Jana Leidenfrost:
Kritischer Erfolgsfaktor Körper? Leistung neu denken: Ressourcenpflege im Management
Managementkonze...
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Jana Leidenfrost:
Kritischer Erfolgsfaktor Körper? Leistung neu denken: Ressourcenpflege im Management
Managementkonzepte, hrsg. von Klaus Götz, Band 31 ISBN 3-86618-048-9, Rainer Hampp Verlag, 2006, 402 S., € 34.80
Wer Leistung will, muss Leben fördern! Diese Erfahrung kennen viele aus dem Sport, der Wissenschaft und dem Business. Andererseits stehen gerade Wirtschaftsunternehmen vor der Herausforderung, vor allem reibungslos zu funktionieren! So wird der aktuellen Wirtschaftslage und dem daraus resultierenden Erfolgsdruck verstärkt mit einer Erhöhung der Geschwindigkeit und Kürzung der Ressourcen (Geld, Zeit, Personal) pariert. „Wir sind gestartet wie zu einem 100m Lauf, laufen noch immer die gleiche Geschwindigkeit, aber wissen jetzt, dass es mindestens ein Marathon wird“, so eine Führungskraft aus dem oberen Management. Die Zwickmühlen zwischen gestellten Anforderungen und verfügbaren Ressourcen, zwischen Karriere und Gesundheit, zwischen Funktionieren und Lebendigsein haben damit zu einer ungewollten Renaissance des Körpers im Management geführt. Der Körper, mit dem Manager und Managerinnen „Rückgrat zeigen“ müssen, einen „festen Stand“ brauchen und „beherzt“ an die Aufgaben gehen wollen, reagiert unfreiwillig mit Befindens- und Leistungsstörungen. Von dieser Problemstellung geht die Autorin in ihrer Untersuchung bei Führungskräften aus. Sie berührt damit Fragen zum Management individueller und kollektiver Leistungsressourcen: Wie müssen wir haushalten, so dass Führungskräfte und deren Teams dauerhaft leistungsfähig und vital bleiben? Welchen Einfluss hat dabei die gelebte Unternehmenskultur? Wie lassen sich Fragestellungen der Ressourcenorientierung, „Work-Life-Balance“ und Gesundheitsförderung in leistungs- und wettbewerbsdominierte Unternehmenswelten gewinnbringend integrieren? Dieses Buch liefert umfassende Einblicke in die Wechselwirkungen zwischen selbstverantwortlichem Verhalten und der Unternehmenskultur sowie in konkrete Ansätze für ein gelungenes Leisten und Leben in unseren Unternehmen. Schlüsselwörter: Management, Leistung, Gesundheit, Ressourcen, Körper, Work-Life-Balance Jana Leidenfrost, Dr. phil., Jg. 1971. Studium der Psychologie und Pädagogik in Jena und Klagenfurt. Mehrjährige Ausbildungen für systemische und hypnotherapeutische Konzepte in der Organisationsberatung und im Coaching. Sie ist seit 2002 Produktverantwortliche, Trainerin und Coach im Feld der Führungskräfteentwicklung der DaimlerChrysler. Arbeitsschwerpunkte: Führung, Work-Life-Balance, ressourcenorientiertes Management in Teams sowie Kongresse zu innovativen Führungsthemen.
Managementkonzepte Band 31 Herausgegeben von Klaus Götz
Jana Leidenfrost
Kritischer Erfolgsfaktor Körper? Leistung neu denken: Ressourcenpflege im Management
Rainer Hampp Verlag
München und Mering 2006
Herausgeber:
Prof. Dr. Klaus Götz Universität Koblenz-Landau
(Zentrum für Human Resource Management)
Universität Klagenfurt
(Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung)
Universität Bremen
(Institut für Erwachsenen-Bildungsforschung)
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN: 3-86618-048-9 Managementkonzepte: ISSN 1436-2988 1. Auflage, 2006 © 2006
Rainer Hampp Verlag Meringerzeller Str. 10
München und Mering D – 86415 Mering
www.Hampp-Verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen, Übersetzungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. ∞
Dieses Buch ist auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Liebe Leserinnen und Leser! Wir wollen Ihnen ein gutes Buch liefern. Wenn Sie aus irgendwelchen Gründen nicht zufrieden sind, wenden Sie sich bitte an uns.
Vorwort des Reihenherausgebers Das von Frau Leidenfrost verfasste Buch thematisiert einen Gegenstandsbereich, der für das Human Ressource Management von hoher Bedeutung ist. Innerhalb der sog. „Wertorientierten Führung“ werden immer wieder neue kritische Faktoren für den Unternehmenserfolg thematisiert. Ein kritischer Erfolgsfaktor wurde jedoch schon immer vernachlässigt: der Körper jedes Einzelnen und alles was damit verbunden ist: Gesundheit, Selbstwertgefühl, Vitalität, Energie und Tatkraft. Schon der Vergleich von Kernkompetenzen für Manager mit den Kernkompetenzen für Grundschüler zeigt, dass in der Managementpraxis (bis auf den Körper) vermeintlich an alles gedacht wurde: fachliches Potenzial, strategische Kompetenz, unternehmerische Kompetenz, Veränderungskompetenz, soziale und interkulturelle Kompetenz, Führungskompetenz und sogar „innere Unabhängigkeit“. Auch von Schülern wird erwartet, dass sie „verschiedene Lösungstechniken einsetzen“, „häufig nachfragen“, „Rollen übernehmen“, „originelle Einfälle haben“, „Konflikte bearbeiten“ usw. Wird in der Schule zumindest die Interdependenz zwischen Körper und Geist thematisiert, so fehlt die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper als wichtige Leistungsressource und als eine der wesentlichsten Voraussetzungen zur Wahrnehmung von Führungsaufgaben in den meisten Organisationen völlig. Stellt also der Körper und die Art und Weise, wie sich Einzelne sowie ganze Unternehmenskulturen dazu in Bezug setzen für Unternehmen einen kritischen Erfolgsfaktor dar?
5
Von dieser Problemstellung geht die Autorin in ihrer Schrift aus und berührt damit einen ganzen Themenbereich des individuellen und kollektiven Umgangs mit Ressourcen. Wieweit ist es möglich, mit weniger mehr zu erreichen? Wie bleiben Führungskräfte und Unternehmen vital und lebendig, wenn die Anforderungen weiter steigen? Wo liegen Ansätze die selbstverantwortlich sind und wie können Unternehmen ressourcenorientiert arbeiten? Wie lassen sich Fragestellungen der „Work-Life-Balance“ und Gesundheitsförderung in leistungs- und wettbewerbsdominierte Unternehmenswelten gewinnbringend integrieren? Der von Jana Leidenfrost vorgelegten Arbeit kommt dabei das Verdienst zu, einen inhaltlich wie politisch bedeutsamen Themenkomplex differenziert bearbeitet zu haben. Vor allem die geleisteten Vorarbeiten (Kontaktaufbau zum Management, interne und externe Berater/Trainer usw.) haben wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Es ist Frau Leidenfrost mit diesem Buch gelungen, im Rahmen der Führungskräfteentwicklung einen Themenkomplex zu bearbeiten, der die gegenwärtige Diskussion um den gelungenen Einsatz und die Pflege unserer Leistungsressourcen um wichtige Betrachtungsweisen bereichert. Prof. Dr. Klaus Götz
6
INHALTSVERZEICHNIS A
EINFÜHRUNG ............................................................................. 1 1
B
Gegenstand und Struktur des Buches .................................. 5
DIE THEORIE ............................................................................ 10 1
2
3
Begriffliche Einordnung und grundlegende Annahmen ........................................................................... 10 1.1
Das Verständnis von Körper als Referenzpunkt der Betrachtungen ............................ 10
1.2
Das Denken in Systemen, Ordnungen und Mustern als methodische Grundlage.................. 12
1.3
Lernen als Anker erfolgreicher Entwicklungen von Individuen und Organisationen .......................................................... 16
Körperperspektiven ............................................................. 21 2.1
Das Leib-Seele-Problem als unendliche Geschichte................................................................. 21
2.2
Schnittstelle zwischen Individuum und Welt............................................................................ 22
Die Leiden der Leitenden: Führungskräfte und ihr Körper............................................................................. 34 3.1
Versuch einer phänomenologischen Bestandsaufnahme.................................................... 34
3.2
Was macht Führungskräfte krank? ........................... 41
3.3
Was hält Führungskräfte gesund? ............................ 46
3.4
4
5
2
„Wer fit ist, macht Karriere“ oder „Wer fit ist, bleibt gesund“?.....................................................48
Ein Blick auf Organisations- und Körperkulturen in den Wirtschaftsorganisationen ........................................52 4.1
Das theoretische Grundverständnis: einige Aspekte ...........................................................55
4.2
Die Betrachtung des Körpers in der Organisation...............................................................57
Entwicklungen der betrieblichen Weiterbildung und der Einbezug des Körpers: Variationen über ein Thema....................................................................77 5.1
Ziele und Ansätze von betrieblicher Weiterbildung, Personal- und Organisationsentwicklung..........................................78
5.2
Zwischen hohen Anforderungen und pragmatischen Lösungen: die Praxis der betrieblichen Weiterbildung .......................................82
5.3
Zwischen Lehren und Lernen: die wissenschaftliche Entwicklung der Weiterbildung .............................................................85
5.4
Der Körper als Lernziel und Lernmedium in der betrieblichen Weiterbildung .............................89
5.5
Variation 1: Der gesunde Körper als Lernziel ......................................................................91
5.6
Variation 2: Der Körper als Lernmedium ...................98
5.7
Zusammenfassung ..................................................111
C
METHODISCHE UMSETZUNG .............................................. 113 1
Forschungsmethoden........................................................ 113 1.1
D
Stichprobenauswahl und Zusammensetzung der Stichprobe ......................... 117
ERGEBNISSE ......................................................................... 120 1
Die statistischen Fakten auf der individuellen Ebene ................................................................................ 120
2
Die individuelle Ebene: Führungskräfte im Spannungsfeld zwischen Arbeit und Leben, Leistung und Ausgleich, Karriere und Gesundheit ........................................................................ 124 2.1
Individuelle Belastungssituationen und Stressoren ............................................................... 124
2.2
Individuelle Ressourcen und Kraftquellen für das körperlich-seelische Wohlbefinden.............. 136
2.3
Hindernisse und Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung persönlicher Ausgleichsstrategien ............................................... 151
2.4
Der Umgang mit den Anforderungen und mit sich selbst: typische Verhaltensmuster ............. 156
2.5
Strategien im Kampf „gegen“ die eigenen Ressourcen.............................................................. 168
2.6
Einstellungen und Grundannahmen in Bezug auf den Körper.............................................. 180
3
3
4
2.7
„Critical incidents“: Schnittstellen für einen positiv veränderten Umgang mit dem eigenen Körper ........................................................191
2.8
Ganz oder gar nicht? Führungs- kräfte im Entscheidungsdilemma............................................196
Die Organisationskultur und ihr Einfluss auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Einzelnen ...........................................................................199 3.1
Kollektive Beobachtungen zum Stellenwert von Gesundheit und Körper im Unternehmen ......................................................201
3.2
Idealbilder und geheime Spielregeln als ressourcenfeindliche Bestandteile der Organisationskultur ..................................................208
3.3
„Gesunde“ Führung und Zusammenarbeit als ressourcenförderliche Bestandteile der Organisationskultur............................................224
3.4
Ressourcen in der Führungsgestaltung: zusammenfassende Thesen....................................231
Führungskräfteentwicklung und Körper - Quo vadis? ................................................................................234 4.1
5
Handlungsbedarf, Wege und Maßnahmen zur Sicherung von Leistungsfähigkeit und Gesundheit ........................................................................239 5.1
4
Erfahrungen mit der Verknüpfung von Lernen und Körper im Unternehmen .......................234
Der Wunsch für die Zukunft .....................................241
E
5.2
Handlungsbedarf auf individueller und organisationaler Ebene............................................ 243
5.3
Kritische Erfolgsfaktoren und Grenzen der Veränderung und Umsetzung.................................. 262
DISKUSSION UND HANDLUNGSKONSEQUENZEN ........... 272 1
2
Ergebnisdiskussion und Handlungskonsequenzen für die Führungskräfte sowie für die Organisation................................................. 272 1.1
Die Veränderungsrichtung: wert- und werteorientierter Unternehmensführung.................. 273
1.2
Die Ausgangsbasis der Veränderungen.................. 281
1.3
Das Kernziel der Veränderungen – eine ressourcenförderliche Arbeitskultur......................... 291
1.4
Der individuelle Entwicklungsbedarf........................ 292
1.5
Der organisationale Entwicklungsbedarf ................. 306
Diskussion über eine zukünftige Führungskräfteentwicklung ............................................... 330 2.1
Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung...................................... 331
2.2
Konsequenzen für die Zukunft der betrieblichen Weiterbildung ..................................... 347
F
RESÜMEE: WER LEISTUNG WILL, MUSS LEBEN FÖRDERN ............................................................................... 367
G
LITERATURVERZEICHNIS .................................................... 375 5
6
A
Einführung
Auf den ersten Blick scheint es wenig zu geben, das die Themen Körper, Management und kritischer Erfolgsfaktor miteinander verbindet. Der zweite Blick hingegen lenkt die Aufmerksamkeit unweigerlich auf das, was sie vereint: den Menschen. Der Mensch als Manager, der mit seinem Körper im wahrsten Sinne der Worte Rückgrat zeigen muss, der einen festen Stand braucht, der beherzt an seine Aufgaben geht, der manchmal den Atem anhält und dem sich zuweilen der Magen umdreht. Der Manager als Leistungsträger und Erfolgsgarant, der aber doch keine Maschine wird, sondern Mensch mit Körper, Geist und Seele und bleibt. Dieses Wissen ist alt. Doch ein zunehmender Zwiespalt zwischen Anforderungen und Ressourcen, zwischen Karriere und Gesundheit sowie zwischen wachsendem Erfolg und natürlicher Begrenztheit führt zu einer teils gewollten, teils ungewollten Renaissance des Körpers im Management. Dem Beobachter offenbaren sich zwei Seiten einer Medaille: Einerseits wird der Körper als Statussymbol attraktiv und leistungsfähig zur Schau gestellt. Man nutzt die Macht der Wirkung und ähnlich den Götterkulten früherer Zeiten werden Bilder der perfekten Führungskraft gezeichnet: fit, attraktiv, belastbar und dynamisch. Nicht die Kompetenzen stehen im Vordergrund, sondern vielmehr der jugendlich, sportliche Gesamteindruck, der Leistung verspricht und die Werte eines Machers transportiert. „Jugendlichkeit wird immer wertvoller. Die Leute müssen den Verfallsprozess nicht mehr hinnehmen. Heutzutage kämpft jeder gegen jeden – mit ästhetischen Mitteln. An der Wallstreet lassen sich Manager sogar das Kinn operieren, um entschiedener auszusehen.“, schreibt der Trendforscher Peter Wippermann (2001). „Körper machen Leute“ könnte man resümieren. Der Körper als Symbolträger und Mittel zur Selbst1
präsentation ist auf dem Vormarsch und in diesem Sinne wird er gemanagt, gestylt, designt, kultiviert und zivilisiert. Andererseits trügt der äußere Schein häufig und hinter der Fassade zeigt sich ein anderes Bild. Dort offenbart der Körper seine Fragilität mit vermehrt auftretenden Krankheitssymptomen, welche die Leistungsfähigkeit des Einzelnen und teilweise gar das Überleben in Frage stellen. Denn der Körper wird auch zum Symptomträger für das, was im Zusammenhang mit den täglichen Arbeitsanforderungen und der individuellen Lebensgestaltung auf der Strecke bleibt. Das, was man neudeutsch als Work Life Balance bezeichnet, fehlt vielen Managern. Für dieses Ungleichgewicht muss der Körper häufig die Rechnung bezahlen: Noch nie hat die Wirtschaft in den westlichen Industrienationen so effizient und profitabel gearbeitet. Und wohl noch nie haben die Macher in den Führungsetagen so unter den Arbeits- und Lebensverhältnissen gelitten wie zum Ende des zweiten Jahrtausends (Wickel, 1999, S.15).
Eine Studie des Institutes für Arbeits- und Sozialhygiene Karlsruhe bspw. fördert beunruhigende Zahlen zu Tage: 85% der untersuchten Manager leiden unter vegetativen Beschwerden wie Schlafstörungen, Reizmagen, Verdauungsstörungen oder Herzproblemen (Klemusch, 1998). Selbst wenn die persönliche und berufliche Situation als eine befriedigende erlebt wird, machen doch gleichzeitige physische Beschwerden auf die hohen Belastungen aufmerksam, berichten andere Untersuchungen (Weiß, Schneewind & Olson, 1995). Im Management scheint es zum Image zu gehören, dass Karriere und Aufstieg von körperlichen Disharmonien begleitet werden. Der Körper als wichtige Ressource, die nicht nur genutzt, sondern vor allem aus- und abgenutzt wird? Welche Leistungsfähigkeit ist unter diesen Umständen dauerhaft von den Führungskräften zu erwarten?
2
Viele Unternehmen haben die Brisanz dieser Entwicklung bereits erkannt und gehen zumindest davon aus, dass die Aufrechterhaltung des individuellen körperlich und geistigen Wohlbefindens gerade im Managementalltag zu einer neuen elementaren Anforderung avanciert (Hoffmann, 1999). Sie reagieren in unterschiedlicher Weise, meist mit verstärkten Hinweisen auf das Thema Gesundheit: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“ Begleitet wird dies mit Appellen an die Selbstverantwortung ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte oder mit dem Versuch, Leitsätze zum Arbeitsund Gesundheitsschutz flächendeckend umzusetzen. Betriebsärzte und Sportbereiche propagieren Schulungen und Wellnessprogramme, jeweils mit dem Ziel ein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein zu entwickeln und so langfristig die Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit zu sichern. Doch sehr häufig, so klagt man, seien dies nur vereinzelte Maßnahmen. Der umfassende Effekt und der Einbezug in den Alltag bleibe oftmals aus. Darüber hinaus erreiche man gerade die Führungskräfte mit diesen Programmen nicht. Die Gründe hierfür sind weitestgehend unbekannt. Sehr widersprüchliche Meinungen über Möglichkeiten der Beeinflussbarkeit von Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit im organisatorischen Kontext finden sich auch in der wissenschaftlichen Literatur. Die Auswirkungen von Ansätzen auf organisationaler Ebene (wie bspw. Job-Redesign) werden ebenso angezweifelt wie diejenigen, die den Fokus auf das Individuum legen (Schaubroeck, 1999; Briner & Reynolds, 1999). Auch ist die Zielgruppe der Führungskräfte im deutschsprachigen Raum bisher erst in geringem Ausmaß Bestandteil der sonst zahlreichen Studien zum Gebiet „Arbeit und Gesundheit“ gewesen (Hoffmann, 1999; Kernen, 1997; Lucas, 1996; Mann 1987). Dabei beschränkt man sich oft auf sehr spezielle Aspekte, wie z.B. die Themen Stress, Burn-out, oder untersucht den medizinischen Gesundheitszustand (Klemusch, 1999). Die Unternehmenspraxis stellt sich jedoch viel komplexer dar und fordert integrative Ansätze. Die Beobachtungen zum Thema Körper bei Führungskräften, die diesem Projekt vorausgingen, haben eine ebenfalls diffuse 3
Situation voller Widersprüche offenbart. Einerseits sollen Führungsqualitäten im wahrsten Sinne verkörpert werden. Andererseits häufen sich die Alarmsignale für körperliche und gesundheitliche Störungen. Weiterhin scheint der Körper nahezu tabu zu sein, wenn es um Lernen und Veränderung im Rahmen der Führungskräfteentwicklung geht. Lernen findet im Kopf statt und die wenigen „körperlichen Ausflüge“ beschränken sich auf das Thema Gesundheit. Also Führungslust und Leibesfrust oder Leibeslust und Führungsfrust? Oder wie gelingt es beides verlustlos zu fusionieren? Diese komplexe Zwickmühle war Motivation und Anlass, mit der vorliegenden Untersuchung einen neuen Weg zu gehen: Es sollte ein Bild des größeren Ganzen zum Thema Körper im Management anhand eines ausgewählten Unternehmens gezeichnet werden - ein Bild, das verschiedene Aspekte miteinander verbindet und Wechselwirkungen, Auswirkungen und Zusammenhänge erschließt. Ein Bild, das an der Wirklichkeit der Führungskräfte in einem speziellen Unternehmen anknüpft und diese, ausgehend vom Thema Körper, unter bestimmten Gesichtspunkten analysiert. Ein Bild, das kontextbezogen sowohl den Bedarf der Führungskräfte als auch konkrete Ansätze und Wege zur Veränderung erfasst und somit einer zukünftigen Führungskräfteentwicklung Impulse und Anregungen im Umgang mit den Themen Körper, Gesundheit und Leistungsfähigkeit liefert.
4
1
Gegenstand und Struktur des Buches
Den Hintergrund für diese Vorgehensweise bildeten nicht nur die Beobachtungen einer hohen Komplexität der Praxis, sondern auch Erkenntnisse aus dem Bereich des Systemdenkens. Denn im Gegensatz zu linearen Ursache-WirkungsKetten, sind es eine ganze Reihe von oftmals widersprüchlichen und vielfältigen Einflüssen, Zusammenhängen und Wechselwirkungen, die das individuelle Handeln beeinflussen und bestimmte Verhaltensformen begünstigen. „Strukturen, die uns nicht bewusst sind, halten uns gefangen.“, schreibt Peter Senge (1996, S. 118) in seinem Buch über die „Lernende Organisation“. Mit Strukturen meint er dabei nicht die technisch-formellen Strukturen eines Unternehmens, sondern diejenigen, die sich aufgrund verschiedener Wechselwirkungen des Denkens, Fühlens und Handelns innerhalb eines Menschen, zwischen Menschen und zwischen verschiedenen Variablen (Kosten, Ressourcen, etc.) herausbilden. Diese Strukturen sind subtil, doch steuern sie das individuelle Verhalten ebenso wie die Art und Weise, mit welcher Organisationen Ziele und Normen in Handlungen umsetzen. Häufig wiederholen sie sich bewusst oder unbewusst in immer gleicher Form und bilden so stabile Muster, die positiv oder negativ wirken, die Problem oder Lösung darstellen können. Im Mittelpunkt dieser Studie stand die Analyse eben jener Strukturen und Muster, die den eingangs geschilderten Beobachtungen über den Verschleiß des Körpers einerseits und der gesteigerten Aufmerksamkeit eines „wirkungsvollen“ Körper andererseits zugrunde liegen. Ausgangspunkt war damit der Körper, der jedoch nicht als provokativ getrenntes „Objekt“ von Seele und Geist oder als medizinisch untersuchter „biologischer Apparat“ betrachtet werden sollte, sondern den ich als Bezugspunkt für eine Reflexion über den Umgang mit sich selbst sowie den täglichen 5
Anforderungen und persönlichen Ressourcen der Führungskräfte gewählt habe. Erkenntnisleitend war von Anfang an die Unternehmenspraxis unter dem Gesichtspunkt einer langfristig körperlichen und psychosozialen Leistungsfähigkeit. Was aber muss Personalarbeit und Führungskräfteentwicklung dafür bieten? Wo liegt der Bedarf bei den Führungskräften, um gestellte Anforderungen erfüllen und die gewünschten Kernkompetenzen verkörpern zu können? Antworten auf diese Fragen sind für fachliche Aspekte, für Aspekte der sozialen Kompetenz und seit einiger Zeit auch für Aspekte der Persönlichkeit in jedem Unternehmen zuhauf zu haben. Der für die Leistungsfähigkeit nahe liegende Aspekt, der eigene Körper, scheint hingegen kaum im Blickfeld der Überlegungen zu liegen. Hier knüpft die empirische Studie mit folgender zentralen Fragestellung an: Welche individuellen und kollektiven Muster im Umgang mit dem Körper sind bei Führungskräften zu beobachten und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Leistungsfähigkeit des Einzelnen sowie für die Gestaltung einer zukünftigen Führungskräfteentwicklung?
6
individuelle Einstellungsund Verhaltensmuster
kollektive Handlungsmuster; Systemlogik, Spielregeln, Kulte und Kultur
Wechselwirkungen, Prozesse, Dynamiken zwischen Individuum und Organisation praktische Ansätze für eine zukünftige Führungskräfteentwicklung, die aus dem Bedarf hervorgehen und in Einklang mit der Unternehmensstrategie stehen
Abb. 1:
Die Analysebenen im Überblick
Zur Klärung der Fragestellung wurden verschiedene Analyseebenen heran gezogen, die gleichwertig nebeneinander und miteinander in Beziehung stehen: die individuelle Ebene (Führungskräfte als Personen und Persönlichkeiten), die organisationale Ebene (verschiedene Bestandteile der Organisationskultur) und eine Lern- und Veränderungsebene, die sich zum einen dem Körper in der betrieblichen Weiterbildung sowie allgemein, dem ergebnisspezifischen Veränderungsbedarf (dem notwendigen Transfer) widmete (vgl. Abb.1)1.
1
Auf den theoretischen Rahmen der Studie wird in dieser Zusammenfassung nicht gesondert eingegangen, wenngleich sowohl wesentliche Grundannahmen zum Forschungsverständnis als
7
Auf einen ersten Blick wird deutlich, dass mit dieser Mehrdimensionalität komplexe Antworten nahezu provoziert werden und sich aus der allgemeinen Fragestellung eine Vielzahl spezieller Fragen ergeben. Doch gerade die komplexen Zusammenhänge entsprechen der heutigen Unternehmensrealität eher als linear kausale, einfach strukturierte Antworten – auch wenn diese, um „alles besser in den Griff zu bekommen“, so gerne erwünscht sind. Die Analyse auf der individuellen Ebene setzt somit zunächst an der allgemeinen Belastungs- und Ressourcensituation der Führungskräfte an und hinterfragt unterschiedliche Aspekte der individuellen Körpererfahrung im Arbeitsalltag. Ziel war darüber hinaus, die Identifikation allgemeiner Verhaltensmuster im Umgang mit dem Körper und zugrunde liegende Einstellungen bzw. individuellen Bedeutungszuschreibungen dem Körper gegenüber. Diese wurden hinsichtlich einzelner Perspektiven (Geschlecht, Führungsrolle, persönliche Bedeutsamkeit) analysiert. Weiterhin interessant waren Einzelfälle, innerhalb derer eine Veränderung persönlicher Einstellungen und des Verhaltens statt gefunden hatte: Wann verändert sich etwas? In welche Richtung? Mit welchen Auswirkungen? Die Ergebnisse der organisationalen Ebene stützen sich vor allem auf die Untersuchung einzelner Bestandteile der Organisationskultur, von denen sich ein wesentlicher Einfluss auf das individuelle Verhalten im Umgang mit dem Körper erwarten ließ. Hier wurden Paradigmen und grundlegende kollektive Überzeugungen in Bezug auf das Idealbild einer Führungskraft, auf die Rolle und Positionierung des Körpers (inklusive der Themen Gesundheit und Leistungsfähigkeit) in der Kultur
auch der aktuell vorliegende interdisziplinäre Theorie- und Ergebnisbestand zum Thema Körper mit dem jeweiligen Bezug zu den einzelnen Analyseebenen die Grundlage für die Ergebniserhebung bildeten.
8
analysiert. Es ging darum, geheime Spielregeln für den Umgang mit Körper, Gesundheit und Leistung herauszuarbeiten und hinsichtlich ihrer ressourcenförderlichen bzw. -feindlichen Auswirkungen zu prüften. Dem gegenüber wurden bewusst angewandte Aspekte der Führung für die Aufrechterhaltung des Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit analysiert. Ziel war, ein Bild der Organisations- und Körperkultur zu zeichnen. Die dritte Analyseebene greift den speziellen Teil des Lernens auf und beleuchtet die bisherigen Erfahrungen der Führungskräfte in Bezug auf mögliche Integrationen von Lernen und Körper. Daraus ergibt sich der Übergang zur letzten Ebene – der des Transfers. Hier lassen sich die Führungskräfte als Experten für ihr eigenes Verhalten und Umfeld betrachten Ihre Anregungen für notwendige Veränderungen und Ansatzpunkte wurden aufgegriffen, um langfristig die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Einzelnen und der Organisation aufrechterhalten zu können. Die zahlreichen Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Diskussion und Darstellung möglicher Handlungskonsequenzen auf individueller und organisatorischer Ebene und wichtiger Ansatzpunkte einer zukünftigen Führungskräfteentwicklung, um langfristig die Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu sichern.
9
B
Die Theorie
1
Begriffliche Einordnung und grundlegende Annahmen
Jeder Hausbau beginnt mit der Errichtung eines guten Fundamentes. In ähnlicher Weise ist es notwendig, ein fundamentales Verständnis über Annahmen, Begriffe oder Konzepte zu entwickeln, die dieser Forschungsarbeit zugrunde liegen. Es bietet sich an, drei wichtige Aspekte zu betrachten: ¾ ¾ ¾
1.1
ein bestimmtes Verständnis von Körper, das Denken in Strukturen und Mustern, der Glaube an die Notwendigkeit von Lernen und Veränderung in Unternehmen.
Das Verständnis von Körper als Referenzpunkt der Betrachtungen
Das Thema Körper und die damit verbundene Vorgehensweise ist dazu angetan, einen neuen und bisher nicht genutzten Betrachtungswinkel zu nutzen. In den Mittelpunkt des Interesses rücken oft tabuisierte Themen wie Gesundheit, Verschleiß, aber auch die persönlichen Ressourcen von Führungskräften. Das Medium Körper dient dabei einerseits als neutraler Zugang zu individuellen Einstellungs- und Verhaltensmustern der Führungskräfte innerhalb täglicher Anforderungs- und Belastungssituationen. Andererseits ist er Ausdruck einer gelebten Beziehung zwischen Individuum und Organisation, sowie zwischen Arbeit und Leben. Das heißt, der Körper ist weniger Objekt, sondern eine Dimension, die sowohl in ihrer Betrachtung, als auch in ihrer Nutzung als Ressource im betrieblichen Kontext bisher kaum eine Rolle spielte.
10
¾ ¾
¾
Die Untersuchung basiert auf folgenden Grundannahmen: Der Körper wird als Bezugspunkt für verschiedene Reflexionen zum Umgang der Führungskräfte mit sich selbst, mit den täglichen Anforderungen und mit ihren persönlichen Ressourcen verstanden. Er wird weiterhin als Ausdruck derjenigen Beziehungen verstanden, die zwischen Individuum und Organisation gelebt werden und die ihre Auswirkungen auf den Feldern Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Einzelnen haben.
Darüber hinaus bildet der körperliche Aspekt eine wichtige Erlebnisebene des Menschen und stellt so für Lernen und Veränderung eine wichtige Ressource dar. Es war deshalb unabdingbar, sich mit Grundsatzfragen rund um den Körper und dessen Verflechtungen mit Geist und Seele auseinander zu setzen. Obwohl jeder täglich bewusst oder unbewusst ein bestimmtes Verhältnis zu seinem Körper bildet, jeder ihn mehr oder weniger spürt, so scheint er als DER Körper kaum greifbar. Doch noch während der Geist über das eigene Verhältnis zum Körper nachdenkt wird, verändert sich dieses. Ist in diesem Sinne der Körper ein unendlicher Spiegel, dessen Bild sich ändert, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man ihn betrachtet? Oder bleibt der Körper doch eher jener Gegenstand, der aus einem gewissen Selbstzweck heraus existiert, und der zumindest in einem gewissen Zeitrahmen einer Stabilität unterliegt? Ein Objekt also, dessen Funktionen sich klar beschreiben lassen, der von außen und innen kontrollier- und disziplinierbar ist und den man mit der Hilfe des Geistes beherrschen und definieren kann? Oder kann der Körper einfach nur gelebt werden? Im Zuge dieser Arbeit wird versucht, verschiedene Perspektiven vom Körper auf das Umfeld und umgekehrt vom Umfeld auf den Körper einzunehmen. Dieses Einnehmen verschiedener Sichtweisen auf den Körper wird ein tieferes Verständnis der Studie, der Gestaltung der Analyse und der Interpretation der erhaltenen Daten überhaupt erst ermöglichen, auch wenn 11
es keine endgültigen Aussagen auf die Frage: „Was ist der Körper?“ geben kann.
1.2
Das Denken in Systemen, Ordnungen und Mustern als methodische Grundlage
Die vorangegangenen Ausführungen zeigten bereits, dass aufgrund hoher Komplexität einzelne Elemente zwar eine Rolle spielen, jedoch mehr deren vernetzte Gesamtheit und dahinter liegende Strukturen und Mustern zählen. Dieser Anspruch basiert auf Annahmen und Prinzipien der Systemtheorie. Hier werden nur diejenigen Grundlagen dargestellt, die für ein Verständnis der verwendeten Begriffe und Argumentationen notwendig sind.2 Systeme Vom ursprünglichen Wortsinn her bedeutet „System“ etwas, was zusammen steht (Zustände) oder liegt (Gegebenheiten) (vgl. Schmidt, 2000). Im Wesentlichen wird davon ausgegangen, dass Systeme aus Einzelelementen bestehen und dass auch die Beziehungen zwischen den Elementen Bestandteil des Systems sind. Damit sind Systeme mehr als die Summe ihrer Teile. Für die Betrachtung von Organisationen, Teams oder Gruppen, verstanden als soziale Systeme, ist deshalb nicht nur der individuelle Zustand einzelner Mitglieder, sondern vor allem deren Beziehungen und Wechselwirkungen wichtig. Organisa-
2
Für Grundlagen der Systemtheorie siehe bspw. (Maturana, 1981; Luhmann, 1984)
12
tionen sind über ein unsichtbares Gewebe von zusammenhängenden Handlungen ihrer einzelnen Mitglieder, welche wiederum selbst Teil des Systems sind, verbunden. Das heißt auch, dass jedes Verhalten gleichzeitig Ursache als auch Wirkung bzw. die Konsequenz auf das Verhalten anderer Mitglieder ist (Zirkularität). Mit diesem Verständnis sind in Organisationen gegenseitige Abhängigkeiten der Elemente und Strukturen zu erfassen, um damit erfolgreicher und wirkungsvoller – bezogen auf bestimmte Ziele – handeln zu können. Strukturen/Ordnungen In der Betrachtung stehen deshalb weniger einzelne Elemente bzw. Personen im Vordergrund, sondern vielmehr deren Wechselspiel. Aus diesen Interaktionen, ausgedrückt über verschiedene Elemente der Kommunikation, des Verhaltens, der Wahrnehmung, des Denkens und Erlebens (Gefühle, Körper, Sinne) bildet sich eine bestimmte Ordnung heraus. Ordnung ist dabei zu verstehen als die Art und Weise wie etwas 3 getan wird, wie miteinander umgegangen wird. Die Beziehungen einzelner Personen zueinander werden nicht einseitig gesehen. Vielmehr leistet jede Person und jede Beziehung ihren eigenen Beitrag, der Auswirkungen auf das System und im System nach sich zieht. Andererseits haben damit aber auch Veränderungen im System ihre Auswirkung auf jeden Einzelnen (vgl. Lewin, 1939; Schmidt, 2000).
3
Wenn Senge (1996, S.118) von den Strukturen einer Organisation schreibt, dann ist dies im Sinne von Ordnungen gemeint. Um jedoch Überschneidungen mit dem betriebswirtschaftlichen Ansatz von Organisationsstrukturen zu vermeiden, wird hier Ordnung verwendet.
13
Das gleiche gilt für die Betrachtung eines Individuums als ein System. Auch hier machen verschiedene Elemente (Wahrnehmung, Denken, Fühlen, Handeln) und deren Wechselspiel die Ganzheitlichkeit einer Person aus. Auch hier kann man nicht sagen, die Person ist nur „so oder so“, sondern bestimmte Wechselwirkungen mit der Umwelt rufen in einer jeweiligen Situation bestimmte Ordnungen des Wahrnehmens, Denkens und Verhaltens hervor. Muster Werden diese Interaktionsprozesse immer in gleicher bzw. ähnlicher Weise wiederholt, bilden sich sogenannte Muster heraus. Muster, die, von einer Verknüpfung immer gleicher Elemente des Verhaltens, der Kommunikation, des Gefühls, der Gedanken, der Körperhaltung usw. geprägt sind. Sie können individueller (bspw. wie ein Raucher zur Zigarette greift; wie jemand auf Stress reagiert) oder auch interaktioneller Natur (bspw. immer gleiche Reaktionen, wenn der Chef plötzlich in ein Zimmer seiner Mitarbeiter tritt) sein. Geht man von der These aus, dass innerhalb von Systemen alle Menschen, so verschieden ihre individuellen Muster auch sein mögen, tendenziell die gleichen Ergebnisse, die gleichen Gesamtstrukturen verursachen (vgl. Senge, 1996, S.57), folgt daraus, dass eine Organisation das Verhalten in Bezug auf die Themen Körper, Gesundheit und Leistungsfähigkeit selbst verursacht und sich auf diese Weise kollektive Muster herausbilden. Da Muster jedoch automatisiert und mit der Zeit unbewusst werden, scheinen sie oftmals entgegen unserem Willen ein Eigenleben zu führen. Dann „passiert ES einfach so“ und das Problem(muster) scheint sich einer bewussten Veränderung zu entziehen. Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns liegt nahe, denn das eingeschliffene Erleben und Erfahren lässt keine Veränderung zu.
14
Ob diese Muster hingegen subjektiv als problematisch oder positiv gedeutet werden, entscheidet der jeweilige Situationszusammenhang, der sogenannte ökosystemische Kontext. Das heißt, auch ein und dasselbe Muster – beispielsweise auftretend im Umgang mit dem Körper – kann in Bezug auf verschiedene Ziele und unterschiedliche Situationsbedingungen sowohl Kompetenz als auch Problem sein (vgl. Schmidt, 2000). Wenn Lernen, d.h. eine Veränderung im weitesten Sinne, stattfinden soll, dann ist es entscheidend, diese Muster zu verstehen und zu prüfen, um gezieltere Maßnahmen konzipieren und durchführen zu können. Grundannahmen: • • •
•
•
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Die Elemente in einem System sind vernetzt und hängen über interaktionelle Vorgänge miteinander zusammen. Diese Interaktionen, ausgedrückt über verschiedene Elemente der Kommunikation, der Wahrnehmung, des Denkens, Erlebens und Verhaltens (Gefühle, Körper, Sinne) bilden eine bestimmte Ordnung (Struktur). Bei immer gleichen sich wiederholenden Verknüpfungen und Kontakten entstehen Muster, die zum Teil unwillkürlich ablaufen. Es existieren individuelle und kollektive Muster, denn die Art zu denken, zu handeln und zu fühlen erzeugt unsere Wirklichkeit. Wirklichkeiten werden durch die Vorstellungen der Menschen geschaffen und können durch diese verändert werden. Die Bedeutung der Muster entsteht erst in Bezug auf den jeweiligen Kontext.
15
1.3
Lernen als Anker erfolgreicher Entwicklungen von Individuen und Organisationen
In der heutigen Zeit sind Wandel, Unsicherheit und Veränderungsdruck die ständigen Begleiter der Unternehmen. Lineare Steuer- und Kontrollierbarkeit gehören mittlerweile zu denjenigen Faktoren, die genauso knapp werden wie die Ressourcen Zeit und Geld. Stattdessen nehmen Dynamik und Komplexität der Entwicklungen zu. Es gestaltet sich schwieriger denn je, sowohl die Einflüsse auf das Unternehmen von außen zu antizipieren und entsprechend zu agieren, als auch die Auswirkungen unternehmerischen Handelns zu prognostizieren und dementsprechend Strukturen, Ablaufprozesse, Markterschließungen oder Produktentwicklungen zu forcieren bzw. zum Besseren hin zu verändern. Seit einigen Jahren gilt das Management des Wandels als Erfolgsfaktor für Unternehmen. Die Situation hat sich indessen soweit entwickelt, dass weniger der Wandel an sich das Problem darstellt, sondern das ständig „Überraschende“, welches es zu managen gilt. Man fragt nicht mehr, wie Veränderungsprozesse bewerkstelligt werden können, sondern wie man sie beschleunigen und trotzdem in ihren Auswirkungen steuern kann (vgl. Schein, 1995, S. 5). Im Management hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass die notwendige Weiterentwicklung und Anpassung an sich schnell verändernde Zustände immer mit Lernen verbunden ist: mit dem Lernen des Einzelnen (individuelles Lernen) und dem Lernen ganzer Organisationen (organisationales Lernen). Wenn an Lernen gedacht wird, werden die Lernvorgänge zunächst eher beim einzelnen Individuum angesiedelt. Bereits seit Ende der 70er-Jahren besteht Konsens darüber, dass die – über eine fachliche Qualifikation hinaus gehende – Entwicklung einer alltäglichen Handlungskompetenz bei Führungskräften und Mitarbeitern einen wesentlichen Erfolgsfaktor darstellt (Arnold, 2000, S.314). 16
Die Konzepte, die seit dieser Zeit im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung ihre Verbreitung und Neugestaltung finden, sind vielfältig. Dabei verändert sich entsprechend der wirtschaftlichen Kompetenzanforderungen langsam das Lehr- und Lernverständnis. Das rein kognitive Lernen und Lehren wird zunehmend abgelöst von einem selbstgesteuerten4 Lernen und Lehren, das auf die ganzheitliche Weiterentwicklung der persönlichen Kompetenz im Sinne der ständigen Anpassung (Lernen und Verlernen lernen) zwischen Person, Umwelt, Verhalten abzielt.5 Angestrebt wird die Mehrdimensionalität des Lernens, d.h. mit unterschiedlichen Lernarten (z.B. Modelllernen, kognitives Lernen, selbstgesteuertes Lernen) und auf unterschiedlichen Lernebenen (z.B. Kenntnisse/Wissen, Fertigkeiten, Einstellungen/Werte6). Dennoch stehen diesem Ziel in der Praxis der betrieblichen Weiterbildung oft grundlegende Paradigmen vom
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Selbstgesteuertes Lernen bezieht sich auf die Art des didaktischen Prozesses und den möglichen Partizipationsgrad; im Gegensatz zu selbstorganisiertem Lernen, das die Auswahl, Inszenierung und Gestaltung der Lerngelegenheit mit einbezieht.
5
Sonntag & Schaper (1992, S.188) unterscheiden drei Bereiche beruflicher Handlungskompetenzen: Fach- und Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Personal Kompetenz. Dabei geht die Entwicklung der Weiterbildung eher in Richtung einer komplexen Handlungskompetenz, die aus der Differenz momentaner Fähigkeiten und den neuen Anforderungen, denen sich der Mitarbeiter oder die Führungskraft gegenübersieht (Decker, 1984).
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Staehle (1990) unterscheidet z.B. in knowledge, skills und attidudes. Decker (1984) spricht von einer kognitiven, psychomotorisch/pragmatischen und affektiv/emotionalen Lernebene.
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„richtigen“ Lernen sowie ökonomische Interessen (kurze Lernzeiten, geringe Kosten) entgegen. Obwohl sich organisationales Lernen ebenso auf individuelle Wahrnehmungs- und Lernprozesse stützt, ist es doch mehr als die Summe des individuellen Lernens. Denn Lernprozesse werden erst dann organisational, wenn individuelles Lernen sozial geteilt wird. Das heißt, wenn ein kommunikativer Austausch, kollektive Reflexionsprozesse und eine Integration der neuen Erkenntnisse, Handlungen oder Vorstellungen (Wirklichkeitskonstruktionen) innerhalb einer sozialen Gruppe (Teams, Abteilungen, Bereiche, Organisation) stattfinden (Heintel, 1993; Götz, 1999). Über den Weg und die Dynamik zwischen einzelnen Lernleistungen zu einem veränderten Funktionieren ganzer sozialer Systeme ist leider wenig bekannt (vgl. Götz, 1999; Schein, 1995). Organisationales Lernen ist nach wie vor umstrittenen. Zwar wird auch hier seit über 20 Jahren versucht, Organisationen lernfähig zu machen (Agyris & Schön, 1978; Senge, 1996) doch zahlreiche Widersprüche stellen die Konzepte immer wieder in Frage. Einerseits besteht die Überzeugung, dass Organisationen zu hohen Lernleistungen und effizienten Veränderungsprozessen fähig sind. So postuliert Senge (1996) fünf elementare LernDisziplinen (Methodiken), die Voraussetzung und Ergebnis einer Lernenden Organisation sind. Diese Lern-Elemente stützen sich im Wesentlichen darauf, wie Menschen in Organisationen denken, was sie wirklich erreichen wollen, wie sie interagieren und gemeinsam lernen: Personal Mastery: Das Erkennen der eigenen persönlichen Vision, bündeln der Energie und konsequentes Verwirklichen der Ziele.
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Mentale Modelle: Das Erkennen und kritische Hinterfragen der tief verwurzelten Annahmen über die Welt und des individuellen und organisatorischen Handelns. Eine gemeinsame Vision entwickeln: Das Schaffen einer gemeinsamen Zukunftsvision und deren Aufrechterhaltung. Team-Lernen: Das Erkennen und schaffen von Interaktionsstrukturen, die gemeinsames Lernen fördern oder behindern. Die Fähigkeit eigene Annahmen aufzuheben und das Einlassen auf ein „gemeinsames Denken“. Systemdenken (als integratives Element): Das Erkennen übergreifender Muster und Zusammenhänge des Handelns als Voraussetzung, diese Muster verändern und beeinflussen zu können. Andererseits werde in Bezug auf das Lernen in Organisationen nach wie vor „das Problem überzeugender dargestellt als jede Lösung“ (Baecker, 2000, S.27). Darüber hinaus könne in einer destabilisierenden Umwelt, ein Nicht-Lernen bzw. eine Entscheidung gegen Lernen und die stabilisierende Beibehaltung von alten Routinen sogar eine hohe Kompetenz bedeuten (ebd., S.28). Diese Widersprüche können und sollen auch mit dieser Arbeit nicht aufgelöst werden. Vielmehr lassen sich zunächst ganz allgemeine Grundannahmen zur Bedeutung des Lernens für Individuen und Organisationen festhalten: •
•
Der Erfolg von Unternehmen wird heute vor allem durch die Fähigkeit begründet, kurzfristige Prozess- und Strukturveränderungen zieldienlich und erfolgswirksam vornehmen zu können. Das erfordert von den Individuen in der Organisation und der Organisation als Ganzes nicht nur Wettbewerbs- und Funktionsfähigkeit, sondern vor allem auch 19
Lebendigkeit, Beweglichkeit, Leistungsfähigkeit und Gesundheit, um diese Anpassungsleistungen vollbringen zu können. Hierfür bildet Lernen in einem umfassenden Sinne (individuelles, organisationales Lernen mit verschiedenen Lernarten und auf unterschiedlichen Lerntiefen) die Grundlage. Doch was brauchen Organisationen und ihre Individuen, um innerhalb der Veränderungsanforderungen nicht nur funktionsund überlebensfähig zu bleiben, sondern auch lebendig, leistungsfähig, beweglich und gesund? Denn Gesundheit und Leistungsfähigkeit gelten als wichtige Voraussetzungen für gelungene Anpassungsprozesse. Umgekehrt wirken sich misslungene Anpassungen nachweislich negativ auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit aus. Gesundheit ist in diesem Zusammenhang auch die Fähigkeit von Einzelpersonen und von Teams, sich neuen Anforderungen zieldienlich anzupassen. Welchen Beitrag kann die Führungskräfteentwicklung hier leisten? Welche Art von Lernen muss sie dafür unterstützen? Als erste und vorläufige Antwort auf diese Frage lässt sich folgende Hypothese aufstellen: Die Herausforderung liegt nicht in einer rein kognitiven Wissenserweiterung, sondern in der Verkörperung7 des Wissens und in der zieldienlichen Nutzung aller Ressourcen des Menschen (Lernen mit Kopf, Herz und Hand oder Denken, Fühlen und Handeln).
7
Das Wort Verkörpern kommt von „incorporated“, ist abgeleitet von der lateinischen Wurzel „corporare“ und bedeutet in seiner Etymologie soviel wie etwas in seinen Körper aufnehmen oder zu einem Körper formen. Die Verkörperung ist damit der Weg zwischen abstrakten Ideen und der Umsetzung in Handlungen (vgl. Bryner & Markova, 1998, S.20).
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2
Körperperspektiven
2.1
Das Leib-Seele-Problem als unendliche Geschichte Wenn ihr’s nicht erfühlt; ihr werdet’s nicht erjagen! Goethe, Faust
Bis zum 17. Jahrhundert gab es kaum Zweifel darüber, dass Gott die Menschen, die Tiere und Pflanzen erschaffen hat. Doch dann erklärte der Physiker und Philosoph Galileo Galilei die Vorgänge in der Welt und viele Naturgeschehnisse auf mathematische Weise, womit Gott nicht länger im Zentrum des Universums stand. Dieses neue Weltbild brachte unausweichlich eine Auseinandersetzung zwischen den neuen Naturwissenschaften und der Kirche. 1631 entwickelte der Mathematiker und Philosoph Descartes eine Vorstellung vom Menschen, die Kirche und Wissenschaft genügte. Er trennte Geist und Körper und definierte zwei unabhängige Existenzen. Für ihn gab es eine körperliche und eine geistige Wirklichkeit, und die geistige bedient die körperliche: „Ich denke, also bin ich.“ Auf der einen Seite steht damit der Körper als Materie, als funktionell erfassbarer Gegenstand, später auch als das sinnlich-sündiges Fleisch. Auf der anderen Seite existiert der unsterbliche Geist, der das Denken, die Wünsche, die Gefühle bestimmt und der weder den Gesetzen der Physik unterliegt, noch materiell erfassbar ist, weil er als körperlos gilt. Gleichwohl glaubte Descartes an eine Wechselwirkung zwischen beiden Seiten. Die Trennung von Körper und Geist bzw. von
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Leib und Seele8 ging als „Cartesischer Dualismus“ in die Wissenschaftstheorie ein (vgl. Miketta, 1994; Sallinger, 1989). Als Paradigma, das eine scharfe Trennung von körperlichen und mentalen Vorgängen repräsentierte, hat es die Basis für ein Verständnis des Körpers als Maschine und die Entwicklung einer seelenlosen Körpermedizin im Gegenzug zu einer körperlosen Seelenmedizin gelegt. „Hier die Kliniken für Körper ohne Seelen und dort die Neurosenkliniken für Seelen ohne Körper“, beschreibt der Psychosomatiker Uexküll die Situation, die bis heute an vielen Stellen zu beobachten ist (Miketta, 1994, S.17). Vor allem die Interaktion zwischen körperlichen und seelisch-geistigen Vorgängen ist noch immer unklar und wird erst nach und nach unter Vereinigung alten Wissens und neuer Forschungen (wie beispielsweise der Psychoneuroimmunologie) erkundet.
2.2
Schnittstelle zwischen Individuum und Welt Der Körper lebt, das Gefühl spürt und das Bewusstsein weiß das Leben. (Autor unbekannt)
Der Körper ist die Schnittstelle zwischen dem Individuum und der Welt. Er bildet einerseits die natürliche Grenze zwischen
8
In den philosophischen Diskussionen bestehen zahlreiche unterschiedlichste Definitionen von Geist und Seele. Wesentlich ist jedoch vor allem, dass Geist und Seele das Mentale repräsentieren, das dem Körper oder speziell dem Leib (als der Inbegriff des Materiellen) gegenüber gestellt wird. Das heißt, mit der Trennung von Körper und Geist bzw. Leib und Seele wird im allgemeinsten Sinne die Trennung zwischen körperlichen und mentalen Vorgängen angesprochen. (vgl. Sallinger, 1989, S. 24ff).
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Ich und Nicht-Ich und gleichzeitig das Medium, das es uns ermöglicht, mit der Welt in Beziehung zu treten. Dabei erlauben es erst die Sinnesorgane des Körpers, dass wir die Umwelt wahrnehmen. Gleichwohl kann jeder Mensch über seinen Körper gestaltend auf seine Umwelt einwirken. Erst der eigene Körper ermöglicht es also dem Individuum, sich seine Welt zu erschließen. „Er ist der ‚Zugang‘ zu unserer Welt, zu den anderen Menschen und zu den Dingen, und umgekehrt erreichen wir diese ‚über‘ unseren Leib.“ (Grupe, 1982, S. 65). In den meisten Handlungen unterscheidet sich die Person nicht von ihrem Körper, sondern erlebt ihn als integralen Bestandteil. Der Begriff „Leib-Sein“ oder auch der Ausdruck „Der Leib, der ich bin“, beschreibt dieses spezifische Verhältnis zwischen Ich und dem Körper, bei dem beide eine Einheit bilden und der Körper nicht getrennt wahrgenommen wird. Diese Harmonie wird jedoch meist dann in Frage gestellt, wenn sich der Körper unabhängig bemerkbar macht (Müdigkeit, Hunger, Schmerz usw. signalisiert) oder wenn der Körper eher als Gegenstand betrachtet wird, auf den von außen eingewirkt wird (beispielsweise durch chirurgische Eingriffe, Kosmetika, extremes Bodybuilding). Der Körper wird als etwas „von einem selbst Getrenntes“ wahrgenommen, der möglicherweise auch eine Handlung von uns verlangt (etwas essen). In solchen Situationen, sind wir nicht mehr Leib, sondern wir „haben einen Körper“. Dies kann übrigens auch in sehr beglückenden, lustvollen Momenten, wie nach einem Bad, bei körperlicher Zuwendung oder nach einem Wellnessprogramm der Fall sein. Die Erfahrungen des Menschen bewegen sich in der Regel zwischen den beiden Polen „Leib-Sein“ und „Körper-Haben“. Sowohl die eigene Einstellung zum Körper, das Körperbewusstsein, als auch Einflüsse der Umwelt bestimmen, wie sich jeder wahrnimmt. Dabei ist das Ergebnis eine Frage der Aufmerksamkeitsfokussierung, denn das menschliche Erleben äußert sich grundsätzlich auf gedanklicher, emotionaler, körperlicher und der Verhaltensebene in Form von Gedanken, Gefühlen, Empfindungen, Reaktionen (vgl. Sollmann, 2000; Görlitz, 1998). 23
Kein Erleben ist ohne Körper denkbar. Jedes Gefühl, jeder Gedanke existiert nicht für sich alleine, sondern ist immer mit physiologischen Vorgängen verknüpft und hat damit eine körperliche Dimension. Man denke nur an die körperlichen Erscheinungen bei Angst, Freude, Trauer. Alle Ebenen stehen miteinander im Verhältnis und bedingen sich wechselseitig, was jedoch nicht heißt, dass alle vom Einzelnen wirklich wahrgenommen werden. Gerade Gefühle und Körper werden häufig ausgespart, wenn es darum geht, sich zu disziplinieren oder ganz einfach möglichst problemlos zu funktionieren. Dann ist der Körper nur noch Objekt, auf den eingewirkt wird. Es gibt viele Situationen des Alltags, in denen ein zivilisiertes und auch kontrolliertes Verhalten sehr wichtig und angemessen erscheint. Kritisch wird es erst dann, wenn die Balance fehlt und Leib-Sein kaum mehr möglich ist. In der wissenschaftlichen Literatur (vgl. Norz, 1999) sind den beiden Wahrnehmungsdimensionen des Körpers meist eindeutige Bewertungen zugeordnet. „Körper-Haben“ sei, überspitzt ausgedrückt, ein Verfügen über den Körper, bei dem der Körper unabhängig von persönlichen Bedürfnissen instrumentalisiert, kontrolliert, benutzt und ausgenutzt wird. Beim „LeibSein“ hingegen wird der Körper verstanden als Ort des Seins im wahrsten Sinne des Wortes, bei dem Verlangen, Irrationalität, Emotionalität und (auch sexuelle) Leidenschaften dazu gehören. Diese oftmals einseitigen Zuschreibungen sind vor dem Hintergrund der Entstehung vieler Forschungen über den Körper zu verstehen, bei der die Geschichte des Körpers auch eine Geschichte der Zivilisation ist. Eine Geschichte, die sich immer wieder hin und her bewegt, zwischen Extremen fortschreitender Rationalisierungsprozesse einerseits und der Sehnsucht nach Verganzheitlichung, der Sehnsucht nach Spiritualität und Emotionalität andererseits (vgl. Kamper & Rittner, 1976). Hierbei stehen nicht nur gesellschaftliche, sondern auch wissenschaftstheoretische Strömungen im Hintergrund.
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Physiologie in seiner funktionalen Beschaffenheit
Anatomie
als Teil Selbstkonzeptes
als objektive, neutrale Gestalt
Körpertherapie Anthropologie
Medizin
Der Körper als Träger von Krankheitssymptomen
als Ausdruck der Persönlichkeit
als Verbindung zwischen Psyche und Physis
Psychosomatik
Persönlichkeitspsychologie
in seiner Beschaffenheit für Bewegung und Leistungsfähigkeit
als Phänomen mit kultureller Bedeutung
Sportwissenschaft
Soziologie
Abb. 2:
Der Körper als Schwerpunkt verschiedener wissenschaftlicher Erkenntnisinteressen
Alle Bemühungen die nur das Eine oder das Andere propagieren, müssen scheitern. Stattdessen ist es meiner Ansicht nach wesentlicher, diese unterschiedlichen Aspekte nebeneinander zu sehen, sie als Blickwinkel auf den Körper zuzulassen und eher zu prüfen, welche Sichtweise in welcher Situation und zu welcher Zeit entsprechend sinnvoll erscheint und welche Auswirkungen dies für ein bestimmtes Ziel hat. So ist es sinnvoll, zunächst diejenigen persönlichkeitspsychologischen Blickwinkel bzw. wissenschaftstheoretischen Perspektiven herauszugreifen, die eine Möglichkeit bieten, Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Körper darzustellen: 25
¾ ¾
2.2.1
Der Körper als Teil des Selbstkonzeptes (Körpererleben, -bewusstsein und Einstellungen bzw. Beziehung zum eigenen Körper) Der Körper als Ausdruck der Persönlichkeit – als sichtbar gemachte Seele Der Körper als Teil des Selbstkonzeptes
Medizin und Psychiatrie betrachteten das Körpererleben lange Zeit nur unter pathologischem Aspekt (z.B. bei Störungen der Körperwahrnehmung), wobei man außer Acht ließ, dass das „gesunde“ Körpererleben ein wesentlicher Teil des Selbsterlebens ist. Dabei wurde es häufig mit dem Begriff des KörperBildes („body-image“; vgl. Fisher & Cleveland, 1968) wiedergegeben, womit alle den eigenen Körper umfassenden subjektiven Erfahrungen gemeint waren. Ebenso verwendet man den Begriff der Körpererfahrung. Da es sich bei den Begriffen jedoch um Konstrukte handelt, ist deren Abgrenzung meist nur in Zusammenhang mit spezifischen Fragestellungen zu erkennen und selten einheitlich. Für die vorliegende Untersuchung ist dies weniger relevant. Wesentlicher ist hier ein grundsätzliches Verständnis, dass Körpererfahrung und Körpererleben nicht in einem wahrnehmungspsychologischen Sinne (als Wahrnehmung der Körpergestalt) erfasst werden, sondern dass sie Aspekte des Erlebens des eigenen Selbst darstellen und als solche auch subjektiv erfragt werden können. Beispielhaft werden in der folgenden Abbildung (vgl. Abb. 3) einige Kategorien der Körpererfahrung angeführt, die als Auswertungsbestandteile für die Erfassung von Einstellungs- und Verhaltensmustern bei Führungskräften eine Rolle spielen. Die angefügten Beschreibungen im unteren Kasten stellen mögliche Ausformungen, jedoch keine gesetzten Merkmale dar.
26
Abb. 3:
Überblick über Aspekte der Körpererfahrung (angelehnt an Paulus, 1982, S. 11)
Unser Lebensgefühl, der eigene Selbstwert und die Selbstzufriedenheit hängen in weiten Teilen mit der Einstellung und dem Bild zusammen, das jeder von seinem Körper hat. Die positive Einstellung zum Körper ist dabei sogar eine ebenso notwendige Voraussetzung für ein positives Selbstwertgefühl, wie ein Mindestmaß an Selbstwert Voraussetzung für das Leben ist (Mrazek, 1986). Entwicklungsperspektivisch betrachtet, stellt die Körpererfahrung den Kern der Selbsterfahrung dar. Aus der Erfahrung des eigenen Körpers heraus und um diese Erfahrung herum konstituiert sich die Persönlichkeit eines Menschen. Das erste was beispielsweise ein Säugling erlebt, sind körperliche Veränderungen in seinem Inneren. Er spürt, wie sich durch äußere und innere Reize Spannung auf- und wieder abbaut. Später entwickelt er ein Wissen um die Form seines Körper und seine Körpergrenze. Anhand des Körpers erkennt er irgendwann "Ich" und "Nicht-Ich" im Spiegel. Die Entwicklung des Kindes 27
setzt sich über die Entwicklung des Körpers mit verschiedenen Möglichkeiten der Bewegung, ja sogar über das Erleben körperlicher Schmerzen (Zähne kriegen) fort. In der Folgezeit werden mit dem Wissen über den eigenen Körper auch Einstellungen und Konzepte zu Gesundheit und Krankheit sowie zu sich selbst erlernt. Die Verselbständigung des Kindes verläuft parallel zur Differenzierung des Körpererlebens (Teegen, 1994) und durch das ganze weitere Leben ergänzen sich dann Körper- und Selbsterfahrung (Paulus, 1986). Wie wichtig der stimmige Bezug zum eigenen Körper ist, zeigen Untersuchungen an schizophrenen Jugendlichen. Sie haben mit dem Verlust eines sicheren Bezuges zum eigenen Körper, mit der Körperentfremdung (beispielsweise wenn der Körper ohne bewusste Einflussmöglichkeit mit Stimmen, Empfindungen reagiert) den Bezug zur Realität verloren. Darauf reagieren sie mit Verwirrung, Unsicherheit oder Verzweiflung (Teegen, 1994). Der Verlust der Körperkontrolle ist wie ein Verlust der Selbstkontrolle. Gerade auch Führungskräfte mit Burn-Out-Symptomen haben damit zu kämpfen, dass der Körper nicht mehr dem eigenen Willen folgt und Störungen der Konzentration, des Schlafes, Herzstolpern oder unendliche Müdigkeit „produziert“. Geht man davon aus, dass Körpererleben und Selbsterleben komplementär sind, so haben beispielsweise länger andauernde Erfahrungen der Müdigkeit und Erschöpfung tiefgreifende Auswirkungen auf das Selbsterleben, die Persönlichkeit und letztlich das Verhalten. Doch die Zusammenhänge zwischen Körpererleben und Selbstkonzept lassen auch den umgekehrten Schluss zu. So ließ sich beispielsweise zeigen, dass sportliche Aktivitäten oder körperliches Training die Körperzufriedenheit steigern, damit das Selbstwertgefühl erhöhen und so zu einer erhöhten emotionalen Stabilität beitragen (Mrazek, 1986, S.237). Ebenso haben Personen, die sich objektiv körperlich leistungsfähiger als Andere erweisen, in der Regel eine positivere Einstellung dem eigenen Körper und somit sich selbst gegenüber (ebd., S.238).
28
Allerdings richtet sich Körperzufriedenheit immer an einem individuellen und subjektiv sehr verschiedenem „Soll-Zustand“ aus. Dieser ist zum Ersten geprägt durch die persönliche Entwicklung (ein Mensch, der seit seiner Kindheit viel Sport betreibt, wird einen recht hohen Soll-Wert für körperliche Leistungsfähigkeit entwickeln). Zum Zweiten entsteht der Sollwert auch durch soziokulturelle Normen. Wie hat eine Führungskraft zu wirken? Dynamisch, fit, gesund und schön? In der Summe entsteht ein individuell und kulturell geprägtes Bezugssystem, das den Umgang mit dem eigenen Körper bestimmt. Es legt weiterhin fest, wie viel Bedeutung die Körperzufriedenheit im gesamten Selbstkonzept einnimmt: Was bedeutet beispielsweise körperliche Attraktivität für den Einzelnen? Bewunderung, Anerkennung, Vorteile im Konkurrenzkampf etc.? Was bedeutet körperliche Leistungsfähigkeit für die eigene Identität? Hier sind vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede bekannt. Eine Untersuchung an 3300 Personen im mittleren Alter (Mrazek, 1984) zeichnet ein Bild, bei dem das Verhältnis des Mannes zu seinem Körper durch Kontrolle, wenig Aufmerksamkeit und einem hohen Leistungsanspruch gekennzeichnet ist. Frauen hingegen sehen ihren Körper eher als Basis für sozialen Erfolg, sind bedacht auf ein angenehmes Äußeres und achten verstärkt auf ihren Körper. Diese Daten werden zumindest für Männer in einer qualitativen Studie (Bongers, 1986) bestätigt. Wie aber sieht das Gefüge heute, ca. 15 Jahre später aus? Wie gestaltet es sich in der Gruppe der weiblichen und männlichen Führungskräfte? Vieles deutet darauf hin, dass das oben zitierte Gefüge ins Wanken geraten ist und gerade auch bei Frauen die Lust auf Körper durch die Lust auf Leistung ersetzt worden ist. Andererseits gewinnt der attraktive, jugendlich, schlanke Körper auch bei Männern immer mehr an Gewicht. Das Einkommen von schlanken Menschen ist nachweislich höher, als das von Übergewichtigen, so Bässler (1997) und neue Zeitschriften für Männer werben mit Tipps 29
und Tricks für einen schönen Körper: „So sieht Ihr neuer Körper aus!“ (men’s health, 6/1999). Die Frage nach der Einstellung zum Körper scheint nicht nur unter Aspekten des Selbsterlebens von Bedeutung zu sein, sondern auch, um Zusammenhänge zwischen Körper, Gesundheit und individuellem Verhalten der Führungskräfte vor dem Hintergrund der kulturellen Norm einer Unternehmenskultur besser zu verstehen. Denn der Körper hat nicht nur eine spezielle Bedeutung für den Einzelnen, der die innere Haltung sich selbst gegenüber mitbestimmt, sondern er erhält ebenso eine zentrale Bedeutung in der Interaktion mit der Umwelt. Das Ich wird über den Körper erst sichtbar gemacht und der Körper wird zunehmend als Ausdruck innerer Werte und der Persönlichkeit gesehen. Unter diesem Aspekt wäre er als eine Oberfläche zu betrachten, die durch Kleidung, Bewegung, Körperhaltung usw. Informationen für die anderen transportiert. Durch diese „Körperhülle“ kann die Person Ähnlichkeiten oder Unterschiede, Zugehörigkeit oder Abgrenzung zu anderen Personen signalisieren. Dem äußeren Erscheinungsbild wird Symbolcharakter beigemessen. Inwieweit ist der Körper jedoch tatsächlich Ausdrucksfeld bestimmter Persönlichkeitseigenschaften? Oder wird er einfach zum Prestigeobjekt und Statussymbol? 2.2.2
Der Körper als Ausdruck der Persönlichkeit
Seit jeher ist es möglich gewesen, das eigene Selbst mit Statussymbolen zu inszenieren und damit die symbolische Wirkung von Autos, Kleidung, Schmuck etc. zu nutzen. Auch der Körper wurde und wird vor allem in seiner Haltung und mit einer entsprechenden Bekleidung dafür eingesetzt, um die eigene Position und Persönlichkeit entsprechend zu demonstrieren, und bestimmte Werte zu transportieren (Norz, 1999). Ganz ursprüngliche Verbindungen von Fühlen, Denken und Handeln mit dem Körper sind sogar in unserer Sprache enthalten. Einige Beispiele: 30
„Die Angst sitzt uns im Nacken“ – in beängstigenden Situationen ziehen wir die Schultern hoch und spannen die Nackenmuskeln an. „Rückrat zeigen“ – Menschen, die ihre eigene Position auch gegen andere behaupten, gelten als „aufrecht“ , im Gegenzug spricht man von Menschen, die sich überall anpassen, dass sie „kein Rückrat haben“. „Halsstarrig sein“ – eine gewisse Sturheit geht nicht selten mit einer eingeschränkten Beweglichkeit im Kopf- und Nackenbereich einher. „Nichts auf die leichte Schulter nehmen“ – wir halten die Schultern hoch und können sie nicht locker hängen lassen. Die Redewendungen nutzen eine Annahme, dass bestimmte „innere“ Haltungen auch mit sichtbaren Körperhaltungen bzw. -reaktionen verbunden sind, was den vier Erlebnisebenen (Gedanken, Gefühle, Körper und Verhalten) entspricht. Was verkörpern wir also, unabhängig davon, dass unser Körpererleben ein wichtiger Teil des Selbsterlebens ist? Gehen wir von der Annahme aus, dass die Persönlichkeit dem Körper inne wohnt und diesen formt, ebenso wie der Körper mit seiner Haltung und seinen Ausdrucksmöglichkeiten die Persönlichkeit beeinflusst.9 Dies alles geschieht im Zusammenspiel
9
Haben Sie zum Beispiel schon einmal versucht, mit hängenden Schultern und vorne zusammengezogener Brust eine fröhliche und weltoffene „innere“ Haltung einzunehmen? So ist bekannt, dass chronisch latente Angst häufig chronisches Zusammenziehen des Körpers und Verflachung der Atmung bedingt („Angst“ hat den gleichen Wortstamm wie „Enge“) (vgl. Scheskat, 1996, S. 168).
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von sozialer Prägung (Sozialisation durch das Umfeld) und individueller Gestaltung und Entfaltung (Personalisation/Selbstverwirk-lichung)10 (vgl. Sollmann, 1999). So „verkörpern“ wir in der Summe eine ganze Reihe psychischer und psychosozialer Muster, die schließlich unsere Lebensgeschichte, persönliche Einstellungen und die Art und Weise, wie sich im wahrsten Sinne des Wortes „durch das Leben bewegt wird“, widerspiegeln. (vgl. Abb.4). Hier steht also ein Leib-Seele-Verständnis dahinter, das zwar weiterhin in einen geistig-seelischen und physischen Bereich unterscheidet, das jedoch von einer direkten Wechselbeziehung und von der Möglichkeit ausgeht, das Geistige über den Körper zu beeinflussen und umgekehrt. Schon Wilhelm Busch dachte in diese Richtung, als er befand: „Mitunter sitzt die ganze Seele in eines Zahnes dunkler Höhle.“ Dieser Blickwinkel auf den Körper ist vor allem deshalb interessant, weil sich damit Gesundheit und körperliche Symptome eben nicht auf medizinische Daten reduzieren lassen, sondern weil sie mit diesem Verständnis auch sehr stark innere Haltungen und den Einfluss mentaler Belastungen anspre-
10
Vertiefte Hintergründe dazu bieten beispielsweise die Konzepte der Bioenergetik (Lowen, 1988, 1981; Sollmann 1999). Sie erklären, auf welcher Grundlage sich Psychisches in Physischem manifestiert und umgekehrt. Grundlage des bioenergetischen Verständnisses ist es beispielsweise, dass lebendiges Leben als energetischer Prozess verstanden wird und sich Lebensprozesse als energetische Prozesse wie Erregung, Anspannung, Entspannung, Entladung und Loslassen nachvollziehen lassen und der Körper im speziellen diese Prozesse spiegelt. Dahinter stehen Modelle der Persönlichkeitsentwicklung mit der grundlegenden Orientierung, dass der Mensch nach Lust strebt und Schmerzen entflieht.
32
chen. So wird in der Wissenschaft auch davon ausgegangen, dass körperliche Anspannungen oft die Funktion erfüllen, Emotionen zu unterdrücken oder zu verdrängen, um damit ein inneres Gleichgewicht, einigermaßen wahren zu können (vgl. Schrauth & Geuter, 1997). Doch vor allem dieses „NichtAusdrücken-Können“ bzw. das Nicht-Erkennen von Emotionen stellt eine entscheidende Prädisposition für psychosomatische Symptome (wie Magengeschwüre, Migräne, Tinnitus etc.) dar. Die Grundlage hierfür wird in dauerhaft (nicht ausgedrückten) physiologischen Übererregungen gesehen, die schließlich zu organischen Dysfunktionen führen (vgl. Franke & Möller, 1993, S.10). Ich kann meinen Ärger nicht ausleben. Das ist eines meiner Probleme, stattdessen brüte ich einen Tumor aus. (Woody Allen in „Stadtneurotiker“)
Geistig-seelischer Bereich: Psyche Spiritualität “Kopf”
Physischer Bereich: Soma, “Körper”
Bilder Gedanken
Bewegungen Gefühle
LEBENSGESCHICHTE Sozialisation
Personalisation
Biologische Anlagen
Abb. 4:
Wechselwirkungen zwischen psychischen und physischen Mustern im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung 33
Könnte aber nicht umgekehrt über ein differenziertes Körperbewusstsein, über den Abbau von körperlichen Fehlhaltungen, über die Wiederaneignung der körperlichen Beweglichkeit und Freiheit auch Einfluss auf geistig-seelische Vorgänge und schließlich auf die Leistungsfähigkeit genommen werden? Und weiter gefragt: ¾
¾
¾
3
Inwieweit eröffnen bisherige gesundheitspräventive Maßnahmen für Führungskräfte mit den Schwerpunkten Bewegung, Ernährung und Entspannung wirklich ein ganzheitliches Verständnis des Menschen, das den Körper auch unter dem Blickwinkel von Konflikten, Emotionen, biografischen Daten und der aktuellen Lebenssituation betrachtet? Wie können Führungskräfte, deren geistig, seelischer und körperlicher Einsatz gefragt ist und die tatsächlich Führungspersönlichkeiten verkörpern sollen, ganzheitlich daraufhin betreut werden? Welches Verständnis vom Menschen braucht es dafür?
Die Leiden der Leitenden: Führungskräfte und ihr Körper
Das folgende Kapitel liefert ein Situationsbild aus bisher existierenden Ergebnissen und Befunden zum körperlichseelischen Wohlbefinden, zur Gesundheit und der Bedeutung von Fitness bei Führungskräften (aus Sportwissenschaft, Gesundheitspsychologie, Stressforschung).
3.1
Versuch einer phänomenologischen Bestandsaufnahme
3.1.1
Gesundheit, Stress und Gesundheitsbewusstsein Alles in allem kann man die Menschen in drei Klassen einteilen: Solche, die sich zu Tode arbeiten, solche, die sich zu Tode sorgen, und solche, die sich zu Tode langweilen. (Winston Churchill)
34
Seit einiger Zeit häufen sich die Veröffentlichungen über die Gesundheit von Managern. Schlagzeilen wie die Folgenden prägen das Bild: „Zu krank für die Karriere?“ (Schrader in manager magazin, 1/1999), „Jeder vierte Manager ist gesundheitlich gefährdet“ (Klemusch, 1998). Von Dauer-Power, kampfbereiten Körpern, Höchstleistung, Alarm, Flucht und Risikofaktoren ist die Rede. Vergleicht man diese Schlagzeilen mit den oben dargestellten Anforderungen, so meint man zunächst, es ginge um unterschiedliche Personenkreise. Bei näherem Hinschauen entsteht der Verdacht, dass der allzeit leistungsfähige und vor allem zufriedene „Macher“ ein Mythos ist, den Managermagazine und Unternehmen genauso einseitig falsch propagieren wie den kränkelnden, blassen und ausgebrannten „Übriggebliebenen“. Die Extreme sind durchaus vorhanden, jedoch scheint die zahlenmäßig stärkste Wahrheit irgendwo dazwischen zu liegen. Das Institut für Arbeits- und Sozialhygiene (IAS) in Karlsruhe führte und führt umfangreiche Studien über den Gesundheitsstatus, gesundheitliche Risiken und Stress bei Führungskräften durch. Mit mehr als 12.000 protokollierten Check-ups bei Führungskräften besitzt das Institut eine der größten Datensammlungen über die Gesundheit von Managern, weniger jedoch von Managerinnen. Das heißt, alle nachfolgenden Ergebnisse sind auch unter dem Aspekt dieser ungleichen Verteilung zu sehen. •
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• •
Die Statistik des IAS (basierend auf 6000 Untersuchungen, 90% Männer im Durchschnittsalter von 49 Jahren) zeigt unter anderem folgende Daten (Klemusch 1998a/b; Schrader, 1999): 85 % der Untersuchten leiden unter vegetativen Beschwerden oder Befindensstörungen an Herz, Kreislauf und Magen (u. a. Schlafprobleme, Reizmagen, Verdauungsstörungen, Herzstolpern). 75 % zeigen einen gestörten Fettstoffwechsel mit überhöhtem Cholesterinspiegel. 73 % klagen über Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden (v. a. Rückenschmerzen) 35
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Bei 38 % zeigen sich Gewichtsprobleme, bei 15 % erhöhter Blutdruck und bei 20 % übermäßiger Nikotingenuss. 21 % bezeichnen psychische Beschwerden wie Reizbarkeit, depressive Stimmung und Erschöpfungszustände.
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Vergleicht man diese Daten mit denen der deutschen Normalbevölkerung, so lässt sich feststellen, dass Führungskräfte in Bezug auf Rauchen, Alkohol und Bewegung gesünder leben und in Belastungs-EKG’s im Durchschnitt eine höhere physische Leistungsfähigkeit aufweisen. Im Bereich der vegetativen Beschwerden stehen sie jedoch schlechter da als die Gesamtbevölkerung. Mediziner sprechen hier von managerspezifischen Krankheitsbildern, die aufgrund der hohen Anforderungen, Zeitdruck und individuellem Stressverhalten zu Befindensstörungen, erhöhter Krankheitsanfälligkeit und Anspannungsgefühl sowie schließlich zu subjektiv empfundenen Leistungseinschränkungen und einem Verlust an Lebensqualität führen. Dies bestätigen auch die in einem Führungskräfteseminar berichteten Symptome der Teilnehmer: Nervosität, Unruhe Kopfschmerzen, Migräne, erhöhter Puls, Ohrensausen, Nachlassen der Sehschärfe, Kribbeln in den Beinen, Schlafstörungen, gesteigertes Ruhebedürfnis, verspannter Nacken. Bei entsprechender Chronifizierung entwickeln sich daraus nicht selten Herz-Kreislauf-Schäden oder organische Störungen im Verdauungssystem oder Bewegungs- und Halteapparat. Insgesamt seien die Entwicklungen eher schleichend, aber sich gegenseitig verstärkend, so Malte Klemusch (IAS, 1998). Eine Studie des Institutes Skolamed an 253 Führungskräften berichtet, dass unter den Nachwuchsführungskräften zwar nur 16 % ein höheres Herzinfarktrisiko als eine vergleichbare Altersgruppe aufweisen, dies jedoch auf der zweiten und dritten Führungsebene bereits 61 % betrifft. Für das Topmanagement erhöht sich das Risiko weiter (vgl. Schrader, 1999). Im Vorstand und auf der Ebene darunter, arbeitet jeder auf Kosten seiner Gesundheit – und die meisten wissen das auch. Zwar gebietet der Comment, dass der
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Manager niemals Schwäche zeigt und vor Freude über seine Last aufjauchzt. Jedoch: der Stress sucht nach der Schwachstelle im Körper und dann häufen sich die Ausfälle. (manager magazin, 1/1999).
Da sich die klassischen Risikofaktoren für Herz-KreislaufErkrankungen wie Rauchen, Alkohol und Bewegungsmangel bei Managern nachgewiesenermaßen in Grenzen halten, geht man von einem starken Einfluss der Komponente Stress und psychogener Faktoren aus. Zwei Drittel von insgesamt 283 befragten Managern des mittleren und oberen Managements fühlten sich durch das Berufsleben stark bis sehr stark psychisch belastet, jedoch nur ein Fünftel physisch (Bässler, 1997, S.74). Seit 1994 wurde vom IAS Karlsruhe eine Analyse des Stressverhaltens11 im Zusammenhang mit korrespondierenden Krankheitssymptomen sowie grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften und sozialen Fähigkeiten durchgeführt (vgl. Klemusch, 1998a). Im Ergebnis zeigten sich vier grundsätzliche Stresstypen: Typ 1: Angst und Anspannung (20,5 %) Typ 2: Verdrängung und mangelnde Selbstkontrolle (22,2 %) Typ 3:Herausforderung, Ehrgeiz, Selbstkontrolle (27,6 %) Typ 4: Gesundes und kontrolliertes Leben (29,7 %)
11
Als Stress wurde dabei jede – auch vermeintliche – Belastung körperlicher, geistiger, psychischer und affektiver Art aufgefasst.
37
Die Führungskräfte von Typ 1 berichteten vor allem von Gefühlen der Angst, Anspannung, Machtlosigkeit, Leistungseinschränkungen unter Druck und wiesen auch mit 8,3 Krankheitstagen pro Jahr die höchste Fehlzeitenquote auf. Dieser Typ zeigte sich als anfällig für Magen-Darm-Störungen und Schlafprobleme. Typ 2 war von einer sehr kontrollierten Lebensführung, Konfliktvermeidung und Nachgiebigkeit gekennzeichnet. Typ 3 könnte man als den typischen Macher bezeichnen, er zeigte hohe Werte im Bereich des Ehrgeizes, der Herausforderung, der Überzeugungskraft, des Beschäftigungsdranges und der kontrollierten Lebensführung. In der gesundheitspsychologischen Literatur ist dieser Typ auch als Typ A bekannt. Ihn kennzeichnet Ungeduld, Konkurrenzverhalten, Zeitdruck, die Tendenz, Erschöpfung zu verleugnen und ein ausgeprägter Wille, bis an die Grenzen der Belastbarkeit zu gehen. Dieser Typ gilt als besonders Herzinfarkt gefährdet. Typ 4 hingegen zeigte ein ausgeprägtes Präventionsverhalten, eine gewisse Gelassenheit und eine kontrollierte Lebensführung. Er galt als der Typ mit den geringsten Befindensstörungen. Speziell zum Bereich der mentalen Belastungen und psychischen Erkrankungen bei Führungskräften liegen bisher nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen vor. Das Phänomen des „Burn-out“ wird nach wie vor als weitgehendes Problem sozialer und helfender Berufe betrachtet. In Gesprächen zur Vorbereitung meiner empirischen Untersuchung wurde von Seiten des Werksärztlicher Dienste sowie der Sozialberatung ein zunehmender Anstieg psychosomatischer Erkrankungen wie beispielsweise Tinnitus oder eine steigende allgemeine Angst berichtet. Bei einem weiten Personenkreis zeigte sich außerdem eine grundlegende Einschränkung der Entspannungsfähigkeit. Gerade an Positionen, an denen die mentalen Belastungen, die Arbeitszeit und 38
der Druck stark gestiegen sind, werden ähnlich der Karlsruher Studie in weiten Teilen Störungen des Wohlbefindens, eine geminderte Leistungsfähigkeit und eine verringerte Lebensqualität vermutet. Doch diese Einschränkungen seien eher tabu, im Gegensatz zu „anständigen“ Krankheiten (Rückenbeschwerden, Knieproblemen, Magenstörungen, Erkältungen), die zugegeben würden. Für Viele scheint so der Spagat zwischen „innen“ und „außen“ alltäglich zu werden: Außen erfolgreich, abgeklärt, lässig, Kraftpaket und „innen“ Vakuum, Selbstzerstörung, geringe Belastbarkeit. Mediziner entdecken aber unter der scheinbar intakten Außenhaut immer häufiger eine neue Form der Depression. Als „rastlos, freudlos, schlaflos“ bezeichnen sie diese Personen, die nach außen hin keinesfalls depressiv erscheinen. Die Betroffenen stürzen sich in Arbeit, machen Sport, wirken dynamisch und durchtrainiert, lediglich die Dosis muss ständig erhöht werden, der Einsatz wird zwanghafter und die Verstimmungen gegen die anfänglich mit Sport und Arbeit gekämpft werden konnte, bleiben bestehen. Mangelnde Befriedigung, Dauergrübeln, Freud- und Rastlosigkeit sind die Symptome der sogenannten larvierten Depression, die mehr und mehr bei den „Machern“ unserer Gesellschaft beobachtet wird: Das ist typisch für die aktiven Depressiven, sie begeben sich freiwillig in das Hamsterrad und rennen mit ungeheurer Energie gegen ihre Schwierigkeiten an – bis sie irgendwann die Kontrolle über das Tempo verlieren, vom Rad getrieben werden und um ihr Leben rennen müssen, um nicht zu stolpern und sich nicht das Genick zu brechen. (Stern, 43/1998).
Stress und die damit verbundenen Erkrankungen entstehen letztlich aufgrund zahlreicher Wechselbeziehungen zwischen Umwelt- und Dispositionsfaktoren der Führungskraft, die im Ergebnis in eine Überforderung oder Bedrohung münden. Dabei sind Anforderungen durch das Umfeld des Managers niemals Stressoren an sich, sondern nur dann, wenn sie aufgrund von Erfahrungen, nicht vorhandenen Ressourcen oder 39
bestimmten erlernten Reaktions- und Bewertungsmustern als solche empfunden werden. Stress ist damit also auch immer persönlich erlebter und verarbeiteter Stress (vgl. Lazarus, 1984, Lucas, 1996, Sollmann, 1999). Sieht sich der Organismus Bedrohung und Angst ausgesetzt, reagiert er mit evolutions-biologisch angelegten, bei allen Menschen ähnlichen physiologischen Mustern (Verflachung der Atmung, Steigerung des Blutdrucks, etc.). Unabhängig davon bildet jeder Einzelne ein persönliches Stressprofil aus. Das heißt, dass Menschen unter Stress häufig unwillkürlich auf ursprüngliche, in der Kindheit erlernte (und damals bewährte) Lösungsmuster zurückgreifen, um den Konflikt zu lösen und mit der Stressreaktion umzugehen. Diese typischen Muster der Konflikt- und Krisenbewältigung sind Teil der Persönlichkeitsstruktur und haben ihre Entsprechung in Verhaltensmustern, inneren Bildern, gedanklichen Vorstellungen, Gefühlen und im Speziellen in einer funktionalen Ausprägung des Körpers wie Körperhaltung, Bewegung, Mimik, Stimme, Atmung, Art der Verdauung usw. (vgl. Sollmann, 1999, S.19-41). Vor allem auf der emotionalen und physiologischen Ebene sind diese Muster sehr stabil. Zum Tragen kommen sie vor allem in Stresssituationen und schränken damit automatisch die Wahrnehmung, das Denken und Verhalten ein. Das heißt, auf eigene Ressourcen (Wissen, Können, Erfahrung) kann in Stresssituationen teilweise nicht zurückgegriffen werden, da der Organismus anderweitig blockiert ist. Man geht davon aus, dass bei chronischem Stress das Gleichgewicht des Organismus dauerhaft verschoben ist und damit Grundlagen für viele Erkrankungen gelegt werden.
40
3.2
Was macht Führungskräfte krank?
3.2.1
Belastungsfaktoren an der Schnittstelle von Lebens- und Arbeitsstil12:
Seit Jahren erforscht und als gesundheitsgefährdend beachtet, wird das Typ A Verhalten, das viele Führungskräfte an den Tag legen. Es gilt als Ursache vieler Herz-KreislaufErkrankungen und geht häufig einher mit Zeitdruck und Ungeduld sowie der Jagd nach greifbarem und messbarem Erfolg. Dazu kommt die Tendenz, Belastungen und Erschöpfungszustände zu verleugnen und bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit zu gehen. Warnsignale, die auf eine Schieflage der körperlich-seelischen Befindlichkeit hinweisen, werden zwar gespürt, jedoch unterdrückt. Obwohl es ein gesundheitsgefährdender Lebens- und Arbeitsstil ist, ist es ebenso einer, der von unserer Gesellschaft geschätzt und gerade von Männern erwartet wird. Ehrgeiz, Unempfindlichkeit und Leistungs- bzw. Wettbewerbsorientiertheit sind Eckpfeiler, auf denen der Erfolg vieler Unternehmen gründet. Eng damit verwoben ist das Motiv, durch Leistung Anerkennung und soziale Unterstützung zu erhalten, welches sich nachweislich als wesentliche Konstitution für Stressentstehung (Lucas, 1996) erwiesen hat. Wenngleich das Leistungsmotiv als wichtige Triebfeder aus Unternehmen keineswegs mehr wegzudenken ist, so ist es doch gerade die ausschließliche Koppelung von Leistung und Anerkennung, die für Stresspotenziale sorgt. Nicht selten gehen andere Quellen der Anerkennung (Familie, Hobby, etc.) bei zunehmender Arbeitszeit und Mehr-Leistung verloren, so dass die Arbeit zur einzigen
12
Die Kategorisierung in Einzelbereiche dient lediglich dem größeren Überblick. Die Realität hat zahlreiche wechselseitige Bedingungen und Zusammenhänge.
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„Tankstelle“ für Anerkennung avanciert. Mehr Anerkennung bedeutet mehr Arbeit und mehr Arbeit bedeutet mehr Stress und so setzt sich der Kreislauf fort. Dabei zeigen Führungskräfte eine sehr hohe Belastbarkeit und vor allem eine starkes Selbstbewusstsein, gepaart mit guten Kontrollmechanismen und anderen Ressourcen, die ein Stressempfinden stark modulieren können. So entsteht häufig der Widerspruch, dass physische Stresssymptome nachweisbar gemessen werden, die Führungskräfte jedoch Zufriedenheit und ein Empfinden von „lediglich“ gesundem Stress (Eustress) angeben. Damit würden sie zu den sogenannten „zufriedenen Workaholics“ gehören. Da trotz der Zufriedenheit, die Stressoren jedoch weiter bestehen und Auswirkungen im Organismus hinterlassen, kommt es auch hier zu den bekannten Symptomen, die langfristig zu Schäden führen (vgl. Weiß, Schneewind & Olson, 1995). 3.2.2
Belastungsfaktoren an der Schnittstelle von Organisation, Arbeitsaufgaben und Person
Neue Organisations- und Arbeitsstrukturen (Projektorganisation) sind heute an der Tagesordnung, treffen jedoch ihrerseits auf alte Denk- und Handlungsstrukturen (hierarchisches Denken). Daraus ergeben sich Konflikte und Herausforderungen für Führungskräfte, die mit den Themen Rolle und Verantwortung verknüpft sind. Besonders Positionen im mittleren Managements gelten wegen ihres „Sandwich-Charakters“ als belastend. Ver-zweiflung ist der häufige Ausdruck für die Zerrissenheit zwischen oberem Management und Mitarbeitern. Eine Führungskraft beschreibt das so: „Wie viele Seelen wohnen, ach in meiner Brust?“. Gerade Rollenkonflikte und -ambiguität sowie Erfolgsunsicherheit gelten u.a. als auslösende Faktoren für Burn-out (Gusy & Kleiber, 1997). Durch neue hierarchiefreie, prozessorientierte Arbeitsstrukturen und alte hierarchische Denkweisen entstehen sehr häufig Konflikte, bei denen es weniger um die Sache, als um die Verteilung von Macht geht (Heintel & Krainz, 1994). Das heißt, in vielen Fällen werden 42
die Konflikte direkt auf der zwischenmenschlichen Ebene ausgetragen. Sie können bis zum Mobbing führen und dauerhaft Stresspotenzial bieten. „In einer Welt, in der nur die Stärksten überleben, ist jeder mein potentieller Feind“, beschreibt ein Mitarbeiter der Sozialberatung bei DaimlerChrysler die Situation. Je höher die Komplexität und zunehmenden Veränderungen, desto eher entwickelt sich ein weiteres charakteristisches Anforderungsmerkmal an Führungskräfte, das selten offiziell erwähnt wird, das jedoch viele Belastungsfaktoren in sich birgt: das Management von Widersprüchen. Zielsetzung, Planung, Strukturierung ist einerseits erwünscht, denn die Welt des Managements ist die des Kalküls, der scheinbaren Kontrolle (vgl. Freimuth & Stoltefaut, 1997). So sind Strukturiertes Vorgehen und strategische Konzepte gefragt, doch die komplexe Realität mit ihrer steigenden Beschleunigung und schwindenden Steuerbarkeit lässt diese Beherrschbarkeit kaum mehr zu. Angst, Unsicherheit und Gefühle der Inkompetenz sind die Folge. Auch die widersprüchlichen Dimensionen Kooperation einerseits und Konkurrenz andererseits sind als Stressfaktoren aktueller denn je. Der Wettbewerb erfordert harte Bandagen mit Durchsetzungsvermögen, Rücksichtslosigkeit und individuellem Erfolgsdenken und gleichzeitig ist Kooperation eine Möglichkeit mit Synergien besser als die Konkurrenten zu sein. Der Betriebsrat der Firma IBM fasst pointiert den Widerspruch zusammen, dem sich viele Führungskräfte heute ausgesetzt sehen: „Macht, was ihr wollt, aber seid profitabel“. Es ist eine Mischung aus ‚ganz toll‘ und ‚ganz schlimm‘. Selbst entscheiden zu können, das ist toll. Die eigenen Ideen verwirklichen zu können, das ist begeisternd. Aber der Druck und die systematische Überforderung, das ist ganz schlimm. (Kerber, 2000, S. 33)
43
Die Veränderungen werden zum Prüfstein – man fühlt sich wie ein Hamster im Rad. Es erkranken dann diejenigen wirklich, die emotional instabil sind und kein stützendes Umfeld haben. (Sozialberatung DaimlerChrysler)
Gerade Angst ist eines der Belastungsphänomene, das im Zuge ständiger Widersprüchlichkeiten und permanenter Veränderungen selbst Symptom und gleichzeitig Ursache für weitere psychische wie auch physische Störungen ist. Denn auf körperlich-seelischer Ebene bedeutet Angst einen permanenten Anspannungs- und Stresszustand mit jeweils individuellen Ausprägungen (erhöhte Pulsfrequenz, schnellere, flachere Atmung, angespannte Muskulatur, Einschränkung der Konzentrations- und Denkfähigkeit u.a.). Nicht umsonst bedeutet der lateinische Wortstamm von Angst gleichzeitig „Enge“ und weist damit auf die physiologischen Auswirkungen der Angst hin. Häufig wird mit Alkohol, Schlaf- und Beruhigungstabletten reagiert, um damit fertig zu werden. Wenn Gefühl und Verstand dauerhaft auseinander klaffen, entstehen psychosomatische Beschwerden. Das Thema „Angst“ ist in der Literatur noch sehr wenig erforscht, wird jedoch zunehmend zumindest erwähnt: „Neue Arbeitswelt – neue Ängste“ betitelt ein Artikel die Zukunft der Arbeit (Kerber, 2000, S.32). Die 205 befragten Führungskräfte berichteten u. a. folgendes: • • • •
69,2 % Angst vor Arbeitsplatzverlust 68,8 % Angst vor Krankheit 58,6 % Angst davor, Fehler zu machen 43,9 % Angst vor Fehlinformationen.
Die Auswirkungen der Angst auf das Verhalten zeigen sich u. a. in Absicherungsdenken und einer mangelnden Fehlerkultur, die sonst schnell Kurskorrekturen ermöglichen würde. Das dahinter stehende Motto lautet: „Wenn Du über meine Fehler nichts sagst, sage ich auch nichts über deine.“ In Zeiten zunehmender Veränderungsnotwendigkeit ist dies natürlich fatal, wird doch damit Lernen konsequent untergraben. Da jedoch 44
andererseits Angst beschleunigt und zum Aktionismus anregt, entsteht eine Beschleunigungs- und Aktionismusspirale. In der Summe wird weniger über Fehler gesprochen, dabei aber immer schneller gehandelt und immer mehr kaschiert. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene spricht man bereits vom „Kostenfaktor Angst“ und die entsprechenden Belastungen der Betriebe werden bereits auf einige Milliarden D-Mark beziffert (Panse & Stegmann, 1998). Ständige Beschleunigung ist wiederum zugleich Ursache und Wirkung in krankmachenden Prozessen. Auch hier existieren keine Studien, doch wird bei Beobachtungen immer klarer, dass die zunehmende Betrachtung der Arbeit als technischen Prozess den biomorphen Rhythmus des Menschen völlig außer Acht lässt und somit kategorisch Zeiten für Regeneration und Ruhe ausspart. Es herrscht das Bild vom Roboter mit auswechselbarer CD-Rom und einem guten Programmierer an der Seite. Schon ein Hauch des Stehen-Bleiben-Wollens ist nicht erlaubt und führt zur Selektion: Du bist nicht bereit, mitzugehen. (Sozialberatung DaimlerChrysler)
Neben diesen auch sehr stark emotionalen Belastungsfaktoren steht ein Aspekt, der den Körper in seiner Beweglichkeit und Flexibilität betrifft. „Verurteilt zum lebenslangen Sitzen“ wird das bezeichnet, was statische Arbeitssituationen ausmacht. Äußere Bewegungsabläufe werden auf telefonieren, schreiben, kopieren, lesen und gelegentliche „Rundgänge“ oder „Termingänge“ beschränkt. Allen unterschiedlichen Branchen gemeinsam ist das zunehmende Sitzen am Schreibtisch und in Sitzungen. Bei einer durchschnittlichen Lebensarbeitszeit von ca. 90.000 Stunden entfallen unglaubliche 80.000 Stunden auf sitzende Tätigkeiten. (Gollner et.al., 1992, S.210). Dabei ist nachgewiesen, dass durch Bewegungsmangel zahlreiche Krankheitserscheinungen (Herz-Kreislauf, Stoffwechselsystem sowie Halte- und Bewegungsapparat) gefördert werden. 45
Wenngleich viele der oben genannten Aspekte und Schnittstellen durchaus ein hohes Belastungspotential aufweisen, so lassen sich dennoch keine allgemeingültigen und vor allem linearen Ursache-Wirkungszuschreibungen vornehmen. Vielmehr ist immer von Wechselwirkungen auszugehen, die durch Person und Umfeld bedingt sind. In der Praxis geht es zunehmend darum, Gefüge und Muster verschiedenster Faktoren in ihren Auswirkungen zu verstehen.
3.3
Was hält Führungskräfte gesund?
Obwohl einschlägige Ratgeber für die „gute“ Führungskraft seit Jahren den Markt überschwemmen, gibt es kaum Studien dar über, was Führungskräfte gesund erhält. Natürlich ist anzunehmen, dass sich die gesunderhaltenden Faktoren kaum von denen anderer Berufsgruppen unterscheiden. Dort beschreibt die klassische Gesundheitspsychologie folgende Schutzfaktoren (vgl. Ohm, 1997): • • • • • • • •
Kohärenzgefühl („Ich blicke durch und kann sinnvoll handeln“) sozialer Rückhalt („Unterstützende Menschen an meiner Seite sind wie eine Insel“) Sexualität („Wer liebt, lebt länger“) Humor („Wer lacht, lebt länger“) Genussfähigkeit („Wer nicht genießt, wird ungenießbar“) Lebenssinn („Was erfüllt mich mit Sinn in meinem Leben?“) Sport und Bewegung („Wer sich bewegt, bleibt geschmeidig im Leben“) Entspannungsfähigkeit („Zupacken und wieder regenerieren können“)
Die Studie von Hofmann (1999) scheint sich zu bestätigen, denn sie findet in ihrer qualitativen Untersuchung bei Führungskräften ähnliche Ressourcen, die als Schutzfaktoren angegeben wurden. 46
Persönliche Ressourcen: • • •
allgemeiner Optimismus Balance zwischen Autonomie/Durchsetzungs-fähigkeit und Einfühlungsvermögen ein Pool an gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen (Sport, Entspannungstraining, Meditation etc.)
Externe Ressourcen: • • •
soziale Unterstützung im beruflichen Bereich (gutes Klima, Anerkennung, Vertrauen, Gemeinschaftsgefühl) Selbstverwirklichung im beruflichen Bereich (Erfolg und Freude an der Arbeit, Situationskontrolle, Zielerreichung) Privatleben und Familie
Wenngleich diese Studie mit nur zehn untersuchten Führungskräften auskommt, so zeigt sich schon hier ansatzweise die Komplexität der Ressourcen selbst. Was heißt beispielsweise Privatleben und Familie als Schutzfaktor? Welche Bedingungen müssen dort gegeben sein, dass dieser Bereich auch tatsächlich als Ressource und nicht als weitere Belastung an der Schnittstelle zwischen Beruf und Privatem wahrgenommen wird? Wie muss Selbstverwirklichung gestaltet werden, um nicht möglicherweise (wie vorne erwähnt) als Stressquelle zu dienen, weil Leistung und soziale Anerkennung direkt miteinander verbunden sind? Weitere Fragen bleiben offen: Wie kommt es beispielsweise, dass einerseits so viel über die Belastungsfaktoren der Führungskräfte geforscht wird und andererseits die Schutzfaktoren kaum im Blickfeld sind? Wird nicht auch in der Führungskräfteentwicklung viel häufiger darauf abgezielt, Defizite zu beheben anstelle die Ressourcen zu stärken? Welche neuen/alten Belastungen ergeben sich unter heute veränderten Bedingungen der Globalisierung und welche neuen/alten Ressourcen können hier ein Gleichgewicht bilden? Wie allgemein können diese Aspekte überhaupt formuliert werden oder wo 47
muss einfach das Individuum mit seiner speziellen Einbettung betrachtet werden? Unter welchen Umständen wird eine potentielle Ressource wirklich als diese empfunden? Ist beispielsweise der Körper- und Fitnessboom Ausdruck eines gestiegenen Gesundheitsbewusstseins oder zusätzliche Belastung, weil es „in“ ist und Mann/Frau „in“ sein müssen, um erfolgreich zu sein?
3.4
„Wer fit ist, macht Karriere“ oder „Wer fit ist, bleibt gesund“? Manchmal läuft Fred Kogel nachts um halb eins, nach einem Geschäftsessen noch los. Nein, dann ist Laufen nicht schiere Lust wie sonst. Dann muss auch er sich quälen. ‚Aber hinterher‘, sagt der Sat 1 Chef, ‚da fühle ich mich saugut! Ich brauche das.‘. (Löhr & Pramann, 1999, S.179).
Ist der Sport bei Führungskräften Umsetzung des Gesundheitsbewusstseins, Ausgleich für die sitzenden Belastungen oder eine „In-Beschäftigung“, die letztlich der Selbstpräsentation dient? Unter welchen Gesichtspunkten gewinnt der Körper hierbei neue Aufmerksamkeit: Körperpflege oder Körperdisziplinierung? Wo sind überhaupt Grenzen? Was von der Fitness, von dem Sport bewirkt wirklich Gesundheit und höhere Leistungsfähigkeit? Viele der Fragen lassen sich theoretisch durch die Sportwissenschaft absichern, indem Trainingsumfänge, Belastungsgrenzen, Pulsfrequenzen, etc. bestimmt werden. Doch die Bedeutung der Fitness und des Sports scheint weit darüber hinaus zu gehen. Deshalb ist es erkenntnisreich, sich dem Symbolgehalt von Fitness und Sport zu widmen.
48
So gehen viele Abhandlungen zum Thema von der These aus, dass körperliche Fitness13 gerade im Beruf, aber auch in anderen Bereichen der Gesellschaft einen Erfolgsfaktor darstellt. Fitness wird als allgemeine Berufstugend angesehen: Bewegungsmangel ist nicht nur ein gesundheitlicher Risikofaktor, sondern in der Berufswelt zunehmend auch ein Aufstiegshindernis auf der Karriereleiter. (Löhr & Pramann, 1999, S.179)
Dabei rechnet man den Fitnesseffekten nicht nur eine erhöhte Leistungs- und Belastungsfähigkeit zu, sondern auch eine stärkere Ausstrahlung und Selbstsicherheit. Eine Studie der Harzburger Akademie (Wendehals, FAZ, 13.05.2000) mit 212 Managern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bestätigt, dass 75 % der Führenden an eine direkte Beziehung zwischen körperlicher Gesundheit und beruflichem Erfolg glauben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Bässler (1997).14 Sport wird im Zusammenhang mit Gesunderhaltung, Ausgleich und allgemeiner Fitness als sehr wichtig angesehen. Tatsächlich zeigte sich, dass Führungskräfte im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich sportlich engagiert sind (Ausdauersport, Tennis, Skilaufen, Wandern, Bergsteigen etc.). 83 % der Befragten trieben zumindest gelegentlich Sport. Als größter Hinderungsgrund galt jedoch der Zeitmangel. Er führte sehr häufig dazu, dass der Wunsch nach Bewegung und Sport bestand, die Realisierbarkeit jedoch sehr gering eingeschätzt wurde.
13
Fitness wird als „Sportivität“ verstanden, mit dem Ziel der Erhaltung und Förderung der Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Kondition in Verbindung mit Spaß und Freude (vgl. Bässler, 1997, S.67).
14
Die folgenden Ergebnisse stammen aus Bässler (1997, S. 64-90).
49
Insgesamt konnte Bässler (1997, S. 84ff) die Manager des mittleren und des Spitzenmanagements in vier Typengruppen im Umgang mit Sport einteilen: hohe körperliche und zeitliche Belastung im Beruf, wenig Freizeit, aber regelmäßiges Sporttreiben vorWorkaholics wiegend zum Stressabbau; Gesundheit und Fitness (50 %) wird als Sache der Eigenvorsorge betrachtet, es sollte lediglich vom Unternehmen honoriert werden; zwischen 35-50 Jahren dem Sport eher abgeneigtes Einstellungs- und VerKonservative haltensprofil (sowohl persönlich als auch für die (21 %) Unternehmenskultur); Durchschnittsalter bei 53 Jahren viel Freizeit und eher geringe Berufsbelastungen; Die saturierten hohes Gesundheitsbewusstsein (kein Rauchen, Alten gesunde Ernährung, Bewegung); selbst wenig sportaktiv; positive Einstellung zu Sport und Unter(14,5 %) nehmenskultur; Durchschnittsalter 61 Jahre starke psychische Berufsbelastungen, wenig echte Freizeit, Stress wird eher durch andere Aktivitäten Junge Aufstei- als durch Sport abgebaut, aber allgemeines Sportinger teresse und Interesse an unternehmensinternen (14,5 %) Fitnessangeboten; hohes Bewusstsein, dass sportliche Aktivitäten den Berufserfolg positiv beeinflussen können; Durchschnittsalter 28 Jahre.
Tab. 1:
Typengruppen von Managern im Umgang mit Sport
Die untersuchten Führungskräfte bestätigten den wissenschaftlich erwiesenen positiven Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit (vgl. Schwabenberger, 1989). Diejenigen, die regelmäßig Sport treiben, waren auch diejenigen mit deutlich weniger gesundheitlichen Risiken. Dennoch stehe beim Sport weniger das Gesundheitsmotiv als vielmehr Spaß, Wohlbefinden, Harmonie von Körper und Seele und Ausgleich zum Beruf im Vordergrund. Fraglich bleibt, ob diese Ergebnisse (Erhebungszeitraum 1991) heute, vor dem Hintergrund zahlreicher Veränderungen in den Unternehmen, noch Gültigkeit besitzen. 50
Allgemeine Beobachtungen und Experteninterviews mit Verantwortlichen des Betriebssports des DaimlerChrysler Konzerns lassen einen noch weiter steigenden Trend in Richtung Bewegung, Wellness und Fitness vermuten. Die Impulse hierzu stammen innerhalb des Konzerns jedoch wesentlich von Mitarbeitern und weniger von den Führungskräften. Die Führungskräfte verhindern’s nicht, aber fördern es auch nicht. Man muss erst erkennen, welches Potential darin steckt. Es gab mal ein Programm „Fit zum Führen“ mit dem Ziel Gesundheitswissen und Fitness als Teil des Führungswissens aufzubauen – das kam nicht zustande. Auch Ausgleich am Arbeitsplatz kam nicht zustande. Entweder es hat was mit Schwäche zugeben
Wie ist das zu erklären, wo doch gerade Erfolg und Fitness so eng verwoben zu sein scheinen? Wo sich die Fitnessphilosophie doch in weiten Teilen durchgesetzt hat und von einem gesteigerten Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Bewegung, Gesundheit und Leistungsfähigkeit auszugehen ist? Welche individuellen und organisatorischen Faktoren spielen hierbei eine Rolle?
51
4
Ein Blick auf Organisationsund Körperkulturen in den Wirtschaftsorganisationen
Der Mensch „bewegt“ sich in seinem Umfeld und so bewegen sich auch Führungskräfte in dem Umfeld ihrer Organisation, ihres Teams, ihrer Abteilung. Die Führungskräfte wollen beispielsweise: • • • •
„einen klaren Kopf behalten“, „sich nicht verbiegen“, „Rückgrat zeigen“ oder „beweglich bleiben“.
Bei alledem entspricht der geistigen Haltung auch eine körperliche – und hier schließt sich der Kreis: Der Körper ist nicht mehr Körper an sich, sondern er wird in einem Umfeld in spezifischer Art und Weise gelebt, durch das Umfeld beeinflusst und vielleicht sogar nachhaltig verändert. Damit ist der Körper nicht einfach nur als physische Natur, sondern vor allem auch als „gelebter und fungierender Leib“ im jeweiligen Lebens- und Arbeitskontext (vgl. Ansätze bei Merleau-Ponty in Mörth, 1997) zu betrachten. Er erhält sozusagen eine „zweite Natur“. Neben dem direkten physischen Körper existiert parallel ein „sozialer“ Körper und beide stehen im permanenten Austausch miteinander. Soziologen gehen deshalb zwar nicht von „zwei“ Körpern aus, doch sie betrachten die Art und Weise, wie in einem System (Staat, Organisation, Gruppe, etc.) auf den Körper eingewirkt wird, als eine soziale Dimension, die ihrerseits viel über den Zustände und die sozialen Regeln des jeweiligen Systems aussagen. „Soziale Ordnung und KörperOrdnung korrespondieren miteinander.“, sagt der Soziologe Volker Rittner (1997, S.81). Man vergleiche beispielsweise die Hochkultur des Körpers bei den alten Griechen mit der Körperfeindlichkeit der katholischen Kirche ab dem 12. Jahrhundert: 52
„Wir dürfen also nicht dem Leib dienen, außer soweit es absolut notwendig ist. Wir müssen vielmehr für die Seele unser Bestes tun, um sie mit unserer Philosophie aus den Banden des sinnlichen Leibes zu befreien.“, wird dort proklamiert (ebd., S.82). Nun bilden Wirtschaftsorganisationen keine ganzen Nationalkulturen, doch gibt es auch hier systemspezifische Organisationskulturen. Könnte man möglicherweise auch hier vom Verhältnis, das zum Körper eingenommen und von der Art und Weise, wie dieser gelebt wird, auf den Zustand der Organisation und vorherrschende Logiken schließen? Mit dieser Grundthese soll im Folgenden ein Blick auf Organisationen und deren Bezug zum Körper gewagt werden. Gewagt deshalb, weil bisher kaum derartige Perspektiven existieren. Eine eher gängige Sichtweise wurde bereits im vorherigen Kapitel angesprochen, wobei organisationale Aspekte als Einflussfaktoren auf die Gesundheit und das Stresserleben bei Führungskräften eine Rolle spielen. Der folgende Schwerpunkt ist eher theoretischer Art und geht weit über die Wechselwirkungen zwischen Individuum und Organisation hinaus. Der Körper wird hier stärker als ein von außen beobachtetes Objekt verstanden, das eine bestimmte Beeinflussung in der Organisation erfährt. Wie soll demzufolge der Ausgangspunkt für das Verhältnis von Körper und Organisation verstanden werden? Individuen sind ein Teil der Systeme, in denen sie leben und arbeiten. In dieser Hinsicht gestalten, prägen die Individuen die Organisation und halten sie funktionsfähig. Auf der anderen Seite, wird auch das Verhalten und Erleben des Einzelnen durch organisationale Faktoren wie die Folgenden geprägt: • •
Aufgabe (Rollenverständnis, Aufgabenstruktur) Struktur (Wie ist die Organisation organisiert? Wie bin ich als Führungskraft im System positioniert und was sind meine Mittel, um Ziele zu erreichen?) 53
•
Kultur (Organisationsverständnis, Menschenbild, Organisationskultur).
Darauf beruht die These, dass speziell der Umgang mit dem eigenen Körper im Arbeitskontext von eben diesem Umfeld beeinflusst wird, weil das „Mitmachen“ in Organisationen direkt an den Körper gebunden ist. Um dieses Mitmachen leisten zu können, muss der Körper gemäß dem Arbeitsumfeld in spezifischer Weise „organisiert“ werden (vgl. das einfache Beispiel eines Schichtarbeiters). Gehen wir davon aus, dass sich diese „zweite, organisierte Natur“ des Körpers solange unproblematisch und unauffällig zeigt, wie den natürlichen biologischen Prozessen des Körpers Rechnung getragen wird. Werden hingegen die Toleranzschwellen überschritten, tritt der organisierte Körper mit Störungen, Krankheiten und Fehlbelastungen ins Bewusstsein (vgl. Schettgen, 2000). Die Daten aus dem Kapitel zur Gesundheit der Führungskräfte weisen darauf hin, dass dem Körper vor allem dann wieder offiziell Beachtung geschenkt wird, wenn seine natürliche Funktionsfähigkeit gestört ist. Welche Bedeutung hat also der Körper in einer Organisation? Wie wird auf den Körper Zugriff genommen? Wie und wodurch beeinflusst eine bestehende Organisationskultur den individuellen Umgang mit dem Körper? Inwiefern spiegeln körperliche Symptome vielleicht sogar organisationale Symptome wieder? Bisher existieren nur sehr wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen zur Thematik „Körper und Organisation“ und diese wiederum beschränken sich häufig auf eine soziologische Perspektive (vgl. Pietsch, 1999), auf eine Perspektive der Disziplinierung am Körper (beispielsweise Schettgen, 2000) oder auf bereits erwähnte Aspekte von Gesundheit, Stress, Belastung oder Sexualität. Selten oder nie geht es um Analogien zwischen Körper und Organisation, sondern eher um Beeinflussung, Veränderung, Zurichtung des Körpers. Doch gerade die eher neutrale Herangehensweise könnte einer rein missionarischen Arbeit für Körperlichkeit entgegenwirken. Der 54
Körper wäre dann einfach nur ein Gleichnis und ein sehr symbolisches noch dazu.
4.1
Das theoretische Grundverständnis: einige Aspekte
„Organisationen sind Vieles gleichzeitig“, sagt Morgan (1997, S.499) und macht damit deutlich, dass Organisationen von Menschen konstituierte soziale Systeme sind, welche auf ein Ziel, einen Zweck, eine Aufgabenerfüllung hin ausgerichtet sind. Unsere Vorstellungsmodelle, unsere Sichtweisen über eine Organisation können jedoch sehr verschieden sein. So wie sich beispielsweise die Vorstellungen von Schönheit im Laufe der Zeit gewandelt haben, so haben sich unterschiedliche Verständnisse über eine Organisation und dessen Funktionsweise entwickelt. Diese Vorstellungen sind mit der Entwicklung der Wirtschaft und des Managements gewachsen und bilden heute verschiedene Perspektiven auf eine Organisation, je nachdem welches mentale Modell der Betrachter oder die Mitglieder eines Unternehmens selbst zugrunde legen. Einige Beispiele für solche Modelle sind15: •
15
Die Organisation als Maschine: bürokratisches Organisationsmodell: Max Weber (1946/47); klassische Managementtheorien: z.B. Fayol (1949) und Peter Drucker (1954) oder wissenschaftliches Management: z.B. Taylor (1911) und Ford
Vergleiche dazu ausführlich Morgan (1997). Bilder der Organisation.
55
•
Die Organisation als Organismus: Theorie der offenen Systeme, Katz und Kahn (1978); Systemtheorie u.a. Die Organisation als ein politisches System: Ansätze zur Organisationspolitik: Burns (1961) Die Organisation als kulturelles System: Ansätze zur Unternehmenskultur: Peters und Watermann (1982), Schein (1985), u. a..
• •
Im Allgemeinen und wenn nicht gesondert angekündigt, liegt meinen Ausführungen über Organisationen ein soziotechnisches Verständnis zugrunde. Die Organisation als sozio-technisches System bedeutet eine Verknüpfung der technisch-strukturellen und betriebswirtschaftlichen Aspekte mit den sozialen Aspekten eines Unternehmens. Konstituierende Eigenschaften sozio-technischer Systeme sind (vgl. Steiger, 1999, S. 27ff) das Aufgabenverständnis („Warum es uns gibt.“), die Strukturelemente („Wie wir organisiert sind und mit welchen Mitteln und Methoden wir Ziele erreichen.“) sowie die Kultur („Wie wir uns verhalten – nach innen und nach außen.“) Das heißt, die Organisation wird weder als rein mechanisches (Maschine) noch rein biologisch-soziales Gebilde (Organismus) gesehen, sondern beide Seiten gehen Hand in Hand und manifestieren sich am einzelnen Individuum, welches sich seinerseits in gegebene Strukturen, Funktionen und Aufgaben einfügen muss und gleichzeitig diese Strukturen gemäß eigenen Zielen und Bedürfnissen gestalten kann. In Bezug auf den Körper bei Führungskräften wird also die Organisation weder als reiner Disziplinierungs- und Zwangsapparat für den Einzelnen betrachtet (vgl. Schettgen, 2000), noch soll verkannt werden, dass trotz Mitwirkung am organisationalen Gestalten ein gewisses Einfügen (Verhalten, Kleidung, Anwesenheit etc.) notwendig ist.
56
4.2
Die Betrachtung des Körpers in der Organisation
Auf welchen Dimensionen lässt sich das Thema Körper in einer Organisation erschließen? Welche unterschiedlichen Vorstellungen existieren über die Rolle des Körpers, je nach zugrunde gelegtem Organisationsverständnis und Menschenbild? Inwieweit bestehen dort wesentliche Zusammenhänge zu den Phänomenen auf der individuellen Ebene? Dieses Kapitel befasst sich aus unterschiedlichen Blickrichtungen mit dem in einer Organisation vorherrschenden Verhältnis zum Körper. Dafür werden unterschiedliche Bilder und Konzepte einer Organisation zugrunde gelegt: 4.2.1
„Lebendige Arbeit“: ein Verhältnis zwischen Organisation und Körper
Schettgen (2000, S. 237ff) widmet dem Körper in seinem Buch zum Thema „Kampf in Organisationen“ ein ganzes Kapitel. Das Verhältnis zwischen Körper und Organisation basiert bei ihm auf dem Konzept der „lebendigen Arbeit“, das Marx und schließlich Türk (1995, 1997) entlehnt ist. Dabei wird das physische Moment der Auseinandersetzung zwischen der „Arbeitskraft“ und ihrer organisatorischen Verwendung im Arbeitsprozess fokussiert. Schettgen verweist auf die Logiken, mit denen eine Organisation, das „Lebendige“ des Menschen als Arbeitskraft braucht. Hier unterscheidet er nach Herrschaftslogik, Verwertungs- und Kooperationslogik sowie nach verschiedenen Formprinzipien (Ordnung, Gebilde, Vergemeinschaftung), anhand derer sich Organisationen konstituieren. Diese Formen und Logiken bestehen in jeder Organisation nebeneinander und werden an unterschiedlichen Stellen greifbar. Gleichzeitig lassen sich die Logiken als Basisinteressen der Organisation verstehen, die ihrerseits als formgebend für Körper und Geist, für Haltung und Bewegung angesehen werden und so den Umgang mit dem Körper beeinflussen.
57
Folgende Tabelle veranschaulicht diese theoretischen Gedanken:16: Organisationslogiken (Basisinteressen, die der Kontrolle dienen) Herrschaft
Konformierung Hierarchisierung Segmentierung Dequalifizierung
Verwertung
Abstraktifizierung Instrumentalisierung Vergleichgültigung
Kooperation
Leistungsoptimierung Professionalisierung Taylorisierung Rationalisierung
Tab. 2:
16
Verhältnis zum Körper (als Auswirkung der Basisinteressen) Körper wird „in Ordnung gebracht“ – der Umgang mit ihm versachlicht und funktionalisiert, andere Bedürfnisse werden kontrolliert; der Körper wird (beispielsweise durch Segmentierung) beherrscht – bei mentalen Tätigkeiten wird häufig der Kopf als Segment überbetont und von der Einheit des Körpers getrennt erlebt Der Körper wird durch Idealstandards formalisiert – Kleiderordnung, Idealtypen physischer Attraktivität; Verwertung des Körpers im Sinne eines Objektes, die pure Arbeitskraft oder auch Verwertung im Sinne ästhetischer Selbstdarstellung (Aspekt der Erotik) Der Körper wird in gruppenspezifischen Traditionen, Symboliken vergemeinschaftet und bildet damit einen Teil der Identität und Kultur – beispielsweise „der“ Manager dessen (auch körperliches Auftreten ) ein Symbol für Dynamik, Kraft und Erfolg darstellen soll kooperationslogisch muss sich der Körper sozusagen anschlussfähig zeigen – als politisch korrekt und in Bezug auf die Leistungsfähigkeit („Wer das nicht leisten kann, hat hier nichts verloren.“)
Verhältnis von Organisationslogik und deren Auswirkungen auf den Körper
Nähere Erläuterungen zu den dahinter liegenden Organisationskonzepten Türks siehe beim Autor selbst (Türk, 1995, 1997) oder bei Schettgen (2000).
58
Das Türk’sche Modell liefert eine sehr abstrakte Basis für das Erschließen des Körpers in Organisationen und lässt schnell den Eindruck eines Täter-Opfer-Modells entstehen. Einerseits steht die Organisation und andererseits steht der Körper, wie losgelöst vom Willen und der Einstellung des Einzelnen. Hier erhebt sich der Ansatz über individuelle Mechanismen hinweg und bietet ein Bild, in dem Organisation und der Einzelne als Ganzes betrachtet werden. Auch wenn dieser Blickwinkel aus meiner Sicht Vieles an Wechselwirkungen ausspart, werden doch Grundprinzipien über den Umgang mit dem Körper deutlich, die ihrerseits Erklärungsstoff für einige Ausprägungen auf individueller Ebene liefern können. Durchgängiges Prinzip ist beispielsweise das Verwenden des eigenen Körpers als funktionsfähiger und angepasster Körper. Denn der Körper wird definiert: • • •
als Ware, die Arbeitskraft liefert als Mittel der Selbstdarstellung, als angebotener Fetisch als Sozialkörper, eingepasst in die Ordnung des Unternehmens. Der Körper wird selten für sich, sondern vorwiegend an sich erlebt, man behandelt ihn als etwas, das sich außerhalb von einem befindet. (Schettgen, 2000, S.250)
Entfremdung und Distanzierung zeigen sich z.B. dann, wenn vom Manager als dem „lebenden Kopffüßler“ die Rede ist, weil durch die mentalen Tätigkeiten der Rest des Körpers und damit der Rest der körperlicher Empfindungen abgespalten wurden. Entfremdung zeigt sich auch, wenn so genannte Workaholics Empfindungen der körperlichen Ermüdung oder andere Erschöpfungssignale gar nicht mehr wahrnehmen. Diese Spaltung wird nicht selten erst dann – zwangsläufig – wieder aufgehoben, wenn der „vergessene“ Teil nicht mehr ignorierbare Impulse wie Krankheiten und Schmerzen produziert. Aber 59
auch dann steht der Betroffene wieder vor der Wahl, den Körper als seinen eigenen Leib zu erfahren oder ihn weiter als „lästiges, bedürftiges Mitbringsel“ und „Anspruchsteller“ (Schettgen, S.250) zu betrachten und dementsprechend „abzurichten“ (Medikamente, Alkohol etc.). Als entfremdet erscheint aber auch der makellos, schöne, beherrschte und gestylte Körper. Gerade Frauen im Management sehen sich häufig einem vermeintlichen Entfremdungszwang gegenüber. Entweder strahlend schön und schlank, entsprechend anziehend gekleidet, um zumindest auf diese Weise zunächst Akzeptanz und Aufmerksamkeit seitens der Männer zu erreichen oder aber vermännlicht und distanziert vom Weib-Sein, um die geschlechtlichen Unterschiede und damit auch die herrschenden Vorurteile möglichst gering zu halten. Wie weit geht eine Fremdsteuerung durch Organisationsstrukturen und -kulturen und wo setzt die Selbststeuerung ein? Welche Chancen oder Risiken würde nun mehr Leiblichkeit im Gegensatz zur rein instrumentellen Verwendung des Körpers am Arbeitsplatz bieten? Inwiefern kann das Körperliche das Rationale bereichern? 4.2.2
Mensch – Maschine – Menschenbilder Menschenbilder beeinflussen die Wahrnehmung von Organisationen und von den in ihnen tätigen Individuen. (Hug, 1999, S.9)
Gehen wir von der Tatsache aus, dass die Realität, also auch die organisatorische, kein objektives Ganzes ist, sondern das Ergebnis vieler subjektiver Wahrnehmungen und Vorstellungen, so sind es gerade diese, die in großem Ausmaß das Denken, Fühlen und Verhalten des Einzelnen in einer Organisation bestimmen. Um diese sehr unterschiedlichen Vorstellungen zu bündeln und ihnen eine Richtung zu geben, bedienen wir uns bestimmter Werthaltungen, Glaubensrichtungen und auch Menschenbildern. Sie helfen uns, unsere Wahrneh60
mung in einen größeren Orientierungsrahmen zu setzen, um damit unsere Welt zu erklären und unser Leben zu steuern. Als Mitglieder einer Organisation unterliegen wir so nicht nur unserem eigenen Orientierungsrahmen, sondern auch dem der Organisation. Das Menschenbild, das beispielsweise in einer Organisation transportiert wird, zeigt einen allgemeinen Konsens, als was der Mensch in der Organisation angesehen wird und wie er sein soll. Dies hat entscheidende Auswirkungen nicht nur auf das Verhalten, sondern auch auf den Umgang mit Körper und Geist. Gerade für Führungskräfte ist das Menschenbild und Verständnis der Organisation ein Grundfaktor zur Steuerung des eigenen Führungsverhaltens. Andererseits ist davon auszugehen, dass das Selbstmanagement häufig anderen Prämissen unterliegt als das Führungsmanagement. Das heißt wiederum, dass auch ein organisationsinternes Menschenbild nur zum Teil Aufschluss über die gelebten Verhaltensweisen und über den Umgang mit dem eigenen Körper liefern kann. Der nächste Abschnitt zeichnet das Verhältnis zum Körper anhand historisch gewachsener Organisationsverständnisse und zugrunde liegender Menschenbilder nach. Viele Gedanken finden auf verschiedene Weise auch heute noch Ausdruck in der Managementpraxis, selbst wenn sie sich im Laufe der Zeit weiter entwickelt haben. Die folgende Übersicht präsentiert die einzelnen Ansätze zum Organisationsverständnis und dem vorherrschenden Menschenbild.17
17
Die Zusammenhänge entstammen im Wesentlichen (Hug & Steiger, 1999, S. 9-41, Morgan, 1997 und eigenen Aufzeichnungen)
61
Organisationsperspektive
Entstehung
Meschenbild
ökonomischrational Taylorismus, Bürokratisches Modell seit Mitte 19.Jh. „economic man“ Mensch als Produktionsfaktor und Maschine: Einsatz des Menschen im Sinne Minimierung der Kosten und Maximierung der Leistung
Organisationsmetapher implizite Annahmen über die Funktionsweise der Organisation und des Einzelnen
62
verhaltenswissenschaftlich Human relationsAnsatz
Systemisch Corporate culture
seit 20er Jahren des 20.Jh. „social man“ Menschen werden soziale Bedürfnisse zuerkannt: Mensch reagiert kontrollierbar auf Anreize oder Versagungen, die durch die Organisation zur Verfügung gestellt werden
seit 70er Jahren des 20.Jh.
Maschine
Routine Effizienz Verlässlichkeit Vorhersagbarkeit Präzision Tempo Beständigkeit
„complex man“ Menschen wird bewusster freier Wille zuerkannt: Mensch hat sich adaptiv und flexibel gegenüber der Organisation und Umwelt zu verhalten; ist Veränderungen unterworfen
Organismus
Überleben Anpassen an Umwelt Lebenszyklen vitale Bedürfnisse fortlaufender Prozess Veränderung Flexibilität Dynamik
Organisationsperspektive Ziel
ökonomischrational Gewinnmaximierung rational und mechanistisch mit dem Ziel der:
verhaltenswissenschaftlich
Lebensfähigkeit Einbezug und Ausgleich komplexer menschlicher Grundbedürfnisse mit dem Ziel der:
Verhältnis zum Körper
Wirtschaftlichkeit Leistungsfähigkeit Schädigungsfreiheit
Trennung von Geist und Körper Zerlegung in Funktionseinheiten
Tab. 3:
Systemisch
Förderung aller Ressourcen des Menschen für höhere Produktivität Beseitigung von Beeinträchtigungsmöglichkeiten Gesundheit, Ausgefülltheit, Sinnerwerb
Versuch einer ganzheitlichen, harmonischen Einheit von Körper, Geist und Seele
Grundprinzipien historisch gewachsener Organisationsverständnisse und Menschenbilder
Die Darstellungen mögen den Eindruck erwecken, dass schwarz und weiß oder sogar gut und böse gegenüberstehen, wenn man nur das Verhältnis zum Körper betrachtet. Diese Kategorisierungen jedoch greifen zu kurz, denn ein bestimmtes Organisationsverständnis ist stets vor verschiedenen Hintergründen einzuschätzen, z. B.: Welches Produkt bzw. welcher Organisationszweck liegt vor? Welche Umfeldbedingungen bestehen? Dementsprechend gibt es auch kein richtiges oder falsches, sondern lediglich ein den Bedingungen angemessenes Verständnis. Für das Verhältnis zum Körper kann damit 63
geschlussfolgert werden, dass es Organisationsweisen gibt, die der menschlichen Natur ferner (beispielsweise Maschine) oder näher (beispielsweise Organismus) sind und dass damit der Körper, je nach Verständnis, von Grund auf mit mehr oder weniger Beachtung in den Arbeitsprozess einbezogen wird und die Bedingungen der Gesundheit mehr oder weniger zuträglich sind. Zu beachten sind immer die Konsequenzen und zu prüfen ist, ob diese eher als Vorteil oder eher als Nachteil angesehen werden. Eine gesunde, bewegliche, sinnerfüllte Mannschaft kann ein großer Vorteil sein, doch wenn wirtschaftliche Zwecke zu stark vernachlässigt werden, entwickelt sich dies u. U. schnell zum Nachteil. Da Organisationen jeweils Vieles gleichzeitig sind, lautet die Frage eher: Wie viel von jedem ist angemessen? Wo gibt es hinderliche Dysbalancen? Der „homo economicus“ und Disziplinierungsmaßnahmen am Körper Der Leib ist die Quelle der lebendigen Arbeit, auf welche die Organisation nicht verzichten kann, weil sie sich materiell aus ihr reproduziert. (Schettgen, 2000, S.249)
Der Ansatz des „economic man“ (s. Tabelle 3) ist derjenige, an dem die Zugriffe auf den Körper während der Arbeit besonders deutlich werden. Der als Maschine erachtete Mensch, soweit er funktionsfähig war, stellte vor allem im Produktionsbereich das reine Kapital dar. Dementsprechend bezeichnete man die Organisation bisweilen sogar als „psychisches Gefängnis“ (vgl. Die Ausführungen zu Marx und Foucault in Morgan, 1997, S. 291-335 / 538-545).
64
Im Taylorismus ist eine deterministische Herangehensweise entscheidend für die Vermittlung zwischen Organisation und Körper: „Struktur bedingt Praxis“, d. h. der Arbeitnehmer dieser Epoche wird als produktiv verarbeitend, jedoch kaum produktiv gestaltend gesehen. 1819 Zu Zeiten der Einführung von Arbeitsteilung, Zeittaktung, wissenschaftlicher Betriebsführung und Zentralisierung war effizientes Handeln oberstes Gebot. Folglich gingen die Kapitalgeber davon aus, dass durch eine geeignete Arbeitsdisziplin genau diese Effizienz und höhere Beträge in gleicher Zeit erreicht werden konnten. Die Arbeitsleistung und -disziplin war ihrerseits unverzichtbar an einen funktionierenden Körper gebunden. Das heißt, man musste den Körper im Sinne eigener Kapitalinteressen erziehen und sich zwangsläufig mit dessen Kontrolle bzw. dessen Schutz auseinandersetzen, wollte man ihn entsprechend verwerten. Zwei Aspekte lagen dieser Nutzung zugrunde: Disziplin galt als eine der wichtigsten Führungsprinzipien neben Arbeitsteilung, Autorität und Verantwortung (Hug, 1999).
18
Grundlagen dieser mechanischen Ansätze gehen zurück bis auf Descartes (1637), der die Epoche zur Trennung von Geist und Körper einleitete. Später dachte man, dass auch Pflanzen und Tiere lediglich eine höhere Form der Maschinen seien bis schließlich auch L’Homme Machine von de LaMettrie (1748) bekannt gegeben wurde – der Mensch als Maschine und Körper und Seele als Produkte mechanischer Vorgänge (vgl. Morgan, 1997, S. 509516).
19
Die Ausführungen stammen im wesentlichen wieder aus: Schettgen, 2000, S.239-295.
65
Der Körper als solcher galt seit jeher als der Ansatzpunkt für Kontrolle und Disziplinierung schlechthin (Folter, Drill, Marter; vgl. Foucault, 1994). Welche Mechanismen wurden im Arbeitsprozess zur Disziplinierung genutzt – nicht primär um den Körper zu peinigen, sondern zur Schaffung einer „guten Arbeitskraft“? Schettgen (2000, S.260ff) erwähnt dazu Folgendes: Disziplinierung durch Raumgestaltung (beispielsweise Abschneiden der Produktionsstätte von der Umwelt, der Mitarbeiter darf nur zu bestimmten Zeiten kommen und gehen; intern wird jedem eine „Zelle“ des Produktionsortes zugeordnet; Zerlegung des Arbeitsvermögens in spezifizierte Untertätigkeiten – d. h. funktionsbezogene Einzelaspekte des Menschen sind gefragt) Fazit: das natürliche Bewegungsbedürfnis des Körpers wird eingeschränkt Disziplinierung durch Zeitmanagement (festgelegte Arbeitszeiten, Arbeitsrhythmus, Grundlage ist nicht der natürlich biologische Rhythmus des Menschen, sondern ein technomorphes Modell, das von einer gleichbleibenden und beinahe unendlichen Belastbarkeit ausgeht) Fazit: natürliche Bedürfnisse der Erholung müssen unbeachtet bleiben Disziplinierung durch soziale Codierung (definiert, wie sich der Mensch mit Körperhaltung und -ausdruck regelgemäß zu verhalten hat; beispielsweise Bewegungen an einer Maschine, aber auch Kleiderordnung, Sozialcodes gegenüber Vorgesetzten) Fazit: Soziale Ordnung wird geschaffen Sport und Gesundheitsvorsorge als Disziplinierung für und durch die Organisation 66
Fazit: Erhaltung der Gesundheit zur weiteren „Verwertung“ der Leistungsfähigkeit Es erscheint befremdlich, Bereiche wie Sport und Gesundheit als Disziplinierungsaktivitäten definiert zu sehen. Dennoch wird in den Ausführungen zu den Anfängen des „economic man“ immer wieder betont, dass alles unter der Prämisse geschah, den Menschen besser auf die verzehrenden Arbeitsbedingungen vorzubereiten, um schließlich dem Primat gesteigerter Nützlichkeit, Tauglichkeit und Effizienz Folge leisten zu können (Schettgen, 2000; Pietsch, 1999): Die Ausgabe von heißer Suppe, Kakao und Arbeitskitteln, die Einführung von Krankenstationen und die Einrichtung von regelmäßiger Betriebsgymnastik war für die Steigerung der Leistungsfähigkeit und Disziplinierung des Körpers ebenso wichtig wie Aufklärungsvorträge gemäß der Devise: „mens sana in corpore sano“. (Pietsch, 1999)
Disziplinierung muss aber auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Bedingungen gesehen werden. Die in den 20er Jahren gelebte Arbeitsdisziplin entsprach einer Lebensüberzeugung dieser Zeit: „Wir leben, um zu arbeiten – und um zu sterben, für eine bessere Welt!“ Was sich als Überforderung mit Krankheiten, Fehlhaltungen oder extremer Übermüdung zeigte, wurde entsprechend der vorherrschenden Leistungsmaxime als normal erlebt. Arbeit war der von Gott vorgegebene Selbstzweck des Lebens. Es galt, alle körperlich und geistigen Kräfte auf eine unermüdliche Berufsarbeit auszurichten, dementsprechend andere Lebensbereiche unterzuordnen, um schließlich Gottes Gnaden zu erhalten (vgl. Weber, 1973; zit. nach Schettgen 2000, S.256). Norbert Elias (1969) beschreibt dieses Phänomen als Sozialdisziplinierung. Ein Eindringen der Disziplin in die Persönlichkeitsstruktur sei notwendig, um aus ursprünglichem Fremdzweck eine innere Haltung und aus Fremdkontrolle eine Selbstkontrolle zu machen sowie eigene Triebe und Affekte in „sozial statthafte oder wünschenswerte Bahnen zu lenken“. 67
Ergebnis ist das angepasste Verhalten eines Menschen, in dem sich die Prinzipien der Fremd- und Selbstdisziplinierung bis zur Unkenntlichkeit vermischen. Wo verlaufen heute die Grenzen zwischen Fremd- und Selbstdisziplinierung bei Führungskräften? Inwiefern nehmen der Körper und die Kontrolle am Körper auch in unserer Zeit und z. T. unter anderen Organisationsverständnissen einen wesentlichen Platz ein, um Effektivität und Nutzen zu sichern – gerade wenn wir davon ausgehen, dass Führungskräfte heute verstärkt psychischen und weniger körperlichen Anforderungen ausgesetzt sind? 4.2.3
Die Verbindung zwischen Organisationskultur und Körper Weil das Mitmachen in Organisationen an den Körper gebunden ist, darf man annehmen, dass sich der gesellschaftliche Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, der sich im widerspruchsvollen Zweckbündnis von Organisation und Personal artikuliert, im menschlichen Körper wiederholt und in einer ihm eigenen Konfliktdynamik zwischen natürlichen und organisationalen Ansprüchen, aufbricht. (Schettgen, 2000, S. 251)
Welche Organisationskultur fördert welche Krankheiten? Diese Frage könnte vor dem Hintergrund des obigen Zitates sehr interessant sein. Wie kommt zu dem Anstieg von HerzKreislauf-Erkrankungen, Tinnitus und Angstsymptomen bei Managern? Die oben vorgestellten Disziplinierungs- und Kontrollmaßnahmen ermöglichen jedoch nur begrenzt, derartige Fragen zu beantworten. Sie bieten zwar Erklärungsansätze, wie das Verhalten Einzelner durch Strukturen und aufgabenspezifische Prozesse einer Organisation beeinflusst werden kann und eignen sich vor allem dann, wenn der Mitarbeiter in relativ engen Strukturen und Prozessen agieren muss – beispielsweise im Produktionsbereich. 68
Für den Managementbereich jedoch erscheint dies zu eng gedacht. Erstens ermöglicht die Tätigkeit größere Freiräume und zweitens kann man nicht von einer deterministischen Denkweise ausgehen. Forschungen haben erwiesen, dass bei der Vermittlung zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und individuellem Verhalten (Baur, 1989; Voss, 1991; zit. nach Schwark, 1994, S. 74-95), die Personen der vorgefundenen Struktur eine eigene Logik entgegensetzen. Sie produzieren mit den vorgegebenen Ressourcen und Zwängen einen eigenen für sie nutzbaren Lebens- und Arbeitsstil. Handlungsleitend waren subjektive Gründe, die in Regeln, Normen, Motiven, Karrierewünschen oder geschlechtstypischen Merkmalen begründet waren. Daraus lässt sich folgern, dass auch der Körper entsprechend den subjektiven Normen, Wünschen und Entscheidungen in den Lebens- und Arbeitsstil integriert wird. Da die kulturelle Perspektive einer Organisation über die sichtbaren Strukturen und Prozesse hinaus geht und stärker diese kollektiven Normen, Regelungen und Standards fokussiert, soll im Folgenden der Ansatz zwischen Organisation und Körper auf diese Weise betrachtet werden. Wie kann eine Verbindung zwischen Organisationskultur und Körper erklärt werden? Sehen wir uns zunächst einige wichtige Elemente aus dem kulturellen Organisationsverständnis an20: Die von einer Gruppe gehaltenen grundlegenden Überzeugungen, die das Denken, Fühlen und Handeln der Gruppenmitglieder maßgeblich beeinflussen und die für die Gruppe insgesamt typisch sind. (Sackmann, 1999, S. 17)
20
Zur Organisationskultur bestehen verschiedene Theorien, bei denen für den folgenden Abschnitt vor allem die Konzepte von Morgan (1997, S. 155-190) und Sackmann (1999, S. 17ff) in Betracht gezogen wurden.
69
Dieser Begriff betont die Lebensweise und Grundannahmen einer Gruppe – er ermöglicht den Blick auf eine sogenannte Mini-Gesellschaft, mit der ihr eigenen Kultur und moralischen Ansprüchen. Es geht um Gefühle, Einstellungen, Spielregeln und Normen, aber vor allem auch um Ausprägungen des Verhaltens – des Arbeits-, Leistungs- und Problemlöseverhaltens. Kernstück der Kulturperspektive sind die symbolischen Bedeutungen der sichtbaren Elemente einer Kultur sowie der verborgenen, aber steuernden Annahmen und Einstellungen. Jedes Unternehmen ist und hat eine Kultur, die an sich weder gut noch schlecht ist, die jedoch ein System bildet, das verdeutlicht, worauf Wert gelegt wird und welches Verhalten erwünscht ist. Das Modell des kulturellen Eisberges verdeutlicht eindrucksvoll die verschiedenen Dimensionen einer Unternehmenskultur. Unterschieden wird nach: ¾
¾
70
den sichtbaren Elementen, wie Produkte, Raumgestaltung, Kleidung, Managementsystemen oder Dokumentationen und dem sichtbaren Verhalten bei Entscheidungen, Problemlösungen oder der Führung den verborgenen Aspekten, die als grundlegende Annahmen, geheime Spielregeln, unausgesprochene Erwartungen das Verhalten steuern und den sichtbaren Elementen erst eine Bedeutung zuordnen.
Verhalten, Rituale, Artefakte Grundlegende Überzeugungen
Abb. 5:
sichtbare Manifestationen
“Kognitive Landkarte” in Bezug auf: Arbeits-, Leistungs-, Problemlöseverhalten Prioritäten Prozesse -verdeckt Ursachen -nicht bewusst etc. -zur Gewohnheit geworden -emotional verankert -erfahrungsbasiert
Der kulturelle Eisberg (angelehnt an Sackmann, 1999, S. 18)
Wie die Abbildung vermuten lässt, ist der sichtbare nur der kleinste Teil dessen, was die Kultur ausmacht. Für sehr viel bedeutsamer werden die grundlegenden Überzeugungen gehalten, die in den Köpfen der Menschen existieren, somit eine kollektive Wissensbasis bilden und als Wissen über Prozesse, Veränderungen, oder als erklärte Ursachen für Probleme das Verhalten steuern. Verdeckt und zur Gewohnheit geworden, nicht mehr täglich bewusst und als „Erfahrungsschatz“ dienen sie vor allem der Orientierung, denn sie helfen, „richtiges“ Verhalten vom „falschen“ zu trennen. Dabei wird die Unternehmenskultur sehr stark von der Persönlichkeit ihrer Leiter beeinflusst. Denn bewusst oder unbewusst bringen sie ihre Überzeugungen zum Ausdruck, indem sie gewisse Verhaltensweisen belohnen und beachten, auf kritische Vorfälle in bestimmter Art reagieren und bei Rekrutierung, Selektion und Beförderung gewisse Kriterien anwenden. All dies geht in seiner prägenden Wirkung weit über offiziell verabschiedete Leitbilder hinaus (Schein, 1986). 71
Organisationskultur und Körper unter dem Blick grundlegender Überzeugungen Kann also geschlussfolgert werden, dass gerade diese kollektiven kognitiven Landkarten sehr starke Auswirkungen darauf haben, wie mit dem Körper im Unternehmen umgegangen wird, wie jeder seine „zweite“ Natur des Körpers im Unternehmen einbringt? Welches Leistungsverhalten gilt als „richtig“? Wie wird abseits der offiziellen Regelungen Arbeitszeit organisiert? Wie viel Raum darf dem Bedürfnis nach Erholung gegeben werden, um noch als „richtige“ Führungskraft eingestuft zu werden? Wie haben sich Frauen und Männer zu präsentieren, um als „richtige“ Repräsentanten des Unternehmens zu gelten? Wie stellt sich eine „richtige“ männliche und eine „richtige“ weibliche Führungskraft dar? Wie viel Krankheit ist „richtig“? Diese Fragenliste lässt sich bis in kleinste Details der Officeoder Meetingkultur in einem Unternehmen fortsetzen, denn grundlegende Überzeugungen findet man in jedem Kontext. Wenngleich jeder Einzelne zu diesen kollektiven Landkarten seine eigenen „Wegmarkierungen“, „Richtungspfeile“ oder „Straßenverläufe“ hinzufügt, so kann dies nur soweit geschehen, wie das allgemeine Bild des „Richtig“-Seins gewahrt bleibt. Alles andere hat in der Regel Konsequenzen, ob offiziell und gesteuert (Wegdelegation, Flucht, Neubesetzung etc.) oder mehr inoffiziell (innere Widerstände, Unwohlsein, Mobbing). Die grundlegenden Überzeugungen erscheinen tatsächlich als wichtiger Schlüssel für das Verständnis dessen, wie mit Themen Körper, Gesundheit und Leistungsfähigkeit in einem Unternehmen umgegangen wird, denn sie wirken als verhaltenssteuernde Komponente. Doch neben dem Verhaltensaspekt taucht eine weitere, gewissermaßen hautnahe Verbindung von grundlegenden Überzeugungen und dem Bereich des Körpers auf: die emotionale Verankerung dieser Grundannahmen.
72
Eine Verkörperung der Überzeugungen, d.h. auch ein Leben der Kultur, geht zwangsläufig über Gefühle. Gerade sie sind es, die über ihre enge Verbindung zu den Gedanken das Weiterbestehen solcher grundlegenden Überzeugungen und damit auch der Kultur sichern. Alles Verhalten, das als „richtig“ gilt, das Vertraute und Gewohnte, ist meist mit einem angenehmen, neutralen oder „runden“ Gefühl verbunden. Das Neue, Unbekannte und in der Kultur vielleicht „falsche“ Verhalten verknüpft sich hingegen eher mit einem seltsamen, ärgerlichen oder unsicherem Gefühl. Sind diese affektiven Komponenten einmal entstanden, halten sie die entsprechenden grundlegenden Überzeugungen auch aufrecht. Man weiß nicht nur, was richtig ist, man fühlt es auch ganz deutlich. Andererseits wird man bestrebt sein, das allgemeine Wohlbefinden aufrecht zu erhalten, und deshalb ggf. eigene Überzeugungen anzupassen. Gefühle sind untrennbar an den Körper geknüpft, denn sie drücken sich in Form körperlicher Empfindungen aus. Definiert also die Kultur damit nicht nur „richtiges“ Verhalten, sondern auch entsprechende Emotionen und dazugehörige körperliche Empfindungen? Könnte somit ein körperliches Missempfinden (neben objektiven Ursachen) nicht auch in widerstrebenden eigenen und kulturspezifischen Überzeugungen begründet sein – so dass der tägliche Konflikt im Kopf schließlich am Körper „greifbar“ ist? Müsste deshalb auf die Frage: „Welche Organisationskultur fördert welche Krankheiten?“, nicht eher die Frage: „Welche Strukturen und welche grundlegenden Überzeugungen bewirken Missempfinden auf einer emotionalen und körperlichen Ebene?“ folgen? Die Fragen lassen sich im Moment nur hypothetisch beantworten, denn jede Kultur hat ihre eigenen Spezifika. Die nachfolgende empirische Untersuchung soll jedoch an den grundlegenden Überzeugungen, den geheimen Spielregeln und inoffiziellen Normen anknüpfen, um wichtige Einflussparameter für den Umgang mit dem Körper, der Gesundheit sowie deren 73
Auswirkungen und Konsequenzen für zukünftige Maßnahmen der Führungskräfteentwicklung zu entdecken. •
Beispiel 1: Die Managerin – der Manager: wie weiblich dürfen, wie männlich müssen sie sein?
Lebendige Stereotype bilden die Grundlage für eine Vielzahl von Grundannahmen, die in fast jeder Unternehmenskultur zu finden sind. Will die Führungskraft zur sozialen Ordnung der Managerriege dazugehören, ist den üblichen Vorstellungen von einem guten Manager / einer guten Managerin Folge zu leisten. Das heißt, auch hier wird “richtig” und “falsch” definiert. Eine Untersuchung von Rustemeyer und Thrien (1989) findet folgende Ergebnisse: Über 84 % der männlichen und weiblichen Studierenden und über 64% der befragten Manager (nur Männer) gaben an, dass ein guter Manager vorwiegend als maskulin definierte Eigenschaften besitzen sollte – unabhängig, selbständig, dominant, ehrgeizig, risikofreudig, analytisch. Im Gegenzug weniger erwünscht seien feminine Eigenschaften des Einfühlens, der Intuition oder der Sanftheit. Nehmen wir diese Verteilung tatsächlich als auch in der Arbeitswelt gegeben: Welche Auswirkungen hat das bei männlichen und weiblichen Führungskräften auf den Umgang mit ihrem Körper? Die körperliche Ebene zum idealtypischen Manager-(Männer)bild könnte gekennzeichnet sein durch: Stärke, Kraft, Spannkraft, Durchhaltevermögen, Energie, Gefühls-beherrschung! Wäre also demnach alles, was davon abweicht, eine schlechte Führungskraft? Wie muss der “gute” Manager körperlich organisiert sein, dass er eindeutig dieser sozialen Stufe zuzuordnen ist? Gehören natürliche Ermüdungs-prozesse, ein fühlbarer und ein weiblicher Körper in die Kategorie “schlechte(r)” Manager/in?
74
•
Beispiel 2: Organisatorische Einflüsse und Auswirkungen von Stress
In der Wissenschaft herrschen generell sehr widersprüchliche Meinungen über Möglichkeiten der Beeinflussbarkeit von Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit vor (vgl. Semmer & Udris, 1995). Einerseits werden Ansätze auf organisationaler Ebene wie Job-Redesign bezweifelt, da die direkte Beziehung zwischen Arbeitsplatzanforderungen und Auswirkungen auf das Wohlbefinden lediglich Vermutungen seien und diese organisationalen Veränderungen nicht uniform auf alle gleich wirkten (Briner & Reynolds, 1999). Andererseits wird genau in der Veränderung der Arbeitsplätze ein langfristiger Effekt auf das Wohlbefinden vermutet, da die Autoren davon ausgehen, dass Gesundheit stärker von einem ständigen äußeren negativen Reiz abhängt, als von individuellen Strategien der Verarbeitung (Schaubroeck, 1999). Bei den individuellen Einflussfaktoren scheinen Faktoren wie Körperbewußtsein und Selbstverantwortung eine wichtige Rolle zu spielen (Gollner, Kreuzriegler, Eitzinger, 1992). Wenngleich also der Einfluss der Organisationskultur kontrovers diskutiert wird, gehe ich, wie Kernen (1997), davon aus, dass eine Organisationskultur ressourcenfreundlich oder ressourcenfeindlich21 wirkt. In einer finnischen Studie an ca. 2000 Arbeitnehmern der Metall- und verarbeitenden Industrie sowie bei medizinischen Einrichtungen (Länsisalmi & Kivimäki, 1999) fand man heraus,
21
Ressourcen hier verstanden als interne/persönliche oder externe/umweltbedingte Unterstützungsfaktoren des Wohlbefindens.
75
dass ein hohes erlebtes Stresslevel der Personen mit Konzentrationsschwächen, beeinträchtigtem Sozialverhalten allein schon ein treffender Indikator für eine wenig innovationsförderliche Unternehmenskultur waren. Stress stellte dabei einen unabhängigen Faktor dar, der das innovative Klima beeinflusste, unabhängig von anderen innovationsfördernden Faktoren wie Zielklarheit, Feedback, gute Kommunikation, Handlungsfreiheit. Ließe sich demnach der Umkehrschluss ziehen, dass ein hoch innovatives Klima mit sehr geringem Stresslevel einher geht und damit der Gesundheit sehr förderlich wäre? In eine ähnliche Richtung zielt eine weitere Untersuchung, die zwei Parameter der Organisationskultur (Unsicherheit des Arbeitsplatzes und Organisationsklima) und deren Zusammenhänge mit dem empfundenen Wohlbefinden (gemessen durch das Kohärenzgefühl von Antonovski: Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit22) erfasst hat. Je besser das organisationale Klima und je geringer die Arbeitsplatzunsicherheit, desto stärker war das allgemeine Wohlbefinden ausgeprägt, das sich in geringen psychosomatischen Symptomen und niedriger emotionaler Erschöpfung manifestiert (Feldt, Kinnunen & Mauno, 2000). Hoffmann (1999) hat neben individuellen Faktoren auch Merkmale der Organisationskultur erfasst, die für Führungskräfte der mittleren Ebene in Bezug auf die zu bewältigenden Anforderungen eher förderlich oder hinderlich waren. Als förderlich erwies sich, wenn die Organisation als Quelle von Anerkennung, Erfolg wahrgenommen wurde, wenn sie Selbstverwirklichung ermöglichte und das Klima als gut, gemein-
22
vgl. dazu Ohm, 1997, S.60ff: Sense of coherence (SOC) als einer der wichtigsten Schutzparameter für Gesundheit, geprägt durch Verstehbarkeit (comprehensibility), Bewältigbarkeit (manageability) und Sinnhaftigkeit (meaningfulness).
76
schaftlich und vertrauensvoll beschrieben wurde. Als ressourcenfeindlich erlebte man hingegen ein einseitiges Betonen von Leistung und Stärke, eine Geringschätzung von Regeneration, Gesundheit und des Privatlebens. Noch einmal zusammengefasst: Elemente einer Organisationskultur wirken verhaltenssteuernd und haben damit direkten Bezug auf den Umgang mit dem Körper. Neben sichtbaren Manifestationen der Kultur wie bestimmte Artefakte (Kleidung, Führungssysteme etc.) oder spezifischem Verhalten (Rituale, Zeiterfassung, Kommunikation etc.) bilden die verdeckten grundlegenden Überzeugungen einen wesentlichen Kern. Alle Elemente wirken nicht nur verhaltenssteuernd, sondern ihrerseits auch systemerhaltend, indem sie definieren, was richtig und falsch ist. Entsprechend ihrer Bedeutung sind sie emotional belegt und verankert (vgl. Sackmann, 1999). Dennoch ist Kultur niemals als etwas klar Abgrenzbares und im mechanischen Sinne Kontrollierbares zu verstehen. Sie breitet sich vielmehr holografisch aus und kreiert damit stets neue Aspekte. Dies sollte man auch beachten, wenn die Rolle des Körpers in der Kulturperspektive betrachtet wird.
5
Entwicklungen der betrieblichen Weiterbildung und der Einbezug des Körpers: Variationen über ein Thema Die entscheidenden Probleme, denen wir uns gegenüber sehen, lassen sich nicht auf der gleichen Ebene des Denkens lösen, auf der wir sie geschaffen haben. (Albert Einstein)
In diesem Kapitel soll das Thema Lernen und Veränderung nicht nur als die Notwendigkeit für Menschen und Organisationen schlecht hin betrachtet werden. Hier geht es auch dar77
um, bereits bestehende Verknüpfungen von Lernen und Körper zu prüfen und so ein Situationsbild zu zeichnen, wo und in welcher Form der Körper beim Lernen in Organisationen integriert wird. Der Körper dient hierbei als Referenzpunkt für die Auseinandersetzung mit dem Thema Lernen in der Organisation.
5.1
Ziele und Ansätze von betrieblicher Weiterbildung, Personal- und Organisationsentwicklung
5.1.1
Klassische Modelle
Personal-, Organisationsentwicklung und betriebliche Weiterbildung werden in jedem Unternehmen unterschiedlich verwirklicht. Dennoch sind es gerade diese Bereiche, die sehr stark Aspekte der Förderung und Entwicklung des Lernens und der Veränderung in ihren Konzepten, Strategien und Dienstleistungen vereinigen. Sie agieren, reagieren und gestalten jeweils im Spannungsfeld von Organisation, Funktion und Person und an dem jeweils angrenzenden Umfeld (Heintel, 1991) und bilden damit wesentliche Schnittstellen für die Förderung des individuellen und organisationalen Lernens (vgl. Abb.7). Wie lässt sich das klassische Verhältnis dieser drei Bereiche beschreiben? (vgl. Götz, 1997, S. 74ff) Personalentwicklung: im engeren Sinne Mitarbeiterbetreuung; bezieht sich sowohl auf das Management wie auch auf die Mitarbeiter und umfasst die Förderung persönlicher Entwicklungswege (Bildungsberatung, Entwicklungsberatung, Orientierungshilfen etc.) als auch die Unterstützung bei Problembewältigung (z.B. durch Coaching, Supervision, Führungsberatung etc.); also Entwicklung und Förderung von Personen mit einem Nutzen für die Person und die Organisation. Betriebliche Weiterbildung: ursprünglich aus der Ausbildung in Unternehmen hervorgegangen und nun im engeren Sinne 78
Mitarbeiterförderung. Hierbei geht es um das Formen und Gestalten von Lernprozessen, deren Grundlagen und Ziele u. a. die Strategien des Unternehmens darstellen (z.B. Förderung der strategisch wichtigen Kernkompetenzen von Führungskräften durch verschiedene Lernmaßnahmen – Führungskräfteentwicklung); Qualifizierung des Managements und der Mitarbeiter im Interesse des Unternehmens. Organisationsentwicklung: steht oft für Veränderungsprozesse i.e.S. Man will organisatorische Einheiten (Gruppen, Teams, Bereiche, etc.) oder ganze Organisationen auf ein bestimmtes Ziel hin entwickeln bzw. deren Entwicklung mit bestimmten, ganzheitlichen und am Entwicklungsprozess orientierten Maßnahmen begleiten.
Abb. 6:
Person und Organisation (Quelle: Götz, 1997, S.76)
Unabhängig von der institutionellen Verankerung dieser Bereiche im Unternehmen wird deutlich, dass nur ein Zusammenspiel aller effektives Lernen und Verändern fördern kann. Wird 79
die Organisation tatsächlich systemisch und ganzheitlich betrachtet, um Entwicklungen zu verstehen und sich überlebensfähig anzupassen, so muss jede Personalentwicklung auch Organisationsentwicklung sein und gleichzeitig eine Vielzahl von Möglichkeiten des Lernens und der bewussten Förderung durch Weiterbildung beinhalten. Soweit zumindest das theoretische Postulat, dem in der praktischen Umsetzung nicht selten Grenzen, widersprüchliche Ziele und Interessen bis hin zu Aufteilungen von Macht und Einfluss gegenüberstehen und die somit wirkungsvolle Koordination erfolgreich verhindern. 5.1.2
Die Einbettung der betrieblichen Weiterbildung
Ist die Weiterbildung als Qualifizierungsmaßnahme mehr als nur Training im Rahmen zukünftiger Personal- und Führungskräfteentwicklung? Im Sinne der oben dargestellten Zusammenhänge muss die Antwort „ja“ lauten. Dann beschränkt sich Weiterbildung nicht nur auf Vorqualifizierung (im Sinne von Potenzialförderung) oder Nachqualifizierung (im Sinne von Defizitausgleich), sondern muss weit darüber hinausgehen und als Dienstleister unter anderem im Vorfeld den Bildungsbedarf ermitteln, Entwicklungen erkennen, Veränderungsnotwendigkeiten eruieren, dann die Entwicklung und Förderung mit unterschiedlichsten, vor allem aber zieldienlichen Maßnahmen begleiten und im Anschluss den individuellen sowie organisationalen Nutzen evaluieren. Sowohl das Funktionsfeld als auch das Aufgabenfeld betrieblicher Weiterbildung stellt sich als ein komplexes Feld dar, soll es den ebenso komplexen Anforderungen genüge tragen.
80
Abb. 7:
Verschiedene Funktionsfelder der betrieblichen Weiterbildung (Quelle: Götz 1997, S. 92)
Götz (1997, S. 92) bietet einen Überblick über verschiedene Funktionsfelder der betrieblichen Weiterbildung, die direkt in Verbindung mit Personal- und Organisationsentwicklung stehen (vgl. Abb.8).
81
5.2
Zwischen hohen Anforderungen und pragmatischen Lösungen: die Praxis der betrieblichen Weiterbildung
5.2.1
Anforderungen aus der Praxis
Die Anforderungen, die aus wirtschaftlicher Sicht an die betriebliche Weiterbildung gerichtet werden, gründen auf den zahlreichen Veränderungen in der Arbeitswelt. Schlaffke (2000, S.123ff) vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln weist in diesem Zusammenhang u.a. auf folgende Herausforderungen hin: Wachsende Freiheiten in der Arbeitsstruktur und gestiegene Wettbewerbsanforderungen benötigen die Unterstützung zu mehr „geistiger Wendigkeit“, Flexibilität, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung im Denken wie im Handeln.23 Zunehmende Komplexität der Aufgaben und Arbeitsbeziehungen erfordert Konzepte von Weiterbildung, die sich nicht auf fragmentierte Einzelmaßnahmen stützen, sondern komplexe Handlungskompetenz durch integrative Ansätze von Personal-
23
Diese Notwendigkeit wird vor allem vor einer zunehmenden Fragmentierung und Biografisierung von Erwerbsverläufen gesehen, die dazu führt, dass immer weniger standardisierte Qualifikationen für bestimmte Berufe bzw. bestimmte Lebensphasen vermittelt werden können, sondern die Herausforderung vielmehr darin besteht, Lernen an den eigenen Lebensverlauf anzupassen und vor dessen Hintergrund zu deuten (vgl. Pongartz, 2001).
82
und Organisationsentwicklung sowie betrieblicher Weiterbildung fördern. Hohe Investitionen für Weiterbildung und knapper werdende Ressourcen benötigen effizientere Lernformen, kürzere Lernzeiten und geringere Transferverluste. Dabei geht die generelle Orientierung weiter auf eine Selbststeuerung und Selbstorganisation von Lernen. Wirtschaftlichkeit und Nutzenkontrolle mit betriebswirtschaftlichen Kennziffern bzw. qualitativen Messgrößen werden wichtiger denn je. Diese Anforderungen sind gemeinhin anerkannt. Werden jedoch Erfahrungen aus der Praxis zu Rate gezogen, so scheinen bei den Unternehmen vor allem Effizienz, kurze Lernzeiten und Wirtschaftlichkeit im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Ein zunehmender wirtschaftlicher Druck sorgt für rigides Kostenmanagement im Bereich der Weiterbildung und Organisationsentwicklung. Im besten Falle ergeben sich ein höheres Qualitätsbewusstsein und konkrete Kosten-NutzenAbwägungen für Weiterbildungsmaßnahmen. Häufiger scheinen aber flächendeckende Kürzungen nach der Rasenmähermethode verbreitet. Ihnen sind in den letzten Jahren vor allem langfristig angelegte Management-DevelopmentProgramme, „weiche“ Themen wie Persönlichkeitsentwicklung, Kreativität, Innovation, Kultur und Gesundheit oder Lernformen wie selbstorganisierter Intervisions- und Lerngruppen, Coaching zum Opfer gefallen. Die Zeiten alternativer Weiterbildungsangebote, mit denen sich noch Mitte der 90er-Jahre ein bunt gemixter Weiterbildungsmarkt etablieren konnte, scheinen momentan vorüber. Die Budgets werden gekürzt, die zukünftigen Veränderungen sind kaum absehbar und so wird auf gut messbare Angebote fachlicher Weiterbildung (Projektmanagement, EDVKompetenzen, Prozesssteuerung, etc.) und auf eher instrumentelle Führungsqualifikationen zurückgegriffen (vgl. Graf, 1998). 83
Themen wie Gesundheit, Fitness und Persönlichkeitsentwicklung an der Schnittstelle zwischen Arbeit und Privatleben sind ebenso von dieser Entwicklung betroffen. Zwar verbucht gerade Gesundheit aus Sicht der Unternehmen einen enormen Bedeutungszuwachs für die betriebliche Weiterbildung (vgl. Graf, 1998, S.31), doch die Umsetzung steht wie bei anderen „weichen“ Themen unter der Anforderung des „cost cutting“. „Nur aus Imagegründen zeigen Unternehmen Interesse“, lautet das harte Urteil einer Recherche (Schneider, 2001). Diese Entwicklung folgt nicht nur wirtschaftlichem Druck, sondern steht im Einklang mit existierenden und angewandten Managementtheorien. Während beispielsweise das bereits zitierte Konzept der Lernenden Organisation (Senge, 1996) den Veränderungsbedarf der Führungskräfte gut abbildet und noch immer vielen Führungskräften „aus dem Herzen spricht“, hat es für die Praxis an Ausstrahlungskraft verloren. Denn dort geht es verstärkt um strategische Härte und es wird Jagd auf Kosten und erhöhte Profitabilität gemacht. Angesichts solcher Entwicklungen muss sich das Konzept die Kritik fehlender Trennschärfe und nicht vorhandener Problemlösungswerkzeuge gefallen lassen (Gloger, 1997, S.61). In der Summe entsteht der Eindruck, dass zwar die Notwendigkeit zur Vermittlung ganzheitlicher Handlungskompetenz sowie Selbststeuerung aufgrund zunehmender Komplexität erkannt wird, dass jedoch die Funktionszwänge und die Fragen nach Wirtschaftlichkeit und Nutzen einen hohen Handlungsdruck auslösen. Darauf wird verstärkt mit den klassisch bekannten Managementwerten wie Machbarkeit, Kontrollierbarkeit und Messbarkeit reagiert. Gleichzeitig wächst so der Anteil des „toten Wissens“ (Geißler, 2000, S.135), einem Wissen, das schnell und pragmatisch vermittelt werden soll, doch oft nur oberflächlich angelegt und deshalb kaum handlungswirksam ist. So verwundert es kaum, dass die oft gestellte und noch offene Frage im Rahmen des Wissensmanagements die folgende ist: Wie kann Wissen nicht nur neu systematisiert und einheitlich gesichert werden (vgl. Grossmann, 1997), sondern wie wird Wissen individuell und organisational wirksam und lebendig? 84
5.3
Zwischen Lehren und Lernen: die wissenschaftliche Entwicklung der Weiterbildung
5.3.1
Entwicklungslinien: von der Belehrungs- zur Ermöglichungsdidaktik
Seitdem Weiterbildung in Unternehmen als ein wichtiger Faktor für Erfolg und Innovation betrachtet wird, hat sich die Disziplin der Erwachsenenbildung stark in Richtung beruflicher bzw. betrieblicher Weiterbildung bewegt. Deshalb verlaufen die wissenschaftlichen Entwicklungen, die sich hier vollzogen haben, auch im Einklang mit Anforderungen aus der Praxis. So stand bis Ende der 70er-Jahre die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter und Führungskräfte im Vordergrund („intentionales Lernen“) (Arnold, 1999b, S.2). Betriebliche Weiterbildung hat damals Lernen vor allem durch fest institutionalisierte und durch Experten realisierte Lehre gefördert, bei der die Vermittlung von Wissen im Mittelpunkt stand. Seit den 90erJahren wird diesem Modell einer sachorientierten Belehrungsdidaktik der Ansatz einer aneignungsorientierten Ermöglichungsdidaktik gegenüber gestellt (Arnold & Siebert, 1995, S.91). Zum einen war es aufgrund zunehmender Wissensexplosion und erhöhter Dynamik und wirtschaftlichen Entwicklungen kaum mehr möglich, konkrete Einzelqualifikationen vorher zu bestimmen und in klar abgrenzbare Qualifizierungsmaßnahmen zu übersetzen (dies ist heute vor allem noch im EDVoder Sprachbereich der Fall). Anstelle fest umrissener Handlungsmuster war vielmehr die Förderung einer alltäglichen Handlungskompetenz des Einzelnen, die Entwicklung von sogenannten Schlüsselqualifikationen – nicht „Know-how“, sondern „Know-how-to-know“ gefragt (vgl. Arnold & Schüßler, 2000, S.320). Daraus ergab sich die Forderung nach einem verstärkt subjekt- und erfahrungsorientierten Lernen. Im Vordergrund stand zunächst nicht der Sachverhalt bzw. Lerninhalt, sondern der 85
Einzelne, bei dem Lernen von außen nicht erzeugt und gesteuert werden kann, sondern der vom Lehrenden lediglich zum Lernen angeregt und gefördert, dem Lernen ermöglicht werden kann. Gestützt wurde dieser Anspruch durch neuere konstruktivistische und kognitionstheoretische Theorien (vgl. Maturana 1985; Watzlawick, 1988; Roth, 199824). Sie vermittelten, dass Lernen als ein weitgehend selbstorganisierter Vorgang zu betrachten ist und dass das vermittelte Wissen vor dem Hintergrund bereits bestehender Wertvorstellungen, Handlungsorientierungen und Interpretationsmustern neu gedeutet wird. Mit diesen neuen Annahmen setzte sich schnell die Überzeugung durch, dass Weiterbildungsangebote vor allem dann nachhaltiges Lernen und komplexe Handlungskompetenzen sichern, wenn sie an die Wert- und Deutungsmuster des Einzelnen anknüpfen, d.h. das bereits „eingelagerte Wissen“ systematisch mit einbeziehen. Arnold & Schüßler (2000, S.316) bezeichnen diese Art des Lernens als reflexives Deutungslernen. Die Trendwende, die sich hieraus für die Weiterbildungspraxis abzeichnete, war gekennzeichnet durch eine Abkehr von professioneller Didaktik hin zu einer verstärkten Aufmerksamkeit auf Reflexion, Deutung von bestehenden Handlungs- und Einstellungsmustern, Lernen im Prozess der Gruppe und stark selbstorganisierten bzw. selbstgesteuerten Lernformen.25 Beispiele hierfür sind selbstgesteuerte Lerngruppen, Supervisionsgruppen oder Coaching, bei denen ganz gezielt mit den
24
25
Zitiert nach Arnold & Schüßler (2000). Selbstgesteuertes Lernen bezieht sich auf die Art des didaktischen Prozesses und den möglichen Partizipationsgrad; im Gegensatz zu selbstorganisiertem Lernen, das die Auswahl, Inszenierung und Gestaltung der Lerngelegenheit mit einbezieht.
86
individuellen Wissensbeständen, Wahrnehmungen und Interpretationen gearbeitet werden kann. Die Vorteile liegen auf der Hand: Lernen wird weniger didaktisch, sondern autodidaktisch. Der Lernende nimmt eine viel aktivere Rolle ein und der Lerninhalt wird individuell anhand der eigenen Erfahrungen und Muster verarbeitet. Weiterhin ist Lernen nicht auf die Lernsituation beschränkt, sondern kann bei entsprechender Bereitschaft durch ein begleitendes Reflektieren im Alltag stattfinden. Denn das vorrangige Ziel besteht nicht in der Beherrschung einzelner Fähigkeiten, sondern im reflektierten und flexiblen Einsatz dieser Fähigkeiten in verschiedenen Alltagssituationen. 5.3.2
Auswirkungen in der Praxis
Diese Entwicklungen sind den Anforderungen in den Unternehmen zunächst wesentlich entgegengekommen. Denn sie haben neue Antworten auf die Fragen nach der Verkörperung des Wissens gegeben. Anstelle einer Verarbeitung „neuer Rezepte“ wurde und wird in zahlreichen Workshops mit Einzelpersonen, Teams, Abteilungen, Bereichen verstärkt auf die Erarbeitung des vorhandenen Wissens und dessen Neugestaltung bzw. Bereicherung durch neue Sichtweisen gesetzt. Persönlichkeitsorientierte Weiterbildung errang erstmals einen hohen Stellenwert und die Suche nach neuen Wegen für eine stark handlungsorientierte und erfahrungsbasierte Vermittlung von Weiterbildungsinhalten führte zu einer hohen Methodenvielfalt (vgl. Leidenfrost, Götz & Hellmeister, 1999). Um Lernen zu ermöglichen, nutzte man verschiedenste Zugangskanäle und das bunte Treiben auf dem Weiterbildungsmarkt ist eine der Auswirkungen des sogenannten „autodidactic turn“ (Arnold, 1999a, S. 4). Auch dem Lernen mit und über den Körper wurde in diesem Zuge neue Bedeutung eingeräumt und etwa über OutdoorTrainings, Business-Theater, Kampfsport realisiert. Wer jedoch in den letzten beiden Jahren die Veranstaltungskataloge 87
der betrieblichen Weiterbildung verschiedener Firmen gewälzt hat, der konnte eine Rückkehr zu den wirtschaftlichen Paradigmen der Mach-, Kontrollier- und Steuerbarkeit – sowie damit verbundenen Lernmaßnahmen und Themen beobachten. 5.3.3
Paradigmen, Probleme und offene Fragen
In der Tat fordert ein Lernen, das auf konstruktivistischen Theorien basiert, dazu auf, das eigene Bild von der Wirklichkeit beweglich zu belassen und immer wieder neu zu prüfen. Das heißt, was hier gefördert wird, ist eher das Aushalten und der Umgang mit Unsicherheit statt der Anwendung bestimmter Managementtools, die Sicherheit und Steuerung versprechen. Natürlich ist jede Führungskraft von der zunehmenden Geschwindigkeit, Dynamik und Komplexität der Wirtschaft überzeugt. Doch gerade für sie scheint es emotional wichtig zu sein, Sicherheit zu finden und damit nahezu verführerisch, Problemlösetoolboxen für den Schreibtisch gegen reflexives Lernen einzutauschen. Doch eine Kritik, die sich auf die Einseitigkeit wirtschaftlicher Zwänge und Paradigmen zurückzieht, greift zu kurz. Denn ein reflexives Deutungslernen, möglicherweise noch selbstorganisiert hat ebenso Grenzen. Die Intensität und die Tiefe, die ursprünglich erzielt werden sollten, verlieren besonders schnell an Wirkung, wenn z.B. die Teilnehmer Belehrung anstelle von Lernen oder Struktur anstelle von Prozess erwarten. Oder umgekehrt, wenn die Weiterbildner ausschließlich auf Reflexion und Selbstorganisation beharren und damit die Bedürfnisse (gerade von Führungskräften) nach harter Ergebnisorientierung nicht anerkennen. Grenzen entstehen dann, wenn einerseits Weiterbildung nach dem Motto: „schnell, glatt und gut“ stattfinden soll und andererseits reflexive Deutungsvorgänge ihre Zeit brauchen, weil sie eine gewisse Tiefe benötigen. So stellt sich letztlich eher die Frage: welche Form des Lernens berücksichtigt einerseits die neuen Anforderungen seitens der Wirtschaftlichkeit und andererseits die Bedarfe der Lernenden im Sinne ganzheitlicher Handlungskompetenzen?
88
5.4
Der Körper als Lernziel und Lernmedium in der betrieblichen Weiterbildung Als ob es irgendeinen Wert hätte, jemanden zu einem richtig denkenden und schließenden Wesen zu machen, wenn es nicht gelungen ist, ihn vorher zu einem richtig empfindenden zu machen. (Nietzsche, zit. nach Rumpf, 1994, S.8)
Lernen ist nicht gleich Lernen. Gehen wir davon aus, dass Nietzsche mit seinem Zitat recht hat, und dass Veränderungen und Lernen gerade dann erfolgreich sind, wenn sie empfunden und im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert werden. Doch wie sieht die momentane Wirklichkeit der betrieblichen Weiterbildung aus? Wo sind bisher Verbindungen zwischen betrieblicher Weiterbildung, Führungskräfteentwicklung und Körper zu finden? Wo spielt der Körper überhaupt eine Rolle und inwiefern? Wo ist er Lernmedium oder auch Lernziel (Kommunikationstrainings, Gesundheitsprävention, ganzheitliche Lernangebote, etc.)? Wann hat jeder selbst zum letzten Mal erfahren, dass reines Wissen noch lange nicht Umsetzung und Anwendung heißt, sondern erst die Verkörperung des Gelernten wirklichen Transfer bedeutet? 5.4.1
Thesen und Annahmen rund um das Thema Lernen und Körper
Lernen kann gleichzeitig auf allen vier Erlebnisebenen des Menschen (Gedanken, Gefühle, Verhalten, Körper) ansetzen. Seit den frühen Anfängen der Pädagogik hat man erkannt, dass eine Kombination aller Erlebnisebenen beim Lernen sinnvoll ist. Doch entgegen allem Grundlagenwissen prägen uns damals wie heute zahlreiche Vorstellungen und Bilder vom „richtigen“ Lernen, sei dies in der Schule, der Berufsausbildung oder innerhalb der betrieblichen Weiterbildung. Zum Einstieg präsentiere ich deshalb unkommentiert einige plakative Thesen 89
über den aktuellen Diskussionsstand zum Bereich Körper und Lernen. Sie sind gleichzeitig eine Demonstration der prägenden mentalen Modelle. Wir können davon ausgehen, dass sie nicht nur unsere Wahrnehmung und Bewertung beeinflussen, sondern auch unser Handeln, egal ob im betrieblichen oder privaten Kontext. Entscheiden Sie selbst, wie zutreffend die Thesen jeweils erscheinen: ¾
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¾
¾
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Betriebliche Bildung ist etwas Höheres, beschäftigt sich mit hohen Themen aller Art, v. a. mit Bereichen der Vernunft und des Verstandes. Sinne, Emotionen, Körperlichkeit, Sport und Wolldecken gehören eher in den Privatbereich, „in den Bereich des Animalischen oder des privaten Miefs, der Freizeit.“ (Holzapfel, 1995, S.42) Die Botschaft dahinter lautet: „Schnell ist gut, viel ist gut, glatt ist gut. ...Schulen der Langsamkeit, des Aushaltens von Fremdheit, der Intensitätsgewinnung sind selten“ (Rumpf, 1995, S.40). Wenn es also noch schneller ginge, wäre es noch besser, so ähnlich lauten die Anforderungen an das heutige betriebliche Bildungswesen. Ein Zugewinn an Intensität steht vor allem dann im Vordergrund, wenn es um das Austesten von Grenzen geht (z.B. Führungskräfteentwicklung mit Outdoor- und Incentiveangeboten). Sonst ist vielleicht eher „ein beherrschter und funktionsgehorsamer, kalkulierbarer Körper, ... ein mehr oder weniger heimliches Lernziel der alltäglichen Bildungsarbeit.“ (Rumpf, 1995, S.36) Erwachsenenbildung befindet sich oft in einem Spagat zwischen Monokulturen des Lernens. Reine „Geistesbildung“ steht einem Lernen mit „Kopf, Herz und Hand“ gegenüber. Es besteht die Herausforderung, dabei weder das eine zum Gehirnjogging verkommen zu lassen, noch das andere zum Erlebnispark oder zur „Universaltherapie auf der Basis von Sinndefizit“ (Holzapfel, 1995, S.53). Das Thema Körpererfahrung hat vor allem im Management den Ruch des Exotischen, Alternativen, Therapeutisch-Psychologischen, der Sondererziehung oder des Esoterischen.
¾
Eine Verknüpfung von Körper und Lernen findet im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung am ehesten drei wesentliche Ansatzpunkte: das der Leistungssteigerung durch Gesundheitsförderung, des Erlebnis- und Erfahrungslernens im Rahmen von Outdooreinsätzen und der nonverbalen Kommunikation im Bereich Präsentation, Moderation und Rhetorik.
Es existieren bereits einige Ansätze und Wege, bei denen der Körper Teil der betrieblichen Weiterbildung und als solcher auch legitimiert ist; diesen wird eine beispielhafte Darstellung in den nächsten Abschnitten gewidmet. Es geht um das Entdecken von Schnittstellen, an denen der Körper entweder als Lernziel selbst oder als Lernmedium zum Tragen kommt. Im Zentrum stehen dabei die Gebiete der Gesundheitsförderung sowie der Erlebnispädagogik und Körperarbeit.
5.5
Variation 1: Der gesunde Körper als Lernziel
Der Arbeits- und Gesundheitsschutz oder der Betriebssport mit seinen zahlreichen Angeboten für Fitness, Bewegung und Wellness ist das Feld, das den Körper als Lernziel definiert hat. Auch in den Wissenschaften wurde der Körper sehr lange Zeit beinahe ausschließlich auf das Gebiet der Medizin bezogen. Dort ist gewissermaßen seine Heimat und dies spiegelt sich noch heute in einer sehr engen Verbindung zur Gesundheitsförderung wider. Im Zuge dieser Tradition möchte ich wesentliche Grundzüge der betrieblichen Gesundheitsförderung aufgreifen. Es ist der am ehesten praktizierte und legitimierte Bereich, in welchem Körper, Lernen und betriebliche Bildung tatsächlich zusammen fallen. Fragen Sie nach Körper und Lernen in einem Unternehmen, wird Ihnen jeder das Programm des Betriebsarztes oder Betriebssportes vorlegen. Im Folgenden werden deshalb die Aspekte Entwicklung und Ziele der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie Evaluation, Erfolgskriterien und Beispiele dazu dargestellt.
91
Nach einer Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin grassiert quer durch alle Branchen förmlich ein Fitness-Fieber. Mittlerweile lassen sich deutsche Unternehmen diese Variante der Gesundheitsvorsorge jährlich über eine Milliarde Mark kosten. (Radiobeitrag, SWR1, 1/2000).
Die „corporate fitness“ hat ihren Ursprung in den USA. Heute noch nehmen amerikanische Unternehmen auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle ein. Auch in Deutschland ist die innerbetriebliche Gesundheitsförderung zumindest bei den Großunternehmen ein etablierter Bestandteil. Gleichzeitig ist es der Bereich, der sich einstmals aus einer Art „Reparatur-Medizin“ für die Beschäftigten zu einem Präventionsbereich für alle herauskristallisiert hat. Von Unternehmen werden gerade auf diesem Gebiet verstärkt strukturelle, aber auch finanzielle Anstrengungen und Investitionen unternommen, da nicht nur die ethische, sondern auch mehr und mehr die wirtschaftliche Notwendigkeit der Gesundheitsfürsorge für die Mitarbeiter erkannt wird. 5.5.1
Entwicklungswege, Ziele und Beispiele der Gesundheitsförderung
Unter betrieblicher Gesundheitsförderung oder „work site health promotion“ versteht man allgemein eine Kombination von Maßnahmen, die dem Individuum sowohl durch Lernangebote wie auch durch arbeitsplatzspezifische Rahmenbedingungen ermöglichen soll, gesundheitsbewusst zu leben. Im betrieblichen Kontext wird damit sowohl der Schwerpunkt auf die Selbstverantwortung jedes Einzelnen gelegt (Verhaltensprävention) als auch auf die organisationale Verantwortung (Verhältnisprävention durch bestimmte Rahmenbedingungen wie Arbeitsplatzgestaltung, Fitnessprogramme, Lernangebote) (Schaeffer, Snelling, Stevenson & Karch, 1994). Über die Jahre hat sich dabei der Fokus je nach Bedarf und Erkenntnisstand verschoben. Er lässt sich gut anhand ver92
schiedener Generationen von Präventionsprogrammen nachzeichnen: • • • •
Maßnahmen direkt auf Gesundheits- und Arbeitsschutz gerichtet (häufig im Produktionsbereich (sichere, ergonomische Arbeitsplätze) Konzentration auf bestimmte Krankheiten und Promotion spezieller Programme (z.B. Herz-KreislaufErkrankungen, Übergewicht, Krebs, etc.) Gesundheits-Check-ups auf breiter Basis und Erarbeitung individueller Interventionsmaßnahmen Koordination und Kombination verschiedener Maßnahmen mit dem Fokus auf genereller Lebens- und Arbeitsplatzqualität, Wohlbefinden (Ernährung, Fitness, Entspannung), aber auch Gesundheitsservices und Arbeitsschutz. (vgl. Schaeffer et.al, 1994).
Während anfänglich also das Verhindern von Risikofaktoren im Vordergrund stand, liegt der Fokus heute vor allem darauf, den Lebensstil der Mitarbeiter insgesamt bewusster zu gestalten. Das heißt, es wird idealtypisch an verschiedenen Ebenen wie Verhalten, Wissen, Fähigkeiten, Einstellung angesetzt, um langfristig Erfolg zu verzeichnen. Das Verhalten kann dabei vor allem dann beeinflusst werden, wenn auch das Umfeld gesundheitsförderliche Paradigmen trägt bzw. mittels Strukturen, Angeboten und sonstigen Möglichkeiten ein „behavioral setting“ zur leichten Umsetzung anbietet (vgl. Maes, Brezinka, 1991; Hoover, Jensen, Murphy & Anderson, 1994, S.108).
93
In der praktischen Umsetzung wird beispielsweise eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen durchgeführt, die entweder spezifische Lernangebote oder eher Rahmenbedingungen für gesundheitsbewusste Lebensstile darstellen26,: •
Medizinische Dienste wie Vorsorge-Check-up, Kuren, etc. Fitness-, Sport- und Bewegungsangebote (Rahmenbedingungen wie Fitnessstudio, Sporthallen, etc. wie auch zahlreiche Kurse für Fitness, Gymnastik und Entspannung) Aktionsprogramme mit Informationen, speziellen Ernährungsangeboten und dem Ziel der generellen Sensibilisierung für das Thema Gesundheit Integration von Gesundheits-, Stress- und Leistungsmanagement in betriebliche Bildung und Führungskräfteentwicklung (Eingliederung der Elemente Bewegung, Ernährung, Entspannung durch Kooperation mit Ärzten, Sportlehrern, Psychologen)
•
• •
Oftmals wird bei diesen Programmen vor allem der individuelle Nutzen bei den Teilnehmern sichtbar: reduzierte persönliche Krankheitskosten, gestiegene Lebensqualität und ein verbessertes Vitalitäts- und Energieempfinden. Dennoch wird im Rahmen der Gesundheitsförderung in Unternehmen auch in gesamtorganisatorischen Zusammenhängen gedacht. Typische Motive von Unternehmen, derartige Investitionen zu tragen, liegen hier in der Kostenreduktion durch geringere Ausfallzeiten, Senkung der Krankheitskosten, Erhöhung der Produktivität und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter sowie einer geringeren Fluktuation. Viele Unternehmen lassen ihren Führungskräften und Mitarbeitern gesonderte Ausbildungen zu
26
Beispiele der DaimlerChrysler AG Stuttgart.
94
Gute kommen, die sie zu Spezialisten im eigenen Unternehmen machen. Fallen derartige Fachkräfte vorzeitig oder langfristig aus, so entstehen enorme Kosten. Einige wenige Zahlen mögen das belegen (vgl. Gollner, Kreuzriegler, Eitzinger, 1992): • • •
Ein nicht tödlicher Herzinfarkt, den ein Mitarbeiter erleidet, kostet das Unternehmen etwa 43 000 DM (Untersuchung der Firma Boehringer, Mannheim). Die amerikanische Industrie verliert pro Jahr etwa 25 Mrd. Dollar durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Rückenbeschwerden verursachen nahezu 1 Mrd. Dollar Verlust durch verlorene Arbeitszeiten.
Dies war der Status quo in den 90er-Jahren. Heute sind die Zahlen ähnlich, wie beispielsweise die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände berichtet: „Gesundheitliche Probleme von Managern belasten die deutsche Wirtschaft jährlich mit 10 Milliarden Mark“ (Titze, 2001). Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind zu den Kostenfaktoren jedoch weitere Motive für Gesundheitsförderung im Unternehmen hinzugekommen. Das betrifft zum einen den Imagefaktor. Gerade für Führungskräfte, bei denen die Arbeitszeitbelastungen enorm gestiegen sind, wird es immer wichtiger, entsprechende Rahmenbedingungen für einen ausgleichenden Lebensstil auch innerhalb der Firma zu finden (Fitnessstudios, gesunde Ernährungsmöglichkeiten, andere Gesundheitsangebote). Da sich andererseits die Notwendigkeit einer langfristigen Leistungsfähigkeit erhöht, weil in den nächsten Jahren eine Erhöhung des Altersdurchschnitt der Arbeitnehmerschaft erwartet wird, könnte das in einem Unternehmen gelebte Thema „Work-LifeBalance“ auch ein zukünftiger Image- und Erfolgsfaktor werden (Rust, 2001). 5.5.2
Betriebliche Umsetzung und Wirkungsanalysen der Gesundheitsförderung
Derart lauten zumindest die idealtypischen Ansätze. Wie überall hat auch hier die Praxis zahlreiche Einschränkungen zu 95
bieten. Diese betreffen z.B. einen Widerspruch zwischen offiziellem Bekenntnis und tatsächlichen Investitionen vieler Firmen in den Gesundheitsbereich. Man erkennt wohl das Problem und die soziale Verantwortung. Da jedoch vordergründig kurzfristige Erfolgskennzahlen zählen und die Investition in Gesundheitsförderung zunächst eine tatsächliche Mehrinvestition darstellt, deren Amortisation erst langfristig betrachtet werden kann, bleibt die Priorität des Themas häufig gering. Gemessen wird Mann/Frau an anderen Dingen und geerntet werden beim Thema Gesundheit weniger Lorbeeren als vielmehr ein Lächeln. Und in der Tat sind Zweifel angebracht, ob diejenigen Kennzahlen, deren Senkung durch Gesundheitsförderung anvisiert wird, auch wirklich damit zu beeinflussen sind. Neben den reinen Programmzielen (wie Veränderungen in Risikofaktoren, Gewichtsreduktion, erhöhte Ausdauerfähigkeit etc.) stehen meist organisationale Variablen wie Abwesenheit, Produktivität und Zufriedenheit im Vordergrund von Evaluationen, weil hier nachweisbare ökonomische Ersparnisse vermutet werden. Die sehr widersprüchlichen Evaluationsergebnisse von betrieblichen Gesundheitsförderungsprogrammen (Schaeffer et.al, 1994) basieren u. a. auf hypothetischen linearen Zusammenhängen, die zwar zugrunde gelegt, aber nicht notwendigerweise vorhanden sein müssen. So ist es beispielsweise sehr aufwändig, die Faktoren Abwesenheit und Produktivität auf gesteigerte Leistungsfähigkeit, gesenkte Risikofaktoren oder verbessertes Stressmanagement durch Präventionsprogramme zurückzuführen. Sinkt beispielsweise die Anzahl der Krankmeldungen tatsächlich mit einem besseren Gesundheitszustand? Möglicherweise hängt gerade die Abwesenheit eher vom individuellen Krankheitsverständnis als vom tatsächlichen Wohlbefinden ab? Selbst wenn diese eindeutigen Zuordnungen möglich wären, so fragen Schaeffer (et.al, 1994, S.93): „How does one attach an accurate dollar figure to these improvements in absenteeism and increased productivity?“ Einer rein ökonomisch orientierten Sichtweise scheinen also kaum genügend Zahlen, Fakten und Argumente geliefert werden zu können, die diese Investitionen begründen würden. Vielmehr bemerkt Fielding (1994, S. 227) als Resultat der 96
Evaluation eines der größten betrieblichen Gesundheitsförderungsprogramme LIVE FOR LIFE von Johnson & Johnson in Amerika: Finally, the LIVE FOR LIFE experience, like that of other prospering work site health promotion programs, strongly suggests that the largest benefits are paradoxically the most difficult to measure.
Gemeint ist ein generelles Klima von Wohlbefinden und Spaß, eine veränderte Einstellung hin zu mehr Selbstverantwortung und eine positive Wahrnehmung von zahlreichen Herausforderungen des Alltags. So scheinen auch hier Interventionen, die ursprünglich den Körper in den Vordergrund stellen, wesentlich weiter zu greifen und mit dem Fokus Lebensstil den ganzen Menschen einzubeziehen. Gesundheitstraining wird landläufig oft mit Sport, Diät und ernsthafter Arbeit mit viel Verzicht gleichgesetzt. Die oben genannten Ergebnisse weisen jedoch vielmehr darauf hin, dass Gesundheit tatsächlich mehrere Säulen hat: • • • • • •
Bewegung Ernährung Entspannung Beziehung Soziales Umfeld Sinn und Spiritualität.
Ist damit Gesundheit wirklich nur beim Betriebssport oder dem Werksärztlichen Dienst angemessen verankert oder ist sie vielmehr Teil der Unternehmenskultur, der Führungskultur und
97
der Unternehmenspolitik?27 Ist damit betriebliche Gesundheitsförderung nicht eher eine durch Werte geleitete Entscheidung mit einem ökonomisch sinnvollen Nebeneffekt als umgekehrt eine ökonomische Entscheidung mit kulturellem Nebeneffekt? Ist Führungslernen nicht auch Gesundheitslernen und umgekehrt? Oder ist damit eine lernende Organisation nicht auch eine Organisation, die es lernt, sich gesund zu erhalten – im wahrsten Sinne des Wortes?
5.6
Variation 2: Der Körper als Lernmedium Lernen findet im Kopf statt, aber der Kopf ist Körper. (Ulrich Sollmann)
Der Körper hat sich als zusätzliches Lernmedium innerhalb der Erwachsenenbildung seine eigene Geschichte und Verankerung geschaffen, die sich natürlich auch im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung und Führungskräfteentwicklung widerspiegelt. Im Vordergrund stehen verschiedene Lehr- und Lernkonzepte, die einen verstärkt ganzheitlichen Bezug proklamieren, bis hin zur direkten Körperarbeit, die „erst am Körper und dann im Kopf ansetzt“ – um es auf sehr vereinfachte Art und Weise auszudrücken. Vereinfacht deshalb, weil im
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Gelebte Beispiele für eine Verankerung in Werten und Unternehmenskultur kennen wir eher aus asiatischen Unternehmen, die denen Meditation und Leibeserziehung Bausteine Führungsvorbereitungskursen sind oder bei denen es üblich ist, zu bestimmten Zeiten am Tag oder in der Woche auch in der Firma KörperÜbungen oder Meditation zu integrieren. Der dialektische Widerspruch der in unserem Denken zwischen Geld und Gesundheit zu herrschen scheint ist dort unbekannt. Zürn (1987, S. 209) schreibt von der „Nicht-zwei-heit“ von Zen und Yen.
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Zusammenhang mit dem Lernmedium Körper inzwischen fundierte Disziplinen, Schulen und Ansätze existieren, wie beispielsweise Körperarbeit im engeren Sinne, Erlebnispädagogik (vgl. Heckmaier & Michl, 1993; Heineking, 1995; Paffrath, H., 1998), Theaterpädagogik und seit einiger Zeit auch neue Ansätze der alternativen Körper-, Spiel- und Bewegungskultur innerhalb des Sport- und Gesundheitsbereiches (Polzin, 1995). Im Folgenden stelle ich ein paar wenige, aber wichtige Entwicklungslinien und Grundannahmen auf dem Weg zum ganzheitlichen Lernen dar und skizziere ihre Verbindung zur betrieblichen Weiterbildung. In welcher Form und unter welchen Gesichtspunkten sind diese Ansätze auch innerhalb der Führungskräfteentwicklung und betrieblichen Bildung interessant? 5.6.1
Betriebliche Bildung und Ansätze der Körperarbeit
Körperarbeit kann zunächst ganz allgemein als „unterschiedlich strukturierte Arbeit am Körperbewusstsein“ (Ottmüller, 1999, S.4) verstanden werden. Dahinter verbirgt sich eine Reihe traditioneller und neu entwickelter Fachrichtungen, die einst aus einer reinen Gymnastikbewegung hervorgegangen sind und heute beispielsweise Atem-, Stimm- und Bewegungsarbeit, Tanz- und Rhythmuspädagogik, Feldenkrais, körpertherapeutische Verfahren wie Bioenergetik und Biodynamik, oder auch Ansätze aus fernöstlichen Traditionen des Yoga, Tai Chi, Qi Gong, Reiki, Shiatsu umfassen. Im Bereich der Volkshochschulen und der Therapie scheinen derartige Angebote akzeptiert und hoch willkommen zu sein. Im wirtschaftlichen Kontext steht man dieser Art des Lernens sehr skeptisch gegenüber – verständlich, wenn man die Tradition dieser Arbeit und einige Schwerpunkte anschaut. Traditionell verbindet sich mit Körperarbeit ein hoher Anteil an Zivilisations- und Kulturkritik. Angeklagt wird vor allem die Trennung von Körper und Geist, die gerade in den 60er Jahren zu einer völligen Überbewertung von Gefühl und Körper führte. Vergleichen wir dies mit dem Paradigma der kognitiven 99
Steuer- und Beherrschbarkeit wirtschaftlicher Systeme, dann wird deutlich, wie groß zum Teil die Differenzen waren und noch sind. Dennoch näherten sich beide Seiten im Laufe der Zeit an, so dass zumindest zahlreiche Techniken und Interventionsmöglichkeiten mit mehr oder weniger philosophischem Hintergrund in Seminare und Workshops integriert werden und häufig einfach als „Körperübungen“ ein neues Lernmedium liefern. Dazu hat nicht zuletzt der bei Führungskräften und Mitarbeitern immer stärker erlebte Widerspruch „Mensch oder Manager?“ beigetragen. Was hilft es der Führungskraft, wenn sie nicht mehr in ihrer Kraft ist? Wenn der eigene Körper und damit schließlich die eigene Person nicht mehr funktionieren und zwischenzeitlich Gespür, Gefühl und Wohlbehagen auf der Strecke geblieben sind? „Mr. Duffy lebte ein Stück von seinem Körper entfernt.“ (James Joyce). Hier hat die Körperarbeit unter anderm. einen Ansatzpunkt im Bereich der Vitalisierung und des „Lebendig-in-sich-und-seinem-Körper-sein“ gefunden. Eine weitere Annäherung ist durch die zunehmende Bedeutung der Außenwirkung und Repräsentationsfähigkeit des eigenen Könnens und Wissens geschehen, denn gerade bei Gelegenheiten der Präsentation, Kommunikation, Moderation hängen Glaubwürdigkeit, Überzeugungskraft und Motivation entscheidend von der inneren und äußeren Haltung ab.28 Demzufolge können Grundrichtungen des Lernens durch Körperarbeit im betrieblichen Kontext folgendermaßen charakterisiert werden:
28
Die Haltung als sichtbares Muster des inneren Einstellungsvorganges. Die Haltung ist unmittelbar wahrnehmbar und vermittelt Botschaften.
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• • •
Entwicklung und Arbeit am eigenen Lebensstil und der eigenen Leistungsfähigkeit Entwicklung und Arbeit an der eigenen Persönlichkeit Entwicklung und Arbeit an der eigenen Außenwirkung im Kommunikationsprozess
Zahlreiche einfache Körperübungen bieten darüber hinaus jederzeit zusätzliche Möglichkeiten für die Arbeit in Beratungsprozessen, Teamentwicklungen, Coachings etc. Sie können dabei vor allem die lebendigen und positiven Aspekte in einer Gruppe unterstützen, die Aufmerksamkeit steigern oder einen stockenden Energiefluss (festgefahrene, verbissene Situationen) im wahrsten Sinne des Wortes in Bewegung bringen (vgl. Lambelet, 1998). Auffällig am Vormittag des Seminars ist die schnell entstandene Frische und Lockerheit in der Gruppe. Sie wechseln die Sitzpositionen, nutzen den Sitzball, kneten die Massagebälle in der Hand. Es wird deutlich spürbar, dass jeder für sich eine Wohlfühlhaltung einnimmt. Jetzt aufmerksam, da entspannter, es gibt keine Einheitshaltungen, jeder lässt sich irgendwie tragen zwischen eigenen, inneren Impulsen und fremden, äußeren Impulsen. Ein Lächeln – mit Leichtigkeit und Spaß kann an den Inhalten gearbeitet werden. (Leidenfrost, 2000; unveröffentlichte Seminarevaluation für DaimlerChrysler)
Dies sind zusammengefasst die Ziele und Anwendungsbereiche der Körperarbeit: Zielaspekte • allgemeine Vitalisierung, Neuorganisation und Balance aller geistig, seelisch, körperlichen Energien/Kräfte • Beweglichkeit und Flexibilität • Sensibilisierung zur Wahrnehmung und Beachtung des eigenen Körpers und damit auch alternativer Zugang zu: emotionalen Prozessen und Gefühlen – Kreativität, Intuition – nonverbalen Kommunikationsinhalten – physiologischen Abläufen – inneren Kräften bzw. Blocka101
•
• • •
den – physisch-psychischen Grenzen – SelbstBewusstheit und Selbst-Bewusstsein den erlebten Zustand des Körpers im Zusammenhang mit der eigenen Lebensgeschichte bzw. Lebenssituation verstehen lernen und damit alternativer Zugang zu eher unbewussten Informationen29 Besinnungspausen: Selbstreflexion und Zugang zu eigenen Wertigkeiten und Ressourcen Körper als Sender- und Empfängerstation im Kommunikations- und Konfliktprozess entdecken Verstärkung und Unterstützung der persönlichen Ausdrucksfähigkeit und Wirksamkeit
Anwendungsbereiche • Veranstaltungen zu Themen: • Persönlichkeit • Selbstmanagement • Veränderungsmanagement • Führung • Stresserleben und Erhalt der Leistungsfähigkeit • Kreativität • Arbeitstechniken • Zeitmanagement • Kommunikation, Gesprächsführung • Konfliktmanagement • Präsentation, Moderation • "Miniübungen" in Coachings, Team- und Bereichsentwicklungen, Workshops
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„In unserem Körper sind unsere Lebensgeschichte und unsere Werthaltungen gespeichert, sichtbar und spürbar.“ (Amann, 1991, S.151)
102
Auf theoretischer Seite werden dabei jeweils unterschiedliche Paradigmen einzelner Schulen zugrunde gelegt, die mit eigenen Erklärungsmustern und Vokabular operieren. Vor diesem Hintergrund steht eine Vielzahl von Wegen zur Verfügung, die über die allgemein bekannten Entspannungsmethoden, Bewegungsübungen, Imaginationsübungen hinausgehen, die jedoch erst vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen theoretischen Basis präzise und nachvollziehbar zu beschreiben wären. Neben den rein körpertherapeutischen Richtungen wie Bioenergetik, Biodynamik, Feldenkrais etc. sind viele Elemente der Gestalt-, der Hypnotherapie (nach Milton Erickson) oder dem NLP und inzwischen auch aus fernöstlichen Richtungen (Qi Gong, Tai Chi, Yoga) oder der Sportwissenschaft (Rückenschule, kleine Spiele, etc.) entlehnt. Veröffentlichungen und vor allem Wirksamkeitsstudien über Körperarbeit im Kontext betrieblicher Führungskräfteentwicklung gibt es kaum (außer Sollmann, 1999; Lambelet, 1998; Bryner & Markova, 1996; Schreiber, 1986). Es kommt sehr stark auf die Form der Anwendung und Einbettung der Körperinterventionen an, welche Ergebnisse am Ende erzielt werden. Erfahrungsgemäß ist diese Art der Arbeit besonders dann hilfreich, wenn in Form von Übungen ohnehin existierende Themen und Stimmungen in einer Gruppe unterstützt werden, wenn sie dazu dienen, bestimmte Aspekte zu verdeutlichen, zu vertiefen oder zu beschleunigen bzw. der Körper mit Empfindungen, Spannungen, Haltungen, Gefühle als zusätzliche Informationsquelle bei der Datensammlung zu bestimmten Themen genutzt werden kann. Weiterhin eröffnen sich ganz einfache Chancen der Belebung und die Möglichkeit, Zusammenhänge zwischen Verhalten, Kognition, Gefühl und Körper zu entdecken, und damit gleichzeitig über die Zwiesprache mit dem Körper neues, kreatives, zum Teil bisher unterbewusstes Wissen und ungenutzte Ressourcen zu fördern. Ebenso kann es gelingen, auch spielerische, nicht rationale Herangehensweisen aufzuzeigen, die das Lernen an sich, die Selbstverantwortung, die Konzentration sowie allgemeine Beweglichkeit und Veränderungsbereitschaft erleichtern können. 103
Ganz plastische Beispiele hierfür könnte folgende Arbeit mit Analogien sein (vgl. Lambelet, 1998): ¾
¾
Fragen der Arbeitsaufteilung, Zuständigkeit, Hierarchie in einem Team können mit der Arbeit an einem eigenem Körper-Organigramm eingeleitet werden. (Wer macht die vorrangige Arbeit? Kopf, Hände, Bauch? Wer führt bei Entscheidungen? Wer ist hoch angestrengt und wer eher unterbelastet?). Fragen der Selbstorganisation in einem Team können zunächst über die Analogie des selbstorganisierten Sitzens eingeführt werden und dabei beobachtet werden, welche Disziplin und Motivation alleine persönliche Selbstorganisation braucht (Beobachtungen, Schwierigkeiten, etc.).
Anders als bei kognitiver Wissensvermittlung lassen sich über die Arbeit an und mit dem eigenen Körper sehr unterschiedliche Ebenen unseres Selbst, ja auch intime Bereiche (Körperund Gefühlsebene) berühren. Damit verwoben sind sowohl Chancen, aber auch Risiken bzw. Grenzen der Körperarbeit und die Forderung nach einem besonderen Umgang damit, will man nicht ausschließlich Widerstand und Ablehnung ernten: • •
Transparenz und Plausibilität der Ziele und der Methode unbedingtes Ankoppeln an das betriebliche Umfeld und die Themen der Teilnehmer (beispielsweise Themen der Führung, Kommunikation etc. – reine Selbsterfahrung ohne konkrete Angebote der alltäglichen Umsetzung verfehlen ihr Ziel in der betrieblichen Bildung) Einfachheit und Klarheit Selbstverantwortung der Teilnehmer zu eigenen Grenzen Tiefe der Methoden an das Umfeld, Klima, Vertrauen zwischen den Teilnehmern anpassen
• • •
Doch selbst wenn körperorientierte Verfahren gut und kontextbezogen angekoppelt werden, so haben diese Methoden 104
doch oftmals alle etwas gemeinsam: Sie bewirken zunächst Unsicherheit, da sie im Rahmen der Arbeitswelt etwas Fremdes darstellen. Dass diese Unsicherheit zugleich ein erwünschtes Lernstadium sein kann, bedarf einiger Erklärungen und Erlebnisse. Denn Unsicherheit gilt als der Bereich, in dem feste und stabile Gewohnheiten und Muster nicht mehr greifen, sondern mit Beweglichkeit, Mut und Vertrauen neue Wege und Lösungen gesucht werden können bzw. sogar müssen. Gerade das Aushalten der Unsicherheit, also eine hohe Ambiguitätstoleranz und das Behalten der Sicherheit in unsicheren, widersprüchlichen Situationen gelten als sehr wichtige Eigenschaften zukünftiger Führungskräfte. Für den Einsatz von Körperinterventionen steht damit weniger die Frage nach der Wirksamkeit als vielmehr die Frage nach der Stimmigkeit mit dem Anwendungskontext im Vordergrund: Unter welchen Bedingungen und vor welchem Hintergrund ist Körperarbeit sinnvoll und bringt einen zusätzlichen Nutzen? 5.6.2
Betriebliche Bildung und Ansätze der Erlebnispädagogik
Ich weiß nicht, was die Männer zu dem Entschluss geführt hat, waghalsig mit 140 km/h den Eiskanal hinunter sausen zu wollen. Sie hatten sich mit Morgengymnastik und Einstiegstraining im Team vorbereitet, sie hatten die Junioren bei ihren Wettkämpfen vorher aufmerksam verfolgt, die Bobbahn und deren Kurven studiert und sie hatten diesen kurzen Momenten entgegen gefiebert, in denen sie in Sekunden in den Bob sprangen und geduckt hinter dem Piloten gen Ziel rauschten. Plötzlich spürten sie nur noch die Kräfte, die auf sie einwirkten! Die Männer wurden zum Spielball der Geschwindigkeit, der Fliehkraft, ja den Lenkkünsten des Bobweltmeisters! Jeder reagierte auf seine Art mit verschiedensten Gefühlen und Gedanken, kaum steuerbar, unmittelbar und intensiv! Selbst nachts in den Träumen ging die Fahrt weiter. Und am Morgen danach ein kurzes Zögern, aber schließlich hatte es beinahe alle wieder in den Eisbann gezogen! Draufgängerischer als am Tag zuvor, bei Schneesturm und widrigen Verhältnissen, wurde nun um Sekunden und Zehntel gefeilscht, doch gesiegt 105
haben am Ende alle! Jeder über seinen eigenen (meist inneren) Konkurrenten! Obwohl alle das gleiche Programm durchlaufen hatten, waren es doch sehr individuelle Prüfungen, denen sich die Manager in diesen beiden Tagen stellten. So mancher dachte dabei an die Familie, dachte an die Parallelen im Job oder dachte an die Kindheit, in der man in selbst gebastelten Seifenkisten die ersten Erfolge errungen hatte. Inzwischen haben sie ihre Erfolge wieder zwischen Schreibtisch und Verhandlungspartner gefeiert und sich mit alltäglichen, kleineren und größeren Wettkämpfen, Talfahrten und Prüfungen auseinander setzt, doch der Tatendrang und Abenteuerdurst ist nicht verschwunden. (Leidenfrost, 2000; unveröffentlichte Seminarevaluation für DaimlerChrysler zu einem Teamtraining im Viererbob © TeamExperience).
Dieser Ausschnitt birgt eine Reihe von Aspekten, die häufig unter dem Stichwort „Erlebnispädagogik“ zusammengefasst werden: •
außergewöhnliche Erlebnisse, die unter die Haut gehen und starke Emotionen hervorrufen Lernen im Umfeld der Natur – Outdoor Selbsterfahrung, Gruppendynamik, Spaß spielerische Lernsituationen mit Ernstcharakter oder Grenzen testen, erfahren, erweitern
• • • •
Doch Erlebnispädagogik ist mehr als das und ist vor allem mehr als in jüngster Zeit oft durchgeführte Outdoortrainings, wenngleich sie tatsächlich ihre Wurzeln im Outdoorbereich hat. Oft wird dabei Kurt Hahn als der Begründer von Outward Bound30 (einer erlebnispädagogischen Institution) zitiert.
30
Outward Bound – Deutsche Gesellschaft für Europäische Erziehung e.V.
106
Angesichts seiner Beobachtungen von mangelnder menschlicher Anteilnahme, mangelnder Sorgsamkeit und Verantwortung, einem Verfall körperlicher Tauglichkeit und dem Mangel an Initiative, Spontanität und Kreativität in der Gesellschaft, rief er in den 50er-Jahren eine neue pädagogische Richtung ins Leben, die er als Natursport-Programm auf körperlichem Training, Expeditionen und Problemlöseprojekten sowie der Notwendigkeit von Zusammenhalt in der Natur aufbaute (Jaschke, 1995; Schad, 1998; Jagenlauf, 1998). Inzwischen ist der Begriff der Erlebnispädagogik immer noch sehr stark mit Outdoortrainings31 verknüpft, bewegt sich jedoch weit darüber hinaus und ist insgesamt besser mit der Umschreibung „handlungs- und erfahrungsorientiertes Lernen“ oder einfacher „Erleben und Lernen“ zu kennzeichnen. Damit sind alle diejenigen Ansätze gemeint, die über das Erlebnis und damit meist auch über den Körper, Lernen ermöglichen wollen. Neben den eher „klassischen“ Outdoortrainings stehen beispielsweise auch Ansätze aus der Theaterpädagogik (Spiel, Improvisation, Unternehmenstheater), der alternativen Sportpädagogik (Akrobatik etc.) oder aus der Kampfkunst (Aikido) im Blickfeld. Zentrales Element aller Richtungen das Erlebnis bzw. die Erfahrung an sich. Als Selbst-Erfahrung oder Gruppen-Erfahrung bewirken die jeweiligen Erlebnisse ein unmittelbares Spüren und Erspüren. So erzeugen die Erlebnisse häufig Aha-Effekte beim Lernen und meist auch sehr differenzierte Erinnerungseffekte. Als ganz wesentlicher Lernbereich wird vor allem die affektive Dimension angesprochen und bewusst der rein kognitiven entgegengesetzt.
31
Und hierbei mit Natur erleben, Überlebenstraining, Klettern, Segeln, Rafting, Ropes Course Trainings etc. verknüpft.
107
Dabei nutzen diese Konzepte sehr häufig den allen Menschen immanenten intrinsischen Drang nach Bewährung und Grenzerfahrung. Es geht um das Bedürfnis nach kindlichspielerischem Gestalten mit Spaß und Kreativität, dass auch gestandenen Managern nicht fremd geworden ist. Damit wird zwar mit zum Teil fremden Mitteln eine Distanz zur Ernsthaftigkeit der Themen geschaffen, jedoch andererseits genau über diese Entfremdung eine ganz natürliche Motivation hervorgerufen, sich mit schwierigen Dingen auseinander zu setzen. Der Körper wird im Rahmen des handlungs- und erlebnisorientierten Lernens auf unterschiedliche Weise, aber vor allem durch die Bewegung, zu einem der wichtigsten „Eingangskanäle“ des Lernstoffes. Dabei geht es neben der bewussten Beschäftigung mit dem Körper über zu bewältigende Übungen (z.B. Klettern) oder einer zu beherrschenden Technik (Kampfkunst) vor allem immer wieder um Selbsterkenntnis, die vom Körper ausgeht: • • •
eigene Potenziale erkennen Kräfte freisetzen unter hoher Belastung Ressourcen schonen und neue erschließen Lebendigkeit und Beweglichkeit im Ausdruck erreichen.
•
Ein Beispiel zum Lernkonzept „Konfliktmanagement mit Aiki32 do“ soll dies verdeutlichen:
32
Nach einem Seminarkonzept von Peter Schettgen, durchgeführt im Rahmen der Führungskräfteentwicklung bei DaimlerChrysler 2000.
108
Konfliktmanagement mit Aikido verbindet das „westliche“ Wissen über Konflikte, deren Entstehung und Behandlung mit Philosophien der fernöstlichen Kampfkunst (Aikido-Prinzipien von Angriff, Führung, Widerstand, Blockaden etc.) und dem unmittelbaren Erfahren der „ganzen“ Person (mentale, affektive, physische Anteile) während der Körperübungen des Aikido. Das heißt, es wird mit Analogien einerseits und dem direkten Erfahren und Erspüren andererseits gearbeitet. Trainingsziele waren beispielsweise das Erkennen eigener emotionaler Reaktionsmuster im Konfliktfall, die emotionale Belastbarkeit und Standfestigkeit bei der Konfliktaustragung (einfühlsam reagieren, ohne in die Passivität abgedrängt zu werden), die fruchtbare Verwertung von Aggressionen und das generelle Erkennen effizienterer Konfliktlösungen als durch Kampf. Auf psycho-physischer Ebene wurden dazu Erfahrungsfenster zu typischen Aikido-Bewegungsabläufen und Aikido-Grundlagen (wie Entspannung, Angriff, Aggression, Reaktionsmuster auf Angriff, Zentrierung und Nutzung der zur Verfügung stehenden Lebensenergie Ki, Erdung, etc.) geschaffen. Es wurde mit Einzel- und Partnerübungen, mit und ohne Waffen (Schwert) gearbeitet. Die Erfahrungen dabei wechselten von kindlicher Freude und Spaß, über Anspannung und Angst bis hin zu rationaler Unverständlichkeit dessen, was auf energetischer Basis oftmals möglich ist. Sehr wichtig in diesem Zusammenhang waren die anschließenden Reflexionsphasen, um diese Erfahrungen zu besprechen und auf das alltägliche Konfliktgeschehen in Form von Erkenntnissen wie auch übertragbaren Lösungsansätzen zu transferieren. Am Ende standen zahlreiche ungewöhnliche Erfahrungen, neue Einsichten und vor allem das Gefühl, eine sehr attraktive und abwechslungsreiche Form des Lernens kennen gelernt zu haben (vgl. Schettgen, 2000b, unveröffentlichter Seminarbericht; Schettgen 1998). Das Credo der handlungs- und erlebnisorientierten Ansätze liegt meist in folgendem Motto: „Unbeirrt am Ziel festhalten, flexibel bei den Mitteln sein!“
109
Als Ziele dieser Ansätze im Rahmen der Personal- und Weiterbildungsmaßnahmen stehen dabei meist die Weiterentwicklung einer Reihe von Verhaltenseigenschaften im Vordergrund (Heineking, 1995; Rieper, 1995): Zielaspekte • Kommunikationsfähigkeit (Informationen richtig weitergeben, Feedback geben, Anerkennung und Wertschätzung ausdrücken; präzise, klare Anweisungen vermitteln, etc.) • Problemlösefähigkeit (Techniken, Zusammenhänge erkennen, vernetzt und mit Blick auf Auswirkungen handeln, etc.) • Konfliktlösefähigkeit („Hart in der Sache, weich in der Beziehung • Verantwortungsbewusstsein (Gewissenhaftigkeit, Zuverlässigkeit, situationsgerecht delegieren und Verantwortung übertragen, Mitverantwortung für andere, Entscheidungen mittragen etc.) • Selbstvertrauen (realistische Selbsteinschätzung, proaktives Verhalten, Forderungen stellen, Nein-Sagen lernen, etc.) Anwendungsbereiche • Team- und Bereichsentwicklungen • Persönlichkeits- und Verhaltenstrainings • Kick-off Veranstaltungen • Incentives Die Grenzen derartig erlebnisorientierter Konzepte zeigen sich zweifelsohne dann, wenn Erlebnis zum einzigen Kult wird, zum Konsumgut, zum letzten Kick oder zum einzig heiligen Mittel des Lernens. Dann geht das Alternative, das Innovative, das Ergänzende des Erlebnislernens verloren und dient eher der Befriedigung des ungelebten Lebens oder des Ausweichens an problematischen Punkten innerhalb eines Teams oder einer Gruppe, anstelle von Entwicklung und Lernen. Die Themen Balance, Integration und Grenzen scheinen hierbei wesentlich zu sein: 110
•
Balance aus Reflexion und Bewegung, denn erst die Reflexion macht ein Erlebnis zur Erfahrung. Integration von sinnlicher Wahrnehmung und emotionaler Beteiligung sowie kognitivem Erfassen und Transfer. Beachtung von Grenzen der Körperlichkeit und Intimsphäre.33
• •
Erfahren ist eben auch Durchleben und was eben noch Spielcharakter und Leichtigkeit hatte, kann im nächsten Augenblick viel Mut, Vertrauen, Beweglichkeit und evtl. sogar Kampf bedeuten und bedürfen. Brauchen also Führungskräfte spartanische Gesundheitsbildung einerseits und erlebnisreiche Bildung mit heldenhaften Taten und rauschähnlichen Zuständen andererseits?
5.7
Zusammenfassung Lernen, das nicht von einer neuen Art des Handelns begleitet wird, ist kein Lernen. Lernen ist eine Kristallisation von Erfahrung. (Moshe Feldenkrais)
Ein Lernen mit Erfahrung würde in diesem Zusammenhang bedeuten, die Mitarbeiter und Führungskräfte zu befähigen, gesund und leistungsfähig zu bleiben und damit auch einen Beitrag zum Überleben und wirtschaftlich effizienten Arbeiten der Organisation zu leisten. Welcher Weg ist dafür angemes-
33
Gerade dieser Punkt wird immer wieder im Rahmen von Outdoortrainings kritisiert, dass man sich in manchen Situationen, v. a. Grenzsituationen eben nicht die „Blöße“ geben will. Was einerseits verständlich ist, jedoch andererseits auch die Aufrechterhaltung einer Managementkultur der „verkörperten Stärke“ widerspiegelt.
111
sen? Welche Art des Lernens? Welche Qualitäten des Lernens braucht es angesichts der Bedürfnisse, Notwendigkeiten und Ziele? Daraus ergeben sich neue Fragestellungen für den empirischen Teil dieser Untersuchung: Welcher Handlungs- und Veränderungsbedarf zur Sicherung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit ist bei den Führungskräften vorhanden? Welche Anforderungen, Ansätze und Wege einer zukünftigen Führungskräfteentwicklung ergeben sich daraus, um sowohl individuelle als auch organisationale Lernbedarfe zu decken? Welche Qualitäten des Lernens werden als nutzenstiftend erachtet und erwünscht? Welche Erfolgsfaktoren und Grenzen bei der Umsetzung werden gesehen?
112
C
Methodische Umsetzung
1
Forschungsmethoden
Für die Beantwortung der allgemeinen sowie spezifizierten Fragestellungen wurden qualitative, halbstrukturierte Inter35 views34 und ein standardisierter Kurzfragebogen gewählt. Weshalb eignet sich eine qualitative Methode zur Beantwortung der Forschungsfragen? Forschungsüberlegungen müssen grundsätzlich berücksichtigen, welches methodologische Prinzip bzw. welche Methoden für die Fragestellung überhaupt zweckdienlich sind. Da von Beginn an die praktischen Empfehlungen für den untersuchten
34
Interviewleitfaden in Form eines Themenkatalogs, unterstützt durch detaillierte Unterfragen, deren Struktur jedoch keinen zwingenden Gesprächsfaden darstellte, sondern vorrangig Anhaltspunkte zur Gesprächsgenerierung bot, um wichtige Ebenen abzuchecken bzw. gegebenenfalls nachzufragen. Im Vordergrund stand jedoch eindeutig die Generierung eigener Gedanken durch den Befragten, was durch die Schlüsselkategorien und zum Teil ein Nachhaken, Klären und Pointieren durch den Interviewer, um ähnlich wie in Beratungssituationen ein „Fremdverstehen“ zu erreichen. Das Interview wurde jeweils mittels Tonbandaufnahme aufgezeichnet. Weiterhin wurde spezielles Augenmerk auf das Anfertigen eines Interviewprotokolls gelegt, um für die Analyse wichtige Kontextdaten über Gesprächsverlauf, -dynamik, Rahmenbedingungen und die Bedeutung des Interviews für den Befragten verfügbar zu haben.
35
Zusätzliche verwendete Ansätze über Beobachtungen, Experteninterviews, die spezielle Verwendung des Interviewprotokolls werden im Abschnitt der Analysemethoden erläutert.
113
Bereich und für den Auftraggeber im Vordergrund standen, konnte auf repräsentative Zusammenhänge verzichtet werden. Stattdessen habe ich mich mittels qualitativer Ansätze stärker auf das Referenzsystem, die DaimlerChrysler AG, konzentriert. Erkenntnisleitend sollte nicht die Überprüfung theoretischer Konstrukte (z.B. Stresstheorien) anhand einer bestimmten Stichprobe sein, sondern Erschließung und Nachvollzug der vorgestellten Fragestellungen. Darüber hinaus nehmen bereits existierende theoretische Befunde zu einzelnen Zusammenhängen (wie beispielsweise medizinische Daten zum körperlichen Zustand der Führungskräfte, generelle Zusammenhänge der Stress- und Gesundheitsforschung oder lerntheoretische Aspekte) lediglich Bezug auf einzelne Punkte des anvisierten Themas, wohingegen interdisziplinäre Überblicksstudien mit dem Fokus „Körper“ bisher nicht existieren. Deshalb beziehe ich die Ausschnitte zwar ein, jedoch nicht als zugrunde liegende statische Ausgangspunkte, sondern eher zur „objektiven“ Hintergrundgestaltung und als Strukturierungshilfe während der Erhebung. Im Verlaufe der gesamten Studie war es einerseits wichtig, immer wieder möglichst viele verschiedene Perspektiven der Thematik (Führungskräfte, Experten verschiedener Richtungen, Einblick über verschiedene Schnittstellen wie Personalentwicklung, Training, Betriebsarzt und Betriebssport etc.) herauszuarbeiten und andererseits einen Zugang über offizielle Stellungnahmen hinaus zu erhalten. Die besondere Brisanz des Themas und die Widersprüchlichkeiten zwischen formellen und informellen Kontakten benötigten eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Interviewer und Befragten. Das qualitative Herangehen war hier wichtige Voraussetzung, um mit den Befragten gemeinsam zu interagieren und sozusagen im kommunikativen Diskurs Daten zu generieren, teilweise Tabus und soziale Erwünschtheit direkt aufzugreifen und eine Forschung „zwischen den Zeilen“ zu ermöglichen. Dabei entstehen Vorteile des Nachfragens und des gemeinsamen Verständnisses. Gleichzeitig ergibt sich die Notwendigkeit, den Interaktionsprozess als besondere Einflussgröße auf die Datenqualität mit zu beachten. 114
Wenngleich im wirtschaftlich-praxisorientierten Kontext eine Vorliebe für „harte“, also quantitativ erhobene und hoch standardisierte Daten besteht, sollte hier mit subjektiven Eindrücken und Empfindungen gearbeitet werden. Denn es ging weniger um die Beantwortung von Verteilungsfragen (hier führt der Personalbereich mit den Krankenzahlen am Ende jedes Jahres eine umfangreicher Erhebung durch), sondern eher um die Motive, Bedürfnisse, den latenten Sinn hinter bestimmten Handlungen und Verhaltensweisen. Wie denken, fühlen und handeln die Menschen und warum ist das möglicherweise so? Was hat das mit ihnen selbst, was mit der Organisation zu tun? Theoretische Offenheit und einige Spielregeln für die Interpretation der Interviews vorausgesetzt, ist auf diese Weise möglich, dass sich Strukturen, Zusammenhänge, Thesen eines Themas direkt aus den „Forschungssubjekten herausbilden“) (Lamnek, 1995, S. 62). Es ging vor allem darum, den Inhalt selbst sprechen zu lassen und ähnlich wie ein Bildbetrachter zunächst eher schwammige Linien und Bilder zu entdecken und später immer deutlicher bestimmte Formen und Strukturen zu sehen, die sich auf dieses Bild – in der Forschung auf diesen Referenzbereich – beziehen. Die Ergebnisse der Interviews sind vor folgenden Grundannahmen der Interpretation zu verstehen (vgl. Froschauer & Lueger, 1992): •
•
Die Phasen der Interpretation folgen dem prozesshaften Vorgehen bei qualitativer Forschung – es wird zunächst das Individuum fokussiert, dabei von der Oberfläche in die Tiefe gegangen, um anschließend Quervergleiche zu ziehen und Muster, Zusammenhänge, Wechselwirkungen, Widersprüche auf einer Ebene und zwischen den Ebenen entdecken zu können. Die Interviewaussagen symbolisieren relevante Aspekte der Lebenswelt der Befragten (auf einer individuellen Ebene mit Einstellungen, Meinungen, Erfahrungen zum Umgang mit dem eigenen Körper und auch auf einer Systemebene, d.h. die Antworten spiegeln Normen, 115
Werte, Strukturen, Beziehungen im Unternehmen wider). Die Aussagen symbolisieren auch die Interviewbeziehung, d.h. die Aussagen über die Lebenswelt werden durch die Kommunikationssituation gebrochen. Keine Aussage ist zufällig. Jedes Interview enthält bewusste, manifeste Inhalte und Argumente (Wie sieht der Sachverhalt an der Oberfläche aus?) sowie eher unbewusste bzw. latente, aber ebenso handlungsleitende Inhalte (Was ist die Geschichte hinter der Oberfläche? Welche Muster, Dynamiken, Ordnungen wirken und bewirken Handlungen?) Was dabei jeweils als „Wirklichkeit“ (=wirksames Erleben) erlebt wird, hängt davon ab, wohin die Aufmerksamkeit fokussiert wird – wie die Dinge voneinander unterschieden werden, wie es bezeichnet, erklärt und wie es bewertet wird. D.h. durch das Interview erfahren wir Realitätskonstruktionen, die bei der Interpretation gedeutet werden.36
• • •
•
Der quantitative Kurzfragebogen, der am Ende jedes Interviews, meist in Beisein des Interviewers, ausgefüllt wurde, diente dabei zum Einen zur Zusammenfassung wesentlicher Interviewschwerpunkte und zum Anderen dem Versuch, „managementgerecht“ anzukoppeln und zusätzlich „härtere Daten“ zur Vertiefung und Kontrastierung der qualitativen Untersuchung zu erheben.
36
vgl. dazu Ansätze aus der Hypnotherapie nach Milton Erickson und der Systemtheorie (Schmidt, 2000).
116
1.1
Stichprobenauswahl und Zusammensetzung der Stichprobe
In der qualitativen Forschung sieht man in der Regel von der Ziehung einer repräsentativen Zufallsstichprobe ab. Die induktive Vorgehensweise legt statt dessen Wert auf die genaue Analyse einzelner Fälle, um dann in einem weiteren Schritt durch Fallvergleiche Grundmuster zu entdecken. Je nach Erkenntnisinteresse wird somit die Befragungsgruppe nach einem Prinzip der „maximalen Kontrastierung“ (Lamnek, 1995, S. 113) mit dem Ziel einer möglichst breiten Streuung ausgewählt oder es wird ein „theoretical sampling“ (Strauss, 1991) zusammengestellt, „bei dem sich der Forscher auf einer analytischen Basis entscheidet, welche Daten als nächstes zu erheben sind und wo er diese finden kann“ (ebd., S.70). Welche Personen will man sich zuwenden? Wie können die Personen erreicht und zu einem Interview gewonnen werden? Folgende Gesichtspunkte wurden für die Auswahl der Stichprobe in der Hauptuntersuchung berücksichtigt: •
•
Bei den Interviewpartnern sollte es sich um Führungskräfte handeln, denn es galt die Fragestellungen gerade bei derjenigen Zielgruppe zu beantworten, die a) durch eine besonders hohe Arbeitsbelastung gekennzeichnet war, die b) in bisherigen Forschungen zu diesem Gebiet weitaus weniger beachtet wurden als beispielsweise Arbeiter, die c) selbst in Positionen sind, in denen sie Veränderungen initiieren und gestalten können, und die d) direkte Zielgruppe von Maßnahmen der Führungskräfteentwicklung sind, zu deren zukünftige ganzheitliche Weiterentwicklung die Untersuchung im Sinne einer Bedarfsanalyse beitragen soll. Die ausgewählten Führungskräfte sollten aus möglichst verschiedenen Ebenen (unteres, mittleres, oberes Management) kommen und verschiedenste Funktionsbereiche des Unternehmens mit unterschiedlichsten Aufgaben abdecken. Der Kontrast wurde bewusst, gesucht, 117
um Grundmuster und Zusammenhänge eher zu entdecken. Ebenso sollte vor allem hinsichtlich Geschlecht, Alter und positive oder eher abneigende Einstellung zum Themenkomplex Bewegung, Gesundheit bzw. zum Thema „Körper“ kontrastiert werden. Dahinter stand die Absicht, verschiedenste Bedingungsfaktoren für den Umgang mit dem eigenen Körper herauszufiltern, und für praktischen Konsequenzen der Studie einen breiten Referenzrahmen zur Verfügung zu haben. Personen, die sich aufgrund eines besonderen Interesses an der Untersuchung meldeten und zwar momentan noch keine Führungsposition inne hatten, diese jedoch in naher Zukunft anvisierten, sollten gleichwertig einbezogen werden. Hier wurden eine besondere Sensibilität für das Thema und damit sehr elaborierte Erfahrungen vermutet. Vorrangiges Ziel war es, über alle variierten Aspekte hin vergleichen zu können und somit notwendig mit einer gleichzeitig größtmöglichen, aber dennoch in der Auswertung zu bewältigenden Anzahl von Interviews zu arbeiten.
•
•
•
Insgesamt erstreckte sich der Erhebungszeitraum über ca. 4 Monate, dabei wurden 29 Interviews durchgeführt, die jeweils zwischen minimal 30 Minuten bis zu maximal zwei Stunden dauerten. Die Interviewbereitschaft für solche ausführlichen Erhebungen war eher überraschend, denn alle befragten Führungs(nachwuchs)kräfte waren von hohem Termindruck geplagt.
118
Die Verteilung hinsichtlich Geschlecht, Alter, Managementebene und Funktionsbereiche gestaltete sich wie folgt: Geschlecht Alter
Managementebene
Standorte
Funktions bereiche
Tab. 4:
76 % Männer 24 % Frauen Zwischen 26 und 58 Jahren Verteilung: 26 – 37 Jahre = 31 % 38 – 47 Jahre = 45 % 48 – 58 Jahre = 24 % Nachwuchsführungskräfte:= 10 % Mittleres Management: = 42 % (Ebene 4) = 45 % (Eben 3) Oberes Management: = 3 % (Ebene 1) Zentrale = 52 % Untertürkheim = 21 % Sindelfingen = 10 % Bremen =7% Rastatt =3% Smart =7% Personalentwicklung Entwicklung Vertrieb Produktmanagement Produktmarketing Qualitätsmanagement Personal- und Arbeitspolitik Wissensmana-gement Werks- und Sicherheitsdienste
Stichprobenverteilung
Erstaunlich innerhalb der Verteilung ist der hohe Anteil von Frauen in der dritten Führungsebene. Von allen Frauen waren 72 % auf Ebene 3 tätig und der Rest auf Ebene 4. Bei den Männern lag der Schwerpunkt auf Ebene 4 (50 %) und weiter auf Ebene 3 (36 %).
119
D
Ergebnisse
1
Die statistischen Fakten auf der individuellen Ebene37 Einstellungen/Grundannahmen
alle Angaben in Prozent
Die gesundheitliche Belastung der Führungskräfte hat in unserem Unternehmen zugenommen. Wer als Führungskraft erfolgreich sein will, kann sich körperliche Schwächen nicht leisten. Das Bewusstsein für einen schönen und wohl gekleideten Körper gehört im Management zu einem erfolgreichen Image. Weibliche Führungskräfte achten mehr auf ihren Körper und sind sich seiner intensiver bewusst als ihre männlichen Kollegen.
Tab. 5:
37
Trifft in starkem Maße zu
Trifft zu
Trifft wenig zu
Trifft nicht zu
18,2
72,7
9,1
-
27,3
45,5
22,7
4,5
27,3
59,1
9,1
4,5
27,3
40,9
27,3
4,5
Ergebnisse des Kurzfragebogens über alle Interviewten (1)
Die Rücklaufquote der Fragebögen belief sich auf 76 %, d.h. in die statistische Auswertung gingen nur 22 von 29 Führungskräften ein.
120
Eigenes Verhältnis zum Körper alle Angaben in Prozent
Trifft in starkem Maße zu
Trifft zu
Trifft wenig zu
Trifft nicht zu
Ich achte auf mein äußeres Erscheinungsbild während meiner Arbeit.
18,2
77,3
4,5
-
Ich sorge während meiner Arbeit für mein körperliches Wohlbefinden.
13,6
54,5
31,8
-
Ich nutze nonverbale Signale als Informationsquelle bei meiner Arbeit.
36,4
54,5
9,1
-
Ich bewege mich wenig.
22,7
31,8
31,8
13,6
18,2
45,5
31,8
4,5
-
18,2
18,2
63,6
Ich entspanne mich regelmäßig. Ich hatte in letzter Zeit größere gesundheitliche Beschwerden.
Tab. 6:
Ergebnisse des Kurzfragebogens über alle Interviewten (2)
121
Umgang mit eigenen Ressourcen (alle Angaben in Prozent)
trifft in starkem Maße zu
trifft zu
trifft wenig zu
trifft nicht zu
Die größten Hindernisse mehr für mein körperliches Wohlbefinden zu sorgen, sehe ich in: zu wenig Zeit
23,8
47,6
23,8
4,8
Ich weiß nicht genau, was ich für mich Gutes tun kann
-
4,8
28,6
66,7
Andere Dinge sind mir wichtiger
-
23,8
52,4
23,8
14,3
42,9
38,1
4,8
9,5
19,0
33,3
38,1
-
4,8
42,9
52,4
Inkonsequenz Meine berufliche Situation lässt es nicht zu Meine private Situation lässt es nicht zu sonstiges
Tab. 7:
122
-
-
-
-
Ergebnisse des Kurzfragebogens über alle Interviewten (3)
Meinem Körper kann ich folgende Eigenschaften zuschreiben38: leistungsfähig Ausdauernd Kraftvoll Elastisch Zäh Abgehärtet angespannt ruhelos angetrieben überlastet
Tab. 8:
86 % 86 % 48 % 48 % 38 % 24 % 34 % 29 % 24 % 5%
Ergebnisse des Kurzfragebogens über alle Interviewten (4)
Diese Ergebnisse sollen hier unkommentiert bleiben, sie fließen in die folgenden Zusammenfassungen wieder ein und werden dort im jeweiligen Zusammenhang diskutiert.
38
Mehrfachantworten waren möglich.
123
2
Die individuelle Ebene: Führungskräfte im Spannungsfeld zwischen Arbeit und Leben, Leistung und Ausgleich, Karriere und Gesundheit
2.1
Individuelle Belastungssituationen und Stressoren
?
Welche Situationen und Faktoren erleben die Führungskräfte als belastend und stressinduzierend?
Als Stressoren werden in der Regel die Aspekte bezeichnet, die im Zusammenspiel zwischen Situation und Person ein Stressempfinden hervorrufen. In Bezug auf das Wohlbefinden und das Belastungsempfinden der Führungskräfte kann jedoch kaum von linearen und eindeutigen UrsacheWirkungszusammenhängen ausgegangen werden. Vielmehr geht es hier um komplexe Situationen, die sowohl individuell als auch organisatorisch geprägt sind. Dennoch zeigten sich zentrale Schwerpunkte im Belastungsgeschehen aller Führungskräfte (vgl. Abb. 9). Zusammengefasst werden dabei vor allem drei Belastungsschwerpunkte wahrgenommen: Ein sehr hohes Maß an Arbeitsanforderungen • • • 124
Leistungsverdichtung (zunehmende Anforderungen, wachsende Geschwindigkeit und abnehmende Ressourcen) dauerhaft hohes Arbeitspensum bzw. Doppelaufgaben hoher Erfolgs- und Ergebnisdruck; Da gibt es nur hop oder top.
Sozial-zwischenmenschliche Konflikte im Führungsalltag • • •
gestörte Führungsverhältnisse mangelnde Kooperation, Zuverlässigkeit und Achtsamkeit (auch team- und bereichs-übergreifend) „politische Spielchen“
Zusätzlich wird das negative Erleben gespeist durch die folgenden Faktoren, die vor allem mit der Arbeitsprozessgestaltung und der Führung im Unternehmen zusammen hängen. Arbeitsprozessgestaltung und Führung •
•
das Gefühl der Fremdbestimmung (v.a. zeitliche Fremdbestimmung) mit der Auswirkung des Kontrollverlustes und mangelnder Bewältigbarkeit. (Wenn ich das Gefühl habe, der gelebte Terminkalender anderer Leute zu sein, dann geht es mir wirklich schlecht und ich muss mich dringend mal zurückziehen.) ständig wechselnde Anforderungen und Regel- sowie Richtungsänderungen mit der Auswirkung eines zusätzlichen Führungsaufwandes und einem geringen Wirkungsgradempfinden.(Du machst Vorlagen, dann wird das gecancelt und wieder eine neue und von vorne! Ich habe super tüchtige Leute, die leisten, leisten, leisten, einen Tag nach dem anderen. Und dann gucken sie auf die Aktie und sagen: ich kann eh machen, was ich will // als ich vor 10 Jahren nach Hause gegangen bin, habe ich ihnen sagen können, dass ich 40 % am Tag effektiv was getan habe....heute, das ist Papier, Papier, besprechen, besprechen, besprechen, was ist wirklich handfest? Dabei habe ich gewurschtelt, gewerkelt und gemacht und was ist dabei heraus gekommen? Und dass das natürlich einen Intelligenzmensch frusten muss, ist klar. )
125
Abb. 8:
2.1.1
Belastungsfaktoren innerhalb der Führungsrolle und deren Auswirkungen Unterschiedliche Gewichtung der Belastungsfaktoren
Die gestiegene Belastung in der Wirtschaft wird inzwischen, so wie in den Interviews, an vielen Stellen angesprochen. Doch ist die Dramatik, die Not, die in vielen Fällen dahinter steht, wirklich noch spürbar? Oder ist es allgemein bekannter Klagekanon geworden, in den man zwar einstimmt, dessen Lieder jedoch längst nicht mehr gehört werden? Letzteres ist zu vermuten, wenn man sich die Bewertungen der hohen Arbeitsanforderungen von Seiten der Führungskräfte anschaut: Einerseits werden Worte wie: „Grenzen, Überlastung, Zusammenbruch, extremer Überlebensdruck, grenzwertig, krankhafte Extremsituationen, rund 70 und 80 Stunden die Woche“ verwendet, aber andererseits sei das „normal“ so in der Organisation. Nebenher wird darauf hingewiesen, dass die 126
Verarbeitung dieser hohen Anforderungen tatsächlich von Typ zu Typ verschiedenen ist, ebenso wie die Belastungsgrenzen. Am ehesten wird ein schlechtes Gewissen spürbar - weil man zu jenen gehört, über die überall geschrieben wird, dass sie zuviel arbeiten. Für einen Teil der Führungskräfte war und ist Mitmachen völlig normal, für andere ist es eher aus der Ohnmacht heraus geboren. Dritte machen zwar mit, heißen die Anstrengungen aber nicht gut. Es sei nur noch ein „ausquetschen“, bei dem der Wirkungsgrad nicht mehr stimme und die Jobs so groß seien, dass sie objektiv nicht mehr zu machen sind. Doch diese freimütigen Äußerungen leisten sich nur wenige. Denn unterm Strich wird vor allem die zeitliche Gesamtbelastung als gegeben, als auch zukünftig kaum veränderbar und vor allem als weniger dramatisch hingenommen: „Die langen Anwesenheitszeiten hier sind nur ein kleiner Puzzlestein im Gesamtgefüge.“ Es hat den Anschein, dass die Ausreizung aller physischpsychischen Kapazitäten als ein normales Charakteristikum der Arbeitssituation von Führungskräften gewertet wird. Hierfür wird auch höchste Leistungsfähigkeit anvisiert. Der Takt eines Bandarbeiters herrscht bei uns im Kopf und das ist ein ganz hart organisierter Rhythmus.
Führungskräfte sind also bessere Fließbandarbeiter? Mit dem einzigen Unterschied, dass die Schicht der Arbeiter irgendwann zu Ende ist und die der Führungskräfte erst dann, wenn alle Aufgaben erledigt sind? Durchgetaktet, schnell, automatisiert und spezialisiert, das scheint der akzeptierte Weg zu sein, der momentan gewählt wird, um den hohen Anforderungen zu genügen. Doch ist dieser Weg auch geeignet für Menschenführung, Veränderungsprozesse, strategisches und vernetztes Denken? Welche Auswirkungen hat die notwendigerweise radikale Reduktion der täglichen Führungskomplexität zu „quick and fix“-Lösungen auf die Wirksamkeit des Einzelnen und der Organisation? Entsteht die oft zitierte Sinnkrise in den Unternehmen nicht gerade auch durch die abnehmende Nutzung des gesamten menschlichen Potenzials? 127
Gerade in Top-Führungskreisen wurde ein mangelnder Sinn in den Aufgaben belastender erlebt, als ein sehr hohes Pensum. Die Vermutung liegt nahe, dass im Rahmen der generell angespannten Situation hier der wahrgenommene Verlust an wichtigen Ressourcen (Zeit, Energie, Motivation, Qualität) zugunsten sinnlos erlebter Tätigkeiten, das eigentliche Stressgeschehen triggert. Ein Weg mit harter Taktung ist zumindest oftmals ein Weg, der den Spielraum des Einzelnen einschränkt, damit natürlich kontrollierbarer und „funktionaler“ macht. Aber je enger der Spielraum ist, desto stärker wirken sich auch kleine tägliche Stressoren oder allgemeine Veränderungen aus. Je ausgereizter die psychisch-physische Grenze, an der sich der Einzelne bewegt, desto geringer die Toleranz für kurzfristige „Rhythmus- und Taktveränderungen“, die angesichts des dynamischen Wirtschaftsgeschehens jedoch immer häufiger und prägender sind. Das System bewegt sich so stets am Scheitelpunkt zwischen Erfolg und Scheitern. Das heißt, nicht das hohe Maß an Arbeitsbelastung allgemein erscheint frustrierend und ärgerlich, sondern vor allem die Aspekte, die den täglichen Invest an Zeit, Kraft und Lebensenergie immer wieder zunichte zu machen scheinen. Wenn der Arbeitseinsatz immer größer wird, die Lebensenergie und gleichzeitig auch noch die Wirksamkeit sinkt, der Sinn fehlt, dann gehen die Belastungen tatsächlich auch emotional und körperlich „an Herz und Nieren“ oder „auf die Nerven“. Bedeutsamen Einfluss auf Motivation, Leistungsbereitschaft und das körperlich-seelische Wohlbefinden hatte in diesem Zusammenhang das Empfinden von mangelnder Anerkennung und Wertschätzung. Dann erst ist für einige aus hoher Arbeitsbelastung Stress geworden:
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Eustress, das ist eine sehr hohe Belastung zwar, aber bei der sie sich wohl fühlen, Anerkennung erhalten und sich somit zumindest auch erfolgreich wähnen. Dann ist Belastung einfach eine challenge, auch wenn abends genauso körperlich die Batterie leer ist. Zu Disstress aber wird die selbe Belastung, nur unter mangelnder Anerkennung und Wertschätzung. Da ist Geld dann nur ein Randfaktor, das äußert sich in ganz subtilen Formen.
Das heißt, hier geht es um das körperlich-seelische Gleichgewicht, in dessen Zusammenspiel das Empfinden von Erfolg und Wertigkeit / „etwas-Wert-sein“ der wichtigste Puffer zwischen dauerhafter hoher körperlicher Anstrengung und weiter bestehender Motivation zu sein scheint. Solange dieses Empfinden sicher gestellt ist, wird körperlich gerne geleistet, gekämpft, geopfert. Mit dem Mangel an Anerkennung scheint jedoch nicht nur das eigentliche Ziel: „Erfolg durch Leistung“ gefährdet, sondern sogar die eigene Identität, die in den meisten Fällen gerade auf dieser Leistung beruht – auf der anerkannten, betitelten, hervorgehobenen bzw. selbst empfundenen Leistung. Es geht um die sehr enge Verknüpfung von Arbeit, Leistung, Erfolg und Identität. Ja, über Ängste haben wir gar nicht gesprochen. Da erwischt es einen manchmal wirklich so wie einen flash. Wie wirke ich jetzt? Habe ich noch diesen Wert? Oder sägt schon jemand an meinem Stuhl? Wobei einem finanziell hier nichts passieren kann, aber trotzdem. Es geht nicht ums Geld – es ist eher Anerkennung, Leistung zu vollbringen, etwas wert zu sein!
Es ist davon auszugehen, dass dieses Empfinden der Anerkennung und Wertschätzung sehr subtil gesteuert wird und nicht auf einzelne Faktoren zurückgeführt werden kann. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass es hier nicht nur um das Lob oder die finanzielle Anerkennung als solche geht, sondern um Rückmeldung zu den Arbeitsergebnissen, um Gestaltungsspielraum, um Mitbestimmung bei Veränderungsprozessen. Sowohl strukturelle Aufhängung, finanzielle Unabhängig129
keit der Teams oder Kompetenzregelungen erhielten diesbezüglich Symbolcharakter. Es gibt zwar immer wieder diese schön verträglichen Sprüche, wo vom Vorstand drin steht, wir sind die Besten, die Wichtigsten, also wirklich so die Paradiesvögel, aber wenn es ums Tagesgeschäft geht, sind wir echt der Arsch im letzten Glied.
2.1.2
Zentrale Herausforderung und inneres Dilemma: die Balance zwischen Arbeit und Leben Ich liebe die Autos und meine Arbeit // ich bin nahezu uneingeschränkt belastbar // aber ich hinter frage mich zusehends: wie lange geht das so noch, wie lange willst Du das so noch machen! Ich hatte keine Zeit mehr zum Atmen // ich hatte keine Zeit mehr zum Leben // und das war der Punkt, wo ich zum ersten mal gesagt habe, das will ich nicht und das Potenzial habe ich auch nicht. // ich hab‘ dann oft gedacht, der Preis ist mir zu hoch, der Preis ist mir zu hoch. Ich wollte das so nicht. Also wenn du so am Abend nach Hause gehst, dann diesen fahlen Geschmack im Mund hast, so, naja, irgendwie war es ein langer Tag und es hat viel Spaß gemacht auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite zehrt es auch an den Kräften und macht es mich einerseits unzufrieden und andererseits denke ich, so kann es und will es, es kann so nicht weitergehen, so will ich es auch nicht weitergehen lassen. Und dann frage ich natürlich was ist mit meiner Gesundheit?
Als grundlegendes Thema hat sich in mehr als zwei Dritteln der Interviews ein Konflikt zwischen Arbeit und Leben und der Wunsch bzw. die Notwendigkeit einer Balance dieser beiden Aspekte herausgestellt. „Leben“ soll hier bewusst weiter definiert werden, da es um unterschiedliche Schwerpunkte und je nach Lebensverhältnissen um Familie, partnerschaftliche und freundschaftliche Beziehungen, Freizeit oder tatsächliche Eigenzeit – also bewusst gelebter Zeit außerhalb des Arbeitsum130
feldes geht. Das heißt jedoch nicht, dass während der Arbeit kein Leben statt findet. Dieses innere Dilemma legt in vielen Fällen den Grundstein für die täglichen Handlungsmuster im Umgang mit sich selbst und den beruflichen Anforderungen. Als ein Grundgerüst von Einstellungen, Empfindungen, Befürchtungen, Werten und Wünschen bildet es sehr häufig den Hintergrund für grundsätzliche Lebensentscheidungen in Bezug auf die eigene Karriere. Eigentlich will ich weniger arbeiten. // Wie könnte das gehen, dass ich mit vermindertem Einsatz den gleichen Spaß habe und dann noch von außen her als erfolgreich, effektiv und gut angesehen werde?
Gerade das letzte Zitat zeigt typischerweise den Kern des Konfliktes: das Lebensziel ist die Integration der beiden Seiten Arbeit und Privatleben, doch gerade dies scheint nicht möglich zu sein bzw. es werden noch keine Lösungen dafür gesehen. Beide Seiten stehen sich in der Wahrnehmung der Führungskräfte im scheinbaren ENTWEDER – ODER gegenüber.
Abb. 9:
Das innere Dilemma vieler Führungskräfte
Doch wer möchte schon ein „entweder – oder“ wählen, wenn die eigenen Bedürfnisse, Motive und Antreiber weitaus vielschichtiger sind und jedes „entweder – oder“ einen großen Verzicht bedeutet, wenn das Leben nur mit einem Teil der eigenen Person, einer Teilidentität stattfindet? Karriereanspruch und Spaß am Erfolg, Kampfgeist und Einsatzbereitschaft, ein hoher Ehrgeiz und auch eine starke Identifikation mit dem Produkt kennzeichnete in vielen Fällen den Antrieb, mit vollem Commitment zu leisten. 131
Ich liebe die Autos für die ich hier arbeite. Wirklich ich bin ein 150% Mercedes Mann. Und ich habe mir persönlich vorgenommen, mit keiner Ambition diese Leidensnummer zu fahren von wegen, ja, meine Frau sieht mich ja nicht mehr. Und ich muss halt um fünf gehen. Und wenn ich nicht gehen kann, schicke ich dir mal meine Frau vorbei und so. Also diese Variante. // Es war meine Entscheidung mit der Familie und es sind noch meine Kinder und die sind keine Belastung in dem Sinne und schon gar keine Rechtfertigung, mich hier irgendwie auszuklinken. Also ich verstehe mich hier als vollwertiges Mitglied dieser Abteilung und auch als einer, der vollen Einsatz bringt.
Doch Lebensziele und Maxime haben sich verändert und einseitigen Belastungen wird zunehmend Tribut gezollt. Sowohl der Anspruch auf Lebensqualität als auch zunehmend die Angst vor weiteren Verlusten wichtiger Lebensaspekte - „das ungelebte Leben“ mit sich selbst, in der Freizeit, mit der Familie, den Freunden - und die Beschränkung des eigenen Körpers auf eine Arbeitsmaschine wecken das Bedürfnis, auch andere Teile der eigenen Person nicht zu vergessen und zu integrieren. Unterm Strich stehen keine eindeutigen Antworten, sondern eine Reihe von offenen Fragen, Zweifeln und eine Unsicherheit in Bezug auf den weiteren Weg. Auffällig ist, dass die Ambivalenzen zwischen dem täglichen „Gewinn“ und den dafür gezahlten „Kosten“ immer wieder zum Ausdruck gebracht wurden und sozusagen als Hintergrundmelodie die Lebens- und Arbeitssituation beeinflussten. Es handelt sich um ein Entweder-Oder zwischen Lust und Last, zwischen Leidenschaft und Leiden schaffen, zwischen Wille und eigenem Bedarf, zwischen Leistungsanspruch und natürlicher, körperlicher Realität, die sich oft in Form von Belastungsgrenzen zeigt.
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2.1.3
Auswirkungen des Widerspruchs zwischen Arbeit und Leben: drei Typen
Die unzufriedenen Kämpfer Bei diesen Führungskräften werden die alltäglichen Integrationsversuche selbst zum zusätzlichen Stressor. Das täglichen Handeln verwandelt sich in ein Ringen um Stunden, manchmal gar Minuten, mit dem Ziel, beide Seiten mit mehr oder minder Erfolg zu integrieren: Mittag essen gehen oder lieber eine Stunde aufsparen für den Abend, Sport machen oder lieber ausruhen für den nächsten Tag, ohne Nachfrage akzeptiert sein oder für ein „Anderssein“ kämpfen? Überlegen, abwägen, der Versuch eines Ausgleichs, gleichsam das Scheitern und das schlechte Gewissen oder die Wut auf sich selbst, „wieder mal zu lange, wieder mal zu viel, wieder mal zu unvernünftig“ sind das Ergebnis. Sich selbst immer diese Grenzen zu legen, ist auch anstrengend. So, und dann bist, bin ich zumindest irrsinnig schnell da drin, einfach, dass ich dann, ich muss heute unbedingt oder will heute unbedingt ein Thema fertig kriegen. Dann denke ich mir, okay, dann bleibst du halt mal länger da, ist ja nicht schlimm. Ja, und dann ist es aber auch schon zehn. Ist mir auch schon öfter passiert. // Lass‘ dich nicht verwirren von dem Gefrotzel der Anderen. Also das, da wird gar nicht viel passieren, da wird eigentlich gar nicht viel passieren, wenn du früher gehst oder frei nimmst. Es ist nur vielleicht die eigene Angst, so glaubt denn jemand noch, dass ich was arbeite, wenn man mich nicht sieht.
Aufmerksamkeit auf die eine Seite des Lebens ruft das schlechte Gewissen bezüglich der anderen Seite hervor. Ein wechselseitiger Kreislauf, der in der Summe wenig Zufriedenheit bringt, weil immer eine Seite zu kurz kommt und stets noch mehr Energie aufgebracht werden muss, um wieder auszugleichen. Das Leben von Freiräumen ruft beispielsweise Angst vor dem Verlust von ausreichend Wertschätzung im Beruf hervor und fordert gesonderte Energie, quasi gegen den Strom in der Organisation zu leben. Irgendwann wird um so 133
mehr gearbeitet, um das wieder auszugleichen: ein Nullsummenspiel. Die zuversichtlichen (Weiter-)Macher Hier scheint das Bewusstsein über eigene Grenzen und der Wunsch nach Veränderung zwar zuzunehmen, doch keine Veränderung im Alltag statt zu finden. Es zählt zunächst der Glaube an einen robusten Körper und die Zuversicht, rechtzeitig die Notbremse ziehen zu können. Fk: Ich habe zumindest so eine, ich glaube, dass mein Körper ein relativ dickes Fell hat, bis er erst mal sich beschwert, aber wenn der Punkt erreicht ist, glaube ich, merke ich, den merke ich dann schon. Aber da ich mir in Summe nicht irgendwie sonst große Belastungen grundsätzlicher Art aufbürde, glaube ich auch, kann ich ihn auch mal ein bisschen, ich sage jetzt mal, schlecht behandeln. Int: Schlecht behandeln, womit? Fk: Ja, mit zuviel Arbeit oder mit zuviel Belastung oder so was, mit zu wenig Schlaf oder so. // Für mich ist eine völlig normale Zeit 11 Stunden. // Und ich denke, am besten geht es mir, wenn ich so den Eindruck habe, ich kann es mir auch mal leisten, mal einen Tag mal irgendwann mal freizumachen oder ich kann es mir mal leisten, aber ich empfinde es für mich auch früh, mache ich fast nie, dass ich mal um fünf gehe, mache ich nie.
Die Priorität bleibt eindeutig auf der Seite der Arbeit und als Bestätigung für die Lebensseite genügt das Empfinden, jederzeit die Freiheit zu haben, wenn man sie wollte. Die Konflikte werden hier zugunsten hoher Einsatzbereitschaft immer wieder verdrängt.
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Die Erfahrenen zwischen Hoffnung, Angst und Ohnmacht Dieses Erleben trifft vor allem für die gestandenen Führungskräfte zu, die auf Grund ihrer Erfahrungen immer mehr Ohnmacht bei den Versuchen beobachten, Arbeit und Leben so zu verbinden, dass einerseits die Anforderungen erfüllt werden und andererseits Zeit für Leben und eine Chance für die eigene Gesundheit besteht. So schwankt das Erleben zwischen weiterer Hoffnung und zunehmender Angst. Die Polarität der Erfahrung von Entweder-Oder ist hier besonders stark und auch das Gefühl, in diesem Konflikt keine Lösung zu sehen, sondern im Anblick der drastischen Veränderungen nur noch machtloser zu werden: ein „Verschluckt und ausgespuckt werden“ oder ein „Aussteigen“, ein ganz oder gar nicht. Ich werde dieses Jahr 45, d. h., ich muss mindestens noch zehn Jahre, vielleicht auch fünfzehn Jahre in diesem Kontext, wie auch immer arbeiten. Und das, da denke ich oft, was heißt oft, aber des Öfteren drüber nach, wenn ich mir vorstelle, dass ich 18 Jahre im Haus bin und ich sehe, was die letzten fünf, sechs Jahre an Veränderung, an Dynamik auch in diesem Unternehmen gebracht haben, und wenn ich unterstelle, dass diese Beschleunigung plus/minus weitergeht, und wenn ich dann sehe, so, wie die eigene Arbeits- und Lebenssituation ist, dann muss ich sagen, dann habe ich auch Sorge oder auch ein Stück weit Angst vor der Zukunft, wo man in 15 Jahren steht oder 10 Jahren steht, was noch übrig ist von einem selber, welchen Preis man dann de facto bezahlt hat oder wann einen so eine Organisation ausspuckt? Das, ja, das macht dann sehr nachdenklich, ist auch sehr viel Ohnmacht dabei. Ich denke, das Gefühl der Ohnmacht, das ist bei vielen sicherlich verbreitet so wie Hoffnung, mich trifft es nicht, irgendwie kriege ich es hin.
Der ursprüngliche Konflikt zwischen Arbeit und Privatleben scheint sich hier auf einen Konflikt zwischen der Organisation und dem eigenen Selbst zugespitzt zu haben. Entweder die Hingabe an die Arbeit und der Verlust der eigenen Identität, „gefressen vom Monster Organisation“ (um im obigen Bild zu bleiben) oder „ausgespuckt“, frei und selbstbestimmt, aber 135
dann ebenso ohne Perspektive und einer geringeren Lebensqualität. Ausnahmen, die tatsächlich eine Integration leben, sind nur einige bekannt: „80-90 % leben entweder - oder, friss oder stirb, das beliebte Bild vom Hamster im Rad“. Selbstbestimmung und Integration scheinen zur Illusion verkommen zu sein. Selbst wenn der Ausgleich vom Unternehmen empfohlen wird, das ist einfach unrealistisch. Die Leute sagen, wenn sie der Weihnachtsmann sind, dann liefern sie mir die Zeit dazu, für Ausgleich zu sorgen. Das führt einfach zu doppeltem Frust.
Vielleicht stellen die unterschiedlichen Typen auch Phasen der Entwicklung im Aushandlungsprozess zwischen Arbeit und Privatleben dar. Deutlich dürfte jedoch sein, dass keine der drei Richtungen positive Auswirkungen auf eine langfristige Leistungsfähigkeit, Motivation und das Commitment hat, weil viel Kraft und Energie in einem inneren Zerrissensein von „entweder - oder“, entweder verloren geht und auf die eigenen Ressourcen zu wenig zugegriffen werden kann bzw. wird.
2.2
? ?
Individuelle Ressourcen und Kraftquellen für das körperlich-seelische Wohlbefinden Woraus schöpfen die Führungskräfte ihre Kraft? Bewältigung der täglichen Anforderungen?
Wie erfolgreich die Bewältigung täglicher Anforderungen erfolgt, hängt in starkem Maße von den Ressourcen ab, die dem Individuum zur Verfügung stehen. Im Alltagsverständnis gelten Ressourcen in der Regel als Rohstoffe. In der Psychologie versteht man unter dem Begriff allgemein stützende und schützende Faktoren von Person und Umwelt, die dem Einzelnen helfen, Anforderungen zu bewältigen, mit Stress fertig 136
zu werden und die eigene Gesundheit zu erhalten (Dücker, 1995, S.96). 2.2.1
Allgemeine Kategorisierung und Erlebniswirksamkeit der Ressourcen
Grundsätzlich kam in den Interviews zum Ausdruck, dass alle Führungskräfte über eine breite Palette eigener Kraft- und Energiequellen bzw. Strategien für die Bewältigung der hohen Anforderungen verfügen. Dabei konnten vier unterschiedliche Kategorien beobachtet werden (vgl. Abb.11): • • • •
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Umfeldressourcen (beispielsweise die eigene Arbeit, das private Umfeld39), individuelle Ausgleichs- und Regenerationsstrategien (persönliche Wege für das innere Wohlbefinden), Bewältigungsstrategien für hohe Belastungen („Krisenmanagement“ ) positiv stützende Persönlichkeitsmerkmale, grundlegende Überzeugungen und Einstellungen.
Die Arbeit und das private, soziale Umfeld stellen wichtige Kraftquellen bzw. Ressouren dar, die jedoch nur unter bestimmten Rahmenbedingungen als solche empfunden werden. Denn ebenso wie sie Kraft und Energie spenden können, können sie auch zur stressinduzierenden Belastungsquelle werden. Das heißt, diese Ressourcen müssen bestimmte Funktionen erfüllen, um als solche zu wirken.
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Abb. 10:
Kraftquellen und Ressourcen der Führungskräfte
Obwohl in der Summe ein hohes Maß an Ressourcen bei allen Führungskräften vorhanden war, wurden diese jedoch nur in sehr unterschiedlichem Maße bewusst genutzt und waren unterschiedlich erlebenswirksam. Erlebenswirksam war beispielsweise in vielen Fällen eher ein Mangel an körperlicher Regeneration und zu wenig an Zeit für einen individuellen Ausgleich. Während allgemein vorhandene „Schutzfaktoren“ (die eigene Lebenseinstellung, der Erfolg in der Arbeit) teilweise kaum bewusst als Ressource realisiert wurden („Das ist einfach so“), ging das Empfinden einer Ressource als „wirkliche“ Kraftquelle meist mit Eigenzeit, d.h. bewusster Zeit für sich selbst, für das eigene Innenleben mit Gedanken, Empfindungen, Träumen einher. Die Vermutung liegt nahe, dass jede Ressource und Energiequelle weniger durch die damit verbundene Aktivität oder durch ihr Vorhandensein wirkungsvoll ist, sondern 138
dass es einiger Voraussetzungen für die Erlebniswirksamkeit bedarf. Zu diesen Voraussetzungen gehört eine Kombination aus eigener Bewusstheit (als Kraftquelle entdecken und gestalten) sowie emotionaler Intensität („quality time“ – Zeit mit hoher Qualität und spürbarer Intensität; kein Abarbeiten, sondern gefühlsmäßiges Erleben). Dahinter steht oftmals das Erleben und ein Bedürfnis, sich selbst wieder bewusster zu spüren und zu erleben, die Aufmerksamkeit von einem ausschließlich durchgetakteten Außenleben wieder öfter nach innen zu richten und für sich selbst zu sorgen: also „mehr von sich“ anstelle von „mehr für sich“ zu haben. „Ich habe zu wenig von mir“, bringt eine Führungskraft das Unbehagen auf den Punkt. Das Schlimme ist, je länger man weg ist, desto mehr ist der Wunsch natürlich der Kinder, auch mal den Vater zu sehen. Und wenn man dann Urlaub hat, dann stellen die berechtigte Forderungen. Dann bleibt wieder keine Zeit. Seit Jahren schon kann ich keinen Sport mehr machen. Keine Zeit; da kann man sich dann in der Firma erholen, da ist aber auch keine Zeit, also das ist eine Katze, die sich in den Schwanz beißt.
Eigenzeit, so wie sie in diesem Zitat von der Führungskraft vermisst wird, stellt für die Wirksamkeit der Ressourcen zwar oftmals eine notwendige, doch kaum hinreichende Voraussetzung für dieses Erleben dar (auch wenn es auf den ersten Blick so erscheint). Denn einige Führungskräfte treiben beispielsweise Sport aus Vernunftgründen. Doch sie erleben dies nur bedingt als Ressource – im Gegensatz zu denjenigen, denen Sport ein inneres Bedürfnis war und ist. Dieser deutliche Unterschied zwischen einem bewussten „Etwas-für-sichtun“ und einem vernunftgesteuerten „Abarbeiten“ ist weiterhin entscheidend dafür, wie konsequent die eigenen Ressourcen wahrgenommen und genutzt werden können. Zukünftige Gesundheitsprogramme für Führungskräfte sollten sich deshalb verstärkt der Frage widmen, ob die Vermittlung gesundheitlich richtiger Verhaltensweisen im Vordergrund 139
steht oder eher die konsequentere und bewusstere Nutzung der persönlichen (und unterschiedlichen) Ressourcen des Einzelnen? Oder sogar beides? Einige Beispiele sollen die wahrgenommenen Ressourcen zusammenfassend beschreiben. 2.2.2
Kraftquelle Beruf
Der Beruf bzw. die eigene Tätigkeit wird dann als Ressource erlebt, wenn er einen Beitrag zur persönlichen Selbstverwirklichung leistet (Spaß, Leidenschaft, Lust an der Leistung, ein Empfinden von eigener Stärke, etc.). Viele Führungskräfte haben diese Einstellung verinnerlicht. Sie sind sich sicher, dass die Belastungen, die ihre Tätigkeit mit sich bringt, nicht bewältigt werden können, wenn die hohe emotionale Beteiligung am Thema und am Produkt wegfielen, also im wahrsten Sinne des Wortes das eigene Herz nicht beteiligt wäre: Meine Kraft kommt aus der Mission. Und meine Zufriedenheit kommt eher aus dem: Was kann ich umsetzen? Wo kann ich einen Beitrag leisten, dass sich was weiterentwickelt? Auch gegen Widerstand, da habe ich kein Problem mit, dass nicht alle dafür sind am Anfang. Und irgendwo ist es mein Sport zu gucken, wo hat ein System eine Grenze und kann ich die verschieben? // Also ich täte gern Spuren im Sand der Geschichte hinterlassen, und wenn es nur bei Wenigen wäre. Mein Bild ist nicht das eines kleinen Rades in einer, eines kleinen verwechselbaren Rades in einer großen undefinierbaren Masse – das würde mich schrecken –, sondern an der Ecke bin ich dann lieber voluminös oder auch mal kantig ..., doch ein bisschen auch Rückmeldungen zu provozieren und das ist so ein Stück mein Ziel und mein Ehrgeiz. Und ich sage es mal so: Dieser Ehrgeiz scheint dann bis auf das Thema Familie alle anderen Dinge zu schlagen in der Priorisierung.
Was geschieht jedoch, wenn sich der persönliche Ehrgeiz im Beruf nicht mehr befriedigen lässt, wenn sich Rahmenbedin140
gungen ändern, die Leistungsfähigkeit nachlässt? Wird der Beruf dann zum Scharfrichter über Zufriedenheit und Selbstwert, über Wohl und Wehe? Zum Einen wird die Verwirklichung der eigenen Person in der Aufgabe belohnt und als befriedigend erlebt; eigene Prioritäten sind klar, es erscheint einfach, andere persönliche Bedürfnisse zurückzustellen. Zum Anderen führen diese einseitigen Verteilungen jedoch häufig zur Trennung oder Entfremdung von anderen Lebenswelten. Das bedeutet wiederum, dass beim Wegfall der beruflichen Ressource durch Veränderungsprozesse, Krankheiten, etc. die ganze Identität zu brechen und die einzige Kraftquelle zu versiegen droht. 2.2.3
Kraftquelle privates Umfeld
Das soziale Umfeld in Form von Familie, Partnern, Freunden stellt eine besondere Kraftquelle dar. Das „Ressourcenpaket“ soziales Netz ist schon seit den 60er Jahren als gesundheitsschützend bekannt (vgl. Ohm, 1997). Doch welche Bedürfnisse werden durch den sozialen Rückhalt gestillt und welche Art von Erleben wird in diesem Zusammenhang aktualisiert? Liebe, geliebt werden, Bindung: als Partner und teilweise Vater einen Platz in einem stabilen Gefüge haben und auch die eigene emotionale Abhängigkeit eingestehen (wenngleich dies zunächst nicht als managerlike erlebt wird). Vertrauen und Echtheit: unter Freunden das Ablegen von Funktionsrollen und „einfach nur der Otto zu sein“, ein Verhältnis von Mensch zu Mensch gestalten. Abstand zum Beruf und Zugehörigkeit zu anderen Lebenswelten: durch einen Freundeskreis Zugang zu völlig anderen Themen haben und dadurch Abstand gewinnen. Ausgleich: mit Freunden Hobbys und Interessen zu teilen und so eine Mischung zwischen Freizeit und informellen Gesprächen zu erlangen. 141
Entspannung, Ruhe, Sicherheit: „die eigenen vier Wände“ als Ort von absoluter Ruhe und Selbstbestimmtheit erleben. Assoziationen, die in diesem Zusammenhang die Interviews prägten, waren „Tankstelle“, „Zufluchtsort“, „Heimathafen“ oder „Netz“, die ihrerseits alle auf den schützenden, Halt oder Energie spendenden Charakter hinweisen. Gleichzeitig spiegeln die Bilder eine Situation, bei denen das soziale Umfeld vor allem als eine „gebende“ Instanz erlebt wird (sich ins Netz fallen lassen, an der Tankstelle auftanken, in den Hafen einlaufen, Zuflucht suchen). Im gleichen Atemzug wird jedoch die Schwierigkeit erwähnt, diesen wichtigen Pol im Leben mit dem Beruf zu vereinbaren, diesen also wirklich zu nutzen und die Ressource wirklich als Ruhe und Erholung „spendend“ aufzufinden und nicht als einen erneuten Berg von Aufgaben: Ich brauche ein Zuhause. Ich muss sozusagen einen Heimathafen haben und den habe ich. Den zu gestalten, das ist jeden Tag eine Herausforderung irgendwie, also das ist irgendwie so ein unendliches Problem.
Hier ist ständiges Aushandeln nötig, um auf beiden Seiten das Gefühl des Gebens und Nehmens und der „Stimmigkeit“ sicher zu stellen. Denn wenn das soziale Netz auf Dauer wie ein von selbst nachwachsender Rohstoff betrachtet wird, entstehen unter Umständen Gefälle, die diese Ressource schnell zum erneuten Stressor werden lassen - wenn nämlich der Ehepartner, die Kinder, die Freunde ihre „Ausgaben“ einklagen. 2.2.4
Strategien des Ausgleichs und der Regeneration
Die Diskrepanz zwischen dem Wissen, über das, was einem gut tut und der tatsächlichen, vor allem regelmäßigen Umsetzung kam vorrangig in dieser Kategorie zum Tragen. Vor allem im Fragebogen wurde deutlich, dass gerade dem Bedürfnis nach allgemeiner Regeneration zu wenig nachgegeben wird bzw. manchmal schon gar nicht mehr nachgegeben werden kann. Gut ein Drittel der Befragten (36,3 %) berichtete, sich nicht regelmäßig zu entspannen bzw. entspannen zu 142
können. Interessant jedoch ist, dass sich unter denjenigen, die so antworteten, nur eine weibliche Führungskraft befand. Möglicherweise brauchen Männer und Frauen jeweils andere Strategien der Entspannung oder nehmen Frauen ihr Bedürfnis ernster? Als direkte Strategien für Ausgleich und Regeneration wurden folgende Kategorien genannt: •
Erfüllung privater Interessen („sich etwas gönnen“, Hobbys, Reisen planen und durchführen, Fremdsprachen lernen, Kunst, Kultur, eigenes Haus einrichten, etc.). Und also da, ich brauche eigentlich immer was, wo ich so gedanklich auch zuarbeite. Ich reise sehr gerne, und meistens, sehr gut geht mir’s, wenn ich drei Projekte in Planung habe, also eine Woche gehen wir, und dann machen wir das und machen wir das. Und da lege ich dann auch, dann bereite ich mich drauf vor und so. Ich habe dann auch immer was, wo ich so, ja, so Elemente, wo ich mich dann drauf freue.
•
allgemeine Regeneration – Energieaufbau (Ruhe, Nichtstun, Schlafen, Zeit für sich, Sauna, alltägliche Rituale für die Gesundheit, etc.) ...in eine völlig andere Welt abtauchen... Ich bin sehr gerne mit mir zusammen und tue diese Stille auch gerne mal aushalten ...
•
Wege und Strategien zur Ab-Spannung (Ausgleich und Entspannung durch den Abbau von Spannung, v.a. durch Ausdauersport, Spaziergänge, Meditation etc.) Mein Körper signalisiert mir dann direkt, wenn Bewegung fehlt // Unzufriedenheit, Unruhe, es ist, mir fehlt dann der Auslauf, da laufe ich wirklich wie ein Tier im Käfig. Oder nach anderthalb Tage Klausur kann ich nicht mehr sitzen. Das ist wie so wie ich nicht gut zu haben bin, wenn ich Hunger habe und nicht bewegen ist ein Stück wie Hunger haben.
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Vor allem Sport und Bewegung sind ein wichtiger Ausgleich, und immerhin 54,5 % gaben an, sich ausreichend zu bewegen. Die Umsetzung dieses Bedürfnisses hingegen variiert stark: von einfachen „Fitness-Ansätzen“ (Gehen, Gymnastik, leichtes Radfahren und Schwimmen) über den „HobbySportler“ mit regelmäßigem Training bis hin zur Umsetzung eines straffen Trainingsplans für die Teilnahme an Wettkämpfen. Dort, wo der Sport über eine Ausgleichsfunktion hinaus ging, entstand der Kick vor allem durch weitere Erfolge „das ist ein geiles Ziel und ein solches Siegesgefühl“. Sport sei in diesem Falle nur die „Powerwaffe, wenn Du sonst völlig leer und am Ende bist, hilft das auch nichts mehr.“ Das Muster der beruflichen Höchstleistung wiederholt sich im Sport und wird von vielen abgelehnt und negativ bewertet. Doch entscheidend sind die Voraussetzungen und die Auswirkungen. Bei einem grundsätzlich hohen Maß an Grundfitness und mit der notwendigen Balance kann auch bei höheren Trainingsumfängen ein Ausgleich entstehen, der sich vor allem durch eine sehr hohe körperlich-mentale Widerstandskraft ausdrückt: „Ich habe meine beruflichen Spitzenbelastungen bisher nur überlebt, weil ich vorher trainiert war.“ Führt der Sport in seiner Gesamtwirkung jedoch eher zu einer Schwächung, weil statt Ausgleich Übertraining betrieben wird, dann entsteht daraus ein neuer Stressor. Auffällig war in diesem Zusammenhang, dass gerade Bewegung meist „on the top“ absolviert wird, d.h. man verkürzt nicht die Arbeitzeit, sondern verlängert eher den Tag am Morgen oder Abend. Dennoch bedeutet Sport oft ein Stück „Freiheit“ und so veränderte ein Jogging vor 7.00 Uhr und nach 22.00 Uhr das Erleben noch positiv. Eine Zusammenfassung der Aussagen von allen Sportlern zeigt eine ganzheitliche Wirkung auf Körper, Seele und Geist, wodurch wiederum an vielen Stellen ein Zugang zu weiteren Ressourcen geschaffen wird (beispielsweise Gefühle innerer Freiheit, psychischer Stabilität und Ausgeglichenheit, Distanzierungsfähigkeit). Hier scheint die Bewegung selbst Ergebnis und sehr gutes Mittel zum Zweck zu sein:
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Körper allgemeines Wohlbefinden; leichte Müdigkeit; Empfinden von Stärke; „austoben“
Tab. 9:
Seele Spannungsabbau; Gefühle ausgleichen; Rationalität zurückgewinnen; psychische Stabilität
Geist Distanz zu den Themen; Neuordnung der Gedanken; Klarheit und Frische; innere Freiheit
Auswirkungen von Bewegung und Sport auf Körper, Geist und Seele
Vor allem der Ausdauersport stellte für viele Führungskräfte sowohl Bedürfnis, als auch Ausgleich, Entlastung und Wohlbefinden dar. Ein sehr zentraler Punkt ist dabei der Abbau von psycho-mentalen Belastungen und eine bewegte EntSpannung. Das heißt, hier geht es darum, Einseitigkeiten und Ungleichgewichte wieder auszubalancieren – über die Physis zur Psyche. Daraus resultiert bei vielen Führungskräften ein verbesserter Schlaf, erhöhte Stressresistenz und emotionale Stabilität. Hier zeigt sich also auch, was zahlreiche Studien längst bewiesen haben: Bewegung und Sport sind nicht nur Körperpflege, sondern auch Seelen- und Selbstpflege (vgl. Bässler, 1997). Ähnliches trifft für fernöstliche Methoden, hier im speziellen die Meditation und das Aikido zu. Die Führungskräfte nutzen diesen Ausgleich zum Einen als Methode für Bewegung und Entspannung, zum Anderen als Philosophie mit zahlreichen Ansätzen für die persönliche, ressourcenorientierte Lebensgestaltung. Die praktizierte Haltung, der Umgang mit dem Körper wird auf eine innere Haltung, eine Lebenseinstellung übertragen.
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Also mit Aikido versuche ich, auch für andere Lebensbereiche diese Haltung zu integrieren und auszuprobieren. Wie schaffe ich es beispielsweise meine Ziele ohne so viel Anstrengung und Mühe, sondern eher durch locker lassen und einen konzentrierten Fokus zu erreichen?
2.2.5
Positiv stützende Persönlichkeitsmerkmale
Neben den direkten Strategien für einen Ausgleich kristallisierten sich auch zahlreiche Ressourcen heraus, die in der eigenen Einstellung, in grundlegenden Überzeugungen von sich selbst und dem Leben gegenüber begründet liegen (basic beliefs). Gerade diese Aspekte nahmen die Führungskräfte teilweise nur begrenzt als eigentliche Ressource wahr. Vielmehr wurde es als eine Art gegebener Schutzmechanismus der eigenen Persönlichkeit betrachtet, bei dem der eigene Beitrag eher unbewusst blieb. Meist bildeten die Merkmale untereinander ein schlüssiges Konzept - sichtbares Resultat war dann ein positiv eingestellter, selbstbewusster, innerlich ausgeglichener und unabhängiger Mensch. Die am häufigsten genannten Eigenschaften in diesem Zusammenhang waren persönliche Integrität und Authentizität. Authentizität als Prinzip der Echtheit und der persönlichen Stimmigkeit, d.h. sich als Führungskraft gegenüber bestimmten Karriereanforderungen und auch gegenüber den Mitarbeiten bzw. eigenen Vorgesetzten, nicht „verkaufen“ zu wollen, nicht „verbiegen“ zu lassen. „Wenn mir etwas stinkt, dann sage ich das“, oder „Ich lebe mich einfach und sage mir immer wieder, mach das, was Dir passt und was für Dich passt.“ Integrität versteht sich hier nicht als Prinzip der Unbescholtenheit und Charakterstärke, sondern als Prinzip der vollen Integration der eigenen Person über alle Lebenswelten und Rollen hinweg. Diese Einstellung hat sich für einige zum zentralen Anker ihrer Lebensgestaltung herauskristallisiert, die bewusst abweicht von einem Konzept der Trennung von Lebenswelten und damit der Aufspaltung in verschiedene Seiten der eigenen 146
Person: hier die Arbeit und dort das Private, hier Härte und dort Entspannung oder hier mit und dort ohne Maske. Also ich verbinde damit, kann ich authentisch sein oder nicht, fange ich an, mich zu verdrehen oder nicht? Kann ich ewig so, wie ich hier bin, oder lebe ich hier ein zweites Leben? Und ich lebe hier kein zweites Leben. ... Und wenn ich denke, ich kann nicht mehr authentisch sein, muss ich die Konsequenzen ziehen.
In enger Verbindung damit stehen zwei weitere Punkte: das Gefühl innerer Freiheit, d.h. ein gewisses Maß innerer Unabhängigkeit, sowie Selbstbestimmung. Interessanterweise erwies sich gerade die Eigenschaft der inneren Unabhängigkeit als Wunschziel vieler Führungskräfte. Sie wird als als Voraussetzung, sich selbst abzugrenzen und den eigenen Bedürfnissen gegenüber Verantwortung übernehmen zu können gesehen. Wer für sich innere Unabhängigkeit in Anspruch nahm, konnte jedoch kaum sagen, wie sie entstanden war. Es sei ein langer Entwicklungsprozess gewesen – meist in Verbindung mit bestimmten Kontextfaktoren wie beispielsweise der Veränderung innerer Prioritäten, das Wissen um die eigene Kompetenz, positive Rückmeldungen zu eigenen Arbeitsergebnissen und einem gewissen Selbstbewusstsein: „Was man will, erreicht man.// Ich kann es mir erlauben.“ Als gesundheitsförderliche Ressourcen wurden auch die grundlegenden Überzeugungen und Empfindungen von innerer Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und Begeisterungsfähigkeit eingestuft. Der „Fels in der Brandung“ und die Einstellung „Krank bin ich nur, wenn ich mich auch krank fühle“ waren hier wörtliche Beispiele. Darüber hinaus erwiesen sich Neugier, Lern- und Veränderungsbereitschaft als ressourcenförderliche Faktoren der Persönlichkeit, die sicher gerade im Umfeld der hohen Veränderungsgeschwindigkeit im Management und der wechselnden Anforderungen als positiv zu verstehen sind. „Ich muss mich jeden Tag verändern und jeder Tag verändert mich“, beschreibt eine Führungskraft diesen ständigen Fluss. Es sei wichtig für ihn, genau zu unterscheiden, „Was tut mir gut und was nicht.“ Hier geht es nicht um grundsätzliche Fle147
xibilität, sondern um eine Kombination von hoher Bewusstheit gepaart mit äußeren Anforderungen und eigenen Bedürfnissen. 2.2.6
„Krisenmanagement“: Strategien beim Umgang mit hohen Belastungen
Im Gegenzug zu den oben genannten primär proaktiven Lebenseinstellungen („die Hintergrundmusik“), gab es auch eine Reihe von Ressourcen, die als konkrete Strategien bei hohen Belastungen quasi die Taktgeber im Vordergrund darstellen und oftmals ein Kippen des körperlich-psychischen Gleichgewichts verhinderten. Das heiß, hier geht es um spezielle Bewältigungs-(Coping-) Mechanismen im Umgang mit Stress und hoher Belastung (siehe Tabelle 10,11).
148
Strategie
Bedeutung
Zitate
Wenn die Anzahl der täglichen Eingänge hier Im Mittelpunkt steht diesen Schreibtisch der viel verwandte übersteigt, dann haue Ausdruck „Herr der ich alle Termine raus, eigenen Termine“ zu die irgendwie möglich Selbststeuerung bleiben. Das bezieht sind und verärgere die und bewusstes sich auf die Termine Leute, weil ich Termine Abgrenzen im Speziellen, aber absage. Ich sage, so, auch auf eigenen jetzt ist mal zwei Tage Arbeitsraum und geRuhe hier, solange nicht nerelle Arbeitszeit. der Tisch wieder abgearbeitet ist, und vorher gibt’s nichts. Also Distanz wahren, also Distanzierungsfähigkeit – behalten, halte ich, grade in einem Loslassen, die persönhierarchischen System liche Wichtigkeit relahalt ich das für sehr Sich distanzieren tivieren und damit wichtig, sonst wird man von eigenen Emo- eigene Freiheit gewinaufgefressen und veruntionen und den nen, der „geistige sichert sich selbst unnöDingen Sport“ der Führungstig usw., weil in fünf... kräfte, sich einzulasJahren ist ja keiner von sen und doch wieder denen, die da mit waren zu distanzieren mehr da. Also diese Distanzierungsfähigkeit ist mindestens so gut, wie eine Stunde Laufen.
Tab. 10:
Bewältigungsstrategien im Umgang mit hohen Belastungen (1)
149
Strategie
Bedeutung
Herstellen von PragAkzeptanz bestematik und Handlungshender Umstände fähigkeit anstelle von Widerstand und Ärger
Hohe Selbstdisziplin
Leistungsfähigkeit priorisieren und das Leben mit Disziplin danach einrichten.
Zitate Du kannst die Welt nicht ändern, aber Du kannst die Sicht auf die Dinge ändern. Wenn man leistungsfähig sein will, darf man sich solche Dinge wie Rauchen nicht erlauben und da habe ich konsequent aufgehört.
Völlig andere Themen, Ab- und Umschal- neuer Fokus und das ten oftmals im schnellen Wechsel Das eigene Leben, die eigenen Werte immer wieder mit dem aktuelSelbstreflexive len Zustand vergleiPhasen und täglichen: Anhalten, che Achtsamkeit Nachdenken, Spüren, Analysieren und erst dann entscheiden
Tab. 11:
Bewältigungsstrategien im Umgang mit hohen Belastungen (2)
Im Kern geht es hier um einen Ansatz, bei dem der Einzelne subjektiv nicht mehr das passive Objekt oder Opfer der Zeit und Anforderungen ist, sondern diese aktiv zu „seinen“ Objekten macht, gewissermaßen zum Täter wird. Auffällig ist auch der letzte Punkt: Zeit für Reflexion: Dieser ist aus Sicht der Führungskräfte schwer umzusetzen. Je höher die Geschwindigkeit, je umfangreicher die Aufgaben, desto höher die Wahrscheinlichkeit des blinden Aktionismus und desto stärker schwindet die Zeit für bewusstes Nachdenken. Doch gerade in hektischen Zeiten braucht es die bewusste 150
Bündelung eigener Kräfte, den achtsamen Umgang mit sich selbst und mit den Teamressourcen, gerade da braucht es bewusste Entscheidungen zwischen Wichtigem und Dringlichem, zwischen Eigenem und Fremdem. Aus dem Datenmaterial kristallisieren sich abschließend zwei Thesen zum Ressourcenhaushalt heraus: ¾
¾
Das Erleben und die Nutzung der persönlichen Ressourcen ist komplex organisiert. Grundlegende Einstellungen, gezielte Ausgleichsstrategien sowie Bewältigungsmechanismen bedingen sich wechselseitig. Nicht das Wissen über, sondern die Umsetzung und der bewusste Einsatz der eigenen Ressourcen stellen den kritischen Erfolgsfaktor dar. Entscheidend ist nicht WAS, sondern das WIE.
2.3
Hindernisse und Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung persönlicher Ausgleichsstrategien
?
Was sind die größten Hindernisse und die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Umsetzung des persönlichen Ausgleichs?
„Wir wissen was uns gut tut, aber haben keine Zeit dafür“, könnte das leidige Motto vieler Führungskräfte lauten. „Zu wenig Zeit“ (71,4 %) und „Inkonsequenz“ (57,2 %) sind die hauptsächlichen Begründungen, an denen der bewusste persönliche Ausgleich scheitert. Vermutlich stehen beiden Aspekte in einer unmittelbaren Verbindung. Denn eine höhere Konsequenz bedeutet auch das Setzen zeitlicher Grenzen bzw. die aktive Gestaltung der eigenen Zeit. Dieser Zusammenhang scheint sich auch deshalb zu bestätigen, weil nur knapp ein Drittel (28,5 %) der Befragten die eigene berufliche und nur 4,8 % die eigene private Situation als Hindernis dafür angaben, mehr für sich selbst zu tun. 151
Entgegen dem Wunsch nach mehr Zeit erwiesen sich andere Aspekte als Erfolgsfaktoren für die Nutzung der eigenen Ressourcen:
Abb. 11:
Erfolgsfaktoren für die Nutzung und Pflege der eigenen Ressourcen
Bis hierher lesen sich die Erfolgsfaktoren wie Auszüge aus der klassischen Managementliteratur, sozusagen die „six habits of highly effective people“. Ich denke, was man will, erreicht man. Man muss eben nur Prioritäten setzen. Man muss sagen, also wenn das meine fünf Erfolgsfaktoren sind, okay, ich schaffe nicht alle, welche sind denn die Wesentlichen? Und die drei dann, die fahre ich nach vorne und dann mache ich die anderen lässiger, und dann muss es passen. Also der Job muss in einer angemessenen Zeit machbar sein und die anderen Komponenten drunter leiden. In gewissem Grad klar, sind Rahmenbedingungen da, aber es muss machbar sein. Und wenn es nicht machbar ist, muss ich mir überlegen, ob es das Wert ist.
152
Klar strukturiert, steuerbar und vor allem mit einem hohen Fokus auf innere Werte sowie Disziplin, Konsequenz und auch Mut: Es war erstaunlich zu hören, wie viele Lösungen vorhanden sind, die jedoch viel häufiger vom resignierenden Zugeständnis begleitet wurden, dass Konsequenz und Disziplin zwar notwendig seien, aber im Privaten kaum möglich – wie durch Geisterhand gelenkt, läuft alles doch nicht so konsequent und diszipliniert ab, wie geplant. Die eigenen Strategien für klare Steuerung, Kontrolle und das Setzen von Prioritäten bleiben damit oft eher Wunsch als Erfüllung. „Es muss gehen, machbar sein, muss passen“ – und wenn nicht, sieht man sich selbst als Versager, weil man nicht mal in der Lage ist, seine privaten, gesundheitlichen Interessen umzusetzen! Doch wird hier nicht einfach das tatsächliche Bedürfnis überhört und durch eine vernünftige, rationale Herangehensweise ersetzt? Ein disziplinierter, „gemanagter“ Ausgleich sichert zwar ein strukturiertes Vorgehen, doch ähnelt dieses nicht allzu sehr dem Verhalten im Beruf? Wieder Anforderungen an sich selbst, wieder ein gewisser Druck, wieder ein bestimmter disziplinierter Zwang – wo doch eigentlich Loslassen, Entspannen, Regenerieren gewünscht ist? Wird hier „mehr vom Selben“ auf der privaten Ebene gelebt und vielleicht gerade deshalb unbewusst innerer Widerstand geleistet? Der sich dann darin ausdrückt, dass am Wochenende wieder nicht der geplante Sport realisiert wird? Stattdessen bleibt man müde im Sessel hängen, weil einfach nichts getan, gesteuert, kontrolliert werden soll, weil man eben nicht diszipliniert und konsequent sein will. Was braucht es, um die Mitte zu finden, um das richtige Maß zwischen Überdosis und Unterdosis zu entdecken? In den Aussagen der Befragten kristallisierten sich drei Faktoren heraus, die zwar nicht im Widerspruch zum obigen „Managementansatz“ standen, aber für wesentlich mehr Leichtigkeit in der Umsetzung des eigenen Ausgleichs und für weniger Härte sich selbst gegenüber sorgten.
153
Faktor 1: Die Gesamtbelastung nicht durch mehr Ausgleich, sondern durch einen anderen Umgang mit den täglichen Belastungen selbst senken. Hier steht die Annahme im Vordergrund, dass die beruflichen Belastungen von außen kaum geringer werden – im Gegenteil. Mit einem ebenso steigendem Bedarf an Ausgleich darauf reagieren zu wollen, scheint utopisch. Das heißt, es kann demnach kaum darum gehen, verstärkt Defizite aufzufüllen, sondern die eigenen Ressourcen präventiv zu gebrauchen. Hier wird der Puffer vor allem in der eigenen Einstellung gegenüber den Anforderungen gesehen. Dieses Wohlbefinden kann ja nicht darauf hinauslaufen, dass man hier jedem so einen Wellnessbereich da zur Verfügung stellt, sondern ich denke einfach, Arbeit hat irgendwo auch was mit Anstrengung und vielleicht auch Unwohlsein zu tun, dafür werden wir bezahlt, unangenehme Dinge zu machen. // Also dass man sich nicht mehr aus irgendwelchen Situationen dann unterkriegen lässt, dass es nicht so weit kommt, dass du gesundheitliche Probleme damit kriegst, sondern dass man dann versuchst eben, solche Situationen gar nicht so in der Art anzunehmen, dass sie einem Substanz rauben, dass sie eher dann motivierend wirken. Und aus der Situation raus brauchst du vielleicht nicht einmal mehr so arg, wenn man das kultiviert, dass man dann nicht einmal so arg einen Bereich brauchst, wo du da relaxen kannst und Energie tanken kannst. Und das ist ja dann auch so eine Quelle für dich selber.
Dieser Weg benötigt ein hohes Maß an täglicher Achtsamkeit und Bewusstheit für sich selbst, um große Defizite zu vermeiden und für das „rechte“ Maß und für einen stabilen Umgang mit belastenden Situationen zu sorgen. Vor allem jedoch scheint dieser Weg auch etwas sehr Individuelles zu sein, der sich von allgemeinen Regeln zum Gesundheits- und Leistungsmanagement unterscheidet.
154
Faktor 2: Den individuell richtigen Weg finden und gehen. Ich habe meinen Weg, den ich versuche zu gehen, und ich meine, dass das der richtige für mich ist.
Es nützt das ganze Gesundheitswissen und eine krampfhafte Umsetzung nichts, wenn das Spürbewusstsein dafür fehlt, was gut tut, was gebraucht wird, wo sich der eigene Zustand positiv bzw. negativ verändert und wodurch. Für das individuell stimmige Gestalten der eigenen Vorhaben braucht es eine Abkehr von der Maxime „ich müsste“. Stattdessen geht es darum, herauszufinden, was „ich brauche“. Dies setzt an einigen Stellen das Eingeständnis von Grenzen voraus. Faktor 3: „Ich tue mir was Gutes“ anstelle von „Ich will weniger rauchen“ Im Mittelpunkt hier steht eine Veränderung des psychischen Fokus. Anstelle etwas Ungeliebtes wegzulassen (weniger arbeiten, aufhören zu rauchen, etc.), was den meisten Menschen naturgemäß schwer fällt, wurde ein neues Ziel gesetzt, das wesentlich motivierender ist und deshalb auch leichter umzusetzen. Es geht also nicht darum „weniger zu rauchen“, sondern „mehr Gutes für mich zu tun“, indem weniger geraucht wird. Ich habe früher mir immer am Jahresende vorgenommen fürs nächste Jahr, ich arbeite weniger. Und dann habe ich irgendwann gedacht, das ist totaler Quatsch, weil das stimmt nicht, ich arbeite immer mehr, also zeitlich gesehen auf jeden Fall. Und irgendwann habe ich gesagt, ist jetzt eigentlich doof, dir was vorzunehmen, was dir Frustrationserlebnisse verschafft, nämlich du machst das eh nicht. Und dann habe ich mir gesagt: dass ich mir nicht vornehme, weniger zu arbeiten, sondern einfach vornehme, mir es in der Zeit, in der ich nicht arbeite und in der Zeit, in der ich arbeite, besser gehen zu lassen. Und das äußerst sich darin, dass, wenn ich arbeite, also wir lachen hier viel, also und ich bin fit, ich gönne mir den Sport und ich tue mir immer wieder was Gutes, wenn ich nicht rauche.
155
Statt der Vermeidung eines unliebsamen Zustandes verfolgt man das aktive Zugehen auf einen attraktiven Zustand. Mit Erstem ist ein ungutes Gefühl verknüpft, dass sich noch verstärkt, wenn die Vermeidung wieder nicht geklappt hat, während bei Letzterem ein Zugewinn anvisiert wird, dessen Attraktivität die Handlungsenergie gleich mitliefert. Anziehend, erstrebenswert und verführerisch – wer will sich nicht gerne von eigenen Zielen verführen lassen?
2.4
? ? ? 2.4.1
Der Umgang mit den Anforderungen und mit sich selbst: typische Verhaltensmuster Wie lautet die Beschreibung des eigenen Körpererlebens im Spannungsfeld von Arbeit/ Leistung/ Gesundheit? Welche und wie viel Aufmerksamkeit wird dem eigenen Körper gewidmet? Welche typischen Muster im Umgang mit dem eigenen Körper sind zu beobachten? „Leistungsfähig, ausdauernd, kraftvoll, oftmals angespannt und ruhelos“: das Körpererleben
In der schriftlichen Befragung beschrieben sich knapp 90 % als leistungsfähig und ausdauernd, die Hälfte noch zusätzlich als kraftvoll. Parallel dazu berichteten knapp ein Drittel der Führungskräfte von Angespanntheit, Ruhelosigkeit und Angetriebensein. Demnach scheinen sich die täglichen Anforderungen zunächst in erhöhter innerer Spannung niederzuschlagen. Bei einem Quervergleich aller Interviewdaten verdichtet sich folgendes Bild: Die Führungskräfte empfinden ihren Körper zum überwiegenden Teil als leistungsfähig und ausdauernd (er funktioniert), doch gleichzeitig auch unterschiedlich belastet. 156
Die Befragten konstatierten teilweise psychomentale Auswirkungen (angetrieben, angespannt, ruhelos) sowie abnehmende Energie und zunehmende Müdigkeit, was sich sowohl psychisch als auch physisch bemerkbar macht (nur 48 % empfinden ihren Körper als kraftvoll). Die gesundheitlichen Probleme, die im Interview angesprochen wurden, bezogen sich zum Teil auf psychosomatische Erkrankungen (Tinnitus, Magenbeschwerden), aber auch auf orthopädische Beschwerden (Bandscheiben, Hüfte, etc.), doch generell wurden diese als „im Griff“ wahrgenommen oder zumindest so berichtet. 2.4.2
„All lights are on – but nobody is at home“: das Körperbewusstsein im Arbeitsalltag
Jeweils über 90 % der Befragten sorgen für ihr äußeres Erscheinungsbild im Arbeitsalltag und beachten gleichfalls nonverbale Signale der Anderen als wichtige Informationsquelle. Hingegen sorgen nur 68 % der Führungskräfte während der Arbeit bewusst für ihr Wohlbefinden. Das heißt, die Aufmerksamkeit ist vor allem nach außen (auf das eigene Äußere, die Anderen, die Aufgabe, die Ziele, etc.) gerichtet, während die innere Regulation und damit eigene natürliche Bedürfnisse völlig vernachlässigt werden (vgl. Verhaltensmuster unten). Andererseits ist es natürlich auch so, dass die Organisation vor allem den funktionstüchtigen Leistungsträger sucht, der dazu beiträgt, die Ziele zu erfüllen und Ergebnisse zu liefern. Die innere Natur des Einzelnen muss hier in gewisser Weise Disziplinierung und Kontrolle erfahren. Die Steuerung unserer Triebe ist ein wesentlicher Entwicklungsschritt in der Zivilisationsgeschichte. Doch wo sind die Grenzen, an denen sich das System selbst überlistet und sich mittels Disziplin selbst Kraft und Regeneration verweigert? 2.4.3
Unterschiedliche Verhaltensmuster: drei typische Trends
In diesem Abschnitt geht es darum, typische Trends im Zusammenhang mit der persönlichen Lebens- und Arbeitsorganisation der Führungskräfte zu erfassen. Das Bild, das hier gezeichnet wird, ist nicht statisch. Es ist eine Momentaufnah157
me, die täglich neu vom jeweiligen Kontext und der individuellen Situation beeinflusst wird.
Abb. 12:
Unterschiedliche Verhaltensmuster im Umgang mit Anforderungen
Das Workaholic-Muster: „Erfolgreich, belastbar und müde“; mit diesen Attributen lässt sich die Arbeitssituation und das damit verbundene Körpererleben einer Gruppe von männlichen und weiblichen Führungskräften beschreiben. Ihre Arbeitssituation ist durch eine sehr hohe zeitlich Belastung gekennzeichnet (teilweise monatelange Arbeitszeiten von 70-80 Stunden die Woche). Gleichzeitig waren ihre Einstellungen von einem hohen Leistungswillen und einer hohen Wertigkeit von Arbeit als Quelle der Herausforderung und Selbstverwirklichung geprägt („Was man will, erreicht man“; „Leistung bot immer Schutz.“).
158
Unterstützend wirkt hier eine generelle Grundüberzeugung in Bezug auf die eigene Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit des Körpers. Das betrifft einerseits die Überzeugung von einer sehr guten Grundkonstitution, die zum Teil mit einem jungen Alter begründet wird („da ist momentan noch eine Grundfitness, eine körperliche Konstitution, dass mir selbst Extrembelastungen an sich kein Problem bereiten.“) und andererseits die Überzeugung von einer hohen psycho-physischen Belastbarkeit („ich war schon als Kind sehr zäh // mit meiner Leistungsfähigkeit, da kann ich gut mitspielen“). Doch im Gegensatz zu den eigenen Überzeugungen, die von hoher Stärke künden, spiegelt das aktuelle Körpererleben eher Müdigkeit, Energielosigkeit und Leere. Zentral ist ein Gefühl der völligen Verausgabung, mit ersten Ansätzen für einen Burn-out. Alle berichteten vor allem von einer spürbaren körperlichen Müdigkeit, die sich auch auf die geistige Leistungsfähigkeit niederschlägt und das Gefühl hinterlässt, völlig ausgepowert zu sein. Und dann hab‘ ich halt immer so einen Zustand, wo ich einfach müde bin // nein, das ist gar nicht im Kopf, sondern im Körper // also so eine richtige Müdigkeit, die die Muskeln betrifft. Ja, ich spüre Körper schlichtweg abends, wenn ich das Büro verlasse, also im Sinne von Müdigkeit, im Sinne von der Geist will nicht mehr, der Körper will nicht mehr, man ist müde. // Da ist dann abends ein Aufmerksamkeitsverlust und Müdigkeit, also richtig physisch.
Die Erfahrung körperlicher Leere und Energielosigkeit stellt für viele eine völlig neue Erfahrung dar, denn sie widerspricht in Teilen der inneren Überzeugung. Beinahe mit Verwunderung wurde registriert, dass die bisherige Lösung, körperliche Befindlichkeiten mit hoher Disziplin und professioneller Motivation auszugleichen, nicht mehr ausreichend funktioniert und der Körper entgegen dem eigenen Willen Grenzen setzt. 159
Also was ich aber merke, das ist für mich eine neue Erfahrung, ich merke, dass die Batterie abends definitiv alle ist aber das zeigt mir, dass ich zwar hier gut durchhalte, hat auch was mit Disziplin, mit Professionalität zu tun, aber dann die Batterie wirklich leer ist. Also habe ich die letzten paar Wochen schon gesagt: Junge, pass höllisch auf, wo du einfach, ja, wo einfach die Konzentration beim Nachhausefahren ist. Und das zeigt mir auch, dass die Batterie wirklich abends leer ist, weil ich sie auch nicht auflade.
Wie klar die Grenzen des Körpers zu spüren sind, wird durch die Sprachwahl im obigen Zitat deutlich. Obwohl nicht von eigener Schwäche die Rede ist, wird mit der Finalität in den Füllwörtern „definitiv“, „wirklich leer“, „höllisch“ sehr eindrücklich das Erreichen einer Leistungsgrenze signalisiert und auf gesundheitliche Gefährdung hingedeutet. Ko-Interpretatoren reagierten in diesem Falle mit Aussagen, wie: „Der Mensch muss mindestens drei Wochen in Kur und zwar sofort.“ Auch anhand anderer Zitate zeigt sich, dass täglich die eigenen Belastungsgrenzen erreicht werden, dass es eine Frage der Zeit ist, bis sich größere Schäden bzw. der völlige Burnout einstellen, doch dass gleichzeitig kaum Wege bzw. Auswege zur Veränderung der Situation gesehen werden (es sei denn die Arbeitssituation verändert sich komplett, doch dann entstehen wieder Konsequenzen an anderer Stelle). Fk:
Int.: Fk:
Deshalb lerne ich, ich habe gelernt, hier in meiner Arbeit auch mit den Grenzen, die mir mein Körper setzt ...(Pause)... damit zu leben bzw. ihn teilweise zu ignorieren, also dass ich müde bin. Was passiert, wenn Sie ihn nicht ignorieren? Würde ich nach Hause gehen und schlafen, also würde ich den Bedürfnissen Rechnung tragen, aber diese Möglichkeit besteht halt in der Regel nicht.
So bleibt die eigene Körpererfahrung innerhalb solcher Belastungssituationen typischerweise auf extreme Wechsel zwischen exzessiver Anspannung und exzessiver Laschheit (Energielosigkeit) beschränkt. Von 150 % Energie am Tag auf 160
null am Abend, von intensivem Einsatz, hoher Geschwindigkeit und großen Umfängen tagsüber zu völliger Leere am Abend. Typisch hierbei war auch die starke Beanspruchung des Geistes und das Abkoppeln der Aufmerksamkeit für den Körper am Tag und abends das Einsetzen des umgekehrten Mechanismus’: Körpersignale brechen sich Bahn, der Geist schaltet sich ab oder läuft wie automatisiert weiter. Also ich habe jetzt hier meinen Job, wo ich wirklich merke nach zehn Stunden, wenn ich losfahre, ist es echt, ist die Luft raus, ist die Luft raus, weil ich so durchgetaktet bin und so unheimlich viel Arbeit, also so intensiv und dann da was und hier operatives schnell, hier schnell, dort. Und das merkt man nicht, das merke ich nicht, solange ich hier sitze. Ich setze mich ins Auto und dann kommt so was und auf einmal merke ich es, das ist Wahnsinn. Und wenn ich also hier manchmal länger bin, was ja nach Wochen, dass ich manchmal heim fahre und ich weiß nicht, wie angekommen bin.
Mit Blick auf die Gesamtenergiebilanz der Führungskräfte müssen Zitate wie das folgende bezweifelt werden: Mir macht es nicht viel aus, 13-14 Stunden ununterbrochen ohne Pause zu arbeiten. Ich behaupte auch, ich werde in der Arbeit da nicht müde, also müde im Sinne von die Leistungsfähigkeit lässt nach. Aber das hat sehr stark etwas damit zu tun wie engagiert man ist, wie intrinsisch die Motivation ist.
Ist dieser professionelle Einsatz tagsüber tatsächlich zu leisten oder vielmehr unter welchen Bedingungen kann er weiterhin geleistet werden? Wann reicht die intrinsische Motivation für Leistung nicht mehr aus, weil die Regeneration fehlt? Wie viel Einsatzbereitschaft und Selbstdisziplin ist notwendig, um diese Situation weitere Monate aufrecht zu erhalten? In den Beschreibungen über das eigene Erleben entsteht der Eindruck einer hohen Leistungsbereitschaft und Identifikation mit der eigenen Aufgabe. Gewünschte Motivation eines Unternehmens. Doch ist diese auch mit der Verantwortung gepaart, die 161
eigenen Ressourcen bewusst einzusetzen und zu pflegen? Kommt sich der Mensch in der Zwischenzeit selbst abhanden. Wissen Sie, selbst wenn ich mich nie mit Ernährungswissenschaft beschäftigt habe, dann glaube ich, dass der allgemein gebildete Mensch weiß, dass z. B. so, wie ich das mache, morgens nichts zu frühstücken, in der Mittagspause in fünf Minuten was zu essen und abends sich überwiegend von Bier und Chips zu ernähren, sage ich mal, nicht wahrscheinlich das Optimum der Ernährungswissenschaft ist.
Das Bewusstsein für sich selbst scheint erst am Abend wieder zugelassen zu sein. Dann jedoch bekommt es häufig suchtartigen Charakter, denn wie ein ausgetrockneter Schwamm saugt der Körper auf, was er braucht (Schlaf, Essen, etc.). Dabei wird die tägliche Anspannung und das Beherrschen eigener Bedürfnisse als Höchstleistung gewertet und das Erschlaffen am Abend als unliebsames, aber dennoch durch die Leistung gerechtfertigtes Geschehen. Pausen gelten nicht selten als Zeichen von ungenügender Arbeitsauslastung, die dann als Dauerpause auf den Abend verschoben werden. Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier zeigt sich eine gute Arbeitsteilung: Kraft und Stärke am Tag und Ruhe am Abend, doch wer jemals bewusst seinen Körper in optimaler Form erlebt hat, der weiß, dass weder die ständige „Kampfhaltung“ (Anspannung) noch die innere „Fluchtreaktion“ (Abschlaffen, Energielosigkeit) maximal effektiven Einsatz bedeutet. Denn beide Haltungen beruhen auf einer Spaltung zwischen Körper und Geist. Bei einem permanent aufgewühlten, „durchgetaktetem“ Geist neigt der Körper durch Anspannung zum Versteifen und zum Zusammenziehen der Körperenergie. Dieser Zustand wird oftmals durch den Ausdruck „mir bleibt keine Luft zum Atmen“ ausgedrückt, wobei sich durch die Anspannung die Atmung stark verflacht. Gerade die berichtete physische Mü-
162
digkeit weist im Ergebnis auf einen durch Anspannung ungenügend gedeckten Sauerstoffbedarf in den Muskeln hin – vergleichbar mit einem 100 m Sprinter, der für 100 m Höchstleistung optimal organisiert ist, dessen Strecke jedoch auf Marathonlänge ausgedehnt wird.40 Das Schlafpensum an sich entwickelte sich zum kritischen Erfolgsfaktor und zum Steuerungshebel für das allgemeine Wohlbefinden. Obwohl das Wissen um einen notwendigen Ausgleich und sogar der Drang nach Bewegung vorhanden war, fehlte es teilweise an Energie, um diese Dinge durchzuführen. Da ist es die Ressource Zeit zum einen, aber ganz generell auch wenn es ums Thema Körper und Belastung geht, glaube ich, darf man den Faktor Zeit auch nicht überbewerten, weil das ist, sage ich mal, in allen Themen der Welt die beliebteste Ausrede, die es da gibt. Vielleicht habe ich schlichtweg keine Energie mehr, Sport zu machen, so wie es vorher war.
Das heißt, auf eigene Ressourcen kann bzw. wird nur bedingt zugegriffen und in der Auswirkung steigt sowohl der Anteil des „ungelebten“ Lebens als auch die allgemeine Unzufriedenheit und Motivation als Führungskraft.
40
In den Trainingswissenschaften ist bekannt, dass ein Muskel, der ungenügend Sauerstoff zugeführt bekommt, also anaerob arbeitet, zunächst alle verfügbaren kleinen Speicher an Kohlenhydraten verbraucht, danach jedoch für ein Umschalten auf die Fettverbrennung zusätzlichen Sauerstoff bräuchte. Ist dieser aufgrund zu hoher Geschwindigkeit bzw. zu geringer Sauerstoffzufuhr durch die Atmung nicht gegeben entsteht das Abfallprodukt Milchsäure im Muskel, welches wiederum die bleierne Schwere und Müdigkeit eines Muskels ausmacht.
163
Mein Körper gibt, zeigt oft kleine gelbe Karten. Klar, man kennt seinen Körper, man kennt auch die gelben Karten, das ist klar, aber es ist schon eine Extrembelastung, die ich aus mehreren Gründen eigentlich nicht machen möchte. Auf Dauer wird man da nachläufig Schaden nehmen.
Deutlich wurde auch der Einfluss des unmittelbaren Arbeitsumfeldes, speziell des/der eigenen Vorgesetzten. Wurde von ihr/ihm beispielsweise Ausgleich gelebt und geschätzt, war die eigene Musterunterbrechung eher eine Frage der persönlichen Konsequenz. War dies nicht der Fall, sondern ähnliche Leistungsmuster im Umfeld vorzufinden, wirkte dies mehr wie eine „ständige Versuchung“: „Das ist so, als wenn Sie einen Suchtgefährdeten als Probiertrinker in die Brauerei stellen.“ So wuchs bei einigen die Bewusstheit über die gesundheitliche Gefährdung, aber gleichzeitig blieben die Problemkreisläufe in Gang. Doch das Verschieben und Ausreizen der körperlichen Belastungsgrenzen kann auch etwas Lustvolles sein, ähnlich wie es von Leistungssportlern bekannt ist. Jedes Verschieben der eigenen körperlichen Grenzen ist ein Erfolg, jedes neue Mal bedeutet einen Sieg über eigene Unzulänglichkeiten und natürliche Begrenztheit. Mit dem Unterschied jedoch, dass gerade im Leistungssport sehr bewusst mit Trainingspausen gearbeitet wird und dass jedes Überschreiten der Grenzen mit bewusst gestaltetem Ausgleich belohnt wird. Nein, ich empfinde das gar nicht als negativ, weil ich schon glaube, dass also eine höhere Belastung auch die Leistungsfähigkeit steigert. Ich bin, glaube ich, ziemlich belastbar, und das habe ich eben auch gespürt. Ich weiß gar nicht, wie es so wäre, wenn, also liegt das bei mir, wenn ich weniger arbeite, bin ich auch insgesamt, falle ich auch insgesamt runter und dieser Zustand gefällt mir gar nicht so gut. Ich komme eigentlich gut in dem Zustand zu recht, wo ich also auf einem relativ hohen Energieniveau fahre.
Leistungswille, Körperkontrolle, Zielerreichung und Erfolg verstärken sich wechselseitig und der Gesamtorganismus bewegt sich immer stärker auf eine vorerst endgültige Grenze zu. Der 164
Toleranzbereich bis zu dieser Grenze jedoch wird mit zunehmendem Alter geringer und gesundheitliche Folgen sind umso wahrscheinlicher. Für mich war es leider eine späte Erkenntnis, jetzt mit 58 Jahren, dass bei dieser dauerhaften Grenzbelastung ein körperlicher Abbau erfolgt. Ich hatte keine Krankheitstage seit Jahren und dann sagt die Frau Doktor X der Zustand von Ihnen gefällt mir aber überhaupt nicht.
Das Muster der Effizienten: Für den größten Teil der Befragten prägte dieser Trend das alltägliche Verhalten: tagsüber voll „funktionstüchtig“, flankiert von dem Versuch, ausgeglichen und kraftvoll zu bleiben. Damit ist dieses Verhalten besonders schwer abzugrenzen, denn es vereint Merkmale der vorher beschriebenen Konstellationen und gleichzeitig Merkmale eines dritten Verhaltensmusters, das sich durch hohe Achtsamkeit und Aufmerksamkeit auf die eigene Person auszeichnet (vgl. nächsten Abschnitt). Die Interviewpartner pendeln im Alltag entweder in die eine oder andere Richtung. Die Gesamtbelastung im Arbeitsumfeld dieser Führungskräfte war nicht von derart anhaltenden und einseitigen Extremen geprägt, wie bei der vorherigen Gruppe – wobei kaum beurteilt werden kann, inwiefern die Rahmenbedingungen tatsächlich andere waren oder ob ähnlichen Arbeitsanforderungen nur mit mehr Abgrenzung und Ausgleich begegnet wird. Angesichts einer Stellungnahme wie: „Ich lasse mich nicht treiben, nur weil es zur Norm gehört und mich dann selbst überanstrengen“ ist letzteres zumindest zum Teil zu vermuten. Sichtbar war jedoch eine weitaus stärker ausgeglichene Gesamtenergiebilanz, die sich weniger insgesamt über den Tag verteilt, sondern über bestimmte Zeitphasen. Dies sind einerseits Phasen mit höchster Belastung, einer negativen Energiebilanz und ähnlichen Symptomen bzw. Verhaltensweisen wie in der anderen Gruppe. Andererseits gibt es auch Phasen 165
mit einer verstärkten Pflege der eigenen Ressourcen und einem Körpererleben, das mehr von Dynamik, Agilität und allgemeinem Wohlbefinden geprägt und weniger von Müdigkeit bzw. dem Gefühl der Energieleere41 durchdrungen ist. Dahinter steht ein Bewusstsein für die eigene Lebensgestaltung und der Versuch, immer wieder eine Balance zwischen Anspannung und Entspannung herzustellen. Der Ausgleich jedoch wurde auf das Private verlagert - Bewegung, Ausdauersport, bewusstes Entspannen zu Hause, teilweise bewusst gesunde Ernährung: „Also ich habe immer das Gefühl, wenn der Tag mit Obst beginnt, ist es ein guter Tag.“; und „Wenn ich schon mal müde bin, dann gehe ich direkt nach der Arbeit ins Bett.“ Hinzu kommt ein gutes Gespür für Zusammenhänge des Wohlbefindens (vorrangig bei den weiblichen Führungskräften) und bei den männlichen Führungskräften ein regelmäßiger Gesundheitscheck. Insgesamt handelt es sich um Personen mit einer grundsätzlich positiven Lebenseinstellung: „Also krank ist man ja schon, wenn man sich nur krank fühlt.“ und „Ich bin jemand, der sich noch freuen kann. Und ich denke, das ist für mich nicht alles selbstverständlich.“ Im Allgemeinen wurde jedoch (strikt) getrennt: tagsüber volle Leistungsbereitschaft, 100%-er Einsatz und die untergeordnete Aufmerksamkeit auf den Körper zugunsten der Aufmerk-
41
Bei dieser Zuordnung ist kritisch zu beachten, dass diese unterschiedlichen Formen des Körpererlebens auch durch unterschiedliche Offenheit im Interview zustande kamen. Möglicherweise waren die einen einfach ehrlicher als die anderen und gaben mehr „Schwäche“ zu. Andererseits konnte ich mit meinem Eindruck von meinem Gegenüber durchaus eventuell vorhandene Widersprüche zwischen angegebenem Körpererleben und sichtbarem Körperausdruck feststellen, der meist kongruent war, wodurch ich auf eine hohe Offenheit und Konsistenz geschlossen habe.
166
samkeit auf die Aufgaben und in der Freizeit, einem Erwachen gleich, der Versuch von Ausgleich und gesteigertem Bewusstsein auf den eigenen Körper. Das Muster der Achtsamen: „Egal, was so los ist, ich gucke nach mir.“ – ein Zitat, das diesen Trend am besten repräsentiert. Viele Führungskräfte hatten oft mit krisenhaften Erlebnissen am eigenen Leibe erfahren, was es heißt, wenn der Körper nicht mehr funktioniert und daraufhin einen anderen Umgang mit sich erlernt. Kernstück dieser Entwicklungen war ein Lernprozess, dem sie sich freiwillig oder unfreiwillig ausgesetzt sahen. Er brachte meist einen Bewusstseinswandel, der sich durch Entschlossenheit und eine hohe Konsequenz für die Durchsetzung eigener Werte und eigener Freiräume zum notwendigen Ausgleich auszeichnete. Und diese Bewusstheit, die, denke ich, muss man auch lernen ein Stück weit. Also da habe ich auch lange für gebraucht, bis ich mir eigentlich selber eingestanden habe, dass ich jetzt hier eigentlich keine gute Leistung bringen kann, weil ich unkoordiniert, hektisch, vielleicht auch übertrieben zielorientiert in vielen Dingen mich selber, meinen Körper, meinen Geist damit auch überanstrengt habe.
Ein hohes Gespür für sich selbst, für Veränderungen im Körper und das konsequente Ernst-Nehmen und Arbeiten mit den Körpersignalen, eine Akzeptanz von Grenzen und häufig eine disziplinierte Selbststeuerung kennzeichnen dieses Verhaltensmuster. Mir sagt mein Körper, wenn ... was nicht stimmt, also das ist im Grunde, sage ich mal, wenn ich das Gefühl hat, das gibt eine Schieflage, da gibt es für mich eine Schwingung, da gibt es für mich etwas, von dem ich denke: halt, stopp, ... musst du hier rein und jetzt musst du gucken, was da los ist.
167
Ich werde weiterhin auf meinen Körper horchen, was er zu mir sagt, ob es ihm gut geht oder nicht, dann auch die Konsequenzen draus ziehen und entsprechend, an entsprechender Stelle irgendwie die Reißleine ziehen und sagen: Jetzt brauche ich mal eine Pause. Oder jetzt nehme ich mir die Freiheit, um zwei zu gehen, weil ich heute nichts mehr geregelt kriege. Wenn ich hier rum sitze, ist nur vertane Zeit.
Das Körpererleben dieser Führungskräfte zeichnet sich durch Lust, Kraft, Präsenz und Schnelligkeit aus. Es wurde jedoch bei einigen durch die späte Erkenntnis überschattet zu lange, zu sorglos gewesen zu sein und nun mit aller Bewusstheit die körperlichen Einschränkungen zu spüren.
2.5
?
Strategien im Kampf „gegen“ die eigenen Ressourcen Welche Verhaltensmuster zeigen die Führungskräfte im Umgang mit dem eigenen Körper, die sich dauerhaft negativ auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit auswirken?
Dieses Kapitel befasst sich mit den Verhaltensweisen, die zwar vordergründig eine Anpassung an dauerhaft hohe Anforderungen oder Stress ermöglichen, die jedoch langfristig das innere psycho-physische Gleichgewicht verschieben und somit die Wirksam- und Leistungsfähigkeit der Führungskräfte schmälern und gesundheitliche Störungen verursachen können. Diese Einstellungen basieren häufig auf einem einseitigen Bedürfnis der linearen, rational-logischen Steuerbarkeit im Alltag. Sie lassen wenig Spielraum für Intuition und Emotion sowie Vertrauen in sich selbst.
168
Abb. 13:
Typische Verhaltensmuster mit negativen Auswirkungen auf die langfristige Leistungsfähigkeit
Es wäre jedoch ungerechtfertigt, diesen Mustern ausschließlich einzelne Personen zuzuordnen, denn zu beobachten waren jeweils unterschiedlich starke individuelle Ausprägungen, abhängig von bestimmten Lebens- und Arbeitssituationen. Man kann davon ausgehen, dass die hier vorgenommene strikte Trennung eher theoretischer Art ist, und dass im täglichen Umgang mit sich und dem eigenen Körper vielmehr die Verhaltensmuster in unterschiedlichem Ausmaß eine Rolle spielen und sich gegenseitig bedingen. Einstellung und Verhalten gehen hier jeweils Hand in Hand. Die Interviewaussagen künden gleichwohl von zahlreichen Stellhebeln für einen positiv veränderten Umgang mit Anforderungen. Doch dafür müssen die ressourcenfeindlichen Verhaltensmuster erst bewusst und der eigene Beitrag dazu erkannt werden.
169
2.5.1
„Tagsüber ist mein Körper ein funktionstüchtiger Gegenstand“: die Ausblendtechnik
„Tagsüber ist mein Körper ein funktionstüchtiger Gegenstand“, so lässt sich der Kern dieses Musters beschreiben. Der Körper ist also vor allem während der Arbeit mehr Ding als Mensch, mehr Gerät, das laufen und funktionieren muss. Das Handlungsmuster des Funktionierens ist eng verwoben mit sehr hoher Kontrolle von Bedürfnissen und Empfindungen. Das ist genau das, was Managern in der Regel nachgesagt wird. Auch in dieser Studie ist es als Muster im Zusammenhang mit sehr hohen Belastungen zu beobachten gewesen. Es bezog sich vor allem auf die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit durch das kategorische Ausblenden von Bedürfnissen nach Ausgleich, Regeneration und Entspannung. Deshalb wird dieses Muster auch mit „Ausblendtechnik“ umschrieben. Typische Schlagworte, die immer wieder genannt wurden, waren „ausblenden; steuern; ignorieren; zur Seite drängen“. Zentraler Punkt ist das ausschließliche Fokussieren der Aufmerksamkeit auf die anstehenden Aufgaben und Ziele und dafür werden Signale körperlicher Grenzen nicht wahrgenommen oder ignoriert. Aber tagsüber, also ich glaube, außer, dass ich zu dem Zeitpunkt, wo ich heute morgen aufgestanden bin und müde war, an meinen Körper heute noch nicht gedacht habe. Und vorhin hatte ich Durst.
In einem Wirtschaftsunternehmen und für verantwortliche Führungskräfte scheint dies angemessen zu sein: „Das ist ja hier kein Kuschelclub und auch kein Schmuseverein. Und ob ich mich heute danach fühle oder nicht, spielt also im Grund nicht so die Rolle.“. Dennoch sind die individuellen und dauerhaften Auswirkungen einer solchen Einstellung auf die Leistungsfähigkeit zu prüfen. So deuten folgenden Beispiele darauf hin, dass das Weg- bzw. Unterdrücken der Bedürfnisse kurzfristig förderlich sein kann, auf längere Zeit jedoch häufig gesundheitliche „Folgekosten“ hat.
170
Int:
Fk:
Ja, ja, ja. Und wenn Sie sagen, so über den Kopf steuern, das geht mal so eine Weile, was heißt das? Also dass man ein Ziel hat und darauf hingeht, ohne bestimmte Dinge zu registrieren, oder? Das heißt einfach dann, ein bestimmtes Thema zu sehen, dieses auch mit mehr oder weniger Lust zu treiben und dann einfach zu sagen, das muss jetzt so sein, und dann, sage ich mal, diese körperlichen Zustände auch zur Seite zu drängen. Und so was kann man über Tage und Wochen relativ gut machen. Ich habe es bisher Gott sei Dank noch nie über einen sehr langen Zeitraum gemacht. Aber ich merke, im Gegensatz zu früher, ist, dass ich längere Phasen ohne Urlaub dann sehr belastend empfinde.
Aus dem Zitat spricht eine hohe Akzeptanz gegenüber Anforderungen und schwierigen Situationen. Dabei werden die körperlichen Bedürfnisse zwar gespürt, doch sie scheinen das reibungslose Erfüllen der Aufgaben zu gefährden und einen scheinbaren Widerspruch zu hoher Leistung zu bilden. Die Auflösung dieses subjektiven Widerspruchs wird logisch, rational vollzogen (der Wille regiert und der Körper wird negiert). Obwohl die sich subjektiv widersprechenden Seiten eigentlich zusammengehören, erfolgt die kurzfristige Lösung, indem die Konzentration auf die Aufgaben als „richtig“ und notwendig gewertet und deshalb verstärkt wird. Die Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse (Pausen, Essen, etc.) gelten als „falsch“ und vernachlässigbar und werden ausgeblendet. Eine klare Wertehierarchie spaltet hier, was die Natur ganzheitlich angelegt hat. Also am Tag, da blende ich dann den Körper auch einfach aus. Was zum Beispiel Arbeitsbelastung angeht, ja, eher rücksichtslos, wenn ich manchmal sehe, wie wir die Termine da klick, klick, klick setzen. Da ist Luftholen nicht mehr drin. Es ist mehr so ein, ja, push!
Die Evolution hat für den Menschen in Stresssituationen ein ähnliches Muster eingerichtet. Als „Kampfmuster“ ermöglicht es dem Organismus, über einen kurzen Zeitraum höchste 171
Leistungen zu vollbringen, ohne dabei Schmerzen, natürliche Bedürfnisse oder andere Grenzen zu spüren. Dafür mobilisiert der Organismus physiologisch, endokrinologisch und psychisch zusätzliche Ressourcen, die jedoch erstens für kurze Zeitspannen ausgelegt sind und zweitens einen erhöhten Energiebedarf benötigen. Hier wird deutlich, dass die scheinbar gelungene Auflösung des Widerspruchs zwischen Arbeit und eigenen Bedürfnissen nur vorläufig sinnvoll und ökonomisch ist, auf längere Sicht jedoch das Problem verschärft, weil sich die Energiebilanz dauerhaft negativ verschiebt. Im schlimmsten Fall kommt es zu sogenannten stressbedingten Krankheiten, das sind Befindensstörungen aller Art, Magen-Darm-Beschwerden, Schlaflosigkeit, aber auch muskulären Dysbalancen. Der Körper untersagt die Kontrolle und reagiert mit Krankheit. Im günstigsten Fall summieren sich die Bedürfnisse des Körpers wie Schlaf, Entspannung, Ruhe, Genuss unterschwellig auf und können später wieder ausgeglichen werden. Doch auch dieser Mechanismus scheint kaum noch natürlich zu funktionieren, denn die Befragten mussten teilweise feststellen, dass sie körperliche Bedürfnisse erst dann wieder wahrnehmen, wenn sie sich selbst einen Ausgleich zugestehen oder das Umfeld einen solchen erlaubt (Urlaub). Charakteristisch für diese „Ausblendtechnik“ ist ein Entwicklungsprozess, d.h. je höher die Anforderungen, desto häufiger wird mittels Ignoranz der Bedürfnisse reagiert, nicht jedoch über verstärkten Ausgleich und Aufmerksamkeit. Na, ich merke dann schon immer, wenn ich urlaubsreif werde – aber auch da muss man sehen, urlaubsreif werde ich immer dann, wenn der Urlaub kurz bevor steht, also man zieht sich da auch so ein Stück weit selber. Int.: Gibt es im Beruf auch Situationen, wo man auch sagen kann: Okay, jetzt kann ich mir das leisten, jetzt nehme ich das Bedürfnis wahr und jetzt gehe ich raus? Fk.: Normalerweise nicht. ... Ich würde mir dann eher wünschen, dass ich einfach etwas weniger angespannt bin. Ich könnte aber auch versuchen, mir hier mehr Freiräume zu organisieren.
172
Die eigenen Bedürfnisse dem Arbeitsziel unterzuordnen bzw. keinerlei Möglichkeiten für einen Ausgleich zu sehen kann als Merkmal für dieses Muster angesehen werden. Handlungsbedarf wird erst dann wahrgenommen, „wenn es schon wirklich was Ernsthaftes ist“, also oftmals zu spät. Doch zunächst bezieht sich die eigene Konsequenz vorrangig auf das Erreichen der beruflichen Ziele. Das heißt ebenfalls, dass dem Körper als Mittel zur Selbstpräsentation zwar Aufmerksamkeit gewidmet wird, aber Selbstpräsentation erfordert den Körper als leistungsfähig, stark, dynamisch. Der Kreis zum noch stärkeren Ausblenden ungeliebter Signale schließt sich. In den Interviews erschienen die betroffenen Führungskräfte wie Kippbilder: einerseits sehr aktiv und hoch konzentriert, doch sobald kleine Pausen eine gewisse Entspannung erlaubten, war da zwar noch immer ein wacher Kopf, jedoch oftmals ein müder, leere. 2.5.2
„Von innen nach außen gut abgeriegelt“: die Strategie der Spaltung
Gerade im Management werden Gefühle oftmals als Störfaktoren angesehen. Dahinter steht der Wunsch, Druck, Anspannung und Gefühle loszuwerden oder willentlich zu kontrollieren, jedenfalls nach außen hin unsichtbar zu machen. Die Konsequenz ist eine Spaltung zwischen dem fühlbaren Inneren und dem repräsentierten Außenbild und ein „ablegen, vergraben und in sich hinein fressen“ von psychischen Erregungen – Grundlage vieler psychosomatischer Symptome und muskulärer Spannungszustände. Der Kampf gegen die Emotionen wird zum Kampf gegen den Körper. Ho, ich glaube, dass ich mich ganz gut im Griff habe, was die Regelungen nach außen angeht. Also ich bin nach außen abgeriegelt und so halbwegs sozial sicher, dass ich dann meinen Mund halte, wenn ich meine, es wäre jetzt besser, ich halte ihn. Es gelingt mir nicht immer, aber dadurch haben die Leute manchmal einen falschen Eindruck. Man will was sein, was man viel-
173
leicht nicht ist, und bemüht sich da, so zu reagieren. Es lässt sich nicht ganz kaschieren.
Der v.a. emotional kontrollierte Körper erhält in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion als stabile Rüstung, die soziale Sicherheit bietet. Denn sozial sicher scheint man dann zu sein, wenn man in weiten Teilen den Idealbildern entspricht und vor allem so „sozial negativen Konsequenzen“ (beispielsweise Konflikten) aus dem Weg geht. Sozial sicher ist auch, wer Leistung zeigt, Anforderungen bewältigt und Befindlichkeiten unterdrückt, denn diese Zuschreibungen bedeuten Stärke. Das Interesse für eigene und die Gefühle anderer bzw. zu viele emotionale Äußerungen (v.a. Unsicherheit, Zweifel, Ängste) befördern einen hingegen schnell in die Kategorie „Weichei“. Die beinahe logische Folge und rational nachvollziehbare Lösung des Widerspruchs zwischen eigener emotionaler Innenwelt und rationalem Außenbild ist eine Spaltung zwischen innen und außen. Dazwischen steht der Körper in seiner gleichzeitigen Funktion als Puffer und Repräsentant. Tja, ich schaue mir das immer so an, einfach so von der Körperhaltung her, wie, und das ist immer ganz interessant. Und das, ich glaube, es sagt viel aus, sagt auch viel über mich aus. Und ich bin mir da immer nie so ganz sicher, ob ich das jetzt will, dass die Leute sehen, wie ich mich fühle, aber es lässt sich nicht vermeiden, glaube ich. Also der Körper spielt in dem Zusammenhang wirklich nur so eine Art Funktionsrolle.
Der Funktionsrolle, die der Körper hier erfüllen soll, kann er nicht immer nachkommen. Vor allem dann nicht, wenn diese Spaltung zwischen innen und außen längere Zeit aufrecht gehalten werden muss und so der innere Druck wie bei einem siedenden Dampfkessel nach einem Ventil verlangt und keines erhält. Was hier droht, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Explosion nach außen oder Implosion nach innen. Energie, Spannung, Gefühle stauen sich an, bis nichts mehr geht. Wenn das Ventil für den Druck fehlt, kommt es häufig zur Entstehung von Krankheiten. „Ich habe meinen inneren Druck 174
damals in die schwächsten Stellen meines Körpers somatisiert“, beschreibt eine männliche Führungskraft die erkannten Zusammenhänge zwischen eigenen Gefühlen und körperlichen Reaktionen. Die Folge damals war ein Bandscheibenvorfall und eine temporäre Depression. Die im nachhinein erkannte Ursache war eine psychomentale Belastungssituation, bei der Führungskonflikte, Trennung von der Ehefrau und eigene Schuldgefühle zusammen fielen. Diese negativen Zusammenhänge zwischen angestauten psycho-mentalen Spannungen und direkten Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden kommen häufiger vor: „Den Konflikt mit der Arbeitssituation habe ich wohl mit mir und meinem Körper ausgetragen“, hier reagierte der Körper mit Tinnitus. Der gereizte und sensible Magen war in den Interviews beinahe schon, salopp gesagt, nicht mehr der Rede wert und als schwächstes Glied bekannt. Hier drohe ohnehin eine schnelle Überforderung durch das „Ablegen, Vergraben und in sich hineinfressen“ von Themen, Situationen, Emotionen. Im Management existiert vordergründig und scheinbar wenig Raum für (gerade negative) emotionale Regungen und teilweise geht diese Bewertung soweit, dass Gefühle tabu zu sein haben und als Störfaktoren ausgeschaltet werden müssen, zumindest will man sie regulieren, loswerden oder willentlich kontrollieren, „in den Griff kriegen“. Vergessen wird dabei allzu leicht, dass gerade die Ausstrahlung von Präsenz und Integrität in der Führungsrolle nie ohne Emotionen vermittelbar ist. Wenn die Gefühlskontrolle versagt, wird nach neuen Lösungen gesucht, die „abbauen“ helfen und gleichzeitig sozial verträglich sind (beispielsweise Essen, Rauchen), doch teilweise neue ungesunde Kreisläufe in Gang setzen. Da jedoch jedes Gefühl immer mit körperlichen Reaktionen einhergeht, muss im übertragenen Sinne also auch gegen den eigenen Körper gearbeitet werden, wenn die „Bekämpfung der Gefühle“ im Vordergrund steht. 175
Ich habe mir da so einen Mechanismus gebildet, d.h. dieses Abreagieren, damit ist das Rauchen verbunden, blöderweise, d.h. wenn ich nicht mehr rauchen kann, dann kann ich mich auch nicht abreagieren. Oder ich muss einfach raus und mit jemandem reden, man sagt doch immer, Meckern ist der Durchfall der Seele. Wenn ich nachts um halb vier aufwache und da, jetzt weiß ich, könnte ich am liebsten aufstehen und ins Geschäft gehen, weil ich da anfange zu arbeiten, so gedanklich, so, was kommt heute? Was steht eigentlich an und so? Was musst du noch dran denken? Das Gefühl und so. Und ja, ich merke das schon körperlich, so körperliche Reaktionen.
Im Problemfall reagieren die Befragten in solchen Situationen (siehe Zitat oben) mit Schlaf-, oder anderen Suchtmitteln, um sowohl Kopf, Körper wie auch Emotionen ruhig zu stellen und nicht weiter als Belastung zu empfinden. Im einfachen Fall wird versucht, Gefühle durch Körperkontrolle, im Besonderen durch starke Anspannung der Muskeln zu beherrschen. Und dann habe ich gewusst, das ist so eine biestige, die Type, dann habe ich gewusst, oje, mit der gibt es jetzt Zoff oder gibt keinen Zoff und dein Wochenende ist im Eimer, weil jetzt musst du noch, kannst du den ganzen Krampf von der Frau umarbeiten. Und die verdient kein schlechtes Geld. Dann habe ich mich geschwind so geärgert, dann hat es bei mir hinten am Rücken pling gemacht und dann sind die Muskeln zugefahren. Und dann habe ich zack, da bin ich hochgekommen wie ein Fragezeichen.
Diese Anspannungen sind oft natürliche Reaktionen, doch selten sind die Zusammenhänge zwischen Situation, Gefühl und Körperreaktion so bewusst wie im obigen Fall. Meist waren es erst Schmerzen, psychosomatische oder andere Erkrankungen, die das Tor zu einem anderen Weg geöffnet haben. 176
Früher habe ich noch mehr verspannt, wenn meine Rückenschmerzen kamen. Jetzt habe ich gelernt zu gucken, wann dieser Schmerz kommt, was los ist, worüber ich mich aufrege und wo ich jetzt loslassen muss. Ich arbeite damit jetzt, aber an anderen Stellen habe ich es noch nicht geschafft (i.d.R. Essverhalten).
Inwiefern gerade Männer verstärkt das Muster der „Abriegelung nach außen“ beherrschen und praktizieren, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Zwar erlebten sich die weiblichen Führungskräfte als stärker integrativ zwischen Kopf und Gefühl, während den männlichen Kollegen ein größeres Tabu von Emotionen zugeschrieben wurde. Doch andererseits wurden Emotionen von beiden Geschlechtern als „Befindlichkeiten“ gewertet, weswegen auch weibliche Führungskräfte das Zeigen von zu viel Emotionen eher dem „Mäuschenimage“ und weniger der erfolgreichen Frau zu rechnen. Das Muster der emotionalen Kontrolle war bei beiden Geschlechtern zu beobachten, was eher auf managementtypische und individuell gesteuerte Verhaltensweisen hinweist, als auf eine Geschlechterproblematik. Denn umgekehrt wurde der angemessene Umgang mit psychomentalen Belastungen, mit innerem Druck und mit Gefühlen auch von Männern als zentraler Faktor auf dem Weg zur dauerhaften Gesund- und Leistungsfähigkeit betrachtet. Ich behaupte, einer, der hier nicht in der Lage ist, seine Emotionen auszuleben, der geht kaputt.
2.5.3
„Der Kopf arbeitet, der Rest rostet!“: einseitige Belastungen
Diese Einseitigkeit ist bei Führungskräften eine weit verbreitete Körperempfindung. Denn sie gehören oft zu jenen, die aufgrund ihrer Tätigkeit zum „lebenslangen Sitzen“ verdammt sind. Der Mangel an Bewegung war der einzige Stressor, der direkt mit dem Körper in Verbindung gebracht wurde. Auf die Frage, welcher Teil des eigenen Organismus die meiste Arbeit verrichte, antworteten mehr als zwei Drittel der Befragten: der Kopf! Diese Antwort verschiebt sich jedoch drastisch, wenn 177
nach dem Entscheidungsträger gefragt wird, denn dann kommt der Bauch ins Spiel, also doch Emotionen und Intuition. In Bezug auf die eigene innere Arbeitsorganisation wurde das Körpererleben oft so beschrieben: Kopf voll aktiv und der Rest ab dem Brustbereich ist „eingerostet“. Damit entsteht nach besonders anstrengenden Wochen ein Körpergefühl, das sich durch Enge, Steifheit, Unbeweglichkeit und eine Spaltung zwischen Kopf und Körper kennzeichnen lässt. Mittels ausgleichender Bewegung versuchen die Interviewpartner dann, wieder „frei“ zu werden, mit jedem Schweißtropfen Anspannung zu verlieren und wieder ein Gefühl der Integration zu erreichen. Also ich bemühe mich wenigstens sonntags, sagen wir mal eine Stunde und länger zügig zu gehen. Und dann merke ich halt, wenn die Woche anstrengend war, dauert es relativ länger, bis das Gehen normal wird. Und so nach zehn Minuten, Viertelstunde, da wird das Atmen anders. // Also es muss am Wochenende wenigstens zweimal was sein, was richtig Schweiß treibt. // Danach ist ein anderer Zustand von Wachheit. Es ist einfach mehr, vielleicht integriert alles und nicht mehr so ein aufgesetzter Kopf, der für sich arbeitet.
Das Zitat weist darauf hin, dass durch die einseitige Belastung der Kopf wie aufgesetzt wirkt und für sich arbeitet. Das heißt, er ist abgeschnitten von der Kraft und der Lebensenergie, die im wahrsten Sinne des Wortes „aus der Mitte“ kommt und bei Menschen mit hoher Ausstrahlung deren Vitalität ausmacht. Wenn an anderer Stelle immer wieder darauf hingewiesen wird, wie wichtig der Körper der Führungskraft in seiner Gesamtwirkung ist, dann geht durch mangelnde Integration von Kopf und Körper wertvolles Potenzial für eine erhöhte Wirkung verloren. Die positiven Auswirkungen des Sports wurden von allen Führungskräften ausführlich beschrieben und bereits erwähnt. Sport und Bewegung sind jedoch gleichzeitig die Ausgleichsfaktoren, die bei vielen im Laufe der Jahre unter den Tische 178
gefallen sind, oder erst nach einer Phase des Unwohlseins wieder eingeführt wurden. Mangelnde Bewegung ist ganz generell ungesund, doch erwies sich das Fehlen von Bewegung auch als negativ verstärkender Bestandteil der bereits vorgestellten Verhaltensmuster. Wenn Bewegung fehlt, fehlt ein wichtiges Ventil, bei dem der angestaute und kontrollierte emotionale Druck abgelassen werden kann. Es geht eine Möglichkeit verloren, Kopf und Körper wieder zu integrieren und sich selbst wieder zu spüren. Diejenigen, die sich regelmäßig bewegten, empfanden dies als stark positiv die Stimmung und Anspannung modulierend, selbst wenn sie tagsüber funktionierten, ausblendeten und alles im Griff hatten. Dieser positive Unterschied wurde besonders dann deutlich, wenn es beispielsweise in der Mittagspause Gelegenheit gab, kurz Sport zu treiben. Aber es ist wirklich irre, wie klar der Kopf dabei wird. Es ist abartig. Wenn du da zurückkommst, schwebst du so ein bisschen über den Sachen ... und siehst auf einmal, da unten bist du ja, was hast denn du in der Ecke verloren? Das ist doch sowieso eine Sackgasse. Und so ist das mit dem Sport auch ein bisschen. Also da kriegt man irgendwie eine Distanz zu den Themen und dann kannst du punktuell wesentlich besser wieder zugreifen und hast einfach dadurch, dass du den Überblick hast, oder du meinst, du hast den Überblick, aber ich habe einfach das Gefühl, durch den Abstand hat man eine besser Übersicht, die Emotionalität aus den einzelnen Aufgaben ist wieder ein bisschen raus, die natürlich im Alltag immer drin ist. Du hast die Möglichkeit, dich da mal so ein bisschen auszutoben, das ist toll.
179
2.6
Einstellungen und Grundannahmen in Bezug auf den Körper
In den vorherigen Kapiteln bewegten wir uns bei der Auswertung im Wesentlichen auf der Verhaltens- und Erlebensebene. Doch hinter jedem Verhalten, hinter jedem Muster im Umgang mit sich selbst stehen tägliche kleine und größere Entscheidungen, die wiederum von Einstellungen und Grundannahmen geprägt werden. Letztere bilden die Grundlage der Verhaltensmuster, sowohl bezüglich der persönlichen Work-LifeBalance als auch der Arbeitsorganisation als Führungskraft. Das heißt, die Einstellungen sind besonders in Bezug auf ihre Auswirkungen wichtig. Diese können eher gesundheits- und leistungsförderlich oder aber hinderlich sein.
?
Welche Einstellungen und Grundannahmen in Bezug auf den Körper prägen das individuelle Verhalten („mein Körper ist für mich?“)?
Da Einstellungen nie nur durch die eigene Persönlichkeit, sondern vor allem auch durch soziale und kulturelle Normen geprägt sind, wird im Folgenden die Einstellung zum Körper aus verschiedenen Perspektiven betrachtet (vgl. Abb.12). Denn erst im Zusammenhang des Kontextes und der Situation werden die Dinge „be-deutet“, d.h. erhalten ihre spezifische Bedeutsamkeit. So entsteht ein Gesamtbild, das mit all seinen Wechselwirkungen die Einstellung und das Handeln des Einzelnen, sein Verhältnis zum Körper und zu seiner Gesundheit beeinflusst.
180
aus: Führungsperspektive
Einstellungen zur Bedeutsamkeit des Körpers aus: Individualperspektive
Abb. 14:
aus: Geschlechterperspektive
Die Einstellungen zum eigenen Körper aus verschiedenen Perspektiven
Insgesamt ist der Körper sowohl in seiner Funktion als Leistungsträger (funktionstüchtig) als auch in seiner Funktion als Imageträger (Selbstpräsentation) von Bedeutung. • •
2.6.1
91 % aller Befragten konstatieren eine Zunahme der gesundheitlichen Belastung für Führungskräfte im eigenen Unternehmen. 73 % unterstreichen die Bedeutung eines gesunden und funktionstüchtigen Körper: Wer erfolgreich sein will, kann sich körperliche Schwächen nicht leisten. Einstellungen aus der Geschlechterperspektive Frauen haben eine sehr bewusste Beziehung zu ihrem körperlichen Verfall, da das einzige was sie ja früher machen durften, repräsentieren war. Männer haben diesen Bezug nicht, die fühlen sich noch mit 60 hoch attraktiv. Die finden dann auch noch ihre 20-jährigen
181
Geliebten, weiß der Geier wie sie das dann alles vor sich selber ästhetisch rechtfertigen können. Aber Männer können das, ja. Im Vergleich zu den Frauen haben wir immer noch, sage ich mal ganz extrem dicke, ungepflegte Männer, die so aussehen, als würden sie den ganzen Tag nur Schweinefleisch essen und hätten noch nie ein Glas Mineralwasser in der Hand gehabt.
Tendenziell zeigte sich ein Bild, das auch aus wissenschaftlichen Erhebungen bekannt ist (Mrazek, 1986; Bongers, 1986). Danach sind 41% aller Befragten der Meinung, dass weibliche Führungskräfte mehr auf ihren Körper achten und sich seiner intensiver bewusst sind als ihre männlichen Kollegen, gleichzeitig wird den Frauen ein höheres Gesundheitsbewusstsein zugeschrieben. Die Einstellung der Männer zum eigenen Körper fuße hingegen vorrangig auf dessen Leistungsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit. So lauten zumindest die typisch männlichen und weiblichen Zuschreibungen. Vergleicht man jedoch diese Daten mit den Aussagen zur persönlichen Bedeutsamkeit des Körpers („mein Körper ist für mich“) und den bereits dargestellten Verhaltensmustern, so lässt sich der Unterschied zwischen Männern und Frauen nicht aufrechterhalten. Denn einerseits spielen Persönlichkeitsvariablen (Narzissmus) eine Rolle, andererseits entwickelt sich langsam eine soziale Norm im Unternehmen, die höhere Ansprüche an die Attraktivität und Wirkung der Männer stellt. Dabei spielen vor allem die Körperstatur und das -gewicht eine Rolle. Das lässt darauf schließen, dass: ¾ ¾
¾ 182
mit der Frage nach geschlechtstypischen Unterschieden eher stereotype Einstellungen erfasst wurden, die Einstellungen zum Körper stärker über eine managementtypische bzw. durch die Organisationskultur bedingte Norm statt durch geschlechtstypische Normen beeinflusst werden, die Einstellung zum eigenen Körper vor allem individuell geprägt ist.
2.6.2
Einstellungen aus der Führungsperspektive:
Aus dieser Perspektive erhielt der Körper vor allem in seiner Funktion als Symbolträger eine wichtige Bedeutung, denn vielen Führungskräften ging es maßgeblich um eine stimmige Gesamtwirkung von der eigenen Person und damit um eine gute Präsenz. Sie merken jemanden an, ob er in seinem Körper ist oder nicht, das nimmt man sofort wahr und sie bilden ihre Meinung nicht nur über das, was die Menschen sagen, sondern wie sie ihnen eben in ihrer Gesamtwirkung gegenüber treten.
Dafür werden v.a. die Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation genutzt. Der Körper dient als Informationsquelle über die Anderen (sowohl über die Person sowie die Art der Beziehung), als zusätzliches Ausdrucksmittel in der eigenen Kommunikation, – oder als das geheime „As im Ärmel“ für die eigene Wirkung: „In Situationen wo es drauf ankommt, setze ich die Wirkung auch bewusst ein!“ Und bei Vorträgen, je nachdem, nur 7% ist Inhalt und der Rest dominierend ist Stimme und Haltung. Ich bin mir ganz klar, dass das Kriegsentscheidende nicht ist, ob ich die Inhalte alle sauber bis ins Detail erkläre, sondern bin mir bewusst, dass das ein Gesamteindruck ist. Wie stehe ich an dem Rednerpult? Wie bewege ich mich? Wie ist die Gestik, Mimik und so was?
Eine ähnlich hohe Bedeutung wird dem Körper im Rahmen der eigenen Beziehungsgestaltung beigemessen – sehr subtil zwar, doch mit hoher Präzision und Deutlichkeit. Also dass ich, Vertrautheit oder besondere Nähe ja durchaus auch mit Körperkontakt letztlich ausdrücke: ein Klopfen auf die Schulter des anderen oder umgekehrt ein Bereichsfürst, der mir in einer Sitzung gegenüber sitzt und mich nun halt mal auf die Schulter boxt, ist ein Zeichen persönlicher Nähe und Vertrautheit, ist Wertschätzung, beidseitig, die wird auch so erlebt. Das
183
ist auch ein Signal für den Rest: Der gehört zum Rudel, also das sind ganz subtile, denke ich, Formen von Körpersprache.
Umgekehrt war es jedoch erstaunlich, dass die hohe Bewusstheit auf nonverbale Signale der eigenen wie auch der anderen Personen nicht automatisch mit einer hohen Achtsamkeit auf die eigenen körperlichen Signale und Bedürfnisse einhergingen. Teilweise kehrte sich der Prozess sogar um: Mittels zahlreicher Seminare und Rhetoriktrainings wurde die Außenwirkung des Körpers optimiert. Aufmerksamkeit und Körperkontrolle stehen ganz im Dienst der gewünschten Wirkung, die dafür notwendige innere Regulation kommt jedoch zu kurz. Zuweilen entsteht deshalb der Eindruck: „All lights are on but nobody is at home.“ Aus der Führungsperspektive erhält der Körper jedoch auch seine Bedeutsamkeit über die Art und Weise, mit welcher er bei der Bewältigung der täglichen Aufgaben beansprucht wird – der Körper als „Arbeitsmittel“. Dabei spielen sowohl die tatsächlichen Gegebenheiten eine Rolle als auch die Einstellungen vom „richtigen“ Arbeiten oder einfach Gewohnheiten in Bezug auf die eigene „innere“ Organisation während der Arbeit. Welcher Teil vom Körper wird in welcher Weise beansprucht? Wer übernimmt im metaphorischen Sinne die Führung? Wie werden Entscheidungen getroffen und wo im Körper ist das bemerkbar? Wie das die Führungskräfte für sich wahrnehmen wird in Abb.13 zusammengefasst.
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Kopf = höchstes Arbeitspensum Steht für: Analytik, Struktur, Rationales, sachlogische Entscheidungen, Lernen; Geradlinigkeit, Linearität 1+1=2, Messbarkeit Gilt als: Basiserfolgsstrategie im Management Nachteile: Dominanz, Kontrolliertheit, Leistungsdenken
Bauch = Entscheidungsträger Steht für: Gespür, Gefühl, Intuition, Esprit, Genuss, neue Lösungen 1+1=3 Gilt als: positiv für unsichere Situationen; Überlebensstrategie in sozialen Netzwerken Nachteile: risikovoll, sensibel, unbeherrschbar, schwer zu steuern
Abb. 15:
Die „innere“ Arbeitsorganisation der Führungskräfte
Während des Arbeitstages erhalten einzelne Körperbereiche besondere Bedeutung und werden unterschiedlich stark belastet. Der fleißigste „Mitarbeiter“ bei fast allen Führungskräften ist der Kopf („das Hauptvolumen“ und der „Lastenträger“). Dabei gilt die rationale „Kopfleistung“ als Basiserfolgsstrategie im Management und steht für Analytik, Struktur, Logik, Geradlinigkeit, Messbarkeit und lineare Schlussfolgerungen (1+1=2). Nachteilig wird die einseitige Kopf-Arbeit dann erlebt, wenn Kontrolle und Dominanz zu stark werden. Deshalb wird allein der Kopf auch nicht mehr ausschließlich als hilfreich gesehen, wenn es um das Führen im engeren Sinne geht: um Fingerspitzengefühl, um zwischenmenschliche Prozesse, um Anschlussfähigkeit an Menschen und um das Bewältigen sehr unsicherer und unplanmäßiger Situationen. Dann erweist sich der zweite starke „Mitarbeiter“, der Bauch und dessen „Assistenz“, das Herz, als nützlicher. Der Bauch, ausgestattet mit Gespür, Gefühl, Intuition, Esprit und außerordentlich schneller Reaktionszeit wird vor allem dann einge185
setzt, wenn der Kopf nicht mehr weiter weiß und wenn Lösungen nach dem Muster 1+1=3 gefragt sind. Aus dem Bauch heraus kann ich sehr gut reagieren und agieren, denn manchmal habe ich die Gedanken im Kopf noch gar nicht sortieren und klären können, aber aus dem Bauch kommt was hoch, wo ich sage, das ist richtig.
Intuition und Gespür werden im Management zunehmend wichtiger werden. Dementsprechend haben einige Führungskräfte den Bauch sozusagen als „Potenzialträger im eigenen Organismus“ erkannt, weil dies die „Überlebensstrategie“ in sozialen Netzwerken darstelle und damit das nicht mehr Messbare bewältigt werden könne. Der Kopf lege hier einfach nur noch die Basis und stelle für das Messbare die analytischen Instrumente zur Verfügung.
Doch, wie im vergangenen Abschnitt beschrieben, wird hier oft ein Widerspruch zwischen notwendiger rationaler Kontrolliertheit und der hohen Empfindsamkeit des Bauches bzw. der mangelnden Steuerbarkeit von Gefühlen erlebt. Nicht selten resultiert daraus im Alltag eine strikte „Arbeitsteilung“ - Beruf = Kopf; Freizeit = Bauch. Die Trennung der Lebenswelten wird zur Trennung der Körperwelten. So entschuldigten sich die Interviewten bisweilen für Emotionen und Gespür und führten den Bauch als Entscheidungsträger beinahe verschämt an – man lasse sich von ihm „ehrlicherweise gerne treiben“, akzeptiere schließlich das Zweifeln des Kopfes und höre „einfach auf sein Inneres“. Ein hohes Risiko sei damit verbunden, doch erstaunlicherweise werde oftmals gar nicht nach rationalen Argumenten gefragt, sondern man sei eher froh, dass überhaupt Entscheidungen fallen. Das heißt, einerseits wird das zusätzliche Potenzial von Gespür und Intuition für den Führungsalltag zunehmend erkannt, andererseits scheint es vor dem Hintergrund einer rationalen Managementlogik sozial noch wenig akzeptiert und vielen (vor allem männlichen) Führungskräften noch fremd und teilweise 186
„unheimlich“ zu sein. Man fühlte sich teilweise von Emotionen „getrieben“ und „wild durch’ s Leben geschleudert“. Nicht selten entstand der Eindruck, dass zwar einerseits Gefühle und Intuition genutzt werden wollen, also ähnlich wie bei Goethes Zauberlehrling zwar Wasser fließen soll und der Besen zum Tanzen eingeladen wurde („...dass zum Zwecke Wasser fließe und in vollem reichen Schwalle zu dem Bade sich ergieße“), doch dann die Kontrolle der Ratio nicht genügend zurück gewonnen werden kann („Besen, Besen sei’s gewesen; so steh‘ doch wieder still!“)42. Für den sicheren Umgang mit den eigenen Gefühlen braucht es deshalb mehr Vertrauen in die eigene Selbststeuerung. Ein Vertrauen, was vielen weiblichen Führungskräften inne wohnt, welches jedoch zugunsten der Managementnorm angepasst wird. Eine weibliche Führungskraft sagte hierzu: Eigentlich ist die Intuition ihr Geschlechtervorteil, doch die Problematik der Geschichte ist, je länger sie Führungskraft sind als Frau, und je mehr sie sich, und das ist leider so, je höher sie kommen, in dem Kreis der Männer bewegen, umso mehr geht hier im Bauch verloren.
Gleichzeitig berichten männliche Führungskräfte von einem umgekehrten Entwicklungsprozess, der von Leistungsorientierung und reiner Kopfarbeit hin zu mehr Gespür, emotionalem Einlassen und weniger Kontrolle führte und inzwischen wesentlicher Erfolgsfaktor der eigenen Arbeit ist:
42
vgl. Goethe (1997, S.87)
187
In dem Augenblick, wo ich meinen eigenen Mustern gegenüber gelassener geworden bin, mir nicht permanent was beweisen musste oder andern und damit auch mehr Zugang zu mir selber bekommen habe, damit war es fast automatisch, dass der Zugang zu den anderen besser klappte. Und wenn ich so heute zurückschaue, mit welcher körperlichen Ungezwungenheit, das ist bei mir das Kriterium, ich heute mit Menschen umgehe, wie sie mich suchen und wie ich sie einfach finde, das wäre vor fünf Jahren undenkbar gewesen.
Deutlich wird insgesamt, dass eine Integration und ergänzende Nutzung von Kopf und Bauch, eine Balance zwischen Analytik und Intuition als positiv und bereichernd für die eigene berufliche Leistung erlebt wird und oft mit der Entwicklung einer generell höheren Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für körperliche Reaktionen und Gefühle einhergeht. 2.6.3
Einstellungen aus der persönlichen Perspektive
Die persönlichen Einstellungen dem eigenen Körper gegenüber sind Teil des Selbstkonzeptes einer Person. Die Art und Weise wie wir unseren Körper erleben ist ein wesentlicher Anteil dessen, wie wir uns selbst erleben. Damit besteht eine enge Verbindung zwischen Körper, Identität, Lebensgefühl und Selbstwert, die jedoch nicht unabhängig von der jeweiligen Lebenssituation zu sehen ist. Die Interviews können nur einen kleinen Teil dieser persönlichen Einstellungen zum eigenen Körper und damit zu sich selbst erfassen. Häufig werden dabei Parallelen zu bereits beschriebenen Verhaltensmustern deutlich.
188
Hier einige typische Beispiele: Der Körper als integrativer Bestandteil meines Selbst und Ausdruck des Lebens Ich bin hier mit meinem Körper, der Körper ist Bestandteil meines Seins und damit auch meiner Arbeit. Mein Körper ist ein Stück weit das Leben, also ich spüre ihn, geht es einem gut, geht es einem schlecht? Also sonst ja, würde ich es ja gar nicht mitkriegen.
Der Mensch und sein Körper aufgespalten in Beruf, Freizeit, Privat - mehrere Körper für mehrere Rollen (der Kopf für die Arbeit, der Ober- und Unterkörper für das Privatleben) Ich lasse das zu, dass die (der Kopfmensch, der Genussmensch, der Triebmensch, d.V.) alle da sind, dass die mich dann auch so teilen.
Der Körper als Mittel zum Zweck (als Instrument für die Selbstpräsentation, als Notwendigkeit, um zu arbeiten und zu sein, als Träger der eigenen Funktionsfähigkeit) Ja also der Körper hat eigentlich keine wirkliche Bedeutung. Das Wort Bedeutung überschätzt die Sache. Der Körper ist sozusagen eine gewisse Notwendigkeit, um hier zu sein, und eine gewisse Notwendigkeit, um sich zu präsentieren. Wo dran ich arbeite persönlich ist die Körperhaltung. Der Körper erhält seine Bedeutung erst, wenn es wieder mal an Grenzen geht. ...weil ich auch einfach denke, dieser Körper ist eine Maschine, eine Maschine, die arbeitet, muss geschmiert werden.
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Der Körper als Beschwernis und Hindernis auf dem Weg zu beruflichen Zielen Mein Körper ist für mich manchmal ein Beschwernis, ja, ja, genau. Mein Körper ist mir momentan eher eine Last. Fk:
Int: Fk: Int: Fk: Int: Fk: Int: Fk:
Mein Körper ist für mich? Also spontan fällt mir da ein, der mir ad 1 Unbehagen bereitet und ad 2 mich daran hindert, noch mehr zu leisten. Sie daran hindert noch mehr zu leisten? Ja. Inwiefern? Ganz einfach, beschreiben wir es als zeitweilige Müdigkeit oder zeitweiliges Burn-Out. Da setzt er also manchmal eine Grenze, die eigentlich nicht sein sollte? Die ich eigentlich gerne da nicht hätte, ja. Was machen Sie mit der Grenze? Ja, es ist die Frage, ob man sie übergehen sollte, das weiß ich nicht. Es ist wohl eher rauszufinden, wo sind Signale für tatsächliche Grenzen, die darauf hindeuten, dass Überarbeitung vorliegt, da muss man dann im Notfall die Reißleine ziehen. Oder ist es jetzt eher auf der psychischen Ebene, so wie die Angst des Torwarts vorm Elfmeter, so Blockaden, die vielleicht nicht notwendig sind, aber wo der Körper tatsächlich auch rebelliert. Das raus zu finden, wo ist hier eine tatsächliche Grenze und wo ist sie nicht, das ist sehr individuell und immer wieder ein geistiges Abwägen oder so eine Unsicherheit, ist es tatsächlich was oder ist es nichts.
Allen Sequenzen liegt eine persönliche Situation zugrunde, vor deren Hintergrund die jeweilige Einstellung zum eigenen Körper verständlich, ja oftmals als die einzig sichtbare Lösung erscheint. Hier gilt es immer wieder neue Sichtweisen auf die Situation und sich selbst zu entwickeln. Denn: Welche Einstellung ermöglicht es mir, Anforderungen besser zu erfüllen - mit gesunder Leistungsfähigkeit oder mit kurzfristig höchstem Engagement und langfristigen körperlichen Beschwerden? 190
2.7
„Critical incidents“: Schnittstellen für einen positiv veränderten Umgang mit dem eigenen Körper
In den vorangegangenen Abschnitten wurde bereits an mehreren Stellen betont, dass einige Führungskräfte von Entwicklungs- und Lernprozessen berichteten, bei denen sich persönliche Einstellungen und Verhaltensmuster im Umgang mit dem eigenen Körper und der Gesundheit veränderten. In allen Fällen bildeten diese Prozesse die Grundlage für ein verstärkt positives und achtsameres Verhältnis zum Körper. Aus Sicht der Weiterbildungsforschung ist es von Interesse, diese Schnittstellen der Veränderung gezielter anzuschauen und Grundlagen zur Konzeption neuer Gesundheits- bzw. Führungsprogramme herauszufiltern.
?
Was sind Schnittstellen für einen veränderten Umgang mit sich und dem eigenen Körper? Welche Erfahrungen werden dabei gemacht? Wie verändern sich dadurch die eigene Einstellung und das eigene Handeln?
Anhand der Interviews konnten unterschiedliche Entwicklungsprozesse beobachtet werden, von denen in der folgenden Zusammenfassung aus Datenschutzgründen keine expliziten Verläufe veröffentlicht werden. Doch so individuell die Wege und Gegebenheiten auch waren, so ähnlich gestalteten sich wichtige Übergänge und tiefgreifende Erfahrungen, die im Ergebnis in einer veränderten Lebensführung gipfelten. Deutlich wurden vor allem die weitreichenden Verknüpfungen von Körpererleben, Selbstwert, Lebensgefühl, Identität und Beruf, bei denen eines nicht vom anderen getrennt werden kann. Denn wir haben nicht nur einen Körper – „wir sind Körper“. Eines spiegelt sich damit im anderen und lässt sich mit folgenden Aspekten beschreiben: Tiefgreifende persönliche Werteerfahrungen und vor allem körperliche Krisen stellen starke Einschnitte dar und führen meist zu einem Hinterfragen des eigenen Lebens, der Werte, 191
Ziele und des bisherigen Handelns („Weckerfunktion“). Aufgrund dessen entwickeln sich meist neue Notwendigkeiten, um die bestehende Not abzuwenden, oftmals aber auch neue Ziele und persönliche Visionen, die dann handlungsleitend werden. Ich behaupte also einfach, das hat auch was mit Auseinandersetzung der Rolle und des Menschen zu tun. Und wo stehe ich? Und warum stehe ich wo? Und ich konnte die medizinischen Hilfestellungen, die ich gekriegt habe, auf unterschiedliche Art und Weise loszuwerden, plus die Auseinandersetzung mit mir als Mensch, die hat dazu geführt, dass ich das geschafft habe. Die Auseinandersetzung mit mir ist ja auch die Auseinandersetzung mit meinem Körper, die Konfrontation zu haben und zu sehen, der funktioniert grad‘ nicht so wie Du willst, der funktioniert grad‘ anders, oder ist grade nicht an dem Tag vielleicht einsatzbereit wie Du das willst. Und auch traurig zu sein und ... was mache ich denn jetzt? ... so in dem Kreislauf. Nachdem ich jetzt fast 10 Jahre abstinent war vom Sport, musste ich erst krank werden, um wieder eine Art Training anzufangen. Und jetzt mit meinen Problemen in der Hüfte, bin ich sogar dazu verurteilt, jeden Tag Sport zu machen. // Ich glaube, dass das für Manager schon wichtig ist, dass sie ihren Körper managen, mit der gleichen Selbstdisziplin, wie sie andere Sachen machen. Ich habe in der Vergangenheit mein Auto besser gepflegt, als mich selber. Ja, ich habe das Gefühl gehabt, als ob ich bremsen will und das Bremspedal keine Wirkung hat. Also bis dahin hat man ja dann, da trinkt man halt eine Tasse Kaffee oder was, dann geht das wieder zwei Stunden. Oder man schläft mal. // Und in so einer Phase funktionieren die Rezepte nicht. Und das ist eine verhältnismäßig harte Erfahrung, dass das, was bisher funktioniert hat, nämlich halt noch ein bisschen länger machen oder so, nicht geht. Sie wollen eine Agenda schreiben und kriegen die Punkte nicht hintereinander. Das ist eine derbe Erfahrung, die ich niemand wünsche, aber das ist heftig.
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Gerade körperliche Grenzerfahrungen („der Körper funktioniert nicht mehr“) zwingen den/die Betroffenen zu einer Auseinandersetzung mit körperlichen Signalen und der damit zusammenhängenden eigenen Lebensgestaltung. Was brauche ich um gesund zu bleiben? Was will mir mein Körper jetzt signalisieren? Machst Du es richtig? Ist Kurskorrektur erforderlich? Nur ein Narr könnte die Körpersignale überhören! Ein ganz deutliches Signal ist immer meine Haut, so eine Art Neurodermitis an Armen und Beinen, denn dann sehe ich sofort Unterschiede, wenn die Ruhe fehlt.
Daraufhin entwickeln viele eine neue Bewusstheit und der eigene Körper wird zum persönlichen Seismographen. Doch Bewusstheit alleine veränderte die Dinge nur begrenzt. Entscheidender ist das Ausmaß an Selbstbewusstsein, Mut und Durchsetzungskraft, um an möglicherweise neue eigene Ziele zu glauben und für sich einzustehen. Denn so deutlich die Signale auch waren, die innere Entscheidung, die Signale ernst zu nehmen und dem eigenen Körper „etwas zu erlauben“ wurde keinem abgenommen. Also was ich jetzt eigentlich bräuchte, wäre eine Auszeit, aber ich traue sie mir nicht zu nehmen, weil in der Zwischenzeit hier so viel passiert und unter Umständen, sich ein anderer den Job hier weg schnappt, der sehr interessant und spannend ist. Es ist nicht leicht, achtsam zu leben, es ist unbequem, aber das ist es mir Wert – meine Erfahrung verpflichtet mich dazu.
Wer die Signale ernst nahm (was häufig zu spät der Fall war) veränderte oftmals nicht die Gesamtbelastung, sondern vor allem die eigenen Einstellungs- und Verhaltensmuster. Es wurde erkannt, dass Nein-Sagen und eine stärkere Abgrenzung gegen das „Aufgefressenwerden“ nicht, wie oft befürchtet, Minderleistung, sondern meist erhöhte Effizienz und Effek193
tivität durch den bewussten Einsatz der eigenen Energien bedeutete. Für viele beinahe ein Paradoxon: Erst durch das Akzeptieren von Grenzen und deren Beachtung konnten langfristig eigene (auch körperliche) Begrenzungen überwunden werden. Diese veränderte innere Haltung führt in allen beobachtbaren Fällen auch zu einer veränderten Haltung im Ausfüllen der eigenen Führungsrolle. Und diese Bewusstheit für eigene Grenzen, die, denke ich, muss man auch lernen ein Stück weit. Also da habe ich auch lange für gebraucht, bis ich mir eigentlich selber eingestanden habe, dass ich jetzt hier eigentlich keine gute Leistung bringen kann, weil ich unkoordiniert, hektisch, vielleicht auch übertrieben zielorientiert in vielen Dingen mich selber, meinen Körper, meinen Geist damit auch überanstrengt habe. Und ich denke, das ist ein Punkt, den man dann auch erst einschätzen kann, wenn man selber mal seine Grenzen kennen gelernt hat, weil sonst kann man wieder nicht wissen, wo, dass andere Menschen auch irgendwo solche Grenzen haben, sonst beurteilt man das eher dann ab als Schlechtleistung, das sind halt so die berühmten, na gut, die musst du halt mitziehen. Ich bin ja jetzt im elften Jahr eigentlich berufstätig, ich habe am Anfang sehr klar nach Daten und Fakten gearbeitet und gesagt: Nein, das kann ja nicht sein, das muss so sein. Und ich weiß heute, dass ich mich, wenn ich mich entscheiden muss, mehr aufgrund meines Gefühls als nach Daten und Fakten entscheide. Wenn ich sage, das geht nicht, oder wenn ich denke, das passt irgendwie nicht, da frage ich dann, sage ich, ich kann es im Moment nicht begründen, aber ich weiß ... Und da will ich eben Kopf auf der einen Seite, aber Gefühl und Körper auf der anderen Seite natürlich genauso wichtig. Und das hat eine Gleichbedeutung, wenn nicht sogar noch wichtiger.
Neben intensiven Einschnitten und teilweise Krisen waren die Auslöser für Veränderungen in vielen Fällen langandauernde, unzufrieden machende Kreisläufe – das Empfinden, ein „Hamster im Rad“ zu sein und das sukzessive Aufsummieren von unliebsamen „Minisymptomen“ wie Müdigkeit, Trägheit, 194
Erkältungen, Magendrücken, Zynismus, latente Aggression, zunehmende Zurückgezogenheit. Ich bin eigentlich ein bewegungsaktiver Mensch, aber der Job und die Umstände haben mich dazu verleitet zu sagen: Ach, ich arme Sau, bin durch so viel Sachzwänge irgendwie jetzt zu einem Punkt gekommen, wo ich mich eigentlich unwohl fühle, das nervt mich auch, aber ich bin mehr oder weniger, na, das sind halt die Umstände, mit denen muss ich jetzt leben. Und wobei mir der Job sakrisch Spaß macht, ich aber, bevor ich Sport gemacht habe, noch immer der Meinung war, wenn ich den noch fünf Jahre weiter mache, bin ich sicher, dann hätte ich einen Herzinfarkt. Und ich glaube, das war bei mir so ungefähr, als ich 30 geworden bin - 30, 31 - und dann habe ich irgendwie gedacht, was machst Du hier eigentlich? Sitzt hier rum und baust irgendwie ab. Und was passiert da grad mit dir? Du warst früher sehr sportlich und hattest richtig was drauf und warst immer gut.
Auch in diesen, oft sehr ähnlichen Fällen ging es zunächst um eine neue innere Haltung: „Und da sage ich inzwischen einfach: Nein, das ist es nicht, das liegt schon an mir irgendwo.“ Eine Haltung in Richtung zunehmender Selbstverantwortung für die eigene Lebensqualität und in Richtung größerer Gelassenheit und Leichtigkeit: „Ich gönne mir etwas“, „ich tue mir etwas Gutes“ anstelle von „ich lasse weg und verzichte“. Und dann habe ich so einen Hals gehabt, und ich wusste genau, es liegt nicht daran, dass ich es nicht kann (sportliche Leistung, d.V.), sondern es liegt momentan daran, dass ich mir selber gar nicht mehr die Möglichkeit gebe. Es liegt einfach daran, dass man auch was für sich tun muss.
Im Verhalten spiegelt sich dies oftmals nur in kleinen, aber dafür regelmäßig und konsequent verfolgten Änderungen – die häufig sogar zu neuen Ritualen wurden. Wichtigster Erfolgsparameter dabei scheint ein positiv verändertes Erleben der eigenen Person zu sein, unabhängig von einem weiterhin 195
hohen Belastungsmaß oder gleich bleibenden Rahmenbedingungen. Vorher hätte ich nie geglaubt, dass es noch irgendwo Möglichkeiten gibt, die sich in den dichten Terminplan reinpressen lassen, die sich dann aber wirklich auszahlen. Also das ist so, dass, wenn ich sozusagen links und rechts so jeder mit ... nach mir wirft und ich versuche, die Dinger aufzufangen, und sehe aber schon, ah, in der Mittagspause, wenn ich es mir in der Mittagspause vornehme oder auch abends, ist ja egal, jetzt machst du noch eine Stunde Sport und dann tust du den ganzen Kruscht mal wegschmeißen, und dann hast du freie Hände. Und dann spielst du oder radelst, und danach habe ich auch wieder größere Hände und kann viel mehr auffangen. Und ich bin auch nicht frei davon, dass ich ab und zu denke, oh je, das ... mach, tue dir das nicht auch noch an, denn man ist, ich gehe eben nicht wesentlich früher von der Arbeit, sondern ich gehe und mache das dann auch noch bei Nacht, d. h., ich habe eigentlich zu Hause noch weniger Zeit. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich hier weniger Zeit verbringe, sondern ich habe zu Hause noch weniger Zeit. Und trotzdem sage ich, das ist es mir wert. Lieber zwei Stunden irgendwo rumhüpfen als Fernsehen zu gucken oder so.
2.8
?
Ganz oder gar nicht? Führungskräfte im Entscheidungsdilemma Welche Thesen lassen sich aufgrund der Ergebnisse für den individuellen Bereich abschließend aufstellen?
Die Ursachen für gestiegene gesundheitliche Belastungen lassen sich nicht mehr ausschließlich auf einzelne Risikofaktoren (Rauchen, Bewegungsmangel, Ernährung, etc.) zurückführen, sondern entstehen an diversen Schnittstellen zwischen Individuum und Organisation, sowie im täglichen Management 196
eigener Ressourcen im Vergleich zu anstehenden Anforderungen. Das Kerndilemma vieler Führungskräfte besteht in einer schwierigen oder misslungenen Integration verschiedener Lebenspole: Beruf und Privatleben, Karriere und Gesundheit, Leistung und Regeneration, Anspannung und Entspannung. Es existieren (subjektiv und objektiv) Grundwidersprüche und persönliche Zwickmühlen, die scheinbar nur lösbar sind, wenn sich zwischen Entweder-Oder, zwischen „verschluckt oder ausgespuckt“; „hop oder top“ entschieden wird. Im Ergebnis leben 80 – 90 % entweder - oder, was sich ebenso in den Verhaltensmustern im Umgang mit dem eigenen Körper wiederspiegelt: „tagsüber 150 % durchgetaktet und abends eine völlig leere Batterie“; „insgesamt ausgeglichen und ressourcenorientiert, aber tagsüber wird der Körper ausgeblendet“; „der Kopf arbeitet, der Rest rostet.“ Die Problemmuster stellen oftmals den Versuch gut gemeinter Anpassungsleistungen an hohe Anforderungen dar, weil sie dem Organismus kurzfristig Höchstleistungen ermöglichen. Langfristig jedoch kann die „Dauerpower“ nicht aufrecht gehalten werden oder sogar gesundheitliche Schäden anrichten. Das psycho-physische Gleichgewicht hat sich verschoben. Die unternehmerische Logik, auf wirtschaftlichen Druck mit einer Erhöhung der Geschwindigkeit, der Maßstäbe und Ressourcenkürzung zu reagieren, wird auf den Menschen übertragen. Er avanciert zur vermeintlichen Maschine mit zunehmendem Verschleiß, da die eigenen Ressourcen nicht gepflegt, sondern einseitig verwertet werden (müssen). Der Wettlauf des Unternehmens mit dem Markt wird zum Wettlauf zwischen Unternehmen und Mitarbeitern. Wenn du versuchst, die Geschwindigkeit des Unternehmens zu laufen, ich sage nur, ihr werdet verlieren. In dem Augenblick, wo ihr das zum Maß der Dinge macht, habt ihr schon verloren. Das geht wie das Hase-und-Igel-Spiel: bist du da, ist der andere schon wieder weiter.
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Doch je härter die Taktung und je geringer der natürliche Ausgleich, desto härter, aber auch brüchiger und anfälliger wird der Körper. Kleine tägliche Stressoren werden zum Hindernis. Den gewachsenen Anforderungen an eine situativ bewegliche Führung, an Flexibilität in Veränderungsprozessen und an Innovation im Denken kann mit mechanistischen Mustern von „schneller, höher, weiter“ kaum mehr Rechnung getragen werden. Individuelle Veränderungen in der eigenen Lebens- und Arbeitsgestaltung fanden oftmals erst dann statt, wenn größere Einschnitte in die Gesundheit, die Karriere oder das Privatleben bzw. körperliche Symptome das Überlaufen des Fasses innerhalb schleichender Prozesse der Unzufriedenheit signalisierten. Dann erst erfolgt das Erkennen der Gleichwertigkeit zwischen Arbeit und Leben, zwischen Leistung und Regeneration oder zwischen Kopf und Bauch. Dabei bedeutet Gleichwertigkeit nicht Gleichzeitigkeit oder Gleichrangigkeit, sondern erfordert das Setzen von Prioritäten und der allgemeinen Überzeugung: „Egal was ist, ich schaue nach mir.“ Soll demnach ein dauerhaft guter Umgang der Führungskräfte mit den hohen Anforderungen gewährleistet werden, dann braucht es zunächst für jeden Einzelnen eine verstärkte Kooperation mit sich selbst! Eine Kooperation zwischen Körper, Seele und Geist und eine Kooperation mit den persönlichen Bedürfnissen und Ressourcen. Auf Dauer sind die Ziele nicht mehr ausschließlich über Kraft zu erreichen, sondern durch erhöhte Verantwortung dem Unternehmen und sich selbst gegenüber, was den klugen und effizienten Gebrauch der Ressourcen bedeutet. Denn je schlechter der Aktienkurs, desto größer die Anstrengung, den wieder besser zu bringen, desto erforderlicher genau diese Themen wie Gesundheit.“
Der dauerhafte Erhalt der körperlichen und seelisch-geistigen Belastbarkeit avanciert neben den Anforderungen an fachliche und soziale Kompetenzen zu einer neuen Herausforderung im Management. 198
3
Die Organisationskultur und ihr Einfluss auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Einzelnen Strukturen, die uns nicht bewusst sind, halten uns gefangen. (Senge, 1990, S.118)
Jedes Unternehmen IST und HAT eine bestimmte Kultur. Diese ist an sich weder gut noch schlecht, verdeutlicht jedoch, worauf Wert gelegt wird und welches Verhalten im weitesten Sinne erwünscht ist. Sie bildet einen Orientierungsrahmen, bei dem von innen und außen deutlich wird: „Das sind wir!“ Gerade weil das individuelle Verhalten sehr eng mit diesem Rahmen verknüpft ist und in der Summe kollektive Muster des Denkens, Fühlens und Handelns entstehen, ist es sinnvoll diesen Teil zu untersuchen. Man sollte jedoch diese Strukturen nicht als das Ergebnis der Taten einer oder mehrerer „Schuldiger“ sehen, sondern als Summe von Wechselwirkungen die als Gesamtmuster für verschiedene Ziele mehr oder weniger dienlich sind. Nun ist es schwierig nur von einer einzigen Organisationskultur zu sprechen, denn es gibt zahlreiche Subkulturen, Nuancen und Unterschiede. Dennoch existieren immer wiederkehrende Strukturen und Kulturelemente, die sich als grundlegende Überzeugungen, als geheime Spielregeln oder als kollektiv akzeptierte Verhaltensmuster bewusst oder unbewusst bemerkbar machen. Dabei ist die Funktionsweise der organisationalen (Sub-)Systeme den verschiedenen Einzelsystemen eines menschlichen Körpers (kardiovaskuläres System, hormonelles System, vegetatives System, etc.) sehr ähnlich. Auch hier bestehen feste Strukturen (Organe, Nervenleitbahnen, Skelett, Muskulatur), feste Vorgänge und Abläufe, auch hier verändern kleine Einflüsse (Gefühle, Umfeldbedingungen, etc.) das Endergebnis (Wohlbefinden, Unwohlsein, Krankheit, 199
etc.) sehr entscheidend. Zu solchen Einflüssen mit „Hebelwirkung“ zählen im Unternehmen beispielsweise Paradigmen, Ziele und Werte. Sie sorgen für Stabilität bzw. Instabilität in verschiedene Richtungen. Im folgenden Teil der Auswertung geht es zum einen um die „Ereignisebene“ einer Kultur, d.h. das aktuell sichtbare Geschehen. Zum anderen werden die tiefer liegenden „generierenden“ Ebenen thematisiert, d.h. die Grundlage, auf der die Ereignisse beruhen (grundlegende Überzeugungen, Spielregeln, Idealbilder, etc.). Beide sind eng miteinander verwoben und bedingen einander.
200
3.1
Kollektive Beobachtungen zum Stellenwert von Gesundheit und Körper im Unternehmen
?
Welchen generellen Stellenwert hat das Thema Gesundheit im Unternehmen?
(alle Angaben in Prozent) Für ihre/seine Gesundheit und ihr/sein Wohlbefinden ist jede Führungskraft selbst verantwortlich. Die Gesundheit aller Mitarbeiter ist als Bestandteil unserer Personalstrategie verankert.
trifft in trifft starkem trifft zu wenig Maße zu zu
trifft nicht zu
45,5
50,0
4,5
-
Wenn ja: dieser Punkt wird gut umgesetzt.
5,0
20,0
45,0
30,0
Wenn nein: dieser Punkt sollte verankert werden.
50,0
33,3
16,7
-
9,5
38,1
28,6
23,8
52,4
38,1
9,5
-
Die bisherigen unternehmensinternen Maßnahmen zur Förderung des körperlichen Wohlbefindens für Führungskräfte sind ausreichend. Unsere Führungskräfteentwicklung braucht mehr Ganzheitlichkeit.
Tab. 12:
Ergebnisse des Kurzfragebogens zur organisationalen Ebene
Offensichtlich ist, dass beinahe alle Führungskräfte die hohe Eigenverantwortlichkeit für das Thema Gesundheit betonen. Das heißt aber nicht, dass dem Unternehmen diesbezüglich 201
keinerlei Verantwortung zugeschrieben wird. Denn immerhin 83,3 % der Befragten wünschen eine Verankerung des Themas Gesundheit in der Personalstrategie und sprechen damit einen erwünschten höheren unternehmerischen Stellenwert des Themas an. Von den 16,7 %, die berichten, dass Gesundheit bereits Teil der Personalstrategie ist, sind jedoch nur 25 % mit der Umsetzung zufrieden. Diese Daten sind wiederum vor dem jeweiligen Kontext zu interpretieren. Denn verschiedene Einschränkungen begrenzen die Aussagefähigkeit: erstens die Heterogenität der Stichprobe (verschiedene Teile des Unternehmens bzw. sogar Tochterunternehmen wie MCC Smart), zweitens kann Gesundheit mit unterschiedlichen Begriffen verankert sein (Gesundheit, Work-Life-Balance, etc.) und drittens wird hier möglicherweise eher das Wissen um und über die Strategie erfasst. So existieren beispielsweise seit Mitte des Jahres 2001 Leitsätze zum ganzheitlichen und integrierten Arbeits- und Gesundheitsschutz für den Konzern und das Thema Gesundheitsförderung zählte zu den strategischen Herausforderungen 2002 in der Konzernzentrale. In der Personalstrategie ist es jedoch nicht verankert. Mit diesen Daten wird allgemein ein Wunsch signalisiert, dem Thema Gesundheit theoretisch und praktische einen höheren Stellenwert als bisher einzuräumen. Die Aussage von 47,6 % der Befragten, dass die Maßnahmen zur Förderung des körperlichen Wohlbefindens ausreichend sind, scheinen dazu zunächst im Widerspruch zu stehen. Hinter dem Widerspruch verbergen sich jedoch möglicherweise Aspekte, wie sie auch im Folgenden erkennbar werden: Es gibt sehr gute Möglichkeiten für Fitness und Gesundheitsvorsorge im Unternehmen, doch werden sie viel zu wenig genutzt. Weiterhin sind Maßnahmen für das körperliche Wohlbefinden nur ein kleiner Teil dessen, was Gesundheitsförderung bedeuten kann und sollte. Die Interviews bringen an den Tag, dass der Stellenwert der Gesundheit im Unternehmen durch eine Vielzahl wahrgenommener Widersprüche gekennzeichnet ist und ein großer 202
Unterschied zwischen Sollen, Dürfen und Wollen besteht. Hier folgen einige, zum Teil polemische Statements: •
„Wir sollen, aber realistisch können wir nicht“ – einerseits offizielles Commitment und Appellcharakter seitens des Unternehmens und andererseits kaum wahrgenommene Unterstützung bei der Umsetzung. Auf der einen Seite soll ich was für meine Gesundheit tun, aber wenn ich abends um 18 Uhr komme und sage: Meine Tochter hat Geburtstag, ich habe ihr versprochen, dass ich bei ihrem Geburtstag dabei bin, dann drücken sie mir jetzt um 17 Uhr eine Besprechung um 19 Uhr aufs Auge, da haben Sie keine Chance. Und dann fragt man sich natürlich wirklich, wie ernst gemeint ist das Thema. Okay, jetzt gibt es die Zehn-Stunden-Regel, ja du musst deine zehn Stunden auch einhalten, aber wie du das regelst, ist dein Problem. Da musst du deine Aufgaben halt priorisieren, so. Und am nächsten Tag priorisierst du, und wenn dann, wehe dem, es wird irgendwas benötigt, was du nicht in der ersten Priorität hast, dann musst du dir sagen, du, ich habe zehn Stunden nur zur Verfügung, ... habe ich priorisiert. Also das wird immer so gedreht, wie es grade passt.
•
„Wir wollen, aber dürfen eigentlich nicht“ – einerseits hohe Aufmerksamkeit auf das Thema Gesundheit und Körper im inoffiziellen Kontext (Privat, Teambereiche, nach der Arbeit), das mit viel Zweifel, Klage, Sehnsüchten belegt ist und andererseits eine wahrgenommenes Tabu im öffentlichen Arbeitsalltag. Also wann es dann thematisierbar wird, zum einen im Rahmen von Seminaren und informellem Kontext bei jungen Leuten, abends beim Bier, nach dem zweiten Wein spricht sich’s leichter, dann ist man in einem kleinen geschützten Raum. Und dann kann man schon mit den Kollegen so eine Frustbemerkung loslassen, und je nach Reaktion wird daraus vielleicht auch ein Gespräch.
203
Öffentlich spielt das Thema Gesundheit eine erstaunlich geringe Rolle. Man kann nicht sagen, dass es geleugnet wird, nein, vielmehr einfach nicht zur Kenntnis genommen. Zur öffentlichen Logik gehört es, dass der einzige sozial erlaubte Raum für Schwäche im Unternehmen der Bereich des Betriebsarztes und der Sozialberatung ist. Doch den Werksarzt, naja, den nimmt man erst dann ernst, wenn einem selber der Rücken weh tut.
•
„Wir könnten, aber tun es oftmals nicht“ - einerseits sehr gute äußerliche Rahmenbedingungen für Gesundheitsförderung und andererseits keine umgesetzte Integration in den Alltag (belächeln, Fremdheit, andere Einstellungen). Nirgendwo kann ein Mensch so gesund arbeiten wie bei DaimlerChrysler. Wir bieten zumindest mal so gute Rahmenbedingungen, dass man sich hier in dem Laden wohl fühlen kann, medizinische Versorgung, und ich gehe jetzt mal auch so weit, dass ich sage, dass die Überanstrengung am Arbeitsplatz durchaus eine ist, die im Mittel gemessen auszuhalten ist. // Nirgendwo kann man so gesund bleiben wie in so einem Unternehmen, wenn man denn gewisse Umstände und Rahmenbedingungen so verinnerlicht, dass sie einem nicht ständig den Garaus machen, dass man dran verzweifelt.
Hier entstehen mangelhafte Glaubwürdigkeit und Barrieren an verschiedenen Stellen. Dabei muss das Unternehmen nicht nur das Sollen, sondern auch das Dürfen unterstützen, und der Einzelne nicht nur das Wollen zum Ziel haben, sondern auch das Tun.
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Was beobachten Experten (Ärzte, Sozialberater) zum Thema Gesundheit?
Genaue Daten sind Mangelware, so das Resümee der Befragten, und dies keineswegs aus fehlendem Interesse, sondern aufgrund zahlreicher Barrieren. Einerseits gehört die Zielgrup204
pe der Führungskräfte zu einem sensiblen Personenkreis, bei denen Symptome erst bestimmt werden können, wenn sie zum Arzt kommen, eine Erfassung über die Breite des Unternehmens jedoch äußerst schwierig ist. Des Weiteren gehen die Symptome immer stärker in den Bereich der psychomentalen Belastungen und dafür gibt es erstens kaum Erfassungsinstrumente, zweitens keine allgemeinen Maßstäbe, da die Symptome häufig in den Bereich der vegetativen Befindensstörungen gehören (vgl. auch Klemusch, 1998a/b). Eine Einschätzung fällt oft schwer, weil noch keine medizinisch nachweisbaren Schäden vorhanden sind. Darüber hinaus ist der typische Workaholic meist mit seinem Leben zufrieden und klagt nicht über Beschwerden, denn eine hohe Belastbarkeit, ein starkes Selbstbewusstein, gepaart mit guten Kontrollmechanismen modulieren das eigene Stressempfinden. So sind die folgenden Beobachtungen einiger Experten im Konzern vorerst nur Tendenzen und keine abgeschlossenen statistischen Fakten. Beobachtbar sind: • • • •
Verbesserungen im Bereich Herzrhythmusstörungen, koronare Herzerkrankungen, zunehmende Erkrankungen im Bereich Tinnitus und psychische Störungen (depressive Verstimmungen, Ängste, Burn-out), die am stärksten betroffene Zielgruppe: das mittlere bis obere Management im Alter zwischen 35-45 Jahren, eine hohe Akzeptanz von somatischen im Gegenteil zu psychischen Störungen, Also gut, wenn ich nur was Körperliches habe, dann habe ich nichts Psychisches. Solange mir der Doktor bestätigt, da gibt es ein Tablettchen gegen die Übersäuerung des Magens, habe ich kein Problem. Wehe er kommt darauf, dass ich ein psychisches Problem habe.
Insgesamt sind sich die Verantwortlichen der Angestellten- wie der Arbeiterbereiche einig: die psychomentale Belastung, Stress und eine zunehmende Somatisierung stressbedingter 205
Belastungen haben zugenommen. Dabei geht es nicht nur um Arbeitsbelastungen, sondern auch um das private Umfeld, das zum Teil enormer Stressor sein kann. Das heißt, zukünftige Ansätze von Gesundheitsförderung werden gerade die psychomentalen Aspekte abdecken müssen. Damit entsteht ein neuer Schwerpunkt. Mit einer neu gegründeten Arbeitsgruppe zum Thema „Psychische Fehlbelastungen“ werden hierzu neue Erkenntnisse und Lösungsansätze erwartet. Bisher hatte man sich im Angestelltenbereich vor allem auf Bewegung, Ernährung, Entspannung konzentriert. Im Bereich der Produktion bedeutete Gesundheitsförderung die Anwendung direkter Körperschutzmittel und die Gestaltung der Arbeitsplätze zur Unfallvermeidung. Interessant ist, dass man gerade dort mittlerweile die Absicherung des Umfeldes bereits in sehr hohem Umfang gewährleisten kann, die Unfälle jedoch trotzdem passieren, weil Verhaltensregeln oft aufgrund psychischen Stresses versehentlich oder vorsätzlich verletzt werden.
?
Wie ist das Gesundheitsbewusstsein subjektiv ausgeprägt?
Auch beim Thema Bewusstsein zeigt sich eine Spaltung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich und somit zwischen dem, was im Unternehmen sichtbar wird oder was eher informell gelebt wird. Privat, so betonen viele, sei ein hohes oder zumindest zunehmendes Problembewusstsein, Gesundheitsbewusstsein, eine zunehmende Veränderung in Richtung Ausgleich sowie der Blick auf mehr Ganzheitlichkeit vorhanden. Von einem „geheimen Wissen“ ist die Rede, das momentan in der Freizeit praktiziert wird, damit aber kaum öffentlich sichtbar ist bzw. erst von wenigen gelebt wird. Der sichtbare Unternehmensalltag sei vielmehr geprägt von einer mangelnden Umsetzung des Wissens und Bewusstseins um Gesundheit. Die Gründe werden in Bequemlichkeit und in der „kollektiven Kapitulation“ vor bestehenden Strukturen und Bewertungen gesehen. Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Bewertungen anschaut, die mit gesundheitsbewusstem Verhalten und dem Versuch einer Integration in den Arbeitsalltag einhergehen. 206
Die Ausnahme bildet eine „Gegenbewegung“, die zwar weiß, dass eine ganzheitliche Einstellung noch nicht in das Unternehmen passt, sich jedoch sicher ist, dass die Zeit für ein verändertes Handeln „reif ist“ und versucht, den Belastungen gegen zusteuern. In kleinem Stile wird Kulturveränderung gelebt: mit besserer Ernährung, mit Rauchstop, mit der Vermeidung von Alkohol und mit Sport. So promotet beispielsweise ein Werksleiter seit dem Jahr 2000 erfolgreich einen gemeinsamen Sportabend mit seinen Kollegen im Leitungsteam, inklusive Gesundheitschecks und einem überzeugten Einstehen für den Ausgleich von Körper und Geist auch für die Mitarbeiter. Früher vor 10, 20 Jahren galt Umweltschutz auch noch nicht besonders als wichtig. In einem Unternehmen heutzutage praktizieren wir Umweltschutz, und das ist eines unserer sehr wichtigen Standpfeiler und auch, sagen wir mal, die Produktionsstandorte Deutschland abzusichern, weil auf lange Sicht kann man nicht ständig Raubbau treiben, nicht mit der Natur und auch nicht mit seinen Mitarbeitern oder sich, dem eigenen Körper. Nur das mit dem Körper, da sind wir noch nicht so weit. Das weiß zwar jeder für sich als eigenes Geheimnis, aber es wird in einer Firmenphilosophie noch nicht untergebracht, wohingegen Umweltschutz bei uns in der Firmenphilosophie verankert ist.
Das seit Jahren gebrauchte Argument, es sei kein Problembewusstsein und vor allem Gesundheitswissen vorhanden, konnte mit den Interviews nicht bestätigt werden. Vielmehr scheint es einen ähnlichen Zusammenhang wie bei den Ressourcen der Führungskräfte zu geben: Kritischer Erfolgsfaktor ist die Umsetzung im Arbeitsalltag. Diese Umsetzung hängt eng mit der Positionierung des Gesamtthemas im Unternehmen zusammen sowie dem generellen Umgang mit kulturellen Veränderungen. Nicht ohne Wirkung bleibt dabei der bereits erwähnte Grundwiderspruch der Unternehmensleitung zwischen dem Problembewusstsein für Gesundheitsförderung einerseits und Effizienz- und Kostenfragen andererseits.
207
3.2
?
Idealbilder und geheime Spielregeln als ressourcenfeindliche Bestandteile der Organisationskultur Welche Rolle spielen Idealbilder und geheime Spielregeln bei der Beeinflussung des individuellen Umgangs mit dem Körper, der Gesundheit und Leistungsfähigkeit?
In einem Organisationssystem gibt es verschiedene Elemente, die die Stabilität und Einzigartigkeit aufrechterhalten und auch zur Generierung von Verhalten beitragen. Dazu gehören beispielsweise die „harten“ Strukturen und Prozesse innerhalb der Organisation. Dazu zählen auch die „weichen“ Bestandteile der Organisationskultur, wie grundlegende kollektive Überzeugungen, die als „kognitive Landkarte“ wirken und das Denken, Fühlen und Handeln maßgeblich beeinflussen. Sie helfen dabei, Wichtiges von Unwichtigem und vor allem gemäß der Kultur „Richtiges“ von „Falschem“ zu trennen. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend einige grundlegende Überzeugungen der Kultur dargestellt, die das Denken, Handeln und Fühlen im Umgang mit dem Körper bzw. im weiteren Sinne mit Gesundheit und Leistungsfähigkeit beeinflussen und so eine wichtige Schnittstelle zwischen Individuum und Organisation bilden. 3.2.1
„Braun gebrannt, muskelgestählt, durchtrainiert“: das Idealbild einer Führungskraft
Es ist bekannt, dass Vorbilder eine große Wirkung zeigen und vor allem das Nachahmungslernen fördern. Ebenso ist bekannt, dass neben dem Vorbild besonders Erwartungen und Idealvorstellungen von einer Sache die Bewertung eines realen Ergebnisses, eines realen Verhaltens beeinflussen. Vielleicht verstehen wir das öffentliche und private Verhalten der Führungskräfte im Umgang mit sich und ihrem Körper besser, wenn wir das dahinter liegende Idealbild einer Führungskraft 208
verstehen? In den Interviews wurde dazu zunächst gefragt, ob es ein solches Idealbild bei DaimlerChrysler gibt. Nur eine Führungskraft verwies dabei auf die offiziellen Beurteilungskriterien an Führungskräfte (LEAD43), ansonsten wurde mit großer Hingabe halb sarkastisch, halb ironisch ein Bild gezeichnet, dass in den Köpfen „rumgeistere“ und verschiedentlich über Presse, Unternehmensleistung, Beförderungsmechanismen, etc. gespeist werde. Das gezeichnete Idealbild hat wenig mit den seit einigen Jahren propagierten neuen Führungsmodellen zu tun, sondern beschreibt eher das klassisch männlich geprägte Managermodell hierarchischer Organisationen, das sich durch Steuerung, Funktionstüchtigkeit und Kontrolle auszeichnet. Ausnahmen bilden Authentizität und Stimmigkeit. Obwohl ein offensichtlicher Widerspruch zwischen klassischem Idealbild und der zu beobachtenden Realität im Unternehmen festgestellt wurde, entwickelt sich der Körper für beide Geschlechter immer stärker zum Karrierefaktor. Die Antworten lassen sich in vier Kategorien einteilen. Sie zeichnen das Idealbild einer Führungskraft, das in den Interviews deutlich wurde:
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LEAD Leadership Evaluation And Development.
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Kategorie und Zitate
anzustrebende Wirkung
Gesamteindruck Leistung auf allen Ebenen Also wenn ich das jetzt mal etwas Leistungsfähigkeit ist attraktiv ketzerisch ausdrücke, dann muss der Mensch so aussehen, als ob er erfolgreiche Vereinbarkeit von den ganzen Tag eigentlich nur Erfolg, Fitness, Gesundheit, Sport macht und abends nur ins Familie Büro kommt, um sich feiern zu lassen. Authentizität und Stimmigkeit Verhalten Die ideale Führungskraft muss arbeiten, nach Möglichkeit bis zum umfallen, sie muss sehr zielstrebig sein, dominant, ja, machen. Ansonsten sind sie ein Weichei! Die haben zu funktionieren: Ansage und mach! Ja gut, der muss praktisch diese Maske mit sich rumtragen, also dass er nicht emotional ist, dass er sehr gefasst, ruhig und kontrolliert über allen Problemen steht und da immer relativ schnell eine Lösung hat, da nicht unsicher wird und so. Und wenn es passiert, dann darf er es nicht nach außen zeigen.
Tab. 13:
210
funktionstüchtig auf allen Ebenen der zielstrebige, dynamische und durchsetzungsfähige Macher Gefasstheit, Kontrolliertheit, Sicherheit und eine gewisse Distanz zu den Dingen, den Menschen und auch zu sich selbst
Das „Idealbild“ einer Führungskraft (Fortsetzung nächste Tabelle)
Kategorie und Zitate
anzustrebende Wirkung
„Körper machen Leute“, Körperleitbild44 Mann, ca. 1,85m groß, jung, gewisse Körperstatur die dem klassischen Roland Berger Bild Es sind ganz andere Möglichkeiten entspricht, braun gebrannt, da, wenn Du eben fünf Zentimeter sportlich und durchtrainiert, größer bist als andere. Der große kein Schönheits-ideal, aber Mensch hat es deutlich leichter attraktiv irgendwo Prozesse in Gang zu setzen, akzeptiert zu werden. Der das „richtige Verhältnis von Kleine muss sich da viel mehr anLänge und Breite“, das Prästrengen, hochtouriger sein. senz, Souveränität, Nachdruck, Standhaftigkeit und Sicherheit ausstrahlt „Kleider machen Leute“,Kleidung Schlips und Anzug gehören einfach zur Rolle einer Führungskraft und geben ihr mehr Gewicht. Er kann auch Eigenheiten nicht zeigen, die er dann in der Kleidung oder in seinem ganzen Benehmen so an den Tag legt, ha da muss er eine gewisse Distanz aufbringen, da darf also die persönliche Nähe nicht so groß sein.
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Zeichen für die Zugehörigkeit und Loyalität zur Führungsriege, für die Wertschätzung des Gesprächspartners und für die Akzeptanz der sozialen Norm setzen mit der Kleidung das eigene Handeln untersteichen
Körperleitbilder sind ein Teil jedes gesellschaftlichen bzw. (unternehmens-)kulturell geprägten Körperethos. D.h., sie orientieren sich an dem, was jeweils als kulturell schön oder attraktiv angesehen wird (vgl. Norz, 1999, S.25). Hier geht es um das Körperleitbild, das als kulturell angemessen für eine Führungskraft angesehen wird.
211
„Der Körper bringt was rüber“: Die Merkmale des Körpers, der Kleidung und des Verhaltens wurden als Grundlage für die Ver-Körperung erwünschter Managementeigenschaften erachtet. Dabei kam gerade der Größe bei den Männern, der Schlankheit bei den Frauen wie im allgemeinen der Kleidung eine hohe soziale Symbolfunktion zu. Wie subtil der Ausdruck von Leistung vermittelt wird, zeigen jedoch die feinen Nuancen, auf die hier zu achten ist. Denn zu viel Bräune, zu viel Zeit für Sport, zu viel Fitness ist kontraproduktiv - zu leicht könnte sonst für den Arbeitgeber der Eindruck mangelnder beruflicher Leistungsbereitschaft entstehen. Im Zweifelsfalle scheint es deshalb sogar besser „wenn sie jedenfalls nicht gesund aussehen“. Wer dem Bild nicht entsprach, den sozialen Normen aus persönlichen Gründen (und sei es mit dem Ziel des Wohlbefindens und der Gesundheitsförderung durch z.B. Sitzball, bequeme Schuhe, Bürogestaltung) nicht folgte, dem wurde oftmals mangelnde Identifikation und Loyalität zum bestehenden System unterstellt und teilweise waren Karriereeinbußen zu beobachten. Solange das oben vorgestellte Idealbild einer Führungskraft jedoch informelle Norm und damit karriererelevant ist und das System eher auf Stabilität anstatt auf Veränderung ausgelegt ist, werden gesundheitsförderliche (aber normabweichende) Verhaltensweisen wenig Verbreitung finden. Also der Manager von morgen, der soll ja quasi über Leichen gehen. Und wenn das sein Ziel ist, seine Bestimmung, das seine Mission ist, dann hat er da hin zu gehen, Feierabend.
Deswegen kommt nach diesen Aussagen im Zweifel auch derjenige besser zur Wirkung, der über Leichen gehen kann ... zumindest über die eigene, weil die Maxime lautet: „Die ideale Führungskraft muss arbeiten, nach Möglichkeit bis zum Umfallen!“
212
3.2.2
„Es gilt, den Körper zu überwinden“: geheime Spielregeln und ungeschriebene Gesetze Wir haben eine Kultur, da dürfen Sie nicht schwach sein. Sie dürfen keine Fehler machen. Diese NullFehler-Qualität, die ja auch mal durchaus Leitkultur war, es ist ja eine krank machende Kultur, man muss immer gut perfekt sein, man muss immer 120 Prozent sein, denn nur gut sein gibt Sicherheit und Schutz. Es ist immer das gleiche Muster. // Wenn sie nicht einen Körper haben, der viel klaglos wegsteckt und leistungsfähig ist, dann haben sie schon vor dem Anfang verloren. Das ist ein System, das nur Gesunde zulässt, deswegen wird auch hier Krankheit tabuisiert. Ist hier nicht besprechbar. Als Führungskraft ist man nicht krank, ja. Also das wird dann umdefiniert.
Die Idealbilder wie oben beschrieben, beruhen an vielen Stellen auf geheimen Spielregeln und ungeschriebenen Gesetzen der Unternehmenskultur. Beides sind Bestandteile der internen Logik eines Systems und tragen zur Generierung von Verhalten bei. Die ungeschriebenen Gesetze bilden sich parallel zu den offiziellen Visionen, Strategien und Zielen im Umgang der Menschen untereinander heraus. Wie ein feines Gewebe liegen sie unterhalb der offiziell fest geschriebenen Richtlinien und stellen sozusagen die Übersetzung dieser offiziellen Seiten auf den Alltag dar. Diese „Übersetzungen“ entstehen durch subjektive Interpretationen des täglich beobachteten Verhaltens vor allem der Führungskräfte und Entscheidungsträger (vgl. Schein, 1986). Was ist wichtig? Was wird wie beurteilt? Wer ist wichtig, wenn er/sie sich wie verhält? Weil jedoch die Spielregeln über implizite Bewertungen entstehen, kann es leicht zu Verzerrungen und Fehlinterpretationen kommen. Da sie nirgends fest geschrieben sind, sondern durch Interpretationen ins Leben gerufen werden, beinhalten sie immer einen hohen Anteil subjektiver Wahrnehmung der Realität.
213
Die Spielregeln an sich sind weder gut noch schlecht, aber sie generieren unterschiedliche Auswirkungen und Konsequenzen. Wenn beispielsweise Ergebnisorientierung und Leistung offiziell zählen, dann ist das unternehmensdienlich. Wenn aber durch Beobachtungen des Verhaltens die geheime Regel entsteht, dass Leistung gleichzusetzen ist mit langer Anwesenheit, dann ist das im Endeffekt weniger zieldienlich und eher kontraproduktiv, weil die Effektivität sinkt und die Anzahl der bezahlten Überstunden steigt. Deshalb kann die Kenntnis dieser Regeln auch neue Perspektiven auf Geschäftsprobleme liefern oder den Erfolg von Veränderungen im Unternehmen unterstützen. Unabhängig von ihrer Eignung für die Unternehmensziele sind die geheimen Spielregeln vor allem karriererelevant. Es wird keinen Top-Manager geben, der diese Regeln nicht beherrscht, denn sie sind der Schlüssel zum „taktisch richtigen“ Verhalten. Vielleicht erscheinen die unten angeführten Spielregeln zu eindimensional, doch in dieser linearen Art wurden sie innerhalb der Interviews als „Kulturwissen“ verkündet. Sicher ist das tägliche Handeln wesentlich komplexer, aber sicher ist auch, dass das Wissen und der Glaube in den Köpfen der Menschen nicht ohne Wirkung bleibt. Welche Dimensionen der ungeschriebenen Gesetze wurden beschrieben? Wo traten Verbindungen zum Bereich Gesundheit, Leistung, Körper zu Tage? Wichtig zu vermerken ist hier, dass aus den Daten nicht der Schluss gezogen werden kann, dass alle Führungskräfte die Regeln in gleicher Form wahrnehmen, „dass kann nicht unser Unternehmen gewesen sein.“, geschweige denn, alle gleich damit umgehen. Gerade die innere Unabhängigkeit war ein wichtiger Marker, wie stark sich einzelne von diesen Regeln im täglichen Handeln distanzieren. Insgesamt wurde die Bezeichnung „geheime Spielregeln“ dem Genannten wirklich gerecht, denn es wurden teils wörtlich Teile eines „Spieles“ beschrieben, inklusive „Spielanleitung“, „Spielschwerpunkten“ und Konsequenzen für die Mitspieler. 214
Die Meta-Regeln tragen in ihrer Form zur Stabilisierung des Systems bei, denn Regel-Konformität wird mit Aufstieg belohnt. Damit werden bestehende Strukturen gefestigt und neuen Strukturen viel Widerstand entgegengebracht. Allgemeine Charakteristika und Beispiele geheimer Spielregeln Die Spielregeln: • • • •
sind nirgends nieder geschrieben, werden ganz subtil eingesetzt (kleine Provokationen, mit einem Lächeln verpackt, ironisch spielerisch), haben eine machtvolle Wirkung, denn sie werden als „Normen und Werte der Mächtigen“ gewertet. Einhalten der Regeln wird mit Zugehörigkeit und Akzeptanz im System belohnt. Der Bruch der Regeln wird offiziell mit mangelnder Anerkennung bestraft, hingegen inoffiziell oft mit heimlichem Neid honoriert („der nimmt sich die Freiheit, macht es einfach“ )
Anwesenheit: • • • • •
Hauptsache das Licht brennt! Denn es ist schick, bis abends 10 Uhr da zu sein. Wenn Sie nicht gesehen werden, entsteht leicht der Eindruck, dass Sie nichts arbeiten. Wichtig ist, dass Sie da sind. Wer acht Stunden Arbeitszeit einhalten kann, arbeitet zu schnell. Wenn eine Sache bis abends lange gedauert hat, dann muss sie besonders gut sein. Lange Anwesenheit sichert das eigene Image als Führungskraft.
215
Work-Life-Balance • • •
Ausgleich ist dann akzeptiert, wenn er den Berufsalltag nicht belastet und ausschließlich in der Freizeit absolviert wird. Die gesellschaftlich zulässige Zeit zum Sport für Führungskräfte ist ab 19 / 20 Uhr. Zeit für Familie zu brauchen, ist auf Dauer negativ, das zeugt von mangelndem Einsatz
In den Spielregeln wird z.B. deutlich, wie stark die Anwesenheit und die Arbeitszeit als Bewertungskriterium für „gutes Arbeiten“ noch in weiten Teilen des Unternehmens im Vordergrund stehen. Obwohl es zahlreiche andere Personalführungsinstrumente gibt, mit deren Hilfe Leistung nach Ergebnissen und vorher festgelegten Zielen gemessen werden kann (z.B. Zielvereinbarungen, LEAD-Einschätzungen), gereicht die Symbolik für hohen Einsatz oftmals zu einer Funktion der Arbeitszeit. Das häufige Ergebnis: extreme Arbeitszeiten und viel Klagen! Zu Recht fragte sich eine Führungskraft: „Wie kann ich es schaffen, Loyalität und Leistungswillen zu beweisen, ohne dafür die Wertigkeit und die Zeit für meine Familie aufgeben zu müssen?“ An anderer Stelle wird deutlich, dass der Anspruch einer NullFehlerqualität beim Auto teilweise auf den Menschen übertragen wird. Krankheiten und Befindensstörungen kommen in die Kategorie Schwäche und Fehler, d.h. sie sind zu vermeiden. Es gibt Führungskräfte, das habe ich erlebt, die waren plötzlich mit einem Herzinfarkt abgemeldet, haben ihr Sekretariat aber angewiesen, nichts zu sagen, warum sie fehlen.
Nun ist die Krankheitsvermeidung ein legitimes Ziel, wenn es um dauerhafte Leistungsfähigkeit geht, doch für gewöhnlich führt jedes vorsichtige Vermeiden (z.B. von Fehlern) eher dazu, dass dieses geschieht (Fehler werden gemacht). Ähnliche Ergebnisse kennt die Psychologie aus der Erfolgsforschung. Wer insgeheim darauf bedacht ist, Misserfolge zu vermeiden, 216
wird diese weitaus eher „ernten“ als diejenigen, die darauf bedacht sind, Erfolg zu haben und dabei auch Fehler in Kauf nehmen. Laut diesen Ausschnitten aus der Realität eines Unternehmens, scheint die geheime Logik eher darin zu bestehen, Schwäche und „Befindlichkeiten“ zu vermeiden als darin, Leistung und Gesundheit sowie die bewusste Gestaltung von Regeneration zu stärken. Die geheimen Spielregeln weisen auf eine weitere, scheinbar organisationsimmanente Logik hin, die den Umgang mit dem Körper beeinflusst. Je größer und differenzierter Organisationen sind, je indirekter die Kommunikation und Steuerung im Unternehmen stattfinden muss, umso schwieriger wird es für Organisationen, rasch und adäquat auf Umwelteinflüsse, Marktveränderungen, etc. zu reagieren. Sie sind in ihrer Form instabil und stehen gerade vor dem Hintergrund einer erhöhten wirtschaftlichen Dynamik vor der Aufgabe, sich immer schneller und gleichzeitig effektiv anzupassen. Daraus entwickelt sich a) eine natürliche Notwendigkeit zur erhöhten Steuerung der Abläufe und Prozesse und b) der Wunsch, alle eventuellen Störungen kontrollieren und beherrschen zu können, um möglichst reibungsloses Funktionieren zu sichern. Die hohe Komplexität, die verunsichernd wirkt, muss reduziert werden, um überhaupt handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben (vgl. Heintel & Götz, 1999). So wird scheinbar – bewusst oder unbewusst, offiziell oder insgeheim – am ehesten dort zu reduzieren und zu kontrollieren versucht, wo die Komplexität am größten ist: beim Menschen selbst! Das hat was damit zu tun, dass die Ressource Mensch als solcher mit ihren ganzen Zielen, Wünschen, oft mit den Befürchtungen man am liebsten trivialisieren würde auf eine triviale Maschine, dieses komplexe System Mensch, das wäre anderen lieber, weil es dann leichter zu steuern und zu verwalten wäre. Und alle unsere Systeme tun ja so, als wäre es so, weil ich ahne auch den Grund: Der Grund ist Angst, und zwar Angst, wenn man zugibt, dass das komplex ist, es eventuell nicht mehr steuern zu können, in den Griff zu kriegen, dass die Ebenen vielleicht die überlagern und Leistung dann nicht mehr stattfindet.
217
Werden diesem legitimen Bedürfnis nach Steuerung die zunehmenden gesundheitlichen Belastungen der Einzelnen, die Zweifel und Ohnmachtgefühle gegenüber gestellt, so ist zu fragen, wieweit diese Reduktion des Einzelnen auf Funktionalität überhaupt getrieben werden kann oder ob nicht längst der Zeitpunkt erreicht ist, an dem mit „der Überwindung des Körpers“ bereits die eigene Arbeits- und Leistungsgrundlage entzogen wird. Geheime Spielregeln bezüglich Leistung und deren Auswirkungen Leistung: • •
• •
Akzeptanz entsteht vor allem durch Mehr-Leistung. Wenn sie ihr Chef an die Leistungsgrenze führt, können sie nur überleben, wenn Sie alle anderen an die Leistungsgrenze führen und die wiederum ihre Anderen dahin führen. Nur wenn wir und die Mitarbeiter irgendwie ausgequetscht wie eine Zitrone aussehen, dann ist es richtig. Wir dürfen hier nicht genießen, wir müssen immer beschäftigt sein, hart arbeiten und klagen. Denn: Nur wer leidet, ist wirklich gut! Nur wer überlastet ist, ist richtig ausgelastet!
Auswirkungen: • •
•
218
Bewusstheit für Körpersignale fällt oft schon in die Kategorie „Befindlichkeiten“. Krankheit kommt nicht vor und wird wenn, verniedlicht, kokettiert, entschuldigt durch einen anderen Kontext (beispielsweise Sportverletzung). Die Ausnahme bilden somatische Leiden, die auf objektiv messbare Ursachen zurückzuführen sind. Schwäche und Fehler sind in Bezug auf die hohen Ziele und Null-Fehler-Qualität nicht entschuldbar.
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•
Gesundheitsbewusstes Verhalten wird belächelt, befrotzelt und im Gegenzug die eigene Stärke demonstriert „Mir passiert so was nicht“ Identifikationen mit den Themen Gesundheit und Ganzheitlichkeit fallen in die Kategorie „Minderleister“. Das Zeigen von Befindlichkeiten ruft Erklärungs- und Rechtfertigungszwang hervor und um dies auszuhalten, ist viel Energie notwendig. Flexibler Umgang mit Arbeitszeiten wird nur sehr bedingt unterstützt, vielmehr kommt die Frage „Macht die noch mit bei uns?“ Wer generell etwas anders als die Norm macht (beispielsweise(beispielsweise Ernährung, Sitzball, etc.) muss sich erklären und rechtfertigen und muss mit geschwächtem Image rechnen. Derartig negatives Image eines Mitarbeiters ist nur durch Mehrleistung wieder zu kompensieren
In der bisherigen Darstellung mag leicht der Eindruck entstanden sein, dass die Regeln linear das Verhalten beeinflussen. Der individuelle Beitrag soll dabei keineswegs vernachlässigt werden: „Ich glaube, die meisten Menschen machen sich hier die Zwänge im Kopf, die machen sich eng im Kopf!. Darüber hinaus werden derartige Regeln erst dann wirksam, wenn deren Einhaltung positive bzw. Nichteinhaltung negative Konsequenzen hat. So berichteten die Befragten von verschiedenen negativen Folgen, wenn beispielsweise verstärkt gesundheitliches Verhalten an den Tag gelegt wurde. Im Ergebnis wurde „spielabweichendes“ Verhalten, damit auch innere Unabhängigkeit mit mangelnder Wertschätzung sozial boykottiert, was schließlich zur Gesamteinschätzung führte: „Ja mein Gott, die Jungen, die haben Familie, sind erst 30 und wollen noch was werden, da verstehe ich, dass die sich mit ihrer Meinung eher zurück halten“. Wie gesagt: Geheime Spielregeln sind generell weder positiv noch negativ. Vielmehr stellen sie den Ausdruck von Einstellungen und Paradigmen dar, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben und die in ihrer Auswirkung sowohl das tägliche Verhalten und dessen Interpretation sowie auch Verände219
rungsprozesse modulierend beeinflussen. Als geheimes Paradigma markieren sie einerseits einen Rahmen für ein ganz bestimmtes Problem und sie fixieren die Art und Weise, wie das Problem gelöst werden soll. Für bestimmte Ziele sind förderlich, für andere wiederum hinderlich. Folgende, durchaus plakative Thesen sollen aufgrund der Daten abschließend formuliert werden: ¾
¾
¾
¾
220
Leistung und harte Arbeit demonstrieren, ohne nach zulassen.: So könnte das Ziel beschrieben werden, für das die vorhandenen Spielregeln besonders dienlich zu sein scheinen. Das Ziel ist ein legitimes und von vielen selbst gewähltes Ziel, doch die Wege zur Zielerreichung zeugen häufig mehr vom Schein als Sein. Der Weg heißt steuern, kontrollieren und so tun als ob: Die Verhaltensstrategien im Umgang mit der Zeit, mit der Familie und mit dem eigenen Körper die hierfür genutzt werden, bedienen sich vorrangig der Tabuierung von Störungen, Schwächen bzw. Fehlern und der Symbolisierung von hoher Leistung häufig mittels „Alsob-Strategien“, ...als ob man ausschließlich leistungsfähig und loyal zur Firma ist (beispielsweise „Hauptsache das Licht brennt.“ „Ein Face aufsetzen, als ob...“.). Leistungsfähigkeit zählt, Raubbau wird gelebt: Die Strategien und Regeln, die sich entwickelt haben, um Leistung zu demonstrieren, haben paradoxerweise oft gegenteilige Effekte. Es geht weniger darum, die optimal effiziente Leistung mit allem Ausgleich einzurichten, als den Regeln zu folgen und so Fehler und Schwäche zu vermeiden. So wird gesundheitsförderliches Verhalten als Normabweichung verstanden, Arbeitszeiten, obwohl längst ineffizient, werden ausgedehnt, wichtige Regenerationszeiten nicht akzeptiert bzw. Signale des Körpers überhört, um anwesend zu sein und Stärke zu demonstrieren. Den Körper und den Wunsch nach Familie überwinden und Karriere machen: Regelkonformes Verhalten wird mit Aufstiegschancen belohnt und –abweichendes Verhalten mit mangelnder Wertschätzung und „sozialen Folgekosten“ erschwert, was schließlich zur Gesamt-
¾
¾
3.2.3
einschätzung führt, dass nur ein Entweder-Oder möglich ist. Weil die Zusammenhänge oft unbewusst ablaufen, sind sie umso wirkungsmächtiger. Die Betroffenen haben oft das Gefühl des Ausgeliefertseins und erkennen den eigenen Beitrag zum „Spiel“ nicht. Die Zwänge sind im Kopf!: Häufig sind die Regeln unbewusst verinnerlicht bzw. ergänzen sich sehr gut mit den persönlichen Maßstäben. Sie werden nicht mehr in Frage gestellt und äußern sich in Form verschiedenster Zwickmühlen. Erst hohe Bewusstheit, Reflexion und innere Unabhängigkeit gegenüber Anforderungen von außen durchbrechen den Kreis. Die geheimen Spielregeln sind eine wichtige organisatorische Grundlage für langfristigen Gesundheitsschutz und Work-Life-Balance: Die täglichen Verhaltensbelohnungen bzw. sozialen „Folgekosten“ bilden eine wesentliche kulturelle Grundlage für jegliche Norm. Sollen also beispielsweise langfristige Leistungsfähigkeit, Work-Life-Balance und Gesundheit zur Norm werden, so stellen gerade die Führungskräfte wichtige Hebel dar, um Verhalten zu verstärken bzw. abzuschwächen und so langsam neue Spielregeln zu leben und damit eine neue kulturelle Basis zu schaffen. Das heißt auch, dass die Förderung der inneren Unabhängigkeit und einer Fehlerkultur Gesundheitsförderung bedeuten könnte. Sportlichkeit und Sportkult - Ausnahmen bei den geheimen Spielregeln?
Der Bereich Sport und Bewegung nimmt innerhalb der geheimen Spielregeln einen Sonderstatus ein. Bewegung, Fitness, Sport sind nach Aussagen der Führungskräfte de facto die einzigen Aspekte, die mehr und mehr akzeptiert werden und deren kollektive Umsetzung eine Förderung erfährt. Sport signalisiert: „Ich mache was!“ und dieses Motto gewinnt zunehmend an Bedeutung. Zwar bewegt man sich noch immer innerhalb der Regeln („Wer zuviel macht, erweckt den Eindruck zuviel Zeit zu haben.“), aber dennoch - Sport wird gemacht und Sport ist Mode! 221
Hier ist es im Prinzip schon fast ein bisschen schick, wenn man sagen kann: Ich habe Sport getrieben, so dieses Programm ..., auch über Mittag kann man was machen, man kann sich irgendwie die Rüstung verbiegen lassen, also so Stretching-Übungen machen. Ich habe alles noch nicht gemacht, aber es ist hier auch verlockender, weil es ist gleich so übern Hof.
Mehr noch: Sport ist nicht nur Mode, er wird gefördert, weil Sportlichkeit eine wichtige Voraussetzung bei der Erfüllung des Idealbildes einer Führungskraft ist. Bewegung wird bereits öffentlich durch das Top-Management promotet. Für sportliche Betätigung und Zeitinvestitionen in diese Art von Ausgleich erntet man Bewunderung, manchmal Neid, jederzeit jedoch Akzeptanz. Der körperliche Ausgleich ist im Vergleich zu anderem Ausgleich (Familie, Freizeit) kein Rechtfertigungsbestand mehr, ganz im Gegenteil. Der Trend gehört gerade in den Bereichen der Konzernzentrale zunehmend zum Management-Image und das schreibt so manche Führungskraft auch dem amerikanischen Einfluss zu: Ja ja, ja ja, ja ja, jemand, der in Amerika im Management zumindest nicht sagt, dass er Sport treibt, der ist schon irgendwie kritisch zu betrachten. Und das heißt, es wird Marketing gemacht was sie für Sport treiben. Nur ein Manager, der wirklich hart handelt, treibt auch wirklich Sport, damit er dieses machen kann. Jemand mit hoher Belastung, der dort nicht Sport treibt, sagt, er ist nicht so belastet, dass er Sport bräuchte als Ausgleich. Das ist so ein Wechsel. Dann gibt es noch den Unterschied zwischen Bekennern und Umsetzern: Mittleres Management muss man mindestens bekennen – Topmanagement macht wirklich viel, doch dort ist der Symbolwert noch viel höher.
Damit ist Sport zwar an vielen Stellen die konsequente Fortsetzung der Leistungslogik, doch für viele ist aus der Mode eine Tugend geworden: „Das was ursprünglich vom Kopf her gekommen ist, kommt bei vielen meiner Bekannten jetzt vom Körper her“. Wie der Sport dann gestaltet wird, darüber entscheiden die eigenen Einstellungen. Sie bestimmen, ob es 222
darum geht, ein „gesunder Funktionsträger“ zu sein oder ob die Zeit genutzt wird, um ein „gesunder Mensch“ zu bleiben. Sport im Allgemeinen wird also weder angezweifelt noch offiziell behindert, doch Sport als Ausgleich während des Tages, als kleine Pause am Mittag oder als Zwischenstop am Nachmittag ist hingegen noch wenig verbreitet. Hier wirken andere Rahmenbedingungen als in der Freizeit im eigenen Fitnessclub oder auf der Laufstrecke im Wald. Denn Sport ist unweigerlich mit Körperlichkeit verbunden und birgt immer die Gefahr der Offenbarung („Sonst sehen die Kollegen mich beim Sport ja halb nackig oder so.“), ebenso wie bestehende Rangordnungen und der eigene Status ins Wanken geraten können. Deshalb wird Sport von den Führungskräften weiterhin am ehesten extern betrieben oder wenn in internen Räumlichkeiten, dann mit wenig Transparenz: „Ich weiß nicht, was das Leitungsteam da macht, die rennen einmal pro Woche, wenn es geht, in der Sporthalle hin und her.“ Sportveranstaltungen im Unternehmen als Maßnahme zur Gesundheitsförderung sind also genau zu durchdenken: Welche Rahmenbedingungen werden bereitgestellt? Gilt es ein festes Programm zu absolvieren? Welche sind die Anforderungen? Wer kann sie erfüllen und wird sich deshalb beteiligen und wer nicht (wenn beispielsweise gemeinsamer Sport auf dem Programm steht und dann nur gejoggt wird)? Wann ist es besser, einfach nur einen Rahmen zur Verfügung zu stellen (wie beispielsweise die Möglichkeiten durch Fitnessstudios innerhalb eines Werks) und unter welchen Bedingungen ist eine gemeinsame Aktion (beispielsweise ein kleiner Abteilungswettkampf im Rahmen einer Bereichsentwicklung) symbolträchtig und publikumswirksam?
223
3.3
?
„Gesunde“ Führung und Zusammenarbeit als ressourcenförderliche Bestandteile der Organisationskultur Wie kann bzw. wird über Führung und die Art und Weise der Zusammenarbeit positiver Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Gesundheit genommen?
Die Interviews zeigen insgesamt, dass im Rahmen der Führungsaufgabe nicht nur ein hohes Problembewusstsein herrscht, sondern auch ein sehr hohes Bewusstsein darüber, welche Aspekte ressourcenförderlich wirken, d.h. positiven Einfluss auf Leistungsfähigkeit und Gesundheit haben. Inwiefern sich das Bewusstsein im alltäglichen Handeln tatsächlich niederschlägt, ließ sich nur an ca. einem Drittel der Führungskräfte glaubwürdig nachvollziehen. Diese hatten ihre sehr eigenen, zum Teil schmerzhaften Erfahrungen mit persönlichen Belastungsgrenzen gemacht und daraufhin auch den Umgang mit sich selbst neu ausgerichtet. Für die Anderen bestätigte sich eher das Bild, dass sehr viel Wissen und eigene Erfahrungen bestehen, dass für dessen Umsetzung jedoch ein Entwicklungsprozess mit zunehmender innerer Unabhängigkeit notwendig ist. Denn hier geht es nicht nur um die bewusste Gestaltung von Wohlbefinden im Team, sondern um grundlegende Werte, die z.T. im Gegensatz zur gelebten Unternehmenslogik stehen. Aufgrund der differenzierten Ergebnisse liegt folgende These zur Ressourcenförderung im Rahmen der Führung nahe: ¾
224
Je stärker die Leistungsanforderungen an das Team, desto wichtiger ist der echte Kontakt, sind die stimmigen Beziehungen, das ausgleichende Klima, das „Menschsein“ im eigentlichen Sinne. „Wir brauchen Profit, um erfolgreich zu sein und Menschlichkeit, um zu überleben.“ Dabei wurde deutlich, dass nicht nur die Rollenanteile fachlicher Führung, des Managements
sowie des personellen Führens i.e.S. (leadership) notwendig sind, sondern auch die des Vorbildes, Ermöglichers und Verstärkers für gesundes Verhalten. Ich kann hier jeden Tag eigentlich machen, was ich will. Dass ich selber den einen oder anderen Termin absage, weil ich denke, oh Gott, jetzt ist es doch noch wichtiger, mich mit den Potenzialeinschätzungen der Ebene 3 zu beschäftigen, dann ist das meine persönliche Entscheidung. Aber dennoch hat man einen anderen Effekt, wenn man einen an der Spitze hat, der einen, der schräg guckt, wenn jemand zum Sport geht, hat man einen anderen Effekt, als wenn oben einer sitzt, der sagt, Sport ist in, und ich will, dass wir hier was tun.
Anhand der Interviews ließen sich folgende Bereiche ermitteln, über die Führungskräfte gemeinsam mit ihren Teams positiven Einfluss auf Leistung und Wohlbefinden nehmen (vgl. Abb. 16):
Abb. 16:
Komponenten einer „gesunden“ Führung 225
3.3.1
Führung – Klima – Zusammenarbeit
Die bewusste Förderung des zwischenmenschlichen Wohlbefindens im Alltag war einer der Hauptbereiche, in den die Führungskräfte investieren. ressourcenförderliche Faktoren
Zitate
gute Arbeitsatmosphäre mit Spaß, Freude, viel Lachen, Ruhe bewahren
...eine Arbeitskultur mit freundlichen Gesichtern... Ich ärgere mich auch oft und bin stinkig, aber ich lache viel mehr, weil ich finde, es gibt hier viel zu lachen! Und das ist ein Unterschied, ob wir hier lachen oder ob wir alle gehetzt durch die Gänge rennen.
Wertschätzung und Augen auf und schauen, auf sich selber Achtsamkeit für sich gucken und auf die anderen gucken – die selbst als Führungskraft anderen wirklich sehen. und für die Mitarbeiter
positives und lösungsorientiertes Arbeiten – Optimismus behalten
Wir haben beispielsweise für jede Teambesprechung den Punkt „Heldentaten“ auf der Tagesordnung. Am Anfang haben alle gesagt, das gibt es nicht bei uns, inzwischen berichtet jeder etwas und sei es auch nur, dass man sich bei einer Sache heute nicht geärgert hat.
Verantwortung übernehmen für das Thema Gesundheit bei sich und den Mitarbeitern
Zur Offenheit gehört auch, Leistungsgrenzen zu thematisieren und wenn jemand so stark belastet ist, muss man einfach versuchen, umzuorganisieren.
Vertrauen, Offenheit und Ehrlichkeit
Vertrauen ist etwas ganz wichtiges, das zieht sich durch meine ganze Arbeit und wenn das nicht stimmt, können sie einpacken. Wenn ich das Gefühl habe, dass Sand im Getriebe ist, nehme ich mir diejenigen und frage was lost ist. // Da spielt irgendwas im Hintergrund und dann kommen wir hinterher nicht von der Stelle.
226
Zusammenhalt und Energie im Team: Verlässlichkeit, „beieinander – miteinander“, gemeinsamer Spirit, Rituale einrichten, sich selbst als Mensch zeigen „die Leute raus aus dem Alltag holen“: kleine Incentives, schöne Dinge gemeinsam tun, andere Themen, andere Kontexte auch im Arbeitsrahmen kennen lernen Führung in einer Mischung aus Kopf und Bauch, aus Logik, Struktur, Messbarkeit und Gefühl, Intuition und Vision individuell führen: Rat und Beratung bieten, „ein offenes Ohr“
Tab. 14:
Führungsbeiträge zur Sicherung des Klimas und einer guten Zusammenarbeit
„Gesunde“ Führung drückt sich hier vor allem dadurch aus, dass die Führungskräfte mit dem eigenen Verhalten, als auch in der Bestärkung des Verhaltens der Teammitglieder eine Beziehungslogik aufbauen, die auf Partnerschaft, Anerkennung, Menschlichkeit und einer Reihe von Werten wie Vertrauen, Offenheit und gegenseitiger Akzeptanz gründet. Diese Art der Zusammenarbeit hatte häufig den Effekt eines hohen Kompetenzempfindens und Selbstbewusstseins: „Wir machen gute Arbeit“ und stärkte die Motivation und allgemeine Belastbarkeit. 3.3.2
Führung – Werte – Klarheit
Doch „gesunde“ Führung findet auch auf ganz andere Art und Weise statt, als nur über die bewusste Förderung des zwischenmenschlichen Wohlbefindens im Alltag. Denn die „fürsorgliche“ Komponente – das Fördern – reicht oft nicht aus, um Ziele zu verwirklichen. Hier braucht es auch Fordern und klare Aufgaben sowie Orientierungsrahmen für die Mitarbeiter. Es geht sowohl um das „Wie“ der Führung (Klarheit, Positionierung, Präzision, etc.), als auch um das „Was“ (Was wird bewertet, zählt?). Obwohl es selbstverständlich scheint, dass Führung eine klare Orientierung leistet, berichteten die Führungskräfte immer wieder, dass angesichts des stark erhöhten operativen Drucks eine solche immer eher vernachlässigt 227
wird. Doch gerade hier können Führungskräfte mit klaren eigenen Maßstäben zur besseren Nutzung der knappen Ressource Zeit beitragen und damit einen Grundstein für bessere Work-Life-Balance legen. Im Einzelnen wurden dazu folgende Punkte gezählt: • • • • •
Sensibilität für Effizienz, Präzision, Knappheit und Konzentration auf das Wesentliche Klarheit und Definition der Aufgabenstellungen für die Mitarbeiter Konstanz und Berechenbarkeit als Führungskraft klare Abmachungen in Spannungsfeldern klare Positionierung zu eigenen Bewertungsmaßstäben Wertschätzung der knappen Zeit ist so etwas wie Wertschätzung für andere und von denen für mich. Wir haben im Team die Parole insgesamt vereinbart, wenn wir in Besprechungen sind, wo wir den Eindruck haben, da haben wir gar nichts beizutragen, jetzt gibt es nichts mehr Wichtiges, stehen wir auf und gehen.
Den Führungskräften war bewusst, dass sie anhand der Bewertungsgrundsätze von Leistung einen langsamen Werteund Kulturwandel betreiben können, hin zu mehr zeitlicher Flexibilität und zu neuen zeitlichen Möglichkeiten für gesundheitlichen Ausgleich. Doch es gehört eine gehörige Portion Mut, Selbstbewusstsein und innere Unabhängigkeit dazu, eine eigene Kultur, die sich von den allgemeingültigen und oft ressourcenfeindlichen Spielregeln abhebt, zu gestalten, zu kommunizieren und zu leben. Ich mag, wenn Menschen menschlich groß sind, wenn sie verantwortungsbewusst sind, und ich zeige ihnen das auf andere Art und Weise und nicht dadurch, dass das Licht in ihrem Zimmer brennt oder dass sie langsam kaputt gehen. Und da habe ich etwas andere Kriterien. Eine Führungskraft muss die Leistung der Mitarbeiter kennen, ohne deren Zeitrahmen zu betrachten.
228
3.3.3
Führung – Freiraum – Balance
Die Rolle der Führungskraft als Vorbild wird in der heutigen Zeit immer weniger beachtet. Jeder Mitarbeiter besitzt Wahlfreiheit in täglichen Entscheidungen und Selbstverantwortung für eigene Bedürfnisse, doch oft wird zu schnell unter den Tisch gekehrt, wie stark die Führungskraft als Wertemaßstab und auch als „ermöglichende Instanz“ für die Mitarbeiter fungiert. Also ich lebe da sehr stark nach Vorbildern, auch frühzeitig zu gehen und mich abzugrenzen und ihnen ganz klar zu sagen, ich brauche jetzt nur die zehn Minuten, und ich habe auch eine Zeit, und das ist mein Raum. Und ich denke, wenn ich das deutlich mache, ich habe auch meinen Raum und da wird das denen auch deutlich. Und mit der Selbstverständlichkeit, mit der wir am Monatsende unser Gehalt erwarten, dass das irgendwie auf dem Konto ist, erwartet das Unternehmen von uns, dass wir arbeiten. Und wer morgens hier schon mit der schleifenden Zunge auf dem Fußboden hier reinlatscht, der hat eigentlich schon die falsche Einstellung, der sollte sich vielleicht einen anderen Job suchen. Diese Leute brauche ich hier nicht, ich brauche Leute, die hier mit einer positiven Einstellung kommen. Wenn einer Probleme hat, dann muss er kommen und sagen, er braucht Hilfe. Und dann gucken wir mal, ob man die Arbeit, weil der Termin vielleicht etwas eng ist, verteilen können. Die Frau X, der Herr Y, die sind von Haus aus unheimlich motiviert bei der Sache. Also wenn ich dann sieben oder viertel acht gehe und die immer noch am Schaffen sind, dann sage ich: Geht bitte nach Hause. Aber das kann man jetzt nicht verallgemeinern. Es gibt natürlich Leute, die gucken um halb vier bereits. Und wenn Sie dann kommen und sagen: Mach mir noch was. Naja, also es kommt auf die Fälle an.
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So geht es immer wieder um Leistung, Motivation, Termintreue und Qualität einerseits und andererseits um Freiheitsgrade und die Erlaubnis für Ausgleich und Regeneration. Es klingt beinahe paradox, dass Freiheit auch Grenzen braucht, doch nur mit dem Bewusstsein über die Grenzen scheint Freiheit erst lebbar zu sein. Vergleicht man jedoch die Aussagen mit dem individuellen Verhalten, so schien es, als ob es vielen Führungskräften (noch) leichter fällt, auf die Einhaltung der Grenzen bei den Mitarbeitern zu achten, als bei sich selbst. Doch aus Mitarbeitersicht wird gerade das eigene Vorleben wirkungsvoller erachtet als Abmahnungen zum Einhalten der Arbeitszeit. Das heißt, Glaubwürdigkeit kann nur über die Vorbildwirkung und die eigene Überzeugung beeinflusst werden, nur über das tatsächliche Verkörpern der neuen Führungsmaßstäbe. 3.3.4
Führung – Team – Reflexion
Die persönliche Reflexion des eigenen Führungsverhaltens und die Überprüfung der Gesamtwirkung der eigenen Person wurden als übergeordnetes Merkmal „gesunder“ Führung bereits genannt. Die ständig wechselnden Anforderungen und die hohe Geschwindigkeit benötigen immer wieder Phasen der bewussten Standortbestimmung, alleine oder im Team. Diese Zeiten erhalten die Qualität eines Anhaltens und der Prüfung des eigenen Kurses, um ggf. Prioritäten neu zu setzen oder neue Richtungen einzuschlagen.
230
Abb. 17:
3.4
Übergeordnete Merkmale „gesunder“
Ressourcen in der Führungsgestaltung: zusammenfassende Thesen
Mit folgenden Thesen sollen die wesentlichen Schnittstellen in Bezug auf die Führungsaufgabe zusammengefasst werden. Dabei erwies es sich als großer Unterschied in der Glaubwürdigkeit bei den Mitarbeitern, ob die folgenden Merkmale Aufforderungscharakter hatten oder die Führungskräfte dies selbst verkörperten. ¾
Arbeiten und feiern: Hierbei steht eine fürsorgliche Rolle der Führungskraft im Vordergrund, die neben der fachlichen Rolle auch für eine bewusste Gestaltung des gemeinsamen Wohlbefindens in der täglichen Routine sorgt (Arbeitsklima, Teamspirit, kleine Rituale und Incentives). 231
¾
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232
Beziehungen gestalten und Vertrauen leben: Eine Beziehungslogik aufbauen, die auf Partnerschaft, Anerkennung und einer Reihe von Werten wie Vertrauen, Offenheit und gegenseitiger Akzeptanz aufbaut. Präzision, Klarheit und Sensibilität für Effizienz: Die Ressourcen aller schonen durch eine klare, fokussierte Führung: Fokus auf das Wesentliche, klar definierte Aufgabenstellungen und Abmachungen, Konstanz als Person in unsicheren Zeiten, effiziente Nutzung der Zeit (Meetings, etc.). Stimmige und deutliche Bewertungsmaßstäbe setzen: Ziel- und Ergebnisorientierung anstelle von Anwesenheitsfokus, deutliche Positionierung zu eigenen Führungs- und Bewertungsmaßstäben und damit gleichzeitig Klarheit und v.a. zeitliche Flexibilität schaffen. Freiheitsgrade leben und Freiraum geben: Über bewusstes Abgrenzen und den Mut zur Freiheit des eigenen Willens die persönliche Leistungsfähigkeit aufrechterhalten und Anforderungen bewältigbar gestalten sowie diesen Freiraum auch für die Mitarbeiter zur Verfügung stellen bzw. dazu ermuntern. Work-Life-Balance leben und geben: Die Anforderungen (Leistung, Verfügbarkeit, Aufgaben) und den Ausgleich (Privatleben, Sport, Freizeit) individuell stimmig verbinden und eigene Prioritäten vorleben. Anhalten, Luft holen, neu starten: Reflexionsphasen und Standortbestimmungen für das eigene Führungsverhalten, die Gesamtwirkung der eigenen Person und Gesamtsituation im Team sowohl als übergeordnetes Merkmal „gesunder“ Führung wie auch innerhalb der täglichen Routine. Fordern und Fördern: Als bedeutsam und wichtig erwies sich das Zusammenspiel zwischen klaren Grenzen (eigene Bewertungsmaßstäbe) und deutlichen Forderungen einerseits sowie Freiheit, Loslassen, Regeneration und Vertrauen andererseits. Beides ging direkt Hand in Hand und jede Art von dauerhafter Einseitigkeit wurde als ungünstig erlebt, entweder für die Leistung oder die Energie im Team.
Je stärker die Leistungsanforderungen an das Team gestellt werden, desto wichtiger scheint es zu sein, diese Ressourcen zu nutzen und zwischen Ergebniserreichung (dem Funktionieren) und dem Erhalt der eigenen Vitalität (dem Lebendigsein) einen guten Ausgleich zu finden. Als unterstützend für diesen „Balanceakt“ erwiesen sich nicht nur die Führung, sondern auch teaminterne Aspekte der Zusammenarbeit. Als Faktoren mit einem hohen positiven Einfluss auf Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit im Team können abschließend folgende zusammengefasst werden:
Abb. 18:
Einflussfaktoren auf Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit im Team
233
4
Führungskräfteentwicklung und Körper - Quo vadis?
4.1
Erfahrungen mit der Verknüpfung von Lernen und Körper im Unternehmen
?
Welche Erfahrungen über die Integration des Körpers im Rahmen der Führungskräfteentwicklung bzw. zu einem ganzheitlichen Lernen bestehen bereits?
Auffällig war zunächst, dass nur ca. ein Drittel der Befragten wirklich bewusst von derartigen Lernerfahrungen berichten konnte, obwohl die meisten bereits eine ganze Reihe von Weiterbildungen und Qualifikationen besucht hatten. Hier scheint sich die Vermutung aus dem theoretischen Teil zu bestätigen: Es wird generell wenig mit dem Körper gearbeitet, viele Wissensinhalte werden eher kognitiv und weniger interaktiv vermittelt und Themen wie Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Lebensqualität spielen oft nur eine marginale Rolle. 4.1.1
Die Einschätzung von Sport, Gesundheit, Fitness als Weiterbildungsthemen
Die häufigsten Erfahrungen entstammten einem Sport- und Gesundheitstag im Rahmen des DaimlerChrysler-Seminars45.
45
Das DaimlerChrysler-Seminar hat eine langjährige Tradition im Unternehmen. Als einwöchiges Pflichtseminar, stellt es die Basisqualifikation und den Einstieg in die neue Führungsrolle für alle Führungskräfte der Ebene 3 (oberes Management) dar.
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Die Empfindungen dazu waren gemischt. Sehr positiv gewertet wurde dieser Tag unter folgenden Gesichtspunkten: • • • •
Signal der Firma, um die Themen Gesundheit und Sport zu integrieren und der reinen Aufgabenqualifizierung einen Kontrapunkt entgegenzusetzen, Anstoß dafür, dass Führung und gesundes Leben zusammen gehören, Wissensvermittlung aus den Bereichen der Trainingsund Ernährungswissenschaft, Erfahren und Erleben gesunder Verhaltensweisen, die nicht kompliziert sind.
Gleichzeitig stellten einige Befragte den Transfereffekt entschieden in Frage. Es sei ein „ganz netter Tag“ gewesen, damit aber bei den meisten „abgehakt“. Mehr noch, die Transferschwierigkeit wurde innerhalb dieser einen Woche sogar „live“ präsentiert, denn einerseits wurde zur Integration aufgerufen, doch andererseits das Thema Körper auf nur einen Tag geschoben und den Rest der Woche völlig vernachlässigt. Ich finde das total Klasse, wir haben einen Tag reserviert, an dem machen wir Sport! Und ihr erklärt einem, das müsst ihr jeden Tag machen. Schon am nächsten Tag, am Montag ist unser Programm wieder von morgens sieben bis abends neun, da müsste man doch wenigstens mittags Lockerungsübungen machen.
Die Positionierung des Themas Gesundheit empfand man unter diesem Gesichtspunkt als nicht glaubwürdig und überzeugend, sondern vielmehr als eine neue Aufgabe „on the top“, deren Realisierbarkeit bereits im Seminar wieder in Frage gestellt wird. Die Integration und der Transfer in den Alltag war an anderer Stelle weitaus besser gelungen. Einige Führungskräfte assoziierten mit Körper und Lernen zunächst einen Gesundheitscheck, den sie (teilweise mit dem gesamten Team) durchlaufen hatten: „Seit dieser Zeit haben wir neue Ziele und betreiben einmal pro Woche ein gemeinsames Training“, berichtet 235
ein Werksleiter. Der positive Unterschied entstand hier vermutlich durch die direkte persönliche Betroffenheit (die mit konkreten Messungen zum Gesundheits- und Fitnessstatus unterstützt wurde) oder auch durch das Commitment einer ganzen Gruppe zu neuen Zielen. Die Appellfunktion von außen entfällt, denn die Entscheidung aufgrund der medizinischen Daten etwas zu tun, wurde bei vielen als intrinsisch erlebt. Das wiederum liefert ein zusätzliches Gefühl von Freiheit und Entscheidungsspielraum. Im Laufe des Trainings kamen noch ein gewisser Gruppendruck und das Plus neuer informeller Kontakte im Team dazu. Dieser eigenständige Raum, das Entdecken eigener Bedürfnisse wurde auch bei der Fitnesskur geschätzt, die zwei Führungskräfte erst kurz vor den Interviews durchlaufen hatten.46 Das eigene Verhalten, die eigene Lebensweise hinterfragen und sich dabei zunächst nur mit sich selbst beschäftigen zu können, wurde als sehr hilfreich erlebt. Doch auch hier steht dem geschützten Kurrahmen der Alltag gegenüber, in dem der Transfer gefährdet war. 4.1.2
Integration des Körpers in Führungs- und Persönlichkeitstrainings
Einen anderen Zugang zum Thema Lernen und Körper berichteten Führungskräfte, die eine Integration des Körpers vor allem im Rahmen von Führungs- und Persönlichkeitstrainings bzw. Coaching erlebt hatten. Folgende Schwerpunkte standen hier im Mittelpunkt:
46
Diese Kuren gehören zum Standardrepertoire, das der Werksärtzliche Dienst seinen Kunden im Unternehmen anbietet, doch sie werden viel zu wenig genutzt (vgl. geheime Spielregeln).
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• • •
eigenes Tun und Negativmuster über Erfahren und Erleben reflektieren können (beispielsweise in der nonverbalen Kommunikation), die eigene Wirkung als Führungskraft über einfache „Formsachen“ wie Körperhaltung, Gestik, Outfit erleben und integrieren können, eigene Ressourcen über den Körper entdecken.
Diese Maßnahmen wurden auf Grund der Integration verschiedener Lernebenen als ganzheitlich erlebt. Man betonte aber auch die Grenzen einer solchen Herangehensweise. Denn gerade hier braucht es einen geschützten Rahmen. Jetzt ziehen mal alle ihre Schuhe aus und machen so Liegestütz am Boden. Das fand ich super peinlich, denn erstens mal, plötzlich haben Leute, die hatten Stinkefüße, der nächste hat ein Loch im Strumpf und der Dritte war so dick, dass er überhaupt keinen Liegestütz machen konnte, weil selbst mit ausgestreckten Armen lag der Bauch am Boden. Das fand ich superpeinlich, weil ich denke, die Menschen haben grade im betrieblichen Kontext auch ein Schamgefühl, ein sehr ausgeprägtes, und das muss man würdigen. Deshalb würde ich so was nie machen, ohne den Menschen vorher zu sagen, was ich machen will, und ohne auch zu gucken, was ist hier möglich vom Leistungsniveau her.
Wenn das vorhandene Leistungsniveau und die natürliche Intimsphäre bzw. das Schamgefühl in Bezug auf den Körper nicht beachtet werden, dann kann gerade in betrieblichen Kontexten die Integration einer solchen Erfahrung eher Widerstand als Lust auf Mehr hervor rufen. Weniger kritisch wird hingegen die Integration des Körpers über viele kleine erlebnisorientierte Bausteine gesehen, die ebenfalls dem Erleben und Erfahren, doch vor allem der Auflockerung, des Spaßes, Spiels und der Freude dienten. Die kleinen Sachen irgendwie, die hängen jetzt also nicht unbedingt mit Bewegung und so zusammen, son-
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dern die Spiele, die man so in der Gruppe angeht, das bringt meistens mehr als 87 Folien, die man sieht.
Das Zitat zielt vor allem auf kleine „Aha-Erlebnisse“, die eher durch das direkte Tun und die Beteiligung entstehen, als durch rein kognitive Wissensaufnahme. Eine Führungskraft rekonstruierte noch nach drei Jahren mit Begeisterung und Detailtreue das in einem Projektmanagement erlebte Spiel und die damit verbundenen Erfahrungen. Von außen betrachtet scheint es gerade die Emotionalität gewesen zu sein, die dieses Lernen so positiv begleitete und auf Dauer verankerte. Diese Erfahrung bleibt und wenn ich 100 Jahre alt werde, das werde ich nicht vergessen. Den Rest, den die mir erzählt haben, weiß ich zwar nicht mehr, aber das eine, das weiß ich.
4.1.3
Ganzheitliches Lernen über ganzheitliche Lehren
Eine völlig andere Art der Erfahrung von Körper und Lernen entstammte zwei Seminaren zum Thema „Zen und Management“. Hier stand das Gefühl der Ganzheitlichkeit im Mittelpunkt. Eine Ganzheitlichkeit, die durch die Philosophie des Zen entsteht, innerhalb der das Leben nicht fragmentiert, sondern in seiner Ganzheit und mit der Wahrnehmung aller Lebensbereiche und Zusammenhänge betrachtet wird. Eine Ganzheitlichkeit auch, die durch die Praxis des Zen mit den täglichen Meditationen, das Body-Mind-Training sowie verschiedene Rituale (Teezeremonie, feste Zeiten, etc.) gefördert wurde. Prägend war das fernöstliche, holistisch und vernetzt ausgerichtetes Denken. Die Erfahrungen wurden von den Führungskräften als Schlüsselerlebnis für die eigene Persönlichkeitsentwicklung beschrieben. Sie profitierten von ganz basalen Erkenntnissen: „Zusammenhänge auf längere Sicht“, „Hinterfragen und neues Ausrichten der eigenen Einstellung“, „neue Ansichten für den Umgang mit Menschen“, „Lösungsschlüssel für eigene Konflikte“ oder „allgemeine Grundlagen zur Lebensgestaltung“ eben238
so wie von der Meditationspraxis. Sie diente dazu, sich zurückziehen zu können, Ruhe zu finden und Kraft zu tanken. Zen war Erlebnis und Erfahrung. Erlebnis des eigenen Körpers und der eigenen Person in der Meditation, im täglichem Body-Mind-Training, während der Rezitationen, während der Rituale und Zeremonien. Es war weiterhin das Erlebnis der eigenen Person mit einem neuen Blickwinkel, einem Blick für das Schöne des Moments, das Schöne der Natur und das Schöne der eigenen Person. Es war Erlebnis des Austausches zwischen Menschen unterschiedlichen Alters, Austausch familiärer Geschichten, Austausch von mehr oder weniger quälenden Lebensfragen, Austausch auch von Ängsten, aber auch von Erfolgen und Erlebnis des einfachen Miteinanderseins mit Lachen, Albernheiten und Philosophieren.
Diese Erfahrungen erwiesen sich bei den Führungskräften als sehr nachhaltig. Noch heute sei der Alltag immer wieder von den Seminar-Erkenntnissen durchdrungen, indem neue Blickwinkel auf scheinbar Unveränderliches gewonnen werden und einige die Zen-Praxis fortsetzen. Zen sei durch die Meditation sowie die Philosophie zu einer Ressource geworden, mit der man den Anforderungen des Führungsalltags gut begegnen könne.
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Handlungsbedarf, Wege und Maßnahmen zur Sicherung von Leistungsfähigkeit und Gesundheit Welcher Handlungs und Veränderungsbedarf zur Sicherung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit wird von den Führungskräften definiert?
Bestandsaufnahme zu individuellen und kollektiven Mustern im Umgang mit dem Körper muss unvollständig bleiben, wenn lediglich die aktuelle Situation, jedoch nicht der sich daraus 239
ergebende Veränderungsbedarf erfasst wird. Eine Form der bewussten Ressourcennutzung und des unternehmerischen Wissensmanagements besteht im Aufgreifen bereits bestehender Erfahrungen, in der Wertschätzung der Führungskräfte als Experten für sich und ihr eigenes Umfeld. Die qualitativen Interviews eignen sich hierfür besonders. Die Antworten der Führungskräfte waren so zahlreich und elaboriert, dass hier in der Tat von Wissensmanagement gesprochen werden kann, was einmal mehr die Theorie des „tacit knowledge“ – des einer Organisation impliziten, doch häufig ungenutzten Wissens bestätigt. Die Antworten legten den Schluss nahe, dass sich im Unternehmen auch zu den Bereichen Gesundheits- und Leistungsmanagement ein hohes Wissen befindet, welches allerdings nur eingeschränkt genutzt wird. Das Ergebnis, dass sich hier zeigt, ähnelt sehr dem der individuellen Ebene: „Wir wissen zwar was uns gut tut, aber können es bzw. nutzen es nicht.“ Ein Großteil der Antworten wurde im Konjunktiv formuliert: „Man müsste, ich würde mir wünschen, man sollte, es geht nur, wenn ...“, etc. Das Denken scheint schon längst auf dem Weg zu sein, der Mensch in seinem Tun eher im Einzelfall. Dabei zeigen die bisherigen Ergebnisse, wie auch die Antworten in diesem Abschnitt, dass es sich nicht nur um kleine Schritte handeln kann und soll, sondern dass es vielmehr um ein grundsätzliches Überdenken der Paradigmen und Unternehmensstrategie gehen muss. Zu Beginn möchte ich folgende Thesen formulieren: ¾
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Die Führungskräfte besitzen ein sehr umfangreiches Wissen über Bedarf, Möglichkeiten und Wege zur positiven Veränderungen der Gesundheit, Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens im Unternehmen. Der Körper symbolisiert hierbei eine wichtige Ebene, an der sich die aktuelle Situation teilweise manifestiert („Der Körper ist nicht mehr in der Lage, die Dauerlast zu tragen."), doch im Zentrum steht ein Handlungsbedarf auf übergeordneten Ebenen wie der Organisations- bzw. Führungskultur.
¾
Dieser Handlungsbedarf steht nicht in einem Gegensatz zur generellen Leistungsbereitschaft und zum Bekenntnis, einen Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten, sondern propagiert neue Wege der Praxis im Unternehmen. Also wir wollen ja alle etwas leisten, wir sind gewillt und die Firma sollte da eher dazu beitragen, dass wir möglichst lange Leistung bringen. Denn wer körperlich nicht mehr fit ist, das siehst du, der ist auch geistig frustriert, der ist geistig abgeschlafft!
5.1
Der Wunsch für die Zukunft
Mit dem Blick auf mehr Lebensqualität wurde in den Interviews zunächst nach einem Wunsch für die Zukunft gefragt. Als spannend erwies sich, dass der meist geäußerte Wunsch im Wesentlichen von äußeren Faktoren abhängt und deshalb gleichzeitig als unrealistisch eingeschätzt bzw. für die Zeit des Ruhestandes aufgehoben wird: „Weniger Arbeit und mehr Zeit“! Angesichts der hohen Wertigkeit von Selbstverwirklichung und Anerkennung durch die Arbeit, von „Ruhm und Ehre“, auch von einem gewissen materiellen Status kann man sich natürlich fragen, ob dieser Wunsch überhaupt glaubwürdig ist. Könnte es nicht auch eine dieser „Klage-Platitüden“ sein, um zu signalisieren, dass es an Arbeit genug ist und mehr Eigenzeit erwünscht ist, dies jedoch nicht auf Kosten der Anerkennung gehen darf? Wohin mit der ganzen Leidenschaft für die Arbeit, mit den eigenen Ansprüchen an die finanzielle Freiheit, mit der Erfüllung durch den Erfolg? Braucht es nicht ganz andere Werte, Ziele und Lebensentwürfe, um diesen Wunsch tatsächlich leben zu können? Wie bedrohlich die damit verbundenen Verluste von (auch materieller) Anerkennung und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung empfunden werden können, wurde in einem Fall deutlich, in dem die Option einer beruflichen Veränderung 241
zugunsten mehr Zeit und weniger Arbeit zur Debatte stand: „Was mache ich dann wohl? Die viele freie Zeit werde ich, wie ich mich kenne, unweigerlich wieder in irgendeine Aktivität stecken. Dann mache ich doch potenziell mehr vom Selben.“ Hier liegt die Vermutung nahe, dass dort, wo der eigene Lebensentwurf eindeutig auf berufliche Selbstverwirklichung und Anerkennung ausgerichtet ist, eine Veränderung der Rahmenbedingungen (Senkung der Arbeitszeit, Erhöhung der Freizeit, Verringerung der Aufgaben) kaum die Lebensqualität ändert, denn Selbstverwirklichung ist hier Lebensqualität. Bei den meisten führte die Frage nach einem Wunsch für mehr Lebensqualität zu einer ganz einfachen Kosten-NutzenAnalyse: Was ist das persönliche Lebensziel? Welche Kosten werden dafür auch zukünftig in Kauf genommen? Dennoch bleibt das Bestreben bestehen, die eigenen Kosten, vor allem im Bereich der Gesundheit, der sozialen Lebensqualität und der eigenen Freiheit zu minimieren. Kostenreduktion also nicht nur im Unternehmen, sondern auch im individuellen Leben. Denn zu hohe Kosten drängen nicht nur einen Konzern, sich von bestimmten Abteilungen zu trennen (Outsourcing), sondern zwingen möglicherweise auch den Einzelnen zu Lösungen, die im (für die Firma) ungünstigsten Fall mit innerer Kündigung, mit Ausstieg oder Karriereverweigerung enden. Um dieses für beide Seiten unbefriedigende „Entweder-Oder“ zu vermeiden, wird von den Führungskräften gemeinsam mit dem Unternehmen ein ausgleichender Lösungsweg gesucht: ein Ausgleich zwischen Geben und Nehmen, eine Balance zwischen Eingliederung und Freiheit sowie zwischen Leistung und Regeneration. Grundlegendes Ziel ist die Gestaltung einer positiven Kultur, um gesund zu bleiben und Lebensqualität zu haben, sowie effektiv und leistungsfähig zu den Unternehmenszielen beitragen zu können. In den nachfolgenden Abschnitten geht es um die konkreten Handlungsansätze. 242
5.2
Handlungsbedarf auf individueller und organisationaler Ebene
5.2.1
Strategische Ziele und Unternehmensgrundsätze
Knapp die Hälfte der befragten Führungskräfte sehen in einer grundlegenden Neuausrichtung der Unternehmensstrategie die Basis für alle weiteren Maßnahmen und Veränderungsansätze. Aufgrund der momentanen Situation im Unternehmen scheinen Ihnen folgende Punkte als notwendige Ergänzungen der Unternehmensstrategie: •
•
•
5.2.2
Das Thema Gesundheit sollte gleichwertig zu anderen Themen in der Unternehmensstrategie verankert sein und so mit einer erhöhten Wertigkeit in die Unternehmenskultur eingehen. Gesamtunternehmerisch soll der langfristige Erhalt bzw. die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und nicht deren Austauschbarkeit im Vordergrund stehen. „Top performance needs top balance!“: Grundlage für den dauerhaften Erhalt bzw. die Steigerung der Leistungsfähigkeit ist die körperliche, seelische und soziale Gesundheit der Mitarbeiter. Kulturveränderung: operative Stellhebel für Veränderungen, Ziele und Maßnahmen
Die Führungskräfte waren sich einig, dass im Mittelpunkt des Handlungsbedarfs nicht einzelne Maßnahmen stehen, sondern eine Veränderung der gelebten Unternehmenskultur und Systemlogiken. Ausgangspunkt der Überlegungen für Veränderungen der Unternehmenskultur war einerseits das tägliche Negativerleben: zunehmende Belastungen, abnehmende Produktivität und steigende Konflikte in der Vereinbarung von Arbeit und Privatleben, andererseits das positive Erleben durch ein geändertes Verhalten, das nach mehr verlangt, mit dem man 243
jedoch noch Außenseiter ist und bei der Durchsetzung immer wieder an Grenzen stößt. Drei wesentliche Denkrichtungen für eine kulturelle Veränderung konnten in den Antworten identifiziert werden: • • •
„bottom up“ - eine langsame und informelle Kulturbeeinflussung über das Verhalten der einzelnen Führungskräfte und Mitarbeiter, „top down“ - eine Beeinflussung über Leitbild, unternehmerische Maßnahmen und das Vorbildverhalten des Top-Managements, ganzheitliche und „gesunde“ Führung als das verbindende und alltagswirksame Thema zur Kulturprägung.
Wenngleich sich die Ansätze wechselseitig bedingen und gerade in ihrer Kombination wirksam sind, sollen sie im Folgenden zur besseren Übersicht getrennt dargestellt werden. Kulturveränderung bzw. -beeinflussung „bottom up“ Wenn man einen Stein ins Wasser wirft, dann kommen dann Wellen, und ich hoffe, dass diese Wellen dann immer aufeinander treffen und dann kommt es dann zu einer Veränderung, aber eine langsame.
Das Zitat beschreibt einen Veränderungsansatz, der direkt am individuellen Handlungsbedarf der Führungskräfte ansetzt. Er schließt Veränderungen der eigenen Person gleichermaßen ein, wie die Verantwortung, auch die Mitarbeiter zu Veränderungen zu sensibilisieren und zu motivieren. In der Summe erhofft man sich eine Beeinflussung der Kultur über den „informellen“ Weg. Die Motive für diesen Weg sind unterschiedlich: einerseits glauben viele an die sogenannten Multiplikatorwirkungen, die im obigen Zitat beschrieben sind, andererseits werden Veränderungen des Umfeldes als unrealistisch erklärt, weshalb der einzige Weg der persönliche sei. Wir werden diesen enormen Druck von Positionen, von Jobs, letztendlich nicht im Wesentlichen verändern können. Ich halte es auch für den falschen Ansatz, als
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Führungskraft gewissermaßen zu versuchen, insgesamt, ich sage mal, seine Umgebung zu ändern. Das wird nicht funktionieren, das kann nicht funktionieren. Ich glaube, die einzige Chance, die man in diesem Spiel hat, dass jeder für sich, ich sage mal, diesen Punkt finden muss, wo es für ihn noch tragfähig ist. Es wird nie ein Optimum sein, es wird nie eine ausgeglichene Balance sein, das kann nicht funktionieren, die Balance kann nicht ausgeglichen sein nach meinem Dafürhalten heute. Aber es muss eine Balance sein, die auf Sicht tragfähig ist, d. h., die wirklich Körper, Seele, Geist nicht ruiniert oder eine der Dimensionen vernachlässigt.
Wo liegt der individuelle Handlungsbedarf, welche Ziele erachten die Führungskräfte für die eigene Person bzw. für Kollegen als sinnvoll und welche Maßnahmen werden dafür vorgeschlagen? Veränderungsziele im Verhalten des Einzelnen: Stärkung eigener Kompetenzen mit den Zielen: • hin zu mehr psychischer und physischer Flexibilität und Beweglichkeit • hin zu erhöhter innerer Stabilität und Ausgeglichenheit • hin zu stärkerer Abgrenzung und dem Leben von Freiräumen eine individuell tragfähige Lebensorganisation finden ein „Sowohl – als auch“ basierend auf der Erkenntnis, dass emotionale Erlebnisräume mit Frau, Mann, Kind, Freunden die Grundlagen der eigenen Stärke sind eine neue Lebensqualität verstärkt in den Alltag integrieren (Was tue ich gerne für mich? Wo schaue ich nach mir?) • eine höhere Achtsamkeit leben • Körper, Seele und Geist bewusst integrieren und ausgleichen • Selbstverantwortung für sich und die eigene Lebensqualität übernehmen eine Vorbildfunktion für das eigene Team, den Bereich übernehmen
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Maßnahmen zur Verhaltensänderung für den Einzelnen - "Mit Integrität und Integration überzeugen" • • • • • • • • • • •
aktiver Ausgleich durch Bewegung mit den als sehr wohltuend empfundenen Auswirkungen ein verstärktes Hinwenden auf die eigenen Körpersignale und Bedürfnisse („Mehr auf das hören, was mein Bauch will, was wirklich meinen Körper ausmacht“) die Freiheiten und Rahmenbedingungen bzw. Maßnahmen des Unternehmens wirklich ausschöpfen (beispielsweise Kuren, Programme) den Alltag mit mehr Wohlbefinden gestalten: Auszeiten tagsüber nehmen (beispielsweise 1,5 h Mittagspause als Möglichkeit zur Entspannung oder zum Sport nutzen) Bewegungspausen integrieren (in Meetings, im Büro etc.) gesunde Rahmenbedingungen bei Besprechungen (ausreichend Getränke, Obst) „Beziehungskapital“ im Team als Basis für Wohlbefinden nutzen Loslassen und keinen eigenen Druck erzeugen Grenzen ernst nehmen und akzeptieren durch mehr Achtsamkeit Zugang zu emotionalen Erlebnisräumen verschaffen
Die Umsetzung der Verhaltensziele beginnt bei individuell erprobten Wegen für mehr Lebensqualität. Insgesamt will man mit ihrer Hilfe den Beweis führen und mit Überzeugung präsentieren, dass Leistung, Loyalität und gesundheitsbewusstes Verhalten miteinander kombinierbar sind. Die Mehrzahl der Führungskräfte erwartet nicht, dass sich die äußeren Rahmenbedingungen (wie z.B. Arbeitszeiten und Anforderungen) ändern werden. Es geht vielmehr um eine individuell tragfähige Art, innerhalb der gegebenen Bedingungen zu überleben und damit gleichzeitig Andere zu ermutigen. Und dann muss ich gucken, auf welchen Feldern und wie kann ich hier wirklich, ich sage mal, tatsächlich ein Erleben, ein emotionales Erleben ermöglichen. Im Prinzip geht es ja nur um emotionale Erlebnisräume, um nichts anderes. Überall sind es nur emotionale Erlebnisräume. Und diese emotionalen Erlebnisräume, die muss ich gezielt machen. Um zu überleben,
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brauchst du diese Räume, es geht gar nicht anders. Du gehst irgendwann am Stock, und du musst was tun, damit du dir diese Erlebnisräume, dass die auch für dich offen bleiben, dass du Zugang zu diesen Erlebnisräumen findest. Und diesen Zugang musst du aktiv gestalten. Der eine hat den Weg und der andere den Weg. Wenn in diesen Erlebnisräumen, aber plus – minus, regelmäßig was passiert, dann ist die Chance, dass sie, ich sage mal, diesen Kampf einigermaßen heil überstehen, vergleichsweise groß, keine Garantie, vergleichsweise groß.
Jede Maßnahme ist nur so gut wie ihre Umsetzung. Hier waren sich die Führungskräfte einig, dass dies nur auf der Grundlage von zieldienlichen Einstellungen erfolgen kann. Es ist relativ einfach. Es muss einem was wert sein, so simpel ist. Das ist, und priorisieren heißt nur, seine Werteordnung zu sortieren. // Und ich glaube, das muss man begreifen: Was willst du nicht verlieren? Und wo stehst du da, und was braucht es, und was glaubst du, was wichtig ist? Und dann haben Sie auch die Prioritäten. Nur dann geht es. Wenn ich nicht weiß, was es, wenn ich nicht eine Vorstellung habe, was ich nicht verlieren kann, ich glaube, kann ich auch keine Prioritäten setzen. Veränderungsziele im Bereich der Einstellungen des Einzelnen: Klarheit über eigene Werte, Ziele, Prioritäten bzgl. Beruf, Familie, eigene Person („ein ehrliches inneres Ja, zu dem, was man tut“) Stärkung der inneren Unabhängigkeit • („um zu sagen, dass muss ich einfach nicht mehr haben, das tut mir wirklich nicht gut und deshalb mache ich das auch nicht; eigene Werte trotz Unannehmlichkeiten durchsetzen; konsequente eigene Linie verfolgen“) Klarheit über persönliche Limits • (Preise, die nicht gezahlt - Opfer, die nicht gebracht würden) („Was ist es mir wert?“) sich selbst in der Rolle des „change agent“ sehen (Wissen teilen und Vorleben)
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Maßnahmen zur Einstellungsänderung - „Reflexion, Strategie und der Glaube, dass viel möglich ist“ • • • • • • •
Raum und Möglichkeit nehmen zum bewussten Reflektieren der eigenen Lebenssituation „Zugang zu sich und den Dingen finden“ (sowohl privat wie im Unternehmen mit Anderen gemeinsam) Anerkennung der privaten und unternehmerischen Realitäten Aufmerksamkeit auf alle Lebensbereiche richten Strategien der Vereinbarkeit suchen und entwickeln Quellen für den eigenen Antrieb heraus finden Glaube an Freiraum und Veränderung – Zwänge von außen nicht als unumstößlich akzeptieren, sondern als Chance, sie zu umgehen bzw. zu nutzen.
Ja, es ist, mag ja schon sein, du hast Zwänge, aber trotzdem guck mal, wo kannst du was ändern. Wenn es dir nicht gefällt, guck, wie kannst du es ändern.."
Bei den Ansätzen und Zielen auf der individuellen Seite geht es hauptsächlich darum, den eigenen, ganz individuellen Weg finden. Das wird nicht nur angeraten, sondern sogar als Verpflichtung an die Kollegen auferlegt. So, und noch einmal, was da wichtig ist, glaube ich, ist, dass jeder für sich selber, für sich selber den Weg findet, der für ihn und seine Gesundheit der richtige ist. Und ich würde da ein Stück weit auch eine Verpflichtung auferlegen wollen, also dass sich jeder selber im Klaren darüber wird, was eigentlich die Situation ist, in der er am besten klar kommt.
Starkes Gewicht wird auf die kulturelle und organisatorische Akzeptanz solcher Einstellungen und Verhaltensweisen gelegt. Genauer gesagt, es wird die Akzeptanz und Unterstützung der Rahmenbedingungen durch das Top-Management und der Unternehmensspitze eingefordert, um Legitimationen 248
und Unterstützung für das eigene Verhalten zu erhalten, um nicht neuen Konflikten ausgesetzt zu sein. Wenn das Unternehmen das wünscht, wäre ich sehr gerne dabei, aber ich kann es nicht gegen das Unternehmen machen. Und das Unternehmen müsste eine Investition leisten.
Kulturveränderung und -beeinflussung „top down“ An erster Stelle steht der Ruf nach und der Beweis eines Commitments des Unternehmens zum Thema Gesundheit: ein strategisch verankertes Bekenntnis zur Wichtigkeit des Themas einerseits und das direkte Vorleben durch das TopManagement andererseits zu entwickeln und zu leben. Die Zitate zeigen, dass über die offizielle Verankerung des Thema Gesundheit in der Strategie eine Normveränderung angestrebt wird, die einzig und allein durch das Verhalten der oberen Führungskräfte, der „Mächtigen“, zu prägen sei. Denn ein Thema sei immer dann erfolgreich,: „Weil der oberste Vorturner diese Worte in den Mund genommen hat und plötzlich, hoppla, dieses Wort muss man kennen, ja, und das löst meistens Reaktionen aus.“ Für das „Vorleben von oben“ werden zahlreiche Vorschläge gemacht: Ich behaupte mal, wenn mal in einer Headline oder in diesen Zeitschriften, die wir hier haben, mal nicht nur einmal, sondern mehrfach stehen würde, dass der Board of Managers jedes Mal, wenn sie eine Sitzung haben, ich bin spinne mal...mal erst mal zehn Minuten joggt und dann Rad fährt und dann sonst noch was macht. Und zwischen, mittags gehen sie immer schwimmen und abends dürfen die boxen oder so, dann hätte das viel, viel mehr, einen höheren Stellenwert in so einem Unternehmen, als wenn jetzt irgendeine Gruppe Meister aus dem Rohbau in Sindelfingen mal ein bisschen kickt. Ja, indem das Top-Management oder Vorstände das immer wieder mal hochziehen und sagen: Also wir ha-
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ben uns mal hier auf dem letzten Top-ManagementMeeting von Experten begutachten lassen, wie wir 150 Leute dastehen - Beispiel, und wir mussten uns sagen lassen, dass das Bild jämmerlich aussieht oder so. Und im nächsten Jahr, wenn wir das Meeting wieder haben und ist dort wieder ein Experte, da wäre es sehr gelegen, wenn der ein besseres Feedback über unseren Zustand geben würde, so was. Weil wenn sie Kultur verändern wollen, dann ist das nach meiner Einschätzung möglich durch das Leitbild und durch Vorleben wirklich und das geht nur von oben, weil in dem Moment, wo das akzeptiert ist, hier mal meinetwegen auch um fünf zu gehen, auch den Leuten zu sagen, wisst ihr was, ich brauche einfach jetzt mal eine Auszeit oder ich mache jetzt einfach mal oder ich gehe jetzt heute abend mal mit, was weiß ich, ich gehe jetzt laufen oder ich gehe jetzt spazieren. In dem Moment traut sich ein Mitarbeiter zu sagen, wissen Sie was, und heute mache ich das mal. Wenn das der Chef macht, ist das kulturprägend, weil der macht das Gehalt. Aufmerksamkeit für das Thema Gesundheit (Managementattention) mit folgenden Maßnahmen: •
Vorleben durch das Top-Management (das Thema hoffähig machen die richtige Symbolik vermitteln und so eine Umsetzung nach unten ermöglichen
•
250
Kollektive Sensibilisierung und Bewusstsein für die Themen Gesundheit, Work-Life-Balance, Lebensqualität schaffen, mit folgenden Maßnahmen: Thema immer wieder positionieren im Großen wie im Kleinen Impulsgeber nutzen Werksärztlicher Dienst, Personalbereich • Weiterbildung die Argumentationen liefern, mit Fakten und Zahlen aufklären • Integration in Bereichsentwicklungen, Teamsitzungen • Raum und Möglichkeiten schaffen zur Reflexion und Bewusstwerdung der Dynamiken und der individuellen Anteile an der Aufrechterhaltung einer ungesunden Kultur Lernen und Körper verbinden • Integration in Bildungsmaßnahmen (beispielsweise Persönlichkeitsentwicklung, Teamentwicklungen) immer mit dem Ziel: fit sein, beweglich bleiben sowie Erleben und Erfahren zu kombinieren • „Spaß statt Hochleistungssport“ – kreative, außergewöhnliche, attraktive Inhalte und Möglichkeiten der Integration von Körper und Gesundheit gerade in „einseitigen Kursen“ nutzen • Abteilungswettkämpfe – Spaß, Kennen lernen, besseres Verhältnis und Motivation füreinander zu arbeiten
Die Schaffung einer weitläufigen Sensibilität für das Thema Gesundheit und damit verbunden auch einer Bewusstheit für den Umgang mit dem eigenen Körper, für die persönliche Work-Life-Balance wird von einem Großteil der Führungskräfte als sehr wesentlich erachtet. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst die Enttabuisierung des gesamten Themenbereiches: Was tun wir? Wie tun wir es? Welche Konsequenzen hat das in Bezug auf unsere psychisch-physische Gesundheit, unsere Leistungsfähigkeit und Lebensqualität? „Das Thema muss erst mal diskutierbar werden“, sagt eine Führungskraft. Danach könne man leichter nach Wegen und Lösungen suchen. Und es ist für, jetzt ist die Frage, ich glaube, die Frage ist einmal, dass man Führungskräften hilft, ich sage mal einfach, oder Raum gibt, wo sie ganz generell bewusster über ihre Lebenssituation in einem geschützten Raum reflektieren können, wo dieses, diese Unkul-
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tur enttabuisiert thematisiert werden kann. Das ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig. Und es erleichtert, entlastet unglaublich, sich einfach wiederzufinden in Gesprächen anderer und sagen: Mensch, tatsächlich, der hat ja das gleiche Unvereinbarkeits-, oder vermeintliche Unvereinbarkeitsproblem. Und dann noch Strategien der Vereinbarkeit suchen unter Anerkenntnis der Realitäten, und zu sagen: Was brauchst du in deinem Leben?
Zunächst brauche es aber Raum, um die Probleme zu teilen und entlastend festzustellen, dass es kein persönliches Versagen ist, wenn Arbeit und Privatleben nicht vereinbar sind, sondern dass es anderen ähnlich geht. Erst in einem zweiten Schritt können die Zusammenhänge, die Dynamiken und die eigenen Beiträge zu dieser Situation herausgearbeitet werden. Wie lebst Du? Was mutest Du Dir zu? Was mutest Du Deiner Familie, Deinem Körper zu? Welches Pensum? Wie gehst Du mit Deinem Energiehaushalt um? Wie sieht Deine Organisation am Arbeitsplatz aus? Wie ist Dein Zeitmanagement? Wo liegen dabei eigene Verhaltensanteile, wo Anteile von anderen? Gesundheit und Work-Life-Balance als Werte kulturell sichtbar machen, mit folgenden Maßnahmen: grundlegende Rahmenbedingungen von Unternehmensseite dafür bereit stellen: • Timings darauf ausrichten, dass beispielsweise Sport in den Alltag integriert werden kann – Akzeptanz von Mittagssport • umgekehrt Sportzeiten auch an den Arbeitszeiten der Führungskräfte ausrichten (erst ab 19.30 Uhr Angebote) • Arbeitszeiten senken und Wirkungsgrad erhöhen • Arbeitszeiten flexibler und offener gestalten (beispielsweise einen allgemeinen Tag ohne Termine ab 17.00 Uhr; flexible Arbeitszeitmodelle, Telearbeit fördern)
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Allgemeine Flexibilisierung – Handlungsspielraum, Gestaltungsmöglichkeiten und Selbstorganisation zulassen • stärkerer Einbezug von Familie und Partnerschaft durch den Konzern (Erfahrungsaustausch mit Familien flächendeckend institutionalisieren; Frauen an den Erlebnis- und Erfahrenswelten der Männer teilhaben lassen; die Firma aus der „Feindrolle“ in den Köpfen der Frauen rausholen und für neue Perspektiven sorgen)
Bei diesen Punkten geht es vor allem darum, eine Unterstützung von Seiten des Unternehmens zu erhalten. Die Rahmenbedingungen müssen erleichtert und flexibler gestaltet werden, so dass ein strategisches Ziel in Richtung Gesundheitsförderung und Lebensqualität realistisch umgesetzt werden kann. Die Befragten kamen immer wieder auf das Thema Arbeitszeit zu sprechen. Es war aber deutlich, dass es nicht grundsätzlich um eine Kürzung der Arbeitszeiten geht, sondern vielmehr um eine Flexibilisierung. Glaubwürdigkeit und Wichtigkeit des Themas mit folgenden Maßnahmen beweisen: „Wer nichts macht, ist die Ausnahme“: • Überschriften mit Inhalt füllen • Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit auflösen • Effizienzgrenze des Unternehmens kritisch prüfen (Wie viel geht noch? Wo sind wirklich schon Grenzen? Beispielsweise Videokonferenzen statt Flüge; ein Ruhetag nach langen Flügen) • Interessierte und Gesundheitsbewusste belohnen (Incentives in verschiedener Form beispielsweise Spezialtarife für Fitnessstudio, Weiterbildung) • Kuren und Vorsorgethemen konsequent kontrollieren • Zielvereinbarungen bzw. Verpflichtungen auch im Bereich Leistungsfähigkeit einführen (Pflichtenhefte bei Bewegung und Sport; Gesundheitspass; Integration in Führungskräftezielvereinbarung)
Zum Thema Glaubwürdigkeit soll auf eine Maßnahme hingewiesen werden, die in den Interviews Anlass zu ernsthaften Äußerungen war: die kritische Überprüfung der Anforderungen, des gewünschten Solls. Wo sind unverrückbare Gren253
zen? Wie weit kann Effizienz noch getrieben werden oder wo treiben wir uns als Unternehmen allesamt in den Untergang? Die Unterhaltungen diesbezüglich wurden häufig hinter vorgehaltener Hand geführt. Wie schon vorher herausgestellt, sind sich die Führungskräfte einig, dass ein sehr hohes Maß an Eigenverantwortung für die Gesundheit notwendig ist. Im selben Atemzug werden jedoch Bedenken und Zweifel geäußert, ob die Selbstverantwortung noch ausreicht, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben oder ob die Anforderungen zum Teil derart steigen, dass die Selbstverantwortung in einer Verweigerung bestimmter Aufgaben enden muss. Deshalb wird das Unternehmen unmissverständlich aufgefordert, eine kritische Prüfung der Ziele, Anforderungen und zur Verfügung gestellten Ressourcen auf „gesunde“ Machbarkeit vorzunehmen. Ich denke schon, dass man irgendwann mal drauf gucken muss, wie packen das die Leute dauerhaft oder wo sind Grenzen, die nicht mehr zu verschieben sind? Gerade im oberen Management, wo ständig Reisen und Flüge dazu kommen.
Wie vorsichtig und mit welcher eingeschränkten Zuversicht diese Forderung angebracht wird, zeigt sich an der Sprachwahl: „man“, „irgendwann mal“. Die Zweifel bleiben bestehen.
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Gesunde Arbeitskultur auf breiter Ebene ansteuern, mit folgenden Maßnahmen: • •
• • • • • • • • •
Ressourcen stärken und kritikfähig bleiben, „nicht gegen die Leute arbeiten, sondern auch sehen und schätzen, dass die Leute doch eigentlich sehr zufrieden sind“ integrative Maßnahmen und ganzheitliche Konzepte der Personalentwicklung einführen (z. B. ältere Mitarbeiter fördern, Vermittlung von Fähigkeiten zum Umgang mit hohen Belastungen in den Führungsnachwuchsprogrammen und Ausbildungen beispielsweise Azubisport) Recruitingmechanismen prüfen – bei der Auswahl ernsthaften Wert auf Familie, Reflektiertheit und Gesamtwirkung legen Aufbau einer personenorientierten und gesunden Führungskultur neue Dimensionen in die Führungskräftebeurteilung einschließen (beispielsweise Gesamtwirkung und allgemeine Belastbarkeit, Stresscoping) Effizienz in der Führung steigern, Mitarbeiter ihren Potenzialen entsprechend einsetzen Investitionen für einen „gesunden“ Umgang miteinander im Arbeitsalltag bereichsübergreifende Kooperation anstelle von Abschotten und Bereichsegoismen Koordination und Synergie anstelle von Aktionismus und Kontraproduktivität Wertschätzung und gegenseitige Anerkennung anstelle von Ressentiments Vertrauen und Offenheit , Investitionen auf der Beziehungsebene
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Dieses Wohlbefinden kann ja nicht darauf hinauslaufen, dass man hier jedem so einen Wellnessbereich da zur Verfügung stellt, sondern ich denke einfach, Arbeit hat irgendwo auch was mit Anstrengung und vielleicht auch Unwohlsein zu tun, dafür werden wir bezahlt, unangenehme Dinge zu machen. Aber Wohlbefinden ist für mich ein generell anderer Umgang miteinander, gewissermaßen die Prävention, dass wir so viel Ausgleich dann gar nicht mehr brauchen, weil der Stress auch geringer wird.
Dieser Interviewpartner spricht die Gestaltung einer grundsätzlichen Basis für Gesundheit und Wohlbefinden an. Hier geht es um ein „gesundes“ Miteinander, das vor allem auch im übertragenen Sinne (Kooperation, Vertrauen, Offenheit) für soziale Gesundheit sorgen kann. Kulturveränderung und -beeinflussung über Führung Ich glaube, wir müssten parallel dazu in einer gleichwertigen Art dieses, den guten Umgang mit dem guten Menschen, mit dem Mitarbeiter mit der guten Führungskraft schulen, qualifizieren.
Führung wird als das Bindeglied zwischen Organisation und Person und gleichzeitig als mögliche Veränderungsschnittstelle für Kultur beschrieben. So gesehen, erachten es die Führungskräfte als notwendig, auch ihr eigenes Führungsverständnis und das Verständnis des Unternehmens von Führung kritisch zu prüfen. Der Tenor lautet: Führung zunächst gedanklich und dann praktisch erweitern, neue Wahrnehmungsebenen einblenden und die eigene Verantwortung neu überprüfen. Auch hier geht es wieder um Loslassen, Zulassen und mehr Freiheit lassen, für sich und die Mitarbeiter: ¾
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Die Steuerung der Effizienz erfolgt nicht vorrangig über „Verheizen“, sondern über Qualifizierung und bewussten Einsatz der Potentiale der Mitarbeiter (Personalauswahl und -einsatz).
¾ ¾ ¾
Wir brauchen Top-Führungskräfte. Top-Führungskräfte hingegen sind nur gut, wenn sie körperlich und seelisch gesund sind. „Top performance needs top balance“. Wir brauchen Persönlichkeiten und das hat nicht nur mit Werten zu tun, sondern auch mit der Gesamtwirkung über den Körper. Berufsmanagement ist auch Körpermanagement und das der privaten Lebensgestaltung, denn der Job mit diesen Anforderungen ist nur machbar, wenn die Energie erhalten bleibt. Wir wollen eine Leistung, wir wollen eine hohe Leistung, wir wollen aber auch Führungskräfte und Mitarbeiter, die körperlich und seelisch auch, dass es denen gut geht. Und dass es denen gut geht, heißt auch, dass die ein intaktes Familienleben oder Beziehung pflegen können, dass die Zeit haben für ihre Kinder, dass die noch Zeit haben für ihre Hobbys und dass die nicht nur arbeiten. Ich behaupte mal, Menschen, die nur arbeiten, sind auf Dauer nicht gut. Sie brauchen diese anderen Wellen, um im Job, im Beruf wieder gut zu sein.
¾
Top performance ist Selbstverantwortung und Verantwortung für andere. Und genauso ist es in meinem Job, ich kann mich nicht selbst darnieder richten, jeden Abend, was weiß ich, einen schütten gehen und nie schlafen, vielleicht auch zu viel arbeiten, und dann irgendwann erwarten, dass die Company dafür sorgt, dass es wieder anders ist. Irgendwann hört der Auftrag der Company auf, dafür zu sorgen, dass die Menschen fit sind. Ich erwarte, dass jemand fit erscheint. Wenn einer in der Produktion kommt und hat am Abend so gesoffen, dass er noch am Morgen nach Alkohol riecht, dann hat der ein Problem.
¾
Top performance ist Bewusstheit und diszipliniertes Haushalten. 257
Wissen Sie, ich glaube, die Führungskraft, die sich körperlich nicht im Griff hat, d.h. also diejenigen, die nicht sagen können, jetzt mache ich Sport, weil das tut mir gut und ich brauche das, die sind auch als Führungskraft nicht geeignet, weil je mehr Verantwortung so eine Führungskraft hat, umso mehr kommt der Impuls von einem selbst. Man muss ja dann der Selbsttreiber sein und wird nicht getrieben. Eine Führungskraft, die sich nicht selbst helfen kann, ist keine Führungskraft.
¾
Top performance braucht ganzheitliche Führungsparadigmen. Ganzheit im wortwörtlichen Sinne als Integration von Kognition, Gefühl, Körper und Verhalten – sowie Ganzheit im Sinne von „gesamt“ (die gesamte Wirkung) einer Führungskraft.
Diese Prämissen dürften nichts Neues sein, zumindest nichts Neues in Bezug auf das, was seit Jahren in den Unternehmen propagiert wird. Der noch immer bestehende Bedarf verweist jedoch darauf, dass diese Paradigmen in der Praxis bisher zu wenig Akzeptanz gefunden haben. Dabei scheint der erste und wichtigste Schritt die Umwertung von Verhaltensweisen zu sein. Ein Beispiel für eine solche Umwertung wäre, dass ein Bekenntnis zum Ausgleich nicht gleich den Verrat am Unternehmen bedeutet. Denn: Wenn der Mensch mit sich im Reinen ist, dann kriegt er auch die beste Performance und dann kann er auch am meisten bewegen und dann kommt auch Geld in die Kasse!
258
Gesundheit und Lebensqualität über eigene Vorbildwirkung und Bewertungsmaßstäbe in die Führung einbeziehen, mit folgenden Maßnahmen: • • • • • • • •
Gesundheit über die eigene Haltung hoffähig machen und zur deutlichen Norm erheben „d.h. da muss man mitmachen, sonst ist man out, gesellschaftlich out“. eigene Wertigkeiten verdeutlichen (beispielsweise Wert auf Gesundheitsbewusstsein und Eigenverantwortung) eigene Bewertungsmaßstäbe verdeutlichen (Beispielsweise Bewertung nach Zielen und selbstverantwortlichem Handeln, aber nicht nach Arbeitszeit) Authentizität, Überzeugung, Glaubwürdigkeit Führungsverantwortung auch auf den Gebieten Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität wahrnehmen Rituale einrichten, die Wohlbefinden im Team erhöhen Zeit für sich selbst einfordern und für Mitarbeiter einräumen bessere Wahrnehmung und Förderung der Potenziale der Mitarbeiter
Mehr Gespür und Bewusstheit für die Gesamtwirkung als Führungskraft entwickeln, mit folgenden Maßnahmen: • •
•
den Körper unter diesem Aspekt kennen lernen und beachten Training der Außenwirkung (Rhetorik, Präsentation, emotionale Intelligenz, Authentizität, Kontakt zu sich) für Nachwuchskräfte als Grundlage, später als Aufbau und „DeluxeVariante“ durch ressourcenorientiertes Coaching mehr Wirkung erzielen Also da werde ich auch, ich werde natürlich keinen zwingen und sagen: Ihr müsst jetzt mit, aber ich werde schon deutlich machen, dass ich das eigentlich ganz gut finden würde, wenn alle mitkommen. Das Ziel wäre, sich selbst besser einsetzen, sich selbst besser hinstellen zu können.“
Dieser Tenor ist bereits mehrfach angeklungen: Es geht um die Beseitigung von Einseitigkeiten, um Zugewinn an Beweg259
lichkeit und Freiheit, aber auch um eine neue Achtsamkeit für die eigene Person und für die Mitarbeiter. Zunächst fällt der Blick auf das Innere des Einzelnen, um nach außen hin erhöhte Wirkung und Leistungsbereitschaft leben zu können. Und es soll zu einer stärkeren Integration bisher ungenutzter oder ausgesparter Seiten des Körpers (Genuss, Lust, Wohlbefinden) kommen und damit zum „guten“ Umgang mit sich selbst sowie zum „guten“ Umgang mit den Mitarbeitern. Wenn wir uns alle dazu bekennen würden, dass wir auch genießen wollen und eigentlich nur arbeiten, um zu leben und nicht leben, um zu arbeiten, das ist für mich völlig klar und auch, dass wir das mit Lust tun sollten, weil darüber reden wir ja immer in der Ebene, dass wir das mehr brauchen. Und wann haben wir Lust, wenn es menschlich zu geht und wenn es gerecht zugeht und wenn es mal mit einem Lachen zugeht.
5.2.3
Schwerpunkte für die Führungskräfteentwicklung
Auch die zukünftige Führungskräfteentwicklung kam in den Interviews zur Sprache: Wie können Führungskräfte qualifiziert werden für den proklamierten „guten Umgang mit den Mitarbeitern und sich selbst“? Welche Ziele und Maßnahmen werden damit verbunden? Zunächst bestätigten sich die Vorstellungen von einer verstärkt ganzheitlichen Führung auch in den statistischen Aussagen zur Zukunft der Führungskräfteentwicklung. 90,5 % der Befragten betonten, dass die Führungskräfteentwicklung mehr Ganzheitlichkeit benötigt (davon 52,4 % in starkem Maße). Nur ein geringer Anteil von 9,5 % war der Meinung, dass dies wenig zutreffe.
260
Welche Maßnahmen stellt man sich genau vor und was heißt eigentlich Ganzheitlichkeit bei den Führungskräften?
?
Führungskräfteentwicklung mit folgenden Maßnahmen: • •
Teilnahme an Vorsorgemaßnahmen und Kuren verbindlich einfordern Flexibilisierung der Arbeitszeiten – beispielsweise auch Sabbaticals für Führungskräfte
Führungsprogramme in folgenden Aspekten verstärken: • • • • •
•
Themen wie Gelassenheit, Entspannung und „Lebensschule“ einfügen, „muss nicht nur für den Beruf, sondern auch das Private was bringen“. den gesunden Umgang mit gegebenen Lebensbedingungen schulen (beispielsweise Zen als Philosophie und Persönlichkeitsentwicklung) pragmatische Selbst- und Standortbestimmungen fördern – Zeit für bewusste Reflexion geben den Fokus auf die gesamte Persönlichkeit setzen (beispielsweise Coaching, Persönlichkeitsentwicklung Wahrnehmung öffnen für andere Lebenswirklichkeiten (beispielsweise Diskussion mit Theologen, Seitenwechsel – Kennenlernen anderer „alternativer“ Unternehmen und gemeinnütziger Einrichtungen, etc.) Beispiel eines Führungstrainings mit folgenden Kategorien: a) Ich und mein Führungsumfeld, b) Organisation, Kunden, Mitarbeiter, c) Selbsterkenntnis – wie „bewege“ ich mich in der Organisation Æ Ziel: den Blick von außen nach innen richten, die Ebenen zunehmend auf eigene Person lenken und Komplexität wieder eingrenzen
Doch was nützen die besten Entwicklungsprogramme, wenn das Wissen und die Fähigkeiten nicht verkörpert werden? Es könne kaum darum gehen, so die Meinung vieler Interviewpartner, die Menschen nach einem Idealbild zu verändern. Ein gewisses Maß an innerer Bereitschaft zu mehr „Ganzheitlichkeit“ sei einfach Voraussetzung. Die Bereitschaft dazu habe in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Einst im Manage261
ment tabuisierte Themen wie Gefühle, Betroffenheit, Gemeinschaft, Esoterik werden verstärkt angesprochen. Das heißt, es besteht die Notwendigkeit, ohnehin stattfindende gesellschaftliche Entwicklungen zu fördern und gemeinsam Wege für eine bessere Bewältigung der bestehenden Anforderungen zu sichern.
5.3
Kritische Erfolgsfaktoren und Grenzen der Veränderung und Umsetzung
?
Welche Erfolgsfaktoren und Grenzen werden bei einer Umsetzung gesehen?
Kritische Erfolgsfaktoren bezeichnen solche Faktoren, die abhängig von den jeweiligen Zielen einer Veränderung und vom unternehmerischen Kontext den Erfolg einer Maßnahme bestimmen. Der Begriff Grenzen bezeichnet die Barrieren, Hindernisse und Misserfolgskriterien, die Widerstände hervorrufen können. So wurden für die im vorherigen Kapitel dargestellten Veränderungsziele zwei Fragen gestellt: 1) Was kann/sollte beachtet werden, um die dargestellten Veränderungsmaßnahmen erfolgreich verwirklichen zu können? 2) Was müsste (bewusst oder unbewusst) getan werden, um den Erfolg dieser Maßnahmen zu verhindern? Da die befragten Führungskräfte das Wissen um den speziellen Unternehmenskontext und zahlreiche Erfahrungen aus anderen Veränderungsprozessen hatten, war davon auszugehen, dass die Antworten sehr wichtige Ergebnisse für eine betriebliche Umsetzung liefern würden. Hier ging es nicht um individuelle Erfolgsfaktoren, sondern um strategische und unternehmensspezifische Aspekte.
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5.3.1
Geteilter Optimismus im Blick auf die Umsetzung
Die Führungskräfte zeigten sich unterschiedlich optimistisch, was die Umsetzung der gewünschten Punkte angeht. Am zuversichtlichsten waren sie im Hinblick auf persönliche Veränderungen, weniger zuversichtlich betrachteten sie den Bereich organisatorische Veränderungen. Zum Teil verwies man auf die obere Führungsriege, von dort sei schon aus Erfahrung wenig Veränderung zu erwarten. Auch bei den Experten zum Thema Gesundheit im Unternehmen haben die bisherigen Erfahrungen eher zu einer starken Relativierung und Bescheidenheit geführt: Man sprach nicht mehr von hohen Zielen, sondern freute sich, wenn der Weg zu mehr Gesundheit überhaupt weiter gegangen wird. Das Ziel? Nein, wissen Sie ich bin Bergsteiger und da gibt es ja den alten Spruch: Der Weg ist das Ziel. Also ich habe Abschied davon genommen, ein Ziel erreichen zu wollen, nein, ich möchte auf dem Weg zum Ziel noch einen größeren Schritt vorwärts kommen. // Ja, der glückliche Arbeitnehmer im glücklichen Unternehmen, das ist die Vision, aber wissen Sie, ich halte nichts von Visionen.
Sicher hat hier die langjährige Erfahrung mit der „Schwerfälligkeit“ unternehmensweiter Veränderungsprozesse zu einer gewissen Müdigkeit geführt. Die optimistische Einschätzung für den individuellen Weg zeigt sich vor allem dort, wo es dem Einzelnen bereits gelungen ist, mehr Achtsamkeit und Ausgleich für sich selbst zu leben und in Ansätzen auch für das Team zu finden. Aus der Sicht der Teamleiter ist es vielmehr eine Frage der Zeit, wie sich der Prozess „bottom up“ weiter entwickelt und wie aus den bereits vorhandenen Wurzeln schließlich Bäume werden, um das Bild einer Führungskraft aufzugreifen: Aber irgendwann schreit mal der Richtige, und dann zeigt es sich ..., dass, was irgendwo schon überall so ein bisschen seine Wurzeln geschlagen hat und ... diese kleine Pflanze schon am aufblühen ist. Und dann
263
kriegt das sicherlich eine wesentlich größere Akzeptanz. Ich bin überzeugt davon, in zehn Jahren ist das eine Selbstverständlichkeit.
5.3.2
„Ein guter Treiber, die kritische Masse und die richtige Form“: kritische Erfolgsfaktoren
Mit diesen drei Stichpunkten fasst eine Führungskraft das Geheimnis seiner bisherigen Erfolge mit dem eigenen Leitungsteam für die Umsetzung gesundheitsfördernder Maßnahmen zusammen. Dahinter verbergen sich Aspekte, die auch von Anderen geteilt wurden und die allgemeine Kernpunkte eines guten Change Managements darstellen. ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
wichtige Promotoren und Entscheidungsträger, „Trojanische Pferde“, anerkannte Leistungsträger für die Themen gewinnen, Sinnhaftigkeit und persönlichen Nutzen vermitteln sowie erkennen lassen: „Was habe ich davon, wenn ich hier mitmache?“ gezielter und effektiver Einsatz der Veränderungsimpulse (nicht überall gleichzeitig, langsames Gewöhnen), Sicherheit und Kontinuität bieten, v.a. auch durch integrierte Maßnahmen und keine „stand alones“, Überzeugung, Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit für das Thema vermitteln.
Der Fokus liegt in der Erhöhung der Akzeptanz für anstehende Veränderungen und Steigerung der Motivation für eine gemeinsame Umsetzung. Diese Akzeptanz sollte vor allem dann besser gelingen, wenn den Führungskräften Möglichkeiten zur persönlichen Mitgestaltung eröffnet werden. Beim Thema Gesundheit geht es hierbei weniger um eine basisdemokratische Haltung, sondern vielmehr um die Wahrung der persönlichen Intimsphäre, um die Möglichkeit einer individuellen Gestaltung und damit schließlich der Förderung einer intrinsischen Motivation. Mitgestaltung und Einladungen an Stelle von Zwang und Muss: „Sie werden gebraucht anstelle von Sie haben es nötig.“ 264
Damit verbunden ist auch der „stimmige“ Weg, der speziell für das Thema Gesundheit vorgeschlagen wird. Denn die Führungskräfte gehen trotz der hohen Notwendigkeit von einer geringen Attraktivität des Themas aus (relative Fremdheit, geringes Interesse aufgrund eines anderen Unternehmensfokus - zudem die assoziative Verknüpfung von Gesundheit mit asketischem, verzichtendem Verhalten). Deshalb sollte sowohl Akzeptanz wie auch Attraktivität über Wege geschaffen werden, die: • • •
Spaß, Freude und Kreativität ermöglichen, Tools und Techniken zur Selbsterkenntnis bieten, Gesundheit als Konzept mit anderen Begriffen attraktiver und den Kern von Lebensqualität und Achtsamkeit deutlicher machen.
Gesundheit suggeriere oftmals etwas von „sich Gewalt antun, quälen und Du darfst nicht“. Dabei gehe es im Kern vielmehr um „nach mir schauen“, „etwas für mich tun“ oder „mir etwas gönnen“ und nicht um exzessiven Sport oder nur Salat essen. Überzeugung für das Gesundheitsthema heißt nicht, dass ich morgen jeden davon überzeuge, dass er Vegetarier wird oder 20 kg abnimmt. Überzeugung heißt für mich, dass ich als Führungskraft vielleicht auch mal sage: Mensch, dir geht‘s nicht so gut, ja Hausbau am Wochenende und alles Mögliche, wir müssen mal gemeinsam überlegen, wie wir den Stress abbauen.
Alle diese kritischen Erfolgsfaktoren kommen vor allem dann zum Tragen, wenn die Umsetzung auf breiter Ebene gesichert werden soll. Im übertragenen Sinne ist der „Kunde“, der hier erfolgreich bedient werden soll, die Führungskraft an der Basis, die wiederum ihre Veränderungen in die Abteilungen und Teams trägt. Handlungsleitend ist der individuelle Bedarf nach mehr Lebensqualität, Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Die Antworten verändern sich jedoch grundlegend, wenn es um das Top-Management als Kunden geht. Bevor es überhaupt soweit ist, das Führungsverhalten auf den unteren Ebe265
nen zu entwickeln und mit bestimmten Maßnahmen zu fördern, braucht es eine Erörterung dieses Themas in den Bereichen der Geschäftsführung und im oberen Führungskreis. Das heißt, ein Veränderungsauftrag wäre vom TopManagement überhaupt erst zu erwirken. Dafür müssen Promotoren aus diesen Kreisen gefunden werden und das ist nur mit erfolgreicher Überzeugungsarbeit möglich. Wichtig sei es, so die Interviewpartner, neue Ideen und Maßnahmen systemgerecht einzuführen, managementgetreu zu argumentieren und den richtigen Fokus für die Veränderungsmaßnahmen zu verwenden. Sie müssten das in einen unternehmerischen Kontext stellen. Der unternehmerische Kontext kann nur sein, da droht Ungemach. So wie wir heute sehen, dass in drei Jahren der Markt in, was weiß ich, Nordosteuropa um 30 Prozent abstürzen wird, daraus sich dann ein Loss ergibt und wir jetzt Maßnahmen suchen, um diesen operativen Verlust nicht eintreten zu lassen, so. Wenn Sie sagen, und da droht etwas und dieses führt dazu, dass wir als Unternehmen Schaden leiden, vielleicht deshalb Loss machen, wie auch immer, dann finden Sie ganz andere Zuhörer und haben eine ganz andere Diskussions- und Argumentationsgrundlage.
Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen wurde vielen Führungskräften erneut ein Dilemma deutlich. Während ursprünglich das Thema Gesundheit mit einer breiten kulturellen Verankerung im Vordergrund stehen sollte, wurde unter dem Blickwinkel der Machbarkeit und der erfolgreichen Unterstützung durch das Top-Management, dieser Fokus als wenig geeignet empfunden. Gesundheit, Lebensqualität oder WorkLife-Balance wurden nicht als „systemgerecht“ erachtet („mit einer ehrlichen Etikette ist das Thema tot“). Systemgerechte und Erfolg versprechende Ziele seien vielmehr die Steigerung der Leistungsfähigkeit, die Entwicklung von noch besseren Führungspersönlichkeiten - Macchiavelli pur, Best Management anstelle von „weichen“ Formulierungen und Konzepten: „Es geht darum, nicht heilig zu sein.“ 266
Das Dilemma besteht in dem Widerspruch zwischen einer „systemgerechten“ Legitimation (die es braucht, um sowohl Budget als auch andere Ressourcen zu erhalten) und dem eigentlichen, individuellen Handlungsbedarf der Führungskräfte. Der Versuch einer Auflösung wird von den Befragten dahingehend unternommen, dass man offiziell „systemgerecht“ agiert, doch innerhalb eines Schutzrahmens (Seminare, Coachings, Diskussionsrunden) für Offenheit und Klarheit sorgt. So würde die bisherige Kultur in gewissem Maße „unterwandert“, die Themen „eingefiltert“ und in existierende Handlungsbereiche eingestreut. Aus interpretatorischer Sicht ist nach den Konsequenzen im Gesamtsystem zu fragen. Natürlich geht es Wirtschaftsorganisationen vorrangig um Erfolg und Wirtschaftlichkeit, sie sind keine Wohltätigkeitsvereine. Werden jedoch mit einer Wiederholung der Spaltung zwischen offiziellen Ankündigungen und inoffiziellem Bedarf nicht gerade diejenigen Muster wiederholt, die sich zunehmend negativ auf das Wohlbefinden der Führungskräfte auswirken? Wird damit nicht wieder ein Problem, das kultur- und unternehmensimmanent ist, am Einzelnen manifestiert? An eben den Einzelnen, der privat etwas anderes lebt oder sogar im Rahmen von Maßnahmen dazu ermutigt wird, jedoch im offiziellen Kontext das Gegenteil zur Schau stellt? Oder kann es doch gelingen, aus zwei als gegensätzlich betrachteten Dingen (entweder Gesundheit, Wollsocken und Schwächling oder Führungskraft, Erfolg und Leistung) etwas Neues zu machen? Dabei gilt es, die Wahrnehmung gerade auf die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen den Dingen zu lenken, deren Konsequenzen für die unternehmerischen Ziele aufzuzeigen und Abschied zu nehmen von einem Schwarz-Weiß-Denken. So wie eine Führungskraft sagt: Abstrakt betrachtet dürfte der Fokus auf den Aktienkurs das Gesundheitsthema nicht verhindern, das dürfte eigentlich nichts miteinander zu tun haben, denn je schlechter der Aktienkurs, desto größer die Anstren-
267
gung, den wieder zu bringen, desto erfolgreicher genau diese Themen.
Braucht es für eine Überzeugung wirklich komplett neue Ziele oder kann eine erweiterte Wahrnehmung auf mehrere Ebenen und Zusammenhänge die scheinbaren Widersprüche nicht schon auflösen? 5.3.3
„Anleitung zum Unglücklichsein“: Grenzen, Barrieren und Misserfolgskriterien
Die Punkte, die hier in den Interviews zur Sprache kamen, beziehen sich vorrangig auf drei Bereiche: • •
die Veränderungsrichtung und den -fokus, die Arbeitskoordination und -organisation der Veränderungstreiber, die Art und Weise, wie Veränderungen eingeführt werden.
•
Natürlich sind die Bereiche miteinander verwoben und bedingen sich gegenseitig. So hängt beispielsweise der Veränderungsfokus sehr eng mit der Art und Weise zusammen, wie Neuerungen eingeführt werden. Im Vordergrund steht dabei der Hinweis, dass „Einseitigkeiten und Missionen“ mit hoher Sicherheit den Misserfolg vorprogrammieren. Einseitige Orientierung meint: • • •
einseitige Prämissen unter der Flagge des reinen unternehmerischen Nutzens mit möglichst schnellen Erfolgen und geringen Kosten, Körper- und Gesundheitsmissionen: “Vollpower also Gesundheit und dann reden wir nur noch über Gesundheit und vergessen dann viele andere Themen.“ ausschließliche Konzentration auf die täglichen Anforderungen, die alles andere zudecken.
Nach Ansicht der Führungskräfte sollte eine Wertung verschiedener Lebens- und Arbeitsstile verhindert werden. Dies 268
gelte sowohl für die noch häufig beklagte Sonderrolle und Negativbewertung der Gesundheitsbewussten, wie auch für diejenigen, die sich wohl fühlen in einem Format mit viel Arbeit, keinem Sport und keiner besonderen Ernährung. Man sollte den Leuten die Freude an der vielen Arbeit nicht nehmen, sondern vielmehr eine Sensibilität für Körpersignale hinzufügen.
Es wird hier bewusst, dass Einseitigkeit sehr schnell an neue Grenzen führt. Während man versucht, ein Problem durch eine neue Richtung zu beheben, tut sich an anderer Stelle ein neues auf. Eine Nichtbeachtung der vernetzten Zusammenhänge wird vor allem dann als Barriere vermutet, wenn sich die Ansätze im Bereich Gesundheit auf die Arbeitszeit und die Schaffung neuer Rahmenbedingungen für Sport beschränken oder mit „Hochglanzlippenbekenntnissen“ geworben wird und es dennoch keine Veränderung in den Verhaltensmustern, in der Bereitschaft und Selbstdisziplin gibt. Negativ wirkt sich ebenso eine mangelnde Koordination bzw. einseitige Verschiebung des Themas zwischen den Verantwortlichen im Unternehmen aus. Das heißt, wenn Blindleistungen ohne Synergieeffekte zwischen den Bereichen Personal, Bildung, Werksärztlicher Dienst, Betriebsrat und „Kundenbereichen“ erfolgen und Verantwortung gegenseitig zurück gewiesen wird. Im Gegensatz zu diesen eher allgemeinen Faktoren im Bereich der Arbeitsorganisation wurden auch konkrete Hinweise für die Durchführung von Maßnahmen wie beispielsweise Seminare, Workshops und Vorträge im Bereich Gesundheit und mit dem Körper gegeben, die aus Sicht der Führungskräfte den Erfolg stark schmälern würden: • •
wenn die Art und Weise der Einführung von Gesundheitsthemen belehrend erfolgt und verknüpft ist mit Zwang und Verboten. wenn eine Verknüpfung mit und Abgleiten in New Age Themen stattfindet. 269
• •
wenn keine Plausibilität der Methoden und Ziele besteht. wenn vorhandene unterschiedliche Leistungsniveaus, die natürliche Intimsphäre und das Schamgefühl in Bezug auf den Körper nicht ausreichend akzeptiert werden.
Diese Hinweise sind deshalb besonders brisant, weil der Körper im betrieblichen Zusammenhang eine andere Bedeutung erhält als beispielsweise im privaten Rahmen oder im Fitnessstudio. Viele der Tabus im körperlichen Bereich können hier bei Nichtbeachtung der Grenzen und des besonderen Kontextes verstärkt werden. Neben der Kontext-Besonderheit wird von den Führungskräften auch auf die Besonderheit der Zielgruppe „Führungskräfte“ hingewiesen. Wenn Gesundheit und Körper zum Thema gemacht werde, so sei eine Orientierung auf die Defizite der Leute und generalisierte Kritik völlig kontraindiziert. Wenn Sie einem sagen, Junge, Sie haben 30 kg zu viel, der kommt nie wieder. Und wenn das auch noch ein geistiger Träger in der Gruppe ist, dann stiftet der dann nur noch Unruhe. Sie können Führungskräften ihre Heldenrolle nicht nehmen und sie bedauern. Es sind hochintelligente Leute hier und Erfahrene, es sind Pragmatiker hier, die es gewohnt sind, sich mit Schwierigkeiten auseinander zu setzen, die nicht gleich zu zittern anfangen, wenn es irgendwie schwierig wird.
Das Dreieck zwischen Bewusstmachung der Probleme, Kritik und Übertreibung scheint ein gefährliches Bermudadreieck für Experten zu sein. Denn hier wird von den Führungskräften selbst empfohlen, einen Teil des Problems („die Heldenrolle“) zu „umschiffen“, nur um überhaupt Zugang zu erhalten. Damit verbleibt dieser Teil möglicherweise im tabuisierten Bereich, unzugänglich für Veränderungen. Möglicherweise ist dies jedoch auch der Schutzraum, der dazu gehört, um überhaupt 270
Zutritt zu persönlicheren Seiten zu erhalten. Hier ist besonderes „seefahrerisches“ Geschick und die freie Wahl jedes Einzelnen, sich dazu zu öffnen notwendig, um nicht von vorneherein „unrettbar zu versinken“.
271
E
Diskussion und Handlungskonsequenzen
1
Ergebnisdiskussion und Handlungskonsequenzen für die Führungskräfte sowie für die Organisation
Diese Studie arbeitet in Bezug auf Entwicklung und Veränderung mit drei Grundannahmen, die bereits zu Beginn definiert wurden: ¾
¾
¾
Der Erfolg von Unternehmen wird in der heutigen Zeit vor allem durch die Fähigkeit begründet, kurzfristige Prozess- und Strukturveränderungen zieldienlich und erfolgswirksam vornehmen zu können. Das erfordert von den Individuen und der Organisation als Ganzes nicht nur Wettbewerbs- und Funktionsfähigkeit, sondern auch Lebendigkeit, Beweglichkeit, Leistungsfähigkeit und Gesundheit, um diese Anpassungsleistungen vollbringen zu können. Lernen in einem umfassenden Sinne bildet hierfür die Grundlage.
Vergleicht man diese Grundannahmen mit den Ergebnissen, so zeigt sich, dass die Führungskräfte unter den gegebenen Rahmenbedingungen nach wie vor ihre eigene Leistungsfähigkeit sowie die Wettbewerbs- und Funktionsfähigkeit der Organisation aufrecht erhalten, dass jedoch die Aspekte von Lebendigkeit, Beweglichkeit und Gesundheit zunehmend gefährdet sind. Hier spiegelt sich eine Paradoxie wider: Will man einerseits schnell und flexibel auf die Veränderungen des Marktes reagieren, sind zusätzliche Anstrengung und Beweglichkeit über das Normalmaß der Routinen hinaus nötig. Arbeiten die Organisation und die darin tätigen Menschen jedoch bereits innerhalb der täglichen Routinen am Grenzbereich der 272
Kapazität, führen zusätzliche Anpassungsleistungen schnell zum Ausbrennen. Damit gehen oft Reaktionen des Widerstandes und der heimlichen Sabotage von Veränderungsprozessen einher, d.h. genau das Gegenteil wird erreicht: Starre und Unflexibilität. Liegt der Fokus des organisationalen Handelns auf kurz getakteten operativen Zielen, kann unter den Bedingungen einer geringen Toleranz von Kapazität und Freiraum die Zielerreichung und Funktionalität noch immer sichergestellt werden. Steht jedoch die langfristige Anpassung und Weiterentwicklung einer Organisation im Mittelpunkt, braucht es einen anderen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen. Dann geht es im übertragenen Sinne nicht um einen 100-Meter-Lauf, sondern um einen Marathon. Gesundheit spiegelt sich dann in der gelungenen Bewältigung unterschiedlichster Anforderungen wider. An welchen Stellen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Zielen ist hierfür Lernen und auch Verlernen notwendig? Welchen Beitrag muss der Einzelne leisten, welchen die Organisation? Welche Thesen über den Handlungsbedarf können gebildet werden? Diesen Fragen soll mit ersten Implikationen für eine zukünftige Führungskräfteentwicklung nachgegangen werden.
1.1
Die Veränderungsrichtung: wertund werteorientierter Unternehmensführung Wir brauchen Profit, um zu überleben und Menschlichkeit, um das zu ertragen. (Führungskraft der Deutschen Bank AG)
Das Zitat verweist auf die Notwendigkeit einer neuen, wenngleich auch dynamischen Balance. Eine Balance zwischen Ökonomie und Menschlichkeit, zwischen wert- und werteorientierter Unternehmensführung; eine Balance, die Führungskräfte sowohl als „Wert-Treiber“ und „Wert-Hebel“ für das Unter273
nehmen betrachtet, die jedoch auch deren Funktion als „Werte-Treiber“ und „Werte-Hebel“ mit einschließt. Die Interviewergebnisse haben gezeigt, dass eine mangelhafte Wertigkeit der Aspekte Gesundheit, Work-Life-Balance und Lebensqualität langfristig sowohl auf individueller wie organisatorischer Ebene in wertvernichtenden Aktivitäten mündet und nicht den weithin praktizierten Prinzipien des wertorientierten Denken und Handelns entspricht. Die Grenzen einer einseitigen Orientierung auf Leistung und Wert machen sich gerade dort bemerkbar, wo das Maschinelle endet und das Menschliche beginnt. Mehr noch, wenn das Ziel einer dauerhaften Leistungsfähigkeit der Führungskräfte und ihrer Mitarbeiter gewährleistet werden soll, dann scheint es der einzig tragfähige Weg zu sein, die Balance zwischen Arbeit und Leben, zwischen Leistung und Regeneration sowie zwischen Karriere und Gesundheit47 zu suchen. Der Auftrag, der sich daraus ergibt, besteht nicht in der Formulierung und Einhaltung von Idealwerten an Arbeitszeit,
47
Wenn im Folgenden mit dem Begriff der Gesundheit fortgefahren wird, dann wird vor allem auf das körperliche, seelisch-geistige und soziale Wohlbefinden Bezug genommen. Gesundheit als Oberbegriff wird beibehalten, weil es auch in den Interviews der geläufigere Terminus war. Die Aussagen der Führungskräfte haben jedoch gezeigt, dass Gesundheit in diesem Kontext nicht als medizinisches Phänomen verstanden wird, sondern unter dem Aspekt des subjektiven Wohlbefindens. Damit sind Themen wie Work-Life-Balance, Lebensqualität und ein gesunder Umgang mit den eigenen Ressourcen mit eingeschlossen. Dieses Verständnis deckt sich weitgehend mit der weiter vorne präsentierten Gesundheitsdefinition, doch im Alltagsjargon wird Gesundheit eher mit objektiven Körpermesswerten und nicht mit subjektivem Wohlbefinden der eigenen Person und im eigenen Umfeld assoziiert.
274
Handlungsspielraum, etc. sondern setzt auf ein gegenseitiges Entgegenkommen zwischen Unternehmen und dem Einzelnen (vgl. Abb. 19). Das heißt, der Wunsch nach Gesundheit (im Sinne von Wohlbefinden und Work-Life-Balance) als Wert symbolisiert einen Wunsch nach einer größeren Übereinstimmung zwischen persönlichen Interessen und den Interessen des Unternehmens. Es wird nach Brücken gesucht, um als „ganzer Mensch“ eine höhere Integrität leben zu können.
Abb. 19:
Führung als Bindeglied zwischen personalpolitischem und selbstverantwortlichem Handeln
Diese Herausforderung stellt keineswegs neues Wissen dar. Auch bei DaimlerChrysler ist man sich ihrer sehr bewusst, wie die bereits beschriebenen Leitsätze zum ganzheitlichen Ar-
275
beits- und Gesundheitsschutz48, die Integration von Gesundheitsförderung sowie das folgende Zitat von Günther Fleig49 (2001, S.213) beweisen: Immer geht es uns darum, den Wert des Unternehmens für alle Interessengruppen zu steigern. Gleichzeitig ist es wichtig, den arbeitenden Menschen als Person und Persönlichkeit wertzuschätzen, sein eigenverantwortliches Handeln einzufordern und zu fördern.
Dennoch legen die Daten nahe, dass zwar die Herausforderung erkannt ist, die Möglichkeiten für eine Verwirklichung dieses Anspruches bisher jedoch nur begrenzt genutzt wurden. Nur 25 % der Führungskräfte waren der Meinung, dass Gesundheit als Bestandteil strategischer Ausrichtungen gut umgesetzt wird. Die Mehrzahl hingegen (knapp 48 %) signalisierte zwar Zufriedenheit mit den vorhandenen Maßnahmen zur Förderung des körperlichen Wohlbefindens, wünschte sich jedoch einen verstärkten Fokus auf eine ganzheitliche Führungskräfteentwicklung (95 %) und äußerte sich unzufrieden über die vorherrschende Kultur in der Organisation. So erleben die Führungskräfte zwar die zunehmende Ausgestaltung „gesunder“ Verhältnisse (Fitnessangebote, Kurmaßnahmen, Ernährungswochen, Seminare, etc.), doch andererseits existiert eine Kultur, die dem unternehmerischen Druck und der Geschwindigkeit einseitig mit erhöhter Anstrengung und Verknappung der Ressourcen folgt und in der Gesundheit und Regeneration zu wenig mit Leistung in Verbindung ge-
48
Broschüre zu den Leitlinien (DaimlerChrysler, Ressort Personal, 2001)
49
Personalvorstand und Arbeitsdirektor der DaimlerChrysler AG
276
bracht werden. Die mangelnde Glaubwürdigkeit für das Commitment im Feld Gesundheit äußert sich auch dahingehend, dass einerseits der Aufruf nach Eigenverantwortlichkeit ergeht (z.B. nach Arbeitszeitverringerung), doch zum anderen der Konflikt zwischen Arbeit und Privatleben verstärkt wird, weil keine gemeinsamen Modelle zwischen Führung und Mitarbeitern gefunden werden. Im Gegenteil, innerhalb einer „krankmachenden Unkultur“ werden hohe Arbeitsumfänge bis in die späte Nacht hinein als Zeichen hoher Leistungsbereitschaft und als positives Kulturmerkmal gewertet und so zunehmend als Norm verankert und stabilisiert (vgl. das Kapitel über geheime Spielregeln). „Die Entscheidungsträger honorieren das, was sie kennen“ und so seien „die Beförderungsmuster, ja drauf angelegt, dass Sie erst mal gewisse Krankheitssymptome zeigen müssen, dann werden Sie befördert.“ Vor diesem Hintergrund avanciert der Aufruf zur Gesundheitsförderung als zusätzliche Verpflichtung und als extra Auftrag, noch mehr leisten zu müssen, der den eigenen Spielraum nicht erweitert, sondern eher einschränkt. Ein gut gemeinter Ansatz hat sein Ziel noch nicht erreicht. Denn die momentane Situation und die Bemühungen zur Gesundheitsförderung sind durch zahlreiche Widersprüche und Blockaden gekennzeichnet. Die Führungskräfte selbst haben ein hohes Problembewusstsein über die eigene Belastungssituation, die meisten wissen auch was ihnen gut tut, doch gelingt eine Umsetzung nur denjenigen, die eine hohe Achtsamkeit für sich und eine hohe innere Unabhängigkeit gegenüber Anderen aufweisen. Bewusste Einstellungs- und Verhaltensweisen in Bezug auf den eigenen Körper und den Umgang mit den eigenen Ressourcen waren hier die Grundlage, um den täglichen Anforderungen in einer Art zu begegnen, die keine langfristigen Schäden hinterlässt. Für die Mehrzahl der Führungskräfte ist der Organisationsalltags jedoch vom Begriff der Funktionstüchtigkeit geprägt. Der Körper gilt als „funktionstüchtiger Gegenstand“ und die Verhaltensweisen gestalten sich entsprechend. Derartige Ausrich277
tungen beschreiben Schmidt & Berg (1995, S.141) als typisch für mechanistische Grundformen der Organisation. Vielleicht sind die Parallelen zu einem gut funktionierenden Auto nicht zufällig. Denn ähnlich der Autoentwicklung, bei der ständig neue Systeme für das (noch immer) flexible und steuerbare Fahren selbst unter hoher Geschwindigkeit gesucht werden, scheint auch für das Management zunehmend die Aufgabe zu bestehen, neue Systeme der Selbststeuerung unter hoher Veränderungsdynamik, zunehmender Geschwindigkeit und Komplexität zu entwickeln. Die Führungskraft kann jedoch keine neuen Systemteile nachrüsten oder das Auto wechseln, sondern es ist wichtig, mit dem vorhandenen Körper und den eigenen Ressourcen diese Geschwindigkeiten zu „gehen“. Die kollektive Anpassungsleistung, bei der es gilt: „den eigenen „Körper zu überwinden“, stellt zwar den Versuch dar, dem Druck mit noch mehr Kontrolle und Beherrschung stand zu halten, doch ironischerweise entzieht man sich gerade damit systematisch die Grundlage jeglicher Leistungsfähigkeit. Was soll ein Mensch ohne Körper leisten oder wie soll ein Auto ohne Karosserie fahren? Die Daten weisen darauf hin, dass die gesundheitlichen Schäden noch gering sind, das Auto sozusagen in der Fahrerprobung die „Rüttelstrecke“ meistert, das jedoch die psychomentalen Belastungen und die damit häufig verbundenen Befindensstörungen zunehmen. 1.1.1
Integrative Gesundheitsförderung als Schlüssel zum Lernerfolg
Diese knappe Zusammenfassung der in den vorherigen Kapiteln vorgenommenen Situationsanalyse steht im Hintergrund, wenn die Führungskräfte den Veränderungsbedarf definieren. Zuvorderst existiert bei 95,5 % der befragten Führungskräfte die Meinung, dass jeder für seine Gesundheit selbst verantwortlich ist. Doch umfangreiche Veränderungen zugunsten dauerhafter Leistungsfähigkeit und Gesundheit können nur dann erfolgreich sein, wenn das strategische Bekenntnis (Sollen), die kulturelle Akzeptanz (Dürfen), die individuelle Initiative und Verantwortung (Wollen) und die situative Möglichkeit durch die Rahmenbedingungen (Ermöglichung) Hand in Hand gehen. 278
Persönlicher und organisatorischer Veränderungsbedarf gehen Hand in Hand Veränderungsansätzen wird vor allem dann Erfolg zugesprochen, wenn sie integrativ auf mehreren Ebenen ansetzen: Individuum (Wissen, Einstellungen und Fähigkeiten), Organisation (Strategie, Struktur und Kultur) sowie der Führung als vermittelndes und gestaltendes Bindeglied zwischen beiden. Die konkreten Veränderungsansätze sollten sich nach Aussagen der Führungskräfte folgende Bereiche stützen: die Unternehmensphilosophie und die Personalstrategie, die Unternehmens- und Führungskultur sowie die „physischen“ Rahmenbedingungen.
279
Identität Vision, Mission, Sinn und Zw eck der O rganisation
Policy / Strategie Leitsätze, W erte, langfristige Ziele, etc.
Kultur M enschen, G ruppen, Klim a, D enken, Fühlen, Handeln, Zusam m enarbeit, Führungsstile, grundlegende Überzeugu ngen, Spielregeln, etc.
Veränderungsschwerpunkte
Struktur Aufbau- und Ablauforganisationsform en
Einzelfunktionen / Teilsystem e Aufgaben und G renzen, Projektgruppen, V erantwortungsbereiche, etc.
Prozesse / Abläufe Inform ationssystem e, Planungs- und Steuerungsprozesse, Entscheidungsprozeduren, etc.
Physische B edingungen Ausstattung, Rahm enbedingungen, Räum lichkeiten, Materialien, etc.
Abb. 20:
Wichtige Ansatzpunkte einer integrativen Gesundheitsförderung
Die Abbildung verdeutlicht, dass die „physischen“ Rahmenbedingungen im Feld Gesundheit nur die Basis berühren. In den 280
Augen vieler Führungskräfte sind sie eher „Reparatur- oder Quick-Fix-Lösungen“, weil sie zwar ein Umfeld für gesundheitsförderliches Verhalten bereitstellen, doch nicht zum Kern der Probleme und Belastungen vorstoßen. Das grundlegende Handlungsziel orientiert sich deshalb am Aufbau bzw. dem Erhalt einer ressourcenförderlichen Arbeitskultur im Unternehmen. Dies kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich die Menschen im Unternehmen verändern und das Umfeld (Strategie, Prozesse, Strukturen, Managementsysteme) den Veränderungszielen angepasst wird (vgl. Sackmann, 1999, S.28).
1.2
Die Ausgangsbasis der Veränderungen
1.2.1
Ein strategisches Bekenntnis des Unternehmens zur Gesundheit
Die offizielle Verankerung des Wertes Gesundheit im Unternehmensleitbild bzw. der Personalstrategie wird als Ausgangspunkt der Veränderungen und als Signal für eine langfristige Förderung der dauerhaften Leistungsfähigkeit nach dem Motto: „Top performance needs to balance“ gesehen.50
50
Die genaue Bezeichnung, die hierbei verwendet wird, sollte sich weniger an wissenschaftlich korrekten Definitionen als vielmehr an der Attraktivität für die Führungskräfte orientieren. Gesundheit ist der am meisten gängige Begriff, doch wie die Studie zeigt, liegen die eigentlichen Dilemmas der Führungskräfte und demzufolge die attraktivsten Ziele eher im Bereich einer allgemeinen WorkLife-Balance. Hier obliegt es dem Unternehmen, einen treffenden Begriff zu finden und die damit verbundenen Schwerpunkte und Entwicklungsrichtungen der Personalentwicklung entsprechend
281
Hier geht es um die Erweiterung der gemeinsam geteilten Leitgedanken bei DaimlerChrysler. Der Aufruf basiert auf der Vorstellung, dass sich umfassende Veränderungen am ehesten mittels Leitgedanken, Visionen oder klaren strategischen Zielen vollziehen lassen. Damit richtet sich der Anspruch direkt an das „Herzstück“ der Organisation. Doch Veränderungen am „Herzstück“ werden kaum von heute auf morgen vorgenommen. Eine strategische Veränderung wird nicht ohne einen Wandel der Identität vonstatten gehen – und umgekehrt. An solche Fragen wird sich eine Organisation nur wagen können, wenn ihre Existenz bedroht ist. (Schmidt & Berg, 1995, S.163)
Obwohl die Alarmglocken in den Interviews zu hören waren und eine Bedrohung der langfristigen Loyalität und Leistungsfähigkeit der Führungskräfte gegeben ist, kann doch kaum von einer Bedrohung der Identität des Unternehmens die Rede sein. Selbst wenn mit dem Verlust weiterer Potenzialträger und der zunehmenden Talenteknappheit auf dem Arbeitsmarkt oder der nachweislich abfallenden Leistungsfähigkeit langfristig Schaden für das Unternehmen droht, bleibt fraglich, inwiefern die Dringlichkeit des Handelns erkannt wird, denn die beschriebenen Prozesse sind schleichend und latent. Oder hat auf einer untergeordneten Ebene die notwendige Auseinandersetzung mit Wertigkeiten und Prioritäten nicht längst insgeheim stattgefunden, für die nun lediglich nach offizieller Anerkennung gesucht wird? Die Antworten bleiben spekulativ. Doch bewiesen ist, dass eine nachhaltige Integration eines ganzheitlichen betrieblichen
zu kommunizieren und die Führungskräfteentwicklung darauf auszurichten.
282
Gesundheitsmanagements vor allem dann gelingen kann, wenn die Ansätze in die jeweilige Unternehmensphilosophie und das -leitbild integriert werden (vgl. Titze, 2001). Da DaimlerChrysler vor allem Wert auf durchgängige und ganzheitliche Konzepte der Unternehmensführung legt, ist eine Verankerung von Gesundheit(als Voraussetzung von Leistungsfähigkeit und -bereitschaft)als Wert im Leitbild oder als Ziel in der Strategie durchaus kulturkonform und eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung weiterer Konzepte und Maßnahmen. Denn im Sinne einer wertorientierten Unternehmensführung spiegelt sich ein ganzheitlicher, integrativer und vernetzter Gesundheitsgedanke in den Mechanismen eines ressourcenorientierten Ansatzes wider. Kerngedanke ist, die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter, Teams und Abteilungen durch ein aktiv gestaltetes, dynamisches Gleichgewicht zwischen gestellten Anforderungen und zur Verfügung stehenden Ressourcen dauerhaft zu fördern. Dabei geht es weniger um das Vermeiden von Anforderungen oder das Ausschalten von Risikofaktoren, sondern darum, die verfügbaren Ressourcen (persönliche, soziale) bewusst zu pflegen und zu nutzen. Gesundheit ist damit für jeden einzelnen Mitarbeiter und für eine ganze Kultur ein dynamischer Zustand, der sowohl objektive (messbare) als auch subjektive Komponenten enthält. Im Wesentlichen wird Gesundheit jedoch immer geprägt durch die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich an neue und verändernde Anforderungen der Umwelt erfolgreich anzupassen. So kann der Wunsch nach einer offiziellen Verankerung als Lernchance und als Aufruf zu einer längst notwendigen Auseinandersetzung mit der bestehenden Kultur und vor allem den vorherrschenden Paradigmen gesehen werden.
283
1.2.2
Erweiterte mentale Modelle über Arbeit, Gesundheit und Leistung
Gesundheitsbewusstes Verhalten im Unternehmen scheitert oft, weil mit zahlreichen tief verwurzelten Vorstellungen und Annahmen vom „richtigen“ Arbeiten, über ein „gute“ Führungskraft bzw. die „optimale“ Unternehmensführung (bewusst und unbewusst) Gegenläufiges gelebt oder propagiert wird. Deshalb richtet sich aus Sicht der Führungskräfte ein grundlegender Lernbedarf an die Überprüfung und das kritische Hinterfragen der bestehenden „mentalen Modelle“ (Senge, 1996, S. 213ff). Es geht es um die Erweiterung des Denkens als Grundlage für die Erweiterung des Handelns und das betrifft jeden Einzelnen sowie die Organisation (Teams, Abteilungen, Bereiche, Werke, etc.). Die Erweiterung des Handelns durch die Erweiterung des Denkens Die Voraussetzung für erweiterte Möglichkeiten im Handeln wird in der Auseinandersetzung, kritischen Prüfung und Erweiterung der persönlichen und kulturellen mentalen Modelle über die optimale Funktionsweise der Organisation, der Führung und des Einzelnen gesehen. Unsere mentalen Modelle, zu denen auch Einstellungen und geheime Spielregeln gehören, beeinflussen unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Solange beispielsweise Gesundheit im eigenen Denken mit Askese, Verzicht und Zurückhaltung assoziiert wird, werden kaum Handlungsenergien für ein achtsames und gesundheitsbewusstes Verhalten frei werden. Wenn hingegen von Wohlbefinden, Work-Life-Balance, Regeneration die Rede ist, reagieren viele mit hoher Handlungsmotivation, scheinbar vergessend, dass es hierbei auch um Gesundheit geht. Das Hinterfragen der mentalen Modelle wird zur Basis und einzigen Möglichkeit, um Voraussetzung dafür zu schaffen, neue Werte nicht nur zu fordern und zu wünschen, sondern 284
vor allem zu verkörpern. Welche Erweiterungen im Denken erachten die Führungskräfte selbst als notwendig, um Gesundheit als Unternehmenswert zu ermöglichen und eine neue kulturelle Basis zu legen? Tabulose Anerkennung der (teilweise neuen) Realitäten und Entwicklung eines neuen kollektiven Bewusstseins Nur diejenigen Themen, die im offiziellen Kontext benannt werden, haben langfristig eine Chance zur „lebhaften“ Integration in die Organisation. Grundlegend ist es daher, die aktuelle Lage und Situation nicht nur im informellen, sondern auch im offiziellen Kontext sichtbar zu machen und damit möglicherweise auch Tabus anzusprechen: die Anerkennung der zunehmenden Anforderungen, des wachsenden Drucks, der erhöhten Geschwindigkeit, der steigenden Belastungen für die Führungskräfte und Mitarbeiter sowie die Anerkennung von Fehlern. Zwar ist dies ein vielleicht unangenehmer Blick. Doch nur diese Art von Ehrlichkeit fördert aus Sicht der Führungskräfte die notwendige Suche nach neuen Wegen, um so ein dauerhaftes Sinken der kollektiven Leistungsfähigkeit verhindern zu können. Erst über die Entwicklung eines kollektiven Bewusstseins zu den neuen Rahmenbedingungen der eigenen Tätigkeit, werden auch neue Lösungen im Umgang damit entstehen. Abschied von Illusionen der Unverletzbarkeit und Hinwendung zu neuen tragfähigen Lebens- und Arbeitsmodellen) Hohe Leistungsfähigkeit ist nur dann dauerhaft zu bringen, wenn die natürlichen – auch körperlichen – Grenzen des Menschen, ja seine Endlichkeit überhaupt als ernsthafte und unausweichliche „Begrenzung“ wahrgenommen werden. Paradoxerweise scheint ein dauerhaftes Streben nach Mehr nur mit selbst gesetzten Begrenzungen möglich zu sein, denn sonst setzen Körper, Seele oder Familie die Grenzen. Wenn Dinge einseitig maßlos werden, entstehen die wirklichen Schwächen, das mussten einige Führungskräfte schmerzlich erfahren. Der kurzfristig maßlose Gewinn („Immer noch mal 285
einen drauf, das wäre doch gelacht“) wird zum langfristig maßvollen Verlust. Je weniger die natürlichen Begrenzungen wahr und ernst genommen werden, desto eher rückt der geheime Wunsch jedes Menschen und jedes Unternehmens nach Unendlichkeit und Unverletzbarkeit in weite Ferne. Die Probleme entstehen erst, wenn nicht sein darf, was natürlich ist. Der einzig tragfähige Weg ist daher eine Unternehmenskultur, in der jeder Einzelne Grenzen anerkennt, Einseitigkeiten vermeidet und so tragfähige, bewegliche Balancen entwickeln kann. Sei das bei „kleinen“ Dingen wie Klausuren, Arbeitszeiten, der Ernährung oder bei „großen Dingen“ wie gesamtunternehmerischen Entscheidungen und dem Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben. Zur Anerkennung von Grenzen gehört auch die Anerkennung von Fehlern. Eine Organisation, die einen konstruktiven Umgang mit Fehlern entwickelt hat, ist eine, die mit Schwächen, Störungen, Befindlichkeiten umgehen kann. Qualität entsteht durch Achtsamkeit, nicht durch das Verdecken von Fehlern. Betrachtung des ganzen Menschen Der Anerkennung von menschlichen Grenzen und Bedürfnissen liegt ein (gelebtes, nicht nur proklamiertes) Menschenbild zugrunde, das den Menschen ganzheitlich betrachtet. Dahinter steht die Erkenntnis, dass der Mensch seine dauerhafte Leistungsfähigkeit nur dann entfaltet, wenn Körperliches, Seelisches und Geistiges als sich wechselseitig bedingende Entitäten angesehen und in dieser Einheit gefördert bzw. auch gefordert werden. Nur auf dieser Basis kann man über die eigenen Ressourcen optimal verfügen und mit den eigenen Grenzen kooperieren. Erweiterung des Verständnisses von Gesundheit Gesundheitsförderung trifft nur dann den aktuellen Handlungsbedarf, wenn sowohl die körperliche, wie auch die seelische und soziale Seite der Gesundheit betrachtet werden. 286
Damit geht der Blick auf ein ganzheitliches Verständnis, das individuelle Wege der Work-Life-Balance, des Wohlbefindens, der Lebensqualität und eine ressourcenförderliche Lebensund Arbeitskultur und somit auch Führungskultur propagiert. Deklarieren von Gesundheitsförderung und Gesundheitsverhalten als Gewinn und nicht als Kostenfaktor Neben einem zunehmenden ökonomischen Zwang, bei dem steigende Krankheitskosten und Ausfallzeiten einen unmittelbaren Verlust kennzeichnen, geht es darum, die Entscheidungen für Gesundheit, Lebensqualität und Zufriedenheit stärker als einen Zugewinn an Ressourcen und nicht als einen Verlust von Zeit und Geld durch zusätzliche Investitionen anzusehen. Dann bedeuten Maßnahmen zur Leistungssteigerung und Förderung des Wohlbefindens nicht einen Tag Produktionsverlust und zusätzliche Kosten, sondern einen Tag mehr Kraft und Ausdauer. Wenn der Krankenstand bei DaimlerChrysler nur um ein Prozent nach unten geht, dann ist das eine Einsparung von mehreren Millionen Euro. Mitarbeiter, die nicht in ihren Körper investieren und sich vernachlässigen, sind spätestens ab 45 Jahren eine komplette Fehlinvestition des Unternehmens.
Langfristiges und komplexes Managementdenken Kurzfristige Quick-fix-Lösungen, die häufig unter Druck entstehen, sind eine für die Felder Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität wenig zieldienliche Praxis. Mit einer kurzfristigen Kapitallogik, schnellen Messungen und der Suche nach linearen Ursache-Wirkungszusammenhängen können ganzheitliche Themen nur einseitig betrachtet werden. Vielmehr müssen Investitionen als langfristiges Denken und Planen verstanden werden, ebenso wie die Auswirkungen der Investition kaum an Einzelgrößen, sondern an einem neuen Klima und spürbar besserem Gesamtzustand der Mitarbeiter abzulesen sei. 287
Und wenn wir langfristig denken, ich hoffe, dass das Unternehmen das macht oder tut, können wir nicht davon ausgehen, dass wir Leute 20 Jahre oder 10 Jahre nutzen und dann schmeißen wir sie weg und gucken nach neuen Leuten. Wenn wir das tun, müssen wir auch in die langfristigen Themen wie Gesundheit investieren und das zahlt sich irgendwann aus, da bin ich sicher. Denn du kannst dann über Erfahrung das ausgleichen, was du vielleicht an Power möglicherweise so nicht mehr hast. Wenn wir in zehn Jahren merken, dass wir nicht mehr die Menschen kriegen, die wir brauchen, weil sie es dann nicht mehr gibt, dann heißt das auch, dass wir die, die da sind, nicht auch nur teilweise dadurch verlieren, dass diese mit sich selber oder das Unternehmen mit ihnen in einer extrem belastenden Weise umgeht.
Vermittlung von Leistungsfähigkeit und Gesundheit als Werte nach innen und nach außen Die Sicherung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit kann ein personalpolitisches Innenthema bleiben, um ein langfristiges Bindungsmanagement (Retension) zu betreiben. Doch diese Themen gewinnen unglaublich an Gewicht, wenn sich die innere Haltung auch im Außen sichtbar macht. Das heißt, wenn Körper- und Gesundheitsbewusstsein als etwas Junges, Modernes, Fortschrittliches und Zukunftsorientiertes verstanden wird. Die Themen erhalten damit nicht nur neue Wirkung, sondern das Unternehmen zusätzlich eine Imagekraft. Wenn das Bild mit rüber kommen würde, dass das Thema wirklich modern, jung weitergeblickt körperbewusst ist und nicht nur auf die harten Facts geguckt wird, dann denke ich, wäre das auch ein sehr überzeugendes Bild, das seine Wirkung nach außen hat. Vielleicht ist es ein Kulturthema von gemeinsam wahrgenommener Dynamik. Also wenn mehrere Leute der Firma hintereinander in der Öffentlichkeit auftreten und sich vielleicht mühsam am Stock halten, dann macht das einen anderen Eindruck, als wenn die auftreten
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und einen dynamischen Eindruck machen. Dann ist das auch ein Phänomen von Öffentlichkeitswirksamkeit!
Hinter diesen Erkenntnissen verbergen sich zwei Grundzüge, die an vielen Stellen der Untersuchung bereits sichtbar wurden: eine Entwicklung von einem einseitig, rational logischen zu einem dialektischen Denken. Es ist ein Denken, welches das Prinzip des „Sowohl-als-auch“, den Widerspruch bzw. Konflikt zwischen mehreren Seiten als etwas Natürliches anerkennt und deshalb Lösungen im Bezugsetzen der Seiten zueinander, im Verflüssigen der abgegrenzten Positionen und im Aushandeln von „Sowohl-als-auch-Lösungen“ sucht (vgl. Abb. 19).
Abb. 21:
„Gesunde“ Führung als das Management widersprüchlicher Anforderungen
Denn die Daten haben gezeigt, das mit der Wahl nur eines von zwei potenziellen Bedürfnissen (Work oder Life, Karriere oder Gesundheit) sich weder die Leistungsfähigkeit verbes289
sert, noch die effektivste Lösung gefunden wird. Momentan scheint noch der Zeitdruck, den Takt vorzugeben, weshalb es leichter und schneller erscheint, eine autoritäre Entscheidung zugunsten einer Seite zu treffen – sei es im Umgang mit dem eigenen Körper oder im gesamtunternehmerischen Zusammenhang. Doch alles weist darauf hin, dass diesen einseitigen Entscheidungen zunehmend Tribut gezollt wird und die langfristigen Schäden höher sind als der kurzfristige Nutzen. Die Grundprinzipien in den neuen mentalen Modellen – widersprüchliche Seiten aufeinander beziehen Engpässe im Denken aufgrund von „Entweder-oderLösungen“ mit dialektischem Denken und „Sowohl-alsauch-Lösungen“ erweitern. Die Interviews bewiesen teilweise eindrucksvoll, dass sich solche grundlegenden mentalen Modelle und Einstellungen oftmals durch Grenzerfahrungen, Krisen oder auch Werteerfahrungen (z.B. Geburt eines Kindes) ändern können. Hier handelt es sich um Stellhebel des Lernens, die nicht einfach von außen umgelegt werden können, sondern die immer eine persönliche Erfahrung, tiefgreifende Auseinandersetzung und eine individuelle Überzeugung bzw. Sicherheit im Umgang mit Widersprüchen voraussetzen. Die grundlegende Aufgabe für die Personal- und Führungskräfteentwicklung des Unternehmens besteht darin, diese Lernprozesse zu unterstützen sowie die Manager dazu zu veranlassen, ihr eigenes Realitätsmodell zu überprüfen und wenn nötig zu verändern. Was bedeutet es für das eigene Leben, dass die Lebenszeit begrenzt ist? Welche Vorteile hat ein „entweder-oder“ gegenüber einem „sowohl-als-auch“? Wann eignet sich welcher Ansatz? Welche Auswirkungen haben die aktuellen Denkmuster im Unternehmen auf die Ergebnisse aber auch das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit? Die Voraussetzung hierfür sind jedoch keine neuen Handlungsanweisungen, denn das Aushandeln von widersprüchli290
chen Bedürfnissen und Anforderungen ist etwas sehr Individuelles: für den Einzelnen wie auch für Organisationseinheiten. Deshalb leistet die Personal- und Führungskräfteentwicklung hier einen großen Beitrag, wenn sie zunächst Räume und Möglichkeiten bereitstellt, die momentane Realität des Unternehmens und des eigenen Handelns überhaupt zu benennen und sich im Austausch damit auseinander zu setzen. Das heißt, wenn die Veränderungen wirklich greifbar sein sollen, braucht es zuvorderst eine Bereitschaft – der Unternehmensführung und jeder einzelnen Führungskraft – die wahrgenommene Realität mutig zu betrachten, zu diskutieren und dann zieldienlich und möglicherweise auch individuell unterschiedlich in Angriff zu nehmen. Dabei geht es nicht primär um Konsensfindung, sondern um das Sichtbarmachen von Unterschieden und die Entwicklung eines Verständnisses dafür, wie diese Unterschiede zustande kommen. Die Prozesse, die hier im großen und kleinen Rahmen (Teams, Abteilungen, Einzelpersonen) angestoßen werden müssen, ähneln in einiger Hinsicht dem interkulturellen Lernen. Dort geht es darum, Verständnis für die eigene und die fremde Kultur zu finden, ohne Unterschiede zu nivellieren, und dennoch Wege für Synergien bzw. die Nutzung dieser Unterschiede aufzuzeigen.
1.3
Das Kernziel der Veränderungen – eine ressourcenförderliche Arbeitskultur
Die strategische Verankerung neuer Werte ist eine Seite. Die weitaus größere Herausforderung liegt in der Gestaltung der täglichen Arbeitskultur. Denn erstens braucht jede Strategie ihre Übersetzung im Alltag und zweitens wurde an vielen Stellen der Untersuchung deutlich, wie eng Körperkultur und Organisationskultur miteinander verwoben sind. Deshalb besteht das umfangreichste Veränderungsziel in der Schaffung einer kulturellen Grundlage für einen ressourcenförderlichen Umgang mit sich und anderen.
291
Kernziel der Veränderungen - eine ressourcenförderliche Arbeitskultur Grundlegendes Handlungsziel zur Förderung der ganzheitlichen Gesundheit und dem Erhalt der Leistungsfähigkeit ist der Aufbau bzw. Erhalt einer ressourcenförderlichen Arbeitskultur im Unternehmen. Das Anliegen zur Kulturgestaltung ist auf den ersten Blick kaum greifbar. Auf einen zweiten Blick jedoch lassen sich anhand der Ergebnisse sowohl konkrete Stellhebel als auch unternehmensspezifische, organisationale sowie individuelle Lernfelder definieren, die alle zusammenhängen und das Ziel verfolgen, neue Werte wie Gesundheit, Wohlbefinden, WorkLife-Balance kulturell sichtbar und lebbar zu machen.
1.4
Der individuelle Entwicklungsbedarf: Personal Mastery
Weder Gesundheit noch eine Balance zwischen Arbeit und Privatleben lassen sich verordnen. Veränderungen finden nicht statt, so lange nicht der eigene Beitrag zur unliebsamen Situation erkannt und analysiert wird. Aus dem Vergleich der Ergebnisse ergibt sich ein Handlungsbedarf, der sich sowohl auf die Einstellungen der Einzelnen, deren Lebensorganisation sowie deren Verhalten bezieht. 1.4.1
Auf dem Weg zu ressourcenförderlichen Einstellungen
Aus der Wahrnehmungspsychologie ist bekannt, dass dort, wo die Aufmerksamkeit liegt, auch die Handlungsenergie hin fließt. Geht diese vorrangig bzw. ausschließlich nach außen zu den Mitarbeitern, der Aufgabe, den erlebten Zwängen, dann muss sie unweigerlich für den eigenen Körper und die Gesundheit fehlen - „Ich habe mein Auto besser gepflegt als mich selbst“. Die in den vorherigen Kapiteln behandelten Problemmuster haben gezeigt, dass eine ausschließliche Ori292
entierung am Außen oftmals auch eine Orientierung an einem Entweder-Oder, an Kampf oder Flucht in Stresssituationen bedeutet und nur über einen kurzen Zeitraum aufrecht gehalten werden kann. Erst ernsthafte körperliche Symptome zwingen die Aufmerksamkeit nach innen zurück und dann entwickelt sich eine innere Achtsamkeit, quasi als „Überlebensnotwendigkeit“. Die Erkenntnis vieler Führungskräfte, dass Loyalität für das Unternehmen auf Dauer nur dann aufgebracht werden kann, wenn diese Loyalität in gleicher Weise sich selbst und den eigenen Bedürfnissen gewidmet wird, mag simpel erscheinen. Doch in einem Umfeld, in dem es gilt, alles zu geben, wird die Hinwendung zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen schnell als Minderleistung missverstanden. Deshalb besteht ein grundlegender Lernauftrag in der individuellen und kollektiven Umbewertung dieser Verhaltensweisen. Nur wer erkennt, dass Achtsamkeit und eine ausgeglichene Energiebilanz nach innen und nach außen Zeichen hoher Selbstverantwortung und Leistungsbereitschaft sind, der wird diese dauerhaft aufrecht- erhalten können. "Wenn sich die Mitarbeiter etwas Gutes tun, tun sie dem Unternehmen etwas Gutes!" Die zweite Grundeinstellung betrifft die Überzeugung, das eigene Leben selbst gestalten zu können. Auch dies klingt zunächst lapidar, doch alleine der Satz: „Ich kann mein Leben exakt so gestalten, wie ich es will“ (vgl. Senge, 1996, S.191) dürfte bei Vielen von uns sofort Zweifel, ein Lächeln oder Zynismus heraufbeschwören. An diesem Punkt unterschieden sich einige der befragten Führungskräfte wesentlich von anderen. Sie glaubten an den eigenen Freiraum und die Möglichkeiten zum persönlichen Glück: „Ja, es ist, mag ja schon sein, du hast Zwänge, aber trotzdem guck mal, wo kannst Du was ändern. ...Und ich sage: Guck, ob du es ändern kannst oder mache was Neues.“ Gleichzeitig waren es diejenigen, die nicht nur bewusst und achtsam waren, sondern dieses zusätzliche Wissen auch tatsächlich zur Gestaltung nutzten und darüber hinaus selbst noch als „change agent“ in ihren Teams fungierten. Für einige war das eine Frage des Alters, andere schrieben diese Einstellung dem persönlichen Erfolg zu und Dritte 293
werteten dies einfach als Teil ihrer Persönlichkeit. Welche Begründung auch immer gewählt wird, wichtig ist, dass diese Überzeugung eine entscheidende Grundlage für gesundheitsbewusstes und lebensqualitätorientiertes Verhalten darstellt und so gefördert werden kann. Der dritte Bereich betrifft eine notwendige Neudefinition der eigenen Lebenszeit. Denn um die täglichen Aushandlungsprozesse zwischen Arbeit und Privatleben zufrieden stellend gestalten zu können, muss man sich von einigen vorherrschenden Überzeugungen verabschieden. Gemeint sind mentale Modelle, in denen Arbeit als etwas Aktives gesehen wird und Familie als etwas Passives. Wird die Zeit für die Familie als Zeit betrachtet, die der eigenen Selbstverwirklichung im Beruf verloren geht oder als Investition in persönliche Ressourcen? Gemeint ist damit auch die weit verbreitete Vorstellung, dass die Arbeit die härtere Realität ist, dort die Sachzwänge als unausweichlich wahrgenommen werden und man so immer zuerst die Arbeit als „Form“ definiert und das Privatleben als „Medium“ darum herum „gießt“ wird (vgl. Clement & Clement, 2001, S.264). Der sorgsame Gebrauch der eigenen Ressourcen und vor allem der durchgängig achtsame und selbstverantwortliche Umgang mit sich selbst, wurde nur bei denjenigen Führungskräften sichtbar, die Arbeitszeit als umfangreichen Teil der eigenen Lebenszeit definierten. Leben und Lebensqualität werden nicht auf die Freizeit verschoben, vielmehr gibt es nur ein Leben, mit lediglich unterschiedlichen Lebensbereichen. Dies führte zu einem hohen Maß an Integrität und Authentizität: „Kann ich ewig so, wie ich hier bin, oder lebe ich hier ein zweites Leben? Und ich lebe hier kein zweites Leben.“
294
Drei Grundeinstellungen als wichtige Basis persönlicher Veränderungen zur Sicherung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit - Zusammenfassung
• •
•
Nur wer ausreichend Loyalität dem eigenen Sein gegenüber zeigt, kann auch langfristig dem Unternehmen ausreichend Loyalität und Leistungsfähigkeit widmen. Nur wer von seiner Eigenverantwortung und Gestaltungsmöglichkeit in Bezug auf Wohlbefinden, WorkLife-Balance und Lebensqualität überzeugt ist, kann für sich selbst Veränderungen herbeiführen und für das Team als Change agent fungieren. Nur wer Arbeit und Privatleben als Bestandteile EINES Lebens betrachtet, kann für sich flexibel Arbeit und Privates priorisieren und durchgängig Integrität und Aufmerksamkeit auf sich und das eigene Wohlbefinden leben.
Der Auftrag, der hiermit an die Führungskräfteentwicklung geht, wird häufig mit dem Begriff des Empowerment umschrieben (Quinn, Sendelbach & Spreitzer, 1991). Empowerment ist definiert als Paradigmenwechsel innerhalb der eigenen grundlegenden Überzeugungen hin zu mehr Eigenverantwortung für das eigene Leben. Wenngleich diese Eigenverantwortung von den Führungskräften durchaus erkannt wird, fehlt doch oft die innere Unabhängigkeit, die ein eigenverantwortliches Handeln ebenso auszeichnet. Die Förderung der inneren Unabhängigkeit stellt die Voraussetzung für eine innere Freiheit dar. Dieser Aspekt wurde immer wieder als wichtige Ressource hervorgehoben, denn wer die innere Unabhängigkeit nicht besitzt, kann auch schwer Selbstverantwortung übernehmen und sich die Erlaubnis erteilen, etwas Gutes für sich zu tun. Die besten Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen Anforderungen, Ressourcen und eigenen Körpersignalen werden nutzlos oder sogar hinderlich, wenn man sich keinen Ausgleich und keine Abgrenzung er295
laubt. Dann erhöht sich der innere Druck noch stärker und das Gefühl der Zerrissenheit steigt. Eine Persönlichkeitsentwicklung, die innere Unabhängigkeit fördert, kann einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsförderung leisten, da sie den Gebrauch der bereits vorhandenen, doch oftmals ungenutzten Ressourcen unterstützt. Doch ein solches Empowerment kann auch kontraindiziert sein, wenn in Seminaren innere Unabhängigkeit propagiert wird, die verantwortlichen Entscheidungsträger im Alltag aber eher Konformität belohnen. Dann stellt sich die Frage, ob Eigenverantwortung, Selbstgestaltungswille und innere Unabhängigkeit vom Unternehmen wirklich gewollt sind oder ob das eigentliche Ziel eher darin besteht, die Ordnung und Ruhe zu wahren, wohl wissend, dass damit Einiges kontrollierter, wenn auch nicht unbedingt effektiver abläuft. Hier geht es also um die grundsätzliche Entscheidung darüber, in welche Richtung Führungskräfte gefordert und gefördert werden sollen. 1.4.2
Auf dem Weg zur Gestaltung einer individuell tragfähigen Lebensorganisation
Der eigenverantwortliche Auftrag – eine individuell tragfähige Lebensorganisation finden Eigenverantwortung zur Gesundheitsförderung bedeutet nicht die Ausrichtung an vorgegebenen Richtlinien, sondern die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer individuell tragfähigen Lebensorganisation innerhalb der bestehenden Anforderungen und Rahmenbedingungen. Obwohl sich viele Verhaltensmuster im Umgang mit den Anforderungen und dem Gebrauch der individuellen Ressourcen (auch dem Körper) bei den Führungskräften ähnelten, wurde doch immer wieder darauf hingewiesen, dass die Veränderungen nicht in festen Regeln für Bewegung, Ernährung oder Entspannung bestehen können. Die „Helden“ reagierten hier besonders sensibel, denn erstens dürfe Gesundheitsförderung nicht ins Mitleid abgleiten („Sie können Führungskräften ihre 296
Heldenrolle nicht nehmen und sie bedauern.“) und zweitens müsse die Selbstbestimmung gewahrt bleiben: „Also man sollte da jetzt nicht sagen oder den Eindruck erwecken, als würden da die Führungskräfte vergewaltigt an der Stelle.“ Stattdessen ist der Erfolg dann gegeben, wenn gemäß der eigenen Situation, dem persönlichen Kontext, den individuellen Zielen und Bedürfnissen eine individuell tragfähige Lebensorganisation gefunden wird. Denn viel wichtiger als das „richtige“ Gesundheitsverhalten, sei es, „dass jeder für sich selber, für sich selber den Weg findet, der für ihn und seine Gesundheit der richtige ist. Und ich würde da ein Stück weit auch eine Verpflichtung auferlegen wollen, also dass sich jeder selber im Klaren darüber wird, was eigentlich die Situation ist, in der er am besten klar kommt.“ Dieser Lernauftrag, der an jeden Einzelnen formuliert wurde, orientiert sich an einer persönlichen Auseinandersetzung mit sich selbst, den eigenen Lebenszielen, Wertigkeiten und Ressourcen. Senge (1996, S.171ff) spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit von „Personal Mastery“, als persönliche Lerndisziplin, als einem Prozess der Persönlichkeitsentwicklung, in dem es immer wieder aufs Neue darum geht: • • •
„Was ist mir wirklich wichtig?“ „Wo stehe ich im Verhältnis zu meinem Ziel?“ und „Wie gelange ich zum Ziel?“.
Damit wird nicht nur mit dem „inneren Arzt“ gearbeitet (Was tut mir persönlich gut? Was brauche ich?), sondern auch mit der intrinsischen Motivation jedes Einzelnen. Dass der Wunsch nach einem Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben oder allgemein zwischen den Anforderungen und den ausgleichenden Ressourcen utopisch bleibt, haben viele Führungskräfte erkannt. Denn sowohl die Arbeit, das Privatleben wie auch viele Ressourcen stellen eine Funktion der Zeit dar. Wenn für die Arbeit mehr Zeit investiert wird, fällt sie im Privatleben weg und umgekehrt. Zugewinn auf der einen Seite 297
bedeutet einen Verlust auf der anderen. Die Frustration über das „ungelebte Leben“ (ob in Bezug auf Karriere oder Privates) muss wachsen, wenn das Ziel ein stabiles Gleichgewicht ist. Vielmehr ist das Instabile und Bewegliche die Grundlage unseres Lebens. Und so können angestrebte Balancen immer nur dynamisch sein. Die Stabilität wird über die Werte geschaffen, die jeden Einzelnen tragen und die Basis für das tägliche Entscheiden bilden: Was ist das Wesentliche für mich in den einzelnen Lebensbereichen? Was erfüllt mich („füllt mich mit Sinn aus“)? Was heißt das für meine Ziele und meine täglichen Entscheidungen? Damit ist das Problem zwischen Work und Life nur bedingt ein Zeitproblem, sondern vielmehr ein Werteproblem, das in der Auseinandersetzung mit sich selbst gelöst werden muss (vgl. Personal Mastery). Gleichwohl sind dies grundsätzliche Überlegungen, für die innerhalb des hektischen Tagesgeschäfts kaum Platz ist. So manche Führungskraft hatte erlebt, wie stark sich die eigene Wahrnehmung in Stresssituationen einschränkt und wie schnell dann das Gefühl der Resignation entsteht. Sobald etwas Ruhe herrscht, innere Sicherheit zurück gewonnen ist und wieder Zugang zu eigenen Ressourcen und Gefühlen da ist, können solidere Entscheidungen getroffen werden. Dementsprechend erscheint auch der Wunsch nach Zeit und Raum für einen verstärkten Blick nach innen, für mehr Eigenzeit verständlich. „Ich habe zu wenig von mir“, sagt ein Manager und spricht dabei das Bedürfnis zum Nachdenken und zum Kontakt mit sich selbst an, das in der unablässigen Geschäftigkeit des Tages und wegen bleierner Müdigkeit am Abend nicht befriedigt werden kann. Es erstaunt daher kaum, dass die grundlegende Voraussetzung für eine bessere Lebensbalance zunächst nicht in Wellnessprogrammen und in einem „Mehr“ an Ressourcen von außen gesehen werden, sondern vielmehr darin, die eigenen, so vielfältig vorhandenen Ressourcen wieder greifbar zu haben. Hilfreich dafür sind:
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Zeit und Raum für persönliche Introspektion (Innenschau), um aus eigenen Erfahrung zu lernen und Klarheit über persönliche Ziele, Werte und Prioritäten zu gewinnen, Klarheit über und Anerkennung der persönlichen Grenzen – „Wie weit ist weit genug, um die Richtung zu ändern? Welche Prioritäten setze ich?“, Selbstverantwortung übernehmen und mit Konsequenz die eigene Linie verfolgen.
Die Aufgabe der Führungskräfteentwicklung in der Unterstützung für eine individuell tragfähige Lebensorganisation besteht also weniger darin, fertige Lösungen und Rezepte zu bieten, sondern bedeutet vor allem, den Raum zur persönlichen Reflexion, zum Nachdenken und zur Innenschau zur Verfügung zu stellen und den Zugang zu den eigenen Ressourcen, Wertigkeiten, Prioritäten und Zielen zu unterstützen. 1.4.3
Der Aufbau gesunder Verhaltensmuster
Während die „Werte-Arbeit“ an einem individuell tragfähigen Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben, die Richtung für das Handeln vorgibt (Makroebene), besteht ein andererseits großer Lernbedarf in der gesunden Selbststeuerung (i.S. Erholungsfähigkeit, Leistung unter Stress erbringen, etc.) im Alltag (Mikroebene). Leistungsregulation und Selbststeuerung Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit und eine Senkung der Gesamtbelastung wurde weniger einem erhöhten Ausgleich nach der Arbeit, sondern vor allem einem anderen Umgang mit den täglichen Anforderungen zugeschrieben. „Sie können lediglich versuchen, den Kampf einigermaßen unbeschadet zu überstehen.“ Die bessere Bewältigung der täglichen Anforderungen beginnt mit einem neuen Verständnis darüber, wie langfristig Leistung am besten und ohne dauerhafte Schäden aufrecht gehalten 299
werden kann. Dahinter steht die Erfahrung einiger Führungskräfte, dass ein Mehr an Leistung nicht ein Mehr an Anstrengung und Härte bedeuten muss, sondern oft ein inneres Loslassen und die Akzeptanz von Grenzen leistungssteigernd wirken. Damit verbunden ist die Notwendigkeit zur individuellen und kulturellen Umbewertung vieler bisher als „leistungsorientiert“ betrachteten Verhaltensweisen (keine Pausen, ungeteilte Aufmerksamkeit, lange Arbeitszeiten, etc.) in „ressourcenschädliche“ Verhaltensweisen. Umgekehrt sollten besseres Abgrenzen, Nachdenken, Pausengestaltung, oder gar der Mittagssport als Zeichen höchster Leistungsorientierung gelten. Häufig ist hiermit die Angst verbunden, „meine Leute arbeiten nichts mehr“. Deshalb ist es wichtig, dass nach wie vor die verbindliche Leistungsfähigkeit im Vordergrund steht. Wird diese dann wirklich ernst genommen, braucht es wie bei jedem Sportler auch, einen entsprechenden regenerativen Ausgleich. Hier gilt es, gemeinsam mit dem eigenen Umfeld (Vorgesetzte, Mitarbeiter, Familie), den individuell richtigen Weg zu finden. Die Senkung der Belastungen durch optimalen Umgang mit den psycho-physischen Anforderungen Eine Senkung der Gesamtbelastung ist v.a. durch einen veränderten Umgang mit den täglichen Belastungen erreichbar. Hier geht es um die Suche nach dem individuell optimalen Weg der Leistungsregulierung, der auf langfristige Leistung und Wohlbefinden ohne gesundheitliche Schäden ausgerichtet ist. Gerade in diesem Punkt haben die Ergebnisse gezeigt, dass das eigene Verhalten oftmals weniger der persönlichen Lebensvision folgt, sondern von äußeren Reaktions- und Emotionsmustern bestimmt wird und so alles Gesundheitswissen in der täglichen Umsetzung nicht wirksam wird. Wirksam wird stattdessen eine häufig unbewusste, oft sehr früh angeeignete Logik im Umgang mit Belastungen. Man denke nur an die „Antriebskraft“ des tief verwurzelten Wunsches nach Anerken300
nung, der z.B. dazu führt, dass mancher, anstatt sich die notwendige Pause zu leisten, doch weiter arbeitet. Das heißt, über eine grundlegende Klärung der persönlichen Wertigkeiten hinaus, fußt der Erhalt einer dauerhaften Leistungsfähigkeit und Gesundheit auf Verhaltensmustern, die eine gesunde Anpassung an tägliche Stressoren und Anforderungen erlauben. Wie stark der eigene Anteil bei der Aufrechterhaltung von problematischen Verhaltensmustern ist, war vielen Interviewpartnern nicht bewusst, da die Reaktionen unwillkürlich und teilweise unbewusst ablaufen. In gleicher Weise unbekannt dürften den meisten Führungskräften die psychosomatischen Auswirkungen sein, die eine dauerhafte Selbstkontrolle, ein „In-sich-hineinfressen“, von Emotionen hat. Untersuchungen an Führungskräften berichten von den „zufriedenen Workaholics“ (Weiß, Schneewind & Olson, 1995), die sich durch gute Kontrollmechanismen und ein hohes Selbstbewusstsein auszeichnen und deshalb Zufriedenheit und lediglich „Eustress“ vermelden. Trotz der guten Stimmung können bei ihnen jedoch zahlreiche Stresssymptome nachgewiesen werden, die sich teilweise unerkannt zu langfristigen Schäden auswachsen. Eustress, das ist eine sehr hohe Belastung zwar, aber bei der sie sich wohl fühlen, Anerkennung erhalten und sich somit zumindest auch erfolgreich wähnen. Dann ist Belastung einfach eine challenge, auch wenn abends genauso körperlich die Batterie leer ist. Zu Disstress aber wird die selbe Belastung, nur unter mangelnder Anerkennung und Wertschätzung.
Die achtsamen Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie Zusammenhänge zwischen äußeren Situationen und individuell emotionalen sowie körperlichen Reaktionen erkennen können. Für viele war es ein schwieriger Lernprozess, die eigenen Signale nicht nur wahr, sondern vor allem ernst zu nehmen. Und gerade das wurde als Lernbedarf Nr.1 für die tägliche Leistungsregulation deklariert. Denn die Möglichkeiten der Selbststeuerung („wissen, wo der rote Bereich beginnt“) und der inneren Regulation („wissen, was ich dann für mich 301
tun kann“) erwiesen sich als wesentliche Voraussetzung, die eigene Leistungsfähigkeit in einem grundsätzlich dynamischen, schnellen und oft unvorhersehbaren Umfeld zu erhalten. Dies erfordert jedoch nicht nur den Zugewinn von „Körperwissen“, sondern auch die Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen und unbewussten Reaktionsmustern sowie das Erlernen von Techniken und Möglichkeiten, die im Alltag schnelles Abschalten und Regenerieren ermöglichen. Der gesunde Umgang mit täglichen Anforderungen auf der Basis einer gelungenen inneren Regulation (Selbststeuerung) Die innere Regulation und Selbststeuerung unter Belastungen fußt auf einer Auseinandersetzung mit persönlichen Verhaltens- , Reaktions- und Emotionsmustern im Umgang mit Belastungen und eigenen Ressourcen. Dazu gehören das Gespür und Erkennen von Körpersignalen, der Umgang mit persönlichen Grenzen und die sukzessive Erweiterung von Handlungsoptionen unter Stress. Die konkreten Verhaltensziele, die für ein erhöhtes Wohlbefinden im Alltag formuliert werden, symbolisieren den Wunsch nach einem inneren Gleichgewicht und die Möglichkeit des flexiblen Reagierens auf verschiedene Situationen: ¾ ¾ ¾
innere Stabilität innerhalb sehr turbulenter Zeiten, um die notwendige Integrität und stabile Ausgangspositionen für Entscheidungen zu haben, psychische und physische Flexibilität und Beweglichkeit, um mit der hohen Dynamik gehen zu können und nicht starr, poröse und zerbrechlich zu werden, innerer Unabhängigkeit und Kompetenzen zur eigenen Abgrenzung, um sich selbst Freiräume zu erlauben und gegebene Freiräume zu gestalten.
Während in vielen Interviews das Bild von einem harten Kampf gezeichnet wurde, bei dem man Gefahr läuft zu verlieren, wird für die Zukunft das Bild eines anderen Kämpfers 302
anvisiert: ein Kämpfer, der den Kampf nicht scheut, sondern der ganz im Gegenteil Wege sucht, aus dem eigenen Zentrum heraus seine Kraft entfalten zu können. Der so schließlich in der Lage ist, sowohl Stabilität als auch Beweglichkeit zu zeigen und einen vergrößerten Handlungsspielraum zur Verfügung hat. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zu den grundlegenden mentalen Mustern, die eingangs des Abschnittes beschrieben wurden und die für eine optimale Leistungsregulation notwendig sind. Für die Führungskräfteentwicklung ergeben sich daraus besondere Herausforderungen. Zum einen müssen der bisherige Umgang mit hohen Anforderungen und die dabei verwendeten Logiken und Strategien zur Leistungsoptimierung nach ihren Auswirkungen hinterfragt werden. Zum anderen geht es um die praktische Erweiterung der Reaktions- und Handlungsmöglichkeiten der Führungskräfte. Das Wohlbefinden im Alltag Anders als gemeinhin angenommen beweisen die Führungskräfte ein zunehmendes Gesundheitswissen und Problembewusstsein. Es war bekannt, welches Verhalten individuell gut tut oder was wenig gesundheitsförderlich ist. Wie vielfältig erwähnt, folgt die Umsetzung dieses Bewusstseins oftmals einer anderen Logik. Hier steht die konsequente Umsetzung des Wissens und die Suche nach Möglichkeiten zur Realisierung eigener Bedürfnisse im Vordergrund: • • • •
aktiver Ausgleich durch Bewegung, Auszeiten tagsüber nehmen (beispielsweise 1,5 h Mittagspause als Möglichkeit zur Entspannung oder zum Sport nutzen), Bewegungspausen integrieren (in Meetings, im Büro etc.), gesunde Rahmenbedingungen bei Besprechungen (ausreichend Getränke, Obst), 303
•
die Freiheiten und Rahmenbedingungen bzw. Maßnahmen des Unternehmens wirklich ausschöpfen (beispielsweise Kuren, Programme).
Das Lernziel für den Alltag – die Integration gesundheitsförderlicher Maßnahmen Das pragmatische Verhaltensziel besteht in der Aufrechterhaltung des persönlichen Wohlbefindens im Alltag, indem der Körper nicht vergessen wird, sondern mit kleinen Maßnahmen wie kurze Auszeiten, Bewegungspausen, ausreichend Getränken, etc. bewusst versorgt wird. Bildlich gesehen, geht es darum, kleine Rastplätze auf dem Weg zum Tagesziel und den eigenen Grenzen aufzusuchen. Die Führungskräfteentwicklung kann dazu beitragen, indem sie ein Umfeld unterstützt, das immer wieder Einladungen für ein attraktives Ziel („Ich tue mir mehr Gutes“) bietet und Techniken sowie Instrumente an die Hand gibt, die einfach und schnell im Alltag angewandt werden können. 1.4.4
Die Führungskraft als Leistungs- und Imageträger
Auf den Bereich der Führungsrolle wird im folgenden Kapitel noch gesondert eingegangen, denn gerade hier zeigten sich immer wieder Parallelen zwischen dem persönlichen Gesundheitsverhalten und dem, was im Team propagiert und gelebt wurde. Der Auftrag, der hier an die Führungskräfte ergeht, bewegt sich auf zwei Ebenen:
304
Notwendige Entwicklungen in der Führungsrolle Gesundheit (i.S. von Wohlbefinden, Work-Life-Balance) und psycho-physische Leistungsfähigkeit über die Vorbildwirkung als Führungskraft und die Verwendung entsprechender Bewertungsmaßstäbe als Wert sichtbar machen. Die Gesamtwirkung als Führungskraft durch höhere Präsenz und stärkere Integration von Kopf und Bauch erhöhen.
Hier liegt zugrunde, dass dem Körper sowohl in seiner Funktion als Leistungsträger (funktionstüchtig) wie auch in seiner Funktion als Imageträger (Selbstpräsentation) eine hohe Bedeutsamkeit zugestanden wird. Auf der einen Seite geht es darum, Führungsverantwortung auch für die Gebiete Gesundheit und Lebensqualität zu übernehmen und gleichzeitig, Gesundheit über die eigene Haltung hoffähig zu machen. Auf der anderen Seite ist es wichtig, die Führungsfunktion durch eine Integration von Analytik und Intuition, von Kopf und Bauch sowie durch eine verstärkte Aufmerksamkeit auf die Gesamtwirkung besser auszufüllen. „Das Ziel wäre, sich selbst besser einsetzen, sich selbst besser hinstellen zu können.“ Die Ergebnisse weisen auf das Dilemma hin, vor dem viele Führungskräfte noch stehen. Sie erkennen zwar den hohen Nutzen, der mehr Intuition und Kontakt zu den eigenen Gefühlen bringt, doch sie sind unsicher im Umgang damit. In ähnlicher Weise trifft das für die eigene Wirkung zu: Die meisten sind sich der Effekte bewusst, können jedoch die eigene positive Präsenz nur ungenügend gestalten. Dass dies wiederum nur in Kombination mit mehr Achtsamkeit und Kontakt zu sich selbst, mit einer bewussten Re-Integration von Körper, Gefühlen und Gedanken möglich ist, haben zahlreiche Beispiele in den Interviews gezeigt. In der Führungskräfteentwicklung sollte es deshalb auch darum gehen, neue Einstellungen und Verhaltensweisen im Um305
gang mit sich selbst und vor allem deren Auswirkungen auf die Ausübung der Führungsrolle zu prüfen.
1.5
Der organisationaleEntwicklungsbedarf: eine ressourcenförderliche Unternehmenskultur
Veränderungen im Denken, Handeln und Fühlen der Führungskräfte werden vor allem dann möglich, wenn das organisationale Umfeld diese unterstützt. Hierzu gehören nicht nur Aspekte der Unternehmensstrategie, sondern es geht auch um Unternehmensstrukturen und -prozesse, um Managementsysteme sowie allgemeine Rahmenbedingungen (vgl. Sackmann, 1999, S. 28). 1.5.1
Die organisationalen Stellhebel für eine Kulturgestaltung
Die organisationalen Stellhebel für eine Kulturveränderung Um Gesundheit im ganzheitlichen Sinne als Wert in der Kultur sichtbar zu machen, sind mehrerer Stellhebel wichtig. Dazu gehören die Art und Weise der Gestaltung von Arbeitsprozessen und Rahmenbedingungen, die Belohnungs- und Beförderungssysteme, Schwerpunkte der Personalauswahl und -entwicklung sowie die Führungsinstrumente und die Ausgestaltung der betrieblichen Weiterbildung. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden folgende Stellhebel identifiziert, um Gesundheit im ganzheitlichen Sinne als Wert sichtbar zu machen und vor allem die Ressourcen zu fördern (vgl. Abb. 22):
306
Abb. 22:
Mögliche Stellhebel zur Kulturgestaltung
Prozesse: Die Arbeitsprozessgestaltung für Führungskräfte dort stärker auf Handlungsspielraum, Gestaltungsmöglichkeiten und Selbstorganisation ausrichten, wo damit Routinen erleichtert und Beweglichkeit sowie schnelles Anpassen an neue Gegebenheiten ermöglicht werden können. Managementsysteme: •
Die Arbeitszeitsysteme dort mit mehr Flexibilität und Offenheit gestalten (flexible Arbeitszeitmodelle, Sabbaticals, Telearbeit, einen Tag ohne Termine ab 17.00
307
•
Uhr, Akzeptanz und Förderung von Mittagssport, etc.), wo mit derartigen Ansätzen ein erhöhter Wirkungsgrad innerhalb der Arbeitszeit erwartet werden kann.51 Mit Belohnungs- und Incentivierungssystemen Raum für die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse eröffnen (z.B. „Zeitgeschenke“ mit Familie und Partnern; Einbezug der Familien in bestimmte unternehmerische Veranstaltungen; Incentives für die Familien und Kinder; exklusive Angebote zur Gesundheit und zum Wohlbefinden im Rahmen der Vergütungssysteme52; Gesundheitsprogramme, Fitnesskurse oder Kuren als Incentives nutzen).
Personalentwicklung: •
•
In die Personalauswahl neue Werte wie einen ressourcenorientierten Umgang mit den eigenen Leistungsressourcen und denen der Mitarbeitern, Reflektiertheit und Gesamtwirkung als Persönlichkeit einbeziehen. Den Personaleinsatz stärker auf eine langfristige Förderung ausrichten (z.B. Umgang mit älteren Mitarbeitern) und durch einen potenzialgerechten Einsatz die
51
Zwischenzeitlich haben sich in diesem Punkt vor allem für die zentralen Bereiche von DaimlerChrysler neue Standardisierungen und Einschränkungen aufgrund arbeitsgerichtlicher Urteile ergeben. Es laufen aktuell neue Verhandlungen.
52
Die Deutsche Bahn AG hat für Führungskräfte das Angebot eines Medical Check up mit anschließendem mehrmonatigem Healthcoaching nicht im Zusammenhang mit Gesundheitsförderung angeboten, sondern als einen alternativen Wahlbaustein in der Vergütung. So erhält Gesundheit eher den Charakter der Incentivierung anstelle eines Auftrages.
308
Effizienz von Führungskräften und Mitarbeitern steigern. Führungsinstrumente: •
•
In die Leistungs- und Potenzialbeurteilung (LEAD)53 der Führungskräfte neue Dimensionen hinzufügen, die sowohl ergebnis- wie auch verhaltensorientiert „gesunde“ Führung widerspiegeln (z.B. achtsamer Umgang mit persönlichen Ressourcen und Grenzen, Selbstkompetenz und innere Stabilität, innere Unabhängigkeit). Diese Kriterien bauen wiederum auf der Unternehmensstrategie auf, d.h. setzen eine Veränderung dort voraus.54 In den Zielvereinbarungen Ziele zum Bereich Gesundheitsförderung bzw. Erhalt der Leistungsfähigkeit verankern. Kritische Prüfung der Ziele im Hinblick auf Realisierbarkeit und Machbarkeit.
53
LEAD – das konzernweite Management-Tool zur Beurteilung und Entwicklung der Führungskräfte bei DaimlerChrysler.
54
Die Erweiterung von LEAD entsprechend des Bedarfs könnte z.B. mit dem Leadershipkriterium „Top performance needs top balance“ vorgenommen und folgendermaßen formuliert werden: „Als Führungskraft sorgen Sie für den dauerhaften Erhalt ihrer Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit. Sie unterstützen sich und ihre Mitarbeiter auf dem Weg zu einer tragfähigen Balance zwischen organisationalen Anforderungen und persönlichen Ressourcen und fördern eine individuelle Work-Life-Balance sowie das körperlich, seelische und soziale Wohlbefinden.“
309
Betriebliche Weiterbildung und Organisationsentwicklung: •
•
Die Führungskräftequalifizierung ganzheitlich gestalten und Themenschwerpunkten wie Lebensqualität, Leistungsregulation, Gesundheit mit Führungsthemen in Bezug setzen sowie integrieren, um eine persönliche Auseinandersetzung mit eigenen Lebens- und Führungsparadigmen zu unterstützen. In der Weiterbildung ganzheitliches Lernen anbieten und nach einer Integration von kognitiven, emotionalen und körperlichen Anteilen streben.
Rahmenbedingungen im Unternehmen: •
Konzernweite Angebote für mehr Lebensqualität und Gesundheit schaffen (beispielsweise Ernährung in Besprechungen, Arbeitsplatzergonomie, Fitnessstudios, ärztliche Angebote, etc.) sowie die bestehenden auf die Arbeitsbedingungen der Führungskräfte abstimmen (beispielsweise Sportangebote ab 19.30 Uhr, Bistro zum informellen Treffen nach der Arbeit, etc.).
Interessant ist, dass viele Maßnahmen bereits existieren und vor allem dort von Erfolg gekrönt sind, wo sie im Rahmen organisationaler Veränderungsmaßnahmen an unterschiedlichen Stellen in die Organisationseinheiten Einzug gehalten haben.55 Andererseits sind viele Möglichkeiten weiter ungenutzt oder unbekannt. Ein gutes Beispiel sind die Gesund-
55
Beispielsweise im Rahmen des konzernweiten Projektes „Psychische Fehlbelastungen erkennen und abbauen“, im Rahmen neuer Projekte zur Aging Workforce Problematik, zur Integration von Work-Life-Balance-Themen oder Pilotprojekten in einzelnen Werken (Germersheim, Wörth, etc.)
310
heitskuren, die den Führungskräften in bestimmten Abständen als Incentive zustehen, die jedoch nur unzureichend in Anspruch genommen werden, weil Vorgesetzte diese Maßnahmen nicht unterstützen, Führungskräfte sich selbst die Zeit dafür nicht einräumen oder die sozialen „Folgekosten“ fürchten: „Heute wird belächelt, wenn einer mit 35 für eine Woche auf ein Gesundheitsmanagement geht, dann wird das vermutlich als Schwäche abgetan.“ Die Beispiele könnten fortgeführt werden, doch wo liegen die Konsequenzen? Einerseits bestehen bereits viele Möglichkeiten zur Gesundheitsförderung und Förderung der Work-LifeBalance im Unternehmen 56.Doch die greifbaren und rational logischen Stellhebel für eine Kulturveränderung bilden nur das eine Ufer der Veränderungen. Die weiche, emotionale und irrationale Seite der Kultur jedoch symbolisiert das andere Ufer – schlechter greifbar, doch oftmals mit höherem Einfluss. Für die Schaffung einer ressourcenförderlichen Kultur entsteht also die Frage: Wie lässt sich beides wirkungsvoll und nachhaltig verbinden? Um im Bild zu bleiben: Wie kann ein reger Fährverkehr zwischen diesen Ufern stattfinden? 1.5.2
Organisationale Entwicklungsfelder für eine andere Unternehmenskultur
Rezepte kann auch diese Studie nicht bieten. Dennoch konnten mit Hilfe der Führungskräfte einige unternehmensspezifische Entwicklungsfelder identifiziert werden, auf die besonderes Augenmerk gelegt werden muss, wenn Gesundheit im ganzheitlichen Sinn zu einem Wert in der Unternehmenskultur werden soll:
56
Vergleiche: Bericht „Übersicht über die Aktivitäten zur Work-LifeBalance bei DaimlerChrysler“ (PAP/PBP)
311
• • • • •
Arbeitsbeziehungen stärken und Synergien herstellen. Kollektive Bewusstheit über die aktuelle Unternehmenskultur sowie Aufmerksamkeit für ganzheitliche Gesundheit gestalten. Ressourcenförderliche Spielregeln aufbauen. Glaubwürdigkeit in der Gesundheitsförderung erhöhen. Führungsverständnis gedanklich und praktisch erweitern und über Team-Lernen eine Balance zwischen Anforderungen und Ressourcen ermöglichen.
Die Entwicklungsfelder sind alle eng miteinander verwoben und durch zahlreiche Wechselwirkungen bestimmt. Die hier vorgenommene Trennung ist deshalb eine theoretische, vereinfacht jedoch die Darstellung. Auf dem Weg zur ressourcenförderlichen Unternehmenskultur durch gesunde Beziehungen Im Mittelpunkt der Unternehmenskultur steht die Ausgestaltung der Strukturen und Prozesse durch die Menschen. Die Kultur lebt durch die Interaktionen. Betrachtet man dabei rückblickend nochmals die Stressoren im täglichen Arbeitsumfeld, so fallen die sozial-zwischenmenschlichen Konflikte als Belastungsbereich und speziell das Gefühl mangelnder Anerkennung und Wertschätzung ins Auge. Auf der anderen Seite hatten viele Führungskräfte erkannt, dass erhöhte Anforderungen an das Team die Notwendigkeit für echten Kontakt, stimmige Beziehungen und Menschlichkeit erhöhen. Vielleicht wurde gerade deshalb den Investitionen auf der Beziehungsebene besonderes Gewicht beigemessen. Denn Beziehungskapital kann selbst Ressource sein oder im negativen Fall auch Ressourcen vernichten.57 Die Team- und Abteilungskul-
57
Vergleiche dazu zahlreiche Untersuchungen aus der gruppendynamischen Sozialpsychologie, der Stressforschung oder dem
312
tur stellt damit einen bedeutenden Stellhebel im Rahmen einer ressourcenförderlichen Kultur dar. Handlungsziel: Gesunde Beziehungen herstellen und leben Als grundlegender Ansatzpunkt für eine ressourcenförderliche Arbeitskultur und eine reibungslose Arbeitsprozessgestaltung wird ein gutes Beziehungsmanagement eingefordert. Folgende Verhaltensziele werden als ressourcenförderlich und wünschenswert für die Unternehmenskultur anvisiert – diese Punkte betreffen sowohl Vorgesetzten-MitarbeiterBeziehungen, gleichrangige Arbeitsbeziehungen sowie teambzw. bereichsübergreifende Beziehungen: ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Investitionen für einen „gesunden“ Umgang miteinander, Wertschätzung und gegenseitige Anerkennung anstelle von Ressentiments, Vertrauen und Offenheit, bereichsübergreifende Kooperation anstelle von Abschotten und Bereichsegoismen, Koordination und Synergie anstelle von Aktionismus und Kontraproduktivität.
Zusätzlich haben die Themen Kooperation und Koordination eine besondere Bedeutung. Denn es war auffällig, dass im Konzern bereits zahlreiche Verantwortliche für den Themenkomplex benannt waren, die jedoch teilweise zu wenig kooperieren. Der Wirkungsgrad vieler Maßnahmen bleibt damit ein-
Sport. Soziale Unterstützung ist eine der am Besten untersuchten Ressourcen für Gesundheit (vgl. Ohm, 1997)
313
geschränkt. Die Motivation der Verantwortlichen sinkt, weil wenig Unterstützung kommt und stattdessen oft Widerstand empfunden wird. Hier wurde ein Auftrag an die innerbetriebliche Gesundheitsförderung gerichtet, mit verstärkter Kooperation und Koordination zu arbeiten und somit auch für die Nutzer (Führungskräfte, Mitarbeiter, Teams, Abteilungen) überschaubarer und besser greifbar zu sein. Dementsprechend muss das Verständnis von gesundheitsfördernden auch auf beziehungsfördernde Maßnahmen ausgeweitet werden. Führungskräfteentwicklung hat in diesem Fall auch eine Notwendigkeit zur Organisationsentwicklung. Dazu gehören Team- und Bereichsentwicklungen, die neben Wertsteigerung auch Aufmerksamkeit auf Werte-Steigerung legen und den Kontakt, das „Menschliche“, Spaß und das gemeinsame Miteinander integrieren. Gesundheit muss nicht ernst sein, sie ist im Gegenteil vor allem dann gesund, wenn sie gemeinsame Freude fördert. In diesem Zusammenhang können auch Anteile von Veranstaltungen mit Incentive-Charakter wichtige Stellhebel einer ressourcenförderlichen Kultur, wenn sie wiederum nicht für sich allein stehen, sondern in aktuelle Team- oder Bereichsthemen eingebunden werden. Auch Persönlichkeitsentwicklung kann einen Beitrag zur Kulturentwicklung leisten. Wird die Beziehung zu sich selbst verändert, dann verändert sich gerade im Führungsumfeld auch die Beziehung zu den Mitarbeitern. Beide Male liegt ein erweiterter Fokus der Einstellung zugrunde und eine ähnliche Logik der Beziehungsgestaltung: Achtsamkeit und Wertschätzung sich selbst und anderen gegenüber sowie eine möglichst reibungslose Integration verschiedener Lebensbereiche und der Prozesse in der Arbeitsbeziehung. Vor diesem Hintergrund ist Persönlichkeitsentwicklung gleichzeitig Organisationsentwicklung und umgekehrt.
314
Auf dem Weg zur ressourcenförderlichen Kultur durch eine kollektive Bewusstheit und Aufmerksamkeit für Gesundheit „Was müsste ich tun, um gesund zu bleiben?“, ist eine Frage, die viele Führungskräfte sicher beantworten können. Ist damit der Auftrag zur Förderung des kollektiven Bewussteins, der von einigen Führungskräften erging, hinfällig? Wohl kaum, denn es geht nicht um ein allgemeines Gesundheitsbewusstsein zur Gestaltung einer ressourcenförderlichen Kultur, sondern eher um einen Bedarf nach Bewusstheit und Aufmerksamkeit für Gesundheit im alltäglichen Geschehen – beide gehen Hand in Hand. Handlungsziel: Bewusstheit und Aufmerksamkeit für Gesundheit erreichen Die Gestaltung einer ressourcenförderlichen Arbeitskultur benötigt kollektive Bewusstheit über die aktuelle Lebensund Arbeitskultur im Unternehmen und Aufmerksamkeit für Gesundheit im alltäglichen Geschehen. Bewusstheit unterscheidet sich vom Gesundheitsbewusstsein darin, dass es weniger um idealtypisches Wissen geht, als vielmehr um eine Bewusstheit in Bezug auf die aktuelle Lebens- und Arbeitskultur im Unternehmen. Das heißt, es geht um das Erkennen von Zusammenhängen zwischen aktueller Kultur und deren Auswirkungen: Was tun wir? Wie tun wir das? Welche Konsequenzen hat das in Bezug auf unsere Ziele und die Leistungsfähigkeit, Wohlbefinden bzw. Lebensqualität? Erst damit erhält das Gesundheitswissen seine Relevanz, denn nur so werden die Hindernisse und Barrieren sichtbar, die sich (häufig unsichtbar) zwischen Anspruch und Wirklichkeit schieben. Hier geht es nicht um das Denken in Rezepten, sondern um das Denken in Zusammenhängen und Wechselwirkungen. Denn es gilt zu erkennen, an welchen Stellen veränderte Handlungen oder Strukturen zu signifikanten und dauerhaften Veränderungen führen. 315
Gleichzeitig benötigt ein derartiger Diskurs mindestens zwei wesentliche Voraussetzungen: •
die Möglichkeit und die Bereitschaft, sich über Tabugrenzen hinweg auszutauschen und die Fähigkeit, in Zusammenhängen und Wechselwirkungen zu denken.
•
Das heißt, wenn die Hebelwirkung dieses Ansatzes überhaupt ausgenutzt werden soll, dann braucht dies nicht nur Gesundheitsexperten, sondern die Unterstützung von Experten aus verschiedenen Bereichen (Ökonomen, Organisationsentwickler, Personalentwickler, Gesundheitsexperten, etc.). Die Aufgabe der Personal- und Führungskräfteentwicklung beginnt in diesem Fall bei der Begleitung von Team- oder Bereichsentwicklungen, in denen die aktuellen Dynamiken nicht nur auf sachliche Ergebnisse, sondern auch in Bezug auf ressourcenförderliches oder -vernichtendes Verhalten abgeklopft werden sollten und bei Bedarf neue Handlungsoptionen gemeinsam erarbeitet werden. Bewusstheit wird geschaffen, indem man die eigene Kultur mit Blick auf die Themen die Ergebnissicherung einerseits und den Erhalt von Vitalität, Leistungsfähigkeit oder Lebensqualität andererseits untersucht. Aufmerksamkeit auf eine Sache ist die Voraussetzung, um überhaupt Energie dafür aufzubringen. Auch den Führungskräften ist bewusst, dass sich das kollektive Bewusstsein für eine ressourcenorientierte Kultur (inklusive der Balancen zwischen Leistung und Regeneration, Arbeit und Privatleben, Karriere und Gesundheit) nur mit einer verstärkten Aufmerksamkeit auf eben jene Themen erhöhen lässt. Um Kultur zu prägen, wird in einem hierarchisch organisierten Unternehmen wie DaimlerChrysler vor allem auf die Aufmerksamkeit des Top- und oberen Managements gesetzt. Der Auftrag, der hier von den Führungskräften ergeht, lautet ganz klar: „Management attention“, d.h. eine Sensibilisierung und Normgestaltung für das Thema von „oben“. Denn „wenn das der Chef macht, ist das kulturprägend, weil der macht das 316
Gehalt.“ Eine ähnliche Entwicklung hat sich für das Thema Sport im Management ergeben. Was zunächst Modeerscheinung war, ist inzwischen in der Unternehmenskultur von DaimlerChrysler eine weithin akzeptierter Ausgleich. Um immer wieder Aufmerksamkeit zu erzeugen, wird hier das ständige Positionieren der Themen an verschiedenen Stellen gefordert: •
• •
Impulsgebung und Unterstützung durch diejenigen Bereiche im Unternehmen, die sich gewissermaßen „hauptberuflich“ mit dem Thema Gesundheit beschäftigen (Arbeitspolitik, Personalentwicklung, Betriebsarzt, sport, Sozialberatung, etc.) (vgl. dazu beispielsweise das Forum „Arbeit und Gesundheit“58). Positionierung von Gesundheit in verschiedenen Arbeitsbereichen, d.h. in eigenen Team-, Abteilungs- und Bereichsveranstaltungen. Positionierung über die betriebliche Weiterbildung und Führungskräfteentwicklung.
Gerade der letzte Bereich wird in zahlreichen Führungskräfteprogrammen bereits genutzt. In ihnen liegt auch eine besondere Wirkkraft, das Thema im Unternehmen zu streuen. Wei-
58
Hier wurde mit einer Veranstaltung „Forum Arbeit und Gesundheit“ ein erster Anstoß in diese Richtung gelegt. Vertreter unterschiedlicher Bereiche waren geladen, um die Herausforderung der Gesundheitsförderung aus verschiedenen Richtungen zu diskutieren und schließlich unternehmerische Zielrichtungen in diesem Feld zu positionieren. Die Veranstaltung fand im September 2001 statt und wurde von den Teilnehmern als symbolisches Zeichen vom Unternehmen und als Beitrag zur Kulturgestaltung begrüßt. (Dokumentation zum Forum, 2001, DaimlerChrysler AG, Bereich Arbeitspolitik)
317
terhin vermitteln sie über die Art und Weise der Programmgestaltung symbolische Werte (Pausengestaltung, Themenpriorität, Tagesablauf, etc.). Deshalb ist dieser Bereich nicht nur wirkungsvoll, sondern auch sensibel. Wenn Gesundheit beispielsweise in einem Führungskräfteprogramm über sechs Tage an einem Tag separiert abgehandelt wird, so signalisiert das ein generelles Commitment vom Unternehmen, doch gleichzeitig wird der weit verbreitete Eindruck verstärkt, dass Gesundheit eben nicht in den Managementalltag integrierbar sei. Hier benötigt es auch von Seiten der betrieblichen Weiterbildung ein grundlegendes Umdenken, wie Lernen ganzheitlich gestaltet werden kann, um neue ganzheitliche und integrative Denkmodelle nicht nur zu vermitteln, sondern zu Auf dem Weg zur ressourcenförderlichen Kultur mit neuen geheimen Spielregeln Die Ergebnisse dieser Studie zeigen ganz plastisch, wie viel Energie durch das Einhalten der geheimen Spielregeln gebunden ist und wie stark Lernen und Veränderung im Feld Gesundheit behindert werden. Um einige Beispiele von den kulturellen Spielregeln einer Organisation in Erinnerung zu rufen: Wenn sie ihr Chef an die Leistungsgrenze führt, können sie nur überleben, wenn Sie alle anderen an die Leistungsgrenze führen und die wiederum ihre Anderen dahin führen. // Nur wenn wir und die Mitarbeiter irgendwie ausgequetscht wie eine Zitrone aussehen, dann ist es richtig. // Wir dürfen hier nicht genießen, wir müssen immer beschäftigt sein, hart arbeiten und klagen. Denn: Nur wer leidet, ist wirklich gut! Nur wer überlastet ist, ist richtig ausgelastet! // Wer einmal drin ist, wird mit Haut und Haar vereinnahmt.
Aus der Distanz betrachtet mögen diese Spielregeln häufig relativiert werden. Doch im täglichen Erleben sind sie oft wirklicher, als es vielen Führungskräften lieb ist. Deshalb erscheint es zwingend, auch diesen Teil der Organisationskultur als ein wichtiges Lernfeld zu betrachten. Ziel ist, den Innovationen im Feld Gesundheit neue Spielregeln zugrunde zu legen. 318
Je widersprüchlicher die Kultur ist, desto eher gibt es Lernbarrieren. Es entstehen Patt-Situationen, die keine Entwicklung in eine neue Richtung erlauben. Die Auswirkung ist eine Art erlernter Hilflosigkeit. Handlungsziel: Neue kulturelle Spielregeln etablieren Eine ressourcenförderliche Arbeitskultur kann nur dann entstehen, wenn sich auch die wahrgenommenen und gelebten geheimen Spielregeln in der Unternehmenskultur und die Annahmen in den Köpfen der Menschen ändern. Wie lassen sich solche irrationalen Teile der Organisationskultur beeinflussen? Eines scheint zumindest sicher: Die positiven öffentlichen Bekenntnisse und formellen Aussagen zum Thema Gesundheit haben die Führungskräften bisher wenig beeindrucken können. Per Dekret lassen sich Spielregeln also kaum verändern. Schein (1986, S.36) erinnert daran, dass diese öffentlichen Aussagen zwar wertvoll sind, um Schwerpunkte des Handelns zu verdeutlichen. Doch Sie können nicht als Möglichkeit gelten, die Kultur zu definieren. Der einzige Weg der Beeinflussung führt über das Verständnis ihrer Entstehung. Diese geschieht direkt im Alltag, in den Wahrnehmungen und Interpretationen des täglichen Geschehens, der gestellten Anforderungen, der formellen und informellen Aussagen und des Verhaltens, vor allem das der Führungskräfte (vgl. Schein, 1986). Als anschaulicher Überblick dient das von Sackmann (1983) veröffentlichte Modell über unterschiedliche Interpretationen und Erklärungsmuster der Wirklichkeit.
319
Abb. 23:
Unterschiedliche Erklärungsmuster von Unternehmenskultur die das Handeln des Einzelnen beeinflussen (Quelle: Schmidt & Berg, 1995, S. 386).
Das Modell bietet einige Ansatzpunkte zu einer möglichen Veränderung der Spielregeln. Zwei Wege sollen besonders heraus gehoben werden: die Auseinandersetzung mit dem „Kulturkern“ bzw. die symbolische Verankerung von Gesundheit, Work-Life-Balance und Lebensqualität in den Handlungen und Verhaltensbewertungen. Der erste Weg ist der direkte. Er verlangt die ehrliche und bereitwillige Auseinandersetzung über die vorherrschenden 320
Tabus, die existierenden mentalen Modelle, die bestehenden Spielregeln und Idealbilder - eine Auseinandersetzung über deren Entstehung und deren Sinn. Welchen Nutzen haben sie? Was verhindern oder ermöglichen sie? In welcher Weise muss effektives und produktives Arbeiten neu bewertet werden, um den Druck hoher Arbeitszeiten zu dämpfen und welches Verhalten muss als „richtig“ bewertet werden, um beispielsweise die Effizienz in täglichen Besprechungen zu erhöhen? Hier können zahlreiche Beispiele angeführt werden. Das Kernziel, dem eine solche Auseinandersetzung folgt, besteht in dem bereits erwähnten Faktor „Bewusstheit“ und schließlich dem Erkennen der eigenen Beiträge zur Aufrechterhaltung dieser Spielregeln. Dieser Anspruch ist verschiedentlich schon zur Sprache gekommen und soll deshalb hier nicht vertieft werden. Ich möchte lediglich zusammenfassen, dass gerade die schwer greifbaren irrationalen Teile der Kultur auf diese Weise greifbar gemacht werden können und schließlich, wenn sie nicht mehr geheim sind, auch ihre Macht verlieren. Unternehmen können Gesundheit möglich machen, wenn die ressourcenförderliche oder -schädliche Kultur auf den Prüfstand kommt. Führungskräfteentwicklung kann hier durch Veranstaltungsformen wie ein „Open Space“, Symposien oder vom Austausch geprägte Foren einen wesentlichen Beitrag leisten. Der zweite Weg ist eine Aufforderung an jede Führungskraft, das tägliche Verhalten dahingehend zu überprüfen, welche Signale in Bezug auf die Wertigkeit von Gesundheit, Lebensqualität bzw. Work-Life-Balance gesetzt werden. Führungskräfte auf allen Ebenen prägen sehr viel deutlicher, als ihnen vielleicht recht ist, die Unternehmenskultur und die entsprechenden Spielregeln. Besonders gilt dies für die höchsten Entscheidungsträger. Die folgenden Fragen zur Überprüfung des eigenen Verhaltens und das Verhalten anderer können als Anhaltspunkte zur Neugestaltung der Spielregeln dienen (vgl. Schein, 1986). •
Was wird systematisch beachtet? 321
• • • • • • • • • •
Welche Themen stehen auch mit beiläufigen Bemerkungen konsequent im Vordergrund? (z.B. Frotzeln über frühzeitigen Feierabend) Welche Themen stehen bei Besprechungen systematisch im Vordergrund? Worauf erfolgen keinerlei Kommentare bzw. Reaktionen? (z.B. Krankheit) Welches Verhalten wird stillschweigend geduldet? (z.B. keine Pausen) Welches Verhalten wird belohnt bzw. bestraft? Worauf folgen positive oder negative emotionale Reaktionen? Wie wird auf kritische Belastungssituationen in der Organisation reagiert? (z.B. mit mehr Druck oder mehr Unterstützung?) Wie werden kritische Krankenfälle in der Organisation behandelt? (z.B. „Es ist mir egal, ob du krank bist.“ oder „Wir brauchen dich?“) Wie stark unterscheiden sich offizielle und inoffizielle Botschaften? (z.B. offizielle Workshops zum Thema Gesundheit im Konzern ohne eine Bewegungspause). Welche Botschaften werden durch Routine-Abläufe vermittelt? (z.B. Besprechungsroutinen, Teamrituale)
Auf organisationaler Ebene können wichtige Beiträge zur Gestaltung einer ressourcenförderlichen Kultur geleistet werden, indem einige der bereits angesprochenen Stellhebel auf unausgesprochene Botschaften geprüft werden. Welche Verhaltenskriterien werden belohnt und gefördert? Welche Wertigkeiten werden damit transportiert? • •
322
Rekrutierung neuer Mitarbeiter bzw. potenzieller Führungskräfte (Werden sie ausgewählt, wenn sie Wert auf Familie legen?) Leistungsbeurteilung und Beförderung (Inwiefern enthält beispielsweise LEAD ein Kriterium, das gesundheitsförderliches Verhalten und eigenverantwortliche Leistungsregulation belohnt?)
•
Rücktritt bzw. Ausschluss (Erfolgen Rücktritte beispielsweise aufgrund gesundheitlicher Beschwerden?)
Diese Beispiele betreffen u. a. den Bereich der Zielvereinbarungen. Wenn etwas zur Pflicht gemacht wird, dann ist es dem Unternehmen wichtig, dann muss es umgesetzt oder durch Kontrollen herbeigeführt werden. Bereits existierende Tools wie Zielvereinbarungen und Pflichtenhefte könnten auch Gesundheitsprävention in Form von Bewegung, Kuren, Vorsorgeuntersuchungen zur Norm verhelfen. Diese Logik passt zur aktuellen Unternehmens- und Führungsphilosophie und nutzt bestehende Systeme von Pflicht, Beurteilung und Evaluation. Dennoch war diese Art der Integration von Gesundheit unter den Führungskräften umstritten. „Es trifft gefühlsmäßig nicht den Kern“, so lautet eine Meinung. Denn dahinter steht wieder die Frage: Welche Botschaft wird vermittelt? Nur allzu leicht könnte Gesundheit zur Pflichterfüllung gereichen, bei der wiederum Konformität belohnt wird. Fällt die Pflicht irgendwann weg, endet auch das Handeln. Hinzu kommt möglicherweise sogar ein latenter innerer Widerstand. Der Einzelne kann keine Anerkennung der persönlichen Bedürfnisse erkennen, sondern lediglich die Aufforderung zu einer zusätzlichen Aufgabe, die für das Unternehmen und nicht für die eigene Person geleistet wird. Ist es daher verwunderlich, wenn einige Führungskräfte gut gemeinte Sportveranstaltungen abwehrend kommentieren: „Ich lasse mich nicht noch mehr einschränken, mir noch mehr vorschreiben!“ Die Botschaft, nach der zwischen den Zeilen gesucht wird, heißt nicht „mehr Gesundheit“, sondern eher „mehr Zeit und Raum für meine Bedürfnisse“. Damit verwoben sind ein hohes Vertrauen und eine Logik, die weniger auf Kontrolle setzt als auf Bewusstheit, Achtsamkeit und auf Eigenverantwortung. Außerdem würde so das Unternehmen in seiner Verantwortung auch entlastet. Denn Ziel muss es dann lediglich sein, die Leistungsfähigkeit aller zu stabilisieren und Raum für ein gesundheitlich eigenverantwortliches Handeln der Führungskräfte zu schaffen. Ob und wie dieser ausgefüllt wird, obliegt der persönlichen Entscheidung jedes Einzelnen. 323
Führungskräfteentwicklung, die Gesundheitsförderung betreiben will, muss sehr genau prüfen, welche Botschaften womit vermittelt werden und welche Bedürfnisse von Seiten der Führungskräfte getroffen werden sollen. Dies kann nur im gemeinsamen Diskurs erfolgen und benötigt oftmals keine neuen Instrumente oder Maßnahmen, sondern lediglich die angemessene kulturelle Verankerung des Bestehenden. Das Ergebnis kann eine gesteigerte Glaubwürdigkeit sein. Auf dem Weg zu einer ressourcenförderlichen Kultur durch erhöhte Glaubwürdigkeit Glaubwürdigkeit ist ein Thema und ein Ziel, das nicht nur bei der Gesundheitsförderung angestrebt wird. Immer wieder geht es um einen Gleichklang zwischen Anspruch und Wirklichkeit und immer wieder scheint es ein unauflösbarer Widerspruch zu bleiben. Handlungsziel: Glaubwürdigkeit in der Gesundheitsförderung erhöhen In einer ressourcenförderlichen Kultur kann nur dann Gesundheit als Wert verkörpert werden, wenn die Beteiligten Glaubwürdigkeit in den gesundheitsfördernden Maßnahmen zeigen bzw. diese den Entscheidungsträgern auch zugestanden wird. Die Erhöhung der Glaubwürdigkeit war einer der Aufträge, der von den befragten Führungskräften vor allem an die Unternehmensführung gerichtet wurde. In einer hierarchischen Unternehmensphilosophie, wird der Blick häufig zuerst nach oben gerichtet und dabei der eigene Beitrag und die eigene Verantwortung teilweise vernachlässigt oder sogar verneint. Wie glaubwürdig wird jedoch das eigene Bedürfnis nach Gesundheit, Wohlbefinden und Work-Life-Balance vermittelt? Wie real ist es für jeden selbst? Was nehme ich dafür in Kauf, wenn ich mich abgrenze? Wie verbindlich stehe ich zu den Anforderungen meines Jobs und meiner Familie? Hier geht es also um zwei Seiten einer Medaille: die glaubwürdige Verant324
wortung zur Gesundheit „von oben“ und die glaubwürdige Vermittlung der Bedürfnisse „von unten“. Verantwortung, die das Unternehmen übernimmt, wäre dann glaubwürdig, wenn dazu auf allen Ebenen konsistente und konsequente Botschaften vermittelt werden. Dazu gehört auch, dass die gesteckten Ziele im Hinblick auf Gesundheit neu geprüft werden. Was ist „menschlich“ machbar? Wo sind die Effizienzgrenzen jetzt schon überschritten? Wie illusorisch muss Globalität bleiben, wenn Führungskräfte so global unterwegs sind, dass sie die jeweiligen Anforderungen vor Ort physisch kaum bewältigen können?
Nur wenn ein ehrlicher Diskurs über die Ziele die dafür notwendigen Rahmenbedingungen von Vorgesetzten und Mitarbeitern erfolgen kann und den Ergebnissen mit Verbindlichkeit nachgegangen wird, entsteht Lust, diese Aufgaben zu bewältigen. Auf dem Weg zu einer ressourcenförderlichen Kultur durch „gesunde“ Führung und Team-Lernen „Only people can create value“, betont Jürgen E. Schrempp59 und angesichts der Ergebnisse dieser Studie könnte man hinzufügen: „Only good leadership can create value.“ Doch „gute“ Führung zu definieren, fällt auch der Wissenschaft nicht leicht. Zu individuell, zu verschieden sind die Anforderungen in Hinblick auf unterschiedliche Situationen, Personen und Konstellationen. Nichts desto trotz ist man sich einig, dass der Zweck guter Führung darin besteht, Menschen zu Leis-
59
Offizielle Broschüre zum Thema „Führung und Incentivierung“, DaimlerChrysler AG, Ressort Personal
325
tungen zu bewegen, die sie aus eigenem Antrieb nicht bewältigen würden. Auch die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass einer der wichtigsten Beiträge zur Verankerung neuer Werte in der Organisationskultur über die Führung zu leisten ist. Dabei wird „gute“ Führung durch das Label „gesunde Führung“ ergänzt. So wird auf eine gedankliche sowie praktische Erweiterung von Führung hingewiesen, die nicht nur zur Leistung befähigt, sondern gleichzeitig ihr Augenmerk auf den ganzheitlichen Erhalt der Gesundheit legt. Führung stellt das wichtigste Bindeglied zwischen dem Einzelnen und der Organisation dar. Somit besteht mittels guter und gesunder Führung die Chance, Kultur im Sinne von Wohlbefinden, Lebensqualität und Work-Life-Balance „nach unten“ zu ermöglichen und „nach oben“ bzw. „in die Breite“ zu gestalten. Führungskultur ist Organisationskultur Auf dem Weg zu einer ressourcenförderlichen Kultur und dem dauerhaften Erhalt der Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen kommt der täglichen Führung und den zugrunde liegenden Führungsparadigmen eine sehr hohe Bedeutsamkeit zu. Für Führungskräfte geht es darum, sich selbst einen Wert für Gesundheit bzw. Wohlbefinden, Work-LifeBalance und Lebensqualität zuzugestehen, gleiches für die Mitarbeiter zu ermöglichen und so Kultur zu gestalten. Für den langfristigen Erhalt der Leistungsfähigkeit und Gesundheit ist eine Erweiterung der bestehenden Philosophie in Richtung einer werteorientierten Führung notwendig, die neben Verantwortung für messbare Ergebnisse auch Verantwortung für Vitalität und Ressourcenförderung sowie Anpassung i.S. von Veränderungsfähigkeit übernimmt.
326
Handlungsziel: Gesunde Führung Gesunde Führung zeichnet sich durch eine Führungsphilosophie aus, die ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen organisatorischen Anforderungen (Kosten, Qualität, Arbeitsabläufe, Arbeitszeiten, Zielvereinbarungen, etc.) und persönlichen Ressourcen (Ausgleich, Familie, Anerkennung, Sinn, etc.) schafft. Neben der Verantwortung für den langfristigen Erfolg wird auch Verantwortung für die Pflege der Ressourcen übernommen. Dieses Führungsverständnis folgt dem bereits eingangs erwähnten Motto: „Wir brauchen Profit, um erfolgreich zu sein und Menschlichkeit, um das zu überleben.“ Es wendet sich ab von einem mechanistischem Management, welches versucht, mit möglichst viel Kontrolle, hohem Druck und engen Rahmenbedingungen „alles im Griff zu haben“ und Leistung durch Mehr-Aufwand und Härte zu steuern. Daneben steht der Wunsch nach Kooperation und Vertrauen. Eine Führungskraft findet dafür die Vokabel „Loslassen“. Hier geht es nicht nur um individuelle Strategien zur Stressbewältigung, sondern um Loslassen im Sinne von mehr Handlungsspielraum, mehr Flexibilität, mehr Möglichkeiten der Selbstorganisation. Dadurch entstehen im Idealfall mehr Chancen, eigenverantwortlich sowohl die Anforderungen zu erfüllen, als auch für die eigene Work-Life-Balance zu sorgen. Dieser Anspruch darf nicht als Wunsch nach führerlosem Geschehenlassen missverstanden werden, sondern als Weg, geringe Ressourcen vor allem dort besser zu nutzen, wo dies durch weniger fixe Standards möglich ist. Denn die Ergebnisse dieser Studie verweisen darauf, dass bei erhöhten Leistungsanforderungen an das Team die Notwendigkeit für Kontakt, für stimmige Beziehungen und ein ausgleichendes Klima steigen. Das Verhaltensmuster, das von den Führungskräften selbst eingefordert wird, bedeutet Interdependenz – eine gegenseiti327
ge Abhängigkeit, die einerseits festen Boden vermittelt und andererseits Raum zum Handeln lässt. Das wiederum ist nur mit ausreichend Verantwortungsbewusstsein und Vertrauen möglich. Je mehr Spielraum da ist, desto stabiler und zuverlässiger müssen die Verbindungen der Mitarbeiter, Teams und Abteilungen untereinander sein. Hierfür sind klare Werte und gemeinsame Ziele oftmals wirkungsvoller als enge Rahmenbedingungen und strukturelle Begrenzungen. Das Führungsverständnis „gesunder Führung“ Die beschriebene ressourcenförderliche Art der Führung zeichnet sich durch Vertrauen, Verantwortungsbewusstsein und Interdependenz in der Beziehung aus – eine gegenseitige Abhängigkeit, die Struktur und Stabilität vermitteln sowie Handlungsspielraum und Flexibilität ermöglicht. Die Übersetzung dieses Paradigmas in den Alltag haben die Führungskräfte selbst geleistet und Aspekte einer ressourcenorientierten Führung definiert: Die Parallelen zu bereits erwähnten Entwicklungsfeldern auf individueller oder organisationaler Ebene sind unverkennbar: ¾
¾
¾
¾
328
Arbeiten und feiern: Sowohl fachliches Engagement als auch Engagement für die bewusste Gestaltung des gemeinsamen Wohlbefindens in der täglichen Routine (Teamspirit, kleine Rituale und Incentives) zeigen. Beziehungen gestalten und Vertrauen leben: Eine Beziehungslogik vertreten, die auf Partnerschaft, Anerkennung und einer Reihe von Werten wie Vertrauen, Offenheit und gegenseitiger Akzeptanz aufbaut. Präzision, Klarheit schaffen und Sensibilität für Effizienz zeigen: Ressourcen durch klare, fokussierte Führung (z.B. mit klar definierten Aufgabenstellungen und Abmachungen, konstantem Verhalten oder einer effiziente Zeitnutzung) sparen. Ressourcen und Wirksamkeit fördern: Mitarbeiter stärker nach eigenen Potenzialen einsetzen und fördern.
¾
¾
¾
¾
Stimmige und deutliche Bewertungsmaßstäbe setzen: Ziele und Ergebnisse anstelle von Anwesenheit bewerten; deutlich zu eigenen Führungs- und Bewertungsmaßstäben positionieren. Work-Life-Balance leben und ermöglichen: Für die eigene Person und in der Führung Anforderungen (Leistung, Verfügbarkeit, Aufgaben) und Ausgleich (Privatleben, Sport, Freizeit) verbinden. Freiheitsgrade leben und Freiraum geben: Eigene Zeit und Raum zum Erhalt der persönlichen Leistungsfähigkeit und Lebensqualität sichern sowie diesen Freiraum den Mitarbeitern ermöglichen. Reflektieren und ehrlich Bilanzen ziehen: Reflexionsphasen und Standortbestimmungen für das eigene Führungsverhalten, die Gesamtwirkung der eigenen Person und die Gesamtsituation im Team einbauen.
Wichtig und deutlich wird wieder das Grundprinzip: ein Zusammenspiel zwischen sowohl klaren Grenzen und deutlichen Forderungen als auch Freiheit, Loslassen und Regeneration. Deutlich wird weiterhin, dass die Führungskräfte einen hohen Anspruch stellen, denn dieses Führungsverständnis benötigt Lernen und Disziplin - für die Führungskräfte selbst wie auch für die Teams. Hier geht es um ein Lernen, das die Ebene der einzelnen und geteilten Einstellungen sowie Verhaltensmuster berührt und als Team-Lernen (vgl. Senge, 1996, S.285ff) über das individuelle Lernen hinausgeht. Reine Wissensvermittlungen oder gut strukturierte Sechs-Punkte-Lernprogramme können diesen Anforderungen nicht genügen. Eine zukünftige Führungskräfteentwicklung sieht sich damit vor die Frage gestellt, wie Teamlernprozesse im Hinblick auf eine ressourcenförderliche Arbeitskultur und unter „gesunder“ Führung unterstützt werden können (vgl. Abb. 23).
329
Abb. 24:
2
Lernprozesse, die Veränderungsenergie erzeugen
Diskussion über eine zukünftige Führungskräfteentwicklung
Ein kultureller Wandel ist ein äußerst komplexes und langfristiges Unterfangen. Ein Unterfangen, das scheitern muss, wenn mit einer Veränderung von heute auf morgen und mit klaren Ursache-Wirkungsketten gerechnet wird. Vielmehr gilt es sowohl über zahlreiche Wege das individuelle als auch das organisationale Lernen zu fördern – das zeigt die in den vorherigen Kapiteln abgebildeten Diskussion. Weil Führungskräfte wichtige Träger für die Kulturgestaltung sind, fungiert die Führungskräfteentwicklung als wirkungsvoller Stellhebel, um mit der Qualifikation der Führungskräfte strategisch und kontinuierlich dort Lernen zu fördern, wo Verände330
rungen notwendig und in Anbindung an den Führungsalltag konkret werden können. Auch bei DaimlerChrysler existiert ein vielschichtiges Entwicklungs- und Qualifikationsangebot für Führungskräfte, das in ein Gesamtkonzept strategischer Personalentwicklung eingebunden ist und sich in weiten Teilen auf ein konzernweites Management-Tool zur Beurteilung und Entwicklung des Managements (LEAD60) gründet. Doch in welcher Form verändern sich die Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung vor dem Hintergrund des erhobenen Veränderungsbedarfs? Welche Entwicklungen sind für die betriebliche Weiterbildung notwendig, um den Lernbedarf überhaupt decken und auf neue Anforderungen reagieren zu können?
2.1
Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung
2.1.1
Ganzheitliche Entwicklungsbegleitung als übergreifendes Motto zukünftiger Führungskräfteentwicklung
Aus dem sehr umfangreichen Lernbedarf haben die Führungskräfte für den Bereich ihrer eigenen Qualifizierung und Entwicklung eine eindeutige Vorgabe gemacht: 90,5 % der Befragten sind der Meinung, dass mehr Ganzheitlichkeit in der Führungskräfteentwicklung benötigt wird. Deutlich wurde, dass dieser Bedarf nicht auf esoterische Konzepte oder Gesundheitsförderung im Speziellen abzielt, sondern auf eine greifbare Unterstützung zur besseren Bewältigung zunehmender Komplexität und wachsender Managementanforderungen.
60
LEAD (Leadership Evaluation and Development), DaimlerChrysler AG, Ressort Personal.
331
Im Mittelpunkt steht damit die Anfrage nach integrativen Konzepten der Personalentwicklung, die klassischen Ansätze der Gesundheitsförderung, der Arbeitszeit- und Arbeitsprozessgestaltung sowie der individuellen Qualifizierung einbeziehen. In der Auswertung wird deutlich, dass Qualifizierung hier eher im Sinne von Entwicklungsbegleitung auf dem Weg zur Bewältigung der Anforderungen gemeint ist und weniger ein Lernen einzelner Fähigkeiten „on top“ bedeutet. Erwünscht ist ein Lernen, das: ¾ ¾ ¾
die Entwicklung als Person und Persönlichkeit sowie in der Gesamtwirkung als Führungskraft fördert, verschiedene persönliche Lebensbereiche (beruflich und privat) und andere Lebenswirklichkeiten (interdisziplinärer Austausch) integriert, Lösungen bieten, die der Vernetztheit und Komplexität des Alltags Rechnung tragen.
Das heißt, der Bedarf nach Ganzheitlichkeit für die Führungskräfteentwicklung drückt sich in einem Wunsch aus, den „ganzen Menschen“, eingebettet in ein „ganzheitliches Lebensumfeld“ zu betrachten und zur Gestaltung „ganzheitlicher Problemlösungen“ beizutragen. Verglichen mit dem individuellen Veränderungs- und Handlungsbedarf spiegelt sich hier das Bedürfnis, jenes zu lernen, was zunehmend wichtig ist, um im Management zu bestehen: ein „Sowohl-als-auch“ von Arbeit und Leben, von Karriere und Gesundheit, von ergebnisorientierter und „gesunder“ Führung, von der Bewältigung der hohen Anforderungen und dem gleichzeitigen bewussten Gebrauch aller Ressourcen. Eine Entwicklungsbegleitung ist dann sinnvoll, wenn sie beruflichen und persönlichen Nutzen stiften kann und nicht ausschließlich auf das fragmentierte Auffüllen einzelner Defizite ausgerichtet ist.
332
Die zukünftige Herausforderung – Führungskräfteentwicklung als ganzheitliche Entwicklungsbegleitung Die Anforderungen, die an eine zukünftige Führungskräfteentwicklung gerichtet werden, betonen den „ganzen Menschen“ (als Person und Persönlichkeit), eingebettet in seinem „ganzheitlichen Lebensumfeld“ (verschiedene Lebensund Arbeitsbereiche) und ausgestattet mit einer ganzheitlichen Handlungskompetenz zur Bewältigung komplexer Aufgaben des Alltags. Diese Herausforderung hat Konsequenzen für die thematische und methodische Gestaltung der Führungskräfteentwicklung. Es geht nicht um ein bloßes Hinzufügen neuer Themen oder gar die Generierung neuer Einseitigkeiten und Modetrends, sondern um die Bereicherung des Bestehenden im Sinne der Auflösung von Einseitigkeiten und der Förderung von Ganzheitlichkeit. Dieses Verständnis bietet möglicherweise einen Erklärungsansatz, warum bisher kaum Führungskräfte für klassische Gesundheitsschulungen gewonnen werden konnten bzw. der Effekt hinter den Erwartungen zurückblieb. Denn mit der lange ausschließlich praktizierten Form der Gesundheitsförderung (Fokus auf Bewegung, Ernährung, Entspannung und Wellness) werden der Bedarf der Führungskräfte und der des Unternehmens nur ungenügend getroffen. Vielmehr braucht es eine Unterstützung, bei der medizinische Aspekte der Gesundheit nur ein Bestandteil sind. Auf welchen Themengebieten und mit welchen Schwerpunkten ist aufgrund des individuellen Entwicklungs- bzw. Lernbedarfs eine Bereicherung, Ergänzung bzw. Integration notwendig und welche konkreten Anforderungen ergeben sich hieraus an die Führungskräfteentwicklung?
333
2.1.2
Themen- und Anforderungsprofil für die Führungskräfteentwicklung zur Unterstützung des individuellen Lernbedarfs
Nachfolgend wird der oben geschilderte Handlungs- und Lernbedarf in Kurzform zusammengefasst und gezielte Anforderungen für eine Führungskräfteentwicklung abgeleitet. Diese soll zur Unterstützung und Förderung der psychophysischen Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Führungskräfte beitragen. Die hier vorgenommene Trennung nach inhaltlichen Schwerpunkten können in Maßnahmen zur Führungskräfteentwicklung verschiedentlich kombiniert und mit anderen fachlich strategischen Führungsthemen in Bezug gesetzt werden. Sie müssen es sogar, wenn der Ganzheitlichkeit verstärkt Rechnung getragen und der Transfer verstärkt sichergestellt werden soll. Work-Life-Balance Entwicklungsziele (Z) und dazugehörige Anforderungen (A) an Führungskräfteentwicklung Z
Den persönlichen Lebensentwurf erkennen und eine individuell tragfähige Lebens- und Arbeitsorganisation finden und leben.
A
Unterstützung zu Prozessen der Persönlichkeitsentwicklung und der Suche nach einem individuell richtigen Weg der Lebensgestaltung geben.
Z
A
Persönliche Lebensziele, Werte, Prioritäten und Grenzen klären „Was ist mir wirklich wichtig? Wo stehe ich im Verhältnis zu meinem Ziel? Welchen Weg kann ich dabei gehen? Wie weit ist weit genug, um die Richtung zu ändern? Welche Prioritäten setze ich?“ Zeit und Raum für persönliche Introspektion und Reflexion zur Verfügung stellen.
334
Z
Selbstverantwortung für die verschiedenen Lebensbereiche übernehmen.
A
Hilfestellungen zur „Klarsicht“, d.h. zum Erkennen der eigenen Realität in verschiedenen Lebensbereichen (Arbeit, Privatleben, Gesundheit, etc.) – v.a. auch Arbeit an und mit persönlichen Grenzen.
Z
Mit innerer Unabhängigkeit, persönlicher Überzeugung und erhöhter Konsequenz für das äußere und innere Gleichgewicht sorgen.
A
Zugang zu eigenen Ressourcen, „innerem“ Wissen, Gefühlen und Kräften ermöglichen.
Z
Mit einem individuell richtigen Weg die täglichen Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Rollen und Lebensbereichen flexibel gestalten lernen. Vergleiche mit anderen Lebensentwürfen ermöglichen und anhand der Unterschiedlichkeit neue Handlungsoptionen aufdecken.
A
Auseinandersetzung mit individuellen und kollektiven mentalen Modellen und grundlegenden Überzeugungen vom „richtigen“ Arbeiten und „Leben“ fördern und Neuordnungen anregen. Zu neuen Handlungsoptionen für das Management widersprüchlicher Anforderungen und der täglichen Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Rollen und Lebensbereiche beitragen
Tab. 15:
Individueller Lernbedarf und abgeleitete Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung (1)
335
Selbststeuerng und Leistungsorganisation Entwicklungsziele (Z) und dazugehörige Anforderungen (A) an Führungskräfteentwicklung Z
Leistungsfähigkeit, Energie und Vitalität durch einen optimalen Umgang mit den psycho-physischen Anforderungen und den eigenen Ressourcen bewahren.
A
Das Wissen über Zusammenhänge der inneren Regulation erhöhen (Körperwissen, Stressreaktionen, Leistungskurven, etc.).
Z
Physische und psychische Stabilität innerhalb der bestehenden Anforderungen herstellen (inneres Gleichgewicht).
A
Individuelle Achtsamkeit und Bewusstheit fördern und Zusammenhänge zwischen Situationen und Körperreaktionen, eigenen Körpersignalen, persönlichen Grenzen, etc. erkennen lassen.
Z
Psychische und physische Flexibilität und Beweglichkeit in einem dynamischen Umfeld erreichen.
A
Z
A
Auseinandersetzung mit bewussten und unbewussten Mustern im Umgang mit den Anforderungen und den eigenen Ressourcen fördern und dabei alle Erlebensebenen (Gedanken, Gefühle, Körper, Verhalten) einbeziehen. Deren Auswirkungen in Bezug auf Leistungsfähigkeit, Energie und Vitalität prüfen und zieldienliche Reaktions- und Handlungsoptionen entwickeln. „Leben im Alltag“ – das allgemeine Wohlbefinden im Alltag sichern (balancierte Aufmerksamkeit zwischen den Aufgaben und sich selbst, erhöhte Achtsamkeit im Umgang mit sich, Pausengestaltung, Ausgleich und Regeneration) Innere Stabilität und Beweglichkeit erfahrbar machen und auf den Alltag übertragen. Maßnahmen zur Sicherung des Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit erfahrbar machen und symbolisch integrieren (Bewegung, Entspannung, Ernährung, etc.).
Tab. 16:
336
Individueller Lernbedarf und abgeleitete Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung (2)
Die Führungskraft als Leistungs- und Imageträger Entwicklungsziele (Z) und dazugehörige Anforderungen (A) an Führungskräfteentwicklung Z
Prinzipien und Verhaltensmuster „gesunder Führung“ erkennen und praktizieren.
A
Möglichkeiten der Reflexion des eigenen Führungsstiles und dessen Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden im Team schaffen.
Z
Ein individuell ausbalanciertes Führungsverhältnis zwischen organisat. Anforderungen und persönlichen Ressourcen für sich und das Team aufbauen und mit entsprechenden Bewertungsmaßstäben symbolisieren.
A
Unterstützung leisten, um die eigene Führung gedanklich und praktisch zu erweitern (Was bedeutet „gesunde Führung“ für mich und das Team?).
Z
Mit Vorbildwirkung Ergebnis- und Leistungsorientierung als auch Gesundheit, Work-Life-Balance sichtbar machen.
A
Möglichkeiten des Transfers bieten, um Work-Life-Balance und Leistungsregulation auf die Führungsrolle und mit Verantwortung für die Mitarbeiter zu übertragen.
Z
Gespür und Bewusstheit für die Gesamtwirkung als Führungskraft entwickeln und eigene Präsenz erhöhen.
A
Signal- und Symbolwirkungen des eigenen Verhaltens prüfen und ggf. verändern helfen.
Z
Analytik und Intuition, Kopf, Herz und Hand in der Führungsrolle integrieren.
A
„Harte“ und „weiche“ Führungsthemen integrieren so Möglichkeiten für ganzheitliche Ansätze symbolisieren.
Tab. 17:
Individueller Lernbedarf und abgeleitete Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung (3)
337
2.1.3
Themen- und Anforderungsprofil für die Führungskräfteentwicklung zur Unterstützung des organisationalen Lernbedarfs
Die Vorstellung, dass Führungskräfteentwicklung vorrangig individuelles Lernen fördert, ist weit verbreitet. Doch diese Ansicht greift vor allem dann zu kurz, wenn noch einmal daran erinnert wird, dass die Aufrechterhaltung der individuellen und kollektiven Leistungsfähigkeit und Gesundheit sowohl in der Selbstverantwortung als auch in der langfristigen Gestaltung einer ressourcenförderlichen Unternehmenskultur fußen muss. Das „persönliche Wollen“ und das „individuelle Können“ greift im Bereich Gesundheit und Work-Life-Balance zu kurz, wenn das „soziale Dürfen“ nicht ausreichend sicher gestellt ist. Neben der Sensibilisierung und Unterstützung auf individueller Ebene, stellt das organisationale Lernen gerade hier eine Herausforderung dar. Denn individuelles Lernen ist zwar die Basis für organisationales Lernen, es ist jedoch nicht dessen Garantie. Die Überführung von individuellem zu organisationalem Lernen kann dann gelingen, wenn Wissen „externalisiert, transparent gemacht und integriert wird.“ (Götz, 1999, S.21). Deshalb gilt es, nach Möglichkeiten und Wegen zu suchen, um diese „Überführungen“ zu gestalten, die entsprechenden Partner (Personal- und Organisationsentwicklung) aufzuspüren bzw. integrative Maßnahmen für Teams, Abteilungen, Bereiche zu entwerfen und zu arrangieren. Eine besonders wichtige Schnittstelle ist das Thema Führung und die Ausübung der Führungsrolle. Hier wurde bereits im Ergebnis-Kapitel herausgearbeitet, dass über die Gestaltung einer „gesunden“ Führung ein Mikroklima, eine Subkultur innerhalb der Organisation geschaffen werden kann, die entscheidenden Einfluss auf Leistungsfähigkeit und Gesundheit von Mitarbeitern und der Führungskräften hat. Weil darüber hinaus die professionelle und wirksame Führung einen legitimierten Qualifikations- und Entwicklungsschwer338
punkt im Unternehmen darstellt, besteht hier ein guter Ansatzpunkt, um Gesundheit, Work-Life-Balance und Wohlbefinden – z.B. über den direkten Bezug zur Leistungsfähigkeit - „systemgerecht anzukoppeln“ und gleichzeitig organisationales Lernen anzuregen. Welcher Entwicklungsbedarf und welche Anforderungen ergeben sich konkret, um das organisationale Lernen für eine ressourcenförderliche Unternehmens- und Führungskultur zu unterstützen? Vermittlung des Wertes von Gesundheit im ganzheitlichen Sinne Entwicklungsziele (Z) und dazugehörige Anforderungen (A) an Führungskräfteentwicklung (in Kooperation mit entsprechenden Partnern) Z
Einen Beitrag zur Gestaltung integrativer Konzepte der Gesundheits- oder Ressourcen-förderung leisten.
A
Aufmerksamkeit auf Gesundheit durch Impulse in verschiedenen Lernprozessen (Seminare, Team- und Bereichsentwicklungen, Foren, Symposien, etc.).
Z
Aufmerksamkeit für Gesundheit auf allen Ebenen, vor allem auch dem Management erzeugen. Gesundheit als Wert attraktiv gestalten.
A
Synergien zwischen Personalentwicklung, betrieblicher Weiterbildung, Betriebsarzt, -sport, Sozialberatung, etc. herstellen, um integrative und ganzheitliche Konzepte anzubieten.
Z
Bereits vorhandene Maßnahmen zur Gesundheitsförderung verstärkt kommunizieren und angemessen kulturell platzieren und Glaubwürdigkeit in der Gesundheitsförderung erhöhen. In Qualifikations- und Entwicklungsprozessen die Integration von Arbeit und Gesundheit bzw. Wohlbefinden symbolisch und praktisch sichtbar zu machen.Attraktivität von Gesundheit durch kreative Maßnahmen und innovative Ideen erhöhen (Gesundheit muss Spaß machen, kann flexibel, individuell sein, muss nicht disziplinierten Regeln folgen).
A
Tab. 18:
Organisationaler Lernbedarf und abgeleitete Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung in Kooperation mit der Organisationsentwicklung (1) 339
Auseinandersetzung mit der aktuellen Lebens- und Arbeitskultur im Unternehmen Entwicklungsziele (Z) und dazugehörige Anforderungen (A) an Führungskräfteentwicklung (in Kooperation mit entsprechenden Partnern) Z
Bewusstheit für die aktuelle Lebens- und Arbeitskultur (grundlegende Überzeugungen, mentale Modelle, Normen, Spielregeln, Tabus, etc.) schaffen und die Situation auf die Auswirkungen hin überprüfen: "Was tun wir? Wie tun wir das? Welche Konsequenzen hat dies für die Erreichung unsere Ziele und Ergebnisse einerseits und die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden andererseits?“
A
Möglichkeiten und Wege für reflexive Lernprozesse in Teams, Abteilungen oder konzernübergreifend in Netzwerken oder Projektgruppen schaffen. Systemische Zusammenhänge zwischen Leistungsfähigkeit und erfolgreichen Ergebnissen sowie zwischen Aspekten der Ressourcenförderung in den jeweiligen Gruppen erarbeiten (ebenso in den Ebenen der Entscheidungsträger anregen.
Z
A
Ansatzpunkte für eine stärker ressourcenförderliche Arbeitskultur suchen und systematisch integrieren (bspw. Gestaltung neuer Spielregeln, Förderung einer Fehlerkultur, Grenzen anerkennen, Ressourcen pflegen, etc.): "Was müssen wir statt dessen tun, wenn ganzheitliche Gesundheit ein Wert sein soll? Wo müssen dafür möglicherweise neue Ziele verankert werden?" Lernprozesse und Diskurse anregen, in denen sich mit den Dynamiken und kollektiven Mustern in der Kultur – mit Tabus, geheimen Spielregeln und grundlegenden Überzeugungen auseinandergesetzt werden kann. Unterschiede im Umgang mit beruflichen Anforderungen sichtbar machen und dabei persönliche sowie gruppenspezifische Spielräume und Handlungsoptionen für ein höheres Wohlbefinden heraus arbeiten.
Tab. 19:
340
Organisationaler Lernbedarf und abgeleitete Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung in Kooperation mit der Organisationsentwicklung (2)
Aufbau „gesunder“ Beziehungen Entwicklungsziele (Z) und dazugehörige Anforderungen (A) an Führungskräfteentwicklung (in Kooperation mit entsprechenden Partnern) Z
Arbeitsprozesse kooperativer und mit mehr Synergien gestalten.
A
Reflexionsphasen und Standortbestimmungen in den Teams, Abteilungen oder zwischen Einzelbereichen fördern, Optimierung von Arbeitsprozessen unterstützen.
Z
Wertschätzung und gegenseitige Anerkennung kultivieren.
A
Zugriff auf Ressourcen in den Teams und Abteilungen bspw. mit Spiel, Spaß, Kreativität, gemeinsamen Tun oder gemeinsamen Incentives „spielerisch“ gestalten.
Z
Vertrauen und Offenheit unterstützen
A
Persönlichkeitsentwicklung unter dem Blickwinkel der Beziehungsgestaltung (Vertrauen, Anerkennung, Achtsamkeit) unterstützen.
Z
Führungsbeziehungen ergebniswirksam und ressourcenförderlich gestalten. (siehe oben)
A
Netzwerkarbeit fördern und damit Wissensmanagement und Synergien gestalten.
Tab. 20:
2.1.4
Organisationaler Lernbedarf und abgeleitete Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung in Kooperation mit der Organisationsentwicklung (3)
Konsequenzen für die Qualität des Lernens
Wenn diesem Bedarf Rechnung getragen werden soll, erwachsen eine Reihe von Konsequenzen. Inhaltlich wird der Bedarf nach Ganzheitlichkeit nochmals präzisiert und bedeutet zusammengefasst eine Ergänzung bzw. wieder verstärkte Hinwendung zu:
341
¾
¾ ¾ ¾ ¾
Themen der Persönlichkeitsentwicklung (mit Schwerpunkten der individuellen Lebens- und Arbeitsorganisation, der Stärkung von Selbstverantwortung und innerer Unabhängigkeit), Themen des individuell „gesunden“ Umgangs mit Anforderungen und Ressourcen (Selbststeuerung und Leistungsregulation), Themen der „gesunden“ Führung und Führungsbeziehungen im Spannungsfeld organisationaler Anforderungen und eigener bzw. Mitarbeiterbedürfnisse, Themen der wirkungsvollen Führung mit dem Ziel der Bewusstheit, Präsenz und Integration zwischen Denken, Fühlen, Handeln, Themen einer allgemein ressourcenförderlichen und „gesunden“ Arbeitskultur und Auseinandersetzung mit der bestehenden Kultur.
Weiterhin ergeben sich Konsequenzen für die Qualität des Lernens, denn inhaltlich wird eine Auseinandersetzung gefordert, die ein nachhaltiges Lernen ermöglicht. Angelehnt an die Erfolgsfaktoren und Grenzen und die bisherigen Erfahrungen der Befragten mit ganzheitlicher Führungskräfteentwicklung können folgende didaktisch-methodische Konsequenzen formuliert werden. Gefragt ist sowohl für die individuelle als auch die organisationale Ebene ein Lernen, dass: ¾
¾
¾
342
ein hohes Maß an Individualität bietet: (d.h. Möglichkeiten gestaltet, das neue Wissen mit individuellen oder kollektiven Wertvorstellungen, Verhaltensmustern und Erfahrungshintergründen in Bezug zu setzen) ein hohes Maß an Reflexivität ermöglicht: (d.h. Raum, Zeit und Anleitung zur Selbsterkenntnis für den Einzelnen sowie im Austausch der Gruppe, des Teams, etc. bietet). ein hohes Maß an Bewusstheit und Achtsamkeit generiert: (d.h. den anderen Umgang mit eigenen Ressourcen bzw. Teamressourcen nicht über Belehrungen, Aufgaben und Zwänge sichert, sondern Einladungen zur Bewusstheit, Achtsamkeit und Mitgestaltung liefert).
¾
¾
¾
ein hohes Maß an Vernetztheit bietet und Zusammenhänge erkennen lässt: (d.h. mit ganzheitlichen Blickwinkeln denken, arbeiten und Lösungen generieren; z.B. inhaltlich: verschiedene Lebens- und Arbeitsbereiche integrieren, methodisch: Denken, Fühlen und Handeln integrieren und institutionell: mit Verbundkonzepten verschiedener Experten innerhalb und außerhalb des Unternehmens arbeiten). ein hohes Maß an Praktikabilität bietet: (d.h. neue Wege und Möglichkeiten bereits erfahrbar in den Maßnahmen symbolisiert und z.B. gesundheitsförderliches Verhalten im Arbeitsalltag des Einzelnen oder von Teams erfahrbar macht). ein hohes Maß an Attraktivität bietet: (d.h. herkömmliche Methoden des Lernens, z.B. klassische Vorträge und einseitig orientierte Wissensvermittlungen durch kreative Methoden ergänzt/ersetzt).
Diese Anforderungen sind in Bezug auf die oben genannten Themen und Lernziele entstanden, doch interessanterweise symbolisieren sie genau jene Trends, die auch von Seiten der Erwachsenenbildung verstärkt gefordert werden, um komplexe Handlungskompetenzen zu fördern und die Nachhaltigkeit des Lernens zu unterstützen. Auch die Führungskräfte äußern den Wunsch, dass Lernen immer stärker individuell zugeschnitten bzw. aus dem individuellen Bedarf heraus generiert werden soll. Cunningham & Gimson (2000) sprechen in diesem Zusammenhang von einer neuen Herausforderung an die Entwicklung und Qualifikation im Management, die sich von einer Standardisierung zu individuellen, selbstgesteuerten und -gestalteten Programmen hinbewegt („personalised products“ – die Ausgestaltung erfolgt in einem bestimmten Rahmen entsprechend der aktuellen Bedürfnisse und Lernziele). Nur so bleibe langfristig die Kopplung zur Realität und vor allem die Verbindung zum „harten“ Management gewahrt. Für die zukünftige Führungskräfteentwicklung lässt sich hieraus eine gute Nachricht ableiten: Es existieren längst die wis343
senschaftlich, methodisch-didaktischen Grundlagen für eine neue Qualität des Lernens. Das Wissen über das notwendige WAS ist vorhanden, doch der generierte Bedarf deutet an, dass die Umsetzung, also das WIE, bisher nur unzureichend gelungen ist, erprobt oder praktiziert wird. Ist es nicht genau dieser Widerspruch, der auch zum Thema Gesundheit zu beobachten war? Alle wissen was notwendig und richtig ist, doch die Umsetzung scheitert. Alle wissen, was sie selbst, ihr Körper, ihre Familie, ihre Mitarbeiter brauchen, doch nur wenige schaffen es, diese Bedürfnisse unter den bestehenden Anforderungen und dem organisationalen Druck zu integrieren. Denn schließlich geht es nicht nur um die persönlichen Bedürfnisse, sondern auch um die Erfüllung der Aufgaben und Ziele des Unternehmens. Wird mit den Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung seitens der Führungskräfte also die Quadratur des Kreises gefordert? 2.1.5
Ausgangshypothese für die Weiterentwicklung: Führungskräfteentwicklung zwischen Funktionieren und Lebendigsein
Der Vergleich von Anforderungen an eine ganzheitliche Führungskräfteentwicklung aus Sicht der „Kunden“ (den Führungskräften selbst) mit den aktuellen Ansätzen der Erwachsenenbildung lässt die Schlussfolgerung zu, dass sich Bedarf und Trend an vielen Stellen decken, zumindest was die Qualität und die Art des Lernens anbelangt. Ein Vergleich mit den Anforderungen, die von der Wirtschaft allgemein an die Weiterbildung gerichtet werden, zeigt weitere Ähnlichkeiten: Wirtschaftlich notwendig ist ein Lernen, das Flexibilität, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung im Handeln sowie komplexe Handlungskompetenzen fördert, das sich integrativer Ansätze der Personal-, Organisationsentwicklung und betrieblichen Weiterbildung bedient, das Selbststeuerung beim Lernen, aber auch Effizienz, kurze Lernzeiten, Wirtschaftlichkeit und einen hohen Nutzen bietet (Schlaffke, 2000). Wo ist die Diskrepanz zum Bedarf der Führungskräfte? Existiert diese überhaupt 344
oder handelt es sich für die Zukunft der Weiterbildung um einen klassischen Fall von notwendigem Nicht-Lernen, als Form der Kompetenz (Baecker, 2000, S.26)? Die Diskrepanz besteht oftmals in der unternehmerischen Realität. Sie entsteht genau dort, wo all die wohlklingenden ganzheitlichen Ansätze integriert und umgesetzt werden sollen, doch wo das kurzfristige Reagieren nach anderen Maßstäben vollzogen wird: „cost cutting“ oder „schnell, glatt und gut“. Denn der Auftrag an die Führungskräfteentwicklung ist zweigeteilt. Er verbindet die Unterstützung des Unternehmens sowie das Eingehen auf den individuellen bzw. kollektiven Bedarf der Führungskräfte. Damit bewegt sich die Führungskräfteentwicklung (als Institution) in einem ähnlichen Spannungsfeld wie die Führungskräfte selbst: Es geht um die Erfüllung und Vermittlung zwischen aktuellen unternehmerischen Anforderungen (Wirtschaftlichkeit, effiziente Lernformen, kürzere Lernzeiten, geringe Transferverluste und Befähigung der Führungskräfte zur Top-Performance) und den individuellen Bedürfnissen der Führungskräfte (mehr Ganzheitlichkeit, Persönlichkeitsentwicklung, Work-Life-Balance, Ressourcenförderung). Wenn weiterhin davon ausgegangen wird, dass die Führungskräfteentwicklung als fester Bestandteil des Unternehmens in gleicher Weise von der aktuellen Unternehmenskultur beeinflusst und geprägt wird, dann kann die These aufgestellt werden, dass sich für das betriebliche Lernen ähnliche Muster zeigen, wie für das betriebliche Arbeiten. So sieht sich die Führungskräfteentwicklung und die betriebliche Weiterbildung im Allgemeinen dem gleichen Dilemma gegenüber, wie jeder Einzelne auch: entweder Funktionieren oder Lebendigsein (vgl. Geißler, 2000). In den Interviews kam zum Ausdruck, wie dieses Dilemma momentan noch bevorzugt gelöst wird: Funktionieren steht im Vordergrund, der Körper wird „abgerichtet“ und am Ende steht 345
das Gefühl: „Ich hatte keine Zeit mehr zum Atmen, ich hatte keine Zeit mehr zum Leben.“ Vollzieht sich die Lösung dieses Dilemmas in der Weiterbildung nicht manchmal ähnlich? Werden nicht auch hier dem aktuellen Druck und den ökonomischen Interessen allzu schnell die Lebendigkeit, Vitalität und Kreativität des Lernens untergeordnet? Oder werden andere Angebote gar nicht wahrgenommen, weil es in der Kultur nicht en vogue ist? Fragmentierte, steuer- und messbare Anpassungsschulungen werden unterstützt und von den Vorgesetzten gezahlt, das lebendige, ganzheitliche Lernen wird hingegen häufig als Urlaub belächelt. Die Bilder zur Organisationskultur gleichen sich: viel Haben und wenig Sein wurde in Bezug auf die Gesundheit im Unternehmen konstatiert und ähnliches scheint auch beim Lernen der Fall zu sein: das lernende Dasein droht zum Machen zu verkommen, mit wenig Vertrauen zu lebendigen Prozessen. Betrachtet man diesbezüglich die bereits dargelegten Grundannahmen: •
der Erfolg von Unternehmen wird in der heutigen Zeit vor allem durch die Fähigkeit begründet, kurzfristige Prozess- und Strukturveränderungen zieldienlich und erfolgswirksam vornehmen zu können, das erfordert von den Individuen in der Organisation und der Organisation als Ganzes nicht nur Wettbewerbs- und Funktionsfähigkeit, sondern vor allem auch Lebendigkeit, Beweglichkeit, Leistungsfähigkeit und Gesundheit, um diese Anpassungsleistungen vollbringen zu können,
•
dann deuten die Ausführungen darauf hin, dass die momentanen methodisch-didaktischen Anpassungsleistungen der Weiterbildung vor allem in Form eines guten Funktionierens vorgenommen werden.
346
Wenn betriebliche Weiterbildung jedoch zum gesamtunternehmerischen Nutzen beitragen soll und gemäß den zukünftigen Anforderungen qualifizieren will, dann muss sie sich dieses Dilemmas bewusst sein und mit einer Ganzheitlichkeit arbeiten, die Funktionsfähigkeit und Lebendigkeit zu lässt und die Führungskräfte darin unterstützt, dass Arbeit und Leben kein unauflösbarer Widerspruch bleibt. Ausgangsthese für die Zukunft der Führungskräfteentwicklung: Funktionieren oder Lebendigsein Für das betriebliche Lernen existieren ähnliche Muster wie für das betriebliche Arbeiten. Dabei steht die Führungskräfteentwicklung (und allgemein die betriebliche Weiterbildung) häufig vor dem gleichen Dilemma wie die Führungskräfte selbst: funktionieren oder lebendig sein. Will Führungskräfteentwicklung sowohl die Wettbewerbs- und Funktionsfähigkeit als auch die Lebendigkeit, Beweglichkeit, Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Führungskräfte unterstützen, muss sie mit einer Ganzheitlichkeit arbeiten, die beide Seiten fördert.
2.2
Konsequenzen für die Zukunft der betrieblichen Weiterbildung
Die erkenntnisleitenden Fragestellungen für dieses Kapitel lauten: Wo und womit kann betriebliche Weiterbildung einen Beitrag leisten, um Organisationen und ihre Individuen innerhalb der Veränderungsanforderungen nicht nur funktions- und überlebensfähig zu erhalten, sondern auch lebendig, leistungsfähig, beweglich und gesund? Wie können dabei Lernqualitäten wie Individualität, Reflexivität, Vernetztheit, Praktikabilität und Attraktivität gefördert werden? 2.2.1
Die allgemeine Zielrichtung: ganzheitliche Personalentwicklung und Weiterbildung
347
Wenn die Ausrichtung an Funktionsfähigkeit und Lebendigkeit ernst genommen wird, dann braucht es zunächst eine erweiterte Zielrichtung der Personalentwicklung und darin eingebettet der betrieblichen Weiterbildung, um die notwendigen Entwicklungen sowohl konzeptionell als auch praktisch umsetzen zu können. Ganzheitliche Personalentwicklung und Weiterbildung ¾
¾
Das Kernziel einer ganzheitlichen Personalentwicklung und ganzheitlichen Weiterbildung ist es, den Führungskräften ermöglichen, sowohl die unternehmerischen Prozesse, Aufgaben und Notwendigkeiten sicher zu stellen, als auch für das persönliche Wohlergehen, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu sorgen. Das heißt, es geht um die Entwicklung integrativer Konzepte und Maßnahmen, die auf individueller Seite den „gesunden“ Umgang mit den Anforderungen fördern und die individuelle Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Leistungsmöglichkeit sichern. Auf organisationaler Seite werden kulturelle Entwicklungen angestoßen, so dass eine leistungsfähige und gleichwohl „gesunde“ Organisation entsteht.
Ein hohes, aber attraktives Ziel, dessen Verwirklichung nicht von alleine und zufällig entsteht, sondern nur durch kontinuierliche, aktive und vor allem sichtbare Schritte. Wenn DaimlerChrysler als exemplarisches Beispiel verwendet wird, dann ist davon auszugehen, dass für die (fachliche) Funktionsfähigkeit der Führungskräfte und Mitarbeiter schon viel investiert wird, eine Erweiterung jedoch vor allem im Bereich der Leistungsfähigkeit, Gesundheit und dem allgemein gesunden Umgang mit den Anforderungen stattfinden muss. 2.2.2
Der Kern: die Auseinandersetzung mit einem ganzheitlichen Lernverständnis
Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass die theoretische Entwicklung innerhalb der Weiterbildung ganzheitliche 348
Konzepte sehr wirkungsvoll unterstützen kann (z.B. das Konzept des SANTIAGO-Prinzips61). Doch die betriebliche Weiterbildung ist eben nicht nur an die wissenschaftliche Entwicklung gebunden, sondern v.a. an die vorherrschende Kultur im Unternehmen. Eine Vorreiterrolle zur Kulturgestaltung kann sie nur dann einnehmen, wenn durch die Konzepte, Instrumente und Maßnahmen „Haken und Ösen“ gefunden werden, um an die bestehenden Kultur anzukoppeln und gleichzeitig langsam neue Themen und ein ganzheitliches Verständnis zu integrieren. Dies erfordert für jede Weiterbildungsabteilung unweigerlich eine Auseinandersetzung mit dem jeweils praktizierten Lern- bzw. Lehrverständnis, mit dem eigenen Auftrag und den mentalen Modellen vom „richtigen“ bzw. ganzheitlichen Lernen. Was genau damit gemeint ist, zeigt die folgende Szene: Ein Team, verantwortlich für die Personalentwicklung, arbeitet drei Tage am Stück sitzend. Der Versuch eines Kollegen, alle zu animieren, die Arbeit mit einer Energieübung etwas aufzulockern, erntet nur ein müdes Lächeln. Ob er noch ganz bei Trost sei, lautet die Nachfrage. Doch wie soll Weiterbildung leistungsfähige und „gesunde“ Kultur gestalten, wenn die Verantwortlichen den gleichen Mustern verfangen sind, wie ihre Kunden? Die Frage soll verdeutlichen, dass mit dem Auftrag nach ganzheitlichem Lernen nicht einfach die Erweiterung des Instrumentenkoffers um ein neues, möglicherweise computergestütztes Tool verknüpft ist, sondern eine persönliche bzw. team- oder abteilungsinterne Auseinandersetzung benötigt
61
SANTIAGO-Prinzip steht für Stellvertretende Führung, Autopoiesis (=Selbstorganisation), Nachhaltigkeit, Transformation von Deutungsmustern, Interpretation, Arrangement, Gelassenheit und Organisationslernen (Arnold, 2001a, S.99)
349
wird. Kaum ein anderer Bereich ist in seiner Umsetzung so stark an den persönlichen Stil und die Persönlichkeit gebunden wie die betriebliche Weiterbildung, weshalb gerade hier das glaubwürdige Vertreten von ganzheitlichem Lernen mit inneren Überzeugungen einhergehen sollte. Wenn die betriebliche Weiterbildung in der praktischen Umsetzung Kultur prägen und gestalten soll, dann muss sie sich mit dem eigenen Auftrag sowie dem Lern- und Selbstverständnis erneut auseinandersetzen. Es geht um die Erweiterung des Denkens der internen betrieblichen Weiterbildungsabteilungen: •
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Welche Einstellungs- und Verhaltensmuster müssen die Weiterbildungsmaßnahmen fördern, wenn Leistungsfähigkeit nicht weiterhin als „Funktion von Kraft mal Menge“ verstanden werden soll, sondern als „Funktion der Wirksamkeit“ und der „gesunden Ökonomie im Umgang mit eigenen Ressourcen“? Wie verändert sich der Auftrag zur Entwicklung der Führungskräfte, wenn Führungsqualität nicht nur Professionalität (vgl. LEAD), sondern auch (Selbst)Wirksamkeit und Ressourcenförderlichkeit im Team bedeutet? Welche neuen Aspekte erhält Wissensmanagement (für den Einzelnen, für Teams und Gruppen), wenn die (Wieder)-Belebung und Nutzung des vorhandenen, aber „toten Wissens“ gefördert wird? Welchen Charakter braucht betriebliche Weiterbildung, wenn sie als „Change agent“ für eine ressourcenförderliche Kultur dienen soll? Was brauchen dann z.B. Maßnahmen, die eine tabulose Anerkennung der Realitäten im Unternehmen und die Auseinandersetzung mit der aktuellen Unternehmens-, Bereichs-, Abteilungs-, Teamkultur ermöglichen sollen? Was bedeutet es für die methodisch-didaktische Gestaltung von Maßnahmen, wenn der Mensch als Ganzes und nicht als Maschine betrachtet wird?
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Welches Verständnis von Gesundheit (oder Gesundsein) ist notwendig, um mit den Maßnahmen attraktiv und wertschöpfend zu sein? Mit welchem Themen, welchen Maßnahmen und welcher Methodik-Didaktik wird ganzheitliche Gesundheitsförderung als Zeichen höchster Effizienz und ökonomischer Notwendigkeit erkennbar? Wie kann die Integration zwischen Funktionieren und Lebendigsein, von Work-Life-Balance symbolisch in den Maßnahmen gelingen?
Die Fragen können zahlreich fortgeführt werden. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass es keine vorgefertigten Antworten darauf gibt, wie das Dilemma zwischen Funktionieren und Lebendigsein, das Sichtbarmachen neuer Werte und die Verankerung von Ganzheitlichkeit gelöst werden kann. Es ist jedoch ein erster wichtiger Schritt, das eigene Arbeits- und Lernverständnis vor dem Hintergrund der neuen Anforderungen zu hinterfragen, neu zu ordnen und zu verändern. Diese Auseinandersetzungen müssen sukzessive erfolgen und sind nicht von heute auf morgen durchzuführen. Da braucht es immer wieder Anstöße im kleinen oder im großen Rahmen. So können z.B. in Kooperation mit dem Personalbereich, dem Werksarzt, Führungskräften der Fachbereiche etc. „Denk- und Experimentierwerkstätten“ gestaltet werden, um eine andere, als die mechanistische Routine zu erleben. Dann lässt sich entscheiden, was auf Dauer leistungsfähiger und zufriedener macht - das Alte oder das Neue. 2.2.3
Die inhaltliche Seite: Ganzheitlichkeit durch Integration verschiedener Themen und Disziplinen
Eine Weiterbildung, die es schafft, Sach- und Verhaltensebenen, „harte“ und „weiche“ Faktoren, berufliche und private Bereiche, Individuum und Umwelt, Anspannung und Entspannung sowie Körper, Geist und Seele zu integrieren, symbolisiert in der Art des Lernens bereits das, woran die Führungskräfte besser angepasst werden sollen und wollen: die Komplexität des Alltags. Diese Weiterbildungsphilosophie betont weniger die Einzelaspekte sondern vielmehr die Wechselwir351
kungen und Zusammenhänge, die Möglichkeiten der Integration und der Vereinfachung von Komplexität. Der Erfolgsfaktor, der von den Führungskräften z.B. für ein Mehr an Gesundheit im Unternehmen gesehen wird, liegt in der Vermeidung von einseitigen Missionen. Jedes extreme Maß ist ein Übermaß, selbst wenn die Absicht gut war. Wenn zu stark auf Gesundheit fokussiert wird und dabei Aspekte der Ziel- und Ergebniserreichung vernachlässigt werden, erweisen sich die Maßnahmen im unternehmerischen Kontext als nicht zieldienlich. Nur bei der Betonung des vernetzten Denkens besteht die Chance einer Änderung, weil sie der täglichen Anforderung entspricht: wenn sowohl Fachkenntnisse als auch Persönlichkeit, sowohl Leistung als auch Gesundheit, sowohl Arbeit als auch Lebensqualität, sowohl Geist als auch Körper und Seele als sich gegenseitig bedingende Entitäten betrachtet werden. Theoretisch und praktisch versucht man in der Führungskräfteentwicklung bereits, eine solche Ganzheitlichkeit herzustellen. Doch der Weg, der meist gewählt wird, besteht in der Aufteilung des Ganzen in Einzelteile und in einem separaten Abhandeln: ein Seminar für fachliche Qualifizierung, eines zur Persönlichkeitsentwicklung, eines für Gesundheit. •
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Wie aber kann eine verstärkte Integration sowohl konzeptionell als auch in der Durchführung der Maßnahmen gewährleistet werden? Wer muss dafür mit wem verstärkt interdisziplinär zusammenarbeiten? Wo bestehen innerhalb der unterschiedlichsten Disziplinen (Gesundheitsförderung, Betriebswirtschaft, Psychologie, etc.) Ähnlichkeiten, die es für Synergien zu nutzen gilt? Welchen Beitrag kann z.B. Körperarbeit für Organisations- und Teamentwicklungen leisten? Wie kann in Maßnahmen der technischen Qualifizierung gleichzeitig ein Verständnis von Gesundheit und ganzheitlicher Leistungsfähigkeit eine Rolle spielen? Was hat strategisches Handeln mit Gefühl zu tun?
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In welche „harten“ Managementthemen und in welcher Form sind z.B. persönlichkeitsbildende Anteile integrierbar? Wie kann Weiterbildung beruflich qualifizieren und gleichzeitig andere Lebensbereiche der Führungskräfte mit einbinden?
Vielleicht wirken diese Fragen absurd, weil deren Umsetzung nicht realistisch erscheint. Doch vor wenigen Jahren war auch eine globale und interkulturelle Zusammenarbeit kaum vorstellbar. Deshalb lautet der Lernauftrag an die betriebliche Weiterbildung, sich in Richtung einer gedanklichen und praktischen Erweiterung der Themengrenzen zu bewegen, bei der die Grundlage ein Verständnis vom Unternehmen und dem Einzelnen als „verknüpftes Ganzes, bestehend aus Prozessen des vernetzten Denkens und Handelns“ ist (Gomez & Probst, 1995, S.40). Mit der Schaffung thematisch ganzheitlicher Konzepte geht es einerseits um das Auflösen von Grenzen um Themen, Disziplinen, Lebensbereiche und andererseits um die praktische Bewältigung dessen: Experimentieren und Integrieren, aber auch das Erkennen von Unterschieden und Unvereinbarkeit. Im Mittelpunkt steht die Suche nach einer Antwort auf folgende Frage: Welche Lerninhalte können in welcher Verknüpfung den Lernenden bei der Bearbeitung ihrer Handlungsproblematik helfen? 2.2.4
Die methodisch-didaktische Seite: Ganzheitlichkeit durch Mehrdimensionalität und Methodenpluralität
Wenn allgemein von Lernen gesprochen wird, denken wir zuerst an die Aneignung von Wissen oder an eine Einsicht, wie ein bestimmtes Problem zu lösen ist. Wir streben nach neuen Erkenntnissen und erfahren, dass es u. U. relativ leicht ist, den eigenen Wissensbestand zu erhöhen oder Einsichten über Probleme zu gewinnen. Doch das eigene Erleben verdeutlicht uns immer wieder, dass das Wissen, das Bewusst353
sein über etwas (z.B. das Gesundheitsbewusstein) noch nicht die Steuerung des Verhaltens mit einschließt. Verhaltensveränderungen erfolgen oftmals erst nach intensiven (auch schmerzlichen) Erfahrungen, die mit tiefgreifenden Auseinandersetzungen zu eigenen Einstellungs- und Verhaltensmustern einhergehen. Nun kann dieses Ergebnis für jeden veränderungsoptimistischen Weiterbildner als betrüblich gelten, weist es doch auf die hohe Konstanz unserer Gewohnheiten, Routinen und Persönlichkeitseigenschaften hin (vgl. Brandstätter, 1992) und damit auf notwendige Lernkonsequenzen. Doch um Lernintensität zu erreichen, kann zukünftige Weiterbildung schwerlich Krisen inszenieren, sondern muss nach Wegen und Möglichkeiten suchen, um die Auseinandersetzung mit tiefer liegenden Einstellungs- und Verhaltensmustern zu ermöglichen. Soll betriebliche Weiterbildung zunehmend eine komplexe Handlungskompetenz (Decker, 1984) sowie optimale Selbststeuerung und Leistungsregulation der Führungskräfte fördern, dann wird schnell deutlich, dass die Vermittlung von Wissen zwar oftmals das Verständnis des eigenen Erlebens erhöht (bspw. Stressreaktionen und deren Auswirkungen im Körper), sich jedoch auf eine Verarbeitung äußerer Erfahrungen beschränkt. Das heißt, das individuelle Erleben wird damit nur geringfügig berührt, geschweige denn verändert. Wenn komplexe Handlungskompetenz aber bedeutet, dass neue Reaktions- und Handlungsoptionen (z.B. unter Belastung) verfügbar sein sollen, dann betrifft das vor allem eine Auseinandersetzung mit inneren Erfahrungen, mit dem bewussten und unbewussten Geschehen, mit Gefühlen. Die Herausforderung liegt also nicht in einer rein kognitiven Wissenserweiterung, sondern in der Verkörperung des Wissens. Auch die Ergebnisse dieser Studie verweisen darauf, dass ein hoher Anteil der „gesunden“ Bewältigung täglicher Anforderungen auf innerer Achtsamkeit, der eigenen Intuition, einer Integration zwischen Kopf und Bauch oder Vertrauen in die eigenen Gefühle basierte. 354
Hieraus erwächst eine erste Notwendigkeit, zukünftig über die methodisch-didaktische Gestaltung mehrdimensionaler Lernvorgänge nachzudenken. Ziel ist eine Integration kognitiver, emotionaler, körperlicher bzw. verhaltensorientierter Lernvorgänge - ein Lernen, das die Verarbeitung äußerer und innerer Erfahrungen ermöglicht. •
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Wie können Lernprozesse gestaltet werden, die eine Verarbeitung innerer und äußerer Erfahrungen integrieren, die das Denken, Fühlen und Handeln ansprechen? Welche Zugangsmöglichkeiten können dafür gewählt werden und in welchem Rahmen kann das geschehen, unter Beachtung der betrieblichen Kontextbedingungen? Wie kann die Ressource Mensch, mit allem, was er hat wirklich genutzt werden, ohne ihn beim Lernen auf das „Kopffüßertum“ zu reduzieren bzw. dort „den Körper zu überwinden“?
Während kognitive und auch verhaltensorientierte Lernprozesse vielfach realisiert und teilweise sogar überstrapaziert werden, d.h. die Arbeit mit äußeren Erfahrungen gut untersucht und erprobt ist, sind das emotionale und körperliche Lernen kaum vertreten62, doch gerade emotionalen Lernpro-
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Die affektiv, emotionale Lernebene wird in lerntheoretischen Ansätzen zur Berufsbildung nur bedingt betrachtet (z.B. bei Decker, 1984) und wenn von körperlichen Lernprozessen gesprochen wird, dann zielt man auf das psychomotorische Lernen (ebd.) oder das haptische Lernen (durch Tasten und Fühlen) ab (Vester, 2001, S.50). Die Arbeit mit dem Körperwissen, den Körpererfahrungen und -empfindungen ist bisher weitgehend der Psychobzw. Körpertherapie vorbehalten (z.B. Görlitz, 1998).
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zessen müsse sich die Weiterbildung vermehrt stellen (Arnold, 2001b, S.27). Zwar wird im Rahmen der Weiterbildung auch über Gefühle (vgl. Emotionale Intelligenz) und über den Körper (vgl. Gesundheit, Stress, etc.) gelernt, manchmal auch am und mit den Gefühlen und dem Körper (vgl. Outdoor-Trainings) gearbeitet, doch durch Gefühle und Körper63? Also ein Lernen, das überhaupt erst durch die unmittelbare Erfahrung von Emotionen und Körperempfindungen stattfindet, diese aufgreift und damit weiter arbeitet? Gibt es ein Lernen, bei dem die Aufmerksamkeit auf den Körper und die eigenen Gefühle gelenkt werden und bei dem sozusagen das „innere Wissen“ aktiviert wird? Ein Feedback mit sich selbst, mit der eigenen Energie und Vitalität, mit der eigenen inneren und äußeren Haltung (zu sich oder einer Situation)? Der Körper hat mit Bewegung, Haltung und physiologischen Reaktionen einen hohen Anteil am unwillkürlichen Geschehen und eröffnet so eine direkte emotionale Anbindung an das Lernen. Damit ist er eines der einflussreichsten Elemente innerhalb von Erlebens- und Reaktionsmustern und kann einen intensiven Zugang mit hoher Lerntiefe in Lernprozessen ermöglichen. Doch sowohl das Beobachten und Aufgreifen von Gefühlen in der Weiterbildung als auch die Arbeit durch den Körper ist ungewohnt, fremd und oft sogar tabuisiert, weil die Normen und Regeln der Unternehmenskultur ein Zeigen von Gefühlen verpönen oder weil viele Lerner überhaupt nur schwer Zugang
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Eine Unterscheidung zur Arbeit am, mit und durch den Körper findet sich bei Schettgen (2000, S.296) und basiert auf den Arbeiten von Heckler (1993).
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zu ihren Gefühlen und ihrem Körper finden. Die Erfahrungen, die hier bisher genutzt wurden, entstammen weitestgehend aus dem therapeutischen Kontext, doch sie unterliegen (außer im Coaching) oft dem Manko, zu wenig kopplungsfähig für den betrieblichen Kontext zu sein. Deshalb bedürfen sie eines hohen Schutz- und Sicherheitsrahmens beim Lernen. Gerade dieser wird innerhalb von persönlichkeitsbildenden Maßnahmen oft nur unzureichend gewährleistet (Leidenfrost, Götz & Hellmeister, 1999, S. 127). Umgekehrt bleibt es einfach schwierig und zäh, über rationale, kognitive Interventionsansätze entsprechende innere Lernprozesse anstoßen zu wollen. Hier ist zukünftig einige Pionierarbeit gefragt, um praktische Wege zu erkunden und Methoden(mixe) zu finden, um diese beiden Lerndimensionen verstärkt in individuelle und organisationale Lernprozesse zu integrieren und dennoch die Grenzen im jeweiligen Kontext zu akzeptieren. Wenn Körper und Gefühl jedoch zum einzig heiligen Mittel des Lernens werden, dann geht das Alternative, das Innovative, das Ergänzende verloren und Lernwiderstand wird zur berechtigten Reaktion. Balance, Integration und Grenzen sind auch hierbei wichtige Aspekte zukünftiger Entwicklungen. Sie können dann als gelungen gelten, wenn Körper und Gefühl beim Lernen nicht mehr fremd und aufgesetzt erscheinen, sondern als völlig normale Formen der „Selbstorganisation, des Begreifens oder der bewussten Ressourcenallokation“64.
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Vergleiche die Arbeit mit Analogien als gute Möglichkeit, Körperarbeit im betrieblichen Kontext anzukoppeln und von ihrem esoterischen Touch zu befreien (Lambelet, 1998).
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Auf wissenschaftlicher Seite gilt es, interdisziplinär die bereits bestehenden Erfahrungen zur Integration von Emotionen und Körper in der Bildungsarbeit zu erforschen, mit Wirksamkeitsstudien zu belegen und vor allem die ganzheitlichen Erlebensebenen des Menschen (Gedanken, Gefühle, Körper, Verhalten; vgl. Görlitz, 1998) als mögliche Lernebenen und neue Lernzugänge zu begreifen und zu untersuchen. Der Aufruf nach Mehrdimensionalität ist gleichzeitig ein Aufruf nach Methodenpluralität. Im Gebrauch der Methoden herrscht oftmals Polarisierung und Fragmentierung, das bekannte Muster des „Entweder - Oder“: entweder kognitives Lernen oder Sport, entweder Sport oder Körpererfahrung, entweder Ratio oder Emotio, entweder Beherrschen, Leisten und Schwitzen oder sinnlich überflutetes Erfahren und Spüren, entweder Lernen oder Spiel (Rumpf, 1994). Doch die Wege zur Erschließung der Lerninhalte sind auch „Instrumente für die Welterschließung“ (Arnold, 1999a, S.11). Wenn Weiterbildung dazu beitragen soll, dass z.B. Führungskräfte die Welt des Managements beweglich und situativflexibel erschließen, dann muss sie auch situativ-flexible Methoden und Lernzugänge bieten. Das (Re)integrieren von Körper, Seele und Geist mit verschiedensten Methoden kann damit eine Welterschließung symbolisieren, die zum wichtigen Schritt für die gelungene Integration von Arbeit und Leben sowie von Funktionieren und Lebendigsein werden kann. Für die weitere methodisch-didaktische Entwicklung steht damit nicht mehr die Frage nach dem „richtigen“ Lernen bzw. den „richtigen“ Methoden im Vordergrund, sondern die der Stimmigkeit: Welche Methoden und welche Lernzugänge sind stimmig, um die Lernenden bei der Erschließung verschiedener Lerninhalte zu unterstützen, um zu verstehen und zu begreifen?
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2.2.5
Die Seite der Lernformen: ganzheitliches Lernen und transferfähiges Wissen durch personalisierte Lernarrangements
Soll den bis hierher präsentierten Anforderungen an ein ganzheitliches Lernen und vor allem dem Bedarf an Individualität, Praktikabilität und „belebtem“, also transferfähigem Wissen Rechnung getragen werden, dann hat dies unweigerlich Konsequenzen für die Gestaltung der Lernformen und die Integration von individuellem Lernen und organisationalem Lernen (kulturgestaltende Lernprozesse). Das heißt, es braucht zunehmend Maßnahmen oder Lernformen, die a) das Nebeneinander und die Verknüpfung verschiedener Themen und Methoden sowie b) das Ausgestalten personalisierter, also auf den individuellen bzw. organisationsspezifischen Bedarf zugeschnittenen Lernprozesse zulassen. Zu fragen ist: • •
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Wie kann gleichzeitig der Bezug zur eigenen Problematik (als Führungskraft/Team/ Abteilung, etc.) und zur organisationalen Realität hergestellt werden? Welche Lernform braucht das emotionale Lernen (siehe Abschnitt oben)? Wie kann Lerntiefe und Lernsicherheit, d.h. eine psychologische Sicherheit während des Lernens hergestellt werden, die verdeutlicht, dass der neue Weg ein gangbarer Weg ist, der den Einzelnen in seiner Identität und Stabilität nicht gefährdet? Wie hilfreich sind z.B. seminaristische Einzelmaßnahmen? Welche der von den Führungskräften angegebenen Lernanforderungen zur Persönlichkeitsentwicklung und „Lebensschule“ sind überhaupt seminarfähig oder wenn, unter welchen Bedingungen? Wie können kollektive Lernprozesse zur Gestaltung eines „gesunden Umganges“ in einer „gesunden Organisation“ verstärkt gefördert werden?
Die Erwachsenenbildung, Organisationsentwicklung und Psychologie hat in der Vergangenheit oftmals mit zwei Extremen 359
gearbeitet: zum einen mit einem Verständnis des „didaktischen Instruktionismus“ (Arnold, 1999b, S.11) und zum anderen mit dem des „didaktischen Konstruktivismus“ (ebd.). Dies führte in der Praxis häufig zu einer Spaltung: Übersteuerung des Lernens durch klar gesteuertes Lehren oder Untersteuerung in Form von Selbstlernen. Vor diesem Hintergrund erscheint es logisch, dass bestimmte Themen nicht integrativ behandelt werden konnten. Es herrschte die Vorstellung, Lernen ist Funktionieren und kognitive Anstrengung oder Lernen ist lebendig und selbstgesteuert, bringt aber nichts. Auch hier geht es zukünftig um ein „Sowohl-als-auch“ – um die instruierte Vermittlung von wichtigem Detailwissen als auch um die Ermöglichung einer aktiv-selbstgesteuerten Aneignung neuer Einstellungen und Verhaltensweisen. Arnold (1999a, S.12) spricht sich in diesem Zusammenhang für die Gestaltung von Lernarrangements aus. Im Zentrum steht dann die Frage: Welches Lernarrangement trägt am ehesten dazu bei, die (ganzheitlichen) Inhalte und erwünschten Lernqualitäten zu realisieren? Die Führungskräfte artikulierten bereits sehr konkrete Vorstellungen über Lernarrangements für die Themen der Gesundheit, Work-Life-Balance und Persönlichkeitsentwicklung. Ziel seien nicht Rezepte und fest gefügte Vorschriften, sondern vor allem die Gewinnung von Raum und Zeit, um durchzuatmen und sich den eigenen Fragestellungen widmen zu können (persönliche Lebens- und Arbeitsorganisation, inneres Gleichgewicht und Zugriff auf Ressourcen, etc.). So sind zukünftig für das individuelle Lernen (wieder) verstärkt Lernarrangements zu schaffen, die vor allem das Gefühl der Eigenzeit vermitteln und nur eine Minimalstruktur (z.B. mit Tools zur Selbsterkenntnis) sowie eine entsprechend sichere
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Umgebung anbieten, um sich tiefgreifenden, persönlichen Fragen zu widmen. Mit diesen Anforderungen erfahren sowohl Coaching65 als auch überdauernde und von einem Trainer oder Coach begleitete Lern- bzw. Intervisionsgruppen (Schattenhofer & Götz, 2000, S.89ff) eine neue Berechtigung, denn sie stellen einen solchen Rahmen sicher. Fortlaufende Lerngruppen oder Lerncurricula fördern in diesem Sinne auch das organisationale Lernen, weil das individuelle Wissen externalisiert wird und im gemeinsamen „reflexiven Prozess“ (Götz, 1999, S. 73) ein neues Bewusstsein, z. B. auch für den gesunden Umgang mit Ressourcen entstehen kann. Diese Prozesse des organisationalen Lernens müssen jedoch auch in bestehenden Strukturen der Teams, Abteilungen, Bereiche angestoßen bzw. verstärkt genutzt werden. Hier bieten sich Klausuren und Tagungen an, um neue (bisher vernachlässigte) Themen zu integrieren und Lernarrangements einzurichten, die Funktionsfähigkeit und den „gesunden Umgang“ mit den Ressourcen sichern. Beispiele gibt es hier zahlreiche: ob das in Form eines zusätzlichen Vortrages vom Werksarzt zur Gesundheit, dem offenen Thematisieren der teaminternen Ressourcensituation oder bewusster Gestaltung der Methodik und des Ablaufplanes mit Spaß, Sport, Spiel ist, bleibt dem Team überlassen. Kleine Rituale können hier zum festen Bestandteil der Lernarrangements werden (z.B. mit dem Bestimmen jeweils eines Team- oder Gruppenmitgliedes, der
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Coaching braucht hierbei eine kulturelle Umbewertung. Denn so lange Coaching dem Ausfüllen von Defiziten gilt, wird es nicht in Anspruch genommen. Coaching als professionalisierte und personalisierte Lernmaßnahme hingegen, die Personen im „gesunden“ Umgang mit den Anforderungen und Ressourcen unterstützt, erhält einen anderen Aufmerksamkeitsfokus.
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die Verantwortung für einen Baustein trägt, mit dem sich die Gruppe gemeinsam etwas Gutes tut66). Im Zuge der Lernarrangements braucht es generell mehr Mut zum informellen Lernen, d.h. einem Wissens- und Kompetenzerwerb, der nicht in pädagogisch geplanten und strukturierten Lernprozessen erfolgt, sondern eher veralltäglicht wird (vgl. Weiß, 2000, S.176). Denn diese Art des Lernens arbeitet oftmals ganz natürlich mit unserem impliziten Wissen und verwandelt „totes“ in „belebtes“ Wissen – dies geschieht schon, wenn wir an etwas erinnert werden. Mit straffen Programmen und hoher Strukturierung innerhalb von Seminaren und Tagungen wird jedoch alltägliches organisationales und individuelles Lernen kategorisch unterbunden. Es fehlen die Freiräume zum Austausch, der Raum zum Nachdenken und Netzwerken, das wohltuende Gespräch unter Kollegen. Je mehr Raum hier geöffnet wird, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit für informelles Lernen. Dieses Lernen bleibt subjektiv und wird sich objektiver Messbarkeit entziehen, doch der Aufruf von einer Führungskraft: „Wir brauchen Profit, um zu überleben und Menschlichkeit, um das zu ertragen“ deutet an, worauf (auch beim Lernen) zukünftig mehr geachtet und vertraut werden sollte: dem natürlich Menschlichen. So braucht es vielleicht auch wieder mehr Mut, den zukünftigen Potenzialträgern zusätzlich zu strategischen Harvard-Business-programmen ein Budget für ein
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Lebhafte Beispiele sind hier aus Schweizer Unternehmen bekannt, in denen jede Klausur mit irgendeinem kleinen Event verbunden ist, das den Gemeinschaftsgeist stärkt (eine sportliche Aktivität), die Neugierde weckt (neue Tätigkeiten gemeinsam durchführen – Käse machen, andere Unternehmen besichtigen, Austausch mit anderen Arbeitswelten (z.B. Theologie) und bei dem erlaubt ist, sich gemeinsam etwas Gutes zu tun.
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Lernprogramm zur Verfügung zu stellen, dessen Lerninhalte und -methoden selbst mitgestaltet werden und das durchaus mit unstrukturierten Lernformen und viel informellem Lernen ausgefüllt werden kann67. Abschließend ist damit die wissenschaftliche Weiterbildung herausgefordert, um mit Evaluationen einen Beitrag zur Legitimation neuer und zur Verflüssigung alter Lernformen zu leisten. Wie kann ein Nutzen in neuen Lernarrangements erfasst werden? Welche Kriterien und Methoden müssen dafür zu Rate gezogen werden? 2.2.6
Der pragmatische Ansatz: zwischen „Zwangsbeglückung“ und lebendigem Lernen
„Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrbar“, so zitiert Arnold (2001c, S.11) seinen Kollegen Horst Siebert in einer Einleitung zur Erwachsenenpädagogik des Lebendigen. Beide haben als erfahrene Erwachsenenpädagogen die Erfahrung gemacht, dass gute Ideen und Konzepte für Lernen nicht immer ihr Ziel erreichen. Gerade der Versuch, das Lebendige zu integrieren und ganzheitliche Lernprozesse anzuregen, endet nicht selten mit dem Ausruf der Teilnehmenden: „Bitte keine Zwangsbeglückung!“ Wenngleich diese Erfahrung für den Weiterbildner frustrierend
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Beispielhaft wäre hier eine dreitägige Wanderung einer Lerngruppe des oberen Managements zum Thema „Grenzen“, die entlang der ehemaligen Ost-Westdeutschen Grenze führte, den Einzelnen mit psycho-physischen Grenzen konfrontierte, bei dem persönliche Grenzerfahrungen reflektiert wurden, aber auch in vielen informellen Gesprächen ein Austausch über Werte und Normen zwischen Ost- und Westdeutschland statt fand.
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sein kann, so ist dieser Einwand doch vor allem im Hinblick auf die Integration von Gesundheitsthemen in die Weiterbildung bzw. von neuen, kreativen und ganzheitlichen Methoden berechtigt. Schließlich besteht nach Baecker (2000, S.1) die Kompetenz von Individuen und Organisationen darin, sich ein bewusstes Entscheiden gegen Lernen erlauben zu können. Gut so, denn so rational-logisch sinnvoll die hier vorgestellten Ideen und Konzepte zu einer ganzheitlichen Weiterbildung auch sein mögen, die Realität sieht oft ganz anders aus. Dieser Widerspruch zwischen Wissen und Bewusstein und tatsächlichem Handeln und Umsetzen wurde in der Studie vielfach herausgehoben. Deshalb soll auch für die Weiterbildung nicht versäumt werden, die dargestellten Ansätze zu erden. Im Radio läuft seit einiger Zeit eine Werbung: „Wollen wir nicht morgen mal damit anfangen, unser Leben umzukrempeln?“ Sollte hier der Eindruck entstanden sein, dass es darum geht, gleich morgen die Weiterbildung und die Lerner umzukrempeln, dann wird nun zur Korrektur – sozusagen als Vorschlag zur Güte – ein ganz pragmatischer, aber nicht weniger ganzheitlicher Lernansatz dagegen gehalten. Denn gerade Stabilität ist eine Kunst in destabilisierenden Zeiten. Rumpf (1998, S.56) ist dafür mit „Blumenpflückerblick“ auf Entdeckungsreise in das Alltägliche gegangen und schafft so einen neuen Blick auf lebendiges und ganzheitliches Lernen. Es ist ein informelles Lernen, das sich eignet, auch der Gesundheitsförderung in der betrieblichen Weiterbildung eine neue Note zu geben, die nichts mehr mit Zwangsbeglückung zu tun hat. Denn das Leben, das Lernen und auch die Gesundheit können überall sein, wenn wir sie denn finden und suchen:
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Hinschauen-verweilen-gewärtigen: Jede Routine, jede Könnerschaft, jedes Beherrschen (auf das Lernen meist zielt), hat das Zeug, auch etwas unspürbar zu machen. Die Spur des Lebendigen ist dabei das Hinschauende, Überraschende, Berührende, Tastende – es geht um das Gewahrwerden und erst danach um werten, urteilen, reagieren. Der Sinn entsteht über unser Sinne, wenn wir sie bewusst nutzen. Ungewissheit und Unsicherheit aufspüren und aushalten: Die „Kunst des Nichtverstehens oder der Krebsgang des Lernens“: Lernen, wieder in die unsichere Schwebe zu kommen und sich in dieser halten zu können. Lust am Fremden und Unverständlichen: Das Fremde und Unverständliche als eigenes Lebenselixier entdecken. Wenn die Dinge noch unfertig, unausgegoren und auch unverstanden sind, reift oft etwas Neues. Nicht selten fällt es uns schwer, diesen unsicheren Zustand auszuhalten und so zementieren wir manchmal Erkenntnisse, noch bevor wir die Dinge durchdrungen oder sie sich entwickelt haben. Manchmal kann es deshalb gut sein, Dinge in der Schwebe zu halten, bis die Erkenntnis gereift und ausgegoren ist. Sich vom Unverhofften-Unerwarteten-UnbekanntenKargen treffen zu lassen: Informelles Lernen trifft uns einfach, wenn wir es zulassen. Kargheit verhindert, dass durch zuviel Schmuckwerk und Information der Gehalt verschlissen wird.
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„Ein Milligramm bewusster Bewegung ist mehr als ein Kilogramm unbewusster Verdrehung.68 Egal, was wir tun – wenn wir es mit Bewusstheit und Achtsamkeit tun, wird es uns unterstützen, unsere Energie zu bündeln und auszurichten. Gesundheitsförderung als ein neues wichtiges Thema zukünftiger Weiterbildung kann sehr pragmatisch und einfach zu integrieren sein, wenn wir uns von vielen statischen Vorstellungen über Gesundheit und das, was gesund macht, verabschieden.
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Moshe Feldenkrais (Alon, 1996, A. 18)
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F
Resümee: Wer Leistung will, muss Leben fördern
Zunächst schien bei dieser Studie wenig darauf hinzuweisen, dass die Themen Körper und Management tatsächlich miteinander verbunden sind. Doch blickt man auf die Interviewergebnisse und bezieht das englische Wort „corporate culture“ mit in die Analyse ein, ändert sich das Bild. Denn das, was in Deutschland landläufig mit Unternehmenskultur übersetzt wird, heißt wörtlich genommen „verkörperte Kultur“. Der lateinische Wortstamm „corporare“ bedeutet auch, etwas in seinem Körper aufnehmen oder zu einem Körper formen. Und so lassen sich anhand der Interviews folgende Hypothesen formulieren: ¾
¾ ¾
Die Art und Weise, wie Führungskräfte mit ihrem eigenen Körper umgehen, entspricht häufig der Art und Weise, wie sie den täglichen Anforderungen begegnen und wie sie dabei ihre persönlichen Ressourcen einsetzen („Tagsüber ist mein Körper ein funktionstüchtiger Gegenstand.“ „Ich habe mein Auto besser gepflegt als meinen Körper.“ „Egal was ist, ich schaue nach mir.“). Im Rahmen der Führungsbeziehung spiegelt sich der Umgang mit sich selbst häufig in dem Umgang mit anderen. Gleichzeitig schlagen sich viele Anteile der Organisationskultur sowohl in der verbreiteten Führungskultur als auch in der individuell gelebten Körperkultur nieder (z.B. „Es gilt, den Körper zu überwinden.“). Unternehmenskultur ist Körperkultur und umgekehrt.
Das weit verbreitete Businessdenken, den wirtschaftlichen Druck mit einer Erhöhung der Geschwindigkeit und gleichzeitiger Kürzung der Ressourcen zu parieren, scheinen sich viele Führungskräfte geradezu einverleibt zu haben. Das eigene Arbeitspensum wird teils bewusst, teils unbewusst durch hohe Geschwindigkeiten ohne Pausen, verlängerte Arbeitszeiten, erhöhte Anstrengung und die Kontrolle eigener Bedürfnisse 367
stetig erhöht: „Bei uns im Kopf herrscht der Takt eines Bandarbeiters. Wir sind gestartet wie zu einem 100m Lauf, laufen noch immer die gleiche Geschwindigkeit, aber wissen jetzt, dass es mindestens ein Marathon wird.“ Eigene Ansprüche an eine gute Leistung und hohe Anforderungen aus dem Umfeld wirken wie eine Spirale, innerhalb derer die Führungskräfte mit immer mehr Anstrengung und Einsatzbereitschaft versuchen, die Probleme zu lösen. Und es entsteht der Anschein, dass sich eine kurz getaktete Wirtschaftslogik auch in vielen Köpfen und Körpern der im Unternehmen tätigen Menschen eingenistet hat. Der Begriff der Führungs-Kraft erhält vor diesem Hintergrund eine neue Bedeutung, denn eine kraftvolle Führung oder eine Führung voller Kraft lebt damit nicht ausschließlich vom guten Führen, sondern ebenso vom guten Umgang mit der eigenen Kraft. Und die Kraft, die für einen (Wirtschafts-)Marathon gebraucht wird, der zusätzlich noch kurzfristige Sprinteinlagen fordert (Produkteinführungen, Projektabschlüsse etc.), will gut eingeteilt und ganz bewusst gesteuert werden, wenn eine dauerhafte Leistungsfähigkeit und -motivation das Ziel ist. Entgegen einer anfangs diskutierten Hypothese kann den Führungskräften dabei kein geringes Problem- und Gesundheitsbewusstsein zugeschrieben werden. Im Gegenteil: Viele spüren die Konsequenzen ihres eigenen Handelns, sehen jedoch angesichts der Dynamik des Alltags keinen Ausweg. Hier scheint die „gesunde Haushaltsführung“ unter den gewandelten Markt- und Arbeitsbedingungen eine bisher unterschätzte Herausforderung zu sein. Ihr hatten sich unter den befragten Führungskräften vor allem diejenigen gestellt, die durch persönliche oder berufliche Einschnitte, die eigene Kraft und Energie neu zu organisieren hatten. Dabei ist der gelungene Umgang mit Kraft- und Leistungsressourcen eine Anforderung, die sich nicht nur auf den persönlichen Energiehaushalt bezieht, sondern auch auf den Energiehaushalt des geführten Teams, der geführten Abteilung oder des geführten Unternehmens. „Erschöpfung macht Feiglinge aus uns allen“, befindet Vince Lombardie. So hat Widerstand 368
gegen neue Ideen oder das halbherzige Herangehen an Aufgaben und Projekte oftmals einen Grund in Überlastung bzw. einer Dysbalance zwischen dem, was (subjektiv und objektiv) gegeben wird und dem, was dabei von Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden zurückkommt. Nach meinen Erfahrungen aus der praktischen Arbeit mit Führungskräften und Teams spiegeln sich diese Dysbalancen häufig in Beschreibungen wieder wie: „Alles läuft zwar funktionsfähig weiter, aber die negative Stimmung nimmt zu, das Eis wird dünner, wir bewegen uns auf eine Grenze zu und die Anforderungen lassen nicht nach; im Gegenteil.“ Dort, wo Kooperation stattfinden sollte, beobachtet man eher Zynismus, sprödes Denken und Widerstand. Diese kleinen, oft unbewussten Sabotagemechanismen vollziehen sich auf einer ganz persönlichen Ebene – der eigene Organismus versagt die Kooperation und erkrankt – ebenso wie über Team- oder Abteilungsgrenzen hinweg. Die Interviewergebnisse haben gezeigt, dass dabei die Funktionsfähigkeit noch lange aufrechterhalten werden kann, doch die Lebendigkeit und Integrität (das flexible und beherzte Tun) zunehmend leidet. Interessant und gleichzeitig gefährlich hierbei ist, dass bei einem hohen Aktivitätsniveau und geringen Reflexions- oder Regenerationsphasen die betreffende Person und auch ein System diesen zunehmenden Verlust an Lebendigkeit und Integrität kaum oder nur latent und diffus wahrnehmen kann. Denn die Energie folgt dem Fokus der Aufmerksamkeit und wenn dieser, den Anforderungen, Spielregeln und Notwendigkeiten folgend, vorrangig im Außen ist, kann sie nicht gleichzeitig innen sein. Damit fehlt dem Einzelnen oft das Gespür für den eigenen Rhythmus und die persönlichen Ressourcen. In den Teams geht das mühelose Ineinandergreifen, das vitale Gefühl, die emotionale Bindung an die Aufgaben oder der Sinnbezug verloren bzw. konnte so etwas nie aufgebaut werden. Das heißt, die verletzliche Seite des Systems zeigt sich zunächst nicht in mangelhaften Ergebnissen oder steigendem Krankenstand, sondern eher latent in einer nachlassenden Vitalität. Bildlich könnte man diesen Teil auch mit der Seele des Menschen vergleichen, deren Dysbalance sich zwar irgendwann in körperlichen Erkrankungen manifestieren kann, die jedoch oft ungleich schwerer regene369
riert als eine körperliche Verletzung. Gleichzeitig liegt damit der Schluss nahe, dass der „Kritische Erfolgsfaktor Körper“ mit seinen Symptomen und „Symptömchen“ nur die Spitze eines Eisberges ist – und die Gesundheitsförderung in einer Organisation nur dann tiefenwirksam werden kann, wenn sie ganzheitlich an den Ursachen und nicht ausschließlich am Symptom ansetzt. Das Anliegen sollte darin bestehen, die Führungskräfte und deren Verantwortungsbereiche dabei zu unterstützen, vital und in ihrer „Kraft“ zu bleiben. Angeregt durch die Ergebnisse dieser Studie habe ich in den letzten beiden Jahren gemeinsam mit Kollegen im Rahmen der Führungskräfteentwicklung begonnen, diese Anforderungen umzusetzen und Erfahrungen zu sammeln (Leidenfrost, 2004, S. 170-199). Folgende Ansatzpunkte erscheinen mir praxisrelevant – und diese gelten sowohl für die Selbstführung als auch für die Führung von Organisationseinheiten: Das Ziel: Die Maßnahmen zieldienlich gestalten „Viele verfolgen stur den gewählten Weg, wenige verfolgen stur das Ziel.“ (Friedrich Nietzsche)
Gesundheitsförderung mit unterstützenden Maßnahmen und Angeboten verschiedenster Art ist in vielen Unternehmen ein etablierter Bereich. Gleichzeitig beklagten die Führungskräfte: „Für Gesundheit kommt immer was dazwischen!“ Wenn Teams um Unterstützung und Teamentwicklung bitten, ist ihnen selten an einem Gesundheitstag gelegen. Stattdessen werden beispielsweise folgende Fragen gestellt: „Wie können wir mit den dauerhaft steigenden Anforderungen besser umgehen? Wo sind Grenzen unserer Belastbarkeit? Wofür sind wir wirklich verantwortlich oder wo können wir loslassen? Wie gelingt es uns, unsere Kräfte besser zu koordinieren? Wie schaffen wir ein anderes Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen, der uns zufrieden und nicht ausschließlich müde macht? Wie können wir die Effizienz um weitere 25% steigern?“ Sowohl die Führung als auch das Team stehen oft vor einem Konflikt, der zwischen Verantwortung übernehmen und Grenzen ziehen verläuft. Es besteht ein Ungleichgewicht zwi370
schen Geben und Nehmen, zwischen Anspannung und Entspannung oder hohen Anforderungen und begrenzten Möglichkeiten. Man ist sich der „ungesunden“ Situation bewusst, doch Hinweise auf die eigene Gesundheit zu achten, werden als nicht unterstützend empfunden. Denn sie bringen eine weitere Anforderung ins Spiel, die es auch noch zu integrieren gilt („mehr entspannen, eher loslassen etc.“). Das Problem verschärft sich und der Widerstand gegen gesundes Verhalten steigt, weil es „hier sowieso nicht zu leben ist“. Entscheidend ist in diesem Fall nicht der Weg, sondern lediglich das Ziel! Will man tatsächlich Lebendigkeit, Vitalität und Gesundheit fördern, dann kann dies nur erfolgreich sein, wenn die integrierten Maßnahmen „stur“ dazu beitragen, die Problemlösefähigkeit zu unterstützen. Sie sind dann wirksam, wenn sie in Bezug zu den persönlichen und organisationalen Zielen gesetzt werden können. Zieldienlicher Fokus ist hierbei weniger die Gesundheit, sondern die Wirksamkeit. Es geht also um Maßnahmen, die den Einzelnen oder ein System dahingehend fördern, die eigenen Ressourcen wirksamer einzusetzen. Die dazugehörige Leitfrage lautet: „Welche Strukturen, Prozesse, Standards, Einstellungen und Verhaltensweisen unterstützen den wirksamen Einsatz unserer Ressourcen?“ Die gemeinsam erarbeiteten Antworten können im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen: von einem gezielteren Portfolio über neue Kooperationssysteme in Höchstleistungszeiten, mehr Transparenz in der Führung bis zu Tipps und Tricks für die Entspannung in spannungsgeladenen Zeiten. Wichtig ist, dass eine wirkungsvolle Förderung von Vitalität, die in Bezug zu den jeweiligen Zielen des Systems steht, erst als Gemeinschaftsleistung von Experten entsteht. Denn das Neue ist die Integration teamspezifischer und organisationaler Aspekte mit Fragen der Leistungssteuerung sowie Ansätzen des Coachings bzw. der Team-, Organisationsentwicklung.
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Der Fokus: Die Ressourcen fördern „Lernen ist nichts, was dazu kommt, sondern eine Reorganisation dessen, was bereits da ist.“ (Milton Erickson)
Sowohl in der Untersuchung als auch in der Praxis wird immer wieder deutlich, wie umfangreich die Ressourcen der Führungskräfte sind. Doch kommt es häufig zu Enttäuschungen, wenn sichtbar wird, dass eben jene Kraftquellen und unterstützenden Aspekte zu wenig eingesetzt und abgerufen werden können. Gerade unter Druck gelingt dies noch weniger. Wer daraus den Schluss zieht, dass die Anforderungen zu hoch sind und es besser wäre, zurückzustecken bzw. neue Herausforderungen eher zu meiden, greift zu kurz. Denn in einem von hoher Leistungsorientierung und intrinsischer Motivation geprägten Umfeld, haben Stress und Druck mitunter eine lustvolle Komponente. Umgekehrt gibt es wenig Hoffnung, dass sich die Anforderungen stark verringern, solange „man mitspielen will.“ Attraktiv sind daher sowohl für Teams als auch für Einzelne Angebote und Kontexte, in denen die Bewusstwerdung, Pflege, Wiederbelebung oder der gezielte Einsatz der Ressourcen im Mittelpunkt stehen. Es geht darum, eine gute Kooperation mit den eigenen Ressourcen anzubahnen, so dass wieder mehr Integrität, verbunden mit dem Gefühl „Körper, Seele und Geist sind wieder auf einer Höhe“ entsteht. Angebote wie „Das Management persönlicher Leistungsressourcen“ für einzelne Führungskräfte oder eine „Ressourcensafari“ für Teams haben sich hier bewährt. Stellt man das bereits erwähnte Ziel einer höheren Wirksamkeit im Umgang mit den gestellten Anforderungen in den Mittelpunkt, so kann auf übergeordneter Ebene ein neuer Aspekt von Führung gesehen werden: Führung wird unter den bestehenden Bedingungen vor allem dann erfolgreich sein, wenn es gelingt eine Ressourcenorientierung auf allen Ebenen zu fördern, also bestehende Führungs- und Steuerungsmodelle um die Aspekte einer individuellen und kollektiven Förderung von Ressourcen zu ergänzen. Aktuell werden hierzu in einem Projekt konkrete Ansatzpunkte und unterstützende Lösungen für 372
Führungskräfte erarbeitet. Sie sollen ermöglichen, für sich selbst und in der Organisationseinheit immer wieder das folgende dynamische Gleichgewicht zu fördern: ¾ ¾ ¾
Ergebnisse erzielen – Funktionsfähigkeit unterstützen Veränderungen ermöglichen – die Fähigkeit zur Anpassung an neue Anforderungen fördern Vitalität erhalten – Lebendigkeit und Integrität bewahren
Die Kompetenz: Widersprüchliche Anforderungen meistern „Wer den Bogen nicht kräftig spannt, wird keinen Pfeil ins Ziel bekommen. Wer ihn überspannt, zerbricht ihn.“ (Wolfgang Schmidbauer)
Einerseits ist es aus meiner Sicht die Kompetenzanforderung der Zukunft: unterschiedliche Lebensbereiche und widersprüchliche Anforderungen (hohe Qualität bei geringen Kosten, Vertrauen aufbauen und politisch strategisch arbeiten etc.) miteinander in Bezug zu setzen, und dies in einem Umfeld, im dem sich die Grenzen zwischen den Lebensbereichen und zwischen den Arbeitsfeldern immer stärker auflösen. Andererseits ist es gerade der Wunsch, die verschiedenen Seiten „unter einen Hut zu bringen“ der mitunter auch zu dem in der Untersuchung oft beschriebenen Gefühl der Zerrissenheit führt, verbunden mit Zwickmühlen, Entscheidungsdilemmata und oftmals einer inne wohnenden Ohnmacht und Fremdbestimmung: „Egal wo ich investiere, es ist immer zu wenig.“ Wohl gemeinte Ratschläge à la „man kann nicht alles haben“, entlasten vielleicht kurzfristig, werden jedoch den von außen oder von innen (selbst) gestellten Anforderungen nicht immer gerecht. In der Konsequenz engen sie den Spielraum eher zusätzlich ein und fördern das Entscheidungsdilemma. In vielen Fällen wird es möglich sein, zwischen „Entweder-oder“ und „Weder-noch“ zu entscheiden. Die Komplexität der Anforderungen legt jedoch nahe, dass die zukünftige Fähigkeit eher darin liegt, das Eine zu tun und das Andere nicht zu lassen: 373
„Wir brauchen Profit, um zu überleben und Menschlichkeit, um das zu ertragen.“ Geübt darin, linear und mechanistisch zu denken, sind wir das Paradoxe, Gegensätzliche und Zyklische kaum gewohnt. Aus der Natur und den natürlichen Wachstumszyklen kennen wir es dagegen sehr wohl (Tag und Nacht, die Jahreszeiten, die Gezeiten etc.). Hier werden scheinbar widerstreitende Pole in Verbindung gesetzt und ermöglichen Wachstum. Aus zwei Gegensätzen entsteht das Dritte in der Mitte. Dieses Paradigma des „Sowohl als auch“ liegt auch einer gelungenen Leistungssteuerung zugrunde: Nur wer Anspannung und Entspannung, Leistung und Regeneration steuern kann, wird dauerhaft dranbleiben können. Wer professionell arbeitet, richtet wohl alle seine Energie auf sein Ziel aus, doch er erreicht es mit möglichst wenig Reibungsverlusten und einer hohen Wirksamkeit. Profis eines Faches finden elegante Lösungen, Anfänger müssen mit einem Übermaß an Anstrengung arbeiten, um zu ähnlichen Ergebnissen zu gelangen. Das Management widersprüchlicher Anforderungen erfordert dabei ein gutes Auge für das richtige Maß („wie viel von jedem“) und ein Gefühl für den richtigen Rhythmus zwischen Aufhören und Weitermachen („wann das Eine und wann das Andere“). Ziel ist nicht der „goldene Mittelweg“, sondern das bewusste Steuern der eigenen Ressourcen in unterschiedlichen Situationen. Hier ist Führungskräfteentwicklung vor allem dann bedarfsund zukunftsorientiert, wenn es ihr gelingt, Führungskräfte aus einem Entweder-Oder-Dilemma herauszuführen und die bewussten Handlungsoptionen zu erweitern. Deshalb bewähren sich in der Praxis Angebote der Ressourcenförderung vor allem dann, wenn sie z.B. im Rahmen der Nachwuchs- und Führungsprogramme integriert sind und nicht gesondert unter der Rubrik „Gesundheitsförderung“ gesucht werden müssen. Wenn in den Weiterbildungsangeboten sichtbar wird, dass Ergebnisorientierung und Vitalität einander bedingen, wird eine professionelle Reife unterstützt, die heutzutage unabdingbar ist. Denn: Wer Leistung will, muss Leben fördern. 374
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Managementkonzepte, herausgegeben von Klaus Götz 1
Klaus Götz: Führungskultur. Teil 1: Die individuelle Perspektive
2
Klaus Götz: Führungskultur. Teil 2: Die organisationale Perspektive
3
Helga Diel-Khalil, Klaus Götz: Ethnologie und Organisationsentwicklung
4
Klaus Götz, Monika Löwe, Sebastian Schuh, Martina Szautner (Hg.):
5
Klaus Götz: Kunden- und unternehmensorientierte Führung
ISBN 3-87988-476-5, 3. Auflage 2000, Hardcover, 144 S., € 17.80 ISBN 3-87988-388-2, 2. Auflage 1999, Hardcover, 144 S., € 17.80 ISBN 3-87988-415-3, 2. Auflage 1999, Hardcover, 128 S., € 14.80
Cultural Change
ISBN 3-87988-397-1, 2. Auflage 1999, Hardcover, 122 S., € 14.80
und Führungskräfteförderung in der Mercedes-Benz AG ISBN 3-87988-393-9, 3. Auflage 1999, Hardcover, 189 S., € 19.55
6
Jana Leidenfrost, Klaus Götz, Gerhard Hellmeister:
7
Peter Heintel, Klaus Götz: Das Verhältnis von Institution und
Persönlichkeitstrainings im Management. Methoden, subjektive Erfolgskriterien und Wirkungen ISBN 3-87988-444-7, 2. Auflage 2000, Hardcover, 219 S., € 19.55
Organisation. Zur Dialektik von Abhängigkeit und Zwang ISBN 3-87988-465-X, 2. Auflage 2000, Hardcover, 288 S., € 22.70
8
Klaus Götz (Hg.): Interkulturelles Lernen / Interkulturelles Training
9
Klaus Götz (Hg.):
ISBN 3-87988-728-4, 5. Auflage 2003, Hardcover, 270 S., € 27.80
Wissensmanagement: Zwischen Wissen und Nichtwissen ISBN 3-87988-610-5, 4. Auflage 2002, Hardcover, 268 S., € 27.20
10 Klaus Götz: Vom Paradies zur Apokalypse? Organisationen zwischen Steinzeit und Endzeit ISBN 3-87988-429-3, 2000, Hardcover, 64 S., € 12.50
11 Klaus Götz, Josef Seifert (Hg.): Verantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft ISBN 3-87988-448-X, 2000, Hardcover, 185 S., € 19.55
12 Paul Jay Edelson: Weiterbildung in den USA
ISBN 3-87988-454-4, 2000, Hardcover, 68 S., € 12.50
13 Klaus Götz, Jens Uwe Martens (Hg.): Elektronische Medien als Managementinstrument ISBN 3-87988-470-6, 2000, Hardcover, 134 S., € 17.80
14 Heiko Hansjosten: Lohnt sich die betriebliche Ausbildung? Eine Studie am Beispiel der DaimlerChrysler AG ISBN 3-87988-489-7, 2000, Softcover, 317 S., € 29.65
15 Klaus Götz, Kiyoharu Iwai (Hg.): Entwicklung und Struktur des japanischen Managementsystems ISBN 3-87988-499-4, 2000, Hardcover, 176 S., € 19.55
16 Klaus Götz: Human Resource Development. Band 1: Theorie - Qualität – Transfer – Innovation
ISBN 3-87988-782-9, 2. Auflage 2004, Hardcover, 174 S., € 22.80
17 Klaus Götz u.a.: Human Resource Development. Band 2: Prozesse – Personen – Strukturen – Systeme ISBN 3-87988-792-2, 2. Auflage 2003, Hardcover, 176 S., € 22.80
18 Gottfried Böttger, Klaus Götz, Wolfgang Hesse, Markus Hug (Hg.): Globalisierung und Nachhaltigkeit: Wandel als Chance ISBN 3-87988-528-1, 2000, Hardcover, 165 S., € 17.80
19 Gottfried Böttger, Klaus Götz, Wolfgang Hesse, Markus Hug (Hg.): Politik und Weltgesellschaft: Globalisierung als Chance ISBN 3-87988-529-X, 2000, Hardcover, 148 S., € 17.80 20 Martha Friedenthal-Haase (Hg.): Erwachsenenbildung im 20. Jahrhundert – Was war wesentlich? ISBN 3-87988-530-3, 2000, Hardcover, 310 S., € 24.80
21 Otmar Preuß: Schule halten: vom Abenteuer, Lehrer zu sein ISBN 3-87988-553-2, 2001, Hardcover, 256 S., € 27.20
22 Klaus Götz: Zur Evaluierung betrieblicher Weiterbildung Band 1: Theoretische Grundlagen ISBN 3-87988-592-3, 2001, Hardcover, 191 S., € 24.80
23 Klaus Götz: Zur Evaluierung betrieblicher Weiterbildung Band 2: Empirische Untersuchungen ISBN 3-87988-593-1, 2001, Hardcover, 205 S., € 24.80
24 Klaus Götz: Zur Evaluierung betrieblicher Weiterbildung Band 3: Beispiele aus der Praxis ISBN 3-87988-594-X, 2001, Hardcover, 141 S., € 22.70
25 Martha Friedenthal-Haase: Ideen, Personen, Institutionen: Kleine Schriften zur Erwachsenenbildung als Integrationswissenschaft ISBN 3-87988-613-X, 2002, Hardcover, 529 S., € 42.80
26 Klaus Götz (Hg.): Bildungsarbeit der Zukunft
ISBN 3-87988-630-X, 2002, Hardcover, 310 S., € 29.80
27 Klaus Götz (Hg.): Personalarbeit der Zukunft
ISBN 3-87988-631-8, 2002, Hardcover, 214 S., € 24.80
28 Maximilian Sailer: Pädagogische Grundlagen betrieblichen Lernens ISBN 3-87988-687-3, 2002, Softcover, 264 S., € 27.80
29 Anton Hahne (Hg.): Kreative Methoden in der Personal- und Organisationsentwicklung ISBN 3-87988-742-X, 2003, Softcover, 151 S., € 22.80
30 Klaus Götz (Hg.): Vertrauen in Organisationen ISBN 3-86618-042-X, 2006, Softcover, 273 S., € 29.80
31 Jana Leidenfrost: Kritischer Erfolgsfaktor Körper? Leistung neu denken: Ressourcenpflege im Management ISBN 3-86618-048-9, 2006, Softcover, 402 S., € 34.80
Managementkonzepte Band 31 Herausgegeben von Klaus Götz
Jana Leidenfrost Kritischer Erfolgsfaktor Körper? Leistung neu denken: Ressourcenpflege im Management
Rainer Hampp Verlag
München und Mering 2006
Herausgeber:
Prof. Dr. Klaus Götz Universität Koblenz-Landau (Zentrum für Human Resource Management) Universität Klagenfurt (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung) Universität Bremen (Institut für Erwachsenen-Bildungsforschung)
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN: 3-86618-048-9 Managementkonzepte: ISSN 1436-2988 1. Auflage, 2006 © 2006
Rainer Hampp Verlag Meringerzeller Str. 10
München und Mering D – 86415 Mering
www.Hampp-Verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen, Übersetzungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. ∞
Dieses Buch ist auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Liebe Leserinnen und Leser! Wir wollen Ihnen ein gutes Buch liefern. Wenn Sie aus irgendwelchen Gründen nicht zufrieden sind, wenden Sie sich bitte an uns. Managementkonzepte, herausgegeben von Klaus Götz
1
Klaus Götz: Führungskultur. Teil 1: Die individuelle Perspektive
2
Klaus Götz: Führungskultur. Teil 2: Die organisationale Perspektive
3
Helga Diel-Khalil, Klaus Götz: Ethnologie und Organisationsentwicklung
ISBN 3-87988-476-5, 3. Auflage 2000, Hardcover, 144 S., € 17.80
ISBN 3-87988-388-2, 2. Auflage 1999, Hardcover, 144 S., € 17.80
ISBN 3-87988-415-3, 2. Auflage 1999, Hardcover, 128 S., € 14.80
4 Klaus Götz, Monika Löwe, Sebastian Schuh, Martina Szautner
(Hg.):
Cultural Change ISBN 3-87988-397-1, 2. Auflage 1999, Hardcover, 122 S., € 14.80
5 Klaus Götz: Kunden- und unternehmensorientierte Führung und Führungskräfteförderung in der Mercedes-Benz AG ISBN 3-87988-393-9, 3. Auflage 1999, Hardcover, 189 S., € 19.55 6 Jana Leidenfrost, Klaus Götz, Gerhard Hellmeister: Persönlichkeitstrainings im Management. Methoden, subjektive Erfolgskriterien und Wirkungen ISBN 3-87988-444-7, 2. Auflage 2000, Hardcover, 219 S., € 19.55 7 Peter Heintel, Klaus Götz: Das Verhältnis von Institution und Organisation. Zur Dialektik von Abhängigkeit und Zwang ISBN 3-87988-465-X, 2. Auflage 2000, Hardcover, 288 S., € 22.70 8 Klaus Götz (Hg.): Interkulturelles Lernen / Interkulturelles Training ISBN 3-87988-728-4, 5. Auflage 2003, Hardcover, 270 S., € 27.80 9 Klaus Götz (Hg.): Wissensmanagement: Zwischen Wissen und Nichtwissen ISBN 3-87988-610-5, 4. Auflage 2002, Hardcover, 268 S., € 27.20 10 Klaus Götz: Vom Paradies zur Apokalypse? Organisationen zwischen Steinzeit und Endzeit ISBN 3-87988-429-3, 2000, Hardcover, 64 S., € 12.50 11 Klaus Götz, Josef Seifert (Hg.): Verantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft ISBN 3-87988-448-X, 2000, Hardcover, 185 S., € 19.55 12 Paul Jay Edelson: Weiterbildung in den USA ISBN 3-87988-454-4, 2000, Hardcover, 68 S., € 12.50 13 Klaus Götz, Jens Uwe Martens (Hg.): Elektronische Medien als Managementinstrument ISBN 3-87988-470-6, 2000, Hardcover, 134 S., € 17.80 14 Heiko Hansjosten: Lohnt sich die betriebliche Ausbildung? Eine Studie am Beispiel der DaimlerChrysler AG
ISBN 3-87988-489-7, 2000, Softcover, 317 S., € 29.65 15 Klaus Götz, Kiyoharu Iwai (Hg.): Entwicklung und Struktur des japanischen Managementsystems ISBN 3-87988-499-4, 2000, Hardcover, 176 S., € 19.55 16 Klaus Götz: Human Resource Development. Band 1: Theorie - Qualität – Transfer – Innovation ISBN 3-87988-782-9, 2. Auflage 2004, Hardcover, 174 S., € 22.80 17 Klaus Götz u.a.: Human Resource Development. Band 2: Prozesse – Personen – Strukturen – Systeme ISBN 3-87988-729-2, 2. Auflage 2003, Hardcover, 176 S., € 22.80 18 Gottfried Böttger, Klaus Götz, Wolfgang Hesse, Markus Hug (Hg.): Globalisierung und Nachhaltigkeit: Wandel als Chance ISBN 3-87988-528-1, 2000, Hardcover, 165 S., € 17.80 19 Gottfried Böttger, Klaus Götz, Wolfgang Hesse, Markus Hug (Hg.): Politik und Weltgesellschaft: Globalisierung als Chance ISBN 3-87988-529-X, 2000, Hardcover, 148 S., € 17.80 20 Martha Friedenthal-Haase (Hg.): Erwachsenenbildung im 20. Jahrhundert – Was war wesentlich? ISBN 3-87988-530-3, 2000, Hardcover, 310 S., € 24.80 21 Otmar Preuß: Schule halten: vom Abenteuer, Lehrer zu sein ISBN 3-87988-553-2, 2001, Hardcover, 256 S., € 27.20 22 Klaus Götz: Zur Evaluierung betrieblicher Weiterbildung Band 1: Theoretische Grundlagen ISBN 3-87988-592-3, 2001, Hardcover, 191 S., € 24.80 23 Klaus Götz: Zur Evaluierung betrieblicher Weiterbildung Band 2: Empirische Untersuchungen ISBN 3-87988-593-1, 2001, Hardcover, 205 S., € 24.80 24 Klaus Götz: Zur Evaluierung betrieblicher Weiterbildung Band 3: Beispiele aus der Praxis ISBN 3-87988-594-X, 2001, Hardcover, 141 S., € 22.70 25 Martha Friedenthal-Haase: Ideen, Personen, Institutionen: Kleine Schriften zur Erwachsenenbildung als Integrationswissenschaft ISBN 3-87988-613-X, 2002, Hardcover, 529 S., € 42.80 26 Klaus Götz (Hg.): Bildungsarbeit der Zukunft ISBN 3-87988-630-X, 2002, Hardcover, 310 S., € 29.80 27 Klaus Götz (Hg.): Personalarbeit der Zukunft
ISBN 3-87988-631-8, 2002, Hardcover, 214 S., € 24.80 28 Maximilian Sailer: Pädagogische Grundlagen betrieblichen Lernens ISBN 3-87988-687-3, 2002, Softcover, 264 S., € 27.80 29 Anton Hahne (Hg.): Kreative Methoden in der Personal- und Organisationsentwicklung ISBN 3-87988-742-X, 2003, Softcover, 151 S., € 22.80 30 Klaus Götz (Hg.): Vertrauen in Organisationen ISBN 3-86618-042-X, 2006, Softcover, 273 S., € 29.80 31 Jana Leidenfrost: Kritischer Erfolgsfaktor Körper? Leistung neu denken: Ressourcenpflege im Management ISBN 3-86618-048-9, 2006, Softcover, 402 S., € 34.80