Christin Emrich Multi-Channel-Communications- und Marketing-Management
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Christin Emrich ...
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Christin Emrich Multi-Channel-Communications- und Marketing-Management
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Christin Emrich
Multi-ChannelCommunications- und Marketing-Management
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Anita Wilke Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0855-1
Vorwort Der Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens hängt heute mehr denn je davon ab, ob es in der Lage ist, sich den beständig wechselnden Wettbewerbsbedingungen effektiv und schnell anzupassen. Dazu gehört neben der Anpassung von Unternehmensstrukturen und –prozessen, Produkten und Marken auch eine angepasste Kommunikationsstrategie mit den Kunden, da sich auch die Kommunikationsbedürfnisse und -erwartungen von Konsumenten in rasanter Geschwindigkeit verändern. Das lässt sich vor allem aus den Trends zur Digitalisierung und zur Kommunikationsgesellschaft ableiten. Konsumenten werden heute täglich durch eine Vielzahl von Informationen überflutet. Nach Schätzungen gehen auf einen Verbraucher täglich im Durchschnitt 3.500 Werbebotschaften nieder. Diese Tatsache markiert oft den Beginn eines Teufelskreises. Während Unternehmen versuchen, mit ökonomisch immer aufwendigeren Aktionen für ihre Produkte die entsprechende Aufmerksamkeit bei den Konsumenten zu erreichen, lässt die Wirkung dieser Bemühungen immer mehr zu wünschen übrig. Konsumenten lassen immer häufiger die meisten dieser Werbebotschaften an sich abprallen, sie ignorieren sie und entwickeln Abwehrstrategien (Gefahr der Hypertrophie, Reaktanz). Der Normalfall ist heute dadurch gekennzeichnet, dass Kunden den Schwall undifferenzierter Massenkommunikation, die durch Ansätze des klassischen Marketings produziert werden, als lästiges Übel und sogar als persönlich belästigend und somit als störend empfinden. Ein Ausweg aus diesem Teufelskreis der sich verstärkenden falsch verstandenen Kommunikationsflut liegt in der Möglichkeit, den Konsumenten die Entscheidung zu überlassen, wann und mit welchen Kanälen sie mit den Unternehmen kommunizieren möchten. Durch diesen Ansatz wird dem veränderten Kundenverhalten Rechnung getragen, denn die Initiative für den Dialog wechselt vom Unternehmen zum Kunden. In diesem Spannungsfeld ist die Aufgabe des Multi-Channel-Communications- und Marketing-Management darin zu sehen, den gleichzeitigen Einsatz mehrerer Kommunikationskanäle mit dem Oberziel des Aufbaus und der Pflege von Kundenkontakten als Strategie zu gestalten. Dazu werden Instrumente zur Konzeption eines Portfolios von Kommunikationskanälen aus verschiedenen „Welten“ aufgezeigt. Neben den klassischen werden auch Kanäle der Web 1.0- und Web 2.0-Welt beschrieben. Medien- und Kanalfunktionen sind für jeden Kanal marktspezifisch, kontent- und zielgruppenbezogen so zu gestalten, dass das System vorhandene Kanäle integriert und eine einheitliche Steuerung erlaubt. Zur Konfiguration der Strukturen eines Multi-Channel-Systems werden auch Instrumente der Online-Marktforschung und des E-Branding vorgestellt. Multi-Channel-Communications- und Marketing-Management ist durch die Ganzheitlichkeit und Interdisziplinarität der strategischen Ausrichtung äußerst komplex und durchaus als Unternehmensführungskonzept anzusehen.
V
Didaktik des Buchs: Das Buch soll den Leser an Methoden heranführen, die es ihm ermöglichen, komplexe Situationen beim ganzheitlichen Multi-Channel-Marketing zu meistern. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Methoden im globalen Marketing eine solide Fundierung benötigen, um die Vielfalt ganzheitlicher Wirkungen strukturiert erklären zu können. Durch die Komplexität des Lehrstoffs und die starke Vernetzung der interdisziplinären Bereiche untereinander ist eine gänzlich überschneidungsfreie Darstellung der Forschungsbereiche nicht möglich. Da den Lesern mit Vorkenntnissen auch die Möglichkeit eröffnet werden soll, einzelne Kapitel separat zu bearbeiten, wurden mit Rückgriff auf neuere lerntheoretische Erkenntnisse punktuelle und kapitelbezogene Zusammenfassungen kombiniert. Dieses Vorgehen kann auch Vorteile für den Leser haben, wenn er z.B. im Lesen einen positiven Lernzuwachs feststellt. Für den Anfänger hat es den Vorteil, dass er weniger auf Querverweise eingehen muss und dadurch der Lese- und Lernfluss weniger unterbrochen wird. Die Kapitel sind so konzipiert, dass sie einzeln über ein Teilgebiet des Multi-ChannelCommunications- und Marketing-Management ausführlich informieren. Der Übungsteil am Ende des Buches enthält Aufgaben, Fälle sowie eine Case Studie. Sie dienen der Vertiefung und sind zur Anwendung des in den Kapiteln dargestellten Stoffgebietes konzipiert. Das Buch ist geschrieben für: •
Studenten in der Bachelor- und Master-Ausbildung sowie Promotionsstudenten, die sich vertiefte Kenntnisse im Multi Channel-Marketing aneignen möchten.
•
Führungskräfte von Unternehmen, die Wissen und Erkenntnisse für die Entwicklung vernetzter Marketing-Strategien ihrer globalen Marketing-Ausrichtung benötigen.
Für die Unterstützung des Forschungsprojekts bedanke ich mich bei Herrn Klaus-Peter Schulz, Vorstand der Marketingagentur BBDO-Germany, Düsseldorf, und bei Herrn Michael Schipper, Geschäftsführer der Marketingagentur Proximity Germany GmbH, Hamburg. Dr. rer. pol. Christin Emrich
VI
Inhaltsverzeichnis Vorwort Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
1.
Einleitung 1.1. Problemstellung 1.2. Gang der Untersuchung
2.
Grundlagen Multi-Channel-Marketing und Multi-ChannelCommunication 2.1. Standortbestimmung Multi-Channel-Marketing 2.1.1. Was ist Multi-Channel-Marketing? 2.1.2. Definition Multi-Channel-Marketing 2.1.3. Abgrenzung des Begriffs Multi-Channel-Marketing 2.1.3.1. Crossmedia 2.1.3.2. Integrierte Kommunikation 2.1.3.3. Multiple-Channel-Retailing 2.1.3.4. Multi-Channel-Retailing 2.1.3.5. Mediaselektion 2.2. Standortbestimmung Kommunikation 2.2.1. Begriff Kommunikation 2.2.2. Interpersonale Kommunikation 2.2.2.1. Verbale Kommunikation 2.2.2.2. Nonverbale Kommunikation 2.2.2.3. Meta-Kommunikation 2.2.3. Massenkommunikation 2.2.3.1. Struktur der Massenkommunikation 2.2.3.2. Funktionen der Massenkommunikation 2.2.4. Kommunikation mit neuen Medien 2.3. Communicationsmanagement in den Marketingwissenschaften 2.3.1. Unternehmenskommunikation 2.3.2. Zielgruppenkommunikation 2.3.3. Prozessmodell der Kommunikationsphasen 2.3.3.1. Kundenbezogene Kommunikation 2.3.3.2. Kundenlebenszyklus 2.3.4. Kommunikationspolitik 2.3.4.1. Pull- und Push-Kommunikation 2.3.4.2. Segmentbezogene Kommunikation (Scoring)
V XIX XXIII XXV 1 1 2 7 7 7 8 9 10 11 12 15 15 16 16 18 18 19 22 23 24 25 25 27 27 28 29 31 33 35 35 36 VII
2.4. 3.
VIII
Resümee
Ausgewählte Kommunikations- und Medientheorien 3.1. Ausgewählte Theorien interpersonaler Kommunikation 3.1.1. Philosophisch-soziologische Kommunikationstheorie nach Paul Watzlawick 3.1.1.1. Kommunikation in der Denktradition des radikalen Konstruktivismus 3.1.1.2. Die fünf Axiome über Kommunikation 3.1.1.3. Kritische Reflexion 3.1.2. Linguistische Kommunikationstheorie nach Karl Bühler 3.1.2.1. Kommunikation als Zeichenübertragung 3.1.2.2. Aspekte der Sprachtheorie 3.1.2.3. Das Organon-Modell 3.1.2.4. Kritische Reflexion 3.1.3. Psychologische Kommunikationstheorie nach Schulz von Thun 3.1.3.1. Kommunikation als Verbindung von individualpsychologischer, humanistischer und systemischer Schulen 3.1.3.2. Anatomie einer Nachricht, Modell der „vier Ohren“ 3.1.3.3. Kritische Reflexion 3.2. Ausgewählte Theorien (Massen)medialer Kommunikation 3.2.1. Der kybernetische Ansatz von Shannon/ Weaver 3.2.1.1. Kommunikation als mathematisch definierte Informationen 3.2.1.2. Reduktionistisches Kommunikationssystem 3.2.1.3. Kritische Reflexion 3.2.2. Das erweiterte Wirkungsmodell von Laswell 3.2.2.1. Formel zur Massenkommunikation 3.2.2.2. Kritische Reflexion 3.2.3. Ausgewählte Kommunikationstheorien der Gegenwart (Dynamisch-transaktionale Modelle) 3.2.3.1. Kommunikation im Sinne des symbolischen Interaktionismus nach Mead 3.2.3.2. Kommunikation im Sinne des symbolischen Interaktionismus nach Blumer 3.2.3.3. Uses and Gratification Approach
37 43 43 43 43 44 46 47 47 49 49 51 51
51 52 53 56 56 56 57 58 59 59 61 61 61 63 64
3.2.3.3.1.
3.3.
3.4. 4.
Gratifikations- und Medienwirkung von Herzog 3.2.3.3.2. Erwartungsmodell von Palmgreen et al 3.2.3.3.3. Ansätze zur Medienselektion nach Lazarsfeld et al 3.2.3.3.4. Kritische Reflexion Kommunikations- und Medientheorien für neue Medien 3.3.1. Ausgewählte Bereiche der menschlichen Informationsverarbeitung 3.3.1.1. Das Internet als technische Infrastruktur 3.3.1.2. Mensch-Maschine-Kommunikation 3.3.1.3. Der Usability-Ansatz 3.3.1.4. Das GOMS-Modell 3.3.2. Kritische Reflexion Resümee
Ausgewählte Offline Kommunikationskanäle als Werbemedium 4.1. Merkmale von Kommunikationskanälen 4.1.1. Bisherige Klassifikationsansätze 4.1.2. Entwicklung des Klassifikationskriteriums „Botschaftsinteraktivität“ 4.2. Ausgewählte Kommunikationskanäle mit Botschaftsinteraktivität 4.2.1. Telekommunikationskanäle (M-Commerce) 4.2.1.1. Persönliches Telefonat 4.2.1.2. Call-Center mit Experten 4.2.1.3. Call-Center für Standardtransaktionen, -Informationen 4.2.1.4. Mobiltelefon 4.2.1.4.1. WAP 4.2.1.4.2. iMode 4.2.1.4.3. UMTS 4.2.1.4.4. SMS und MMS 4.2.1.4.5. iPhone 4.2.2. Stationäre und mobile Kommunikationskanäle 4.2.2.1. Eigene Filialen und Franchising 4.2.2.2. Fremde Filialen (Absatzmittler) 4.2.2.3. Außendienst und freie Vertreter 4.2.3. Schriftliche Kommunikation: Brief und Fax 4.2.4. Eventbasierte Kommunikationskanäle
66 67 68 69 71 71 73 74 76 77 78 79 85 85 86 87 89 89 89 91 92 93 93 94 96 97 98 100 101 102 104 105 106
IX
4.3.
4.4. 4.5. 5.
X
4.2.4.1. Outdoor-Events 4.2.4.2. Messestände 4.2.5. Multifunktionale Kommunikationskanäle 4.2.5.1. Interaktives Fernsehen 4.2.5.2. E-Home 4.2.6. Zusammenfassende Bewertung der Kanäle mit Botschaftsinteraktivität 4.2.6.1. Kommunikationskanäle mit hoher Botschaftsinteraktivität 4.2.6.2. Kommunikationskanäle mit mittlerer Botschaftsinteraktivität 4.2.6.3. Kommunikationskanäle mit geringer Botschaftsinteraktivität Ausgewählte Kommunikationskanäle mit Botschaftspassivität 4.3.1. TV, Kino, Einkaufsfernsehen 4.3.2. Hörfunk 4.3.3. Print-Kommunikationskanäle (White Post) 4.3.3.1. Zeitschriften, Zeitungen 4.3.3.2. Kataloge, Postwurfsendungen 4.3.4. Plakate und Aufschriften an Fahrzeugen 4.3.5. Stationäre Automatensysteme 4.3.5.1. Einfache und multifunktionale Automaten 4.3.5.2. Integrierte Automatensysteme für Standardtransaktionen 4.3.5.3. (Point of Sales) POS-Terminals 4.3.5.4. (Point of Information) POI-Systeme 4.3.6. Zusammenfassende Bewertung für Kanäle mit Botschaftspassivität Implikationen für die Kombination von Kanälen mit unterschiedlicher Botschaftsinteraktivität Resümee
Ausgewählte Internet-Kommunikationsinstrumente als Werbemedium 5.1. Internet-Kommunikation 5.2. Web 1.0- und Web 1,5-Welt 5.2.1. Standards für Web 1.0- und Web 1,5-Instrumente 5.2.1.1. Client-Server-Konzept 5.2.1.2. Browsersysteme 5.2.2. Ausgewählte Instrumente der Web 1.0- und Web 1,5Kommunikation
106 107 108 108 109 110 111 112 112 113 113 116 117 117 118 120 121 121 122 124 125 126 128 130 137 137 137 137 138 139 140
5.2.2.1. 5.2.2.2.
5.3.
5.4. 6.
E-Mail Internetportale 5.2.2.2.1. Horizontale Internetportale 5.2.2.2.2. Vertikale Internetportale 5.2.2.3. E-Commerce 5.2.2.3.1. Internet (Online)-Shop 5.2.2.3.2. E-Märkte 5.2.2.4. Internet-Auktionen 5.2.2.5. Reservierungs- und Buchungssysteme 5.2.3. Zusammenfassende Bewertung der Web 1.0-Instrumente 5.2.3.1. Kanäle mit hoher Botschaftsinteraktivität 5.2.3.2. Kanäle mit mittlerer Botschaftsinteraktivität 5.2.3.3. Kanäle mit geringer Botschaftsinteraktivität Web 2.0-Welt 5.3.1. Veränderung des Konsumenten- und User-Verhaltens 5.3.2. Ausgewählte Standards der Web 2.0-Welt 5.3.2.1. Really Simple Syndication (RSS) 5.3.2.2. Asynchronous Java Script und XML (Ajax) 5.3.2.3. Application Programming Interface (API) 5.3.2.4. Prinzipien der Web 2.0-Welt 5.3.3. Architekturmerkmale und Usability der Web 2.0-Welt 5.3.4. Ausgewählte Instrumente der Web 2.0-Kommunikation 5.3.4.1. Virus Marketing 5.3.4.1.1. Online-Entertainment 5.3.4.1.2. Weblogs 5.3.4.1.3. Virtuelle Communities 5.3.4.1.4. Podcast/ Vodcast 5.3.4.2. Dynamische Informationstools 5.3.4.2.1. Social Bookmarking 5.3.4.2.2. Wikipedia 5.3.4.2.3. Suchmaschinenmarketing 5.3.4.3. Web-Services MashUps Resümee mit zusammenfassender Bewertung der Web 2.0-Instrumente
Strategisches Multi-Channel-Communications- und MarketingManagement mit traditionellen Medien 6.1. Aufgaben des strategischen Multi-Channel-Marketing-Management 6.1.1. Kundenorientierung im Multi-Channel-Zeitalter 6.1.1.1. Informationsüberlastung bei den Konsumenten
140 142 143 144 146 147 151 156 159 161 161 161 162 162 163 164 165 166 168 168 169 171 171 172 174 178 181 185 185 187 190 194 195 205 205 208 210
XI
6.2.
6.3.
XII
6.1.1.2. Verweigerung im Medienkonsumverhalten 6.1.1.3. Konsumentenemanzipation 6.1.1.4. Produktdifferenzierung und Austauschbarkeit 6.1.2. Chancen und Risiken einer Multi-Channel-Strategie Strategische Planungen zur Ermittlung der Multi-Channel-Struktur 6.2.1. Marktsegmentierung 6.2.2 Zielgruppensegmentierung 6.2.2.1 Geographische Kriterien 6.2.2.1.1. Makrogeographische Segmentierung 6.2.2.1.2. Mikrogeographische Segmentierung 6.2.2.2. Soziodemographische Kriterien 6.2.2.2.1. Konzept der sozialen Schichtung 6.2.2.2.2. Familien-Lebenszyklus-Konzept 6.2.2.3. Psychographische Kriterien 6.2.2.3.1. Lifestyle-Typologien 6.2.2.3.2. Beispiel: Sinus Milieus© 6.2.2.3.3. Nutzensegmentierung 6.2.2.4. Verhaltensorientierte Kriterien 6.2.2.5. Single Source-Ansatz 6.2.2.6. Status Quo der Zielgruppensegmentierung in der Praxis 6.2.3. Ausgewählte Analysemethoden zur Markt- und Zielgruppensegmentierung 6.2.3.1. Multivariate Analysemethoden 6.2.3.1.1. Clusteranalyse 6.2.3.1.2. Faktorenanalyse 6.2.3.1.3. Diskriminanzanalyse 6.2.3.1.4 Multidimensionale Skalierung 6.2.3.1.5. Conjoint Measurement 6.2.3.2. Status Quo zum Einsatz multivariater Analysemethoden in der Praxis 6.2.4. Markenmanagement mit traditionellen Medien 6.2.4.1. Markenstrategien im Rahmen der Multi-ChannelKommunikation 6.2.4.2. Markenstrategien im horizontalen Wettbewerb 6.2.4.3. Markenarchitekturen 6.2.4.4. Markenportfolio Strategische Gestaltung der Multi-Channel-Strukturen 6.3.1. Das Bewertungsraster Method Engineering
211 212 212 213 215 215 218 219 220 222 222 224 224 225 227 228 234 235 238 239 241 241 242 243 247 249 251 253 255 255 256 261 265 265 266
6.3.2.
6.4.
Ausgewählte Vorgehensmodelle zur Gestaltung von MultiChannel-Strukturen 6.3.2.1. Customer-driven-Distribution-Modell 6.3.2.2. PRICE-Approach-Modell 6.3.2.3. Kritische Würdigung 6.3.3. Strategie-Entwicklung Exkurs: Strategic Planning zur Konzeption einer Multi-ChannelCommunications-Strategie 6.4.1. Das Ursprungskonzept Strategic Planning und sein Entwicklungspotential 6.4.2. Aufgaben des Strategic Planners 6.4.2.1. Gewinnung von Consumer Insight 6.4.2.2. Anpassungsnotwendigkeiten 6.4.3. Media-Planning 6.4.4. Kreativ-Briefing als Teil der Unternehmensphilosophie 6.4.5. Kontrolle der Multi-Channel-Kampagne 6.4.6. Weiterentwicklungspotentiale zum Communications-Planning 6.4.6.1. 6.4.6.2.
6.5. 7.
Ansätze und Vorgehensweisen zum Communications-Planning Wesentliche Unterschiede
Resümee
267 267 269 271 272 273 273 275 276 277 279 283 285 286 286 289 292
Strategisches Multi-Channel-Communications- und MarketingManagement mit neuen Medien 7.1. Aufgaben des strategischen Multi-Channel-Managements mit neuen Medien 7.2. Online-Marktforschung zur Ermittlung der Multi-Channel-Struktur 7.2.1. Marktforschung mit neuen Medien versus Marktforschung mit traditionellen Medien 7.2.1.1. Unterschiede in der Methodik 7.2.1.2. Unterschiede in der Datenqualität 7.2.1.3. Unterschiede in der Primärforschung 7.2.1.4. Unterschiede in der Sekundärforschung 7.2.2. Neue Analyse- und Ergebnismöglichkeiten mit neuen Medien
303 304 305 306 306 308
7.3. 7.4.
308 311
Kundenorientierung im Informationszeitalter Nicht institutionelle Marktforschung mit dem eCRM 7.4.1. Relationshipmanagement als ganzheitlicher Ansatz der Unternehmensführung
301 301 303
311
XIII
7.4.2.
7.5.
7.6.
XIV
Komponenten des eCRM 7.4.2.1. Das analytische eCRM 7.4.2.2. Das kommunikative eCRM 7.4.2.3. Das operative eCRM 7.4.3. Die Stellung des eCRM im Rahmen der Multi-ChannelStrategie Institutionelle Marktforschung mit neuen Medien 7.5.1. Nutzung des Internet für Datenerhebungen 7.5.2. Datenerhebungsverfahren im Rahmen der OnlineMarktforschung 7.5.2.1. Reaktive Datenerhebungsverfahren 7.5.2.1.1. E-Mail-Befragung 7.5.2.1.2. Newsgroup 7.5.2.1.3. Web-Befragung 7.5.2.1.4. Qualitative Online-Interviews 7.5.2.1.5. Online-Fokus- und Chatgruppen 7.5.2.2. Nicht reaktive Datenerhebungsmethoden 7.5.2.2.1. Logfileanalysen 7.5.2.2.2. Web-Experimente 7.5.2.3. Inhaltsanalyse 7.5.2.3.1. Nutzungsanalyse 7.5.2.3.2. Bedarfsanalyse 7.5.2.4. Kritische Würdigung der Online-Marktforschung 7.5.3. Potentiale der Online-Marktforschung für das strategische Multi-Channel-Management Ausgewählte Faktoren des Online-Markenmanagements mit neuen Medien 7.6.1. Besondere Kommunikationsmerkmale des Mediums Internet 7.6.1.1. Ausgewählte Instrumente der Markenkommunikation 7.6.1.2. Marktfeldstrategien im Rahmen der OnlineMarkenführung 7.6.1.2.1. Aktivierungsebene 7.6.1.2.2. Verhaltensebene 7.6.1.3. Transfer einer bestehenden Online-Marke 7.6.1.3.1. Vor- und Nachteile eines Online Marken-Transfers 7.6.1.3.2. Übertragung einer bestehenden Marke
312 314 316 319 325 328 328 328 330 331 332 333 333 334 339 340 341 342 342 343 344 345 347 348 350 352 358 358 359 360 361
7.6.1.3.3.
7.6.2. 7.7. 8.
Markenrechtliche Besonderheiten im Internet 7.6.1.4. Entscheidungsfelder einer OnlineMarkenarchitektur 7.6.1.4.1. Eigenständiger unabhängiger OnlineMarkenauftritt 7.6.1.4.2. Integrierter Online-Marken-Auftritt unter einem gemeinsamen Dach Online-Markenmanagement im Rahmen der Multi-ChannelStrategie
Resümee
Operatives Multi-Channel-Communications- und Marketing-Management 8.1. Aufgaben des operativen Multi-Channel-Marketing-Management 8.2. Kommunikationspolitik beim Multi-Channel-Marketing-Management 8.2.1. Zielsetzung 8.2.2. Anpassung der Informations- und Kommunikations(IuK)Technik beim Multi-Channel-Marketing-Management 8.2.2.1. Möglichkeiten und Risiken der IuK-TechnikAnpassung 8.2.2.2. Strategische Informationssystem(IS)-Planung 8.2.2.3. Medienkonvergenz durch SOA 8.2.2.3.1. Das SOA-Konzept Microsoft.NET 8.2.2.3.2. Das SOA-Konzept NetWeaver 8.2.2.4. Anpassung der Kommunikationsstrukturen im Unternehmen 8.2.3. Anpassung der Prozessarchitektur 8.2.3.1. Vertikale Prozessanpassungen 8.2.3.2. Horizontale Prozessanpassungen 8.2.4. Anpassungen in der Organisation 8.2.4.1. Anpassung der Entscheidungskompetenz 8.2.4.2. Vermeidung von Barrieren durch Kanalkonflikte 8.3. Produktpolitik beim Multi-Channel-Marketing-Management 8.3.1. Zielsetzung 8.3.2. Kundenspezifische Produktvarianten 8.3.2.1. Produktkonfiguratoren im Rahmen eines ECommerce-Systems 8.3.2.1.1. Guided-Selling-Systeme 8.3.2.1.2. Recommender-Systeme
363 364 364 366 368 369 379 379 379 379 380 380 381 382 382 384 388 390 392 393 395 398 402 404 404 405 407 409 411
XV
8.3.2.2.
8.4.
8.5.
XVI
Status Quo bei Produktkonfiguratoren im ECommerce 8.3.3. Produktfeldstrategien und Multi-Channel-Marketing 8.3.3.1. Cross-Selling beim E-Commerce 8.3.3.1.1. Rahmenbedingungen für CrossSelling 8.3.3.1.2. Das Next-Product-to-by-Modell 8.3.3.1.3. Das strukturelle multivariate ProbitModell 8.3.3.2. Kritische Reflexion 8.3.4. E-Services beim Multi-Channel-Marketing Preispolitik beim Multi-Channel-Marketing 8.4.1. Bedeutung 8.4.2. Prozess des Preismanagements beim Multi-ChannelMarketing 8.4.2.1. Strategische Vorüberlegungen 8.4.2.1.1. Grundlegende Entscheidung über die Preisstrategie 8.4.2.1.2. Preispolitische Aspekte und Art der Vertriebskanäle 8.4.2.1.3. Positionierung der Vertriebskanäle und zeitliche Belegung 8.4.2.2. Analysephase 8.4.2.3. Entscheidungsphase 8.4.2.3.1. Dynamische Preisfindung 8.4.2.3.2. Steuerung und Kontrolle der Kanalnutzung 8.4.2.4. Implementierungsphase 8.4.2.5. Monitoringphase 8.4.3. Zusammenfassende Ergebnisse Distribution beim Multi-Channel-Marketing 8.5.1. Bedeutung der Logistik 8.5.2. Logistik beim E-Commerce 8.5.2.1. Anforderungen und Möglichkeiten 8.5.2.2. Perspektive: E-Logistik 8.5.3. Logistik der Endkundenbelieferung (B2C) 8.5.3.1. Logistische Veränderungen durch E-Commerce 8.5.3.1.1. Physische Raumüberbrückung (Transport)
412 413 414 415 416 418 419 419 422 422 423 423 424 426 427 428 428 429 430 431 432 432 433 433 434 434 435 438 438 439
8.5.3.1.2.
8.5.4.
8.5.5.
8.6. 9.
Zeitliche Raumüberbrückung (Lagerung) 8.5.3.1.3. Physische Umgruppierung (Kommissionierung) 8.5.3.2. Die „letzte Meile“ zum Kunden Logistik zwischenbetrieblicher Transaktionen (B2B) 8.5.4.1. Elektronische Marktplätze 8.5.4.2. Outsourcing von Logistikleistungen Besonderheiten der Logistik beim Multi-Channel- Marketing 8.5.5.1. Retourenmanagement 8.5.5.2. Kommissionierungssysteme
Resümee
Übungsteil Aufgabe 1: Ganzheitliches Multi-Channel-Marketing versus fokussierte Konzepte Aufgabe 2: Multi-Channel-Marketing versus Multiple Channel Marketing Aufgabe 3: Kommunikationstheorie: Das Shannon/ Weaver-Modell Aufgabe 4: Kommunikationsstrategieentwicklung für einen Massenfertiger Aufgabe 5: Kommunikationsstrategieentwicklung für einen Hersteller kundenindividueller Produkte Case Studie: Multi-Channel-Communications- und Marketing-Strategie in der Reisebranche Lösung zur Aufgabe 1 Lösung zur Aufgabe 2 Lösung zur Aufgabe 3 Lösung zur Aufgabe 4 Lösung zur Aufgabe 5 Lösung zur Case-Studie Literaturverzeichnis Unternehmen und Marken Stichwortverzeichnis Die Autorin
440 441 442 443 443 444 445 445 446 447 453 453 453 453 454 454 455 457 459 460 461 463 466 469 489 491 499
XVII
Abbildungsverzeichnis Abb. 2.1. Abb. 2.2. Abb. 2.3. Abb. 2.4. Abb. 2.5. Abb. 2.6. Abb. 2.7. Abb. 2.8. Abb. 3.1. Abb. 3.2. Abb. 3.3. Abb. 3.4. Abb. 3.5. Abb. 3.6. Abb. 3.7. Abb. 3.8. Abb. 3.9. Abb. 3.10. Abb. 3.11. Abb. 3.12. Abb. 4.1. Abb. 4.2. Abb. 4.3. Abb. 4.4. Abb. 4.5. Abb. 4.6. Abb. 4.7. Abb. 4.8. Abb. 4.9. Abb. 4.10. Abb. 4.11.
Das ganzheitlichen Konzept Multi Channel Marketing und seine Auswirkungen auf andere Wissenschaftsdisziplinen im Überblick Ausgewählte Begriffe zur Abgrenzung vom Konzept Multi Channel Marketing Nonverbale Kommunikationselemente Alternative 1 : Hierbei sieht der Mensch den Gegensatz zwischen Medien und Wirklichkeit Alternative 2: Hier sieht der Mensch die Medien als Teil der Wirklichkeit Erscheinungsformen der Kommunikation Prozessmodell der Kommunikationsphasen Kundenlebenszyklus Darstellung eines kreisförmigen Konfliktschemas (Oszillation) Organon-Modell Das „vier Ohren-Modell“ Schema eines allgemeinen Kommunikationssystems Die Lasswell-Formel der Massenkommunikation Sozialität im Sinne von Mead Grundideen des Uses and Gratifications Approach Elemente des Nutzen- und Belohnungsansatzes nach Schenk Erwartungswertmodell von Palmgreen Einstufen-Fluss-Modell Zweistufen-Fluss-Modell Sieben Handlungsschritte nach Norman Einteilung von Kommunikationskanälen nach den Kriterien direkt vs. indirekt und stationär vs. mobil Beispiel für ein Internet Telefonverzeichnis von der Firma Deutsche Telekom Beispiel eines Call-Centers Beispiel für eine WAP-Fahrplanauskunft auf dem Handy Display Ein gutes Beispiel für iMode Werbung von der Firma BMW Beispiel eines UMTS-Handys Beispiele für eine SMS- und eine MMS- Nachricht Beispiele für eine iPhone Der Filialfinder der Firma Deutsche Post AG als Beispiel für stationäre Filialen Die Firma EDEKA ein gutes Beispiel für Absatzmittler Ein gutes Beispiel stellt das Outdoor-Event der Firma Lee dar
9 10 21 24 24 27 31 33 45 50 52 57 60 62 65 66 67 68 69 75 87 90 92 93 94 97 98 100 101 103 107 XIX
Abb. 4.12. Abb. 4.13. Abb. 4.14. Abb. 4.15. Abb. 4.16. Abb. 4.17. Abb. 4.18. Abb. 4.19. Abb. 4.20. Abb. 4.21. Abb. 4.22. Abb. 4.23. Abb. 4.24. Abb. 5.1. Abb. 5.2. Abb. 5.3. Abb. 5.4. Abb. 5.5. Abb. 5.6. Abb. 5.7. Abb. 5.8. Abb. 5.9. Abb. 5.10. Abb. 5.11. Abb. 5.12. Abb. 5.13. Abb. 5.14. Abb. 5.15. Abb. 5.16.
XX
Beispiel für eine Messeankündigung der Firma Messe Wesselburg Beispiel für E-Home: Smarthome Interface Prototyp Übersicht über ausgewählte Kommunikationskanäle mit Botschaftsinteraktivität Ein gutes Beispiel für das Internetportal eines Fernsehsenders vom ZDF Ein gutes Beispiel für das Internetportal eines Radiosenders von Radio Hamburg Ein gutes Beispiel für das Internetportal einer Zeitschrift von bravo.de Ein gutes Beispiel für das Internetportal einer Tageszeitung von mopo. de Ein gutes Beispiel für einen Katalog von otto.de Beispiel für eine Hauswurfsendung von der Firma Medion Beispiel für ein Plakat an einer Haltestelle Beispiel für ein einfaches Automatensystem: der Zigarettenautomat der Firma Sielaff Das Buchungssystem der Firma Lufthansa: ein gutes Beispiel für integrierte Automatensysteme Übersicht über ausgewählte Kommunikationskanäle mit Botschaftspassivität Kommunikationsschema eines WWW-Servers Browser in Hypertext/Hypermedia E-Mail-Nachricht ein gutes Beispiel von der Firma Telekom Beispiel für ein horizontales Internetportal Beispiel eines vertikalen Internetportals von der Firma T-Online Beispiel für einen Internet(E-) Shop mit Interaktionsmöglichkeiten von der Firma CaseKing.de Entwicklung von E-Procurement Funktionen einer offenen E-Procurement-Plattform Schematische Darstellung des Aufbaus einer geschlossenen E-Procurement-Plattform Beispiel für Internet-Auktionen des Auktionshauses eBay Beispiel eines Geoinformationssystems Ein gutes Beispiel für ein Hotelbuchungssystem von der Firma Helios Web 2.0-Standards im Überblick Vergleich klassisches Modell einer Web-Anwendung mit Ajax-Modell Prinzipien der Web 2.0-Welt als Schlagwortsammlung Web 2.0-Hierarchie
108 110 111 114 116 117 118 119 119 120 121 124 126 138 139 141 143 145 150 152 153 154 157 160 160 165 167 168 170
Abb. 5.17. Abb. 5.18. Abb. 5.19. Abb. 5.20. Abb. 5.21. Abb. 5.22. Abb. 5.23. Abb. 5.24. Abb. 5.25. Abb. 5.26. Abb. 6.1. Abb. 6.2. Abb. 6.3. Abb. 6.4. Abb. 6.5. Abb. 6.6. Abb. 6.7. Abb. 6.8. Abb. 6.9. Abb. 6.10. Abb. 6.11. Abb. 6.12. Abb. 6.13. Abb. 6.14. Abb. 6.15. Abb. 6.16. Abb. 6.17. Abb. 6.18. Abb. 7.1. Abb. 7.2. Abb. 7.3. Abb. 7.4. Abb. 7.5. Abb. 7.6. Abb. 7.7.
Das Moorhuhnspiel ist mittlerweile schon Kult als gutes Beispiel für Online-Entertainment Ein gutes Beispiel für einen Blog, der Medienblog der Universität Trier Einsatzmöglichkeiten von Weblogs in Wirtschaft und Politik Ein gutes Beispiel für eine virtuelle Community Aufbau und Wirkungsweise von Audio Podcast Ein gutes Beispiel für ein Podcast/Vodcast-Portal der Universität des Saarlandes Ein gutes Beispiel für einen Social Bookmarking-Dienst in Deutschland Mister-wong Button-Leiste mit verschiedenen Social Bookmarking-Diensten Beispiel für eine Wikipedia-Seite Ein gutes Beispiel für ein Suchergebnis mit der Suchmaschine Google Kundentypen, Kommunikationsverhalten und Kommunikationskanäle Veränderung des Kundenwertes im Zeitablauf Transaktionskosten pro Kanal Nutzung verschiedener Kommunikationskanäle Ein Großteil der Kunden nutzt mehr als einen Channel Ausbau der Kanalstrukturen als Mittel zur Marktpositionierung Sinus-Milieus Deutschland Einsatz spezieller Segmentierungsansätze in der Praxis Einsatz multivariater Methoden in der Praxis Abgrenzung von Markenstrategien im Wettbewerb Systematisierung von Markenstrategien im horizontalen Wettbewerb Typen der Markenarchitektur Vorgehensmodell zur Entwicklung des Customer-driven Distributionssystems Vorgehensmodell PRICE-Approach Teile einer Kampagnenentwicklung Kanal, Konsument und Marke Idee als Maßstab Communications Planning-Ansatz Unterschiede zwischen der aktiven und der reaktiven Marktforschung Geschäftsmodell des Informationszeitalters Die drei Teile des eCRM und ihre Funktionalitäten im Überblick Personalisierungsansätze Profiling und Matching Die besondere Bedeutung emotionaler Bindungsdeterminanten Komponenten und Datenflüsse eines eCRM im Überblick CRM-Kernprozesse und Multi Channel-Aktivitäten
173 175 176 179 182 183 186 187 189 192 206 207 207 209 210 214 229 241 254 259 260 262 268 270 276 288 289 291 305 309 313 315 317 321 326
XXI
Abb. 7.8. Abb. 7.9. Abb. 7.10. Abb. 7.11. Abb. 7.12. Abb. 7.13. Abb. 7.14. Abb. 7.15. Abb. 7.16. Abb. 7.17. Abb. 7.18. Abb. 7.19. Abb. 7.20. Abb. 7.21. Abb. 8.1. Abb. 8.2. Abb. 8.3. Abb. 8.4. Abb. 8.5. Abb. 8.6. Abb. 8.7. Abb. 8.8. Abb. 8.9. Abb. 8.10. Abb. 8.11. Abb. 8.12. Abb. 8.13. Abb. 8.14. Abb. 8.15. Abb. 8.16. Abb. 8.17. Abb. 8.18. Abb. 8.19. Abb. 8.20. Abb. 9.1.
XXII
Logfile-Analyse, Zugriffe über die Monate eines Jahres Beispiel: Testanlage des GfK BehaviorScan-Mikrotestmarkt Erfolgsfaktoren von Online-Marken im Überblick Formen der Online-Werbung im Überblick Ein gutes Beispiel für Bannerwerbung am Beispiel eBay Abgrenzung ausgewählter webbasierter Kommunikationsinstrumente Zusammenfassung der wichtigsten Rahmenbedingungen der Online-Markenpolitik Prozess- und Wirkungsmodell der Online-Kommunikation Beispiel der direkten Übertragung einer Marke ins Internet Indirekte Übertragung einer Marke ins Internet Beispiel der unabhängige Markenauftritt Verknüpfte abgestimmte Markenauftritte Beispiel eines Dachmarkenauftritts Indirekte Übertragung einer bestehenden Marke Beispiel für die Integration verschiedener Medien über Microsoft.NET Plattform Vier Ebenen der Integration und Komponenten von NetWeaver Drehen der Schichten (vom funktionalen Paradigma zur ServiceArchitektur) Beispiel einer XML-Notation Die Prozessmanagement-Ebenen innerhalb der Management-Phasen Der kundenspezifische Prozess innerhalb der Prozessstruktur des Workflow Managements Die Wertekette eines Absatzkanals Separation versus Integration der Absatzkanäle Grundformen von Entscheidungsmodellen Reaktionsmodell auf Kanalkonflikte Customized M&Ms Select your packaging Kosteneinsparungen durch Produktkonfiguratoren Module eines Guided-Selling-Systems Integrationsansätze für Produktkonfiguratoren E-Service und Self-Service Einordnung von E-Services in das Gütersystem Preismanagement-Prozess im Rahmen eines Multi Channel-Marketings Aufbau einer Lieferkette (Supply Chain) Steuerung der Logistik mit Hilfe von IuK-Systemen Das Kommunikationsmodell nach Shannon/ Weaver
340 341 348 350 351 352 353 354 362 362 365 365 366 367 383 384 386 390 391 394 396 397 399 402 406 407 409 410 410 420 421 423 437 438 453
Tabellenverzeichnis Tab. 4.1. Tab. 4.2. Tab. 5.1. Tab. 5.2. Tab. 5.3. Tab. 6.1. Tab. 6.2. Tab. 6.3. Tab. 6.4. Tab. 6.5. Tab. 6.6. Tab. 6.7. Tab. 6.8. Tab. 6.9. Tab. 6.10. Tab. 6.11. Tab. 6.12. Tab. 6.13. Tab. 9.1.
Tab. 9.2. Tab. 9.3.
Übersicht über Kanäle mit Botschaftsinteraktivität Übersicht über ausgewählte Kanäle mit Botschaftspassivität Übersicht über die vom Verkäufer zu zahlenden Gebühren beim InternetAuktionshaus ebay Differenzierung von Web 1.0 und Web 2.0 an Beispielen mit Kennzeichnung der Neuheiten Übersicht über Internet-Kanäle aus der Web 1.0- und der Web 2.0-Welt Faktoren zur schnellen Gewinnung von Marktanteilen Soziodemographische Segmentierungskriterien im Überblick Psychographische Segmentierungskriterien im Überblick Sinus-Milieus in Deutschland, Groß Britannien und Frankreich Verhaltensorientierte Segmentierungskriterien im Überblick Ablaufschritte einer Clusteranalyse Ablaufschritte einer Faktorenanalyse Ablaufschritte einer Diskriminanzanalyse Ablaufschritte einer Multidimensionalen Skalierung Ablaufschritte einer Conjoint-Analyse Bewertung der vorgestellten Modelle anhand der Kriterien des Method Engineering Media-Planning bzgl. eines Soft Drinks (fiktiv) Neutrale Vorlage für einen Kreativ-Brief Produkte und Kanäle der Reisebranche, Legende: je mehr der Kreis ausgefüllt ist, desto besser eignet sich der Kanal allgemein (Nutzen für Anbieter/ Nachfrager?) Eignung der Kanäle für die Produkte aus Sicht der Firma Thomas Cook Eignung der gewünschten Kanäle für die Strategie der Firma Thomas Cook
131 132 157 164 196 215 223 226 230 236 242 244 248 250 252 271 280 284
456 466 468
XXIII
Abkürzungsverzeichnis AJAX AOL API B2B B2C BGB CD cHTML Client/Server CPO CRM E-Commerce eCRM E-Home E-Logistik E-Mail E-Market E-Shop ERP-Systeme ESA FTP GFK GOMS GPRS GSM HVV ICQ iMode iPhone iPod IS ISDN ISO-OSI ISP IT IuK-Technik
Asynchronous Java Script and XML (Technik zur asynchronen Datenübertragung im Web 2.0) America Online Application Programming Interface (Programmierschnittstellen) Business to Business Business to Consumer Bürgerliches Gesetzbuch Compact Disc HTML-Dialekt bestimmte Form der Zusammenarbeit zwischen zwei Computern Cost per Order Customer Relationship Management Electronic Commerce electronic Customer Relationship Management intelligente Haushaltsgeräte Electronic Logistik (Logistik im Internet) Electronic Mail Electronic Market (virtuelle Märkte im Internet) Electronic Shop (Shop im Internet) Enterprise Ressource Planning-Systeme ( z.B. SAP R/3, Oracle etc.) Enterprise Services Architecture (Rechnerarchitekturkonzept) File Transfer Protocol (Netzwerkprotokoll zur Dateiübertragung) Gesellschaft für Konsumforschung Goal, Operations, Methods and Selection rules-Modell General Packet Radio Service (paketorientierter Funkdienst) Global System for Mobile Communication (Mobilfunkstandard) Hamburgischer Verkehrs Verbund I seek you (Firma im Internet) Mobiltelefon-Standard (E-Plus) Mobiltelefon mit Internet-Nutzungsmöglichkeit (Apple) MP3-Player Informationssystem Integrated Services Digital Network (europäischer Standard für digitale Telefonie) Open Systems Interconnection (Internet-Standard) Internet Service Provider Informations Technik Informations- und Kommunikations-Technik XXV
JIT KPE M-Commerce MCCM MDS MHP MMS MTML NPTB-Modell OLAP OMS OTS PC Podcast POI-Systeme POS PPS-System PR-Event RSS RSS-Feed SEO SEM SMO SMS SOA STP-Ansatz TDDSG TFT TIME-Branche UAP UMTS URL USP VC Vodcast WAP WWW
XXVI
Just-in-time-Production Kurier-, Paket- und Expressdienstleister Mobile Commerce Multi Channel Communicationss-Management Multidimensionale Skalierung (Marktforschungsverfahren) Multimedia Home Plattform Multimedia Message Service Hypertext Markup Language (Auszeichnungssprache im Internet) Next-Product-to-buy-Modell (Modell zum Cross-Selling) Online Analytical Processing (Datenanalyseverfahren beim eCRM) Organisation Werbung treibender im Markenverband Opportunities To See (Größe im Rahmen des Media-Planning) Personal Computer Produzieren und Anbieten von Mediadateien im Internet (audio) Point of Information-Systeme (Automaten) Point of sale Produktions- Planungs- und Steuerungs-System Public Relations-Event Really Simple Syndication (Rich Side Summary) (RDF Side Summary) RSS-Datei Search Engine Optimization (Suchverfahren im Internet z.B. Google) Search Engine Marketing (Anzeigen im Internet bei Suchmaschinen) Social Media Optimization (Button beim Social Bookmarken) Short Message Service Service Orientierte Architektur (Rechnerarchitekturkonzept) Segmentierung, Targeting, Positionierung (Marktsegmentierungsansatz) Gesetz über den Datenschutz bei Telediensten High-Definition Multimedia Flachbildschirm Telekommunikations-, Internet-, Medien- und Entertainment-Branche Unique Advertising Proposition (künstliche USP) Universal Mobile Telecommunication System (Mobilfunkstandard der 3.Generation) Universal Resource Locator (allgemeine Quellenherkunft im Web) Unique Selling Proposition (Alleinstellungsmerkmal aus den Eigenschaften bzw. Herstellungsmerkmalen eines Produktes) Virtuelle Communities Podcast-Dateien im Internet (video) Wireless Application Protocol World Wide Web
1.
Einleitung
1.1.
Problemstellung
Unternehmen, die Multi Channel Communications- und Marketing-Management anwenden wollen, können zwar auf eine größere Zahl verschiedener Veröffentlichungen zurückgreifen, finden aber nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Der Forschungsbereich zum Multi Channel Marketing ist durch einen starken Theoriemangel und ein erhebliches Forschungsdefizit gekennzeichnet. Dies könnte ein Grund sein, warum Unternehmen häufig an der Umsetzung scheitern oder unzufrieden sind, weil sie lediglich Suboptima erreichen. Dennoch ist die Anwendung des Konzepts für Unternehmen überlebenswichtig, um in einem sich ständig verändernden globalisierten Umfeld die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und nicht aus dem Markt gedrängt zu werden. Aber welche Gründe sind es, die ein Multi Channel Communications- und Marketing-Management für Unternehmen notwendig machen? Qualitative Verbrauchertrends zeigen ein verändertes Kundenverhalten. Kunden nutzen nicht mehr nur ein und denselben Interaktionskanal. Untersuchungen zeigen, dass sich Kunden in Deutschland durchschnittlich in vier bis fünf unterschiedlichen Kommunikationskanälen bewegen1. Konsumenten sind zunehmend convenience-orientiert und suchen generell nach Entlastung beim Kaufprozess2. So stehen die Bequemlichkeit des Einkaufens und die Verfügbarkeit der Produkte bei den convenience-orientierten Konsumenten im Vordergrund3. Nach diesen Kriterien werden auch die Kommunikationskanäle ausgewählt. In einer weiteren Untersuchung der Universität Münster hinsichtlich Kundenzufriedenheit im Internet konnte ermittelt werden, dass insbesondere durch die Kombination von Online- und Offline-Kanälen die Kundenzufriedenheit signifikant gesteigert werden kann4. Veränderungsnotwendigkeiten hinsichtlich des Comunicationsmanagements ergeben sich auch durch einen starken externen Wettbewerbsdruck, der von der Dynamik neuer Betriebsformen ausgeht. So lassen sich z.B. die erheblichen Marktanteilsverluste von Waren- und Kaufhäusern in der jüngeren Zeit zugunsten von Discountern und anderen alternativen Vertriebskanälen wie Bahnhöfen, Tankstellen, Flughäfen etc. u.a. auch auf den Wunsch der Konsumenten zurückführen, mehrere und flexiblere Kommunikations- und Vertriebskanäle parallel zu nutzen. Durch die rasanten Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnik steigt der Wettbewerbsdruck für Händler. So ist z.B. im Rahmen der Handelsformen Business-to-Consumer (B2C) oder Business-to-Business (B2B) die informationstechnische Grundlage für eine effizientere Gestaltung bestehender Absatzkanäle geschaffen, die z.B. zur direkten Kooperation zwischen Herstellern und Kunden bzw. zwischen Herstellern und Zulieferern führt.
1
Aber wie muss ein Multi Channel-System aufgebaut sein? Welche Kanäle sind die richtigen und welche Kombinationen und Konfigurationen versprechen Erfolg? Wie muss ein erfolgreiches Multi Channel-System gesteuert bzw. konfiguriert sein? Bei genauerer Analyse wird schnell deutlich, dass sich das Konzept nicht nur auf die Gestaltung von Distributionskanälen beschränkt5. Ohne ganzheitliches Management der Prozesse, der Organisation und der Informations- und Kommunikations(IuK)-Technik entstehen kostenintensive suboptimale Lösungen mit der Gefahr von Kannibalisierungseffekten in den Kanälen. Multi Channel Marketing ist durch eine hohe Dynamik gekennzeichnet, die sich vor allem aus der Vielzahl der einsetzbaren Kanäle in Verbindung mit den Kanalcharakteristika, den Zielgruppenfunktionen und deren Steuerung und optimaler Ausrichtung auf den Kundennutzen ergibt. Wird Multi Channel Marketing ohne oder mittels eines schlechten CommunicationsManagements durchgeführt, ergeben sich vielfältige Hinweise auf hinter den Erwartungen zurück bleibende Ergebnisse bei Unternehmen und sogar Gefahren der Schädigung auch von starken Marken6. Multi Channel Marketing ist ein anspruchsvolles, äußerst komplexes und interdisziplinär ausgerichtetes Unterfangen, da das Management ganzheitlich zu gestalten ist und eine unternehmensübergreifende digitale Vernetzung voraussetzt. Es verlangt daher eine unternehmensstrategische Ausrichtung und ist durchaus als Unternehmensführungskonzept anzusehen. Diese Anforderungen wurden von Unternehmen schon vielfach unterschätzt. So haben auch schon viele Unternehmen schlechte Erfahrungen mit dem Multi Channel Marketing-Konzept gemacht. Dennoch wollen immer mehr Unternehmen Multi Channel Marketing nutzen, schon aufgrund der Notwendigkeit, dass in der Praxis viele Zielgruppen mit klassischem Marketing allein nicht mehr erreich- und damit beeinflussbar sind. Bedingt durch die geringen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Multi Channel Marketing, ist das Konzept in der Praxis mit erheblichen Risiken verbunden. Das stellt eine Herausforderung für die Multi Channel Marketing-Forschung dar. 1.2.
Gang der Untersuchung
Nach der Einleitung und Beschreibung der Ziele und Vorgehensweisen der Arbeit, erfolgt im Kapitel 2 die Vermittlung von grundlegendem Wissen zum Multi Channel MarketingKonzept und zu den damit verbundenen Phänomen der Kommunikation. Beim Multi Channel Marketing wird in Ermangelung einer allgemein gültigen Definition eine interdisziplinäre Standortbestimmung durchgeführt. Dazu erfolgt auf der Basis einer eigenen Definition die Abgrenzung zu fünf ausgewählten Konzepten aus Wissenschaft und Praxis, die immer wieder mit Multi Channel- Marketing in Verbindung gebracht werden, sich aber grundlegend von diesem unterscheiden. Die Vorgehensweise soll der Verdeutlichung des speziellen Charakters
2
des Konzepts dienen und Verwechselungsgefahren in der Praxis entgegenwirken. Bei der Diskussion über Phänomene der Kommunikation erfolgt in Ermangelung einer allgemein anerkannten Definition ebenfalls eine interdisziplinäre Standortbestimmung. Dazu wird von der Bedeutung des Begriffs ausgehend eine Klassifizierung in drei Bereiche vorgenommen. Im ersten Bereich werden ausgewählte Merkmale der interpersonellen Kommunikation diskutiert, im zweiten Bereich erfolgt die Diskussion von Merkmalen der Massenkommunikation, im dritten Bereich werden Phänomene der Kommunikation mit neuen Medien beschrieben. Daran schließt sich die Beschreibung von Konzepten des Communicationsmanagements in den Marketingwissenschaften an. Dazu werden, aufbauend auf der grundlegenden Bedeutung der Unternehmens- und Zielgruppenkommunikation, eine Beschreibung des Prozessmodells im Rahmen der Kundenkommunikation und des Phasenmodells im Rahmen des Kundenlebenszyklus durchgeführt. Eine Diskussion über Veränderungsnotwendigkeiten im Rahmen der der Kommunikationspolitik von Unternehmen in Form von Verschiebungen von der Pusch- zur Pull-Kommunikation schließt das Kapitel ab. Im Kapitel 3 werden in Ermangelung einer allgemein anerkannten Theorie der Kommunikation, die es vielleicht nie geben wird, ausgewählte interdisziplinäre Kommunikations- und Medientheorien aus dem Bereich der Wissenschaftstheorie Forschung herangezogen. Sie sollen als Basis zur Erklärung der Phänomene der Kommunikation dienen. Dazu werden die Theorien klassifiziert und in drei Bereiche eingeteilt. Den Bereich der interpersonalen Kommunikation, der Massenkommunikation und der Kommunikation mit neuen Medien. Als Theorien aus dem Bereich der interpersonalen Kommunikation werden die Modelle aus der Denktradition des radikalen Konstruktivismus von Paul Watzlawick (Philosophische Soziologie), Karl Bühler (Linguistik), Friedemann Schulz von Thun (Psychologie) diskutiert. Bei der Massenkommunikation werden zwei Gruppen traditionelle und gegenwartsbezogene Theorien gebildet. Aus dem Bereich der traditionellen Modelle werden diejenigen von Shannon/ Weaver (Kybernetik) und Lasswell (Psychologie) vorgestellt. Als gegenwartsbezogene Theorien werden aus dem dynamisch transaktionalen Bereich die Medienmodelle von Mead und Blumer (Medienwissenschaft), Herzog (Medienwissenschaft), Palmgreen (Medienwissenschaft) und Lazarsfeld (Medienwissenschaft) vorgestellt. Aus den Kommunikations- und Medientheorien der neuen Medien erfolgt nach einer Diskussion der wichtigsten Klassifikationsmerkmale neuer Medien die Vorstellung der Medientheorie Mensch-Maschine-Kommunikation (Informatik), des Usability-Ansatzes (Medienpsychologie) und des GOMS-Modells (Medienpsychologie). Grundannahmen und Erklärungsgegenstand der Modelle werden hinsichtlich der zu erklärenden Phänomene der Kommunikation herangezogen und kritisch reflektiert. Es soll auf diese Weise ein Beitrag zur Theorieentwicklung der Kommunikation geleistet werden. Durch das Zusammenwirken der verschiedenen
3
interdisziplinären Theorien können diese insgesamt als theoretischer Bezugsrahmen für Kommunikation dienen. Im Kapitel 4 werden die Vor- und Nachteile ausgewählter Kommunikationskanäle diskutiert. Nach der Darlegung grundlegender Merkmale von Kommunikationskanälen, wird zunächst das Klassifizierungskriterium Botschaftsflexibilität (aktiv und passiv) dargelegt. Danach erfolgt eine Diskussion von Kommunikationskanälen mit aktiver Botschaftsflexibilität, bei der neben dem Hauptkriterium auch die speziellen Ausprägungen explizit diskutiert und kritisch bewertet werden. Darauf folgend werden Kommunikationskanäle mit passiver Botschaftsflexibilität in derselben Weise diskutiert und kritisch bewertet. Das Kapitel schließt mit Implikationen bzgl. einer Kombination von Kanälen mit unterschiedlicher Botschaftsflexibilität. Im Kapitel 5 erfolgt eine Diskussion ausgewählter strategischer Maßnahmen des Multi Channel-Management. Dazu werden ausgewählte Internet-Kommunikationsinstrumente der Web 1.0- und der Web 2.0-Welt diskutiert. Ausgehend von den Standards für die Web 1.0 bzw. Web 1,5-Welt werden das Architekturkonzept der Web 1.0-Welt (Client/Server-Konzept), sowie Browsersysteme diskutiert. Danach erfolgt die Vorstellung von ausgewählten Instrumenten der Web 1.0- und Web 1,5-Kommunikation und deren Bewertung bezüglich des Kriteriums Botschaftsinteraktivität. Es schließt sich eine Diskussion über Architekturmerkmale und Instrumente der Web 2.0-Kommunikation an. Mit einer zusammenfassenden Bewertung der Kommunikationsinstrumente bezüglich des Kriteriums Botschaftsinteraktivität schließt das Kapitel. Kapitel 6 behandelt das strategische Multi Channel Communications- und MarketingManagement mit traditionellen Medien. Dazu werden zunächst die Konsumentenverhaltensänderungen, durch die eine Multi Channel Marketing-Strategie erforderlich wird, diskutiert. Danach werden Vorgehensweisen zur strategischen Planung der Multi Channel-Struktur anhand ausgewählter Verfahren zur Markt- und Zielgruppensegmentierung mit traditionellen Medien detailliert vorgestellt. Anschließend werden ausgewählte Analysemethoden zur Markt- und Zielgruppensegmentierung vorgestellt und deren Praxisrelevanz aufgezeigt. Es folgt eine Darlegung ausgewählter Grundlagen des Markenmanagements und eine Kenntlichmachung der Besonderheiten durch Multi Channel Marketing. Danach werden Vorgehensmodelle zur Gestaltung der Multi Channel-Strukturen und deren Validitätskriterien anhand ausgewählter Kommunikationsmodelle dargelegt. Den Abschluss des Kapitels bildet ein Exkurs zum Rolle des Strategic Planning in Agenturen/ Marketingabteilungen von Unternehmen beim Multi Channel Marketing. Es werden der Aufgabenbereich und die Ausrichtung des Strategic Planning dargelegt. Dabei wird vom Ursprungskonzept über die derzeitige Rolle ein zukünftiges Entwicklungspotential des Konzepts erarbeitet und auf die Ermittlung des Consumer Insight eingegangen. Es werden die Arbeitsschritte und Möglichkeiten eines Planners und seine Rolle beim Multi Channel Marketing beschrieben.
4
Kapitel 7 behandelt das strategische Multi Channel Communications- und MarketingManagement mit neuen Medien. Dazu werden zunächst Anforderungen an die Kundenorientierung im Informationszeitalter dargelegt. Darauf folgt eine Beschreibung der Bestsandteile des eCRM (electronic Customer Relationship Management) und seiner Rolle als Kundenbindungs- und nicht institutionelles Marktforschungs-Tool beim Multi Channel Marketing. Danach erfolgen Ausführungen, die die strategischen Planungen zur Ermittlung einer Multi Channel-Struktur mit neuen Medien darlegen. Nachdem die wesentlichen Unterschiede der Markt- und Zielgruppenforschung mit neuen Medien zu derjenigen mit traditionellen Medien verdeutlicht wurden, konzentrieren sich die Ausführungen auf Methoden und Verfahren der institutionellen Marktforschung mit neuen Medien. Dazu werden die neuen Möglichkeiten in der Sekundär- und Primärforschung aufgezeigt, sowie ausgewählte Methoden der reaktiven und nicht reaktiven Datenerhebung und der Inhaltsanalyse vorgestellt. Die Herausstellung von Potentialen und Besonderheiten der Online-Marktforschung beim Multi Channel Marketing beenden diesen Teil des Kapitels. Es schließt sich eine Diskussion ausgewählter Faktoren des Markenmanagements im Internet an. Die Darlegung von Besonderheiten des OnlineMarkenmanagements beim Multi Channel Marketing beendet das Kapitel. Kapitel 8 behandelt Faktoren des operativen Multi Channel Communications- und MarketingManagement. Hier werden ausgewählte Faktoren aus den Bereichen der MarketingInstrumente (Kommunikation, Produkt-, Preispolitik und Distribution) und die Anpassungen in diesen Bereichen durch das ganzheitliche Multi Channel Marketing-Konzept herausgestellt. Im Rahmen der Kommunikationspolitik werden Anpassungsnotwendigkeiten durch Multi Channel Marketing in der Informations- und Kommunikations(IuK)-Technik, im Prozessmanagement und der Organisation diskutiert. Im Rahmen der Produktpolitik werden Anpassungsnotwendigkeiten im Bereich kundenspezifischer Produktvarianten, Produktfeldstrategien und E-Services beim E-Commerce diskutiert. Im Rahmen der Preispolitik werden der Prozess des Preismanagements und die Besonderheiten beim Multi Channel Marketing ausgeführt. Im Bereich der Distribution beschränken sich die Ausführungen auf Faktoren der physischen Distribution. Dazu werden allgemeine Faktoren der Logistik beim E-Commerce betrachtet und Faktoren der Logistik der Endkundenbelieferung (B2C), sowie der zwischenbetrieblichen Logistik (B2B) behandelt. Besonderheiten der Logistik beim Multi Channel Marketing schließen das Kapitel ab. Beim Kapitel 9 handelt es sich um einen Übungsteil. Hier werden sechs Aufgaben und eine Case-Studie zu Übungszwecken bereitgestellt. Die ersten drei Aufgaben behandeln die Schwierigkeiten bei der Definition und Abgrenzung des ganzheitlichen Konzepts Multi Channel-Marketing von anderen Konzepten, die in Praxis und Wissenschaft immer wieder mit Multi Channel Marketing in Verbindung gebracht werden und die Gefahr einer Verwechselung mit dem Original-Konzept. Aufgabe 4 behandelt ein Kommunikationsmodell aus der
5
Massenkommunikation. Die Aufgabe 5 behandelt die Kommunikationstrategieentwicklung für Massenfertiger, Aufgabe 6 diejenige für kundenindividuelle Fertiger. Die Case-Studie, die sich mit der Konzeption einer Multi Channel-Strategie in der Reisebranche beschäftigt, beendet die Aufgabenstellung. Im Anschluss daran finden sich Lösungsskizzen für die Aufgaben, die die fachlichen Ausführungen beenden.
Literatur 1 2 3 4 5 6
6
Vgl. Evanschinky/ Hesse [2001]. Vgl. Tomczak/ Schögel [2001], S. 52. Vgl. z.B. Auer/ Koidl [1997]. Vgl. Ahlert/ Evanschitzky/Hesse [2002]. Vgl. Schögel [2001], S. 9 ff. Vgl. z.B. Schögel [2001], S. 13; Merx/ Bachem [2004], S. 43.
2.
Grundlagen der Multi-Channel-Kommunikation
2.1.
Standortbestimmung Multi-Channel-Marketing
2.1.1.
Was ist Multi-Channel-Marketing?
Zum Begriff Multi-Channel-Marketing existiert in Literatur und Praxis keine einheitliche Definition. Der Begriff entwickelt sich zu einem Modewort und infolge der Bedeutung des Internets haben sich vielfältige und durch Überschneidungen auch verwirrende Synonyme und Spielarten entwickelt1. Es existieren die unterschiedlichsten Auffassungen. So wird von Schögel z.B. in Anlehnung an Moritaty/ Moran2 ein „Mehrkanalsystem“ definiert als „…eine Kombination mehrerer Absatzkanäle eines Herstellers“3. Diese Auffassung von MultiChannel-Marketing bezeichnet Bachem hingegen als Multi-Channel-Vertrieb, da es zwar den gleichen Ansatz wie Multi-Channel-Marketing verfolgt, sich aber auf die Vertriebsfunktion und damit auf die Absatzkanäle des Konzepts fokussiert4. Viele Definitionsansätze zum Multi-Channel-Marketing basieren auf dem Begriff der Distribution5. Dabei ist zunächst der Frage nachzugehen, was unter einem Vertriebskanal zu verstehen ist6? Scholl definiert Multi-Channel-Distribution durch verschiedene Vertriebsperspektiven7. Nach der aktivitätsorientierten Vertriebsperspektive wird gefordert, dass im Rahmen der Multi-Channel-Distribution ein Vertriebskanal nur dann als ein solcher zu bezeichnen ist, wenn über ihn ein eigenständiger Vertrieb erfolgen kann. Dieses Kriterium grenzt die in der Literatur manchmal als „Absatzkanäle“ bezeichnete Channel aus, die keinerlei vertriebliche Aktivitäten haben, sondern die lediglich durch Kommunikation oder Werbung den Kunden Informationen zur Verfügung stellen (z.B. spezielle Call-Center etc.). Ausgegrenzt werden auch im Internet durch Verlinkung entstehende „Vertriebskanäle“, die lediglich eine weitere Kommunikationsmöglichkeit darstellen (z.B. spezielle Internetportale etc.). Diese Portale werden als additive Kommunikationsformen und nicht als zusätzliche Vertriebskanäle verstanden. Nach Arnold ist ein Mehrwegabsatz durch die „gleichzeitige und parallele Nutzung verschiedener Absatzwege“8 gekennzeichnet. Hurth versteht unter Mult-Channel einmal „vor allem das Internet bzw. E-Commerce“9, um daraus zu folgern, es handle sich um nichts Neues, sondern lediglich um den Versuch, unterschiedliche Kundengruppen mit unterschiedlichen Vertriebswegen zu erreichen. An einer anderen Stelle versteht er unter Multi-Channel-Marketing wiederum „… den Vertrieb von Produkten oder Dienstleistungen unter einem Markennamen über mehrere stationäre oder nicht-stationäre Vertriebskanäle überwiegend an Endverbraucher“10, um daraus zu folgern, dass die Kanäle miteinander verknüpft sein sollten, um positive Wechselwirkungen zu erzeugen. 7
Im B2B-Bereich ergibt sich zusätzlich die Notwendigkeit zur Klärung des Begriffs MultiChannel-System. Dieses wird als eine spezifische Ausprägung von Distributionssystemen verstanden11. Ein Multi-Channel-System ist diesem Sinne nach als ein Organisationsnetzwerk zu verstehen, über das der Hersteller mit seinen Zulieferern bzw. Kunden verbunden ist. Beim Begriff Channel (Kanäle) wird allgemein je nach medialer Ausstattung unterschieden in Kanäle mit monologischer oder interaktiv-dialogischer Prägung. Ihre Funktionalität ist jeweils dreifach zu beurteilen als Ansprache-, Vertriebs- und Servicekanal. Weitgehende Einigkeit besteht hinsichtlich der Frage, ab welcher Anzahl von Kanälen eine Multi-Channel-Distribution vorliegt. Gemäß vorherrschender Meinung in der Wissenschaft ist das Vorliegen von mindestens zwei Vertriebskanälen für eine Multi-Channel-Distribution notwendig12. 2.1.2.
Definition Multi-Channel-Marketing
Den Definitionsansätzen ist gemeinsam, dass der parallele Einsatz mehrerer Absatz- bzw. Kommunikationskanäle als notwendige und der Sortimentszusammenhang eines markierten Leistungsbündels als hinreichende Bedingung zur Abgrenzung von Formen der Diversifikation verstanden werden13. Diese Bedingung grenzt das Konzept gegenüber der früher üblichen Mono-Kanal-Lösung ab. Diese Bedingungen sind wichtig, um beim Multi-ChannelMarketing die Bedeutung von Wechselwirkungen zwischen den Kanälen (z.B. klassische Marketingformen, E-Commerce und/oder M-Commerce etc.) zu berücksichtigen. Dieses wäre bei einer unterschiedlichen Sortimentsausrichtung in vergleichbarer Form nicht gegeben14. Da keine allgemein anerkannte Definition für Multi-Channel-Marketing existiert, muss eine eigene Definition entwickelt werden. Auf Basis der zuvor ausgeführten Kriterien, Ebenen und Perspektiven soll folgende Definition für Multi-Channel-Marketing gelten: „Multi-Channel-Marketing ist die Nutzung mehrer multifunktional vernetzter Kanäle sowohl für Kommunikation als auch für Vertrieb von Produkten/Dienstleistungen eines Anbieters an organisationale Kunden bzw. Endverbraucher; es enthält mindestens zwei eigenständige unterschiedliche Kanäle für markierte Leistungsbündel mit einem Sortimentszusammenhang, für die ein kanalspezifischer Marketing-Mix bestehen kann und die in ein ganzheitliches Channel-Konzept integriert bzw. mit diesem kombiniert sind“15. Die Definition verdeutlicht, dass das Management des Multi-Channel-Marketing in zwei strategische Ausrichtungen münden kann, wobei beide ganzheitlich ausgerichtet sind. Zum einen kann das Konzept integrativ ausgerichtet sein, zum anderen kann es funktional integriert, aber hinsichtlich der Channel kombiniert ausgerichtet sein. Beide Konzepte haben Auswirkungen
8
auf mehrere Wissenschaftsdisziplinen und Betriebsbereiche (Prozessmanagement, Informations- und Kommunikations(IuK)-Technik, Organisation, Personal, Führung etc). Bei einem Management, das diesen Anforderungen nicht entspricht, ist mit suboptimalen Ergebnissen zu rechnen. Zur Verdeutlichung werden die Zusammenhänge in der nachfolgenden Abbildung 2.1. dargestellt.
Abb. 2.1:
Das ganzheitlichen Konzept Multi-Channel-Marketing und seine Auswirkungen auf andere Wissenschaftsdisziplinen im Überblick
2.1.3.
Abgrenzung des Begriffs Multi-Channel-Marketing
Da in der Praxis sowie in der Literatur viele Begriffe mit Multi-Channel-Marketing in Verbindung gebracht bzw. sogar gleichgesetzt werden, soll nachfolgend zur Verdeutlichung des Konzepts eine Abgrenzung von ausgewählten Begriffen und Konzepten erfolgen, die immer wieder im Zusammenhang mit Multi-Channel-Marketing genannt werden. Dabei sollen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede im Konzeptverständnis kenntlich gemacht werden. Dieses Vorgehen verdeutlicht einerseits die Neuartigkeit und Eigenständigkeit des Konzepts, es zeigt aber auch andererseits Aspekte, die nicht vollständig neu sind. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, auch auf Teilaspekte der Konzepte einzugehen und diese dem ganzheitlich ausgerichteten Multi-Channel-Marketing-Konzept gegenüber zu stellen. 9
Abb. 2.2:
Ausgewählte Begriffe zur Abgrenzung vom Konzept Multi-Channel-Marketing
2.1.3.1.
Cross Media
Auch der Begriff „Cross Media“ wird immer wieder mit Multi-Channel-Marketing in Verbindung gebracht. Von Kracke wird darunter verstanden, „…die Dialogmarketinginstrumente so zu kombinieren, dass der Kunde an verschiedenen Orten und zum gewünschten Zeitpunkt die maßgeschneiderte Unternehmens-, Produkt- oder Markenbotschaft erhält“16. Auch Schmandt versteht Cross Media als „… den abgestimmten Einsatz von gattungsverschiedenen Kommunikationsmitteln, mit dem Ziel, die addierte Werbewirkung jeder einzelnen Maßnahme zu übertreffen“17. Bachem versteht Cross Media daher als ein Konzept zur Umsetzung primär kampagnenorientierter Kommunikationsmaßnahmen, vornehmlich durch die Media Mix-Optimierung von Ansprache- und Akquisitionskanälen18. Die crossmediale Ausrichtung bedingt für Hersteller/ Händler nicht unbedingt und in jedem Fall eine integrative Einbindung in ein ganzheitlich ausgerichtetes Multi-Channel-Konzept. Einige Prozesse/ Daten könnten beispielsweise zeitbezogen für die jeweilige Kampagne durch eine Agentur vorgehalten und von dieser durch Servicedienstleistungen betreut werden. Insofern stellt Cross Media nur einen Teilaspekt des ganzheitlichen Multi-Channel-Marketing-Managements dar.
10
Box 2.1. Cross Media – Dem Kunden auf der Spur…. „Für die werbetreibenden Unternehmen besteht der Wert crossmedialer Werbe- und Marketingkampagnen in der integrierten Kommunikation verbunden mit einer verbesserten Markenwahrnehmung, stärkerer Werbewirkung sowie geringeren Akquisitionskosten je Kunde. Dabei spielen auch erwartete Effekte durch Co-Branding mit der Werbeträgermarke eine wichtige Rolle. [ …] In der Wissenschaft wurde bereits Anfang der neunziger Jahre die These aufgestellt, dass die transaktionsorientierte Steuerung über den klassischen Marketing-Mix zu kurz greife und stattdessen die gesamte Geschäftsbeziehung zum Kunden mit allen Facetten in die Bewertung einzubeziehen sei. Dieser „Paradigmenwechsel des Marketing“ prägte in der Folge den Begriff des Relationship Marketing, der heute in Wissenschaft und Praxis weit verbreitet ist. [ …] Medienunternehmen sind stärker als bisher gefordert, Innovationen auf Basis einer integrierten Crossmedia-Strategie voranzutreiben. Eine solche Strategie umfasst Festlegungen darüber, welche strategisch wichtigen Marken über welche Endgeräte zur crossmedialen Kundenansprache genutzt werden sollen, wo Investitionsschwerpunkte liegen etc. Um positive Effekte auf den Cashflow und Unternehmenswert sicherzustellen, müssen zudem werterelevante Kernprozesse im jeweiligen Unternehmen identifiziert werden. [ …] Der Wettbewerb um gute Werbekunden zwingt Medienunternehmen zur Produktinnovation. In vielen Häusern laufen Vermarktungsaktivitäten parallel und wenig abgestimmt nach Marken und Medienform getrennt. Produktinnovation und Vermarktung müssen jedoch integriert zur Erarbeitung von Wettbewerbsvorteilen erfolgen. Hierfür ist in größeren Häusern die Errichtung einer Cross-Media Sales Force sinnvoll, die diese neuen Aufgaben wahrnimmt und koordiniert.“ Quelle: Müller-Kalthoff [2004], S. 245-257
2.1.3.2.
Integrierte Kommunikation
Ein weiteres Konzept, das mit Multi-Channel-Marketing in Verbindung gebracht wird, ist der Begriff „Integrierte Kommunikation“. Es handelt sich um ein schon etwas älteres Konzept aus der Informatik. Bruhn versteht darunter eine Vernetzung sämtlicher relevanter Kommunikationsdisziplinen über die Planung einzelner Kampagnen hinaus19. Dazu zählen sowohl Public Relations als auch Investor Relations und interne Kommunikation. Gemäß Bachem sind die Unterschiede zwischen integrierter Kommunikation und Multi-Channel-Marketing darin
11
zu sehen, dass das Betätigungsfeld für integrierte Kommunikation i.d.R. wesentlich enger ausfällt als beim Multi-Channel-Marketing20. Das Konzept ist zwar auf Kommunikation ausgerichtet, aber vornehmlich auf die Ansprache- und Servicefunktion der Kanäle fokussiert. Bei integrierter Kommunikation spielt ein deutlich weiterer Begriff des Zielgruppenfokus eine Rolle (z.B. interne, externe Steakholder etc.). Multi-Channel-Marketing bezieht sich hingegen unmittelbar auf die externen Markt- und Kundenzielgruppen. 2.1.3.3.
Multiple Channel Retailing
Der Begriff Multiple-Channel-Retailing wird von Ahlert definiert, als „ …eine erste, einfachere Form eines Mehrkanalsystems aus direkten und indirekten Absatzkanälen unter einheitlicher Markierung …“21. Dabei werden die Kanäle zwar parallel, aber unkoordiniert nebeneinander her eingesetzt. Die Etablierung dieses Konzepts wird vor allem als erste Reaktion auf convenience-orientierte Konsumenten zurückgeführt, die aus Bequemlichkeits- bzw. Zeitgründen lieber von zu Hause aus ihre Konsumbedürfnisse befriedigen und dabei mehrere Kanäle parallel nutzen möchten. Das Konzept ist i.A. gekennzeichnet durch: x
Eine uneinheitliche Produktpalette.
x
Fehlendes Customer Relationship Management(CRM)-System und daher das Fehlen von kanalübergreifenden Kundeninformationen.
x
Fehlende Integration mit dem Warenwirtschaftssystem, daher fehlender Datenabgleich.
Daraus ergeben sich gravierende und negative Folgen für die Kunden:
12
x
Durch die fehlende Integration zwischen den Kanälen müssen sich die Kunden jeweils eine neue Kundennummer in jedem der Kanäle für die Transaktionen merken.
x
Durch die fehlende Integration mit dem Warenwirtschaftssystem können Waren, die in einem Kanal gekauft wurden, auch nur in diesem zurückgegeben/umgetauscht werden.
x
Fehlende Kundeninformationen machen ein Eingehen auf Kunden unmöglich, die sich als „Channel-Hopper“ verstehen und ihr Konsumentenverhalten dementsprechend ausrichten.
x
Durch unterschiedliche Produktpaletten können Probleme mit Herstellern bzw. indirekten Verkäufern auftreten.
x
Negative Erfahrungen eines Kunden in einem der Kanäle können leicht auf (alle) andere(n) Kanäle übertragen werden.
Das Konzept „Multiple Channel Retailing“ ist lediglich geeignet, wenn Unternehmen kanalspezifische Produktpaletten anbieten wollen. In diesem Fall sollte das aber gegenüber dem Kunden nicht unter einer einheitlichen Markierung geschehen22. Als Vorteil für ein derartiges Konzept wird die Flexibilität durch den raschen Auf- und Abbau neuer (getrennter) Kanäle propagiert. Dieser „Vorteil“ hat jedoch nur aus der Sichtweise des Jahres 2001 Gültigkeit. Zu dieser Zeit gab es noch wenige Erkenntnisse zu Fragen der Zeitund Kostenersparnisse durch Prozessintegration bzw. zu Fragen der Kundenzufriedenheit durch die Vermeidung von Medienbrüchen. Auch waren die Möglichkeiten zur Datenintegration deutlich umständlicher als zurzeit im Jahr 2007/ 2008. In der heutigen „Internet-Zeit“ spielen Kosteneffekte durch schnelle, effektive und durchgängige Prozessketten eine herausragende Rolle für die Wirtschaftlichkeit auch bei Mittelständlern23. Medienbrüche kosten nicht nur Zeit und Geld durch die Beschäftigung mehrerer Mitarbeiter, die allein mit der Übertragung von Listen/ Bestellungen etc. aus allen Kanälen in das eigene ERP-System beschäftigt sind, sie sind auch extrem fehleranfällig durch die manuelle Mehrfacherfassung und Übertragung von Daten. Auch fördert es nicht mehr die Kundenzufriedenheit, unter mehreren verschiedenen (kanalspezifischen) Kundennummern mit dem Hersteller/ Händler zu interagieren. Ebenso wenig wollen Kunden akzeptieren, dass Rückgaben bzw. Umtausch nur in dem Kanal möglich sind, in dem die Ware gekauft wurde. Die kundenspezifischen, ökonomischen und Zeitvorteile, die sich aus der, in der heutigen Zeit problemlos möglichen, Daten- und Prozessintegration ergeben, machen die im Jahre 2001 ermittelten Vorteile eines Multiple Channel Retailing-Ansatzes somit obsolet.
13
Box 2.2. Fokussiertes Mehrkanalsystem als flexibler Absatzkanal-Mix Der Ansatz „fokussiertes Mehrkanalsystem“ wird von Schögel in den Rahmen von Möglichkeiten zur Konfiguration des Absatzkanal-Mix eingeordnet. Der Ansatz kann bewusst gewählt werden, z.B. um sich an den Problemen bestimmter Kundengruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen auszurichten. Er ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: x Flexibler Absatzkanal-Mix, x Trennung der Leistungen und Kanäle nach Kundengruppen, x Externer vor internem Fit. Die Trennung der Absatzkanäle kann ein unterschiedliches Ausmaß einnehmen. Das geht beispielsweise von einer Differenzierung des Außendienstes nach Kanälen bis zur Trennung von Leistungen in den Bereichen Markierung, Produktprogramm und Preis, in preisaggressiven Kanälen (z.B. Discounter und Fachhändler). Je nach Konfiguration führt eine derartig totale Trennung der Kanäle auch zu einer internen Konkurrenz zwischen den Absatzkanälen und damit zu Kannibalisierungseffekten, die von den Unternehmen in Kauf zu nehmen sind. Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Geschäftsbereichsstrategie der Bon-Appétit-Gruppe. Dabei unterscheiden sich Geschäftsbereiche nach Vertriebslinien und Marken auf zwei Absatzkanälen (Großhandel und Kundenfront).
Quelle: Vgl. Schögel [2001], S. 34
14
2.1.3.4.
Multi-Channel-Retailing
Auch der Begriff Multi-Channel-Retailing wird immer wieder im Zusammenhang mit MultiChannel-Marketing genannt. Das Konzept Multi-Channel-Retailing wird von Ahlert/Hesse als ein Multikanal-System beschrieben, das zwar sowohl offline als auch online die informationstechnischen Voraussetzungen besitzt, um an jedem Ort auf die spezifischen Wünsche der Kunden reagieren zu können24. Auch kanalübergreifende Kundeninformationen durch ein Customer Relationship Management(CRM)-System und eine Verknüpfung mit dem Warenwirtschaftssystem sind bei diesem Konzept zumeist vorhanden. Wird der Schwerpunkt der Kommunikationsaktivitäten jedoch näher betrachtet, so fällt auf, dass hier eine deutliche Fokussierung auf die Vertriebsfunktion der Multi-Channel-Ausrichtung liegt. Multi-ChannelRetailing wird daher vorwiegend als Absatzkanal im Rahmen der Multi-Channel-Strategie genutzt und deutlich weniger als Kommunikationskanal25. Diese Ausrichtung kritisiert auch Bachem und bezeichnet das Konzept daher als Multi-Channel-Vertrieb (engl. Retailing)26. Multi-Channel-Retailing beinhaltet daher nur einen Teilaspekt des in den Kommunikationsphasen ganzheitlich ausgerichteten Konzepts Multi-Channel-Marketing. 2.1.3.5.
Mediaselektion
Die Funktion der Mediaselektion liegt in der Aufteilung des Kommunikationsbudgets für Werbeträger nach zeitlichen und sachlichen Kriterien27. Das bedeutet, es ist eine Auswahl der für bestimmte Werbung geeigneten Werbeträger vorzunehmen mit dem Ziel der Wirkungsmaximierung im Hinblick auf die angestrebten Werbeziele. Folgende Schritte sind dazu vorzunehmen28: 1. Prüfung der Verfügbarkeit des Werbeträgers Hier ist zu prüfen, welche Medien international im entsprechenden Markt zur Verfügung stehen, denn es ist sehr kostspielig, Kommunikationssysteme aufzubauen. Sowohl kulturelle und technische Gegebenheiten als auch gesetzliche Bestimmungen (z.B. Werbeverbote für bestimmte Produkte etc.) sind dabei zu berücksichtigen. 2. Zielgenauigkeit Zielgenauigkeit bezieht sich auf die Analyse der Zielgruppe, für die die Werbebotschaft bestimmt ist. International ist dabei in transkulturelle und nationale Gruppen zu unterscheiden. 3. Darstellungsbedingungen Diese hängen international von den vorherrschenden Sitten, Religion und Moral ab.
15
4. Image des Werbeträgers Hier geht es um die international unterschiedliche Akzeptanz von Werbung und Werbeträgern. Dabei sind unterschiedliche Nutzungsmuster zu ermitteln, die über die qualitative und quantitative Art und Wirksamkeit in verschiedenen Ländern Aufschluss ermöglichen, um Standardisierungspotentiale zu ermitteln. Dabei sollten lokale, rechtliche und soziale Vorgaben Berücksichtigung finden. Die Ausführungen zeigen, dass das Konzept der Mediaselektion nur Teilaspekte des ganzheitlich ausgerichteten Multi-Channel-Marketing beinhaltet, jedoch in dieses integrierbar ist. Grundlage für ein effizientes Multi-Channel-Marketing ist die Kommunikation durch ein effektives Kommunikationsmanagement. Die Konzepte Crossmedia, integrierte Kommunikation Multiple Channel Retailing, Multi-Channel-Retailing und Mediaselektion sind mit anderen Schwerpunkten versehen, als das ganzheitlich ausgerichtete Multi-Channel-Marketing-Konzept. Hinsichtlich ihrer Fokussierung auf die jeweilige Kommunikationsfunktion (Ansprache, Distribution bzw. Service) stellen sie für sich lediglich Teilaspekte in Multi-Channel-Marketing-Konzepten dar, sind jedoch in dieses ohne Probleme integrierbar. Das Management beim Multi-Channel-Marketing ist ganzheitlich und hinsichtlich einer Dreifach-Kanalfunktion zu gestalten, wobei als vierte Funktion der Service hinzuzufügen ist. Sowohl bei den Funktionen Akquisition und Ansprache (Kommunikation) als auch beim Vertrieb (Distribution) und der Servicefunktion (Nachkaufphase) ist eine der wohl schwierigsten Aufgaben in der Integration neuer Kanäle zu sehen29. Dazu gehört sowohl die Kanalselektion und –bewertung als auch die Konfiguration und Koordination des darauf abzustimmenden Kanal-Mix. Hinsichtlich der externen und internen Markenpräsentation bzw. der Entwicklung eines für mehrere Medien tragfähigen Medienkonzepts ist zusätzlich ein kontentbezogener Ansatz zu entwickeln. Durch den ganzheitlichen Charakter des Konzepts sind auch interne Abstimmungen z.B. hinsichtlich der Prozesse, der Aufgaben der Mitarbeiter und der Anreiz- sowie Konditionensysteme, Unternehmenskultur und Organisation etc. vorzunehmen. 2.2.
Standortbestimmung Kommunikation
2.2.1.
Begriff Kommunikation
Der Begriff Kommunikation kommt aus dem Lateinischen „communicatio“30. Er hat aus etymologischer Sicht die Bedeutung Mitteilung, Verbindung, Zusammenhang, Verkehr, Umgang, Verständigung (zwischen Menschen). Die Klammern deuten an, dass nicht in jedem Fall Menschen dazu gehören müssen. Für den Begriff Kommunikation existiert derzeit keine verbindliche Definition in der Wissenschaft. Merten hat bereits 1977 mehr als 164 verschie16
dene Definitionen des Begriffs Kommunikation analysiert mit z.T. sehr unterschiedlichen Aspekten31. Um die Phänomene der Kommunikation zu systematisieren bzw. zu generalisieren, entstehen in verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen immer wieder Kommunikationstheorien, die dann zu diskutieren sind. Die Beschäftigung mit Kommunikation ist dabei interdisziplinär32. Formal lässt sich zwischenmenschliche Kommunikation als Wechselspiel von codieren und decodieren beschreiben, bei dem ein Sender seine Botschaft mit Hilfe von Zeichen, Signalen, Symbolen verschlüsselt und diese dann über ein Medium (Gespräch, Telefon, Brief etc.) an einen Empfänger transferiert33. Der Empfänger entschlüsselt dann die Nachricht. Inhaltlich handelt es sich erst dann um Kommunikation, wenn der Rezipient die Botschaft in der gleichen Weise interpretiert, wie der Sender. Dieses ist häufig jedoch nicht der Fall und führt zu Missverständnissen. Die elementaren Kennzeichen des Begriffs Kommunikation sind durch viele Wissenschaftsdisziplinen geprägt und lassen sich folgendermaßen zusammenfassen34: Ein Soziologe versteht Kommunikation vorrangig als sozialen Prozess, bei dem der Schwerpunkt auf Sozialität liegt und Kommunikation und Information als innerhalb einer Gesellschaft oder Gemeinschaft befindlich definiert werden (Umweltbezogenheit kommunikativer Vorgänge). Ein Linguist legt den Schwerpunkt der Kommunikation auf alltagstypische, formallogische Sprechhandlungen und Bedeutungsprozesse. Für ihn handelt es sich um einen speziellen Bereich der Kommunikation, der Sprache und Sprechtätigkeit als Medium im Kommunikationsprozess vorsieht (Merkmal der Wechselseitigkeit kommunikativer Prozesse). Ein Naturwissenschaftler (Informatiker) wiederum legt den Schwerpunkt der Kommunikation auf die Informationsverarbeitung und –Verbreitung, wobei die Information möglichst sicher und vollständig vom Sender zum Empfänger übertragen werden soll (Übertragung kommunikativ übermittelter Zeichen). Bei der interkulturellen Kommunikation müssen Sender und Empfänger nicht nur eine mehr oder minder große Schnittmenge an Codes gemeinsam haben, sondern auch Normen, Werte, Symbole und Fakten kennen, die in beiden kulturellen Erfahrungswelten gelten35. Das darin enthaltene gemeinsame Wissen begründet eine „Ökonomie der Verständigung“36, denn die Gesprächspartner können darauf verzichten, Informationen, die gemeinsames Kulturgut sind, explizit auszutauschen. Kommunikation mit Angehörigen anderer Kulturen, kann daran scheitern, dass bestimmte Codes nicht so interpretiert werden, wie sie von ihren Gesprächspartnern gemeint sind. So deuten Deutsche das graphische Abbild eines Vogels eindeutig als „Huhn“, während Italiener auch viele andere Vogelarten damit assoziieren (Ente, Fasan, Wachtel etc.), was mit ihren reichhaltigen landestypischen Essgewohnheiten zusammenhängt37.
17
2.2.2.
Interpersonale Kommunikation
Interpersonale Kommunikation beinhaltet viele Theorien/ Modelle aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen. Eine allgemein anerkannte Definition existiert derzeit nicht; es existiert hingegen ein Konglomerat verschiedener Theorien/ Modelle, die in einem Zusammenhang stehen und zu diskutieren sind38. Allen Definitionen gleich sind folgende Merkmale der interpersonalen Kommunikation39: 1. die Kommunikation ist nicht öffentlich, d.h. es handelt sich um personell definierte Empfänger, 2. technische Verbreitungsmittel sind nicht notwendig, 3. es existiert keine zeitliche Distanz zwischen den Kommunikationspartnern, 4. Kommunikation ist zweiseitig, d.h. ein Rollenwechsel zwischen Sender und Empfänger mit der Möglichkeit der „Rede und Gegenrede“ ist möglich, 5. Kommunikation richtet sich an einen personell definierten Rezipienten. Die interpersonale Kommunikation in Form der direkten face-to-face-Interaktion geht von der Grundlage aus, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Zentrale Forschungsfrage ist z.B., was passiert mit uns und durch uns, wenn wir miteinander umgehen? Im Rahmen der interpersonalen Kommunikation finden Mitteilungen über verschiedene Kanäle statt; diese werden nachfolgend diskutiert. 2.2.2.1.
Verbale Kommunikation
Bei der verbalen Kommunikation dient die Sprache als Mittel der Kommunikation. Es gibt drei Hauptaspekte der Sprache, anhand derer diese in der Linguistikforschung untersucht wird40. x
Syntax und Grammatik,
x
Systematisierung der Umgebung,
x
Organisation der Umgebung.
Als Syntaktik wird das Anliegen des Informationstheoretikers bezeichnet, der sich mit Problemen der Nachrichtenübermittlung (Codes, Kanälen, Kapazität, Rauschen, Redundanz etc.) als Phänomene der Sprache beschäftigt41. Praktisch haben die Probleme nichts mit der Bedeutung der verwendeten Symbole zu tun. Bedeutung ist vielmehr das Hauptanliegen der Semantik. Während es durchaus möglich ist, Symbolserien mit syntaktischer Genauigkeit zu übermitteln, würden sie doch sinnlos bleiben, wenn Sender und Empfänger sich nicht im Voraus über ihre Bedeutung geeinigt hätten. Daher setzt jede Nachricht ein semantisches Überein-
18
kommen voraus. Zudem wird jede Kommunikation als pragmatischer Aspekt durch das Verhalten der Teilnehmer beeinflusst. Wenn auch theoretisch eine klare begriffliche Trennung der drei Gebiete möglich ist, so sind sie praktisch wechselseitig voneinander abhängig. Im Gegensatz zur Sprache als bloßes Mittel zur Kommunikation, als äußeres Sprechen, existiert auch die Sprache als inneres Sprechen. Hier ist sie Medium unseres Denkens, wobei sich beides gegenseitig bedingt. Als inneres Medium lässt sich die Sprache in drei Funktionen im Hinblick auf die Umgebung des denkenden Menschen charakterisieren: x
Repräsentation der Umgebung,
x
Systematisierung der Umgebung,
x
Organisation der Umgebung.
Aus diesem Gefüge ergibt sich die Theorie der sprachlichen Relativität42. Es existieren verschiedene Menschen, die in unterschiedlichen Sprachen über dieselbe Welt sprechen. Verschiedene Sprachen bilden verschiedene kognitive Welten, wodurch sie dieselbe Welt verschieden sehen und interpretieren. Verbale Kommunikation hat unterschiedliche Mitteilungsebenen43. Die schriftliche Kommunikation ist als ein Spezialfall der verbalen Kommunikation zu sehen. Unterschiede in der Codierung verbaler Zeichen bilden aber nur eine Verständigungsbarriere unter vielen; denn es kommt nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern auch wie es gesagt wird (nonverbale Kommunikation). 2.2.2.2.
Nonverbale Kommunikation
Nonverbale Kommunikation ist auf zweierlei Art von der verbalen Kommunikation abzugrenzen44: 1. Die Dekodierung der nonverbalen Kommunikation ist unvermittelter, automatischer, da sie keine bewusste Analyse und Dekodierung kennt. 2. Informationen über Emotionen und Einstellungen werden über die nonverbale Kommunikation effektiver vermittelt. Die Frage ist, welches Verhältnis von verbaler und nonverbaler Kommunikation einen Einfluss auf die interpersonale Kommunikation hat? Eines gilt als sicher, ohne die Fähigkeit nonverbale Zeichen zu senden und zu empfangen, bleibt die soziale Interaktion beschränkt. Die meisten nonverbalen Signale sind kulturspezifisch.
19
Box 2.3. Gleichgewichtsherstellung … „Wird durch ein kommunikatives Mittel (z.B. die Verringerung der körperlichen Distanz zwischen zwei Kommunizierenden) die Intimität erhöht, versucht man das Gleichgewicht durch andere Mittel (z.B. Vermeidung des Blickkontakts) wieder herzustellen.“ Quelle: Praast/ Lindauer [2000], S. 5
Die fünf Hauptfunktionen nonverbaler Kommunikation sind45: 1. 2. 3. 4. 5.
Steuerung einer sozialen Interaktion, d.h. Kommunikationsinteresse signalisieren. Selbstdarstellung, z.B. nett, sympathisch, intelligent etc. Kommunikation emotionaler Zustände (innere Erregung, Furcht, Zorn etc.). Kommunikation von Einstellungen (z.B. Zustimmung etc.). Kanalkontrolle („ich will etwas sagen“, z.B. durch Änderung der Körperhaltung, des Blicks, der Stimme etc.).
Nonverbale Botschaften lassen sich weiter in drei Klassen einteilen46: 1. Reize der Unmittelbarkeit, Vertraulichkeit (diese kommunizieren Sympathie und Bewertung, z.B. Blickkontakt, Körperorientierung, interpersonale Distanz, Berühren, Vorwärtsneigung des Körpers), 2. Entspanntheitsreize (diese kommunizieren Statusunterschiede und Unterschiede bzgl. sozialer Kontrolle), 3. Aktivitätsreize (diese kommunizieren Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft). Einen Überblick über die verschiedenen nonverbalen Kommunikationselemente gibt die nachfolgende Abbildung 2.3.
20
Abb. 2.3:
Nonverbale Kommunikationselemente, Quelle: in Anlehnung an Usunier/ Walliser [2003], S. 68
Eine Antwort auf die Frage nach der Wirksamkeit der verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten gibt eine Studie von Mehrabian47. Derzufolge bezieht eine Botschaft ihre Überzeugungskraft nur zu x
7% aus ihren verbalen Anteilen (= Wörter), aber zu
x
38% aus ihrem para-verbalen (= Tonfall, Stimmlage, Lautstärke) und zu
x
55% aus den nonverbalen Gehalt (= Mimik, Körperhaltung, Gestik).
Im interkulturellen Bereich ist die Gefahr von Missverständnissen durch kulturspezifische Unterschiede im Rahmen der nonverbalen Kommunikation ungleich größer als im intrakulturellen Bereich. So existiert im Bereich der verschiedenen Sprachen eine Kontextabhängigkeit der Kommunikation48. Angehörige von Low Context-Kulturen (vorwiegend westlichen Kulturen) bevorzugen die explizite, d.h. schwergewichtig verbale Form der Kommunikation. High Context-Kulturen (vorwiegend fernöstliche, arabische, mediterrane, lateinamerikanische und einige afrikanische Kulturen) legen größten Wert auf „Silent Language“. Der Großteil der Informationen wird in diesen Kulturen implizit ausgetauscht und erst durch die begleitenden non- und paraverbalen Zeichen verständlich (Mimik, Gestik, Blickkontakt oder Körperhaltung). So kann ein scheinbar eindeutiges „Nein“ durch ein Lächeln entkräftet oder relativiert bzw. sogar in sein Gegenteil verkehrt werden. Individuelle Absichten, Bedürfnisse oder Wünsche werden von den Angehörigen dieser Kulturen häufig in Metaphern gekleidet.
21
Box 2.4. Metakommunikation bei einem tragischen Ereignis „Die Art, wie eine Person ein tragisches Ereignis beurteilt, kann nur dann richtig beurteilt werden, wenn der gesamte Zusammenhang (Gestik, Stimmqualität, vorausgegangenes Gespräch) berücksichtigt wird. Also nicht nur der Inhalt der Mitteilung. Würde man nur den Inhalt des Gesprächs feststellen, könnte man nicht feststellen, ob die Mitteilung als Hilferuf, Aufforderung, Mitleid,… gemeint war.“ Quelle: Praast/ Lindauer [2000], S. 5
2.2.2.3.
Metakommunikation
Als Metakommunikation wird das Zusammenwirken aller Kanäle (verbale und nonverbale) angesehen49. In früheren Zeiten neigten die Wissenschaftler dazu, kommunikatives Verhalten über den Kanal einzuteilen, auf dem die jeweilige Information übertragen wurde. Es wurde also verbale und nonverbale Kommunikation unterschieden. Kommunikationsuntersuchungen haben sich immer nur auf einen Kanal bezogen, die anderen Kanäle wurden jeweils ignoriert. Nach heutigem Verständnis gibt es keine klare Unterscheidung zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation. Gründe dafür sind entwicklungspsychologische Erkenntnisse, die besagen, dass verbale und nonverbale aus derselben zentralen Verarbeitungseinheit stammen. Neuere Untersuchungen zur Metakommunikation beziehen sich also nicht mehr nur auf einen Kanal, sondern auf mehrere. Interpersonale Kommunikation ist dyadisch ausgerichtet und nicht öffentlich. Der Erfolg dieser Kommunikation kann von vielerlei Störungen beeinträchtigt werden, beispielsweise selektiven Wahrnehmungen, Mängel in der Codierung bzw. Decodierung der Nachrichten oder physischen Unzulänglichkeiten. Die Mängel bewirken, dass Nachrichten ihre Empfänger nicht vollständig erreichen oder von ihnen nicht bzw. nur unvollständig wahrgenommen werden. Zur Abwehr der zuvor genannten Gefahren spielen der effektive Kommunikationsprozess, richtige Zielgruppenansprache, gewählte Kommunikationsart in Form von Metakommunikation eine ausschlaggebende Rolle. Sender können den Empfängern ihre Botschaft über unterschiedliche Kanäle übermitteln, ob diese Botschaften ihr (Beeinflussungs-)Ziel auch erreichen, hängt häufig stärker vom Kontext (nonverbaler Signale) der Kommunikation als von deren Inhalt ab.
22
2.2.3.
Massenkommunikation
Als Massenmedien werden alle Medien bezeichnet, über die durch Techniken der Verbreitung und Vervielfältigung mittels Schrift, Bild und Ton schriftlich bzw. akustisch Aussagen an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen vermittelt werden50. Der deutsche Begriff Massenkommunikation stammt aus dem englischen „mass communication“, der im Gegensatz zum Deutschen nicht das kulturkritische Element von Vermassung und Massenmensch in sich birgt. Bei diesem Begriff liegt also im Deutschen eine doppelte Konotation (Bedeutung, die mitschwingt) vor. Die zu vermittelnden Aussagen sind nicht wie bei der interpersonalen Kommunikation personengebunden, sondern an eine Vielzahl von Menschen gerichtet. Diese Vielzahl, das Publikum, ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: x
unüberschaubar,
x
heterogen,
x
anonym.
Die Adressaten sind räumlich voneinander getrennt, sie sind gegenseitig anonym und wissen lediglich, dass außer ihnen noch viele andere Menschen die Aussagen aufnehmen. Weitere Merkmale des Publikums sind: es ist (1) unstrukturiert, (2) unorganisiert, (3) die Kommunikation erfolgt indirekt (keine face-to-face-Kommunikation, jedoch sind Feedback-Sendungen und Interaktionen im Internet möglich; hier liegen neue Mischformen vor), (4) es existiert eine Raum-zeitliche Trennung zwischen Kommunikator und Rezipient, (5) die Kommunikation ist vielschichtig und (6) sie ist inhomogen. Das Forschungsgebiet zur Massenkommunikation befindet sich im Wandel, der mit großen Unsicherheiten in der Begriffsbildung verbunden ist. Anzeichen dafür sind u.a. die Diskussion, die sich um die schon klassische Definition der Merkmale für öffentliche Kommunikation von Maletzke dreht. Dieser verfasste seine Definition lange vor Verbreitung des Internet und berücksichtigt daher lediglich klassische Medienformen. Demnach ist die öffentliche Kommunikation eine Kommunikationsform51 „bei der Aussagen öffentlich (also ohne begrenzte und personell definierte Empfängerschaft), durch technische Verbreitungsmittel (Medien), indirekt (also bei räumlicher oder zeitlicher oder raum-zeitlicher Distanz ) und einseitig (also ohne Rollenwechsel zwischen Aussagenden und Aufnehmenden) an ein disperses (verstreutes) Publikum […] gegeben werden“.
23
Diese Auffassung ist insofern veraltet, da sich Medien in neuerer Zeit an spezifische Zielgruppen, statt an ein disperses Publikum, richten. Auch neue und direkte Formen der Publikumsbeteiligung machen Begriffe wie „indirekt“ und „einseitig“ obsolet. 2.2.3.1.
Struktur der Massenkommunikation
Bei der Struktur der Massenmedien geht es um Fragen von Kommunikation über Massenmedien und Fragen der Realität. Nach den Vorstellungen des Konstruktivismus beruht Kommunikation generell nicht auf einer Abbildung der „Wirklichkeit“ oder der „Realität“. In dieser Denktradition modelliert der Mensch durch Selektion, Projektion sowie subjektabhängige Sinngebung und Bedeutungszuweisung eine individuelle Wirklichkeit52. Eine „konstruierte“ Wirklichkeit ist auch das zentrale Merkmal der medialen Berichterstattung. Massenmedien repräsentieren i.d.R. die Wirklichkeit nicht. Die dargebotene Wirklichkeit repräsentiert vielmehr die Stereotypen und Vorurteile der Journalisten53. Massenmedien zeigen also eine verzerrte Medienrealität. Diese Tatsache birgt einen Widerspruch. Dieser besteht zwischen dem Anspruch auf Wahrheit, Objektivität der Berichterstattung und Ausgewogenheit sowie Unparteilichkeit und der verzerrten Medienrealität. Auf diesen Widerspruch existieren zwei Antwortmöglichkeiten:
Abb. 2.4:
Alternative 1 : Hierbei sieht der Mensch den Gegensatz zwischen Medien und Wirklichkeit
Abb. 2.5:
Alternative 2: Hier sieht der Mensch die Medien als Teil der Wirklichkeit
Medien und Wirklichkeit wirken aufeinander. Massenmedien werden daher nicht nur als Techniken der Kommunikation verstanden (= Verbreitung von Informationen), sondern als Instanzen der Selektion und Sinngebung. Auf diese Weise greifen sie aktiv in die gesellschaft24
liche Konstruktion der Wirklichkeit ein. Nach Schulz sind sie sogar „Weltbildapparate“54. Es geht also nicht um die Frage, wie gut oder schlecht bilden die Massenmedien die Wirklichkeit ab, sondern wie konstruieren Massenmedien die Wirklichkeit; welche Selektions- und Interpretationsregeln gelten? Massenmedien handeln nach der Prämisse: Ereignisse werden erst dadurch zu Nachrichten, dass sie aus der Totalität des Geschehens ausgewählt werden55. 2.2.3.2.
Funktionen der Massenkommunikation
Der Begriff Funktion im Zusammenhang mit Massenmedien bedeutet Leistungen, die die Massenmedien für das jeweils betrachtete Gesellschaftssystem erfüllen56. Ein soziales System besteht aus faktischen Handlungen, die sinngemäß zusammenhängen; ein System, das durch den Sinn verbunden ist. Sind Massenmedien funktional, fördern sie die Anpassung des Systems an seine Umwelt. Sind Massenmedien dysfunktional, beeinträchtigen sie die Anpassung des Systems an seine Umwelt. Dabei hat jedes System die Tendenz, sich selbst erhalten zu wollen. Es sucht also nach funktionalen Elementen, die es stützt. Als soziale Funktionen sind alle Leistungen der Massenmedien im Hinblick auf die gesellschaftliche Umwelt als soziales System zu sehen57. Die Sozialisationsfunktion der Massenmedien besteht in der Stärkung des Normenbewusstseins. Kommunikation über Massenmedien ist im Gegensatz zur interpersonalen Kommunikation eine öffentliche Kommunikation, die durch Medien vermittelt wird. Kommuniziert wird i.a.R. indirekt, einseitig und an ein disperses Publikum. Das Forschungsgebiet ist durch einen großen Wandel und damit verbundene Unsicherheiten gekennzeichnet. Durch Massenkommunikation wird eine verzerrte „Medienrealität“ gezeigt, die auf Stereotypen und Vorstellungen der Journalisten basiert. Dieses bringt Massenkommunikation in einen Widerspruch zum Anspruch auf Wahrheit und Objektivismus. Funktionen der Massenkommunikation sind in der Förderung zur Anpassung des Systems an seine Umwelt zu sehen; wobei die Sozialisationsfunktion in der Stärkung der Normen der Gesellschaft liegt. 2.2.4.
Kommunikation mit neuen Medien
Neben den rel. eindeutig klassifizierbaren Kommunikationsformen zur Individual- und Massenkommunikation existieren auch nicht eindeutig zuordenbare Formen wie z.B. eine Konferenz, ein Vortrag mit anschließender Diskussion oder auch das Internet58. Ein klassisches (Massen)Medium ist das Internet nicht, sondern eine technische Infrastruktur, die unterschiedliche Medien und Formen von Kommunikation beinhaltet, darunter auch Massenmedien (Online-Angebote bestehender Massenmedien, ebenso wie nur online verbreitete Massenmedien). Als Massenmedium kann das Internet aber nur berücksichtigt werden, wenn der Begriff 25
„Masse“ als „Netzwerk“ definiert wird. Auch die Selektionsforschung kann mit ihrem kommunikationswissenschaftlichen Bezug zum Internet diesem nur gerecht werden, wenn der Begriff „Selektion“ synonym zu „Navigation“ verwendet wird59. Bei der Charakterisierung des technologischen Nutzenpotentials des Internet ist auf die Begriffe „Multimedia“ und „Interaktivität“ hinzuweisen, die es von anderen Plattformen wie den klassischen Massenmedien (Fernsehen, Rundfunk etc.) und der mit diesen verbundenen eingeschränkten Botschaftsflexibilität (Rückkanalfähigkeit) abgrenzt60. Angesicht des rasanten Entwicklungstempos im Bereich der neuen Medien, wies schon im Jahre 1998 Weischenberg darauf hin, das Fach scheine „zunehmend in definitorische, theoretische und methodologische Schwierigkeiten zu geraten, wenn die traditionellen Massenmedien verlassen werden und neue Informationstechnologien (...) ins Blickfeld gelangen und deren Auswirkungen für Gesellschaft, Staat, Politik, Wirtschaft und Kultur zu analysieren wären“61. So scheint es, dass Forscher aus dem Bereich Kommunikationswissenschaften z.Zt. stark verunsichert sind, da Begriffe und Konzepte des Fachs neu betrachtet und definiert werden müssen. Es ist daher mit definitorischen Unzulänglichkeiten zu rechnen, da auch bestehende Kommunikationsbegriffe nicht verworfen werden, sondern in Bezug zum Internet zu hinterfragen und zu erweitern sind. Das Internet ist als ein Schritt in der Evolution der Kommunikation über Distanz zu sehen, das Mediengleichheit wieder ermöglicht. Ein Ersatz für Massenkommunikation bzw. Massenmedien ist jedoch nicht in Sicht62. Kommunikation z.B. in Form der Mensch-Maschine-Kommunikation wird wissenschaftlich im Rahmen der Ansätze der Mensch-Maschine-Interaktion gebündelt63, die sich mit Spezifikationsansätzen zur konstruktionsorientierten und verhaltensorientierten Modellierung aus system- bzw. nutzerzentrierter Sicht beschäftigen. Ziele sind die Unterstützung der Analyse, des Entwurfs und der Optimierung von Schnittstellen und gegebenenfalls der Implementierung. Kommunikation mit neuen Medien ist im Rahmen der Klassifizierung interpersonale versus Massenkommunikation nicht eindeutig zuordenbar. Sie beinhaltet sowohl Merkmale der einen sowie auch der anderen Kategorie. Kommunikation in diesem Bereich beinhaltet auch Faktoren der Medienwissenschaften, ein Wissenschaftsbereich, der vor allem in neuerer Zeit starken Umbrüchen unterworfen ist. Internetkommunikation ist als Evolution im Bereich Kommunikation über Distanz zu sehen, aber nicht als Ersatz für Massenkommunikation. Kommunikationsansätze werden z.B. in den Ansätzen der Mensch-Maschine-Interaktion gebündelt, die sich z.B. mit der Unterstützung von Analyse, Entwurf und Optimierung von Benutzerschnittstellen beschäftigen.
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2.3.
Communicationsmanagement in den Marketingwissenschaften
2.3.1.
Unternehmenskommunikation
Über die Definition von Unternehmenskommunikation herrscht in der Wissenschaft Uneinigkeit64. Allen Definitionen gemeinsam ist die Überzeugung, dass unter Unternehmenskommunikation grundsätzlich die Aktivitäten zwischen einem Unternehmen und seinen Zielgruppen verstanden werden kann. Unternehmenskommunikation lässt sich allgemein der asymmetrischen oder der symmetrischen Kommunikation zuordnen bzw. kann einen Mix aus beiden Kategorien vorsehen. Die asymmetrische Kommunikation ist ein persuativer Ansatz mit dem Ziel der Überredung und Überzeugung der Öffentlichkeit mit einer einseitigen Kommunikationsrichtung65. Die symmetrische Kommunikation ist kooperativ ausgerichtet mit dem Ziel eines besseren Verständnisses zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit (integrierte Kommunikation). Verkaufen und Werbung liegen dem Marketing zugrunde66. Kommunikation gehört hier zu den Instrumenten des Marketing-Mix, die in einem Zusammenspiel die Marketingstrategie unterstützen. Der Kommunikationsprozess beim Marketing bestimmt die Inhalte zwischen Unternehmen und Kunden. Kommunikation dient zur Übermittlung von Nachrichten über ein Unternehmen und sein Produkt- bzw. Dienstleistungsprogramm an potentielle Kunden und interessierte Gruppen.
Abb. 2.6:
Erscheinungsformen der Kommunikation, Quelle: Bruhn [1999], S. 204
Über Kommunikation wird ein Bild des Herstellers erzeugt, das neben Wissen, Erfahrungen und glaubhaften Informationen auch Emotionen (Image) enthält. Dieses Image wird durch die Einstellungen der Kunden und deren Vorstellungen vom Angebot beeinflusst67. Aufgabe der Kommunikationspolitik eines Unternehmens ist es, durch Werbung, Verkaufsförderung und
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Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) das Unternehmen mit seinen Produkten in der öffentlichen Kommunikation zu etablieren, um Marktpositionen zu erreichen bzw. zu verteidigen68. 2.3.2.
Zielgruppenkommunikation
Die Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen gestalten sich heute durch die gesteigerten Erwartungen der Kunden einerseits und die veränderten Präferenzen relevanter Zielgruppen andererseits zunehmend komplexer und unüberschaubarer. Grundsätzlich kann die Zielgruppenansprache folgendermaßen durchgeführt werden. 1. Die Massenkommunikation als Instrument des klassischen Marketings eignet sich für eine große Anzahl meist anonymer Kunden69. Ziel ist es, möglichst viele Kunden über Produkte/ Dienstleistungen zu informieren. Die Kommunikation hat passiven Charakter, daher werden Medien mit einer passiven Botschaftsinteraktivität wie Fernsehen, Plakat, Hauswurfsendung etc. verwendet. 2. Bei der Individualkommunikation (Scoring) werden Nachrichten auf die Bedürfnisse einzelner Kunden abgestimmt. Zur effektiven Kommunikation wird die Verwendung persönlicher Eigenschaften und Attribute verwendet. Das Kundenprofil wird durch Beobachtung des Verhaltens der Kunden ermittelt, um diese dann zu personalisieren. Ziele sind zum einen Kostensenkungen, zum anderen eine bessere Kundenbetreuung. Für die individualisierte Kommunikation sind nur Kommunikationskanäle verwendbar, die sowohl Erkennungen als auch Interaktionen mit dem Kunden ermöglichen70. 3. Kommunikation, die auf ein bestimmtes Kundensegment ausgerichtet ist71. Dabei werden aus der Vielzahl der Kunden Segmente gebildet, um mit diesen zielgerichteter zu kommunizieren. Die Kunden haben in den so gebildeten Clustern ähnliche Bedürfnisse und Interessen und die Kommunikationsinhalte können besser abgestimmt werden. Um eine Beeinflussung des Kunden bzw. die Kommunikationsaufnahme zu erreichen und die Verweigerung zu vermeiden, muss das Unternehmen seine Kommunikation auf die Präferenzen der Kunden abstimmen. Dazu sind genaue Kenntnisse der Präferenzen der relevanten Kunden/ Kundengruppen vonnöten. Unternehmen müssen daher ihre Kunden/ Kundengruppen möglichst genau identifizieren72. Dann ist eine Kommunikationsstrategie hinsichtlich der Kommunikationskanäle zu entwickeln. Das Ziel sollte eine durchgängige konsistente Unterstützung der Kommunikation über die entsprechenden Kommunikationskanäle sein, welche zunächst zu identifizieren sind.
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Box 2.5. Weltweite Begrüßungsformeln … „Spanisch:
Buenos Dias Seniora + Muttername Buenos Dias Dona + Vorname Deutsch: Guten Tag Frau + Nachname Französisch: Bonjour Madame [verheiratet], bzw. Bonjour Mademoiselle [unverheiratet] [ohne Namen] Russisch: Dobryj den’ + Vorname + Vatername Hocharabisch: Ya Sayyida + Familienname Japanisch: [komplizierte Begrüßungsformel] + Nachname + san.“ Quelle: Spillner [2002].
2.3.3.
Prozessmodell der Kommunikationsphasen
Der für ein Prozessmodell nötige Kommunikationsprozess kann in verschiedene Phasen aufgeteilt werden. Über diese existieren in der Literatur unterschiedliche Darstellungen und Auffassungen73. So sehen Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen ein 4-stufiges Modell des Kommunikationsprozesses vor (Kodierungs-, Transmissions-, Rezeptions- und Wirkungsphase)74, Meffert hingegen vertritt ein dreistufiges Modell (Wahrnehmung, Verarbeitung, Verhalten)75. Beiden gemeinsam ist die Annahme, dass in der ersten Phase des Kommunikationsprozesses (im PreSales Bereich) eine Wahrnehmungswirkung durch das Herantragen von Informationen auf einen zunächst unspezifischen Bedarf beim Kunden treffen. Diese Botschaft des Werbenden kann manchmal in Verbindung mit subjektiven Faktoren des Empfängers und objektiven Eigenschaften des Werbemittels zu einer Spezifizierung des Bedarfs beim Empfänger führen. Dabei führt die Grundannahme, dass ein Empfänger beeinflussbar ist, wenn es gelingt, seine Aufmerksamkeit zu erringen, in Verbindung mit den Präferenzen des Beworbenen zu unterschiedlichen Werbemaßnahmen (z.B. der Ansprache von Emotionen = Anmutungsqualitäten). Beiden gemeinsam ist auch, dass in einer zweiten Transaktionsphase (im Sales-Bereich) die Kommunikationsbotschaft zur Beeinflussung des Empfängers führen kann. Dabei spielt sowohl das Verstehen auf Seiten des Empfängers eine Rolle als auch seine Erinnerungswirkungen, Motive und Einstellungen sowie Images. Es gilt als gesichert, dass die Kommunikation für sich genommen in dieser Phase lediglich dazu führt, Verhaltensabsichten (Kaufabsichten) zu schaffen. Diese können neben zahlreichen situativen und psychologischen Einflüssen, die 29
noch Gegenstand der Forschung sind, in idealer Weise zu einer Transaktion (Kauf) führen. Die Kommunikationsmodelle enden zumeist beim Kaufeinscheidungsprozess und vernachlässigen insofern eine weitere Phase, die sich mit der Kommunikation im After-Sales-Bereich beschäftigt; sie sind daher um diese Phase zu ergänzen. In der Phase Service (im After-Sales-Bereich) soll die Kommunikation mit den Käufern aufrechterhalten werden, um eventuellen Problemen entgegenzuwirken, Kundenzufriedenheit zu erreichen und im Sinne eines Life Long Communication Circle die Bindung von Kunden an das Unternehmen zu erreichen. Auf diese Weise kann an die erste Phase Information angeschlossen werden, indem eine Wahrnehmungswirkung hinsichtlich neuer Produkte/ Dienstleistungen durch das Herantragen von Informationen an den bereits bekannten Kunden vorgenommen wird. Unternehmen kommunizieren in dieser Phase Serviceleistungen z.B. hinsichtlich Wartung technischer Geräte, um beim Erwerb hochwertiger Produkte Dissonanzen bei den Kunden zu vermeiden bzw. Ersatz- oder Zusatzkäufe bereits bekannter oder anderer Produkte aus dem Produktprogramm z.B. mit Hilfe des Konzepts Cross-Selling76 zu erreichen. Die Kommunikation hat den Zweck, Kundenbindung in einem sich schnell ändernden Umfeld zu gewährleisten. Diese kann sich als wettbewerbsentscheidend erweisen, da bekannt ist, dass die Neugewinnung eines Kunden fünfmal so viel kostet, wie eine bestehende Kundenbeziehung aufrecht zu erhalten. Durch gesättigte Märkte und eine Angleichung der Produkte weltweit ist eine Abwanderung von Kunden nicht ohne weiteres zu ersetzen. Das Ziel der Kommunikation ist daher Folgetransaktionen zu realisieren, wobei das Vertrauen des Kunden zum Unternehmen und zu seinen Produkten eine Schlüsselrolle spielt. In vereinfachter Form wurde der Kommunikationsprozess von Grimm/Röhricht77 anhand eines derartigen Prozessmodells dargestellt, wobei die drei Abschnitte nicht zwingend nacheinander ablaufen müssen. In der nachfolgenden Abbildung 2.5. ist das verdeutlicht. Der Kommunikationsprozess stellt in diesem Sinne die Basis für die Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden dar. Er umfasst nicht nur die Phasen der Transaktion selbst (Bestellung, Zahlung, Lieferung), sondern gestaltet den Prozess von der ersten Kundenkontaktaufnahme bis zum Service nach dem Kauf, was über die bisherige Auffassung von Kundenkommunikation hinausgeht.
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Abb. 2.7:
Prozessmodell der Kommunikationsphasen, Quelle: Grimm/Röhricht [2003], S. 91
2.3.3.1.
Kundenbezogene Kommunikation
Kommunikationspolitik bezeichnet das Zusammenwirken der Kommunikationsinstrumente und –maßnahmen mit dem Ziel, die Leistungsdarstellung in Bezug auf die relevanten Zielgruppen des Unternehmens zu gestalten78. Dabei sind sowohl marktgerichtete externe, innerbetriebliche interne und interaktive kundenbezogene Kommunikationsmaßnahmen einzubeziehen79. Kommunikationspolitik ist kein statisches Instrument, es musste schon in den vergangenen Jahren den Veränderungen der Wettbewerbssituation angepasst werden80. War die Gestaltung der Kommunikationspolitik in den 50er Jahren noch relativ stabil durch die Konzentration auf das Produktangebot und den großen Nachholbedarf der Bevölkerung, stand in den 60er Jahren die Verkaufsförderung vorwiegend durch Medienwerbung im Mittelpunkt. Dieser Schwerpunkt musste in den 70ern durch eine differenzierte, kundennutzenbasierte Ansprache von Kundengruppen ergänzt werden. In den 80er Jahren bestand die Hauptaufgabe der Kommunikationspolitik darin, die einzigartige Positionierung des Produkts in Abgrenzung zum Konkurrenzprodukt zu gestalten. Diese Aufgabe beinhaltete eine strategische Positionierung des Unternehmens durch die Kommunikationspolitik. In den 90ern wird die effektive Kommunikationspolitik zum entscheidenden Erfolgsfaktor für Unternehmen, denn die Kommunikationsbedingungen verschlechtern sich zunehmend durch wachsende Abwehrhaltungen der Konsumenten gegen undifferenzierte Massenkommunikation und veränderte Kommunikationsgewohnheiten relevanter Zielgruppen.
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Box 2.6. Chat-Kommunikation im Internet „Die sog. Smileys oder Emoticons sind ein weiteres Mittel, das der Substituierung nonverbaler Mittel dient. Ihre Form erinnern an Gesichter und tatsächlich drücken Smileys oft Gefühls- oder Stimmungslagen aus, die in einer direkten Kommunikation über Mimik vermittelt werden. Sie können aber auch Gestik und die Stimmlage, d.h. nonverbal vokale Botschaften ersetzen. Das wohl bekannteste und meist genutzte Emoticon ist der Standard Smiley :-), der ausdrücken soll, dass der Benutzer gut gelaunt bzw. fröhlich ist. Das entsprechende Gegenstück :-( signalisiert Traurigkeit bzw. schlechte Laune. Der zwinkernde Smiley :-) begleitet oft Bemerkungen, die nicht ernst gemeint sind. Intensivierung wird auch hier durch Reduplikation erreicht : -))). Durch das Erfinden immer wieder neuer, individueller Smileys stellen die Nutzer ihre Kreativität unter Beweis, so dass im Internet wahrscheinlich Hunderte dieser ikonischen Zeichen kursieren. Die Verwendung der Smileys ist gruppen- und themenabhängig. In moderierten Chats mit Politikern treten sie beispielsweise kaum auf. Der Standard-Smiley in seinen verschiedenen Variationen wird wohl am häufigsten gebraucht. Die im Folgenden aufgelisteten Emoticons gehören eher in den Bereich Kunst im Internet, sie sind eher Produkte einer Selbst-Ästhetisierung der InternetSchriftkultur als wirkliche Alltagssymbole.“
Quelle: Kresic [2000], S. 72 f.
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Eine flexible Kommunikationspolitik, die den sich wandelnden Wünschen der Kunden entspricht, wird im Informationszeitalter des 21. Jahrhunderts zum ausschlaggebenden Wettbewerbsfaktor für Unternehmen. Nur wem es gelingt, zukünftig die richtigen Informationen zielgruppengerecht zur rechten Zeit in der richtigen Geschwindigkeit im richtigen Kanal zu präsentieren, kann die Kommunikationswünsche der Kunden erfüllen. Die Kommunikation ist dabei nicht der allein entscheidende Faktor für die Kommunikationspolitik, sondern die von den Kunden gewünschten Kommunikationskanäle begründen oft die Notwendigkeit einer Multi-Channel-Strategie. Die Initiative für den gewünschten Kommunikationskanal geht dabei stets vom Kunden aus81. 2.3.3.2.
Kundenlebenszyklus
Während sich im letzten Jahrhundert die Aufgaben im Zusammenhang mit dem Kunden primär um den reinen Verkauf drehten, beziehen neuere Ansätze mehr die ganzheitliche Betreuung des Kunden (Customer-Life-Cycle) ein82. Das heißt, den Kunden möglichst beständig, auch über den Produktlebenszyklus hinaus, im Rahmen des Kundenlebenszyklus an das Unternehmen zu binden, um einen hohen Anteil von seinen Konsumausgaben für das Unternehmen zu gewinnen. Das ist angesichts nachhaltiger Marktveränderungen ein wichtiger Schritt zur Kundenbindung.
Abb. 2.8:
Kundenlebenszyklus in Anlehnung an Hopfenbek [1989]
In der Abbildung 2.8. ist der Kundenlebenszyklus dargestellt. Er beschreibt den idealtypischen Verlauf einer Kundenbeziehung, wobei bei den Unternehmen die zeitliche Ausdehnung und die Gewichtung der einzelnen Phasen unterschiedlich sein können. In der Akquisitions-
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phase stehen die Bemühungen der Unternehmen neue Kunden zu gewinnen, im Vordergrund. Dazu werden Segmentierungen vorgenommen, um relevante Kundengruppen zu ermitteln. Diese können je nach Kommunikationsansatz (Pull- oder Pusch-Kommunikation) fein oder nur grob selektiert sein. Auf die Zielgruppen werden dann Akquisitionsmaßnahmen ausgerichtet. Die darauf folgende Transaktionsphase ist auf die Realisierung der Bedarfsdeckung ausgerichtet, bei der möglichst viele Kunden den Kauf des Gutes vornehmen. In der nun einsetzenden Servicephase wird zunächst durch den Beziehungsaufbau versucht, die Loyalität gegenüber dem Hersteller zu stärken und kundenspezifische Merkmale herauszufiltern (z.B. Rabatte, Zusatzleistungen etc.), um Cross-Selling-Potentiale zu ermitteln. Das heißt mit der Beziehungsvertiefung soll durch Serviceangebote die Abwanderungsquote gering gehalten und der Kunde bereits für Nachfolgeprodukte interessiert werden. In der Kundenrückgewinnungsphase ist das Ziel, wechselbereite Kunden zu halten bzw. bereits abgewanderte zurück zu gewinnen, wobei sich die Aktivitäten aus wirtschaftlichen Gründen auf „wertvolle“ Kunden ausrichten sollten. Ein Beziehungsmanagement auf Basis des Kundenlebenszyklus ist Vorbedingung für ein ganzheitliches Kundenmanagement. In diesem Rahmen ist es für Unternehmen eminent wichtig, die Kundenmerkmale (Eigenschaften, Kommunikationsverhalten, Nutzung von Kommunikationskanälen etc.) zu ermitteln. Die dazu benötigten kundenorientierten Daten ermöglichen eine systematische Sammlung, Aufbereitung, Analyse und Interpretation über jeden Kunden in jeder Phase zur persönlichen und individuellen Betreuung. Derartige Daten werden durch ein Customer Relationship Management (CRM) bzw. in neuerer Form mittels der Nutzung neuerer Informations- und Kommunikationstechnologien durch ein electronic Customer Relationship Management (eCRM) erzeugt. Unternehmenskommunikation kann symmetrisch (Massenkommunikation) oder asymmetrisch (Individualkommunikation) oder als ein Mix aus beiden ausgerichtet sein. Im Marketingbereich stellt Kommunikation ein Instrument im Marketing-Mix dar, durch das die Unternehmensstrategie unterstützt wird. Der Kommunikationsprozess zwischen Unternehmen und Kunden dient zur Übermittlung von Nachrichten über das Produktprogramm des Unternehmens an seine Kunden und potentielle Interessenten. Zielgruppenkommunikation kann sowohl als Massen-, Indiviual- Clusterkommunikation ausgerichtet sein. Sie dient als Maßnahme gegen die zunehmende Reaktanz beim Publikum. Beim Prozessmodell wird der gesamte Kommunikationsprozess in verschiedene Phasen unterteilt, über die unterschiedliche Meinungen existieren. Gemeinsam ist allen Ansätzen die Aufteilung in die Phasen Pre-Sales, 34
Sales und After-Sales. Als kundenbezogene Kommunikationspolitik wird das Zusammenwirken der Kommunikationsinstrumente und -maßnahmen im Hinblick auf die Leistungsdarstellung für eine relevante Zielgruppe des Unternehmens verstanden. Sie erfolgt über den Produktlebenszyklus hinaus in Form des sog. Kundenlebenszyklus, der den idealtypischen Verlauf der Kommunikation in einer Kundenbeziehung darstellt. Die dazu nötigen Daten werden durch ein eCRM(electronic Customer Relationship Management)-System erzeugt 2.3.4.
Kommunikationspolitik
2.3.4.1.
Pull- und Push-Kommunikation
Als Kommunikationspolitik kommt die Push- und/oder die Pull- bzw. Scoring- Kommunikation in Frage. 1. Bei der Push-Kommunikation werden vom Unternehmen aktiv und regelmäßig Nachrichten an die Kunden gesendet. Dieses erfolgt über die klassischen Kommunikationskanäle (Brief, Plakat, Fernsehen etc.). Bei dieser Form der Kommunikation bestimmt der Sender der Nachricht (Unternehmen) den Kommunikationskanal und die betroffenen Kundengruppen. Die Botschaftsflexibilität ist schlecht, da nicht vorgesehen ist, dass der Kunde über denselben Kanal mit dem Unternehmen in Kontakt kommt. Die Nachrichten sind nicht personalisiert, sondern für eine anonymisierte Masse von Konsumenten gedacht, die diese Nachrichten oft nicht wollen. Durch die Flut nicht gewollter Nachrichten (Übermaß an Werbung) entsteht das gefürchtete „Weiße Rauschen“ beim Verbraucher. Die Konsumenten schotten sich gegen die Informationen ab und schenken den Werbeanzeigen keinen Glauben mehr. Unternehmen fällt es in dieser Situation zunehmend schwerer, mit Besonderheiten ihrer Produkte ins Bewusstsein der Konsumenten zu gelangen. Vorteile der Pusch-Kommunikation sind vor allem in der Informationsbreite und Bekanntmachung in breiten Bevölkerungskreisen zu sehen. Eine Erhöhung der Wirksamkeit der PushKommunikation ist nur durch eine Personalisierung der Inhalte zu erreichen. Dafür sind besondere, von den klassischen Kommunikationskanälen abweichende, Kanäle notwendig. 2. Bei der Pull-Kommunikation holt sich der Kunde aktiv vom Unternehmen Informationen und Daten (z.B. Informationen, Anfragen, Preise, Lieferkonditionen etc.). Der Kommunikationsprozess ist für das Unternehmen schlechter plan- und steuerbar und unregelmäßig. Er richtet sich nach den für ein Unternehmen kaum planbaren Präferenzen der einzelnen Kunden. Die Pull-Kommunikation erfordert geeignete Kommunikationskanäle, die von den Kunden gesteuert werden (z.B. Internet, Portale, E-Mail, Call-Center etc.) und jederzeit erreichbar sind. Werden diese Kanäle vom Unternehmen nicht bereitgestellt, leidet die
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Wettbewerbsfähigkeit und es besteht die Gefahr, dass die Kunden auf die Kanäle der Konkurrenten ausweichen. Da die Kunden proaktiv und von sich aus Kontakt mit dem Unternehmen aufnehmen, erwarten sie auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Informationen und eine zielgerichtete und personalisierte Kommunikation. Ziel ist die Individualkommunikation. Die Anzahl der Nachrichten wird begrenzt und auf die Bedürfnisse der Kunden abgestimmt. Dafür sind die Kunden bereit, in bestimmten Grenzen Informationen von sich preiszugeben, die ein Unternehmen zur Anlage eines Kundenprofils nutzen kann. Vorteile der Pull-Kommunikation sind: - Die individualisierte Kommunikation. - Die personalisierte Kommunikation. - Möglichkeiten zu gezielten Kundenbindungsmaßnahmen. - Ausrichtung der Produktentwicklung an den Wünschen der Kunden. Die Nachteile der Pull-Kommunikation liegen in der Notwendigkeit, über möglichst viele Kommunikationskanäle Inhalte für die Kunden jederzeit zur Verfügung zu stellen. Damit verbunden sind technologische Anforderungen der Informations- und Kommunikationstechnik und strategische Anforderungen an das Prozessmanagement. 2.3.4.2.
Segmentbezogene Kommunikation (Scoring)
Bei der Kommunikation über Kundensegmente bestehen die Merkmale darin, dass aus der Gesamtzahl der Kunden Segmente gebildet werden, mit Kunden ähnlicher Interessen. Ziel ist es, die jeweiligen Zielgruppen effektiver zu erreichen und auch die dazu nötigen Kommunikationskanäle zu bestimmen. Die segmentbezogene Kommunikation basiert auf personalisierten Elementen (z.B. der persönlichen Ansprache etc.); auch zur individualisierten Kommunikation bestehen Verbindungen (z.B. Internet, Portale, E-Mail etc.). Die Vor- und Nachteile der Pullkommunikation finden auch bei der segmentbezogenen Kommunikation Anwendung. Voraussetzung für die Anwendung der segmentbezogenen Kommunikation sind entsprechende Markt- und Kundendaten. Als Kommunikationsform für eine Multi-Channel-Strategie eignen sich sowohl Formen der Push- als auch der Pull-Kommunikation. In neueren Zeiten erfolgt eine Verlagerung des Schwerpunkts auf die Pull-Kommunikation. Push-Kommunikation in Form der anonymen Massenkommunikation erfolgt zumeist nur zur Bekanntmachung allgemeiner Informationen zu Produkten oder Dienstleistungen an einen großen Kundenkreis, zur Imagepflege und zur Ausgestaltung der Marke83. Zur Kommunikation von segmentbezogenen bzw. personalisierten Nachrichten eignen sich Pull-Kommunikationsformen besser. Diese benötigt allerdings
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Prozesse, die es dem Unternehmen ermöglichen, kundenbezogene Informationen zu erhalten, diese zu identifizieren und zu verdichten. 2.4.
Resümee
Die Ausführungen haben gezeigt, dass sowohl im Bereich Multi-Channel-Marketing als auch im Bereich Kommunikation viele definitorische Unsicherheiten vorhanden sind. So existiert bisher keine allgemein anerkannte Definition für den Begriff Multi-Channel-Marketing. Es war daher eine eigene Definition zu entwickeln. Die verwirrende Vielfalt von Begriffen könnte beim Multi-Channel-Marketing damit zusammenhängen, dass bisher kein betriebswirtschaftlich abgesichertes Modell entwickelt wurde, das die Inhalte des Konzepts und ihre Wirkungsstrukturen abbildet. Auch eine empirische Überprüfung der Inhalte steht noch aus. Trotz dieser, aus wissenschaftlicher Sicht, unbefriedigenden Situation, sehen sich Unternehmen in der Praxis gezwungen das Konzept Multi-Channel-Marketing anzuwenden, weil sie auf Konsumentenverhaltensänderungen reagieren müssen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Das hat in der Praxis zur Entwicklung von vielfältigen Konzepten durch Unternehmensberatungen geführt, mit immer neuen Begriffsbildungen, die jedoch eher als Markierungs- und Abgrenzungskriterien für selbst entwickelte Auslegungen/ Varianten des Konzepts dienen. Die vorliegenden Ausführungen haben gezeigt, dass das Konzept strategisch unterschiedlich ausgerichtet sein kann; die herausragende Charakteristik von Multi-Channel-Marketing aber darin begründet ist, dass es sich um ein ganzheitliches strategisches Konzept handelt, das Anpassungen in den Bereichen Prozessmanagement, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Organisation und Personalmanagement erfordert. Zur Verdeutlichung dieser inhaltlich konzeptionellen Besonderheit wurde eine Abgrenzung des Multi-Channel-Marketing von anderen Konzepten vorgenommen, die immer wieder mit dem Konzept in Verbindung gebracht werden. Dabei hat sich gezeigt, dass Cross Media für Hersteller/ Händler nicht unbedingt und in jedem Fall eine integrative Einbindung in ein ganzheitlich ausgerichtetes Multi-ChannelKonzept beinhaltet. Es wird eher zeitbezogen für Kampagnen durch eine Agentur vorgehalten und von dieser durch Servicedienstleistungen betreut. Bei der integrierten Kommunikation hat sich gezeigt, dass das Betätigungsfeld i.d.R. wesentlich enger ausfällt als beim MultiChannel-Marketing. Auch wenn das Konzept auf Kommunikation ausgerichtet ist, so fokussiert es doch vornehmlich auf die Ansprache- und Servicefunktion der Kanäle. Auch spielt ein deutlich weiterer Begriff des Zielgruppenfokus eine Rolle (z.B. interne, externe Steakholder etc.). Das Multiple Channel Retailing-Konzept ist lediglich geeignet, wenn Unternehmen kanalspezifische Produktpaletten anbieten wollen. Das Konzept Multi-Channel-Retailing wird vorwiegend als Absatzkanal im Rahmen einer Multi-Channel-Strategie genutzt und deutlich weniger als Kommunikationskanal. Bei der Mediaselektion handelt es sich um die Vornahme einer Auswahl der für bestimmte Werbung geeigneten Werbeträger mit dem Ziel der Wirkungsmaximierung im Hinblick auf die angestrebten Werbeziele. Die Konzepte sind durch
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deutliche inhaltliche Unterschiede gekennzeichnet, sie stellen dennoch Teilkonzepte des ganzheitlich ausgerichteten Multi Channnel-Konzepts dar und sind daher in das Konzept ohne weiteres integrierbar. Für sich genommen führen sie jedoch zu suboptimalen Lösungen, die das Charakteristikum der Ganzheitlichkeit vermissen lassen. Es existiert bisher auch keine allgemein anerkannten Definitionen für den Begriff Kommunikation. Das könnte daran liegen, dass sich eine Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen sich mit dem Begriff beschäftigen und diese Tatsache zu äußerst unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen des Begriffs führt. Die zwischenmenschliche Kommunikation ist formal ein Wechselspiel von codieren und decodieren, bei dem ein Sender seine Botschaft mit Hilfe von Zeichen, Signalen, Symbolen verschlüsselt und diese dann über ein Medium (Gespräch, Telefon, Brief etc.) an einen Empfänger transferiert. Kommunikation lässt sich in drei Bereiche einteilen: Interpersonale und Massenkommunikation sowie Kommunikation mit neuen Medien. In der interpersonalen Kommunikation spielen verbale und nonverbale Signale eine Rolle, die im Rahmen der Meta-Kommunikation verbunden werden und so eine effektive Kommunikation ermöglichen. Die Massenkommunikation ist öffentlich, wird durch Medien vermittelt, ist i.a.R. indirekt, einseitig und an ein disperses Publikum gerichtet. Kommunikation mit neuen Medien beinhaltet sowohl Merkmale der interpersonalen als auch der Massenkommunikation. Sie ist als Evolution im Bereich Kommunikation über Distanz zu sehen, aber nicht als Ersatz für Massenkommunikation. Kommunikationsansätze werden z.B. in den Ansätzen der Mensch-Maschine-Interaktion gebündelt. Kommunikation in den Marketingwissenschaften beschäftigt sich mit Kommunikation als Instrument im Marketing-Mix, über das Unternehmen mit ihren Zielgruppen kommunizieren, diese informiert und für ihre Produkte interessiert. Dieses kann über Zielgruppenkommunikation geschehen, die sowohl als Massen-, Individual- oder Clusterkommunikation ausgerichtet sein kann. Die letztere Maßnahme soll die zunehmende Reaktanz gegen Massenwerbung beim Publikum vermeiden. Der dazu nötige Kommunikationsprozess wird im Rahmen des Prozessmodells in verschiedene Phasen unterteilt, über die zwar unterschiedliche Meinungen vorherrschen, bei denen aber über die Phasen Pre-Sales und Sales Einigkeit herrscht, die After-Sales-Phase ist zusätzlich aus Gründen der Kundenbindung und Kundenzufriedenheit zu ergänzen. Die kundenbezogene Kommunikationspolitik erfolgt über den Produktlebenszyklus hinaus im Rahmen des Kundenlebenszyklus, der den idealtypischen Verlauf der Kommunikation in einer Kundenbeziehung darstellt. Durch die Kommunikationspolitik wird bestimmt, ob Push- oder Pullkommunikation dafür eingesetzt wird. Die entsprechenden Kommunikationsformen und die jeweils richtigen Kommunikationskanäle haben im Rahmen eines ganzheitlichen Multi-Channel-Konzepts strategische Bedeutung.
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Box 2.7. Eine Meta-Botschaft wird gedeutet; „100prozentige Solidarität“ „Als die deutsche Bundesregierung Ede 2001 – nach den schrecklichen Geschehnissen des 11. September – „hundertprozentige Solidarität“ zusagte, herrschte unzweifelhaft Harmonie zwischen Absender und Empfänger der Botschaft. Man glaubte, sich verstanden zu haben. Entsprechend groß war die Enttäuschung auf der amerikanischen Seite, als spätere Entscheidungen desselben Absenders schon Ende 2002 deutlich machten, dass „Solidarität keinesfalls eine krass abweichende Position zum Irak-Krieg ausschließt. Hier ist eine Täuschung aufgeflogen: Das Missverständnis über einen interpretierbaren Begriff. Man sprach vom Gleichen, meinte aber nicht dasselbe. Die Eiszeit zwischen den USA und Deutschland ging auf die größte Gefahr des Missverständnisses für die Kommunikation zurück: Missverständnisse werden oft erst spät bemerkt – sie werden mit Verzögerung manifest. Und dann ist der Schaden umso größer. Bis zu seiner Entdeckung ist der Dissens zwischen den beiden Gesprächspartnern unbemerkt – im juristischen Sprachgebrauch des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist im Paragraph 155 daher von verstecktem Dissens die Rede. Im genannten Beispiel liegt dieser versteckte Dissens auf zwei Ebenen: x Zum einen auf der graduellen Ebene: Der Adressat — die USA — hört "100 Prozent" und leitet
daraus die Zusicherung einer Botschaft "ohne wenn und aber" ab. x Zum anderen auf der Metaebene: Der Begriff "Solidarität" ist ein Symbol, dem beide Seiten ei-
ne bestimmte Bedeutung zuordnen. Denkbar ist zum Beispiel die Interpretation "Ich halte zu dir. Auf mich kannst du zählen." Aber auch die ganz andere Metabotschaft "Ich fühle mit dir. Ich verstehe dich." ist durch den symbolischen Begriff der Solidarität durchaus gedeckt. Eine solche Metabotschaft der Sympathie und des Mitfühlens muss keine Verhaltenabsicht sein, schon gar nicht die Ankündigung, mit in einen Krieg ziehen zu wollen. [ …] Aus amerikanischer Sicht hat sich die Bundesregierung auf beiden Ebenen anders verhalten, als es der Adressat der Solidaritätsadresse nach eigenem Verständnis erwarten durfte. Das Resultat: Ein grundsätzlich erschüttertes Vertrauen zwischen zwei Nationen. Tiefe wechselseitige Verletzungen und bittere Vorwürfe, die in dem Symbol "altes Europa" gipfelten. Man liegt wohl nicht falsch, wenn man dieses Symbol dahin gehend interpretiert, dass mit "alt" ein Dissens zwischen Worten und Taten angemahnt wird. "Alt" steht für schwach, handlungsunfähig und ängstlich. Das Missverständnis um die Solidarität Deutschlands zeigt, wie gefährlich es ist, wenn man glaubt, sich verstanden zu haben und dabei weder die Fakten noch die benutzten Symbole hinterfragt“. Quelle: Bentele [2001], Art.Nr. 8.04
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Kontrollfragen zum Kapitel 2: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Legen Sie dar, wie Moritary/ Moran Multi-Channel definieren. Zeigen Sie die Unterschiede zum Definitionsansatz von Scholl auf. Wie verstehen Arnold und Hurth Multi-Channel? Definieren Sie Multi-Channel-Marketing nach der Definition von Emrich. Grenzen Sie das Konzept Multi-Channel-Marketing von Cross Media ab. Verdeutlichen Sie die Unterschiede von Multi-Channel-Marketing zu integrierter Kommunikation. 7. Grenzen Sie das Konzept Multi-Channel-Marketing vom Konzept Multiple Channel Retailing ab. 8. Welche wesentlichen Unterschiede bestehen zwischen Multi-Channel-Marketing und dem Konzept Multi-Channel-Retailing? 9. Führen Sie aus, warum es keine allgemeingültige Definition zur Kommunikation geben kann. 10. Nennen und erklären Sie die Merkmale der interpersonalen Kommunikation. 11. Erklären Sie die wesentlichen Merkmale der verbalen und nonverbalen Kommunikation. 12. Welche Aufgaben hat die Metakommunikation und welche Bezüge existieren zur verbalen und nonverbalen Kommunikation? 13. Nennen und erklären Sie die wesentlichen Merkmale der Massenkommunikation und grenzen Sie diese von denen der Individualkommunikation ab. 14. Führen Sie aus, warum durch Massenkommunikation eine verzerrte Medienrealität erzeugt wird. 15. Welche Alternativen existieren in Verhältnis Massenmedien und Wirklichkeit/ Gesellschaft? 16. Erklären Sie die Sozialisationsfunktion der Massenmedien in der Gesellschaft. 17. Welche Besonderheiten weist die Kommunikation mit neuen Medien im Internet im Verhältnis zu Massenmedien und Individualkommunikation auf? 18. Nennen und erklären Sie die Merkmale der Unternehmenskommunikation im Rahmen der Kommunikation in den Marketingwissenschaften. 19. Erklären Sie Möglichkeiten, die innerhalb der Zielgruppenkommunikation vorhanden sind. 20. Erklären Sie das Prozessmodell der Kommunikationsphasen. 21. Erklären Sie den Customer Life Cycle und stellen Sie Verbindungen zum Lebenszykluskonzept her. 22. Grenzen Sie Push- und Pull- und segmentbezogene Kommunikation voneinander ab. 23. Nennen und erklären Sie die sieben wichtigsten Eigenschaften von Kommunikationskanälen.
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Präfixe wie Multichannel-Vertrieb, Multikanal-, und Mehrkanaldistribution werden wie in der Literatur synonym genutzt, vgl. Pepels [2000], S. 24; Arnold [2000], S. 34. Vgl. Moritary/ Moran [1991], S. 98 und 156. Schögel [2001], S. 10. Vgl. Bachem [2004], S. 34; Böing/ Huber [2003], S.73. Vgl. u.a. Hurth [2002], S. 463 f.; Schögel [2001], S. 9 f.; Zentes/ Schramm-Klein [2002], S. 450; Ladewig [2002], S. 16 f.; Schramm-Klein [2002], S. 16 ff. Auf die terminologische Abgrenzung der Begriffe Absatz, Vertriebs- und Distributionsweg bzw. -Kanal wird hier nicht näher eingegangen. Das Problem stellt einen umstrittenen Gegenstandsbereich der Distributionsforschung dar. Zu Begriffsvielfältigkeiten vgl. Maas [1980], S. 3 ff.; Ahlert [1996], S. 26f. In Anlehnung an Brauer [1989], S. 13 und Fischer [1992], S. 130 werden die Begriffe vorliegend synonym verwandt. Vgl. Scholl [2003], S. 9-10. Arnold [2000], Sp. 34. Hurth [2002], S. 9. Hurth [2002], S. 9. Vgl. Smend [2004], S. 8 f. dabei wird unter einem System „ … an organized, unitary whole composed of two or more interdependent parts, components, and subsystems and delineated by identifiable boundaries from its environmental suprasystem“ verstanden. Vgl. Moritary/ Moran [1990]; Day [1990]; Schögel [1997]. Unter Sortimentszusammenhang wird ein sich zwischen den Absatzkanälen in wesentlichen Teilbereichen überlappendes Sortiment verstanden, vgl. Tang/ Xing [2001], S. 320 ff. Vgl. Schramm-Klein [2002], S. 16 ff. Emrich [2005], S. 11. Kracke [2001], S. 11. Schmandt [2001], S.16. Vgl. Bachem [2004], S. 34. Vgl. Bruhn [1995], S. 11. Vgl. Bachem [2004], S. 35. Ahlert/Hesse [2003], S. 11. Vgl. Ahlert/Hesse [2003], S. 12-13. Vgl. z.B. o.V. [2003] Vgl. Ahlert/Hesse [2003], S. 13. Vgl. Ahlert/Hesse [2003], S. 14. Vgl. Bachem [2004], S. 34; Böing/ Huber [2003], S.73. Vgl. Meffert/Bolz [2002], S. 200 f. Vgl. Emrich [2007], S. 265 f. Vgl. dazu Kap. 7 dieses Buches. Vgl. Merten [1977]. Vgl. Merten [1977]. Vgl. Emrich [2007], S. 110; siehe dazu auch die Ausführungen im Kapitel 3 dieses Buches. Vgl. Emrich [2007], S. 111. Vgl. Emrich [2007], S. 111. Vgl. Emrich [2007], S. 109. Vgl. Knapp [2003], S. 112. Vgl. Werner [1993], S. 183. Vgl. hierzu genauer die Ausführungen im Kap. 3 dieses Buches. Vgl. Strohmeier [2004], S. 299 ff. Vgl. Bußmann [2002], S. 11. Vgl. Watzlawick et al [2000], S. 22. Vgl. Emrich [2007], S. 124 f.; vgl. dazu auch die Ausführungen zur Relation Sprache und Weltsicht von Whorf [1956], S. 134 ff. Vgl. z,B. das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun; vgl. Schulz von Thun [1981], siehe dazu auch die Ausführungen im Kap. 3 dieses Buches. Vgl. Bußmann [2002], S. 16. Vgl. Bußmann [2002], S. 16. Vgl. Forgas [1999], S. 139. Vgl. Mehrabian [1981], S. 182 f.
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Vgl. Emrich [2007], S. 136 f.; siehe dazu auch verschiedene interkulturelle Kommunikationsmodelle, vgl. z.B. Hall/ Hall [1990]. Vgl. Kendon [1975], S. 109. Schulz [1989], S. 136. Maletzke [1963], S. 32, ergänzt von der Verfasserin durch kursiv gekennzeichneten Erläuterungen der Begriffe. Vgl. dazu auch die Ausführungen im Kap. 3 dieses Buches. Vgl. Schulz [1989], S. 140. Vgl. Schulz [1989], S. 141. Vgl. Burkart [2000], S. 16. Vgl. Burkart [2000], S. 182. Vgl. Burkart [2000], S. 80. Vgl. Berghaus [1999], S. 31 ff. Vgl. Eilders [1999], S. 24 ff. Vgl. Dazu auch die Ausführungen im Kapitel 4 dieses Buches. Weischenberg [1998], S. 50. Vgl. z.B. Slazenger [2000], S. 14 f. Vgl. Dazu auch die Ausführungen unter Pkt. 3.3.1.2. dieses Buches. Vgl. z.B. Beger et al [1989], S.37; Bruhn [1995], S. 12; Zerfaß [1996], S. 287. Vgl. z.B. Beger et al [1989], S.37. Vgl. Kotler et al [2003], S. 39. Vgl. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen [2002], S. 596 und 994. Vgl. zur Kommunikation z.B. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen [2002], S. 996-1061; Meffert [2000], S. 685819. Vgl. z.B. Meffert [2000], S. 684. Beispielsweise durch den Einsatz eines Customer Relationship Managements (CRM) bzw. eines electronic Customer Relationship-Management (eCRM)-Tools, siehe dazu auch im Kapitel 3 dieses Buches. Beispielsweise durch die Anwendung von Sinus-Milieus, vgl. Sinus Sociovision Heidelberg. Das kann über verschiedene Segmentierungskriterien geschehen z.B. Soziodemographie, Semiometrie, Nielsen-Paneel etc. Vgl. z.B. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen [2002], S. 209 f.; Meffert [2000], S. 1217; Grimm/ Röhricht [2003], S. 22-24. Siehe dazu näher im Kap. 5 dieses Buches. Vgl. Meffert [2000]; Nieschlag/Dichtl./Hörschgen [2002]. Vgl. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen [2002], S. 988-991. Vgl. Meffert [2000], S. 691-694. Vgl. dazu auch die Ausführungen im Kapitel 8 dieses Buches. Vgl. Grimm/ Röhricht [2003], S. 92 f. Vgl. Bruhn [1999], S. 203. Vgl. Bruhn [1999], S. 203. Vgl. Bruhn [1999], S. 204 f. Nach einem Zitat von Gilles Gaspernet von der Bank Credit Agricole, vgl. o.V. [1997], S. 20. Desgleichen auch vom ehemaligen Nestle-Deutschland-Chef Hans G. Güldenberg, vgl. Grimm/ Röhricht [2003], S. 15. Vgl. Meffert [2000], S. 895. Vgl. Grimm/Röhricht [2003], S. 98-101.
3.
Ausgewählte Kommunikations- und Medientheorien
In Ermangelung einer allgemein anerkannten Theorie der Kommunikation, die es vielleicht nie geben wird, werden ausgewählte interdisziplinäre Kommunikations- und Medientheorien aus der Wissenschaftstheorie herangezogen, die als Basis für Erklärungen der Phänomene der Kommunikation beim Multi-Channel-Marketing-Management dienen sollen. Die Theorien werden in drei Bereiche eingeteilt. (1) Interpersonale Kommunikation, in dem werden die dyadischen Kommunikationsformen begründet, (2) Massenkommunikation, hier werden die Formen der öffentlichen Medienkommunikation begründet und (3) Kommunikation mit neuen Medien, in dem die Mischformen und neuen Formen der Kommunikation begründet werden. Durch das Aufspannen dieses theoretischen Bezugsrahmens soll ein Beitrag zur theoretischen Fundierung der Kommunikation geleistet werden, indem durch das Zusammenwirken der interdisziplinären Theorien eine theoretische Grundlage für Kommunikationsformen beim Multi-Channel-Marketing-Management entwickelt wird. 3.1
Ausgewählte Theorien der interpersonalen Kommunikation
Bei der interpersonalen Kommunikation handelt es sich um ein außerordentlich vielfältiges und interdisziplinäres Forschungsgebiet, das u.a. in die Wissenschaftsdisziplinen Psychologie, Soziologie, Anthropologie und Linguistik hineinreicht. Im Rahmen dieser Ausführungen erfolgt eine Beschränkung auf Fragen der dyadischen (zwei Personen bezogenen) Kommunikation1. Aus dem Kreis der Modelle, die in diesem Rahmen entwickelt wurden, werden nachfolgend drei näher diskutiert. 3.1.1.
Philosophisch-soziologische Kommunikationstheorie nach Paul Watzlawick
3.1.1.1.
Kommunikation in der Denktradition des radikalen Konstruktivismus
Paul Watzlawick (1921-2005) gehörte zur „Palo Alto-Schule“. Bei den Wissenschaftlern dieser Schule handelt es sich um Psychotherapeuten, die sich speziell mit den Problemen der menschlichen Kommunikation befassen. Die Gruppe argumentiert aus der Perspektive der philosophisch-soziologischen Denkrichtung des Konstruktivismus heraus. Diese Perspektive verhindert, dass sich die zwischenmenschliche Kommunikation auf den Austausch von Informationen reduzieren lässt. Die Grundannahme konstruktivistischen Denkens geht davon aus, dass wir als geschlossene, autopoietische Systeme (systemtheoretische Sichtweise) weder etwas von einer außerhalb von uns existierenden Realität wissen, noch direkt auf sie zugreifen können2. Nur durch Selektion, Projektion sowie subjektabhängige Sinngebung und Bedeutungszuweisung modellieren wir eine individuelle Wirklichkeit. Wirklich43
keitskonstruktion erfolgt nicht willkürlich, sondern unterliegt zum einen biologischen und kognitiven, zum anderen sozialen Bedingungen3. Menschliches Wahrnehmen, Verhalten und Erleben ist demnach kein passives Rezipieren, sondern vielmehr das aktive Erzeugen einer individuellen Wirklichkeit. Soziale Systeme wie Familien, Partner, Gruppen etc. leben daher i.d.R. in konstruierten, von ihnen selbst „erdachten“ Wirklichkeiten, in welchen in verschiedenen Modalitäten Kommunikation abläuft. Sie stellen in dem Sinne Rückkopplungskreise dar, da in ihnen jedes Individuum durch sein Verhalten die anderen Individuen beeinflusst und dieses selbst von anderen Individuen des Systems beeinflusst wird. 3.1.1.2.
Die fünf Axiome über Kommunikation
Auf dieser Basis hat sich die Forschergruppe um Paul Watzlawick im Rahmen des zu seiner Zeit revolutionären Buchs über die menschliche Kommunikation, Formen, Störungen und Paradoxien auseinander gesetzt. Es entstanden fünf Axiome über Kommunikation4 1.
Man kann nicht nicht kommunizieren Dieses Axiom meint zum einen, dass es in unserer Gesellschaft nicht möglich ist, sich der Kommunikation und damit verbunden dem Umgang mit anderen zu entziehen. Geschieht dieses doch, ist die Folge oft der „soziale Tod“, d.h. jemand vereinsamt völlig, zieht sich zurück von seiner Umwelt. Nicht selten folgt darauf auch der physische Tod. Das Axiom meint für die Einzelsituation, dass selbst dann wenn ein Mensch die Kommunikation verweigert (hartnäckiges Schweigen etc.), trotzdem eine Kommunikation zustande kommt. Abgeleitet wird das, weil jedes Verhalten kommunikativen Charakter hat, da Verhalten und Kommunikation eine Einheit bilden. Da kein Gegenteil von Verhalten existiert, gilt dieses auch für Kommunikation. Man kann also nicht nicht kommunizieren.
2.
Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt Über die reinen Sachinformationen (Inhaltsaspekt) hinaus enthält jede Kommunikation einen Hinweis, wie der Sender seine Botschaft verstanden haben will und wie er seine Beziehung zum Empfänger sieht (Beziehungsaspekt). Das bedeutet, die Art wie man fragt (Tonfall, Mimik, Gestik) drückt die Einstellung zu anderen aus. Der Beziehungsaspekt bestimmt den Inhaltsaspekt. Das bedeutet, das z.B. Studenten/Innen in Vorlesungen lieber gehen, bei denen ihnen der/die Dozent/In sympatisch ist, obwohl sie wissen, dass sie bei einem unsympatischeren Dozenten/In genauso viel lernen. Kommunikation ist demnach erfolgreich, wenn auf beiden Ebenen Einigkeit herrscht oder die Beziehungsebene durch Uneinigkeit auf der Inhaltsebene nicht beeinträchtigt wird. Kommunikationsstörungen entstehen bei Uneinigkeit auf beiden Ebenen oder innerhalb der Beziehungsebene bzw. bei Verwechselung der Ebenen.
44
3. Die Natur einer Beziehung ist durch Interpunktionen der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt Das Axiom zeigt, dass wir in einer „konstruierten“ Welt leben, dieses geht auf die Sichtweise des radikalen Konstruktivismus zurück. Sender und Empfänger einer Botschaft gliedern den Kommunikationsablauf unterschiedlich. Sie interpretieren ihr eigenes Verhalten oft nur als Reaktion auf den Gegenüber somit liegt die Schuld nahezu immer beim Gegenüber. Menschliche Kommunikation verläuft aber nicht in Kausalketten, sondern kreisförmig. Das bedeutet, dass nicht feststellbar ist, wer z.B. bei einem Streit angefangen hat, da Anfänge nur subjektiv gesetzt werden als so genannte Interpunktionen. Watzlawick gibt für Interpunktionen ein berühmt gewordenes Beispiel aus dem Bereich der Partnerbeziehungen. Ein Ehepaar hat dauernd Streit. Die Ehefrau nörgelt dauernd an ihrem Mann herum, der Ehemann zieht sich zurück und sie nörgelt.
Abb. 3.1: Darstellung eines kreisförmigen Konfliktschemas (Oszillation), Quelle: Watzlawick [2000], S. 61
Als Interdependenz wird der Ablauf bezeichnet, in dem Ursache und Wirkung ihre Stellung in der Kommunikation verändern können. Erfolgreiche Kommunikation entsteht, wenn die Partner Kommunikation als Regelkreis verstehen. Störungen sind hingegen zu erwarten, wenn ein Partner an einem Punkt des Regelkreises auf kausale Ketten besteht und diesen Punkt als Ursache betrachtet. 4. Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen hingegen besitzen dieses semantische Potential, ermangeln aber die, für die eindeutige Kommunikation erforderliche, logische Syntax. Kommunikation besteht nicht nur aus dem verbalen Wort (i.d.R. digitale Kommunikation), sondern auch aus nonverbalen und analog-verbalen Kommunikationen. Digitale Elemente vermitteln oft in der Inhaltsebene, analoge hingegen in der Beziehungsebene. Bei erfolgreicher Kommunikation besteht eine Übereinstimmung und Eindeutigkeit in der Kodierung zwischen digitaler und analoger Ebene. In diesem Fall liegt eine kongruente Botschaft vor. Störungen entstehen bei Nichtübereinstimmung oder Uneinigkeit in den Kodierungen. Watzlawick et al erläutern das folgendermaßen: 45
“ Kindern … wird ja seit alters her eine besondere Intuition für die Aufrichtigkeit oder Falschheit menschlicher Haltungen zugeschrieben; denn es ist leicht, etwas mit Worten zu beteuern, aber schwer, eine Aufrichtigkeit auch analogisch glaubhaft zu kommunizieren. Eine Geste oder Miene sagt uns mehr darüber, wie ein anderer über uns denkt, als hundert Worte“5. 5. Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht. Beziehungen können entweder durch Gleichheit oder Unterschiedlichkeit charakterisiert sein. Eine symmetrische Kommunikation entsteht, wenn die Partner Ungleichheit vermeiden wollen. Komplementäre Kommunikation ist gekennzeichnet durch die Unterschiedlichkeit der Partner, die auf Ergänzung ausgerichtet sind. Erfolgreiche Kommunikation ist möglich, wenn in einer Beziehung beide Strömungen vertreten sind. Diese Aussage zur Symmetrie als empfehlenswerte Sozialbeziehung und Interaktionsform ist zu undifferenziert und muss daher erläutert werden. So besteht zwischen einer ggfs. sogar institutionellen Sozialbeziehung, die z.B. auf Gleichheit und Ungleichheit beruht, und der Führung in kommunikativer Interaktion oft ein Unterschied. Ein Beispiel: Der Patient, der sich gegenüber dem Krankenhauspersonal in einer Abhängigkeitsposition befindet, kann durchaus die Führung der Kommunikation übernehmen. Er kann als Patient immer wieder Forderungen stellen. Die Sozialbeziehung und die aktuelle Kommunikationsstruktur decken sich. Wir leben in vielen Sozialbeziehungen, in denen wir zwischen Symmetrie und Komplementarität abwechseln, z.T sind diese institutionell oder durch soziale Kontexte vorgegeben. „Es ist nicht etwa so, dass ein Partner dem anderen eine komplementäre Beziehung aufzwingt; vielmehr verhalten sich beide in einer Weise, die das bestimmte Verhalten des Anderen voraussetzt, es gleichzeitig aber auch bedingt“6. 3.1.1.3.
Kritische Reflexion
In der Tradition konstruktivistischen Denkens sind auch andere Kommunikationstheorien vorhanden7. Allgemein erfolgt durch sie eine Bestätigung und Festigung der Rolle des Individuums. Die Kommunikation erfolgt als Instrument zur Ausbildung und Adjustierung der individuellen Wirklichkeitskonstruktion und ermöglicht somit soziales Handeln (Einbezug von nonverbaler Kommunikation). Problematisch bei konstruktivistischen Theorien ist, dass die kognitive Autonomie eine ausreichende und plausible Erklärung von Kommunikation und ihrer Wirkung verhindert8. Die Kommunikationstheorie von Watzlawick kann als
46
Box 3.1. Eine Ikone kommuniziert Humor „Mittwochabend. Vor dem Wiener Rathaus stehen grüppchenweise Verzweifelte. Der Rathauswächter bleibt ruhig, schließlich hat nicht er den Vortrag von Paul Watzlawick in die Stadthalle verlegt, schließlich ist der Therapeut nicht sein Idol. Das der immer Verzweifelten aber schon […]. Frenetischer Applaus begrüßt knapp nach sieben Uhr den Kommunikationsforscher und Psychotherapeuten, als er die Bühne betritt und genötigt wird sich an einen kleinen Tisch zu setzen. Sein Vortrag über „Der Humor des Humors“ findet im Rahmen der Wiener Vorlesungen statt, bei der zunächst der Vorsitzende der einladenden Vereinigung ca. 1 Stunde spricht […]. Die gnadenlos verzögerten ersten Worte Paul Watzlawicks illustrieren das Motto des Abends dann recht gut. Als er endlich sprechen darf sagt der bloß: “Zum Abschluss noch einige Worte über den Humor“. Das Publikum gurrt vor lachen. Die folgenden 40 Minuten werden mit gläubiger Verehrung aufgesogen. Der Meister spricht, auch wenn er scheinbar zusammenhanglose Beispiele aneinander reiht, so kann man sich immer wieder daran festhalten, dass er versichert, all diese Beispiele hätten mit Humor zu tun. Haben sie ja auch. Zum Beispiel der Witz über den Mann, der zum Psychiater sagt: „Ich bin verrückt. Wilde Tiere halten Paraden unter meinem Bett ab.“ Auf die Frage, was eine Behandlung koste, antwortete der Therapeut: Es seinen 80 bis 160 Stunden a’ 700 Schilling nötig. „So verrückt bin ich nicht“, antwortet der Patient und lässt sich von seinem Schwager kurieren, der einfach die die Beine des Bettes absägt […].“ Quelle: Luttenberger [1999]
ein kommunikationstherapeutischer Ansatz gesehen werden, d.h. Watzlawick stellt Kommunikation als beobachtbare Manifestation menschlicher Beziehungen dar und setzt diese mit sozialem Verhalten gleich. Somit werden Störungen im sozialen Verhalten zu Kommunikationsstörungen und Verhaltenstherapie wird zur Kommunikationstherapie. 3.1.2.
Linguistische Kommunikationstheorie nach Karl Bühler
3.1.2.1.
Kommunikation als Zeichenübertragung
Karl Bühler (1879-1963) war Psychoanalytiker, Philosoph, Psychologe und Sprach- sowie Kommunikationswissenschaftler. Er gehörte nach verschiedenen Stationen bis 1938 zum Wiener Positivisten-Kreis. Seine „Sprachtheorie“ stellt zweifellos das wohl einflussreichs47
te funktional-strukturalistische Sprachmodell dar9. Diese Tatsache ist erstaunlich, da er einer der ersten linguistischen Theoretiker überhaupt war, der sich mit Funktionen der Sprache auseinandersetze. Die nachfolgenden Ausführungen stellen eine Auswahl aus dem Schaffen Bühlers dar; sie konzentrieren sich zum einen auf seine Bedeutung für die Kommunikationstheorie im Allgemeinen; zum anderen auf die Grundpositionen konstruktivistischen Denkens und deren Folgen für die kommunikationswissenschaftliche Forschung. Die Bedeutung Bühlers für die Kommunikationstheorie nahm erst Jahre nach der Veröffentlichung seiner Hauptwerke „Die Krise der Psychologie“ (1927) und „Sprachtheorie“ (1934) mit dem Sender-Empfänger-Modell von Claude Shannon ihren Anfang. Für Bühlers Verständnis von Kommunikation ist sein Ausgangspunkt als „philosophischer Psychologe“10 wichtig. Als solcher beschäftigten ihn hauptsächlich Fragen, inwiefern Menschen überhaupt koordiniert handeln können und woher die Koordination im sozialen Gefüge kommt. Bühler geht es also nicht primär um Kommunikation, er betrachtet Sprache als Medium kommunikativen Handelns. Er nimmt mit diesen Fragestellungen das Grundproblem der Kybernetik vorweg; einer Wissenschaft, die sich allerdings ganz unbeeinflusst von ihm, später mit der derselben Thematik vor einem völlig anderen naturwissenschaftlichen Hintergrund beschäftigt und aus der die spätere Kommunikationswissenschaft hervorgegangen ist11. Beide Ansätze untersuchen also das Steuerungsproblem menschlichen Verhaltens. Der Zusammenhang der Modelle von Bühler und von Shannon (einem Vertreter der Kybernetik) wird folgendermaßen beschrieben: „Das Kommunikationsmodell Shannons ist […] kein Zeichenmodell (und impliziert auch kein solches). Bei Bühler hingegen geht es um ein Zeichenmodell, das wiederum kein Kommunikationsmodell ist […]“12. Für Bühler liegt der Schlüssel zum Problem der Steuerung sozialer Handlungen in der sprachlichen Interaktion bzw. letztendlich im sprachlichen Zeichen. Seine implizite Sichtweise beinhaltet, dass Kommunikation als sozialer Prozess aufzufassen ist, an dem mindestens zwei Menschen beteiligt sind13. Diese Individuen treten mittels Zeichen, Medien und Sprache in ein wechselseitiges Mitteilungs- und Verständigungshandeln ein. Sie tun das, um sich aktuell aneinander zu orientieren, etwas Bestimmtes zu erreichen oder gemeinsam auf ein zukünftiges Ziel hin tätig zu sein. Bühler verdeutlicht diesen Standpunkt anhand seiner Axiome der Sprache14 x
Die Sprache muss für ihn als „Organon“, also als ein von Menschen geschaffenes universales Instrument zur Steuerung, anzusehen sein.
x Die Betonung der natürlichen Zeichenhaftigkeit der Sprache ist ebenso wichtig, wie x die Verknüpfung der Zeichenhaftigkeit der Sprache mit dem sozialen Kontext und x
48
die Bedeutung, die alle sprachlichen Zeichen erst in Relation zu ihren (Um)Feldern erhalten (Prozesscharakter der Kommunikation).
Zum Verständnis der Stellung seines Modells in der Kommunikationstheorie und zur Rolle seiner Vorstellung von sprachlichen Zeichen werden nachfolgend zwei ausgewählte Bereiche seines Zeichenmodells näher betrachtet. 3.1.2.2.
Aspekte der Sprachtheorie
In seiner Sprachtheorie behandelt der „Psychologe“ Bühler Sprache als ein Werkzeug (Organon), das der Kommunikation von Personen über Sachen dient. Diesen instrumentellen Charakter des Sprachzeichens expliziert er in einer Trias von Zeichenfunktionen15: - Die sprachlichen Zeichen sind Symbole, sobald sie der Darstellung dienen, - Die sprachlichen Zeichen sind Signale, sobald sie als Auslösung oder Appell dienen, - Die sprachlichen Zeichen sind Symptome, sobald sie als Kundgabe oder Ausdruck der inneren Gefühle, der inneren Erlebnisse des Sprechers dienen. Der innovative Begriff „Sprechhandlung“, der den Aspekt der Steuerung sozialer Vorgänge verdeutlicht, wird von Bühler folgendermaßen eingeführt: „ [..] Jedes konkrete Sprechen steht im Lebensverbande mit dem übrigen sinnvollen Verhalten eines Menschen; e s s t e h t unter Handlungen und i s t s e l b s t eine Handlung“16. Sowohl nach physischen als auch nach Sprechhandlungen „[…] erweist sich das Geschehene, das wir beobachten können, gesteuert auf ein Ziel hin, auf etwas, was erreicht werden soll“17. 3.1.2.3.
Das Organon-Modell
Das Organon-Modell ist ein von Bühler im Rahmen seiner Sprachtheorie entworfenes allgemeines Sprach- und Zeichenmodell, das sich auf Platons Metapher der Sprache als „Organon“, d.h. als Werkzeug stützt, mittels dessen einer dem anderen etwas über die Dinge mitteilt18. Entsprechend den drei Funktionen des sprachlichen Zeichens unterscheidet Bühler drei zeichenkonstituierende Faktoren und stellt diese semiotischen Aspekte systematisch in einem Diagramm dar. Das sprachliche Zeichen ist Symptom, sofern es die „Innerlichkeit des Senders“ ausdrückt (Ausdrucksfunktion der Sprache); es ist Signal, insofern es an den Sender appelliert (Appellfunktion der Sprache); es ist Symbol, insofern es sich auf Gegenstände und Sachverhalte der Wirklichkeit bezieht (Darstellungsfunktion der Sprache).
49
Abb. 3.2:
Organon-Modell, Quelle: Bühler [1934],S. 116
Der gestrichelte Kreis um das Dreieck stellt das „konkrete Schallphänomen“ dar, das materielle „Signal“ oder Signifikantenexemplar. Die drei Seiten des Dreiecks sollen die Tatsache symbolisieren, dass das „Signal“ in dreifacher Hinsicht „Zeichen“ ist, etwas „bedeutet“: Das „konkrete Schallphänomen“ sagt etwas über den Sender (Ausdrucksfunktion), über den Empfänger (Appellfunktion) und –vor allem– über die Gegenstände und Sachverhalte (Darstellungsfunktion). Sätze der Darstellung können in Sätze des Ausdrucks und diese wiederum in Sätze des Appells übersetzt werden: > Die Welt ist voll Trottel (Darstellung) > Ich fühle mich überlegen (Ausdruck) > Denke nicht, ich sei ein Trottel (Appell) oder: > Das ist ein Hund (Darstellung) bzw. > Das ist ein Köter (Darstellung) Die Darstellung sagt auch etwas über den Sender aus. In diesem Fall bringt sie seine negative Einstellung zu Tieren zum Vorschein. Nach Bühler funktioniert Kommunikation nur über Zeichen. Das Organon-Modell lässt sich verwenden, um sprachliche Kommunikationsprozesse zu beschreiben, zu erklären und
50
zu verstehen. Da es sich um ein Zeichenmodell handelt und Kommunikation ohne Zeichenverwendung nicht denkbar ist, verweist jede Zeichenverwendung auf Kommunikation. 3.1.2.4.
Kritische Reflexion
Das Modell geht von einer Abbildungsfunktion der Sprache aus. Zu diskutieren ist in diesem Zusammenhang, ob nicht Sprache eben gerade eine konstituierende Wirkung in der Welt hat. Bühler lässt den Beziehungsaspekt, wie er z.B. bei Watzlawick zu finden ist, unberücksichtigt. Daher wirkt das Modell sehr statisch. Bei Bühler ist die semantische Dimension (Darstellungsfunktion) nur als referenzsemantische dargestellt (Signifikanten stehen für Referenten), die Beziehung der Signifikanten zu den Referenten ist nicht über Signifikante vermittelt. 3.1.3.
Psychologische Kommunikationstheorie nach Schulz von Thun
3.1.3.1.
Kommunikation als Verbindung individualpsychologischer, humanistischer und systemischer Schulen
Friedemann Schulz von Thun ist Professor für Psychologie an der Universität Hamburg und bildet dort Nachwuchspsychologen aus. Daneben ist er Kommunikationstrainer für Lehrer und Führungskräfte und vermittelt in Kursen und Fortbildung Verhaltenstraining und Demokratisierung zwischenmenschlicher Beziehungen. Für ihn ist eine Nachricht die kleinste Einheit der Kommunikation und setzt sich aus mehreren Botschaften zusammen. Nach seinen Vorstellungen ist die zwischenmenschliche Kommunikation störanfällig und anfällig für Missverständnisse. Sein Modell wurde angeregt durch die Arbeiten von Bühler (1934) und Watzlawick (1969). Nach seiner Auffassung gibt es fünf Aspekte von Kommunikation: I. II. III. IV. V.
Die Anatomie einer Nachricht (Sender). Das Empfangen einer Nachricht. Die Begegnung mit dem Empfangsresultat – Feedback. Interaktion; das gemeinsame Spiel von Sender und Empfänger. Metakommunikation, – Lösung aller Kommunikationsprobleme?
Der Unterschied des Kommunikationsmodells zu dem von Bühler liegt darin, dass bei Bühler die Darstellungsfunktion gleichgestellt ist mit der Sachfunktion; und die Ausdrucksfunktion gleichgestellt ist mit der Selbstoffenbarung (mit der Beziehung). Diese Aussagen finden sich bei Schulz von Thun nicht; im Modell ist die Appellfunktion gleichgestellt mit dem Appell.
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Der Unterschied des Kommunikationsmodells zu dem von Watzlawick ist darin zu sehen, dass bei Watzlawick der Inhalts- und der Beziehungsaspekt von Nachrichten unterschieden wird, d.h. der Inhaltsaspekt ist gleichgestellt mit dem Sachinhalt und der Beziehungsaspekt, mit Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell. Diese Aussagen unterscheiden sich von denen im Modell von Schulz von Thun, in dem die Appellfunktion gleichgestellt ist mit dem Appell. Sein wohl bekanntestes Kommunikationsmodell ist das „Modell der vier Ohren“, das nachfolgend vorgestellt wird. 3.1.3.2.
Anatomie einer Nachricht, das „Modell der vier Ohren“
Wenn der Mensch kommuniziert, so tut er das auf vierfache Weise19. Jede Äußerung enthält so vier Botschaften, die unter diesen Gesichtspunkten zu interpretieren sind. Die Ebenen haben nicht nur eine Bedeutung für das private Miteinander, sondern auch und vor allem für den beruflichen Alltag; hier wird das berufliche und menschliche beständig miteinander verzahnt. Schulz von Thun ordnet im Rahmen der Anatomie einer Nachricht dem Sender vier Zungen und dem Empfänger vier Ohren zu.
Abb. 3.3:
Das „vier Ohren-Modell“, Quelle: in Anlehnung an Schulz von Thun [1981],S. 116
Die vier dazugehörigen Ebenen sind: 1. Sachebene (Worüber informiere ich) Sachinformation. 2. Selbstoffenbarung (Was ich von mir selbst kundgebe) Informationen über die Person des Senders, einerseits gewollte Selbstdarstellung andererseits unfreiwillige Selbstenthüllung. Der Ursprung vieler Probleme bei der Kommunikation liegt in der Technik zur Selbsterhöhung und Selbstverbergung beim Sender.
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Box 3.2. Da vorne zeigt die Ampel rot…. Der Beifahrer schreit laut: "Da vorne ist die Ampel rot". Diese Botschaft könnte der Fahrer als nüchterne Sachverhaltsbeschreibung deuten (was meist nicht der Fall ist). Er könnte den "Appell" heraushören, langsamer zu fahren bzw. zu bremsen. Er könnte mitfühlend heraushören, dass der Beifahrer Angst hat. Er könnte nachdenklich werden, weil er aus dem Satz entnimmt, dass der andere ihn glaubt, bevormunden zu müssen. Quelle: Seilnacht [o.J.].
3. Beziehungsebene (was ich von Dir halte und wie wir zueinander stehen) Wird oft in nicht sprachlichen Signalen vorgenommen (Formulierung, Tonfall, Mimik etc.). Ist der Empfänger besonders empfindlich, fühlt er sich als Person bebzw. misshandelt und ist betroffen. Das bedeutet, dass die Sender einer Nachricht auch eine Art von Beziehung zum Empfänger auszudrücken. Eine Nachricht hat somit zwei Seiten: eine mit dem Ausdruck dessen, was der Sender vom Empfänger hält und eine andere, die ausdrückt, wie er die Beziehung zwischen den beiden sieht (Du-Botschaften; Wir-Botschaften). 4. Appell (wozu ich dich veranlassen möchte) Dabei handelt es sich um eine Einflussnahme auf den Empfänger, die mehr oder minder versteckt sein kann (Manipulation). Die anderen drei Seiten können in den Dienst des Appells gestellt werden. Dabei wird die Wirkungsverbesserung der Appellseite mit dem Funktionalisieren der Nachricht gleichgestellt. Kommunikationsprobleme treten dann auf, wenn Sender und Empfänger auf einen anderen „Kanal“ eingestellt sind, die Botschaft also falsch verpackt bzw. entschlüsselt wird. 3.1.3.3.
Kritische Reflexion
In der zwischenmenschlichen Beziehung ist vor allem das „Beziehungs-Ohr“ entscheidend. Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung der Kommunikation wird es immer schwieriger, einer scheinbar nur Sachinformationen enthaltenden Nachricht die Beziehungsbotschaft zu entnehmen. Nur bei der face-to-face Kommunikation stehen den Kommunikationsteilnehmern auch nonverbale Kanäle zur Verfügung (z.B. Mimik, Körperhaltung, Tonfall etc.).
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Box 3.3. Enantiodromie „ Heraklit ( 535 – 475 v. Chr.) formulierte : Pantha rei“ = Alles fließt wandelt und verwandelt sich in sein Gegenteil. Aus warm wird kalt, aus Tag Nacht aus Sommer Winter aus Leben Tod. Wir steigen in den Fluss und doch nicht in denselben. P. Watzlawick: Ein Zuviel des Guten kann stets ins Böse umschlagen. Paradoxien Eine Paradoxie ist eine Handlungsaufforderung, die befolgt werden muss, aber nicht befolgt werden darf, um befolgt zu werden. Der Prototyp dieser Aufforderung ist daher: „Sei spontan!“. Diese Aufforderung versetzt den Empfänger in eine unhaltbare Situation, da er, um ihr nachzukommen, spontan in einen Kontext von Gehorsam, also von Nichtspontanität sein müsste.“ Quelle: Watzlawick et al [2000]
Das Modell hat nur intrakulturelle Gültigkeit. Die Art und Weise, eine Nachricht anders zu verstehen, d.h. mit welchem Ohr jemand gerade gut oder weniger gut zuhört, hängt nicht nur von der Situation, dem eigenen Befinden, sondern in besonderem Maße von der eigenen Kultur des Senders/ Empfängers ab. So ist generell festzustellen, dass z.B. Deutsche und Japaner ganz verschiedenen „Ohren“ bevorzugen. Deutsche hören eher auf Sachbotschaften und Beziehungsbotschaften. Das könnte daran liegen, dass Deutsche ihre Aussagen meist begründen und Diskussionen meist sachlich geführt werden. In der deutschen Sprache werden Appelle z.B. sehr stark ausgedrückt; gleichzeitig gibt es aber kaum klare Möglichkeiten und Ausdrücke für Beziehungen. Japaner drücken Appelle zumeist indirekt oder versteckt aus, so dass der Empfänger diese „erfühlen“ muss desgleichen gilt auch für Selbstoffenbarung. Für Beziehungen hingegen existieren in der japanischen Sprache klare Festlegungen (senpai, kouhai etc.).
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Box 3.4. Pingpong .. Gleich kommt der Zug! Die Unterschiedlichkeit kulturell bedingter „Ohren“ kann an der Reaktion eines Deutschen und eines Japaners auf eine alltägliche Situation in Japan verdeutlicht werden. Auf japanischen Bahnhöfen geht es, ganz anders als in Deutschland, mit sehr viel Lärm zu. Es wird z.B. auf Züge vor der Einfahrt mit Glockengeläut und auch mit anderen Signalen aus dem scheppernden Lautsprecher hingewiesen. So hört man vor Einfahrt jedes Zuges folgende Ansage; „Pingpong! Gleich kommt der Zug, warten Sie bitte hinter der gelben Linie, weil es gefährlich ist“. Daraus würde ein Deutscher mit seinem „Beziehungsohr“ hören:“ Warum behandeln die mich hier wie ein kleines Kind, ich weiß doch selbst, dass ein einfahrender Zug gefährlich ist“. Ein Japaner hingegen würde mit seinem „Beziehungsohr hören: “Schön, dass ich die Information erhalte, ich fühle mich beim Zugbetreiber gut aufgehoben, denn er erklärt mir, was gut und gefährlich ist und ich fühle mich vor dem Bösen beschützt“. Quelle: Vgl. Emrich [2007], S. 145 f.
Bei der interpersonalen Kommunikation handelt es sich um ein Forschungsgebiet, das viele Wissenschaftsdisziplinen umfasst. Es geht von einer nicht öffentlichen face-to-faceInteraktion aus, bei der ein Rollenwechsel zwischen Sender und Empfänger möglich ist. Kommunikation wird aus der verhaltenswissenschaftlichen Perspektiven gesehen. Das Kommunikationsmodell von Watzlawick basiert auf der Denktradition des Konstruktivismus, der von Menschen in einem geschlossenen autopoietischen System ausgeht, die durch subjektabhängige Sinngebung und Bedeutungszuweisung eine individuelle Wirklichkeit modellieren, in denen in verschiedenen Modalitäten Kommunikation abläuft. Soziale Systeme z.B. Famile, Gruppe, Paare stellen soziale Rückkopplungskreise dar, in denen jedes Individuum durch sein Verhalten die anderen Individuen beeinflusst und von anderen Individuen des Systems beeinflusst wird. Es handelt sich um einen kommunikationstherapeutischen Ansatz. Watzlawick stellt Kommunikation als beobachtbare Manifestation menschlicher Beziehungen dar, Störungen im sozialen Verhalten gerinnen zu Störungen im Kommunikationsverhalten. Das Modell von Bühler untersucht das Steuerungsproblem menschlichen Verhaltens und geht dabei von der Sprache als „Organon“, d.h. Werkzeug aus. Er schuf ein Grundmodell der Kommunikation. Es handelt sich nicht um ein Kommunikations-, sondern um ein Zei55
chenmodell, bei dem Kommunikation ohne Zeichenverwendung nicht denkbar ist. Für Bühler liegt der Schlüssel zum Forschungsproblem in der sprachlichen Interaktion und letztendlich im sprachlichen Zeichen. Die Sprache ist ein Organum mit den drei Funktionen der Darstellung, des Ausdrucks und des Appells. Das Modell von Schulz von Thun sieht die Lösung von Kommunikationsproblemen in der Metakommunikation, d.h. eine Auseinandersetzung mit der Art, wie wir miteinander umgehen, wie die gesendeten Nachrichten gemeint und wie die ankommenden Nachrichten entschlüsselt werden. Gute Metakommunikation braucht Einblick in sich selbst und Mut zur Selbstoffenbarung. Metakommunikation erscheint Menschen als ungewohnt und befremdlich. Bei der Metakommunikation können allerdings dieselben Fehler passieren wie bei der „normalen“ Kommunikation. 3.2.
Ausgewählte Theorien (Massen)medialer Kommunikation
Als Massenkommunikation wird ein Kommunikationstyp bzw. eine Kommunikationsform bezeichnet, die der öffentlichen Kommunikation zuzurechnen ist. In das Forschungsgebiet zur Massenkommunikation sind zahlreiche Wissenschaftsdisziplinen involviert, z.B. Soziologie, Psychologie, Sozialpsychologie, Wirtschaftswissenschaften, Linguistik etc. Nach neuerer Auffassung besteht auch eine Überschneidung zwischen Massenkommunikation und Medienwissenschaften. Hierzu existiert aber noch keine allgemein anerkannte Klassifikation. Für Massenkommunikation existiert derzeit keine umfassende Gesamttheorie20. Es sind aber verschiedene Ansätze vorhanden, von denen einige ausgewählte nachfolgend diskutiert werden. 3.2.1.
Kybernetischer Ansatz von Shannon/ Weaver
3.2.1.1.
Kommunikation als mathematisch definierte Informationen
Die Entwicklung des Kommunikationsmodells von Claude E. Shannon (1916 -2001) und Warren Weaver (1894-1978) erfolgte erst Jahre nach der Veröffentlichung der Hauptwerke von Bühler und ist unbeeinflusst davon. Es ist ein kybernetisches Modell, einer Wissenschaftsrichtung, aus der später die Kommunikationswissenschaft hervorgegangen ist21. Der Begriff Kommunikation wird sehr weitläufig ausgelegt, um Vorgänge einzuschließen, die durch gedankliche Vorstellungen einander beeinflussen können22. Somit ist nicht nur Sprache und Wort einbezogen, sondern auch Musik, Malerei etc. und jedes menschliche Verhalten. Ähnlich, wie im Modell von Bühler, steht das Steuerungsproblem menschlichen Verhaltens im Mittelpunkt, allerdings aus einer anderen, naturwissenschaftlichen Perspektive.
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Das von den amerikanischen Elektrotechnikern und Mathematikern Shannon/ Weaver entwickelte Interaktionsmodell beschäftigt sich daneben mit den Fragen, wie man Informationen mathematisch definieren und messen sowie Fehler bei der Informationsübertragung korrigieren und Störquellen ausschalten kann23. Das Modell wurzelt in der amerikanischen Kommunikationstheorie und stellt eine mathematische Theorie der Kommunikation dar. Shannon gilt daher als einer der Begründer der Informationstheorie. Er arbeitete zusammen mit Weaver während des 2. Weltkriegs bei Bell Telephone Laboratories in New York. Beide beschäftigten sich mit Kryptographie, Kybernetik und Kanalkapazität. Die Aufgabe von Shannon/ Weaver war es, herauszufinden, wie ein (militärisches) Gespräch möglichst störungsfrei ablaufen kann. 3.2.1.2.
Reduktionistisches Kommunikationsmodell
Das von Shannon/ Weaver entwickelte mathematische Modell der Kommunikation beschreibt den Kommunikationsvorgang als eine lineare Anordnung von Elementen, die in einer Richtung eindeutig miteinander verbunden sind24. Im Mittelpunkt des Modells steht der Nachrichtenübertragungsprozess. Die eigentliche Nachricht wird von der Informationsquelle an den Sender geleitet, der sie in eine Form umwandelt, in der sie vom Sender zum Empfänger übertragen werden kann. Auf der Seite des Rezipienten wandelt der Emfpänger das Signal wieder in die Nachricht um (Dekodierung) und überträgt es an den Adressaten. Der Kanal ist in der realen Kommunikationssituation Störungen ausgesetzt. Dadurch kann sich das Signal auf dem Weg vom Sender zum Empfänger verändern (z.B. Hinzufügung störender Information bzw. Verlust relevanter Informationen etc.). Daraus ergibt sich, dass der Adressat eine andere Nachricht erhalten kann, als diejenige, die die Informationsquelle abgeschickt hat. Bei der Kommunikation können also Fehler auftreten. Die störungsfreie Übertragung ist aus technischer Sicht eine unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation. So wird Kommunikation hier auch als Signalübertragung definiert.
Abb. 3.4:
Schema eines allgemeinen Kommunikationssystems, Quelle: Shannon/ Weaver, [1976], S. 7
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Es können vorrangig auf drei Ebenen Probleme auftreten: 1. Ebene A: Wie genau können die Zeichen der Kommunikation übertragen werden? (Technisches Problem). 2. Ebene B: Wie genau entsprechen die übertragenen Zeichen der gewünschten Bedeutung? (Semantisches Problem). 3. Ebene C: Wie effektiv beeinflusst die empfangene Nachricht das Verhalten in der gewünschten Weise? (Effektivitätsproblem). Die Aufzählung könnte zur Annahme verleiten, dass Shannon/ Weaver die Ebene A vorrangig interessiert hätte, da sich hier vorwiegend die technischen Details eines Entwurfs für ein Kommunikationssystem finden; hingegen die Ebenen B und C für sie uninteressant sind da sie den gesamten philosophischen Gehalt enthalten. Es gelang Shannon, eine Theorie zur Übertragung von Zeichen zu entwickeln, die sich zunächst nur auf die Ebene A bezieht. Diese Theorie hat bei genauerem Hinsehen jedoch eine tiefere Bedeutung. Diese lässt sich dadurch begründen, dass auf den Ebenen B und C sich nur der Grad der Genauigkeit der Signale widerspiegelt, der in Ebene A analysiert wurde. Somit wirkt sich jede Beschränkung der Theorie, die in Ebene A entdeckt wird, auch auf die beiden anderen Ebenen aus. Zusätzlich ergibt sich die Bedeutsamkeit der Theorie der Ebene A auch daraus, dass die mathematische Analyse der Ebene und ihrer Probleme eine enorm starke Überlappung mit den Problemen der anderen beiden Ebenen aufweisen. Die Informationstheorie ist daher durchaus nicht nur einseitig technisch zu sehen. Mit der Informationstheorie wurde es möglich, den Begriff Information mathematisch zu erfassen. Das Modell stellt ein Basismodell dar, denn in den Kommunikationswissenschaften findet sich kein anderes Modell, das nicht auf dieses zurückgreift. 3.2.1.3.
Kritische Reflexion
Das Modell erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es existiert derzeit kein allgemeingültiges Modell zur Kommunikation. Das Modell ist insofern konsistent, da es der Definition von Kommunikation im Bereich der Nachrichtentechnik und Informationstechnik entspricht. Es weist jedoch erhebliche Mängel auf. So kann z.B. das Ausbleiben einer Nachricht auch eine Information darstellen. Beispielsweise kann das Ausbleiben einer Antwort, bei der spontanen Einladung zum Essen, mit einer Absage assoziiert werden. Information kann zudem auch ohne wirklichen Sender und Empfänger übertragen werden; so ist z.B. bei physikalischen Messungen nicht klar auszumachen, wer der wahre Sender ist; das Messgerät oder z.B. das Atom?
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Box 3.5. Bestandteile und Ebenen des Kommunikationsprozesses „Zeichen“ sind Elemente einer endlichen Menge (Zeichenvorrat“ z.B. die Menge aller deutschen Wörter) denen eine Bedeutung zugeordnet wird. Diese Bedeutung liegt außerhalb der endlichen Menge und ist vom Zeichen verschieden. Ein oder mehrere Zeichen bilden ein Signal, wenn sie eine unmittelbare Auswirkung auf das Verhalten von Lebewesen haben, d.h. sie lösen eine bestimmte Reaktion aus. Diese Reaktion kann durch eine Vereinbarung zwischen Menschen vorherbestimmt sein, aber sie kann auch instinktiv angelegt oder durch Lernprozesse bedingt sein. Durch die Verknüpfung der Bedeutung der Zeichen und den Handlungskonsequenzen entsteht aus einer Nachricht eine Information“. Quelle: o.V. o.J. [2007b]
Das Sender-Empfänger-Modell beschreibt maschinelle und keine lebendigen Vorgänge, trotzdem ist die Telefonie, für die es entwickelt wurde, Bestandteil einer Kommunikationssituation ist. Kommunikation wird als ein linearer, in eine Richtung vom Sender zum Empfänger verlaufender Prozess gesehen eine Umkehrung der Richtung ist nicht vorgesehen. Kommunikation wird kontextfrei allein unter Verwendung von Sprache verstanden und nicht in der sprachlichen Gesamtsituation (kognitive Gesamtsituation des Gegenübers, Integration in vorhandenes Wissen). Typische Phänomene der Kommunikation wie emotionale Aspekte und insbesondere Kreativität, die für die Lösung von Problemen erforderlich sind, werden nicht beachtet. Kommunikation setzt wenigstens teilweise einen identischen Zeichen- und Bedeutungsvorrat bei Sprecher und Empfänger voraus. Die Notwendigkeit erfolgreiche Kommunikation zu messen, wird bei diesem Modell deutlich. 3.2.2.
Das erweiterte Wirkungsmodell von Lasswell
3.2.2.1.
Formel zur Massenkommunikation
Harold D. Laswell (1902-1978), entwickelte in einer Zeit, in der man u.a. aus der Erfahrung der beiden Weltkriege von der „Allmachtsthese“ der Medienwirkung überzeugt war, seine berühmt gewordene Formel zur Massenkommunikation25. Er ebnete damit den Weg für ein Abrücken von der Allmachtsthese, die nicht mehr zum Menschenbild der Zeit passte. Lasswell prägte die Medienwirkungsforschung zwischen den Jahren 1946 und 1959,
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denn sein Modell unterschied sich in wesentlichen Teilen von den Modellen, die eine Allmachtsthese zugrunde liegen26, weil der Rezipient in seinem Modell über eine gewisse Wahlfreiheit verfügt und zwischen verschiedenen Medien und Aussagen innerhalb eines Mediums wählen kann. Er geht zwar noch davon aus, dass die Kommunikationsprozesse als einseitiger Vorgang vom Sender zum Empfänger verlaufen danach verläuft Kommunikation in einer „Einbahnstraße“, das Modell geht jedoch von einer Mehrstufigkeit der Kommunikation aus. Dieses wurde zunächst noch nicht im Sinne eines mehrstufigen Wirkungsprozesses interpretiert27. Abbildung 3.5. zeigt das Modell im Überblick.
Abb. 3.5:
Die Lasswell-Formel der Massenkommunikation, Quelle: Jäckel [2005],S. 63
Die erste Stufe (Wer-sagt-Stufe) wird auch als Kommunikator- oder Sendestufe bezeichnet. Sie befasst sich mit Biographien bekannter Publizisten und untersucht den Workflow in Redaktion und Medienunternehmen. Bei den Untersuchungen in der zweiten Stufe (WasStufe oder Nachrichtenstufe) steht die Aufgabe der Inhaltsanalyse im Fokus. Sie bezieht sich auf die Untersuchung von gemachten Aussagen und mit ihrer Hilfe werden dazu systematisch Medienangebote jedweder Art formal und inhaltlich geprüft. Die dritte Stufe (Inwelchem-Kanal-Stufe oder nur Kanalstufe) befasst sich mit der Erforschung der Medienanalyse. Die vierte Stufe (Zu-wem-Stufe oder Empfängerstufe) steht im Fokus der Publikums- bzw. Rezipientenforschung. Die fünfte Stufe (Mit-welchem-Effekt-Stufe oder Wirklichkeitsstufe) untersucht die Wirkungsforschung. Lasswell brauchte sein Modell, um auf
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verschiedene Aspekte der Kommunikationsforschung hinzuweisen und ordnete jeder Frage eine Art der Analyse zu, wie in Abbildung 3.5. verdeutlicht. 3.2.2.2.
Kritische Reflexion
Die Problematisierung der Massenkommunikation steht im engen Zusammenhang mit der politisch motivierten Meinungsforschung, da praktisch eine Abgrenzung fehlt. Massenkommunikation wird als ein linearer, in eine Richtung vom Sender zum Empfänger verlaufender Prozess gesehen. Die Kommunikation wird dabei als ein „Strom“ betrachtet, der in miteinander verkettete Elemente unterteilt ist. Eine Verbindung in umgekehrter Richtung ist nicht vorhanden. Kommunikation ist somit als eine lenkbare und der Kontrolle unterliegende Tätigkeit zu sehen. Insofern geht das Modell von der „Allmacht“ der Medien aus. Ein bestimmter Kommunikationsinhalt (Stimulus) erreicht jedes Individuum auf gleiche Weise und ruft als Ergebnis bei allen Individuen ähnliche oder gleichförmige Reaktionen hervor28. Diese frühen Manipulationsthesen sind später allgemein kritisiert worden und ihre Allgemeingültigkeit wurde in Frage gestellt. Erst nach und nach wird die Kommunikation in einen breiteren und komplizierteren Kontext gesetzt29. Die Laswell-Formel beschreibt eher einen idealtypischen Kommunikationsverlauf. 3.2.3.
Ausgewählte Kommunikationstheorien der Gegenwart (Dynamisch-transaktionale Modelle)
3.2.3.1.
Kommunikation im Sinne des symbolischen Interaktionismus nach Mead
Historisch betrachtet entwickelte sich der symbolische Interaktionismus aus der philosophischen Tradition des Pragmatismus. Die Grundlegung des symbolischen Interaktionismus erfolgt durch Herbert Mead (1863-1931) und die Forschungspraxis der Chicago School. Er war Philosoph und Sozialpsychologe und arbeitete an der Universität von Chicago. „Unter symbolischem Interaktionismus werden die Prozesse verstanden, durch die Menschen auf ihr eigenes und das Bewusstsein anderer bezogen sind, also ihrer und anderer Motive, Mittel, Zwecke und Kenntnisse berücksichtigen“30. Der Ausgangspunkt für die Theorie von Mead liegt in einer Kritik am Behaviorismus John B. Watsons im Anschluss an den Pragmatismus von John Dewey und William James. Seine Grundthesen sind31: 1. Sozialität stellt einen Mechanismus der Evolution dar. Sie bedeutet das Vermögen von Organismen, das Verhalten anderer zur Kontrolle eigenen Verhaltens heranzuziehen. 2. Handlungen haben Zeichencharakter.
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Box 3.6. Wie wirklich ist Wirklichkeit? „Wohl alle Psychologiestudenten kennen den alten Witz von der Laborratte, die einer anderen Ratte das Verhalten des Versuchsleiters mit den Worten erklärt: »Ich habe diesen Mann so trainiert, dass er mir jedes Mal Futter gibt, wenn ich diesen Hebel drücke«. Damit beweist die Ratte, dass sie in derselben Reiz-Reaktionsfolge eine andere Gesetzmäßigkeit sieht als der Versuchsleiter: Für ihn ist der Hebeldruck der Ratte eine von ihr erlernte Reaktion auf einen von ihm unmittelbar vorher gegebenen Reiz; wie aber die Ratte die Wirklichkeit sieht, ist ihr Hebeldruck der Reiz, den sie dem Versuchsleiter erteilt, worauf er mit dem Geben von Futter als erlernter Reaktion antwortet usw. Obwohl beide also dieselben Tatsachen sehen, schreiben sie ihnen sehr verschiedene Bedeutungen zu und erleben sie daher buchstäblich als zwei verschiedene Wirklichkeiten.“ Quelle: Köppnick [2006]
Der Sinn der Handlung von A liegt in der Reaktion von B.
Abb. 3.6:
Sozialität im Sinne von Mead
Aufgrund der Reaktion von A, kann A die Interpretation seiner Handlung der von B anpassen und vice versa, d.h. er kann das Verhalten anderer zur Kontrolle eigenen Verhaltens heranziehen. Ruft eine Handlung oder Geste in A und B die gleiche Reaktion hervor, wird sie zur signifikanten Geste bzw. zum Symbol. Daraus folgt, dass es signifikante Symbole möglich machen, die Einstellung anderer, selbst wenn diese abwesend sind, zur Kontrolle eigenen Verhaltens zu übernehmen. Für Mead entsteht in diesem Prozess objektive Wirklichkeit sowie soziale Identität, d.h. der Mensch wird durch die Übernahme der Rollen anderer sozialisiert; seine Identität hängt so von den Reaktionen anderer ab. Der Ansatz ist verbunden mit der qualitativen Forschungspraxis der Chicago School zwischen 1920 und 1930,
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Box 3.7. Meads Analyse der symbolischen Interaktion ist von höchster Bedeutung… „[…] Er sieht diese als eine Präsentation von Gesten und als eine Reaktion auf die Bedeutung solcher Gesten. Eine Geste ist irgendein Teil oder Aspekt einer ablaufenden Handlung, die die umfassende Handlung, deren teil sie ist charakterisiert; z.B. das schütteln einer Faust als Hinweis auf einen möglichen Angriff oder die Kriegserklärung durch eine Nation als Hinweis auf den Zustand und die Handlungsabsicht jener Nation. Solche Dinge wie Wünsche, Anordnungen, Befehle, Winke und Erklärungen sind Gesten, die der Person, die sie wahrnimmt einen Hinweis auf die Absicht und den Verlauf einer bevorstehenden Handlung des Individuums vermitteln, das diese Gesten setzt. […] Zur Erläuterung sei das folgende Beispiel gegeben: der Befehl eines Räubers an sein Opfer, die Hände hoch zu nehmen ist (a) ein Hinweis auf das was das Opfer tun soll, (b) ein Hinweis auf das was der Räuber zu tun beabsichtigt, nämlich das Opfer um sein Geld zu erleichtern und (c) ein Hinweis auf die sich entwickelnde gemeinsame Handlung, in diesem Beispiel ein Überfall. Falls es Verwirrung oder ein Missverständnis an einer dieser drei Linien gibt, ist die Kommunikation unwirksam“. Quelle: o.V. o. J. [2007]
die sich auf die Erforschung von Sinnstrukturen der Interaktion sozialer Gruppen ausgerichtet hat. 3.2.3.2.
Kommunikation im Sinne des symbolischen Interaktionismus nach Blumer
Die Weiterführung und Operationalisierung des Ansatzes von Mead wurde durch Herbert Blumer (1900-1987) vorgenommen. Er wurde durch Mead in der Universität Chicago promoviert, arbeitete dann an den Universitäten Michigan, Chicago und California. Er formulierte den Ansatz von Mead zu einem theoretischen und empirischen Leitfaden für die Forschung um und stellte drei Prämissen auf32: 1. Menschen behandeln Dinge und Andere aufgrund der Bedeutung, die diese für sie haben. 2. Die Bedeutungen entstehen in der Interaktion. 3. Sie werden in der Auseinandersetzung mit der Welt benutzt und so auch geändert.
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Seine Kritik an präskriptiven Ansätzen bezieht sich darauf, dass die von Akteuren hervorgebrachte Gestalt der empirischen Welt auch methodisch zu berücksichtigen ist. Auf seinen Prämissen beruhen vier Grundannahmen über die Beschaffenheit der empirischen und sozialen Welt. Diese sind: 1. Menschen, egal ob individuell oder kollektiv, sind darauf ausgerichtet, auf Grundlage der Bedeutung der Objekte zu handeln, die ihre Welt ausmachen. 2. Der Zusammenschluss der Menschen erfolgt notwendigerweise in Form eines Prozesses, in dessen Verlauf sie sich gegenseitig jeweils etwas anzeigen, und das Anzeigen der jeweils anderen interpretieren. 3. Soziale Handlungen, gleichgültig ob individueller oder kollektiver Art, sind in einem Prozess aufgebaut, in dem die Handelnden die ihnen begegnende Situation wahrnehmen, interpretieren und einschätzen. 4. Infolgedessen sind die komplexen Handlungen, die in Organisation, Institution, Arbeitsteilung und Netzwerke die gegenseitige Abhängigkeit ausmachen, dynamische und nicht statische Angelegenheiten. Der Ansatz des symbolischen Interaktionismus wurde durch Blumer geprägt. Er geht davon aus, dass soziale Realität das Resultat von Interaktion und Kommunikation ist. Die analytische Basiseinheit ist hier jedoch nicht die Handlung einzelner Individuen, sondern die Dyade und ihre Interaktion. In der Interaktion werden Handlungen (Gesten/ Lautgesten) zu Symbolen gemeinsamer Deutungsschemata, durch die weiteres Handeln orientiert wird; daher der Begriff symbolischer Interaktionismus33. 3.2.3.3.
Uses and Gratification Approach
Bis in die 1940er Jahre hat sich die Kommunikationsforschung hauptsächlich darauf beschränkt, die Wirkung der Medien auf das Publikum zu untersuchen. Als Paradigmenwechsel gilt, dass ca. ab 1940 dieser Ansatz umgekehrt wird und nunmehr auch untersucht wird, was die Menschen mit den Medien machen. Der Uses and Gratification Approach wurde von Katz et al entwickelt und von Teichert zum Nutzenansatz weiterentwickelt34. Der Ansatz wird auch mit den Begriffen Belohnungsansatz und Gratifikationsforschung beschrieben, welche ab dem Jahr 1970 ein heftiges Comeback erfuhr 35. Das Konzept Uses and Gratification Approach beschäftigt sich mit Kommunikationsforschung und Medienwirkungen. Es beinhaltet soziologisch und psychologisch orientierte Ansätze. Der Ansatz basiert nicht auf einem allgemein anerkannten Theoriegebäude, sondern es existiert lediglich ein Konglomerat unterschiedlicher Varianten zu verschiedenen Aspekten der Kommunika64
tion und Mediennutzung, die in einem Zusammenhang stehen. Der heute bekannte Ansatz wurde erstmals Anfang 1960 beschrieben36 und basiert auf folgenden Grundideen37: -
Abb. 3.7:
Die Publikumsaktivität ist eine zentrale Determinante im Massenkommunikationsprozess, das Publikum definiert weitgehend selbst, wie es mit den Medien umgeht, welche Medienangebote es wie und mit welchen Folgen nutzt, das Publikum bestimmt selbst, welche Medienwirkungen es zulässt; was voraussetzt, dass das Individuum autonom ist und sich hinsichtlich der Bedeutung der Rangordnung von Interessen bewusst ist.
Grundideen des Uses and Gratification Approach, in Anlehnung an Merten [1994]
Diese führen zu folgenden Basisannahmen, die den Uses and Gratification Approach vom bis dahin vorherrschenden Reiz-Reaktions-Schema der Kommunikation abgrenzen38: 1. Das Publikum ist aktiv. Der Rezipient stellt bei gegebenen psychischen Dispositionen und sozialen Rollen Erwartungen an die Massenmedien. 2. Der Rezipient ist Schlüsselfigur, die bestimmt, ob ein Kommunikationsprozess stattfindet. 3. Massenmedien konkurrieren mit anderen Quellen der Bedürfnisbefriedigung. 4. Rezipienten sind dazu fähig, ihre Ziele und Bedürfnisse anzugeben. 5. Handlungsorientierungen der Rezipienten werden in deren eigenen Kategorien entwickelt. Es hängt demnach vom Rezipienten ab, wie eine Botschaft interpretiert wird39. Das empfangsorientierte Konzept unterstellt dem Publikum, dass die Empfänger sehr überregional und selektiv Medien nutzen40. „Medien werden nicht automatisch genutzt“41, daher können Massenmedien auch nur eine Wirkung erzielen, wenn der Rezipient von ihnen Gebrauch macht. Bei der Frage, aus welchen Gründen Menschen welche Medien nutzen, stellt der
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Nutzenansatz die Bedürfnisse des Menschen in den Vordergrund, die durch Mediennutzung befriedigt werden sollen und mit „Gratifikationen“ bezeichnet werden42. Nach Schenk haben Bedürfnisse soziale und psychologische Ursprünge43.
Abb. 3.8:
Elemente des Nutzen- und Belohnungsansatzes nach Schenk, Quelle Schenk [2002], S.631
Die Bedürfnisse erzeugen Erwartungen an die Medien oder an alternative nicht-mediale Quellen. Aus der darauf folgenden Mediennutzung resultiert eine Bedürfnisbefriedigung bzw. der Nutzer zieht andere Konsequenzen. Von Kritikern wird die enge Ausrichtung des Ansatzes bemängelt, bei der die Konzentration auf die individuellen Gratifikationen übergeordnete Systeme weitgehend ausgeblendet wird44. Der Uses and Gratification Approach kann einerseits als Gegenposition zum Reiz-Reaktions-Schema in den Kommunikationswissenschaften verstanden werden. Es existieren in der Wissenschaft aber auch Bemühungen, beide Ansätze zu verbinden45. Wissenschaftliche Arbeiten haben gezeigt, dass Medienwirkungen in Beziehung zu den Rezipientengratifikationen stehen. Nachfolgend werden ausgewählte Theorievarianten der Uses and Gratification Approach diskutiert, wobei theoretischen Grundlagen und Hauptforschungsergebnisse zusammenfassend dargestellt werden. 3.2.3.3.1. Gratifikations- und Medienwirkung von Herzog Durch das relative neue Medium Fernsehen wurde bereits in den 1940er Jahren begonnen, Relationen zu erforschen, wie Massenmedien auf den Menschen wirken. In diesem Zusammenhang beschäftigte sich u.A. Herta Herzog damit, welche potentiellen Belohnungen Mediennutzer durch Rezeption erhalten46. Daneben gibt es jedoch kaum Zuwendungen zur Forschung für die Verbindung von Gratifikation und Wirkung. Der Schwerpunkt der Theorie liegt in der Erforschung von Medienwirkungsprozessen. Bisherige Forschungsergebnisse zeigen, dass Rezipientengratifikationen, ob gesucht oder erhalten, mit Medienwirkung in Beziehung stehen, so beispielsweise mit Kenntnissen, Abhängigkeit, Einstellungen, Wahrnehmungen der sozialen Realität, Agenda-Setting, Diskusssion und mehreren politischen
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Variablen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mehrzahl der Studien auf das Medium Fernsehen fokussieren. 3.2.3.3.2. Erwartungsmodell von Palmgreen et al Bis Mitte 1970 war man von der Notwendigkeit der Trennung zwischen den in der Mediennutzung gesuchten Gratifikationen (gratification sought) GS und den als Folge dieses Erlebnisses erhaltenen Gratifikationen (gratification obtained) GO überzeugt47. Diese Frage spielt für ein zukünftiges Medienverhalten und die Bewertung der Medien eine Rolle. Zusätzlich ergibt sich die Frage, ob die Motivation, die ein Individuum zur Mediennutzung führt, den Folgen dieser Nutzung entspricht. Nach Palmgreen hätte der Rezipient generell gewisse Erwartungen/ Vorstellungen (Beliefs), dass sein Medienobjekt X seine gesuchten Gratifikationen Y erfüllen kann48. Er bewertet diese bzgl. eines bestimmten Medienobjekts und beurteilt damit, welche Gratifikationen er mit Hilfe des Medienobjekts suchen kann. Durch die Bewertung der Erwartungen ergeben sich also die gesuchten Gratifikationen.
Abb. 3.9:
Erwartungsmodell von Palmgreen, Quelle: Schenk [2002], S. 640
Als Hauptergebnis wurde festgestellt, dass zwischen der von den Individuen gesuchten Gratifikation (GS) und der erhaltenen Gratifikation (GO) hohe Korrelationen vorherrschen. Es existieren Dimensionsunterschiede zwischen der GS und der GO, die sich jedoch z.T. auf Medien und Inhaltscharakteristika zurückführen lassen. Die Hauptergebnisse von Mittelwertanalysen zeigen, dass die völlige Zufriedenheit der Rezipienten ein Idealkonstrukt darstellt, das kaum anzutreffen ist. Die Norm ist hingegen eher durch eine starke Unzufriedenheit charakterisiert. Die Unzufriedenheit beruht auf der Existenz motivierender Kräfte, die die Medienrezipienten eher zur Veränderung als zur Zufriedenheit mit dem Status Quo bewegen.
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Der Nutzen-Ansatz ist für die Untersuchung der Kommunikation mittels neuer Medien von großer Bedeutung. Es existiert keine Medienorganisation, die Informationen in Richtung Publikum sendet. Allein die Entscheidung des Rezipienten, diese oder jene Medien zu nutzen, ist notwendige Bedingung für den Transport von Informationen. Die bisherigen Gratifikationstheorien beziehen sich vor allem auf Printmedien, Rundfunk und Fernsehen. Erst jüngere wissenschaftliche Überlegungen können das Medium Internet berücksichtigen, das seit ca. 1995 eine starke Verbreitung erfährt. Es erscheint daher wichtig, bei der Untersuchung den Schwerpunkt der Auswirkungen von Online-Medien auf die Charakteristika und Erwartungen von Nutzern zu legen. 3.2.3.3.3. Ansätze zur Medienselektion nach Lazarsfeld et al Die Selektivität im Kommunikationsprozess wurde von Lazarsfeld et al entdeckt49. Sie entdeckten im Rahmen ihrer „The Peoples Choice“-Studie im Wahlkampf 1940, dass Wähler stärker durch interpersonale Kommunikation mit Meinungsführern aus ihrem Umfeld geprägt wurden, als durch Massenmedien. Auf Basis dieser Erkenntnis entwickelten sie das Zwei-Stufen-Fluss-Modell. Auf der ersten Stufe fließen die Medieninhalte von den Massenmedien zu Meinungsführern, die sich damit auseinandersetzen und über das nötige Wissen verfügen, diese Informationen in einen sinnvollen Gesamtkontext zu setzen (Relaisfunktion). Auf der zweiten Stufe fließen die Informationen weiter zu den Mitgliedern der Gruppe des jeweiligen Meinungsführers. Sie ersuchen ihn um Rat und Informationen zum jeweiligen Themengebiet und erhalten (für ihn) schlüssige Erklärungen und Argumentationen (Beeinflussungs-/ Verstärkungsfunktion).
Abb. 3.10:
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Einstufen-Fluss-Modell, in Anlehnung an Lazarsfeld et al [1948].
Während ihrer Untersuchungen wurde entdeckt, dass Meinungsführer in ihrer Meinung stärker von interpersonalen Kontakten als von Massenmedien beeinflusst werden. Es existieren daher Meinungsführer unter Meinungsführern. Die Relaisfunktion ist nicht ausschließlicher, sondern zusätzlicher und themenabhängiger Mechanismus der Informationsvermittlung. Das Konzept stellt bis heute einen grundlegenden Bestandteil der Uses and Gratification Approach dar.
Abb. 3.11:
Zweistufen-Fluss-Modell, in Anlehnung an Lazarsfeld et al [1948].
In Weiterentwicklung des Ansatzes von Lazarsfeld et al50 erreichen nach Deutschmann/ Danielson beispielsweise Informationen über wichtige Ereignisse die Rezipienten direkt über die Medien. Nach Greenberg ist eine interpersonale Kommunikation besonders wichtig bei Ereignissen, die entweder besonders große oder besonders niedrige Aufmerksamkeit der Rezipienten auf sich ziehen. Bei besonders großer Aufmerksamkeit spricht man auch von einer Anschlusskommunikation. Troldahl/van Dam erkannten, dass ein Großteil der Rezipienten keine interpersonale Kommunikation pflegt, und somit besonders empfänglich ist für den direkten Einfluss der Medien. Sie fanden auch heraus, dass die interpersonale Kommunikation von Ratsuchenden von häufigem Rollentausch zwischen Meinungsführer und Meinungsempfänger geprägt ist. 3.2.3.3.4. Kritische Reflexion Der Uses and Gratification Approach versucht, Medienkonsum bzw. Medienpräferenzen durch ein Nutzen/ Belohnungsmodell zu erklären. Er bestimmt das Handeln von Rezipienten nach funktionalen Erfordernissen (Nutzen, Belohnung). Bei dem Ansatz stellt sich die Frage, ob es sich um eine Theorie oder eine Methode handelt, da bisher noch kein Theorieentwurf reklamiert werden kann51. Durch diese ungeklärte Situation fehlt eine Theorie, mit der ermittelt werden könnte, welche Medien von welchem Rezipienten für welche Zwecke am meisten geschätzt werden. Der Uses and Gratification Approach umfasst Rezeptions69
gewohnheiten, nicht Rezeptionsakte. Es erfolgt eine Pauschalierung des eigentlichen Rezeptionsprozesses, d.h. es wird keine Notiz von eigentlichen Inhalten und deren individueller Verarbeitung genommen daher gibt es keine Möglichkeit, das Zustandekommen von Medienkonsum zu erklären und Aussagen über den Prozess und die Dimensionen von Medienwirkungen zu machen. Im Mittelpunkt steht die (aktiv) selektive Rolle des Publikums bei der Auswahl der Medienangebote. Der Uses und Gratification Approach ist noch immer der wichtigste theoretische Versuch, Mediennutzung aus der Perspektive der Rezipienten zu erklären. Dabei unterstellt er den Rezipienten eine Souveränität bei der Auswahl der Kommunikationsinhalte. Diese ist oftmals jedoch gar nicht gegeben. Insbesondere bei der Frage, ob ein Fernsehzuschauer sich tatsächlich seiner Bedürfnisse bewusst ist, wenn er etwa durch die Fernsehprogramme „zappt“52. Ähnlich dem Stimulus-Response-Modell betont der Ansatz nur eine Seite im Kommunikationsprozess. Ist es beim Stimulus-Response-Modell der Kommunikator (Medien), so ist es beim Uses und Gratification Approach der (aktive) Rezipient. (Massen) Mediale Kommunikation behandelt ein Forschungsgebiet, das viele Wissenschaftsdisziplinen umfasst und im Gegensatz zur interpersonalen Kommunikation charakterisiert ist durch eine öffentliche Kommunikation, die durch Medien indirekt an ein disperses Publikum vermittelt wird. Beim Modell von Shannon/ Weaver handelt es sich um ein Kommunikationsmodell, das die Funktionsweise der Kommunikation darstellen soll. Kommunikation ist als Zeichenprozess zu verstehen, d.h. als Gebrauch von Zeichen und Codes. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Information und Kommunikation sowie zwischen Anzeichen und Zeichen. Der symbolische Interaktionismus nach Mead ist eine Theorie der Microebene. Sie basiert auf dem Reiz-Reaktions-Schema. Es existiert eine hohe Bedeutung der symbolisch vermittelten Interaktion. Das Handeln wird nicht als nicht von außen vorgegeben angesehen, sondern erfolgt aus sich selbst heraus. Das bedeutet, die Rekonstruktion geschieht über Interaktion. Es handelt sich bei dem Ansatz um einen interpretativen bzw. verstehenden Ansatz. Die Weiterentwicklung des Ansatzes erfolgt durch Blumer. Nach Blumer handeln die Menschen den „Dingen“ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutung, die diese für sie besitzen. Die Bedeutung der „Dinge“ ist aus der sozialen Interaktion abgeleitet, die Menschen mit ihren Mitmenschen eingehen. Die Bedeutungen werden in einem interpretativen Prozess gehandhabt oder abgeändert, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den ihnen begegnenden Dingen nutzen.
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Der Uses and Gratification Approach ist wissenschaftstheoretisch ein Theorie-Torso, d.h., es fehlt ein einheitliches Theoriegebäude. Existent ist bisher ein Konglomerat von Varianten zu verschiedenen Aspekten der Kommunikation und Mediennutzung bzw. Medienwirkung, die zusammenhängende Aspekte aufweisen. Der Ansatz geht bei einem aktiven Publikum von aktivem, sinnorientiertem Handeln aus und versucht, Medienkommunikation bzw. Medienpräferenzen durch ein Nutzen/ Belohnungsmodell aus der Perspektive der Rezipienten zu erklären. Er enthält mehrere Theorievarianten, von denen ausgewählte Ansätze zur Sprache kommen. (1). den Ansatz von Herzog, der sich mit potentiellen Belohnungen der Rezipienten durch Gratifikationen beschäftigt und schwerpunktmäßig Medienwirkungsprozesse erforscht, (2) das Erwartungsmodell von Palmgreen, das davon ausgeht, dass individuelle Vorstellungen bzw. Erwartungen und Bewertungen des Rezipienten über die gesuchten Gratifikationen deren Mediennutzung beeinflussen und dass diese über die erhaltenen Gratifikationen eine Rückwirkung auf die individuellen Vorstellungen/ Erwartungen ausüben, (3) das Kommunikationsmodell von Lazarsfeld, das sich mit der Verbreitung von Informationen über Massenmedien beschäftigt, bei denen, im Rahmen des zweiStufen- (bzw. 3-Stufen)Modells, davon ausgegangen wird, dass Kommunikation über Massenmedien über Meinungsführer verläuft, die informiert werden und wiederum Informationen an Rezipienten weitergeben. 3.3.
Kommunikations- und Medientheorien für neue Medien
3.3.1.
Ausgewählte Bereiche der menschlichen Informationsverarbeitung
Ein wesentliches Merkmal menschlicher Informationsverarbeitung ist die Integration und gemeinsame Nutzung verschiedener Modalitäten. Das betrifft Wahrnehmung (Visuelle, auditive und haptische Perzeption), Denken (propositionales und bildhaft/ visuelles Problemlösen), sowie die Kommunikation (geschriebene und gesprochene Sprache, Skizzen, Bilder, Gesten). Informationsverarbeitung und Management sind notwendig, damit die durch Kommunikation übertragene Information genutzt werden kann. Zur Vollständigkeit der Übermittlung von Inhalten, ist dafür zu sorgen, dass die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort, für den richtigen Benutzer in der richtigen Qualität, der richtigen Form sowie der benötigten Struktur vorliegt. Im Rahmen der Wissenschaftsdisziplinen Informatik sowie Kommunikations- bzw. Medienwissenschaften existieren vor allem drei Richtungen allgemeiner Informations- und Kommunikationstheorien, bei denen die Begriffe Information und Kommunikation auf unterschiedlichen Annahmen basieren53.
71
Box 3.8. Identität im Internet „[…] Im Internet ist jeder Nutzer das, was er zu sein vorgibt. Die soziale Identität eines Nutzers spielt keine Rolle obwohl hier der Sprachcode Hinweise auf die tatsächliche Herkunft geben kann. Unbedeutend ist auch die eigene physische Realität, die im „realen“ Leben (im Internet-Jargon IRL – in real life) nicht ohne weiteres wandelbar ist. […] Alter, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit kann jeder für sich selbst bestimmen. Zum Beispiel ergibt sich im Internet eine soziale Beziehung zwischen einem Mann und einer jungen Frau, nach einigen Monaten stellt der Mann dann aber fest, dass die junge Frau in Wirklichkeit ein anderer 80-jähriger Mann war. Nutzer können in solche Rollen schlüpfen, die sie „IRL“ auf Grund ihrer körperlichen Identität niemals einnehmen könnten. […] Offensichtlich sind sich die Beteiligten der Tatsache bewusst, dass jeder seine wahre Identität hinter einen Pseudonym, wie hinter einer Maske verbirgt. Im Gegensatz zum realen Leben können sich die Beteiligten nicht anhand ihrer Namen identifizieren. […]“ Quelle: Kresic [2000], S. 101 f.
1. Epistemologisch-informationstheoretische Modelle. Information wird als Gegenstand und Ergebnis von Informationsverarbeitungsprozessen verstanden. Kommunikation wird als Parallelverarbeitung von Informationen durch mindestens zwei unabhängige Informationssysteme verstanden. 2. Topologisch-netzwerktheoretische Modelle. Information wird als Zustand von Netzwerken, als (emergentes) Merkmal von Strukturen und (Zeichen-) System verstanden. Kommunikation wird als kreisförmige (rückgekoppelte, rekursive) Relationierung/ Vernetzung von Kommunikatoren, bzw. Systembildung und Auflösung und/ oder Oszillation verstanden. 3. Ontologisch/ spiegelungstheoretische Modelle. Information wird als eine Eigenschaft verschiedener Seinsstufen der Materie bzw. von verschiedenen Typen von Medien verstanden. Kommunikation wird als Widerspiegelung, Koevulution, Resonanz, Pacing zwischen Medien (duplex) und Kommunikatoren verstanden. Kommunikationsmodelle im Bereich Informationsverarbeitung basieren generell auf dem Sender-Empfänger-Ansatz von Shannon54.
72
Box 3.9. Epistemologisch-informationstheoretisches Modell
Quelle: o.V. o.J. [2007a]
3.3.1.1.
Internet als technische Infrastruktur
Was ist das Internet? Handelt es sich beim Internet überhaupt um ein Medium als solches oder entspricht es aufgrund seiner Vielseitigkeit und der Vereinigung verschiedener Medien (Print, Audio, Video) eher einer Medienplattform? Eine kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Internet findet erst seit kurzem statt und Ergebnisse hinsichtlich der Auflösung von Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation haben 73
sich noch nicht ergeben. Beim Versuch, die Definition von Massenmedien55 auf das Internet zu übertragen, zeigt sich, dass durch die Vielzahl neuer Sachverhalte neue Objekte zur Definition vonnöten sind. Eine kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Art der technisch vermittelten Kommunikation kann jedoch auf interdisziplinäre Bezüge nicht verzichten56. Ein Ersatz für Massenkommunikation bzw. Massenmedien ist jedoch nicht in Sicht57. 3.3.1.2.
Mensch-Maschine- Kommunikation
Im Rahmen der Mensch-Maschine-Kommunikation existieren allgemein große begriffliche Schwierigkeiten. So findet sich selbst bei Geiser, der sein Buch „Mensch-MaschineKommunikation“ nennt, keine Definition des Begriffs58. Nach Johanssen umfasst der Begriff der Kommunikation „alle Aspekte der Interaktion, des Dialogs, der Darstellung und der inhaltlichen Übermittlung über die Mensch-Maschine-Schnittstelle“59. Leider bleibt seine Definition zur Mensch-Maschine-Kommunikation zu ungenau. Im Bereich der Theorien zur Mensch-Maschine-Interaktion sind zum einen Theorien/ Ansätze entstanden, die sich mit deskriptiv-erklärenden versus vorhersagende Aspekten beschäftigen; zum anderen solche, die sich mit Motorik vs. Wahrnehmung vs. Kognition beschäftigen. Die vorliegenden Ausführungen beschränken sich auf erklärende versus vorhersagende Modelle/ Ansätze. Ein Mensch-Maschine-System ist Teil eines sog. Arbeitssystems. Die Maschine wird in einem derartigen System als aktives Arbeitsmittel betrachtet. Sie ist aktiv in dem Sinne, dass sie nach Betätigung durch den Menschen selbst eine Leistung abgibt. Bei einem Computer als Arbeitsmittel ist die Leistung informatorischer Natur. Dient die Leistung der Maschine direkt zur Erfüllung, befindet sich der Mensch in der Rolle des Bedieners. Erbringt der Mensch aber selbst das Arbeitsergebnis mit Unterstützung durch die Maschine, befindet er sich in der Rolle des Nutzers (User)60. Der Diskursbereich der vorliegenden Arbeit beschränkt sich auf den Menschen als Nutzer. Es existieren unterschiedliche Konzeptionen (Modelle) darüber, wie die Interaktionen zwischen den Komponenten Nutzer, System und Aufgabe abgebildet werden können. Nach Norman ist die Interaktion eines Menschen mit einem Gerät in sieben Handlungsschritte unterteilt61. Die nachfolgende Abbildung 3.12. zeigt die Handlungsschritte im Überblick.
74
Abb. 3.12:
Sieben Handlungsschritte nach Norman, Quelle: Olson/ Olson [1990], S. 223
Ausgehend von einem zu erreichenden Ziel, formuliert der Mensch seine Absicht, plant eine Aktion, mit der er das Ziel erreichen will und führt diese aus. Die Aktion wirkt auf das Gerät, was Norman „Gulf of Extension“ nennt. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich der „Gulf of Evaluation“, in dem der Mensch die Reaktion des Gerätes auf seine Aktion wahrnimmt. Diese Wahrnehmung interpretiert, d.h. er übersetzt sie in die Sprache der mit Absicht aufgebauten Erwartung und vergleicht damit die Interpretation. Am Ergebnis des Vergleichs ausgerichtet, prüft der Mensch den Grad der Zielerreichung und formuliert eine anschließende Absicht. Dieses sehr einfache Modell bildet den Leitfaden für die weitere Erörterung der Modelle. Nachfolgend wird zunächst das Internet als technische Infrastruktur problematisiert, danach werden einige Modellierungsansätze aus dem Wissenschaftsbereich der Medienpsychologie vorgestellt, die sich mit Fragen der Nutzungsproblematik im Rahmen der MenschMaschine-Interaktion beschäftigen. 75
3.3.1.3.
Usability-Ansatz
Klassische Prozessmodelle der Kommunikationstheorie und deren Varianten lassen sich nur teilweise auf die Probleme der Medienplattform Internet anwenden. Eine umfassende theoretische Grundlage für Kommunikation im Rahmen des Internet existiert bisher nicht. Es sind eine Reihe von Arbeiten existent, die sich mit speziellen Problemen beschäftigen und wissenschaftlich in den Bereich der Medienpsychologie fallen. In diesem Kapitel erfolgt eine Konzentration auf theoretische Grundlagen zur Endbenutzerproblematik von Internetanwendungen. Dazu wird auf den Forschungszweig des Usability-Ansatzes zurückgegriffen. Dieser integriert interdisziplinär theoretische Grundlagen aus der Psychologie und der Informatik. Der Usability-Ansatz beschäftigt sich mit kognitiven Faktoren, die sich in Bezug auf Onlineanwendungen eng an die kommunikationswissenschaftliche Forschung anlehnen. Der Begriff Usability entstand vor ca. zehn Jahren und ist bis heute ein rel. unscharfer Begriff geblieben, da er zur Beschreibung unterschiedlichster Sachverhalte verwendet wird. Aufgrund dieser Unschärfe wird das Forschungsgebiet u.a. auch Mensch-ComputerInteraction (MCI) bezeichnet. Die am häufigsten verwandte Definition für Usability eines Computersystems lautet: „The capability in human functional terms to be used easily and by the specified range of users, given specified training and user support, to fulfill the specified range of tasks, within the specified range of environmental scenarios”62. Von Allwood wurden aufgrund dieser Definition drei Punkte erarbeitet, die die Usability bei Nutzungsproblemen von Websites zusammenfassen63. 1. User-Friendliness (Benutzerfreundlichkeit) Darunter wird die Kompatibilität des Systems mit den kognitiven Fähigkeiten, z.B. des Kurzzeitgedächtnisses, des Users verstanden64. Das gilt auch für die Personalisierbarkeit eines Systems, die Hilfefunktion und die technische Verfügbarkeit. 2. User-Competence (Benutzerkompetenz) Darunter wird die Fähigkeit zum Umgang mit dem Kommunikationsmittel verstanden. Beispielsweise die notwendige Computererfahrung als Grundlage für die Web-Nutzung etc. Neben der Erfahrung des Users gehört auch das Verständnis der Zusammenhänge der technischen Funktionen dazu; beispielsweise des Computers und des Internet. User-Competence weist einen engen Zusammenhang mit den vom Benutzer zu treffenden Selektionsentscheidungen und den damit zusammenhängenden Prozessen auf.
76
3. User Acceptance (Benutzerakzeptanz) Hierbei handelt es sich um die bereits zuvor beim Uses and Gratification Approach ausgeführte Gratifikation, die der Rezipient erhält. Sie bestimmt auch die Motivation, das System erneut zu nutzen65. 3.3.1.4.
GOMS-Modell
Das GOMS (Goals, Operations, Methods and Selection rules)- Modell wurde 1983 von Card, Moran und Newell entwickelt66. Es ist eine semi-formale Methode zur Beschreibung des Wissens von Prozeduren, die ein Anwender besitzen muss, um ein System zu nutzen. Es gehört zu den Modellen, die sich mit deskriptiv-erklärenden versus vorhersagende Aspekten beschäftigen. Die Komponenten sind: Goals:
Ziele und Teilziele, die der Anwender verfolgt, auch Etappenziele, an denen Entscheidungen für das weitere Vorgehen getroffen werden und zu denen man zurückkehren kann, wenn Probleme auftreten. (z.B. kopieren einer Datei in einem Ordner)
Operators:
Grundlegende Aktionen, die der Anwender ausführen kann, (z.B. „öffne eine Datei“, oder bei detaillierter Beschreibung „bewege die Maus zum Icon, drücke die linke Maustaste“).
Methods:
Sequenz von Operatoren zur Erreichung eines Ziels, (z.B. für das Goal „schließe das Programm“ entweder „klicke auf das Kreuz oben rechts“ oder drücke ).
Selection:
Regeln zur Nutzung von Methoden, (abhängig von persönlichen Vorlieben und der Situation oder dem Systemzustand).
Es lässt sich Schritt für Schritt ein System in logische Handlungen und Möglichkeiten unterteilen, die es dann gilt, auf Usability, d.h. auf Nutzungs- und Navigationsmöglichkeit zu untersuchen. Ein typisches GOMS-Modell stellt also die Ablaufprozedur einer Handlung zwischen dem User und dem System dar und ermittelt dabei die Effizienz und Konsistenz der vorliegenden Schritte. Diesem Ablauf liegt allerdings eine grundlegende Analyse des Systems zugrunde, die sog. Task-Analysis67. In dessen Rahmen werden die eigentlichen Ziele des Users ermittelt, die essentiellen Schritte bzw. die Operationen und Aspekte und welche davon von geringer Bedeutung sind. Die Operationen werden hierbei mittels der Betrachtung der untersten Ebene eines Systems ermittelt, beispielsweise der Hardwareaus-
77
stattung. Entsprechende Regeln (Selection Rules) werden meist subtil aus dem Kontext erschlossen. Es bestehen dabei mehrere Möglichkeiten zur Gestaltung eines guten Interface. Vorrangiges Ziel des Interface-Designers ist die Verminderung von Aufwänden, z.B. durch eine Syntax-Verwendung68. Dazu existieren verschiedene Ansätze, beispielsweise Direct Manipulation, familiäre Repräsentation von Aufgaben, den dazugehörigen Objekten und Aktionen, moderne User Interface Building Tools und Standard Widgets. Ein typisches GOMS-Modell stellt also den Ablauf einer Handlung zwischen dem Benutzer und dem System dar und ermittelt dabei die Effizienz und Konsistenz der vorliegenden Schritte. Vorteile des GOMS-Modells69: (1) Methods und selection beschreiben auch Probleme mit mehreren Lösungswegen und machen Aussagen über deren Auswahl. (2) Die Schachtelungstiefe einer Zielhierarchie erlaubt Rückschlüsse über kurzzeitigen Speicherbedarf. (3) Werden die Operators stark differenziert, braucht irgendwann jede Operation annähernd die gleiche Zeit. Dadurch konnte bei GOMS-Analysen der Zeitaufwand für „unit-tasks“ durch einfaches Abzählen mit einem Fehler von nur 33% vorhergesagt werden. (4) Die „Selection-Regeln“ können anhand von Traces (Aufzeichnen der Benutzereingaben) überprüft und korrigiert werden. Dadurch konnten gewählte Lösungswege mit einer Genauigkeit von 90% vorhergesagt werden. 3.3.2.
Kritische Reflexion
Die auffindbaren Modelle des Usability-Ansatzes stellen keine formalen und prädiktiven Modelle dar. Sie sind lediglich konzeptuelle Beschreibungen und Systematisierungen. Es fehlt daher eine umfassende theoretische Grundlage. Es herrschen z.Zt. große definitorische Unzulänglichkeiten durch das rasante Entwicklungstempo im Bereich der neuen Medien. Usability-Tests in Form von Experimenten bzw. mit einer geringen Anzahl von Einzelfällen eignen sich nicht für allgemeine Aussagen zu Nutzungsproblemen. Das GOMS-Modell enthält Unzulänglichkeiten, denn es beschäftigt sich nur mit der fehlerfreien Suche durch einen Experten, der sich nicht mit auftretenden Problemen auseinander setzen muss. Bei den Theorien/ Ansätzen zur Motivation sind die Richtlinien häufig zu spezifisch und Prinzipien zu breit gefasst. Getestete, verlässliche und in weiten Bereichen allgemein verwendbare Theorien zu entwickeln, sollte das Ziel sein. Bei analytischen Modellen ist es zudem gefährlich anzunehmen, das Nutzerverhalten aufgrund von formalen Modellen vorhersagen zu können. Dieses ist nicht der Fall, da die Modelle lediglich auf die unterste Ebene der Mensch-Maschine-Interaktion eingehen und die spezifische Situation mit den zahlreichen Einflussfaktoren nicht berücksichtigen. Rückschlüsse auf die bei der täglichen Internet-Nutzung auftretenden Probleme können nicht auf theoretischer Basis gewon-
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nen werden, sondern nur durch die subjektiven Nutzer in ihrer spezifischen Nutzungssituation. Die Informationsverarbeitung lässt sich generell in mehrere Richtungen einteilen, bei denen die Begriffe Information und Kommunikation im Internet unterschiedlich definiert werden. Neben der interpersonalen und der (massen)medialen Kommunikation existieren Kommunikationstheorien, die sich nicht in diese Kategorien einordnen lassen. Dazu gehören Modelle, die sich auf die Kommunikation im Internet sowie mit neuen Medien konzentrieren, denn diese technische Infrastruktur enthält sowohl (massen)mediale als auch interpersonale Aspekte. Die Mensch-Maschine-Kommunikation ist ein Ansatz um in einem System mit dem Computer das Arbeitsmittel und dem Menschen als Nutzer zu kommunizieren. Der Usability-Ansatz beschäftigt sich generell mit Faktoren zur Endbenutzerproblematik bei der Kommunikation im Internet. Im Rahmen des Usabillity-Ansatzes beschäftigt sich das GOMS-Modell mit Faktoren der Beschreibung des Wissens von Prozeduren, die ein Anwender besitzen muss, um ein System zu nutzen. 3.4.
Resümee
Das Kapitel zeigt deutlich, mit welchen Schwierigkeiten ein Forscher zu rechnen hat, wenn er sich wissenschaftstheoretisch mit Kommunikation beschäftigt. Im Rahmen der Arbeit wird der Versuch einer Systematisierung ausgewählter Kommunikationsmodelle aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen unternommen. Dabei wird mit ausgewählten Ansätzen der interpersonalen Kommunikation begonnen und es werden drei Modelle diskutiert. Das soziologisch basierte Modell von Watzlawick fußt in der Tradition des Konstruktivismus. Die fünf Axiome tragen zum Verständnis der intendierten faktischen Wirkungen von Sprechakten bei, sind intendiert von der Systemtheorie und setzen Kommunikation und Verhalten gleich, da auch über nonverbales Verhalten kommuniziert wird. Die Leistung von Watzlawick ist die Hervorhebung der Inhalts- und Beziehungsebene. Das Zeichenmodell von Bühler sieht den Sender auch gleichzeitig als Empfänger, da der Sinnesreiz aus der Umwelt (von außen) einwirkt. Nach dem Modell wird dieser Sinnenreiz nach dem Prinzip der abstrakten Relevanz in Sprache umgesetzt und das Konstrukt an den Empfänger weitergegeben. Wenn dieser dann den Eindruck subjektiv verarbeitet und weitergibt, entsteht Kommunikation. Das Modell von Schulz von Thun geht davon aus, dass die Nachricht die kleinste Einheit der Kommunikation ist und sich aus mehreren Botschaften zusammensetzt. Die zwischenmenschliche Kommunikation ist störanfällig und anfällig für Missverständnisse. Das Modell wurde angeregt durch die Modelle von Watzlawick und Bühler. Für Schulz von Thun liegt die Lösung in der Metakommunikation, also in der Art, wie Menschen miteinander umgehen wie die gesendeten Nachrichten gemeint und die ankommenden Nachrichten entschlüsselt werden. 79
Im Rahmen der Theorien der (Massen)Medialen Kommunikation werden fünf Modelle und zwei Ansätze diskutiert. Davon sind die meisten in der Denktradition des symbolischen Interaktionismus zu sehen. Unter symbolischer Interaktion werden dabei Prozesse verstanden durch die Menschen auf ihr eigenes und auf das Bewusstsein anderer bezogen sind. Beim Modell von Shannon/Weaver wird die Funktionsweise der Kommunikation dargestellt. Es handelt sich um ein Sender-Empfänger-Modell, bei dem eine Nachricht vom Sender zum Empfänger kodiert übertragen wird. Die Wirkungsforschung geht vom Ansatz des Wissenschaftlers Laswell aus und wird weiterentwickelt von Mead und Blumer, wobei bei Mead ein Übergang vom Reiz-Reaktions-Schema zum Symbolischen Interaktionismus zu konstatieren ist. Der Uses and Gratification Approach geht also von einem aktiven Rezipienten aus und versucht, Medienkommunikation bzw. Medienpräferenzen durch ein Nutzen/ Belohnungsmodell aus der Perspektive der Rezipienten zu erklären. Im Rahmen des Ansatzes werden drei theoretische Varianten diskutiert, die sich um Aspekte der Medienwirkungsforschung (Herzog), der Erwartungen und Bewertungen des Rezipienten durch Gratifikationen (Palmgreen) und einen Ansatz zur Medienselektion (Lazarsfeld et al), der Kommunikation über Meinungsführer vesteht, dreht. Im Rahmen der Kommunikation im Internet und mit neuen Medien wird der Versuch einer Einordnung vorgenommen. Da Kommunikation im Internet nur zum Teil (massen)medial und zum Teil interpersonal ausgerichtet ist, wird eine eigene Kategorie gebildet. Im Rahmen dieser Kategorie erfolgt eine Beschränkung auf die Mensch-MaschineKommunikation in Bezug auf die Internetkommunikation. In diesem Rahmen wird der Usability-Ansatz diskutiert, der sich mit verschiedenen Ansätzen zur Endbenutzerproblematik von Internetanwendungen beschäftigt. Als ein Bespiel für einen derartigen Ansatz wird der Ansatz des GOMS-Modells vorgestellt, der sich mit der Beschreibung von Wissen für User zur Benutzung der Mensch-Maschine-Schnittstelle auseinander setzt. Insgesamt zeigen die Ausführungen einen Einblick in die Vielfalt der Kommunikationstheorien und –modelle, die in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen entwickelt wurden. Diese Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Kommunikation ist im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten unerlässlich, da keine allgemein gültige Kommunikationstheorie existiert.
80
Box 3.10. Kommunikation der besonderen Art: Das Ei (nach Loriot) Das Ehepaar sitzt am Frühstückstisch, der Ehemann hat sein Ei geöffnet und beginnt nach einer längeren Denkpause das Gespräch: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie:
Er: Sie:
Berta! Ja… Das Ei ist hart! (schweigt) Das Ei ist hart! Ich habe es gehört! Wie lange hat das Ei denn gekocht … Zu viele Eier sind gar nicht gesund… Ich meine, wie lange dieses Ei gekocht hat… Du willst es doch immer viereinhalb Minuten haben … Das weiß ich … Was fragst du dann … Weil dieses Ei nicht viereinhalb Minuten gekocht haben kann! Ich koche es aber jeden Morgen viereinhalb Minuten! Wieso ist es dann mal zu hart und mal zu weich? Ich weiß nicht, .. ich bin kein Huhn! Ach! … Und woher weißt du dann wann ein Ei gut ist? Ich nehme es nach viereinhalb Minuten heraus, mein Gott! Nach der Uhr, oder wie? Nach Gefühl … Eine Hausfrau hat das im Gefühl … Im Gefühl? .. Was hast du im Gefühl? Ich habe es im Gefühl, wann ein Ei weich ist … Aber es ist hart, vielleicht stimmt da was mit deinem Gefühl nicht … Mit meinen Gefühl stimmt was nicht? Ich stehe den ganzen Tag in der Küche, mache die Wäsche, bringe deine Sachen in Ordnung, mache die Wohnung gemütlich, ärgere mich mit den Kindern rum, und du sagst, mit meinem Gefühl stimmt was nicht? Jaja … jaja … jaja …wenn ein Ei nach Gefühl kocht, dann kocht es eben nur zufällig genau viereinhalb Minuten! Es kann dir doch ganz egal sein, ob das Ei zufällig viereinhalb Minuten kocht … Hauptsache es kocht viereinhalb Minuten!
81
Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er: Sie: Er:
Ich hätte nur gern ein weiches Ei und nicht ein zufällig weiches Ei! Es ist mir egal wie lange es kocht! Aha! Das ist dir egal … Es ist dir also egal, ob ich viereinhalb Minuten in der Küche schufte! Nein-nein … Aber es nicht egal … Das Ei muss nämlich viereinhalb Minuten kochen … Das habe ich doch gesagt … Aber eben hast Du doch gesagt, es ist dir egal! Ich hätte nur gern ein weiches Ei … Gott, was sind Männer primitiv! (düster vor sich hin) Ich bringe sie um … morgen bringe ich sie um …
Quelle: Video „Das Ei von Loriot“ Verschriftlichung des Dialogs Kontrollfragen zum Kapitel 3: 1. Erklären Sie die Merkmale der Individualkommunikation und grenzen Sie diese von denjenigen der (massen)medialen Kommunikation ab. 2. Wie wird Kommunikation in der Denktradition des Konstruktivismus verstanden? 3. Nennen und erklären Sie die fünf Axiome des Watzlawick-Modells, 4. Welche Vor- und Nachteile lassen sich zum Watzlawick-Modell anmerken? 5. Erklären Sie das Zeichenmodell von Bühler. 6. Erklären Sie die Unterschiede zwischen dem Zeichenmodell von Bühler und dem Kommunikationsmodell von Shannon/ Weaver. 7. Erklären Sie die Bestandteile des Organon-Modells von Bühler. 8. Welche kritischen Anmerkungen können zum Modell von Bühler gemacht werden? 9. Erklären Sie das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun. 10. Reflektieren Sie das Modell von Schulz von Thun kritisch. 11. Welche Grundaussagen enthält das Kommunikationsmodell von Shannon/Weaver? 12. Erklären Sie die Laswell-Formel der Massenkommunikation. 13. Beschreiben Sie die Grundaussagen des symbolischen Interaktionismus nach Mead. 14. Zeigen Sie die Weiterentwicklung des Ansatzes durch Blumer auf. 15. Auf welchem Kommunikationsprinzip basieren die Ansätze von Mead und Blumer? 16. Worin liegt die Bedeutung der Modelle von Mead und Blumer? 17. Beschreiben Sie die Grundaussagen des Uses ans Application Approach. 18. Welche kritischen Aspekte lasen sich zu diesem Ansatz anmerken? 19. Erklären Sie die zentralen Aussagen des Erwartungsmodells von Palmgreen. 20. Was sind die zentralen Aussagen des Ansatzes zur Medienselektion nach Lazarsfeld? 21. Nennen Sie Kritikpunkte am Modell von Palmgreen und Lazarsfeld.
82
22. Welche Gründe sprechen gegen die Einordnung des Internet in die Kategorien interpersonale bzw. (massen)mediale Kommunikation? 23. Womit beschäftigt sich die Mensch-Maschine-Kommunikation? 24. Nennen und erklären Sie die zentralen Aussagen des GOMS-Modells. 25. Welche kritischen Aspekte lassen sich am GOMS-Modell ausmachen?
Literatur 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42
Witte [2007], S. 3. Rusch/ Schmidt [2000]. Vgl. Schmidt [1994], S. 5. Vgl. Watzlawick et al [2000], S. 53-70; die Ausführungen erfolgen auf dieser Basis. Watzlawick et al [2000], S. 64. Watzlawick et al [2000], S. 70. Vgl. z.B. Maturana, Glaserfeld, Foerster und Watzlawick. Rusch/ Schmidt [2000]. Vgl. Eisenberg [1999], S. 8. Vgl. Krallmann/ Ziemann [2001], S. 47. Besonders Gerold Ungeheuer, der „Vater“ der deutschen Kommunikationswissenschaft hat sich in einer Studie mit dem Verhältnis Bühler – Kybernetik auseinander gesetzt. An dieser Stelle wird auf Claude Shannon verwiesen als einen Vertreter der Kybernetik; vgl. dazu die Ausführungen unter Pkt. 3.2.1. Auer [1999], S. 25. Vgl. Krallmann/ Ziemann [2001], S. 48. Bühler [2000], S. 55 f. Vgl. Bühler [1934], S. 279 f. Bühler [1934], S. 280. Bühler [1934], S. 280. Bühler [1934], S. 288, die weitere Argumentation erfolgt auf dieser Basis. Vgl. Schulz von Thun [1981], die nachfolgenden Ausführungen basieren auf dieser Basis. Vgl. Klapper [1961], S. 32 ff., die weitere Argumentation erfolgt auf dieser Basis. Vgl. Auer [1999], S. 18-29. Vgl. Shannon/Weaver [1976], S. 11 ff. Vgl. Shannon/ Weaver [1976], die folgenden Ausführungen erfolgen auf dieser Basis. Vgl. Shannon/ Weaver [1976]. Vgl. Lasswell [1966], S. 11 f. Vgl. z.B. das Stimulus-Response-Modell von Skinner. Vgl. Jäckel [2005], S. 63. Vgl. Jonscher [1995], S. 438. Vgl. z.B. Berelson/ Jarowitz [1966], S. 172. Graumann [1973], S. 1127. Vgl. Ulrich [2004], die folgenden Ausführungen erfolgen auf dieser Basis. Vgl. Rochus [2001], die folgenden Ausführungen erfolgen auf dieser Basis. Dieser wurde im Wesentlichen durch Blumer entwickelt. Vgl. Katz/Foulkes [1962]. Vgl. Schenk [2002], S. 627. Vgl. Katz/ Foulkes [1962], S. 377 ff. Vgl. Jynsch et al [2002], die die folgenden Ausführungen erfolgen auf dieser Basis. Vgl. Katz /Foulkes [1962], S. 380 ff. Vgl. Renckstorf /Teichert [1984], S. 190. Vgl. Schenk [2002], S. 647. Bonfadelli [2004], S. 168. Vgl. Schenk [2002], S. 635.
83
43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69
84
Vgl. Schenk [2002], S. 631. Vgl. Schenk [2002], S. 635. Vgl. Schenk [2002], S. 631. Vgl. Herzog [1944]. Vgl. z.B. Palmgreen [1984], S. 69 ff. Vgl. Schenk [2002], S. 638. Vgl. Lazarsfeld et al [1948]. Vgl. Kunczik/ Zipfel, [2005]. Vgl. Elliott [1974]. Vgl. Jonscher [1995], S. 448. Vgl. z.B. Pierce [1980]. Siehe dazu auch die Ausführungen unter Pkt. 3.2.1. Siehe dazu unter Pkt. 3.2. dieser Arbeit. Vgl. Höflich [1996], S. 18. Vgl. z.B. Slazenger [2000], S. 14 f. Vgl. Geiser [1990]. Johannsen [1993], S. 471. Vgl. Schmidtke [1993], S. 402. Vgl. Norman [1986], S. 31 ff. Shackel [1991], S. 24. Vgl. Allwood, [1990], S. 67 f. Vgl. Allwood, [1990], S. 68 f. Vgl. Nielsen [1993], S. 23. Vgl. Card/ Moran/ Newell [1983]. Vgl. Kieras [1996]. Vgl. Kieras [1996]. Vgl. o.V. [2006].
4.
Ausgewählte Offline Kommunikationskanäle als Werbemedium
4.1.
Merkmale von Kommunikationskanälen
Unter einem Kommunikationskanal wird der Schnittpunkt bzw. das Mittel verstanden, über den/das Kunden mit Unternehmen kommunizieren1. Die Entwicklung der Kommunikationskanäle ist gekennzeichnet durch eine rasante Zunahme verschiedenster Möglichkeiten, die von verschiedenen Kundengruppen mit einer enormen Geschwindigkeitssteigerung genutzt werden. Diese Tatsache ist vor allem auf Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnik zurückzuführen. Kommunikationskanäle können unterschieden werden durch: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Organisatorische Anbindung, Prozesse, Aufgaben, Kommunikationsmöglichkeiten, Kooperationsmöglichkeiten untereinander, Interaktivitätsfähigkeit mit den Kunden und Kontrollfähigkeit.
Zusätzlich werden sie bestimmt durch Eigenschaften wie: •
Akzeptanz,
•
Verbreitung,
•
Darstellungsmöglichkeiten,
•
Vollständigkeit,
•
Produkteignung,
•
Kosten und
•
Qualität.
Diese Eigenschaften bestimmen vorrangig die Nutzbarkeit der Kanäle für den Kommunikationsprozess, während die Unterschiede Kunden zu verschiedenartigsten Nutzungskombinationen animieren. Immer mehr Kundengruppen neigen zu hybridem Kommunikationsverhalten indem sie zwischen verschiedenen Kanälen, je nach Stimmung, wechseln. Erschwerend kommt hinzu, dass sich immer mehr multioptionale Milieus bzw. neue Kundensegmente bilden, was einer Zersplitterung der Segmente gleichkommt. Für Unternehmen bedeutet dieses veränderte Kundenverhalten Anpassungsnotwendigkeiten bei den Kommunikationskanälen zur Erhaltung Wettbewerbsfähigkeit. Je nach Zielgruppenausrichtung könnte z.B. bei Konzentration auf nur einen bzw. Überbetonung eines Kommunikationskanals ein Großteil der relevanten Kundengruppen gar nicht mehr erreicht werden. Der Dialog und damit die Beeinflussung ganzer Kundengruppen bei der Vermarktung wären somit per se ausgeschlossen. Für 85
den Firmenauftritt und die Kundenkommunikation der Unternehmen sind daher die Kommunikationsstrategien beständig anzupassen. Die Herausforderung für Unternehmen liegt dabei darin, eine intelligente Verknüpfung unterschiedlicher Medien vorzunehmen und diese durch das breite Spektrum an Kanälen zu optimieren. Das Ziel hinter diesen Maßnahmen besteht in der Realisierung eines Multi-Channel-Dialoges mit den unterschiedlichen Kundengruppen nach ihren jeweiligen Präferenzen. Eine Klassifizierung mit eindeutig zuordenbaren Merkmalen des Kommunikationsprozesses, wie z.B. Individual-, Massenkommunikation und Kommunikation mit neuen Medien, stößt hier auf Schwierigkeiten, da es sich nicht um ein Konzept handelt, sondern um physische Möglichkeiten zur Kommunikationsgestaltung und –übertragung. Diese können sowohl in der einen (Individualkommunikation) als auch in der anderen Weise (Massenkommunikation) genutzt werden. Für die strategische Entscheidungsfindung im Rahmen von Multi-Channel Marketing-Konzepten ist eine Klassifizierung von Kommunikationskanälen vonnöten, um in der Vielfalt der Kanalmöglichkeiten die Übersicht zu behalten und Entscheidungen aufgrund verifizierbarer Kriterien vornehmen zu können. Die Entwicklung einer derartigen Klassifizierung wird nachfolgend vorgenommen. 4.1.1.
Bisherige Klassifikationsansätze
Kommunikationskanäle werden in der Praxis nur grob eingeteilt. So werden z.B. in Werbeagenturen/ Werbeabteilungen mit „above the line“ Kommunikationskanäle des klassischen Marketing (Fernsehen, Radio, Print etc.) und mit „below the line“ die Internetkommunikation bezeichnet. Der Mobile-Commerce kann in dieser Einteilung nicht zugeordnet werden. Stäger teilt Kommunikationskanäle in zwei Gruppen: in stationäre und mobile Formen2. Unter stationären Formen werden vor allem Filialen und Händlerniederlassungen verstanden, die als vorrangiges Ziel eine geographische Nähe zum Kunden verfolgen. Das Merkmal dieser Kanäle liegt darin, dass Kunden die Hersteller/ Händler aufsuchen müssen. Unter mobilen Formen werden alle räumlich nicht fixierten Vertriebsformen summiert. Das Merkmal dieser Kanäle besteht darin, dass Außendienstmitarbeiter oder mobile Geschäftsstellen von den Kunden angefordert werden können. Auch Telekommunikationsformen gehören in diese Kategorie sowie Kanäle, über die der persönliche Kontakt mit Unternehmen aufgenommen werden kann (z.B. Brief, Fax), Internet-Kommunikation (Videokonferenz etc.). Eventbezogene Kanäle (Online/ Offline) haben in dieser Klassifikation keinen Platz. Grimm/ Röhricht unterscheiden Kommunikationskanäle zusätzlich hinsichtlich der Beziehung zum Kunden in direkte und indirekte Formen3. Bei indirekten Formen erfolgt die Kommunikation über Partner bzw. (Absatz-)Mittler, als direkte Form wird vor allem das Direktmarke-
86
ting gesehen. Als Vorteil der indirekten Kommunikation wird der geringere Aufwand, verbunden mit einer höheren Verbreitung genannt. Der Nachteil liegt in der fehlenden Beeinflussungsmöglichkeit beim Kunden.
Abb. 4.1:
Einteilung von Kommunikationskanälen nach den Kriterien direkt vs. indirekt und stationär vs. mobil, Quelle: Grimm/ Röhricht [2003], S. 38
Abbildung 4.1. zeigt einige Kommunikationskanäle, die nach diesen Kriterien positioniert wurden. Die Klassifizierung ist problematisch und nicht widerspruchsfrei. Schwierigkeiten ergeben sich vor allem hinsichtlich der Einordnung der direkten und indirekten Kanäle, da z.B. Call-Center, Mobiltelefon, E-Mail, Internetportale und schriftliche Kommunikation sowohl direkt als auch indirekt eingesetzt werden können. Zudem kann ein großer Teil neuerer Internetkanäle (Web 1.0 und Web 2.0) sowie eventbezogene Kanäle nicht eingeordnet werden. Die Einteilung reicht daher nicht aus, um Orientierung bei Entscheidungen im Rahmen einer Multi-Channel-Marketing-Strategie zu bieten. Die Ermittlung und Operationalisierung eines Klassifikationskriteriums, das auf diesen Erkenntnissen aufbaut, wird nachfolgend vorgenommen. Die Anwendung erfolgt stets auf Basis zuvor ermittelter Zielgruppenpräferenzen. 4.1.2.
Entwicklung des Klassifikationskriteriums „Botschaftsinteraktivität“
Kommunikationskanäle lassen sich hinsichtlich ihrer Botschaftsftsinteraktivität unterscheiden. Botschaftsinteraktivität kombiniert die Begriffe Botschaft und Interaktivität. Unter Botschaft wird im Marketing der Inhalt jeder (Werbe)Kommunikation verstanden4, unter Interaktion wird das aufeinander bezogene Handeln von zwei oder mehreren Menschen verstanden5. Interaktivität allein reicht aber für den Begriff nicht aus. Sie soll sich als Rückkanalfähigkeit 87
über denselben Kanal ohne Medienbruch ergeben, da dieses Merkmal die Aufmerksamkeit von Kunden durch unmittelbare zweiseitige Kommunikation über denselben Kanal ermöglicht. Die Beschränkung auf eine automatisierte, standardisierte Transaktion wird dabei nicht als Interaktion im eigentlichen Sinne verstanden. Die Klassifikation basiert damit auf einem Merkmal, dem nicht nur Kunden eine herausragende Bedeutung zumessen6, sondern das auch durch die Kommunikationstheorie der Interaktion von Watzlawick gestützt wird7. Die Kriterien der Botschaftsinteraktivität ermöglichen es, die Kanäle zunächst in zwei Gruppen einzuteilen. Entscheidend ist dabei die Rückkanalfähigkeit über denselben Kanal ohne Medienbruch für Kunden. Liegt das Kriterium vor, wird der Kanal der Gruppe mit Botschaftsinteraktivität zugeordnet; liegt das Kriterium nicht vor, wird er der Gruppe mit Botschaftspassivität zugeordnet. Befindet sich in einer Gruppe mehr als ein Kanal, so ist es wünschenswert, die Ausprägung der Botschaftsinteraktivität für weitere Kombinationsmöglichkeiten zu ermitteln (hoch, mittel, niedrig). Dazu werden als weitere Dimensionen die harten Kriterien „Investitions-„ sowie „laufende Kosten“ und das weiche Kriterium „Kundenorientierung“ in Form von Vergleichsschätzungen hinzugezogen, da diese mit dem Kriterium Botschaftsinteraktivität bei der Definition einer Multi-Channel-Strategie in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Für verifizierbare Kosten-Ober- und -Untergrenzen besteht in weiteren Untersuchungsschritten ein Forschungsbedarf. Die Anwendung des Kriteriums Botschaftsinteraktivität soll beispielhaft an der Einordnung der Kanäle „Plakat“ und „schriftliche Kommunikation“ demonstriert werden. Beim Plakat besteht keinerlei Rückkanalfähigkeit über denselben Kanal für die Kunden; es kann angeschaut werden, oder nicht. Selbst wenn Telefonnummern bzw. Internetadressen aufgedruckt sind, muss der Kunde den Kanal wechseln (Medienbruch), um zu einer „Art“ Interaktion zu kommen. Demnach ist das Plakat in die Gruppe der Kommunikationskanäle mit Botschaftspassivität einzuordnen. Unter schriftliche Kommunikation fallen die Kommunikationskanäle Brief, Fax und Internet-Kommunikation8. Bei diesen Kommunikationskanälen ist bei jedem Interaktivität über denselben Kanal für die Kunden ohne Medienbruch gegeben. Daher sind sie in die Gruppe der Kanäle mit Botschaftsinteraktivität einzuordnen. Beim Kanal „schriftliche Kommunikation“ wäre es für die Entwicklung einer Strategie in Abhängigkeit von den Zielgruppenpräferenzen wichtig, den Grad der Ausprägung der Botschaftsinteraktivität zu kennen. Dieses wird nachfolgend beispielhaft verdeutlicht. In die Kategorie geringe Botschaftsinteraktivität ist der Kanal Brief einzuordnen. Dieses begründet sich vor allem aus der im Vergleich zeitraubenden Interaktionsform (Abschicken, Postzustellung etc.). Zwar sind beim Brief die Investitionskosten im Vergleich mit dem Internet rel. niedrig, die laufenden Kosten fallen jedoch im Vergleich rel. hoch aus. Das Fax ist charakterisiert durch eine mittlere Botschaftsinteraktivität, die sich vor allem aufgrund der schnelleren
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Interaktionsfähigkeit über denselben Kanal ergibt. Allerdings weist es einen geringen Verbreitungsgrad im Privatkundenbereich und im Vergleich mit dem Internet rel. hohe laufende Kosten auf. Das Internet ist gekennzeichnet durch eine hohe Botschaftsinteraktivität. Dieses ergibt sich durch die schnelle Interaktionsform, wobei allerdings im Vergleich mit Brief und Fax die hohen Investitions- und rel. geringen laufenden Kosten zu beachten sind. Das Ziel einer Multi-Channel-Strategie ist es, auf Basis der Zielgruppenpräferenzen und Erkenntnisse des Consumer Insight aus der Marktforschung eine zielgruppengenaue Kombination von Kommunikationskanälen vorzuhalten, um im Portfolio auch neue attraktive Nutzungsmöglichkeiten zu offerieren. So können neben den bekannten, auch neue Konsumenten am Touch Point für die Produkte gewonnen werden. Auf Konsumentenverhaltenränderungen kann flexibel reagiert werden. So führte die vermehrte Nutzung des Internet z.B. zur erhöhten Nutzung von direkten Kommunikationskanälen mit hoher Botschaftsinteraktivität. Gleichzeitig konnte eine rückläufige Nutzung von Kanälen mit Botschaftspassivität festgestellt werden9. Zur permanenten Beobachtung dieser Veränderungen der Kaufgewohnheiten ist ein effektives Kundendatenmanagement (z.B. durch ein eCRM) vonnöten. Die Botschaftsinteraktivität der Internetkommunikation (Web 1.0- und Web 2.0-Welt) ist generell als hoch zu bewerten10. Das ergibt sich durch die stets vorhandene Möglichkeit für Kunden, über denselben Kanal ohne Medienbruch zu interagieren. Aus diesem Grunde erfolgt eine Separatisierung der Internetkommunikation im Kapitel 5. Die Ausführungen in diesem Kapitel beziehen sich auf Kommunikationskanäle des M-Commerce und Offline-Kanäle, die in Gruppen unterteilt sind. 4.2.
Ausgewählte Kommunikationskanäle mit Botschaftsinteraktivität
4.2.1.
Telekommunikationskanäle (M-Commerce)
Der Kommunikationskanal Telefon kann zeitunabhängig, als Mobiltelefon auch ortsunabhängig, und im Verhältnis zum Point of Sale (POS) kostengünstig genutzt werden. Die telefonische Kundenkommunikation lässt sich nach verschiedenen Ausprägungen aufteilen, die hinsichtlich des Merkmals Botschaftsinteraktivität unterschiedlich zu beurteilen sind. 4.2.1.1.
Persönliches Telefonat
Bei der persönlichen Kommunikation mit dem Telefon ist die Botschaftsinteraktivität extrem hoch. Der Kunde ruft beim Unternehmen an und lässt sich mit einem Mitarbeiter verbinden. Beim Ansprechpartner des Unternehmens sucht er, ähnlich wie in einem POS, vertrauensvolle Beratung und Betreuung. Dem Mitarbeiter des Unternehmens stehen technische Hilfsmittel zur Verfügung (Datenbanken etc.), mit deren Hilfe er sich trotz geographischer Ferne der Anliegen bzw. Probleme der Kunden annimmt.
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Abb. 4.2:
Beispiel für ein Internet Telefonverzeichnis der Deutschen Telekom
Die Vorteile dieser Kommunikationsform liegen im persönlichen vertrauensvollen Kontakt zu den Kunden. Der Mitarbeiter kennt im Idealfall die Wünsche des Kunden, kann sie mit seinen Daten abgleichen und so dem Kunden im Sinne eines Kundenberaters die bestmögliche Betreuung gewähren. Die Hauptnachteile dieser Kommunikationsform liegen in immensen Kosten pro Transaktion und im hohen Mitarbeiterbedarf. Zu Problemen kann es auch durch die hohen Anforderungen der Kunden an eine telefonische Beratung kommen. Mitarbeiter, die im Rahmen des telefonischen Distanzkaufes arbeiten, müssen über möglichst genaue Daten und ein hohes Wissen bzgl. der Produkte verfügen. Auch ist ein hohes Maß an sozialer Kompetenz nötig, durch welches auf unterschiedliche Stimmungen der Kunden reagiert werden kann, damit diese das Vertrauen ins Unternehmen nicht verlieren. Unternehmen sind aufgrund dieser Nachteile schon oft dazu übergegangen, eine kostenpflichtige Hotline (z.B. für bestimmte Servicebereiche) einzurichten, was aber nicht selten zu Verärgerungen bei den Kunden geführt hat. Die Botschaftsinteraktivität dieses Kommunikationskanals ist als extrem hoch zu bewerten. Dazu tragen vor allem die direkte Ansprache des Kunden und die Möglichkeiten, auch ungewöhnliche Fragen individuell und schnell zu klären, bei. Ebenso bestehen Möglichkeiten
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zur individuellen, kundenbezogenen Beratung. Er gehört zu den teuersten Kanälen, da er mit hohen Kosten für Personal und laufenden Betrieb verbunden ist. 4.2.1.2.
Call-Center mit Experten
Unter einem Call-Center sind organisatorische Einheiten zu verstehen, die für die telefonische Kontaktaufnahme mit den Kunden zuständig sind, um im Dialog die Interessen, Service- und Marketingziele der Unternehmen zu wahren11. Hierbei werden über eine zentrale Rufnummer Call Agents eingeschaltet, die die Anrufe entgegen nehmen und bearbeiten. Ihr Aufgabenbereich kann unterschiedlich gestaltet sein. Er erstreckt sich von der Unterstützung der Kundenbetreuung z.B. durch Fragenbeantwortung, Informationen bzgl. der Produkte über Beschwerde- und Service-Fragen und Marketingeinsatz bis zur Auftragsannahme. Die Angebundenheit eines Call-Center kann auch unabhängig vom Ort und der Zugehörigkeit zum Unternehmen ausfallen. Aus diesen grundlegenden Merkmalen ergeben sich Fragen, die bei der Unterstützung der Kommunikationsmaßnahmen eines Unternehmens durch ein Call-Center die Effektivität des Einsatzes und die Botschaftsinteraktivität wesentlich bestimmen. So ist die Frage der Einbindung des Call-Centers in den Kommunikationsprozess des Unternehmens zu klären. Wird das Call-Center zur Fragenbeantwortung und für Informationen bzgl. der Produkte eingesetzt, muss der Call-Agent, ähnlich wie bei der persönlichen Kommunikation, über ein umfassendes Wissen und soziale Kompetenz im Umgang mit den Kunden verfügen. Damit verbunden sind auch Fragen der Soft- und Hardwareausstattung (Datenbanken etc.), des Standortes, der prozessbezogenen Angebundenheit (extern/ intern) des CallCenters sowie der Rufnummerngestaltung (kostenpflichtig oder frei). Eine weitere Grundlage ist auch die Struktur des Einsatzes. So stellt sich die Frage, ob die Anfragen der Kunden standardisierbar oder eher individuell zu behandeln sind. Die Vorteile eines für ungewöhnliche Fragestellungen und individuelle Beratung eingesetzten Call-Centers mit Experten liegen in der Steigerung der Effektivität der Kommunikationsmaßnahmen eines Unternehmens. Nachteile sind der hohe Personalbedarf, der auch eine flexible Anpassung an Spitzenzeiten ermöglichen sollte und die damit verbundenen hohen Investitions- und Betriebskosten gegenüber anderen Kommunikationskanälen. Damit ist festzustellen, dass trotz Einsparungen das Call-Center allgemein ein für die reine Transaktion sehr teurer Kanal ist. Die Botschaftsinteraktivität des Call-Centers mit Experten ist als extrem hoch einzustufen. Es unterstützt Ziele wie Kundenbindung und Kundenzufriedenheit in erheblichem Maße, eignet sich aber nur eingeschränkt als alleiniger Kommunikationskanal. Die Kosten pro Transaktion fallen sehr hoch aus, durch Investitions- und laufende Kosten.
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4.2.1.3.
Call-Center für Standardtransaktionen, -informationen
Lassen sich die Anfragen an das Call-Center weitgehend standardisieren (z.B. Bestell-, Auftragsannahme, Interessentengewinnung etc.) ist zwar die Frage einer organisatorischen Anbindung (Einpflegen der Daten etc.) an das Unternehmen zu klären, die Call-Agents müssen aber nicht unbedingt Expertenwissen bzgl. der Produkte besitzen. In diesem Fall wäre auch ein externes Call-Center ortsunabhängig und mit lockerer organisatorischer Anbindung an das Unternehmen einsetzbar. Die Vorteile sind im Vergleich zum individuellen Call-Center in den günstigeren Transaktionskosten sowie der Vermeidung von hohen Investitions- und Personalkosten zu sehen, da die Einheiten selbständig operieren. Die Nachteile liegen in der fehlenden Möglichkeit, auch den Anteil ungewöhnlicher oder individueller Anfragen für die Kunden zufrieden stellend zu bearbeiten, da entsprechendes Expertenwissen fehlt.
Abb. 4.3:
Beispiel eines Call-Centers
Die Botschaftsinteraktivität des Call-Centers für Standardtransaktionen ist mittelmäßig zu bewerten. Verantwortlich dafür ist die mäßige Kundenorientierung, denn es eignet sich nur für standardisierbare Transaktionen ohne weitere Beratungsfunktionen, weil dafür die Kenntnisse fehlen. Die Kosten können im Verhältnis zum persönlichen Gespräch und zum CallCenter mit Experten als günstig eingestuft werden.
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4.2.1.4.
Mobiltelefon
Ein Mobiltelefon ist ein mobiles Endgerät, das primär auf die Nutzung der Telefonfunktionalität ausgerichtet ist. Mobiltelefone stellen dem Nutzer zwei Kommunikationskanäle in einem Gerät zur Verfügung. Der eine Kanal beinhaltet die telefonische Nutzung, die allerdings durch wesentlich höhere Telefongebühren gekennzeichnet ist. Der zweite Kanal besteht darin, dass Mobiltelefone mit einem Bildschirm und evtl. Anbindung des Internet ausgestattet sind. Bei älteren Geräten ist Internetnutzung über Wireless Application Protocol (WAP) eingeschränkt möglich. Bei neueren Geräten ist eine verbesserte Internetnutzung über GPRS bzw. UMTS möglich. Die Botschaftsinteraktivität der verschiedenen Kommunikationskanäle kann unterschiedlich ausfallen. Nachfolgend werden einige ausgewählte Kommunikationskanäle des Mobiltelefons diskutiert. 4.2.1.4.1. WAP WAP sollte der mobile Einstieg ins Internet sein. So sollte der Kunde bei der Nutzung von WAP als Kommunikationskanal in der Lage sein, über den Bildschirm des Mobiltelefons Inhalte aus dem Internet abzurufen. WAP ist aber lediglich in WML programmiert und kann daher keine HTML-Seiten aus dem Internet anzeigen. Die Anzeigemöglichkeiten von WAP sind nur sehr einfach, aber farbig möglich. Für den effektiven Einsatz dieses Kommunikationskanals spielen technische und ökonomische Merkmale eine große Rolle. Zu den technischen Merkmalen gehören die Größe der Bildschirme, die schlechte Bedienbarkeit und die Übertragungsbandbreite. Für diese Merkmale gibt es noch keine optimalen Lösungen. Hinsichtlich der ökonomischen Merkmale spielen die relativ hohen Kosten für den Kunden eine große Rolle. Diese Merkmale haben dazu geführt, dass sich WAP nur bei ausgewählten Dienstleistern, nicht aber allgemein durchgesetzt hat.
Abb. 4.4:
Beispiel für eine WAP-Fahrplanauskunft auf dem Handy Display
Die Vorteile von WAP sind vor allem in der Mobilität des Kommunikationskanals zu sehen. Kunden können über die Standorterkennung des Mobiltelefons schnell und einfach Informati93
onen erhalten. Beispielsweise hat der Hamburgische Verkehrs Verbund (HVV) einen umfassenden WAP-Auskunftsdienst bzgl. U-Bahn-, Bus-Abfahrtszeiten eingeführt, die der Kunde ortsunabhängig über sein Handy abrufen kann. Auch die Bahn AG betreibt einen derartigen WAP-Auskunftsdienst bzgl. der Zugverbindungen. Die Nachteile des WAP-Kommunikationskanals liegen in den technischen Unzulänglichkeiten, des fehlenden Komforts und den im Verhältnis zu anderen Kommunikationskanälen hohen Kosten für den Kunden. Diese Nachteile beeinträchtigen den Kundennutzen erheblich. Die Botschaftsinteraktivität des Kommunikationskanals WAP ist als gering einzustufen, da hier nur standardisierte Informationen versandt werden können, der Kunde aber mindestens die zweite Kanalfunktion, (Telefon) für eine interaktive Kommunikation benötigt. Die Kosten sind für den Kunden relativ hoch. 4.2.1.4.2. iMode 1999 wurde iMode vom Unternehmen NTT DoCoMo in Japan für die Nutzung spezieller Internetseiten und Dienste eingeführt und erreichte dort innerhalb der ersten Jahre mehr als 30 Mio. Kunden. iMode wird als Nachfolger von WAP bezeichnet, ist aber in cHTML, einem HTML-Dialekt, programmiert und kann daher HTML-Seiten aus dem Internet in Farbe auf dem Bildschirm anzeigen. Für iMode ist ein spezieller Minibrowser nötig. iMode ist als klassischer Online-Dienst zu verstehen, der einen begrenzten Zugriff auf das Internet bietet. Nutzer können nur auf eine bestimmte Anzahl von Content-Anbietern zurückgreifen, die eine Lizenz erwerben müssen. iMode startete in Deutschland am 16. März 2002 exklusiv für Kunden der Firma E-Plus. Das Unternehmen hat derzeit mehr als 145 Content-Anbieter.
Abb. 4.5:
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Ein gutes Beispiel für iMode Werbung von der Firma BMW
Box 4.1. Mobile Datenerfassung bei den Hamburger Wasserwerken •
„Hamburger Wasserwerke
•
Anforderung: fälschungssicheres Auslesen der Zähler
•
Anforderung: Verringerung des Aufwandes zur Datenerfassung
Bisheriger Ablauf
„ Datenbank, Archivsystem, SAP
Auftrag
Sachbearbeiter
Rechnung, erfasste Daten
Kunde Monteur
Zukünftiger Ablauf Disposition, Tourenplanung
Datenbank, Archivsystem, SAP
MDE Server Synchronisation
Kunde
Ziele: •
Verringerung der Prozessschritte und Medienbrüche
•
Einsatz von Spezialhardware zum Auslesen von Zählernummern und Zählerstand“
Quelle: o.V.o.J. [2007e]
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So nutzen beispielsweise Firmen wie der ADAC, Scout24, Douglas, Thomas Cook etc. diesen Kommunikationskanal. Banken und Sparkassen bieten z.B. Börsendaten, Depotverwaltung und Kontoservice an. Reißenden Absatz finden seit längerem Klingeltöne und Farbdisplays zum Herunterladen von JAVA-Games. Es wird geschätzt, dass täglich via iMode und SMS mehr als eine Million Klingeltöne angefordert werden. Die Vorteile von iMode sind in der Mobilität des Kommunikationskanals und dem verbesserten Komfort sowie den Einsatzmöglichkeiten zu sehen. Ein weiterer Vorteil liegt im Erwerb einer relativ niedrigen Einlage (Lizenz), wozu einmalig 25.000 € zu entrichten sind. Unternehmen werden aber an 86% der Einnahmen beteiligt. Nachteile sind in den immer noch vorhandene Einschränkungen bei der Internetnutzung und den relativ hohen Kosten für den Kunden (durchschnittlich 25,60 €/ Monat) zu sehen. Die größten Nachteile aber sind der beschränkte Verbreitungsgrad von iMode und die sehr geringe Anzahl der für iMode geeigneten Handys. Insofern ist iMode zwar relativ günstig im Vergleich mit anderen Kanälen, bleibt aber beschränkt auf einen geringen Verbreitungsgrad und verlangt vom Kunden den Umstieg auf eine andere Handymarke. Die Botschaftsinteraktivität von iMode ist als gering einzustufen. Verantwortlich dafür ist, dass, ähnlich wie bei WAP, nur standardisierte Interaktionen möglich sind und der Kunde mindestens eine weitere Kanalfunktion (Telefon) für die interaktive Kommunikation benötigt. Die Kosten für iMode sind für Anbieter im Vergleich günstig, für Kunden relativ hoch. 4.2.1.4.3. UMTS Der UMTS-Standard ist in seiner Übertragungsgeschwindigkeit um ein Vielfaches schneller als beispielsweise iMode in Deutschland. Dieses läuft z.Zt. über den viel langsameren Standard GSM bzw. GPRS. Beim GSM (leitungsvermittelt) und GPRS (paketvermittelt) werden die Daten zeitlich hintereinander übertragen (Zeitschlitze) per Kanalbündelung. Das UMTSVerfahren (leitungsvermittelt + paketvermittelt) hat eine höhere Datenübertragungsbandbreite, d.h. eine schnellere Datenübertragung. In Japan läuft iMode bereits über UMTS und ist somit um ein vielfaches schneller. Damit ergeben sich interessante Optionen und Kommunikationsmöglichkeiten für die Zukunft. Die Nutzung der höheren Bandbreiten wirkt sich auch auf die Nutzerfreundlichkeit durch die wesentlich kürzere Zeit des Downloads aus. So können z.B. innerhalb von 1,5 Sekunden über UMTS 25 KB herunter geladen werden. Hingegen können über den Standard GPRS in Deutschland in der gleichen Zeit lediglich 4 KB erreicht werden. Außerdem bietet UMTS eine Farbtiefe von 16 Bit gegenüber nur 4 Bit Graustufen bei GPRS. Zukünftig wird durch UMTS iMode auf eine gigantische Plattform gestellt werden, da dieses dann mehr als sechsfach schneller sein wird und in der Darstellungsmöglichkeit durch hoch auflösende TFT-Flachbildschirme dem Heimcomputer immer ähnlicher wird. Al-
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lerdings ist der Aufbau eines UMTS-Netzes sehr kostenaufwendig, man rechnet mit 100 Milliarden € für den Netzausbau in Europa. Die mit Mobilfunk verbundenen neuen Technologien werden bisher im Rahmen einer MultiChannel-Strategie besonders als Ergänzung zur Kommunikation über andere Kanäle in bestimmten Phasen eingesetzt. Beispielweise in der Informations-, Akquisitions- und Servicephase. Die verbesserten technischen Möglichkeiten können aber durchaus zu neuen Anwendungsbereichen und damit zu einem vollwertigen eigenen Kommunikationskanal führen. Über die Botschaftsinteraktivität von UMTS kann z.Zt. durch die geringen Anwendungen noch keine Aussage gemacht werden.
Abb. 4.6:
Beispiel eines UMTS-Handys
4.2.1.4.4. Short Message Service (SMS) und Multimedia Message Service (MMS) Mittels SMS können Unternehmen/ Kunden Mobilfunk- und auch Festnetzteilnehmern kurze Textnachrichten zusenden. Die SMS gleicht insofern einer E-Mail, wobei sie keine Bestandteile (Links) oder Graphiken enthalten kann. Eine SMS enthält nur maximal 160 Zeichen und ist von daher in ihrem Informationsgehalt beschränkt. MMS haben diese beiden Beschränkungen zwischenzeitlich aufgehoben. Sie ermöglichen sowohl die Aufhebung der Zeichenanzahl als auch den Versand von Bildern, Videos und Graphiken. Die Vorteile von SMS/ MMS glei-
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chen denen von E-Mails, verbunden mit den Vorteilen, die sie zusätzlich durch die Mobilität erhalten. SMS werden z.Zt. in einer Multi-Channel-Strategie vor allem in der Informationsund Akquisitionsphase zur Übermittlung von Werbebotschaften eingesetzt. Die Nachrichten sind zur schnellen Kommunikation geeignet. Sie könnten aber mit den neuen technischen Möglichkeiten durch MMS durchaus auch andere Dienstleistungen ermöglichen. Die Nachteile ähneln denen von E-Mails. Auch hier werden ungebetene SMS/MMS als Spam betrachtet und von den Kunden als Belästigung empfunden. Seriöse Kampagnen versichern sich daher auch hier einer Permission, um dann den Kunden über Segmentierungskriterien direkt ansprechen zu können und im Verbund mit eigenen kundenbezogenen Daten Cross-SellingPotentiale auszuschöpfen. Die Botschaftsinteraktivität von SMS/ MMS ist durch die individuellen Beratungsmöglichkeiten als hoch einzustufen. Sie sinkt allerdings mit dem Grad der Erhöhung an Standardisierung und Automatisierung der Informationen bis auf das Maß einer geringen Botschaftsinteraktivität. Die Kosten sind für den Anbieter niedrig, für den Kunden relativ hoch.
Abb. 4.7:
Beispiele für eine SMS- und eine MMS- Nachricht
4.2.1.4.5. iPhone Beim iPhone handelt es sich um ein Smartphone, das von der Firma Apple erstmals im Januar 2007 als Prototyp in San Francisco vorgestellt wurde. Es ist seit Anfang Juli 2007 in Amerika und seit November 2007 auch in Deutschland käuflich erhältlich12. Es stellt eine innovative 98
Weiterentwicklung auf dem Mobilfunkmarkt dar, denn es integriert einen iPod mit einem vollwertigen Mobiltelefon und ist auch gleichzeitig ein Internet-Kommunikationsgerät mit EMail, Webbrowser, Suche und Kartendienst auf Desktop-Niveau. Es enthält eine Reihe weiterer Innovationen, wie z.B. eine sehr leistungsfähige Software sowie eine neuartige Benutzeroberfläche mit Multitouch-Display, die es erlaubt, das iPhone mit den (eigenen) Fingern (statt mit einem Stylus) zu bedienen. Vorteile des iPhone liegen in der leichten Installierung (vom Vertragsabschluss bis zur Synchronisation, E-Mail-Konten, Kalendern etc. wird alles von iTunes übernommen)13. Auch die Bedienerfreundlichkeit ist hoch. So ist das iPhone nur ein wenig länger als ein herkömmliches Mobiltelefon, dafür aber wesentlich flacher und hat nur vier Hardware-Tasten. Der Bildschirm ist hell und farbenfroh und hat einen Bewegungssensor. Kippt man z.B. das iPhone beim Abspielen von Musik um mehr als 90 Grad, stellt sich die Bildschirmdarstellung automatisch auf das Querformat um; leider reagiert die Benutzeroberfläche nicht auf diesen Sensor14. Während die meisten anderen Smartphones noch Stylus benötigen, um die winzigen Ikons zu bedienen, reichen beim iPhone die Finger. Navigiert wird durch „wischen“, „kneifen“ oder „pressen“. Der Umgang mit der virtuellen Tastatur, bei der durch eine intelligente Fehlerkorrektur Fehler z.Zt nur in englischer Sprache automatisch korrigiert werden, ist relativ benutzerfreundlich, aber gewöhnungsbedürftig. Im Bereich des integrierten iPod liegt die Innovation nicht unbedingt in der Integration, die haben viele andere Smartphones auch, sie liegt in der Software, die es erlaubt, durch einfaches „schnalzen“ mit den Fingern durch die eigene Musikkollektion zu scrollen. Der größte Nachteil des iPhones ist, dass es z.Zt. international nicht tauglich ist. Die Tastatursprache und das Wörterbuch beschränken sich auf die englische Sprache15. So kann es beim Verfassen deutscher SMS durch die automatische Fehlerkorrektur leicht zu Fehlern kommen. Weitere Nachteile liegen zum einen in dem rel. großen Zeitbedarf vom Standby-Modus bis zur Tätigung eines Anrufes und in Ungereimtheiten der Software, bei der während der Texteingabe z.B. auf eine andere Tastaturansicht umzuschalten ist, bevor der Text über die Tastatur eingegeben werden kann16. Ein weiteres großes Manko ist in der fehlenden Unterstützung von UMTS und GPS zu sehen. Auch fehlt die MMS-Unterstützung. Mangelhaft ist weiter auch die Tonqualität; so klingen Gespräche blechern und sind bei Lärm in der Umgebung auch bei größter Lautstärkeneinstellung kaum zu verstehen17. Der Marketing-Nutzen ist, ähnlich wie beim iMode, einzuschätzen, wobei die Kosten für Unternehmen noch unbekannt sind. Hauptnachteil wird auch hier die beschränkte Reichweite sein.
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Die Botschaftsinteraktivität von iPhones kann z.Zt. wegen der noch überwiegenden Verbreitung in den USA kaum eingeschätzt werden. Ebenso sind Einschätzungen über Kosten nicht möglich.
Abb. 4.8: Beispiele für eine iPhone, Quelle: www.sft-magazin.de
4.2.2.
Stationäre und mobile Kommunikationskanäle
4.2.2.1.
Eigene Filialen und Franchising
Der Point of Sale (die eigene Filiale) stellt einen traditionellen Kommunikationskanal dar, den die Kunden aufsuchen, um persönlich beraten zu werden, ihre Transaktionen abzuwickeln oder Serviceleistungen einzufordern. Unternehmen verfolgen damit verschiedene Ziele. Zum einen in der Nähe des Wohnortes der Kunden zu operieren, zum anderen ist es ein Ziel, das Vertrauen der Kunden zum Unternehmen unmittelbar zu gewinnen. Der Point of Sale ist der Ort, an dem Kunden die Möglichkeit zur persönlichen Kommunikation mit den Mitarbeitern des Unternehmens haben. Filialen sind nach wie vor für viele Kundengruppen ein bevorzugter Kommunikationskanal, auch wenn sie von den Branchen sehr unterschiedlich gewichtet werden. So besteht das Interesse des Einzelhandels primär darin, Transaktionsabwicklungen, insbesondere bei Gütern des täglichen Bedarfes, im Point of Sale vorzunehmen. Kunden messen hingegen der vertrauensvollen Betreuung und Beratung stärkere Bedeutung zu. Für Produkte, wie z.B. hochwertige Premiumgüter sowie Güter mit hohem Beratungsbedarf, eignen sich Filialen besonders gut. Für diese Güter akzeptiert der Kunde hier auch oft einen höheren Preis.
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Abb. 4.9:
Der Filialfinder der Firma Deutsche Post AG als Beispiel für stationäre Filialen
Die hauptsächlichen Vorteile des stationären Point of Sale (POS) liegen in der persönlichen Kundenbetreuung, der schnellen Erreichbarkeit vom Kundenwohnort, der hohen Akzeptanz bei den Kunden, die aus einer historisch gewachsenen Bedeutung hinsichtlich einer vertrauensvollen Beratung resultiert18. Die Hauptnachteile liegen in den hohen Investitionskosten, um einen Point of Sale attraktiv zu gestalten sowie den hohen Kosten für den Betrieb durch Fixkosten für Räume, Mieten, Infrastruktur und Personal. Diese gravierenden Nachteile führten in den letzten Jahren dazu, dass im ländlichen Raum viele Filialen abgebaut wurden. Filialen stellen ein langfristiges Investment für Unternehmen dar und erweisen sich daher im Verhältnis zu anderen Kommunikationskanälen als sehr anpassungsresistent. Das führt in Zeiten des schnellen Wandels oft zu eminenten Wettbewerbsbeeinträchtigungen. Nachteilig erweisen sich beim Point of Sale auch die gesetzlichen Öffnungszeiten. Diese bewirken im Zusammenhang mit der gesteigerten Bedeutung von Convenience, dass es vielen Kunden unattraktiv erscheint, im POS nur zu bestimmten Zeiten einkaufen zu können. Ein weiterer Nachteil ist im unterschiedlichen Verständnis von Kunden und Mitarbeitern über ihre Aufgaben im POS zu sehen. Kunden erwarten eine Betreuung und Beratung, Mitarbeiter beschränken sich häufig auf Basisleistungen und reagieren auf von Kunden initiierte Kommunikationswünsche lediglich mit der Leistungsabwicklung. Franchising wird folgendermaßen definiert: „ … ein Konzept, bei dem ein Unternehmen den Absatz seiner Produkte oder Dienstleistungen in Form vertikaler Kooperation einer begrenzten Zahl von Vertriebspartnern überlässt“19. Die Franchisenehmer bleiben rechtlich selbstän101
dig und tragen das Geschäftsrisiko. Sie übernehmen das logistische Konzept des Franchisegebers und die Vorgaben hinsichtlich von Corporate Design und Corporate Identity. Ein Franchise-System unterscheidet sich kaum von einer Filiale, ist aber mit geringeren Investitionskosten verbunden. Da das finanzielle Risiko der Franchisenehmer trägt, führt das zu einem hohen Engagement in der Filiale und damit auch zu einer intensiven Kundenkommunikation. Die Nachteile eines Franchise-Systems sind mit der rechtlichen Eigenständigkeit verbunden. Franchise-Filialen lassen sich von Franchisegeber nur schwer organisatorisch und kommunikationstechnisch in ein übergreifendes Prozesskonzept integrieren. Das kann sich nachteilig auswirken, wenn z.B. vom Franchise-Geber ein einheitliches Rücknahmesystem für verschiedene Kanäle aufgebaut werden soll. Die Botschaftsinteraktivität kann beim Kommunikationskanal des stationären POS (Filiale) und der Franchise-Filiale bei gut geschultem Personal als extrem hoch bewertet werden. Verantwortlich dafür sind die unkomplizierten Möglichkeiten zur individuellen Beratung und die schnelle Bearbeitung auch von ungewöhnlichen Fragen. Eine Einschränkung der Botschaftsinteraktivität kann durch die beschränkten Öffnungszeiten und schlecht ausgebildetes Personal eintreten, das diese Anforderungen nicht oder nur unzureichend erfüllt. Der POS ist zugleich einer der teuersten Kanäle, bedingt z.B. durch Personalkosten, Mieten, Energiekosten etc. 4.2.2.2.
Fremde Filialen (Absatzmittler)
Der Kommunikationskanal der fremden Filialen (Absatzmittler) ist in verschiedenen Branchen, z.B. im Einzelhandel, bei der Lebensmittelindustrie, der Unterhaltungsindustrie oder dem Heimwerkerbedarf, beliebt. Dabei werden die Produkte der Hersteller von unabhängigen Händler(n)/ -Ketten vertrieben (z.B. Karstadt, OBI, Edeka etc.), die in ihren Läden eine ganze Palette von Produkten, auch Konkurrenzprodukte, vertreiben. Die Produkte werden von den Händlern gelistet, d.h. sie werden gegen Entgeldzahlung und über Verträge in das Angebot des Händlers aufgenommen. Dabei nutzt der Händler seine Logistik und seine Ladenfläche, um eine Vielfalt von Produkten zu präsentieren. Ziel ist es, die Kundenbeziehungen zu erweitern und die Bedarfe des Kunden möglichst umfassend befriedigen zu können. Von Händlern werden alle Kommunikationsphasen genutzt. Die Vorteile eines Händlers liegen in seiner Wahl der angebotenen Produkte, bei Preisvorteilen aufgrund von erlangten Mengenrabatten und seiner großen Auswahl an Gütern in einem POS. Die Absatzmittlerkommunikation verlangt einen großen Aufwand bei der Integration in eine Multi-Channel-Strategie des Herstellers.
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Abb. 4.10:
Die Firma EDEKA ein gutes Beispiel für Absatzmittler
Die Vorteile eines Absatzmittlers liegen vor allem auf der Kostenseite. Hersteller verzichten auf ein eigenes Händlernetz und geben die Beratungs- und Servicekomponenten an den Händler weiter. Ein weiterer Vorteil ist in der großen Verbreitung von Produkten und Leistungen bei geringem Kommunikationsaufwand zu sehen. Der Hauptnachteil liegt in der fehlenden direkten Kommunikation mit dem Kunden. Informationen über Kundenwünsche und -bedarfe müssen daher kostenintensiv, z.B. über Marktforschungsinstitute, ermittelt werden. Das einzelne Unternehmen stellt nur eine Komponente im Gesamtangebot des Händlers dar und hat keine Exklusivität. Hersteller können daher kaum Einfluss nehmen auf die Kundenkommunikation des Händlers. Einen Nachteil stellt auch die Tatsache dar, dass Absatzmittler sich nur für standardisierte Produkte eignen mit einem geringen Anteil individueller Beratung. Handelsketten können einen hohen Beratungsanteil nicht leisten, da ihnen i.d.R. das nötige Wissen fehlt (außer Fachhandel). Die Botschaftsinteraktivität des Kommunikationskanals fremde Filialen (Absatzmittler) bei großen Handelsketten kann als mittelmäßig eingestuft werden. Verantwortlich dafür ist der gering Anteil an individueller Beratung durch den Händler (außer Fachhandel). Da bei diesem Kommunikationskanal hinsichtlich der Produkte nur indirekt kommuniziert wird, ist eine Unterstützung durch weitere Kanäle vonnöten. Der Kanal ist im Verhältnis zur eigenen Filiale von den Kosten her als günstig einzustufen.
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4.2.2.3.
Außendienst und freie Vertreter
Der Außendienst gehört zu den mobilen Kanälen, denn er kann besonders in einigen Branchen, wie z.B. bei Versicherungen, Finanzdienstleistungen, Teilen des Einzelhandels (z.B. Tupperware) und in der Pharma-Industrie, von den Kunden angefordert werden. Der Außendienst besteht i.d.R. entweder aus eigenen Mitarbeitern, die nur über beschränkte Möglichkeiten verfügen, oder aus selbständig tätigen freien Vertretern. Freie Vertreter unterscheiden sich von Außendienstmitarbeitern dadurch, dass sie rechtlich selbständig und nicht an das Unternehmen gebunden sind. Die Kunden werden von den Außendienstmitarbeitern/ Vertretern persönlich betreut. Sie sind in einigen Branchen ein unverzichtbarer Teil der Kommunikation, eignen sich aber i.d.R. nicht als alleiniger Kommunikationskanal. Im Rahmen einer MultiChannel-Strategie ist ihr Einsatz durch andere Kommunikationskanäle zu ergänzen. Die Vorteile liegen in einer persönlichen und individuellen Kundenkommunikation. Es baut sich ein oft über viele Jahre andauerndes Vertrauensverhältnis mit den Kunden auf, so dass auch individualisierte Wünsche von den Unternehmen offeriert werden können. Dieses Vertrauensverhältnis erhöht auch die Kundenbindung zum Unternehmen. Ein weiterer Vorteil ist darin zu sehen, dass der Außendienst unabhängig von Öffnungszeiten agiert und sich an den Zeitvorgaben des Kunden ausrichtet. Das erhöht die Transaktionswahrscheinlichkeit insbesondere dann, wenn der Außendienstmitarbeiter möglichst umfassend dem Beratungsbedarf des Kunden entsprechen kann. Als Vorteil kann sich auch auswirken, dass der Außendienstmitarbeiter vom Erfolg seiner Tätigkeit profitiert; das erhöht die Motivation zu Transaktionen. Vorteile von Vertretern liegen darin, dass sie für das Unternehmen kostengünstiger sind, da sie sich vor allem durch Provisionen finanzieren. Der Hauptnachteil des Außendienstes ist das schlechte Image, das ihm anhaftet, das vor allem durch so genannte Drückerkolonnen begründet wurde. Als Nachteil wirken auch die Kosten für die Ausstattung, die ein Außendienstmitarbeiter benötigt, um effektiv zu arbeiten. Ein weit größerer Nachteil liegt aber in der eigenen Verantwortung und der damit verbundenen autarken Ausrichtung der Arbeit eines Außendienstmitarbeiters. Die Informationsweitergabe und eine organisatorische Einbindung erweisen sich meist als sehr schwierig, weshalb auch oft die sehr genauen Kundeninformationen eines Außendienstmitarbeiters im Mutterunternehmen kaum genutzt werden können. Bei Vertretern verschärft sich dieser Nachteil noch, da die Informationsweitergabe noch weniger geregelt ist. Die Botschaftsinteraktivität der Kommunikationskanäle Außendienst und freie Vertreter ist als extrem hoch zu bewerten. Verantwortlich dafür sind die Möglichkeiten zur interaktiven Kommunikation und persönlichen Ansprache. Sie eignen sich jedoch nur für bestimmte Branchen und auch nur bedingt als alleiniger Kommunikationskanal. Außendienst und Freie Ver104
treter gehören zu den mit den höchsten Kosten belasteten Kanälen, vor allem auf Grund von Provisionen bzw. Personalkosten, Firmenwagen, Ausstattung etc. 4.2.3.
Schriftliche Kommunikation: Brief, Fax
Die Kommunikationskanäle Brief und Fax gehören zum Bereich der schriftlichen Kommunikation. Brief und Fax haben das Merkmal der Rechtssicherheit, dieses Merkmal macht sie für bestimmte Branchen unverzichtbar. 1. Briefe Briefe werden in manchen Branchen hauptsächlich für Bestellungen bzw. Aufträge und Lieferbestätigungen benutzt. Hier stellen sie oft einen Medienbruch dar, denn die Daten müssen manuell in das Informations- und Kommunikationssystem des Unternehmens eingepflegt werden, um im Rahmen des Prozesses weiterbearbeitet werden zu können. Das verursacht sehr hohe Kosten und ist mit einer Übertragungs-Fehleranfälligkeit verbunden. Standardtransaktionen werden häufig elektronisch und dem Workflow entsprechend transaktionsorientiert durchgeführt, wobei Medienbrüche bzw. Doppelerfassungen von Daten vermieden werden. Die Vorteile liegen in der hohen Akzeptanz und ebensolchem Vertrauen bei den Kunden. Der Brief ist einfach zu handhaben und hat eine hohe Zustellungssicherheit. Er wird als Massenkommunikationsmittel von einigen Branchen eingesetzt. Briefe können überall eingesetzt werden, wo es eine Postzustellung gibt. Durch Briefe ist auch eine Personalisierung in gewissem Sinne möglich, anders als bei Hauswurfsendungen. Nachteile sind der relativ lange Zeitbedarf im Verhältnis zu anderen Kanälen bis zu einer Antwort (in Deutschland i.d.R. 2-3 Tage). Auch wirken die hohen Kosten z.B. im Vergleich mit dem Internet nachteilig. Briefe sind in allen Kommunikationsphasen einsetzbar. Dennoch eignen sie sich nur für eine ganz geringe Zahl von Kunden und auch nicht als alleiniger Kommunikationskanal. Um die Kommunikationsvorlieben größerer Kundenkreise zu befriedigen, muss der Brief in eine Multi-Channel-Strategie eingebunden werden. 2. Faxe Das Fax hat ähnliche Vorteile wie der Brief. Es kann die Reaktionszeit im Vergleich zum Brief jedoch verkürzen. Durch ein modernes integriertes Fax wird zudem ein Medienbruch bei der Weiterverarbeitung vermieden, da eingehende wie ausgehende Faxe problemlos weitergeleitet werden können. Faxe sind zudem kostengünstiger als Briefe. Die Nachteile liegen im geringen Verbreitungsgrad in Privathaushalten sowie in den einge-
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schränkten Darstellungsmöglichkeiten für Produkte (monochrome Graphik etc.), bei älterer Technologie auch in der Notwendigkeit von speziellen Geräten. Die Zusendung von Werbefaxen, die nicht verlangt wurden, ist rechtlich nicht unbedenklich. Aus diesen Gründen ist das Fax im Rahmen der Kundenkommunikation nur von untergeordneter Bedeutung und kein Massenkommunikationsmittel. Auch wenn zukünftig Brief und Fax ihren Platz in der Kommunikationsstrategie eines Unternehmens behaupten können, so werden doch zunehmend die Vorteile der elektronischen Kommunikation (E-Mail, Chat etc.), wie Schnelligkeit und Formlosigkeit, größere Kundengruppen immer stärker ansprechen. Die Botschaftsinteraktivität des Briefes ist durch den großen Zeitbedarf bei der Interaktion als gering einzustufen. Die Botschaftsinteraktivität des Fax ist als mittelmäßig zu bezeichnen. Verantwortlich hierfür ist, dass Schnelligkeit und Interaktionsmöglichkeit besser als beim Brief ausfallen. Aber auch das Fax eignet sich als alleiniger Kommunikationskanal nicht. Es ist in Privathaushalten zu wenig verbreitet. Die Investitionskosten für den Brief sind gering, die laufenden Kosten im Vergleich mit dem Internet hoch. Die Investitionskosten für das Fax sind im Vergleich gering, für den laufenden Betrieb fallen sie Im Vergleich mit dem Internet gering aus. 4.2.4.
Eventbasierte Kommunikationskanäle
4.2.4.1.
Outdoor-Events
Event ist „…üblicherweise eine von einem Unternehmen initiierte, interaktionsorientierte Veranstaltung ..., die das Ziel hat, bei einer ausgewählten Zielgruppe unter Verwendung von emotionalen und physischen Reizen einen Aktivierungsprozess in Gang zu setzen und die symbolische Welt einer Marke in tatsächlich erlebbare Ereignisse umzusetzen.“20. Events werden verstärkt seit den 90er Jahren vor allem aus Gründen der Veränderungen im Kommunikationsverhalten allgemein und der fortschreitenden Homogenisierung von Produkten eingesetzt. Das vorrangige Ziel ist außerökonomisch im symbolischen Bereich angesiedelt, es soll eine emotionale Bindung an die Marke aufgebaut werden. Ein Event wird inszeniert, dabei müssen bei Outdoor-Events Merkmale, wie die Location (Ort des Events), Einsatz von Medien und die beteiligten Akteure (Musik- Tanzgruppen, Testimonials etc.), hinsichtlich der „Welt“ der Marke zusammen passen. Events sollen es den Kunden ermöglichen, sich vom Alltagsgeschehen abzuheben und wollen einen Beitrag zur Lebensqualität leisten. Events wollen ein ungewöhnliches Erlebnis bieten und sollen etwas Außergewöhnliches sein. Events eignen sich vorrangig für die Informations- und Akquisitionsphase.
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Abb. 4.11:
Ein gutes Beispiel stellt das Outdoor-Event der Firma Lee dar, Quelle: Webguerillas
Vorteile von Events liegen in der direkten, interaktiven Kommunikation, die es Unternehmen erlaubt personalisierte Kontakte mit den Kunden aufzubauen. Ein weiterer Vorteil ist die segmentierte, kundenbezogene Ausrichtung auf ausgewählte Zielgruppen. Der Nachteil von Events liegt darin, dass nur ein zuvor über Massenmedien personalisierte Marke, die stark genug ist, sich für Events eignet. Ein weiterer Nachteil ist, dass Events sich nicht für die Alltagskommunikation eignen, sondern etwas besonderes sein sollen, dass sich gerade vom Alltagsgeschäft abhebt. Die Botschaftsinteraktivität von Outdoor-Events ist als extrem hoch zu bewerten. Verantwortlich dafür ist die Möglichkeit zur interaktiven, personalisierten Kommunikation. Im Vergleich sind die Investitionskosten sehr hoch, die laufenden Kosten während des Events ebenfalls. 4.2.4.2.
Messestände
Messen und Ausstellungen stellen von jeher den bevorzugten Kommunikationskanal für Investitionsgüter dar. Daneben findet aber auch ein persönlicher Verkauf statt, wobei der Stellenwert der Informationsvermittlung an Bedeutung zugenommen hat. Der Vorteil von Messen und Ausstellungen liegt im zumeist segmentierten Angebot oft spezialisierter Hersteller. Als Vorteil wirkt auch die Möglichkeit, Objekte direkt in Augenschein nehmen zu können und dazu den persönlichen Kontakt zu Herstellern/ Dienstleistern aufzunehmen. Als weiterer Vorteil kann die Chance gesehen werden, sich einen Überblick über das gesamte Angebot zu verschaffen. Der Kanal eignet sich für alle Phasen von der Informations- bis zur Servicephase.
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Abb. 4.12:
Beispiel für eine Messeankündigung der Firma Messe Wesselburg
Nachteilig wirkt an Messeständen, dass sich die Kunden zum Veranstaltungsort der Messe bewegen müssen und entweder Eintritt oder Kongressgebühren zu zahlen haben, um zum Messestand zu gelangen. Nachteilig wirken auch die relativ hohen Kosten für den Auf- und Abbau der Messestände sowie die hohen Standgebühren für Hersteller/ Dienstleister. Ein weiterer Nachteil liegt in der beschränkten Reichweite im Verhältnis zu den relativ hohen Kontaktkosten für die Hersteller. Viele Veranstalter von Messen versuchen, den zuletzt genannten Nachteil durch den Einsatz eines weiteren Kommunikationskanals zu vermindern und setzen dabei das Internet zur Verbesserung der Reichweiten ein. Die Botschaftsinteraktivität von Messeständen ist als extrem hoch zu bezeichnen. Verantwortlich dafür sind die vielfältigen Interaktionsmöglichkeiten. Auch ungewöhnliche Fragen können behandelt werden. Der Kanal eignet sich nur für bestimmte Branchen als alleiniger Kommunikationskanal. Die Investitions- und die laufenden Kosten sind im Vergleich als hoch einzustufen. 4.2.5.
Multifunktionale Kommunikationskanäle
4.2.5.1.
Interaktives Fernsehen
Das interaktive Fernsehen, welches etwa in England schon sehr erfolgreich von BSkyB betrieben wird, geht von der Idee aus, dass mittels einer Set-Top-Box der individuelle Abruf von Spielfilmen, Informationen und Spielen ebenso ermöglicht wird, wie die Kommunikation per
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E-Mail21. Ermöglicht wird das durch zusätzliche multimediale Leistungen sowie einen integrierten Rückkanal. Mit dessen Hilfe werden die Abrufanforderungen und Kommunikationsdienste für den Kunden bereit gestellt. Das interaktive Fernsehen in der Form eines konvergenten Kommunikationskanals (d.h. der Verschmelzung von Internet und Fernsehen), wie es in einigen Publikationen vorgestellt wird, ist in Deutschland z.Zt. noch nicht verbreitet und wird nur in Pilotprojekten getestet22. So stellen Grimm/Röhricht23 die Vision vor, dass ein Kunde während des Anschauens eines Musikvideos dieses über einen Rückkopplungskanal, der über einen Zentralrechner zusätzliche Informationen bietet, direkt, wie im Internet, auswählt und kaufen kann. Durch einen Prozess, der damit angestoßen wird, kann er direkt mit dem Unternehmen über das Fernsehen in Kontakt treten. Durch die Möglichkeiten, parallel das Internet zu nutzen, kann er zusätzlich auch E-Mails an das Unternehmen schicken. Lt. Pressemitteilung von ARD, ZDF und RTL ist für die dazu benötigte Technik (Multimedia Home Plattform (MHP)) sowie die Digitalisierung des Fernsehprogrammes vonnöten, mit deren Einführung gerade erst begonnen wurde. Weiterhin werden digitale Empfangsgeräte bzw. Decoder als technische Voraussetzung genannt. Sollte sich diese Vision verwirklichen, würde ein dann „interaktives“ Fernsehen einen nachhaltigen Entwicklungsschub erfahren. Die Entwicklungen lassen erwarten, dass mit der Konvergenz von Fernsehen und Internet ein außerordentlich interessanter Kommunikationskanal entstehen wird, dessen Botschaftsinteraktivität ähnlich hoch ausfallen könnte, wie bei den Kanälen der stationären Kommunikation. Eine Einschätzung der Botschaftsinteraktivität ist noch nicht möglich. 4.2.5.2.
E-Home
Der Kommunikationskanal des intelligenten Hauses (E-Home) ist z.Zt. noch eine Vision und steckt noch in den Kinderschuhen. Als Voraussetzung werden die zunehmende Vernetzung und die damit verbundene Integration von Chips mit Internetzugang in Haushaltsgeräte gesehen. So bieten z.Zt. beispielsweise einzelne innovative Firmen für Niedrigenergie-Häuser umfangreiche Steuerungsmöglichkeiten an. Vom Arbeitsplatz aus kann die Wärmeentwicklung in den verschiedenen Räumen über das Internet abgerufen und über das Hinauf- und Hinunterfahren von Rollläden überwacht werden. Ebenso lässt sich der Einsatz von alternativen Energien in Abhängigkeit zur Außentemperatur derart steuern, dass beim Heimkommen die richtigen Temperaturen in den entsprechenden Räumen vorliegen. Auch besteht die Möglichkeit, die in der Kühltruhe gelagerten Vorräte mit den dazugehörenden Haltbarkeitsdaten abzurufen, um sich noch am Arbeitsplatz zu vergewissern, dass zum Abendessen zu Hause noch genügend Vorräte vorhanden sind. Diese Technologien sind für Menschen geeignet, die auf eine erhöhte Lebensqualität Wert legen und denen ihre Freizeit außerordentlich wichtig ist.
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Abb. 4.13:
Beispiel für E-Home: Smarthome Interface Prototyp, Quelle: Kracke [2001], S. 185
Die Vorteile, die eine zunehmende Verbreitung dieses Kommunikationskanals fördern, sind Bequemlichkeit für Menschen, mit dem Wunsch nach höherer Lebensqualität. Auf diese Weise ließe sich mehr Freizeit durch die Automatisierung von haushaltsbedingten Tätigkeiten erreichen. Nachteile liegen vor allem in den noch nicht vorhandenen Standards für diese Technologien. Dennoch existieren Anzeichen dafür, dass sich dieser Kommunikationskanal schnell weiter verbreiten wird und interessante Optionen in der Kombination mit anderen Kanälen ermöglicht. Eine Einschätzung zur Botschaftsinteraktivität dieses Kommunikationskanals kann aufgrund der geringen Anwendungsdichte noch nicht gegeben werden. 4.2.6.
Zusammenfassende Bewertung der Kanäle mit Botschaftsinteraktivität
In der Abbildung 4.14 werden die Dimensionen stationäre und mobile Kommunikationskanäle sowie die zuvor ermittelten Relationen der Botschaftsinteraktivität zusammenfassend dargestellt. Dabei wird bei der Botschaftsinteraktivität zwischen einer hohen und einer niedrigen Ausprägung unterschieden. In der Abbildung sind im unteren linken Quadranten mobile und im rechten Quadranten stationäre Kommunikationskanäle mit geringer Botschaftsinteraktivität zu finden. Kommunikationskanäle mit durchschnittlicher Botschaftsinteraktivität sind im mittleren Bereich zu finden, wobei auf der linken Seite mobile und auf der rechten Seite stationäre Kanäle abgetragen sind. Im oberen Bereich finden sich Kanäle mit extrem hoher und hoher Botschaftsinteraktivität. Rechtsseitig sind die mobilen und linksseitig die stationären Kanäle gekennzeichnet. 110
Botschaftsinteraktivität • Persönliches Telefonat • Call-Center mit Experten • Außendienst • SMS/MMS
Ausprägung mobil
Call-Center für Stan• dardtransaktionen
hoch • Eigene Filialen • Messestände • Outdoor Events
Fremde Filialen • (Absatzmittler) • Fax
stationär
• Brief • WAP • iMode
gering Abb. 4.14:
Übersicht über ausgewählte Kommunikationskanäle mit Botschaftsinteraktivität
4.2.6.1.
Kommunikationskanäle mit hoher Botschaftsinteraktivität
Auffällig ist, dass bei den Kommunikationskanälen mit einer hohen Botschaftsinteraktivität auch gleichzeitig die kostenintensivsten Kanäle vertreten sind. Ausgenommen sind SMS/ MMS, die für Anbieter kostengünstig, aber für Kunden im Vergleich kostenintensiv sind: (1) Persönliches Telefonat, (M-Commerce), (2) Call-Center mit Experten, (M-Commerce), (3) SMS/ MMS (M-Commerce), (4) Eigene Filiale, Franchising, (stationäre Offlinekanal), (5) Außendienst (mobile Offlinekanal), (6) Outdoor Events (eventbasierter Kanal) und (7) Messestände (eventbasierter Kanal). Im Bereich M-Commerce eignen sich die persönliche Telekommunikation und das CallCenter mit Experten nur bedingt als alleiniger Kommunikationskanal. Der Kanal SMS/ MMS ist zwar kostengünstig, aber nur für bestimmte Branchen geeignet. Um diesen Kanal effektiv zu betreiben, bietet sich eine Vielzahl von Ergänzungsmöglichkeiten mit anderen Kanälen an. Der Kanal eigene Filiale hat Nachteile, vor allem in der stationären Ausrichtung und bei be-
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schränkten Öffnungszeiten. Der Kanal Außendienst ist nur für bestimmte Branchen einsetzbar. Der Kanal Outdoor Events eignet sich nur für bestimmte Produkte/Dienstleistungen. Der Kanal Messestand hat nur eine beschränkte Reichweite bei relativ hohen Kontaktkosten und wird vor allem im B2B-Bereich eingesetzt. 4.2.6.2.
Kommunikationskanäle mit mittlerer Botschaftsinteraktivität
Bei den Kommunikationskanälen mit einer mittleren Botschaftsinteraktivität fällt auf, dass alle Kommunikationskanäle im Vergleich relativ günstig betrieben werden können: (1) Call-Center für Standardtransaktionen (M-Commerce), (2) Fax (stationärer Offlinekanal) und (3) Fremde Filialen (stationärer Offlinekanal). Das Call-Center für Standardtransaktionen ist günstiger als eines mit Experten, aber nur für standardisierbare Vorgänge einsetzbar. Das Fax ist ein kostengünstiger, etwas schnellerer Kanal als der Brief mit dem Merkmal Rechtssicherheit, der in neuerer Form auch eine Weiterleitung in das Kommunikationssystem eines Unternehmens erlaubt. Nachteilig sind die eingeschränkten Darstellungsmöglichkeiten und die Erfassung eines eingeschränkten Produktspektrums. Fremde Filialen (Absatzmittler) sind ein relativ kostengünstiger Kommunikationskanal jedoch mit eingeschränkten Möglichkeiten der direkten Kommunikation für Hersteller. 4.2.6.3.
Kommunikationskanäle mit geringer Botschaftsinteraktivität
Die Kommunikationskanäle mit geringer Botschaftsinteraktivität sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nur bedingt für alle Branchen und das gesamte Produktspektrum eignen: (1) WAP (M-Commerce), (2) iMode (M-Commerce) und (3) Brief (stationärer Offlinekanal). Der Brief ist ein kostengünstiger, aber langsamer Kommunikationskanal; hier sticht die Rechtssicherheit. Auch ist er in allen Phasen des Kommunikationsprozesses einsetzbar. Der Brief muss durch andere Kommunikationskanäle unterstützt werden und ist im Vergleich rel. teuer. Die Telekommunikationskanäle WAP und iMode sind zwar für die Content-Anbieter rel. günstig, jedoch ist die Nutzung für die Kunden kostenintensiv. Nachteile sind in der segmentbezogenen Kommunikation zu sehen, die keine Massenkommunikation hinsichtlich der Bekanntmachung neuer Produkte erlaubt. Eine strategische Kombination mit anderen Kanälen hätte hier viele Vorteile für Kunden und Unternehmen.
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Box 4.2. Kamele im All – Zickzackkurs: Camel-Zigarette wechselt erneut die Werbung „Das Kamel soll es mal wieder richten. Eine Galaxis in Form eines Dromedars leuchtet vom Nachthimmel. Doch was auf dem Plakat glitzert, ist keine fliegende Untertasse, sondern die neue Werbekampagne für die Zigarettenmarke Camel. Sie soll schaffen, was der Vorgängerwerbung misslang: den dümpelnden Marktanteil zu erhöhen. Zeitgleich ließen Steuer, und Preiserhöhungen den Markt 2004 um knapp 15% einbrechen, der Druck auf Camel in Deutschland wuchs. Und so musste die alte Werbekampagne („Slow down. Pleasure up“) weichen. Seit Mittwoch ersetzen die fliegenden Kamele in den Sternen die entspannt rauchenden Yuppies der zweijährigen Vorgängerkampagne. Doch Fachleute zweifeln, ob der endlose Zickzackkurs der Werbekampagnen mehr Absatz bringt. Anfang der 90er Jahre wurde der legendäre Camel-Mann von Comic-Kamelen vertrieben. Später warb Camel mit Abenteuerspots für die Zigatette.1996 änderte sich die Werbung erneut komplett: Plüschige Dromedare verschreckten endgültig alle, die sich nach einem coolen Image sehnten. Für den seit Juli amtierenden Marketingleiter sind dies keine Stilbrüche: „Wir knüpfen an die Kernwerte der Marke wie Ursprünglichkeit und Genuss an“. Grey-Manager Bernd Michael hält das für Humbug. Der Markenexperte vermisst Kontinuität: Konsumenten werden durch permanenten Wechsel in der Werbung verunsichert“ sagt er.“ Quelle: o.V.o.J. [2004].
4.3.
Ausgewählte Kommunikationskanäle mit Botschaftspassivität
Die Kanäle mit Botschaftspassivität lassen sich aufteilen in eine Gruppe mit totaler und eine Gruppe mit automatisierter Botschaftspassivität. Bei der ersten Gruppe ist keinerlei Interaktivität möglich. Bei der zweiten Gruppe ist zwar Interaktivität über denselben Kanal ohne Medienbruch möglich, diese ist jedoch auf eine einzige automatisierte und standardisierte Transaktion beschränkt. Insofern liegt hier keine Interaktivität im eigentlichen Sinne vor. 4.3.1.
TV, Kino, Einkaufsfernsehen
Als Fernsehen wird allgemein der passive Konsum von Filmen oder Bildern verstanden. Fernsehen ist ein Massenkommunikationskanal, der zu 90% in deutschen Haushalten vorhanden ist. Gemäß ARD Marktforschung wird in der Gruppe der über 14-jährigen in Deutschland im Durchschnitt 203 Minuten täglich ferngesehen. Das Fernsehen stellt damit für Kunden allgemein den wichtigsten Informationskanal dar. Das ist auch den Unternehmen bekannt, daher 113
wird dieser Kanal von vielen favorisiert. Das Kino hat hingegen eine beschränkte Reichweite bei relativ hohen Kontaktkosten; es muss durch andere Kanäle ergänzt werden. Die Vorteile des Fernsehens liegen vor allem im hohen Verbreitungsgrad und der einfachen Nutzung. Auch ist durch die erprobte Beobachtungsmöglichkeit mittels GFK-Fernsehmonitoring eine relativ genaue Erkenntnis bzgl. der Sehgewohnheiten bestimmter Gruppen möglich. Eine Zielgruppensegmentierung ermöglicht daher auch die gezielte Werbung. Der Hauptnachteil des Fernsehens ist die fehlende Interaktionsfähigkeit. Zur Kontaktaufnahme und Beratung wird ein weiterer Kanal benötigt. Als weiterer großer Nachteil erweist sich, dass Fernsehen trotz Segmentierungsmöglichkeiten ein unpersönlicher Kommunikationskanal ist, da er auf anonyme Massenkommunikation ausgerichtet ist. Eine direkte, personalisierte Kommunikation mit dem Kunden ist nicht möglich. Der Kanal Fernsehen in Reinform unterstützt nur die Informations- und nicht die Transaktions- und Servicephase. Um die Nachteile der fehlenden Interaktionsfähigkeit abzumildern, setzen viele Sender zusätzliche Kommunikationskanäle ein und betreiben ein Internet-Portal mit Interaktionsmöglichkeiten. Auch können die Zuschauer über einen weiteren Kommunikationskanal Bücher erwerben, z.B. von beliebten Serien.
Abb. 4.15:
114
Ein gutes Beispiel für das Internetportal eines Fernsehsenders vom ZDF
Box 4.3. Tabakwerbung in Deutschland • „§ 22 Absatz 1 LMBG • Verbot von Werbung für Tabakerzeugnisse in Hörfunk und Fernsehen. • § 22 Abs. 2 LMBG • Inhaltliche Beschränkung der Tabakwerbung in anderen Medien: • Verbot von Anzeigen, Aufmachung oder Darstellungen, die dem Konsumenten eine Steigerung von Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden vorgeben. • Keine Ausgestaltungen, die dazu geeignet sind, Jugendliche zum rauchen zu veranlassen • Seit 1980 Übereinkunft der deutschen Tabakindustrie über Angaben zu Kondensat- und Nikotingehalt auf Zigarettenpackungen und in der Werbung • Seit 30.09.2003 müssen Zigarettenpackungen Warnhinweise zur Gesundheitsgefahr des Rauchens tragen (30% Vorderseite 40% Rückseite [mindestens]).“
Beim z.Zt. in Deutschland verfügbaren Einkaufsfernsehen, wie beispielsweise Home Shopping Europa, werden in einer Art Show die Vorteile von Produkten/ Dienstleistungen vorgeführt und während der Sendung Telefonnummern eingeblendet, über die die Produkte gekauft werden können. Die Vorteile des Einkaufsfernsehens liegen in der Visualisierung und in der umfassenden Präsentation von Produkten. Ein weiterer Vorteil ist die große Reichweite des Fernsehens verbunden mit der leichten Bedienung für Kunden. In der Informationsphase können so Bedarfe geweckt werden. Der Hauptnachteil des Einkaufsfernsehens ist in der mangelnden Interaktivität und geringen individuellen Beratung zu sehen. Ein weiterer Nachteil ist die Notwendigkeit zur Nutzung eines weiteren Kanals (Telefon), was für Kunden einen Medienbruch darstellt. Die Produktion der Produktshow ist sehr teuer und auch die Ausstrahlung im Fernsehen ist mit hohen Kosten verbunden. Die Botschaftspassivität des Kommunikationskanals Fernsehen und Einkaufsfernsehen in Reinform ist durch fehlende Interaktionsmöglichkeiten als total einzustufen. Das gleiche gilt auch für den Kommunikationskanal Kino. Sowohl Fernsehen als auch Einkaufsfernsehen 115
eignen sich nicht als alleiniger Kommunikationskanal. Die Investitionskosten für Fernseh-, und Kinospots sind im Vergleich hoch; auch die Kosten des laufenden Betriebs für Schaltzeiten in Fernsehsendungen sind hoch. 4.3.2.
Hörfunk
Der Kommunikationskanal Hörfunk weist Ähnlichkeiten mit dem Fernsehen auf. Auch hier handelt es sich um ein Massenkommunikations-Medium. Im Gegensatz zum Fernsehen wird jedoch ohne jede Visualisierung, ausschließlich akustisch kommuniziert. Das Radio hat auch eine ähnlich hohe Durchdringung wie das Fernsehen. Laut ARD-Marktforschung besitzen 98% der Deutschen ein Radio. Das Radio ist ein sehr flüchtiges Medium, der akustische Widererkennungswert von Werbung ist nicht so hoch wie bei der Visualisierung durch das Fernsehen. Auch die Vor- und Nachteile sind mit denen des Fernsehens vergleichbar.
Abb. 4.16:
Ein gutes Beispiel für das Internetportal eines Radiosenders von Radio Hamburg
Ebenso wie viele Fernsehsender sind auch bei den meisten Radiosendern bereits mehrere Kommunikationskanäle im Einsatz. So wird auch hier versucht, die fehlende Interaktionsfähigkeit durch Internetportale mit Interaktionsmöglichkeiten auszugleichen. Die Botschaftspassivität des Hörfunks in Reinform gleicht der des Fernsehens und ist daher als total einzustufen. Der Grund liegt darin, dass es auch bei diesem Kommunikations116
kanal für Kunden kaum möglich ist, eine interaktive Kommunikation über denselben Kanal ohne Medienbruch durchzuführen. Die Investitionskosten für Werbeeinblendungen bei Radiosendern liegen im mittleren Bereich. Im mittleren Bereich liegen auch die Kosten bei Werbeschaltungen im laufenden Betrieb. 4.3.3.
Print-Kommunikationskanäle (White Post)
4.3.3.1.
Zeitschriften, Zeitungen
Zeitschriften und Zeitungen gehören ebenfalls zu den Massenkommunikations-Medien. Sie gehören neben dem Fernsehen zu den beliebtesten Informationskanälen in Deutschland. Das liegt an der hohen Verbreitung, der Seriosität und der einfachen Handhabung. Während Zeitungen täglich erscheinen, haben Zeitschriften z.T. wöchentliche bzw. monatliche Erscheinungstermine. Print-Kommunikationskanäle beinhalten in Reinkultur keine Interaktionsfähigkeiten; daher sind die Vor- und Nachteile mit denen des Fernsehens und des Hörfunks vergleichbar. Um die Nachteile der nichtvorhandenen Interaktionsfähigkeit abzumildern, sind auch Verlage zunehmend dazu übergegangen, weitere Kommunikationskanäle einzusetzen. So nutzen viele Zeitschriften ein Internetportal mit Interaktionsmöglichkeiten.
Abb. 4.17:
Ein gutes Beispiel für das Internetportal einer Zeitschrift von bravo.de
117
Bei Tageszeitungen in Reinform ist die Botschaftspassivität als total zu beurteilen. Informationen und Angebote werden zwar täglich zu relativ günstigen Preisen aktualisiert, es existiert aber keine Rückkanalfähigkeit über denselben Kanal. Der Kommunikationskanal kann lediglich die Informations- und Akquisitionsphase unterstützen. Die Verlage von Tageszeitungen versuchen, durch die Kombination von Kommunikationskanälen mit einem Internetportal, die Interaktionsfähigkeiten zu verbessern. Die Investitionskosten für Inserate sind rel. hoch, auch die laufenden Schaltungen von Anzeigen sind kostspielig.
Abb. 4.18:
Ein gutes Beispiel für das Internetportal einer Tageszeitung von mopo.de
4.3.3.2.
Kataloge, Hauswurfsendungen
Der Kommunikationskanal Katalog hat schon seit den 50er Jahren in Deutschland einen sehr starken Aufschwung erlebt. Über Kataloge werden sowohl Gemischtwaren- als auch Fachund Spezialwaren zumeist über Groß- oder auch Spezialversender angeboten. Neben dem schriftlichen Weg (Katalog) beschäftigt der Versandhandel auch Vertreter im Nebenberuf und Sammelbesteller. Damit soll der größte Nachteil des Versandhandels, die fehlende Interaktionsmöglichkeit und Personalisierung abgemildert werden. Die Papierform des Katalogs ist allerdings auf dem Rückzug, seit Versandhändler zunehmend internetbasierte Kommunikation
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über E-Commerce forcieren. Die Vorteile des Kataloges in Papierform sind vor allem in der Preiswürdigkeit und Bequemlichkeit des Kaufes für Kunden zu sehen. Nachteile liegen in den hohen Kosten der Produktion eines Kataloges und den beschränkten Darstellungsmöglichkeiten (kein 3-D), was ihn für viele Produkte ungeeignet macht.
Abb. 4.19:
Ein gutes Beispiel für einen Katalog von otto.de
Der Kommunikationskanal Hauswurfsendungen hat mittlerweile zu einer Reaktanz bei vielen Kunden geführt. An immer mehr Briefkästen kleben Aufkleber, die sich gegen den ungebetenen Einwurf von Hauswurfsendungen richten. Die Flyer sind einfach zu handhaben und kommen unangefordert entweder manuell oder als Einlage in Zeitungen per Post in den Briefkasten. Sie werden als Massenkommunikationsmittel undifferenziert von vielen Branchen eingesetzt und dienen ausschließlich der Akquisitions- und Informationsphase.
Abb. 4.20:
Beispiel für eine Hauswurfsendung von der Firma Medion
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Die Botschaftspassivität von Katalogen in Papierform ist mit der des Printbereiches gleichzusetzen und durch fehlende Interaktionsmöglichkeiten als total einzustufen. Desgleichen gilt auch für Hauswurfsendungen. Die Investitionskosten beim Katalog sind hoch, auch die laufenden Kosten des Versandes sind hoch. Die Investitions- und laufenden Kosten bei Hauswurfsendungen sind dagegen gering. 4.3.4.
Plakate und Aufschriften an Fahrzeugen
Das Plakat und die Aufschriften an Fahrzeugen gehören zu den Massenkommunikationsmedien im öffentlichen Raum. Plakate stellen dabei einen stationären Kanal dar, während Aufschriften an Fahrzeugen einen mobilen Kanal verkörpern. Die Vorteile von Plakaten und Aufschriften an Fahrzeugen liegen in der hohen Kreativität der Gestaltungsmöglichkeiten und den im Vergleich zu anderen Kanälen relativ günstigen Kosten. Die Nachteile liegen in den beschränkten Möglichkeiten, bestimmte Produkteigenschaften darzustellen (keine Dreidimensionalität etc.); zudem ist die Flexibilität des Einsatzes nicht sehr hoch. Plakate hängen im Allgemeinen mindestens einige Tage. Hierbei lässt die Reichweite des Kommunikationskanales zu wünschen übrig. Plakate/ Aufschriften an Fahrzeugen eignen sich nur für die Informations- und Akquisitionsphase. Sie benötigen weitere Kanäle als Flankierung.
Abb. 4.21:
Beispiel für ein Plakat an einer Haltestelle
Die Botschaftsinteraktivität ist für beide Kanäle aufgrund der nicht vorhandenen Rückkanalfähigkeit über denselben Kanal und der fehlenden Personalisierungsmöglichkeiten als
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total einzustufen. Die Investitionskosten liegen im Vergleich mit anderen Kanälen im mittleren Bereich, ebenso die Kosten für den laufenden Betrieb. 4.3.5.
Stationäre Automatensysteme
4.3.5.1.
Einfache und multifunktionale Automatensysteme
Automaten sollen den großen Nachteil stationärer Filialen, den Verkauf in definierten Öffnungszeiten, verringern. Der Hauptzweck der ersten Automaten war es, einen 24 StundenService durch die Abwicklung von Standardtransaktionen zu ermöglichen. Einfache Automaten sind z.B. Zigaretten-, Süßwaren-, Fahrkartenautomaten, sie sind für Massentransaktionen gedacht. Diese Automaten können nur eine einzige Transaktion durchführen, beispielsweise einen Fahrkartenkauf. Sie haben den Zweck, Kommunikationskosten zu senken. Als Vorteile gelten die einfache Bedienung, hohe Akzeptanz, schnelle Abwicklung, geringe Wartungskosten und ständige Erreichbarkeit für die Kunden. Die Nachteile einfacher Automaten liegen im eingeschränkten Produktspektrum, das sich für einen massenhaften Verkauf eignen muss. Weitere Nachteile liegen darin, dass es sich um Insellösungen handelt, die keinerlei Anbindung an das Kommunikationsnetz eines Unternehmens haben. Nachteilig wirkt auch, dass sie keine kundenspezifische Sicht erlauben und total starr sind im Transaktionsprozess.
Abb. 4.22:
Beispiel für ein einfaches Automatensystem: der Zigarettenautomat der Firma Sielaff
121
Mulifunktionale Automatensysteme ermöglichen Transaktionsvarianten. Die Transaktionsform muss von vielen Kunden nachgefragt werden und standardisierbar sein. So kann der Kunde beispielsweise bei einem Geldautomaten sich auch seinen Kontostand anzeigen lassen. Auch ist es etwa bei den Kundenterminals der Deutschen Bank möglich, neben den Kontoauszügen ebenso Überweisungen und Daueraufträge elektronisch abzuwickeln. Zudem sind Geldautomaten vorhanden, bei denen der Kunde Geld auf sein Konto einzahlen kann. Die Vorteile liegen neben der jederzeitigen Erreichbarkeit in einer etwas breiteren Spanne des Transaktionsprozesses. Dadurch wird zumindest ein anderer Kommunikationskanal entlastet. Die Anbindung an die Kommunikationskanäle des Unternehmens ermöglicht eine höhere Effizienz der Transaktionen. Nachteile sind in der oft fehlenden Akzeptanz und Skepsis der Kunden zu sehen. Auch eine komplizierte Bedienung bzw. schlechte Personalisierungsmöglichkeit wirken nachteilig. Bei einfachen wie auch multifunktionaler Automatensysteme liegt eine automatisierte Botschaftspassivität vor. Verantwortlich dafür ist die Tatsache, dass sich die Interaktivitätsmöglichkeit nur auf eine standardisierte Transaktion bezieht. Eine personalisierte Kommunikation ist nicht möglich. Die Investitionskosten sind hoch, die laufenden Kosten niedrig. 4.3.5.2.
Integrierte Automatensysteme für Standardtransaktionen
Von integrierten Automatensystemen wird gesprochen, wenn 1. Verbindungen mit anderen Kanalsystemen vorhanden sind und somit kanalübergreifende Transaktionen möglich werden. 2. Der Automat fähig ist, auf Änderungen beim Kundenverhalten zu reagieren und seine Transaktionen daraufhin anzupassen. Als Beispiel dafür können Ticket-Automaten von Luftfahrtgesellschaften bzw. der Bahn dienen. Der Kunde kann sein Ticket zeit- und ortsunabhängig im Internet kaufen und wählen, ob er das Ticket per Post zugesandt haben möchte oder ob es seiner Kundennummer (Kundenkarte) zugeordnet werden soll (z.B. bei Geschäftskunden, Vielfliegern). Im zweiten Fall hat er die Möglichkeit, sich über den Automaten am Flughafen seine Boarding-Karte auszudrucken. Die in dieser Automatentechnologie führende Firma Lufthansa ermöglicht Kunden noch eine Veränderung der Buchung am Automaten im Flughafen (in einen früheren oder späteren Flug) bzw. auch die Sitzplatzauswahl. Der Kunde hat den Vorteil, am Flughafen nicht zu lange warten zu müssen und das Unternehmen verringert Kommunikationskosten und spart den Postversand. Diese integrierten, interaktiven Automatensysteme arbeiten mit einer intelligenten Software, die die Buchungen mehrerer Kommunikationskanäle (Reisebüros etc.) abgleicht, das Kundenverhalten in Ansätzen analysiert und daraufhin Vorschläge macht, z.B. ei122
Box 4.4. Crossmediale Kompetenz ist gefragt „Die crossmediale Kompetenz der Unternehmen besteht darin, die Dialogmarketinginstrumente so zu kombinieren, dass der Kunde an verschiedenen Orten zum gewünschten Zeitpunkt die maßgeschneiderte Unternehmens- Produkt- oder Markenbotschaft erhält – ob am PC, am Telefon, in der Zeitung, im Briefkasten oder im Fernsehen, oder ob zu Hause, am Arbeitsplatz oder unterwegs. Die Unternehmen sind jetzt gefordert, die für sie richtige crossmediale Strategie zu entwickeln und entsprechend ihren Kunden und Unternehmenserfordernissen umzusetzen. Doch muss der Ansatz des crossmedialen Dialogs erst verinnerlicht werden, seine Chancen und Herausforderung erkannt und die Umsetzung in der Praxis beherrscht werden. […] Zu den populärsten und einschneidendsten Entwicklungen in der Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden gehören ohne jeden Zweifel das Internet und der Mobilfunk. Die Herausforderung der neuen Kommunikationskanäle ist ebenso gewaltig wie ihre Chancen. Ausgelöst vom schwindelerregenden technologischen Fortschritt haben sich diese neuen Wege der Kommunikation innerhalb weniger Jahre zu Massenmedien entwickelt.“ […] Quelle: Kracke [2001], S. 8 und S.11
nen Sitzplatzvorschlag in der Nichtraucherzone/ -abteil etc. Derartige Automaten stellen eine Medienverbindung zur Internetwelt dar. Die Vorteile liegen für die Unternehmen in Informationen, die über das Kundenverhalten gewonnen und die dann zu personalisierten Vorschlägen für eine Transaktion genutzt werden können. Das führt zu erhöhter Kundenzufriedenheit und Effizienzgewinnen. Vorteile für den Kunden sind eine vereinfachte Transaktion und besserer Service. Beispielsweise könnte im Fall einer Zusammenarbeit auch ein Mietwagen bzw. ein Transfer am Zielort mit angeboten werden. Als Nachteile wirken das eingeschränkte Produkt-/ Dienstleistungsspektrum, für die sich diese Automatensysteme eignen und die Beschränktheit der Abwicklung auf einen speziellen Prozess sowie die schlechte Anpassbarkeit. Nachteilig wirken auch der sehr hohe technische und organisatorische Aufwand, sowie die enormen Kosten für den Aufbau eines derartigen Automatensystems, die sich leicht im Rahmen eines mehrstelligen Millionenbetrages bewegen können.
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Abb. 4.23:
Das Buchungssystem der Firma Lufthansa: ein gutes Beispiel für integrierte Automatensysteme
Die Botschaftspassivität dieses Kommunikationskanals ist als automatisiert zu bewerten. Interaktivität ist zwar gegeben, beschränkt sich aber auf einen einzigen standardisierten Transaktionsprozess. Beratungen, Problembehebung kann nicht über denselben Kanal vorgenommen werden. Hinsichtlich des automatisierten Prozesses ist allerdings auch eine „quasi“ Personalisierung möglich. Die Investitionskosten sind sehr hoch, die laufenden Kosten sind eher gering, wenn die Funktionsfähigkeit des Automaten stabil ist. 4.3.5.3.
Point of Sales (POS)-Terminals
Der Kommunikationskanal Point of Sales Terminal wird zumeist über einfache oder multifunktionale Automatensysteme abgedeckt. Im Gegensatz zu anderen Automatensystemen liegt seine Aufgabe in einer Erhöhung des Services im Verkaufsbereich oder in der Verbreiterung des Angebotes der Filiale und damit in der Verkaufsförderung. Transaktionen/ Dienst-
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leistungen werden also nicht immer ersetzt, sondern ergänzt durch Cross Selling-Angebote und weitere Möglichkeiten. Beispielsweise hat die Firma Foto Porst einen Automaten, der es den Kunden mit Digitalkameras ermöglicht, von ihrer CD die zu entwickelnden Aufnahmen selbst auszuwählen. Sie können sich dazu, nachdem sie die CD in eine Vorrichtung eingelegt haben, jede einzelne der Aufnahmen über einen Bildschirm anschauen, zoomen und auswählen. Einfachste Bedienungsmöglichkeiten über einen Touchscreen ermöglicht es, die Aufnahmen auszuwählen und Anzahl sowie Format zu bestimmen in dem sie entwickelt werden sollen. Ein weiteres Beispiel wäre auch der CD-Verkauf in einem Friseurladen. Neben diesen transaktionsbezogenen werden auch transaktionsfreie Automaten eingesetzt. So findet in vielen Filialen Radio bzw. Fernsehen als Werbemedium Einsatz. Die Kunden sollen auf diese Weise auf Sonderangebote bzw. neue Produkte aufmerksam gemacht werden. Point of Sales Terminals eignen sich sowohl für die Informations- und Akquisitionsphase als auch für eine standardisierte Transaktion. Die Vorteile sind in der Ergänzung des Angebotes der Filiale und damit in der Chance zur Erhöhung des Cross Selling-Verkaufes zu sehen. Ein weiterer Vorteil liegt im Imagegewinn der Filiale und den geringen Transaktionskosten für Zusatzdienste. Als Nachteil wirken der Wartungs- und Serviceaufwand und die oft fehlende Akzeptanz bei den Kunden. Die Botschaftspassivität des POS-Terminals ist als automatisiert zu bewerten, da eine Interaktion oder Personalisierung nicht möglich sind. Point of Sales Terminals müssen durch andere Kommunikationskanäle flankiert werden. Die Investitionskosten sind im Vergleich relativ hoch, die laufenden Kosten des Betriebes sind niedrig. 4.3.5.4.
Point of Information (POI)-Systeme
Der Kommunikationskanal Point of Information-Systeme ist für transaktionsfreie Prozesse konzipiert. Die Automatensysteme werden zur Informationsbereitstellung für Kunden in dem Umfeld aufgestellt, wo sie benötigt werden. Beispielsweise Informationsterminals am Flughafen, auf Bahnhöfen, an touristischen Brennpunkten oder im öffentlichen Nahverkehr. Die Bereitstellung der Informationen kann unterschiedlich sein, so z.B. über digitale Medien, Fernsehspots oder in Printform etc. POI-Systeme beziehen sich auf spezielle oder allgemeine Informationen und eignen sich nur für die Informations- und Akquisitionsphase. Die Vorteile des Kommunikationskanals POI ist die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit der Informationen, die Kurzfristigkeit und Einfachheit, in der der Kunde sie aufnehmen kann. Ein weiterer Vorteil sind die geringen Kosten. Nachteilig wirkt die fehlende Interaktivität.
125
Die Botschaftspassivität des Kommunikationskanals POI ist als total zu bewerten. Der Grund hierfür liegt im Fehlen von Interaktivitäts- und Personalisierungsmöglichkeiten. POISysteme müssen durch andere Kanäle flankiert werden. Die Investitionskosten für POI sind hoch, die Kosten des laufenden Betriebes sind gering. 4.3.6.
Zusammenfassende Bewertung für Kommunikationskanäle mit Botschaftspassivität
In der Abbildung 2.38. werden für Kanäle mit passiver Kommunikation die zuvor im Einzelnen ermittelten Relationen zur Botschaftspassivität zusammenfassend dargestellt. Dabei wird jeweils zwischen einer totalen und automatisierten Ausprägung unterschieden. Botschaftspassivität total • Fernsehen, • Hörfunk • Zeitungen • Aufschriften an Fahrzeugen
Kino Einkaufs- Zeitschriften Kataloge, • fernsehen Hauswurfsendungen • Plakate • Point of Information
Ausprägung mobil
stationär
• Integrierte, interaktive Automatensysteme • Product Placement • Point of Sale Terminal • Einfache, multifunktionale Automatensysteme
automatisiert Abb. 4.24:
Übersicht über ausgewählte Kommunikationskanäle mit Botschaftspassivität
In der Abbildung 4.24 sind im unteren rechten Quadranten Kommunikationskanäle mit automatisierter Botschaftspassivität und stationärer Ausrichtung eingetragen. Im linken oberen Quadranten befindet sich der einzige Kanal mit totaler Botschaftspassivität, der eine mobile Ausrichtung hat. Im oberen rechten Quadranten sind Kommunikationskanäle eingetragen, die eine totale Botschaftspassivität bei stationärer Ausrichtung aufweisen. Ein Merkmal weisen
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alle Kanäle auf, sie benötigen die Unterstützung durch die Multi-Channel-Strategie, da sie als alleinige Kommunikationskanäle nicht geeignet sind. Im oberen rechten Quadranten finden sich Kommunikationskanäle, die charakterisiert sind durch eine totale Botschaftspassivität. Es sind die Kommunikationskanäle: (1) Fernsehen, Kino, Einkaufsfernsehen, (2) Hörfunk, (3) Zeitungen, (4) Zeitschriften, Kataloge, Hauswurfsendungen, (5) Plakate und (6) Point of Information-Systeme. Auffällig ist, dass es sich bei den Kanälen (1) bis (5), um Massenkommunikationskanäle handelt, die durch einem hohen Verbreitungsgrad, verbunden mit einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung, gekennzeichnet sind. Auch zeichnen sich, bis auf den Hörfunk, alle Kanäle durch im Verhältnis relativ hohe Investitionskosten aus. Während Fernsehen, Kino und Einkaufsfernsehen und Plakate durch hohe Visualisierung und Kreativität charakterisiert sind, wird bei Hörfunk auf Visualisierung verzichtet. Beim Fernsehen und Hörfunk existieren gute Möglichkeiten der Beobachtung des Seh-/ Hörverhaltens, so dass eine Segmentierungsmöglichkeit in der Kundenansprache möglich ist. Hingegen existieren kaum Möglichkeiten der Messung bei Plakaten. Alle Kanäle sind nur in der Informations- und Akquisitionsphase einsetzbar. Im oberen linken Quadranten findet sich der einzige Kanal mit totaler Botschaftspassivität in mobiler Ausprägung. (1) Aufschriften an Fahrzeugen. Er ist gekennzeichnet durch eine hohe Kreativität und im Vergleich hohen Investitionskosten. Es bestehen jedoch keine Möglichkeiten zur Messung der Rezipientenaufmerksamkeit. Im rechten unteren Quadranten befinden sich Automatensysteme, die durch eine automatisierte Botschaftspassivität gekennzeichnet sind. (1) einfache, multifunktionale Automatensysteme, (2) integrierte, interaktive Automatensysteme und (3) Point of Sale Terminal.
127
Automatisierte Botschaftspassivität bezeichnet die Tatsache, dass die Automaten zwar eine Art Interaktion über denselben Kanal ohne Medienbruch ermöglichen, diese jedoch auf eine einzige automatisierte und standardisierte Transaktion beschränkt ist. Interaktion im eigentlichen Sinne ist somit nicht gegeben. Bei den Kanälen (1) und (3) handelt sich um Automatensysteme, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie sich auf Massenkommunikation beziehen. Die Investitionskosten sind im Vergleich hoch, der laufende Betrieb ist relativ günstig. Die Akzeptanz und der Durchdringungsgrad in der Bevölkerung sind bei diesen Kanälen hoch. Bei den integrierten, interaktiven Automatensystemen kann in einem standardisierten Umfang Kundenverhalten analysiert werden, um Vorschläge darauf abzustimmen. Die Investitionskosten sind hoch, die Kosten für den laufenden Betrieb sind gering. Die Automatensysteme sind nur für eine standardisierte Transaktion im Kundenkommunikationsprozess und nur für ausgewählte Produkte/ Dienstleistungen, einsetzbar. Spezielle multifunktionale Automatensysteme sind in Deutschland erst auf dem Vormarsch. 4.4.
Implikationen für die Kombination von Kanälen mit unterschiedlicher Botschaftsinteraktivität
Die Vor- und Nachteile der ausgewählten Offline-Kommunikationskanäle in ihrer Kategorisierung mit Botschaftsinteraktivität und -passivität wurden zuvor im Einzelnen vorgestellt. Daraus ergibt sich, dass viele Kanäle einerseits zwar eine hohe Botschaftsinteraktivität aufweisen, aber durch andere Kanäle flankiert werden müssen. Andererseits sind geeignete Kommunikationskanäle mit starken Nachteilen behaftet, die es den Unternehmen zunehmend schwerer machen, kaufkräftige Kundengruppen mit diesen Kanälen zu erreichen und zu binden. Die strategische Kombination von Kanälen mit unterschiedlicher Botschaftsinteraktivität und -passivität in einer Multi-Channel-Strategie scheint ein probater Ausweg zu sein. Es ist anzunehmen, dass Unternehmen in der Praxis mehrheitlich immer noch das „Standardangebot“ der drei Kanäle vorhalten: eigene Filiale (Ladengeschäft), Brief und Fax. Diese „Standardstrategie“ birgt allerdings etliche Nachteile und Gefahren. So eignet sich das Ladengeschäft mit einer extrem hohen Botschaftsinteraktivität zwar als alleiniger Kommunikationskanal, ist aber mit dem schwerwiegenden Nachteil der beschränkten Öffnungszeiten und der Unbequemlichkeit für Kunden verbunden, sich zum Laden zu bewegen und dafür (erhebliche) Zeit aufzuwenden. Diese Nachteile können die zusätzlichen Kommunikationskanäle Brief und Fax nur teilweise ausgleichen. Zwar scheinen Sie beim ersten Hinsehen Unabhängigkeit von den Öffnungszeiten zu versprechen, es ist aber bekannt, dass Briefe/ Faxe nur während der Öffnungszeiten bearbeitet werden und daher keine Unabhängigkeit bedeuten. Es ist zudem ein Zeitverlust durch die langen Zustellzeiten des Briefes zu erwarten. Das Fax ist kein Massenkommunikationsmittel (die meisten Privatkunden besitzen kein Faxgerät) und es eignet sich nur für Standardtransaktionen. Es scheidet daher hinsichtlich einer schnelleren
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personalisierten Kommunikation aus. Der Brief ist ein relativ teurer und langsamer Kommunikationskanal. Mit diesem Kanal ist die Gefahr verbunden, dass vor allem jüngere kaufkräftige Kunden, denen es auf schnelle Antwortzeiten in Verbindung mit komfortablen Kaufmöglichkeiten ankommt, mit diesem Medium nicht mehr erreichbar sind und damit für das Unternehmen als Kunden verloren gehen. Daher ist die „Standardstrategie“ der drei Kanäle (POS, Brief, Fax) bei einem hybriden Kundenverhalten nicht mehr ausreichend. Durch Call-Center mit Experten oder E-Mail kann hingegen eine Verminderung der Interaktionsmöglichkeiten und der direkten Ansprache mit den Kunden verhindert und gleichzeitig die Flexibilität und Schnelligkeit im Antwortverhalten verbessert werden. Das Call-Center mit Experten, gehört ebenso wie der POS, zu den teuersten Kommunikationskanälen, so dass genaue strategische Analysen der Zielgruppen, der Kundenpräferenzen und des Kundennutzens sowie des Unternehmensnutzens hinsichtlich der Kanäle vonnöten sind. E-Mails sind relativ kostengünstig, eignen sich aber nur für ein eingeschränktes Produkt-/ Dienstleistungsspektrum, so dass auch hier genaue strategische Analysen notwendig sind. Zu prüfen ist auch, ob der Einbezug weiterer Kanäle, wie E-Shop, Web 2.0 etc., die insbesondere von jüngeren kaufkräftigen Gruppen bevorzugt werden, sinnvoll erscheint. Unternehmen der TV-Branche haben schon auf das veränderte Kommunikationsverhalten reagiert und halten mehrheitlich die für diese Branche übliche „Standardstrategie“ der vier Kanäle vor: TV, Zeitschriften/ Bücher, Call-Center für Standardtransaktionen, Portale mit Interaktionsmöglichkeiten. Fernsehen sowie Zeitschriften/ Bücher sind Kommunikationskanäle mit totaler Botschaftspassivität. Sie können nicht alle Phasen des Kommunikationsprozesses unterstützen und sind nicht als alleinige Kanäle geeignet. Sie benötigen daher den Einsatz weiterer Kommunikationskanäle, um die starken Nachteile aus dieser Ausrichtung abzumildern. Call-Center für Standardtransaktionen, die sich ebenfalls nur bedingt als alleinige Kommunikationskanäle eignen, können diese Nachteile mit ihrer mittleren Botschaftsinteraktivität nur bedingt ausgleichen. Sie werden bisher von Fernsehzuschauern mehrheitlich als Medienbruch empfunden, weshalb viele Transaktionen nicht zustande kommen. Als Massenkommunikationsmittel sind sie hingegen gut einsetzbar. Es scheint aber fraglich, ob die relativ hohen Kosten beim Call-Center für Standardtransaktionen sich angesichts veränderter Kundenpräferenzen und der Transaktionsraten langfristig rechtfertigen lassen. Es existieren bei den untersuchten Offline-Kanälen bereits Übergänge zur Internet-Welt z.B. durch die speziellen Handys iPhone, WAP, iMode, SMS. Diese Entwicklung resultiert aus dem Zusammenwachsen der Telekommunikations-, Internet-, Medien- und EntertainmentBranche (TIME). Aus der Entwicklung stellt sich für viele Unternehmen die Frage, wie mit diesen neuen Herausforderungen kundengerecht und wirtschaftlich umzugehen ist. Das Prob-
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lem wird umso schwerwiegender, da zu dieser Problematik bisher kaum wissenschaftliche Kenntnisse in den Wirtschaftswissenschaften bzw. der Medienwirtschaft vorliegen. Es sind vielfältige Kombinationsmöglichkeiten mit weiteren Channel, die dem Lifestile- Empfinden kaufkräftiger Zielgruppen entsprechen, z.B. Web 2.0-, M-Commerce etc., denkbar. Daher sind genaue strategische Analysen der Zielgruppenpräferenzen und des Kundennutzens im Verhältnis zum Unternehmensnutzen und der Investition durchzuführen. Ein weiteres Ergebnis besteht darin, dass viele bisher ganz selbstverständlich als alleinige Kommunikationskanäle genutzte Medien große Nachteile entweder hinsichtlich fehlender Botschaftsinteraktivität, der Eignung nur für bestimmte Branchen/ Produkte oder hinsichtlich fehlender Flexibilität und Interaktionsmöglichkeiten mit Kunden aufweisen. Auch können sie oft nicht alle Phasen des Kommunikationsprozesses unterstützen und tragen den Kommunikationsveränderungen kaufkräftiger Zielgruppen nicht genügend Rechnung. Aus diesen Tatsachen ergibt sich die Notwendigkeit zur Entwicklung einer Multi-Channel-Strategie, die den Unternehmen/Agenturen die Möglichkeiten eröffnet: die richtigen Kunden, mit dem richtigen Kommunikationskanal, zur richtigen Zeit, und der richtigen Organisation sowie den richtigen Kosten anzusprechen. Das erscheint umso wichtiger, als schon heute abzusehen ist, dass sich durch weitere Entwicklungen im Bereich der TIME-Branchen, die sich aufeinander zu bewegen, die Kommunikation mit Kunden auch zukünftig grundlegenden Veränderungen unterliegen wird. 4.5.
Resümee
Die Ausführungen haben gezeigt, dass bisherige Kategorisierungskriterien, wie personenbezogene und Massenkommunikation bzw. Kommunikation mit neuen Medien, sich für Kommunikationskanäle nicht eignen, da sie zu widersprüchlichen Aussagen führen. Aus diesem Grunde wurde das Kategorisierungskriterium „Botschaftsinteraktivität“ abgeleitet und die ausgewählten Kommunikationskanäle nach den Kategorien Botschaftsinteraktivität und Botschaftspassivität kategorisiert und bewertet. Zusätzlich wurden auch Kriterien entwickelt, die die Ausprägung der Botschaftsinteraktivität (hoch, mittel niedrig) ermöglichen. Eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der klassifizierten Kommunikationskanäle zeigen die Tabellen 4.1. und 4.2. Zunächst werden die Ergebnisse der Kanäle mit Botschaftsinteraktivität dargestellt.
130
Kommunikationskanäle mit Botschaftsinteraktivität Botschaftsinteraktivität hoch
mittel
Investitionskosten
laufende Kosten
(Im Vergleich zur Gruppe geschätzt)
(Im Vergleich zur Gruppe geschätzt)
nied- hoch rig
mittel
nied- hoch rig
mittel
niedrig
Telekommunikation Persönliches Gespräch
x
x
x
Call-Center mit Experten
x
x
x
Call-Center für Standardtransaktionen
x
x
x
Mobiltelefon WAP
x
x
x**
iMode
x
x
x**
UMTS *
-
-
-
IPhone *
-
-
-
Stationäre und mobile Kanäle Eigene Filiale
x
Fremde Filialen Außendienst/ freie Vertreter
x x
x x
x
x
x x
Schriftliche Kommunikation Brief
x
Fax
x
x
x
x
x
Eventbasierte Kanäle Outdoor Events
x
x
x
Messestände
x
x
x
Multifunktionale Kanäle Interaktives Fernsehen*
-
-
-
E-Home*
-
-
-
Tab. 4.1.:
Übersicht über Kanäle mit Botschaftsinteraktivität * Eine Bewertung ist aus Gründen der geringen Verbreitung nicht möglich ** geringe Kosten für Anbieter, hohe Kosten für Kunden.
131
Kommunikationskanäle mit Botschaftspassivität Botschaftspassivität automatisch TV, Kino fernsehen
Einkaufs-
total x
Hörfunk
Investitionskosten
laufende Kosten
(Im Vergleich zur Gruppe geschätzt)
(Im Vergleich zur Gruppe geschätzt)
hoch
mittel
nied- hoch rig
x
mittel
niedrig
x
x
x
x
Print-Kommunikationskanäle Zeitschriften, Zeitungen
x x
x x
x x
Kataloge, Hauswurfsendungen
x x
x
Plakate
x
x
Aufschriften an Fahrzeugen
x
x
x x
x x x
Stationäre Automatensysteme Einfache, multifunktionale
x
x
x
Integrierte, interaktive
x
x
x
POS-Terminals
x
POI-Systeme Tab. 4.2.:
x
x
x
x
x
Übersicht über ausgewählte Kanäle mit Botschaftspassivität
Die Ausführungen machen deutlich, dass die Kommunikationskanäle sich nicht nur im Grad der Botschaftsinteraktivität erheblich voneinander unterscheiden, sondern auch bei den Investitions- und laufenden Kosten durchaus unterschiedlich zu beurteilen sind. Viele der bisher nicht weiter hinterfragten Kombinationen, wie z.B. das in der Praxis sehr oft zu findende schon klassische „3-Kanal-Angbot“ POS, Telefon und Fax lassen sich unter diesen Voraussetzungen objektiver beurteilen. Die Übersicht zeigt, dass die vermeintlich günstigen Kanäle, wie Telefon und Fax die Botschaftsinteraktivität des POS insgesamt kaum erhöhen können, weil sie die Schwächen nicht ausgleichen. Dieses könnte zu dem rel. niedrigen Kostensatz von Telefon und Fax durch andere Kanäle wesentlich besser bewerkstelligt werden. Die Ausführungen zeigen auch, dass die Kommunikationskanäle mit Botschaftspassivität durchaus differenziert zu betrachten sind. Aus dem Kategorisierungskriterium ergibt sich, dass in dieser
132
Box 4.5. Multi-Channel-Marketing mit neuen Medien „Allein mit Print-, TV- und Online-Werbung wird es in Zukunft nicht getan sein. Neue Ausgabemedien ergänzen die Berieselung des Konsumenten mit Werbeinformationen. Ambient-Werbung versucht den Kunden auch da zu überraschen, wo er es am wenigsten erwartet oder wo bis zuletzt noch die letzten werbefreien Zonen waren. Golflöcher, Tankstellenzapfhähne und Toilettenwerbung sind Beispiele. Beim Adver-Phoning akzeptiert der Kunde die Werbung, um dafür billiger zu telefonieren. Der gesamte Home-Entertainment-Bereich wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, wenn mehr Endgeräte vernetzt und damit für externe Botschaften erreichbar ind. Denkbar sind beispielsweise werbefinanzierte Spielkonsolen, die kostenlos abgegeben werden. Der Homegear als Empfangsmedium kann ebenso eine Rolle spielen, wie Organizer, Smartphones, Watchphones etc. Vernetzte Haushaltsgeräte wie Mikrowellenöfen mit Web-Display oder Kühlschränke mit integriertem Warenwirtschaftssystem werden als Empfangsgeräte am „Point of Consumption“ in der Lage sein, Marketingbotschaften auszustrahlen. Attraktivität besitzen diese Geräte, weil sich damit Closed Loop Marketing realisieren lässt: Nicht nur die Responserate von Werbung lässt sich messen, sondern die Interaktivität vernetzter Endgeräte erlaubt gleich auch die echte Bestellung, so dass präzise der CPO (Cost per Order) von der Kampagne gemessen werden kann. Auch digitales Fernsehen wird hier in Zukunft eine Rolle spielen. Eventuell führt auch die zunehmende MedienKonvergenz zu völlig neuartigen Multifunktionsgeräten.“ Quelle: Kracke [2003], S.42
Gruppe die Interaktivität in Sinne von Rückkanalfähigkeit ohne Medienbruch für die Kunden nicht gegeben ist. Auch wenn bei einigen Kanälen eine automatisierte und standardisierte Transaktion möglich ist, so stellt diese doch keine Interaktion im eigentlichen Sinne dar. Daher erhalten die weiteren Kriterien der Investitions- und laufenden Kosten eine stärkere Wirkung. Es stellt sich heraus, dass eine Multi-Channel-Strategie für alle betrachteten Kanäle unverzichtbar ist. Die Tabellendarstellungen ermöglichen einen schnellen Überblick bei Kanalkombinationen ebenso wie bei der Kontrolle von Kriterien vorhandener Kombinationen. Zu betonen ist, dass Überlegungen zu Kombinationsmöglichkeiten von Kanälen mit unterschiedlicher Botschaftsinteraktivität immer auf den Prioritäten der relevanten Zielgruppen basieren, deren Ermittlung im Kapitel 7 beschrieben wird. 133
Box 4.6. Geheime Geschäfte bei der Fernsehwerbung „Bei der Werbung im Privatfernsehen für die Wirtschaft und Handel rund 4 Milliarden im Jahr ausgeben, kommt es nach Angaben der Axel Springer AG ständig zu geheimen Absprachen zu Lasten der Auftraggeber. Der Pressekonzern (Welt, Bild) hat dem Bundeskartellamt anlässlich des Antrags der Pro7 Media AG mitgeteilt, die großen Mediaagenturen, die das Geschäft mit der TV-Werbung dominierten, verlangten und bekämen von den Sendern „gesonderte Rabatte“. Diese Preisnachlässe „unterliegen strikter Geheimhaltung“. Die Mediaagenturen reichten solche nur selten an ihre Auftraggeber weiter. Das ist einer Stellungnahme von Springer für das Kartellamt zu entnehmen, die der Süddeutschen Zeitung auszugsweise vorliegt. Springer-Vorstandchef Mathias Döpfner will mit dem Vorstoß beweisen, dass die Auftraggeber der Spots aus Industrie und Wirtschaft nicht von einem Kartell der Medienkonzerne bedroht seinen. Sie befänden sich vielmehr in der Hand von sieben großen Mediaagenturen, über die mittlerweile mehr als 90% der TV-Werbung angewickelt werde. Diese Spezialagenturen werden von Autoherstellern, Mobilfunkkonzernen, Versicherungen und anderen Unternehmen beauftragt und handeln dann mit den Sendern Konditionen aus. Die Agenturen erhalten die übliche Provision und drängen bei den TV-Sendern von SAT 1 bis RTL auf hohe Rabatte für ihre Kunden. Das ist laut Springer der offizielle Teil des Geschäfts. Daneben gäbe es Nebenabsprachen zwischen den Sendern und den Agenturen, die „nicht im Beisein der Agenturkunden behandelt werden“. Die TV-Stationen müssten den Agenturen, um von ihnen Werbeaufträge zu erhalten, zusätzliche Rabatte gewähren. Das praktiziere auch Pro-7 –Sat1- Media AG. Die Details dieser Absprachen zwischen der Pro-7Sat-1-Media-Gruppe und den Mediaagenturen nannte Springer dem Kartellamt ebenfalls, deklarierte sie aber als Geschäftsgeheimnisse, die das Amt keinesfalls weitergeben oder veröffentlichen dürfe. Wie aus Kreisen der Beteiligten an diesem Kartellverfahren zu erfahren war, soll Springer die geheimen Sonderrabatte mit bis zu zehn Prozent des Bruttovolumens und mehr angegeben haben. Die OMW, die Organisation Werbung treibende im Markenverband, hegt seit langem den Verdacht, dass solche Nebengeschäfte an der Tagesordnung sind; nicht nur im TV, sondern auch bei der Presse. Der Zusammenschluss von Konzernen, wie Allianz, BMW, Deutsche Post, Krombacher und Tschibo hat bereits im Oktober 2004 einen Verhaltenskodex entwickelt und dem Kartellamt vorgelegt. Der Kodex besagt, die Mediaagenturen müssten „alle für ihre Kunden erzielbaren Vorteile wahrnehmen“ und sämtliche Vergünstigungen „transparent abrechnen“. Quelle: Ott [2005], S. 18
134
Kontrollfragen zum Kapitel 4: 1. Erklären Sie das Kategorisierungskriterium „Botschaftsinteraktivität“ für Kommunikationskanäle und führen Sie aus, was hinter den Ausprägungen „Interaktivität“ und „Passivität“ steht. 2. Welche zusätzlichen Kriterien werden zur Beurteilung der Ausprägung der Botschaftsinteraktivität bzw. -Passivität bei mehreren Kanälen in einer Gruppe herangezogen? 3. Erklären Sie die Botschaftsinteraktivität von Ausprägungen der stationären Kanäle (POS, Fremde Filiale, Außendienst/ freie Vertreter). 4. Wie sind diese hinsichtlich der Eignung als alleiniger Kanal und bezüglich der Kosten (Investitions- und laufende Kosten) zu beurteilen? 5. Wie sind Botschaftsinteraktivität und Kosten von fremden Filialen (Ansatzmittler) einzuschätzen und wo sind die größten Nachteile? 6. Wie ist die Botschaftsinteraktivität der Kanäle Brief und Fax aus dem bereich der schriftlichen Kommunikation einzuschätzen? 7. Welche Vor- und Nachteile beinhaltet die Nutzung der Kanäle Brief und Fax? 8. Nennen und erklären Sie Vor- und Nachteile der Kanäle persönliches Gespräch und CallCenter mit Experten? 9. Grenzen Sie diese Vor- und Nachteile von denjenigen eines Call-Center für Standardtransaktionen ab und gehen Sie dabei auch auf Kostenaspekte ein. 10. Erklären Sie Botschaftsinteraktivität, Kosten und Eignung als alleiniger Kanal von WAP, iMode und UMTS. 11. Charakterisieren Sie den Kanal Outdoor Event und ziehen Sie Rückschlüsse auf die Ausprägung von Botschaftsinteraktivität und Kosten. 12. Nennen und erklären Sie die Vor- und Nachteile des Kanals Messestände. 13. Welche Vor- und Nachteile haben die multifunktionalen Kanäle interaktives Fernsehen und E-Home? 14. Welche zukünftigen Vorteile werden sich für die multifunktionalen Kanäle ergeben? 15. Geben Sie eine Übersicht über Kanäle mit Botschaftsinteraktivität, die eine hohe, mittlere und eine geringe Ausprägung haben. 16. Diskutieren Sie dabei auch Unterschiede bei den Investitions- und den laufenden Kosten. 17. Nennen Sie Vorteile von TV, Kino, Fernsehen und Hörfunk aus der Kategorie der Kanäle mit Botschaftspassivität. 18. Erklären Sie die größten Nachteile dieser Kanäle. 19. Erklären Sie die Ausprägung der Botschaftspassivität der Print-Kommunikationskanäle, Zeitschriften, Zeitungen. 20. Was sind die größten Nachteile der Kanäle Katalog und Hauswurfsendungen? 21. Wie sind die Kosten (Investitions- und laufende Kosten) für diese Kanäle im Vergleich zu den Kanälen aus Frage 19. zu sehen?
135
22. Welche Vor- und Nachteile haben Plakate und Aufschriften an Fahrzeugen? 23. Beschreiben Sie Botschaftspassivität und Kosten sowie die Eignung als alleiniger Kanal bei den Kanälen Plakat und Aufschriften an Fahrzeugen. 24. Erklären Sie die Ausprägung der Botschaftspassivität von Automatensystemen; gehen Sie dabei auf einfache multifunktionale sowie integrierte interaktive Automatensysteme ein. 25. Erklären Sie, warum Automatensysteme sich nicht als alleiniger Kanal eignen. 26. Wie sind die Kosten (Investitions- und laufende Kosten) im Vergleich mit Plakaten und Aufschriften an Fahrzeugen einzuschätzen? 27. Welche Vor- und Nachteile haben POS-Terminals? 28. Erklären Sie die Vorteile von POI-Systemen? 29. Was sind die größten Nachteile von POI-Systemen? 30. Vergleichen Sie die Investitions- und laufenden Kosten der Automatensysteme: einfache multifunktionale, integrierte interaktive, POS- und POI-Systeme mit denjenigen von Plakaten. 31. Bilden Sie ein Beispiel Ihrer Wahl mit einer Kombination von Offline-Kanälen mit unterschiedlicher Botschaftspassivität und -Interaktivität. 32. Gehen Sie dabei auf den Ausgleich von Vor- und Nachteilen ein. 33. Vergleichen Sie an diesem Beispiel die Kostenaspekte.
Literatur 1 2 3 4 5 6 7 8 9
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Vgl. Grimm/ Röhricht [2003], S. 36. Vgl. Stäger [1999], S. 11 und S. 21. Vgl. Grimm/ Röhricht [2003], S. 38. Vgl. o.V. o.J. [2007n]. Vgl. Goertz [1995], S. 477. Vgl. Fittkau & Maas [2001]. Vgl. die Ausführungen zur Interaktionstheorie von Watzlawick im Kap. 3 dieses Buches. Vgl. Grimm/ Röhricht [2003], S. 40 f. So schaltet z.B. die Biermarke „Foster’s“ keine TV-Werbung mehr und setzt stattdessen ausschließlich auf das Medium Internet, vgl. Breitenbach [2006]. Vgl. dazu die Ausführungen im Kapitel 6 dieses Buchs hinsichtlich der Web 1.0- und Web 2.0-Welt. Vgl. z.B. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen [2002], S. 1124; Jendro/ Schmidt [2001], S. 19. Vgl. Eirund [2007], S. 1-5. Vgl. Eirund [2007], S. 1-5. Vgl. o.V. [2007]. Vgl. Eirund [2007], S. 3; Klein [2007]. Vgl. Klein [2007]. Vgl. Klein [2007]. Vgl. z.B. Grimm/ Röhricht [2003], S. 40 f. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen [2002], S. 930. Nieschlag/ Dichtl/ Hörschgen [2002], S. 1128. Vgl. dazu auch Albers et al [2001], S. 49 ff. Vgl. dazu Clement [2000]. Siehe dazu auch bei Grimm/Röhricht [2003], S. 72 f.
136
5.
Ausgewählte Internet-Kommunikationsinstrumente als Werbemedium
5.1.
Internet-Kommunikation
Das Internet war im Laufe seiner rasanten Verbreitung und Weiterentwicklung schon immer ein interaktiver Kommunikationskanal1. Es basiert auf einem weltweiten Rechnerverbund zum Austausch von Daten und bietet eine Vielzahl Kommunikationsmöglichkeiten, für die sich der Begriff Ubiquitous (allgegenwärtig) eingebürgert hat. Das bedeutet, dass über das Internet zu jeder Zeit an jedem Ort Kommunikation mit den entsprechenden Rechnern möglich ist. Ermöglicht wird das unter anderem durch Netzwerke, drahtlose Zugänge (WAP etc.), die Internet-Integration in stationäre/ mobile Geräte sowie die Multikombinationsfähigkeiten dieses autarken Kommunikationsmediums mit anderen Kanälen. Diese Merkmale eröffnen Unternehmen neue Möglichkeiten und Prozessgestaltungen, bei denen die One-to-One-Kommunikation im Vordergrund steht. Im Gegensatz zur undifferenzierten Massenkommunikation nach dem One-to-Many-Prinzip erfolgt bei der One-to-One-Kommunikation eine Zielgruppenansprache auf segmentierter Basis. Ziel ist es, über Segmentierungskriterien (z.B. Alter, Hobbys, Einkommen, Psychodemographie etc.2) dem Kunden Offerten zu machen, die für ihn individuell interessant sind und auf diese Weise eine persönliche Beziehung aufzubauen. Im Folgenden wird zunächst die Web 1.0-Welt und dann die Web 2.0-Welt definiert und beide voneinander abgegrenzt. Dazu werden Standards, ausgewählte Kommunikationsformen und -instrumente sowie die damit verbundene Botschaftsinteraktivität diskutiert. 5.2.
Web 1.0- und Web 1,5-Welt
5.2.1.
Standards für Web 1.0- und Web 1,5-Instrumente
Die Web 1.0-Welt lässt sich auf einen Standard zurückführen, der ca. bis Herbst 2001, dem Zerplatzten der Dot-Com-Blase, führend war3. Das Web war zu der Zeit eine aufstrebende Technologie, die aber von vielen für überwertet und überfrachtet gehalten wurde. Das Prinzip der Web 1.0-Welt basiert auf statischen HTML-Seiten, die in Abständen von den Anbietern erneuert werden4. Die Inhalte dieser HTML-Seiten beschränken sich vornehmlich auf Texte5. Die heute vorherrschende Web 1,5-Welt geht ein Stück weiter. Dort sind dynamische WebSeiten vorhanden, die sich mit Hilfe von Content Management-Systemen und Datenbanken erzeugen lassen6. Herkömmliche Internetverbindungen durch Analog-Modem oder ISDN stießen in der Web 1,5-Welt bei Übertragung großer Datenmengen in kurzer Zeit schon in den 1990er Jahren an ihre Grenzen. Der User hat als Folge mit ruckenden Seiten und einem sehr langsamen Seitenaufbau beim Surfen zu kämpfen7. Die Einführung der DSL-Technik sollte 137
diesen Makel bekämpfen. Systemanforderungen, die heute an das Web gestellt werden, sehen schnelle Zugangsgeschwindigkeiten bei preiswerten Zugangskosten vor8. 5.2.1.1.
Client-Server-Konzept
Alle Internet-Dienste der Web 1.0- und Web 2.0-Welt basieren auf dem Client-ServerKonzept9. Das Client-Programm stellt die Schnittstelle zwischen Benutzer und ServerProgramm dar, welches Information oder Kommunikationsvermittlung anbietet. Die Aufgabe des Client besteht darin, die Anfragen des Benutzers in maschinenverständliche Art „umzuformulieren“ und dem Benutzer die vom Server gelieferte Antwort darzustellen. Für die Benutzung eines Internetdienstes ist daher sowohl ein Client- als auch ein Server-Programm erforderlich10. So wird für das Angebot von Informationen im WWW grundsätzlich Zugang zu einem WWW-Server benötigt. User können dazu entweder ein eigener Server an das Internet anschließen oder bei einem Internet-Zugangsanbieter (Provider) Speicherkapazität auf einem Server anmieten. Internet-Teilnehmer sind so, unabhängig von ihrem geographischen Standort, in der Lage, mit Ihren Client-Programmen das Informationsangebot zu nutzen11.
Abb. 5.1:
Kommunikationsschema eines WWW-Servers
Das Unternehmen Netscape war eines der führenden Pioniere in der Web 1.0-Welt. Es gestaltete bereits das Web als Plattform, aber mit Begriffen aus dem alten Software-Denkmuster. Danach ist die Verbreitung beim Web das Wichtigste, d.h. die Masse soll erreicht werden. Das bedeutet, für viel und oft genutzte Seiten muss auch entsprechend mehr Hardware zur Verfügung gestellt werden. Der Service (z.B. im Downloadbereich etc.) läuft über verschiedene zentrale Server. Das im Bereich Web 2.0 äußerst wichtige Datenbank-Management benötigte Netscape nicht, denn ihr Produkt „Web-Top“ stellte eine Ansammlung von Tools dar,
138
die über Softwarelizenzierung und die Kontrolle der APIs12 vermarktet wurde. Die Portierbarkeit auf diverse Plattformen ist dabei ein unbedingtes Muss. Sie dient dem Service, damit die User den Einsatz auf dem jeweils gewünschten Equipment vornehmen können. 5.2.1.2.
Browsersysteme
Browsersysteme sind Navigationswerkzeuge, mit denen der Nutzer interaktiv, seiner Motivation und seinem Wissen entsprechend, durch das Hypertext/ Hypermedia- Dokument steuert. Browser interpretieren das Hypertext/ Hypermedia-Dokument und generieren eine Präsentation aufgrund der vorgegebenen internen Darstellung. Nachfolgend wird in Abbildung 5.1. eine Übersicht der Wirkungsweise eines Browsers dargestellt.
Abb. 5.2:
Browser in Hypertext/Hypermedia, Quelle: o.V. [2007a]
In der Web 1.0-Welt13 ist das wichtigste Produkt der Web-Browser, der eine Desktopanwendung darstellt. Die wichtigste Strategie besteht darin, Dominanz im Browser-Markt zu erreichen, um einen Markt für hochpreisige Serverprodukte zu nutzen. Dabei soll die Kontrolle über Standards für die Darstellung von Inhalten und Applikationen im Browser dieselbe Marktmacht verleihen, wie sie z.B. Microsoft im PC-Markt hat. Netscape wollte z.B. seinen „Web-Top“, einen Desktop-Ersatz, vor allem durch Informationsservices und Anwendungen von Firmen populär machen, damit diese dann die dafür nötigen Server-Produkte und Lizenzen kaufen. Sowohl Browser als auch Webserver sind jedoch zu Massenwaren geworden, Webdienste hingegen haben sich als sehr wertvoll erwiesen. Auch die Firma Yahoo begann als Katalog oder Verzeichnis von Links und damit als Aggregation der besten Ideen der User. Auch wenn der Dienstleister inzwischen viele Arten von In-
139
halten bereitstellt, bleibt der Kern doch die Rolle eines Portals der Web 1.0-Welt, das inzwischen Web 2.0-fähig gemacht wurde. Ein WWW-Server ist eine Software, die eingehende Anfragen eines Clients, eines WebBrowsers, entgegennimmt und über Zugriffe auf zentrale Daten des Servers i.d.R. in Form von HTML-Dateien und darin eingebetteten Bildern diese an den Client zurückgibt. Browsersysteme sind Navigationsinstrumente, die die integrierte Nutzung mehrerer Internet-Dienste unter einer Benutzeroberfläche erlauben. 5.2.2.
Ausgewählte Instrumente der Web 1.0-Kommunikation
5.2.2.1.
E-Mail
Die E-Mail ist ein Anschreiben (evtl. auch Bilder/ Graphiken), die über das Internet in Form eines Datenaustauschs zugesandt wird14. Sie gehört zu den beliebtesten Kommunikationsformen im Internet, denn sie ist einfach zu erstellen, hat eine hohe Verbreitung und kann zeitortsunabhängig genutzt werden. Durch das Direct-Mailing wird versucht, Konsumenten mit ausgewählten Segmentierungsmerkmalen gezielt anzusprechen, und einen direkten Kontakt herzustellen. Dazu werden ihnen Anreize geboten. Ist ein Dialog initiiert, wird bei einem seriösen Direct-Mailing eine Erlaubnis (Permission) vom Konsumenten erbeten, ihm weitere Offerten zuzusenden15. Diese Permission ist jederzeit widerrufbar, so dass der Konsument die ihn interessierenden Offerten steuern kann. Es hat sich allerdings in den letzten Jahren herausgestellt, dass sich auch organisierte Gruppen und Unternehmen nicht an diese Vereinbarung halten und die Konsumenten mit einer Flut ungewollter E-Mails überfluten (sog. SpamPlage). Laut Richtlinie 2002/58/EG der Europäischen Union ist eine rechtliche Regelung gegenüber Spams geplant. Danach soll eine Zusendung von Werbeinformationen per Mail nur dann erlaubt sein, wenn der Empfänger ausdrücklich zugestimmt hat, oder aber der Kontakt auf einer Kundenbeziehung beruht, bei der der Empfänger jederzeit die Möglichkeit, hat Werbung generell abzulehnen. Spam-Mails haben in der Vergangenheit schon erheblichen Schaden verursacht, denn sie sind immer öfter auch virenverseucht. Für Unternehmen ist es daher wichtig, ausschließlich ein professionelles, seriöses Direct-Mailing zu betreiben. Die Vorteile des Direct-Mailing liegen in der Personalisierbarkeit der Nachricht und im Rahmen einer Kampagne der Möglichkeit, direkt auf die Wünsche des Kunden eingehen zu können. Durch entsprechende Segmentierungscluster können auf die Interessen des Kunden abgestimmte Offerten mittels Pull-Prinzip unterbreitet werden, was zu einer höheren Kundenbindung führen kann. Direct-Mailing ist nicht so kostenintensiv wie z.B. Briefsendungen. Von Grimm/Röhricht wurde im Vergleich zu Briefen eine Kostensenkung bei 2.500 ange-
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schriebenen Personen um € 500016 ermittelt. Hochgerechnet auf mehrere tausend E-Mails eröffnen sich damit erhebliche Spareffekte.
Abb. 5.3:
E-Mail-Nachricht ein gutes Beispiel von der Firma Telekom
Die wesentlichen Nachteile des Direct-Mailing liegen heute nicht mehr vorrangig in der rechtlichen nicht geklärten Situation zum rechtssicheren Abschluss von Verträgen, denn es gilt der Fernabsatzvertrag. Das Risiko liegt eher in der Erfüllung des Vertrages, da heute viele Händler nur nach Vorkasse liefern. Ähnlich wie bei der persönlichen Kommunikation bedingt der Einsatz des Direct-Mailing eine persönliche Beantwortung durch Mitarbeiter des Unternehmens in einem zeitnahen Rahmen. Da der Kunde eine unmittelbare Antwort auf seine Fragen erwartet, muss das Unternehmen erhebliche Kosten aufwenden für Mitarbeiter und prozessbezogene Organisationsabläufe. Die Botschaftsinteraktivität dieses Kommunikationskanals ist als extrem hoch einzuschätzen, da sich eine Vielzahl an Interaktionsmöglichkeiten ergibt. Direct-Mailing eignet sich oft nicht für das gesamte Produktangebot eines Unternehmens. Die Kosten von E-Mails sind im Vergleich als gering einzustufen.
141
5.2.2.2.
Internetportale
Für den Begriff Internetportal existiert derzeit noch keine allgemein anerkannte Definition. Das Wort „Portal“ lässt sich auf das lateinische Wort „Porta“ zurückführen, das Tür oder Tor heißt und im Baubereich für einen architektonisch besonders ausgestalteten Eingang zu einem Gebäude verwendet wird 17. Die besonderen Merkmale zur Gestaltung eines Eingangs sind auch für die Definition eines Internetportals von Bedeutung. So wird ein Internetportal z.B. folgendermaßen definiert „Das ideale Portal eröffnet einen gemeinsamen, personalisierten Zugang zu Daten, Expertisen und Anwendungen“18. Hier zeigt sich die Analogie zum Architekturbegriff. Es geht um einen besonders gestalteten Zugang zu einem virtuellen, abstrakten Raum, zu Daten Expertisen und Anwendungen. Es bleibt jedoch die Frage, was bei der Umsetzung oder Ausgestaltung einer digitalisierten Tür zu beachten ist? Diese Frage lässt sich mit einem Blick auf die noch junge Entwicklung von Portalen beantworten. Die erste Generation von Portalen bilden die ISP’s (Internet Service Provider)19. Sie stellten in erster Linie für Privatleute und Firmen einen Zugang zum Internet bereit. Dazu gehören Dienstleistungen wie FTP, TelNet, Bildschirmtext sowie auch der Zugang zum WWW, was eher einer passiven Nutzung des Web entspricht. So begnügten sich Firmen, wie z.B. AOL jahrelang damit, nur Durchgänge in Form von ISP und Dienstleistungen anzubieten. Die zweite Generation sind Suchdienste, die Suchmaschinen zur Verfügung stellen, welche automatisch die Webseiten und ihre sog. Meta-Tags nach dem vom User definierten Suchbegriff durchsuchen. Sie stellen ihre Dienste kostenlos zur Verfügung, was erst durch Werbeeinblendungen möglich wurde. Firmen wie Yahoo oder InfoSeek erweiterten ihren Service bald mit weiteren Dienstleistungen, wie Wettervorhersagen, Horoskope oder einen persönlichen Portfolio-Watcher. Es entstand ein enormes Werbepotential vor allem in der Boom-Zeit in den 1980 und 1990er Jahren. Die dritte Generation sind E-Commerce-Portale mit B2B- oder B2C-Ausrichtung20. Unternehmen aus der Old-Economie erkannten aufgrund der großen Akzeptanz den Nutzen für Corporate Identity und Kundenbindung bei Portalen und engagierten sich im Markt. So wurden zentrale, permanent nutzbare und aktualisierbare Plattformen im Internet aufgebaut, um eine in sich schlüssige Marken und Corporate-Strategie unterstützen zu können. Sie ermöglichen es, alle Funktionssäulen eines Unternehmens zu verbinden und darzustellen, um so auch den Ablauf zu optimieren. Die umsatzsteigernden und Kosten senkenden Seiteneffekte beschleunigten die Entwicklung zu Portalen mit unterschiedlichsten Ausrichtungen, die ein breites Spektrum aufweisen.
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Internetportale lassen sich allgemein in zwei Hauptgruppen einteilen, in horizontale und vertikale Portale. Internetportale weisen fließende Übergänge von der Web 1.0- zur Web 2.0Welt auf. Zur Web 2.0-Welt siehe die Ausführungen ab Pkt.5.3. 5.2.2.2.1. Horizontale Internetportale Internetportale haben sich von ihrer ursprünglich primär auf eine Informationsplattform ausgerichteten Funktion zu umfassenden Informationszentren entwickelt. Horizontale Internetportale sind auf umfassende Information ausgelegt. Sie sprechen eine breite Nutzermenge im Consumer-Bereich an, indem sie über alle Branchen hinweg Angebote in Katalogen zusammenfassen und evtl. untereinander vergleichen21. Für Nutzer sollen diese Kataloge eine große Erleichterung bei ihrer Informationssuche darstellen. Die Anbieter versprechen sich einen zusätzlichen Werbeeffekt. Neben den klassischen Suchfunktionen kann der User geordnete Themenlisten, evtl. Links zu Partnerunternehmen usw. wählen. Er kann sich bei einigen Portalen auch eine nach seinen persönlichen Vorlieben geschneiderte Seite zur Informationssuche zusammenstellen. Ein Beispiel für ein derartiges Portal bietet die Deutsche Post AG.
Abb. 5.4:
Beispiel für ein horizontales Internetportal, Quelle: deutschepost.de
Auch die Personalisierung spielt für die Definition eines Portals eine große Rolle. So wird zwischen nicht personalisierten Portalen (im weiteren Sinne) und personalisierten Portalen
143
(im engen Sinne) unterschieden22. Portale im weiteren Sinne dienen zum Einstieg ins Netz. Es können auch Firmenwebsites sein, die damit eine Startseite für Internetnutzer bieten23. Firmenwebsites als horizontales Portal sind vorwiegend mit Standardinformationen und kaum interaktiven Möglichkeiten versehen und weisen daher eine geringe Botschaftsinteraktivität auf. Vorteile horizontaler Portale liegen in der breiten Informationsmöglichkeit zu weitaus geringeren Kosten im Verhältnis zu postalischen Sendungen. Sie liegen auch im zeitlich unbegrenzten Zugriff auf das Portal. Weitere Vorteile liegen in der Visualisierbarkeit von Produkten (Videos, Animationen, 3D-Darstellungen etc.). Auch lassen sich durch die automatisierte Abwicklung von Informationsprozessen persönliche Anrufe vermeiden und so Kostensenkungen in der Kundenkommunikation realisieren. Die Nachteile sind im sehr breit gefächerten Spektrum zu sehen, welches sich an ein Massenpublikum wendet und nur grobe Segmentierungsmöglichkeiten für Unternehmen bietet. Durch die relativ oberflächlichen Informationen, die auf die Bedürfnisbefriedigung eines großen Publikums ausgerichtet sind, müssen i.d.R. hohe Streuverluste hinsichtlich der Effektivität einkalkuliert werden. Die Botschaftsinteraktivität des horizontalen Internet-Portals ist als gering zu bewerten, da vorwiegend Standardinformationen über Formulare vorgehalten werden, die zwar schnell zu aktualisieren sind, aber kaum Interaktionsmöglichkeiten im Sinne eines Dialoges bieten. Aus diesem Grund ist dieser Kanal ist nur bedingt als alleiniger Kommunikationskanal geeignet. Die Investitionskosten liegen im mittleren Bereich, für den laufenden Betrieb sind sie als niedrig einzustufen. 5.2.2.2.2. Vertikale Internetportale Vertikale Internetportale sind an eine bestimmte Interessengruppe/ Themenschwerpunkte (Communities) und/ oder an einem Marktsegment ausgerichtet24. Sie bieten Usern einen genauen Fokus aktueller Informationen zu diesem Interessenschwerpunkt. Für Unternehmen wie User haben sich derartige Portale als favorisierte Anlaufstellen herausgestellt. Sie nehmen sich einen Teil aus dem horizontalen Spektrum, um dann in diesem Bereich in die Tiefe zu gehen. Man könnte auch sagen, um ihn vertikal aufzubereiten. Beispiele hierfür sind Portale, die spezielle Themen (z.B. für Interessengruppen, wie Sport etc.) aufgreifen oder sich direkt an einzelne Branchen (z.B. Logistikunternehmen etc.) richten Die Vorteile sind weitgehend identisch mit denen der horizontalen Portale. Im Unterschied dazu ergeben sich zusätzlich Vorteile für Unternehmen durch die Möglichkeit der gezielten Ansprache der Kunden hinsichtlich ihrer Präferenzen. Portale in der weiterentwickelten Web 1,5-Version beinhalten Interaktionsmöglichkeiten in standardisierter Form. So bieten z.B. vie144
le Banken Internetportale für automatisierte Transaktionsabwicklungen an. Hervorzuheben ist weiter die relativ schnelle Anpassungsfähigkeit. Angebote können innerhalb kurzer Zeit aktualisiert und angepasst werden. Dieses steht im Gegensatz zu den Möglichkeiten herkömmlichen traditioneller Kanäle, wie z.B. den Katalogen in Papierform.
Abb. 5.5:
Beispiel eines vertikalen Internetportals von der Firma T-Online
Die Botschaftsinteraktivität richtet sich nach den Interaktionsmöglichkeiten. Internetportale können ihre Vorteile nur voll erreichen, wenn sie als umfassender integrierter Kommunikationskanal inklusive Transaktionsabwicklung, interaktiver Beratung und auf den Kunden abgestimmte Informations- und Serviceangebote konzipiert sind. Oft werden vertikale Portale durch Chat oder Instant Messaging ergänzt, was ihre Interaktionsmöglichkeiten steigert. Unter einem Chat wird eine textuelle bzw. graphische Echtzeitkommunikation von zwei oder mehreren Partnern verstanden. Die Chat-Plattform wird von einem Betreiber zur Verfügung ge145
stellt. Ablauf und Inhalt der Gespräche werden von ihm überwacht. Ein Chat hat damit Ähnlichkeiten mit einem Gespräch bzw. einer Telefonkonferenz; die Teilnehmer sind örtlich unabhängig. Beim Instant Messaging gibt es keinen Betreiber, sondern die Kommunikationspartner nutzen ein Programm. Beide Kommunikationsformen sind sehr beliebt, werden von Unternehmen jedoch bisher nur als ergänzende Kommunikationskanäle wahrgenommen. Vorteile des Chat sind darin zu sehen, dass von einem Mitarbeiter mehrere Kundenanfragen bzw. Serviceaktivitäten gleichzeitig bearbeitet werden können. Hauptnachteile manifestieren sich dadurch, dass Chatpartner mit ihren „Internetpersönlichkeiten“ auftreten und so eine eindeutige Identifikation der Person kaum möglich ist. Das wiederum verbietet den Einsatz in der Transaktionsphase und ist für eine langfristige Kundenbindung ungeeignet. Die Botschaftsflexibilität eines Chat ist als allerdings als hoch zu bewerten. Portale benötigen allgemein zum Aufbau erhebliche Investitionen in die Technik und die Organisation, welche ungefähr vergleichbar sind mit denen eines Call-Centers. Grimm/Röhricht schätzen den Investitionsbedarf für ein Portal inklusive Infrastruktur im Minimum auf 200.000 bis 1.000.000 US $. Vertikale Internetportale weisen fließende Übergänge zu technologisch weiterentwickelten Web 2.0-Instrumenten auf. Es besteht daher Uneinigkeit darüber, ob sie zu den Web 1.0 oder den Web 2.0-Instrumenten zu rechnen sind. HTML-Seiten basierte und dementsprechend eher auf eine Informationsfunktion ausgerichtete Internetportale, mit standardisierten Transaktionsmöglichkeiten, sind eher den Web 1.0-Instrumenten zuzurechnen. Die Botschaftsinteraktivität von vertikalen Internetportalen ist als mittelmäßig zu bewerten. Insbesondere wenn sie im Hinblick auf Web 1,5-Entwicklungen durch Interaktionsmöglichkeiten über denselben Kanal erweitert wurden. Das kann z.B. durch einen interaktive Button oder „Assistenten“-Funktion geschehen. Der Kunde kann durch den Klick auf diesen Button aktive Hilfe bzw. Beratungen anfordern. Bei Internetportalen ergeben sich eine Vielzahl Ergänzungsmöglichkeiten mit anderen Kanälen. Die Investitionskosten für die Einrichtung sind rel. hoch, während die Kosten für den laufenden Betrieb niedrig sind. 5.2.2.3.
E-Commerce
Zum Begriff (Electronic) E-Commerce existieren verschiedene Definitionen in der Literatur25. Nach Turowski/ Pousttchi wird unter E-Commerce i.e.S. lediglich die elektronische Abwicklung des Warenverkehrs verstanden26. Nach Weiber kann unter E-Commerce i.w.S. „…jeder Austausch von Leistungen zwischen Wirtschaftssubjekten verstanden werden, der durch die Nutzung von Informations- und Kommunikationssystemen in einer Weise unterstützt wird, die Mehrwerte für die Teilnehmer über die einfachen Kommunikationsmöglichkeiten hinaus 146
schafft“27. In der Literatur wird häufig hierfür auch der Begriff Electronic Business verwendet, der durch eine Werbekampagne der Firma IBM in den 90er Jahren eingeführt wurde. Im Folgenden wird die obige Definition von E-Commerce i.W.S. zugrunde gelegt. E-Commerce stellt einen umfangreichen eigenen Forschungsbereich in den Wissenschaftsdisziplinen Informatik und Medienwissenschaften dar, und kann daher im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht erschöpfend behandelt werden. E-Commerce beinhaltet allgemein im Minimum folgende Vorgänge: x
Informationspräsentation im Internet,
x
Interaktive Bearbeitung von Kundenanfragen,
x
Übermittlung von Angeboten,
x
Auftragserteilung,
x
Auftragsbestätigung,
x
Bestellannahme,
x
Übertragung von Lieferscheinen und Rechnungen,
x
Bezahlung sowie
x
Service und Abwicklung des Auftrages.
Es existiert eine Vielzahl von E-Commerce-Anwendungen (Cash Management, Fernwartung, Online Kataloge etc). E-Commerce i.e.S. wird allgemein nach Anzahl der Transaktionsphasen in folgende Bereiche unterschieden28: 1. Internet-Shops und E-Märkte, 2. Online Auktionen sowie 3. Reservierungs- und Buchungssysteme. Die Anzahl der Transaktionsphasen bezeichnen dabei die Phasen der Geschäftsabwicklung. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf diese Bereiche des E-Commerce, ein Anspruch auf Vollständigkeit wird dabei nicht erhoben. 5.2.2.3.1.
Internet (Online) -Shop
Internet- (E-) Shops29 lassen sich folgendermaßen definieren: „Ein Online-Shop …. dient einem einzelnen Unternehmen für die elektronische Vermarktung seiner Produkte bzw. Leistungen“30. Reine Internet-Shops sind heute vorwiegend in der Business-to-Consumer- (B2C-) Ausrichtung zu finden31. Unternehmen sehen sich heute einem Konzentrationsprozess gegenüber und müssen immer häufiger Kooperationspartner, auch aus der Old Economy, suchen. Für rein internetbasierte Handelsunternehmen sind die Bedingungen schwerer geworden, was auch mit den veränderten Anforderungen der Kunden zusammenhängt. So ist es für viele 147
kleinere Unternehmen nicht leicht, eine reibungslose Logistik auch in der Form zu gewährleisten, dass die gekauften Produkte im stationären Handel umgetauscht werden können. Gestiegene Service-Erwartungen und zusätzliche Leistungen, die von den Kunden gewünscht werden, machen es immer schwieriger alle Leistungen allein zu bewältigen. „Brick and Clicks“, Internetshops von etablierten Handelsunternehmen (z.B. KarstadtQuelle und OttoVersand etc.) können sich mit ihren bekannten Marken und Kundenkenntnissen gut behaupten. Internet-Shops enthalten folgende Basisfaktoren32: x
Produktdatenbank,
x
E-Shop-Server, E-Shop-Standard Software,
x
Internetanbindung,
x
Firewall und
x
Sicherungseinrichtungen für die Systemverfügbarkeit.
Die Produktdatenbank bildet die Basis für den elektronischen Katalog, der dem Kunden eine Übersicht über die Produktpalette verschafft. Produktinformationen sollten auch individuell abrufbar sein. Produktpräsentationen können in vielfältiger Form geschehen, wobei die Beschreibung der Produkte so umfassend sein muss, dass sie eine Kaufentscheidung ermöglicht. Eine leistungsfähige Suchmaschine sollte die Recherche unterstützen. Die Entscheidung, ob eine Standardsoftware oder eine selbst zu programmierende Individualsoftware zum Einsatz kommt, hängt von den Anforderungen an den Internet-Shop und den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln ab. Eine Standardsoftware bietet allgemein eine schneller realisierbare Lösung mit Zusatzmodulen (z.B. Download-Funktion etc.). Individualsoftware kann kundenorientierter sein, benötigt aber eine längere Realisierungszeit und größere Investitionen. Folgende Funktionalitäten sollte ein Internet-Shop aufweisen:
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x
Anmeldeformular für die Kundendaten,
x
Kataloge mit Suchfunktionen,
x
Download-Funktion,
x
Warenkorb zum Ablegen der Bestellungen,
x
Kundenkonto zur individualisierten Erfassung und Speicherung der Bestellvorgänge,
x
Zahlungsmodalitäten; entweder Lieferung ausschließlich gegen Rechnung oder Schnittstellen zu einen Serviceprovider für elektronische Zahlungssysteme.
Box 5.1. Zahlungsverfahrensunabhängige Risiken beim E-Commerce „Als zahlungsverfahrensunabhängige Risiken werden Unsicherheiten verstanden, die mit wenigen Ausnahmen bei allen Zahlungsverfahren im Internet bestehen. Im Wesentlichen zählen dazu Scherzbestellungen und fehlerhafte Eingaben von Daten, wie Name, Adresse oder Kontonummer. Die Feststellung der Authentizität einer Bestellung ist notwendig, um kostenintensive Scherzbestellungen abzuwenden. Erfahrungen mit Bestellungen dieser Art haben laut einer Studie ungefähr 70% der Händler selten oder häufig gemacht. Bei einer Scherzbestellung ordern beispielsweise Minderjährige ohne Einverständnis ihrer Eltern oder es werden Waren absichtlich unter falschen Angaben bestellt. Beides führt zu Zahlungsausfällen und zusätzlichem administrativen Aufwand für den Händler. In beiden Fällen hat der Händler die Kosten zu tragen, ausgenommen der vermeintliche Kunde hat per Vorauskasse oder Geldkarte gezahlt. Bei allen anderen Zahlungsarten kommt es erst gar nicht zu einer Zahlung oder der Kunde leitet eine Rückbuchung ein. Bei Rückbuchungen entstehen je nach Zahlungsverfahren verschieden hohe Kosten, die der Händler ebenfalls zu tragen hat. Mittels einer kostenpflichtigen Abfrage bei einer Auskunftei oder der Deutschen Post lässt sich herausfinden, ob die Adresse überhaupt existiert - ein wichtiger Hinweis auf die Authentizität der Bestellung. Es kann naturgemäß vorkommen, dass Kunden kleinere Fehler bei der Angabe der Adresse machen. Beispielsweise mit dem Premium-Check der Deutschen Post kann man diese Fehler erkennen und sogar automatisch korrigieren lassen. Auf diese Weise gelangt die Ware ohne größere Zeitverzögerung zum Kunden und Retouren werden umgangen. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn es sich nicht um kleine Tippfehler handelt, sondern aus einem Manfred Mustermann ein Max Mustermann wird (und die restliche Anschrift stimmt). Der Verdacht liegt nahe, dass der Kunde seinen Namen soweit abgeändert hat, dass er in Negativlisten elektronisch nicht mehr gefunden wird. Solche Bestellungen sollten nicht angenommen werden oder es sollte die Vorauskasse als einzige Zahlungsform angeboten werden“. Quelle: Hagemann/van Baal [2007]
Folgende Backoffice-Funktionen komplettieren den Shop: 1. Katalogpflege z.B. manuell oder über Templates bzw. Schnittstellen zur Produktdatenbank, 2. Kundendatenmanagement; sie werden in einer Datenbank angelegt und vom Datenbankmanagement verwaltet,
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3. Bestellvorgänge werden als Transaktionsdaten gespeichert, stellen die Grundlage für Abrechnung und Nutzerstatistiken dar, 4. Statistik-Tools zur Auswertung von Kundendaten, 5. Lagerverwaltung; manuell oder über Schnittstellen zu externen Systemen. Als Sicherheitsziele ist der Schutz sensibler Daten vorzusehen. Kunden- und Transaktionsdaten müssen gegen Missbrauch gesichert werden. Dazu bietet sich die Übertragung von Daten aus dem Browser (Kunde) an den Server (Händler) in verschlüsselter Form an. Zum Schutz der Server vor Angriffen von Außen ist eine Firewall vorzusehen. Die Filterregeln auf den Firewall-Komponenten und Routern sollten so geregelt werden, dass missbräuchliches Handeln unterbleibt33.
Abb. 5.6:
Beispiel für einen Internet(E-) Shop mit Interaktionsmöglichkeiten von der Firma CaseKing.de
Die Vorteile eines Internet-Shops liegen in der zeit- und ortsunabhängigen Nutzung für den Kunden. Sie sind in der segmentierten persönlichen Ansprache der Kunden zu sehen sowie in der Vielzahl von Interaktionsmöglichkeiten, die immer auch eine persönliche Ansprache vorsehen. Der Hauptnachteil eines Internetshops sind die relativ hohen Investitionskosten. So wird vom statistischen Bundesamt geschätzt, dass die Kosten von 10.000 € bis zu einem Betrag von mehreren Millionen € liegen können34. Nachteile sind auch in möglichen HackerAngriffen auf den Shop-Server zu sehen, wobei es zu Übertragungen von persönlichen Daten an Unbefugte kommen kann. Gegen derartige Angriffe gibt es derzeit noch keinen wirksamen Schutz. Nachteile können sich durch ein Restrisiko ergeben, das in einem Zahlungs-, bzw. Leistungsausfall resultiert.
150
Box 5.2. E-Mails behaupten sich im B2B-Marketing „Das Budget für E-Mail-Marketing in Business-to-Business Kampagnen wächst schneller als für andere Marketinginstrumente. Eindeutiger Vorteil der E-Mail im Marketing-Mix ist, neben ihrer Wirtschaftlichkeit, vor allem die Möglichkeit, Informationen wesentlich breiter lancieren zu können. So hat sich die elektronische Post insbesondere bei der Ansprache von Neukunden, bei der Markenbildung sowie als Informationsmedium in Form von Newslettern bewährt. Diese Tendenz bestätigt eine Studie von B2B Marketing in Zusammenarbeit mit Newsweaver einem britischen Anbieter von E-Mail-Software. Knapp 80 Prozent der Unternehmen haben in den letzten zwölf Monaten ihre Ausgaben für E-Mail-Kampagnen aufgestockt. Dennoch nimmt das junge Medium insgesamt noch einen relativ geringen Anteil am Gesamtwerbebudget ein. Rund zwei Drittel der Befragten gaben lediglich 10% ihres Budgets für E-Mail-Marketing aus.“
Quelle: o.V. [2007e]
Die Botschaftsinteraktivität von Internet-Shops ist durch die Vielseitigkeit von personalisierten interaktiven Formen, die auch die persönliche Beratung vorsehen, als hoch zu bewerten. Reine Internet-Händler sind selten geworden, daher weist dieser Kommunikationskanal ein großes Spektrum von Kombinationsmöglichkeiten auf. Die Kosten für die Einrichtung sind extrem hoch, die Kosten für den Betrieb nach Einführung sind niedrig. 5.2.2.3.2. E-Märkte Elektronische Marktplätze (E-Market) werden definiert als „…von einem Marktplatzbetreiber organisierte virtuelle und i.d.R. gegen Entgelt bereitgestellte Handelsräume“35. Sie werden auch als Business-to-Business (B2B-) Märkte bezeichnet36. Der Nutzen liegt vor allem in der Kommunikation über die Vernetzung von Unternehmen und in der Verfügbarkeit von leistungsfähigen Kommunikationsdiensten. Im B2B-Markt geht es um den Beschaffungsbereich von Unternehmen. Wurde zunächst noch mit elektronischen Katalogen gearbeitet, haben große Unternehmen durch ihre Einkaufsmacht Lieferanten sehr bald aufgefordert, Waren/ Dienstleistungen in Multilieferantenkataloge einzustellen und so Standards geschaffen. Auf diese Weise gelingt es sowohl für Einkäufer als auch für die Lieferanten, die Anzahl der potentiellen Beziehungen von einer n:m auf eine n:1:m Beziehung zu reduzieren. Es ist weiter möglich, die Produkte weltweit zu präsentieren und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, dass aus Sicht des Kunden das richtige Material in der richtigen Menge zur richtigen Zeit am
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richtigen Ort zur Verfügung steht. Unterscheidungsmerkmale sind der offene (horizontale) und der geschlossene (vertikale) E-Market. Die Abbildung 5.7. zeigt die Entwicklung des Handels im Überblick. Auf der linken Seite der Abbildung ist zu erkennen, dass jeder Prozessvorgang für sich eine interne Dienstleistung darstellt. In der Mitte ist verdeutlicht, dass bei vertikaler statt horizontaler Betrachtung der internen Dienste sich Dienstleistungen für Dritte ergeben können. Beispielsweise übernehmen die neu entstehenden elektronischen Märkte die strategische Anbieterfunktion, die bisher ausschließlich den Unternehmen selbst vorbehalten war. Der untere Teil in der Mitte zeigt, dass sich der Vertrieb auf operative Begleitung konzentriert. Insgesamt gewinnt das Beziehungsmanagement eine strategische Bedeutung.
Abb. 5.7:
Entwicklung von E-Procurement, Quelle: in Anlehnung an Nenninger/ Lawrenz [2002], S. 57
Offene E-Markets sind i.d.R. für alle Teilnehmer am Markt zugänglich. Sie werden vorwiegend bei der Beschaffung von unbekannten Produkten, Ersatzteilen, Preisen etc. verwandt. Dabei arbeiten die Einkäufer mit vorgeschalteten Wissensbasen für die Suche, beispielsweise nach herstellerunabhängigen Zubehörteilen. Die Transaktionen sind nicht nur auf den B2BBereich beschränkt, sondern beziehen auch den B2C bzw. C2C- Bereich mit ein.
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Abb. 5.8:
Funktionen einer offenen E-Procurement-Plattform, Quelle: Nenninger/Lawrenz [2002], S. 158
Geschlossene E-Markets (sog. Private Exchanges) sind konzerninterne Plattformen und werden vor allem von internationalen Konzernen mit vielen Gesellschaften betrieben. Die Vorteile von geschlossenen e-Markets liegen in einer Beschränkung der Heterogenität der Beschaffung und der Betonung internationaler konzernspezifischer Besonderheiten. Lieferanten, die Zugang zu einem geschlossenen E-Market haben, sind bereits im Vorfeld an den Konzern über Verträge fest gebunden. Bei der Bezahlung der Transaktionen fungiert oft eine Bank als Provider für electronic payment. Damit wirken E-Market-Lösungen auch unmittelbar in die betriebswirtschaftliche Software beider Unternehmen hinein. E-Market-Lösungen fördern so die Entstehung von Supply-Chain-Management. Durch dieses Konzept sollen die Lieferkette in einem unternehmensübergreifenden Ansatz optimiert und die Lagerbestände sowie Transaktionskosten minimiert werden.
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Abb. 5.9:
Schematische Darstellung des Aufbaus einer geschlossenen E-Procurement-Plattform, Quelle: Nenninger/Lawrenz [2002], S. 193
Moderne Beschaffungsstrategien entlasten den Einkauf eines Unternehmens vom operativen Geschäft, z.B. durch vereinfachte Verfahren im Rahmen des E-Procurement. E-ProcurementLösungen erfordern eine Neugestaltung der Prozesse in Form der Durchgängigkeit und weitgehenden Automatisierung durch Standardisierungen, in Abhängigkeit von der Beschaffungshäufigkeit und Güterspezifität der zu beschaffenden Güter. Die Hauptvorteile eines E-Procurement-Systems liegen in der hohen Prozesseffizienz durch Dezentralisierung, elektronisch gestützte Standardisierungen und Kostensenkungen beim Beschaffungsprozess. So stehen Lieferantenkataloge über das Intranet kostengünstig zur Verfügung. Dabei wird durch Dezentralisierung eine überschaubare Informationsmenge für die jeweiligen Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Wird durch den Bestellwert das Budget überschritten, erfolgt die Auslösung eines elektronischen Genehmigungsverfahrens, wobei die Genehmigung durch die zuständige Person elektronisch direkt an den Lieferanten weitergeleitet wird. Die Verknüpfung der Bestellung erfolgt prozessbasiert direkt mit den unternehmenseigenen Enterprise Ressource Planning- (ERP) Systemen vom Lieferanten und Besteller. Durch fehlende Medienbrüche ist die Aktualität der Daten daher jederzeit gegeben. Ein weiterer Vorteil ist durch das wesentlich einfachere Controlling einer einheitlichen Beschaffungsstrategie gegeben. 154
Box 5.3. Seniorenfreundliche Website-Gestaltung „Die Zielgruppe der Älteren ist auch für den Online-Handel sehr attraktiv - nicht nur wegen des rein zahlenmäßigen Wachstums der älteren Bevölkerung, sondern auch aufgrund der wachsenden Internetaffinität älterer Konsumenten. Aus diesen Gründen besteht für Anbieter im ECommerce die Herausforderung sich auf die Zielgruppe der älteren Menschen einzustellen. Bei vielen älteren Menschen ist die Befürchtung, dass die eigenen Kenntnisse für die Internetnutzung nicht ausreichen, stark ausgeprägt. Englische Begriffe, komplexe Formulierungen und (technische) Fachwörter können diesen Eindruck verstärken: Sie können eine sprachliche Barriere darstellen, die sprach- oder fachunkundige Ältere verunsichert und von der Nutzung einer Website abhält. Weiterhin stellt die Informationsflut auf vielen Internetseiten für zahlreiche Senioren ein Problem dar: Schwierigkeiten mit Such- und Recherchemöglichkeiten werden von älteren Nutzern am häufigsten als Probleme bei der Nutzung des Internets genannt. Im Rahmen der Informationsaufbereitung sind daher die Aufbereitung der Sprache und Begrifflichkeiten sowie die Gestaltung von Inhalten zu optimieren, um Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der angebotenen Informationen zu gewährleisten. So sollte beispielsweise auf den Gebrauch von jugendspezifischem Vokabular, Fremdwörtern, Anglizismen und sonstigen fremdsprachigen Elementen verzichtet werden. Ebenso ist ein einfaches, ruhiges Design gegenüber optischer Opulenz vorzuziehen, so dass eine übersichtliche und systematische Gliederung der Inhalte erreicht wird.“ Quelle: Wilhelm/ van Baal [2007]
Die Hauptnachteile liegen in den oft unterschätzten Kosten und dem Aufwand für den Aufbau einer E-Market-Lösung. Diese ist mit extrem komplexen, investitionsintensiven und anspruchsvollen Projektanforderungen verbunden. Die Kosten liegen von 1 bis 5 Mio. € bis in einen zweistelligen Millionenbereich auf einer nach oben offener Skala. Der Zeitbedarf für die Realisierung beträgt ca. 1-2 Jahre, wobei ein Change Management mit eingeschlossen ist. Die Investitionshöhe ergibt sich, da bei der prozessbasierten Einbindung eines e-ProcurementSystems neben der informationstechnischen auch eine organisatorische Integration sowohl in die Organisation des Einkäufers, als auch in die des Lieferanten vonnöten ist. Mit den neuen Prozessabläufen ist auch ein Umdenken im Bereich der Kommunikation bei Mitarbeitern und Kunden der beteiligten Unternehmen unabdingbar, was sich ohne ein entsprechendes Change Management auch als Nachteil erweisen kann. Die Botschaftsinteraktivität von E-Märkten kann vor allem durch die Standardisierungen im Rahmen des Workflows als mittelmäßig eingestuft werden. Dabei wird eine hohe Pro-
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zesseffizienz erreicht. Zukünftig haben E-Market-Lösungen möglicherweise ein höheres Potential an Botschaftsinteraktivität durch Möglichkeiten der individuellen Transaktionskommunikation, wie z.B. E-Mail. Die Kosten für die Einrichtung sind extrem hoch, die Kosten für den Betrieb sind eher niedrig. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob E-Märkte in jedem Fall zu den Web 1.0-Instrumeten gehören, denn es existieren fließende Übergänge. Sie könnten bei neueren Standards auch zu den Web 2.0-Instrumenten, z.B. im Bereich der virtuellen Communities, zu zählen sein. 5.2.2.4. Internet-Auktionen Ein weiterer Kommunikationskanal sind Internet-Auktionen. Sie unterstützen das übergeordnete Ziel des Einkaufens und dabei die Bedarfsdeckung zu möglichst niedrigen Gesamtkosten. Eine Garantie für dieses Erfolgsrezept bieten sie aber nicht. Es lassen sich verschiedene Internet-Auktionstypen unterscheiden, innerhalb derer sowohl B2C-, C2C- als auch B2BTransaktionen durchgeführt werden können. 1. Echtzeit-Auktionen, 2. Langzeitauktionen und 3. Events. Für Echtzeit-Auktionen werden die Zeitpunkte vorher bekannt gegeben, die Bieter müssen dann in einem Chat-Kanal online sein. Ein Moderator leitet die Auktion, die Bieter können per E-Mail ihre Angebote abgeben. Auktionen dieser Art finden im Allgemeinen in einem Zeitrahmen von 5-20 Minuten statt. Bei Langzeitaktionen stehen die Angebote meist über eine längere Zeit im Internet. Bieter können sich informieren, wie sich der Preis entwickelt. Es ist für jedermann möglich, den Verlauf der Auktion zu verfolgen. Die meisten Gebote gehen bei dieser Form von Auktionen am letzten Tag kurz vor Schluss der Auktion ein. Bei Events findet zu einem vorher angekündigten Zeitpunkt eine Auktion in Echtzeit einmalig bzw. unregelmäßig statt. So veranstaltet beispielsweise die Deutsche Lufthansa am ersten Donnerstag im Monat eine Versteigerung von Flugreisen. Der Bieter kann sich rechtzeitig aus dem Auktionsplan die Reise aussuchen, die für ihn in Frage kommt. Bei der Versteigerung wählt er diese Reise aus und gibt sein Gebot in einem virtuellen Auktionsraum ab. Gebote werden in 5, 10 oder 20 €-Schritten abgegeben. Sie werden in der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs angenommen. Die Entwicklung der Auktion kann in Echtzeit verfolgt werden. Kostenlos ist die Teilnahme an Auktionen jedoch weder für den Bieter noch für den Verkäufer.
156
Abb. 5.10:
Beispiel für Internet-Auktionen des Auktionshauses eBay, Quelle: eBay.com
Über das größte Internet-Auktionshaus eBay wird eine sehr große Zahl verschiedenartigster Auktionen regelmäßig und täglich abgewickelt. eBay erhält von jedem verkauften Artikel eine Verkaufsprovision, die entfällt, wenn das Gut nicht verkauft wurde. Folgende Allgemeine Gebühren werden erhoben37: Verkaufserlös in € 1 bis 5
Verkaufsprovision 5%
50,01 bis 500
2,50 zzgl. 4% des Preises über € 50,01
500,01 und mehr
20,50 zzgl. 2% des Preises über € 500,01
Tab. 5.1:
Übersicht über die vom Verkäufer zu zahlenden Gebühren beim Internet-Auktionshaus ebay, Quelle: eBay
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Zusätzlich entstehen noch Gebühren optionaler Art, z.B. Bildgebühr, Angebots-, Galeriegebühren, um auf das Angebot aufmerksam zu machen. Die Gebühren enthalten 19% MwSt, Gewerbetreibende können sich eine Netto-Rechnung ausstellen lassen, da die Dienstleistung von eBay von außerhalb der EU erbracht wird, kann dieser MwSt-Betrag von Unternehmen mit Sitz innerhalb der EU aber nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden. Es obliegt dem Verkäufer, die Verkaufsbedingungen festzulegen. Dabei hat sich bei ebay eingebürgert, dass der Bieter die Versandkosten für den Artikel trägt. Die Vorteile dieser Internet-Auktionsform liegen im Entertainment-Bereich. Für Privatpersonen ist das Ersteigern eines Gutes unterhaltsam und spannend, denn es wird von Verkäufer nur ein Mindestpreis als Ausgangspunkt festgelegt, die Höhe des Endpreises kann von vornherein nicht ersehen werden. Erfahrungen zeigen, dass bei einem entsprechend hohem Besucheraufkommen für den Verkauf von Gütern bessere Preise erzielt werden können als bei einem Festpreisangebot. Ein Vorteil für Bieter ist darin zu sehen, die Chance für ein „Schnäppchen“ zu haben, wenn der Preis unter den Erwartungen liegt. Vorteile für Unternehmen können darin liegen, dass sie über Auktionen für auslaufende Waren, Restbestände noch gute Preise erzielen können, ohne dass diese Ware im Point of Sale neben der regulären Ware zu lange liegt und so Marken beschädigen kann. Die Nachteile sind im Verzicht auf feste Preise zu sehen. So werden manchmal suboptimalen Preisen erzielt, wenn nicht genügend Besucher vorhanden sind. Diese können gut eingeführte Marken beschädigen. Die Botschaftsinteraktivität der Internet-Auktionen ist als hoch zu bewerten, da eine Vielzahl von Möglichkeiten zur individuellen Kommunikation existiert. So kann der Bieter beispielsweise per E-Mail Fragen an den Verkäufer richten und sich um eine individuelle Beratung bzgl. der Merkmale des Gutes bemühen. Kosten für Innlandskäufe sind gering. Eine andere Form der Internet-Auktion wird vorwiegend im Bereich der E-Markets in Form von Reverse Auctions durchgeführt. Diese Auktionen werden von Konzernen initiiert, die ausgewählte Bieter zulassen. Die Auktion verläuft in umgekehrter Weise, d.h. die Bieter unterbieten sich gegenseitig und der Beschaffungspreis sinkt im Verlauf. Statt eines Preises können auch Preis-Leistungsverhältnisse, Prozentsätze oder Lieferzeiten in einer Reverse Auction versteigert werden. Ein wichtiges Merkmal dieser Auktionsform ist, dass die Anbieter ihre Angebote zur gleichen Zeit abgeben müssen, wobei die Höhe für alle ersehbar ist, die Bieter jedoch anonym bleiben. Die Preisfindung im Rahmen einer Reverse Auction soll die in der Wirtschaft ansonsten üblichen verdeckten Preisverhandlungen ersetzen. Die Preisfindung erhält daher eine neue „Transparenz“. Das Auktionsergebnis zielt auf einen einmaligen Preis für den punktuellen Bedarf ab und ist nicht ausgerichtet auf eine fortlaufende Preisbildung für Produkte mit breiter Nachfrage. Im Ergebnis erhält der Bieter mit dem geringsten Preis für die jeweilige Position den Zuschlag, es kann auch ein Gesamtzuschlag erteilt werden. 158
Die Vorteile liegen im starken Wettbewerb der Bieter untereinander, so dass niedrigere Beschaffungspreise zu erwarten sind als bei manuellen Runden. Der Hauptnachteil liegt in der Beschränkung der Bietzeit auf 30 Minuten bis einige Stunden. Ein weiterer Nachteil liegt in der Zulassung der Bieter durch den Konzern. Auch kann sich der Anstieg des Verhandlungsdruckes durch die simultane Preisabgabe in der angegebenen Zeit als Nachteil erweisen. Wie die Erfahrung zeigt, lassen sich die Bieter durch die Vergleichbarkeit und Transparenz viel stärker herausfordern als bei verdeckten Preisverhandlungen. Ein weiterer Nachteil ist auch, dass der Erfolg einer derartigen Auktion zu großen Teilen vom Know-how und der Erfahrung des Einkäufers abhängt. Allgemein ist die Botschaftsinteraktivität von Internet-Auktionsformen als hoch zu bewerten, da eine Vielzahl wählbarer Parameter existiert, um das Repertoire optimal zu nutzen. Internet-Auktionen eignen sich allerdings nur bedingt als alleiniger Kommunikationskanal. Bei Internet-Auktionen besteht Uneinigkeit darüber, ob das Instrument zu den Web 1.0Instrumenten zu zählen ist. Es könnte auch, wenn neue Standards Verwendung finden, zu den Web 2.0-Instrumenten der virtuell Communities gezählt werden. 5.2.2.5.
Reservierungs- und Buchungssysteme
Der Kommunikationskanal der Reservierungs- und Buchungssysteme findet vorwiegend im Servicebereich der Reise- und Tourismusbranche Anwendung. Reisende bzw. Touristen benötigen Informationen zu Reisemöglichkeiten (Flug-, Bahntickets etc.), Unterbringungsmöglichkeiten (Hotelbetten etc.), Events (Eintrittskarten etc.), Sehenswürdigkeiten usw. Neuere Anwendungen umfassen auch Geoinformationssysteme mit mobilen Applikationen z.B. für bestimmte Urlaubsgebiete38. Hiermit kann sich der Reisende bzgl. verschiedener Themen über das Internet informieren, beispielsweise über Wander- bzw. Radwege, Berghüttenbelegungen oder die Belegenheit von Radservicestationen. Weiterhin kann er Karten (z.B. Strassen-, Wander-, Tourenkarten) herunterladen und sich multimediale Zusatzinformationen zu verschiedenen Objekten entlang seiner Strecke anschauen (Kirchen, Hotels etc). Beim Einbezug von mobilen Applikationen erhält er auch Informationen zu seinem Standort. Reservierungs- und Buchungssysteme basieren auf dem Einsatz von Datenbanken. Bei zusätzlichen mobilen Applikationen werden mobile Endgeräte (GPS-Systeme) benötigt.
159
Abb. 5.11:
Beispiel eines Geoinformationssystems, Quelle: Wurzer/Pichler [2004]
Die Übertragung erfolgt hier über GMS, GPRS, UMTS, WLAN-Funknetze und Internet. Bei den international ausgelegten Buchungssystemen (Flug-, Bahnticket, Leihwagen, Hotelketten etc) muss die weltweite Abstimmung der Reservierungen in Echtzeit funktionieren. Die Systeme können in der Informations-, Akquisitions- und Transaktionsphase eingesetzt werden.
Abb. 5.12:
Ein gutes Beispiel für ein Hotelbuchungssystem von der Firma Helios, Quelle Helios-Hotels.com
Die Vorteile von Reservierungs- und Buchungssystemen sind in der zeit- und ortsunabhängigen Nutzung zu sehen. Sie ermöglichen eine kostengünstige Kommunikation im Verhältnis zur persönlichen Beratung. Die Kosten liegen bei kleineren Anwendungen, z.B. für Pensionen 160
von ca. 1.000 € bis zu mehreren Mio. € für weltweit eingesetzte Systeme eines AirlineVerbundes. Die Kosten lassen sich teilweise durch Werbeeinnahmen refinanzieren. Einen Nutzenvorteil für den Kunden versprechen die Systeme, wenn die Reservierung/ Buchung nicht beratungsbedürftig sind. Wenn der Kunde genau weiß, wann und wohin er mit welcher Airline fliegen will, oder das Hotel kennt und dort buchen möchte, sind sie von Vorteil. Bei mobilen Endgeräten ist im Outdoor-Bereich zusätzlich auch eine Positionierungsanalyse möglich. Die Nachteile von Reservierungs- und Buchungssystemen liegen in der hohen Standardisierung der Kommunikation und in den sehr geringen Beratungsmöglichkeiten. Die Botschaftsinteraktivität von Buchungs- und Reservierungssystemen ist aufgrund der Nachteile der hohen Standardisierung der Kommunikation als gering einzustufen. Personalisierte Interaktionen sind kaum möglich. Die Investitionskosten sind sehr hoch, die laufenden Kosten fallen eher mittelmäßig aus, z.B. durch Personalkosten mit Rundumbesetzung. 5.2.3. 5.2.3.1.
Zusammenfassende Bewertung der Web 1.0-Instrumente Kanäle mit hoher Botschaftsinteraktivität
Bei den Kommunikationskanälen mit einer hohen Botschaftsinteraktivität, wie (1) E-Mail, (2) Internet-(E)-Shop, (3) Vertikales Internetportal und (4) Internet-Auktionen handelt es sich um Kanäle, die sich nur bedingt als alleiniger Kommunikationskanal eignen. Beim Kanal E-Mail liegen die Nachteile darin, dass er sich nicht für das gesamte Produktspektrum einer Unternehmung eignet. Die Kanäle Internetportal mit Interaktionsmöglichkeiten und Internet-Shop weisen den Nachteil auf, dass sie relativ große Investitionen nötig machen, um sie effektiv zu betreiben. Sie bieten dann aber eine Vielzahl von Ergänzungsmöglichkeiten mit anderen Kanälen. 5.2.3.2.
Kanäle mit mittlerer Botschaftsinteraktivität
Beim Kommunikationskanal mit einer mittleren Botschaftsflexibilität, den (5) E-Märkten
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fällt auf, dass diese sehr hohe Investitionen für einen effektiven Betrieb verlangen. Sie bieten allerdings, ähnlich wie Internet-Shops, eine Vielzahl von Ergänzungsmöglichkeiten mit anderen Kanälen. Die laufenden Kosten sind hier im Vergleich eher niedrig anzusetzen. 5.2.3.3.
Kanäle mit geringer Botschaftsinteraktivität
Die Kommunikationskanäle mit einer geringen Botschaftsinteraktivität, wie (6) horizontale Internet-Portale und (7) Reservierungs- und Buchungssysteme, kennzeichnet der Umstand, dass sie sich nur bedingt für alle Branchen und das gesamte Produktspektrum von Unternehmen eignen. Sie eignen sich außerdem auch nur bedingt (nur für bestimmte Branchen) als alleinige Kommunikationskanäle. Für Internet-Portale für Standardtransaktionen und Reservierungs- und Buchungssysteme sind erhebliche Investitionen von Seiten der Unternehmen notwendig, bei begrenztem Nutzen für Kunden. Bei den Kommunikationsinstrumenten des Web 1.0 liegen die Vorteile in einer segmentbezogenen Ansprache der Kunden, verbunden mit Flexibilität in der Botschaft zu verschiedenen Merkmalen der Leistung (Qualität, Lieferzeiten sowie Preisen und allgemeinen Informationen). In der segmentbezogenen Kommunikation sind aber auch Nachteile zu sehen, da sie keine Massenkommunikation, z.B. hinsichtlich der Bekanntmachung neuer Produkte, erlaubt. Eine strategische Kombination mit Kanälen, die dieses Potential haben, könnte daher viele Vorteile für Unternehmen und Kunden eröffnen. Spezifische Nachteile der Web 1.0Instrumente liegen in der Tatsache, dass es sich vor allem um eine Kommunikation handelt, die auf dem Prinzip der Seitenmetapher aufbaut, vermittelt durch Browser und Server. 5.3.
Web 2.0-Welt
Was aber unterscheidet Instrumente, die heute dem Web 1.0 zugerechnet werden, von denen, die mit Web 2.0 bezeichnet werden? Diese Frage ist besonders wichtig, da die Bezeichnung Web 2.0-Welt von vielen Unternehmen bereits als Marketing-Schlagwort verwendet wird, wobei zu bezweifeln ist, dass ihnen die tatsächliche Bedeutung von Web 2.0 immer bekannt ist. Die Frage ist aber auch besonders schwierig, da insgesamt darüber große Uneinigkeit herrscht und die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist. Im Folgenden wird der Versuch einer Abgrenzung der Web 2.0- von der Web 1.0- Welt unternommen. Zu erwartende Ungenauigkeiten werden dabei in Kauf genommen, sie dienen als Diskussionsgrundlage und Grundlage für eine Klassifikation. Die verwendeten Prinzipien basieren u.a. auf den Überlegungen und Schlussfolgerungen von O’Reilly und anderen Forschern, die zu den Gründervätern der Web 2.0-Welt gerechnet werden. 162
Nicht nur die Technologie änderte sich in den vergangenen Jahren, auch das Konsumentenverhalten hat sich erheblich verändert. Schon 2004 wurde daher das traditionelle Marketing als überholt bezeichnet39. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer der wohl wichtigsten Gründe liegt darin, dass sich, durch die hohe Informationsflut und die steigende Werbedichte, bei den Konsumenten eine Reaktanz gegen die teuer investierten Botschaften der Hersteller herausgebildet hat40. Die steigende Zahl der TV-Kanäle hat z.B. zu einer Diversifikation des Publikums geführt, so dass es immer schwieriger wird, mit TV-Spots eine große Masse zu erreichen. Auch durch neue Technologien, wie z.B. digitale Videorecorder, wird das Überspulen von Werbung erleichtert41. Vor allem das Internet hat jedoch dazu beigetragen, dass die Konsumenten besser informiert sind und Herstellerangaben stärker hinterfragen. 5.3.1.
Veränderung des Konsumenten- und User-Verhaltens
Die Veränderung des Userverhaltens bezieht sich nicht allein auf Kosten und Geschwindigkeit bei der Datenübertragung42. Das Internet wird für viele Nutzer vor allem attraktiv durch Weiterentwicklungen im technologischen Bereich. Nach Etablierung des Internet-Explorers als Standard durch die Firma Microsoft folgte eine Vereinfachung der Entwicklung von Websites und Webanwendungen, die eine Vielzahl von Usern ins Internet zog. Es entwickelten sich schnell „Best Practices“ in der Gestaltung von Seiten anhand der User-Reichweiten, die auf anderen Seiten wieder verwendet wurden. Die Einführung von „Open Source Software“ unterstützte die Entwicklungsrichtung weiter43. Der Zeitpunkt ab ca. Herbst 2001, bei dem bei einer Vielzahl von Start-Ups eine konsequente Marktbereinigung einsetzte, wird heute als eine Art Übergang zur Web 2.0-Welt gesehen. O’Reilly definiert Web 2.0 folgendermaßen: „Web 2.0 bedeutet die Umwandlung des Internet von einer mehr oder minder zusammenhanglosen von HTML-Seiten hin zu einer vollständigen, die Anwendungen und Daten unterschiedlichster Art für die Benutzer bereitstellt und die bisherige Seitenmetapher ablöst. Aus dem „Only read“ entsteht ein „Writable Web“44. Die nachfolgende Tabelle 5.2. zeigt die wichtigsten Unterschiede zwischen der Web 1.0und der Web 2.0-Welt im Überblick. Dabei werden anhand ausgewählter Instrumente und Neuerungen die wichtigsten Unterschiede aufgezeigt.
163
Web 1.0
Web 2.0
Anwendung
Neu
Double Click
Google AdSense
Werbung
Personality
Ofoto
Flickr
Fotoalben
Tagging, community
Akamai
BitTorrent
Mp3.com Britannica Online Persönliche Webseiten Domain Namen mehrdeutig Seitenaufrufe
Napster
Inhalte/Daten verbreiten Musik Online bewerben
P2P** P2P**
Enzyklopädien
Community, free content
Blogs
Persönlicher Webauftritt
Dialog
Suchmaschinen Optimierung
Bekanntmachungen
Cost per click
BezahlwerbungsEinheiten
Pay for Particpation
Webservices
Inhaltsverbreitung
Interoperability
Beteiligung
Inhaltsverbreitung
CMS*
Wikis
Content Management
Verzeichnisse
Tags
Inhaltsklassifizierung
Einzelne Artikel Browseroptimierung Feststehend (stickness)
Verbreitung von Artikeln
Interoprabilität
Webstandards
Interoprabilität
Zusammenwachsen
Interoprabilität
Screen Scraping Veröffentlichung
Tab. 5.2:
Wikipedia
Flexibility, freedom Community, freedom
Open Content
Differenzierung von Web 1.0 und Web 2.0 an Beispielen mit Kennzeichnung der Neuheiten, in Anlehnung an Holz [2006] und O’Reilly [2005]
*CMS=Content Management Systeme; **P2P=Peer-to-Peer (Kommunikation zwischen intelligenten Agenten)
5.3.2.
Ausgewählte Standards der Web 2.0-Welt
Die in dieser Arbeit vorgestellten Standards stellen nur eine kleine Auswahl aus vielen möglichen Standards der Web 2.0-Welt dar. Die Idee begründet sich allgemein auf der innovativen Verbindung von neuen und bekannten Standards. Auf diese Weise wird es den Usern ermöglicht, neue Formen der Partizipation vorzunehmen. Beispielsweise in virtuellen Netzwerken, in denen sich inzwischen Millionen Menschen präsentieren, Kontakte pflegen und miteinander kommunizieren45. In Weblocks und Wikis, in denen sie ihre eigene Meinung und ihr Wissen publizieren können. Auf Plattformen, wie Flickr oder You-Tube, auf denen sie die Möglichkeit haben, Fotos oder Videos bzw. Audiobeiträge zu veröffentlichen und sie über das In-
164
ternet zu verbreiten. In Abbildung 5.13. werden die wichtigsten Standards im Überblick gezeigt.
Abb. 5.13:
Web 2.0-Standards im Überblick
Nachfolgend werden ausgewählte Standards näher vorgestellt. 5.3.2.1.
Really Simple Syndication (RSS)
Dem Akronym RSS werden in der Informationstechnik mehrere Begriffe zugeordnet und zwar unabhängig von der RSS-Version oder der Anwenderinterpretation. So steht RSS für Really Simple Syndication, Rich Site Summary und RDF Site Summary. Es gibt diverse RSSVersionen, aber alle Anwendungen, die mit RSS arbeiten, können die verschiedenen Versionen lesen. RSS ist ein unabhängiges XML vergleichbares Format, das entwickelt wurde, um Nachrichten und andere Web-Inhalte auszutauschen46. RSS-Formate werden genutzt, um Informationen strukturiert abzulegen und sie für die automatisierte Verarbeitung durch RSSLeseprogramme (RSS-Readern) bereitzustellen. So wird RSS z.B. von Online-Redaktionen benutzt, um ihre Artikel und News zusammenzufassen und sie ins Web zu stellen, zu verteilen oder mit anderen Webseiten auszutauschen. Eine RSS-Datei (RSS-Feed) ist eine textbasierte Datei, vergleichbar XML, die aus einer Liste von Einträgen besteht. Ein RSS-Feed ist zuerst durch seine Version gekennzeichnet; er besteht aus dem Titel, einer Zusammenfassung und einem Link zur URL der Web-Site, auf der die komplette Nachricht steht. RSS-Feeds haben also über die URL einen direkten Link zum Artikel. Durch die RSS-Technik wird es möglich, Inhalte von Webseiten zu abonnieren, was heute alle großen Nachrichtenportale Deutschlands anbieten. 165
Box 5.4. Ajax-Projekte Hitliste „ Platz 1 Google Suggest, das als erste Ajax-Applikation größte Aufmerksamkeit erzielte. In Echtzeit platziert eine Drop-Down-Liste mögliche Suchbegriffe incl. der Anzahl der Websites, die unter demselben Begriff zu finden sind. Doch der Inquisitor von David Watanabe geht noch weiter und listet zusätzlich die ersten Suchergebnisse auf und lässt daneben Anfragen an Amazon.com, Flikr, A9, Google News und Technorati zu. Platz 2 Google Maps en masse: Kein anderes Tool wird so stark modifiziert wie Google Maps. Schon zum Start sorgte die stufenlos zoombare Karte mit integriertem Routenplaner und der Suche nach Unternehmen in der Umgebung für großes Staunen. Mittlerweile gibt es dank der offenen Programmschnittstelle (API) zahlreich Features, die auf Google Maps aufsetzen, wie etwa Map-Chat, Verbrechen-, Untergrund- Webcam und News-Karten sowie Maps mit Flikr, der Wikipedia, eBay oder Flash gepaart.“ Quelle: Vgl. Metzmacher [2006]
Der Abonnent erhält auf diese Weise die neuesten Informationen automatisch geliefert. RSS wurde zur Verbreitung von Nachrichten aus Internetportalen geschaffen. Er hat sich zwischenzeitlich zu einer der am weitesten verbreiteten Standards für den automatisierten Austausch von Nachrichten und Kommunikation (Weblocks, Chats, Podcast, Vodcast, etc.) herausgebildet47. 5.3.2.2.
Asynchronous Java Script (AJAX) und XML
AJAX bezeichnet eine Technik, mit der eine asynchrone Datenübertragung zwischen Server und Client (Browser) ermöglicht wird48. Bezeichnet wird also eine innovative Art, interaktive Webseiten mit Hilfe von Internet-Technologien zu programmieren. Zu diesen Techniken gehören z.B. DHTML CSS (Cascading Style Sheets), eine HTML-Erweiterung, Dom (Document Object Model), ein Objekt-Model für HTML- oder XML-Formate, XML (Extensible Markup Language) Standard zur Erstellung maschinenlesbarer Dokumente, Java-Script, objektorientierte Internetsprache, etc. Nicht jeder AJAX-Dienst muss dabei auf alle Standards zurückgreifen. Es handelt sich um eine Verbindung von mehr oder weniger innovativen Techniken. Also ein neues Konzept, das aber auch auf bekannte Technologien zurückgreift49. Web-Anwendungen können mit Hilfe von AJAX so programmiert werden, dass die Bedien166
barkeit ähnlich komfortabel wird wie bei klassischen Desktop-Anwendungen50. Das liegt daran, dass es durch Java-Script möglich ist, Teile einer Internetpräsenz nachzuladen, ohne die gesamte Seite neu zu laden. Die Folge ist eine intuitivere Web-Anwendung und eine beschleunigte Handhabung. Beispiele für AJAX-Anwendungen sind Google Mail, Google Maps, Flickr etc.
Abb. 5.14:
Vergleich klassisches Modell einer Web-Anwendung mit Ajax-Modell, Quelle: Garett [2005]
Elementarer Bestandteil des AJAX-Konzeptes ist die Art in der Web-Anwendungen aufgebaut sind. Wie aus Abbildung 5.14. ersehbar, sind es bei klassischen Webanwendungen nur zwei Instanzen, die miteinander interagieren. Der User (mit Browser) und der Server (incl. der Software). Bei AJAX spielt die AJAX-Engine zusätzlich eine Rolle; sie vermittelt zwischen Benutzer und Server. Durch die Fähigkeit der AJAX-Software, schon die nächste Software vom Server im Hintergrund zu laden, obwohl der User noch nicht daran gedacht hat (XMLHttpRequest), vermindern sich ansonsten normale Wartezeiten bei Aufruf neuer Webseiten, oder diese werden gänzlich eliminiert. Das heißt, der Desktop verlagert sich ins Web.
167
5.3.2.3.
Application Programming Interface (API)
Mit APIs werden Programmierschnittstellen bezeichnet, die eine direkte Kommunikation über das Internetprotokoll erlauben51. APIs, wie z.B. Java 3D, sind objektorientiert, was besonders bei der Graphik-Programmierung von 3D-Welten Vorteile hat, da dieser Aspekt bei bisherigen Paketen (z.B. Open GL) nur sekundär betrachtet wurde52. Über APIs ist es möglich, dass Programmierer direkt auf Funktionen anderer Programme zugreifen können, um diese in ihren eigenen Programmen zu nutzen. APIs sind plattformunabhängig und erlauben es, im Browser lauffähige Applets zu erstellen; daher werden sie oft im Internetbereich angewandt. Das Windows-API von Microsoft dürfte wohl eines der am weitesten verbreiteten APIs sein. Diverse Anbieter ermöglichen Fremdprogrammierern über eigene APIs Zugriff auf Funktionen ihrer Angebote. So kann z.B. das eBay-API genutzt werden, um eigene Programme zu schreiben, mit denen sich eBay-Auktionen ohne Web-Browser verfolgen lassen53. 5.3.2.4.
Prinzipien der Web 2.0-Welt
Die Prinzipien der Web 2.0-Welt werden in der Abbildung 5.15. in einer Übersicht auf der Basis von Schlagworten dargestellt.
Abb. 5.15:
168
Prinzipien der Web 2.0-Welt als Schlagwortsammlung, Quelle: © Angermeier [o.J.]
Die in Abbildung 5.15 vorgestellten Prinzipien erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit bzw. stellen keinen Vollständigkeitsnachweis dar. Sie zeigen eine Auswahl von Neuerungen bzw. Veränderungen im Rahmen von Web 2.0 aus Sicht der User. Die Abbildung dient als Überblick über ein neues Medium und seine Möglichkeiten. Im Kern geht es dabei um die Erkenntnis, dass die Anwendungen der Web 2.0-Welt den Usern neue Möglichkeiten der Partizipation und des Dialoges über das Internet zur Verfügung stellen. Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Einblick in ein Forschungsgebiet, wobei eine Konzentration auf wichtige Inhalte aus Marketingsicht vorgenommen wird. Web 2.0 stellt einen eigenen Forschungsbereich in der Wissenschaftsdisziplin Informatik/ Wirtschaftsinformatik dar. Eine eingehende Betrachtung aller Möglichkeiten würde den Rahmen der Arbeit bei weitem übersteigen. RSS werden zur Verbreitung von Nachrichten auf Internetportalen verwendet und gehören zwischenzeitlich zu den am weitesten verbreiteten Standards für den Austausch von Nachrichten und Kommunikation. Ajax ist eine Technik, die zur asynchronen Datenübertragung zwischen Server und Client verwendet wird. Es agieren neben den klassischen Instanzen Browser und Server zusätzlich die Ajax-Engine, die zwischen Benutzer und Server vermittelt und dadurch normale Wartezeiten beim Aufruf neuer Webseiten vermindert oder ganz verhindert. APIs sind Programmierschnittstellen, durch die eine direkte Kommunikation über das Internetprotokoll möglich wird. Über APIs kann auch von Fremdprogrammierern Zugriff auf Angebote genutzt werden, um z.B. eBay-Auktionen ohne Browser verwenden zu können. Die Prinzipien der Web 2.0-Welt sind nicht immer gänzlich neu, es handelt sich vielmehr um innovative Verbindungen von neuen und bekannten Standards, die jedoch eine erweiterte und wesentlich nutzerfreundlichere sowie wirtschaftlichere Nutzung des Web ermöglichen. 5.3.3.
Architekturmerkmale und Usability von Instrumenten der Web 2.0-Welt
Die neuen Kommunikationstechnologien des Web 2.0 weisen nicht nur durch ihre Architektur unterschiedliche Merkmale auf. Zusammen mit der dazu gehörenden Usability (Nutzen) ergeben sich unterschiedliche Mehrwerte im Rahmen der Kommunikation. Um diese optimal zum Einsatz zu bringen, ist eine sorgfältige Planung des Einsatzes der Kommunikationsinstrumente vonnöten. Dazu eignet sich der noch junge Ansatz von O’Reilly54, der die Instrumente hinsichtlich ihres Web 2.0-Mehrwertes in vier Hierarchieebenen einteilt. Die nachfolgende Abbildung 5.16. zeigt die Hierarchien im Überblick. Aus der Abbildung ist erkennbar, dass sich der Mehrwert des Einsatzes der Kommunikationsinstrumente von Ebene 1 bis Ebene 4 durch unterschiedliche Usability(Nutzen)-Merkmale steigert, so dass auf der Ebene 1 der geringste und auf der Ebene 4 der höchste Mehrwert realisiert werden kann.
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Abb. 5.16:
Web 2.0-Hierarchie, Quelle: Göhring et al [2006], S. 58
Der auf der Ebene 1 zu realisierende Mehrwert für Kunden ist demnach am geringsten. Die hier zum Einsatz kommenden Instrumente sind gekennzeichnet durch eine geringe Web 2.0Fähigkeit. Das liegt auch daran, dass sie nahezu vollständig auch offline genutzt werden können, wie z.B. Google-Earth etc. Auf der Ebene 2 ist eine online-offline-Kombination zu finden, deren Nutzen etwas größer ist. Es handelt sich um Instrumente, die zwar im Netz verfügbar sind, aber vor allem Einzelanwendern Mehrwerte dadurch bieten, dass sie standort- und rechnerunabhängig sind. Beispielsweise Writely, ein kostenloses, webbasiertes Textverarbeitungsprogramm, das einzeln oder teambasiert verwendet werden kann. Auf der Ebene 3 findet sich eine online-offline-Kombination, die offline genutzt werden kann, jedoch durch Onlinefeatures ergänzt werden muss. Der Mehrwert entsteht hier vor allem durch kollaborative Nutzeffekte aus der Community. Beispielsweise das Fotoportal Flikr, hier können Kunden ihre Ideen und Vorschläge einbringen, diese erhalten somit eine eigene Qualität und Reichweite. Auf Ebene 4 finden sich Instrumente mit hoher Web 2.0-Fähigkeit, bei denen die Funktion ausschließlich im Netz gegeben ist und deren Mehrwert sich dadurch ergibt, dass sie von vielen Personen gemeinsam geschaffen und genutzt werden. Beispielsweise Wikipedia, oder Skype. Web 2.0-Instrumente erzielen hier den höchsten Mehrwert. Instrumente in dieser Hierarchieebene zu entwickeln, heißt demnach aber auch, Netzwerkeffekte zu verstehen und für deren Nutzung ein Geschäftsmodell zugrunde zu legen55. Um zu verhindern, dass durch falsche Instrumente ein großer Teil des Marketingbudgets versickert, ist also ein Umdenken im Marketing vonnöten. Auf diesem Grundgedanken der Transformation in der Marketing-Kommunikation basieren die viralen Instrumente beim Web 2.0, von denen einige ausgewählte nachfolgend näher beschrieben werden. 170
5.3.4.
Ausgewählte Instrumente der Web 2.0-Kommunikation
5.3.4.1.
Virus-Marketing
Frey definiert Virus-Marketing folgendermaßen: „Virus-Marketing beschreibt Strategien, die es Einzelpersonen erlaubt, Marketing-Meldungen weit zu verbreiten“56. Die Definition lässt auch Rückschlüsse auf Begriffe zu, wie „Beziehungsmarketing“, „Flüster-Propaganda“ oder „Mund zu Mund Propaganda“, die nicht neu sind. Es handelt sich um Begrifflichkeiten aus dem klassischen Marketing, die dort allerdings ausschließlich zwischen Individuen in der realen Welt stattfinden57. Virus Marketing ist keine neue Erfindung, sondern die Transformation bekannter Marketing-Techniken auf das neue Medium Internet. Der Terminus „viral“ geht dabei auf eine Assoziation aus der Medizin zurück. Wie ein Virus sollen Informationen über ein Produkt oder Dienstleistungen innerhalb kürzester Zeit von Mensch zu Mensch weiter getragen werden und so möglichst schnell „soziale Epedemien“ auslösen. Der Vorteil beim Virus-Marketing ist, dass es geeignet ist, die Abwehrhaltung der Konsumenten gegenüber traditionellen Vermarktungsmethoden zu überwinden, indem z.B. bei der Kundenansprache von Push- zu Pull-Methoden übergegangen wird58. Ziel der Pull-MarketingKommunikation ist es, die (möglichen) Zielkunden zu aktivieren, so dass diese aus eigener Initiative die angebotenen Informationen und Services abfragen. Werbebotschaften müssen daher das Interesse der Kunden hervorrufen, Rückmeldungen werden zur Gestaltung des Marketing und der angebotenen Leistung mit einbezogen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Instrumente im Wesentlichen auf virtuellen Formen einer Weiterempfehlung im Internet basieren, wie bereits vom klassischen Marketing her als „Mund zu Mund Propaganda“ bekannt. Genutzt werden dazu einerseits Produktbewertungen in Online Gemeinschaften und/ oder die gezielte Auslösung von Empfehlungen im Internet. Virus-Marketing ist grundsätzlich an kein spezifisches Medium gebunden. Techniken des Web 2.0, wie virtuelle Communities, Social Bookmarking, Blogs etc., unterstützen dabei, dass sich die Informationen im Internet in enormer Geschwindigkeit exponentiell verbreiten. Der wesentliche Nachteil des Virus-Marketing besteht in der Unmöglichkeit einer präzisen Steuerung der Kommunikation. So werden Konsumenten häufig eher bereit sein, negative Gerüchte zu verbreiten, als Produkte eines Unternehmens anzupreisen59. Daher wird die grundlegende Kenntnis von Prozessen einer Empfehlung benötigt. Nachfolgend werden ausgewählte Instrumente des Web 2.0 näher erläutert. Dabei liegt der Fokus der zuerst diskutierten (Online Entertainment, Weblogs, Virtuelle Communities und Pod- bzw. Vodcast) auf Virus-Marketing. Bei danach diskutierten dynamischen Informations-
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Box 5.5. Viral Marketing – Kundenempfehlung im Internet „Ein häufig zitiertes Beispiel für diese Strategie liefert das Unternehmen Hotmail, welches Kunden eine für diese kostenlose E-Mail-Adresse bietet. Jeder Versendung eines E-Mails ist ein Link – die sog. Tagline – zugefügt mit dem Slogan „Get your free eMail at Hotmail“. Neue Nutzer werden damit automatisch zu „Verkäufern“ des Unternehmens. Auf diese Weise konnte Hotmail für seine werbefinanzierten Services bereits nach anderthalb Jahren über 12 Millionen Abonnenten verzeichnen. Der Schneeballeffekt führt zu ausgeprägten Pioniervorteilen, die vor allem dann zum Tragen kommen, wenn zur Nutzung eines Produkts nicht nur der einzelne Nachfrager, sondern weitere Nachfrager notwendig sind. Diese Netzeffekte Kritischer Masse-Systeme sind bei allen Telekommunikationstechnologien zu beobachten, aber auch bei vielen Software-Programmen (z.B. Spiele). […] Bei anderen Strategien, die als hochintegrativ oder als „Active V-Marketing“ bezeichnet werden können, wird mehr Einsatz von User bei der Nutzerakquise verlangt. Ein Beispiel ist der Service von ICQ (I seek you), der Usern anzeigt, ob Freunde oder Kollegen ebenfalls gerade online sind. Je mehr Freunde die ICQ-Software nutzen und aus dem Netz downloaden, desto nützlicher wird der Service. Deshalb muss ein Nutzer seine Freunde und Bekannten überzeugen, ebenfalls ICQ zu verwenden. Auch die sog. Affiliate-Programs, wie jenes von Amazon, kann als hochintegrativ gekennzeichnet werden. Wenn der Eigner einer Homepage aktiv als Referent bzw. „Associate“ für Amazon arbeitet und seine Nutzer von seiner Homepage über einen Link zu Amazon lenkt, erhält er von Amazon einen Bonus. Weltweit gibt es bereits 500.000 solcher Associates. Quelle: Helm [o.J.]
tools liegt hingegen der Fokus auf Suchkriterien und Positionierungen. Alle betrachteten Instrumente nutzen als Basis Netzwerkeffekte. 5.3.4.1.1. Online Entertainment Als Online Entertainment werden z.B. Gewinnspiele, Online-Spiele oder Online-Events angeboten. Sie können dazu beitragen, die Aufmerksamkeit potentieller Kunden zu erringen. Die Bedeutung von Online Entertainment zur Kundengewinnung wurde zuerst durch Suchdienste und Portale, wie Yahoo oder AOL, erkannt. Yahoo war beispielsweise führend bei kostenlosen Online-Spielen. Der Klassiker unter den Online Spielen „Moorhuhnjagd“ der Firma Johnnie-Walker hat bereits einen Kultstatus bei den Kunden erlangt.
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Abb. 5.17:
Das Moorhuhnspiel ist mittlerweile schon Kult als gutes Beispiel für Online-Entertainment, Quelle: ©Phenomenia
Als Beispiel führte eine große deutsche Direktbank unter dem Motto „Rubbel Dich reich“ im Sommer 2001 ein tägliches Rubbelspiel ein, bei dem den Teilnehmern für einen begrenzten Zeitraum die Möglichkeit eröffnet wurde, jeden Tag 50.- Euro zu gewinnen. Für die Teilnahme war eine Registrierung mit der Angabe der E-Mail-Adresse notwendig. Im Gegenzug bekam der Kunde täglich seine persönlichen Rubbellose zugesandt. Das Spiel eröffnete der Bank die Möglichkeit, wertvolle Daten über den potentiellen Kunden zu erhalten, da durch die tägliche Gewinnchance die korrekte E-Mail-Adresse von den Kunden angegeben werden musste. Der tägliche Kontakt sowie die Möglichkeit, das Spiel im Sinne eines ViralMarketing an Freunde und Verwandte zu verschicken, vergrößerte die Teilnehmerzahl erheblich. Die Vorteile von Online Entertainment liegen in den eher positiven Gefühlen, die bei den Nutzern erzeugt werden. So sind Gewinnspiele für viele potentielle Kunden interessant und führen zu einer hohen Zahl von Page Impressions (Anzahl der Sichtkontakte auf einer HTML-Seite). Durch den in Aussicht gestellten Gewinn und das Gratisvergnügen eignen sie sich als Kommunikationskanal. Gewinnspiele eignen sich zudem hervorragend zum Sammeln von Daten für Kundenprofile. Ein weiterer Vorteil sind die im Verhältnis zu Outdoor-Events relativ günstigeren Kosten. So ist es für die Produktion von Online-Spielen möglich, Kooperationen mit Spieleherstellern einzugehen. Die Kosten für ein attraktives Online-Spiel mit Interaktionsmöglichkeiten bewegen sich im mittleren Rahmen. Die Nachteile von Online-Spielen können in schlechter gestalterischer und technischer Qualität liegen, was sich sehr schnell negativ auf das Image auswirkt. Ein weiterer Nachteil ist, dass Online-Spiele mit nicht ausreichenden Interaktionsmöglichkeiten lediglich Kunden anlocken, die reine Spielernaturen sind und denen es nur um den Gewinn geht. Nachteilig kann sich auch auswirken, dass bei den angegebenen Daten der Kunden hinsichtlich ihrer Aussage-
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kraft Vorsicht geboten ist, da nicht alle Online-Spieler korrekte Angaben machen. Der wesentliche Nachteil beim Online-Entertainment liegt jedoch darin, dass sich diese nur für bestimmte Produkte/ Dienstleistungen eignen. Auch Preisausschreiben und Online-Events sind bei den Kunden beliebte Entertainment Angebote. Bei Online-Events hat der Kunde die Möglichkeit, mit VIPs oder Stars in Kontakt zu treten. Vorteile liegen in der Kostengünstigkeit im Vergleich zu Outdoor-Events. Ansonsten gleichen die Vor- und Nachteile denen der Gewinnspiele. Die Botschaftsinteraktivität ist bei qualitativ hochwertigen Online-Spielen ebenso wie bei Online-Entertainment mit Interaktionsmöglichkeit als hoch einzustufen. Der persönliche Kontakt sowie Interaktionsmöglichkeiten sind zu jeder Zeit möglich. Der Kanal eignet sich nur für die Informations- und Akquisitionsphase und ist nur bedingt als alleiniger Kommunikationskanal geeignet. Die Investitionskosten sind hoch, die laufenden Kosten niedrig. 5.3.4.1.2. Weblogs Eine allgemein gültige Definition des Begriffs Weblog existiert z.Zt. nicht. Daher definiert nahezu jeder Weblog-Betreiber den Begriff anders. Trotz der daraus entstehenden sehr unterschiedlichen Meinungsvielfalt ist den meisten Definitionen gemeinsam, dass ein Weblog eine chronologische Auflistung von Informationen im WWW ist, wobei dabei immer die aktuellsten Beiträge zuerst aufgeführt werden. Das führt zu einer umgekehrten zeitlichen Anordnung, die viele zunächst verwirrt. Weil der Begriff Weblog auch irreführend sein kann, insbesondere wenn er mit den Zugriffsprotokollen von Webservern verwechselt wird, wird als Begriff auch gern die verkürzte Version „Blog“ verwendet. Als Beginn der Blog-Ära wird allgemein das Jahr 1997 genannt, als durch Cameron Barrets Cramworld, einer Webseite, sich die erste Community zu diesem Thema entwickelte60. Auch weitere Pioniere arbeiteten an Weblog, jedoch existierten bis 1999 nur etwa 25 Webseiten, die aus heutiger Sicht als Weblogs zu bezeichnen sind. Es waren ursprünglich sehr link-intensive Seiten und jedes eine einzigartige Mischung aus Links und persönlichen Kommentaren, die mit viel Aufwand hergestellt und gepflegt wurden. Im Jahr 1999 setzte dann eine dramatische Veränderung ein mit frei verfügbaren Programmen, die die tägliche Aktualisierung wesentlich vereinfachten61. Durch diese Vereinfachungen explodierte nicht nur die Anzahl der Weblogs, sondern es änderten sich auch die Inhalte. Heute hat allein Blogger über 500.000 registrierte Benutzer. Auch in Deutschland werden Blogs immer beliebter; so gibt es zurzeit etwa 500 Weblogs, jede Woche kommen ca. 5-10 neue Blogger hinzu. In Deutschland ist im Gegensatz zu den USA jedoch das Thema noch nicht richtig von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden. So finden sich nur vereinzelte Berichte in Fachzeitschriften, die große Masse der 174
Menschen hat sich diesem Thema noch nicht genähert. Während in den USA heute schon eine große Anzahl von Unternehmen nicht mehr auf ein eigenes Blog verzichten will, ist in Deutschland der unternehmerische Mut doch sehr begrenzt, wenn es um die Einbindung von Weblog in die eigene Kommunikationsstrategie geht.
Abb. 5.18:
Ein gutes Beispiel für einen Blog, der Medienblog der Universität Trier, Quelle: http://weblog.medienwissenschaft.de
Medienmacht erhält die Blog-Sphäre durch die Tatsache, dass sie über RSS miteinander vernetzt ist. Auf diese Weise wird die potentielle Reichweite von Weblogs multipliziert und es besteht die Chance, mit kostengünstig produzierten Inhalten (Microcontents) eine hohe Zahl interessierter Rezipienten zu erreichen62. Es ist generell zu unterscheiden zwischen externen Blogs „User Generated Blogs“ und den „Corporated Blogs“, die das Unternehmen selbst unterhält. 1. Corporate Blogs Corporate Blogs sind für Unternehmen gekennzeichnet durch Image-, Thematisierungsund Informationsfunktionen. Ihre Funktion liegt darin, ein Produkt/ Dienstleistung bzw. Organisationsstrategie extern und auch intern zu kommunizieren, um an der virtuellen
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Meinungsbildung im Netz teilzunehmen. Von Zerfaß werden Corporate Blogs unterschieden in interne Kommunikation, Marktkommunikation und Public Relations; sie werden weiter nach ihrem Charakter unterschieden in diejenigen mit einer informativen, persuativen oder argumentativen Ausprägung63. Die folgende Abbildung 5.19. zeigt die Aufteilung im Überblick.
Abb. 5.19:
Einsatzmöglichkeiten von Weblogs in Wirtschaft und Politik, Quelle: Zerfaß [2005]
(1) Interne Kommunikation umfasst alle Partizipanten einer Unternehmung, Eigentümer, Leitungsorgane, Mitarbeiter, die die Corporate Identity der Organisation aktiv mitgestalten und an der Umsetzung der Ziele mitarbeiten. Weblogs, die sich vorwiegend an Mitarbeiter wenden, werden üblicherweise im Intranet betrieben, z.B. zur Dokumentation von Projekten. Diese noch nicht so weit verbreitete Form ist eine kostengünstige Alternative zu kommerziellen Knowledge-Management-Systemen innerhalb von Unternehmen. (2) Externe Marktkommunikation ist an alle Steakholder gerichtet, die für das Unternehmen von Interesse sind und deren Gunst gewonnen werden soll bzw. deren Meinung gefragt ist. (3) Public Relations bezogene Kommunikation richtet sich an die Mitglieder der Gesellschaft, Institutionen (Umwelt etc.), Politik und Verbände. Hier soll auf die öffentliche Meinung eingewirkt werden. Corporate Blogs werden bei der Planung in folgende idealtypische Erscheinungsformen eingeteilt64: 1. informative Vorgehensweise, hier steht die Bedeutungsvermittlung und Wissensgenerierung im Vordergrund, 176
2. persuative Kommunikation, hier werden übergeordnete Koordinationsformen unterstützt, wie Reputation, administrative Macht oder Kaufverträge, 3. Argumentationsprozesse, die der Kommunikation von Interessenserklärungen dienen. Als praktisches Beispiel für einen PR-Blog dient die Firma Mattel Inc., die im November 2002 mehrere Weblogs65 für die Spielzeugpuppe Barbie und deren Welt einrichtete. Das erwies sich als ein geschickter Marketing-Schachzug, da im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft 2002 (fast) alle Medien ausführlich über die Webseite berichteten. Ein anderes Beispiel zeigt Corporate Blogs für Marktforschungszwecke. So sendet die Firma Nokia Produkte bewusst und gezielt an Blogger, die diese bewerten und in ihrem Blog veröffentlichen. Eingesetzt werden zwar zumeist qualitative Bewertungen, aber Marktforschung wird so transparenter und findet nicht mehr nur in Marktforschungsinstituten statt. 2. User Generated Blogs User Generated Blogs sind von privaten Usern und Institutionen betriebene Blogs. Die Kommunikation ist für Unternehmen kaum kontrollierbar, insbesondere wenn kritische oder unzufriedene Beiträge veröffentlicht werden. So erscheinen noch heute negative Blog-Beiträge über das Unternehmen Jamba unter den ersten Ergebnissen bei Google, obwohl der ironische Artikel über das Businesskonzept Jambas im Weblog Spreeblick bereits 2004 erschienen ist. Vorteile von Blogs liegen in der zielgruppengerechten Ansprache sowie in der Verbreitung von Informationen in Echtzeit. Sie stellen besonders für mittelständische Unternehmen eine interessante Log-budget-alternative zur klassischen Website von Firmen dar, da die Kosten für Implementierung und Aktualisierung rel. gering ausfallen. Nachteile von Blogs liegen, wie zuvor beispielhaft gezeigt, in der massenmedialen Wirkung von Weblogs bei negativen Einträgen. Gerade hier zeigt sich die Unkontrollierbarkeit der Kommunikation für Unternehmen, denn es werden keine objektiven wissenschaftlichen Erkenntnisse kommuniziert, sondern subjektive Meinungen. Weblogs und Issue-Management von Weblogs sollte daher Bestandteil von PR-Arbeit sein, um Kritik zeitnah zu identifizieren und mit Dialogen entgegenzuwirken. Durch Weblogs wird ein Dialog zwischen Unternehmen und User bzw. zwischen den Usern hergestellt. Blogs werden in Deutschland zwar immer beliebter, als Einbindung in die Unternehmenskommunikations-Strategie sind Blogs jedoch im Vergleich mit den USA deut-
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lich weniger zu finden. Es existieren zwei Ausrichtungen: Corporate Blog und User Generated Blog. Corporate Blogs können für die interne Kommunikation, Marktkommunikation und Public Relations eingesetzt werden. User Generated Blogs werden von Privatleuten oder Institutionen contentbezogen betrieben. Vorteil ist eine zielgruppengenaue Ansprache. Blogs nutzen Viral-Marketing und können dadurch Medienmacht erlangen. Es existiert eine hohe Botschaftsinteraktivität durch die direkte Interaktion mit dem Kunden. Die Investitionskosten sind gering; etwas höher sind die laufenden Kosten für Personal (Monitoring im IssueManagement und Vollzeitkraft für tägliche Aktualisierung des Blogs). 5.3.4.1.3. Virtuelle Communities Virtuelle Communities (auch Online-Communities, virtuelle Gemeinschaften oder virtual Communities genannt) sind bisher in der Wissenschaft nur begrenzt erforscht. Im Bereich des E-Commerce gewinnen Virtuelle Communities an Bedeutung; sie haben sich aus den ursprünglich nichtkommerziellen Diskussionsgruppen der Anfangszeit des Internet entwickelt und werden zunehmend als Mittel zur (erfolgreichen) Durchführung wirtschaftlich motivierter E-Commerce Aktivitäten gesehen. Ihre Bedeutung zeigt sich auch daran, dass in zunehmendem Maße bisher nichtkommerzielle Communities von kommerziellen E-Commerce Anbietern aufgekauft werden, wie z.B. Diabetis.com durch die Online-Apotheke PlanetRX oder Geocities durch Yahoo etc. Für den Begriff „Virtuelle Communities“ (VC) existieren in der Literatur zahlreiche Definitionen, die je nach Themenbereich soziologisch, technologisch oder ökonomisch zu interpretieren sind. Hagel/Armstrog beschrieben 1997 als erste den kommerziellen Wert von VCs und definieren fünf Merkmale: 1. 2. 3. 4. 5.
Ein spezifischer Interessensschwerpunkt, das Vermögen, Inhalt und Kommunikation zu integrieren, die Verwendung von Informationen, die Mitglieder bereitstellen, der Zugang zu konkurrierenden Anbietern und eine kommerzielle Orientierung.
Diese Punkte erscheinen jedoch eher als Erfolgskonzept für den kommerziellen Einsatz von VCs, denn als Definition. Besonders der Punkt 5 scheint zu eng gefasst zu sein. Eine Definition, die sowohl die sozialen Aspekte als auch die kommerziellen Aspekte beinhaltet bietet Schubert. „Virtuelle Gemeinschaften beschreiben den Zusammenschluss von Individuen oder Organisationen, die gemeinsame Werte und Interessen miteinander teilen und die über längere Zeit mittels elektronischer Medien, orts- und (teilweise auch) zeitungebunden interagieren66“.
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Abb. 5.20:
Ein gutes Beispiel für eine virtuelle Community, Quelle: http://www.geoafrica.co.za/
Die Anwendungsbereiche von VCs reichen vom Gebiet der Kundenschnittstellen im Unternehmen (Customer Relationship Management)67, über den organisationsinternen Wissenstransfer (Community-Management als Wissensmanagement-Tool)68, bis hin zu neuen Modellen der Nachfragebündelung und somit virtuellen Gemeinschaften als neue eigenständige Organisationsform mit eigenen Geschäfts-, Service- und Betreibermodellen69. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den ökonomischen Ansatz, der mit virtuellen Gemeinschaften ein Geschäftsmodell verknüpft, das neue Kommunikationsmöglichkeiten nutzt, um elektronische Märkte zu generieren und Kundenbindung zu erhöhen70. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Community Marketing für Unternehmen; die Community selbst als sozial motiviertes Geschäftsmodell wird nur im Zusammenhang mit der kommerziellen Nutzung betrachtet. Im Wesentlichen lassen sich zwei Formen voneinander unterscheiden: 1. Bildung der eigenen Community Der Aufbau einer Community stellt die höchste Form der Kundenkommunikation dar, davon sind viele Experten überzeugt71. Das Community-Leben entwickelt sich um ein vom Veranstalter bestimmtes Thema, das zu den Absatzbestrebungen passt. Beispiele sind Sport, Gesundheit und Reisen. Verkauf bzw. Vermittlung von Dienstleistungen stehen noch im Hintergrund. Die Inhalte müssen sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Zielgruppe orientieren mit dem Ziel der Steigerung des Bekanntheitsgrades. Beiträge werden über Entertainment, Informationen, Dienstleistungen in einer Weise zur Ver-
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fügung gestellt, die die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Mitgliedern der Community attraktiv machen72. Zur Steigerung der Loyalität zur Community können Mitglieder Beiträge, Erfahrungen und Wissen über Kommunikationsforen beisteuern. Dadurch entwickeln sich neue Ideen für Unterhaltungsangebote, es bilden sich Diskussionsgruppen und es beginnt, sich ein Netzwerk persönlicher Beziehungen zu entwickeln, was die Mitglieder an die Community bindet. Über Virus-Marketing (Mund zu Mund Propaganda) werden Produkte, Informationen und Dienstleistungen durch einen dynamischen Informationsfluss ergänzt. Beispiele für kommerzielle Communities sind MyVideo, YouTube, OpenBC etc. Diese stellen Usern die Plattform selbst zur Verfügung. Die Bereitstellung von Performance, Bereitstellungs- oder Informations-Tools werden gegen LogIn-Daten oder User Generated Contend verkauft. 2. Virtuelle Communities als Werbepräsenz Eine andere Möglichkeit besteht darin, bereits bestehende Communities als Werbepräsenz zu nutzen. Die Idee entstand, weil die Web 1.0-Instrumente PopUp-, LayerADbzw. Skyskraper-Werbung oder Banner von vielen Usern als störend empfunden werden und als Werbung wirkungslos geworden sind. Unternehmen setzen auf kontextintensivere Werbung, z.B. das Google Adsense-Programm oder eBays Relevance Ads, Tools für unauffällige Textanzeigen im richtigen Umfeld und daher von hohem Nutzen. Eine andere Art sind Participatory Video Ads. Es handelt sich um Sponsonenclips, die beispielsweise als Product Placements in Videospielen oder auf Videoplattformen platziert werden können73. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Markenprodukte in der virtuellen Community „Second Life“ zu platzieren und diese sogar virtuell zu verkaufen. Unternehmen, wie BMW, Sony etc., nutzen bereits diese Möglichkeit erfolgreich. Vorteile von VCs sind in der User-Reichweite zu sehen, die eine aktive Community bietet. Auch die Effekte des Virus Marketing sowie der zielgruppengenauen Individualisierung der Angebote können bei einer Community relativ schnell für selbstverstärkende Prozesse in der Verbreitung sorgen. Auch Marktforschung durch Benutzerdatenerhebungen ist möglich. Die Nachteile liegen in der Unkontrollierbarkeit des Kommunikationsprozesses für Unternehmen, vor allem aber darin, dass keine neutralen, wissenschaftlich begründeten Beurteilungen kommuniziert werden, sondern subjektive Beurteilungen. Diese können großen Schaden
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anrichten, insbesondere wenn negative Effekte durch massenkommunikativen Transfer zu Imageverlust oder Markenschädigung führen. Virtuelle Communities (VC) sind kein vollkommen neues Instrument; sie haben sich aus den Diskussionsgruppen der Anfangszeit des Internet gebildet. Es existieren viele Ausrichtungen (soziologisch, technisch, kommerzielle). Ansätze für kommerzielle VCs sind einzuteilen in VCs zur Bildung einer eigenen Community und VCs als Werbepräsenz. VCs zur Bildung einer eigenen Community stellen die höchste Form der Kommunikation mit Konsumenten dar, stellen aber auch die höchsten Anforderungen durch ein Geschäftsmodell. Im Idealfall bildet sich ein Netzwerk persönlicher Beziehungen mit hoher Loyalität zur Community. VCs als Werbepräsenz verlangen Feingefühl und Spürsinn für neue Formen der Werbung im Web (z.B. Second Life etc). VCs nutzen Viral-Marketing und können bei gut laufenden Communities Medienmacht erlangen. Die Botschaftsinteraktivität ist hoch bei geringen Investitionskosten und etwas höheren laufenden Kosten für Personal, das für beständige Unterhaltung und Aktualität in der VC sorgt. 5.3.4.1.4. Podcast/ Vodcast Unter Podcasting wird das Produzieren und Anbieten von Mediendateien über das Internet verstanden74. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem englischen Wort Broadcast (Rundfunk) und dem Begriff iPod (MP3-Player) von der Firma Apple. Der Podcast ist eine Audiodatei im MP3-Format, die über ein RSS automatisch herunter geladen und über den PC angehört bzw. auf einen MP3-Player übertragen und dort angehört wird75. Eine Weiterentwicklung dieses Prinzips der Nachrichtenverbreitung als Text oder Hörbeitrag sind Video Podcasts (abgekürzt Vodcasts)76, wobei zur Nutzung ein Breitbandkanal-Anschluss für User notwendig ist. Das Abspielen der Videos kann mobil auf einem iPod (MP3-Player) erfolgen, die seit ca. 2005 zumeist videofähig sind. Nutzungsmöglichkeiten und Zielgruppen können dadurch erheblich erweitert werden. Das Material wird zumeist vorher bearbeitet und als kurzer, prägnanter Film bereitgestellt. Aufbau und Wirkungsweise eines Audio Podcast zeigt die Abbildung 5.21.
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Abb. 5.21:
Aufbau und Wirkungsweise von Audio Podcast, Quelle: Rubens [2006], S. 24
Bei Pod- bzw. Vodcast handelt es sich nicht um Instrumente für den Dialog zwischen den Usern, wie z.B. bei Blogs oder der virtuellen Community. Es sind virale Tools, deren Zweck für Unternehmen oder User in der Informationsverteilung liegt. Thematische Beschränkungen dieser ausschließlich als Audio bzw. Video verfügbaren Inhalte gibt es keine. Von der professionell produzierten Radio-Show bis zu privaten Audio-Tagebüchern sind die unterschiedlichsten inhaltlichen Ausprägungen zu finden. Wie bei Blogs ist generell zu unterscheiden zwischen dem Corporate und dem User Generated Pod- bzw. Vodcasts. 1. Corporate Pod- bzw. Vodcast Corporate Pod- bzw. Vodcasts dienen zur Unternehmenskommunikation. Ebenso wie Blogs können sie für die interne Kommunikation, als Service-Toolfunktion oder für PRMaßnahmen eingesetzt werden. Sie funktionieren nach dem Pull-Prinzip, welches darauf basiert, dass die Kunden in Eigeninitiative die Kommunikation mit dem Unternehmen aufnehmen. Dazu muss der Pod- bzw. Vodcast interessant gestaltet sein und den Usern einen Mehrwert zum Download bieten. Das Pull-Prinzip hat den Vorteil, dass das veränderte Mediennutzungsverhalten der Konsumenten berücksichtigt und die Streuung niedrig gehalten werden. Als Beispiel kann die Erweiterung der Zielgruppenansprache durch Präsentation von Pod- und Vodcasts auf einer anderen Plattform, wie z.B. der iTunes der Firma Apple, dienen. Apple hatte im Sommer 2005 die von Nutzern selbst produzierten Musik- und Videosendungen in sein Programm iTunes implementiert, da das enorme Potential schon frühzeitig erkannt wurde. Das Unternehmen verzeichnete innerhalb von zwei Tagen über eine Mio. Downloads weltweit und listete die am häufigsten gehörten/gesehenen in einer Top 100-Liste auf. Diese Liste trug weiter zu einer Erhöhung des Bekanntheitsgrades von Apple bei, was mit einer enormen Reputationssteigerung verbunden war. 182
2. User Generated Pod- bzw. Vodcast Auch User Generated Pod- bzw. Vodcasts funktionieren nach dem Pullprinzip, sind aber als von den Kunden nach ihren Vorstellungen und Interessen produzierte Podcasts zu verstehen. Der Nutzen für Unternehmen lässt sich am Besten durch das Prinzip Customer Generated Advertising beschreiben. Der Sportschuhproduzent Converse wandte dieses Prinzip als einer der ersten an, indem er Kunden aufgeforderte, für Converse-Schuhe Werbespots zu produzieren77. Die Resonanz war derart überwältigend, dass sogar Fernsehsender landesweit darüber berichteten78. Das Beispiel zeigt, dass User Generated Pod- bzw. Vodcast bei entsprechend kreativer Ausrichtung ein hervorragendes Online PR-Instrument ist.
Abb. 5.22:
Ein gutes Beispiel für ein Podcast/Vodcast-Portal der Universität des Saarlandes, Quelle: http://www.rss-nachrichten.de/video-podcast/bildung/studium/rss-anzeigen-23628.html
Die Vorteile liegen in der Verbreitung von gesprochenen bzw. visualisierten Informationen und in der Kombination von Information und emotionaler Ansprache79, durch die Verbindung von Audio- Video und Textinhalten. Weitere Vorteile sind in der Ausrichtung an den neuen Kommunikationsausrichtungen der Konsumenten (Pull-Ausrichtung) zu sehen. Durch Kombinationen mit Blogs etc. können Themenbereiche virtuell erlebbar gemacht und sich Synergieeffekte für Pressearbeit und interne Kommunikation ergeben.
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Box 5.6. Warnung vor Desinformation im E-Commerce „Beim Einkaufen im Internet werden Kunden oft falsch oder unzureichend informiert, warnte gestern der US-amerikanische Verbraucherverband Consumer Federation of America. Eine Studie
des Verbands ergab, dass bei Suchmaschinen für Preisvergleiche größte Skepsis angebracht ist. Die meisten Verbraucher haben subjektiv den Eindruck, sie hätten mit ihrer Suche den besten Preis ermittelt. Doch das ist objektiv oft nicht der Fall", sagte CFA-Sprecher Jack Gillis. In der Rangfolge der Suchergebnisse erhielten zahlende Anzeigenkunden oft einen bevorzugten Platz. Einzelne Suchmaschinen blendeten bestimmte, vor allem nicht-amerikanische Marken wie Sony, Mitsubishi oder Yamaha aus. Viele Preise würden ohne Transportkosten angegeben. Der Verband empfiehlt den Internet-Shoppern, sich nie auf nur eine Suchmaschine zu verlassen, um günstige Angebote zu ermitteln. Außerdem tadelt der Verbraucherverband, Internet-Einkäufer würden oft ohne ihre bewusste Zustimmung auf andere Webseiten umgeleitet. Bestimmte Websites machten sogar für das gleiche Produkt unterschiedliche Preisangaben, je nachdem, wie und woher der User auf die Site kommt.“ Quelle: o.V. [1999]
Die Risiken sind ähnlich wie bei Blogs und virtuellen Communities in der Subjektivität bei der Verbreitung von unternehmenskritischen Inhalten zu sehen, beispielsweise bei Qualitätsmängeln des erstellten Podcast- oder Vodcast. Professionelle Hilfe kann hier negative Beurteilungen vermeiden helfen. Auch ist Vorsorge zu treffen beim Kostenfaktor Hosting, ansonsten können bei vielen Downloads die Kosten in die Höhe schnellen. Ob Pod- bzw. Vodcasts als Marketing-Tool eine Zukunft haben, hängt vor allem vom Content ab. Podcasts müssen unterhaltend und informativ sein und regelmäßig erscheinen. Oft findet eine Einbindung in das vorhandene redaktionelle Umfeld statt und Podcasts dienen als zusätzlicher Übertragungskanal. Ob diese Instrumente die Kanäle der Zukunft sein werden, ist heute noch nicht zu ermessen. Insbesondere im Hinblick auf neue Handygenerationen (iPhone etc.), die Telefon, MP3-Player und TV in einem sein wollen, bleibt die Entwicklung abzuwarten. Podcasting beinhaltet das Produzieren und Anbieten von Mediendateien über das Internet. Vodcast ist die Weiterentwicklung des Prinzips der Nachrichtenverbreitung auf Videos. Die Instrumente sind, anders als Blog oder VC, nicht für den Dialog zwischen Usern, sondern zur Informationsverteilung auf der Basis von Virus-Marketing geeignet. Es ist zu unterschei184
den zwischen Corporate und User Generated Pod- bzw. Vodcast. Corporate Vod- bzw. Podcast bezeichnet Unternehmenskommunikation, die nach dem Pull-Prinzip funktioniert, User Generated Pod- bzw. Vodcast wird nach den Interessen und Vorlieben der User von diesen produziert. Beide können bei hohem Mehrwert im Download-Bereich Medienmacht erlangen. Die Botschaftsinteraktivität ist hoch durch Interaktionsmöglichkeiten mit den Usern. Die Investitionskosten, selbst bei professioneller Hilfe, sind als gering einzustufen und auch die laufenden Kosten im Hosting-Bereich fallen bei rechtzeitiger Beachtung gering aus. 5.3.4.2.
Dynamische Informationstools
Dynamische Informationstools entwickelten sich aus der Web 1.0-Welt. Sie basieren auf Verzeichnissen von Webseiten, die unverzichtbar waren, um sich in den Anfängen des WWW im Netz zurechtzufinden. Zur Einordnung der Suchergebnisse in Webseiten wurden hierarchische Taxonomien verwendet80. Diese Verzeichnisse hatten allerdings den großen Nachteil, dass der Content nach einem festen Kategorisierungsschema eingetragen werden musste. Diese Verzeichnisse waren auch in der jüngeren Vergangenheit, z.B. bei eBay, noch im Einsatz. Moderne dynamische Informationstools der Web 2.0-Welt nutzen zwar virale Effekte und Netzwerkeffekte, die vorrangige Zielsetzung besteht jedoch darin, in den Tools präsent zu sein und möglichst hoch gerankt zu werden. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem Marketing-Grundsatz, der besagt, dass wer Kommunikation beeinflussen will, auch Teil von ihr werden muss. In einer sozial vernetzten Welt ist derjenige erfolgreich, der soziale Netzwerke und Social Media Tools selbst nutzt, z.B. um Marken bekannter zu machen oder mit seinen Produkten die eigenen Zielgruppen besser zu erreichen. Aus diesen Ansätzen und Grundgedanken haben sich die Instrumente der dynamischen Informationstools entwickelt. Nachfolgend werden ausgewählte Tools näher beschrieben. 5.3.4.2.1. Social Bookmarking Social Bookmarking ermöglicht es dem Internetnutzer, seine Bookmarks (Lesezeichen) bei einem Online-Dienst abzuspeichern, abzurufen oder auch zu durchsuchen81. Es zeichnet sich dadurch aus, dass die Bookmarks i.d.R. offen zugänglich sind und von jedem eingesehen werden können. Ein Social Bookmark-Dienst (z.B. Mister-wong.de; del.icio.us etc.) ermöglicht es zudem, alle öffentlichen Bookmarks der Nutzer zu durchsuchen. Der in Deutschland bekannteste Social Bookmark-Dienst ist Mister-wong.de., weitere Dienste sind z.B. del.icio.us und Furl. Das zu Yahoo gehörende del.icio.us hat zwar auch deutsche Nutzer, ist aber nur in englischer Sprache nutzbar. Der in Deutschland bekannteste Social BookmarkDienst, Mister-wong.de, hat kürzlich eine Marktbereinigung in der Hinsicht vorgenommen,
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dass er den kleineren Konkurrenten Taggle übernommen hat und nun eine marktbeherrschende Stellung einnimmt.
Abb. 5.23:
Ein gutes Beispiel für einen Social Bookmarking-Dienst in Deutschland Mister-wong, Quelle: http://www.mister-wong.de
Unternehmen sollten auf Social Bookmarking-Seiten vertreten sein, weil sich aus den persönlichen Linksammlungen der User z.B. ein Bewertungsmaßstab für die Unternehmenswebseite ergibt. Trotz der zunächst als gering erscheinenden Möglichkeiten auf individuelle Favoritenlisten zu gelangen, können Unternehmen Beeinflussungsformen nutzen. So sollten nicht nur die eigenen Favoriten (mit Links zur Unternehmensseite) der Öffentlichkeit zugänglich sein, sondern es sollten auch möglichst viele Kunden und Besucher von einer Verlinkung überzeugt werden. Förderlich dafür ist die regelmäßige Erwähnung eines Social BookmarkingDienstes im eigenen Weblog oder der Newsletter. Eine andere Möglichkeit ist Social Media Optimization (SMO). Hierbei werden als unterstützende Maßnahme die Button der unterstützenden Dienste auf jeder Seite der UnternehmensWebsite platziert. Das soll den Besucher daran erinnern, dass er den Artikel doch bitte bookmarken sollte und ihm dieses möglichst einfach machen. Durch einen Klick den entsprechenden Social Bookmark-Dienst ist dieser integriert und das Bookmarking ist problemlos vorgenommen. Ein Beispiel für eine derartige Button-Leiste zeigt Abbildung 5.24.
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Abb. 5.24:
Button-Leiste mit verschiedenen Social Bookmarking-Diensten, Quelle: o.V. [2007d]
Auch die Möglichkeiten des Tagging sollten Unternehmen nicht außer Acht lassen. Tags sind Stichwörter, mit denen Kunden jeden neuen Eintrag versehen. Das erweist sich als nützlich, da Social Bookmarking Sites ansonsten keine Hinweise auf den Inhalt der Seite haben und sich auf diese Weise für die Allgemeinheit Kategorien bilden lassen. Kategorien können sehr sinnvoll sein, um das Bookmarken zu vereinfachen. Kunden müssen so nicht lange überlegen, wenn die Seiten schon mit Vorschlags-Tags versehen sind. Die Vorteile des Social Bookmarking liegen in der persönlichen und zielgruppengenauen Ansprache der Kunden durch kontentbezogene, relevante und unterhaltsame Gestaltung. Bookmarks bei Bookmarking-Dienstleistern können Medienmacht durch die Nutzung der viralen Effekte der Weiterempfehlung entfalten. Sie können daneben auch Aussagen zur Relevanz der eigenen Webseite machen. Die Hauptnachteile bei Social Bookmarking liegen in der Unkontrollierbarkeit der Kommunikation. So ist z.B. ein großer Nachteil in der Zurückhaltung und der Schwierigkeit zu sehen, die besonderen Formen zu finden, mit denen Unternehmen Marketinginhalte in einer sehr empfindlich reagierenden „privaten“ Community platzieren können. Medienmacht können negative Inhalte entfalten, bei denen z.B. eine Verlinkung zu sog. Hate-Sites sich außerordentlich schädlich für Marken, Produkte und Hersteller erweisen kann. Social Bookmarking ermöglichen es Kunden, Bookmarks bei einem Online-Dienst abzuspeichern. Social Bookmark-Dienste ermöglichen es, Bookmarks öffentlich zu durchsuchen. Der in Deutschland bekannteste Bookmark-Dienst ist Mister-wong.de. Unternehmen müssen auf Bookmarks vertreten sein, weil Linksammlungen von Usern ein Bewertungsmaßstab für Unternehmenswebseiten sein können. Mögliche Beeinflussungsformen sind daher zu nutzen, beispielsweise durch Social Media Optimization, bei dem eine integrierte ButtonLeiste Bookmarking für Kunden vereinfacht. Die Botschaftsinteraktivität von Bookmarking ist als rel. hoch einzustufen, da die Kunden über denselben Kanal Interaktionsfähigkeiten haben. Die Investitionskosten und laufenden Kosten sind gering. 5.3.4.2.2. Wikipedia Der Begriff Wikipedia setzt sich zusammen aus den Worten „Wiki“ und dem englischen Wort „Encyclopedia“82. Unter einem „Wiki“ wird eine Web-Applikation verstanden, durch die es
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für jedermann möglich wird, Inhalte auf einer Webseite hinzuzufügen und auch die Inhalte anderer Besucher zu editieren. Die Initiierung, die hinter Wikipedia steht, besteht darin, jeder Person freien Zugriff auf das menschliche Wissen zu gewähren; unter dem Motto, dass viele Freiwillige umsonst ihr Wissen zur Verfügung stellen. Als Online Enzyklopädie am erfolgreichen ist zurzeit das englischsprachige Wikipedia.org. mit ca. 1.300.000 Artikeln, an Nummer 2 steht das deutschsprachige Verzeichnis Wikipedia.com mit ca. 450.000 Artikeln83. Im Gegensatz zu Blogs, denen häufig durch Subjektivität und Individualität von Meinungen und Informationen, eine eingeschränkte Sichtweise unterstellt wird, zeichnen sich Wikis bei der Informationsdarstellung durch eine relativ „objektive“ Sichtweise aus. Diese wird von der Gemeinschaft getragen84. Für Unternehmen ist es wichtig, im Wikipedia präsent zu sein, da es sich zum meist genutzten Lexikon der Welt entwickelt, was sich auf die Ergebnisse der wichtigsten Suchmaschinen auswirkt. Möglichkeiten, in Wikipedia präsent zu sein, lassen sich generell unterscheiden in Corporate und User Generated Wikis. 1. Corporate Wikis Unternehmen können z.B. die Möglichkeiten eines eigenen Wikis für Marketingzwecke nutzen. Bei der Erstellung eines Wikis ist zu beachten, dass Dialogmöglichkeiten für die User geschaffen werden, um z.B. den Informationsaustausch für Produktentwicklung oder Unternehmenskommunikation zu nutzen. Werden beispielsweise den Nutzern Mitgestaltungsmöglichkeiten bei der Produktentwicklung signalisiert, können Kunden eigene Ideen und Wünsche zur Verbesserung einbringen85. Sie werden so in den Marketingprozess involviert. Gleichzeitig bietet sich durch Kundenbefragungen den Unternehmen eine Ergänzung zur kostenintensiven Marktforschung und zudem wird die Bindung an die Zielgruppen erhöht. 2. User Generated Wikis Eine Möglichkeit, aus Unternehmenssicht im Wikipedia zu erscheinen, ist zu wichtigen Themen und Begriffen selbst Artikel zu verfassen. Voraussetzung ist, dass nicht schon Artikel zu den Themen und Begriffen existieren. Gute Artikel erhöhen die Bekanntheit in der Community und damit die Reputation. Daneben erhöhen sich auch die Möglichkeiten, relevante Inhalte mit denjenigen von Firmenwebseiten zu verlinken. Die Option der Verlinkung führt zu einer weiteren Möglichkeit, in Wikipedia präsent zu sein. Sie ist in weiterführenden Links zu sehen, die aus der Enzyklopädie auf externe Websites führen. Dadurch kann z.B. im Hinblick auf Suchmaschinen ein großer Pluspunkt für das Ranking im vernetzten Angebot entstehen, weil Nutzer häufig die verlinkten Seiten am Ende des Wikipedia-Eintrages nutzen und auf diese Weise die eigene Webseite generell in den Positionierungen der Suchmaschinen erhöhen. Einen Link erhält derjenige, der einen Artikel zu einem Thema schreibt und relevante Inhalte, z.B.
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auch aus Unternehmenswebseiten, für den Artikel nutzt. Der dazugehörigen Link wird als Quellennachweis hinzugefügt.
Abb. 5.25:
Beispiel für eine Wikipedia-Seite, Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite
Die Vorteile von Wikipedia liegen in der individuellen und zielgruppengenauen Ansprache der Kunden und in der Nutzung viraler Effekte der Weiterempfehlung. Medienmacht können Corporate Wikis entfalten, wenn der Content relevant informativ gestaltet ist. Nachteile von Wikipedia sind in der Unkontrollierbarkeit der Kommunikation zu sehen. So besteht z.B. die Möglichkeit zur Editierung bereits bestehender Inhalte. Dadurch ist der Möglichkeit von Manipulationen „Tür und Tor“ geöffnet, was sich sehr negativ auf die Reputation von Unternehmen auswirken kann. Die Möglichkeit zu Löschungen bestehender Einträge, kann zudem die Arbeit z.B. für einen Artikel mit Verlinkungen in Sekunden zunichte machen. Wikipedia steht für eine Plattform im Netz, die die Fähigkeit besitzt, gemeinsam Glossare zu erstellen, in denen jeder beliebig editieren darf – auch an bereits bestehenden Texten. Unternehmen sollten im Wikipedia präsent sein, da es sich zum meist genutzten Lexikon der Welt entwickelt und Einträge/ Links sich insofern auf die Ergebnisse der wichtigsten Suchmaschinen auswirken. Corporate Wiki ist eine Form, bei der Unternehmen eigene Wikis zu relevanten Themen/ Begriffen erstellen und die Dialogmöglichkeiten mit den Kunden in die Marketingkommunikation einbinden. Bei User Generated Wiki erstellen Unternehmen Artikel auf fremden Plattformen und Verlinken die Quellen, z.B. mit Firmenportalen etc. Die Botschaftsinteraktivität von Wikipedia ist als rel. hoch einzustufen, da die Kunden über denselben Kanal Interaktionsfähigkeiten haben. Die Investitionskosten für Corporate Wikis liegen
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im mittleren Bereich durch Personalkosten für Betrieb und beständige Aktualisierung. Die laufenden Kosten sind gering. 5.3.4.2.3. Suchmaschinenmarketing Suchmaschinenmarketing hat sich aus Suchdiensten entwickelt, ohne die das Internet sich nicht als Massenmedium etabliert hätte. Es gehört mittlerweile zu den populärsten Formen des Online-Marketing. In den USA betrugen die Ausgaben im Jahr 2006 ca. 8 Mrd. US$86. In Deutschland lagen die Ausgaben im gleichen Zeitraum bei ca. 710 Mio. €, ein Anteil von 43% an den Ausgaben für Online-Marketing. Das Online-Werbevolumen im Jahr 2006 betrug in Deutschland insgesamt ca. 7,6% von den gesamten Werbeausgaben87. Experten gehen von einer Verdreifachung der weltweiten Suchmaschinenmarketing-Umsätze in den nächsten fünf Jahren aus. Als Anzeichen dafür ist die Entwicklung bei einem der führenden Suchmaschinenanbieter Google zu beobachten. Hier werden pro Tag allein 200 Millionen Anfragen in 88 Sprachen beantwortet. Der Einsatz von Suchmaschinen ist daher u.a. für neue Formen und Vermarktungsmöglichkeiten im Web 2.0 verantwortlich. Diese lassen sich allgemein in drei Kategorien aufteilen: 1. Volltextdatenbanken, hierbei handelt es sich um die klassischen Suchmaschinen, wie z.B. Google, Altavista.de. Sie verfügen über automatische Programme, die das Internet nach Informationen durchsuchen. Diese Programme werden Crawler, Spider oder Robots genannt. Die SpiderBots oder Web-Crawler bewegen sich kontinuierlich durch das Netz, lesen die Inhalte von Webseiten und melden diese an die Suchmaschine, die die Daten zueinander ins Verhältnis setzt und Gewichtungen vergibt88. Die Gewichtung, der sog. RankAlgorithmus, gibt an, in welcher Reihenfolge die Suchergebnisse auf der Trefferliste angezeigt werden. 2. Metasuchmaschinen, sie betreiben eine eigene Benutzeroberfläche, haben aber keinen eigenen Datenbestand89. Sie beziehen ihre Informationen über andere Suchmaschinen und Web-Kataloge und zeigen die Ergebnisse in eigenen Trefferlisten an. Doppelte Ergebnisse werden eliminiert, die Rangreihenfolge wird nach individuellen Merkmalen der jeweiligen MetaSuchmaschine festgelegt. Beispiele für Metasuchmaschinen in Deutschland sind: MetaGer, Metacrawler etc.
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Box 5.7. Das so genannte Web 2.0 -Digitaler Maoismus „In den frühen neunziger Jahren gehörte der Autor des folgenden Textes, der Computerwissenschaftler und Musiker Jaron Lanier, zu den Visionären einer digitalen Kultur. Er unterrichtete Computerwissenschaften an der Columbia University, in Yale und an der New York University. Ende der Neunziger leitete er den Aufbau des akademischen Internet 2. […] Wer meinen Namen im kollektiv verfassten Onlinelexikon Wikipedia nachschlägt, erfährt, dass ich Filmregisseur bin. Ich habe zwar vor gut 15 Jahren einen Experimentalfilm gedreht, der allerdings nur ein einziges Mal auf einem Festival gezeigt wurde, und es ist mir ganz recht, dass man ihn wahrscheinlich niemals wieder sehen wird. Jedes Mal wenn mein Wikipedia-Eintrag korrigiert wird, verwandele ich mich allerdings innerhalb kürzester Zeit wieder in einen Filmregisseur. In den vergangenen Wochen haben mich gleich zwei Reporter zu meiner Karriere als Filmemacher befragt. Nun gibt es Schlimmeres, und ich habe mit Wikipedia auch kein Problem. Es stellt lediglich ein Experiment dar, das sich enorm verändern und entwickeln kann. Das Problem ist vielmehr, wie wichtig und ernst Wikipedia nach kurzer Zeit genommen wurde. Das ist ein Beleg für den Siegeszug eines Online-Kollektivismus, der nichts anderes bedeutet, als die Wiederauferstehung der Idee, dass das Kollektiv über eine allwissende Weisheit verfügt, die man zentral bündeln und lenken muss. Dies ist das Gegenteil von Demokratie und Meritokratie. Wenn die extreme Rechte oder die extreme Linke in der Vergangenheit versucht hat, uns diese Idee aufzuzwingen, hatte das jedes Mal grausame Konsequenzen. Dass uns heute prominente Technologen und Futuristen diese Idee nahe bringen wollen, macht sie nicht ungefährlicher.“ […] Quelle: Lanier [2007], S. 1
3. Kataloge, sind Suchportale, die zumeist individuell vom Betreiber erstellt und gepflegt werden. Sie ähneln von der Struktur her einem Bibliothekskatalog. Die Sortierung der Inhalte erfolgt nach Relevanz in einer Top-down-Sortierung, die aber subjektiv vom Betreiber bestimmt wird. Beispiele für Kataloge in Deutschland sind allesklar.de oder bellnet.de. Kataloge sind von Bedeutung, da auch heute noch ein großer Teil der User Kataloge oder Verzeichnisse zur Online-Suche nutzt. Im Hinblick auf Marketing-Aktivitäten ist es für Unternehmen sehr wichtig, in Volltextdatenbanken möglichst weit oben in den Ergebnislisten zu stehen, da diese die am meisten frequentierte Form der Suchmaschinen darstellt. Das kann durch zwei Wege geschehen,
191
(1) Search Engine Optimization (SEO) oder (2) Search Engine Marketing (SEM).
Abb. 5.26:
Ein gutes Beispiel für ein Suchergebnis mit der Suchmaschine Google
Der Konsument hat, wie in Abbildung 5.26. zu ersehen, den Begriff „Hotel Paris“ eingegeben und erhält zweierlei Ergebnisse vom Suchmaschinenanbieter (vorliegend Google). Auf der Webseite links angeordnet die mit Hilfe des Suchalgorithmus ermittelten Ergebnisse, die nach Relevanz der entsprechenden Webseite angeordnet sind. Hierbei handelt es sich um den Weg des Search Engine Optimization (SEO). Zum anderen werden oberhalb und rechts von den Suchergebnissen Anzeigen werbetreibender Unternehmen geschaltet (sponsered search oder paid result genannt). Hier handelt es sich um den Weg des Search Engine Marketing (SEM). Das Layout dieser nicht mehr als vierzeiligen Anzeige ist einheitlich gestaltet, es weicht nur geringfügig vom Suchergebnis ab und besteht aus drei Teilen: 1. Einer Überschrift, die mit einem „Deep Link“ versehen ist. Damit wird eine Stelle auf der Webseite bezeichnet, die auch Landing page oder Einsprungstelle genannt wird. 2. Einem höchstens zweizeiligen Werbetext. 3. Der URL der Webseite des werbenden Unternehmens. Aus Blickanalysen ist ersichtlich, dass Anzeigen unmittelbar oberhalb der Suchergebnisse und auch Anzeigen auf der rechten Seite oben stärker wahrgenommen werden als solche, die sich weiter unten befinden90. Nach dieser Attraktivität werden die Ränge für Anzeigen num-
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meriert. Begründet wird dieses von den Suchmaschinenanbietern mit der durchschnittlich stärkeren Wahrnehmung, die dazu führt, dass normalerweise Anzeigen im oberen Bereich häufiger angeklickt werden und somit mehr Konsumenten auf die Webseite des Unternehmens kommen. Die begehrten obersten Plätze in den Anzeigen werden von den Suchmaschinenanbietern, wie Google oder Yahoo, per Versteigerung vergeben. Dabei erfolgt die Verteilung nicht nur nach Höhe des Gebotes für jeden Klick, (die Spanne liegt zwischen 0,45 und 8.-€), sondern auch nach Attraktivität der Anzeige. Dieses wird anhand der Click-throughRate gemessen. Das ist der Prozentsatz an Nutzern, die den Link wahrnehmen und anklicken. Für jeden Klick fällt ein vorher festgelegter (ersteigerter) Preis an91. Diese Form der OnlineWerbung wird z.B. bei der Firma Google „Google AdWords“ genannt und stellt eines der größten Suchwerbeprogramme dar. Auch auf Webseiten von Partnern werden derartige Anzeigen von Suchmaschinenanbietern angeboten. Es handelt sich um Mitglieder eines Suchnetzwerkes, bei denen Werbung, in vergleichbarer Form zur Werbung auf der Website des Suchmaschinenanbieters, geschaltet wird. Beispiele dafür sind AOL, web.de etc. Auch Partner der Suchmaschinenanbieter, die keine Suchfunktion besitzen, sondern üblicherweise als Content-Mitglieder bezeichnet werden (z.B. stern.de), bieten Suchmaschinenwerberbung. Hier weicht die formale Anzeigenschaltung vom Suchnetzwerk ab und Bilder sowie Firmenlogos können problemlos eingebunden werden. Werbeeinnahmen aus dem Netzwerk werden zwischen dem Suchmaschinenanbieter und den Partnern geteilt. Die Vorteile von Suchmaschinenmarketing liegen in der Steigerung der Webpräsenz, denn die Platzierung in einer Suchmaschine entscheidet darüber, ob eine Webseite besucht wird oder nicht. Damit verbunden ist der Verkaufsförderungsaspekt, der durch die Aufmerksamkeitssteigerung von potentiellen Käufern für die eigenen Produkte erreicht wird. Die Zielgruppenansprache ergibt sich durch virale Effekte und das Pull-Prinzip, womit vorwiegend interessierte Kunden auf die Webseite gelockt werden. Die Nachteile liegen in der großen Abhängigkeit von den großen Suchmaschinenanbietern. Sie entscheiden weitgehend darüber, welche Seiten im Ranking nach oben kommen (Gewinnprinzip) und können mit „Strafaktionen“ Web-Unternehmen in den Ruin treiben. Auch falsch gewählte Keywords oder von den Web-Crawlern nicht zuordenbare Keywords können sich nachteilig auswirken, da eine höhere Platzierung verhindert wird. Suchmaschinenmarketing ist heute als Web-Werbeform nicht mehr wegzudenken und hat ein großes Potential in der Zukunft. Es gibt drei Formen von Suchmaschinen: (1) Volltextdatenbanken, diese werden von den großen Suchmaschinenanbietern vorgehalten (Google etc.). Automatische Programme durchsuchen kontinuierlich das Internet, melden die gelese193
nen Inhalte an die Suchmaschine, die die Daten zueinander ins Verhältnis setzt und Gewichtungen vergibt. Der Rankalgorithmus gibt die Reihenfolge für die Trefferliste vor. (2) Metasuchmaschinen, diese haben eine eigene Oberfläche und beziehen Informationen über andere Suchmaschinen und Kataloge. Das Ranking erfolgt subjektiv nach Maßgaben der Metadatenbank. (3) Kataloge sind individuelle Suchportale nach dem Muster von Bibliothekskatalogen. Möglichkeiten, um in Volltextdatenbanken weit oben in der Sortierung zu landen, können durch den gerade beschriebenen Weg des Engine Optimization (SEO) vorgenommen werden oder per Search Engine Marketing (SEM). Beim SEM können Werbeanzeigen rechts oder oben von der Trefferliste vom Suchmaschinenanbieter ersteigert werden. Sie sind ähnlich formal aufgebaut wie die durch SEO gefundenen Treffer und werden per Klick bezahlt. Suchmaschinenwerbung kann auch bei Content-Mitgliedern geschaltet werden, wobei hier die Formvorschriften auch abweichen können. Die Botschaftsinteraktivität von Suchmaschinenmarketing ist als hoch einzustufen, da Kunden über denselben Kanal Interaktionsmöglichkeiten haben. Die Investitionskosten liegen im mittleren Bereich durch Personal, das das Netzwerk aufbauen und ständig aktualisieren muss. Die laufenden Kosten sind als gering einzustufen. 5.3.4.3. Web-Services MashUps Als MashUp wird die Kombination verschiedener Web 2.0-Instrumente und ihres Content bezeichnet. Der Begriff MashUps lässt sich ursprünglich auf die Musik zurückführen und wird hier auch verwandt als Bezeichnung für die Kombination von Musik und Gesang aus verschiedenen Songs. Ein MashUp ist im Rahmen von Web 2.0 eine Gesamtanwendung, die sich aus den einzelnen voneinander unabhängigen Inhalten und Services der Instrumente ergibt. Durch die neue Verbindung von existierenden Inhalten soll eine neue Qualität erreicht werden92. Ein Mehrwert, der sich in der Content Syndication, d.h. der Aufwertung der eigenen Inhalte, ergibt. Dazu wird aber nicht in den Programmcode der Quellanwendungen eingegriffen. Die Inhalte werden über die offene Schnittstelle (API) und per Web-Feed (RSS) bzw. über die Modifikation per Java Script bereitgestellt. Zur schnellen und unkomplizierten Kombination von Inhalten werden wichtige Ressourcen und Inhaltsquellen benötigt. Sowohl unternehmensinterne als auch externe Quelldaten können dazu zweckgerichtet vernetzt werden. Quelldaten unterscheiden sich dabei in allgemeine Informationen (Fachwissen, Statistiken, News bzw. geographische Daten, die z.B. von Informationsdiensten angeboten werden etc.), Nutzerdaten und Unternehmensdaten. Als zweite Quelle können Daten aus Kunden- und Zielgruppen einbezogen werden. Diese beinhalten z.B. CRM-Daten, Bewertungen und Ratings, Blog-Kommentare etc. Sie kommen aus verschiedenen Quellen, werden aggregiert und können auch wieder verwendet werden. Als dritte Quelle werden unternehmensspezifische Daten aus Produktionssystemen, ERP-Systemen und Business Intelligence-Programmen hinzugezogen. Ein Mehrwert entsteht immer dann, wenn rele-
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vante Informationen via MashUp in Informationskanäle einbezogen werden, wie z.B. das zur Verfügung stellen von Produktinformationen (Qualität etc.) zur Kundenbindung. Durch MashUps ergibt sich die Chance, durch Kombinationen mehrerer Instrumente des Web 2.0 neue Inhalte zu nutzen und eigene anzupassen bzw. aufzuwerten. Dadurch erhöht sich die Performance des Unternehmens. Die Botschaftsinteraktivität ist als hoch zu bewerten, die Investitionskosten liegen im Vergleich im mittleren Bereich, die laufenden Kosten sind eher gering. 5.4.
Resümee und Zusammenfassende Bewertung der Web 2.0-Instrumente
Die Ausführungen haben gezeigt, dass sich das Internet heute in zwei Welten aufteilen lässt, die Web 1.0- und Web 2.0.-Welt. Die Instrumente der Web 1.0-Welt, wie E-Mail, traditionelle Formen des E-Commerce, Internet-Auktionen und Reservierungs-/ Buchungssysteme sind dadurch charakterisiert, dass es sich vor allem um Kommunikationsformen handelt, die auf dem Prinzip der Seitenmetapher aufbauen und bei denen Serverdienstleistungen und Lizenzmanagement eine große Rolle spielen. Die Weiterentwicklungen der Web 2.0-Welt mit Instrumenten des viralen Marketing, wie Online Entertainment, Weblog, virtuelle Community, Podcast/ Vodcast sowie die dynamischen Informationstools Social Bookmarking, Wikipedia und Suchmaschinenmarketing sind als Reaktion auf das veränderte Kundenverhalten entstanden. Die zunehmende Reaktanz gegen Werbemaßnahmen des klassischen Marketing hat zur Fragmentierung der Nachfrager in Communities mit privatem Charakter geführt. Die Standards- und Prinzipien des Web 2.0 basieren daher auf einer zielgruppengenauen Ansprache, verbunden mit neuen Formen des personalisierten Marketing im Rahmen von Communities. Nachfolgend werden die Ergebnisse der Internet-Kanäle der Web 1.0- und der Web 2.0-Welt zusammenhängend in Tabelle 5.3. dargestellt. Die Übersicht in Tabelle 5.3. verdeutlicht, dass die Internet-Kommunikationskanäle insgesamt, bis auf 3 Kanäle der Web 1.0-Welt, und einen Kanal der Web 2.0-Welt eine hohe Botschaftsinteraktivität aufweisen. Während sich die Investitionskosten zwischen den Instrumenten der Web 1.0- und der Web 2.0-Welt deutlich unterscheiden, fallen die laufenden Kosten bis auf zwei Ausnahmen gering aus. Insgesamt betrachtet, eignen sich die Internetkanäle nicht als alleiniger Kommunikationskanal, ermöglichen aber viele Kombinationsmöglichkeiten im Rahmen einer Multi-Channel-Strategie. Für die Web 2.0-Instrumente lässt sich feststellen, dass hierfür sowohl eine veränderte Zielgruppenbestimmung als ein auch ein auf PrivatCommunities bezogenes Marketing anstatt eines Massenmarketing erforderlich ist. Durch MashUps wird eine Gesamtanwendung aus einzelnen voneinander unabhängigen Inhalten und Services der Instrumente erzeugt. Dadurch ergibt sich die Chance zu einem Mehrwert zu ge-
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langen aus verschiedenen Daten und Informationen, die via MashUp in Informationskanäle einbezogen werden. Internet-Kommunikationskanäle mit Botschaftsinteraktivität Botschaftsinteraktivität hoch
mittel
Investitionskosten (geschätzt im Vergleich)
nied- hoch rig
mittel
laufende Kosten (geschätzt im Vergleich)
nied- hoch rig
mittel
niedrig
Web 1.0 E-Mail
x
x
x
E-Commerce Internet-Shop
x
x
x
Vertikale Internetportale
x
x
x
x
x
E-Märkte
x
Horizontale Internetportale Internet-Auktionen
x x x
Reservierungs/ Buchungssysteme
x
x
x
x
x
x
Web 2.0 Virus-Marketing Online Entertainment
x
Weblogs
x
x
x
Virtuelle Communities
x
x
x
Podcast/ Vodcast
x
x
x
x
x
Dynamische Informationstools Social Bookmarking
x
Wikipedia
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Suchmaschinenmarketing
x
Web Services MashUps
x
Tab. 5.3.:
196
x
x
x x x
Übersicht über Internet-Kanäle aus der Web 1.0- und der Web 2.0-Welt
x x x
Box 5.8. DaWanda, Saftblog, Ciao & Co -Best Practise CasesDaWanda - Online-Marktplatz für Unikate und Handgemachtes (Produkte mit Herz) Verkäufer sind alle, die kreativ tätig sind. Künstler, Designer, Handwerker und Hobbybastler können ihre Werke anbieten. Die ausgewählten Produkte werden mit großem Bild und Namen des Verkäufers angeboten. Die Käufer finden Ausgefallenes und Besonderes und haben die Möglichkeit Produkte personalisiert oder maßgeschneidert zu bestellen, d.h. hinter jedem Produkt steht ein Gesicht. Als Funktionen zum Entdecken: das Stöbern in Kategorien, Farben, Mitgliedern, Text, Preis etc, d.h. eine inspirative Suche über Text, Empfehlungen und Farbe. In der Community herrscht ein reger Austausch und Mitbestimmung.
Besonderheiten: Der direkte Kontakt unter den Mitgliedern steht im Vordergrund, hohe Identifikation der Mitglieder mit der Plattform. Über 900 Verkäufer mit 6.000 Produkten. 5% Provision auf den Verkaufspreis, geplant Zusatz- und Einstellgebühren.
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Saftblog -Corporate BlogSehr persönlicher Blog der Kelterei Walther mit sehr persönlich geschriebenen Mitteilungen aus dem Umfeld der Kelterei. Das Ziel ist die Förderung des Dialogs mit den Kunden. Dazu werden Neuigkeiten aus der Kelterei z.B. neue Produkte aber auch interessante Alltagserlebnisse mit Foto, sehr häufig auch direkt aus der Geschäftsführung geschrieben. Auf die Reaktionen der Leser wird direkt und schnell reagiert, bis hin zur Einführung neuer Produkte. Es gibt Kategorien zur thematischen Abgrenzung der Beiträge aber im Vordergrund steht der menschliche Aspekt und nicht die Anpreisung von Produkten.
Besonderheiten: Hohe Identifizierung der aktiven Blog-Leser mit den Produkten der Kelterei, das kennen lernen des Unternehmens, Einflussnahme auf die Produktentwicklung. Täglich ca. 2000 Besucher, seit Betrieb des Blog Umsatzsteigerungen im deutlich zweistelligen Bereich.
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Ciao Produktvideos -von Nutzern generierte ProduktvideosDie Benutzer können Produkte in Videos vorstellen und testen. Der Anreiz zur Einstellung besteht durch Vergütung (je höher das Interesse anderer Besucher, desto höher die Vergütung). Es besteht eine vollständige Integration der Videos in die Ciao-Plattform. Technologie: Flash-VideoStreaming. Es gibt einen Ratgeber zur Erstellung von Produktvideos und die Videos werden vor der Einstellung auf Mindestanforderungen getestet.
Besonderheiten: Es handelt sich um ein umfassendes Einkaufsportal mit Infos von Verbrauchern, Herstellern und direktem Preisvergleich. Ciao-Plattformen gibt es in DE, UK, FR, ES, IT und NL, mehr als 1 Mio. registrierte User, mehr als 4,3 Mio. Meinungen, 3.4 Mio. Produkte. Mitte April 2007, 702 usergenerierte Produktvideos vorhanden.
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RealPerson-Shop -Online-Beratung durch andere KundenDas Prinzip besteht darin, dass zufriedene Kunden zu Online-Beratern werden (Real Persons). Die Kunden sind vertrauenswürdige Berater und Multiplikatoren. Es erfolgt eine Nutzung von Link- und Push-Funktionalitäten, um Besucher durch den Shop zu führen. Bei Website-Besuchern, die die Online-Beratung nutzen, kann eine um den Faktor 5 gesteigerte Konversionsrate und eine Reduzierung der Kosten pro Kundenkontakt gemessen werden.
Besonderheiten: Die direkte und persönliche Führung des Benutzers durch den Online-Shop, jeder Kunde des Shops kann sich als RealPerson bewerben, Qualifizierung über den Shop-Betreiber. Online-Shop mit 12.000 Produkten, gestartet in 2/ 2007, in 4/ 2007 werden 200 Online-Beratungen pro Tag durchgeführt. Durchschnittlich mindestens 1 Online-Berater (RealPerson) verfügbar.
Edelight -Empfehlungsplattform für Lieblingsprodukte, Geschenke und WünscheEs gibt drei Dimensionen: Entdecken, Empfehlen und Wünschen. Alle Produkte stammen von Nutzern der Community und die Nutzer können aus jedem Shop der Welt ihre Lieblingsprodukte empfehlen. Bei Empfehlungen von Produkten eines Partnershops werden die Nutzer im Falle eines Verkaufs an der Provision beteiligt. Nutzer können Empfehlungen mit einem Widget auf die eigene Website übernehmen.
200
Besonderheiten: Authentische und transparente Empfehlung von Nutzern; Kombination von Transaktionsorientierung und Vermarktung, bereits 10 Wochen nach Einführung 2.000 Besucher pro Tag. Die Liste der Best Practise erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt ausdrücklich keine Bewertung oder Empfehlung einzelner Plattformen seitens der Autorin dar. Quelle: Vgl. Schauf [2007], S. 16-27
Kontrollfragen zum Kapitel 5: 1. Charakterisieren Sie die Web 1.0-Welt und gehen Sie dabei auch auf die Weiterentwicklung in Richtung von Web 1,5-Welt ein. 2. Erklären Sie anhand von Strategiemerkmalen des Unternehmens Netscape, eines der Pioniere der Web 1.0-Welt, das Strategiemerkmal „Browser“. 3. Erklären Sie das Strategiemerkmal „Server“ in der Web 1.0-Welt. 4. Wie fällt die Botschaftsinteraktivität für das Instrument E-Mail aus und warum eignet es sich nicht als alleiniger Kanal?
201
5. Diskutieren Sie die Kosten des Instruments E-Mail und vergleichen Sie diese mit denen für Internet-Shops. 6. Erklären Sie die Botschaftsinteraktivität von Internet-Shops. 7. Erklären Sie wie die zu erwartenden Kosten für Investitionen in Internetshops; gehen Sie dabei auch auf die später anfallenden laufende Kosten ein. 8. Diskutieren Sie die Botschaftsinteraktivität von Internetportalen mit Interaktionsfähigkeit und gehen Sie dabei auch auf Kosten ein. 9. Wie fallen Botschaftsinteraktivität und Kosten bei Internetportalen mit Standardtransaktionen und Reservierungs-/Buchungssystemen aus? 10. Warum eignen sich Internetportale für Standardtransaktionen nicht als alleiniger Kommunikationskanal? 11. Warum könnten Internet-Auktionen eventuell auch als Web 2.0-Instrument angesehen werden? 12. Welche verschiedenen Formen von Internet-Auktionen gibt es? 13. Warum eignen sich die Formen der Internet-Auktionen als alleinige Kanäle nicht? 14. Zeigen Sie die wichtigsten Unterschiede zwischen der Web 1.0- und der Web 2.0-Welt an Instrumenten Ihrer Wahl. 15. Erklären Sie die Standards RSS (Really Simple Syndication), AJAX und API. 16. Warum sind die Standards RSS, Ajax und API im Rahmen von Web 2.0. wichtig? 17. Nennen Sie Prinzipien, die mit der Web 2.0-Welt verfolgt werden. 18. Erklären Sie den Planungsansatz für Web 2.0-Instrumente von O’Reilly. 19. Auf welchen Prinzipien beruht das Konzept Virus-Marketing im Rahmen von Web 2.0? 20. Welche Vor- und Nachteile sind mit dem Instrument Online-Entertainment verbunden? 21. Erklären Sie Vor- und Nachteile des Instrumenteneinsatzes Weblogs. 22. Wie Ist der Einsatz des Instruments virtuelle Community einzuschätzen? 23. Welche Vor- und Nachteile beinhaltet der Einsatz der Instrumente Podcast/ Vodcast? 24. Was unterscheidet dynamische Informationstools von Instrumenten, die mit VirusMarketing arbeiten? 25. Erklären Sie das Instrument Social Bookmarking und erklären Sie die Vor- und Nachteile. 26. Wie ist der Einsatz von Wikipedia einzuschätzen? 27. Erklären Sie die Vor- und Nachteile des Instruments Suchmaschinenmarketing. 28. Was ist die Zielsetzung von MashUps und welche Vorteile bieten sie im Rahmen von Web 2.0-Anwendungen? 29. Erklären Sie anhand der Übersicht in Tabelle 5.3. grundlegende Unterschiede im Rahmen der Botschaftsinteraktivität zwischen den Web 1.0- und den Web 2.0-Instrumenten. 30. Erklären Sie die Unterschiede zwischen beiden Welten anhand der Investitionskosten und der laufenden Kosten für die Instrumente.
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Literatur 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
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41 42 43
44 45 46 47 48 49
Vgl. zu den Grundlagen des Internets aus der Sicht der Informatik z.B. Hansen [1996], S. 20 und 81 f. Vgl. dazu auch die Ausführungen im Kap.6 dieses Buches. Vgl. Holz [2006]. Vgl. Doelle [2006], S. 75. Vgl. van Eimeren/ Frees [2006], S. 402. Vgl. Doelle [2006], S. 75. Vgl. o.V.o.J. [2007a]. Vgl. Alby [2007], S. 1. Vgl. Hansen [2006], S. 384. Vgl. Emrich [2004], S. 139 f. Vgl. o.V. [2007b]. Vgl. dazu die Ausführungen unter Pkt. 5.3.2.3. Vgl. Holz [2006], die folgenden Ausführungen basieren auf dieser Basis. Vgl. z.B. Hansen [1996], S. 250 f. Gemäß § 2 Abs. 4 TDDSG muss der Dienstanbieter den Nutzer zu Beginn des Nutzungsvorgangs umfassend über die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten unterrichten. Der Nutzer hat gemäß § 6 Absatz 3 TDDSG ein Widerspruchsrecht. Vgl. Grimm/ Röhricht [2003], S. 78. Vgl. von Boyen [2002], S. 5. o.V.o.J. [2007d] Vgl. von Boyen [2002], S.6. Vgl. von Boyen [2002], S.6. Vgl. von Boyen [2002], S. 8. Vgl. Schwelle et al [2000]. Vgl. Förster/ Kreuz [2002], S. 70 f. Vgl. von Boyen [2002], S. 8. Vgl. z.B. die verschiedenen Definitionen bei Schwarze/ Schwarze [2002], S. 18-21. Turowski/ Pousttchi [2004], S. 1. Weiber [2000], S. 12. Vgl. dazu auch Gersch [2000], S. 3 f. Internet-Shops werden vorliegend synonym zu Online- bzw. Web-Shops verstanden. Schwarze/ Schwarze [2002], S. 180; wobei auch andere Definitionen existieren, vgl. Schwarze/Schwarze [2002], S. 17-22. Vgl. zur B2B-Ausrichtung von E-Commerce die Ausführungen unter Pkt. 5.2.2.2.2. Siehe zum Online-Shop genauer z.B. Schwarze/ Schwarze [2002], S. 181 f. Internet-Shops fallen unter die so genannten Teledienste. Die datenschutzrechtlichen Aspekte sind im Gesetz über den Datenschutz für Teledienste (TDDSG) geregelt. Die Erfassung und Speicherung von Daten ist grundsätzlich nach den Prinzipien des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) geregelt. Siehe dazu auch § 3 Abs. 1 BDSG. Vgl. Statistisches Bundesamt [o.J.], S. 14. Nenninger/ Lawrenz [2002], S. 17. Vgl. hierzu genauer Nenninger/ Lawrenz [2002]. Vgl. o.V. [2006a] Vgl. hierzu genauer Wurzer/ Pichler [2004]. Vgl. Stengel [2004], S. 8. Vgl. Stengel [2004], S. 3; so wurde schon 2004 ermittelt, dass ein Amerikaner pro Tag durchschnittlich 3.000 Werbebotschaften ausgesetzt ist, wobei 59% der Befragten angaben, dass Werbung für sie nicht relevant sei, vgl. o.V. [2004], S. 69 ff. Vgl. o.V. [2004], S. 69 ff. Holz [2006]. Bei Open Source Software handelt es sich um Software, die im Netz frei verfügbar ist und mit der Inhalte ohne technisches Wissen schnell und einfach publiziert werden können. O’Reilly [2005]. Vgl. Zerfaß/ Sandhu [2006], S. 45. Vgl. o.V. [2007]. Vgl. o.V. [2007]. Vgl. z.B. Lowing [o.J.] Vgl. Garett [2005].
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Vgl. Garett [2005]. Vgl. Hippner [2006], S. 6. Vgl. z.B. Sowirzral et al [1998]. Vgl. z.B. Kremp [2007]. Vgl. O’Reilly [2006]. Vgl. Göhring et al [2006], S. 57. Vgl. Frey [2002], S. 234. Vgl. Godes/ Myzlin [2005], S. 416. Vgl. zu den Unterschieden zwischen Push- und Pull-Kommunikation die Ausführungen unter Pkt. 2.3.4.1. dieses Buches. Vgl. Zymann [2002], S. 18. Vgl. Barret [1997]. Dazu gehörten vor allem Blogger, Pitas und Manila. Vgl. Zerfaß/ Sandhu [2006, S. 46. Vgl. Röttger/ Zielmann [2006, S. 39. Vgl. Zerfaß/ Boelter [2005], S. 124-127. Mattel Inc.: „My Scene ŇBarbie“, http://www.myscene.com/barbie/barbie_index.asp Schubert [1999], S. 3. Vgl. z.B. Stolpmann [2000]. Vgl. z.B. Schmidt [2000]. Vgl Armstrong/ Hagel III [1996], S. 134 ff. Vgl. Hagel/ Armstrong [1997]; Seufert et al [2007], S. 3. Vgl. Fösken [2006], S. 100. Vgl. Armstrong/ Hagel III [1996], S. 17 ff. Vgl. Fösgen [2006], S. 101. Vgl. Hippner [2006], S. 11. Vgl. Hippner [2006], S. 11; Schrader [2005]. Vgl. Szugat et al [2006], S. 42. Conversegallery.com Vgl. Siek [2007], S. 30 f. Vgl. Hippner [2006], S. 11 f. Vgl. Alby [2007], S. 111. Vgl. Hippner [2006], S. 12. Vgl. Alby [2007], S. 88. Vgl. Hippner [2006], S. 13. Vgl. Hippner [2006], S. 13. Vgl. Komus [2006], S. 40. Vgl. Newcomb [2007] Vgl. Riley et al [2006]. Vgl. Dannenberg/ Wildschütz [2006], S. 67. Vgl. Dannenberg/ Wildschütz [2006], S. 6. Vgl. Hotchkiss et al [2005]. Vgl. W&V [2006], S. 25. Vgl. Göhring et al [2006], S. 62.
204
6.
Strategisches Multi-Channel-Communications- und MarketingManagement mit traditionellen Medien
6.1.
Aufgaben des strategischen Multi-Channel-Marketing-Management
Die grundlegende Aufgabe beim strategischen Multi-Channel-Marketing-Management eines Unternehmens ist darin zu sehen, „ …durch die intelligente und integrierte Nutzung der Kommunikationskanäle und deren Integration eine effiziente und gleichzeitig qualitativ hochwertige Kundenkommunikation [zu] erreichen, …die sich über die drei Phasen Information Transaktion und Service erstreckt“1. Dazu ist es notwendig, alle Dimensionen der Elemente Kunde, Kommunikation und Kommunikationskanäle zu verstehen, zueinander in Beziehung zu setzen und eine Strategie zu entwickeln2. Dabei sind es jedoch gerade die Wechselbeziehungen der Elemente zueinander, die die Komplexität ausmachen und die es zu verstehen und zu nutzen gilt. Der ganzheitliche Charakter der Aufgabenstellung verdeutlicht, dass eine Multi-Channel-Strategie, die lediglich an einem der Elemente ausgerichtet ist, scheitern wird, da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, den falschen Kunden auf dem richtigen Kanal in der falschen Kommunikationsphase zu erreichen bzw. den richtigen Kunden mit den falschen Informationen auf zu wenig Kanälen zu versorgen. Zur Definition einer Multi-Channel-Strategie sind vier Hauptproblembereiche zu beachten3: -
Der Einfluss des Kunden (Monitoring und Synchronisation), die Einflüsse des Marktes, der Einfluss der Marke und des Produktes, der Nutzen für Kunde und Unternehmen.
Die Betrachtung des Kundeneinflusses auf die Kommunikation bedingt ein Monitoring der sich verändernden Ansprüche und Gewohnheiten der Kunden. Die Multi-Channel-MarketingStrategie ist daher als direkte Folge von Ansprüchen und Gewohnheiten der Kunden zu sehen. Unternehmen sind aus diesem Grund immer mehr gezwungen, die Kommunikationskanäle in den unterschiedlichen Phasen bedarfsorientiert zu unterstützen; wobei sie den optimalen Kunden-Touchpoint ermitteln müssen, bei dem sie Kunden dort erreichen, wo sie sich gerade aufhalten und kommunizieren möchten. Die Eignung der einzelnen Kommunikationskanäle für die verschiedenen Ziele der Kunden ist dabei von entscheidender Bedeutung. Die andere Aufgabe im Rahmen der Beachtung des Kundeneinflusses ist die Synchronisation der von den Kunden in unterschiedlicher Weise genutzten Kanäle, die sich auf den gesamten Kommunikationszyklus und eine differenzierte Betrachtung der Kundenanforderungen bezieht. Die nachfolgende Abbildung 6.1. zeigt ein Beispiel im Überblick. 205
Abb. 6.1:
Kundentypen, Kommunikationsverhalten und Kommunikationskanäle, Quelle: Grimm/ Röhricht [2003], S. 106
Die Einflüsse des Marktes sind unmittelbar mit den Nutzungsgewohnheiten der Kunden verbunden. So bilden z.B. demographische und soziale Unterschiede in der Bevölkerung die Grundlage für die unterschiedliche Nutzung von Kommunikationskanälen. Daher ist für diese unterschiedlichen Gruppen jeweils eine entsprechend angepasste Kommunikationsstrategie zu spezifizieren. Zudem sind allgemeine Marktanalysen (Einflüsse des Wettbewerbs, Veränderungen in der Branche, Einflüsse externer Branchen) durchzuführen. Der Einfluss des Produktes auf die Multi-Channel-Strategie besteht im Wesentlichen darin, die Produkte richtig den Kunden und den Kanälen zuzuordnen. Dabei spielen Faktoren, wie Produktauswahl und Produktnutzung, Erklärungsbedürftigkeit etc., eine Rolle. Zudem ist eine Preisstrategie zu entwickeln. Diese Vorgänge sind unmittelbar mit den Nutzungsgewohnheiten der Kunden verbunden. Der Kundenwert kann sich dabei durchaus im Laufe der Zeit verändern. Die nachfolgende Abbildung 6.2. zeigt beispielhaft eine solche Veränderung des Kundenwertes im Verhältnis zur Kundenlebenszeit im Überblick.
206
Abb. 6.2:
Veränderung des Kundenwertes im Zeitablauf, Quelle: Grimm/ Röhricht [2003], S. 108
Die Ermittlung des Nutzens für die Kunden erfolgt über Inhalte und Formen der Kommunikation. Dabei hängt es vom Persönlichkeitsgrad der Kommunikation ab, welcher Kanal sich am Besten für welches Kundensegment eignet. Diese unterschiedlichen Bedeutungen sollten jedoch zu keiner abgestuften Priorität bei den Unternehmen führen, so dass alle angebotenen Kanäle gleichwertig sind. Der Nutzen für Unternehmen besteht darin, die Kunden so zu beeinflussen, dass sie den für das Unternehmen günstigsten Kommunikationskanal nutzen. Die Abbildung 6.3. zeigt für ausgewählte Kanäle die Transaktionskosten.
Abb. 6.3:
Transaktionskosten pro Kanal, Quelle: Grimm/ Röhricht [2003], S. 108
207
Multi-Channel-Marketing bedeutet mittel- und langfristig erhebliche Veränderungen im Unternehmen. Sie beziehen sich vor allem auf die Prozess-, die IuK-Technik-, die Organisations-, Personal- und Führungsebene. Die eine „Multi-Channel-Strategie“, die für alle Unternehmen Gültigkeit hat, gibt es jedoch nicht. Jedes Unternehmen benötigt seine individuelle Multi-Channel-Strategie. Dazu existieren verschiedene Instrumente, von denen einige ausgewählte in diesem Kapitel beschrieben werden. Nachfolgend wird zunächst auf Faktoren und Entwicklungen im Rahmen der Kundenorientierung beim Multi-Channel-Marketing-Management eingegangen und die wichtigsten Veränderungen im Kundenumfeld dargelegt, die sich auf die Konzipierung einer Multi-ChannelStrategie auswirken können. Danach erfolgt eine Übersicht über Chancen und Risiken einer Multi-Channel-Strategie. Die Ausführungen zu strategischen Planungen für eine MultiChannel-Struktur beginnen mit Fragen der Markt- und Zielgruppensegmentierung, wobei ausgewählte Kriterien und Ansätze näher beschrieben werden. Durch die Darlegung des Status Quo zur Anwendung der Kriterien und Ansätze in der Praxis soll deren Relevanz verdeutlicht werden. Desgleichen werden auch die Analysemethoden, die im Rahmen der institutionellen Marktforschung zur Ermittlung der Kriterien und Ansätze zum Einsatz kommen, beschrieben und deren Einsatz in der Praxis bewertet. Dann erfolgt eine Diskussion über Besonderheiten bei der Markenführung mit traditionellen Medien im Rahmen einer MultiChannel-Strategie und ein Exkurs zum Strategic Planning, deren Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen der Multi-Channel-Startegieentwicklung sowie dessen Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Das Kapitel schließt mit Darlegungen von Kommunikationsmodellen, die zur Ableitung einer Multi-Channel-Struktur verwendet werden. Durch eine Multi-Channel-Strategie wird durch das Management versucht, eine maximale Kundenbindung bei möglichst minimalen Kosten sowie die Synchronisation der vom Kunden gewünschten und parallel genutzten Kanäle zu erreichen. Ein ineffizientes Management bzw. die Beachtung nur eines der Elemente Kunde, Kommunikation, Kommunikationskanäle muss bei dieser ganzheitlich ausgerichteten Aufgabe zum Scheitern bzw. zu ineffizienten Lösungen führen. Multi-Channel-Einheitstrategien existieren nicht, sie sind für jedes Unternehmen individuell zu gestalten und führen mittel- und langfristig zu erheblichen Veränderungen im Unternehmen. 6.1.1.
Kundenorientierung im Multi-Channel-Zeitalter
Kundenorientierung wird besonders in Deutschland oft als Schlagwort mit schnellem Verfallsdatum verstanden. So wird geschätzt, dass lediglich 52% der deutschen Industrieunternehmen und 27% der Dienstleister Kunden bei ihren Maßnahmen überhaupt einbeziehen4. Kundenorientierung wird auch häufig verwechselt mit Begriffen, wie Verkäuferverhalten, 208
Serviceorientierung, Konsumentenverhalten oder Zielgruppenorientierung. Unter Kundenorientierung wird der Versuch einer Organisation verstanden, die Erwartungen des Konsumenten zu erfüllen und zu befriedigen; die Ziele zu erreichen, die die Kunden bzgl. des Produktes und der Interaktion mitbringen sowie eine längerfristige Bindung an die Organisation herzustellen5. Was aber sind die Erwartungen und Ziele der Kunden und sind diese konstant? Im Rahmen einer Studie wurde festgestellt, dass voraussichtlich bis 2003 über 50% der profitableren Kunden mehr als einen Zugangskanal nutzen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen6. Die Aussage gilt sowohl für den B2C-, als auch für den B2B-Bereich. Das Ergebnis lässt darauf schließen, dass Kunden die Autonomie schätzen selbst zu bestimmen, auf welchem Weg sie mit den Unternehmen in Kontakt treten. Ob über traditionelle Kanäle, wie Niederlassungen und Telefon oder innovative Kommunikationsmöglichkeiten, wie das Internet oder mobile Devices. Diese Tatsache bedeutet für Unternehmen eine Herausforderung. So müssen einerseits bestehende Kanäle ausgebaut, gleichzeitig aber auch neue Kanäle aufbaut und alle Kanäle miteinander koordiniert und gesteuert werden. Diese Aufgabe ist nicht trivial. Die Relevanz von Multi-Channel-Angeboten durch Unternehmen wird auch durch die Ergebnisse einer anderen Studie gestützt7.
Abb. 6.4:
Nutzung verschiedener Kommunikationskanäle, Quelle: Silberberger [2001]
Hier konnte ermittelt werden, dass Konsumenten, wenn sie nach Informationen suchen, einkaufen oder Servicedienste verlangen, zunehmend auf unterschiedliche Kanäle zurückgreifen. Die Kommunikation findet über Call Center, E-Mail, Web-Seiten, Fax, Brief oder persönliche Beratung statt. Abbildung 6.4. zeigt die Ergebnisse im Überblick. 209
Weitere Ergebnisse bestätigen die Wechselfreudigkeit der Kunden. So nutzen 85% der 560 Befragten drei oder mehr Kanäle und schon jeder zweite kommuniziert über vier bis fünf verschiedene Channel. Abbildung 6.5. zeigt die Ergebnisse im Überblick. Unternehmen müssen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen, auf dieses „Channel-Hopping“ reagieren.
Abb. 6.5:
Ein Großteil der Kunden nutzt mehr als einen Channel, Quelle: Silberberger [2001]
Von der Multi-Channel-Kommunikation profitieren aber nicht nur Konsumenten, sondern auch Unternehmen. Erfahrungen erfolgreicher Multi-Channel-Händler in den USA und Großbritannien belegen, dass Käufer, die mehrere Kanäle nutzen, stärker an das Unternehmen gebunden sind, zur Top-Kundschaft gehören und für 200 bis 400 % mehr Umsatz, als Einkanalkundschaft sorgen. Der Einsatz von Multi-Channel-Systemen wirkt zudem bei entsprechender Ausgestaltung positiv auf Kundenverhalten und -bindung8. Um zu ermitteln, welche Channel von welchen Zielgruppen in welchen Marktsegmenten genutzt werden, sind Kunden- und Marktanalysen notwendig, da externe Einflüsse auf Kunden für Unternehmen wichtige Orientierungsfaktoren enthalten. Vor allem in der Lebenswelt der Kunden haben in den letzten Jahren große Veränderungen durch technologische Neuerungen, Wertewandel in der Gesellschaft, die Veränderung der Rolle der Frau etc. stattgefunden. Diese Veränderungen sind in die Konzeptionierung einer Multi-Channel-Strategie einzubeziehen. Einige der wichtigsten Veränderungen werden nachfolgend erläutert. 6.1.1.1.
Informationsüberlastung bei den Konsumenten
Informationsüberlastung entsteht aus der Tatsache, dass trotz stetig gestiegener Werbeausgaben die Markenerinnerung sinkt9. Werbung wird definiert, als „die beabsichtigte Beeinflussung von marktrelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen, ohne formellen Zwang unter 210
Einsatz von Werbemitteln und bezahlten Medien“10. Durch die zuvor skizzierte Entwicklung kommt es in einem differenzierten Markt auch zu einer Zunahme der Marktkommunikation. Die Auswirkungen zeigen sich heute in einer Flut von Informationen, besonders in Form von Werbung, die auf den Konsumenten einstürmen. So sieht sich ein Konsument heute ca. 3000 Werbebotschaften täglich ausgesetzt, nachdem es 1970 noch 500 waren. Davon werden durchschnittlich nur 52 wahrgenommen, also weniger, als 2%. Dieses bekannte Phänomen hat in der Vergangenheit zur Dominanz der Bildkommunikation geführt, während es davor vor allem Texte waren, die informierten11. Bilder werden von informationsüberlasteten Konsumenten bevorzugt, weil sie die schnelle und gedanklich bequeme Informationsaufnahme ermöglichen. Das führt zu einer immer größer werdenden Bilderflut und Mediendominanz, die in Konkurrenz zur Realität getreten ist. Es entstehen neue Lebenswelten, die das Individuum prägen. Um in der Informationsflut von Werbebotschaften wahrgenommen zu werden, muss die Information die Interessen der Zielgruppe ansprechen. Statt Klischees ist zielgruppenspezifische Kreativität notwendig, die sich auf den entsprechenden Lebensstil einstellt. 6.1.1.2.
Verweigerung im Medienkonsumverhalten
Bedingt durch die Informationsüberlastung, die vorwiegend aus Werbeformen des klassischen Marketing resultiert, hat sich bei den Konsumenten eine Verweigerungshaltung im Medienkonsumverhalten herausgebildet. Aus Studien ist bekannt, dass sich in der Mehrheit der Bevölkerung insbesondere den Werbeunterbrechungen im TV verweigert12. Die Menschen fühlen sich gestört sogar belästigt, was zum sog. Zappingfaktor führt. Unter Zapping wird das Hin- und Herschalten zwischen verschiedenen Fernsehkanälen über die Fernbedienung verstanden, um Werbung aktiv zu vermeiden13. Es ist als Indiz für veränderte Fernsehnutzungsgewohnheiten zu verstehen und führt zu Abwehrreaktionen gegen Werbung. Unterstützt wird dieses Verhalten durch die sog. Personal Video Recorder. Damit wird es dem Zuschauer ermöglicht, TV-Sendungen aufzuzeichnen und zeitversetzt anzuschauen, wobei Werbeblöcke einfach übersprungen werden. Durch Erfahrungen aus den USA ist bekannt, dass Besitzer derartiger Video Recorder ca. 60% aller Sendungen über den Recorder konsumieren und auf diese Weise 90% der Werbung eliminieren14. Diese VerweigerungsEntwicklung beschränkt sich nicht nur auf die Formen der TV-Werbung allein, sondern bezieht sich auch auf andere, vor allem klassische Werbeformen, wie Hörfunkspots, Printanzeigen und Banner15. Durch die technischen Fähigkeiten kann der Konsument für ihn nicht relevante Inhalte ausblenden und aus einem schier unerschöpflichen Medienfundus sich die für ihn relevanten Medieninhalte heraussuchen.
211
6.1.1.3.
Konsumentenemanzipation
Die neuen Medien und deren Möglichkeiten den Medienkonsum aktiver zugestalten, haben einen Gegentrend zur Verweigerungshaltung bei den Konsumenten bewirkt. Web 2.0Instrumente können unabhängig von Zeit und Raum und ohne kostspielige Technik, von den Konsumenten genutzt werden. Diese Tatsache führt dazu, dass Medieninhalte noch selektiver, als bisher genutzt und irrelevante Inhalte konsequenter ignoriert werden. Dadurch wird die Verweigerungshaltung beim Medienkonsumverhalten verstärkt. Eine weitere Entwicklung besteht darin, dass von Endverbrauchern selbst produzierte Medien und Inhalte zunehmen und diese immer mehr in Bereiche und Arbeitsprozesse von Unternehmen eingebunden werden. Der Transaktionsprozess bildet dabei nur den Abschluss einer Reihe von Aufgaben, die von den Konsumenten übernommen werden16. Dazu nötige Toolkits ermöglichen es heute für Konsumenten personalisierte Inhalte bzw. Produkte selbst zu kreieren17. Damit wird der Konsument auch zum „Prosumenten“ in einer Netzwelt, in der die traditionellen Rollen von Waren-Produzent und –Konsument aufgelöst sind. Kunden werden im Rahmen der Open-Source-Bewegung z.B. zum Co-Designer bzw. zum Autor von Verbesserungen. So übernehmen z.B. bei der Plattform Ciao die Benutzer die Vorstellung von Produkten per Video, so dass Kunden von anderen Kunden die Produkte erklärt bekommen. 6.1.1.4.
Produktdifferenzierung und Austauschbarkeit
Diese Situation wirkt sich auch auf Neuprodukte aus. In Deutschland gibt es heute ca. 30.000 Produktneueinführungen jährlich, von denen sich die Hälfte bereits nach kurzer Zeit zu einem Flop entwickeln18. Da sich auf den umkämpften Märkten immer mehr Produkte, um die Gunst des Konsumenten bemühen, werden diese aus Sicht der Konsumenten immer unübersichtlicher. Auch Marken bleiben von diesem Trend nicht unberührt. Seit 1975 haben sie sich in Deutschland mehr als verdoppelt, in hoch differenzierten Märkten sogar verdreifacht19. Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass die Produkte sich immer ähnlicher werden. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass Konsumenten sich zur Orientierung zunehmend auf Qualität verlassen, wobei bei Produkttests (z.B. Stiftung Warentest etc.) schon aus verbraucherpolitischen Maßnahmen heraus, oft nur geringe Qualitätsunterschiede festgestellt werden. Das führt zu austauschbaren Angeboten. Da die echte Unique Selling Proposition (USP) eines Produktes in derartigen Märkten immer seltener als Differenzierungsmerkmal dient, wird diese aus Gründen der Profilierung zunehmend durch eine Unique Advertising Propositin (UAP) ersetzt20. Der Unterschied besteht darin, dass sich eine „echte“ USP aus den Eigenschaften und der Herstellungsweise eines Produktes ableiten lässt. Eine UAP (eine künstliche
212
USP) hingegen lässt sich nicht derart ableiten, sondern versucht emotionale Benefits bzw. Positionierungen an die Stelle rationaler Produktmerkmale treten zu lassen. Diese werden dem Produkt durch Werbung lediglich zugeschrieben. Schwierigkeiten, die sich aus dem sich ständig verändernden Kundenumfeld ergeben, erschweren die Anforderungen an eine Kommunikation mit den Konsumenten. Sie beziehen sich auf externe Einflüsse und Marktbedingungen und lassen sich auf vier Schwerpunkte zurückführen. 1. Informationsüberlastung bei den Konsumenten bewirkt, dass trotz gestiegener Werbeausgaben die Markenerinnerung sinkt. Das ist durch die Informationsflut von Werbebotschaften klassischer Art bedingt, die die individuellen Interessen der Konsumenten verfehlen. 2. Verweigerungshaltung im Medienkonsumverhalten. Nach empirischen Erkenntnissen, verweigern sich Konsumenten insbesondere Werbeeinblendungen im TV durch das sog. Zapping. das Hin- und Her-Zappen zwischen den Sendern, oder durch Personal Video Recorder, die Sendungen aufzeichnen und Werbung überspringen. Die Verweigerungshaltung richtet sich vorwiegend gegen die Werbeformen des klassischen Marketing. 3. Konsumentenemanzipation ist ein Gegentrend zur Verweigerungshaltung, der sich aus dem Wunsch nach aktiverem Medienkonsum und den Möglichkeiten der Web 2.0-Welt ergeben. Konsumenten werden über selbst produzierte Medien in Arbeitsprozesse von Unternehmen integriert. 4. Produktdifferenzierung und Austauschbarkeit der Produkte. Neuprodukte sind sich immer ähnlicher und z.B. durch verbraucherpolitische Maßnahmen von Konsumenten oft nicht einmal mehr qualitativ zu unterscheiden. Zur Orientierung und Aufmerksamkeitsgewinnung des Konsumenten in der Informationsflut, ist eine Produktdifferenzierung vonnöten. 6.1.2.
Chancen und Risiken einer Multi-Channel-Strategie
Die Entwicklungen in der IuK-Technik ermöglichen es Unternehmen neue Formen der Interaktion mit ihren Kunden zu wählen. Dabei geht es heute nicht mehr um die Frage, ob neue Medien und Kanäle, wie z.B. das Internet oder Mobile-Business eingesetzt werden sollen, sondern darum, wie diese nutzbringend in die Geschäftsmodelle eingebunden werden können. Besonders wichtig ist dabei die Frage, welche Potentiale sich durch eine Multi-ChannelKommunikationsstrategie erschließen lassen und welche Herausforderungen dazu zu bewältigen sind. Der Gestaltung der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Der mit einer Multi-Channel-Strategie verbundene Ausbau von Absatz- und Servicekanälen beinhaltet für Unternehmen die Chance, sich im Markt neu zu positionieren und neue Geschäfts- und Kundenfelder zu erschließen. Strategische Optionen im Spannungsfeld zwischen dem Ausbau der Channel-Infrastruktur und der Erschließung neuer Kundengruppen zeigt Abbildung 6.6. im Überblick.
213
Abb.6.6: Ausbau der Kanalstrukturen als Mittel zur Marktpositionierung, Quelle: Gronover [2003], S. 34
Als weiterer Vorteil ist auch eine Verbesserung des Unternehmensimages zu konstatieren, denn innovatives Handeln stärkt den Markennamen im Wettbewerb, steigert die Bekanntheit und sichert so Marktanteile.
214
Die Multi-Channel-Kommunikation hat aber nicht nur Vorteile, sondern beinhaltet auch Risiken. Diese steigen bei einer Neupositionierung mit dem Grad des nötigen Wandels. Radikale Transformationen sind mit der Notwendigkeit verbunden, rasch Marktanteile zu gewinnen und eine Marke zu entwickeln. Die folgenden strategischen Faktoren erlauben eine Übersicht über günstige Bedingungen für einen raschen Ausbau von Marktanteilen im jeweiligen Marktumfeld.
Tab. 6.1:
Faktoren zur schnellen Gewinnung von Marktanteilen, Quelle: Heinisch/ Wüest [2001], S. 34
Risiken finden sich aber auch auf der Prozess- und IS-Ebene. So führen unausgereifte bzw. unangepasste Prozesse zu langen Prozesslaufzeiten, die sich negativ auf die Kundenzufriedenheit auswirken. Durch Ineffizienzen und Inkompatibilitäten steigen die Kosten und Skaleneffekte lassen sich nicht realisieren. Durch instabile informationstechnische Lösungen werden diese Effekte noch verstärkt. 6.2.
Strategische Planungen zur Ermittlung der Multi-Channel-Struktur
Die vorherigen Ausführungen zeigen, dass die Kernaufgabe von Marketingabteilungen bzw. Agenturen beim Multi-Channel-Marketing den Konsumenten in der relevanten Kommunikationsform, der richtigen Kommunikationsphase über die individuell relevanten Kommunikationskanäle mit Informationen zu versorgen, komplexer und damit auch wesentlich anspruchsvoller geworden ist. Auch zukünftig werden sich Veränderungen im Kundenumfeld nicht verringern. Durch technologische und verhaltensbezogene Entwicklungen wird sich die Entwicklung permanent weiter verstärken. 6.2.1.
Marktsegmentierung
Die ersten Artikel zur Marktsegmentierung sind in den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts erschienen21. Seitdem gab es viele verschiedene Ansätze, die jedoch auf einer gemein215
samen Idee basieren. Diese geht von einem Gesamtmarkt aus, der sich aus einer großen Anzahl von tatsächlichen und potentiellen Käufern zusammensetzt. Sie haben unterschiedliche Bedürfnisse im Hinblick auf die Produkte. Vor dieser Problematik wird eine Aufteilung des Gesamtmarktes anhand bestimmter Käufermerkmale empfohlen, so dass spezifischen Bedürfnisstrukturen von Teilmärkten gezielt Rechnung getragen werden kann. Diese Ausrichtung der Unternehmenstätigkeit an den Bedürfnissen der Kunden spiegelt den Grundgedanken des Marketing wider22. Hauptziel ist die Realisierung eines möglichst hohen Identitätsgrades zwischen dem Angebot und den speziellen Interessen der anvisierten Käufergruppen. Marktsegmentierung wird definiert als „[…] die Aufteilung des (heterogenen) Gesamtmarktes für ein Produkt in (homogene) Teilmärkte oder Segmente und die gezielte Bearbeitung eines Segmentes (oder mehrerer Segmente) mit Hilfe segmentspezifischer Marketingprogramme […]“23. Der Detaillierungsgrad kann dabei bis zur Individualebene reichen, die auf atomisierter Segmentierung beruht und den Markt bis auf den individuellen Kunden zerlegt. Das reine Produktvarianten-Marketing wird von dieser Definition nicht umfasst. Die in der Literatur empfohlene Vorgehensweise sieht zur Segmentierung den Segmentierung, Targeting, Positionierung(STP)-Ansatz vor, der in drei Hauptteile unterteilt und chronologisch durchgeführt wird. Als erstes erfolgt die eigentliche Segmentierung, d.h. durch den Einsatz entsprechender Segmentierungsvariablen wird der Gesamtmarkt in einzelne Segmente unterteilt. Die daraus entstehenden Segmente markieren idealer weise klar abgrenzbare Käufergruppen, die mit einem spezifischen Leistungsangebot oder Marketing-Mix angesprochen werden sollen. Zur Ermittlung der eigenen Chancen in den jeweiligen Marktsegmenten ist eine Bewertung der Attraktivität der Teilmärkte vorzunehmen, um darauf basierend die Segmente zu bestimmen, die bedient werden sollen. Im dritten Schritt wird für jeden Zielmarkt zur Bildung einer tragfähigen Wettbewerbsposition ein Positionierungskonzept entwickelt und dieses gegenüber den Nachfragern signalisiert24. Der STP-Ansatz basiert vor allem auf der Sichtweise anglo-amerikanischer Wissenschaftler. Deutsche Autoren verstehen Marktsegmentierung zumeist als ein zweistufiges Konzept, bestehend aus den Stufen Marktsegmentierung i.e.S., im Sinne der reinen Marktaufteilung und Marktsegmentierung i.W.S., im Sinne der Integration von Markterfassung und Marktbearbeitung25. Markterfassung ist dabei mit der Informationsseite der Marktsegmentierung gleichzusetzen und konzentriert sich auf Informationsgewinnung und -verarbeitung sowie Erklärung des Käuferverhaltens. Sie fokussiert auf Marktforschungsaktivitäten und auf Einsatz, Art und Anzahl von Segmentierungskriterien. Marktbearbeitung entspricht der Aktionsseite der Marktsegmentierung. Sie umfasst die Auswahl von Zielsegmenten und für die spezifizierten Teilmärkte die Ausgestaltung mit segmentspezifischen Marketing-Mix-Programmen26.
216
Box 6.1. Deutsche Bank 24 eine Zielgruppenbank? „Die Deutsche Bank 24 bezeichnet sich selbst als Zielgruppenbank. Wie sie ihre Zielgruppe definiert, ist aus dem folgenden Auszug aus der Unternehmensbeschreibung zu ersehen. Deutsche Bank 24 = Zielgruppenbank Mit ihrem attraktiven Angebot wendet sich die Deutsche Bank 24 an die „Moderne Mitte“. Dahinter stehen 16 Millionen Menschen, die sich über ihre Werte charakterisieren lassen: Es sind geistig flexible Menschen, die etwas bewegen und etwas erleben wollen. Sie suchen stets nach Mitteln und Wegen, alltägliche Arbeitsabläufe zu vereinfachen und sind deshalb technischen Innovationen und neuen Dienstleistungen gegenüber extrem aufgeschlossen. Ihnen bietet die Deutsche Bank 24 Produkt- und Leistungspakete, die genau auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden zugeschnitten sind […].“ Quelle: o.V. [1999]
Die Vorteile der Marktsegmentierung sind darin zu sehen, dass das Angebot durch den differenzierten Einsatz von Marketinginstrumenten, gezielt auf die Bedürfnisse der Käufergruppen abgestimmt werden kann. Dadurch lässt sich leichter ein Kundenstamm aufbauen, der sich mit der angebotenen Leistung identifiziert. Nachfrager sind eher bereit, mehr für ein Produkt zu bezahlen, da es ihren Vorstellungen und Wünschen stärker Rechnung trägt27. Auch kann der Wettbewerbsdruck in den Segmenten niedriger sein, als im Gesamtmarkt. Bei Konzentration auf die attraktivsten Segmente kann die Gefahr reduziert werden, übermäßig starken Konkurrenten gegenüber zu stehen und möglicherweise substantielle Wettbewerbsnachteile zu erleiden. Marktsegmentierung weist aber auch gewisse Grenzen auf. Nicht in jedem Fall ist eine Segmentierung sinnvoll, daher existieren Voraussetzungen, diese sind im Einzelnen28: -
Der Gesamtmarkt muss identifizierbar und definierbar sein. Es müssen Kriterien entwickelt werden, die die Zerlegung bzw. den Aufbau eines Teilmarktes nach bestimmten Gesichtspunkten erlauben (Intra-Homogenität). Es muss die Möglichkeit bestehen, die einzelnen Teilmärkte mit differenziertem Instrumentaleinsatz zu bearbeiten (Inter-Heterogenität). Es müssen hinreichend große und ökonomisch relevante Segmente entstehen.
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Intra-Homogenität bedeutet hierbei, dass die Verbraucher eines Segmentes ihre Kaufentscheidungen idealiter auf Basis homogener Interessen etc. treffen. Inter-Heterogenität bedeutet, dass die einzelnen Segmente unterschiedliche Bedürfnisse ansprechen. Weitere Nachteile sind, dass Marktsegmentierung mehrere, auf die jeweiligen Segmente abgestimmte spezifische Marketing-Konzepte erfordert, was zwangsläufig mit erheblichem finanziellem Aufwand verbunden ist. Darüber hinaus erschwert die segmentspezifische Produktdifferenzierung die Möglichkeit der Massenproduktion und die Nutzung der damit verbundenen Vorteile. Die Auswahl bestimmter Teilmärkte führt letztlich zu einer Beschränkung der Marktabdeckung, da aus zeitlichen, finanziellen sowie organisatorischen Gründen die Bearbeitung aller Segmente nicht möglich ist. Die Konzentration auf wenige Marktsegmente hat eine starke Abhängigkeit von der Marktsituation zur Folge29. Bei einer Abwägung der Vor- und Nachteile stellt Marktsegmentierung insgesamt jedoch ein wesentlich flexibleres Konzept dar, als das klassische Massenmarketing, da es dem Anwender erheblich mehr Handlungsspielraum eröffnet. Nachfolgend werden ausgewählte Segmentierungskriterien zur Zielgruppensegmentierung diskutiert und auf ihre Eignung bei der Entwicklung einer MultiChannel-Strategie geprüft. 6.2.2.
Zielgruppensegmentierung
Damit eine zweckmäßige und verwertbare Segmentierung gewährleistet wird, sind aus der Vielzahl möglicher Kriterien die jeweils relevanten auszuwählen. Segmentierungskriterien müssen daher verschiedene Anforderungen erfüllen30:
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-
Kaufverhaltensrelevanz, sie sollten Schlüsse auf das zukünftige Kaufverhalten zulassen, da dieses wichtig für die Auswahl der Marketinginstrumente ist.
-
Messbarkeit (Operationalität), für den Einsatz von Marktforschungsmethoden wichtig.
-
Erreichbarkeit bzw. Zugänglichkeit, die Kriterien müssen gewährleisten, dass die einzelnen Segmente klar voneinander abgrenzbar sind.
-
Handlungsfähigkeit, der gezielte Einsatz von Marketinginstrumenten muss möglich sein, d.h. Möglichkeiten einer Verbindung von Markterfassung und Marktbearbeitung müssen gegeben sein.
-
Wirtschaftlichkeit, Die Kosten-Nutzen-Relation muss stimmen, diese bestimmt sich aus der Wahl der Kriterien.
-
Zeitliche Stabilität, die ausgewählten Kriterien müssen über den definierten Zeitraum hinweg stabil sein.
Die Anforderungen der Messbarkeit und der zeitlichen Stabilität sind von jedem Kriterium zu erfüllen, alle anderen Anforderungen müssen im Kriterienkatalog insgesamt erfüllt sein. Segmentierungskriterien werden in festgelegten Kriteriengruppen zusammengefasst, die die Anforderungen unterschiedlich erfüllen. Einzelne Kriterien und Kriteriengruppen bedingen sich dabei gegenseitig und kommen nahezu ausschließlich in Kombination zur Anwendung. Nachfolgend werden ausgewählte Kriteriengruppen vorgestellt und auf ihre Eignung für eine Multi-Channel-Strategie überprüft. Marktsegmentierung ist kein neues Konzept. Es existieren viele Ansätze, die darauf basieren, dass ein anonymer Gesamtmarkt mit Konsumenten, die unterschiedliche Bedürfnisse und Verhaltensweisen haben, existiert. Der Gesamtmarkt wird in einzelne Teilmärkte segmentiert, in denen sich Konsumenten mit idealiter homogenenen Nachfrageverhalten abgrenzen lassen. Zur Segmentierung existieren verschiedene Ansätze. Im anglo-amerikanischen Bereich der STP-Ansatz, im deutschen Bereich Marktsegmentierung im engeren und im weiteren Sinne. Segmentierungskriterien müssen sechs verschiedene Kriterien erfüllen, um eine zweckmäßige und relevante Segmentierung zu gewährleisten. 6.2.2.1.
Geographische Kriterien
Die geographische Segmentierung wird häufig als erste Segmentierungsmethode vorgesehen, da hierfür reichlich Sekundärliteratur vorhanden ist und diese Methode relativ kostengünstig durchzuführen ist. Sie gilt als die älteste Form der Marktsegmentierung31. Sie trägt zum einen der Tatsache der räumlichen Verteilung der Bevölkerung Rechnung, zum anderen trägt sie der Tatsache Rechnung, dass sich in bestimmten Regionen eine eigenständige Kultur mit spezifischen Verhaltensmustern herausgebildet hat32. So können daneben auch klimatische Bedingungen Einfluss auf das Käuferverhalten haben. Die Vorteile der Segmentierung nach geographischen Kriterien zeigen sich vor allem bei Produktgruppen, bei denen spezifische regionale Präferenzen der Käufer zu erkennen sind. Der Ansatz bietet hier also durchaus wertvolle Anregungen für die Konzeption regionaler Marketing-Programme, die allerdings insgesamt nur eine sehr begrenzte Anzahl von Produktgruppen darstellen. 219
Der Hauptnachteil der geographischen Segmentierungskriterien ist darin zu sehen, dass sie lediglich einen indirekten und groben Bezug zum Käuferverhalten aufweisen. Daraus folgt, dass eine ausschließlich nach geographischen Gesichtspunkten durchgeführte Segmentierung nur relativ begrenzte Informationen darüber ermöglicht, wieweit reale Unterschiede hinsichtlich der Einstellungen, Werte und Präferenzen der Kunden vorliegen33. Aus diesem Grund sind sie für die Konzeption einer Multi-Channel-Strategie nicht geeignet. Die Segmentierung wird allgemein in zwei Gruppen unterteilt. 6.2.2.1.1. Makrogeographische Segmentierung Durch die makrogeographische Marktsegmentierung werden die Marktgebiete in einzelne geographisch erfassbare Regionen unterteilt, um den konkreten regionalen Einsatz von Marketing-Instrumenten zu ermöglichen34. Der Nachteil dieser Segmentierungsmethode liegt darin, dass Bezüge zum Kaufverhalten nur sehr grob feststellbar sind. Die am meisten verwendeten makrogeographischen Segmentierungskriterien wurden von der amerikanischen Firma A.C. Nielsen entwickelt. Beim Nielsen-Single-Source-Service handelt es sich z.B. um ein integriertes System von Haushalts- und Handelspanels, unter Einbezug der Werbekomponente, das den Verbraucher in den Mittelpunkt stellt und gezielt den Fragen nachgeht, wer, wo, wann und warum welches Produkt gekauft hat. Das Ziel ist, auf Basis von 33.000 Haushalten zu ermitteln, welche Faktoren die Kaufentscheidung beeinflussen bzw. ausgelöst haben. Die Erfassung beschränkt sich ausschließlich auf Medien mit Botschaftspassivität (Fernsehen, Radio und Zeitung). Die Daten werden ex post mittels Strichcodeerfassung für gekaufte Ware ermittelt. Sie werden anschließend mit den separat erfassten Daten zur Werbung sowie Kundeninformationen in den gemessenen Medien (z.B. durch den TV-Meter, der die sekundengenaue Erfassung des Fernsehkonsums erfasst) am POS zusammengeführt. Aus den Daten können Rückschlüsse auf den Einfluss der unterschiedlichen Medien in Bezug auf die Kaufentscheidung gezogen werden. Das Nielsen-System konzentriert sich auf die ex post Daten von Käufen, berücksichtigt jedoch nicht die Präferenzen des Kunden für bestimmte Kanäle35. Es kann keine Vorhersagen über zukünftiges Nutzerverhalten machen, sondern gibt lediglich Auskunft in Form einer Erfolgskontrolle. In der regionalen Aufteilung des Marktes fehlt die Kundensegmentierung. Durch die Methode ist lediglich zu ermitteln, dass im Raum Z ein Werbespot auf dem Sender W das beste Ergebnis gebracht hat. Nicht zu ermitteln ist hingegen, welche Kunden auf den Werbespot reagiert haben, und welche Channel sie anschließend für welche Kaufphasen genutzt haben bzw. über welchen Kanal die Transaktion letztlich stattfand. Das Nielsen-Paneel kann daher nur sekundär für eine Multi-Channel-Strategie herangezogen werden.
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Box 6.2. Ausprägungsformen des Reiseverhaltens als Zielgruppensegmentierung „Die Durchführung einer touristischen Marktsegmentierung erfordert zunächst die Erfassung der Rheinland Pfalz-Gäste nach bestimmten Kriterien. In der hier vorliegenden Untersuchung werden jedoch weniger generelle Verhaltensweisen analysiert als vielmehr das spezifische Besuchsverhalten bezüglich der Destination Rheinland Pfalz.[…] Sachlogische Überlegungen führen zu einer groben beispielhaften Makrosegmentierung, die sich wie folgt abbilden lässt: Die Übernachtungsgäste werden durch ihre geographische Herkunft unterschiedliches touristisches Verhalten äußern, so dass eine differenzierte Marktbearbeitung greifen kann. Ferner werden sich diese Personen, z.B. auf Grund ihres Alters, unterschiedlich im touristischen Raum bewegen. Werden beide Segmentierungsmerkmale gemeinsam analysiert, lässt sich bereits ein weitaus deutlicheres Gästeprofil ermitteln, als bei der Makrosegmentierung möglich ist. Dieses gilt ebenso für die Hinzunahme psychographischer Kriterien, wie z.B. den Stellenwert der Reise (Kurz- oder Haupturlaub) oder verhaltensorientierter Kriterien in den Marktsegmentierungsansatz. […]“
Quelle: Bahrmann [2002], S. 169 f.
221
6.2.2.1.2.
Mikrogeographische Segmentierung
Die mikrogeographische Segmentierung gestaltet sich etwas komplexer, sie stellt eine Weiterentwicklung der makrogeographischen Kriterien dar36. Hierbei ist eine weitergehende räumliche Aufteilung in sog. Wohngebietszellen vorgesehen. Sie beruht auf der sog. Neighbourhood-Affinität, nach der sich Konsumenten mit ähnlichem Sozialstatus, Lebensstil und Kaufverhalten räumlich konzentrieren. Konsumenten werden in möglichst kleine Wohngebiete aufgeteilt. Die dahinter stehenden Überlegengen basieren darauf, dass z.B. in Studenten-, Villen- bzw. Plattenbauvierteln extern heterogene aber intern homogene Konsumentenverhalten vorzufinden sind. Die Aussagekraft des Segmentes wird umso höher, je kleiner die Betrachtungsräume werden. Der größte Nachteil des Segmentierungsansatzes sind die hohen Kosten für die relativ aufwendige Datenbeschaffung. Die Segmentierung konzentriert sich, wie zuvor die makrogeographische, auf die ex post Erfassung von Transaktionen und berücksichtigt dabei nicht die Channel-Wahl in den verschiedenen Kaufphasen. Die Segmentierung ist daher für eine Multi-Channel-Strategie nur bedingt geeignet. Geographische Kriterien sind die älteste Form der Segmentierung. Sie sind kostengünstig und rel. einfach durchzuführen. Sie eignen sich vor allem für regionale MarketingProgramme, zeigen aber nur einen indirekten und groben Bezug zum Käuferverhalten. Sie werden unterteilt in makro- und mikrogeographische Kriterien. Durch makrogeographische Kriterien wird ex post die Kaufentscheidung im Sinne von Erfolgskontrollen ermittelt. Durch mikrogeographische Kriterien werden die Räume in kleinere Wohngebiete aufgeteilt. Das Prinzip beruht auf der Mutmaßung eines intern homogenen Kaufverhaltens bestimmter Wohngebiete. Geographische Segmentierungskriterien eignen sich für die Konzeption einer Multi-Channel-Strategie nur bedingt. 6.2.2.2.
Soziodemographische Kriterien
Die soziodemographische Segmentierung wird allgemein auch als „klassische“ Segmentierung bezeichnet. Sie bedient sich der Populationscharakteristika zur Abgrenzung von Konsumentengruppen. Dabei geht sie von einer starken Korrelation der Konsumpräferenzen mit den von ihr eingesetzten Variablen aus37. Den soziodemographischen Kriterien nehmen im Rahmen der Marktsegmentierung eine Schlüsselrolle ein. Sie werden selbst in Fällen, in denen nur Segmentierungskriterien aus anderen Kategorien eingesetzt werden, zur Beschreibung gebildeter Segmente herangezogen, denn sie ermöglichen u.A. eine Einschätzung hinsichtlich der Marktgröße und die Erreichbarkeit der Nachfrager38. Die Segmentierung wird allgemein in zwei Gruppen aufgeteilt.
222
Tab. 6.2:
Soziodemographische Segmentierungskriterien im Überblick, in Anlehnung an Meffert [2000], S. 188 und Vossebein [2000], S. 25
1. Demographische Kriterien Demographische Kriterien umfassen Merkmale, wie Geschlecht, Alter, Familienstand etc. Diese Kriterien eignen sich z.B. zur produktspezifischen Ermittlung von Käufergruppen. So könnte der Einsatz bei spezifischen Produkten, wie Schmuck oder Kosmetika bzw. seniorenspezifischen Produkten erfolgversprechend sein. 2. Sozioökonomische Kriterien Sozioökonomische Kriterien umfassen Merkmale, wie Beruf, Ausbildung, Einkommen etc. Sie könnten sich vorteilhaft auswirken bei Produkten, wie Berufskleidung bzw. Fachmagazinen, die berufsspezifisch eingesetzt werden. Der Vorteil liegt in der leichten Messbarkeit und der zeitlichen Stabilität bzw. Absehbarkeit der Kriterien39. Der Hauptnachteil liegt in der geringen Relevanz für das Kaufverhalten. So beinhalten sie keine direkten Informationen in Bezug auf Präferenzen, Einstellungen und Werte der Nachfrager. Sie verlieren aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Relevanz zur Prognose des Kaufverhaltens und ihrer eingeschränkten Aussagefähigkeit hinsichtlich der Ausgestaltung des Marketinginstrumentariums als ausschließliche Segmentierungskriterien zunehmend an Bedeutung. Sie werden aber verstärkt mit Kriterien aus anderen Kategorien kombiniert. Zur Konzeption einer Multi-Channel-Strategie eignen sich die soziodemographischen Segmentierungskriterien nur in Kombination mit anderen Kriterien, da sie, wie die geographischen Kriterien, lediglich transaktionsorientierte Aussagen ermöglichen, jedoch Einstellungen und Präferenzen, die die Wahl der Channel in den verschiedenen Kaufphasen bestimmen können, nicht berücksichtigen.
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6.2.2.2.1.
Konzept der sozialen Schichtung
Das Konzept der sozialen Schichtung ist als ein Sonderfall der soziodemographischen Segmentierung einzustufen. Unter einer sozialen Schicht wird eine große Anzahl von Einzelpersonen oder Haushalten verstanden, die durch denselben sozialen Status und durch gleichartige Lebensumstände gekennzeichnet sind40. Das Kriterium basiert auf einer Kombination der sozioökonomischen Kriterien Einkommen, Beruf und Ausbildung. Während sich die Konsumenten unterer Schichten dabei im Allgemeinen durch eine leichte Präferenz für preiswerte Geschäfte mit sozialen Kontaktmöglichkeiten auszeichnen, informieren sich Angehörige höherer Schichten besser und entscheiden eher rationaler und überlegter41. Vor- und Nachteile sind weitgehend identisch mit denen der sozialökonomischen Kriterien. Soziale Schichten bilden anhand der drei Variablen relativ stabile Gruppen heraus, dennoch verliert das Schichtenkonzept permanent an Bedeutung. Das liegt daran, dass das Rollenverhalten in der Gesellschaft früher viel ausgeprägter und damit aussagekräftiger war. Heute ist das Verhalten von Konsumenten, insbesondere von nivellierten Mittelstandsgesellschaften, verstärkt durch Individualisierungs- und Polarisierungstendenzen gekennzeichnet. Insofern weist die Schichtzugehörigkeit einen eher geringen Bezug zur tatsächlichen Kaufhandlung auf42. Die Segmentierung auf Basis der sozialen Schichtung führt daher oft zu Abgrenzungsschwierigkeiten, so dass inzwischen nur noch selten die Bildung eindeutiger Marktsegmente zur Klassifizierung von Käufern mit ähnlicher Lebensweise und gleichartigen Verhaltensmustern möglich ist. 6.2.2.2.2. Familien Lebenszyklus-Konzept Eine andere Sonderform soziodemographischer Kriterien stellt das Familien LebenszyklusKonzept dar. Der Begriff Lebenszyklus bezeichnet den in mehrere Phasen eingeteilten Lebensablauf von Personen, wobei vorliegend die Familie das Bezugsobjekt für den Lebensablauf darstellt43. Nach dem Familien Lebenszyklus wird das Leben von Verbrauchern in mehrere Abschnitte unterteilt, denen jeweils ein spezifisches Konsumverhalten zugeordnet wird. Gemäß dem Ergebnis empirischer Untersuchungen korreliert die Stellung im Familien Lebenszyklus stark mit dem Kauf bestimmter Produkte/ Dienstleistungen, da diese in gewissen Lebensphasen verstärkt nachgefragt werden. Das Konzept hat somit eine gewisse Aussagekraft im Hinblick auf die Produktart. Dadurch wird bei vielen Produkten die Ableitung der Marktgröße aus der Position von Personen im Familien Lebenszyklus ermöglicht44. Vor- und Nachteile sind weitgehend identisch mit denen der sozialökonomischen Kriterien. Schwierigkeiten macht bei diesem Konzept die Abgrenzung einzelner Segmente, die sich durch spezifische Bedürfnisse und unterschiedliche Reaktionen auf Marktstimuli auszeich-
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nen. Zusätzlich ist die Aussagekraft dieses Segmentierungsansatzes auch dadurch beeinträchtigt, dass immer mehr Verbraucher trotz unterschiedlicher Stellung im Familien Lebenszyklus, dasselbe Konsumverhalten in Bezug auf bestimmte Produktgruppen aufweisen. Dadurch wird nicht nur die soziale Schichtung, sondern auch der Kaufverhaltensbezug eingeschränkt, weil lediglich Kriterien aus dem soziodemographischen Bereich zur Segmentbildung herangezogen werden. Soziodemographische Kriterien werden zur Beschreibung gebildeter Segmente herangezogen und nehmen im Rahmen der Marktsegmentierung eine Schlüsselrolle ein. Sie lassen sich in die Gruppen demographische und sozioökonomische Kriterien aufteilen. Sie sind leicht messbar und zeitlich stabil, haben aber nur eine geringe Relevanz für das Kaufverhalten. Eine Sonderform ist das Konzept der sozialen Schichtung, wobei das Kriterium auf einer Dreierkombination sozioökonomischer Kriterien beruht. Das Ziel ist, bestimmte soziale Schichten abzugrenzen, die ein ähnliches Konsumentenverhalten aufweisen. Das Hauptproblem liegt in Abgrenzungsschwierigkeiten. Eine weitere Sonderform ist das Familien Lebenszyklus-Konzept. Es basiert auf verschiedenen Phasen im Ablauf des Lebenszyklus, fokussiert auf dem Konstrukt Familie und geht davon aus, dass in verschiedenen Phasen bestimmte Produkte verstärkt nachgefragt werden. Sozioökonomische Segmentierungskriterien eignen sich nicht als alleiniges Kriterium für die Konzeption einer Multi-Channel-Strategie, da sie auf sozioökonomische Kriterien fokussiert sind und nur über ex post transaktionsorientierte Kriterien Aussagen ermöglichen. Prognosen, Einstellungen etc., die auf zukünftiges Verhalten schließen lassen, sind jedoch nicht möglich; diese spielen aber beim Multi-Channel Marketing eine große Rolle. 6.2.2.3.
Psychographische Kriterien
Mit Hilfe der psychographischen Kriterien werden die nicht direkt beobachtbaren Konstrukte des Käuferverhaltens untersucht. Sie bezweckt die Definition anhand von Käufergruppen, die zur Bildung gleichartiger, psychisch verwandter Gruppen führen45. Sie tragen der Tatsache Rechnung, dass Individuen trotz ihrer Zugehörigkeit zur gleichen demographischen Gruppierung unterschiedliche Ansichten und Einstellungen haben können46. Auch wenn nicht gänzlich klar ist, welche Merkmale konkret unter dem Begriff psychographische Segmentierung zusammengefasst werden, lassen sich die Zielgruppenmerkmale grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilen47.
225
Tab. 6.3:
Psychographische Segmentierungskriterien im Überblick, in Anlehnung an Meffert [2000], S. 188 und Freter [1983], S. 46
1. Allgemeine Persönlichkeitsmerkmale Bei den allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen wird hinsichtlich der Kriterien Lebensstil (Allgemeine Einstellungen), soziale Orientierung und Risikoneigung unterschieden, wobei die Schwierigkeit in der scharfen Abgrenzung liegt. Durch das Zielgruppenmerkmal Lebensstil (Allgemeine Erwartungen) wird durch beobachtbares Verhalten versucht typische Verhaltensmuster zu erkennen. Dazu gehören z.B. Gewohnheiten oder psychische Variablen, wie Meinungen etc. Die Messung des Lebensstils kann nach 2 Konzepten erfolgen. Es werden entweder die gebrauchten Produkte auf der Basis der Hypothese, dass sich der Lebensstil in den „gebrauchte Produkten“ niederschlägt, erfasst. Es wird die zweite Möglichkeit verwendet, die größere Bedeutung in der Praxis hat. Es handelt sich um den sog. AOI-Ansatz (activity, interest, opinion). Die Methode hat den Vorteil, dass sie eine Kombination typischer Verhaltensweisen enthält. 2. Produktgruppenspezifische bzw. Produktspezifische Merkmale Produktgruppenspezifische bzw. produktspezifische Merkmale richten sich direkt am Produkt bzw. der Einstellung gegenüber dem Produkt aus. Sie haben daher eine höhere Aussagekraft. Einzelne Motive stellen ebenfalls einen konkreteren Bezug zum Kaufverhalten dar. Motive sind durchaus dazu geeignet, für gewisse Marken einer Produktart Bedürfnisse zu befriedigen. In diesem Zusammenhang spielen auch Präferenzen eine maßgebliche Rolle48. Ein Konsument bewertet verschiedene Produkte und entwickelt dabei Präferenzen für eine bestimmte Marke. Vorteile der psychographischen Segmentierungskriterien sind darin zu sehen, dass die Kaufverhaltensrelevanz produktspezifischer und psychographischer Merkmale wesentlich höher einzuschätzen ist, als die von allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen. Das gilt auch im Hinblick auf die Ausgestaltung des Marketinginstrumentariums.
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Der Hauptnachteil ist darin zu sehen, dass die Messung psychographischer Kriterien nicht unproblematisch ist und i.d.R. relativ aufwändige Primärerhebungen notwendig macht49. Im Hinblick auf die Konzeption einer Multi-Channel-Strategie sind psychographische Kriterien besser geeignet, da die Relevanz besonders im Hinblick auf produktspezifische Merkmale wesentlich höher einzuschätzen ist. Sie sollten jedoch, weil sie nur Hintergrundcharakteristika der Nachfrager beschreiben, nur in Verbindung mit anderen Kriterien Verwendung finden. Anhand von psychographische Kriterien wird versucht Käufergruppen zu segmentieren, die zur Bildung gleichartiger, psychisch verwandter Gruppen führen. Sie werden in zwei Gruppen unterteilt. Bei den allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen werden soziale Orientierung, Risikofreudigkeit, allgemeine Einstellungen ermittelt. Bei den produktspezifischen Merkmalen werden spezifische Einstellungen, Motive, Wahrnehmungen und Kaufabsichten erhoben. Der Vorteil liegt in einer höheren Kaufverhaltensrelevanz der Kriterien, der Nachteil ist die relativ problematische du kostenintensive Messung. 6.2.2.3.1. Lifestyle-Typologien Das Lifestyle-Konzept trägt der Erkenntnis Rechnung, dass die isolierte Verwendung psychographischer Segmentierungskriterien nur beschränkte Aussagen über kaufrelevante Marktsegmente ermöglicht. Es nutzt den Lebensstil der Konsumenten, um eine Beschreibung darüber zu erhalten, wie Menschen ihr Leben führen, wofür sie ihr Geld ausgeben und wie sie ihre Zeit verbringen50. Die Messung des Lebensstils kann auf zwei unterschiedliche Weisen vorgenommen werden. Die eine Art erfasst die Produkte, die Personen erwerben. Hier wird davon ausgegangen, dass das Konsumverhalten die Persönlichkeit und den Lebensstil von Verbrauchern widerspiegelt. Die andere Art ist wesentlich bedeutsamer für Segmentierungszwecke. Hier wird davon ausgegangen, dass der Lebensstil ein Beziehungssystem aus Aktivitäten, Interessen und Meinungen von Konsumenten verkörpert51. Durch Lifestyle-Untersuchungen, die auf dem käufertypischen Ansatz der Beschreibung von Menschen anhand mehrerer Merkmale basieren, sollen sich ähnelnde Konsumenten zu bestimmten Typen zusammengefasst werden. Die Kriterien sind vor allem als Weiterentwicklung psychographischer Kriterien zu verstehen. Ihre Aussage lässt sich deutlich erhöhen, wenn zusätzlich demographische und verhaltensorientierte Variable einbezogen werden52. Die gängigen Käufertypologien „ […]unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Kombination verschiedener Lebensstil-Merkmale sowie durch die Zielsetzung und das Aggregationsniveau der Typologie“53. Der Rahmen des Lebensstilkonzepts kann entweder allgemein
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gehalten (produktunabhängige Typologie) oder auf bestimmte Produktkategorien (produktbezogene Typologie) ausgerichtet sein54. Vorteil der Lifestyle-Typologie ist, dass durch die Verwendung produktunabhängiger Typologien eine vergleichsweise hohe zeitliche Stabilität gegeben ist, bei einer nur eingeschränkten Kaufrelevanz. Detaillierte branchenspezifische Informationen liefern produktbezogene Typologien bei einer geringen zeitlichen Stabilität der Erhebungsergebnisse, da auch Kaufmotive bei diesen Typologien eine bedeutsame Rolle spielen55. Der Nachteil ist, dass trotz des großen Anklangs, die Lifestyle-Kriterien in der Praxis finden, nur wenige etablierte Grundmodelle existieren 56. Aufgrund der großen Relevanz für die Konzeptionalisierung einer Multi-Channel-Strategie wird ein bekanntes Grundmodell nachfolgend beispielhaft vorstellt. Lifestyle-Typologien sind spezielle Segmentierungen psychographischer Art. Es wird versucht anhand des Lebensstils der Konsumenten kaufrelevante Aussagen zu Fragen, wie die Menschen ihr Leben führen und wofür sie ihr Geld ausgeben zu erhalten. Werden zusätzlich demographische und verhaltensrelevante Variablen einbezogen, lässt sich die Aussagefähigkeit erhöhen. Vorteile sind die hohe Aussagefähigkeit und Kaufverhaltenrelevanz der Kriterien. Nachteil ist, dass bisher nur wenige etablierte Grundmodelle existieren. 6.2.2.3.2. Beispiel: Sinus Milieus© Das Modell der Sinus Milieus erlaubt es die Notwendigkeit einer Multi-Channel-Strategie anhand von Kommunikationsveränderungen mit den Kunden und durch die Kunden darzustellen. Es wird daher ausführlich diskutiert. Sinus Milieus werden ca. seit den 1970er Jahren von der Sinus Sociovision in Heidelberg erforscht. Das Modell wird stetig verbessert und angepasst und hat daher, vor allem, wenn es um Kommunikation geht, weite Verbreitung gefunden. Das Modell beschränkt sich nicht nur auf Deutschland oder Europa, es wird global für viele Länder entwickelt und wird mittlerweile von vielen Unternehmen eingesetzt.
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Abb. 6.7:
Sinus-Milieus Deutschland, Quelle: Schipperges [2005], S. 11
Die Abbildung 6.7. zeigt das Modell der Sinus-Milieus für Deutschland. Die Segmentierung erfolgt auf einer dreigeteilten Schichtachse, welche die soziale Lage ausdrückt und einer ebenso dreigeteilten Werteachse, die die Grundorientierung ausdrückt. Eine höhere Einstufung auf der Schichtachse weist auf ein höheres Einkommen, höhere Bildung und Berufsgruppe hin (z.B. AB1 = Etablierte bzw. Konservative). Je weiter ein Milieu rechts auf der Werteachse angeordnet ist, umso moderner ist es in der Grundorientierung (z.B. BC 2,3 = Hedonisten, Experimentalisten). Die Grenzen der Milieus sind nicht als starr anzusehen, sondern es gibt Überlappungen und Berührungspunkte. Kunden bleiben auch nicht ewig in einem Cluster, sondern wandern im Laufe des Lebens durch unterschiedliche Milieus oder wechseln sie bewusst, z.B. durch einen Wertewandel. Für ein Unternehmen ist es möglich, aus jedem der Milieus Rückschlüsse auf das Kommunikationsverhalten von Kunden in dem Milieu zu ziehen. Zur Erklärung der Bedeutung des Modells für eine Multi-Channel-Strategie, bei der es ja darauf ankommt, die unterschiedlichen Ansprüche an Form und Inhalt der Kommunikation zu ermitteln, wird nachfolgend jedes Milieu vorgestellt und bewertet57.
229
Tab. 6.4:
Etablierte Konservative
Bourgeoisie installée
Establisheds
Moderne Performer
Néo-Standing
Modern Performers
Postmaterielle
Intellectuels
Post-Materialists
Traditionsverwurzelte Traditionels DDR-Nostalgische Populaires précaires
Traditionals
Bürgerliche Mitte
France tranquille
Quiet Peaceful Britain
Hedonisten Experimentalisten
Toniques frustrés Expérimentalistes
Pleasure Seekers Ground Breakers
KonsumMaterialisten
Consommateurs populaires
Precarious
Sinus-Milieus in Deutschland, Großbritannien und Frankreich, Quelle: Schipperges [2005], S. 15
1. Etablierte Die Mitglieder im Milieu Etablierte gehören zu den Leitmilieus. Sie sind im Durchschnitt 40-60 Jahre alt, verfügen über ein sehr hohes Einkommen, hohe Bildung und haben hohe Ansprüche an ihren Lebensstil. Sie sind leistungsorientiert und statusbewusst und dem technologischen Fortschritt gegenüber sehr aufgeschlossen. Ihre bevorzugten Informations- und Kommunikationskanäle sind Zeitungen, Zeitschriften, Telefon und das Internet. TV wird vor allem als Informationskanal genutzt. Kommunikation muss Qualität und Exklusivität besitzen und das Leben erleichtern. Die Initiative zur Kommunikation mit Unternehmen kann sowohl von Ihnen, als auch von den Unternehmen ausgehen und sollte statusbezogen und persönlich sein. 2. Postmaterielle Die Mitglieder des Milieus liegen im Altersspektrum von 20 bis 60 Jahren, ihr Lebensstil ist kosmopolitisch, sie haben eine hohe Bildung und ein gehobenes Einkommen. Ihr Umgang mit Technologie ist kritisch konstruktiv und sie sind auch bereit auf materielle Werte zu verzichten. Zentrale Werte sind Individualität und Zeitsouveränität. Die bevorzugten Informations- und Kommunikationskanäle sind Zeitungen, Zeitschriften, Telefon und Internet. TV spielt vor allem für die Informationsaufnahme eine Rolle. Der Wunsch nach Zeitsouversänität führt zur Nutzung von Self-Service-Kanälen, die zeitunabhängig nutzbar sind, wie Telefon, Internet und Automaten. Die Initiative zur Kommunikation mit Unternehmen geht von ihnen aus. 230
3. Moderne Performer Das Milieu ist extrem jung hat ein hohes Einkommen und eine hohe Bildung und ist multioptional. Die Mitglieder nutzen gerade die Option, die sie für geeignet halten, sind sehr spontan, individualistisch und intensiv in ihrer Kommunikation. Es besteht ein großes Bedürfnis nach Kommunikation, wobei gemäß der Multioptionalität alle Kanäle jeweils situationsspezifisch genutzt werden. Es werden parallel mehrere Kanäle auch abwechselnd sowie überdurchschnittlich Self-Service-Kanäle genutzt. Die Initiative zur Kommunikation mit Unternehmen geht ausschließlich von den Mitgliedern aus und erfolgt dann, wenn es der moderne Performer wünscht. 4. Konservative Die Mitglieder gehören zu den traditionellen Milieus, sind i.d.R. über 60 Jahre alt, das Bildungsniveau reicht von Berufsabschluss bis zum akademischen Abschlüssen. Die Mitglieder befinden sich zum größten Teil im Ruhestand, können aber über ein gehobenes Einkommen bzw. Vermögenswerte verfügen. Die Werte sind konservativ und pflichtbewusst. Neuen Technologien werden eher abgelehnt. Das Kommunikationsverhalten ist durch TV und Zeitung gekennzeichnet, neue Medien werden nur selten genutzt. Bei der Kommunikation mit Unternehmen ist persönliche Beratung z.b. in Filialen, durch den Außendienst bzw. per Brief wichtiger, als alle anderen Kanäle. Die Mitglieder des Milieus wollen durch Initiative vom Unternehmen aus betreut werden aber auch selbst die Kommunikation bestimmen. 5. Traditionsverwurzelte und DDR-Nostalgische Die Mitglieder des Milieus der Traditionsverwurzelten sind zumeist älter als 65 Jahre und gehören der Kriegsgeneration an. Sie haben ein geringes Bildungsniveau und ein überwiegend kleines Einkommen. Die Werte sind geprägt von Sicherheitsdenken und Ordnungsliebe. Neue Technologien werden nur selten genutzt. Beim Kommunikationsverhalten stehen TV und Zeitung im Vordergrund, wobei leichte Unterhaltung bevorzugt wird. Das Internet wird nicht genutzt. Wichtig ist die persönliche Kommunikation über Filiale, Außendienst, Brief oder Telefon. Das Milieu der DDR-Nostalgischen existiert nur in Deutschland, da es sich um die Verlierer der Wiedervereinigung handelt, die sich bewusst dem westlichen Lebensstil verweigern. Sie sind zumeist über 50 Jahre alt und haben ein mittleres Bildungsniveau. Die Werte sind Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität. Das Informationsverhalten ist vor allem durch TV, Zeitung und Radio gekennzeichnet. Die Kommunikation ist schwierig, da die Mitglieder sehr misstrauisch sind.
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6. Bürgerliche Mitte Die bürgerliche Mitte gehört zum Mainstram-Milieu. Das Milieu ist zahlenmäßig das größte. Die Mitglieder sind zwischen 30 und 50 Jahre alt und ihr Einkommen sowie ihr Bildungsniveau liegen im mittleren Bereich. Die Werte beziehen sich auf die Familie, Harmonie und Freunde. Sie konsumieren gern und legen Wert auf Genuss und Zufriedenheit. Neue Medien nutzen sie nur, wenn sie ihnen Vorteile bringen. Das Kommunikationsverhalten zeigt keine besonderen Präferenzen. Das Internet wird oft als zu unbequem empfunden. Auch bei der Kommunikation mit Unternehmen existieren keine echten Präferenzen. Die Mitglieder wollen sowohl selbst Kontakt aufnehmen, als auch von den Unternehmen angesprochen werden. 7. Konsummaterialisten Das Milieu ist durch ein geringes Einkommen und ein niedriges Bildungsniveau gekennzeichnet. Es sind alle Altersstufen vertreten. Das Milieu ist von sozialer Benachteiligung, wie Krankheit und Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich betroffen. Konsummaterialisten wollen unbedingt zur bürgerlichen Mitte gehören und tun alles dafür. Sie beschränken sich lieber an anderer Stelle, um mit den beschränkten Mitteln auszukommen. Ihr Kommunikationsverhalten ist intensiv und durch TV und Zeitschriften gekennzeichnet. Das Internet gilt als Prestige-Objekt, wird aber nicht so oft verwendet. Weitaus öfter werden Telefon bzw. Brief verwendet. 8. Experimentalisten Das Milieu ist sehr jung, das durchschnittliche Alter liegt unter 30 Jahren. Die Mitglieder haben oft kein geregeltes Einkommen, erhalten aber Unterstützung von den Eltern und haben so ein mittleres Einkommensniveau. Die Werte sind Weltoffenheit, Toleranz und Multioptionalität. Es wird häufig und lange kommuniziert, man möchte viele Rollen ausprobieren und die Freiheit testen. Im Kommunikationsverhalten gibt es keine Festlegung. Alles wird ausprobiert und auch parallel genutzt. Fernsehen und Internet spielen eine große Rolle. Die Kommunikation mit Unternehmen geht von den Mitgliedern aus. 9. Hedonisten Auch dieses Milieu ist zumeist unter 30 Jahre alt und ist mit geringer bis mittlerer Bildung ausgestattet. Das Einkommen liegt in einer Spanne von keines bis zum höheren Einkommen, die Werte sind Spaßorientierung und Abenteuerlust. Die Mitglieder leben für den Augenblick und wollen ohne Kompromisse ihre Bedürfnisse befriedigen. Gleichzeitig sehnen sie sich aber auch nach familiären Werten und Status. Das Kommunikationsverhalten ist vor allem durch eine starke Nutzung des Mobiltelefons, durch TV, Zeitungen oder Brief gekennzeichnet. Mit dem Internet wird untereinander kommuniziert, weniger mit Unternehmen. Hedonisten bevorzugen Self-Service-Kanäle und Auto-
232
Box 6.3. Leitmilieus als Zielgruppen im Überblick
Quelle: Kleinhückelkotten [2006], S. 18
maten, die sie jederzeit nutzen können. Die Kommunikation mit Unternehmen muss spaßorientiert und schnell sein. Das Beispiel der Sinus-Milieus zeigt, dass zur Kommunikation mit den Kunden nicht nur ein Kanal Verwendung findet, sondern nahezu alle Milieus über mehrere Kanäle kommunizieren. Daher ist die Betrachtung des Kommunikationsverhaltens in den verschiedenen Milieus für die Konzipierung einer Multi-Channel-Strategie von großer Wichtigkeit. Auch wenn es nicht ratsam ist, marktkonforme Konzepte aus den Milieus abzuleiten und stringente Handlungsempfehlungen ebenfalls nicht ableitbar sind58, haben sie doch informativen und beratenden Charakter. Sinus-Milieus eignen sich insgesamt sehr gut als wissenschaftliches Instrumentarium zur Einordnung vorhandener und potentieller Kunden und deren Kommunikationsverhalten sowie zum Verständnis der Nutzung bei den Kommunikationskanälen.
233
Sinus-Milieus als wohl bekanntestes Grundmodell von Lifestyle-Typologien wurde von der Firma Sociovision in den 1970er Jahren entwickelt und werden seitdem beständig erforscht. Die Segmentierung erfolgt auf einer dreigeteilten Schichtachse, welche die soziale Lage ausdrückt und einer ebenso dreigeteilten Werteachse, die die Grundorientierung ausdrückt. Eine höhere Einstufung auf der Schichtachse weist auf ein höheres Einkommen, höhere Bildung und Berufsgruppe hin. Je weiter ein Milieu rechts auf der Werteachse angeordnet ist, umso moderner ist es in der Grundorientierung. Das Modell sieht drei Hauptgruppen mit Spezifizierungen vor. Die gesellschaftlichen Leitmilieus sind in die Segmente Etablierte, Postmaterielle und moderne Performer aufgeteilt, die traditionellen Milieus sind in Konservative/ DDR-Nostalgische und Traditionsverwurzelte aufgeteilt. Die Mainsteam-Milieus untergliedern sich in Bürgerliche Mitte und Konsummaterialisten und die hedonistischen Milieus sind in Experimentlisten und Hedonisten aufgeteilt. Die Vorteile liegen in der Kaufverhaltensrelevanz und der hohen Aussagefähigkeit. Nachteil ist, dass keine stringenten Handlungsempfehlungen und keine marktkonformen Konzepte ableitbar sind. 6.2.2.3.3. Nutzensegmentierung Das Konzept der Nutzensegmentierung (Benefit Segmentation) geht vom Grundgedanken aus, dass das Kaufverhalten durch den Nutzen bestimmt wird, den der Konsument im Hinblick auf ein bestimmtes Gut erwartet59. Als Ausgangsbasis für die Bildung von Segmenten wird dabei der von (potentiellen) Kunden wahrgenommene Nutzen verwandt. Der Nutzen kann gekoppelt sein, indem er sich zum einen direkt auf Eigenschaften von Funktionen des Angebotes bezieht und zum anderen auch das Gesamtimage und Prestige bestimmter Produkte mit einbezieht60. Zur Nutzenmessung können zwei verschiedene Arten verwandt werden. Beim kompositionellen Ansatz wird der Gesamtnutzen auf Basis merkmalsspezifischer Einzelbeurteilungen erfasst, die später addiert werden. Bei der dekompositionellen Messung bilden hingegen Gesamtnutzenurteile den Ausgangspunkt, aus diesen werden dann die Nutzenbeiträge der einzelnen Komponenten ermittelt61. Die Vorteile des Nutzenansatzes liegen darin, dass das kompositionelle Verfahren vergleichsweise leicht anzuwenden ist, obwohl es unmittelbar an der Präferenzbildung des Konsumenten ansetzt und somit einen vergleichsweise hohen Bezug zur Erklärung und Prognose des Kaufverhaltens aufweist62. Der Ansatz bietet daher wichtige Anhaltspunkte für den zielgruppenspezifischen Einsatz von Marketinginstrumenten. Durch das Segmentierungskonzept ist eine bessere Abstimmung des Angebotes auf die Vorstellungen der Konsumenten erreichbar. Unternehmen können zudem ihre Kommunikationspolitik auf den speziellen Nutzen aus-
234
richten. Es ist weiterhin ermittelbar, inwieweit das eigene Produkt bzw. das Produkt der Konkurrenten tatsächlich den Wünschen der Konsumenten entspricht. Als erhebliche Nachteilte sind zu nennen, dass die Befragten einerseits dazu tendieren übermäßig viele Eigenschaften als wichtig zu deklarieren, andererseits der Prozess der Kaufentscheidung infolge isolierter Merkmalsbetrachtungen nicht realitätsnah abgebildet wird. Bei der kompositionellen Erfassung werden auch keine Wahlentscheidungen zwischen konkurrierenden Angeboten berücksichtigt. Um diese Nachteile zu vermeiden etabliert sich der Nutzenansatz in Form eines Standardansatzes zur Nutzenmessung63. Der Ansatz der Nutzensegmentierung eignet sich aus ähnlichen Gründen, wie das Beispiel der Sinus-Milieus sehr gut als Grundlage für die Konzeption einer Multi-Channel-Strategie. Die Nutzensegmentierung nimmt den Nutzen, den ein Käufer einem Gut zuschreibt, als Ausgangsbasis der Segmentierung. Der Nutzen bezieht sich dabei einerseits direkt auf Eigenschaften und Funktionen des Angebotes andererseits auf das Gesamtimage und Prestige bestimmter Produkte. Die kompositionelle Messung erfolgt durch die Addition merkmalsspezifischer Einzelbeurteilungen, die dekompositionelle Messung erfolgt durch Gesamtnutzenurteile. Vorteile sind in der relativ leichten Anwendung und dem hohen Bezug zur Erklärung und Prognose des Kaufverhaltens zu sehen. Nachteile sind die Tendenz zu übermäßig vielen Eigenschaften und die Nichtberücksichtigung von Wahlentscheidungen. 6.2.2.4.
Verhaltensorientierte Kriterien
Während geographische, soziodemographische und psychographische Kriterien lediglich Hintergrundcharakteriska des Nutzungsverhaltens beschreiben, beziehen sich verhaltensorientierte Segmentierungskriterien auf das Kaufverhalten von Endverbrauchern. Sie spiegeln insofern Kaufentscheidungsprozesse wider. Sie beleuchten die Kategorien 1. Produktwahl, 2. Preisverhalten, 3. Vertriebsbezogene Merkmale (Mediennutzung und Einkaufsstättenwahl)64.
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Tab. 6.5:
Verhaltensorientierte Segmentierungskriterien im Überblick, in Anlehnung an Freter [1983], S. 46
Im Hinblick auf die Produktwahl werden besonders 3 Aspekte betrachtet. So ist es von Interesse, ob Verbraucher bestimmte Produktarten kaufen oder nicht. Zur Marktsegmentierung hinsichtlich der Markenwahl können Markenkäufer bestimmter Marken bestimmter Marktschichten (z.B. Premium-Marken) dienen. Ein weiteres produktwahlbezogenes Merkmal wäre das Kaufvolumen bzw. die Verbrauchsintensität, d.h. die Kaufmenge, die Konsumenten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes im Durchschnitt kaufen. Durch diese Angaben lassen sich bestimmte Segmente in Viel-, Normal- und Wenigkäufer gliedern65. Auch das Preisverhalten kann durch eine verhaltenorientierte Segmentierung ermittelt werden. Von Interesse sind hier insbesondere Parameter, die den Kauf in gewissen Preisklassen bzw. die Nutzung von Sonderangeboten aufzeigen. Dabei sollte die Segmentierung sowohl produktbezogen, als auch personenbezogen erfolgen66. Beim Informations- und Kommunikationsverhalten können Aussagen über das Nutzungsverhalten, wie Art, Zahl und Intensität Auskunft über die Mediennutzung geben. Bei der Einkaufsstättenwahl werden z.B. produktbezogenen Kriterien, wie Produkt-, Markenwahl, Markentreue oder Kaufrhythmus herangezogen, ebenso die Variablen zur Geschäftstreue. Zur Bildung einer Einkaufsstättentypologie werden verhaltenorientierte Kriterien und psychographische Kriterien verknüpft67. Als Beispiel soll die Semiometrie näher vorgestellt werden68. Sie befasst sich ausschließlich mit den soziokulturellen Kriterien eines Konsumenten, da bei diesem Ansatz davon ausgegangen wird, dass diese Werte ursächlich für das Verhalten der Konsumenten sind. Analysiert wird das Semiose-Verhältnis zwischen Zeichen bzw. Begriffen und Empfängern. Als vermittelnde Instanz fungiert die Interpretation bzw. Bedeutung der Zeichen. Das Ziel ist die Strategien dieser Bedeutungszuweisung in Relation soziokultureller Unterschiede zu entdecken. Semiometrie steht noch in den Anfängen, ist nicht besonders weit verbreitet, in der Anwendung schwierig und lässt sich kaum durch IT-Systeme unterstützen69. 236
Box 6.4. Semiometrie: Einzelpositionierung „Basisbefragung Fragebogen zu 450 Marken aus 40 Produktbereichen sowie 10 Fernsehformaten. Items zu Freizeitverhalten, Meinungen zu bestimmten Themenbereichen (z.B. zur Werbung). Semiotischer Raum mit 210 Begriffen. Die Bewertung von 210 Begriffen bildet das individuelle Wertesystem einer Person ab. Angabe auf einer 7-stufigen Skala. Unangenehmes Gefühl (-3 sehr unangenehm bis +3 sehr angenehm). Basismapping Auf der Basis der Wörterbewertungen wird mit Hilfe einer Hauptkomponentenanalyse ein
zweidimensionaler semantischer Werteraum aufgespannt. Jedes Wort wird aufgrund seiner Beziehung zu den anderen Wörtern in diesem semiometrischen Raum einem festen Koordinatenpunkt zugeordnet. […]“ Quelle: Ernst et al o.J. Einzelpositionierung am Beispiel Nutella
Quelle: o.V. [2005a]
237
Die Vorteile verhaltensorientierter Kriterien sind in ihrer vergleichsweise hohen Kaufverhaltenrelevanz zu sehen. Gleichzeitig sind sie relativ leicht messbar, was insbesondere auf die Mediennutzung zutrifft, da hier Sekundärstatistiken verfügbar sind70. Insgesamt können verhaltensorientierte Kriterien als wirtschaftlicher gelten, als der psychographische Ansatz. Der Hauptnachteil der verhaltenorientierten Kriterien liegt darin, dass die Entstehung des Kaufentscheidungsprozesses nicht erfasst wird. Bei der Einkaufsstättenwahl erweist sich zudem eine direkte Ansprache spezifischer Konsumenten als sehr schwierig, besonders bei der Wahl der Einkaufsstätte als isoliertes Kriterium. In Bezug auf die Multi-Channel-Strategie lässt sich der verhaltensorientierte Ansatz am Beispiel Semiometrie nur in Verbindung mit anderen Verfahren verwenden, da ausschließlich soziokulturelle Werte untersucht werden, die spontane Veränderungen aber außer Acht lassen. Derartige Änderungen können aber entscheidend für die Kommunikation eines Kunden mit dem Unternehmen sein. Verhaltenorientierte Kriterien beziehen sich auf das Kaufverhalten von Endverbrauchern. Sie beleuchten die Kategorien Produktwahl, Preisverhalten und Einkaufsstättewahl. Das Beispiel der Semiometrie zeigt, dass vorwiegend soziokulturelle Werte ermittelt werden, das Verfahren noch in den Anfängen steckt und durch Informations- und Kommunikationstechniken kaum unterstützt werden kann. Vorteile sind die relativ leichte Messbarkeit und hohe Kaufverhaltenrelevanz. Nachteil ist die Tatsache, dass die Entstehung des Kaufentscheidungsprozesses nicht erfasst wird. 6.2.2.5.
Single-Source-Ansatz
Der Single-Source-Ansatz basiert auf Verbraucherpaneels in denen verschiedene verhaltensbezogene Variablen mit anderen Kriterienkatalogen kombiniert werden. Diese stammen, im Sinne des Single-Source-Prinzips, alle aus einer Erhebungsquelle, nämlich von den Panelteilnehmern. Es werden gängige Verhaltensmerkmale, wie Einkaufs- und Verwendungsintensität, Markenwahlverhalten, Preisverhalten und Einkaufsstättepräferenz bzw. Mediennutzung erhoben71. Die regelmäßig erhobenen Daten können mit den Strukturdaten der Panelteilnehmer gekoppelt werden. So können z.B. über Panelfragen zusätzlich Auskünfte über Einstellungen und das Verbrauchs- bzw. Verwendungsverhalten der Teilnehmer ermittelt und mit den Daten verknüpft werden. Die Vorteile liegen in der Möglichkeit der Verknüpfung der Daten mit soziodemographischen Daten und der im Vergleich wertvollen Ausgangsbasis für eine erfolg versprechende Segmentierung. Sie liegen auch in der sehr guten Nachvollziehbarkeit von geäußerten Ein238
stellungen und Meinungen der Panelteilnehmer und der Kontrolle, ob sich diese sich im Kaufverhalten niederschlägt72. Die Nachteile des Single-Source-Ansatzes liegen zum einen in der Panelsterblichkeit und zum anderen im Phänomen des Paneleffekts, der sich negativ auf die Aussagekraft des Single-Source-Ansatzes auswirkt. Auch die Panelerstarrung ist als Nachteil anzuführen., die im Laufe der Zeit aufgrund von Veränderungen der soziodemographischen Merkmale, wie Alter, Familienstand und Einkommen auftritt und dazu führt, dass die Panelstichprobe nicht mehr der Grundgesamtheit entspricht und somit ihre statistische Repräsentativität verloren geht73. Beim Single-Source-Ansatz basiert die Segmentierung auf Verbraucherpanels mit verhaltensbezogenen Variablen, die aus einer Erhebungsquelle, den Panelteilnehmern, stammen. Es werden verhaltensrelevante Kriterien, wie Einkaufs-, Verwendungsintensität, Markenwahlverhalten, Preisverhalten du Einkaufsstättenwahl ermittelt. Vorteile liegen in vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten der Daten, um die Aussagefähigkeit zu erhöhen. Nachteile sind in der Panelsterblichkeit und der Panelerstarrung zu sehen, die durch Veränderungen wichtiger soziodemographischer Variablen eintritt und zum Verlust der Repräsentativität der Stichprobe führt. 6.2.2.6.
Status Quo der Zielgruppensegmentierung in der Praxis
In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, wie die Verwendung der zuvor vorgestellten Marktsegmentierungskriterien in der Praxis gehandhabt wird. Es liegen bis dato nur wenige Forschungsergebnisse zum Segmentierungsverhalten von Unternehmen/ Agenturen vor, daher konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf drei Arbeiten74. Den Ergebnissen der ersten Studie liegen 32 Telefoninterviews mit Marketing- und Produktmanagern aus den Bereichen Konsumgüter, Investitionsgüter und Dienstleistungsanbieter aus dem B2B- und B2C-Bereich zugrunde75. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass im B2B- und im B2C-Bereich unterschiedliche Schwerpunkte bei den Segmentierungsaktivitäten zu beobachten sind. Im B2B-Bereich bilden Firmencharakteristika, im B2C-Bereich demographische Merkmale die wichtigsten Segmentierungskriterien. Das wichtigste Kriterium zur Auswahl von Zielsegmenten insgesamt, ist die Marktgröße. Besonders bei Anbietern von B2B-Dienstleistungen hat der Aspekt eine herausragende Bedeutung. Bei den Kriterien zur Gestaltung des Marketing-Mix wurden spezifische Werbebotschaften und -medien sowie die segmentspezifische Produkt- und Dienstleistungsgestaltung als wichtigste Kriterien genannt. Im B2C-Bereich hat das segmentspezifische Produkt- und Dienstleistungsangebot eine wesentlich höhere Bedeutung, als im B2B-Bereich. Als Manko wurde von den Autoren angegeben, dass die theoretischen Segmentierungsansätze den Einfluss der Organisation auf das 239
Segmentierungsverhalten nicht erfassen können, und dass die Kosten für die Anwendung von den Praktikern nur schwer abschätzbar sind. In der zweiten Studie wurden von Schweizer Unternehmen getrennt nach Branchen Dienstleistungen, Konsumgüter und Handel/ Distribution untersucht, wobei die Segmentbildung und Kriterien zur Segmentierungsbewertung im Vordergrund stehen76. Es wurden 62 Führungskräfte aus den Bereichen Marketing und Vertrieb befragt. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass branchenbezogen unterschiedliche Schwerpunkte in der Segmentierung gesetzt werden, z.B. segmentieren Konsumgüterhersteller intensiver, als Dienstleistungs- und Handelsunternehmen. Alle Unternehmen schöpfen nur ein geringes Potential der Segmentierungskriterien aus. So werden nur von 69% der untersuchten Dienstleistungsunternehmen geographische Kriterien eingesetzt, von diesen wenden 56% verhaltensorientierte Kriterien und 42% die Methode der sozialen Schichtung an. Psychographische Merkmale finden im Konsumgüterbereich stärkeren Zuspruch, als in allen anderen untersuchten Bereichen. Insgesamt setzten 79% der schweizerischen Konsumgüterhersteller produktbezogene und 29% allgemeine psychographische Kriterien ein. In der dritten Studie wurden 57 in Deutschland ansässige Konsumgüter- und Dienstleistungsunternehmen aus verschiedenen Branchen befragt77. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem Einsatz von Segmentierungskriterien, speziellen Segmentierungsansätzen sowie dem Einsatz spezieller multivariater Methoden78. Charakteristisch an der Stichprobe ist, dass 85% der Befragten sowohl interne, als auch externe Dienstleistungen in Anspruch nehmen, während 15% sich ausschließlich auf interne oder externe Dienstleistungen beschränken. Bei ca. 80% der Befragten kommen sozioökonomische und bei ebenso vielen geographische Kriterien zum Einsatz. Weniger als die Hälfte der Befragten nutzen psychographische Kriterien, verhaltensorientierte Kriterien werden von ca. 55% eingesetzt. Die Mehrheit der Befragten segmentiert nach mehreren Kriterienkategorien, um aussagekräftigere Resultate zu erhalten. Als bedeutsamster Segmentierungsansatz bei den speziellen Ansätzen ergab sich die Lifestyle-Typologie (73%), mit ca. 52% folgt der Single-Source-Ansatz und knapp dahinter Soziale Schichtung (49,1%) und Familien-Lebenszyklus (47,4%). Deutlich weniger wird die Nutzensegmentierung verwendet (38,6%), noch geringer wird die mikrogeographische Segmentierung (21,1%) eingesetzt. Die Abbildung 6.8. zeigt den Einsatz der Segmentierungskriterien der deutschen Studie im Überblick. Am häufigsten geplant ist der Einsatz der Nutzen- und mikrogeographischen Segmentierung sowie des Familien-Lebenszyklus-Ansatzes (jeweils 3,5%). Weniger wird das Verbraucherpanel geplant (1,8%). Bei den anderen Konzepten ist der Einsatz nicht geplant.
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Abb. 6.8:
Einsatz spezieller Segmentierungsansätze in der Praxis, Quelle: Kersting/ Rennhak [2005], S. 22
Insgesamt zeigt sich, dass die in der Fachliteratur als bedeutsam beschriebenen Segmentierungskriterien und speziellen Ansätze im B2C-Bereich zum Einsatz kommen. Im B2BBereich liegen z.T andere Schwerpunkte vor. Die gängigen Segmentierungskriterien sind zwischenzeitlich weit verbreitet; von Wissenschaftlern sehr gelobte Ansätze, wie z.B. die Nutzensegmentierung, werden hingegen nur selten eingesetzt. Dennoch muss festgestellt werden, dass immer noch ein erhebliches Segmentierungspotenial brach liegt. Die Anwendung von Segmentierungskriterien in der Praxis wird anhand von 3 Studien gezeigt. Insgesamt ergibt sich, dass die als bedeutsam beschriebenen Verfahren mittlerweile in der Praxis auch weit verbreitet sind. Hingegen finden von Wissenschaftlern gelobte Ansätze, wie der Nutzenansatz, vergleichsweise nur selten Einsatz. 6.2.3.
Ausgewählte Analysemethoden zur Markt- und Zielgruppensegmentierung
6.2.3.1.
Multivariate Analysemethoden
Im Marketing ist es aufgrund des vielschichtigen Charakters von Marketingproblemen sehr häufig notwendig, mehr als zwei Merkmale (Variablen) gleichzeitig zu betrachten und deren Beziehungsstruktur zu untersuchen. Die Verfahren der multivariaten Statistik betrachten im
241
Gegensatz zu univariaten und bivariaten Verfahren mindestens 3 Variable und analysieren deren Zusammenhänge79. Im Folgenden werden verschiedene multivariate Analysemethoden diskutiert, die im Rahmen der Zielgruppensegmentierung in der Praxis Anwendung finden. Im Rahmen dieses Buches werden die Verfahren als bekannt vorausgesetzt, daher beschränken sich die Beschreibungen auf eine allgemeine Charakterisierung. Für weiterführende Informationen, mathematische Darstellungen und Fragen der konkreten Anwendung der Analysemethoden, wird auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen. 6.2.3.1.1. Clusteranalyse Bei der Clusteranalyse wird die Bildung von Gruppen durch die Zusammenfassung von Objekten mit ähnlichen Merkmalsausprägungen erreicht. Somit ist es möglich, Konsumenten auf Basis verschiedener Kriterien zu segmentieren. Die zu einem Segment zusammengefassten Konsumenten sollen möglichst homogene Merkmale bzw. Präferenzen z.B. bezüglich der Eigenschaftsausprägungen eines Produktes aufweisen. Nachfolgend wird der Ablauf der Clusteranalyse im Überblick gezeigt.
Tab. 6.6:
Ablaufschritte einer Clusteranalyse, Quelle: Backhaus et al [2003], S. 481
Der Ablauf gliedert sich in drei Schritte. Mit Hilfe von Paarvergleichen wird die Ähnlichkeit von jeweils zwei Konsumenten bestimmt80. Damit die Ähnlichkeit der Konsumenten quantifiziert werden kann, wird ein sog. Proximitätsmaß errechnet, welches entweder die Ähnlichkeit oder die Distanz zwischen zwei Konsumenten misst. Als Ausgangsbasis dienen z.B. metrisch skalierte Nutzenwerte, es können aber die Bedeutungsgewichte von Eigenschaften verwandt werden. Die Clusteranalyse gruppiert die Konsumenten auf Basis von individuell geschätzten Nutzenparametern, dabei wird von einem zweistufigen Ansatz gesprochen. Im Rahmen des zweiten Ablaufschrittes werden die Konsumenten mit Hilfe eines Fusionierungsalgorithmus in Segmente zusammengefasst81. Fusionierungsalgorithmen werden grob in hierarchische und nicht hierarchische Verfahren eingeteilt. Bei den hierarchischen Verfahren repräsentiert zunächst der Konsument ein Segment. Dann werden schrittweise die jeweils ähnlichsten Segmente zusammengefasst. Zur Ermittlung von Ausreißern eignet sich das Single-Linkage-Verfahren besonders gut. Das Ward-Verfahren findet im Vergleich zu anderen
242
meist sehr gute Partitionen. Bei nicht hierarchischen Verfahren wird von einer vorher festgelegten Zahl an Segmenten ausgegangen, auf welche die Konsumenten zu Beginn verteilt sind. Mit einem Austauschalgorithmus werden die Konsumenten so lange einem anderen Zielsegment zugeordnet, bis die gegebene Zielfunktion ein Optimum erreicht. Sowohl für die hierarchischen, als auch für die nicht hierarchischen Verfahren gilt, dass genau einem Segment zugeordnet wird. Das Ziel bei beiden Verfahren ist, die Varianz innerhalb eines Segments möglichst niedrig zu halten und eine möglichst hohe Varianz zwischen den Segmenten zu erreihen. Durch die Clusteranalyse wird versucht, die Varianz zwischen den Segmenten im Verhältnis zur Varianz innerhalb der Segmente zu maximieren. Die Clusterzahl wird unter Berücksichtigung der Fehlerquadratsumme bestimmt, die mit abnehmender Segmentzahl steigt. Die Entscheidung wird unterstützt durch graphische Darstellungen, wie ein Dendogramm oder ein Diagramm der Entwicklung der Fehlerquadratsumme. Nachdem die Anzahl der Segmente festgelegt und jeder Konsument einem Segment zugeordnet ist, erfolgt eine erneute Schätzung der Nutzenparameter. Diese Schätzung erfolgt allerdings nicht auf individueller Ebene, sondern auf Segmentebene. Mit der erneuten Schätzung kann eine erhöhte Stabilität der Nutzenparameter erreicht werden. Die Clusteranalyse ist ein Verfahren, das die Bildung von Gruppen durch Zusammenfassung von Objekten mit ähnlicher Merkmalsausprägung erreicht. Die Clusteranalyse läuft in 3 Schritten ab. Im ersten Schritt wird mit Hilfe von Paarvergleichen die Ähnlichkeit von zwei Konsumenten bestimmt, das erfolgt mittels des sog. Proximitätsmaßes. Im zweiten Schritt werden die Konsumenten mit Hilfe eines Fusionierungsalgorithmus zu Segmenten zusammengefasst. Dabei können hierarchische und nicht hierarchische Verfahren Anwendung finden. Im dritten Schritt erfolgt die Bestimmung der Clusterzahl, dieses geschieht unter Berücksichtigung der Fehlerquadratsumme und wird unterstützt durch graphische Darstellungen (Dendogramm bzw. Diagramm der Entwicklung der Fehlerquadratsumme). 6.2.3.1.2. Faktorenanalyse Der Begriff Faktorenanalyse steht für eine Reihe von Analysemethoden. Sie haben als gemeinsames Ziel, die Interdependenz zwischen den Ausprägungen der erhobenen Variablen zu analysieren und untereinander unabhängige Faktoren aufzudecken. Die Faktorenanalyse führt zu einer Reduktion der Ausgangsdaten auf relevante Grunddimensionen. Mit ihr werden zwei Ziele verfolgt82: Das erste Ziel ist die Überprüfung der Dimensionalität komplexer Merkmale. Die Dimensionalität eines Tests gibt dabei an, ob mit den Test-Items mehrere Konstrukte bzw. Teilkonstrukte operationalisiert werden (mehrdimensionaler Test). Das zweite Ziel ist die Datenreduktion. Dabei wird versucht, eine Vielzahl von korrelierten Variablen auf einen
243
kleinen Satz unabhängiger latenter Variablen (Faktoren) zu reduzieren, der einen möglichst großen Teil der Varianz der Ausgangsvariablen aufklärt. Hierbei geht es um die Reduktion von Daten und die Reduktion von Redundanzen zwischen den einzelnen Variablen. Voraussetzung für die Anwendung der Faktorenanalyse ist, dass die Variablen mit Intervallskalenniveau erhoben wurden. Im Rahmen der Faktorenanalyse werden nur lineare Zusammenhänge aufgedeckt. Es lassen sich zwei verschiedene Ansätze unterscheiden: 1. Die exploratorische Fakorenanalyse, 2. die konformatorische Faktorenanalyse. Exploratorische Faktorenanalysen dienen dem Auffinden von Faktoren innerhalb eines Variablensatzes. Dabei wird von den Korrelationen zwischen den Variablen ausgehend versucht, Zusammenhänge zwischen Variablengruppen zu finden. Im Rahmen der konfirmatorischen Faktorenanalyse wird überprüft, ob in der Empirie gefundene Daten zu einem theoretischen Modell passen. Der Grad dieser Anpassung wird über spezielle Kennwerte definiert. Der Ablauf der Faktorenanalyse wird nachfolgend im Überblick gezeigt.
Tab. 6.7:
Ablaufschritte einer Faktorenanalyse, In Anlehnung an Backhaus et al [1996], S. 199
Im Rahmen der Korrelationsanalyse werden die Beziehungen zwischen den Variablen analysiert83. Dabei ist große Sorgfalt auf die Wahl der Untersuchungsmerkmale und -einheiten zu verwenden, da alle Ergebnisse der Faktorenanalyse durch die Güte der Korrelationsmatrix beeinflusst werden. Irrelevante Merkmale sind auszusortieren und als ähnlich erachtete Merkmale zusammenzufassen. Die Daten sollten zudem einer möglichst homogenen Stichprobe entstammen, da die Höhe der Korrelationen zwischen den Untersuchungsmerkmalen (Variablen) durch den Homogenitätsgrad der Stichprobe beeinflusst wird. Es wurden Prüfkriterien entwickelt, die es erlauben, Variablenzusammenhänge auf ihre Eignung zu überprüfen. 244
Box 6.5. Fallbeispiel Handy-Merkmale „Ausgangsbasis: fiktive Korrelationsmatrix basierend auf Eigenschaften von Handys
Nach Rotation: fiktive 2-Faktorielle Ladungsmatrix mit Faktor 1: Technische Leistung Faktor 2: Bedienerfreundlichkeit
Graphische Darstellung der 2-Faktoriellen Lösung der Faktorenanalyse:
245
Grundgedanken der Faktorenanalyse im Überblick: Eigenschaften von Handys; Einzelvariablen links, Faktoren rechts.“
Quelle: Schade [2005], S. III34-III36
Die Faktoren werden als „hinter den Variablen“ stehende Größen angesehen, die den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Ausgangsvariablen repräsentieren. An den Korrelationen lässt sich bereits erkennen, ob Zusammenhänge zwischen Paaren von Variablen bestehen und solche Variablen als bündelungsfähig angesehen werden. Im Rahmen der Faktorenextraktion geht es darum, wie die Faktoren rein rechnerisch aus den Variablen ermittelt werden können84. Grundlage dafür ist das Fundamentaltheorem der Faktorenanalyse. Der erste extrahierte Faktor soll den Varianzanteil so groß wie möglich aufklären. Existiert ein 2. Faktor, so soll er einen maximalen Anteil der Restvarianz aufklären. Mögliche weitere Faktoren sollen wiederum soviel der Varianz wie möglich, aufklären. Zur Verdeutlichung der Extraktion können Graphiken herangezogen werden. Durch die Faktorenrotation werden die durch die Extraktion gewonnenen Faktoren rotiert85. Es lässt sich mathematisch nachweisen, dass die Aussagekraft einer Hauptachsenanalyse durch Drehung (Rotation) des Koordinatenkreuzes in seinem Ursprung nicht verändert wird, aber die Interpretation erleichtert. Rotationen werden von Computerprogrammen durchgeführt, dabei wird häufig auf die sog. (rechtwinklige) Varimax-Rotation zurückgegriffen. Bei der Bestimmung der Faktorwerte tritt das Problem auf, dass es bei vielen sozialwissenschaftlichen Problemen nicht nur wichtig ist, die Variablen auf eine geringe Anzahl von Faktoren zu reduzieren, sondern auch zu erfahren, welche Werte die Objekte hinsichtlich der extrahierten Faktoren annehmen.
246
Die ersten beiden Schritte der Faktorenanalyse sind manipulationsfrei, alle anderen notwendigen Rechenschritte sind subjektiven Maßnahmen des Untersuchenden zugänglich und erfordern die entsprechenden Eingriffe. In den gängigen Computerprogrammen wird das Problem i.d.R. dadurch gelöst, dass dem Anwender des Verfahrens für die einzelnen Entscheidungsprobleme „Standardlösungen“ angeboten werden und der Anwender nur eingreifen muss, wenn er eine andere Lösung anstrebt. Die Faktorenanalyse steht für eine Reihe von Methoden, die zum Ziel haben Interdependenzen zwischen den Ausprägungen der erhobenen Variablen zu analysieren und untereinander unabhängige Faktoren aufzudecken. Sie ermöglicht insofern die Verdichtung einer Vielzahl von Segmentierungsvariablen zu wenigen Faktoren. Zu unterscheiden ist zwischen der explorativen und die konfirmativen Faktorenanalyse. Die Faktorenanalyse wird allgemein in den vier Schritten Korrelationsanalyse, Faktorenextraktion, Faktorenrotation und Bestimmung der Faktorwerte durchgeführt. 6.2.3.1.3. Diskriminanzanalyse Die Diskriminanzanalyse wird als Verfahren zur Analyse von Gruppenunterschieden verwandt86. Sie ermöglicht es somit, die Unterschiedlichkeit von zwei oder mehreren Gruppen hinsichtlich einer Mehrzahl von Variablen zu untersuchen. Das Verfahren kann damit auch als Datenreduktionstechnik, ähnlich wie die Faktorenanalyse (bei der eine Eigenschaftsbeurteilung stattfindet), verstanden werden. Die Diskriminanzanalyse gehört, wie z.B. auch die Regressionsanalyse oder die Varianzanalyse, zu den strukturenprüfenden Verfahren. Die Merkmalsvariablen der Elemente müssen intervallskaliert sein, die Gruppenzugehörigkeit lässt sich auch durch nominal skalierte Variablen ausdrücken. Formal lässt sich das Verfahren als eines charakterisieren, mit dem die Abhängigkeit einer nominal skalierten Variablen (der Gruppierungsvariablen) von metrisch skalierten Variablen (den Merkmalsvariablen der Elemente) untersucht wird. Die Diskriminanzanalyse ist gekennzeichnet durch einen Unterschied hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Problemstellung von sog. taxonomischen (gruppierenden) Verfahren, die von ungruppierten Daten ausgehen. Mittels der Clusteranalyse werden Gruppen erzeugt, mittels der Diskriminanzanalyse hingegen werden Gruppen untersucht87. Die Diskriminanzanalyse lässt sich allgemein in folgende Ablaufschritte einteilen.
247
Tab. 6.8:
Ablaufschritte einer Diskriminanzanalyse, in Anlehnung an Backhaus et al [1996], S. 94
Im Rahmen des Schrittes (1) erfolgt die Definition der Gruppen, die sich entweder direkt aus Anwendungsproblemen ergeben, oder Ergebnis einer vorgeschalteten Analyse (z.B. Clusteranalyse) sein können. Die Formulierung und Schätzung der Diskriminanzfunktion schließt sich an. Zur Formulierung der Diskriminanzfunktion wird aufgrund sachlogischer Überlegungen hypothetisch eine Auswahl von Merkmalsvariablen herangezogen. Diese werden nach Schätzung der Diskriminanzfunktion auf ihre Eignung überprüft. Durch sie soll sowohl die optimale Trennung zwischen den Gruppen, als auch eine Prüfung der diskriminatorischen Bedeutung der Merkmalsvariablen erfolgen. Dabei darf die Stichprobe keine Elemente enthalten, die gleichzeitig zu mehr als nur einer Gruppe gehören. Die Schätzung der Diskriminanzfunktion hat große Ähnlichkeit mit der Schätzung einer Regressionsfunktion in der Regressionsanalyse88. Die Eigenart der Diskriminanzanalyse ergibt sich erst aus dem zweiten Schritt. Dieser dient dazu, aus den stetigen Werten der erklärenden Variablen diskrete Werte und damit Gruppenzugehörigkeiten der abhängigen Variablen zu berechnen. Eine Möglichkeit zur Prüfung der Güte (Trennkraft) einer Diskriminanzfunktion liegt im Diskriminanzkriterium. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Klassifizierung der Untersuchungsobjekte mit deren tatsächlicher Gruppenzugehörigkeit zu vergleichen. Beide Methoden sind eng miteinander verknüpft und führen idealiter zu ähnlichen Ergebnissen. Graphische Darstellungen erleichtern die Interpretation und können vor Fehlurteilen schützen. Sind mehrere Gruppen vorhanden, ist die Beschränkung auf zwei Diskriminanzfunktionen von Vorteil. Im Rahmen des zweiten Schrittes wird eine Klassifizierung der neuen Elemente vorgenommen. Dabei wird angenommen, dass ein Zusammenhang zwischen der unabhängigen und der erklärenden Variablen besteht. Dieser Zusammenhang wird in der Diskriminanzfunktion so ausgenutzt, dass sich für Fälle, die unterschiedlichen Gruppen der abhängigen Variablen zuzuordnen sind, möglichst unterschiedliche Funktionswerte ergeben. Dieses kann auf verschiedener Basis vorgenommen werden89, durch Fischers Klassifizierungsfunktion, das Distanzkonzept, das Wahrscheinlichkeitskonzept oder die Anwendung der Bayes-Regel. Der Zweck liegt darin, die Gruppenstreuungen zu überprüfen und gegebenenfalls die individuellen Gruppenstreuungen zu berücksichtigen. Ist mehr als eine Gruppe zu untersuchen, bietet
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die Anwendung der signifikanten bzw. wichtigsten Diskriminanzfunktionen gegenüber allen mathematisch möglichen Ergebnisermittlungen einen Vorteil. Die Diskriminanzanalyse ist ein Verfahren zur Analyse von Gruppenunterschieden. Sie ermöglicht es somit, zwei oder mehreren Gruppen hinsichtlich einer Mehrzahl von Variablen zu untersuchen. Die Diskriminanzanalyse wird allgemein in den zwei Schritten Definition und Schätzung der Diskriminanzfunktion und Klassifikation der Elemente durchgeführt. 6.2.3.1.4.
Multidimensionale Skalierung
Durch das Verfahren der multidimensionalen Skalierung (MDS) kann die subjektive Wahrnehmung von Objekten durch Personen (z.B. Wahrnehmung von Kanälen durch Konsumenten) bestimmt werden90. Dabei wird davon ausgegangen, dass Objekte eine Position im Wahrnehmungsraum von Personen haben. Da der Wahrnehmungsraum mehrdimensional ist, werden Objekte von Personen i.a.R. nach verschiedenen Dimensionen beurteilt (z.B. ein Kanal nach Convenience-, Preis-, Lifestyleorientierung etc.). Zur Positionsbestimmung der Objekte im Wahrnehmungsraum stehen grundsätzlich zwei Wege offen (1) Beurteilung der Eigenschaften der Objekte, (2) Ähnlichkeitsbeurteilung zwischen den Objekten. Im ersten Fall ist eine Menge relevanter Eigenschaftsbeurteilungen durch die Auskunftsperson hinsichtlich des Objektes durchzuführen. Mit Hilfe der Methode der Faktorenanalyse können Dimensionen abgeleitet werden, um die Objekte zu positionieren91. Im zweiten Fall schätzt die Auskunftsperson subjektiv die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zwischen den Objekten ein. Die Ähnlichkeitsurteile bilden die Basis für die Methoden der MDS, mit denen die Konfiguration der Objekte im Wahrnehmungsraum der Person abgeleitet wird. Die Vorteile der MDS sind darin zu sehen, dass für die Analyse die relevanten Eigenschaften unbekannt sein können und dass keine Beeinflussung des Ergebnisses durch die Auswahl der Eigenschaften und deren Deutung vorkommt. Die Nachteile der MDS liegen in der schwierigen Interpretation der Ergebnisse. Das liegt daran, dass der Bezug zwischen den gefundenen Dimensionen des Wahrnehmungsraumes und den empirische erhobenen Eigenschaften der Merkmale nicht besteht, wie dieser z.B. bei der Faktorenanalyse vorliegt. Das erschwert auch die konkrete Umsetzung von Positionierungsstrategien beim Marketing. Diese Nachteile können jedoch mit Hilfe ergänzender Methoden kompensiert werden. Der Ablauf einer MDS kann in folgende Schritte aufgeteilt werden: 249
Tab. 6.9:
Ablaufschritte einer Multidimensionalen Skalierung, in Anlehnung an Backhaus et al [1996], S. 94
Zur Durchführung einer MDS sind subjektive Wahrnehmungen der Ähnlichkeit von Objekten (z.B. Web 2.0-Channel) zu messen. Dazu werden Objekte auf Basis ihrer Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten zueinander, in einem (möglichst niedrig dimensionierten) Raum dargestellt. Es findet sich oft auch der Ausdruck Ähnlichkeitsanalyse (similarity structure analysis). Als Methode wird dazu die Rangreihung, Ankerpunktmethode oder das Ratingverfahren angewandt. Bei der Wahl des Distanzmodells werden, um die Stabilität der Lösung zu erhöhen, Ähnlichkeitsdaten normalerweise über die Personen aggregiert (z.B. Mediane, Mittelwerte). Auch die Verfahren der Euklidischen Distanz, der City-Block- bzw. der MinkowskiMetrik finden dazu Anwendung. Im Rahmen des 3. Schrittes wird aus den vorgegebenen Ähnlichkeiten bzw. Unähnlichkeiten von Objekten in einem (möglichst niedrig dimensionierten) Raum eine Konfiguration ermittelt. In dieser Konfiguration sollte die Rangfolge der Distanzen zwischen den Objekten möglichst gut die Rangfolge der Unähnlichkeiten wiedergeben. Dazu wird iterativ, ausgehend von einer Ausgangskonfiguration vorgegangen und versucht diese Schritt für Schritt zu verbessern. Die Überprüfung der Güte einer Konfiguration erfolgt mit Hilfe des Stress-Maßes, das möglichst klein sein sollte. Neben der Ermittlung des Wahrnehmungsraumes einer Person, welches als klassische MDS bezeichnet wird, ist auch die Ermittlung derjenigen von Gruppen (z.B. bei der Analyse der Channel-Wahrnehmung durch Konsumentengruppen) möglich. Zur Lösung des Aggregationsproblems wird dazu entweder vor der Durchführung der MDS die Bildung von Ähnlichkeitsdaten durch Mittelwerte oder Mediane aggregiert, bzw. die klassische MDS für jede Person der Gruppe durchgeführt. Die MDS kann z.B. auch durch Erweiterungen bei den Ähnlichkeitsurteilen, wie mit der Einbeziehung von Präferenzen oder von Eigenschaftsurteilen mit verschiedenen Verfahren verfeinert werden.
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Die MDS bestimmt die subjektive Wahrnehmung von Objekten durch Personen im Wahrnehmungsraum, der mehrdimensional ist. Dazu erfolgt eine Ähnlichkeits- bzw. Unähnlichkeitsbestimmung der Objekte untereinander, als Basis für die Methoden der MDS, mit denen die Konfiguration der Objekte im Wahrnehmungsraum der Person abgeleitet wird. Die Vorteile der MDS beziehen sich auf die Möglichkeit, auch unbekannte relative Eigenschaften in die Analyse einzubeziehen und auf die Unabhängigkeit von Beeinflussungen und Deutungen der Ergebnisse durch den Analytiker. Die Nachteile liegen in der Schwierigkeit der Interpretation der Ergebnisse. Neben der klassischen MDS, die sich auf die Ermittlung des Wahrnehmungsraumes einer Person bezieht, sind auch Analysen des Wahrnehmungsraumes von Gruppen möglich. Die MDS kann durch Erweiterungen im Rahmen der Ähnlichkeitsurteile durch weitere Einbeziehungen verfeinert werden. 6.2.3.1.5.
Conjoint Measurement
Die Conjoint-Analyse ermöglicht Erkenntnisse über den Beitrag verschiedene Komponenten am empfundenen Gesamtnutzen eines Objektes beim Konsumentenempfinden. So kann es z.B. auf ein Produkt bezogen von Wichtigkeit sein, ob eine Änderung der Verpackung oder eine Veränderung der Substanz des Produktes einen größeren Beitrag zum Gesamtnutzen in der Konsumentenempfindung stiftet92. Das Verfahren versucht auf Basis empirisch erhobener Gesamtnutzenwerte, den Nutzen einzelner Komponenten zu ermitteln. Es ist zu den dekompositionelles Verfahren zu rechnen, bei denen unterstellt wird, dass sich der Gesamtnutzen additiv aus Teilnutzenwerten zusammensetzt. Als Datenbasis werden Gesamtnutzenurteile von befragten Personen verwandt. Ein wichtiges Anwendungsgebiet der Conjoint-Analyse liegt im Bereich der Neuproduktplanung in Fragen der optimalen Gestaltung eines Produktes im Hinblick auf die Bedürfnisse im Markt. Die Besonderheit der Conjoint-Analyse ist in der Notwendigkeit zu sehen, dass Befragte realitätsnahe Entscheidungen über verschiedene fiktive Produkte treffen müssen und diese als Ganzes zu bewerten haben. Der Hauptnachteil besteht in der hohen Komplexität der verschiedenen Conjoint-Verfahren, was zu einem hohen Zeit und Kostenbedarf in den Unternehmen führt. Vor allem aus diesem Grund wird der Conjoint-Analyse nur eine geringe praktische Bedeutung beigemessen93.
251
Der Ablauf der Conjoint-Analyse lässt sich folgendermaßen darstellen:
Tab. 6.10:
Ablaufschritte einer Conjoint-Analyse, in Anlehnung an Backhaus et al [2003], S.547
Der Ablauf lässt sich in die beiden Bereiche Präferenzerfassung und Präferenzanalyse aufteilen. Die Erfassung der Präferenzen erfolgt während der ersten drei Schritte. In diesem Rahmen werden die wichtigsten Eigenschaften des zu untersuchenden Objektes (Produktes) mit verschiedenen Eigenschaftsausprägungen versehen, daraus werden Stimuli entwickelt, die anschließend von den Befragten bewertet werden. Die anschließende Präferenzanalyse umfasst die beiden letzten Ablaufschritte der Conjoint-Analyse. Im Rahmen der Schätzung der Nutzenwerte werden die Nutzenparameter mittels der Methode der Kleinst-Quadrate für jeden Konsumenten einzeln geschätzt. Bei der Schätzung ist die Zahl der Freiheitsgrade sehr wichtig, die sich aus der Zahl der Beobachtungen abzüglich der zu schätzenden Parameter ergibt. Da für die einzelnen Konsumenten oft nur wenige Beobachtungen vorliegen, sind die geschätzten Parameter häufig instabil, was sich in einer hohen Varianz- und Standardabweichung niederschlägt. Zur Beurteilung der Güte der geschätzten Nutzenfunktion werden verschiedene Kriterien herangezogen. So kann z.B. die Signifikanz der Nutzenparameter mit einem t-Test überprüft werden und die Anpassungsgüte des Modells an die Beobachtungen wird mit dem Bestimmtheitsmaß R2 beschrieben. Durch die Prognosevalidität kann beurteilt werden, wie gut die Gesamtnutzenwerte der Stimuli im Hold-OutSample vorhergesagt werden können. Als Maß für die Prognosevalidität wird der Anteil der First Choice Hits ermittelt. Zur anschließenden Aggregation der Nutzenwerte, werden die errechneten Teilnutzenwerte normiert und mittels Clusteranalyse zusammengefasst94. Die Conjoint-Analyse ermöglicht die Identifizierung von Personengruppen, die gleiche oder ähnliche Nutzenvorstellungen im Hinblick auf bestimmte Produkte und deren Eigen252
schaften aufweisen. Sie ist als dekompositionelles Verfahren zu bezeichnen, bei dem sich der Gesamtnutzen additiv aus einer Menge von Teilnutzenwerten zusammensetzt. Der Vorteil des Verfahrens liegt in der Notwendigkeit für Befragte realitätsnahe ganzheitliche Entscheidungen über fiktive Produkte zu treffen. Der große Nachteil liegt in der Komplexität sowie dem hohen Zeit- und Kostenbedarf für die Conjoint-Verfahren. Die Conjoint-Analyse wird in den zwei großen Teilschritten Präferenzerfassung und Präferenzanalyse durchgeführt. Zur Aggregation der Nutzenwerte erfolgt eine Zusammenfassung der errechneten Teilnutzenwerte mit Hilfe der Clusteranalyse. 6.2.3.2.
Status Quo zum Einsatz multivariater Analysemethoden in der Praxis
Im Rahmen der Studie von Kerstin/ Rennhak wurden 57 in Deutschland ansässige Konsumgüter- und Dienstleistungsunternehmen aus verschiedenen Branchen befragt95. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem Einsatz von Segmentierungskriterien, speziellen Ansätzen sowie dem Einsatz multivariater Methoden zur Zielgruppensegmentierung. Von den Autoren wurde festgestellt, dass vor allem das Verfahren der Clusteranalyse der ihm in der Literatur beigemessenen Bedeutung auch in der Praxis gerecht wird. Das Verfahren wird von 59,7% der befragten Unternehmen eingesetzt. Auch dem Verfahren der Faktorenanalyse kommt eine vergleichbare Bedeutung zu, so setzen 49,1% der Befragten dieses Verfahren zur Zielgruppensegmentierung ein. Weitaus weniger verbreitet sind hingegen andere Verfahren, wie Multidimensionale Skalierung oder Conjoint-Measurement. Lediglich 22,8% der befragten Unternehmen setzen diese Methoden ein96. Noch weniger verbreitet sind Verfahren, wie Kontrastgruppenanalyse (15,8%) oder Diskriminanzanalyse (14%). Praktisch ohne Bedeutung ist der Ansatz der neuronalen Netze (5,3%). Die Abbildung 6.9. zeigt den Einsatz der multivariaten Methoden der deutschen Studie im Überblick.
253
Abb. 6.9:
Einsatz multivariater Methoden in der Praxis, Quelle: Kersting/ Rennhak [2005], S. 23
Aus den Ergebnissen lässt sich der Schluss ziehen, dass lediglich zwei der Verfahren, die in der Fachliteratur als bedeutsam beschriebenen werden, auch in der Praxis für die Zielgruppensegmentierung zum Einsatz kommen. Ein großer Teil des Segmentierungspotentials liegt aber im Bereich der multivariaten Analysemethoden brach. Außer der Cluster- und Faktorenanalyse spielen die anderen Verfahren in der Praxis der Zielgruppensegmentierung keine Rolle. Da kaum Studien existieren, sind Wissenschaftler/Innen gefordert für den notwendigen Transfer in die Unternehmenspraxis zu sorgen und zukünftig den Gründen für diese Zurückhaltung größere Aufmerksamkeit in ihren Forschungsarbeiten zu schenken. Anhand der Studie von Kerstin/ Rennhak zeigt sich, dass beim Einsatz multivariater Methoden zur Zielgruppensegmentierung in der Praxis noch vieles brach liegt. Lediglich die Verfahren Clusteranalyse und Faktorenanalyse sind in nennenswertem Umfang in der Praxis vertreten. Die anderen multivariaten Verfahren spielen kaum eine Rolle. Insbesondere bei Verfahren, denen in der Fachliteratur viel Bedeutung beigemessen wird, findet sich in der 254
Praxis eine große Zurückhaltung. Da zu wenige Studien existieren, ist hier ein großer Forschungsbedarf begründet. 6.2.4.
Markenmanagement mit traditionellen Medien
6.2.4.1.
Markenstrategien im Rahmen der Multi-Channel-Kommunikation
„Markenpolitik umfasst alle strategischen, auf das Gesamtunternehmen bezogenen Rahmenbedingungen zum Markenportfolio, zur Markenpositionierung und zu den einzusetzenden Markenstrategien bzw. Markenarchitekturen“97. Dieses im deutschsprachigen Marketingverständnis vorherrschende Begriffsverständnis stellt den übergeordneten, unternehmensweiten Rahmen der Markenpolitik in den Vordergrund. Er unterscheidet sich erheblich vom Begriffsverständnis angelsächsischer Begriffe, wie Brand Management und Brand Policy, welche den Schwerpunkt auf die einzelne Marke legen. Die Begriffe können somit nicht synonym verwendet werden98. Die Produkt- und Programmpolitik umfasst die Gesamtheit aller Entscheidungen, die das Leistungsangebot eines Unternehmens betreffen und richtet sich an Bedürfnissen einzelner Kundengruppen aus. Im Rahmen einer Multi-Channel-Kommunikation kommt gerade der Markenpolitik eine besondere Rolle zu, denn die Kommunikation über mehrere Kanäle stellt besondere Anforderungen. Generell beinhaltet die Wahl der Wettbewerbsstrategie wichtige Vorgaben für den markenpolitischen Planungsprozess. Beim undifferenzierten Marketing (Massenmarketing) erscheint der limitierte Einsatz von Marken als zweckmäßig99. Würden mehrere gleich positionierte Marken eingesetzt, käme es, neben zusätzlichem Aufwand, zu Kannibalisierungseffekten, da sich die Marken gegenseitig Markenanteile streitig machen würden. Einige Autoren sind daher der Meinung, dass die Einzelmarke im Rahmen der Multi-Channel-Markenpolitik im Mittelpunkt stehen muss, weil positive Effekte nur auftreten können, wenn ein einheitlicher Markenauftritt in den Kanälen vorliegt und eine Vermengung von Marken und Kanälen vermieden wird100. Diese Meinung impliziert, dass bei Vorhandensein mehrerer Marken für jede Marke des Unternehmens eine eigene Multi-Channel-Strategie zu entwickeln ist, was auch eine einheitliche Preisgestaltung beinhaltet. Bei Verfolgung eines differenzierten Marketing (Personal Marketing) hingegen, bei dem einzelne Segmente spezifisch angesprochen werden, nimmt die benötigte Anzahl der Marken im Markenportfolio zu und auch damit die Komplexität der einzusetzenden Markenarchitekturen101. Gleiches gilt für ein konzentriertes Marketing, bei dem durch die Fokussierung auf einige wenige Segmente jedoch die Anzahl der Marken im Markenportfolio geringer ist, als bei der Gesamtmarktabdeckung. Einige Autoren sind daher der Meinung, dass im Rahmen der Multi-Channel-Markenpolitik mehrere Marken differenziert nach Kanälen und Kundenbe-
255
dürfnissen über getrennte Absatzkanäle eingesetzt werden sollten102. Diese Meinung impliziert eine Preisdifferenzierung für Marken in den unterschiedlichen Kanälen, was wiederum zu einer (gewollten) internen Konkurrenzsituation zwischen den Kanälen/ Marken führt103. Diese unterschiedlichen Meinungen führen bei einer generellen Betrachtung zu einem Dilemma. Es ist daher festzustellen, dass eine „universelle“ Strategie im Rahmen der MultiChannel-Markenpolitik nicht existiert, sondern Markenstrategien von den Unternehmen individuell zu entwickeln sind. Nachfolgend werden ausgewählte Techniken dazu vorgestellt. Markenpolitik ist dem strategischen Marketing-Management zuzuordnen und beinhaltet die Rahmenbedingungen zum Markenportfolio, zur Markenpositionierung und zur Entwicklung der einzusetzenden Markenstrategien und –Architekturen. Es existieren zu den wichtigsten Begriffen unterschiedliche Auffassungen im deutschsprachigen und im angloamerikanischen Marketingverständnis, daher sind einige Begriffe nicht synonym zu verwenden. Die Wahl der Wettbewerbsstrategie bestimmt den markenpolitischen Planungsprozess. Beim undifferenzierten Marketing werden z.B. zur Vermeidung von Kannibalisierungseffekten nur wenige Marken mit einheitlicher Preispolitik eingesetzt. Beim differenzierten Marketing wird eine höhere Anzahl von Marken im Markenportfolio eingesetzt, was auch eine differenzierte Preispolitik erlaubt. Auf Multi Chanel-Marketing bezogen kommt es zu einem Dilemma, da einige Autoren die Einzelmarkenstrategie mit einheitlicher Preispolitik als einzig wahre Strategie vertreten, andere Forscher wiederum die Mehrmarkenstrategie mit kanalbezogener Preisdifferenzierung propagieren. Eine universelle Markenstrategie existiert beim Multi-Channel-Marketing nicht, diese ist individuell von den Unternehmen zu entwickeln. 6.2.4.2.
Markenstrategien im horizontalen Wettbewerb
Die zu verfolgenden Markenstrategien bilden zusammen mit Überlegungen zur Markenpositionierung das Herzstück der Markenpolitik. „…Markenstrategien [werden] als längerfristige, bedingte Verhaltenspläne der Markengestaltung zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen aufgefasst“104. Durch Markenstrategien werden Zusammenhänge zwischen den zu verwendenden Marken und den mit ihnen verknüpften Leistungen festgelegt. Nach der deutschsprachigen Marketinglehre lassen sich Marketingstrategien anhand dreier Dimensionen systematisieren.
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Box 6.6. Markenführungsstrategien beim Multi-Channel-Marketing: Beispiele 1. Einheitliche Führung einer Marke über alle Distributionskanäle Bei der Einmarkenstrategie liegt die Intension im Aufbau eines holistischen Gesamtsystems, wobei dem Kunden vor allem durch die Abstimmung und Verflechtung der Kanäle untereinander ein besonderer Nutzen gestiftet werden soll, damit er frei entscheiden kann über welchen Kanal er die Leistung beziehen will. Die Vorteile dieser Strategie liegen in einem höheren Bekanntheitsgrad des Produkts und in der Möglichkeit Kunden situationsspezifisch anzusprechen. Auch ist der Kauf über mehrere verschiedene Kanäle für den Kunden erleichternd und somit kann sich dieses positiv auf die Kaufbereitschaft auswirken. Das Risiko der Einmarkenstrategie ist die Gefahr nicht markenkonforme Kanäle vorzusehen, was eine Verwässerung der Marke bewirken könnte. Das gilt insbesondere für Premiummarken, wobei zu prüfen ist, ob der Verkauf in Online-Shops das Image schädigen würde. Ein weiteres Risiko liegt beim Missmanagement in einem Kanal, was zu Vertrauenseinbußen gegenüber der gesamten Marke führt. Einen derartigen Fall hat z.B. die Lufthansa erfahren müssen. Mit den Zielsetzungen des Direktverkaufs sowie des Anbietens von mehr Convenience für die Kunden, wurde vom Unternehmen eine Online-Plattform für Buchungen von Flügen eröffnet. Bei jedem Versuch von Kunden Flüge zu buchen und Ziele einzugeben, stürzte jedoch die Internetseite ab. Dieser technische Softwarefehler konnte monatelang nicht behoben werden. Dieser „Fehlschlag“ hat dem Image des an sich zuverlässigen Unternehmens sehr geschadet.
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2. Kanalspezifische Markenführung (Mehrmarkenstrategie) Im Rahmen der kanalspezifischen Markenführung werden vom Hersteller Produkte, Marken und Kanäle genau festgelegt. Das beinhaltet auch die Leistungsversprechen der einzelnen Marken sowie die gezielte Ansprache der jeweiligen Zielgruppen. Die Vorteile dieser Strategie liegen in der Möglichkeit durch Zusatzleistungen in Form von Vertriebskanälen in Verbindung mit einer gewollten Konkurrenz mehr Kunden zu erreichen. Auch kann durch eine genauere Positionierung der einzelnen Marken diese viel stärker auf das Kundensegment zugeschnitten werden. Die Hauptrisiken sind in der Kannibalisierung der Angebote zu sehen, daher sollten sich die durch die Marken anvisierten Kundengruppen nicht überschneiden und die Absatzkanäle nicht miteinander verflochten werden. Die Strategie führt zu einem Multiple Channel Ansatz mit unverbundenen Kanälen. Eine derartige Strategie verfolgt z.B. das Unternehmen LOréal. Im Rahmen der Multi-ChannelStrategie besteht die Besonderheit darin, dass das Unternehmen eine Mehr-Marken – MehrKanal-Strategie verfolgt. So sind die Marken LOréal und Maybelline für den Massenmarkt vorgesehen, die Marken Lancôme, Biotherme und Helena Rubinstein für Parfümerien, Weltstadthäuser und Duty-free-Shops sind für exklusive Kundinnen vorgesehen. In Apotheken werden die Marken VICHY, LA ROCHE-POSAY und Innéov angeboten, hier wird auf eine gesundheitsbezogene Beratung gesetzt. In Friseursalons wird die Marke LOréal Professional vertrieben und richtet sich an Stylisten und Friseure. Das Unternehmen führt zusätzlich auch einen Versandhandel. Hier werden eigenständige Marken vertrieben. So finden sich hier die Marken Agnes b, Cosmence, Marina*Marinof, Natural und See Beauty. 3. Integrierte Markenkommunikation zur Vermittlung einheitlicher Eindrücke Bei diesem Konzept kommt es vor allem auf die inhaltliche, formale und zeitliche Abstimmung der Maßnahmen im Rahmen der Kommunikation an. Es bezieht sich auf den Wiederholungseffekt, um die Marke in der Masse der anderen Marken herauszustellen und insofern auf schon gespeicherte Informationen zurückzugreifen. Die Vorteile liegen im leichteren Zugang zur Marke in Form von Wort-Bild-Zeichen, Präsenzsignalen oder inhaltlichen Mitteln. Die Hauptnachteile liegen in der Möglichkeit der Verwässerung des Markenimages bzw. Beeinträchtigung des Markenwertes. Eine integrierte inhaltliche Kommunikation ist bei der Marke Provinzial zu finden. In der Kommunikation findet man die Marke in Print-Anzeigen, der TV-Werbung, im Internetauftritt sowie als Poster und Aufsteller in den Filialen. Das Bildmotiv ist der Schutzengel. Hiermit stellt sich die Provinzial, als Beschützer und Begleiter dar. Quelle: Vgl. Esch/ Strödter [2007], S. 437-447
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Abb. 6.10:
Abgrenzung von Markenstrategien im Wettbewerb, Quelle: Meffert [2000], S. 136
Wie in Abbildung 6.10. ersichtlich, lassen sich Marken im vertikalen Wettbewerb in Hersteller- und Handelsmarken unterteilen. Handelsmarken können noch weiter in Premium-, Eigen, und Gattungsmarken (No Name Marken) eingeteilt werden. Der internationale Wettbewerb wird in multinationale, globale sowie Mischformen beider Varianten unterteilt. Für Multi-Channel-Marketing haben Markenstrategien der horizontalen Wettbewerbsdimension eine höhere Bedeutung, daher beschränken sich die Ausführungen auf diese Formen. Markenstrategien sind in Bezug auf ihre Kompetenzbreite, -Tiefe und –Höhe zu unterteilen, wobei die Breite angibt, wie viele Marken in einem Leistungsbereich oder einer Produktgruppe geführt werden. In diesem Bereich sind Einmarken- und Mehrmarkenstrategien zu unterscheiden. Die Kompetenztiefe beschäftigt sich mit der Frage, wie viele Produkte unter einer Marke geführt werden, wobei bei Produktmarken wiederum in Einzelmarken- und Familienmarkenstrategie unterschieden wird. Die nachfolgende Abbildung 6.11. zeigt dazu eine Übersicht.
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Abb. 6.11:
Systematisierung von Markenstrategien im horizontalen Wettbewerb, Quelle: Meffert [2000], S. 137
1. Einmarkenstrategien In ihrer Grundform beinhaltet diese Strategie den Einsatz einer Einzelmarke. Die Markentiefe umfasst in der einfachsten Form pro Marke genau ein Produkt105. Die wesentlichen Vorteile sind in der gezielten Ansprache einzelner Kundensegmente durch die Marke, bzw. in der Differenzierung gegenüber anderen Marken zu sehen. Beispiele: Ariel, Pampers und Meister Proper von Procter& Gamble. Die schwerwiegendsten Nachteile liegen in den hohen Investitionen zur Einführung und zum Aufbau der Marke, die diese allein zu tragen hat und in der Gefahr, dass bei immer kürzer werden Lebenszyklen, der Break-Even-Point nicht mehr erreicht werden kann. Im Rahmen der Familienmarkenstrategie werden hingegen mehrere verwandte Produkte unter einer Marke zusammengefasst, ohne direkt auf den Unternehmensnamen Bezug zu nehmen106. Beispiel: Nivea (Produktgruppe der Pflegemittel) mit den auf einzelne Zielgruppen angepasste Produktlinien, z.B. Nivea Beauté, Nivea Hair Care, Nivea for Men etc. Die wichtigsten Vorteile sind in der Nutzung von Synergien zur Verringerung des Flop-Risikos bei Produktneueinführungen und einer schnellen Akzeptanz im Handel zu sehen. Der Hauptnachteil liegt in der Gefahr der Verwässerung der Muttermarke und einer negativen Ausstrahlung (Badwill-Transfereffekt) von einem Produkt auf die anderen Produkte der Familienmarke. Im Rahmen der Dachmarkenstrategie werden alle Produkte unter der Unternehmensbzw. Unternehmensbereichsmarke zusammengefasst107. Von den in der Literatur zu fin-
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denden Begriffen ist lediglich Corporate Brand synonym zu verwenden, nicht aber Company Brand108. Die Gründe für eine Dachmarkenstrategie können vielfältig sein, z.B. bei zu umfangreichem Produktprogramm, zur Unterstützung einer Einzelmarkenstrategie oder zur Steigerung des Wachstums des Marktanteils etc. Vorteile sind die Risikominimierung bei der Produkteinführung aufgrund der breit etablierten Marke und die Verteilung des Aufwandes auf alle Produkte des Unternehmens. Der Hauptnachteil liegt in der Gefahr der Markenerosion. 2. Mehrmarkenstrategie Über die Mehrmarkenstrategie herrschen unterschiedliche Auffassungen vor. Im deutschsprachigen Marketingverständnis wird diese Strategie als Führung mehrerer Einzelmarken verstanden109. Dem angelsächsischen Marketingverständnis liegt hingegen eine weitere Auffassung zugrunde110. Der Hauptvorteil der Mehrmarkenstrategie liegt in der Möglichkeit, sich mit den einzelnen Marken genauer auf die Zielgruppen auszurichten, als das mit einer einzelnen Marke möglich wäre. Der Hauptnachteil liegt im wesentlich höheren finanziellen Aufwand für Aufbau und Führung mehrerer Marken. Die dargestellten Strategien sind in „reiner“ Form in der Praxis kaum anzutreffen, sie werden vielmehr miteinander kombiniert und verknüpft, woraus Markenarchitekturen entstehen. Durch Markenstrategien werden die Zusammenhänge zwischen den zu verwendenden Marken und den damit verknüpften Leistungen festgelegt. Nach deutschsprachigem Verständnis lassen sich Markenstrategien in drei Bereiche unterteilen: in Strategien im vertikalen, im internationalen und im horizontalen Wettbewerb. Für Multi-Channel-Marketing hat der horizontale Wettbewerb die größte Relevanz. Im Bereich der Kompetenzbreite lassen sich Einmarken- und Mehrmarkenstrategien unterscheiden. Einmarkenstrategien beinhalten die Einzelmarken-, Familien- und Dachmarkenstrategie. Bei der Mehrmarkenstrategie existieren unterschiedliche Auffassungen zwischen dem deutschsprachigen und dem angelsächsischen Verständnis. Die Strategien werden in der Praxis kombiniert und verknüpft zu Markenarchitekturen. 6.2.4.3.
Markenarchitekturen
„Unter einer Markenarchitektur kann man die Anordnung aller Marken eines Unternehmens verstehen, durch die die Rollen der Marken und ihre Beziehungen untereinander sowie die Marken-Produkt-Beziehungen aus strategischer Sicht festgelegt werden“111. Markenkombinationen bilden neben den reinen Produkt- und Dachmarken den dritten Strategietypus, der im Rahmen des Markenportfolios ein wichtiger Bestandteil ist.
261
262
Abb.6.12:
Typen der Markenarchitektur, Quelle: Seefeld [2003], S. 37
1. Vertikale Markenarchitekturstrategien Die vertikale Betrachtung der Markenarchitektur richtet sich ausschließlich auf die Endabnehmer der Leistungen und die Handelsunternehmen aus, dabei wurden vor allem im angelsächsischen Bereich verschiedene Markenkombinationsstrategien entwickelt. Von diesen werden nachfolgend zwei näher erläutert und kombiniert dargestellt. Von den Autoren Laforet/Saunders wurden empirisch verschiedene Markenarchitekturen erfasst, die in Unternehmen der Konsumgüterbranche eingesetzt werden. Ihr Ziel ist, die Architekturen anhand der Anzahl der eingesetzten Marken und deren Rollen zu klassifizieren112. Auch die Autoren Aaker/ Joachimsthaler strukturierten verschiedene Markenarchitekturen nach den Beziehungen zwischen den Hierarchien und der Verknüpfung der Marken sowie der Markenrolle und –gewichtung bei der Kaufentscheidung113. Diese beiden Klassifikationen werden in der Abbildung 6.12. kombiniert dargestellt, wobei als Unterscheidungskriterium für die einzelnen Typen von Markenarchitekturen die Verwendung/ Gewichtung der Corporate Brand in der Markenarchitektur Verwendung findet. Beim Branded House liegt eine klassische Dachmarkenstrategie vor und das Unternehmen tritt unter seiner Corporate Brand bzw. den Company Brands auf. Die Produkte und Leistungen werden nur unter dieser Marke angeboten und einzig durch Sachbezeichnungen zur besseren Unterscheidbarkeit gekennzeichnet. Beispiel: Siemens S45i und M50 für Handys. Liegt jedoch der Schwerpunkt auf den einzelnen Produkten und Leistungen eines Unternehmens, bieten sich Mono Brands/ Furtive Brands an, die vergleichbar sind, mit der Einzelmarkenstrategie der deutschsprachigen Marketinglehre. Hier erfolgt der Vertrieb der einzelnen Produkte unter ihrer eigenen Marke, ohne auf die dahinter stehende Unternehmung Bezug zu nehmen. Die Wahl der Alternative hängt von situativen Faktoren, wie z.B. der Markenkompetenz der Dachmarke in Bezug auf das Segment etc., ab. Die Kombination von Branded House und House of Brands (Mixed Brand Strategy), besteht aus einer Kombination von Marken zweier oder dreier hierarchischer Ebenen. Daneben besteht noch die Möglichkeit Marken durch Zusätze (Flankers/ Modifiers) zu ergänzen, z.B. um weiter innerhalb einer Marke zu differenzieren. Bei dieser Sub Brand Strategy dominiert die Dachmarke und wird mit einem Markenzusatz erweitert (z.B. HP Jet-Serie, Audi TT). Sub Brand entsprechen dem deutschsprachigen Begriff der Familienmarke unter welcher die Produktlinie mit abgrenzender Sachbezeichnung angeboten wird. Beispiel: Nivea Hygieneprodukte, die durch Markenzusätze, wie Nivea for Men, Nivea Bath Care etc. voneinander abgegrenzt werden. Bei den Endorsed Brands liegt ein ähnliches Prinzip vor, hier verliert jedoch die Dachmarke zugunsten der Marken auf der
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dritten Ebene an Bedeutung. Die Beziehung ist komplementär, da die Dachmarke (Corporate Brand/ Company Brand) allgemeine und verbindende Werte anspricht und die Einzelmarke auf die spezifischen Leistungsvorteile der Zielgruppe ausgerichtet ist. Auch wenn viele Autoren davon ausgehen, dass bei Endorsed Brands die hierarchisch übergeordnete Marke die unterstützende Rolle einnimmt, ist auch eine andere Rollenverteilung möglich. Innerhalb der Mixed Brands stellen die Dual Brands einen Typus dar, bei dem die Marken gleichwertig auftreten und eine die andere unterstützt. Diese Markenarchitektur wird oft eingesetzt, wenn das anfänglich als Produktvariante eingeführte Angebot in den Vordergrund gestellt werden soll, damit es als eigenständige Linie weitergeführt und somit spezifischer Positioniert werden soll (z.B. Gilette mit der Sensor-Line). 2. Horizontale Markenarchitekturstrategien Die horizontale Betrachtung der Markenarchitektur richtet sich, gemäß StakeholderAnsatz als Grundsatz unternehmerischer Tätigkeit, an die anderen Anspruchsgruppen (Staat, Eigenkapitalgeber etc), die an das Unternehmen herantreten. Diese haben vorwiegend einen Bezug zur Top-Managment-Ebene114. Daher hat, neben der Ausrichtung der Markenarchitektur auf Endabnehmermärkte, auch eine Ausrichtung auf andere Stakeholder zu erfolgen. Diese Entscheidungen sind in die Markenstrategien mit einzubeziehen. Auf diesen Entscheidungen basierend kann die einzusetzende Markenarchitektur erarbeitet werden. Im Rahmen von Multi-Channel-Marketing sind allgemeine Handlungsempfehlungen jedoch nicht möglich, da der Kontext (das Planungsmodell der Markenpolitik) jeweils mit einzubeziehen ist. Mit Markenarchitekturen wird aus strategischer Sicht die Anordnung aller Marken eines Unternehmens festgelegt. Das beinhaltet die Anordnung der Rollen der Marken, ihre Beziehungen zueinander und die Produkt-Markenbeziehungen. Markenkombinationen stellt eine weitere strategische Option für das Markenportfolio dar. Markenarchitekturen lassen sich unterteilen in vertikale und horizontale Architekturen. Horizontale Markenarchitekturen beziehen sich ausschließlich auf Endabnehmer und Handelsunternehmen, die Endabnehmer bedienen. Im angelsächsischen Sprachraum wurden verschiedene Markenarchitekturtypen entwickelt, vorliegend werden die Ansätze zweier Autorenpaare kombiniert dargestellt und die einzelnen Elemente diskutiert. Horizontale Markenarchitekturen beziehen sich auf Anspruchsgruppen, die vorwiegend einen Bezug zum Top-Management haben und deren Entscheidungen in die Markenarchitektur einfließen. Die Markenarchitektur bildet die Basis für das Markenportfolio. Allgemeine Handlungsempfehlungen hinsichtlich einer Markenarchitektur für Multi-Channel-Marketing sind nicht möglich, da das Planungsmodell individuell gestaltet wird.
264
6.2.4.4.
Markenportfolio
„Das Markenportfolio stellt die strategische Ausrichtung des Markenangebotes unter der Berücksichtigung der Tiefe und der Breite der Markenstrategie sowie der Markenhierarchie dar“115. Die Aufgabe eines Markenportfolios besteht darin, den Wert des gesamten Portfolios hinsichtlich der übergeordneten strategischen Marketingziele so zu optimieren, dass der Portfoliowert höher ausfällt, als die Summe der Markenwerte, die im Portfolio geführt werden116. Das Markenportfolio wird als Grundlage aller markenpolitischen Entscheidungen verstanden. Folgende Entscheidungen sind im Rahmen der Planung, Steuerung und Kontrolle zu treffen: 1. Definition der Segmente und der entsprechenden Marken mit denen diese Segmente anzusprechen sind. 2. Bestimmung der Segmente, die mit derselben Marke anzusprechen sind. 3. Beschreibung der Positionierung der einzelnen Marken im Portfolio. 4. Bestimmung der Markenstrategie, die danach zu verfolgen ist. 5. Definition des Aufbaus der Markenarchitektur. Das Markenportfolio wird auch im Rahmen der Multi-Channel-Strategie aus der übergeordneten Marketingstrategie abgeleitet und ist aus diesem Grunde auf der Ebene des TopManagements anzusiedeln. Mit Hilfe des Markenportfolios wird versucht den Markenwert insgesamt zu optimieren, so dass der Portfoliowert höher ausfällt, als die Summe der Einzelmarken. Es dient als Grundlage für alle markenpolitischen Entscheidungen, die im Rahmen von Planung, Steuerung und Kontrolle anhand der strategischen Unternehmensziele zu treffen sind. 6.3.
Strategische Gestaltung der Multi-Channel-Strukturen
Eine Geschäftsstrategie legt den langfristigen Kurs der Entwicklung eines Unternehmens und der Unternehmensführung unter Berücksichtigung der zu erwartenden Umweltbedingungen fest117. Von den betrieblichen Entscheidungen im Rahmen des strategischen Multi-ChannelCommunications-Management (MCCM) sind diejenigen, die die Gestaltung der Kommunikationsstrukturen, unter Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen, betreffen am komplexesten, da sie sich nahezu auf alle Bereiche des Unternehmens auswirken. Bei der Gestaltung von Multi-Channel-Strukturen geht es primär um die Fragen: x
Über welche Kanäle und Medien sollen die Kundenprozesse der wichtigsten Kundengruppen unterstützt werden?
x
Welche Produkte sollen über welchen Kanal angeboten werden? 265
x
Welche strategischen Varianten sind rentabel?
x
Wie lässt sich der Erfolg von Multi-Channel-Strukturen messen?
Zur Ableitung von Gestaltungsempfehlungen für eine Multi-Channel-Struktur werden in Literatur und Praxis Kommunikationsmodelle entwickelt. Die Modelle sind auf unterschiedliche Themenschwerpunkte des ganzheitlichen Konzepts Multi-Channel-Marketing fokussiert und unterscheiden sich in der Detaillierung bzgl. Dokumentation von Vorgehensweisen erheblich. Im Anschluss werden zwei ausgewählte Modelle vorgestellt und mit Hilfe des Bewertungsrasters „Method Engineering“ bewertet. Daran schließt sich eine Diskussion ausgewählter ökonomische Fragen, im Zusammenhang mit der strategischen Positionierung der Channel, an. 6.3.1.
Das Bewertungsraster Method Engineering
Method Engineering stellt einen Ansatz zur systematischen Entwicklung von Methoden dar. Der Ansatz gehört zum Bereich der methoden- und modellbasierten Konstruktionslehre Business Engineering, die im Bereich Wirtschaftsinformatik eingesetzt wird118. Die Methode hat sich in verschiedenen Forschungsprojekten bei der Bewertung von Methoden und Modellen bewährt und besteht aus sechs Bausteinen. 1. Ergebnisse Darunter werden durch Projektaktivitäten erreichte Ziele verstanden. Sie werden in Form von (Ergebnis-)Dokumenten dargestellt, weil die reine Durchführung von Aktivitäten den Erfolg eines Projekts nicht sichern kann. 2. Aktivitäten (Vorgehensmodell) Sie legen Handlungen im Rahmen des Projekts fest. Die Ablauffolge der Aktivitäten wird in einem Vorgehensmodell festgelegt. Techniken helfen bei der Ausführung von Aktivitäten. 3. Techniken Unter Techniken werden Anleitungen verstanden, die beschreiben, wie ein oder mehrere Ergebnisse zu erzielen sind; dabei erfolgt eine Konzentration auf kritische Fragen. 4. Rollen Sie weisen den Mitwirkenden im Projekt Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen zu. 5. Stakeholder Value Es werden Erfolgsfaktoren zur Messung des Geschäfts- und Projekterfolges festgelegt.
266
6. Metamodell Unter Metamodell wird das Datenmodell des Business Engineering verstanden, das die einzelnen Gestaltungsobjekte, wie Prozesse, Aufgaben, Kunden etc. und deren Zusammenhänge beschreibt. Anhand dieser Bausteine werden die nachfolgend vorgestellten Kommunikationsmodelle bewertet und klassifiziert. Die Gestaltung von Multi Chanel-Strukturen gehört zu den komplexesten Aufgaben im Rahmen des strategischen MCCM-Managments, da sich die Entscheidungen auf nahezu alle Bereiche des Unternehmens auswirken. In der Praxis und der Literatur wurden zur Gestaltung von Multi-Channel-Strukturen unterschiedliche Kommunikationsmodelle entwickelt. Zur kritischen Bewertung derartiger Modelle und Methoden hat sich das Bewertungsraster Method Engineering bewährt. 6.3.2.
Ausgewählte Vorgehensmodelle zur Gestaltung von Multi-ChannelStrukturen
6.3.2.1.
Customer-driven-Distribution-Modell
Das Modell lässt sich einer Gruppe anderer Modelle zuordnen, deren Fokus vor allem auf der Auswahl von Vertriebskanälen liegt und die daher eher dem Ansatz Multi-ChannelDistribution zuzurechnen sind119. Dementsprechend beschreibt der Ansatz den Prozess zur Entwicklung einer Distributionsstrategie mit der Zielsetzung der Selektion geeigneter Distributionskanäle auf der Basis von Kundenwünschen120. Die Autoren entwickeln dazu ein 8stufiges Vorgehensmodell, das nachfolgend im Überblick dargestellt wird. Schritt 1.: Kundenbefragung. Die Kunden werden nach ihren Wünschen und zu ihren Erwartungen an ein Distributionssystem befragt, wobei Aspekte, wie Komfort (Convenience) und Zusatzleistungen, im Verkaufprozess im Vordergrund stehen sollen. Von den Kunden sollen für die Vorschläge auch Preise genannt werden, die sie zu zahlen bereit wären. Zur Befragung sind Externe, z.B. Wissenschaftler, Berater vorgesehen. Schritt 2: Konzeption eines Idealsystems. Die Kundenwünsche werden ausgewertet und gruppiert und dienen als Ausgangsbasis zur Entwicklung eines „idealen“ Distributionssystems. Zur Auswertung und Konzeptionalisierung sind externe Personen vorgesehen.
267
Abb. 6.13:
Vorgehensmodell zur Entwicklung des Customer-driven Distibutionssystems, Quelle: Stern/ Sturdivant [1987], S. 35
Schritt 3. Kostenanalyse. Eine Kosten-/ Nutzenanalyse und Bewertung des Idealsystems sowie dessen grundsätzlicher Machbarkeit ist hier vorgesehen. Die Analyse und Bewertung wird von internen oder externen Experten vorgenommen. Schritt 4. Bewertung des Idealsystems. Mit den Mitgliedern des Top-Managements wird die Konzeption des Idealsystems diskutiert. Externe Wissenschaftlern oder Berater moderieren einen Workshop, in dem bewertet wird, wie das Idealsystem die bisherigen Strukturen und Prozesse beeinflussen würde. Aus den Ergebnissen wird ggfs. ein angepasstes Konzept für das Distributionssystem erarbeitet. Schritt 5. Alternativenvergleich. Externe Wissenschaftler bzw. Berater ermitteln Unterschiede zwischen dem im vorherigen Schritt konzipierten Idealsystem und dem bestehenden Distributionssystem. Bei geringen Unterschieden, lässt sich auf ein bereits kundenorientiertes Distributionssystem schließen. Große Unterschiede sind für die Anpassung des bestehenden Systems zu identifizieren. Schritt 6. Kritische Diskussion der Grundannahmen. Grundannahmen und Branchentrends werden kritisch analysiert. Dieses wird von externen Branchenexperten mit internen Vertriebsverantwortlichen durchgeführt. Das soll die Weiterentwicklung des Unternehmens fördern und Impulse dafür geben.
268
Schritt 7. Konzeption eines Soll-Distributionssystems. Grundlage ist die in Schritt 5 identifizierte Lücke aus der ein Soll-Distributionssystem entwickelt wird. In die Soll-Konzeption sollen die in Schritt 6 ermittelten Trends mit einfließen. Für diese Aufgabe sind Betriebsverantwortliche und externe Wissenschaftler bzw. Berater gemeinsam vorgesehen. Schritt 8. Planung der Umsetzung. Von den Vertriebsverantwortlichen werden konkrete Schritte zur Implementierung des Soll-Distributionssystems abgeleitet und deren Umsetzung kontrolliert. Kritische Bewertung: Die Aktivitäten sind in einzelne Schritte unterteilt, die dazugehörenden Ergebnisse verbal beschrieben. Bei den einzelnen Techniken fehlt jedoch eine Darstellung. Die an den Aktivitäten beteiligten Rollen sind definiert, so sind in die einzelnen Schritte Kunden, Top-Management, interne Vertriebsverantwortliche, externe Forscher bzw. Berater und Branchenexperten involviert. Die Ermittlung von Erfolgsfaktoren im Rahmen des Stakeholder Value fehlt explizit im Vorgehensmodell. Zwar ist eine Kostenanalyse vorgesehen, diese kann jedoch nur als Vorstufe für die Ermittlung von Erfolgsfaktoren dienen. Gestaltungselemente im Sinne eines Metamodells sind zwar vorhanden (Kunden(segmente), Kanäle, Distributionsprozesse, Preise, Kosten und Branchentrends), ihre Zusammenhänge werden aber nicht beschrieben. Die Vorteile des Vorgehensmodells sind darin zu sehen, dass Kundenwünsche zentraler Bestandteil des Konzepts sind. Auch Markt- und Konkurrententrends werden berücksichtigt. Die Verbindung von externen und internen Sichtweisen findet durch die Zusammenarbeit von externen und internen Verantwortlichen statt. Das Modell gehört zu den wenigen, die ausführlich beschrieben und von daher nachvollziehbar sind. Die größte Schwäche des Modells liegt in Ausschließlichkeit und Fokussierung auf die Phase Transaktion des Kommunikationsprozesses. Die anderen Phasen des Kundenprozesses werden nicht beachtet. Weitere Schwächen des Modells liegen im Ansatz der Orientierung an Kundenwünschen. Diese Orientierung liegt zwar vor, jedoch gründet sie nicht auf einer (empirischen) Untersuchung des Kundenverhaltens. Zudem geben Kundenwünsche zumeist im Markt schon Bekanntes wieder, sind aber für Innovationen nicht förderlich. 6.3.2.2.
PRICE-Approach-Modell
Das Modell PRICE (Process and Rules for Implementing m-Commerce Effectively)Approach121 ist ein Vorgehensmodell zur Einführung von Multi-Channel-Strukturen mit dem Schwerpunkt auf der Ausrichtung von Kanalstrukturen an den angebotenen Leistungen und den Kunden. Das Modell wurde aufgrund von Projekterfahrungen mit Multi-Channel-
269
Projekten in der Praxis durch die Beraterfirma The Webb Partnership im B2C-Umfeld entwickelt und lässt sich in drei Schritte unterteilen. Schritt 1. Festlegung von Zielen. Für alle beteiligten Stakeholder wird der Nutzen von MultiChannel-Strukturen analysiert und konkretisiert. Dabei kann es sich z.B. um verbesserte Prozesse mit kürzeren Prozesslaufzeiten, Kosteneinsparungen oder Verbesserungen des Service handeln. Schritt 2. Definition eines Customer Operation Models. Für die nachfolgenden Gestaltungselemente sind im Customer Operation Model strategische Entscheidungen und Ziele zu definieren: (1) Geschäftsmodell, (2) Service-Definition, (3) Marken-Kommunikation, (4) Produktentwicklung, (5) Zielsegmente, (6) Partnermanagement, (7) Kanalintegration, (8) Technologien und Schnittstellen-Design. Schritt 3. Prototyping, rasche Einführung und kontinuierliche Verbesserung. Die zuvor erarbeiteten Konzepte sind prototypisch umzusetzen. Der erste Umsetzungsvorschlag wird von Kunden bzw. von Kunden-Fokusgruppen bewertet. Die daraus entstehenden Verbesserungsvorschläge werden geprüft und ggfs. in die Konzeption mit aufgenommen. Das vorrangige Ziel ist die rasche Einführung bzw. der schnelle Ausbau von Kanalfunktionen und ein damit zusammenhängender kontinuierlicher Verbesserungsprozess.
Abb. 6.14:
270
Vorgehensmodell PRICE-Approach, Quelle: Webb [2002], S. 130
Kritische Bewertung: Das Modell PRICE-Approach enthält ein Vorgehensmodell, das auf einzelnen Aktivitäten beruht. Die zu erzielenden Ergebnisse werden jedoch nur rudimentär beschrieben. Auch fehlt es an einem Rollenkonzept für Verantwortliche. Der Stakeholder Value findet im Rahmen der Zieldefinitionen Beachtung, wobei Kunden(segmente), Kanäle, Medien, Technologien, Marken, Partner, Leistungen, Prozesse und Wettbewerber vorgesehen sind. Die Beschreibung von Zusammenhängen im Sinne eines Metamodells fehlt jedoch vollkommen. Die Vorteile liegen im umfassenden Vorgehensmodell. Die Schritte von der Ideenfindung bis zum Prototyping sind beschrieben. Auch der kundenorientierte Aspekt der Ausrichtung entlang den Bedürfnissen der Kunden, die einem Kundenprozessansatz ähneln, ist beschrieben. Zentrale Schwächen des Modells liegen in der sehr breiten Anlegung der zur Entwicklung eines Customer Operation Model nötigen Teilaspekte. Sie reichen von Aspekten der Markenführung bis zur technischen Gestaltung von Benutzerschnittstellen. Ein Rollenmodell hierfür fehlt jedoch vollständig. Zu vermissen ist auch eine Beschreibung der konkreten Zusammenhänge der Aktivitäten im Customer Operation Model. Insofern ist eine Konkretisierung des Vorgehensmodells vonnöten. Im Modell werden insgesamt strategische und operative Aspekte der Multi-Channel-Kommunikation zu stark vermischt. 6.3.2.3.
Kritische Würdigung
Die vorgestellten Ansätze und Modelle stellen nur eine kleine Auswahl aus den in der Literatur beschriebenen Modellen dar122. Die vorgestellten Modelle sollen die Schwierigkeiten verdeutlichen, die sich aus der Gestaltung von Multi-Channel-Strukturen ergeben. Keiner der vorgestellten Modelle erfüllt die Kriterien des Method Engineering vollständig. In der nachfolgenden Abbildung 6.19 wird die Bewertung der Modelle im Überblick dargestellt.
Tab. 6.11:
Bewertung der vorgestellten Modelle anhand der Kriterien des Method Engineering
271
Von Gronover wurde ein Vorgehensmodell auf Basis der Kriterien des Business Engineering entwickelt, dass alle Kriterien zufrieden stellend abbildet. Dieses Vorgehensmodell wurde jedoch speziell für den Bankenbereich entwickelt und eignet sich demzufolge nicht als neutrales branchenübergreifendes Modell123. 6.3.3.
Strategie-Entwicklung
Im Rahmen der Strategieentwicklung sind im Zusammenhang mit der Frage welches Produkt über welchen Kanal für welches Kundensegment angeboten werden soll, die Dimensionen Kunde, Leistung und Kanal-/ Marktpositionierung näher zu differenzieren. Kunden Die Ergebnisse von A-,B-,C-Analysen zeigen, dass oft nur 20% der Kunden für 80% der Profitabilität eines Unternehmens verantwortlich sind. Unprofitable Kunden führen dabei oft zu einer Verringerung des Gewinns. In Abhängigkeit von den Kundenstrukturen sollte bei der Gestaltung von Multi-Channel-Strukturen eine Fokussierung auf (zukünftig) rentable Kunden stattfinden. Beim Auf- und Ausbau von Kanälen sollten sich Investitionen auf die rentablen Kunden beschränken, wobei die anderen Kundensegmente die entstehende Infrastruktur ebenfalls nutzen können, aber deren Bedürfnisse keine gesonderte Berücksichtigung finden. Im Rahmen einer Rentabilisierung nicht profitabler Kunden sollten diese über Marketingmaßnahmen animiert werden, kostengünstigere Kanäle zu nutzen. Die Betreuung dieser Kunden sollte mittels einer verursachungsgerechten Preispolitik zumindest kostendeckend ausfallen. Da mediengestützte Kanäle aber nur von Kunden genutzt werden, wenn sie deren Bedürfnissen entsprechen, ist in eine nutzerfreundliche, leistungsstarke und integrierte Infrastruktur zu investieren. Hierbei spielt die Bedarfsanalyse eine große Rolle. Leistung In Abhängigkeit von Produktprogramm ist bei der Konzipierung von spezifischen Leistungen und Preisdifferenzierung pro Kanal zu analysieren, ob der Nutzen dieser Maßnahme zur Steuerung von Kunden in einzelne Kanäle gegenüber dem hohen Aufwand für Leistungsvarianten, Dokumentations- und Pflegeaufwand in einem vernünftigen Verhältnis steht. Bei kanalübergreifenden, einheitlichen Preisen lassen sich Konflikte leichter vermeiden, da der unmittelbare Einfluss auf die Absatzstrukturen geringer ist. Dieser Option fehlt es allerdings an den Möglichkeiten zur Markenentwicklung. In der Praxis sind Mischformen verbreitet. Sind kanalspezifische Bündelungen von Standardleistungen für Kundengruppen vorgesehen, sind Produkt- und Servicelinien modular aufzubauen. Auch Wahlangebote sind verbreitet. Da die Aufteilung mit Segmentierungsverfahren nicht immer zu befriedigenden Lösungen führt, bieten sich im Rahmen von Wahlangeboten Basis-, Standard- und Komfortpakete zu unterschiedlichen Preisen an.
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Kanal-/ Marktpositionierung Bei der Positionierung der Kanäle kann in zwei Möglichkeiten differenziert werden. Bei der autarken Marktpositionierung nimmt jeder Kanal die Distributions- und Serviceaufgaben selbständig wahr (Multiple Channel Retailing). Bei diesem Konzept fehlt es an der Integration der Daten und des Warenwirtschaftssystems124. Bei der interdependenten Marktpositionierung werden die Distributionsaufgaben als integriertes Gesamtsystem wahrgenommen. Der gemeinsame Kundenstamm wird über alle Kanäle bedient. Die Strategie-Entwicklung für ein Multi-Channel-System erfordert bei den Dimensionen Kunde, Leistung, Kanal- und Marktpositionierung besonders zu Differenzierungen. So ist zu entscheiden, ob eine Fokussierung auf (zukünftig) rentable Kunden zielführend ist. Zusätzlich sollte für unrentable Kunden eine Rentabilisierung durch ein Umlenken über Marketing in kostengünstigere Kanäle vorgesehen werden. Beim Angebot der Leistung ist zu entscheiden, ob Preispolitik mit unterschiedlichen Angeboten und Preisen in den Kanälen, eine einheitliche Preis- und Leistungspolitik mit Standardleistungen für alle oder Wahlleistungen mit abgestuften Wahlmöglichkeiten und Preisen die bessere Lösung darstellt. Aspekte der Markenentwicklung sind dabei einzubeziehen. Im Rahmen der Kanal- und Marktpositionierung ist die Entscheidung für eine differenzierte oder autarke Kanal- und Marktpositionierung vonnöten. 6.4.
6.4.1.
Exkurs: Strategic Planning125 zur Konzeption einer Multi-ChannelCommunications-Strategie Das Ursprungskonzept Strategic Planning und sein Entwicklungspotential
In der Zeit, als das professionelle Marketing für Unternehmen an Bedeutung gewann und der Marktforschung immer mehr Bedeutung zugesprochen wurde, entwickelten zwei Engländer unabhängig voneinander ein neues Konzept, dass bis heute die Grundlage für Strategic Planning darstellt126. Sie hatten zum Ziel, die durch Marktforschung gewonnenen Daten ganz gezielt bei der Entwicklung von Kampagnen einzubinden und entwickelten die Position des Strategic Planners (auch Account Planner, bzw. Planner genannt). Der Hintergrund war, dass Agenturen und Marketingabteilungen zu Ende der 1960er Jahre erhebliche Veränderungen in der Lebenswelt der Kunden bemerkten (die Rolle der Frau, Freizeit, Lebensstile, Fitness etc.), was zu Schwierigkeiten bei den Anpassungen im Rahmen der Kreation von Kampagnen führte. Die erheblichen sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen entwickelten sich auch zu einer Herausforderung für das Management von Marken. Werbungtreibende mussten lernen, die Interessen der Konsumenten zu ermitteln, um deren Lebenswelt besser kennen zu lernen. Die Aufgabe bestand darin, die Beziehungen des Menschen zu Marken, Produkten, Kommu273
nikation, Medien und Konsum als Maß aller Entscheidungen zu nehmen und den Menschen und seine Lebenswelt ins Zentrum der Betrachtungen der Unternehmen zu stellen. Bedingt durch das spezielle Entlohnungssystem in Deutschland, das die Kreation lediglich als Service-Leistung sieht und erst die Kampagnenumsetzung belohnt, wurde diese Entwicklung weiter gefördert. Heute steht die Abteilung Strategic Planning gleichberechtigt neben den Abteilungen Kreation und Beratung in der Organisation einer Agentur oder Marketingabteilung. Strategic Planning in seiner ursprünglichen Form war holistisch ausgerichtet. Leider ist diese Ausrichtung in der Praxis zurzeit weitgehend verloren gegangen127, was sich dramatisch auswirkt, denn auch in zweiten Jahrtausend scheint ein ähnlicher Umbruch, wie in den 1960er Jahren unausweichlich128 (gesellschaftliche Wertevorstellungen, technologische Möglichkeiten durch Web 2.0 etc.). In einer empirischen Untersuchung, an der 89 strategische Planer deutscher Agenturen des deutschen Account Planning Group (apgd)-Verbandes teilnahmen, die nach Zukunftstrends des Planning befragt wurden, sagten 73%, dass Agenturen bisher die Entwicklung einer Kommunikationsstrategie mit kanalübergreifenden Konzepten nicht vornehmen, sondern sich stattdessen weiter auf die direkte Erarbeitung einer Werbestrategie (Exekution) konzentrieren129. Als Grund dafür geben 63% an, dass Agenturen zu spät von den Unternehmen in die Planung einbezogen werden. 82% machen für diese Misere die Strukturen im Marketing und das daraus folgende Silo-Denken verantwortlich, dass ein ganzheitliches Arbeiten (Medien-, PR-, Marken-, Kommunikationsfachleute etc.) unmöglich macht. Die Mitarbeiter sind zwar in höchstem Maße spezialisiert, das Zusammenarbeiten klappt jedoch immer schlechter. Lediglich 11% gaben an, dass Agenturen als echte Partner bei der Entwicklung von Kommunikationsstrategien von den Unternehmen angesehen werden, nur 37% gaben an, eine Kommunikationsplanung tatsächlich auch anzuwenden. Diese Tatsachen lassen Rückschlüsse auf die Notwendigkeit von radikalen Veränderungen in den Strukturen, Arbeits- und Denkweisen sowie Planungsansätzen in Agenturen und Marketingabteilungen zu. Medienagenturen sind heute bereits in dieses Vakuum von Unsicherheiten aus Kundensicht gestoßen und haben sich durch neue Dienstleistungen als Konkurrenten etabliert. Das kann zur Folge haben, dass traditionell ausgerichtete Agenturen und Marketingabteilungen weiter an Bedeutung verlieren, denn ihre Schwerpunktsetzung liegt zu stark auf der reinen Exekution von Werbung, statt auf der Konzeption ganzheitlicher Kommunikationsstrategien, wie z.B. Multi-Channel-Marketing130. Um den Anforderungen zur Konzeption einer ganzheitlichen Kommunikationsstrategie gerecht zu werden, muss Kommunikation allerdings anders verstanden werden. Sie ist nicht länger als eindimensionales Instrument zu verstehen, bei dem Missstände lediglich durch das Drehen an dem einen oder anderen Regler korrigiert werden können. Als Grundlage für die Konzeption und Entwicklung ganzheitlicher Kommunikationsstrategien, wie z.B. der Multi-Channel-Strategie, ist, neben guten Kenntnissen der Konzepte, die Rückkehr zur holistischen Ausrichtung des Strategic Planning unver-
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zichtbar. Nachfolgend werden ausgewählte Arbeitsbereiche des Strategic Planning diskutiert und diese auf ihren Einsatz im Rahmen der Multi-Channel-Strategie geprüft. Die strategische Planung wurde in den 1960er Jahren als Reaktion auf erhebliche gesellschaftliche, technologische und soziologische Veränderungen entwickelt. Diese manifestierten sich in einem anderen Lebensverständnis bei den Konsumenten. Strategic Planning war ursprünglich ganzheitlich konzipiert. Heute hat es in der Praxis viel von dieser Ausrichtung eingebüsst, was dazu beiträgt, dass die Konzeption von Kommunikationsstrategien, wie z.B. von einer Multi-Channel-Marketing-Strategie, behindert wird. Die fehlende Ganzheitlichkeit erschwert auch die Zusammenarbeit hochspezialisierter Experten. Agenturen und Marketingabteilungen sind heute in Gefahr in ihren Strukturen zu erstarren, denn sie konzentrieren sich oft lediglich auf die Exekution von Werbung, statt auf die Konzeptionierung von Kommunikationsstrategien. In einer empirischen Untersuchung strategischer Planer in deutschen Agenturen wurde die Situation äußerst kritisch eingeschätzt und befürchtet, dass bei Verweigerungshaltung gegenüber den dringend notwendigen und radikalen Veränderungen, ein weiteres Absinken in die Bedeutungslosigkeit besonders bei traditionell ausgerichteten Agenturen und Marketingabteilungen unausweichlich ist. Strategic Planning sollte für die Entwicklung ganzheitlich ausgerichteter Kommunikationsstrategien, wie z.B. von MultiChannel-Strategien, zuständig sein. 6.4.2.
Aufgaben des Strategic Planners
Bis zum Punkt 6.3. dieses Kapitels sind die Aufgaben eines Strategic Planners in einer Marketingagentur (bzw. in einer Marketingabteilung) zur Konzeptionierung einer Multi-ChannelCommunications-Strategie identisch mit den Aufgaben des strategischen Multi-ChannelManagements in Unternehmen (Kundenorientierung, Markt- und Zielgruppensegmentierung sowie Marken- und Produktpolitik). Danach vertieft sich die Perspektive im Rahmen der Kundensicht beim Planning. Diese Vertriefung der Perspektive und die damit verbundenen Einsichten in die Konsumentenwelt sind jedoch auch für das strategische Multi-ChannelKommunikations-Management von erheblicher Bedeutung, da das Kommunikationsverhalten vom gesellschaftlichen Wertewandel, (siehe Pkt. 6.1.) und von neuen technologischen Möglichkeiten (siehe Kap.5) etc. bestimmt wird. Im Folgenden werden im Rahmen eines Exkurses die Schritte und Aufgaben des Strategic Planning zur Definition einer Multi-ChannelKommunikations-Strategie dargelegt. Die Ausführungen sollen sich jedoch nicht nur auf das mittlerweile über 30 Jahre alte Ursprungskonzept beschränken, sondern es werden auch Veränderungsnotwendigkeiten und Weiterentwicklungsmöglichkeiten thematisiert. Dabei wird zunächst vom traditionellen Verständnis des Strategic Planning ausgegangen.
275
6.4.2.1.
Gewinnung von Consumer Insight
Die zentrale Aufgabe „ …des Plannings ist die Gewinnung von Consumer-Insight“131. „Consumer Insight“ beschreibt das Wissen über das Verbraucherverhalten, über die Bedürfnisse, Gewohnheiten, Einstellungen, Erwartungen, Kontaktmöglichkeiten, zur Marke und deren Werbung in der Erlebniswelt des Kunden. Dieses Wissen bietet wichtige Entscheidungshilfen für die Entwicklung und Überarbeitung von Marketingkonzeptionen und –Strategien132. Planer nehmen dabei die Perspektive des Kunden ein, sie verstehen sich als Repräsentanten des Konsumenten im Team einer Agentur133. Ihre Aufgaben, z.B. in den Phasen der Kampagnenentwicklung einer Werbestrategie, ergeben sich durch das weite Spektrum ihrer Tätigkeit134. Die übergeordnete Aufgabe besteht dabei darin, die Relevanz und Effektivität der Werbung für den Kunden im Blick zu behalten, z.B. durch den Einbezug der Perspektive der Konsumenten in die Entstehung der Werbekonzeption. Das Ziel ist es, einen disziplinierten und systematischen Entstehungsprozess der Konzeption zu implementieren, um ein kostspieliges iteratives Vorgehen mit möglicherweise negativem Ausgang zu vermeiden.
Abb. 6.15:
Teile einer Kampagnenentwicklung, Quelle: in Anlehnung an Taylor [2005, S. 195
Der Consumer-Insight ist im Allgemeinen nur ganzheitlich zu ermitteln. Der Planner sammelt alle Marktforschungsdaten und bereitet die auf, die zur Erstellung der Strategie notwendig sind. Die dazu nötigen Analysetechniken sind vielfältig und werden je nach Problem in unterschiedlicher Zusammensetzung verwandt. Mit Hilfe quantitativer Analysen können Wirkungen und Wahrscheinlichkeiten von Kommunikation sowie von Prozessen ermittelt werden. Quantitative Fragen sind zwar zielgruppenorientiert ausgerichtet, jedoch vorformuliert, so dass kaum Raum für Interpretationen bleibt. Es können Differenzen ermittelt werden, die die Analyse von Unterschieden zwischen verschiedenen Gruppen im Rahmen einer Kampagne, in statistisch signifikanter Weise ermöglichen135. Quantitative Analysen haben aber auch 276
Grenzen. (1) Die Befragten antworten nur auf vorformulierte Fragen. Informationen, die die Fragen nicht abdecken, gehen verloren. (2) Die Befragten geben oft ihre wahre Meinung nicht an, weil sie diese in den vorformulierten Fragen nicht finden. (3) Die Fragen sind vom Forscher formuliert und erlauben keine Ergänzungen. Eine andere Möglichkeit den Consumer Insight zu ermitteln besteht in sind qualitativen Analysen. Sie können in diesem Bereich Nutzen stiften, denn ihre Natur ist grundlegend anders, da sie explorativ, statt direktiv ausgerichtet sind und spezifischere Analysen, z.B. zum Involvement von Konsumenten im Konsumentenumfeld, ermöglichen. Durch sie kann der Interviewer z.B. ermitteln, warum eine Person eine bestimmte Meinung hat. In Gruppendiskussionen werden die Befragten ermutigt ihre Wünsche und Vorstellungen auszusprechen, was bei vorformulierten Fragen so nicht möglich ist. Tiefeninterviews erlauben dem Interviewer die Art von Umgebung zu schaffen, in der sensitive Themen erforscht werden können. In dieser Hinsicht sind qualitative Analysemethoden wesentlich flexibler. Sie können bei der Ermittlung von Fragen, wie z.B. warum Menschen Ideen verfolgen und in welcher Weise sich diese bei ihnen manifestieren, behilflich sein. Qualitative Analysemethoden haben jedoch auch Grenzen. (1) Qualitative Forschung kann nicht reliabel ermitteln, ob z.B. eine bestimmte Werbung den Durchbruch schaffen wird. (2) Sie kann auch nicht ermitteln, ob ein bestimmter Beitrag ein Kernbeitrag einer Kampagne ist und (3) ob in einer Kampagne alles so funktionieren wird, wie es geplant ist. Anhand der Stärken und Schwächen beider Analyseformen müssen Planner entscheiden welche Analysemethoden sie für welche Analysen einsetzen. Die Gewinnung von Consumer Insight ist die zentrale Aufgabe des Strategic Planners. Es beinhaltet das Wissen über Konsumentenverhalten, Bedürfnisse, Gewohnheiten, Einstellungen, Erwartungen, Kontaktmöglichkeiten, zum Produkt/ Marke und deren Werbung in der Erlebniswelt des Kunden. Der Planner versteht sich als Repräsentant des Kunden im Team der Agentur und nimmt seine Perspektive ein. Das Ziel ist, einen disziplinierten und systematischen Entstehungsprozess der Konzeption zu implementieren. Die dazu nötigen Analysen können sowohl quantitativer, als auch qualitativer Natur sein. 6.4.2.2.
Anpassungsnotwendigkeiten
Herausforderungen im Bereich Planning sind eng mit Veränderungen in der Kundenlebenswelt verbunden. Eine der Herausforderungen für Planner entsteht z.B. durch die Entwicklung zur Zielgruppenfragmentierung, die sich durch die gestiegene Individualisierung in der Gesellschaft beständig weiter verstärkt. Diese Fragmentierung (Tribalisierung) der Zielgruppen in immer kleiner werdende „Stämme“ ist allgemeine Realität. Sie hat zur Folge, dass Zielgruppen schwieriger und anspruchsvoller zu operationalisieren sind, was im Extrem zum One-to-One-Marketing führt, bei dem aus der Zielgruppe eine Zielperson wird. Die Folge ist, 277
dass Marktforschung hier an seine Grenzen in Bezug auf Effizienz gerät. Probleme, die sich aus dieser Situation ergeben, sind z.B. darin zu sehen, dass es zukünftig gelingen muss die zahlreich vorhandenen Markt- und Media-Daten zur Definition ausreichend trennscharf definierter Zielgruppen zu nutzen, ohne dabei ein mögliches Käuferpotential unbeachtet zu lassen. Die „ausreichende Trennschärfe“ (d.h. ein Individuum kann nur zu einer Gruppe gehören = Schwarzweiß-Kriterium136) zwischen den Gruppen ist jedoch schon heute kaum noch zu erfüllen, da es in der Praxis durch die Multioptionalität im Verhalten von Konsumenten üblich ist, dass Personen verschiedenen Zielgruppen zuzurechen sind137. Mit dieser Herausforderung verbunden ist das Problem, dass die Erreichbarkeit von Zielgruppen nicht mehr nach altbekannten Mustern erfolgen kann. In der Praxis zeigt sich das z.B. bei der synergetischen Abstimmung von Zielgruppendefinitionen und Marketingmaßnahmen. So erhöht sich bei der Optimierung von Media-Plänen zur Erzeugung von Synergieeffekten durch die gestiegene Zielgruppenfragmentierung die Komplexität erheblich. Das führt zur Notwendigkeit von mehr Transparenz und damit zu mehr Aufwand im Hinblick auf die zu erreichenden Zielgruppen. Zielgruppendefinitionen mit einer hohen Komplexität werden aber in Zukunft nur anwendbar sein, wenn sie operationalisierbar bleiben und die Ableitung konkreter Kommunikationsempfehlungen wirtschaftlich vertretbar ermöglichen. Die Ausführungen verdeutlichen die Notwendigkeit das Ursprungskonzept Strategic Planning im Hinblick auf die deutlichen Veränderungen beim Markt- und Konsumentenverhalten weiter zu entwickeln. Plannern, als Vertreter des Konsumenten im Team der Agentur, kommt dabei die besondere Rolle zu sich verstärkt mit den neuen Gegebenheiten beim Konsumenten- und Medienverhalten auseinandersetzen. Die Situation duldet keinen Aufschub, denn die starke Markt- und Zielgruppenfragmentierung betrifft mittlerweile unterschiedliche Zielgruppen, Inhalte, Kanäle und Nutzerverhaltensweisen gleichermaßen138. Bei einer Kommunikationsbotschaft, die dieses berücksichtigt, reicht es daher nicht mehr aus, diese nur auf die Zielgruppe abzustimmen, sondern es sind auch genau die Medien zu wählen, mit denen die Zielgruppen noch bzw. wieder erreichbar sind. Dabei müssen Veränderungen im Mediennutzungsverhalten berücksichtigt werden. So lässt sich seit längerem eine Verschiebung von den herkömmlichen zu neuen Medien und von der klassischen Kommunikation zur Kommunikation mit neuen Medien beobachten139. Das Internet als neues Massenmedium anzuerkennen, wird aber von vielen Agenturen nach wie vor unterschätzt140. Um bei diesem Wandel aktiv mithalten zu können, ist es notwendig, das Ursprungskonzept des Planning in Richtung Communications Planning weiter zu entwickeln. Der erste Schritt in diese Richtung ist, dass sich Agenturen nicht mehr nur als Werbe-, sondern als Kommunikationsdienstleister definieren. Kommunikationsdienstleister realisieren im Auftrag ihrer Kunden Kommunikationsstrategien (z.B. Multi-Channel-Kommunikation etc.). Da viele
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Agenturen die Veränderungen jedoch nicht recht wahrgenommen haben und sich weiter auf die reine Exekution von Werbung beschränken, das Konzept Communications Planning aber wiederum kein reines Agenturkonzept darstellt, ist die Wettbewerbssituation bereits heute durch Konkurrenz mit einer Vielfalt anderer kommunikativer Dienstleister (Media-Agenturen etc.) gekennzeichnet. Die Rolle des Communications Planning für Agenturen wurde von Jim Taylor treffend beschrieben: „One of the big gaps in agency thinking has been how to flow down the line from business strategy to marketing strategy to communication strategy to advertising strategy. Ad agencies naturally skip straight from the marketing strategy to the advertising strategy – and they forget the communication strategy in between, which is the most important piece”141. Ein derartiger Wandel ist jedoch mit radikalen Veränderungen verbunden die nicht ignoriert werden können142. Entwicklungsnotwendigkeiten des über 30 Jahre alten Konzepts Strategic Planning ergeben sich durch Wirkungen der immer weiter fortschreitenden Zielgruppenfragmentierung, die aus der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft entsteht. Sie hat zur Folge, dass Marktforschung an ihre wirtschaftlichen Grenzen, durch die immer komplexer und aufwendiger werdende Zielgruppendefinition, bei einer Erosion der Anteile in den Zielgruppen (One-to-One-Marketing), stößt. Auch die fortschreitende Multioptionalität der Konsumenten erfordert Anpassungen. So können trennscharfe Zielgruppen bereits heute kaum noch definiert werden. Die in der Praxis von Agenturen oft unterschätzte Rolle der neuen Medien (z.B. Web 2.0-Welt etc.) und die gleichzeitige Hinwendung ganzer Zielgruppen zu diesen Medien, sind weitere Gründe für die Weiterentwicklung des Ursprungskonzepts Strategic Planning. Entwicklungen gehen in Richtung einer Erweiterung zum Communications Planning, was für Agenturen allerdings radikale interne Veränderungen und starke externe Konkurrenz, durch vielfältige und bereits gut positionierte Kommunikationsdienstleister, mit sich bringt. 6.4.3.
Media-Planning
Die grundsätzliche Aufgabe des Media-Planning besteht darin, eine mediale Brücke zwischen dem Zielpublikum und der (Werbe)Nachricht zu schlagen. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Medien (vgl. Kap. 4 und 5) ebenso zu beachten, wie das Budget und die angestrebten Ziele, z.B. bei der Werbung. Media-Planning hat sich in den letzten Jahren sehr stark verändert. Bezog es sich 1980 noch hauptsächlich auf klassische Medien (Print, TV, Plakat, Radio, Kino), die in überschaubarer Ausprägung vorhanden waren143, hat sich 2007 eine enorme Vielfalt, z.B. durch neue Sender und Sendeformate, die Rolle von Mobile Commerce sowie eine starke Fragmentierung im Internet, u.a. durch die Web 2.0-Welt, ergeben. Bei der Segmentierung der Medien und Channel spielt, neben den Möglichkeiten der Erreichbarkeit von Konsumenten, vor allem das beobachtbare Mediennutzungsverhalten der Zielgruppe eine ausschlaggebende Rolle, dabei ist auf Veränderungen zu reagieren144. Derartige Veränderun279
gen können sich z.B. in einer Verschiebung der Bedeutung klassischer Medien im Hinblick auf das Internet bei jüngeren Zielgruppen manifestieren. Der (Media)Planner ermittelt die Daten zum Mediennutzungsverhalten bei jüngeren Zielgruppen. Findet er z.B. heraus, dass verschiedene Studien bei der Bewertung der klassischen Medien zu gravierenden Verschiebungen bei Bedeutung und Nutzung kommen145, muss er das in seine Analysen einbeziehen. Die Konsequenz aus diesen Veränderungen im Mediennutzungsverhalten, fließt im Zusammenhang mit den Erkenntnissen aus dem Consumer Insight zum Marken- und Konsumverhalten sowie weiteren Erkenntnissen, zur Zielgruppe und dem Budget, in die Entscheidung des Planners über den zu generierenden Medien-Mix ein. Tabelle 6.12. zeigt beispielhaft eine (fiktive) Medienanalyse im Überblick.
Tab. 6.12:
280
Media-Planning bzgl. eines Soft Drinks (fiktiv), Quelle: O’Donoghue [2006], S. 130
Box 6.7. Neutrale Vorlage für einen Media-Brief
Quelle: O’Donoghue [2006], S. 131
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Um einen Media-Brief zu generieren, ist es wichtig, die Aufgaben eines Media-Planners zu kennen, denn im Rahmen der Entwicklung der Medienlandschaft zu einem immer komplexer werdenden Spezialgebiet, hat sich seit den 1980er Jahren eine Entwicklung zu ausgegliederten speziellen Media-Agenturen, bzw. zu Media-Planning als Aufgabe, die aus dem Strategic Planning ausgegliedert ist (Spezialisten), ergeben146. Die Aufgaben des Media-Planners lassen sich folgendermaßen charakterisieren: einerseits muss den Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der zu kaufenden Medien(zeiten) entsprochen werden; zum anderen müssen die Medien-Lösungen der benötigten Wirksamkeit im Hinblick auf die Zielgruppen entsprechen und dieses ist ggfs. zu analysieren. Diese Anforderungen sind nicht notwendigerweise kompatibel. Die große Gefahr liegt in der Inkompatibilität und damit der unterschiedlichen Berücksichtigung beider Aspekte. So kann es z.B. nach dem Wirtschaftlichkeitsaspekt gefordert sein, die Medien günstig einzukaufen. Wenn die so einzukaufenden Medien jedoch nur eine geringe Wirksamkeit hinsichtlich der Zielgruppen aufweisen, ist der Wirksamkeitsaspekt verletzt. Folgende Punkte sollten im Media-Brief enthalten sein. (1) Background Der Abschnitt „Backround“ soll den Media-Planner über den Vertrieb der Werbung in bisheriger Form informieren. Wenn die bisherige Medienbelegung nicht die gewünschte Wirkung erzeugt hat, so ist dieses vom Strategic Planner anzugeben (Quelle). In diesem Fall ist eine neue Gestaltungsarbeit (Marktforschung) zur besseren Anpassung an die Medien vom Media-Planner zu fordern. (2) Wie wird die Marke gekauft? Diese Frage betrifft den Consumer Insight. Sie ist die Ausgangsfrage für etliche andere. Beispielweise wird das Produkt/ Marke als Impuls-Kauf gekauft? In welchen Intervallen, jeden Tag oder einmal in drei Monaten? Wer kauft das Produkt? Wird danach gefragt, etc.? Eine umfassende Analyse des Kaufverhaltens kann eine gute Medienwahl fördern. (3) Marktfaktoren Media-Planner müssen etwas über die Saison und die Region für die Werbung wissen, da Medienpreise sowohl saisonbedingt, als auch regional unterschiedlich sind. TV-Preise sind z.B. in bestimmten Monaten günstiger und regionale Sender sind günstiger, als überregionale. Auch die marktbeherrschende Stellung bestimmter Medien in bestimmten Regionen/ Saisons spielt für den Media-Planner in Bezug auf die Kosten eine große Rolle. (4) Werbeziele Die Werbeziele sind dieselben, wie im Kreativ-Brief und sie sollten so kurz und bündig, wie möglich dargestellt werden. Wenn es z.B. das Ziel ist, Aufmerksamkeit für ein Produkt zu gewinnen, das Budget jedoch TV oder Plakate nicht hergibt, ist der MediaPlanner gefordert innovative Wege zu finden, andere Medien zu nutzen, ohne die Ziel-
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gruppe zu vernachlässigen. Dieses ist ein Schlüsselproblem bei der Interaktion mit dem Kreativ-Team. (5) Zielgruppe An dieser Stelle werden vom Strategic Planner die Ergebnisse seiner Zielgruppenanalysen dargelegt, dabei sollte die Zielgruppe so trennscharf, wie möglich bestimmt werden, z.B. durch mehrere Analysen (vgl. Pkt. 6.2.2. und 6.2.3.). Der Medien-Kauf ist nur beschränkt standardisiert überprüfbar, daher ist es wichtig, dass der Media-Planner möglichst genaue Angaben vom Strategic Planner zur Verfügung hat. Grundsätzliche Aufgabe des Media-Planning ist es, eine mediale Brücke zwischen Konsument und Nachricht zu schlagen. Das Aufgabenspektrum hat sich von der medianeutralen Full Service-Agentur des Ursprungskonzepts Strategic Planning seit Mitte 1980, durch Ausgliederungen bzw. Spezialisierungen des Media-Planning, stark verändert. Strategic Planner und Media-Planner arbeiten seither getrennt und kommunizieren über einen Media-Brief miteinander. Die Aufgaben des Media-Planners beinhalten einerseits die Wirtschaftlichkeit der einzukaufenden Medien zu beachten und andererseits deren Wirksamkeit hinsichtlich der Zielgruppen im Auge zu behalten. Diese Aufgaben sind nicht notwendigerweise konform. Die Gefahr besteht in einem Ungleichgewicht der beiden Aufgabenbereiche. Die Erstellung eines Media-Briefes erfolgt auf Basis von fünf grundlegenden Kriterien. 6.4.4.
Kreativ-Briefing als Teil der Unternehmensphilosophie
Der Kreativ-Brief stellt „[…] so eine Art Brühwürfel, eine Verdichtung [dar]. Wenn die Ingredienzien stimmen, ist in ihm die ganze Strategie enthalten und der Kreation ein optimales Sprungbrett gegeben“147. Im Rahmen der Strategieentwicklung verdichtet der Strategic Planner sein Bild vom Verhalten und Einstellungen des Konsumenten148, indem er die Sammlung und Aufbereitung von Daten aus der Marktforschung und die Beziehungen des Konsumenten (z.B. aus dem Lifestyle, der Familie etc.) verdichtet und in einem Kreativ-Brief für die Kreation niederlegt. Briefing der Kreation bedeutet aber viel mehr, als nur die informative Weitergabe von Ergebnissen der Analysen aus der Strategiearbeit des Planners. Für Kreative ist es wichtig, den Denkprozess des Strategic Planners nachvollziehen zu können, um zu verstehen, was zu dieser Strategie geführt hat. Es sind also möglichst viele Hintergrundinformationen nötig, um mit der Kreation und dem Media-Planner zu einem Einverständnis über die Strategie zu gelangen149. Insofern handelt es sich beim Briefing der Kreativen vorrangig um eine interne Strategievermittlung, die aber nur den Anfang eines permanenten Briefings, auch von anderen Kollegen, darstellt. Kreativ-Briefing hat zum Ziel, die Position des Konsumenten als Ausgangspunkt des Handels sicherzustellen, weil es viele Gelegenheiten gibt, dass dieses in Vergessenheit gerät; beispielsweise durch eigene Vorstellungen der Kreativen oder
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kreative Neigungen eines Vertriebsdirektors bzw. taktische Überlegungen in der Wettbewerbspräsentation. Kreativ-Briefing ist als ein Teil der Unternehmensphilosophie einer Werbe-Agentur zu verstehen, die den Kunden in den Mittelpunkt stellt. Diese Philosophie muss aktiv gelebt und von allen Mitarbeitern umgesetzt werden. In Tabelle 6.13. wird beispielhaft die Gestaltung eines Kreativ-Briefes dargestellt.
Tab. 6.13:
Neutrale Vorlage für einen Kreativ-Brief, Quelle: Robertson [2006], S. 56
Das Briefing für Kreative enthält die im Rahmen der Strategienetwicklung ermittelten Daten und das im Rahmen der Strategie entwickelte verdichtete Bild des Konsumenten aus dem Lifestyle, Familie etc. dar. Briefing bedeutet mehr, als nur die informative Weitergabe
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von Daten, es soll den Kreativen ermöglichen, den Denkprozess des Strategic Planners nachzuvollziehen. Daher sind möglichst viele Hintergrundinformationen nötig, um den Kreativen und dem Media-Planner einen Eindruck von der Strategie und der Strategiefindung zu geben. Vorrangiges Ziel ist es, die Sicht des Kunden bei allen Arbeitsschritten beizubehalten. 6.4.5.
Kontrolle der Multi-Channel-Kampagne
In der Zeit nach der Kampagne überprüft der Strategic Planner die Entwicklung der Strategie (Markenentwicklung, Zielerreichung etc.) und organisiert bei Abweichungen oder unerwarteten Verläufen entsprechende Anpassungen150. Die Schwierigkeit ist, dass es keine einfache und zugleich zuverlässige Art gibt die Werbewirkungen zu messen151. Der Ansatz soll vor allem mehr ermitteln, als die Wirkungen auf den Absatz. Es soll sich ein Gesamtbild ergeben, wie Verbraucher auf eine Kampagne reagieren. Dazu sind immer die Verkaufszahlen zu beobachten und daneben auch Maße (z.B. für indirekte Wirkungen) einzusetzen. Effizienzmessungen werden von Medien-Agenturen vorgenommen. Diese messen, wie häufig der Kunde im Durchschnitt die eingesetzten Medien nutzt. Ermittelt werden zunächst die Preise pro TV-Spot bzw. pro Anzeige im Printbereich. Diese Preise zeigen bereits die Leistungsfähigkeit einer Media-Agentur. Im Allgemeinen wird ein Media-Planner aufgrund seines Budgets entscheiden, in welcher Weise er dieses auf die verschiedenen Channel und Medien verteilt. Dabei spielt eine Rolle, wie viele OTS (opportunities to see) für das Budged in dem vorgesehenen Channel/ Medium zu erhalten ist. Bei zu wenig OTS verändert der Media-Planner die Flächendeckungszahl, um eine sinnvolle Häufigkeit in Bezug auf Ausrichtung und Dauer der Kampagne zu erreichen. Es gibt verschiedene Computerprogramme, die ihn bei dieser Optimierungsarbeit zuverlässig unterstützen. Effizienzmessungen können in indirekte und direkte Messungen unterteilt werden. Indirekte Messungen werden am häufigsten durch Umfragen ermittelt, die von Forschungsunternehmen auf Basis großer Stichproben beim Zielpublikum durchgeführt werden. Dabei wird die grundlegende Beachtung von Werbung ermittelt, ebenso wie die Markenbeachtung. Es ist jedoch zu beachten, dass eine hohe Aufmerksamkeit von Werbung nicht automatisch bedeutet, dass auch die Marke beachtet wird. Ist das nicht der Fall, sind die Channel/ Media-Faktoren anzupassen. Indirekte Messungen stellen wichtige Wegweiser für die Ermittlung von Werbewirkungen dar, da sie auch Hinweise auf kurzfristige Schwankungen enthalten. Die Kontrolle der der Multi-Channel-Kampagne erfolgt im Hinblick auf Effektivität und Effizienz. Effektivitätsmessungen werden vom Media-Planner durchgeführt. Er entscheidet aufgrund des Budgets, wie viele OTS er in den gewählten Medien erhalten kann. Ist die Zahl zu gering, kann er eine Optimierung mit Hilfe von Computerprogrammen durchfüh285
ren. Effizienzmessungen werden in indirekte und direkte Messungen unterteilt. Indirekte Messungen werden von großen Forschungsinstituten in Form von Befragungen mit großen Stichproben durchgeführt. Sie ermitteln nur grundlegende Orientierungsrahmen zu Werbebeachtung und Markenaufmerksamkeit. Alle Messungen werden besonders von Absatzmessungen geleitet. Direkte Messungen werden in Zusammenarbeit mit dem Media-Planner für bestimmte Größen und zeitgenaue Befragungen vorgenommen. 6.4.6.
Weiterentwicklungspotentiale zum Communications-Planning
Über Medien treten Unternehmen mit ihren Kunden in Kontakt, sie sind der Ort an dem Unternehmen/ Produkte die Gestalt annehmen, die in den Köpfen der Menschen verankert sind. Aus der Entwicklung im Agenturgeschäft ergab sich ca. Mitte 1980 eine Veränderung von vormals medianeutralen Full-Service-Agenturen zu Spezialagenturen, die ausdifferenziert und ausgegliedert wurden. Es entstand eine Vielzahl von Spezialagenturen (z.B. Direktmarketing-, PR-, Event-, B2B-, Internetagenturen etc.) und als einschneidendste Maßnahme, eine Trennung in Kreativ- und Media-Agenturen152. Diese Veränderung hatte auch Konsequenzen für das Konzept Strategic Planning. So erfolgte bei vielen Agenturen eine strikte Trennung von Media-Planning, Strategie und Kreation153, obwohl eine enge Verbindung von MediaPlanning und Strategic Planning im Ursprungskonzept des Planning vorgesehen ist154. 6.4.6.1.
Ansätze und Vorgehensweisen zum Communications-Planning
Taylor versteht Communication-Planning als eigenständige Disziplin und definiert diese folgendermaßen: „Communications planning is the discipline of developing a holistic plan, across marketing and trade marketing functions that defines how a brand will communicate with consumers. It means planning the use of a client’s communication across all marketing channels and disciplines, at times even challenging the definition of established channels or inventing new ones”. 155 Communications-Planning ist nicht nur eine technische Disziplin, es bedeutet auch miteinander zu sprechen, die Markenposition zu definieren, die dazu gehörenden Zielgruppen zu identifizieren und die richtige Situation zu definieren, in der die Nachricht die Zielgruppen erreicht. Mit Hilfe der Ökonometrie bzw. anderer Techniken wird dann ein ganzheitliches Modell abgeleitet, dass den Konsumenten in den Mittelpunkt stellt und nicht dazu dient, für irgendeine Disziplin oder Agentur Einkünfte zu sichern156. Das Konzept wurde zum großen Teil nicht von Agenturen entwickelt, sondern von unterschiedlichen Kommunikations-
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dienstleistern, daher existieren auch unterschiedliche Ansätze von denen nachfolgend einige vorgestellt werden157. 1. Der technische Ansatz Dieser Ansatz wird vor allem von Unternehmensberatungen und großen Kunden praktiziert. Das Ziel besteht darin, mithilfe von Analysen Prognosen für die Zukunft abzuleiten. Dazu werden alle marketingrelevanten Daten in ökonometrischer Vorgehensweise in das Modell übertragen. Es werden Reaktionen auf Kanäle und Disziplinen dokumentiert, um Aussagen über zukünftige Maßnahmen treffen zu können. Der Ansatz erfreut sich besonderer Beliebtheit bei Kunden, deren Kommunikation auf Direktmarketing bezogen ist und Unternehmen, die ihr Geschäft über Call Center abwickeln. Über lückenlose Dokumentation soll eine Optimierung erreicht werden, um Antworten auf Fragen Zu erhalten, wie: welche Anspracheform funktioniert zu welcher Tageszeit oder gibt es saisonale/ regionale Unterschiede etc.? 2. Der Ansatz Kanal, Konsument und Marke Dieser Ansatz wird zurzeit vor allem von Media-Agenturen praktiziert. Er wurde konzipiert, um ganzheitlich zu verstehen in welcher Beziehung Kommunikationskanäle, Verbraucher und Marken zueinander stehen und somit den Consumer Insight zu verbessern. Somit besteht die Aufgabe darin den idealen Ort und Zeitpunkt zu definieren in dem der Konsument die jeweilige Markenbotschaft aufnimmt und in dem somit die Wahrscheinlichkeit für eine Beeinflussung am größten ist. Dieser Punkt wird „moment of truth“ genannt. Der Ansatz wird nach dem Bottom-up-Prinzip durchgeführt und erfordert weit mehr, als nur Absatzzahlen. Es werden quantitative und qualitative Marktforschungstechniken kombiniert, um aus den Ergebnissen ein Verständnis über Beziehungen und Interaktionen des Konsumenten zu den verschiedenen Medienkanälen im Kontext zur Lebenswelt zu erlangen. Dabei geht es nicht nur darum zu verstehen, warum ein Kunde einen Kanal nutzt, sondern auch seine Emotionen und Gedanken, die er dabei hat, zu ermitteln.
287
Abb. 6.16:
Kanal, Konsument und Marke, Quelle: Taylor [2005], S. 10
3. Der Ansatz Idea first Der dritte Ansatz wird vor allem in Werbe- und Kommunikationsagenturen eingesetzt. Er geht von der Ansicht aus, dass Marken mit Kernaussagen versehen sein müssen, da vor allem im heutigen äußerst komplexen Umfeld klare und zentrale Ideen nötig sind. An diesen Ideen wird sich der Konsument begeistern, was wiederum hilft, eine starke Marke gegenüber anderen Marken und Wettbewerbern zu positionieren. Nach den Vorstellungen lässt sich durch markenfokussierte Herangehensweise übermäßige Komplexität vermeiden. Der Ansatz hat Ähnlichkeit mit dem vorherigen, da auch hier der Consumer Insight verbessert werden soll. Nach Taylor wird diese Idee aber nur als eine mögliche Kraft im Marketing-Mix angesehen. Die Idee stellt zwar den Mittelpunkt dar, aber sie ist mit Insight zu versehen und zusätzlich mit dem Interaktionsgeflecht aus Kommunikationskanälen und Marken abzustimmen. Der Einsatz der Marktforschung erfolgt Top-down, die restliche Vorgehensweise erfolgt Bottom-up, wobei die Gewichtung zwischen den beiden Ansätzen variieren kann. Während Taylor in Werbeagenturen von einem Verhältnis von ca. 80 zu 20 ausgeht, schätzt er das Verhältnis bei Kommunikationsagenturen etwa bei 60 zu 40.
288
Abb. 6.17:
Idee als Maßstab, Quelle: Taylor [2005], S. 12
6.4.6.2.
Wesentliche Unterschiede
Communications-Planning verlangt gemäß Taylor gegenüber Media-Planning viel mehr, als Integration im herkömmlichen Sinn158. Was heute in der Praxis unter Integration verstanden wird ist das, was nach der Tatsache geschieht, dass ein Vorschlag vorhanden ist der in der Kreation umgesetzt wird nachdem die Kanäle gewählt worden sind oder nachdem die Entscheidung für die Ausführung über klassisches Marketing steht. Integration heißt auch, Elemente und Werbeideen für viele Jahre anzulegen, und diese dann lediglich über eine Vermarktungsmischung (Multi-Channel-Retailing, Cross Media etc.) auszubeuten. Dabei wird vergessen das Potential der Channel zu nutzen, das nichts mit Werbekontakten zu tun hat, und es wird der Tatsache keine Beachtung geschenkt, dass unterschiedliche Channel für verschiedene Zielgruppen eine unterschiedliche Relevanz haben. Das Ursprungskonzept des Strategic Planning mit einer Einheit von Strategic- und MediaPlanning hat viele Ähnlichkeiten mit dem Modell des Communications-Planning. Strategic Planning hat aber im Laufe der letzten 30 Jahre in der Praxis sehr viel von seiner ursprünglich holistischen Ausrichtung verloren. Heute beschränkt sich Strategic Planning in der Praxis sehr oft auf klassisches Marketing und fokussiert sich dort auf die Beziehung zwischen Mar289
ken und Konsumenten. Seit der Ausgliederungswelle in den 1980er Jahren überlässt der Strategic Planner Medienformen den Spezialisten im Media-Planning. Fragen, die im Medienbereich für ihn noch interessant sind, beschränken sich auf wirtschaftlich effektive Medienpläne. Das führte über die Zeit zu eingefahrenen internen Strukturen und einem Silo-Denken bei Mitarbeitern und Plannern, was eine „Eiszeit für Innovationen“ zur Folge hat. Auch wenn nicht alle Agenturen in gleicher Weise betroffen sind, so schien die Wahl der Medien in Relation zu den Zielgruppen auf Kunden-, als auch auf Agenturseite, kaum relevant zu sein. Diese Situation hat sich grundlegend geändert, sie wird zunehmend von Kunden kritisiert und ein Umdenken bei Werbe-Agenturen gefordert. Der globale Marketing Chef von Procter & Gamble, Stengel, kritisiert die obskuren Künste von Agenturen und fordert, dass Media- und Kreativ-Planung kombiniert werden sollten159. Auch Audi-Manager Schwingen bemängelt, das in vielen Werbeagenturen Multi-Channel-Konzepte keine große Rolle spielen, und daher die interessierten Markenartikler von sich aus ganzheitliche Konzepte vorschlagen müssen. Lufthansa-Passage-Airline Marketing-Leiter Maier kritisiert ein eindimensionales Denken und bei Werbe-Agenturen eine Konzentration auf klassische Konzepte, trotz Full-Service auf den Fahnen. Stahlke berichtet, dass Kunden und große Vermarkter immer häufiger direkt mit Medienhäusern in Kontakt treten, weil sie sich bei Werbe-Agenturen mit ihren Wünschen bzgl. einer ganzheitlichen Kampagnenentwicklung nicht richtig verstanden fühlen160. Die daraus folgende Erkenntnis für ein Umdenken erscheint fast schon trivial, denn sie führt zu der für Planner altbekannten Regel „Der Kunde ist der Boss“ auch im Medien-Bereich. Ein Umdenken und der daraus entstehende Anspruch ist heute bei allen Werbe-Agenturen bekannt und wurde erst kürzlich von Tateo im Kern zitiert: „Klassischer Werbung kommt in Zukunft eine immer geringere Rolle zu. Die Unternehmen wollen mehr TotalCommunication-Services“161. Umstrukturierungsbemühungen im Bereich Planning in der Praxis laufen in vier Richtungen: Connections, Engagement, Consulting und Creation. Bei den Richtungen Consulting und Connection ist man davon überzeugt, dass nur eine systematische Planung, die über den bisherigen Rahmen hinausgeht und sich auf Marken und deren Verbindung zum Konsumenten bezieht, zu Lösungen führen kann. Bei den Richtungen Creation und Engagement hingegen geht man davon aus, dass nur kreative Lösungen Wirkungen erzeugen, wobei Kreation nur bedingt planbar ist. Vereinfacht führen diese Entwicklungslinien zur Diskussion Planung versus Kreation. Diese Entwicklungen sind aber nicht zielführend, denn sie führen zu internen Konkurrenzkämpfen und beleben lediglich die schon seit Ewigkeiten ergebnislos geführte Grundsatzdiskussion wieder: Was ist wichtiger Kreation oder Planung? Durch Communications Planning werden die verschiedenen Ansätze kombiniert, womit der Grundforderung des Planning Rechnung getragen wird, dass die Kreation sehr wichtig ist,
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aber ihre Kraft in der richtigen Weise (am richtigen Ort zur richtigen Zeit bei den richtigen Personen) entfalten muss. Diese Stoßrichtung wird vom Planning geliefert, ein „Lösungskorridor“ entwickelt, der bei benötigtem Freiraum zur Entwicklung kreativer Lösungen führt.
Abb. 6.18:
Communications Planning-Ansatz, Quelle: Taylor [2005], S. 13
Communications-Planning gilt als eigenständige Disziplin. Es bestehen verschiedene Ansätze. Der technische Ansatz, der Ansatz Kanal, Konsum, Marke und der Ansatz Idea first. Die Unterschiede zum Media-Planning liegen in einer stärkeren Integration, als sie heute herrscht. Communications-Planning hat viele Ähnlichkeiten mit den Ursprungskonzept Strategic Planning, bei dem Strategic- und Media-Planning eine Einheit bildeten. Seit der Ausgliederungs-Welle in den 1980er Jahren hat Strategic Planning in der Praxis sehr viel von dieser Ganzheitlichkeit verloren, was dazu führt, dass Planner sich mit Medien und Channel nur noch in wirtschaftlicher Hinsicht beschäftigen und der Meinung sind, dass im Medienbereich Multi-Channel-Lösungen von Kunden nicht gefordert werden. Mittlerweile beklagen sich Marketing-Manager großer Hersteller über die Ignoranz von Werbe-Agenturen in diesem Bereich und Media-Agenturen verzeichnen regen Zulauf, da sich Kunden zunehmend mit ihren Wünschen bei Werbe-Agenturen nicht mehr verstanden fühlen. Die triviale Regel für Planner „Der Kunde ist der Boss“ ist im Medienbereich nicht angekommen. Umstruktu-
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rierungsnotwendigkeiten, die eine Reaktion auf die immer geringer werdende Bedeutung der klassischen Werbung verlangen, sind heute in jeder Agentur bekannt, werden aber oft ignoriert. Umstrukturierungsbemühungen im Planning lassen sich verdichten auf die zwei Pole Planung versus Kreation, die jedoch zu keiner Lösung führen, da beide Bereiche von gleicher Wichtigkeit sind. Communications-Planning bietet als Lösung eine Kombination der Ansätze, und verbindet damit Kreation und Planung in neuer Weise. 6.5.
Resümee
Das Kapitel behandelt das strategische Multi-Channel-Marketing-Management mit traditionellen Medien in einer breit angelegten Darstellung. Nach der Darlegung der Aufgaben werden die Veränderungen im Rahmen der Kundenlebenswelt im Informationszeitalter dargelegt. Danach werden Chancen und Risiken einer Multi-Channel-Strategie gegeneinander abgewogen. Es folgen Ausführungen zum Bereich der strategischen Planungen zur Ermittlung einer Multi-Channel-Struktur. Sie beginnen mit Erläuterungen zum Bereich Marktsegmentierung. Es wird dargelegt, wie der Gesamtmarkt in kleinere Segmente eingeteilt wird, die untereinander heterogen aber in sich möglichst homogen sind. Noch genauer geschieht diese Differenzierung im Rahmen der Zielgruppensegmentierung. Es werden die Techniken der geographischen, der soziodemographischen, der psychographischen Segmentierung sowie der verhaltenorientierte und der Single Source-Ansatz dargestellt. Daran schließt sich eine Betrachtung des Staus Quo zum Einsatz in der Praxis an. Zur Durchführung einer Segmentierung werden die multivariaten Analyseverfahren Cluster-, Faktoren- und Diskriminanzanalyse, Multidimensionale Skalierung sowie Conjoint Measurement grob charakterisiert und mit Beispielen verdeutlicht. Die Ausführungen schließen mit einem Status Quo zum Einsatz der Analysemethoden ab. Bei der Gestaltung von Strukturen für die Multi-Channel-Kommunikation sind auch Fragen der Markenentwicklung zu beachten. Daher folgt eine Betrachtung der Marken- und Produktpolitik beim Multi-Channel-Marketing. Es wird auf Besonderheiten bei Markenstrategien, Markenarchitekturen und dem Markenportfolio eingegangen. Mit der Gestaltung der Multi-Channel-Strukturen werden Ausführungen eingeleitet, die Kommunikationsmodelle vorstellen, die zur Ableitung einer Kommunikationsstrzktur dienen. Es werden zwei ausgewählte Modelle vorgestellt und nach dem Konzept Method Engineering bewertet. Ausführungen über Differenzierungen bei der Strategie-Entwicklung schließen diesen Teile des Kapitels ab. Das Kapitel schließt mit Ausführungen eines Exkurses zur Nützlichkeit von Erkenntnissen des Strategic Planning für eine Multi-Channel-Strategie. Dabei werden nicht nur die entsprechenden Entwicklungen und Aufgaben aus dem ca. 30 Jahre alten Konzept erläutert, sondern auch Weiterentwicklungsmöglichkeiten zur Konzipierung einer MultiChannel-Communications-Strategie dargestellt.
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Box 6.8. Wie crossmedial sind aktuelle Werbekampagnen? „Für die vorliegende Studie analysierte FCBi stichprobenartig 312 TV-Spots, die auf den Sendern ARD, ZDF, RTL, Pro 7 und Sat 1 im Zeitraum vom 10. – 13.11.2003 zwischen 16.00 und 23.00 Uhr ausgestrahlt wurden. Diese Kampagnen dienten aus forschungsökonomischen Gründen als Stichprobe für die weitere Analyse. Die 114 Print-Anzeigen zu den im TV beworbenen Produkten wurden aus verschiedenen November-Ausgaben von Spiegel, Focus, Stern, Gala, Bunte, Brigitte, Game Pro, Game Star, Amica, Maxi, Bravo, TV Movie, TV Spielfilm, Frau im Spiegel, InStyle, band eins und Eltern entnommen. In Einzelfällen wurden sie auch direkt bei der betreuenden Werbeagentur angefordert. Im Unterschied zu einigen der bisherigen Untersuchungen wurden im Internet 305 Unternehmens- bzw. Produktseiten analysiert und nicht etwa Online-Werbeanzeigen auf fremden Websites. Zusätzlich wurden einfache Kundenanfragen per E-Mail an die beteiligten Unternehmen versendet, um die Reaktionszeit zu testen. Für die Analyse der einzelnen Spots, Anzeigen und Web-Auftritte wurden insgesamt 36 Indikatoren zur Operationalisierung der 4 Dimensionen entwickelt (Ausschnitt).
Die Ergebnisse der Kodierung wurden anschließend mit Hilfe eines Scorings-Verfahrens bewertet. Zum Beispiel erhielt ein TV-Spot einen höheren Punktwert für die eingeblendete Webadresse, wenn sie sich auf die beworbene Submarke (Toyota Avensis: www.avensis.de), statt auf die Dachmarke bezog (Ford Focus: www.ford.de). Die Scores wurden dann für jede Kampagne sowohl für jedes „C“, als auch zu einem Ge-
samtwert zusammengefasst und auf 100 normiert. Ein Scoring-Wert von 78 lässt sich demnach so interpretieren, dass die Kampagne 78 von 100 Punkten des CrossmediaOptimums erreicht.
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Da die Grundvoraussetzung für Crossmedialität ein Media-Mix ist, bei dem alle Medien im Marketing eingesetzt werden, werden zunächst nur solche Kampagnen betrachtet, die für alle drei Medienauftritte erhoben werden konnten. Dadurch reduzierte sich die Stichprobe auf 114 Kampagnen. Die unten dargestellte Pyramide nimmt nun das Crossmedia-Konzept als Stufenmodell auf. Eine Kampagne steigt nur dann auf eine höhere Stufe auf, wenn die Mindestanforderung (Score >50) erfüllt wird. Wird die Mindest-Anforderung einer untergeordneten Stufe nicht erreicht, ist dies ein Ausschlusskriterium.
Die Abbildung zeigt, dass nur rund fünf Prozent der Kampagnen allen Anforderungen an crossmediales Marketing gerecht werden. Die […] Tabelle zeigt die Top-Five-Kampagnen. dieser fünf Prozent.
Die Happy Island Promotion von MasterCard steht hier an der Spitze. Der TV- Spot setzt den MasterCard Claim »Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen. Für alles Andere gibt es MasterCard« auf einer Trauminsel um und verknüpft ihn mit einem Gewinnspiel.
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Die URL wird deutlich eingeblendet und auch verbal hervorgehoben. Die Elemente des Werbespots (einsame Insel, große Schildkröte, neun Freunde) werden in Print und Online gleichermaßen aufgegriffen.
Bei einer weniger restriktiven Analyse sämtlicher erhobener Kampagnen unabhängig von Mindest-Scores auf den Crossmedia-Stufen ergibt sich jedoch ein abweichendes Bild […]. Insgesamt fällt [hier] auf, dass bis auf wenige Ausnahmen nur knapp fünf Prozent aller Kampagnen Scores über 50 hinsichtlich der „Communication“ erhalten. Fast 15 Prozent verbuchen in diesem Bereich weniger, als 5 Punkte. Im TV nutzen nur zwei Prozent der Kampagnen die Möglichkeit, eine Telefonnummer einzublenden und nur acht Prozent bewerben im Spot (auch) eine Gewinnaktion. Bei Print-Anzeigen erscheint immerhin in 29 Prozent der Fälle eine Telefonnummer, Gewinnaktionen spielen dagegen sogar nur bei sechs Prozent der untersuchten Unternehmen eine Rolle. Bezeichnend ist auch, dass etwa 50 Prozent der untersuchten Unternehmen auf eine einfache Kundenanfrage per E-Mail erst nach drei Tagen oder noch später reagieren. Doch vor allem die vielfältigen Möglichkeiten des Internets werden zu selten eingesetzt und haben häufig keinen direkten Kampagnenbezug. Dies ist verwunderlich, da sich ein gutes Maß an Interaktivität häufig ohne viel Aufwand und hohe Kosten erreichen ließe. So bieten beispielsweise nur 12 Prozent der Internetseiten das Versenden von E-Card mit Kampagnenbezug an, dabei ließe sich das Motiv der
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Printanzeige hier leicht weiter verwenden. Das aufwändigste aber auch kontaktstärkste Angebot, eine Probe des beworbenen Produktes zu bestellen, nutzen nur sieben Prozent. Darunter fallen in erster Linie Automobilhersteller, über deren Internetseite der Kunde meist eine Probefahrt vereinbaren kann. […] Über die Gründe für die mangelnde Crossmedialität vieler Kampagnen lässt sich an dieser Stelle lediglich spekulieren. Neben fehlender Fantasie oder Kreativität ist eine Ursache sicher in der Tatsache zu sehen, dass die meisten Unternehmen eine Vielzahl von Agenturen im Rahmen einer Kampagne beauftragen. Eine Untersuchung von Scholz & Friends Agenda hat ergeben, dass über 34 Prozent der Unternehmen mit mehr, als fünf Agenturen zusammenarbeiten. Ähnlich zersplittert sind häufig die Verantwortlichkeiten innerhalb der Unternehmen, so dass die Umsetzung eines crossmedialen Konzepts an den erforderlichen Kooperation und Koordination scheitert. Außerdem wird das Internet als Werbemedium in vielen Unternehmen immer noch unterschätzt. Doch obwohl der Anteil der Ausgaben für Online-Werbung am gesamten Werbebudget mit nur 1,6 Prozent immer noch gering ist, verzeichnet dieses Medium im insgesamt rückläufigen Werbemarkt zweistellige Zuwachsraten. Auch wenn sich diese Ausgaben nicht auf die hier untersuchten Websites beziehen, lässt sich daraus folgern, dass das Internet insgesamt noch zu wenig beachtet wird, aber offensichtlich ein Umdenken einsetzt“. […] Quelle: Stradtmann/ Kurt [2004], S. 4-9
Kontrollfragen zu Kapitel 6: 1. Legen Sie die grundlegenden Veränderungen in der Kundenlebenswelt eines Kunden im Informationszeitalter dar. 2. Begründen Sie, warum die Aufteilung des Gesamtmarktes in einzelne Marktsegmente für ein Unternehmen von Vorteil ist. 3. Was sind die grundlegenden Vorteile der Zielgruppensegmentierung, und wie sollten die einzelnen Segmente untereinander und in sich sein? 4. Wofür werden geographische Kriterien eingesetzt? 5. Erklären Sie die makrogeographischen Kriterien. 6. Welche Vor- und Nachteile haben mikrogeographische Kriterien? 7. Erklären Sie die Vor- und Nachteile psychographischer Kriterien. 8. Erklären Sie das Konzept der sozialen Schichtung und bilden Sie ein Beispiel Ihrer Wahl. 9. Wie lässt sich das Familienlebenszyklus-Konzept charakterisieren? 10. Welche Vor- und Nachteile haben psychographische Kriterien? 11. Erklären Sie das Konzept der Lifestyle-Typologien.
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12. Was sind Sinus Milieus und wo werden Sie eingesetzt? 13. Stellen Sie die einzelnen Milieus der Sinus-Milieus vor und machen Sie Angaben zum jeweiligen Kommunikationsverhalten. 14. Erklären Sie das Konzept der Nutzensegmentierung. 15. Wie lässt sich der Single Source-Ansatz charakterisieren? 16. Welche Segmentierungsansätze werden in der Praxis am häufigsten genutzt und welche am wenigsten? 17. Charakterisieren Sie das multivariate Analyseverfahren der Clusteranalyse. 18. Welche Vor- und Nachteile hat das multivariate Analyseverfahren der Faktorenanalyse. 19. Grenzen Sie das Verfahren der Diskriminanzanalyse von dem der Multidimensionalen Skalierung ab. 20. Welche Vor- und Nachteile hat das Verfahren Conjoint Measurement? 21. Erklären Sie die Besonderheiten einer Multi-Channel-Strategie bei Markenmanagement. 22. Erklären Sie die Bausteine des Bewertungsverfahren Method Engineering und deren Bedeutung. 23. Legen Sie die 8 Schritte des Customer-driven-Distribution-Modell zur Ableitung von Multi-Channel-Strukturen dar. 24. Erklären Sie die 3 Schritte des PRICE-Approach-Modells. 25. Bewerten Sie die beiden Modelle nach den Kriterien des Method Engineering. 26. Erklären Sie die Differenzierungen im Bereich Kunden, Leistung und Kanal-/ Marktpositionierung, die im Rahmen der Strategie-Entwicklung zu entscheiden sind. 27. Welche Besonderheiten des Strategic Planning sind für die Multi-Channel-Kommunikation nutzbar?
Literatur 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
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Vgl. o.V. [2005], S. 14. Vgl. Nielsen [2004]. Vgl. Meffert [2000], S. 682. Vgl z.B. Hummel [1954], S. 34 ff. Vgl. Meffert [2000], S. 181. Freter [1983], S. 18. Vgl. Kotler/ Bliemel [2006], S. 415 f. Vgl. z.B. Meffert [2000], S. 174; Sausen [2006], S. 20. Vgl. Freter [1983], S. 14 ff.; Meffert [2000], S. 183 ff. Vgl. z.B. Bänsch [1998], S. 88 f. Vgl. Meffert [2000], S. 177. Vgl. Pepels [1995], S. 127. Vgl. Meffert [2000], S. 178. Vgl. Bagozzi et al [2000], S. 304. Vgl. Freter [1983], S. 53. Vgl. Bagozzi et al [2000], S. 304. Vgl. Meffert [2000], S. 181 ff. Vgl. Grimm/ Röhricht [2003], S. 24. Vgl. Meffert [2000], S. 189 ff. Vgl. Bagozzi et al [2000], S. 300. Vgl. Kotler et al [2003], S. 456. Vgl. Bruns [2000], S. 50 f. Vgl. Pepels [2000], S. 70. Vgl. Kuhlmann [2001], S. 1514. Vgl. Kuhlmann [2001], S. 1514. Vgl. Kroeber-Riel/ Weinberg [2003], S. 449. Vgl. Vossebein [2000], S. 27 f. Vgl. Becker [2006], S. 255. Vgl. Kotler et al [2003], S. 459. Vgl. Becker [2006], S. 256. Vgl. Freter [1983], S. 61. Vgl. Freter [1983], S. 46; Meffert [2000], S. 188. Vgl. Becker [2006], S. 257. Vgl. Wind/ Green [1974], S. 99 f. Vgl. Becker [2006], S. 258. Meffert [2000], S. 200. Vgl. Becker [2006], S. 262 ff. Vgl. Bauer et al [2003], S. 37 f. Vgl. z.B. neben den nachfolgend diskutierten Sinus Milieus von Sociovision auch die Pkw-KäuferTypologie von Bauer-Media, die Euro-Socio-Styles der Gesellschaft für Konsumforschung (GFK), das Burda-Advertising Center bzw. die Outfit-5-Typologie des Spiegel-Verlages. Die Bewertung erfolgt dabei auf der Basis des Unternehmens Sinus Socivision, Heidelberg und Grimm/ Röhricht [2003], S. 27-32. Denn des können auch Schichten mit niedrigem Einkommen kostspielige Konsumwünsche aufweisen respektive können Oberschichten mit sehr hohem Einkommen kostspieligen Konsumgewohnheiten ablehnend gegenüber stehen, vgl. o.V. o.J. [2007h]. Vgl. Becker [2006], S. 275 f. Vgl. Bagozzi et al [2000], S. 310. Vgl. Gutsche [1995], S. 95 f. Vgl. Gutsche [1995], S. 41. Vgl. Meffert [2000], S. 205. Vgl. Freter [1983], S. 46 und 87 ff. Vgl. Becker [2006], S. 270. Vgl. Becker [2006], S. 273. Vgl.Heinemann [1989]. Vgl. o.V. [2001]. Eine Ausnahme bildet das Tool „Semiometrie interaktiv“, das im Bereich Medien eingesetzt wird. Vgl. Freter [1983], S. 93. Vgl. Berekoven et al [2006], S. 250. Vgl. Berekoven et al [2006], S. 250.
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Vgl. Berekoven/ Spintig [2001], S. 1243. Vorliegend wird auf die Ergebnisse der Arbeiten von Cross et al [1990] und Sausen/ Tomczak [2003] und Kesting/ Rennhak [2005] näher eingegangen. Auf die Arbeit von Danneels [1996] wird verzichtet, da hier keine wesentlichen Ergebnisse erzielt wurden, auch auf die Arbeiten von Freter et al [2006] wird verzichtet, da hier nur spzezielle branchenspezifische Ergebnisse (Damenoberbekleidung) ermittelt wurden. Vgl. Cross et al [1990]. Vgl. Sausen/ Tomczak [2003]. Vgl. Kesting/ Rennhak [2005]. Siehe dazu die Ausführungen unter Pkt. 6.2.3. dieses Buches. Vgl. Berekoven et al [2006], S. 198. Vgl. Backhaus et al [2003], S. 481-499. Vgl. Backhaus et al [2003], S. 499-516. Zur Faktorenanalyse mit dem Verfahren LISREL vgl. Emrich [2004a], S. 51 ff. Vgl. Backhaus et al [1996], S. 199-207. Vgl. Backhaus et al [1996], S. 208-222. Vgl. Backhaus et al [1996], S. 223-237. Vgl. Meffert [2000], S. 213; Sander [2004], S. 240. Vgl. Backhaus et al [1996], S. 93. Vgl. zur Regressionsanalyse z.B. Backhaus et al [1996], S. 1-57; zur Regressionsanalyse mit dem Verfahren LISREL vgl. Emrich [2004a], S. 37-50. Vgl. Backhaus et al [1996], S. 125-136. Vgl. Backhaus et al [1996], S. 432-494. Vgl. zur Faktorenanalyse die Ausführungen unter Pkt. 6.2.3.1.2. dieses Buches. Vgl. Backhaus et al [1996], S. 497-552. Dieses wurde auch in neuerer Zeit wieder bestätigt, vgl. Perrey/ Hölscher [2003], S. 8. Siehe dazu auch unter Pkt. 6.2.3.1.1. dieses Buches. Vgl. Kesting/ Rennhak [2005]. Perrey/ Hölscher begründen die geringe Bedeutung der Conjoint-Analyse in der Praxis mit der hohen Komplexität der Conjoint-Verfahren und dem damit verbundenen hohen Zeit- und Kostenbedarf, der dazu führt, dass die Unternehmen häufig auf den Einsatz verzichten, vgl. Perrey/ Hölscher [2003], S. 8. Bruhn [1999], S. 149. Vgl. Seefeld [2003], S. 24. Vgl. Kotler/ Bliemel [2006], S. 459 f. Vgl. Hurth [2002], S. 10. Vgl. Kotler/ Bliemel [2006], S. 460. Vgl. Schögel [2001], S. 34. Zu einem Beispiel vgl. Schögel [2001], S. 34. Meffert [2000], S. 180. Vgl. Meffert [2000], S. 138. Vgl. Becker [2006], S. 196. Vgl. Becker [2006], S. 199. Zur Begründung vgl. Seefeld [2003], S. 30f. Vgl. Meffert [2000], S. 206. Vgl. Kapferer [1998], S. 281 ff. Esch/ Bräutigam [2001], S. 713. Vgl. Laforet/ Sanders [1994], S. 68 f. Vgl. Aaker/ Joachimsthaler [2000], S. 105 f. Vgl. Hill [1996], S. 411. Baumgarth [2001], S. 131. Vgl. Meffert/ Perrey [2002], S. 226. Vgl. Brenner [1995], S. 18. Vgl. Gutzwiller [1994]; Österle/ Winter [2000], S.7. Zu weiteren Ansätzen dieser Art vgl. Kotler/Bliemel [2006], S. 844 ff.; Loss [2002]; Raskino [2001]; Schögel [1997]. Die Ansätze sind sehr unterschiedlich detailliert in der Literatur beschrieben. Vgl. Stern/ Sturdivant [1987]. m-Commerce steht an dieser Stelle für Multi-Channel-Commerce. Zu einer Übersicht über verschiedene Modell vgl. z.B. Gronover [2003]. Vgl. Gronover [2003], S. 65-70 Vgl. dazu die Ausführungen unter Pkt. 2.1.3.3. dieses Buches.
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Der angelsächsische Begriff Strategic Planning und der deutsche Begriff strategische Planung werden synonym verwandt. Vgl. Rainey [2006], S. 3 f. Vgl. Clauss [2007], S. 56. Vgl. Clauss [2007], S. 4 und 69. Vgl. Clauss [2007], S. 66. Vgl. Clauss [2007], S. 69. o.V.o.J. [2007g]. Vgl. o.V. o.J. [2007i]. Vgl. Rainey [2006], S. 4. Vgl. Clauss [2007], S. 44. Vgl. zu quantitativen Analyseformen auch die Ausführungen unter Pkt. 6.2.3. dieses Buches. Diese Auffassung wird z.B. von Koschnik vertreten, vgl. Koschnik [1995], S. 1958. Vgl. Geffken [1999], S. 36 f. Mathieson [2005], S. 6. Vgl. Clauss [2007], S. 19. So lag die Wachstumsrate des Internet in den Jahren 2000-2005 bei 96%, von 1999-2004 hat sich der Wert der täglichen Nutzung verzehnfacht und liegt heute bei durchschnittlich einer Stunde, vgl. o.V. [2005d]. Taylor [2005], S. 20. Vgl. Clauss [2007], S. 57. Vgl. O’Donoghue [2006], S. 126 ff. Vgl. o.V. [2005b]. Vgl. Kuhlmann [2004]; IBM [2005]. Vgl. im Folgenden O’Donoghue [2006], S. 133 ff. Heumann [2001], S. 22. Vgl. APG [2007]. Vgl. Maubach et al [1998], S. 57 ff. Vgl. APG [2007]. Vgl. Feldwick [2006], S.101 ff. Vgl. o.V. [2006b]. Das gilt aber nicht für alle Agenturen, vgl. GWA [o.J.]. Vgl. O’Donoghue [2006], S. 121. Taylor [2005], S.6. Vgl. Taylor [2005], S.9. Die folgenden Ausführungen basieren auf Taylor [2005], S. 9 ff. Vgl. Taylor [2005], S. 7. WARC [2006]. Vgl. Stahlke [2004], S. 21 Tateo [2006].
300
7.
Strategisches Multi-Channel-Communications- und MarketingManagement mit neuen Medien
7.1.
Aufgaben des strategischen Multi-Channel-Managements mit neuen Medien
Die Aufgaben des strategischen Multi-Channel-Managements leiten sich aus dem Verständnis des Begriffes ab. Über diesen Begriff herrschen in Literatur und Praxis allerdings sehr unterschiedliche Meinungen vor, was sich auch auf die Aufgabenauffassung auswirkt. Die Tragweite der daraus resultierenden Verwirrung wird anhand einiger ausgewählter Definitionen verdeutlicht. Multi-Channel-Management bedeutet nach Cespedes: „Cannel management is concerned with the delivery of products and services through various channels, with regard the enhancing customer relationship management and minimising delivery costs”1. Eine allokations- und kostenbezogene Auffassung vertritt Stäger: „Die Aufgabe des Multi-Channel-Managements ist es, für die Konsumenten denjenigen Absatzmix, d.h. die optimale Allokation der Produkte und Kanäle, bereitzustellen, der von den Kunden gewünscht wird, gleichzeitig die Kostenstruktur der Bank so wenig wie nötig belastet“2. Eine auf Organisation und Technik bezogene Definition ist bei Schulze zu finden: „Multi-Channel-Management ist die organisatorische und technische Steuerung, Koordination und Integration der unternehmerischen Kanäle sowie die Integration von Medien“3. Strategisch und ergebnisorientiert fällt die Definition bei Göpfer/ Howaldt aus: „Kanal-Portfolio-Management umfasst die Aufgabe, Kanäle strategisch richtig auszuwählen, geeignete Kanalkonzepte zu entwickeln sowie diese strategisch- und ergebnisorientiert zu steuern“4. Miroschedji et al vertreten hingegen die vertriebsbezogene Auffassung: ”Aufgabe des Channel Management muss es sein, für jedes Produkt den Vertriebsweg zu wählen, der sich am besten dafür eignet, die jeweilige produktspezifische Zielgruppe zu erreichen“5. Wirtz favorisiert eine auf Informationstechnik bezogene Definition: „Multi-Channel-Management ist das ganzheitlich betrachtete und abgestimmte Entwickeln, Gestalten und Steuern von Produkt- und Informationsflüssen über verschiedene Informationsflüsse“6.
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Nachfolgend wird Multi-Channel-Management verstanden „ … als ganzheitliche und abgestimmte Entwicklung, Gestaltung und Steuerung von Produkt- und Wissensflüssen über verschiedene Medien und Kanäle mit dem Ziel, die Kundenbindung zu erhöhen sowie Vertriebsund Servicekosten zu senken“7. Mit dem Begriff neue Medien i.w.S. werden Medien bezeichnet, die auf Daten in digitaler Form zugreifen, wie z.B. E-Mail, WWW, DVD, CD-ROM, MP3. Als neue Medien i.e.S. sind Dienste zu verstehen, die über das Internet möglich sind8. Eine der Hauptaufgaben des Multi-Channel-Managements ist es, Potentiale und Risiken durch neue Medien, die sich durch verbesserte Interaktionsmöglichkeiten mit den Kunden ergeben, richtig einzuschätzen. Darauf aufbauend, sind adäquate Investitionsentscheidungen für den Auf- und Ausbau unterschiedlicher Kanäle zu treffen, wie z.B. die Einführung und Etablierung neuer Informations- und Kommunikationstechniken bzw. des E-Commerce. Bei diesen Entscheidungen ist der Blick auf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen entscheidend, denn neben der Aufrechterhaltung des Tagesgeschäftes sind stets neue und innovative Produkte/ Dienstleistungen zu entwickeln und damit in die Zukunft zu investieren9. Die Chancen und Risiken durch neue Medien richtig zu bewerten und somit zu fundierten Handlungsempfehlungen zu gelangen, gehört daher zu den zentralen Aufgaben des strategischen Multi Chanel-Managements. Chancen bieten sich Unternehmen bei neuen Medien vor allem durch ein Multi-ChannelCommunications-Management (MCCM). Neben der Generierung direkter Umsätze über das Internet, ergeben sich hier noch weitere Potentiale. Die Zahl der Kunden kann durch neue Kanäle erhöht werden. Es ist auch möglich, durch innovative Angebote und Services die Verbesserung der Kundenbindung, Kundenzufriedenheit sowie die Gewinnung neuer kaufkräftiger Zielgruppen zu erreichen. So kann z.B. die Einrichtung eines persönlichen Kundenbereichs für kundenindividuelle Services und Angebote, derart gestaltet werden, dass zugleich Kostensenkungen für das Unternehmen erzielbar sind. Das wäre möglich, wenn die Kunden diesen Bereich selbst zur Pflege und Verwaltung ihrer Daten nutzen könnten. Wesentliche Risiken bei neuen Medien wirken sich durch die schlechten Erfahrungen von Unternehmen aus, die Enttäuschungen durch euphorische und unrealistische Prognosen zu Beginn des „Internet-Hype“ gemacht haben. Aufgrund dieser Erfahrungen, sehen Unternehmen auch Investitionen in Infrastrukturen für mobile Business oft eher skeptisch. Auch sind Wirkungen, die sich durch das Internet auf die Kundenbindung und -zufriedenheit ergeben, nur schwer messbar und werden von anderen Einflüssen überlagert. Investitionen in neue Medien können sich auch in andere Kanäle auswirken. Das kann zu positiven Effekten, wie z.B. Zeitersparnissen für den Außendienst aufgrund des Angebotes von Verwaltungsfunktionalitäten oder zu negativen Effekten, wie zu rückläufigen Abschlusszahlen durch direkte Verkaufsangebote im Internet, führen.
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Durch neue Medien entstehen auch Veränderungen in der Kundenlebenswelt, im Konsumenten- sowie Mediennutzungsverhalten. Auch diese müssen vom strategischen Multi-ChannelManagement analysiert werden10. Durch immer schnellere Verbindungen und immer bessere Komprimierungsmöglichkeiten bietet z.B. das Internet heute alle bekannten Möglichkeiten der Mediennutzung, Film, Musik oder Life-TV. Alle erdenklichen Arten von Präsentationen bzw. Forschungstools sind realisierbar. Damit entwickelt sich das Internet immer mehr zu einem Schmelztiegel der Medien. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf Aspekte, die bei der Planung von Multi-Channel-Strukturen wichtig sind. Hierbei erfolgt eine Fokussierung auf ausgewählte Möglichkeiten der Online-Marktforschung mit neuen Medien, und der Markenführung im Internet (E-Branding). Die Andersartigkeit und die Potentiale gegenüber den (noch) dominierenden traditionellen Medien werden oft weder erkannt, noch genutzt. Hier ergeben sich innovative Möglichkeiten für ein Multi-Channel-Konzept. Zunächst werden Anforderungen dargelegt, die sich aus den grundlegenden Unterschieden zwischen der Marktforschung mit neuen, und mit traditionellen Medien ergeben. Es sollen auch Möglichkeiten für Unternehmen aufgezeigt werden, eigene Marktforschungsaktivitäten durchzuführen. Dazu werden nach der Darlegung der Rolle der Kundenorientierung, Anforderungen, Chancen und Risiken des electronic Customer Relationship Management (eCRM) vorgestellt und die Rolle des eCRM beim Multi-Channel-Marketing diskutiert. Im Anschluss daran werden ausgewählte Analysemöglichkeiten der Online-Marktforschung institutioneller Anbieter näher vorgestellt. Einsatzmöglichkeiten, statistische und methodische Vor- und Nachteile der Online Marktforschung sowie Einsatzmöglichkeiten und -notwendigkeiten beim Multi-Channel-Marketing schließen sich an. Das Kapitel schließt mit einer Diskussion über Faktoren des E-Branding mit neuen Medien und deren Auswirkungen auf eine Multi-Channel-Strategie. 7.2.
Online-Marktforschung zur Ermittlung der Multi-Channel-Struktur
7.2.1.
Marktforschung mit neuen Medien versus Marktforschung mit traditionellen Medien
Der Begriff Marktforschung lässt sich allgemein in die beiden Begriffe Markt und Forschung zerlegen. Vereinfacht ließe sich sagen, dass es sich um die Erforschung des Marktes handelt. Der Begriff Markt steht dabei für einen bestimmten Teilmarkt, den es zu untersuchen gilt. Der Begriff Forschung soll die systematische Vorgehensweise innerhalb des Marktforschungsprozesses ausdrücken, und die Markterforschung von der lediglich auf Zufälligkeiten beruhenden Markterkundung abgrenzen. Der Begriff Marktforschung wird demnach kurz als die systematische Erfassung und Untersuchung eines Teilmarktes verstanden11. Marktforschung ist eine unverzichtbare Untersuchungstätigkeit für die Planung, Konzeption, Durchführung und Be-
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wertung bzw. Steuerung (Controlling) des Marketings. Mit Hilfe von Marktforschung werden Ziele bewertet, Konzeptionen analysiert sowie Instrumente und deren Wirkungen innerhalb des Marketing überprüft. Durch die Ergebnisse der Marktforschung werden existenzielle Basisdaten für Unternehmen, wie auch für das Umfeld gewonnen. Die Analysen können vergangenheitsbezogen (ex-post) oder zukunftsbezogen (ex-ante) sein. Marktforschung mit neuen Medien wird als reaktive, diejenige mit traditionellen Medien, als aktive Marktforschung bezeichnet. Reaktive Marktforschung hat die Analyse des „kundengetriebenen Dialoges“ zum Ziel. Darunter wird die von Kunden initiierte Kommunikation mit dem Unternehmen verstanden, die sowohl kritische Ereignisse (z.B. Beschwerden) oder Lob bzw. Ideen beinhalten kann. Die reaktive Marktforschung umfasst die Strukturierung der Datenerhebung, die weitergehende Datenqualifizierung durch Expertenratings sowie die Auswertung und Entwicklung von Handlungsempfehlungen. 7.2.1.1.
Unterschiede in der Methodik
Zwischen den reaktiven und aktiven Marktforschungsmethoden bestehen erhebliche Unterschiede in der Methodik und der Datenqualität, die zu beachten sind, da sie Auswirkungen auf die Ergebnisbeurteilung haben. Die wichtigsten Unterschiede werden nachfolgend anhand ausgewählter Dimensionen veranschaulicht. Sie betreffen Fragen (1) der Rekrutierung, (2) des Zeitrahmens und (3) der Zielsetzung. 1. Bei den Verfahren zur Teilnehmerrekrutierung werden bei aktiven Methoden i.d.R. Personen befragt, die einer Stichprobe angehören, welche mit Hilfe der verschiedenen möglichen Verfahren gezogen wurde (Quotenverfahren, geschichtete Stichproben-, Klumpenverfahren et.). In seltenen Fällen wird auch die Grundgesamtheit befragt. Es ist in jedem Fall die aktive Entscheidung des Forschers, wen er befragen möchte. Die Untersuchungspersonen bei neuen Medien rekrutieren sich hingegen selbst, indem sie aus eigenem Antrieb Kontakt mit dem Unternehmen aufnehmen. 2. Beim Zeitrahmen sind aktive Quer- oder Längsschnittbefragungen durch eine oder mehrere zeitlich festgelegte Feldphasen charakterisiert. Reaktive Befragungen verfügen üblicherweise nicht über eine definierte Feldphase, die Daten werden kontinuierlich erhoben. 3. Bei der Zielsetzung werden aktive Verfahren tendenziell häufiger als Primärbefragungen angelegt, was auch bei reaktiven Verfahren als Kriterium zu finden ist. Daher ist diese Dimension diejenige, die die beiden Ansätze am wenigsten scharf differenziert.
304
7.2.1.2.
Unterschiede in der Datenqualität
Ein weiterer Bereich betrifft Unterschiede, die sich in der aus der Datenqualität zwischen der aktiven und reaktiven Marktforschungsmethoden ergeben. Sie betreffen die Dimensionen (1) Inhalte, (2) Motivation und (3) Umfang der Analysen 1. Bei den Inhalten ergibt sich der wohl wichtigste Unterschied aus der Tatsache, dass diese im Rahmen der aktiven Marktforschung vom Forscher vorgegeben werden. Die Inhalte in der reaktiven Marktforschung sind hingegen selbst bestimmt, d.h. vom Rezipienten selbst gewählt. 2. Ein Unterschied ergibt sich auch bei der Datenqualität durch die Motivation des Probanden. Bei der aktiven Marktforschung werden Probanden zur Teilnahme vorher aufgefordert oder incentiviert. Bei der reaktiven Marktforschung melden sich Probanden von sich aus, um über eine Kontaktaufnahme Daten verfügbar zu machen. Dieses basiert auf einer intrinsischen Motivation, die keine Aufforderung voraussetzt. 3. Der Umfang bei der aktiven Marktforschung manifestiert sich vor allem in qualitativen Datenerhebungen. Die typischen Datenmengen machen bei reaktiven Analysen auch qualitative Analysen in quantitativen Größenordnungen möglich. Abbildung 7.2. zeigt die Unterschiede im Überblick.
Abb. 7.1.:
Unterschiede zwischen der aktiven und der reaktiven Marktforschung, Quelle: Bauer/ Urbahn [2001]. S. 3.
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Die zuvor ausgeführten Unterscheidungsdimensionen sind jedoch nicht gleichgewichtig. Als wichtigste Unterschiede sind Rekrutierung, Inhalt und Motivation zu sehen, wobei insbesondere die intrinsische Motivation eine hohe Authentizität der Ergebnisse gewährleistet. Marktforschung wird als systematische Erfassung und Untersuchung eines Marktes verstanden. Marktforschung mit neuen Medien wird auch als reaktive Marktforschung mit traditionellen Medien und als aktive Marktforschung verstanden. Es existieren Unterschiede zwischen beiden Ansätzen in der Methodik bei der Rekrutierung (Selbstrekrutierung), im Zeitrahmen (permanente Datenerhebung) und bei der Zielsetzung. Die Unterschiede in der daraus entstehenden Datenqualität bestehen in den Dimensionen Inhalte (Kundensteuerung), Motivation (intrinsisch) und Umfang (große Datenmengen). Die Unterscheidungsdimensionen müssen differenziert mit unterschiedlichem Gewicht gesehen werden. 7.2.1.3.
Unterschiede in der Primärforschung
Nicht nur in der Methodik, auch bei der Datengewinnung und -aufbereitung existieren erhebliche Unterschiede zwischen der aktiven und reaktiven Marktforschung. Bei der Primärforschung werden die interessierenden Daten neu erhoben. Die dabei verwendeten Methoden lassen sich unterscheiden in Methoden zur Befragung und zur Beobachtung12. Primärdaten gehören zur Feldforschung. Diese ist wesentlich aufwendiger und teurer zu ermitteln, als Daten der Sekundärforschung. Bei der Primärforschung mit traditionellen Medien werden Befragungen (Papierfragebogen etc.) und andere Datenanalysen durchgeführt. Bei neuen Medien können Primärdaten auch aus Daten entwickelt werden, die aus Sekundärquellen stammen. Beispielsweise können Daten über Kunden und Verhaltenszusammenhänge, die in die Database eines Data Warehouses gespeichert wurden analysiert werden (Data-Mining). Daten über die Kunden können beständig aktualisiert werden, selbst wenn sich der Kunde Online noch auf dem Host des Unternehmens bewegt. 7.2.1.4.
Unterschiede in der Sekundärforschung
Bei Sekundärforschung kann auf bereits vorhandenes Datenmaterial zurückgegriffen werden13. Eine Untersuchung, unabhängig von traditionellen oder Neuen Medien, wird im Allgemeinen durch eine Analyse von Sekundärmaterial eingeleitet. Dabei wird der Versuch der Informationsgewinnung aus vorhandenem Datenmaterial unternommen. Die Daten können entweder selbst erzeugt oder von Dritten zu einer ähnlichen Fragestellung oder anderem Zweck erhoben worden sein. Das Datenmaterial wird hinsichtlich der Fragestellung aufbereitet, analysiert und interpretiert. Der Vorteil der Sekundär- gegenüber der Primärforschung ist 306
generell in einer schnelleren und kostengünstigeren Beschaffung von Daten zu sehen. In einigen Fällen ist zudem eine andere Datenbeschaffung, als die mit traditionellen Medien, nicht möglich, wie z.B bei Daten der Bevölkerungsstatistik oder der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Als Hauptnachteil bei der Sekundärforschung mit traditionellen Medien ist die geringe Aktualität der Daten und die manchmal fehlende Übereinstimmung der Erhebungseinheiten der vorhandenen Daten mit der aktuellen Fragestellung zu sehen. Zudem können Datenbeschaffungen von großen Forschungsinstituten (Adressdaten, Umsätze, Mitarbeiteranzahl etc.) recht kostspielig und aufwendig ausfallen. Die Quellen der Sekundärforschung mit traditionellen Medien liegen im Bereich der unternehmensinternen Daten (Rechnungswesen, Betriebsstatistik, Außen- und Kundendiensberichte, firmeneigene Dokumentationen etc.) und der externen Daten (Statistisches Bundesamt, Länder- Gemeindestatistik, Wirtschaftsverbände, Wirtschaftsforschungsinstitute, internationale Organisationen, Fachliteratur, Firmenveröffentlichungen etc.). Bei der Sekundärforschung mit neuen Medien können praktisch alle professionellen Informations- und Datenbankanbieter, die im Web vertreten sind (Google, Lycos, AltaVista, Web.de etc.) und andere Arten von Suchwerkzeugen und -instrumenten (Themenverzeichnisse, (Meta)Suchmaschinen, newsaggregatoren etc.) sowie Inhaltsanalysen von Diskussionsgruppen (Foren, Meinungsplattformen etc) und Chat-Systeme verwendet werden. Bestimmte neue Medien (Informationsdatenbank, Info-Broker, Internet, elektronische Datenbanken etc.) sind jedoch kostenpflichtig, dafür sind die Daten aktuell und zeitnah zu bekommen. Auch bei den Verfahren zur Datenerhebung und -auswertung sind erhebliche Unterschiede zwischen der aktiven und reaktiven Marktforschung vorhanden. Die Verfahren lassen sich generell in die Primär- und Sekundärforschung unterscheiden. Bei der Primärforschung werden originär neue Daten erhoben. Das macht Primärforschung aufwendig und sehr kostspielig. Bei der Sekundärforschung wird auf vorhandenes Datenmaterial zurückgegriffen. Das lässt allgemein eine schnellere und kostengünstigere Beschaffung der Daten zu. Nachteile sind in der geringen Aktualität und oft fehlenden Übereinstimmung der Erhebungseinheiten der vorhandenen Daten mit der aktuellen Fragestellung zu sehen. Datenerhebungen bei der aktiven Marktforschung erfolgen über die Versendung von Papierfragebogen. Im Rahmen der reaktiven Marktforschung können „papierlos“ über das Internet durchgeführt werden. Zusätzlich können auch interne Daten aus dem eCRM für Analysen hinzugezogen werden. Eine Untersuchung beginnt im Allgemeinen, unabhängig von den einzusetzenden Medien, mit einer Analyse von Sekundärdaten (Marktdaten, Bevölkerungsstatistik etc.). Beim Einsatz von neuen Medien können vielfältigere Analysen vorgenommen wer-
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den. Neue Medien bieten Daten in integrierten Formaten, die mit anderen Softwaresystemen weiterverarbeitet werden können. 7.2.2.
Neue Analyse- und Ergebnismöglichkeiten mit neuen Medien
Die spezielle Ausrichtung und die Unterschiede der Marktforschung mit neuen Medien gegenüber der Marktforschung mit traditionellen Medien führen dazu, dass die Aussagekraft der Ergebnisse mit neuen Medien als einmalig anzusehen ist. Beim Einsatz von neuen Medien müssen jedoch auch neue Aspekte beachtet werden. Der ungewöhnliche Ansatz der Marktforschung mit neuen Medien ermöglicht die Gewinnung von Informationen, die mit klassischen Marktforschungsmethoden so nicht möglich sind. Marktforschung mit neuen Medien will nicht die traditionelle Marktforschung ersetzen. Ganz im Gegenteil, durch Kombinationen mit traditionellen Methoden werden gänzlich neue und verbesserte Ergebnisse ermöglicht.
7.3.
Kundenorientierung im Informationszeitalter
Nach Österle sind Unternehmen des Informationszeitalters nicht mehr produkt-, sondern vor allem kundenorientiert14. Das Ziel der Unternehmen ist es, das Kundenproblem zu erfassen und dem Kunden so viele zusammenhängende Teilprobleme wie möglich abzunehmen. Viele Rollen, die in der Geschäftsarchitektur des Informationszeitalters vorliegen, hat es im vorangegangenen Industriezeitalter nicht oder nur in Ansätzen gegeben. Als Kernelemente sind vor allem Kundenprozesse, Kooperationsprozesse, Kundenprozessportale, unternehmensinterne Geschäftsprozesse, Geschäftsnetzwerke und Webservices zu nennen. Das Geschäftsmodell des Informationszeitalters wird in der Abbildung 7.2. im Überblick dargestellt.
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Abb. 7.2: Geschäftsmodell des Informationszeitalters, Quelle Österle [2000], S. 335
Beim Kundenprozess zeigt sich, dass nicht nur unternehmensintern Geschäftsprozesse zu betrachten sind, sondern auch Kundenprozesse. Der Kundenprozess wird definiert als die Zusammenfassung aller Aufgaben, die ein Kunde durchläuft, um ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen, bei dem er Unterstützung von Unternehmen in Form von Leistungen beziehen kann15. Das Ziel der Betrachtung des Kundenprozesses ist es, den Kunden in den Mittelpunkt der unternehmerischen Tätigkeit zu stellen. Der Nutzen, den Kunden von einer umfassenden Kundenprozessunterstützung haben, liegt vor allem in der Komplexitätsreduktion16, d.h. Kunden müssen für einen komplexen Prozess nur noch eine Geschäftsbeziehung unterhalten. Der Nutzen liegt aber auch in der umfassenden Prozessunterstützung, d.h. der Kundenmanager baut durch seine Spezialisierung auf wenige Kundenprozesse ein tieferes Prozessverständnis auf, und versteht Kundenprozesse somit besser. Ein weiterer Nutzen für Konsumenten liegt in den personalisierten und bedarfsgerechten Leistungen, d.h. vom Kundenmanager wird das Wissen über den Kunden und seine Aktivitäten gebündelt und zielgerecht an den Leistungsersteller und Partner verteilt17. Die daraus entstehende Wissensbasis führt zu einer genaueren Adressierung von Kundenwünschen und zur Entwicklung bedarfsgerechter Leistungen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben sind permanente Kunden- und Marktanalysen notwendig, denn viele externe Einflüsse auf die Lebenswelt der Kunden, die für Unternehmen und Agenturen wichtige Planungsfaktoren beinhalten, haben sich in den letzten Jahren verändert und der Zeitraum der Veränderungen hat sich dabei stetig beschleunigt18. Dieselbe Entwicklung gilt auch für Marktbedingungen, wodurch Parameter beschrieben werden, die die Bedingungen im Markt der Konsumgüter bestimmen und die für Unternehmen und Agenturen Eckpunkte für Strategien darstellen. Die Entwicklung lässt sich durchaus als dramatisch bezeichnen. So sind heute bis zu 75% der Märkte gesättigt. Hier lassen sich neue Marktpotentiale nur noch mittels eines Verdrängungswettbewerbs zu Lasten anderer Anbieter erringen. Das führte in der Vergangenheit zu einer immer härter werdenden Konkurrenzsituation mit einer Flut von Produkten. Veränderungen in der Lebenswelt der Kunden wirken sich auch in erheblichem Maße auf die Kommunikationsstrategie von Unternehmen aus. Durch die sich dynamisch verändernden Faktoren der Kunden- und Marktbedingung (Kaufverhaltensänderung, neue Technologien etc.) wird diese Entwicklung weiter verstärkt. In den nachfolgenden Diskussionen konzentrieren sich die Ausführungen auf Veränderungen aus dem Bereich der Neuen Medien und Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten, die daraus für eine Multi-Channel-Strategie entstehen. Zunächst wird auf das Relationshipmanagement und hier auf das eCRM als Kundenbindungsinstrument sowie nichtinstitutionelles Marktforschungsinstrument eingegangen, um die Rolle der Kundenorientierung beim Multi-Channel-Management zu verdeutlichen.
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7.4.
Nicht institutionelle Marktforschung mit dem eCRM
7.4.1.
Relationshipmanagement als ganzheitlicher Ansatz der Unternehmensführung
„CRM bezeichnet ein kundenorientiertes, technologiegestütztes Managementkonzept mit der Absicht, ein Gleichgewicht zwischen unternehmensseitigen Investitionen in Kundenbeziehungen und der Befriedigung von Kundenbedürfnissen zu erreichen, um so die Rentabilität des Unternehmens zu maximieren“19. Der Begriff Relationship-Marketing wurde in den 1980er Jahren geprägt20. Darunter wird eine ganzheitliche, durchgängige Kundenorientierung durch den Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt verstanden21. Das RelationshipManagement konzentriert sich auf den individuellen Aufbau und die langfristige Pflege von Kundenbeziehungen. Das Transaktionsmarketing hingegen konzentriert sich vornehmlich auf die kurzfristige Erhöhung der Neukundenanzahl und ist damit auf die Leistungserstellung sowie die damit verbundenen Größen Umsatz und Gewinn fokussiert. Durch diesen Wandel in der Perspektive werden neben den bekannten ökonomischen Größen auch die Kundenakquisition, -bindung und -rückgewinnung in Marketingaktionen einbezogen. Empirisch wurde festgestellt, dass sowohl das traditionelle CRM als auch das internetbasierte eCRM im Rahmen des gesamten Kundenlebenszyklusses zur Maximierung des Kundenwertes beiträgt22. Die kundenindividuelle Ausrichtung wird z.B. über ein CRM bzw. ein eCRM erreicht, die das Management der Kundenbeziehungen unterstützten. Der Unterschied zwischen dem traditionellen CRM und dem eCRM ist darin zu sehen, dass die rechnergestützte Kundenpflege beim eCRM ohne persönlichen Kontakt auskommt. Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass durch systematische Kundengewinnung und -pflege sowie -bindung der Erfolg eines Unternehmens gesteigert werden soll, da im heutigen Wettbewerb Qualität und Preis als Differenzierungskriterien nicht mehr ausreichen, weil sich die Marktleistungen angleichen und die Märkte gesättigt sind23. Folglich ist Kundenbindungsmanagement als eine systematische Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle aller auf den bestehenden und potentiellen Kundenstamm ausgerichteten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Intensivierung der Geschäftsbeziehung zu verstehen. Das setzt ein detailliertes Wissen über Bedürfnisse und Interessen vorhandener und potentieller Kunden voraus. Dieses kann durch Analysen des Kunden- und Kommunikationsverhaltens gewonnen werden. eCRMSysteme sind zwar als Softwaresysteme zu verstehen, Ihnen liegt jedoch die Managementphilosophie der Kundenorientierung zugrunde. Es wäre daher ein Fehler, sie nur auf informationstechnischen Aspekte zu reduzieren. Nachfolgend werden Faktoren des Einsatzes von eCRM-Systemen in Bezug auf die Unterstützung beim Multi-Channel-Management diskutiert.
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Unter Relationshipmanagment wird die ganzheitliche, prozessbezogene Kundenorientierung und der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt verstanden. Beim Relationshipmanagement erfolgt neben der Beachtung der ökonomischen Größen eine zusätzliche Orientierung auf langfristige Kundenbeziehungen. CRM-Systeme unterstützen elektronisch das Kundenbeziehungsmanagement. Die Kundenpflege beim eCRM kommt ohne persönlichen Kontakt aus. 7.4.2.
Komponenten des eCRM
Eine eCRM-Architektur besteht aus unterschiedlichen Komponenten, denen verschiedene Aufgaben zugeordnet sind. Als Grundlage für eine langfristige und profitable Kundenbeziehung dient die von Link geprägte Kundenbindungsstrategie, die in Form eines 3-EbenenModelles umgesetzt wird24. Dabei sollen mit Hilfe der unterschiedlichen Komponenten die jeweiligen Ziele umgesetzt werden. Als Gestaltungselemente des eCRM sind Prozesse zu sehen, die sich funktional den Bereichen Marketing, Verkauf und Service zurechnen lassen. Die eCRM-Prozesse lassen sich von anderen dadurch abgrenzen, dass ihnen Kundenkontakte zugeordnet sind und der enge Bezug zum Kunden im Vordergrund steht. Für ein prozessbezogenes eCRM-Modell sind in der Literatur bisher nur Ansätze vorhanden, wobei eine Gliederung in die Prozesse Marketing, Verkauf und Service mehrheitlich vorgenommen wird25. Diese Einteilung ist bedingt durch die Aufbauorganisation, sie erweist sich für eine konkrete Umsetzung allerdings als zu grob. Eine andere Form das eCRM darzustellen, besteht in der Einteilung nach Informationssystemen. Dabei wird unterschieden in den (1) analytischen, (2) kommunikativen und (3) operativen Bereich des eCRM. Im analytischen Bereich werden mit Unterstützung der Informations- und Kommunikationstechnik fundierte Analysen des Kommunikations- und Kaufverhaltens der Kunden mit verschiedenen Methoden ermittelt und Prognosen berechnet. Der operative Bereich des CRM unterstützt den direkten Kontakt mit den Kunden im Front-Office. Er bildet mit dem analytischen Teil idealer Weise einen Regelkreis in dem das operative System die Kundendaten generiert und an das analytische System übergibt. Hier werden die Daten dann aufbereitet und berechnet. Daraus entstehende Verbesserungsvorschläge gelangen dann an das operative System zurück26. Im kommunikativen Bereich erfolgt die Integration der Interaktionskanäle. Dazu sind die vorhandenen, oft evolutionär entstandenen Kanäle, aufeinander nach dem organisatorischen Ziel „One-Face-To-The-Customer“ abzustimmen.
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Abb. 7.3.: Die drei Teile des eCRM und ihre Funktionalitäten im Überblick
7.4.2.1.
Das analytische eCRM
Der analytische Bereich des CRM entspricht in den meisten Fällen den Möglichkeiten eines Data Warehouses. Hier stehen die systematische Sammlung und Analyse von Daten über Märkte und Kunden im Vordergrund. Beim eCRM dienen die Maßnahmen dem eindeutigen Ziel der Gestaltung von Kundenbeziehungen durch Kundenbindungsmanagement. Die Fähigkeit des analytischen Teiles des eCRM hängen von der Möglichkeit ab, große Datenmengen zu analysieren. Dieses geschieht zumeist durch WEB-Mining. WEB-Mining ermöglicht, ähnlich wie Data-Mining, eine spezifische Analyse von Warenkörben, das Auffinden von Kommunikationsmustern und die Prognose des Kundenverhaltens. Voraussetzung dafür ist die Extrahierung einer Mining-Base27. Dazu sind in der Vorbereitungsphase die zu analysierenden Datenbestände zu selektieren und mit den Daten aus anderen Quellsystemen zusammenzuführen. Nach einer Bereinigung um referentielle und semantische Fehler erfolgen je nach Erfordernissen Reskalierungen bzw. Datentransformationen. Die so extrahierte Mining-Base bildet, als aufbereitete und konsolidierte Datenbasis, den Ausgangspunkt für weitere Analysefolgen. WEB- bzw. Data-Mining i.e.S. bezeichnet die dann stattfindende Anwendung des entsprechenden Algorithmus auf die Daten zur Suche nach den interessierenden Mustern. Die Auswertungsphase und die Interpretation der Ergebnisse sowie die Prüfung der Ergebnisse auf sachlogische und statistische Validität beenden die analytischen Aufgaben des eCRMSystems. Die Kombination der Analysemethoden stellt dabei das besondere Merkmal des WEB- bzw. Data-Mining dar28. Der Unterschied zum anonymen Massenmarketing, das sich auf die Erkennung von Marktsegmenten beschränkt, besteht in den Personalisierungsansätzen, die sich in die Phasen Profiling und Match unterteilen lassen29. Beim Profiling werden Kundenprofile mit Hilfe von nicht reaktiven Marktforschungsmethoden, vornehmlich Logfiles, erstellt. Die Logdateien werden standardmäßig bei einer Internetsitzung vom Server protokolliert. Sie enthalten z.B. Ereignisse mit Angaben über die aufzurufende IP-Adresse, Anzahl der übertragenen und empfangenen Bytes, Anfragemethode, Datum Uhrzeit, URL etc. Diese Informationen lassen Rückschlüsse auf das Kundenverhalten zu. Die Phase Matching ist gekennzeichnet durch die Zuordnung von Userprofil zu Produkt- und Content-Profilen. Das erfolgt mit der Methode der Klassifizierung der Produkte bzw. des Content30. Die Personalisierung kann in den Phasen Information, Kommunikation und Transaktion erfolgen.
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Abb. 7.4.:
Personalisierungsansätze Profiling und Matching, Quelle: Gentsch [2002], S. 158
Die Chancen des analytischen eCRM liegen in der Ermittlung von allgemeinen und userspezifischen Assoziationen zwischen einzelnen Seiten und Navigationsmustern. Dazu ist kein großer zusätzlicher Erhebungsaufwand nötig. Im Gegensatz zu Interviewdaten geben diese Logdaten ein relativ unverfälschtes Bild der Beobachtungsfaktoren. Durch Personalisierungsstrategien ist die Bestimmung von Kunden- und Userclustern ebenso möglich, wie die Prognose von Navigationsmustern und Transaktionsentscheidungen31. Die Risiken des analytischen eCRM liegen in der allgemeinen Unsicherheit von Prognosen aus ex post Daten. Verschärft wird diese Unsicherheit noch durch das hybride Verhalten moderner Konsumenten. Kunden nutzen viele Kanäle und springen je nach Situation von einem Kanal zum nächsten. Sehr oft werden Kanäle auch parallel genutzt. Auch rechtliche Risiken sind zu beachten, die den vertraulichen Umgang mit Informationen regeln. Zur Sammlung von Daten werden häufig Cookies eingesetzt. „Cookies sind Informationen, die durch CGI oder JavaScript generiert werden, wenn man auf die entsprechende Seite surft“32. Moderne Web-Browser sind heute so ausgerüstet, dass die User entweder Cookies generell ablehnen, oder einen Warnhinweis erhalten können, wenn versucht wird Cookies zu setzen. Von der Rechtsprechung gibt es in datenschutzrechtlicher Hinsicht zu Cookies noch keine Aussagen. Es ist aber ein Unterschied, ob personenbezogene oder nicht personenbezogene Daten gesammelt werden. Die Erhebung personenbezogener Daten bedarf nach §3, 1, TDDSG (Gesetz 315
über den Datenschutz bei Telediensten) der Einwilligung des Users33. Nach §3, 5, TDDSG muss der Nutzer den User schon vor Beginn des Verfahrens über Art, Umfang, Ort und Zweck der Erhebung unterrichten. Der Inhalt der Unterrichtung muss für den User jederzeit abrufbar sein. Die Sammlung nicht personengebundener Daten fällt nicht unter die datenschutzrechtlichen Verbotstatbestände. Aber auch die Sammlung nicht personengebundener Daten, kann z.B. durch eine Anonymisierungssoftware, unterbunden werden, welche die Identität des Surfers verbirgt. Zudem sollten Unternehmen generell kritisch hinterfragen, ob die Personalisierung der Daten, aus dem analytischen eCRM von den Kunden wirklich gewollt ist, da sich ansonsten die Aktivitäten in Bezug auf die Kundenzufriedenheit kontraproduktiv auswirken können. Beim Multi-Channel-Management stellen personalisierte Informationen über Kundenverhalten und Channel-Präferenzen in Bezug auf Produkt und Content eine Kernkompetenz dar. Sie sind nicht nur geeignet, ein umfangreiches Wissen über Kunden und Märkte zur Planung und Steuerung von Marketingaktivitäten zu erhalten, sondern dienen auch dazu Kanalkonflikte zu verhindern und Kundenwünsche zu ermitteln. Auch wenn der Einsatz von eCRM-Systemen weit verbreitet ist, wurde in einer empirischen Untersuchung ermittelt, dass 60-80% der Unternehmen mit der Zielerreichung unzufrieden sind34. Im analytischen eCRM können die erhobenen Kundendaten von den Unternehmen nicht institutionell und anwendungsorientiert ausgewertet werden. Es können auf Basis des Data Warehouses Erfolg versprechende Zielgruppen selektiert und Marketingaktivitäten ermittelt werden. Die Daten werden aus verschiedenen Quellen extrahiert, bereinigt und komprimiert, um dann in das einheitliche Datenmodell des Data Warehouses integriert zu werden. Es können Abteilungs- bzw. themenspezifische Teilmengen in Form von Data Marts extrahiert werden. Die Datenanalyseverfahren sind u.a. Online Analytical Processing (OLAP) und DataMining. Bei OLAP, einem Entscheidungsunterstützungs-Werkzeug werden Analysen TopDown aus historisch konsolidierten Datenbeständen dynamisch durchgeführt. Beim DataMining werden datengesteuerte Bottum-Up-Analysen aus großen und komplexen Datenbeständen in mehreren Stufen und mit mehreren Verfahren untersucht. Das Ziel ist, unbekannte aussagekräftige Zusammenhänge, Muster und Regeln aufzudecken, die als Grundlage für die Modellbildung dienen. Das Modell dient als Entscheidungsgrundlage für Marketing- und Vertriebsstrategien. 7.4.2.2.
Das kommunikative eCRM
Die hinter einem eCRM stehende Philosophie der qualitativen Determinanten kommt besonders beim Einsatz des Kommunikationsbereichs zur Geltung. Dieser erstreckt sich auf alle Phasen des Customer Life Cycles. Aufbau und Unterhaltung eines Kundenbindungsmanage316
ments erfordern den Einsatz effektiver Kommunikationsmaßnahmen. Dazu eignen sich Personalisierungsmaßnahmen besonders gut. Sie ermöglichen es, durch ein an sich anonymes Distanzmedium, wie das Internet, persönliche und emotionale Beziehungen zu gestalten. Unternehmen können eine emotionale Bindung zu ihren Kunden aufbauen, wenn Sie ihre Einstellungen kennen und ihre Wünsche erfüllen. Dieses Prinzip hat Ähnlichkeiten mit dem hinlänglich bekannten Prinzip des „Tante Emma-Ladens“. Hier sind die Vorlieben und Möglichkeiten des Kunden bekannt und so können ihm Offerten gemacht werden, die auf seine persönliche Situation abgestimmt sind. Es herrscht ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Betreiber des „Tante Emma-Ladens“ und seinen Kunden. Dieser Vertrauensaufbau gestaltet sich im Internet wesentlich schwieriger. Das unterstreicht auch eine Untersuchung, die von ARD und ZDF durchgeführt wurde35. Hier konnte ermittelt werden, dass große Teile der Bevölkerung zwar eine intensive Beziehung zu bestimmten Fernsehsendungen haben, aber eine emotionale Bindung zu bestimmten Web-Seiten fehlt.
Abb. 7.5.:
Die besondere Bedeutung emotionaler Bindungsdeterminanten, Quelle: Gentsch [2002], S. 158
Eine emotionale Personalisierung ist erreichbar, wenn Unternehmen die individuellen Bedingungen, die für ein subjektives Wohlbefinden nötig sind, kennen und diese den jeweiligen Kunden(Gruppen) anbieten36. So konnte durch Versuche herausgefunden werden, dass Computernutzer die Qualität ihrer Internetseiten entscheidend davon abhängig machen, ob die Kommunikation und Präsentation im gleichen Sprachstil abgefasst sind, den sie selbst bevorzugen. Dieser kann schon bei einer groben Segmentierung in einer Zielgruppe von 14-19 jährigen durchaus anders ausfallen, als in einer Gruppe von