesen. »Ich glaube, wir bringen dich besser nach Hau se, Georg«, meinte ihre Mutter. »Was du jetzt brauchst, sind ein heißes Bad und ein Bett.« »Dann mal los«, stimmte der nette Polizist zu und klappte sein Notizbuch zu. »Ich fahre euch mit dem Streifenwagen zurück. Du kannst deine Aussage später machen.« »Danke Georg«, sagte Herr Lieblich, bevor sie gingen. »Ein, zwei wertvolle Gegenstände sind zu Bruch gegangen, aber alles andere ist in Sicherheit.« »Gut«, antwortete Georg und gab ihm die Hand. »Und dir danke ich ebenfalls, Tim«, sagte Herr Lieblich. Er bückte sich und tätschelte den kleinen Hund. »Wuff«, blaffte Tim und meinte damit selbst verständlich Gern geschehen. »Besuch uns morgen doch, wenn du Lust hast«, sagte Georg zu Corinna, als sie zusammen über den Gartenweg gingen. Corinna war sehr mutig gewesen. Mutiger als Georg je erwartet hätte. Und da sie sich vor Tim nicht mehr fürchtete, konnten sie irre spannende Dinge zusammen unternehmen. 128
»Ich werde Mutti fragen«, erwiderte Corinna und sah lächelnd auf ihr schmutziges Rüschen kleid hinunter. »Hast du gemerkt, sie hat nichts über das schmutzige Kleid gesagt?«, fügte sie flüs ternd hinzu. »Nein, hat sie nicht«, grinste Georg. »Viel leicht kauft sie dir nach alledem sogar eine kurze Hose.« »Das wäre Wahnsinn!«, kicherte Corinna. »Und wenn nicht, brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte Georg. »Du kannst dir jederzeit eine von mir borgen, wenn du mal schmutzig werden willst.« Corinna strahlte immer noch, als zum Abschied alle einander zuwinkten. Herr Mond drehte den Schlüssel im Anlasser und fuhr los. Tim, Georg und ihre Eltern saßen si cher hinten im Wagen verstaut. Georg seufzte. War das alles aufregend gewesen! Im Felsenhaus wartete Wachtmeister Mond, bis Georg ihr heißes Bad genommen und den Schlaf anzug angezogen hatte. Als Johanna von ihrem Abenteuer hörte, schenkte sie Tim für seine heldenhaften Taten ei nen großen Belohnungsknochen. Georgs Eltern bestanden darauf, dass er ihn in der Küche aß. Ausnahmsweise störte es ihn nicht, in einem an deren Raum zu sein als seine Besitzerin. 129
Wachtmeister Mond wartete mit Georgs Eltern im Wohnzimmer. »So kleines Fräulein«, wandte er sich an sie, als sie in einen warmen Bademantel gehüllt hereinkam. »Jetzt kannst du mir die Ge schichte der Reihe nach erzählen.« »Georg«, wies ihn Georg schmollend zurecht. »Ach ja, entschuldige, Georg …«, grinste er freundlich. Und Georg erzählte die ganze Geschichte ein mal mehr. »Also ich muss schon sagen«, bemerkte ihr Va ter am Ende. »Du bist wirklich ein sehr mutiges Mädchen. Du kannst sehr stolz auf dich sein. Höchstwahrscheinlich hast du Familie Lieblich ei nen Riesenverlust erspart.« »Tim war auch sehr mutig«, sagte Georg. »Oh ne ihn wäre einer der beiden Diebe vielleicht ent wischt.« »Stimmt«, pflichtete der Vater ihr bei. »Und deshalb darf er heute zur Belohnung ausnahmsweise bei dir schlafen«, lächelte die Mutter. »Wirklich?«, fragte Georg und sah die Eltern mit leuchtenden Augen an. »Das wäre wunder bar.« »Aber nur dies eine Mal«, fügte der Vater hinzu und versuchte sehr streng auszusehen. Stattdessen musste er lachen. 130
»Danke Mutter, danke Vater!« Georg rannte zu den beiden hin und fiel ihnen um den Hals. »Nun aber ab ins Bett, ihr beide, Georg und Tim«, warf die Mutter, ebenfalls lachend, ein. Georg rief Tim und gemeinsam liefen sie die Treppe zu Georgs gemütlichem kleinem Dach zimmer hoch. »Er scheint den Weg ja genau zu kennen«, grinste Wachtmeister Mond, als Georgs Eltern ihn zur Tür begleiteten. »Er ist eben ein sehr intelligenter kleiner Hund«, erwiderte Georgs Vater. In ihrem Zimmer schlüpfte Georg aus dem Ba demantel und klopfte mit der Hand aufs Bett. »Komm Tim, leg dich auf dein Plätzchen.«
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Tim sprang hoch und drehte sich einige Male um die eigene Achse, bis er sich seine Kuhle ge schaffen hatte. Dann legte er sich mit einem tiefen Hundeseufzer hinein und die Augen fielen ihm zu. Er war wirklich sehr müde. »Das war mehr als ein Abenteuer, stimmt’s Tim?«, flüsterte Georg ihm noch zu. Dann Kroch sie unter die Decke, zog diese auch ein wenig über Tim und kuschelte ihren müden Kopf ins Kissen. Von draußen ertönte der Ruf einer Eule und man hörte das Meer rauschen. »Hoffentlich erleben wir noch jede Menge Aben teuer zusammen, nicht wahr Tim?«, murmelte Ge org schläfrig. Doch Tim hörte sie nicht mehr. Er lag zusam mengerollt da und schlief tief und fest. In seinen Träumen erlebte er bereits die nächsten Abenteuer!
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