Ingo Ellersdorfer
Marktmachtpotenziale im deutschen Elektrizitätssektor Analysen für den Großhandelsmarkt mit einem spi...
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Ingo Ellersdorfer
Marktmachtpotenziale im deutschen Elektrizitätssektor Analysen für den Großhandelsmarkt mit einem spieltheoretischen Modell
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Oldenburg, 2009
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Claudia Jeske | Hildegard Tischer Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2063-8
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand w¨ahrend meiner T¨atigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut f¨ ur Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung an der Universit¨at Stuttgart sowie dem Institut f¨ ur Volkswirtschaftslehre I an der Carl von Ossietzky Universit¨at Oldenburg. Die Arbeit wurde im November 2008 an der Fakult¨at II f¨ ur Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Carl von Ossietzky Universit¨at Oldenburg eingereicht und im Januar 2009 verteidigt. Motiviert wurde die Dissertation durch die Liberalisierung der Elektrizit¨ats- und Gasm¨arkte in Europa, mit der die Entwicklung wettbewerblicher Strukturen im Energiesektor angestrebt wurde. Dabei hat sich der Elektrizit¨atsmarkt nicht nur wegen seiner dynamischeren Entwicklung sondern auch wegen der Verbindung ¨okonomischer und technischer Aspekte als besonders interessantes Forschungsgebiet erwiesen. Da der mit Beginn der Liberalisierung zu beobachtende Prozess der Marktkonsolidierung und die damit einhergehende steigende Marktkonzentration auf Großhandelsebene zunehmend als Hindernis f¨ ur die Entwicklung echten Wettbewerbs im Elektrizit¨atsmarkt gesehen wurde, wollte ich mit dieser Dissertation eine modellgest¨ utzte Analyse der vorhandenen Marktmachtpotenziale und der M¨oglichkeiten zu strategischem Marktverhalten der Elektrizit¨atserzeugungsunternehmen in Deutschland vorgelegen. F¨ ur die vielf¨altige Unterst¨ utzung, die ich w¨ahrend der Anfertigung dieser Dissertation von meinen Kollegen und Freunden erhalten habe m¨ochte ich mich ganz herzlich bedanken. Besonderer Dank gilt zun¨achst Herrn Prof. Dr.-Ing. Alfred Voß, Leiter des Instituts f¨ ur Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung an der Universit¨at Stuttgart, der mir erm¨oglicht hat diese Arbeit an seinem Institut zu schreiben. Ihm danke ¨ ich auch f¨ ur die Ubernahme des Zweitgutachtens und die Freiheiten bei der Gestaltung meiner wissenschaftlichen Arbeit. Gleichermaßen gilt mein besonderer Dank meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Wolfgang Pfaffenberger, ehemaliger Leiter des Lehrstuhls f¨ ur Wirtschaftspolitik am Institut f¨ ur Volkswirtschaftslehre an der Carl von Ossietzky Universit¨at Oldenburg, der trotz der langen Zeit bis zur Fertigstellung der Dissertation sehr viel Geduld bewiesen und am Ende mit hilfreichen Anmerkungen zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Neben den vielen anderen Kollegen der Abteilung Energiewirtschaft und Systemtechnische Analysen sowie der Abteilung Energiem¨arkte und Gesamtwirtschaftliche Ana-
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lysen am Institut f¨ ur Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, die zu der immer angenehmen und unvergesslichen Arbeitsatmosph¨are beigetragen haben, m¨ochte ich einigen ganz besonders herzlich danken. Zuerst gilt mein herzlicher Dank Herrn Dr.-Ing. Derk Jan Swider, der ein immer kompetenter Ansprechpartner nicht nur f¨ ur ingenieurwissenschaftliche Fragen war. Ihm habe ich zu Verdanken, dass mir die technischen Zusammenh¨ange der Elektrizit¨atserzeugung so nahe gebracht wurden, wie es f¨ ur den wissenschaftlichen Horizont eines Volkswirten vielleicht nicht selbstverst¨andlich, f¨ ur die Anfertigung der vorliegenden Arbeit aber notwendig war. Dann m¨ochte ich Herrn Dr. Ulrich Fahl, Leiter der Abteilung Energiewirtschaft und Systemtechnische Analysen f¨ ur seine Hilfestellung bei der Strukturierung dieser Arbeit und die inhaltlichen Anregungen danken. Ebenso gilt mein Dank f¨ ur die vielf¨altigen Diskussionen, die zum Gelingen der Dissertation wesentlich beigetragen haben, Herrn Prof. Dr. Christoph Weber, Dr. Norbert Azuma-Dicke, Dipl.-Ing. Stephan Kempe, Dr.-Ing. Uwe Remme und Dr. Roman Lokhov. Meiner Freundin Dipl.-Volksw. Armasari Soetarto, die mir in der Endphase der ¨ Fertigstellung sehr viel Verst¨andnis entgegen gebracht hat, danke ich f¨ ur die Ubernahme der Korrekturarbeit und die vielen inhaltlichen Diskussionen. F¨ ur das Vertrauen und die jahrelange Unterst¨ utzung danke ich von ganzem Herzen meinen lieben Eltern. Ihnen widme ich diese Arbeit. Ingo Ellersdorfer
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Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung
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2 Elektrizit¨ atsmarkt in Deutschland 2.1 Struktur der Elektrizit¨atsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Erzeugungssystem und Elektrizit¨atsnachfrage . . . . . . 2.1.2 Elektrizit¨atsnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Integration in den europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarkt 2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen . . . 2.2.2 Struktur des Großhandelsmarktes . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Spotmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Interregionale Preisdifferenzen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Marktkonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Kapitalverflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Empirische Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Methoden zur Marktmachtanalyse 3.1 Marktmacht und funktionsf¨ahiger Wettbewerb . 3.1.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Wettbewerbstests . . . . . . . . . . . . . 3.2 Indizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Strukturbasierte Indizes . . . . . . . . . 3.2.2 Verhaltens- und ergebnisbasierte Indizes 3.3 Optimierungs- und Simulationsmodelle . . . . . 3.3.1 Lineare Optimierungsmodelle . . . . . . 3.3.2 Agentenbasierte Simulationsmodelle . . . 3.4 Spieltheoretische Modelle . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Grundkonzept . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Cournot-Nash-Modelle . . . . . . . . . . 3.4.3 Supply-Functions-Modelle . . . . . . . .
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43 43 44 46 48 48 52 55 56 60 61 62 64 68
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Inhaltsverzeichnis 3.4.4
Auktionsmarktmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt 4.1 Modell¨ uberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Regionale Nachfragestrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Referenznachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Nachfragefunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Regionale Angebotsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Methoden der Kapazit¨atszurechnung . . . . . . . . . . 4.3.2 Relevante Spieler und Wettbewerbsrand in Deutschland 4.3.3 Aggregierte Erzeugungskapazit¨aten im Ausland . . . . 4.3.4 Grenzerzeugungskostenkurven . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Interregionaler Elektrizit¨atstransport . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Kuppelstellenkapazit¨aten . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Transportkosten und Netzverluste . . . . . . . . . . . . 4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Marktprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Spotmarktverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Erzeugungs- und Transportrestriktionen . . . . . . . . 4.5.4 Spotmarktgleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.5 Terminmarktverhalten und Terminmarktgleichgewicht .
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5 Analyse der Marktmachtpotenziale 5.1 Spotmarktmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Wettbewerbsgleichgewicht als Referenz . . . . . . 5.1.2 Strategisches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel 5.2.1 Aktuelle Situation der Transportkapazit¨aten . . . 5.2.2 Szenarien zum Ausbau der Transportkapazit¨aten 5.2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . 5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt . . . . . . . . . . . 5.3.1 Einfluss der Terminmarktstrategie . . . . . . . . . 5.3.2 Risikoneigung und optimaler Kontrahierungsgrad 5.3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . .
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125 125 126 127 128 129 139 146 147 147 166 171
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6 Schlussbetrachtung
173
Literaturverzeichnis
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VIII
Abbildungsverzeichnis 2.1 Installierte Engpassleistung in Deutschland zwischen 1990 und 2005 . . . 2.2 Merit-Order-Kurve des deutschen Elektrizit¨atserzeugungssystems auf Basis der installierten Kraftwerkskapazit¨at und durchschnittlicher Brennstoffpreise, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zeitlicher Verlauf der Elektrizit¨atsnachfrage (2005) und monatlichen H¨ochstlast in Deutschland (2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Interregionaler Elektrizit¨atsaustausch in Deutschland zwischen 1995 und 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Regionale und zeitliche Verteilung des Elektrizit¨atsaußenhandelsvolumens zwischen Deutschland und den Nachbarl¨andern, 2005 . . . . . . . . . . . 2.6 St¨ undliche Spotmarktpreise an der EEX f¨ ur den 3. Mittwoch, Samstag und Sonntag im Februar, Juni und Oktober 2005 . . . . . . . . . . . . . 2.7 Tagesmittlere Spotmarktpreise an der EEX f¨ ur Grund- und Spitzenlast 2003 bis 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Forwardkurven f¨ ur die Grund- und Spitzenlastjahresfutures 2006, 2007 und 2008, Januar bis Dezember 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Termin- und Spotmarktvolumina an der EEX sowie Elektrizit¨atsverbrauch in Deutschland, 2001 bis 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10 Tagesmittlere Spotpreisdifferenzen der APX-NL, EXAA, Nord Pool und Powernext zur EEX, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Abbildung der Modellregionen als Punktm¨arkte . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Berechnete Ganglinie der st¨ undlichen Windenergieeinspeisung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Merit-Order-Kurven der E.ON Energie AG . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Merit-Order-Kurven der RWE Power AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Merit-Order-Kurven der E.ON Energie AG und Approximation f¨ ur zwei Sommer- und zwei Wintersegmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
9 11 14 15 23 24 28 29 32 75 84 103 104 105
5.1 Spotmarktpreise in Deutschland – kein interregionaler Elektrizit¨atsaustausch, kein Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
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Abbildungsverzeichnis 5.2 Spotmarktpreise in Deutschland – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, kein Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Deutscher Außenhandelssaldo im Wettbewerbs- und Cournot-Gleichgewicht – kein Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Spotmarktpreise in Deutschland – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Spotmarktpreise in Deutschland bei variierendem Kontrahierungsgrad . .
130 137 141 150
5.6 Zusammensetzung der physischen Angebotsmenge im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt bei variierendem Kontrahierungsgrad . . . . . . . 151 5.7 Gesamtproduktionsmengen der deutschen EVU bei variierendem Kontrahierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5.8 Angebotsmengen der deutschen EVU im Winter-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.9 Angebotsmengen der deutschen EVU im Winter-Off-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5.10 Durchschnittliche Lerner-Indizes bei variierendem Kontrahierungsgrad . . 154 5.11 Lerner-Indizes im Winter-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5.12 Lerner-Indizes im Winter-Off-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5.13 Deckungsspannen der deutschen EVU bei variierendem Kontrahierungsgrad156 5.14 Wohlfahrt und Kosten der Elektrizit¨atsnachfrage bei variierendem Kontrahierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5.15 Spotmarktpreise in Deutschland bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 5.16 Angebotsmengen im Winter-Off-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 5.17 Angebotsmengen im Sommer-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.18 Lerner-Indizes im Winter-Off-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.19 Lerner-Indizes im Sommer-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.20 Deckungsspannen der deutschen EVU bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.21 Zusammensetzung des physischen Elektrizit¨atsangebots und optimale Kontrahierungsgrade der Oligopolunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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164 164 165 170
Tabellenverzeichnis 2.1 Entwicklung der Elektrizit¨atserzeugung in Deutschland zwischen 1990 und 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Spannungsebenen der Elektrizit¨atsnetze, Stromkreisl¨angen und Anzahl der Unternehmen in Deutschland, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Installierte physische und effektive, f¨ ur den Elektrizit¨atshandel nutzbare Transportkapazit¨aten zwischen Deutschland und den Nachbarl¨andern, 2004/2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Gehandelte Produkte am Spotmarkt der EEX . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Gehandelte Produkte am Terminmarkt der EEX . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Spotmarktpreise und Handelsvolumina an ausgew¨ahlten europ¨aischen Elektrizit¨atsb¨orsen in den Jahren 2004 und 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Ergebnisse unterschiedlicher Studien zur Marktkonzentration in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Erzeugungskapazit¨aten und erzeugerseitige Marktanteile der zehn gr¨oßten EVU in Deutschland, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Installierte Erzeugungskapazit¨aten in Deutschland, 2005 . . . . . . . . . 2.10 Erzeugungsseitige Konzentrationindizes in Deutschland, 2005 . . . . . . . 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen und Regionen im Modell . . . . . . Zeit- und Lastsegmente im Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition der Zeit- und Lastsegmente im Modell . . . . . . . . . . . . . . Anteil der Pump- und Netzverluste an der regionalen Elektrizit¨atserzeugung Regionale Referenznachfragemengen in den Zeit- und Lastsegmenten . . . Regionale Referenzpreise in den Zeit- und Lastsegmenten . . . . . . . . . Annahmen zu den Preiselastizit¨aten der Elektrizit¨atsnachfrage . . . . . . H¨aufigkeitsverteilung der berechneten Windenergieeinspeisung in den Zeitund Lastsegmenten in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 Erwartungswerte der Windenergieeinspeisung in den Zeit- und Lastsegmenten in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10 Kennzahlen der RWE Power AG, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.11 Kennzahlen der E.ON Energie AG, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8 11
13 21 26 31 35 37 40 41 74 75 77 79 80 81 82 85 86 91 92
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Tabellenverzeichnis 4.12 Kennzahlen der Vattenfall Europe AG, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.13 Kennzahlen der EnBW AG, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.14 Installierte Erzeugungskapazit¨aten der vier großen EVU und des Wettbewerbsrandes nach Energietr¨agern, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4.15 Aggregierte Erzeugungskapazit¨aten in den Nachbarl¨andern nach Energietr¨agern, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4.16 Energietr¨agerpreise frei Kraftwerk in den Modellregionen . . . . . . . . . 97 4.17 Beschaffungskosten f¨ ur Pumpenergie in den Modellregionen . . . . . . . . 98 4.18 Sonstige variable Erzeugungskosten und CO2 -Emissionsfaktoren nach Energietr¨agern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4.19 Durchschnittliche Wirkungsgrade in den Kraftwerksklassen der europ¨aischen Nachbarl¨ander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4.20 Durchschnittliche regionale Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der Wasser- und Kernkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.21 Durchschnittliche Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der konventionell-thermischen Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.22 Annahmen u uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten zwi¨ber die grenz¨ schen den Modellregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 5.1 Lerner-Index, Mengen und Gewinne der EVU – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, kein Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Verf¨ ugbare Leistung zu Referenznachfrage, durchschnittlicher Lerner-Index und Preis¨anderung in Deutschland – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, kein Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Mengen- und Gewinn¨anderung bei strategischem Verhalten – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, kein Terminmarkthandel . . . . . . . . 5.4 Exportmengen der Oligopolunternehmen in Deutschland – kein Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Kosten- und Wohlfahrtswirkungen in Deutschland – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, kein Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Lerner-Index, Mengen und Gewinne der EVU – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Kosten- und Wohlfahrtswirkungen in Deutschland – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Durchsetzbare Preissteigerungen bei Ausbau der grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten – kein Terminmarkthandel . . . . . . . . . . . 5.9 Lerner-Index, Mengen und Gewinne der EVU – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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134 135 138 139 142 143 145 145
Tabellenverzeichnis 5.10 Kosten- und Wohlfahrtswirkungen in Deutschland – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.11 Ver¨anderung der Spotmarktpreise und durchschnittliche Lerner-Indizes – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, Kontrahierungsgrad 85 % . . 5.12 Lerner-Index, Mengen und Gewinne – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, Kontrahierungsgrad 85 % . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.13 Mengen- und Gewinn¨anderung bei strategischem Verhalten – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, Kontrahierungsgrad 85 % . . . . . . . 5.14 Kosten- und Wohlfahrtswirkungen in Deutschland – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, Kontrahierungsgrad 85 % . . . . . . . . . . . . . 5.15 Optimale Kontrahierungsgrade bei Risikoneutralit¨at – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.16 Durchschnittliche Lerner-Indizes und Preis¨anderung bei optimalem Kontrahierungsgrad und Risikoneutralit¨at – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.17 Optimale Kontrahierungsgrade bei Risikoaversion – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.18 Durchschnittliche Lerner-Indizes und Preis¨anderung bei optimalem Kontrahierungsgrad und Risikoaversion – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.19 Kosten- und Wohlfahrts¨anderungen bei Risikoneutralit¨at und Risikoaversion – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch . . . . . . . . . . . . .
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XIII
Symbolverzeichnis Variablen f¯i,t,l P¯r,t,l f P¯t,l x λi,t,l Πi Πk τr→q εr,t,l ϑi,r,t,l Dr,t,l fi,r,t,l ∗ fi,t,l Fr,t,l , Ur,t,l GEi GKi,t,l Ki,t,l f Pr,t,l Pr,t,l,s Pr,t,l sri,q,t,l si,r,t,l s∗i,r,t,l sqi,r,t,l si,t,l,s Sr,t,l,s Sr,t,l uk,t,l vi,r,t,l Vr,t,l
Bekannte Terminmarktmenge auf der zweiten Marktstufe Nicht beeinflussbarer Spotmarktpreis Bekannter Terminmarktpreis auf der zweiten Marktstufe Entscheidungsvariablen eines linearen Optimierungsmodells Schattenpreis der Erzeugungsrestriktion Gewinn eines Erzeugungsunternehmens Gewinn eines Elektrizit¨atsh¨andlers bzw. Spekulanten Schattenpreis der Transportrestriktion Preiselastizit¨at Marktanteil Gesamtnachfrage Terminmarktmenge Optimale Terminmarktmenge Angebotsmenge am Terminmarkt Grenzerl¨ose Grenzerzeugungskosten Erzeugungskosten Terminmarktpreis Spotmarktpreis in einem Windszenario Spotmarktpreis Exporte Angebotsmenge Optimale Angebotsmenge Importe Angebotsmenge in einem Windszenario Gesamtangebot in einem Windszenario Gesamtangebot Terminmarktmenge eines Elektrizit¨atsh¨andlers bzw. Spekulanten Spotmarktmenge Angebotsmenge am Spotmarkt
XV
Symbolverzeichnis xi,t,l,s xi,t,l
Produktionsmenge in einem Windszenario Produktionsmenge
Parameter A, cT , b χm,r,t,l ηSK,cref ηSK,c ηm,cref ηm,c γm μt,l Ωt,l ψt,l,s θa ˜ ref D r,t,l
x˜inst m,i,r t,l,s ξr ζr ar,t,l br,t,l c1,i,t,l c2,i,t,l c3,i,t,l c4,i,t,l c5,i,t,l D ref Dr,t,l DRi e Erstat Erq,ref hl I net Irstat
XVI
Parameter eines linearen Optimierungsmodells Arbeitsverf¨ ugbarkeit Elektrischer Referenzwirkungsgrad eines Steinkohlekraftwerks Elektrischer Wirkungsgrad eines Steinkohlekraftwerks Elektrischer Referenzwirkungsgrad Elektrischer Wirkungsgrad CO2 -Emissionsfaktor Erwartungswert der Windenergieeinspeisung Angebot-Nachfrage-Verh¨altnis Auspr¨agung eines Windszenarios Risikoneigung Nicht skalierte Referenznachfrage Installierte Erzeugungskapazit¨at Eintrittswahrscheinlichkeit eines Windszenarios Faktor f¨ ur Pumpverluste Faktor f¨ ur Netzverluste Nachfrageparameter Nachfrageparameter Parameter der Grenzerzeugungskostenfunktion Parameter der Grenzerzeugungskostenfunktion Parameter der Grenzerzeugungskostenfunktion Parameter der Grenzerzeugungskostenfunktion Parameter der Grenzerzeugungskostenfunktion Nachfrage Referenznachfrage Residualnachfrage Euler’sche Zahl Statistische Exporte Referenzexporte Stunden eines Lastsegments Nettoimporte Statistische Importe
Symbolverzeichnis Irq,ref var Km,r var,OM Km Nrstat P CO2 ref Pr,t,l Prstat PrET R max Tr↔q verf xi xmax i,r,t,l Xrstat CRn DSP HHI LIi PKMi PSI RSI
Referenzimporte Variable Erzeugungskosten Variable Betriebs- und Wartungskosten Statistische Netzverluste CO2 -Zertifikatepreis Referenzpreis Statistische Pumpverluste Energietr¨agerpreis Reserveleistung Maximale Transportkapazit¨at Verf¨ ugbare Erzeugungskapazit¨at Maximal verf¨ ugbare Erzeugungskapazit¨at Statistische j¨ahrliche Elektrizit¨atserzeugung Konzentrationsindex Deckungsspanne Herfindahl-Hirschman-Index Lerner-Index Preis-Kosten-Marge Pivotal-Supplier-Indicator Residual-Supply-Index
Mengen und Indizes F I K L M O Q Q− S Si T a c cref
Menge der Unternehmen des Wettbewerbsrandes Menge der Erzeugungsunternehmen Menge der Elektrizit¨atsh¨andler bzw. Spekulanten Menge der Lastsegmente Menge der Erzeugungstechnologien Menge der Oligopolunternehmen Menge der Modellregionen Menge der Modellregionen ohne Deutschland Menge der Windszenarien Menge der Strategien in einem nicht-kooperativen Spiel Menge der Zeitsegmente Unternehmen Jahr der Inbetriebnahme Referenzinbetriebnahmejahr
XVII
Symbolverzeichnis i, j k l m p r, q s s∗ si t v, w S s s∗
XVIII
Erzeugungsunternehmen Elektrizit¨atsh¨andler bzw. Spekulant Lastsegment Erzeugungstechnologie Nicht im Modell abgebildete Region Modellregion Windszenario Optimale Strategie in einem nicht-kooperativen Spiel Individuelle Strategie in einem nicht-kooperativen Spiel Zeitsegment Unternehmen des Wettbewerbsrandes Strategieraum in einem nicht-kooperativen Spiel Strategieprofil in einem nicht-kooperativen Spiel Optimales Strategieprofil in einem nicht-kooperativen Spiel
1 Einleitung Mit der Liberalisierung des Elektrizit¨atsmarktes in Deutschland hat ein angebotsseitiger Konzentrationsprozess eingesetzt, der als Folge der vielf¨altigen Unternehmensfusionen und -akquisitionen zur Herausbildung einer oligopolistischen Marktstruktur auf Erzeugungsebene gef¨ uhrt hat. Die aktuelle Situation l¨asst sich als ein Vier-Spieler-Oligopol der Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen (EVU) RWE AG, E.ON AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG beschreiben. Die vier Unternehmen kontrollieren etwa 79 % der deutschen Kraftwerkskapazit¨at, wobei RWE AG und E.ON AG mit einem Marktanteil von zusammen etwa 54 % eine herausragende Stellung einnehmen. Die Monopolkommission beschreibt die Marktstruktur in Deutschland in ihrem f¨ unfzehnten Hauptgutachten daher sogar als ein Duopol der beiden gr¨oßten Unternehmen RWE AG und E.ON AG. Zu der gleichen Einsch¨atzung kommt das Bundeskartellamt, das die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschr¨ankung (GWB) definierten Schwellenwerte der kumulierten Marktanteile zur Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung im Rahmen ihrer Fusionskontrolle zu Grunde legt. Die bestehende oligopolistische Angebotsstruktur und eine auf dieser Basis m¨ogliche missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht wird in der ¨offentlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskussion als einer der Gr¨ unde f¨ ur die zeitweise hohen Marktpreise an der deutschen Elektrizit¨atsb¨orse, der European Energy Exchange (EEX) genannt. Es wird in diesem Zusammenhang vermutet, dass die EVU z. B. durch die Zur¨ uckhaltung von Kraftwerksleistung oder die Stellung u ¨berh¨ohter Preise Einfluss auf die Marktergebnisse nehmen, um so ihre Gewinne unbillig zu steigern. Vor diesem Hintergrund werden unterschiedliche Vorschl¨age zur Intensivierung des Wettbewerbs gemacht, die von einer Erh¨ohung der Markttransparenz und einer h¨oheren Besteuerung von Unternehmensgewinnen u ¨ber die St¨arkung des interregionalen Elektrizit¨atshandels durch den Ausbau der Kuppelleitungskapazit¨aten in Europa bis hin zur Zerschlagung der Unternehmen in vertikaler und horizontale Richtung reichen. Argumentative Grundlagen f¨ ur die ¨offentliche und politische Diskussion finden sich u. a. in verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen zu etwaigem wettbewerbswidrigen Unternehmensverhalten am Elektrizit¨atsmarkt, in denen, neben vielen anderen methodischen Ans¨atzen, entweder mit Hilfe fundamentalorientierter Optimierungsmodelle versucht wird, eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht auf Basis der histo-
1
1 Einleitung rischen Preisentwicklung ex-post nachzuweisen oder aber mit Hilfe verhaltensorientierter spieltheoretischer Gleichgewichtsmodelle der Versuch gemacht wird, die Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht ex-ante zu quantifizieren. W¨ahrend f¨ ur den deutschen und andere europ¨aische Elektrizit¨atsm¨arkte unterschiedliche fundamentalorientierte Ex-post-Analysen existieren, finden sich detaillierte spieltheoretische Untersuchungen zwar f¨ ur die angels¨achsischen L¨ander und Skandinavien, Anwendungen f¨ ur die kontinentaleurop¨aischen Großhandelsm¨arkte, bei denen die gegebenen strukturellen und institutionellen Marktbedingungen explizit ber¨ ucksichtigt werden, liegen dagegen nicht vor. Die vorhandenen spieltheoretischen Analysen vernachl¨assigen dar¨ uber hinaus wesentliche Wechselwirkungen der institutionellen Handelsm¨oglichkeiten der Unternehmen an Spot- und Terminm¨arkten und abstrahieren damit von spezifischen Aspekten des Preisbildungsprozesses bei oligopolistischem Wettbewerb. Die Nutzung fundamentalorientierter Optimierungsmodelle f¨ ur die Ex-post-Analyse einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht, bei der das Unternehmensverhalten nur implizit erfasst wird, ist mit erheblichen empirischen und methodischen Herausforderungen verbunden, die sich insbesondere aus der Verf¨ ugbarkeit der notwendigen Informationen zur Beschreibung der historischer Markt- bzw. Systemzust¨ande sowie der ad¨aquaten Modellierung des Preisbildungsprozesses ergeben. Werden die historischen Marktergebnisse z. B. die Großhandelspreise an der European Energy Exchange mit den Ergebnissen optimierender Fundamentalmodelle verglichen, bei denen implizit vom ¨ Standardmodell der neoklassischen Okonomik, dem Modell der vollst¨andigen Konkurrenz, ausgegangen wird, so wird ein hypothetischer Vergleichsmarkt als Referenzmaßstab verwendet, der die Interpretation der Analyseergebnisse erheblich erschwert. Dagegen l¨asst sich das ex-ante zu untersuchende Marktverhalten der Unternehmen bei der Anwendung spieltheoretischer Gleichgewichtsmodelle explizit abbilden. Dar¨ uber hinaus liegt ein wesentlicher Vorteil spieltheoretischer Modelle f¨ ur die Quantifizierung der durch einer missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht zu erwartenden Auswirkungen auf die Marktergebnisse darin, bei sonst gleichen technischen, strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen ausschließlich die Annahmen zum Unternehmensverhalten zu variieren, die Analyse also in einem geschlossenen Modellrahmen stattfindet. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die sachgerechte Quantifizierung der Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung erzeugerseitiger Marktmacht am deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt durch die vier Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen RWE AG, E.ON AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG auf Basis der gegebenen strukturellen und institutionellen Marktbedingungen unter besonderer Ber¨ ucksichtigung der Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes sowie der Wechselwirkungen zwischen Spot- und Terminmarktentscheidungen.
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Zur Analyse der vorhandenen Marktmachtpotenziale wird ein zweistufiges, mehrregionales Oligopolmodell entwickelt und auf den deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt angewendet. Hierzu werden in Kapitel 2 zun¨achst die strukturellen und institutionellen Marktbedingungen in Deutschland beschrieben. In Kapitel 3 werden einige wesentliche Methoden zur Marktmachtanalyse mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteile diskutiert. Darauf aufbauend wird in Kapitel 4 das f¨ ur die vorliegende Quantifizierung der Marktmachtpotenziale im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt verwendete spieltheoretische Gleichgewichtsmodell in seinem Aufbau und seinen Annahmen beschrieben und in Kapitel 5 angewendet. Die Arbeit schließt mit einer Schlussbetrachtung in Kapitel 6.
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2 Elektrizit¨ atsmarkt in Deutschland Die Wettbewerbssituation in Elektrizit¨atsm¨arkten ist auf Grund der besonderen technischen Bedingungen stark von den spezifischen Angebots- und Nachfragestrukturen, der institutionellen Ausgestaltung der Großhandelsm¨arkte sowie der Marktkonzentration abh¨angig. Um die Wettbewerbsbedingungen und die im deutschen Elektrizit¨atsmarkt bestehenden Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht im Großhandel untersuchen zu k¨onnen, werden daher zun¨achst in Kapitel 2.1 die spezifischen angebotsund nachfrageseitigen Elektrizit¨atsversorgungsstrukturen beschrieben, bevor in Kapitel 2.2 die institutionelle Ausgestaltung der Großhandelsm¨arkte dargestellt wird. In Kapitel 2.3 wird dann auf der Basis der in Deutschland bestehenden Kapitalverflechtungen die erzeugerseitige Marktkonzentration bestimmt.
2.1 Struktur der Elektrizit¨ atsversorgung Das Elektrizit¨atsversorgungssystem in Deutschland wird in Kapitel 2.1.1 in Bezug auf die Angebots- und Nachfragestrukturen und in Kapitel 2.1.2 in Bezug auf die Elektrizit¨atsnetze beschrieben. Die Einordnung Deutschlands in den europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarkt mit einer Darstellung der grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten sowie der interregionalen Austauschverh¨altnisse findet sich in Kapitel 2.1.3.
2.1.1 Erzeugungssystem und Elektrizit¨ atsnachfrage Elektrische Energie wird auf der Basis eines Umwandlungsprozesses in Kraftwerken unter Einsatz fossiler und nicht-fossiler Prim¨arenergietr¨ager erzeugt und nach Einspeisung u ¨ber ein Transport- und Verteilungsnetz unterschiedlicher Spannungsebenen zu den Orten des Verbrauchs gebracht. Das bereitgestellte Produkt stellt insofern ein Kuppelprodukt aus der Erzeugungsleistung der Kraftwerke und der Transportleistung des Netzes dar. Neben der Leitungsgebundenheit besteht eine weitere wesentliche Eigenschaft elektrischer Energie in der nur sehr begrenzten Speicherbarkeit. Speicherm¨oglichkeiten bestehen im wesentlichen nur in den Reservoirs von Wasserkraftwerken, wobei der technische und ¨okonomische Aufwand insbesondere von der topographischen Situation des
5
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland betrachteten Landes abh¨angt. Bedingt durch die begrenzte Speicherbarkeit ist im Elektrizit¨atsversorgungssystem f¨ ur einen kontinuierlichen Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch zu sorgen. Die Gew¨ahrleistung des kontinuierlichen Ausgleichs erfordert dabei u. a. die Vorhaltung von Reservekapazit¨at, mit der ungeplante Kraftwerksausf¨alle oder nicht vorhergesehene Nachfrageschwankungen ausgeglichen werden k¨onnen. Die im Erzeugungssystem insgesamt installierte Kraftwerksleistung umfasst daher auch teilweise ¨ nicht genutzte Reservekapazit¨at.1 Uber die Bereitstellung der physischen Kraftwerksleistung hinaus, muss u ¨ber eine m¨oglichst genaue Prognose des zeitlichen Verlaufs der Netzlast sowie der Verf¨ ugbarkeit der thermischen und hydraulischen Kraftwerke die Voraussetzung f¨ ur einen sicheren, effizienten und kosteng¨ unstigen Systembetrieb geschaffen werden. Die Entwicklung der Elektrizit¨atserzeugungsstrukturen im deutschen Versorgungssystem ist durch eine starke energietr¨agerseitige Diversifizierung gekennzeichnet, wobei der u ¨berwiegende Teil der installierten Kapazit¨at auf thermischen Anlagen basiert. Abbildung 2.1 zeigt die Entwicklung der installierten Kraftwerksleistung nach Energietr¨agern in Deutschland zwischen 1990 und 2005.2
Engpassleistung [GW]
160,0
120,0
80,0
40,0
0,0 1990
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Wasserkraft Heizöl
Kernenergie Wind
Braunkohle Photovoltaik
Steinkohle Sonstige
Erdgas
Abbildung 2.1: Installierte Engpassleistung in Deutschland zwischen 1990 und 2005
1
2
6
Die Reservekapazit¨at setzt sich dabei aus der Prim¨ar-, Sekund¨ar- und Minutenreserve zur Bereitstellung von Regelenergie sowie der Stunden- bzw. Ausfallreserve zusammen. Vgl., VDEW (2005b), VDEW (2005a), VDEW (2006a), VDEW (2006b), BMWi (2007) und BMU (2005), eigene Berechnungen.
2.1 Struktur der Elektrizit¨atsversorgung Insgesamt sind im Jahr 2005 im deutschen Erzeugungssystem etwa 133 GW Kraftwerksleistung installiert.3 Die Kapazit¨atsentwicklung ist dabei zwischen 1990 und 2005 vor allem durch den u ¨berproportional starken Zubau der Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien gekennzeichnet. Hierbei macht der Ausbau der Windkraftkapazit¨aten von knapp 18 GW den u ¨berwiegenden Anteil aus. Da die Elektrizit¨atserzeugung auf Basis der Windenergie stochastischen Schwankungen unterliegt, steht dem nominellen Kapazit¨atszubau nur ein geringerer Zuwachs gesichert einsetzbarer Kraftwerksleistung gegen¨ uber.4 Unter anderem induziert durch die Einspeiseverg¨ utung zur F¨orderung der Nutzung erneuerbarer Energien auf Basis des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG)5 wird ein weiterer Zubau dieser Kapazit¨aten erwartet.6 F¨ ur die thermische Erzeugung konnte zwischen 1990 und 2005 ein R¨ uckgang der Braunkohle- und der Steinkohlekapazit¨aten um etwa 23 % (etwa 3,7 GW, Braunkohle) bzw. 12 % (etwa 5,9 GW, Steinkohle) sowie der Heiz¨olkapazit¨aten um etwa 37 % (etwa 3,7 GW) beobachtet werden. Die Kernenergiekapazit¨aten verringerten sich um etwa 16 % bzw. 3,8 GW. Im gleichen Zeitraum haben die Erdgaskapazit¨aten um ca. 25 % und damit um ca. 4,1 GW zugenommen. Insgesamt hat sich der Anteil der fossilen Kraftwerksleistung (ohne Kernenergie) um etwa 15 % bzw. 9,2 GW verringert. Bis zum Jahr 2020 ist mit einem weiteren altersbedingten Ersatz thermischer Kraftwerksleistung zu rechnen, der durch den Ausstieg aus der Kernenergienutzung zus¨atzlich verst¨arkt wird.7 Die Entwicklung der installierten Erzeugungskapazit¨aten spiegelt sich auch in den Anteilen der jeweiligen Brennstoffe zur Gesamterzeugung wider. Im Jahr 2005 werden etwa 46 % der elektrischen Energie in Kohlekraftwerken, etwa 27 % in Kernkraftwerken, 12 % auf der Basis von Erdgas und nur noch knapp 1 % auf der Basis von Mineral¨ol erzeugt. Erneuerbare Energietr¨ager, wie z. B. Wasser- und Windkraft sowie Biomasse tragen mit etwa 12 % zur Elektrizit¨atserzeugung in Deutschland bei. Tabelle 2.1 stellt die Netto-Elektrizit¨atserzeugung in Deutschland f¨ ur ausgew¨ahlte Jahre zwischen 1990 und 2005 nach Energietr¨agern dar.8
3
4
5 6 7
8
Die Angaben zu den Leistungs- und Energiewerten beziehen sich im Folgenden immer auf Nettogr¨oßen, sofern nichts anderes geschrieben wird. Zum Verh¨altnis von installierter zu gesicherter Kraftwerksleistung bei der Windenergienutzung, vgl. z. B. Sontow (2000). Vgl. EEG (idF v. 31.3.2000), EnWG (idF v. 1.5.2003) und EEG (idF v. 21.7.2004). Vgl. z. B. DEWI et al. (2005). In Deutschland werden bis zum Jahr 2020 etwa 40 bis 50 GW der im Jahr 2000 installierten Erzeugungskapazit¨aten stillgelegt. Zur Prognose des Investitionsbedarfs im Kraftwerksbereich, vgl. z. B. VDN (2004), Blesl et al. (2005), S. 33, Pfaffenberger und Hille (2004), S. 3-12 ff. Zum Kernenergieausstieg, vgl. Atomkonsens (2000) sowie Atomkonsens (idF v. 22.4.2002). Vgl. AGEB (2007), VDEW (2005b) und BMU (2005), eigene Berechnungen.
7
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland Tabelle 2.1: Entwicklung der Elektrizit¨atserzeugung in Deutschland zwischen 1990 und 2005
Energietr¨ ager Steinkohle Braunkohle Mineral¨ ol Erdgas Kernenergie Wasserkraft Windkraft Photovoltaik Biomassea Sonstige Gesamt a
1990
1995 2000 in TWh
2005
1990
1995 2000 in %
2005
130,9 152,1 10,5 35,9 144,6 19,5 1,4 13,4 508,3
134,8 129,7 7,1 39,4 145,8 23,7 1,8 2,1 12,3 496,7
121,8 144,4 5,9 67,9 154,6 27,2 27,2 1,3 13,5 13,5 581,3
25,8 29,9 2,1 7,1 28,4 3,8 0,3 2,6 100,0
27,1 26,1 1,4 7,9 29,4 4,8 0,4 0,4 2,5 100,0
21,0 24,8 1,0 11,7 26,6 4,7 4,7 0,2 2,3 3,0 100,0
133,6 136,2 5,0 47,0 161,2 27,4 7,5 0,1 4,2 17,5 539,7
24,8 25,2 0,9 8,7 29,9 5,1 1,4 0,8 3,2 100,0
Inkl. biogener Anteil des Abfalls
Kraftwerkseinsatzentscheidung Die Einsatzentscheidung der verschiedenen Kraftwerke ist insbesondere von den variablen Erzeugungskosten abh¨angig, die vor allem durch die Kosten des eingesetzten Energietr¨agers, den elektrischen Wirkungsgrad sowie den sonstigen variablen Kosten f¨ ur Betrieb und Wartung determiniert werden. Dar¨ uber hinaus wird der Kraftwerkseinsatz durch die nationalen und internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz und die vor diesem Hintergrund zu ber¨ ucksichtigenden Kosten f¨ ur CO2 -Zertifikate beeinflusst.9 In Abh¨angigkeit des jeweiligen Emissionsfaktors kann sich die Einsatzcharakteristik der Kraftwerke durch die Einpreisung der Opportunit¨atskosten f¨ ur CO2 -Zertifikate ¨andern.10 Neben den genannten kostenseitigen Spezifika der Kraftwerke hinaus m¨ ussen f¨ ur die Einsatzentscheidung technische Aspekte, wie z. B. Anfahrzeiten, minimale Stillstandsund Betriebszeiten, Wirkungsgradverluste bei Teillastbetrieb, Leistungs¨anderungsgeschwindigkeiten sowie die spezifischen Bedingungen bei der Optimierung der hydraulischen Kraftwerke, wie Zufl¨ usse und Speichervolumina ber¨ ucksichtigt werden.11 9
10 11
8
Im Rahmen der Emissionsminderung der Treibhausgase in der Bundesrepublik Deutschland in den Perioden 2005 bis 2007 bzw. 2008 bis 2012 m¨ ussen in den Anlagen der Energiewirtschaft und der Industrie die CO2 -Emissionen um etwa 21 % bzw. 22 % gegen¨ uber dem Basisjahr 1990/95 verringert werden, vgl. BMU (2004), S. 20 ff. Zur Entwicklung der CO2 -Zertifikatepreise, vgl. EEX (2007). Vgl. dazu z. B. Zander und Merten (2004). Die meisten dieser technischen Charakteristika wirken sich unmittelbar u ¨ ber die Erzeugungskosten auf den Kraftwerksbetrieb aus. Vgl. zur Kostenbeschreibung unterschiedlicher Kraftwerkstypen,
2.1 Struktur der Elektrizit¨atsversorgung Unter der vereinfachenden Annahme, dass die variablen Produktionskosten eines Kraftwerks bis zu seiner Kapazit¨atsgrenze konstant sind, lassen sich die verschiedenen Kraftwerkstypen, geordnet nach ihren variablen Erzeugungskosten, zu einer stufenf¨ormigen Angebotskurve des Gesamtsystems aggregieren. Die sogenannte Merit-Order-Kurve kann mithin als Systemgrenzkostenkurve interpretiert werden. Abbildung 2.2 zeigt die Merit-Order-Kurve des deutschen Erzeugungssystems auf Basis der im Jahr 2005 installierten Kraftwerksleistung und durchschnittlicher Brennstoffpreise.12
Grenzerzeugungskosten [€/MWh]
200,0
160,0
120,0
80,0
40,0
0,0 0,0
20,0
40,0
60,0
80,0
100,0
120,0
140,0
Kumulierte installierte Erzeugungskapazität [GW] mit CO2-Kosten
ohne CO2-Kosten
Abbildung 2.2: Merit-Order-Kurve des deutschen Elektrizit¨ atserzeugungssystems auf Basis der installierten Kraftwerkskapazit¨at und durchschnittlicher Brennstoffpreise, 2005
Bei statischer Betrachtung und unter Vernachl¨assigung intertemporaler Restriktionen, wie z. B. Mindesteinsatzzeiten kann in einem Erzeugungssystem grunds¨atzlich davon ausgegangen werden, dass diejenigen Kraftwerke zur Deckung der nachgefragten Last eingesetzt werden, deren variable Produktionskosten durch den erzielbaren Elektrizit¨atspreis mindestens gedeckt werden. Im langfristigen Durchschnitt m¨ ussen zudem die Elektrizit¨atspreise ausreichen, die Gesamtkosten inklusive der Kosten f¨ ur die Kapitalbereitstellung sowie der sonstigen Fixkosten zu decken. In Abh¨angigkeit der Elektrizit¨atspreise weisen damit bestimmte Kraftwerkstypen hohe j¨ahrliche Einsatzzeiten auf, w¨ahrend andere Kraftwerkstypen nur wenige Stunden eines Jahres genutzt werden. Dabei bedienen i. A. Anlagen mit niedrigen variablen Pro-
12
z. B. IER (2004), IER (2002) sowie Briem et al. (2003). Eine ausf¨ uhrliche Darstellung der Kraftwerkstechnik findet sich z. B. bei Strauß (1998). Eigene Berechnungen auf Grundlage von VDEW (2005b), VDEW (2005a), VDEW (2006a), VDEW (2006b), BMWi (2007), BMU (2005) und BAFA (2007).
9
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland duktionskosten die Grundlastnachfrage und Kraftwerke mit h¨oheren variablen Produktionskosten die Nachfrage der Mittel- und Spitzenlast. In Deutschland wird die Grundlast typischerweise durch Laufwasser-, Kernkraft- und Braunkohlekraftwerke gedeckt, w¨ahrend Steinkohle- und Erdgaskraftwerke die Mittellast und Heiz¨ol- sowie Speicherkraftwerke bei entsprechend geringeren Einsatzzeiten die Spitzenlast decken.13 Die Elektrizit¨atsnachfrage weist starke zeitliche Schwankungen sowohl im saisonalen und w¨ochentlichen als auch im tageszeitlichen Verlauf auf. U. a. bedingt durch klimatische Einfl¨ usse lassen sich dabei typische Nachfrageunterschiede innerhalb eines Jahres beobachten. So liegt z. B. die Nachfrage in den Wintermonaten i. A. u ¨ber der Nachfrage ¨ w¨ahrend der Sommer- und Ubergangsmonate. Im Tagesverlauf lassen sich in den Mittagsstunden sowie zudem w¨ahrend der Wintermonate in den Abendstunden die h¨ochsten Nachfragewerte feststellen. Daneben unterscheidet sich die Nachfragesituation an Wochentagen von den Wochenenden. Im Jahr 2004 lag die Jahresh¨ochstlast am 18. Dezember um 18:00 Uhr bei etwa 77,2 GW.14 Abbildung 2.3 stellt den zeitlichen Verlauf der Nachfrage nach elektrischer Energie f¨ ur das Jahr 2005 sowie die monatliche H¨ochstlast im deutschen Versorgungssystem f¨ ur das Jahr 2004 dar. Da zur Bedingung der schwankenden Nachfrage unterschiedliche Kraftwerke eingesetzt werden, unterliegen auch die Systemgrenzkosten, die den variablen Produktionskosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks entsprechen, starken Schwankungen. Wird vereinfachend von einer grenzkostenbasierten Preisbildung im Elektrizit¨atsmarkt ausgegangen, so determinieren die Systemgrenzkosten gleichzeitig die Elektrizit¨atspreise, die im Zeitverlauf dadurch stark volatil sind. Die am Großhandelsmarkt zu beobachtenden Preisspitzen fallen i. A. zeitlich eng mit den Lastspitzen der Elektrizit¨atsnachfrage zusammen.
2.1.2 Elektrizit¨ atsnetze Die f¨ ur den Transport und die Verteilung der elektrischen Energie notwendigen Netze teilen sich in vier Spannungsebenen auf. Das H¨ochstspannungsnetz (220 und 380 kV) wird dabei f¨ ur den u uberschreitenden Elektrizit¨atstransport ¨berregionalen sowie grenz¨ ¨ ¨ genutzt. Es wird in vier Regelzonen von den Ubertragungsnetzbetreibern (UNB) RWE 13
14
10
F¨ ur die durchschnittlichen Ausnutzungsdauern von Kraftwerken unterschiedlicher Energietr¨agern, vgl. z. B. VDEW (2005c). Zur Leistungsbilanz der allgemeinen Elektrizit¨atsversorgung in Deutschland zum Zeitpunkt der Jahresh¨ochstlast 2004, vgl. VDN (2005a). Vgl. f¨ ur den Verlauf der Elektrizit¨atsnachfrage UCTE (2007). Die letzten vom BDEW (fr¨ uher VDN) ver¨offentlichten Daten zum zeitlichen Verlauf der ¨ monatlichen H¨ochstlast im deutschen Ubertragungsnetz finden sich f¨ ur das Jahr 2004. Vgl. dazu VDN (2005a).
2.1 Struktur der Elektrizit¨atsversorgung 80,0
60,0 40,0 40,0 20,0
Höchstlast [GW]
Elektrizitätsnachfrage [TWh]
60,0
20,0
Elektrizitätsnachfrage
Dezember
November
Oktober
September
August
Juli
Juni
Mai
April
März
Februar
0,0 Januar
0,0
Höchstlast
Abbildung 2.3: Zeitlicher Verlauf der Elektrizit¨atsnachfrage (2005) und monatlichen H¨ ochstlast in Deutschland (2004)
Transportnetz Strom GmbH, E.ON Netz GmbH, Vattenfall Europe Transmission GmbH und EnBW Transportnetze AG betrieben. ¨ Uber das Hochspannungs- (> 60 und < 220 kV), das Mittelspannungs- (≥ 6 und ≤ 60 kV) und das Niederspannungsnetz (0,4 kV) wird die regionale und lokale Verteilung der Elektrizit¨at vorgenommen. Die Verteilungsnetze werden von 60 regionalen und mehr als 800 lokalen Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen, haupts¨achlich Stadtwerken, betrieben. Die installierte Stromkreisl¨ange betr¨agt insgesamt etwa 1,65 Mio. ¨ km. Tabelle 2.2 gibt eine Ubersicht u ¨ber die L¨angen der Stromkreise in den einzelne Spannungsebenen sowie die Anzahl der Versorgungsunternehmen mit Netzbetrieb.15 Tabelle 2.2: Spannungsebenen der Elektrizit¨atsnetze, Stromkreisl¨ angen und Anzahl der Unternehmen in Deutschland, 2005
15
Ebene
Spannung [kV]
Stromkreisl¨ange [km]
Niederspannung Mittelspannung Hochspannung H¨ ochstspannung
0, 4 6 bis ≤ 60 > 60 bis < 220 220 und 380
1050000 492000 75500 36000
Anz. d. Unternehmen > 800 60 4
Vgl. VDN (2005b), S. 49 sowie Schiffer (2005), S. 176 ff.
11
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland Neben dem reinen Netzbetrieb beliefern die Regionalversorger und Stadtwerke Endkunden mit Elektrizit¨at, die sie in erster Linie aus den Netzen der vorgelagerten Span¨ nungsebenen beziehen. Uber den Elektrizit¨atsbezug aus den jeweils h¨oheren Netzebenen findet sowohl bei den regionalen als auch den lokalen Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen eine begrenzte Eigenerzeugung statt.16
2.1.3 Integration in den europ¨ aischen Elektrizit¨ atsbinnenmarkt ¨ Das deutsche Elektrizit¨atssystem ist u ¨ber etwa 80 Kuppelstellen der vier Ubertragungs¨ netzbetreiber direkt mit den Ubertragungsnetzen der europ¨aischen Nachbarl¨ander verbunden. Die technische und operative Koordination des grenz¨ uberschreitenden Stromtransports wird dabei von der Union for the Co-ordination of Transmission of Electricity (UCTE) u ¨bernommen, in der insgesamt 34 kontinentaleurop¨aische Netzbetreiber in 24 L¨andern organisiert sind. Die bestehenden Netzverbindungen bilden die Grundlage f¨ ur den interregionalen Elektrizit¨atshandel und damit eine marktbasierte grenz¨ uberschreitende Optimierung des Kraftwerkseinsatzes.17 Vor dem Hintergrund der europ¨aischen Elektrizit¨atsmarktliberalisierung und der Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes k¨onnen die EVU vorhandene Wettbewerbsvorteile durch den Export in ausl¨andische M¨arkte nutzen.18 Damit ist die Bedienung der heimischen Nachfrage grunds¨atzlich durch inl¨andische und ausl¨andische Elektrizit¨atseinspeisung m¨oglich, wobei das physische Volumen des interregionalen Elektrizit¨atsaustausches durch die Kapazit¨at der Kuppelleitungen zwischen den L¨andern begrenzt wird. Tabelle 2.3 stellt die vorhandenen Kuppelleitun¨ gen zwischen Deutschland und den Nachbarl¨andern mit ihren Ubertragungskapazit¨ aten dar. Bei der Bestimmung der interregionalen Austauschm¨oglichkeiten m¨ ussen die lei¨ tungsbezogenen konventionellen thermischen Ubertragungskapazit¨ aten, von den effektiv ¨ nutzbaren Ubertragungskapazit¨ aten zwischen den L¨andern unterschieden werden. Die konventionellen Kuppelkapazit¨aten geben lediglich die thermische Belastungsf¨ahigkeit der Leitungen bei bestimmten standardisierten ¨außeren Bedingungen in Bezug auf Um16 17
18
12
Vgl. Schiffer (2005), S. 225 ff. Die gemeinsame interregionale Einsatzoptimierung der Kraftwerkskapazit¨aten ist dabei das Ergebnis des Preisausgleichs auf Grund des grenz¨ uberschreitenden Elektrizit¨atshandels. Vgl. Richtlinie 96/92/EG (v. 19.12.1996) und Richtlinie 2003/54/EG (v. 26.6.2003).
2.1 Struktur der Elektrizit¨atsversorgung Tabelle 2.3: Installierte physische und effektive, f¨ ur den Elektrizit¨ atshandel nutzbare Transportkapazit¨aten zwischen Deutschland und den Nachbarl¨ andern, 2004/2005
Kuppelleitungen
Frankreich Luxemburg die Niederlande D¨ anemark (West) D¨ anemark (Ost) Sweden Polen Tschech. Rep. ¨ Osterreich Schweiz a b c
Konventionelle ¨ thermische Ubertragungskapazit¨aten [MVA] 2×1790 2×730 2×1382 2×332 1×600 1×600 2×173 1×386 3×1350 7×364a
1×1751 2×365 2×1670a 2×1078
2×300a 4×490 2×1790 1×150
2×1302 1×1579 7×609a 1×57,
2×1476 24×143a 6×1417a
Net Transfer Capacity [MW] Sommer 04 Winter 04/05 4000b k. A. 4000b 1200d 550b,c 460c 1100c 2410c 1400c 4000b
5600b k. A. 3800b 1200c 550b,c 600b,c 2000b 2300c 1600c 4000c
¨ Mittelwert der Ubertragungskapazit¨ aten mehrere Kuppelleitungen Maximalwert nutzbar f¨ ur den Export Maximalwert nutzbar f¨ ur den Import
gebungstemperatur, Windgeschwindigkeit und Spannungsebene an und k¨onnen nicht als ¨okonomisch nutzbare Austauschkapazit¨aten interpretiert werden.19 ¨ Die f¨ ur den Elektrizit¨atshandel effektiv nutzbaren Ubertragungskapazit¨ aten zwischen den Netzgebieten h¨angen von weiteren technischen sowie umwelt- und netzbezogenen Faktoren ab. Insbesondere werden sie von den jeweiligen nationalen Nachfrage- und Angebotsbedingungen beeinflusst. Auf Grund der im Zeitverlauf schwankenden regionalen Elektrizit¨atsnachfrage und der damit verbundenen schwankenden Netzbelastung ¨ lassen sich zeitlich variierende Ubertragungskapazit¨ aten zwischen den Netzgebieten feststellen. Unter Ber¨ ucksichtigung der jeweiligen nationalen Erzeugungsstrukturen werden von den European Transmission System Operators (ETSO), die neben der UCTE den Zugang und die Nutzung des europ¨aischen Elektrizit¨atsnetzes auf der Basis harmonisierter Bedingungen koordinieren, die sogenannten Net Transfer Capacities (NTC) berechnet, die zweimal j¨ahrlich ver¨offentlicht werden.20 Die NTC k¨onnen als die effektiv nutzbaren Austauschkapazit¨aten zwischen den Netzgebieten interpretiert werden. Sie 19
20
¨ Die angegebenen Einzelwerte spiegeln insofern nur die Gr¨oßenordnungen der installierten Ubertragungsleitungen wider. Auf Grund der physikalischen Eigenschaften kann der technisch m¨ogliche Lastfluss nicht durch eine einfache Addition der Leistungen bestimmt werden. Vgl. UCTE (2004) S. 137. Vgl. z. B. ETSO (2005) sowie andere Jahrg¨ange. Zur Berechnung der NTC, vgl. ETSO (2001).
13
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland ¨ sind einerseits niedriger als die konventionellen thermischen Ubertragungskapazit¨ aten der vorhandenen Kuppelleitungen und andererseits unterscheiden sich die berechneten Werte f¨ ur die verschiedenen Zeitpunkte sowie in der Richtung des Lastflusses, d. h. in Bezug auf die Nutzung f¨ ur den Elektrizit¨atsexport oder -import (vgl. Tabelle 2.3). Außenhandelsvolumen
80,0
10,0
40,0
5,0
0,0
0,0
-40,0
-5,0
-80,0
Austauschsaldo [TWh]
Elektrizitätsaustausch [TWh]
Mit der Liberalisierung der europ¨aischen Elektrizit¨atsm¨arkte hat das physische Stromhandelsvolumen zwischen Deutschland und seinen Nachbarl¨andern stetig zugenommen. Das Handelsvolumen ist dabei von etwa 71 TWh im Jahr 1995 um ca. 60 % auf 115 TWh im Jahr 2005 angestiegen. Der deutsche Stromhandelssaldo weist bei steigenden Importund Exportmengen j¨ahrliche Schwankungen auf, wobei sich f¨ ur die Jahre 1995, 2000 und 2002 ein Import¨ uberschuss von etwa 0,7 bis 4,2 TWh und f¨ ur die Jahre 1996 bis 1999, 2001, 2003 und 2005 ein Export¨ uberschuss von etwa 0,3 bis 8,5 TWh feststellen l¨asst. Insgesamt entspricht das Importvolumen im Jahr 2005 mit 53 TWh etwa 9,6 % der deutschen Elektrizit¨atsnachfrage. In Abbildung 2.4 ist die Entwicklung der j¨ahrlichen Export- und Importmengen sowie des Austauschsaldos zwischen Deutschland und den Nachbarl¨andern f¨ ur die Jahre 1995 bis 2005 dargestellt.21
-10,0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Export
Import
Saldo
Abbildung 2.4: Interregionaler Elektrizit¨atsaustausch in Deutschland zwischen 1995 und 2005
Unter anderem in Abh¨angigkeit der regionalen Elektrizit¨atspreisdifferenzen, die insbesondere auf die spezifischen Marktbedingungen in den jeweiligen L¨andern zur¨ uck zu 21
14
Vgl. UCTE (2007), eigene Berechnungen.
2.1 Struktur der Elektrizit¨atsversorgung f¨ uhren sind, lassen sich f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atsaußenhandel signifikante Unterschiede in Bezug auf die einzelnen Nachbarl¨ander beobachten. Im Jahr 2005 kommt es insbesondere zu Importen aus Frankreich, der Tschechischen Republik und D¨anemark, ¨ w¨ahrend der Handel mit Osterreich, Schweiz und den BeNeLux Staaten einen Exportu ¨berschuss aufweist. Der deutsche Elektrizit¨atsaustausch variiert nicht nur regional, sondern weist auch zeitlich erhebliche Schwankungen auf. In Abbildung 2.5 ist die regionale und zeitliche Verteilung der deutschen Elektrizit¨atsexporte und -importe f¨ ur das Jahr 2005 dargestellt.22 Auf Grund der schwankenden Verf¨ ugbarkeiten der Erzeugungskapazit¨aten las¨ sen sich z. B. im Verh¨altnis zu den stark wasserkraftorientierten L¨andern Osterreich und Schweiz schwankende Export¨ ubersch¨ usse beobachten. Die Elektrizit¨atsexporte erreichen in den Wintermonaten ihre Maximalwerte, wobei einerseits das geringere Wasserdargebot und andererseits die h¨ohere Elektrizit¨atsnachfrage zu steigenden Exporten aus Deutschland f¨ uhrt. Eine ¨ahnliche zeitliche Verteilung der Export¨ ubersch¨ usse zeigt sich zwischen Deutschland und den Niederlanden. Die Elektrizit¨atsexporte sind hier vor allem Folge der im europ¨aischen Durchschnitt h¨oheren Elektrizit¨atsgroßhandelspreise in den Niederlanden.
Elektrizitätsaustausch [TWh]
10,0
5,0
0,0
-5,0
-10,0 S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü FR
BE/LU
NL
DK Export
SW
PL
CZ
AT
CH
Import
Abbildung 2.5: Regionale und zeitliche Verteilung des Elektrizit¨ atsaußenhandelsvolumens zwischen Deutschland und den Nachbarl¨andern, 2005
22
¨ Vgl. UCTE (2007), eigene Berechnungen. Da zwischen dem deutschen und belgischen Ubertragungsnetz, anders als nach Luxemburg, keine physische Verbindung besteht werden Luxemburg und Belgien als gemeinsame Region betrachtet.
15
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland Mit der Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes ist angestrebt den Wettbewerb innerhalb sowie den grenz¨ uberschreitenden Elektrizit¨atshandel zwischen den europ¨aischen L¨andern zu erh¨ohen. Dazu hat die Europ¨aische Kommission, bereits 1998 das Electricity Regulatory Forum of Florence gegr¨ undet, in dessen Rahmen in Zusammenarbeit mit den europ¨aischen Energieregulierungsbeh¨orden in den Jahren 2004 und 2005 u. a. Regelungen zum koordinierten Engpassmanagement im europ¨ai¨ schen Ubertragungsnetz vorbereitet werden sollten.23 Da zu bestimmten Tages- oder Jahreszeiten z. B. die Kuppelleitungen an den deutschen Grenzen zwischen Deutschland/Belgien und den Niederlanden, Deutschland und Frankreich, Deutschland und D¨a¨ nemark (West), Deutschland und Osterreich, Deutschland und Polen sowie Deutschland und der Tschechischen Republik Engp¨asse aufweisen und somit keine uneingeschr¨ankten Handelsm¨oglichkeiten zwischen den verschiedenen M¨arkten bestehen, wird angenommen, dass der Integrationsprozess noch nicht abgeschlossen ist. F¨ ur die mit der Liberalisierung angestrebte Intensivierung des Wettbewerbs kommt neben der Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes auch der rechtlichen und institutionellen Ausgestaltung der Handelsstrukturen eine zentrale Bedeutung zu. Im Folgenden werden daher die rechtlichen Rahmenbedingungen f¨ ur die Entwicklung von Wettbewerb dargestellt sowie der Aufbau des Großhandelsmarktes in Deutschland beschrieben.
2.2 Handel an Elektrizit¨ atsm¨ arkten Ein funktionsf¨ahiger Handel ist Voraussetzung f¨ ur die Entwicklung von Wettbewerb im Elektrizit¨atssektor. Mit der Liberalisierung der Elektrizit¨atsm¨arkte in Europa wurden die Rahmenbedingungen f¨ ur die Etablierung transparenter und liquider Großhandelsm¨arkte geschaffen. Auf die rechtlichen und institutionellen Grundlagen des wettbewerblichen Elektrizit¨atshandels wird in Kapitel 2.2.1 und die Struktur des Elektrizit¨atsgroßhandelsmarktes in Kapitel 2.2.2 eingegangen. Daran anschließend wird in Kapitel 2.2.3 der b¨orsliche Spot- und in Kapitel 2.2.4 der b¨orsliche Terminhandel an der EEX beschrieben. Kapitel 2.2.5 schließt die Darstellung der Ausgestaltung der Großhandelsm¨arkte mit einer Diskussion der interregionalen Preisdifferenzen im europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarkt ab. 23
16
Das Electricity Regulatory Forum of Florence bildet u. a. eine Diskussionsplattform f¨ ur die Regulierungsbeh¨orden, die europ¨aischen Mitgliedsstaaten, die Europ¨aische Kommission sowie die beteiligten Marktakteure im Zusammenhang mit der Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes.
2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten
2.2.1 Rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen Mit der Umsetzung der EU-Binnenmarktrichtlinie 96/92/EG durch die Novellierung des Enegiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschr¨ankungen (GWB) im Jahr 1998 wurde der deutsche Elektrizit¨atsmarkt liberalisiert.24 Die Gebietsmonopole der ehemaligen vertikal integrierten Verbundunternehmen wurden durch die Deregulierung aufgel¨ost und eine buchhalterische bzw. unternehmensrechtliche Tren¨ nung der Bereiche Erzeugung, Ubertragung und Verteilung vorgeschrieben. Die Netzbetreiber wurden verpflichtet, einen diskriminierungsfreien Zugang zu ihren Netzen und die Durchleitung zur Versorgung von Endkunden durch andere Unternehmen zu gew¨ahrleisten. Die Organisation des Netzzugangs und die Regeln zur Gestaltung der Netznutzungsentgelte wurden im Rahmen des Modells zum verhandelten Netzzugang in mehreren Verb¨andevereinbarungen (VV) zwischen 1998 und 2001 von den Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen und den industriellen Elektrizit¨atsverbrauchern festgeschrieben.25 In einer weiteren Novellierung des EnWG im Jahr 2003 wurden die Regelungen der Verb¨andevereinbarungen in das Gesetz aufgenommen.26 Durch das Zweite Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts im Jahr 2005 wurden die bisher bestehenden Regelungen des EnWG auf der Grundlage der EU-Binnenmarktrichtlinie 2003/54/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 er¨ neut ge¨andert.27 Die wesentlichen Anderungen beziehen sich dabei einerseits auf die weitergehende unternehmensrechtliche, operationelle und buchhalterische Entflechtung des Netzbetriebs von den Unternehmensbereichen Erzeugung, Handel und Vertrieb und andererseits auf die Einrichtung staatlicher Regulierungsbeh¨orden zur Regelung des diskriminierungsfreien Netzzugangs. Die Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 beschreibt zudem die Regelungen f¨ ur den grenz¨ uberschreitenden Elektrizit¨atstransport in Europa in Bezug auf Kompensationsmechanismen f¨ ur die Durchleitung, harmonisierte Berech¨ nungsgrundlagen f¨ ur Netznutzungsgeb¨ uhren und die Allokation der verf¨ ugbaren Ubertragungskapazit¨aten auf der Basis eines marktbasierten Engpassmanagements sowie die Rahmenbedingungen f¨ ur Netzinvestitionen. ¨ Mit der Ubertragung der Regulierung der Transport- und Verteilungsnetze auf die Bundesnetzagentur sowie die Landesregulierungsbeh¨orden wurde das bisherige Modell des verhandelten Netzzugangs in Deutschland auf der Basis der Verb¨andevereinbarungen durch den regulierten Netzzugang ersetzt. 24 25 26 27
Richtlinie 96/92/EG (v. 19.12.1996) S. 20 ff. und EnWG (idF v. 24.4.1998) S. 729 ff. Vgl. BDI et al. (1998) zur VV I, BDI et al. (1999) zur VV II und BDI et al. (2001) zur VV II plus. Vgl. EnWG (idF v. 1.5.2003) S. 686 ff. Vgl. EnWG (idF v. 7.7.2005) S. 1970 ff., Richtlinie 2003/54/EG (v. 26.6.2003) S. 37 ff. und Verordnung (EG) Nr.1228/2003 (v. 26.6.2003) S. 1 ff.
17
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland ¨ Da die Regulierungsbeh¨orden i. w. S. nur f¨ ur die Regelungen zur Ubertragung und Verteilung elektrischer Energie zust¨andig sind, unterliegt der Bereich von Erzeugung, Handel und Vertrieb in Bezug auf Wettbewerb und Marktbeherrschung weiterhin der Missbrauchsaufsicht durch die Bundes- und Landeskartellbeh¨orden sowie bis Juli 2007 der Preisaufsicht f¨ ur Tarifkunden durch die Wirtschaftsministerien. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der liberalisierten Bereiche von Erzeugung, Handel und Vertrieb bleiben insofern durch die staatliche Regulierung der Netze weitgehend unber¨ uhrt.28 Die Entflechtung der verschiedenen Wertsch¨opfungsstufen der Elektrizit¨atsversorgung mit der Gestaltung unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen spiegelt die M¨oglichkeiten zur Ausbildung wettbewerblicher Strukturen in den einzelnen Versorgungsbereichen wider. W¨ahrend bei der Elektrizit¨atserzeugung, dem -handel und dem -vertrieb Wettbewerb zur Realisierung effizienter Marktergebnisse grunds¨atzlich m¨oglich ist, gelten die Bereiche Elektrizit¨ats¨ ubertragung und -verteilung auf Grund der ¨okonomischen Besonderheiten von Netzen i. A. als nat¨ urliche Monopole, die zur Vermeidung ineffizienter Marktergebnisse reguliert werden m¨ ussen.29 Der Elektrizit¨atsgroßhandel, an dem sich vor allem die ehemaligen Verbundunternehmen, Weiterverteiler wie Regionalversorger und Stadtwerke sowie große Industrieabnehmer auf nationaler und internationaler Ebene beteiligen, unterliegt damit den Bedingungen des Optimierungsverhaltens auf der Angebots- und Nachfrageseite, ohne dass eine explizite staatliche Regulierung der Marktabl¨aufe stattfindet. Die an der B¨orse und am Over the Counter (OTC) Markt erzielten Preise und gehandelten Mengen sind insofern Ergebnis des Verhaltens der beteiligten Unternehmen auf der Grundlage der gegebenen Marktstrukturen.
2.2.2 Struktur des Großhandelsmarktes In den meisten liberalisierten Elektrizit¨atsm¨arkten haben sich neben den bilateralen Handelsbeziehungen zwischen Erzeugungsunternehmen, H¨andlern, Weiterverteilern und Endkunden B¨orsen entwickelt, durch die der Handel auf der Basis standardisierter Vertr¨age st¨arker institutionalisiert wurde. Seit dem Jahr 2002 bildet die aus den Fusionen der beiden im Jahr 2000 gegr¨ undeten B¨orsen Leipzig Power Exchange (LPX) und Eu28
29
18
¨ Einen guten Uberblick u ¨ ber die Entwicklung der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen gibt Schiffer (2005) S. 186 ff. sowie der Monitoringbericht des BMWA (2003). Zur Regulierung der deutschen Elektrizit¨atsnetze, vgl. z. B. Holznagel und G¨oge (2004), Haerle und Suerig (2004), Brunekreeft und Twelemann (2005) sowie BNetzA (2007). Zum nat¨ urlichen Monopol und dessen Regulierung, vgl. z. B. Tirole (1999) S. 42 ff. und Fritsch et al. (2003) S. 180 ff sowie Baumol et al. (1988).
2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten ropean Energy Exchange in Frankfurt hervorgegangene European Energy Exchange in Leipzig den B¨orsenplatz f¨ ur den standardisierten Elektrizit¨atshandel in Deutschland.30 Die Anforderungen der Marktteilnehmern an eine effiziente Organisation des Großhandels spiegeln sich in der Entwicklung unterschiedlicher Marktsegmente wider. Der Großhandel dient der kurz- und langfristigen Portfoliooptimierung auf der Beschaffungsund Absatzseite sowie der Realisierung von Arbitrage- und Spekulationsgewinnen. Die Portfoliooptimierung umfasst dabei neben der Beschaffungs- und Absatzsicherung auch das Management der Preis-, Mengen- und sonstigen Risiken im Elektrizit¨atshandel.31 Wie durch die individuellen Produktspezifikationen insbesondere in Bezug auf Lieferzeitpunkt und -zeitraum bei OTC-Vertr¨agen definiert, haben sich auch an der B¨orse Teilm¨arkte f¨ ur unterschiedliche Handelsprodukte entwickelt. Grunds¨atzlich lassen sich Spot- und Terminm¨arkte unterscheiden. Entsprechend der Fristigkeit handelt es sich um ein Spotmarktgesch¨aft, wenn der Erf¨ ullungszeitraum, d. h. die Lieferung der vereinbarten Elektrizit¨atsmenge, relativ kurze Zeit nach Vertragsabschluss liegt. An der EEX betr¨agt dieser Zeitraum im Allgemeinen einen Tag. Wird dagegen eine Lieferungen vereinbart, die weiter in der Zukunft liegt und sich in der Regel u ¨ber einen l¨angeren Zeitraum erstreckt, handelt es sich um ein Terminmarktgesch¨aft. Bei b¨orslichen und außerb¨orslichen Terminmarktgesch¨aften wird zudem die Art der Vertragserf¨ ullung unterschieden. W¨ahrend OTC-Gesch¨afte i. A. physisch, d. h. durch die Lieferung der elektrischen Energie im festgelegten Zeitraum erf¨ ullt werden, sogenannte Forwards, wird bei b¨orslichen Termingesch¨aften i. A. nur ein finanzieller Ausgleich in Bezug zum jeweils g¨ ultigen Spotmarktpreis vereinbart, sogenannte Futures. Forwards und Futures k¨onnen sowohl zur Risikoabsicherung als auch zur Generierung von Arbitrageoder Spekulationsgewinnen genutzt werden, wenn sich der vertraglich vereinbarte Ausu ullungszeitraums unterscheidet. ¨bungspreis vom Spotmarktpreis des Erf¨ Die Institutionalisierung des Elektrizit¨atshandels durch die B¨orse erf¨ ullt neben der Bereitstellung unterschiedlicher Handelsinstrumente f¨ ur die EVU zudem verschiedene marktbezogene Aufgaben, wie die Herstellung von Preistransparenz, die Erh¨ohung der Liquidit¨at sowie die Verringerung von Transaktionskosten durch die Standardisierung der Produkte. Dar¨ uber hinaus dienen sowohl die B¨orsenpreise als auch die Preisindizes am OTC-Markt als Referenzpreise f¨ ur die bilaterale Vertragsgestaltung und die Bewertung offener Handelspositionen. Obwohl am Spotmarkt der EEX nur ein Teil der physischen Elektrizit¨atsnachfrage in Deutschland gehandelt wird, bietet die B¨orse bei ausreichender Liquidit¨at jederzeit die 30
31
Zur Entwicklung der Elektrizit¨atsb¨orse in Deutschland, vgl. z. B. Schiffer (2005) S. 233 sowie EEX (2004). ¨ Einen Uberblick zu den verschiedenen Handelsinstrument und zum Risikomanagement im Energiehandel geben z. B. Clewlow und Strickland (2000) und Bergschneider et al. (1999).
19
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland M¨oglichkeit ben¨otigte Absatz- oder Bezugsmengen zu handeln. Die EEX kann insofern als zentraler Handelsplatz f¨ ur Elektrizit¨at auf Großhandelsebene interpretiert werden und bildet damit eine wichtige Voraussetzung zum effizienten Ausgleich von Elektrizit¨atsangebot und -nachfrage.32
2.2.3 Spotmarkthandel Die European Energy Exchange betreibt einen Spotmarkt f¨ ur den t¨aglichen Handel mit Stunden- und Blockkontrakten sowie Blockgeboten mit physischer Erf¨ ullung am folgenden Tag (Day-ahead-Handel). Stundenkontrakte werden f¨ ur eine Lieferung elektrischer Energie mit konstanter Leistung f¨ ur eine bestimmte Stunde des Folgetages gehandelt, w¨ahrend Blockkontrakte und Blockgebote f¨ ur die Lieferung einer konstanten Leistung u ur jede ¨ber mehrere Stunden des Folgetages genutzt werden. Spotkontrakte sind f¨ der 24 Stunden eines Wochentages handelbar. Lieferort ist jeweils eines der vier deut¨ ¨ schen Ubertragungsnetzgebiete sowie das Ubertragungsnetzgebiet der Austrian Power 33 ¨ Grid AG in Osterreich. Der Handel findet dabei im Rahmen zweiseitiger Auktionen statt, d. h. dass die Marktteilnehmer sowohl Kauf- als auch Verkaufsgebote f¨ ur mehrere Einheiten des Gutes abgeben k¨onnen. Stundenkontrakte und Blockgebote werden in einer Aufrufauktion zu einem bestimmten Zeitpunkt, Blockkontrakte im Rahmen einer fortlaufenden Auktion gehandelt. Blockgebote setzen sich aus einer beliebigen Kombination einzelner Stundenkontrakte zusammen. Dagegen sind Blockkontrakte nur zu Grundlastlieferungen f¨ ur jeden Wochentag zwischen 0 und 24 Uhr, Spitzenlastlieferungen f¨ ur Werktage zwischen 8 und 20 Uhr sowie Grundlastlieferungen f¨ ur das Wochenende (Samstag und Sonntag zwischen 0 und 24 Uhr) handelbar. Die minimale Lieferleistung bei Stundenkontrakten und damit auch bei Blockgeboten betr¨agt 0,1 MW, bei Blockkontrakten betr¨agt sie 1 MW. 32
33
20
Neben den b¨orslichen und außerb¨orslichen Spot- und Terminm¨arkten existieren im deutschen Elektrizit¨atssektor weitere M¨arkte, die sich entweder durch die gehandelten Produkte selbst oder deren ¨ Spezifikation unterscheiden. Zu nennen ist hier beispielsweise der Regelenergiemarkt der Ubertragungsnetzbetreiber, die vorhandenen Plattformen f¨ ur den Intra-day-Handel sowie die Auktionsm¨arkte f¨ ur die Kuppelkapazit¨aten der Transportnetze zum Ausland. Vgl. zu den Regelenergiem¨arkten ¨ in Deutschland www.regelleistung.net (2006) sowie die Informationen der vier Ubertragungsnetzbetreiber. Eine Plattform zum Intra-day-Handel wird z. B. von der Citiworks AG betrieben, vgl. Citiworks AG (2007). Auktionen der interregionalen Kuppelkapazit¨aten finden z. B. an der deutschd¨anischen, deutsch-niederl¨andischen und deutsch-tschechischen Grenze statt, vgl. hierzu TSO Auction BV (2008), Energinet.dk (2007) und CEPS (2007). Vgl. APG (2007).
2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten Die Abgabe der Kauf- und Verkaufsgebote f¨ ur Stundenkontrakte und Blockgebote in der Aufrufauktion findet anonym durch die Aufnahme in ein geschlossenes Auftragsbuch bis 12 Uhr des jeweiligen Handelstages statt. Die Preisfeststellung erfolgt dann durch die Aggregation der einzelnen Kauf- und Verkaufsauftr¨age f¨ ur jede einzelne Stunde zu Nachfrage- und Angebotskurven durch die EEX als unabh¨angigen Marktbetreiber nach dem Einheitspreisverfahren. Der Schnittpunkt der st¨ undlichen Nachfrage- und Angebotskurve bildet den einheitlichen marktr¨aumenden Gleichgewichtspreis (Market Clearing Price (MCP)), zu dem alle angenommenen Kaufs- und Verkaufsgebote ausgef¨ uhrt ¨ werden. Bestehen keine Netzengp¨asse zwischen den einzelnen Ubertragungsnetzgebieten, so ist der B¨orsenpreis in allen Lieferorten gleich.34 Im Gegensatz zur Aufrufauktion werden die Gebote f¨ ur Blockkontrakte im fortlaufenden Handels ebenfalls anonym allerdings in einem offenen Auftragsbuch gesammelt. Der fortlaufende Handel findet zwischen 8 Uhr und 12 Uhr jedes Handelstages statt und wird von einer Er¨offnungs- und einer Schlussauktion begleitet. Die w¨ahrend des fortlaufenden Handels eingehenden Auftr¨age werden auf ihre Ausf¨ uhrbarkeit gepr¨ uft und sofort glattgestellt, sobald sich Kauf- und Verkaufsgebote gegen¨ uberstehen, bei denen der Kaufpreis mindestens dem Verkaufspreis entspricht. Nach dem Meistausf¨ uhrungsprinzip wird so der Preis bestimmt, bei dem der h¨ochste Umsatz gew¨ahrleistet werden kann. Da Blockgebote und Blockkontrakte entweder im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden, stellen sie insbesondere f¨ ur Kraftwerksbetreiber ein Instrument zur Einsatzoptimierung der Erzeugungsanlagen dar. Die erfolgreiche Angebotsabgabe gew¨ahrleistet damit einen kontinuierlichen Einsatz des Kraftwerks bei konstanter Leistung am folgenden Tag. Etwaige Anfahr- und Abfahrvorg¨ange k¨onnen damit vermieden werden. Tabelle 2.4 stellt die an der EEX gehandelten Spotmarktprodukte zusammen.
Tabelle 2.4: Gehandelte Produkte am Spotmarkt der EEX
Produkt Stundenkontrakt Blockgebot Blockkontrakt
34
Spezifikation
Min. Lieferleist. pro Std. [MW]
Handelsform
Einzelstunde Komb. von Einzelstunden Grundlast, Mo-So, 24 Std. Spitzenlast, Mo-Fr, 12 Std. Grundlast, Sa-So, 48 Std.
0,1 0,1 1,0 1,0 1,0
Auktion Auktion Fortl. Handel Fortl. Handel Fortl. Handel
Preisdifferenzen zwischen den vier Regelzonen lagen bisher an der EEX nicht vor.
21
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland Neben der B¨orse findet auch am OTC-Markt ein Spotmarkthandel mit Day-aheadProdukten statt. Anders als bei den b¨orsent¨aglich gehandelten Spotmarktkontrakten, bei denen ein einheitlicher Gleichgewichtspreis bestimmt wird, bildet sich der Preis am OTC-Markt als Ergebnis der bilateralen Verhandlung zwischen Anbieter und Nachfrager. Der so vereinbarte Elektrizit¨atspreis hat insofern nur G¨ ultigkeit f¨ ur diesen einzelnen Kontrakt. Wird eine Lieferung des gleichen Produkts f¨ ur die gleiche Zeit zwischen zwei anderen Vertragspartnern vereinbart, kann der hier festgestellte zweite Preis vom ersten abweichen. Mit zunehmender Preistransparenz durch die Ver¨offentlichung verschiedener Indizes, wie z. B. dem German Power Index (GPI), der sich aus dem Central European Power Index (CEPI) entwickelt hat, dem Swiss Electricity Price Index (SWEP) und dem VIK Strompreisindex f¨ ur Gewerbe- und Industriekunden, gleichen sich die OTC-Preise allerdings tendenziell an. Dar¨ uber hinaus haben diese Indizes durch die Einf¨ uhrung von B¨orsen in vielen europ¨aischen Elektrizit¨atsm¨arkten an Bedeutung verloren. Im Folgenden wird daher f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atsmarkt ausschließlich auf die Preise an der EEX Bezug genommen.35 Der st¨ undliche Spotmarktpreis f¨ ur die physische Lieferung am folgenden Tag l¨asst sich unter der Annahme eines vollkommen wettbewerblichen Marktes auch als Systemgrenzpreis (System Marginal Price (SMP)) interpretieren, der durch die kurzfristigen Grenzkosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks gebildet wird.36 F¨ ur jede Lieferstunde ergibt sich damit in Abh¨angigkeit der nachgefragten Last sowie der Produktionskosten der eingesetzten Kraftwerke ein einheitlicher Marktpreis, der in der Regel starke st¨ undliche, t¨agliche und saisonale Schwankungen aufweist. Abbildung 2.6 stellt exemplarisch die st¨ undlichen Spotmarktpreise f¨ ur den 3. Mittwoch und den darauf folgenden Samstag und Sonntag im Februar, Juni und Oktober 2005 dar. Der Verlauf der Spotmarktpreise zeigt einige typische Charakteristika, die sich z. B. in den beobachtbaren Preisspitzen in den Mittags- und Abendstunden sowie in den niedrigeren Preisniveaus am Wochenende finden. Dar¨ uber hinaus kann beobachtet werden, dass sich in dem hier gew¨ahlten exemplarischen Zeitraum im Verlaufe des Jahres eine 35
36
22
Zu den verschiedenen Preisindizes, vgl. u. a. VIK (2007). Zum Zusammenhang von Preisindizes und B¨orsenpreisen, vgl. z. B. Davies und Riechmann (2001). Der Systemgrenzpreis (SMP) entspricht insofern dem Gleichgewichtspreis (MCP). Auf die Unterscheidung zwischen kurz- und langfristigen Grenzerzeugungskosten wird hier nicht n¨aher eingegangen. Bei gegebenem Kraftwerkspark entsprechen die Elektrizit¨atspreise in wettbewerblichen M¨arkten grunds¨atzlich den kurzfristigen Grenzerzeugungskosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks. Um auch die Fixkosten der Kraftwerke zu decken, m¨ ussen die Elektrizit¨atspreise aber in manchen Stunden u ¨ ber den variablen Erzeugungskosten des Grenzkraftwerks liegen und mithin durch die Zahlungsbereitschaft der Nachfrage gebildet werden. Im Durchschnitt reichen die Preise gerade aus, die Gesamtkosten aller notwendigen Anlagen zu decken. Vgl. zu kurz- und langfristigen Kosten z. B. Schumann (1992) S. 187 ff. Vgl. dazu auch Kapitel 2.1.1.
2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten
Elektrizitätspreis [€/MWh]
80,0
60,0
40,0
20,0
0,0 1
6
12
18
24 1
Mittwoch
6
12
18
24 1
6
Samstag Februar
Juni
12
18
24
Sonntag Oktober
Abbildung 2.6: St¨ undliche Spotmarktpreise an der EEX f¨ ur den 3. Mittwoch, Samstag und Sonntag im Februar, Juni und Oktober 2005
Tendenz zu steigenden Spotmarktpreisen einstellt, die aus fundamentaler Sicht insbesondere durch steigende Brennstoffpreise und die Einf¨ uhrung des CO2 -Zertifikatehandels zu erkl¨aren sind.37 Die Einf¨ uhrung des CO2 -Zertifikatehandels in der Europ¨aischen Union am 1. Januar 2005 hat sich auf die Elektrizit¨atspreisbildung am Großhandelsmarkt ausgewirkt. Abbildung 2.7 zeigt die tagesmittleren Base und Peak-Load-Preise am Spotmarkt der EEX zwischen Januar 2003 und Dezember 2005. Unabh¨angig vom Erstausgabeverfahren38 werden die Kosten f¨ ur CO2 -Zertifikate von den Erzeugungsunternehmen als Opportunit¨atskosten in ihre Spotmarktgebote eingepreist. Da in Deutschland bereits seit 2004 ein OTC-Handel mit CO2 -Zertifikaten stattfindet, f¨ ur den an der EEX seit Oktober 2004 37
38
Unter Fundamentalfaktoren werden hier technische und ¨okonomische Parameter verstanden, die sich auf die kurzfristige Angebots- und Nachfragesituation am Großhandelsmarkt auswirken. Verhaltensinduzierte Einfl¨ usse, wie z. B. die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht k¨onnen zwar auf der Grundlage der gegebenen Marktstruktur auch als fundamentale Gr¨oße der Preisbildung interpretiert werden, bei der Verwendung des Begriffs werden sie aber ausgeklammert, da sie Gegenstand der nachfolgenden Analyse sind. Mit Beginn der ersten Handelsperiode 2005 bis 2007 wurden die CO2 -Zertifikate kostenlos auf der Basis der historischen Emissionen im sogenannten Grandfathering-Verfahren ausgegeben. Mit der zweiten Handelsperiode 2008 bis 2012 wird die Ausgabe auf brennstoffspezifische Benchmarkwerte umgestellt, wobei bis zu 10 % der Emissionsrechte versteigert werden k¨onnen. Vgl. zum europ¨aischen Emissionsrechtehandel z. B. Richtlinie 2003/87/EG (v. 13.10.2003), TEHG (idF v. 8.7.2004) und ZuG 2007 (idF v. 26.10.2004).
23
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland
Elektrizitätspreis [€/MWh]
120,0
80,0
40,0
Base Load
Dez. 05
Jul. 05
Feb. 05
Sep. 04
Apr. 04
Nov. 03
Jun. 03
Jan. 03
0,0
Peak Load
Abbildung 2.7: Tagesmittlere Spotmarktpreise an der EEX f¨ ur Grund- und Spitzenlast 2003 bis 2005
ein entsprechender Preisindex ver¨offentlicht wird, kann davon ausgegangen werden, dass die CO2 -Kosten in den Spotmarktpreisen bereits seit 2004 enthalten sind. Weitere Fundamentalfaktoren finden sich z. B. in den klimatischen Bedingungen, die sich nicht nur auf die Elektrizit¨atsnachfrage, sondern u uhlwasserbedingun¨ber die K¨ gen auch auf die Verf¨ ugbarkeit der thermischen Kraftwerke auswirken. Dar¨ uber hinaus wirkt sich die Elektrizit¨atseinspeisung der Kraft-W¨arme-Kopplungsanlagen (KWK) insbesondere in den Wintermonaten auf die Großhandelspreise aus.39 Dar¨ uber hinaus hat die stochastische Einspeisung aus regenerativen Energiequellen, wie insbesondere der Windenergie, die Revisionen der thermischen Kraftwerke, der Elektrizit¨atsaußenhandel und die Reservevorhaltung ebenfalls Auswirkungen auf die Spotmarktpreise. Zusammenfassend l¨asst sich damit sagen, dass die am Spotmarkt beobachtbaren Elektrizit¨atspreise durch die spezifischen Angebots- und Nachfragebedingungen bestimmt ¨ werden und sich Anderungen der technischen und ¨okonomischen Fundamentalfaktoren auf die Preisstruktur und das Preisniveau auswirken.
39
24
Insgesamt sind in Deutschland KWK-Anlagen mit einer Leistung von etwa 35 GWel installiert, die teilweise als sogenannte w¨armegef¨ uhrte Must-run-Kapazit¨aten Elektrizit¨at zu niedrigen Erzeugungskosten im Markt anbieten.
2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten
2.2.4 Terminmarkthandel Bedingt durch die hohe Volatilit¨at und die nur eingeschr¨ankte Prognostizierbarkeit der Elektrizit¨atspreise sowie andere bestehende Unsicherheiten in Bezug auf die zuk¨ unftige Marktentwicklung sind die Marktteilnehmer insbesondere f¨ ur die l¨angerfristige Beschaffungs- und Absatzplanung mit spezifischen Preis- und Mengenrisiken konfrontiert, f¨ ur deren Absicherung entsprechende Instrumente notwendig sind. Am Terminmarkt k¨onnen die Unternehmen einzelne dieser Risiken durch den Handel mit Derivaten absichern und zudem die bestehenden Preisschwankungen zur Arbitrage und Spekulation nutzen. Durch die zeitlich vorgelagerte Fixierung des Preises einer zuk¨ unftigen Elektrizit¨atslieferung in einem Terminkontrakt lassen sich die bestehenden Preisrisiken zumindest teilweise eliminieren. Mit der M¨oglichkeit zur individuellen Ausgestaltung bilateraler Kontrakte am OTC-Markt und der Etablierung des Terminmarktes an der EEX im Jahr 2001 ist die institutionelle Grundlage f¨ ur die langfristige Beschaffungsund Absatzoptimierung sowie das Risikomanagement geschaffen.40 An der EEX k¨onnen seit 2001 Monats-, Quartals- und Jahresfutures auf Grund- und Spitzenlast gehandelt werden. Die Erf¨ ullung der Futures findet dabei i. d. R. rein finanziell durch einen sogenannten Barausgleich w¨ahrend der Handelsperiode statt. Quartalsund Jahresfutures werden daf¨ ur zun¨achst in Kontrakte geringerer Laufzeit kaskadiert, bevor sie als Monatskontrakte erf¨ ullt werden. Seit 2004 sind zudem Optionen auf Grundlastfutures und seit 2005 auch Futures mit physischer Erf¨ ullung handelbar.41 Die Terminmarktkontrakte sind wie die Spotmarktkontrakte u. a. in Bezug auf Lieferzeitraum, Lieferort, Lastprofil, F¨alligkeit und Art der Erf¨ ullung standardisiert. Handelbar sind jeweils Futures und Forwards f¨ ur den aktuellen Liefermonat sowie f¨ ur die n¨achsten 6 Monate, 7 Quartale und 6 Jahre. Bei den Optionen ist die Handelbarkeit auf die korrespondierenden Grundlastfutures (Basiswerte) der n¨achsten 5 Monate, 6 Quartale und 3 Jahre beschr¨ankt. Grundlastkontrakte umfassen dabei die 24 Stunden aller Wochentage, w¨ahrend Spitzenlastkontrakte u ¨ber die 12 Stunden zwischen 8 und 20 Uhr an den jeweiligen Werktagen in der Lieferperiode definiert sind. Die minimale st¨ undliche Lieferleistung eines Terminkontraktes betr¨agt 1 MW. Lieferorte f¨ ur Futures und die auf sie handelbaren Optionen sind die vier deutschen ¨ ¨ Ubertragungsnetzgebiete sowie das Ubertragungsnetz der Austrian Power Grid AG in ¨ Osterreich. Abweichend hiervon ist die Lieferung f¨ ur Futures mit physischer Erf¨ ullung in ¨ Deutschland ausschließlich im Ubertragungsnetzgebiet der RWE Transportnetz Strom 40 41
Zum Terminmarkt an der EEX, vgl. z. B. EEX (2005b). Futures mit physischer Erf¨ ullung sind mit den am OTC-Markt gehandelten Forwards vergleichbar. Neben den Elektrizit¨atshandelsprodukten werden an der EEX auch Futures f¨ ur EUEmissionsberechtigungen sowie Brennstoffe gehandelt.
25
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland GmbH m¨oglich. Neben den Futures mit physischer Erf¨ ullung in Deutschland sind an ¨ der EEX zudem entsprechende Kontrakte mit Lieferung in Frankreich, im Ubertra´ gungsnetzgebiet der Gestionnaire du R´eseau de Transport d’Electricit´ e (RTE) sowie in ¨ den Niederlanden, im Ubertragungsnetzgebiet der TenneT TSO B. V. handelbar. Ta¨ belle 2.5 gibt eine Uberblick u ¨ber die an der European Energy Exchange handelbaren Terminmarktprodukte f¨ ur Elektrizit¨at. Tabelle 2.5: Gehandelte Produkte am Terminmarkt der EEX Produkt
Lieferperiode Jahrc
Lastprofil
Futures Monat, Quartal, Grund-, Spitzenlast Futures, p.E.a Monat, Quartal, Jahrc Grund-, Spitzenlast Monat, Quartal, Jahrd Grundlast Optionenb a b c d
Erf¨ ullung finanziell physisch Futuresposition
mit physischer Erf¨ ullung in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden Aus¨ ubung nur am letzten Handelstag, europ¨aische Option handelbar sind max. der akt. Monat, die n¨achsten 6 Monate, 7 Quartale, 6 Jahre handelbar sind max. die n¨achsten 5 Monate, 6 Quartale, 3 Jahre
Der Handel findet t¨aglich zwischen 9 und 16 Uhr im Rahmen einer fortlaufenden Auktion statt, wobei der Handelsablauf demjenigen f¨ ur Blockkontrakte am Spotmarkt ¨ahnelt. Auch hier werden die Gebote anonym in einem offenen Auftragsbuch gesammelt und nach dem Meistausf¨ uhrungsprinzip sofort glattgestellt, sobald sich ausf¨ uhrbare Auftr¨age gegen¨ uber stehen. Mit Er¨offnung einer Futuresposition, d. h. dem Kauf oder Verkauf eines Futureskontraktes, wird der Preis f¨ ur eine zuk¨ unftige Elektrizit¨atslieferung konstanter Leistung schon vor der eigentlichen Lieferperiode fixiert. Etwaige Risiken als Folge von Preisschwankungen am Spotmarkt w¨ahrend der Lieferperiode, die zum Zeitpunkt der Positionser¨offnung nicht oder nur schwer prognostizierbar sind, lassen sich so eliminieren. K¨aufer von Futures k¨onnen sich damit gegen steigende, Verk¨aufer gegen fallende Elektrizit¨atspreise absichern. Im Gegensatz zu Forwards bzw. Futures mit physischer Erf¨ ullung werden herk¨ommliche Futures nur finanziell erf¨ ullt. Der Barausgleich findet w¨ahrend der Handels- bzw. ¨ Lieferperiode t¨aglich auf Basis der Anderungen der Abrechnungspreise (Settlement Preise) zwischen den einzelnen Handelstagen statt. Der Abrechnungspreis wird t¨aglich von der EEX am Ende des fortlaufenden Handels festgestellt. Er entspricht grunds¨atzlich dem Aus¨ ubungspreis des letzten an diesem Handelstag abgeschlossenen Terminkontraktes. Der Abrechnungspreis am letzten Handelstag (Final Settlement Preis) berechnet sich dagegen aus den durchschnittlichen Preisindizes f¨ ur Grund- bzw. Spitzenlast am
26
2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten Spotmarkt w¨ahrend der Lieferperiode.42 Durch die finanzielle Erf¨ ullung der Kontrakte findet ein t¨aglicher Gewinn- und Verlustausgleich nach dem Mark to Market Prinzip statt. Dieses Verfahren und die Berechnung des Final Settlement Preises auf der Basis der durchschnittlichen Spotpreisindizes gew¨ahrleistet, dass der geplante Erl¨os des Termingesch¨afts auf der Grundlage des vereinbarten Preises auch realisiert wird. Die Absicherung zuk¨ unftiger Elektrizit¨atsabsatz- und -beschaffungsmengen u ¨ber den zeitlich vorgelagerten Handel mit Derivaten ist Ausdruck der Risikoneigung und Markterwartungen der Handelsteilnehmer. Die t¨aglichen Futures- und Forwardpreise f¨ ur die verschiedenen Handelsprodukte spiegeln dabei die Summe der unternehmensindividuellen Erwartungen u unftige Spotpreisentwicklung wider.43 In der ¨ber die zuk¨ Regel liegt der Forwardpreis f¨ ur eine bestimmte zuk¨ unftige Lieferperiode u ¨ber dem entsprechenden Spotmarktpreis, da der Verk¨aufer eines Terminkontraktes f¨ ur die zeitliche ¨ Verschiebung des Erl¨oses in die Zukunft sowie die Ubernahme des damit verbundenen Risikos eine Kompensation verlangt. Bei Energietr¨agern, wie auch bei anderen Verbrauchsg¨ utern ist die bestehende Preisdifferenz im Vergleich zu derjenigen bei Investitionsg¨ utern grunds¨atzlich geringer, da Energietr¨ager notwendige Inputfaktoren im Produktionsprozess darstellen und damit der physische Besitz des Gutes gegen¨ uber einem entsprechenden Derivat als vorteilhaft bewertet wird.44 Forward- und Spotmarktpreis n¨ahern sich dabei im Handelsverlauf an. Die Preisabweichung ist um so geringer, je n¨aher der F¨alligkeitszeitpunkt des Terminkontraktes r¨ uckt. Mit zunehmender Verk¨ urzung der restlichen Handelsdauer nimmt die Unsicherheit u unftige Marktentwicklung und gleichzeitig das damit verbun¨ber die zuk¨ dene Risiko ab. Durch die entstehenden Arbitragem¨oglichkeiten werden die bestehenden Preisdifferenzen zwischen Forward- und Spotmarktpreis reduziert. Trotz der formalen Zusammenh¨ange der Preise an den beiden M¨arkten ist der Forwardpreis nur als Erwartung der Handelsteilnehmer u unftigen Spotmarktprei¨ber die zuk¨ 42
43 44
Die Preisindizes berechnen sich aus den tagesmittleren Spotmarktpreisen f¨ ur Grund- oder Spitzenlast der entsprechenden Lieferperiode, vgl. dazu Abbildung 2.7 sowie EEX (2005a) S. 8. Am OTC-Markt werden Terminkontrakte mit finanzieller Erf¨ ullung in Bezug zu den Spotmarktpreisen auch Contract for Differences (CfD) genannt. Der Begriff Forwardpreis schließt im Folgenden die Futurespreise mit ein. Der z. B. bei Energietr¨agern zu ber¨ ucksichtigende Einfluss der physischen Verf¨ ugbarkeit des Gutes wird Convenience Yield genannt. Grunds¨atzlich l¨asst sich der Zusammenhang zwischen Forwardund Spotmarktpreisen mit Hilfe des Cost-of-Carry-Modells erkl¨aren. Allerdings muss das Modell bei G¨ utern mit saisonal stark schwankendem Angebot und schwankender Nachfrage entsprechend modifiziert werden. Dabei spielt insbesondere die Nicht-Speicherbarkeit von Elektrizit¨at und deren Einfluss auf die Volatilit¨at der Spotpreise bei der Modellerweiterung eine wichtige Rolle. Vgl. zum Cost-of-Carry-Modell sowie den notwendigen Erweiterungen z. B. Hull (2002), Pilipovic (1998) und Clewlow und Strickland (2000).
27
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland se zu interpretieren und entspricht i. e. S. nicht einer Prognose der zuk¨ unftigen Preisentwicklung. Je weiter in der Zukunft der Lieferzeitraum eines Terminkontraktes liegt und je illiquider der Markt f¨ ur dieses Produkt ist, desto st¨arker m¨ ussen Fundamentalfaktoren in die Analyse der zuk¨ unftigen Marktentwicklung einbezogen werden. Abbildung 2.8 stellt die Forwardkurven, d. h. die t¨aglichen Terminmarktpreise f¨ ur Grund- und Spitzenlastjahresfutures 2006, 2007 und 2008 f¨ ur den Zeitraum von Januar bis Dezember 2005 dar. 80,0
Forwardpreis [€/MWh]
70,0
Grundlast 2006
Spitzenlast 2006
Grundlast 2007
Spitzenlast 2007
Grundlast 2008
Spitzenlast 2008
60,0
50,0
40,0
Dez. 05
Nov. 05
Okt. 05
Sep. 05
Aug. 05
Jul. 05
Jun. 05
Mai. 05
Apr. 05
Mrz. 05
Feb. 05
Jan. 05
30,0
Abbildung 2.8: Forwardkurven f¨ ur die Grund- und Spitzenlastjahresfutures 2006, 2007 und 2008, Januar bis Dezember 2005
Die Preisentwicklung der Jahresfutures f¨ ur 2006 bis 2008 an der EEX spiegelt bis etwa Mai 2005 die beschriebenen grundlegenden Zusammenh¨ange der Forwardpreisbildung wider. So liegen die Preise der Terminkontrakte mit einer weiter in der Zukunft liegenden F¨alligkeit zun¨achst u ¨ber den Preisen der Terminkontrakte mit n¨aher liegender F¨alligkeit.45 Ab etwa Mai 2005 dreht sich diese Marktsituation um, so dass dann u. a. die Preise der Jahresfutures f¨ ur 2006 und 2007 u ur 2008 liegen. ¨ber den Futurespreisen f¨ Trotz der vielf¨altigen Einflussfaktoren auf die Forwardpreisbildung lassen sich einzelne Aspekte, die zu einer solchen Preisentwicklung beitragen k¨onnen, beschreiben. So kann z. B. die Einf¨ uhrung des CO2 -Handels und die im Verlaufe des Jahres 2005 gestiegenen Brennstoffpreise als auch die bestehenden Unsicherheiten u ¨ber die Entwicklung 45
28
Eine Marktsituation, in der die Forwardpreise f¨ ur Kontrakte mit sp¨atere F¨alligkeit h¨oher sind wird als Contango, die gegenteilige Situation als Backwardation bezeichnet. Vgl. zu diesen Begriffen z. B. Bergschneider et al. (1999) S. 117 sowie zu einer entsprechenden Analyse der Forwardpreise an der skandinavischen Elektrizit¨atsb¨orse Nord Pool, Botterud et al. (2002).
2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten der Energiepolitik zu einem Anstieg der Nachfrage nach Futures f¨ ur die Jahre 2006 und 2007 gef¨ uhrt haben.46 Seit Einf¨ uhrung des Terminmarktes an der EEX hat die Nutzung von Terminmarktinstrumenten stark zugenommen. So ist das Handelsvolumen in der Summe u ¨ber alle gehandelten Futuresprodukte mit finanzieller Erf¨ ullung zwischen 2001 und 2005 kontinuierlich von etwa 20 TWh auf 490 TWh gestiegen. Wie sich dabei die Anteile der gehandelten Derivate auf die Verwendung u. a. zur Absicherung der bestehenden Preisrisiken und zur Realisierung von Spekulationsgewinnen verteilen, l¨asst sich aus den verf¨ ugbaren Informationen nicht ableiten.
600
600
400
400
200
200
0
Terminvolumen [TWh]
Spotvolumen und Nettoverbrauch [TWh]
Abbildung 2.9 stellt die Volumenentwicklung der gehandelten Terminmarktprodukte an der EEX dar und stellt sie dem Spotmarktvolumen sowie dem gesamten Elektrizit¨atsverbrauch in Deutschland zwischen 2001 und 2005 gegen¨ uber. Der Vergleich mit
0 2001
2002
Terminmarkt (Grundlast)
2003 Terminmarkt (Spitzenlast)
2004 Spotmarkt
2005 Nettoverbrauch
Abbildung 2.9: Termin- und Spotmarktvolumina an der EEX sowie Elektrizit¨ atsverbrauch in Deutschland, 2001 bis 2005
der Volumenentwicklung am Spotmarkt macht deutlich, dass der Handel mit Terminmarktkontrakten wesentlich st¨arker zugenommen hat als der Handel mit Spotmarktkontrakten. Bezogen auf den gesamten Elektrizit¨atsverbrauch in Deutschland hat sich der Spotmarktanteil von etwa 3 % im Jahr 2001 u ¨ber 9 % im Jahr 2003 auf 15 % im Jahr 2005 erh¨oht. 46
Unsicherheiten in Bezug auf die Energiepolitik ergeben sich hier beispielsweise im Zusammenhang mit den Vereinbarungen zum europ¨aischen Klimaschutz, der weiteren F¨orderung der Erneuerbaren Energien durch das EEG und den Kernenergieausstieg.
29
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland
2.2.5 Interregionale Preisdifferenzen Durch die Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes beschr¨ankt sich der Elektrizit¨atsgroßhandel der deutschen Unternehmen nicht nur auf den Spot- und Terminmarkt auf nationaler Ebene, sondern schließt den Handel an anderen europ¨aischen Elektrizit¨atsm¨arkten ein. Der interregionale Handel wird dabei insbesondere durch die an den verschiedenen M¨arkten bestehenden Preisdifferenzen induziert. Diese Preisdifferenzen k¨onnen durch unterschiedliche Bedingungen in Bezug auf Fundamentalfaktoren wie Brennstoffpreise, Struktur des Erzeugungssystems und Nachfrage, vorhandene in¨ terregionale Ubertragungskapazit¨ aten sowie energie-, umwelt- und steuerpolitische Rahmenbedingungen in den einzelnen L¨andern verursacht werden. Daneben k¨onnen Preisdifferenzen Folge wettbewerbswidrigen Verhaltens der Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen sein. Wie in Deutschland haben sich mit der Liberalisierung auch in den europ¨aischen Nachbarl¨andern neben den OTC-M¨arkten Elektrizit¨atsb¨orsen etabliert, an denen der Großhandel mit standardisierten Produkten stattfindet. Zu nennen sind hier beispielsweise die skandinavische Elektrizit¨atsb¨orse Nord Pool, die franz¨osische B¨orse Powernext, die APX Power NL in den Niederlanden und die APX Power UK in Großbritannien, die ¨ EXAA in Osterreich, GME in Italien, OMEL in Spanien sowie die B¨orsen OTE in der Tschechischen Republik und POLPX in Polen.47 An den meisten der genannten B¨orsen werden sowohl Spot- als auch Terminkontrakte gehandelt. Sofern die Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen Mitglieder der entsprechenden B¨orsen sind und der Transport der elektrischen Energie an den betreffenden Lieferort gew¨ahrleistet werden kann, ist es den EVU grunds¨atzlich m¨oglich an allen europ¨aischen B¨orsen zu handeln.48 Produktionskostenvorteile bzw. freie Erzeugungskapazit¨aten k¨onnen so von den EVU genutzt werden, um Elektrizit¨at ins Ausland zu exportieren, wobei mit steigenden interregionalen Preisdifferenzen die Anreize zu grenz¨ uberschreitendem Handel zunehmen (vgl. auch Abbildung 2.4).49 Tabelle 2.6 und Abbildung 2.10 geben anhand der durchschnittlichen Spotmarktpreise an einigen ausgew¨ahlten europ¨aischen ¨ Elektrizit¨atsb¨orsen einen Uberblick u ¨ber die bestehenden interregionalen Preisdifferenzen im Jahr 2005. Die Handelsvolumina an den Spotm¨arkten sowie deren Anteile an den 47
48
49
30
Neben den genannten existieren zudem Elektrizit¨atsb¨orsen in Belgien (Belpex), in Rum¨anien (OP¨ COM) und Slovenien (Borzen). Eine Ubersicht u ¨ ber die verschiedenen B¨orsen gibt z. B. Madlener und Kaufmann (2002). ¨ Die Allokation der verf¨ ugbaren interregionalen Ubertragungskapazit¨ at zwischen den L¨andern findet dabei z. B auf der Grundlage impliziter und expliziter Auktionen statt. Auf die Verfahren zur ¨ Allokation der interregionalen Ubertragungskapazit¨ at wird hier nicht n¨aher eingegangen. Durch anhaltende strukturelle Preisunterschiede zwischen den Regionen steigt zudem der Druck ¨ zum Ausbau der Ubertragungskapazit¨ at.
2.2 Handel an Elektrizit¨atsm¨arkten physischen Elektrizit¨atsverbr¨auchen der L¨ander geben zudem einen Eindruck u ¨ber die Spotmarktliquidit¨aten an den betrachteten B¨orsen.50 Tabelle 2.6: Spotmarktpreise und Handelsvolumina an ausgew¨ ahlten europ¨ aischen Elektrizit¨ atsb¨ orsen in den Jahren 2004 und 2005
B¨ orse
∅ Spotmarktpreis [e/MWh] Grundlast Spitzenlast 2004 2005 2004 2005
EEX Nord Pool Powernext APX-NL EXAA POLPX OTE OMEL
28,52 28,92 28,16 30,42 28,72 24,27 22,10 27,94
45,98 29,33 46,67 52,39 46,48 28,25 31,20 53,68
37,74 30,54 37,21 41,82 38,31 26,19 30,87 32,93
63,09 31,22 64,05 77,02 63,75 30,70 41,64 66,51
Handelsvolumen TWh % am Verbrauch 2004 2005 2004 2005 59,41 167,84 14,18 k. A. 1,75 1,90 0,27 201,75
85,34 174,55 19,67 k. A. 1,54 2,00 0,40 223,27
10,8 43,7 3,0 k. A. 2,8 1,5 0,4 80,6
15,3 43,4 4,1 k. A. 2,7 1,5 0,6 99,1
Der interregionale Elektrizit¨atshandel erf¨ ullt eine wichtige ¨okonomische Funktion, indem er die bestehenden Preisdifferenzen zwischen den M¨arkten verringert.51 Der Elektrizit¨atsaußenhandel f¨ uhrt mithin zu einer Verringerung bzw. Begrenzung m¨oglicher marktstruktur- oder marktverhaltensbedingter Preissteigerungen in der Importregion und einer Erh¨ohung des Wettbewerbsdrucks auf die dortigen Anbieter. Da in liberalisierten M¨arkten in erster Linie die Preise bzw. Preisdifferenzen die Richtung und das Volumen des Elektrizit¨atshandels bestimmen und B¨orsen u. a. einen Day-ahead-Handel mit st¨ undlichen Preisen erm¨oglichen, kommt neben dem durchschnittlichen Niveau der Großhandelspreise auch deren zeitlichem Verlauf eine besondere Bedeutung zu. Wie an der EEX lassen sich auch an den anderen europ¨aischen B¨orsen u. a. in Abh¨angigkeit der zeitlichen Verf¨ ugbarkeit der Erzeugungskapazit¨aten und der Struktur der Nachfrage zeitliche Preisschwankungen beobachten. In den Phasen hoher Preisdifferenzen zwischen den einzelnen M¨arkten ist daher mit einem h¨oheren Handelsvolumen zu rechnen (vgl. auch Abbildung 2.5).52 Abbildung 2.10 zeigt exemplarisch tagesmittlere 50
51 52
Vgl. die Preis- und Volumenangaben auf den Internetpr¨asenzen der verschiedenen B¨orsen und Rahn (2005) sowie eigene Berechnungen nach UCTE (2007). Vgl. zum Anteil der Spotmarktvolumina an den Elektrizit¨atsverbr¨auchen auch Europ¨aische Kommission (2005a) S. 38. Vgl. zur Konvergenz der europ¨aischen Großhandelspreise z. B. Zachmann (2005). Vgl. zu den st¨ undlichen interregionalen Handelsvolumina z. B. auch Haubrich et al. (2001) und die Angaben zum Elektrizit¨atsaußenhandel bei UCTE (2007).
31
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland Spotpreisdifferenzen der APX-NL (NL), EXAA (AT), Nord Pool (Skandinavien) und Powernext (FR) zur EEX f¨ ur das Jahr 2005.
Elektrizitätspreisdifferenz [€/MWh]
200,0
100,0
0,0
-100,0
APX-NL
EXAA
Nord Pool
Dez. 05
Nov. 05
Okt. 05
Sep. 05
Aug. 05
Jul. 05
Jun. 05
Mai. 05
Apr. 05
Mrz. 05
Feb. 05
Jan. 05
-200,0
Powernext
Abbildung 2.10: Tagesmittlere Spotpreisdifferenzen der APX-NL, EXAA, Nord Pool und Powernext zur EEX, 2005
Die in Abbildung 2.10 gezeigten zeitlichen Schwankungen der Preisdifferenzen machen deutlich, dass sich die Vorteilhaftigkeit von Elektrizit¨atsexporten und -importen kurzfristig ¨andern kann. Durch die M¨oglichkeit, auf die Preisdifferenzen an den Großhandelsm¨arkten z. B. u ¨ber die Spotm¨arkte an den B¨orsen zu reagieren, k¨onnen die Unternehmen ihre Kosten- bzw. Wettbewerbsvorteile auch auf den ausl¨andischen M¨arkten nutzen. Die Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes erh¨oht damit die Wettbewerbsintensit¨at sowohl zwischen als auch innerhalb der regionalen Großhandelsm¨arkte. Vor diesem Hintergrund spielen die M¨oglichkeiten zum grenz¨ uberschreitenden Elektrizit¨atshandel eine zentrale Rolle bei der Analyse fundamental- oder marktverhaltensinduzierter Preis¨anderungen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt.
2.3 Marktkonzentration F¨ ur die Herausbildung von Potenzialen zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht in Großhandelsm¨arkten m¨ ussen verschiedene Bedingungen erf¨ ullt sein. Eine wesentliche Voraussetzung besteht in einer hohen erzeugerseitigen Marktkonzentration. In der aktuellen ¨offentlichen und wissenschaftlichen Diskussion u ¨ber die verhaltensinduzierte Beeinflussung der Großhandelspreise in Deutschland wird insbesondere die Oligopolisierung
32
2.3 Marktkonzentration der Angebotsstrukturen durch die vier großen Elektrizit¨atserzeugungsunternehmen als ein wesentlicher Grund angef¨ uhrt. Wie sich die angebotsseitige Marktkonzentration auf der Basis der bestehenden Kapitalverflechtungen auf Erzeugungsebene in Deutschland darstellt wird in Kapitel 2.3.1 beschrieben. Auf die Schwierigkeiten bei der empirischen Ermittlung und deren Konsequenzen f¨ ur die Interpretation der Ergebnisse und damit die Ableitung politischer Handelsempfehlungen wird in Kapitel 2.3.2 eingegangen.
2.3.1 Kapitalverflechtungen Im deutschen Elektrizit¨atssektor hat seit der Liberalisierung eine erhebliche erzeugerseitige Marktkonsolidierung stattgefunden. Die horizontalen Unternehmensfusionen haben auf Großhandelsebene zur Herausbildung einer oligopolistischen Marktstruktur gef¨ uhrt. Ausgehend von den urspr¨ unglich acht integrierten Verbundunternehmen zu Beginn der Liberalisierung bilden RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG etwa seit dem Jahr 2003 ein Vier-Spieler-Oligopol, das im Inland einer Vielzahl kleinerer Unternehmen gegen¨ uber steht.53 In der Gruppe der vier großen EVU nehmen RWE Power AG und E.ON Energie AG dar¨ uber hinaus eine herausragende Marktstellung ein. Als nationale Wettbewerber auf dem Großhandelsmarkt treten in erster Linie die regionalen und lokalen Elektrizit¨atsversorger mit eigenen Erzeugungsanlagen auf, w¨ahrend die Unternehmen zudem im internationalem Wettbewerb auf dem europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarkt stehen. Die erzeugerseitige Marktkosolidierung ist mit einer Erh¨ohung der Marktkonzentration in Bezug auf die kontrollierten Kraftwerkskapazit¨aten und dar¨ uber auch auf die im Elektrizit¨atsmarkt angebotenen Erzeugungs- bzw. Absatzmengen verbunden.54 Nach Ansicht des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission hat die Erh¨ohung der Marktkonzentration negative Auswirkungen auf den Wettbewerb im deutschen Elektrizit¨atssektor. Einige der Unternehmensfusionen, die in ihrem Ergebnis zur Entstehung der aktuellen Marktstruktur gef¨ uhrt haben, wurden daher vom Bundeskartellamt und der EU-Kommission nur unter Auflagen genehmigt.55 In ihrem f¨ unfzehnten Hauptgutachten beschreibt die Monopolkommission die Situation im deutschen Elektrizit¨atssektor als ein Duopol der beiden gr¨oßten Unternehmen RWE AG und E.ON AG, das sich 53
54
55
RWE Power AG und E.ON Energie AG sind als Tochterunternehmen der RWE AG und E.ON AG Eigent¨ umer und Betreiber der Kraftwerke und somit relevant f¨ ur die hier betrachtete Erzeugungsebene. Wie sich die Anzahl der Unternehmen mit Eigenerzeugung durch die Marktkonsolidierung ver¨andert hat, l¨asst sich auf Grund fehlender Informationen, wie sie noch 1998 vom VDEW (heute BDEW) ver¨offentlicht wurden, aktuell nicht bestimmen. Vgl. VDEW (1998) S. 75. Vgl. z. B. BkartA (2000), Europ¨aische Kommission (2000) und BkartA (2005) S. 128 ff.
33
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland zudem durch die vertikalen Fusionen der letzten Jahre verfestigt hat. Die Monopolkommission warnt mithin vor den damit verbundenen wettbewerbsbezogenen Konsequenzen auf Großhandels- und Endkundenebene.56 Nach Angaben der EU-Kommission und Eurostat entfallen auf die drei bzw. vier gr¨oßten Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen schon im Jahr 2001 etwa 72 bzw. 79 % der installierten Kraftwerkskapazit¨at und 74 bzw. 81 % der gesamten Elektrizit¨atserzeugung in Deutschland.57 Durch die Unternehmensfusionen und -akquisitionen, die seit 2001 stattgefunden haben, haben sich auch die Konzentrationswerte weiter erh¨oht.58 Die Monopolkommission gibt den Anteil der vier gr¨oßten EVU an der Kraftwerksleistung f¨ ur 2002/2003 bereits mit 80 % an.59 Andere wissenschaftliche Untersuchungen gehen in Bezug auf die Elektrizit¨atserzeugung f¨ ur diesen Zeitraum bereits von einem kumulierten Marktanteil von etwa 90 % aus.60 Dar¨ uber hinaus sind nach Angaben des Bundeskatellamtes RWE AG und E.ON AG mit etwa 210 der regionalen und lokalen EVU u ¨ber Kapitalbeteiligungen von 10 % und mehr verbunden.61 ¨ Tabelle 2.7 gibt einen Uberblick u ¨ber die Ergebnisse verschiedener Analysen der Marktkonzentration in Bezug auf die Erzeugung sowie die installierte Kraftwerksleistung im deutschen Elektrizit¨atsmarkt.62 Wie sich z. B. durch die Analyse der EU-Kommission best¨atigt, sind in Deutschland grunds¨atzlich h¨ohere Konzentrationswerte in Bezug auf die Elektrizit¨atserzeugung als in Bezug auf die installierte Kraftwerksleistung zu erwarten, da der u ¨berwiegende Teil der Grundlastkraftwerke im Besitz der Unternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG ist und damit ein u ¨berproportionaler Anteil der Erzeugung auf die vier großen EVU entf¨allt. 56
57
58
59
60 61
62
34
Vgl. Monopolkommission (2004) S. 323 f. und S. 444 ff. Vgl. auch BkartA (2005) S. 22. Vertikale Unternehmensfusionen und -beteiligungen sind dabei in Downstream und Upstream Richtung festzustellen. Zu nennen sind beispielsweise die Beteiligungen an den regionalen und lokalen Netzbetreibern sowie der Kauf der Ruhrgas AG durch die E.ON AG im Jahr 2003. Vgl. dazu z. B. BkartA (2002a) und BkartA (2002b). Einschließlich konsolidierte Tochtergesellschaften, vgl. Europ¨aische Kommission (2004a) S. 17, Eurostat (2003) S. 33 und BMWA (2003) S. 12. Z. B. wurde der Kauf der VEAG AG, der HEW AG und der Bewag AG sowie der Laubag AG durch den schwedischen Vattenfall Konzern erst 2002 abgeschlossen. Die Fusion von NWS AG und EnBW AG fand im Jahr 2003 statt. ¨ Vgl. Monopolkommission (2004) S. 343. Einen guten Uberblick u ¨ ber die Situation zu Beginn der Liberalisierung 1998 geben Drasdo und Drillisch (1998). F¨ ur die Entwicklung zwischen 1996 und 2004, vgl. Matthes et al. (2005) S. 14. Vgl. Brunekreeft und Twelemann (2005) S. 103. Vgl. BkartA (2003) S. 163. Es kann einschr¨ankend angenommen werden, dass nicht alle der 210 Unternehmen u ugen. ¨ ber eigene Erzeugungsanlagen verf¨ Vgl. zu den Konzentrationsmaßen Kapitel 2.3.2.
2.3 Marktkonzentration Tabelle 2.7: Ergebnisse unterschiedlicher Studien zur Marktkonzentration in Deutschland
Index CR1 CR3 CR5 HHI a b c
Einheit % % % -
EU- Kommissiona Erzeugung Leistung 22,6 58,6 75,6 k. A.
28,4 67,8 85,4 k. A.
b ¨ Oko-Institut Erzeugung Leistung
26,0 60,0 74,0 1500
31,0 67,0 84,0 1840
Uni-Erlangenc Erzeugung Leistung 28,9 68,6 78,4 1795
29,7 72,9 83,9 2021
Europ¨aische Kommission (2007) Matthes et al. (2005) Pfeiffer (2005)
Ein weiterer Marktparameter, an dem sich die hohe Marktkonzentration beobachten l¨asst, findet sich im Absatz an Letztverbraucher. Nach Angaben des Verband der Elektrizit¨atswirtschaft (VDEW)63 f¨ ur das Jahr 2005 nehmen E.ON AG, RWE AG, EnBW AG und Vattenfall Europe AG mit einer Abgabe von insgesamt 260,6 TWh auch hier mit Abstand die ersten vier Pl¨atze ein.64 Die EWE AG folgt mit 10,5 TWh auf Platz f¨ unf. Mit einem Absatz an Letztverbraucher von 9,2 TWh liegen die Stadtwerke M¨ unchen GmbH auf Platz sechs und die MVV Energie AG mit 8,8 TWh auf Platz sieben. Die Pl¨atze acht und neun nehmen die GEW RheinEnergie AG mit 8,1 TWh und die N-ERGIE AG mit 6,0 TWh ein. Die Stadtwerke Hannover AG liegen mit 4,7 TWh auf Platz zehn. Auch hier zeigt sich, dass die vier gr¨oßten EVU neben den hohen Marktanteilen in Bezug auf die Kraftwerkskapazit¨aten und die Erzeugungsmengen auch beim Absatz an Letztverbraucher eine herausragende Stellung im deutschen Elektrizit¨atsmarkt einnehmen. Beteiligungsebenen Wie die unterschiedlichen Angaben u ¨ber die kumulierten Marktanteile der EVU im deutschen Elektrizit¨atsmarkt zeigen, sind die Ergebnisse entsprechender Analysen der Marktkonzentration nicht eindeutig. Ein Grund f¨ ur die bestehenden Abweichungen ist in den ausgepr¨agten Kapitalverflechtungsstrukturen der Unternehmen in Deutschland zu sehen, die sich mitunter u ¨ber mehrere Beteiligungsebenen erstrecken k¨onnen. Anhand einiger Beispiele soll diese Problematik verdeutlicht werden. F¨ ur die E.ON Energie AG l¨asst sich beispielsweise die Beteiligung an der DREWAG, die u. a. in Dresden das Gaskraftwerk Nossner Br¨ ucke betreibt, u ¨ber mehrere 63 64
Heute BDEW – Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. Einschließlich konsolidierte Tochterunternehmen, vgl. BDEW (2007). E.ON AG 90,3 TWh, RWE AG 89,3 TWh, EnBW AG 58,4 TWh, Vattenfall Europe AG 22,6 TWh.
35
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland Beteiligungsebenen beschreiben. Danach ist die E.ON Energie AG u ¨ber eine 10 %ige Beteiligung ihres regionalen Tochterunternehmens E.ON Th¨ uringer Energie AG, an dem sie wiederum 76,8 % der Anteile h¨alt, an der DREWAG beteiligt. Insgesamt hat die E.ON Energie AG damit einen Anteil an der DREWAG von etwa 7,7 %. Ein ¨ahnliches Beispiel findet sich in der Kapitalverflechtung der E.ON Energie AG ¨ und der Mainova AG. Uber die Th¨ uga AG, an der die E.ON Energie AG mit 86,2 % beteiligt ist und die wiederum einen Anteil von 24,4 % an der Mainova AG h¨alt, bel¨auft sich der E.ON Energie AG Anteil an der Mainova AG auf etwa 21 %. Weitere Beispiele lassen sich f¨ ur die RWE AG und die EnBW AG auff¨ uhren. So ist die RWE AG z. B. u ¨ber ihr Tochterunternehmen RWE Energy AG u. a. an dem mitteldeutschen Regionalversorger enviaM mit etwa 63 % und an dem s¨ udwestdeutschen Regionalversorger VSE AG mit etwa 69,3 % beteiligt. Dar¨ uber hinaus bestehen jeweils 20 %ige Beteiligungen an der Stadtwerke Duisburg AG, der Mark-E AG und der RheinEnergie AG. An der Schluchseewerk AG ist die RWE AG mit 50 % beteiligt, die u ¨ber Wasserkraftwerke mit einer Leistung von etwa 1800 MW verf¨ ugt. Mit etwa 47 % h¨alt die EnBW AG einen Großteil der anderen H¨alfte der Schluchseewerk AG. Desweiteren ist die EnBW AG mit 35 % an der DREWAG, mit etwa 15 % an der MVV Energie AG und mit etwa 55 % an der Stadtwerke D¨ usseldorf AG beteiligt. Neben den direkten und indirekten Kapitalbeteiligungen bestehen zwischen einigen EVU langfristige Vereinbarungen u ¨ber die freie Nutzung von Kraftwerksleistung. Auf der Basis dieser Vereinbarungen kann ein Unternehmen frei u ¨ber die vertraglich zugesicherte Kraftwerksleistung eines anderen Unternehmens verf¨ ugen. Hierdurch l¨asst sich diese Leistung grunds¨atzlich als Teil des eigenen Erzeugungsportfolios interpretieren. Ein Beispiel findet sich f¨ ur die der RWE AG vertraglich zugesicherte Kraftwerkskapazit¨at der Evonik Steag GmbH65 . Nach Angaben der RWE AG kann sie demnach u ¨ber 3026 MW ¨ der Steinkohlekraftwerke der Evonik Steag GmbH verf¨ ugen. Uber die Nutzungsrechte der Evonik Steag GmbH Kraftwerke hinaus h¨alt die RWE AG im betrachteten Beispiel zudem eine indirekte Kapitalbeteiligungen an der Evonik Steag GmbH u ¨ber deren Mutterkonzern RAG Aktiengesellschaft66 , so dass auch hier eigentumsrechtliche Beziehungen zwischen den beiden Unternehmen bestehen. Insgesamt ist die RWE AG hier¨ uber mit ¨ etwa 31 % indirekt an der Evonik Steag GmbH beteiligt.67 Ahnliches gilt f¨ ur eine zuge-
65 66 67
36
Vormals STEAG AG Heute RAG-Stiftung Ber¨ ucksichtigt sind hier die 21,9 % Direktbeteiligung der RWE AG sowie die indirekten Beteiligungen u ¨ ber die Soci´et´e Nouvelle Sid´echar und die Verwaltungsgesellschaft RAG-Beteiligung GmbH. Der Rest geh¨ort zur ThyssenKrupp AG sowie dem luxemburgischen Stahlunternehmen ARBED S.A.
2.3 Marktkonzentration sicherte Leistung von 870 MW Wasserkraft der Schluchseewerk AG, bei der, wie oben beschrieben, ebenfalls direkte Kapitalbeteiligungen bestehen.68 Da nur sehr wenige Informationen u ¨ber solche Vereinbarungen vorliegen und nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch zwischen anderen EVU vergleichbare Nutzungsrechte unternehmensfremder Kapazit¨aten bestehen, lassen sich diese vertraglichen Beziehungen f¨ ur die Zurechnung der kontrollierten Erzeugungskapazit¨aten nicht systematisch ber¨ ucksichtigen. Auf der Basis der analysierten Kapitalverflechtungen des Jahres 2005 lassen sich nach eigenen Berechnungen f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atsmarkt in Bezug auf die installierten Kraftwerkskapazit¨aten die in Tabelle 2.8 dargestellten zehn gr¨oßten Erzeugungsunternehmen identifizieren. Tabelle 2.8: Erzeugungskapazit¨aten und erzeugerseitige Marktanteile der zehn gr¨ oßten EVU in Deutschland, 2005 Unternehmen
Kapazit¨at [MW]
Marktanteil [%]
kumuliert [%]
RWE Power AG E.ON Energie AG Vattenfall Europe AG EnBW AG Stadtw. M¨ unchen GmbH Deutsche Essent GmbH Mark-E AG RheinEnergie AG MVV Energie AG Stadtw. Hannover AG Summe Andere
29124 28547 15349 11119 1584 903 874 679 570 402 16820
27,5 26,9 14,5 10,5 1,5 0,9 0,8 0,6 0,5 0,4 15,9
27,5 54,4 68,9 79,4 80,9 81,7 82,6 83,2 83,7 84,1 100,0
Gesamta
105970
100,0
-
a
ohne nicht planbare Erzeugungskapazit¨aten
Danach ist RWE Power AG erzeugerseitig das gr¨oßte EVU mit einer installierten Kraftwerksleistung von 29124 MW und einem Marktanteil von etwa 28 %. Als zweit gr¨oßter Spieler verf¨ ugt die E.ON Energie AG u ¨ber 28547 MW. Ihr Marktanteil liegt bei ca. 27 %. Die Vattenfall Europe AG hat einen Marktanteil von etwa 15 % und kontrolliert dabei 15349 MW Kraftwerksleistung. Als viert gr¨oßtes Unternehmen in Bezug auf die kontrollierte Erzeugungskapazit¨at hat die EnBW AG mit 11119 MW einen Marktanteil von ca. 11 %. 68
Vgl. Angaben im Gesch¨aftsbericht der RWE AG f¨ ur das Jahr 2005, RWE Power (2005) S. 113.
37
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland Obwohl die Evonik Steag GmbH mit einer im Inland installierten Kraftwerksleistung von ca. 6929 MW das f¨ unft gr¨oßte Erzeugungsunternehmen in Deutschland ist, wird sie hier nicht als eigenst¨andiges EVU betrachtet, da neben der RWE AG auch die E.ON Energie AG mit etwa 40,6 % und die EnBW AG, u ¨ber einen 67 %igen Kapitalanteil am Kraftwerk Bexbach69 , an der Evonik Steag GmbH beteiligt sind und die restlichen Anteile zur ThyssenKrupp AG sowie zur Verwaltungsgesellschaft RAG-Beteiligung GmbH geh¨oren, deren Hauptgesch¨aft nicht im Bereich der Elektrizit¨atserzeugung liegt. Demnach k¨onnen die Stadtwerke M¨ unchen GmbH mit einem erzeugerseitigen Marktanteil von etwa 1,5 % und 1584 MW kontrollierter Kraftwerksleistung weit hinter den vier gr¨oßten EVU als f¨ unft gr¨oßtes Unternehmen in Deutschland betrachtet werden. Die Deutsche Essent GmbH folgt mit 903 MW und einem Marktanteil von etwa 0,9 % an sechster Stelle. Die Mark-E AG (874 MW) hat einen Marktanteil von ca. 0,8 % und mit ca. 0,6 % ist die RheinEnergie AG (679 MW) das acht gr¨oßte EVU in Deutschland. MVV Energie AG (570 MW) und Stadtwerke Hannover AG (402 MW) folgen auf den Pl¨atzen neun und zehn mit Marktanteilen von 0,5 bzw. 0,4 %.
2.3.2 Empirische Messung Die Beschreibung macht deutlich, dass die detaillierte Analyse der kumulierten Marktanteile und damit der Marktkonzentration auf Grund der komplexen Kapitalverflechtungen schwierig ist. Zudem befinden sich die bestehenden Kapitalbeziehungen der Unternehmen seit der Liberalisierung in einem dynamischen Ver¨anderungsprozess, wobei sich die Verf¨ ugbarkeit von Informationen z. B. u ¨ber die Kapazit¨ats-, Erzeugungs- und Ab¨ satzmengen mit der wettbewerblichen Offnung der M¨arkte verschlechtert hat. Alle diese Faktoren erschweren die Berechnung der jeweils aktuellen Marktkonzentration erheblich. Werden vor dem Hintergrund der bestehenden Problematik dennoch alle wesentlichen Erzeugungskapazit¨aten erfasst, kann die Marktkonzentration z. B. mit Hilfe von Konzentrationsindizes bestimmt werden. Zu den bekanntesten z¨ahlen dabei der CRn Konzentrationsindex und der Herfindahl-Hirschman-Index (HHI).70 Der CRn -Konzentrationsindex bestimmt dabei die Summe der Marktanteile der n gr¨oßten Unternehmen im betrachteten Markt. Mit der aggregierten Gesamtkapazit¨at bzw. -erzeugung X= N i=1 xi der Unternehmen i ∈ {1, 2, . . . , N} berechnet er sich nach: CRn =
n xi i=1
69
70
38
X
(2.1)
Das Kraftwerk Bexbach geh¨ort zur Evonik New Energies GmbH (vormals STEAG Saar Energie AG), die seit Anfang 2005 eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Evonik Steag GmbH ist. Vgl. allgemein zu den Indizes z. B. Tirole (1999) S. 482 f.
2.3 Marktkonzentration Dem Herfindahl-Hirschman-Index liegt dagegen die Summe der quadrierten Marktanteile aller Unternehmen zu Grunde. Er ist definiert als: HHI =
N xi 2 i=1
X
(2.2)
Beide Maße stellen sogenannte Strukturindizes dar, da sie auf beobachtbaren Strukturmerkmalen wie den Anteilen an der gesamten installierten Kapazit¨at, der Erzeugung oder dem Absatz basieren und insofern bei entsprechender Datenverf¨ ugbarkeit leicht zu berechnen sind. Die Berechnung der angebotsseitigen Marktkonzentration setzt neben der Analyse der bestehenden Kapitalverflechtungen auch die Bestimmung des sachlich und r¨aumlich relevanten Marktes voraus. Im hier betrachteten Zusammenhang der Analyse erzeugerseitiger Marktmachtpotenziale im deutschen Elektrizit¨atssektor kann der relevante Markt in sachlicher Richtung auf die Erzeugungskapazit¨aten beschr¨ankt werden, die am physischen Spotmarkt angeboten werden k¨onnen. Die erzeugerseitigen Marktanteile der EVU basieren mithin auf den eigenen bzw. kontrollierten Kraftwerkskapazit¨aten. In r¨aumlicher Richtung liegt dem relevanten Markt das deutsche Verbundnetz und damit ausschließlich die im Inland bestehenden Kapitalverflechtungen der Unternehmen zu Grunde, wobei auf die Bedeutung des Außenhandels f¨ ur die Berechnung der Marktkonzentration explizit eingegangen werden muss. Installierte Gesamtleistung Eine wesentliche Grundlage f¨ ur die Berechnung der erzeugerseitigen Marktkonzentration ist die Bestimmung der zu Grunde gelegten Gesamtkapazit¨at, auf die die unternehmensspezifischen Marktanteile bezogen werden k¨onnen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Kraftwerke der allgemeinen Versorgung am Wettbewerb auf Großhandelsebene teilnehmen. Dar¨ uber hinaus m¨ ussen die Kapazit¨aten der industriellen Elektrizit¨atserzeuger mit Anschluss an das ¨offentliche Versorgungsnetz ber¨ ucksichtigt werden, da vor dem Hintergrund der Liberalisierung davon ausgegangen werden kann, dass die Elektrizit¨atsbeschaffung und damit auch der Einsatz von Industriekraftwerken unter Ber¨ ucksichtigung der W¨armeerzeugung in Abh¨angigkeit der jeweiligen Großhandelspreise stattfindet.71 71
Vgl. VDEW (2006c). Hierbei ist die zur Verf¨ ugung stehende industrielle Erzeugungsleistung von ca. 10 GW um etwa 5 GW ohne Netzanbindung zu vermindern. Vgl. dazu Blesl et al. (2006). Gleiches gilt f¨ ur die Kraftwerkskapazit¨aten, die entweder konserviert oder in Kaltreserve sind und deren Einsatz nur mit zeitlichem Vorlauf m¨oglich ist. Vgl. die Informationen der EVU u ¨ ber Konservierungen und Kaltreserve sowie Meller et al. (2005).
39
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland Ob dagegen auch die gesamte auf der Nutzung regenerativer Energiequellen basierende installierte Erzeugungsleistung von etwa 27 GW bei der Berechnung der relevanten Gesamtkapazit¨at zu ber¨ ucksichtigen ist, ist nicht eindeutig.72 Da ihr Einsatz auf Grund stochastischen Dargebots nicht beliebig planbar ist und f¨ ur die regenerative Einspeisung eine Abnahmeverpflichtung der Netzbetreiber mit einer fixierten Verg¨ utung besteht, spielen diese Kapazit¨aten f¨ ur die Berechnung der wettbewerbsrelevanten Marktkonzentration nur eine untergeordnete Rolle.73 Vor diesem Hintergrund bel¨auft sich die zu Grunde gelegte installierte Kraftwerksleistung im deutschen Elektrizit¨atssektor inklusive der Industriekraftwerke mit Netzanbindung, aber ohne die nur bedingt planbar einsetzbaren Kapazit¨aten erneuerbarer Energien, auf etwa 106 GW. Tabelle 2.9 gibt die f¨ ur die Berechnung der Marktkonzentration in Deutschland relevanten installierten Erzeugungskapazit¨aten wieder.
Tabelle 2.9: Installierte Erzeugungskapazit¨aten in Deutschland, 2005 Erzeugungsbereich Allgemein Versorgung inkl. Deutsche Bahn AG Industrie Private
72 73
40
Kapazit¨ at [MW] 101861 9645 21343
Gesamt, installiert
132849
nicht einsetzbar davon: Ind. ohne Netzanbindung Konservierung Kaltreserve Windkraft Fotovoltaik
26879 4881 170 1900 18428 1500
Gesamt, planm¨aßig einsetzbar
105970
In den 27 GW sind die Kapazit¨aten der Pumpspeicheranlagen nicht enthalten. Der Verband der Netzbetreiber (VDN) gibt f¨ ur die Leistungsbilanz zum Zeitpunkt der Jahresh¨ochstlast im Jahr 2005 eine nicht einsetzbare Leistung von ca. 22,8 GW an. Hierin sind zus¨atzlich u. a. die nicht einsetzbaren Kapazit¨aten auf Grund von Konservierungen, geringer Wasserf¨ uhrung und Fernw¨armeauskopplung enthalten, vgl. VDN (2006).
2.3 Marktkonzentration Relevante Systemgrenze In Bezug zu den relevanten Gesamtkapazit¨aten lassen sich jetzt die unternehmensspezifischen Marktanteile, wie sie bereits in Tabelle 2.8 dargestellt wurden, sowie die kapazit¨atsseitigen Konzentrationsmaße f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atssektor berechnen. Im Gegensatz zu den in Tabelle 2.7 angegebenen Konzentrationsmaßen auf der Basis der Elektrizit¨atserzeugung und der installierten Kraftwerksleistung wird die Marktkonzentration im Folgenden ausschließlich auf die Erzeugungsleistung bezogen. Diese Vorgehensweise ber¨ ucksichtigt die grunds¨atzliche Problematik, dass zur Bestimmung der Marktkonzentration und damit eines strukturellen Merkmales des Elektrizit¨atssektors prinzipiell keine aus dem Marktverhalten resultierenden Gr¨oßen wie z. B. die Erzeugungs- oder Absatzmengen heran gezogen werden sollten.74 Die im Zusammenhang mit der Analyse der mehrstufigen Kapitalverflechtungen und der relevanten Gesamterzeugungsleistung genannten methodischen Probleme bei der Berechnung der Konzentrationsmaße lassen sich beispielhaft durch die in Tabelle 2.10 dargestellen Konzentrationswerte beschreiben. In Abh¨angigkeit der genutzten Berechnungsgrundlage ergeben sich unterschiedliche Konzentrationswerte f¨ ur Deutschland. Tabelle 2.10: Erzeugungsseitige Konzentrationindizes in Deutschland, 2005
Index
CR1 CR3 CR5 HHI a b c d
Einheit
% % % -
Allgemeine Versorgunga Schwellenwert ohne Ind. mit Ind.b mit Ind.b mit Ind.b nach GWB, c c ohne Ern. ohne Ern. mit Ern. mit Ern. DoJ, FTC d ohne Imp. ohne Imp. ohne Imp. mit Imp. 28,8 72,2 84,8 1986
27,5 68,9 81,0 1813
22,3 55,9 65,7 1200
19,4 48,5 57,0 915
33,3 50,0 66,7 1800
inklusive Deutsche Bahn AG, ohne Kaltreserve und Konservierung Industrie exklusive Industriekapazit¨aten ohne Netzanbindung Erneuerbare inklusive Wasserkraft- und Biomassekapazit¨aten kumulierte Importkapazit¨at
Je nachdem, ob die Industriekraftwerke, die Erzeugungsanlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien und die Importkapazit¨aten bei der Berechnung der Konzentrati74
Einschr¨ankend muss hier gesagt werden, dass auch die kontrollierten Erzeugungskapazit¨aten Ergebnis von Fusions- und Akquisitionst¨atigkeiten und damit des langfristigen Unternehmensverhaltens sind.
41
2 Elektrizit¨atsmarkt in Deutschland onswerte ber¨ ucksichtigt werden oder nicht, kann f¨ ur Deutschland von einem stark oder m¨aßig konzentrierten Elektrizit¨atsmarkt gesprochen werden.75 So liegen die Konzentrationswerte bereits bei Ber¨ ucksichtigung der Industrie- sowie Wind- und Fotovoltaikkapazit¨aten unter dem im GWB definierten Schwellenwert CR5 f¨ ur die Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung der f¨ unf gr¨oßten Unternehmen. Werden die kumulierten Importkapazit¨aten ebenfalls ber¨ ucksichtigt, so liegt sogar der CR3 unterhalb des relevanten Schwellenwertes. Gleiches gilt f¨ ur die Berechnung des vom amerikanischen Department of Justice (DoJ) sowie der amerikanischen Federal Trade Commission (FTC) genutzten HHI.76 Obwohl sich die Berechnung der erzeugerseitigen Marktkonzentration mit den Angaben des Bundeskartellamtes, der Monopolkommission sowie Eurostat deckt,77 zeigt die Diskussion, dass die Nutzung und Interpretation von Konzentrationsmaßen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann und sich eine rationale Wettbewerbspolitik nicht allein auf entsprechende Indizes st¨ utzen sollte. Trotz der genannten methodischen Probleme kann festgehalten werden, dass die aktuelle Marktstruktur auf Großhandelsebene im deutschen Elektrizit¨atssektor durch ein Vier-Spieler-Oligopol aus RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG gekennzeichnet ist, das sich einem Wettbewerbsrand aus einer Vielzahl kleinerer Unternehmen gegen¨ uber sieht. Eine Ableitung vorhandener erzeugerseitiger Potenziale zur missbr¨auchlichen Ausu ¨bung von Marktmacht im deutschen Elektrizit¨atssektor kann vor diesem Hintergrund allerdings noch nicht vorgenommen werden. Welche Methoden zur Analyse vorhandener Marktmachtpotenziale in Elektrizit¨atsm¨arkten bestehen und wie die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht quantifizieren werden kann, wird im Folgenden beschrieben.
75
76
77
42
Vgl. GWB (idF v. 26.8.1998) § 19 und BkartA (2001) S. 3 f. sowie DoJ und FTC (1997) S. 15 ff. F¨ ur die Berechnung des HHI ist angenommen, dass sich der u ¨ brige Wettbewerbsrand aus 96 gleichgroßen EVU zusammen setzt, vgl. Tabelle 2.8. Die amerikanischen Wettbewerbsbeh¨orden betrachten einen Markt als unkonzentriert bei HHI < 1000, als m¨aßig konzentriert bei HHI=1000-1800 und als hochgradig konzentriert bei HHI > 1800. Unter Ber¨ ucksichtigung der Industriekapazit¨aten, ohne Kapazit¨ aten zur Nutzung erneuerbarer Energien und ohne Importkapazit¨aten.
3 Methoden zur Marktmachtanalyse Die Analyse einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht spielt in der aktuellen wettbewerbspolitischen Diskussion in Deutschland und Europa vor dem Hintergrund der zu beobachtenden Preisentwicklungen eine zunehmende Rolle bei der Bewertung der Funktionsf¨ahigkeit der Elektrizit¨atsgroßhandelsm¨arkte. Einige der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente st¨ utzen sich auf Analysen, die eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht entweder auf der Basis empirischer Untersuchungen ¨ der historischen Elektrizit¨atspreise oder theoretischer Uberlegungen zu wettbewerbsbeschr¨ankendem Verhalten durch große Unternehmen zu belegen versuchen. Die Wettbewerbstheorie stellt verschiedene Methoden zur Verf¨ ugung, mit denen die Funktionsf¨ahigkeit des Wettbewerbs in einem Markt untersucht werden kann. Auf Grund der bestehenden Komplexit¨at der Elektrizit¨atsm¨arkte sind entsprechende Marktmachtanalysen allerdings mit erheblichen Herausforderungen verbunden, die die Ableitung belastbarer Schlussfolgerungen und wettbewerbspolitischer Handlungsempfehlungen erschweren. Bevor auf die verschiedenen Methoden zur Marktmachtanalyse detailliert eingegangen wird, werden in Kapitel 3.1 zun¨achst die Begriffe Marktmacht und funktionsf¨ahiger ¨ Wettbewerb definiert sowie ein erster Uberblick u ¨ber m¨ogliche Wettbewerbstests gegeben. In Kapitel 3.2 wird dann die Verwendung von struktur- und verhaltensbasierten Indizes zur Bestimmung von Marktmachtpotenzialen in Elektrizit¨atsm¨arkten beschrieben. Auf die Nutzung von Optimierungs- und Simulationsmodellen f¨ ur die empirische Marktmachtanalyse wird in Kapitel 3.3 eingegangen. Die Einordnung spieltheoretischer Modellans¨atze in Kapitel 3.4 schließt die Diskussion der Methoden zur Marktmachtanalyse ab.
3.1 Marktmacht und funktionsf¨ ahiger Wettbewerb F¨ ur die Analyse einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht werden im folgenden Kapitel 3.1.1 zun¨achst die Begriffe Marktmacht und funktionsf¨ahiger Wettbewerb defi¨ niert. Daran anschließend wird in Kapitel 3.1.2 ein kurzer Uberblick u ¨ber die m¨oglichen Wettbewerbstests gegeben.
43
3 Methoden zur Marktmachtanalyse
3.1.1 Definition Marktmacht kann definiert werden als die M¨oglichkeit eines oder mehrerer Unternehmen, die sich einstellenden Marktergebnisse zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht kann sich beispielsweise in der Beeinflussung des Marktpreises weg vom Wettbewerbsniveau zur Steigerung des eigenen Gewinns nieder schlagen.78 Im Fall von Elektrizit¨atsm¨arkten sind die EVU auf Grund ihrer Marktposition in der Lage, die Marktpreise durch ihr Verhalten u ¨ber die Grenzerzeugungskosten des letzten zur Nachfragedeckung eingesetzten Kraftwerks zu steigern und einen Preisaufschlag durchzusetzen, ohne dass es den Wettbewerbern gelingt, diese Preissteigerung durch entsprechende Reaktionen auszugleichen. Liegen Potenziale zur Aus¨ ubung von Marktmacht vor, so sind verhaltensinduzierte Preissteigerungen an Großhandelsm¨arkten grunds¨atzlich durch zwei verschiedene Strategien m¨oglich. Zum einen k¨onnen die Unternehmen durch die physische Verknappung ihrer Angebotsmenge die aggregierte Angebotskurve im Markt nach links und damit in Richtung steigender Preise verschieben. In diesem Fall wird von physischer Kapazit¨atszur¨ uckhaltung gesprochen. Zum anderen k¨onnen die EVU einen Teil ihrer Kraftwerkskapazit¨aten zu Preisen oberhalb der kurzfristigen Grenzkosten anbieten und so die Zuschlagswahrscheinlichkeit f¨ ur ihre Gebote reduzieren. Im Ergebnis wird hier die aggregierte Angebotskurve nach oben verschoben, was ebenfalls zu steigenden Marktpreisen f¨ uhrt. Bieten die EVU ihre Kraftwerksleistung zu u ¨berh¨ohten Preisen an, so wird von ¨okonomischer Kapazit¨atszur¨ uckhaltung gesprochen.79 Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass die Aus¨ ubung angebotsseitiger Marktmacht mit einer Verbesserung der Gewinnsituation der Unternehmen und Kostensteigerungen auf der Nachfrageseite verbunden ist. Dar¨ uber hinaus f¨ uhrt die Aus¨ ubung von Marktmacht zu einer Minderung und Umverteilung sozialer Wohlfahrt sowie zu Ineffizienzen bei der Allokation von Produktionsfaktoren.80 Neben der missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht auf der Erzeugungs- bzw. Großhandelsebene kann sich wettbewerbsbeschr¨ankendes Verhalten von EVU mit herausgehobener Marktstellung auch in der Diskriminierung von Wettbewerbern z. B. beim Zugang zu vor- oder nachgelagerten Wertsch¨opfungsstufen, wie der Brennstoffbeschaf78
79
80
44
Vgl. hierzu allgemein z. B. Herdzina (1999) und f¨ ur die Anwendung auf Elektrizit¨atsm¨arkte z. B. Stoft (2002) S. 316 ff. Dar¨ uber hinaus ist es grunds¨atzlich auch m¨oglich, dass Unternehmen zeitweise zu nicht kostendeckenden Preisen anbieten, um ihren Marktanteil zu vergr¨oßern, Wettbewerber zu verdr¨angen und Markteintritt zu verhindern. Eine solche Situation konnte zeitweise zu Beginn der Liberalisierung in Deutschland beobachtet werden. Vgl. zu diesem Argument in Verbindung mit der Quersubventionierung aus der Transport- und Verteilungsebene Brunekreeft und Twelemann (2005) S. 104. Vgl. z. B. Borenstein (1999) und Wolak und Patrick (1997).
3.1 Marktmacht und funktionsf¨ahiger Wettbewerb fung oder dem Transport oder der Verteilung von Elektrizit¨at nieder schlagen.81 Da die Transport- und Verteilnetze auf Grund ihrer Eigenschaft als nat¨ urliche Monopole einer entsprechenden Regulierung unterliegen, wird auf diesen wettbewerblichen Ausnahmebereich im Folgenden nicht weiter eingegangen.82 Als wettbewerbsbegriffliches Gegenteil zu einer Situation, die durch eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht gekennzeichnet ist, kann in einem Markt von funktionsf¨ahigem Wettbewerb gesprochen werden, wenn folgende Funktionen erf¨ ullt werden.83 Die Anpassungsfunktion fordert, dass der Wettbewerb rechtzeitig zu Investitionen und damit zur Anpassung an sich ¨andernde Rahmenbedingungen, wie z. B. eine steigende Nachfrage oder sich ¨andernde Brennstoffpreise f¨ uhren soll. Die Fortschrittsfunktion beschreibt die F¨ahigkeit des Wettbewerbs f¨ ur Produktivit¨atssteigerungen zu sorgen. Investitionen in neue Kraftwerke sollen hierbei von Kostensenkungen z. B. durch h¨ohere Wirkungsgrade begleitet werden. Die Verteilungsfunktion fordert, dass der Wettbewerb leistungsge¨ rechte Einkommen generieren soll. Ubergewinnsituationen, wie sie beispielsweise durch die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht erzielt werden k¨onnen, d¨ urfen nicht u ¨ber l¨angere Zeitr¨aume erhalten bleiben. Die Freiheitsfunktion beschreibt schließlich die F¨ahigkeit des Wettbewerbs unbillige Beschr¨ankungen des Handlungsspielraums der Marktteilnehmer z. B. durch die Diskriminierung beim Zugang zu vor- oder nachgelagerten Wertsch¨opfungsstufen, wie den Brennstoffm¨arkten oder den Elektrizit¨atsnetzen, zu verhindern. Der Begriff des funktionsf¨ahigen Wettbewerbs beschreibt damit nicht nur das Gegenteil zu einem missbr¨auchlichen Marktverhalten, sondern stellt eine umfassendere Grundlage f¨ ur die Analyse von Wettbewerbsprozessen dar. Auf Grund der Vielzahl der geforderten Funktionen, die der Wettbewerb erf¨ ullen soll, sowie der Komplexit¨at der statischen und insbesondere dynamischen Marktprozesse in Elektrizit¨atsm¨arkten, beschr¨ankt sich die Wettbewerbsanalyse in diesem Bereich zumeist auf die Untersuchung der Verteilungsfunktion, die gerade durch eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht eingeschr¨ankt wird. Die Anpassungs- und Fortschrittsfunktion kann, bedingt durch die sehr langen Investitionszyklen in Elektrizit¨atsm¨arkten nur u ¨ber lange Zeitr¨aume beobachtet und entsprechend bewertet werden. Dem gegen¨ uber soll die 81
82 83
Die Herausbildung von Marktmacht in vertikaler Richtung, die sich u. a. nach Ansicht des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission durch die Unternehmensakquisitionen der vier großen EVU im Upstream und Downstream Bereich ergibt, wobei hier insbesondere die Beteiligungen an Stadtwerken mit Verteilungsnetzen sowie die Fusion von E.ON AG und Ruhrgas AG zu nennen sind, muss von den Marktmachtpotenzialen in horizontaler Richtung auf Erzeugungs- bzw. Großhandelsebene abgegrenzt werden. Vgl. dazu insbesondere die Informationen bei BNetzA (2007). Der Begriff des funktionsf¨ahigen Wettbewerbs geht zur¨ uck auf Clark (1940).
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3 Methoden zur Marktmachtanalyse Freiheitsfunktion insbesondere in Bezug auf den diskriminierungsfreien Zugang zu den Elektrizit¨atstransport- und -verteilnetze von den Regulierungsbeh¨orden gew¨ahrleistet werden, da sich auf dieser Wertsch¨opfungsstufe auf Grund der Subadditivit¨at der Kosten kein funktionierender Wettbewerb einstellen kann. Die Frage, ob im Elektrizit¨atsmarkt ein funktionsf¨ahiger Wettbewerb vorliegt, ist in ihrer Gesamtheit somit nur bedingt zu beantworten. Da die Generierung leistungsgerechter Einkommen der Produktionsfaktoren und damit die Erf¨ ullung der Verteilungsfunktion f¨ ur die Bewertung der hier betrachteten Elektrizit¨atsgroßhandelsm¨arkte von herausragender Bedeutung ist, soll die Analyse im Folgenden auf diesen Aspekt beschr¨ankt werden. F¨ ur die Untersuchung der Funktionsf¨ahigkeit des Wettbewerbs und hierbei insbesondere der beschriebenen Verteilungsfunktion, d. h. der Diagnose ob eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht vorliegt, sind verschiedene Tests entwickelt worden, die ¨ zun¨achst in einem Uberblick kurz beschrieben werden, bevor detailliert auf die unterschiedlichen Methoden zur Marktmachtanalyse eingegangen wird.
3.1.2 Wettbewerbstests Mit Hilfe der entwickelten Wettbewerbstests l¨asst sich ein Markt in Bezug auf verschiedene strukturelle, verhaltens- und ergebnisbezogene Kriterien untersuchen. Werden auf ihrer Basis bestehende Probleme bei der Erf¨ ullung einzelner Wettbewerbsfunktionen, wie z. B. der Verteilungsfunktion identifiziert, k¨onnen geeignete wettbewerbspolitische Maßnahmen eingeleitet werden. Die Tests gliedern sich im Einzelnen in: Test der Marktstruktur: Beschreibt die Struktur des betrachteten Marktes in Bezug auf den vorhandenen angebots- oder nachfrageseitigen Konzentrationsgrad, d. h. die Anzahl der Marktteilnehmer und ihrer jeweiligen Marktanteile. F¨ ur den Test der Marktstruktur k¨onnen unterschiedliche Indizes verwendet werden, die wiederum auf unterschiedlichen Bezugsgr¨oßen, wie den Erzeugungskapazit¨aten oder den Erzeugungsmengen basieren. Test des Marktverhaltens: Analysiert den Marktprozess in Bezug auf potenzielles oder tats¨achliches wettbewerbsbeschr¨ankendes Verhalten der Marktteilnehmer. Hierunter lassen sich z. B. unbillige Absprachen, diskriminierendes Verhalten oder Preisbeeinflussung einzelner oder einer Gruppe von Unternehmen verstehen. F¨ ur den Test des Marktverhaltens lassen sich z. B. Marktmodelle verwenden. Test der Marktergebnisse: Untersucht den Markt in Bezug auf die beobachtbaren Marktergebnisse, indem diese an den Ergebnissen eines hypothetischen oder tat-
46
3.1 Marktmacht und funktionsf¨ahiger Wettbewerb s¨achlichen Vergleichsmarktes gemessen werden, f¨ ur den von funktionsf¨ahigem Wettbewerb ausgegangen werden kann. Der Test der Marktergebnisse kann wiederum z. B. auf der Basis von Indizes oder Marktmodellen durchgef¨ uhrt werden. Auf Grund des gegebenen Zusammenhangs von Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis, lassen sich die einzelnen Tests nicht immer klar von einander abgrenzen. Die Diagnose funktionsf¨ahigen Wettbewerbs und die Ableitung etwaiger wettbewerbspolitischer Maßnahmen kann somit nicht auf der Basis eines einzelnen Test erfolgen, sondern sollte auf der Nutzung verschiedener M¨oglichkeiten der Marktmachtanalyse und einer ad¨aquaten Interpretation der Ergebnisse beruhen. Die ad¨aquate Interpretation der Ergebnisse wird dabei insbesondere durch zwei Probleme erheblich erschwert. Das Problem der empirischen Ermittlung beschreibt die Schwierigkeit, dass eine Vielzahl der f¨ ur die einzelnen Tests notwendigen Informationen nicht ¨offentlich verf¨ ugbar sind oder nur unter Unsicherheit ermittelt werden k¨onnen. In Bezug auf Elektrizit¨atsm¨arkte sind hier z. B. die zeitlich variierenden Kraftwerksverf¨ ugbarkeiten, Wirkungsgrade, Anfahrkosten und Brennstofftransportkosten zu nennen. Das Problem der unsicheren theoretischen Basis bezieht sich dagegen auf die Schwierigkeit einen realen oder hypothetischen Vergleichsmarkt zu identifizieren, der als geeigneter Referenzmaßstab bei der Bewertung der beobachtbaren Marktergebnisse dienen kann. H¨aufig wird f¨ ur die Bewertung der Marktergebnisse das Standardmodell der ¨okonomischen Theorie, das Modell der vollst¨andigen Konkurrenz als Referenzmaßstab genutzt.84 Eine weitere Charakterisierung der existierenden Methoden zur Marktmachtanalyse l¨asst sich insbesondere am Test des Marktverhaltens vornehmen. Der Test des Marktverhaltens kann sowohl f¨ ur eine Ex-ante- als auch eine Ex-post-Analyse der jeweiligen Markt- bzw. Wettbewerbssituation verwendet werden. Die Ex-post-Analyse des Marktverhaltens greift dabei h¨aufig auch auf historische Marktergebnisse zur¨ uck, da sie als Resultat des Marktverhaltens unter Umst¨anden besser zu beobachten sind. Der Test des Marktverhaltens enth¨alt in diesem Fall auch Elemente des Tests der Marktergebnisse, weshalb auch hier eine eindeutige Abgrenzung nicht m¨oglich ist. Die Ex-ante-Analyse stellt das Marktverhalten nicht nur als Ursache f¨ ur die beobachteten Marktergebnisse in den Mittelpunkt der Betrachtung, sondern bildet die Potenziale der Unternehmen zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht explizit ab, indem die unterschiedlichen Handlungsoptionen modelliert und ihre jeweiligen Auswirkungen auf die Marktergebnisse miteinander verglichen werden. Auf dieser Basis sind 84
Auf das, mit der Verwendung dieses hypothetischen Vergleichmarktes verbundene Problem der unsicheren theoretischen Basis wird im Zusammenhang mit der Nutzung von optimierenden Fundamentalmodellen zur Marktmachtanalyse in Kapitel 3.3 n¨aher eingegangen.
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3 Methoden zur Marktmachtanalyse dann u. U. Schlussfolgerungen u ¨ber die Bedingungen zur Herausbildung entsprechender Marktmachtpotenziale sowie deren Begrenzung m¨oglich. Auf die verschiedenen M¨oglichkeiten Tests der Marktstruktur, des Marktverhaltens und der Marktergebnisse im Großhandelsmarkt durchzuf¨ uhren wird im Folgenden detailliert eingegangen. Die Darstellung beschr¨ankt sich dabei auf die Nutzung von Indizes, Optimierungs- und Simulationsmodellen sowie spieltheoretischen Modellen, wobei die mit den einzelnen Verfahren verbundenen methodischen und empirischen Herausforderungen diskutiert werden.
3.2 Indizes Ein methodisch vergleichsweise einfaches Verfahren zur Analyse bestehender Marktmachtprobleme findet sich in der Anwendung von Indizes, mit denen entweder Aussagen zur angebots- oder nachfrageseitigen Struktur eines Marktes oder zum beobachtbaren Unternehmensverhalten getroffen werden k¨onnen. Einige der existierenden Indizes werden von Kartellbeh¨orden, wie dem Bundeskartellamt oder dem amerikanischen Department of Justice und der Federal Trade Commission f¨ ur die Identifikation marktbeherrschender Unternehmen verwendet. Die in der Wettbewerbstheorie existierenden Indizes lassen sich neben vielen anderen m¨oglichen Kategorisierungen in strukturbasierte und verhaltensbasierte Indizes einteilen. In Kapitel 3.2.1 wird zun¨achst auf die strukturbasierten Indizes eingegangen, die in der Regel Aussagen zu m¨oglichen ex-ante bestehenden Marktmachtpotenzialen zulassen, w¨ahrend in Kapitel 3.2.2 auf die Verwendung verhaltensbasierter Indizes eingegangen wird, mit denen dagegen Aussagen zu ex-post beobachtbarer Aus¨ ubung von Marktmacht getroffen werden sollen. Die verschiedenen Indizes k¨onnen zur Verbesserung der Analyseergebnisse mit einander kombiniert werden.
3.2.1 Strukturbasierte Indizes CRn -Konzentrationsindex und Herfindahl-Hirschman-Index Die Konzentrationsmaße CRn und HHI lassen sich, wie bereits im Zusammenhang mit der empirischen Messung der angebotsseitigen Marktkonzentration in Kapitel 2.3.2 dargestellt, auf unterschiedliche Marktparameter anwenden und sind bei entsprechender Datenverf¨ ugbarkeit leicht zu berechnen. F¨ ur die Analyse der aktuellen Marktstruktur in Bezug auf die Marktanteile der EVU sind der CRn und der HHI gut geeignet, da sie einen ersten Anhaltspunkt f¨ ur das Vorliegen wettbewerbsrelevanter Marktmachtpotenziale liefern k¨onnen.
48
3.2 Indizes Da die Konzentrationsmaße die spezifischen technischen, ¨okonomischen und strukturellen Bedingungen in Elektrizit¨atsm¨arkten vernachl¨assigen und auf Grund ihres statischen Charakters zeitliche Variationen in Angebot und Nachfrage nicht erfassen, ist ihre Nutzung f¨ ur die konkrete Marktmachtanalyse nur sehr bedingt geeignet. Zudem ist die Definition der wettbewerbsrelevanten Schwellenwerte, wie sie z. B. im GWB vorgenommen und vom Bundeskartellamt verwendet wird, insbesondere f¨ ur die Anwendung in Elektrizit¨atsm¨arkten problematisch.85 Werden dar¨ uber hinaus Erzeugungs- oder Absatzmengen f¨ ur die Berechnung des CRn oder des HHI verwendet, ist zu fragen, ob Parameter die aus dem Marktverhalten resultieren u ¨berhaupt in einem Test der Marktstruktur genutzt werden sollten. So ist es durchaus denkbar, dass die beobachteten Erzeugungsbzw. Absatzmengen bereits durch Kapazit¨atszur¨ uckhaltung der EVU strategisch beeinflusst sind.86 Ein Teil der bestehenden Schw¨achen der Konzentrationsmaße wurden mit der Entwicklung der im Folgenden beschriebenen komplexeren Indizes beseitigt. Residual-Supply-Index und Pivotal-Supplier-Indicator Die Vernachl¨assigung der spezifischen angebots- und nachfrageseitigen Bedingungen bei der Nutzung von Konzentrationsmaßen in Elektrizit¨atsm¨arkten hat zur Entwicklung komplexerer Indizes gef¨ uhrt. Zwei Kennzahlen, die insbesondere die zeitliche Variation von Angebot und Nachfrage im betrachteten Markt ber¨ ucksichtigen, finden sich im Index zum Residualangebot (Residual-Supply-Index (RSI)) und in einem Indikator, der das Angebot eines bestimmten Unternehmens als notwendige Voraussetzung zur Bedienung der Nachfrage (Pivotal-Supplier-Indicator (PSI)) identifiziert. Beide Indizes wurden f¨ ur die Analyse der Marktmachtpotenziale in amerikanischen Elektrizit¨atsm¨arkten entwickelt und hier z. B. von der Federal Energy Regulatory Commission und dem ¨ kalifornischen Ubertragungsnetzbetreiber angewendet.87 Der Vorteil dieser Indizes liegt in der Ber¨ ucksichtigung der spezifischen Angebotsbedingungen und der jeweiligen Nachfrage- bzw. Lastsituation im Elektrizit¨atserzeugungssystem. Durch die Integration der Importkapazit¨aten und die Ber¨ ucksichtigung von Informationen u ugbarkeiten, vertraglich vereinbarte Absatzmengen des ¨ber Kraftwerksverf¨ betrachteten EVU inklusive der Must-run-Kapazit¨aten von Kraft-W¨arme-Kopplungsanlagen und Laufwasserkraftwerken sowie die Nachfrage nach Systemdienstleistungen wie z. B. der Reservekapazit¨at f¨ ur die Regelenergiebereitstellung, wird die Aussagef¨a85
86
87
Neben den Marktanteil nutzt das Bundeskartellamt auch die anderen im GWB § 19 angef¨ uhrten Kriterien f¨ ur die Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens. Im Fall der Kapazit¨atszur¨ uckhaltung verringert sich die auf der Basis von Erzeugungs- und Absatzmengen berechnete Marktkonzentration, da die Marktanteile der Unternehmen mit Marktmacht im Vergleich zum Wettbewerbsrand sinken. Vgl. zum RSI Sheffrin (2002) und zum PSI Bushnell et al. (1999b).
49
3 Methoden zur Marktmachtanalyse higkeit dieser Indizes substanziell verbessert. Auf dieser Grundlage ist es dann besser m¨oglich eine Kennzahl f¨ ur die ex-ante vorhandenen Marktmachtpotenziale einzelner Unternehmen f¨ ur eine gegebene Nachfragesituation, mithin f¨ ur einzelne Stunden, zu bestimmen. Der RSI berechnet sich nach: n
RSIi =
i=1
xverf + I net − (xverf − fi ) i i D+R
(3.1)
Der RSI stellt das Verh¨altnis aus der in einer Region verbleibenden Erzeugungsleistung zuz¨ uglich der Nettoimporte I net und der Gesamtnachfrage D sowie der notwendigen Reservekapazit¨at R dar. Die verbleibende Erzeugungsleistung des betrachteten EVU i ∈ {1, 2, ..., n} ergibt sich dabei aus der um die Nettoimporte I net , die verf¨ ugbare Kraftwerksleistung xverf , die z. B. u ber Forwards oder langfristige Vertr¨ a ge eingegange¨ i nen Lieferverpflichtungen fi korrigierte gesamte verf¨ ugbaren Leistung ni=1 xi im Markt. Ist der Residual-Supply-Index kleiner als 1, so reicht die verbleibende Kraftwerkskapa zit¨at nj=i xj der u ¨brigen EVU j = i ∈ {1, 2, . . . , n} im Erzeugungssystem nicht aus, die nachgefragte Last und die notwendige Reserveleistung zu decken. Das betrachtete Unternehmen i hat insofern eine dominante Marktstellung, die es ihm erm¨oglicht, in einer solchen Situation Marktmacht auszu¨ uben. Der Residual-Supply-Index kann in den Pivotal-Supplier-Indicator u uhrt wer¨berf¨ den. Anders als der RSI ist der PSI nicht u ¨ber einen kontinuierlichen Wertebereich definiert, u ¨ber den sich die relative St¨arke des vorhandenen Marktmachtpotenzials eines EVU bestimmen l¨asst, sondern ist f¨ ur die Bewertung in einer bin¨aren Gr¨oße verdichtet. F¨ ur den PSI gilt: 1 wenn RSIi < 1 PSIi = (3.2) 0 wenn RSIi ≥ 1 Grunds¨atzlich lassen sich RSI und PSI f¨ ur jede einzelne Lastsituation innerhalb eines bestimmten Zeitraums, z. B. die einzelnen Stunden eines Jahres berechnen. Durch die Bestimmung der H¨aufigkeit der Stunden, in denen der RSI < 1 bzw. der PSI = 1 ist, k¨onnen dann R¨ uckschl¨ usse u ¨ber die ex-ante vorhandenen Marktmachtpotenziale einzelner EVU zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder u ¨ber den gesamten betrachteten Zeitraum gezogen werden. Auf Grund der f¨ ur die Berechnung der beiden Indizes notwendigen Informationen u ugbare Kraftwerksleistung, die langfristig vereinbarten Liefermengen, ¨ber die verf¨ die tats¨achlichen Importe sowie die Reservevorhaltung steht ihre Anwendung vor dem
50
3.2 Indizes oben beschriebenen Problem der empirischen Ermittlung. Viele der Marktinformationen sind nicht oder nur unter Unsicherheit bekannt. Die bestehenden Datenprobleme werden durch eine Vielzahl dynamischer Prozesse, die sich z. B. aus technischen Einschr¨ankungen des Kraftwerksbetriebs ergeben, zudem verst¨arkt. So h¨angt beispielsweise die verf¨ ugbare Kraftwerksleistung in einer bestimmten Stunde vom Betriebszustand des Kraftwerks in den vorhergehenden Stunden und damit von der Fahrweise ab. Diese intertemporalen Bedingungen k¨onnen auf Grund des statischen Charakters der beiden Indizes a priori nicht erfasst werden. Residualnachfrageanalyse Bei dieser Methode wird das vorhandene Marktmachtpotenzial eines EVU anhand der Preiselastizit¨at der Residualnachfrage analysiert. Die Residualnachfrage stellt dabei den Teil der Gesamtnachfrage dar, der nicht von den Konkurrenzunternehmen j = i bedient wird und f¨ ur den das betrachtete EVU i mithin ein Monopolist ist.88 Die Residualnachfrage DRi (P ) ist definiert als: DRi (P ) = D(P ) −
N
xj (P )
(3.3)
j=i
Anders als bei dem RSI und dem PSI, bei denen implizit davon ausgegangen wird, das die Residualnachfrage vollkommen preisunelastisch ist und das ein EVU mit Marktmacht damit einen nahezu beliebig hohen Preis f¨ ur sein Angebot setzen kann, wird bei der Residualnachfrageanalyse unterstellt, dass DRi (P ) preiselastisch ist.89 Die Preiselastizit¨at der Residualnachfrage berechnet sich wie folgt: εi =
∂DRi P ∂P DRi
(3.4)
Bei Gewinnmaximierung in unvollst¨andigem Wettbewerb definiert der Kehrwert der Preiselastizit¨at der Residualnachfrage εi die M¨oglichkeit eines EVU i den Preis durch strategisches Verhalten zu beeinflussen. Es l¨asst sich zeigen, dass die optimale Angebotsstrategie am Großhandelsmarkt und der damit verbundene durchsetzbare Preisaufschlag von der H¨ohe der Preiselastizit¨at abh¨angt. Je niedriger die Preiselastizit¨at der 88 89
Vgl. zur Residualnachfrageanalyse im kalifornischen Elektrizit¨atsmarkt z. B. Wolak (2003). Bei wettbewerblichen M¨arkten ist die Residualnachfrage eines einzelnen Unternehmens annahmegem¨aß vollkommen preiselastisch. F¨ ur den Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt kann davon ausgegangen werden, dass die Nachfrage auf Preis¨anderungen nur schwach reagiert. Kurzfristig kann die Nachfrage z. B. durch zeitliche Verschiebungen der Last von Peak- in Off-Peak-Stunden und mittel- bis langfristig durch Importe, Eigenerzeugung oder Demand Side Management angepasst werden. Vgl. zur Preiselastizit¨at in Elektrizit¨atsm¨arkten auch Johnsen (2001) und NIEIR (2002) sowie die Ausf¨ uhrungen in Kapitel 4.2.
51
3 Methoden zur Marktmachtanalyse Residualnachfrage ist, desto gr¨oßer sind die Marktmachtpotenziale eines EVU und desto h¨ohere Preisaufschl¨age k¨onnen durchgesetzt werden. Der theoretisch durchsetzbare Preisaufschlag bei unvollst¨andigem Wettbewerb l¨asst sich wie folgt berechnen: −
1 P − GKi (xi ) = εi P
(3.5)
F¨ ur die Residualnachfrageanalyse kann festgehalten werden, dass die methodischen und empirischen Herausforderungen insbesondere in der Verf¨ ugbarkeit von Informationen zu den unternehmensindividuellen Angebotskurven sowie der Bestimmung der jeweiligen Preiselastizit¨aten besteht, was eine effektive Anwendung dieses Indexes und die Interpretation der Ergebnisse schwierig macht. Der formale Zusammenhang zwischen Preiselastizit¨at der Nachfrage, Marktpreis und Grenzerzeugungskosten in Gl. (3.5) wird auch von einigen verhaltens- bzw. ergebnisbasierten Indizes verwendet, auf die im Folgenden n¨aher eingegangen werden soll.
3.2.2 Verhaltens- und ergebnisbasierte Indizes Lerner-Index und Preis-Kosten-Marge Ist ein einzelnes oder eine Gruppe von Unternehmen in der Lage, die Elektrizit¨atspreise durch strategisches Verhalten zu beeinflussen, so liegt im Ergebnis der Systemgrenzpreis in der Regel oberhalb der Grenzerzeugungskosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks. Die relative H¨ohe des Preisaufschlags auf die Grenzerzeugungskosten kann dabei mit dem Lerner-Index (LI) und der Preis-Kosten-Marge (PKM) beschrieben werden.90 Beide Indizes liefern ex-post Aussagen u ¨ber die St¨arke einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht. Der LIi und die PKMi eines EVU i sind wie folgt definiert: LIi =
P (X) − GKi (xi ) P (X)
(3.6)
und PKMi =
P (X) − GKi (xi ) GKi (xi )
(3.7)
Wie bereits im Zusammenhang mit den Konzentrationsmaßen CRn und HHI sowie der Analyse der Residualnachfrage dargestellt wurde, l¨asst sich auch anhand des LernerIndex der Einfluss der Preiselastizit¨at der Nachfrage ε und der Marktanteile der EVU ϑi auf die Elektrizit¨atspreise im Oligopol verdeutlichen. Es gilt: LIi = − 90
52
P (X) − GKi (xi ) ϑi ≡ ε P (X)
(3.8)
Die Preis-Kosten-Marge l¨asst sich auch genauer als Marktpreis-Grenzkosten-Differenz beschreiben.
3.2 Indizes Der Preisbeeinflussungsspielraum ist maximal, wenn ein EVU i mit einem Marktanteil von 100 %, d. h. ϑi = 1 Monopolist im relevanten Markt ist. Hieraus folgt sofort der f¨ ur die Residualnachfrage in Gl. (3.5) beschriebene Zusammenhang. In vollkommen wettbewerblichen M¨arkten sind die Werte f¨ ur den LIi und die PKMi definitionsgem¨aß gleich Null, da kein Unternehmen in der Lage ist, die Preise u ¨ber die Grenzerzeugungskosten anzuheben. Die Marktanteile der einzelnen EVU sind hier annahmegem¨aß vernachl¨assigbar klein wobei im Fall einer atomistischen Marktstruktur mit n → ∞ gilt, dass ϑi → 0. Bei der Bestimmung des LIi und der PKMi besteht neben dem schon bei den strukturbasierten Indizes RSI und PSI beschriebenem Problem der empirischen Ermittlung, das zus¨atzlich durch die notwendigen Informationen u ¨ber Brennstoffpreise, Brennstofftransportkosten, Wirkungsgrade u. s. w. erschwert wird, auch das Problem der unsicheren theoretischen Basis. Das Problem der unsicheren theoretischen Basis ¨außert sich in diesem Zusammenhang insbesondere in der Hypothese, dass jegliche Abweichung des Marktpreises P von den Grenzerzeugungskosten des letzten zur Nachfragedeckung eingesetzten Kraftwerks GKi (xi ) eines EVU i auf die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht zur¨ uck zu f¨ uhren ist. Auf diesen Aspekt wird ausf¨ uhrlich bei der Diskussion der Nutzung optimierender Fundamentalmodelle zur Marktmachtanalyse eingegangen.
Deckungsspannenanalyse Bei der Deckungsspannenanalyse wird auf der Basis eines Vergleichs der Stromgestehungskosten der verschiedenen Kraftwerkstypen und des im Markt erzielbaren Umsatzes bzw. Marktpreises untersucht, ob die in einem Zeitraum realisierten Deckungsspannen (DSP) gerade ausreichen, die Gesamtkosten inklusive der annuisierten Fixkosten der ¨ EVU zu decken oder ob Ubergewinne feststellbar sind. Dar¨ uber hinaus k¨onnen die im Elektrizit¨atsmarkt beobachtbaren Deckungsspannen mit denen anderer M¨arkte verglichen werden, um so Schlussfolgerungen zur Wettbewerbsintensit¨at ziehen zu k¨onnen.
Die methodischen und empirischen Herausforderungen, die mit der Anwendung der Deckungsspannenanalyse verbunden sind, beziehen sich auf die Berechnung der jeweiligen Stromgestehungskosten der verschiedenen Kraftwerkstypen und, falls ein Vergleichsmarkt zur Bewertung der Deckungsspannen heran gezogen werden soll, auf die Bestimmung des ad¨aquaten Referenzmaßstabes.
53
3 Methoden zur Marktmachtanalyse Kapazit¨ atszur¨ uckhaltung Wie bei der Definition einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht beschrieben, kann sich strategisches Verhalten von Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen auf Großhandelsebene sowohl in physischer als auch in ¨okonomischer Kapazit¨atszur¨ uckhaltung nieder schlagen. Beide Strategien f¨ uhren in der Folge zu Preisen oberhalb der kurzfristigen Grenzkosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks. Neben der in Teilen besseren Datenbasis sprechen verschiedene theoretische Aspekte f¨ ur eine Analyse physischer Kapazit¨atszur¨ uckhaltung. Zum einen kann angenommen werden, dass ein Unternehmen bei Gewinnmaximierung seine gesamte verf¨ ugbare Kraftwerksleistung, f¨ ur die die Grenzerzeugungskosten niedriger sind als der erwartete Marktpreis, im Markt anbietet. Ist das nicht der Fall, so stellt die Kapazit¨atszur¨ uckhaltung f¨ ur das EVU die profitablere Strategie dar, woraus sich Hinweise auf die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht ableiten lassen.91 Zum anderen k¨onnen f¨ ur das Unternehmensverhalten auf Großhandelsm¨arkten f¨ ur homogene G¨ uter, die mit dem Aufbau großer Erzeugungskapazit¨aten verbunden sind, beim Einsatz dieser Erzeugungskapazit¨aten i. A. Mengenstrategien angenommen werden.92 Bei entsprechender Datenverf¨ ugbarkeit ließe sich physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung grunds¨atzlich zum Nachweis einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht verwenden. Durch die von den EVU zunehmend transparent gemachten Informationen in Bezug auf ihre installierte und verf¨ ugbare Kraftwerksleistung sowie die tats¨achliche historische Erzeugung, wie sie z. B. u ¨ber die Internetseite der EEX ver¨offentlicht werden, haben sich die M¨oglichkeiten zur Bestimmung entsprechender Kennzahlen verbessert. Die Quantifizierung ¨okonomischer Kapazit¨atszur¨ uckhaltung ist dar¨ uber hinaus zus¨atzlich auf kostenseitige Informationen angewiesen, was das Problem der empirischen Ermittlung weiter verst¨arkt. Obwohl sich das Problem der empirischen Ermittlung durch die h¨ohere Markttransparenz der EVU verringert hat, bestehen weiterhin erhebliche Herausforderungen bei der Anwendung von Kennzahlen zur Kapazit¨atszur¨ uckhaltung. So reichen zum einen die ¨offentlich zug¨anglichen Informationen u ugbaren Kraftwerkskapazit¨aten ¨ber die verf¨ noch nicht aus, um belastbare Schlussfolgerungen u ¨ber strategisch motivierte Kapazit¨atszur¨ uckhaltung zu ziehen. Es sei z. B. nur auf die Abgrenzung technisch bedingter, d. h. stochastischer Kraftwerksausf¨alle gegen¨ uber etwaigen marktmachtinduzierten Kraftwerksstillst¨anden hingewiesen. Dar¨ uber hinaus sind hier zum anderen die bereits 91
92
54
Vgl. z. B. Richmann und Loske (2006) und Richmann und Loske (2007) sowie f¨ ur eine grunds¨atzliche Kritik dieses Vorgehens Swider et al. (2007b). F¨ ur eine Anwendung auf den kalifornischen Elektrizit¨atsmarkt vgl. Joskow und Kahn (2002). Vgl. z. B. Shapiro (1989).
3.3 Optimierungs- und Simulationsmodelle bei der Diskussion der strukturbasierten Indizes RSI und PSI genannten Schwierigkeiten der Ber¨ ucksichtigung dynamischer Zusammenh¨ange des Kraftwerkseinsatzes zu nennen. Zusammenfassend l¨asst sich sagen, dass die struktur-, verhaltens- und ergebnisbasierten Indizes nur eingeschr¨ankt zur Analyse einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht geeignet sind, da sie teilweise wichtige Bestimmungsfaktoren der Elektrizit¨atspreisbildung, wie Kapazit¨atsrestriktionen bei Erzeugung und Transport, M¨oglichkeiten zum Elektrizit¨atsimport sowie Nachfragereaktionen bei Preis¨anderungen vernachl¨assigen und insbesondere auf Grund ihres statischen Charakters nicht in der Lage sind dynamische Prozesse abzubilden. Die Nutzung von Indizes kann dennoch erste Hinweise auf Wettbewerbsprobleme in einem Markt liefern und so weitere Marktmachtuntersuchungen motivieren. Hierzu sollte sich die Wettbewerbspolitik allerdings nicht auf eine einzelne Kennzahl verlassen, sondern vielmehr verschiedene Indizes in die Analyse aufnehmen. Insbesondere die beschriebene Kritik am statischen Charakter der verschieden Kennzahlen f¨ uhrt in der empirischen Marktmachtanalyse zunehmend zur Anwendung von Optimierungs- und Simulationsmodellen. Auf die verschiedenen Ans¨atze und die mit ihrer Anwendung verbundenen Herausforderungen wird im Folgenden n¨aher eingegangen.
3.3 Optimierungs- und Simulationsmodelle Im Vergleich zur indexbasierten Analyse erm¨oglichen numerische Elektrizit¨atsmarktmodelle die Integration der spezifischen technischen, strukturellen und institutionellen Gegebenheiten in die Untersuchung des betrachteten Marktes. Mit Hilfe modellbasierter Analysen lassen sich die komplexen Wechselwirkungen in Elektrizit¨atsm¨arkten detaillierter erfassen, wobei insbesondere die dynamischen Prozesse des Kraftwerkseinsatzes gut abgebildet werden k¨onnen. Die Aussagef¨ahigkeit der Ergebnisse wird auf dieser Basis wesentlich verbessert. Eine f¨ ur die technologieorientierte Abbildung von Elektrizit¨atsm¨arkten besonders h¨aufig genutzte Klasse von Modellen findet sich in den linearen Optimierungsmodellen. Bei der empirischen Marktmachtanalyse werden lineare Optimierungsmodelle zur Berechnung von Benchmarkl¨osungen verwendet, die als Referenzmaßstab zur Ex-postBewertung der historischen Marktergebnisse herangezogen werden. Ihre Anwendung wird in Kapitel 3.3.1 dargestellt. Eine andere Klasse von Modellen, bei der vor allem die dynamischen Interaktionen der unterschiedlichen Marktakteure abgebildet werden, findet sich in den agentenbasierten Simulationsmodellen. Mit diesen Modellen wird strategisches Verhalten z. B. auf der Basis von unternehmensspezifischen Lerneffekten simuliert, um die etwaige Durch-
55
3 Methoden zur Marktmachtanalyse setzbarkeit verhaltensinduzierter Preisaufschl¨age zu untersuchen. Diese Vorgehensweise wird in Kapitel 3.3.2 beschrieben.
3.3.1 Lineare Optimierungsmodelle Mit linearen Optimierungsmodellen wird der Betrieb oder Ausbau eines Elektrizit¨atserzeugungssystems mit dem Ziel einer Gesamtkostenminimierung optimiert. Bei der Modellierung wird versucht alle fundamentalen, d. h. alle technischen und ¨okonomischen Faktoren, die den Betrieb oder den Ausbau des Erzeugungssystems beeinflussen, detailliert abzubilden. In der empirischen Marktmachtanalyse werden zumeist Modelle mit kurzfristigem Optimierungshorizont und hoher zeitlicher Aufl¨osung genutzt, um den Preisbildungsprozess am Großhandelsmarkt m¨oglichst gut wieder zu geben. Die Modellierung beschr¨ankt sich dabei im Wesentlichen auf die detaillierte Abbildung des Kraftwerkseinsatzes bei gegebenem Kraftwerkspark ohne etwaige Investitionsentscheidungen bei der Optimierung zu ber¨ ucksichtigen. Im Rahmen der Optimierung wird die Elektrizit¨atsnachfrage in jedem Zeitpunkt zu minimalen Kosten gedeckt, sodass die Grenzkosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks den Systemgrenzpreis bilden, der sich als Elektrizit¨atsgroßhandelspreis interpretieren l¨asst. Dieser modellendogen berechnete Elektrizit¨atspreis wird dann mit den Ergebnissen eines realen Markt, z. B. den Spotmarktpreisen an der EEX verglichen. Der Vergleich der so berechneten Benchmarkl¨osung mit den historischen Marktpreisen stellt insofern einen Test der Marktergebnisse dar. Weichen die beobachteten Elektrizit¨atspreise von den mit dem Modell berechneten Grenzkosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks ab, so kann eine Ursache f¨ ur diese Abweichungen c. p. in einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht liegen.93 Bevor n¨aher auf die theoretischen, methodischen und empirischen Herausforderungen bei der Anwendung optimierender Fundamentalmodelle eingegangen wird, soll zun¨achst der grunds¨atzliche formale Aufbau linearer Optimierungsmodelle dargestellt werden. In einem linearen Optimierungsmodell wird ein System linearer oder gemischt93
56
Vgl. zu entsprechenden Anwendungen f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt u. a. M¨ usgens (2004), Schwarz und Lang (2006) und von Hirschhausen et al. (2007). Anwendungen f¨ ur den kalifornischen Day-ahead- und Real-time-Elektrizit¨atsmarkt wurden von Borenstein et al. (2000b) und Joskow und Kahn (2002) durchgef¨ uhrt, w¨ahrend Wolfram (1999) eine entsprechende Analysen f¨ ur den britischen Elektrizit¨atsmarkt vornimmt. Eine allgemeine kritische Auseinandersetzung mit der Anwendung von optimierenden Fundamentalmodellen f¨ ur Tests der Marktergebnisse insbesondere in Hinsicht auf die Interpretation der Ergebnisse findet sich in Swider et al. (2007a) S. 25 ff. und Swider et al. (2007b). Ellersdorfer et al. (2008a) quantifizieren dar¨ uber hinausgehend die mit solchen Analysen verbundenen methodischen und empirischen Unsicherheiten in einer detaillierten Untersuchung der Sportmarktpreise an der EEX zwischen 2002 und 2006.
3.3 Optimierungs- und Simulationsmodelle ganzzahliger Gleichungen gel¨ost, indem eine Zielfunktion f (x) in den Entscheidungsvariablen x = (x1 , . . . , xn )T unter der Beachtung von Nebenbedingungen minimiert wird.94 Ein lineares Optimierungsproblem l¨asst sich wie folgt formulieren: min
x∈M
f (x) := cT x
u. d. N.
bl ≤ Ax ≤ bu xl ≤ x ≤ xu
(3.9)
wobei f (x) : Rn → R, c, x, xl , xu ∈ Rn , bl , bu ∈ Rm und A ∈ Rm×n ist. Bei Modellen mit l¨angerem Optimierungshorizont, bei denen zus¨atzlich Investitionsentscheidungen ber¨ ucksichtigt werden, werden in der Zielfunktion i. A. die annuisierten Gesamtkosten, bei den hier betrachteten kurzfristig optimierenden Modellen nur die variablen, d. h. die von der jeweiligen Erzeugungsmenge abh¨angigen Produktionskosten minimiert. In den unterschiedlichen Nebenbedingungen werden dabei die technischen Charakteristika und Einsatzrestriktionen der Kraftwerke, wie z. B. ihre Wirkungsgrade bei Voll- oder Teillast, spezifischen CO2 -Emissionen, Mindestbetriebs-, Mindeststillstandsund Anfahrzeiten beschrieben sowie die jederzeitige Einhaltung der Energie- und Leistungsbilanzen der verschiedenen thermischen und hydraulischen Anlagen gew¨ahrleistet. Dar¨ uber hinaus werden die ¨okonomischen Bedingungen in Bezug auf Brennstoffpreise, Brennstofftransport-, CO2 - und sonstige variable Erzeugungskosten f¨ ur den optimalen Kraftwerkseinsatz definiert. Andere Nebenbedingungen beziehen sich nicht auf den Betrieb des einzelnen Kraftwerks, sondern bilden Beschr¨ankungen der Transport- und Verteilungsnetze ab und begrenzen dar¨ uber z. B. den Außenhandel zwischen verschiedenen L¨andern.95 Werden auf dieser Basis die modellendogen berechneten Systemgrenzpreise als Sch¨atzer f¨ ur die Elektrizit¨atsgroßhandelspreise verwendet, die sich unter den Bedingungen eines funktionierenden Wettbewerbs einstellen w¨ urden, so wird implizit vom Standard¨ modell der neoklassischen Okonomik, dem Modell der vollst¨andigen Konkurrenz, als Referenzmaßstab ausgegangen. Die Verwendung des Modells der vollst¨andigen Konkur94
95
Ein Minimierungsproblem l¨asst sich durch die Multiplikation mit −1 in ein Maximierungsproblem u uhren. Vgl. zur linearen Optimierung Neumann und Morlock (2002) S. 35. ff. Zur L¨osung des ¨ berf¨ Gleichungssystems kann z. B. das Simplexverfahren benutzt werden. Vgl. dazu Dantzig (1998). Neben der Vielzahl der existierenden linearen Optimierungsmodelle sei hier nur auf Swider (2006), ¨ Sun et al. (2008) sowie die Ubersichten bei Forum f¨ ur Energiemodelle und Energiewirtschaftliche Systemanalysen in Deutschland (2004) und Forum f¨ ur Energiemodelle und Energiewirtschaftliche Systemanalysen in Deutschland (2007) hingewiesen. Eine sehr gute Beschreibung der Methodik linearer Optimierungsmodelle mit einer Erweiterung des Ansatzes auf das gesamte Energiesystem findet sich z. B. bei Remme (2006).
57
3 Methoden zur Marktmachtanalyse renz als hypothetischer Vergleichsmarkt zur Bewertung historischer Elektrizit¨atspreise f¨ uhrt damit direkt zum bereits erw¨ahnten Problem der unsicheren theoretischen Basis. Die idealisierten Annahmen des Modells der vollst¨andigen Konkurrenz definieren einen Zustand, der von realen M¨arkten, wie dem Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt nicht oder nur eingeschr¨ankt erf¨ ullt wird. Ohne auf alle Annahmen im Detail einzugehen, soll anhand der folgenden vier Beispiele gezeigt werden, dass das Modell der vollst¨andigen Konkurrenz nur eingeschr¨ankt als hypothetischer Vergleichsmarkt zur Bewertung der historischen Elektrizit¨atspreise heran gezogen werden kann.96 Atomistische Marktstruktur: Fordert eine Vielzahl von Anbietern und Nachfragern mit verschwindend geringen Marktanteilen. W¨ahrend diese Annahme f¨ ur die Nachfrageseite des Marktes relativ gut erf¨ ullt ist, weist die Angebotsseite in Elektrizit¨atsm¨arkten Tendenzen zur Oligopolbildung auf. Vollst¨ andige Markttransparenz: Allen Marktteilnehmern stehen alle notwendigen Informationen vollst¨andig und kostenlos zur Verf¨ ugung. Wie an allen realen M¨arkten ist diese Annahme auch f¨ ur den Elektrizit¨atsmarkt nicht erf¨ ullbar. Unbegrenzte Mobilit¨ at und Teilbarkeit: Die Produktionsfaktoren und G¨ uter sind vollkommen mobil und beliebig teilbar. Dies impliziert, dass auch Marktein- und -austritte kostenlos m¨oglich sind. Der Eintritt in den Elektrizit¨atsmarkt ist mit erheblichen Investitionskosten verbundenen, die bei einem Marktaustritt auf Grund der geringen Fungibilit¨at der Erzeugungsanlagen nur teilweise erstattet werden. Die Variation der Erzeugungskapazit¨aten ist dar¨ uber hinaus nur in bestimmten Gr¨oßeneinheiten m¨oglich. Unendliche Reaktionsgeschwindigkeit: Die Anpassungsprozesse verlaufen ohne jeglichen Zeitbedarf. Die unendlich schnelle Erh¨ohung der Produktionsmenge am Elektrizit¨atsmarkt ist durch technische Bedingungen, wie z. B. mehrst¨ undige Anfahrzeiten von Kraftwerken nicht m¨oglich. Sollen zudem neue Erzeugungsanlagen gebaut werden, so sind mehrj¨ahrige Planungs- und Bauzeiten die Regel. Der Vergleich der historischen Elektrizit¨atspreise an der EEX mit den hypothetischen Marktergebnissen des Modells der vollst¨andigen Konkurrenz ist daher zur Bewertung der Wettbewerbsintensit¨at nur bedingt geeignet. Abweichungen von den idealisierten Bedingungen des Modells der vollst¨andigen Konkurrenz, wie sie in realen M¨arkten 96
58
Vgl. f¨ ur eine ausf¨ uhrliche Diskussion der u ¨ brigen Annahmen des Modells der vollst¨andigen Konkurrenz z. B. Fritsch et al. (2003) S. 28 sowie Swider et al. (2007a) S. 3 ff.
3.3 Optimierungs- und Simulationsmodelle gegeben sind, sind mit Kosten verbunden, die bei der Verwendung linearer Optimierungsmodelle a priori nicht erfasst werden. In der Folge werden die Elektrizit¨atspreise systematisch untersch¨atzt. Neben dem Problem der unsicheren theoretischen Basis besteht bei dem hier beschriebenen Test der Marktergebnisse auch das Problem der empirischen Ermittlung. Wie bereits bei der Verwendung der verschiedenen Indizes diskutiert, besteht bei Expost-Analysen die grunds¨atzliche Schwierigkeit alle Informationen in die Untersuchung aufzunehmen, die f¨ ur die Bestimmung der historischen Systemzust¨ande notwendig sind, da sie entweder nicht oder nur unter Unsicherheit bekannt sind. So ist es beispielsweise bei Analysen f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atsmarkt unm¨oglich detaillierte Informationen u ugbarkeiten, standortspezifische Transportkos¨ber historische Kraftwerksverf¨ ten, den tats¨achlichen Einsatz der thermischen und hydraulischen Kraftwerke, die Bewirtschaftung der Pumpspeicheranlagen oder die Elektrizit¨ats- und W¨armenachfrage in st¨ undlicher Aufl¨osung zu erhalten.97 Die Benchmarkanalyse der Elektrizit¨atspreise auf der Basis linearer Optimierungsmodelle hat gegen¨ uber der Verwendung von Indizes demnach wesentliche Vorteile, da es prinzipiell m¨oglichen ist, alle wesentlichen Systemzusammenh¨ange, die sich auf die Preisbildung auswirken, modellendogen zu ber¨ ucksichtigen. Da sich die Systemzust¨ande zudem mit den Nachfrageschwankungen st¨andig ¨andern, stellen dynamische Optimierungsmodelle mit hoher zeitlicher Ausl¨osung ein im Vergleich zu den existierenden Indizes wesentlich besseres Instrumentarium dar, um etwaige marktmachtbedingte Preisaufschl¨age im Elektrizit¨atsmarkt ex-post zu identifizieren. Einschr¨ankend muss allerdings gesagt werden, dass f¨ ur die anwendungsorientierte Nutzung von fundamentalen Optimierungsmodellen sowohl das Problem der unsicheren theoretischen Basis als auch das Problem der empirischen Ermittlung evident ist und damit die Ergebnisse nur bedingt belastbar sind. Durch die Beschr¨ankung auf historische Elektrizit¨atspreise blendet die Benchmarkanalyse dar¨ uber hinaus individuelles Unternehmensverhalten aus und l¨asst ex-ante keine Aussagen u ¨ber die Wettbewerbswirkungen ver¨anderter Marktstrukturen oder ver¨anderter institutioneller Rahmenbedingungen auf das Marktmachtpotenzial der EVU zu. Eine Klasse von Modellen, die das individuelle Marktverhalten explizit abbildet, findet sich in den agentenbasierten Simulationsmodellen.
97
Vgl. zu dieser Problematik insbesondere Ellersdorfer et al. (2008a) S. 19 ff.
59
3 Methoden zur Marktmachtanalyse
3.3.2 Agentenbasierte Simulationsmodelle Die Modellierung des Elektrizit¨atsmarktes mit Hilfe agentenbasierter Simulationsans¨atze stellt das individuelle Verhalten der Marktakteure und nicht die Ableitung eines optimalen Systembetriebs in den Mittelpunkt der Untersuchung. Das Verhalten der Agenten, hier der Elektrizit¨atserzeugungsunternehmen, wird dabei beeinflusst von den Handelserfahrungen, aus denen Lerneffekte f¨ ur die weitere Verbesserung der Unternehmensstrategien resultieren. Kommt es auf dieser Basis zur Durchsetzbarkeit verhaltensinduzierter Preisaufschl¨age auf die kurzfristigen Grenzerzeugungskosten, so lassen sich daraus Hinweise f¨ ur Marktmachtpotenziale ableiten. Die Anwendung agentenbasierter Simulationsmodelle f¨ ur die Marktmachtanalyse l¨asst sich somit als ein Test des Marktverhaltens interpretieren. Im Gegensatz zu den Optimierungs- und den im folgenden Abschnitt dargestellten spieltheoretischen Oligopolmodellen, wird bei den agentenbasierten Simulationsmodellen kein mikro¨okonomisch abgeleitetes Marktgleichgewicht berechnet, sondern es wird die Marktentwicklung als Ergebnis der Interaktionen zwischen den Unternehmen und ihrer Umwelt auf der Grundlage eines evolutorischen Prozesses erfasst. Die Marktakteure folgen dabei einfachen, exogen definierten Handlungsregeln, die beispielsweise das Angebotsverhalten f¨ ur Kraftwerkskapazit¨aten an den Elektrizit¨atsgroßhandelsm¨arkten beschreiben. So wird z. B. vor dem Hintergrund sich t¨aglich wiederholender Auktionen an der Elektrizit¨atsb¨orse den Agenten im Modell die F¨ahigkeit gegeben, aus den Marktergebnissen des Vortages zu lernen und so ihr individuelles Verhalten am Folgetag anzupassen. Erfolgreiche Strategien werden wiederholt, w¨ahrend erfolglose Strategien verworfen bzw. ge¨andert werden. Durch die Lerneffekte kommt es zu einer dynamischen Anpassung des Unternehmensverhaltens und in der Folge u. U. zu einer Konvergenz in ein Marktgleichgewicht, bei dem es den EVU nicht mehr m¨oglich ist, ihr Angebotsverhalten weiter zu verbessern.98 Die beschriebene Vorgehensweise bei der Modellierung des Unternehmensverhaltens bildet gleichzeitig das gr¨oßte methodische Problem, das die Anwendung agentenbasierter Simulationsmodelle f¨ ur die Marktmachtanalyse erschwert und die Belastbarkeit entsprechender Aussagen vermindert. Zwar lassen sich in Simulationsmodellen grunds¨atzlich gegebene strukturelle und institutionelle Marktbedingungen erfassen und das Unternehmensverhalten unter der Ber¨ ucksichtigung unvollst¨andiger Information und begrenzter Rationalit¨at abbilden. Da aber die Modellierung der Handlungsregeln auf der Basis einfacher Heuristiken erfolgt, l¨asst sich im einzelnen nicht beurteilen, ob das reale 98
60
Vgl. zur agentenbasierten Modellierung von Elektrizit¨atsm¨arkten insbesondere Price (1997), Bunn und Oliveira (2001), Day und Bunn (2001) und Bunn und Martoccia (2005). Eine Anwendung f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atsmarkt findet sich bei Bower et al. (2001).
3.4 Spieltheoretische Modelle Unternehmensverhalten richtig wiedergegeben wird. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auf der Grundlage der definierten Handlungsregeln keine Konvergenz in ein stabiles Marktgleichgewicht gibt. Einen anderen Typ agentenbasierter Simulationsmodelle stellen die sogenannten System Dynamics Modelle dar. Hierbei wird die Entwicklung des Elektrizit¨atsversorgungssystems nicht auf der Basis heuristischer Annahmen u ¨ber das Unternehmensverhalten abgebildet, sondern mit Hilfe von Differenzialgleichungen beschrieben. In einer Anwendung f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atsmarkt, in der in erster Linie die l¨angerfristige Entwicklung analysiert wird, werden vor dem Hintergrund der gegebenen Marktstruktur die Preisbeeinflussungspotenziale der EVU in der M¨oglichkeit erfasst, einen Teil der Erzeugungsfixkosten in die Gebote f¨ ur ihre Kraftwerkskapazit¨aten einzubeziehen.99 Die mit der Anwendung agentenbasierter Simulationsmodelle verbundenen methodischen und empirischen Herausforderungen spiegeln sich neben der beschriebenen Problematik das Unternehmensverhalten ad¨aquat abzubilden auch im Probleme der empirischen Ermittlung wider. Der Test des Marktverhaltens l¨asst sich zwar grunds¨atzlich in einem konsistenten Modellansatz, d. h. bei sonst gleichen o¨konomischen, strukturellen und technischen Rahmenbedingungen auf der Basis eines Vergleichs der Modellergebnisse bei ver¨anderten Annahmen f¨ ur das Unternehmensverhalten durchf¨ uhren. Da allerdings keine mikro¨okonomisch fundierten Marktgleichgewichte abgeleitet werden, besteht weiterhin die Problematik das Unternehmensverhalten in der gew¨ahlten Form zu begr¨ unden. Werden dar¨ uber hinaus die modellendogen berechneten mit den historischen Marktergebnissen verglichen, wird also neben dem Test des Marktverhaltens auch ein Test der Marktergebnisse durchgef¨ uhrt, so liegt, wie bei der Anwendung linearer Optimierungsmodelle, auch hier die Schwierigkeit darin, alle die Elektrizit¨atspreise bestimmenden Fundamentalfaktoren im Modell zu erfassen. Gerade die heuristische Modellierung der Anpassungsprozesse zur Beschreibung des Unternehmensverhaltens, ohne explizite Marktgleichgewichte analytisch abzuleiten, wird bei der Nutzung spieltheoretischer Modellans¨atze vermieden. Auf die Verwendung spieltheoretischer Modelle zur Marktmachtanalyse wird im Folgenden n¨aher eingegangen.
3.4 Spieltheoretische Modelle F¨ ur die modellbasierte Analyse von Wettbewerb und Marktmacht in oligopolistisch strukturierten Elektrizit¨atsm¨arkten werden seit einigen Jahren unterschiedliche Typen spieltheoretischer Modellkonzepte genutzt. Die Spieltheorie stellt ein Analyseinstrumen99
Vgl. Grobbel (1999), insbesondere S. 110 ff.
61
3 Methoden zur Marktmachtanalyse tarium zur Verf¨ ugung, mit dem die Auswirkungen strategischen Verhaltens von Unternehmen auf die Marktergebnisse untersucht werden k¨onnen. Spieltheoretische Modellans¨atze werden dabei insbesondere im Rahmen von Ex¨ ante-Analysen angewendet, um zu untersuchen wie sich Anderungen der strukturellen und institutionellen Marktbedingungen, wie z. B. die Anzahl, Gr¨oße und Marktanteile der Unternehmen, die Erweiterung der institutionellen Handelsm¨oglichkeiten durch die Schaffung neuer Handelsprodukte und die Verst¨arkung des internationalen Handels durch die Integration nationaler M¨arkte auf das Unternehmensverhalten auswirken. Der Vergleich der sich einstellenden Marktergebnisse l¨asst sowohl Schlussfolgerungen u ¨ber die Effektivit¨at wettbewerbspolitischer Maßnahmen als auch die Quantifizierung der vorhandenen Marktmachtpotenziale zu. F¨ ur die Quantifizierung der Marktbeeinflussungsm¨oglichkeiten der Unternehmen werden meistens die Modellergebnisse bei der Annahme einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht mit den Modellergebnissen bei der Annahme wettbewerblichen Unternehmensverhaltens bei sonst gleichen Rahmenbedingungen miteinander verglichen. Im Gegensatz zu den agentenbasierten Simulationsmodellen werden die Marktgleichgewichte u ¨blicherweise aus dem unternehmensindividuellen Optimierungskalk¨ ul explizit abgeleitet, was ihre ¨okonomische Interpretation erleichtert. Bevor die verschiedenen existierenden spieltheoretischen Modellans¨atze beschrieben werden, wird in Kapitel 3.4.1 das Grundkonzept der Spieltheorie dargestellt. In Kapitel 3.4.2 folgt eine Diskussion der am h¨aufigsten f¨ ur die Marktmachtanalyse in Elektrizit¨atsm¨arkten verwendeten Oligopolmodelle vom Cournot-Nash-Typ, w¨ahrend in Kapitel 3.4.3 die ebenfalls f¨ ur Elektrizit¨atsmarktanalysen genutzten Supply-FunctionsModelle dargestellt werden. Kapitel 3.4.4 schließt die Diskussion der spieltheoretischen Modellans¨atze mit einer Beschreibung der Auktionsmarktmodelle ab.
3.4.1 Grundkonzept Die Spieltheorie untersucht strategische Entscheidungssituationen, bei denen die Ergebnisse von den Handlungen bzw. Strategien mehrerer Akteure abh¨angen und zwischen diesen Strategien Interdependenzen bestehen. F¨ ur die Akteure bzw. Spieler wird angenommen, dass sie rational handeln und sich der bestehenden Interdependenzen ihrer Handlungen bewusst sind. Die Strategien k¨onnen dabei sowohl von kooperativem als auch nicht-kooperativem Verhalten gepr¨agt sein. Im Mittelpunkt der Spieltheorie steht insofern die L¨osung von Koordinationsproblemen bzw. Interessenkonflikten in ¨okonomischen und sozialen Systemen.100 100
62
Vgl. zur Spieltheorie unter vielen anderen, die B¨ ucher von Berninghaus et al. (2002), Holler und Illing (2003) und Fudenberg und Tirole (2000).
3.4 Spieltheoretische Modelle Strategische Entscheidungssituationen bzw. Spiele lassen sich durch verschiedene Eigenschaften charakterisieren. Zum einen sind an einem Spiel mehrere, i. d. R. eine endliche Anzahl von Akteuren beteiligt, die aus einer Menge von individuellen Strategien einzelne ausw¨ahlen k¨onnen. Jede gew¨ahlte Strategiekombination ist dabei mit dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses verbunden, das wiederum den individuellen Nutzen bzw. die dem Spieler zukommende Auszahlung bestimmt. Zum anderen beeinflussen die Informationen, die den Akteuren im Rahmen des Spiels zur Verf¨ ugung stehen die realisierbaren Strategien und das damit verbundene Ergebnis. Die verf¨ ugbaren Informationen u ¨ber den Zustand der Umwelt und die jeweiligen Strategien der Mitspieler k¨onnen dabei i. A. unvollst¨andig oder asymmetrisch verteilt sein. Liegen unvollst¨andige Informationen z. B. u ¨ber die Strategien der Mitspieler vor, kann dennoch davon ausgegangen werden, dass jeder Spieler rationale Erwartungen u ¨ber das Verhalten seiner Konkurrenten hat und dabei gleichzeitig unterstellt, dass auch seine Mitspieler solche Erwartungen u ¨ber seine eigenen Strategien haben. Informationen u ¨ber die Spielregeln, die z. B. die Abfolge der jeweiligen Spielz¨ uge festlegen, werden mithin als allgemein bekannt angenommen. Sind den Spielern dar¨ uber hinaus die m¨oglichen Strategien aller Spieler bekannt, liegt eine Entscheidungssituation unter vollst¨andiger Information vor. Formal l¨asst sich ein nicht-kooperatives Spiel mit vollst¨andiger Information wie folgt beschreiben: Γ = (I; S1 , . . . , Sn ; U1 , . . . , Un )
(3.10)
wobei I = {1, 2, . . . , n} die Menge der Spieler i, Si = {s1 , s2 , . . . , sn } die Menge der m¨oglichen individuellen Strategien si und Ui : S → R die Nutzen- bzw. Auszahlungsfunktion Ui (s) eines Spielers i in Abh¨angigkeit der gew¨ahlten Strategiekombination s ist. Die Strategiekombination s = (s1 , s2 , . . . , sn ) der gew¨ahlten individuellen Strategien si bestimmt somit den individuellen Nutzen bzw. die Auszahlung des Spielers i. F¨ ur die Menge aller m¨oglichen Strategiekombinationen, den sogenannten Strategieraum S mit s ∈ S gilt: S = S1 × S2 × . . . × Sn . Bevor Nash (1950) ein allgemeines L¨osungskonzept f¨ ur strategische Entscheidungssituationen formalisiert hat, wurde bereits im 19. Jahrhundert von Cournot (1838) eine Spielsituation untersucht, bei der sich zwei Akteure in unvollst¨andigem Wettbewerb befinden und deren L¨osung ein Spezialfall des sogenannten Nash-Gleichgewichts darstellt.101 Ein Nash-Gleichgewicht ist eine Strategiekombination s∗ = (s∗1 , s∗2 , . . . , s∗n ), bei 101
Neben dem Cournot-Modell existieren noch weitere Modelle, die bereits im 19. Jahrhundert zur Analyse strategischer Entscheidungssituationen entwickelt wurden. Zu nennen ist z. B. das Modell von Bertrand (1883) aber auch von Stackelberg (1934).
63
3 Methoden zur Marktmachtanalyse der jeder Spieler i ∈ I eine optimale Strategie s∗i ∈ Si , bei gegebenen optimalen Strategien s∗j ∈ Si aller anderen Spieler j = i ∈ I w¨ahlt und f¨ ur die gilt: Ui (s∗i , s∗j ) ≥ Ui (si , s∗j )
∀ i ∈ I, si ∈ Si
(3.11)
Im Nash-Gleichgewicht besteht f¨ ur keinen Akteur ein Anreiz von der gew¨ahlten Gleichgewichtsstrategie abzuweichen. Durch die Wahl einer anderen Strategie l¨asst sich das Ergebnis, d. h. der Nutzen bzw. die Auszahlung f¨ ur den Spieler nicht erh¨ohen. Da sich alle Spieler annahmegem¨aß rational verhalten und jeder Spieler vom rationalen Verhalten der anderen Spieler ausgeht, erf¨ ullen sich im Gleichgewicht die getroffenen Erwartungen bez¨ uglich des Verhaltens der Mitspieler und es liegt eine gleichgewichtige optimale Strategiekombination vor. Die Erwartungsbildung u ¨ber das Verhalten der Mitspieler f¨ uhrt bei jedem Akteur zur Ableitung jeweils optimaler Reaktionen auf alle m¨oglichen Strategiewahlen der Konkurrenten. Die optimalen Reaktionen lassen sich auch als sogenannte Reaktionsfunktionen Ri : R → R, Ri (sj ) und Rj (si ) darstellen. Im Gleichgewicht stimmen die Erwartungen der Spieler u ¨berein und es gilt dann s∗i = Ri (s∗j ) ∗ ∗ ∗ ∗ und sj = Rj (si ) bzw. s ∈ R(s ) als L¨osung der Entscheidungssituation. Auf der Basis der formalen Beschreibung von Spielen lassen sich so strategische Entscheidungssituationen analysieren, um beispielsweise die Auswirkungen ver¨anderten Verhaltens oder ver¨anderter Rahmenbedingungen auf das zu erwartende Marktergebnis zu untersuchen. In den letzten Jahren hat sich die Spieltheorie zu einem zentralen Analyseinstrumentarium der Industrie¨okonomik entwickelt, wobei die Untersuchung unvollst¨andigen Wettbewerbs in Oligopolm¨arkten einen wesentlichen Teil der Anwendung motiviert. Die Anwendung der Spieltheorie zur Analyse der M¨oglichkeiten zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht in verschiedenen europ¨aischen und regionalen amerikanischen Elektrizit¨atsm¨arkten hat zu vielf¨altigen Modellentwicklungen gef¨ uhrt. Die am h¨aufigsten verwendeten spieltheoretischen Modellans¨atze zur Marktmachtanalyse in Elektrizit¨atsm¨arkten finden ich dabei in den Cournot-Nash-Modellen, den SupplyFunctions-Modellen und den Auktionsmarktmodellen, die sich insbesondere hinsichtlich der Beschreibung des Angebotsverhaltens der EVU unterscheiden. Im Folgenden wird auf die verschiedenen spieltheoretischen Modellans¨atze eingegangen.
3.4.2 Cournot-Nash-Modelle Der am h¨aufigsten im Rahmen der Marktmachtanalyse in Elektrizit¨atsm¨arkten verwendete spieltheoretische Ansatz zum Test des Marktverhaltens findet sich in den CournotNash-Modellen. Dieser Modelltyp bildet das Unternehmensverhalten in Oligopolm¨arkten
64
3.4 Spieltheoretische Modelle auf der Basis eines Mengenwettbewerbs ab, bei dem die Akteure, z. B. die Elektrizit¨atserzeugungsunternehmen ihre Produktions- bzw. Angebotsmenge als Strategievariable w¨ahlen und diejenige Menge im Markt anbieten, die ihren Gewinn maximiert. Insofern kann die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht als physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung der Unternehmen interpretiert werden.102 Da am Elektrizit¨atsmarkt ein homogenes Gut gehandelt wird, zumindest an den B¨orsen ein zentralisierter Preisfindungsmechanismus genutzt wird und auf der Angebotsseite u. U. signifikante Kapazit¨atsbeschr¨ankungen bestehen, kann davon ausgegangen werden, dass EVU an Großhandelsm¨arken Mengenstrategien verfolgen.103 Vor dem Hintergrund der angebotsseitigen Strukturen in vielen Elektrizit¨atsgroßhandelsm¨arkten stellt die Modellierung von Mengenwettbewerb daher eine bessere Ann¨aherung des Unternehmensverhaltens dar als eine Abbildung von Preiswettbewerb. Auf Grund des notwendigen Aufbaus von Erzeugungskapazit¨aten kann das Marktverhalten der Unternehmen auch als ein zweistufiger Prozess interpretiert werden, der durch die Kraftwerksinvestitionen zun¨achst mit einer Mengenstrategie und anschließend beim Angebot der Kraftwerksleistung zu bestimmten Gebotspreisen mit einer Preisstrategie verbunden ist. Wie Kreps und Scheinkman (1983) gezeigt haben, f¨ uhrt ein solcher zweistufiger Prozess im Ergebnis zur Cournot-L¨osung. Zudem ist insbesondere die Annahme von Preiswettbewerb im Bertrand-Modell, in Bezug auf nicht vorhandene Kapazit¨atsbeschr¨ankungen in der Elektrizit¨atserzeugung nicht zutreffend.104 Dar¨ uber hinaus hat Tirole (1999) gezeigt, dass ein Preiswettbewerb mit Kapazit¨atsbeschr¨ankungen ebenfalls tendenziell zur Cournot-L¨osung f¨ uhrt.105 Modellgest¨ utzte Marktmachtanalysen, die das strategische Verhalten der EVU mit Hilfe von Cournot-Mengenwettbewerb abbilden, finden sich z. B. f¨ ur die skandinavischen Elektrizit¨atsm¨arkte bei Andersson und Bergman (1995) sowie Andersson (1997). Borenstein et al. (1999) sowie Borenstein und Bushnell (1999) wenden vergleichbare Modelle f¨ ur einzelne regionale Elektrizit¨atsm¨arkte in den USA an. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht dabei einerseits die Analyse unterschiedlicher Anbieterstrukturen vor dem Hintergrund der Desinvestitionen von Kraftwerkskapazit¨at durch dominante EVU 102
103 104 105
Vgl. zum Cournot-Modell z. B. die Beschreibung bei Shapiro (1989) oder Tirole (1999) S. 475 ff. Gegen¨ uber des Mengenwettbewerbs im Cournot-Modell wird im Bertrand-Modell ein Preiswettbewerb zwischen den Unternehmen angenommen. Vgl. zum Bertrand-Modell ebenfalls z. B. Shapiro (1989) oder Tirole (1999) S. 455 ff. Vgl. dazu Shapiro (1989). Vgl. Borenstein und Bushnell (1999) S. 289. Vgl. Tirole (1999) S. 459 f. und S. 498 ff. Zur grunds¨atzlichen Anwendbarkeit von Cournot-Modellen f¨ ur die Marktmachtanalyse in Elektrizit¨atsm¨arkten, vgl. auch Bushnell et al. (2004). Vgl. auch die ¨ Einf¨ uhrung in die modellgest¨ utzte Marktmachtanalyse bei Smeers (1997). Einen Uberblick geben z. B. Bushnell et al. (1999a) sowie Kahn (1998) S. 37 f.
65
3 Methoden zur Marktmachtanalyse mit dem Ziel die Anzahl der Anbieter im Markt zu erh¨ohen und andererseits die Quantifizierung zeitlich variierender Marktmachtpotenziale in unterschiedlichen Nachfragesituationen. Eine Cournot-Analyse, die auf die Wettbewerbswirkungen strategisch motivierter physischer Kapazit¨atszur¨ uckhaltung durch verst¨arkte instandhaltungsbedingte Nicht-Verf¨ ugbarkeit von Kraftwerkskapazit¨aten im Rahmen der Kraftwerkseinsatzplanung fokussiert, findet sich bei Chattopadhyay (2004).
Ber¨ ucksichtigung von Transportrestriktionen Da die europ¨aischen und viele der regionalisierten amerikanischen Elektrizit¨atsm¨arkte u ¨ber die bestehenden Transportnetzverbindungen zumindest teilweise integriert sind, werden auch in den Oligopolmodellen die M¨oglichkeiten des Elektrizit¨atsaußenhandels modelliert. Die Abbildung des interregionalen Elektrizit¨atshandels sowie seine Beschr¨ankungen auf Grund der bestehenden Transportrestriktionen basiert dabei meistens auf einer einfachen Definition maximaler Austauschkapazit¨aten ohne die aus den bilateralen Handelsstr¨omen resultierenden Lastfl¨ usse in vermaschten Netzwerken explizit zu erfassen.106 Da die Ber¨ ucksichtigung der physikalischen Lastfl¨ usse mit zus¨atzlichen Nebenbedingungen verbunden ist, was die L¨osbarkeit der nicht-linearen Modelle weiter erschwert, wird auf eine technisch detailliertere Abbildung des Elektrizit¨atsaußenhandels in den meisten F¨allen verzichtet. Vereinfachend werden dann bei der Modellierung sowohl die Netzkapazit¨aten innerhalb eines lokalen bzw. regionalen Marktes als auch ¨ die Ubertragungskapazit¨ aten zwischen verschiedenen regionalen M¨arkten als maximale bilaterale Handelsstr¨ome erfasst. Durch die Abbildung der gegebenen Transportnetzrestriktionen lassen sich somit Aussagen u ¨ber die m¨oglichen Potenziale zur Herausbildung lokaler oder regionaler Marktmacht machen. So integrieren beispielsweise Amundsen et al. (1998) einen Teil des skandinavischen ¨ Ubertragungsnetzes in das Modell von Andersson und Bergman (1995), ohne die tats¨achlichen Lastfl¨ usse explizit abzubilden. Hobbs et al. (2005) wenden ein entsprechendes Oligopolmodell auf die kontinentaleurop¨aischen Elektrizit¨atsm¨arkte an.107 Ein Vergleich unterschiedlicher Modelle, die die M¨oglichkeiten zu interregionalem Elektrizit¨atshandel explizit erfassen findet sich bei Neuhoff et al. (2005).108 Schmalensee und Golub (1984), Hogan (1997), Cardell et al. (1997) sowie Borenstein et al. (2000a) untersuchen den Einfluss von Engp¨assen im nordamerikanischen Transportnetzsystem auf die Durchsetz106
107 108
66
Ein Vergleich der Cournot-Modelle mit expliziter Ber¨ ucksichtigung der interregionalen Lastfl¨ usse auf der Basis sogenannter Power Transfer Distribution Factors (PTDF) mit einem vereinfachten Ansatz findet sich bei Hobbs und Rijkers (2004) und Hobbs et al. (2004). Vgl. dazu auch Jing-Yuan und Smeers (1999). Vgl. auch die hier angegebene Literatur.
3.4 Spieltheoretische Modelle barkeit strategischen Verhaltens mit Hilfe eines mehrregionalen Modells. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es einzelnen Unternehmen m¨oglich ist, durch entsprechendes Marktverhalten Engp¨asse in verschiedenen Transportleitungen eines Netzes zu erzeugen, um so die Wettbewerbsintensit¨at durch Elektrizit¨atsimporte im eigenen Versorgungsgebiet zu verringern. Day et al. (2002) verwenden ein Modell mit unterschiedlichen Annahmen u ¨ber die Reaktionsfunktionen der Unternehmen, um strategisches Verhalten im Elektrizit¨atsmarkt von England und Wales zu analysieren.109 In den Modelluntersuchungen von Hobbs (2001) sowie Metzler et al. (2003) werden die physikalischen Lastfl¨ usse im vermaschten Transportnetz, die aus den bilateralen Außenhandelsstr¨omen resultieren, ex¨ plizit abgebildet. Ahnliche Untersuchungen in Netzwerken mit zwei bzw. drei Knoten finden sich bei Stoft (1999b) sowie Stoft (1999a). Die mit unterschiedlicher Ausgestaltung der Eigentumsrechte an den vorhande¨ nen Ubertragungskapazit¨ aten verbundenen Wettbewerbswirkungen in Elektrizit¨atsnetzen werden bei Bushnell (1999), Joskow und Tirole (2000) sowie Oren (1997) untersucht. Die Durchsetzbarkeit strategischen Verhaltens ist danach sowohl bei der Implementie¨ rung physischer als auch finanzieller Ubertragungsrechte m¨oglich, wenn EVU u ¨ber eine dominante Marktstellung auf Erzeugungs- oder Transportebene verf¨ ugen.
Ber¨ ucksichtigung von Terminm¨ arkten Neben der Modellierung der regionalen und interregionalen Transportm¨oglichkeiten werden f¨ ur die Analyse strategischen Verhaltens in Elektrizit¨atsm¨arkten viele Oligopolmodelle um den Handel mit Terminkontrakten erweitert. Wie Allaz (1987) sowie Allaz und Vila (1993) gezeigt haben, h¨angt die gewinnmaximierende Produktions- bzw. Angebotsmenge in einem Spotmarkt, f¨ ur den Cournot-Mengenwettbewerb angenommen wird, vom Angebotsverhalten dieses Unternehmens am Terminmarkt ab.110 Terminm¨arkte haben danach einen wettbewerbsverst¨arkenden Einfluss und f¨ uhren zu einer Verbesserung der Marktergebnisse mit sinkenden Preisen und steigenden Angebotsmengen.111 109
110 111
Die Autoren entwickeln ein Modell mit variierbaren konjekturalen Variationen, das eine allgemeinere Version des Cournot-Ansatzes darstellt. Vgl. dazu auch z. B. Song et al. (2003). Vgl. auch Allaz (1992). ¨ Vgl. zum Zusammenhang von Spot- und Forwardm¨arkten auch die Ubersicht bei Anderson (1990) und Williams (1986) sowie die Untersuchung von Gans et al. (1998). Eine empirische Analyse f¨ ur einen regionalen Elektrizit¨atsmarkt in Australien findet sich bei Wolak (2000). Die Auswirkungen von Forwardhandel auf den Markteintritt von Konkurrenzunternehmen werden von Aghion und Bolton (1987) analysiert. Die mathematische Ableitung des Zusammenhangs von Spot- und Forwardm¨arkten wird in Kapitel 4.5 dargestellt.
67
3 Methoden zur Marktmachtanalyse Der Handel mit Terminkontrakten stellt f¨ ur die EVU neben den M¨oglichkeiten des Risikohedgings auch ein strategisches Instrument zur Sicherung zuk¨ unftiger Absatzmenge dar.112 Da sich durch den Verkauf von Forward- bzw. Futureskontrakten aus Sicht eines Unternehmens der individuelle Gewinn steigern l¨asst, besteht ein Anreiz die eigene Absatzmenge u ¨ber Terminkontrakte zu erh¨ohen. Die Unternehmen sehen sich insofern einem Gefangenendilemma gegen¨ uber, das im Gleichgewicht zu einer Einschr¨ankung ihrer Marktmachtpotenziale f¨ uhrt.113 Dieser Zusammenhang wird von Powell (1993) in einem Modell f¨ ur den duopolistischen britischen Elektrizit¨atsmarkt analysiert, w¨ahrend Scott und Read (1996) sowie Batstone und Tristram (1998) den Handel an Spot- und Forwardm¨arkten im neuseel¨andischen Elektrizit¨atsmarkt untersuchen. Sie zeigen in einem Cournot-Modell, dass sich steigende Forwardmengen negativ auf die Absatzsituation der Konkurrenzunternehmen auswirken und zu steigenden Gesamtangebotsmengen im Spotmarkt und damit zu sinkenden Elektrizit¨atspreisen f¨ uhren, indem sie die Forwardmenge der Unternehmen mit Marktmacht in ihrem Modell exogen variieren. In einem ¨ahnlichen intertemporalen Modell weist Batstone (2004) nach, dass die strategisch motivierte Verst¨arkung der Preisvolatilit¨at im Spotmarkt durch dominante EVU zu einer Verbesserung der Gewinnsituation durch steigende Forwardpreise f¨ uhrt. Die Problematik das Unternehmensverhalten in Cournot-Modellen als Mengenwettbewerb auf der Grundlage eines statischen Marktgleichgewichts ad¨aquat zu erfassen, hat zur Entwicklung von Oligopolmodellen gef¨ uhrt, die den Wettbewerb der Unternehmen in Angebotskurven modellieren. Auf entsprechende Supply-Functions-Modelle wird im Folgenden eingegangen.
3.4.3 Supply-Functions-Modelle Ein anderer weniger h¨aufig verwendeter Ansatz zur Abbildung von Wettbewerb in oligopolistischen M¨arkten findet sich in den sogenannten Supply-Functions-Modellen. Wie Klemperer und Meyer (1989) gezeigt haben, kann f¨ ur M¨arkte, die z. B. durch eine unsichere Nachfrage gekennzeichnet sind, davon ausgegangen werden, dass Unternehmen keine reinen Mengen- oder Preisstrategien w¨ahlen, wie sie im Cournot bzw. BertrandModell unterstellt werden, sondern zur Gewinnmaximierung stetige Angebotskurven (Supply-Functions) festlegen. Da die Residualnachfrage f¨ ur jedes Unternehmen in Ab112 113
68
Vgl. zu den unterschiedlichen Motiven Terminkontrakte zu handeln Kapitel 4.5.5. Vgl. auch Borenstein et al. (1996). Eine Beschreibung des Gefangendilemmas findet sich z. B. in Tirole (1999). In einer experimentellen Untersuchung best¨atigen Le Coq und Orzen (2002) den von Allaz und Vila (1993) abgeleiteten Zusammenhang, dass die M¨oglichkeit zum Forwardhandel die Wettbewerbsintensit¨at in Spotm¨arkten erh¨oht.
3.4 Spieltheoretische Modelle h¨angigkeit der Angebotsstrategien der Konkurrenten eine unsichere Gr¨oße darstellt, werden sie eine gewinnmaximierende Preis-Mengen-Kombination f¨ ur jede denkbare, d. h. von ihnen erwartete Residualnachfrage w¨ahlen, anstatt einseitig ein Mengen- oder Preisangebot zu fixieren. Anwendungen des Modells von Klemperer und Meyer (1989) finden sich z. B. f¨ ur den britischen Elektrizit¨atsmarkt bei Green und Newbery (1992), Green (1996) sowie Green (1999).114 Im Rahmen dieser Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die beiden gr¨oßten britischen Elektrizit¨atserzeugungsunternehmen im Großhandelsmarkt von England und Wales zu Beginn der Liberalisierung in der Lage waren durch strategisches Verhalten die Elektrizit¨atspreise zu beeinflussen und sich das beobachtbare Unternehmensverhalten auf der Basis von Angebotskurven beschreiben l¨asst. Newbery (1998) sowie Anderson und Xu (2002) erweitern die Supply-FunctionsModelle um den von Allaz und Vila (1993) beschrieben Zusammenhang. Auch hier wird gezeigt, dass die Nutzung von Forwardkontrakten die Wettbewerbsintensit¨at im Spotmarkt erh¨oht. Die explizite Ber¨ ucksichtigung der Transportnetzrestriktionen findet sich in den Supply-Functions-Ans¨atzen von Berry et al. (1999) sowie Hobbs et al. (2003). Die Beschreibung des Angebotsverhaltens von EVU in Elektrizit¨atsm¨arkten mit unsicherer bzw. zeitlich stark schwankender Nachfrage, wie sie in Supply-Functions-Modellen vorgenommen wird, spiegelt gut die Funktionsweise von Großhandelsm¨arkten wider. An den meisten Elektrizit¨atsb¨orsen bieten die Unternehmen ihre Kraftwerkskapazit¨aten z. B. im Day-ahead-Markt in Form von Preis-Mengen-Kombinationen an, durch die sie ihre Angebotsmenge bei dem sich jeweils einstellenden Marktpreis festlegen. Da die Berechnung eindeutiger Nash-Gleichgewichte in den Supply-Functions-Modellen mit restriktiven Annahmen, wie linearen Nachfrage- und Grenzerzeugungskostenfunktionen verbunden ist, lassen sich die spezifischen strukturellen und technischen Bedingungen in Elektrizit¨atsm¨arkten nur eingeschr¨ankt ber¨ ucksichtigen. Dar¨ uber hinaus kann sich in den Supply-Functions-Modellen u. U. eine Vielzahl m¨oglicher Marktgleichgewichte einstellen, die ihrerseits nach oben durch das Cournot-Nash- und nach unten durch das Wettbewerbs- bzw. Bertrand-Nash-Gleichgewicht begrenzt werden. Die Ergebnisse der Cournot-Nash-Modelle stellen vor diesem Hintergrund das maximale Marktbeeinflussungspotenzial der Unternehmen bei unvollst¨andigem Wettbewerb dar. Die Abbildung des Unternehmensverhaltens in Angebotskurven hat die Entwicklung von Auktionsmarktmodellen motiviert, die das Angebotsverhalten an b¨orsenbasierten Elektrizit¨atsgroßhandelsm¨arkten ebenfalls auf der Basis von Preis-Mengen-Kombinationen erfassen. Auf die Anwendung dieses Modellansatzes, dessen L¨osbarkeit mit einer 114
Vgl. zu den Supply-Functions-Modellen auch Bolle (1992), Bolle (2001) sowie Anderson und Philpott (2002).
69
3 Methoden zur Marktmachtanalyse ¨ahnlichen Problematik in Bezug auf die Bestimmung eindeutiger Gleichgewichte verbunden ist wie die der Supply-Functions-Ans¨atze, wird im Folgenden eingegangen.
3.4.4 Auktionsmarktmodelle Ausgehend von der Funktionsweise b¨orsenbasierter Elektrizit¨atsgroßhandelsm¨arkte, die im Allgemeinen als Auktion nach dem Einheitspreisverfahren ausgestaltet sind und an denen EVU Gebote f¨ ur einzelne Kraftwerkskapazit¨aten abgeben, entwickeln von der Fehr und Harbord (1993) auf der Basis der Auktionstheorie ein Modell zur Analyse des strategischen Verhaltens im Elektrizit¨atsmarkt von England und Wales. Im Gegensatz zu dem Supply-Functions-Ansatz von Green und Newbery (1992) modellieren von der Fehr und Harbord (1993) das Angebotsverhalten nicht in der Form kontinuierlich differenzierbarer Angebotsfunktionen, sondern als diskrete stufenf¨ormige Angebotskurven. Auch hier wird die Elektrizit¨atsnachfrage als eine f¨ ur das EVU unsichere Gr¨oße angenommen.115 In Abh¨angigkeit der realisierten Elektrizit¨atsnachfrage werden im Rahmen des Auktionsmarktmodells bei asymmetrischer Kostenstruktur der Unternehmen, ¨ahnlich wie bei den Supply-Functions-Ans¨atzen, u. U. mehrere Nash-Gleichgewichte abgeleitet, die keine eindeutige Quantifizierung der vorhandenen Marktbeeinflussungspotenziale zulassen. W¨ahrend beispielsweise in Stunden mit niedriger Nachfrage die Systemgrenzpreise vom EVU mit den h¨oheren Grenzerzeugungskosten bestimmt werden k¨onnen, lassen sich f¨ ur Stunden mit hoher Nachfrage, d. h. einer Nachfrage, die nicht von nur einem EVU bedient werden kann, keine eindeutigen Gleichgewichte in reinen Strategien bestimmen. Mit Hilfe ihres Modells haben von der Fehr und Harbord (1993) die Auswirkungen unterschiedlicher Angebotsstrukturen im britischen Elektrizit¨atsmarkt analysiert. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass der Anreiz f¨ ur strategisches Verhalten mit steigender Anzahl der Unternehmen im Markt, z. B. infolge einer Teilung der dominanten EVU in mehrere kleine Einheiten abnimmt, da sich die Wahrscheinlichkeit mit einem hohen Gebot auch gleichzeitig den Systemgrenzpreis zu bestimmen verringert. Dar¨ uber hinaus besteht f¨ ur ein EVU mit reduzierter Kraftwerksleistung und damit geringerem Marktanteil auch nur ein verringerter Anreiz die Erl¨ose f¨ ur sein gesamtes Kraftwerksportfolio zu verbessern, indem es ein hohes marginales Angebots abgibt. Auch bei den Auktionsmarktmodellen finden sich Erweiterungen zur Ber¨ ucksichtigung von Terminm¨arkten. So erweitern von der Fehr und Harbord (1993) das Auktionsmarktmodell f¨ ur die Analyse strategischen Verhaltens der Unternehmen im Elektrizit¨atsmarkt von England und Wales entsprechend. Brunekreeft (2001) modelliert das 115
70
Die Auspr¨agung der kurzfristigen Elektrizit¨atsnachfrage folgt hier einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung und ist preisunelastisch.
3.4 Spieltheoretische Modelle Unternehmensverhalten f¨ ur die Gebotserstellung mehrerer Kraftwerke in einem ¨ahnlichen Auktionsmarktmodell als mehrfache, sequentielle Auktionen. Die bei der Diskussion der Supply-Functions-Modelle genannten Einschr¨ankungen gelten auch f¨ ur die Anwendung der Auktionsmarktmodelle. So erschwert insbesondere die Schwierigkeit f¨ ur unterschiedliche strukturelle und institutionelle Marktbedingungen jeweils eindeutige Gleichgewichte zu berechnen die Quantifizierung der vorhandenen Marktmachtpotenziale. Neben den spezifischen L¨osungsproblemen der SupplyFunctions- und Auktionsmarktmodelle besteht ein grunds¨atzliches methodisches Problem spieltheoretischer Modellans¨atze in der detaillierten Abbildung technischer Restriktionen in Elektrizit¨atsm¨arkten. Da die i. A. nicht-linearen Modelle im Rahmen der Marktmachtanalyse in erster Linie f¨ ur die Untersuchung des Marktverhaltens bei ver¨anderten strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen entwickelt werden, lassen sich technische Restriktionen z. B. des optimalen Kraftwerkseinsatzes, wie sie im Zusammenhang mit der Nutzung linearer Optimierungsmodelle diskutiert wurden, nur sehr eingeschr¨ankt erfassen. Trotz dieser Einschr¨ankungen sind spieltheoretische Modelle gut geeignet sowohl die vorhandenen Marktmachtpotenziale in Elektrizit¨atsm¨arkten zu quantifizieren als auch die Effektivit¨at unterschiedlicher wettbewerbspolitischer Maßnahmen zur Verbesserung der Marktergebnisse zu untersuchen. F¨ ur die Quantifizierung der im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt vorhandenen Marktmachtpotenziale der vier großen EVU wird im Folgenden ein mehrregionales zweistufiges Oligopolmodell vom Cournot-Nash-Typ entwickelt und angewendet.
71
4 Modell fu ¨ r den Großhandelsmarkt F¨ ur die vorliegende Analyse und Quantifizierung der Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt wird ein mehrregionales zweistufiges Oligopolmodell vom Cournot-Nash-Typ entwickelt und f¨ ur einen Test des Marktverhaltens angewendet. Mit der institutionellen Entwicklung der Großhandelsm¨arkte sowie der Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes haben sich die Anforderungen an die modellgest¨ utzte Marktmachtanalyse erh¨oht. Das hier entwickelte Oligopolmodell erm¨oglicht sowohl die Analyse der Zusammenh¨ange zwischen Spot- und Terminmarkt als auch des Einflusses des interregionalen Elektrizit¨atshandels auf die Marktmachtpotenziale großer Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen in Deutschland. Das f¨ ur die Marktmachtanalyse entwickelte mehrregionale zweistufige Oligopolmodell wird zun¨achst in Kapitel 4.1 in seiner Grundstruktur dargestellt. In Kapitel 4.2 werden dann die Nachfrage- und in Kapitel 4.3 die Angebotsstrukturen detailliert beschrieben, bevor in Kapitel 4.4 auf die Abbildung des interregionalen Elektrizit¨atshandels eingegangen wird. Die Bedingungen f¨ ur die unternehmensindividuelle Gewinnmaximierung und die entsprechenden Marktgleichgewichte werden in Kapitel 4.5 abgeleitet.
4.1 Modellu ¨ berblick Das genutzte mehrregionale zweistufige Elektrizit¨atsmarktmodell bildet den deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt als ein Vier-Spieler-Oligopol mit Wettbewerbsrand ab, in dem die Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen simultan ihren Gewinn im Rahmen eines zweistufigen Marktprozesses unter Ber¨ ucksichtigung gegebener Kapazit¨atsbeschr¨ankun¨ gen auf Erzeugungs- und Ubertragungsebene maximieren.116 Auf der ersten Marktstufe, dem Terminmarkt entscheiden die Unternehmen u ¨ber die Absatzmenge, die sie u ¨ber Forward- bzw. Futureskontrakte zu einem sp¨ateren Zeitpunkt kaufen oder verkaufen wollen. Basierend auf der am Terminmarkt getroffenen Handelsentscheidung optimieren die Unternehmen auf der zweiten Marktstufe, dem Spotmarkt anschließend ihre phy116
Die Begriffe Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen, Elektrizit¨atserzeugungsunternehmen und EVU beziehen sich im Folgenden immer auf Unternehmen mit eigenen Erzeugungskapazit¨aten, die diese Kapazit¨aten am Großhandelsmarkt anbieten. Die Begriffe werden synonym verwendet.
73
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt sische Angebotsmenge, um ihren Gewinn zu maximieren. F¨ ur den Großhandelsmarkt wird damit entsprechend der Cournot-Annahme von Mengenwettbewerb ausgegangen, bei dem die Angebots- bzw. Produktionsmengen mithin als strategische Variable zur Gewinnmaximierung eingesetzt werden. Um den Einfluss des interregionalen Elektrizit¨atshandels auf die Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht erfassen zu k¨onnen, sind neben dem deutschen auch die Elektrizit¨atsgroßhandelsm¨arkte der benachbarten L¨ander, zu denen physische Transportverbindungen bestehen, explizit modelliert. Dabei sind die spezifischen Angebots- und Nachfragebedingungen, mit Ausnahme von Belgien und Luxemburg, die zu einer gemeinsamen Region aggregiert sind, l¨anderspezifisch abgebildet. Da die Analyse der Marktmachtpotenziale auf die Preisbeeinflussungsm¨oglichkeiten der deutschen Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen fokussiert, wird f¨ ur die benachbarten L¨ander vereinfachend von vollkommen wettbewerblichen Großhandelsm¨arkten ausgegangen. Die Abbildung des interregionalen Elektrizit¨atshandels erm¨oglicht insofern die Ber¨ ucksichtigung der durch Elektrizit¨atsimporte maximal zu erwartenden wettbewerbssteigernden Wirkungen in Deutschland. In Tabelle 4.1 sind die im Modell erfassten Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen in Deutschland sowie die benachbarten Regionen zusammengestellt. Tabelle 4.1: Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen und Regionen im Modell Modellregion bzw. EVU
Abk.
Modellregion
Abk.
Deutschland, mit: RWE Power AG E.ON Energie AG Vattenfall Europe AG EnBW AG Wettbewerbsrand Belgien/Luxemburg D¨ anemark
DE RWE E.ON Vattenfall EnBW Fringe BL DK
Polen ¨ Osterreich
PL AT FR NL SW CZ CH
Frankreich Niederlande Schweden Tschechische Republik Schweiz
Die einzelnen Regionen sind auf der Basis der existierenden grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten miteinander verbunden. Die L¨ander sind dabei als sogenannte Punktm¨arkte modelliert, bei denen keine weitere Regionalisierung der Angebots- und ¨ Nachfragebedingungen und damit auch keine weitere Detaillierung des Ubertragungsnetzes innerhalb eines Landes stattfindet. Auf die explizite Erfassung der physikalischen Lastfl¨ usse zwischen den einzelnen Netzknoten wird insofern ebenfalls verzichtet. Eine
74
4.1 Modell¨ uberblick geographische (a) und eine stilisierte (b) Darstellung der als Punktm¨arkte abgebildeten Modellregionen zeigt die Abbildung 4.1.
SW
DK
PL
NL
DE
CZ
BE/ LU
FR
(a) Abgebildete Regionen
CH
AT
(b) Stilisierte Darstellung
Abbildung 4.1: Abbildung der Modellregionen als Punktm¨ arkte
Zur Erfassung der saisonalen und tageszeitlichen Nachfrage- und Angebotsschwankungen werden im Modell drei Zeit- und zwei Lastsegmente differenziert. Die Unter¨ scheidung der Sommer-, Winter- und Ubergangsmonate sowie in jedem Zeitsegment der Peak- und Off-Peak-Stunden erm¨oglicht sowohl die Erfassung variierender Lastsituationen als auch variierender Angebotsbedingungen auf Grund schwankender Kraftwerksverf¨ ugbarkeiten. Die segmentspezifische regionale Elektrizit¨atsnachfrage ist auf der Basis preiselastischer Nachfragefunktionen modelliert. Tabelle 4.2 stellt die im Modell abgebildeten Zeit- und Lastsegmente dar. Tabelle 4.2: Zeit- und Lastsegmente im Modell Zeitsegment
Lastsegment
Sommer Winter ¨ Ubergang
Peak Off-Peak
75
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt Die vorhandenen Marktmachtpotenziale werden dann im Rahmen der Modellanalyse f¨ ur die verschiedenen Zeit- und Lastsegmente auf der Basis unterschiedlicher Annahmen u ¨ber die interregionalen Handelsm¨oglichkeiten sowie die Terminmarktstrategien quantifiziert. Hierzu werden einerseits unterschiedliche Ausbauszenarien der grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten und andererseits ver¨anderte Terminmarktstrategien der Unternehmen angenommen.
4.2 Regionale Nachfragestrukturen Um die nachfrageseitigen Marktstrukturen im Modell abzubilden, werden im folgenden Kapitel 4.2.1 zun¨achst die Referenzmengen, die Referenzpreise und die Preiselastizit¨at sowie f¨ ur die Erfassung der bestehenden Unsicherheiten die stochastische Windenergieeinspeisung f¨ ur die jeweiligen Nachfragesegmente bestimmt. In Kapitel 4.2.2 werden dann die Nachfragefunktionen mathematisch definiert.
4.2.1 Referenznachfrage Die Abbildung der Elektrizit¨atsnachfrage in den einzelnen Regionen orientiert sich einerseits an der saisonalen und tageszeitlichen Struktur des Lastverlaufs und andererseits an den an der European Energy Exchange handelbaren Produkten. Um die zeitlichen Nachfrageschwankungen und die damit verbundenen Unterschiede in den Systemgrenzpreisen zu erfassen, werden die Lastganglinien der zehn Modellregionen r ∈ Q insgesamt durch drei Zeitsegmente t ∈ T und zwei Lastsegmente l ∈ L diskret approximiert. Die saisonalen Schwankungen der Elektrizit¨atsnachfrage werden durch die Zeit-, die Last¨anderungen zwischen den Tages- und Nachtstunden durch die Lastsegmente erfasst. Die drei Zeitsegmente umfassen dabei jeweils vier Monate, wobei das Sommersegment die Monate Juni bis September, das Wintersegment die Monate Januar bis M¨arz sowie ¨ Dezember und das Ubergangssegment die Monate April und Mai sowie Oktober und November repr¨asentiert. Jedes dieser Zeitsegmente ist wiederum in die Peak- und OffPeak-Stunden unterteilt. Hierbei fallen die Stunden der Werktage zwischen 8:00 Uhr und 20:00 Uhr in das Peak-Load-Segment und die Stunden zwischen 0:00 Uhr und 8:00 Uhr sowie 20:00 Uhr und 24:00 Uhr der Werktage und zus¨atzlich 0:00 Uhr bis 24:00 Uhr an den Wochenenden in das Off-Peak-Load-Segment. Die Peak-Segmente repr¨asentieren jeweils 3 × 960 und die Off-Peak-Segmente jeweils 3 × 1960 Stunden eines Jahres. Tabelle 4.3 fasst die Definition der Zeit- und Lastsegmente zusammen. F¨ ur die Kalibrierung der Nachfragefunktionen in jeder Region und jedem Zeit- und Lastsegment werden einerseits die von der UCTE und Nord Pool bzw. Nordel in st¨ und-
76
4.2 Regionale Nachfragestrukturen Tabelle 4.3: Definition der Zeit- und Lastsegmente im Modell Zeitsegment Sommer Winter ¨ Ubergang
Monate 06, 07, 08, 09 01, 02, 03, 12 04, 05, 10, 11
Lastsegment Peak Off-Peak
Wochentage
Stunden
Mo - Fr Mo - Fr Sa - So
09-20 01-08/21-24 01-24
licher Aufl¨osung f¨ ur den 3. Mittwoch sowie den darauf folgenden Samstag und Sonntag jedes Monats ver¨offentlichten Lastwerte und andererseits die st¨ undlichen Großhandelspreise der europ¨aischen Elektrizit¨atsb¨orsen genutzt.117 Durch die Bestimmung von Referenzmengen und Referenzpreisen k¨onnen dann in Verbindung mit Annahmen u ¨ber die Preiselastizit¨at segment- und regionenspezifische Nachfragefunktionen abgeleitet werden. Referenzmengen ref F¨ ur die Berechnung der Referenznachfragemengen Dr,t,l f¨ ur die diskrete Approximation der regionalen Lastganglinien wird auf die Mittelwerte der st¨ undlichen Lastdaten zur¨ uck gegriffen. Die von der UCTE ver¨offentlichten Wochenendganglinien m¨ ussen dabei f¨ ur die Berechnung der Off-Peak-Segmente zun¨achst auf das Jahr 2005 skaliert werden, da sie in der Statistik ausschließlich f¨ ur das Jahr 2000 vorliegen. Es wird angenommen, dass sich die st¨ undliche Elektrizit¨atsnachfrage an den Wochenenden zwischen den Jahren 2000 und 2005 analog zur Nachfrage¨anderung in den Off-Peak-Stunden der Werktage des gleichen Zeitraums entwickelt hat, das Nachfrageprofil also unver¨andert geblieben ist.
Da die von der UCTE ver¨offentlichten Lastdaten in ihrer Stundensumme nicht der gesamten Elektrizit¨atsnachfrage entsprechen, sondern nur etwa 91 % der Netzlast repr¨asentieren, und dar¨ uber hinaus die Nutzung von Mittelwerten zu einer Untersch¨atzung der j¨ahrlichen Gesamtnachfrage f¨ uhrt, werden die im Modell genutzten lastbezogenen Referenzwerte auf die regionalen statistischen Energienachfragemengen skaliert.118 Die inl¨andische Gesamtnachfrage in einer Region wird dann ausgehend von der Gesamterzeugung um den Außenhandel sowie die Pump- und Netzverluste korrigiert. Die skalierten 117
118
Da Schweden und D¨ anemark keine bzw. nur assoziierte Mitglieder der UCTE sind, werden f¨ ur die entsprechende Nachfragekalibrierung Informationen von Nord Pool genutzt. Vgl. zu den verwendeten Daten UCTE (2005) S. 150 ff. und die Daten bei UCTE (2007) und Nordel (2005) sowie die Preisangaben der europ¨aischen Elektrizit¨atsb¨orsen. Vgl. zur Vorgehensweise bei der Skalierung st¨ undlicher Lastwerte auch Ellersdorfer et al. (2008b) S. 27 ff.
77
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt segmentspezifischen Referenzwerte f¨ ur die Kalibrierung der Nachfragefunktionen in den einzelnen Regionen berechnen sich zusammenfassen wie folgt: ref D r,t,l ref Dr,t,l Xrstat − (4.1) = Erq,ref + Irq,ref − Prstat − Nrstat ref hl D t∈T l∈L
r,t,l
q∈Q
q∈Q
ref den nicht skalierten Referenznachfragewerten auf Basis der Hierbei entspricht D r,t,l von der UCTE und Nord Pool bzw. Nordel ver¨offentlichten Lastwerte, Xrstat der statis tischen j¨ahrlichen Elektrizit¨atserzeugung, q Erq,ref den Exporten aus der Region r und q,ref den Importen in die Region r, wobei r und q mit r = q ∈ Q, die im Modell q Ir abgebildeten Regionen beschreiben. Prstat gibt die statistischen Pump- und Nrstat die statistischen Netzverluste wieder. Die Anzahl der Stunden jedes Lastsegments wird durch hl angegeben.119 Da u ¨ber den modellendogenen interregionalen Elektrizit¨atshandel ausschließlich die Handelsmengen innerhalb der Gruppe der Modellregionen abgebildet werden, m¨ ussen f¨ ur die Bestimmung der Referenznachfrage jeweils die Referenzexporte und Referenzimporte aus den statistischen Gesamtexport- (Erstat ) und Gesamtimportmengen (Irstat ) berechnet werden. F¨ ur die Referenzexporte gilt: Erq,ref = Erstat − Erp,ref (4.2) q∈Q
pQ
Entsprechend berechnen sich die Referenzimporte aus: Irq,ref = Irstat − Irp,ref q∈Q
(4.3)
pQ
Hierbei beschreibt p = r, q die nicht im Modell erfassten Regionen, zu denen Elektrizit¨atshandelsbeziehungen bestehen. ¨ Durch die Korrektur der modellendogenen Außenhandelsmengen wird eine Uberbzw. Untersch¨atzung der heimischen Nachfrage- und Erzeugungsverh¨altnisse bei der Referenzwertberechnung vermieden. Die außenhandelsbedingte Anpassung der Elektrizit¨atsnachfrage muss dabei f¨ ur die L¨ander Frankreich (FR), D¨anemark (DK), Schweden ¨ (SW), Polen (PL), Tschechische Republik (CZ), Osterreich (AT) und Schweiz (CH) vorgenommen werden.120 F¨ ur die Berechnung der segmentspezifischen Referenznachfragewerte werden neben den jeweiligen Außenhandelsmengen auch die statistischen Pump- und Netzverluste ber¨ ucksichtigt. Die Verluste werden zun¨achst nachfrageseitig herausgerechnet, um sie dann 119 120
78
Vgl. IEA (2005a). Vgl. die Angaben zum Elektrizit¨atsaußenhandel bei Eurelectric (2005a) und UCTE (2007).
4.2 Regionale Nachfragestrukturen im Modell als Teil der endogenen Elektrizit¨atserzeugung zur Bedienung der Endnachfrage angebotsseitig zu ber¨ ucksichtigt. Dadurch werden die Pump- und Netzverluste bei den unterschiedlichen Nachfragebedingungen sowie den potenziellen verhaltensinduzierten Ver¨anderungen der Angebotsmengen entsprechend ihres Anteils an der Elektrizit¨atserzeugung erfasst. Die Faktoren f¨ ur die Pumpverluste ξr und die Netzverluste ζr berechnen sich wie folgt. Ihre Werte sind in Tabelle 4.4 dargestellt.121 ξr =
Prstat Xrstat
(4.4)
ζr =
Nrstat Xrstat
(4.5)
und
Tabelle 4.4: Anteil der Pump- und Netzverluste an der regionalen Elektrizit¨ atserzeugung Kennzahl ξr ζr
Einheit
DE
FR
BL
NL
DK
SW
PL
CZ
AT
CH
% %
0,44 4,52
0,39 6,01
0,76 5,14
4,48
6,63
7,28
0,51 10,76
0,26 6,93
0,65 5,71
1,39 7,31
Das regionale Elektrizit¨atsangebot Sr,t,l in den einzelnen Zeit- und Lastsegmenten muss die zu bedienende Nachfrage Dr,t,l inklusive der Pump- und Netzverluste decken. Die Marktr¨aumungsbedingung f¨ ur die regionalen Elektrizit¨atm¨arkte in den einzelnen Zeit- und Lastsegmenten ist damit u ¨ber die folgende Gleichung ∀ r, t, l definiert: Sr,t,l (1 − ξr − ζr ) = Dr,t,l
(4.6)
Die Korrektur der statistischen Gesamtnachfragemengen in Bezug auf die modellexogenen Export- bzw. Importsalden sowie die Pump- und Netzverluste gew¨ahrleistet sowohl die vollst¨andige Erfassung der j¨ahrlichen nachgefragten Energiemenge in den abgebildeten regionalen Elektrizit¨atsm¨arkten als auch die Beibehaltung des zeitlichen Lastprofils. Tabelle 4.5 stellt die im Modell verwendeten regionalen Referenzmengen in den Zeit- und Lastsegmenten zusammen. 121
F¨ ur die Berechnung der anteiligen Pumpverluste wird auf Grund fehlender Daten f¨ ur 2005 auf Angaben f¨ ur das Jahr 2003 zur¨ uck gegriffen. Vgl. IEA (2005b) und Eurelectric (2005b). Auf eine analoge Bilanzierung des Kraftwerkeigenverbrauchs wird hier verzichtet.
79
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt Tabelle 4.5: Regionale Referenznachfragemengen in den Zeit- und Lastsegmenten
Region DE FR BL NL DK SW PL CZ AT CH
Einheit MW MW MW MW MW MW MW MW MW MW
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
68214 51693 10548 14164 3948 13138 12839 6979 7320 10419
74517 70908 12391 16097 4679 19181 15740 8779 10078 12459
70421 59433 11615 15225 4241 15854 14300 7966 7958 11477
53075 43622 8890 10796 2897 10942 10905 6017 5775 8599
61538 63925 10985 11655 3459 16554 13238 7801 8409 11031
55473 51509 10066 11338 3123 13563 12111 6850 6387 9550
Referenzpreise ref f¨ ur die Kalibrierung der Nachfragefunktionen werden als MitDie Referenzpreise Pr,t,l telwerte der st¨ undlichen Spotmarktpreise der verschiedenen europ¨aischen Elektrizit¨atsb¨orsen berechnet. Sie sind f¨ ur die verschiedenen Nachfragesegmente in Tabelle 4.6 dargestellt (vgl. auch Tabelle 2.6 und Abbildung 2.10).
Mit der Bestimmung der Referenzmengen und Referenzpreise kann jetzt die Lage der Nachfragekurven fixiert werden. Da f¨ ur die Elektrizit¨atsnachfrage im Großhandelsmarkt eine gewisse Preisreagibilit¨at angenommen werden kann, m¨ ussen zudem Annahmen zur Preiselastizit¨at getroffen werden, um auch die Steigung der Nachfragekurven bestimmen zu k¨onnen.
Preiselastizit¨ aten
Die Bestimmung der Preiselastizit¨aten εr,t,l f¨ ur die Parametrisierung der regionalen Nachfragekurven in den einzelnen Zeit- und Lastsegmenten orientiert sich an empirischen bzw. modellgest¨ utzten Untersuchungen sowie an den in der Literatur verwendeten
80
4.2 Regionale Nachfragestrukturen Tabelle 4.6: Regionale Referenzpreise in den Zeit- und Lastsegmenten
Regiona Einheit DE FR BL NL DK SW PL CZ AT CH a
b
e/MWh e/MWh e/MWh e/MWh e/MWh e/MWh e/MWh e/MWh e/MWh e/MWh
Sommer Peak Off-Peak 59,50 58,51 59,50 69,39 31,52 30,84 30,94 46,17 59,87 59,50
36,13 34,78 36,13 37,02 28,12 27,79 27,06 23,28 36,29 36,13
Winterb Peak Off-Peak 91,30 98,46 91,30 108,98 59,95 45,22 32,46 54,71 91,30 91,30
49,49 55,83 49,49 55,21 42,03 41,05 29,19 34,19 49,49 49,49
¨ Ubergang Peak Off-Peak 67,72 66,09 67,72 87,64 33,59 32,80 30,68 41,49 66,84 67,72
38,34 37,69 38,34 40,85 30,27 30,15 26,81 26,89 38,84 38,34
DE, BL und CH: EEX; FR: Powernext; NL: APX-NL; DK und SW: Nord Pool; PL: POLPX; CZ: OTE; AT: EXAA Dezember 2005 und Januar bis M¨arz 2006
Annahmen f¨ ur ¨ahnliche Modelle.122 Formal l¨asst sich die Preiselastizit¨at der Nachfrage analog zu Gl. (3.4) wie folgt beschreiben: εr,t,l =
∂Dr,t,l Pr,t,l ∂Pr,t,l Dr,t,l
(4.7)
wobei Dr,t,l die preisabh¨angige regionale Elektrizit¨atsnachfrage und Pr,t,l die regionalen Marktpreise in den einzelnen Zeit- bzw. Lastsegmenten darstellt. Vor dem Hintergrund des betrachteten Analysezeitraums, der in den definierten Zeitsegmenten jeweils vier Monate umfasst und damit nur eine kurzfristige Reaktion der Elektrizit¨atsnachfrage auf Preis¨anderungen zul¨asst, ist von einer eher geringen Preiselastizit¨at der Nachfrage auszugehen. In einer Untersuchung f¨ ur den norwegischen Elektrizit¨atsmarkt werden auf der Basis w¨ochentlicher Preis- und Mengendaten Preiselastizit¨aten von etwa −0, 05 bis −0, 35 ermittelt.123 Die Anpassung der Elektrizit¨atsnachfrage an sich ¨andernde Großhandelspreise kann in einem kurzfristigen Zeithorizont z. B. mit der Verschiebung der Nachfrage von Starklast- (Peak) in Schwachlaststunden (Off-Peak) sowie die anwendungsbezogene Substitution elektrischer Energie durch andere Energie122
123
Vgl. zu empirischen Untersuchungen der Preiselastizit¨aten z. B. Johnsen (2001) und NIEIR (2002). Angaben zu den verwendeten Preiselastizit¨aten in Oligopolmodellen finden sich u. v. a. bei Bushnell et al. (1999a), Borenstein und Bushnell (1999), Andersson und Bergman (1995) und Bushnell et al. (1999b). Vgl. dazu auch die in Kapitel 3.4 angegebene Literatur. Vgl. Johnsen (2001) S. 242.
81
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt tr¨ager (z. B. Erdgas) erkl¨art werden. Die technischen Substitutionsm¨oglichkeiten sind kurzfristigt allerdings sehr beschr¨ankt.124 Preiselastizit¨aten f¨ ur l¨angere Zeithorizonte von 10 bis 20 Jahren, die z. B. f¨ ur verschiedene regionale amerikanische Elektrizit¨atsm¨arkte ermittelt wurden, liegen zwischen −0, 29 und −0, 38. F¨ ur diese Zeithorizonte kann davon ausgegangen werden, dass sich die Elektrizit¨atsnachfrage u ¨ber eine Ver¨anderung der Ausstattung mit elektrischen Ger¨aten an sich ¨andernde Preise anpasst. Grunds¨atzlich l¨asst sich sagen, dass die Preiselastizit¨at der Nachfrage mit abnehmendem Zeithorizont sinkt und vor dem Hintergrund der besonderen Bedingungen in Elektrizit¨atsm¨arkten in einer sehr kurzfristigen, z. B. st¨ undlichen Betrachtung u. U. sogar von einer vollkommen preisunelastischen Nachfrage ausgegangen werden kann. F¨ ur die Modellanalyse wird dennoch im Rahmen der Jahresbetrachtung von einer geringen Preiselastizit¨at ausgegangen. Tabelle 4.7 gibt die getroffenen Annahmen zu den Preiselastizit¨aten wieder. Tabelle 4.7: Annahmen zu den Preiselastizit¨aten der Elektrizit¨ atsnachfrage Zeitsegment Sommer Winter ¨ Ubergang
Einheit
Peak
Off-Peak
-
−0, 20 −0, 20 −0, 20
−0, 25 −0, 25 −0, 25
Es wird angenommen, dass die Preiselastizit¨aten in den Starklastzeiten im Vergleich zu den Schwachlastzeiten etwas geringer sind, sich aber zwischen den Zeitsegmenten nicht unterscheiden. Auf eine m¨ogliche regionale Differenzierung der Preiselastizit¨aten in Europa wird auf Grund fehlender Daten zudem verzichtet. Es sei allerdings hier bereits betont, dass die Annahmen u ¨ber die Preiselastizit¨at der Nachfrage bei der Anwendung von Oligopolmodellen erheblichen Einfluss auf die Modellergebnisse und damit die Quantifizierung der Marktmachtpotenziale haben. Je geringer die Preiselastizit¨aten angenommen werden, desto schw¨acher reagiert die Nachfrage mit Mengen¨anderungen und desto st¨arker sind die zu erwartenden Preissteigerungen bei einer verhaltensbedingten Verknappung der Angebotsmengen.125 124
125
82
Eine zeitliche Verschiebung der Elektrizit¨atsnachfrage l¨asst sich z. B. durch die Nutzung von Speichern oder die Ver¨anderung von Produktionsabl¨aufen realisieren. Anwendungsbezogene Substitutionsm¨oglichkeiten f¨ ur die W¨armeerzeugung bestehen z. B. zwischen Elektrizit¨at, Erdgas und Heiz¨ol. Auf diesen Aspekt wird bei der Modellanwendung in Kapitel 5 noch gesondert eingegangen.
4.2 Regionale Nachfragestrukturen Stochastische Windenergieeinspeisung Mit der Entwicklung der installierten Windkonverterleistung in Deutschland, die zwischen 1995 und 2005 von etwa 1,1 GW auf etwa 18,4 GW zugenommen hat, ist auch der stochastische Anteil der Elektrizit¨atserzeugung aus Windenergie am deutschen Nettoverbrauch gestiegen. Die Windenergie hat damit den mit Abstand gr¨oßten Anteil an den durch verf¨ ugbarkeitsbedingte Schwankungen gekennzeichneten Erzeugungsoptionen aus erneuerbaren Energietr¨agern.126 Auf Grund der vernachl¨assigbaren variablen Erzeugungskosten und der bestehenden Abnahmeverpflichtung kann davon ausgegangen werden, dass bei entsprechendem Energiedargebot die gesamte Erzeugungsmenge aus erneuerbaren Energietr¨agern in das Versorgungssystem eingespeist wird und zur Bedienung der Nachfrage beitr¨agt. Da bei der Modellierung darauf verzichtet wird die Windenergieeinspeisung als Teil der Angebotskurve explizit zu erfassen, wird sie in Deutschland nachfrageseitig als stochastischer Anteil von der Last abgezogen.127 Die Elektrizit¨atserzeugung auf der Basis erneuerbarer Energietr¨ager wird in den u ¨brigen Modellregionen analog zu den konventionellen Technologien angebotsseitig erfasst. Dabei wird f¨ ur das benachbarte Ausland vereinfachend angenommen, dass z. B. die Wind- oder Solarenergieeinspeisung deterministisch bekannt ist und entsprechend ihrer jeweiligen Verf¨ ugbarkeit mit ihren variablen Erzeugungkosten im Versorgungssystem eingesetzt werden kann. Die Modellierung der stochastischen Windenergieeinspeisung basiert auf der Verteilung der gemessenen Windgeschwindigkeiten zwischen 2000 und 2002 vor dem Hintergrund der Ende 2005 installierten Windenergiekapazit¨aten. Ausgangspunkt f¨ ur die Abbildung der Windenergieeinspeisung sind die st¨ undlichen Mittelwerte der Windgeschwindigkeiten, die an zehn verschiedenen Messstationen in Deutschland ermittelt wurden.128 Die gemessenen Windgeschwindigkeiten k¨onnen dann unter Ber¨ ucksichtigung u. a. der Konverterh¨ohe, der Bodenbeschaffenheit und des Anlagendesigns mit Hilfe der Konverterkennlinien in elektrische Leistung umgerechnet werden.129 Durch die Nutzung der 126
127
128
129
Zwar ist der Anteil der Wasserkraft am Nettoverbrauch wesentlich h¨oher, da allerdings der Anteil der kurzfristig z. B. tageszeitlich schwankenden Kapazit¨aten relativ gering ist, ist diese Erzeugung besser prognostizierbar. Vgl. auch Tabelle 2.1. Auf Aspekte wie Abnahmeverpflichtung, Einspeiseverg¨ utung z. B. durch das deutsche EEG sowie andere F¨ordermechanismen f¨ ur erneuerbare Energietr¨ager wird in diesem Zusammenhang nicht eingegangen. Die Windgeschwindigkeitsdaten basieren auf Messungen des Deutschen Wetterdienstes und liegen dem IER zur wissenschaftlichen Nutzung vor. Die hier verwendete Methode zur Umrechnung der Windgeschwindigkeiten in elektrische Windenergieeinspeisung, die sogenannten Wind Power Curves, wurde im Rahmen des von der Europ¨aischen
83
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt st¨ undlichen Windgeschwindigkeitsdaten der Jahre 2000 bis 2002 wird gew¨ahrleistet, dass ein repr¨asentatives Profil unterschiedlich guter Windjahre vorliegt. Abbildung 4.2 zeigt die Ganglinie der so berechneten Windenergieeinspeisung in Deutschland.
Windenergieeinspeisung [MW]
20000
16000
12000
8000
4000
0 1
4760
735
5494
1493
6252
Stunden
Abbildung 4.2: Berechnete Ganglinie der st¨ undlichen Windenergieeinspeisung in Deutschland
Die zeitliche Verteilung der Windenergieeinspeisung in Deutschland ist durch starke Schwankungen gekennzeichnet, wobei sich sowohl saisonale als auch tageszeitliche Unterschiede beobachten lassen. So ist die eingespeiste Windleistung in den Wintermonaten h¨oher als im Rest des Jahres. Gleiches gilt f¨ ur die Tagesstunden gegen¨ uber den Nachtstunden. Die unterschiedliche Windenergieeinspeisung zeigt eine ungleichm¨aßige H¨aufigkeitsverteilung, wobei Leistungswerte bis z. B. 4000 MW sehr viel h¨aufiger sind als Leistungsspitzen mit Werten von etwa 15000 bis 17000 MW. Bei einer installierten Windkonverterleistung von 18,4 GW kommt es damit in Deutschland nur selten zu einer hohen Gesamtauslastung der r¨aumlich verteilten Anlagen. Um die saisonalen und Tageszeitlichen Schwankungen des Windenergiedargebots im Modell zu erfassen, wird die Verteilung der berechneten Windenergieeinspeisewerte in jedem der Zeit- und Lastsegmente ber¨ ucksichtigt. Es werden f¨ ur jedes der Zeit- und Lastsegmente vereinfachend f¨ unf diskrete Windszenarien ψt,l,s mit s ∈ S angenommen, Union gef¨orderten Projektes WILMAR entwickelt. Vgl. dazu insbesondere Norgard und Holttinen (2004).
84
4.2 Regionale Nachfragestrukturen die mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit t,l,s in die Nachfragekurven eingehen.130 In Tabelle 4.8 ist die diskrete H¨aufigkeitsverteilung der Windszenarien in den Zeit- und Lastsegmenten dargestellt. Da die stochastische Windenergieeinspeisung nachfrageseiTabelle 4.8: H¨ aufigkeitsverteilung der berechneten Windenergieeinspeisung in den Zeit- und Lastsegmenten in Deutschland
Szenario
Kennzahla,b
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
S1
ψt,l,s t,l,s
1351 83,46
1204 87,65
1570 62,56
1502 66,72
1499 80,28
1411 83,21
S2
ψt,l,s t,l,s
5517 15,48
5368 10,98
5820 19,25
5818 20,28
5536 15,60
5436 13,83
S3
ψt,l,s t,l,s
9242 1,06
9459 1,36
9759 12,53
9906 8,87
9179 3,58
9557 2,36
S4
ψt,l,s t,l,s
-
12166 0,02
13730 5,23
13914 3,69
13805 0,53
13764 0,55
S5
ψt,l,s t,l,s
-
-
16492 0,42
16343 0,44
-
16380 0,05
a b
Angaben der Klassenmittelwerte in MW, Klassenbreite 4000 MW Angaben der Eintrittswahrscheinlichkeit in %
tig abgebildet ist, sehen sich die Unternehmen einer unsicheren Elektrizit¨atsnachfrage und damit einem unsicheren Marktpreis gegen¨ uber, weshalb sie in Abh¨angigkeit ihrer Risikoneigung am Spot- und Terminmarkt Entscheidungen unter Unsicherheit treffen m¨ ussen. Bei der Modellanwendung wird neben der stochastischen Abbildung der Windenergieeinspeisung zun¨achst auch von einem deterministischen Verlauf des Winddargebots ausgegangen. Hierzu wird der Erwartungswert der segmentspezifischen Windenergieer zeugung μt,l = 5s=1 t,l,s ψt,l,s berechnet und als deterministisch bekannte Einspeisung zur Deckung der Nachfrage angenommen. Die Erwartungswerte der Windenergieeinspeisung in den Zeit- und Lastsegmenten sind in Tabelle 4.9 angegeben. Mit der Parametrisierung der Referenzmengen und Referenzpreise sowie der Preiselastizit¨aten und der 130
Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der stochastischen Windenergieeinspeisung l¨asst sich im Allgemeinen gut mit Hilfe einer Weibull-Verteilung abbilden. Vgl. dazu z. B. Ramirez und Carta (2005) und Pallabazzer (2004).
85
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt stochastischen Windenergieeinspeisung lassen sich jetzt die regionalen Nachfragekurven definieren. Tabelle 4.9: Erwartungswerte der Windenergieeinspeisung in den Zeit- und Lastsegmenten in Deutschland Zeitsegment Sommer Winter ¨ Ubergang
Einheit
Peak
Off-Peak
MW MW MW
2079 4107 2473
1845 3997 2279
4.2.2 Nachfragefunktionen Grunds¨atzlich lassen sich unterschiedliche Funktionstypen f¨ ur die Modellierung der Elektrizit¨atsnachfrage verwenden. Unter der Annahme, dass sich die Nachfrage bei Preis¨anderungen in Abh¨angigkeit des Preisniveaus unterschiedlich stark ver¨andert, werden h¨aufig lineare Nachfragekurven genutzt. L¨asst sich die Preisreagibilit¨at dagegen besser mit einer Nachfragekurve beschreiben, bei der die prozentualen Nachfragereaktionen bei Preis¨anderungen unabh¨angig vom Preisniveau konstant bleiben, werden isoelastische Nachfragekurven verwendet. Die Nutzung unterschiedlicher Nachfragefunktionen f¨ ur die Modellierung oligopolistischer Elektrizit¨atsm¨arkte kann dabei erhebliche Auswirkungen auf die Quantifizierung der Marktmachtpotenziale haben.131 Die funktionale Beschreibung der Nachfragereaktionen bei Preis¨anderungen, z. B. als Folge marktmachtbedingter Angebotsverknappung der Erzeugungsunternehmen, ist f¨ ur die Modellanalyse von besonderer Bedeutung. Die Verwendung von linearen Nachfragefunktionen f¨ uhrt in Oligopolmodellen bei gegebener Preiselastizit¨at im Ausgangsgleichgewicht i. A. zu st¨arkeren Mengenreaktionen als sie bei Verwendung isoelastischer Nachfragefunktionen zu beobachten sind. Da bei linearen Nachfragefunktionen die Preiselastizit¨at mit steigendem Preisniveau zunimmt, kommt es bei Preis¨anderungen im Bereich hoher Preise zu gr¨oßeren Mengenver¨anderungen als im Bereich niedriger Preise. Dieses Verhalten kann f¨ ur die Nachfrage nach verschiedenen Verbrauchsg¨ utern beobachtet werden. Wird dagegen f¨ ur die Modellierung der Elektrizit¨atsnachfrage von einer konstanten Preiselastizit¨at u ¨ber den gesamten Nachfragebereich ausgegangen, so werden bei der Nutzung isoelastischer Nachfragefunktion die Preisreaktionen bei ver¨andertem Unternehmensverhalten u. U. u ¨bersch¨atzt. 131
86
Vgl. zu den mit der Nutzung unterschiedlicher Funktionstypen verbundenen Auswirkungen auf die Modellergebnisse z. B. Ellersdorfer (2007a).
4.2 Regionale Nachfragestrukturen F¨ ur die vorliegende Modellanalyse der Marktmachtpotenziale werden im Folgenden lineare Nachfragefunktionen genutzt, da einerseits davon ausgegangen werden kann, dass die Mengenreaktionen bei steigendem Preisniveau auf Grund der verst¨arkten Ausnutzung von Substitutionsm¨oglichkeiten zunehmen und andererseits lineare Nachfragefunktionen bei der Berechnung der Marktgleichgewichte mathematisch besser handhabbar sind. Mit der Marktr¨aumungsbedingung aus Gl. (4.6) lassen sich unter Vernachl¨assigung der Pumpverluste ξr und Netzverluste ζr die im Modell verwendeten Nachfragefunktionen Sr,t,l,s (Pr,t,l,s) : R+ → R+ f¨ ur die einzelnen Zeit- und Lastsegmente formal wie folgt beschreiben. F¨ ur die linearen Nachfragefunktionen gilt ∀ r, t, l, s: Sr,t,l,s (Pr,t,l,s ) =
1 (ar,t,l − Pr,t,l,s )) − ψt,l,s br,t,l
(4.8)
Die inversen Nachfragefunktionen Pr,t,l,s (Sr,t,l,s ) : R+ → R+ sind definiert als: Pr,t,l,s (Sr,t,l,s ) = ar,t,l − br,t,l (Sr,t,l,s + ψt,l,s )
(4.9)
Auf der Basis der Preis-Mengen-Paare sowie der dabei angenommenen Preiselastizit¨at im Referenzgleichgewicht berechnen sich die Funktionsparameter ar,t,l und br,t,l , f¨ ur die vereinfachend angenommen wird dass sie szenariounabh¨angig sind, ∀ r, t, l nach: ref ref ar,t,l = Pr,t,l + br,t,l Dr,t,l + μt,l
(4.10)
und br,t,l =
1 εref r,t,l
P ref ref r,t,l Dr,t,l + μt,l
(4.11)
F¨ ur den Fall des angenommenen deterministischen Verlaufs der Windenergieeinspeisung in Deutschland wird der Term ψt,l,s in den Gl. (4.8) und Gl. (4.9) entsprechend des Erwartungswertes der Windenergieerzeugung μt,l ge¨andert. Damit sind die Nachfragefunktionen nicht mehr u ¨ber die Windenergieszenarien s definiert und es gilt ∀ r, t, l: Pr,t,l (Sr,t,l ) = ar,t,l − br,t,l (Sr,t,l + μt,l )
(4.12)
¨ Uber die Definition der Nachfragefunktionen in den einzelnen Zeit- und Lastsegmenten lassen sich jetzt die nachfrageseitigen Mengen- und Preisreaktionen in den regionalen ¨ Elektrizit¨atsm¨arkten quantifizieren, die mit verhaltensinduzierten Anderungen der Angebotsmenge verbunden sind. Auf die Abbildung der regionalen Angebotsstrukturen wird im Folgenden eingegangen.
87
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt
4.3 Regionale Angebotsstrukturen Die Abbildung der regionalen Angebotsstrukturen als Grundlage f¨ ur die Quantifizierung der vorhandenen Marktmachtpotenziale basiert auf der technologischen und ¨okonomischen Beschreibung der l¨anderspezifischen Kraftwerksportfolios unter Ber¨ ucksichtigung der bestehenden erzeugerseitigen Kapitalverflechtungen der Unternehmen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt im Jahr 2005. In Kapitel 4.3.1 wird die Vorgehensweise f¨ ur die Zurechnung der in Kapitel 2.3.1 beschrieben Kapitalverflechtungen der deutschen Erzeugungsunternehmen dargestellt, um auf dieser Basis in Kapitel 4.3.2 die relevanten Spieler und den Wettbewerbsrand in Deutschland zu identifizieren. Die aggregierten Erzeugungskapazit¨aten in den europ¨aischen Nachbarl¨andern werden in Kapitel 4.3.3 beschrieben. In Kapitel 4.3.4 werden anschließend die Angebots- bzw. Grenzerzeugungskostenkurven abgeleitet.
4.3.1 Methoden der Kapazit¨ atszurechnung Die Kapitalverflechtungen im deutschen Elektrizit¨atssektor sind durch eine Vielzahl gegenseitiger horizontaler und vertikaler Unternehmensbeteiligungen gekennzeichnet. Da angenommen werden kann, dass sich strategisches Verhalten der deutschen EVU auf Großhandelsebene in der Steuerung der Erzeugungs- und damit der Angebotsmenge wider spiegelt, sind f¨ ur die Herausbildung von Marktmachtpotenzialen die u ¨ber horizontale Unternehmensbeteiligungen bzw. -akquisitionen kontrollierten Anteile an der inl¨andischen Erzeugungskapazit¨at von entscheidender Bedeutung. Kapitalverflechtungen der Unternehmen in vertikaler Richtung, d. h. die Beteiligungen eines Erzeugungsunternehmens an Regionalversorgern und Stadtwerken, die u ¨ber keine eigenen Erzeugungskapazit¨aten verf¨ ugen, spielen ebenso wie die Beteiligungen an Unternehmen im Bereich der Brennstoffbereitstellung f¨ ur die vorliegende Analyse keine Rolle. F¨ ur die Zuordnung der strategisch kontrollierten Kraftwerkskapazit¨aten auf die einzelnen EVU werden zun¨achst die Versorgungsunternehmen mit signifikanter Eigenerzeugung identifiziert, wobei ausgehend von den etwa 500 nationalen EVU mit eigenen Kraftwerken etwa 100 Unternehmen u ¨ber Erzeugungskapazit¨aten nennenswerter Gr¨oße verf¨ ugen. Von diesen Unternehmen u ¨bernehmen wiederum einige ausschließlich den operativen Betrieb der Kraftwerke, ohne ihrerseits am Kapital dieser Erzeugungsanlagen beteiligt zu sein. Im hier betrachteten Zusammenhang stellen diese Unternehmen keine eigenst¨andigen EVU dar.132 132
88
So werden einige der Gemeinschaftskraftwerke von eigenst¨andigen Kraftwerksbetreibergesellschaften gef¨ uhrt.
4.3 Regionale Angebotsstrukturen Auf der Grundlage von Gesch¨aftsberichten und Angaben in den Internetauftritten der Unternehmen, Statistiken der Verb¨ande und anderen Untersuchungen u ¨ber die Beteiligungsstrukturen sowie unter Zuhilfenahme der vorhandenen Informationen u ¨ber die einzelnen Kraftwerksstandorte werden dann die zwischen den Unternehmen bestehenden Kapitalverflechtungen analysiert.133 Vor dem Hintergrund der historisch gewachsenen Angebotsstrukturen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt erstrecken sich die Kapitalverflechtungen teilweise u ¨ber mehrere Beteiligungsebenen, wodurch ihre Analyse erheblich erschwert wird. Zudem befinden sich der deutsche wie auch der europ¨aische Elektrizit¨atsmarkt seit der Liberalisierung in einem dynamischen Ver¨anderungsprozess, weshalb sich die nationale aber auch internationale Kapitalverflechtungsstruktur st¨andig ¨andert. Auf der Basis der vorhandenen Informationen wird f¨ ur die Modellanalyse im Folgenden die in Kapitel 2.3.1 exemplarisch beschriebene Struktur der erzeugerseitigen Kapitalbeteiligungen Ende des Jahres 2005 zu Grunde gelegt, wobei die bestehenden direkten und indirekten Kapitalverflechtungen teilweise bis auf die dritte Beteiligungsebene ber¨ ucksichtigt werden. Liegt eine vollst¨andige Beschreibung der bestehenden Kapitalbeteiligungsstruktur der Unternehmen mit Eigenerzeugung vor, lassen sich drei unterschiedliche Vorgehensweisen f¨ ur die Zurechnung der strategisch kontrollierten Erzeugungskapazit¨aten unterscheiden. Eigenkapazit¨ aten und Gemeinschaftskraftwerke: Wird die Zurechnung auf die eigenen Erzeugungskapazit¨aten sowie die Kapazit¨atensanteile an den Gemeinschaftskraftwerken beschr¨ankt, so lassen sich zwar alle Unternehmen mit Eigenerzeugung im deutschen Elektrizit¨atsmarkt identifizieren, das strategische Potenzial der EVU, das u ¨ber Beteiligungen an anderen Erzeugungsunternehmen besteht, wird bei dieser Vorgehensweise allerdings systematisch untersch¨atzt. Beherrschung u ¨ ber Mehrheitsbeteiligungen: Werden die Kraftwerkskapazit¨aten einem EVU bei einer Beteiligung von mehr als 50 % in voller H¨ohe zugerechnet, l¨asst sich das strategische Potenzial auf Grund der m¨oglichen strategischen Kontrolle durch das Mehrheitsunternehmen richtig erfassen. Das ¨okonomische Ergebnis wird hier allerdings u ¨bersch¨atzt, da Kosten, Umsatz und Gewinn immer nur entsprechend der jeweiligen Kapitalbeteiligungen realisiert werden k¨onnen. Bei der Modellanalyse m¨ ussen daher Kosten, Umsatz und Gewinn nachtr¨aglich zugerechnet werden. 133
Vgl. z. B. Drasdo und Drillisch (1998), Klatt et al. (1999), Meller et al. (2004), Meller et al. (2005), die Internetauftritte der EVU sowie die Literaturangaben in Kapitel 2.3.
89
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt Durchgerechnete Kapitalbeteiligungen: Werden die strategisch kontrollierten Erzeugungskapazit¨aten entsprechend der jeweils bestehenden Kapitalbeteiligungen zugerechnet, d. h. setzen sich die Kraftwerksportfolios der Unternehmen aus den eigenen und den u ¨ber die Kapitalverflechtungen zugerechneten Kapazit¨aten zusammen, l¨asst sich das ¨okonomische Ergebnis in Bezug auf Kosten, Umsatz und Gewinn richtig erfassen. Das strategische Potenzial wird aber wie bei der ersten Vorgehensweise auch hier teilweise untersch¨atzt, da bei bestehenden Mehrheitsbeteiligungen u. U. eine strategische Kontrolle der gesamten Kraftwerksleistung m¨oglich ist. Die Zurechnung der strategisch kontrollierten Erzeugungskapazit¨aten auf die f¨ ur die Analyse der Marktmachtpotenziale relevanten Unternehmen basiert auf der Vorgehensweise der durchgerechneten horizontalen Kapitalverflechtungen. Trotz der geringf¨ ugigen Untersch¨atzung der strategischen Einflussm¨oglichkeiten auf die Gesamtkapazit¨at der Unternehmen, an denen Mehrheitsbeteiligungen bestehen, bildet diese Vorgehensweise die bestehenden Eigentumsverh¨altnisse und die dar¨ uber effektiv strategisch einsetzbaren Erzeugungskapazit¨aten der relevanten EVU angemessen ab. Dar¨ uber hinaus wird das wirtschaftliche Ergebnis in Bezug auf Umsatz, Kosten und Gewinn bzw. Deckungsspanne richtig erfasst, ohne dessen Zurechnung nachtr¨aglich vornehmen zu m¨ ussen. Die dritte Vorgehensweise folgt zudem der von den EVU in ihren Gesch¨aftsberichten vorgenommenen Berechnung der eigenen Erzeugungskapazit¨at. Auf eine Ber¨ ucksichtigung der Gesamtkapazit¨aten bei Mehrheitsbeteiligungen kann dagegen verzichtet werden, da einerseits nur geringe Erzeugungskapazit¨aten relativ kleiner EVU zus¨atzlich erfasst werden und sich andererseits die strategische Ausrichtung, z. B. der Betreibergesellschaften von Gemeinschaftskraftwerken, an denen mehrere der großen deutschen EVU beteiligt sind, voraussichtlich nicht durch ein einzelnes dieser Unternehmen festlegen l¨asst.134 Im Folgenden wird auf die f¨ ur die Modellanalyse relevanten Unternehmen und die von ihnen kontrollierten Erzeugungskapazit¨aten n¨aher eingegangen.
4.3.2 Relevante Spieler und Wettbewerbsrand in Deutschland Als relevante Spieler auf dem deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt werden in Bezug auf die vorhandenen Marktmachtpotenziale alle Unternehmen ber¨ ucksichtigt, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie u ¨ber ihren erzeugerseitigen Marktanteil potenziell in der Lage sind die Marktergebnisse durch entsprechendes Verhalten zu beeinflussen. 134
90
F¨ ur einen Vergleich der drei Vorgehensweisen bei der Kapazit¨atszurechnung, vgl. Ellersdorfer et al. (2001) S. 80 ff.
4.3 Regionale Angebotsstrukturen Auf Grund der bestehenden erzeugerseitigen Gr¨oßenverh¨altnisse im deutschen Elektrizit¨atsmarkt, die bereits in Tabelle 2.8 auf der Grundlage der Marktanteile beschrieben wurden, kann die unternehmensindividuelle Abbildung der relevanten Spieler i ∈ O ⊆ I auf RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG beschr¨ankt werden. Die restlichen Erzeugungskapazit¨aten im deutschen Elektrizit¨atsmarkt werden im Wettbewerbsrand (Fringe) zusammengefasst. F¨ ur Unternehmen wie beispielsweise die Stadtwerke M¨ unchen GmbH oder die Deutsche Essent GmbH, wird davon ausgegangen, dass sie auf der Basis ihrer im Vergleich zur Oligopolgruppe geringen Erzeugungskapazit¨aten als Teil des Wettbewerbsrandes keine M¨oglichkeiten zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht haben. Die Gr¨oßenverh¨altnisse der vier im Modell abgebildeten Oligopolunternehmen werden im Folgenden zus¨atzlich anhand einiger Kennzahlen skizziert. Hierzu wird einerseits auf die im Jahr 2005 realisierten Elektrizit¨atserzeugungs- und Absatzmengen und andererseits auf die Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization (EBITDA) eingegangen. Die EBITDA, l¨asst sich als realisierte Deckungsspanne interpretieren, die auch bei der Modellanwendung zur Bewertung des jeweiligen Unternehmensverhaltens als eine wichtige Kennzahl genutzt wird. RWE Power AG betreibt als Tochterunternehmen der RWE AG die gesamten konventionellen Erzeugungsanlagen sowie die Kernkraftwerke und die Erzeugungskapazit¨aten auf Basis regenerativer Energiequellen. Bei der Berechnung der kontrollierten Kraftwerkskapazit¨aten sind der RWE Power AG auch die deutschen Erzeugungsanlagen der RWE Energy AG, die im RWE-Konzern die nationalen und internationalen Regionalunternehmen f¨ uhrt, zugerechnet. Die folgende Tabelle ¨ gibt einen Uberblick u ¨ber ausgew¨ahlte elektrizit¨atsbezogene Kennzahlen der RWE Power AG. Erzeugung und Absatz beziehen sich dabei nur auf KontinentaleuroTabelle 4.10: Kennzahlen der RWE Power AG, 2005 Kennzahl
Einheit
Wert
Erzeugung Absatz EBITDA
TWh TWh Mio. e
186 244 4588
pa ohne Großbritannien. EBITDA beinhaltet die nationalen und internationalen Teile der RWE Energy AG sowie den Elektrizit¨atsgroßhandel. Werden die EBITDA ausschließlich auf Grundlage der Elektrizit¨atserzeugung der RWE Power AG berechnet, so reduziert sich der Wert auf 2158 Mio. e.
91
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt E.ON Energie AG betreibt als Tochterunternehmen der E.ON AG die gesamten Kraftwerkskapazit¨aten im Konzern. Die verschiedenen Teile des Erzeugungsportfolios sowie die nationalen und internationalen Regionalunternehmen werden dabei wiederum von unterschiedlichen Gesellschaften, wie der E.ON Kraftwerke GmbH, der E.ON Kernkraft GmbH und der E.ON Wasserkraft GmbH sowie der E.ON Bayern GmbH und der E.ON Th¨ uringer Energie AG, kontrolliert. Die folgende ¨ Tabelle gibt einen Uberblick u ber ausgew¨ahlte elektrizit¨atsbezogene Kennzahlen ¨ der E.ON Energie AG. Erzeugung und Absatz beziehen sich auch hier auf KonTabelle 4.11: Kennzahlen der E.ON Energie AG, 2005 Kennzahl
Einheit
Wert
Erzeugung Absatz EBITDA
TWh TWh Mio. e
141 254 4763
tinentaleuropa ohne Großbritannien. Die EBITDA beinhalten das Ergebnis des Elektrizit¨atsgroßhandels. Der Unternehmenserfolg der E.ON Ruhrgas AG ist hier nicht ber¨ ucksichtigt, da die E.ON Ruhrgas AG nicht zur E.ON Energie AG geh¨ort. Vattenfall Europe AG ist der deutsche Teil des schwedischen Vattenfall Konzerns. Vattenfall Europe AG betreibt u. a. die ostdeutschen Braunkohlekraftwerke der ehemaligen VEAG und hat u ¨ber die Kraft-W¨arme-Kopplungsanlagen z. B. in Hamburg und Berlin einen wesentlichen Anteil an der deutschen Fernw¨armeversorgung. Auch bei der Vattenfall Europe AG sind die verschiedenen Teile des Erzeugungsportfolios in unterschiedlichen Gesellschaften, wie z. B. der Vattenfall Europe Generation AG & Co. KG und der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH, organisiert. Im Vergleich zur RWE Power AG und der E.ON Energie AG bestehen nur wenige Beteiligungen an Regionalversorgern und Stadtwerken. Die folgende ¨ Tabelle gibt einen Uberblick u ¨ber ausgew¨ahlte elektrizit¨atsbezogene Kennzahlen der Vattenfall Europe AG. Die Elektrizit¨atserzeugung bzw. der -absatz des gesamTabelle 4.12: Kennzahlen der Vattenfall Europe AG, 2005
92
Kennzahl
Einheit
Wert
Erzeugung Absatz EBITDA
TWh TWh Mio. e
76 173 2117
4.3 Regionale Angebotsstrukturen ten Vattenfall Konzerns inklusive Skandinavien und Polen betr¨agt im Jahr 2005 169 TWh bzw. 200 TWh. Die EBITDA belaufen sich dabei auf 4511 Mio. e. EnBW AG ist das viert gr¨oßte Erzeugungsunternehmen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt, das wiederum zu 45,01 % zum franz¨osischen Elektrizit¨atsversorger Electricit´e de France (EdF) geh¨ort. Die Kraftwerkskapazit¨aten werden im EnBWKonzern u ¨berwiegend von der EnBW Kraftwerke AG betrieben. Wie bei der Vattenfall Europe AG bestehen im Vergleich zu den beiden gr¨oßten Unternehmen RWE AG und E.ON AG nur wenige Beteiligungen an Regionalversorgern und ¨ Stadtwerken. Die folgende Tabelle gibt einen Uberblick u ¨ber ausgew¨ahlte elektrizit¨atsbezogene Kennzahlen der EnBW AG. Die Elektrizit¨atserzeugung beinhaltet Tabelle 4.13: Kennzahlen der EnBW AG, 2005 Kennzahl
Einheit
Wert
Erzeugung Absatz EBITDA
TWh TWh Mio. e
74 107 1780
dabei die Bez¨ uge u ¨ber langfristige Liefervertr¨age. Hierbei sind insbesondere Lieferungen franz¨osischer Kernkraftwerke sowie Bez¨ uge aus ¨osterreichischen Wasserkraftwerken zu nennen. Fringe fasst alle Unternehmen bzw. Unternehmensteile mit eigenen Erzeugungsanlagen im Wettbewerbsrand zusammen, an denen die vier Oligopolunternehmen u ¨ber die bestehenden Kapitalverflechtungen nicht beteiligt sind. Im Wettbewerbsrand sind damit alle restlichen Erzeugungskapazit¨aten im deutschen Elektrizit¨atsmarkt abgebildet, die nicht zuvor den Kraftwerksportfolios der großen EVU zugerechnet wurden. Die unternehmensindividuelle Modellierung der relevanten Spieler f¨ ur die Analyse der vorhandenen erzeugerseitigen Marktmachtpotenziale setzt u ¨ber die Charakterisierung der einzelnen EVU in Bezug auf ihre Gesamtkapazit¨aten, Erzeugungs- und Absatzmengen sowie Marktanteile auch eine detaillierte technologische Beschreibung ihrer Kraftwerksportfolios voraus. Dabei unterscheiden sich die vier EVU in Bezug auf die jeweiligen brennstoffbezogenen Anteile der Erzeugungskapazit¨at teilweise erheblich. Tabelle 4.14 gibt die im Jahr 2005 installierten Erzeugungskapazit¨aten der vier Oligopolunternehmen und des Wettbewerbsrandes auf der Basis der durchgerechneten Kapitalbeteiligungen nach Energietr¨agern wieder.
93
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt Tabelle 4.14: Installierte Erzeugungskapazit¨aten der vier großen EVU und des Wettbewerbsrandes nach Energietr¨agern, 2005 Energietr¨ ager
Einheit
RWE
E.ON
Vattenfall
EnBW
Fringe
Steinkohle Braunkohle Kernenergie Erdgas Heiz¨ ol Laufwasser Speicherwasser Pumpspeicher Sonstige
MW MW MW MW MW MW MW MW MW
5398 11166 5499 5246 184 301 441 821 68
10313 1303 8473 4486 1153 1325 124 1304 67
1750 6920 1418 1269 1072 5 4 2884 26
4107 443 3996 998 476 116 415 461 106
3873 369 953 6604 984 783 1166 240 6860
Gesamt
MW
29124
28547
15349
11119
21832
Da im Rahmen der vorliegenden Marktmachtanalyse nicht nur die Kraftwerkskapazit¨aten der relevanten Spieler und des Wettbewerbsrandes in Deutschland, sondern auch die Kraftwerkskapazit¨aten im Ausland zur Abbildung der interregionalen Elektrizit¨atshandelsm¨oglichkeiten zu ber¨ ucksichtigen sind, werden die spezifischen erzeugerseitigen Angebotsbedingungen in den Nachbarl¨andern explizit modelliert. Um den potenziell wettbewerbsinduzierenden Einfluss von Elektrizit¨atsimporten abzubilden, wird dabei trotz bestehender Marktunvollkommenheiten vor dem Hintergrund hoher erzeugerseitiger Konzentrationswerte in den Nachbarl¨andern von marktmachtbedingter Preisbeeinflussung auf Großhandelsebene durch EVU, wie beispielsweise Electricit´e de France in Frankreich, Electrabel in Belgien und Elsam in D¨anemark, abstrahiert. Es wird mithin auf eine detaillierte Modellierung der Wettbewerbsstrukturen analog zur Abbildung des deutschen Elektrizit¨atsmarktes verzichtet.135 F¨ ur die Großhandelsm¨arkte und damit die Elektrizit¨atsexporte aus den Nachbarl¨andern wird aus diesem Grunde eine grenzkostenbasierte Preisbildung unterstellt. Im Folgenden wird auf die Abbildung der Erzeugungskapazit¨aten in den europ¨aischen Nachbarl¨andern detailliert eingegangen.
135
94
Die Abbildung der europ¨aischen Nachbarl¨ander als vollkommene Wettbewerbsm¨arkte stellt zwar eine starke Vereinfachung der tats¨achlichen Marktstrukturen dar. Diese Annahme l¨asst sich allerdings mit der Fokussierung auf die Marktmachtpotenziale in Deutschland begr¨ unden. Vgl. zu den Wettbewerbsstrukturen in den europ¨aischen L¨andern z. B. Matthes et al. (2005) und Europ¨aische Kommission (2005b).
4.3 Regionale Angebotsstrukturen
4.3.3 Aggregierte Erzeugungskapazit¨ aten im Ausland Unter der Annahme vollkommen wettbewerblicher Marktstrukturen in den europ¨aischen Nachbarl¨andern l¨asst sich die Marktpreisbildung auf der Basis eines aggregierten Gesamtportfolios der installierten Erzeugungskapazit¨aten eines Landes abbilden, ohne die Kraftwerkskapazit¨aten den einzelnen EVU zuzuordnen. Die Kostenminimierung im Gesamtsystem f¨ uhrt unter diesen Bedingungen zu den gleichen Marktergebnissen wie die individuelle Gewinnmaximierung einzelner Unternehmen. Die Elektrizit¨atspreise werden dabei durch die Grenzerzeugungskosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks bestimmt. Wie die Unternehmen des Wettbewerbsrandes im deutschen Markt wird auch f¨ ur die Erzeugungsunternehmen in den europ¨aischen Nachbarl¨andern angenommen, dass sie nicht in der Lage sind, die Gleichgewichtspreise durch eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht zu beeinflussen. In Tabelle 4.15 sind die installierten Erzeugungskapazit¨aten in den europ¨aischen Nachbarl¨andern nach Energietr¨agern zusammen gestellt.136 Tabelle 4.15: Aggregierte Erzeugungskapazit¨aten in den Nachbarl¨ andern nach Energietr¨ agern, 2005 ETa,b
FR
BL
NL
DK
SW
PL
CZ
AT
CH
SK BK KE EG ¨ HO LW SW PS WF
10596 63263 6194 11378 7861 13231 4300 790
2237 5757 6617 521 185 2410 227
4196 449 15040 555 37 1270
5730 2977 782 11 3125
1783 8827 1466 4529 15670 430 50 504
20101 8360 983 198 200 665 1370 73
1464 7132 3494 1571 237 252 763 1150 27
1449 428 3958 492 5377 2748 3570 840
3200 450 470 3700 7995 1660 21
Gesamt
117610
17954
21546
12625
33259
31950
16089
18862
17496
a b
Angaben in MW ET: Energietr¨ager, SK: Steinkohle, BK: Braunkohle, KE: Kernenergie, EG: Erdgas, ¨ Heiz¨ol, LW: Laufwasser, SW: Speicherwasser, PS: Pumpspeicher, WF: Wind und HO: Fotovoltaik
Wie aus Tabelle 4.15 deutlich wird, unterscheiden sich die Erzeugungsportfolios in den einzelnen L¨andern teilweise erheblich. Unter anderem bedingt durch die un136
Vgl. zu den installierten Kraftwerkskapazit¨aten u. a. Eurelectric (2005b), IEA (2005b), Meller et al. (2005) und eigene Berechnungen nach IER-Kraftwerksdatenbank.
95
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt terschiedlichen geographischen, ¨okonomischen, energiepolitischen und historischen Rahmenbedingungen haben sich spezifische regionale Erzeugungsstrukturen entwickelt. So hat z. B. in Frankreich die Kernenergie mit ca. 54 % einen u ¨berdurchschnittlich hohen Anteil an der gesamten installierten Kraftwerksleistung, w¨ahrend in Polen mit etwa 89 % und der Tschechischen Republik mit etwa 53 % das Erzeugungsportfolio durch einen hohen Anteil Kohlekraftwerke gekennzeichnet ist. Dagegen ist Erdgas insbesondere in den Niederlanden mit etwa 70 % der dominierende Energietr¨ager in Bezug auf die installierte Kraftwerksleistung. Auf Grund der geographischen Bedingungen werden die ¨ Kraftwerksportfolios in den Alpenl¨andern Osterreich und Schweiz zu ca. 65 % und 77 % sowie Schweden zu etwa 49 % durch einen hohen Wasserkraftanteil gepr¨agt. Die in Tabelle 4.15 nicht genannten Erzeugungskapazit¨aten auf der Basis sonstiger Energietr¨ager wie z. B. M¨ ull, Biomasse und Biogas sind anteilig auf die Erdgas- und Heiz¨olkapazit¨aten verteilt, da angenommen wird, dass ihre Einsatzcharakteristik derjenigen der Erdgasund Heiz¨olkraftwerke ¨ahnelt. Neben den regionalen Nachfragebedingungen f¨ uhren die spezifischen Erzeugungsstrukturen zu regional abweichenden Elektrizit¨atspreisen und dem dadurch induzierten internationalen Elektrizit¨atshandel. Bevor die Modellierung des interregionalen Elektrizit¨atshandels und die zu Grunde liegenden interregionalen Transportkapazit¨aten beschrieben werden, wird im Folgenden auf die Ableitung der Grenzerzeugungskostenkurven aus den unternehmens- bzw. l¨anderspezifischen Merit-Order-Kurven eingegangen.
4.3.4 Grenzerzeugungskostenkurven Aufbauend auf der Bestimmung der unternehmens- bzw. l¨anderspezifischen Erzeugungsportfolios werden f¨ ur die Ableitung der jeweiligen kurzfristigen Grenzerzeugungskostenfunktionen unternehmens- bzw. l¨anderspezifische Merit-Order-Kurven konstruiert. Die technologische und o¨konomische Beschreibung der Merit-Order-Kurven basiert dabei auf den im Jahr 2005 beobachteten Brennstoffpreisen frei Kraftwerk, den sonstigen variablen Erzeugungskosten, den CO2 -Zertifikatepreisen, den technologiespezifischen Wirkungsgraden sowie den zeitlich variierenden energietr¨agerspezifischen Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der thermischen und hydraulischen Kraftwerke in den verschiedenen L¨andern. Die stufenf¨ormigen Merit-Order-Kurven werden dann f¨ ur die Nutzung im Oligopolmodell zu stetig-differenzierbaren Grenzerzeugungskosten- bzw. Angebotskurven approximiert. Brennstoff-, CO2 - und sonstige Erzeugungskosten var Die variablen Elektrizit¨atserzeugungskosten Km,r der verschiedenen thermischen und hydraulischen Kraftwerkstypen m ∈ M, werden wesentlich von den Annahmen u ¨ber die
96
4.3 Regionale Angebotsstrukturen Energietr¨agerpreise PrET , die elektrischen Wirkungsgrade ηm,c , die sonstigen variablen var,OM Kosten f¨ ur Wartung und Betrieb Km und die CO2 -Zertifikatepreise P CO2 bestimmt. Die Energietr¨agerpreise frei Kraftwerk basieren dabei auf den im Jahr 2005 beobachtbaren Großhandelspreisen an den internationalen Rohstoffm¨arkten sowie den zu Grunde gelegten Brennstofftransportkosten und regionalen Steuern.137 Die Tabelle 4.16 stellt die im Modell genutzten Energietr¨agerpreisen frei Kraftwerk f¨ ur die einzelnen Regionen zusammen. Tabelle 4.16: Energietr¨agerpreise frei Kraftwerk in den Modellregionen Energietr¨ agera DE
FR
BL
NL
DK
SW
PL
CZ
AT
CH
Steinkohle Braunkohle Uran Erdgas Heiz¨ ol, leicht
7,1 2,5 22,0 35,4
7,3 2,5 17,2 36,7
7,9 2,5 19,8 35,4
9,5 22,0 34,2
10,5 2,5 20,0 32,0
6,7 2,7 22,0 29,9
7,9 2,7 2,5 21,2 30,2
9,0 3,5 21,3 32,0
8,7 2,5 22,0 35,4
a
7,9 3,5 2,5 22,0 35,4
Angaben in e/MWhth
Anders als bei thermischen Kraftwerken fallen f¨ ur die Wasserkraftwerke keine Kosten f¨ ur den Einsatz von Prim¨arenergietr¨agern an. F¨ ur den Betrieb der Pumpspeicherkraftwerke muss allerdings die notwendige Pumpenergie entweder in eigenen Kraftwerken erzeugt oder u ¨ber den Großhandelsmarkt beschafft werden. Die Beschaffungskosten k¨onnen daher vereinfachend als variable Erzeugungskosten dieser Pumpspeicherkraftwerke interpretiert werden.138 Vor dem Hintergrund der Annahme, dass die Speicherbecken in den Zeiten geringerer Nachfrage bzw. niedrigerer Elektrizit¨atspreise bef¨ ullt werden und die Elektrizit¨atspreise am Großhandelsmarkt auch bei der Eigenerzeugung der Pumpenergie Opportunit¨atskosten darstellen, werden die regionalen B¨orsenpreise in den Off-Peak-Segmenten als variable Erzeugungskosten der Pumpspeicherkraftwerke genutzt. Tabelle 4.17 gibt die regionalen Beschaffungskosten f¨ ur Pumpenergie an.139 Als sonstige variable Erzeugungskosten der verschiedenen Kraftwerke werden neben den Preisen f¨ ur CO2 -Zertifikate die erzeugungsmengenabh¨angigen Betriebs- und Wartungskosten einbezogen. Da die sonstigen Kosten im Vergleich zu den Brennstoffkosten nur einen geringen Teil der gesamten variablen Erzeugungskosten ausmachen, wird hier 137
138
139
Vgl. zu den internationalen Brennstoffpreisen auch IEA (2007) sowie zu den Brennstofftransportkosten z. B. Konstantin (2006) und Ellersdorfer et al. (2008b) S. 21. Obwohl sich die Opportunit¨atskosten des Einsatzes von Pumpspeicherkraftwerken aus ihrer dynamischen Einsatzoptimierung ableitet, wird f¨ ur die hier vorgenommene Analyse vereinfachend eine Bewertung auf der Basis der Pumpenergiekosten vorgenommen. Vgl. dazu auch die Tabelle 4.6 in Kapitel 2.2.5.
97
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt Tabelle 4.17: Beschaffungskosten f¨ ur Pumpenergie in den Modellregionen Zeitsegmenta DE
FR
BL
NL
DK
SW
PL
CZ
AT
CH
Sommer Winter ¨ Ubergang
35,0 40,8 39,4
37,1 37,3 40,3
37,4 37,6 41,1
28,7 27,4 30,7
28.3 27,3 30,5
26,8 26,7 26,7
23,4 26,8 27,1
37,1 37,9 40,8
37,1 37,3 40,3
a
37,1 37,3 40,3
Angaben in e/MWh
auf energietr¨agerspezifische Durchschnittswerte zur¨ uck gegriffen und von regionalen Unterschieden abstrahiert. Tabelle 4.18 gibt die sonstigen variablen Erzeugungskosten sowie die CO2 -Emissionsfaktoren γm f¨ ur die verschiedenen Energietr¨ager bzw. Kraftwerkstypen an. Tabelle 4.18: Sonstige variable Erzeugungskosten und CO2 -Emissionsfaktoren nach Energietr¨ agern Energietr¨ ager Steinkohle Braunkohle Kernenergie Erdgas Heiz¨ ol Wasserkraft
sonst. var. Kosten [e/MWh]
CO2 -Emissionsfaktoren [t/MWhth ]
2,0 1,6 0,5 1,2 1,2 2,5
0,3309 0,3993 0,2014 0,2662 -
Die Annahmen f¨ ur die CO2 -Zertifikatepreise basieren auf den an der European Energy Exchange im Jahr 2005 beobachtbaren Preisen f¨ ur First Period European Carbon Futures mit F¨alligkeit Ende 2006. Auf Grund der stark volatilen Preisentwicklung wird hier ein durchschnittlicher europ¨aischer Zertifikatepreis von 21,97 e/t CO2 angenommen.140 Neben den Brennstoffkosten, den Kosten f¨ ur die notwendigen CO2 -Zertifikate sowie die variablen Betriebs- und Wartungskosten sind die variablen Erzeugungskosten eines Kraftwerks von seinem elektrischen Wirkungsgrad abh¨angig. Der Wirkungsgrad h¨angt dabei insbesondere vom Turbinentyp und vom Jahr der Inbetriebnahme bzw. Ert¨ uchtigung des Kraftwerks ab. Im Folgenden wird auf die Bestimmung der Wirkungsgrade der verschiedenen Kraftwerke bzw. Kraftwerksklassen n¨aher eingegangen. 140
98
Ber¨ ucksichtigt sind die t¨aglichen Settlementpreise der CO2 -Zertifikate vom Beginn des Emissionshandels an der EEX am 9. M¨arz 2005 bis zum 30. Dezember 2005.
4.3 Regionale Angebotsstrukturen Wirkungsgrade und Kraftwerksklassen Die unternehmens- und regionenspezifischen Erzeugungsportfolios weisen eine historisch gewachsene Alterstruktur auf, wobei sich die Wirkungsgrade der Kraftwerke mit der ¨ technischen Entwicklung verbessert haben. Altere Kraftwerke eines bestimmten Typs haben i. d. R. niedrigere Wirkungsgrade und damit h¨ohere variable Erzeugungskosten als neuere Kraftwerke des gleichen Typs. Da nur f¨ ur wenige existierende Kraftwerke exakte Informationen u ¨ber die Wirkungsgrade ver¨offentlicht werden und die Vielzahl der Erzeugungsanlagen im deutschen Elektrizit¨atsversorgungssystem eine standortbasierte Analyse erheblich erschwert, werden im Folgenden die Wirkungsgrade in Abh¨angigkeit des Inbetriebnahmejahres, des eingesetzten Brennstoffes und des Turbinentyps analytisch bestimmt.141 Als Referenzentwicklung wird dabei die Steigerung der Wirkungsgrade steinkohlebefeuerter Dampfturbinenkraftwerke herangezogen. Ausgehend von dieser Entwicklung lassen sich dann die altersabh¨angigen Wirkungsgrade anderer Kraftwerkstypen ableiten. Zwischen 1965 und 1998 hat beispielsweise der Auslegungswirkungsgrad von Steinkohlekraftwerken im Jahr um durchschnittliche 0,4 % zugenommen.142 Viele Anlagen haben zudem nach der Inbetriebnahme z. B. auf Grund h¨oherer Umweltanforderungen Leistungs- und Wirkungsgradsteigerungen durch Modernisierungsmaßnahmen erfahren. Die heutigen Wirkungsgrade dieser Kraftwerke liegen daher teilweise u ¨ber denjenigen zum Zeitpunkt des Kraftwerksneubaus. Um die modernisierungsbedingten Wirkungsgradsteigerungen bei konventionellen Kraftwerken zu ber¨ ucksichtigen, werden diese ebenfalls in die Berechnung einbezogen. Als Referenzentwicklung bei Steinkohlekraftwerken, deren Inbetriebnahmejahr c zwischen 1950 und 2000 liegt, berechnet sich der elektrische Wirkungsgrad nach der hier genutzten Methode wie folgt: ηSK,c =
0, 2982(c − 1950) + 28, 821 100
(4.13)
F¨ ur den Wirkungsgrad der Steinkohlekraftwerke, die zwischen 2000 und 2005 gebaut wurden, gilt dagegen: ηSK,c = 0, 70 −
1 c−1880 e 90
(4.14)
Ausgehend von der Wirkungsgradentwicklung bei Steinkohlekraftwerken wird f¨ ur die anderen konventionellen Kraftwerke m = SK ∈ M angenommen, dass sich ihr Wir141
142
Vgl. f¨ ur die hier genutzte analytische Methode zur Berechnung der Wirkungsgrade in Abh¨angigkeit des Inbetriebnahmejahres Folke (2000). Vgl. Folke (2000) S. 45.
99
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt kungsgrad ηm,c ausgehend von einem Referenzwert ηm,cref analog zum Wirkungsgrad der Steinkohlekraftwerke entwickelt hat.143 Entsprechend gilt f¨ ur diese Kraftwerkstypen: ηm,c = ηm,cref
ηSK,c ηSK,cref
(4.15)
Anders als f¨ ur die konventionell-thermischen Kraftwerke wird f¨ ur die Kernkraftwerke ein altersunabh¨angiger einheitlicher Wirkungsgrad von 33 % angenommen. F¨ ur die Wasserkraftwerke und Fotovoltaikanlagen, die nicht wie die Windenergiekapazit¨aten in Deutschland nachfrageseitig erfasst werden, hat der Wirkungsgrad f¨ ur die Bestimmung der variablen Erzeugungskosten keine Bedeutung.144 Die analytische Berechnung der Wirkungsgrade f¨ uhrt auf Grund der differenzierten Altersstruktur des deutschen Kraftwerksparks zu einer detaillierten Beschreibung der Erzeugungsstrukturen mit etwa 230 unterschiedlichen Kraftwerkstypen und entsprechend differenzierten Merit-Order-Kurven. Im Gegensatz zu den deutschen EVU wird f¨ ur die Beschreibung der Merit-OrderKurven in den europ¨aischen Nachbarl¨andern auf Kraftwerksklassen zur¨ uck gegriffen. F¨ ur die Eingruppierung der verschiedenen Anlagen in die Kraftwerksklassen wird auf den eingesetzten Brennstoff, das Jahr der Inbetriebnahme und den Turbinentyp Bezug genommen. In Tabelle 4.19 sind die Annahmen zu den durchschnittlichen Wirkungsgraden der im benachbarten Ausland definierten Kraftwerksklassen zusammen gefasst. Tabelle 4.19: Durchschnittliche Wirkungsgrade in den Kraftwerksklassen der europ¨ aischen Nachbarl¨ander
Kraftwerkstyp Steinkohlekraftwerk Braunkohlekraftwerk Kernkraftwerk Erdgaskraftwerk Heiz¨ olkraftwerk Erdgas, Gasturbine Heiz¨ ol, Gasturbine Erdgas, GuD 143
144
Einheit
< 1975
% % % % % % % %
32,4 30,9 33,0 38,9 37,9 25,0 24,0 39,0
Jahr der Inbetriebnahme 1975 - 1985 1986 - 1995 37,8 36,0 33,0 44,3 43,3 29,0 28,0 46,0
40,9 39,0 33,0 47,4 46,4 30,0 29,0 52,0
> 1995 43,8 41,8 33,0 50,3 49,3 35,0 34,0 57,0
Trotz der im Vergleich zu den Dampfturbinenkraftwerken weniger kontinuierlichen Entwicklung der Wirkungsgrade von Gasturbinen- und GuD-Kraftwerken wird hier vereinfachend von analogen Effizienzsteigerungen ausgegangen. Vgl. zur hier genutzten Wirkungsgradmethode VDI (2000) und Hoffmann (1995).
100
4.3 Regionale Angebotsstrukturen Auf der Basis der Wirkungsgrade sowie der Brennstoff-, CO2 - und sonstigen variablen Erzeugungskosten berechnen sich die variablen Gesamtkosten der verschiedenen Kraftwerkstypen bzw. Kraftwerksklassen in den Regionen insgesamt wie folgt: 1 ET var var,OM Km,r = Pm,r + P CO2 γm + Km (4.16) ηm Um zeit- und lastsegmentspezifische Grenzerzeugungskostenkurven berechnen zu k¨onnen, m¨ ussen neben den variablen Erzeugungskosten auch die unterschiedlichen Kraftwerksverf¨ ugbarkeiten ber¨ ucksichtigt werden. Kraftwerksverf¨ ugbarkeiten Im Allgemeinen weichen die Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der unterschiedlichen thermischen Kraftwerkstypen in den verschiedenen Regionen auf Grund revisionsbedingter Stillstandszeiten, K¨ uhlwasserbedingungen und stochastischer Ausf¨alle voneinander ab. Die Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der hydraulischen Kraftwerke werden dar¨ uber hinaus in erster Linie von den zeitlich und regional abweichenden Wasserzufl¨ ussen bestimmt. W¨ahrend f¨ ur die Kernkraft- sowie die Lauf- und Speicherwasserkraftwerke regionenspezifische Arbeitsverf¨ ugbarkeiten angenommen werden, wird auf Grund fehlender Informationen f¨ ur die konventionell-thermischen Kraftwerke bei der Modellanwendung vereinfachend angenommen, dass sich die Arbeitsverf¨ ugbarkeiten zwar brennstoff- und technologiespezifisch unterscheiden, regionale Unterschiede aber vernachl¨assigt werden k¨onnen. Tabelle 4.20 stellt die durchschnittlichen regionenspezifischen Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der Kernkraft- sowie der Lauf- und Speicherwasserkraftwerke, Tabelle 4.21 die technologiespezifischen aber regional identischen Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der konventionellthermischen Kraftwerke dar. F¨ ur die konventionell-thermischen Kraftwerke wird grunds¨atzlich unterstellt, dass die Kraftwerksrevisionen in den Sommermonaten stattfinden und die zeitliche Verf¨ ugbarkeit daher in den Sommermonaten am geringsten und in den Wintermonaten am h¨ochsten ist.145 F¨ ur die Pumpspeicherkraftwerke wird angenommen, dass die Turbinenleistung nur in den Zeiten hoher Nachfrage, d. h. den Peak-Segmenten, zur Verf¨ ugung steht, w¨ahrend in den Off-Peak-Segmenten die Speicherbecken gef¨ ullt werden. Mit der jeweiligen Arbeitsverf¨ ugbarkeit χm,r,t,l berechnet sich die in den einzelnen Zeit- und Lastsegmenten maximal einsetzbare Kraftwerksleistung xmax i,r,t,l aus der Summe der installierten Leistung x˜inst m,i,r der unterschiedlichen Technologien m damit wie folgt: x˜inst (4.17) xmax i,r,t,l = m,i,r χm,r,t,l m∈M 145
Vgl. zu den verwendeten Daten der Arbeitsverf¨ ugbarkeiten, UCTE (2007).
101
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt
Tabelle 4.20: Durchschnittliche regionale Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der Wasser- und Kernkraftwerke
Region
Einheit
DE FR BL NL DK SW PL CZ AT CH a
% % % % % % % % % %
Wasserkrafta ¨ Sommer Winter Ubergang 32,8 24,9 32,8 32,8 14,0 37,2 10,6 16,6 49,2 38,3
32,9 35,2 32,9 32,9 34,3 49,6 17,3 22,7 35,5 27,7
Sommer
34,5 28,3 34,5 34,5 24,9 43,8 19,2 19,9 43,5 28,4
Kernenergie ¨ Winter Ubergang
79,0 69,1 86,4 92,2 73,4 77,2 68,3
95,3 84,7 94,7 98,6 96,7 82,6 99,7
87,7 76,4 85,7 93,1 88,1 74,0 92,1
Laufwasser- und Speicherwasserkraftwerke
Tabelle 4.21: Durchschnittliche Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der konventionell-thermischen Kraftwerke Kraftwerkstyp Braunkohle Steinkohle Erdgas, Dampfturbine Erdgas, Gasturbine Erdgas, GuD-Kraftwerk Heiz¨ ola, Gasturbine a
102
Heiz¨ol, leicht
Einheit
Sommer
Winter
¨ Ubergang
% % % % % %
82,0 82,0 82,0 82,0 82,0 82,0
91,0 91,0 85,0 85,0 85,0 85,0
86,0 86,0 84,0 84,0 84,0 84,0
4.3 Regionale Angebotsstrukturen
Mit den Annahmen u ¨ber die variablen Erzeugungskosten und die Kraftwerksverf¨ ugbarkeiten lassen sich jetzt die unternehmens- bzw. regionenspezifischen Merit-Order Kurven konstruieren, auf deren Basis die Grenzerzeugungskosten- bzw. Angebotsfunktionen abgeleitet werden. Approximation der Merit-Order-Kurven Die unterschiedlichen Arbeitsverf¨ ugbarkeiten der Kraftwerke f¨ uhren zu differenzierten regionalen Angebotsbedingungen in den drei Zeit- und zwei Lastsegmenten. Um diese Unterschiede im Modell abzubilden, werden die Erzeugungsm¨oglichkeiten der relevanten Spieler und des Wettbewerbsrandes in Deutschland sowie der Erzeugungssysteme in den europ¨aischen Nachbarl¨andern durch jeweils sechs segmentspezifische MeritOrder-Kurven repr¨asentiert. Die Form der Merit-Order-Kurven wird dabei durch die Annahmen u ugbarkeiten sowie die ¨ber die variablen Erzeugungskosten, die Arbeitsverf¨ Einsatzcharakteristik der Pumpspeicherkraftwerke bestimmt. Die Abbildungen 4.3 und 4.4 stellen exemplarisch die Merit-Order-Kurven der E.ON Energie AG und der RWE Power AG f¨ ur unterschiedliche Zeit- und Lastsegmente dar. Insgesamt werden f¨ ur die Modellanwendung zur Abbildung der verschiedenen Erzeugungsportfolios der Unternehmen in Deutschland und der aggregierten Erzeugungskapazit¨aten der europ¨aischen Nachbarl¨ander in den Zeit- und Lastsegmenten 84 unterschiedliche Merit-Order-Kurven berechnet.
Grenzerzeugungskosten [€/MWh]
200,0
160,0
Sommer-Peak
Sommer-Off-Peak
Winter-Peak
Winter-Off-Peak
Übergang-Peak
Übergang-Off-Peak
120,0
80,0
40,0
0,0 0
4000
8000
12000
16000
20000
24000
28000
Kumulierte verfügbare Erzeugungskapazität [MW]
Abbildung 4.3: Merit-Order-Kurven der E.ON Energie AG
103
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt
Grenzerzeugungskosten [€/MWh]
160,0 Sommer-Peak
Sommer-Off-Peak
Winter-Peak
Winter-Off-Peak
Übergang-Peak
Übergang-Off-Peak
120,0
80,0
40,0
0,0 0
4000
8000
12000
16000
20000
24000
28000
Kumulierte verfügbare Erzeugungskapazität [MW]
Abbildung 4.4: Merit-Order-Kurven der RWE Power AG
Wie aus den exemplarischen Verl¨aufen der Merit-Order-Kurven f¨ ur die E.ON Energie AG und die RWE Power AG deutlich wird unterscheiden sich die Kurven f¨ ur die verschiedenen Unternehmen in den unterschiedlichen Nachfragesegmenten teilweise erheblich. Gleiches gilt f¨ ur die segmentspezifischen Merit-Order-Kurven der aggregierten Erzeugungsportfolios in den Nachbarl¨andern. Um die stufenf¨ormigen Merit-Order-Kurven im Oligopolmodell nutzen zu k¨onnen, m¨ ussen sie zu stetig-differenzierbaren Grenzerzeugungskostenkurven approximiert werden. Um dabei eine m¨oglichst gute Ann¨aherung der Funktionen an die tats¨achlichen Merit-Order-Kurven zu erreichen wird die Approximation auf der Basis polynomischer Funktionen vierten Grades vorgenommen. Die Nutzung polynomischer Funktionen h¨oheren Grades erm¨oglicht dabei eine z. B. im Vergleich zur Nutzung linearer Funktionen bessere Anpassung an die durch die Zusammensetzung der Kraftwerksportfolios determinierte Form der Merit-Order-Kurven. Die zu berechnenden Grenzerzeugungskostenkurven GKi,t,l (xi,t,l ) : R → R+ f¨ ur die EVU bzw. aggregierten Erzeugungsportfolios i, in den Zeitsegmenten t und Lastsegmenten l haben dabei folgende analytische Form: GKi,t,l (xi,t,l ) = c1,i,t,l x4i,t,l + c2,i,t,l x3i,t,l + c3,i,t,l x2i,t,l + c4,i,t,l xi,t,l + c5,i,t,l
(4.18)
Zur Approximation werden die Regressionskoeffizienten c1,i,t,l bis c5,i,t,l der Grenzerzeugungskostenfunktion mit Hilfe der Kleinste-Quadrate-Sch¨atzung so berechnet, dass die quadrierten Abweichungen der Regressionsfunktion von den Zielwerten, hier den var technologiespezifischen variablen Erzeugungskosten Km,r f¨ ur unterschiedliche Erzeu-
104
4.3 Regionale Angebotsstrukturen gungsmengen x˜m,i,t,l der verschiedenen Kraftwerkstypen m minimiert werden, wobei f¨ ur c1,i,t,l bis c4,i,t,l ∈] − ∞, ∞[ und c5,i,t,l ∈ [0, ∞[ gilt. Um im Rahmen der Modellanwendung eindeutige Gleichgewichtsl¨osungen zu gew¨ahrleisten, wird als Nebenbedingung eine monoton steigende Grenzerzeugungskostenfunktionen verlangt. Das nicht-lineare Optimierungsproblem unter Nebenbedingungen l¨asst sich bei Vernachl¨assigung der Indizes f¨ ur die Zeitsegmente t und die Lastsegmente l ∀ i, t, l formal wie folgt beschreiben: 2 var min Km,r − c1,i x˜4m,i + c2,i x˜3m,i + c3,i x˜2m,i + c4,i x˜m,i + c5,i (4.19) c1,i ,...,c5,i
m∈M
unter der Nebenbedingung einer monoton steigenden Regressionsfunktion: 4c1,i x˜3m,i + 3c2,i x˜2m,i + 2c3,i x˜m,i + c4,i ≥ 0
(4.20)
Abbildung 4.5 stellt als Ergebnis der Optimierung noch einmal exemplarisch die stufenf¨ormigen Merit-Order-Kurven der E.ON Energie AG sowie die approximierten stetig differenzierbaren Grenzerzeugungskostenkurven f¨ ur die verschiedenen Zeit- und Lastsegmente dar.
Grenzerzeugungskosten [€/MWh]
200,0
160,0
Sommer-Peak
Sommer-Peak (app.)
Sommer-Off-Peak
Sommer-Off-Peak (app.)
Winter-Peak
Winter-Peak (app.)
Winter-Off-Peak
Winter-Off-Peak (app)
120,0
80,0
40,0
0,0 0
4000
8000
12000
16000
20000
24000
28000
Kumulierte verfügbare Erzeugungskapazität [MW]
Abbildung 4.5: Merit-Order-Kurven der E.ON Energie AG und Approximation f¨ ur zwei Sommer- und zwei Wintersegmente
F¨ ur die vollst¨andige Modellierung der Elektrizit¨atshandelsm¨oglichkeiten der Erzeugungsunternehmen m¨ ussen neben den regionalen Nachfrage- und Angebotsbedingungen auch die Bedingungen zum interregionalen Elektrizit¨atsaußenhandel abgebildet werden. ¨ Im Folgenden wird daher auf die Abbildung der europ¨aischen Ubertragungsnetze sowie die Modellierung der Transportkosten und Netzverluste eingegangen.
105
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt
4.4 Interregionaler Elektrizit¨ atstransport Die M¨oglichkeiten zum interregionalen Elektrizit¨atshandel und der damit verbundene Einfluss auf die Begrenzung der erzeugerseitigen Marktmachtpotenziale im Großhandelsmarkt sind in erster Linie von den jeweiligen zuvor beschriebenen regionalen Nachfrageund Angebotsbedingungen sowie den Kapazit¨aten der grenz¨ uberschreitenden Kuppelstellenkapazit¨aten und den anfallenden Kosten f¨ ur den Elektrizit¨atstransport abh¨angig. F¨ ur die Abbildung des interregionalen Elektrizit¨atshandels wird in Kapitel 4.4.1 auf die Kuppelstellenkapazit¨aten und in Kapitel 4.4.2 auf die Annahmen zu den Transportkosten und Netzverlusten eingegangen.
4.4.1 Kuppelstellenkapazit¨ aten ¨ Die Modellierung der vorhandenen Ubertragungskapazit¨ aten zwischen Deutschland und seinen Nachbarl¨andern basiert auf den von ETSO angegebenen Net Transfer Capacities (NTC).146 Obwohl die NTC u. a. in Abh¨angigkeit der Bedingungen in den regionalen Elektrizit¨atssystemen nicht konstant sind, sondern zeitlich schwanken, werden f¨ ur die Modellanalyse vereinfachend Durchschnittswerte genutzt. Ausgehend von den ver¨offentlichten Werten f¨ ur die Sommer- und Wintermonate der Jahre 2002 bis 2005 berechnen ¨ sich die durchschnittlichen bilateralen Ubertragungskapazit¨ aten zu den in Tabelle 4.22 147 angegebenen Werten. Eine weitere Vereinfachung besteht in der Annahme, dass sich die Leitungskapazit¨aten f¨ ur Elektrizit¨atsimporte und Elektrizit¨atsexporte entsprechen. F¨ ur die i. A. max nicht-symmetrischen NTC-Werte zwischen verschiedenen Regionen wird mit Tr↔q und r = q ∈ Q also angenommen, dass die Leitungskapazit¨aten in beide Richtungen identisch sind. Anders als f¨ ur die grenz¨ uberschreitenden Transportkapazit¨aten zwischen verschie¨ denen Regionen wird f¨ ur die Ubertragungsnetze innerhalb einer Region angenommen, max dass mit Tr↔r = ∞ keine Kapazit¨atsbeschr¨ankungen existieren. 146 147
Vgl. zu den Transportkapazit¨aten auch Kapitel 2.1.3. Auf eine lastflussbasierte Abbildung des Außenhandels z. B. auf der Basis einer vereinfachenden ¨ DC-Modellierung des Ubertragungsnetzes oder der Verwendung von PTDF wird verzichtet, da die Handelsentscheidungen der Unternehmen am Großhandelsmarkt i. A. nicht von den physikalischen Lastfl¨ ussen beeinflusst werden und f¨ ur die Quantifizierung der Marktmachtpotenziale daher eine entsprechende Ber¨ ucksichtigung nicht notwendig ist.
106
4.4 Interregionaler Elektrizit¨atstransport Tabelle 4.22: Annahmen u uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨ aten zwi¨ ber die grenz¨ schen den Modellregionen Regiona DE
FR
BL
NL
DK
SW
PL
CZ
AT
CH
∞ 3829 1900 3321 1750 500 1380 2027 1483 3593
3829 ∞ 2750 3500
1900 2750 ∞ 2963 -
3321 2963 ∞ -
1750 ∞ 2250 -
500 2250 ∞ 575 -
1380 575 ∞ 2315 -
2027 2315 ∞ 1134 -
1500 1134 ∞ 1417
3593 3500 1417 ∞
DE FR BL NL DK SW PL CZ AT CH a
Angaben in MW
4.4.2 Transportkosten und Netzverluste Die Abbildung der f¨ ur grenz¨ uberschreitenden Elektrizit¨atshandel anfallenden Transportkosten basiert auf einer knappheitsorientierten Bepreisung der vorhandenen Kuppelleitungskapazit¨aten. Unter der Annahme, dass die Grenzkosten einer Netznutzung bei ¨ ¨ vorliegenden Uberkapazit¨ aten im Ubertragungsnetz zwischen zwei Regionen null und ¨ nur bei Auslastung des Ubertragungsnetzes positiv sind, fallen Transportkosten nur bei vorhandenen Netzengp¨assen in H¨ohe der jeweiligen Knappheitsrente der betroffenen Kuppelleitung an. Die Transportkosten sind damit von den jeweiligen Angebots- und Nachfragebedingungen in den nationalen Elektrizit¨atsm¨arkten und den dadurch induzierten regionalen Preisdifferenzen abh¨angig. Die Knappheitsrente τr→q,t,l , d. h. die an der Kuppelstelle zwischen den Regionen r und q zu ber¨ ucksichtigenden Transportkosten nimmt damit mit steigendem preisinduzierten interregionalem Elektrizit¨atshandel zu. Die in einem Zeit- und Lastsegment anfallenden Transportkosten werden damit von den Optimierungsentscheidungen der Unternehmen beeinflusst. Ein weiterer Bestandteil der Transportkosten ist in den anfallenden Netzverlusten zu sehen. Innerhalb einer Region, d. h. bis zur Kuppelstelle werden die Netzverluste ζr als Teil der inl¨andischen Elektrizit¨atserzeugung ber¨ ucksichtigt. Zus¨atzliche, an der Kuppelstelle anfallende Verluste werden dagegen vernachl¨assigt. Auf die Abbildung dar¨ uber hinaus gehender fixer Kostenkomponenten, die unabh¨angig von der jeweiligen Engpasssituation f¨ ur die
107
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt Netznutzung getragen werden m¨ ussen, wird bei der Modellanwendung verzichtet.148 Die Großhandelspreise beinhalten damit sowohl die Kosten der Elektrizit¨atserzeugung als auch die Kosten f¨ ur die Verlustenergiebereitstellung sowie etwaige anfallende Knapp¨ heitsrenten f¨ ur die Ubertragungskapazit¨ aten.
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung Aufbauend auf der Abbildung der Nachfrage-, Angebots- und Transportbedingungen kann jetzt das Verhalten der Erzeugungsunternehmen am Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt vor dem Hintergrund der gegebenen Wettbewerbssituation beschrieben werden. Um die erzeugerseitigen Marktmachtpotenziale im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt zu quantifizieren, werden die Bedingungen f¨ ur eine simultane Gewinnmaximierung der Unternehmen und die damit verbundenen Marktgleichgewichte im Rahmen eines zweistufigen Marktprozesses abgeleitet. Bei der Modellanwendung werden dann die Marktergebnisse bei strategischem Verhalten der Oligopolunternehmen mit den Marktergebnissen einer Referenzsituation, in der vollst¨andiger Wettbewerb angenommen wird, verglichen. Weichen die Oligopolergebnisse von den Wettbewerbsergebnissen z. B. in Bezug auf Elektrizit¨atspreise oder Erzeugungs- bzw. Angebotsmengen ab, so k¨onnen diese Abweichungen c. p. auf Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht hindeuten. In Kapitel 4.5.1 wird zun¨achst die Sequenz der Handelsentscheidungen im Rahmen des zweistufigen Marktprozesses skizziert. Das Verhalten der Unternehmen am Spotmarkt wird in Kapitel 4.5.2 und die dabei zu ber¨ ucksichtigenden Erzeugungs- und Transportrestriktionen in Kapitel 4.5.3 beschrieben. Die Bedingungen f¨ ur ein Marktgleichgewicht am Spotmarkt werden in Kapitel 4.5.4 abgeleitet, bevor in Kapitel 4.5.5 auf das Verhalten der Unternehmen am Terminmarkt und das daraus resultierende Gleichgewicht eingegangen wird.
4.5.1 Marktprozess Die Erzeugungsunternehmen maximieren ihren Gewinn Πi (fi , vi ) : Rn → R im Rahmen eines zweistufigen Marktprozesses, indem sie auf der ersten Stufe zun¨achst u ¨ber die Forwardmenge entscheiden, die sie am Terminmarkt handeln wollen und auf der zweiten Stufe anschließend die optimale physische Produktionsmenge am Spotmarkt anbieten. Die physische Angebotsmenge si eines EVU i setzt sich dabei einerseits aus der u ¨ber 148
Zu denken ist hier beispielsweise an die Kosten f¨ ur Regelenergievorhaltung, die Teil der Netznutzungsentgelte sind.
108
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung Derivate, wie z. B. Forwards und Futures gehandelten Terminmarktmenge fi und andererseits aus der angebotenen Spotmarktmenge vi zusammen. Unter Vernachl¨assigung der Indizes f¨ ur die Regionen r, die Zeitsegmente t und die Lastsegmente l l¨asst sich der Gewinn ∀ i, r, t, l aus dem zweistufigen Marktprozess wie folgt beschreiben:149 Πi (fi , vi ) = P f (F )fi + P (F + V )vi − Ki (fi + vi )
(4.21)
Der erste Term beschreibt den Umsatz von EVU i am Terminmarkt mit dem For wardpreis P f (F ) und der gesamten angebotenen Forwardmenge F = ni=1 fi . Der zweite Term beschreibt den Umsatz am Spotmarkt, wobei der Spotmarktpreis P (F + V ) von der insgesamt gehandelten Forwardmenge F und der angebotenen Spotmarktmenge V , mit V = ni=1 vi abh¨angt. Die Erzeugungskosten Ki (xi ) der von EVU i am Spot- und Terminmarkt abgesetzten Elektrizit¨atsmenge ist nach Gl. (4.18) ∀ i, t, l wie folgt definiert: xi Ki (xi ) =
c1,i x4i + c2,i x3i + c3,i x2i + c4,i xi + c5,i dxi
(4.22)
0
F¨ ur die physische Produktionsmenge xi gilt unter Ber¨ ucksichtigung der M¨oglichkeiten zum interregionalen Elektrizit¨atshandel sowie der Angebot-Nachfrage-Bilanz aus Gl. (4.6) ∀ i, t, l: xi,t,l =
n
si,r,t,l
(4.23)
r=1
Da die u ur die gewinnmaxi¨ber Derivate bereits gehandelten Elektrizit¨atsmengen f¨ mierenden Erzeugungs- bzw. Angebotsmengen der Unternehmen am Spotmarkt nicht mehr relevant sind, konkurrieren die EVU ausschließlich um die verbleibende Restnachfrage. Forward- und Spotmarktkontrakte stellen in diesem Zusammenhang strategische Substitute dar.150 Unter Beachtung der Beziehungen si = fi + vi und S = F + V sowie Gl. (4.23) l¨asst sich Gl. (4.21) ∀ i, r, t, l durch Umformung auch wie folgt darstellen: Πi (si , fi ) = P (S)si + fi (P f − P (S)) − Ki (si )
(4.24)
Die gesamte Angebotsmenge auf der zweiten Marktstufe S = ni=1 si = si + nj=1 sj mit i = j determiniert damit den gleichgewichtigen Elektrizit¨atspreis auf der zweiten Marktstufe, den Spotmarktpreis P (S). Der Gewinn, den ein EVU i am Forwardmarkt 149
150
In den Kapiteln 4.5.1 bis 4.5.5 wird, sofern es f¨ ur das Verst¨andnis nicht notwendig ist, auf eine vollst¨andige Indizierung der einzelnen Gleichungen verzichtet. Auf diesen Aspekt wird im folgenden Kapitel 4.5.2 noch eingegangen.
109
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt realisiert, setzt sich aus fi (P f − P (S)) und damit aus der Differenz von Forward- und Spotmarktpreis zusammen. Die Nachfrage nach bzw. das Angebot an Terminmarktkontrakten resultiert einerseits aus den Forwardk¨aufen (fi,t,l < 0) bzw. -verk¨aufen (fi,t,l > 0) der Erzeugungsunternehmen selbst und andererseits den K¨aufen bzw. Verk¨aufen anderer Marktteilnehmer. Dabei wird angenommen, dass neben den EVU auch Spekulanten bzw. Elektrizit¨atsh¨andler ohne Eigenerzeugung k ∈ K als Nachfrager bzw. Anbieter von Terminmarktkontrakten auftreten. Auf Grund der reinen Handelst¨atigkeiten der Spekulanten bzw. Elektrizit¨atsh¨andler ohne Eigenerzeugung reduziert sich die Gewinnfunktion dieser Unternehmen auf die Aktivit¨aten am Forwardmarkt. Die gesamte am Terminmarkt angebotene bzw. nachgefragte Forwardmenge der Spekulanten bzw. Handelsunternehmen berechnet sich zu m Ut,l = aufe werden durch uk,t,l < 0 und Forwardverk¨aufe durch k=1 uk,t,l . Forwardk¨ uk,t,l > 0 beschrieben. F¨ ur den Gewinn Πk (uk ) : Rn → R dieser Unternehmen gilt ∀ k, t, l: Πk (uk ) = uk (P f − P (S))
(4.25)
Aus den Gewinnfunktionen der Erzeugungsunternehmen Πi (si,r,t,l ) und der Spekulanten Πk (uk,t,l ) l¨asst sich jetzt das zweistufige, nicht-lineare Optimierungsproblem zur Ableitung der Marktgleichgewichte zusammenfassend wie folgt beschreiben. 1. Marktstufe: Die Unternehmen entscheiden im ersten Schritt zun¨achst u ¨ber die Menge der Forwardkontrakte, die sie am Terminmarkt handeln wollen unter Ber¨ ucksichtigung der damit verbundenen Auswirkungen auf die Spotmarktgleichgewichte. 2. Marktstufe: Im zweiten Schritt optimieren die Erzeugungsunternehmen ihr physisches Produktionsprogramm zur Gewinnmaximierung am Spotmarkt unter Ber¨ ucksichtigung der am Terminmarkt getroffenen Handelsentscheidungen. Der Gesamtgewinn eines Unternehmens in einem Jahr setzt sich aus der Summe der in Gl. (4.24) beschriebenen Gewinne in den Regionen sowie den Zeit- und Lastsegmenten zusammen. Es gilt: Πi (si ) =
n n n
Πi,r,t,l (si,r,t,l )
(4.26)
r=1 t=1 l=1
F¨ ur das Unternehmensverhalten und die Gewinnmaximierung gelten folgende zus¨atzliche Modellannahmen:
110
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung A1 Die Oligopolunternehmen haben rationale Erwartungen u ¨ber die auf der zweiten Marktstufe resultierenden Gleichgewichte. A2 Die Oligopolunternehmen verfolgen eine autonome Mengenstrategie. A3 Die Unternehmen des Wettbewerbsrandes in Deutschland sowie der europ¨aischen Nachbarl¨ander verhalten sich als Preisnehmer. A4 Die Elektrizit¨atserzeugung der Unternehmen findet ausschließlich im Inland statt. A5 Forwardkontrakte werden ausschließlich am deutschen Großhandelsmarkt gehandelt. A6 Es existiert mindestens ein risikoneutraler Spekulant bzw. Elektrizit¨atsh¨andler ohne Eigenerzeugung. Das zweistufige Optimierungsproblem l¨asst sich ausgehend vom Oligopolgleichgewicht auf der zweiten Marktstufe r¨ uckw¨arts l¨osen. Im Folgenden werden die notwendigen Gewinnmaximierungs- bzw. Gleichgewichtsbedingungen am Spot- und Forwardmarkt unter Ber¨ ucksichtigung der bestehenden Erzeugungs- und Transportrestriktionen abgeleitet.
4.5.2 Spotmarktverhalten Auf der zweiten Marktstufe entscheiden die EVU u ¨ber die physische Erzeugungsmenge, die ihren Gewinn Πi (si,r,t,l , f¯i,t,l ) maximiert. Die auf der ersten Marktstufe eingegangene Handelsposition f¯i,t,l hat dabei Einfluss auf die optimale Angebotsentscheidung am Spotmarkt. Die Unternehmen maximieren ihren Gewinn, indem sie das folgende Optimierungsproblem l¨osen und die gewinnmaximale Angebotsmenge si,r,t,l ∀ i, r, t, l w¨ahlen:
max Πi (si , f¯i ) = max P (S)si + f¯i (P¯ f − P (S)) − Ki (si ) si
si
(4.27)
Bei der Gewinnmaximierung am Spotmarkt stellt der Gleichgewichtspreis am Forf wardmarkt P¯t,l eine Konstante dar, die bei der Optimierung der Angebotsmenge si,r,t,l
111
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt vernachl¨assigt werden kann. Die notwendige Bedingung erster Ordnung f¨ ur ein Gewinnmaximum l¨asst sich ∀ i, r, t, l wie folgt darstellen:151 ∂Πi ∂P (S) ∂S ∂P (S) ∂S ¯ ∂K(si ) = si + P (S) − ≤0 fi − ∂si ∂S ∂si ∂S ∂si ∂si
(4.28)
Da nach A2 f¨ ur die Oligopolunternehmen i ∈ O eine autonome Mengenstrategie angenommen wird und somit f¨ ur die Unternehmen gilt, dass sie nicht mit einer Mengenreaktion der Konkurrenten j und i = j auf die eigenen Angebotsentscheidungen rechnen,152 folgt damit ∂sj /∂si = 0. Die EVU dehnen ihre Angebotsmenge si solange aus, bis der Grenzerl¨os GEi (si , f¯i ) den Grenzerzeugungskosten GKi (si ) entspricht. F¨ ur den Grenzerl¨os unter Ber¨ ucksichtigung des Terminmarktes gilt ∀ i, r, t, l: GEi (si , f¯i ) =
∂P (S) si − f¯i + P (S) ∂si
(4.29)
anders als in einer Situation ohne Terminmarkt, in der sich Gl. (4.29) ∀ i, r, t, l zu: GEi (si ) =
∂P (S) si + P (S) ∂si
(4.30)
vereinfacht. Der Grenzerl¨os eines EVU wird demnach positiv von der Menge der Terminkontrakte beeinflusst, die bereits auf der ersten Marktstufe gehandelt wurden. Nach Gl. (4.9) gilt f¨ ur den Spotmarktpreis P (S) bei Mengenausdehnung ∂P (S)/∂S < 0. Hat ein Unternehmen eine bestimmte Elektrizit¨atsmenge u ¨ber Derivate verkauft, d. h. ist es mit fi > 0 eine short Position am Terminmarkt eingegangen, so wird der Umsatz dieser Einheiten nicht von der f¨ ur den Absatz einer zus¨atzlichen Einheit am Spotmarkt notwendigen Preissenkung betroffen. Vielmehr f¨ uhrt ein sinkender Spotmarktpreis P (S) zu einer Erh¨ohung des Terminmarktgewinns fi (P¯ f − P (S)), wobei die Kosten der Preissenkung zudem von allen Marktteilnehmern getragen werden m¨ ussen. Die optimale Angebotsmenge am Spotmarkt si (f1 , f2 , . . . , fn ) ist damit eine Funktion der gehandelten Forwardmengen am Terminmarkt. Da eine short Position am Terminmarkt direkt zu einer Steigerung der Absatzmenge und damit c. p. zu einer Erh¨ohung des Marktanteils am Spotmarkt f¨ uhrt, ergibt sich hieraus der strategische Anreiz f¨ ur die Unternehmen, ihre Forwardmengen auszudehnen. Hierin wird deutlich, dass Spot- und Terminmarktkontrakte strategische Substitute bei der Absatzentscheidung darstellen. 151
152
Auf die explizite Darstellung der hinreichenden Bedingungen zweiter Ordnung f¨ ur eine Gewinnmaximum wird hier und im Folgenden verzichtet. Da die Grenzerzeugungskosten- und Nachfragefunktionen annahmegem¨aß konvex sind, ist das Optimierungproblem konkav und damit in eindeutigen Gleichgewichten l¨osbar. Die jeweilige Erwartungshaltung u ¨ ber die Reaktionen der Konkurrenzunternehmen wird konjekturale Variation genannt.
112
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung Im Gegensatz zu den Oligopolunternehmen wird f¨ ur die Unternehmen des Wettbewerbsrandes in Deutschland sowie die EVU in den europ¨aischen Nachbarl¨andern v, w ∈ F ⊆ I nach A3 angenommen, dass sie sich als Mengenanpasser verhalten und die Elektrizit¨atspreise nicht beeinflussen k¨onnen. F¨ ur diese Unternehmen gilt dementsprechend ∂sw /∂sv = −1. Eine Verringerung der Angebotsmenge sv wird damit direkt von der Mehrproduktion sw mit v = w eines anderen Unternehmens ausgeglichen. Die Optimalit¨atsbedingung f¨ ur ein Gewinnmaximum dieser EVU vereinfacht sich damit ∀ i, r, t, l zu: ∂Πv ∂K(sv ) = P (S) − ≤0 ∂sv ∂sv
(4.31)
Da die Unternehmen des Wettbewerbsrandes in Deutschland und die Unternehmen in den europ¨aischen Nachbarl¨andern ihre Angebotsmenge annahmegem¨aß solange ausdehnen, bis ihre Grenzerzeugungskosten dem Marktpreis entsprechen, stellen Spot- und Terminmarktkontrakte f¨ ur diese Unternehmen keine strategischen Substitute dar. Ihre Terminmarkt- und Spotmarktentscheidungen sind mithin unabh¨angig. Neben den Handelsm¨oglichkeiten am heimischen Spotmarkt k¨onnen die Unternehmen auf Grund der Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes auch auf den ausl¨andischen Spotm¨arkten handeln, wodurch sich ihr Optimierungsproblem entsprechend erweitert. Mit dem grenz¨ uberschreitenden Elektrizit¨atshandel lassen sich damit Gewinne auf den ausl¨andischen M¨arkten realisieren. Die EVU entscheiden damit nicht nur u ¨ber die Elektrizit¨atsmenge sri,r,t,l , die sie auf dem Inlandsmarkt anbieten, sondern auch u ¨ber die Mengen sri,q,t,l mit r = q, die sie in die Auslandsm¨arkte exportieren wollen. Das Superskript beschreibt dabei die Region, in der das Unternehmen und somit seine Erzeugungskapazit¨aten angesiedelt sind. Unter Ber¨ ucksichtigung der Elektrizit¨atsimporte l¨asst sich z. B. die auf dem deutschen Spotmarkt (r = DE) angebotene Elektrizit¨atsmenge Sr,t,l ∀ t, l wie folgt darstellen. Sr,t,l =
sri,r,t,l + srFringe,r,t,l +
i∈O
sqi,r,t,l
(4.32)
i∈F
Analog gilt f¨ ur das Elektrizit¨atsangebot Sq,t,l in den europ¨aischen Nachbarregionen q ∈ Q und q = r ∀ q, t, l: Sq,t,l =
i∈F
sqi,q,t,l +
sri,q,t,l + srFringe,q,t,l
(4.33)
i∈O
Anders als f¨ ur die Unternehmen mit Eigenerzeugung beschr¨ankt sich die Gewinnmaximierung f¨ ur die Spekulanten u nach Gl. (4.25) auf die Handelsentscheidungen am
113
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt Terminmarkt. Ihre Funktion f¨ ur die Marktr¨aumung am Spotmarkt besteht in der Lieferung oder dem Bezug der physischen Elektrizit¨atsmengen, die sie am Terminmarkt u ¨ber Forwardkontrakte ge- oder verkauft haben.
4.5.3 Erzeugungs- und Transportrestriktionen Die physischen Angebotsmengen si,r,t,l der Unternehmen i am Spotmarkt in den Regionen r, den Zeitsegmenten t und den Lastsegmenten l werden durch die von ihnen kontrollierten maximal verf¨ ugbaren Kraftwerkskapazit¨aten xmax i,t,l begrenzt (vgl. Tabel153 len 4.14 und 4.15 sowie Gl. (4.17)). Unter Ber¨ ucksichtigung der Bilanzgleichung (4.23) l¨asst sich die Kapazit¨atsnebenbedingung gi,t,l (xi,t,l ) : R → R f¨ ur die Angebots- bzw. Erzeugungsmenge eines EVU i ∈ I ∀ i, t, l wie folgt formulieren: gi,t,l (xi,t,l ) : xi,t,l − xmax i,t,l ≤ 0
(4.34)
Da die Unternehmen u ¨ber die Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes auch auf den ausl¨andischen Elektrizit¨atsm¨arkten handeln k¨onnen und mit steigenden internationalen Preisdifferenzen die Anreize zum grenz¨ uberschreitenden Handel zunehmen, kommt der Preisausgleichsfunktion des interregionalen Elektrizit¨atshandels und damit den vorhandenen interregionalen Kuppelleitungskapazit¨aten eine wichtige Rolle bei der Begrenzung marktmachtbedingter Preissteigerungen zu. Das grenz¨ uberschreitende Handelsvolumen zwischen den europ¨aischen L¨andern ist max auf die in Tabelle 4.22 dargestellten Kuppelleitungskapazit¨aten Tr→q beschr¨ankt. Wie auf Erzeugungsebene existieren damit auch f¨ ur den Elektrizit¨atstransport Kapazit¨atsgrenzen, die von den EVU als Nebenbedingung bei der Gewinnmaximierung zu ber¨ ucksichtigen sind. Die Transportnebenbedingung er,q (Srq , Sqr ) : Rn → R f¨ ur jede der vorhandenen grenz¨ uberschreitenden Transportnetzverbindungen r → q unterschiedlicher Regionen, die bei der Optimierung der Unternehmen beachtet werden muss, l¨asst sich formal ∀ r, q, t, l wie folgt beschreiben: q r max er,q (Srq , Sqr ) : si,r + si,q − Tr→q ≤0 (4.35) ir ∈I
iq ∈I
Mit der Beschreibung der Kapazit¨atsrestriktionen l¨asst sich die Gewinnmaximierung der EVU auf der zweiten Marktstufe als nicht-lineares Optimierungsproblem un153
Nach A4 beschr¨ankt sich die kontrollierte Kraftwerksleistung auf die inl¨andischen Kapazit¨aten eines Unternehmens. Grenz¨ uberschreitende Kapitalverflechtungen werden nicht betrachtet, vgl. Kapitel 2.3.1. Auf eine Darstellung der Superskripte zur regionalen Zuordnung der Unternehmen wird im Folgenden verzichtet.
114
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung ter Nebenbedingungen formulieren. Hierzu werden die aus den Gewinnfunktionen sowie den Nebenbedingungen auf Erzeugungs- und Transportebene notwendigen Optimalit¨atsbedingungen abgeleitet und als gemischt-komplement¨ares Problem dargestellt. Die L¨osung des resultierenden Systems nicht-linearer Gleichungen beschreibt dann ein Cournot-Nash-Gleichgewicht am Spotmarkt.
4.5.4 Spotmarktgleichgewicht Um die Bedingungen f¨ ur die gewinnmaximierende Angebotsmenge der EVU unter Beachtung der bestehenden Kapazit¨atsbeschr¨ankungen abzuleiten, wird eine LagrangeFunktion Li,r,t,l (si,r,t,l , λi,r,t,l , τr→q ) : Rn → Rn eingef¨ uhrt, deren Ableitungen erster Ordnung zusammen mit den Karush-Kuhn-Tucker-Bedingungen (KKT) die Gewinnmaxima der Unternehmen bestimmen.154 Die Lagrange-Funktion kann ∀ i, r, t, l allgemein wie folgt formuliert werden: Li (si , λi , τr→q ) = Πi (si , f¯i ) + λi gi (xi ) + τr→q er,q (Srq , Sqr ) (4.36) r→q
Die beiden Variablen λi und τr→q stellen die Schattenpreise bzw. dualen Variablen der Kapazit¨atsbeschr¨ankungen gi (xi ) und er,q (Srq , Sqr ) dar. F¨ ur die Ableitungen erster Ordnung der Lagrange-Funktion muss ∀ i, r, t, l gelten: ∂Li (si , λi , τr→q ) ∂P (S) ∂S ∂P (S) ∂S ¯ = si + P (S) − fi ∂si ∂S ∂si ∂S ∂si ∂K(si ) − − λi − τr→q ≤ 0 ∂si r→q
(4.37)
wobei nach den KKT-Bedingungen die partielle Ableitung ∂Li /∂si der Lagrange-Funktion komplement¨ar zu: si ≥ 0
(4.38)
sein muss. Damit gilt f¨ ur das innere Produkt aus den Gl. (4.37) und Gl. (4.38): ∂Li (si , λi , τr→q ) si = 0 ∂si
(4.39)
Die Gl. (4.38) schr¨ankt die L¨osung auf positive Erzeugungsmengen si ein, wobei sich aus der Nebenbedingung gi (xi ) aus Gl. (4.34) f¨ ur die Kapazit¨atsbeschr¨ankung auf Erzeugungsebene xi,t,l ∈ [0, xmax i,t,l ] und die Bilanzgleichgung Gl. (4.23) ergibt, dass: ∂Li (si , λi , τr→q ) = si − smax ≤0 i ∂λi,t,s 154
(4.40)
Vgl. zu den Karush-Kuhn-Tucker-Bedingungen z. B. Chiang (1984) S. 722 ff.
115
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt ist. Hierbei ist die partielle Ableitung ∂Li /∂λi aus Gl. (4.40) komplement¨ar zum Schattenpreis der Kapazit¨atsnebenbedingung: λi ≥ 0
(4.41)
F¨ ur das innere Produkt aus den Gl. (4.40) und Gl. (4.41) gilt: ∂Li (si , λi , τr→q ) λi = 0 ∂λi
(4.42)
Neben der Ableitung der Lagrange-Funktion in Bezug auf die Kapazit¨atsbeschr¨ankung auf Erzeugungsebene muss die partielle Ableitung ∂Li /∂τr→q in Bezug auf die Transportnebenbedingung er,q (Srq , Sqr ) aus Gl. (4.35) wie folgt formuliert werden: q ∂Li (si , λi , τr→q ) max = si,r + sri,q − Tr→q ≤0 (4.43) ∂τr→q i∈I i∈I Als Komplementarit¨atsbedingung zu Gl. (4.43) gilt: τr→q ≥ 0
(4.44)
woraus sich das innere Produkt aus den Gl. (4.43) und Gl. (4.44) ableitet: ∂Li (si , λi , τr→q ) τr→q = 0 ∂τr→q
(4.45)
Der Schattenpreis τr→q kann als Kosten des interregionalen Elektrizit¨atstransports bei Auslastung der Kuppelleitungskapazit¨aten interpretiert werden. Ihr Wert ist null, wenn die Kuppelleitungskapazit¨aten ausreichen, einen interregionalen Preisausgleich ¨ herzustellen und die Ubertragungsleistung zwischen den benachbarten Elektriztit¨ats¨ m¨arkten den grenz¨ uberschreitenden Handel nicht begrenzen. Ist die Ubertragungsleistung zwischen den L¨andern ausgelastet, wird der Wert positiv und spiegelt die entsprechende Knappheitsrente der begrenzten Transportkapazit¨at wider. Die Gl. (4.37) bis Gl. (4.45) m¨ ussen f¨ ur ein Gewinnmaximum der Unternehmen i in allen Regionen r, Zeitsegmenten t und Lastsegmenten l simultan erf¨ ullt sein. Unter Verwendung des Marktanteils ϑi,r,t,l mit: ϑi,r,t,l =
si,r,t,l Sr,t,l
(4.46)
sowie der Preiselastizit¨at der Elektrizit¨atsnachfrage εr,t,l aus Gl. (4.7) l¨asst sich die Optimalit¨atsbedingung f¨ ur ein Gewinnmaximum am Spotmarkt aus Gl. (4.37) ∀ i, r, t, l auch wie folgt umformen:
ϑi ϑi f¯i − = GKi (si ) + λi + P (S) 1 + τr→q (4.47) ε ε si r→q
116
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung
Der Term f¯i /si beschreibt dabei das Verh¨altnis zwischen Forwardmenge fi und physischer Absatzmenge si und gibt damit den Kontrahierungsgrad des EVU i am Terminmarkt an. Steigt der Kontrahierungsgrad, so verringert sich c. p. der durchsetzbare Preis-Markup auf die Grenzerzeugungskosten, der durch den Klammerterm beschrieben wird. Ist die gesamte physische Absatzmenge am Spotmarkt bereits u ¨ber Terminmarktkontrakte mit fi = si auf der ersten Marktstufe verkauft und liegt der Kontrahierungsgrad damit bei f¯i /si = 1 bzw. 100 %, so reduziert sich die Optimalit¨atsbedingung f¨ ur ein Gewinnmaximum entsprechend Gl. (4.31). Verzichtet ein Unternehmen dagegen auf die strategische Option u ¨ber den Verkauf von Terminkontrakten den eigenen Marktanteil zu steigern und realisiert es einen Kontrahierungsgrad von f¯i /si = 0 bzw. 0 %, so kann es bei Gewinnmaximierung sein gesamtes, durch ein Cournot-Nash-Gleichgewicht ohne Terminmarkt determiniertes Preisbeeinflussungspotenzial aussch¨opfen. Der resultierende Preis-Markup auf die Grenzerzeugungskosten ist bei diesem Verhalten entsprechend maximal. Da die gewinnmaximierende physische Angebotsmenge s∗i,r,t,l sowohl von den Ern wartungen u ¨ber das Verhalten der Konkurrenten j=1 sj mit i = j als auch von der eigenen gew¨ahlten Forwardmenge f¯i , d. h. vom Kontrahierungsgrad abh¨angt, beschreibt die Gl. (4.47) die Reaktionsfunktionen si = Ri (sj , f¯i ) der Unternehmen i. Die Reaktionsfunktionen weisen negative Steigung auf, da die Angebotsmengen der verschiedenen Unternehmen strategische Substitute darstellen und der Grenzgewinn eines EVU mit steigender Angebotsmenge der Konkurrenzunternehmen j = i abnimmt. Dar¨ uber hinaus ist die Lage der Reaktionsfunktion von der gehandelten Forwardmenge abh¨angig. Ist ein EVU auf dem Forwardmarkt mit f¯i > 0 eine short Position eingegangen, so verschiebt sich die Reaktionsfunktion Ri (sj , f¯i ) nach rechts, d. h. in Richtung zunehmender Angebotsmengen. Der Markt befindet sich im Gleichgewicht, wenn die Gl. (4.37) bis Gl. (4.45) f¨ ur alle EVU i ∈ I simultan erf¨ ullt sind und es mithin f¨ ur kein Unternehmen vorteilhaft ist, von der gew¨ahlten Angebotsmenge abzuweichen. Es existiert damit f¨ ur jedes Unternehmen eine optimale Angebotsmenge s∗i = Ri (s∗j , f¯i ) bei gegebener optimaler Angebotsmenge der Konkurrenzunternehmen j = i ∈ I, die den Gewinn unter Beachtung der Nebenbedingungen und der auf der ersten Marktstufe getroffenen Handelsentscheidungen u ¨ber ¯ die Forwardmenge fi maximiert. ¨ Im Cournot-Nash-Gleichgewicht l¨asst sich der Gewinn durch eine Anderung des einmal festgelegten Angebotsverhaltens nicht mehr steigern. Da die Angebotsstrategie am Spotmarkt insbesondere von den Entscheidungen am Forwardmarkt abh¨angt und steigende Forwardmengen zu einer Zunahme der physischen Angebotsmenge und damit
117
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt zu sinkenden Spotmarktpreisen f¨ uhren, kann an dieser Stelle bereits festgehalten werden, dass ein funktionsf¨ahiger und liquider Terminmarkt grunds¨atzlich geeignet ist die Wettbewerbsintensit¨at auf dem Spotmarkt zu erh¨ohen. Welche Menge ihres physischen Angebots die Unternehmen u ¨ber Terminmarktkontrakte bereits auf der ersten Marktstufe handeln, d. h. wie hoch ihr Kontrahierungsgrad ist, h¨angt dabei insbesondere vom Terminmarktverhalten und der Risikoneigung ab. Wie sich das optimale Verhalten am Terminmarkt und die daraus resultierenden Marktgleichgewichte ableiten lassen, wird im Folgenden dargestellt. Hierzu wird auf die Nutzenmaximierung der Unternehmen und die Motive f¨ ur Forwardhandel eingegangen.
4.5.5 Terminmarktverhalten und Terminmarktgleichgewicht Auf dem Terminmarkt entscheiden die EVU u ¨ber die Elektrizit¨atsmenge, die sie durch den Kauf oder Verkauf von Derivaten handeln wollen, bevor sie unter Ber¨ ucksichtigung der hierdurch eingegangen physischen Liefer- oder Bezugsverpflichtungen ihre Angebotsmenge am Spotmarkt optimieren. Die Erzeugungsunternehmen i ∈ I sowie die Spekulanten k ∈ K k¨onnen dabei mit fi > 0 bzw. uk < 0 eine short oder mit fi < 0 bzw. uk > 0 eine long Position eingehen. Grunds¨atzlich k¨onnen die folgenden drei Motive f¨ ur den Handel mit Terminmarktprodukten unterschieden werden: 1. Das Risikohedgingmotiv beschreibt die M¨oglichkeiten der Unternehmen bestehende Unsicherheiten u unftige Preis- und Mengenentwicklung, wie sie ¨ber die zuk¨ sich beispielsweise durch die in Kapitel 4.2.1 beschriebene stochastische Windenergieeinspeisung einstellen, u ¨ber den Handel mit Terminmarktprodukten zu reduzieren. Das Risikohedgingmotiv wirkt sich u ¨ber die bestehende Risikoneigung explizit auf die Terminmarktentscheidungen der Erzeugungsunternehmen aus. 2. Das Spekulationsmotiv beschreibt die M¨oglichkeit der Unternehmen, Gewinne durch die Ausnutzung von Preisdifferenzen am Termin- und Spotmarkt zu realisieren. Da Spekulationsgesch¨afte mit Risiken verbunden sind, kann f¨ ur die Spekulanten eine geringe Risikoaversion oder sogar Risikoneutralit¨at unterstellt werden. Wird die Spekulation zudem durch die M¨oglichkeit erg¨anzt, risikoarme Arbitrage zwischen den verschiedenen Marktsegmenten durchzuf¨ uhren, kommt es in der Folge tendenziell zu einem Preisausgleich zwischen den Forward- und Spotmarktpreisen. Sowohl die Spekulation als auch die Arbitrage erh¨ohen die Liquidit¨at in den M¨arkten und tragen damit i. A. zur Effizienzsteigerung bei.
118
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung 3. Das strategische Motiv beschreibt die M¨oglichkeiten der Unternehmen, u ¨ber den Handel mit Terminmarktprodukten schon auf der ersten Marktstufe, d. h. also vor der eigentlichen Lieferperiode, den physischen Absatz und die Marktanteile zu steigern. Der Anreiz Terminmarktkontrakte aus strategischen Gr¨ unden zu handeln ergibt sich aus den beschriebenen Zusammenh¨angen der Forward- und Spotmarktentscheidungen und l¨asst sich direkt aus dem Einfluss des Forwardhandels auf den Grenzerl¨os ableiten. Ist das betrachtete EVU alleiniger Anbieter von Terminmarktkontrakten, so ist es in der Lage, die Position eines Stackelberg-F¨ uhrers einzunehmen. Auf Grund der strategischen Anreize am Terminmarkt eine short Position einzugehen befinden sich die Unternehmen in einer Art Gefangenendilemma, indem sie bei der Gewinnmaximierung eine zu große Angebotsmenge w¨ahlen und auf einen Teil ihres Preisbeeinflussungsspielraums verzichten. Die Marktakteure verhalten sich subjektiv optimal, w¨ahrend sich das Marktergebnis bei gleichgerichtetem Handel aller Unternehmen kollektiv als nachteilig erweist, da die physische Gesamtangebotsmenge zu groß und der resultierende Marktpreis zu niedrig ist.155 Die steigende Wettbewerbsintensit¨at f¨ uhrt in der Folge tendenziell zu sinkenden Gewinnen der Unternehmen. Ausgehend von den drei Motiven f¨ ur den Handel mit Terminmarktkontrakten wird f¨ ur die Marktmachtanalyse im Folgenden angenommen, dass die Erzeugungsunternehmen ausschließlich aus strategischen Gr¨ unden und aus Gr¨ unden des Risikohedgings Forwardkontrakte kaufen oder verkaufen und das Spekulationsmotiv nur f¨ ur die Spekulanten bzw. Elektrizit¨atshandelsunternehmen ohne Eigenerzeugung von Bedeutung ist. Bei der L¨osung des Optimierungsproblems der Unternehmen a ∈ I ∪ K auf der ersten Marktstufe m¨ ussen vor dem Hintergrund der bestehenden windenergieinduzierten Unsicherheiten u ¨ber die zu bedienende Residualnachfrage und den damit verbundenen stochastischen Spotmarktpreis Pr,t,l,s (Sr,t,l,s ) aus Gl. (4.9) die Erwartungen und die Risikoneigung bei der Nutzenmaximierung der Marktakteure ber¨ ucksichtigt werden. Die Pr¨aferenzen der Unternehmen werden dabei mit Hilfe einer Nutzenfunktion Ua (Πa ) : Rn → R vom μ, σ-Typ modelliert.156 Erzeugungsunternehmen und Spekulanten maximieren ihren Erwartungsnutzen, der sich formal ∀ a, r, t, l wie folgt beschreiben l¨asst: 1 E(Ua (Πa )) = E(Πa ) − θa VAR(Πa ) 2 155
156
(4.48)
Vgl. zum Gefangenendilemma, z. B. Fudenberg und Tirole (2000) S. 9 f. und Holler und Illing (2003) S. 2 ff. Vgl. dazu z. B. Bamberg und Coenenberg (2000) S. 77 ff.
119
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt Hierbei ist E(Πa ) der Erwartungswert des Gewinns und VAR(Πa ) dessen Varianz. Der Parameter θa beschreibt die unternehmensindividuelle Risikoneigung. F¨ ur ein risikoneutrales Unternehmen ist θa = 0, w¨ahrend ein risikoaverses Unternehmen das Risiko einer Abweichung des realisierten Gewinns vom Erwartungswert bei der Optimierung der Terminmarktmenge ber¨ ucksichtigt. F¨ ur risikoaverse Unternehmen gilt damit θa > 0.
Spekulanten bzw. Handelsunternehmen ohne Eigenerzeugung Die Spekulanten k maximieren ihren Nutzen ausschließlich u ¨ber die am Terminmarkt gehandelte Forwardmenge uk . Da sich der Gewinn Πk (uk ) der Spekulanten nach Gl. (4.25) aus der Preisdifferenz zwischen Spot- und Terminmarkt zusammensetzt, folgt f¨ ur die Maximierung des Erwartungswertes des Nutzens ∀ k, t, l aus Gl. (4.48): 1 max E(Uk (Πk )) = max E[uk (P f − P (S))] − θk VAR[uk (P f − P (S))] (4.49) uk uk 2 Als notwendige Bedingung erster Ordnung f¨ ur ein Gewinnmaximum ergibt sich f¨ ur die Spekulanten bzw. Handelsunternehmen ohne Eigenerzeugung: ∂E(Uk (Πk )) = P f − E(P (S)) − θk uk VAR(P (S)) = 0 ∂uk
(4.50)
ur ein Unternehmen k nach: Daraus berechnet sich die optimale Forwardmenge u∗k f¨ u∗k =
P f − E(P (S)) θk VAR(P (S))
(4.51)
Als Summe u ¨ber alle Unternehmen k ∈ K ist die aggregierte Forwardmenge am Terminmarkt damit: k∈K
u∗k =
1 P f − E(P (S)) θk VAR(P (S)) k∈K
(4.52)
Da sich im Terminmarktgleichgewicht die aggregierten long bzw. short Positionen der Spekulanten k und der Erzeugungsunternehmen i zu null addieren m¨ ussen, gilt: u∗k + fi∗ = 0 (4.53) k∈K
i∈I
F¨ ur die Bestimmung des Forwardpreises P f l¨asst sich im Terminmarktgleichgewicht aus den Gl. (4.52) und Gl. (4.53) die Beziehung: P f = E(P (S)) −
i∈I
120
fi∗ VAR(P (S))
1 θk k∈K
(4.54)
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung ableiten. Da nach A6 f¨ ur mindestens einen Spekulanten im Markt mit θk = 0 Risikoneutralit¨at angenommen wird, gilt f¨ ur den Forwardpreis: P f = E(P (S))
(4.55)
Der Forwardpreis P f entspricht damit dem erwarteten Spotmarktpreis E(P (S)), der sich nach Gl. (4.9) unter Ber¨ ucksichtigung der stochastischen Windenergieeinspeisung als: E(P (S)) =
n
(a − b (Ss + ψs )) s
(4.56)
s=1
einstellt, wenn es mindestens einen risikoneutralen Marktteilnehmer gibt, der bestehende Preisunterschiede durch Spekulations- oder Arbitragegesch¨afte ausgleicht. Die Spekulanten sind bereit, jede beliebige Forwardmenge zu handeln, bis sich der Terminmarkt im Gleichgewicht befindet und der Forwardpreis dem erwarteten Spotmarktpreis entspricht. Der gleichgewichtige Forwardpreis gibt damit den erwarteten Spotmarkt E(P (S)) erwartungstreu wieder. Erzeugungsunternehmen F¨ ur die Erzeugungsunternehmen i ∈ I l¨asst sich das Optimierungsverhalten am Terminmarkt ∀ i, r, t, l wie folgt beschreiben: 1 max E(Ui (Πi )) = max E(Πi ) − θi VAR(Πi ) (4.57) fi fi 2 Dabei setzt sich der Gewinn Πi der Erzeugungsunternehmen im Gegensatz zum Gewinn der Spekulanten nicht nur aus dem Gewinn am Terminmarkt fi (E(P (S)) − P (S)), sondern auch aus dem Gewinn am Spotmarkt P (S)s∗i −Ki (s∗i ) zusammen. Da die Unternehmen nach A1 rationale Erwartungen u ¨ber das am Spotmarkt resultierende Gleichgewicht bilden, nehmen sie den Gewinn auf der zweiten Marktstufe in ihre Optimierungsentscheidung am Terminmarkt auf. Die notwendige Bedingung f¨ ur ein Nutzen- bzw. Gewinnmaximum von EVU i ist damit:
∂E(Ui (Πi )) ∂Πi ∂Πi ∂Πi − θi E Πi − E(Πi )E =0 (4.58) =E ∂fi ∂fi ∂fi ∂fi Der Gewinn von Unternehmen i u ¨ber beide Marktstufen setzt sich damit ∀ i, r, t, l wie folgt zusammen: Πi (s∗i , fi ) = P (S)s∗i + fi (E(P (S)) − P (S)) − Ki (s∗i )
(4.59)
121
4 Modell f¨ ur den Großhandelsmarkt wobei f¨ ur die Ableitung erster Ordnung gilt: ∂Πi (s∗i , fi ) ∂P (S) ∂S ∗ ∂s∗ ∂E(P (S)) ∂P (S) ∂S = si + P (S) i + fi ∂fi ∂S ∂fi ∂fi ∂P (S) ∂S ∂fi ∗ ∗ ∂P (S) ∂S ∂Ki (si ) ∂si + E(P (S)) − fi − P (S) − =0 ∂S ∂fi ∂s∗i ∂fi
(4.60)
Die beiden partiellen Ableitungen ∂S/∂fi und ∂s∗i /∂fi beschreiben hierbei den in Kapitel 4.5.2 dargestellten Zusammenhang zwischen Forwardhandel und Grenzerl¨os auf der zweiten Marktstufe GEi (si , fi ), aus dem sich das strategische Motiv f¨ ur den Terminmarkthandel ableitet. Zur L¨osung des Optimierungsproblems auf der ersten Marktstufe und damit zur endogenen Berechnung des Terminmarktgleichgewichts m¨ ussen die in Kapitel 4.3.4 eingef¨ uhrten polynomischen Approximationsfunktionen vierten Grades f¨ ur die Grenzerzeugungskostenkurven ∂Ki (s∗i )/∂s∗i zu linearen Funktionen vereinfacht werden.157 Mit c1,i = c2,i = c3,i = 0 vereinfacht sich die in Gl. (4.18) dargestellte approximierte Grenzkostenfunktion damit ∀ i, t, l zu: GKi (xi ) = c4,i xi + c5,i
(4.61)
Unter Verwendung der linearen Angebots- und Nachfragefunktionen gilt f¨ ur die beiden genannten partiellen Ableitungen: ∂S = ∂fi
1+
i∈I
1 b 1 b + c4,i b b + c4,i
1
(4.62)
und: 1 ∂s∗i = b− ∂fi b + c4,i
1+
i∈I
1 1 b b + c4,i
b2
1 b + c4,i
2 (4.63)
Im Gewinnmaximum der Unternehmen i ∈ I und k ∈ K sind die Gl. (4.50) und Gl. (4.58) unter Ber¨ ucksichtigung des resultierenden Spotmarktgleichgewichts aus Gl. (4.37) bis Gl. (4.45) simultan erf¨ ullt. Die EVU optimieren damit ihre Angebotsstrategien auf dem Termin- und dem physischen Spotmarkt, indem sie fi∗ und s∗i so w¨ahlen, dass ihr Gewinn u ¨ber beide Marktstufen maximiert wird und sie im Marktgleichgewicht keinen Anreiz haben von den einmal gew¨ahlten Handelsentscheidungen abzuweichen. Die 157
Die (numerische) L¨osung des resultierenden Gleichungssystems ist grunds¨atzlich auch unter Verwendung von Polynomen vierten Grades m¨oglich. Die Ableitung der entsprechenden Gleichungen w¨ urde allerdings sehr komplex und f¨ ur die vorliegende Anwendung zu aufwendig.
122
4.5 Zweistufige Gewinnmaximierung Handelsentscheidungen determinieren damit den optimalen Kontrahierungsgrad fi∗ /s∗i am Terminmarkt. Das mehrregionale zweistufige Oligopolmodell wird im Folgenden f¨ ur die Quantifizierung der am Großhandelsmarkt bestehenden Marktmachtpotenziale der großen deutschen Elektrizit¨atserzeugungsunternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG angewendet.
123
5 Analyse der Marktmachtpotenziale In der folgenden Untersuchung werden die erzeugerseitigen Marktmachtpotenziale der großen deutschen Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen mit Hilfe des entwickelten Oligopolmodells auf der Basis der bestehenden strukturellen und institutionellen Bedingungen am Großhandelsmarkt quantifiziert. Um dabei die unterschiedlichen Wirkungszusammenh¨ange im liberalisierten Elektrizit¨atsmarkt und ihren jeweiligen Einfluss auf die Quantifizierung der Marktmachtpotenziale darzustellen, wird die Analyse, ausgehend von einem einfachen deterministischen Spotmarktmodell in Kapitel 5.1, schrittweise erweitert. Zun¨achst wird das verwendete Modell in Kapitel 5.2 um die Abbildung der interregionalen Elektrizit¨atshandelsm¨oglichkeiten erg¨anzt und der Einfluss von Investitionen in grenz¨ uberschreitende Kuppelleitungskapazit¨aten auf die Großhandelspreise im Rahmen von Szenarioanalysen untersucht. In Kapitel 5.3 wird dann die einfache Spotmarktbetrachtung aufgegeben und der Terminmarkt in das mehrregionale Modell integriert, um die Auswirkungen unterschiedlichen Terminmarktverhaltens auf die vorhandenen Marktmachtpotenziale im deutschen Elektrizit¨atssektor zu untersuchen. In diesem Zusammenhang wird im letzten Schritt die Annahme einer deterministisch bekannten Windenergieeinspeisung durch eine stochastische Abbildung ersetzt und der Einfluss der Risikoneigung auf die Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht analysiert.
5.1 Spotmarktmodell Ausgangspunkt f¨ ur die Quantifizierung ist ein einstufiges deterministisches Spotmarktmodell des deutschen Elektrizit¨atssektors, bei dem zun¨achst auf die Abbildung der interregionalen Elektrizit¨atshandelsm¨oglichkeiten und die Integration des Terminmarktes verzichtet wird. Diese einfache Modellformulierung bildet damit eine Marktsituation ab, in der die Oligopolunternehmen ihre Preisbeeinflussungsspielr¨aume am physischen Spotmarkt ausnutzen k¨onnen, ohne durch Importkonkurrenz ausl¨andischer EVU oder den Einfluss steigender Forwardmengen in ihrem Preisbeeinflussungsverhalten beschr¨ankt zu werden. Als Referenz f¨ ur die Bewertung der Marktmachtpotenziale wird dazu in Kapitel 5.1.1 zun¨achst das Wettbewerbsgleichgewicht ohne eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung
125
5 Analyse der Marktmachtpotenziale von Marktmacht beschrieben, bevor in Kapitel 5.1.2 auf die Preisbeeinflussungsm¨oglichkeiten im Oligopolgleichgewicht eingegangen wird.
5.1.1 Wettbewerbsgleichgewicht als Referenz Auf der Grundlage der Pr¨amissen der Grenzkostenpreisbildung f¨ uhrt das Unternehmensverhalten bei vollst¨andigem Wettbewerb zu einer Situation, in der der Spotmarktpreis im Gleichgewicht den Grenzkosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks entspricht. Unter den Annahmen rationalen Verhaltens und Gewinnmaximierung dehnen die EVU ihre Angebotsmenge si,r,t,l solange aus, bis die Grenzerzeugungskosten GKi,t,l (xr,t,l ) gleich dem von ihnen nicht beeinflussbaren Marktpreis P¯r,t,l sind.158 Der Markt- bzw. Systemgrenzpreis wird insofern ausschließlich durch fundamentale Einflussfaktoren auf Angebots- und Nachfrageseite bestimmt, ohne dass verhaltensinduzierte Aspekte das Marktergebnis beeinflussen. Das resultierende Wettbewerbsgleichgewicht l¨asst sich zun¨achst unter den stark vereinfachenden Annahmen einer Vernachl¨assigung der M¨oglichkeiten zu interregionalem Elektrizit¨atsaustausch und Terminmarkthandel als Referenz f¨ ur den Elektrizit¨atsspotmarkt interpretieren. F¨ ur die Unternehmen wird im Wettbewerbsgleichgewicht angenommen, dass sie nicht in der Lage sind die Elektrizit¨atspreise durch physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung zu beeinflussen. Die Unternehmen verhalten sich in dieser Situation als Mengenanpasser, indem sie ihre Angebotsmenge solange ausdehnen, bis die Grenzerzeugungskosten dem von ihnen nicht beeinflussbaren Marktpreis entsprechen. Das Wettbewerbsgleichgewicht f¨ uhrt mithin zu einer effizienten Marktr¨aumung und einer Wohlfahrtsmaximierung am Elektrizit¨atsmarkt.159 In Abgrenzung zu der in Kapitel 3.3.1 diskutierten Verwendung des Modells der vollst¨andigen Konkurrenz als hypothetischem Vergleichsmaßstab bei der Ex-post-Bewertung historischer Marktergebnisse z. B. bei der Nutzung fundamentaler Optimierungsmodelle, dient das hier verwendete Wettbewerbsgleichgewicht in erster Linie der Bewertung der durch eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht maximal durchsetzbaren Preissteigerungen und kann nicht als Vergleich zu den Spotmarktpreisen am deutschen 158
159
Bei vollst¨andigem Wettbewerb f¨ uhrt die Gewinnmaximierung beim Einheitspreisverfahren zu den gleichen Marktergebnissen wie eine Kostenminimierung, unabh¨angig davon, ob das System auf der Basis individueller Unternehmensentscheidungen oder u ¨ ber eine zentrale Einsatzplanung optimiert wird. Der Begriff Wohlfahrtsmaximierung bezieht sich hier nur auf die Ergebnisse der durchgef¨ uhrten partiellen Gleichgewichtsanalyse und nicht auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt. Vgl. dazu auch die Anmerkungen in den folgenden Kapiteln.
126
5.1 Spotmarktmodell Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt heran gezogen werden. Auf diesen Aspekt wird im Zusammenhang mit den Modellergebnissen bei vollst¨andigem Wettbewerb unter Ber¨ ucksichtigung des interregionalen Elektrizit¨atshandels im folgenden Kapitel noch einmal eingegangen. Das, jeweils auf der Basis der Modellerweiterungen, berechnete Wettbewerbsgleichgewicht wird im Folgenden dem Oligopolgleichgewicht gegen¨ uber gestellt, bei dem angenommen wird, dass die vier großen deutschen Erzeugungsunternehmen ihre Kraftwerkskapazit¨aten zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht strategisch einsetzen.
5.1.2 Strategisches Verhalten Wird vor dem Hintergrund der erzeugerseitigen Marktkonzentration im deutschen Elektrizit¨atssektor vom Paradigma des vollst¨andigen Wettbewerbs abstrahiert und die M¨oglichkeiten zu strategischem Verhalten der EVU explizit abgebildet, lassen sich mit dem entwickelten Oligopolmodell die vorhandenen Marktmachtpotenziale quantifizieren. F¨ ur die Unternehmen wird, wie im Fall des vollst¨andigen Wettbewerbs, auch jetzt rationales Verhalten und Gewinnmaximierung angenommen. Im Gegensatz zum Wettbewerbsgleichgewicht wird jetzt allerdings davon ausgegangen, dass die Oligopolunternehmen u ¨ber die Steuerung ihrer Angebotsmenge si,r,t,l die Marktpreise Pr,t,l (Sr,t,l ) unter Einhaltung der technischen Nebenbedingungen beeinflussen k¨onnen. In Abh¨angigkeit ihrer jeweiligen Marktanteile ϑi,r,t,l und Kostenstrukturen sowie der Angebotsmengen des Wettbewerbsrandes sFringe,r,t,l sind die EVU in der Lage, Preisaufschl¨age auf ihre Grenzerzeugungskosten durchzusetzen. Jedes Unternehmen realisiert in dieser Situation die Angebotsmenge, die seinen Gewinn maximiert. Der Markt befindet sich im Gleichgewicht, wenn es f¨ ur kein Unternehmen vorteilhaft ist, von der einmal gew¨ahlten Angebotsmenge s∗i,r,t,l abzuweichen. Das Oligopolergebnis beschreibt insofern ein stabiles Cournot-Nash-Gleichgewicht, in dem die gew¨ahlte Strategie s∗i,r,t,l eines Unternehmens die optimale Antwort auf die gew¨ahlten optimalen Strategien s∗j,r,t,l der Konkurrenten darstellt.160 Abbildung 5.1 stellt die Spotmarktpreise im Oligopolgleichgewicht (Cournot) den Preisen bei vollst¨andigem Wettbewerb (Wettbewerb) gegen¨ uber. Aus den Ergebnissen in Abbildung 5.1 wird deutlich, dass unter den genannten Annahmen und Modellvereinfachungen durch physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung der vier Oligopolunternehmen Preissteigerungen zwischen 42 und 70 % m¨oglich sind. Die Erzeu¨ gungsunternehmen sind danach in der Lage, durch die Anderung ihrer Angebotsmengen die Spotmarktpreise erheblich u ¨ber das wettbewerbliche Niveau hinaus anzuheben. Die 160
Vgl. hierzu die Ausf¨ uhrungen in Kapitel 3.4. Auf die vollst¨andige Indexierung der Variablen und Parameter wird im Folgenden verzichtet, wenn es f¨ ur das Verst¨andnis der Zusammenh¨ange nicht notwendig ist.
127
5 Analyse der Marktmachtpotenziale
Spotmarktpreis [€/MWh]
160,0
120,0
80,0
40,0
0,0 Peak
Off-Peak
Peak
Sommer
Off-Peak Winter
Wettbewerb
Peak
Off-Peak
Übergang Cournot
Abbildung 5.1: Spotmarktpreise in Deutschland – kein interregionaler Elektrizit¨ atsaustausch, kein Terminmarkthandel
unterschiedlich starken Preis¨anderungen in den einzelnen Zeit- und Lastsegmenten k¨onnen dabei u. a. auf saisonale und tageszeitliche Unterschiede in der Nachfrage sowie der Kraftwerksverf¨ ugbarkeit zur¨ uck gef¨ uhrt werden. Da in dem hier verwendeten Modell wichtige Einflussfaktoren der Elektrizit¨atspreisbildung wie der Außenhandel und das Terminmarktverhalten vernachl¨assigt werden, lassen sich auf dieser Grundlage noch keine belastbaren Schlussfolgerungen zu den vorhandenen Marktmachtpotenzialen im deutschen Elektrizit¨atsspotmarkt ableiten. Marktmachtanalysen die ausschließlich auf der Basis einfacher Spotmarktmodelle durchgef¨ uhrt werden, ohne die gegebenen Marktbedingungen ad¨aquat zu ber¨ ucksichti¨ gen, f¨ uhren zu einer erheblichen Ubersch¨ atzung der vorhandenen Preisbeeinflussungspotenziale. Um die unterschiedlichen Wirkungszusammenh¨ange bei der Elektrizit¨atspreisbildung besser abzubilden und die vorhandenen Marktbeeinflussungspotenziale der EVU ad¨aquat zu quantifizieren, wird daher das einfache Spotmarktmodell im Folgenden schrittweise erweitert.
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨ atshandel F¨ ur die Erfassung der außenhandelsinduzierten Auswirkungen auf die Preisbeeinflussungspotenziale im deutschen Elektrizit¨atsspotmarkt wird das Spotmarktmodell zu-
128
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel n¨achst um die interregionalen Handelsm¨oglichkeiten erweitert. Dazu werden in Kapitel 5.2.1 die grenz¨ uberschreitenden Transportnetzverbindungen zu den europ¨aischen Nachbarl¨andern entsprechend der vorhandenen Kuppelleitungskapazit¨aten (vgl. Tabelle 4.22) modelliert. Durch die Ber¨ ucksichtigung des Elektrizit¨atsaußenhandels werden einerseits die M¨oglichkeiten der deutschen EVU zur Optimierung ihrer Spotmarktentscheidungen auf die Elektrizit¨atsm¨arkte der Nachbarl¨ander ausgedehnt und andererseits wettbewerbsinduzierende Elektrizit¨atsimporte, die zur Begrenzung der Preisbeeinflussungspotenziale beitragen k¨onnen, erfasst. In Kapitel 5.2.2 werden anschließend verschiedene Szenarien zum Ausbau der interregionalen Kuppelleitungskapazit¨aten untersucht, um die Auswirkungen von Netzinvestitionen auf die Marktmachtpotenziale in Deutschland zu analysieren. Kapitel 5.2.3 fasst die Zwischenergebnisse zusammen.
5.2.1 Aktuelle Situation der Transportkapazit¨ aten Vor dem Hintergrund der zunehmenden Integration der europ¨aischen Elektrizit¨atsm¨arkte und der grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungsverbindungen zwischen Deutschland und seinen Nachbarl¨andern k¨onnen die vier Oligopolunternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG sowie die Unternehmen des Wettbewerbsrandes ihre Angebotsmengen nicht unabh¨angig vom Verhalten der Erzeugungsunternehmen im Ausland optimieren. Die regionale Begrenzung des einfachen Spotmarktmodells auf den deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt muss f¨ ur die Quantifizierung der vorhandenen Marktmachtpotenziale aufgegeben werden. Verhaltensinduzierte oder auf Fundamentalfaktoren zur¨ uck zuf¨ uhrende regionale Preisdifferenzen f¨ uhren in liberalisierten Elektrizit¨atsm¨arkten zu verst¨arktem Außenhandel und steigendem Preisdruck, wodurch sich die Potenziale zur Marktbeeinflussung tendenziell verringern. In integrierten M¨arkten mit der M¨oglichkeit zu interregionalem Elektrizit¨atshandel ist die Durchsetzbarkeit marktmachtbasierter Preissteigerungen damit geringer als in M¨arkten, die durch signifikante Transportengp¨asse zu den Nachbarm¨arkten gekennzeichnet sind. In Abbildung 5.2 sind die im Modell berechneten Elektrizit¨atspreise im Wettbewerbs- und Cournot-Gleichgewicht unter Ber¨ ucksichtigung der interregionalen Außenhandelsm¨oglichkeiten den realisierten Spotmarktpreisen an der EEX (2005/2006) gegen¨ uber gestellt.161 Bevor in der folgenden Analyse explizit auf die Quantifizierung der Marktbeeinflussungspotenziale unter Ber¨ ucksichtigung der Außenhandelseinfl¨ usse eingegangen wird, soll an dieser Stelle zun¨achst noch einmal auf einen anderen Aspekt der Preisbildung im hier entwickelten Modell hingewiesen werden. 161
Vgl. zu den Großhandelspreisen an der EEX auch Tabelle 4.6.
129
5 Analyse der Marktmachtpotenziale
Spotmarktpreis [€/MWh]
120,0
80,0
40,0
0,0 Peak
Off-Peak Sommer
Peak
Off-Peak
Peak
Winter EEX
Wettbewerb
Off-Peak
Übergang Cournot
Abbildung 5.2: Spotmarktpreise in Deutschland – mit interregionalem Elektrizit¨ atsaustausch, kein Terminmarkthandel
Wie aus der Abbildung 5.2 deutlich wird, weichen die berechneten zeit- und lastspezifischen Elektrizit¨atspreise im Wettbewerbsgleichgewicht geringf¨ ugig von den beobachtbaren Preisen am Spotmarkt der EEX ab. Die B¨orsenpreise in den Peak-Load-Segmenten werden dabei tendenziell vom Modell unter-, die der Off-Peak-Load-Segmente tendenziell ¨ u liegen die Abweichungen bei etwa ¨bersch¨atzt. In den Sommer- und Ubergangsmonaten 3-5 % (ca. −2, 3 bis +1,8 e/MWh), w¨ahrend sie in den Wintermonaten mit 7-12 % (ca. −6, 0 e/MWh) etwas gr¨oßer sind. Die feststellbaren Abweichungen der Modellergebnisse von den historischen Spotmarktpreisen sind u. a. auf die Verwendung von Durchschnittswerten bei den Brennstoff- und CO2 -Kosten f¨ ur die Abbildung der Merit-Order-Kurven sowie durchschnittlicher Lastwerte f¨ ur die Modellierung der Nachfragekurven zur¨ uck zu f¨ uhren. Neben der Durchschnittsbildung wirkt sich auch die Vernachl¨assigung von Anfahrkosten, Teillastverlusten und Risikopr¨amien f¨ ur Kraftwerksausf¨alle und Preisrisiken bei der Brennstoffbeschaffung sowie die statische Modellierung des Pumpspeicherbetriebs auf die im Modell berechneten Spotmarktpreise aus. Dar¨ uber hinaus lassen sich notwendige Knappheitsrenten zur Refinanzierung der Investitionen und anderer mengenunabh¨angiger Fixkosten der Grenzkraftwerke inklusive der entsprechenden Kapitalverzinsung in einer auf kurzfristigen Grenzkosten basierten Berechnung des Wettbewerbsgleichgewichts nicht erfassen. F¨ ur die Nachfragesegmente, in denen die berechneten Spotmarktpreise unterhalb der historischen EEX-Preise liegen, soll hier explizit betont werden, dass sich aus diesen Abweichungen keine Evidenz f¨ ur die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht
130
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel im deutschen Elektrizit¨atssektor ableiten l¨asst. Eine empirische Ex-post-Analyse der Preisbeeinflussung ist auf der Grundlage des hier entwickelten Oligopolmodells nicht exakt m¨oglich und im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auch nicht beabsichtigt.162 Vielmehr stehen bei der angestrebten Quantifizierung der ex-ante vorhandenen ¨ erzeugerseitigen Marktmachtpotenziale die modellendogen berechneten Anderungen der Spotmarktpreise bei unterschiedlichen Verhaltensannahmen der Unternehmen und somit die Abweichungen zwischen Wettbewerbs- und Cournot-Gleichgewicht bei identischen Rahmenbedingungen im Mittelpunkt der Betrachtung. Auf der Basis des Vergleichs unterschiedlicher Verhaltensannahmen kann dann gezeigt werden, dass sich die Preisbeeinflussungspotenziale der EVU unter Ber¨ ucksichtigung der aktuellen Import- und Exportkapazit¨aten gegen¨ uber den in Abbildung 5.1 dargestellten Ergebnissen des einfachen Spotmarktmodells in den verschiedenen Nachfragesegmenten um etwa 2-42 %-Punkte reduzieren. Die Spotmarktpreise bei strategischem Verhalten (Cournot) liegen danach etwa 22-40 % (ohne Außenhandel etwa 4270 %) u ¨ber den Wettbewerbspreisen. Die unterschiedlichen Modellergebnisse zeigen damit, dass eine isolierte Betrachtung des deutschen Elektrizit¨atsmarktes die vorhandenen Marktmachtpotenziale der Unternehmen durch die Vernachl¨assigung des Einflusses der grenz¨ uberschreitenden Handelsm¨oglichkeiten u ¨bersch¨atzt. Werden die mit dem erweiterten Modell berechneten Wettbewerbsergebnisse jetzt als neue Referenz f¨ ur die Quantifizierung der Marktmachtpotenziale am deutschen Elektrizit¨atsspotmarkt interpretiert, so zeigen die Preissteigerungen von 22-40 %, dass die vier Oligopolunternehmen trotz der nachfrageseitigen M¨oglichkeit, den Preiserh¨ohungen durch verst¨arkten Elektrizit¨atsimport auszuweichen, auf Grund der begrenzten Transportkapazit¨aten und der begrenzten Erzeugungskapazit¨aten der Unternehmen des Wettbewerbsrandes in der Lage sind, die Marktpreise durch strategisches Verhalten zu beeinflussen. Die Auswertung der Modellergebnisse zeigt, dass die Elektrizit¨atspreise ausgehend vom Wettbewerbsgleichgewicht von 37,94 e/MWh im Sommer-Off-Peak-Segment und 85,27 e/MWh im Winter-Peak-Segment durch die Angebotsverknappung der EVU auf 46,07 e/MWh (Sommer-Off-Peak) bis 111,27 e/MWh (Winter-Peak) steigen. In den ¨ Ubergangsmonaten liegen die Preise im Wettbewerbsgleichgewicht bei 39,48 e/MWh (Off-Peak) und 65,44 e/MWh (Peak). Hier sind marktmachtinduzierte Preissteigerungen auf 48,29 e/MWh bzw. 89,17 e/MWh zu beobachten. Da die, von den Erzeugungsunternehmen im Großhandelsmarkt durchsetzbaren Preisaufschl¨age neben den Nachfrage- und Angebotsbedingungen u. a. von ihren erzeugerseitigen Marktanteilen 162
Vgl. hierzu auch die Anmerkungen in Kapitel 3.3 sowie Ellersdorfer et al. (2008a) und Ellersdorfer et al. (2008b).
131
5 Analyse der Marktmachtpotenziale und Kostenstrukturen abh¨angen, lassen sich f¨ ur die vier Oligopolunternehmen unterschiedlich große Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht beobachten. Grunds¨atzlich l¨asst sich feststellen, dass das Preisbeeinflussungspotenzial tendenziell mit dem Anteil der kontrollierten Erzeugungskapazit¨at zunimmt.163 Tabelle 5.1 stellt einige der berechneten Markt- und Unternehmenskennzahlen zusammen. Dargestellt sind der minimale und maximale Lerner-Index (LIi ) u ¨ber die verschiedenen Nachfragesegmente, die Ver¨anderungen der Angebots- (Δsi,DE ) und Produktionsmengen (Δxi ) sowie die Gewinne (Πi ) der deutschen EVU im Wettbewerbs- und Cournot-Gleichgewicht. Die Gewinne entsprechen dabei den Deckungsspannen, d. h. der Differenz aus Umsatz und variablen Kosten.164 Tabelle 5.1: Lerner-Index, Mengen und Gewinne der EVU – mit interregionalem Elektrizit¨ atsaustausch, kein Terminmarkthandel Kenngr¨ oße
Einheit
RWE
E.ON
Vattenfall
EnBW
Fringe
LIi min/max Δsi,DE Δxi Πi Cournot Πi Wettbewerb
% % Mio.e Mio.e
0,29/0,64 −41, 6 −36, 5 4898 4050
0,28/0,62 −39, 2 −32, 1 4763 3828
0,26/0,47 −25, 5 −5, 8 2913 1937
0,24/0,39 −23, 0 −3, 1 2608 1777
0.00 +43,2 +43,2 3191 1545
Der Lerner-Index beschreibt die relative Abweichung der Marktpreise von den unternehmensspezifischen Grenzerzeugungskosten und ist damit ein Maß f¨ ur die Preisbeeinflussungspotenziale der Unternehmen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt. Auf Grund der erheblichen erzeugerseitigen Marktkonzentration k¨onnen die vier Oligopolunternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG von einer Verringerung der Angebotsmengen und der dadurch induzierten Preiserh¨ohung profitieren und ihre Gewinne signifikant steigern. Die Gewinnsteigerungen liegen dabei zwischen etwa 21 % bei der E.ON Energie AG und 50 % bei der Vattenfall Europe AG. Neben den vier großen EVU profitieren auch die Unternehmen des Wettbewerbsrandes vom strategischen Marktverhalten der Oligopolunternehmen, da sie ihre Absatzmenge (+43,2 %) als Mengenanpasser stark ausweiten k¨onnen. Obwohl f¨ ur diese EVU ange163
164
Liegen lokale netzseitige Engp¨asse vor, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch kleine Erzeugungsunternehmen u ubung von Marktmacht verf¨ ugen ¨ ber Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ k¨onnen. Dieser Fall kann f¨ ur den deutschen Elektrizit¨atsmarkt vor dem Hintergrund der aktuellen ¨ Ubertragungskapazit¨ aten ausgeschlossen werden. Vgl. zu diesem Aspekt auch die Ausf¨ uhrungen in Kapitel 3.1.1. Die Deckungsspanne stellt den Teil der Ums¨atze dar, der zur Deckung der annuisierten Fixkosten beitr¨agt.
132
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel nommen wird, dass sie auf Grund ihrer relativ geringen Gr¨oße nicht in der Lage sind, die Preise eigenst¨andig zu beeinflussen, verdoppelt sich ihr Gewinn (+107 %) im Vergleich zur Wettbewerbssituation. Die beobachtbaren teilweise erheblichen Angebotsverminderungen der vier großen EVU in Deutschland (Δsi,DE ) lassen noch keine Aussage u ¨ber die absolute Angebotsverknappung am deutschen Spotmarkt zu. Vielmehr werden durch die steigenden Preise Elektrizit¨atsimporte aus den europ¨aischen Nachbarl¨andern induziert, die den marktmachtbedingten Preiserh¨ohungen entgegenwirken und einen Teil der Angebotsminderung ausgleichen. Ausgehend von einer Gesamtangebotsmenge in Deutschland von 544 TWh bei wettbewerblichem Verhalten der deutschen EVU reduziert sich das Angebot bei strategischem Verhalten um etwa 6 % auf 510 TWh.165 Diese Gesamtangebotsminderung f¨ uhrt auf Grund der preiselastischen Nachfrage zu einem marktr¨aumenden Spotmarktpreis, der oberhalb des Wettbewerbsniveaus liegt. Im Unterschied zur Angebotsminderung der Oligopolunternehmen im deutschen Großhandelsmarkt Δsi,DE l¨asst sich feststellen, dass sich die Produktionsmengen Δxi teilweise deutlich weniger verringern. Insbesondere f¨ ur die beiden kleineren Oligopolunternehmen Vattenfall Europe AG und EnBW AG weichen die Produktions¨anderungen signifikant von den Angebots¨anderungen ab (vgl. Tabelle 5.1). Aus der im Vergleich zur Angebotsmengen¨anderung geringeren Produktionsmengeneinschr¨ankung kann einerseits geschlossen werden, dass die Unternehmen einen Teil der in Deutschland reduzierten Angebotsmenge zum Export nutzen, d. h. Angebotsmenge vom heimischen in die Nachbarm¨arkte verschieben und dass andererseits Vattenfall und EnBW u ¨ber ein im Verh¨altnis zu RWE und E.ON geringeres Potenzial zur Marktbeeinflussung durch Kapazit¨atszur¨ uckhaltung verf¨ ugen. Eine st¨arkere Einschr¨ankung der Produktionsmengen dieser EVU f¨ uhrt demnach nicht zu einer Verbesserung der Unternehmensergebnisse. Werden neben der Jahresbetrachtung auch die zeit- und lastsegmentspezifischen Markt- und Unternehmensergebnisse analysiert, so zeigt sich, dass insbesondere in Zeiten hoher Nachfrage, bei denen zudem das Verh¨altnis von verf¨ ugbarer Kraftwerkskamax Ref pazit¨at XDE,t,l zur Referenznachfrage DDE,t,l auf enge Marktsituationen hindeutet, h¨ohere Werte f¨ ur die Lerner-Indizes und st¨arkere Preissteigerungen zu beobachten sind. max Ref Tabelle 5.2 stellt mit Ωt,l = XDE,t,l /DDE,t,l das Verh¨altnis von verf¨ ugbarer inl¨andischer Kraftwerksleistung zu Referenznachfrage, den durchschnittlichen Lerner-Index sowie die Preis¨anderung am deutschen Spotmarkt dar. 165
¨ Inklusive der Pump- und Netzverluste. Die Anderung der Elektrizit¨atsnachfrage ist insbesondere von den angenommenen Preiselastizit¨aten der Nachfrage abh¨angig. Es soll nochmals betont werden, dass die im Modell gew¨ahlten Preiselastizit¨aten einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse und damit die Quantifizierung der Auswirkungen einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht haben.
133
5 Analyse der Marktmachtpotenziale Tabelle 5.2: Verf¨ ugbare Leistung zu Referenznachfrage, durchschnittlicher Lerner-Index und Preis¨ anderung in Deutschland – mit interregionalem Elektrizit¨ atsaustausch, kein Terminmarkthandel
Kennzahl
Einheit
Ωt,l ∅ LIi,t,l ΔPDE,t,l
%
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
1,11 0,44 +40,2
1,12 0,53 +30,5
1,13 0,46 +36,2
1,63 0,27 +21,5
1,53 0,34 +27,7
1,60 0,28 +22,3
Die Erzeugungsunternehmen sind somit in Starklastzeiten in der Lage, mit geringeren Angebotsminderungen h¨ohere Gewinn- bzw. Deckungsspannenzuw¨achse zu realisieren. Ein Vergleich der absoluten Angebots- (Δsi,DE,t,l ) und Produktions¨anderungen (Δxi,t,l ) mit den Gewinnzuw¨achsen (ΔΠi,t,l ) der Unternehmen in Tabelle 5.3 macht deutlich, dass die Angebots- und Nachfragebedingungen insbesondere in den Peak-Segmenten durch st¨arkere Anreize gekennzeichnet sind, die Preise durch Angebotsverknappung zu beeinflussen. Die Gewinnzuw¨achse in diesen Lastsegmenten sind dabei besonders ausgepr¨agt, was neben der engeren Marktsituation u. a. auf die annahmegem¨aß etwas geringere Preiselastizit¨at in diesen Stunden und den damit verbundenen st¨arkeren Preiseffekt zur¨ uck zu f¨ uhren ist. Auf Grund der st¨arkeren Mengenreduktion der Oligopolunternehmen in den Off-Peak-Segmenten steigen hier die Gewinne der Unternehmen des Wettbewerbsrandes st¨arker als in den Peak-Segmenten. Der Effekt einer Ausweitung der Angebotsmenge auf die Gewinne ist damit in Schwachlastzeiten ausgepr¨agter als der Preiseffekt in den Peak-Zeiten, von dem die Unternehmen des Wettbewerbsrandes ebenfalls profitieren. Anhand der dargestellten segmentspezifischen Mengen- und Gewinnentwicklung l¨asst sich ein weiteres Ergebnis diskutieren. Reduzieren die beiden gr¨oßten Unternehmen RWE Power AG und E.ON Energie AG ihre Produktionsmengen (xi,t,l ) absolut st¨arker als ihre Angebotsmengen (si,DE,t,l ) auf dem deutschen Markt,166 so lassen sich f¨ ur die beiden kleineren Oligopolunternehmen gegenteilige Ergebnisse feststellen. Im Gegensatz zu RWE und E.ON weisen die absoluten Produktionsmengen¨anderungen der Vattenfall Europe AG und der EnBW AG niedrigere Werte auf als die Ver¨anderung der absoluten Angebotsmengen in Deutschland. Dieses Ergebnis l¨asst sich im Wesentlichen durch die M¨oglichkeiten zum interregionalen Elektrizit¨atshandel erkl¨aren. Anders als 166
¨ Eine Ausnahme bildet nur die E.ON Energie AG in den Peak-Segmenten der Winter- und Uber¨ gangsmonate. Die im Vergleich zu den Angebotsmengen geringeren prozentualen Anderungen der Produktionsmengen in Tabelle 5.1 ist auf die gr¨oßere Basis zur¨ uck zu f¨ uhren.
134
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel
Tabelle 5.3: Mengen- und Gewinn¨anderung bei strategischem Verhalten – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, kein Terminmarkthandel Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
Kennzahl
Einheit
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
−3, 27 −3, 82 +36,3
RWE Power AG −9, 83 −4, 65 −13, 60 −5, 20 +15,3 +18,1
−13, 17 −18, 78 +13,8
−3, 79 −4, 20 +28,2
−11, 15 −16, 32 +13,5
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
−2, 79 −2, 83 +40,5
E.ON Energie AG −8, 06 −4, 10 −12, 00 −9, 75 −4, 03 −15, 11 +16,6 +22,9 +16,8
−3, 32 −3, 18 +32,5
−10, 27 −13, 46 +14,6
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
−0, 76 −0, 43 +63,5
Vattenfall Europe AG −4, 26 −1, 78 −5, 23 −0, 97 −0, 88 −0, 94 +45,2 +39,7 +58,9
−1, 32 −0, 58 +55,4
−4, 62 −0, 87 +48,3
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
−0, 36 −0, 07 +64,2
EnBW AG −3, 41 −1, 06 −0, 45 −0, 37 +35,5 +41,9
−4, 29 −0, 52 +49,7
−0, 73 −0, 16 +53,3
−3, 82 −0, 40 +37,1
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
+1,43 +1,43 +132,0
Fringe +13,50 +0,98 +13,50 +0,98 +179,3 +62,6
+4,70 +4,70 +195,0
+1,24 +1,24 +97,3
+13,63 +13,63 +187,0
135
5 Analyse der Marktmachtpotenziale RWE und E.ON ist es Vattenfall und EnBW auf Grund ihrer erzeugerseitigen Marktanteile und Kostenstrukturen nicht m¨oglich, durch eine weitere Einschr¨ankung ihrer Gesamtproduktionsmengen, die sich aus dem Absatz im heimischen und in den ausl¨andischen M¨arkten zusammensetzt, h¨ohere Gewinne zu realisieren. Eine Ausweitung der Preisbeeinflussungspotenziale auf die europ¨aischen Nachbarm¨arkte durch eine zus¨atzliche Verringerung der Exportmengen ist f¨ ur diese beiden EVU damit auszuschließen. Auf die marktmachtinduzierten Außenhandelseffekte wird im Folgenden n¨aher eingegangen. Auswirkungen auf den Elektrizit¨ atsaußenhandel Die durch strategisches Verhalten der EVU induzierten Mengen- und Preis¨anderungen wirken sich u ¨ber die M¨oglichkeiten Elektrizit¨at u ¨ber die nationalen Grenzen hinweg handeln zu k¨onnen, auch auf die Export- und Importvolumina aus. Da der grenz¨ uberschreitende Elektrizit¨atshandel eine Preisausgleichsfunktion erf¨ ullt und ein steigendes inl¨andisches Preisniveau Importe induziert, werden die Preissteigerungspotenziale der deutschen EVU u ¨ber den Außenhandel begrenzt. Der Wettbewerbsdruck im Inland steigt und f¨ uhrt solange zu einer Preisd¨ampfung, bis entweder die vorhandenen Kuppelleitungskapazit¨aten ersch¨opft sind oder sich die regionalen Großhandelspreise angeglichen haben. Die Erh¨ohung des Wettbewerbsdrucks auf die Oligopolunternehmen l¨asst sich u. a. an der Ver¨anderung der Außenhandelssalden erkennen. Ist im Wettbewerbsgleichgewicht ein Export¨ uberschuss von etwa 2,3 TWh zu beobachten, dreht sich die Außenhandelsbilanz im Cournot-Gleichgewicht um, so dass ein Import¨ uberschuß von etwa 45,2 TWh zu verzeichnen ist. Der hohe Import¨ uberschuss ist dabei in erster Linie durch eine starke Zunahme der preisinduzierten Importmengen zu erkl¨aren. Das Importvolumen nimmt dabei um etwa 48,8 TWh zu, w¨ahrend die Exportmengen in etwa gleich bleiben (−1, 1 TWh).167 Abbildung 5.3 stellt exemplarisch die Entwicklung des deutschen Außenhandelssaldos mit ausgew¨ahlten Regionen im Wettbewerbs- und im Cournot-Gleichgewicht gegen¨ uber. Wie die Abbildung 5.3 zeigt entwickeln sich die Außenhandelssalden zwischen Deutschland und den dargestellten Regionen nicht einheitlich. In Abh¨angigkeit der jeweiligen zeitlichen Angebots- und Nachfragebedingungen k¨onnen sich die Export- bzw. Importu usse Deutschlands unterschiedlich ver¨andern. Lassen sich im Wettbewerbsgleich¨bersch¨ 167
Es sei an dieser Stelle nochmals betont, dass bei der Modellanwendung auf eine lastflussbasierte Abbildung (z. B. PTDF, DC-Lastfluss) des Außenhandels verzichtet wurde. Die Modellierung der ¨ Ubertragungskapazit¨ aten auf der Basis von NTC-Werten stellt eine vereinfachte Respr¨asentation ¨ der physischen Netzkapazit¨aten dar und kann u. U. zu einer Ubersch¨ atzung der handelsbasierten Austauschmengen f¨ uhren.
136
Außenhandelssaldo [TWh] - Ex (+), Im (-)
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel 12,0 8,0 4,0 0,0 -4,0 -8,0 -12,0 S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü S W Ü FR
NL
CH Wettbewerb
AT
CZ
FR
NL
CH
AT
CZ
Cournot
Abbildung 5.3: Deutscher Außenhandelssaldo im Wettbewerbs- und Cournot-Gleichgewicht – kein Terminmarkthandel
gewicht in manchen Nachfragesegmenten Export¨ ubersch¨ usse, z. B. nach Frankreich, die Niederlande und die Schweiz feststellen, so ¨andern sich die Handelsstr¨ome im CournotGleichgewicht zumindest teilweise zu Import¨ ubersch¨ ussen. Anders verh¨alt es sich dagegen beispielsweise mit der Tschechischen Republik, bei der zu beobachten ist, dass sich der in allen Nachfragesegmenten bestehende Import¨ uberschuss bei strategischem Verhalten der deutschen EVU verringert. Dieses Ergebnis ist in den Sommermonaten auch zwischen Deutschland und Frankreich zu beobachten. In beiden F¨allen k¨onnen diese Ergebnisse auf die l¨anderspezifischen Angebots- und Nachfragebedingungen sowie die preisinduzierte Nachfrageminderung in Deutschland zur¨ uckgef¨ uhrt werden. Im Zusammenhang mit den in Tabelle 5.3 dargestellten Mengen¨anderungen der Oligopolunternehmen und des Wettbewerbsrandes k¨onnen neben den Auswirkungen auf die gesamtdeutschen Export- und Importmengen auch die unternehmensbezogenen Ver¨anderungen der grenz¨ uberschreitenden Handelsvolumina analysiert werden. Wie oben bereits angedeutet, unterscheiden sich die bei strategischem Verhalten zu beobachtenden Angebot- und Produktionsmengen¨anderungen der EVU teilweise erheblich. Reduzieren die beiden gr¨oßten Unternehmen RWE und E.ON ihre gesamten Produktionsmengen (xi,t,l ) st¨arker als ihre Angebotsmengen in Deutschland (si,DE,t,l ), so l¨asst sich f¨ ur Vattenfall und EnBW feststellen, dass ihre Produktionsmengen geringer abnehmen als ihre Angebotsmengen auf dem deutschen Markt. Im Cournot-Gleichgewicht k¨onnen zwar auch die beiden kleineren EVU ihre Preisbeeinflussungspotenziale einsetzen, ihre erzeugerseitigen Marktanteile reichen aber offensichtlich nicht aus, ihre Gewinne durch eine
137
5 Analyse der Marktmachtpotenziale zus¨atzliche Reduktion der Exportmengen weiter zu steigern. Im Gegensatz zu RWE und E.ON, die bei strategischem Verhalten ihre Exportmengen reduzieren, weiten Vattenfall und EnBW ihre Exporte in die Nachbarm¨arkte sogar noch aus. Tabelle 5.4 stellt die Ex portmengen q sri,q,t,l mit q = r ∈ Q und r = DE der vier großen EVU in Deutschland im Wettbewerbs- und Cournot-Gleichgewicht zusammen. Tabelle 5.4: Exportmengen der Oligopolunternehmen in Deutschland – kein Terminmarkthandel
Gleichgewicht
Einheit
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
Cournot Wettbewerb r q Δsi,q,t,l
TWh TWh TWh
5,26 5,81 −0, 55
RWE Power AG 7,51 6,47 11,28 7,03 −3, 77 −0, 56
9,20 14,81 −5, 61
6,01 6,42 −0, 41
8,70 13,87 −5, 17
Cournot Wettbewerb r q Δsi,q,t,l
TWh TWh TWh
4,65 4,69 −0, 04
E.ON Energie AG 6,79 5,76 8,49 5,69 −1, 70 +0,07
8,88 11,98 −3, 10
5,38 5,24 +0,14
8,11 11,30 −3, 19
Cournot Wettbewerb r q Δsi,q,t,l
TWh TWh TWh
Vattenfall Europe AG 1,37 5,62 1,72 1,03 2,32 0,83 +0,34 +3,3 +0,89
6,21 1,92 +4,29
1,73 0,99 +0,74
6,19 2,44 +3,75
Cournot Wettbewerb r q Δsi,q,t,l
TWh TWh TWh
0,52 0,23 +0,29
4,67 0,91 +3,76
0,83 0,25 +0,58
4,86 1,43 +3,43
EnBW AG 4,23 0,72 1,27 0,03 +2,96 +0,69
Die verhaltensinduzierten Preis¨anderungen haben u ¨ber die Anpassung der inl¨andischen und ausl¨andischen Angebots- und Nachfragemengen neben den Wirkungen auf die einzelwirtschaftlichen Unternehmensergebnisse auch Einfluss auf die Effizienz der Elektrizit¨atserzeugung sowie die Wohlfahrt. Auf die Effizienz- und Wohlfahrtswirkungen wird im Folgenden n¨aher eingegangen. Effizienz- und Wohlfahrtswirkungen Die Angebotsverknappung und die damit induzierten Preissteigerungen sind mit einer Umverteilung von Konsumentenrente zu Produzentenrente sowie einer Verringerung der
138
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel Wohlfahrt verbunden. Die Preissteigerungen f¨ uhren zu Effizienzverlusten bei der Elektrizit¨atserzeugung, da die Produktionsminderungen der Oligopolunternehmen die Absatzm¨oglichkeiten der Unternehmen des Wettbewerbsrandes unter Einsatz von Kraftwerken mit h¨oheren Erzeugungskosten, wie z. B. nicht-w¨armegef¨ uhrten KWK-Anlagen erh¨ohen. Wie in Tabelle 4.14 dargestellt, setzt sich das Erzeugungsportfolio des Wettbewerbsrandes zu einem geringeren Teil aus Grundlastkraftwerken und zu einem gr¨oßeren Teil aus Mittel- und Spitzenlastkraftwerken mit vergleichsweise h¨oheren variablen Erzeugungskosten zusammen. Werden jetzt Erzeugungskapazit¨aten mit niedrigeren variablen Produktionskosten von den vier großen EVU aus strategischen Gr¨ unden nicht angeboten, weiten die Unternehmen des Wettbewerbsrandes als Mengenanpasser ihre Produktion aus, um einen Teil der Angebotsminderung zu kompensieren. Es kommt zu Fehlallokationen von Produktionsfaktoren und damit zu Wohlfahrtsverlusten. Tabelle 5.5 stellt die marktmachtinduzierten Wohlfahrtswirkungen sowie die Ver¨anderung der Gesamtkosten der Elektrizit¨atsnachfrage im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt dar. Tabelle 5.5: Kosten- und Wohlfahrtswirkungen in Deutschland – mit interregionalem Elektrizit¨ atsaustausch, kein Terminmarkthandel
Kennzahl Endnachfragekosten Konsumentenrente Produzentenrente Wohlfahrt
¨ Anderung gegen¨ uber Wettbewerb Mio. e % +6311 −8388 +5236 −3151
+21,9 −12, 2 +39,9 −3, 8
Eine M¨oglichkeit, die Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht und die damit verbundenen negativen Wohlfahrts- und Kostenwirkungen zu reduzieren liegt u. a. im Ausbau der grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten im europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarkt. Welchen Einfluss die St¨arkung des Elektrizit¨atsaußenhandels durch Netzinvestitionen auf die Preisbeeinflussungspotenziale der Oligopolunternehmen hat, wird in den beiden folgenden Ausbauszenarien untersucht.
5.2.2 Szenarien zum Ausbau der Transportkapazit¨ aten Der Ausbau der grenz¨ uberschreitenden Transportkapazit¨aten ist ein wichtiger Bestandteil der weiteren Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes. Trotz der zuletzt durch die Richtlinie 2003/54/EG und die Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 angestrebten Beschleunigung des Integrationsprozesses, kann nicht uneingeschr¨ankt von einer
139
5 Analyse der Marktmachtpotenziale Vollendung des einheitlichen europ¨aischen Elektrizit¨atsmarktes gesprochen werden. Wie u. a. Haubrich et al. (2001) und KEMA Consulting (2005) zeigen, lassen sich an einigen grenz¨ uberschreitenden Kuppelstellen Engp¨asse feststellen, die einen vollst¨andigen Ausgleich der regionalen Großhandelspreise verhindern.168 Um die bestehenden engpassbedingten Handelsbeschr¨ankungen und die damit verbundenen Ineffizienzen zu beseitigen, hat die Europ¨aische Kommission im Rahmen der Trans-European Networks (TEN-E) vordringliche Investitionsprojekte identifiziert, deren Durchf¨ uhrung finanziell unterst¨ utzt wird.169 Die zwei im Folgenden betrachteten Netzausbauszenarien lehnen sich an die Untersuchungen der Europ¨aischen Union und die beiden zuvor genannten Studien an und beziehen sich einerseits auf Kuppelstellenengp¨asse an der deutschen Grenze und andererseits auf bestehende bilaterale Netzengp¨asse im Ausland. Das erste Ausbauszenario TR1 fokussiert auf die Kuppelleitungskapazit¨aten zwischen Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, D¨anemark und Polen. Im zweiten Ausbauszenario TR2 werden die Auswirkungen einer zus¨atzlichen Erweiterung der Trans¨ portkapazit¨aten zwischen Belgien, den Niederlanden und Frankreich sowie zwischen Osterreich und der Tschechischen Republik untersucht. F¨ ur die Erweiterung der Transportnetze wird angenommen, dass die Leistungssteigerung sowohl in allen Zeit- und Lastsegmenten als auch in beide Richtungen zur Verf¨ ugung steht. Die folgende Liste stellt die Annahmen u ¨ber die Kuppelstellenerweiterung in den beiden Ausbauszenarien zusammen. Ausbauszenario TR1: Kuppelstellenausbau an der deutschen Grenze • • • •
Deutschland Deutschland Deutschland Deutschland
⇐⇒ ⇐⇒ ⇐⇒ ⇐⇒
die Niederlande Frankreich D¨anemark Polen
700 600 1250 700
MW MW MW MW
Ausbauszenario TR2: Zus¨atzlich zu TR1 Kuppelstellenausbau im Ausland • Belgien • Belgien 168 169
⇐⇒ ⇐⇒
Niederlande Frankreich
1000 MW 1000 MW
Vgl. Haubrich et al. (2001) S. 32 ff. und S. E-7 ff. sowie KEMA Consulting (2005) S. 2 ff. Vgl. zu den Schwerpunkten der geplanten Netzinvestitionen in Europa z. B. Europ¨aische Kommission (2004b). Die F¨orderung der Projekte durch die Europ¨aische Kommission beschr¨ankt sich dabei in erster Linie auf die finanzielle Unterst¨ utzung von Durchf¨ uhrbarkeitsstudien und bildet nur in Ausnahmef¨allen direkte Investitionsbeihilfen.
140
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel ¨ • Osterreich
⇐⇒
Tschechische Republik
250
MW
Der Ausbau der Kuppelleitungskapazit¨aten im Ausbauszenario TR1 erweitert die bilateralen Handelsm¨oglichkeiten zwischen Deutschland und seinen Nachbarl¨andern um insgesamt 3250 MW und damit um ein j¨ahrliches Handelsvolumen von etwa 28,5 TWh. Im Ausbauszenario TR2 werden dar¨ uber hinaus zus¨atzlich Netzengp¨asse im Umfang von insgesamt 2250 MW bzw. 19,7 TWh im Ausland reduziert. Ausbauszenario TR1 Ob der Ausbau der genannten Kuppelstellen geeignet ist, die Preisbeeinflussungspotenziale im deutschen Elektrizit¨atsmarkt signifikant zu verringern, h¨angt u. a. von den regionalen Angebots- und Nachfragebedingungen ab. Insbesondere spielt hier die verf¨ ugbare Erzeugungskapazit¨at in den Nachbarm¨arkten eine wichtige Rolle. Liegen in den Nachbarl¨andern, ¨ahnlich wie in Deutschland, zeitweise enge Marktbedingungen in Bezug auf das Verh¨altnis von verf¨ ugbarer Kraftwerksleistung und Nachfrage vor, sind die Exportm¨oglichkeiten dieser L¨ander erheblich beschr¨ankt. Wie sich die Spotmarktpreise im Wettbewerbs- und Cournot-Gleichgewicht durch einen Ausbau der grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten ver¨andern, ist in Abbildung 5.4 dargestellt.
Spotmarktpreis [€/MWh]
120,0
80,0
40,0
0,0 Peak
Off-Peak Sommer Wettbewerb
Peak
Off-Peak Winter
Wettbewerb (TR1)
Peak
Off-Peak
Übergang Cournot
Cournot (TR1)
Abbildung 5.4: Spotmarktpreise in Deutschland – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR1
Die Ergebnisse in Abbildung 5.4 machen deutlich, dass die Transportnetzinvestitionen an der deutschen Grenze grunds¨atzlich geeignet sind, den Preisbeeinflussungsspiel-
141
5 Analyse der Marktmachtpotenziale raum der vier Oligopolunternehmen zu reduzieren. Der gestiegene Wettbewerbsdruck durch die st¨arkere Importkonkurrenz spiegelt sich in einem Preisr¨ uckgang im Cournot¨ Gleichgewicht zwischen 2,23 e/MWh (−4, 6 %) in den Ubergangsund 7,98 e/MWh (−7, 2 %) in den Wintermonaten wider. Im Gegensatz zum Preisr¨ uckgang, der sich in beiden Lastsegmenten des Oligopolgleichgewichts beobachten l¨asst, f¨ uhrt der Aus¨ bau der Ubertragungskapazit¨ aten im Wettbewerbsgleichgewicht nur in den Peak-LoadSegmenten zu einem R¨ uckgang der Großhandelspreise um 2,57 e/MWh (−4, 4 %) in den Sommer-, bis 3,99 e/MWh (−4, 7 %) in den Wintermonaten. Die Begrenzung der Preisbeeinflussungspotenziale durch die Ausweitung der Importm¨oglichkeiten wirkt sich f¨ ur die vier deutschen Oligopolunternehmen auch auf ihre Angebots- und Produktionsmengen sowie die realisierbaren Gewinnsteigerungen aus. ¨ Tabelle 5.6 zeigt die minimalen und maximalen Werte f¨ ur den Lerner-Index, die An¨ derungen der Angebotsmengen in Deutschland, die Anderung der Gesamtproduktion sowie die Gewinne der EVU. Tabelle 5.6: Lerner-Index, Mengen und Gewinne der EVU – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR1 Kenngr¨ oße
Einheit
RWE
E.ON
Vattenfall
EnBW
Fringe
LIi min/max Δsi,DE Δxi Πi Cournot Πi Wettbewerb
% % Mio.e Mio.e
0,26/0,62 −44, 5 −38, 4 4357 3811
0,25/0,60 −41, 9 −34, 0 4258 3612
0,24/0,46 −29, 0 −7, 0 2547 1825
0,22/0,38 −25, 7 −4, 1 2313 1696
0,00 +32,0 +38,7 2641 1412
Durch den Ausbau der Transportkapazit¨aten reduzieren sich die durchsetzbaren Preisaufschl¨age auf die Grenzerzeugungskosten der großen vier EVU, wie der Vergleich mit den Ergebnissen ohne Netzausbau in Tabelle 5.1 z. B. in Bezug auf die Lerner-Indizes zeigt. Die Oligopolunternehmen passen ihre Angebots- und Produktionsstrategie an die ver¨anderten Rahmenbedingungen an und versuchen durch eine zus¨atzliche Einschr¨ankung der Angebotsmengen dem importbedingten Preisr¨ uckgang in Deutschland entgegen zu wirken. Die aus strategischer Sicht optimale Angebotsminderung der Unternehmen ΔsiDE ist nach den Netzinvestitionen st¨arker ausgepr¨agt als in der Situation ohne die Netzerweiterungen. Insgesamt nimmt die Gesamtangebotsmenge im deutschen Spotmarkt bei missbr¨auchlicher Aus¨ ubung der Marktmachtpotenziale allerdings nur um etwa 5 % (ohne Netzinvestitionen etwa 6 %) ab. Das entspricht einer Angebotsverringerung von 546 TWh im Wettbewerbsgleichgewicht auf 520 TWh im Cournot-Gleichgewicht (ohne Netzinvestitionen von 544 auf 510 TWh). Ein Teil der Angebotsminderung der
142
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel deutschen Unternehmen wird demnach durch verst¨arkten Elektrizit¨atsimport ausgeglichen. Die geringeren Preisbeeinflussungsm¨oglichkeiten f¨ uhren im Ergebnis auch zu reduzierten Gewinnsteigerungen der Unternehmen im Cournot-Gleichgewicht. Konnten die EVU ihre Deckungsspannen ohne den Netzausbau noch um 20,9 % (RWE) bis 50,4 % (Vattenfall) erh¨ohen, so liegen die realisierbaren Gewinnsteigerungen mit Netzausbau im Ausbauszenario TR1 nur noch zwischen 14,3 % (RWE) und 39,6 % (Vattenfall). Die Unternehmen des Wettbewerbsrandes, die zuvor ihre Gewinne mehr als verdoppeln konnten, realisieren nach dem Netzausbau einen stark verringerten Gewinnzuwachs von 87,0 %. Durch den Ausbau der Kuppelleitungskapazit¨aten kommt es zu einer Verbesserung der Preisausgleichsfunktion des Außenhandels, die sich positiv auf die Faktorallokation und die Effizienz in den regionalen Elektrizit¨atsm¨arkten auswirkt.170 Tabelle 5.7 stellt die marktmachtinduzierten Kosten- und Wohlfahrtswirkungen im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt im Ausbauszenario TR1 dar. Tabelle 5.7: Kosten- und Wohlfahrtswirkungen in Deutschland – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR1
Kennzahl Endnachfragekosten Konsumentenrente Produzentenrente Wohlfahrt
¨ Anderung gegen¨ uber Wettbewerb Mio. e % +5086 −6603 +3761 −2842
+18,1 −9, 5 +30,4 −3, 5
Die Gesamtkosten der Elektrizit¨atsnachfrage nehmen im Vergleich zur aktuellen Situation der Kuppelleitungskapazit¨aten um 604 Mio. e im Wettbewerbs- bzw. 1830 Mio. e im Cournot-Gleichgewicht ab.171 Vor dem Hintergrund der sinkenden Spotmarktpreise und der damit einher gehenden Ausweitung der Elektrizit¨atsnachfrage nimmt die Konsumentenrente im Vergleich zur Situation ohne Netzausbau im Wettbewerbs170
171
¨ Auf die Anderung der regionalen Großhandelspreise bei einem Ausbau der Kuppelleitungskapazit¨aten wird hier nicht explizit eingegangen. F¨ ur eine ¨ahnliche Analyse sei z. B. auf Ellersdorfer et al. (2003) S. 792 f. und Ellersdorfer et al. (2004) S. 15 f. verwiesen. An dieser Stelle wird auf eine explizite Kosten-Nutzen-Betrachtung der Netzinvestitionen verzichtet, da insbesondere die Investitionskosten der einzelnen Ausbauprojekte nicht pauschal bestimmt werden k¨onnen, sondern stark von den jeweiligen Bedingungen abh¨angen. Information zu Investiti¨ onskosten von Ubertragungsnetzen finden sich z. B. bei EIA (2003) und Haubrich et al. (2001). Vgl. ¨ zu den Investitionskosten in Ubertragungsnetze auch die Studie von Zillmer et al. (2007).
143
5 Analyse der Marktmachtpotenziale gleichgewicht um 741 Mio. e (+1,1 %) und im Cournot-Gleichgewicht um 2526 Mio. e (+4,2 %) zu. F¨ ur die Wohlfahrt l¨asst sich bei wettbewerblichem Verhalten der vier großen Erzeugungsunternehmen nach den Netzinvestitionen ein leichter R¨ uckgang in H¨ohe von −41 Mio. e feststellen. Dieses Ergebnis ist mit der Verringerung der Produzentenrente von 782 Mio. e bei einer etwas geringeren Zunahme der Konsumentenrente (741 Mio. e) zu erkl¨aren. Es zeigt sich, dass trotz einer Umverteilung von Produzentenrente zu Konsumentenrente die Wohlfahrt durch die Ausweitung der Import- und Exportm¨oglichkeiten abnehmen kann. Im Cournot-Gleichgewicht kommt es dagegen durch die Netzinvestitionen zu einer Wohlfahrtssteigerung in H¨ohe von 268 Mio. e (+0,3 %). Ausbauszenario TR2 Werden jetzt u ¨ber die bereits angenommenen Transportnetzinvestitionen an der deutschen Grenze im Ausbauszenario TR2 zus¨atzliche Investitionen in Kuppelleitungskapazit¨aten im Ausland angenommenen, so kann auf Grund der bestehenden multilateralen Handelsverflechtungen im europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarkt und der M¨oglichkeiten einer dadurch insgesamt verbesserten Ausnutzung der vorhandenen Produktionskapazit¨aten mit positiven R¨ uckwirkungen auf den deutschen Großhandelsmarkt gerechnet werden.172 Im Vergleich zum Ausbauszenario TR1 sind die zus¨atzlichen außenhandelsinduzierten Preis¨anderungen der hier unterstellten Netzinvestitionen mit +0,1 bis −0, 6 %-Punkten im Wettbewerbsgleichgewicht und −0, 1 bis −2, 3 %-Punkten im Cournot-Gleichgewicht allerdings sehr gering. Die im Vergleich zum Wettbewerbsgleichgewicht von den Erzeugungsunternehmen in den beiden Ausbauszenarien TR1 und TR2 durchsetzbaren Preissteigerungen werden in Tabelle 5.8 vergleichend gegen¨ uber gestellt. Es zeigt sich, dass die zus¨atzlichen Transportkapazit¨aten nur sehr bedingt zu einer weiteren Reduktion der Preisbeeinflussungspotenziale beitragen k¨onnen. Im Vergleich zu den durchsetzbaren Preissteigerungen ohne Netzausbau von 22 bis 40 % (vgl. Tabelle 5.2) sind Investitionen in die grenz¨ uberschreitenden Netzkapazit¨aten allerdings geeignet, vorhandene Potenziale zu begrenzen. ¨ Im Zusammenhang mit diesen nur geringen zus¨atzlichen Anderung der Spotmarktpreise ver¨andert sich auch die Gesamtnachfrage in Deutschland durch die physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung der vier Oligopolunternehmen im Vergleich zum Ausbauszenario TR1 nur geringf¨ ugig. Die markt- und unternehmensbezogenen Ergebnisse des Ausbauszenarios TR2 in Tabelle 5.9 unterscheiden sich daher nur leicht von denen des Ausbauszenarios TR1 in Tabelle 5.6. 172
Grunds¨atzlich ist nicht auszuschließen, dass es auf Grund der Preisausgleichsfunktion des Elektrizit¨atshandels auch zu Preissteigerungen in Deutschland kommen kann.
144
5.2 Spotmarktmodell mit interregionalem Elektrizit¨atshandel Tabelle 5.8: Durchsetzbare Preissteigerungen bei Ausbau der grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten – kein Terminmarkthandel
Kennzahl TR1: ΔPDE,t,l TR2: ΔPDE,t,l
Einheit % %
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
+35,0 +35,3
+27,1 +27,1
+30,7 +31,3
+15,2 +13,7
+17,3 +16,6
+16,6 +14,2
Tabelle 5.9: Lerner-Index, Mengen und Gewinne der EVU – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR2 Kenngr¨ oße
Einheit
RWE
E.ON
Vattenfall
EnBW
Fringe
LIi min/max Δsi,DE Δxi Πi Cournot Πi Wettbewerb
% % Mio.e Mio.e
0,25/0,62 −45, 1 −38, 8 4311 3779
0,25/0,60 −42, 5 −34, 5 4214 3584
0,23/0,46 −29, 8 −7, 3 2523 1810
0,21/0,38 −27, 0 −4, 3 2291 1685
0,00 +30,0 +37,3 2582 1395
Die Gesamtkosten der Elektrizit¨atsnachfrage sinken im Vergleich zur aktuellen Situation der Kuppelleitungskapazit¨aten im Wettbewerbsgleichgewicht um −684 Mio. e (TR1: −604 Mio. e) und im Cournot-Gleichgewicht um −2019 Mio. e (TR1: −1830 Mio. e). Wie bereits oben beschrieben, kommt es durch den Netzausbau im Wettbewerbsgleichgewicht zu Wohlfahrtsverlusten im deutschen Elektrizit¨atsmarkt. Die Wohlfahrtsminderung ist mit −46 Mio. e etwas st¨arker ausgepr¨agt als im ersten Ausbauszenario (TR1: −41 Mio. e). Dagegen nimmt die Wohlfahrt im Cournot-Gleichgewicht mit 339 Mio. e durch den zus¨atzlichen Netzausbau wie im ersten Netzausbauszenario zu (TR1: 268 Mio. e). In Tabelle 5.10 sind die Kosten- und Wohlfahrtswirkungen einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht durch die vier deutschen Oligopolunternehmen im Ausbauszenario TR2 zusammengefasst. Gegen¨ uber der wettbewerblichen Referenzsituation steigen die Kosten der Elektrizit¨atsnachfrage auf Grund der marktmachtinduzierten Preissteigerungen um etwa 4976 Mio. e, w¨ahrend sich die Wohlfahrt um etwa 2767 Mio. e verringert. Die vier großen deutschen Erzeugungsunternehmen sind demnach auch bei einem Ausbau der Kuppelleitungskapazit¨aten im hier angenommenen Umfang in der Lage, die Elektrizit¨atspreise und dar¨ uber ihre Gewinne durch physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung zu beeinflussen.
145
5 Analyse der Marktmachtpotenziale Tabelle 5.10: Kosten- und Wohlfahrtswirkungen in Deutschland – kein Terminmarkthandel, Ausbauszenario TR2
Kennzahl Endnachfragekosten Konsumentenrente Produzentenrente Wohlfahrt
¨ Anderung gegen¨ uber Wettbewerb Mio. e % +4976 −6436 +3669 −2767
+17,7 −9, 2 +29,9 −3, 4
Die bis hierher beschriebenen Ergebnisse des erweiterten Spotmarktmodells unter Ber¨ ucksichtigung der interregionalen Elektrizit¨atshandelsm¨oglichkeiten werden im Folgenden zusammengefasst.
5.2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Die Modellanwendung hat gezeigt, dass die vier großen deutschen Erzeugungsunternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG auch unter Ber¨ ucksichtigung des interregionalen Elektrizit¨atshandels in der Lage sind, u ¨ber eine Verknappung ihrer Angebotsmengen die Spotmarktpreise signifikant zu beeinflussen. Die am Großhandelsmarkt durchsetzbaren Preissteigerungen h¨angen dabei u. a. von den zeitlich variierenden Angebots- und Nachfragebedingungen in den verschiedenen Regionen ab und sind umso ausgepr¨agter, je enger das Verh¨altnis von verf¨ ugbarer Kraftwerksleistung und Nachfrage ist. In den Peak-Stunden lassen sich daher st¨arkere Preisaufschl¨age auf die Grenzerzeugungskosten der Unternehmen beobachten als in den Off-Peak-Stunden, die ein geringeres Maß fundamental bedingter Knappheit aufweisen. Die relativen durchschnittlich realisierbaren Preisaufschl¨age auf die Grenzerzeugungskosten liegen zwischen 27 % in den Sommer- und 53 % in den Wintermonaten, wodurch die Spotmarktpreise um 22 bis 40 % u ¨ber das wettbewerbliche Niveau steigen. Die auf Grund der physischen Kapazit¨atszur¨ uckhaltung von den Unternehmen realisierbaren Gewinnsteigerungen von 21 % (RWE) bis 50 % (Vattenfall) stellen unter den getroffenen Annahmen einen starken Anreiz dar, ihre Angebotsmenge entsprechend zu optimieren. Neben den Gewinnzuw¨achsen der Oligopolunternehmen profitieren auch die Unternehmen des Wettbewerbsrandes in erheblichem Maße von den marktmachtinduzierten Preissteigerungen, deren Gewinne sich in dieser Situation mehr als verdoppeln. Die Angebotsminderung der Oligopolunternehmen und die damit verbundenen Preiserh¨ohungen am Spotmarkt f¨ uhren zu einer Umverteilung von Konsumenten- zu Produ-
146
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt zentenrente sowie zu Effizienz- und Wohlfahrtsverlusten. Die Gesamtkosten der Elektrizit¨atsnachfrage in Deutschland steigen dadurch um etwa 22 %. Durch den Ausbau der grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten l¨asst sich der Wettbewerbsdruck im deutschen Elektrizit¨atsmarkt erh¨ohen und damit die Preisbeeinflussungspotenziale der Oligopolunternehmen reduzieren. Die Szenarien zum Netzausbau zeigen, dass eine Erweiterung der interregionalen Handelsm¨oglichkeiten zu einer Begrenzung der marktmachtinduzierten Preissteigerungen auf 14 bis 35 % f¨ uhrt und dar¨ uber hinaus mit positiven Effizienz- und Wohlfahrtswirkungen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt verbunden ist.
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt Im Rahmen der bisherigen Untersuchungen konnte gezeigt werden, wie sich die Abbildung des interregionalen Elektrizit¨atshandels auf die Quantifizierung der Marktmachtpotenziale im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt auswirkt und wie sich die vorhandenen Potenziale durch Investitionen in die grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten beschr¨anken lassen. Um den Terminmarkthandel als zweiten wesentlichen Einflussfaktor auf die M¨oglichkeiten zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht in die Analyse aufzunehmen, wird im Folgenden dargestellt, wie die Entscheidungen am Terminmarkt das Unternehmensverhalten beeinflussen und die vorhandenen Preisbeeinflussungspotenziale in Deutschland verringern. Dazu wird auf der Basis eines zweistufigen deterministischen Modells in Kapitel 5.3.1 untersucht, wie sich die Terminmarktstrategien der Unternehmen auf die Ergebnisse im physischen Spotmarkt auswirken. In Kapitel 5.3.2 wird dann die Annahme einer deterministisch bekannten Windenergieeinspeisung aufgehoben, um den Einfluss der Risikoneigung auf die optimale Zusammensetzung von Spot- und Terminmarktkontrakten zu beschreiben. Die Windenergieeinspeisung wird dabei nicht mehr deterministisch, sondern stochastisch abgebildet. Kapitel 5.3.3 fasst die Ergebnisse zusammen.
5.3.1 Einfluss der Terminmarktstrategie Die Abbildung der erweiterten Handelsm¨oglichkeiten der Erzeugungsunternehmen durch die Modellierung des Terminmarktes hebt eine restriktive, f¨ ur die Quantifizierung der Marktmachtpotenziale wesentliche Modellannahme auf. Optimierten die Unternehmen ihre Angebotsmenge bisher im Rahmen einer reinen Spotmarktstrategie, so k¨onnen sie ihre Handelsoptionen jetzt auf den dem physischen Spotmarkt zeitlich vorgelagerten
147
5 Analyse der Marktmachtpotenziale Terminmarkt ausdehnen. Aus dem zun¨achst einstufigen wird f¨ ur die Unternehmen ein zweistufiges Optimierungsproblem. Wie in Kapitel 4.5.5 dargestellt, gibt es drei Motive f¨ ur den Handel mit Terminmarktkontrakten. Zum einen k¨onnen die Unternehmen den Terminmarkt zum Hedgen von Risiken nutzen, wobei der Handel mit Derivaten insbesondere auf die Absicherung von Preisrisiken gerichtet ist. Zum anderen er¨offnet der Terminmarkthandel die M¨oglichkeit zur Spekulation, indem die Unternehmen z. B. eine short (long) Position eingehen und auf sinkende (steigende) Spotmarktpreise hoffen. Schließlich handeln die Unternehmen Terminmarktkontrakte aus strategischen Gr¨ unden, da sie die M¨oglichkeit bieten, zuk¨ unftige Absatzmengen und damit Marktanteile am physischen Spotmarkt bereits am Terminmarkt zu realisieren. Das strategische Motiv spiegelt sich, wie in Kapitel 4.5.2 beschrieben, formal in der Abh¨angigkeit des Grenzerl¨oses GEi (si , fi ) eines Unternehmens i von der gew¨ahlten Forwardmenge fi wider.173 Um die Auswirkungen unterschiedlicher Terminmarktstrategien auf die Marktmachtpotenziale der vier Oligopolunternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG zu untersuchen, wird zun¨achst unterstellt, dass alle Unternehmen u ¨ber ihren Zugang zum Terminmarkt die gegebenen M¨oglichkeiten zum ¨ Forwardhandel nutzen. Die jeweilige Terminmarktstrategie ¨außert sich dabei in der Anderung der gehandelten Forwardmenge fi , wobei zun¨achst auf eine Differenzierung der verschiedenen Handelsmotive verzichtet wird. Aus dem Verh¨altnis von Forwardmenge zu physischer Angebotsmenge ergibt sich der Kontrahierungsgrad fi /si eine Unternehmens. Im Rahmen der Modellanwendung wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Erzeugungsunternehmen ihren Kontrahierungsgrad schrittweise erh¨ohen, in dem sie ihre short Positionen fi > 0 am Terminmarkt ausweiten.174 F¨ ur die Quantifizierung der mit unterschiedlichen Terminmarktstrategien verbundenen Auswirkungen auf die Marktmachtpotenziale wird dazu der Kontrahierungsgrad der Unternehmen mit fi /si = [0, 1] exogen zwischen 0 und 100 % variiert. Ein Kontrahierungsgrad von 0 % beschreibt eine Situation, in der die Unternehmen vollst¨andig auf den Handel mit Terminmarktkontrakten verzichten. Dieses Verhalten f¨ uhrt im Ergebnis zu den bereits in Kapitel 5.2 beschriebenen Cournot-NashMarktgleichgewichten im einfachen Spotmarktmodell unter Vernachl¨assigung des Ter173
174
F¨ ur die vorliegende Untersuchung werden b¨orsengehandelte Futures mit finanzieller (z. B. PhelixBase und Phelix-Peak an der EEX) und physischer Erf¨ ullung, (z. B. German-Baseload und GermanPeakload-Futures an der EEX) sowie am OTC-Markt gehandelte langfristige Liefervertr¨age zu Forwards subsumiert. Vgl. zu den verschiedenen Terminmarktkontrakten auch Kapitel 2.2.4. In Allaz (1992) wird abgeleitet, unter welchen Bedingungen strategisches und Risikohedgingmotiv zum Aufbau einer long Position f¨ uhren.
148
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt minmarkthandels. Die Unternehmen haben hier die M¨oglichkeit ihr gesamtes Marktmachtpotenzial am physischen Spotmarkt auszusch¨opfen. Liegt der Kontrahierungsgrad dagegen bei 100 %, so haben die EVU annahmegem¨aß ihre gesamte physische Absatzmenge bereits u ¨ber Terminkontrakte verkauft, wodurch kein Angebotsvolumen zum strategischen Verhalten am Spotmarkt verbleibt. Das resultierende Ergebnis beschreibt das bereits dargestellte Wettbewerbsgleichgewicht auf Basis der Grenzkostenpreisbildung. Formal ist dieser grundlegende Zusammenhang in Gl. (4.47) dargestellt. Welche Auswirkungen auf die Preisbeeinflussungspotenziale der Unternehmen und damit auf die Ergebnisse im physischen Spotmarkt bei unterschiedlichen Terminmarktstrategien zu erwarten sind, wird im Folgenden zun¨achst f¨ ur den Fall diskutiert, dass alle EVU den Terminmarkt zum Risikohedging sowie aus strategischen Gr¨ unden nutzen.175
Alle Unternehmen nutzen den Terminmarkt – symmetrisches Terminmarktverhalten Die vier großen Elektrizit¨atsversorger RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW sind u ¨ber ihre Handelsgesellschaften RWE Supply & Trading GmbH, E.ON Energy Trading AG, Vattenfall Trading Services GmbH sowie EnBW Trading GmbH als Handelsteilnehmer am Spot- und Terminmarkt der European Energy Exchange registriert.176 Die EVU k¨onnen die Handelsm¨oglichkeiten an der EEX dabei sowohl zum Risikomanagement als auch aus strategischen Gr¨ unden zur Sicherung zuk¨ unftiger Absatzmengen nutzen. Nutzen die Erzeugungsunternehmen u ¨ber ihre Handelsgesellschaften die M¨oglichkeiten zum Forwardhandel, so l¨asst sich zeigen, wie sich die Terminmarktstrategien auf die Preisbeeinflussungspotenziale im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt auswirken. F¨ ur ein Unternehmen, das bereits einen großen Anteil seiner physischen Absatzmenge u ¨ber Terminkontrakte verkauft hat, verringert sich der Anreiz die Spotmarktpreise durch physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung zu beeinflussen. Unter der Annahme, dass alle Unternehmen den u ¨ber Forwards verkauften Anteil ihrer Gesamtabsatzmenge, d. h. ihren Kontrahierungsgrad simultan ausweiten, verzichten die EVU zunehmend auf ihre Preisbeeinflussungspotenziale, bis sich bei einer vollst¨andigen forwardbasierten Handelsstrategie das Wettbewerbspreisniveau am Spotmarkt einstellt. 175
176
F¨ ur die Erzeugungsunternehmen wird im Folgenden angenommen, dass sie nicht aus Spekulationsgr¨ unden am Terminmarkt handeln. Vielmehr existiert nach A6 mindestens ein risikoneutraler Spekulant bzw. ein risikoneutrales Handelsunternehmen ohne Eigenerzeugung. Auf eine explizite Trennung der Unternehmen in Erzeugungs- und Handelsgesellschaft wird, wie schon zuvor, im Folgenden verzichtet.
149
5 Analyse der Marktmachtpotenziale ¨ Abbildung 5.5 stellt die Anderung der Spotmarktpreise in Deutschland bei zunehmendem Kontrahierungsgrad der vier Oligopolunternehmen dar. Die beiden Extremwerte bei 0 bzw. 100 % entsprechen damit den in Kapitel 5.2.1 diskutierten und in Abbildung 5.2 dargestellten Spotmarktpreisen im Wettbewerbs- (100 %, fi /si = 1) und Cournot-Nash-Gleichgewicht (0 %, fi /si = 0).
Spotmarktpreis [€/MWh]
120,0
80,0
40,0 Sommer-Peak
Sommer-Off-Peak
Winter-Peak
Winter-Off-Peak
Übergang-Peak
Übergang-Off-Peak
0,0 0
10
20
30
40 50 60 Kontrahierungsgrad [%]
70
80
90
100
Abbildung 5.5: Spotmarktpreise in Deutschland bei variierendem Kontrahierungsgrad
Durch die Ausweitung ihrer short Positionen nimmt das f¨ ur den strategischen Einsatz verbleibende Spotmarktvolumen schrittweise ab. Die Zunahme der u ¨ber Forwards (Ft,l ) verkauften physischen Gesamtabsatzmenge (SDE,t,l ) steigt gleichzeitig st¨arker als die Menge der Spotmarktkontrakte (VDE,t,l ) abnimmt. Es sei hier nochmals daran erinnert, dass nach Gl. (4.21) f¨ ur die physische Gesamtabsatzmenge gilt: SDE,t,l = VDE,t,l + Ft,l . Im Ergebnis steigt die physische Gesamtangebotsmenge mit zunehmendem Kontrahierungsgrad, wobei der gleichgewichtige Spotmarktpreis auf Grund der positiven Preiselastizit¨at der Nachfrage sinkt. In Abbildung 5.6 ist die Entwicklung der physischen Angebotsmenge im deutschen Elektrizit¨atsmarkt aus Terminmarkt- und Spotmarktkontrakten sowie Importen dargestellt.177 177
Das Außenhandelsvolumen ist hier gr¨oßer als der f¨ ur das Jahr 2005 beobachtbare statistische Wert, da im Gleichgewichtsmodell etwaige regionale Preisdifferenzen sofort einen grenz¨ uberschreitenden Handel bis zum Erreichen der Kapazit¨atsgrenze induzieren. Der Außenhandelssaldo aus Importen und Exporten ist analog zur Statistik nahezu ausgeglichen. Die auch bei einem Kontrahierungsgrad der vier Oligopolunternehmen von 100 % verbleibende (Day-ahead) Spotmarktmenge wird von den Unternehmen des Wettbewerbsrandes angeboten.
150
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt
Physische Angebotsmenge [TWh]
600
400
200
0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad [%] Import
Day-ahead (Spotmarkt)
Forward (Terminmarkt)
Abbildung 5.6: Zusammensetzung der physischen Angebotsmenge im deutschen Elektrizit¨ atsgroßhandelsmarkt bei variierendem Kontrahierungsgrad
Mit steigendem Kontrahierungsgrad nehmen insbesondere die Produktionsmengen (xi ) der beiden großen Unternehmen RWE Power AG sowie E.ON Energie AG u ¨berproportional stark zu, w¨ahrend die Produktionsmengen der Vattenfall Europe AG und der EnBW AG nahezu konstant bleiben und sich die Produktion der Unternehmen des Wettbewerbsrandes signifikant verringert.178 Aus der Ver¨anderung der unternehmensindividuellen Produktionsmengen spiegelt sich das bereits in Kapitel 5.2.1 dargestellte Ergebnis wider, dass insbesondere f¨ ur die beiden großen Erzeugungsunternehmen Anreize bestehen, ihre Angebotsmengen zu reduzieren (Δxi < 0), um so die Spotmarktpreise zu beeinflussen (vgl. die Ergebnisse in Tabelle 5.1). Dar¨ uber hinaus zeigt der Verlauf der Mengen¨anderung, dass sich mit steigendem Kontrahierungsgrad die jeweils optimale Produktionsmenge eines Unternehmens in Abh¨angigkeit seiner Grenzerzeugungskosten nicht-linear ver¨andert. Dieser Effekt l¨asst sich gerade bei den Unternehmen des Wettbewerbsrandes beobachten, deren Produktionsmenge ab einem Kontrahierungsgrad der Oligopolunternehmen von etwa 60 bis 70 % u ¨berproportional stark abnimmt. Da die Unternehmen des Wettbewerbsrandes im Unterschied zu den vier großen EVU nur einen geringeren Teil der deutschen Kraftwerkska-
178
Die Produktionsmengen beinhalten auch die Exporte ins benachbarte Ausland.
151
5 Analyse der Marktmachtpotenziale pazit¨aten im Grundlastbereich mit niedrigen variablen Erzeugungskosten betreiben,179 verlieren sie bei einer Mengenausweitung der großen Unternehmen und dem dadurch verursachten R¨ uckgang der Großhandelspreise zunehmend Marktanteile. Durch die Mengenausweitung von RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW ist der Wettbewerbsrand nicht mehr in der Lage, seine relativ teuren Kraftwerkskapazit¨aten bei den gesunkenen Groߨ handelspreisen anzubieten. Die Anderung der Gesamtproduktionsmengen der deutschen EVU in Abh¨angigkeit des Kontrahierungsgrades der vier Oligopolunternehmen zeigt Abbildung 5.7.
Gesamtproduktionsmenge [TWh]
200,0
160,0
120,0
80,0
40,0
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.7: Gesamtproduktionsmengen der deutschen EVU bei variierendem Kontrahierungsgrad
Entsprechend der Produktionsmengenausweitung Δxi > 0 nehmen auch die segmentspezifischen Angebotsmengen Δsi,DE,t,l > 0 der Oligopolunternehmen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt zu. Die Vergr¨oßerung der short Positionen wirkt sich in Abh¨angigkeit der unternehmensspezifischen Kostenstrukturen und der jeweiligen Marktbedingungen in den verschiedenen Nachfragesegmenten unterschiedlich stark auf die Mengen¨anderung aus. Die Abbildungen 5.8 und 5.9 stellen exemplarisch die gewinnmaximierenden Angebotsmengen der deutschen EVU in den Peak- und Off-Peak-Stunden der Wintermonate bei variierendem Kontrahierungsgrad der Oligopolunternehmen dar. Hierbei l¨asst 179
Eine Ausnahme bilden die w¨armegef¨ uhrten KWK-Anlagen, die als sog. Must-run-Kapazit¨aten Elektrizit¨at als Kuppelprodukt zu relativ niedrigen variablen Erzeugungskosten im Markt anbieten k¨onnen. Diese Anlagen werden hier nicht gesondert betrachtet.
152
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt sich, wie bei der Anwendung des einfachen Spotmarktmodells ohne Terminmarkt dis¨ kutiert, feststellen, dass die Anderungen der Angebotsmengen in den Off-Peak-Stunden ausgepr¨agter sind als in den Peak-Stunden. Eine Marktbeeinflussung durch physische Kapazit¨atsreduktion ist damit in den engen Marktsituationen der Peak-Stunden leichter m¨oglich als in den Stunden geringerer Nachfrage.
Angebotsmenge [TWh]
20,0
15,0
10,0
5,0
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.8: Angebotsmengen der deutschen EVU im Winter-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad
Die mit der Ausweitung der Terminmarktmenge verbundene Verringerung der Preisbeeinflussungsspielr¨aume spiegelt sich auch in der in Abbildung 5.10 gezeigten Ver¨anderung der durchschnittlichen Lerner-Indizes (∅ LIi ), d. h. des von den Unternehmen durchschnittlich durchsetzbaren relativen Preisaufschlags auf die Grenzerzeugungskosten, wider. Mit zunehmendem Anteil der u ¨ber Forwardkontrakte verkauften Absatzmenge nehmen die Werte f¨ ur den Lerner-Index kontinuierlich ab, bis sie bei einem Kontrahierungsgrad von 100 % auf Null gesunken sind. Der durchschnittliche Lerner-Index ist dabei analog zur Mengen¨anderung in den engen Marktsituationen der Peak-Stunden u ¨ber den gesamten Variationsbereich h¨oher als in den Off-Peak-Stunden. Dieses Ergebnis ist f¨ ur die einzelnen Unternehmen ebenfalls beispielhaft f¨ ur die Wintermonate in den Abbildungen 5.11 und 5.12 dargestellt. Der Lerner-Index f¨ ur die Unternehmen des Wettbewerbsrandes ist definitionsgem¨aß gleich Null, da sie auf Grund ihrer geringen Gr¨oße nicht in der Lage sind, den Marktpreis zu beeinflussen und sich als Mengenanpasser verhalten. Mit steigendem Kontrahierungsgrad und der dadurch induzierten Ausweitung der physischen Angebotsmengen wird der Preisbeeinflussungsspielraum der großen vier EVU
153
5 Analyse der Marktmachtpotenziale
Angebotsmenge [TWh]
30,0
20,0
10,0
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.9: Angebotsmengen der deutschen EVU im Winter-Off-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad
Durchschnittlicher Lerner-Index
0,8 Sommer-Peak
Sommer-Off-Peak
Winter-Peak
Winter-Off-Peak
Übergang-Peak
Übergang-Off-Peak
0,6
0,4
0,2
0,0 0
10
20
30
40 50 60 Kontrahierungsgrad [%]
70
80
90
100
Abbildung 5.10: Durchschnittliche Lerner-Indizes bei variierendem Kontrahierungsgrad
154
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt
0,8
Lerner-Index
0,6
0,4
0,2
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.11: Lerner-Indizes im Winter-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad
Lerner-Index
0,6
0,4
0,2
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.12: Lerner-Indizes im Winter-Off-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad
155
5 Analyse der Marktmachtpotenziale in Deutschland kontinuierlich verringert. Der Terminmarkt hat damit eine wettbewerbsintensivierende Funktion, die mit steigendem Angebot und sinkenden Großhandelspreisen verbunden ist. Dieser Zusammenhang wird auch an der Begrenzung der durch eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht zu realisierenden Gewinnsteigerungen deutlich. Wie in Abbildung 5.13 gezeigt wird, nehmen die Gewinne der Unternehmen mit steigendem Anteil der u ¨ber Forwardkontrakte verkauften Absatzmenge kontinuierlich ab. Der durch die Mengenausweitung induzierte positive Mengeneffekt kann den negativen Preiseffekt nicht kompensieren. An dieser Stelle sei nochmals betont, dass der Handel mit Terminmarktkontrakten sowohl aus strategischen Motiven, d. h. zur Realisierung zuk¨ unftiger Absatzmengen und Marktanteile als auch aus Gr¨ unden des Risikohedgings, d. h. zur Absicherung von Preisrisiken aus Sicht des einzelnen Unternehmens eine optimale Verhaltensstrategie darstellt. Dieser Zusammenhang beschreibt das zuvor bereits diskutierte Gefangenendilemma der Unternehmen.
Deckungsspanne [Mio. €]
6000
4000
2000
0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.13: Deckungsspannen der deutschen EVU bei variierendem Kontrahierungsgrad
Die forwardhandelbasierte Ausweitung der Angebotsmengen wirkt sich positiv auf die Wohlfahrt und die Effizienz im deutschen Elektrizit¨atserzeugungssektor aus. Durch die Mengenausweitung der großen EVU reduziert sich die mit der st¨arkeren Nutzung teurerer Erzeugungsanlagen des Wettbewerbsrandes verbundene Fehlallokation von Produktionsfaktoren. Die Kosten der Elektrizit¨atsnachfrage sinken. Dar¨ uber hinaus kommt es zu einer Wohlfahrtssteigerung und einer Umverteilung von Produzenten- zu Konsumentenrente. Die Kosten- und Wohlfahrtswirkungen einer Zunahme der u ¨ber Forwardvertr¨age verkauften Elektrizit¨atsmenge zeigt Abbildung 5.14.
156
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt
Kosten und Wohlfahrt [Mio. €]
100000
80000
60000
40000
20000
0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad [%] Produzentenrente
Kosumentenrente
Wohlfahrt
Kosten der Nachfrage
Abbildung 5.14: Wohlfahrt und Kosten der Elektrizit¨atsnachfrage bei variierendem Kontrahierungsgrad
Wurden bisher die grundlegenden Auswirkungen steigender Kontrahierungsgrade der vier großen Erzeugungsunternehmen auf die Marktergebnisse diskutiert, so werden f¨ ur die Quantifizierung der im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt vorhandenen Marktmachtpotenziale jetzt die im Jahr 2005 an der EEX beobachteten Spot- und Terminkontraktvolumina zu Grunde gelegt. Das Spotmarktvolumen belief sich im Jahr 2005 mit 85 TWh auf etwa 15 % der inl¨andischen Gesamtelektrizit¨atsnachfrage von 556 TWh (vgl. Abbildung 2.9). Wird davon ausgegangen, dass der restliche Teil der deutschen Elektrizit¨atsnachfrage u ¨ber Terminmarktkontrakte wie Forwards, Futures oder langfristige Liefervertr¨age gehandelt wurden, kann ein Gesamtkontrahierungsgrad im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt von etwa 85 % angenommen werden.180 Wird zudem davon ausgegangen, dass sich die vier großen Unternehmen prinzipiell ¨ahnlich verhalten, so kann auch ein unternehmensindividueller Kontrahierungsgrad von 85 % unterstellt werden. Wie schon in den Abbildungen 5.10 bis 5.12 verdeutlicht wurde, reduzieren steigende Terminmarktmengen die vorhandenen Marktmachtpotenziale der vier Oligopolunternehmen erheblich. Bei einem Kontrahierungsgrad von 85 % liegen die Durchschnittswerte des Lerner-Index nur noch zwischen 0,07 in den Off-Peak-Stunden der Sommermonate 180
Da kurzfristige Spotmarktkontrakte (Day-ahead, Intra-day) neben der EEX auch am OTC-Markt gehandelt werden, ist der Kontrahierungsgrad u. U. etwas geringer. Auf Grund der wenigen transparenten Informationen u ¨ ber die entsprechenden Handelsvolumina wird bei der Analyse auf eine Ber¨ ucksichtigung dieser Spotmarktanteile hier verzichtet.
157
5 Analyse der Marktmachtpotenziale und 0,13 in den Peak-Stunden der Wintermonate. Dementsprechend verringern sich die durchsetzbaren marktmachtinduzierten Preissteigerungen auf etwa +3 % (Winter-Peak) bis +8 % (Sommer-Off-Peak). Die marktmachtinduzierten Preis¨anderungen in den verschiedenen Zeit- und Lastsegmenten bei einem Kontrahierungsgrad von 85 % sowie die durchschnittlichen Lerner-Indizes sind in Tabelle 5.11 zusammengefasst. Tabelle 5.11: Ver¨ anderung der Spotmarktpreise und durchschnittliche Lerner-Indizes – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, Kontrahierungsgrad 85 %
Kennzahl ∅ LIi ΔPDE
Einheit %
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
0,10 +6,0
0,13 +2,6
0,11 +2,9
0,07 +7,9
0,10 +4,6
0,08 +4,8
Im Vergleich zu der Situation ohne Terminmarkt, bei der, auf der Basis der aktuellen grenz¨ uberschreitenden Kuppelleitungskapazit¨aten, marktmachtbedingte Preissteigerungen von etwa +22 bis +40 % (vgl. Tabelle 5.2) bzw. etwa +14 bis +35 % (vgl. Tabelle 5.8) bei einem Ausbau der Transportkapazit¨aten berechnet werden, reduziert sich das Marktmachtpotenzial der vier großen Erzeugungsunternehmen in Deutschland durch den Handel mit Terminmarktkontrakten ganz erheblich. Dieses Ergebnis zeigt sich auch an den in Tabelle 5.12 wider gegebenen Werten f¨ ur die unternehmensspezifischen minimalen und maximalen Lerner-Indizes (LIi min/max), der j¨ahrlichen marktmachtbedingten Ver¨anderung der Angebots- (Δsi,DE ) und Produktionsmengen (Δxi ) sowie der Ver¨anderung der Gewinne (ΔΠi ). Es l¨asst sich feststellen, dass die gewinnmaximierende Angebotsverknappung der beiden dominanten Erzeugungsunternehmen RWE Power AG und E.ON Energie AG bezogen auf das Gesamtjahresangebot bei einem Kontrahierungsgrad von 85 % etwa 30 %-Punkte niedriger ist als im Cournot-Gleichgewicht ohne die Nutzung des Terminmarkthandels. Die optimale Angebotszur¨ uckhaltung bei den beiden anderen Oligopolunternehmen Vattenfall Europe AG und EnBW AG reduziert sich um bis zu 20 %-Punkte (vgl. Tabelle 5.1). Dar¨ uber hinaus spiegeln sich die geminderten Anreize zur Angebotseinschr¨ankung auch in den signifikant verringerten Gewinnsteigerungsm¨oglichkeiten der Unternehmen wider. Bei der Analyse der unternehmensspezifischen Mengen- und Gewinn¨anderungen in den einzelnen Nachfragesegmenten, die in Tabelle 5.13 dargestellt sind, zeigt sich, dass einerseits analog zu den Marktergebnissen ohne Terminmarkthandel (vgl. Tabelle 5.3) die Mengen¨anderungen auch bei einem Kontrahierungsgrad von 85 % in den Off-PeakStunden st¨arker ausgepr¨agt sind als in den Peak-Stunden. Andererseits ist, im Gegensatz zu den Marktergebnissen ohne Terminmarkthandel, die Gewinnsteigerung trotz des st¨ar-
158
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt Tabelle 5.12: Lerner-Index, Mengen und Gewinne – mit interregionalem Elektrizit¨ atsaustausch, Kontrahierungsgrad 85 % Kennzahl
Einheit
RWE
E.ON
Vattenfall
EnBW
Fringe
LIi min/max Δsi,DE Δxi ΔΠi
% % Mio.e
0,08/0,16 −10, 0 −9, 3 +264
0,08/0,15 −8, 5 −6, 8 +253
0,06/0,11 −6, 0 −0, 9 +172
0,05/0,08 −6, 0 −0, 5 +142
0.00 +8,3 +8,3 +200
keren Mengeneffektes in den Off-Peak-Stunden relativ h¨oher als in den Peak-Stunden. Dieses Ergebnis l¨asst sich auf den ver¨anderten relativen Preiseffekt bei dem hier angenommenen Kontrahierungsgrad zur¨ uck f¨ uhren. Die mit der terminmarktinduzierten Begrenzung der Preisbeeinflussungspotenziale verbundene Verringerung der negativen Effizienz- und Wohlfahrtswirkungen bei einem Kontrahierungsgrad von 85 % ist in Tabelle 5.14 dargestellt. Im Vergleich zum CournotGleichgewicht ohne Terminmarkthandel, das mit Wohlfahrtsverlusten von etwa 3,8 % verbunden ist, reduziert sich die Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente bei dem im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt zu beobachtendem Kontrahierungsgrad nur noch um etwa 0,3 %. Die Gesamtkosten der Elektrizit¨atsbeschaffung am Großhandelsmarkt steigen um etwa 1,0 Mrd. e, w¨ahrend sich die Kostensteigerung ohne Terminmarkthandel auf etwa 6,3 Mrd. e berechnet (vgl. Tabelle 5.5). Auch bei der Betrachtung der Wohlfahrtswirkungen zeigt sich damit, dass der Terminmarkthandel erhebliche positive Auswirkungen auf die Marktergebnisse bei strategischem Verhalten der vier Oligopolunternehmen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt hat und ihr Einfluss bei der Quantifizierung der Marktmachtpotenziale nicht vernachl¨assigt werden darf. Wurde bisher angenommen, dass sich alle Unternehmen am Terminmarkthandel beteiligen und somit eine Verringerung ihrer Preisbeeinflussungsspielr¨aume in Kauf nehmen, wird im Folgenden untersucht, welche Effekte auf die Marktergebnisse zu erwarten sind, wenn nur ein einzelnes Unternehmen die M¨oglichkeiten des Forwardhandels nutzt. Nur ein Unternehmen nutzt den Terminmarkt – asymmetrisches Terminmarktverhalten Bei der Modellanalyse der Auswirkungen variierender Terminmarktstrategien einzelner Unternehmen auf die Marktergebnisse im deutschen Elektrizit¨atsmarkt wird im Folgenden angenommen, dass ausschließlich die RWE Power AG, als gr¨oßtes deutsches Erzeugungsunternehmen, Teile ihrer physischen Absatzmenge u ¨ber Terminkontrakte verkauft. Es wird unterstellt, dass RWE ihre short Position schrittweise vergr¨oßert, w¨ahrend die
159
5 Analyse der Marktmachtpotenziale
Tabelle 5.13: Mengen- und Gewinn¨anderung bei strategischem Verhalten – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, Kontrahierungsgrad 85 % Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
Kennzahl
Einheit
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
−0, 45 −0.47 +8.3
RWE Power AG −3.92 −0.60 −7.13 −0.74 +12.3 +3.6
−2.31 −2.46 +9.1
−0.65 −0.68 +4.4
−3.09 −4.25 +7.3
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
−0, 42 −0.38 +8.4
E.ON Energie AG −2.48 −0.56 −4.01 −0.63 +12.4 +3.6
−2.13 −1.91 +8.9
−0.62 −0.57 +4.4
−2.63 −2.70 +7.8
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
−0.17 −0.07 +10.2
Vattenfall Europe AG −0.96 −0.29 −1.28 −0.08 −0.19 −0.23 +24.2 +3.8 +11.1
−0.31 −0.17 +5.3
−1.18 −0.14 +14.0
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
−0.11 −0.01 +9.9
EnBW AG −0.92 −0.21 −0.09 −0.10 +16.8 +3.7
−1.04 −0.14 +9.1
−0.22 −0.07 +4.6
−1.08 −0.06 +10.0
Δsi,DE,t,l Δxi,t,l ΔΠi,t,l
TWh TWh %
+0.29 +0.29 +18.9
Fringe +2.54 +0.10 +2.54 +0.10 +42.3 +5.1
+1.48 +1.48 +29.8
+0.13 +0.13 +7.5
+2.29 +2.29 +24.2
Tabelle 5.14: Kosten- und Wohlfahrtswirkungen in Deutschland – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch, Kontrahierungsgrad 85 %
Kennzahl Endnachfragekosten Konsumentenrente Produzentenrente Wohlfahrt
160
¨ Anderung gegen¨ uber Wettbewerb Mio. e % +989 −1283 +1030 −253
+3,4 −1, 9 +7,8 −0, 3
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt anderen Unternehmen auf den Handel mit Forwardkontrakten vollst¨andig verzichten. Durch die Ausweitung der Forwardmenge (fRWE > 0) und der damit verbundenen Erh¨ohung ihrer physischen Gesamtangebotsmenge (sRWE > 0) nimmt RWE eine Unabh¨angigkeitsposition im betrachteten Oligopolspiel ein. Unter der Cournot-Annahme, dass sich die Konkurrenzunternehmen (j = i) bei der Optimierung ihrer Angebotsentscheidung immer an der verbleibenden Residualnachfrage orientieren, kann RWE den eigenen Gewinn maximieren, indem es die Reaktion der anderen Unternehmen in der eigenen Strategie ber¨ ucksichtigt. RWE verh¨alt sich in dieser Situation wie ein StackelbergF¨ uhrer.181 Den Einfluss dieses asymmetrischen Terminmarktverhaltens auf die Großhandelspreise zeigt Abbildung 5.15. Obwohl mit der RWE Power AG nur ein einzelnes EVU u ¨ber die Ausweitung der Terminmarktmenge auch die eigene physische Angebotsmenge vergr¨oßert, sinken die Marktpreise in den verschiedenen Nachfragesegmenten um bis zu 16,3 % (Sommer-Off-Peak, Kontrahierungsgrad 100 %) gegen¨ uber dem CournotErgebnis ohne Terminmarkthandel (Kontrahierungsgrad 0 %). Da RWE das gr¨oßte Erzeugungsunternehmen mit einem kapazit¨atsseitigen Marktanteil von knapp 30 % ist, wirkt sich eine Mengenausweitung entsprechend stark auf die Großhandelspreise aus.182 Die vom Terminmarktverhalten der RWE induzierte Preissenkung ist allerdings weniger signifikant als bei symmetrischem Terminmarktverhalten von bis zu 28,7 % in den Sommer-Peak-Stunden (vgl. Abbildung 5.5). Der unternehmensindividuelle Anreiz, u ¨ber die Ausweitung der eigenen Forwardmenge den Marktanteil zu vergr¨oßern, l¨asst sich an den Ver¨anderungen der segmentspezifischen Angebotsmengen der vier Oligopolunternehmen und des Wettbewerbsrandes beobachten. W¨ahrend RWE durch die Vergr¨oßerung der short Position die eigene Elektrizit¨atsmenge im deutschen Markt vergr¨oßert, nehmen die Angebotsmengen der anderen Unternehmen ab. Diese Marktanteilsverschiebungen sind in den Abbildungen 5.16 und 5.17 f¨ ur das Winter-Off-Peak- bzw. Sommer-Peak-Segment exemplarisch dargestellt. Die ver¨anderte Terminmarktstrategie der RWE f¨ uhrt dabei insbesondere in den Winter-Off-PeakStunden zu einer signifikanten Mengenausweitung. Wie bereits bei symmetrischem Terminmarktverhalten gezeigt wurde, sind die marktmachtinduzierten Mengen¨anderungen in den Off-Peak-Zeiten st¨arker ausgepr¨agt als in den Peak-Stunden. 181
182
Vgl. f¨ ur die Ableitung dieses Ergebnisses Allaz (1987) S. 20 ff. und S. 79 ff. sowie f¨ ur ein Beispiel ebenda S. 32. Zum Stackelberg Modell, vgl. von Stackelberg (1934) und z. B. Schumann (1992) S. 333 ff. Der terminmarktinduzierte Preisr¨ uckgang bei einer alleinigen Forwardmengenausweitung eines kleineren Unternehmens, wie z. B. der Vattenfall Europe AG oder der EnBW AG, ist entsprechend geringer.
161
5 Analyse der Marktmachtpotenziale
Spotmarktpreis [€/MWh]
120,0
80,0
40,0 Sommer-Peak
Sommer-Off-Peak
Winter-Peak
Winter-Off-Peak
Übergang-Peak
Übergang-Off-Peak
0,0 0
10
20
30 40 50 60 70 Kontrahierungsgrad - RWE [%]
80
90
100
Abbildung 5.15: Spotmarktpreise in Deutschland bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG
Angebotsmenge [TWh]
40,0
30,0
20,0
10,0
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad - RWE [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.16: Angebotsmengen im Winter-Off-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG
162
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt
Angebotsmenge [TWh]
30,0
20,0
10,0
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad - RWE [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.17: Angebotsmengen im Sommer-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG
Insgesamt ist die Mengenausweitung der RWE st¨arker als der Angebotsr¨ uckgang der Konkurrenzunternehmen wodurch sich die Gesamtangebotsmenge erh¨oht. Bei asymme trischem Terminmarktverhalten in dem hier betrachteten Fall gilt damit: j=i Δsj < ΔsRWE . Die Vergr¨oßerung der Terminmarktmenge und die damit verbundene physische Mengenausweitung f¨ uhrt im Ergebnis zu einer Minderung der Preisbeeinflussungspotenziale der RWE Power AG. Der bestehende unternehmensindividuelle Anreiz, den eigenen Marktanteil als Stackelberg-F¨ uhrer zu vergr¨oßern, reduziert das strategisch einsetzbare Spotmarktvolumen. Dieser Effekt l¨asst sich anhand der ver¨anderten Lerner-Indizes in den einzelnen Nachfragesegmenten beobachten, die exemplarisch f¨ ur die Winter-OffPeak- und die Sommer-Peak-Stunden in den Abbildung 5.18 und 5.19 dargestellt sind. Die Werte f¨ ur den Lerner-Index nehmen dabei sowohl f¨ ur die RWE Power AG als auch f¨ ur die anderen Erzeugungsunternehmen ab. Entsprechend der schrittweisen Erh¨ohung des Kontrahierungsgrades von 0 auf 100 % reduziert sich der Lerner-Index, bis der gesamte Preisbeeinflussungsspielraum verloren geht. In dieser Situation verh¨alt sich RWE wie ein Unternehmen des Wettbewerbsrandes, das als Mengenanpasser seine physische Angebotsmenge solange ausweitet, bis die Grenzerzeugungskosten dem Marktpreis entsprechen. Trotz der abnehmenden Preisbeeinflussungsm¨oglichkeiten bei zunehmendem Kontrahierungsgrad f¨ uhrt die unternehmensindividuelle physische Angebotsausweitung und die damit verbundene Zunahme des eigenen Marktanteils zun¨achst zu einer Erh¨ohung
163
5 Analyse der Marktmachtpotenziale
Lerner-Index
0,6
0,4
0,2
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad - RWE [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.18: Lerner-Indizes im Winter-Off-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG
Lerner-Index
0,6
0,4
0,2
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad - RWE [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.19: Lerner-Indizes im Sommer-Peak-Load-Segment bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG
164
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt des Unternehmensgewinns. Wie sich an der Ver¨anderung in Abbildung 5.20 beobachten l¨asst, nimmt der Gewinn der RWE Power AG bei asymmetrischer Terminmarktstrategie bis zu einem Kontrahierungsgrad von etwa 65 % zu, bevor er bei einer weiteren Vergr¨oßerung der short Position wieder sinkt. Aus dem Verlauf der Unternehmensgewinne wird deutlich, dass die Ausweitung der u ¨ber Terminmarktkontrakte gehandelten Absatzmenge eine aus unternehmensindividueller Sicht zun¨achst vorteilhafte Strategie darstellt. Da grunds¨atzlich alle Unternehmen die M¨oglichkeit haben Terminmarktkontrakte zu handeln, besteht f¨ ur jedes einzelne EVU der Anreiz u ¨ber Forwardkontrakte die eigene Spotmarktposition zu verbessern, weshalb es zum bereits beschriebenen symmetrischen Terminmarktverhalten kommt. Der individuelle Anreiz Terminmarktkontrakte zu handeln f¨ uhrt damit zum Gefangenendilemma, in dem sich die Unternehmen insgesamt schlechter stellen.
Deckungsspanne [Mio. €]
6000
4000
2000
0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kontrahierungsgrad - RWE [%] E.ON
RWE
Vattenfall
EnBW
Fringe
Abbildung 5.20: Deckungsspannen der deutschen EVU bei variierendem Kontrahierungsgrad der RWE Power AG
Der Einfluss des Terminmarktverhaltens auf die Marktmachtpotenziale wurde bisher auf der Basis einer deterministischen Betrachtung der Preisbildung am Großhandelsmarkt vorgenommen, indem etwaige Unsicherheiten im Markt bei der Analyse vernachl¨assigt wurden. Ausgehend von dem im Jahr 2005 an der European Energy Exchange beobachtbaren Kontrahierungsgrad von etwa 85 %, konnten die vorhandenen Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht der vier großen Erzeugungsunternehmen quantifiziert werden. Um die f¨ ur die Oligopolunternehmen optimale Terminmarktstrategie in Bezug auf das strategische und das Risikohedgingmotiv endogen zu bestimmen, wird im Folgen-
165
5 Analyse der Marktmachtpotenziale den der Kontrahierungsgrad als Teil der Gewinnmaximierung modelliert. Dazu wird die vereinfachende Annahme der deterministischen Preisbildung aufgehoben, in dem exemplarisch die Windenergieeinspeisung als ein stochastischer Einflussfaktor im Modell erfasst wird.
5.3.2 Risikoneigung und optimaler Kontrahierungsgrad Der optimale Kontrahierungsgrad eines Unternehmens h¨angt von seiner Strategie und Risikoneigung ab. Wie gezeigt wurde, l¨asst sich das strategische Motiv zum Handel von Terminmarktkontrakten aus den Optimalit¨atsbedingungen f¨ ur ein Gewinnmaximum ableiten. Die Risikoneigung eines Unternehmens kann dagegen nicht aus dem Optimierungsverhalten bestimmt werden und wird mithin nicht ¨offentlich bekannt gegeben.183 F¨ ur die Bestimmung der optimalen Kontrahierungsgrade und der darauf aufbauenden Quantifizierung der Marktmachtpotenziale wird daher im Folgenden vereinfachend zwischen risikoneutralem und risikoaversem Verhalten der Oligopolunternehmen unterschieden, ohne den Grad der Risikoneigung explizit abzuleiten. In der Nutzenfunktion aus Gl. (4.48) wird f¨ ur den Risikoparameter θi exemplarisch entweder der Wert 0 oder der Wert 0,001 angenommen. Die optimalen Termin- (fi∗ ) und Spotmarktstrategien (s∗i ) der Unternehmen resultiert aus der L¨osung des zweistufigen Optimierungsproblems aus den Gl. (4.37) bis (4.45), Gl. (4.50), Gl. (4.55) und Gl. (4.58). Die EVU haben nach A1 rationale Erwartungen u ¨ber das resultierende Spotmarktgleichgewicht und optimieren ihre Terminmarktentscheidung fi∗ auf der ersten Marktstufe unter Unsicherheit u ¨ber die Windenergieeinspeisung (vgl. Tabelle 4.8). Auf Basis der getroffenen Terminmarktentscheidungen wird dann am Spotmarkt die physische Angebotsmenge gew¨ahlt, die den Gewinn f¨ ur das einzelne Unternehmen maximiert. F¨ ur das am Spotmarkt resultierende Cournot-Gleichgewicht wird im Folgenden der Erwartungswert u ¨ber die in jedem Windszenario optimale Produktionsmenge x∗i,t,l ≡ E(x∗i,t,l,s ) bzw. optimale Angebotsmenge s∗i,r,t,l ≡ E(s∗i,r,t,l,s ) angegeben. Der optimale Kontrahierungsgrad ergibt sich dann aus dem Verh¨altnis der Forwardmenge und der gewinnmaximierenden Produktions- bzw. ∗ ∗ Angebotsmenge fi,t,l /x∗i,t,l bzw. fi,t,l /s∗i,DE,t,l .184 183
184
Die ad¨aquate Absicherung bestehender Preisrisiken ist Ergebnis der Portfoliooptimierung. Sie f¨ uhrt z. B. zum Konzept des Value-at-risk, in dem die Risikoeinstellung ebenfalls als exogene Vorgabe der Unternehmensf¨ uhrung in der Hedgingstrategie ber¨ ucksichtigt wird. Vgl. zum Risikomanagement z. B. Clewlow und Strickland (2000) und Bergschneider et al. (1999). An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass f¨ ur die Berechnung des optimalen Kontrahierungsgrades die Merit-Order-Kurven der Erzeugungsunternehmen linear approximiert werden (vgl. Kapitel 5.3.1). Durch die Nutzung linearer Grenzerzeugungskostenfunktionen werden die variablen
166
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt Risikoneutrale Unternehmen Wird f¨ ur die Erzeugungsunternehmen mit θi = 0 zun¨achst risikoneutrales Verhalten angenommen, so maximieren sie ihren Nutzen ausschließlich u ¨ber den erwarteten Gewinn E(Πi ) ohne das im Markt bestehende Risiko einer Streuung des Gewinns um den Erwartungswert u ucksichtigen. ¨ber VAR(Πi ), in ihrer Optimierungsentscheidung zu ber¨ Das Risiko, das sich hier annahmegem¨aß u ¨ber die stochastische Windenergieeinspeisung ψt,l,s in der, mit den thermischen und hydraulischen Erzeugungsanlagen der Oligopolunternehmen, zu bedienenden Residualnachfragemenge niederschl¨agt, ist somit nicht Teil der Terminmarktstrategie. Bei Risikoneutralit¨at verbleibt als Motiv f¨ ur den Terminmarkthandel der Unternehmen nur die strategische Optimierung der zuk¨ unftigen 185 Spotmarktposition. Der strategieinduzierte Handel mit Terminmarktkontrakten f¨ uhrt zum Verkauf eines Teils der unternehmensindividuellen Gesamtproduktionsmenge, d. h. zum Aufbau einer ∗ short Position (fi,t,l > 0) am Terminmarkt. Vor dem Hintergrund der im deutschen Elektrizit¨atsmarkt bestehenden strukturellen Bedingungen liegt der optimale Kontrahierungsgrad der Unternehmen in Bezug auf die erwartete physische Angebotsmenge ∗ fi,t,l /s∗i,DE,t,l bei etwa 84 bis 88 %. Wird nicht die erwartete Angebotsmenge, sondern die erwartete physische Produktionsmenge zu Grunde gelegt, so liegt der Kontrahierungs∗ grad fi,t,l /x∗i,t,l bei etwa 66 bis 80 %. In Tabelle 5.15 sind die optimalen Kontrahierungsgrade der vier deutschen Oligopolunternehmen bei Risikoneutralit¨at zusammengefasst. Die optimalen Kontrahierungsgrade der Unternehmen zeigen, dass die strategische M¨oglichkeit, zur Verbesserung der eigenen Marktposition Terminmarktkontrakte zu handeln, zum Verkauf eines wesentlichen Teils der unternehmensindividuellen physischen Absatzmenge u uhrt. Wie bereits gezeigt werden konnte, ist der ¨ber Forwardkontrakte f¨ Verkauf von Forwardkontrakten mit einer Erh¨ohung der gesamten im Markt angebotenen Elektrizit¨atsmenge und damit sinkenden Spotmarktpreisen verbunden. Da ein großer Teil der Angebotsmenge der Unternehmen in dieser Situation u ¨ber Terminmarktkontrakte gebunden ist, verbleibt nur ein geringes Spotmarktvolumen zur strategischen Preisbeeinflussung. Etwaige marktmachtinduzierte Preissteigerungen wirken sich nicht mehr auf die bereits am Terminmarkt verkaufte Absatzmenge aus.
185
Kosten im relevanten Bereich der Peak- und Off-Peak-Stunden tendenziell u ¨ bersch¨atzt. Es kann allerdings bei exogener Variation der Forwardmenge gezeigt werden, dass die Abweichungen im Vergleich zur Nutzung polynomischer Approximationsfunktionen vierten Grades nur gering sind. Vgl. zur Quantifizierung dieses Einflusses Ellersdorfer (2007b). Vgl. dazu die mathematische Ableitung in Kapitel 4.5.5 und insbesondere den Einfluss auf den Grenzerl¨os in Gl. (4.29).
167
5 Analyse der Marktmachtpotenziale Tabelle 5.15: Optimale Kontrahierungsgrade bei Risikoneutralit¨ at – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch
Kennzahl
Einheit
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
∗ /x∗ fi,t,l i,t,l ∗ /s∗ fi,t,l i,DE,t,l
% %
73,7 86,0
RWE Power AG 66,3 76,6 83,6 88,4
69,4 85,6
74,5 86,9
67,1 83,9
∗ /x∗ fi,t,l i,t,l ∗ /s∗ fi,t,l i,DE,t,l
% %
73,9 86,0
E.ON Energie AG 66,6 77,0 83,6 88,4
70,3 85,6
74,8 86,9
67,6 83,9
∗ /x∗ fi,t,l i,t,l ∗ /s∗ fi,t,l i,DE,t,l
% %
Vattenfall Europe AG 74,9 67,5 78,3 72,5 86,0 83,6 88,4 85,6
76,2 86,9
69,6 83,9
∗ /x∗ fi,t,l i,t,l ∗ /s∗ fi,t,l i,DE,t,l
% %
75,9 86,0
EnBW AG 68,0 79,6 83,6 88,4
77,4 86,9
70,6 83,9
73,5 85,6
F¨ ur die vier Oligopolunternehmen in Deutschland stellt der Terminmarkthandel und die damit induzierte Verringerung der erzeugerseitigen Marktmachtpotenziale eine bessere Strategie dar, als die physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung am Spotmarkt. In Tabelle 5.16 sind die durchschnittlichen Lerner-Indizes sowie die durchsetzbaren Preissteigerung gegen¨ uber dem Wettbewerbsgleichgewicht bei optimalem Kontrahierungsgrad und Risikoneutralit¨at zusammengefasst. Tabelle 5.16: Durchschnittliche Lerner-Indizes und Preis¨anderung bei optimalem Kontrahierungsgrad und Risikoneutralit¨at – mit interregionalem Elektrizit¨ atsaustausch
Kennzahl ∅ LIi ΔPDE
Einheit %
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
0,09 +3,0
0,11 +2,7
0,09 +3,0
0,07 +2,0
0,08 +2,7
0,07 +2,1
Bei Optimierung der Terminmarktstrategie und risikoneutralem Verhalten sinken die Lerner-Indizes auf 0,07 bis 0,11. Entsprechend reduzieren sich die, durch eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht, durchsetzbaren Preissteigerungen auf 2 bis 3 % gegen¨ uber dem Wettbewerbsgleichgewicht.
168
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt Risikoaverse Unternehmen Werden von den Unternehmen Forwardkontrakte nicht nur aus strategischen Gr¨ unden gehandelt, sondern nutzen sie den Terminmarkt bei risikoaversem Verhalten auch zur Absicherung von Preisrisiken, so steigt der Anteil der u ¨ber den Terminmarkt verkauften Elektrizit¨atsmenge in Abh¨angigkeit ihrer Risikoneigung weiter an. Durch den risikohedginginduzierten Terminmarkthandel steigt der optimale Kontrahierungsgrad in Bezug auf die erwartete Absatzmenge in Deutschland auf etwa 84 bis 91 %. In Bezug auf die erwartete Produktionsmenge liegt der von den Unternehmen gew¨ahlte Kontrahierungsgrad bei etwa 66 bis 83 %. Tabelle 5.17 stellt die optimalen Kontrahierungsgrade der vier deutschen Oligopolunternehmen bei Risikoaversion dar. Tabelle 5.17: Optimale Kontrahierungsgrade bei Risikoaversion – mit interregionalem Elektrizit¨ atsaustausch
Kennzahl
Einheit
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
∗ /x∗ fi,t,l i,t,l ∗ /s∗ fi,t,l i,DE,t,l
% %
76,2 87,9
RWE Power AG 70,6 77,9 86,3 89,1
74,7 88,7
76,4 88,3
71,8 86,9
∗ /x∗ fi,t,l i,t,l ∗ /s∗ fi,t,l i,DE,t,l
% %
75,8 87,6
E.ON Energie AG 66,2 76,7 83,7 88,3
75,1 88,5
75,8 87,8
68,7 85,1
∗ /x∗ fi,t,l i,t,l ∗ /s∗ fi,t,l i,DE,t,l
% %
Vattenfall Europe AG 78,5 67,7 77,1 71,4 88,9 84,3 87,8 85,9
78,6 88,8
72,0 86,3
∗ /x∗ fi,t,l i,t,l ∗ /s∗ fi,t,l i,DE,t,l
% %
81,3 90,2
EnBW AG 70,7 80,7 85,9 89,1
83,4 91,0
75,6 87,8
73,8 86,9
Bei risikoaversem Terminmarktverhalten reduzieren sich die vorhandenen Preisbeeinflussungspotenziale der deutschen Oligopolunternehmen weiter, so dass sich die Werte f¨ ur den Lerner-Index auf 0,06 bis 0,11 verringern. Die durch physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung am Spotmarkt durchsetzbaren Preissteigerungen gegen¨ uber dem Wettbewerbsgleichgewicht gehen gegen¨ uber risikoneutralem Verhalten zus¨atzlich leicht zur¨ uck und liegen bei den optimalen Kontrahierungsgraden ebenfalls im Bereich von 2 bis 3 %. Die durchschnittlichen Lerner-Indizes sowie die durchsetzbaren Preissteigerungen zeigt Tabelle 5.18.
169
5 Analyse der Marktmachtpotenziale Tabelle 5.18: Durchschnittliche Lerner-Indizes und Preis¨anderung bei optimalem Kontrahierungsgrad und Risikoaversion – mit interregionalem Elektrizit¨ atsaustausch
Kennzahl
Einheit
∅ LIi ΔPDE
%
Sommer Peak Off-Peak
Winter Peak Off-Peak
¨ Ubergang Peak Off-Peak
0,07 +2,6
0,11 +2,6
0,08 +2,7
0,06 +1,8
0,07 +2,1
0,06 +1,8
0,0
0,0
E.ON Day-ahead (Spotmarkt)
Vattenfall Forward (Terminmarkt)
Risikoneutral
Risikoavers
RWE
Kontrahierungsgrad [%]
30,0
Risikoavers
60,0
Risikoavers
60,0
Risikoneutral
120,0
Risikoneutral
90,0
Risikoavers
180,0
Risikoneutral
Physische Angebostmenge [TWh]
Die sich nach Gewinnmaximierung der vier Oligopolunternehmen einstellende Zusammensetzung des Elektrizit¨atsangebots aus Spot- und Terminmarktkontrakten entspricht in etwa den am deutschen Großhandelsmarkt beobachtbaren Strukturen mit einem Kontrahierungsgrad von etwa 85 %. Die Zusammensetzung der Angebotsmengen bei risikoneutralem und risikoaversem Verhalten ist nochmals in Abbildung 5.21 zusammen gefasst.
EnBW Kontrahierungsgrad
Abbildung 5.21: Zusammensetzung des physischen Elektrizit¨ atsangebots und optimale Kontrahierungsgrade der Oligopolunternehmen
Der strategie- und risikohedginginduzierte Handel von Forwardkontrakten erh¨oht im Ergebnis die Wettbewerbsintensit¨at im Spotmarkt mit entsprechend positiven Auswirkungen auf Effizienz und Wohlfahrt. Trotz der erzeugerseitigen Marktkonzentration mit signifikanten Marktanteilen insbesondere der RWE Power AG und der E.ON Energie AG, sind die Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht der Oligopolunternehmen auf Grund der unternehmensindividuellen Anreize zum Terminmarkthandel stark eingeschr¨ankt.
170
5.3 Zweistufiges Modell mit Terminmarkt In Tabelle 5.19 sind die Auswirkungen der verbleibenden Marktmachtpotenziale auf die Kosten der Elektrizit¨atsnachfrage und die Wohlfahrt bei Risikoneutralit¨at und Risikoaversion vergleichend gegen¨ uber gestellt. Die Kostensteigerungen der Elektrizit¨atsnachfrage liegen im Vergleich zum Wettbewerbsgleichgewicht bei nur noch 1,9 % (risikoneutral) bzw. 1,6 % (risikoavers). Die Wohlfahrtsverluste bei strategischem Verhalten der vier Oligopolunternehmen in Deutschland reduzieren sich auf etwa 0,2 %. Tabelle 5.19: Kosten- und Wohlfahrts¨anderungen bei Risikoneutralit¨ at und Risikoaversion – mit interregionalem Elektrizit¨atsaustausch
Kennzahl Endnachfragekosten Konsumentenrente Produzentenrente Wohlfahrt
¨ Anderung gegen¨ uber Wettbewerb [%] Risikoneutral Risikoavers +1,9 −1, 4 +4,4 −0, 2
+1,6 −1, 2 +4,0 −0, 2
5.3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Die Anwendung des um den Terminmarkthandel erweiterten Modells zeigt, dass die Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht durch die vier deutschen Oligopolunternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG in Abh¨angigkeit der gew¨ahlten Terminmarktstrategie erheblich eingeschr¨ankt sind. Wie anhand der exogenen Variation der Forwardmenge dargestellt wurde, reduziert die Ausweitung der u ¨ber Terminmarktkontrakte gehandelten physischen Angebotsmenge die Preisbeeinflussungspotenziale der Unternehmen am Spotmarkt zunehmend, bis sie bei einer ausschließlich terminmarktbasierten Handelsstrategie ihre gesamten Marktmachtpotenziale verlieren. Wird der im Jahr 2005 an der European Energy Exchange beobachtete Kontrahierungsgrad am Terminmarkt von etwa 85 % als individuelle Terminmarktstrategie f¨ ur jedes einzelne Erzeugungsunternehmen angenommen, so verbleiben durchschnittlich realisierbare Preisbeeinflussungspotenziale von etwa 3 bis 8 %. Da der Großteil der Absatzmenge bereits u ugen die Unternehmen ¨ber Terminmarktkontrakte verkauft ist, verf¨ nur noch u ¨ber ein geringes Spotmarktvolumen, das zu strategischem Verhalten eingesetzt werden kann. Eine durch physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung induzierte Preissteigerung am Spotmarkt wirkt sich in dieser Situation nicht mehr positiv auf die bereits u ¨ber Forwards gehandelte Absatzmenge aus. Die bei symmetrischem Terminmarktverhalten am
171
5 Analyse der Marktmachtpotenziale Großhandelsmarkt induzierten Kostensteigerung der Elektrizit¨atsnachfrage liegen bei etwa 3 %, w¨ahrend sich die Wohlfahrtsverluste aus der Ver¨anderung von Konsumentenund Produzentenrente auf etwa 0,3 % gegen¨ uber dem Wettbewerbsgleichgewicht berechnen. Nutzen bei asymmetrischem Terminmarktverhalten nur einzelne EVU Forwardkontrakte aus strategischen Gr¨ unden sowie zum Risikohedging, wirkt sich ein steigender Kontrahierungsgrad zun¨achst positiv auf die eigenen Gewinne aus, woraus sich der individuelle Anreiz f¨ ur ein Unternehmen ableitet, den Anteil der u ¨ber Forwardkontrakte gehandelten physischen Absatzmenge auszuweiten und so die Position eines StackelbergF¨ uhrers einzunehmen. Da alle Unternehmen bei der Optimierung ihrer Handelsentscheidungen diesen Vorteil nutzen wollen, kommt es zu steigenden physischen Angebotsmengen und sinkenden Spotmarktpreisen. Hierin spiegelt sich das Gefangenendilemma wider, in dem sich die Erzeugungsunternehmen befinden. Wird der Kontrahierungsgrad der Unternehmen nicht mehr exogen vorgegeben, sondern als Teil des Optimierungsverhaltens der Unternehmen endogen im Modell bestimmt, kann die Quantifizierung der erzeugerseitigen Marktmachtpotenziale unter verschiedenen Annahmen zur Risikoneigung vorgenommen werden. Bei risikoneutralem Verhaltens der Unternehmen berechnet sich der optimale Kontrahierungsgrad in Bezug auf die physische Angebotsmenge auf etwa 84 bis 88 %. Wird dagegen von risikoaversem Verhalten ausgegangen, wird also angenommen, dass die EVU nicht nur aus strategischen Gr¨ unden zur Verbesserung der eigenen Position am Spotmarkt Forwardkontrakte handeln, sondern auch zur Absicherung etwaiger bestehende Preisrisiken, erh¨oht sich der optimale Kontrahierungsgrad auf etwa 84 bis 91 %. Die in dieser Situation durch physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung durchschnittlich realisierbaren Preissteigerungen gegen¨ uber dem Wettbewerbsgleichgewicht reduzieren sich auf etwa 2 bis 3 %. Die Kosten der Elektrizit¨atsnachfrage steigen dabei nur noch um etwa 1,6 bis 1,9 %, w¨ahrend die Wohlfahrtsverluste bei etwa 0,2 % liegen. Die Quantifizierung der erzeugerseitigen Marktmachtpotenziale der vier Oligopolunternehmen in Deutschland hat damit gezeigt, dass der Wettbewerbsdruck trotz der Marktkonzentration auf Grund der individuellen Anreize zum Terminmarkthandel ausreicht, die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht durch physische Kapazit¨atszur¨ uckhaltung stark zu reduzieren.
172
6 Schlussbetrachtung Auf der Basis der vielen Unternehmensfusionen und -akquisitionen hat sich die erzeugerseitige Marktkonzentration im deutschen Elektrizit¨atssektor nach der Liberalisierung stark erh¨oht. Eine Anwendung der vom Bundeskartellamt verwendeten Kriterien zur Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung f¨ uhrt, wie auch die Monopolkommission in ihrem f¨ unfzehnten Hauptgutachten bescht¨atigt, zu dem Ergebnis, dass auf Erzeugungsebene eine oligopolistische Marktstruktur der vier Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen RWE AG, E.ON AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG vorliegt. Mit einem gemeinsamen Marktanteil von etwa 54 % nehmen die beiden Unternehmen RWE AG und E.ON AG dar¨ uber hinaus eine herausragende Stellung ein. In der ¨offentlichen und wissenschaftlichen Diskussion wird die hohe Marktkonzentration immer wieder als einer der Gr¨ unde f¨ ur die hohen Elektrizit¨atspreise am Großhandelsmarkt genannt und entsprechende wettbewerbspolitische Interventionen gefordert. Dabei ist die Bestimmung der durch eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht verursachten Preissteigerungen mit erheblichen empirischen und methodischen Herausforderungen verbunden. Insbesondere stellt die Ber¨ ucksichtigung der in Kapitel 2 beschriebenen technischen, strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen der Elektrizit¨atsm¨arkte besondere Anforderungen an die Methoden zur Quantifizierung der Marktmachtpotenziale. Vor diesem Hintergrund wurden unterschiedliche wettbewerbstheoretische Verfahren der Marktmachtanalyse an die spezifischen Bedingungen von Elektrizit¨atsgroßhandelsm¨arkten angepasst. Auf die wichtigsten dieser Verfahren wurde in Kapitel 3 detailliert eingegangen. Die h¨aufig verwendeten relativ einfachen struktur- oder verhaltensbasierten Indizes, wie sie sich beispielsweise in den Konzentrationsmaßen CRn und HHI finden, vernachl¨assigen einerseits weitgehend die technischen und institutionellen Rahmenbedingungen an Elektrizit¨atsm¨arkten und k¨onnen andererseits auf Grund der zumeist statischen Abbildung nur sehr eingeschr¨ankt dynamische Aspekte der Preisbildung erfassen. Werden dagegen optimierende Fundamentalmodelle genutzt, so lassen sich alle wesentlichen technischen Bedingungen des Systembetriebs, insbesondere der Kraftwerkseinsatzentscheidungen, f¨ ur die Beschreibung des dynamischen Preisbildungsprozesses ber¨ ucksichtigen. Im Rahmen von Ex-post-Analysen werden daher h¨aufig entsprechende Optimierungsmodelle eingesetzt, um etwaige Abweichungen zwischen beobachteten Marktpreisen und
173
6 Schlussbetrachtung Modellergebnissen zu berechnen. Diese Vorgehensweise ist mit zwei wesentlichen Problemen verbunden. Erstens ist es nicht m¨oglich alle notwendigen Informationen u ¨ber die historischen Markt- und Systemzust¨ande in der Modellanwendung ad¨aquat zu ber¨ ucksichtigen und zweitens stellt das implizit zu Grunde gelegte Standardmodell der ¨ neoklassischen Okonomik, das Modell der vollst¨andigen Konkurrenz u. U. keinen geeigneten Referenzmaßstab f¨ ur die Bewertung der Marktergebnisse dar. Beide Aspekte erschweren die Interpretation der Ergebnisse erheblich. Im Gegensatz zur Nutzung optimierender Fundamentalmodelle lassen sich durch die Verwendung spieltheoretischer Modelle Abweichungen vom Standardmodell der vollst¨andigen Konkurrenz in Bezug auf das Unternehmensverhalten explizit abbilden. Mit spieltheoretischen Modellen ist damit ein Vergleich der Auswirkungen unterschiedlicher Annahmen zum Unternehmensverhalten bei sonst gleichen strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen m¨oglich. L¨asst sich auf dieser Basis zeigen, dass einzelne Unternehmen in der Lage sind durch strategisches Verhalten die Marktergebnisse zu ihren Gunsten zu beeinflussen, so k¨onnen die so berechneten Preissteigerungen c. p. auf die missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht zur¨ uck gef¨ uhrt werden. Die Anwendung spieltheoretischer Modelle f¨ ur die Ex-ante-Analyse ist damit nicht in erster Linie auf einen Vergleich der historischen Markt- mit berechneten Modellergebnissen gerichtet, sondern dient der Quantifizierung von Potenzialen zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht durch einzelne Unternehmen und der Ableitung wettbewerbspolitischer Handlungsempfehlungen. Ziel der vorliegenden Arbeit war es die Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht im deutschen Elektrizit¨atsgroßhandelsmarkt sachgerecht zu quantifizieren. Zu diesem Zweck wurde in Kapitel 4 ein mehrregionales zweistufiges Oligopolmodell entwickelt und in Kapitel 5 unter Ber¨ ucksichtigung der interregionalen Handelsm¨oglichkeiten sowie der Handelsentscheidungen am Spot- und Terminmarkt auf die strukturellen und institutionellen Bedingungen in Deutschland angewendet. Auf der Basis einer Analyse der horizontalen Kapitalverflechtungen auf Erzeugungsebene sowie einer Zurechnung der kontrollierten Kraftwerkskapazit¨aten auf die f¨ ur die Marktmachtanalyse relevanten Unternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG konnten die vorhandenen Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht quantifiziert werden. Es wurde gezeigt, dass den vier EVU auf Grund der M¨oglichkeiten zum grenz¨ uberschreitenden Elektrizit¨atshandel sowie der Handelsentscheidungen am Terminmarkt nur geringe Potenziale verbleiben, durch den strategischen Einsatz ihrer Kraftwerke, d. h. bei physischer Kapazit¨atszur¨ uckhaltung die Marktergebnisse zu ihren Gunsten zu beeinflussen. W¨ahrend der Elektrizit¨atsimport zu einer Begrenzung der Preissteigerungen
174
im Inland von bis zu 42 %-Punkten beitr¨agt, f¨ uhrt insbesondere der Anreiz einen Teil der physischen Absatzmengen u ¨ber Terminmarktkontrakte zu handeln zu einer weiteren Reduzierung der unternehmensindividuellen Marktmachtpotenziale von bis zu 37 %Punkten, so dass im Ergebnis verhaltensinduzierte Preissteigerungen von etwa 2-8 % gegen¨ uber einer Situation mit vollst¨andigem Wettbewerb, also einer grenzkostenbasierten Preisbildung verbleiben. Die durch eine missbr¨auchliche Aus¨ ubung von Marktmacht verursachten Kostensteigerung der Elektrizit¨atsnachfrage liegen nach der hier durchgef¨ uhrten Analyse bei etwa 3 %, was einer Steigerung um etwa 1 Mrd. e entspricht. Gleichzeitig kommt es zu einer Umverteilung von Konsumenten- zu Produzentenrente die dar¨ uber hinaus mit einer Verringerung der Wohlfahrt verbunden ist. Gegen¨ uber einer Situation, bei der von vollst¨andigem Wettbewerb ausgegangen wird liegt der Wohlfahrtsverlust allerdings bei weniger als 1 % bzw. etwa 0,3 Mrd. e. Eine Einordnung dieser Ergebnisse in die aktuelle Diskussion macht deutlich, dass Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht bestehen, die strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt allerdings geeignet sind, diese Potenziale stark zu reduzieren und damit Forderungen nach st¨arkeren wettbewerbspolitischen Interventionen dem Problem teilweise nicht angemessen sind. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich Wettbewerb auf Großhandelsebene insbesondere durch die M¨oglichkeiten zum interregionalen Elektrizit¨atshandel und die Nutzung des Terminmarktes gew¨ahrleisten l¨asst und damit die Schaffung effizienter Strukturen zum grenz¨ uberschreitenden Handel und liquider Terminm¨arkte eine wesentliche Grundlagen f¨ ur die Intensivierung und damit die Verbesserung der Marktergebnisse darstellt. Ob dar¨ uber hinaus vor diesem Hintergrund z. B. Forderungen nach einer konsequenten Umsetzung der eigentumsrechtlichen Entflechtung der EVU in Bezug auf die Bereiche Erzeugung und Transport beitragen k¨onnen, die verbleibenden M¨oglichkeiten zur Preisbeeinflussung am Großhandelsmarkt zu verringern, ist zweifelhaft. Da die ¨ Ubertragungsund Verteilungsnetze der Aufsicht der Regulierungsbeh¨orde unterliegen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen einen diskriminierungsfreien Netzzugang und angemessene Netznutzungsentgelte gew¨ahrleisten sollten, ließen sich hier¨ uber nur dann positive Wirkungen auf der Großhandelsebene realisieren, wenn zus¨atzliche Investitionen neuer Marktteilnehmer in Erzeugungskapazit¨aten und ein Ausbau der Kuppelleitungen ins benachbarte Ausland induziert w¨ urden, die die hohe erzeugerseitige Marktkonzentration verringern. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise die Vereinbarung zwischen der E.ON AG ¨ und der EU-Kommission u nicht zwangsl¨aufig ¨ber den Verkauf des Ubertragungsnetzes als ein Schritt zur St¨arkung des Wettbewerbs auf Erzeugungsebene zu bewerten. Allerdings k¨onnte der gleichzeitig angek¨ undigte Verkauf von etwa 4,8 GW der Kraftwerksleis-
175
6 Schlussbetrachtung tung an Konkurrenten u. U. zu einer Verbesserung der Marktergebnisse beitragen, da die Analyse gezeigt hat, dass insbesondere bei den beiden gr¨oßten Erzeugungsunternehmen im deutschen Elektrizit¨atsmarkt E.ON Energie AG und RWE Power AG begrenzte Potenziale zur missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht vorhanden sind. Dabei muss aber ber¨ ucksichtigt werden, dass mit der Integration des europ¨aischen Elektrizit¨atsbinnenmarktes eine Bewertung der Unternehmensgr¨oße auf der Basis einer isolierten Betrachtung der nationalen M¨arkte nur bedingt geeignet ist, Schlussfolgerungen u ¨ber etwaige Marktmachtpotenziale zu ziehen. Gerade die Integration des Elektrizit¨atsbinnenmarktes und die damit verbundene Ausweitung der interregionalen Elektrizit¨atshandelsm¨oglichkeiten wird durch die aktuelle Entwicklung zur Kopplung einzelner Großhandelsm¨arkte, wie sie z. B. f¨ ur die Anbindung der deutschen EEX an die skandinavische B¨orse Nord Pool bereits umgesetzt wurde und sich f¨ ur die Region Zentral-West-Europa mit einer Kopplung der vier Elektrizit¨atsb¨orsen EEX, Powernext in Frankreich, Belpex in Belgien und APXNL in den Niederlanden abzeichnet, gest¨arkt. Da diese Schritte zu einer Verbesserung der Marktintegration und einer effizienteren Nutzung der vorhandenen Kuppelleitungskapazit¨aten f¨ uhren k¨onnen, erscheinen diese Entwicklungen ebenfalls geeignet etwaige Wettbewerbsprobleme auf der Großhandelsebene nachhaltig zu reduzieren. Die Quantifizierung der Marktmachtpotenziale der vier Unternehmen RWE Power AG, E.ON Energie AG, Vattenfall Europe AG und EnBW AG mit Hilfe des entwickelten spieltheoretischen Modells hat gezeigt, dass die ad¨aquate Ber¨ ucksichtigung der interregionalen Handelsm¨oglichkeiten sowie die Abbildung der Handelsentscheidungen am Spot- und Terminmarkt wesentlichen Einfluss auf die Analyse der Wettbewerbsbedingungen hat und nicht auf eine Erfassung der strukturellen und institutionellen Bedingungen am Großhandelsmarkt verzichtet werden kann. F¨ ur die vorliegende Modellanalyse soll noch einmal betont werden, dass die Ergebnisse insbesondere von den Annahmen u ¨ber die Preiselastizit¨at der Nachfrage, den Annahmen zum Unternehmensverhalten in den benachbarten Elektrizit¨atsm¨arkten sowie dem statischen Charakter des Modells, auf dessen Grundlage langfristige Aspekte der Preisbildung, wie z. B. Investitionsentscheidungen in Erzeugungs- und Transportkapazit¨aten, Markteintritte neuer Unternehmen sowie der Einfluss wettbewerbspolitischer Interventionen nicht erfasst werden k¨onnen, beeinflusst werden. Zur Nutzung des Stan¨ dardmodells der neoklassischen Okonomik, des Modells der vollst¨andigen Konkurenz, als Vergleichsmaßstab zur Quantifizierung der Auswirkungen einer missbr¨auchlichen Aus¨ ubung von Marktmacht muss dar¨ uber hinaus festgestellt werden, dass sich hiermit ebenfalls verschiedene Aspekte der Preisbildung, wie z. B. Knappheitsrenten, Kapitalverzinsung der Grenzkraftwerke, Risikopr¨amien und Marktunvollkommenheiten, wie z. B.
176
Anpassungs- und Informationsm¨angel nicht ad¨aquat abbilden lassen, diese aber nicht in gleichem Maße f¨ ur die Berechnung der Oligopolergebnisse relevant sind, was den Vergleich der jeweiligen Marktgleichgewichte erschwert. Aus den hier genannten Einschr¨ankungen der vorliegenden Modelluntersuchung lassen sich weitere Anforderungen an die modellgest¨ utzte Marktmachtanalyse und damit weiterer Forschungsbedarf ableiten, um hiermit eine dar¨ uber hinaus gehende Verbesserung der Abbildung von Marktund Preisbildungsprozessen sowie des Unternehmensverhaltens zu erreichen.
177
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