Butler � Parker � Nr. 588 � 588
Curd H. Wendt �
Parker stört � brisante Geschäfte �
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Butler � Parker � Nr. 588 � 588
Curd H. Wendt �
Parker stört � brisante Geschäfte �
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»Biegen Sie da vorne rechts ab, Mister Parker«, verlangte Lady Simpson. »Der Weg sieht vielversprechend aus. Außerdem ist mir schon ganz schwach im Magen.« »Unter diesen Umständen wird meine Wenigkeit unverzüglich nach einem geeigneten Platz für ein Picknick Ausschau halten, Mylady«, versprach Parker und kurvte in den angegebenen Waldweg. »Aber hier ist es doch viel zu schattig. Mister Parker«, schüttelte die ältere Dame den Kopf, als er kurz darauf sein hochbeiniges Gefährt unter herbstlich gefärbten Bäumen zum Stehen brachte. »Man beabsichtigte lediglich, Mylady auf das Schild aufmerksam zu machen«, erwiderte der Butler und deutete nach vorn. »Militärisches Sperrgebiet – Durchfahrt verboten«, war dort in dicken roten Lettern zu lesen. »Na und?« gab Lady Agatha schnippisch zurück. »Fahren Sie weiter, Mister Parker. Ich übernehme die Verantwortung.« »Myladys Wünsche sind meiner Wenigkeit Befehl«, versicherte Parker höflich und legte den ersten Gang ein.
Die Hauptpersonen: George Barney muß am Ende eines Zechgelages einsehen, daß er sich zu früh gefreut hat. Major Keenbourne schlägt das Hilfsangebot einer Kriminalistin aus und kommt anschließend beträchtlich ins Schwitzen. Al Scarfield behandelt die Dame, die er in einer Bar kennengelernt hat, ausgesprochen ungalant und wird deshalb zur Rechenschaft gezogen. 3
Brendan Guarney reagiert ausgesprochen ungehalten, als er überraschend bei nächtlichen Lustbarkeiten gestört wird. Kathy Porter beweist fußballerisches Talent und entschärft dadurch eine brisante Situation. Lady Agatha liest einem Offizier die Leviten und läßt sich Cognac spendieren. Butler Parker entdeckt ein Loch in einem Maschendrahtzaun und verordnet einem Herrn in reiferen Jahren einen kostenlosen Punker-Haarschnitt. *** Wenig später lichtete sich der Wald. Rechter Hand tauchte ein mehr als mannshoher Maschendrahtzaun auf. Dahinter waren grau gestrichene Baracken und ein – momentan unbesetzter – Wachturm zu erkennen. Der »Union Jack« blähte sich träge im sanften Südostwind. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Mister Parker«, reagierte die füllige Dame unwirsch, als der Butler erneut auf die Bremse trat. »Unter einem lauschigen Platz hatte ich mir etwas anderes vorgestellt.« »Mylady mögen verzeihen, daß man der Neugier nachgab«, ließ Josuah Parker mit starrer Miene verlauten. »Neugier?« wiederholte Agatha Simpson verdutzt. »Finden Sie die häßlichen Baracken etwa interessant, Mister Parker?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady. Andererseits dürfte das Loch im Zaun…« »Das Loch? Ja, stimmt. Das ist mir auch schon von weitem aufgefallen«, behauptete die passionierte Detektivin; »Vermutlich hat ein Soldat den Draht durchschnitten, als er zu spät kam und von der Wache nicht gesehen werden wollte.« 4
»Eine Möglichkeit, die man in Betracht ziehen sollte, Mylady«, antwortete der Butler. »Dennoch dürften die Spuren im Gras zu anderen Schlußfolgerungen führen. Mylady argwöhnen sicher, daß die Öffnung im Zaun dazu diente, Diebesgut wegzuschaffen.« »Und worauf stütze ich diese Hypothese, Mister Parker?« »Die Tatsache, daß diesseits des Zaunes Radspuren eines Lieferwagens zu erkennen sind, jenseits jedoch schmale Rillen, die von einer Sackkarre herrühren könnten, dürften entsprechende Schlüsse nahelegen.« »Das klingt ja geradezu scharfsinnig, Mister Parker. Aber ein Fehler ist Ihnen doch unterlaufen.« »Darf man sich erlauben, um Aufklärung zu bitten, Mylady?« »Kein Dieb kommt auf die Idee, in eine Kaserne einzubrechen, weil es dort nämlich nichts zu holen gibt. Soldaten haben keine Reichtümer in ihren Stuben, Mister Parker.« »Eine Feststellung, die man nur als ungemein zutreffend bezeichnen kann, Mylady. Meine Wenigkeit dachte auch weniger an privates Eigentum…« »… sondern an Armeebestände?« fiel Mylady dem Butler ins Wort. »Zeltplanen vielleicht? Oder Kochgeschirre?« »Eher dürften Waffen in Betracht kommen, sofern der Hinweis gestattet ist, Mylady.« »Waffen? Hm. Daran habe ich auch schon gedacht«, entgegnete Agatha Simpson souverän. »Sobald ich mich ein wenig gestärkt habe, werde ich mich näher mit dieser Annahme beschäftigen, Mister Parker.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen. Allerdings dürften die uniformierten Herren, die sich gerade nähern, die Absicht haben, Mylady an der Weiterfahrt zu hindern«, machte Parker seine Herrin auf die beiden Soldaten aufmerksam, die von den 5
Baracken her im Laufschritt über die Wiese kamen. »Das sollen die Lümmel mal versuchen«, grollte die resolute Dame. »Mister Parker! Wir fahren!« Auf durchdrehenden Pneus setzte sich der zu einer »Trickkiste auf Rädern« umgebaute Wagen in Bewegung. Das uniformierte Duo fuchtelte zwar hektisch mit den Armen und brüllte Unverständliches. Einer der Männer zog sogar seine Dienstpistole und gab einen Warnschuß ab. Aber da war das schwarze Gefährt schon zwischen den Bäumen verschwunden. »Unter normalen Umständen hätte ich die schießwütigen Flegel zur Rede gestellt oder mich gleich bei ihrem Kommandanten beschwert«, bemerkte die Detektivin, während der Butler sein altertümliches Vehikel flott durch den Wald lenkte. »Aber dann hätte es mit dem Picknick noch länger gedauert. Und mein Kreislauf braucht allmählich ein bißchen Pflege.« »Man wird sich bemühen, Mylady in Kürze das Gewünschte zu bieten«, versicherte Parker und bog an einer Weggabelung nach links ab. Wenig später rollte das hochbeinige Monstrum durch offene Wiesen, durch die sich ein klarer Bach schlängelte. In einem sonnigen Winkel, etwas abseits vom Weg, entdeckte der Butler sogar einen aus rohen Hölzern gezimmerten Tisch mit zwei Bänken. »Sehen Sie? Ich hatte doch recht, als ich Sie bat, von der Landstraße abzufahren«, meinte Agatha Simpson, während der Butler ihr mit einer höflichen Verbeugung aus dem Wagen half. »Ein schöner Platz, Mister Parker!« »Mylady verfügen über ein wahrhaft treffliches Gespür«, erwiderte Parker und hievte den reich gefüllten Picknickkorb aus dem Kofferraum. Wenig später standen auf dem gedeckten Tisch gebratene 6
Hähnchenkeulen, eine Schale mit Obst, diverse Käsesorten und knuspriges Stangenbrot. Wein funkelte im Glas, und Mylady war mit sich und der Welt zufrieden. »Übrigens kommt Waffendiebstahl nicht in Frage, Mister Parker«, äußerte die passionierte Detektivin, nachdem sie herzhaft dem rustikalen Imbiß zugesprochen hatte. »Darf man gegebenenfalls erfahren, wie Mylady zu dieser Annahme gelangt sind?« »Soldaten schießen mit Kanonen und Gewehren. Aber damit kann ein Unterweltler nichts anfangen, weil diese Waffen viel zu groß sind. Warum soll er sie also stehlen?« »Soweit meine Wenigkeit unterrichtet ist, sind bei der Armee auch Pistolen in Gebrauch«, gab der Butler zu bedenken und schenkte der genußfreudigen Dame noch mal ein. »Aber ohne Schalldämpfer, Mister Parker«, entgegnete Agatha Simpson lächelnd. »Als erfahrene Kriminalistin weiß ich, daß Gangster grundsätzlich Schalldämpfer benutzen.« »Entsprechendes Zubehör dürfte über dunkle Kanäle zu beschaffen sein, falls man eine Vermutung äußern darf«, ließ Parker mit einer angedeuteten Verbeugung verlauten. »Im übrigen können auch Armeegewehre für profitsüchtige Gesetzesbrecher von einigem Wert sein.« »Das ging mir auch schon durch den Kopf, Mister Parker«, nickte die ältere Dame. »Wahrscheinlich hängt man sich solche Gewehre in Ganovenkreisen als Trophäe an die Wand.« »Eine Einschätzung, der man nicht um jeden Preis widersprechen möchte«, versicherte der Butler mit unbewegter Miene. »Darüber hinaus dürften Mylady jedoch dem Umstand Beachtung schenken, daß Waffen größeren Kalibers sich mit bemerkenswerten Gewinnaussichten in Krisengebiete exportieren lassen.« »Terroristen kämen natürlich auch als Abnehmer in Betracht«, 7
setzte Lady Agatha nachdenklich hinzu. »In der Tat, Mylady.« »Das bedeutet also, daß ich allem Anschein nach einem brisanten Fall auf der Spur bin, Mister Parker?« »Dahingehende Vermutungen dürften zumindest nicht von der Hand zu weisen sein. Darf man deshalb die Frage anschließen, ob Mylady sich mit der Absicht tragen, ermittelnd tätig zu werden?« »Selbstverständlich. Was dachten Sie denn, Mister Parker?« »Mylady dürften den Umstand in Betracht ziehen, daß der Tatort innerhalb eines militärischen Sperrgebiets liegt. Weiterhin sollte man davon ausgehen, daß sich die Militärpolizei bereits der Sache angenommen hat.« »Wennschon! Glauben Sie denn, daß Militärpolizisten fähiger sind als unsere Bobbies, Mister Parker?« »Nicht unbedingt, Mylady.« »Na schön. Deshalb fahre ich jetzt zum Kommandanten und biete ihm meine Hilfe an«, verkündete Agatha Simpson und erhob sich, nachdem sie den Picknicktisch mit einem wehmütigen Blick bedacht hatte. »Der Mann wird begeistert sein.« »Eine Möglichkeit, die man nicht grundsätzlich ausschließen sollte, Mylady«, wich Parker aus und räumte das benutzte Geschirr in den Korb. * Der Wachposten vor der rotweiß gestrichenen Schranke stand stramm und rührte sich nicht vom Fleck. Aber er bekam doch große Augen, als das skurrile Paar aus dem seltsamen Gefährt stieg. In der Tat war Agatha Simpson trotz ihrer reichlich sechzig Jahre eine überaus imposante Erscheinung, die in der Öffentlich8
keit alle Blicke auf sich zog und bei gesellschaftlichen Anlässen stets für diskretes Aufsehen sorgte. Das lag zum einen an ihrer überbordenen Leibesfülle, die schon mancher Waage zum Verhängnis geworden war. Andererseits zeigte sie bei der Auswahl ihrer Garderobe einen höchst eigenwilligen Geschmack, der dem aktuellen Modetrend grundsätzlich Hohn sprach. Heute trug die majestätische Dame ein Jagdkostüm aus grünem Loden, das vor Zeiten in betuchten Kreisen sicher der letzte Schrei war. Rustikale Schnürstiefel mit Profilsohlen und eine Kopfbedeckung, die an einen verwilderten Schrebergarten erinnerte, rundeten das Bild ab. Als wichtiges Utensil kam noch der perlenbestickte Pompadour hinzu, den die leidenschaftliche Detektivin am Handgelenk trug. Da der Lederbeutel ein massives Hufeisen enthielt, hatte er sich in handfesten Auseinandersetzungen mit der Unterwelt schon häufig als Wunderwaffe von geradezu niederschmetternder Wirkung bewährt. Obgleich in reifem Alter, schätzte Parkers Herrin spontane Entschlüsse und trat zielsicher in jedes Fettnäpfchen, das sich ihr bot. Mit irdischen Gütern war die unternehmungslustige Witwe überreich gesegnet. Aber die Furcht, eines Tages am Bettelstab zu enden, saß tief. Deshalb legte Mylady eine Sparsamkeit an den Tag, die dem geizigsten Schotten die Schamröte ins Gesicht trieb. Nur wenn es um ihr Steckenpferd, die Kriminalistik, ging, spielten Kosten keine Rolle. Sie hielt sich nun mal für eine bedeutende Detektivin der Neuzeit und glaubte, der geplagten Menschheit das Heil bringen zu müssen. Daß es in Wahrheit ihr Butler war, der mit Mut und Phantasie »ihre« Fälle löste, der Sprengladungen entschärfte und Killer9
kommandos austrickste, merkte sie nicht besonders. Josuah Parker, wie sein vollständiger Name lautete, stellte in fast jeder Hinsicht das Gegenteil dar. Würdevolles Auftreten, untadelige Umgangsformen und eine geradezu stoische Gelassenheit wiesen ihn als hochherrschaftlichen Butler alter Schule aus. Entsprechend konservativ war seine Garderobe, die aus einem schwarzen Zweireiher mit weißen Eckkragen, dezent gestreiften Beinkleidern und einem schwarzen Covercoat bestand. Der steife Bowler und der altväterlich gebundene Universal-Regenschirm am angewinkelten Unterarm kamen als unverzichtbare Utensilien hinzu. »Man erlaubt sich, einen möglichst angenehmen Tag zu wünschen«, sagte Parker und lüftete höflich die Melone, als er an der Seite seiner Herrin die kleine Wachstube neben dem Schlagbaum betrat. Der Wachhabende, ein vierschrötiger Mann von schätzungsweise vierzig Jahren, saß vor einer museumsreifen Schreibmaschine und tippte bedächtig. »Sie wünschen?« erkundigte er sich zwischendurch, ohne aufzusehen. »Mylady wünscht den Kommandanten Ihrer Einheit zu sprechen«, teilte der Butler den Anlaß des Besuchs mit. »Major Keenbourne?« vergewisserte sich der Uniformierte. Gleichzeitig erhob er sich und nahm so etwas wie Haltung an. »In welcher Angelegenheit?« »Das werde ich einem seiner Untergebenen nicht auf die Nase binden«, gab Agatha Simpson spitz zurück. »Es handelt sich um einen privaten Besuch, junger Mann.« »Privat?« wiederholte ihr Gegenüber. »Private Besuche sind nicht zugelassen, Mylady.« Die resolute Dame wollte sich mokieren, aber Parker nahm ihr 10
mit einer kleinen Notlüge den Wind aus den Segeln. »Major Keenbourne ist Myladys Neffe«, erläuterte er. »Und da man sich nach jahrelangem Auslandsaufenthalt auf einer Geschäftsreise durch Sussex befindet, gedachte Mylady, die Gelegenheit zu einem kurzen Wiedersehen zu nutzen.« »Hm. Da können wir vielleicht eine Ausnahme machen«, lenkte der Uniformträger ein und griff nach einem Block mit Passierscheinen. »Und Sie sind Mister Simpson?« fragte er, nachdem er Lady Agathas Namen von der Visitenkarte übertragen hatte, die der Butler ihm reichte. »Ich muß doch sehr bitten, junger Mann«, reagierte die ältere Dame empört. »Mister Parker ist mein Butler.« »Ach so. Mister Parker ist Ihr Butler«, wiederholte der Wachhabende gedehnt und notierte auch den zweiten Namen. Anschließend hob er den Telefonhörer ans Ohr und drehte eine zweistellige Nummer. »Hier ist Besuch für Sie, Sir«, sagte er gleich darauf. »Privater Besuch.« »Die Dame ist eine Tante von Ihnen«, setzte er nach kurzer Pause hinzu. »Und sie wird von ihrem Butler begleitet.« »Simpson. Agatha Simpson«, las er – offenbar nach einer Rückfrage seines Gesprächspartners – vom Passierschein ab. »Soll ich die Dame zu Ihnen rüberschicken, Sir?« Jetzt entstand eine etwas längere Pause. Doch schließlich nickte der Mann am Telefon. »In Ordnung, Sir«, sagte er und legte auf. »Sie können rübergehen«, teilte der Mann mit und händigte Parker den unterschriebenen und abgestempelten Passierschein aus. »Major Keenbournes Büro ist da drüben. Gleich links, wenn Sie reinkommen.« »Man erlaubt sich, für das freundlichen Entgegenkommen zu danken«, sagte der Butler und deutete eine Verbeugung an, 11
bevor er die gewichtige Dame zum Ausgang geleitete. Ronald Keenbourne entpuppte sich als untersetzter Endvierziger mit kurz geschorenem Blondhaar, den schon das Sitzen am Schreibtisch anzustrengen schien. Jedenfalls war seine Stirn mit Schweißperlen übersät, als er seine Besucher begrüßte und ihnen Sitzplätze anbot. »Wissen Sie – als Chef eines kleinen Materialdepots auf dem Land hat man nicht viel Abwechslung«, eröffnete er lächelnd das Gespräch und tupfte sich mit einem bunt karierten Taschentuch den Schweiß weg. »Deshalb habe ich mich entschlossen, Sie zu empfangen, obwohl ich mich nicht erinnern kann, eine Tante namens Agatha Simpson zu haben.« »Ihre Entscheidung war jedenfalls goldrichtig«, erwiderte Mylady mit wohlwollendem Nicken. »Niemand anders kann Ihnen bei Ihren Problemen helfen als ich, Mister Greenhorn.« »Verzeihung, Mylady«, korrigierte der Major. »Mein Name ist Keenbourne. Ronald Keenbourne.« »O, sagte ich das nicht?« tat Lady Agatha überrascht. »Sie müssen sich verhört haben, Mister Greenhorn.« »Schon möglich«, gab Keenbourne ausweichend zurück und musterte seine Gesprächspartnerin mit zweifelnden Blicken. »Aber was sind das für Probleme, von denen Sie sprechen, Mylady?« »Nun, wenn Vorgesetzte Rechenschaft über dubiose Vorgänge verlangen, kann das schon zum Problem werden«, entgegnete die ältere Dame und lächelte vielsagend. »Tut mir leid. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Mylady«, bekannte der Major. »Vermissen Sie denn nichts, Mister Greenhorn?« begann Mylady behutsam zu bohren. »Höchstens meine Familie – und das Leben in London. Aber darum geht's ja wohl nicht.« 12
»Nein, sondern um einen Diebstahl. Als Kriminalistin habe ich das Loch in der Mauer sofort entdeckt.« »Diebstahl? Kriminalistin? Loch in der Mauer?« Ronald Keenbourne verstand überhaupt nichts mehr. »Was für eine Mauer meinen Sie überhaupt?« »Falls man nicht grundsätzlich irrt, dürfte Mylady von dem Maschendrahtzaun zu sprechen geruhen, der Ihr Gelände umgibt«, griff Parker erläuternd ein. »Im übrigen dürfte der Hinweis erlaubt sein, daß Mylady als Privatdetektivin tätig ist und einen Ruf genießt, den man nur als beispiellos bezeichnen kann.« »Ich weiß von keinem Loch im Zaun, und hier ist auch nichts gestohlen worden«, gab der Depotchef mit Bestimmtheit zurück. »Im übrigen wäre das auch eine Angelegenheit für die Militärpolizei.« »Das sind doch alles nur Versager, die einen Verbrecher nicht von einem Gentleman unterscheiden können«, ließ die leidenschaftliche Amateurdetektivin ihren Vorurteilen freien Lauf. Keenbournes schon wieder von Schweißperlen übersätes Gesicht wurde starr wie eine Maske. »Unter diesen Umständen darf ich Ihren Besuch wohl als beendet betrachten, Mylady«, knurrte er unwirsch. »Schönen Tag noch.« »Man soll niemanden zu seinem Glück zwingen. Aber diese Unhöflichkeit werden Sie noch bereuen«, grollte Agatha Simpson und erhob sich. »Leben Sie wohl, Mister Greenhorn!« In diesem Moment wurde von außen an die Tür geklopft. »Herein!« brüllte der Major. Postwendend erschien ein junger Unteroffizier auf der Schwelle, der salutierte und die Hacken zusammenschlug. »Was gibt es, Walters?« wollte Keenbourne wissen. »Habe eine wichtige Mitteilung zu machen, Sir«, antwortete Walters. »Streng vertraulich, Sir.« 13
»Die Herrschaften wollten gerade gehen«, teilte sein Vorgesetzter mit einem giftigen Seitenblick auf das skurrile Pärchen mit. »Kommen Sie rein, Walters.« * Draußen auf dem Flur wandte sich Parker nach rechts und strebte dem Ausgang zu. Aber als er die verglaste Flügeltür öffnete und seine Herrin mit einer höflichen Verbeugung passieren lassen wollte, stand diese noch immer vor Keenbournes Zimmer und… lauschte. Ein triumphierendes Lächeln glitt über ihr Gesicht, während sie das rechte Ohr fest ans Türblatt gepreßt hielt und den Butler zu sich zurückwinkte. »Hören Sie gut zu, Mister Parker«, flüsterte sie. »Soldaten sind noch dümmer, als ich dachte.« Da das Gespräch zwischen dem Major und seinem Untergebenen in kernig militärischem Ton geführt wurde, war draußen auf dem Gang jedes Wort zu verstehen. Und was sie sagten, verstärkte den schon vorher entstandenen Eindruck, daß die Besatzung dieses Armydepots nicht gerade zur schnellen Truppe zählte. »Verdammtes Elend!« fluchte Keenbourne. »Wie konnte das bloß passieren, Walters?« »Keine Ahnung, Sir.« »Haben Sie denn schon ermittelt, was alles gestohlen wurde?« »Sechzig Schnellfeuergewehre, 48 Pistolen, insgesamt dreizehn Kisten mit Munition, Sir.« »O Gott, da seh' ich schon eine hochnotpeinliche Untersuchung kommen«, stöhnte der Kommandant. »Wer hat denn den Diebstahl als erster bemerkt, Walters?« »Die Gefreiten Kenton und Rich, Sir. Bei einem Streifengang 14
übers Gelände fiel ihnen ein verdächtiges Fahrzeug auf. Die Insassen reagierten weder auf Rufe noch auf Handzeichen, sondern ergriffen die Flucht, obwohl Kenton noch einen Warnschuß abgab.« »Gibt es eine Beschreibung der flüchtigen Täter, Walters?« »Leider nicht, Sir. Aus der Entfernung waren keine Einzelheiten zu erkennen. Kenton und Rich gingen dann aber noch bis zum Zaun weiter und entdeckten genau an der Stelle, wo das verdächtige Fahrzeug gestanden hatte, ein großes Loch. Außerdem Spuren von einer Sackkarre.« »Und wann war das, Walters?« »Vor etwa zwei Stunden, Sir.« »Was? Und ich erfahre erst jetzt davon?« »Ich wollte nicht unnötig Alarm schlagen, sondern erst mal feststellen, ob wirklich was fehlt, Sir.« »Sie wollten. Sie wollten. Vielleicht hätten wir die Täter noch in der Umgebung fassen können, Walters.« »Natürlich, Sir. Bitte zu entschuldigen, daß ich das nicht bedacht habe, Sir.« »Denken war noch nie Ihre Stärke, Walters. Warum haben Rich und Kenton die Gangster eigentlich nicht früher bemerkt? Das muß doch einer Patrouille auffallen, wenn jemand am hellichten Tag ein Loch in den Zaun schneidet und mit einer Sackkarre kistenweise Waffen in Richtung Wald wegschafft.« »Dasselbe habe ich Rich und Kenton auch gefragt, Sir. Aber beide meinten, der Einbruch müßte schon während der Nacht geschehen sein.« »Das wäre ja noch schöner. Und dann ist niemand auf das Loch im Zaun aufmerksam geworden, Walters?« »Nur Rich und Kenton, Sir.« »Ja, ich weiß«, knurrte Keenbourne ungeduldig. »Übrigens… wer hatte letzte Nacht eigentlich Wache, Walters?« 15
»Barney und McCogall, Sir.« »Schicken Sie mir die beiden sofort her.« »Wird gemacht, Sir.« »Nein, warten Sie, Walters. Ich werde zuerst die Militärpolizei anrufen. Konnten Rich und Kenton denn wenigstens das Fahrzeug beschreiben?« »Beide behaupteten, noch nichts Ähnliches gesehen zu haben, Sir. Rich sprach von einem Oldtimer, Kenton meinte, es wäre eher eine Art Geländewagen gewesen.«, »Sagen Sie mal, waren die eigentlich besoffen?« platzte Keenbourne endgültig der Kragen. »Jedes Kind kann einen Oldtimer von einem Geländewagen unterscheiden.« »Natürlich, Sir«, bestätigte Walters ergeben. »Gut, Sie können abtreten, Walters«, beendete der Major das Gespräch. »Und sorgen Sie dafür, daß Barney und McCogall mir in einer Viertelstunde zur Verfügung stehen.« »Sie können sich auf mich verlassen, Sir«, versprach Walters, schlug die Hacken zusammen und riß die Tür auf. »Haben Sie denn keine Augen im Kopf?« empörte sich Lady Agatha, als der Uniformierte auf der Schwelle mit ihr zusammenprallte. »Sie sehen doch, daß ich hier stehe.« »Pardon«, murmelte Walters und zwängte sich eilig an der Detektivin vorbei, die mit ihren üppigen Formen den Türrahmen fast vollständig ausfüllte. »Was wollen Sie denn schon wieder?« ging Keenbourne wie ein Dampfkessel hoch, als er das nicht alltägliche Gespann erblickte. »Ich dachte, Sie hätten endlich die Kurve gekratzt.« »Das Denken sollten Sie Menschen überlassen, die dazu fähig sind, Mister Greenhorn«, kanzelte Mylady ihn gnadenlos ab. »Daß ich nicht gleich gegangen bin, ist Ihr Glück. Inzwischen wissen Sie ja, daß ich Ihnen meine Hilfe nicht ohne Grund angeboten habe.« 16
»Sie haben also an der Tür gelauscht?« wollte der Major grimmig wissen. »Natürlich«, gestand die ältere Dame frank und frei. »Manchmal muß man das aus rein dienstlichen Gründen.« Keenbourne atmete hastig. Der Schweiß rann ihm in Bächen durchs Gesicht. Einen Moment lang glaubte Parker, er würde explodieren und handgreiflich werden. Aber dann gab sich der Untersetzte einen Ruck, holte tief Luft und blickte die stämmige Ganovenjägerin durchdringend an. »Haben Sie denn irgendwas bemerkt, was uns auf die Spur der Diebe bringen könnte, Mylady?« erkundigte er sich, mühsam beherrscht. »Selbstredend. Mit kriminalistischem Kennerblick findet man immer Indizien, die auf die Spur der Täter führen, Mister Greenhorn«, ließ die majestätische Dame stolz erhobenen Hauptes verlauten. »Aber darüber kann ich erst Auskunft geben, wenn meine Ermittlungen abgeschlossen sind.« »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst«, schoß dem Berufssoldaten schon wieder die Zornesröte ins Gesicht. »Doch«, nickte Lady Simpson frohgemut. »Aber eins will ich Ihnen trotz allem verraten, junger Mann.« »Und das wäre?« »Das verdächtige Fahrzeug, das Ihre halbblinde Wachmannschaft bemerkt hat, war mein eigenes.« »Ihres?« Keenbourne mußte sich erst mal setzen. »Ja, eigentlich suchte ich einen hübschen Picknickplatz«, berichtete Mylady im Plauderton. »Aber irgendwann schlug mein kriminalistischer Instinkt Alarm. Und was sah ich? Ein Loch in Ihrem Zaun, Mister Greenhorn.« Dem Major verschlug es die Sprache. Er stöhnte nur noch und wischte sich pausenlos mit dem mittlerweile triefnassen Taschentuch über die Stirn. 17
»Übrigens wollte ich mich noch bei Ihnen über die Lümmel beschweren, die plötzlich näher kamen, als ich gerade mit der Spurensicherung begann«, fuhr Agatha Simpson munter fort. »Wer derart leichtfertig ehrbare Bürger in Lebensgefahr bringt, ist für den Dienst mit der Waffe nicht geeignet. Lassen Sie sich das von einer Offizierstochter sagen, junger Mann.« »Gut, ich danke Ihnen«, schnaufte der Kommandant fassungslos. »Sie können gehen.« »Was heißt das: Ich kann gehen?« wollte die Detektivin mit streng gefurchter Stirn wissen. »Sie wollen mich also nicht mit den Ermittlungen beauftragen, Mister Greenhorn?« »Neeeiiin!« Der Major bäumte sich im Sessel auf und kreischte. Dann sackte er schwer atmend in sich zusammen. »Was für ein ungehobelter Mensch!« wandte Mylady sich eingeschnappt an den Butler. »Er verdient es nicht, daß ich ihm helfe.« »Nie würde man sich erkühnen, Mylady zu widersprechen«, gab Parker höflich zurück und geleitete seine Herrin ins Freie. * »Die Manieren dieses Flegels in Uniform sind mir auf den Magen geschlagen«, klagte Lady Agatha, sobald sie wieder im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen hatte. »Irgendeine Kleinigkeit muß ich jetzt zu mir nehmen, um meinen Kreislauf zu stabilisieren, Mister Parker. Ein Stück Apfelkuchen mit Sahne vielleicht.« »Man wird sich bemühen, umgehend ein Cafe oder Gasthaus ausfindig zu machen, das Myladys gehobenen Ansprüchen gerecht wird«, versprach der Butler und ließ sein schwerfällig wirkendes Gefährt anrollen. »Zur Not kann's auch ein schlichter Land-Pub sein«, erwiderte 18
die resolute Lady und kramte frustriert in einer leeren Konfektschachtel, die in einer Ecke des Rücksitzes lag. »Ein Sandwich, wenn's gar nichts anderes gibt.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, gab Parker mit unbewegter Miene zurück. Wenig später war das Landstädtchen Brenham erreicht. Die Gastwirtschaft, vor der das ehemalige Taxi zum Stehen kam, lag in der Mitte des Ortes und machte einen relativ soliden Eindruck. Ein knappes Dutzend Augenpaare wanderten erstaunt zum Eingang, als die stämmige Detektivin und der schwarz gewandete Butler den Schankraum betraten. Außer dem Wirt waren nur wenige Dorfbewohner hier. Die Mehrzahl der Gäste waren junge Soldaten, die an dem einzigen größeren Tisch saßen und gefüllte Bierkrüge vor sich stehen hatten. Buttercremtorte gab es zwar nicht. Apfelkuchen mit Sahne auch nicht. Aber das dick belegte Schinken-Sandwich, das der Hausherr gleich darauf servierte, nötigte der Feinschmeckerin ein wohlgefälliges Nicken ab. Inzwischen hatten sich die Soldaten am Nebentisch wieder ihren Gesprächen zugewandt. Sie schienen schon länger hier zu sitzen. Darauf ließ jedenfalls die Lautstärke schließen, in der sie lachten und sich unterhielten. »Ruhe auf den billigen Plätzen!« ließ Agatha Simpson ihr saalfüllendes Organ erdröhnen, als es ihr schließlich zu bunt wurde. »Bei diesem Lärm bleibt einem ja der Bissen im Hals stecken.« Schlagartig kehrte Stille ein. Die Gesichter der uniformierten Runde drückten Verlegenheit aus. Doch Augenblicke später setzte ein schlaksiger Bursche, ein Wehrpflichtiger von höchstens zweiundzwanzig Jahren, das breiteste Grinsen auf, das ihm zum Gebote stand. Schwankend erhob er sich und kam an Myladys Tisch. »Pardon, Madam. Wir wollten Sie nicht belästigen«, entschul19
digte er sich mit schwerer Zunge. »Aber heute ist doch mein Glückstag. Deshalb habe ich meinen Kameraden schon etliche Runden spendiert. Und Sie müssen jetzt auch etwas auf meine Rechnung trinken.« »Wenn das so ist, soll mir der Wirt einen Cognac bringen«, zeigte sich die majestätische Dame schnell versöhnt. »Was ist das denn für ein Glückstag? Haben Sie in der Lotterie gewonnen?« »Äh… nein. Eine Erbschaft«, berichtete der junge Mann und winkte den Wirt heran, um das gewünschte Getränk zu bestellen. »Darf man die Hoffnung äußern, daß es kein nahestehender Verwandter war, den Sie beerbt haben?« erkundigte sich der Butler höflich. »Andernfalls würde man die Gelegenheit wahrnehmen – auch in Myladys Namen – ein tief empfundenes Beileid auszudrücken.« »Nein, nein. Eine alte Tante, mit der ich nie zu tun hatte«, antwortete der Jüngling in der viel zu großen Uniform und ließ sich auf den freien Stuhl neben Lady Simpson sinken. »War auch nicht die Menge. Aber wenn man kurz vor der Entlassung steht und keinen Job hat, kann man zweitausend Pfund verdammt gut brauchen.« »Dann passen Sie nur auf, daß Sie das Geld nicht im Wirtshaus ausgegeben haben, bis es soweit ist, junger Mann«, ermahnte Mylady ihn. »Ach, Sie meinen weil ich hier…?« Der schmale Soldat lächelte fröhlich und machte eine lässige Handbewegung. »Was ich heute ausgegeben habe, ist noch gar nicht von dem Geld. Das bekomme ich erst heute abend. Deshalb habe ich mir bei einem Kumpel was geliehen, damit wir jetzt schon feiern können, bevor wir wieder zum Nachtdienst müssen.« »Trotzdem geht die Summe, die Sie Ihrem Kameraden erstatten müssen, von der Erbschaft ab«, demonstrierte die Detektivin, 20
daß sie in finanziellen Fragen durchaus bewandert war. »Und heute abend werden Sie das Geld sowieso nicht bekommen. Um diese Zeit ist kein Geldbriefträger unterwegs.« »Weiß ich, Madam«, nickte ihr leicht lallender Gesprächspartner. »Ich bekomme die Kohle in bar von dem Rechtsanwalt, der die Sache bearbeitet hat. Da er zufällig auf der Durchreise ist, treffen wir uns um acht in der Bar in Granbrook.« »Dann mußt du dir aber allmählich ein Taxi bestellen, George«, rief ihm einer seiner Kameraden zu. »Wir haben zwanzig nach sieben.« »Verflucht! Hätte nicht gedacht, daß es so spät ist«, brummte der junge Soldat. »Herr Wirt, ein Taxi!« »Hoffentlich verspätet sich der Anwalt nicht«, setzte er hinzu, während der Mann hinter dem Tresen den Telefonapparat bediente. »Sonst komm' ich noch zu spät zum Dienst.« Diese Sorge war allerdings überflüssig, wie sich im nächsten Moment herausstellte. Vor dem Pub hielt ein Jeep. Zwei Uniformierte der Military Police sprangen heraus und standen gleich darauf breitbeinig im Lokal. Sekundenlang ließen sie ihre Blicke schweifen. Dann kam einer von ihnen zielstrebig auf den schlaksigen Jüngling zu, der an Myladys Tisch saß und plötzlich blaß wie ein Leichentuch war. »Gefreiter George Barney?« wollte der Mann in scharfem Ton wissen. »Stimmt. Das bin ich«, bestätigte der spendierfreudige junge Mann. »Mitkommen!« * Der Auftritt der grimmigen Ordnungshüter hatte die Stimmung
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im Pub schlagartig auf den Nullpunkt sinken lassen. Die Bierlaune der Soldaten war ebenso verflogen wie der Appetit der älteren Dame, die kopfschüttelnd darauf verzichtet hatte, sich ein zweites Sandwich bringen zu lassen. »Was der Junge wohl ausgefressen hat?« sinnierte Mylady, nachdem sie mit Parkers tatkräftiger Hilfe den Fond des ehemaligen Taxis geentert hatte. »Er machte so einen sympathischen Eindruck.« »Eine Feststellung, der man nicht unbedingt widersprechen möchte«, schickte der Butler höflich voraus. »Andererseits dürften Mylady sich erinnern, daß der Name George Barney im Gespräch zwischen Major Keenbourne und Sergeant Walters fiel.« »Natürlich erinnere ich mich«, nickte Lady Simpson. »War das nicht der Bursche, der gleich das Feuer eröffnet hat, als er mein Fahrzeug hinter dem Kasernenzaun entdeckte?« »Sofern man sich recht erinnert, war Mister Barney zusammen mit einem Kameraden namens McCogall in der vergangenen Nacht zur Wache eingeteilt«, brachte Parker eine vorsichtige Korrektur an. »Richtig. Das meinte ich auch«, behauptete die Detektivin umgehend. »Um so unverständlicher ist aber, daß die Feldjäger ihn abgeführt haben. Was ist denn schon dabei, wenn er in der dienstfreien Zeit mit Kameraden feiert?« »Falls man nicht gründlich irrt, dürfte das Eingreifen der Militärpolizei andere Gründe gehabt haben, Mylady«, bemerkte der Butler. »Schon möglich. Woran denke ich dabei konkret, Mister Parker?« »Da Mister Barney und Mister McCogall zur Zeit des Waffendiebstahls für die Absicherung des Geländes verantwortlich waren, dürfte es ihrer Unaufmerksamkeit zu verdanken sein, 22
daß die Einbrecher Erfolg hatten, Mylady.« »Darauf wollte ich Sie auch gerade aufmerksam machen, Mister Parker«, versicherte die majestätische Dame. »Aber dem Jungen daraus einen Strick zu drehen, wäre unmenschlich. Jeder macht mal Fehler.« »Was man nur nachdrücklich unterstreichen kann. Andererseits dürften Mylady argwöhnen, daß Mister Barney und sein Kamerad nicht nur unaufmerksam waren, sondern bewußt wegsahen, als die unbekannten Einbrecher ihre Beute abtransportierten.« »Eine etwas gewagte, aber nichtsdestoweniger bestechende Hypothese«, urteilte die passionierte Ganovenjägerin. »Nur fehlt es an Indizien, die Ihre Annahme erhärten könnten, Mister Parker.« »Mister Barneys plötzlicher Reichtum könnte ein Indiz sein, sofern der Hinweis gestattet ist, Mylady.« »Papperlapapp, Mister Parker. Haben Sie nicht mitbekommen, daß er das Geld von einem Onkel geerbt hat?« »Demnach gehen Mylady davon aus, daß Mister Barneys Darstellung der Wahrheit entsprach?« »Natürlich nicht, Mister Parker. Als Kriminalistin habe ich sofort gemerkt, daß der Lümmel mir Lügen auftischen wollte. Sie können sich wohl denken, was mich stutzig gemacht hat.« »Vor allem Mister Barneys Behauptung, ein Rechtsanwalt werde ihm das geerbte Geld in einer Bar aushändigen, dürfte Myladys Argwohn geweckt haben.« »Richtig. Das ist ja auch mehr als ungewöhnlich, Mister Parker. Aber wenn der Junge aus irgendeinem Grund nicht die Wahrheit sagen wollte – warum hat er dann nicht einfach behauptet, er hätte in der Lotterie gewonnen?« »Offenbar sah er sich genötigt, seinen Kameraden eine plausible Erklärung dafür zu liefern, daß er sich zwei Stunden vor 23
Dienstbeginn aus ihrer Runde absetzen mußte.« »Demnach wollte der hinterlistige Bursche also wirklich die zweitausend Pfund abholen. Aber wenn er das Geld nicht geerbt hat – woher stammt es dann?« »Unter Umständen könnten Mylady die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß es sich um die Prämie handelt, mit der sich die unbekannten Waffendiebe Mister Barneys und Mister McCogalls Unaufmerksamkeit erkauften .« »Also ein Fall von Bestechung, Mister Parker.« »Was man zumindest nicht ausschließen sollte, Mylady.« »Aber das würde ja bedeuten, daß die Wächter mit den Dieben unter einer Decke stecken, Mister Parker.« »In der Tat, Mylady.« »Folglich gehört der Mann, bei dem Mister Barney die zweitausend Pfund abholen wollte, zur Bande der Waffenschieber, Mister Parker.« »Eine Feststellung, der man nicht das Geringste hinzuzufügen hat, Mylady .« »Zu dumm, daß ich keine Zeit hatte, mich genauer nach dem Treffpunkt zu erkundigen«, verkündete Lady Agatha deprimiert. »Dann könnte ich jetzt einfach hinfahren, den Schurken zur Rede stellen und das ganze Komplott aufrollen.« »Einem derartigen Vorgehen dürfte nichts im Weg stehen, Mylady«, erwiderte Parker mit einer Miene, in der sich kein Muskel regte. »Aber wie wollen Sie denn die richtige Bar finden, Mister Parker?« meldete die gewichtige Dame Bedenken an. »Wenn ich erst stundenlang durch die Gegend fahre, ist der Gangster doch längst über alle Berge.« »In einer Kleinstadt wie Granbrook dürfte es nicht mehr als ein oder zwei Etablissements geben, die man als ›Bar‹ bezeichnen kann«, tat der Butler seine Einschätzung kund. 24
»Der Gedanke kam mir auch gerade«, versicherte die Detektivin postwendend. »Wie spät ist es jetzt, Mister Parker?« »Genau halb acht, sofern Mylady keine Einwände erheben«, teilte Parker in seiner höflichen Art mit. »Und wie lange dauert die Fahrt nach… nach… Na, Sie wissen schon, was ich meine, Mister Parker.« »Schätzungsweise eine halbe Stunde, Mylady.« »Worauf warten Sie noch, Mister Parker? Also…?« »Granbrook«, sagte der Butler, startete den Motor und ließ,«ein eckiges Gefährt anrollen. »Da sehen Sie mal wieder, was kriminalistischer Instinkt wert ist, Mister Parker«, frohlockte die ältere Dame, während der schwarze Wagen das Dorf hinter sich ließ und in östlicher Richtung in die Landstraße einbog. »Kaum will ich mir mal eine Entspannung im Grünen gönnen, da bin ich schon wieder einem gigantischen Waffenschmuggel auf der Spur.« »Mylady sehen meine Wenigkeit tief beeindruckt«, versicherte Parker und gab seiner »Trickkiste auf Rädern« die Sporen. * Die ›Twilight-Bar‹ lag am Rand der Ortschaft in einem Bezirk, der ansonsten kleineren Industriegebieten und Werkstätten vorbehalten war. Auf dem mit Schotter bedeckten Parkplatz standen etwa ein Dutzend Fahrzeuge, meist Kleinwagen älterer Baujahre, und einige Motorräder. Hinter der stählernen Eingangstür, die nur angelehnt war, dröhnte dumpfe Discomusik. An den kleinen, runden Tischen saßen überwiegend junge Leute, darunter auch ein paar Soldaten. Zwei leichtgeschürzte Mädchen bewegten sich hüftwedelnd im schummrigen Licht hin und her – immer auf der Suche nach leeren Gläsern, die der Barkeeper sofort wieder füllte. 25
Der einzige Gast in reiferem Alter saß an einem Tisch in der rechten Ecke, gleich neben der momentan leeren Tanzfläche. Parker schätzte den untersetzten Mann im dunklen Konfektionsanzug auf Mitte Sechzig. Seine spiegelblanke Glatze war von einem Kranz grauer Borsten umgeben. Auf dem knollenartig wuchernden Riechorgan funkelte eine goldgefaßte Brille. »Das muß er sein, Mister Parker«,, stand für die Detektivin sofort fest. »Ich werde den Schurken jetzt ansprechen, und Sie bleiben hier an der Tür, um ihm den Rückzug abzuschneiden, falls er die Flucht ergreifen will.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, gab der Butler höflich zurück und sah mit unbewegter Miene seiner Herrin nach, die einige Mühe hatte, ihre ehrfurchtgebietenden Pfunde zwischen den eng gestellten Tischen hindurchzuzwängen. Die giftigen Blicke und gereizten Kommentare der Angerempelten übersah und überhörte sie allerdings großzügig. Gleich darauf hatte Mylady den Tisch des Kahlköpfigen erreicht, der vor einer Sektflasche mit zwei halbvollen Gläsern saß und sich gerade eine Zigarre anzündete. Der Mann sah überrascht auf, als sich die füllige Dame mit verschränkten Armen und finsterer Miene vor ihm aufbaute. »Sind Sie der angebliche Rechtsanwalt, der… äh…?« fragte sie und sah sich hilfesuchend nach Parker um, da ihr ausgerechnet in diesem Moment der Name des jungen Gefreiten entfallen war. »Nee, tut mir leid. Da sind Sie an der falschen Adresse«, entgegnete der Unbekannte. »Ich bin kein Rechtsanwalt. Aber wenn Sie mal 'n günstigen Gebrauchtwagen haben wollen – ich führe alle Fabrikate. Im Topzustand, mit Garantie. Und unschlagbar preiswert.« »Alles nur Ausflüchte. Ich weiß genau, daß Sie der Mann sind, der dem Jungen die zweitausend Pfund übergeben wollte«, schüttelte Lady Agatha energisch den Kopf. »Einer Kriminalistin 26
können Sie nichts vormachen. Ich durchschaue jedes Täuschungsmanöver.« »Aber ich muß doch sehr bitten…« protestierte der Gebrauchtwagenhändler und setzte im nächsten Moment ein Lächeln auf, das aber nicht der Detektivin, sondern einer opulent ausgestatteten Mittzwanzigerin galt, die frisch gestylt von der Toilette zurückkehrte. »Wollen wir nicht noch mal tanzen, Schätzchen?« himmelte sie den Glatzkopf an und zog ihn auch gleich vom Stuhl hoch. »Nichts lieber als das, Mäuschen«, säuselte ihr Galan und ließ sich auf das von unten illuminierte Glasoval entführen. Lady Simpson blieb einen Augenblick wie angewurzelt stehen und legte die Stirn in Falten. Dann kehrte sie zu ihrem schwarz gewandeten Butler zurück. »Der Lümmel leugnet noch. Aber mir kann er natürlich nichts vormachen, Mister Parker«, ließ die ältere Dame mit hochmütigem Lächeln verlauten. »Auch das Mädchen, das er mitgebracht hat, dient nur zur Tarnung.« »Demnach sind Mylady fest davon überzeugt, daß es sich um ein Mitglied der sogenannten Unterwelt handelt?« vergewisserte sich Parker. »Felsenfest«, bekräftigte die leidenschaftliche Detektivin. »Deshalb werde ich jetzt ein Gläschen trinken und ihn scharf im Auge behalten. Sobald er Anstalten trifft, das Lokal zu verlassen, greife ich zu.« »Mylady gedenken also, den fraglichen Herrn vorläufig festzunehmen?« wollte der Butler wissen, während er Lady Agatha an einen freien Tisch geleitete, der so platziert war, daß man gleichzeitig den Eingang und die Tanzfläche beobachten konnte. »Natürlich«, nickte die majestätische Dame, nachdem sie auf dem beunruhigend zierlich gebauten Stuhl Platz genommen hatte. »Anschließend werde ich das durchtriebene Subjekt einem 27
verschärften Verhör unterziehen. Dann legt er ein umfassendes Geständnis ab, und schon ist der Fall gelöst.« Parker enthielt sich eines Kommentars. Er wußte aus Erfahrung, was seine resolute Herrin unter einem verschärften Verhör verstand. Da legte jeder ein Geständnis ab. Auch, wenn er kaum etwas zu gestehen hatte. Ob der untersetzte Glatzenträger, der jetzt mit seiner blonden Schönen im Arm über die Tanzfläche schlurfte, der Richtige war da hatte er allerdings seine Zweifel. Vielleicht kam der Gesuchte ja noch. Andererseits bestand auch die Möglichkeit, daß man für nichts und wieder nichts hier saß und billige Getränke für teures Geld bestellte. Selbst wenn Barney in seinem umnebelten Zustand den richtigen Treffpunkt genannt hatte, war immer noch damit zu rechnen, daß der Geldbote ausblieb, daß er Lunte gerochen hatte oder einfach darauf verzichtete, die vorher versprochene Prämie tatsächlich zu zahlen. Doch zwei Minuten später wußte der Butler, daß man nicht umsonst nach Granbrook gekommen war. Der schlanke, etwa vierzig Jahre alle Mann, in dessen dunklem Haar sich die ersten grauen Strähnen zeigten, war offenbar gewohnt, mit wachsamen Blick die Lage zu sondieren, bevor er ein Lokal betrat. Nach kurzem Zögern bahnte er sich einen Weg und ließ sich genau am Tisch neben der Detektivin nieder. »Wenn der Lümmel nicht bald aufhört zu tanzen, werde ich noch hier im Lokal tätig«, offenbarte die gewichtige Dame ihre Ungeduld. »Erstens habe ich keine Zeit zu verschenken, und zweitens ist das musikalische Angebot weit unter Niveau.« »Umstände, die meiner Wenigkeit hinreichend vertraut sind«, erwiderte Parker. »Darf man sich im übrigen die Freiheit nehmen, Mylady auf den Herrn hinzuweisen, der soeben am Nach28
bartisch Platz genommen hat?« »Der ist mir auch schon aufgefallen, Mister Parker. Ohne Zweifel ein höchst verdächtiges Element«, urteilte Agatha Simpson und drehte sich zur Seite, um die drahtige, modisch gekleidete Gestalt besser in Augenschein nehmen zu können. Ihre bohrenden Blicke blieben dem Unbekannten nicht verborgen. Irritiert sah er herüber, runzelte kurz die Stirn und schaute dann demonstrativ zur Tanzfläche. »He, Sie da! Junger Mann«, übertönte Mylady das Dröhnen der Lautsprecherboxen. »Kommen Sie doch mal herüber!« Der Angesprochene zögerte und setzte ein leicht verrutschtes Lächeln auf. Doch dann erhob er sich und nahm den noch freien Stuhl an Lady Simpsons Tisch in Beschlag. »Sie sind der Rechtsanwalt, der dem Jungen das Geld bringen wollte«, kam die Detektivin ohne Umschweife zur Sache. »Mein Name ist Scarfield, Madam. Al Scarfield«, stellte sich der Tischnachbar vor. »Aber…« »Wie hieß der Junge noch, Mister Parker?« wandte Mylady sich an den Butler, ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß Scarfield einen Einwand vorbringen wollte. »George Barney, Mylady«, antwortete Parker und behielt den Graumelierten ebenso diskret wie aufmerksam im Auge. Nur ein flüchtiges Zucken der Mundwinkel verriet, daß Scarfield den Namen nicht zum erstenmal hörte. »Richtig. Der Name lag mir auf der Zunge«, nickte die manchmal etwas zerstreute Dame. »Und Sie müssen der Rechtsanwalt sein, der ihm die zweitausend Pfund überbringen wollte, die er von einer alten Tante geerbt hat, Mister Garfield.« »Ach, von der Erbschaft sprechen Sie«, lächelte der Mann, der sich Scarfield nannte. »Ja, es stimmt. Mister Barney hat etwas Geld geerbt. Aber warum ist er nicht hier?« »Der… der Junge ist unpäßlich«, behauptete die füllige Dame. 29
»Er bekam plötzlich Fieber und mußte ins Bett. Deshalb hat er mich gebeten, das Geld abzuholen.« »Ach so«, murmelte der Drahtige und musterte seine Gesprächspartnerin mit argwöhnischen Blicken. »Und was haben Sie mit der Angelegenheit zu tun?« »Ich bin seine Tante«, behauptete Lady Agatha und warf dem Butler einen spitzbübischen Blick zu. »Wenn das so ist, sollten wir die Angelegenheit gleich regeln«, schlug der angebliche Rechtsanwalt vor. »Ich habe nämlich nicht viel Zeit. Wenn Sie mit auf den Parkplatz kommen möchten? Das Geld liegt im Auto.« Augenblicke später verließen Scarfield, Agatha Simpson und Josuah Parker die Bar. »Hier entlang«, sagte Scarfield und schritt auf eine chromglänzende Luxuslimousine US-amerikanischer Bauart zu, die in der finstersten Ecke der Schotterfläche stand. Dort angekommen, öffnete er die Fahrertür, griff ins Handschuhfach und… hielt plötzlich einen Revolver mit hochmodernem Schalldämpfer in der Rechten. Der Butler, der mit einer derart feindseligen Geste gerechnet hatte, war jedoch auf der Hut. Ehe der Gangster Zeit fand, sein hochtechnisiertes Mordinstrument zu entsichern, aktivierte Parker sein schwarzes Universal-Regendach und legte den bleigefüllten Bambusgriff mit Nachdruck auf Scarfields Schädeldecke. Röchelnd ging der Drahtige in die Knie und sackte nach einer halben Drehung vollends in sich zusammen. Der Revolver blieb auf dem Fahrersitz liegen. »Müssen Sie denn immer dazwischenfunken, Mister Parker?« beschwerte sich Mylady. »Ich wäre mit dem Bengel auch allein fertig geworden.« »Was man unter keinen Umständen in Zweifel ziehen möchte, Mylady«, versicherte der Butler höflich und… wandte sich blitz30
schnell um, als in der Dunkelheit das Knirschen vorsichtiger Schritte auf dem Schotter hörbar wurde. * Zum Reagieren war es zu spät. Scarfields Bodyguards mußten sich hinter der nahen Gebäudeecke verborgen gehalten haben. Die schallgedämpften Läufe ihrer Automatics waren auf Parker und seine Herrin gerichtet. »Pfoten hoch und umdrehen!« knurrte einer von ihnen gedämpft. »Und wehe, ihr schreit um Hilfe! Dann machen wir euch gleich platt.« »Als ob ich schon in meinem Leben um Hilfe geschrien hätte!« gab Lady Simpson empört zurück. »So was hat eine Kriminalistin nicht nötig, junger Mann.« »Halt die Klappe, alte Schachtel!« fauchte der Unterweltler. »Dein Organ hört man ja bis auf die Straße.« Während der weiterhin das Duo aus Shepherd's Market mit entsicherter Waffe in Schach hielt, beugte sich sein Begleiter zu Scarfield hinunter. »Kommt gleich wieder zu sich«, lautete der Kommentar des selbsternannten medizinischen Gutachters. »Am besten verschwinden wir zügig und nehmen die komischen Figuren mit«, meinte der Mann mit der Automatic im Anschlag. »Okay«, nickte der andere und sperrte den Kofferraum des Straßenkreuzers auf. »Los, rein mit euch! Aber 'n bißchen plötzlich!« »Das wollen Sie einer Dame meines Standes doch wohl nicht zumuten, junger Mann«, legte die stämmige Ganovenjägerin geharnischten Protest ein, bevor sie sich dem Butler zuwandte: »Finden Sie nicht auch, daß die unbehobelten Burschen eine eingehende Lektion in guten Manieren verdient hätten, Mister Par31
ker? Erst beleidigen sie mich schamlos, und dann soll ich wie ein Stück Gepäck in einen Kofferraum gepfercht werden.« »Ein Benehmen, das in der Tat durch nichts zu entschuldigen sein dürfte«, pflichtete Parker ihr höflich bei. Allerdings sollten Mylady bedenken, daß die Herren über wahrhaft durchschlagende Argumente verfügen. Somit könnte es sich empfehlen, die fällige Belehrung auf einen günstigeren Zeitpunkt zu verschieben.« »Sie haben recht, Mister Parker«, lenkte die streitbare Dame ein. »Auf Dauer sind mir die unerfahrenen Tölpel ja doch nicht gewachsen.« Widerstrebend ließ sie sich in den überaus geräumigen Kofferraum helfen, wobei sie ihrer unterdrückten Wut durch nicht gerade damenhafte Kraftausdrücke Luft machte. Der Platz, den sie dem Butler übrig ließ, war mehr als bescheiden. Aber er reichte, solange Parker mit angezogenen Beinen in seiner Ecke saß. Gerade noch rechtzeitig zogen die unfreiwilligen Fahrgäste die Köpfe ein. Mit einem Knall wurde die Haube zugeworfen. Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Aus den Geräuschen, die von draußen in das stockfinstere Verlies drangen, schloß der Butler, daß die beiden Gangster ihren Arbeitgeber auf den Rücksitz der Limousine hievten. Nacheinander klappten drei Türen zu. Der Motor sprang an. »Hier kann man ja nicht die Hand vor Augen sehen«, klagte die Detektivin, während der Wagen über den Parkplatz schaukelte und dann nach links in die Straße einbog. »Ein Zustand, den man unverzüglich ändern wird«, antwortete Parker und knipste seine kaum kugelschreibergroße, aber immens lichtstarke Lampe an. »Schon besser«, kommentierte die ältere Dame. »Aber was sitzen Sie da so untätig herum, Mister Parker? Wollen Sie nicht 32
endlich was unternehmen, damit ich diese Zumutung nicht länger ertragen muß?« »Sofern Mylady so gütig wären, vorübergehend die Lampe zu halten, würde man versuchen, das Schloß zu entsperren«, bot der Butler an. »Allerdings dürfte es sich kaum empfehlen, die Haube zu öffnen, solange sich das Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit bewegt.« »Na gut. Aber an der ersten roten Ampel gehe ich zum Angriff über«, kündigte die agile Dame an, während Parker mit seinem handlichen Universalbesteck dem Zylinderschloß der Kofferraumhaube zu Leibe rückte. »Nicht mal im Traum würde man sich erkühnen, Mylady zu widersprechen«, schickte der Butler in seiner höflichen Art voraus. »Andererseits könnten Mylady erwägen, bis zum Zielort mitzufahren und erst dort Anstalten zu treffen, das – zugegeben – unerfreuliche Blatt zu wenden.« »Und wenn ich das täte – was würde ich mir dann davon versprechen, Mister Parker?« »Zum Beispiel eine Begegnung mit bislang unbekannten Herren, die in der Hierarchie der Bande wesentlich höher stehen dürften als Mister Scarfield und seine unhöflichen Mitarbeiter.« »Dann habe ich es bisher also nur mit Randfiguren zu tun, Mister Parker?« »Davon dürfte ohne Zweifel auszugehen sein, Mylady.« Inzwischen hatte Parker seine nächstliegende Aufgabe gelöst. Die Haube war zwar noch eingerastet, aber nicht mehr verschlossen. »Wie Sie wissen, bin ich als Detektivin nur an den Drahtziehern des Verbrechens interessiert«, ließ die majestätische Dame verlauten und gab die Lampe wieder zurück. »Deshalb hatte ich eigentlich von Anfang an vor, bis in die Höhle des Löwen mitzufahren. Genaugenommen ist das auch der einzige Grund, 33
warum ich mich überhaupt entschlossen habe, in dieses unbequeme Gehäuse zu steigen, Mister Parker.« »Was man nur so und nicht anders vermutet hatte, Mylady«, versicherte der Butler und schaffte es selbst unter den momentan recht beengten Verhältnissen, eine Verbeugung wenigstens anzudeuten. Anscheinend war Scarfield jetzt wieder aus dem Dämmer- in den Wachzustand zurückgekehrt. »Verdammte Kiste!« fluchte er so laut, daß man im Kofferraum jedes Wort verstehen konnte. »Dieser stocksteife Greis hat mir anständig einen über die Rübe gezogen. War fitter, als ich dachte.« »Wir wollten noch eingreifen«, war jetzt einer der Bodyguards zu hören. »Aber das ging einfach zu schnell, Chef.« »Hab's ja überlebt«, brummte der Drahtige. »Und wo sind die zwei jetzt?« »Im Kofferraum«, lautete die Antwort. »Wir hielten es für das Beste, sie erst mal mitzunehmen.« »Sehr gut«, lobte Scarfield. »Dann werde ich mir das Pärchen nachher mal gründlich vornehmen. Möchte wissen, wie die Wind von der Sache gekriegt haben. Irgendwas muß schiefgelaufen sein.« »Den Eindruck hab' ich auch, Chef«, schloß sich der zweite Bodyguard an. »Sollen wir denn die Sache heute nacht abblasen?« »Quatsch!« widersprach Scarfield. »Ich habe alles eingefädelt, und jetzt bleibt es auch dabei. Zwischen drei und vier am Materialdepot bei Horsham.« »Okay. Sie sind unser Chef. Sie müssen's wissen«, erwiderte sein Mitarbeiter. »Ich dachte nur…« »Mach dir gefälligst nicht in die Hosen, Kevin«, herrschte der »Chef« ihn an. »Ich werde die Witzblattfiguren ausquetschen wie Zitronen. Danach können wir immer noch weitersehen. 34
Aber vermutlich sind die beiden harmlos.« »Die Alte hat aber behauptet, sie wäre Detektivin«, wandte der besorgte Bodyguard ein. »Und das glaubst du?« gab Scarfield unter spöttischem Gelächter zurück. »Hast du schon mal 'ne Detektivin gesehen, die so vertrottelt ist?« Dreistimmiges Gelächter folgte. Danach war den Gangster offenbar der Gesprächsstoff ausgegangen. »Hoffentlich sind wir bald da«, murmelte Agatha Simpson, die voller Ingrimm die Fäuste geballt hatte. »Diese Ungehörigkeiten werden die Flegel mir büßen.« Minuten später nahm der Fahrer Gas weg. Die hallenden Geräusche deuteten darauf hin, daß man sich jetzt auf einer beidseitig bebauten Stadtstraße befand. Es dauerte nicht lange, bis der Wagen scharf nach links abbog, nur noch im Schrittempo weiterfuhr und schließlich zum Stehen kam. * Augenblicklich schaltete Parker die Stiftlampe aus und ließ sie in die rechte Außentasche seines schwarzen Covercoats gleiten. Dann wartete er ebenso geduldig wie konzentriert ab, bis die Wagentüren klappten und Schritte näher kamen. Als der Schlüssel ins Schloß glitt, stieß er die Haube kraftvoll nach oben und löste damit einen sirenenähnlichen Heulton aus. Auf einknickenden Knien taumelte der Bodyguard, den es am Kinn und an der Nase erwischt hatte, rückwärts. Aber im selben Augenblick erblickte der Butler den Kollegen des Unvorsichtigen, der fünf Schritte entfernt stand und sofort seine Automatic hochriß. Während er die Haube blitzschnell wieder zuzog, nahm Parker noch das bläuliche Aufblitzen des Mündungsfeuers wahr. Fast 35
gleichzeitig schrammte das Projektil unter häßlichem Kreischen über das blank lackierte Metall. Dann rastete das Schloß ein. Jetzt wurden draußen hastige Schritte hörbar. Auf dem ehemaligen Fabrikhof, dessen verfallende Kulisse der Butler nur für Sekundenbruchteile wahrgenommen hatte, war Alarmstimmung ausgebrochen. Scarfield kommandierte, seine Männer begaben sich in Schußposition. »Kommt langsam raus!« verlangte er schließlich. »Dann passiert euch nichts. Aber keine faulen Tricks! Sonst gibt's 'ne Bleivergiftung.« »Das haben Sie von Ihrer ungestümen Art, Mister Parker«, sparte die passionierte Detektivin nicht mit Vorwürfen. »Aber keine Sorge. Solange ich in Ihrer, Nähe bin, kann Ihnen überhaupt nichts passieren.« »Ein Zuspruch, der geeignet ist, ungemein beruhigend zu wirken, Mylady«, antwortete Parker und ließ im Zeitlupentempo die Kofferraumhaube hochgleiten. Anschließend stieg er mit überraschend geschmeidigen Bewegungen nach draußen, um dann seiner gewichtigen Herrin zu assistieren, die bedeutend mehr Mühe aufwenden mußte, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Währenddessen stand Scarfield mit schußbereiter Waffe genau dem Heck gegenüber. Einer seiner Leibwächter hielt links, der andere, der sich von seiner kurzen Bewußtseinstrübung schon erholt hatte, rechts Wache. Eine – wenn auch vage – Möglichkeit, die äußerst unbehaglichen Machtverhältnissen zu revidieren, war verspielt. Aber der Butler zweifelte nicht daran, daß sich über kurz oder lang eine bessere Chance bieten würde. Nur mußte er sich in Geduld üben und durch diplomatisches Verhalten verhindern, daß der zu spontanen Ausfällen neigenden Detektivin der Geduldsfaden riß. Daß sie beim Anblick ent36
sicherter Feuerwaffen eine geradezu beneidenswerte Unbefangenheit an den Tag legen konnte, hatte Mylady schon öfter bewiesen. Aber in der momentanen Situation hätte jede unbedachte Bewegung unweigerlich ein Blutbad nach sich gezogen. Scarfield und seine Helfershelfer paßten auf wie die sprichwörtlichen Schießhunde. Und sie schienen fest entschlossen, von ihren automatisierten Bleischleudern Gebrauch zu machen, sobald sich der geringste Anlaß bot. »Vorwärts! Da entlang!« befahl der Gangster im modischen Dreß und deutete auf eine rostige Stahltür. Gemächlichen Schrittes leisteten Parker und seine Herrin der Aufforderung Folge. Einer der Bodyguards ging vor, öffnete die Tür und trat dann zur Seite. Der Chef und sein zweiter Mitarbeiter behielten das skurrile Pärchen von hinten im Schußfeld. Durch lange Gänge, in denen jedes Geräusch gespenstisch widerhallte, gelangte man schließlich in einen fensterlosen Kellerraum, ohne daß der Butler eine Möglichkeit gesehen hätte, das Gesetz des Handelns an sich zu reißen. Der schätzungsweise fünfmal acht Meter große Raum schien früher als Lager gedient zu haben und war notdürftig mit Gipskartonplatten verkleidet. Ein Schreibtisch, ein Telefon, etliche Stühle und eine entnervend flimmernde Neonleuchte an der Decke stellten die ganze Ausstattung dar. Als Blickfang stach ein farbiges Poster ins Auge, das eine hüllenlose Dame mit geradezu gigantischen Attributen in Lebensgröße zeigte. Parker übersah den aufreizenden Wandschmuck geflissentlich. Aber Lady Agathas empörte Miene dokumentierte deutlich, wie sehr ihr moralische Zügellosigkeit verhaßt war. »Da an die Wand!« kommandierte Scarfield. »Und jetzt will ich erst mal wissen, wer ihr seid.« Doch bevor der Butler Gelegenheit fand, ihm seine Visitenkarte 37
zu überreichen, schrillte das Telefon. Einer der Bodyguards nahm ab und meldete sich mit »Hallo?« »Für Sie, Chef«, sagte er gleich darauf und reichte den Hörer weiter. »Ja?« sagte der Drahtige. »Ach, Sie sind es? Ich wollte Sie sowieso noch anrufen. Ich habe hier nämlich zwei Schnüffler sitzen, denen ich gründlich auf den Zahl fühlen muss.« »Jetzt sofort?« fragte er, nachdem sein Gesprächspartner ihm offensichtlich ins Wort gefallen war. »Ja, natürlich. Wenn's so wichtig ist. Wir können das Pärchen ja erst mal hier einlochen.« Es entstand eine kurze Pause, in der Scarfield zweimal zustimmend nickte. »Alles klar«, sagte er dann. »Üblicher Treffpunkt? Also bis gleich.« »Mit euch werde ich mich später befassen«, wandte er sich dem Duo aus Shepherd's Market zu, nachdem der Hörer auf die Gabel gefallen war. Einer der Männer öffnete die Stahltür, die in den angrenzenden, wesentlich kleineren Raum führte. Mit einer Kopfbewegung forderte er Parker und Lady Simpson auf, die Schwelle zu überschreiten. »Da gibt es ja nicht mal eine Sitzgelegenheit«, protestierte Mylady nach einem argwöhnischen Blick durch die Türöffnung. »Solch eine entwürdigende Behandlung mutet man nicht mal Strafgefangenen zu, junger Mann.« »Sie sollen sich endlich in Bewegung setzen«, zischte Scarfield mit wutverzerrter Miene. »Und wenn ich mich nicht in Bewegung setze?« gab die gewichtige Dame schnippisch zurück. Die Antwort bestand in einem sanften »Plopp!«, das Scarfields schallgedämpfter Revolver von sich gab. Betonsplitter und grauer Staub spritzten vor Agatha Simpsons rustikalen Schnürschuhen auf. Die Kugel war im Fußboden stecken geblieben. »Das werden Sie mir büßen, Mister Garfield«, schwor die stäm38
mige Lady grollend und setzte sich nun doch in Bewegung. Der Butler folgte ihr in drei Schritten Abstand. Dabei wirkte seine Haltung so steif, als hätte er einen Ladestock verschluckt. Kaum hatte er den ebenfalls fensterlosen Nebenraum betreten, da fiel die Tür hinter ihm krachend in Schloß. Quietschend und knirschend drehte sich der Schlüssel. Die Schritte der Gangster entfernten sich. Dann wurde es totenstill. * Lauschend stand Parker in der Dunkelheit. Doch nach zwei Minuten zweifelte er nicht mehr daran, daß Scarfield ein entscheidender Fehler unterlaufen war. Er hatte sich samt seinen Bodyguards abgesetzt, ohne vor der Tür eine Wache zurückzulassen. Während seine Herrin schon vor Ungeduld mit den Füßen scharrte, knipste der Butler seine Stiftlampe an, zückte das handliche Universalbesteck und machte sich am Türschloß zu schaffen. Dabei stellte sich heraus, daß die Unterweltler den Schlüssel hatten stecken lassen. So mußte Parker zwar etwas mehr Zeit und Mühe aufwenden. Aber auf Dauer war der recht simple Schließmechanismus dem vielfach bewährten »Sesam, öffne dich!« nicht gewachsen. »Na endlich«, kommentierte die Detektivin, als der Butler die Klinke niederdrückte und mit einer höflichen Verbeugung den Weg freigab. »Jetzt aber nichts wie hinterher, Mister Parker. Die Schurken dürfen auf keinen Fall entwischen.« »Meine Wenigkeit fliegt, Mylady«, versicherte Parker und setzte sich würdevoll in Bewegung. Doch als er gleich darauf das Gebäude verließ und den Innenhof betrat, war der Straßenkreuzer verschwunden – und mit ihm das Gangstertrio. 39
»Wie ärgerlich! Jetzt muß ich den Flegeln auch noch nachjagen«, beschwerte sich die ältere Dame. »Und das nur, weil Sie zu langsam waren, Mister Parker.« »Mylady sehen meine Wenigkeit zutiefst geknickt«, gab der Butler in seiner unerschütterlichen Höflichkeit zurück. »Im übrigen dürfte der Hinweis gestattet sein, daß eine Verfolgung nur wenig Aussicht auf Erfolg hätte.« »Warum? Hat das kriminelle Gesindel denn einen schnelleren Wagen als ich?« reagierte Lady Agatha überrascht. »Möglicherweise darf man daran erinnern, daß Myladys Fahrzeug noch auf dem Parkplatz der ›Twilight Bar‹ in Granbrook steht«, antwortete Parker. »Na schön. Dann nehme ich eben ein Taxi«, entschied die leidenschaftliche Detektivin. »Die Kosten werde ich mir schon von Mister Garfield zurückkholen.« »Ein Vorhaben, das auf Schwierigkeiten stoßen dürfte, Mylady«, bemerkte der Butler. »Ich weiß. Der Lümmel wird sich weigern«, nickte die majestätische Dame. »Aber was mir zusteht, hole ich mir, Mister Parker.« »Was man mitnichten in Zweifel ziehen wollte, Mylady«, versicherte ihr schwarz gewandeter Begleiter. »Andererseits sieht man sich nicht in der Lage, auch nur Vermutungen darüber anzustellen, wohin Mister Scarfield und seine Leibwächter gefahren sein könnten.« »Das heißt: Sie haben die Spur der Lümmel verloren, Mister Parker?« »So könnte man es in der Tat nennen, Mylady.« »Und was schlagen Sie mir jetzt vor, Mister Parker? Soll ich etwa tatenlos hier herumsitzen, bis die Gangster zurückkommen?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, entgegnete Parker 40
gelassen. »Und wenn die Burschen überhaupt nicht zurückkommen?« unterbrach Lady Simpson unwirsch. »Da haben Sie mich mal wieder in was Schönes reingeritten, Mister Parker.« »Mylady könnten erwägen, die geplante Aktion zum Nachteil des Munitionsdepots in Horsham zu vereiteln, von der Mister Scarfield und seine Mitarbeiter während der Fahrt sprachen«, schlug der Butler vor. »Nach der Festnahme der Täter dürfte dann ein eingehendes Verhör auf die Spur des Auftraggebers führen.« »An diese Möglichkeit habe ich natürlich auch längst gedacht«, behauptete Agatha Simpson postwendend. »Aber mit dem Taxi ist das doch viel zu teuer. Habe ich überhaupt soviel Bargeld bei mir, Mister Parker?« »Nötigenfalls könnte man die Rechnung per Scheckkarte begleichen«, gab der Butler mit unbewegter Miene zur Antwort. »Andererseits bestände die Möglichkeit, Mister Rander zu bitten, daß er sein Fahrzeug zur Verfügung stellt.« »Ein Vorschlag, der von mir stammen könnte, Mister Parker«, tat die sparsame Lady unter beifälligem Nicken kund. »Der gute Junge wird gewiß nicht nein sagen. Und mir entstehen nur die Kosten für ein Telefongespräch.« Gesagt, getan. Während Mylady den schmucklosen Büroraum unter die Lupe nahm und nach einem hochprozentigen Therapeutikum Ausschau hielt, das ihrem pflegebedürftigen Kreislauf neuen Schwung verleihen konnte, begab sich Parker auf die Straße hinaus, um sich zu orientieren. Kurze Zeit später kehrte er zurück, nahm den Telefonhörer ab und wählte Mike Randers Nummer. »Nanu? Sie sind's, Parker?« zeigte sich der Anwalt überrascht. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?« »Man wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Mylady und 41
meine Wenigkeit an der Northey Street in Limehouse abholen könnten, da man momentan über keinerlei Fahrzeug verfügt«, teilte der Butler mit. »Okay. Ich fahre sofort los«, erwiderte Rander, ohne weitere Fragen zu stellen. »In zwanzig Minuten bin ich da.« »Unter diesen Umständen erlaubt man sich, in aller Form für die freundliche Hilfsbereitschaft zu danken, Sir«, sagte Parker und legte den Hörer auf. Mit dem vierzigjährigen Anwalt, dessen sportlich-markante Erscheinung an einen beliebten James-Bond-Darsteller erinnerte, verband den Butler eine alte Freundschaft. Gemeinsam hatten die Männer etliche Jahre in den Staaten verbracht und dort eine Reihe Aufsehen erregender Kriminalfälle gelöst. Als Parker dann an die Themse zurückkehrte und in Lady Simpsons Dienste trat, war Rander bald gefolgt und hatte an der nahegelegenen Curzon Street eine Kanzlei eröffnet. Seit der Butler ihn im Hause seiner neuen Herrin eingeführt hatte, bestand die Hauptaufgabe des sympathischen Juristen jedoch darin, das schier unermeßliche Vermögen der agilen Witwe zu verwalten. In der herrschaftlichen Villa in Shepherd's Market hatte Rander übrigens auch die attraktive Kathy Porter kennengelernt, die damals als Sekretärin und Gesellschafterin der älteren Dame tätig gewesen war. Seitdem sah man die beiden häufig zusammen, und Mylady träumte sogar davon, die »Kinder«, wie sie liebevoll zu sagen pflegte, Seite an Seite vor dem Traualtar zu sehen. Obwohl von Natur aus sanft und anschmiegsam, konnte sich die schlanke, hochgewachsene Kathy, deren leicht mandelförmig geschnittene Augen auf asiatische Vorfahren schließen ließen, im Handumdrehen in eine fauchende Pantherkatze verwandeln. An den Verbrecherjagden, zu denen Lady Agatha mit schöner Regelmäßigkeit zu blasen pflegte, hatte die junge Dame schon 42
häufiger teilgenommen. Und sie hatte Kerle auf die Bretter befördert, die mehr als das Doppelte ihres Körpergewichts auf die Waage brachten. Dabei kam ihr allerdings der Umstand zugute, daß sie jahrelang mit Hingabe die hohe Kunst fernöstlicher Selbstverteidigung studiert hatte. Eine Stunde später jagte Randers dunkelblauer Austin über die nächtliches leere N 24 in Richtung Granbrook. Man war übereingekommen, zunächst den Parkplatz der ›Twilight Bar‹ anzusteuern, wo das hochbeinige Monstrum stand, und von dort mit zwei Fahrzeugen nach Horsham weiterzufahren. Vorn, neben dem Anwalt, saß Josuah Parker. Ihm war die Aufgabe zugefallen, über die Hintergründe des Falles, soweit sie bislang bekannt waren, zu berichten. Auf dem Rücksitz hatte die Detektivin ihre ehrfurchtgebietende Körperfülle ausgebreitet. Kathy Porter, die sich aufregende Erlebnisse nur ungern entgehen ließ, gab sich mit einem Plätzchen in der rechten Ecke zufrieden. Als die Limousine schließlich am Etappenziel stoppte, war Mitternacht bereits vorüber. Aber die Leuchtreklame der Bar flimmerte noch und lockte späte Gäste an. »Eigentlich sollte ich die Gelegenheit wahrnehmen und mir noch einen kleinen Kreislaufbeschleuniger genehmigen, bevor ich weiterfahre«, äußerte die gewichtige Dame, während der Butler ihr umsichtig beim Verlassen des Wagens assistierte. »Ein Begehren, dem keinerlei unüberwindliche Schwierigkeiten im Weg stehen dürften«, erwiderte Parker. »Wenn die Gangster nicht früher mit der Arbeit anfangen als geplant, haben wir noch ein halbes Stündchen Zeit«, setzte Mike Rander nach einem Blick auf seine Armbanduhr hinzu. »So lange wird es nicht dauern, Mike«, versprach Lady Simpson und setzte sich zielstrebig in Bewegung. Der Butler folgte gemessen und würdevoll, während das junge Paar es vorzog, im 43
Auto zu warten. »Sie waren aber lange draußen«, sagte der Barkeeper, nachdem das Duo aus Shepherd's Market am Tresen Platz genommen hatte. »War Ihnen nicht gut?« »Doch, doch«, versicherte Mylady eilig. »Aber ich liebe frische Luft über alles.« »Um ehrlich zu sein – bis vor zwei Minuten glaubte ich, Sie hätten die Zeche prellen wollen«, fuhr der Mann fort und stellte einen großzügig gefüllten Cognacschwenker vor die ältere Dame hin. »Die Getränke von vorhin sind nämlich noch nicht bezahlt.« »Zu spät, junger Mann«, gab die stämmige Lady fröhlich zurück. »Das ist jetzt verjährt.« Sie erhob dann aber doch keinen Einspruch, als der Butler seine Börse zückte und die Gesamtrechnung beglich. »Übrigens hat der Mann, der neben Ihnen saß, diesmal auch nicht bezahlt«, wußte der Barkeeper zu berichten. »Aber wenn er das nächste Mal kommt, spreche ich ihn an.« »Demnach darf man davon ausgehen, daß der fragliche Herr zu Ihren Stammgästen zählt?« hakte Parker interessiert nach. »Das nicht gerade«, antwortete sein Gegenüber zögernd. »Aber manchmal sitzt er hier mit jungen Soldaten am Tisch und gibt eine Runde nach der anderen aus.« »Was für ein Verschwender!« entrüstete sich Mylady. »Das könnte ich mir nicht erlauben.« »Wenn Sie mich fragen, ist der Kerl schwul«, teilte der Mann hinter dem Tresen mit. »Aber was geht's mich an, wenn er hinterher einen der Jungs abschleppt. Soll doch jeder nach seiner Fasson selig werden.« »Eine Äußerung, der man nicht um jeden Preis widersprechen möchte«, entgegnete der Butler und geleitete seine füllige Herrin zum Ausgang.
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* � Auf der hell beleuchteten Zufahrtsstraße zum Munitionsdepot Horsham wollte Parker sein hochbeiniges Gefährt nicht stehenlassen. Deshalb setzte er rückwärts in einen schmalen Waldweg zurück, bis der Wagen unter den dicht belaubten Zweigen verschwunden war. Mike Rander fand einen sichtgeschützten Parkplatz in unmittelbarer Nähe. »Wie spät ist es jetzt, Mister Parker?« erkundigte sich die Detektivin. »In wenigen Minuten zwei Uhr dreißig, Mylady«, antwortete der Butler. »Und wann wollten die Lümmel hier sein, Mister Parker?« »Zwischen drei und vier Uhr, sofern man sich recht erinnert, Mylady.« »Dann hat es ja gar keinen Sinn, wenn ich jetzt schon im finsteren Wald herumgehe«, befand Agatha Simpson, während der Anwalt und seine Begleiterin näher kamen und ans offene Wagenfenster traten. »Genausogut hätte ich noch eine Stunde in der Bar bleiben können.« »Unter Umständen sollte man damit rechnen, daß die Waffendiebe sich nicht strikt an ihren Zeitplan halten«, gab Parker zu bedenken. »Ohnehin dürfte es sich empfehlen, zunächst das Gelände zu erkunden.« »Das dürfen Sie gerne tun, Mister Parker«, gestattete Mylady lächelnd. »Aber ohne mich. Ich werde hier warten und ein wenig mit Kathy plaudern. Wenn es soweit ist, bin ich natürlich auf dem Posten.« »Woran man nicht im Traum zweifeln würde, Mylady«, versicherte der Butler und setzte sich würdevoll in Bewegung. »Warten Sie, Parker. Ich komme mit«, sagte Rander und folgte, während die hübsche Kathy schmollend zu Lady Agatha in den 45
Fond stieg. Gleich darauf trennten sich die Männer. Parker wollte das Armydepot in westlicher Richtung umrunden, der Anwalt machte sich nach Osten auf. Lautlos und unsichtbar wie ein Schatten glitt der schwarz gewandete Butler durchs Gelände und hielt dabei ständig einen Abstand von schätzungsweise hundert Schritten zum Maschendrahtzaun ein. Jenseits der Einfriedung war alles ruhig. Nirgends ließ sich ein Wachposten blicken. Offenbar hatte man es nicht für nötig befunden, nach dem Waffendiebstahl von Granbrook alle Munitionsdepots im Land in Alarmbereitschaft zu versetzen. Auf seinem Weg durch die Dunkelheit schritt Parker abwechselnd über federnden Waldboden und taunasse Wiesen. Er stieg Böschungen empor und durchquerte zwei kleine Bachtäler. Fast zwanzig Minuten waren vergangen, als er plötzlich stehenblieb und auf das Geräusch der Schritte lauschte, die sich in einiger Entfernung näherten. »Mein Gott, Parker!« flüsterte Mike Rander gleich darauf. »Haben Sie mich erschreckt. Ich hab' Sie überhaupt nicht gesehen.« »Man erlaubt sich, um Nachsicht zu bitten, Sir«, erwiderte der Butler gedämpft. »Darf man im übrigen fragen, ob Sie besondere Vorkommnisse oder Beobachtungen mitzuteilen haben?« »Nichts«, schüttelte der Anwalt den Kopf. »Die Gangster scheinen noch nicht da zu sein. Oder sie haben ihre Aktion abgeblasen und kommen überhaupt nicht mehr.« »Eine Möglichkeit, die man keinesfalls ausschließen sollte, Sir«, pflichtete Parker ihm bei und spitzte unvermittelt die Ohren. Auch Rander hatte das noch ferne Motorengeräusch vernommen. »Wahrscheinlich kommen sie über den Weg, den ich vor fünf 46
Minuten gekreuzt habe«, meinte der Anwalt, nachdem er die Richtung geortet hatte. »Der führt direkt auf die Einzäunung zu, endet aber dicht davor im Wald. Vermutlich ein alter Holzabfuhrweg.« Seite an Seite schlugen die Männer die Richtung ein, aus der Rander gekommen war. Aber sie hatten erst wenige Schritte zurückgelegt, als das gleichmäßige Summen in der Ferne unvermittelt abbrach. »Jetzt sind sie angekommen«, schloß der Anwalt. »Hoffentlich hören die Burschen uns nicht.« Lautlos durch den stockfinsteren Wald zu schleichen, war keine Kleinigkeit. Überall lagen dürre Äste und raschelndes Laub. Aber jetzt bewährten sich Parkers scharfe Nachtvogelaugen. In traumwandlerischer Sicherheit führte er Mike Rander durch die Dunkelheit, schlug hin und wieder einen Bogen, verlor jedoch nie die Richtung aus den Augen. Wenig später öffnete sich der Wald. Im grauen Dämmerlicht ragten die Umrisse eines kleinen Lieferwagens auf, der unter den letzten Bäumen geparkt war. Die Insassen ließen sich weder hören und blicken. Sie waren schon unterwegs zum Depot, wie das Loch im Zaun bewies. »Okay. Dann warten wir eben, bis die Burschen zurückkommen und ihre Beute verladen wollen«, meinte der Anwalt im Flüsterton. »Ein Vorgehen, das sich empfehlen dürfte, Sir«, zeigte sich der Butler einverstanden. Knapp zehn Minuten standen die Männer regungslos unter dem Laubdach, starrten angestrengt zu den flachen Gebäuden des Depots hinüber und spitzten die Ohren. Dann wurde ein leises Quietschen hörbar, das sich regelmäßig wiederholte. Schuld daran war offenbar ein Rad der schwer bepackten Sackkarre, die zwei breitschultrige Männer in dunkler Kleidung vor 47
sich herschoben. Obwohl das Gefährt über breite Ballonreifen verfügte, ließ es sich nur unter Mühen über den weichen, kurzgeschorenen Rasen bewegen. Schnaufend und schwitzend kamen die Unbekannten an der Umzäunung an. Einer von ihnen ging voraus und hielt den Draht auseinander, damit sein Kollege die mit hölzernen Kisten bepackte Karre hindurchschieben konnte. In diesem Augenblick blitzte Parkers zierliche Stiftlampe auf. Geblendet schlössen die Gangster die Augen. Zwar griffen beide sofort mit der Routine altgedienter Profis unter die Overalls. Aber der Butler und sein sportlich durchtrainierter Begleiter waren schneller. Während er die Lichtquelle wieder ausschaltete, ließ Parker sein altväterlich gebundenes Universal-Regendach herumwirbeln und pochte mit dem bleigefüllten Bambusgriff bei einem der Unterweltler an. Mike Rander nahm sich gleichzeitig den zweiten vor. Ein präzis platzierter linker Haken sorgte dafür, daß der Mann plötzlich ein wahres Feuerwerk grell blitzender Sterne sah. Mit unbewegter Miene lüftete der Butler seinen schwarzen Bowler und entnahm der halbkugelförmigen Wölbung zwei Paar Einwegfesseln aus zähem Plastik, die die ungemein praktische Eigenschaft besaßen, sich nur noch straffer zusammenzuziehen, wenn man daran zerrte. Zwei Minuten später waren die Unterweltler, die sich röchelnd ins feuchte Gras gestreckt hatten und überhaupt nicht an Gegenwehr dachten, so gut wie bewegungsunfähig. »Und jetzt?« fragte der Anwalt. »Sollen wir die Kerle durch den Wald schleppen und die Munitionskisten hier im Gelände stehenlassen?« »Man könnte das Fahrzeug der Herren benutzen, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, wie eine volkstümliche 48
Redensart sagt«, erwiderte Parker, und Rander nickte. Zunächst wurden die Kisten samt Sackkarre auf der Ladefläche des Lieferwagens verstaut. Die Gangster, bei denen es sich erwartungsgemäß um Al Scarfields Mitarbeiter handelte, folgten unmittelbar darauf. Bevor er sich hinter das Lenkrad setzte und den Zündschlüssel drehte, blickte der Butler noch einmal zum Depot zurück. Bis jetzt schien niemand etwas gemerkt zu haben. Kein Wunder, wenn die Wachen hier genauso bestochen waren wie in Brenham. Schaukelnd setzte sich das kastenförmige Gefährt in Bewegung. Kurze Zeit später, als das Militärgelände endgültig außer Sicht war, schaltete Parker die Scheinwerfer ein. Nach einer halben Meile mündete der Weg in die schmale Landstraße, die man zur Anfahrt benutzt hatte. Zwei Minuten darauf kam der Lieferwagen zum Stehen, keine zehn Schritte vom hochbeinigen Monstrum entfernt. Im selben Augenblick wurde die Fondtür des ehemaligen Taxis aufgestoßen. Lady Simpson erschien in voller Lebensgröße und kam entschlossenen Schrittes näher, wobei sie herausfordernd ihren wohlgefüllten Handbeutel kreisen ließ. »Nicht doch, Mylady«, schmunzelte Rander, der an der Beifahrerseite ausgestiegen war. »Wir sind's nur.« »Aber wo haben Sie denn den Lastwagen her, mein lieber Junge?« wollte die passionierte Detektivin wissen und ließ enttäuscht den Pompadour sinken. »Ich dachte schon, die Gangster wären gekommen.« »Sind sie auch, Mylady«, erwiderte der Anwalt und öffnete die Hecktüren des Lieferwagens. »Da liegen sie und schlummern friedlich, als könnten sie kein Wässerchen trüben.« »Ich werde die zwielichtigen Subjekte schon zum Sprechen bringen, Mike«, zeigte Mylady sich zuversichtlich. »Haben Sie 49
auch das Fläschchen mit dem Riechsalz dabei, Mister Parker?« »Darf man diese Frage so verstehen, daß Mylady die Herren an Ort und Stelle zu befragen gedenken?« antwortete der Butler mit einer Gegenfrage. »Warum nicht?« entgegnete seine Herrin. »Sehr gemütlich ist es hier allerdings nicht.« »Außerdem dürfte über kurz oder lang mit Störungen durch Sicherheitskräfte zu rechnen sein«, gab Parker zusätzlich zu bedenken. »Mithin dürfte es sich empfehlen, nach Shepherd's Market zurückzukehren und das klärende Gespräch dort zu führen.« »Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund«, behauptete Lady Agatha lächelnd. »Das wollte ich nämlich auch gerade vorschlagen, Mister Parker.« Kurz darauf waren die gründlich verschnürten Unterweltler im Kofferraum des schwarzen Monstrums untergebracht. Der Lieferwagen mit den Munitionskisten blieben am Straßenrand unter einer der Lampen stehen. So war zu hoffen, daß er den uniformierten Vaterlandsverteidigern, die hier ständig vorbeikamen, irgendwann auffiel… * Nach der Ankunft in Shepherd's Market hatte Rander dem Butler noch geholfen, die auf frischer Tat ertappten Waffendiebe in einem der ebenso komfortablen wie ausbruchsicheren Gästezimmer einzuquartieren, über die Lady Simpson im Souterrain ihrer herrschaftlichen Villa verfügte. Anschließend waren die jungen Leute gefahren, um sich vor Anbruch des neuen Arbeitstages noch ein paar Stunden Schlaf zu gönnen. Inzwischen hatte Parker mit trockenen Buchenscheiten das Kaminfeuer entfacht und einen runden Tisch in der Nähe der 50
knisternden Flammen gerückt. Unter wohlgefälligem Nicken sah die Hausherrin zu, wie er einen nächtlichen Imbiß auftrug, der aus kaltem Bratenaufschnitt, frischem Salat und einer kleinen Käseauswahl bestand. Dazu reichte der Butler goldbraun geröstete Toastscheiben. »Sobald ich mich halbwegs gestärkt habe, werde ich den Lümmeln auf den Zahn fühlen«, kündigte die Detektivin an, während sie sich hingebungsvoll der ebenso lustvollen wie lebensnotwendigen Kalorienzufuhr widmete. »Ein Vorhaben, dem man den Beifall keinesfalls versagen möchte«, bemerkte Parker und füllte der gewichtigen Dame das Glas. »Andererseits könnten Mylady an die notwendige Schonung denken und sich zunächst. etwas Ruhe gönnen.« »Papperlapapp. Schonung ist etwas für Schwächlinge«, widersprach Agatha Simpson. »Nur, wer sich ständig Höchstleistungen abverlangt, bleibt bis ins hohe Alter frisch und fit, Mister Parker.« »Wofür Mylady als geradezu leuchtendes Beispiel dienen«, erwiderte der Butler und verbeugte sich andeutungsweise. »Dabei liegt mir übertriebener Ehrgeiz ausgesprochen fern. Alles, was ich tue, entspringt meinem ausgeprägten Pflichtbewußtsein«, fuhr die ältere Dame fort, während Parker ihr erneut den Teller füllte. »Wer soll die Menschheit denn vor der ständig höher schwappenden Woge des Verbrechens schützen, wenn nicht ich, Mister Parker? Die Polizei hat doch schon oft genug bewiesen, daß sie unfähig ist.« »Was man so – mit Verlaub – nicht sagen kann, Mylady«, ließ der Butler höflich verlauten. »In diesem Fall, wo das Leben zahlloser Mitbürger und die Existenz des Königreichs auf dem Spiel stehen, bin ich erst recht gefordert«, warf Mylady sich in die ohnehin üppige Brust. »Die Queen weiß noch gar nicht, wie sehr sie mir zu Dank verpflich51
tet ist.« »Mylady rechnen damit, daß die gestohlenen Waffen bei einem Anschlag auf das Könighaus Verwendung finden?« vergewisserte sich Parker. »Eine andere Möglichkeit kommt kaum in Betracht«, nickte die leidenschaftliche Detektivin. »Daß Armeegewehre für die Zwecke der Unterwelt unbrauchbar sind, weiß man als Kriminalistin, Mister Parker.« »Andererseits könnten die Waffen zum Export bestimmt sein«, gab der Butler zu bedenken. »Zum Beispiel in die Krisengebiete des Nahen Ostens, falls man eine Vermutung äußern darf.« »Dann müßten die Schurken aber erst die Grenzkontrollen überwinden«, entgegnete Lady Agatha. »Wer Waffen ausführen will, braucht eine Genehmigung der Regierung, Mister Parker.« »Ein Umstand, der meiner bescheidenen Wenigkeit hinreichend vertraut ist«, versicherte Parker und schenkte seiner Herrin ein. »Andererseits dürften Zollbeamte gegen Bestechung genauso wenig immun sein wie Soldaten.« »Wie auch immer. Dies ist kein gewöhnlicher Fall von Waffenschmuggel, Mister Parker«, widersprach die Hausherrin. »Mein Instinkt sagt mir, daß unser geliebtes Königreich zwar noch nicht am Abgrund einer blutigen Revolution steht. Aber…« »Was Gott und Mylady verhüten mögen«, äußerte der Butler sofort und mit ernster Miene. »Darf man im übrigen um Auskunft bitten, ob Mylady politische Kräfte ausgemacht haben, die durch einen Umsturz die Macht an sich zu reißen gedenken?« »Politische Kräfte? Nun. die Labour Party ist für eine Dame meines Standes – und hoffentlich auch für Sie, Mister Parker – nicht wählbar. Als Speerspitze einer Revolution kommt diese Partei zwar nicht in Frage, weil sie viel zu stark mit ihren eigenen Problemen beschäftigt ist«, gewährte Mylady Einblick in 52
ihre politische Gedankenwelt, »aber Unzufriedene, die sich mit ihrem gottgewollten Platz in der Gesellschaft nicht abfinden und deshalb auf Veränderungen sinnen, gibt es genug, Mister Parker!« »Was man mitnichten in Zweifel ziehen möchte, Mylady.« »Denken Sie nur mal an die RIA, Mister Parker.« »Geht man möglicherweise recht in der Annahme, daß Mylady die irische Untergrundorganisation IRA zu meinen geruhen?« fragte Parker und rückte das silberne Tablett mit den Käsewürfeln in Myladys Reichweite. »Genau, die AIR«, bekräftigte Lady Simpson. »Übrigens hat einer der Lümmel, die ich bei ruchlosem Tun gestellt habe, rote Haare und Sommersprossen. Das ist schon mehr als verdächtig, Mister Parker.« »Vermutet man recht, daß Mylady aus diesen Merkmalen auf irische Abstammung zu schließen geruhen?« »Natürlich, Mister Parker. Das weiß man ja: Alle Iren haben rote Haare und Sommersprossen und sind auf das britische Königshaus nicht gut zu sprechen.« »Was durchaus nachvollziehbare Gründe historischer Art haben dürfte, falls die Anmerkung erlaubt ist«, erwiderte der Butler und erntete prompt einen tadelnden Blick seiner konservativen Herrin. »Sie können froh sein, daß Sie keine roten Haare haben, Mister Parker«, gab die ältere Dame streng zurück. »Sonst müßte ich Sie nach dieser Äußerung für einen Revoluzzer halten. Oder zumindest für einen Sympatienten.« »Vermutet man unter Umständen recht, daß Mylady von sogenannten Sympathisanten zu sprechen geruhen?« brachte Parker in seiner höflichen Art eine Korrektur an. »Sagte ich das nicht?« zeigte sich die Detektivin überrascht. »Wie auch immer. Ich werde diesen skrupellosen Umstürzlern 53
das Handwerk legen. Haben Sie denn schon alles für die Vernehmung vorbereitet, Mister Parker?« »Wie man sich noch vor einer Viertelstunde überzeugen konnte, befinden sich die Herren mittlerweile in durchaus ansprechbarem Zustand«, teilte der Butler mit. »Im übrigen dürften sie dem klärenden Gespräch mit Mylady geradezu ungeduldig entgegensehen.« »Dann will ich auch keine weitere Zeit verlieren«, verkündete die füllige Dame, leerte ihr Glas und erhob sich. »Schließlich muß ich ja noch den Auftraggeber der zwielichtigen Subjekte dingfest machen, sobald sie mir seinen geheimen Unterschlupf verraten haben.« * In ihrer großzügigen Art hatte Agatha Simpson darauf bestanden, daß die unfreiwilligen Gäste im Souterrain erfahren sollten, was eine Dame der Gesellschaft unter Gastfreundschaft verstand. Gleichzeitig hatte sie vom unausweichlichen Zwang zu strikter Sparsamkeit gesprochen. Deshalb balancierte Parker jetzt eine Kanne frisch aufgebrühten Kräutertee nebst Tassen und einem Schälchen mit Keksen auf silbernem Tablett, während er die majestätische Dame durch den unterirdischen Gang geleitete, der zu den Überresten einer sagenumwobenen Abtei gehörte, die einst hier gestanden hatte. Vor einer stählernen Feuerschutztür, die mit kompliziertem Sicherheitsschloß und einem sogenannten Türspion ausgerüstet war, blieb der Butler stehen und vergewisserte sich durch einen Kontrollblick, daß die aus dem Verkehr gezogenen Unterweltler für seine verehrte Herrin keine Gefahr darstellten. Um den Männern etwas Bewegung zu ermöglichen, hatte er sie von den Fußfesseln befreit. Aber sie hatten die Gelegenheit zum 54
Spaziergang auf beschränktem Raum wohl schon genutzt und saßen jetzt friedlich auf dem Sofa. Dabei unterhielten sie sich im Flüsterton – offenbar in der nicht ganz abwegigen Annahme, daß ihre Gespräche belauscht und aufgezeichnet werden konnten. »Man erlaubt sich, möglichst angenehme Stunden unter Myladys gastlichem Dach zu wünschen«, sagte der Butler und verbeugte sich höflich, nachdem er die Tür aufgesperrt und der stämmigen Detektivin den Vortritt gelassen hatte. Der schätzungsweise dreißigjährige Rotschopf und sein um etwa zehn Jahre älterer Komplize, der sich durch eine beeindruckende Phalanx goldglänzender Beißer sowie durch einen irritierenden Silberblick auszeichnete, blieben zwar sitzen, als sie das ungleiche Paar eintreten sahen. Aber aus der nervösen Spannung auf ihren Gesichtern schloß Parker, daß eine handfeste Kraftprobe unmittelbar bevorstand. Plötzlich schnellte der Rothaarige auch schon wie eine Stahlfeder aus den Polstern hoch. Offenbar machte er sich Hoffnungen, rechts an Lady Simpson vorbeizukommen und in wenigen langen Sätzen die Tür zur Freiheit zu erreichen. Aber da der Gangster mit auf dem Rücken gefesselten Händen nur bedingt einsatzfähig war und Mylady in überraschender Geistesgegenwart ihre ehrfurchtgebietenden Pfunde in die richtige Richtung wogen ließ, blieb sein Plan im Ansatz stecken. Wie ein Gummiball prallte der Breitschultrige von den ausladenden Formen der Hausherrin ab und landete unversehens wieder auf dem Sofa. Dort blieb er japsend sitzen, verdrehte fassungslos die Augen und vergaß fürs erste seinen Freiheitsdrang. Sein Nebenmann ließ sich durch diesen Mißerfolg nicht entmutigen und versuchte es auf der anderen Seite. Aber als er die schwarz gewandete Gestalt des Butlers schon passiert zu haben 55
glaubte, unterlief ihm eine Ungeschicklichkeit, die ausgesprochen schmerzhafte Folgen hatte und seine Fluchtgedanken im Keim erstickte. Allerdings war Parker nicht ganz schuldlos daran, daß der schielende Ganove auf dem Weg zum Ausgang das Teetablett rammte. In breitem Schwall ergoß sich das heiße Getränk über Brust und Schultern des Eiligen, der mit einem Jaulton auf die unfreiwillige Dusche reagierte. Von Dampfschwaden umweht, drehte er sich im Kreis und trat dabei so lange auf dem zu Boden gefallenen Geschirr herum, bis nur noch ein Häufchen winziger Splitter übrig war. Anschließend taumelte er auf weichen Knien rückwärts und ließ sich völlig entkräftet in die Polster sinken. »Dieser kleine Zwischenfall hat Ihnen gezeigt, daß mit einer Kriminalistin nicht zu spaßen ist«, verkündete Lady Agatha mit triumphierenden Lächeln. »Wenn Sie sich weitere Unannehmlichkeiten ersparen wollen, kann ich Ihnen nur raten, ohne Umschweife Ihre Schandtaten zu gestehen.« »Wir werden brav sein wie die Lämmer und alle Fragen wahrheitsgemäß beantworten«, versprach der Mann mit den Goldzähnen, der nach der heißen Dusche jetzt zu frösteln anfing. »Das will ich hoffen«, tat die Detektivin mit wohlwollendem Nicken kund. »Erst mal Ihre Namen – für das Protokoll.« »Bernard Miller«, antwortete ihr Gegenüber mit treuherziger Miene. »Sofern man sich recht erinnert, wurden Sie von Mister Scarfield mit dem Vornamen Kevin angeredet«, warf der Butler ein. »Deshalb darf man jetzt höflich um die korrekte Form bitten.« »Sie haben recht«, bestätigte der Gangster und grinste verlegen. »Mein Name ist Kevin Miller.« »Gelogen!« fuhr die resolute Dame aufgebracht dazwischen und verabreichte dem Schieler eine ihrer berüchtigten Maul56
schellen. »Wie heißen Sie richtig, junger Mann?« »Kevin Wharton«, präsentierte der Unterweltler die dritte Version. »Na also. Warum nicht gleich so?« fragte Lady Agatha freundlich lächelnd, um sich dann dem Sommersprossigen zuzuwenden. »Sie heißen vermutlich Patrick mit Vornamen?« »Weil ich wie ein Ire aussehe?« erkundigte sich der Rotschopf. »Nein. Ich heiße Hank Cartney. Und meine Vorfahren stammen aus Dänemark, nicht aus Irland.« »Wie auch immer. Das werde ich noch eingehend überprüfen«, kündigte die leidenschaftliche Detektivin an. »Die weiteren Fragen stellt Ihnen jetzt Mister Parker. Ich habe ihm ausführlich erläutert, worauf es mir ankommt.« »Mylady geht doch recht in der Annahme, daß Sie auch den bislang unaufgeklärten Waffendiebstahl in Brenham getätigt haben?« übernahm der Butler nahtlos die Befragung. Cartney und Wharton sahen sich an. Dann nickten beide. »Des weiteren dürfte feststehen, daß Sie Ihre Einsatzbefehle von Mister Scarfield erhalten«, fuhr Parker fort und erhielt erneut ein Nicken als Bestätigung. »Wir sind nur kleine Lichter«, setzte Wharton mit Nachdruck hinzu. »Wenn man keine Arbeit findet und die Familie hungert, nimmt man schon mal krumme Jobs an.« »Ihr Auftreten einschließlich Bewaffnung spricht allerdings dafür, daß Sie und Mister Cartney nicht nur gelegentlich illegalen Beschäftigungen nachgehen«, entgegnete der Butler kühl. »Darf man in diesem Zusammenhang die Frage anschließen, ob Sie noch weitere Einbrüche in Depots der Royal Army zu gestehen haben?« »Nein. Brenham und Horsham waren die ersten«, versicherte Cartney. »Es sollten aber nicht die letzten sein, wie man wohl vermuten 57
darf«, warf Parker ein. »Äh… stimmt«, räumte der Sommersprossige nach kurzem Zögern ein. »Drei weitere waren noch geplant. Alle innerhalb der nächsten Tage, damit die Army erst gar nicht richtig wach wird.« »Dem mußte ich natürlich einen Riegel vorschieben«, machte sich die Hausherrin aus dem Hintergrund bemerkbar. »Wenn die uniformierten Schlafmützen nicht selber auf ihre Waffen aufpassen können.« »Wenn Sie gestatten, würde man hier die Frage anschließen, wer die offenbar sorgfältig geplanten Diebeszüge vorbereitete«, nahm der Butler nach einer höflichen Verbeugung in Myladys Richtung den Faden wieder auf. Cartney sah fragend zu Wharton hinüber. Der zuckte mit den Schultern. »Warum soll er ungeschoren davonkommen, wenn wir in der Patsche sitzen?« fragte er schließlich und zeigte ein breites Grinsen, wodurch sein dentales Edelmetalldepot überaus eindrücklich zur Wirkung kam. »Also gut«, nickte sein rothaariger Kollege. »Scarfield war's. Er hat das Gelände ausgekundschaftet. Er hat reihenweise Soldaten besoffen gemacht und dann die rausgepickt, die für eine kleine Prämie anfällig waren.« »Wie man es bereits vermutete«, erwiderte Parker. »Demnach darf man abschließend um Auskunft bitten, was mit den entwendeten Waffen geschehen sollte.« »Keine Ahnung«, behauptete Wharton. »Darüber hat Scarfield nie mit uns gesprochen. Und gefragt haben wir auch nicht.« »Merken Sie denn nicht, daß der durchtriebene Lümmel Sie anschwindelt, Mister Parker?« meldete sich die Detektivin erneut zu Wort. »Wenn ich etwas stehle, dann weiß ich auch zu welchem Zweck.« »Nein, ehrlich, Madam«, beteuerte nun Cartney. »Wir haben 58
zwar den Job gemacht, und das war nicht okay. Aber was Scarfield mit den Waffen vorhatte, wissen wir wirklich nicht.« »Und von einer geplanten Revolte gegen das britische Königshaus ist Ihnen auch nichts bekannt?« ließ die ältere Dame nicht locker. Doch Wharton und Cartney stierten sie nur fassungslos an und schüttelten die Köpfe. »Mylady dürften die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß die Herren als ausführende Organe tätig waren, aber keineswegs und mitnichten von Mister Scarfield über Sinn und Zweck ihres Tuns unterrichtet wurden«, gab der Butler zu bedenken. »Darauf wollte ich Sie gerade hinweisen, Mister Parker«, behauptete die Hausherrin umgehend. »Das ist so üblich in der Unterwelt.« Nachdem sie so gründlich ausgepackt hatten, hielten die Ganoven auch mit der Privatanschrift ihres Brötchengebers nicht hinter dem Berg. Gerade wollte Parker sich nach Scarfields weiteren Aktivitäten erkundigen, als die rote Warnlampe über der Tür hektisch zu blinken begann. Gleichzeitig wurde ein rhythmischer Summton hörbar. Jemand hatte die unsichtbaren Infrarotschranken gekreuzt, mit denen das Anwesen der begüterten Witwe ringsum abgesichert war. »Wer das wohl sein mag?« rätselte Agatha Simpson, nachdem der Butler sie auf das Signal aufmerksam gemacht hatte. »Falls Mylady keine Einwände erheben, würde man das Gespräch mit Mister Cartney und Mister Wharton an dieser Stelle beenden und sich durch Augenschein Gewißheit verschaffen«, bot Parker an und erhielt ein zustimmendes Nicken als Antwort. »Und was passiert mit uns?« wollte Cartney wissen, während das skurrile Paar dem Ausgang zustrebte. »Sie dürfen meine unvergleichliche Gastfreundschaft genießen, 59
bis ich Ihre Angaben gründlich überprüft habe«, gab die majestätische Dame freundlich zur Antwort, bevor sie an dem Butler vorbeischritt, der ihr mit einer angedeuteten Verbeugung die Tür aufhielt. * Während Mylady sich am Kamin in der Wohnhalle niederließ, um mit einem Gläschen Sherry ihren labilen Kreislauf zu stabilisieren, lenkte Parker seine Schritte in die Diele. Dort öffnete er einen getarnten Wandschrank, in dem der Monitor und die Steuerzentrale der hauseigenen Video-Überwachungsanlage untergebracht waren. Sekunden später lieferte die elektronische Kamera ein kristallklares Bild des Vorplatzes und der dahinter liegenden Straße auf den Schirm. Der chromblinkende Straßenkreuzer, der auf dem gegenüberliegenden Gehweg parkte, war nicht zu übersehen. Am Steuer saß der schlanke, graumelierte Al Scarfield. Er hatte das Seitenfenster abgesenkt, rauchte eine Zigarette und sah dabei aufmerksam zum Haus herüber. Jetzt erst wurde der Butler auf die kratzenden Geräusche aufmerksam, die von der Haustür herkamen. Unverzüglich schaltete er auf eine andere Kamera um und hatte nun zwei Unbekannte im Bild, die auf den Stufen unter dem spitzgiebeligen Vordach standen und einen reichhaltig ausgestatteten Werkzeugkoffer mitgebracht hatten. Dem verschwiegen am Türschloß hantierenden Duo den Rückzug abzuschneiden, wäre ein leichtes gewesen. Ein Knopfdruck hätte genügt, und schon wären stählerne Rollgitter aus dem Vordach nach unten geglitten, die innerhalb Sekundenbruchteilen einen unentrinnbaren Käfig bildeten. Aber dann hätte Scarfield vermutlich mit Vollgas das sprich60
wörtliche Weite gesucht. Deshalb machte der Butler auf dem Absatz kehrt und steuerte gemessen und würdevoll das Souterrain an. Die Unbekannten vor der Haustür sollten ruhig weiterwerkeln. Bis jetzt war es noch keinem Unterweltprofi gelungen, das aufwendige, elektronisch gesicherte Schloß zu knacken. Zwischen der professionell ausgestatteten Wirtschaftsküche und den momentan nur schwach belegten Gästezimmern lagen Parkers private Räumlichkeiten, die er mit dunklem Holz und blankpolierten Messingbeschlägen im Stil einer Kapitänskajüte eingerichtet hatte. Dort versorgte er sich mit einem Paar schwarzer Wollsocken und diversen anderen Kleinigkeiten, bevor er dem aus grob behauenen Granitquadern gefügten Kellergang weiter folgte. Schließlich erreichte er die rückwärtige Front des Hauses und trat durch ein getarntes Garagentor ins Freie. Obwohl der Morgen nicht mehr fern war, herrschte noch tiefe Dunkelheit. Aber mit seinen unvergleichlich scharfen Nachtvogelaugen fand der Butler mühelos den Weg, der zwischen Gärten hindurchführte, das Häuserkarree umrundete und weiter oben in die Straße mündete – dort, wo sie als Sackgasse endete. Die zwölfzylindrige Luxuslimousine stand noch immer an ihrem Platz. Und die inzwischen vermutlich frustrierten Türknacker waren anscheinend auch noch bei der Arbeit. Rasch streifte Parker die Wollsocken über seine schwarzen Lacklederschuhe und glitt dann geräuschlos wie ein Schatten von Baum zu Baum weiter. Er hatte das Fahrzeug fast erreicht, als Scarfield unvermittelt die Tür aufstieß und ausstieg. Offenbar war er ungeduldig geworden und wollte den Männern, die für ihn arbeiteten, Dampf machen. Jedenfalls blickte er nicht in die Richtung, in der der Butler stand. Und das war sein Pech. 61
Leise röchelnd sackte der Gangster in sich zusammen, als der bleigefüllte Schirmgriff auf seinem graumelierten Haupt niederging. Während er sich im Rinnstein einen bequemen Platz für einen kleinen Schlummer suchte, sah Parker aufmerksam zum Haus hinüber. Das handwerklich ebenso emsige wie erfolglose Duo hatte nichts gemerkt. Die Männer machten sich weiter am Schloß der Haustür zu schaffen, als wäre nichts geschehen. Mit zielsicherem Griff zog der Butler ein Sprühfläschchen aus der linken Außentasche seines Covercoats, das kaum größer war als eine Lippenstifthülse. Es enthielt – neben umweltfreundlichem Treibgas – ein rasch wirkendes Betäubungsmittel pflanzlicher Provenienz, von dem Scarfield eine gehörige Dosis einatmen mußte, damit er nicht zur Unzeit laut oder gar tätlich wurde. Erst danach setzte Parker auf leisen Sohlen seinen Weg fort, überquerte die Straße und schritt an den Blumenrabatten vorbei zum Eingang der herrschaftlichen Villa, die seiner Herrin als Stadtwohnsitz diente. »Darf man möglicherweise erfahren, welchem Sinn und Zweck Ihr nächtliches Tun dient?« sprach er gleich darauf die stumm vor sich hinwerkelnden Gangster an. Dabei verbeugte er sich knapp und lüftete andeutungsweise den schwarzen Bowler. Einer der Männer zeigte beeindruckendes Reaktionsvermögen. Blitzartig ließ er sein Werkzeug fallen, richtete sich auf und wirbelte auf dem Absatz herum. Seine Rechte steckte schon im Jackenausschnitt. Aber als die stahlverstärkte Halbkugel der Melone unverhofft sein ohnehin schon abgeplattetes Riechorgan noch weiter einebnete, zog er die Hand im Reflex zurück und griff sich stöhnend ins Gesicht. Anschließend ging der athletisch gebaute Unterweltler in einer schraubenförmigen Bewegung zu Boden, rollte über die Stufen auf den Vorplatz und streckte sich am Rande eines Rosenbeets 62
zum entspannenden Nickerchen aus. Sein Kollege zeigte sich weniger temperamentvoll. Deshalb kam er erst gar nicht aus der Hocke hoch, sondern kippte gleich hintenüber, als der Butler mit dem bleigefüllten Schirmgriff bei ihm anpochte. Erneut kam die kleine Spraydose zum Einsatz. Dann lud Parker sich die friedlich schlummernden Ganoven einen nach dem anderen auf die Schulter und brachte sie in Einzelzimmern unter. Als er nach getaner Arbeit in die Wohnhalle zurückkehrte, war die ältere Dame im Sessel vor dem Kamin eingenickt. Das Lächeln auf ihrem vom Widerschein der Flammen umspielten Gesicht schien zu signalisieren, daß sie in angenehmen Träumen schwebte. Behutsam breitete der Butler eine flauschige Kamelhaardecke über die Schlummernde, legte noch drei trockene Scheite nach und entfernte sich dann gemessen und würdevoll. Nachdem er in der geräumigen Wirtschaftsküche die Spülmaschine bestückt und erste Vorbereitungen für das Frühstück getroffen hatte, machte sich Parker auf den Weg zu Al Scarfield. Der graumelierte Gangster war aus den Träumen, die ihm der Nebel aus der kleinen Sprühdose beschert hatte, noch nicht erwacht. Jedenfalls lag er so auf dem Sofa, wie der Butler ihn vor einer halben Stunde abgelegt hatte. Seine Augen waren geschlossen. Das Gesicht wirkte entspannt. Er atmete ruhig. Dennoch war Parker die Wachsamkeit in Person, als er das behaglich eingerichtete Zimmer betrat, dem es lediglich an Fenster und Telefon fehlte. Auch mit auf dem Rücken gefesselten Händen konnte ein sportlich durchtrainierter Mensch einiges anrichten – zumal, wenn für ihn so viel auf dem Spiel stand wie momentan für Scarfield. 63
Aber der Gangster im modischen Maßanzug schlief tatsächlich. Und zwar so fest, daß der Butler sein bewährtes Riechsalz einsetzen mußte, um ihn aus der bunten Welt lustvoller Träume in die herbe Realität zurückzuholen. Scarfield schien mit diesem geistigen Ortswechsel alles andere als einverstanden zu sein. Er grunzte mürrisch, sobald er zu sich kam und starrte Parker aus rot umränderten Augen haßerfüllt an. »Darf man die Hoffnung äußern, daß Ihnen die leichte Prellung am Hinterkopf keine allzu heftigen Beschwerden bereitet, Mister Scarfield?« erkundigte sich der Butler in seiner stets höflichen Art, während sich sein Gegenüber langsam an der Sofalehne hochschob, um in eine sitzende Position zu kommen. Ein unartikulierter Laut aus tiefer Kehle war die Antwort. »Unter diesen Umständen wäre man Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Gefälligkeit zeigen würden, einige Fragen zu beantworten, die für Mylady von gewissem Interesse sind«, fuhr Parker mit starrer Miene fort. Diesmal blieb die Antwort ganz aus. »Kann und muß man davon ausgehen, daß Sie nicht bereit sind, sich zu den Sachverhalten zu äußern, die man Ihnen nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen zur Last legen muß, Mister Scarfield?« vergewisserte sich der Butler. Der Unterweltler, an dessen Hinterkopf ein rotglühendes Horn von beachtlichen Ausmaßen zwischen den grauen Haarsträhnen aufragte, hielt die Lippen fest zusammengepreßt. In seinen schwarzen Augen glühte ohnmächtige Wut. Verstohlen ruckte er an den Einwegfesseln, stellte das fruchtlose Beginnen aber gleich wieder ein. »Unter Umständen sollten Sie sich vergegenwärtigen, daß die in Frage stehenden Gesetzesverstöße für eine Verurteilung zu lebenslanger Haft ausreichen, Mister Scarfield«, gab Parker nicht 64
auf. »Quatsch!« brummte Scarfield und knirschte mit den Zähnen. »Immerhin haben die Herren, in deren Begleitung Sie anreisten, eine Aussage zu Protokoll gegeben, die man nur als ungemein belastend werten kann, was Ihre Person angeht, Mister Scarfield«, ließ der Butler in geringfügig schärferem Ton verlauten. Zum erstenmal zeigte sich in Scarfields Blick eine Art lauerndes Interesse. »Demnach hatten die Herren den Auftrag, gewaltsam ins Haus einzudringen und Mylady nebst meiner bescheidenen Wenigkeit mittels Faustfeuerwaffen ins sogenannte Jenseits zu befördern«, teilte Parker mit, was er bislang nur vermutet hatte. »Hunde!« knurrte der Graumelierte und bäumte sich im Sofa auf. »Die bring' ich um!« »Dazu wird man Ihnen aus verständlichen Gründen keine Gelegenheit geben, Mister Scarfield«, entgegnete der Butler kühl. »Darf man übrigens Ihren Wutausbruch als Eingeständnis dafür werten, daß Sie der Mann sind, der den geschilderten Auftrag erteilte?« Scarfield schien genug gesagt zu haben. Er schwieg verbissen. »Allerdings dürfte sich unter gewissen Umständen die Chance eröffnen, daß das Gericht Ihnen mildernde Umstände zubilligt und davon absieht, die gesetzliche Höchststrafe zu verhängen«, brachte Parker seinen Gesprächspartner allmählich dahin, wo er ihn haben wollte. Und tatsächlich ließ sich Scarfield jetzt zum erstenmal dazu herab, eine Frage zu stellen. »Und was wären das für… Umstände?« erkundigte er sich mißtrauisch. »Mylady wäre einigermaßen interessiert zu erfahren, welchem Zweck die Armeewaffen zugeführt werden sollten, die in Ihrem Auftrag entwendet wurden und noch entwendet werden sollten, 65
Mister Scarfield«, stellte der Butler die Frage, auf die er von Anfang an hingesteuert hatte. »Um Ihnen darauf eine Antwort zu geben, müßte ich schon lebensmüde sein«, wurde Scarfield jetzt geradezu gesprächig. »Darf man höflichst bitten, daß Sie diese Äußerung ein wenig näher erläutern, Mister Scarfield?« »Da laufen Geschäfte, von denen ich auch keine Ahnung habe«, erwiderte der modisch gekleidete Unterweltler. »Ich bin doch nur ein kleines Licht. Das pustet man aus, ohne lange zu überlegen, wenn Sie wissen, was ich meine.« »An der Imaginationskraft, Ihre bildhafte Ausdrucksweise in die Realität der kriminellen Szene zu übertragen, mangelt es meiner Wenigkeit mitnichten, Mister Scarfield«, entgegnete Parker. »Allerdings sollten Sie bedenken, daß es der Unterwelt außerordentlich schwerfallen dürfte, einen Inhaftierten mit Vergeltungsanschlägen zu erreichen.« »Die werden nichts unversucht lassen«, gab Scarfield düster zurück. »Unter diesen Umständen sollten Sie entscheiden, ob die Aussicht auf eine relativ milde Strafe das – zweifellos vorhandene – Restrisiko eines Racheaktes aufwiegt, Mister Scarfield«, empfahl der Butler ihm. Der graumelierte Gangster war sichtbar hin und her gerissen. Er hatte den Blick zur Zimmerdecke gerichtet und biß sich nachdenklich auf die Unterlippe. »Okay«, gab er sich schließlich einen Ruck. »Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß. Auch wenn's nicht viel ist.« »Meine Wenigkeit ist ganz Ohr, Mister Scarfield.« »Sie haben vielleicht gedacht, ich arbeite auf eigene Rechnung«, begann der Unterweltler zögernd auszupacken. »Ich hab' zwar freie Hand, was die Ausführung der Aufträge angeht, und bekomme auch anständige Prozente vom Umsatz, aber 66
Guarney sorgt dafür, daß ich immer was zu tun habe und auch noch ein paar Leute beschäftigen kann.« »Demnach dürfte es sich bei dem soeben erwähnten Mister Guarney um eine Persönlichkeit handeln, die in der Szene über einigen Einfluß verfügt«, merkte Parker an. »Nicht nur in der Szene«, korrigierte Scarfield. »Er hat 'ne Menge Geld in Häusern angelegt und mischt als Finanzmakler bei großen Bauprojekten mit.« »Und wo liegen Mister Guarneys Tätigkeitsschwerpunkte illegaler Art, wenn man fragen darf, Mister Scarfield?« »Er macht alles mögliche – vom Bordell bis zum Rauschgifthandel. Aber darüber weiß ich nichts Näheres.« »Man darf also davon ausgehen, daß die Waffen, die Sie beschaffen sollten, für Mister Guarney bestimmt waren, Mister Scarfield?« »Ja, natürlich.« »Ist Ihnen zufällig bekannt, was mit der von Ihnen abgelieferten Diebesbeute geschehen sollte, Mister Scarfield?« »Keine Ahnung. Da müssen Sie Brendan Guarney schon selber fragen.« »Was man auch umgehend tun wird, Mister Scarfield. In diesem Zusammenhang wäre allerdings noch Mister Guarneys gegenwärtiger Aufenthaltsort von Interesse, falls die Anmerkung gestattet ist.« »Guarney hat Häuser in aller Welt, sagt man. Aber wenn er in London ist – und ich glaube, im Moment ist er da – sitzt er gewöhnlich in seiner Festung in Kensington.« »Darf man erfahren, was Sie mit dem Wort ›Festung‹ anzudeuten geruhen, Mister Scarfield?« »Seine Villa an der Argyll Road ist von einer hohen Mauer umgeben, die durch elektronische Kameras überwacht wird. Die Fensterscheiben sind gepanzert. Und überall laufen Leute mit 67
Kanonen rum. Da trau'n sich nicht mal die Bullen rein.« »Eine Mitteilung, die Mylady keineswegs daran hindern dürfte, das klärende Gespräch mit Mister Guarney zu suchen«, tat Parker seine Einschätzung kund und erhob sich. »Im übrigen sieht man sich veranlaßt, für die entgegenkommende Gesprächsbereitschaft zu danken, Mister Scarfield.« * Ins Erdgeschoß zurückgekehrt, steuerte der Butler zunächst den Telefonapparat in der Diele an und wählte die Nummer eines gewissen Horace Pickett. Dabei handelte es sich um einen ebenso treuen wie bewährten Mitarbeiter, der über intime Kenntnisse der Londoner Szene verfügte und zusätzlich als Meister der diskreten Observation gelten konnte. Wer den hoch aufgeschossenen, schätzungsweise sechzigjährigen Pickett in seinem stets gepflegt wirkenden Trenchcoat sah, den akkurat gestutzten Schnäuzer im sonnengebräunten Gesicht und das klassische Travellerhütchen auf dem Kopf, hätte ihn für einen pensionierten Offizier gehalten. Daß der »ehrenwerte Mister Pickett«, wie Parker ihn gewöhnlich nannte, eine gänzlich andere Karriere absolviert hatte, wußten nur Eingeweihte. Vor Jahren war Pickett als ›König der Londoner Taschendiebe‹ noch eine prominente Figur der Unterwelt gewesen. Allerdings hatte er seine flinken Finger nur dort spielen lassen, wo es auf ein Bündel Pfundnoten mehr oder weniger ohnehin nicht ankam. Deshalb konnte man ihm kaum widersprechen, wenn er seine frühere Tätigkeit schmunzelnd mit der Wortschöpfung ›Eigentumsumverteiler‹ umschrieb. Seit der Butler ihm in einer brenzligen Situation zu Hilfe gekommen war, wandelte der Saulus von einst als Paulus auf den Pfaden der Tugend und bestritt seinen Lebensunterhalt auf 68
gesetzeskonforme Weise. Zusätzlich zeigte er seine Dankbarkeit, indem er seine Kenntnisse und Fähigkeiten bereitwillig in den Dienst der guten Sache stellte, sobald Parker ihn um einen Gefallen bat. »Man erlaubt sich, wegen der nächtlichen Störung um Nachsicht zu bitten, Mister Pickett«, sagte der Butler, nachdem der frühere Eigentumsumschichter abgenommen und sich gemeldet hatte. »Macht überhaupt nichts, Mister Parker«, gab Pickett in gewohnt freundlichem Ton zurück. »Ich war sowieso noch auf. Außerdem gibt es bestimmt einen wichtigen Grund, wenn Sie mitten in der Nacht anrufen.« »In der Tat, Mister Pickett. Man möchte Sie höflich bitten, den Wohnsitz eines gewissen Brendan Guarney diskret zu observieren, bis Mylady und meine Wenigkeit dort eintreffen.« »Guarney?« wiederholte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Der Finanzhai?« »Der Genannte ist Ihnen bekannt, Mister Pickett?« »Nicht persönlich. Aber man liest seinen Namen immer mal wieder in der Zeitung. Zwar wurde schon oft gemunkelt, daß er durch illegale Geschäfte mehr Geld verdient als durch seine Finanzspekulationen. Aber bisher konnte ihm wohl keiner was beweisen.« »Was sich aber durchaus ändern könnte, nachdem Mylady Ermittlungen aufgenommen hat, die darauf hinzudeuten scheinen, daß der Erwähnte als krimineller Auftraggeber größeren Stils anzusehen ist, Mister Pickett.« »Wenn Mylady ihn aufs Korn genommen hat, wird er wohl bald hinter Schloß und Riegel sitzen. Der entgeht ja keiner.« »Eine Feststellung, der man mitnichten widersprechen möchte, Mister Pickett.« »Also gut. Ich werde in einer Viertelstunde vor Ort sein«, ver69
sprach der Eigentumsumverteiler, nachdem er sich die genaue Anschrift hatte geben lassen. »Bis Sie nachkommen, kann ich ja schon mal sondieren, wo bewaffnete Wachposten stehen und wo es vielleicht einen Zugang zum Gebäude gibt, der nicht durch Kameras abgesichert ist.« »Ihr freundliches Angebot kommt einer entsprechenden Bitte meiner Wenigkeit zuvor, Mister Pickett«, erwiderte Parker. »Ansonsten erlaubt man sich, für die erneut bewiesene Hilfsbereitschaft zu danken.« »Keine Ursache, Mister Parker«, versicherte der ehrenwerte Mister Pickett. »Sie wissen doch, daß ich immer gern für Sie tätig werde.« Kaum hatte der Butler den Hörer auf die Gabel gelegt, begann das Telefon zu läuten. »Hier bei Lady Simpson. Josuah Parker am Apparat«, meldete er sich in seiner etwas förmlichen Art. »Ach, Sie sind doch noch auf, Parker?« war die vertraute Stimme Mike Randers am anderen Ende zu vernehmen. »In der Tat, Sir.« »Eigentlich wollte ich es nur dreimal klingeln lassen, um Sie oder Mylady nicht zu wecken«, fuhr der Anwalt fort. »Aber die Sache hat uns keine Ruhe gelassen, Parker.« »Vermutet man gegebenenfalls recht, daß Sie von Myladys laufenden Ermittlungen zu sprechen geruhen, Sir?« »Genau. Kathy und ich waren so aufgedreht, als wir in meine Wohnung kamen, daß an schlafen nicht zu denken war.« »Ein Umstand, den man zutiefst bedauert, Sir.« »Nein, darum geht's nicht, Parker. Ich wollte nur hören, wie die Sache steht und ob Sie unsere Hilfe brauchen können.« »Möglicherweise durchaus, Sir.« »Sehr gut«, zeigte Rander sich erfreut. »Und was steht an, Parker?« »Falls man eine persönliche Einschätzung wiedergeben soll, 70
dürfte Mylady kurzfristig aufbrechen, um einen gewissen Brendan Guarney zu befragen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit als Auftraggeber der Waffendiebstähle zum Nachteil der Royal Army in Frage kommt.« »Brendan Guarney, der Finanzhai?« wußte auch der Anwalt sofort, von wem die Rede war. »Wenn's dem an den Kragen geht, sind wir natürlich besonders gern dabei, Parker.« »Was man nur von ganzem Herzen begrüßen kann, Sir. Allerdings sieht man sich zu dem Hinweis genötigt, daß die Entscheidung über Ihre und Miß Porters Teilnahme allein bei Mylady liegt.« »Die kriegen wir schon rum«, meinte Rander zuversichtlich. »Dann bis gleich, Parker.« »Bis gleich, Sir«, erwiderte der Butler und legte den Hörer auf. »Mister Parker!« hallte in diesem Moment Lady Agathas weittragendes Organ durch das Haus. »Wo stecken Sie, Mister Parker?« »Hier, Mylady«, meldete er sich beim Betreten der Wohnhalle zurück. »Stets zu Diensten.« »Mir ist kühl geworden«, klagte die ältere Dame und zog die Kamelhaardecke bis zum Kinn hoch. »Bringen Sie mir bitte etwas, das wärmt, Mister Parker.« »Darf man fragen, ob Mylady Tee oder Kaffee wünschen?« »Nein, das dauert zu lange. Lieber einen kleinen Kreislaufbeschleuniger.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, gab Parker höflich zurück und schenkte ihr einen Cognac edelster Provenienz ein. Und während seine Herrin allmählich wieder rosige Wangen bekam, berichtete er ausführlich über die Ereignisse und Gespräche der letzten anderthalb Stunden. »Gut, daß Sie streng nach meinen Anweisungen gehandelt haben«, tat die leidenschaftliche Amateurdetektivin huldvoll 71
nickend kund. »Daß dieser. dieser. wie lautete noch mal der Name, Mister Parker?« »Mylady dürften von Mister Brendan Guarney zu sprechen geruhen, falls man sich nicht gründlich irrt.« »Wie auch immer. Daß der Lümmel hochgradig kriminell ist und vor keiner Schandtat zurückscheut, war mir von Anfang an klar, Mister Parker.« »Was man keineswegs und mitnichten in Zweifel ziehen wollte, Mylady .« »Deshalb habe ich auch längst einen überaus raffinierten Einsatzplan entwickelt, der dem Schurken unweigerlich zum Verhängnis werden wird, Mister Parker.« »Was eindeutig zu hoffen wäre, Mylady.« »Und damit er gar nicht erst auf die Idee kommt, sich klammheimlich ins Ausland abzusetzen, werde ich unverzüglich aufbrechen, Mister Parker.« »Ein Entschluß, zu dem man Mylady nur beglückwünschen kann.« »Warten Sie bitte einen Moment hier unten, Mister Parker«, sagte die Hausherrin, erhob sich unter herzhaftem Gähnen aus dem Sessel und steuerte die geschwungene Holztreppe an, die zu ihren privaten Gemächern im Obergeschoß führte. »Ich muß mich nur schnell für die Ausfahrt umkleiden.« * Parker saß aufrecht hinter dem Lenkrad seines altertümlichen Gefährts und bog von der Kensington High Road in die schmalere Argyll Road ab. Mike Rander und Kathy Porter, denen Lady Simpson nur unter schwerwiegenden Bedenken die Teilnahme an dem Einsatz im Morgengrauen gestattet hatte, folgten im Wagen des Anwalts mit einigem Abstand. 72
Gleich hinter der Ecke stoppte der Butler in einer Bushaltebucht. Der abgerissen wirkende Greis, der mit schwerfälligen Bewegungen in einem Papierkorb herumstocherte und ein zierliches Hündchen an der Leine führte, hatte seine Aufmerksamkeit erregt. »Sie können Ihren Wagen da gegenüber in der Einfahrt abstellen, Mister Parker«, empfahl Horace Pickett, der schon etwas länger vor Ort war. »Bis zu Guarneys Anwesen sind es gut zweihundert Schritt.« »Haben Sie möglicherweise erkunden können, ob Mylady mit bewaffneten Wachposten oder anderen Sicherheitsmaßnahmen rechnen muß, Mister Pickett?« wollte Parker vom offenen Fahrzeugfenster aus wissen. »An der Einfahrt sind zwei Männer postiert«, wußte der Späher zu berichten. »Die Mauer, die rings um das Anwesen läuft, ist angestrahlt und wird durch elektronische Kameras überwacht.« »Umstände, die ein unbemerktes Betreten des Grundstücks beträchtlich erschweren würden«, ließ der Butler nachdenklich verlauten. »Sollte man im übrigens davon ausgehen, daß auch die Einfahrt per Videoanlage überwacht wird, Mister Pickett?« »Nein, im Bereich des Tors habe ich keine Kamera entdecken können«, antwortete der einstige Eigentumsumverteiler. »Da stehen ja die Wachposten.« »Man erlaubt sich, für die hilfreichen Hinweise zu danken, Mister Pickett«, sagte Parker und verabschiedete sich mit einem höflichen Nicken. Anschließend lenkte er das schwarze Monstrum in die empfohlene Einfahrt und stellte es dort sichtgeschützt ab. »Über die Mauer zu klettern, kommt nicht in Frage, Mister Parker«, machte die gewichtige Lady mit Entschiedenheit deutlich, als man kurz darauf zu viert das weitere Vorgehen besprach. 73
»Ich bin doch keine Bergziege.« »Eine Feststellung, die man nur vorbehaltlos unterstreichen kann, Mylady«, schickte der Butler mit todernster Miene voraus. »Ansonsten dürfte es sich ohnehin empfehlen, zunächst den Wachposten am Tor von seinen Pflichten zu entbinden.« »Stimmt, ich habe Ihnen ja schon erklärt, wie ich den Lümmel zu überlisten trachte«, glaubte Mylady, sich zu erinnern. »Weihen Sie die Kinder bitte ein, Mister Parker. Dann kann ich auch gleich sehen, ob Sie alles verstanden haben.« Die kleine Runde nickte zustimmend, als Parker in knappen Worten seinen Plan vortrug. Augenblicke später gingen Damen und Herren getrennte Wege. Butler und Anwalt pirschten sich im Bogen und durch Gärten und über gepflasterte Höfe, bis sie hinter einer mannshohen Ligusterhecke in Deckung gingen, die der Einfahrt zu Guarneys repräsentativem Anwesen genau gegenüberlag. Agatha Simpson und Kathy Porter schlenderten eingehakt an der Einfassungsmauer entlang und erreichten das stählerne Gittertor knapp zwei Minuten später. Inzwischen hatte Parker einen kleinen Sicherungshebel am Griff seines schwarzen Universal-Regenschirmes gelöst und die bleigefüllte Spitze im rechten Winkel zur Seite geklappt. Dadurch entpuppte sich der stählerne Schaft als Lauf, aus dem er kleine, bunt gefiederte Pfeile verschießen konnte. Die nötige Schubkraft lieferte eine Patrone mit komprimierter Kohlensäure, die in den schwarzen Seidenfalten verborgen war. Bis jetzt hatte sich keiner der Wächter blicken lassen. Aber als die munter plaudernden Damen die Einfahrt passierten, wußte der Butler, daß seine Rechnung aufgehen würde. Mit lässigen Schritten tauchte ein athletisch gebauter Mittdreißiger aus der Dunkelheit hinter dem Tor auf. Seine Rechte steckte zwar einsatzbereit im Jackenausschnitt. Doch der schrille 74
Pfiff, den er ausstieß, ließ erkennen, daß er nur halb bei der Arbeit war. »So früh schon unterwegs?« fragte er die Spaziergängerinnen, die stehengeblieben waren und ihn erwartungsvoll ansahen. »Oder habt ihr euch die Nacht um die Ohren geschlagen?« »Dieselbe Frage könnte ich Ihnen auch stellen, junge Mann«, gab Lady Agatha grollend zurück. »Wer hat dich denn so schlecht draufgebracht, Oma?« erkundigte sich der Torwächter mit breitem Grinsen. »Komm', ich geb' dir fünfzig Pfund.« »Sie wollen mir fünfzig Pfund geben, junger Mann?« Die ältere Dame wirkte mißtrauisch und interessiert zugleich. »Aber Sie erwarten doch bestimmt eine Gegenleistung.« »Klar. Du sollst für 'ne halbe Stunde verschwinden und mich mit deiner Kleinen allein lassen«, äußerte der Mann ohne Umschweife seine Wünsche. Während des kurzen Gesprächs hatte die attraktive Kathy mit wechselndem Erfolg versucht, die füllige Detektivin und sich selbst so zu platzieren, daß Parker, dessen ungefähren Standort sie ahnte, freies Schußfeld hatte. Aber jetzt entglitt der jungen Dame die verstohlen ausgeübte Regie endgültig. Voller Empörung schwang Lady Agatha ihren wohlgefüllten Handbeutel und legte ihn mit Nachdruck auf die Schädeldecke des unverfrorenen Lüstlings. Der verdrehte nur noch die Augen und sank dann wortlos in sich zusammen. Doch jetzt betrat der Kollege des handfest in die Schranken Gewiesenen die Bildfläche. Während er mit langen Schritten auf die wehrhaften Damen zukam, glitt seine Hand in den Jackenausschnitt. Aber der Butler, der auf der Hut war, hatte schon das erste seiner kaum stricknadelgroßen Geschosse auf die Reise geschickt. Lautlos glitt der mit einem rasch wirkenden Betäubungsmittel 75
präparierte Pfeil aus der grünen Mauer, überquerte in Kniehöhe die Straße und blieb wippend in der rechten Wade des Bewaffneten stecken. Ein unterdrückter Schmerzenslaut wurde hörbar, als sich die nadelscharfe Spitze tief in die Muskulatur bohrte. Gleichzeitig blickte der Mann an sich herab und blieb wie erstarrt stehen. Augenblicklich vergaß er den schallgedämpften Revolver in seiner Schulterhalfter, griff nach dem unheimlichen Geschoß und riß es mit einem Ruck heraus. Doch der hochkonzentrierte Pflanzenextrakt, den die stählerne Spitze absonderte, kreiste schon in seiner Blutbahn und erreichte Augenblicke später die Nervenzentren im Gehirn. Die majestätische Dame tat ein übriges und streckte den ohnehin schon Schwankenden mit Hilfe ihres perlenbestickten Pompadours zu Boden. Sekunden später waren Parker und Rander zur Stelle. Die friedlich schlummernden Wächter wurden mit praktischen Einwegfesseln ausgestattet und dann in einem Gebüsch hinter dem rechten Torpfeiler verstaut. »Viel Erfolg«, flüsterte Rander, als die agile Witwe und ihr schwarz gewandeter Begleiter durch den im Morgennebel liegenden Park auf die Höhle des Löwen zuschritten. »Wir halten uns hier zum Eingreifen bereit.« * »Warum nehme ich nicht den Haupteingang, wie es sich für eine Dame meines Standes gehört, Mister Parker?« fragte Mylady gleich darauf, als ihr klar wurde, daß der Butler auf den Seitenflügel des dreigeschossigen Gebäudes zusteuerte. »Mylady dürften davon ausgehen, daß das Hauptportal der Villa unter besonders scharfer Bewachung steht«, gab Parker 76
gedämpft zurück, während er seine gewichtige Herrin von Baum zu Baum über den grünen Rasen geleitete. Dabei waren alle seine Nerven und Sinne auf Empfang geschaltet. Aber bis jetzt schien niemand die Eindringlinge bemerkt zu haben. »Na und? Mit den grünen Lümmeln am Tor bin ich auch fertig geworden, Mister Parker«, erwiderte die resolute Dame hoch erhobenen Hauptes. »Was man keinesfalls in Frage stellen wollte«, schickte der Butler höflich voraus. »Andererseits dürften Mylady darauf bedacht sein, beim Eindringen ins Haus keine unnötigen Geräusche zu verursachen, die Mister Guarney vorzeitig warnen und zur Flucht veranlassen könnten.« »Stimmt. Auf diesen Aspekt wollte ich Sie auch hinweisen, Mister Parker«, versicherte Lady Simpson umgehend. »Als Kriminalistin darf man nicht einfach seinen Neigungen folgen.« »Was man nur mit Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, flüsterte Parker. Inzwischen hatte man die Nordflanke des repräsentativen Bauwerks erreicht und war hinter einem immergrünen Ilexbusch in Deckung gegangen. Die hölzerne Tür, die es hier gab, schien nicht mal über ein Sicherheitsschloß zu verfügen, soweit der Butler in der grauen Dämmerung erkennen konnte. Gerade wollte er die letzten Schritte, die über knirschenden Kies führten, zurücklegen und sein vielfach bewährtes Universalbesteck aktivieren, da ließ das Wimmern eines Anlassers ihn aufhorchen. Augenblicke später bog ein Lieferwagen um die Ecke, der vorher hinter dem Haus gestanden haben mußte. Gleichzeitig wurde die Holztür von innen aufgeschlossen. Zwei kräftig gebaute Männer um die Dreißig, die unter ihren grauen Arbeitskitteln wohlgefüllte Schulterhalfter trugen, traten ins Freie und sahen sich gähnend um. Daß zwei aufmerksame 77
Augenpaare aus der sicheren Deckung heraus jeder ihrer Bewegungen folgten, entging den Unbekannten. Sie hatten ja auch zu tun und fühlten sich sicher. Wer sollte sie schon stören, wo doch eine doppelte Wache am Tor stand und jeder, der über die Mauer zu klettern versuchte, auf einem der Bildschirme in der Videozentrale erschien? Die leidenschaftliche Detektivin fieberte vor Tatendrang, ließ schon vorbeugend ihren perlenbestickten Pompadour wippen und wäre am liebsten ohne Umschweife zum Angriff übergegangen. Aber Parker erreichte mit einer stummen Geste, daß sie ihr explosives Temperament noch zwei, drei Minuten zügelte. Es lohnte sich auch, den Männern zuzusehen. Inzwischen waren zwei weitere Unbekannte, deren dunkler Teint auf vorderasiatische Herkunft zu deuten schien, aus dem Lieferwagen gestiegen und hatten die Hecktüren geöffnet. Jeder von ihnen packte sich jetzt einige kleinere Jutesäcke auf die Schulter und trat den Weg ins Innere des Hauses an. Währenddessen schleppte das zweite Team schwergewichtige Holzkisten mit dem Aufdruck »Royal Army« nach draußen und deponierte sie auf der Ladefläche des Kastenwagens. »Mister Parker!« sagte Agatha Simpson, als alle vier gleichzeitig im Gebäude waren. »Kommen Sie mir bitte nicht in die Quere.« »Man wird sein Bestes tun, Mylady«, versprach der Butler, während man zielstrebig zum Haus hinüberwechselte und zu beiden Seiten der Tür Posten bezog. Augenblicke später wurden hallende Schritte hörbar. Die Orientalen, die eine weitere Ladung Säcke in den Keller geschafft hatten, kehrten zurück, um auch noch den Rest von der Ladefläche zu holen. Doch bereits auf der Schwelle traf den ersten von ihnen so etwas wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel. 78
Röchelnd kippte der Gangster vornüber und machte es sich bäuchlings im kalten Kies bequem, nachdem Mylady hektisch rotierender Handbeutel ihn am Hinterkopf erwischt hatte. Sein Kollege reagierte mit der blitzschnellen Routine eines altgedienten Profis, der seine schallgedämpfte Automatic genauso selbstverständlich benutzt wie andere Leute ihre Zahnbürste. Mit zwei raschen Schritten befand er sich in Schußposition. Nur kam der Mann nicht mehr dazu, seine hochtechnisierte Bleischleuder zu entsichern. Mit dem gebogenen Bambusgriff seines altväterlichen Universal-Regendachs klopfte Parker bei ihm an und sorgte so dafür, daß er seine unfreundlichen Absichten schlagartig vergaß. Mit verdrehten Augen rutschte der Breitschultrige am Türrahmen abwärts und streckte sich unmittelbar vor der Schwelle zu einem Nickerchen aus. Augenblicklich packte der Butler die Füße des Mannes und wollte ihn aus dem Weg ziehen. Doch dazu war es schon zu spät. Keuchend und ächzend kam das zweite Team durch den Gang, wobei der Vordermann schlurfend rückwärts ging. Beide schleppten eine Holzkiste vom Format eines Sarges, die offenbar Schnellfeuergewehre enthielt. Schon geriet der erste der Lastträger ins Stolpern. Er hatte die Beine des Orientalen, die quer zu seiner Marschrichtung lagen, nicht gesehen. Gedämpft fluchend, versuchte sein Kollege das Gleichgewicht zu halten und einen Absturz der Traglast zu verhindern. Aber all sein Bemühen war vergeblich. Die Männer schafften es gerade noch bis ins Freie. Dann gingen sie samt ihrer Kiste zu Boden. Umgehend traten Pompadour und Schirmgriff in Aktion, so daß die Unbekannten gar nicht erst versuchten, wieder auf die Beine zu kommen. Statt dessen legten sie nun da, wo sie gerade 79
waren, die ohnehin längst fällige Verschnaufpause ein. Natürlich war das Zusammentreffen im Morgengrauen nicht völlig geräuschlos vonstatten gegangen. Deshalb wartete Parker einen Moment ab und spitzte aufmerksam die Ohren, bevor er in die hohle Wölbung seiner Melone griff und einen ausreichenden Vorrat der praktischen Einwegfesseln herauszog. Damit schränkte er die Bewegungsfreiheit des muskulösen Quartetts ebenso gründlich wie nachhaltig ein, bevor er die Männer – einen nach dem anderen – auf der Ladefläche des Lieferwagens unterbrachte. Jeder von ihnen erhielt noch eine reichlich bemessene Dosis des traumfördernden Nebels aus der kleinen Spraydose. Dann schloß der Butler die Hecktüren und riegelte mit dem von außen steckenden Schlüssel ab. »Na endlich«, seufzte die agile Witwe, die es gar nicht erwarten konnte, den Hausherrn höchstpersönlich kennenzulernen. »Daß Sie sich immer so lange mit völlig unmaßgeblichen Randfiguren abgeben müssen, Mister Parker! Auf die Drahtzieher des Verbrechens kommt es an.« »Ein Umstand, der meiner bescheidenen Wenigkeit hinlänglich vertraut ist, falls man sich den Hinweis gestatten darf«, gab der Butler mit einer angedeuteten Bewegung zurück und ließ der passionierten Detektivin höflich den Vortritt. * Vor dem schmalen, schwach erleuchteten Gang zweigte eine steinerne Treppe ab, die offenbar zum Keller führte. Parker verzichtete allerdings darauf, sich dort umzusehen. Was die handlichen Jutesäcke enthielten, die die Orientalen im Schweiße ihres Angesichts nach unten geschleppt hatten, konnte er sich ohnehin denken. Nach gut zwanzig Schritten machte der Weg einen doppelten 80
Knick und mündete dann auf die geräumige, mit allem erdenklichen Luxus ausgestattete Vorhalle. Während Lady Agatha widerstrebend innehielt, spähte der Butler um die mit Stuckgirlanden verzierte Ecke in Richtung Eingang. Von den Wachposten, die er dort vermutet hatte, war nichts zu sehen. Aber vielleicht lagen ja die Männer, die ihren Brötchengeben gegen unerwünschte Besucher abschirmen sollten, jetzt auf den Munitionskisten im Lieferwagen und hielten ein erholsames Schläfchen. Daß sie ihren angestammten Platz verlassen hatten, um die im Keller gelagerten Waffen zu verladen – natürlich in der Hoffnung, nach wenigen Minuten zurückzusein – war durchaus denkbar. »Was sind das für schrille Töne, Mister Parker?« fragte die Detektivin, wobei sie ihr weittragendes Organ zu einem Raunen dämpfte. »Das hört sich ja an, als ob jemand einer Katze auf den Schwanz tritt.« »Falls man eine Einschätzung abgeben darf, könnte es sich um orientalische Musik handeln, wie sie bei Bauchtanz-Darbietungen üblich ist«, erwiderte Parker, der die von monotonen Rhythmen begleitete Melodie auch längst vernommen hatte. »Aber wir sind hier doch nicht im Orient«, gab die majestätische Dame zu bedenken. »Mylady dürften davon ausgehen, daß Mister Guarney Gäste hat, deren Heimat im vorderen Orient liegt«, gab der Butler im Flüsterton zurück. »Wie auch immer, Mir geht dieses Gejaule schrecklich auf die Nerven«, ließ die Opern-Enthusiastin verlauten. »Kommen Sie, Mister Parker. Ich muß dieser akustischen Marter ein Ende bereiten.« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, entgegnete Parker, deutete eine Verbeugung an und wies seiner verehrten Herrin den Weg. 81
In der mit orientalischen Teppichen ausgelegten Eingangshalle ließ sich kein Mensch blicken, als die Eindringlinge den fremdartigen Klängen folgten- und zielstrebig auf die doppelflügelige Glastür zuschritten, die offenbar zu einer Art Gartensaal im rückwärtigen Teil des Gebäudes führte. Die aufreizende Musik, deren Tempo sich inzwischen beträchtlich gesteigert hatte, war nun klar und deutlich zu hören. Zu sehen gab es jedoch nichts – außer einem prachtvollen Brokatvorhang hinter den mit Jugendstilornamenten verzierten Scheiben, der neugierige Blicke wirksam fernhielt. Deshalb klinkte der Butler behutsam die Tür auf und ließ Lady Simpson eintreten. Gleich darauf spähten beide durch den Spalt in der Mitte des Vorhangs – Parker mit einer Miene, in der sich wie üblich keinerlei Regung zeigte, die konservative Dame mit rasch wachsender Empörung. Die drei Männer, die an einem runden Tisch saßen und sich mit Champagner zuprosteten, wandten dem Duo aus Shepherd's Market mehr oder weniger den Rücken zu. Zwei von ihnen schienen arabischer Abstammung zu sein. Der Dritte unterschied sich von ihnen durch rötlichblondes Haar und eine ausgesprochen behäbige Figur. Trinkend und plaudernd genoß das Trio die frühe Morgenstunde und den Blick auf das kleine Podium, wo sich eine üppig ausgestattete Schöne mit nachtschwarzem Haar und ebenso schwarzen Augen zu den Klängen der Musik bewegte. Bekleidet war die Tänzerin, in deren aufreizend kreisenden Bauchnabel ein funkelnder Brillant steckte, mit einem prachtvoll verzierten Gewand, dessen im Takt wogende Schleier allerdings mehr verhüllten, als sie preisgaben. Was das moralische Empfinden der sittenstrengen Lady zum Sieden brachte, war daher nicht die Bauchtänzerin, sondern das wohlproportionierte Duo, das die Herren am Tisch mit Geträn82
ken und leckeren Häppchen versorgte. Blond, blauäugig und barbusig gingen die Damen ihrer Arbeit nach und schienen auch gegen handgreifliche Zärtlichkeiten keine Einwände zu haben. »Jetzt ist aber Schluß!« konnte Agatha Simpson vor lauter Entrüstung nicht mehr an sich halten. »Diesen sündigen Sumpf werde ich trockenlegen.« Gleichzeitig trat sie hinter dem Vorhang hervor und ließ angriffslustig ihren Handbeutel kreisen. Eine der knapp bekleideten Serviererinnen blickte mehr oder weniger zufällig in Myladys Richtung. Sie stieß einen spitzen Schrei aus und ließ das Tablett mit Süßigkeiten fallen, das sie gerade in der Hand hielt. Der rothaarige Dickwanst verstand das Alarmsignal sofort. Wie ein Kreisel schoß er aus dem Sessel hoch und griff blitzartig in den Jackettausschnitt seines maßgeschneiderten Abendanzugs. Doch Parker, der mit einem derart feindseligen Empfang ohnehin gerechnet hatte, war um die entscheidenden Sekundenbruchteile schneller. Zielsicher griff er nach seinem schwarzen Bowler und schickte ihn dem Bewaffneten, bei dem es sich allem Anschein nach um Brendan Guarney handelte, entgegen. Hektisch rotierend segelte der halbkugelförmige Flugkörper auf elegant geschwungener Bahn durch den Raum und landete auf dem Handgelenk des Gangsters, als dieser gerade einen kurzläufigen Revolver zum Vorschein brachte. Sirrend glitt die messerscharf geschliffene Stahlkrempe des Bowlers über Fingerknöchel und Handgelenk, was dem Gangster nicht unbeträchtliche Pein zu bereiten schien. Er heulte wie ein hungriger Steppenwolf, spreizte die Hand und ließ das noch nicht mal entsicherte Mordinstrument zu Boden fallen. Durch hingebungsvolles Blasen versuchte er sein unaufhaltsam 83
anschwellendes Greifwerkzeug zu kühlen, verlor dabei aber seine Umgebung ein wenig aus dem Auge. So kam es, daß er über ein am Boden stehendes Weihrauchgefäß stolperte, das Gleichgewicht verlor und völlig verdutzt auf dem Teller des Plattenspielers Platz nahm. Schlagartig riß die Musik ab. Plötzlich war nur noch das hysterische Kreischen der blonden Servierdamen zu hören, die hastig aus ihren Stöckelschuhen sprangen und barfuß durch einen Seitenausgang das Weite suchten. Die Bauchtänzerin hatte dazu keine Kraft mehr gefunden. Sie hatte noch einen heiseren Schreckenslaut von sich gegeben, war dann haltlos in sich zusammengesunken und lag ausgestreckt auf der Tanzfläche. Kein Wunder, daß nun auch Guarneys arabischen Gästen die Lust am Feiern verging. Wütend sprangen die Männer auf und wollten mit bloßen Fäusten auf die Störenfriede losgehen. Dabei unterlief ihnen jedoch ein Fehler, der schon zahlreichen Mitgliedern der Londoner Szene zum Verhängnis geworden war: Sie unterschätzten die füllige Detektivin und den stocksteifen Butler bei weitem. Einer von ihnen griff sich stöhnend an die Stirn und kippte dann rücklings auf den gedeckten Tisch, der unter dieser plötzlichen Belastung alle viere von sich streckte und nur noch als Anmachholz zu gebrauchen war. Der Mann war leichtsinnig und unachtsam genug gewesen, sich in die Kreisbahn von Lady Simpsons schwungvoll rotierenden Pompadours zu wagen und hatte dann erst erkannt, welch niederschmetternde Wirkung der harmlos anmutende Handbeutel entfalten konnte. Der zweite wollte sich mit einem Hechtsprung auf Parker stürzen. Dabei übersah er jedoch die bleigefüllte Spitze des schwarzen Universal-Regenschirmes, die sich ihm entgegenreckte. Fauchend gab der kräftig gebaute Orientale seinen gesamten 84
Vorrat an Atemluft von sich, als der Butler ihm eingehend den Solarplexus massierte. Gleichzeitig nahm sein bräunlicher Teint eine krankhaft wirkende Blässe an. Torkelnd trat der gescheiterte Angreifer den Rückzug an, umarmte heftig eine zur Dekoration aufgestellte Topfpalme und suchte dann ohne Umschweife innigen Kontakt zu Mutter Erde. Den grünen Raumschmuck riß er mit sich, wobei der kunstvoll glasierte Tontopf zu Bruch ging und die schwarze Erde einen kostbaren chinesischen Seidenläufer ruinierte. »Sehen Sie, Mister Parker?« triumphierte die resolute Dame. »So wird's gemacht.« »Mylady stellen ein Vorbild dar, dem man nur bewundernd nacheifern kann«, versicherte der Butler höflich und… wandte sich blitzschnell auf dem Absatz um. Zu spät! Die schallgedämpften Automatics der beiden schätzungsweise dreißigjährigen Araber, die plötzlich auf dem Podium standen, als wären sie aus dem Erdboden gewachsen, waren vermutlich längst entsichert. * »Hände hoch!« knurrte einer der Finsterlinge in gebrochenem Englisch. »Und da an die Wand!« »Das können…« wollte Lady Agatha geharnischten Protest einlegen, aber mitten im Satz brach sie ab, drehte die Augen zur Decke und faßte sich mit beiden Händen an den Hals. »Mein Herz!« stöhnte die gewichtige Dame und begann zu taumeln. »Ich bekomme keine Luft mehr! Einen Arzt, Mister Parker! Schnell!« Ehe der Butler eingreifen konnte, sank Mylady erbleichend dahin, landete aber präzise in einem der freigewordenen Sessel. »Was hat Frau?« fragte einer der Bewaffneten und kam 85
zögernd näher. Der schallgedämpfte Lauf seiner Mordmaschine war auf die Detektivin gerichtet. Der andere Gangster blieb auf Distanz und behielt den Butler im Visier. Den Neugierigen, der sich jetzt über die schwer atmende Dame beugte und ihm den Rücken zukehrte, hätte Parker ohne Probleme zu friedfertigem Verhalten überreden können. Aber dann war immer noch der zweite Mann da. Und der wirkte keineswegs so, als würde er vor einem Blutbad zurückschrecken. Auf Parkers glattem, alterslosem Gesicht war nicht mal die Andeutung eines Mienenspiels zu entdecken, während er mit weisungsgemäß erhobenen Händen mitten im Raum stand. Aber hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft. Computerschnell spielte sein Gehirn alle Möglichkeiten durch, der überaus unerfreulichen Situation eine erfreuliche Wende zu geben. Wenn nicht alles zu spät sein sollte, mußte er bald handeln. Kamen Guarney und seine Gäste erst wieder zu sich, war allein das zahlenmäßige Verhältnis ungünstiger. Doch der Killer auf dem Podium ließ die schwarz gewandete Gestalt keinen Lidschlag lang aus den Augen. Das war zwar seine Pflicht, andererseits aber auch ein Fehler, wie sich Sekunden später herausstellte. Parkers Miene blieb genauso starr und undurchdringlich wie vorher. Und die manchmal zu spontanen Gefühlsausbrüchen neigende Detektivin hatte zum Glück die Augen geschlossen. Sonst wäre sie vielleicht auf die Idee gekommen, freudig zu winken, als Mike Rander und Kathy Porter hinter dem grimmig entschlossenen Gangster auftauchten. Auf Zehenspitzen pirschte sich das junge Paar näher an den Mann mit der Automatic heran, der weiterhin aufmerksam den Butler im Blick behielt und nur gelegentlich für Momente zu seinem Kollegen hinübersah, der Myladys Zustand mit Kopfschütteln und Achselzucken kommentierte. Während die ältere Dame 86
im Sessel herzzerreißend aufstöhnte, wechselten die hübsche Kathy und ihr sportlich durchtrainierter Begleiter einen kurzen Blick. Dann gingen sie in präzisem Gleichtakt zum Angriff über. Mit gestrecktem Bein kickte Kathy Porter dem Ahnungslosen die Waffe aus der Hand. Im selben Moment verspürte der Mann einen Fausthieb in der Nierengegend und schnappte hastig nach Luft. Schwankend wie eine Birke im Sturm, stand er am Rand des Podiums und konnte sich nicht entscheiden, welche Richtung zum Umkippen die günstigere war. Inzwischen nahm sein Gesicht eine Farbe an, die lebhaft an die Kreidefelsen von Dover erinnerte. Schließlich versuchte er einen Schritt nach vorn, trat aber ins Leere und kam dadurch endgültig aus dem Gleichgewicht. Jaulend bettete er sich in den Haufen aus Scherben und Holzsplittern, die einer seiner Arbeitgeber für ihn vorbereitet hatte. Allerdings schien ihn die unbequeme Unterlage nicht über die Maßen zu stören. Sonst hätte er sich nicht so behaglich ausgestreckt und umgehend ein Schnarchkonzert angestimmt. Natürlich war seinem Kollegen dieser etwas ungeordnete Abgang nicht verborgen geblieben. Wie von einer Tarantel gestochen fuhr der Mann auf dem Absatz herum und wollte seine Waffe auf Mike Rander und Kathy Porter richten, die sich geistesgegenwärtig zu Boden warfen. Bläuliches Mündungsfeuer zuckte auf. Mit sanftem »Plopp!« löste sich ein Schuß und. blieb in der stuckverzierten Decke stecken. Parker hatte die bedrohliche Situation natürlich kommen gesehen und mit gewohnter Zuverlässigkeit agiert, als der Moment zum Eingreifen gekommen war. Mit hervorquellenden Augen und heraushängender Zunge folgte der mordlustige Unterweltler dem Zug des bleigefüllten 87
Schirmgriffs, der sich unversehens von hinten um seinen Hals gelegt hatte. Die schallgedämpfte Automatic, die ihm eben noch ein Gefühl der Stärke gegeben hatte, schien ihn nicht mehr zu interessieren. Stolpernd ließ er die Waffe fallen und folgte dann selber nach. Dabei streckte er sich allerdings so unsanft auf dem spiegelnden Parkett aus, daß ihm augenblicklich Hören und Sehen verging. Auf jemand anderen schien der Lärm, den er produzierte, jedoch eine ausgesprochen belebende Wirkung auszuüben. Brendan Guarney schlug irritiert die Augen auf, blickte sich kurz um und sprang auf die Füße. Offenbar war ihm klargeworden, daß seine Felle unaufhaltsam davonschwammen. Und deshalb wollte er sich selbst natürlich davonmachen, was ihm aber mitnichten gelang, da der Butler weiterhin auf der Hut war und jede verdächtige Regung registrierte. Drei Schritte vor dem Brokatvorhang war Guarneys hastige Flucht schon beendet. Dort ereilte ihn die schwarze Melone, die Parker ihm mit wohldosiertem Schwung hinterhergeschickt hatte. Der von Fluchtgedanken beseelte Gangsterboß jaulte wie ein Hund, der mit dem Schwanz in eine Drehtür geraten ist, als die stählerne Krempe rotierend an seinem Nacken hochglitt und ihm eine Schneise ins rötliche Haupthaar fräste, die jedem Punker ein anerkennendes Rülpsen abgenötigt hätte. Der rasante Haarschnitt war zwar kostenlos, dafür aber nicht ganz schmerzfrei. Er trieb dem Untersetzten die Tränen in die Augen und ließ seine Knie weich werden. Deshalb griff Guarney, vorwärts stolpernd, nach einem Halt, bekam aber nur den Vorhang zu fassen. Und zu seinem Pech stellte sich dabei auch noch heraus, daß die Halterung auf eine derartige Belastungsprobe nicht ausgelegt war. 88
Knirschend lösten sich die Dübel aus der Decke. Putz rieselte, und dann folgte die schmiedeeiserne Vorhangstange ungehindert dem Locken der Schwerkraft. Allerdings hatte der Hausherr doch noch Glück im Unglück, denn Parkers stahlverstärkter Bowler, der nach erfolgreich abgeschlossener Schnellrasur auf seinem Schädel hängengeblieben war, bewahrte ihn vor dem Schlimmsten. Mit seiner Standfestigkeit war es nach dem handfesten Verweis von oben nun aber endgültig vorbei. Röchelnd sank der Gangsterboß in die Knie und war gleich darauf unter den Falten des herabfallenden Vorhangs verschwunden. * »Na, war ich nicht wieder großartig?« wollte Lady Simpson mit stolzgeschwellter Brust wissen, während Parker ihr aus dem Sessel hochhalf. »Mylady legten eine Talentprobe schauspielerischen Könnens ab, die nur einhellige Bewunderung auslösen kann«, versicherte der Butler und verbeugte sich höflich. »Sie hätten mich erleben sollen, als ich noch auf der Opernbühne stand, Mister Parker«, geriet die ältere Dame ins Schwärmen. »Die Intendanten in aller Welt lagen mir zu Füßen – vom Publikum ganz zu schweigen.« »Ihre Auftritte müssen ein Ereignis gewesen sein, Mylady«, warf die hübsche Kathy ein. »Das sind sie auch heute noch«, ergänzte Mike Rander und warf seiner Begleiterin einen amüsierten Blick zu. »Nun ja. Ich habe zwar das Metier gewechselt, mein Junge«, nickte die leidenschaftliche Detektivin. »Aber ein Genie bleibt eben ein Genie!« »Außerdem sind Sie und Mister Parker ein hervorragend ein89
gespieltes Team«, stellte Kathy Porter nach einem Blick auf die kampfmüde Gangsterriege fest. »Aber nur, solange sich Mister Parker streng an meine Anweisungen hält, Kindchen«, machte Agatha Simpson mit Nachdruck deutlich. »Leider neigt er manchmal zu spontanen Aktionen. Bis ich ihm die Grundbegriffe der Kriminalistik beigebracht habe, wird es noch eine Weile dauern.« »Man ist stets bemüht, Myladys leuchtendem Vorbild nachzueifern«, warf Parker ein, der inzwischen damit begonnen hatte, Brendan Guarney und dessen Gäste mit den letzten Einwegfesseln auszustatten, die sich in der hohlen Wölbung seiner Melone fanden. »Das stimmt. Im großen und ganzen sind Sie ein gelehriger Schüler, Mister Parker«, ließ Mylady sich zu ausgesprochen wohlwollender Beurteilung herab. »Aber wenn ich nicht ständig meine schützende Hand über Sie halten würde, wären Sie schon längst den Gangstern zum Opfer gefallen.« »In diesem Sinne möchte meine Wenigkeit auch keinesfalls versäumen, für Myladys aufopfernde Fürsorge zu danken«, erwiderte der Butler, zog die letzte Fessel straff und erhob sich. »Wie seid ihr denn überhaupt hier hereingekommen, Kinder?« erkundigte sich die Detektivin unvermittelt. »Ich hatte doch gebeten, den unmittelbaren Gefahrenbereich zu meiden und außerhalb des Geländes zu warten.« »Das haben wir auch getan, Mylady«, versicherte der Anwalt mit todernster Miene. »Aber plötzlich kamen zwei leicht bekleidete Damen kreischend aus dem Haus gerannt, und da dachten wir: Jetzt geht's drinnen zur Sache.« »Nur gut, daß ich diese blutrünstigen Gangster schon in die Schranken gewiesen hatte, als ihr hereinkamt«, fuhr die resolute Dame in strengem Ton fort. »Wie leicht hätte euch sonst etwas zustoßen können.« 90
»Aber Mylady…« wollte Kathy Porter Protest anmelden, doch Lady Agatha fiel ihr energisch ins Wort. »Ihnen fehlt es einfach an der nötigen Erfahrung, Kindchen«, mußte sich die junge Dame sagen lassen. »Und ich bin wirklich ausgelastet, wenn ich gegen das Verbrechen kämpfen und gleichzeitig für Mister Parkers Sicherheit sorgen muß.« »Ich weiß, Mylady«, gab Kathy Porter sich geschlagen. »Aber nun ist ja noch mal alles gutgegangen.« »Darf man möglicherweise um Auskunft bitten, wie Mylady unter den obwaltenden Umständen weiter vorzugehen gedenken?« meldete sich Parker aus dem Hintergrund zu Wort. »Nun. ich habe den Drahtzieher der Bande entlarvt und seinen kriminellen Geschäftspartnern das Handwerk gelegt«, resümierte die erfolgreiche Detektivin. »Ich habe sämtliche Helfershelfer überwältigt und das Diebesgut sichergestellt. Meine Aufgabe ist gelöst, Mister Parker.« »Mithin hätten Mylady keine Einwände vorzubringen, wenn man jetzt Scotland Yard über den Stand der Dinge in Kenntnis setzen würde?« vergewisserte sich der Butler. »Klingeln Sie die Versager ruhig aus dem Schlaf, Mister Parker«, gestattete die majestätische Dame. »Jetzt können sie ja nicht mehr viel Schaden anrichten. Und McWarden wird vor Neid erblassen, wenn er von meinem Triumph erfährt.« »Wie Mylady zu meinen belieben«, bemerkte Parker mit regungsloser Miene, deutete eine Verbeugung an und entfernte sich würdevoll. »Hier spricht Josuah Parker«, hörte man ihn gleich darauf sagen. »Bitte Chief-Superintendent McWarden…« Fünf Minuten später fuhren die ersten Polizeifahrzeuge vor. Kurz darauf wimmelte es im ganzen Haus von Beamten in Zivil und Uniform. Und dann tauchte plötzlich das hektisch gerötete Gesicht eines untersetzten Mittfünfzigers auf, dessen leicht vorstehende 91
Augen auf Basedow schließen ließen. Chief-Superintendent McWarden, der zu den einflußreichsten Beamten von Scotland Yard zählte und als Leiter einer Spezialeinheit unmittelbar dem Innenminister unterstellt war, kam nur langsam voran. Immer wieder wurde er von seinen Beamten angesprochen und mußte Anweisungen erteilen. Doch schließlich hatte er seine freiberuflich tätige Kollegin erreicht, die ihn in der majestätischen Pose einer gekrönten Herrscherin erwartete. »Meine aufrichtige Gratulation, Mylady«, murmelte er und küßte der älteren Dame galant die Hand. »Da haben Sie ja wieder ein Meisterstück vollbracht.« »Man tut, was man kann, mein Bester«, reagierte die passionierte Detektivin überraschend bescheiden, um dann gleich den ersten Giftpfeil aus dem Köcher zu ziehen. »Ich will ja gar nicht bezweifeln, daß Sie und Ihre Leute ebenso handeln. Aber wenn es an der nötigen Begabung fehlt, kann eben nicht viel dabei herauskommen.« »Vielleicht haben Sie recht, Mylady«, schluckte McWarden unter gequältem Lächeln den Vorwurf. Offensichtlich war er nicht gewillt, sich in Gegenwart seiner Leute auf einen Disput mit der ebenso ehrgeizigen wie scharfzüngigen Dame einzulassen. »Wir hatten Guarney auch schon länger im Auge«, setzte er nach kurzem Zögern hinzu. »Aber bisher fehlten es an den handfesten Verdachtsmomenten, die ein Eingreifen ermöglicht hätten.« »Da sieht man mal wieder, daß Sie es zu nichts bringen können, weil Sie grundsätzlich das Pferd vom Schwanz her aufzäumen, mein Bester«, entgegnete Lady Simpson mit überlegenem Lächeln. »Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, erst mal einzugreifen. Dann ergeben sich die Verdachtsmomente schon von selbst.« 92
»Sie haben es eben einfacher, Mylady«, urteilte der leitende YardBeamte. »Wir sind an strenge Vorschriften gebunden.« »Wie auch immer. Was jetzt noch zu tun ist, werden Sie wohl allein bewältigen können, McWarden«, ließ die gewichtige Dame verlauten, und wandte sich zum Gehen. »Auf mich warten andere Pflichten.« »Vielleicht sollten Sie erst mal frühstücken und sich ein paar Stunden Ruhe gönnen, Mylady«, schlug der Chief-Superintendent vor. »Untätigkeit kann ich mir nicht leisten, mein Bester«, brachte Mylady ihm zum Abschied noch einen versteckten Nadelstich bei. »Aber ein kleiner Imbiß wäre wirklich nicht zu verachten. Danke, daß Sie mich daran erinnert haben, McWarden.« »Ich habe zu danken, Mylady«, erwiderte der Beamte. »Im übrigen werde ich mich in den nächsten Tagen bei Ihnen melden – sobald die wichtigsten Vernehmungen abgeschlossen sind.« * Es dauerte dann allerdings fast eine Woche, bis der einflußreiche Yard-Beamte den Weg nach Shepherd's Market fand und mit einem opulenten Blumengebinde vor der Haustür stand. »Sie müssen ja sehr beschäftigt sein, mein lieber McWarden«, bemerkte die Hausherrin spitz, nachdem Parker den Besucher hereingeführt hatte. »Ich dachte schon, Sie hätten mich völlig vergessen.« »Wie könnte ich, Mylady?« erwiderte der Chief-Superintendent geradezu entrüstet. »Aber Sie haben recht. Der Fall hat Kreise gezogen. Es gab unglaublich viel Arbeit für uns.« »So schlimm kann's ja nun auch wieder nicht gewesen sein«, meinte die ältere Dame. »Immerhin habe ich die Gangster unter Einsatz meines Lebens dingfest gemacht und Ihnen auf silber93
nem Tablett präsentiert. Das bißchen Schreibtischarbeit hätte ich auch noch geleistet – wenn so was nicht unter meinem Niveau wäre.« »Nun… es blieb ja nicht bei dem Waffendiebstahl, den Sie aufgedeckt haben, Mylady«, berichtete McWarden, der noch immer auf die Erlaubnis wartete, am Tisch der Detektivin Platz nehmen zu dürfen. »Wie interessant«, ließ Agatha Simpson betont beiläufig verlauten. »Übrigens – möchten Sie nicht ein Täßchen Tee mit mir trinken, McWarden?« »Liebend gern, Mylady«, versicherte der Chief-Superintendent und ließ sich aufatmend auf den Stuhl sinken, den der Butler ihm heranrückte. »Die Reste des Kuchens sind allerdings zu bescheiden, als daß ich Ihnen etwas davon anbieten könnte, mein Bester«, fuhr die beleibte Dame fort und ließ sich von Parker ein weiteres Stück Nußtorte auf den Teller legen. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie heute kommen, hätte ich Mister Parker natürlich gebeten, etwas reichlicher einzukaufen.« »Machen Sie sich deswegen nur keine Sorgen, Mylady«, bat der Besucher. »Ein Täßchen Tee genügt vollauf. Ich halte nämlich gerade wieder Diät.« »Aber vermutlich erst seit heute mittag«, gab die Detektivin spöttisch lächelnd zurück. »Oder?« »Nein, seit neun Tagen«, verkündete ihr Gegenüber stolz. »Dann muß es die falsche Diät sein«, befand Mylady nach einem kritischen Blick auf McWardens Figur. »Man sieht jedenfalls noch nichts.« »Ich habe aber schon über drei Kilo abgenommen«, behauptete der Yard-Gewaltige pikiert. »Jedenfalls könnte ich Ihnen unfehlbare Tips geben, wenn Sie sich ratsuchend an mich wenden würden«, bot die füllige Lady 94
großzügig an. »Aber wollten wir nicht von etwas ganz anderem sprechen?« »Stimmt. Ich wollte Sie über den Stand der Ermittlungen unterrichten, an deren Erfolg Sie maßgeblichen Anteil hatten, Mylady«, nickte der Chief-Superintendent und befeuchtete sich mit einem Schluck Tee die Lippen. »Um es kurz zu machen: Wir konnten Guarney nachweisen, daß er schon länger im illegalen Waffenhandel tätig war, obwohl er die Beschaffungsmethode, bei der Sie seine Leute ertappt haben, erstmals praktiziert hatte.« »Da sehen Sie's«, warf die ehrgeizige Ganovenjägerin bedeutungsvoll ein. »Ich lasse der Unterwelt erst gar keine Zeit, neue Praktiken zu entwickeln.« »Aber er handelte nicht nur mit Waffen, sondern auch mit jungen Mädchen, die ausnahmslos blond und blauäugig sein mußten«, überging McWarden den selbstbewußten Hinweis. »Darauf legten seine Geschäftspartner im arabischen Raum größten Wert.« »Unerhört!« reagierte die konservative Dame entrüstet und schob sich – quasi als Nachtisch – noch einen Schokoladenkeks in den Mund. »Wie kann man nur!« »Vermutet man übrigens recht, daß Mister Guarneys Geschäftspartner mitnichten in barer Münze, sondern mit Naturalien bezahlten?« meldete sich Parker mit einer Frage zu Wort. »Richtig«, nickte der Yard-Beamte. »Im Gegenzug erhielt er Lieferungen von hochwertigem Haschisch, vornehmlich aus dem Libanon. Nachdem Sie uns angerufen hatten, konnten wir in Guarneys Keller weit über zweihundert Kilogramm sicherstellen.« »Eine Menge, die man nur beachtlich nennen kann«, kommentierte der Butler. »Demnach dürfte Mister Guarney im Handel mit illegalen Rauschmitteln einen nicht zu unterschätzenden Rang eingenommen haben.« 95
»Soweit wir bisher ermitteln konnten, hat er im Lauf der letzten fünf Jahre mindestens drei Tonnen auf dem britischen Markt abgesetzt«, bestätigte McWarden.« »Dann können Sie ja jetzt eine Menge Lorbeeren einstreichen, mein Bester«, stellte die Hausherrin mürrisch fest. »Die nächste Gehaltserhöhung ist schon beschlossene Sache, und von mir redet mal wieder keiner.« »Das ist nicht wahr, Mylady«, beteuerte der Besucher. »Überall habe ich Ihre Verdienste herausgestrichen. Auch dem Innenminister habe ich gesagt, daß wir diesen Erfolg nie ohne Ihre Hilfe errungen hätten.« »Aber mich speist man mit Blumen ab«, tat Lady Agatha vorwurfsvoll kund. »Mitnichten, mitnichten«, konnte McWarden freudestrahlend widersprechen. »Der Kriegsminister hat mich gebeten, Ihnen jetzt schon zu sagen, daß er Ihnen kurzfristig eine Dankesurkunde und einen Orden übersenden wird.« »Ein Stück Papier und ein Stück Blech?« zeigte Mylady sich enttäuscht. »Sonst nichts?« »Nun. ich dachte, daß Ihnen die Ehre mehr wert ist als Geld, Mylady«, entgegnete der Chief-Superintendent und lächelte verschmitzt. »Selbstredend, mein Bester. Selbstredend«, unterstrich die majestätische Dame. »Deshalb erwähne ich die fünftausend Pfund Belohnung auch erst an zweiter Stelle, Mylady«, vollendete McWarden seinen Satz. »Nun, das ist immerhin etwas«, gestand Agatha Simpson widerstrebend ein. »Aber bei den immensen Unkosten, die man als freischaffende Kriminalistin hat, nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Herd. Nein… Stein.« »Unkosten, die durch eine Spesenabrechnung belegt werden 96
können, werden Ihnen natürlich erstattet, Mylady«, überbrachte der Yard-Beamte gleich die nächste erfreuliche Nachricht. »Das ist unabhängig von der Belohnung.« »Das hört man gern, mein Bester«, nickte die sparsame Dame erfreut, um sich dann huldvoll nickend dem Butler zuzuwenden: »Nach dieser Mitteilung dürfen Sie meinem Gast ein Gläschen Sherry einschenken, Mister Parker. Und mir natürlich auch.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, gab Parker höflich zurück und schritt zur Anrichte, wo die kostbar geschliffene Kristallkaraffe stand. »Warum genehmigen Sie sich nicht auch einen Schluck, Mister Parker?« trieb Lady Simpson die Großzügigkeit auf die Spitze, nachdem der Butler eingeschenkt hatte. »Aber vergessen Sie bitte nicht, den Sherry auf die Spesenabrechnung zu setzen.« »Eine Anweisung, die man unter allen Umständen beachten wird, Mylady«, versprach Parker und schritt erneut zur Anrichte, um sich auch ein Glas zu holen. ENDE
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