Butler Parker Neu Nr. 291
Ein neuer Butler-Parker-Krimi von
Max Marek
Parker macht die
Schotten munter
»Einer der ...
34 downloads
586 Views
830KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Butler Parker Neu Nr. 291
Ein neuer Butler-Parker-Krimi von
Max Marek
Parker macht die
Schotten munter
»Einer der drei Scheine ist Falschgeld«, verkündete Mike Rander. »Das kriminologische Institut hat das einwandfrei festgestellt.« Er warf einen Blick in die Tischrunde. Am Kopfende thronte Lady Agatha, die sich die drei Hundertpfund-Noten geben ließ und mit scheinbarer Kennermiene betrachtete. Josuah Parker blickte zu seiner resoluten Brötchengeberin, ohne daß man ihm ansah, was ihn bewog, dies zu tun.
Agatha Simpson reckte ihre walkürenhafte Gestalt noch höher, wedelte mit einem Schein und rief im Brustton der Überzeugung: »Natürlich, der hier ist falsch! Ich habe dies sofort gesehen ...« Mike Rander lächelte süffisant, wandte sich an den Butler und sagte mit kaum wahrnehmbarem Spott in der Stimme: »Geben Sie Mister Parker die Scheine, damit er Ihre Feststellung bestätigen kann.« Lady Agatha nickte unwirsch, reichte aber die Banknoten an Parker weiter. Der Butler legte erst den von seiner Herrin auserwählten Schein auf den Tisch, dann den zweiten, während er den dritten in der Hand behielt. »Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß meine bescheidene Wenigkeit sich niemals erkühnen würde, die bereits von Mylady getroffene Entscheidung zu korrigieren, erlaube ich mir zu sagen: Bei der Fälschung handelt es sich um eine solch hervorragende Kopie, daß selbst die Bank von England und das kriminologische Institut der Krone dies niemals hätten eruieren können.« Die Hauptpersonen: Lord Robert: Ein schottischer Schloßbesitzer mit Schulden, stets auf großem Fuß lebend. Jane: Seine hübsche, aber zwiespältig veranlagte Tochter. Parker lernt sie nicht nur als charmante Gastgeberin kennen. Vic Danzer: Lord Roberts Sekretär und Janes Verlobter. Parker ist sicher, ihm schon mal begegnet zu sein. Nelly: Die junge Frau aus der Küche. Ihre Neugier wird ihr fast zum Verhängnis, weil sie Parker anhimmelt...
Selby:
Mit dem Berufsganoven und Schränker hat es Parker im schottischen Hochland zu tun. Inspektor Evans: Er stammt aus Glasgow und ist Parkers Retter. Dazu aus dem Butler Parker, Agatha Simpson, Mike Rander, McWarden PARKER-Team: und Horace Pickett.
Parker machte eine Pause und blieb mit unbewegtem Pokergesicht reserviert wie gewohnt. Rander schien es im Augenblick die Sprache verschlagen zu haben, und Lady Agatha konnte ihren Triumph kaum verbergen. Der Butler ließ sich nicht beirren und fuhr fort: »Der nächste Schein auf dem Tisch ist ohne Zweifel echt. Aber dieser hier, den meine Wenigkeit in Händen zu halten das zweifelhafte Vergnügen hat, erfüllt den Tatbestand der Beleidigung. Mylady sind mit Recht entrüstet, eine so plumpe Fälschung eines Blickes würdigen zu müssen. Es sei die Bemerkung erlaubt, den von Mylady in ihrer Kenntnis der Materie als Fälschung identifizierten Schein einer präzisen Prüfung unterziehen zu wollen.« »Das haut mich glatt um«, rief Mike Rander verblüfft. »Die Fälschung ist doch nur der Schein in Ihren Händen, Parker. Die beiden anderen sind echt!« Josuah Parker wußte das auch, aber sollte er seine Herrin als ahnungslose Anfängerin stehen lassen? Lady Agatha enthob Parker einer Antwort, indem sie sich Mike Rander zuwandte und streng bemerkte: »Mister Parker ist ein absoluter Fachmann, Mister Rander. Man kann sich auf sein Urteil verlassen. Natürlich habe ich die schlechte Fälschung eines Urteils nicht für würdig erachtet. Übrigens denke ich an meine Meditation. Die Gentlemen werden mich daher entschuldigen.« Parker wußte, daß eine Familienserie im Fernsehen mit Folge 35 begann. Das und den Fünfuhrtee würde Mylady niemals versäumen.
Kaum war Agatha Simpson außer Sichtweite, sagte Mike Rander verwundert: »Parker, da ist doch nur ein falscher Schein!« Der Butler lächelte salomonisch. »Wenn es erlaubt ist, Sir, auf einen Vergleich hinzuweisen, den Mister Churchill auszusprechen pflegte: ›Majestäten haben immer recht, auch wenn sie im Unrecht sind, dann haben Sie das Recht, im Unrecht zu sein. Es genügt zu wissen, doch empfiehlt sich nicht, es zu äußern.‹ Wenn Sie, Sir, verstehen, was meine Wenigkeit damit meint.« »Ich begreife, Parker. Sie Schlitzohr haben ganz genau gewußt, daß nur ein falscher Schein dabei war. Nun denn zur Sache: Anthony Kervin ist kein Geldschein-Experte und hat es nicht gemerkt, so wenig wie Lady Agatha. Und er behauptet steif und fest, diesen Schein zusammen mit den echten von einem Bauunternehmer in Glasgow erhalten zu haben.« »Den Sie, Sir, wie ich annehmen darf, bereits überprüft haben werden«, bemerkte Parker höflich und gemessen. Mike Rander lächelte gedankenverloren. »Ihn nicht, aber seine Frau. Er ist derzeit wegen einer Lebergeschichte im Hospital. Sie werden sich wundern, Parker, aber er hat sich nicht am schottischen Whisky verdorben, er ist nämlich Abstinenzler. Sagt seine sehr hübsche Frau übrigens. Na ja, Miß Porter muß es ja nicht unbedingt erfahren, und auf Ihre Diskretion kann ich ja bauen.« »Sozusagen ein geistiges Empire State Building, Sir«, bestätigte Parker. »Wenn es nicht unbescheiden ist, Sir, darf ich also annehmen, daß sie und diese Dame sich in gewisser Beziehung nähergekommen sind.« Mike Rander, schließlich ein gutaussehender Mann, wie auch Kathy Porter sofort bestätigt hätte, lachte lautlos in sich hinein. Es schienen doch recht brauchbare Erinnerungen zu sein, die er an diese schottische Dame hegte.
»Ja, wir mochten uns auf Anhieb. Nun, das war natürlich nur etwas für den Nachmittag. Immerhin weiß ich von ihr, daß drei Leute in Frage kommen, von denen ihr Mann dieses Geld bekommen haben könnte. Alles recht vermögende Leute, bei denen er Bauaufträge ausgeführt hat.« »Was Sie veranlaßt hat, wie ich mir die Freiheit nehme, Sie einzuschätzen, Sir, diese drei Auftraggeber ebenfalls durchzuprüfen.« Butler Parker nahm noch mal den falschen Schein in die Hand. Der war keine miese Kopie, wie der Butler vorhin Lady Agatha zuliebe behauptet hatte, sondern eine erstklassige Arbeit, nur auf dem falschen Papier. Rander antwortete auf Parkers Frage: »Da hat es Probleme gegeben. Ich konnte nur zwei aufsuchen und ihre Verhältnisse erforschen. Mit negativem Resultat. Aber der dritte ist noch ein weißer Fleck auf meiner Landkarte. Es handelt sich um den Besitzer eines Schlosses oben in Schottland. Er war mit seiner Yacht unterwegs, auf dem Schloß selbst waren lediglich seine Domestiken. Die Sache liegt in McWardens Hand. Ich fürchte nur, Kervin wird so leicht nicht aus dem Untersuchungsgefängnis herauskommen.« Josuah Parker schaute Rander überrascht an. »Mit einiger Verwunderung nimmt meine Wenigkeit zur Kenntnis, daß Sie jede Aktivität in diesem Fall einzustellen gedenken, Sir?« Mike Rander nickte. »Das muß die Polizei klären. Ich habe einfach zu viel zu tun. Ist nur schade wegen Kervin, aber was soll man machen? Als Anwalt habe ich nicht im entferntesten die Möglichkeiten der Polizei. Kennen Sie nicht dort in Glasgow einen Inspektor?« »Meines Wissens handelt es sich dabei um Inspektor Evans, Sir.« Parker machte sein übliches, unbewegtes Gesicht. »Ansonsten gehören meine Erinnerungen an die schottische Polizei nicht gerade zu den Sternstunden meines unmaßgeblichen Daseins.«
Rander lachte. »Soll das heißen, die haben Sie mal eingebunkert?« Mit fast ein wenig Empörung sah der Butler Mike Rander an. »Sir, ich bin mitnichten in der von Ihnen erwähnten Weise mit der schottischen Polizei in Konflikt geraten. - Nein, die Erfahrungen meiner Wenigkeit, was fachliche Leistungen und detektivische Ambitionen angeht, dürften als leicht getrübt eingestuft werden.« »Dieser dritte Typ, den ich nicht angetroffen habe, ist übrigens ein gewisser Lord Robert. Mit ihm hatte Mylady vor kurzem einen sehr deutlichen Disput wegen Lord Roberts Frau Eve. Er hat sie schnöde verlassen. Sie wohnt jetzt in Bournemouth in einem reizenden alten Haus an der See.« »Lord Robert also«, sagte Parker mehr zu sich als zu Mike Rander. Er hob den Kopf und sah seinen Gesprächspartner an. »Meine Wenigkeit hatten bisher dreimal die Ehre, Ihrer Lordschaft zu begegnen. Diese Zusammentreffen waren jedoch wenig geeignet, sich ein Urteil über Ihre Lordschaft zu bilden, wenn das nicht vermessen ist zu bemerken.« »Na ja, ich kann mich um die Geschichte nicht kümmern«, meinte Rander betrübt. »So leid es mir um Kervin tut, aber sicher wird Superintendent McWarden ihn herauspauken. Sie kennen Kervin, nicht wahr?« Josuah Parker schüttelte leicht den Kopf. »Leider hatte meine Wenigkeit bislang nicht das Vergnügen und die Ehre, Sir.« »Aber Sie wissen, daß Kervin Baumaschinen verkauft. Sein Geschäft läuft auch nicht zum Besten. Der arme Bursche ist auch noch mit einer größenwahnsinnigen Frau geschlagen, die sein bißchen Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswirft. - Könnten Sie sich nicht mal um ihn kümmern, Parker?« »Wenn es Myladys Dispositionen nicht durchkreuzt, Sir, dann mit dem größten Vergnügen. Und wenn Sie von meinen
bescheidenen Fähigkeiten glauben, die könnten Mister Kervin in irgendeiner Form nützlich sein, Sir...« »Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, Parker. Kümmern Sie sich um ihn oder nicht? Er sitzt in der Klemme, und ich muß dringend mit Miß Porter nach Paris.« »Meine unmaßgebliche Ansicht geht dahin, daß Sie nicht nur zum Spaß fahren?« »Sie mutmaßen richtig, Parker. Also helfen Sie dem armen Teufel! Ich werde mit Lady Agatha reden. Natürlich wird es dann ihre Idee sein.« »Es ist immer die Idee von Mylady, wenn etwas gelingt, Sir«, erklärte Parker vielsagend und höflich.
Der untersetzte, bullig wirkende Chief Superintendent McWarden verzog sein kantiges Gesicht. »Nein, Mister Parker, noch ist Kervin schwer belastet. Der Haftbefehl wird sicher nicht aufgehoben. Aber ich könnte ja mal mit dem Untersuchungsrichter sprechen ...« Josuah Parker saß McWarden in dessen geräumigen Büro in New Scotland Yard gegenüber. »Sir«, sagte der Butler, »meine Wenigkeit darf höflich darauf hinweisen, daß für Kervin nicht mal eine Strafe herauskommen dürfte, weil die Indizien dazu nicht ausreichen. Er hat, wenn ich das richtig kolportiert bekam, dieses Falschgeld nicht erkannt und folglich damit auch bezahlt. Ihm daraus einen Strick zu drehen, um es mal so volkstümlich auszudrücken, wäre reichlich gewagt. Deshalb sollte man wenigstens einen Besuch bei ihm machen.«
»Sie sind nicht sein Anwalt. Das ist Mister Rander. Aber als sein Beauftragter ...« McWarden überlegte, griff zum Telefon, ließ den Hörer wieder auf die Gabel sinken und sah Parker an. »Es hat keinen Zweck, mit dem Untersuchungsrichter zu sprechen. Ich werde ihn bei mir vorführen lassen, Ihren Schützling Kervin. Dann können Sie hier mit ihm reden, Parker. Ich müßte aber dabei bleiben.« McWarden telefonierte dann doch, und eine halbe Stunde später kamen zwei Polizisten mit Anthony Kervin, der wie ein Mörder mit Handschellen gefesselt war. Kervin war mittelgroß, schlank, mit buschigen Augenbrauen, etwa Mitte vierzig. Scheu sah er erst auf McWarden, den er offenbar schon kannte, und dann auf den ihm fremden Butler Parker. Ihm schwante Böses, denn sein Blick verriet Angst. McWarden machte ihn mit Parker bekannt und bezeichnete den Butler als Randers Mitarbeiter. Die Fragen, die McWarden wie in einem erneuten Verhör stellte, forderten wie selbstverständlich die Antworten heraus, die zu Kervins Verhaftung geführt hatten. Er wußte nicht, sagte Kervin, wer genau ihm den falschen Schein gab und hätte nicht mal erkannt, daß es sich um Falschgeld handelte. Josuah Parker war klar, daß McWarden den Mann nicht länger als einen weiteren Tag einsperren konnte. Weshalb ein Untersuchungsrichter dem überhaupt zugestimmt und einen Haftbefehl unterzeichnet hatte, weckte Parkers Mißtrauen. Hier stimmte etwas nicht. Kervin war unbescholten und hatte zudem einen festen Wohnsitz. Ihn in Haft zu nehmen, weil er einen einzigen Schein Falschgeld unter die Leute gebracht hatte, zudem eine ziemlich gute Fälschung, verwunderte den Butler. Doch er schwieg und hörte zu. Plötzlich sagte McWarden: »Sie wissen, Mister Kervin, und Ihr Anwalt Mister Rander weiß es auch, nur Mister Parker
kennt den Umstand noch nicht, daß Sie ein kleines Paket mit insgesamt hundert Stück Hundertpfundnoten in gelbes Papier verpackt und mit roter Kordel verschnürt in ein Schließfach der Gepäckaufbewahrung von Victoria Station getan haben.« »Aber Sir«, rief Kervin erregt und bekam rote Flecke im Gesicht. »Es ist nicht wahr!« »Und der Schlüssel?« McWarden wandte sich an Parker. »Er hatte den Schlüssel dieses Schließfaches in der Tasche, als man ihn wegen der falschen Note festgenommen hat. Wir haben die Sache natürlich nachgeprüft, und genau hier liegt der Haftgrund.« Zum erstenmal schaltete sich Parker ein. »Gehe ich recht in der Annahme«, sagte er, »daß Mister Kervin ein Geschäft mit einem schottischen Kunden gemacht hat, der dafür dieses Geld, das jetzt corpus delicti ist, an Sie gezahlt haben könnte?« Kervin schüttelte den Kopf. »Aber nein. Von dem Geldpaket weiß ich nichts, und der Schlüssel vom Schließfach war vorher nicht in meiner Tasche. Ich bin gar nicht in Victoria Station gewesen.« »Was Sie nicht beweisen können«, rief McWarden. »Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Sie müssen es ihm beweisen«, meinte Butler Parker an McWardens Adresse. Völlig überrascht reagierte Kervin: »Ich kann mir denken, von wem das Falschgeld ist. Dieser Mister Reith hatte einen Hundertpfundschein. Ja, jetzt fällt mir alles ein. Er hatte nur Hundertpfundscheine, und er hat damit bezahlt, als wir die Spesen abgerechnet haben. Die Spesen für den Transport. Alles andere hat er doch mit Scheck bezahlt. Kann ich ja nachweisen. Nur die letzte Lieferung nicht.« »Wer ist Mister Reith?« wollte McWarden wissen und sagte das nicht eben freundlich, was Parker mißbilligend zur Kenntnis nahm. Kervin wirkte erschrocken.
»Darf meine Wenigkeit dazu etwas äußern, Sir«, sagte der Butler sanft. »Vom psychologischen Gesichtspunkt aus wäre es vielleicht ratsam, Mister Kervin mit meiner unmaßgeblichen Person für einige Minuten allein zu lassen.« McWarden zögerte erst, dann nickte er und erwiderte: »Okay, ich habe nebenan noch einen Anruf zu erledigen. Fünf Minuten, Mister Parker! Es ist eigentlich nicht zulässig ...« Josuah Parker lächelte, was er selten tat, und McWarden ging. Dann wandte sich der Butler an Kervin. »Nun, Mister Kervin, wenn ...« Anthony Kervin beugte sich vor und krallte die Hände in Parkers Unterarm. »Mister Parker, hier glaubt mir keiner. Was ich eben gesagt habe, stimmt nicht. Reith hat damit gar nichts zu tun. Es muß der Lord sein. Lord Robert. Die werden mich umbringen, wenn ich mehr sage. Man bedroht mich hier im Gefängnis. Man hat mir eine Warnung ausrichten lassen. Durch einen Mitgefangenen natürlich. Wenn ich aussage und gar bezeuge, was ich weiß, werden die mich umbringen.« Trotz des beschwörenden Blickes, den ihm Kervin zuwarf, blieb der Butler gelassen und verzog keine Miene. »Wenn ich Ihre Äußerung richtig interpretiere, Sir, wollen Sie mir damit sagen, daß Sie sozusagen ein Opfer sind, das von allem nichts weiß, nun aber in die vielgefürchteten Verstrickungen von Justiz und Kriminalität geraten sein könnte. Folglich ergibt sich die Frage, Sir, woher jene, die Sie mit dem Tod bedrohen, überhaupt von Ihrer Festnahme wissen und Kenntnis von dem haben, was Sie ausgesagt haben oder eventuell aussagen würden. Kann man das so darlegen?« Anthony Kervin sah den Butler an wie ein sterbendes Reh. Er hatte nichts begriffen. Seine Hilflosigkeit war rührend. Doch schließlich gab er sich einen Ruck. »Die bringen mich glatt hier im Gefängnis um! Die bedrohen mich jetzt schon.« »Sprechen wir mal im genauen Wortsinn, verehrter Mister
Kervin«, sagte Parker sachlich. »Bei nüchterner Betrachtung der Situation ergeben sich mehrere Fragen, die der Reihe nach der Beantwortung harren. Zunächst: Mit ›wir‹ meinen Sie, bitte, wen?« »Lord Robert. Nur von ihm könnte der falsche Schein stammen. Nur er hat die letzte Lieferung bar bezahlt. Von ihm ist auch das Päckchen im Handgepäcksafe des Bahnhofs. Er wollte mir einen Scheck schicken, und ich bekam auch ein Kuvert. Ich habe es ungeöffnet eingesteckt. Da muß der Gepäckschlüssel drin gewesen sein.« Parker notierte sich etwas und fragte weiter: »Damit hatten Sie noch nicht die Güte, den Begriff ›wir‹ konkret zu erklären, Sir. Wer also, mit Verlaub, ist ›wir‹? Lord Robert und wer noch?« »Er hat da einige Leute in seinem Schloß um sich. Schloß Woodstock in Schottland. Sie werden den Lord nicht kennen, aber bisher war er ein guter Kunde. Er hat in der letzten Zeit massenhaft Maschinen von mir gekauft.« »Ich gehe doch nicht fehl in der Annahme, daß es sich dabei um Baumaschinen handelt?« fragte Parker. Kervin zögerte eine Sekunde, dann nickte er. »Natürlich, Mister Parker, natürlich.« »Mit Verlaub, Sir, nun die zweite Frage: Sie wissen vermutlich, wer Sie gewarnt hat oder gar bedroht?« »Einer, der im Gefängnis das Essen verteilt, ein Gefangener. Aber der ist doch nur Mittelsmann. Ich weiß nicht, wie er heißt. Der hat das nur weitergegeben.« Josuah Parker nickte. »Hat sich meine Wenigkeit auch so gedacht, Mister Kervin. Wie das Leben manchmal spielt. Meiner Verwunderung möchte ich doch darüber Ausdruck geben, daß Sie Mister Rander nichts davon gesagt haben, Sir.« Kervin preßte erst die Lippen zusammen, dann platzte er
heraus: »Die kennen sich doch, und ich weiß nicht, wie gut. Mister Rander ist auch nach Schottland gefahren. Für ihn kommt der Lord gar nicht in Frage. Aber woher soll denn das Päckchen mit dem Geld sonst kommen? Mister Parker, ich bin hereingelegt worden. Hätte ich das Geld nicht bei der Bank einzahlen wollen, sondern irgendwo mit der Hundertpfundnote bezahlt, wäre alles gar nicht passiert. Niemand hätte was gemerkt. Ich selbst habe es ja auch nicht gewußt, daß es Falschgeld ist, jedenfalls der eine Schein. Und dann die Sache mit dem Päckchen Geld, das ist doch eine richtige Falle. Jemand will mich fertigmachen.« »Es sei mir erlaubt, in medias res fortzufahren, Sir. Frage drei: Was wissen Sie von den Maschinen, wovon meine Wenigkeit erfahren sollte. Wobei ich Ihr Augenmerk auf die Tatsache lenken möchte, daß Hilfe nur möglich ist, wenn eine umfassende Information vorliegt.« »Baumaschinen«, behauptete Kervin. »Genauer gesagt eine Steinzertrümmerungsanlage.« Parker sah ihn zweifelnd an, äußerte sich aber nicht dazu, sondern notierte nur. Er war noch nicht damit fertig, als McWarden vom Nebenzimmer eintrat und sagte: »Es waren mehr als fünf Minuten. Leider kann ich keine weitere Minute dranhängen.« Mit seinem unbewegten Pokergesicht entgegnete Parker: »Meine Wenigkeit nimmt das mit dem Zeichen größten Bedauerns zur Kenntnis, zumal nicht alles geklärt werden konnte.« Ohne darauf einzugehen, rief McWarden die beiden Polizisten herein und befahl ihnen, Kervin wegzubringen. Der Baumaschinenverkäufer blickte Parker flehend an, doch der Butler nickte nur leicht, ohne daß seiner Pokermiene anzusehen war, was er dachte. Als Kervin draußen war, fragte McWarden sofort: »Etwas
Neues?« Butler Parker machte ein beinahe wehmütiges Gesicht. »Meine Befürchtungen zielen in dieselbe Richtung wie die Ihren, Sir. Mister Kervin weiß entweder wirklich nichts, oder er sagt nichts. So darf man bedauernd konstatieren, daß Mister Rander die Angelegenheit wohl besser den anerkannten Bemühungen von Scotland Yard überlassen sollte.« Parker erhob sich. »Wenn ich micht jetzt höflich empfehlen dürfte?« »Habe ich gleich geahnt. Aber wir gehen der Sache nach. Ihr Vertrauen ehrt Scotland Yard. Wir tun, was wir können. Viel wird nicht herauskommen. Morgen läßt der Haftrichter Anthony Kervin laufen.« »Mit Verlaub nur eine winzige Frage, Sir. Der Gepäckfachschlüssel befand sich, als er beschlagnahmt wurde, in einem Kuvert?« McWarden nickte. »Stimmt. Es war ein Brief, keine Marke, kein Poststempel aber mit der Adresse von Kervin. Er kann das selbst getan haben.« Nach dieser Bemerkung McWardens verabschiedete sich Parker und verließ Scotland Yard. Wenig später traf er sich mit Horace Pickett, der aussah wie ein britischer Kolonialoberst und tatsächlich mal Taschendieb war. Seit vielen Jahren trainierte er das nur noch aus reiner Geschicklichkeits-Kondition. Der Eigentumsverteiler war brav geworden und hatte dennoch seine Verbindung zur »Szene« nie gelöst. So hatte er immer die neuesten Informationen auf Lager. Parker und Pickett arbeiteten seit Jahren erfolgreich zusammen. Sie saßen sich bei einem excellentem schottischem Whisky gegenüber, und Parker zündete sich eine seiner Zigarren an. Rabenschwarz, stark und qualmend wie ein Hochofen. Diese Zigarren hatten schon ganzen Fliegengenerationen das Leben gekostet.
Pickett schnaufte, als die erste Qualmwolke aufstieg, doch er wußte auch, daß ein zigarrenrauchender Parker innere Zufriedenheit signalisierte. »Ich habe mal nachgehakt, was Anthony Kervin angeht«, berichtete der stattlich wirkende Pickett. »Er ist nicht sehr erfolgreich gewesen, hat aber etliche Maschinen nach Schottland verkauft. Das Erstaunliche ist nur, daß es offenbar deutsche Fabrikate zu sein schienen. Alle aus Westdeutschland direkt nach Schottland geliefert. Hamburg - Glasgow. Kervin hat nur kassiert, wie mir scheint. Ist es das, was Sie erwartet haben, Mister Parker?« »Von Erwartung kann mitnichten die Rede sein, eher wäre das Vokabular Befürchtung anzuwenden. Und wer, glauben Sie, Mister Pickett, hatte bei den Deutschen das zweifelhafte Glück, Kervins Lieferant zu sein?« Pickett lachte. »Ja, die Leute werden auf ihr Geld warten können, bis sie schwarz sind. Kervin ist bankmäßig pleite, habe ich festgestellt. Seine Frau hat zudem noch die Sparkonten abgeräumt, als ihr Mann verhaftet wurde. Kurz und bündig, Mister Parker, die Maschinen kommen aus Heidelberg.« »Die Stadt am Neckar ist meiner Wenigkeit bestens bekannt, Mister Pickett. Man wird seine bescheidenen Fähigkeiten darauf konzentrieren herauszufinden, wer in Heidelberg Baumaschinen nach Schottland geliefert hat.« »Mister Parker, das können Sie sich sparen. Die Maschinen kommen von einer Agentur, die sich Industrie Investment nennt.« »Dann könnten wir davon ausgehen, daß es sich um eine amerikanische Firma handelt. Mister Pickett, ich darf Sie ersuchen, dies zu eruieren. Zudem wäre für meine Wenigkeit die Gewißheit nützlich, daß Mister Kervin in der Haft nach seiner morgen zu erwartenden Entlassung eines Leibschutzes nicht zu entraten braucht. Er ist nämlich, mit Verlaub, in
Lebensgefahr.« »Sehr wohl, Mister Parker. Da ist aber noch etwas von Interesse. Kervin hat besonders viele Geschäfte mit Lord Robert McKenzie gemacht. Der Lord besitzt ein Schloß in Schottland. Und dorthin sind viele Maschinen gebracht worden. In der Geschichte steckt auch Finch drin. Sie wissen doch, die rechte Hand des Gangsterboß in London. Er ist gegen hohe Geldstrafe aus der Haft entlassen worden. Angeblich waren es Gesundheitsgründe. Und Finch packt nichts an, was sauber ist. Irgend etwas an der Geschichte muß faul sein. Finch war gestern noch mit einem gewissen Doc Danzer in Glasgow. Und da war noch jemand dabei, den ich bestens in Erinnerung habe: Rush Ball, einer der besten Schränker, die es gibt. Finch ist allein zurückgekommen, habe ich erfahren. Lord Robert weilt aber auch wieder in London. Er hat hier in der Cleveland Row ein klotziges Büro.« Josuah Parker ließ sich sein Erstaunen nicht anmerken. Er wollte etwas antworten, als plötzlich zwei Männer in Straßenanzügen den Pub betraten, sich kurz umsahen, den Butler und Horace Pickett entdeckten und sich sofort in ihre Richtung bewegten. Parker ahnte, daß die beiden nicht zum Trinken gekommen waren. Normal gekleidet, benahmen sie sich, daß es schon wieder auffallend war. Lässig näherten sie sich, der eine etwa einsachtzig groß und blond, vielleicht dreißig Jahre alt, der andere dunkel, mittelgroß, etwa Mitte Dreißig, aber ein typischer Kampftiger. Der Blonde setzte sich, grinste wie Robert Redford und meinte in breitestem Cockney: »Hallo, wir sind liebe nette Freunde.« Er zog ein Foto aus der Reverstasche seiner grauen Jacke, auf dem Butler Parker im Porträt zu sehen war. Er verglich es mit der Wirklichkeit und sagte weiter: »Sie sind also Parker.
Hören Sie gut zu! Schwingen Sie Ihre Krücken in Richtung Mallorca. Schöne Insel das. Der Briten und der Germans liebste Insel. Für Sie Parker sind da glatt vier Wochen drin mit Flug. Und das alles schickt Ihnen der liebe Onkel Harry.« Sprach's und zerrte ein langes Kuvert aus der Tasche. Das knallte er neben die Whiskygläser, daß die hüpften. »Die Flugscheine und das Voucher fürs Hotel. Serviceleistung des Hauses, klar? In zwei Stunden startet der Ferienbomber mit Ihnen, Parker. - Und du, Horace, putzt mal sofort die Platte, verstanden?« Horace tat, als gäbe es für ihn nicht die mindeste Überlegung, solch einem Befehl nachzukommen. Er erhob sich, trat neben den Blonden, während der Dunkelhaarige sich an die Fensterbank lümmelte und weiterhin wie Jean-Paul Belmondo ein Streichholz zwischen den Lippen balancierte. Horace Pickett stieß mit dem Fuß noch einen Stuhl an, stolperte ein wenig und rempelte den Dunkelhaarigen, der daraufhin zu grinsen aufhörte und Pickett das Streichholz ins Gesicht blies. »Heh, latsch mir nicht auf den Zehen herum«, bellte er. Pickett entschuldigte sich, wandte sich an Parker und sagte: »Tut mir leid, Mister Parker, aber ich muß dringend etwas in der City erledigen.« »Meine Wenigkeit hat dafür volles Verständnis, Mister Pickett«, erwiderte Parker. »Und versäumen Sie nicht, der verehrten Miß Isabell meine aufrichtigsten Grüße zu übermitteln.« »Der spinnt ganz schön, was?« meinte der Belmondo-Typ. Der Blonde schüttelte nur mißbilligend den Kopf. Aber ihm entging ebenso wie seinem dunkelhaarigen Kumpan, daß Pickett - inzwischen an der Tür des Pubs - zwei mattglänzende Pistolen unter seinem Jackenausschnitt herausschob, so daß Parker die Waffen sehen konnte.
Der Butler wußte sofort Bescheid. Ein Taschendieb a. D. ist eben auch dann noch gut, wenn er seinen Job längst aufgegeben hat. Die beiden Kerle vor ihm waren jetzt unbewaffnet, ohne es überhaupt zu wissen. So hatte der Butler seinen Entschluß sofort gefaßt. »Gentlemen«, sagte er ruhig und voll Überzeugungskraft, »es war ausgesprochen anregend, Ihren Äußerungen zuzuhören, aber nun dürfte wohl der Zeitpunkt gekommen sein, daß meine Wenigkeit die Initiative ergreift.« »Was soll das Gequatsche?« fragte der Dunkelhaarige. »Nehmen wir den Spinner nun hopp oder wie? Der soll doch zum Flughafen gebracht und in die Maschine gepflanzt werden. Willst du dem nicht endlich zeigen, was los ist?« Der Blonde wollte gerade antworten, da handelte der Butler. Wer ihn sah, glaubte wohl, daß die erloschene Zigarre wieder angezündet wurde. Aber diese hatte er geschickt gegen eine andere umgetauscht. Während er sein Gasfeuerzeug aufflammen ließ, um sie anzuzünden, nahm er zugleich Maß. Die Spitze der Zigarre schwenkte minimal, und nun war sie genau auf den Belmondo-Typ gerichtet, der seinerseits auf die Antwort seines Kumpans wartete. Kaum hatte die Flamme die Spitze der Zigarre leicht erglühen lassen, geschah etwas Seltsames. Parker hielt die Zigarre fest zwischen zwei Fingern, während es aus der Spitze zischte ... genau auf den Dunkelhaarigen zu. Es traf ihn mitten ins Gesicht, zerplatzte und versprühte eine rote Flüssigkeit. Zugleich war ein penetranter Geruch im Umlauf. Bevor der Belmondo-Epigone Atemnot bekam, hatte der Butler die noch zur Hälfte existierende »Zigarre« ein wenig geschwenkt, so daß sie auf den Blonden zeigte. Der griff gerade reaktionsschnell mit der Rechten zum
Schulterhalfter unter der Jacke ... vergeblich, denn da war nichts zu holen. In diesem Augenblick, als er fassungslos die gähnende Leere seiner Waffenkammer zur Kenntnis nehmen mußte, traf es auch ihn. Er spürte etwas Matschiges auf der Nasenwurzel, und das nahm ihm urplötzlich die Luft. Ihm war, als wäre er in eine Wolke Ammoniakgas getaucht worden. Er gurgelte, röhrte und ruderte mit den Armen. Als er und der Dunkelhaarige endlich wieder Luft bekamen und sich in ihrem Kopf noch alles drehte wie nach einer Karussellfahrt, war der Platz, wo Butler Parker gesessen hatte, leer. Und wie durch einen Tunnel hörten sie Parkers Stimme irgendwo vorn am Büffet sagen: »Die Gentlemen dort am Tisch wünschen zu zahlen. Alles auf eine Rechnung, wenn meine Wenigkeit darum bitten dürfte.« Als sie klarer sehen konnten, sprangen die »Gentlemen« auf und wollten zur Tür stürmen, aber dort lehnte lächelnd so etwas wie ein gewaltiger Schrank auf Beinen und grinste sie an. Schließlich hatte der Schrank auch noch eine Stimme, die aus einem Grab zu kommen schien. »Wie ich höre, wollen Sie zahlen?« sagte diese Stimme. Der Blonde stoppte ab, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Der Belmondo-Verschnitt glaubte das alles nicht oder verschätzte sich ganz einfach. Jedenfalls holte er zu einem gewaltigen Haken aus ... Da zuckte etwas von diesem zweibeinigen Schrank nach vorn, packte den Belmondo-Imitator am Handgelenk, riß den Kerl am eigenen Arm durch die Luft, wirbelte ihn herum, und der Schwarzlockige wurde in diesem Augenblick zum ersten fliegenden Menschen ohne Flügel. Allerdings erging es ihm auch nicht besser als dem
Schneider von Ulm. So machte er eine harte Bauchlandung direkt am Geländer des Tresens und knallte auch noch mit dem Kopf gegen das Geländer. Das hätte auch der echte Belmondo nicht verdaut. Schwarzlocke ging voll k. o. Der Blonde, ohnehin etwas zurückhaltender in seinen Aktionen, stand wie vom Schlag gerührt, während das Menschengebirge vor ihm mit ausgesuchter Freundlichkeit sagte: »Wenn ich mich vorstellen darf: Buddy Wolfe. Für diese halbe Stunde in den Diensten dieses Hauses. Sie sollten sich meinen Namen gut merken, Mister. Es lohnt sich.« Danach traf es den Blonden am Kinn, während ihn eine stählerne Klammer am Gürtel packte, von den Beinen riß und quer durchs Lokal und die Schwingtür katapultierte. Per British Airways zog Blondie seine Bahn über den Fußweg, während hinter ihm die Schwingtüren aufgeregt pendelten. Gekonnt flach setzte der Mann dann in einer Pfütze am Fahrbahnrand auf, daß es nach allen Seiten spritzte. Dort, sicher gelandet, verharrte Blondie in absoluter Stille. Buddy Wolfe reichte dem Barmann die Schürze, an der er sich zuvor noch die Hände abgewischt hatte, bedankte sich und marschierte ohne Blick auf die Gestrandeten über die Straße zu einem Minicooper. Während er davonfuhr, blickte er belustigt auf zwei Bobbys, die den wie eine Bierleiche im Rinnstein liegenden Blondie gerade aufzurichten versuchten. Aber dann wurde Buddy Wolfe schlagartig ernst. Vor ihm tauchte der Wagen Butler Parkers auf. Dieses hochbeinige Monstrum war nur scheinbar uralt und lahm und fuhr bewußt langsam. Dahinter holte ein Jaguar auf, von dem auch Buddy in seinem Winzling gerade überholt worden war. Wolfe sah aber nicht nur, daß der Jaguar seegrün war, sondern in ihm zwei Personen saßen. Die eine fuhr, die andere
steckte den Lauf einer Beretta heraus. Zwar gehörte Buddy nicht unbedingt zu den Reaktionsschnellen, aber er schaltete früh genug. Das galt dem Butler. Und Parker war nun mal jemand, für den sich der Muskelmann Buddy Wolfe freiwillig in Würfel schneiden ließ, wenn's sein mußte. Es mußte aber noch nicht sein. Dabei schwenkte die Maschinenpistole noch weiter herum, und der Jaguar setzte zum Überholen an.
Josuah Parker sah im Rückspiegel den seegrünen Wagen an Buddys Mini vorbeirasen. Dabei entdeckte er den MPi-Lauf. In diesem Augenblick scherte der Jaguar zwischen Buddys Mini und Parkers Wagen seitlich nach rechts aus, um zu überholen. Deutlich sah man im Spiegel die Maschinenpistole, die todbringend aus dem Seitenfenster starrte. »Meine Wenigkeit wird in Gewissensnöte gebracht. Man ist untröstlich, Gentlemen, damit noch nicht einverstanden sein zu können. Arbeitslosenprobleme von Friedhofsangestellten und Totengräbern zu beseitigen, fällt zu meinem Bedauern nicht in die Kompetenz meiner unmaßgeblichen Person«, sagte der Butler und betätigte einen Knopf am Armaturenbrett seines hochbeinigen Monstrums. Danach ging alles sehr schnell. Erst öffnete sich das hintere Seitenfenster um einen Spalt. Unmittelbar danach senkte sich, das von einem kleinen Elektromotor angetrieben, ein Viertelzoll-Chromrohr von oben herab. Die düsenartige Öffnung war nach außen gerichtet. Parker betätigte einen weiteren Knopf. Im selben Augenblick
zischte Stickstoff mit Löschpulver aus dem Rohr. Der weiße Strahl fauchte direkt ins Gesicht des MPiSchützen, gegen die Seitenfenster und die Fensterverstrebung, als Parker Gas gab, auch mit vehementer Wucht auf die Windschutzscheibe des Jaguar. Als der Butler das Gas wieder wegnahm und der Fahrer des eben noch neben ihm fahrenden Jaguars auf die Bremse sprang und sein Wagen schleuderte, betätigte er den nächsten Knopf am Armaturenbrett. War es eben noch Löschpulver, das aus der Druckleitung strömte, schoß nun schwarzer Rauch aus demselben Rohr und hüllte den Jaguar in diese undurchdringliche Wolke. Sofort danach gab Parker Gas, betätigte die in Frage kommenden Knöpfe, und das Druckrohr hob sich wieder sanft, um in der Nische zu verschwinden, die dafür im Fond vorgesehen war. Ein letzter Knopfdruck, dann schloß sich die hintere Scheibe. Im Rückspiegel sah der Butler, wie sich die schwarze Wolke wie magisch vom Jaguar angezogen auf ihn legte und dabei kleiner wurde. Miriaden von staubkorngroßen gemahlenen Eisenspänen, magnetisch aufgeladen, würden von keinem Staubtuch und keinem Staubsauger geschluckt werden, wenn sie erst mal auf dem Blech des Jaguars klebten. Außerdem war die elektronische Einspritzung des Wagens nachhaltig außer Betrieb gesetzt, solange dieser Belag nicht entfernt wurde. Deshalb tauchte auch der Mini von Buddy Wolfe auf. Parker fuhr langsam sein hochbeiniges Monstrum in die Garage in Shepherd's Market. Buddy hielt vor dem Haus, in dem Lady Agatha eben einen Anruf bekam.
»Mister Parker, was sagen Sie dazu, man hat Mister Kervin vergiftet in seiner Zelle gefunden!« Lady Agatha war außer sich. »Wie konnte das nur passieren?« Die resolute Dame war in diesem Augenblick die personifizierte Entrüstung. Mit der Strenge einer Hofdame fixierte sie ihren Butler. Parker hatte Buddy Wolfe noch etwas gegeben und ihn dann weggeschickt. Eigentlich hatte er selbst wieder wegfahren wollen, aber nun überraschte ihn Agatha Simpson mit dieser Hiobsbotschaft. »Mylady«, begann Parker ruhig und von der Nachricht scheinbar unbeeindruckt, »meine Wenigkeit ist zutiefst überrascht und betrübt zugleich über das, was geschehen ist, aber dessen ungeachtet entbehrt meine Wenigkeit jeder Information. Bleibt die beunruhigende Tatsache festzustellen, daß im Augenblick keine näheren Details dieses mißlichen Vorfalls informativ an Mylady weitergegeben werden können.« »Dann will ich dazu etwas sagen, Mister Parker«, erwiderte die passionierte Detektivin. »Es war Mister McWarden, der es mir mitgeteilt hat. Sie nehmen an, daß Anthony Kervin Feinde im Gefängnis hatte. Das mag die Polizei wohl so denken. Ich sage Ihnen aber, Mister Parker, daß Kervin getötet wurde, weil er zuviel wußte! Jemand wollte sich an ihm rächen, daß Kervin ausgesagt hat. Wollten Sie nicht auch mit Mister Kervin sprechen?«
»Wenn Mylady gestatten, darf meine Wenigkeit sich Myladys messerscharfer Logik zunächst mal anschließen, was den Mordgrund betrifft, wenn es Mord gewesen ist. Hingegen möchte ich mir die Kühnheit nehmen, Mylady im Punkt ›persönlicher Feinde‹ im Gefängnis zu widersprechen. Die Schlußfolgerung meiner Wenigkeit gilt Handlangern. Aber unter den Insassen der Haftanstalt dürfte Mister Kervin ein Außenseiter ohne Bekannte gewesen sein. Immerhin, das empfanden Mylady in absoluter Richtigkeit, ist Kervin der wichtigste Zeuge gewesen.« Parkers Herrin hatte kein Wort von der Bedeutung des Zeugen Kervin gesagt, aber es imponierte ihr, was der Butler sagte. Noch mehr Gefallen fand sie an den weiteren Äußerungen. »Mylady und meine Wenigkeit arbeiten schon lange und dank Myladys immer wieder überzeugenden Plänen auch erfolgreich zusammen, daß es zu einer Harmonie der Gedanken, einer Art Telepathie gekommen ist. Deshalb ist meiner Wenigkeit rein intuitiv der ganze Komplex von Myladys Gedanken und ihr Plan für diesen Fall zu Bewußtsein gekommen.« Parker schloß wie in Trance die Augen und sprach, als gehorchte er einer inneren Stimme: »Mylady wollen also, daß wir zum Schein ein Kaufinteresse an Schloß Woodstock vorgeben und einen Käufer vorweisen. Der Kaufinteressent, wenn meine Wenigkeit das mal so nennen darf, wäre kein Geringerer als Mister Hazel, der - wenn meine Erinnerung mich nicht im Stich läßt - zur Zeit in New York weilt. Jedermann im Immobiliengeschäft weiß, daß Mister Hazel schon seit einem Jahr nach einem altenglischen oder eben altschottischen Schloß sucht, wenn es günstig zu erwerben ist. Deshalb kann Mister Hazel nicht als ungewöhnlicher Interessent für Woodstock-Castle betrachtet werden, wenn man das in aller Euphorie mal so formulieren darf.
Mylady haben für alles sehr überzeugende Gründe. Also senden Mylady meine Wenigkeit nach Schottland. Es empfiehlt sich allerdings, Kontakt mit dem Londoner Büro seiner Lordschaft aufzunehmen. Dieses Büro wird, wie Mylady veranlaßt haben, von unserem Freund Pickett bereits observiert.« Agatha Simpson zeigte nur eine Sekunde lang, wie überrascht sie war, doch dann nickte sie beipflichtend und schien sogar überzeugt zu sein, all diese Eingebungen selbst gehabt zu haben. Die resolute Lady unterbrach dann das Gespräch spontan und eilte in ihr Studio. Dort schien sie zu telefonieren. Parker hörte die Hausherrin sprechen. Dann kam sie auch schon wieder nach unten. »Ich wußte es«, rief sie von der Treppe her. »Es sind Druckmaschinen!« Diesmal rang der Butler sichtlich um Fassung. Doch er gewann sie rasch zurück und sagte, als hätte er schon längst messerscharf derartig gefolgert: »Eine logische Konsequenz all unserer Ermittlungen, Mylady.« Und als ihm einfiel, daß der Name Heidelberg für eine der qualifizierten Druckmaschinenfabriken der Welt stand, fügte er souverän hinzu: »Lord Robert, Falschgeld und Druckmaschinen. Mylady haben ausgezeichnet kombiniert. Man wird lediglich den Beweis erbringen müssen.« Agatha Simpson genoß diesen Triumph sichtlich. Sie labte sich an Parkers Worten wie an frisch geräuchertem norwegischem Lachs. »Für Sie, Mister Parker, dürfte es eine Kleinigkeit sein, diesen Beweis zu erbringen.« »Aber gewiß, Mylady, da ist noch die absolut unwichtige Tatsache, daß Mister Finch mit im Spiel sein dürfte, der über
die schlagkräftigste Gangsterorganisation verfügt, die es auf der Insel Ihrer Britischen Majestät gibt.« »Sagte ich doch, eine absolute Kleinigkeit«, meinte die Detektivin überzeugt. »Sie sollten sofort alles in die Wege leiten ...«
Horace Pickett kam eine halbe Stunde später und brachte keine guten Nachrichten. Der Butler empfand es als absoluten Glücksfall, daß im Augenblick eine Familienserie im Fernsehen lief, die 38. Fortsetzung, die sich Lady Agatha um keinen Preis der Welt entgehen ließ, zumal die Tochter des Landadeligen in dieser Folge mit dem verarmten, aber wunderschönen Prinzen aus Dänemark zum Traualtar schritt. So waren Parker und Pickett im Souterrain von Shepherd's Market allein. »Es ist also eindeutig«, sagte Pickett, während er den Kognak nicht aus den Augen ließ, »daß Finch ein paar mir sehr bekannte Leute auf die Reise geschickt hat. Lauter Tresorexperten. Nur mit dem Namen Danzer kann ich nichts anfangen. Aber er hat Selby und Ball losgeschickt. Dieser Danzer soll auch dabei sein. Wenn ich nur wüßte, wer das ist. Und ich weiß auch nicht, worum es geht. Auf alle Fälle ein astreiner Bruch. Ball und Selby haben noch nie etwas anderes gemacht.« »Mister Pickett, wollen Sie damit ausdrücken, es werde irgendwo hierzulande eine Bank geknackt?« fragte Parker. »Dann wäre es nützlich zu wissen, wo dieselbe sich befindet.« »In Schottland«, meinte Pickett. »Es kann nur Schottland sein. Der Reinemachefrau bei Finch, die meine Informantin ist,
hat Ball erstklassigen schottischen Whisky versprochen. Direkt vom Brenner, hat er versichert.« Josuah Parker breitete eine Landkarte auf dem Tisch aus. Dann deutete er auf eine bestimmte Stelle. »Hier ist Woodstock-Castle. Lord Roberts Vorfahren haben untrüglichen Geschmack bewiesen, wie meiner Wenigkeit scheint. Das Schloß liegt direkt an einem Loch, einem Meeresarm, wie Schotten so unbritisch zu sagen belieben.« »Ich habe noch eine wichtige Information, Mister Parker: Sie werden beschattet. Mehr noch. Es sind zwei Typen auf sie angesetzt, die Finch aus Frankreich kommen ließ. Killer, Mister Parker. Einen habe ich vorhin in einem Wagen gesehen, und dieser gelbe Morris stand keine siebzig Schritte von hier entfernt in der Curzon Street.« In Parkers Augen leuchtete es kurz auf. Pickett, der diese Reaktion kannte, wußte was dies bedeutete. Der Butler würde nicht auf seine Gegner warten. Das war nie sein Stil gewesen. Er drehte, wie Pickett vermutete, den Spieß sicher um. »Mister Pickett«, sagte Parker prompt, »meine Wenigkeit liebt es nicht, die Hände in den Schoß zu legen. Was Sie betrifft, würde ich vorschlagen, Sie interessieren sich verstärkt für das Ziel der Reise der Herren Ball, Selby und Anhang. Meine Wenigkeit hat erst mal mit einem gelben Morris und dessen Insassen zu tun...«
Butler Parker war ein wenig überrascht. Horace Pickett schien nicht genau hingesehen zu haben. Da stand nämlich nicht allein der gelbe Morris, sondern ein Stück dahinter im Schatten ausladender Äste eines Ahornbaumes auch der
seegrüne Jaguar, jetzt allerdings ziemlich schwarz-fleckig. Parker war nicht allein. Er hatte den lehmbraunen Welshterrier von Mrs. Raddington an der Leine. Der neunjährige Rüde war putzmunter und so erzogen wie manches Kind, nämlich gar nicht. Er besaß allerdings Eigenheiten, die der Butler genau kannte. Nicht zuletzt deshalb hatte er Mrs. Raddington vorgeschlagen, Pixie mitzunehmen. Der Hund zerrte ungeduldig an der Leine, als der Butler stehenblieb, um die Lage richtig einzuschätzen. Parker hatte das Haus durch den Hintereingang verlassen, war über Hertford Street und Park Lane praktisch um den Block gewandert und näherte sich auf der Curzon Street den beiden Wagen, die in derselben Richtung standen, in der er ging. Der Morris parkte an der Ecke, so daß etwaige Insassen Shepherd's Market und damit auch das Haus der Lady Agatha übersehen konnten. Der Jaguar befand sich dafür zu weit in der Straße zurück. Zwei Dinge fielen Parker schlagartig auf, erstens war der Jaguar mit drei Personen besetzt und zweitens der Morris nur mit einer. Beide Wagen hatten Funkantennen. Butler Parker folgerte logisch, daß der Morris zur Beobachtung diente, der Jaguar aber für den eigentlichen Einsatz gedacht war, das Killerkommando also, und die Kerle lauerten genau auf den Mann, der da mit einem Terrier an der Leine wie ein harmloser Spaziergänger auftauchte. Doch keiner der vier Wegelagerer sah den Butler, er aber sie. Parker bewies Geduld und kam immer näher an den Jaguar heran. Durch die Rückscheibe sah er, daß der Mann auf dem Rücksitz mit einem Gewehr hantierte, das Schalldämpfer und Zielfernrohr hatte. Der letzte Zweifel war beseitigt. Parker schritt zur Tat,
indem er erst mal wieder kehrtmachte, wie jemand, der nur zum Gassigehen mit dem Hund die Straße ein Stück lief. Pixie freute sich. Die ursprüngliche Richtung hatte auf rasche Heimkehr und ein jähes Ende des Spaziergangs gedeutet. Nun ging es wieder weg von zu Hause. Nicht sehr weit jedoch. Parker wandte sich wieder um und holte eine schlanke Hülse aus der Tasche. Die gab er Pixie, der sie sofort zwischen die Zähne nahm und trug. Parker ließ den Hund von der Leine, und der Vierbeiner fegte wie ein geölter Blitz die Straße hinunter. Bei Mrs. Raddington wäre er jetzt für die nächste Stunde nicht mehr aufgetaucht. War Pixie jedoch mit Parker unterwegs, hatte er gelernt, daß man wenigstens in einem Punkt gehorchen mußte, sonst wurde man nie mehr mitgenommen. Wenn dieser Mann im schwarzen Covercoat pfiff, mußte man kehrtmachen und zurückkommen. Aber eines tat Pixie dabei nie. Das, was ihm immer zwischen die Zähne geschoben wurde, brachte er nicht zurück. Das ließ er dort wie eine heiße Kartoffel fallen, wo ihn der Pfiff erreichte. Während Pixie hoffte, der Pfiff werde diesmal nicht ertönen, traf es ihn genau an der Stelle, wo am Bordstein der Morris parkte und - wie Pixie mit seiner feinen Nase deutlich wahrnahm - außer dem Abgasgeruch noch etwas anderes ausströmte. Es erinnerte den Hund an Mr. Raddington seligen Angedenkens, der auch Zigarren rauchte wie dieser Mensch im gelben Auto ... Da erfolgte der Pfiff! Pixie reagierte wie immer. Er ließ die Hülse fallen wie glühendes Eisen, machte kehrt und flitzte. Die Hülse, aus Pixies Schnauze entfallen, rollte ein Stück, fiel vom Bordstein und wälzte sich noch unter den Morris. Dort
lag sie genau drei Sekunden, dann entquoll ihr ein gelber Rauchfaden, der immer dichter wurde und schließlich richtiger Qualm war. Zu diesem Zeitpunkt war Josuah Parker bereits ein gutes Stück weiter hinten voll in Aktion. Der erste gefiederte Pfeil, der aus der Spitze von Parkers Universal-Regenschirm schoß, traf den linken Hinterreifen des Jaguar, der zweite, sofort danach abgeschossen, perforierte das rechte Hinterrad. Während die Luft aus den Reifen wich, zielte der Butler erneut. Diesmal aber befand sich kein Pfeil mit einfacher Stahlspitze im Druckluftrohr, sondern ein Spezialpfeil, der mit einem Betäubungsmittel gefüllt war und beim Aufschlag den Inhalt einer kleinen Ampulle ins getroffene Objekt entleeren würde. Da ging die linke Vordertür auf... Ein Mann, klein, dunkelhaarig mit sonnengebräuntem Teint, stieg aus. Parkers Schirm trat wieder in Aktion. Der buntgefiederte Pfeil flog durch die Luft und traf den Kleinen am linken Oberarm. Der Getroffene machte noch eine halbe Drehung, fingerte mit der Rechten an seinem Hosenbund herum und sah zu Parker hin. Dann sanken dem Opfer die Arme herab, seine Knie wurden zu Pudding, und er ging mit einer Schraubdrehung zu Boden. Da sprang die linke Hintertür auf. Erst tauchte ein Gewehrlauf mit Schalldämpfer auf, dann der Mann, der dazu gehörte. Nicht viel größer als der andere und ihm auch sonst ähnlich. Nur der helle Anzug mit dem schreiend roten Hemd machte ihn noch auffallender. Er sah Parker, riß das Gewehr an die Schulter... da erwischte ihn ein Blasrohrpfeil. Die Wirkung trat nach vier Sekunden ein. So konnte er noch schießen.
Aber Josuah Parker hatte seiner unmaßgeblichen Meinung nach noch nie das Zeug zu einer lebenden Zielscheibe gehabt, so sprang er hinter einen parkenden Vauxhall, und dort hörte er das »Plopp« des schallgedämpften Schusses. Dann waren die vier Sekunden schon vorüber. Der Gewehrschütze lag, als Parker aus seinem Versteck trat, bereits in voller Deckung und zudem kampfunfähig neben dem auf luftleere Reifen abgesunkenen Jaguar. Der Fehler des Fahrers war der, daß er losfahren wollte. Zunächst gelang ihm das, aber dann sprang der linke hintere Reifen von der Felge, und damit setzte das Differential auf. Ende der Reise! Als der Mann aus dem Wagen sprang und zum Morris laufen wollte, traf ihn Blasrohrpfeil Nummer fünf, und das war dann abendfüllend für den Pariser Killer. Nach Josuah Parkers Erfahrung wirkte diese Schlafspritze für gute drei Stunden. Der Mann im Morris schlief übrigens auch, in süße, betäubende Dämpfe gehüllt. In der ruhigen Straße hatte das alles nicht den geringsten Lärm verursacht. Der Zufall wollte auch, daß keine Passanten auftauchten. Parker lud die Schläfer zunächst allesamt in den Morris, lüftete gut durch und fuhr den Wagen von hinten ins Grundstück. Daß zufällig Buddy Wolfe auftauchte, machte für den Butler alles nur einfacher. Er überließ es Buddy, die vier Gestalten nach unten ins spezielle Gästezimmer zu bringen, das im Haus der Lady genau für solche Besucher errichtet worden war... nett, geräumig und absolut fluchtsicher. Während Buddy Wolfe dies alles regelte, lieferte Parker der Witwe Raddington einen etwas enttäuschten Pixie ab. Ob Pixie das Versprechen des Butlers verstand, er werde schon bald wieder mit ihm Spazierengehen, wird Hundegeheimnis bleiben. Buddy war auch nicht gekommen, um dem Butler zu helfen.
Er hatte eine wichtige Botschaft und berichtete gleichzeitig auch Lady Agatha. »Ich habe eine Nachricht aus Glasgow«, begann Buddy. »Da ist ein ganz tolles Ding passiert: In die Scotch National Bank wurde eingebrochen, ohne daß etwas entwendet wurde ...«
Bert Selby bohrte das Loch vor, in das er eine genau bemessene Dosis Nitroglyzerin füllte. Rush Ball, der immer angab wie drei Helden zusammen, war vorsichtshalber in Deckung gegangen. Angeblich schadete der Donnerknall der Explosion seinen empfindlichen Gehörgängen, die noch für bessere Gelegenheiten gebraucht wurden. Nur Vic Danzer, der den feinen Plan ausgeheckt und seit einem Jahr vorbereitet hatte, wich nicht von Selbys Seite, bis der die Zündschnur legte und ansteckte. Dann liefen beide wie die Hasen über den schlüpfrigen Untergrund des städtischen Kanals. Die Detonation war nicht gerade ein Ohrenschmaus, aber Sie überlebten den Knall. Selby wollte sich sofort überzeugen, ob er Maßarbeit geleistet hatte, doch Danzer hielt ihn zurück. »Denk an die empfindliche Alarmanlage!« sagte er mahnend. »Wir sind zwar von einer sehr ungewöhnlichen Seite an die Sache herangegangen, doch man weiß nie, ob der Teufel die Hand im Spiel hat.« Nach zehn Minuten näherte sich noch immer keine Heulboje der Polizei. Außerdem hatten sich in dieser Zeit die Explosionsdämpfe und der Staub verzogen, so daß sie ohne große Mühe durch das einen halben Meter breite Loch in den Tresorraum steigen konnten. Diesmal schleppte Selby einen Sack auf den Schultern und legte ihn vor dem Tresor ab.
Rush Ball war Schränker. Zweimal hatten sie ihn geschnappt und hinter schwedische Gardinen gebracht. Das sollte ihm nie wieder passieren! Die Lieferfirma des Tresors behauptete kühn, kein Mensch auf der ganzen Welt könnte ihn knacken. Wahrscheinlich hätte auch Rush Ball sich die Zähne daran ausgebissen, wäre er nicht im Besitz der beiden Schlüssel gewesen. Er rätselte jetzt noch daran herum, wie es Vic Danzer gelungen war, von den Originalen perfekte Abdrücke zu beschaffen. Trotzdem dauerte es eine halbe Stunde, bis der Tresor aufschwang. Andächtig starrten die drei Männer auf die Scheine. »Mann«, schnaufte Ball, »das reicht für uns alle bis ans Ende unserer Tage. Ich begreife dich nicht, Vic! Weshalb sollen wir bloß...« »Überlaß das Denken auch weiterhin mir, Rush«, reagierte Danzer einigermaßen freundlich. »Ihr fahrt gut dabei. Dies ist nur ein Test, und ihr wißt es.« Selby äußerte sich nicht dazu. Er war immer ein Einzelgänger gewesen und würde es in Zukunft auch bleiben. Daß er sich Danzer überhaupt angeschlossen hatte, lag daran, daß er wegen eines Toten in Soho in volle Deckung gehen mußte. Später würde er sich schon die richtige Scheibe von dem Kuchen abschneiden. Bis dahin war Schweigen Gold. Ball maulte immer noch, als er den Panzerschrank wieder abschließen mußte. Selbst wenn man genau hinblickte, hatte sich an den vielen Geldbündeln überhaupt nichts geändert. Aber der Sack, den Selby auf die Schultern wuchtete, war wieder voll, wenn auch mit anderen Scheinen. Als sie den Kanaldeckel in der Nähe ihres Wagens erreichten und anhoben, war weit und breit kein Mensch zu sehen. Selby lud den Sack ein, und Danzer löste über einen winzigen Sender einen Kontakt aus, der das Alarmsystem der Bank wieder in Betrieb setzte.
Warum er damit die Polizei alarmierte, blieb Ball und Selby ein Rätsel, wie so vieles an diesem Danzer, der ihnen manchmal mit seiner Intelligenz und seinem Fanatismus geradezu unheimlich wurde.
Direktor Gerald O'Hagan traf etwa eine Viertelstunde später als die Polizei ein. Das ganze Gelände rings um die Bank war abgesperrt, mindestens drei Dutzend Polizisten durchsuchten jeden Wagen in der Nähe und ließen keine Maus an die Bank heran. O'Hagan war ein imposanter Mann, der Typ des modernen Managers. Er schüttelte Inspektor Evans die Hand und öffnete die Haupttür. Dann traf der erste Kassierer ein, der den zweiten Tresorschlüssel zu verwalten hatte. »Ich kann es mir nur so erklären«, sagte O'Hagan auf dem Weg ins Kellergeschoß, »daß sich im höchstempfindlichen Alarmsystem ein Fehler eingeschlichen hat. Vielleicht ist eine Selenzelle ausgefallen.« Der Inspektor äußerte sich nicht dazu. Er war sauer. Wer läßt sich schon gern in der Nacht aus den Federn holen...? Als die Tür zum Tresorraum aufschwang, sahen sie die Bescherung. »Himmel!« entsetzte sich O'Hagan. »Das sieht ja aus wie nach einem Bombenangriff. Aber der Tresor ist unversehrt.« Nicht nur der Tresor, auch die vielen Einzelsafes der Bankkunden schienen unbeschädigt zu sein. »Na also«, meinte der Inspektor befriedigt und gähnte herzhaft. »Die Explosion hat vermutlich sofort Alarm ausgelöst. Die Kerle hatten gar keine Gelegenheit mehr, den
Tresor zu knacken. Sie sind sofort getürmt.« Im Staub auf dem PVC-Fußboden zeichneten sich undeutliche Spuren ab, die vor dem Tresor endeten. Mehrere Polizisten krochen sofort durch das Loch in der Wand und verschwanden im Kanalsystem. Direktor O'Hagan bestand darauf, den Tresor trotz allem zu öffnen. Erst als sich alle überzeugt hatten, daß nicht ein Schein zu fehlen schien, schnappte die gewaltige Stahltür wieder zu. »Alles für die Katze!« brummte Evans und gähnte wieder. Nichts war für ihn schlimmer als abgebrochener Schlaf.
»Woher haben Sie diese Information?« erkundigte sich Lady Agatha bei Buddy Wolfe, als der von dem merkwürdigen Bankeinbruch berichtet hatte. Buddy Wolfe lächelte verlegen und schaute hilfesuchend auf Josuah Parker. Der Butler verstand und antwortete für Buddy: »Ein gemeinsamer Freund pflegt aus vergangenen Tagen noch Bekanntschaften, über die er aus verständlichen Gründen nur ungern persönlichkeitsbezogene Äußerungen machen möchte. Mylady werden das mit Verständnis zur Kenntnis nehmen.« Agatha Simpson schaute Parker an. »Was wir jetzt tun müssen, ist klar. Ich werde Mister Hazel in New York anrufen und ihn davon überzeugen, daß er Woodstock-Castle unbedingt kaufen will. - Sie sollten mit dem Büro von Lord Robert sprechen, Mister Parker.« »Meine Wenigkeit hat Diesbezügliches schon erledigt und wird zum Fünf-Uhr-Tee übermorgen auf Schloß Woodstock
erwartet. Sehr zu meinem äußersten Bedauern war Lord Robert nicht in London zugegen. Es heißt, er sei zu Schiff nach Schottland unterwegs.« »Also mit seiner Yacht«, meinte Lady Agatha. »Ja, dafür wirft er sein Geld hinaus. Wie sieht es überhaupt auf seinen Konten bei den Banken aus? Gibt es da Hinweise?« Josuah Parker lächelte überlegen. »Sehr wohl, Mylady. Meine Wenigkeit hat sich die Freiheit genommen, ein wenig zu recherchieren oder dies durch entsprechende Experten vornehmen zu lassen. Bankmäßig dürfte Lord Robert längst die Grenze dessen erreicht haben, was normale Kaufleute zwingen würde, den sogenannten Konkurs anzumelden. Seine Schulden sind, wie es der Volksmund ausdrücken würde, atemberaubend, Mylady.« »Gibt es von seiner Seite Äußerungen das Schloß zu verkaufen?« wollte die Detektivin wissen. »Hat er vielleicht seinen Besitz einer Bank als Sicherheit abgetreten?« Parker schüttelte den Kopf. »Ihre Lordschaft haben alles veräußert, was Ihre Lordschaft von den Vorvätern ererbt hatten. Seine Yacht dürfte auch als Eigentum der Bank angesehen werden, übrigens die Scotch National Bank. Aber das Schloß ist merkwürdigerweise völlig unbelastet, Mylady.« »Wenn er aber gar nicht verkaufen will«, meinte Lady Agatha, »wird es schwer sein, über so etwas mit ihm zu reden.« »Man sagte mir, Ihre Lordschaft seien immer interessiert, Angebote von potentiellen Käufern zu erfahren, Mylady«, erwiderte Parker. »Es würde sicher unserer Sache dienlich sein, Mylady, wenn Sie den Anruf bei Mister Hazel bald zu tätigen geruhten.« »Ja, ich werde es gleich tun, Mister Parker.« Sie stand auf und schritt zur Treppe. Derartige Telefonate führte die Hausherrin lieber ungestört. Buddy Wolfe hatte die ganze Zeit am Fenster gestanden und
schaute hinaus. »Mister Parker«, sagte er leise, damit es wohl Lady Agatha nicht hörte, »auf der anderen Straßenseite ist eine Limousine vorgefahren. Es sitzen vier Männer drin. Einen erkenne ich. Es ist Little-Pig, einer von Finchs Bodyguards, sein schlagkräftigster Leibwächter. Hat fast meine Figur ...« »Mister Wolfe, es wird uns ein außerordentliches Vergnügen sein, so liebe Gäste gebührend zu empfangen. Sicher herrscht in diesem Punkt Übereinstimmung zwischen uns? So würde man, wenn dies der Fall sein sollte, mit den entsprechenden Begrüßungsofferten beginnen.« Buddy Wolfe rieb sich die Hände. »Mit dem größten Vergnügen, Mister Parker, mit dem allergrößten Vergnügen!« Lady Agatha kam von oben die Treppe herab. »Mister Hazel ist sehr interessiert.« Parker schaute zu seiner Herrin empor.« Es wäre für Mylady sicher sehr ratsam, wenn sich Mylady wieder nach oben bemühen würden. Es steht lieber Besuch ins Haus, und Mister Wolfe und meine Wenigkeit müßten noch einige geringfügige Vorbereitungen treffen.« Lady Agatha tat genau das Gegenteil von dem, was der Butler geraten hatte, kam herunter, lief zum Fenster und sah die dunkle Limousine. Dort stiegen gerade drei der Insassen aus, wandten sich Lady Agathas Haus zu und schritten langsam über die Straße.
Diesmal waren es knallharte Typen der Londoner Szene. Butler Parker erkannte zwei von ihnen, als er oben auf dem Austritt des Daches stand, seine Gabelschleuder in Händen. Die für den Kaminfeger gedachte Öffnung mit der kleinen
Plattform und der Eisenleiter, die zum vordersten Hauskamin führte, war ein idealer Platz für den Butler, um von hier oben aus das ganze Terrain vor und hinter dem Haus im Auge zu behalten. Zwei Kerle hatten das Haus umrundet und wollten wohl durch den Hintereingang. Der dritte erreichte gerade die Haustür und betätigte die Glocke. Der vierte Bursche saß im Wagen und blickte zum Haus herüber. Den Mann auf dem Dach schien er noch nicht erspäht zu haben, konnte ihn aber auch schlecht sehen, denn der vordere Kamin gab dem Butler deutlich Deckung. Parker versteckte die Gabelschleuder in seinem Covercoat und holte etwa tennisballgroße Plastikkugeln hervor. Mit diesen wartete er, bis die beiden Männer an der Hintertür waren. Als er hörte, wie sie mit etwas Metallischem daran herumfingerten, beugte er sich über die Brüstung und sah, wie sie versuchten, die Tür mit einem Dietrich zu öffnen. Er ließ die erste Kugel fallen. Sie zerplatzte einen Schritt hinter den beiden. Sofort entströmte ihr jenes gelb qualmende Gas, mit dem der Morrisfahrer schon Bekanntschaft gemacht hatte. Die beiden Kerle blickten sich um, schauten unschlüssig nach allen Seiten und erst dann nach oben. Die Gefahr, die für sie von der qualmenden Kugel ausging, begriffen sie wohl noch gar nicht. Als sie heraufschauten, warf Parker die zweite Kugel schräg nach unten, so daß sie an der Hauswand zerplatzte und der flüssige Inhalt der erst bei Luftberührung verdampfte, über die Männer wie gelber Regen spritze. Sofort begann die Flüssigkeit zu verdampfen und ihr betäubendes Gas zu entwickeln.
Viel zu spät begriffen das die beiden Einbrecher. Und dann machten sie auch noch den zweiten Fehler: Sie wollten auf Parker schießen, rissen ihre Pistolen hoch und feuerten, aber da war der Butler schon wieder außer Sicht. Dieser zusätzliche Aufenthalt im Bereich des betäubenden Gases hatte denn auch seine Folgen. Als die Kerle endlich weglaufen wollten, wurden ihnen die Gelenke weich. Beide kamen keine vier Schritte weit und vielen zu Boden. Der Butler kehrte zur anderen Seite der Plattform zurück. Unten an der Tür wurde in diesem Augenblick geöffnet, und Parker hörte, wie der Mann, der geläutet hatte, sagte: »Madam, ich komme vom Elektrizitätswerk und muß die Anlage prüfen. Dürfte ich kurz zu Ihnen...« Lady Agatha unterbrach ihn mit ihrer sonoren Baritonstimme, war aber freundlich: »Kommen Sie doch herein. Unsere Anlage befindet sich im Keller. Sie werden sicher alles in bester Ordnung finden. Mein Butler achtete genau darauf.« »Ist der zufällig anwesend?« hörte Parker den Typ sagen, von dem Buddy behauptet hatte, der hieße in Gangsterkreisen Little Pig. »Ja doch«, antwortete Agatha Simpson. »Butler Parker ist zufällig im Haus. Er wird Sie gern in den Keller, begleiten.« Dann ging die Haustür zu. Unmittelbar danach gab es unten im Haus einen dröhnenden Schlag, als etwas von innen gegen die Haustür donnerte. Danach herrschte Stille. Josuah Parker brauchte keine Mutmaßungen anzustellen, was passiert war. Auf Buddy Wolfe konnte man sich in dieser Beziehung verlassen wie auf eine Schweizer Uhr. Da war nun noch der Bursche in der Limousine, und der schien irgendwie beunruhigt zu sein. Parker sah, daß er zum Autotelefon griff und den Hörer ans Ohr hielt. Aber viel mehr
schaffte der Mann im Auto nicht. Parker hatte seine Gabelschleuder gestrammt und zielte kurz. Dann flog die Tonmurmel zischend davon, und unmittelbar danach zerplatzte der Telefonhörer regelrecht unter der Hand des Mannes im Wagen. Parker legte eine zweite Tonmurmel in die Zwille, indessen hatte sich unten schon einiges verändert. Der Mann im Wagen hatte sich geduckt und schoß aus einer schallgedämpften Pistole hinauf zum Dach. Der Schuß fetzte ein Stück Ziegel aus dem Kamin. Der nächste Schuß hämmerte in eine Stahlverstrebung der Leiter und zirpte als Querschläger davon. Einen Schuß Nummer drei gab es nicht. Parker hatte den Kamin als Deckung benutzt, beugte sich rechts davon nach vorn, zielte und schoß erneut. Die bolzenartige Tonmurmel durchschlug den Reifen des rechten Vorderrades. Das schien der Fahrer gar nicht zu registrieren. Er feuerte erneut aus der Pistole, während Parker wieder in Deckung des Kamins gegangen war. Diesmal spannte er wieder seine Gabelschleuder, legte aber keine normale Tonmurmel ein. Diese war aus rotem Plastikmaterial, von Parker selbst in mühsamer Kleinarbeit gefertigt und gefüllt. Der Butler kniete und schob sich langsam um den Rand des Kamins. Unten startete der Fahrer den Wagen, fuhr auch an, bemerkte dann aber, daß der Vorderreifen zerschossen war. Er öffnete die Tür, wohl um wegzulaufen. Doch damit hatte es sich auch. Parkers Geschoß zielte durchs offene Wagenfenster auf die Lenksäule. Und er traf! Das Geschoß zerstob regelrecht, und unmittelbar danach war vorn im Wagen alles rot: die Windschutzscheibe von innen, der Kopf des Mannes, seine
Brustseite, Armaturenbrett, Wagendach und Sitz. Aber Parker wußte, daß die Patrone nicht nur Farbe enthalten hatte, sondern auch ein starkes Tränengas. So tauchte kurz darauf neben dem Wagen ein taumelnder Mann auf, der sich mit beiden Händen die Augen rieb, was alles nur noch verschlimmerte. Buddy Wolfe tauchte Sekunden später auf, um den »lieben Besucher« ins Haus und in die wohnlichen Gemächer im Souterrain zu geleiten, wo schon die Morris- und Jaguarinsassen warteten. »Es dürfte«, sagte Parker wie zu sich selbst, »eine gewisse qualvolle Enge nicht auszuschließen sein. Aber vielleicht könnte Mister McWarden dabei behilflich sein, dem durch die Beschaffung neuer Unterbringungsmöglichkeiten Rechnung zu tragen. Die klimatischen Vorteile gesiebter Luft wären dann auch nicht zu verachten.« Die große Überraschung erlebte der Butler, als er erfuhr, daß der angebliche Mann vom E-Werk nicht etwa Buddy Wolfe in die Finger gelaufen war, sondern sofort nach dem Betreten des Hauses durch Lady Agathas Mithilfe ihres perlenbestickten Pompadours - der Handbeutel war mit einem soliden, schaumstoffumwickelten Hufeisen gefüllt, dem sogenannten Glücksbringer - ins Reich der Träume geschickt wurde. Nachdem Buddy das Ersatzrad aufgelegt und den Wagen in den Hof des Grundstücks gefahren hatte, sorgte er dann für eine zügige Vernehmung der inzwischen wieder aufgewachten Gangster. Innerhalb einer halben Stunde waren Lady Agatha, Butler Parker und in gewissen Grenzen auch Buddy Wolfe informiert. Die Detektivin und der Butler waren sich einig, daß es Zeit wurde für Parkers Reise nach Schottland. »Was geschieht mit unseren Gefangenen?« wollte Buddy
wissen. Der Butler deutete diskret auf Lady Agatha. »Mylady haben freundlicherweise bereits mit Mister McWarden Kontakt aufgenommen. Wie es scheint, dürfte für diesen Gentlemen ein praktischer Raum in einem staatseigenen Beherbergungsbetrieb reserviert sein. Scotland Yard scheut weder Kosten noch Mühen ...«
Nach diesem Gespräch beschäftigte sich Josuah Parker routinemäßig noch mal mit seinem hochbeinigen Monstrum. Aber nicht nur hier gab es vorzubereiten. Auch seinen Universal-Regenschirm unterzog er im Souterrain des Hauses gründlich einer Überholung, inspizierte auch seine sonstigen Hilfsmittel, die er in seinem Labor entwickelt hatte und im Fall von Schwierigkeiten einsetzte. Da gab es einen neuen Artikel, äußerst probat in der Wirkung. Es handelte sich um eine Zigarre, jedenfalls sah sie äußerlich einer solchen täuschend ähnlich, enthielt aber in Wirklichkeit eine kleine Rakete. Parker hatte dieses Instrument, das man auch als Waffe bezeichnen konnte, in nächtelanger Arbeit entwickelt, ausprobiert und in der jetzigen Form für gut befunden, um im Notfall ihm zu dienen. Allerdings war die Rakete nicht mit Sprengstoff geladen, sondern versprühte beim Aufschlag ein rasch wirkendes Betäubungsmittel, das allerdings im Verlauf von einer Stunde seine Wirkung wieder verlor, ohne an den Opfern irgendwelche Dauerschäden zu hinterlassen.
Fünf dieser Zigarren hatte Parker in einem Etui untergebracht. Er trug dieses wie gewohnt in der Innentasche seines Jacketts. Gegen zehn Uhr abends war Parker soweit und verabschiedete sich von Lady Agatha. Mit seinem hochbeinigen Monstrum, das einem Londoner Taxi glich, im Inneren aber ein Fahrzeug mit rasantem Rennmotor und vielen Extras war, machte sich Parker auf den Weg über die Link Road A 5 zu Motorway 1, der nach Norden führte. Er fuhr die erlaubte Höchstgeschwindigkeit, und das war für seinen Wagen langsam genug. Es herrschte trotz der späten Stunde starker Verkehr. - Vor allen Dingen waren viele Lastwagen unterwegs. Kurz nach der Auffahrt zum Motorway, hinter Hendon, gewahrte Parker zwei Motorräder, die erst schnell näher kamen, dann aber in ziemlich gleichem Abstand von ihm blieben. Er beobachtete sie im Rückspiegel. Mal fuhren sie nebeneinander, manchmal blieb einer der beiden zurück, holte dann aber nach einer Weile wieder auf. Plötzlich setzte der vorderste zum Überholen an, kam rechts an Parker vorbei, aber der Butler sah nicht viel vom Gesicht des Mannes, denn es war dunkel, und außerdem trug er einen Sturzhelm, dessen Visier heruntergeklappt war. Es dauerte nicht lange, da ließ der Motorradfahrer Parker wieder an sich vorbei. Dann, nach einigen Meilen, überholte der andere. Und jetzt fiel Parker etwas auf: Er konnte auch von diesem das Gesicht nicht sehen, doch der Körper dieses Fahrers wirkte in allem kleiner und zierlicher. Die Taille war sehr schlank, die untere Rückenpartie dagegen ausgeprägt. Dem Butler schien es auch, als wären die Brüste deutlich zu erkennen. Für ihn war es beinahe sicher, daß hinter diesem Fahrer eine Frau steckte.
Erneut wurde er vorbeigelassen, und die beiden blieben jetzt hinter ihm. Das ging eine ganze Zeit so weiter. Manchmal verlor Parker sie aus der Sicht, aber dann, als sie sich der Abfahrt Northampton näherten, überholte erst das Mädchen, jedenfalls hielt er es dafür, und dann der Mann. Doch als er mit Parker auf gleicher Höhe war und von rechts auf ihn schaute, ließ er die linke Hand vom Lenker des Motorrads los und deutete nach halbrechts. Josuah Parker wußte nicht sofort, was der Mann meinte, aber dann begriff er: an der nächsten Abfahrt halten. Einen Augenblick überlegte Parker, ob er das tun sollte. Doch dann interessierte ihn, was die beiden Verfolger wollten. Er gab das Zeichen, daß er verstanden hatte, und der Motorradfahrer fuhr weiter und war zusammen mit der Begleiterin vorn. Sie fuhren nebeneinander und hielten etwa gleichen Abstand zu Parkers hochbeinigem Monstrum. Parker wäre es ein Leichtes gewesen, den beiden davonzufahren. Aber er wollte es ja gar nicht. Als die Abfahrt Northampton Süd kam, nahm er das Gas weg, blinkte links und fuhr die Abfahrt herunter. An der Stelle, wo Auffahrt und Abfahrt durch eine Querverbindung aneinander angeschlossen waren, standen die beiden mit den Motorrädern und winkten. Der Butler fuhr vorbei und hielt vor ihnen, rührte sich aber nicht aus dem Wagen und wartete, bis seine Verfolger kamen. Er sah sie im Rückspiegel. Erst kam der Mann, dann die kleinere Frau. Daß es eine Frau war, zeigte sich jetzt deutlich. Der Mann hatte das Visier des Helmes hochgeklappt, die Frau tat jetzt dasselbe. So standen sie an seinem rechten Fenster, und es war der junge Mann, der guten Abend wünschte und sich gleichzeitig vorstellte: »Ich heiße Mike Blade.« Er machte eine Handbewegung auf die junge Frau neben ihm. »Das ist meine Verlobte Ireen
Hassford. »Sie haben mit mir telefoniert. Sie sind doch Mister Parker, nicht wahr?« »Mit Ihnen, Miß, zu telefonieren, wäre meiner Wenigkeit ein Vergnügen gewesen. Beim allerbesten Willen erinnert sich mein Gedächtnis nicht daran, diese Ehre gehabt zu haben.« »Doch, ich arbeite im Büro von Lord Robert. Ich wollte Ihnen sagen, Sie sollten nicht dahinfahren. Es war gar nicht so einfach, Ihnen zu folgen und Sie auch zu finden. Beinahe hätten wir Sie, bevor Sie auf den Motorway gekommen sind, verloren. Aber wir sind dann auf gut Glück nachgefahren und haben Sie eingeholt.« »Darf man vielleicht die verständliche Bitte äußern«, meinte Parker, »was der Grund Ihrer Warnung ist und was Sie damit zu tun haben, wenn ich Lord Robert meine Aufwartung mache.« »Ich kann es Ihnen nicht sagen«, erklärte die junge Frau, die eine ausgesprochen sympathische Stimme hatte und trotz der Motorradausrüstung äußerst reizend wirkte. Da meldete sich der junge Mann zu Wort. Er war gut einen Kopf größer als Ireen Hassford, hatte ein markantes Gesicht und wirkte auf Parker auch nicht gerade unsympathisch. »Hören Sie, Mister Parker, da oben passieren Dinge, von denen Sie besser nichts wissen sollten. Meine Verlobte kann nicht darüber reden. Es würde sie nicht nur den Job kosten, möglicherweise sogar den Kopf. Folgen Sie ihrem Rat, bleiben Sie in London, ganz gleich, was Sie Lord Robert als Ausrede sagen wollen.« Doch Parker schien diesen Gedankengang nicht realisieren zu wollen. Mike tauschte einen Blick mit Ireen. Die Frau wirkte deprimiert. Mikes Gesicht hingegen nahm einen trotzigen
Ausdruck an. »Also gut, Mister Parker, dann nehmen wir uns die Freiheit, Sie zu begleiten.« »Mitnichten, mein Verehrter! Sie werden nach Hause zurückkehren, und meine Wenigkeit wird den Weg fortsetzen, auch allein, wenn es die Erfordernisse gebieten.« »Mister Parker«, wiederholte Mike noch mal eindringlich. »Sie sind in Lebensgefahr! Ireen hat mir auch nicht allzuviel erzählt, aber ich weiß mehr, als sie Ihnen gesagt hat. Ich mußte ihr versprechen, den Mund zu halten.« Josuah Parker bemerkte, wie sich Ireens rechte Hand in Mikes Unterarm krallte, als wollte sie ihn auf diese Weise davon zurückhalten, noch weiterzusprechen. Aber er ließ sich nicht beirren. »Es ist schon gut, Ireen. Ich weiß, was ich sagen kann und was nicht. Ich werde nichts ausplaudern. Aber Sie sind tatsächlich in Gefahr ... Bleiben Sie hier! Lassen Sie dieses Schloß in Ruhe! Kümmern Sie sich nicht darum, ganz gleich, für wen Sie sich bemühen wollen.« Parker machte sein unbewegtes Pokergesicht, lüftete die Melone, nickte Ireen zu und sagte: »Man hatte das ausgezeichnete Vergnügen, Miß Haasford.« Dann wandte er sich an Mike Blade, nickte erneut und ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder an. »Wir werden Sie nicht allein lassen, Mister Parker!« versicherte Mike. »Wir fahren Ihnen nach, Sie können das nicht verhindern.« Der Butler fuhr los und ließ sich nicht anmerken, daß ihn die Geschichte von Woodstock-Castle immer mehr interessierte. Er kam gut voran, fuhr schneller als erlaubt. Um die späte Stunde befanden sich außer ihm überwiegend nur Lastwagen auf dem Motorway Nr. 1, der englischen Autobahn. Die sonst verkehrsmäßig in aller Regel verstopfte Umgehung
von Birmingham zeigte sich von ihrer besten Seite. Kein Stau, wenig Verkehr. Und je weiter nördlich er kam, um so besser wurde es. Er fuhr auf Newcastle zu. Dort würde der Motorway enden. Er mußte auf Staatsstraßen weiterfahren. Immer wieder vergewisserte sich der Butler im Rückspiegel, daß die beiden Motorradfahrer nicht auftauchten. Aber das geschah ebensowenig, wie ihm irgendein anderes Fahrzeug in etwa gleichmäßigem Abstand folgte. Er hatte keine Verfolger, dessen war sich Parker sicher. Es ging auf Morgen zu. Als eine Raststätte auftauchte, hielt er, trank eine Tasse Tee und setzte seine Fahrt fort. Als er Newcastle erreichte, begann es im Osten hell zu werden. Hinter Newcastle hielt er an einer FernfahrerRaststätte, trank erneut einen Schluck Tee und aß ein Sandwich. Parker fröstelte, als er wieder aus der Raststätte herauskam und zu seinem Wagen ging, den er vom Fenster der Raststätte aus immer im Auge behalten hatte. Ziemlich verwaist stand das ehemalige Taxi zwischen Lastwagen. Ein eisiger Wind wehte von Westen. Josuah Parker fuhr weiter. Kurz vor halb zehn erreichte er Glasgow. Nun war er nicht mehr weit von seinem Ziel entfernt. Doch hier wollte er die Fahrt für einige Stunden unterbrechen. Es gab einige Dinge zu erledigen, und er ahnte nicht, was er wenig später in der schottischen Nationalbank erleben sollte ...
Butler Parker hatte seinen Scheck durch den Schlitz im Schalter geschoben, und der schottische Bankbeamte prüfte ihn mit der überheblichen Blasiertheit eines Mannes, der sich für unfehlbar hält. Aber der Scheck war in Ordnung, und der
Kassierer machte sich daran, den entsprechenden Betrag auszuzahlen. Fünfhundert Pfund hatte der Butler auf dem Scheck stehen. Und nun wartete er und sah dem Kassierer dabei zu, wie der Mann die Noten abzählte. Fünf Hundertpfundnoten wurden durch den Schlitz geschoben. Parker griff das Geld und obgleich es neue Noten waren, kam ihm das Papier irgendwie merkwürdig vor. Er hielt einen Schein gegen das Licht und betrachtete ihn aufmerksam, während der Kassierer dieses Tun mit skeptischen Blicken verfolgte. »Ist etwas, Sir?« fragte er. »Man kann es nicht in Abrede stellen. Sehen Sie sich doch bitte diese Banknote an.« Parker schob den Schein erneut durch den Schlitz. Der Kassierer prüfte, hielt ihn unter die Vergrößerungsscheibe und schüttelte den Kopf. »Aber ich bitte Sie, Sir, was soll daran nicht in Ordnung sein?« Josuah Parker gab darauf keine Antwort, sondern bat um eine Gefälligkeit. »Würden Sie die außerordentliche Freundlichkeit besitzen und diesen Schein in kleinere Noten umwechseln? Da wäre ich Ihnen äußerst verbunden.« »Aber sehr wohl, Sir«, zeigte sich der Kassierer entgegenkommend, wechselte in kleinere Noten um und schob sie durch. Parker hätte blind sein können; er spürte mit den Fingerspitzen, daß dies völlig normales Geld war, was er jetzt in Händen hielt. Er steckte alles ein, und vielleicht spielte auch seine Übermüdung ein wenig mit, daß er die vier anderen Hundertpfundnoten nicht näher prüfte. Er spielte mit dem Gedanken, in Glasgow ein Zimmer zu nehmen, um auszuschlafen. Er hatte ja noch Zeit.
So gab er seinem Drängen nach. Ausgeruht und frisch stand er am Nachmittag auf und verließ nach einem kurzen Imbiß das kleine Hotel und fuhr weiter. Als er zum Tanken hielt, nahm er erneut das eingewechselte Geld in die Hand. Nun fiel ihm erst auf, daß sich auch das Papier der vier anderen Hundertpfundnoten so eigenartig anfühlte. Gewissenhaft fuhr er deshalb nach dem Tanken nur ein kurzes Stück weiter bis zu einer günstigen Parkgelegenheit, holte seine Lupe und untersuchte die Geldscheine mit äußerster Sorgfalt. »Fälschungen!« konstatierte er. »Ganz eindeutig Fälschungen! Dazu ein solcher Schein wie der von Kervin ...« Der Butler steckte die Scheine wieder weg, überlegte eine Weile und fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Doch Parker verfolgte das Thema nicht weiter. Es gab Wichtigeres zu tun. Aber dann erlebte er schon Minuten später, als er weiter nordwärts fuhr, eine Überraschung. Als sein hochbeiniges Monstrum an einer großen Kreuzung bei Rot anhalten mußte, kam auf der Querstraße ein Taxi gefahren, ziemlich schnell sogar, um noch bei Grün die Fahrbahn zu queren. Dennoch war Parker sicher, den Fahrgast des Taxis erkannt zu haben: Lady Agatha! In seinem wie gewohnt unbewegten Gesicht konnte man das Erstaunen nicht ablesen. Doch in Wirklichkeit war es eine Überraschung für ihn. Aber die zweite folgte sofort. Noch bevor er selbst losfahren konnte, sah er die beiden Motorradfahrer, die dem Taxi folgten. Zwei, die er jetzt am Tag viel genauer betrachten konnte als in der vergangenen Nacht. Ireen Hassford folgte mit ihrer Maschine, einer Yamaha, Mike Blade, der eine Honda fuhr. Obgleich die beiden auch jetzt wieder ihre Gesichter hinter den Visieren der Helme verborgen hatten, erkannte Butler Parker sie sofort. Er hatte sich auch die Kennzeichen der Maschinen
gemerkt; ein Irrtum war ausgeschlossen. Und dennoch sah es nicht aus, als handelte es sich um eine Verfolgung. Die beiden fuhren im gleichen Abstand hinter dem Taxi, und dieses wiederum befand sich auf der Straße nach Dundee, das an der Ostküste liegt. Diese Staatsstraße kreuzte jene, auf der Butler Parker nach Norden in Richtung Woodstock-Castle fuhr. Was hatte das zu bedeuten? Parker merkte nicht, daß die Ampel inzwischen auf Grün geschaltet hatte. Hinter ihm wurde nervös gehupt. Ziemlich unenglisch, wie Parker im stillen resümierte. Er fuhr weiter, aber am liebsten wäre er seiner Herrin und den beiden jungen Leuten gefolgt. Er kombinierte rasch: Das Ganze mußte mit Ireen Hassford und Mike Blade zusammenhängen! Vielleicht hatte man Lady Agatha alarmiert... Parker war in seinen Gedanken noch immer mit diesem Vorfall beschäftigt, als es in Strömen zu regnen begann. Der Regen kam infolge des scharfen Westwindes fast horizontal. Die Tropfen prasselten gegen die Scheiben. Parker fuhr langsamer und auf Sichtweite, um die Abzweigung nach Inveraray nicht zu verpassen. Als er einbog und die nicht gut ausgebaute, zum Teil sogar sehr schmale Landstraße befuhr, die sich in Kurven bergaufwärts wand, hatte er die Antwort auf die Frage, warum Lady Agatha in Richtung Dundee fuhr, noch immer nicht gefunden. Die tückische Straße beanspruchte ihn. Er kam ins schottische Hochland, und die Straßen waren zum Teil sehr reparaturbedürftig. Am späten Nachmittag gelangte er nach Pearce, jenem kleinen Dorf, in dessen Nähe sich Woodstock-Castle befand. Er beschloß, zunächst in Pearce Station zu machen, zumal er ja immer noch Zeit hatte.
Die Straße wand sich in zahlreichen Kurven hinunter zur Küste, wo der Ort direkt in der Bucht von Loch Ball lag. Die Schotten nennen ihre Meeresarme Loch. Diese Meeresarme reichen weit ins Land hinein. Bis zur offenen See waren es von hier noch viele Meilen. Dennoch war das Wasser rauh. Im stürmischen Wind wurden die Wellen gegen die felsige Küste gepeitscht. Das andere Ufer des tiefen Meeresarmes konnte man von hier aus gar nicht erkennen. Der Regendunst ließ es nicht zu. Trotz des schlechten Wetters wirkte der Ort sauber, wenn auch ärmlich. Josuah Parker fuhr langsam, bis er einen kleinen Gasthof fand. Hier hielt er. Das über der Tür angebrachte Schild mit der Aufschrift »Hotel« wirkte übertrieben. Das aus Felssteinen gebaute, niedrige Haus war nichts anderes als eine einfache Landabsteige. Parker mochte die wortkargen Schotten, die hier lebten, und er schätzte auch, daß sie nicht allzuviele Fragen stellten, weder das junge Mädchen, das ihm sein Zimmer zeigte, noch die ältere Frau, die ihm das Gästebuch zuschob. Er trug sich mit Josuah Parker ein, besichtigte kurz das Zimmer, schaffte sein Gepäck hinauf und erkundigte sich dann auch nach einer Garage. Aber außer der Scheune hinter dem Gasthof gab es nichts, wo er den Wagen unterstellen konnte. Dennoch nahm er das Angebot mit der Scheune an. Er wollte nicht, daß sein hochbeiniges Monstrum draußen stand und jedermann zeigte, wo er sich aufhielt. Er dachte besonders intensiv an Lady Agatha, der er durchaus zutraute, daß sie früher oder später hier aufkreuzte. Er fragte sich nur warum ... Auch die Warnung, die Ireen und Mike ausgesprochen hatten, beschäftigte ihn. Ganz sicher war Lady Agatha deshalb hier, um in ihrem missionarischen Eifer sich für andere Leute einzusetzen und sie vor Schaden zu bewahren ...
Der Butler wollte wissen, was hinter allem steckte und war entschlossen, eine Antwort nach der anderen zu finden auf die vielen Fragen, die ihn plagten... Die See war sehr unruhig, auch hier in Loch Ball. Die kleine Barkasse des alten Fischers tanzte auf den Wogen. Der Mann hatte beigedreht und deutete in die Dämmerung auf die Burg, die sich direkt über dem Felsen der Küste abzeichnete. »Dort«, sagte er in seinem harten Dialekt, »das ist Woodstock-Castle. Man kann bis dicht unter das Schloß fahren. Ein kleiner Wasserarm führt hinein, da ist auch ein winziger Hafen. Sie haben ein Tor. Früher, als Lord Robert noch ein junger Mann war und seine beiden Brüder mit auf dem Schloß lebten, hatten sie oft Besuch; ebenfalls junge Leute. Sie sind mit ihren Ruderbooten, mit denen sie auch Regatta-Rennen fuhren, immer direkt in diesem Tunnel verschwunden, der am Ende des Hafens in den Felsen gesprengt worden ist, eine Art natürliches Bootshaus.« Josuah Parker hörte interessiert zu. Der alte Fischer, dem er ein Trinkgeld gegeben hatte, berichtete unaufgefordert weiter und erzählte, was er vom Bau der Burg vor sechshundert Jahren wußte. »Aber da ist nichts mehr davon da, nur noch die Grundmauern. Das meiste wurde vor hundert Jahren neu gebaut. Aus der Burg ist ein Schloß geworden. Ich war zweimal oben. Da sieht man, wo das Geld ist, und Lord Robert hat sehr viel davon.« Parker hätte den alten Fischer leicht eines Besseren belehren können, da er die Schuldenlast kannte, die auf Lord Roberts Schultern ruhte. Aber er tat es nicht. Die Leute hier glaubten daran, daß Lord Robert ein vermögender Mann war. Parker erfuhr, daß es zwei Möglichkeiten gab, das Schloß zu erreichen. Einmal mit dem Boot, dann eben in dieses
natürliche, in den Felsen gesprengte Bootshaus hinein, von wo aus eine Treppe mit unzähligen Stufen zum Schloß führte. Aber auch ein zweiter Weg lohnte sich. Der einfachere von beiden bot sich an. Das war über eine schmale, kurvenreiche Straße von Landseite aus. Parker ließ sich wieder zurückfahren, als er glaubte, genug gesehen zu haben. Er verließ gerade das Boot und entlohnte den Fischer, als er ein Taxi sah, das langsam durch den kleinen Ort fuhr. Es hielt vor dem Gasthof, es war aber nicht Lady Agatha, die ausstieg, sondern ein Mann in mittleren Jahren, dessen Gesicht Parker auf Anhieb bekannt vorkam. Obgleich der Mann einen Nadelstreifenanzug und eine etwas zu bunt geratene Krawatte trug, konnte Parker sich ihn viel besser im Rollkragenpullover und in ausgebeulten Hosen vorstellen. So hatte der Butler ihn auch in Erinnerung: Vor vier oder fünf Jahren, als es ihm gelungen war, den Safeknacker Bert Selby zu überführen, ihm den Einbruch in eine Zweigstellenbank im Londoner Stadtteil Fulham nachzuweisen, und Selby durch die Polizei festnehmen zu lasen ... Ein solch markantes Gesicht vergaß man nicht. Horace Picketts Information stimmte haargenau. Parker fragte sich, was ein Schränker wie Selby in diesem Fischernest tat. Sein Interesse war geweckt. Aber so gut wie er Selby erkannt hatte, würde er ihn ebenfalls erkennen. Und damals hatte Selby geschworen, sich dafür zu revanchieren, von Parker gefaßt worden zu sein. Man hatte ihn für fünf Jahre hinter Gitter geschickt. Das kann noch nicht lange her sein, überlegte Parker, daß Selby entlassen wurde. Vielleicht hatte er auch ein Jahr geschenkt bekommen. Parker wartete, bis Selby im Gasthof verschwunden war. Koffer hatte er offenbar nicht; das Taxi fuhr wieder weg. Es war ein Wagen aus Glasgow.
Parker rechnete aus, was es kostete, von Glasgow mit einem Taxi hierherzufahren. Wer, so fragte er sich weiter, gab ihm dieses Geld? Es mußte sich also lohnen, von Glasgow mit dem Taxi anzureisen und so viel Geld dafür auszugeben. In einem Nest wie Pearce mußte es auffallen, wenn zwei Fremde in einem Gasthof abstiegen. Und sie würden sich früher oder später auch treffen, ob sie das wollten oder nicht. Parker mußte sogar davon ausgehen, daß Selby, falls er hier übernachtete, Parkers Name im Gästebuch las, wenn er sich selbst eintrug. Vielleicht erzählte ihm auch das junge Mädchen, das gewöhnlich die Gäste bediente und die Zimmer zeigte, von dem einzigen anderen Gast, den sie im Haus hatten. Während Butler Parker noch überlegte, wie er den Gasthof betreten konnte, ohne von Selby gesehen zu werden, tauchte ein Bentley auf, gefahren von einem livrierten Chauffeur. Der verschwand ebenfalls im Gasthof, kam aber zusammen mit Selby wieder heraus. Der Chauffeur öffnete aber nicht den Schlag, wie es üblich war, sondern setzte sich direkt auf seinen Platz, und Selby stieg ebenfalls vorn ein neben dem Fahrer. Dann fuhren sie los. Das junge Mädchen, das im Gasthof arbeitete, war vor die Tür getreten und schaute der Limousine nach. Parker trat neben sie und fragte: »Ist es erlaubt zu fragen, wem dieser wunderschöne Wagen gehört?« Das Mädchen schaute ihn an, lächelte und erwiderte: »Aber ja, Mister Parker. Das ist der Wagen von Lord Robert, und Joe ist eben mit ihm hiergewesen, um einen Gast abzuholen, der sich telefonisch angemeldet hatte.« »Das ist aber, mit Verlaub, sehr schnell gegangen«, meinte. Parker. »Wenn meine Wenigkeit den eigenen Augen trauen darf, dann ist dieser Mann doch eben erst angekommen, mit
einem Taxi, wenn eine genaue Rekonstruktion vielleicht erwünscht ist.« »Sie irren nicht, Mister Parker. Aber Joe hat Funk im Wagen, und er ist zufällig im Ort gewesen, da haben sie ihn wohl vom Schloß aus direkt geschickt.« Parker wirkte unbeeindruckt. »Funk im Wagen? Da ist man ja richtig modern hier in Schottland.« Das junge Mädchen warf sich in die Brust. »Natürlich, glauben Sie, wir leben am Ende der Welt?« erwiderte sie schnippisch, drehte sich um und marschierte ins Haus zurück. Josuah Parker lächelte versonnen hinter ihr her.
Der Butler fuhr mit seinem Wagen die Serpentinen hinauf. Bei Sonnenschein und mit nur wenigen Wolken am Himmel wirkte das Schloß erheblich freundlicher, als er es grau in grau von der Küste aus angesehen hatte. Die Büsche an den Außenmauern der einstigen Burg leuchteten in allen Farben. Über eine Zugbrücke mit verrosteten Ketten führte der Weg durch ein Tor in den Innenhof. Parker fuhr über die rumpelnde Zugbrücke und erreichte den Innenhof. Der war sehr geräumig, viel größer, als man es von außen ahnte. Der Bentley stand vor dem Wohngebäude, daneben noch ein Jaguar und ein Jeep. Der Butler stellte seinen Wagen neben den Jeep, stieg aus und warf einen Blick in die Runde. Vor ihm das sehr
prunkvolle Wohnhaus, gar nicht so schroff und abweisend, wie die Burg von außen wirkte. Gegenüber waren vier Fachwerkgebäude, wohl die Wohnungen des Personals. Aber es gab auch eine Garage, in der jemand hantierte. Parker bemerkte den Chauffeur, diesmal nicht in Livree, sondern in einem blauen Overall, wie er einen Reifen auf eine Felge zog. Der Mann war so beschäftigt, daß er offenbar den Gast nicht sah. Als Parker zur Pforte ging und die altertümliche Glocke betätigte, die man an einem Griff ziehen konnte, wurde ihm nach einer Weile geöffnet. In der Tür stand ein Orang Utan von Mensch, den man in eine Livree gepreßt hatte. Dieser animalisch wirkende Bursche hätte mit seinem Aussehen Frauen und Kinder das Fürchten lehren können. Nicht so Parker, der, wie es seine Art war, diesem vierschrötigen Diener seine Karte zeigte. Aber der warf nicht mal einen Blick darauf und fragte nur: »Sie sind Mister Parker?« Die Fistelstimme stand im schroffen Gegensatz zum bulligen Aussehen des Mannes. Vielleicht, überlegte der Butler, kann er nicht lesen, sonst hätte er auf die Karte geschaut. Und die Tatsache, einen Analphabeten vor sich zu haben, überraschte Parker beim Anblick dieses Menschen überhaupt nicht. Der nickte nur und meinte mit unbewegter Miene: »Meine Wenigkeit hat das seltene Vergnügen, diesen Namen zu tragen.« Der Gorilla blickte ihn verwundert an und machte eine Handbewegung, die wohl ausdrücken sollte, Parker möchte ihm folgen. Dann stampfte er mit schweren Schritten, als trüge er eine Tonnenlast, voraus. Die Tür schloß sich von allein und fiel mit dumpfem Schlag ins Schloß.
Das Foyer, das Parker betrat, war weiß und schwarz gefliest und barg eine Reihe altehrwürdiger, massiver Möbelstücke. Auch eine abgeschabte Ledercouch stand da, und der Gorilla deutete darauf und murmelte, Platz zu nehmen und zu warten. Parker blieb stehen und blickte in die Runde. Oben waren ausgestopfte Greifvögel aufgehängt, auch ein Reiher und eine ganze Reihe von kleineren Vögeln, von der Schnepfe bis zum Moorhuhn. An den Wänden hingen Geweihe vom achtendigen Hirsch bis zu dem hierzulande unbekannten Gamsbock. Lord Robert und seine Vorfahren schienen große Nimrods gewesen zu sein. Auch ausgestopfte Wildschweinköpfe zierten die getäfelten Wände. Sekunden später tauchte der Gorilla wieder auf, winkte Parker und sagte: »Ihre Lordschaft sind zum Gespräch bereit. Der Tee ist angerichtet.« Josuah Parker stand eine erneute Überraschung bevor. Wenn er nämlich geglaubt hatte, Lord Robert, den er flüchtig kannte, zu sehen, so wurde er enttäuscht. Von einem kleinen runden Teetisch erhob sich eine junge Frau mit blondem Haar und enganliegendem blauen Kleid, dessen unterer Saum gerade bis zum Knie reichte. Der Ausschnitt war so gehalten, daß Parker ihn als äußerst gewagt bezeichnete. Aber die junge Dame besaß die Figur für ein solches Kleid, war im übrigen bildhübsch und schien das auch zu wissen. »Hallo, Mister Parker, ich begrüße Sie!« Josuah Parker schien von seiner Gastgeberin sehr angetan und sagte nur: »Es ist meiner Wenigkeit ein außerordentliches Vergnügen, Miß kennenzulernen. Würde man mich nun zu Lord Robert führen, mit dem meine bescheidene Person eine Verabredung hat? Miß sind sicher seine Sekretärin.« Die junge Dame lachte lauthals, daß es Parker beinahe wie einen Schlag ins Gesicht empfand. Er runzelte leicht verärgert
die Brauen und hörte dann die junge Blondine sagen: »Aber nicht doch, Mister Parker, ich bin Jane, die Tochter Lord Roberts. Er läßt sich entschuldigen. Vielleicht kommt er später noch zu unserem Gespräch dazu. Er hat sich etwas hingelegt und fühlt sich unpäßlich. Jedenfalls sagt man doch so.« Sie lachte. »Wissen Sie, er macht nachmittags immer sein Nickerchen, und als ich ihn vorhin wecken wollte, weil es Zeit für Ihren Besuch war, da hat er sich auf die andere Seite gedreht und geknurrt, im Augenblick hätte er keine Lust, er käme später. Sie sind hoffentlich nicht gekränkt, Mister Parker? So nehmen Sie doch bitte Platz! Ich bin im übrigen über alles im Bilde und bevollmächtigt, mit Ihnen zu reden. Setzen Sie sich bitte, der Tee ist fertig, und es ist bestimmt ein erstklassiger.« Parker nahm steif Platz als habe er einen Ladestock verschluckt. Jane lächelte amüsiert, weil er sich offensichtlich nicht von Schirm und Melone trennte. Den UniversalRegenschirm hängte er auf die Rücklehne, die Melone legte er auf die Sitzfläche eines freien Stuhles. Ohne mit der Wimper zu zucken und mit typischer Pokermiene sagte er: »Wenn Euer Lordschaft die außerordentliche Güte hätten, dem Angebot zuzuhören, das ich für den Ihnen möglicherweise unbekannten Mister Hazel machen möchte. Meine diesbezügliche Anfrage betrifft den Ort, wo wir uns hier befinden, nämlich Woodstock-Castle.« »Entschuldigen Sie, Mister Parker«, unterbrach Jane, »aber lassen wir doch erst mal diese Formalitäten wie Euer Lordschaft und dergleichen. Nennen Sie mich einfach Miß Jane, das genügt vollkommen. Im übrigen müßten sie mir schon genauer verraten, was sie wirklich wollen. Ich habe etwas von einem Kaufantrag gehört. Heißt das, Sie wollen Woodstock-Castle kaufen?« »Meine Wenigkeit nicht, verehrte Miß Jane, sondern der von
mir eben erwähnte Mister Hazel, den ich das Vergnügen habe sehr gut zu kennen. Er weilt derzeit in New York, ist also nicht imstande, dieses Gespräch selbst zu führen, womit er dann mich beauftragt hat, wenn Sie das erlauben.« »Natürlich erlaube ich, Mister Parker.« Jane strahlte ihn noch immer amüsiert an. »Er will also dieses Schloß kaufen. Wie kommt er überhaupt auf die Idee, daß wir verkaufen würden?« »Es hat, mit Verlaub, den Anschein, als habe er eine diesbezügliche Information bekommen«, erklärte Parker. »Und ich halte dies durchaus nicht für verwunderlich.« Ihr Lächeln schwand, sie sah ihn überrascht an. »Wie meinen Sie das, Sie fänden das nicht verwunderlich?« »Verzeihen Sie, verehrte Miß Jane, wenn meine Wenigkeit dazu nicht in Einzelheiten gehen möchte.« »Soll das heißen, wir haben kein Geld und müssen verkaufen?« fragte sie rundheraus. Jetzt war es an Parker, der lächelte. »Sie formulieren das in unnötiger Härte, Miß Jane. Aber man kann nicht verhehlen, daß es irgendwie doch ins Zentrum der tatsächlichen Verhältnisse trifft.« »Sie meinen, es stimmt!« rief sie. »So könnte man es vermessen ausdrücken«, meinte Parker. »Nun reden Sie doch nicht immer um den heißen Brei! Also Sie sind überzeugt, wir hätten nicht genug Geld und müßten das Schloß verkaufen, richtig?« »Sie sprechen es sehr frank und frei aus, Miß Jane. Ich würde mich nie erkühnen, eine solche Behauptung in dieser Weise zu formulieren.« »Aber Sie denken es, geben Sie es doch zu! Und Sie denken es nicht nur, Sie haben wahrscheinlich Informationen. Und Sie werden Lachen, es stimmt auch! Wir haben nämlich kein Geld
und müssen den Besitz früher oder später abstoßen.« Die sehr familiäre Ausdrucksweise von Miß Jane schien Parker ein wenig zu bestürzen, aber er beherrschte sich und wartete gelassen, was sie weiter sagen würde. Er blieb bei Miß Janes Temperament nicht lange im Ungewissen. »Also, Papa würde wirklich verkaufen. Er möchte aber fünf Millionen!« Parker, der ein sehr bestimmter Verhandlungspartner sein konnte, verzog keine Miene. »Miß Jane, ich erkühne mich zu behaupten, daß Sie sich eben versprochen haben. Oder Mylady kalkulieren womöglich in einer anderen Währung? Vielleicht in italienischen Lira.« »Du lieber Himmel, nein! Fünf Millionen Pfund, nicht etwa Lire! Mister Parker, wir haben doch nichts zu verschenken.« Der Butler schien einen Augenblick zu benötigen, um über die Formulierung dessen nachzudenken, was er antworten wollte. Fünf Millionen waren wirklich ein überzogener Preis, auch wenn Mister Hazel bis dahin gehen wollte. Das war dieses Schloß niemals wert. Parker fuhr deshalb fort: »Selbstverständlich wird dies meinem Auftraggeber berichtet werden. Aber meine Wenigkeit will nicht verhehlen, Miß Jane, daß diese Summe, von der Sie eben die Güte hatten zu sprechen, doch etwas in astronomische Gefilde zu gehen scheint.« »Sie meinen zu hoch? Nun gut, ich bin überzeugt, man kann Papa hunderttausend davon abhandeln, aber das ist bestimmt das Äußerste.« »Darf ich mir die Freiheit nehmen, verehrte Miß Jane«, sagte Parker höflich und gemessen, »Ihnen ein Gegenangebot zu machen, ohne daß es bisher möglich war, das Schloß einer Besichtigung zu unterziehen.« »Warten Sie mit Ihrem Gegenangebot, sehen Sie sich erst alles an! Ich selbst werde Sie herumführen. Und ganz zuletzt
sehen wir auch den Rauchsalon, in dem sich mein Vater ein wenig hingelegt hat. Vielleicht ist er bis dahin munter. Kommen Sie, oder wollen wir erst Tee trinken? Wir haben noch nicht mal damit angefangen.« Der Tee war viel zu dünn, dazu noch bitter, und sie süßten ihn nicht mit Kandis, sondern mit Zucker. Parker wertete es mehr als eine Pflicht, ihn zu trinken. Außerdem war der Tee nicht mehr heiß, und das entsprach bei Lady Agatha nicht seiner Gepflogenheit. Aber dann wurde ihm von Jane das Schloß gezeigt. Das Innere des gewaltigen Gebäudes war in erträglichem Zustand. Der linke Flügel bedurfte der Renovierung, sonst war alles noch einigermaßen in Schuß. Was Parker sah, und das wurde ihm rasch klar, war jedoch nur ein Teil des Schlosses. Zunächst mal fragte er nicht, was sich im Untergeschoß befand, und wartete ab, ob Jane es ihm zeigen würde. Aber dazu schien sie nicht bereit. Sie besichtigten noch die Küche, und als Parker fragte, ob es unterhalb noch weitere Räume gäbe, wurde dies von Jane verneint. Sie befanden sich danach wieder im Foyer auf dem schwarz weiß gefliesten Boden. »Und«, fragte Jane, »wie lautet Ihr Gegenangebot?« Josuah Parker machte sein unbewegtes Pokergesicht. »Ungeachtet der Tatsache, daß man noch nicht mit dem Auftraggeber sprechen konnte, würde nach bestem Wissen und Gewissen im Interesse meines Auftraggebers und unter Berücksichtigung des Wertes, der bislang zu erkennen war, als äußerstes Angebot der Betrag von zwei Millionen in Frage kommen.« »Lieber Mister Parker, entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, aber Sie sind naiv!« rief Jane leicht entrüstet. »Wir haben doch nichts zu verschenken!«
Der Butler sah die junge Frau ernst an. »Euer Lordschaft werden bei einer sehr realistischen Betrachtungsweise der Dinge nicht verhehlen können, daß zwei Millionen bereits ein Geschenk seitens des Käufers sind. - Ich darf mich jetzt für heute empfehlen, Miß Jane, und bitte seiner Lordschaft die herzlichsten Grüße auszurichten. Meine Wenigkeit wird sich morgen wieder melden.« »Was heißt das, Mister Parker? Wo wollen sie jetzt hin, es ist bald Abend? Sie können bei uns übernachten. Das würde alles vereinfachen. Wir haben Platz genug, wie Sie wissen. Wo würden Sie denn sonst wohnen?« »Mit Verlaub gesagt, hoffte man in Pearce, in diesem kleinen Hotel« »Aber nicht doch, Mister Parker, Sie sind doch unser Gast und werden nicht in einem mickrigen Gasthof schlafen, wo man Ihnen das Wasser in einer Waschschüssel hinstellt. Selbstverständlich übernachten Sie hier, Mister Parker. Dann haben Sie auch durchaus noch Gelegenheit zu der Erkenntnis, daß unsere Preisforderung gar nicht so astronomisch ist, wie Sie das darstellen. Also, reden wir nicht um den heißen Brei: Sie schlafen hier bei uns!« »Vielleicht könnte man das für morgen ins Auge fassen, verehrte Miß Jane, aber heute möchte ich Ihre Gastfreundschaft noch nicht in Anspruch nehmen. Man bittet, das zu verzeihen und dafür Verständnis zu haben. Es gibt noch Erledigungen, die meiner Wenigkeit harren. Außerdem ist die Zeit der Vorbereitung für Sie knapp. Wenn die Zusage erfolgt, morgen nacht Ihr Gast zu sein, hätten Sie auch mehr Zeit, um die entsprechenden Vorbereitungen treffen zu lassen.« »Wie Sie meinen. Ich will Sie natürlich nicht festhalten«, rief Jane lachend. »Also gut, Mister Parker«, sie reichte ihm die Hand, »dann sehen wir uns morgen. Wieder zum Fünf-UhrTee?«
Parker beherrschte sich, seine Abneigung gegen diese Form von Tee zu verbergen. »Wenn es Mylady recht ist, etwas früher«, meinte er. »Vorausgesetzt, daß dies keine unbescheidene Bitte darstellen sollte.« »Aber nicht doch! Kommen Sie bitte um zwei, dann liegt Papa zwar wieder auf der Couch, aber Sie können ja mit mir reden. Ich habe Vollmacht.« Als Parker gehen wollte, wurde die Tür geöffnet, die nach draußen führte. Herein kam ein großer, dunkelhaariger und schlanker Mann, der eine Brille trug. Jane wandte sich ihm zu und rief: »Hallo, Vic!« Dann sah sie Parker an. »Das ist mein Verlobter, Doktor Danzer. Wir werden im Herbst heiraten. Vic, darf ich dich mit Mister Parker bekannt machen?« Man gab sich die Hand, Danzer lächelte, und Parker betrachtete ihn, während er eine seiner typischen Formulierungen preisgab, recht genau. Irgendwie kam ihm Danzers Gesicht bekannt vor. Aber er hätte im Augenblick nicht sagen können, woher. Aber der Name sagte ihm doch einiges. Pickett hatte gut vorgearbeitet. Als er zu seinem Wagen ging, sah er den Chauffeur, der den Bentley gefahren hatte, neben seinem hochbeinigen Monstrum stehen und interessiert hineinschauen. Als der Chauffeur Parker näherkommen hörte, wandte er sich ihm grinsend zu und meinte: »Tolle Kiste, das! Sieht aus wie ein harmloses Taxi, scheint aber mehr dahinterzustecken.« Dann ging er, ohne auf Antwort zu warten, wieder zur Garage hinüber. Josuah Parker schloß die Tür auf, stellte die Alarmanlage ab, die eingeschaltet war, und setzte sich ans Steuer. Hätte jemand an seinem Wagen herumgefummelt, wäre ein Dauerton ausgelöst worden. Der Chauffeur schien tatsächlich nur hineingesehen zu haben. Parker fuhr los, ließ sich aber Zeit. Er überlegte noch, wo er
diesen Dr. Danzer schon mal gesehen haben könnte... Als er auf der Landstraße war, in die die Nebenstraße vom Schloß her mündete, ließ er den Wagen schneller laufen. Er hatte vor in Glasgow noch etwas zu erledigen und wollte gar nicht erst nach Pearce fahren. Nach knapp zwanzig Meilen durch das Hochland sah er vor sich in weitem Abstand ein Postauto, das gerade rechts einbog. Die Straße führte am Rand eines Talkessels entlang, und Parker hielt kurz, um die Gegend zu überprüfen. Man konnte ins weite Tal sehen und wie das Postauto in Kurven abwärts fuhr, hielt und zwei Leute aussteigen ließ, die ein Stück zu Fuß bis zu einem Gebüsch gingen. Von dort kam ein Austin Mini, der dieselbe Strecke zurückfuhr, die das Postauto genommen hatte. Selbiges stand noch immer wie verwaist am Straßenrand. Der kleine Mini-Cooper fuhr rasch, und Parker hörte den Motorenlärm, als der Wagen die Steigung hinaufschoß, dann kurz stoppte, als er die Staatsstraße erreichte, und in Richtung Glasgow einbog. Der Butler ging zu seinem Wagen zurück, stieg ein und fuhr kurz entschlossen weiter bis zu der Abzweigung nach rechts. Er wählte diesen Weg und fuhr hinunter bis zum Postwagen, der noch immer an derselben Stelle stand. Parker stieg aus und schaute in die Runde, aber niemand war zu sehen. Dann ging er zu dem Postwagen. Fahrersitz und Beifahrerplatz waren leer. Aber man hörte so etwas wie ein Raunen. Er stieg ein, blickte nach rechts in den geschlossenen Wagen und sah hinter Postsäcken am Boden liegend zwei gefesselte Männer. Sie waren geknebelt. Aber der eine der beiden schien bei Bewußtsein. Er blickte flehend, und Parker stellte fest, daß die Gefesselten Postuniformen trugen.
Mit einem Griff hatte er sein Taschenmesser, durchschnitt die Fesseln und riß den Männern die Knebel aus dem Mund, aber der zweite Mann war bewußtlos. Der andere hustete, räusperte sich und konnte minutenlang nicht sprechen. Parker griff in die Innentasche seines Covercoats und holte die Flasche mit Cognac, der seiner Herrin als Kreislaufbeschleuniger diente. Er tat rasch seine Wirkung. »Wir sind ... wir sind überfallen worden, Sir! Man hat uns Spritzen gegeben, aber ich habe mich gewehrt, vielleicht... habe ich nicht genug bekommen. Mein Kollege ist noch bewußtlos. Ich habe versucht, ihn zu wecken. Er atmet zwar, aber er ist bewußtlos.« Parker untersuchte den Mann genauer, konnte aber so wenig ausrichten wie der Kollege. »Meine Wenigkeit ist bemüht Ihnen zu helfen. Darf man erfragen, wie es zum Überfall kommen konnte?« »Wir sind unterwegs mit Post und ... mit allem was hier ist. Und da war ein Wagen ... es sah aus, als hätten sie eine Panne. Sie winkten, wir sollten halten.« »Geht man recht in der Vermutung, daß die Gentlemen einen Mini-Cooper benutzt haben dürften?« »Einen Mini-Cooper, dunkelgrün. Stimmt genau, Sir.« »Wenn Sie die Güte hätten, Ihren Bericht noch zu ergänzen,« sagte Parker. »Sie waren auf einmal vor uns, mit Pistolen. Wir dachten schon, sie würden alles rauben und uns töten. Aber sie zwangen uns, uns hinzulegen, und da gaben sie uns die Spritzen. Allerdings sehe ich, daß nichts verschwunden ist. Es fehlt kein einziger Postsack.« »Eine in der Tat erstaunliche Tatsache. Doch was - die Frage sei erlaubt - steckt hinter solchem Tun?« überlegte Parker. Der Postler sagte nichts, und Parker fragte ihn, weil er auf
eine Idee gekommen war: »Beinhalten die Postsäcke womöglich auch Geld?« Der Beamte nickte. »Ja, Lohngelder. Wir haben den Dreißigsten, und es ist sehr viel. Aber es fehlt nichts!« »Dann dürfte es unsere Pflicht sein, das Augenmerk der Gesetzeshüter auf diese Umstände zu lenken. Sie sollten hier bei Ihrem Fahrzeug bleiben. Wie ich vermute, haben sie keinerlei Waffen, wenn Sie soviel Geld transportieren?« Der Überfallene schüttelte den Kopf. »Nein, das geschieht schon lange nicht mehr. Vor elf Jahren ist mal ein Überfall passiert. Es kam zu einer Schießerei. Drei unserer Kollegen wurden getötet, ein vierter schwer verletzt. Seitdem wurde verlangt, daß wir unbewaffnet sind. Es hat danach noch einige Überfälle gegeben, aber wir hatten nicht mal Verletzte zu beklagen.« Parker fuhr zum nächsten Telefon, verständigte die Polizei und rief dann in Glasgow einen ihm bekannten Inspektor an, Inspektor Evans, der vornehmlich mit Geldtransporten, aber auch mit der Sicherheit von Banken beauftragt war. Er berichtete von dem mysteriösen Überfall. Evans hatte sofort eine Antwort parat. »Ich nehme an, Mister Parker, daß die Burschen gestört worden sind und deshalb nicht dazu kamen ...« »Bevor Sie die Güte haben, Ihre Vermutung zu Ende zu bringen, Sir«, flocht Parker ein, »möchte meine Wenigkeit einwenden, daß sie durchaus Zeit genug hatten.« Er schilderte seine Beobachtung, wie die beiden Männer im Mini-Cooper weggefahren waren. »Es wäre ihnen ein leichtes gewesen, auch das Geld mitzunehmen.« »Okay, wenn es so ist, will ich mir alles genauer ansehen.« »Mister Evans«, meinte Parker, »meine Unbescheidenheit zwingt mich, Sie auch noch mit einer anderen Sache zu belästigen.«
»Einer anderen Sache? Und was ist das?« »Ja, Sir«, gab Parker zurück. »Es geht um Falschgeld, das man von der Nationalbank bekommt, wenn man dort einen Scheck einlöst.« »Was sagen Sie da?« rief Evans ins Telefon. »Meine Wenigkeit wird es Ihnen gern erklären, wenn Sie hier eintreffen, Sir.« »Ich komme sofort!«
Evans war ein griesgrämig wirkender, blonder Mann, der die Vierzig überschritten hatte. Die Tatsache, davon wußte Butler Parker, daß er ein schwieriger Mitarbeiter war, hatte seine Beförderung behindert. Andererseits galt er als absoluter Spezialist für Bank- und Geldtransportfragen. In seinem Beisein öffneten zwei Postler, die Evans mitgebracht hatte, die verplombten Säcke. Die Postangestellten und einer der beiden Überfallenen prüften den Inhalt der Säcke. Soweit es Briefe und Karten waren, bestand kein Zweifel, daß die unangetastet geblieben waren. Aber als das Geld ausgepackt wurde, das in kleinen Paketen in den Säcken verstaut war, verlangte der Butler, daß auch eines dieser Päckchen geöffnet wurde. Evans bestätigte die Anweisung und warf dabei Parker einen geradezu herausfordernden Blick zu. Aber er schwieg. Dann lag das Geld offen da. Ein Postler nahm die Noten in die Hand und sagte: »Alles in bester Ordnung, Sir! Es fehlt nichts! Ich begreife den Überfall nicht...« »Darf man einen der Scheine haben, wenn Sie gütigst erlauben?« fragte Parker. Willig händigte ihm der Mann einen Fünfzigpfundschein
aus. Parker betastete nur mit den Fingerspitzen das Papier und reichte den Schein an Evans weiter. »Meine Wenigkeit könnte sich vorstellen«, sagte der Butler, »daß es sich gewiß lohnen würde, diesen Schein einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.« Evans hielt ihn gegen das Licht, griff ebenfalls am Papier herum, knitterte es sogar, schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern. »Was soll daran Besonderes sein? Das ist kein Falschgeld, wenn Sie das meinen.« »Meine Ansicht deutet aber zweifelsfrei in diese Richtung, Sir«, meinte Parker. »Wobei man sagen möchte, daß dies sehr wohl für alles andere als für echtes Geld zu halten wäre. Zum Vergleich sei hier ein Schein angeboten, der aus demselben Papier gefertigt worden ist.« Er holte einen der Hundertpfundnoten aus seiner Tasche und reichte sie an Evans weiter. Der Glasgower Inspektor sah sich auch diesen Schein an, schien aber ebensowenig auf Falschgeld zu tippen wie vorher. »Das ist doch normales Geld!« »Dies war auch die durchaus irrige Ansicht des Kassierers in der Bank.« »Aber es ist richtiges, echtes Geld.« Parker schüttelte den Kopf. »Mitnichten! Einige Buchstaben entbehren der Genauigkeit, Mister Evans. Ich darf annehmen, es ist von einer hervorragenden Fotokopie gemacht, aber eben nicht genug. Außerdem dürfte das Papier kein britisches sein. Ein solches Papier benutzen ausschließlich unsere französischen Verbündeten. Es ist auch eine französische Papierqualität, wenn dieser Hinweis erlaubt ist, Sir.« »Aber es ist ein Schein wie unserer.« »Darf ich, Sir, zum Vergleich, eine neue HundertpfundNote, die immer als Reserve bei meiner Wenigkeit ist, zur
Verfügung stellen«, sagte Parker. »Wenn Sie Ihr Augenmerk darauf richten, können Sie leicht und gewiß auch sehr rasch zu der Feststellung kommen, daß es sich hier um echtes Geld handelt. Und dann vergleichen Sie mal, wenn Sie die Freundlichkeit haben.« Evans war in der Tat freundlich und schien endlich etwas zu merken. Auch einer der Postler spürte den Unterschied an den Fingerspitzen. Parker hatte inzwischen das Vergrößerungsglas hervorgeholt und zeigte Evans und dem Postbeamten die feinen Unterschiede. »Und diese Scheine«, schien Evans skeptisch, »die Sie hier haben, sollen von der Nationalbank stammen?« »Das ist leider der Fall«, bestätigte Parker. »Man muß sie inkommodieren und feststellen, daß damit wissentlich oder fahrlässig Falschgeld unter die Leute verteilt wird. Darf ich daran erinnern, Sir, daß während des letzten Krieges eine Aktion der Deutschen, die unsere Insel mit falschen Pfundnoten bombardierten, beinahe das gesamte Währungssystem Britanniens durcheinandergebracht hat. Die Deutschen haben uns damals größeren Schaden zugefügt als durch die Versenkung einer Reihe von Schiffen.« »Ich weiß«, meinte Evans. »Aber das ist doch völlig unbegreiflich! Dieses Geld hier soll auch falsch sein?« Er deutete auf die Säcke. »Dies bedarf wohl einer Untersuchung, Sir. Ich würde sagen, einer äußerst umfangreichen Untersuchung, die nur von absoluten Fachleuten ausgeführt werden sollte.« »Da stimme ich Ihnen zu, Mister Parker. Aber einigermaßen kurios ist das schon. Das würde ja bedeuten ...« Da fiel ihm die Sache mit dem Tresor der Nationalbank ein. Dieser nächtliche Alarm! Aber der Tresor selbst war unversehrt gewesen, und das Innere, wie es schien, auch. Aber das würde ja bedeuten...
Evans schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Natürlich heißt es das!« rief er. Evans weihte Butler Parker ein, als sie allein waren. »Wissen Sie, da muß ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die ist erst kürzlich passiert, drei oder vier Tage ist es her, bevor Sie Ihr Geld in der Nationalbank eingetauscht haben.« Evans berichtete von einem kuriosen Überfall. Als der Alarm ausgelöst worden war und die Polizei am Tatort erschien, war besonders Evans der Meinung gewesen, die Alarmanlage habe die Täter verscheucht und nicht mehr dazu kommen lassen, den eigentlichen Tresor zu knacken. »Sie sind zwar in den Vorraum gekommen«, sagte Evans, »aber der Tresor selbst war unversehrt. Ich habe ihn noch öffnen lassen. Dahinter war aber alles in bester Ordnung. Der Bankdirektor selbst erklärte, daß nichts fehle. Und nun beginne ich etwas zu ahnen. Aber wie sind die Burschen in den Tresor gekommen? Wie sollte es ihnen möglich gewesen sein, gutes Geld gegen schlechtes zu tauschen?« »Diese Frage, Sir«, meinte Parker, »dürfte an der Schwierigkeit ihrer Beantwortung nichts eingebüßt haben. Aber vielleicht, und man ist da von größtem Optimismus, werden wir diese Antwort in absehbarer Zeit erhalten.« Parker berichtete Evans schließlich auch von dem Wiedersehen mit Selby. Über sein Funktelefon nahm der Inspektor sofort Verbindung mit seiner Zentrale in Glasgow auf. Als er mit dem Gespräch fertig war, kehrte er zu Parker zurück und sagte: »Also, was Selby betrifft, haben Sie sich geirrt. Selby sitzt noch. Von einer vorzeitigen Entlassung weiß die Zentrale nichts, und eine Begnadigung ist bei ihm auch nicht zu erwarten. Er hat nur noch ein halbes Jahr, aber wie gesagt: Sie müssen sich geirrt haben, Mister Parker. Vielleicht hat er einen Doppelgänger...«
»Möglicherweise ist man einem solchen begegnet. Das Leben steckt voller Überraschungen«, meinte Parker, rückte innerlich aber keinen Deut von seiner Überzeugung ab, daß er Selby gesehen hatte. Er hatte ihn in Pearce getroffen und keinen anderen. Aber er grübelte noch immer darüber nach, woher er diesen Dr. Danzer kannte. Einige Minuten später, als er mit seinem hochbeinigen Monstrum schon auf dem Weg nach Glasgow war, fiel es ihm ein: In Paris war das gewesen. Er hatte auch nicht den Mann selbst gesehen, sondern nur ein Foto. Allerdings waren ihm viele dieser Fotos begegnet. Darüber stand etwas von einer Belohnung. Und der Name unter dem Foto hatte auch nicht Danzer gelautet. Irgendein französischer Name stand da. Aber Danzer war der Aussprache nach einwandfrei Engländer, nie im Leben ein Franzose ... Parker ließ weiter diesen Danzer und die Fotos in Frankreich Revue passieren. Und dann fiel ihm auch ein, warum dieser Mann, der Danzer so ähnelte, gesucht wurde. Da war von einem Postraub auf dem Flughafen Orly die Rede. Selby, der Schränker, dachte Butler Parker. Danzer, ein Posträuber in Frankreich, wie immer er dort auch geheißen hatte. Das Falschgeld in der Nationalbank, der Postüberfall, ob da nicht ein Zusammenhang bestand? Und wenn, dann gab es doch immer noch Woodstock-Castle, wo Danzer, der sich großartig Dr. Danzer nannte, aus- und einging. Gab er vor, Arzt zu sein? Parker war bereit, ganz rasch festzustellen, ob Danzer wirklich Mediziner war oder nicht. Und die Möglichkeit, daß er mit Lord Robert oder dessen Tochter verhandeln mußte, bot gleichzeitig die Chance, diese Dinge, die hier als offenes Fragezeichen auf Antwort harrten, mal näher zu untersuchen. Vielleicht war die Einladung von Miß Jane, im Schloß zu übernachten, statt irgendwo in einem Gasthof ein Zimmer zu
nehmen, doch recht nützlich, ließ Parker seine Gedanken schweifen ...
Butler Parker hatte mit Lord Robert und dessen Tochter am Kamin gesessen. Das Gespräch war belanglos gewesen und drehte sich im Grund nur um den Verkauf des Schlosses. Offensichtlich war Lord Robert dazu eher bereit als seine Tochter, die nach wie vor den Preis hochtreiben wollte. Doch im Gegensatz zu ihr hatte sich Lord Robert bereits auf den Betrag von drei Millionen Pfund beschränkt und ließ durchblicken, daß man mit ihm auch noch über einen niedrigeren Preis verhandeln könnte. Draußen war es mittlerweile dunkel. Das Rauschen der Wellen an den Felsen wurde für Parker zum monotonen Geräusch. Er hätte sich hinlegen und schlafen können, aber er tat es nicht. Voll angekleidet saß er auf dem Bettrand und überlegte, was die Sache mit den ausgetauschten Geldnoten bedeuten könnte. Auch das Zusammentreffen mit Danzer und Selby ging ihm nicht aus dem Kopf. Plötzlich mischte sich in das monotone Geräusch der rauschenden und an die Felsen klatschenden Wogen ein anderer Laut. Es klang wie das Brummen eines Motors. Parker ging zum Fenster, öffnete es und beugte sich hinaus. Er konnte zwar etwas von der See sehen, die vom Mondlicht in diffusen Schein getaucht wurde, aber das Geräusch des Motors kam von weiter rechts. Dorthin war ihm der Blick verwehrt. Kurz entschlossen öffnete er leise die Tür des Zimmers, ging über den Flur, und da er das ganze Schloß ja schon gestern besichtigt hatte und wußte, daß auf der anderen Gangseite
niemand wohnte, drückte er einfach eine Klinke und betrat diesen Raum. Es roch noch immer so muffig wie gestern. Parker schloß die Tür hinter sich und schlich auf Zehenspitzen zum Fenster. Um sehen zu können, leuchtete er mit seiner Bleistiftlampe, zog die Vorhänge vorsichtig beiseite und blickte durch das Fenster über die See. Der Butler sah das Boot, ein Kajütkreuzer, ziemlich mächtig, mindestens eine halbe Million Pfund wert. Das Boot fuhr langsam in den Seitenarm des Loch, direkt auf das sogenannte Bootshaus zu, das nichts weiter war als ein Tunnel im Felsen mit einem Tor davor. Josuah Parker öffnete das Fenster und beugte sich ein wenig hinaus, schaute aber erst nach allen Seiten, ob er keine Zeugen hatte. Er gewahrte niemand und sah nur unten das Boot, das mit abgestelltem Motor lautlos in die Tunnelöffnung glitt. So entschwand es seinen Blicken. Vor der Öffnung war so etwas wie ein Steg. Auf ihm standen zwei Männer. Einer hatte eine Lampe in der Hand, die er schwenkte. Dabei geriet der Strahl des Lichtes ins Gesicht des zweiten Mannes. Parker erkannte sofort Bert Selby, den Schränker. Beide Männer verschwanden dann ebenfalls im Bootstunnel, danach rasselte etwas, wahrscheinlich das nach oben aufziehbare Tor, wodurch das Bootshaus verschlossen werden konnte. Es blieb lange still. Parker wollte schon in sein Zimmer zurückkehren, als er erneut das Rasseln hörte. Wenig später glitt das Boot mit dem Heck voran aus der Tunnelöffnung. Diesmal war die Persenning der Bootsbrücke geöffnet. Ein Mann stand am Ruder, ein zweiter neben ihm. Er war zielsicher.
Die Wolken, die vorhin noch den Mond zeitweise verdeckt hatten, waren abgezogen. Das Mondlicht fiel voll auf das Boot und damit auch auf die beiden Menschen am Ruder. Den einen erkannte Parker nicht, jenen, der das Boot steuerte. Aber den kleinen Schlanken an seiner Seite konnte er sofort erkennen: Es war Jane, die Tochter Lord Roberts. Das Boot fuhr mit leise brummendem Motor bis zu einer Stelle, wo der Meeresarm breit genug war, um wenden zu können. Dann drehte es, das Motorengeräusch verstärkte sich, das Boot fuhr schneller, und Jane winkte - natürlich nicht Parker, der sich an die Seite des Fensters stellte, um nicht gesehen zu werden. Immer schneller schoß das Boot ins Loch hinaus, dann blinkte es dreimal kurz auf, und das dumpfe Brummen des Motors wurde zum Heulen. Gewaltige Bugwellen hoben sich, und die Gischt spritzte wie flüssiges Silber im Mondlicht um das Boot herum. Es verschwand rasch aus Parkers Sicht in die Unendlichkeit des Meeres. Josuah Parker, der das Fenster immer noch geöffnet hatte, sich aber nicht mehr hinausbeugte, hörte plötzlich eine Männerstimme sagen, die von unten zu ihm heraufdrang: »Und wie kriegen wir die Maschinen weg?« Eine andere Männerstimme reagierte etwas gedämpfter: »Ich würde noch lauter schreien, du Idiot!« »Wer soll uns denn hören?« meinte der erste. »Weißt du nicht, daß sie Besuch im Haus haben?« »Ach der!« meinte der andere verächtlich. »Der schläft doch nach hinten hinaus und hört uns nicht. Und überhaupt, dieses ganze Getue!« So sehr sich Parker anstrengte, er konnte jetzt nichts mehr hören, und dann rasselte wieder das Tor herunter. Danach klatschte nur noch die Brandung an die Felsen, und es gab kein anderes Geräusch mehr.
Parker schloß das Fenster und wollte in sein Zimmer zurückkehren. Als er auf dem Flur stand, hatte er plötzlich das Gefühl, nicht allein zu sein. Nur vorn im Gang brannte eine schwache Lampe. Aber Parkers Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnten den Flur gut übersehen. Er gewahrte niemand. Und doch war er beinahe sicher, daß sich jemand in seiner Nähe befand. Er wollte gerade weitergehen, als er ein Schaben hörte, wie wenn eine Hand über schweren Samt streicht. Es kam von links, wo am Flurende die Lampe brannte. Er schaute hin und sah plötzlich, daß sich die schwere Portiere bewegte, ein Brokatvorhang, durch den man den Flur teilen konnte. Parker hatte seinen Universal-Regenschirm dabei und wartete. Der Vorhang hing wieder ruhig. »Es wäre vermessen«, begann Parker zu sprechen, »sollten Sie des optimistischen Glaubens sein, meine Wenigkeit hätte das nicht bemerkt. Treten Sie ruhig hinter dem Vorhang hervor! Es wird mir eine Freude sein, Sie begrüßen zu können.« Eine heftige Bewegung der Portiere erfolgte, und ein Mann trat in den schwachen Lichtschein. Die Lampe war hinter ihm, so konnte Parker das Gesicht nicht gleich erkennen, sondern nur die Umrisse des Mannes. Der Diener war es keinesfalls, dieser Typ hier war schmaler und auch kleiner. Der Mann kam langsam näher, zögernd, als müßte er sich vor Parker hüten. Nach vier Schritten blieb er erneut stehen und war nahe genug, daß Parker sein Gesicht erkannte: Bert Selby! »Bei Philippi sehen wir uns wieder«, zitierte der geschichtsbewußte Parker trocken. »Es ist mir ein außerordentliches Vergnügen, Mister Selby.«
Der Mann machte gar nicht den Versuch, so zu tun, als wäre er ein anderer. Er hatte seinerseits Parker gut erkannt und wußte genau, bei welcher Gelegenheit sie sich das erste Mal gesehen hatten. Er kam noch zwei Schritte näher. Parker brauchte nur die Arme auszustrecken und seine Fingerspitzen hätten Selby berührt. Selbys haßverzerrtes Gesicht ließ Parker gelassen. Ein überlegter, beherrschter Gegner war viel gefährlicher. »Habe ich dich endlich!« stieß Selby hervor. »Du Mistkerl hast mir die Jahre eingebrockt! Aber sie haben mich vorher herausgelassen. Auf Bewährung zwar, aber das kratzt mich nicht. Von deinem Tod wird niemand was erfahren. Los, dreh dich um!« Selby, der die rechte Hand in der Jackentasche hatte, brachte sie mit einer Pistole hervor. Und die Mündung war auf Parker gerichtet. Der Butler rührte sich nicht von der Stelle. Nur seine Hand, die den Universal-Regenschirm hielt, bewegte sich leicht. Die Schirmspitze hob sich ein wenig und zielte genau auf Selbys linken Fuß. »Beabsichtigen Sie, mich hier vielleicht zu erschießen, Mister Selby? Dies würde meine Wenigkeit als sehr töricht bezeichnen. Man würde den Knall nämlich sehr weit hören.« Selby grinste schief. »Mach dir bloß keine Gedanken, du komische Figur! Damals hast du Glück gehabt, aber die Jahre im Knast vergesse ich nicht. Los, komm in dein Zimmer! Und dort werde ich dir schon zeigen, was du zu tun hast!« »Sollte sich das bei Ihrem Ansinnen«, entgegnete Parker, »um einen erzwungenen Sprung aus dem Fenster in die Klippen handeln, so müßte ich Sie leider enttäuschen, Mister Selby. Meine umwerfende Lebenslust hat ein vorzeitiges Sterben nicht eingeplant, wenn Sie das vielleicht verstehen
würden.« Selby verzog den Mund. Die Mundwinkel schienen ihm bis zu den Ohren zu reichen. Zwei Reihen gelber Zähne waren zu erkennen. »Was du nicht sagst! Lebenslust! Du hast lange genug gelebt... Es wird Zeit, daß du die Platte putzt, und zwar endgültig! Los, und laß diesen verdammten Schirm fallen, sonst knallt's!« Josuah Parker wußte, was die Stunde geschlagen hatte, brauchte nur auf einen Knopf am Schirmhals zu drücken ... und tat es. Der gefiederte Blasrohrpfeil zuckte aus dem dünnen Rohr, und die Spitze bohrte sich in Selbys Fuß. Im gleichen Augenblick, während Selby noch vor Schreck wie erstarrt schien, fuhr die Schirmspitze blitzartig nach oben, traf die Pistole am Lauf und fegte sie aus Selbys Hand, bevor der Gangster abdrücken konnte. Selby, dessen Fuß vom Pfeil angebohrt war, hatte seine Schrecksekunde überwunden. Während die Pistole auf den Boden polterte, aber vom Teppich gedämpft wurde, gewann Selby die Übersicht wieder. Er warf sich auf Parker... oder wollte sich auf ihn werfen. Der Butler war einen Schritt zurückgetreten, dann flog der zweite Pfeil, mit komprimierter Kohlensäure angetrieben, aus der Schirmspitze. Diesmal traf er Selby an der rechten Schulter. Es war aber nicht ein buntgefiederter Pfeil wie der erste. Dieser zweite war dünner, und an der Spitze war ein Präparat angebracht, dessen Wirkung Selby nicht sofort spürte. Während er wie ein Corrida-Stier unter dem Stich zusammenzuckte, dann aber um so wütender angriff, wich ihm Parker erneut aus und lief den Flur zurück. Dann endlich wirkte das Gift, das Selby betäubte. Er stolperte. Sein rechter Arm sank herunter. Mit der linken
Hand faßte er sich an die Schulter und schwankte. Parker nutzte die Gelegenheit, sprang vor und schlug von oben mit dem Schirm nach Selbys Kopf. Das gab dem Angreifer den Rest. Seine Knie wurden zu Pudding, und der Mann sank vor Parker in sich zusammen. Er lag noch nicht am Boden, da tauchten zwei andere Kerle auf. Flüchtig fiel der Lichtschein voll auf ihre Gesichter. Fremde Gesichter für Butler Parker. Sie waren jünger als Selby, höchstens Mitte Zwanzig, und hatten Pistolen mit Schalldämpfern. »Los, Gesicht zur Wand!« befahl der vorderste. Während Parker sich langsam umdrehte, als wollte er gehorchen, trat der zweite Mann hinter ihn und riß ihm den Universal-Regenschirm vom Arm. Parker legte die linke flache Hand schon an die Wand, griff aber mit der rechten blitzschnell hinters Revers seines Jacketts und zog etwas heraus, das wie ein Füllfederhalter aussah. Er hob dann auch die rechte Hand, wie um sie an die Wand zu legen, als plötzlich der vermutliche Füllfederhalter zum Vorschein kam. Unmittelbar danach blitzte es grell. Im selben Augenblick, als die Gegner geblendet wurden, tauchte Parker nach unten weg und sah seine beiden Kontrahenten noch immer eine Sekunde lang wie versteinert. Ein zweites Mal drückte Parker auf den Klemmbügel dieses vermeintlichen Füllfederhalters, und dabei richtete er das untere Ende auf die Pistolenhand des vorderen Mannes. Ein glühender Strahl schoß heraus. Der Füllfederhalter war nämlich eine winzige Laserkanone. Parker wartete die Wirkung nicht ab, richtete sich blitzschnell wieder auf und zielte auf den zweiten Mann. Der war, um seinem Partner beizustehen, nach rechts gesprungen, um freies Sichtfeld zu haben.
Bevor er die Waffe, die er in der Rechten hielt, wieder in Anschlag bringen konnte, traf ihn ebenfalls ein Laserstrahl. Er schrie auf und ließ die Pistole fallen, was sein Kumpan schon vor ihm getan hatte. Parker hielt den Füllfederhalter weiter auf sie gerichtet und sagte: »Würden Sie die unendliche Güte haben und nun Ihrerseits da drüben an die Wand treten und die Hände dagegenlegen. Man wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie nicht zögerten, das auch zu tun. Es könnte sich andernfalls für Sie zu leichtem Ungemach entwickeln. Und dies wäre doch für Sie kein wünschenswertes Ende dieser kleinen Affäre.« Parker hob rasch die beiden Pistolen auf und auch die dritte, die ein Stück neben dem am Boden liegenden reglosen Selby lag. Er machte sich nicht die Arbeit, die beiden nach Waffen abzutasten, sondern bevorzugte ein anderes System. Während er mit der Linken seinen gefährlichen Füllfederhalter hielt, griff er in die rechte Seitentasche und brachte ein kleines Metallspürgerät heraus, wie es allgemein Handwerker benutzen, um vor dem Bohren in einer Wand festzustellen, ob da nicht eine Strom- oder Wasserleitung lag. Dieses hier unterschied sich von solchen Geräten aber dadurch, daß es eine wesentlich stärkere Metallspürleistung aufzuweisen hatte als die üblicherweise im Handel befindlichen. Josuah Parker brauchte dieses Gerät nur einen halben Meter hinter die beiden zu halten, da schlug es schon bei dem einen aus. Es war der Mann, der geschossen hatte. Parker ging noch etwas näher, streckte den Arm aus, um nicht zu nahe an die Männer herantreten zu müssen, und hatte schon den Platz geortet, wo etwas Metallisches lag. Rasch griff er dem Mann in die Tasche, aber was der Butler ans Tageslicht förderte, war nur eine Schachtel mit Munition. Danach schlug
das Gerät nicht mehr an. »Wenn ich die Herren nun bitten dürfte, den verehrten Kollegen zwischen sich zu nehmen und ein wenig zu tragen. Er ist momentan des Gehens nicht mächtig. Zeigen Sie also soziale Größe, heben Sie ihn vom Boden hoch und bringen sie ihn, wohin meine Wenigkeit es haben will: hinunter ins Bootshaus!« Die beiden hofften wohl, daß sich noch manche Gelegenheit bis zum Bootshaus ergab, um mit Parker abzurechnen. So taten sie erst mal, was er verlangte. Sie packten Selby, schlangen jeder einen Arm von ihm um die Schultern und trugen ihn zwischen sich, indem sie ihre einander zugewandten Arme verschränkten und Selby regelrecht darauf setzten. Sie kannten den Weg. Parker hätte ihn nicht zeigen können. Er brauchte also nur zu folgen. Es ging hinunter ins Foyer, und da war überraschenderweise niemand, dann zu einer Tür, und von da aus über eine Wendeltreppe in tiefere Gefilde. Die hatte Jane nicht gezeigt. Dann folgte noch mal eine Eisentür, die einer der beiden aufschloß. Als die Tür offenstand, gingen die beiden durch, und da befand man sich bereits im Bootshaus. Hier brannte Licht. Parker registrierte im Schein dieser Lampe noch eine Tür, die weit größer war, eigentlich schon fast ein Tor. Dicht davor war, wie bei einer Rampe, eine Art Anlegestelle, wo Schiffe bis an dieses Tor heranfahren konnten. Diese Rampe war so gebaut, daß der Bug eines Schiffes eine Vertiefung fand, so daß man von beiden Seiten beladen konnte. Ein Schiff, unter dem sich Parker sehr gut jene Motorjacht vorstellen konnte, die er vorhin gesehen hatte. Aber hier lag auch noch ein kleines Boot. Parker hatte es am Tag außerhalb des bunkerartigen Bootshauses gesehen. Da war es am Anlegesteg vertäut gewesen. Jetzt lag es hier.
Er veranlaßte die beiden Männer, den noch immer reglosen Selby hineinzulegen, dann zwang er den ersten Gegner die Hände am Rücken zu verschränken. Parkers Spezialhandschellen schnappten zu. Er hatte noch ein zweites Paar, und das mußte sich der zweite Mann um die Handgelenke schnappen lassen. »Meine Herren, darf man Sie noch zu einer kleinen Schiffsreise bitten? Die Rundfahrt beginnt unverzüglich und ist für Sie völlig kostenlos.« »Hören Sie, Mister«, sagte der eine Handschellenträger, »das sollten Sie sich genau überlegen. Sie kriegen das Tor da vorn nicht auf, und ich werde es Ihnen nicht zeigen!« »Es ist nicht auszuschließen, mein Bester«, sagte Parker, »daß in dieser Bemerkung ein Körnchen Wahrheit steckt. Aber das dürfte für die Herren sehr ungünstig sein. Deshalb empfiehlt meine Wenigkeit zu sagen, wie dieses Tor aufgemacht wird.« »Was haben Sie mit uns vor?« Parker zeigte Genugtuung. »Man findet es sehr höflich und rücksichtsvoll von den Herren, daß Sie jetzt nicht mehr du sagen und zu den gesellschaftlichen Formen zurückgefunden haben. Sie werden mit diesem Boot fahren, solange Sie Spaß und Lust haben. Sie werden sicher einen Weg finden, wie man selbst mit blockierten Händen ein Boot steuern kann und wie man an Land kommt.« »Oder wir ersaufen, wenn das Boot im Meer umschlägt.« »Die Herren werden Mittel und Wege finden, das zu verhindern. Schließlich ist Ihr Freund Selby ungefesselt. Er wird in etwa einer halben Stunde das Bewußtsein wiedererlangt haben und Ihnen helfen, zum Land zurückzufinden. Allerdings dürfte er nicht imstande sein, Ihre Fesseln zu lösen. Der Spezialstahl ist gegen jede Art von Feilen resistent. Eher wird die Feile so glatt wie ein Tisch sein, ehe man auch nur eine
Kerbe in diesen Stahl bekommt.« »Wenn ich die jemals von den Handgelenken runterhabe, Mister, sind Sie ein toter Mann, das schwöre ich Ihnen!« »Prophezeiungen sind nicht immer das«, meinte Parker, »was man wörtlich nehmen sollte. Die Herren sehen es am täglichen Wetterbericht. Deshalb sollten Sie nicht allzuviel Energie darauf konzentrieren, Ihren Rachegefühlen zu frönen. Und jetzt bittet man ins Boot! Sagen Sie, wie der Mechanismus aufgeht, sonst müßten Sie ihre Schwimmkünste vorführen.« »Da rechts«, gab der Mann mit verbissen klingender Stimme Auskunft, »da ist etwas, das wie ein Lichtschalter aussieht. Es muß abgezogen werden, dahinter ist der Knopf.« »Meine Wenigkeit bedankt sich für die freundliche Aufmerksamkeit«, meinte Parker, ging hin und tat, was ihm der Bursche geraten hatte. Tatsächlich kam nach dem Abnehmen der Lichtschalterattrappe der Druckschalter zum Vorschein. Parker betätigte ihn, und rasselnd hob sich das Tor, das bis tief ins Wasser reichte. Alle drei Männer waren im Boot. Parker machte die Leine los, zog das Boot damit heran und startete den Motor. Dann nahm er die Leine, um die Ruderpinne festzubinden, ließ das Boot los, und die Schraube drückte das Gefährt durch die Einfahrt nach draußen. Das gerade gestellte Ruder hielt das Boot auf Kurs. Es fuhr den Meeresarm entlang, und Parker merkte, wie sich einer der beiden gefesselten Männer bemühte, auf den Knien nach achtern zu rutschen, um die Ruderpinne unter Kontrolle zu bekommen. Doch die Fahrt des Bootes war ziemlich schnell. Bald schon befand es sich draußen im Loch, ohne daß es dem Mann gelungen war, die angebundene Pinne vom Strick zu lösen und zu beeinflussen. Danach konnte Parker das Boot nicht mehr sehen.
Er hatte sich vorgenommen, die Polizei zu informieren, damit die nach dem Boot Ausschau hielt und die drei Insassen in Gewahrsam nahm. Zumindest Selby war ja der Polizei kein Unbekannter. Der Butler ließ das Tor wieder herunter und wollte den Weg nach oben zurückgehen, um zu telefonieren. Als er sich auf der Treppe befand, hörte er plötzlich ein seltsames Stöhnen. Er blieb stehen und betätigte seine Bleistiftlampe, sah aber nur die in den Felsen gehauene Abstufung des Treppengewölbes. Er lauschte, dann hörte er das Stöhnen wieder. Das war irgendwo weiter unten, nach links zu. Parker ging leise ein Stück zurück, und da fiel sein Lichtschein auf eine Tür, die er vorhin nicht bemerkt hatte. Sie hatte denselben Anstrich wie die Farbe der Felsen und besaß einen Griff für die Öffnung. Der Butler drückte diesen Griff herunter, öffnete die Tür, und der Lichtstrahl fiel auf einen Frauenkopf. Er hatte dieses Gesicht schon gesehen: eine junge Frau, Anfang Zwanzig vielleicht. Sie war geknebelt und gefesselt. Da fiel es dem Butler ein, woher er sie kannte: Die junge Frau hatte den Nachtisch am letzten Abend serviert ...
Sie hatte rotblondes Haar und große Rehaugen, aus denen sie ängstlich in das Licht der Lampe schaute. Sie blinzelte, denn das Licht blendete. »Keine Sorge, Miß, es ist mir eine außerordentliche Freude, Ihnen helfen zu können«, sagte Parker leise. Dann hatte er schon sein Klappmesser gezogen und durchtrennte die Fesseln, nahm der Frau den Knebel aus dem Mund und half ihr auf die Füße.
Sie taumelte und lehnte sich an ihn. Parker stützte sie und sagte: »Ein beschleunigter Abgang wäre zu empfehlen.« Sie schlotterte vor Angst und ließ sich die Treppe hinaus ins Haus führen. Parker erfuhr, daß einer von Selbys Männern es war, der sie gefesselt hatte. Der Grund war einfach. Sie hatte schon mehrfach von ihrem Zimmer aus, das sich in einem Nebengebäude befand, in der Nacht Gestalten kommen und gehen sehen. In dieser Nacht war es auch so gewesen. Neugier trieb sie dazu, dem auf den Grund zu gehen. Dabei war sie den Männern direkt in die Hände gelaufen. Wie sie behauptete, sollten die Sie später wegbringen. Parkers Auftauchen hatte es verhindert. Als der Butler telefonieren wollte, war die Leitung tot. Vielleicht war der Apparat auch abgeschaltet. Das Zimmermädchen, noch immer zitternd vor Angst und Kälte, stand neben ihm und krallte die Hände in seinen Arm. Er spürte ihren warmen Atem direkt vor dem Gesicht. Es war ihm zwar unangenehm, doch tat er nichts, um Abstand zu gewinnen. Er wollte die Angst der Frau nicht noch vergrößern. »Ein Königreich für ein Telefon! Meine Wenigkeit erhofft sich ein solches im Ort. Man darf Sie mitnehmen, wenn es, mit Verlaub, recht ist, in der Hoffnung, daß Miß sich mir anvertrauen werden.« »Aber sicher, Mister Parker! Wenn das Ihre Lordschaft wüßten, was hier im Haus geschieht...« Parker sagte nichts dazu. Sein Verdacht, daß Lord Robert mehr davon wußte, als er zeigte, war erheblich gefestigt. Er mißtraute allen hier im Haus, die Küchenhilfe ausgenommen. Während er noch überlegte, ob er mit dem Wagen nach Pearce fahren sollte, erzählte ihm die junge Frau von einem
geheimnisvollen Bunker. Einmal sei sie nachts im Haus gewesen, weil noch späte Gäste erwartet wurden. Und danach wäre sie so müde gewesen und hätte einfach in der Küche geschlafen, auf einer Truhe, auf die sie Kissen gelegt hatte. In der Nacht hätte man ein merkwürdiges Rumoren gehört, irgendwo unterhalb der Küche. Am Tag, als der Lord mit seiner Tochter nach London gefahren war und nur ein paar Dienstboten zurückblieben, wäre sie nach unten in den Keller geschlichen und hätte hinten im Bootstunnel die Spuren von Tritten entdeckt. Die waren zum Teil schon getrocknet. Jemand war mit nassen Sohlen auf diese Wand zugegangen, aber sie bestand aus Felsen. »Meine Wenigkeit muß gestehen, in Ihnen wirklich und wahrhaftig eine Detektivin zu erkennen«, meinte Parker. Sie hieß Nelly und wußte noch mehr. Die Neugier hatte ihr keine Ruhe gelassen. So versteckte sie sich in einem Boot, das im Tunnel lag, und sah durch einen Schlitz in der Plane, daß der Felsen eine Tür besaß, die man überhaupt nicht unterscheiden konnte, die aber aufschwenkte. Ein Boot kam in den Tunnel, die große Jacht, und dann schleppten Männer Kartons durch die Tür in einen hellerleuchten Raum, in dem merkwürdige Maschinen standen. Alles war blitzsauber. Das Mädchen hatte nur einen Moment lang sehen können, was sich seinen Augen durch die offene Tür zeigte. Dann schwang die Tür wieder zu, und aus Angst, entdeckt zu werden, kroch Nelly unter ihre Plane wieder hervor, lief durch das noch offene Tor des Bootstunnels nach draußen, wo sie einen Weg kannte, einen steilen Steg, den sie hinaufklettern mußte, um in ihr Zimmer im Nebengebäude zu gelangen. Aber die Männer waren ihr gefolgt und hatten sie zurückgebracht, geknebelt und eingesperrt. »Kennen Miß noch ein zweites Boot hier?« fragte Parker und berichtete, daß das kleine Beiboot nicht mehr im Tunnel läge.
Nelly nickte. »Es gibt noch ein Boot, Mister Parker. Es liegt im Schuppen. Ein Schlauchboot mit einem Außenbordmotor.« »Wie erfreulich! Würden Sie die unendliche Güte haben, mich hinzuführen?« bat Parker. »Es ist zu hoffen, daß mit diesem Boot für uns kein Transportproblem entsteht.« »Der Motor ist sehr schwer, Mister Parker. Aber wenn wir erst das Boot und dann den Motor ... Wollen Sie damit etwa fahren?« Der Butler nickte. »Man hat die Absicht und möchte Miß mitnehmen. Meine Wenigkeit kann sich gut vorstellen, daß die Freunde auf dem Meer Beistand benötigen. Draußen vor der Küste bemerkte man eine kleine Insel. Sollte sie bewohnt sein?« Die junge Frau schüttelte den Kopf. »O nein, Mister Parker, da ist nichts, wirklich nichts. Nur viele Möwen. Aber sonst...« Das Boot mit dem Mercury-Außenbordmotor befand sich in einer Remise. Über einen nicht sehr steilen Hang konnte man es in eine winzige Bucht schaffen, unweit der Hafeneinfahrt. Sie brachten erst das Boot, dann den Motor hinunter, das Mädchen zog sich noch einen Regenmantel über, der Motor wurde von Parker gestartet, und dann fuhren sie los. Der 35-PS-Motor zog ganz schön ab. Dieses Vier-PersonenSchlauchboot war absolut seefest und schoß über die Wellen. Aber das Meer war jetzt nicht besonders unruhig. Es herrschte Ebbe. Die Wolken waren nur dünn am Himmel verstreut, und so drang das Mondlicht durch. Dennoch brauchte Parker eine ganze Weile, bis er das Motorboot entdeckte, in dem sich die drei Kerle befanden. Es dümpelte auf den Wellen, der Motor stand. Aber sie waren dennoch gut zwei Meilen von der Küste abgekommen. Da herrschte eine Strömung, die das Boot seitlich wegtrieb.
Parker hatte bis auf eine alle anderen Pistolen im Wasser versenkt. Aber diese eine hatte er bei sich, und als sie sich dem Boot näherten, hielt er sie in diese Richtung. Selby war noch nicht zu sich gekommen, und die beiden anderen Bootsinsassen konnten nichts tun, weil sie gefesselt waren. Irgendwie hatten sie es wohl geschafft, den Motor abzuwürgen. Vielleicht war er auch von selbst stehengeblieben. Als sie sahen, daß sich ein Boot näherte, kamen sie nicht auf die Idee, wer darin sein könnte. Sie schrien und wollten auf sich aufmerksam machen, da war Butler Parker schon bei ihnen. Als die Gefesselten entdeckten, wer gekommen war, blieb ihnen der Fluch im Hals stecken. Parker nahm das Boot in Schlepp und zog es mit dem Schlauchboot in Richtung Insel. Sie befanden sich etwa zehn Meilen von der Küste. Mit dem Schlauchboot und dem für zwei Boote doch recht schwachen Motor ging es nur langsam voran, und inzwischen stieg das Wasser wieder. Mit der kommenden Flut wurde das Meer unruhiger. Der Butler schwieg, als die Gefesselten hinten vom geschleppten Boot aus ihre Verwünschungen brüllten und ihm drohten. Parkers Überlegung, die drei Männer direkt zur Polizei zu schaffen, wurde von ihm selbst Sekunden später wieder verworfen. Die Insel war schon richtig, hoffte er, denn er wollte unbedingt mit Inspektor Evans darüber sprechen und nicht mit einem ahnungslosen Polizisten im Ort. Als das Eiland erreicht war, wurde es höchste Zeit für eine Landung. Die Brandung klatschte schon stark gegen die grauen Felsen. Parker machte mit Nellys Hilfe das Boot fest und suchte sich
dafür die in Lee gelegene Seite der Insel aus. Dann brachten sie das andere Boot heran, wo es Parker keine Mühe verursachte, die Gefangenen aus dem Boot zu holen, zuletzt Selby, der schon wieder deutliche Lebenszeichen von sich gab und in der Erwachensphase war. Die Männer heulten vor Wut und Enttäuschung. Aber Parker kümmerte es nicht. »Da wird ihnen ganz schön kalt werden«, meinte Nelly und himmelte den Butler an. Parker, der es nicht zu bemerken schien, antwortete, wie es seiner höflichen Art entsprach: »Ein wenig kühle Luft dämpft den Übermut dieser Herren, Miß Nelly.« Später holte er das größere Boot, stieg um und versuchte, den Motor wieder zu starten. Er sprang nicht an. Die Ursache ergründete der Butler schnell. Der Tank war leer. Damit hatte Parker zuletzt gerechnet. Aber sie hatten vorsorglich einen Kanister im Schlauchboot mitgenommen, um notfalls den kleinen Tank des Außenbordmotors nachzutanken. Dieses Benzin füllte Parker in den Tank des Bootes, dann klappten sie den Schlauboot-Motor hoch, denn der Motor des großen Bootes lief einwandfrei, als er wieder Treibstoff bekam. So drehten sie jetzt den Spieß um, nahmen das Schlauchboot in Schlepp und fuhren los. Auf Parkers beiläufige Frage, wie Nelly denn zu ihren Herrschaften gestanden hätte, sprudelte es aus ihr nur so heraus. »Ja, Lord Robert war immer prima. Mit Miß Jane, wie die immer genannt werden will, bin ich ja auch gut ausgekommen, aber sie hat eine merkwürdige Moral. Mit ihrem Verlobten, diesem Doc Danzer, den ich nicht ausstehen kann, hat sie bei jeder Gelegenheit vor allen Leuten herumgeknutscht, und dann treibt sie es auch noch mit diesem Mister O'Hagan aus Glasgow, den sie auch immer Gerry nannte. Natürlich war Doc
Danzer dann in London. Sie hat ihn richtig mit O'Hagan betrogen, dies auch noch ganz ungeniert. Einmal...«, Nelly kicherte, »haben sie sich in dem kleinen Boot hier geliebt und gar nicht gemerkt, daß es bis unter die Felsen getrieben ist. Ich hatte frei, saß oben auf dem Felsen und konnte dem Pärchen zusehen. Selbstverständlich habe ich mich dann abgewendet.« »Selbstverständlich haben Miß Nelly Sitte und Anstand gewahrt«, meinte Parker todernst. Sie nickte. »Also wirklich, und dann so ein Mann! Ich habe von Joe, dem Chauffeur Seiner Lordschaft, gehört, daß Mister O'Hagan verheiratet ist und zwei Kinder hat. Er ist Abteilungsleiter in der Nationalbank ...« Josuah Parker hatte Mühe, sein Pokergesicht zu bewahren. In seinem Kopf begann sich ein weißer Fleck auf der Landkarte seines Wissens dunkel zu färben. Eine der gesuchten Antworten! Ein Verhältnis zwischen Jane und einem Mann der Bank, vielleicht ein Abdruck des Tresorschlüssels, den sie gemacht hatte ... Womöglich wußte dieser Dr. Danzer ganz genau, mit wem Jane es treibt und hat es am Ende noch arrangiert. Nelly ahnte nichts von Parkers Gedanken. Sie redete munter weiter, auch davon, daß Danzer kein Arzt, sondern Doktor der Rechte war, und sie berichtete, sie hätte mal gehört, der Lord und Jane wollten mit Danzer irgendwann nach Südfrankreich ziehen, wo der angehende Schwiegersohn angeblich ein Grundstück an der Côte d'Azur besaß. »Direkt neben dem Haus von Brigitte Bardot«, wie Nelly aufgeregt behauptete. Er verkauft, resümierte der Butler, weil ihm hier der Boden unter den Füßen zu heiß wird. Und vorher will er noch groß abstauben ... Es begann schon zu tagen, und das Meer wurde immer unruhiger bei steigender Flut, als Josuah Parker Pearce erreichte.
Er nahm Nelly mit, und sie wäre auch sicher nicht allein geblieben. Ihre Angst war zu groß. Als er mit ihr von einem abseits gelegenen Anlegeplatz in den Ort ging, um die einzige Telefonzelle, die es da gab, zu benutzen, klammerte sich Nelly an ihn, als müßte sie fürchten, vor seinen Augen entführt zu werden. Der Butler bemerkte sehr wohl, daß Nelly ein hübsches und sympathisches Mädchen war. Aber was ihm nicht auffiel, oder er nicht registrieren wollte, war die Bewunderung, die aus ihren Augen leuchtete, und die galt ihm. Als er um diese frühe Stunde Evans anrief und nach einer Weile auch erreichte, stand Nelly draußen vor der Zelle, die Hand flach gegen die Glasscheibe gelegt, die Nase ebenfalls an eine Scheibe gepreßt, und blickte auf den Butler. Er sprach mit Evans und erklärte ihm die Situation. Es hörte sich nicht an, als würde Evans ihm alles abnehmen. Zweifel klang aus allen seinen Fragen. Aber schließlich schien er es wohl doch zu glauben, hatte aber andererseits offenbar einen höllischen Respekt vor einem Adligen wie Lord Robert. »Erlauben Sie, Mister Evans, daß meine Wenigkeit einen Vorschlag unterbreitet. Können Sie vielleicht die Ihnen von der Natur zur Verfügung gestellten Beine gebrauchen, um zu Ihrem Auto zu gehen und dann in diesem Wunderwerk der Technik schnell hierhergekommen?« »Parker, das tut mir leid, aber heute geht es nicht. Morgen früh werde ich dasein, heute ist es unmöglich. Ich muß zum Obersten Gericht, anschließend habe ich selbst wichtige Vernehmungen. Sie sind termingebunden, ich kann es nicht verschieben. Verhalten Sie sich einfach ruhig, unternehmen Sie nichts und warten Sie, bis ich morgen komme! Ich schicke aber sofort Leute los, um die Gangster von der Insel holen zu lassen.« »Sehr wohl, Mister Evans. Nichts läge mir ferner, als Ihren
Wünschen nicht zu entsprechen«, entgegnete Parker, verabschiedete sich, wünschte morgen eine gute Reise und legte auf. Als er aus der Zelle trat, sah ihn Nelly aus großen Augen an. »Was tun wir jetzt?« fragte sie. Der Butler überlegte kurz und antwortete: »Meine dispositiven Überlegungen wenden sich in die Richtung, daß ich Sie, Miß Nelly, erst mal hier irgendwo in Sicherheit bringe. Könnte es möglich sein, daß Ihnen jemand verbunden ist, dem Sie sich anvertrauen und wo Sie warten könnten, bis meine Wenigkeit Sie wieder abholt?« »O ja, Mister Parker! Meine Schwester und mein Schwager wohnen hier. Bei ihnen bin ich gut aufgehoben. Mein Schwager ist ein großer, kräftiger Mann. Und was machen Sie? Ich habe Angst um Sie, Mister Parker, große Angst!« »Angst, verehrte Miß Nelly, ist dem Menschen angeboren und zu seinem Schutz erdacht. Gäbe es die Angst nicht, wäre die Menschheit allein schon im Verkehr innerhalb weniger Jahre ausgerottet.«
Der Gorilla in Lakaienuniform und zwei Köche waren die einzigen Bediensteten im Schloß, als Parker zurückkehrte. Seine Lordschaft wäre mit dem Bentley nach London gefahren, begleitet von seiner Tochter und ein paar ihm vertrauten Freunden, hieß es. Parker tat, als sei er darüber sehr verwundert und fragte: »Wann kommen Seine Lordschaft denn zurück? Mein Erstaunen gilt dieser plötzlichen Abreise, da ein Gespräch mit Seiner Lordschaft vereinbart war.«
Der Höhlenmensch zuckte die Schultern, schnippte ein Stäubchen von seiner Livree und marschierte zurück in die Küche, um sich nach dieser anstrengenden Tätigkeit durch ein kräftiges Frühstück zu stärken. Parker begab sich wieder in sein Zimmer. Er vermutete noch mehr Leute im Haus als nur die beiden Köche und den Gorilla. Als er mal auf den Flur trat, um die Lage zu sondieren, sah er am Flurende den Gorilla, der ihn argwöhnisch beobachtete. Parker überlegte, wie er diesen Zeugen aus dem Verkehr ziehen konnte. Da läutete auf einmal das noch vor Stunden defekte Telefon im Foyer. Der Gorilla machte sich auf den Weg, und Parker nutzte die Gelegenheit, um von seinem Zimmerfenster aus ein Stück an der Fassade entlangzubalancieren, um von da auf die nahen Felsen zu klettern und dort den Weg nach unten zu finden. Es war eine reine Kletterpartie, aber er konnte sicher sein, unbeobachtet zu bleiben. Die Zimmertür hatte er von innen abgeschlossen. Indessen hatte sich der Himmel eingetrübt, und es begann zu regnen. Der Felsen wurde glitschig, noch glatter und schlüpfriger, als er ohnehin schon war. Als Parker unten ankam, nahm er den Weg zum kleinen Hafen und hoffte, in den Bootstunnel zu gelangen. Zu seiner Verwunderung war das Tor auch jetzt noch offen. Er kletterte hinüber zum Steg, gelangte in den Tunnel und ging bis zu dessen Ende, wo der kleine Kai eine Querverbindung zu beiden Anlegestellen herstellte. Genau dort sollte nach Nellys Beschreibung die geheimnisvolle Tür sein. Der Butler hatte bessere Augen als Nelly, zudem besaß er seine Bleistiftlampe. Sie spendete Licht genug, daß er den winzigen, kaum sichtbaren Spalt im Felsen wahrnehmen konnte, der die Umrisse einer Tür darstellte. Durch Abklopfen bestätigte sich Parkers Vermutung. Der Felsen war in dünne Scheiben gesägt und auf eine Stahltür
geklebt worden. So daß äußerlich diese Wand von der übrigen Natursteinwand nicht zu unterscheiden war. Es war eine sorgfältige Arbeit, der Parker seine Bewunderung nicht versagen konnte. Das Werkzeug, das er benötigte, lag günstig für ihn und griffbereit in einem Regal neben einem Schrank an der anderen Anlegeseite, wo sich allerlei Zubehör für die Boote befand, so auch ein Hammer und ein größerer Schraubenzieher. Den Schraubenzieher benutzte Parker wie einen Meißel und legte ein Stück durch kräftige Schläge von der fliesenartigen Beschichtung der Stahltür frei. Dann hatte er einen Ansatzpunkt. Er wußte von Nellys Beschreibung, daß die Tür rechts angeschlagen war, links also nach außen aufschwenkte. Etwas höher als die Stelle, die er freigelegt hatte, mußte sich das Schloß befinden. Er war zu tief. Doch die Hammerschläge waren viel zu laut, und Parker drückte jetzt, wo er mal ansetzen konnte, Stücke dieser oberflächlichen Beschichtung ab. Schließlich hatte er das Schloß. Es war auf der anderen Seite angeschlagen und hier nur durch Nietenköpfe sichtbar. Aber es gab, weil es sich um eine im Grund für andere Zwecke gefertigte Stahltür zu handeln schien, auch ein richtiges Schloß, ein Sicherheitsschloß natürlich, für das Parker keinen Schlüssel besaß. Kurzerhand traf er Vorbereitungen, dieses Schloß mit seinem Spezialbesteck zu öffnen. Plötzlich geschah etwas Unvorhergesehenes. Parker hörte ein Geräusch auf der anderen Seite der Tür, und dann wurde diese Tür auch schon mit einem Ruck aufgestoßen. Der Butler sprang zur Seite, und im selben Moment stieß die Mündung eines Gewehrlaufes gegen seine Brust...
Sie waren zu dritt, martialisch wirkende Burschen. Der eine mit gewaltigem Schnauzbart und schwarzer Löwenmähne, die beiden anderen wirkten jünger, aber vielleicht nur deshalb, weil sie keine Bärte trugen. Alle drei waren Schlägertypen und hielten Waffen in den Händen. Parker zweifelte keine Sekunde daran, daß die geladen waren. Der Schnauzbärtige stand vorn. Er war es auch, dessen Lauf sich in Parkers Brust bohrte. »Eine sehr unfreundliche Begrüßung, möchte man meinen«, blieb Josuah Parker gelassen. »Quatsch nicht so, nimm die Pfoten hoch!« sagte der Bärtige, und es klang ziemlich unmißverständlich. »Vielleicht erlauben Sie freundlichst, daß meine Wenigkeit den Schirm irgendwo unterbringen kann, damit die Arme auch wirklich zu ihrer Verfügung stehen.« Der Butler hatte natürlich seinen Universal-Regenschirm dabei, der gewohntermaßen am linken Unterarm hing. Er nahm ihn mit der Rechten und hängte ihn an ein Geländer, das wohl zum Festhalten diente, wenn man den schmalen Steg der Querverbindung am Ende des Tunnels entlangging. Der Boden war da immer etwas glitschig. Und dann tat Parker so, als wollte er die Arme heben. Der Gewehrlauf war mitgeschwenkt. Die merkwürdige Art des Butlers irritierte den Schnauzbärtigen, und er schien wohl Parker auch zu unterschätzen. Wer so komisch sprach, wer so auffällig und eigenwillig gekleidet war wie Butler Parker, war, so dachte der Mann wohl, nicht ganz ernst zu nehmen. Selby
und Danzer mochten wohl sehr mit ihrer Meinung über den Butler übertrieben haben. Jedenfalls sah es der Schnauzbärtige in diesem Augenblick so, und das war sein Fehler. Parker mit der Melone, der so tat, als würde er dem Befehl nachkommen, hob die Arme mit einem Ruck, als würde er schnell einen hohen Ball fangen, wie der Torwart eines renomierten Fußballclubs. Doch während dieses Rucks zuckte etwas unter dem Ärmel hervor direkt in Parkers rechte Hand. Obwohl das alles rasend schnell vor sich ging und keiner der drei dies genau verfolgen konnte, fiel die Aktion doch, von Parker sorgfältig geplant, folgerichtig ab. Was ihm in die Hand gerutscht war, sah aus wie ein gläsernes Ei. Es hatte auch ungefähr diese Form. Aber es war kein Glas und auch kein Ei. Der ovale Ball bestand aus einer dünnen Kunststoffhaut. Man konnte sie leicht zusammendrücken, und durch eine winzige Öffnung sprühte eine Flüssigkeit in die Richtung, in der man das Loch hielt. Josuah Parker hielt das ovale Ei so, daß der Strahl, der plötzlich herausschoß, den Schnauzbärtigen ins Gesicht traf. Es war reines Chloräthyl, Chloräther also, wie man ihn früher für Narkosen verwendete und dies in der Medizin heute nur noch selten tut, eigentlich eher zum Vereisen. Denn Chloräther hat die Eigenschaft, so schnell zu verdampfen, daß bei diesem Vorgang eine regelrechte Vereisung der Fläche eintritt, auf der sich der Äther ausgebreitet hat. Die Haut, auf die er trifft, wird dann weiß, und noch vor zwanzig Jahren haben Zahnärzte bei Patienten, die in Narkose empfindlich waren, damit Zahnbehandlungen durchgeführt. Auch Ärzte verwendeten die Vereisung, zum Beispiel zum Öffnen von Furunkeln. Die unterkühlten Zellen und die betäubten Nerven ließen sich so schmerzlos behandeln. Bei der Therapie, die Butler Parker anwandte, hatte der Chloräther allerdings zwei Wirkungen, einmal die der
Vereisung, zum zweiten aber traten bei der Verdampfung betäubende Gase auf. In solch konzentrierter Form war die Betäubungswirkung groß, konnte man doch mit zwölf Tropfen auf einem Wattebausch eine für eine halbe Stunde währende Vollnarkose ausführen. Der Inhalt des Eis, der sich auf den Schnauzbärtigen entleerte, hatte eine verheerende Wirkung auf den martialisch wirkenden Burschen. Der plötzliche Kälteschock, zugleich die betäubende Wirkung des Gases, bewirkten augenblicklich, daß der Mann mit der freien Hand ins Gesicht griff. Parker, eben noch beinahe betulich wirkend, reagierte, wie es ganz und gar seine Art war, nämlich blitzschnell. Seine Hände fuhren wieder herunter, die inzwischen leere Hülle des Chloräthyl-Eis ließ er einfach fallen, griff dann mit beiden Händen nach dem Lauf des Gewehres, entriß dem Schießwütigen die Waffe, wirbelte sie wie ein Kunstschütze herum und schleuderte sie hinter sich ins Wasser. Während es noch klatschte, bewahrte Parker den halbbetäubten Schnauzbärtigen vor dem Zusammenbruch. Mit der Linken riß er den Mann herum und hielt ihn wie einen schützenden Schild vor sich. »Meine Wenigkeit würde den Herren die heiße Empfehlung mit auf den Weg geben, jetzt am besten die Krachmacher, die Sie in Händen halten, fallen zu lassen, dann kehrtzumachen, die Hände zu heben und ein Stück weiter in den Raum zu marschieren.« Sie zögerten erst. Der Schnauzbärtige gab urige Laute von sich und sackte dann völlig zusammen. Aber Butler Parker, dem man die Kraft nicht ansah, die er besaß, vermochte ihn zu halten. Und vor den furchterregenden Geheimwaffen des Butlers kapitulierten die beiden sehr schnell. Sie ließen die Gewehre fallen, hoben die Hände und drehten sich um, wie Parker es befahl.
Sie gingen ein Stück weiter, aber da war der kleine Vorraum schon zu Ende. Wie der Butler aber sehen konnte, gab es noch eine weitere Stahltür, und die führte wohl in den Raum, von dem Nelly erzählt hatte. »Meine Wenigkeit darf wohl bitten, die Tür zu öffnen.« »Wir haben keinen Schlüssel. Wir können nicht...« sagte der eine Bursche. Der andere schielte zu Boden, und da bemerkte Parker, daß sich unten im Felsen ein Viereck befand; so ähnlich wie die Tür, die durch Felsplatten kaschiert gewesen war, hatte man auch hier eine Tür nach unten zu verstecken gesucht. Aber Parker sah es. Und hier brannte auch Licht, hell genug, um dieses Viereck zu erkennen. Dem Butler fiel auf, daß der eine Gefangene sorgfältig darauf achtete, nicht auf diese Tür zu treten. Und dann schielte er verstohlen in Parkers Richtung. Auch der andere machte einen Bogen um diese Stelle und versuchte das so unverfänglich wie möglich zu tun. Aber es fiel trotzdem auf. »Die Herren sollten versuchen, die Tür zu öffnen.« »Vielleicht können Sie es besser«, meinte der eine der Burschen. Parker hielt den beinahe bewußtlosen Schnauzbärtigen immer noch aufrecht. »So möchte ich die Herren hiermit ersuchen, beim Stützen des bedauernswerten Kollegen zu assistieren.« Sie zögerten, denn Parker stand mittlerweile am Rand dieses Vierecks. Er begann zu ahnen, was es mit ihm auf sich hatte. Aber plötzlich kamen die beiden, streckten die Arme nach dem Schnauzbart aus, als wollten sie ihn fassen. Parker ließ ihn los, und sie zerrten den Mann zur Seite. Er taumelte regelrecht in ihre Arme, und sie schafften es, daß er mit seinen Füßen nicht auf eine Stelle innerhalb des Vierecks trat.
Josuah Parker wußte Bescheid, sah die Gegner, als könnte er kein Wässerchen trüben und reagierte explosionsartig. Er schob den einen Mann zur Seite, daß er taumelte und mit dem Fuß auf eine Stelle innerhalb des Vierecks geriet. Es geschah, was Parker ahnte. Eine Falltür klappte auf der Stelle auf, und der Kerl verschwand in der Tiefe. Parker gab dem zweiten einen Schubs, und ehe der noch hinuntergestürzt war und es einen Klatscher tat, als er ins Wasser fiel, hatte Parker den dritten gepackt und stieß ihn ebenfalls vor! Mit dem Schnauzbart im Arm verlor der Bursche das Gleichgewicht und sauste nach unten. Es klatschte zweimal kurz hintereinander, als wären Kartoffelsäcke in eine Badewanne gefallen. Und so etwas wie eine Badewanne war es auch, wie der Butler sah, als er sich über die rechteckige Öffnung beugte. Die Kerle konnten dort unten stehen. Bis zur Brust allerdings reichte ihnen das Wasser. Ziemlich tief war es auch, und die Wände waren glatt und glänzend, um keinerlei Halt zu finden für ein Heraufklettern. »Wünsche den Herren eine angenehme Freizeitbeschäftigung! Man kommt nicht umhin festzustellen, daß Hygiene am Vormittag noch niemand geschadet hat. Der Rest des Tages sollte intensiver Körperpflege dienen. Ich erlaube mir, Ihnen dort unten einen schönen Tag zu wünschen!« »Sie können uns nicht hier unten lassen. Das Wasser ist kalt, verdammt noch mal! Und es ist Salzwasser. Sie können uns nicht...« Den Rest hörte sich Parker nicht mehr an. Er zog die Klappe wieder herauf, und weil er den Mechanismus nicht erst untersuchen wollte, klemmte er sie mit zusammengeknülltem
Papier fest. Es war reichlich Luft vorhanden. Die Stahltür, die ins Innere dieses geheimnisvollen Saales führte, von dem Nelly erzählt hatte, war verschlossen. Vielleicht hatte der Schnauzbärtige wirklich einen Schlüssel gehabt; Butler Parker hatte jedenfalls keinen. Er holte einen Streifen Plastiksprengstoff hervor, klebte ihn an das Schloß, setzte einen Kurzzeitzünder daran, der eigentlich nichts weiter war als eine Ampulle, die er aufriß. In dieser Ampulle befand sich Phosphor. An der Luft und durch die Luftfeuchtigkeit, die besonders hier reichlich vorhanden war, und in Verbindung mit Sauerstoff vor allem, beginnt Phosphor zu brennen. Temperaturen über fünfzig Grad reichen völlig aus, um das Plastik zur Explosion zu bringen. Josuah Parker machte einen respektvollen Bogen um die Falltür, lief bis in den Bootstunnel und wartete. Es dauerte eine halbe Minute, da erfolgte die Detonation. Als sich der Rauch verzogen hatte, sah Parker, daß die Tür aufgesprungen war, und er ging in den Raum, der hell erleuchtet war. Da sah er die Druckmaschinen. Alle von bester deutscher Wertarbeit. Eine hochmoderne Offsetmaschine stand ein Stück entfernt vor einem hypermodernen Farbkopierer, das modernste, das es auf diesem Gebiet überhaupt gab. Mit einem Gerät dieser Qualität war es möglich, Banknoten zu fotokopieren. Und das geschah dort, denn eine Originalbanknote, diesmal eine Zwanzigdollarnote, lag auf der Glasfläche des Kopierers. Die Maschinen waren im Augenblick nicht in Betrieb. An der Offsetmaschine entdeckte Parker Dutzende von Kartons, vollgepackt mit Notenbündeln. Er nahm eine Hundertpfundnote, die er fand, heraus und betrachtete sie. Es war eine einmalig gute Arbeit, dennoch eine Fälschung.
Noch besser waren die Banknoten, die mit dem Farbkopierer produziert worden waren und nicht von der Offsetmaschine. Diese Noten, auf das sehr ähnliche Papier gebracht, wie es bei Banknoten benutzt wurde, waren täuschend ähnlich. Nur ein Experte konnte hier eine Fälschung nachweisen. Offenbar hatte man erst in jüngster Zeit damit begonnen, direkt vom Fotokopierer auf Notenpapier zu übertragen. Und dieses Papier war auch nicht solches, wie sie es bei den Hundertpfundnoten benutzt hatten, denn eines war Butler Parker mittlerweile klar: Das Geld, das er, aus welchen Gründen auch immer, in der Nationalbank bekommen hatte, diese Hundertpfundnoten, waren absolut identisch mit denen, die hier im Offsetverfahren hergestellt wurden. Dieses Papier war aus Frankreich, wie er wußte, Notenpapier, das in England nicht verwendet wurde. Aber für die Dollarnoten war original amerikanisches Notenpapier verwendet worden. Der Butler sah auch ganze Bündel dieser Noten in einem Karton und fand schließlich auch das Papier. In Stapeln lag es herum, noch ungeschnitten, und die Wasserzeichen waren original eingebracht. Wer dieses Papier besorgt hatte, war in der Lage gewesen, Originalpapier zu bekommen, ganz gleich wie und woher. Eine Tatsache, die Parker verblüffte. Wie ist der Fälscher an die Quelle original amerikanischen Banknotenpapiers gelangt? Aber er fand noch mehr. Ätzplatten zum Beispiel, wo in einem mühsamen Verfahren Banknoten kopiert wurden, wie man es früher machte. Zwei Platten waren mit Kopien deutscher Banknoten geätzt. Versuchsdrucke lagen daneben, mehr oder weniger noch unvollständig, mit vielen Fehlern. Parker sah, daß in dieser Fälscherwerkstatt daran gearbeitet wurde, nicht dilettantisch, wie man es manchmal in Filmen sah.
Hier wurde mit modernsten Verfahren versucht, hervorragende Kopien zu erzeugen. Das beste, was Parker inzwischen gesehen hatte, waren die Noten, die mit dem Fotokopierer hergestellt worden waren. Und es war zugleich die einfachste Methode. Josuah Parker kannte das Problem, das ungefähr seit einem Jahr die amerikanischen Finanzbehörden beschäftigte. Man war dabei, fälschungssicheres Geld zu entwickeln. Banknoten statt mit einem Silberfaden mit Plastikfäden zu durchziehen, die man nur unter mehrfacher Vergrößerung erkennen konnte und bei Gegenlicht. Desgleichen winzige eingedruckte Buchstaben an vielen Stellen der Note. Aber noch war dieses andere Geld im Umlauf, noch galt es, und noch ließ es sich kopieren, und zwar in solchen Mengen, daß es auch ein reiches Land wie die USA merken mußte. Was er hier an fertigem Geld sah, reichte, um den Rest seines Lebens wie ein Krösus zu verbringen. Mehr noch, er hätte Lady Agatha, Mister Rander und Kathy Porter bei sich aufnehmen können. Aber Josuah Parkers Einstellung zu Geld unterschied sich wesentlich von der anderer Leute. Es lag vielleicht daran, daß er keine Not litt. Er hatte das, was er brauchte. Ansonsten lebte er bescheiden. Sein Hobby, die Detektivarbeit und eine Reihe von technischen Hilfsmitteln, die er selbst im eigenen Labor entwickelte, kosteten kein Vermögen. Josuah Parker war unbestechlich - auch nicht beim Anblick von soviel Geld. Er fand auch viel echtes Geld, das man wohl benötigte, um es zu kopieren, durchweg gut erhaltene, ja saubere Banknoten. Ein ganzer Karton voll, vielleicht alles in allem ein paar tausend Pfund. Aber auch das reizte Parker nicht, es mitzunehmen. Irgendwie spürte er plötzlich die Gefahr, die ihm unversehens drohte. Plötzlich hörte er ein Geräusch an der Tür, die er aufgesprengt hatte.
In diesem Augenblick erkannte er einen Fehler. Er hatte seinen Universal-Regenschirm draußen hängenlassen. Doch zuversichtlich, noch andere Verteidigungsmittel zu besitzen, wartete er auf das, was kommen mußte. Und es kam in Gestalt von Jane, Lord Roberts Tochter. Die junge Dame trat durch die Tür und schaute überrascht in Parkers Richtung, oder tat so, als wäre sie überrascht. »Was ist denn das hier? Was machen Sie denn hier? Haben Sie das hier eingerichtet?« rief sie mit dunkler Stimme. Jane kam auf den Butler zu. Er wartete. Etwas in ihm schrillte wie eine Alarmglocke. Die Gefahr war zum Greifen nahe. In dem Augenblick, als sie keine drei Schritte mehr von ihm entfernt war, kamen der Lakai mit der Gorillafigur und Doc Danzer. Parker hatte dies aus den Augenwinkeln beobachtet und sah, wie das eben noch lächelnde Gesicht Janes starr zu werden schien, wie sie plötzlich ihre Hand aus der Tasche nahm und etwas metallisch Glänzendes, eine kleine Damenpistole, zum Vorschein kam. »Es reicht, Mister Parker! Heben Sie die Hände hoch, oder ich drücke ab! Und ich schwöre Ihnen, ich drücke wirklich ab...«
Die beiden anderen hatten Maschinenpistolen und traten neben Jane. Parker wußte, wann das Spiel verloren war. Er sah im Augenblick nicht die geringste Chance. Es gab keine
Möglichkeit der Flucht, und die Distanz zu seinen Gegnern war zu groß. So groß, daß sie abdrücken würden, wenn er nur die geringste falsche Bewegung machte. Der Trick, den er vorhin angewendet hatte, als seine Gegner dicht vor ihm standen, würde hier nicht funktionieren. Und er war ein zu erfahrener Mann, um nicht zu wissen, wann eine Runde an die anderen ging. Er hob die Hände, darauf achtend, ob sich nicht doch noch eine Chance bot. Während Jane ihn in Schach hielt, kamen die beiden anderen Männer. Er fragte sich, ob Jane wirklich schießen würde. Und er mußte sich selbst die Antwort mit ja geben. Er sah es ihr an. Sie war ein Typ, der keineswegs davor zurückschrecken würde. Offensichtlich steckte sie ganz tief in dieser Fälschergeschichte drin. Parker lobte sich im stillen, daß er Evans informiert hatte. Er mußte ganz einfach versuchen, bis morgen durchzustehen. Er dachte an die durch die Falltür Geplumpsten. Wahrscheinlich waren sie gefunden worden. Und vermutlich mußte er die Rachegelüste dieser drei Kerle auch noch über sich ergehen lassen. Es stand schlecht, noch mehr, als der Gorilla ihm die Hände auf den Rücken riß und Handschellen anlegte. Jane hielt ihre kleine Pistole an seine Schläfe. Gehässig sagte sie: »Sie sind nicht sehr klug gewesen, Mister Parker, genauer gesagt, ziemlich dämlich sogar. Verrichten Sie ihr letztes Gebet! Sie leben nur noch so lange, bis mein Vater zurückkommt. Er will natürlich mit Ihnen reden. Aber das wird nicht lange dauern. Ich nehme an, daß er morgen kommt.« Sie lachte wild. »In London haben Sie viel Glück gehabt. Man hat sie nicht erwischt. Hier ist das anders!«
Parker verspürte eine Erleichterung. Die Tatsache, eine Frist bis zum nächsten Tag zu haben, ließ ihn hoffen. Dann würde auch Evans kommen, das war sicher. Auf den Inspektor konnte man sich verlassen. War nur die Frage, wer früher kam, Janes Vater, Lord Robert, oder Evans ... Der Gorilla und ein weiterer Mann, der noch hereingekommen war und dessen Gesicht Parker unbekannt schien, schleiften den gefesselten Butler aus dem Raum. Als sie sich der Fallgrube näherten, dachte der Butler schon, sie würden ihn hineinwerfen. Die Nässe ringsherum zeigte, daß die drei Hinunterbeförderten inzwischen befreit worden waren. Es ging aber nicht so, wie Parker fürchtete. Man schleppte ihn in den Bootstunnel und von dort durch eine Tür, die er vorher nicht gesehen hatte und sich an der anderen Seite des Tunnels befand. Sie war genauso getarnt wie die Tür hinten, die zum Vorraum des Druckereisaales führte. Sie stand offen, auch eine schwere Stahltür. Es ging noch tiefer, praktisch bis unterhalb des Wasserspiegels. Nässe tropfte von den Seiten. Und dann kam Jane die Treppe herunter und leuchtete mit einer Lampe. Die beiden Kerle warteten und ließen die Frau auf der schmalen Felstreppe an sich vorbei. Dieser ganze Treppengang war in den Felsen gehauen. Unten kamen sie in eine Höhle, die ebenfalls von Menschenhand in den Felsen geschlagen worden war. Glänzende, nasse Felsen, schwarz und wie lackiert in der Nässe, glitschiger Boden unten, während es von der Decke unentwegt tropfte. Sie waren jetzt tiefer als der Wasserspiegel, viel tiefer sogar. Parker hatte, als sie ihn hinunterschleppten, die Stufen gezählt. Es waren vierunddreißig. In der Mitte dieses Raumes stand ein Felsklotz. Sonst gab es nichts in diesem Raum. Der Felsklotz hatte etwa die Länge eines Tisches für acht Personen. An den Seiten waren eiserne
Ringe befestigt. Und daran hing etwas, das Parker zwar nicht sofort erkannte, aber ahnte. Es kam ihm wie eine Richtstätte vor. Da traf Parker ein Schlag. Und erlösende Bewußtlosigkeit senkte sich über ihn ...
Als er erwachte, hatte er das Gefühl, sich auf einer rotierenden Scheibe zu drehen. Langsam schien die Scheibe aber zum Stillstand zu kommen, und er hörte merkwürdige Geräusche. Er versuchte den Kopf zur Seite zu drehen, aber es ging nicht. Er schlug die Augen auf. Irgendwo brannte schwaches Licht. Parker wollte zu diesem Licht blicken, aber zu beiden Seiten seiner Schläfen war ein harter Gegenstand, der dies verhinderte. In regelmäßigen Abständen schlug ihm etwas leicht auf die Stirn, direkt über der Nasenwurzel. Er blickte nach oben, und da sah er, was ihm auf den Kopf schlug ... Wassertropfen. Sie kamen von einer bestimmten Stelle an der Decke der Höhle, in der er sich befand. Nun begriff er auch, wo er war und was sich vorher ereignet hatte. Der nächste Tropfen kam. Und da empfand er es schon wie einen harten Schlag. Er konnte nicht sehen, wie sich oben schon wieder ein
Tropfen sammelte. Schwer genug wurde und dann auf eben dieselbe Stelle fiel, wie alle Tropfen zuvor. Als der Tropfen dann kam, schien er die Wucht eines Hammerschlages zu haben. Parker registrierte das. Er konnte die Hände nicht bewegen, die Beine nicht rühren, er war regelrecht festgeschnallt und ahnte schon wo. Es mußte dieser Felsklotz sein, dieser tischebene lange, schmale Richtblock, wie er gedacht hatte, als er ihn vorhin sah. Vorhin? Wie lange schon? dachte er. Er versuchte, an sich herabzublicken, aber es gelang ihm nicht. Sein Kopf war durch ein Band an diesem Felsblock festgezurrt, und an der Seite befanden sich Gegenstände, die es unmöglich machten, den Kopf nur geringfügig zu verändern. Er schien mit dem Schädel in einer Art Schale zu liegen, so daß er dem Tropfen, der von oben fiel, nicht ausweichen konnte. Die Beine konnte er schwach bewegen, ein wenig anziehen. Es waren offenbar eiserne Fesseln, die sich um seine Fußgelenke krallten. Ähnlich war es mit den Armen, die konnte er ebenfalls geringfügig bewegen. Parker spürte, daß es breite, eiserne Handschellen waren, aus grauer Vorzeit, aber nichtsdestotrotz von großem Nutzen für jene, die sie noch heute verwendeten. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Zuerst stellte er fest, daß er, wenn er die Hände zurückzog, in den Handschellen so weit Bewegung hatte, daß sie bis auf seinen Handrücken rutschten. Dann aber ging es um keinen Preis weiter. Parker hatte ähnliche Lagen mit autogenem Training gemeistert. Jede Erregung ließ die Zellen und die Blutgefäße minimal anschwellen. Dieser Tropfen auf die Stirn erzeugte aber Erregung im ganzen Körper. Der Butler beschloß die völlige Abkühlung sozusagen das
In-sich-Zusammenziehen, das Kleiner werden. Irgendwie ist der Kreislauf zu verlangsamen. Jedes Tier im Winterschlaf kann dies. Das Herz muß langsamer schlagen, eine Gefühlsminderung muß erfolgen, damit die Glieder wie in eisigem Wasser schrumpfen, die Handgelenke und Hände schmaler werden, um sie durch die Handschellen zu ziehen und diese teuflischen Wassertropfen abzuwehren ... Er hatte die Augen geschlossen, und konzentrierte sich voll auf die Vorstellung, daß er auf Eis läge und rund um ihn herum nur Eis war. Eine Eishöhle, und er lag auf einem Eisblock. Wahnsinnige Kälte! Tatsächlich begann er zu frieren und empfand voll die Nässe, die in diesem Raum war. Seine durch Konzentration und Selbsthypnose angeregte Phantasie erfüllte immer mehr sein Denken. Er konnte sich vorstellen, wie ein Schriftsteller in einer Szene, die er beschreiben will, in eisigem zu Wind liegen, in Nässe, irgendwo im Schnee in der Antarktis ... Parkers Phantasie gewann die Oberhand über alles andere und beeinflußte den Organismus. Die unheimliche Kälte, die er empfand, ließ ihn am ganzen Körper zittern. Die Kälte war so übermächtig, daß sich auf seinem ganzen Körper nicht nur Gänsehaut bildete, sondern die Zellen, wie bei jedem stark Frierenden, automatisch zusammenzogen. In dieser Phase wollte Josuah Parker sich völlig unabhängig von irgendwelchem Willen machen, rein instinktiv wärmend die Hand vor die Brust legen. Und er zog mehr unterbewußt als mit Gewalt erst an der rechten Hand. Natürlich klemmte sie sofort in der Handschelle. Aber sie klemmte nicht mehr so weit unten wie vorher, sondern er zog sie bis beinahe zu den Fingerknöcheln durch.
Die rechte Hand blieb zunächst stecken, die Linke konnte er herausziehen. Im selben Augenblick, wo ihm das gelang, war der erzeugte Traum vorbei. Während er die Rechte nicht befreien konnte, hielt er die Linke sofort über die Stirn, fing den Tropfen ab und konnte seinen Körper von dem schmerzhaften Schlag befreien. In den kurzen Augenblicken zwischen den nächsten Tropfen tastete er mit der Linken die Umgebung seines Kopfes ab, spürte aber, daß Pflöcke und eine Art Schüssel oder Schale, in der sein Kopf lag, jede seitliche Bewegung verhinderten. Die Pflöcke steckten in Löchern, die sich im Felsen befanden. Er versuchte einen herauszuziehen, und es gelang auf Anhieb. Es waren Holzpflöcke. Der nächste saß schon fester. Um ihn herauszubekommen, mußte Parker mehrere Tropfen wieder auf die Stirn fallen lassen, die er diesmal nicht abfangen konnte. Aber es gelang ihm, auch diesen zweiten Pflock herauszuziehen. Dann machte er eine Pause und schützte erst mal seine Stirn. Er ließ den Tropfen auf die Hand, auf den Unterarm und auf alle möglichen Stellen fallen, so daß die Wirkung gleich null war. Dann zog er auch noch die anderen Pflöcke heraus. Er hätte jubeln können und wußte doch, daß dies zunächst gar nichts brachte. Jeden Augenblick konnten seine Gegner hereinkommen und sehen, was er erreicht hatte. Und selbstverständlich würde es für sie ein Kinderspiel sein, ihn erneut festzulegen, daß er sich nicht mehr bewegen konnte. Und dann vielleicht so, um eine erneute Befreiung des Kopfes oder der Hand endgültig zu verhindern. Eile war geboten, das wurde dem Butler klar. Er mußte sich lösen, war deshalb ja noch nicht aus dem Gefängnis heraus,
aber zumindestens befreit von dieser Folter. Er rieb mit der linken Hand die rechte mit Speichel ein und versuchte sie nun aus den Handschellen zu bekommen, aber es gelang nicht. Inzwischen war die Hand wieder etwas angeschwollen. Mitsamt der Schale konnte er nun den Kopf heben. Es gelang ihm, das stählerne Stirnband abzustreifen, aber ein zweites verlief noch über seinen Hals, ziemlich genau über dem Kehlkopf. Doch man konnte es aushaken. Endlich hatte er es geschafft und den Stift herausgezogen. Er konnte diesen Bügel lösen, der sich auf seinen Kehlkopf preßte, und der Kopf war frei. Er vermochte endlich auch die Schale abzustreifen und sich mit dem Oberkörper aufzurichten. Jetzt erst war Josuah Parker in der Lage, nach der Beleuchtung zu blicken. Es war eine winzige Lampe, wie in einem Rücklicht und hatte höchstens fünf Watt. Aber in der absoluten Dunkelheit, die in dieser Höhle sonst geherrscht hätte, breitete sie doch so viel Licht aus, daß Parker imstande war zu sehen, was er sehen wollte. Und er sah das rechte Handgelenk. Sie hatten ihn bis auf seine graugestreife Hose und das Unterhemd ausgekleidet. Er hatte nichts mehr, um sich zu verteidigen. Kein Hilfsmittel oder irgendeine Substanz, mit der er in der Lage gewesen wäre, einen Trick anzuwenden. Er hatte nur seinen Kopf und seine Glieder, und das mußte in diesem Fall genügen ... Die Furcht, daß seine Bewacher in diesem Augenblick kommen und Parker wieder in den alten Zustand bringen würden, trieb den Gefangenen an. Er mußte einfach frei sein, wenn er nur die kleinste Chance haben wollte. Aus einem Gemisch von Speichel und der Nässe, die auf Parker heruntertropfte, rieb er erneut seine rechte Hand ein.
Während er aufgerichtet war, konzentrierte er sich noch mal und setzte das autogene Training fort, um seinen Körper erschlaffen zu lassen. Er brauchte diese Erschlaffung, wollte er die Hand herausbekommen. Mit solcher Konzentration sind Fakire in der Lage, ihren Herzschlag auf fünfzig Schläge pro Minute herabzusetzen, den Blutdruck zu senken und eine Wirkung zu erreichen, wie sie Parker kurzfristig durch einen phantastischen Traum vorhin erreichen konnte. Obgleich er kein Fakir war und nicht über diese Fähigkeiten verfügte, gelang es ihm doch, daß die Hand kurzfristig wieder abschwellte. Speichel und Wasser sorgten dafür, daß er sie aus der Schelle ziehen konnte. Er hatte beide Hände frei! Er richtete sich auf und sah, daß die Fußfesselung geöffnet werden konnte. Da waren nur Schrauben, die zu lösen er rasch imstande war. Die Schellen klappten um seine Fußgelenke auf, er schwenkte die Beine wie von einer Liege nach unten und saß auf dem Felsblock. Parker stand auf und ging ein paar Schritte. Mit jedem fühlte er sich besser. Aber nun fror er wirklich, jetzt brauchte er sich die Kälte nicht mehr einzureden, jetzt war sie da. Es war elend kalt hier unten, und er war durchnäßt von diesen vielen Tropfen, die ohnehin von der Decke kamen. Die Höhle mußte einen Abfluß haben, sonst wäre sie längst vollgelaufen. Aber wo lief dieses Wasser hin? Er brauchte eine Weile, bis er es im diffusen Lichtschein erkannte. Ganz hinten in der Ecke war ein Rinnsal, das nicht gerade schnell, aber doch gleichmäßig durch einen winzigen Riß in der Felswand verschwand. Vielleicht, sagte sich Parker, gibt es hier in noch größerer Tiefe unterirdische Wasserströmungen. Aber die nutzen mir im Augenblick wenig. Wenn ich hier herauskommen will, muß ich auf die warten, die mich hier eingesperrt haben.
Er suchte nach einem Gegenstand, nach irgend etwas, womit er zuschlagen konnte. Der Butler blickte mehr zufällig als bewußt auf die kleine Lampe oben in der Ecke. Da gewahrte er, daß sie ziemlich frei war und Drähte an der Felswand entlang zu der stählernen Tür führten, die sein Gefängnis verschloß. In diesem Augenblick kam Parker die Idee seines Lebens. Besonders als er feststellte, daß es gar nicht schwer war, auf dem grob behauenen Felsen ein Stück nach oben zu klettern, zu dieser Lampe hin. Als er sie genauer betrachtete, stieg seine Hoffnung beträchtlich. Das war keine Schwachstrombirne von zwölf oder etwa nur sechs Volt, sondern es war eine 220-Volt-Lampe. Josuah Parker lächelte vor sich hin. Dann handelte er schnell. Er prägte sich erst noch mal alles ein, denn gleich würde es dunkel werden bei ihm. Er überzeugte sich, daß die eiserne Tür nicht ganz bis zum Boden reichte und sie, um sie der nicht gerade glatten Felswand anzupassen, mit Holz und Styropor abgedichtet worden war. Sorgsam tastete Parker den gesamten Türrahmen ab. Nirgendwo berührte das Eisen des Türrahmens und der Tür den Felsen direkt, bis auf eine einzige Stelle. Parker riß sich das Unterhemd aus der Hose, ritzte einen handgroßen Lappen davon ab und stopfte ihn mit Hilfe eines der Pflöcke, die seinen Kopf festgehalten hatten, zwischen den stählernen Türrahmen in den Felsen. Es war sehr schwer, aber es gelang. Dabei stellte er fest, daß die Tür gegen den Felsen völlig isoliert war. Nun riß er den Minus-Pol der Lampe heraus, und sofort wurde es dunkel. Er tastete sich zur Tür und befestigte den
Minus-Pol sicher am Schloß, daß es nicht herausfallen konnte. Danach löste er auch mit einem Ruck den Plus-Pol, machte nun aber einen weiten Bogen zur Tür hin, um nicht dagegen zu kommen. Er nahm einen der Pflöcke, von denen er ja sechs besaß, wickelte das Ende des Plus-Poles, das etwa auf einen Zentimeter blank war, so um das Stockende, daß diese blanke Spitze nach vorn stand wie ein Speer. Er hatte den Draht mehrmals um das Stockende geschlungen und besaß nun einen Handgriff aus Holz, den er auch völlig trocken rieb. Damit es nicht zu einem Kurzschluß kam, behielt er diesen Stock in der linken Hand. Mit der Rechten ließ er die Hose herunter und schob sie bis in die Nähe der Tür. Dann stellte er sich darauf. Während er mit der Linken noch immer den Stock hielt, um den der Draht gewickelt war, und dessen blanke Spitze nach vorn zeigte, schlug er mit der rechten Faust gegen die Stahltür. Es dröhnte und die Höhle verstärkte den Hall. Parker konnte nur hoffen, daß es draußen ebenso laut zu hören war wie hier im Innern. Er schlug weiter. Zwischendurch lauschte er, aber nichts rührte sich. Er schlug dann noch mit einem weiteren Pflock, den er vorhin noch in der Hose hatte und den er jetzt aufhob, gegen die Tür. Der Lärm wurde noch gewaltiger. Dann hörte er durch die Stahltür einen Fluch. Es mußte der Gorilla sein. Seine Fistelstimme ... Er hatte nicht mehr geklopft und stieß Schmerzensschreie aus, die sich anhörten, als wäre er schwer verletzt, Parker stöhnte ... Da ging die Tür auf!
Josuah Parker stand hinter der Tür, als sie aufschwenkte, und der Strahl einer Taschenlampe blitzte in den Raum. Ein Fauchen wie von einem wilden Tier war zu vernehmen, und die Tür schwenkte noch weiter auf. Parker sah nur die riesige Faust, die um die Türkante im Lichtschein der Taschenlampe zu erkennen war. Der Butler wartete keine Sekunde. Er zielte mit dem Stock, dem umwickelten Draht und der blanken Spitze auf diese Hand. Er konnte sie sogar schwach erkennen. Ein großer Fleck, ein heller Fleck an der sonst dunklen Tür. Dann stieß er mit dem Stock zu und traf mit dem blanken Drahtende den Handrücken. In dem Augenblick schrie der Gorilla-Lakai wie ein in Panik befindliches Tier, und Parker konnte sich das Gesicht dieses Burschen vorstellen, obgleich er es gar nicht sah. Noch immer krallte sich die riesige Hand an der Tür fest. Der Taschenlampenstrahl schwenkte herum. Die Schulter des Gorillas tauchte auf... Das Geschrei brach von einem Augenblick zum anderen ab. Ein Röcheln ertönte, und Parker konnte deutlich sehen, wie diese Hand, die sich da an der Tür festhielt, zuckte. Plötzlich sank der Taschenlampenstrahl, der immer noch waagerecht in den Raum reichte, nach unten ab. Es klirrte, und das Licht verlosch. Parker hatte ein wenig den Kontakt mit der Tür verloren, war selbst erschrocken über das plötzliche Verlöschen des Lichtes, der Kontakt war weg, und er hörte ein dumpfes Plumpsen neben der Tür. Parker machte nicht den Fehler, den Draht einfach
loszulassen. Der war lang genug, so daß Parker ihn mitsamt dem Pflock bis zu dem Felsklotz zurücknahm und ihn dort in eines der Löcher steckte, die er mit seiner freien Hand ertastete. Jetzt erst lief er zur Tür zurück, flog fast über den am Boden liegenden Gorilla, beugte sich über ihn und tastete ihn ab. Da fand er die Pistole. Er zerrte den schweren Mann in den Raum, nahm noch seine Hose mit, schloß die Tür von außen, legte den Riegel vor und zog sich nun erst mal die Hose wieder an. Auch die Taschenlampe hatte er mit dem Fuß aus der Höhle gestoßen, aber sie brannte nicht. Sie brannte auch nicht, als er sie in die Hand nahm und in Gang zu setzen versuchte. Er ließ sie, wo sie war und schlich dann die steile, vierunddreißig Stufen zählende Treppe nach oben. Er war diesmal fest entschlossen, die Waffe zu gebrauchen, wenn sich ihm noch jemand in den Weg stellte. Seine Marter wollte er kein zweites Mal erleben. Als er oben anlangte und die Tür zum Bootstunnel ohne Schwierigkeiten öffnen konnte, rechnete er mit Gegnern. Aber es waren keine da. Zu seiner Überraschung fand er das Tor offen, und im Tunnel selbst war ein Boot festgemacht... eben jenes, mit dem er die drei Gefangenen zur Insel und Nelly nach Pearce gebracht hatte. Er fragte sich noch, wieso dieses Boot hier war, als er ein Geräusch von außen hörte. Aber da dieses Tor direkt zum Meer führte, konnte er nicht genau feststellen, von woher die anderen Geräusche kamen. Sie mußten aber, so schätzte er, vom Schloßhof stammen. Parker kletterte, wie er es schon mal getan hatte, nach oben und kam dann über die steile Treppe zuerst in ein Nebengebäude, in dem außer anderen Dienstboten auch Nelly ihr Zimmer besaß.
Es gab da einen Hintereingang. Er ging hinein und gelangte in eine Art Waschküche. Als er sie verließ, befand er sich auf einem langen Gang mit mehreren Zimmertüren. Er ging bis zur vorderen Tür, die in den Hof führte. Diese Tür besaß ein Glasfenster, und als er durchblickte, bemächtigte sich seiner nicht geringes Erstaunen. Auf dem Hof stand ein Dutzend Fahrzeuge: Personenwagen und Mannschaftsfahrzeuge von Lastwagengröße. Überall wimmelte es von Uniformierten. Einige trugen Stahlhelme und kugelsichere Westen. Inspektor Evans hatte also Wort gehalten! In dem Augenblick, als Parker die Tür öffnete, wirbelten einige dieser Gestalten herum und richteten ihre Waffen auf ihn. Ein Eifriger brüllte, er solle die Hände hochnehmen. »Dies ist für einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann schon eine Zumutung und nachgerade langweilig. Kann man denn nicht mal etwas anderes sagen als ›Hände hoch‹?« entgegnete Parker. Sie hatten keinen Sinn für solche Äußerungen. Der Berühmte britische Humor schien den schottischen Polizisten nicht gerade angeboren zu sein. Der Butler wurde überwältigt und mitgezerrt. Eine Minute später stand er dem Inspektor gegenüber, der sich vor Verwunderung die Augen rieb. »Kein Schirm und keine Melone«, meinte Evans spöttisch. »Ich erkenne Sie fast nicht wieder, Mister Parker! Aber Sie sind es, und wir haben Sie krampfhaft überall gesucht. Nun denn, Sie leben ja noch!«
Im Foyer des Schlosses tagte der Stab der Polizei. Aber als Evans mit dem inzwischen wieder in schwarzem Zweireiher und Eckkragen auftretende Josuah Parker dieses Foyer betrat, wurde dem Butler sofort klar, daß nicht sein guter Bekannter Evans das Kommando hatte. Da war seine Herrin dazwischen, und deren Aktionen kannte er zur Genüge. Mit baritonaler Stimme gab Lady Agatha den Ton an. Wie Parker sah, hatte sie alles fest im Griff. Und als sie ihn erblickte, meinte sie nur trocken: »Mein lieber Mister Parker, Sie kommen wieder mal zu spät. Nun denn, es ist inzwischen alles geklärt. Ich habe diese Aktion geleitet.« »Sehr wohl, Mylady«, meinte Parker. »Meine Wenigkeit übersieht dies durchaus nicht. Und zu welchem Resultat sind Mylady gelangt?« »Ich habe eben mit Lord Robert gesprochen«, erklärte sie. »Mister Evans hat ihn auch schon verhört. Aber im Grund gibt es da keine Neuigkeiten. Er und seine Tochter sind die Hauptdrahtzieher, um ihre persönliche Misere in puncto schnödem Mammon auszubügeln. Sie haben sich ausgekochter Helfer bedient, die einschlägige Erfahrungen in dieser Branche der Geldfälscherei, aber auch in Bankeinbrüchen hatten. Es war Lady Janes Idee, das Geld nicht direkt unter die Leute zu bringen, sondern den Banken anzuvertrauen. Dieses Falschgeld, meine ich. Eine Sache, die ich sofort durchblickt hatte, als ich von dem Einbruch in die Nationalbank erfuhr.
Leider führte die Spur mitunter in die falsche Richtung, aber wie Sie sehen, Mister Parker, bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen, und ich hoffe, Sie haben nicht zu lange auf mich warten müssen.« Parker blieb beherrscht. Er setzte nur sein unbewegtes Pokergesicht auf. Was sollte er auch sagen? Lady Agatha war es dann auch, die der angereisten Presse ein Interview gab, zusammen mit Evans, der zu Myladys Redeschwall einige Details beisteuerte. Parker nutzte die Gelegenheit, um noch mal mit Jane und mit ihrem Vater zu sprechen, die in einem Gefangenenwagen auf das Ende der Aktion warteten. Man hatte ihnen Handschellen angelegt. In einem anderen Wagen befanden sich die übrigen Gangster. Obgleich Parker diesen beiden Menschen, die er vor sich sah, beinahe seinen Tod verdankt hätte, meinte er höflich: »Es ist mir eine außerordentliche Ehre, Eure Lordschaft so gesund vorzufinden. Und Sie, Mylady, wirken nicht weniger frisch. Man ist sicher, Mylady, daß es für Sie noch eine sehr schöne und geborgene Zeit geben wird, zumindest in den nächsten Jahren. Sie dürften aller Sorge um Geld und die Beschaffung von Nahrungsmitteln enthoben sein. Man muß menschliches Glück auch mal von dieser Perspektive aus sehen. Meine Wenigkeit darf Ihnen alles Gute wünschen und sich empfehlen!« Die beiden Gefangenen enthielten sich einer Antwort. Endgültig war ihnen klar, daß sie verspielt hatten.
In 14 Tagen erscheint Butler Parker Band 292 von Günter Dönges
PARKER karrt den »Giftprinz« ab Josuah Parker ist verständlicherweise mehr als erstaunt, als aus dem Tank eines Milchlastzuges statt der weißen Köstlichkeit eine schillernde Flüssigkeit fließt, die auf den ersten Blick schon giftig aussieht und dazu noch übel riecht. Als er seiner Verwunderung Ausdruck verleihen will, drohen ihm die beiden Fahrer nicht nur Prügel an, sondern wollen ihn auch mit langen Schraubenschlüsseln bearbeiten. Parker setzt sich auf seine spezielle Art zur Wehr und befaßt sich mit der Gift-Entsorgung einer Firma, die das allerdings nicht gern sieht. Zusammen mit Lady Agatha verfolgt er die Spur eines Mannes, den man entweder die »Giftspritze« oder auch den »Giftprinz« nennt. Dieser Gangster hat eine neue Art der Geldbeschaffung entwickelt und schert sich im wahrsten Sinne des Wortes einen Dreck um seine Mitmenschen. Als er in die Enge getrieben wird, rücken seine Spezialisten gegen Parker und Lady Agatha vor, doch die eigenartigen »Entsorger« erleben eine Pleite nach der anderen, bis der Butler sie aus dem Verkehr ziehen kann. Günter Dönges serviert einen neuen PARKER-Krimi mit einem brisanten Thema. Hochspannung garantiert - Lachen ebenfalls! Butler Parker erscheint vierzehntäglich im Zauberkreis Verlag, Abteilung der Erich Pabel Verlag GmbH, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-Moewig, Pabel-haus, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 11. Verkaufspreis inkl. gesetzt. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Einzelheft-Nachbestellungen sind zu richten an: PV Buchversand, Postfach 510331, 7500 Karlsruhe 51. Lieferung erfolgt bei Vorauskasse zzgl. DM 3,50 Porto- und Verpackungskostenanteil auf Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 85234-751 oder per Nachnahme zum Verkaufspreis zzgl. Porto- und Verpackungskostenanteil. Ab DM 40,- Bestellwert erfolgt Lieferung porto- und verpackungskostenfrei. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Pabel Verlag GmbH, Postfach 1780, 7550 Rastatt. Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr. Printed in Germany. September 1986
Scan, Layout by Larentia / Korrektur by 2242Panic / Juli 2003