BA KOMPAKT Reihenherausgeber: Martin Kornmeier, Berufsakademie Mannheim Willy Schneider, Berufsakademie Mannheim
BA KOMPAKT Bisher erschienen: Martin Kornmeier Wissenschaftstheorie und wissenschaftliches Arbeiten 2007. ISBN 978-3-7908-1918-2 Willy Schneider Marketing 2007. ISBN 978-3-7908-1941-0
Thomas Holey · Armin Wiedemann
Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler
Mit 84 Abbildungen
123
Prof. Dr. Thomas Holey Prof. Dr. Armin Wiedemann Studiengang Wirtschaftsinformatik Berufsakademie Mannheim Coblitzweg 1-7 68163 Mannheim
[email protected] [email protected] ISSN 1864-0354 ISBN 978-3-7908-1973-1 Physica-Verlag Heidelberg New York
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88/3180YL - 5 4 3 2 1 0
Gedruckt auf säurefreiem Papier
F¨ ur Jutta, Andrea, Kathrin und Hannes
Vorwort
Quantitative Methoden stellen eine wichtige Grundlage in nahe zu allen wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen dar. Dementsprechend finden sich mathematische Einf¨ uhrungsvorlesungen in den Rahmenstudienpl¨anen dieser Studieng¨ ange wieder. Das vorliegende Buch Mathematik f¨ ur Wirtschaftswissenschaftler in der Reihe BA-Kompakt orientiert sich sehr stark am Rahmenstudienplan f¨ ur den Studienbereich Wirtschaft an Berufsakademien in Baden-W¨ urttemberg. In der Stoffauswahl haben wir uns bem¨ uht, die wichtigsten Themen f¨ ur Studierende der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftsinformatik aufzunehmen. Einen breiten Raum nimmt die Darstellung mathematischer Grundlagen ein, die h¨ aufig auch Gegenstand der gymnasialen Oberstufe sind: Funktionen einer Ver¨ anderlichen, Differential- und Integralrechnung. Dem Dozenten ist mit dem Buch die M¨ oglichkeit gegeben, je nach Kenntnisstand der Studierenden diese Grundlagen sehr z¨ ugig zu wiederholen und sich mehr auf die Anwendungen zu konzentrieren. Falls es sinnvoller und notwendiger erscheint, mehr Zeit f¨ ur die Grundlagen zu verwenden, kann man sich bei der Behandlung von Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen auf den Sonderfall zweier Variabler beschr¨ anken. Dann werden auch in der Linearen Algebra die Konzepte Determinate und Eigenwert einer Matrix nicht ben¨otigt. Auf diese Weise entsteht eine gewisse Flexibilit¨at, ohne dass Themenbereiche des Rahmenstudienplans vollst¨ andig ausgelassen werden. Im ersten Kapitel werden einige Grundlagen aufgef¨ uhrt, die zum ’Handwerkszeug’ geh¨oren sollten. Dem Studierenden ist mit einem kurzen Selbsttest die M¨oglichkeit gegeben, zu pr¨ ufen, inwieweit er diese Techniken beherrscht. Wir bedanken uns bei Frau Prof. Dr. Irene R¨ oßler und Herrn Prof. Dr. Frank Hubert f¨ ur viele hilfreiche Diskussionen und Anregungen. Den Herausgebern, Herrn Prof. Dr. Martin Kornmeier und Herrn Prof. Dr. Willy Schneider danken wir f¨ ur die Aufnahme des Buches in die Reihe BA-Kompakt. Unser Dank gilt beim Springer-Verlag Frau Katharina Wetzel-Vandai sowie Frau Gabriele Keidel, die uns bei redaktionellen Fragen stets hilfreich unterst¨ utzt haben.
VIII
Vorwort
Schließlich wollen wir noch darauf hinweisen, dass ein Foliensatz als Vor¨ lesungsgrundlage und die L¨ osungen zu den Ubungen zum Download beim Verlag unter der URL http://www.springer.com/978-3-7908-1973-1 zur Verf¨ ugung stehen. Die L¨ osungen zum Test sind im Anhang zu finden.
Waibstadt, Neustadt/Weinstr. Juni 2007
Thomas Holey Armin Wiedemann
Inhaltsverzeichnis
1
Elementare Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Elementares aus der Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Mengenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.3 Arithmetische Grundoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.4 Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.5 Trigonometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.6 Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2
Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Definition und Darstellung von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Einige elementare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die lineare Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die quadratische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Ganze rationale Funktionen oder Polynome . . . . . . . . . 2.2.4 Potenzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Gebrochen rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Die Hyperbelfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Die Wurzelfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.8 Die Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.9 Die Logarithmusfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.10 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.11 Abschnittsweise definierte Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Umkehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Verkettung von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Eigenschaften von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Beschr¨ anktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Monotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Symmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Einige ¨ okonomische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Die Nachfragefunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Angebotsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3 Erl¨ osfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.4 Produktionsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Grenzwerte von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1 Der Grenzwertbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.2 Die Cauchy-Definition des Grenzwerts von Funktionen 2.7.3 Grenzwertbetrachtungen einiger elementarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 24 24 26 27 28 28 28 29 29 31 33 36 38 42 44 44 45 46 49 49 50 50 51 53 53 57 59
X
Inhaltsverzeichnis
2.7.4 Rechenregeln f¨ ur Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.5 Beispiele f¨ ur Grenzwertbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Stetigkeit von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ Ubungen ...................................................
60 61 66 70
3
Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Ableitungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Ableitungen elementarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 H¨ ohere Ableitungen, Extremwerte und Wendepunkte . . . . . . . . 3.6 Anwendungen der Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Regel von de L’Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 Nullstellenbestimmung mit dem Newton-Verfahren . . . 3.6.3 Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.4 Grenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.5 Elastizit¨ at von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ Ubungen ...................................................
73 73 77 81 85 88 92 92 94 101 107 107 109
4
Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Das unbestimmte Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Stammfunktionen von elementaren Funktionen . . . . . . . 4.1.2 Linearit¨ at des unbestimmten Integrals . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das bestimmte Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Eigenschaften des bestimmten Integrals . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Wert eines Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Fl¨ ache zwischen zwei Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Partielle Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Integration durch Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Anwendung der Integrationsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Bestimmung der ¨ okonomischen Funktion aus der Grenzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Konsumentenrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Produzentenrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ Ubungen ...................................................
111 111 112 113 114 117 120 122 124 126 127 128
Lineare Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Definition von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Die Linearkombination von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Skalarprodukt zweier Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Definition einer Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133 133 133 136 138 139 139
5
128 128 130 131
6
7
Inhaltsverzeichnis
XI
5.2.2 Addition von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Multiplikation mit einem Skalar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Matrizenmultiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.5 Rechenregeln des Matrizenproduktes . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.6 Inverse Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Grundlegende Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 L¨ osungsverfahren f¨ ur lineare Gleichungssysteme . . . . . . 5.3.3 Standardisierte Form von linearen Gleichungssystemen 5.3.4 Matrixinvertierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.5 Betriebswirtschaftliche Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.6 Eigenwerte einer Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ Ubungen ...................................................
142 144 144 148 150 151 151 154 162 163 168 171 173
Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Einf¨ uhrung und Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Differentialrechnung f¨ ur Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Partielle Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Das totale Differential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen . . . . . . . 6.3.1 Extremwerte ohne Randbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Extremwerte mit Nebenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ Ubungen ...................................................
177 177 181 181 184 187 187 195 199
Finanzmathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Zinsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Einfache Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Zinseszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Rentenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Unterj¨ ahrige Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Tilgungsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ Ubungen ...................................................
201 201 201 204 205 207 210 217
L¨ osungen zum Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
1 Elementare Grundlagen
Lernziele
Dieses Kapitel vermittelt:
• Grundlagen aus verschiedenen Gebieten der Mathematik • eine Zusammenfassung der Themengebiete, die f¨ ur das Verst¨ andnis des Buches vorausgesetzt werden • eine Selbsteinsch¨ atzung durch einen Test
1.1 Elementares aus der Aussagenlogik Die Aussage ist ein grundlegender Begriff der Mathematik1 . Wesentliche Aspekte der Aussagenlogik wurden von Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) erarbeitet. Definition
Beschreibung einer Aussage
Eine Aussage ist ein sprachliches Gebilde, f¨ ur das sinnvoll gefragt werden kann, ob es wahr oder falsch ist. Aussagen sind beispielsweise: 3 ist eine ungerade Zahl. 5 ist kleiner als 3. Fragen und Aufforderungen sind demnach keine Aussagen. In der mathematischen Logik betrachtet man eine Formalisierung von Aussagen. Dazu verwendet man Aussagesymbole (z.B. A oder B), mit denen u ¨ber Junktoren (Verkn¨ upfungen) komplexere Aussageformen gebildet werden. Aussagesymbole nennt man auch Aussagevariable, die die Werte ’wahr’ oder ’falsch’ annehmen k¨ onnen. Die Werte der Variablen, f¨ ur die eine Aussageform in eine wahre Aussage u ¨bergeht, nennt man die L¨osung einer Aussageform. 1
Einf¨ uhrungen in die Aussagenlogik findet man in den Monographien Kelly (2003), Kreuzer/K¨ uhling (2006) oder Staab (2007).
2
1 Elementare Grundlagen
Aussageformen k¨ onnen unl¨ osbar sein, wenn es keine L¨osung gibt und allgemeing¨ ultig, wenn jeder Wert aus dem m¨ oglichen Wertevorrat die Aussageform erf¨ ullt2 . Verkn¨ upfungen von Aussagen Die Negation ist eine einstellige Verkn¨ upfung, sie kehrt den Wahrheitswert einer Aussage um. F¨ ur die Negation einer Aussage A schreiben wir ¬A. Die Wahrheitswertetafel der Negation sieht folgendermaßen aus: A
¬A
w f
f w
Von den zweistelligen Verkn¨ upfungen betrachten wir die Konjunktion (auch UND-Verkn¨ upfung) ∧ und die Disjunktion (auch ODER-Verkn¨ upfung) ∨. Die Wahrheitswertetafel dieser Verkn¨ upfungen sieht folgendermaßen aus: A
B
A∧B
A∨B
w w f f
w f w f
w f f f
w w w f
Die Konjunktion zweier Aussagen ist also nur dann wahr, wenn beide Aussagen wahr sind, w¨ ahrend die Disjunktion wahr ist, wenn mindestens eine der Aussagen wahr ist. Man spricht hier auch vom einschließenden ODER im Gegensatz zum ausschließenden ODER, bei dem genau eine der beiden Aussagen wahr ist. Beispiel: A:
3 ist eine ungerade Zahl.
B:
3 ≥ 6.
Dann ist: A∧B = f A∨B = w
2
(da B falsch ist) (da A wahr ist).
Allgemeing¨ ultige Aussageformen nennt man auch Tautologien.
1.1 Elementares aus der Aussagenlogik
Definition
3
Logische Folgerung (Implikation)
Eine Aussage B heißt logische Folgerung einer Aussage A, wenn gilt: Wenn A wahr ist, dann ist auch B wahr: A =⇒ B (Lies: Wenn A, dann B oder A impliziert B.).
Die Implikation wird h¨ aufig auch folgendermaßen ausgedr¨ uckt: A ist hinreichende Bedingung f¨ ur B oder: B ist notwendige Bedingung f¨ ur A. Die Implikation l¨ asst zu, dass B wahr sein kann, auch wenn A falsch ist. F¨ ur Aussageformen A(x) und B(x) heißt das: A(x) =⇒ B(x), wenn alle L¨osungen von A(x) auch L¨ osungen von B(x) sind. B(x) kann aber L¨osungen haben, die f¨ ur die Aussageform A(x) keine L¨ osungen sind. Beispiel: Betrachte die beiden Aussagen: A(x) : B(x) :
Definition
x=3 x2 = 9
L¨ osung : x = 3 L¨ osungen: x = 3 und x = −3 x = 3 =⇒ x2 = 9.
¨ Aquivalenz
Die beiden Aussagen A und B heißen ¨ aquivalent, wenn gilt: Wenn A wahr ist, dann ist auch B wahr, und wenn B wahr ist, dann ist auch A wahr. A ⇐⇒ B (Lies: B genau dann, wenn A oder A ¨aquivalent B).
¨ F¨ ur zwei Aussageformen A(x) und B(x) heißt die Aquivalenz: A(x) ⇐⇒ B(x), wenn alle L¨ osungen von A(x) auch L¨ osungen von B(x) sind und umgekehrt, alle L¨ osungen von B(x) sind auch L¨ osungen von A(x). Beispiel: 2x = 5
⇐⇒
x=
5 . 2
4
1 Elementare Grundlagen
1.2 Mengenlehre Mengen sind f¨ ur die Beschreibung mathematischer Zusammenh¨ange elementar3 . Die Grundlage des Mengenbegriffs ist die folgende auf Georg Cantor (1845 – 1918) zur¨ uckgehende Definition: Definition
Menge
Eine Menge ist eine Zusammenfassung bestimmter, wohlunterschiedener Objekte der Anschauung oder des Denkens – welche die Elemente der Menge genannt werden – zu einem Ganzen.
F¨ ur die Zugeh¨ origkeit eines Objektes zu einer Menge M wird meist das Symbol ∈ verwendet: x ∈ M , x ist Element der Menge M . Analog heißt x ∈ M , dass x nicht Element der Menge M ist. Enth¨ alt eine Menge keine Elemente, dann nennt man dies die leere Menge ∅ = { }. F¨ ur die Darstellung von Mengen gibt es verschiedene M¨oglichkeiten: •
Die aufz¨ ahlende Form: M = {2, 3, 5, 7}.
•
Die beschreibende Form: M = {x | x ist Primzahl ≤ 7}.
•
Die Darstellung in Form eines Venn-Diagramms wie in der Abbildung 1.14 .
In diesem Buch spielen Mengen von Zahlen eine wichtige Rolle, wir betrachten: •
Die Menge der nat¨ urlichen Zahlen N = {0, 1, 2, 3, . . .}.
•
Die Menge der ganze Zahlen Z = {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .}.
•
Die Menge der rationalen Zahlen Q={
3 4
p | p, q ∈ Z, q = 0}. q
Einf¨ uhrungen in die Mengenlehre findet man in Dean (2003), Deiser (2004), Garnier/Taylor (2002), Gregg (1998) oder Koshy (2004). Diese Diagramme wurden von dem englischen Logiker und Philosophen John Venn (1834 - 1923) zur anschaulichen Beschreibung von Mengen eingef¨ uhrt.
1.2 Mengenlehre
5
3 7
2
5
M
Abbildung 1.1. Eine einfache Mengendarstellung als Venn-Diagramm
• Die Menge der reellen Zahlen bezeichnen wir mit R. Die Menge der rationalen Zahlen Q wird erweitert, √ weil sich bestimmte Gr¨oßen wie beispielsweise der Wert von π oder 2 nicht durch Quotienten zweier ganzer Zahlen ausdr¨ ucken lassen. Die Menge der positiven reellen Zahlen wird mit R+ bezeichnet. Teilmengen Unter einer Teilmenge T ⊆ M (lies: T ist Teilmenge von M ) versteht man die Menge, die die Bedingung erf¨ ullt: x ∈ T =⇒ x ∈ M , also jedes Element von T ist auch Element der Menge M . Beispiel: Die Menge T = {2, 3} ist Teilmenge von M = {2, 3, 5, 7}. Teilmengen der reellen Zahlen werden als offene oder geschlossene Intervalle bezeichnet: F¨ ur M = R ist Tg = [a, b] geschlossenes Intervall und ist folgendermaßen definiert: Tg = {x | x ∈ R ∧ a ≤ x ≤ b}. Das offene Intervall To =]a, b[ ist gegeben durch: To = {x | x ∈ R ∧ a < x < b}. Kartesisches Produkt von Mengen Das kartesische Produkt aus den Mengen M1 , M2 , . . . , Mn ist die Menge aller geordneten n-Tupel, die sich aus den Mengen bilden lassen: M1 × M2 × . . . × Mn = {(x1 , x2 , . . . , xn ) | x1 ∈ M1 , x2 ∈ M2 , . . . , xn ∈ Mn }.
6
1 Elementare Grundlagen
Beispiel: Sei M1 = {2, 3, 4} und M2 = {a, b}, dann ist M1 × M2 = (2, a), (2, b), (3, a), (3, b), (4, a), (4, b) . Von besonderem Interesse sind die kartesischen Produkte aus Zahlenmengen. Wir betrachten die beiden Intervalle: M1 = {x | x ∈ R und 0 ≤ x ≤ 2} und M2 = {y | y ∈ R und 0 ≤ y ≤ 1}. Dann ist das kartesische Produkt: M1 × M2 = {(x, y) | x, y ∈ R ∧ 0 ≤ x ≤ 2 ∧ 0 ≤ y ≤ 2}. Dieses kartesische Produkt l¨ asst sich graphisch als Rechteck in der Ebene darstellen (siehe Abbildung 1.2).
y
1
M2
M1 × M2
2
M1
x
Abbildung 1.2. Darstellung des kartesischen Produktes zweier Intervalle
Das kartesische Produkt R × R × . . . × R = Rn
(lies : Rn)
n mal
beschreibt den n-dimensionalen Raum, insbesondere liefert R3 die Punkte im dreidimensionalen Raum (vgl. Abbildung 1.3).
1.2 Mengenlehre
7
z
P = (x1 , y1 , z1 )
x
y Abbildung 1.3. Die Punkte des dreidimensionalen Raumes sind geordnete Tripel P = (x1 , y1 , z1 )
Verkn¨ upfungen von Mengen Die Durchschnittsmenge A∩B
(A geschnitten B)
besteht aus denjenigen Elementen, die in A und in B enthalten sind: A ∩ B = {x | x ∈ A ∧ x ∈ B}.
A
A∩B
B
Abbildung 1.4. Die Schnittmenge zweier Mengen A ∩ B als Venn-Diagramm
8
1 Elementare Grundlagen
Ist die Durchschnittsmenge A ∩ B leer, dann nennt man die beiden Mengen A und B disjunkt. Die Vereinigung A ∪ B zweier Mengen ist die Menge aller Elemente, die zu A oder zu B geh¨ oren, d.h.: A ∪ B = {x | x ∈ A ∨ x ∈ B}.
A∪B
A
B
Abbildung 1.5. Venn-Diagramm der Vereinigung zweier Mengen A und B
Die Differenz A \ B zweier Mengen ist die Menge aller Elemente von A die nicht zu B geh¨ oren, d.h.: A \ B = { x | x ∈ A und x ∈ B}.
A\B
A∩B
B
Abbildung 1.6. Die Differenzmenge
1.3 Arithmetische Grundoperationen
9
Gilt A ⊆ B, so l¨ asst sich eine Komplementmenge von A folgendermaßen definieren: A = {x | x ∈ B ∧ x ∈ A}.
A B A
Abbildung 1.7. Venn-Diagramm f¨ ur die Komplementmenge
1.3 Arithmetische Grundoperationen Die Menge der rationalen und die Menge der reellen Zahlen bilden mit den Verkn¨ upfungen Addition ’+’ und Multiplikation ’·’ eine algebraische Struktur, die K¨ orper genannt wird5 . F¨ ur K¨orper gelten, wie man sich exemplarisch leicht u ¨ berzeugen kann, folgende Axiome6 , wir formulieren die Axiome der reellen Zahlen: 1. Die Summe zweier Zahlen a, b ∈ R existiert f¨ ur alle a, b und ist eindeutig: s=a+b
(s ∈ R).
2. Das Produkt zweier Zahlen a, b ∈ R existiert f¨ ur alle a, b und ist eindeutig: p=a·b
(p ∈ R).
Man sagt, R ist abgeschlossen unter den beiden Operationen Addition und Multiplikation. 5 6
Eine sehr lesbare Einf¨ uhrung in die Thematik der algebraischen Strukturen findet man in Basieux (2000). Axiome sind nicht beweisbare Grundannahmen, die in sich widerspruchsfrei sein m¨ ussen.
10
1 Elementare Grundlagen
3. Es gelten die Kommutativgesetze: f¨ ur alle a, b ∈ R
a+b=b+a und a·b = b·a
f¨ ur alle a, b ∈ R.
4. Es gelten die Assoziativgesetze: f¨ ur alle a, b, c ∈ R
a + (b + c) = (a + b) + c und a · (b · c) = (a · b) · c
f¨ ur alle a, b, c ∈ R.
5. F¨ ur jede Verkn¨ upfung gibt es ein neutrales Element in R. Das neutrale Element der Addition ist die 0 ∈ R mit f¨ ur alle a ∈ R.
a+0=0+a=a
Das neutrale Element der Multiplikation ist die 1 ∈ R mit a·1 = 1·a= a
f¨ ur alle a ∈ R.
6. Es gibt f¨ ur jede Verkn¨ upfung ein inverses Element in R, der Art, dass sich das jeweilige neutrale Element ergibt: f¨ ur alle a ∈ R.
a + (−a) = 0
(−a) ∈ R heißt additives Inverses. Das multiplikative Inverse hat die Eigenschaft: a·
1 =1 a
f¨ ur a ∈ R \ {0}.
7. Es gibt ein Distributivgesetz der Form: a · (b + c) = a · b + a · c
f¨ ur a, b, c ∈ R.
¨ Uber die inversen Elemente sind die Subtraktion und die Division zur¨ uckgef¨ uhrt auf die Addition bzw. Multiplikation:
und
a − b = a + (−b) a 1 a : b= =a· . b b
Aus diesen Axiomen lassen sich elementare Rechenregeln ableiten.
1.3 Arithmetische Grundoperationen
11
Bruchrechnen Multiplikation von Br¨ uchen: a c a·c · = b d b·d
(b, d = 0).
Addition von Br¨ uchen: c ad + cb a + = b d b·d
(b, d = 0).
Potenzrechnen Eine Potenz einer reellen Zahl a ∈ R ist definiert als an = a · a ·. . . · a
a ∈ R, n ∈ N.
n Faktoren
F¨ ur Potenzen gelten die folgenden Rechenregeln: am · an = am+n (am )n = (am )n = am·n
(1.1) (1.2)
(a · b)n = an · bn .
(1.3)
Mit den Definitionen a−n =
1 an
(a = 0; n ∈ Z)
und a0 = 1
f¨ ur alle a ∈ R, a = 0
ergibt sich aus Gl. (1.1):
am = am−n . (1.4) an Die G¨ ultigkeit der Potenzrechengesetze ist damit auf ganze Zahlen erweitert. Indem man die L¨ osung der Gleichung xn = a definiert als √ 1 x = a n = n a, l¨ asst sich der Potenzbegriff auch auf rationale Exponenten erweitern. Die Potenzrechengesetze behalten ihre G¨ ultigkeit im Allgemeinen f¨ ur a > 0. In besonderen F¨ a llen ist eine Definition f¨ u r a < 0 sinnvoll, beispielsweise bei: √ 3 −8 = −2. Logarithmus Die Definition des Logarithmus ergibt sich aus der Aufl¨osung der Gleichung bx = y
12
1 Elementare Grundlagen
nach x. Definition:
bx = y ⇐⇒ x = logb y
mit b ∈ R+ \ {1}, y ∈ R+ , x ∈ R. Die Zahl b heißt Basis des Logarithmus. Rechenregeln f¨ ur Logarithmen (es gelte x, y > 0): logb (x · y) = logb x + logb y und
logb (xk ) = k · logb x,
(1.5)
k ∈ R.
(1.6)
Aus diesen beiden Rechenregeln des Logarithmus ergibt sich (aus Gl. (1.6)): logb (x−1 ) = − logb x und somit aus Gl. (1.5) x logb x − logb y = logb x + logb y −1 = logb (x · y −1 ) = logb ( ). y Umrechnen von Logarithmen auf verschiedene Basen: Praktisch ist es h¨ aufig von Interesse, Logarithmen zu verschiedenen Basen zu berechnen. Die Umrechnung von der Basis a auf die Basis b erfolgt in der Form: loga y logb y = . (1.7) loga b Dies ergibt sich aus der Definition des Logarithmus und den Rechenregeln: bx = y ⇐⇒ x = logb y bx = y ⇐⇒ loga bx = loga y ⇐⇒ x · loga b = loga y ⇐⇒
x=
loga y loga b
und somit: logb y =
loga y . loga b
(1.8)
Besondere Bedeutung spielen die Logarithmen zur Basis 10 (dekadischer Logarithmus): log10 x = lg x und zur Basis e (nat¨ urlicher Logarithmus): loge x = ln x,
1.4 Gleichungen
13
wobei e die Eulersche Zahl ist e ≈ 2.718 . . . . Binomische Formeln Die Verallgemeinerung der binomischen Formeln: (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 (a − b)2 = a2 − 2ab + b2 (a + b)(a − b) = a2 − b2 ist der binomische Ausdruck (a + b)n =
n
n n−k k a b k
(1.9)
k=0
mit der Summation
n
xi = x0 + x1 + . . . + xn
i=0
und den Binomialkoeffizienten
n n! = (n − k)!k! k
(lies: n u ¨ ber k),
(1.10)
wobei n! = 1 · 2 · 3 · . . . · (n − 1) · n
(lies: n Fakult¨at)
und 0! = 1. Die Binomialkoeffizienten erf¨ ullen die Beziehung:
n n−1 n−1 = + . k k−1 k Diese Beziehung ist als Pascalsches Dreieck bekannt.
1.4 Gleichungen Wir betrachten in diesem Abschnitt einige Gleichungen, die sich mit a¨quivalenten Umformungen durch die grundlegenden arithmetischen Operationen aus Kap. 1.3 l¨ osen lassen. Unter der L¨ osungsmenge einer Gleichung A(x) = B(x) versteht man die Menge L = {x | A(x) = B(x) ist eine wahre Aussage }.
14
1 Elementare Grundlagen
Die L¨ osungsmenge ist eine Teilmenge der Definitionsmenge, die angibt, f¨ ur welche x ∈ R A(x) und B(x) definiert sind. Unter einer ¨ aquivalenten Umformung einer Gleichung versteht man in Anlehnung an ¨ aquivalente Aussageformen (vgl. Kap. 1.1) solche Umformungen, die die L¨ osungsmenge nicht ver¨ andern. = B(x) A(x) = B(x) ⇐⇒ A(x) wenn L = {x | A(x) = B(x) ist eine wahre Aussage } = B(x) ist eine wahre Aussage }. = {x | A(x) ¨ Aquivalente Umformungen sind: 1. Addition eines Terms T (x) + T (x)
A(x) = B(x) ⇐⇒ A(x) + T (x) = B(x) + T (x). Beispiel: 3x + 5 = 2x − 1 ⇐⇒
− 2x − 5
x = −6.
2. Multiplikation mit einem Term T (x) A(x) = B(x)
· T (x), T (x) = 0
⇐⇒ T (x) · A(x) = T (x) · B(x). ¨ Anmerkung: F¨ ur T (x) = 0 liegt keine Aquivalenzumformung vor. Beispiel: 2 1 = x−1 x−7 ⇐⇒ x − 7 = 2(x − 1) ⇐⇒ x = −5.
· (x − 1)(x − 7), x = 1 ∧ x = 7
3. Logarithmieren zu einer Basis b A(x) = B(x) ⇐⇒ logb A(x) = logb B(x).
logb f¨ ur A(x), B(x) > 0
1.4 Gleichungen
Beispiel:
lg
x
10 = 25 ⇐⇒
15
x = lg 25 ≈ 1, 398.
4. Potenzieren zu einer Basis b () b f¨ ur b = 1 A(x) = B(x) ⇐⇒ bA(x) = bB(x) . Beispiel:
() 5 ,x > 0
log5 (3x) = 2 ⇐⇒ 5log5 (3x) = 52 ⇐⇒ 3x = 25 ⇐⇒ x = 25 3 .
5. Beim Potenzieren einer Gleichung muss unterschieden werden, ob n gerade oder ungerade ist: ( )n f¨ A(x) = B(x) ur n ungerade ⇐⇒ (A(x))n = (B(x))n , und
( ) n1 f¨ ur n ungerade
A(x) = B(x) 1
1
⇐⇒ (A(x)) n = (B(x)) n . Das Potenzieren f¨ ur gerade n ist keine a ¨quivalente Umformung. Mit diesen a osen wir nun die lineare und die ¨quivalenten Umformungen l¨ quadratische Gleichung in voller Allgemeinheit. Die lineare Gleichung ax + b = 0 x=−
b a
f¨ ur b ∈ R, a ∈ R \ {0}.
16
1 Elementare Grundlagen
Die quadratische Gleichung ax2 + bx + c = c b ⇐⇒ x2 + x + = a a b 2 b2 c ⇐⇒ x + − 2+ = 2a 4a a b 2 ⇐⇒ x+ = 2a ⇐⇒
x1/2
a = 0
0 0 0
b2 c + 4a2 √a −b ± b2 − 4ac . = 2a
Bemerkung: F¨ ur b/a = p und c/a = q ergibt sich:
2 p p x1/2 = − ± − q. 2 2 Die quadratische Gleichung hat: •
zwei L¨ osungen f¨ ur b2 − 4ac > 0,
•
eine L¨ osung f¨ ur b2 − 4ac = 0,
•
keine L¨ osung f¨ ur b2 − 4ac < 0.
¨ Aquivalente Umformungen von Ungleichungen Bei a ¨quivalenten Umformungen von Ungleichungen sind die folgenden Gesetzm¨ aßigkeiten zu beachten: 1. Addition mit einer Konstanten c: ⇐⇒
A(x) < B(x) A(x) + c < B(x) + c. A(x) > B(x)
⇐⇒
A(x) + c > B(x) + c.
2. Multiplikation mit einer Konstanten c = 0: ⇐⇒
A(x) < B(x) cA(x) < cB(x)
falls c > 0
⇐⇒
cA(x) > cB(x)
falls c < 0.
A(x) > B(x) ⇐⇒ ⇐⇒
cA(x) > cB(x) cA(x) < cB(x)
falls c > 0 falls c < 0.
1.4 Gleichungen
17
3. Potenzieren: A(x) < B(x) (A(x))n < (B(x))n .
⇐⇒
A(x) > B(x) (A(x))n > (B(x))n .
⇐⇒ 4. Wurzel ziehen:
A(x) < B(x) 1
⇐⇒
1
(A(x)) n < (B(x)) n . A(x) > B(x) 1
⇐⇒
1
(A(x)) n > (B(x)) n .
5. Logarithmieren: ⇐⇒
A(x) < B(x) ur b > 1. logb (A(x)) < logb (B(x)), f¨ A(x) > B(x)
⇐⇒
ur b > 1. logb (A(x)) > logb (B(x)), f¨
6. Potenzieren zu einer Basis a: A(x) < B(x) aA(x) < aB(x) , f¨ ur a > 1.
⇐⇒
A(x) > B(x) aA(x) > aB(x) , f¨ ur a > 1.
⇐⇒ und
A(x) < B(x) ⇐⇒
a
−A(x)
> a−B(x) , f¨ ur a > 1.
A(x) > B(x) ⇐⇒
a
−A(x)
< a−B(x) , f¨ ur a > 1.
18
1 Elementare Grundlagen
Gleichungen mit Betr¨ agen Der Betrag einer Zahl a ∈ R ist definiert durch: a f¨ ur a ≥ 0 | a |= −a f¨ ur a < 0. Das Rechnen mit Betr¨ agen bringt daher Fallunterscheidungen mit sich. Die L¨ osung der Gleichung | ax + b |= c
mit c ≥ 0
f¨ uhrt auf: ax + b = c
∨
−(ax + b) = c
c−b a
∨
x=−
mit den L¨ osungen x=
c+b . a
1.5 Trigonometrie Die trigonometrischen Funktionen basieren auf der elementaren Geometrie rechtwinkliger Dreiecke.
c b α
• a
Abbildung 1.8. Definition der trigonometrischen Funktionen durch Seitenverh¨ altnisse im rechtwinkligen Dreieck.
b c a cos α = c b tan α = a a cot α = b sin α =
Gegenkathede Hypothenuse Ankathede = Hypothenuse Gegenkathede = Ankathede Ankathede = . Gegenkathede
=
1.6 Test
19
In der Analysis spielt der Tangens eine wichtige Rolle, da u ¨ ber diese Funktion die Steigung von Tangenten berechnet wird.
1.6 Test 1.1. Bilden Sie die Mengen A ∪ B, A ∩ B und A \ B: A = {x | x ∈ N ∧ x ≤ 10} x B = {x | x ≤ 20 ∧ ∈ N}. 2 1.2. Sind die folgenden Aussageformen A(x) und B(x) ¨aquivalent? a) A(x) : x = 4;
B(x) : x2 = 16.
b) A(x) : x2 − y 2 = 0; c) A(x) : x2 ≥ a;
B(x) : x = y ∨ x = −y. √ B(x) : x ≥ a.
1.3. a) Nennen Sie je eine hinreichende und eine notwendige Bedingung f¨ ur einen Gewinn im Lotto. b) Ist A(x) hinreichende Bedingung f¨ ur B(x)? A(x) : x > 0; B(x) : log2 x > 0. 1.4. Vereinfachen Sie folgende Terme, f¨ ur welche x sind die Terme nicht definiert? a)
x+2 1 + 2 x −4 x+2
3xn + 2xn+2 xn+1 + 3xn √ 3 c) x6n−9 ; n ∈ N
b)
1.5. L¨ osen Sie die folgenden Gleichungen nach x auf: √ a) 2x − 7 = 32 x + 3 b)
x−3 =4 2x + 6
c) 3x2 + 2x − 1 = 0 d) x − 3 = e)
1 2+x
√ x = 1 − x.
20
1 Elementare Grundlagen
f) x5 − 12 = 3 g) x4 + 4x2 − 8 = 0 h) 3x + 12 = 24 i) 3x + 3x+2 = 110 j) −2x + 4 · 22x = 128 k) log2 4x = 15 l) lg(x + 10) − lg(2x + 5) = 3 m) log2 3x + log4 5x = 3. 1.6. Bestimmen Sie die positive reelle Zahl x mit der Eigenschaft, dass die Zahl 1/x um 1 kleiner ist als x. Welche Eigenschaft hat die Zahl x2 ? 1.7. Berechnen Sie (a + b)4 . 1.8. Veranschaulichen Sie die Beziehung
n n−1 n−1 = + , k k−1 k+1 und zeigen Sie formal deren G¨ ultigkeit. 1.9. Bestimmen Sie die L¨ osungsmenge der folgenden Ungleichungen: a) 3x + 5 ≥ −2x − 3 b) x5 > 125 c) −2x2 + 3x − 1 < 0. Die L¨ osungen zu diesem Test finden sich nach dem Kapitel 7.
2 Funktionen
Lernziele
Dieses Kapitel vermittelt:
• wie die Abh¨ angigkeit quantitativer Gr¨ oßen mit Funktionen beschrieben wird • die erforderlichen Grundkenntnisse elementarer Funktionen • grundlegende Eigenschaften von Funktionen • die Anwendung von Funktionen im Rahmen ¨okonomischer Fragestellungen • die Einf¨ uhrung des Grenzwertbegriffes
2.1 Definition und Darstellung von Funktionen Sowohl in der Mathematik als auch in vielen Bereichen des t¨aglichen Lebens werden oftmals Zahlen oder quantitativ erfassbare Gr¨oßen zueinander in Beziehung gesetzt, so dass eine Abh¨ angigkeit zwischen solchen Gr¨oßen entsteht. Solche Zusammenh¨ ange werden auf unterschiedlicher Weise hergestellt: • durch experimentelle oder heuristische Methoden • durch theoretische Modelle • oder einfach durch willk¨ urliche Festlegung. ¨ Die folgenden Beispiele dienen einerseits der Illustration dieser Uberlegungen, andererseits motivieren sie die Einf¨ uhrung des Konzeptes der Funktion. Beispiele: 1. Die Abbildung einer Menge von Studenten auf ihre Mathematiknoten. Betrachten wir in einem bestimmten Kurs mit n Studenten die Liste der Noten der Mathematikklausur. Die Studenten bezeichnen wir mit S1 , S2 , . . . , Sn . Jeder Student kann eine Note zwischen 1,0 und 5,0 erzielen, wobei Zehntelnoten u ¨ blich sind. Es ergibt sich beispielsweise folgendes Klausurergebnis:
22
2 Funktionen
Student Note
S1 S2 S3 . . . Sn−1 Sn . 2,2 2,7 3,5 . . . 2,2 1,6
Die Zuordnung Student −→ Note kann als Menge geordneter Paare dargestellt werden: (S1 ; 2, 2), (S2 ; 2, 7), (S3 ; 3, 5), . . . (Sn−1 ; 2, 2), (Sn ; 1, 6). An dieser Zuordnung erkennt man folgende Sachverhalte, die f¨ ur den Begriff Funktion charakteristisch sind: •
Jeder Student erh¨ alt genau eine Note zugeordnet.
•
Im Allgemeinen kann der Fall auftreten, dass es mehrere Studenten gibt, die die gleiche Note haben (z.B. 2,2).
•
Nicht alle Noten des m¨ oglichen Notenspektrums m¨ ussen erzielt werden. Das heißt, bei einem Klausurergebnis kann es vorkommen, dass die Noten 4,5 und 5,0 nicht vergeben werden.
2. Das Volumen einer Kugel als Funktion des Radius. Wie aus der Geometrie bekannt ist, berechnet sich das Volumen einer Kugel Vk in Abh¨ angigkeit des Radius r zu Vk =
4 3 πr . 3
Hier wird jedem Wert r ≥ 0 genau ein Wert Vk zugeordnet. Mit diesen Vor¨ uberlegungen betrachten wir die Definition einer Funktion.
Definition
Funktion
Seien M1 und M2 zwei Mengen. Ordnet man jedem Element der Menge M1 eindeutig genau ein Element der Menge M2 zu, so nennt man die dadurch gegebene Zuordnung eine Funktion.
Es darf nach dieser Definition bei einer Funktion kein Element in M1 ’¨ ubrig bleiben’ und die Abbildung muss eindeutig sein. Dies bedeutet nicht, dass jedem Element aus M1 ein anderes Element aus M2 zugeordnet ist, sondern dass einem Element aus M1 nicht zwei oder mehrere Elemente aus M2 zugeordnet sind. Die Abbildung 2.1 zeigt die Zuordnung Student −→ Note in
2.1 Definition und Darstellung von Funktionen
23
Wf
Df S1
• 2, 2
S2
• 2, 7
S3 Sn−1
• 4, 2
Sn M1
• 3, 5
• 5, 0 • 1, 6
• 1, 0 M2
Abbildung 2.1. Darstellung der Funktion Student −→ Note in Form eines VennDiagramms. Hierbei ist die Menge der Studenten eines Kurses M1 = Df und die Menge der Noten ist Wf ⊂ M2
Form eines Venn-Diagramms. Die Menge M1 wird von den Studenten gebildet, d.h.: M1 = {S1 , S2 , . . . , Sn−1 , Sn } und die Menge M2 sind die erzielbaren Noten: M2 = {1, 0; 1, 1; 1, 2; . . . ; 4, 9; 5, 0}. Folgende Bezeichnungen sind im Zusammenhang mit der Definition einer Funktion von Bedeutung: • Die ’linke’ Menge M1 aus der Abbildung 2.1, von der aus die Zuordnungspfeile ausgehen, nennt man Urbildmenge oder Definitionsbereich Df der Funktion f . • Die ’rechte’ Menge M2 , in der die Zuordnungspfeile enden, wird als Zielmenge oder Bildmenge bezeichnet. • Die Teilmenge von M2 , deren Elemente tats¨achlich einem Urbild zugeordnet werden, nennt man Wertebereich Wf der Funktion f . Funktionen k¨ onnen in verschiedenen Formen dargestellt werden: 1. In Form eines Venn-Diagramms, wie in Abbildung 2.1. 2. Als Menge von geordneten Paaren: f = {(S1 ; 2, 2), (S2 ; 2, 7), (S3 ; 3, 5), . . . (Sn−1 ; 2, 2), (Sn ; 1, 6)} wie im Beispiel 1.
24
2 Funktionen
3. In Form einer Abbildungsvorschrift: f : Df −→ Wf x −→ y = f (x). 4. Als Darstellung im Koordinatensystem:
y = f (x)
x
Abbildung 2.2. Darstellung einer Funktion im Koordinatensystem
Die unabh¨ angige Variable wird auf der x-Achse (Abszisse) dargestellt, die abh¨ angige Variable auf der y-Achse (Ordinate).
2.2 Einige elementare Funktionen In diesem Abschnitt sehen wir uns eine Reihe elementarer Funktionen etwas n¨ aher an und rekapitulieren die wesentlichen Eigenschaften.
2.2.1 Die lineare Funktion Die lineare Funktion ist eine Abbildung der Form f : R −→ R f : x −→ f (x) = ax + b
2.2 Einige elementare Funktionen
25
mit den beiden Parametern a, b ∈ R, die die Form der Geraden bestimmen. a legt die Steigung der Geraden fest, der Parameter b den Abstand zur xAchse bei x = 0. Der Graph dieser Funktion ist also eine Gerade durch den Punkt x = 0, y = b, die im Fall a = 0 auch noch durch den Punkt x = − ab , y = 0 geht. Im Fall a = 0 verl¨ auft die Gerade parallel zur x-Achse. F¨ ur a = 0 erh¨ alt man das Steigungsdreieck der Geraden, indem man von einem beliebigen Punkt der Geraden um eine Einheit nach rechts geht und um a Einheiten in y-Richtung.
f (x) = ax + b
f (x) a 1 b
f (x) = ax
−b a
x
f (x) = b
Abbildung 2.3. Darstellung linearer Funktionen im Koordinatensystem
Im Fall b = 0 erh¨ alt man eine Gerade, die durch den Nullpunkt des Koordinatensystems verl¨ auft. In diesem Fall sagt man, dass y proportional zu x ist. Im Fall a = 0 erh¨ alt man die Funktion: f (x) = b. Sie wird auch als die konstante Funktion bezeichnet. Anmerkung: Geraden der Form x = c = const. sind nicht durch die Geradengleichung
26
2 Funktionen
y = ax + b darstellbar. Sie charakterisieren Parallelen zur y-Achse und stellen keine Funktionen dar, da die Eindeutigkeit der Zuordnung nicht gegeben ist. 2.2.2 Die quadratische Funktion Die quadratische Funktion wird auch Parabel genannt. Die allgemeinste Form dieser Funktion lautet: f : R −→ R f : x −→ f (x) = ax2 + bx + c mit drei reellen Parametern a, b, c ∈ R, die die Form der Parabel festlegen. Der Graph dieser Funktion ist in Abbildung 2.4 dargestellt.
f (x)
x
Abbildung 2.4. Graph der quadratischen Funktion f (x) = ax2 + bx + c
Die Nullstellen dieser Funktion – das sind die Punkte, an denen der Graph die x-Achse schneidet – sind durch x1/2 =
−b ±
√ b2 − 4ac 2a
gegeben. Hieraus erkennt man folgenden Sachverhalt:
2.2 Einige elementare Funktionen
27
• Wenn b2 > 4ac, dann existieren zwei reelle L¨osungen, das bedeutet, der Graph hat zwei Schnittstellen mit der x-Achse. • Wenn b2 = 4ac, dann hat die Parabel genau eine Nullstelle, der Graph der Funktion schneidet in diesem Fall die x-Achse genau einmal. • Wenn b2 < 4ac, dann hat die Funktion keine reellen Nullstellen, der Graph schneidet die x-Achse nicht. 2.2.3 Ganze rationale Funktionen oder Polynome Die oben bereits vorgestellten linearen und quadratischen Funktionen sind Spezialf¨ alle einer weitaus gr¨ oßeren Klasse von Funktionen, den sogenannten ganzen rationalen Funktionen. Diese haben allgemein die Form: f (x) = an xn + an−1 xn−1 + . . . + a2 x2 + a1 x1 + a0 n = ai xi . i=0
Die festen Parameter a0 , a1 , . . . an heißen Koeffizienten und sind reelle Zahlen. In Abbildung 2.5 ist der Graph einer ganzen rationalen Funktion f¨ ur a3 = 1, a1 = −1, a2 = a0 = 0 dargestellt.
f (x)
x
Abbildung 2.5. Der Graph der ganzen rationalen Funktion 3. Grades f (x) = x3 −x
28
2 Funktionen
Eine ganze rationale Funktion, deren Koeffizienten an der h¨ochsten Potenz xn ungleich Null ist, nennt man auch Polynom vom Grad n. 2.2.4 Potenzfunktion Potenzfunktionen sind ganze rationale Funktionen mit f (x) = xn ; n ∈ N. Sie werden auch als Parabeln n-ter Ordnung bezeichnet. 2.2.5 Gebrochen rationale Funktionen Bildet man den Quotienten zweier Polynom-Funktionen, erh¨alt man die allgemeine Form der gebrochen rationalen Funktionen: f (x) =
an xn + an−1 xn−1 + . . . + a2 x2 + a1 x1 + a0 bm xm + bm−1 xm−1 + . . . + b2 x2 + b1 x1 + b0
mit m, n ∈ N. Diese Funktionen sind u ¨berall dort definiert, wo der Nenner ungleich Null ist. 2.2.6 Die Hyperbelfunktion Die einfachste gebrochen rationale Funktion ist die Hyperbelfunktion, sie ist eine Abbildung der Form: f : R \ {0} −→ R f : x −→ f (x) =
a x
a ∈ R.
¨ Uber die Erstellung einer Wertetabelle f¨ ur diese Funktion kann man den folgenden Sachverhalt feststellen: Wenn die x Werte f¨ ur positive reelle Zahlen gegen 0 gehen, wachsen die Funktionswerte 1/x u ¨ ber alle (positiven) Grenzen. Gehen die x Werte f¨ ur negative reelle Zahlen gegen Null, dann wachsen die Funktionswerte u ¨ ber alle (negativen) Grenzen. Das Bild dieser Funktion (siehe Abbildung 2.6) ist eine zu den Winkelhalbierenden der Achsen symmetrisch liegende Kurve, eine Hyperbel. Diese Funktion ist f¨ ur den Punkt x = 0 nicht definiert, da die Division durch Null nicht definiert ist. Der Zusammenhang zwischen f (x) und x wird auch als umgekehrt proportional bezeichnet.
2.2 Einige elementare Funktionen
29
f (x)
x
0
Abbildung 2.6. Die Funktion f (x) =
1 x
2.2.7 Die Wurzelfunktion Die Wurzelfunktion ist die Umkehrfunktion (vgl. Kap. 2.3) der Potenzfunktion. Sie ist definiert durch: + f : R+ 0 −→ R0 1
f : x −→ f (x) = x n =
√ n x;
x ∈ R+ 0.
Anmerkung: F¨ ur ungerades n ∈ N l¨ asst sich der Definitionsbereich auf R erweitern. F¨ ur n = 2 ergibt sich:
√ 1 x = x2 . √ Der Graph der Wurzelfunktion f (x) = x ist in der Abbildung 2.7 dargestellt. f (x) =
2.2.8 Die Exponentialfunktion Die Exponentialfunktion ist definiert durch die Abbildungsvorschrift:
30
2 Funktionen
f (x)
x
Abbildung 2.7. Die Wurzelfunktion f (x) =
√
x
f : R −→ R+ f : x −→ f (x) = ax , x ∈ R; a > 0; a = 1. Der Parameter a heißt die Basis der Exponentialfunktion. Insbesondere spielt die Exponentialfunktion mit der Basis a = e ≈ 2, 71828 eine große Rolle. Sie wird kurz auch als e-Funktion bezeichnet. Wir verwenden gelegentlich auch die Notation ex = exp(x).
Anmerkungen: 1. Die Exponentialfunktion hat die Eigenschaft ur alle a > 0. f (0) = a0 = 1 f¨ 2. Jede Exponentialfunktion l¨ asst sich auf die Basis e transformieren. Da a = eln a , erh¨ alt man:
ax = (eln a )x = ex·ln a .
3. Die Exponentialfunktionen spielen in den Anwendungen – sowohl bei der Beschreibung technischer als auch wirtschaftlicher Vorg¨ange – eine große Rolle, da mit diesen Funktionen Zerfalls– bzw. Wachstumsprozesse modelliert werden k¨ onnen.
2.2 Einige elementare Funktionen
f (x) = e−x
31
f (x) = ex
f (x)
f (x) = 2x f (x) = 2−x 1 x
Abbildung 2.8. Die Exponentialfunktionen f (x) = ex , f (x) = 2x , f (x) = e−x und f (x) = 2−x
Bei der Diskussion der Eigenschaften der Exponentialfunktion f (x) = ax unterscheidet man zwei F¨ alle: • Fall 1: a > 1 Wie aus der Abbildung 2.8 zu erkennen ist, wachsen die Funktionswerte f¨ ur wachsende x-Werte u ¨ber alle Grenzen. Der Funktionswert f (x) geht gegen 0, wenn x immer gr¨ oßere negative Werte annimmt. • Fall 2: 0 < a < 1 Dieser Fall beschreibt Funktionen der Form 1 f (x) = x = e−x e (vgl. Abbildung 2.8). Die Funktionswerte gehen f¨ ur wachsende positive x-Werte gegen 0, sie wachsen u ¨ ber alle Grenzen, wenn x große negative Werte annimmt. 2.2.9 Die Logarithmusfunktion Die Logarithmusfunktion ist die Umkehrfunktion (vgl. Abschnitt 2.3) der Exponentialfunktion. f : R+ −→ R f : x −→ f (x) = loga x,
a > 0, a = 1.
32
2 Funktionen
Der Parameter a bezeichnet die Basis der Logarithmusfunktion.
f (x) f (x) = ln x
f (x) = log10 x x
1
Abbildung 2.9. Graph der beiden Logarithmusfunktionen f (x) = ln x und f (x) = log10 x
H¨ aufig verwendete Basen sind: •
Die nat¨ urliche Logarithmusfunktion mit Basis e f (x) = ln x.
•
Die dekadische Logarithmusfunktion mit Basis 10 f (x) = log10 x = lg x.
Eigenschaften: •
Wie die Abbildung 2.9 zeigt, w¨ achst der Funktionswert der Logarithmusfunktion mit gr¨ oßer werdenden x-Werten an.
•
Die Logarithmusfunktion ist nur f¨ ur positive reelle Werte definiert.
•
Der Graph der Logarithmusfunktion schneidet die x-Achse genau bei einem Punkt, bei x = 1. Das bedeutet, die Logarithmusfunktion hat – f¨ ur jede Basis a – die Nullstelle: loga (1) = 0.
•
Gehen die x-Werte gegen 0 (x > 0), dann nehmen die Werte der Logarithmusfunktion beliebig große negative Werte an.
2.2 Einige elementare Funktionen
33
2.2.10 Trigonometrische Funktionen Die beiden trigonometrischen Funktionen f (x) = sin x
und
g(x) = cos x
sind Abbildungen mit dem Definitionsbereich Dsin = Dcos = R. Sinus und Cosinus sind f¨ ur alle x ∈ R definiert und haben den Wertebereich: Wsin = Wcos = [−1, +1] = {x ∈ R | −1 ≤ x ≤ +1}. Diese trigonometrischen Funktionen ergeben sich aus einer Erweiterung der in Kapitel 1 gegebenen Definition von Sinus und Cosinus, die im Einheitskreis wie in der Abbildung 2.10 dargestellt werden k¨onnen.
sin x
x cos x r=1
Abbildung 2.10. Darstellung der Sinus und Cosinusfunktion im Einheitskreis
Die beiden Funktionen erf¨ ullen die Periodizit¨ at: sin(x + n2π) = sin x,
n ∈ Z,
cos(x + n2π) = cos x,
n ∈ Z.
Die beiden Funktionen haben im Intervall I = {0 ≤ x < 2π} zwei Nullstellen, denn:
34
2 Funktionen
f (x) 1
π 2
π
3π 2
2π
5π 2
3π
7π 2
4π
Abbildung 2.11. Der Graph der Funktion f (x) = sin x
sin 0 = sin π = 0 3π π = 0. cos = cos 2 2 Aufgrund der Periodizit¨ at haben Sinus– und Cosinusfunktion auf dem gesamten Definitionsbereich R unendlich viele Nullstellen, die durch sin xn = 0
⇐⇒
cos xn = 0
⇐⇒
xn = n · π,
n∈Z π xn = (n + 1) · , n ∈ Z 2
gegeben sind. Die allgemeine Form der Sinusfunktion lautet: f (x) = A sin(bx + c) ¨ mit drei reellen Parametern A, b, c. Ublicherweise nennt man A die Amplitude b die Kreisfrequenz c die Phasenverschiebung. Die Amplitude beschreibt die maximale Auslenkung der Sinusschwingung. In der Abbildung 2.12 sind die drei Sinusfunktionen sin x, 2 sin x und 12 sin x ¨ gegen¨ ubergestellt. Die Anderung der Amplituden von 1 auf 2 bzw. 1/2 hat zur Folge, dass sich die maximale Auslenkung verdoppelt bzw. halbiert.
2.2 Einige elementare Funktionen
35
f (x) 2
1 1 2 π 2
π
3π 2
2π
5π 2
7π 2
3π
4π
f (x) = sin x f (x) = 2 sin x
f (x) =
1 2
sin x
Abbildung 2.12. Die Sinus-Funktion mit verschiedenen Amplituden
f (x)
π 2
π
f (x) = sin x
3π 2
2π
5π 2
3π
7π 2
4π
f (x) = sin x/2
f (x) = sin 2x Abbildung 2.13. Die Sinus-Funktion mit verschiedenen Frequenzen
Der Parameter b – die Kreisfrequenz der Schwingung – ist ein Maß f¨ ur die Anzahl der Schwingungen pro Intervall. Wie die Abbildung 2.11 zeigt, f¨ uhrt die Funktion sin x im Intervall [0, 2π] genau eine vollst¨andige Schwingung aus. Die Funktion sin 2x f¨ uhrt in diesem Intervall zwei Schwingungen aus. Verallgemeinert man dies f¨ ur beliebige b, dann f¨ uhrt die Funktion sin bx im
36
2 Funktionen
Intervall [0, 2π] b Schwingungen aus. In der Abbildung 2.13 sind die drei Funktionen sin x, sin 2x und sin x/2 dargestellt. Der dritte Parameter c beschreibt eine Verschiebung der Kurve in Richtung wachsender x f¨ ur c < 0 und in Richtung abnehmender x f¨ ur c > 0. Diese Phasenverschiebung ist in der Abbildung 2.14 f¨ ur Verschiebungen π/2 und π – dies entspricht einer Verschiebung um 90 bzw. 180 Grad – dargestellt.
f (x)
1
π 2
π
3π 2
2π
5π 2
3π
7π 2
4π
f (x) = sin x f (x) = sin x + π
f (x) = sin x +
π 2
Abbildung 2.14. Die Sinus-Funktion mit drei verschiedenen Phasen
2.2.11 Abschnittsweise definierte Funktionen Wenn nicht u ¨ber den gesamten Definitionsbereich eine einzige Abbildungsvorschrift anwendbar ist, so wird der Definitionsbereich in einzelne Abschnitte aufgeteilt und jedem Bereich separat eine Abbildungsvorschrift zugeordnet. Beispiele: Die Staffelung der Guthabenzinsen auf einem Festgeldkonto f¨ uhrt zur folgenden, abschnittsweise definierten Funktion:
2.2 Einige elementare Funktionen
⎧ 2, 0 ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎨ 2, 2 k(x) = 2, 5 ⎪ ⎪ 2, 75 ⎪ ⎪ ⎩ 2, 95
f¨ ur f¨ ur f¨ ur f¨ ur f¨ ur
0< 5001 7501 ≤ 10.001 ≤ 20.001 ≤
37
x ≤ 5000 x ≤ 7500 x ≤ 10.000 x ≤ 20.000 x.
Diese abschnittsweise definierte Funktion beschreibt die Zinsen k in Prozent in Abh¨ angigkeit vom Guthaben x in Euro (vgl. Abbildung 2.15).
Zinssatz in % −→
k(x) 3.0 2.8 2.6 2.4 2.2 2.0
5000 10000 Guthaben in Euro
20000
x
−→
Abbildung 2.15. Darstellung der abschnittsweise definierten Zinsfunktion
In Computern und bei der digitalen Daten¨ ubertragung wird in der ASCII-Codierung das Zeichen ’a’ durch die Bitfolge 01 100 001 dargestellt. Sendet ¨ man also das Zeichen ’a’ u ¨ ber ein Datennetz, wird auf dem Ubertragungsmedium das Bitmuster 01 100 001 u bertragen. Es werden dabei jedoch keine 1-en ¨ ¨ oder 0-en u bertragen, sondern an den Ubertragungskanal wird eine bestimmte ¨ Spannung (z. B. 5 Volt) gelegt oder nicht. Dieses Bitmuster wird in einem bestimmten Zeitintervall T u ¨bertragen. Ein solches Bitmuster l¨ asst sich mathematisch folgendermaßen formulieren:
38
2 Funktionen
⎧ 0 ⎪ ⎪ ⎪ ⎨1 h(t) = ⎪0 ⎪ ⎪ ⎩ 1
t ∈ [0, 18 T ] t ∈ [ 18 T, 38 T ] . t ∈ [ 38 T, 78 T ] t ∈ [ 78 T, T ]
f¨ ur f¨ ur f¨ ur f¨ ur
El. Spannung −→
Diese abschnittsweise definierte Funktion ist in der Abbildung 2.16 dargestellt.
0
1
1 T 8
1
2 T 8
0
3 T 8
0
4 T 8
0
5 T 8
0
6 T 8
1
7 T 8
T
Zeit t −→ Abbildung 2.16. Das 01 100 001 - Bitmuster des Zeichens ’a’ in der ASCIICodierung
2.3 Die Umkehrfunktion Bei einer Funktion: f : Df −→ Wf x −→ y = f (x) ∈ Wf geh¨ ort zu jedem x-Wert der Definitionsmenge Df genau ein y-Wert der Wertemenge Wf . Die Eindeutigkeit ist eine charakteristische Eigenschaft einer Funktion. Dies schließt aber nicht aus, dass verschiedenen x-Werten der gleiche y-Wert zugeordnet wird, wie in dem Venn-Diagramm aus Abbildung 2.1 zu sehen ist. Beispielsweise wird durch die quadratische Funktion f : R −→ R x −→ f (x) = x2 den beiden Elementen x, −x ∈ R der gleiche Wert y ∈ R zugeordnet.
2.3 Die Umkehrfunktion
Df
39
Wf
3
8 9 10
5 7
15
9
Abbildung 2.17. Venn-Diagramm einer umkehrbaren Funktion. Die Funktion y = f (x) ordnet unterschiedlichen x - Werten aus Df auch stets verschiedenene y - Werte aus Wf zu.
Ordnet aber die Funktion f : Df −→ Wf x −→ y = f (x) ∈ Wf unterschiedlichen x-Werten aus dem Definitionsbereich auch verschiedene yWerte zu, dann ist auch die umgekehrte Zuordnung x = g(y) eindeutig. Sie entsteht durch Aufl¨ osung der Beziehung y − f (x) = 0 nach x. Definition
Umkehrfunktion
Eine Funktion y = f (x) mit x ∈ Df und y ∈ Wf heißt eindeutig umkehrbar, wenn es zu jedem y ∈ Wf genau ein x ∈ Df gibt. Die Zuordnung g : y −→ g(y) mit y ∈ Wf = Dg heißt Umkehrfunktion oder inverse Funktion zu f . Diese Funktion wird h¨aufig mit f −1 bezeichnet.
Bemerkungen: 1. F¨ ur jede Funktion gilt: ur alle x1 , x2 ∈ Df . x1 = x2 =⇒ f (x1 ) = f (x2 ); f¨
40
2 Funktionen
F¨ ur umkehrbare Funktionen gilt: x1 = x2 ⇐⇒ f (x1 ) = f (x2 ); f¨ ur alle x1 , x2 ∈ Df . 2. Ist der Graph einer Funktion f gegeben, dann ist die Frage der Umkehrbarkeit leicht entscheidbar. Die Funktion f ist genau dann umkehrbar, wenn jede Waagrechte den Funktionsgraphen h¨ochstens einmal schneidet. Beispiele: 1. Sei x ∈ R.
f : y = f (x) = 2x + 1
Um zu dieser Funktion die Umkehrfunktion zu erhalten, l¨ost man die Gleichung y = 2x + 1 nach x auf
y 1 − . 2 2 Eine Umbenennung der Variablen f¨ uhrt daher auf x=
f −1 (y) = g(y) = x =
1 y − . 2 2
2. Die Funktion f : R+ −→ {y | 1 ≤ y < ∞} x −→ f (x) = x2 + 1 ist umkehrbar mit
√ f −1 (x) = + x − 1.
3. Die Funktion f : {−∞ < x ≤ 0} −→ {y | 1 ≤ y < ∞} x −→ f (x) = x2 + 1 ist umkehrbar mit
√ f −1 (x) = − x − 1.
2.3 Die Umkehrfunktion
41
f (x) = 2x + 1
f −1 (x) =
x 2
−
1 2
Abbildung 2.18. Die Funktion f (x) = 2x + 1 und ihre Umkehrfunktion
4. Die Funktion f (x) = sin x;
x ∈ [0, 4π]
ist nicht umkehrbar. Wie aus der Abbildung 2.19 leicht zu erkennen ist, schneiden waagrechte Geraden den Graphen dieser Funktion mehrfach. Wesentlich dabei ist der Definitionsbereich. Betrachtet man die SinusFunktion auf dem Intervall [− π2 , + π2 ], dann l¨asst sich eine Umkehrfunktion – das ist die arcsin-Funktion – definieren. Der Graph dieser Funktion ist in Abbildung 2.20 dargestellt, sie ist folgendermaßen definiert: π π f : {−1 ≤ x ≤ +1} −→ [− , + ] 2 2 x −→ f (x) = arcsin x.
Werden Funktion und Umkehrfunktion in einem gemeinsamen Koordinatensystem dargestellt wie in der Abbildung 2.18, so wird die unabh¨angige Variable stets auf der Abszisse abgetragen. Man vertauscht damit die x- und die y-Koordinate. Dies wiederum entspricht graphisch der Spiegelung an der 1. Winkelhalbierenden.
42
2 Funktionen
f (x)
π 2
π
3π 2
2π
5π 2
3π
7π 2
4π
Abbildung 2.19. Die Sinus-Funktion mit Definitionsbereich Df = [0, 4π] f (x) π 2
−1
+1
x
− π2
Abbildung 2.20. Der Graph der Arcussinus-Funktion f (x) = arcsin x
2.4 Verkettung von Funktionen Funktionen der Form g(x) = oder
x2 + 3x − 12
2.4 Verkettung von Funktionen
43
k(x) = exp{−x2 } kann man sich entstanden denken durch die Hintereinanderausf¨ uhrung zweier elementarer Funktionen. Die resultierenden Funktionsterme entstehen durch das Einsetzen des einen Funktionsterms in den anderen. Die obigen Funktionen entstehen durch die Hintereinanderausf¨ uhrung von: f (x) = x2 + 3x − 12 h(f ) = f h(f (x)) = f (x) = x2 + 3x − 12 = g(x) bzw. f (x) = −x2 h(f ) = exp{f } h(f (x)) = exp{f (x)} = exp{−x2 } = k(x). Die Hintereinanderausf¨ uhrung von Funktionen nennt man Verkettung. Beispiel: Sei f (x) = 2x + 2 und g(y) = y 2 dann ist: g(f (x)) = (f (x))2 = (2x + 2)2 = 4x2 + 4x + 4
Bemerkungen: 1. Im Allgemeinen ist die Verkettung von Funktionen nicht kommutativ, das bedeutet: g(f (x)) = f (g(x)). 2. Damit eine Verkettung g(f (x)) zweier Funktionen f : Df −→ Wf und g : Dg −→ Wg
44
2 Funktionen
m¨ oglich ist, darf der Wertebereich der Funktion f nicht disjunkt zum Definitionsbereich der Funktion g sein: Wf ∩ Dg = ∅. 3. Es k¨ onnen auch mehr als zwei Funktionen verkettet werden. 4. Ist f −1 die Umkehrfunktion von f , dann gilt: f (f −1 (x)) = x
und
f −1 (f (x)) = x.
Das bedeutet, die Verkettung eine Funktion mit ihrer Umkehrfunktion ist kommutativ und die Verkettung stellt die identische Abbildung dar: x −→ x.
2.5 Eigenschaften von Funktionen Wir betrachten in diesem Abschnitt einige grundlegende Eigenschaften reeller Funktionen wie: •
Beschr¨ anktheit
•
Monotonie
•
Symmetrie.
2.5.1 Beschr¨ anktheit
Definition
Beschr¨ anktheit von Funktionen
Eine Funktion f mit Definitionsbereich Df heißt nach oben beschr¨ ankt, wenn es eine Zahl k ∈ R gibt mit f (x) ≤ k
f¨ ur alle x ∈ Df .
Die Zahl k ∈ R heißt obere Schranke. Analog heißt f nach unten beschr¨ ankt, wenn es eine Zahl k ∈ R gibt mit f (x) ≥ k
f¨ ur alle x ∈ Df .
Die Zahl k heißt untere Schranke.
2.5 Eigenschaften von Funktionen
45
Eine Funktion f : Df −→ Wf heißt beschr¨ ankt, wenn f sowohl nach oben als auch nach unten beschr¨ ankt ist.
Beispiele: Die Funktion f (x) = −x2 + 4 ist nach oben beschr¨ ankt, denn f u ¨berschreitet nie den Wert k = 6, d.h. f (x) ≤ 6 f¨ ur alle x ∈ Df . Die Funktion f (x) = A exp {−x2 } ist beschr¨ ankt, denn f (x) ≤ A und f (x) ≥ 0 f¨ ur alle x ∈ Df = R. 2.5.2 Monotonie Eine wichtige Eigenschaft von Funktionen liegt vor, wenn die Funktionswerte mit zunehmenden Argumentwerten stets zu- oder abnehmen. Beispiele solcher Funktionen haben wir bereits gesehen, so w¨achst die in Abschnitt 2.2.9 betrachtete Logarithmusfunktion mit wachsendem Argument zu immer gr¨ oßeren Werten. Solche Funktionen nennt man streng mononton steigend bzw. streng monoton fallend.
Definition
Monotonie von Funktionen
Eine Funktion f heißt streng monoton steigend in einem Intervall I ⊂ Df , wenn f¨ ur alle x1 , x2 ∈ I mit x1 < x2 gilt: f (x1 ) < f (x2 ). Analog heißt eine Funktion f streng monoton fallend in einem ur alle x1 , x2 ∈ I mit x1 < x2 gilt: f (x1 ) > Intervall I ⊂ Df , wenn f¨ f (x2 ).
L¨ asst man die Gleichheit der Funktionswerte zu, so entf¨allt das Attribut ’streng’.
46
2 Funktionen
Beispiel: Die Funktion f : R −→ R x −→ f (x) = x3 ist streng monoton steigend auf Df = R, denn wenn x1 < x2 , dann folgt f (x1 ) < f (x2 ). F¨ ur streng monotone Funktionen l¨ aßt sich zeigen, dass stets eine Umkehrfunktion existiert. 2.5.3 Symmetrie Wir betrachten in diesem Abschnitt zwei leicht erkennbare Symmetrien von Funktionen, die Achsensymmetrie zur y-Achse und die Punktsymmetrie zum Ursprung. Eine Funktion f mit der Eigenschaft f (−x) = f (x) heißt gerade. Der Funktionsgraph ist spiegelsymmetrisch zur y-Achse. Beispiel: Die Funktion f : R −→ R x −→ f (x) = x2 erf¨ ullt f (−x) = f (x) und ist somit eine gerade Funktion. Eine Funktion f mit der Eigenschaft f (−x) = −f (x) heißt ungerade. Der Funktionsgraph ist punktsymmetrisch zum Ursprung des Koordinatensystems. Beispiel: Die Funktion f : R −→ R x −→ f (x) = x3
2.5 Eigenschaften von Funktionen
47
f (x) = x4 − 2x2 + 3
x
Abbildung 2.21. Verlauf des Graphen der Funktion f (x) = x4 − 2x2 + 3
erf¨ ullt f (−x) = −f (x) und ist somit eine ungerade Funktion. Ein Beispiel einer symmetrischen Funktion ist durch f : R −→ R x −→ f (x) = x4 − 2x2 + 3 gegeben mit f (−x) = f (x). Der Funktionsgraph ist in Abbildung 2.21 dargestellt. Es gilt f (−x) = (−x)4 − 2(−x)2 + 3 = (−1)4 x4 − 2(−1)2 x1 + 3 = x4 − 2x2 + 3 = f (x). Koordinatentransformationen Manche Funktionen k¨ onnen durch eine einfache Koordinatentransformation, die eine Verschiebung des Koordinatensystems bedeutet, in eine elementare Funktion umgewandelt werden. Bei der Phasenverschiebung der SinusFunktion haben wir davon bereits Gebrauch gemacht. An dieser Stelle wollen wir dies nun allgemein betrachten. Gegeben sei eine Funktion y = f (x), die sich in die Form y = f (x − x0 ) + y0 bringen l¨ asst. Mit der Koordinatentransformation
48
2 Funktionen
x − x0 = xˆ y − y0 = yˆ erh¨ alt man yˆ = f (ˆ x). Im neuen Koordinatensystem lassen sich dann auch wieder die leicht erkennbaren Symmetrien zur Ordinatenachse und zum Ursprung untersuchen. Als Beispiel betrachten wir die Funktion 1 +2 x−1 1 ⇐⇒ y − 2 = . x−1 y=
Mit x − 1 = x ˆ und y − 2 = yˆ ergibt sich die Hyperbelfunktion yˆ = x1ˆ . Die Abbildung 2.22 zeigt den Graphen der Hyperbelfunktion in den beiden Koordinatensystemen.
y
yˆ
(0,0)
(0,0)
x ˆ
x
Abbildung 2.22. Zur Verschiebung des Koordinatensystems
2.6 Einige ¨ okonomische Funktionen
49
2.6 Einige ¨ okonomische Funktionen ¨ In diesem Kapitel werden exemplarisch einige in der Okonomie verwendeten Funktionen vorgestellt. F¨ uhrt man eine unabh¨angige Variable ein, die auch Entscheidungsvariable genannt wird, so l¨ asst sich die Abh¨angigkeit einer Gr¨ oße y von der Entscheidungsvariablen x h¨aufig als funktionaler Zusammenhang darstellen. Der Formulierung eines solchen Zusammenhanges liegt immer ein Modell zu Grunde, in dem eine Abbildung der Realit¨ at vorgenommen wird. Ein Modell vereinfacht die Realit¨ at durch: • die Vernachl¨ assigung von Einfl¨ ussen • Annahmen u angigkeit der Gr¨ oßen ¨ ber die Abh¨ • Extrapolation des G¨ ultigkeitsbereiches. Wie gut ein Modell die Realit¨ at beschreibt, muss daher immer im Nachhinein durch Plausibilit¨ atsbetrachtungen validiert werden. Im Folgenden beschr¨ anken wir uns auf Funktionen mit einer Variablen. Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen werden in Kapitel 6 untersucht. 2.6.1 Die Nachfragefunktion Die Nachfragefunktion xN = xN (p) beschreibt die nachgefragte Menge eines Gutes in Abh¨ angigkeit vom Preis des angebotenen Gutes oder die zugeh¨ orige Umkehrfunktion, in der der Preis in Abh¨angigkeit von der nachgefragten Menge p = p(xN ) ausgedr¨ uckt wird. Die Nachfragefunktion wird auch als Preis-Absatzfunktion bezeichnet. In der Regel geht man davon aus, dass die Nachfragefunktion eine monoton fallende Funktion ist. Das heißt, je h¨ oher der Preis eines Gutes desto geringer die nachgefragte Menge. In Abbildung 2.23 sind zwei monoton fallende Kurvenverl¨aufe dargestellt.
1. Ein m¨ oglicher Verlauf ist durch die lineare Funktion xN (p) = x0 − cp
(2.1)
gegeben. x0 und c sind reelle Konstanten. Der Parameter x0 bezeichnet die maximale Nachfrage bei p = 0, wenn das Gut also nichts kostet. Der Punkt auf der p-Achse, durch den die fallende Gerade l¨auft, stellt den Preis des Gutes dar, bei der keine Nachfrage mehr vorhanden ist. 2. Ein anderer Verlauf ist durch die Funktion xN (p) = x0 e−ap
50
2 Funktionen
xN (p)
Nachfragefunktion
Absatzmenge −→
x0
xN (p) = x0 − cp xN (p) = x0 e−ap Preis −→
p
Abbildung 2.23. Verschiedene Formen der Nachfragefunktion.
mit den reellen Parametern x0 und a gegeben. Hier wird ein exponentielles Abfallen der Nachfrage mit steigendem Preis angenommen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ein solches Modell nur f¨ ur ein nach oben begrenztes Preisintervall sinnvoll ist. Eine Extrapolation f¨ ur beliebig große Preise ist nicht m¨ oglich. 3. Es gibt auch Modelle, bei denen die Nachfragefunktion nicht monoton fallend ist. Man spricht vom Snob-Effekt, wenn eine Preiserh¨ohung zu einer gr¨ oßeren Nachfrage f¨ uhrt. F¨ ur Markenartikel gehobener Anspr¨ uche trifft dies unter Umst¨ anden zu. 2.6.2 Angebotsfunktion Die Angebotsfunktion gibt den funktionalen Zusammenhang zwischen dem Marktpreis p eines Produktes und der am Markt angebotenen Menge xA an: x = xA (p) oder p = p(xA ). Da ein steigender Marktpreis die angebotene Menge des Produzenten erh¨ oht, wird hier in der Regel eine monoton steigende Funktion angenommen. Das Marktgleichgewicht ergibt sich, indem man die Angebotsfunktion gleich der Nachfragefunktion xN (p) setzt (siehe Abschnitt 2.6.1) und so den Marktpreis ermittelt. 2.6.3 Erl¨ osfunktion Die Erl¨ osfunktion beschreibt den funktionalen Zusammenhang zwischen dem Umsatzerl¨ os und dem Preis. Da zwischen dem Preis p, der abgesetzten Menge
2.6 Einige ¨ okonomische Funktionen
51
x und dem zugeh¨ origen Erl¨ os E die Beziehung E = x · p besteht, kann je nach Wahl der zu Grunde liegenden Preis-Absatz-Funktion der Umsatz E in Abh¨ angigkeit vom Preis p dargestellt werden: E(p) = x(p) · p. Wird ein linearer Zusammenhang in der Preis-Absatz-Funktion angenommen wie in Gleichung (2.1), so folgt: E(p) = x(p)p = (x0 + cp)p = −cp2 + x0 p.
(2.2)
E(p) E(p) = −cp2 + x0 p
popt
p
Abbildung 2.24. Die Erl¨ osfunktion E(p) in Abh¨ angigkeit vom Preis p
Da es sich um eine quadratische Funktion handelt, die im Scheitelpunkt ein Maximum hat, gibt es einen optimalen Preis popt , bei dem der Erl¨os maximal ist (vgl. Abbildung 2.24). 2.6.4 Produktionsfunktionen Produktionsfunktionen beschreiben den Zusammenhang zwischen dem: • Input r einer Produktion (Maschinenzeit, Arbeitskr¨afte oder einer anderen Ressource)
52
•
2 Funktionen
und dem zugeh¨ origen Output (Ertrag) x des erzeugten Produktes.
Dann ist x = x(r);
r>0
die Produktionsfunktion. Produktionsfunktionen werden auch als Ertragsfunktionen bezeichnet. Wir wollen hier eine Reihe von Modellen betrachten, die durch unterschiedliche Produktionsfunktionen realisiert sind: 1. Der ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion liegt ein Modell zugrunde, bei dem durch den Einsatz einer Ressource der Ertrag zun¨achst – bei Null beginnend – u ¨berproportinal ansteigt, dann ein Maximum erreicht und danach abnimmt. Durch ein Polynom 3. Grades kann ein solches Verhalten abgebildet werden. Wir betrachten zum Beispiel: x(r) = −r3 + 7r2 + 12r;
r > 0.
Anmerkung: Die Ausbringung von Saatgut auf einer festgelegten Anbaufl¨ache ist ein klassisches Beispiel f¨ ur eine ertragsgesetzliche Produktionsfunktion.
x(r)
r
Abbildung 2.25. Die ertragsgesetzliche Produktionsfunktion
2.7 Grenzwerte von Funktionen
53
2. Die neoklassische Produktionsfunktion mit dem positiven Parameter c ist durch √ x(r) = c r; r > 0 gegeben. Der Graph dieser Funktion ist in der Abbildung 2.26 dargestellt.
x(r)
r
Abbildung 2.26. Die neoklassische Produktionsfunktion
3. Die limitationale Produktionsfunktion ist durch cr f¨ ur r ≤ r0 , x(r) = x0 f¨ ur r > r0 definiert, mit den beiden Parametern c und x0 (siehe Abbildung 2.27). Hier liegt zun¨ achst ein linearer Anstieg des Outputs mit der Ressource vor. Ab einem gewissen Punkt l¨ asst sich der Output durch den Einsatz der Ressource nicht mehr steigern.
2.7 Grenzwerte von Funktionen 2.7.1 Der Grenzwertbegriff Bei einigen Funktionen interessiert das Verhalten der Funktionswerte bei Ann¨ aherung der unabh¨ angigen Variablen an einen bestimmten Wert. Dies ist
54
2 Funktionen
x(r)
r0
r
Abbildung 2.27. Die limitationale Produktionsfunktion
insbesondere von Interesse, wenn die Funktion abschnittsweise definiert ist oder an bestimmten Stellen nicht definiert ist. Unter einem Grenzwert einer Funktion versteht man das Verhalten einer Funktion f (x), wenn sich die Variable x einem bestimmten Wert x0 des Definitionsbereichs n¨ ahert. Hierf¨ ur schreibt man auch x −→ x0 . Der Funktionswert, dem sich die Funktion ann¨ahert f¨ ur x −→ x0 , bezeichnet man als Grenzwert g und schreibt daf¨ ur: lim f (x) = g.
x→x0
Lies: ’Limes f (x) f¨ ur x gegen x0 ’. In vielen F¨ allen bringt diese Betrachtung keine neue Erkenntnis. Sei beispielsweise f (x) = 2x2 + 1, dann ist lim f (x) = 2 · 1 + 1 = 3.
x→1
Hier kann man ohne weiteres den Wert x = 1 direkt einsetzen. Betrachtet man hingegen die abschnittsweise erkl¨arte Funktion f¨ ur x ≤ 1 2x2 + 1 f (x) = 3x + 1 f¨ ur x > 1, dann muss die Nahtstelle x0 = 1 besonders untersucht werden. Der Grenzwert dieser Funktion an der Stelle x0 = 1 h¨angt davon ab, ob man sich von rechts oder von links der Stelle x0 = 1 n¨ahert.
2.7 Grenzwerte von Funktionen
55
f (x)
x
x0 = 1
Abbildung 2.28. Zu links- und rechtsseitigem Grenzwert
Es gilt: lim
x→x0 +0
f (x) = 4
und
f (x)
bzw.
lim
x→x0 −0
f (x) = 3.
Anmerkung: Die Schreibweise lim
x→x0 +0
lim
x→x0 −0
f (x)
deutet an, dass man sich von rechts (x −→ x0 + 0), bzw. von links (x −→ x0 − 0) an die Stelle x0 = 1 ann¨ ahert. Wir m¨ ussen also zwischen einem links– und rechtsseitigen Grenzwert in einem Punkt x0 unterscheiden. Erst wenn diese beiden Grenzwerte u ¨ bereinstimmen, sprechen wir von der Existenz des Grenzwertes in x0 .
56
2 Funktionen
Definition
Grenzwert
Der Grenzwert limx→x0 f (x) existiert und hat den Wert g, wenn rechts- und linksseitiger Grenzwert u ¨ bereinstimmen: lim
x→x0 +0
f (x) =
lim
x→x0 −0
f (x) = g.
¨ Die Ubereinstimmung von links- und rechtsseitigem Grenzwert als Kriterium f¨ ur die Existenz des Grenzwertes heranzuziehen ist ein sehr pragmatischer Ansatz, der f¨ ur die in den folgenden Kapiteln anstehenden Untersuchungen von Stetigkeit und Differenzierbarkeit f¨ ur elementare Funktionen und abschnittsweise definierte Funktionen von von großem Nutzen ist. Eine mathematisch tiefergehende Definition der Existenz eines Grenzwertes bietet das nach dem franz¨ osischen Mathematiker Augustin Cauchy (1789 - 1857) benannte Kriterium, das im n¨ achsten Abschnitt f¨ ur den interessierten Leser vorgestellt, dann aber im Laufe des Buches nicht weiter verwendet wird. Neben den abschnittsweise definierten Funktionen gibt es auch noch andere Funktionen, bei denen die Betrachtung von Grenzwerten x → x0 interessant sind. Ein Beispiel ist die Hyperbelfunktion (vgl. Kap. 2.2.6) f (x) =
1 . x
Bei dieser Funktion ist insbesondere die Stelle x0 = 0 interessant, bei welcher der Nenner Null wird. Es gilt: 1 =∞ x 1 lim = −∞. x→0−0 x lim
x→0+0
und
Das heißt, n¨ ahert man sich von rechts dem kritischen Wert x0 = 0, dann gilt f (x) → ∞. N¨ ahert man sich von links dem kritischen Wert x0 = 0, dann gilt f (x) → −∞. Obwohl ∞ keine Zahl darstellt und das Gleichheitszeichen nicht korrekt ist, w¨ ahlt man h¨ aufig diese Schreibweise, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Funktionswerte u ¨ ber alle Grenzen wachsen. Der Punkt x0 heißt Polstelle der Funktion f (x) und man sagt, die Funktion f (x) = x−1 ist an der Stelle x0 = 0 divergent. Polstellen spielen bei den gebrochen rationalen Funktionen eine wichige Rolle, sie werden dort ausf¨ uhrlicher behandelt (siehe Abschnitt 2.7.5).
2.7 Grenzwerte von Funktionen
57
Der Grenzwertbegriff wird auch verwendet, um das Verhalten von Funktionen f¨ ur beliebig große oder kleine x zu untersuchen. Dies wird in folgender Schreibweise zum Ausdruck gebracht: lim f (x) = g
x→∞
bzw. lim f (x) = g.
x→−∞
Beispiele hierf¨ ur sind:
lim e−x = 0
x→∞
bzw.
lim e−x = ∞.
x→−∞
Bemerkung: Generell nennt man das Verhalten einer Funktion f (x) f¨ ur x −→ ±∞ auch deren Asymptotik. 2.7.2 Die Cauchy-Definition des Grenzwerts von Funktionen Um den im vorigen Abschnitt eingef¨ uhrten Grenzwertbegriff mathematisch pr¨ azise zu definieren, hat Cauchy folgende Definition f¨ ur die Existenz eines Grenzwertes einer Funktion eingef¨ uhrt:
Definition
Grenzwert nach Cauchy
Der Grenzwert limx→x0 f (x) existiert und hat den Wert g, wenn es f¨ ur alle > 0 eine Zahl δ > 0 gibt, so dass gilt: | f (x) − g |<
f¨ ur
| x − x0 |< δ.
Anschaulich bedeutet dieses Kriterium, dass sich zu jedem noch so kleinen Streifen der Breite ein Streifen der Breite δ finden l¨asst, aus dem die x-Werte zu nehmen sind, so dass der Abstand der Funktionswerte vom Grenzwert kleiner ist, vgl. Abbildung 2.29.
58
2 Funktionen
y
| f (x) − g |<
y = f (x)
g δ
x0
x
| x − x0 |< δ
Abbildung 2.29. Zum Cauchy-Kriterium
Beispiel: Sei f (x) = x2 . Wir untersuchen mit Hilfe des Cauchy-Kriteriums, ob der Grenzwert lim f (x) = lim x2
x→0
x→0
existiert. Zu diesem Zweck m¨ ussen wir also ein geeignetes δ finden, so dass die Bedingung Gl. (2.3) f¨ ur jedes erf¨ ullt ist. | f (x) − g |< | x − 0 |< 2
f¨ ur f¨ ur
| x − x0 |< δ | x − 0 |< δ
⇐⇒ | x |< f¨ ur | x |< δ √ ur | x |< δ. ⇐⇒ | x |< f¨ √ W¨ ahlen wir hier δ < , dann ist die Bedingung f¨ ur alle > 0 erf¨ ullt. 2
Betrachten wir als n¨ achstes Beispiel die abschnittsweise definierte Funktion f¨ ur x ≤ 1 2x2 + 1 f (x) = 3x + 1 f¨ ur x > 1.
2.7 Grenzwerte von Funktionen
59
Mit Hilfe des Cauchy-Kriteriums zeigen wir nun, dass g = 3 nicht Grenzwert ist f¨ ur x → 1. Betrachten wir x > 1, dann ist: | f (x) − g |< f¨ ur | 3x + 1 − 3 |<
| x − x0 |< δ | x − 1 |< δ
f¨ ur
x>1
⇐⇒ 3x + 1 − 3 < f¨ ur x − 1 < δ 1 f¨ ur x < 1 + δ. ⇐⇒ x < ( + 2) 3 F¨ ur jedes > 0 muss es ein δ > 0 geben, so dass diese Aussage erf¨ ullt ist. Wegen δ > 0 ist dies f¨ ur < 1 nicht gegeben. Somit ist g = 3 nicht Grenzwert der Funktion f (x) f¨ ur x −→ 1. 2.7.3 Grenzwertbetrachtungen einiger elementarer Funktionen In diesem Abschnitt sehen wir uns Grenzwerte einiger elementarer Funktionen an. 1. Konstante Eine konstante Funktion f (x) = c;
c∈R
hat den Grenzwert lim f (x) = c.
x→±∞
2. Potenzfunktionen F¨ ur die Potenzfunktion gilt: lim xn = ∞ ;
x→∞
und lim
x→−∞
und
xn =
n∈N
∞ f¨ ur n gerade −∞ f¨ ur n ungerade
lim xn = 0;
x→0
(2.3)
n ∈ N.
3. Negative Potenzen F¨ ur negative Potenzen hat man folgende Grenzwerte: lim
x→±∞
x−n = 0;
n ∈ N.
(2.4)
60
2 Funktionen
4. Exponentialfunktion Die Exponentialfunktion
f (x) = ax
hat das folgende asymptotische Verhalten: 0 f¨ ur 0 < a < 1 lim ax = x→∞ ∞ f¨ ur a > 1. F¨ ur a > 1 w¨ achst ax schneller als jede Potenz von x: xn =0 x→∞ ax lim
f¨ ur n > 0, a > 1.
Eine Erkl¨ arung hierf¨ ur wird in Kapitel 3.6.1 gegeben. 5. Logarithmusfunktion Die Logarithmusfunktion zeigt folgendes Grenzverhalten: lim loga x = ∞
x→∞
(2.5)
und lim
x→0+0
loga x = −∞.
(2.6)
6. Weitere interessante Grenzwerte sind: lim (1 +
x→∞
und
1 x ) =e x 1
lim (1 + x) x = e,
x→0
(2.7)
(2.8)
wobei e die Eulersche Zahl ist mit dem numerischen Wert e ≈ 2, 7182 . . .. 2.7.4 Rechenregeln f¨ ur Grenzwerte Es seien die folgenden Grenzwerte gegeben: lim f1 (x) = g1
x→x0
lim f2 (x) = g2 .
x→x0
Dann gilt f¨ ur die: 1. Addition lim (f1 (x) + f2 (x)) = g1 + g2 .
x→x0
(2.9)
2.7 Grenzwerte von Funktionen
61
2. Multiplikation lim (f1 (x) · f2 (x)) = g1 · g2 .
x→x0
3. Division lim
x→x0
g1 f1 (x) = , f2 (x) g2
f¨ ur g2 = 0.
(2.10)
(2.11)
4. Funktionsbildung
lim f g(x) = f lim g(x) ,
x→x0
x→x0
(2.12)
das bedeutet, die Funktionsbildung und die Grenzwertbildung k¨onnen vertauscht werden. Mit den Rechenregeln (2.9) bis (2.12) und einigen grundlegenden Grenzwerten lassen sich viele Grenzwerte zusammengesetzter Funktionen leicht bestimmen. Im n¨ achsten Abschnitt betrachten wir einige Beispiele hierzu. 2.7.5 Beispiele f¨ ur Grenzwertbetrachtungen 1. Ganze rationale Funktionen Zun¨ achst betrachten wir Grenzwerte ganzer rationaler Funktionen: f (x) =
n
ai xi .
i=0
F¨ ur das Grenzverhalten, wenn x gegen ±∞ geht, ist allein die h¨ochste Potenz von x ausschlaggebend. Alle kleineren Potenzen von x spielen keine Rolle mehr, wenn x groß bzw. klein genug wird. Mit dem Vorzeichen des Koeffizienten an ergibt sich, ob die Werte der ganzen rationalen Funktion gegen +∞ oder −∞ gehen, wenn x gegen ±∞ geht. 2. Gebrochen rationale Funktionen Bei den gebrochen rationalen Funktionen f (x) =
an xn + an−1 xn−1 + . . . + a2 x2 + a1 x1 + a0 bm xm + bm−1 xm−1 + . . . + b2 x2 + b1 x1 + b0
ist das Grenzverhalten f¨ ur x gegen ±∞ von Interesse, aber auch das Verhalten der Funktion, wenn man sich einer L¨ ucke des Definitionsbereichs, also einer Nullstelle des Nenners, ann¨ ahert. Betrachten wir zun¨achst das Verhalten f¨ ur x gegen ±∞. Um den Grenzwert einer gebrochen rationalen Funktion zu erhalten, klammert man die h¨ochste Potenz von x, die im Nenner vorkommt, im Z¨ ahler und Nenner aus und wendet anschließend die Grenzwertregeln an. Es sind die folgenden F¨alle zu unterscheiden:
62
2 Funktionen
a) Z¨ ahlerpotenz = Nennerpotenz (n=m) Die Funktion konvergiert gegen den Wert: abnn . b) Z¨ ahlerpotenz < Nennerpotenz (n < m) Die Funktion hat den Grenzwert Null. c) Z¨ ahlerpotenz > Nennerpotenz (n > m) Die Funktion divergiert, d.h. sie geht gegen +∞ oder −∞. Beispiele: Sei f (x) =
x4 + 3x2 + 1 2x4 − 12 x3
(2.13)
Zun¨ achst ist nicht klar, welchen Grenzwert die Funktion (2.13) f¨ ur x → ∞ hat, denn: ∞ lim f (x) = . x→∞ ∞ Indem man x4 im Z¨ ahler und Nenner ausklammert, lassen sich folgende Umformungen vornehmen: lim f (x) = lim
x→∞
x→∞
x4 + 3x2 + 1 2x4 − 12 x3
= lim
x4 (1 + 3 · x12 + 1 x4 (2 − 2x )
= lim
1 + 3 x12 + 1 2 − 2x
x→∞
x→∞
(2.11)
=
1 x4 )
1 x4
limx→∞ (1 + 3 x12 + x14 ) 1 limx→∞ (2 − 2x )
limx→∞ 1 + limx→∞ 3 x12 + limx→∞ 1 limx→∞ 2 − limx→∞ 2x (2.4) 1 = . 2
(2.9)
=
1 x4
Im Folgenden ein Beispiel, bei dem die Z¨ ahlerpotenz gr¨oßer als die Nennerpotenz ist: −2x4 + x2 − x f (x) = . (2.14) 3x3 − 2x− 1 Auch f¨ ur die Funktion (2.14) gilt: lim f (x) =
x→∞
∞ . ∞
2.7 Grenzwerte von Funktionen
63
Nun klammert man x3 im Z¨ ahler und Nenner aus, außerdem machen wir wieder von den Rechengesetzen f¨ ur Grenzwerte Gebrauch ohne dies explizit zu vermerken: −2x4 + x2 − x x→∞ 3x3 − 2x − 1 x3 (−2x + x1 − x12 ) = lim x→∞ x3 (3 − 2 12 − 13 ) x x
lim f (x) = lim
x→∞
−2x + x1 − x12 x→∞ 3 − 2 12 − 13 x x −2x = −∞. = lim x→∞ 3
= lim
Entsprechend ergibt sich f¨ ur x → −∞ lim
x→−∞
f (x) = lim
x→−∞
= lim
x→−∞
−2x4 + x2 − x 3x3 − 2x− 1 −2x = +∞. 3
Bei der Grenzwertbetrachtung sind in aller Regel immer die Grenzwerte interessant, die auf Ausdr¨ ucke der Form: ∞ ∞
0 0
oder
f¨ uhren. Weitere Verfahren, solche Grenzwerte mit Hilfe der Differentialrechnung zu bestimmen, werden wir in Kap. 3.6.1 kennenlernen. Betrachten wir nun das Verhalten gebrochen rationaler Funktionen bei Ann¨ aherung an L¨ ucken im Definitionsbereich, die durch die Nullstellen des Nenners gegeben sind. Das Verhalten haben wir schon bei der Hyperbelfunktion kennengelernt: lim
x→x0 +0
f (x) = lim
x→0+0
1 = ∞ und x
lim
x→x0 −0
f (x) = lim
x→0−0
1 = −∞ x
Hat eine gebrochen rationale Funktion eine Nullstelle x0 im Nenner, so l¨asst sie sich in die Form bringen: f (x) =
(x − x0 )n z(x) . (x − x0 )m n(x)
Dabei sind z(x) und n(x) ganze rationale Funktionen, die in x0 ungleich Null sind, außerdem ist m ≥ 1 und n ≥ 0.
64
2 Funktionen
F¨ ur m > n liegt eine Polstelle in x0 vor. Ist m − n ungerade, so findet ein Vorzeichenwechsel an dieser Polstelle statt, wenn m − n gerade ist, liegt eine Polstelle ohne Vorzeichenwechsel vor. Beispiel: x2 + x − 2 ; x = 1 (x − 1)2 (x − 1)(x + 2) ⇐⇒ f (x) = (x − 1)2 x+2 . ⇐⇒ f (x) = x−1 f (x) =
f (x)
x0 = 1
x
Abbildung 2.30. Graph der Funktion f (x) = (x + 2)/(x − 1) mit Polstelle in x0 = 1
Im Punkt x0 = 1 liegt eine Polstelle mit Vorzeichenwechsel vor. Ist m ≤ n, liegt keine Polstelle vor, sondern eine behebbare L¨ ucke im Definitionsbereich. Im Zusammenhang mit dem Begriff der Stetigkeit von Funktionen kommen wir hierauf noch zur¨ uck. ¨ In der Okonomie spielen Wachstumsfunktionen eine große Rolle. Eine Funktion, die ein Wachstum beschreibt, das bei einem Wert f0 beginnt und dann
2.7 Grenzwerte von Funktionen
65
streng monoton steigend allm¨ ahlich in eine S¨ attigung u ¨ bergeht, wird als logistische Funktion bezeichnet: f (x) =
a ; 1 + be−cx
x ∈ R+
mit den positiven Parametern a, b, c ∈ R+ .
f (x) S¨ attigung
a
f0 x
Abbildung 2.31. Die logistische Funktion
Das Verhalten dieser Funktion f¨ ur x → 0 und x → ∞ l¨asst sich durch Anwendung der Grenzwerts¨ atze folgendermaßen bestimmen: a 1 + b · e−cx limx→∞ a = limx→∞ (1 + b · e−cx ) a = 1 + b · limx→∞ e−cx a = 1 = a.
lim f (x) = lim
x→∞
x→∞
Damit ist a der S¨attigungswert der logistischen Funktion. Das Verhalten bei x = 0 ist:
66
2 Funktionen
a 1 + b · e−cx a = 1 + b · e−c0 a = 1+b = f0 .
lim f (x) = lim
x→0
x→0
In der Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung spielt die sogenannte GaußVerteilung eine herausragende Rolle. Diese Funktion ist explizit gegeben durch: (x−a)2 1 f (x) = √ e− 2b2 b 2π mit zwei reellen Parametern a, b (siehe Abbildung 2.32).
f (x) f (x) =
− √1 e b 2π
x=a
(x−a)2 2b2
x
Abbildung 2.32. Die Gauß-Verteilung
F¨ ur diese Funktion gilt: (x−a)2 1 √ e− 2b2 = 0. x→±∞ b 2π
lim f (x) = lim
x→±∞
2.8 Stetigkeit von Funktionen Unter der Stetigkeit einer Funktion versteht man anschaulich, dass sich der Funktionsgraph ohne abzusetzen ’in einem Zug’ durchfahren l¨asst. Ein Knick
2.8 Stetigkeit von Funktionen
67
im Graph ist also erlaubt, ein Sprung dagegen nicht. Nach dieser anschaulichen Betrachtung sind die in Abbildung 2.33 dargestellten F¨alle zu unterscheiden.
f (x) f (x)
a)
x
f (x)
c)
x0
x
f (x)
b)
x
d)
x0
x
Abbildung 2.33. Zum Begriff der Stetigkeit einer reellen Funktion
Die beiden Funktionsgraphen a und b auf der linken Seite in Abbildung 2.33 stellen stetige Funktionen dar. Die Graphen auf der rechten Seite c und d, k¨ onnen nicht ’in einem Zug’ durchfahren werden. Die Funktion 2.33c ist an der Stelle x0 nicht stetig, da dort ein Sprung auftritt. Im Bild 2.33d kann von einer Stetigkeit an der Stelle x0 nicht gesprochen werden, da die Funktion dort nicht definiert ist. Stetigkeit ist eine lokale Eigenschaft einer Funktion, d.h. die Eigenschaft der Stetigkeit setzt voraus, dass die Funktion definiert ist. Die Funktion 2.33d ist zwar im ganzen Definitionsbereich stetig, hat aber
68
2 Funktionen
eine L¨ ucke im Definitionsbereich, die sich nicht so schließen l¨asst, dass die Funktion in x0 stetig ist. Mathematisch genauer formuliert:
Definition
Stetigkeit
Eine Funktion f (x) ist stetig an der Stelle x0 , wenn der Grenzwert an der Stelle x0 existiert und mit dem Funktionswert in x0 u ¨ bereinstimmt. lim f (x) = lim f (x) = f (x0 ). (2.15) x→x0 +0
x→x0 −0
Bei dieser Definition haben wir von der Definition der Existenz eines Grenzwertes aus Kapitel 2.7.1 Gebrauch gemacht. Mit dieser Definition der Stetigkeit greifen wir die Beispiele aus Abbildung 2.33 nochmals auf. Elementare Funktionen sind im Definitionsbereich stetig. Eine Funktion, die den Graphen 2.33b beschreibt, ist z.B.: √ f (x) = x x ∈ R. F¨ ur alle x ∈ R ist diese Funktion stetig. Eine Funktion, die durch den Graphen 2.33a beschrieben wird, kann als abschnittsweise definierte Funktion in folgender Weise dargestellt werden: √ x f¨ ur x≤1 f (x) = (2.16) x f¨ ur x > 1. F¨ ur die Funktion (2.16) gilt: lim
x→1+0
f (x) = 1
lim
x→1−0
f (x) = 1
f (1) = 1.
Daher ist f (x) in x0 = 1 stetig. Nicht stetig ist dagegen die Funktion rechts oben (Abbildung 2.33c). Sie kann dargestellt werden durch: √ x f¨ ur x≤1 f (x) = (2.17) x + 1 f¨ ur x > 1. F¨ ur die Funktion (2.17) gilt:
2.8 Stetigkeit von Funktionen
lim
f (x) = 2
x→1+0
lim
x→1−0
69
f (x) = 1 f (1) = 1.
Somit ist sie in x0 = 1 nicht stetig. Schließlich betrachten wir noch das letzte Beispiel aus Abbildung 2.33d rechts unten. Eine Funktion folgender Form beschreibt den Kurvenverlauf: f (x) =
1 ; (x − 1)2
x ∈ R \ {1}.
(2.18)
Die Funktion (2.18) ist in x0 = 1 nicht definiert. Die Funktionswerte gehen gegen ∞, wenn man sich der Stelle x0 = 1 von rechts oder links n¨ahert, f (x = 1) ist nicht definiert. Manchmal gibt es eine L¨ ucke im Definitionsbereich, die behoben werden kann. Dazu betrachten wir die Funktion f (x) = Mit
x2 − 1 ; x−1
x ∈ R \ {1}.
x2 − 1 (x − 1) · (x + 1) = =x+1 x−1 x−1
k¨ onnen wir f (x) schreiben als: f (x) = x + 1 ; x ∈ R \ {1}. F¨ ur f (x) gelten die Grenzwerte an der Stelle x0 = 1:
f (x)
2
x
1
Abbildung 2.34. Die Funktion f (x) =
x2 − 1 auf R \ {1} x−1
70
2 Funktionen
lim
x→1+0
f (x) = lim
x→1−0
f (x) = 2.
Der Wert der Funktion an der Stelle x0 = 1, f (1), ist nicht definiert. Eine zus¨ atzliche Definition in der Form f (1) = 1 ist hier aber m¨oglich. Damit kann die L¨ ucke im Definitionsbereich so geschlossen werden, dass die Funktion stetig ist.
¨ Ubungen 2.1. Bestimmen Sie folgende Grenzwerte: ex − 1 . a) limx→1 √ x−1 b) limx→1
ln x . x−1
2.2. Skizzieren Sie die Funktion f (x) = 2 sin(3πx − 1, 5π). 2.3. Im Definitionsbereich Df = {x ∈ R | −1 ≤ x ≤ +2} bestehe die Zuordnungsvorschrift y = 2x − 1. Welche Wertemenge ergibt sich ? 2.4. Bestimmen Sie f¨ ur die allgemeine quadratische Funktion f (x) = ax2 + bx + c mit a = 0 den maximal zul¨ assigen Definitions- und Wertebereich. Welche Beziehung muss zwischen den Parametern a, b, c bestehen, damit Wf = {y | y ≥ 1} ? 2.5. Zeichnen Sie die Graphen der folgenden abschnittsweise definierten Funktionen: a)
f (x) =
b)
1 2 2x − x − 21 x2 +
f (x) =
1 x√ 1 2 x
f¨ ur x f¨ ur
−1
f¨ ur f¨ ur
−3≤x≤0 0 < x ≤ 3. 1≤x≤2 x > 2.
2.6. Zeigen Sie durch Bestimmung der umgekehrten Zuordnung, dass die folgenden Funktionen eine umkehrbar eindeutige Abbildung von Df auf Wf definieren:
2.8 Stetigkeit von Funktionen
71
a) f (x) = 12 x + 3 mit Df = {x ∈ R | −10 ≤ x ≤ 10}. b) f (x) = 4x2 + 1 mit Df = {x ∈ R | x ≥ 0}. Welchen Definitionsbereich hat jeweils die Umkehrfunktion? Wie erkennt man die umkehrbar eindeutige Zuordnung am Graphen der Funktion? 2.7. Welche der folgenden Funktionen sind nach oben, welche nach unten beschr¨ ankt? Welche sind beschr¨ ankt? a) f (x) = 5 − x1 ;
x > 0.
b) f (x) = 7 + x1 ;
x < 0.
c) f (x) = 2x ; d) f (x) =
2x x+1 ;
−∞ < x < +∞. x ≥ 0.
2.8. Ermitteln Sie Definitionsbereich und Nullstellen folgender Funktionen: a) f (x) = 3e−x − e2x . b) f (x) = 12 (ex + e−x ). c) f (x) = 12 (ex − e−x ). 2
2
d) f (x) = 3x2 · e−x − 12e−x ). x−1 e) f (x) = 7 · exp { x+3 }.
2.9. Ermitteln Sie Definitionsbereich, Nullstellen und Umkehrabbildungen folgender Funktionen: √ a) f (x) = ln x2 + 1. b) g(l) = ln 2l . c) f (x) = ln(x + 1) + ln x. √ d) h(b) = ln b + ln b2 − 1. 2.10. Zeigen Sie, dass die Funktion f (x) =
ex
x x + −1 2
eine gerade Funktion ist. 2.11. Bestimmen Sie die zur monoton fallenden Nachfragefunktion xN (p) = x0 − cp geh¨ orende Umkehrfunktion p(xN ). Ist diese Funktion auch monoton fallend?
72
2 Funktionen
2.12. Bestimmen Sie das Marktgleichgewicht f¨ ur die Nachfragefunktion xN (p) = x0 − cp;
x0 , c > 0
und die Angebotsfunktion xA (p) = a0 + bp2 ;
a0 , b > 0.
Unter welcher Bedingung stellt sich ein Marktgleichgewicht ein?
3 Differentialrechnung
Lernziele
Dieses Kapitel vermittelt:
• wie die Ableitung einer Funktion definiert ist • unter welchen Bedingungen die Ableitung definiert ist • die Anwendung der Differentialrechnung im Rahmen der Kurvendiskussion • die Bestimmung von Nullstellen einer Funktion mit dem Newton-Verfahren • die Anwendung der Differentialrechnung bei okonomischen Fragestellungen ¨
3.1 Der Ableitungsbegriff Motivation Oftmals ist nicht nur der Funktionswert an einer Stelle x0 von Interesse, ¨ sondern auch die Anderung des Funktionsverlaufs in einer Umgebung des Punktes x0 . In der Abbildung 3.1 ist der Gewinnverlauf u ur zwei Unterneh¨ ber die Zeit f¨ men U1 und U2 skizziert. Das Unternehmen U1 weist zum heutigen Zeitpunkt t0 einen h¨ oheren Gewinn auf als das Unternehmen U2 . Dennoch erkennt man an Hand des Kurvenverlaufs, dass der Gewinn des zweiten Unternehmens w¨ achst und der Gewinn des ersten Unternehmens zur¨ uckgeht. Ver¨ anderungen werden durch die Steigung einer Kurve in einem bestimmten Punkt x0 beschrieben. Steigung einer Geraden Betrachten wir zun¨ achst die Steigung einer Geraden. Die allgemeine Form einer Geradengleichung lautet: y = f (x) = mx + b
74
3 Differentialrechnung
Gewinn
U2
U1 Heute t0
Zeit t
Abbildung 3.1. In welchem Unternehmen w¨ urde man eine langfristige Besch¨ aftigung anstreben?
mit der Steigung m und dem Achsenabschnitt b. Die Steigung der Geraden ¨ ¨ ist dabei das Verh¨ altnis der Anderung in y-Richtung zu der Anderung in x-Richtung. In der Abbildung 3.2 ist dies veranschaulicht.
y
y1 = f (x1 ) y0 = f (x0 ) α
m
1
x0
x1
Abbildung 3.2. Die Steigung einer Geraden
x
3.1 Der Ableitungsbegriff
75
F¨ ur die Steigung der Geraden gilt dabei: m = tan α =
y1 − y0 m f (x1 ) − f (x0 ) Δy = . = = 1 x1 − x0 x1 − x0 Δx
Mit x1 = x0 + Δx l¨ asst sich die Steigung einer Geraden folgendermaßen formulieren: m=
f (x0 + Δx) − f (x0 ) f (x0 + Δx) − f (x0 ) . = x0 + Δx − x0 Δx
(3.1)
(x0 ) Man nennt den Quotienten f (x0 +Δx)−f f¨ ur positive oder negative Werte Δx von Δx Differenzenquotienten von f (x) in der Umgebung von x0 .
Die Steigung einer beliebigen Funktion f (x) im Punkt x0 l¨asst sich mit folgender Definition auf eine Geradensteigung zur¨ uckzuf¨ uhren.
Definition
Steigung einer Geraden
Die Steigung einer Funktion f (x) im Punkt x0 ist die Steigung der Tangente an f (x) im Punkt x0 .
Die Frage ist nat¨ urlich, wie man die Tangente in einem Punkt rechnerisch festlegen kann. Hierzu machen wir von dem Grenzwertbegriff Gebrauch. Wir gehen von einer Sekante aus, die die Funktion f (x) in zwei Punkten schneidet, P0 = (x0 , f (x0 )) und P1 = (x0 + Δx, f (x0 + Δx)) (siehe Abbildung 3.3). ¨ Wie aus obigen Uberlegungen folgt, ist die Steigung der Sekante: ms =
f (x0 + Δx) − f (x0 ) . Δx
Als Tangente verstehen wir den Grenz¨ ubergang, wenn x1 → x0 gilt, was gleichbedeutend mit Δx → 0 ist. Daher formulieren wir die Steigung der Tangente als Grenzwert der Sekantensteigung: mt (x0 ) = lim ms = lim Δx→0
Δx→0
f (x0 + Δx) − f (x0 ) Δf = lim . Δx→0 Δx Δx
76
3 Differentialrechnung
f (x) P1
f (x1 )
f (x0 )
P0
x0
x1 = x0 + Δx
x
Abbildung 3.3. Zur Steigung an einem Punkt x0
mt (x0 ) ist die Steigung der Funktion f (x) im Punkt x0 . Sie wird auch mit f (x0 ) bezeichnet. Es haben sich zwei Schreibweisen f¨ ur die Steigung einer Funktion in einem Punkt eingeb¨ urgert.
Definition
Ableitung einer Funktion
Die Ableitung einer Funktion f (x) an der Stelle x0 ∈ Df ist definiert als: f (x0 + Δx) − f (x0 ) (3.2) mt (x0 ) = f (xo ) = lim Δx→0 Δx und df f (x0 ) = . (3.3) dx x=x0
Lies: ’df nach dx f¨ ur x = x0 ’.
Die Ableitung einer Funktion f (x) ist also selbst wieder eine Funktion von x. Auf diese Weise wird jedem Wert des Definitionsbereichs ein Steigungswert zugeordnet und es entsteht die Ableitungsfunktion f (x) =
df dx
3.2 Ableitungen elementarer Funktionen
77
von f (x). Statt Ableitungsfunktion sagt man auch Differentialquotient. Damit ist angedeutet, dass die Ableitung der Grenzwert eines Quotienten ist, n¨ amlich des Differenzenquotienten. Auf die Frage der Existenz dieser Ableitungsfunktion gehen wir in Kapitel 3.4 ein1 .
3.2 Ableitungen elementarer Funktionen In diesem Abschnitt untersuchen wir die Ableitungen f¨ ur einige elementare Funktionen mit der Definition aus Kapitel 3.1. 1. Die Ableitung der quadratischen Funktion: f (x) = x2 . Mit Gl. 3.2 ergibt sich: f (x + Δx) − f (x) Δx→0 Δx (x + Δx)2 − x2 = lim Δx→0 Δx x2 + 2xΔx + (Δx)2 − x2 = lim Δx→0 Δx Δx · (2x + Δx) = lim Δx→0 Δx = lim 2x + Δx = 2x.
f (x) = lim
Δx→0
Die Steigung einer Parabel ist daher keine Konstante, sondern h¨angt von der betrachteten Stelle x ab. Dies ist in Abbildung 3.4 nochmals illustriert. Die als Differentialquotient definierte Ableitung stellt also wiederum eine Funktion von x dar. 1
Die grundlegenden Konzepte der Differential- und Integralrechnung wurden unabh¨ angig voneinander von Isaac Newton (1643 - 1727) in Cambridge, England und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716) entwickelt. Newtons Schwerpunkt lag dabei in der Untersuchung von Weg-Zeit-Gesetzen – hierbei ist die Geschwindigkeit die Ableitung einer Weg-Zeit-Funktion nach der Zeit – w¨ ahrend Leibniz an eher formalen Aspekten interessiert war. Von Beginn an herrschte ein Priorit¨ atsstreit zwischen Newton und Leibniz. Newton entwickelte das Differentialkalk¨ ul bereits 1669, publizierte seine Arbeiten jedoch erst im Jahre 1711, eine vollst¨ andige Ausarbeitung erschien erst 1736. Leibniz dagegen erarbeitete das Differentialkalk¨ ul im Jahre 1676 und verbreitete seine Werke auf dem Kontinent sehr rasch. Da Newtons Arbeiten jedoch informell unter den Mathematikern von Anfang an Verbreitung fand, wurde Leibniz von englischer Seite Plagiatismus vorgeworfen. Ausf¨ uhrliche Diskussionen dieses klassischen Priorit¨ atsstreits in der Mathematikgeschichte findet man in Alten et al. (2003), Dunham (1990) oder Hall (2002).
78
3 Differentialrechnung
f (x)
f (x) = x2
x f (x) = 2x
Abbildung 3.4. Die Funktion f (x) = x2 mit ihrer Ableitungsfunktion f (x) = 2x
2. Die Hyperbelfunktion: f (x) =
1 . x
Aus Gl. (3.2) ergibt sich: f (x) = lim
Δx→0
= lim
Δx→0
= lim
Δx→0
= lim
Δx→0
= lim
Δx→0
= −
f (x + Δx) − f (x) Δx 1 1 − x + Δx x Δx x − (x + Δx) x(x + Δx) Δx 1 −Δx · Δx x(x + Δx) −1 x2 + x · Δx
1 . x2
3.2 Ableitungen elementarer Funktionen
3. Die Exponentialfunktion:
79
f (x) = ex .
Mit der Gleichung (3.2) ergibt sich: f (x + Δx) − f (x) Δx x+Δx e − ex = lim Δx→0 Δx Δx −1 e . = lim ex · Δx→0 Δx
f (x) = lim
Δx→0
Wir setzen nun: eΔx = h + 1
⇐⇒
Δx = ln(h + 1).
Mit Δx → 0 folgt eΔx → 1. Demnach ersetzen wir Δx → 0 im Grenzwert durch h → 0. Damit folgt: h ln(1 + h) 1 = lim ex · h→0 ln(1 + h)1/h 1 = ex lim h→0 ln(1 + h)1/h 1 = ex ln(limh→0 (1 + h)1/h 1 = ex ln(e) = ex .
f (x) = lim ex · h→0
Dabei haben wir Gebrauch gemacht von der Regel (2.12):
lim f g(x) = f lim g(x) . x→x0
x→x0
Daher folgt: f (x) = ex ;
f (x) = ex .
(3.4)
¨ Mit ¨ ahnlichen Uberlegungen kann man zeigen: f (x) = ln x;
(x > 0);
f (x) =
1 . x
(3.5)
80
3 Differentialrechnung
4. Die Potenzfunktion F¨ ur die Ableitung der Potenzfunktion ergibt sich: f (x) = xn ;
f (x) = n · xn−1 .
(3.6)
Aus der Gleichung (3.2) folgt dies durch (vgl. auch (Gl. (1.9)): f (x + Δx) − f (x) df (x) = lim Δx→0 dx Δx (x + Δx)n − xn = lim Δx→0 Δx n n n−k (Δx)k − xn k=0 k x = lim Δx→0 Δx
n
1 n n−k n k n x + x (Δx) − x = lim Δx→0 Δx k k=1 n
1 n n−k x (Δx)k = lim Δx→0 Δx k k=1
n
1 n n−k n−1 1 k nx x (Δx) + (Δx) = lim Δx→0 Δx k k=2
n
n n−k x (Δx)k−1 = lim n xn−1 + Δx→0 k k=2 n n
xn−k (Δx)k−1 = n xn−1 + lim Δx→0 k k=2
n−1
= nx
.
Bei der Herleitung haben wir n ∈ N vorausgesetzt. Das Ergebnis l¨asst sich aber auf einen gr¨ oßeren G¨ ultigkeitsbereich von n erweitern, was hier ohne Beweis angegeben sei: n∈N n∈Z
und x ∈ R und x ∈ R \ {0}
n∈R
und x ∈ R+ .
3.3 Ableitungsregeln
81
3.3 Ableitungsregeln In diesem Kapitel werden Ableitungsregeln zusammengefasst, die aus der Definition der Ableitung folgen. 1. Konstante Faktoren und Summanden Ein konstanter Faktor bleibt bei der Ableitung erhalten, ein konstanter Summand entf¨ allt: g(x) = cf (x) + d;
c, d ∈ R.
Dann gilt: g (x) = cf (x).
(3.7)
2. Summen von Funktionen Eine Summe von Funktionen kann summandenweise abgeleitet werden. F¨ ur f (x) = u(x) + v(x) ergibt sich
f (x) = u (x) + v (x).
(3.8)
Beweis: f (x + Δx) − f (x) Δx u(x + Δx) + v(x + Δx) − u(x) − v(x) = lim Δx→0 Δx u(x + Δx) − u(x) + (v(x + Δx) − v(x)) = lim Δx→0 Δx u(x + Δx) − u(x) v(x + Δx) − v(x) + lim = lim Δx→0 Δx→0 Δx Δx = u (x) + v (x).
f (x) = lim
Δx→0
3. Produktregel: F¨ ur das Produkt zweier Funktionen: f (x) = u(x) · v(x) gilt folgende Regel: f (x) = u (x) · v(x) + u(x) · v (x).
(3.9)
82
3 Differentialrechnung
Beweis: f (x + Δx) − f (x) df (x) = lim Δx→0 dx Δx u(x + Δx) · v(x + Δx) − u(x) · v(x) = lim Δx→0 Δx 1 u(x + Δx) · v(x + Δx) − v(x + Δx) · u(x) = lim Δx→0 Δx + v(x + Δx) · u(x) − u(x) · v(x) v(x + Δx) · [u(x + Δx) − u(x)] + u(x) · [v(x + Δx) − v(x)] Δx v(x + Δx) − v(x) u(x + Δx) − u(x) + u(x) = lim v(x + Δx) · Δx→0 Δx Δx u(x + Δx) − u(x) = lim v(x + Δx) · Δx→0 Δx v(x + Δx) − v(x) + lim u(x) Δx→0 Δx u(x + Δx) − u(x) = lim v(x + Δx) · lim Δx→0 Δx→0 Δx v(x + Δx) − v(x) + u(x) · lim Δx→0 Δx dv(x) du(x) + u(x) . = v(x) · dx dx
= lim
Δx→0
4. Quotientenregel: F¨ ur den Quotienten zweier Funktionen f (x) =
u(x) ; v(x)
v(x) = 0
gilt: f (x) =
u (x) · v(x) − u(x) · v (x) [v(x)]2 .
(3.10)
3.3 Ableitungsregeln
83
Beweis: f (x + Δx) − f (x) df (x) = lim Δx→0 dx Δx 1 u(x + Δx) u(x) ·{ − } = lim Δx→0 Δx v(x + Δx) v(x) v(x) · u(x + Δx) − u(x) · v(x + Δx) = lim Δx→0 v(x) · v(x + Δx) · Δx v(x + Δx) u(x + Δx) − u(x) · v(x) · Δx Δx = lim Δx→0 v(x) · v(x + Δx) v(x + Δx) v(x) u(x + Δx) u(x) − ) − u(x) · ( − ) v(x) · ( Δx Δx Δx Δx = lim Δx→0 v(x) · v(x + Δx) dv(x) du(x) − u(x) v(x) · dx dx . = v 2 (x) 5. Kettenregel: F¨ ur die Verkettung zweier Funktionen f (x) = f (g(x));
mit g = g(x)
gilt: f (x) = f (g) · g (x),
(3.11)
oder als Differentialquotient: d df (g(x)) dg(x) f (g(x)) = · . dx dg dx Beispiel: Betrachte die Funktion: f (x) = (3x + 1)2 . Wir setzen g(x) = 3x + 1 und
2 f (g(x)) = g(x) .
Dann ist nach obiger Kettenregel Gl. (3.12):
(3.12)
84
3 Differentialrechnung
f (x) = 2 · g(x) · 3 = 2 · (3x + 1) · 3 = 18x + 6. Mit Hilfe der Kettenregel k¨ onnen wir auch folgende Ableitungen herleiten: f (x) = ax ; a ∈ R, a > 0. Dann ist df (x) = ln a · ax . dx
(3.13)
Beweis: Wir substituieren:
ax = (eln a )x = ex ln a . df (x) d = ax dx dx d = (eln a )x dx d = (ex·ln a ). dx
Setzen wir g(x) = x · ln a, dann ist df (x) d dg(x) = eg · dx dg dx dx ln a = eg · dx = eg · ln a = ex·ln a · ln a = ax · ln a.
Die Ableitung der Logarithmusfunktion f (x) = loga x;
a ∈ R, a > 0
ist: df (x) 1 1 = · . dx ln a x
(3.14)
3.4 Differenzierbarkeit
85
Beweis: Wir substituieren loga x =
ln x . ln a
Damit ist: d d ln x loga x = dx dx ln a 1 1 1 d ln x = . = ln a dx ln a x ¨ Wir fassen der Ubersichtlichkeit halber die hergeleiteten Ableitungsfunktionen in der Tabelle 3.1 zusammen.
f (x)
f (x)
ax + b
a
1 x
− x12
√
x
1 √ 2 x
xn
nxn−1
ex
ex
ln x
1 x
ax
ln a · ax
log a x
1 ln a
sin x
cos x
cos x
− sin x
·
1 x
Tabelle 3.1. Tabelle der Ableitungen einiger elementarer Funktionen
3.4 Differenzierbarkeit Wir haben bisher stets vorausgesetzt, dass der Limes lim
Δx→0
f (x + Δx) − f (x) Δx
existiert, also dass links- und rechtsseitige Grenzwerte u ¨bereinstimmen.
86
3 Differentialrechnung
Um diesen Aspekt genauer zu untersuchen, betrachten wir die Betragsfunktion x f¨ ur x ≥ 0 f (x) = | x | = −x f¨ ur x < 0.
f (x)
x
Abbildung 3.5. Der Graph der Betragsfunktion f (x) = | x |
Den Grenzwert
f (x0 + Δx) − f (x0 ) Δx→0 Δx untersuchen wir f¨ ur x0 = 0 genauer. Der rechtsseitige Grenzwert f¨ ur x −→ 0 ist: lim
lim
Δx→0+0
f (0 + Δx) − f (0) 0 + Δx − 0 = lim = 1. Δx→0+0 Δx Δx
Der linksseitige Grenzwert f¨ ur x −→ 0 ist: f (0 + Δx) − f (0) 0 − Δx − 0 = lim = −1. Δx→0−0 Δx→0−0 Δx Δx lim
Da links– und rechtsseitiger Grenzwert nicht u ¨ bereinstimmen, existiert der Grenzwert x −→ 0 nicht. Wie aus der Abbildung 3.5 zu erkennen ist, hat der Graph der Betragsfunktion an der Stelle x0 = 0 einen Knick. Ein derartiger Knick stellt eine nicht differenzierbare Stelle dar. Bemerkung: Die Betragsfunktion f (x) = | x | ist an der Stelle x0 = 0 stetig. Diese Aussage beweisen wir durch Anwendung des Stetigkeitskriteriums Gl. (2.15):
3.4 Differenzierbarkeit
lim f (x) = lim
x→0+0
x→0+0
= lim
x→0+0
87
|x| x
= 0. lim f (x) = lim
x→0−0
x→0−0
= lim
x→0−0
|x| −x
=0 = f (0). Eine Funktion, die in einem Punkt x0 stetig ist, ist in diesem Punkt also nicht zwingend auch differenzierbar. Wenn allerdings eine Funktion in einem Punkt nicht stetig ist, so kann sie in dem Punkt auch nicht differenzierbar sein. Wir betrachten folgendes Beispiel: 2x f (x) = 2x − 1
f¨ ur f¨ ur
x≤1 x > 1.
(3.15)
f (x)
f (x0 ) = 2
x0 = 1
x
Abbildung 3.6. Der Graph der Funktion (3.15)
Auf den ersten Blick sieht diese Funktion differenzierbar an der Stelle x0 = 1 aus, da die Steigung den Wert 2 hat, wenn man sich von links oder rechts der Stelle x0 = 1 n¨ ahert.
88
3 Differentialrechnung
Wie folgende Betrachtungen zeigen, t¨ auscht diese Vermutung jedoch: •
Linksseitiger Grenzwert (x < 1), also mit x0 = 1 und Δx < 0 : lim
Δx→0
f (x0 + Δx) − f (x0 ) 2(x0 + Δx) − 2x0 = lim Δx→0 Δx Δx 2x0 + 2Δx − 2x0 = lim Δx→0 Δx = lim 2 Δx→0
= 2. •
Rechtsseitiger Grenzwert (x > 1), also mit x0 = 1 und Δx > 0: lim
Δx→0
f (x0 + Δx) − f (x0 ) 2(x0 + Δx) − 1 − 2x0 = lim Δx→0 Δx Δx 2Δx − 1 = lim Δx→0 Δx 1 ) = lim (2 − Δx→0 Δx = −∞.
Somit ist die Funktion 3.15 nicht differenzierbar, denn links- und rechtsseitiger Grenzwert stimmen nicht u ¨ berein. Die Betrachtungen aus diesen beiden Beispielen lassen sich zu der folgenden Aussage verallgemeinern: Stetigkeit ist eine notwendige Bedingung f¨ ur Differenzierbarkeit, Stetigkeit ist nicht hinreichend f¨ ur Differenzierbarkeit. Oder anders ausgedr¨ uckt: Eine Funktion, die in einem Punkt x0 nicht stetig ist, ist in diesem Punkt auch nicht differenzierbar. Eine in x0 stetige Funktion muss in diesem Punkt nicht unbedingt auch differenzierbar sein. Umgekehrt kann aber gefolgert werden: Ist eine Funktion in x0 differenzierbar, dann muss sie dort auch stetig sein.
3.5 H¨ ohere Ableitungen, Extremwerte und Wendepunkte Die Funktion f (x) wird die 1. Ableitung der Funktion f (x) genannt. Da f (x) wieder eine Funktion von x ist, k¨ onnen h¨ohere Ableitungen gebildet werden:
3.5 H¨ ohere Ableitungen, Extremwerte und Wendepunkte
89
df (x) dx 2 f (x) d f (x) = dx2 3 d f (x) f (x) = dx3 .. .. . . f (x) =
f (n) (x) =
dn f (x) . dxn
Wie wir gesehen haben, charakterisiert die erste Ableitung die Steigung einer ¨ Funktion f (x). Die 2. Ableitung beschreibt das Anderungsverhalten der Steigung (also die Steigung der Steigung). Im Graph einer Funktion kann dies als Kr¨ ummungsverhalten interpretiert werden. Wir betrachten den Graphen einer Funktion f (x), deren Ableitung f (x) und die zweite Ableitung f (x), vgl. Abb. 3.7. Aus dem Steigungs- und Kr¨ ummungsverhalten k¨ onnen lokale Extrema und Wendepunkte bestimmt werden. Lokale Extrema Schauen wir zun¨ achst auf die Stelle x = xM . Die Funktion f (x) hat an dieser Stelle ein lokales Maximum. Die notwendige Bedingung hierf¨ ur ist, dass f (xM ) = 0 ist. Wie aus dem Graphen von f (x) erkennbar ist, hat f (x) einen Vorzeichenwechsel von + nach - im Fall eines Maximums. Dies ist die hinreichende Bedingung f¨ ur die Existenz eines Maximums. F¨ ur ein lokales Minimum gilt entsprechend: Die notwendige Bedingung ist f (x) = 0, die hinreichende Bedingung ist ein Vorzeichenwechsel von - nach + bei der Ableitungsfunktion f (x). Anmerkung: In vielen F¨ allen hilft eine Betrachtung der zweiten Ableitung f (x). Die Forderung der hinreichenden Bedingung f¨ ur ein lokales Extremum ist f (x) = 0. F¨ ur f (x) < 0 ergibt sich ein lokales Maximum und f¨ ur f (x) > 0 ein lokales Minimum. Dies trifft jedoch nicht immer zu, wie das Beispiel f (x) = x6 zeigt. Offensichtlich ist in x0 = 0 ein lokales Minimum, aber die zweite Ableitung f (x) = 30x4 hat in diesem Punkt den Wert 0. Daher ist es in Zweifelsf¨allen ratsam, den Vorzeichenwechsel in der ersten Ableitung f (x) zu betrachten. Neben den lokalen Extrema werden h¨ aufig globale Extrema gesucht. F¨ ur das globale Minimum vergleicht man das kleinste lokale Minimum mit den Randwerten des Intervalls, auf dem die Funktion definiert ist und w¨ahlt
90
3 Differentialrechnung
f (x)
xW
xM
x
f (x)
xW xM
x
f (x)
xW
x
Abbildung 3.7. Zur Bestimmung von Extremwerten und Wendepunkten
hier das Minimum. Analog verf¨ ahrt man bei der Suche nach dem globalen Maximum. Wendepunkte Wenden wir uns nun der Stelle x = xW in Abbildung 3.7 zu. Die Steigung f (x) hat in xW ein lokales Maximum. Der Graph der Funktion f (x) hat in diesem Punkt x = xW einen Wendepunkt. Die zweite Ableitung f (x) ist in xW offensichtlich 0. Dies ist die notwendige Bedingung f¨ ur
3.5 H¨ ohere Ableitungen, Extremwerte und Wendepunkte
91
einen Wendepunkt mit der hinreichenden Bedingung des Vorzeichenwechsels von f (x). Die zweite Ableitung f (x) charakterisiert das Kr¨ ummungsver¨ halten von f (x). Im Wendepunkt findet der Ubergang von einer positiven Kr¨ ummung (oder Linkskurve) in eine negative Kr¨ ummung (oder Rechtskurve) statt. Gebiete positiver Kr¨ ummung werden auch als konvex von oben bezeichnet, Gebiete mit negativer Kr¨ ummung werden konkav von oben genannt. Zur Diskussion von globalen Extremwerten und Wendepunkten greifen wir das Beispiel aus Kapitel 2.6.4 f¨ ur die ertragsgesetzliche Produktionsfunktion auf. Gegeben sei die ertragsgesetzliche Produktionsfunktion x(r) = −r3 + 7r2 + 12r; r ≥ 0 mit dem Definitionsbereich 0 ≤ r ≤ 7. Wir bilden zun¨achst die Ableitungen
und
dx = −3r2 + 14r + 12 dr d2 x = −6r + 14. dr2
Die notwendige Bedingung f¨ ur die Existenz lokaler Extrema lautet: dx ! =0 dr
⇐⇒
−3r2 + 14r + 12 = 0
mit den beiden L¨ osungen r1,2 =
−14 ±
√ √ 196 + 144 −7 ± 85 = , −6 −3
also: r1 ≈ 5, 4, Wegen
r2 ≈ −0, 74, r2 < 0. d2 x 0.
3.6.3 Kurvendiskussion Die Kurvendiskussion besch¨ aftigt sich mit der Frage, wie der Graph einer Funktion f (x) aussieht. Hierzu werden folgende Eigenschaften einer Funktion untersucht: • Definitions– und Wertebereich • Symmetrie • Nullstellen • Polstellen
102
•
3 Differentialrechnung
Verhalten f¨ ur | x |→ ∞ (dies nennt man auch Asymptotik).
Dar¨ uber hinaus liefert die Anwendung der Differentialrechnung: •
lokale und globale Extremwerte
•
Wendepunkte.
Beispiele: 1. Wir betrachten als erstes Beispiel f¨ ur die Kurvendiskussion die gebrochen rationale Funktion: x2 − x − 2 f (x) = . (3.18) 2x − 6 Diese Funktion hat die Form: f (x) =
u(x) v(x)
mit u(x) = x2 − x − 2 v(x) = 2x − 6. a) Definitionsbereich: Die Funktion ist in allen Punkten definiert, bei denen der Nenner v(x) ungleich Null ist, daher: Df = R \ {3}. b) Symmetrie: f (x) ist weder punktsymmetrisch noch achsensymmetrisch, da f (−x) = f (x) und f (−x) = −f (x). c) Nullstellenbestimmung: Die Funktion f (x) ist genau dann 0, wenn u(x) = 0. Es gilt: u(x) = 0
⇐⇒ x2 − x − 2 = 0 ⇐⇒ (x − 2)(x + 1) = 0,
woraus folgt, dass x1 = 2 und x2 = −1 Nullstellen von f (x) sind. d) Polstellenbestimmung: Die Funktion f (x) hat genau dann Polstellen, wenn v(x) = 0. Da v(x) = 2(x − 3),
3.6 Anwendungen der Differentialrechnung
103
ist dies offensichtlich der Fall f¨ ur x = 3. Das Verhalten von f (x) an dieser Polstelle l¨asst sich mit Hilfe der folgenden Grenzwertbetrachtung analysieren: x2 − x − 2 x→3+0 2(x − 3) 1 = 2 lim x→3+0 x − 3 → +∞.
lim f (x) = lim
x→3+0
x2 − x − 2 x→3−0 2(x − 3) 1 = 2 lim x→3−0 x − 3 → −∞.
lim f (x) = lim
x→3−0
Es liegt also ein Pol mit Vorzeichenwechsel vor. e) Asymptotik f¨ ur x −→ ±∞: Um die Asymptotik der Funktion f (x) zu erhalten, schreiben wir f (x) um in die Form: x − 1 − x2 f (x) = . 2 − x6 Dann ist lim f (x) =
x→∞
1 (x − 1) 2
mit lim f (x) = +∞
x→+∞
lim f (x) = −∞.
x→−∞
f) Lokale Extrema: Die notwendige Bedingung f¨ ur die Existenz eines lokalen Extremums ist f (x) = 0. Mit Hilfe der Quotientenregel erh¨alt man: (2x − 1)(2x − 6) − (x2 − x − 2)2 (2x − 6)2 2(2x − 1)(x − 3) − 2(x − 2)(x + 1) = . [2(x − 3)]2
f (x) =
Da f (x) = 0 genau dann, wenn der Z¨ahler Null ist, ergibt sich
104
3 Differentialrechnung
(2x − 1)(2x − 6) − (x2 − x − 2)2 = 0 oder x2 − 6x + 5 = 0. Dies f¨ uhrt auf die beiden L¨ osungen x1 = 1 und x2 = 5. Diese beiden x-Werte sind Kandidaten f¨ ur Extremwerte. Mit Hilfe der zweiten Ableitung kann u uft werden, ob es sich um Extremwerte oder ¨ berpr¨ Wendepunkte handelt. Dies ersparen wir uns an dieser Stelle, denn ¨ zusammen mit den Uberlegungen zu Polstellen und der Asymptotik l¨ asst sich schließen, dass x1 Hochpunkt und x2 Tiefpunkt sein muss. Der Graph der untersuchten Funktion (3.18) ist in der Abbildung 3.12 dargestellt.
f (x)
x=3
x
Abbildung 3.12. Der Graph der Funktion (3.18)
¨ 2. Die Berechnung von Extremwerten spielt in der Okonomie eine wichtige Rolle. Aus naheliegenden Gr¨ unden ist beispielsweise das Maximum der Erl¨ osfunktion interessant. Die Erl¨ osfunktion ist (siehe Gl. (2.2)):
3.6 Anwendungen der Differentialrechnung
E(p) = −cp2 + x0 p;
105
c > 0, x0 > 0.
Die Ableitung dieser Erl¨ osfunktion nach dem Preis p ergibt: dE(p) = −2cp + x0 . dp Die Erl¨ osfunktion ist daher extremal, wenn gilt: dE(p) =0 dp
⇐⇒
popt =
x0 . 2c
Die zweite Ableitung der Erl¨ osfunktion ergibt sich zu: d2 E(p) = −2c < 0 dp2
f¨ ur alle p.
Dies ist das hinreichende Kriterium daf¨ ur, dass popt ein lokales Maximum ist. Die Erl¨ osfunktion selbst hat an der Stelle popt den Wert: E(popt ) =
1 x20 . 4 c
3. Die Funktion
(x−a)2 1 f (x) = √ e− 2b2 b 2π ist die Gaußsche Normalverteilung, die in der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik eine große Rolle spielt (siehe Abbildung 3.13).
Die erste Ableitung dieser Funktion ist: (x−a)2 df (x) x − a 1 √ e− 2b2 = − 2 dx b b 2π x − a = − 2 f (x). b
(3.19) (3.20)
Da f (x) = 0 f¨ ur alle x ∈ R, erhalten wir die notwendige Bedingung f¨ ur einen Extremwert zu f (x) = 0
⇐⇒
x = a.
Damit ist: (a−a)2 1 e− 2b2 f (x = a) = √ b 2π 1 e0 = √ b 2π 1 = √ . b 2π
106
3 Differentialrechnung
f (x)
x=a
x
Abbildung 3.13. Die Gaußsche Normalverteilung
Die zweite Ableitung der Gauß-Verteilung ist: f (x) x−a − ( 2 )f (x) b2 b f (x) x − a 2 (3.20) = − 2 + f (x) b b2
= b2 f (x) x2 − 2ax + a − b2 .
f (x) = −
Nun ist
b3 f (a) = −b4 f (a) = − √ < 0, 2π
daher liegt an der Stelle x = a ein Maximum vor. Die Wendepunkte dieser Funktion sind durch die Nullstellen der zweiten Ableitung gegeben: d2 f (x) = 0 ⇐⇒ x2 − 2ax + a2 − b2 = 0. dx2 Dies ist genau dann der Fall, wenn x = a ± b. Die Gr¨ oße b heißt Standardabweichung und ist ein Maß f¨ ur die Breite der Gauß-Verteilung.
3.6 Anwendungen der Differentialrechnung
107
3.6.4 Grenzfunktionen ¨ Die 1. Ableitung einer Funktion charakterisiert das Anderungsverhalten der Funktion an einer bestimmten Stelle x0 . Beschreibt die Funktion einen ¨okonomischen Zusammenhang, so wird f¨ ur die 1. Ableitung der Begriff der Grenzfunktion verwendet. Definition
Grenzfunktion
Die Grenzfunktion einer ¨ okonomischen Funktion f ist die erste Ableitung dieser Funktion.
Die Grenzfunktion beschreibt damit den Zuwachs oder die Abnahme der okonomischen Funktion. ¨ H¨ aufig angewandte Grenzfunktionen sind: 1. Grenzkosten: Ausgehend von einer Kostenfunktion K(x), die die Produktionskosten in Abh¨ angigkeit von der produzierten Menge x (Output) beschreibt, ergeben sich die Grenzkosten zu K (x). 2. F¨ ur die in Abschnitt 2.6.3 betrachteten Erl¨ osfunktion E(x) l¨asst sich bestimmen. der Grenzerl¨ os dE dx 3. Entsprechend ergibt sich die Grenzproduktivit¨ at f¨ ur die in Kapitel 2.6.4 betrachteten Produktionsfunktionen. 3.6.5 Elastizit¨ at von Funktionen ¨ Die Ableitung f (x) beschreibt die absolute Anderung der Funktion f (x) bei einer Ver¨ anderung der unabh¨ angigen Variable x an der Stelle x0 . In der ¨ Okonomie ist dies nicht immer die entscheidende Gr¨oße, die zu untersuchen ¨ ist, um ein Anderungsverhalten zu analysieren. ¨ H¨ aufig ist man an relativen Anderungen interessiert. Man fragt beispielsweise: Um wieviel Prozent ¨ andert sich die Nachfrage nach einem Produkt, wenn der Preis prozentual ver¨ andert wird. Zur Untersuchung solcher Fragestellungen wird der Begriff der Elastizit¨ at eingef¨ uhrt.
108
3 Differentialrechnung
Definition
Elastizit¨ at
Die Elastizit¨ at der Funktion f (x) bez¨ uglich x ist: df f f,x (x) = dx x Wegen:
mit x = 0, f = 0.
df = f (x)dx
ist f,x (x) =
f (x) · x. f (x)
Die Elastizit¨ at f,x (x) gibt n¨ aherungsweise an, um wieviel Prozent sich die Funktion f a ¨ndert, wenn sich x an der Stelle x0 um ein Prozent ¨andert. Beispiel: F¨ ur die Funktion f (x) = 4e−2x ist die Elastizit¨at gegeben durch: f,x (x) =
−8e−2x · x = −2x. 4e−2x
¨ Relative Anderungen lassen sich damit in Abh¨angigkeit der Stelle x n¨ahe¨ rungsweise beschreiben. Wird in diesem Beispiel f¨ ur x0 = 2 eine Anderung von 1% f¨ ur x vorgenommen, so ist f,x (2) = −4, das bedeutet eine Abnahme von 4%. Folgende Begriffe werden f¨ ur verschiedene Elastizit¨atswerte eingef¨ uhrt: Wert | f,x |> 1 | f,x |< 1 | f,x |= 1 Grenzfall | f,x |→ ∞ Grenzfall f,x = 0
Begriff f ist elastisch
Bedeutung f a ¨ndert sich relativ zu x st¨arker f ist unelastisch f a ¨ndert sich relativ zu x schw¨acher f ist proportional elastisch f ver¨andert sich prozentual genauso wie x ¨ f ist vollkommen Kleinste Anderungen in x elastisch haben extreme Auswirkungen auf f f ist vollkommen f reagiert nicht auf unelastisch Ver¨anderungen von x.
3.6 Anwendungen der Differentialrechnung
109
¨ Ubungen 3.1. Differenzieren Sie die folgenden Funktionen durch Anwendung der Ableitungsregeln und u ufen Sie das Ergebnis mit Hilfe des Grenzwertver¨ berpr¨ fahrens: a) y = −3x + 8. b) y = x2 + a2 . c) y = (ax + b)2 . 3.2. Bestimmen Sie die Ableitungen der folgenden Funktionen: a) f (x) =
ex x .
b) f (x) = ln(2x2 + 3x + 5). √ c) f (x) = ( x2 )1/5 . d) f (x) = x ln x; x > 0. 3.3. Zeigen Sie: f (x) =
1 x
f¨ ur
f (x) = ln x, x > 0.
3.4. Untersuchen Sie f (x) auf Stetigkeit und Differenzierbarkeit an der Nahtstelle: x2 + x f¨ ur x > 1 a) f (x) = 3x − 1 f¨ ur x ≤ 1. 1 + ln x f¨ ur x ≥ 1 b) f (x) = 2 f¨ ur x < 1. x 3.5. Bestimmen Sie den Schnittpunkt von f (x) = exp (−x) und g(x) = x mit dem Newton-Verfahren. W¨ ahlen Sie einen geeigneten Startpunkt und f¨ uhren Sie einen Iterationsschritt durch. 3.6. Berechnen Sie die 2. Ableitung der folgenden Funktionen: a) f (x) = x3 −
x2 2
+ x − 1.
b) f (x) = exp(−x2 ). c) f (x) = 2 sin x + 5 cos x. 3.7. Bestimmen Sie die Koeffizienten des allgemeinen Polynoms 2. Grades so, dass f (1) = 3 und f (0) = f (0) = 1 ist.
110
3 Differentialrechnung
3.8. Welche Beziehung muss zwischen den Koeffizienten von f (x) = ax3 + bx2 + cx + d bestehen, damit der Graph der Funktion keine waagrechte Tangente hat? 3.9. Diskutieren Sie das Verhalten der Funktion f (x) = −x3 + 2t2 x2 + tx, x ∈ R, t ∈ R+ 0 in Hinblick auf Nullstellen, Extrema, Verhalten f¨ ur große x, Symmetrie sowie konkave und konvexe Bereiche. 3.10. F¨ ur welche a, b ∈ R ist die Funktion f (x) stetig differenzierbar? ur x ≥ 2 ax2 − 2x f¨ f (x) = bx + 1 f¨ ur x < 2. 3.11. Gegeben ist die Preis-Absatzfunktion x(p) = 10e−0,1p . a) Bestimmen Sie die Preiselastizit¨ at. ¨ b) Wie groß ist die Anderung der Nachfrage bei einer Preissenkung von 500 e auf 495 e? c) Bei welchem Preis hat eine Erh¨ ohung von einem Prozent einen R¨ uckgang der Nachfrage um 10% zur Folge? 3.12. Geben Sie Beispiele f¨ ur Produkte mit einer elastischen und einer unelastischen Preiselastizit¨ at.
4 Integralrechnung
Lernziele
Dieses Kapitel vermittelt:
• welcher Zusammenhang zwischen der Integral- und der Differentialrechnung besteht • was unter bestimmtem und unbestimmtem Integral zu verstehene ist • die Anwendung der Integralrechnung zur Fl¨achenberechnung ¨ • wie die Integralrechnung im Rahmen der Okonomie eingesetzt wird
4.1 Das unbestimmte Integral Zun¨ achst stellen wir die Frage nach der Bestimmung einer Funktion F (x), die folgende Eigenschaft besitzt: F (x) = f (x). Die Aufgabenstellung lautet also: Gegeben sei einer Funktion f (x), gesucht ist eine Funktion F (x), die die Bedingung F (x) = f (x) erf¨ ullt. Die Funktion F (x) wird als Stammfunktion der Funktion f (x) bezeichnet. Offensichtlich ist die Stammfunktion F (x) nicht eindeutig bestimmt. Denn, wenn F (x) die Bedingung F (x) = f (x) erf¨ ullt, dann erf¨ ullt auch F (x) + c mit c ∈ R diese Bedingung. Beispiele: 1. Sei
f (x) = x2 = F (x),
dann ist: F (x) = 2. Sei
1 3 x + c. 3
f (x) = e2x = F (x),
dann ist: F (x) =
1 2x · e + c. 2
112
4 Integralrechnung
Eine Notation f¨ ur die Stammfunktion von f (x) ist: ! f (x) dx = F (x) + c.
Definition
Unbestimmtes Integral
"
f (x)dx wird als unbestimmtes Integral von f (x) bezeichnet, es gilt: ! f (x)dx = F (x) + c mit F (x) = f (x).
4.1.1 Stammfunktionen von elementaren Funktionen In diesem Abschnitt betrachten wir Stammfunktionen einiger wichtiger elementarer Funktionen. n
f (x) = x f (x) =
! :
1 : x
f (x) = ex : f (x) = (ax + b)n :
1 xn+1 + c; (n = −1). xn dx = n+1 ! ln x + c x>0 1 dx = x ln(−x) + c x < 0. ! ex dx = ex + c. !
(ax + b)n dx =
1 (ax + b)n+1 + c; a n+1
mit folgenden G¨ ultigkeitsbereichen f¨ ur n und x: n ∈ N; x ∈ R ; a · x + b ∈ R n ∈ Z; x = 0 ; a · x + b = 0 n ∈ R; x > 0 ; a · x + b > 0. F¨ ur die trigonometrische Funktion f (x) = A sin(bx + c) ergibt sich die Stammfunktion:
mit A, b, c ∈ R
(4.1) (4.2) (4.3)
n = −1, (4.4)
4.1 Das unbestimmte Integral
! A sin(bx + c) dx = −
A cos(bx + c) + d; b
113
d ∈ R.
(4.5)
" Der Beweis, dass f (x) dx Stammfunktion der Funktion f (x) ist, erfolgt " leicht durch Differentiation von f (x) dx + c. Betrachten wir ein Beispiel. Sei: 1 1 f (x) = √ = (2x + 1)− 2 , 2x + 1 so ist nach Gl. 4.1:
!
1
(2x + 1)− 2 dx =
√ 2x + 1 + c.
Bilden wir die Ableitung der Funktion √ F (x) = 2x + 1, dann ergibt sich mit Hilfe der Kettenregel: F (x) =
1 1 1 · 2(2x + 1)− 2 = √ . 2 2x + 1
4.1.2 Linearit¨ at des unbestimmten Integrals Mit den Rechenregeln f¨ ur Ableitungen l¨ asst sich die Linearit¨ at des unbestimmten Integrals leicht zeigen: ! ! !
a · f (x) + b · g(x) dx = a · f (x)dx + b · g(x)dx mit a, b ∈ R. Beispiel: Betrachte das Integral ! x
x2 12e + 109 sin x + I= + 2 dx 4 ! ! ! ! 1 x2 dx + 2dx = 12 ex dx + 109 sin xdx + 4 1 x = 12(e + c1 ) − 109(cos x + c2 ) + (x3 + c3 ) + 2(x + c4 ), 12 wobei wir die elementaren Integrale aus den Gleichungen (4.1), (4.3) und (4.5) benutzen.
114
4 Integralrechnung
4.2 Das bestimmte Integral Das bestimmte Integral wird zur Berechnung von Fl¨achen eingef¨ uhrt, die vom Graphen einer Funktion f (x), zwei Parallelen zur y-Achse x = a und x = b sowie der x-Achse begrenzt wird.
y = f (x)
a
ξ1
b = ξ2
x
Abbildung 4.1. Zur Fl¨ achenbestimmung mit dem bestimmten Integral
Die Ermittlung dieser Fl¨ ache geschieht zun¨ achst n¨aherungsweise. Dazu wird das Intervall [a, b] ⊂ Df in Intervalle der Breite Δxi unterteilt. In einem ersten Schritt werden zwei Werte ξ1 , ξ2 gew¨ahlt mit: a < ξ1 < b;
ξ2 = b.
Dann gilt in erster N¨ aherung f¨ ur den Fl¨ acheninhalt A: A ≈ Δx1 · f (ξ1 ) + Δx2 · f (ξ2 ) mit Δx1 = ξ1 − a,
Δx2 = ξ2 − ξ1 .
Das Intervall [a, b] wird nun weiter unterteilt in n Werte ξ1 , ξ2 , . . . , ξn . Dadurch wird die N¨ aherung des Fl¨ acheninhalts immer besser: A ≈ Δx1 · f (ξ1 ) + Δx2 · f (ξ2 ) + . . . + Δxn f (ξn ) =
n i=1
mit
f (ξi )Δxi
4.2 Das bestimmte Integral
115
Δxi = ξi − ξi−1 ; f¨ ur i > 1. Die Wahl der ξi ist beliebig, solange gilt: ξ1 < ξ2 < . . . < ξi < . . . ξn , f¨ ur i = 1, 2, 3, . . . , n. Der exakte Fl¨ acheninhalt ergibt sich aus dem Grenz¨ ubergang: A = n→∞ lim
n
f (ξi )Δxi .
Δx→0 i=1
Die Fl¨ ache A h¨ angt ab von den Grenzen a und b und der Funktion f (x). F¨ ur diese Abh¨ angigkeit machen wir die Annahme: A = F (b) − F (a) mit einer noch zu bestimmenden Funktion F (x). Der Zusammenhang zwischen den Funktionen F (x) und f (x) bleibt zun¨achst offen. Die Fl¨achenanteile als Differenz F (b) − F (a) zu schreiben, ist aus anschaulichen Gr¨ unden sinnvoll (f¨ ur b −→ a geht die Fl¨ ache gegen Null). Wenn F (b) − F (a) den gesuchten Fl¨ acheninhalt beschreiben soll, so l¨asst sich jede beliebige Fl¨ ache im Intervall [a, b] in den Grenzen zwischen x und x+Δx berechnen durch F (x + Δx) − F (x) (vgl. Abb. 4.2).
y = f (x)
a
x
x + Δx b
x
Abbildung 4.2. Zur Fl¨ achenbestimmung
Im Intervall [x, x + Δx] hat die Funktion f (x) ein absolutes Maximum xmax ∈ [x, x + Δx]. Ebenso hat die Funktion f (x) ein absolutes Minimum
116
4 Integralrechnung
xmin im Intervall [x, x + Δx]. Wir nehmen nun folgende Absch¨atzungen f¨ ur die Differenz F (x + Δx) − F (x) vor: Δx · f (xmin ) ≤ F (x + Δx) − F (x) ≤ Δx · f (xmax ). Diese Ungleichung wird durch Δx dividiert, und es folgt: f (xmin ) ≤
F (x + Δx) − F (x) ≤ f (xmax ). Δx
Wir f¨ uhren nun den Grenz¨ ubergang Δx → 0 oder ¨aquivalent dazu x+Δx → x durch. Dieser Grenz¨ ubergang hat zur Folge: xmin −→ xmax −→ x und somit: f (xmin ) → f (xmax ) → f (x). Daher
F (x + Δx) − F (x) ≤ f (x) Δx oder mit der Definition der Ableitung einer Funktion: f (x) ≤ lim
Δx→0
f (x) ≤ F (x) ≤ f (x). Daraus folgt: F (x) = f (x). Dieser Zusammenhang legt es nahe, die f¨ ur die Stammfunktion im vorigen Abschnitt eingef¨ uhrte Schreibweise des unbestimmten Integrals zu erweitern.
Definition
Bestimmtes Integral
Die Fl¨ ache, die von der Funktion f (x), der x-Achse und den Geraden x = a und x = b eingeschlossen wird ist ! b n A = n→∞ lim f (ξi )Δxi = F (b) − F (a) = f (x)dx. (4.6) Δx→0 i=1
!
a
b
f (x)dx heißt bestimmtes Integral. a
Die zur Fl¨ achenberechnung eingef¨ uhrte Funktion F (x) hat also die Eigenschaft F (x) = f (x), d.h. sie ist eine Stammfunktion von f (x).
4.2 Das bestimmte Integral
117
¨ Wir u ufen die oben angef¨ uhrten Uberlegungen an Hand eines einfachen ¨berpr¨ Beispiels, bei dem sich die Fl¨ ache auch geometrisch berechnen l¨asst. Hierzu betrachten wir die Funktion f (x) = x und berechnen: 2 ! 2 1 2 1 1 3 x dx = x = 22 − 12 = . 2 1 2 2 2 1 ¨ Aus geometrischen Uberlegungen ergibt sich aus der Abbildung 4.3: 1 · 2 · 2 = 2. 2 1 1 F2 = ΔOBE = · 1 · 1 = . 2 2 3 F = F1 − F2 = . 2
F1 = ΔOCD =
f (x) D 2 E 1 B O
C 1
x
2
Abbildung 4.3. Zur Fl¨ achenberechnung
4.2.1 Eigenschaften des bestimmten Integrals Das bestimmte Integral hat folgende Eigenschaften: 1. Der Wert des Integrals h¨ angt nicht von der Bezeichnung der Integrationsvariablen ab. ! b ! b f (x) dx = f (t) dt. a
a
118
4 Integralrechnung
2. Den Zusammenhang zwischen F (x) und f (x) k¨onnen wir schreiben als: ! x d F (x) = f (t) dt = f (x), dx a denn: d dx
!
x
d F (x) − F (a) dx dF (x) = = F (x). dx
f (t)dt = a
3. Linearit¨ at von bestimmten Integralen: F¨ ur Funktionen, die im Intervall [a, b] integrierbar1 sind, gilt f¨ ur k1 , k2 ∈ R: ! b ! b ! b
k1 f (x) + k2 g(x) dx = k1 f (x) dx + k2 g(x) dx. (4.7) a
a
a
4. Intervalladditivit¨ at: Ist die Funktion f (x) im Intervall [a, b] ⊂ R integrierbar, und ist c ∈ [a, b], so gilt: ! c ! b ! b f (x) dx + f (x) dx = f (x) dx. (4.8) a
c
a
5. Vertauschen der Integrationsgrenzen: Vertauscht man die obere und die untere Integrationsgrenze, dann kehrt sich das Vorzeichen des Integrals um: ! a
!
b
f (x) dx = −
a
f (x) dx.
(4.9)
b
Beispiel: ¨ Integrale spielen in der Okonomie bei kontinuierlichen Abl¨aufen eine große Rolle. Als Beispiel betrachten wir den kontinuierlichen Verbrauch von Treibstoff (oder auch Energie) einer Maschine. F¨ ur den Treibstoffverbrauch im Lauf der Zeit legen wir folgende Funktionalit¨ at zu Grunde: 1
Als integrierbar bezeichnet man nach Bernhard Riemann (1826 - 1866) Funktionen, f¨ ur die der Grenzwert (4.6) existiert, unabh¨ angig davon, wie die Zwischenwerte gew¨ ahlt wurden. Man kann zeigen, dass dies f¨ ur stetige Funktionen oder beschr¨ ankte Funktionen, die nur eine endliche Zahl von Unstetigkeitsstellen haben, erf¨ ullt ist.
4.2 Das bestimmte Integral
⎧ ⎪ ⎨0 f (t) = b · e−at ⎪ ⎩ c
119
f¨ ur t < t1 f¨ ur t1 ≤ t ≤ t2 f¨ ur t2 < t ≤ t3 .
Der Graph solch einer Funktion ist in der Abbildung 4.4 dargestellt.
f (t)
t1
t2
t3
t
Abbildung 4.4. Eine st¨ uckweise definierte Verbrauchsfunktion
Der Gesamtverbrauch GV im Zeitintervall [t1 , t3 ] berechnet sich dann aus: !
t3
f (t)dt.
GV = t1
Da die Funktion f (t) abschnittsweise definiert ist, wird das Integral GV in zwei Anteile aufgespaltet: ! t3 ! t2 f (t)dt + f (t)dt. GV = t1
Damit folgt:
t2
120
4 Integralrechnung
!
t3
f (t)dt + t1 ! t2
= t1
=
!
t2
GV =
f (t)dt t2
b · e−at dt +
!
t3
cdt t2 t3 ]
t −b −at 2 · e + c · t a t1 t2
−b −at2 −b −at1 ·e ·e − + c · (t3 − t2 ]) a a b = · (e−at1 − e−at2 ) + c · (t3 − t2 ). a =
4.2.2 Wert eines Integrals Wir betrachten folgende Funktion: y = f (x) = sin x. Der Graph der Sinus-Funktion ist nochmals in Abbildung 4.5 dargestellt.
π 2
π
3π 2
2π
5π 2
Abbildung 4.5. Der Graph der Funktion f (x) = sin x
Die Stammfunktion der Funktion f (x) ist: F (x) = − cos x. Wir berechnen nun das Integral u ¨ ber das Intervall [0, 2π]:
4.2 Das bestimmte Integral
!
2π
0
121
2π sin x dx = − cos x 0
= − cos 2π − (cos 0) = −1 − (−1) = 0. Offensichtlich entspricht dieses Resultat nicht dem Fl¨acheninhalt zwischen der Kurve und der x-Achse. Betrachten wir die Funktion f (x) = sin x auf den beiden Teilintervallen [0, π] und [π, 2π], so erhalten wir: π ! π sin x dx = − cos x 0
0
= − cos π − (− cos 0) = 1 − (−1) = 2 und !
2π
π
2π sin x dx = − cos x π
= − cos 2π − (− cos π) = 1 − (−1) = 2. Das bestimmte Integral ist also mit einem Vorzeichen behaftet. F¨ ur a > b gilt: ! b f (x) dx > 0, a
wenn f (x) > 0 im Intervall [a, b] und !
b
f (x) dx < 0, a
wenn f (x) < 0 im Intervall [a, b]. Außerdem kommt es nach Gl. 4.9 auf die Reihenfolge der Integrationsgrenzen an: ! b ! a f (x) dx = − f (x) dx. a
b
Aus diesen Eigenschaften des bestimmten Integrals ergibt sich, dass bei der Fl¨ achenberechnung die Nullstellen der Funktion f (x) im Intervall [a, b] von Bedeutung sind. Ist x0 einzige Nullstelle der Funktion f (x) im Intervall [a, b], so ist die Fl¨ ache A gegeben durch: ! x0 ! b A= f (x) dx + f (x) dx. a
x0
122
4 Integralrechnung
In obigen Beispiel ist also !
2π
sin x dx = 0, 0
aber die Fl¨ ache, die die Sinusfunktion zwischen 0 und 2π mit der x-Achse einschließt ist: ! π ! 2π A= sin x dx + sin x dx = 4. π
0
4.2.3 Fl¨ ache zwischen zwei Kurven Gegeben seien zwei Funktionen f (x) und g(x), gesucht ist der Inhalt der Fl¨ ache A zwischen den Graphen dieser beiden Funktionen (siehe Abbildung 4.6).
y
f (x)
A
g(x) x Abbildung 4.6. Fl¨ ache zwischen den Graphen zweier Funktionen f (x) und g(x)
Diese Fl¨ ache A ist die Differenz: ! b ! A= f (x)dx − a
! =
a
b
g(x)dx
a
b
f (x) − g(x) dx.
Die Grenzen a, b k¨ onnen explizit in der Form x = a und x = b gegeben sein oder sich wie in der Abb. 4.6 aus dem Schnitt der Graphen von f (x) und g(x) ergeben.
4.2 Das bestimmte Integral
123
Beispiel: Wir betrachten die beiden Funktionen: f (x) = −x2 + 5 g(x) = x2 + 1 und berechnen den Inhalt der Fl¨ ache, die zwischen den beiden Funktionsgraphen eingeschlossen wird. Die Funktionsgraphen und die eingeschlossene Fl¨ ache sind in der Abbildung 4.7 dargestellt.
y
5
g(x) = x2 + 1
1 √ − 2
f (x) = −x2 + 5 √ + 2
x
Abbildung 4.7. Fl¨ ache zwischen den Graphen zweier Funktionen f (x) und g(x)
Die beiden Schnittpunkte der Kurven ergeben sich aus der Bedingung !
f (x) = g(x), √ was auf x1/2 = ± 2 f¨ uhrt. Die beiden Schnittpunkte sind demnach: √ √ P1 = (− 2, 3) und P2 = (+ 2, 3). Damit erhalten wir f¨ ur die eingeschlossene Fl¨ache:
124
4 Integralrechnung
!
√ 2
√ (f (x) − g(x))dx − 2 ! √2 2 2 √ (−x + 5) − (x − 2 ! √2 2 √ (−2x + 4) dx − 2 √ +√2 3 + 2
A= = =
= −2
+ 1) dx
x 16 √ + 4x √ = 2. √ 3 − 2 3 − 2
4.2.4 Uneigentliche Integrale Wir betrachten folgende Funktion: 1 ; x2
g(x) =
x > 0.
Die Stammfunktion dieser Funktion ist: G(x) = − Dann ist
!
R
a
1 + C. x
R dx 1 1 1 =− =− + ; 2 x x a R a
f¨ ur a > 0.
Lassen wir nun die obere Grenze R gegen +∞ gehen, so strebt der Integralwert offenbar gegen 1/a: !
R
lim
R→∞
a
dx = x2
! a
∞
dx 1 = , x2 a
mit a > 0.
(4.10)
Wir definieren den Grenzwert eines bestimmten Integrals der Form:
Definition
Uneigentliches Integral
Das uneigentliche Integral ist u ¨ ber folgenden Grenzwert definiert: ! R ! ∞ f (x)dx = lim f (x)dx. (4.11) a
R→∞
a
4.2 Das bestimmte Integral
125
Die Existenz des uneigentlichen Integrals h¨ angt von der Funktion f (x) ab, wie das folgendes Beispiel zeigt. Sei: f (x) =
1 . x
Die Funktion f (x) hat die Stammfunktion: F (x) = ln x + C. Dann betrachten wir das bestimmte Integral R ! R dx = ln x x a a
= ln R − ln a f¨ ur a > 0.
(4.12)
In diesem Fall existiert der Grenzwert R → ∞ nicht, da ln x u ¨ber alle Grenzen w¨ achst bei wachsendem Argument. Damit gilt: ! R dx lim = ∞. R→∞ a x
f (x)
x
Abbildung 4.8. Die Graphen der beiden Funktionen f (x) = x−1 und g(x) = x−2
1 Betrachtet man andererseits wie in (4.10) die Funktion g(x) = 2 unter x dem gleichen Aspekt, so resultiert ein endlicher Wert. Dieser Wert ist die
126
4 Integralrechnung
Fl¨ ache zwischen dem Graphen der Kurve g(x) = x−2 und der x-Achse ab einem Punkt x = a bis x = +∞. Der Verlauf der beiden Funktionen f (x) = x−1 und g(x) = x−2 ist in der Abbildung 4.8 dargestellt. Die Tatsache, dass das Integral (4.12) divergiert, das Integral (4.10) aber einen endlichen Wert liefert, steht im Zusammenhang mit dem asymptotischen Verhalten der beiden Funktionen f (x) und g(x). Die Funktion f (x) = x−1 n¨ahert sich asymptotisch so langsam gegen Null, dass die Fl¨ache unter der Kurve immer gr¨ oßer wird und wenn x gegen Unendlich geht, u ¨ ber alle Grenzen w¨achst. Im Gegensatz dazu geht g(x) = x−2 ’schnell genug’ gegen Null, so dass sich eine endliche Fl¨ ache unter der Kurve ergibt. 4.2.5 Partielle Integration Stammfunktionen f¨ ur elementare Funktionen haben wir in Abschnitt 4.1.1 betrachtet. Im Folgenden wollen wir eine Integrationstechnik vorstellen, die es erlaubt, Stammfunktionen f¨ ur weitere Funktionen zu berechnen. Wir gehen aus von der Formel f¨ ur die Differentiation des Produkts zweier Funktionen f (x) und g(x), die beide innerhalb des gleichen Intervalls differenzierbar sind. Dann ist: d dg(x) df (x) (f (x) · g(x)) = f (x) · + · g(x). dx dx dx Hieraus folgt durch Integration auf beiden Seiten: ! ! dg(x) df (x) f (x) · g(x) = f (x) · dx + · g(x)dx dx dx oder:
!
dg(x) dx = f (x) · g(x) − f (x) · dx
!
df (x) · g(x)dx. dx
(4.13)
(4.14)
" Mit Hilfe dieser Formel kann ein zu berechnendes Integral " der Form f g dx auf ein anderes, unter Umst¨ anden einfacheres Integral f gdx zur¨ uckgef¨ uhrt werden. Beispiel: Zu berechnen ist:
!
x · ex dx.
Setzen wir: g(x) = x und f (x) = ex , dann folgt durch Anwendung der partiellen Integration Gl. 4.14:
4.2 Das bestimmte Integral
!
x
x
!
x · e dx = x · e −
127
ex · 1dx
= x · ex − ex = ex (x − 1). Auch die Stammfunktion f¨ ur die bisher nicht betrachteten Funktion f (x) = ln x l¨ asst sich mit der Methode der partiellen Integration bestimmen (siehe ¨ Ubung 4.2). 4.2.6 Integration durch Substitution Ein weiteres Verfahren – neben der partiellen Integration –, ein gegebenes Integral in ein Integral elementarer Funktionen zu transformieren, ist die Integration durch Substitution. Ist F (z) eine Funktion der Variablen z und z = g(x), dann ist F (z) eine mittelbare Funktion von x. Nach der Kettenregel (vgl. Gl. (3.12)) ist: dF (z) dF (z) dz(x) = · . dx dz dx Die Integration u ¨ ber x liefert: ! F (z) =
dF (z) dz(x) · dx dz dx
mit
und folgt:
dF (z) = f (z) = f (g(x)) dz dz(x) = g (x) dx
!
!
f (g(x)) · g (x)dx =
Beispiel: Zu berechnen ist das Integral: ! x· Mit der Substitution
1 − x2 dx.
f (z)dz.
(4.15)
128
4 Integralrechnung
z(x) = 1 − x2
ergibt sich:
dz(x) = −2x dx
und
dz . 2x Dann l¨ asst sich das gesuchte Integral schreiben als: ! ! √ dz x · 1 − x2 dx = x z −2x ! 1 √ =− zdz 2 1 2 3 = − · z2 2 3 1 3 = − z2 3 3 1 = − (1 − x2 ) 2 . 3 dx = −
4.3 Anwendung der Integrationsrechnung 4.3.1 Bestimmung der ¨ okonomischen Funktion aus der Grenzfunktion Aus der Grenzfunktion l¨ asst sich die o ¨konomische Funktion bestimmen. Als Beispiel hierf¨ ur betrachten wir die Grenzkostenfunktion. Aus der Grenzkostenfunktion K (x) (vgl. Kap. 3.6.4) ergibt sich u ¨ ber das bestimmte Integral die Kostenfunktion K(x): ! K (x) dx = K(x) + c. K(x) steht f¨ ur die mengenabh¨ angigen variablen Kosten. Die Konstante c ist mengenunabh¨ angig und beschreibt somit den Fixkostenanteil. 4.3.2 Konsumentenrente Wir betrachten eine monoton fallende Nachfragefunktion p(x), die den Preis eines Produktes in Abh¨ angigkeit von der Nachfrage x beschreibt. Der Erl¨os, der mit dem Produkt erzielt wird, ist gegeben durch die Erl¨osfunktion E0 = p0 · x0 (vgl. Abschnitt 2.6.3), wobei p0 der Preis und x0 die nachgefragte Menge ist, die sich auf Grund von Marktbedingungen einstellen. E0 stellt aus Sicht des Herstellers nicht den maximal m¨oglichen Erl¨os dar, denn es gibt f¨ ur x < x0 ein Kundenpotenzial, das bereit gewesen w¨are, einen h¨oheren
4.3 Anwendung der Integrationsrechnung
129
pN (x)
K p0
x0
x
Abbildung 4.9. Zum Begriff der Konsumentenrente
Preis zu zahlen. Der maximale Erl¨ os ergibt sich aus der Fl¨ache unter der Nachfragefunktion, wie in der Abbildung 4.9 dargestellt. ! x0 Emax (x0 ) = pN (x)dx. 0
Die Differenz
!
x0
K = Emax (x0 ) − E0 =
pN (x)dx − p0 x0
0
wird als Konsumentenrente bezeichnet. Beispiel: Gegeben sei die Nachfragefunktion: pN (x) = 100 · e−0,05x . Das Marktgleichgewicht habe sich bei x0 = 10 und p0 = 100·e−0,5 eingestellt. Die Konsumentenrente betr¨ agt: ! 10 100 · e−0,05x dx − 100 · e−0,5 · 10 K= 0
= −2000 · e
10 −0,05x
− 1000 · e−0,5
0
= −2000 · e−0,5 + 2000 − 1000 · e−0,5 ≈ 180, 40.
130
4 Integralrechnung
4.3.3 Produzentenrente Die Produzentenrente beschreibt den zus¨ atzlichen Umsatz, den ein Unternehmen macht, wenn ein Produkt zum Preis p0 (dem Marktgleichgewicht) verkauft werden kann, gegen¨ uber einem Preis p1 < p0 , den das Unternehmen f¨ ur das Produkt kalkuliert hatte. Im Marktgleichgewicht ergibt sich der Erl¨os wieder zu E(x0 ) = p0 · x0 .
pA (x) p0 P (x0 )
x0
x
Abbildung 4.10. Zum Begriff der Produzentenrente
F¨ ur eine monoton steigende Angebotsfunktion mit dem Preis pA (x) in Abh¨ angigkeit vom Angebot x w¨ are der Erl¨ os: ! x0 pA (x)dx. 0
!
Die Differenz P (x0 ) = x0 · p0 −
x0
pA (x)dx 0
ergibt die Produzentenrente. Sind Angebots- und Nachfragefunktion gegeben, so berechnet sich das Marktgleichgewicht aus der Bedingung pA (x0 ) = pN (x0 ).
4.3 Anwendung der Integrationsrechnung
131
Dann kann die Konsumentenrente und die Produzentenrente ermittelt werden (siehe Aufgabe 4.8).
¨ Ubungen 4.1. Berechnen Sie die Stammfunktionen folgender Funktionen: a) f (x) = 3 · x2 √ b) f (x) = 2 · x c) f (x) = (2x − 1)2 d) f (x) = e−ax e) f (x) =
√1 1−x
f) f (x) = sin x 4.2. Berechnen Sie mit Hilfe der partiellen Integation das Integral ! ln xdx. Hinweis: Verwenden Sie:
!
! ln xdx =
Berechnen Sie
!
1 · ln xdx.
e
ln xdx. 1/e
4.3. Betrachten Sie die Funktion c wenn a ≤ x ≤ b, (c > 0, a < b), a, b, c ∈ R f (x) = 0 sonst a) Berechnen Sie c aus der Forderung
" +∞ −∞
f (x)dx = 1.
b) Skizzieren Sie f (x) f¨ ur a = 1, b = 3. c) Skizzieren Sie die Stammfunktion F (x) f¨ ur a = 1, b = 3. d) Berechnen Sie das bestimmte Integral ! +∞ xf (x)dx. −∞
132
4 Integralrechnung
4.4. Berechnen Sie die Fl¨ ache, die durch die x-Achse, x = 0, x = 3 und die Funktion f (x) = x2 − 3x + 2 eingeschlossen wird. 4.5. Berechnen Sie das bestimmte Integral ! 2 1 (ex − )dx. 2 0 4.6. Untersuchen Sie, ob das folgende uneigentliche Intgral existiert: ! ∞ e−ax dx; a ∈ R, a > 0. 0
4.7. Berechnen Sie die Fl¨ ache, die durch die beiden Funktionen f (x) und g(x) eingeschlossen wird: f (x) = x3 ;
g(x) = x.
4.8. Gegeben ist die Nachfragefunktion pN (x) = 25 − x2 und die Angebotsfunktion pA (x) = 10 + 2x. Berechnen Sie das Marktgleichgewicht, die Konsumenten- und die Produzentenrente.
5 Lineare Algebra
Lernziele • • • •
Dieses Kapitel vermittelt:
eine elementare Einf¨ uhrung in die Vektor- und Matrizenrechnung welche Operationen f¨ ur Vektoren und Matrizen von Interesse sind die Behandlung und die L¨ osung linearer Gleichungssysteme wie ¨ okonomische Fragestellungen mit Hilfe der linearen Algebra gel¨ ost werden
5.1 Vektoren Das zentrale Konzept der Linearen Algebra sind Vektoren und Operationen, die mit diesen Objekten ausgef¨ uhrt werden k¨ onnen. 5.1.1 Definition von Vektoren Die Darstellung von Punkten in einer Ebene liefert ein anschauliches Bild von Vektoren. In der Geometrie spricht man vom Ortsvektor eines Punktes P (x1 , x2 ). Die Abbildung 5.1 zeigt ein zweidimensionales kartesisches Koordinatensystem mit dem Ursprung O und den Einheitsvektoren
1 0 und e2 = . e1 = 0 1 Der zu einem Punkt mit den Koordinaten x1 und x2 geh¨orende Ortsvektor ist dann: OP = x1 · e1 + x2 · e2
1 0 + x2 = x1 0 1
x1 = . x2 Im Gegensatz zu skalaren Gr¨ oßen wie der Zeit oder der Temperatur, die durch eine reelle Zahl beschrieben werden k¨onnen, zeichnen sich Vektoren
134
5 Lineare Algebra
x2
P (x1 , x2 )
e2 O
x1
e1
Abbildung 5.1. Zum Begriff des Ortsvektors
dadurch aus, dass mehrere Komponenten ben¨otigt werden, um einen Vekor festzulegen. F¨ ur den dreidimensionalen Raum l¨asst sich dieses Konzept verallgemeinern: ⎛ ⎞ x1 OP = ⎝ x2 ⎠ . x3 Die Eigenschaften dieser Ortsvektoren bestimmen sich anschaulich aus dem Betrag des Vektors (d.h. seiner L¨ ange) und der Richtung. Der Betrag des Vektors ergibt sich aus dem Satz von Pythagoras zu ' l = x21 + x22 + x23 . In einer verallgemeinerten Betrachtungsweise definieren wir einen Vektor in folgender Form:
Definition
Vektor
Ein Vektor ist eine geordnete Kolonne von n Zahlen. Bei vertikaler Anordnung der Zahlen spricht man von Spaltenvektoren
5.1 Vektoren
135
⎞ x1 ⎜ x2 ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ x = ⎜ x3 ⎟ ⎜ .. ⎟ ⎝ . ⎠ xn ⎛
und bei horizontale Anordnung von Zeilenvektoren y = (y1 , y2 , y3 , . . . , yn ) .
Hier hat sich in Anlehnung an Kap. 5.2 die Schreibweise y durchgesetzt, wobei f¨ ur transponiert steht1 . Beispiele: In der Produktionswirtschaft werden n-dimensionale Vektoren zur Beschreibung der Tagesproduktion von n Maschinen benutzt: ⎛ ⎞ x1 ⎜ x2 ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ x = ⎜ x3 ⎟ ⎜ .. ⎟ ⎝ . ⎠ xn oder
x = x1 , x2 , . . . , xn .
Im Vertrieb werden die Preise von m Produkten durch einen Vektor mit m Komponenten erfasst: ⎛ ⎞ p1 ⎜ p2 ⎟ ⎜ ⎟
⎜ ⎟ p = ⎜ p3 ⎟ oder p = p1 , p2 , . . . , pm . ⎜ .. ⎟ ⎝ . ⎠ pm
1
Einige Eigenschaften der geometrischen Vektoren wie die Darstellung mit einer L¨ ange und einer Richtung sowie das Transformationsverhalten lassen sich auf die allgemeine Betrachtung von Vektoren als geordnete Zahlenkolonnen nicht ¨ u spielen aber im Rahmen wirtschaftlicher An¨ bertragen. Diese Uberlegungen wendungen keine Rolle und werden hier nicht weiterverfolgt.
136
5 Lineare Algebra
5.1.2 Die Linearkombination von Vektoren Vektoren k¨ onnen mit einem Skalar, d.h. mit einer reellen Zahl multipliziert werden: ⎛ ⎞ sx1 ⎜ sx2 ⎟ ⎜ ⎟ s ·x = ⎜ . ⎟. ⎝ .. ⎠ sxn In der geometrischen Veranschaulichung ist die Multiplikation mit einem Skalar lediglich eine Vervielfachung2 des urspr¨ unglichen Vektors (siehe Abbildung 5.2).
x2
2x x
e2 O
x1
e1
Abbildung 5.2. Zur Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar
Auch die Addition zweier Vektoren: ⎛
⎞ a1 + b 1 ⎜ a2 + b 2 ⎟ ⎜ ⎟ a+b=⎜ . ⎟ ⎝ .. ⎠ an + b n l¨ asst sich geometrisch veranschaulichen (siehe Abbildung 5.3). 2
Genauer eine Streckung.
5.1 Vektoren
137
x2
b
a+b
e2 O
a x1
e1
Abbildung 5.3. Addition zweier Vektoren a + b
Eine Linearkombination von Vektoren a1 , a2 , . . . , an wird definiert als Vektor: n x = x1 a1 + x2 a2 + · · · + xn an = xi ai i=1
mit n reellen Koeffizienten xi . Im weiteren Verlauf werden wir den Begriff der linearen Unabh¨ angigkeit von Vektoren ben¨ otigen.
Definition
Lineare Unabh¨ angigkeit
Die n Vektoren ai , i = 1, 2, . . . , n heißen linear unabh¨ angig, wenn man den Nullvektor (das ist der Vektor, bei dem alle Komponenten Null sind) nur in genau einer eindeutigen Form darstellen kann, in der alle Faktoren xi = 0 sind. Die Gleichung 0=
n
xi ai
i=1
hat nur die eindeutige L¨ osung x1 = x2 = · · · = xn = 0.
138
5 Lineare Algebra
Anschaulich bedeutet die lineare Unabh¨ angigkeit von Vektoren, dass keiner der Vektoren durch eine Linearkombination der u ¨ brigen Vektoren dargestellt werden kann. 5.1.3 Skalarprodukt zweier Vektoren Formal definieren wir das Skalarprodukt zweier Vektoren a und b in der Form: ⎛ ⎞ b1 ⎜ b
⎜ 2⎟ ⎟ a · b = a 1 a 2 . . . an · ⎜ . ⎟ ⎝ .. ⎠ bn = a 1 b 1 + a2 b 2 + · · · + an b n n = ai bi ∈ R. i=1
Beispiel: Betrachten wir die Absatzmengen
x = x1 x2 x3 = (2, 5, 7) von drei Produkten, so k¨ onnen wir die Preise dieser Produkte in einem Vektor ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ p1 5 p = ⎝p2 ⎠ = ⎝5⎠ 1 p3 zusammenfassen. Das Skalarprodukt x · p liefert den Umsatz, der mit allen Produkten zusammen generiert wird: ⎛ ⎞ 5 U = x · p = (2, 5, 2) · ⎝5⎠ = 10 + 25 + 2 = 37. 1 Zwei Vektoren, deren Skalarprodukt Null ist, nennt man orthogonal. Betrachte die beiden Vektoren
−1 1 , a, b ∈ R2 . ,b = a= 1 1 Dann ist
1 = −1 + 1 = 0. a · b = (1, 1) · 1
Anschaulich stehen orthogonale Vektoren senkrecht aufeinander, wie die Abbildung 5.4 zeigt.
5.2 Matrizen
139
x2
e2 a
b
O
e1
x1
Abbildung 5.4. Orthogonalit¨ at zweier Vektoren a und b
5.2 Matrizen 5.2.1 Definition einer Matrix Die Definition von Vektoren als geordnete Zahlenkolonnen l¨asst sich verallgemeinern. Wir betrachten nun die Darstellung von Daten, die in tabellarischer Form vorliegen.
Definition
Matrix
Eine Matrix ist eine schematische Darstellung von m Zeilen und n Spalten ⎛ ⎞ a11 a12 · · · a1n ⎜ a21 a22 · · · a2n ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ A = ⎜ a31 a32 · · · a3n ⎟ ⎜ .. .. .. .. ⎟ ⎝ . . . . ⎠ am1 am2 · · · amn Ein Matrixelement aij ist definiert durch den Zeilenindex i (i = 1, 2, . . . , m) und den Spaltenindex j mit (j = 1, 2, . . . , n).
140
5 Lineare Algebra
Beispiel: Als Beispiel f¨ ur eine Matrix betrachten wir die Rohstoff-Verbrauchskoeffizienten, die angeben, wieviel Einheiten eines Rohstoffes ben¨otigt werden je Produktion einer Einheit des Produktes Produkt 1 Produkt 2 Produkt 3 Rohstoff 1 Rohstoff 2
1 0
2 3
3 1
Dieses Zahlenschema f¨ uhrt auf die Matrix:
123 . R= 031 Der Matrixeintrag r23 = 1 bedeutet: Je Produkteinheit des Produktes 3 wird eine Einheit des Rohstoffes 2 ben¨ otigt. Mit der Definition einer Matrix lassen sich weitere Grundbegriffe f¨ ur Matrizen einf¨ uhren: •
Die quadratische Matrix Ist m = n spricht man von einer quadratischen Matrix. Die Elemente a11 , a22 , . . . , ann nennt man dann Diagonalelemente.
•
Die transponierte Matrix Das Vertauschen von Zeilen und Spalten einer Matrix wird Transposition genannt. Gegeben sei eine Matrix: A = aij mit i = 1, 2, . . . , m; j = 1, 2, . . . , n, dann ist die transponierte Matrix durch A = aji mit i = 1, 2, . . . , m; j = 1, 2, . . . , n gegeben. Beispiel: Gegeben sei die 2 × 3-Matrix: A=
235 , 147
5.2 Matrizen
141
dann ist die transponierte Matrix eine 3 × 2-Matrix mit ⎛ ⎞ 21 A = ⎝3 4⎠ . 57 Es gilt:
(A ) = A.
Aufgrund dieser Eigenschaft sagt man, die Transposition ist idempotent. • Symmetrische Matrizen F¨ ur quadratische Matrizen kann der Fall eintreten, dass A = A, in diesem Fall heißt A symmetrische Matrix. Beispiel: Die Matrix
⎞ 235 A = ⎝3 4 7⎠ 579 ⎛
ist eine symmetrische 3 × 3-Matrix, denn es gilt aij = aji . • Antisymmetrische Matrizen Ebenfalls f¨ ur quadratische Matrizen kann der Fall eintreten A = −A, dann heißt A antisymmetrisch. F¨ ur die Matrixelemente bedeutet dies: aij = −aji und aii = 0. Beispiel: Die Matrix
0 −1 A= 1 0
ist antisymmetrisch, da sie die Eigenschaft A = −A hat. • Vektoren Vektoren sind spezielle Matrizen. Ein Vektor der Form: ⎛ ⎞ a1 ⎜ a2 ⎟ ⎜ ⎟ a=⎜ . ⎟ ⎝ .. ⎠ an
142
5 Lineare Algebra
ist eine Matrix mit n Zeilen und einer Spalte, also eine n × 1-Matrix. Ein Zeilenvektor a = (a1 , a2 , . . . , an ) ist dann eine Matrix mit einer Zeile und n Spalten, also eine 1 × n-Matrix. •
Die Nullmatrix Die Nullmatrix ist definiert als die m × n-Matrix mit aij = 0 f¨ ur alle i = 1, 2, . . . , m; j = 1, 2, . . . , n. F¨ ur die Nullmatrix schreiben wir: 0m×m .
•
Die Einheitsmatrix Die Einheitsmatrix ist eine symmetrische n × n-Matrix mit ⎛ ⎞ 1 0 0 ··· 0 ⎜0 1 0 · · · 0⎟ ⎜ ⎟ 1n×n = ⎜ . . . ⎟ = E. ⎝ .. .. .. ⎠ 0 0 0 ··· 1 Diese Matrix wird mitunter auch geschrieben in der Form: 1n×n = (δij );
i, j = 1, 2, . . . , n
mit dem Kronecker-Delta-Symbol: 1 f¨ ur i = j, i, j = 1, 2, . . . , n . δij = 0 sonst. 5.2.2 Addition von Matrizen
Definition
Addition von Matrizen
Gegeben seien zwei m × n-Matrizen A und B, dann ist die Summe dieser beiden Matrizen wieder eine m × n-Matrix: C=A+B mit der komponentenweise Addition: cij = aij + bij , mit i = 1, 2, . . . , m; j = 1, 2, . . . , n.
Beispiel: F¨ ur die Produktion der Produkte P1 und P2 ist die Bestellmenge der Kunden K1 , K2 , K3 ausschlaggebend. F¨ ur die Produktionsplanung wird die Produktion aus zwei Quartalen Q1 , Q2 betrachtet.
5.2 Matrizen
143
Produkt 1 Produkt 2 Produkt 1 Produkt 2 Kunde 1 Kunde 2 Kunde 3
1 0 3
2 1 2
2 0 0
Q1
1 1 2 Q2
⎞ 12 B1 = ⎝ 0 1 ⎠ 32 ⎛
Damit steht die Matrix
f¨ ur die Bestellung im ersten Quartal Q1 und die Matrix ⎛ ⎞ 21 B2 = ⎝ 0 1 ⎠ 02 f¨ ur die Bestellung im Quartal Q2 . Die Gesamtbestellung ergibt sich zu: ⎛ ⎞ 33 B = B1 + B2 = ⎝0 2⎠ . 34 F¨ ur die Addition von Matrizen gelten die folgenden Gesetze: 1. Asssoziativit¨ atsgesetz: (A + B) + C = A + (B + C). 2. Kommutativit¨ atsgesetz: A + B = B + A. 3. Linearit¨ at der Transposition: (A + B) = A + B .
144
5 Lineare Algebra
5.2.3 Multiplikation mit einem Skalar
Multiplikation einer Matrix mit einem Skalar
Definition
Sei s ∈ R ein reelle Zahl und A eine m × n-Matrix. Dann ist die Multiplikation mit der skalaren Gr¨ oße s komponentenweise definiert u ¨ber: s · A = (s · aij ) f¨ ur i = 1, 2, . . . , m;
j = 1, 2, . . . n.
F¨ ur die Skalarmultiplikation gelten folgende Regeln: 1. Kommutativit¨ at: s · A = A · s. 2. Assoziativit¨ at: (s1 · s2 ) · A = s1 · (s2 · A). 3. Distributivit¨ at bez¨ uglich der Matrizenaddition: s · (A + B) = s · A + s · B. 4. Distributivit¨ at bez¨ uglich der skalaren Addition: (s1 + s2 ) · A = s1 · A + s2 · A. 5.2.4 Matrizenmultiplikation
Definition
Matrizenmultiplikation
Das Produkt zweier Matrizen A und B mit A = (aij );
i = 1, 2, . . . , m;
j = 1, 2, . . . n
B = (bjk );
j = 1, 2, . . . , n;
k = 1, 2, . . . l
und ist definiert als
5.2 Matrizen
145
C= A·B mit: cik =
n
aij · bjk
(5.1)
j=1
¨ mit i = 1, 2, . . . , m und k = 1, 2, . . . , l. Uber den Index j = 1, 2, . . . , n wird summiert.
Es sei an dieser Stelle betont, dass das Matrizenprodukt (5.1) nur definiert ist, falls die Zeilenanzahl der Matrix A mit der Spaltenanzahl der Matrix B u ¨ bereinstimmt. Beispiele: 1. Wir betrachten die 2 × 2-Matrix A mit:
a11 a12 A= a21 a22 und die 2 × 3-Matrix B mit
b11 b12 b13 B= . b21 b22 b23
Dann ist das Produkt dieser beiden Matrizen gegeben durch die 2 × 3Matrix C mit den Komponenten cik =
2
aij · bjk
j=1
und: c11 = a11 · b11 + a12 · b21 c21 = a21 · b11 + a22 · b21 c12 = a11 · b12 + a12 · b22 c22 = a21 · b12 + a22 · b22 c13 = a11 · b13 + a12 · b23 c23 = a21 · b13 + a22 · b23 . Damit ist die Produktmatrix: C=
c11 c12 c13 . c21 c22 c23
146
5 Lineare Algebra
Das Beispiel zeigt, dass die Matrizenmultiplikation betrachtet werden kann als ein Skalarprodukt aus Zeilen- und Spaltenvektoren. Der Zeilenvektor aus der i-ten Zeile der Matrix A wird mit dem Spaltenvektor der k-ten Spalte von B skalar multipliziert und liefert das Element cjk der Produktmatrix. Betrachte z.B.:
b13 = a11 b13 + a12 b23 . c13 = a11 a12 · b23 2. Sei
43 23 , und B = A= 21 43
dann ist die Produktmatrix C explizit gegeben durch: C=A·B
43 23 · = 21 43
2·4+3·2 2·3+3·1 = 4·4+3·2 4·3+3·1
14 9 . = 22 15
Warum die Definition der Matrizenmultiplikation in dieser Weise sinnvoll ist, zeigt die folgende Betrachtung an einem Beispiel f¨ ur eine mehrstufige Produktion. Ein Unternehmen stellt zwei Typen von Endprodukten E1 und E2 her. Diese Endprodukte werden aus drei verschiedenen Arten von Zwischenprodukten gefertigt. Diese bezeichnen wir mit Z1 , Z2 , Z3 . Die Zwischenprodukte selbst wiederum werden aus vier verschiedenen Rohstoffen R1 , . . . , R4 hergestellt. F¨ ur jedes Zwischenprodukt Z1 , Z2 , Z3 werden unterschiedliche Mengen der verschiedenen Rohstoffe ben¨ otigt. Die Rohstoff-Verbrauchskoeffizienten k¨ onnten beispielsweise folgendermaßen aussehen: Rohstoff R1 R2 R3 R4
Z1 4 2 1 3
Z2 3 4 7 3
Z3 3 6 4 0.
Diese Zuordnung fassen wir in einer 4 × 3-Matrix A zusammen:
5.2 Matrizen
147
⎞ 433 ⎜2 4 6 ⎟ ⎟ A=⎜ ⎝1 7 4 ⎠ . 330 ⎛
Ein analoges Schema kann man auch f¨ ur die 2. Produktionsstufe mit den Produktionskoeffizienten der Zwischenprodukte aufstellen: Zw.-Produkt Z1 Z2 Z3
E1 6 4 1
E2 5 3 2.
Dies bedeutet also, dass 6 Einheiten des Zwischenproduktes Z1 , 4 Einheiten des Zwischenproduktes Z2 und 1 Einheit des Zwischenproduktes Z3 ben¨otigt werden, um eine Einheit des Endproduktes E1 herzustellen. Diese Zuordnung wird in eine 3 × 2-Matrix B geschrieben: ⎛ ⎞ 65 B = ⎝4 3 ⎠ . 12 F¨ ur die Bestellmenge der Rohstoffe ist allein die Anzahl der zu fertigenden Endprodukte ausschlaggebend. Bilden wir das Matrixprodukt in der in Gl. (5.1) definierten Form: C=A·B ⎞ ⎛ ⎛ 433 6 ⎜2 4 6⎟ ⎟ · ⎝4 =⎜ ⎝1 7 4⎠ 1 330 ⎞ ⎛ 39 35 ⎜34 34⎟ ⎟ =⎜ ⎝38 34⎠ , 30 24
⎞ 5 3⎠ 2
so liefert uns das Matrixprodukt die Produktionskoeffizienten der Rohstoffe bez¨ uglich der Endprodukte. Rohstoff R1 R2 R3 R4
E1 39 34 38 30
E2 35 34 34 24.
148
5 Lineare Algebra
Betrachten wir das erste Element in der 1. Zeile und 1. Spalte: F¨ ur die Herstellung einer Einheit E1 werden 39 Einheiten des Rohstoffes R1 ben¨otigt. Diese setzen sich zusammen aus den Einheiten der Zwischenprodukte, die f¨ ur die Fertigung von E1 erforderlich sind und f¨ ur jedes Zwischenprodukt ist wieder eine bestimmte Menge an R1 erforderlich. 5.2.5 Rechenregeln des Matrizenproduktes In diesem Abschnitt betrachten wir einige Rechenregeln, die f¨ ur das Produkt von Matrizen hilfreich sind. Die Beweise ergeben sich – wie exemplarisch f¨ ur das Assoziativit¨ atsgesetz gezeigt – durch die genaue Betrachtung der Indizes. 1. Assoziativit¨ atsgesetz: (A · B) · C = A · (B · C).
(5.2)
Beweis: Setze D = (A · B) · C und D = A · (B · C), dann ist: dij = ((A · B) · C))ij m = (A · B)ik · ckj = =
k=1 m
n ( ail · blk ) · ckj
k=1 l=1 n
m ail · ( blk · ckj )
l=1
=
n
k=1
ail · (B · C)lj
l=1
= (A · (B · C))ij = (d )ij . Da wir hier endliche Matrizen betrachten, ist die Vertauschung der Summen erlaubt. 2. Assoziativit¨ at der Multiplikation mit Skalaren: F¨ ur alle s ∈ R gilt: s · (A · B) = (s · A) · B.
(5.3)
3. Distributivgesetz: A · (B + C) = A · B + A · C.
(5.4)
5.2 Matrizen
149
4. Multiplikation mit der Einheitsmatrix: Sei A eine n × n-Matrix und 1n×n die n × n-Einheitsmatrix. Dann gilt: A · 1n×n = 1n×n · A = A.
(5.5)
5. Multiplikation mit der Nullmatrix: Die Multiplikation eine beliebigen Matrix A mit der Nullmatrix ergibt die Nullmatrix: A · 0n×n = 0n×n · A = 0. (5.6) Anmerkung: Die Matrizenmultiplikation hat folgende Eigenschaft: Das Produkt zweier Matrizen kann die Nullmatrix ergeben, obwohl beide Matrizen von der Nullmatrix verschieden sind. Beispiel: Sei
dann ist:
⎞ ⎛
1 −1 111 und B = ⎝ 1 −1⎠ , A= 222 −2 2 ⎞ ⎛
1 −1 00 111 ⎝ = 02×2 . · 1 −1⎠ = A·B= 00 222 −2 2
6. Transposition: Es gilt:
(A · B) = B · A .
(5.7)
Beispiel: Als Beispiel zur Illustration der Eigenschaft (5.7) betrachten wir die beiden Matrizen:
23 15 . und B = A= 45 23 Die transponierten Matrizen sind:
12 24 A = und B = . 53 35 Dann ist das Produkt: A·B=
22 28 . 16 21
und die Transposition dieses Produktes ist:
150
5 Lineare Algebra
22 16 . (A · B) = 28 21
Auf der anderen Seite haben wir:
B ·A =
24 12 · 35 53
2 + 20 4 + 12 = 3 + 25 6 + 15
22 16 = 28 21
= (A · B) . 7. Nicht-Kommutativit¨ at: Die Matrizenmultiplikation ist im Allgemeinen nicht kommutativ, das heißt: A · B = B · A (5.8) wie ein einfaches Beispiel zeigt:
20 12 , und B = A= 11 23 dann ist: A·B=
42 73
und B·A=
22 . 73
5.2.6 Inverse Matrix Multiplikative inverse Elemente x−1 haben im Allgemeinen die Eigenschaft x · x−1 = 1. Das Produkt eines Elementes x mit seinem inversen Element x−1 f¨ uhrt also auf das neutrale Element der Multiplikation, das die Eigenschaft a·1=1·a=a besitzt. F¨ ur die Matrizenmultiplikation gibt es, wie wir gesehen haben, ein neutrales Element, wenn Matrizen quadratisch sind (vgl. Gl (5.5)). Daher k¨onnen wir formal f¨ ur eine n × n-Matrix A die inverse Matrix A−1 definieren:
5.3 Lineare Gleichungssysteme
A · A−1 = A−1 · A = 1n×n .
151
(5.9)
Beispiel: Die beiden Matrizen
−2 1 12 −1 A= 3 und A = 1 34 − 2 2
erf¨ ullen die Bedingung: A · A−1 =
10 12 −2 1 . = · 3 1 01 34 2 −2
Die Fragen der Existenz, der Bestimmung und Anwendungen f¨ ur die inverse Matrix setzen Kenntnisse im Umgang mit linearen Gleichungssystemen voraus. Daher verschieben wir diese Punkte auf Kapitel 5.3.4 und stellen hier noch Rechenregeln f¨ ur die inverse Matrix zusammen. Rechenregeln f¨ ur inverse Matrizen: (A−1 )−1 = A −1
(A
(5.10) −1
) = (A )
−1
(A · B)
=B
−1
(5.11) −1
·A
.
(5.12)
¨ Den Beweis dieser Beziehungen u ¨ berlassen wir dem Leser als Ubungsaufgabe.
5.3 Lineare Gleichungssysteme 5.3.1 Grundlegende Betrachtungen Unter einem linearen Gleichungssystem (LGS) verstehen wir ein System von mehreren linearen Gleichungen f¨ ur die Variablen x1 , x2 , . . . , xn . Diese Gleichungen sind linear, wenn alle vorkommenden Terme f¨ ur die Variablen linear sind. Es d¨ urfen in dem Gleichungssystem also keine Potenzen der Variablen gr¨ oßer als 1 auftreten und keine Produkte der Form xi · xj . F¨ ur die n Variablen xi , i = 1, 2, . . . , n k¨ onnen im Allgemeinen m Gleichungen gegeben sein. Wir schreiben f¨ ur das LGS dann in Matrixnotation: A · x = b, dabei ist A eine m × n - Matrix, x ein Vektor mit n Komponenten und b ein Vektor mit m Komponenten. Ausgeschrieben sieht das lineare Gleichungssystem folgendermaßen aus:
152
5 Lineare Algebra
Definition
Lineares Gleichungssystem
a11 x1 + a12 x2 + · · · + a1n xn = b1 a21 x1 + a22 x2 + · · · + a2n xn .. . am1 x1 + am2 x2 + · · · + amn xn
= b2 .. . = bm
mit n, m ∈ N.
Unter der L¨ osung eines LGS verstehen wir einen Vektor xL , f¨ ur den alle Gleichungen des LGS erf¨ ullt sind, d.h. zu wahren Aussagen werden. Das L¨ osungsverhalten linearer Gleichungssysteme mit beliebiger Anzahl von Variablen und Gleichungen l¨ asst sich in drei Kategorien einteilen: 1. Es gibt eine eindeutige L¨ osung des Systems, d.h. durch den Vektor x = xL werden alle Gleichungen zu wahren Aussagen. 2. Das LGS hat keine L¨ osung, d.h. es existiert kein Vektor xL der Art, dass alle Gleichungen in eine wahre Aussage u ¨ bergehen. 3. Das LGS ist mehrdeutig l¨ osbar, d.h. der L¨osungsvektor xL enth¨alt mindestens einen frei w¨ ahlbaren Parameter. Diese drei L¨ osungskategorien k¨ onnen an einfachen LGS mit zwei Variablen und zwei Gleichungen untersucht und f¨ ur diesen Fall auch graphisch dargestellt werden. Wir betrachten das LGS: −3x1 + 2x2 = 4
(5.13)
x2 = 5.
(5.14)
Setzen wir Gl. (5.14) in (5.13) ein, so erhalten wir: −3x1 + 10 = 4 x1 = 2. Die L¨ osung des LGS ist also: xL =
2 . 5
5.3 Lineare Gleichungssysteme
153
In der graphischen Darstellung erh¨ alt man einen Schnittpunkt der beiden Geraden (5.13) und (5.14). Dies ist in der Abbildung 5.5 dargestellt.
x2
−3x1 + 2x2 = 4 5
x2 = 5
x1
2
Abbildung 5.5. Graphische Darstellung der eindeutigen L¨ osung eines LGS
Betrachten wir nun ein zweites LGS: x1 + x2 = 0
(5.15)
x1 + x2 = 1.
(5.16)
Aus (5.15) folgt x1 = −x2 . Verwenden wir dies in Gl. (5.16), so erhalten wir −x2 + x2 = 1 also mit 0 = 1 eine falsche Aussage. Dieses LGS ist somit unl¨ osbar. In der graphischen Darstellung in der Abbildung 5.6 ¨außert sich dieser Sachverhalt darin, dass die beiden Geraden parallel sind und sich nicht schneiden. Schließlich noch der 3. Fall. Wir betrachten das LGS: x1 + 2x2 = 3 2x1 + 4x2 = 6.
(5.17) (5.18)
Setzen wir jetzt x1 = 3 − 2x2 aus der Gl. (5.17) in die Gleichung (5.18) ein, so erhalten wir eine stets wahre Aussage, z.B. in der Form 2(3 − 2x2 ) + 4x2 = 6 x2 = x2 . Das urspr¨ ungliche LGS schreiben wir in der Form:
154
5 Lineare Algebra
x2 x2 = 1 − x1 x2 = −x1 1
1
x1
Abbildung 5.6. Graphische Darstellung eines nicht-l¨ osbaren LGS
x1 = 3 − 2x2 x2 = x2 und interpretieren die L¨ osung folgendermaßen: F¨ ur x2 ist ein beliebiger reeller Parameter x2 = t ∈ R w¨ ahlbar, f¨ ur die L¨ osung xL erhalten wir:
3 − 2t . xL = t In der graphischen Darstellung (vgl. Abbildung 5.7) erkennt man, dass die Gleichungen (5.17) und (5.18) auf identische Geraden f¨ uhren, es gibt also beliebig viele Schnittpunkte. Man sagt in diesem Fall, die Gleichungen des LGS sind linear abh¨angig. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Vektoren, die aus den Koeffizienten gebildet werden, linear abh¨angig sind. Hier sind dies die Vektoren
123 246 , und wobei die dritte Komponente jeweils f¨ ur die rechte Seite der Gleichungen (5.17) und (5.18) steht.
5.3.2 L¨ osungsverfahren f¨ ur lineare Gleichungssysteme In diesem Kapitel untersuchen wir zwei Verfahren, um lineare Gleichungssysteme zu l¨ osen. Zun¨ achst betrachten wir das Gaußsche Eliminationsverfahren. Die Idee ist, durch sukzessives Eliminieren von Variablen das LGS in eine Form zu bringen, bei der in der letzten Gleichung nur eine Variable vorkommt, in
5.3 Lineare Gleichungssysteme
155
x2
3 2
x1
3
Abbildung 5.7. Graphische Darstellung eines mehrdeutig l¨ osbaren LGS
der vorletzten Gleichung noch zwei Variable, in der ersten Gleichung bleiben dabei alle Variablen erhalten. Wir betrachten dazu ein Beispiel eines linearen Gleichungssystems mit drei Variablen und drei Gleichungen: 2x1 + 4x2 − 2x3 = 20
(5.19)
x1 + 3x2 − 2x3 = 13 −x1 + x2 + x3 = 5.
(5.20) (5.21)
In einem ersten Schritt eliminieren wir die Variable x1 aus allen Gleichungen außer der ersten. Dabei ist darauf zu achten, dass die u ¨brigen Gleichungen mindestens einmal verwendet werden. Durch Subtraktion der Gleichungen (5.19) - (5.20) und Addition von Gl. (5.20) und (5.21) erhalten wir das ¨aquivalente LGS3 : 1 · (5.19) : 2 (5.19) − (5.20) : (5.20) + (5.21) :
x1 + 2x2 − x3 = 10
(5.22)
− x2 + x3 = −3 4x2 − x3 = 18.
(5.23) (5.24)
Im n¨ achsten Schritt wollen wir erreichen, dass aus (5.24) eine Gleichung wird, in der nur noch die Variable x3 vorkommt. Weiterhin ist es w¨ unschenswert, dass die ersten Variablen in den entsprechenden Gleichungen den Koeffizienten 1 haben. Dies erreichen wir durch:
3
Bei den nachfolgenden Transformationen der linearen Gleichungssysteme handelt es sich um ¨ aquivalente Umformungen, die wir in Kapitel 1.4 untersucht haben, solche Transformationen ¨ andern die L¨ osungsmenge nicht.
156
5 Lineare Algebra
x1 + 2x2 − x3 = 10 x2 − x3 = 3
(5.22) : −(5.23) :
(5.25) (5.26)
1 (4 · (5.23) + (5.24)) : x3 = 2. (5.27) 3 Die L¨ osung des urspr¨ unglichen LGS l¨ asst sich nun von unten her schrittweise bestimmen: aus (5.27) : damit und (5.26) : damit und (5.25) : Damit ist der L¨ osungsvektor
x3 = 2 x2 = 3 + x3 = 5 x1 = 10 − 2x2 + x3 = 2. ⎛ ⎞ 2 xL = ⎝5⎠ . 2
Im Gaußschen L¨ osungsverfahren werden die Variablen schrittweise eliminiert und man erh¨ alt dadurch eine ’Dreiecksform’ des linearen Gleichungssystems (das sind Gl. (5.25) - (5.27)), aus der die L¨osung in wenigen elementaren Rechenschritten bestimmt werden kann. ¨ Ein zweites Verfahren, das wir hier n¨ aher betrachten wollen, hat große Ahnlichkeit mit dem Gaußschen Verfahren, zielt jedoch auf eine etwas andere Form der Darstellung des LGS ab, um die L¨ osung zu bestimmen. In diesem Verfahren, das Pivot-Verfahren oder Verfahren der vollst¨ andigen Elimination von Variablen genannt wird, wird das LGS in die sogenannte Diagonalform gebracht. Hieraus kann die L¨osung des urspr¨ unglichen LGS direkt abgelesen werden. Betrachten wir die Koeffizienten des LGS als Spaltenvektoren, dann werden in diesem Verfahren schrittweise Einheitsvektoren generiert. Zur Illustration dieses Verfahrens betrachten wir das gleiche Beispiel wie zuvor, um die Unterschiede deutlich zu machen. 2x1 + 4x2 − 2x3 = 20
(5.28)
x1 + 3x2 − 2x3 = 13
(5.29)
−x1 + x2 + x3 = 5.
(5.30)
Zun¨ achst wird der Einheitsvektor in Spalte 1 (Koeffizienten der Variablen x1 ) generiert. Bei der Umformung wird in diesem Verfahren grunds¨atzlich nur die Gleichung verwendet, bei der die 1 als Koeffizient stehen soll und die Gleichung, bei der sich im jeweiligen Schritt die 0 als Koeffizient ergeben soll. 1 · (5.28) : 2 (5.29) − (5.31) :
1 · x1 + 2 · x2 −
(5.30) + (5.31) :
0 · x1 + 3 · x2 − 0 · x3 = 15.
0 · x1 +
x3 = 10
x2 − x3 = 3
(5.31) (5.32) (5.33)
5.3 Lineare Gleichungssysteme
157
Im n¨ achsten Schritt kommt es uns darauf an, den Spaltenvektor ⎛ ⎞ 0 e2 = ⎝1⎠ 0 zu erzeugen, wobei nat¨ urlich der Einheitsvektor ⎛ ⎞ 1 e1 = ⎝0⎠ 0 erhalten bleiben soll. Dies wird erreicht durch: (5.31) − 2 · (5.32) :
1 · x1 + 0 · x2 +
x3 = 4
(5.34)
(5.32) : (5.33) − 3 · (5.32) :
0 · x1 + 1 · x2 − x3 = 3 0 · x1 + 0 · x2 + 3 · x3 = 6.
(5.35) (5.36)
Den letzten Einheitsvektor
⎛ ⎞ 0 e3 = ⎝0⎠ 1
erhalten wir durch die Umformung: 1 · (5.36) : 3 1 (5.35) + · (5.36) : 3 1 · (5.36) : 3 (5.34) −
1 · x1 + 0 · x2 + 0 · x3 = 2
(5.37)
0 · x1 + 1 · x2 + 0 · x3 = 5
(5.38)
0 · x1 + 0 · x2 + 1 · x3 = 2.
(5.39)
Bei diesem Verfahren k¨ onnen wir die L¨ osung ⎛ ⎞ 2 xL = ⎝5⎠ 2 direkt ablesen. Wir wollen dieses Verfahren, das Pivot-Verfahren, nochmals unter dem Gesichtspunkt der Schematisierung betrachten. Die Koeffizienten schreiben wir hierzu in eine Tabelle und f¨ uhren das Rechenverfahren durch analog zu den Umformungen des LGS oben.
158
5 Lineare Algebra
x1
x2
x3
b
2
4
−2
20
1
3
−2
13
−1
1
1
5
Pivot-Zeile
Pivot-Spalte Die Spalte, f¨ ur die der Einheitsvektor generiert werden soll, legt die PivotSpalte fest. Die Zeile, in der die 1 stehen soll, legt die Pivot-Zeile fest. Das Element, das im Schnitt von Pivot-Spalte und Pivot-Zeile steht, wird PivotElement genannt. Alle u ¨ brigen Elemente der Pivot-Spalte bezeichnen wir als Pivot-Spaltenkoeffizienten (PSK) einer Zeile. Die Transformation des LGS erfolgt zeilenweise in zwei Schritten:
Definition
Pivot-Schritt
1. Transformation der Pivot-Zeile: Neue Pivot-Zeile =
Alte Pivot-Zeile . Pivot-Element
2. Transformation aller u ¨ brigen Zeilen: Neue Zeile = Alte Zeile − PSK · Neue Pivot-Zeile.
Diese Transformation der Tabelle entspricht genau den Umformungen am LGS.
5.3 Lineare Gleichungssysteme
x1
x2
x3
b
1
2
−1
10
0
1
−1
3
0
0
3
15
159
Pivot-Zeile
Pivot-Spalte In dieser Tabelle werden erneut Pivot-Spalte und -Zeile definiert und ein weiterer Transformationsschritt ausgef¨ uhrt: x1
x2
x3
b
1
0
1
4
0
1
−1
3
0
0
3
6
Pivot-Zeile
Pivot-Spalte Im letzten Schritt erhalten wir die Diagonalform des LGS:
x1
x2
x3
b
1
0
0
2
0
1
0
5
0
0
1
2
Eine ¨ aquivalente Formulierung der Transformationsregel ergibt sich allgemein durch die Verwendung einer Schreibweise des LGS in Indexform:
160
5 Lineare Algebra
x1 x2 a11 a12 a21 a22 .. .. . . ai1 ai2 .. .. . . aj1 aj2 am1 am2
· · · xk · · · a1k · · · a2k .. .. . . · · · aik .. .. . . · · · ajk · · · amk
··· ··· ··· .. .
xp · · · a1p · · · a2p · · · .. .. . . · · · aip · · · .. .. .. . . . · · · ajp · · · · · · amp · · ·
xn a1n a2n .. .
b b1 b2 .. .
ain .. . ajn amn
bi .. . bj bm .
Die k-te Spalte sei die Pivot-Spalte, die i-te Zeile der Tabelle sei die PivotZeile; aik ist dann das Pivot-Element. F¨ ur die Transformation der Elemente in der Pivot-Zeile gilt die Umrechnung: aip , aik bi = . aik
aneu ip =
(5.40)
bneu i
(5.41)
Damit in den Zeilen j = i, die nicht Pivot-Zeilen sind, eine 0 in der PivotSpalte generiert wird, muss ajk transformiert werden unter Verwendung von ajk und aik gem¨ aß: !
aneu jk = 0 = ajk −
ajk · aik , aik
f¨ ur j = i.
Eine analoge Transformation muss daher f¨ ur alle Zeilenelemente ajp vorgenommen werden, die nicht in der Pivot-Spalte stehen p = k: ajk · aip , aik ajk = bj − · bi , aik
aneu jp = ajp − bneu j
p = 1, 2, . . . , n
(5.42) (5.43)
mit j = 1, 2, . . . , m;
p = 1, 2, . . . , n;
j = i; p = k.
Wie sich die F¨ alle unl¨ osbarer und nicht eindeutig l¨osbarer LGS im PivotVerfahren darstellen, betrachten wir nun zun¨ achst an zwei Beispielen.
5.3 Lineare Gleichungssysteme
x1
x2
x3
b
1
2
−1
10
1
3
−2
13
−1
−4
3
−12
x1
x2
x3
b
1
2
−1
10
0
1
−1
3
0
−2
2
−2
x1
x2
x3
b
1
0
1
4
0
1
−1
3
0
0
0
4
161
Betrachten wir die letzte Tabelle, so stellen wir fest, dass kein weiterer PivotSchritt mehr m¨ oglich ist, da das in Frage kommende Pivot-Element den Wert 0 hat. Das Verfahren muss an dieser Stelle abgebrochen werden. Als Gleichung ausgeschrieben wird deutlich, dass die letzte Zeile eine falsche Aussage darstellt: 0 · x1 + 0 · x2 + 0 · x3 = 4 0 = 4. Somit ist das LGS unl¨ osbar. In entsprechender Weise stellt sich der Fall nicht eindeutig l¨osbarer LGS dar, wie das folgende Beispiel zeigt:
162
5 Lineare Algebra
x1
x2
x3
b
1
2
−1
10
1
3
−2
13
−1
−4
3
−16
x1
x2
x3
b
1
2
−1
10
0
1
−1
3
0
−2
2
−6
x1
x2
x3
b
1
0
1
4
0
1
−1
3
0
0
0
0
Auch hier ist kein weiterer Schritt m¨ oglich, aber die letzte Zeile beinhaltet eine wahre Aussage. Schreiben wir hierf¨ ur 0 = x3 − x3 , so erhalten wir als allgemeine L¨ osung: x1 + x3 = 4 x2 − x3 = 3 0 = x3 − x3 bzw.:
⎞ ⎛ ⎞ 4 − x3 x1 ⎝x2 ⎠ = ⎝3 + x3 ⎠ x3 x3 ⎛
mit x3 ∈ R als beliebigen Parameter. 5.3.3 Standardisierte Form von linearen Gleichungssystemen Wir betrachten das allgemeine LGS A·x =b mit:
5.3 Lineare Gleichungssysteme
163
⎛ ⎞ ⎞ b1 x1 ⎜ b2 ⎟ ⎜ x2 ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ x = ⎜ . ⎟ und b = ⎜ . ⎟ . ⎝ .. ⎠ ⎝ .. ⎠ ⎛
xn
bn
Wir k¨ onnen in einem Pivot-Verfahren solange Einheitsvektoren einf¨ uhren, bis die Tabelle nach k Schritten die folgende Form annimmt4 : x1 1 0 .. .
x2 0 1 .. .
... ... ... .. .
xk 0 0 .. .
xk+1
...
0 0 .. .
0 0 .. .
... ... .. .
1 0 .. .
0
... .. .
0
0
...
0
0
...
xn
Ω
b ˜b1 ˜b2 .. . ˜bk
0 ˜bk+1 .. . 0 ˜bm
Der linke Teil der Tabelle (x1 , x2 , . . . , xk ) enth¨ alt die im Verfahren generierten Einheitsvektoren. Im Feld unten rechts m¨ ussen alle Elemente Null sein, sonst w¨ are ein weiterer Pivot-Schritt m¨ oglich. In der mit Ω bezeichneten Teiltabelle stehen beliebige Koeffizienten, die sich im Laufe der Transformation ergeben. Das L¨ osungsverhalten eines linearen Gleichungssystems l¨asst sich nun an der Tabelle ablesen: 1. Das LGS ist unl¨ osbar, wenn einer der Wert ˜bk+1 , ˜bk+2 , . . . , ˜bm von Null verschieden ist. 2. Das LGS ist eindeutig l¨ osbar, wenn k = m = n ist. 3. F¨ ur ˜bk+1 = ˜bk+2 = . . . = ˜bm = 0 ist das LGS mehrdeutig l¨osbar, es k¨ onnen (m − k) freie L¨ osungsparameter eingef¨ uhrt werden. In den beiden zuletzt betrachteten Beispielen ist jeweils k = 2. Einmal ergab sich ˜b3 = 4. Das LGS ist demnach unl¨ osbar, im letzten Fall ˜b3 = 0, und damit eine L¨ osungsmenge, die einen freien Parameter hat. 5.3.4 Matrixinvertierung Mit dem im vorigen Abschnitt behandelten Pivot-Verfahren zur L¨osung linearer Gleichungssysteme steht uns auch ein effizientes Verfahren zur Verf¨ ugung, 4
Unter Umst¨ anden ergibt sich diese Form erst nach dem Vertauschen von Zeilen, was aber die L¨ osung des LGS nicht ver¨ andert, da eine Vertauschung der Zeilen nur die Reihenfolge der Gleichungen ¨ andert.
164
5 Lineare Algebra
die Inverse A−1 einer Matrix A zu bestimmen. Wir erinnern uns an die Definition der inversen Matrix: A · A−1 = 1n×n .
(5.44)
Die Matrizenmultiplikation k¨ onnen wir als Skalarprodukt der Zeilenvektoren von A mit den Spaltenvektoren von A−1 auffassen. Der erste Spaltenvektor der Einheitsmatrix ergibt sich somit als Produkt der Matrix A mit dem ersten Spaltenvektor von A−1 . Dies wird im Folgenden genauer betrachtet. Die Matrix A sei gegeben durch: ⎞ ⎛ a11 a12 . . . a1n ⎜ a21 a22 . . . a2n ⎟ ⎟ ⎜ A=⎜ . . . ⎟. ⎝ .. .. . . . .. ⎠ an1 an2 . . . ann F¨ ur die Koeffizienten der zu bekannten xij ein: ⎛ x11 ⎜ x21 ⎜ A−1 = ⎜ . ⎝ .. xn1
bestimmenden Matrix A−1 f¨ uhren wir die Un⎞ x12 . . . x1n x22 . . . x2n ⎟
⎟ .. .. ⎟ = x1 x2 . . . xn . . ... . ⎠ xn2 . . . xnn
Die Einheitsmatrix schreiben wir in der Form: ⎛ ⎞ 1 0 ··· 0 ⎜0 1 · · · 0⎟
⎜ ⎟ 1n×n = ⎜ . . . . ⎟ = e1 e2 · · · en . . . . . ⎝. . . .⎠ 0 0 ··· 1 Mit diesen Umformungen l¨ asst sich die Gl. (5.44) in n lineare Gleichungssysteme separieren. F¨ ur jeden Spaltenvektor xi von A−1 ist ein lineares Gleichungssystem der folgenden Form zu l¨ osen: A · xi = ei ,
i = 1, 2, . . . , n.
Diese Gleichungssysteme haben alle die gleiche Koeffizientenmatrix A und unterscheiden sich nur in den Gliedern auf der rechten Seite. Das PivotVerfahren l¨ auft also f¨ ur alle n LGS nahezu gleich ab, lediglich die rechte Seite der Tabelle ist verschieden. Beispiel: Wir berechnen die inverse Matrix zu:
5.3 Lineare Gleichungssysteme
165
12 . A= 21
x11 x12 12 10 · . = 21 01 x21 x22
Es ist zu l¨ osen:
Dieser Gleichung entspricht den beiden linearen Gleichungssystemen: x11 + 2x21 = 1 2x11 + x21 = 0 und x12 + 2x22 = 0 2x12 + x22 = 1. Das erste LGS l¨ osen wir in der Form: x11
x12
b
x11
x12
b
x11
x12
b
1
2
1
1
2
1
1
0
− 13
2
1
0
0
−3
−2
0
1
2 3
Das zweite LGS entsprechend:
x11
x12
b
x11
x12
b
x11
x12
b
1
2
0
1
2
0
1
0
2 3
2
1
1
0
−3
1
0
1
- 13
Die Koeffizienten im linken Teil der Tabellen werden also gem¨aß dem PivotVerfahren identisch transformiert (auch wenn die zugeh¨origen Variablen verschieden sind). Lediglich die rechten Spalten sind bei der L¨osung verschieden. Wir fassen nun die L¨ osung der beiden LGS in einer Tabelle zusammen und schreiben links die Matrix A, rechts ergibt sich die Einheitsmatrix.
166
5 Lineare Algebra
A
E
A−1
E
1
2
1
0
1
2
1
0
1
0
− 13
2 3
2
1
0
1
0
−3
-2
1
0
1
2 3
− 13
Das eingerahmte Element bezeichnet in dem jeweiligen Schritt das PivotElement. Im letzten Schritt ergibt sich die gesuchte Inverse der Matrix A. Die Existenz der Inversen A−1 ergibt sich im Laufe des Pivot-Verfahrens. Das Pivot-Verfahren bricht ab, wenn im Verlauf des Verfahrens kein PivotElement = 0 mehr existiert. Dann ist die Matrix nicht invertierbar. Hierzu betrachten wir das folgende Beispiel: A
E
1
2
2
1
0
0
2
1
1
0
1
0
1
1
1
0
0
1
−→
−→
1
2
2
1
0
0
0
−3
-3
-2
1
0
0
-1
-1
-1
0
-1
1
0
0
− 23
2 3
0
0
1
1
2 3
− 13
0
0
0
0
− 13 − 13
0
Es gelingt nicht, den dritten erforderlichen Einheitsvektor zu generieren. Dies h¨ angt nat¨ urlich nicht von der Reihenfolge ab, in der die Einheitsvektoren im Pivot-Verfahren generiert werden. Der Leser u davon, ¨ berzeugt sich leicht⎛ ⎞ dass 0 das Verfahren genauso abbricht, wenn der Einheitsvektor e3 = ⎝0⎠ zuerst 1 generiert wird.
5.3 Lineare Gleichungssysteme
167
Die Existenz einer inversen Matrix ist im Zusammenhang mit linearen Gleichungssystemen von Interesse. Betrachten wir dazu das LGS: A·x= b und multiplizieren diese Gleichung mit A−1 von links, so erhalten wir: −1 −1 A · A x = A b 1n×n
x = A−1 b.
(5.45)
Die letzte Umformung setzt voraus, dass n = m ist, also die Zahl der Gleichungen gleich der Zahl der Unbekannten ist. Sie zeigt, dass die Existenz einer Matrix A−1 mit der eindeutigen L¨ osbarkeit des LGS verkn¨ upft ist. Sowohl bei der L¨ osung des LGS als auch beim Invertieren der Matrix A l¨asst sich keine vollst¨ andige Diagonalisierung durchf¨ uhren. F¨ ur die Existenz einer inversen Matrix gibt es eine Kenngr¨oße, die wir abschließend betrachten wollen: Die Determinante einer Matrix. Definition
Determinate einer 2 × 2-Matrix
Die Determinante einer quadratischen 2×2-Matrix ist definiert durch
a11 a12 det A = det = a11 a22 − a12 a21 ∈ R. (5.46) a21 a22
Die Determinante einer Matrix ist also eine reelle Zahl. Bei der Inversion der Matrix A zeigt sich, dass die Inverse genau dann existiert, wenn det A = 0. Die Determinante der Koeffizientenmatrix eines LGS kann wegen Gl. (5.45) auch herangezogen werden, um zu entscheiden, ob es eine eindeutige L¨osung des LGSs gibt: Ein lineares Gleichungssystem der Form Ax = b ist eindeutig l¨osbar, wenn det A = 0. Diese Aussage l¨ asst sich auf n × n-Matrizen verallgemeinern, wie hier ohne Beweis angegeben ist. Mit der Determinanten einer Matrix A l¨asst sich also leicht die Existenz der inversen Matrix pr¨ ufen. F¨ ur 3 × 3-Matrizen l¨asst sich die Determinante nach folgendem Schema berechnen:
168
5 Lineare Algebra
a11
a12
a13
a11
a12
a21
a22
a23
a21
a22
a31
a32
a33
a31
a32
Wir schreiben die ersten beiden Spalten der Matrix nochmals rechts an die Spalten der Matrix und bilden dann die Differenz aus der Summe von Produkten, die auf den entsprechenden Diagonalen stehen. det A = (a11 a22 a33 + a12 a23 a31 + a31 a21 a32 ) − (a13 a22 a31 + a11 a23 a33 + a12 a21 a32 ).
(5.47)
Determinanten von n × n-Matrizen werden nach dem Entwicklungssatz auf Determinanten von (n − 1) × (n − 1)-Matrizen zur¨ uckgef¨ uhrt und lassen sich somit iterativ berechnen (siehe dazu Bronstein et al. (2005)). 5.3.5 Betriebswirtschaftliche Anwendungen Produktionsverflechtung Bei komplexen Produktionsprozessen, die beispielsweise in der chemischen Industrie auftreten, stellt sich die Problematik, dass Zwischenprodukte einerseits direkt auf den Markt gebracht werden, andererseits aber auch als weiter zu verarbeitendes Produkt innerhalb des Produktionsprozesses eingesetzt werden. Eine solche Verflechtung von Produkten u ¨ ber mehrere Produktionsstufen wird h¨ aufig im sogenannten Gozinto-Graphen5 dargestellt. Wir betrachten zwei Produktionsknoten i und j von denen die Mengen xi bzw. xj zu produzieren sind. Die Gr¨ oße ai gibt an, welche Menge des Produktes i ausgeliefert wird. Der Koeffizient kij gibt an, wieviele Einheiten des Produktes i f¨ ur die Produktion einer Einheit des Produktes j ben¨otigt werden. ai j i
kij
F¨ ur die Berechnung von xi gilt also: 5
Nach A. Vazsonyi, der in humorvoller Absicht diese Betrachtungen auf den ’italienischen Mathematiker’ Zepartzat Gozinto zur¨ uckf¨ uhrte. Ausgesprochen The part that goes into wird der Zusammenhang klar.
5.3 Lineare Gleichungssysteme
xi = ai +
169
kij · xj .
j
Bei gegebenen Auslieferungen ai und Verflechtungskoeffizienten kij ergibt sich f¨ ur den Vektor der Produktionsmengen x = (x1 , x2 , . . . , xn ) ein lineares Gleichungssystem. Dies betrachten wir an einem Beispiel, das durch folgenden Gozinto-Graphen beschrieben wird: 5
5 3
2 1
3 2
1
7 4
6
3
3
1
2
Diese Verflechtung wird durch das folgende LGS beschrieben: x1 = 2x3 + x5 x2 = 3x3 + 3x4 + 7x5 x3 = x4 + 2x5 x4 = 3x5 + 6 x5 = 5. Aufgrund der speziellen Form des LGS ist die L¨osung hier leicht abzulesen: x5 = 5 x4 = 3 · 5 + 6 = 21 x3 = 21 + 2 · 5 = 31 x2 = 3 · 31 + 3 · 21 + 7 · 5 = 181 x1 = 2 · 31 + 5 = 67. Technologiematrix und Leontief-Inverse6 Wir verallgemeinern die oben angef¨ uhrte Betrachtung auf eine Verflechtung von verschiedenen produzierenden Sektoren, wie sie z.B. auch in der Volkswirtschaft gegeben ist. Die Produktionskoeffizienten aij geben an, wieviele 6
Wassily Leontief (1905 – 1999), Nobelpreis f¨ ur Wirtschaftswissenschaften 1973.
170
5 Lineare Algebra
Einheiten des i-ten Produktes zur Herstellung einer Einheit des j-ten Produktes ben¨ otigt werden. Man nennt dies den endogenen Input. Zur Berechnung der Gesamtproduktion aller i = 1, 2, . . . , n Produkte kommt noch der Endverbrauch bi der einzelnen Produkte hinzu. F¨ ur die Gesamtproduktion ergibt sich in Matrixschreibweise: x = A · x + b. Ist die Produktion x fest vorgegeben, so l¨ asst sich der Endverbrauch berechnen nach
b = E − A · x. (5.48) Die Matrix E − A heißt Technologiematrix. Geht man dagegen davon aus, dass der Endverbrauch b gegeben ist, dann wird die Produktion berechnet nach:
−1 x= E−A · b. (5.49)
−1 heißt Leontief-Inverse. Aus diesem ZusammenDie Matrix E − A hang erkennt man, dass f¨ ur einen beliebigen, vorgegebenen Endverbrauch b die Produktion x nur berechnet werden kann, wenn die Technologiematrix invertierbar ist (d.h. die Leontief-Inverse existiert) und alle Elemente von (E − A)−1 positiv oder Null sind. Innerbetriebliche Leistungsverrechnung Betriebliche Leistungen werden erbracht, um Produkte oder Dienstleistungen zu erstellen. Dazu ist es in der Regel erfoderlich, dass einige Abteilungen auch gegenseitig f¨ ureinander Leistungen erbringen. Beispiele hierf¨ ur sind Personalleistungen oder die Energiebereitstellung. F¨ ur eine Ermittelung ad¨aquater Verrechnungspreise f¨ uhrt man die innerbetriebliche Leistungsverrechnung durch. Dabei setzt sich der Wert der produzierten Leistung zusammen aus den prim¨ aren Kosten, die f¨ ur die Leistungserbringung entstehen und den sekund¨ aren Kosten, die aus den jeweils empfangenen Leistungen resultieren. F¨ ur die Preiskalkulation werden Verrechnungspreise eingef¨ uhrt, die gleichzeitig in die sekund¨ aren Kosten und den Wert der Leistung eingehen. Es gilt also der Zusammenhang: Prim¨ are Kosten + Sekund¨ are Kosten = Wert der Leistung, mit sekund¨ are Kosten = empfangene Leistung × Verrechnungspreis und Wert der Leistung = Gesamtleistung × Verrechnungspreis.
5.3 Lineare Gleichungssysteme
171
Zur Berechnung der Verrechnungspreise wird daher ein lineares Gleichungssystem ben¨ otigt. Beispiel: Wir betrachten drei Kostenstellen, die untereinander Leistungen erbringen und empfangen, Leistungen exportieren und prim¨are Kosten verursachen. Lieferung Empfang Export Gesamt- Prim¨are ↓ −→ K1 K2 K3 leistung Kosten K1 0 10 0 20 30 100 K2 8 0 0 40 50 150 K3 4 5 20 20 40 200 F¨ ur die Verrechnungspreise ergibt sich das folgende LGS, aus der Betrachtung der Kosten und Lieferung f¨ ur jede Kostenstelle: K1 :
100 + 0 · p1 + 8 · p2 + 4 · p3 = 30 · p1
K2 : K3 :
150 + 10 · p1 + 0 · p2 + 5 · p3 = 50 · p2 200 + 0 · p1 + 0 · p2 + 20 · p3 = 40 · p3 .
Die L¨ osung ergibt sich hier zu: p3 = 10;
p2 =
740 ≈ 5, 21; 142
p1 ≈ 6, 05.
5.3.6 Eigenwerte einer Matrix Die folgende Betrachtung f¨ uhrt auf einen weiteren wichtigen Begriff f¨ ur die Anwendung von Matrizen. Die Multiplikation einer Matrix mit einem Vektor transformiert diesen Vektor: A · x = x . Die Abbildung 5.8 zeigt eine solche Transformation eines Vektors f¨ ur das Beispiel:
4 1 2 1 . = · −2 2 0 −1 Gibt es f¨ ur eine Matrix A spezielle Vektoren xe , die bei der Multiplikation mit A in eine Vielfaches λe von sich selbst u ¨ bergehen, so nennen wir diese Vektoren xe Eigenvektoren und λe Eigenwerte der Matrix A. Sie m¨ ussen folgende Gleichung erf¨ ullen: A · xe = λe xe
(5.50)
172
5 Lineare Algebra
x2 2 1 x 1
2
3
4
x1
x
-1 -2
Abbildung 5.8. Matrizenmultiplikation als Transformation eines Vektors
oder
A − λe · 1n×n · xe = 0.
(5.51)
Die Eigenwertgleichung (5.50) stellt ein lineares Gleichungssystem dar, f¨ ur das wir eine sogenannte triviale L¨ osung sofort angeben k¨onnen: xe = 0. Weitere L¨ osungen kann es nur geben, falls das LGS nicht eindeutig l¨osbar ist. Ein Kriterium f¨ ur die Existenz mehrdeutiger L¨osungen haben wir in Abschnitt 5.3.4 kennengelernt. Die Determinate der Koeffizientenmatrix muss gleich Null sein. Die Gleichung f¨ ur die Bestimmung der Eigenwerte lautet somit: Definition
Eigenwert einer Matrix
Eigenwerte einer Matrix A sind L¨ osungen λe der Gleichung:
(5.52) det A − λe · 1n×n = 0.
Die Gleichung (5.52) nennt man auch charakteristische Gleichung. Hierzu betrachten wir das obige Beispiel. Die Eigenwerte der Matrix
2 1 A= 0 −1
5.3 Lineare Gleichungssysteme
173
f¨ uhren auf die charakteristische Gleichung:
1 2 − λe =0 det 0 −1 − λe oder (2 − λe )(−1 − λe ) − 0 = 0 mit den beiden L¨ osungen: λe1 = 2,
λe2 = 1.
Mit den Eigenwerten lassen sich dann aus der Gl. (5.50) die Eigenvektoren bestimmen. Im Rahmen dieses Buches finden Eigenwerte Eingang in die Formulierung hinreichender Bedingungen f¨ ur die Existenz lokaler Extrema f¨ ur Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen, Eigenvektoren werden nicht weiter behandelt.
¨ Ubungen 5.1. In einem Produktionsbetrieb werden zwei Endprodukte aus drei Zwischenprodukten gefertigt. Zur Herstellung der Zwischenprodukte werden zwei Rohstoffe eingesetzt. Der jeweilige Mengenbedarf ist durch folgenden Produktionskoeffizienten beschrieben: RS1 RS2
ZP1 ZP2 ZP3
ZP1 1 1 EP1 2 1 1
ZP2 2 2
ZP3 2 , 1
EP2 2 . 1 2
Zur Fertigung werden 124 Einheiten RS1 und 98 Einheiten RS2 eingesetzt. Wieviele Einheiten der Endprodukte k¨ onnen bei vollst¨andigem Rohstoffverbrauch gefertigt werden? 5.2. Gegeben sind die beiden Matrizen ⎞ ⎛ 1 2 3 A = ⎝ 0 3 −1⎠ −4 1 0 Berechnen Sie:
2 21 . −1 0 4
B=
174
5 Lineare Algebra
a) A · B b) B · A c) A · B d) A · B e) A2 f) B2 g) (B )2 . 5.3. Multiplizieren Sie die Matrizen, wenn dies m¨oglich ist: a)
⎞ 1 5 7 A = ⎝3 −2 1⎠ , 0 2 6
⎞ 1 0 B = ⎝ 2 2⎠ . −1 5
b)
23 7 , A= 4 1 −8
1 3 −2 . B= 27 0
⎛
c) A= d)
20 , 01
1 5 7 , A= 3 −2 1
⎛
B=
−2 1 . 0 −1
⎞ 2 1 B = ⎝6 −1⎠ . 8 0 ⎛
5.4. Vereinfachen Sie die folgenden Matrizenprodukte: a) B · (A · B )−1 . b) A · (A · B) ) · (A−1 ) . 5.5. Zeigen Sie die Rechenregeln f¨ ur inverse Matrizen, Gl. (5.10) bis (5.12). 5.6. Invertieren Sie die folgende 2 × 2-Matrix A. Unter welcher Bedingung existiert die Inverse?
ab . A= cd
5.3 Lineare Gleichungssysteme
175
5.7. Untersuchen Sie, ob das folgende Gleichungssystem l¨osbar ist. Wie lautet ggf. die L¨ osung? ⎛ ⎞ ⎞ ⎛ ⎛ ⎞ x1 2 1 −2 3 1 ⎜x2 ⎟ ⎝3 2 −1 2 ⎠ · ⎜ ⎟ = ⎝4⎠ . ⎝x3 ⎠ 3 3 3 −3 5 x4 5.8. Wie m¨ ussen die Parameter a, b, c gew¨ ahlt werden, damit das folgende LGS l¨ osbar wird? ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ x1 1 2 −3 a ⎝2 6 −11⎠ · ⎝x2 ⎠ = ⎝ b ⎠ . 1 −2 7 c x3 Kann es eine eindeutige L¨ osung geben? 5.9. Invertieren Sie die folgenden Matrizen, falls die Inversen existieren: ⎞ ⎛ 1 2 −1 a) ⎝2 4 2 ⎠. 11 1 ⎞ ⎛ 1 2 −1 b) ⎝ 2 4 2 ⎠. −4 −8 −8 5.10. Bestimmen Sie die Eigenwerte der Matrix ⎞ ⎛ 2 4 −2 A = ⎝ 4 2 −2⎠ . −2 −2 −1 5.11. Die Determinante hat die Eigenschaft: det(A · B) = det(A) · det(B). Zeigen Sie diese Eigenschaft der Determinante explizit f¨ ur beliebige 2 × 2Matrizen A, B. 5.12. In einem Unternehmen sind die Produktionsfaktoren u ¨ ber folgende Produktionskoeffizienten miteinander verflochten: p1 p2 p3
p1 p2 0,5 0,1 0,2 0,5 0,1 0,1
p3 0,1 . 0 0,2
Pro Tag werden die Mengen x1 = 100, x2 = 200, x3 = 300 der Produkte p1 , p2 , p3 hergestellt. Wieviel Produkteinheiten k¨onnen an den Markt ausgeliefert werden?
176
5 Lineare Algebra
5.13. Gegeben seien die Produktionskoeffizienten einer sektoral verflochtenen Produktion durch die Matrix:
a 0, 5 (a > 0). A= 0, 2 0, 5 a) Welche Bedingung muss a erf¨ ullen, dass jede beliebige Nachfrage am Markt auch befriedigt werden kann? b) Berechnen Sie die zu produzierende Menge f¨ ur die Nachfrage b1 = 20, b2 = 30 bei einem Wert von a = 2/5. 5.14. F¨ unf Produktionssektoren P1 , P2 , . . . , P5 sind gem¨aß unten stehendem Gozinto-Graphen untereinander verflochten. Außerdem werden einzelne Produkte wie angegeben auch extern ausgeliefert. P3
2
2
P1
1 P5
5
3 7 3 P2 3
P4
6 Stellen Sie ein LGS auf f¨ ur die zu produzierenden Mengen und l¨osen Sie das LGS.
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
Lernziele
Dieses Kapitel vermittelt:
• die Bedeutung von Funktionen mit mehreren Ver¨anderlichen • die Erweiterung der Differentialrechnung auf Funktionen mit mehreren Variablen • wie Extremwerte mit und ohne Randbedingungen zu behandeln sind • die Anwendung des Gradientenverfahrens • eine Einf¨ uhrung in die Lagrange Methode
6.1 Einfu ¨ hrung und Darstellung Im Kapitel 2 haben wir den Zusammenhang einer unabh¨angigen Variable x und einer abh¨ angigen Variable y in der Form y = f (x) eingef¨ uhrt. In vielen F¨ allen h¨ angt die Gr¨ oße y aber nicht nur von einer Einflussvariablen x ab, sondern von mehreren x1 , x2 , . . . , xn . Wir schreiben hierf¨ ur: ⎛ ⎞ x1 ⎜ x2 ⎟ ⎜ ⎟ y = f (x) mit x = ⎜ . ⎟ . ⎝ .. ⎠ xn Diese Abh¨ angigkeit wird als Funktion bezeichnet, wenn die in Kapitel 2 beschriebene Eindeutigkeit erf¨ ullt ist. Anstelle von f :R x
−→ −→
R y = f (x)
betrachten wir nun die Verallgemeinerung:
178
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
f : Rn
x
−→ −→
R
⎛
y = f (x)
mit
⎞ x1 ⎜ x2 ⎟ ⎜ ⎟ x = ⎜ . ⎟. ⎝ .. ⎠ xn
F¨ ur den Fall n = 2 ergibt sich die Abbildung: f : R2 = R × R (x1 , x2 )
−→ −→
R y = f (x1 , x2 ).
In diesem Fall kann man den funktionalen Zusammenhang graphisch veranschaulichen durch die drei Koordinatenachsen x1 , x2 und y. Die Funktion y = f (x1 , x2 ) stellt eine gekr¨ ummte Fl¨ ache im Raum dar, siehe Abbildung 6.1.
P = f (f x1 , f x2 )
y
y = f (x1 , x2 ) •
x2
x2 f x f1
x1
Abbildung 6.1. Graphische Darstellung einer Funktion mit zwei Variablen f (x1 , x2 ) als Fl¨ ache in einem dreidimensionalen Raum mit Koordinaten x1 , x2 , y
Hierzu betrachten wir das Beispiel y = f (x1 , x2 ) = 1 − x21 − x22 mit der graphischen Darstellung in der Abbildung 6.2.
6.1 Einf¨ uhrung und Darstellung
179
y
x1
x2
Abbildung 6.2. Darstellung der Funktion y = f (x1 , x2 ) = 1 − x21 − x22
Eine weitere Darstellungsm¨ oglichkeit solcher Funktionen ergibt sich bei der Betrachtung von Schnittebenen parallel zu den Koordinatenebenen. Setzen wir x1 = const., so erhalten wir f¨ ur jede Ebene ein Bild der Funktion. In der Projektion auf die y − x2 -Ebene ergibt sich mit x1 = c1 = const. die folgende Darstellung (vgl. Abbildung 6.3): y = 1 − c21 − x22 . Eine analoge Darstellung finden wir in der Projektion auf die y − x1 -Ebene. Setzen wir y = const., so entsteht eine Darstellung der gekr¨ ummten Fl¨ache im Raum, die aus topographischen Karten bekannt ist: Der Verlauf des Profiles von y u ohenlinien beschrieben. ¨ ber der x1 − x2 -Ebene wird durch H¨ Setzen wir in unserem Beispiel y = c2 = const., dann folgt: c2 = 1 − x21 − x22
oder
x21 + x22 = 1 − c2 .
Die H¨ ohenlinien sind in diesem Beispiel also konzentrische Kreise, siehe Abbildung 6.4. Bei der Formulierung wirtschaftlicher Zusammenh¨ange treten Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen h¨ aufig auf. Die Produktionsfunktion beschreibt
180
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
y 1
x2
Abbildung 6.3. Projektionsdarstellung der Funktion y = 1 − x21 − x22 auf die y-x2 Ebene
x2
x1
Abbildung 6.4. H¨ ohenlinien der Funktion y = 1 − x21 − x22
die Produktionsmenge – also den Output – in Abh¨angigkeit von eingesetzten Produktionsfaktoren ri , wie Arbeit, Energie und Rohstoffe. x = x(r)
6.2 Differentialrechnung f¨ ur Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
181
Betrachten wir hier die H¨ ohenlinien, also die Linien konstanter Produktionsmengen, dann spricht man von Isoquanten. Beispiel: Eine Produktionsfunktion sei gegeben durch: x(r) = r12 + r20.5 . Die Isoquanten ergeben sich durch die Bedingung x(r) = const. c = r12 + r20.5
√ r2 = c − r12
r2 = (c − r12 )2 .
6.2 Differentialrechnung fu ¨ r Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen Um das Steigungsverhalten von Funktionen mit mehreren Ver¨anderlichen zu untersuchen, kn¨ upfen wir an die Definition der Ableitung einer Funktion mit einer Ver¨ anderlichen an. Die Modifikationen, die hierf¨ ur erforderlich sind, h¨ angen nicht von der Anzahl der Variablen ab, sondern sind konzeptioneller Natur. Die graphische Veranschaulichung f¨ ur den Fall zweier Variable ist dabei u ¨ beraus hilfreich. 6.2.1 Partielle Ableitung Die Steigung einer Funktion mit mehreren Ver¨anderlichen in Richtung einer Koordinatenachse xi ergibt sich, wenn wir Ver¨anderungen nur f¨ ur diese Koordinaten zulassen und alle anderen Koordinaten konstant halten. Dementsprechend definieren wir die partielle Ableitung:
Definition
Partielle Ableitung
Die partielle Ableitung der Funktion f (x) = f (x1 , x2 , . . . , xn ) nach der Variablen xi ist die Ableitung der Funktion f (x) nach der Variablen xi , wobei alle Variablen xj mit j = i als konstante Gr¨oßen betrachtet werden.
F¨ ur die partielle Ableitung benutzen wir die Schreibweise:
∂f . ∂xi
182
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
f (x, y) x = x0 = const.
y
y = y0 = const.
P = (x0 , y0 )
• y0 ˛ ˛
∂f ˛ ∂y ˛
x0
P
x
Abbildung 6.5. Veranschaulichung der partiellen Ableitung
Beispiel: F¨ ur die Funktion: f (x) = x21 + 2x1 x2 − 3x22 ergeben sich die folgenden partiellen Ableitungen: ∂f = 2x1 + 2x2 ∂x1 ∂f = 2x1 − 6x2 . ∂x2 F¨ ur
f (x) = x1 · eax2
erhalten wir: ∂f = eax2 ∂x1 ∂f = ax1 eax2 . ∂x2
6.2 Differentialrechnung f¨ ur Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
183
∂f ; i = 1, 2, . . . , n einer Funktion f (x). Sie ∂xi lassen sich in einem Vektor, dem Gradienten der Funktion f zusammenfassen.
Es gibt n partielle Ableitungen
Definition
Gradient
Existieren f¨ ur eine Funktion f (x) mit ⎛ ⎞ x1 ⎜ x2 ⎟ ⎜ ⎟ x=⎜ . ⎟ ⎝ .. ⎠ xn die partiellen Ableitungen
∂f (x) an der Stelle x, so heißt ∂xi ⎛ ∂f (x) ⎞ ∂x
1 ⎟ ⎜ ∂f (x) ⎜ ∂x2 ⎟ ⎜ grad f (x) = ⎜ . ⎟ ⎟ ⎝ .. ⎠
∂f (x) ∂xn
Gradient von f an der Stelle x.
Der Gradient einer Funktion mehrerer Ver¨anderlicher gibt die Richtung des steilsten Anstieges der Funktion f (x) an1 , der Betrag des Gradienten | grad f (x) | ist ein Maß f¨ ur die Gr¨ oße dieses Anstiegs. Beispiel: Wir betrachten die Funktion: f (x1 , x2 ) = 1 − x21 − x22 . Der Gradient ist der Vektor grad f (x) = 1
−2x1 . −2x2
Man zeigt diese Eigenschaft, indem man zun¨ achst die Steigung in einer beliebigen Richtung betrachtet und dann pr¨ uft, in welcher Richtung die Steigung maximal wird.
184
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
F¨ ur Funktionen, die partiell differenzierbar sind, k¨onnen wir auch h¨ohere partielle Ableitungen betrachten. F¨ ur praktische Anwendungen sind insbesondere die 2. partiellen Ableitungen von Interesse. F¨ ur eine partielle Ableitung ∂f /∂xi kann die 2. Ableitung nach jeder m¨ oglichen Variable xj betrachtet werden. Sofern diese Ableitungen an der Stelle x existieren, entsteht auf diese Weise die sogenannte Hesse-Matrix:
Definition
Hesse-Matrix ⎛
H(x) =
∂ 2 f (x) ∂xi ∂xj
∂ 2 f (x) ∂ 2 f (x) 1 ∂x1 ∂x1 ∂x2 ⎜ ∂x ⎜ ∂ 2 f (x) ∂ 2 f (x) ⎜ ∂x2 ∂x1 ∂x2 ∂x2
=⎜ ⎜ ⎝
.. .
.. .
∂ 2 f (x) ∂ 2 f (x) ∂xn ∂x1 ∂xn ∂x2
··· ··· .. . ···
⎞
∂ 2 f (x) ∂x1 ∂xn ⎟ ∂ 2 f (x) ⎟ ∂x2 ∂xn ⎟
.. .
∂ 2 f (x) ∂xn ∂xn
⎟. ⎟ ⎠
Die Hesse-Matrix ist quadratisch und wegen ∂ 2 f (x) ∂ 2 f (x) = ∂xi ∂xj ∂xj ∂xi auch symmetrisch. Mit Hilfe der Hesse-Matrix wird die Konvexit¨ at einer Funktion f (x) untersucht. Dies spielt wie bei Funktionen einer Ver¨anderlichen eine Rolle bei der Formulierung hinreichender Bedingungen f¨ ur lokale Extrema (vgl. Kapitel 6.3). 6.2.2 Das totale Differential Aus der Betrachtung von Funktionen mit einer Ver¨anderlichen wissen wir, ¨ dass die Anderung Δf der Funktion f in dem Punkt x beschrieben wird durch: Δf ≈ f (x) · Δx. Im Grenzfall Δx −→ 0 ergibt sich das Differential df = f (x)dx. Einen entsprechenden Ausdruck wollen wir nun f¨ ur Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen betrachten. ¨ Die totale Anderung df einer Funktion y = f (x) setzt sich zusammen aus ¨ den Anderungen, die sich in jeder Koordinatenrichtung ergeben:
6.2 Differentialrechnung f¨ ur Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
df =
n
185
dfxi .
i=1
¨ F¨ ur die Anderung dfxi in Koordinatenrichtung xi , k¨onnen wir mit der partiellen Ableitung schreiben: dfxi =
∂f dxi , ∂xi
dies wird als partielles Differential bezeichnet. ¨ Somit ergibt sich f¨ ur die totale Anderung (das totale Differential) folgende Definition: Definition
Totales Differential
Das totale Differential ist die Summe aller partiellen Differentiale. df =
n ∂f dxi . ∂xi i=1
(6.1)
Beispiel: Eine Produktionsfunktion ist gegeben durch: 1
x(r1 , r2 ) = 3r12 · 5r22 mit den beiden Inputfaktoren r1 und r2 und dem Output x. Anmerkung: Produktionsfunktionen der Form x(r) ∼ rk werden als Cobb-Douglas Produktionsfunktion bezeichnet. Die partielle Ver¨ anderung der Produktionsfaktoren ergibt sich durch Ver¨anderung von r1 um dr1 bzw. von r2 um dr2 . Das vollst¨andige Differential der Funktion x(r1 , r2 ) beschreibt nun die Ver¨ anderung des Outputs bei gleichzeitiger Ver¨ anderung beider Inputfaktoren: ∂x ∂x dr1 + dr2 ∂r1 ∂r2 1 15 − 12 2 r r dr1 + 30r12 r2 dr2 . = 2 1 2
dx =
186
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
Eine weitere Anwendung f¨ ur das totale Differential ergibt sich f¨ ur implizite Funktionen. Eine implizite Funktion hat die Form f (x) = 0, beispielsweise: f (x1 , x2 ) = x21 ex2 − x1 x22 = 0. Das totale Differential liefert eine M¨ oglichkeit, Ableitungen von impliziten Funktionen zu bilden, auch wenn die Funktion nicht in explizite Form umgeformt werden kann. F¨ ur solche impliziten Funktionen f (x) = f (x1 , x2 ) = 0
(6.2)
betrachten wir das totale Differential: df = oder:
∂f ∂f dx1 + dx2 ∂x1 ∂x2
df ∂f ∂f dx2 = + . dx1 ∂x1 ∂x2 dx1
Wegen f (x) = 0 folgt df =0 dx1 und somit:
∂f dx2 ∂x1 =− , ∂f dx1 ∂x2
falls
∂f = 0. ∂x2
(6.3)
Beispiel: F¨ ur
f (x1 , x2 ) = x21 ex2 − x1 x22 = 0
erh¨ alt man die Ableitung: ∂f 2x1 ex2 − x22 dx2 ∂x = − 1 . = − 2 x2 . ∂f dx1 x1 e − 2x1 x2 ∂x2 ¨ In der Okonomie findet dieses Verfahren Anwendung bei substituierbaren Produktionsfaktoren. Dieser Fall liegt vor, wenn ein Produktionsniveau konstant bleibt unter der Variation zweier Produktionsfaktoren, wie dies zum Beispiel durch Arbeitskraft und Maschineneinsatz oder im Fall verschiedener Energiequellen gegeben ist. Betrachten wir hierzu das vorige Beispiel mit der Produktionsfunktion:
6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen
187
1
x(r1 , r2 ) = 3r12 · 5r22 . Wir fragen, wie die Ressource r1 durch die Ressource r2 ersetzt werden kann, um eine Produktion x0 zu gew¨ ahrleisten. Der Zusammenhang wird gegeben durch die Steigung der Isoquanten von 1
x(r1 , r2 ) = 3r12 · 5r22 = x0 und ist abh¨ angig von einem bestimmten Punkt (r1 , r2 ). Gem¨aß Gl. (6.3) bilden wir f¨ ur die Funktion 1
f (r1 , r2 ) = 3r12 · 5r22 − x0 = 0 die Ableitung: ∂f 3 − 12 r1 · 5r22 dr2 1 r2 ∂r1 2 =− =− 1 =− · . ∂f dr1 4 r1 3r12 · 5 · 2r2 ∂r2 Im Punkt (r1 , r2 ) erhalten wir also f¨ ur die Substitution von r1 durch r2 den Zusammenhang 1 r2 dr2 = − · · dr1 . 4 r1
6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen Bei der Behandlung von Extremwertaufgaben von Funktionen mit mehreren Variablen k¨ onnen wir auf die Konzepte, die wir bei der Betrachtung von Funktionen mit einer Ver¨ anderlichen eingef¨ uhrt haben, zur¨ uckgreifen, m¨ ussen nun aber die in Kapitel 6.2 betrachteten Begriffe verwenden. Zun¨achst ist wieder zu unterscheiden zwischen Extremwertaufgaben ohne und mit Randbedingungen. 6.3.1 Extremwerte ohne Randbedingungen Wie in Kapitel 3.5 suchen wir relative Maxima und Minima, ohne dabei Randwerte zu ber¨ ucksichtigen. F¨ ur die Funktion y = f (x) suchen wie die Vektoren xE , in denen yE = f (xE ) lokal maximal oder minimal wird. Die notwendige Bedingung hierf¨ ur ist, dass die Steigung in allen Richtungen Null ist, d.h. dass alle partiellen Ableitungen Null sind. Mit Hilfe des Gradientenvektors l¨ asst sich dies folgendermaßen formulieren:
188
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
f (x, y)
P
y
x
Abbildung 6.6. Lokales Minimum einer Funktion mit zwei Ver¨ anderlichen
Notwendige Bedingung f¨ ur die Existenz lokaler Extrema: Wenn y = f (x) im Punkt x = xE ∈ Rn ein lokales Extremum hat, dann muss gelten: gradf (xE ) = 0. (6.4) Die Bedingung: gradf (xE ) = 0 stellt ein System von n gekoppelten Gleichungen dar. Solange die Funktion y = f (x) nur quadratische Terme enth¨ alt, handelt es sich bei Gl. (6.4) um ein lineares Gleichungssystem. Effiziente L¨ osungsverfahren hierf¨ ur haben wir in Kapitel 5.3.2 ausf¨ uhrlich betrachtet. F¨ ur den allgemeinen Fall ben¨otigen wir ein N¨ aherungsverfahren, mit dem die Gleichung(en) gradf (xE ) = 0 gel¨ost werden k¨ onnen. Beispiel: Wir betrachten die Funktion: f (x1 , x2 ) = x21 − 2x1 x2 . Der Gradientenvektor dieser Funktion ist:
6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen
189
⎛
⎞ ∂f (x1 , x2 )
2x1 − 2x2 ⎜ ⎟ ∂x1 . gradf (x1 , x2 ) = ⎝ = ∂f (x1 , x2 ) ⎠ −2x1 ∂x2 !
Die notwendige Bedingung f¨ ur Extrema, gradf (x1 , x2 ) = 0, f¨ uhrt auf das lineare Gleichungssystem: 2x1 − 2x2 = 0 −2x1 = 0 mit der L¨ osung: x1 = 0, x2 = 0. Im allgemeinen Fall – wenn also die Funktion f (x) h¨ohere Terme als quadratische enth¨ alt – steht mit dem sogenannten Gradientenverfahren eine effiziente Methode zur Verf¨ ugung. Anschaulich l¨ asst sich das Gradientverfahren folgendermaßen beschreiben (f¨ ur die Suche nach einem lokalen Maximum): Ausgehend von einem beliebigen Startpunkt sucht man in einer Gebirgslandschaft den n¨ achstgelegenen lokalen Gipfel. Man ermittelt im Startpunkt die Richtung des steilsten Anstiegs und bewegt sich solange in diese Richtung, bis es nicht weiter bergauf geht. Dann bewegt man sich ausgehend von diesem Punkt wieder in Richtung des steilsten Anstiegs, solange es bergauf geht. Dies wiederholt man solange, bis es in keiner Richtung mehr nennenswert ansteigt. Man befindet sich dann (n¨ aherungsweise) auf dem lokalen Gipfel. Wie beim Newton-Verfahren zur Nullstellenbestimmung (vgl. Kap. 3.6.2) handelt es sich bei dem Gradientenverfahren um ein iteratives N¨ aherungsverfahren. Wir ben¨ otigen eine Z¨ ahlvariable k, die die Iterationen des Verfahrens z¨ ahlt und eine Abbruchschranke , > 0, mit der das Verfahren beendet wird, wenn die Steigung entsprechend klein ist. Algorithmus Gradientenverfahren Maximiere z = f (x), x ∈ Rn 1 Initialisierung: Setze k = 0, w¨ ahle x = x(k) als Startl¨ osung und eine Abbruchschranke , ( > 0). In diesem ersten Schritt des Verfahrens muss also ein Startwert angenommen und die Genauigkeit des Verfahrens vorgegeben werden. 2 Terminierung: Falls | gradf (x(k) ) |< , bricht das Verfahren ab. Der Vektor x(k) ist das gesuchte Maximum. Sonst weiter mit Schritt [3].
190
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
3 Bestimmung des Anstiegs in steilster Richtung: (k) Bestimme μ(k) = μopt , so dass die Funktion g(μ(k) ) = f x(k) + μ(k) gradf (x(k) ) maximal wird. In diesem Schritt wird festgelegt, dass gerade soweit in die Richtung des steilsten Anstiegs gegangen wird, bis die Funktionswerte wieder abnehmen. Das Problem ist dabei reduziert auf die Ermittlung eines Extremums f¨ ur eine Ver¨ anderliche (μ(k) ) der Funktion g(μ(k) ). 4 Erh¨ohung des Iterationsschrittes: Setze k = k + 1 und (k−1)
x(k) = x(k−1) + μopt gradf (x(k−1) ). In diesem Schritt wird die neue N¨ aherung f¨ ur xE ermittelt, die sich ergibt, wenn man von der letzten N¨ aherung aus in Richtung des steilsten Anstieges um die optimale Schrittweite geht. Gehe zu Schritt [2]. F¨ ur die Bestimmung lokaler Minima ist zu beachten, dass bei stetig differenzierbaren Funktionen −gradf (x) die Richtung des steilsten Gef¨alles angibt. Zur Ermittelung eines lokalen Minimums ist also gradf (x) zu ersetzen durch −gradf (x). Beispiel: Die Funktion f (x, y) = x4 + xy + (1 + y)2
(6.5)
hat ein lokales Minimum. Der Gradient dieser Funktion (6.5) ist der Vektor
4x3 + y . (6.6) gradf (x, y) = x + 2(1 + y) Ausgehend von einer Startl¨ osung ergeben sich die folgenden Iterationen f¨ ur die numerische Suche nach dem lokalen Minimum: •
Startl¨ osung: x(0) =
•
0 . 0
1. Iteration: Mit der Startl¨ osung erhalten wir den Gradienten (6.6) an der Stelle x(0) zu:
6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen
gradf (x
(0)
0 )= 2
und | gradf (x(0) ) |= 2. Damit berechnen wir die Funktion g: g(μ(0) ) = f x(0) − μ(0) gradf (x(0) )
0 0 − μ(0) =f 0 2
0 =f −2μ(0)
2 = 1 − 2μ(0) . Diese Funktion wird minimal bei: dg(μ(0) ) ! = 2(1 − 2μ(0) ) = 0 dμ(0) oder: μ(0) =
1 . 2
Erste N¨ aherung: x(1) = x(0) − μ(0) gradf (x(0) )
1 0 0 − = 0 2 2
0 . = −1 • 2. Iteration: Einsetzen der ersten N¨ aherung in Gl. (6.6) liefert:
−1 (1) grad(x ) = 0 mit: | gradf (x(1) ) |= 1. Damit berechnen wir die Funktion g in n¨ achster N¨aherung: g(μ(1) ) = f x(1) − μ(1) gradf (x(1) )
0 (1) −1 −μ =f −1 0 (1)
μ =f −1 (1) 4
= (μ ) − μ(1) .
191
192
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
Die notwendige Bedingung f¨ ur ein Minimum ist: *
dg(μ(1) ) ! = 4(μ(1) )3 − 1 = 0 dμ(0)
⇐⇒
(1)
μ
=
3
1 . 4
Zweite N¨ aherung: x(2) = x(1) − μ(1) gradf (x(1) ) *
−1 0 3 1 = − −1 4 0 +' , 3
=
1 4
−1
.
Einsetzen dieser N¨ aherung in Gl. (6.6) liefert: , + 0 ' (2) grad(x ) = 3
*
und | gradf (x
(1)
) |=
3
1 4
1 ≈ 0, 63. 4
Das Verfahren konvergiert, da | gradf (x) | abnimmt, wenn auch nicht sehr schnell. F¨ ur akzeptable N¨ aherungen ( < 0, 05) w¨aren hier noch einige Schritte erforderlich. Analog zu den Funktionen einer Ver¨ anderlichen ist die Bedingung gradf (x) = 0 nur eine notwendige Bedingung. F¨ ur Funktionen von mehreren Ver¨anderlichen ist diese Bedingung auch f¨ ur Sattelpunkte erf¨ ullt, die keine lokalen Extrema darstellen. Wie in der Abbildung 6.7 angedeutet, haben Sattelpunkte die Eigenschaft, dass sie in alle Richtungen waagrechte Tangenten haben. Wandert man jedoch in verschiedenen Richtungen von dem Punkt weg, erh¨alt man je nach Richtung gr¨ oßere oder kleinere Funktionswerte. Daher kann hier weder ein Maximum noch ein Minimum vorliegen. Zusammenfassend bezeichnet man lokale Extrema und Sattelpunkte auch als station¨ are Punkte. Als hinreichende Bedingung f¨ ur die Existenz eines lokalen Extremums m¨ ussen wir das Kr¨ ummungsverhalten bzw. die Konvexit¨at der Funktion z = f (x) hinzuziehen. Dadurch k¨ onnen Sattelpunkte und Extrema voneinander unterschieden werden. Hierzu betrachten wir die zweiten (partiellen) Ableitungen von z = f (x) und geben die hinreichenden Bedingungen ohne Beweis an (siehe dazu Tietze (2006b)). Zun¨ achst betrachten wir den Sonderfall von Funktionen mit zwei Variablen
6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen
193
y
P0 •
x01 x1
x02 x2
Abbildung 6.7. Sattelpunkt
y = f (x1 , x2 ). Eine differenzierbare Funktion y = f (x1 , x2 ) hat im Punkt P = ( x1 , x 2 ) ∈ R2 einen station¨ aren Punkt, wenn gilt: ∂f ∂f = = 0. ∂x1 P ∂x2 P Es handelt sich um ein lokales Maximum, wenn in P folgende Bedingungen erf¨ ullt sind:
2 ∂2f ∂2f ∂2f ∂2f ∂2f < 0, 2 < 0 und · − > 0, (6.7) ∂x21 ∂x1 ∂x21 ∂x22 ∂x1 ∂x2 und um ein lokales Minimum, wenn in P gilt: ∂2f ∂2f > 0, 2 > 0 2 ∂x1 ∂x2
und
∂2f ∂2f · − ∂x21 ∂x22
∂2f ∂x1 ∂x2
2 > 0.
(6.8)
194
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
Ist der Ausdruck ∂ 2 f ∂ 2f · − ∂x21 ∂x22
∂2f ∂x1 ∂x2
2 < 0,
dann liegt ein Sattelpunkt vor. Falls
2 ∂2f ∂2f ∂2f = 0, − ∂x21 ∂x22 ∂x1 ∂x2 P kann der station¨ are Punkt P mit Hilfe der 2. Ableitungen nicht n¨aher charakterisiert werden. Beispiel: Wir betrachten die Funktion 1 f (x1 , x2 ) = x21 − x1 x2 + x22 . 2 Die notwendige Bedingung ∂f /∂xi = 0; i = 1, 2 liefert das Gleichungssystem 1 2x1 − x2 = 0 2 1 2x2 − x1 = 0, 2 was auf den station¨ aren Punkt P = (0, 0) f¨ uhrt. Um zu entscheiden, ob in P ein lokales Minimum, ein Maximum oder ein Sattelpunkt vorliegt, bilden wir die zweiten Ableitungen: ∂2f = 2, ∂x21 Da
∂2f = 2, ∂x22 ∂2f > 0, ∂x21
und ∂2f ∂2f · − ∂x21 ∂x22
∂2f 1 =− . ∂x1 ∂x2 2 ∂2f >0 ∂x22
∂2f ∂x1 ∂x2
2 =
3 >0 2
hat die Funktion f in P = (0, 0) ein lokales Minimum. F¨ ur Funktionen mit mehr als zwei Ver¨ anderlichen l¨asst sich die hinreichende Bedingung mit Hilfe der Hesse-Matrix in folgender Form formulieren2 : Ein station¨ arer Punkt P ist: Relatives Maximum, wenn in P alle Eigenwerte der HesseMatrix negativ sind. 2
Siehe beispielsweise Stoeppler (1982).
6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen
195
Relatives Minimum, wenn in P alle Eigenwerte der HesseMatrix positiv sind. Haben die Eigenwerte der Hesse-Matrix verschiedene Vorzeichen, dann liegt in P ein Sattelpunkt vor. Die oben formulierten Bedingungen f¨ ur Funktionen mit zwei Variablen stellen einen Sonderfall dieser allgemein g¨ ultigen Bedingungen dar. Zusammenfassend stellen wir notwendige und hinreichende Bedingungen f¨ ur lokale Extrema gegen¨ uber f¨ ur Funktionen mit einer und mehreren Ver¨anderlichen3 . y = f (x) notwendige Bedingung
f (x) = 0
y = f (x) gradf (x) = 0
f (x) > 0 Minimum Alle Eigenwerte H(x) > 0 hinreichende f (x) konvex von oben Bedingung f (x) < 0 Maximum Alle Eigenwerte H(x) < 0 f (x) konkav von oben
6.3.2 Extremwerte mit Nebenbedingungen Die Ber¨ ucksichtigung des Randes stellt f¨ ur Funktionen mit einer Variablen keine prinzipiellen Schwierigkeiten dar. Man hat lediglich die beiden Funktionswerte am Rand des Definitionsbereichs zu berechnen und diese mit den Funktionswerten der lokalen Extrema zu vergleichen. Die allgemeine Behandlung von Extremwertaufgaben mit Nebenbedingungen sprengt den Rahmen dieser Einf¨ uhrung. Wir beschr¨ anken uns hier auf den Fall, dass die Randbedingungen als Gleichungen vorliegen (im allgemeinen Fall hat man es mit Ungleichungen zu tun) und formulieren hierf¨ ur die notwendigen Bedingungen. Wir beschr¨ anken uns zun¨ achst auf zwei Variablen und betrachten die Funktion: y = f (x1 , x2 ) mit der Randbedingung g(x1 , x2 ) = 0. In der Abbildung 6.8 ist die geometrische Interpretation der Ber¨ ucksichtigung der Randbedingung dargestellt. F¨ ur den Sonderfall, dass sich die Randbedingung als explizite Funktion x2 = x2 (x1 ) schreiben l¨asst, hilft auch eine Va3
Wie in dem in Kapitel 3.5 angegebenen Beispiel y = x6 gibt es auch im Fall mehrerer Ver¨ anderlichen spezielle Funktionen, bei denen die Betrachtung der 2. Ableitung nicht ausreicht. Man hat dann die Umgebung von f in dem station¨ aren Punkt zu untersuchen.
196
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
riablensubstitution weiter. Wir wollen im Folgenden den allgemeinen Ansatz der Lagrange-Multiplikatoren betrachten.
◦
y
y = f (x1 , x2 )
Pmax x2
P0
x02
x01
˛ ˛ f (x1 , x2 )˛˛
g(x1 ,x2 )=0
g(x1 , x2 ) = 0
x1
Abbildung 6.8. Geometrische Veranschaulichung einer Funktion mit zwei Variablen und der Randbedingung g(x1 , x2 ) = 0. Ohne Randbedingung hat die Funktion ucksichtigung der f (x1 , x2 ) ein Maximum im Punkt Pmax . Die Ber¨ ˛ Randbedingung ˛ ein. Auf dieser g = 0 schr¨ ankt die Fl¨ ache y = f (x1 , x2 ) auf die Kurve f (x1 , x2 )˛˛ g=0
Kurve liegt das Maximum im Punkt P0 .
Methode der Lagrange-Multiplikatoren Mit den totalen Differentialen f¨ ur df und dg ∂f dx1 + ∂x1 ∂g dg = dx1 + ∂x1
df =
erhalten wir:
∂f dx2 ∂x2 ∂g dx2 ∂x2
df ∂f ∂f dx2 = + dx1 ∂x1 ∂x2 dx1
6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen
197
sowie den schon in Gl. (6.3) betrachteten Zusammenhang f¨ ur implizite Funktionen (wegen g(x1 , x2 ) = 0 gilt auch dg = 0): ∂g dx2 ∂x1 =− . ∂g dx1 ∂x2 Damit l¨ asst sich
df schreiben als: dx1 ∂g ∂f ∂f ∂x1 df = − · . dx1 ∂x1 ∂x2 ∂g ∂x2
Die notwendige Bedingung f¨ ur die Existenz eines Extremwertes l¨asst sich in diesem Fall ausdr¨ ucken durch4 :
oder:
df =0 dx1
(6.9)
∂g ∂f ∂x1 ∂x1 = ∂f ∂g ∂x2 ∂x2
(6.10)
Die Gl. (6.10) bedeutet, dass die partiellen Ableitungen von f und g proportional zueinander sind. Mit dem Proportionalit¨atsfaktor (−λ) muss also gelten: ∂f ∂g ∂f ∂g = −λ und = −λ ∂x1 ∂x1 ∂x2 ∂x2 oder
und
∂g ∂f +λ =0 ∂x1 ∂x1
(6.11)
∂f ∂g +λ = 0. ∂x2 ∂x2
(6.12)
Genau diese Gleichungen kann man auch erhalten, wenn man aus f und g die sogenannte Langrange-Funktion in der Form: L(x1 , x2 , λ) = f (x1 , x2 ) + λ · g(x1 , x2 ) 4
(6.13)
Dies gilt hier, da auf Grund der speziellen Form der Randbedingung die Funktion f als Funktion einer Ver¨ anderlichen f (x1 ) geschrieben werden kann.
198
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
bildet5 . Die notwendigen Bedingungen lassen sich aus dieser Lagrange-Funktion bilden durch die partiellen Ableitungen: ∂L =0 ∂x1
∂L = 0. ∂x2
und
(6.14)
Die Ableitung der Langrange-Funktion nach dem Parameter λ reproduziert die Nebenbedingung: ∂L =0 ∂λ
⇐⇒
g(x1 , x2 ) = 0.
Beispiel: Wir betrachten die Funktion f (x1 , x2 ) = x21 − 2x1 x2
(6.15)
x2 = 2x1 − 6.
(6.16)
mit der Nebenbedingung Gesucht ist nun der Punkt (oder die Punkte) aus R2 , an dem die Funktion (6.15) ein Extremum hat, wobei die Nebenbedingung (6.16) ber¨ ucksichtigt ist. Dazu betrachten wir die Lagrange-Funktion (vgl. Gl. (6.13)): L = f (x1 , x2 ) − λg(x1 , x2 ) = x21 − 2x1 x2 + λ(x2 − 2x1 + 6). Wir bilden die partiellen Ableitungen: ∂L ! = 2x1 − 2x2 − 2λ = 0 ∂x1 ∂L ! = −2x1 + λ = 0 ∂x2 ∂L ! = x2 − 2x1 + 6 = 0 ∂λ
(6.17) (6.18) (6.19)
Die Gleichungen (6.17) – (6.19) bilden ein LGS. Aus den Gl. (6.18) und (6.19) folgt: λ = 2x1 und x2 = 2x1 − 6 Einsetzen in (6.18) liefert: x1 = −6 und damit auch: x2 = −18. Damit ist der Punkt P = (−6, −18) ∈ R2 Extremwert der Funktion (6.15) unter der Nebenbedingung (6.16). 5
Joseph Louis Langrange (1736 - 1813).
6.3 Extremwerte von Funktionen mit mehreren Variablen
199
Diese Vorgehensweise l¨ asst sich verallgemeinern auf n Variable und m Nebenbedingungen: F¨ ur eine Funktion y = f (x) mit x ∈ Rn mit den Nebenbedingungen gj (x) = 0, j = 1, 2, . . . , m erf¨ ullen die relativen Extrema die notwendigen Bedingungen ∂L =0 ∂xi ∂L =0 ∂λj
f¨ ur i = 1, 2, . . . , n f¨ ur j = 1, 2, . . . , m
mit der Lagrange-Funktion L = L(x, λ) = f (x) +
m
λj gj (x).
j=1
Interessante Anwendungen ergeben sich hier vor allen Dingen, wenn die Nebenbedingungen in Form von Ungleichungen vorliegen. Hier verweisen wir auf die Literatur zum Thema Operations Research (vgl. Domschke/Drexl (2007)).
¨ Ubungen 6.1. Berechnen Sie die partiellen Ableitungen der folgenden Funktionen: a) f (x) = x31 + x1 ex2 + x22 · x3 b) f (x) = x1 · ln(x2 x3 ) − ln(x1 + x2 ) 6.2. Bilden Sie den Gradienten der Funktion 1 f (x, y) = 16 − (x − 1)2 − (y − )2 . 2 Zeichnen Sie f¨ ur f (x, y) ein H¨ ohenlinienbild (x − y-Diagramm mit f (x, y) = const.). Tragen Sie den Gradienten ein f¨ ur
x2 x1 0 1 und . = = 0 0 y1 y2 6.3. Gegeben ist die Outputfunktion x(r1 , r2 , r3 ) = 3r12 ·
1 √ r2 + 5r1 r2 r33 .
Berechnen Sie das totale Differential von x(r1 , r2 , r3 ). Wie wirkt sich eine Ver¨ anderung der Inputfunktion an der Stelle (1, 1, 1) aus, wenn r1 und r2 um 0,1 Einheiten erh¨ oht und r3 um 0,2 Einheiten vermindert wird?
200
6 Funktionen mit mehreren Ver¨ anderlichen
6.4. Gegeben sei die Produktionsfunktion √ √ x(r1 , r2 ) = 2 r1 · 3 r2 . a) Wie groß muss der Faktoreinsatz von r1 sein, um eine Produktion von x0 = 216 Einheiten sicherzustellen, wenn r2 = 27 betr¨agt? b) Wie kann dabei eine Reduktion des ersten Faktors um eine Einheit durch den zweiten Faktor kompensiert werden? 6.5. Zeigen Sie, dass die hinreichende Bedingung f¨ ur Extrema von Funktionen f¨ ur zwei Variablen aus der allgemeinen Bedingung f¨ ur die Eigenwerte der Hesse-Matrix folgt. 6.6. Gegeben ist die Funktion f (x, y) = 4x − 2x2 + 2y − 6y 2 + 2xy a) Pr¨ ufen Sie, ob f (x, y) eine von oben konkave Funktion ist. b) Ermitteln Sie n¨ aherungsweise ein Maximum der Funktion mit dem Gradientenverfahren.
0 und brechen Sie das Verfahren Hinweis: Starten Sie im Punkt x = 0 ab, wenn | grad(f (x) |< 0, 5 ist. c) Vergleichen Sie die n¨ aherungsweise ermittelte L¨osung mit der exakten L¨ osung, die sich hier leicht finden l¨ asst, wenn das LGS gradf (x) = 0 gel¨ ost wird. d) Es ist nun die Randbedingung y = x + 3 zus¨atzlich zu ber¨ ucksichtigen. Berechnen Sie das Maximum von f (x, y), das sich mit dieser Randbedingung ergibt, zun¨ achst durch die Substitution einer Variablen. Betrachten Sie dann, wie sich das Maximum unter Verwendung des LagrangeFormalismus ergibt. 6.7. Gegeben sei die implizite Funktion f (x, y) = x−2 e−y + x2 y 3 = 0. Wie lautet die Ableitung y (x)?
7 Finanzmathematik
Lernziele • • • •
Dieses Kapitel vermittelt:
die wichtigsten Begriffe der Finanzmathematik eine Betrachtung der Zins- und Zineszinsrechnung wie Nominal– und Effektivzins zu unterscheiden sind einige Betrachtungen im Zusammenhang mit Annuit¨atendarlehen
7.1 Zinsrechnung Im Rahmen der Zinsrechnung betrachten wir folgende Gr¨oßen: 1. Kn heißt Endwert und bezeichnet das nach Ablauf des Zinszeitraums angesammelte Kapital. 2. K0 heißt Barwert, das ist das eingesetzte Kapital zu Beginn der Anlage. 3. p heißt Zinsfuß in Prozent pro Zinsperiode. 4. n ist die Anzahl von Zinsperioden. 5. Die Gr¨ oße Zn gibt den Zinsbetrag nach n Zinsperioden an. 7.1.1 Einfache Verzinsung Bei der einfachen Verzinsung – man spricht auch von linearer Verzinsung – erfolgt innerhalb des Kapital¨ uberlassungszeitraumes kein Zinszuschlag.
202
7 Finanzmathematik
Definition
Lineare Verzinsung
Steht ein Kapital K0 e bei p % Verzinsung (pro Zinsperiode) insgesamt n Perioden lang aus, so gilt f¨ ur den Gesamtbetrag der am Ende der Periode n auszuzahlenden Zinsen: Zn =
K0 · p · n . 100
(7.1)
F¨ ur den Barwert ergibt sich: K n = K 0 + Zn p · n = K0 · 1 + 100 = K0 · (1 + i · n) mit dem Prozentsatz:
p . 100 In der Finanzmathematik wird mit folgenden Perioden gerechnet: Das Jahr unterteilt sich in 12 gleich lange Monate mit je 30 Tagen. Damit hat das Zinsjahr also 360 Tage. Dar¨ uber hinaus gelten in Deutschland folgende Konventionen: i=
•
Falls der Zinszuschlag Ende Februar erfolgt, wird mit 28 bzw. 29 Tagen gerechnet.
•
Bei der Ermittlung von Laufzeiten wird der erste Tag nicht gez¨ahlt, der letzte Tag z¨ ahlt.
•
Fehlt bei dem Zinssatz p eine Zeitangabe, dann bezieht sich die Angabe stets auf ein Jahr.
Beispiel: Eine Anwendung der linearen Zinsrechnung aus der betriebswirtschaftlichen Praxis ist der sogenannte Lieferantenkredit. Dabei geht es um folgende Fragestellung: F¨ ur die Bezahlung einer Warenlieferung gelten die Zahlungsbedingungen: 3% Skontoabzug bei Zahlung innerhalb von 10 Tagen, andernfalls Zahlung des vollen Rechnungsbetrags innerhalb von 30 Tagen.
7.1 Zinsrechnung
203
Der Einfachheit halber nehmen wir an, es handelt sich um einen Rechnungsbetrag von 100,– e. Die Zahlungsverh¨ altnisse sind in der Abbildung 7.1 dargestellt.
Termin der
Zahlung mit
Zahlung ohne
Warenlieferung
Skontoabzug
Skontoabzug
10 Tage
t = 20 Tage (Skontobezugsspanne)
Abbildung 7.1. Das Prinzip des Skontos
Nimmt der Kunde des Lieferanten das Angebot Zahlung unter Skontoabzug zum fr¨ uheren Termin nicht wahr, so gew¨ ahrt ihm der Lieferant der Ware gewissermaßen ein Kredit in H¨ ohe des um das Skonto verminderten Rechnungsbetrags – hier 97,– e – den der Kunde 20 Tage sp¨ater in H¨ohe von 100,– e zur¨ uckzahlen muss. Angenommen, der Kunde zahlt zum fr¨ uheren Termin und fremdfinanziert die fr¨ uhere Zahlung von 97,– e zu 18% p.a. f¨ ur die Dauer der Skontobezugsspanne 20 Tage. Dann belaufen sich seine Schulden nach 20 Tagen auf 97 · (1 + 0.18 ·
20 ) e = 97, 97 e. 360
Diesen Betrag m¨ usste jetzt der K¨ aufer seiner Kreditbank zur¨ uckgeben. H¨atte er dagegen den Lieferantenkredit in Anspruch genommen und zum sp¨ateren Zeitpunkt gezahlt, so w¨ aren 100,– e f¨ allig gewesen. Noch deutlicher wird dieser Umstand, wenn man sich vergegenw¨ artigt, welchem Jahreszins der Lieferantenkredit eigentlich entspricht. Gesucht ist also derjenige Zinsfuß p, bei dem 97,– e in 20 Tagen auf 100,– e anwachsen. Die entsprechende Gleichung liefert: 97 · (1 + p ·
97 ) = 100. 360
L¨ ost man diese Gleichung nach p auf, dann folgt:
204
7 Finanzmathematik
p=(
360 100 − 1) · = 0, 5567. 97 20
Hochgerechnet auf ein Jahr entspricht der Lieferantenkredit einer Verzinsung von 55,67%. 7.1.2 Zinseszinsen Kennzeichen der linearen Verzinsung ist es, dass innerhalb der betrachteten Verzinsungsspanne keine Zinsverrechnung vorgenommen wird. Ist daher eine lineare Verzinsung vereinbart, wird erst am Ende des Betrachtungszeitraums das Kapital und die entstandenen Zinsen verrechnet. Ein anderes Prinzip liegt der Zinseszinsrechnung zu Grunde. Innerhalb der Kapital¨ uberlassungsfrist existieren ein oder mehrere Zinsverrechnungstermine, in denen die bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen Zinsen dem Kapital zugeschlagen werden. Dieser Betrag bildet das weiterhin zu verzinsende Kapital. Dieses Verfahren der Zineszinsrechnung ist nach §258 BGB zul¨assig und findet in vielen Bereichen wie der Investitionsrechnung, der Finanzierung und im Versicherungswesen Anwendung. k·p Ist der Zinsfuß p %, dann betr¨ agt der einfache Jahreszins 100 e. Das Grundkapital von K0 e w¨ achst dann im Laufe eines Jahres auf K1 e an:
K1 = K0 (1 +
p ) 100
mit dem Zinsfaktor q: q =1+
p = 1 + i. 100
Damit erh¨ alt man: nach 1 Jahr:
K1 = K0 · q
nach 2 Jahren:
K2 = K1 · q = K0 · q 2
nach 3 Jahren: .. .
K3 = K2 · q = K0 · q 3 .. .
nach n Jahren:
Kn = Kn−1 · q = K0 · q n .
Daraus resultiert, dass das Grundkapital K0 in n Jahren auf den Betrag Kn anw¨ achst, wenn die j¨ ahrlich anfallenden Zinsen zum Kapital addiert werden. Die Zinseszinsformel lautet:
7.1 Zinsrechnung
Definition
205
Zineszinsformel
Kn = K0 · q n .
(7.2)
n
Der Faktor q heißt Aufzinsungsfaktor.
Die Zinseszinsrechnung ist ein Beispiel f¨ ur exponentielles Wachstum. Bei exponentiellem Wachstum gilt der Zusammenhang Kn = q = const. Kn−1 Exponentielles Wachstum liegt beispielsweise auch beim Wachstum von Lebewesen vor, solange keine einschr¨ ankenden Faktoren begrenzend wirken. Die Zinseszinsformel verkn¨ upft die vier Gr¨ oßen Kn , K0 , q und n durch Kn = K0 · q n . Aufl¨ osen nach dem Barwert ergibt: K0 =
Kn . qn
(7.3)
F¨ ur den Zinsfaktor q ergibt sich: * q=
n
Kn . K0
(7.4)
Die Anzahl der Zinsperioden berechnet sich nach: Kn ln K0 . n= ln q
(7.5)
7.1.3 Rentenrechnung Im Folgenden betrachten wir den Fall, dass u ¨ber eine Laufzeit von n Perioden eine regelm¨ aßige Zahlung eine Rate r erfolgt. Wir berechnen den Endwert der Kapitalanlage bei einer Verzinsung von p Prozent, wenn der Zinszuschlag jeweils am Ende einer Periode erfolgt. Dies ist beispielsweise bei KapitalLebensversicherungen oder dem Ansparen von Bausparvertr¨agen der Fall. Mit q = 1 + p/100 folgt:
206
7 Finanzmathematik
Nach der ersten Periode und direkt nach der zweiten Zahlung betr¨agt das Guthaben r + r · q, denn das Guthaben setzt sich zusammen aus der ersten Zahlung, dem Zinsertrag aus der ersten Zahlung und der zweiten Zahlung. Nach der zweiten Periode und direkt nach der dritten Zahlung betr¨agt das Guthaben r + r · q + r · q 2 . Nach der dritten Periode und direkt nach der vierten Zahlung betr¨agt das Guthaben r + r · q + r · q 2 + r · q 3 . .. . Nach der n-ten Periode und unmittelbar nach der n + 1-ten Zahlung betr¨ agt das Guthaben: r + r · q + · · · + r · q n . Damit ist der Gesamtwert bei der n-ten Zahlung durch folgende Summe, die sogenannte Rentenformel, gegeben: Gn = r + qr + q 2 r + · · · + q n−1 r n =r· q j−1 =r·
Definition
j=1 n
q −1 . q−1
Rentenformel
Die Rentenformel Gn = r ·
qn − 1 q−1
(7.6)
gibt das Kapital an, das sich nach n-maliger Zahlung einer Rate r, p bei einer Verzinsung von q = 1 + 100 aufsummiert.
F¨ ur die Herleitung der Rentenformel haben wir von der Summenformel der geometrischen Reihe Gebrauch gemacht: Sn =
n j=1
damit ist:
q j−1 ;
qSn =
n j=1
qj
(7.7)
7.1 Zinsrechnung
Sn − qSn =
n
q j−1 −
j=1
207
n
qj .
(7.8)
j=1
Da beim Aufaddieren bei den Summen auf der rechten Seite der Gl. (7.8) nur zwei Summanden u ¨brig bleiben, folgt: Sn (1 − q) = 1 − q n
⇐⇒
Sn =
1 − qn . 1−q
(7.9)
Beispiel: Nach wievielen Jahren erreicht ein Bausparer mit der letzten Zahlung ein Guthaben von 100.000 e, wenn j¨ ahrlich 9.600 e eingezahlt werden und ein Guthabenzins von 3,25% bezahlt wird? Nach der Rentenformel Gl. (7.6) Gn = r · erhalten wir
qn − 1 q−1
Gn · (q − 1) = q n − 1 r
bzw.
Gn · (q − 1) + 1 = q n . r Logarithmieren dieser Gleichung liefert:
Gn ln r · (q − 1) + 1 = n. ln q Einsetzen der Werte Gn = 100.000 e; r = 9.600 e, q = 1 + p/100 = 1, 0325 f¨ uhrt auf n ≈ 9, 1 Jahre. 7.1.4 Unterj¨ ahrige Verzinsung H¨ aufig kommt es vor – z.B. bei Wertpapieren – dass Zinsen nicht am Ende eines Jahres, sondern halbj¨ ahrlich, viertelj¨ahrlich oder in anderen Zeitabschnitten berechnet und zum Kapital geschlagen werden. In diesem Fall spricht man von einer unterj¨ ahrigen Zinsverrechnung oder unterj¨ ahrigen Verzinsung. Auch beim Zur¨ uckzahlen eines Darlehens erfolgt die Zinsverrechnung u ¨ blicherweise nicht am Jahresende sondern unterj¨ahrig, dementsprechend wird die Zinsschuld zum Darlehen addiert.
208
7 Finanzmathematik
Bei einem festen Zinsfuß und einer Unterteilung des Jahres in m gleiche Abschnitte ist die Zinseszinsformel Gl. (7.2) Kn = K0 (1 + i)n folgendermaßen zu modifizieren: Kn = K0 (1 +
i n·m ) . m
¨ Mit dieser Anderung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Anzahl der Zinszuschl¨ age um den Faktor m pro Jahr erh¨oht wird, mit einem Zins, der um den Faktor m reduziert ist. Bei der unterj¨ahrigen Verzinsung wird p/m relativer Zinsfuß oder relativer unterj¨ ahriger Zins genannt. i wird als nomineller Jahreszins bezeichnet. Beispiel: Ein Anfangskapital von k = 6.000 e wird mit einer Laufzeit von 5 Jahren mit 6% verzinst. Man berechne das Endkapital jeweils bei monatlicher und j¨ ahrlicher Zinsverrechnung. F¨ ur die monatliche Zinsverrechnung folgt: Jahreszinsfuß: 6% Anzahl der Abschnitte: m = 12 relativer unterj¨ ahriger Zins p/m: 6% / 12 = 0,5 %. Gesamtzahl der Abschnitte: 5 · 12 = 60 Endkapital: K5 = K0 (1 +
p/m mn ) = 6.000 e · (1, 005)60 = 8.093 e. 100
Bei einer j¨ ahrlichen Zinsverrechnung ergibt sich folgendes Endkapital: K5 = K0 · q 5 = 6.000 e · (1, 06)5 = 8.029 e Allgemein l¨ asst sich sagen, bei einer fortgesetzten Erh¨ohung der Anzahl der Jahresabschnitte steigt der Zins. Um verschiedene Zinsbedingungen f¨ ur eine Anlage oder ein Darlehen konsistent vergleichen zu k¨ onnen, wird in der Finanzmathematik der Begriff des Effektivzinses eingef¨ uhrt. Im Fall der unterj¨ ahrigen Verzinsung beschreibt der effektive Jahreszins ieff den Zinssatz, der im ersten Jahr gelten w¨ urde, wenn keine unterj¨ahrige Verzinsung vorl¨ age.
7.1 Zinsrechnung
Definition
209
Effektivzins bei unterj¨ ahriger Verzinsung
Der Zusammenhang zwischen dem Nominalzins i und dem effektiven Jahreszins ist gegeben durch i m 1+ = 1 + ieff , m
(7.10)
wenn m die Anzahl der Perioden ist, in die das Zinsjahr unterteilt wird.
Beispiel: F¨ ur ein Darlehen wird ein j¨ ahrlicher Nominalzins von 4% bei monatlicher Zinsabschlagsrechnung vereinbart. Wie groß ist der effektive Jahreszins im ersten Jahr? Aus
i m 1+ = 1 + ieff m
folgt: i m −1 ieff = 1 + m 0, 04 12 ) −1 = (1 + 12 ≈ 0, 0407. Der effektive Jahreszins liegt also bei 4,07 %. Der Grenzfall m −→ ∞ bedeutet eine kontinuierliche Verzinsung. Dies wird auch als stetige Verzinsung bezeichnet. Die Betrachtung ist ein gutes Beispiel daf¨ ur, welche Rolle die e-Funktion (vgl. Abschnitt 2.2.8) bei Wachstumsprozessen spielt. Wir gehen aus von Kn = K0 (1 + mit
m i
1 mi ·i·n i m·n ) = K0 1 + m m i
= x:
1 x·i·n ) . x F¨ uhren wir nun den Grenz¨ ubergang m −→ ∞ bzw. x −→ ∞ durch, so erhalten wir: Kn = K0 (1 +
210
7 Finanzmathematik
lim K0 (1 +
x→∞
1 x·i·n ) = K0 x
i·n 1 lim (1 + )x = K0 · ein . x→∞ x e
Im Grenzfall der stetigen Verzinsung ergibt sich Kn als: Kn = K0 · ein .
7.2 Tilgungsrechnung Die Tilgungsrechnung bildet die mathematische Grundlage f¨ ur die R¨ uckzahlung eines Kredites, Darlehens oder einer Hypothek. Sie findet daher Anwendung im Rahmen der Investitionsrechnung, ist aber auch f¨ ur den privaten Schuldner von Interesse. Bei allen Schuldtilungsvorg¨ angen stehen sich: •
Leistungen = Zahlungen des Kreditgebers ( = Gl¨aubiger)
•
und Gegenleistungen ( = Zahlungen ) des Kreditnehmers ( = Schuldners)
gegen¨ uber. Ein Charakteristikum der Tilgungsrechnung besteht darin, dass die Zahlungen des Schuldners zerlegt werden in einen Zinsanteil und einen Tilgungsanteil. Unter dem Zinsanteil versteht man die am Ende jeder Periode f¨alligen Zinsen auf die am Beginn der Periode noch bestehende Restschuld. Der Tilgungsanteil umfasst die am Periodenende u ¨ ber die f¨alligen Zinsen hinausgehende R¨ uckzahlungssumme. Die Summe aller im Zeitablauf gezahlten Tilgungsanteile ergibt genau die Kreditsumme. Die Summe aus den zu zahlenden Zinsen und der gezahlten Tilgung einer Periode nennt man Annuit¨ at.
Definition
Annuit¨ at
Bezeichnet man mit Tt , Zt und At jeweils Zinsanteil, Tilgungsanteil und Annuit¨ at – f¨ allig jeweils am Ende einer Periode t – so gilt f¨ ur jede Periode die grundlegende Beziehung: Zt + Tt = At .
(7.11)
Je nach H¨ ohe und/oder der zeitlichen Verteilung der Tilgungsraten oder Annuit¨ aten unterscheidet man verschiedene Tilgungsarten bzw. Schuldtypen:
7.2 Tilgungsrechnung
211
1. Allgemeine Tilgungsschuld Bei dieser Kreditform erfolgen Leistungen und Gegenleistungen in unregelm¨ aßiger Weise. 2. Gesamtf¨ allige Schuld ohne vollst¨ andige Zinsansammlung Bei dieser Tilgungsart erfolgt die gesamte Tilgung der Kreditsumme K0 in einer einzigen Zahlung am Ende der Laufzeit. W¨ahrend der Laufzeit werden nur die jeweils f¨ alligen Zinsen gezahlt, jedoch keine zus¨atzlichen Tilgungzahlungen geleistet. Beispiel: Bundesschatzbrief Typ A. 3. Gesamtf¨ allige Schuld mit vollst¨ andiger Zinsansammlung Bei dieser Kreditform werden am Ende der Laufzeit neben dem Gesamtkapital K0 auch die angesammelten Zinsen f¨allig (eher Zinseszinsen). W¨ ahrend der Laufzeit des Kredites erfolgen weder Zins- noch Tilgungszahlungen. Daher sind hier s¨ amtliche Annuit¨aten – bis auf die letzte – 0. Beispiel: Bundesschatzbrief Typ B. 4. Ratentilgung Bei dieser Form erfolgt die Tilgung am Ende jeder Periode in gleich hohen Tilgungsraten. Hier gilt demnach: T1 = T2 = · · · = Tn = T. Bei einer Laufzeit von n Jahren wird demnach die urspr¨ ungliche Kreditsumme K0 j¨ ahrlich getilgt mit T =
K0 . n
Da auf Grund der fortschreitenden Tilgung im Ablauf auch die Zinszahlungen abnehmen, m¨ ussen bei konstanter Tilgungsrate auch die Annuit¨ aten abnehmen. 5. Annuit¨ atentilgung Charakteristisch f¨ ur diese Form ist die konstante Annuit¨ at w¨ahrend der Laufzeit. Anmerkungen: 1. Es wird angenommen, dass alle Zahlungen zu Zinszuschlagterminen erfolgen und sofort verrechnet werden.
212
7 Finanzmathematik
2. Es wird mit sogenannten nachsch¨ ussigen Zinsen gerechnet, das bedeutet, der Zinsbetrag Zt am Ende einer Zinsperiode richtet sich nach der Restschuld Kt−1 zu Beginn dieser Zinsperiode: Zt = Kt−1 · p, wobei p den Zinssatz bezeichnet. 3. Außer den Zinsen und Tilgungen kann die Annuit¨at weitere Bestandteile wie Geb¨ uhren, Provisionen etc. enthalten. Dies wird nicht betrachtet.
K0 Zeit
······ t=n−1
t=n
······
Zn−1
Zn
T3
······
Tn−1
Tn
A
······
A
A
t=1
t=2
t=3
Zinsen
Z1
Z2
Z3
Tilgung
T1
T2
Annuit¨ at
A
A
t=0
Abbildung 7.2. Zeitlicher Ablauf einer Annuit¨ atentilgung
Der sogenannte Standardfall des Annuit¨ atenkredits liegt dann vor, wenn unter der Pr¨ amisse Zinsperiode = Zahlungsperiode eine Zahlungsstruktur wie in Abbildung 7.2 vorliegt. Dies bedeutet, die Leistung des Gl¨ aubigers liegt in der Zurverf¨ ugungstellung der Kreditsumme, w¨ ahrend die Gegenleistung des Kreditnehmers in der Zahlung gleich hoher Annuit¨ aten A beginnend eine Periode nach der Kreditauszahlung liegt. Mit diesen Annahmen stellen wir nun zun¨ achst eine rekursive Form f¨ ur die Restschuld nach t Perioden auf. K0 bezeichnet die Kreditsumme zum Zeitpunkt t = 0, d.h. am Beginn der ersten Periode. Kt steht f¨ ur die Restschuld
7.2 Tilgungsrechnung
213
zu Beginn der Folgeperiode t + 1 Die Restschuld Kt am Ende der Periode t bestimmt sich aus dem Aufzinsen der Restschuld Kt−1 zu Beginn der Periode abz¨ uglich der am Ende der Periode t gezahlten Annuit¨at. Quantitativ bedeutet dies: Reihenzinsformel des Tilgungsplans: Kt = Kt−1 (1 + i) − At ,
mit i =
p . 100
(7.12)
Rekursiv bedeutet, dass die Schuld in Periode t aus der Vorg¨angerperiode t − 1 bestimmt wird. Der komplette Ablauf eines Kreditvorgangs mit s¨amtlichen Zahlungen, der Ermittlung von Zins- und Tilgungsbetr¨ agen sowie die Entwicklung der Restschuld wird in einem Tilgungsplan dargestellt. Im Folgenden betrachten wir den sehr h¨ aufig vorliegenden Fall, dass die Annuit¨ at konstant ist, d.h. At = A = const. Das hat zur Folge, dass in jeder Periode die Summe aus Zins und Tilgung gleich groß ist. Die Zinszahlungen nehmen dann von Periode zu Periode ab, wogegen der Tilgungsanteil laufend steigt. Im Tilgungsplan wird dann f¨ ur jede Periode aufgef¨ uhrt: • die Restschuld • der Zins • die Tilgung
Kt = Kt−1 (1 + i) − A Zt = Kt−1 · i T t = A − Zt .
Beispiel: F¨ ur einen Kredit in H¨ ohe von K0 = 100.000 e ergibt sich bei einem Zinssatz von p = 4% und einer Annuit¨ at von A = 12.000 e im Jahr folgender Tilgungsplan: Der Tilgungsplan gibt eine detaillierte Sicht auf den gesamten Ablauf der Tilgung eines Darlehens. H¨ aufig ist man daran interessiert, wichtige Gr¨oßen eines Annuit¨ atendarlehens direkt zu ermitteln. Es wird daher nach einer geschlossenen Form f¨ ur die Restschuld gesucht im Gegensatz zur iterativen Form der Gleichung (7.12).
214
7 Finanzmathematik
Periode Restschuld in e 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Zins in e
Tilgung in e
0 4.000,00 3.680,00 3.347,20 3.001,09 2.641,13 2.266,78 1.877,45 1.472,55 1.051,45 613,51
0 8.000,00 8.320,00 8.652,80 8.998,91 9.358,47 9.733,22 10.122,55 10.527,45 10.948,55 11.386,49
100.000,00 92.000,00 83.680,00 75.027,20 66.028,29 56.669,42 46.936,20 36.813,64 26.286,19 15.337,64 3.951,14
Tabelle 7.1. Tilgungsplan
Ausgehend von Kt = Kt−1 (1 + i) − A erhalten wir mit q = 1 + i die Form Kt = Kt−1 · q − A. Die Restschuld kann durch sukzessives Ersetzen durch den entsprechenden Ausdruck der Vorperiode umgeformt werden: Kt = Kt−1 · q − A
= Kt−2 · q − A · q − A = Kt−2 · q 2 − A · q − A. F¨ uhrt man dies genau t mal durch, so hat man f¨ ur die Restschuld den folgenden Ausdruck: Kt = K0 · q t − A
t
q i−1 .
(7.13)
i=1
Unter Verwendung der geometrischen Reihe (vg. Gl (7.9)) k¨onnen wir eine geschlossene Form der Tilgungsformel angeben: Geschlossene Form des Tilgungsplans: F¨ ur eine konstante Annuit¨ at A gilt: Kt = K0 · q t − A ·
qt − 1 . q−1
(7.14)
7.2 Tilgungsrechnung
215
Beispiel: Die Kreditsumme betr¨ agt 100.000,– e, p = 10% p.a. und A = 11.000, − e pro Jahr. Die Restschuld K9 nach Zahlung der 9. Annuit¨at ergibt sich dann zu: K9 = K0 · q 9 − A
q9 − 1 q−1
= 100.000 e · 1.19 − 11.000 e ·
1.19 − 1 1.1 − 1
= 86.420, 52 e. Wegen der Beziehung A = Z10 + T10 = K9 · q + T10 ergibt sich die Tilgung T10 im 10. Jahr dann zu: T10 = 11.000 e − 86.420, 52 e · 1, 1 = 2.357, 95 e. Von besonderem Interesse ist die Laufzeit t = n eines Annuit¨atendarlehens, also die Frage, wann die Restschuld Null ist (Kn = 0): Kn = K0 · q n − A ·
qn − 1 ! = 0. q−1
L¨ ost man diese Gleichung nach n auf, so folgt: K0 q n (q − 1) − A(q n − 1) = 0
q n A − K0 (q − 1) = A. Laufzeit eines Annuit¨ atendarlehens:
A ln A − K0 (q − 1) . n= ln q
(7.15)
Bei Annuit¨ atendarlehen wird h¨ aufig ein prozentualer Tilgungssatz τ des Darlehens K0 f¨ ur die erste Periode veranschlagt, also T1 = τ · K0 . Die Annuit¨ at ist in diesem Fall gegeben durch: A = T 1 + Z1 = τ · K0 + i · K0 = K0 · (τ + i).
216
7 Finanzmathematik
Wir fragen nun, wie sich die Restschuld Kmr mit der Laufzeit des Kredites verringert. (Kmr : Restschuld nach mr Zahlungsperioden). Es sei K mr = r · K 0
(0 ≤ r ≤ 1).
Aus Gl. (7.14) K mr = K 0 · q mr − A ·
q mr − 1 q−1
folgt mit A = K0 (τ + i): r · K0 = K0 · q mr − K0 (τ + i)
q mr − 1 . q−1
(7.16)
Wir l¨ osen Gleichung (7.16) nach mr auf, setzen q = 1 + i und erhalten:
i ln 1 + (1 − r) τ + i(1 − r) 1 τ · ln = . (7.17) mr = ln(1 + i) τ ln(1 + i) Diese Zeit ist unter den gegebenen Voraussetzungen unabh¨angig von der H¨ohe des Darlehens. F¨ ur r = 0 erhalten wir die Zeit, nach der die Schuld vollst¨andig getilgt ist. Beispiel: F¨ ur ein Darlehen wird ein Zinssatz von 7,25% pro Jahr vereinbart, die anf¨angliche Tilgung betr¨ agt 1% der Darlehenssumme. Nach welcher Zeit sind 60% des Darlehens getilgt? Die Restschuld betr¨ agt dann noch 40%, d.h. Km = 0, 4 · K0. F¨ ur die gesuchte Zeit erhalten wir nach Gl. (7.17):
0, 0725 ln 1 + (1 − 0, 4) 0, 01 = 23, 96 Jahre. m0,4 = ln(1 + 0, 0725) Vollst¨ andig getilgt ist das Darlehen nach der Zeit m0 : m0 =
0, 01 + 0, 0725 1 · ln = 30, 15 Jahre. ln 1, 0725 0, 01
Aus dieser Betrachtung folgt, dass bei Annuit¨atenschulden die Tilgung anfangs nur langsam einsetzt. Generell kann das Zeitverhalten der Restschuld durch eine Diskussion der Funktion
qx − 1 τ m r(m) = q − (p + τ ) · = q m − (1 + ) · (q m − 1) q−1 p untersucht werden. Der Graph dieser Funktion ist in der Abbildung 7.3 dargestellt. Es wurden die Werte p = 7, 25%, τ = 1% benutzt. Auf der y-Achse ist das Verh¨ altnis Restschuld zu Gesamtschuld aufgetragen, die x-Achse entspricht der Zeit.
7.2 Tilgungsrechnung
217
r(m)
1
0.5 0.4
5
10
15 Zeit −→
20
25
30 m
Abbildung 7.3. Das Verh¨ altnis der Restschuld zum Darlehen bis zur vollst¨ andigen Tilgung f¨ ur den Zinssatz p = 7, 25% und die Tilgungsrate τ = 1%
¨ Ubungen 7.1. Ein Kapital K0 von 5.000,– e wird vom 13.1. bis 27.6. auf ein Sparbuch mit einer Verzinsung von 3% gelegt. Wie hoch ist der Barwert der Anlage? 7.2. Eine am 7.3. f¨ allige Forderung in H¨ ohe von 7.200,– e wird erst am 22.9. mit einem Betrag (incl. Verzugszinsen) von 7.882,50 e bezahlt. Wie hoch ist der j¨ ahrliche Zinssatz? 7.3. Welchen Betrag muss ein Sparer am 5.2. zu 3% p.a. anlegen, damit er am Jahresende u ugt? ¨ber 10.000,– e verf¨ 7.4. Wie lange muss ein Kapital von 10.000,– e zu 16% p.a. angelegt werden, damit sich ein Endkapital von 11.000,– e ergibt? 7.5. Auf welchen Betrag wachsen 8.000 e in 10 Jahren an bei 5 % Zinseszins? 7.6. Die Zinsrechnung findet ihre Anwendung nicht nur in der Finanzmathematik, was in der folgenden Aufgabe verdeutlicht wird. In welcher Zeit verdoppelt sich eine Bev¨ olkerung bei einer j¨ahrlichen Wachstumsrate von 1.3%? 7.7. Eine Schuld von 150.000,– e soll in 19 Jahren bei p = 9% pro Jahr durch gleich hohe Annuit¨ aten verzinst und getilgt werden. Es sind folgende Gr¨oßen zu ermitteln:
218
7 Finanzmathematik
•
die Annuit¨ at
•
die Tilgung zum Ende des letzten Jahres
•
die Restschuld nach 5 Jahren
•
die Tilgung Ende des 8. Jahres
•
die Gesamtlaufzeit, wenn die Annuit¨ at vorgegeben ist mit 14.000 e/Jahr, 13.600 e/Jahr und 13.000 e/Jahr.
7.8. F¨ ur ’H¨ auslebauer’ waren die Darlehenskonditionen in den letzten Jahren sehr verschieden. Wie lange dauert die Tilgung eines Annuit¨atendarlehens, wenn 1% der Darlehenssumme als anf¨ angliche Tilgung vereinbart wird und der Zins pro Jahr 3,8% betr¨ agt? Wie ¨ andert sich diese Zeit, wenn der Zins 7% betr¨ agt? 7.9. F¨ ur ein Darlehen wird ein effektiver Jahreszins von 5,25% vereinbart, der Zinszuschlag erfolgt monatlich. Wie hoch ist der nominelle Jahreszins? 7.10. a) Ein Annuit¨ atendarlehen von 250.000 e wird zu folgenden Konditionen getilgt: Der Zins betr¨ agt 4%, die Annuit¨at 15.000 e im Jahr. Welchen Betrag zahlt der Darlehensnehmer an die Bank, bis die Schuld getilgt ist? b) Wie ¨ andert sich dieser Betrag, wenn der Darlehensnehmer nach 5 Jahren eine Sondertilgung von 25.000 e vornimmt? c) Falls ein Tabellenkalkulationsprogramm verf¨ ugbar ist: Stellen Sie den rekursiven Tilgungsplan auf f¨ ur a) und b).
L¨ osungen zum Test
L¨ osungen zum Test aus Kapitel 1.6 1.1 A ∪ B = {0, . . . , 10, 12, 14, 16, 18, 20} A ∩ B = {0, 2, 4, 6, 8, 10} A \ B = {1, 3, 5, 7, 9} 1.2 a) Die beiden Aussagen A(x) und B(x) sind a¨quivalent, denn x2 = 16
⇐⇒
x = 4 ∨ x = −4.
Somit ist A(x) ⇐⇒ B(x). b) Ja, denn: A(x) :
x2 − y 2 = 0 ⇐⇒ (x − y)(x + y) = 0 ⇐⇒ x = y ∨ x = −y
und daher ist A(x) ⇐⇒ B(x). c) Nein, denn x2 ≥ a ⇐⇒ | x |≥
√
a ⇐⇒ x ≥
√ √ a ∨ x ≤ − a.
Aus diesem Grund ist A(x) ⇐= B(x). 1.3 a) Eine notwendige Bedingung f¨ ur einen Gewinn im Lotto ist die Abgabe des Tippzettels. Eine hinreichende Bedingung f¨ ur den Gewinn ist das Ankreuzen der richtigen Zahlen. b) Nein, es gilt B(x) =⇒ A(x), aber A(x) =⇒ B(x). 1.4 a)
1 2x x+2 + = 2 . x2 − 4 x + 2 x −4
220
L¨ osungen zum Test
b) Es gilt: 3xn + 2xn+2 xn (3 + x2 ) = n n+1 n x + 3x x (x + 3) 3 + x2 . = x+3 Dieser Term ist definiert f¨ ur x = 0, x = −3. c) Wir f¨ uhren folgende Vereinfachung durch: √
1 3 x6n−9 = x6n−9 3 = x2n−3 =
x2n . x3
Dieser Term ist definiert f¨ ur alle x = 0. 1.5 Aufl¨ osen von Gleichungen: a) √ 3 3 2x − 7 = √ 2x + 1 x = 3 + 7 2 √ x = 2( 3 + 7) ≈ 17, 46.
⇐⇒ ⇐⇒ b)
x−3 = 2x + 6 x−3 = x−3 = 7x =
⇐⇒ ⇐⇒ ⇐⇒
(x = 3)
4
4(2x + 6) 8x + 24 −27 27 x=− . 7
⇐⇒ c) Die quadratische Gleichung
3x2 + 2x − 1 = 0 hat die beiden L¨ osungen x1/2 =
−2 ±
√ 4 + 12 −1 ± 2 = , 6 3
also: x1 = −1,
x2 =
1 . 3
L¨ osungen zum Test
221
d) Die Gleichung x−3=
1 2+x
f¨ uhrt auf die quadratische Gleichung x2 − x − 7 = 0 mit den L¨ osungen: x1/2 =
1±
√ √ 1 + 28 1 ± 29 = . 2 2
e) x5 − 12 = 3 x5 = 15 √ 5 x = 15 ≈ 1, 3797. f) Zur L¨ osung der Gleichung x4 + 4x2 − 8 = 0 √ substituieren wir: x2 = u bzw. x = ± u. Einsetzen liefert die quadratische Gleichung: u2 + 4u − 8 = 0 mit den beiden L¨ osungen: u1/2 = −2 ± Resubstitution ergibt: ' √ x1 = −2 + 2 3;
√ 3.
' √ x2 = − −2 + 2 3.
√ ur x. Die L¨ osung u2 = −2 − 2 3 liefert keine (reellen) L¨osungen f¨ g) 3x + 12 = 24 3x = 12 x = log3 12 ln 12 = ln 3 ≈ 2, 261.
222
L¨ osungen zum Test
h) 3x + 3x+2 = 110 3x + 9 · 3x = 110 10 · 3x = 110 3x = 11 x = log3 11 ln 11 = ln 3 ≈ 2, 18. i) Zur L¨ osung der Gleichung −2x + 4 · 22x = 128 substituieren wir: 2x = u,
x = log2 u,
(u > 0),
mit u2 = (2x )2 = 22x
Einsetzen in die obige Gleichung liefert die quadratische Gleichung: 4u2 − u − 128 = 0 mit den beiden L¨ osungen: u1/2 =
1±
√ 2049 . 8
Da u > 0, ist die gesuchte L¨ osung u1 = Damit ist x = log2
1+
√ 2049 . 2
1 + √2049 8
≈ 2, 531.
j) log2 4x = 15 4x = 215 1 x = · 215 = 213 = 8.192. 4
L¨ osungen zum Test
223
k) lg(x + 10) − lg(2x + 5) = 3 lg
(x > 3 ∧ x >
5 ) 2
x + 10 =3 2x + 5 x + 10 = 103 2x + 5 x + 10 = 2000x + 5000 4990 ≈ −2, 496. x=− 1999
l) log2 3x + log4 5x = 3 log2 5x =3 log2 3x + log2 4 1 log2 3x + log2 5x = 3 2 √ log2 3x + log2 5x = 3 √ log2 (3x 5x) = 3 √ 3x 5x = 23 √ 3 5 · x3/2 = 8 8 2/3 . x= √ 3 5 1.6 Gesucht ist die positive reelle Zahl x, so dass 1/x um 1 kleiner ist als x. Das bedeutet, x ist L¨ osung der Gleichung: 1 =x−1 x oder x2 − x − 1 = 0. Diese quadratische Gleichung hat die beiden L¨osungen √ 1± 5 . x1/2 = 2 Da die positive L¨ osung gesucht ist, folgt: √ 1+ 5 x1 = ≈ 1, 61803 . . . . 2
224
L¨ osungen zum Test
Aus der quadratische Gleichung geht hervor, dass das Quadrat dieser Zahl um 1 gr¨ oßer ist als x. Daher: x = 1, 61803 . . . 1 = 0, 61803 . . . x x2 = 2, 61803 . . . . Die Zahl x = 1, 61803 . . . heißt auch Goldener Schnitt. 1.7 Gem¨ aß der binomischen Formel Gl. (1.9) erh¨alt man: 4
n i n−i a ·b (a + b)4 = k i=1 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 . 1.8 Eine Veranschaulichung der Beziehung
n n−1 n−1 = + k k−1 k zwischen den Binomialkoeffizienten ist das Pascalsche Zahlendreick. Diese Beziehung sagt aus, dass das k-te Element der n-ten Zeile die Summe ist aus den Elementen k − 1 und k der vorherigen Zeile. 1 1 1 1 1
1 2
3 4
1 3
6
1 4
1
n=0 n=1 n=2 n=3 n=4
k k k k k
=0 = 0, 1 = 0, 1, 2 = 0, 1, 2, 3 = 0, 1, 2, 3, 4.
F¨ ur den formalen Beweis der Beziehung zwischen den Binomialkoeffizienten verwendet man die Gl.(1.10):
(n − 1)! n−1 n−1 (n − 1)! + = + k−1 k (k − 1)!(n − 1 − k + 1)! k!(n − 1 − k)! n!(n − k) n!k ∗ + = nk!(n − k)! nk!(n − k)! n!(k + n − k) = nk!(n − k)! n!n = nk!(n − k)! n! = k!(n − k)!
n = . k
L¨ osungen zum Test
225
Im Schritt * verwenden wir die Definition der Fakult¨at in der Form: (n − 1)! =
n! . n
1.9 a) 3x + 5 ≥ −2x − 3 x ≥ −8. b) x5 > 125 √ 5 x > 125. c) −2x2 + 3x − 1 < 0 2x2 − 3x + 1 > 0. Zun¨ achst wird die zugeh¨ orige Gleichung gel¨ost; dies f¨ uhrt auf die L¨osungen: 1 x1 = 1, x2 = . 2 Damit kann die Ungleichung geschrieben werden als: 1 (x − 1) · (x − ) > 0. 2 Diese Ungleichung ist genau dann erf¨ ullt, wenn beide Faktoren gr¨oßer Null oder beide kleiner Null sind. Die L¨osungsmenge der Ungleichung ergibt sich hieraus zu: L = {x ∈ R | x > 1 ∨ x