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Gütersloher Taschenbücher / Siebenstern 332
Lutz Mohaupt
Pastor ohne Gott? Dokumente und Erläute...
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Gütersloher Taschenbücher / Siebenstern 332
Lutz Mohaupt
Pastor ohne Gott? Dokumente und Erläuterungen zum »Fall Schulz«
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
Originalausgabe
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Mohaupt, Lutz: Pastor ohne Gott?: Dokumente u. Erl. zum Fall Schulz / Lutz Mohaupt. - Orig.-Ausg. - Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Mohn, 1979. (Gütersloher Taschenbücher Siebenstern; 332) ISBN 3-579-03750-1
ISBN 3-579-03750-1 © Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1979 Umschlagentwurf: Dieter Rehder, Aachen unter Verwendung eines Fotos von Jose Luis Camejo, Hamburg Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany
Inhalt
Zur Vorgeschichte
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Die Verkündigung Jesu und das Prinzip Liebe (1. Verhandlungstag)
21
Gottes Offenbarung und wissenschaftliche Erkenntnis (2. Verhandlungstag) Zur Frage des Lehrkonsensus in der Kirche (Anträge vom 3. und 5. Verhandlungstag) Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft (3. Verhandlungstag: Das Gutachten) Kirche und christliche Hoffnung (4. Verhandlungstag)
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51
66
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Schrift - Bekenntnis - offene Theologie (5. Verhandlungstag)
117
Zur Frage nach Inhalten des Glaubens 142 (Rückfragen und Klärungen vom 6. Verhandlungstag) Die Schlußworte 165 (7. Verhandlungstag) Der Spruch und seine Begründung
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Nachwort: War das Verfahren theologisch möglich?
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Statt eines Vorwortes
Man muß zugeben, daß dem Christentum, mehr als anderen Religionen, ein Hang zur Verschämtheit anhaftet. Es schielt nach dem Urteil der Vernunft wie eine Genante nach dem Stadtklatsch. Es wird um so zimperlicher, je älter es wird, und es bringt seinem Rufe die unglaublichsten Opfer. Zuerst genierten sich die Christen ihrer mythologischen und polytheistischen Herkunft. Wer zu jener Zeit über Land ging, fand auf dem Dung die Madonnen liegen, welche die Christen aus ihren Kirchen geworfen hatten. Das konnte den Künstlern noch recht sein. Seit neuestem indes finden die Künstler, wenn sie an den Misthaufen vorüberwandern, auch den Heiligen Geist, den Sohn, ja nicht selten den Vater. Die Christen selbst haben sie fortgeworfen. Sie haben das Christentum verkleinert auf einen Rest von Sätzen über Gerechtigkeit, Tugend und die Herstellung einer würdigeren Welt, lauter Sachen, auf die sich - Gott ist des Verfassers Zeuge - die Marxisten besser verstehen. (Peter Hacks, marxistischer Schriftsteller, im Nachwort zu seiner Komödie »Adam und Eva«)
Es kommt vor, daß die in den alten Symbolen der Kirche angedeuteten Inhalte nicht zur Erfahrung gebracht, sondern auf den Schutth~ufen geworfen werden. (Carl Friedrich von Weizsäcker im Gutachten zum Schulz-Verfahren)
Zur Vorgeschichte
Es ist offenbar nicht ganz einfach, den »Fall« des Hamburger Pastors Dr. Paul Schulz in den ihm angemessenen Proportionen zu sehen. Die Urteile gehen auseinander. Manche Stimmen sprechen davon, hier sei nur das Showgeschäft eines eitlen Pastors betrieben worden. Andere sehen darin eine neue Auflage des Streits zwischen Vernunft und Orthodoxie, nur mit vertauschten Rollen: der aufgeklärte Pastor an St. Jacobi in Hamburg gegen all die rechtgläubigen »Goetzes« in der Kirche. Ist er ein Mann, »der auf einem etwas zu billigen Niveau an einem Problem scheitert, auf das kein heute Lebender eine adäquate Antwort weiß« (C. F. von Weizsäcker)? Oder sind die Dimensionen noch gewaltiger? Eine Boulevardzeitung fragte: »Ein moderner Martin Luther?« Nun wird es für die weitere Diskussion nützlich sein, zwischen der Sache und der Person, zwischen den Problemen und der Art, wie sie aufgeworfen wurden, zu unterscheiden. Fragen wie die nach der Personalität Gottes oder nach dem Lehrkonsensus in der Kirche sind nicht erst durch dieses Lehrverfahren entstanden und lassen sich nicht mit ihm erledigen. Andererseits: Der Vergleich mit Martin Luther wirft die Frage auf, ob auch der Name von Paul Schulz die Jahrhunderte überdauern und ob der von ihm gegründete eingetragene Verein »Communio humana« so Bestand haben wird wie die von ihm attackierte Kirche, die sich nach Luther nennt. Trotz dieser notwendigen Unterscheidung zwischen Sache und Person geht es jedoch im Augenblick zunächst darum, den »Fall Schulz« so zur Kenntnis zu nehmen, wie er sich abgespielt hat, nämlich als Streit um diesen einen, konkreten Pastor und die von ihm vertretene Lehre. Es ging nicht um irgendeine Gruppe in der Kirche und nicht um eine theologische Richtung, sondern um die Lehre und Predigt von Paul Schulz. Nach Jahren geduldigen Rin9
gens sah sich die Kirche genötigt, diese Lehre zu beanstanden und als Ergebnis eines langen Verfahrens festzustellen, daß der Betroffene in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche getreten ist und daran beharrlich festhält. Diese Entscheidung gemäß § 18 Absatz 1a) des sogenannten Lehrbeanstandungs gesetzes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands wurde von einem Spruchkollegium getroffen, das der Senat für Lehrfragen der VELKD gebildet hatte. Es war das erste Mal seit der Verabschiedung dieses Gesetzes vor mehr als zwanzig Jahren, daß ein solches Verfahren durchgeführt wurde, und der letzte wirklich vergleichbare »Fall« spielte sich im Jahre 1911 ab. Wie konnte es dazu kommen? Wenn Paul Schulz (geb. 1937) von den Anfängen des Problems spricht, pflegt er darauf hinzuweisen, daß er in einem von traditioneller Frömmigkeit geprägten Elternhaus aufgewachsen sei und sich intensiv am kirchlichen Leben seiner Gemeinde beteiligt habe (so zum Beispiel im Schlußwort zum Lehrverfahren ). Es ist nichts Außergewöhnliches, daß auf einem solchen Hintergrund das Studium der Theologie streckenweise als Krise erfahren wird. Ein pauschaler Vorwurf gegen die theologischen Lehrer läßt sich nicht daraus ableiten. Schulz ist nicht etwa bei extrem modernistischen Theologen in die Schule gegangen, sondern unter anderem bei Leonhard Goppelt, einem Neutestamentler, dessen Beschäftigung mit der Botschaft vom auferstandenen Christus immer ein Ja zu persönlicher Frömmigkeit und zu reformatorischer Kirche einschloß. Gleichwohl blieb Schulz der krisenhafte Prozeß nicht erspart, den viele auf dem Weg zum Pfarramt durchlebt haben. Auch haben viele ihr Pastorsein als Aufbruch zu einer modernen, dem kirchenfremden Menschen gegenüber aufgeschlossenen Gemeindearbeit verstanden und ins Werk gesetzt, und wenn Schulz schon vor seiner Ordination einer starren, unkritischen Bekenntnistreue abschwor, wie er berichtet, so befand er sich damit nicht nur in Gemeinschaft mit vielen, gerade auch jungen Pastoren, sondern sogar mit den reformatorischen Bekenntnissen selber, für die die Heilige Schrift »alleinige Regel und Richtschnur« ist (Konkordienformel, Vom summarischen Begriff). Direkte Folgen des Studiums für den »Fall Schulz« lassen sich vielleicht am unmittelbarsten dort greifen, wo es um die Nachwir10
kungen von Ethelbert Stauffer geht, dem Erlanger Neutestamentler und Doktorvater von Paul Schulz. »Paulus ist ein großer Mann, aber wir fragen nach Jesus von Nazareth«, so zitiert ihn Schulz am Ende des Lehrverfahrens. Hier setzt Schulz an, wenn er vom historischen Urgrund des Christentums und von der Mitte der Schrift spricht. Soviel ist klar: Grund für ein Lehrverfahren ist das nicht, auch nicht angesichts der Tatsache, daß die paulinische Theologie für die lutherische Kirche von Anfang an zentrale Bedeutung gehabt hat. Auch die anderen beiden Punkte, die Schulz als programmatisch für seine Position ansieht, sind nicht an und für sich Gründe für das Verfahren geworden: der Versuch, die Theologie für das Gespräch mit der Naturwissenschaft offenzuhalten und mit der Botschaft von der Liebe menschliche Gemeinschaft neu zu gestalten. Es bedarf hier keiner Beweise dafür, daß diese Anliegen weder neu noch einzigartig sind. Sie gehören im Grunde zum Auftrag jedes Theologen und Pfarrers heute und werden auch von vielen nach besten Kräften wahrgenommen. Problematischer ist da schon die Attitüde des kämpferischen Aufklärers, mit der Schulz sein Programm verfolgte: »Der Theologe hat heute praktisch die Aufgabe, veraltete Vorstellungen auszuräumen und die Menschen auf sachgerechtere Vorstellungen hin zu befreien.« (Aus der ersten Predigt an St. Jacobi in Hamburg 1970). Wer bestimmt, was veraltet und was sachgerechter ist? Jedenfalls: Da wurde gehobelt, und da fielen Späne. Als Schulz von 1967 bis 1969 in Breklum / Schleswig-Holstein Dozent an einem Gemeindehelferinnenseminar war, wurde» Tag für Tag, oft Nacht für Nacht um christliche Positionen innerhalb einer modernen, jungen Welt gerungen. Was ist da alles an Spreu verbrannt!« (Schulz im Schlußwort). Auf keinen Fall war Schulz ein Unbekannter, als er zum 1. Juli 1970 zum Pastor an St. Jacobi berufen wurde. Er sagt mit Recht: »Als man mich von Breklum nach Hamburg an die Hauptkirche St. Jacobi holte, wußte man, wer ich war. Die eigentlich theologische Auseinandersetzung hatte damals längst begonnen« (ebd.). Schulz entwickelte seine Position in fünfzehn sogenannten» Kritischen Gottesdiensten« (Diskussionsveranstaltungen mit Jazzmusik; keine Gebete, keine Bibeltexte, keine übliche Liturgie), in Predigten, Interviews und Zeitungsartikeln, vor allem in einer 11
Reihe von Beiträgen in der Wochenzeitung »Die Zeit«, die ihm überhaupt ein einzigartiges Forum zur Selbstdarstellung bot: Bis heute sind dort etwa ein Dutzend zum Teil ganzseitige Artikel von ihm erschienen. Hingewiesen sei auch auf eine Reihe von sozialpolitischen Initiativen, die Schulz in Hamburg unternahm (vgl. Formel S. 191ff.). Unbezweifelbar ist auf diese Weise eine bemerkenswerte Anzahl von kirchenkritischen Menschen angesprochen und beteiligt worden. Zugleich aber wuchs die Zahl der Gemeindeglieder und Pastoren, die den theologischen Hintergrund dieser Bemühungen erkannten und daran Anstoß nahmen. Der damalige Hauptpastor von St. Jacobi, Dr. Dr. Paul Seifert, setzte sich in einer Reihe von Dialogpredigten mit der Schulzschen Position auseinander. Es fand eine Sondertagung des Kirchenvorstandes am 15./16. Januar 1972 statt. In der Vollversammlung der Hamburger Pastorenschaft kam es zu einer Anfrage an den Bischof, was er zu tun gedenke, wenn über die Pastoren gesagt werde: »Die Pastoren machen der Gemeinde blauen Dunst vor« und: »Der heutige Kirchenbesucher muß seinen Verstand an der Kirchentür abgeben« (Formel S. 146; 204). Damals ging in Hamburg die Frage um: Warum wird Schulz nicht auf dem Wege der Amtszucht (d. h. durch ein Disziplinarverfahren) gestoppt? Es hieß, es gebe genug Gründe. Es seien durchaus Tatbestände namhaft zu machen, die eine Versetzung mangels »gedeihlichen Wirkens« (§ 74 Pfarrergesetz) ermöglicht hätten. Ob irgendwann ein solches Verfahren in Gang gekommen wäre, mag hier im Bereich der Spekulation belassen bleiben. Inzwischen war der theologisch-inhaltliche Streit bis in die Vorfelder eines Lehrbeanstandungsverfahrens hineingewachsen. In seinem Schlußwort hat sich der Betroffene dafür bedankt, daß sein Fall auf diesem Wege, nicht disziplinarisch, angegangen worden ist. Aus einem Interview war der Schulzsche Halbsatz bekanntgeworden: »Nachdem ich im Frühjahr vor der Gemeinde praktisch Farbe bekannt habe und ihr die Behauptung zugemutet habe, Gott gebe es nicht ... « In einer Predigt vom 7. November 1971 entfaltete und erläuterte Schulz diese Behauptung. Der Hamburger Bischof D. Wölber hat nicht die Bekenntnisbewegung gegen Schulz »wettern« lassen, wie dieser im Schlußwort (vgl. Formel S. 194) behauptet hat. Es fand zwar eine monatelang vorher verabre12
dete Vortragsreihe statt, aber die theologische Auseinandersetzung mit der Lehre von Schulz besorgte Wölber selber: Er predigte gegen ihn. Er antwortete am 17. November (Bußtag) mit einer Predigt in der Hauptkirche St. Nikolai unter der programmatischen Überschrift: »Es >gibt< Gott!« (teilweise abgedruckt in: Gegen den Strom der Zeit. Hans-Dtto Wölber im Dialog, 1978, S.26-32). Um der Gerechtigkeit willen muß an dieser Stelle einmal unterstrichen werden, daß auf Wölbers Predigt nicht das Lehrbeanstandungsverfahren folgte, als habe irgendwer nur auf einen Anlaß dazu gewartet. Erst zwei Jahre später tat die Hamburger Kirchenleitung, der sogenannte Kirchenrat, einen ersten Schritt, nachdem das Trommelfeuer gegen die »überholten Denkmodelle« der Theologen, die »Infamie der Kirche«, die »faulen Kompromisse« und die »Doppelzüngigkeit« der Pastoren weiterging (vgl. Formel S. 26; 147; 205 usw.). Noch immer pflegte Seifert, damals zugleich Senior, d. h. Stellvertreter des Bischofs, mahnend darauf hinzuweisen, für Schulz sei Publizität wie eine Droge und man sei miteinander im Gespräch. Noch immer warteten Bischof und Kirchenrat angesichts dieses Votums und trotz wachsenden Drucks von der Basis her ab. Aber der Konflikt wurde mit großem publizistischem Echo ausgeweitet. Im Juli 1972 kam es zum Beispiel zu einem öffentlichen Streitgespräch zwischen Schulz und dem damaligen Bischof für Schleswig, Petersen. Während all dieser Auseinandersetzungen beharrte Schulz auf seinen Positionen. Im September 1973 ließ sich der Kirchenrat durch ein Gutachten von Hauptpastor Hans-Jürgen Quest über die Theologie von Schulz informieren. In dem Gutachten heißt es: »Schulz denkt nicht theologisch, sondern entwicklungsgeschichtlich. Er beschreibt ständig menschliche und geschichtliche Phänomene, ohne ihrem Gehalt, Sinn und Ziel wirklich auf die Spur zu kommen. Das ist die Folge eines Denkens, das Gott als mich bestimmendes, mich anrufendes und mich zur Vollendung führendes Gegenüber eliminiert. Mit Gott aber steht und fällt all das, wofür die Kirche ins Leben gerufen ist - der Glaube. Ich bin der Meinung, daß durch die für das Leben und die Lehre in der Kirche Verantwortlichen mit Dr. Schulz geredet werden muß.« Gespräche hatten zwar schon viele stattgefunden. Am 3. Dezember 1973 aber beschloß der Kirchenrat, daß nunmehr gemäß § 1 des Lehrbeanstandungs- , 13
gesetzes zu verstehende »seelsorgerliehe Bemühungen« unternommen werden sollten, um die entstandenen Anstöße zu beheben. In fünf seelsorgerlichen Gesprächen mit Schulz in der Zeit vom 5. Januar bis 9. März 1974 gelang dies Pastor Hans Georg Schmidt und Hauptpastor earl Malsch nicht, da Schulz bei seinen Meinungen blieb. Am 1. April 1974 beschloß der Kirchenrat, daß ein Lehrgespräch mit Schulz geführt werden sollte. Auf dieser Ebene des Lehrverfahrens wurden Hauptpastor Hans-Jürgen Quest, Professor Dr. Ulrich Wilckens und Pastor Johannes Nordhoff tätig. In dem Bericht über die beiden Lehrgespräche am 10. und 25. Februar 1975 wird festgestellt, daß Schulz »in beeindruckender Aufrichtigkeit Rede und Antwort gestanden« habe, »wenn auch gewisse aggressive Motive gegenüber seinen Amtsbrüdern diesen das Gespräch bisweilen schwer machten«. Die Beauftragten haben die legitime Pluralität theologischer Tradition und anerkannter Lehrmeinungen betont, auf die Notwendigkeit historisch-kritischer Interpretation der Bekenntnisse hingewiesen und den Rahmen der innerhalb der Kirche tolerablen Lehrmeinungen so weit zu spannen versucht, wie es ihnen irgend verantwortbar schien. Gleichwohl lautet ihr Fazit: »Unter diesem entscheidenden Gesichtspunkt aber sehen sich die Beauftragten nach dem Maße ihrer theologischen Einsicht und in ihrem Gewissen genötigt, dem Kirchenrat gegenüber nach § 1 der Lehrordnung zu erklären, daß Herr Dr. Schulz als ordinierter Inhaber des Pastorenamtes der evangelisch-lutherischen Kirche >öffentlich durch Wort und Schrift in der Darbietung der christlichen Lehre und seinem gottesdienstlichen Handeln in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche getreten ist und daran beharrlich festhältSchäflein, die ihres Hirten Stimme hörenIch glaube eine heilige christliche Kirche.< Diese Heiligkeit besteht ... im Wort Gottes und rechtem Glauben« (Schmalk. Art. 111, Von der Kirchen). Auf Luther kann sich Dr. Schulz in bezug auf sein Kirchenverständnis also nicht berufen. Die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche ist gerade nicht charakteristisch für Luthers Kirchenbegriff. Sie findet sich bei ihm selten· und tritt zurück hinter der Rede von der «Verborgenheit« der Kirche. Als Schöpfung des Evangeliums »steht sie unter dem Kreuz, und weil man sie dort nicht sieht, muß man sie glauben. Die wahre Kirche ist verborgen.« (WA 18,652). Das hat mit der Schulzschen Einteilung zwischen Amtskirche und engagierter »Communio humana« nichts zu tun. Beide Sozialgestalten pflegen ja sichtbar zu sein, und die verborgene »wahre Kirche« ist andererseits für Luther keineswegs ein alternatives Strukturprogramm, sondern sie will an und in der sichtbaren Kirche geglaubt sein: »Die eigentliche Wirklichkeit der Kirche liegt nicht fernab von ihrer sichtbaren Gestalt, sondern sie existiert in ihr, nur eben für den Nichtglaubenden darunter verhüllt« (E. Kinder, Der ev. Glaube und die Kirche, 2. Auf!. 1960, S. 96). Wie sich dieser Ansatz zu Luthers Kritik an der Papstkirche seiner Zeit verhält, wäre zu prüfen. Um die Berechtigung, ja Notwendigkeit von Kirchenkritik zu begründen, braucht man aber weder Luther noch die lateinische Sprache zu bemühen (visibilis - invisibilis). Es genügt der simple Hinweis: Seit eh und je gehört Kritik an der bestehenden Kirche zum Leben der Kirche hinzu, ist gar Teil dieses Lebens, denn ganz überwiegend wird sie von denen geübt, die ihr angehören. Es wird sich nur schwer eine Kirchenkritik formulieren lassen, die noch nicht als Selbstkritik der Kirche vorweggenommen worden ist. Nun sind theologiegeschichtliche oder dogmatische Defizite in der Ekklesiologie niemals Grund genug für ein Lehrbeanstandungsverfahren. Entscheidend ist, daß es bei Dr. Schulz die aus dem Evangelium von Jesus Christus lebende »Gemeinschaft der Heiligen«, die »eine heilige christliche Kirche« des dritten Glaubensartikels, als Teil seiner Predigt und Lehre überhaupt nicht gibt. Das wird im weiteren Verlauf des Gesprächs erneut deutlich, nachdem Dr. Schulz Aspekte der Diskussion um das kirchliche Amt darstellt, wie sie während der Bildung der Nordelbischen
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Kirche erörtert worden waren. Er weist auf die Verschiedenheit der Amtsverständnisse, auch unter den Hamburger Pastoren (Geistliches Ministerium), hin. Es gebe auch hier keinen magnus consensus.
P. Kretschmar: Magnus consensus ist gerade nicht die zufällige Mehrheit etwa der Pastoren im Geistlichen Ministerium. Ein magnus consensus ist das, was all dem vorausgeht. Daß überhaupt Menschen gesagt haben, wir sind Kirche, daß sie Erfahrung mit Jesus als Christus gemacht haben, die Erfahrung von Heil, Vergebung der Sünden, daß der Tod - wenn ich an einen Gott glaube, der wirklich die Offenheit selbst ist - eben gerade nichts abschließt, sondern alles offen läßt -, das ist magnus consensus, und auf Grund dieses magnus consensus sind dann die Bekenntnisse formuliert worden. Die sind fehlbar, da können wir uns stundenlang unterhalten. Nur fängt gerade da das Dilemma mit Ihnen an, daß Sie diese Grundaussagen auf die gleiche Ebene stellen wie zum Beispiel die Aussage, ob man das Amt mehr vom Dienst her versteht, also in Verlängerung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen, oder ob man es stärker von der Ordination her versteht. Dr. Schulz: Da stehe ich in wesentlichen Punkten mit Ihnen im Widerspruch, und zwar als Christ und als Pastor. Ich beanspruche in meiner Kritik an Ihrer Position genauso mein Pastorsein, wie Sie es auf der anderen Seite tun. P. Kretschmar: Sie stellen aber die Kirche eben als eine Communio humana dar, die sich auf eine jesuanische Tradition beruft. Genau das ist ja nicht Kirche, wie sie sich durch die Jahrtausende hindurch versteht. Dr. Schulz: Das ist bedauerlich, Herr Kretschmar. Hätte sie sich gleich auf Jesus besser verstanden, so wäre sie glaubwürdiger geworden. P. Kretschmar: Da bin ich mir nicht so sicher. Herr von Weizsäcker hat gestern noch einmal betont ,ßaß es die eigentliche Kraft der Kirche ist, daß sie eben nicht logisch formuliert, sondern in
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Paradoxien diese Aussagen macht von jenem Jesus. Ich weiß nicht, wie man sagen kann, dies wäre kein Konsens der Kirche. Hier sind Sie uns den Beweis schuldig. Dr. Schulz: Das will ich auch gerne tun. Dr. Barrelet: Darf ich jetzt nur einmal fragen, welches ist hier Konsens der Kirche?
P. Kretschmar: Die christliche Wahrheit über Jesus Christus läßt sich nur in Paradoxien ausdrücken, ob das nun mit den nicaenisehen Formeln geschieht oder sonstwie. Das, was Sie immer wieder versuchen, nämlich zu rekurrieren allein auf den historischen Jesus, ist eben eine Verkürzung. Ich sage das als einer, der auch vom historischen Jesus fasziniert ist und der sehr ringen muß, um diese paradoxen Formeln überhaupt in sein Leben hineinzunehmen. Aber ich halte fest, daß das, was Sie machen, eine Verkürzung ist. Dr. Schulz: Und ich halte einmal dagegen, daß es eine Konzentration ist, indem ich praktisch über die Tradition hinauskomme und endlich einmal Dinge abstreiche, die mir den Blick für das Zentrum verstellen. Mein Durchbruch zum historischen J esus ist für mich aus meiner lutherischen Tradition genau das, was Luther sola scriptura genannt hat. Ich habe deutlich versucht darzustellen, wie ich dazu stehe und daß für mich die sola scriptura ihren Grund im historischen Jesus hat. Ich habe das nicht als eine Flucht oder eine Aufgabe von Dingen gesehen, sondern als eine Disponierung, und habe gesagt, dies halte ich für eine wesentliche Konzentration des Christentums.
P. Kretschmar: Ich möchte aber noch etwas zur Frage der Eschatologie sagen. Ein wesentliches Merkmal der Kirche ist für Sie eine offene Theologie. Es geht Ihnen dabei um die geistige Solidarität mit dem Zeitgeschehen und dem Zeitbewußtsein. Es ist aber zu fragen, ob die Reduktion des theologischen Horizontes auf die Bereitschaft, sich auf eine faktisch vorhandene Solidarität mit dem Zeitgeschehen offen und bewußt einzulassen, nicht in Wahrheit die Welt verschließt und dem Menschen eine Dimension vorent-
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hält, die allein es sinnvoll machen könnte, von Offenheit zu reden. Das ist für mich die Basis, auf der ich von mir aus denkend Eschatolog~e betreibe, daß ich also von dieser anderen Dimension reden zu müssen meine. Dr. Schulz: Wir können uns da sehr schnell verständigen, wenn Sie als Konkretion nicht von mir verlangen, daß ich sage, dieses wird als Eschatologie sichtbar in einer Apokalyptik. Wenn Sie also sagen, daß dies einmal Ausdrucksmittel gewesen seien, um diese Offenheit zu demonstrieren, daß es aber heute nicht mehr die Bedingungen sind, zu glauben, also nicht für wahr zu nehmen und nicht als Deutungsmittel geeignet, um von Offenheit etwas zu sagen. P. Kretschmar: Die müssen interpretiert werden, da sind wir uns doch einig. Dr. Schulz: Da sage ich also meiner Gemeinde, wie Herr Dr. Stegemann es so schön gesagt hat, eine Hölle gibt es nicht, ein Endgericht gibt es nicht, ein Gericht in dem Sinne, daß die einen hier und die anderen dort stehen, das alles gibt es nicht. P. Kretschmar: Aber darf ich noch einmal unterbrechen: Wie wollen Sie dann theologisch Verantwortlichkeit vor Gott sprachlich ausdrücken? Dr. Schulz: Das ist ein wesentlicher Punkt. Ich kritisiere damit, daß mit dem Hinweis auf ein Endgericht von der Kirche Verantwortungsbewußtsein bei den Menschen gefordert oder hergestellt wird, indem gesagt wird, weil es einmal ein WeItende gibt, in dem Gott der Richter ist und Du Dich verantworten mußt, deshalb mußt Du heute so und so handeln. In der Geschichte der Kirche sind die Gerichtsvorstellungen bis zu extremer Peinlichkeit immer wieder dazu benutzt worden, Menschen in ihrem Handeln so oder so zu manipulieren. Ich würde mich also aus meinem theologischen Bewußtsein im tiefsten weigern, die Verantwortlichkeit von Christlichkeit aus einem Endgericht abzuleiten. Nun bin ich wieder ganz nahe bei Jesus. Jesus hat die Verantwortlichkeit des einzelnen nicht aus einem Endgericht abgeleitet, sondern aus dem
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unmittelbaren Verantworten vom Ich zum Du. Ich verantworte mein Verhalten auf dich hin, weil du mich brauchst, und nicht, weil ich vor irgendeinem Gott zu irgendeiner Zeit im Endgericht Angst habe. Prof. Stegemann: Wenn Eschatologie so verstanden wird, daß eine neue Gesetzlichkeit herauskommt, dann ist die Sache sicher falsch. In diesem Sinne ist die Endgerichtsvorstellung sicher abzulehnen. Das Christentum versteht sich ja fundamental von der in J esus gesetzten Möglichkeit zum Heil und von der Erlösungskraft Jesu her. Nur hat die natürlich auch eine eschatologische Dimension. Damit, daß ich sage, eine mißverständliche Vorstellung vom Endgericht, die eine neue Art von Werkgerechtigkeit produzieren kann, die die Sache verfälscht, muß raus, ist diese andere Komponente, daß das Erlöstsein eine eschatologische Dimension hat, noch nicht ganz erledigt. Dr. Schulz: Das offene Reden über Eschatologie hat heute immer die Belastung, daß sie so sehr mit der Apokalyptik verbunden ist. Man kann bei Jesus'von Eschatologie reden ohne apokalyptische Positionen. Die Apokalyptik ist traditionsgeschichtlich ein Zusatz zur Jesusverkündigung. Da sind wir an dem Punkt, wowir gemeinsam über Offenheit christlicher Positionen sprechen können. Dann sind wir da, daß Positionen der modernen Theologie sagen, diese Offenheit ist eine in dieser Welt vorhandene Möglichkeit menschlichen Weltverstehens. P. Kretschmar: Aber es kommt doch darauf an, daß christliche Theologie, daß Eschatologie davon ausgeht, daß sie von Gott spricht und damit den meint, der am Ende unseren Glauben verifizieren wird. Das, was ich glaube, braucht doch die Bewahrheitung. Die Wahrheit mag heute in der Diskussion im Fluß sein. Aber am Ende muß es doch, wie man es auch immer benennen mag, bewahrheitet werden! Dr. Schulz: Ich bestreite Ihnen nicht, daß man das in der Eschatologie so machen kann. Man könnte also sagen: Um die Erfahrung zu machen, daß das, worauf ich jetzt etwas riskiere, auch wahr ist, muß ich einen Punkt haben jenseits von meinem Riskieren, an
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dem mir später - und das halte ich für Eschatologie - von einer letzten Instanz gesagt wird, so ist es auch. Davon setzt sich eine theologische Bewegung ab, die sagt, daß dieses Eschaton eigentlich jenes Wagnis ist, das sich bereits im Glauben aktuell vollzieht. Ich bin der Meinung, daß ich da ungeheuer nahe bei Paulus stehe. Paulus leitet seine Gewißheit nicht aus irgendeiner Zukunft ab, sondern er lebt aus der Gegenwart, nämlich aus Erfahrungen, die für ihn bereits voll dagewesen sind. Ich bin erlöst, so sagt Paulus, und das heißt: verwirklichte Eschatologie, indem nämlich die volle Gewißheit der Offenheit in der neuen Existenz gegenwärtig ist. Ich brauche also im paulinischen Sinne nicht mehr ein WeItende zur Bestätigung.- Ich bin jetzt überzeugt, egal, was am WeItende passieren wird. Es ist für mich ein wesentlicher Punkt, daß im Selbstverständnis des Paulus und in seinem christlichen Risiko dieser christliche Mut zum neuen Sein in seiner Wahrhaftigkeit nicht mehr in einem zukünftigen Ereignis gesucht wird, sondern als Gewißheit bereits gegenwärtig voll da ist. Es könnte also ein solches Ende wegfallen, und für Paulus wäre immer noch die Heilsgewißheit voll und ganz da, daß es diese Offenheit gibt. Es überrascht, daß gerade Paulus hier herangezogen wird, bei dem es heißt: »Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.« (1. Kor 15,19). An anderer Stelle empfiehlt Dr. Schulz nicht nur, die Bedeutung der paulinischen Theologie zu relativieren (vgl. S. 123), sondern er widerspricht Paulus ausdrücklich in bezug auf die christliche Hoffnung, weil auch Jesus nicht auferstanden sei und die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse heute gegen ein Leben nach dem Tode sprächen (Predigten, S. 65ff.; vgl. Formel S. 232f.). Diese herausgegriffene Ungereimtheit wird hier als Symptom dafür angeführt, daß die Schulzsche Meinung über die christliche Hoffnung in einem Zirkelschluß aufgrund verschiedener Hypothesen besteht. Ausgangspunkt: Jedes Reden von Auferstehung, vom Leben nach dem Tode steht wider besseres Wissen. Zweiter Satz: Überall, wo im Neuen Testament oder in der Lehre der Kirche von einer zukunftsorientierten christlichen Hoffnung (futurische Eschatologie) die Rede ist, handelt es sich um veraltete apokalyptische Vorstellungen. Also: Der Pastor kann und braucht eine christliche Hoffnung im herkömmlichen Sinne nicht mehr zu
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verkündigen; sein modernes Bewußtsein läßt es nicht zu, sein Amt fordert es nicht von ihm - was zu beweisen war. Es genügt, wenn er etwa an einem Sterbebett die - illusionäre - Trostfunktion respektiert, die für einen Menschen darin liegen kann, auf den Gott, der die Toten auferweckt, zu hoffen und auf den wiederkommenden Christus zu warten. Der Leser sei eingeladen, an den Schriften von Dr. Schulz zu prüfen, ob dieser im ganzen richtig wiedergegeben ist. Eine theologische Auseinandersetzung mit allen genannten Thesen wäre möglich und nötig. Ein fundamentaler Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis, zur Lehre der Kirche, zum Auftrag eines Pfarrers liegt jedenfalls nicht d~mn vor, wenn ein Pastor mit dem eigenen Zweifel ringt oder sich den Fragen des modernen Bewußtseins an die Theologie stellt. Dr. Schulz aber macht seine Thesen zusammengefaßt zum Anliegen seiner Verkündigung. Wie soll dann diese Predigt noch gewi ßmachendes Zeugnis von der unzerstörbaren Liebe Gottes in Christus sein können?
Vorsitzender: Ich habe mich bemüht, Sie zu verstehen. Sie haben gesagt: In Jesu eschatologischer Verkündigung wird eine vorhandene Möglichkeit menschlichen Selbstverstehens aufgedeckt und freigelegt. Dieses kann ich nur als eine fundamentale Verzeichnung der Verkündigung Jesu verstehen. Jesus beginnt mit dem Indikativ der Heilszusage: Die Gottesherrschaft ist angebrochen. Die Gottesherrschaft ist etwas diametral Entgegengesetztes zu einer bereits vorhandenen Möglichkeit menschlichen Selbstverstehens . Ihr J esusbild - ich sage ausdrücklich: ich elementarisiere wirft den Menschen auf die in ihm liegenden Möglichkeiten, die vielleicht bis dahin verdeckt waren, zur4ck. Der Mensch bleibt bei sich selbst. Er wird ausschließlich mit einem moralischen Appell dazu angehalten, alle Möglichkeiten, die es in ihm gibt, entweder zu erkennen oder zu nutzen, jedenfalls soweit zu bringen wie irgend möglich. Daß das Evangelium eine Zusage, eine Gabe, ein Heil ist, dieses vermag ich in Ihrer Christologie nicht zu erkennen. Darin sehe ich mit den systematischen Grund - nicht den historischen -, daß Sie das Bekenntnis der Christenheit lediglich historisch werten, abblenden. Für Sie hat es keine Relevanz, keine für mich erkennbare Relevanz, sondern für Sie hat nur das historisch Verifizierbare, das in Ihr Denken Eingehende Relevanz und infol-
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ge dessen auch nur der moralische Appell, den Sie aus dem historischen Jesus - sicher in achtbarer Gestalt - hören. Ergebnis: Der Mensch, von dem Sie reden und auf den hin Sie Theologie treiben, ist auf sich selbst zurückgeworfen, auf seine zwischenmenschlichen Beziehungen. Es gibt überhaupt nichts anderes, Gott kann gar nichts offenbaren, ihm etwas sagen, ihm etwas geben, ihm etwas schenken. Wenn ich auf die Ausgangsposition von heute morgen zurückkomme, daß ich nämlich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben kann, dann müssen Sie dieses genau umkehren. Sie müssen sagen, daß Sie dadurch, daß die in Ihnen liegenden Möglichkeiten geweckt werden, aus Ihrer eigenen Vernunft und aus Ihrer Kraft - vielleicht werden Sie jetzt nicht »glauben« sagen, sondern: auf Gott hin denken. Dies halte ich für eine diametrale Entgegensetzung zum reformatorischen Bekenntnis. Ich möchte es absichtlich einmal so zuspitzen, damit nicht der falsche Eindruck entsteht, als ob wir durch unser aufmerksames Zuhören Ihnen zugestimmt hätten. Ich widerspreche Ihnen fundamental. Dr. Schulz: Na ja, das überrascht mich im Grunde nicht, Herr Professor, mögen Sie auch! Das besagt noch nicht, daß ich die Jesusbotschaft verzeichne, denn das stellt die Frage an Sie, wie Sie denn in der basileia tou theou des historischen J esus die Heilszusage definieren. Bitte tun Sie mir den Gefallen und kommen Sie mir nicht paulinisch, denn dies hat mit der ursprünglichen basileia..toutheou-Theorie von Jesus nur wenig zu tun. Da sage ich Ihnen einmal aus meiner Kenntnis, daß die basileia-tou-theou-Theorie von Jesus kein einziges Stück von dem beinhaltet, was Paulus später als Rechtfertigung des Sünders sakramental verstand. Ich sehe es nicht. Jesus spricht das Reich Gottes als unmittelbar anbrechend da zu, wo gewisse Dinge getan werden. Ich sage Ihnen gerne, daß in der paulinischen Rechtfertigungslehre wesentliche Elemente der basileia-tou-theou-Theorie so umgesetzt werden, daß sie noch ein größeres Spektrum abdecken können. Aber von der Sache her, Herr Bischof, jetzt muß ich Sie als Theologe und Professor ansprechen, gehe ich derzeit jeden Forschungsstreit mit Ihnen ein, daß Ihre Aussage über den historischen Jesus falsch ist.
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Vorsitzender: Diesen Streit will ich gerne mit Ihnen führen. Wir können das hier nur begrenzt. Ich möchte nur sagen: Sie haben jetzt eben mehrfach gesagt, Jesus spricht die basileia zu. Das ist etwas anderes, als den Menschen anzusprechen auf die in ihm liegenden Möglichkeiten. Was Sie aus der Verkündigung J esu herausnehmen, ist für mein Verständnis - ich habe extra gesagt und betone es noch einmal, daß ich elementarisiere - ein moralischer Appell, sicher von einer hohen Qualität, aber der Mensch bleibt bei sich selbst, und Sie können von einer Erlösung nicht sprechen. Das ist ganz folgerichtig. Prof. Friedrich: Ich verstehe Sie nicht. Sie legen großen Wert auf das Denken und auf das wissenschaftlich Nachweisbare. Dann aber machen Sie Aussagen absoluter Art, die ich nicht verstehe. Sie sagen, Gott gibt es nicht, mit dem Tod ist alles aus, es gibt kein Jenseits, es gibt keine Auferstehung, es gibt kein Gericht. Wie ist es wissenschaftlich nachweisbar, daß es das nicht gibt? Müßten Sie nicht viel bescheidener sagen,darüber weiß ich nichts? Das würde ich akzeptieren, aber sagen, das gibt es nicht, das ist doch eine handfeste Dogmatik, die Sie da vertreten, die nur nicht die Dogmatik der Kirche ist. Dr. Gehrmann: Ich komme auf Ihr Beispiel vom Sterbebett eines Gemeindemitgliedes zurück. Da sah es doch so aus - und ich glaube nicht, Sie mißverstanden zu haben -, als ob Sie kurz vorher die Frage stellen: Wie möchten Sie es haben? Wie gewohnt oder moderne Auffassung, Psalm 23 oder Seite 177 meines Buches? Kann nicht bei dieser Auffassung, mit der Sie doch nach außen hin in gleicher Intensität, Wahrhaftigkeit und Überzeugungskraft sowohl das eine als auch das andere dem Betreffenden geben, die Frage auftauchen, ob damit nicht ein Gespaltensein - das Sie uns heute vorwerfen- in Ihrer Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft auftreten kann? Das ist meine Frage an Sie nur als Gemeindepastor , nicht als Fachschriftsteller , die mich sehr bewegt. Dr. Schulz: Weil Sie, Herr Gehrmann, immer wieder auf meine persönliche Einstellung als Pastor eingehen, möchte ich sagen, daß ich als Pastor als ungeheuere Befreiung empfand, zu fragen, was möchtest Du denn. Damit nehme ich den anderen schon 113
einmal ernst. In meiner Erfahrung mit Pastoren oder in meiner Vergangenheit lief es meistens darauf hinaus, daß ich nie gefragt worden bin, sondern mir ist praktisch - das finde ich viel unmenschlicher - einfach gesagt worden, so ist es. Wenn Sie es als pastoral fragwürdiges Element einspielen, daß ich auf den anderen einmal höre, was er denn als Christ meint und glaubt und hören will, dann halte ich es für einen wesentlichen Fortschritt im Zwischenmenschlichen zwischen Pastor und Gemeinde. Für eigentlich inadäquat zum Pastorsein halte ich es vielmehr, wenn ich den anderen gar nicht zu Gehör kommen lasse und ihm das aufdränge, was ich als Amtskirche zu praktizieren habe. Wenn ich an einem Sterbebett steh und habe den Eindruck, das dauert noch Stunden und wenn ich dem Menschen die Hand halte und mich in der Solidarität mit diesem Sterbenden bewege, dann kann es passieren, daß ich mein Ordinationsgelübde vergesse, weil ich mich diesem Menschen verantwortlich fühle, und daß ich einmal offen lasse, ob ich diesen Menschen im letzten Augenblick noch auf mein Ordinationsgelübde hinbringe. Das kann sich von Mal zu Mal ändern. Wenn dem Menschen geholfen ist, indem ich im Talar ihm deutlich mache, daß ich als Pastor fungiere und ihm als Sterbenden eine Identität bringe, dann vertraue ich als Pastor auf eins, was mir dann in solchen Situationen immer geholfen hat, daß wir als Lutheraner ja nicht gerade bei der Funktionalität der Sakramente an die Person denken und daß dann eben auch diese Dinge ihre Wirkung haben, nämlich in Kraft ihres Vollzuges. P. Kretschmar: Das sind ja ganz neue Aussagen! Dr. Schulz: Das habe ich in Heidelberg gelernt. Das sage ich Ihnen einmal so. Ich habe das Abendmahl empfangen und mir wurde gesagt, jeder empfange das Abendmahl gemäß seinem Glauben. Das ist die offizielle Formel dort. Der Pastor, der amtshandelnde, entledigt sich seiner eigenen Person, auch seiner Funktion, und sagt, ich vollziehe es. So agieren wir auch in jedem ökumenischen Vollzug normalerweise. Und nun möge jeder in bezug auf seine religiöse Disposition hin die Dienstleistung, die ich als Pastor tue, so entgegennehmen.
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P. Kretschmar: Ja, das reduziert ja das wieder, was Sie vorher gerade gesagt haben. Dann sind wir wieder beim alten. Dr. Barrelet: Nein, das sehe ich nicht so. Dr. Schulz: Ich wollte Ihnen nur deutlich machen, daß ich weder so herum noch so herum ein Mensch bin, der in Krisensituationen jemandem seine Muster aufzwingt. Ich versuche Menschen dann sogar abzuraten, in meinen Gottesdienst zu gehen. Da bin ich von einem Tick herunter, den ich am Anfang so gehabt habe, daß ich in der Lage wäre, allen Menschen in ihrer religiösen Disposition praktisch letzte Antworten zu geben. Das müssen dann vielleicht auch andere Menschen tun, und darum rede ich gerade für die Pluralität in unserer Kirche. Wenn einer meine Position nicht nachvollziehen kann, möge er mit allem Respekt vor meinen Kollegen dort hingehen und seine Identität finden. Nun komme ich zum letzten Punkt: Herr Friedrich, Ihre sehr globale Frage verwundert mich in diesem Augenblick, weil ich versucht habe, vom Kontext her zu sprechen. Ich weiß gar nicht, wo ich gesagt habe, Gott gibt es nicht. Ich habe gesagt, Gott gibt es als Person wohl so nicht. Das ist etwas anderes. Ich habe auch gesagt: Die Vorstellung »Person« als Gott, die - so glaube ich - würde man in Frage stellen müssen. Aber warum denn? Um dieses »Gott gibt es« in anderer Weise neu sichtbar zu machen. Prof. Friedrich: Ich meinte natürlich eben Gott als Person. Ich habe sehr abgekürzt geredet. Dr. Ostermeyer: Ich darf Sie noch einmal zitieren: »Jedes Reden von Auferstehung, vom Leben nach dem Tod, von einer Identität des Ich, die sich durch den Tod hindurch hält, ... ist eine Hoffnung wider besseres Wissen«. Das trifft mich auch, daß Sie das mit einer solchen Sicherheit sagen, daß man das sogar wider besseres Wissen, also unredlicherweise glaubt. Dr. Schulz: Das sind jetzt wieder von einem Text von 21f2 Seiten nur 21f2 Zeilen herausgegriffen. Sie können ja nachlesen, warum zwingend herauskommt, daß dieser Satz dann da so steht. Ich sage dort, es gibt drei Gründe, warum das Reden von Paulus in Schwie115
rigkeiten gerät, und dann ist dies ein Grund, mit dem ich in einer Auseinandersetzung mit Moody und seinem Buch »Leben nach dem Tod« dies ganz konkret klarzumachen versuche. Das ist doch komplizierter. Herr Ostermeyer, ein Tatbestand ist doch komplizierter als ein einzelnes Faktum, das wissen Sie doch als Jurist. Dr. Ostermeyer: Eben habe ich gar nicht als Jurist, sondern als auch Betroffener gesprochen. Dr. Schulz: Jesus spricht die basileia tou theou zu, indem er sich selber zuspricht, und - nun zum Indikativ, Herr Bischof - der Satz heißt richtig: Die basileia tou theou verwirklicht sich da, wo auch du dich zusprichst, wo auch du dich in der Beziehung zum Nächsten voll einsetzt. Dann haben Sie eine sehr eindrucksvolle Kette. Jesus spricht die basileia zu als jemand, der sich zuspricht und damit den Indikativ bietet, dafür, daß auch ich mich zuspreche. Damit ist der transzendente Bezug in den beiden Möglichkeiten weg, das ist richtig. Aber der Identitätsgrad zwischen basileia tou theou bei Jesus als Indikativ und mir, der diesen Zuspruch erfährt, ist ein ganz anderer. Nun heißt es durch den Imperativ (Röm 6): Da Jesus sich zugesprochen hat als Anfang der basileia, sprich , auch du dich zu und schaffe du dann jene Gemeinschaft, von der ich der Meinung bin, daß sie heute der wesentliche Teil des Menschseins ist, nämlich die Gemeinschaft derer, die sich einander im Sinne J esu zusprechen. Vorsitzender: Herr Schulz, Sie haben gestern eine Wendung gebraucht, die wahrscheinlich auch zur Interpretation Ihrer Ausführung passend ist, daß sich dabei nämlich das Prinzip Liebe im sozialen Bezug vollzieht. Sie haben die basileia tou theou in den sozialen Bezug eingeordnet, jeden transzendenten Bezug abgeblendet. Wir sind nicht weitergekommen. Das muß ich Ihnen leider sagen. Weder haben Sie mich als Exeget noch als Systematiker irgendwie eines anderen belehren können. Ich Sie auch nicht, darüber bin ich mir im klaren.
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Schrift - Bekenntnis - offene Theologie (5. Verhandlungstag)
Nach der Eröftnung der Verhandlung wird zunächst die inzwischen, vorliegende Entscheidung des Senats für Lehrfragen besprochen (vgl. S. 64). Dr ~ Barrelet wiederholt den Antrag, es möge festgestellt werden, was »rechte Lehre« im Sinne des Lehrbeanstandungsgesetzes ist. Er verweist auf die seinerzeit an den Senat gestellten neun Fragen von Dr. Schulz, die nunmehr vom Spruchkollegium zu beantworten seien. Die Mitglieder des Spruchkollegiums hatten bereits am 3. und 4. Verhandlungstag in bezug auf diesen Antrag mit inhaltlich-theologischen Auskünften und Stellungnahmen reagiert, die häufig Aussagen der Bekenntnisschriften einbezogen (vgl. S. 72ft., 89ft.). Zusätzlich faßt der Vorsitzende später (vgl. S. 156) die Position des Spruchkollegiums zusammen. Zu Beginn des Sachgesprächs am 5. Verhandlungstag fragt Prof. Stegemann, was für Dr. Schulz die Bindung an die Bekenntnisse inhaltlich bedeute, wie diese in seiner Amtsführung als Pastor zum Tragen komme und wie er den Normcharakter der Bekenntnisse berücksichtige, der aufgrund des Ordinationsgelübdes gegeben, wenn auch als »norma normata« im Blick auf die Schrift in spezifischer Weise relativiert sei. Dr. Schulz berichtet, daß die Vikarsgruppe, der er angehört hat, vor der Ordination ausgiebig über die Bedeutung der Bekenntnisse diskutiert und ein Schriftstück abgefaßt und unterzeichnet habe, in dem der Kirchenleitung ein kritischer Bezug zu den Bekenntnissen bekanntgegeben worden sei. Diesen Hinweis hatte Dr. Schulz schon einmal am 1. Verhandlungstag gegeben. Daraufhin war seine Personalakte beigezogen, vom Spruchkollegium durchgesehen und auch Dr. Schulz zur Einsichtnahme vorgelegt worden. Ein Schriftstück der genannten Art fand sich nicht.
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Dr. Schulz: Wir hatten eine damals relativ einfache Lösung, klare Lösung. Wir haben gesagt, die Bekenntnisschriften sind Ausdruck einer Interpretation des Neuen Testamentes oder der Schrift überhaupt, sie sind also norma normata. Grund aller Aussagen im Bekenntnis ist als norma normans die scriptura, die Schrift. Wir empfanden uns damals als ausgeprägt lutherisch in dem Punkt. Wir hatten also theoretisch als Lutheraner überhaupt gar keine Mühe, die Bekenntnisschriften insofern zu relativieren, nämlich in ihrer absoluten Gültigkeit. Prof. Stegemann: Was Sie jetzt ausgeführt haben, ist aus meiner Perspektive völlig unstrittig, das ist gut lutherisch, darüber sollte man gar keinen Zweifel haben: Die Bekenntnisse sind in ihrer Interpretation sicher an die Schrift gebunden. Nur ist das, was der Gegenstand meiner Frage war, mit dem, was Sie ausgeführt haben, noch nicht beantwortet. Ich wollte ja jetzt wissen, welche positive Funktion in dem, was Sie als Pfarrer tun, diese Bekenntnisbindung haben kann, inwieweit also das, was in den Bekenntnissen steht - wie auch immer jetzt relativiert durch den Schriftbezug -, auf der anderen Seite doch positiv zum bekenntnisorientierten Maßstab Ihrer pfarramtlichen Praxis und Lehre geworden ist. Dr. Schulz: Positiv ist das in meinen gemeindlichen Arbeiten sehr konkret abgelaufen. Ich habe z. B. im Konfirmandenunterricht sehr intensiv den Kleinen Katechismus durchgearbeitet. Das kann man vielleicht an den Zehn Geboten deutlich machen. Ich habe meine sogenannten Hamburger Zehn Gebote, die dann so genannt worden sind, keineswegs in die Luft gearbeitet, sondern in ständiger Auseinandersetzung und Korrektur mit den Zehn Geboten des Alten Testamentes bzw. in der lutherischen Form. Ich habe auf gar keinen Fall andererseits in Zweifel gelassen - ich will das gar nicht relativieren -, daß dieses eben nur gleichsam ein Hafen ist, auf den man hin denken kann oder aus dem man wieder auslaufen muß. Ich versuche immer die Beziehung herzustellen, gerade dann, wenn ich sie meine überholen zu müssen. Meine Gemeinde - das ist gar keine Frage - ist oft aus diesem Hafen »Bekenntnisschriften« ausgelaufen, wobei ich einmal mit Ernst sage: Wie letztes Mal hier über Schöpfung geredet worden ist, läßt 118
sich ein denkender Mensch nicht auf den ersten Artikel beschränken. Das fordert geradezu auf auszulaufen, und so sind wir dann losgelaufen, und da bin ich die Wege mitgegangen, die heute die Interpretation und die Ausdeutung des 1. Artikels überhaupt erst möglich sein lassen sollten. Ein Bekenntnis hat eine Funktion und eine Konkretion. Konkretion sind die jeweiligen Auslegungen, die jeweiligen Bilder, mit denen das Bekenntnis etwas ausdrückt. Der Kleine Katechismus gebraucht z. B. im 1. Artikel eine Fülle von Konkretionen, also den Vater-Begriff oder den Königs-Begriff oder den SchöpferBegriff in dem Sinne: » ... hat gemacht ... «. Das sind alles bildhafte Konkretionen. Und nun kommt für mich etwas ungeheuer Wichtiges: Mit der Aufhebung von Konkretion verliert ein Bekenntnis nicht seine Funktion. Ich sage geradezu: Um die Funktion eines Bekenntnisses aufrechtzuerhalten, müssen seine Konkretionen durchstoßen werden. Das richtige Weitersagen des Bekenntnisses ist keineswegs da gegeben, wo ich buchstabengemäß sozusagen jemanden wieder verpflichte, sondern wo ich den U msetzungsprozeß wage, in funktionaler Fortführung Konkretionen zu durchstoßen. Prof Stegemann: Darüber brauchen wir uns überhaupt nicht zu streiten. Was von meinem Anliegen her immer noch nicht hinreichend beantwortet worden ist, das ist einfach, daß Sie einmal klar sagen, wo in diesem Versuch, die Bekenntnistradition fortzusetzen, das Bekenntnis für Sie eine Maßstabfunktion irgendeiner Art hat, natürlich normiert von der Schrift her, aber andererseits doch in spezifischer Weise Maßstab. Dr. Schulz: Nun habe ich soviel von der Funktion der Bekenntnisse in meiner Gemeinde gesagt -, wo denn noch? Soll ich mich auf den Kirchturm stellen, soll ich da die Bekenntnisse laut verkünden? Ständig habe ich in meinem Gemeindeprozeß über die Bekenntnisse gesprochen, sie versucht zu formulieren im Sinne der Funktion -, wo ist denn jetzt der entscheidende Punkt, wo Sie sagen: Das müßte noch ganz anders aussehen? Prof Stegemann: Es schwebt mir vor, von der Bekenntnissituation her zu verdeutlichen, daß die lutherische Bekenntnisbindung ein 119
andersartiges Engagement in Ihrer pastoralen Praxis eröffnet und auch fordert, als wenn Sie z. B. reformierter Pfarrer wären oder ein katholischer Amtsbruder. Die beziehen sich ja auch alle auf die Schrift!
Dr. Schulz: Eigentlich galt ich in Hamburg immer als einer, der sich sehr bewußt auf lutherische Positionen, gerade in Details, bezogen hat. Ich meine, Sie stellen die Frage, die Sie an mich jetzt stellen, eigentlich an die gesamte Pastorenschaft: wo wir denn Funktionen haben innerhalb des Gemeindeamtes und auch der Kirche, wo die Bekenntnisse eine noch stärkere Rolle spielen. Ich selber habe erfahren, daß man von den Bekenntnissen her und auf die Bekenntnisse hin einen breiten Rahmen von Theologie abstecken kann. Denn ich kann - das sage ich jetzt mal konkret - fast alle Aussagen in der Konkretion umsetzen in Bilder heute und damit ihre Funktion voll erhalten. Das ist doch mein Ansatz! Vorsitzender: Ich muß zur bisherigen Gesprächsrunde sagen: Einmal bin ich froh, daß sie in einer sachlichen und fairen Weise verläuft. Zum anderen bin ich sehr enttäuscht. Sie sind nur formal bisher verfahren. Sie sind mit Ihrem Schiff aus einem Hafen ausgelaufen, haben uns aber nie klargemacht , in welchen Sie dann eingelaufen sind. Sie haben die Bekenntnisse hinter sich gelassen. Ihre Hamburger Zehn Gebote erwähnen Gott nur ganz bescheiden am Ende als »Gott denken«, als Gottesvorstellung. Sie stellen die Zehn Gebote der Bibel völlig auf den Kopf und haben mit den Zehn Geboten aus der Bibel für mein Verständnis - ich will es Ihnen zugespitzt sagen -lediglich die Zahl zehn gemeinsam. Wer die Zehn Gebote in der Formulierung der sogenannten Hamburger Zehn Gebote vor sich hat, kann das kontrollieren. Dieses hier genannte Beispiel greife ich auf, um zu sagen: Ich kann nicht erkennen, wo bei Ihnen das reformatorische Bekenntnis inhaltlich, nicht formal, inhaltlich irgendeine Rolle spielt. Dr. Schulz: Ich bedaure momentan sehr, Herr Vorsitzender, daß Sie ein Gespräch, das ich eigentlich zur Entwicklung meiner Position mit Herrn Prof. Stegemann geführt habe, derartig reduzieren, indem Sie so stark eingreifen. Wir haben ein Gespräch gehabt, und Sie bewerten sofort und sagen: Sie haben nicht ... oder ich hätte
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nicht ... Wenn ich sage, ich heiße Paul Schulz, dann sagen Sie erst mal: Nein. Ich habe den Eindruck, daß Sie zunächst einmal jede Basis zerstören wollen, die wir hier geschaffen haben. Ich halte das formal für nicht fair. Vorsitzender: Herr Schulz, ich verbitte mir diese Art ... Dr. Schulz: Ich mir auch. Vorsitzender: ... der Argumentation. Wir haben Ihnen mehr als eine halbe Stunde eine ganz ruhige Gesprächsvorgabe gegeben. Dr. Schulz: Die war auch gut! Endlich einmal! Vorsitzender: Darüber haben wir uns doch auch abgestimmt! Ich habe mich auch vorher mit Herrn Dr. Stegemann,ehe ich das Wort nahm, verständigt, daß wir hier jetzt die Runde für das Kollegium öffnen wollen. Sie verlangen von uns klare Antworten. Wenn Sie eine bekommen, beschweren Sie sich. Dr. Schulz: Das ist keine klare Antwort, wenn Sie mich abwerten. Was sagen Sie denn positiv zu Jesus? Vorsitzender: Herr Schulz, wir reden jetzt über Ihre Zehn Gebote. In diesen Zehn Geboten - so habe ich gesagt - kann ich von den Zehn Geboten des Katechismus aber nicht mehr als die Zahl zehn entdecken. Dr. Schulz: Wenn gesagt wird, es sei nur die Zahl zehn identisch, dann halte ich dies überhaupt für keine konstruktive Aussage. Es tut mir furchtbar leid. Denn in diesen steht viel drin, von dem ich in der Lage bin, es als eine funktionale Fortführung dessen zu verstehen, was ich in den Zehn Geboten Luthers oder des Alten Testamentes sehe. Nun habe ich die Zehn Gebote hier ja nicht als Inhalt angeführt. Soweit waren wir ja im Grunde noch gar nicht. Ich habe nur gesagt: ein Umsetzungsprozeß, ein rein formaler Versuch, von alten Positionen auf neue zu gelangen - das sind diese Zehn Gebote. Ich habe gesagt, dieser Versuch ist auch von vornherein in Frage zu stellen. Die Zehn Gebote ersetzen nicht die alten Zehn
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Gebote, sie sind ein Versuch weiterzukommen. Wenn man sagt, so geht es nicht, geht man die Schritte wieder zurück. Ich habe hier einen gemeindlichen Arbeitsversuch dargestellt und habe gesagt, dieser ist abgelaufen im konkreten Verhältnis zu den Zehn Geboten des Alten Testamentes. Kann man das nicht verstehen? So habe ich sie dargestellt. Ich habe noch nicht den Anspruch erhoben, damit seien die Inhalte alle tradiert worden, die wir tradieren müssen. Das ist genau so abgelaufen. Deshalb verbitte ich mir die Wertung, gemeinsam sei von vornherein nur die Zahl zehn. Diese Zahl ist schon ein Anspruch, der diese Tradition beinhaltet. Die »Hamburger Zehn Gebote« lauten: 1. Kinder haben, 2. Finanziell gesichert sein, 3. Freizeit gestalten, 4. Leben schützen, 5. Gesundheit pflegen, 6. Sich Schönes leisten, 7. Erfolg haben, 8. Liebe schenken, 9. Mitleid haben, 10. an Gott denken. Sie sind als Arbeitsversuch im Konfirmandenunterricht entstanden und haben ihre Überschrift für die Publikation in der Presse erhalten (Formel S. 245ft.). Im Verfahren werden sie von Dr. Schulz jedoch im Rahmen seiner Antwort auf die Frage genannt, wo den Bekenntnissen der Kirche innerhalb seiner pfarramtlichen Praxis und Lehre ein positiver Maßstabcharakter zugekommen sei. Nach einer Verhandlungspause erhält Dr. Schulz Gelegenheit, Aussagen seines Buches (Formel S. 73f.; 121 f.) zu verlesen und ausführlich zu erläutern. Zur Gottesfrage und zur Jesusfrage sieht er dort die derzeit von ihm verantworteten Konkretionen in Umsetzung traditioneller Konkretionen zum Ausdruck gebracht. Prof. Stegemann: Ein massives Implikat unserer lutherischen Bekenntnisbindung ist das »sola gratia«, d. h. daß alles das, was wir tun als Christen und gerade als Verkündiger , nicht unserer eigenen menschlichen Kraft zu verdanken ist, sondern daß wir das tun können vom vorgängigen Wirken Gottes her, das in unserer Art, Dinge zu tun, zum Tragen kommen soll. Diese göttliche Vorgabe ist von der Schrift her ein ganz massives Implikat unserer Bekenntnistradition. Vielleicht gelingt es Ihnen, unter dieser Rubrik inhaltlich etwas von dem zu bringen, was Sie jetzt in der Bekenntnisbindung als gegeben und für Sie wichtig sehen.
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Dr. Schulz: Wenn Sie mich jetzt als Theologen zunächst ansprechen, dann würde ich konkret sagen, es wird allerhöchste Zeit, daß die lutherische Kirche sich überlegt, ob sie ihren primär paulinischen Ansatz durchhalten kann. Ich selber wäre theologisch der Meinung, daß heutzutage der paulinische Ansatz mit der gesamten Justifikation zumindest zur Diskussion steht, übrigens immer wieder gestanden hat, das war gar keine Frage. Ich meine das so, daß wir auch in unserem Luthertum begreifen müssen, daß die paulinische Aussage über Jesus Christus auch nur eine Aussage ist, innerhalb der scriptura eine Traditionsaussage. Ich bestreite nicht, daß von daher viel Existenz verstanden und dargestellt werden kann. Insofern gehört die Rechtfertigungslehre für mich in die Tradition, in das Bekenntnis. Es stellt sich im lutherischen Sinne durchaus die Frage, was denn dann der Urgrund christlicher Position sei, und da habe ich immer wieder formuliert, und das ist meine theologische Position: solus Jesus. Das sage ich deshalb, weil, wenn man solus Jesus als Urposition aufbaut oder sich daraufhin konzentriert, es dann eine Rechtfertigungslehre in dem Sinne nicht gibt. Hier ist dann eine Rechtfertigungslehre nicht verkündigt, sondern Paulus hat später versucht, das Phänomen J esus Christus oder J esus von Nazareth in die Rechtfertigungslehre zu fassen. Für mich ist also sehr wichtig, im Vollzuge festzustellen, daß die paulinische Position bereits eine Interpretation des Kerygmas ist, das heißt schon Bekenntnis ist. Dieses Bekenntnis wäre, selbst wenn es von Paulus stammt, kritisierbar von dem Grund allen Bekennens her, das wäre für mich solus J esus. Da meine ich nun, daß die Bekenntnisse eine große christliche Tradition sind, insofern Menschen sich auch so verstanden haben. Aber zu meinen, Gott hätte sich nun gerade 1530ff. ein für allemal klar geäußert, und - wie ich gerne sage - das auch noch in Sachsen -, dies halte ich für einen Mißbrauch eines Redens von Gott, das ich nicht nachvollziehen kann. Ich kann zwar sagen, Menschen haben ihr Selbstverständnis aufs äußerste riskiert und sich von Gott her verstanden. Und dann kann ich das sola gratia im großen auch predigen. Das kann ich so machen, daß jemand existentiell sich getroffen fühlt und das verstehen kann, wenn Menschen sich mit dem sola gratia auf Gott hin voll öffnen. Aber darauf auch nur dogmatisch zu verankern, damit seien Lutheraner eine besondere Spezies der Gnade Gottes, anders als andere Kirchenstrukturen, dies verweigert mein ge123
samtes Verständnis von Gott, auch mein gesamtes Verständnis von Jesus. Vorsitzender: Ich lasse Ihre historischen Nebenbemerkungen beiseite, weil sie uns nicht weiterhelfen. Ob in Sachsen oder sonstwo formuliert, spielt hier gar keine Rolle. Das reformatorische Verständnis ist ja nicht etwa, daß hier eine konfessionelle Spezialtradition formuliert wird, sondern das reformatorische Bekenntnis versteht sich als die Explikation des gemeinchristlichen Bekenntnisses. Nicht zufällig ist es so, daß die katholische Theologie dieses Gesprächsangebot heute ja auch sehr bewußt aufnimmt. Hier handelt es sich um eine gemeinsame Aussage der Christenheit überhaupt. Das reformatorische Bekenntnis sagt nicht solus J esus, sondern solus Christus. Diesen Unterschied haben wir ja schon mehrfach beleuchtet. Es handelt sich um den gekreuzigten und auferstandenen Christus, der bei Ihnen ausgeblendet ist. Das solus interpretiert sich jeweils gegenseitig: Die Schrift allein, Christus allein, die Gnade allein, der Glaube allein. Wir sind also hier jetzt bei der Betrachtung des Artikels, mit dem für die Reformatoren die Kirche steht und fällt, und Sie haben bisher gesagt, Sie können mit dem Artikel nichts anfangen. Hier machen wir jetzt den Versuch, eine zentrale - ich möchte sagen: überhaupt die zentrale Frage - der evangelischen Verkündigung anzusprechen, und da bricht der Dissens auf. Dr. Schulz: Also für mich bricht da kein Dissens auf, denn beides kann man ja von verschiedenen Situationen her verstehen. Dieses sola gratia hat man ehemals angebunden an historische Fakten, so sehe ich das in der Confessio Augustana und danach, auch vorher, nämlich z. B. an eine konkrete Auferstehung Jesu. Nun besteht doch das Problem, Herr Bischof, daß derzeit in der existentialen Theologie sichtbar ist, daß dieses historische Vorausfaktum offenbar so nicht ist. Also für uns faßbar ist ein paulinisches Bekennen, uns faßbar ist nicht das historische Faktum des leeren Grabes. Alles Reden, auch sola gratia, ist im Wesen kerygmatisch, existentiale Interpretation, Selbstverständnis des Menschen über sich hinaus. Das ist eine für mich wichtige Formel: Selbstverständnis des Menschen über sich hinaus. Die Auferstehung zeigt gerade insofern mit dem sola gratia, daß der Mensch in seiner ganzen Vorbildlichkeit sich nicht selber verdankt, sondern daß der
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Mensch in dem sola gratia von einer Unmenge Vorgegebenheiten bestimmt ist. Prof Stegemann: Ich muß fragen, ob das richtig ist, das sola gratia in der Weise, wie Sie es getan haben, zu verbinden mit Auferstehung. Ich sehe das so nicht einmal bei Paulus, sondern da ist das so la gratia, soweit ich sehe, schwerpunktmäßig verbunden mit den Aspekten Gesetz, Sünde, Sündenvergebung. Dr. Schulz: Ich bin der Meinung, wir haben ein Recht als Lutheraner, wir haben ein Recht als Christen, den Menschen mehr auf seinen Indikativ hin anzusprechen, egal ob ich ihn nun aus Golgatha oder der Taufe ableite. Dadurch relativiert sich für mich - und da bin ich wieder voll Lutheraner für meine Vorstellungen - das Sprechen vom Sünders ein des Menschen. Ich habe einen Horror davor, ich sage es einmal so, ich bin immer wieder so angesprochen worden, daß Menschen ständig auf ihr Sündersein hin in einer Weise angesprochen werden, als sei primär nicht dieses Positive zu sagen. Ich leugne das Sündersein gar nicht. Das erfahren wir ja ständig. Ich bin nur der Meinung, meine Aufgabe als Pastor ist, stärker den Indikativ anzusprechen. Prof Stegemann: Ich meine, daß gerade Ihre letzten Ausführungen sehr wichtig waren in diesem Verfahren unter dem Gesichtspunkt, daß in den früheren Verhandlungsrunden Ihnen sehr stark vorgehalten wurde, Sie sprächen ja nur vom Imperativ. Prof Friedrich: Zu den letzten Ausführungen wäre manches zu sagen. Da stimme ich nicht ganz mit Herrn Stegemann überein, denn was Sie unter Indikativ verstehen und was Sie eben ausgeführt haben, habe ich nicht verstanden. Das war für mich wieder nur eine formale Aussage, keine inhaltliche. Dr. Ostermeyer: Darf ich nur als Nicht-Theologe auch auf den Indikativ noch einmal eingehen? Das sind Worte, die sehr schön sind, aber für viele, vor allem für Nicht-Theologen, rein formal klingen. Was verstehen Sie darunter inhaltlich? Sie werfen den Menschen doch wieder auf sich selbst zurück, denn der Indikativ ist er selbst ja wieder, sein So-Sein! . 125
Dr. Schulz: Die Frage, was denn nun Indikativ sei, ist ja nicht nur eine Frage an mich, sondern nun müssen Sie auch einmal Farbe bekennen und sagen, was denn nun Indikativ sei, wie Sie sich das vorstellen. An der Stelle würde ich gern jetzt eine Aussage machen, wenn Sie gesagt haben, was denn Indikativ sei in der Theologie. Nach meiner Sicht ist nämlich nichts so strittig in der Theologie wie der Indikativ des sola gratia. Bitte seien Sie so freundlich, Herr Bischof, und beschreiben Sie hier nicht Ihre Meinung als Theologe, sondern den magnus consensus, wie der Indikativ sich nach christlicher Lehre vollzieht, was das ist. Ich sage ausdrücklich, ich möchte nicht Ihre Meinung wissen, das kann ich nachlesen. Ich möchte wissen, was nach Meinung der Kirche magnus consensus oder gar Lehrmeinung ist, was denn nun Indikativ in der sola-gratia-Lehre sei. Vorsitzender: Auch Sie als Exeget, Herr Dr. Schulz, wissen, daß Paulus seine Rechtfertigungstheologie niemals vom leeren Grab her begründet. Es geht um die Explikation des Kerygmas. Was der Indikativ ist, das ist nun absolut nicht strittig in der evangelischen Theologie, sondern dieses ist einer der Punkte, wo in einem weiten Konsens die evangelische Theologie einschließlich der römischkatholischen heute einig ist: Es ist der Heilszuspruch propter Christum per fidem, wie es im vierten Artikel der Augsburgischen Konfession heißt. Da ist überhaupt kein Streit. Sie haben in dem, was Sie eben hier gesagt haben, ständig das sola gratia hinübergespielt in eine säkularisierte Schöpfungslehre, indem Sie etwa von der Summe der Vorgegebenheiten geredet haben. Das hat überhaupt mit sola gratia gar nichts zu tun. An der Stelle müssen wir sicher noch einmal wieder einsetzen. Ohne den christologischen Bezug kommen Sie an das sola gratia natürlich nicht heran. Ich verstehe schon, weshalb Sie uns vorhin gesagt haben, Sie könnten damit nichts anfangen. Dr. Schulz: Ich möchte jetzt nicht in die Pause gehen mit dem Bewußtsein, ich könnte damit nichts anfangen. Ich habe eine dreiviertel Stunde geredet und versucht zu explizieren, was ich damit anfangen kann. Sie können sagen, das verstehen Sie nichtGott, na ja. Sie können mich auch verurteilen, das ist nicht das Problem, aber Sie können mich jetzt nicht entlassen, indem Sie
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sagen: Also, das beweist nur, ich hätte da nichts zu sagen. Ich habe dazu eine ganze Portion gesagt. Vorsitzender: Nur, Herr Schulz, Sie haben uns gesagt, die paulinische Interpretation steht für Sie in der Vielfalt der Tradition als eine der Möglichkeiten, die Sie aber ganz deutlich relativiert haben. Dr. Schulz: Ich relativiere schlechthin im Leben alles. Vorsitzender: Ja, alles relativieren Sie, den Eindruck habe ich auch. Dr. Schulz: Ja, und ich weiß nur nicht, woher Sie das Recht nehmen, etwas nicht zu relativieren. Das möchte ich gerne wissen. Vielleicht kommt das durch Ihr Bischofsamt. Woher nimmt man das Recht, etwas nicht zu relativieren? Vorsitzender: Wir sprechen Sie auf das reformatorische Bekenntnis hin an. Dr. Schulz: Das habe ich die ganze Zeit versucht darzustellen. Vorsitzender: Ja eben, und da sind wir uns nicht einig geworden, das müssen wir ja doch wohl feststellen. Herr Schulz, wir sind an dem articulus stantis et cadentis ecc1esiae gewesen, und dazu haben Sie uns damals gesagt - wir können das Tonband ja nachher noch 'einmal zurücklaufen lassen -, haben Sie uns gesagt, die paulinische Interpretation steht für Sie im Bereich der Tradition und der Relativität. Dieses ist nicht die Meinung des reformatorischen Bekenntnisses. Das habe ich noch einmal herausgestellt. Sie haben uns immer angesprochen, wir sollen Ihnen sagen, wo der Dissens ist und was die Kirche lehrt und sagt. Sagen wir es Ihnen, machen Sie uns jedesmal einen Vorwurf daraus. Dr. Schulz: Sie haben Zeit genug, gegen mich zu entscheiden, aber hier mit dieser Gesprächsführung machen Sie mich mutlos. Sie machen mich persönlich mutlos. Ich versuche, mich zu explizieren, meistens von meiner existentiellen Seite her sehr betroffen
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und dann knallen Sie mir so eine Schlußaussage vor den Kopf. Ich spreche bald nicht mehr, weil ich nicht mehr kann, weil ein Bischof hier ständig meint, er könne mit einem Schlußsatz eine Klammer machen und mir ein Minuszeichen davor setzen.
Vorsitzender: Herr Schulz, Sie fordern uns ständig heraus. Wir sollen auf Klarheit sehen, wir sollen Ihnen Antwort geben, und dann fühlen Sie sich jedesmal persönlich angegriffen. Es geht in der Diskussion um den Indikativ, das »sola gratia«, die Rechtfertigungslehre usw. nicht um eine theologische Denkfigur, sondern um das Grundgeschehen im Dienst eines Pastors nach lutherischem Verständnis. Nach dem Augsburger Bekenntnis gibt es überhaupt nur deshalb das kirchliche Amt, den Dienst der Verkündigung, das »ministerium ecclesiasticum«, weil die Botschaft von dem Gott lautwerden mu ß, der die Sünder um Christi willen aus Gnade annimmt. Nachdem in Artikel 4 der Confessio Augustana die Rechtfertigungslehre dargestellt ist, knüpft Artikel 5 daran an: »Damit wir zu diesem Glauben kommen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt.« Luther redet noch schärfer von der Rechtfertigungslehre als dem »ersten und Hauptartikel«: »Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde oder was nicht bleiben will ... Darum müssen wir des gar gewiß sein und nicht zweifeln. Sonst ist's alles verloren« (Schmalk. Art. 11,1). Nach einer Verhandlungspause verliest der Vorsitzende diejenigen Abschnitte der Antragsschrift (vgl. S. 15ft.), in denen der Ordinationsauftrag eines Pastors inhaltlich zusammenfassend beschrieben wird. Daran zeige sich, daß Dr. Schulz auch bisher schon konkrete Antworten erhalten habe. Dr. Schulz bestreitet dies nach wie vor. Die Darstellung des Kirchenrats sei nicht mit ihm besprochen worden. Der Vorsitzende wendet ein, inzwischen sei Dr. Schulz aber der Text bekannt, und er sei gebeten, sich dazu zu erklären.
Dr. Schulz: Ich erkenne nichts an, was dort als letztgültig gesagt zu sein scheint. Deswegen sitze ich hier. Ich glaube, daß die Kirche in Hamburg derzeit dort eine Konkretion von Bekenntnissen formuliert, der in der Form mit Vitalität widersprochen werden muß, um
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christliches Leben auf Zukunft möglich zu machen. Deswegen sitze ich hier. Ich erkenne diese Position der Hamburger Kirche nicht an. Dr. Ostermeyer: Aber sie hat sie Ihnen deutlich gemacht. Vorsitzender: Es ist Ihr gutes Recht, sich dagegen zu wenden und zu argumentieren. Nur ist es nicht so, daß nicht immer wieder der Versuch unternommen worden wäre, Ihnen zu sagen, was die Kirche lehrt. Vielleicht in einem nicht zureichenden Maße, darüber läßt sich streiten. Aber es liegt mir doch daran zu sagen, es ist nicht so, als ob dieses Bemühen nicht immer vorhanden gewesen wäre. Sie können sich dafür oder dagegen aussprechen, dazu haben Sie hier Freiheit und Gelegenheit, und vielleicht wäre es nur ganz gut, weil das ja auch für die zusammenfassende Stellungnahme von Ihnen nicht unwichtig ist, wenn Sie uns in dem Schlußwort, das Sie zu sprechen dann noch Gelegenheit haben werden, Ihrerseits noch einmal sagen können, wo Sie sich hier mißverstanden fühlen und welche Interpretationshilfen Sie geben wollen. Prof Stegemann: Welche Bedeutung hat im Rahmen Ihrer theologischen Grundorientierung am »historischen Jesus« dessen eigene Auffassung, daß sich in seinem Verkündigen und Handeln »die Herrschaft Gottes« ereigne? Welches ist die Ihrer theologischen Orientierung adäquate Art der Berücksichtigung dieser zentralen theologischen Komponente der Botschaft Jesu? Wie begegnen Sie dem Vorwurf einer anthropologischen Verkürzung des Zeugnisses der Schrift in diesem Punkt? Dr. Schulz wiederholt zunächst seine schon früher dargelegten Ansichten zum Verständnis der basileia tou theou bei Jesus (vgl. S. 31 f.), bis Prof. Stegemann in einer Zusatzfrage an den Vorwurf der anthropologischen Verkürzung erinnert.
Dr. Schulz: Ja, als anthropologische Verkürzung, das verstehe ich insofern nicht ganz. Das hat zwei Möglichkeiten. Einerseits ist bei dieser basileia tou theou natürlich die Möglichkeit einer Kritik der Kirche sichtbar. Von daher würde ich die basileia tou theou als
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etwas gerade über das Anthropologische Hinausgehendes beschreiben können, also über das durch die Kirche gesetzte Anthropologische. Aber das meinen Sie wahrscheinlich nicht. Sie meinen wahrscheinlich noch einen Punkt weiter und die Frage, die hier implizit vorhanden ist: Hebt diese basileia tou theou ab auf eine andere Wirklichkeit jenseits dieser Wirklichkeit? Das könnte ja gemeint sein, daß eben basileia tou theou Einbruch einer anderen Wirklichkeit aus einem anderen Wirklichkeitsbereich her ist. Ob das so bei J esus gemeint ist, wage ich einmal zu bezweifeln aus dem spät jüdischen Kontext heraus. Sichtbar bei Jesus ist die Verwirklichung dieser neuen Wirklichkeit inmitten unserer Wirklichkeit. Was Jesus als neue Wirklichkeit im Anbruch des Diesseits hier bereits formuliert, das ist das, was ich hier als Verwirklichung von Gemeinde beschrieben habe. Das kann ich zeitweise eben dann nur in anthropologische Formeln fassen, obwohl ich es gerade versuchen würde, transanthropologisch zu formulieren, das heißt also, über die einzelnen Personen hinausgehend zu beschreiben. Prof Stegemann: Das reicht mir nicht ganz, weil im biblischen Begriff der »Herrschaft Gottes« die Initiative zur Aufrichtung der Herrschaft von Gott herkommt. So ist das in der Verkündigung Jesu: Da richtet Gott hier und jetzt im Zusammenhang mit meinem Auftreten und Verkündigen ansatzweise seine Herrschaft auf. Wie ist bei dieser traditionellen Aussage von der Herrschaft Gottes der Umstand, daß Gott deren auctor ist, aus Ihrer Perspektive heute theologisch zu qualifizieren? Dr. Schulz: Es wäre ja unwahrscheinlich leicht, wenn wir sagen könnten, na, das macht Gott alles, und mein auctor Gott ist in der Weise als aus einer Größe aus dem Jenseits Wirkenden. Also ich wage das nicht zu sagen, weil ich nicht wage zu sagen, daß Sie das hier meinen an diesem Tisch, daß Sie meinen, also was eine Herrschaft Gottes sei, sei eine Größe, die sozusagen aus irgendeiner anderen Dimension in unsere eingreift. Ich bestreite auch, daß J esus dies gemeint hat. Ich habe diese Aussage so nur von Kanzeln gehört, von Theologie bisher nicht so, sondern eigentlich immer nur gesagt, das Reich Gottes verwirklicht sich als eine neue Seinsweise, wobei dann die Struktur Gottes nicht ad personam formuliert wurde. Aber da würde ich gerne von Ihnen hören, grunds ätz130
lieh, ob wir Pastoren heutzutage dabei die Person Gottes als eine, na, als eine auctor~Gestalt wie immer, definieren sollen. Prof. Stegemann: Wenn ich vom Aufrichten der Herrschaft Gottes rede, dann meine ich damit grundsätzlich etwas, was ich seinem Zustandekommen nach nicht ableiten kann aus dem Kausalzusammenhang, aus dem innerweltlichen Geschehen. Dr. Schulz: Ja gut, da kann ich mich darauf einlassen. Ich kann sehr stark sagen, vielleicht nicht gleich in Ihren Worten, aber so ähnlich sagen, die Möglichkeiten für den Menschen an so etwas teilzuhaben, liegen außerhalb des Menschen. Also die Möglichkeit für das Seiende liegen im Sein selbst. Vorsitzender: Darf man eben als Neutestamentler sagen, Sie haben sich also etwa auch auf die gegenwärtige Theologie bezogen. Mir ist die Formulierung Bultmanns aus seiner neutestamentlichen Theologie etwa gegenwärtig, wo er die basileia tou theou als ein von allem menschlichen Tun unabhängiges Wunder beschreibt. Das ist etwas völlig anderes als die Möglichkeit des Seins, die im Sein schon vorgegeben ist. Ich kann also hier nicht verstehen, wie Sie als Exeget versuchen, die basileia tou theou in der Verkündigung Jesu zu beschreiben. Ich wollte Sie gerne fragen in diesem Zusammenhang, ob Sie den Begriff trans anthropologisch noch einmal erläutern können. Es ist mir nicht ganz klar, was Sie damit meinen. Ob das nur bedeutet, daß der einzelne aus der Isolierung herausgenommen ist in den größeren Zusammenhang zwischenmenschlicher Relationen oder ob es noch mehr ist. Dr. Schulz: Ich meine mit transanthropologisch transsubjektiv . Das würde ich austauschen wollen. Ich würde lieber von transsubjektiv sprechen. Leicht kann mir immer vorgehalten werden, alles was ich sagen würde, wäre ja sehr subjektiv entwickelt. Das meine ich gar nicht, auch mein Gottesbegriff ist ja nicht subjektiv. Nun kann also durchaus z.B. der Bezug von mir zu dir ein Transzendieren sein. In meiner Theologie ist das ein wesentlicher Punkt zu sagen, was Jesus als Transzendenz beschreibt, ist das Transzendieren vom Subjekt zum Objekt, vom Ich zum Du. Aber es kann auch ein Transzendieren sein über diese Subjekt-Objekt- oder Ich-Du131
Ebene hinaus, indem man einfach ontologisch gemeinsam etwas beschreibt, was etwas darzustellen scheint, unabhängig von den jeweiligen Subjekten, die es vertreten, das will ich damit meinen. Das ist jetzt wichtig, Herr Professor! Das ist die tran~subjektive Dimension von basileia tou theou in meiner Vorstellung. Basileia tou theou kann man in dieser Weise transsubjektiv auf das Sein hin beschreiben. Dr. Schulz bietet also für das, was den zwischenmenschlichen Zusammenhang überschreitet, den Begriff »Sein« an, wobei er sich gern auf M. Heidegger beruft (Schlußwort, S. 172f.; vgl. Predigten, S. 104). Der Gedankengang lautet etwa: Das Sein geht allem Seienden voraus; traditionell heißt es, Gott geht allem Seienden voraus; für das Lehrverfahren ist also nur die Frage relevant, ob man das Vorausgehende in personalen Kategorien benennen mu ß. Nun liegen die Dinge so einfach nicht: Die Trinitätslehre besagt unter anderem, daß der christliche Gottesbegriff die Kategorie des Personalen einschließt (man also zu dem dreieinigen Gott als »Du« beten kann), daß er aber nicht in anthropomorph-personalistisc~en Kategorien aufgeht (Gott also Vater, Sohn und Heiliger Geist zugleich ist). Zu der Berufung auf Heidegger ist zu sagen, daß dieser über seine Originalität bescheidener denkt als Dr. Schulz, der bei ihm die Unterscheidung von Sein und Seiendem entdeckt und sie von ihm übernimmt. Heidegger setzt seine Ontologie als »Wiederholung (!) der Frage nach dem Sinn von Sein« an und geht zuerst auf die griechische Philosophie ein (Sein und Zeit, 10. Aufl. 1963, S. 3). Mit Heidegger nichts zu tun hat der Satz von Dr. Schulz: »Heidegger benennt die gesamte Wirklichkeit in all ihren Erscheinungen als das Sein.« (Predigten, S. 104). »Erscheinungen« müßten bei Dr. Schulz eigentlich die Bilder C sein, die sich die Subjekte A von der Wirklichkeit B machen (vgl. S. 38f.). »Die gesamte Wirklichkeit« müßte dann die Summe alles Seienden sein -, oder addieren sich Seiendes und Erscheinungen zum Sein? Aber nicht einmal diese simplen Fragen des Sprachgebrauchs sind geklärt. Es ist eben ein Irrtum zu meinen, der Begriff »Sein« sei »der klarste und aller weiteren Erörterung unbedürftig. Der Begriff >Sein< ist vielmehr der dunkelste.« (Heidegger. a. a. 0., S. 3). Im weiteren Verlauf der Verhandlung verliest Dr. Schulz auch
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Predigten, S. 147-149, wo unter anderem gesagt ist, der Mensch könne an dem partizipieren, was über das Bestehende hinausgeht, indem er sich ständig neu selbst übersteigt, transzendiert.
Prof Stegemann: Man muß präziser fragen: Wer bewegt hier? Haben hier Menschen von sich aus noch Möglichkeiten, die sie nur ergreifen sollen? Werden sie von Jesus dazu aufgefordert, oder geschieht das, was wir verändern, von Gott her? Haben die Menschen sich lediglich daran zu orientieren, sich darauf einzulassen, dementsprechend auszurichten? Wer bewegt? Dr. Schulz: Darf ich zurückfragen? Wer muß bewegen? Prof Stegemann: Ich meine von der Verkündigung J esu her, Gott müßte derjenige sein, der hier die Dinge bewegt, und Menschen schulden ihm Antwort. Dr. Schulz: Und Gott ist was dann, Herr Stegemann? Prof. Stegemann: Gott ist ein Eingriff in unsere Weltverhältnisse, den wir überhaupt nicht in der Hand haben. Dr. Schulz: Können Sie das noch griffiger nach vorne bringen, was heißt »Eingriff in diese Weltverhältnisse«? Das andere würde ich auch noch alles sagen. Prof Stegemann: Eine Veränderung der Welt, die nicht aus unseren menschlichen Wünschen resultiert, die wir selber weder in die Wege leiten noch sonst ausführen können, sondern der wir als Menschen ausgesetzt sind und die wir hinzunehmen haben, an der wir uns nur zu orientieren haben. Dr. Schulz: Das ist ein feiner Naturbegriff, den Sie hier definieren, dem wir ausgesetzt sind. Können Sie etwas über den Naturbegriff hinaus sagen? Prof. Stegemann: Ich habe das nicht als Naturbegriff gemeint.
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Dr. Schulz: Aber bisher definieren Sie es als Naturbegriff. Wir sind die Menschen, der Mensch ist ausgesetzt den Bedingungen, die auf ihn zukommen. Können Sie das deutlicher fassen? Bitte, es interessiert mich einfach, ob Sie zu der Aussage kommen, Gott sieht mich und handelt. Prof. Stegemann: Ich spreche jetzt nicht in den Kategorien: Gott sieht mich, Gott handelt. Sondern ich habe einfach versucht, die Andersartigkeit dessen, um das es hier geht, aufzustellen, eben nicht das, was menschlichen Wünschen, Erwartungen und Hoffnungen entspricht, die bessere Welt, die wir alle irgendwie anstreben und zu deren Realisierung wir hier sozusagen Hilfsangebote bekommen. Das würde den menschlichen Zielvorstellungen vielleicht entsprechen. Ich meine, die Verkündigung Jesu so verstehen zu müssen, daß sie in die Welt hineinwirkt in einer Weise, die durchaus auch nicht mit den Hoffnungen und Wünschen der Menschen koinzidieren kann. Dr. Schulz: Ich bin weitgehend mit Ihren Formeln an allen Stellen einig, wo Sie jenseits von anthropologischen und anthromorphen Formeln sagen, der Mensch ist bestimmt durch ein vorausgehendes agens. Agens ist jetzt bewußt ganz neutral gehalten, ist ihm unterlegen, wobei ich vielleicht ein Stück weiter bin als Sie es sagen würden, zu sagen, dies agens würde ich angesichts - und das würde ich \ für typisch christlich halten - angesichts aller negativen Dinge für positiv definieren. Christen haben nie aufgrund der bestehenden negativen Verhältnisse Gott in den negativen Verhältnissen beschreiben können, sondern gerade durch das, was über das Negative hinausgeht. Und gerade dieses Darüberhinausgehende wird wieder als Transsubjektives beschrieben. Sobald Sie also diese Dimension von Wirklichkeit so beschreiben, sind wir völlig eins. Prof. Stegemann: Also zum Aspekt der »Ganzheit der Schrift«. Wie erweisen Sie die Schriftgemäßheit Ihres biblisch-theologischen Ansatzes unter dem Gesichtspunkt, daß darin das Ganze der Schrift zum Tragen kommen muß? Wie entgehen Sie dem Vorwurf, durch Ihren Ansatz bei dem «Prinzip Liebe« einen» Kanon im Kanon« zu machen und die Grundorientierung an der »tota scriptura« preiszugeben? 134
Das kann man auch implizit verstehen. Sie können die Frage aber auch aufgreifen als Frage an das Alte Testament, warum Sie bei dem Prinzip Liebe so sehr bei Jesus beharren. Dr. Schulz: Also ich bin, Herr Stegemann, das wissen Sie, ich bin eher Neutestamentler und nicht Dogmatiker. Für einen Dogmatiker ist tota scriptura immer eine konstante Größe. So sieht das wenigstens immer aus. Ich bin weitgehend Neutestamentler und habe da begriffen, daß es eigentlich eine tota scriptura an keiner Stelle gibt. Dr. Schulz beruft sich für diese Meinung auch auf Publikationen von Prof. Stegemann selbst. Dieser habe weder die Christologie noch die Rechtfertigungslehre als einheitlichen Grundgedanken des Neuen Testaments bezeichnet, sondern sehe Jesus als den einzigen gemeinsamen Bezug aller Schriften des Neuen Testaments im Zusammenhang mit dem Alten Testament an, wie er, Dr. Schulz, es mit »solus Jesus« formuliert habe. Es ergibt sich eine längere Diskussion, während der Prof. Stegemann erläutert, in welchem Sinne es ihm um die Ganzheit der Schrift gehe. Dr. Schulz sei zu fragen, wie diese Ganzheit unter dem Aspekt »Prinzip Liebe« gewahrt werden könne und ob das Alte Testament bei ihm ausgeklammert werde. Dies bestreitet Dr. Schulz. Er sieht hier einen geschichtlichen Zusammenhang:
Dr. Schulz: Ich würde gerne, das habe ich auch in meinen Schriften getan, diese dikaiosyne tou theou, als Gerechtigkeit Gottes, als Bundesvorstellung des Alten Testamentes - Gott formuliert als der Gott der Gerechtigkeit - als die eigentliche, wesensmäßige Vorausgabe dessen definieren, was Jesus dann als Gott der Liebe definiert. Gott ist eben nicht nur einer, der sagt, so ist es und wehe, du tust es nicht, sondern Jesus definiert das Prinzip des HandeIns miteinander ein entscheidendes Stück weiter und sagt, wenn du auch recht hast, oder wenn Gott auch recht hat, so schenkt er, obwohl er recht hat. Er vergibt und versöhnt, obwohl er recht hat. Damit definiert Jesus aufgrund der Position des Alten Testamentes Gott neu. Ich habe einmal gesagt, Gott wird im Alten Testament als Gerechtigkeit definiert. Jesus verkündigt letzten Endes in dieser Dimension einen anderen Gott.
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Prof Stegemann: Eine im Ansatz missionstheologisch orientierte Gemeindearbeit wird sich stets in einem gewissen Maße an denjenigen Denkweisen und Verständnismöglichkeiten zu orientieren haben, die im jeweils gegebenen Wirkungsbereich vorhanden sind (vgl. 1. Kor 9, 19-23). Wie aber charakterisieren Sie von Schrift und Bekenntnis her jenes Fundament, auf das sich in solcher »offenen Gemeinde« eine »offene Theologie« gründet? Der pauschale Verweis auf »die Botschaft Jesu« oder auf »das Prinzip Liebe« erscheint mir in diesem Zusammenhang als theologisch unzureichend. Ich will damit nicht sagen »fragwürdig«, sondern ich möchte Sie bitten, einiges mehr zu diesem Ansatz zu sagen. Dr. Schulz: Ich habe eine Basis theologisch, von der ich meine, man kann von daher wenigstens ständig mit im Gespräch bleiben. Solch eine Theologie, die sich bewußt auch auf Jesus bezieht, ist zumindest quantitativ offenbar in der Lage hinzureichen. Das will ich einfach einmal so sagen. Ich habe Angst um Kollegen, die vielleicht auf einer schmaleren Basis stehen, wie die hier tagelang, stundenlang solche Fragen einfach aushalten. Sie setzen hier immer voraus, als sei ein Pastor grundsätzlich auf alles hin zu befragen. Ich finde das witzig im Grunde, denn ich möchte bloß mal sehen, wo einer meiner Kollegen das so ohne weiteres kann. Das meine ich jetzt nicht vom Intellekt her, sondern von der theologischen Basis her. Sie können ununterbrochen fragen, was Sie wollen. Ich muß hier ständig herhalten. Wenn dann zum Schluß nach Wochen gesagt wird, der ganze Ansatz sei also unzureichend offenbar, dann weiß ich gar nicht mehr, wie man es anders sehen soll. Prof Stegemann: Die Einbeziehung der Gemeinde in den persönlichen Denkprozeß eines Pastors ist sicher eine gute Möglichkeit, »unsere Kirche auf die Menschen und die Menschen auf unsere Kirche hin zu öffnen«, als Pastor also in einer wahrhaft dialogischen Existenz mit der Gemeinde zu stehen. Wo sehen Sie die Grenzen eines solchen offenen Dialogs? Grenzen, die freilich nicht im Bereich intellektueller Redlichkeit liegen können, sondern beispielsweise durch das Hirtenamt des Seelsorgers gesetzt sind und sich etwa in Erfordernissen wie Zuspruch, Tröstung, Mahnung oder Glaubenszeugnis konkretisieren.
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Dr. Schulz: Ich weiß nicht, Herr Dr. Stegemann, was wir beide jetzt für Begriffe von Zuspruch, Tröstung und Mahnung und so etwas haben, denn ich habe die Grenzen des Dialoges nie da gefunden, wo ich aus meinem Dialog heraus zum Zuspruch gekommen bin, sondern wo ich aus meinem Dialog mit jemand zum Trösten gekommen bin. Einen Dialog verstehe ich immer, vielleicht nur einen christlichen Dialog, im Zusprechen, und wo es sein kann, im Trösten. Im Dialog den Mut zu haben, jemanden Beistand zu leisten, ihm zuzusprechen, zu trösten, gar zu mahnen oder zu widersprechen, oder auch im Dialog ein Zeugnis abzulegen von seiner eigenen Position, halte ich für wesensinterne Qualitäten von Dialog. Insofern ist das gerade zu implizit meine besondere Existenz des Dialogpartners, als Pastor zu trösten, zu mahnen, zuzusprechen und Glauben zu bezeugen. Dr. Ostermeyer: Sie sagten eben »Glauben zu bezeugen«. Wenn nun Sie mit dem Gemeindemitglied, das ja aus Ihrer Sicht sich traditionell verhält, in extremer Situation zusammen sind und das Abendmahl halten und auch gebeten werden zu beten, zwar nicht als Selbstgespräch, sondern Sie merken, der Betreffende empfindet das existentiell völlig anders, dann tun Sie es, sagen Sie, als Seelsorger, obwohl Ihre eigene Überzeugung eine andere ist? Wieso legen Sie dann noch ein Glaubenszeugnis ab? Dr. Schulz: Also, was der Herr Bischof heute morgen als Gebet von Franz von Assisi vorgelesen hat, auf das kann ich mich doch genauso intensiv verstehen. Ob ich nun sage: Herr, und meine irgendeine Gestalt jenseits unserer Wirklichkeit, oder ich meine diese Sache, die er selber vorgelesen hat, die gerade als AssisiGebet mich ungeheuer selber bewegt, verstehe ich doch als Meditation auf mich und von mir auf jemand anders hin genauso intensiv, ob ich das Sprachmodell Herr habe oder nicht habe. Dr. Ostermeyer: Sie bringen das unter den Begriff SprachmodelI? Dr. Schulz: Ich wollte sagen, ich fühlte mich heute morgen eigentlich nicht disqualifiziert, daß jemand ein Gebet spricht, sondern ich habe mich auch sehr intensiv darauf verstanden, auf das, was
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der Bischof Lohse jedenfalls im Gebet mit anderen Perspektiven gesehen hat, was ich aber so sehe. Er mußte sich, glaube ich, in dem Augenblick, als er das Gebet sprach, nicht mit mir erst identisch finden. Dr. Ostermeyer: Sie meinen also, Sie fassen es als Selbstgespräch auf, und der Bischof faßt es offensichtlich anders auf, und Sie sehen trotzdem eine Gemeinsamkeit. Dr. Schulz: Jetzt würde ich Sie bitten, nachdem wir nun so viele Tage darüber gesprochen haben, mit diesem Selbstgespräch, so einfach habe ich das nirgendwo gesagt. So einfach bin ich zwar verkürzt worden. Es ist ein Gespräch über sich selbst hinaus. Ich würde Sie also doch bitten, einen Begriff, den ich gebrauche, nicht immer auf seinen primitivsten Aussagezustand zu reduzieren. Der Begriff »Selbstgespräch« stammt - eindeutig auf das Gebet bezogen -von Dr. Schulz: »Natürlich und selbstverständlich ist eine Meditation immer ein Gespräch des Menschen mitsich selbst. Darin unterscheidet es sich von einem naiven Gebet Überhaupt nicht, denn auch das ist - trotz seiner literarischen Ich-Du-Form ein Selbstgespräch.« (Formel S. 172). Daß ein Selbstgespräch über den mit sich Sprechenden hinausführen kann, ist unbestritten. Wohin? Nach Dr. Schulzjedenfalls nicht zu einem Gott als »Du«, der das Gebet durch den heiligen Geist zu sich dringen lassen kann, weil »Gott« ja ·selbst »Ausdruck einer Hoffnung des Menschen ist, angesichts von Not und Versagen, von Ängsten und Schwierigkeiten über sich selber hinauszukommen« (Predigten, S. 177). Dieser Zusammenhang mit der Gotteslehre ist es, der die Schulzsche Lehre vom Gebet - keineswegs seine persönliche Frömmigkeit - zum Thema der Verhandlungen werden läßt. (Vgl. vor allem die Äußerung von P. Kretschmar, S. 103).
Prof. Stegemann: Wie kommt in Ihrer Gemeindetätigkeit nicht nur der deus absconditus, der verborgene Gott, zu seinem Recht, sondern vor allem die rationale Absurdität des deus revelatus, des offenbarten Gottes, »dessen Friede höher ist denn alle Vernunft« (Phil 4,7)? Welchen theologischen Stellenwert geben Sie im Zusammenhang mit Ihrer Orientierung an J esus dem Kreuz? 138
Dr. Schulz: Das ist für mich in der Tat, ich habe es auch nochmals dargestellt, ein wesentlicher Orientierungspunkt meines Selbstrisikos. Das habe ich immer versucht, deutlich zu machen. Und bitte schön, es ist für mich ein größeres Risiko als das Halleluja Ostersonntag. Denn das Wissen um diese Tiefe vom Menschsein und um die Bereitscbaft, in diese Tiefe mit Jesus mitzugehen, das, glaube ich, kann man immer wieder wissen, muß man riskieren. Denn Jesus hat gerade die Wissenden zu diesem Risiko aufgefordert. Also, ich will damit sagen: Denken ist auf Glauben hin offen, und G lauben ist überhaupt erst möglich durch das, was im Denken sich vollzieht. So, was heißt dann deus revelatus, Herr Stege mann? Das kann dann doch nur heißen - rationale Absurdität - etwas auch gegen Widerstand des Tatsächlichen durchzuhalten, oder was heißt das? Dr. Stegemann: Nein, ich meine noch etwas anderes. Wenn man Ihre Publikationen liest, dann hat man den Eindruck, daß Sie sich sehr breit orientieren an den menschlichen Denkmöglichkeiten und auch dann, wenn Sie sich im Glauben riskieren, zunächst ansetzen bei dem, was der Mensch sozusagen aus eigener Fähigkeit kann; dann kommen da Grenzen, und dann muß man sich riskieren. Der Ansatz beim Kreuz ist grundsätzlich ganz andersartig. Das macht ja gerade bei Paulus das Wesen des Kreuzes aus, daß hier der zentrale Ausgangspunkt jeder christlichen Verkündigung so gesehen wird, daß er allem, was vernunftbezogen ist, von vornherein widerspricht. Dr. Schulz: Paulus spricht nirgendwo gegen den Verstand als die Fähigkeit des Menschen, sich in der Welt zurechtzufinden. Paulus ist von Anfang an bis zum Schluß ein rationaler Denker. Das, was ihn für mich auch so begeisternd macht, daß er sich in seinem Denken an einer Stelle unglaublich riskiert. Und das ist für mich auch sehr vorbildlich. Das ist er, wo er angesichts des Todes am Kreuz vom Leben spricht. Wo er also ein Risiko eingeht, von Vorfindlichkeiten nicht bei diesen Vorfindlichkeiten stehenbleibt, sondern aufgrund des Wissens dieser Vorfindlichkeiten (1. Kor 15) ein existentielles Risiko eingeht, nämlich aufgrund des Todes vom Leben spricht, und zwar bei Paulus, wenn Sie 1. Kor 15 lesen, auch nicht ohne Verstand, sondern mit allen Mitteln seiner denke-
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rischen Fähigkeit. Er expliziert dieses Risiko so gut er kann mit Verstandesgründen. Prof Stegemann: Herr Pastor Schulz, ich möchte es nochmals zuspitzen auf die Frage nach dem Ansatz. Gehen Sie in Ihrer Auffassung nach Paulus vom autonomen Menschen aus, der sich dann angesichts des Kreuzes riskiert, oder ist der primäre Orientierungspunkt das Kreuz, von woher dann auch das Denken seinen ganz spezifischen Stellenwert sekundär bekommt? Dr. Schulz: Also, ich weiß nicht, ob wir jetzt ein Paulus-Kolleg halten. Dann wird das so aussehen, Herr Stegemann, daßPaulusaus meiner Sicht, ich glaube, Sie haben etwas Ähnliches mit mir einmal im Gespräch entwickelt - das Kreuz hat nur interpretieren können aufgrund der Denkvoraussetzung als Pharisäer. Prof Stegemann: Interpretation sei jetzt dahingestellt. Es geht darum: Wo ist der Ansatz? Das ist im Grunde eine Frage an das Menschenbild. Wenn ich ansetze beim Kreuz, dann habe ichsoweit es sich auf den Menschen bezieht - primär den Menschen in seiner Schwachheit und seinem Scheitern im Blick. Dr. Schulz: Wenn ich zunächst einmal betonen möchte, einfach zur gegenseitigen Abklärung, daß alles, was Paulus später benutzt hat, um die theologia crucis zu entwickeln, gegebenenfalls in seiner rabbinischen Vorvergangenheit angelegt war. Nur so hat er praktisch christologisch argumentieren können. So, was für Paulus nachher wesentlich ist, daß er in dieser Kombination - nun wird es spannend an der Stelle - wenn er dann von Theologie gesprochen hat, von der theologia crucis, von Rechtfertigungslehre, das ist ähnlich bei der reformatorischen Erkenntnis Luthers mit dem Tintenfaß. Ist das ein Offenbarungsakt gewesen? Und Lukas hat da sehr im Bildstil - will ich einmal sagen - Apostelgeschichte 9 entworfen, nicht? So mit vom Pferd fallen usw. Um auch jedem Letzten klarzumachen, wie Paulus von dieser Meinung überrumpelt worden ist - überwunden worden ist - seien wir vorsichtiger. Aber wir werden als Theologen kaum annehmen müssen, daß Apostelgeschichte 9 mehr ist als eine pädagogisch gut aufgemachte Aussage dessen, was Paulus als Erkenntnisprozeß erfahren hat. 140
Der Ansatz ist von Paulus - das sage ich so riskant - nicht in Apostelgeschichte 9 zu suchen für meine Vorstellung, sondern zu suchen in einem Mann, der im höchsten Sinne theologisch gedacht hat. Wie sonst - bitte schön - wie sonst?
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Zur Frage nach Inhalten des Glaubens (Rückfragen und Klärungen vom 6. Verhandlungstag)
Überblickt man die verschiedenen Gesprächsrunden an den bisherigen Verhandlungstagen, so fällt auf, daß es im Grunde wenige Themen sind, die in Variationen immer wiederkehren. Die hier vorgelegte Kurzfassung läßt das wohl noch deutlicher erkennen als das amtliche Protokoll, auf das an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich hingewiesen werden soll. Am 6. Tage der Verhandlungen hat es so gut wie keinen wirklich neuen Gesichtspunkt in den Gesprächen gegeben. Gleichwohl hat dieser Tag eine große Bedeutung: Er macht deutlich, wie sich die Fragen des Spruchkollegiums auf zwei zentrale Probleme konzentrieren, nämlich auf die Gotteslehre und auf die Christologie von Dr. Schulz. Die anderen Problemkreise ordnen sich diesen fundamentalen Themen zu: Die Schulzsche Auffassung vom Gebet ist zum Beispiel eine Folge der Gotteslehre; wenn sich alles auf »solus Jesus« konzentriert und Christus als der Auferstandene zum überholten Bild wird, kann dieser auch in der Frage nach Tod und ewigem Leben keine Rolle spielen usw. Zu Beginn dieses Tages kommt es im Gespräch zwischen Dr. Gehrmann und Dr. Schulz noch einmal zur Darstellung der Schulzschen Gotteslehre (vgl. S. 38ff.). Dr. Gehrmann fragt erneut, ob es einen Satz des Glaubensbekenntnisses gebe, der für den Betroffenen noch verbindlich sei.
Dr. Schulz: Was soll ich zum Glaubensbekenntnis da sagen? Ich denke da an viele Dinge, die zunächst einmal der Erklärung bedürfen. Wir haben das schon einmal angesetzt: Höllenfahrt, Auferstehung und Jungfrauengeburt ... Dr. Gehrmann: Nein, ich stelle meine Frage positiv. Ich frage nicht, was Sie etwa ausscheiden müssen, sondern ob Sie sagen
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können, ich persönlich kann nach dem Glaubensbekenntnis die folgenden Worte nachvollziehen: Ich glaube an ... , ob es da also irgendwelche Worte gibt, die Sie von Ihrem konsequenten Standpunkt aus persönlich nachvollziehen können, ohne sich untreu zu werden.
Dr. Schulz: Ich schwanke jetzt ein bißchen zwischen zwei Antworten. Entweder sage ich Ihnen jetzt: Ich glaube an der Stelle an gar nichts in dem Sinne, wie Sie glauben, oder ich sage in der gleichen Bereitschaft: Ich glaube an alles dort! Das hängt jetzt an dem Begriff »glauben«. Das ist die Schwierigkeit auch unserer Sprache miteinander, daß wir gegebenenfalls mit dem gleichen Begriff zwei völlig verschiedene Sachen meinen, und deswegen differenziere ich und sage, wenn Sie unter glauben verstehen für wahr halten, dann habe ich christlichen Glauben noch nie so verstanden, daß er praktisch ein Abhaken von den Dingen ist, die man für wahr halten kann. Da würde ich in manchem sehr kritisch sein. Aber wenn glauben heißen würde: Sind das Aussagen, von denen her Sie christliche Existenz riskieren können, ~nd das wäre im Bultmannschen Sinne glauben, pisteuein, Entscheidung-, dann würde ich wieder sagen können, und zwar mit gutem Gewissen, das sind Formeln, von denen her ich groß geworden bin, das sind Formeln, die ich so zwar nicht mehr benutzen würde für mich, aber in denen ich mich auch jederzeit wieder ausdrücken könnte oder in denen ich mich auch jederzeit anderen wieder verständlich machen könnte. Dr. Gehrmann: Darum geht es nicht, daß Sie sich anderen verständlich machen, sondern ob Sie selbst dazu stehen, nicht im Sinne des exakten Für-wahr-Haltens, sondern in dem Sinne: Ich glaube an Gott, den Vater. Können Sie diese Worte so nachvollziehen, die ja irgend wie ein Ausgangspunkt des ganzen Verfahrens sind? Dr. Schulz: Das ist richtig. Sie wissen ja, daß Herr Bischof Lohse den ersten Artikel herausgezogen hat und das alles vorgelesen hat, was das impliziert. Da habe ich eigentlich ziemlich bewußt ja gesagt. Ich sage einmal genau so naiv ja, wie hier naiv gefragt wird.
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Dr. Barrelet: Ich darf eine Zusatzfrage stellen. Sehe ich es falsch, wenn ich meine, daß wir uns an diesem Tisch darüber einig sind, daß glauben in dem Sinne zu verstehen ist, wie es eben Herr Gehrmann und Herr Schulz gemeinsam formuliert haben, also nicht im Sinne des Für-wahr-Haltens irgendwelcher biologischer Verständnisse von Dingen, die man heute anders sehen muß oder irgendwelcher absurder Dinge, sondern glauben im Sinne des Annehmens dieser Botschaft in existentieller Betroffenheit? Würde man das so sagen können, sind wir uns darüber einig? Dr. Stegemann: Auf jeden Fall dann, wenn dem gegenübersteht ein Für-wahr-Halten im Sinne einer bloßen formalen Anerkennung, dann ist dieser Glaubensbegriff, wie Sie ihn jetzt definiert haben, nicht nur die brauchbare Alternative, sondern das einzig Mögliche. Man kann sich im einzelnen darüber unterhalten, wieweit der alles abdeckt oder modifiziert werden muß. Aber bei dieser Alternative, meine ich, ist der Sachverhalt klar. Vorsitzender: So sehr wir uns hier um friedliche Verständigung bemühen, dienen wir natürlich weder uns noch anderen, wenn wir hier Dissense verschleiern. Daß Glaube nur in existentieller Betroffenheit vollzogen werden kann, das wird übereinstimmend hier festgestellt. Aber dieser Glaube hat Inhalte. An der Stelle kommen wir nicht zusammen. Denn für Herrn Schulz, wenn ich das nochmal nach meinem Verständnis sage, expliziert sich im Glauben oder in dieser existentiellen Betroffenheit das menschliche Selbstverständnis. Der christliche Glaube sagt aber: Ich glaube an Gott, den Schöpfer, an Christus, an den Heiligen Geist. Dieses »ich glaube an« - diese Inhalte des Glaubens, die ich nicht selbst setze, sondern die mich betroffen haben, die mir gesagt sind - sind die entscheidende Begründung des Glaubens. Und da haben wir unsere Schwierigkeiten in der ganzen Debatte. Dr. Schulz: Was ist denn nun Inhalt, oder wie soll ich denn den Glauben auf Jungfrauengeburt hin fassen, wie soll ich den Glauben auf Auferstehung hin fassen, und zwar nun nicht nur formal, wie ich es erklärt habe, sondern inhaltlich? Formulieren Sie es mir und sagen Sie mir, Sie müssen Jungfrauengeburt biologisch verstehen! Dann ist ja alles klar.
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Vorsitzender: Herr Schulz, von der Jungfrauengeburt reden Sie ständig. Dr. Schulz: Das steht im Glaubensbekenntnis doch drin! Ich glaube an die Jungfrau Maria, steht im Glaubensbekenntnis. Dr. Ostermeyer: Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer, das haben wir im Augenblick im Auge. Vorsitzender: Sie wissen doch um die Struktur einer homologischen Formel. Sie wissen, daß das Relativ- und Partizipialwendungen sind, die jeweils den Kyrios hier qualifizieren, aber daß der Inhalt der pistis sich auf den Christus als den Kyrios richtet. Dr. Schulz: Also, entschuldigen Sie, ich muß an jedem Sonntag wie jeder Pastor das Glaubensbekenntnis beten. Ich habe jetzt keine Formel drin, die nicht letzten Endes auf das Glaubensbekenntnis bezogen werden und von daher verstanden werden muß. Ich möchte gerne wissen, Herr Bischof, ganz einfach: Weihnachten - was soll ich der Gemeinde sagen? Sie betet mit mir glaubensbekenntnismäßig »geboren von der Jungfrau Maria«. Ich will ja gar nichts anderes wissen, soll ich sagen: Die Frau war eine Jungfrau oder soll ich sagen, sie war keine? Vorsitzender: Sie sollen theologisch nachdenken und etwas besser Ihre Aussagen qualifizieren. Sie haben schließlich Theologie studiert und sind promoviert. Sie müssen darüber selber mehr sagen können, als Sie uns hier immer vorführen. Entweder wollen Sie uns ernst nehmen oder Sie wollen hier Scherze machen. Dr. Schulz: Also ich beginne langsam, Sie nicht mehr ernst zunehmen, das ist richtig. Vorsitzender: Ja, den Eindruck habe ich auch. Dr. Schulz: Weil Sie mir einfach schlicht eine Frage verweigern, die mir ständig von der Gemeinde gestellt wird. Ich möchte doch einmal sagen können, was Sie schließlich zu diesem Problem meinen. Ich weiß selbst, daß ich von der Jungfrauengeburt nur noch 145
von den Funktionen sprechen kann, nicht mehr von den Konkretionen. Aber bitte, nun sagen Sie mir einmal konkret: Was soll ich zur Auferstehung sagen? Ich muß es doch einmal wissen! Entlassen Sie mich aus dem Zwang, das zu konkretisieren. Dann sind wir wieter miteinander. P. Kretschmar: Sie haben doch vorhin definiert, wie Sie Gott verstehen. Sie können doch nicht leugnen, daß die Art, wie Sie Gott definieren, fundamental zu unterscheiden ist von dem, was die Kirche über Gott sagt. Sie sollen das Glaubensbekenntnis interpretieren auf diesen Gott hin, der ein Gegenüber ist und nicht aus dem Denken des Menschen, aus den Zielvorstellungen erwächst. Sie haben doch hier nicht als Gesprächspartner Fundamentalisten und die Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«, sondern Leute, die mit Ihnen kritisch Theologie treiben wollen, die aber doch merken, daß Sie an einer entscheidenden, fundamentalen SteHe, nämlich am Ausgangspunkt, die Weichen anders stellen. Ich glaube, es ist doch in Ihrem Interesse, daß das herauskommt, daß die Weichen anders gestellt sind, daß Sie im Grunde genommen eine Alternative setzen zu dem, was christliche Tradition ist. Sicherlich wird an theologischen Fakultäten und von vielen Pastoren diese fundamentale Frage teilweise so bedacht, wie Sie es tun. Aber Sie können doch nicht einfach uns so darstellen, als wären wir Vertreter von Glaubenswahrheit im Sinne von wissen und glauben müssen. Ich verstehe Sie nicht. Das ist wirklich ein Nichternstnehmen unserer Bemühung, nicht nur Konsens zu dokumentieren, sondern zunächst auch Dissens herauszustellen - auch in Ihrem Interesse. Dr. Ostermeyer: Wir müssen uns natürlich gegenseitig ernstnehmen. Niemand ist hier am Tisch, der sich die Person Gottes als Mensch mit Bart oder ohne Bart vorstellt. Darüber brauchen wir uns, glaube ich, gar nicht zu unterhalten. Ich wollte nur eben fragen: Sie hatten vorhin eingangs gesagt, Gott ist ein Begriff, ich glaube, ich zitiere das Wort richtig, er ist ein Versuch, das Sein zu beschreiben. Beschreibt das für Sie der Sache nach genau dasselbe wie Gott als Vater, Schöpfer aller Dinge? Ist das für Sie der Sache nach dasselbe, was Sie vorhin gesagt haben und was das Glaubensbekenntnis sagt?
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Dr. Schulz: Herr Bischof, ich möchte Sie gerne fragen, wenn Sie von den Glaubensinhalten sprechen, wer bestimmt eigentlich, wann welche Glaubensinhalte dann zur Disposition stehen? Wenn ich nach der Jungfrauengeburt frage, dann sagen Sie plötzlich, es geht nur um den 1. Artikel. Wenn ich nach der Auferstehung frage, werden wir hören was Sie dazu sagen. Wenn ich nach der Weltentstehung frage, nach dem Endgericht zum Beispiel frage ... Ich möchte wissen - und so hat Herr Gehrmann mich gefragt zum Anfang -, was aus dem Glaubensbekenntnis für mich unter dem Titel Glauben stehen muß. Ich habe versucht, den Glaubensbegriff zu erläutern. Ich entlasse Sie nicht daraus, auch wenn Sie ein Urteil gesprochen haben sollten, ich. werde immer wieder darauf insistieren zu fragen, was Sie letzten Endes von der Kirche her sagen. Was Sie persönlich als Professor dazu meinen, darüber können wir sprechen, das ist für mich überhaupt nicht wichtig. Daß Sie persönlich ein integrer Mann sind, ist für mich auch nicht bedeutend. Ich möchte wissen, wo die Kirche heutzutage sichtbar freigibt, daß eben nicht mehr der Gemeinde im Gottesdienst solche Aussagen so vorgeführt werden, als müßten sie sie doch für wahr halten. Sagen Sie einmal in einer offiziellen Aussage: Jungfrauengeburt muß heute nicht mehr biologisch geglaubt werden. P. Kretschmar: Das, glaube ich, würden Sie sogar gesagt bekommen, wenn ein aktueller Anlaß besteht. Dr. Schulz: Dann wären wir ein Stück weiter. Vorsitzender: Der Dissens zu Ihnen ist zu keinem Zeitpunkt an diesem Punkt aufgebrochen. Der bezieht sich fundamental auf Ihr Gottesverständnis und Ihre Christologie. Dr. Schulz: Damit sagen Sie auch, ein biologisches Verständnis von Gottes Sohn ist dann praktisch nicht möglich. Vorsitzender: Das ist dummes Zeug, und mit solchen Sachen brauchen wir uns gar nicht aufzuhalten. Dr. Schulz: Die Kirche hat deshalb einmal eine Schlägerei gemacht, beim Nizänum. Es gelten heute noch Formeln, die das
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genauso darstellen, daß Gottes Sohn biologisch zu verstehen ist. Ich habe das immer so verstehen müssen, und es ist nirgendwo das Nizänum aufgehoben, an keiner Stelle. Daß letzten Endes Jesus wesensmäßig göttlich sei und von der Jungfrau geboren, wo ist das bisher aufgehoben? Das ist nicht aufgehoben.
Vorsitzender: Wir können jetzt nicht das Studium der Dogmengeschichte nachholen, das in Ihrem Studium offenbar eine zu geringe Rolle gespielt hat. Dr. Schulz: Es war Ihr Bruder, bei dem ich das gelernt habe. Vorsitzender: Das tut mir leid, da hätten Sie mehr lernen können. Dr. Wendebourg: Ich würde ganz einfach sagen, der Dissensus ist da, wie bei unserer ersten Verhandlung. Erstens würde ich bestreiten, daß Gott und das Sein dasselbe ist, denn nach dem Neuen Testament ist Gott derjenige, der Sein aus dem Nicht-Sein ruft, daß es sei. Der zweite Dissensus ist, daß Sie eben geschrieben haben: »Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß es einen persönlichen Gott, der mich ständig hört, der mir hilft, der mich sieht, mich als Realität begleitet, nicht gibt.« Da würde ich auch schlicht sagen: Das ist auch ein Dissensus zwischen uns. Ich könnte keinen Augenblick Christ und Pfarrer sein, wenn ich dieses nicht so sagen könnte, wie Sie es verneinen. Sie haben damals mir in der Diskussion vorgehalten: Ich entwerfe mein Sein, meine Existenz in diesem Sinne. Das ist seinerzeit lang und breit abgehandelt. Sie haben sich da auf Feuerbach berufen. Das ist eben der Punkt, wo unser Bekenntnis nicht bloß interpretiert wird, sondern verwandelt wird. Dr. Schulz: Also, da gibt es zwei Dinge zu sagen. Einmal warte ich ja schon lange Zeit darauf, daß Sie mir die Sache mit dem persönlichen Gott einmal erklären. Einerseits sagen Sie, Gott sei keine Person, aber andererseits müßten Sie irgendwie sichtbar machen, wie man denn das beschreiben will, daß es einen persönlichen Gott gibt. Mein Bischof in Hamburg hat gesagt, Gott ist eine Person. Das habe ich schriftlich. Das kann man offenbar trotzdem sagen. 148
Ich möchte gerne wissen, wie das aussieht, wenn Sie sagen, es sei ein persönlicher Gott, der mich hört und mich sieht und was weiß ich und der offenbar die Entscheidungen gegen mich hier fällt, wenn das Gremium so abstimmt. Diese Vorstellung kann ich nicht vollziehen. Dann sollten Sie an zweiter Stelle ein bißchen stärker über Ihre eigene Motivation nachdenken, das wäre mein persönlicher Ratschlag. Wenn Sie sagen, ich könnte nicht Pfarrer sein, wenn ich nicht vom persönlichen Gott sprechen könnte, wenn Sie das einmal ein bißchen aufschlüsseln, dann haben Sie auch die Motivation, warum Sie vom persönlichen Gott sprechen. Vorsitzender: Herr Schulz, das lassen Sie bitte hier heraus! Dr. Schulz: Das ist kein persönlicher Vorwurf. Ich versuche, Ihnen Ihre Motivation klarzumachen. Warum fühlen Sie sich angegriffen? Dr. Wendebourg: Daß man Gott nicht schrankenlos personalisieren kann, ist mir natürlich auch klar. Aber er hat in seiner Spitze diese personhaften Züge, im Gegenteil, was Person ist, wird mir im letzten Grunde klar an Gott bzw. an der Weise, wie er mir entgegentritt in der Person Jesu Christi als dem Bilde Gottes. Wie soll ich denn auch Evangelium verstehen, wenn ich es nicht doktrinär verstehen soll oder im Sinne einer fides historica, wie soll ich es anders verstehen, als daß Gott mich anredet? Evangelium ist in der Wurzel Anrede an die Gemeinde, an den Menschen, an mich. Das ist der Glaube der reformatorischen Väter, und das würde ich auch kühn weitersagen. Hier sind wir an der Wurzel dessen, was christliches Bekenntnis ist, nämlich ein Jawort zu der Anrede meines Gottes an mich, und da ist der Dissensus. Prof Friedrich: Meine Frage an Sie ist, hat Jesus für Sie irgendeine soteriologische Bedeutung, oder ist er nur ein Vorbild, das als Vorbild die Gegenwart prägen kann? Diese soteriologische Bedeutung, die Luther im Kleinen Katechismus ausspricht, ist ja nicht nur Ansicht des Paulus, so wie es gestern vormittag und nachmittag in der Diskussion zu sein schien, sondern allgemein urchristliche Anschauung. Denn wenn Paulus davon spricht, bezieht er sich ja oft auf urchristliche Bekenntnisse, die vor ihm 149
formuliert sind. Ich erinnere nur an 1. Kor 15, wo einige in der Gegenwart sogar sagen, dieses Bekenntnis sei kurz nach dem Jahre 33 formuliert. Ich lasse dahingestellt, ob das stimmt. Ich bin nicht ganz dieser Überzeugung. Jedenfalls steht fest, nach allgemein urchristlicher Anschauung hat Jesus diese Bedeutung: »Gestorben für unsere Sünden, auferstanden und erschienen den Aposteln«. Das steht nicht nur im Bekenntnis 1. Kor 15, sondern auch in dem »Katechismus« Röm 4: »Dahingegeben für unsere Sünden, auferweckt um unserer Gerechtigkeit willen«. Das ist die missionarische Verkündigung der U rchristenheit gewesen. Basiert die Urchristenheit auf falschen Anschauungen, so daß die Kirche, die daran festhält, einem Irrtum unterlegen ist, der jetzt endlich korrigiert werden muß? Das ist meine Frage an Sie, und zwar geht es mir hier nicht um Titel, um Messias, Christus oder Sohn Gottes. Aber mit allen diesen Ausdrücken kommt in verschiedener Weise doch dasselbe zum Ausdruck. Nach der Lehre von Gott folgt jetzt also die Christologie als zweiter Problemkreis, bei dem das Spruchkollegium fundamentale Differenzen zu Dr. Schulz sieht. Prof. Friedrich sieht die Heilsbedeutung Jesu im ganzen Neuen Testament, gerade auch im Johannesevangelium zum Ausdruck gebracht (zum Beispiel in den »Ich-bin-Worten«). Dr. Schulz hält dem entgegen, es gebe eine Vielzahl theologischer Entwürfe im Neuen Testament, die unterschieden werden müßten, ja sogar zum Teil konträre Modelle seien. Er verweist auf Joh 1; 1. Petr 1,181.; Apg 2-10; 1. Kor 15. Auch die Rechtfertigungslehre des Paulus sei eines dieser Denkmodelle.
Dr. Schulz: Dieses bestreite ich an gar keiner Stelle, wenn Sie mir zugleich eine Frage beantworten, der alles zugrundeliegt, auch die gesamte Frage der kerygmatischen Theologie: Setzt die paulinische Auferstehungslehre in der Interpretation im Kerygma die urgemeindlichen Vorstellungen des auferstandenen Jesus, des konkret auferstandenen Jesus voraus oder nicht? Daran hängt ja heutzutage sehr viel. Wenigstens ich habe mich lange damit herumgeschlagen als Mensch und als Christ. Muß ich, wenn ich im Sinne von Paulus sage: neues Leben, erlöst sein, neues Sein und alles dieses, muß ich dann für wahr halten, daß der tote Jesus 150
wiederbelebt worden ist? Das ist hier ein doch entscheidender Punkt innerhalb der Diskussion der letzten 50 Jahre, und Sie wissen, daß das vielleicht in der kerygmatischen Theologie keine Rolle mehr spielt, aber in der Gemeindesituation eine wesentliche Rolle spielt, und ich möchte einmal sehen, was passiert, wenn man ganz klipp und klar sagt, wir heutigen Theologen meinen, Jesus sei eben nicht auferstanden. Dann kommen Sie indas gesamte Dilemma hinein, das 1. Kor 15 darstellt. Dann müßte man an dieser Stelle noch einmal neu darüber reden, wie man denn von Auferstehung sprechen kann, wenn eigentlich der historische Jesus sich überhaupt nicht im Grab bewegt hat. Prof. Friedrich: In der letzten Zeit hat ja bei der ganzen Diskussion um die Auferstehung das leere Grab kaum eine Rolle gespielt. Ich weiß nicht, ob Sie in Erlangen noch Professor Künneth gehört haben, der ja doch ein sehr engagierter Verteidiger des Auferstehungsglaubens ist. Er hat sogar gesagt, selbst wenn der Sarg mit den Knochen von J esus von Nazareth gefunden würde, so wäre das kein Beweis gegen die Auferstehung. Also die Frage der Auferstehung hängt nicht an dem leeren Grab. Prof. Stegemann: Die Frage war gar nicht so gemeint, ob nun die Auferstehung einen zentralen Stellenwert habe und wie man das heute sagen könne, sondern sie betraf eben die soteriologische Bedeutsamkeit Jesu. Im Sinne des Johannes-Evangeliums müßte man sagen, daß hier als einzige Heilsmöglichkeit in der Welt nun einmal Jesus hingestellt und dargestellt wird - in einer anderen Weise beschrieben, als das der Verfasser der Apostelgeschichte tut, als das Markus tut, als das Paulus tut -, das ist alles ganz selbstverständlich. Aber alle neutestamentlichen Zeugen sind sich völlig darin einig, daß Jesus von Anfang an eine soteriologische Bedeutung gehabt habe und daß das für die Christen zugleich diese zentrale soteriologische Möglichkeit in der Welt ist: Es gibt kein anderes Heil. Ich wäre dankbar, wenn diese beiden Aspekte jetzt in Ihrem Votum noch einmal zentral aufgegriffen werden könnten. Das andere ist alles unbestritten. Dr. Gehrmann: Ich bin der Meinung, was Sie jetzt von uns verlangen mit den neun Fragen, die Sie gestellt haben, wird darauf
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hinauslaufen, Ihnen mitzuteilen, was die herrschende Ansicht der Theologie zu diesen Fragen ist. Ich gehe davon aus, daß Sie als qualifizierter Theologe das wissen. Das wollte ich nur sagen zu dem Problem des ganzen Fragenkataloges. Einen Grundriß der herrschenden Auffassungen in der Theologie brauchen wir hier nicht zu liefern. Dr. Schulz: Ich hätte ja auch diese Frage nie gestellt, Herr Dr. Gehrmann, wenn Sie nicht hinter diesen Fragen einen besonderen Anspruch hätten. Ich möchte nur einmal wissen von Ihnen, wo in Ihrem Amtsbereich ein Urteil gefällt wird, ohne sichtbar zu machen, aufgrund welcher Prämisse. Sie müssen doch deutlich machen, daß Sie gerade im juristischen Bereich eindeutig darauf verwiesen sind, zwangsläufig, ein Urteil, das Sie fällen, letzten Endes mit einem Gesetz zu belegen. Darauf habe ich mich berufen, daß ich schließlich nichts anderes will, als so, wie jeder Mörder oder was weiß ich den Anspruch.hat, einmal die Grundlage zu erfahren, von der her Sie nachher ein Urteil fällen. Das möchte ich einfach für meinen Lebensabend wissen, damit ich weiß, wann ich einmal aufgrund welcher Dinge verurteilt worden bin. Nun will ich ja gar nicht darauf hinaus zu sagen, Sie könnten das beantworten. Ich weiß, daß Sie das gar nicht können, auch als lutherische Gemeinde gar nicht können. Das ist mir völlig klar. Mein Problem ist nur, wann Sie einsehen, daß Sie dann auch nicht urteilen können. Das ist doch die Pointe. Ich will doch nicht darauf hinaus zu sagen, nun stellen Sie endlich mal einen Katalog auf! Aber wenn Sie hier ständig sagen, das können wir gar nicht beantworten, das haben wir gar nicht in der lutherischen Kirche, das klingt ungefähr so, wie wenn Sie als Richter sagen, ich verurteile dich, aber wir haben kein Gesetz dafür. Ich möchte doch in Ihren Lernprozeß hier ein bißchen Bewegung bringen. Deswegen insistiere ich darauf, nicht für mich. Vorsitzender: Herr Dr. Schulz, ob Sie noch etwas zu der Frage, die mehrfach formuliert worden ist, sagen könnten: Wie steht es mit der soteriologischen Bedeutung J esu? Dr. Schulz: Ich weiß nicht, ob Sie Psychotherapie mit mir machen wollen oder so, wenn Sie fragen, was ich persönlich dazu meine.
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Das ist ja wohl nicht der Weg, sondern als Theologe bin ich gebunden, das zu messen und darzustellen am Bekenntnis einerseits und an den Grundaussagen des N euen Testaments. Da berufe ich mich auf Paulus und sage, unsere derzeitige Existenz, unsere christliche Existenz ist gemäß 1. Kor 15, das ist auch meine Existenz, gebunden an die Frage: Ist der historische Jesus auferstanden oder nicht? Paulus tut mehrere Schritte. Er sagt, zunächst einmal ist die Grundaussage nötig, der historische Jesus ist auferstanden. Und da bin ich nicht der Meinung, daß er nicht vom leeren Grab spricht. Paulus kann sich das gar nicht anders vorstellen. Also auf jeden Fall ist die Identität des historischen mit dem kerygmatischen Christus für Paulus hergestellt. Das bezeugt die Zeugenliste in 1 Kor 15, 3-8, wo Paulus unbedingt sicher gehabt haben will, daß das bezeugt werden kann: Dieses Faktum ist da. Und dann zieht Paulus daraus einen christlich tollkühnen Schluß, glaubensmäßig. Er sagt, dies hieße dann, wenn der auferstanden ist, als erster, daß auch wir auferstehen werden. Dann kommen die Korinther und sagen, alles Quatsch, nicht wahr, angenommen Jesus ist auferstanden, wie kommst du auf die Idee, wie soll das ablaufen? Dann vollzieht Paulus in 1. Kor 15 ein paar andere Aussagen, indem er sagt, Gott wird's schon schaffen. Das ist dann der Versuch, die Körperlichkeit in die Leiblichkeit umzusetzen. Diese Schritte müssen wir uns doch auch heute bewußt machen, wenn wir jetzt sagen, wir riskieren als Christen heute eine Aussage soteriologischer Art. Es ist ganz unbestritten: Das alles hängt und fällt mit der Aussage des Paulus zu der Frage der Auferstehung Jesu, der körperlichen Auferstehung Jesu. Und darüber müssen wir eine Entscheidung treffen. Das ist das Problem. Gibt es gegenüber der Predigt ein Faktum extra nos, und wie sieht das aus? Gibt es ein Ereignis, das sozusagen historisch verifizierbar ist oder wie immer, auf das hin die Kerygmatik ausgelöst worden ist? Oder wie sieht das aus? Oder haben wir eigentlich heutzutage nur noch und das ist die paulinische oder die kerygmatische Position letzten Endes die existentielle Betroffenheit der Urgemeinde? Die ist als historisches Faktum zu nehmen. Und jetzt sind wir ganz nahe dran, wo wir, glaube ich, uns auch unterscheiden, wenn wir uns unterscheiden. Ich möchte konkret von Ihnen wissen: Setzt die Auferstehung und damit Ihre ganze soteriologische Fragestellung, setzt sie ein Ereignis extra nos voraus oder nicht? Oder reden wir 153
alle nur intra nos? Das möchte ich konkret wissen. Das ist unsere genau zugespitzte Frage. Prof Friedrich: Was sagen Sie zu den nicht paulinischen Worten »Es ist in keinem anderen Heil, es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen sie selig werden sollen«, das ist in der Apostelgeschichte, auf die Sie sich berufen, oder aber aus dem Johannesevangelium: Es gibt keinen Weg zu Gott, als nur durch Jesus Christus. »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich« - was sagen Sie dazu? In diesem Sinne meine ich die U nauswechselbarkeit Jesu Christi. Prof. Stegemann: Wenn Sie so nach dem extra nos fragen, dann ist das doch schon gegeben gerade in Verbindung mit dem historischen Jesus. Wenn er von der Gottesherrschaft spricht, dann wird diese insbesondere verstanden als jetzt hereinbrechendes Heil, das von extra nos kommt. Damit, daß man als Historiker festzustellen hat, daß Jesus in vollrnächtiger Weise von dieser Gottesherrschaft gesprochen hat, nicht nur so, daß er sie als mögliche Spekulation dargestellt, sondern konkret in Verbindung mit seiner Person hereinbrechend geschildert hat, bekommt dann seine Person im Zusammenhang mit diesem hereinbrechenden Heil eine soteriologische Funktion. Das war eigentlich die Frage von Herrn Kollegen Friedrich: Wie stehen Sie, und ich möchte, da Sie eine Jesus-Position vertreten, es an der Jesus-Position festmachen, grundsätzlich zu der soteriologischen Funktion Jesu, die da schon gegeben ist? Dr. Schulz: Herr Stegemann, ich kann diese kollegiale Schützenhilfe gut verstehen, aber so ging es eben nicht. Denn hier ist gefragt worden sogar nach 1. Petrus 1, 18f., nach der ganzen Erlösungstheorie , hier ist gefragt worden nach einer Versöhnung im Sinne paulinischer Rechtfertigungslehre. Nun finde ich es ganz toll, daß Sie letzten Endes meinen eigenen theologischen Lösungsversuch hier mit anbieten und sagen, in der basileia tou theou ist die Unverwechselbarkeit Jesu hergestellt. Aber das wird Herrn Friedrich auf gar keinen Fall befriedigen, denn er fragt bei dem paulinischen Ansatz, was denn dort letzten Endes die Unverwechselbar154
keit Jesu ausmacht. Und nun würde ich einfach einmal meinen, die Unverwechselbarkeit Jesu in der Basileia-tou-theou-Theorie ist doch eine ganz andere Unverwechselbarkeit, als sie etwa in der paulinischen Theorie dargestellt wird, von der Rechtfertigung her. So ist das doch nun mal. Sie können doch jetzt nicht sagen, also retten wir mit dem Paulus einmal den historischen Jesus! Es kann hier nicht auf die breite exegetische Diskussion zur Frage des leeren Grabes eingegangen werden. Wenn Dr. Schulz den bei Luther zu findenden Begriff des »extra nos« an dieser Stelle aufnimmt, so ist jedenfalls darauf hinzuweisen, daß Luther ihn in total anderem Sinne gebraucht. Es geht um eine »Gewißheit, die nicht in uns selbst gegründet ist, sondern allein dadurch gewi ß zu machen vermag, daß sie uns au ßerhalb unser selbst versetzt« (G. Ebeling, Wort und Glaube 11, 1969, S. 172). Die Glaubensgewißheit stützt sich nicht auf das Gewissen, die Person oder die Leistungen und Werke des Menschen, sondern allein auf Gottes Verheißung und Wahrheit, die nichttrügen können (vgl. WA40, 1; 589, 8-10). Die Pointe in unserem Zusammenhang ist also gerade: Die Glaubensgewißheit hängt nicht davon ab, ob der historisch-exegetische Nachweis gelingt, daß das Grab Jesu leer war. Nicht der historische Nachweis, sondern das Wort des Evangeliums selbst ist Grund der Glaubensgewi ßheit im Sinne des »extra nos«. Andererseits trifft der Nachweis, daß das Grab nicht leer war und keine Auferstehung stattgefunden hat, auf dieselben Schwierigkeiten wie der Nachweis des Gegenteils. Überhaupt wird man die Grundfrage aufwerfen müssen, was es bedeutet, wenn die »historische Verifizierbarkeit« eines Ereignisses behauptet oder bestritten wird. Vor Abschluß des 6. Verhandlungstages faßt der Vorsitzende für das Spruchkollegium die entscheidenden Punkte zusammen, deren Klärung von Dr. Schulz erbeten ist. Damit wird zugleich erneut dem Antrag entsprochen, dem Betroffenen mitzuteilen, in weichen fundamentalen Positionen er im Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche steht. Der Vorsitzende weist darauf hin, daß auch schon im Hamburger Vorverfahren inhaltlich klare Auskünfte gegeben worden seien, zuletzt in der Antragsschrift (S. 15ff.), deren wichtigste Abschnitte wiederum von ihm verlesen werden. Das Spruchkollegium habe sich nicht
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an ein vorgegebenes Vorverständnis gebunden, sondern das offene und faire Gespräch gesucht. Mit der Ordinationsverpflichtung sei auch unstreitig eine weite Spanne zur Entfaltung unterschiedlicher Positionen bei der Auslegung des Evangeliums gegeben. Die Frage sei, ob Dr. Schulz in seiner Lehrdarbietung diesen Raum so weit überschritten habe, daß der magnus consensu der predigenden Kirche verlassen sei. Das Verfahren sei noch immer offen. Zu einem endgültigen Urteil sei das Spruchkollegium noch nicht gelangt. Dr. Schulz habe die Möglichkeit, in seinem Schlußwort die nachfolgenden Ausführungen zu korrigieren. Der Vorsitzende stellt dann die fundamentalen Dissenspunkte dar:
Vorsitzender: Da ist als erstes die Gotteslehre zu nennen. Herr Dr. Schulz geht dabei davon aus, daß das jeweilige Weltbild auch ein' neues Gottesbild bedingt. Hierzu möchte ich gleich sagen: Es ist gar nicht strittig, daß naturwissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt auch in der Rede von Gott seinen Niederschlag finden muß. Eine christliche Rede von Gott kann nicht unter Absehung naturwissenschaftlicher Einsichten formuliert werden. Herr Dr. Schulz zieht dann aber weitere Folgerungen, etwa dahingehend: Reden von Gott sei ganz bewußt Reden von unten, vom Menschen her (Formel S. 24). Wenn der Mensch von Gott redet, so redet er also letztlich von sich selbst. Reden von Gott als Person ist für Herrn Dr. Schulz aufgrund naturwissenschaftlicher Einsicht ein überholtes Denkmodell. Gerade hierzu hat Prof. earl Friedrich v. Weizsäcker in seinem Gutachten festgestellt, daß zwar die Thesen, die Herr Dr. Schulz vertritt, mit gegenwärtigen Einsichten der modernen Naturwissenschaft vereinbar seien, aber keineswegs zwingend aus ihnen folgen. Diese Feststellung ist dem Spruchkollegium wichtig. Herr Dr. Schulz kann sicherlich seine Thesen im Rahmen gegenwärtiger naturwissenschaftlicher Einsicht unterbringen. Aber er hat uns nicht einsichtig machen können, daß seine theologischen Aussagen zwingend naturwissenschaftlich begründet seien. Herr v. Weizsäcker hat vielmehr bemerkt, die naturwissenschaftliche Substanz der Argumentation sei dünn und deshalb wirke die Selbstsicherheit des Vortrags eher irritierend. Das ist auch unser Eindruck. In der Rede von Gott, wie Paul Schulz sie beschreibt, ist nach 156
unserem bisher gewonnenen Verständnis letzten Endes, wie es auch schon in Hamburg formuliert worden ist, der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Er kann in den jeweiligen Gottesbildern, die er entwirft, nichts anderes tun, als sein eigenes Selbst- und Weltverständnis zu entfalten. Er kann zwar, wie gestern auch noch einmal von Herrn Dr. Schulz gesagt worden ist, den Versuch machen, über sich selbst hinauszugehen, sich selbst zu transzendieren. Aber auch dann handelt es sich darum, daß der Mensch neue Möglichkeiten in Berücksichtigung des ihm jeweils Vorgegebenen erschließt, aber kraft eigenen HandeIns. Wir haben nicht erkennen können, daß die zentrale biblische Aussage, daß Gott sich offenbart, daß Gott durch sein Wort sagt, wer er ist, in der Gotteslehre von Herrn Dr. Schulz irgendwo noch enthalten wäre. Für ihn ist, wie er im Spiegel-Interview, aber auch an vielen anderen Stellen erklärt hat, die Rede von einem Weltenschöpfer Gott nicht mehr sinnvoll, weil er sich die Entstehung der Welt auch ohne übernatürliche Kategorien erklären kann und deshalb die Rede von einem Weltenschöpfer nicht mehr benötigt. Daraus folgt, daß zu einem solchen Gottesbild , wie es der Mensch als eine Projektion seiner selbst entwirft, auch nicht gebetet werden kann. Es gilt vielmehr: »Redet der Mensch von Gott, dann redet der Mensch von sich selbst.« (Predigten S. 84) - ein in den Schriften von Herrn Dr. Schulz und auch in seinen mündlichen Äußerungen immer wiederkehrender Satz. Das Gebet verliert damit seinen theologisch begründeteten Sinn. Es kann Sinn als Meditation behalten, aber einen theologisch begründeten Sinn - dieses ist jedenfalls unser Eindruck - hat es nicht mehr. Wir werten diese Rede von Gott als im Widerspruch stehend zu der gemeinchristlichen Rede von Gott dem Schöpfer. Sie sagt nicht etwa nur, daß der Mensch sich bestimmten Vorgegebenheiten verdankt. Sondern er verdankt sich Gott, der ihn erschaffen, erlöst und erhalten hat, wie es in der Erklärung Luthers zum 1. Artikel heißt, auf die wir uns auch mit den Worten des Großen Katechismus bezogen haben. Theologie als Denken des Glaubens hat diese Aussage des Glaubens denkend zu entfalten und hierbei sicherlich auch die Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft zu vollziehen. Für uns ist nach wie vor unklar geblieben, inwiefern Rede von Gott als Ausdruck heute zu vollziehenden christlichen Bekenntnisses, des Be157
troffenseins durch die mich angehende Anrede des Wortes Gottes bei Herrn Dr. Schulz noch enthalten wäre. Der zweite Hauptproblemkreis , über den wir auch im Schlußwort noch einmal eine Erklärung erbitten, betrifft die Christologie. Im Zentrum der Argumentation von Herrn Dr. Schulz steht der Rückgriff auf den historischen Jesus. Dabei ist nicht strittig, daß die historisch-kritische Methode bei der Interpretation der biblischen Schriften und besonders der Evangelien anzuwenden ist. Wir hätten als Neutestamentler gern an dieser und jener Stelle noch mehr Präzision gesehen. Aber hier ist gewiß eine Spannweite von Meinungsunterschieden gegeben, die wir keineswegs als kirchentrennend empfinden. Schwierig wird es aber, daß Herr Dr. Schulz aus der Verkündigung des historischen Jesus nur die Zusammenhänge auswählt, die von seinen Voraussetzungen her akzeptabel erscheinen. Andere, wie etwa die Eschatologie, werden ohne zwingende Begründung ausgeklammert. Die Verkündigung J esu wird von Herrn Dr. Schulz in dem Satz zusammengefaßt: »Gott ist Liebe.« (Formel S. 32) Aber das bedeutet nicht - das folgt aus seiner Gotteslehre -, daß Gott als eine liebende Person beschrieben wird. Sondern es bedeutet vielmehr, daß die liebende Beziehung zwischen Menschen als das Prinzip beschrieben wird, das Leben entfaltet: »Überall dort, wo sich Menschen in Liebe begegnen, ereignet sich Gott im Lieben, da geschieht Vervollkommnung menschlichen Wesens« (ebda. S. 32). Jesus hat also ein Prinzip Liebe verkündigt und gelehrt, das sich im sozialen Bezug zwischen Menschen ereignet und verwirklicht. Noch einmal ein anderes Zitat aus den Predigten: »Der Mensch darf nicht in einen Monolog mit sich selbst verfallen, so daß sich egoistisch alles nur um ihn dreht. Der Mensch muß sich immer wieder öffnen auf einen Dialog hin mit denen um ihn herum, vor allem mit solchen, die Hilfe brauchen und Solidarität« (Predigten S. 22). Dieser Dialog betrifft also die zwischenmenschliche Relation. Liebe als Ereignis im sozialen Bezug aber ist nicht etwa auf einen Dialog bezogen, den der Mensch betend gegenüber dem Schöpfer und Erlöser vollzieht. Ebenso wie in der Lehre von Gott dem Schöpfer und den Aussagen über das Gebet wird also auch hier letzten Endes - wenn wir es zugespitzt zusammenfassen - der Mensch auf seine eigenen Möglichkeiten zurückgeworfen, die er erkennen und dann auch ergreifen soll. Das christologische Bekenntnis der
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Gemeinde wird hier so gut wie vollständig ausgeblendet. Es wird von Herrn Dr. Schulz geltend gemacht: Für ihn gilt »solus Jesus«, nicht »solus Christus«. Kreuz und Auferstehung Jesu Christi sind natürlich im Zusammenhang mit der Gesamtwirksamkeit des historischen Jesus historisch verständlich zu machen. Sie spielen aber für die Christologie von Herrn Dr. Schulz keine erkennbare Rolle - es sei denn, daß das Kreuz als ein Vorbild des SichRiskierens begreiflich gemacht werden könnte. Die Rede von der Auferstehung kann auch einmal so gewendet werden, daß in ihr zum Ausdruck kommt, sich mit den gegebenen Verhältnissen nicht abfinden zu können und zu wollen (Predigten S. 71). Das christologische Bekenntnis der Gemeinde wird aber ausgeklammert. Es wird zwar als in der historischen Tradition vorgegeben anerkannt, aber es ist nicht relevant für die christliche Verkündigungheute. Wir sehen hier wiederum einen Fundamentaldissens, um den wir uns gestern in langen Gesprächsgängen bemüht haben. Für das reformatorische Bekenntnis ist die Lehre von Rechtfertigung, ist das Bekenntnis zur soteriologischen Bedeutung Jesu Christi der Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt. An dieser Stelle ist unser wiederholtes Fragen darum bemüht gewesen, uns etwas zum Verständnis der Rechtfertigung, der Soteriologie zu sagen. Diese Frage ist für uns nach wie vor offen. Und wir haben die Befürchtung, daß hier in der Tat ein Fundamentaldissens zu dem »articulus stantis et cadentis ecclesiae« geblieben ist. Herr Dr. Schulz hat uns gestern zwei Zitate aus dem Buch »Ist Gott eine mathematische Formel?« angeführt, auf die ich mich auch meinerseits gern noch einmal beziehen möchte. Das eine betrifft die Gotteslehre (S. 73 u. 74). Ich lasse dabei die historischen Ausführungen beiseite und möchte nur noch einmal die Quintessenz hervorheben, wie Herr Dr. Schulz sie formuliert und wie sie auf uns wirkt: Das Prinzip Liebe wird zur Interpretation der Gotteslehre eingesetzt. Dabei heißt es: »Das Prinzip Liebe soll in dieser (jetzt von Herrn Dr. Schulz formulierten) Tradition einem naturwissenschaftlichen Selbstverständnis die Gewißheit sichern, daß die Welt als Ganzes von der Liebe her als Urgrund, Beweggrund und Zielpunkt allen Seins positiv verstanden werden kann.« »Das Prinzip Liebe soll in dieser Tradition einem naturwissenschaftlichen Selbstverständnis die Gewißhei"t sichern, daß Gesell159
schaft so gestaltet werden kann, daß auch der Schwächste sein Leben bestmöglich zu entfalten vermag.« Und: »Das Prinzip Liebe soll in dieser Tradition einem naturwissenschaftlichen Selbstverständnis die Gewißheit sichern, daß die Wirklichkeit einen Freiraum darstellt, in dem sich Sinn, Bedeutung, Ziel gerade auch des einzelnen Selbst gestalten lassen.« Hier wird also das Prinzip Liebe in eine moralisch qualifizierte Ethik gefaßt. Aber es ist kein Gegenüber, aus dem heraus der Mensch sich gegründet weiß, sondern es ist eine zwischenmenschliche Relation, die dahin wirkt, im Leben selbst sinngründend tätig zu werden. Die Christologie läuft im letzten Verständnis auf dieselben Aussagen hinaus (S. 121 u. 122): »Dadurch, daß ich mich für Jesus entscheide, gewinne ich ganz persönlich ein neues Verständnis von mir selbst: - An Jesus formen sich mir neue Perspektiven und Grenzen meines Ichs. - An Jesus werden mir bessere Möglichkeiten und Ziele meines Handeins bewußt. - An Jesus erkenne ich in meinen Sorgen und Plänen eine deutlichere Zukunft ... An Jesus können wir unsere gemeinsamen Aufgaben und Verpflichtungen orientieren. - An Jesus können wir uns in unserer Veränderungsfähigkeit auf neue Wege und Lösungen für einander prüfen. - An Jesus können wir immer erneut Maß nehmen für unsere gegenseitige Verantwortungsbereitschaft und Leidensfähigkeit ... - An Jesus kann verstanden werden, daß die Liebe als Möglichkeit menschlichen Handeins im Wesen des Gesamtseins vorgegeben ist. - An J esus kann verstanden werden, daß Liebe als Prinzip in allem Weltwerden und Weltbestehen wirkt. - An Jesus kann verstanden werden, daß durch das Prinzip Liebe das sich entwickelnde Sein auf immer höhere Vervollkommnung zuläuft.« Auch hier also eine moralisch qualifizierte Ethik, der wir durchaus unseren Respekt entgegenbringen wollen. Die Frage ist nur, ob hier das Evangelium als Zuspruch dessen ausgelegt wird, was Gott uns gibt - nicht etwa als ein Hinweis auf Möglichkeiten, die wir selbst realisieren müssen. Es bleibt für uns die Frage, daß wir hier einen Dissens zum gemeinchristlichen, aber besonders zum reformatorischen Bekenntnis sehen. Der Vorsitzende nennt dann drei Fragenkreise, in denen jeweils ein Dissensus besteht, der sich aus dem Dissensus in der Gottesfrage und in der Lehre von Christus ableiten läßt. Zum einen
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behaupte Dr. Schulz, der Tod sei etwas ganz Natürliches, mit ihm sei alles zu Ende. Es gebe also bei Dr. Schulz keine christliche Hoffnung. Diese folge aus der Christologie: Christus ist die Auferstehung und das Leben. Wer an ihn glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt (vgl. Joh 11,25). Bei Dr. Schulz sei der Versuch zu vermissen, die christliche Hoffnung von der Christologie her zu durchdenken. Zum anderen sei bei Dr. Schulz die Kirche eine menschliche Gemeinschaft zur Verwirklichung des Prinzips Liebe, eine »communio humana«, eine soziale, nur soziologisch zu beschreibende Größe. Der reformatorische Kirchenbegriff, nach dem die Kirche eine Versammlung der Glaubenden sei, bei denen das Evangelium verkündigt und die Sakramente dargereicht werden, sei aufgegeben. Drittens bedeute die Bekenntnisverpflichtung bei der Ordination für Dr. Schulz lediglich den Eintritt in eine historische Tradition, die er aber durchaus hinter sich lassen könne. Damit versage er sich der Verpflichtung, das Evangelium, wie es in Schrift und Bekenntnis vorgegeben sei, weiterzugeben und zu predigen. Vielmehr setze das Denken die Grenzen des für den Glauben Möglichen und Unmöglichen.
Vorsitzender: Wir haben mit besonderer Besorgnis gehört, was Herr Dr. Schulz' uns wiederholt darüber gesagt hat, wie er den einzelnen Gemeindegliedern je nach der gegebenen religiösen Disposition die erbetene Dienstleistung erbringen würde: dem einen konventionell und dem anderen nicht konventionell. Dieses halten wir für eine beliebige Auswechselbarkeit von Inhalten und können wir nicht als eine Erfüllung eines Auftrags verstehen, der vorgegeben ist. Der Prediger kommt zu vielen Menschen, die gar nicht wissen, ob sie eine religiöse Disposition haben und wie diese aussieht. Er hat einen Auftrag als ein Bote auszurichten. Wenn er diesen Auftrag lediglich aus den vorgegebenen sozialen Bedingungen bestimmt, dann wird Religion beliebig auswechselbar und stellt sich die Frage, wie dieses noch mit dem Auftrag eines christlichen Predigers zusammen gesehen werden kann. Ich fasse abschließend zusammen: Die Theologie von Herrn Dr. Schulz konzentriert sich auf eine moralisch qualifizierte Ethik, der - noch einmal sei es gesagt - der Respekt nicht versagt werden soll. Für diese Ethik nimmt er den historischen Jesus als Initiator in Anspruch. Aber grundsätzlich ist sie von diesem Initiator durch-
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aus ablösbar. Die sogenannten Hamburger zehn Gebote, um die wir uns gestern ein bißchen gestritten haben, können durchaus unter Absehung des für die reformatorische Predigt entscheidenden Leitsatzes »ich bin der Herr Dein Gott« formuliert werden. Hier ist ausschließlich von zwischenmenschlichen Beziehungen die Rede in einer Weise, die ausschließlich »die nobleren unter den Vorurteilen der Wohlstandsgesellschaft zum Inhalt einer Lehre macht, die den Anspruch erhebt, christlich zu sein« (Gutachten v. Weizsäcker S. 72). Für unseren Eindruck stellen diese Hamburger Gebote weder eine Interpretation der zehn Gebote noch eine erkennbar christliche Ethik dar. Sondern sie sind, wie an anderen Stellen von Herrn Dr. Schulz durchaus zum Ausdruck gebracht wird, Folge eines Anspruchsdenkens, das der Mensch in seiner Selbstverwirklichung in zwischenmenschlichen Relationen zu gestalten sucht. Herr Dr. Schulz läßt keinen Zweifel darüber, »daß ich selbst von einem starken Ich-Anspruch geprägt bin.« (Predigten S. 30) Ich zitiere weiter: »Ich habe Anspruch auf Leben. Ich habe Anspruch auf Glück. Ich habe Anspruch auf Freude. Ich habe Anspruch auf Freiheit. Ich habe Anspruch auf Anerkennung. Ich habe Anspruch auf Liebe. Ich habe Anspruch auf Zärtlichkeit. Ich habe Anspruch auf Verständnis. Ich habe Anspruch auf Hilfe. Ich habe Anspruch auf Trost.« Wo von dieser Voraussetzung her gedacht und argumentiert wird, können u. E. auch aus dem Zusammenhang der neutestamentlichen Verkündigung herausgerissene Sätze Jesu nicht die Beweislast dafür tragen, daß ein Denken, das von diesen Ausgangspositionen hergeleitet ist, in der Konsequenz der Nachfolge Jesu bzw. der Nachfolge Christi geschieht. Herr Dr. Schulz faßt vielmehr seinerseits die Quintessenz seiner Lehre in folgenden Sätzen zusammen. Und bei allen Vorbehalten, die wir gemeinsam gegenüber abkürzenden Formeln haben, muß ich sie hier nun doch noch einmal zitieren: »Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß der Tod etwas Endgültiges ist. Daß also jedes Reden von Auferstehung, von Leben nach dem Tod, von einer Identität des Ichs, die sich durch den Tod hindurch durchhält, immer deutlicher zu einer Hoffnung, zu einem Glauben, zu einem Bekennen wird - wider besseres Wissen. Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß es keinen absoluten Sinn des Lebens gibt, der transzendent kontrolliert wird. Daß durchaus die Gefahr
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besteht, daß Leben in Wertlosigkeit, in Sinnlosigkeit umschlagen kann. Daß also Hoffnungslosigkeit keineswegs umfangen sein muß durch eine höhere Seinsqualität. Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß es einen persönlichen Gott, der mich ständig hört, der mir hilft, mich sieht, mich begleitet, als Realität so nicht gibt, sondern daß Gott vielmehr Ausdruck einer Hoffnung des Menschen ist, angesichts von Not und Versagen, von Ängsten und Schwierigkeiten über sich selber hinauszukommen.« (Predigten, S.177) Herr Dr. Schulz hat uns hierzu dargelegt, daß diese Einsichten nicht Endpunkte seiner Theologie seien, sondern der Ausgangspunkt. Und er hat gleichfalls mit Recht darum gebeten, diese Sätze im Gesamtkontext seiner Ausführungen zu sehen. Aber eben darum habe ich mich hier mit dieser zusammenfassenden Darlegung auch meinerseits bemüht. Ich halte diese Sätze in der Tat keineswegs für zufällige Formulierungen, sondern für eine sehr gewichtige Zusammenfassung, die Herr Dr. Schulz uns selbst vorgelegt hat. Spricht er dann von einer offenen Theologie, so bedeutet dieses, daß er seinerseits offen dafür ist, auf Grund einleuchtender Argumente seine denkend gefundenen Thesen zu korrigieren. Dies ist im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit. Aber eine solche offene Theologie bleibt stets Anthropologie, die dem Menschen ins Bewußtsein bringt, daß sein Wissen niemals vollständiges oder endgültiges Wissen sein kann, sondern offen bleibt für bessere Belehrung. Nach dem bei uns entstandenen Eindruck ist diese Offenheit aber etwas fundamental anderes als die Offenheit des Evangeliums, die das Heil und die Zukunft des Menschen aus der Barmherzigkeit Gottes erwartet. Ich möchte zum Schluß sagen: Die strittige Frage ist nicht das Problem der Toleranz. Diese Frage ist ja gelegentlich gestellt worden. Wir haben hier nicht darüber zu befinden, was man in der evangelischen Kirche denken oder sagen darf. Darin gibt es große Freiheit. Wir bestreiten Herrn Dr. Schulz auch nicht, daß er Glied unserer Kirche ist und sich an seinem Teil dafür engagiert, Christ zu sein. Die Frage, um die es geht, ist ausschließlich die, ob mit einer solchen Lehre, wie Herr Dr. Schulz sie entfaltet, sein Auftrag als Pastor so erfüllt ist, daß wir als Kirche sagen können: Dieses steht innerhalb des magnus consensus der predigenden und lehrenden Kirche. Das müßte ja bedeuten, daß wir - wenn auch 163
mit Abstrichen - bereit sein müßten, uns etwa als Mitglieder von Kirchenleitungen mit dem, was ein solcher Pastor sagt, so weit identifizieren zu können, daß wir auch öffentlich eine solche Predigt als Durchführung des der Kirche gestellten Auftrages verteidigen könnten. Diese Frage macht uns große Beschwernis. Wir bitten Herrn Dr. Schulz zu diesen Fragen, wie sie den Fundamentalkonsens bzw. -dissens angehen, in seiner abschließenden Stellungnahme noch einmal das Wort zu nehmen. Wir bleiben offen für das, was Herr Dr. Schulz uns sagen wird. Wir haben leider das uns bedrückende Gefühl, daß in reichlich fünf Jahren der Gespräche auf verschiedenen Ebenen Herr Dr. Schulz sich in keinem Punkt korrigiert hat und auch an keinem Punkt - soweit wir sehen können - irgendwo eine Annäherung zwischen den Gesprächspartnern in Hamburg oder auch hier erreicht worden ist. An keinem Punkt - das müßte ich vielleicht insoweit erläutern: an keinem fundamentalen Punkt. Der Fundamentaldissens steht als offene Frage vor uns. Das bedeutet nicht, daß wir nicht auch unsererseits bis zum Schluß für eine andere Einsicht offenbleiben wollen. Deshalb bitten wir herzlich, daß Herr Dr. Schulz uns dazu eine Erklärung aus seiner Sicht gibt, wie er seine Theologie als Auftrag der Verpflichtung meint verständlich machen zu können, die er bei seiner Ordination als evangelischer Pfarrer übernommen hat: das Evangelium von Jesus Christus zu predigen, wie es in der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments und in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist.
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Die Schlußworte (7. Verhandlungstag)
Der letzte Verhandlungstag ist so gut wie ausschließlich den Schlu ßworten des Betroffenen und seines Beistands vorbehalten. Es handelt sich um Vorträge von dreieinhalb bzw. eineinhalb Stunden Dauer. Dr. Schulz stellt in einem ersten Abschnitt »Stationen aus der Geschichte des Konflikts« dar, wie er es bereits mehrfach - meist etwas weniger ausführlich - getan hat (vgl. Formel S. 191-199). Vgl. dazu die oben S. 9ff. gegebene Einführung in die Vorgeschichte. Dort ist auch auf abweichende Sichtweisen und Bewertungen v~n pr. Schulz Bezug genommen. In einem zweiten Abschnitt» Marginalien zum Verfahrensablauf in Hannover« weist Dr. Schulz auf die später von Dr. Barrelet dargelegten rechtlichen Fragen hin. Er berichtet von erfolglosen Bemühungen von Landesbischof Lohse, das Feststellungsverfahren in letzter Minute in Gesprächen mit ihm, Dr. Schulz, abzuwenden, und vertritt die Meinung, es liege ausschließlich an der Hartnäkkigkeit der Hamburgischen Kirche, daß es zum Verfahren gekommen sei. Danach geht er auf die Zusammensetzung des Spruchkollegiums ein und wiederholt die immer wieder vorgetragene Ansicht, die geltende Lehrmeinung der Kirche sei ihm nicht mitgeteilt worden, weil es diese nicht gebe, und daher könne er auch nicht an ihr gemessen werden.
Dr. Schulz: Nun ist an dieser Stelle von Herrn Bischof Lohse ein Begriff ins Spiel gebracht worden, den ich in meiner ganzen theologischen Arbeit noch nie gehört habe, der sogenannte »magnus consensus«. Also den gibt es offenbar. Nun müßte ich zwangsläufig meine Fragen neu stellen. Wenn behauptet wird, es gäbe einen magnus consensus, dann möge man mir zu meinen neun Fragen nicht die Lehrmeinung der Kirche benennen, sondern den sogenannten magnus consensus. Was ist also der magnus consensus der
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evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland zu meinen Fragen 1-9? Ich stelle hier fest: Dazu ist ein magnus consensus bisher nicht benannt worden. Solange mir dieser Begriff nicht genau definiert und gesagt wird, was magnus consensus ist, behalte ich mir demgegenüber folgende Meinung vor: Der magnus consensus ist so etwas wie die» Volksmeinung« - etwa zur Todesstrafe, das »gesunde Volksempfinden«. Magnus consensus als theologische Kategorie gibt es deshalb nicht, zumindest ist eine einfache Konstatierung eines magnus consensus schon von der Begriffsdefinition für unsere Gespräche unzureichend, ja falsch. So verschwommen kann man sich aus dem Dissens der Meinung nicht herausdrücken. Ich stelle deshalb noch einmal meine neun Fragen an dieses Gremium: Was ist und wie lautet der magnus consensus in all diesen neun Fragen? Beantworten Sie sie nicht, haben Sie wieder einmal in Vorspiegelung falscher Tatsachen nichts als leere Behauptungen aufgestellt. Wo der magnus consensus direkt hergestellt werden könnte, unter Theologen der wissenschaftlichen Theologie nämlich, etwa in der neutestamentlichen Forschung, da weicht er wesentlich von dem ab, was der magnus consensus in der Gemeinde zu sein scheint. Nach welchem magnus consensus werde ich hier eigentlich beurteilt? Nach dem magnus consensus der Theologen an den Universitäten, auf den ich mich berufe, oder nach dem magnus consensus irgendwelcher Gemeindefrömmigkeit? Ich stelle hier die Behauptung auf: Der magnus consensus der modernen Theologie steht ganz unmißverständlich in Richtung meiner theologischen Position. Die Feststellung von Herrn Lohse, ich stünde gegen diesen magnus consensus, widerspricht an allen Stellen den Positionen der modernen theologischen Wissenschaft. Meine Haltung gegenüber diesem Spruchkollegium ist damit deutlich: Ich will keine Gnade. Ich habe deshalb nicht die Absicht gehabt - und werde es weiterhin nicht tun -, mich besonders freundlich zu verhalten, um gleichsam Ihr Wohlwollen zu erreichen. Ich habe mich hier nicht herzitiert. Sie haben als Kirchenleitung diesen juristischen Konflikt heraufbeschworen. Sie sollen auch damit fertigwerden. Ich habe überhaupt keine Veranlassung, Sie hier an irgendeiner Stelle zu schonen. Ich habe rechtzeitig angekündigt, daß ich mitten im Verfahren die Fronten umdrehen werde. Sie sind für mich die eigentlich Angeklagten als Kirche. Sie
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haben hier etwas angezettelt, aus dem Sie sich mit windigen Formulierungen nicht heraus schleichen können. Sie werden letztlich wieder viele Menschen, die nach den zukünftigen Perspektiven der christlichen Botschaft fragen, leerlaufen lassen, indem Sie einerseits behaupten, Sie wüßten es eigentlich grundsätzlich, andererseits aber jede konkrete Antwort umgehen. Ich will deshalb keine Gnade, ich will mein Recht als lutherischer Pastor. Lutherische Pastoren haben sich seit über 400 Jahren eben nicht auf Papisten oder Konzilien berufen, sondern letzten Endes auf ihr eigenes theologisches Gewissen in der Nachfolge J esu. Was Luther einer anmaßenden Papstkirche abgesprochen hat, das spreche ich sinngemäß einer anmaßenden Kirche Luthers ab. Eine Kirche, die eine solche Entscheidung trifft, wie sie im Negativen bevorsteht, wird nicht mehr unsere lutherische Kirche sein, die Kirche des freien Gewissens des einzelnen Geistlichen. Deshalb geht es überhaupt nicht um meine Person hier, selbst wenn in letzter Zeit kolportiert wurde, das ganze Verfahren sei letztlich nichts anderes als das Showgeschäft eines eitlen Pastors. Letztlich sei das also mehr ein Fall für Psychologen als für Theologen. Die Mitteilung, Dr. Schulz habe den Begriff »magnus consensus« bisher »noch nie gehört«, muß überraschen angesichts seines Berichts an anderer Stelle: »Ich habe semesterlang morgens von halb sieben bis halb acht die >Confessio AugustanaKirchenrebellen< hinnahm. Allerdings, als Paul Schulz in neun vorbereiteten Fragen den Spieß umdrehen und das Spruchkollegium selbst sozusagen auf die Anklagebank setzen wollte, machte Bischof Lohse nicht mehr mit.« (G. Seehase, Die Zeit vom 24. 11. 1978). Dr. Schulz beklagt sich in seinem Schlußwort dann darüber, daß das Gutachten nicht ausreichend gewürdigt worden sei, und formuliert selbst »Anmerkungen zu dem Gutachten von Professor von Weizsäcker«. Er zitiert aus dem ersten und letzten Teil des Gutachtens (vgl. S. 67ff.) eine Reihe von Aussagen und bewertet es als ein Plädoyer für den andersdenkenden Menschen in der
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Kirche. Er nehme die dort an ihm geübte Kritik an. Er sei weder Naturwissenschaftler noch Philosoph. Deshalb treffe ihn der Vor-:wurf nicht, er habe sich naturwissenschaftliche Kenntnisse nur angelesen und sei mit der Geschichte der philosophischen Theologie nicht vertraut. An der Naturwissenschaft fasziniere ihn die Fähigkeit, erkenntnismäßig nach vorne hin offen zu sein, während die Theologie bei festgeschriebenen dogmatischen Sätzen beharre. An der Philosophie interessiere ihn die dort verhandelte Gottesfrage nur wenig. Es gehe ihm um die erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Reflexionen (vgl. dazu Formel S. 38ff.). Danach formuliert Dr. Schulz drei Zustimmungen und drei Widersprüche zu den Positionen des Gutachtens: Das Gutachten schildert Etappen des permanenten Umbruchs, der die Geschichte der Kirche kennzeichnet. Dr. Schulz sieht fast die gleichen Perspektiven in seiner eigenen Darstellung geistesgeschichtlicher Entwicklungen zum Ausdruck gebracht (z. B. Formel S. 38-55; Predigten, S. 111-115). Er stimmt weiter der These zu, die Öffnung zur Moderne sei für die Kirche notwendig, auch wenn man nicht den Vorurteilen der eigenen Zeit nachlaufen dürfe. Eine traditionalistische Gegenbewegung bedeute jedenfalls die größere Gefahr. Drittens unterstreicht Dr. Schulz die Forderung, die der Botschaft Jesu verpflichteten Christen sollten dort zur Stelle sein, wo sie in der Welt in Solidarität mit den Zeitgenossen gebraucht würden. Im Gegensatz zum Gutachten sieht sich Dr. Schulz, wo es um den Stellenwert der Gottesfrage geht. Es interessiere ihn wenig, daß seit zwei Jahrtausenden neue Wege in der Gotteslehre gegangen seien. Durch die Aufklärung und die Naturwissenschaft der Neuzeit sei heute ein anderes Bemühen erforderlich. Der zweite Widerspruch bezieht sich auf die Jesus-Frage. Dr. Schulz bestreitet nicht, ein - so verstehe er das Gutachten - Jesus-Bild der bourgeoisen Gesellschaft zu vertreten. Er lebe weder innerhalb des Buddhismus noch in Südamerika. Er müsse so von Jesus sprechen, wie es seine nächste Umwelt betreffe. Der dritte Widerspruch bezieht sich auf das im Gutachten erwähnte Urteil vieler Menschen über die Kirche, diese habe als Relikt der Vergangenheit ihre weltgeschichtliche Rolle ausgespielt. Er, Dr. Schulz, sei anderer Meinung und versuche, die Kirche von innen her zu verändern.
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In einem vierten Teil spricht Dr. Schulz dann über »Brückenschläge zwischen den widerstreitenden theologischen Positionen«. Dort heißt es (bei Auslassung von Wiederholungen):
Dr. Schulz: Ad 1: Gott-Kritik Ich habe unmißverständlich gesagt und halte hiermit als meine Grundposition fest: Redet der Mensch von Gott, redet er von sich selbst. Alles RedendesMenschen von Got'tist Redenvon unten auf Gott zu . Die Vorstellung einer Gott-Person aus dem Jenseits ist heutzutage nicht mehr zu vertreten. Alle Bilder von Gott als Person sind überholte Bilder, gegenüber den modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen einfach nicht durchzuhalten. Angesichts der modernen Naturwissenschaften, der Astrophysik, der Biochemie, gilt es aber nun nicht, Gott zu leugnen, sondern Gott neu zur Sprache zu bringen. Von Gott muß in Zukunft in viel gewaltigeren Bildern gesprochen werden als bisher. In summa: «Es gibt einen Himalaya, es gibt einen Bodensee, Gott gibt es nicht« - dieser Satz, vor etwa 15 Jahren von Professor Metzger aus Mainz formuliert, dieser Satz steht - gegen jedwedes Personendenken. Das heißt: Das »christliche Reden von Gott« ist eine Grundposition der modernen Theologie und damit allen zukünftigen Redens von Gott überhaupt. Der Brückenschlag in der Gottesfrage : Sein und Seiendes Den Brückenschlag sehe ich darin: »Redet der Mensch von Gott, dann redet er von sich selbst« - damit ist das »Sein an sich« in seiner Qualität nicht begrenzt. Die Wirklichkeit an sich geht wesentlich dem voraus, was der Mensch je erkannt hat und wahrscheinlich je erkennen wird. Ich nehme hier philosophisch einen Begriff von Heidegger auf, nämlich die Unterscheidung zwischen Sein und Seiendem. Fast »platonisch« sage ich: Allem Seienden voraus geht das Sein. Damit bin ich ganz nahe dem Satz: Allem Seienden voraus geht Gott - nur daß ich Gott eben nicht als Person benenne. Der Unterschied zwischen uns ist nicht der, daß ich dem Seienden voraus kein Sein definiere, ganz im Gegenteil! Nur daß ich das Sein als solches nicht mit einem Personenbild , sondern als Prinzip, als Funktion beschreibe.
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Die kritische Frage zwischen uns ist jetzt ganz genau die: Ist die Beschreibung dieses Seins an sich in nicht-personhaften Formeln von einem solchen gravierenden Unterschied gegenüber der lutherischen Dogmatik, daß das zu einem nicht überbrückbaren Dissens führen muß? An dieser Stelle ist unsere Konfrontation nicht ausdiskutiert. Von hier aus wäre nämlich die Frage nach Gott zwischen Herrn Wendebourg und mir überhaupt noch einmal neu zu stellen: Wo liegt eigentlich der unüberbrückbare Dissens in der Gottesfrage zwischen uns? Wenigstens liegt der Dissens nicht darin, daß meine Definition des Seins nicht die klassische Theologie mit dem Augustinischen, Lutherischen, Barthschen »Gott ist das ganz andere« abdecken könnte. Ad 2: Jesus-Kritik Es ist ganz unmißverständlich, daß ein sachgerechtes Reden über J esus Christus heute nicht vollzogen werden kann ohne die Masse von elementaren wissenschaftlichen Ergebnissen zum historischen Jesus einerseits und kerygmatischen Christus andererseits. Dabei ziehe ich wesentliche Konsequenzen daraus, daß alles, was an Hoheitstiteln - wir haben das hier mit Prof. Friedrich zumindest angedeutet -, daß alles, was an Hoheitstiteln Jesus transzendiert, nicht Positionen des historischen Lebens der irdischen Gestalt Jesu sind, sondern Positionen des Kerygmas, des Bekennens der Urgemeinde, also nicht in den historischen Jesus hineingehören, sondern in den kerygmatischen Christus. Das ist für einen Theologen sofort eingängig, selbst wenn es für einen Laien im ersten Augenblick kompliziert erscheint. Dies heißt aber in der Konsequenz, daß wesentliche Aussagen gerade reformatorischer Theologie infolge der historisch-kritischen Forschung nicht in den historischen J esus hineingehören zum Beispiel die gesamte Rechtfertigungslehre -, sondern in die folgende paulinische Interpretation des historischen Jesus. Es gibt für mich überhaupt gar keinen Grund, in der Jesus-Frage nicht das' zur Anwendung zu bringen, was die historische kritische Forschung zur Verfügung stellt. So komme ich schließlich zwangsläufig zu dem Satz: Jesus war ein Mensch wie jeder Mensch sonst auch.
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Der Brückenschlag in der Jesus-Frage: Der Glaube Der Brückenschlag in der Jesus-Frage liegt im Begriff »Glaube«. Glaube bedeutet im Sinne Bultmannscher Interpretation nicht ein Fürwahrhalten irgendwelcher komischen Dinge, sondern beschreibt die existentielle Betroffenheit des einzelnen, das persönliche Risiko, sich auf etwas hin zu wagen. Das, was den historischen J esus qualifiziert in der christlichen Tradition und in meiner eigenen Nachfolge , ist ebendieses persönliche Risiko, das wir Glauben nennen, nämlich eine Lebensentscheidung' auf Jesus hin. Jesus wird so zu einer Betroffenheit, zu einer letztgültigen Qualität, die zum Beispiel in der frühchristlichen Tradition mit Begriffen wie »König«, »Christus«, »Hohepriester«, »Herr« beschrieben worden ist. Was den Menschen J esus transzendiert, ist der persönliche Glaube des einzelnen, der nicht nur mein spezielles Bekenntnis zu Jesus möglich macht, sondern darüber hinaus auch das Bekennen jedweder Christen in der Tradition verständlich macht. Glaube in den verschiedenartigen historischen Konkretionen ist somit als existentielle Entscheidung eine große Vielfalt von persönlichen Wagnissen. Daß aber zu verschiedenen Zeiten Menschen mit verschiedenen Sprachformeln ihren Glauben konkretisiert haben, bedingt erstens nicht, daß ich genau in deren Sprachbildern reden müßte noch, daß ich mit meinen Sprachbildern deren Glaubensstand disqualifizieren würde. Die persönliche existentielle Betroffenheit, der Glaube jedes einzelnen Menschen hat, kann und wird durch die Jahrhunderte hindurch das Phänomen »Jesus« immer wieder anders, immer wieder neu beschrieben. In diesem Glaubensbegriff von dem historischen Jesus auf den kerygmatischen Christus hin liegt die Offenheit unseres Gespräches. Ad 3: Kirchen- und Bekenntniskritik Ganz ohne Frage habe ich Ihnen hier sichtbar gemacht, und ich habe das auch in meinen Büchern geschrieben, daß die sichtbare Kirche, die ecclesia visibilis, mit ihrer Amtshierarchie und mit ihren dogmatischen Strukturen ein weltlich Ding ist. Auch alle Bekenntnisse sind historische weltliche Erkenntnis-Positionen, also relativ. Nichts ist aus meiner Sicht letztlich an der bestependen Kirche als besonders heilig zu qualifizieren, auch Ihre Bekenntnis-
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se nicht. Diese stammen nicht aus einer göttlichen Offenbarung, sondern sind historische Positionen innerhalb eines historischen Ablaufs. Bis ins Detail gerade der Confessio Augustana 1530 läßt sich diese These beweisen. Der Brückenschlag in der Kirchen- und Bekenntnisfrage: Konkretion und Funktion Der Brückenschlag liegt in meinem Versuch, Ihnen mit den Begriffen »Konkretion eines Bekenntnisses« und »Funktion eines Bekenntnisses« meine Position einsichtig zu machen. Ich halte diese Unterscheidung aus meiner Sicht für besonders glücklich. Ich meine, daß in diesem Erklärungsversuch von der Konkretion eines Bekenntnisses auf die Funktion eines Bekenntnisses hin zwischen uns ein weites Feld der Möglichkeiten der Verständigung besteht. Ich zumindest habe keine grundsätzliche Mühe, in der Funktion meines Bekennens alte Konkretionen wiederaufzunehmen, um darin neue Konkretisierungen sichtbar zu machen. So habe ich, für manche überraschend, die alte Konkretion des l. Artikels des Kleinen Katechismus Luthers als eine Konkretion von Bekennen anerkennen können. 'Wer aber wollte das Risiko leugnen, daß gerade auch diese alten Konkretionen durchstoßen werden müssen, um die Funktion des christlichen Bekennens heute aufrechtzuerhalten? Auch hier befinden wir uns, meine Herren, am Anfang des Gespräches und nicht am Ende. Ad 4: Grundwerte-Kritik Es gibt - dies habe ich in meinem kritischen Satz: »Ich habe mich bekannt zu ... « definiert - keinen absoluten Sinn, der transzendent kontrolliert wird. Es gibt nur relativen Sinn, Sinn, der vom Menschen aus gesetzt ist. Ich will die ganze Debatte, die ich ja in meinen Büchern versucht habe zu belegen, hier jetzt Ihnen nicht noch mal vorführen. Ich bekenne mich zu diesem Satz, ~aß aus der derzeitigen Wirklichkeitserkenntnis nirgendwo ein inhärenter ethischer Wert benannt werden könnte, der als Absolutum universaler Entwicklungen gelten könnte.
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Der Brückenschlag in der Grundwertefrage: Jesu Botschaft von der Liebe Aber nun genau an der Stelle ist ein Brückenschlag von großer Bedeutung zwischen uns möglich. Gibt es keinen absoluten Wert, so sind wir als Christen geradezu wesentlich verpflichtet, Wert zu setzen. Und unser Auftrag, unser Spezifikum des Christseins, ist gerade jene Möglichkeit, im Namen Jesu mit der »Liebe« einen Wert zu setzen, der als Grundwert auf allgemeine Anerkennung zielt. Die Erkenntnis der grundsätzlichen Wertlosigkeit der Dinge führt den Christen eben nicht zum Nihilismus, sondern in das direkte Risiko auf Jesus hin, nämlich in die Mitte seiner Botschaft der Nächstenliebe. Alle christlich bewußten Menschen hatten und haben recht, wenn sie gegen alle Infragestellungen den Zentralwert der Botschaft Jesu, das Prinzip Liebe, aufrechterhalten und durchsetzen. Ich sehe nicht, wo eigentlich hier der Abbruch des Gespräches zwi~ sehen uns nötig, ja, möglich ist? Ad 5: Eschatologie-Kritik Es geht schließlich um Tod und ewiges Leben. Auch hier werde ich grundsätzlich zu meinen Aussagen stehen. Ich habe ausführlich dargetan, warum ich sage, daß der Tod etwas Letztgültiges ist. Er ist es über weite Strecken im Alten Testament - als ein Beispiel dafür, daß Menschen an Gott glauben können, ohne je von einem Leben nach dem Tod zu sprechen. Ich verstehe den Vorwurf in dem Schlußplädoyer von Herrn Professor Lohse nicht: Schulz hat keine Eschatologie. Wo steht das eigentlich? Schulz hat keine Apokalyptik - allein das stimmt. Der Brückenschlag in der Eschatologie: Die basileia tou theou Wesentlich ist, daß die eschatologische Dimension des Redens Jesu und von J esus in dem Begriff der »basileia tou theou« gegeben ist. Dies habe ich Ihnen hier ausführlich versucht deutlich zu machen: 1. daß die basileia tou theou in der Botschaft Jesu grundsätzlich nicht mit apokalyptischen Dingen behaftet sein müßte das war meine neutestamentlich-wissenschaftliche Prämisse; 2. daß in dieser basileia tou theou ein Entwurf einer alternativen
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Welt mit anderen Selbstverständlichkeiten beschrieben ist, selbst dann, wenn es nicht über unsere Welt hinaus transzendiert wirddas war meine systematische Explikation. Diese basileia tou theou ist im modernen Denkvollzug der Theologie »realized eschatology«, bereits vergegenwärtigte Eschatologie. Dies ist nicht eine theologische Position, die Schulz erfunden hat, sondern auf die sich Schulz beruft. Sie sichert zu, daß ein Theologe wesenshaft von christlicher Eschatologie spricht, wenn er von der anderen Qualität der diesseitigen Welt spricht. Das also sind meine fünfBrückenschläge. Es sind nicht und fordert nicht Preisgaben von Positionen. Es sind vielmehr klare »loci«, von denen her unser Gespräch eigentlich erst in Gang kommt. Es kann gar keine Frage sein, daß es zugleich Positionen sind, die innerhalb unserer evangelisch-lutherischen Kirche möglich sind und möglich bleiben werden - selbst wenn Sie Schulz dafür aus dieser Kirche eliminieren. In einem letzten Teil» Dimensionen allgemeiner gesellschaftlicher Umbrüche« geht Dr. Schulz noch einmal auf die gegenwärtige Lage in Welt, Gesellschaft und Kirche ein, die alle Anzeichen einer tiefgreifenden Krise trage. In einer solchen Situation könne das Spruchkollegium zu einer Position wie der von ihm, Dr. Schulz, vertretenen weder ja noch nein sagen. Es sei allein angemessen, den dem Spruchkollegium gegebenen Auftrag an die Kirche zurückzugeben und den Streit um die Wahrheit wieder in die Auseinandersetzung der Theologen und aller denkenden Menschen zurückzuverlegen. Dr. Schulz legt dann abschließend noch einmal dar, daß es ihm um eine Neuorientierung des Redens von Gott gehe, während sich die Kirche um der Aufrechterhaltung ihrer institutionellen Macht willen gegen solche Versuche wehre. Diese Ausführungen von Dr. Schulz lassen sich der Sache nach, überwiegend sogar im Wortlaut, bereits an anderer Stelle nachlesen (vgl. Predigten, S. 92-94). Nach einer Verhandlungspause erhält Dr. Barrelet Gelegenheit, sein Schlu ßwort zu sprechen. Er geht zunächst auf die kirchengeschichtliche Bedeutung des Verfahrens ein. Dr. Schulz stehe für eine ganze Gruppe moderner Theologen. Nachdem Dr. Barrelet an das Presseecho erinnert hat, wendet er sich juristischen Fra-
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gen zu. (Auch bei diesem Schlußwort sind erhebliche Kürzungen vorgenommen worden).
Dr. Barrelet: Die rechtliche Grundlage, auf der wir uns hier bewegen, ist Art. 140 des Grundgesetzes, und nach Art. 140 des Grundgesetzes gelten für den kirchlichen Bereich noch die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, speziell für diesen Fall Art. 137 Abs. 3: »Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes, sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.« Diese Vorschrift bedeutet für die Kirche eine sehr weitgehende Autonomie mit der einen Einschränkung eben, daß die für alle geltenden Gesetze die Schranke für die kirchliche Autonomie darstellen. Das ist die sogenannte Schrankenklausel, wie die juristischen Kommentare das nennen, und die Frage ist, was diese sogenannte Schrankenklausel bedeutet. Maunz-Dürig-Herzog: Die Schrankenklausel wahrt unter Beachtung des Wertsystems des Grundgesetzes die Einheit der Staatsgewalt. Soweit allgemeine Gesetze weltliche Rechtsfragen regeln, stehen Religionsgemeinschaften nicht außerhalb dieser Gesetze. Ein solches Gesetz, dessen Geltung für jedermann unbestritten ist, ist Art. 101 des Grundgesetzes. Dieser Artikel lautet: »Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetze errichtet werden.« Das bedeutet wenn ich noch einmal den Standardkommentar von Maunz-Dürig-Herzog zitieren darf -: »Ausnahme gerichte sind solche Gerichte, die nicht durch generelle Vorschriften für alle Streitfälle mit gleichem Streitgegenstand, sondern durch individuelle Anordnung für einen einzelnen Streitfall eingesetzt sind.« Gegen diese Vorschrift, meine Herren, verstößt das Kirchengesetz vom 16. Juni 1956 in eklatanter Weise. Die Befolgung des Grundgesetzes würde die Regelung der kirchlichen Fragen durch die Kirche überhaupt nicht beeinträchtigen, so daß die Kirche sich an dieses allgemeine Gesetz aus meiner Sicht nach Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung zu halten verpflichtet ist. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen muß also die personelle Zusammensetzung eines Gerichts vor Beginn eines konkreten Verfah-
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rens feststehen, z. B. für ein oder mehrere Jahre. Es darf nicht für ein bestimmtes Verfahren besonders zusammengestellt werden. Im vorliegenden Fall dieses Kirchengesetzes kommt erschwerend hinzu, daß dem Betroffenen als einzelnem Institutionen der Kirche sowohl als »Anklagebehörde«, als Gremium, das den Spruchkörper ernennt für den Einzelfall- Senat für Lehrfragen -, und als Spruchkollegium gegenüberstehen. Eine für einen Juristen ganz überwältigende Demonstration ungleicher Behandlung. Wenn man dann noch bedenkt, daß zwischen dem Vorsitzenden des Senats für Lehrfragen und demjenigen des Spruchkollegiums in der Regel Personalunion besteht und daß die Gliedkirche, die den Geistlichen anschuldigt, gemäß § 24 Abs. 2 des Gesetzes dem Senat für Lehrfragen vier Mitglieder - also die Mehrheit - vorschlagen kann, was in Hamburg wiederum Aufgabe desselben Kirchenrates war, der die Einleitung des förmlichen Verfahrens beschlossen hat, daß dagegen schließlich der Betroffene selbst nur einen Dreiervorschlag machen darf, aus dem der Senat für Lehrfragen ein Mitglied auswählen kann - er kann sogar alle drei Mitglieder verwerfen, das ist hier nicht geschehen, es ist eine rein grundsätzliche Frage -, dann muß der Geistliche sich von vornherein gegenüber diesem Gesetz auf verlorenem Posten fühlen. Hier kann von rechtsstaatlicher oder auch nur rechtsstaatähnlicher Besetzung eines Spruchkörpers keine Rede mehr sein. Hier sind Kläger und Richter so eng in einer Institution beieinander, daß eine objektive Rechtsfindung vom Prinzip her nicht gewährleistet ist, mag sie nun im Einzelfall trotzdem gelingen oder nicht. Eine rechtsstaatlich zulässige, denkbare Möglichkeit wäre, daß die Generalsynode jeweils für einen bestimmten Zeitraum die Richter für derartige Verfahren bestimmt, wobei Vorsorge für den Fall von Krankheit und Verhinderung und insbesondere den der Befangenheit zu treffen wäre, und ich meine, ein solches Gesetz müßte - genau im Gegensatz zu dem heutigen Gesetz- die Bestimmung enthalten, daß Richter, die der antragstellenden Gliedkirche angehören, in jedem Fall kraft Gesetzes als befangen auszuscheiden haben. Verfassungsrechtlich korrekt sind in diesem Verfahren nur der Vorsitzende und Herr Gehrmann berufen - der Vorsitzende als Vorsitzender kraft Amtes durch Gesetz und Herr Gehrmann durch die grundsätzliche Wahl für alle auftretenden Fälle während der Wahlperiode. Dabei klammere ich einmal das 179
besondere Problem, das durch die Beendigung der Amtszeit des Herrn Vorsitzenden inzwischen aufgetreten ist, aus. Die anderen Herren sind von der Kirche speziell für dieses Verfahren benannt worden. Das konkrete Ergebnis zeigt - Pastor Schulz wies schon darauf hin -, daß die Mehrheit des Kollegiums, nämlich vier Herren, der antragstellenden nordelbisch.en Kirche angehören. Dieses ist keine rechtsstaatlich zulässige Besetzung eines Spruchkörpers, der nicht nur über theologische Streitfragen berät - das wäre ja schön, nur es ist eben mehr -, der iri der Konsequenz über den Entzug der Rechte aus der Ordination und damit über die theologische und berufliche Existenz des betroffenen Geistlichen befindet. Ergebnis: Das Kirchengesetz ist verfassungswidrig, soweit es die Berufung des Spruchkollegiums betrifft. Das heißt weiter, die Durchführung des im Kirchengesetz vorgesehenen Lehrbeanstandungsverfahrens mit dem Ziel, Feststellungen zu treffen, die automatisch den Verlust der mit der Ordination verbundenen Rechte bedeuten, ist ebenfalls verfassungswidrig. Eine etwa gegen Pastor Schulz ergehende Entscheidung würde - da sie dem Grundgesetz widerspricht - keinen Bestand haben können. Ich meine, das Kirchengesetz ist insoweit auch verfassungswidrig, als keine hinreichend bestimmten materiellen Rechtsgrundlagen . vorhanden sind. Dieser Rechtsgedanke findet z. B. für Strafverfahren - dieses ist keins, ich sage es auch nur als Beispiel- seinen Ausdruck in Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes, wo es heißt, eine Tat könne nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Gesetz im Sinne dieser Vorschrift ist jeder geschriebene Rechtssatz, Gesetze im formellen Sinne, Rechtsverordnungen und autonome Satzungen. Die Tatbestände müssen so formuliert sein, daß sie eine feste und zuverlässige Grundlage für die Rechtsprechung bilden. Ich meine, die hier vorliegenden Gesetze erfüllen diese Voraussetzung nicht. Grundlage dieses Verfahrens sind die Lehrordnung vom 16. Juni 1956 und das Kirchengesetz für das Verfahren bei Lehrbeanstandungen vom gleichen Tage. Das letztere ist im wesentlichen Verfahrensrecht, wenngleich § 1 einige materielle Hinweise enthält. Die Lehrordnung verweist auf die Heilige Schrift, die Bekenntnisschriften und in Ziff. 4,3. Absatz daraut', daß in der öffentlichen Lehrdarbietung bestimmte unüberschreitbare Grenzen gewahrt werden müssen. Ich wiederhole das noch einmal: bestimmte un180
überschreitbare Grenzen gewahrt werden müssen. Dieses ist nun in der Tat das genaue Gegenteil eines fest umrissenen Tatbestandes. Meine Herren, wir sind uns in diesem Raum ja einig, daß die materielle Grundlage dieses Verfahrens die Heilige Schrift und die Bekenntnisschriften sind. Aber wir sind uns auch darüber einig, daß diese bei der heutigen Bezeugung der Auslegung bedürfen, und daß dieses für Herrn Pastor Schulz aus Art. 1 des Hamburgischen Durchführungsgesetzes folgt. Und nun muß ich auch noch einmal - und nehmen Sie es mir nicht übel, es ist alles gar nicht böse gemeint - ich muß noch einmal auf den magnus consensus zurückkommen. Wenn ich unterstelle, es gäbe den magnus consensus, dann müßte es doch möglich sein, ihn zu beschreiben, ihn abzugrenzen. Wenn es möglich ist, dann frage ich, warum ist es nicht geschehen? Und da muß ich nun sagen, dies kann nicht geschehen mit Vorlage des Großen oder Kleinen Katechismus. Diese haben wir ja, sie sind bekannt. Es geht doch um die Frage, wie legen wir den Katechismus heute aus und was dürfen wir da sagen. Und wir haben wirklich oft genug gefragt, und ich würde sagen, ich kann für mich in Anspruch nehmen, auch immer versucht zu haben, freundlich zu fragen - aber ich habe keine Antwort bekommen. Ich habe keine Antwort bekommen, und ich meine, das Votum, auf das wir nachher noch zu sprechen kommen, sagt zwar wieder negativ Bedenken, die gegen Herrn Schulz bestehen, aber ich habe positive Abgrenzungen dort nicht finden können. Nun kommt ein weiteres, und das ist jetzt wieder ein Kernproblem, ein Kernproblem der Verfassungsmäßigkeit richterlicher Tätigkeit. Sie sind ein Spruchkollegium, d. h. Sie stehen in der Position eines Gerichts - Sie sind nicht ein Gesetzgeber. Es kann nicht so sein, daß Sie den magnus consensus, wenn es denn so ist, daß dieser jetzt die Grundlage dieses Verfahrens ist - daß Sie den festlegen. Dieser muß vorher festgelegt und abgegrenzt sein, wenn man hier Recht sprechen will. Darauf kommt es an. Sie haben ja einen Gesetzgeber, das ist die Generalsynode. Nun frage ich Sie: Welche Generalsynode hat wann welchen magnus consensus beschlossen? Wenn Sie mir diese Frage beantworten, dann können wir vielleicht wieder über ein rechtsstaatkonformes Verfahren sprechen. Das Kirchengesetz in seiner jetzigen Form ist ein Prozeßgesetz. Es entspricht etwa der ZPO oder der StPO mit einem 181
kleinen, in § 1 eingebauten, materiellen Teil- das ist aber nicht viel. Es sagt nichts darüber aus, in welcher Weise Lehre heute ausgelegt werden muß, und solange diese Grenzen von dem allein dafür zuständigen Gesetzgeber nicht festgelegt sind, gibt es für dieses Verfahren keine materielle Rechtsgrundlage. Ich halte das ebenfalls für eine nicht verfassungslegitime Form der rechtsprechenden Tätigkeit. Dr. Barrelet hebt dann hervor, daß es sich nicht um ein Disziplinarverfahren wegen Unbotmäßigkeit, Eitelkeit, provozjerenden Benehmens oder unausgereifter Gedanken handle. Er charakterisiert das Verfahren vielmehr als Inquisitionsprozeß. Dr. Schulzsei auf Verkündigungs- und Glaubensleistungen hin abgefragt worden. Als Dr. Schulz seinerseits Fragen gestellt habe, sei ihm gesagt worden, das sei unevangelisch. Dr. Barrelet seinerseits hält das ganze Verfahren für unevangelisch. Das Paradoxon, über evangelische Verkündigung zu judizieren, sei nicht lösbar. Dr. Barrelet kritisiert dann das Hamburger Vorverfahren wegen phasenweiser übergroßer Eile. Er betrachtet die Gespräche mit dem Spruchkollegium als nicht abgeschlossen und verlangt deren Neuaufnahme, womöglich im kleineren Kreise. Dr. Schulz sei kein Revolutionär, kein Heide und nicht der Anti-Christ. Er habe vorbildliche Gemeindearbeit geleistet und Menschen, die Schwierigkeiten mit der Kirche hatten, neu an die Kirche heranführen. wollen. Danach nimmt Dr. Barrelet auch seinerseits zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft Stellung und wertet das Gutachten von Prof. von Weizsäcker ähnlich wie Dr. Schulz es getan hatte. Dr. Schulz habe verkündigt, was er auf der Universität gelernt habe. Ein Fundamentaldissens im Sinne des Lehrbeanstandungsgesetzes liege nicht vor. Schon gar nicht sei ein solcher dem Betroffenen erkennbar. Beides seien Voraussetzungen für einen negativen Spruch des Kollegiums. Falls das Kollegium anders urteile, müsse darauf hingewiesen werden, daß die vom Gesetz vorausgesetzte Beharrlichkeit im Festhalten der kritisierten Positionen von Dr. Schulz stets bestritten worden sei, auch schon in seinen Büchern. Er wolle gerade das Denken in Flu ß halten.
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Dr. Rarrelet: Meine Herren! Ich habe zitiert und ich zitiere es noch einmal: Alle Lehrordnung hat ein positives Ziel. Ich meine, daß dieses bisher nicht in ausreichendem Maße versucht worden ist. Und wenn Sie alles, was ich bisher gesagt habe, für falsch halten und nicht akzeptieren, dann muß eben das Verfahren seinen Fortgang nehmen. Herr Schulz hat Gesprächsbrücken heute morgen angeboten. Er müßte eine Antwort erhalten, ob diese Brücken begehbar sind, und man müßte versuchen, wie man hier zu einem Konsensus kommt, soweit er noch nicht vorhanden ist. Herr Schulz sucht den Konsens; er hat das heute morgen deutlich gemacht. Falls Sie nicht der Meinung sind, das bisherige Ergebnis der Gespräche reiche in seinem Sinne aus, muß dann eben eine Fortsetzung des Gesprächs erfolgen. Ich habe vorhin auch schon einmal auf § 15 des Kirchengesetzes hingewiesen. Wenn Sie der Meinung sind - und dafür spräche einiges -, es wäre schwierig, in diesem großen Gremium Glaubensgespräche im einzelnen fortzusetzen, hätten Sie die Möglichkeit, Herr Vorsitzender, zwei der Herren, z. B. die Professoren Friedrich und Stegemann, zur Vorbereitung der weiteren Verhandlung zu beauftragen mit dem gezielten Auftrag, im kleinen Kreis ausführlich die noch strittigen Probleme zu erörtern. Das wäre durchaus eine Möglichkeit, wenn Sie denn unbedingt meinen würden, das Verfahren noch fortsetzen zu müssen. Nun muß ich eine letzte Sache noch ansprechen. Im Votum heißt es auf Seite 19: »Die strittige Frage ist nicht das Problem der Toleranz.« Dieser Satz gleicht, ich würde sagen, einer Beschwörungsformel. Indem man sagt, etwas sei nicht so wie es tatsächlich ist, meint man erreichen zu können, daß es wirklich nicht so ist. Und dazu sage ich Ihnen: Wenn Sie diesen Satz noch so oft wiederholen, das Ergebnis dieses Verfahrens wird aller Welt zeigen, wieviel Toleranz - noch schärfer: wieviel evangelische Freiheit - in dieser evangelisch-lutherischen Kirche noch möglich ist. Dieses Kollegium hat vom Kirchengesetzgeber einen unbegrenzten Freiraum der Entscheidung übertragen bekommen, aus meiner Sicht einen zu weiten. Dieses Kollegium kann sich bei seiner Entscheidung hinter niemandem mehr verstecken. Sie allein stehen jetzt vor der Verantwortung, und an Ihrem Spruch wird das gemessen, was ich als evangelischen Freiheitsraum bezeichnen möchte.
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Dr. Barrelet erinnert dann nochmals daran, daß die berufliche und theologische Existenz eines Menschen auf dem Spiel stehe. Ihm gegenüber sei ein kleines Stück jener Großzügigkeit angebracht, die nach Meinung von Dr. Barrelet die Organe der evangelischen Kirche in übergroßem Maße den Gruppen entgegenbringen, die die orthodoxe Richtung vertreten, Veranstaltungen wie den Kirchentag zu sprengen drohen und zu einem großen Teil Verantwortung an der Kirchenflucht der Gegenwart tragen - wie Dr. Barrelet sie charakterisiert. Abschließend empfiehlt Dr. Barrelet dem Spruchkollegium, den Rat des Gamaliel (Apg. 5,34ff.) zu bedenken, und faßt seine Ausführungen folgendermaßen zusammen:
Dr. Barrelet: 1. Das Verfahren ist verfassungswidrig. 2. In der Sache muß festgestellt werden, daß die Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 1a nicht vorliegen. 3. Falls Sie in Ihrer Abstimmung eine qualifizierte Mehrheit nicht erreichen, muß das Verfahren eingestellt werden - das folgt aus dem Gesetz. 4. Falls Sie noch Bedenken gegen die Verkündigung von Pastor Schulz haben, dann ist aus meiner Sicht das Verfahren noch nicht abgeschlossen. Dann müßte das Lehrverfahren mit dem Ziel, Positives zu erreichen, fortgesetzt werden. Die Probleme müssen ausdiskutiert werden. Es muß geklärt werden, wo die Grenzen des magnus consensus liegen. Daraus ergeben sich die folgenden Anträge: 1. In formeller Hinsicht muß ich, obwohl nach diesseitiger Auffassung eine solche Entscheidung ohnehin von Amts wegen zu treffen ist, beantragen: Das Verfahren einzustellen, weil das Kirchengesetz vom 16. Juni 1956 dem insoweit anzuwendenden Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland widerspricht, und zwar: a) hinsichtlich der Besetzung des Spruchkollegiums; b) weil hinreichend bestimmbare materiell-rechtliche Vorschriften, aus denen ein Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche festgestellt werden könnte, in jeder Hinsicht fehlen. 184
11. In sachlicher Hinsicht beantrage ich: 1. festzustellen, daß ein Fall des § 18 Abs. la des Kirchengesetzes nicht vorliegt und Pastor Dr. Paul Schulz mithin fähig bleibt, eine amtliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst auszuüben (§ 18 Abs. Ib des Kirchengesetzes); 2. hilfsweise: Das Verfahren einzustellen (§ 18 Abs. 3). 3. Ganz hilfsweise: Die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und a) das Gespräch über Gottesfragen und Christologie fortzusetzen; b) das Gutachten eines Hochschullehrers der systematischen Theologie einzuholen darüber, welches Inhalt und Grenzen des sogenannten »magnus consensus« sind. Als Gutachter werden vorgeschlagen die Professoren Dr. Moltmann und Dr. Pannenberg.
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Der Spruch und seine Begründung
Wie die Abstimmung im Schulz-Verfahren im einzelnen ausging, ' wissen nurdie Mitgliederdes Spruchkollegiumsselbst. DerSpruch und seine Begründung sind jedenfalls mit Datum vom 21. Februar 1979 unterzeichnet, und zwar von allen Mitgliedern. Rückschlüsse auf das Abstimmungsergebnis können von dort aus nur begrenzt gezogen werden. Es ist im Lehrbeanstandungsgesetz zwingend vorgeschrieben, daß alle Mitglieder unterzeichnen ohne Rücksicht auf ihr persönliches Abstimmungsverhalten. Da ein Spruch aber nur mit mindestens fünf der sieben Stimmen zustandekommen kann, haben entweder kein oder ein oder höchstens zwei Mitglieder eine Gegenstimme abgegeben oder sich der Stimme enthalten. Der Spruch mit seiner Begründung wurde dann dem Senat für Lehrfragen der VELKD zugestellt. Dessen gesetzlich geregelte Aufgabe bestand lediglich in der Entgegennahme der Entscheidung und in der Zustellung des Spruchs mit der Begründung an den Betroffenen und an die Nordelbische Kirche. Dies erfolgte am 19. März 1979. Im Gesetz ist vorgeschrieben, daß der Betroffene daraufhin zu entlassen ist. Die von Dr. Schulz gegen den Spruch eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß vom 6. April 1979). Spruch und Begründung lauten:
SPRUCH In dem Feststellungsverfahren gegen Pastor Dr. theol. Paul Schulz, geboren am 29. August 1937, wohnhaft J acobikirchhof 9, 2000 Hamburg 1, hat das Spruchkollegium, bestehend aus
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Dr. theol. E. Lohse, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (Vorsitzender), Dr. theol. G. Friedrich, Professor der Theologie in Kiel, Dr. jur. H. Gehrmann, Vorsitzender Richter am Landgericht in Lübeck, eh. Kretschmar, Pastor in Kiel, Dr. jur. G. Ostermeyer, Vorsitzender Richter am Landgericht in Hamburg, Dr. theol. Dr. phil. H. Stegemann, Professor der Theologie in Marburg, Dr. theol. E. W. Wendebourg, Pfarrer und Prodekan in München, in seiner Sitzung am 21. Februar 1979 gemäß § 18 Absatz 1 Buchstabe a) des Kirchengesetzes über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen vom 16. Juni 1956 folgende Entscheidung getroffen: Aufgrund der mündlichen Verhandlungen am 14./15. November 1977,16./17. November 1978, 4./5. Dezember 1978 und 23. Januar 1979 stellt das Spruchkollegium fest: Pastor Dr. theol. Paul Schulz ist öffentlich durch Wort und Schrift in der Darbietung der christlichen Lehre in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelischlutherischen Kirche getreten und hält daran beharrlich fest. Er ist mithin nicht mehr fähig, eine amtliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst auszuüben.
Begründung
I. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Durchführung des Verfahrens bestehen nicht. Es handelt sich um ein in der verfassungsrechtlich anerkannten Autonomie der Kirche (Art. 140 GGI 187
137 Abs. 3 WRV) gesetzlich geordnetes Feststellungsverfahren, nicht aber um ein Gerichtsverfahren. Dazu übt die Kirche in diesem Zusammenhang nicht öffentliche Gewalt aus. So greifen hier weder der »Schrankenvorbehalt« noch andere Bestimmungen des Grundgesetzes. Im übrigen läge nach herrschender Lehre selbst dann kein Ausnahmegericht im Sinne von Artikel 101 GG vor, wenn man das Spruchkollegium als Gericht ansehen wollte; denn die Bestimmungen über das Spruchkollegium sind nämlich seit 1956 kirchengesetzlich für eine unbestimmte Zahl von Fällen geregelt. (VgI. Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Kommentar zum Grundgesetz Rd.Nr. 3 zu Artikel 101 GG). Entgegen der Auffassung des Betroffenen liegt auch kein Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 2 GG vor, denn die materiell-rechtliche Grundlage ist im Abschnitt H der »Erklärung zur Lehrverpflichtung und Handhabung der Lehrgewalt» (ABI. Bd. I S. 54f.) hinreichend bestimmt. Somit verfielen die im Schriftsatz des Beistandes des Betroffenen vom 23. Januar 1979 unter I gestellten Anträge der Ablehnung.
H.
Seit Herbst 1971 steht P. Schulz wegen seiner Predigten und Veröffentlichungen in der Presse in Auseinandersetzung mit dem Kirchenvorstand seiner Gemeinde St. Jacobi in Hamburg. Am 3. Dezember 1973 wurde die Angelegenheit von der Kirchenleitung in Hamburg beraten. Zwei von ihr beauftragte Pastoren versuchten, in seelsorgerlichen Gesprächen die Konflikte zu bereinigen (§ 1 Abs. 1 des Kirchengesetzes über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen vom 16. Juni 1956 - ABI. Bd. I S. 55ff. - Lehrbeanstandungsgesetz). Als das nicht gelang, wurden drei Theologen beauftragt, mit P. Schulz ein Lehrgespräch zu führen (§ 4 Lehrbeanstandungsgesetz). Sie kamen zu dem Ergebnis, daß P. Schulz in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche steht. Auf Vorschlag dieser Kommission wurde P. Schulz am 23. Juni 1975 bei voller Weiterzahlung der Bezüge ein einjähriger Studienurlaub in München gewährt, um ihm die Möglichkeit der Überprüfung seines Standpunktes zu geben (§ 5 Abs. 2 Lehrbeanstandungsgesetz). Aufgrund der gut-
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achterlichen Äußerung zu der Stellungnahme von P. Schulz »Gott im Denkprozeß« beschloß der Kirchenrat in Hamburg am 18. Oktober 1976, ein Feststellungsverfahren durchzuführen und P. Schulz zu beurlauben (§ 5 Lehrbeanstandungsgesetz).
III. Das Spruchkollegium hat sich an den eingangs genannten Verhandlungsterminen eingehend mit den theologischen Ansichten von P. Schulz befaßt. Zugrunde gelegt wurden im wesentlichen seine beiden Publikationen »Ist Gott eine mathematische Formel?« (Formel) und »Weltliche Predigten« (Predigten). Das Spruchkollegium hat P. Schulz Gelegenheit gegeben, sich ausführlich zu seiner Theologie und Lehre zu äußern. Bei diesen Gesprächen hat er ausdrücklich bekräftigt, daß er seine seit Jahren vertretenen Auffassungen in der Grundsubstanz beibehält. Es geht nicht darum, den persönlichen Glauben, das Engagement und die Frömmigkeit von P. Schulz zu beurteilen oder in Zweifel zu ziehen, daß er ein Glied der Kirche J esu Christi ist. Ebenso war es nicht Aufgabe des Spruchkollegiums , die Lehre von P. Schulz . daraufhin zu befragen, ob sie einer vorher aufgestellten Reihe von Bedingungen Punkt für Punkt entspricht oder widerspricht. Wollte man so argumentieren, würde man Glauben und Lehre in eine Reihe von Werken auflösen und an die Stelle des Evangeliums eine Werkgerechtigkeit setzen. Ein solches Verständnis würde evangelischer Theologie und Kirche fundamental widersprechen. Deshalb brauchte das Spruchkollegium auch nicht der Forderung von P. Schulz nachzukommen, die offizielle Lehrmeinung der evangelisch-lutherischen Kirche zu Gebet, Jungfrauengeburt, Auferstehung, Bibel, Gebote, Endgericht, Weltentstehung, Leben nach dem Tode und Erbsünde zu formulieren.
IV. Die Aufgabe des Spruchkollegiums bestand vielmehr allein darin, festzustellen, ob P. Schulz als ordinierter Amtsträger der evangelisch-lutherischen Kirche in seiner Verkündigung in der ihm anver189
trauten Gemeinde mit der unaufgebbaren Grundsubstanz der Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche übereinstimmt und ob er die bei seiner Ordination übernommene Verpflichtung erfüllt, das Evangelium von Jesus Christus zu bezeugen, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben und in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, vornehmlich in der ungeänderten Augsburgischen Konfession von 1530 und dem Kleinen Katechismus Martin Luthers, bezeugt ist (vgl. Erklärung zur Lehrverpflichtung und Handhabung der Lehrgewalt Abschnitt I a. a. 0.). . Die im Lehrbeanstandungsgesetz bezeichnete Grundlage aller christlichen Predigt und Lehre enthält zwar eine weite Spanne zur Entfaltung individueller Positionen. Aber diese Grundlage selbst darf nicht aufgegeben werden.
V. Das Spruchkollegium ist zu dem Ergebnis gekommen, daß P. Schulz in entscheidenden Punkten im Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche steht und daran beharrlich festhält. Dieses Ergebnis gründet sich auffolgende Feststellungen: 1. In der Gotteslehre vertritt P. Schulz die Auffassung, daß die jeweilige Naturerkenntnis Rückwirkungen auf das Gottesbild hat (Formel S. 18). Diese Ansicht wird im Grundsatz nicht bestritten. P. Schulz leitet daraus jedoch die Lehre ab, daß Gott nicht ein Handelnder ist, dem der Mensch sein Leben verdankt, nicht ein »Du«, an das man sich wenden kann. Vielmehr ereignet sich Gott für ihn »in den unabdingbaren physikalischen und chemischen Prozessen kosmischen Geschehens« (Formel S. 31; Predigten S. 115). Ein Reden von Gott ist für P. Schulz ganz bewußt nur ein Reden von unten, vom Menschen her (Formel S. 24). Wenn der Mensch von Gott redet, redet er letztlich von sich selbst (Formel S. 22,24; Predigten S. 84,91). Gott ist der Höchstwert des Ich (Formel S. 24; Predigten S. 96). Er ist die Grundmöglichkeit menschlicher Selbstentfaltung, der Denk-, Sprach- und Bewußtwerdungsprozeß von Menschen. Darum sagt P. Schulz nicht: »Ich glaube an Gott«, sondern: »Ich denke Gott«. 190
Das Reden von Gott als Person kommt für P. Schulz aus einem völlig überholten Denkmodell (Formel S. 26). Daher möchte er mit Hilfe einer seiner Ansicht nach zwingenden rationalen Argumentation nachweisen, »einen persönlichen Gott, der mich ständig hört, der mir hilft,mich sieht, mich begleitet als Realität«, könne es nicht geben. Gott sei vielmehr Ausdruck einer Hoffnung des Menschen, »angesichts von Not und Versagen, von Ängsten und Schwierigkeiten über sich selbst hinauszukommen« (Predigten S. 177). In der Rede von Gott werde die transzendente Offenheit des Menschen zum Ausdruck gebracht. Auch das Wort »Gott ist Liebe« beschreibe Gott nicht als liebende Person, sondern »kennzeichnet die liebende Beziehung zwischen Menschen als das Prinzip, das Leben entfaltet. Überall dort, wo sich Menschen in Liebe begegnen, ereignet sich Gott im Lieben.« (Formel S. 32). Weil es für P. Schulz Gott als ein »Du« nicht gibt, verliert für ihn das Gebet seine Bedeutung als Anrede. Zu einem Gottesbild als Einheit der Natur oder als Projektion des Menschen seiner selbst könne nicht gebetet werden. Bete der Mensch, so reflektiere er in Wirklichkeit nur sich selbst und seine Beziehung zum anderen. Beten habe das Ziel, den einzelnen oder auch die Gruppe zur Gewinnung ihrer Selbstidentität zu führen (Formel S. 171 ff.). Damit hat das Gebet nach Ansicht des Spruchkollegiums seinen theologisch begründeten Sinn eingebüßt. Der Mensch ist auf seine eigenen Möglichkeiten zurückgeworfen und bleibt bei sich selbst. Nach Auffassung von P. Schulz beharrt die Institution Kirche mit ihrem hierarchischen Aufbau in ihrem Machtanspruch bei der Idee von Gott als einem jenseitigen Wesen in Macht und Herrlichkeit, als König, Richter und Allmächtigem, um ihren eigenen Anspruch auf irdische Macht und Autorität aufrechtzuerhalten. Die Kirche beanspruche eine Monopolstellung in der Gottesfrage und halte in ihrer unfairen Ablehnung der anderen Religionen an der Behauptung fest, daß allein das christliche Reden von Gott Gültigkeit habe. Sie wehre sich gegen jede Veränderung der Gottesidee , weil das eine Veränderung ihrer machtorientierten Institution herbeiführen und ihre Bevormundung der Menschen eindämmen würde. Eine Rückkehr zu dem von der Kirche verwalteten Gott würde Anerkennung des insti191
tutionellen Autoritätsanspruchs der Amtskirche bedeuten (Predigten S. 93-95). Im Gegensatz zu dieser Auslegung des 1. Glaubensartikels bekennt die Kirche auch heute mit den Worten Martin Luthers im Großen Katechismus: »Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten. Also daß ein Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und gläuben.« (Auslegung zum 1. Gebot). Mit seinen Thesen zur Gotteslehre stellt sich P. Schulz in entscheidenden Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis. Es kann schlechterdings kein möglicher Inhalt christlicher Lehre sein, die Meinung zu verkündigen, der dreieinige Gott habe sich nicht offenbart, weil es ihn nicht gebe. Christliche Lehre hat vielmehr in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Verkündigung des dreieinigen Gottes zu dienen und zu fragen, wo und wie dieser sich offenbart, in der Welt handelt und den Menschen anredet. Die Problematik des Person-Begriffs ist dabei kein Gegenbeweis gegen das Wirken des dreieinigen Gottes, da die Trinitätslehre gerade davor schützt, Gott in einem anthropomorph-personalistischen Sinne mißzuverstehen. 2. Im Zentrum der Lehre von P. Schulz steht der Rückgriff auf den historischen Jesus. Mit Hilfe der historisch-kritischen Methode versucht P. Schulz einen streng rationalen Beweis zu führen, der denkendem Urteil einsichtig sein müsse. Es komme nicht darauf an, an Jesus zu glauben - »viele Menschen glauben viel zuviel an Jesus« -, sondern man müsse »Jesu Anspruch mit dem Verstand wahrnehmen und rational beurteilen« (Formel S. 98f.). Es ist nicht strittig, daß die historisch-kritische Methode bei