Gisela Kautz Jani und Navarino
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Gisela Kautz Jani und Navarino
Fischer Verlag Titelillustration von Margarete Hoss Innenteil illustriert von Hans Arlart © by Fischer Verlag GmbH, Remseck bei Stuttgart 1992 Alle Rechte vorbehalten ISBN 3 439 88.852 5
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Inhalt: 1. Alle lieben Navarino .........................................................- 4 2. Jani darf alles! .................................................................- 11 3. Ein Turnier und seine Folgen..........................................- 19 4. Alles begann so fröhlich .................................................- 27 5. Jani in Schwierigkeiten...................................................- 32 6. Glückliche Zeiten............................................................- 42 7. Navarino in Gefahr ..........................................................- 49 8. Kinder kämpfen um Navarino .........................................- 56 9. Navarino und das Reiterpicknick ....................................- 62 10. Die Ausbildung .............................................................- 71 11. Alle Schätze der Erde....................................................- 81 -
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1. Alle lieben Navarino Im Reitverein Erlenbruch herrschte von zwölf bis vierzehn Uhr Stallruhe. Reitlehrer Bensch, die Pferdepfleger Klaus und Peter und auch der Bereiterlehrling, Christiane Brückner, nahmen in dieser Zeit ihr Mittagessen ein: Herr Bensch zu Hause im Kreise seiner Familie, die Pferdepfleger im Gasthof Erlenbruchkrug, der gleich neben dem Reitverein lag, und Christiane zusammen mit ih rer verwitweten Mutter in der kleinen Dreizimmerwohnung direkt am Stadtrand. „Aber Jani! Nun bleib doch noch ein bißchen!“ sagte Frau Brückner halb tadelnd, halb bittend, als ihre Tochter sich mit einem Blick auf die Uhr vom Mittagstisch erhob. Wie immer schüttelte das junge Mädchen auch heute bei ihren Worten entschieden den Kopf, aber sie lächelte dabei. Frau Brückner seufzte. Es war doch jeden Tag das gleiche! Jani kürzte ihre Mittagspause einfach um eine Stunde, nur damit sie genügend Zeit für ihren Pferdeliebling Navarino hatte. Navarino wartete auf sie! Navarino freute sich auf einen Spaziergang oder aufs Grasen! Navarino liebte es, wenn man sich mit ihm unterhielt! Navarino brauchte Gesellschaft! Frau Brückner seufzte abermals leise. Navarino war nun einmal der erklärte Mittelpunkt im Leben ihrer Tochter und schien ein Pferd mit ausgeprägten menschlichen Eigenarten zu sein, jedenfalls wenn man den Worten ihrer Tochter Glauben schenkte. Sie selbst hielt den Wallach für ein sehr hübsches und besonders freundliches Tier, konnte jedoch auch nicht die geringste Spur all jener Eigenschaften entdecken, die Jani ihr oft genug schilderte. Dazu fehlte es ihr an Pferdeverstand, wie ihre Tochter und ihr früh verstorbener Mann oft genug erklärt hatten. „Du weißt doch, daß ich heute mit ihm Spazierengehen will!“ Jani sah ihre Mutter fast ein wenig vorwurfsvoll an, und Frau Brückner lächelte. Hübsch sah ihre Tochter aus. Sie war schlank und hochgewachsen, das mittelblonde, kurze Haar umrahmte ein schmales, sonnengebräuntes Gesicht, in dem ein energisches Kinn und ausdrucksvolle graue Augen auffielen. „Bis nachher dann! Tschüs!“ Die Haustür fiel ins Schloß, und Jani eilte die Treppen hinunter. Kurze Zeit später radelte sie der Reitanlage entgegen. Herrliches Wetter hatte der Juni bisher beschert. Tagtäglich schien die Sonne von einem wolkenlos blauen Himmel! Kein Wunder, daß sie bereits so braun war, wie Urlauber sonst erst nach ihrer Rückkehr aus Teneriffa.
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Jani lächelte verschmitzt bei diesen Gedanken. Ihre Arme und ihr Gesicht waren tatsächlich braun, aber die Be ine, die schließlich täglich in Reithosen steckten, waren käseweiß! Genau wie der Rest des Körpers. Als Bereiterlehrling hatte man kaum Zeit, sich im Freibad rundum zu bräunen. Nicht, daß ihr das leid getan hätte. Nie würde sie verstehen, wie Menschen es aushalten konnten, Stunden um Stunden tatenlos in der Sonne zu liegen und vor sich hinzudösen. Schrecklich langweilig mußte das sein. Einfach entsetzlich! Diese Untätigkeit würde sie verrückt machen. Wie jeden Tag hielt sie auf der Anhöhe und blickte hinunter auf die Reitanlage Erlenbruch: Die große Reithalle, links davon die langgestreckten Stallungen, der baumbestandene Springplatz, der mit niedrigen Büschen eingefaßte Dressurplatz und direkt daran grenzend der Erlenbruchkrug mit der großen Terrasse, auf der mehrere Blumenkübel mit roten Geranien standen. Der Anblick war ihr vertraut. Rechts der Reitanlage erstreckten sich die Felder bis hin zum Wald, der von hier oben wie eine begrenzende Wand wirkte. Einen schöneren Reitverein konnte es einfach nicht geben, davon war sie überzeugt. Aber das wichtigste war und blieb Navarino. Lächelnd fuhr sie weiter, erreichte wenig später die Reithalle und schloß die Stalltür auf. Blinzelnd blieb sie einen Moment stehen, damit sich ihre sonnengeblendeten Augen auf das Dämmerlicht einstellten. Neugierig wandten einige Pferde den Kopf und Navarino schnoberte zur Begrüßung durch die Nüstern. „Du hast schon auf mich gewartet, mein Lieber, nicht?“ Zärtlich strich sie ihm über das Fell und befestigte dann den Führstrick an seinem Halfter. Mit gespitzten Ohren folgte der Wallach ihr die Stallgasse entlang und wartete dann geduldig, bis das Mädchen die Stalltür erneut verschlossen hatte. Hin und wieder rieb er seinen Kopf liebevoll an ihrer Schulter, während sie ein Stück dem Feldweg folgten, dann links abbogen und quer über die Wiesen dem Wald zustrebten. Wie oft wir hier wohl schon gemeinsam gewesen sind, dachte Jani versonnen, während Navarino hin und wieder stehenblieb, um sich ein saftiges Grasbüschel abzurupfen. Aufmerksam spitzte er die Ohren, wenn das Mädchen mit ihm sprach. Er kannte jede Regung ihrer Stimme und spürte genau, wann sie traurig und bedrückt oder glücklich und heiter wie heute war. „Wir müssen zurück“, sagte Jani schließlich und auch diese Worte schien der Wallach zu verstehen. Unwillig schüttelte er den Kopf und widersetzte sich einen Augenblick lang dem leisen Zug am Führstrick. „Du bist das menschlichste Pferd, das ich kenne! Am liebsten würdest du dich
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vor der Arbeit drücken, was? Kommt nicht in Frage, mein Lieber. Schließlich mußt du dein Geld genauso verdienen wie alle anderen auch!“ Der gespielt strenge Ton in ihrer Stimme beein druckte Navarino keineswegs. Übermütig stupste er Jani mit dem Kopf in den Rücken und fuhr ihr dann liebevoll mit dem weichen Maul durch die Haare. Wieder einmal näherte sich die herrliche Stunde, die ihnen ganz allein gehörte, dem Ende. Aber sie würden diese Stunde ja jeden Tag haben, über Wochen, Monate und Jahre hinweg. „Na, mit unserem Großvater spazieren gegangen?“ lachte Reitlehrer Bensch, als die beiden im Stall eintra fen. „Er ist noch nicht einmal 16 Jahre alt“, empörte sich Jani. „Zwei der Stuten sind viel älter, und nur weil Na varino der älteste Wallach bei uns ist, können Sie doch nicht behaupten, daß er ein Großvater ist! Und außerdem wirkt er jünger als viele andere!“ Kopfschüttelnd sah Herr Bensch sie an. Wenn es um Navarino ging, kannte Jani einfach keinen Humor. „Ist schon recht“, murmelte er daher nur friedfertig und wechselte das Thema. „Während ich Unterricht gebe, kannst Du die Alraune raus auf den Platz nehmen und sie longieren. Wenn sie noch immer nicht klar geht, rufe bitte Dr. Elle an. Er soll sie sich noch einmal ansehen. Mir gefällt ganz und gar nicht, wie lange sie nun schon lahmt!“ Das Mädchen nickte bestätigend. „Und dann nimmst du dir Delios vor und später sattele mir bitte den Taifun und für dich Alcidor!“ Jani nickte abermals. „Taifun“, knurrte Herr Bensch. „Selten ein so mißnamiges Pferd gesehen. Der hat das Temperament eines Siebenschläfers und den Charakter eines Rindviechs. Ich verstehe einfach nicht, wie man ein solches Pferd kaufen kann? Und Herr Burg ist begeistert von Taifuns Unerschütterlichkeit, und seine Frau schwärmt von seinem sanften Blick, und beide erwarten von mir, daß ich das Faultier in Schwung bringe!“ Vor sich hin murrend eilte er die Stallgasse entlang. „Gehen sie heute alle?“ fragte Klaus und warf einen vielsagenden Blick auf die sieben Schulpferde in ihren Boxen. „Ja“, lachte Jani. „Aber ich helf dir schnell beim Satteln!“ Klaus nahm ihr Angebot dankbar und erleichtert an. Er war erst seit einem Monat im Reitverein angestellt, und die Arbeit ging ihm noch nicht so schnell von der Hand wie seinem Kollegen, und da Peter heute seinen freien Tag hatte, schien die auf ihn wartende Arbeit einfach nicht zu bewältigen zu sein. Er atmete auf, als alle Schulpferde fix und fertig gesattelt und getrenst waren.
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„Vielen Dank, Jani“, sagte er schließlich und lä chelte das Mädchen an. „Gern geschehen! In zehn Minuten kannst du mit dem Nachgurten beginnen. Aber sei vorsichtig bei Lisette und Hamada. Die beiden reagieren nämlich sehr empfindlich, wenn die Gurte zu sehr angezogen werden!“ Klaus nickte. Er hatte damit schon seine Erfahrungen gemacht. Jani lief hinüber zur Sattelkammer, um sich die Longe für Alraune zu holen. Aufgeregtes Stimmengewirr tönte aus dem Büro des Reitlehrers zu ihr herüber. „Nein, diesmal krieg’ ich den Navarino!“ „Nein, ich bin dran! Bitte, bitte, Herr Bensch! Sie haben ihn mir versprochen, weil die Susi...“ „Ist nicht wahr! Du willst dich nur vordrängen! Ich hab den Navarino schon seit Wochen nicht geritten...“ „Herr Bensch! So hören Sie doch...“ „Ich krieg ihn heute! Sie haben es versprochen!“ Jani lächelte vor sich hin. Du lieber Himmel, die Kleinen kämpften ja wie die Löwen! „Schluß jetzt! Ruhe! Stefanie reitet Navarino, du nimmst Hamada, Birgit den Pirol...“ Langsam kehrte drüben wieder Ruhe ein und Jani lächelte erneut. Tag für Tag und in jeder Reitstunde gab es diesen Kampf um Navarino. Er war das beliebteste Schulpferd. Erstens, weil er ein freundliches Naturell hatte und zweitens, weil ihn nichts, aber auch wirklich gar nichts, aus der Ruhe bringen konnte. Schlug irgendwo krachend eine Tür zu und stoben seine Artgenossen wie die aufgescheuchten Hühner davon, so zuckte Navarino noch nicht einmal mit der Wimper. Schließlich wußte er, was eine Tür war! Toste draußen ein Gewitter, und heftige Donnerschläge ließen die anderen Tiere entsetzte Bocksprünge vollziehen, so trabte Navarino friedlich auf dem Hufschlag weiter, als sei das die natürlichste Sache der Welt. Diese unerschütterliche Ruhe machte ihn bei Reitern und Reitlehrer gleichermaßen beliebt. Die ersteren schätzten es sehr, daß man nicht in Gefahr geriet, von ihm unsanft zu Boden befördert zu werden, und Herr Bensch hatte in Navarino ein verläßliches Tetenpferd, das auf die anderen Tiere einen beruhigenden Einfluß ausübte. Hinzu kam, daß Navarino selbst unter dem blutig sten Anfänger geduldig sämtliche geforderten Lektionen ausführte. Ordnete der Reitlehrer zum Beispiel eine Volte an, dann drehte Navarino sie, egal ob sein Reiter wußte, wie diese Übung auszuführen war, oder nicht. Navarino war das Ideal eines Schulpferdes und Herr Bensch behauptete oft genug, daß er zehn von seiner Sorte gebrauchen könne.
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Aber es waren nicht nur die Anfänger, die Navarino schätzten, auch bei den fortgeschrittenen Reitern erfreute er sich großer Beliebtheit, denn kaum merkte er, daß sich sein Reiter auf die Kunst der Hilfegebung verstand, so ordnete er sich willig unter und folgte dem leisesten Schenkeldruck und Zügelzug. Und das war außergewöhnlich bei einem Schulpferd; neigten die meisten derartigen Pferde doch dazu, früher oder später abzustumpfen. „Na, Alraune? Dann wollen wir mal sehen, wie es dir heute geht!“ Jani tätschelte der Schimmelstute aufmunternd den Hals. Vorsichtig führte sie sie aus ihrer Box und ging langsam die Stallgasse entlang. Gleichmäßig klapperten die Hufe über den gepflasterten Boden. Draußen auf dem Dressurplatz ließ Jani die Stute einige Runden im Schritt gehen und beobachtete sie aufmerksam. In dieser Gangart ließ sich kein Lahmen mehr feststellen. „Und Trab!“ Alraunes erste Tritte schienen ein wenig zögernd zu sein, dann jedoch wurden sie freier und die Stute schnaubte durch geweitete Nüstern, während sie das Tempo verschärfte. „Schön ruhig! Braaav!“ Jani verstand vollauf, daß Alraune nach Tagen des Stehens den Wunsch verspürte, sich tüchtig auszutoben, aber genau das konnte sie nicht zulassen. Das Bein durfte nicht überfordert werden und so parierte sie Alraune eine Viertelstunde später zum Schritt durch. Willig folgte ihr die Stute schließlich in den Stall zurück. „Ich hab dir Delios schon gesattelt!“ Klaus sah sie hoffnungsvoll an. „Das ist aber nett von dir! Wie hast du das bei all deiner Arbeit bloß auch noch geschafft?“ Der Junge errötete vor Freude über die Anerkennung seiner Leistung. Ein riesig nettes Mädchen war Jani! Immer höflich und freundlich! Ganz anders als Peter, der stets ein wenig brummig war und streng zwischen seiner Arbeit und der des Neuen, wie er Klaus nannte, unterschied. Peter wäre es nie in den Sinn gekommen, dem Jungen ein bißchen zu helfen, während Jani vom ersten Tag an schweigend mit zugepackt hatte, wenn er in Schwierigkeiten zu geraten drohte. Jetzt, da ihm viele Arbeiten schon leichter von der Hand gingen, wollte er sich dafür revanchieren. „War kein Problem für mich“, erklärte er daher lässig und warf sich ein wenig in die Brust. Zwar war Jani zwei Jahre älter als er, und er hatte sich anfangs vorsichtshalber erkundigt, ob er sie siezen sollte, aber in zwischen hatte er doch das Gefühl, daß er ihr durchaus ebenbürtig war, Kräftemäßig sogar überlegen, wie er vorhin beim Satteln festgestellt hatte. Noch gingen ihr alle Griffe geübter und schneller von der Hand, aber als sie den dritten Sattel herbeigeschleppt hatte, war sie schon ein wenig atemlos geworden, während ihm das überhaupt nichts ausmachte. Naja, sie war ja auch ein Mädchen! Aber ein sehr nettes, beeilte er sich sofort in Gedanken
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hinzuzusetzen. Und reiten konnte sie! Das war einfach toll! Kein Wunder, daß sie die Zwischenprüfung nach dem ersten Ausbildungsjahr mit „sehr gut“ bestanden hatte. Derartige Noten wa ren eine Seltenheit, denn die Anforderungen waren hoch, aber Jani verdiente sie wirklich. In seinen Augen ritt sie sogar besser als der Reitlehrer, aber er hütete sich, diese Meinung laut zu äußern. Nur wenn er vormittags manchmal hörte, wie scharf Herr Bensch das Mädchen beim Reiten tadelte, dann mußte er doch die Lippen zusammenpressen, damit ihm nicht wieder ein: „Oller Meckerpott“ herausrutschte, wie kürzlich. Jani hatte ihn entsetzt angesehen, und ihre Miene hatte sich auch nicht im geringsten aufgeheitert, als er mürrisch erklärte, Herr Bensch mit seiner ewigen Nörgelei sei wirklich ungerecht. „Ich will so etwas nie wieder hören!“ hatte das Mädchen energisch gesagt. „Herr Bensch ist der freundlichste Mensch, den ich kenne. Daß er mich tadelt, ist doch selbstverständlich, schließlich muß ich all das, was er kann, ja erst lernen!“ Ihre Augen hatten ihn so kriegerisch angefunkelt, daß er weitere Bemerkungen unterdrückte, aber an seiner Meinung änderte das überhaupt nichts. Kurz bevor die zweite Reitstunde zu Ende war, kam Jani mit Delios zurück. Heute war sie sehr mit ihm und sich zufrieden gewesen. Es hatte einfach alles geklappt! „Na, ein bißchen müde, was?“ Herr Bensch sah sie forschend an. Die Ausbildung als Bereiterlehrling oder zum Pferdewirt, wie man heute sagte, war hart, besonders für Mädchen. Oft genug hielten sie die dreijährige Ausbildungszeit nicht durch. Nicht etwa, weil sie nicht einsatzbereit genug waren, sondern einfach, weil der Körper streikte. Es gab eben doch einige Berufe, die für Mädchen erheblich anstrengender waren als für Jungen. Aber dessen ungeachtet waren es häufig gerade Mädchen, die sich für diesen Beruf entschieden. „Ja, ein bißchen müde bin ich“, gab Jani lächelnd zu, „aber reiten kann ich noch stundenlang!“ Und das schien zu stimmen. Sie saß kerzengerade auf Alcidor, und nichts in ihrer Haltung ließ vermuten, daß die Muskeln in Kreuz und Schultern wieder einmal unangenehm schmerzten, und sie einen Augenblick sehnsuchtsvoll an einen weich gepolsterten Lehnstuhl dachte! Aus dieser angenehmen Vorstellung riß sie die ungeduldige Stimme des Reitlehrers. „Die Stellung! Mein Gott noch mal! Er verwirft sich im Hals! Langsam mußt du aber wirklich ein Gefühl dafür bekommen!“
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Eine Zeitlang ritten dann beide schweigend und konzentriert ihre Pferde, und Herr Bensch widmete seine volle Aufmerksamkeit Taifun, der nur sehr widerstrebend den treibenden Kreuz- und Schenkelhilfen nachkam, die ihm ein in seinen Augen unzumutbar hohes Tempo abverlangten. Es dauerte geraume Zeit, bis sein Reiter mit ihm zufrieden war, ihn schließlich durchparierte und Jani weiter Unterricht erteilte. „Mitte der langen Seite eine Hinterhandwendung!“ Kritisch beobachtete er Pferd und Reiter. „Flüssiger! Ja, gut! Halt ihn am Platz! Und noch einmal Mitte der kurzen Seite!“ Diesmal war er mit der Ausführung der Aufgabe zufrieden. Kommando folgte auf Kommando, bis er schließlich durchparieren ließ und dem Mädchen zunickte. „Arbeite ihn noch in den Trabverstärkungen. Ich muß jetzt reinziehen. Die erste Abendgruppe kommt gleich!“ Jani nickte zu seinen Worten und setzte Alcidor in Trab. Auch jetzt, als sie sich allein auf dem Dressurviereck befand, ließ ihre Konzentration nicht nach. Sorgfältig ritt sie auf die Diagonale und achtete ganz besonders auf die Taktmäßigkeit der Tritte des Pferdes. Als sie eine Viertelstunde später mit ihrem Pfe rd im Stall erschien, kam sie gerade rechtzeitig, um die erhobenen Stimmen von Frau Muthmann und Frau Marschall zu vernehmen. „Herr Bensch! Sie hatten mir aber wirklich für heute den Navarino versprochen!“ „Aber nein! Erinnern Sie sich nicht? Sie haben ihn mir zugesichert!“ „Aber meine Damen!“ Beschwichtigend redete der Reitlehrer auf die beiden ein, und wenig später verlie ßen ihn eine strahlende Frau Muthmann und eine niedergeschlagene Frau Marschall. „Ich werd’ noch verrückt!“ flüsterte Herr Bensch Jani zu. „Mehr als fünf Jahre mache ich das nun tagtäglich mit! Hier tut ja jeder, als sei Navarino das einzige Pferd im Stall! Ich werd’ noch wahnsinnig!“ Vielsagend mit den Augen zwinkernd folgte er seiner Gruppe zur Reithalle. Jani lächelte versonnen! Meine Güte, so lange war das alles schon her? Dabei erinnerte sie sich an den Tag der Ankunft von Navarino so genau, als sei es gestern gewesen. Zwölf Jahre alt war sie damals gewesen. Jani kniff ein wenig die Augen zusammen, als wolle sie die Bilder der Vergangenheit in die Gegenwart zu rückholen. Ja, begonnen hatte alles damals, als der Pferdehändler, Herr Sievers, mit seinem Pferdetransporter rumpelnd in die Reitanlage eingebogen war...
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2. Jani darf alles! Herr Brückner, Herr Bensch und Jani saßen am sogenannten Reiterstammtisch des Erlenbruchkruges, als das Auto mit dem Pferdeanhänger in die Auffahrt der Reitanlage einbog. „Da ist er!“ rief Jani begeistert und sprang sofort auf. „Da ist er!“ rief das Mädchen noch einmal voller Aufregung, rannte zur Tür und wenig später quer über den Dressurplatz auf den Wagen zu. Die mahnenden Worte ihres Vaters, sie möge sich doch ihre Jacke überziehen, da es ein kühler Märzabend sei, schien sie überhaupt nicht gehört zu haben. Herr Bensch und Herr Brückner sahen ihr einen Augenblick kopfschüttelnd hinterher, bevor sie ihr folg ten. Sie trafen ein, als der Pferdehändler gerade die rückwärtige Rampe herabließ. „Geht mal ein bißchen zurück“, sagte Herr Sievers zu einigen Mädchen, die sich, genau wie Jani, neugie rig um den Wagen drängten. „Tag Herr Bensch. Tag Herr Brückner“, setzte er gleich darauf hinzu, reichte den beiden Herren die Hand und klopfte dann Jani fröhlich auf die Schulter. „Und Fräulein Ungeduld ist auch da“, stellte er lächelnd fest und zwinkerte ihr zu. Die drei Mädchen, die sich bei seiner Aufforderung respektvoll einige Schritte zurückgezogen hatten, sahen sich vielsagend an. Es war doch wieder typisch! Sie selbst wurden verscheucht, aber Jani durfte natürlich beim Ausladen in nächster Nähe dabei sein. Das Mädchen durfte immer alles! Kein Wunder, ihr Vater gehörte schließlich zum Vorstand des Vereins, war selbst ein begeisterter Reiter und mit Herrn Bensch befreundet. Weder Katja noch Regina oder Bettina wunderte es daher, daß Jani wenig später den großrahmigen Wallach am Führstrick hielt und ihn liebevoll streichelte, während die Männer das Pferd von allen Seiten begutachteten. „Er ist gut zehn Jahre alt, lammfromm, stabil und kinderlieb“, schilderte Herr Sievers nun die Vorzüge des Pferdes. „Genau das Richtige für einen Reitverein. Hat zwar keine Papiere, aber dafür ist er auch nicht so teuer, und gut geritten ist er obendrein. Mit dem werden Sie keine Schwierigkeiten haben!“ Herr Bensch nickte zu seinen Worten. Das Pferd gefiel ihm ausgesprochen gut. Wenn sich nach der vereinbarten Probezeit herausstellen sollte, daß es wirklich all die Vorzüge besaß, die der Pferdehändler genannt hatte, so würde man handelseinig werden. „Wie heißt er denn?“ erkundigte sich Jani endlich neugierig. „Keine Ahnung“, antwortete Herr Sievers. „Du und deine Freundinnen können sich ja einen Namen für ihn ausdenken.“ Freundlich nickte er zu
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den drei Mädchen hinüber, während Jani einen Augenblick die Stirn runzelte. Wie kam Herr Sievers bloß auf die Idee, daß Katja, Regina und Bettina ihre Freundinnen waren? Sie mochte keines der Mädchen besonders. Schon gar nicht Katja, ein dunkelhaariges Mädchen mit braunen Augen, das fast zwei Jahr älter war als sie und es schon des öfteren gewagt hatte, sie zurechtzuweisen, wenn sie wieder einmal die Stallgasse entlangrannte oder ihr Putzzeug nicht zusammenräumte oder nach dem Reiten vergaß, die Hufe auszukratzen. Nein, sie mochte Katja absolut nicht. Und Regina und Bettina waren auch nicht viel besser, weil sie sich grundsätzlich der Meinung ihrer Freundin anschlossen und wenn sie deren Worte nicht nachplapperten, so doch stets bekräftigend nickten. Jetzt kamen die drei heran und streichelten den Wallach ebenfalls. „Wie wär’s mit Arko?“ schlug Katja gleich darauf vor, und natürlich nickten Regina und Bettina zu die sem Einfall. „Nee! Das ist blöd! Außerdem hat der Wallach von Wagners, die letztes Jahr weggezogen sind, so geheißen. Nachäffen ist einfach doof“, rief Jani sofort und musterte die drei ablehnend, deren Gesichter sich bei ihren Worten verfinsterten. „Und wie klingt Condor?“ erkundigte sich Regina nach einem etwas betretenen Schweigen einlenkend. „Ja, oder Lago?“ beteiligte sich nun auch Bettina an der Namenssuche, aber Jani schüttelte zu allen Vorschlägen entschieden den Kopf und hielt nicht mit ihrer Meinung hinter den Berg, daß das entweder langweilige, doofe oder blöde Namen seien. „Anstatt hier nur zu kritisieren, könntest du ja auch mal etwas vorschlagen“, rief Katja schließlich verärgert und ihre braunen Augen blitzten zornig. Einen Moment sah Jani sie etwas betroffen an, aber dann lachte sie triumphierend. „Selbstverständlich! Wir nennen ihn Navarino!“ Und bevor noch eines der Mädchen sich zu diesem Vorschlag äußern konnte, rief Jani schon fröhlich: „Papi! Herr Bensch! Herr Sievers! Wir nennen ihn Navarino! Ist das nicht ein toller Name?“ Lächelnd drehten sich die drei Herren nach den Kindern um und pflichteten ihnen bei, daß sie wirklich einen außerordentlich schönen Namen ausgesucht hatten. Daß Katja, Regina und Bettina ziemlich verdrossen aussahen, schien keiner von ihnen zu bemerken. „Na, dann bring den Navarino jetzt mal in den Quarantänestall“, forderte der Reitlehrer Jani auf, und die drei Mädchen warfen sich erneut einen vielsagenden Blick zu. Wieder mal war das Mädchen die berühmte Ausnahme von der Regel! Kindern war nämlich der Zutritt zum
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Quarantänestall verboten. Das galt ausnahmslos für alle Kinder. Nur für Jani natürlich nicht! In den folgenden vier Wochen, in denen Navarino im Quarantänestall blieb, beka men die drei Jani je doch nur während der gemeinsamen Reitstunden zu Gesicht. Kaum war der Unterricht beendet, verschwand sie und leistete ihrem neuen Liebling Gesellschaft. Aber nicht nur das. Erstmals widmete sich Jani mit vollem Eifer der Pferdepflege. Vor all diesen Pflichten hatte sie sich sonst stets mehr oder weniger gedrückt. Jetzt mistete sie jedoch Navarinos Box sorgfältig aus, schrubbte die Futterkrippe und die Selbsttränke, entfernte Spinnweben und reinigte die Gitterstäbe der Box. Und Navarino selbst kam auch nicht zu kurz! Wann immer Herr Bensch den Stall betrat, um Na varino zu satteln, war alles makellos sauber, das Fell des Wallachs schimmerte seidig glänzend, seine Hufe waren sorgfältig eingefettet und Mähne und Schweif ordentlich verlesen. Entgegen seiner geheimen Vermutung erlahmte Janis ungewöhnlicher Arbeitseifer auch im Laufe der Zeit nicht. Lächelnd sah der Reitlehrer auf das nun schon gewohnte Bild, als er an diesem Sonnabendvormittag den Stall betrat. Wie immer hatte das Mädchen es sich in der Box des Pferdes bequem gemacht, sprach halblaut mit ihm und streichelte liebevoll den gesenkten Kopf, während Navarino aufmerksam die Ohren spitzte. „In drei Tagen ist die Zeit um! Dann kommt er rüber zu den anderen und ihr könnt ihn endlich reiten“, meinte er anstelle einer Begrüßung und nahm Trense und Sattel vom Haken. Dann kam ihm plötzlich eine Idee. „Wenn du Lust hast, kannst du ihn nachher schon ausprobieren“, fügte er hinzu und Jani sprang begeistert auf. „Ob ich Lust habe? Ach, Herr Bensch, ich kann es doch schon gar nicht mehr erwarten, ihn endlich reiten zu dürfen! Navarino ist einfach das schönste Pferd, das es gibt“, sprudelte sie glücklich hervor und der Reitlehrer lächelte belustigt, als er einige Zeit später bemerkte, wie sie ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat, während sie ihn und Navarino auf dem Dressurviereck beobachtete. Aber Jani war nicht seine einzige Zuschauerin, denn wie gewöhnlich hatte sich eine Reihe seiner Reitschüler auch heute im Reitverein eingefunden, obgleich an diesem Tag nicht schulmäßig geritten wurde. Katja, Bettina und Regina standen zusammen und bewunderten Navarino und seinen Reiter, wobei sie sich insgeheim fragten, ob dieses Pferd unter ihnen wohl später auch so wunderschön die Lektionen durchlaufen würde, wie unter dem Reitlehrer. „Ich wünschte, ich könnte auch so reiten“, seufzte Bettina neiderfüllt, als Herr Bensch durchparierte und Navarino lobend den Hals klopfte. Und dann
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sahen die drei verblüfft auf Jani, die eilig auf Pferd und Re iter zulief. Wieder einmal wechselten sie einen vielsagenden Blick, als das Mädchen nun den Wallach bestieg, aber dann sahen sie doch interessiert zu und vergaßen fast ihre Eifersucht. Sie mochten Jani nicht, aber man mußte neidlos anerkennen, daß sie mit ihren knapp 13 Jahren eine sehr gute Reiterin war. Instinktiv schien sie zu fühlen, wann welche Hilfe zu geben war, und wenn Dressur auch sonst nicht ihre Stärke war, weil sie zuviel Aufmerksamkeit und Genauigkeit vom Reiter forderte, so ritt sie doch dieses Mal die angeordneten Lektionen sorgfältig und vorschriftsmäßig. Jani war glücklich! Es war herrlich, Navarinos kräftige Bewegungen unter sich zu spüren und sich eins mit ihm zu fühlen. Nie zuvor hatte sie sich einem Pferd so verbunden gefühlt und so viel Liebe für es empfunden, wie jetzt für Navarino. Aufatmend parierte sie ihn durch und blickte strahlend in die Runde, während sie dem Pferd den gewölbten Hals klopfte. „Gut gemacht, Jani“, lobte Herr Bensch, während das Mädchen am hingegebenen Zügel zum Rande des Dressurvierecks ritt. „Darf ich ihn springen? Bitte, sagen Sie doch ja! Nur ein einziges, winzig kleines Hindernis?“ Sehnsüchtig sah das Mädchen hinüber zum Springplatz. Einige Kinder lachten bei ihren Worten und unterstützten ihre Bitte lautstark, und so nickte Herr Bensch etwas zögernd, und als er Herrn Brückner an den Platz kommen sah, fügte er hinzu: „Wenn dein Vater nichts dagegen hat!“ Herr Brückner hatte absolut nichts dagegen einzuwenden, daß Jani mit Navarino einige Sprünge überwinden wollte, schon gar nicht, als er erfuhr, daß der Wallach sicher sprang. Er wußte, daß seine Tochter lie bend gern über Hindernisse setzte und langjährige Reiterfahrung hatte: Er selbst hatte Jani schließlich eigenhändig mit drei Jahren auf ein Pony ges etzt. So nickte er jetzt und klopfte Navarino aufmunternd den Hals. Der Reitlehrer folgte dem Ritt mit kritischen Augen, nickte zufrieden, als er sah, wie Jani kurz vor der Mauer noch einmal einsaß, mit dem Kreuz trieb und dann gleich darauf, mühelos der Bewegung des Pferdes angepaßt, das Hindernis überwand. „Sie hat Talent, wirklich Talent“, teilte er Herrn Brückner mit, als Jani den Parcours beendete. „Aus ihr wird mal was! Es fehlt noch ein bißchen der Ehrgeiz, denn so wie heute habe ich sie selten reiten sehen. Aber das wird schon werden!“ Herr Brückner strahlte bei seinen Worten und blickte voller Stolz auf seine Tochter. Wieder einmal beschäftigte er sich dann mit dem verlockenden Ge danken, für Jani und sich ein Pferd zu kaufen. Schon seit
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frühester Jugend hegte er den Wunsch, Pferdebesitzer zu sein. Aber erst jetzt, da er besser verdiente, konnte er daran denken, diesen Wunsch zu realisieren. Als Vertreter einer Versicherungsgesellschaft war er häufig auf Reisen, aber sein Gehalt entschädigte ihn für die damit verbundenen Anstrengungen. Wenn die Geschäfte weiter gut gingen, müßte er schon in absehbarer Zeit in der Lage sein, ein Pferd zu kaufen und zu unterhalten. Als Jani ihm kurze Zeit später mitteilte, daß sie sich nichts sehnlicher wünsche, als daß Navarino ihr gehöre, lächelte er und schmunzelte vergnügt vor sich hin. Nein, Navarino würde ihr nie gehören, aber das Pferd, das er für sich und seine Tochter anschaffte, würde sie bestimmt noch mehr lieben. Wenn Jani wirklich talentiert war, dann mußte ihr überdies ein gut ausgebildetes Pferd zur Verfügung stehen, eines mit Papieren, von guter Abstammung und großem Springvermögen. Herrn Brückners Gedanken eilten weit in die Zukunft. Er würde Jani und dieses Pferd zu Lehrgängen in die besten Reitschulen schicken. Später würde er sie dann von Turnier zu Turnier begleiten, an denen sie bestimmt erfolgreich teilnehmen würde... Die vorwurfsvolle Stimme des Mädchens riß ihn aus seinen Träumen. „Aber Papi, du hörst mir ja gar nicht zu! Kaufst du mir nun die Turnierausrüstung? Ach bitte, sag doch ja!“ Herr Brückner zögerte mit seiner Antwort. Seine Frau war ganz entschieden gegen diesen Kauf. Es hatte bei Brückners in der letzten Zeit schon häufig Diskussionen über Janis Wunsch gegeben, an dem diesjährigen Pfingstreitturnier in richtiger Turnierkleidung teilzunehmen. Alljährlich veranstaltete der Reitverein Erlenbruch dieses Turnier ausschließlich für seine Mitglieder, und so war eine vorschriftsmäßige Kleidung dafür nicht unbedingt nötig. Dennoch sah man sehr viele Reiter, auch Jugendliche, in weißer Hose, schwarzer Jacke und Plastron oder Krawatte an den Start gehen, und so hatte Janis Vater für ihren Wunsch durchaus Verständnis. Frau Brückner hatte allerdings den Kauf einer solchen Ausrüstung von einem guten Zwischenzeugnis abhängig gemacht, und das war eben leider nicht gut ausgefallen. „Du weißt doch, das Zwischenzeugnis“, murmelte er daher und zuckte ein bißchen hilflos mit den Achseln. „Aber Papi, das ist doch schon so lange her! Und ich hab inzwischen wirklich fleißig gelernt! Bestimmt! Mit dem nächsten Zeugnis seid ihr zufrieden, ganz ehrlich!“ Restlos überzeugt war ihr Vater davon zwar nicht, denn er wußte, wieviel Zeit Jani im Reitverein verbrachte und in welcher Windeseile sie
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ihre Hausaufgaben erledigte, aber auf der anderen Seite fand er, daß seine Tochter, die im letzten Herbst auf die Realschule übergewechselt war, sich erst an die neue Schulart gewöhnen müsse. Man durfte Noten einfach nicht überbewerten und außerdem war sie eine der Jüngsten in der Klasse. „Also, wenn du mir ganz aufrichtig versprichst, deine Hausaufgaben ordentlich zu erledigen und fleißig mitzuarbeiten, dann bekommst du die Turnier...“ Weiter kam er nicht und lachte, als Jani ihn stürmisch umarmte, ihn den besten Vater der Welt nannte und ihm versicherte, sie würde sich auf dem Turnier nun ganz besonders anstrengen. Herr Brückner liebte seine Tochter über alles. Es gelang ihm einfach nicht, ihr einen Wunsch abzuschlagen und sie dann enttäuscht oder bedrückt zu sehen. „Du mußt das verstehen“, sagte er später zu seiner Frau, die recht ärgerlich war, daß Jani wieder einmal ihren Willen durchgesetzt hatte. „Sie ist doch unsere Einzige! Ach, und außerdem braucht sie diese Turnierkleidung ohnehin, denn sie wird ja immer häufiger an Turnieren teilnehmen. Wir kaufen die Sachen etwas größer, dann passen sie ihr auch noch im nächsten Jahr!“ Frau Brückner erklärte energisch, daß es hier nicht um die Anschaffungskosten ginge, sondern darum, daß eine ganz klare Abmachung gebrochen worden sei. „Nein, ich bin nicht zu streng“, wehrte sie gleich darauf ab. „Aber du verwöhnst das Kind zu sehr und läßt ihr alles durchgehen!“ Ihr Mann lächelte etwas zweifelnd zu ihren Worten und murmelte dann, daß Jani eben immer so freundlich und fröhlich sei, daß er gar keinen Grund sah, sie nicht ein bißchen zu verwöhnen. „Sie ist freundlich und fröhlich, solange alles nach ihrem Kopf geht“, erklärte Frau Brückner trocken, gab sich aber schließlich geschlagen und stimmte sogar ihrem Mann zu, daß es gut für Jani sei, ernsthaft einen Sport zu betreiben und mit anderen Kindern zusammenzusein. Sie ahnte natürlich nicht, daß Jani mit keinem der Mädchen im Reitstall befreundet war, sondern sie sogar mied. Auf deren Gesellschaft konnte sie wirklich verzichten. Sie beschäftigte sich viel lieber mit Navarino. Keines der anderen Kinder und schon gar nicht Katja, Regina oder Bettina hatten dagegen etwas einzuwenden. Was sie jedoch in den folgenden Wochen verärgerte, war die Tatsache, daß keine von ihnen dazu kam, Navarino zu reiten. Immer war es Jani, die für ihn eingetragen wurde. „Also mir reicht es jetzt“, verkündete Katja. „Ich sehe gar nicht ein, daß wir immer auf Navarino verzichten müssen und sie ihn ständig reiten darf. Das ist einfach ungerecht! Nur weil wir leistungsmäßig in einer Gruppe reiten müssen, kriegen wir ihn nie! Nein, heute sag’ ich Herrn Bensch mal
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meine Meinung!“ „Das wird nichts nützen“, murmelte Bettina und strich sich die Haare aus der Stirn. „Der gibt uns den nie, solange Jani ihn reiten will“, bekräftigte Regina. Und dann schwiegen beide, als Katja ihnen nachdrücklich erklärte, daß man gegen Ungerechtigkeiten etwas unternehmen müsse, statt sie schweigend hinzunehmen. Zwar widersprachen die beiden nicht, aber es war ihnen deutlich anzusehen, daß sie nicht an den Erfolg einer Aussprache mit dem Reitlehrer glaubten. Trotzdem gingen sie gemeinsam hinüber in sein Büro und stellten gleich darauf unmutig fest, daß Jani dort bereits Platz genommen hatte. Nun gut! Würde sie es eben hören! „Herr Bensch“, begann Katja höflich. „Ich wollte Sie fragen, ob ich heute einmal den Navarino reiten darf?“ Der Reitlehrer sah überrascht auf. „Den Navarino?“ wiederholte er. „Aber ich habe Jani doch schon für ihn eingetragen.“ „Die hat ihn jedesmal“, beme rkte Bettina und warf dem Mädchen einen feindseligen Blick zu. „Wir möchten ihn schließlich auch einmal reiten“, ergänzte Regina. Herr Bensch runzelte die Stirn und sah die drei Bittstellerinnen nachdenklich an. Natürlich hatte er dafür Verständnis, daß auch sie einmal den Navarino reiten wollten. Auf der anderen Seite kam aber gerade Jani besonders gut mit ihm zurecht, liebte ihn ganz besonders und pflegte ihn hingebungsvoll. Es wäre wohl wirklich ungerecht, jetzt einen Pferdewechsel anzuordnen. Und für das bevorstehende Turnier wurde ja bereits geübt. Herr Bensch schüttelte den Kopf. „Paßt mal auf, ihr drei. Jetzt, vor dem Turnier, möchte ich keine neue Einteilung mehr vornehmen. Jede von euch übt bereits mit dem Pferd, mit dem sie auch startet. Es führt wirklich zu nichts, wenn wir jetzt alles durcheinander bringen. Geduldet euch bis nach dem Turnier, dann werden wir weitersehen, ja?“ „Aber das ist ungerecht!“ rief Bettina stürmisch. „Jani hat mit Navarino das beste Pferd im Stall und kann in Dressuren und Springen gehen. Immer kriegt sie alles! Ich würde auch gern an einer Springprüfung teilnehmen und kann das nicht, weil Gazelle immer verweigert.“ Nur mit Mühe verbiß Jani sich die wenig schmeichelhafte Bemerkung, daß das weniger an Gazelles Springvermögen lag, als an Bettinas Unvermögen, die Stute vorwärts zu reiten und mit Kreuz und Schenkeln zu treiben. Dann aber grinste sie schadenfroh, als Herr Bensch ihre Gedanken laut aussprach, auch wenn er sie höflicher formulierte und zugab, daß Gazelle wirklich nicht ganz einfach zu reiten sei.
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„Also gut, Bettina! Dann nimmst du mit Navarino ebenfalls am ESpringen teil“, entschied er einlenkend und fügte dann, als er Janis unzufriedenen Gesichtsausdruck bemerkte, aufmunternd hinzu: „Kein Sorge! Dem Dicken macht es nichts aus, zwei E- und ein A-Springen zu gehen. Das macht er mit links!“ Das Mädchen nickte etwas zögernd zu seinen Worten, aber erst als sie erfuhr, daß Bettina keinesfalls mit Navarino an den Springstunden teilnehmen würde, sondern ihn nur hin und wieder am Unterrichtsende springen sollte, heiterte sich ihre Miene wieder auf. Noch vergnügter wurde sie, als Bettina schon im Anschluß an die heutige Stunde einige Sprünge mit Navarino absolvierte und der Wallach unter seiner neuen Reiterin das dritte Hindernis, ein kleines Gatter, verweigerte. „Das liegt an deiner harten Hand, Bettina“, tadelte Herr Bensch ärgerlich. „Halt dich doch nicht am Zügel fest! Gib nach und bleib in der Bewegung!“ Bettina gab sich überaus Mühe, all seine Anweisungen zu beherzigen und atmete auf, als der Reitlehrer ihr schließlich zurief, daß die letzten vier Sprünge gut gewesen seien, wenn auch nicht flüssig genug. Vergnügt rutschte sie aus dem Sattel und übernahm ihre Gazelle, die Jani während des Springens am Zügel gehalten hatte. Und dann wurde sie hochrot vor Zorn, denn das Mädchen betrachtete mit offenkundiger Besorgnis die Mundwinkel von Navarinos Maul, ehe sie erleichtert aufatmete: „Na, das ist ja noch einmal gut gegangen!“ Während Jani es sich nach der Reitstunde in Navarinos Box im Stroh bequem machte und den Wallach mit trockenem Schwarzbrot fütterte, saßen die drei Freundinnen im Erlenbruchkrug zusammen und teilten sich gegenseitig ihre einhellig schlechte Meinung über Jani mit. Das Mädchen war schrecklich verwöhnt, hochnäsig und obendrein unkameradschaftlich. Es war absolut nicht nötig gewesen, daß sie Navarinos weiches Maul so mißtrauisch untersucht hatte. „Sie ist wirklich gemein“, stellte Bettina nun schon zum dritten Mal fest und fügte seufzend hinzu: „Und immer darf sie alles!“
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3. Ein Turnier und seine Folgen Nur wenige Zuschauer hatten sich eingefunden, als in den frühen Morgenstunden die Reiterwettbewerbe stattfanden. Erst gegen zehn Uhr, zu Beginn der E-Dressur-Prüfungen, füllte sich die Terrasse des Erlenbruchkruges, und auch Ehepaar Brückner nahm dort erwartungsvoll Platz. „Da ist sie schon mit ihrer Gruppe“, stellte Herr Brückner fest. Er erklärte seiner Frau, daß E-Dressuren zumeist in Gruppen geritten würden, während in der nächst höheren Klasse Pferd und Reiter allein auf dem Platz erschienen. Nur wenn zu viele Teilnehmer für eine A-Dressur gemeldet seien, gebe es in dieser Beziehung eine Ausnahme. Interessiert sahen beide den Reitern zu, die jetzt einige Minuten Zeit hatten, die Pferde mit dem Viereck vertraut zu machen und nochmals einige Lektio nen zu üben, bevor die eigentliche Prüfung begann. „Abgesehen von Katja, das ist das Mädchen, das ebenfalls in schwarzer Jacke reitet, hat Jani in dieser Gruppe keine Konkurrenz“, stellte er zufrieden fest. „Na, wollen mal sehen!“ Aufmerksam verfolgte er den Verlauf der Prüfung und stellte am Ende befriedigt fest, daß seine Tochter, wenn ihn nicht alles täuschte, bisher auf dem zweiten Platz lag. Aber das endgültige Ergebnis mußte man noch abwarten, denn diese Gruppe und die nun folgenden Reiter und Pferde wurden gemeinsam bewertet. „Hm! Die da drüben, die sitzt auch sehr gut“, teilte er seiner Frau mit. „Das ist Regina Menzel. Die mit der ärmellosen weißen Bluse und den blauen Reithosen“, fügte er erklärend hinzu. In seinen Augen hatten außer Jani, Katja und Re gina keine der anderen Teilnehmerinnen Anspruch auf einen der vorderen Plätze. Zufrieden nickte er, als Jani mit einer Wertnote von 6,5 den dritten Platz belegte und dann mit den anderen zur Siegerehrung einritt. Katja, die Siegerin, Regina, die Zweite, und Jani la gen mit ihren Wertnoten sehr eng beisammen, während der vierte und fünfte Platz mit deutlich geringeren Noten beurteilt worden war. In der folgenden A-Dressur würde es seine Tochter allerdings schwer haben, stellte er kurze Zeit später fest. An dieser Prüfung nahmen sehr viele Jugendliche mit ihren Privatpferden teil, und da konnten die Schulpferde von Erlenbruch nicht mithalten. Es waren teilweise herrliche Pferde, die an den Start gingen. Pferde, die von Herrn Bensch ausgebildet wurden und unter ihm bereits einwandfreie L-Lektionen durchliefen. So z. B. der Hengst Gajus, geritten von Kerstin Müller, der in dieser Prüfung ebenso überzeugend siegte wie in der nachfolgenden L-Dressur. Brückners konnten sich an
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dem herrlichen Rappen mit den eleganten Bewegungen einfach nicht satt sehen. Auch Jani, die sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte, war begeistert von diesem Pferd. Aber sie lachte nur, als ihr Vater meinte, so ein Pferd wolle er einmal kaufen. Für sie stand bereits fest, würden sie je ein Pferd kaufen, so käme nur Navarino dafür in Frage. Ein schöneres Pferd gab es einfach nicht, auch wenn er in Dressur nie derartige Leistungen zeigen würde wie Gajus. Aber was machte das schon? Sie ging ohnehin viel lieber in Springprüfungen. „Welche Wertnote hast du denn in A bekommen, Spatz?“ erkundigte ihr Vater sich. Er freute sich über die errungene 5,4. Für eine Plazierung hatte das natürlich nicht gereicht, aber für den Anfang war das schon eine recht ordentliche Leistung. Als Jani nach dem gemeinsamen Mittagessen verschwand, um Navarino für das E-Springen zu satteln, entschied Frau Brückner sich für einen kleinen Spaziergang durch die weitläufige Reitanlage, während ihr Mann sich hinüber zum Springplatz begab und beim Aufbau des Parcours mithalf. Unterdessen war Jani damit beschäftigt, Navarino noch einmal zu bürsten, einige Zöpfchen in der Mähne, die sich gelöst hatten, neu zu flechten und ihn schließlich zu satteln. Das hatte sie sich ausgebeten. Bettina und allen, die in Hörweite standen, hatte sie erklärt, daß ein Pferd schon beim Satteln und Auftrensen merke, was sein Reiter vom Pferdesport versteht! Bettina hatte ihr einen wütenden Blick zugeschossen, aber dann nur mit den Achseln gezuckt. „Wenn du willst, kannst du ihn jetzt abreiten“, rief sie nun dem Mädchen zu. „Aber sei bloß nicht so hart mit der Hand!“ „Du bist nicht die einzige, die eine weiche Hand hat“, entgegnete Katja aufgebracht, bevor Bettina auch nur den Mund aufmachen konnte. „Das behaupte ich ja auch gar nicht“, lachte Jani vergnügt. „Nur Bettina hat eben keine. Sagt Herr Bensch ja schließlich auch!“ Fröhlich vor sich hinpfeifend verließ sie den Stall, während die beiden Mädchen ihr verärgert nachsahen. Da Jani eine der letzten Starterinnen im E-Springen war, hatte sie ausgiebig Zeit, ihre Konkurrenten zu beobachten. Sie kannte sie alle von den Springstunden. Bisher jedenfalls wurden keine großartigen Ritte geboten, und Jani grinste, als schließlich Bettina mit Navarino durch den Parcours ging. Das Pferd überwand die Hindernisse im Schneckentempo und sah regelrecht tolpatschig aus. Nein, die einzige, die ihr gefährlich werden konnte, war Katja, entschied sie später. Das war ein fehlerfreier und schneller Ritt gewesen. Nun, man würde sehen! Ein bißchen Glück gehörte eben dazu!
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Und dieses Glück verhalf ihr zu ihrem ersten Sieg in einer Springprüfung, denn Navarino unterbot die Zeit von Katjas Pferd und blieb ebenfalls fehlerfrei. Selbst die strenge Ermahnung des Reitlehrers, die Absätze nicht immer hochzuziehen, konnte ihre Freude nicht schmälern, und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte die Siegerehrung und der Beifall nie enden dürfen, so sehr genoß sie diesen Sieg. Auch Frau Brückner freute sich über den Erfolg ih rer Tochter und klatschte begeistert, bis eine in ihrer Nähe stehende Zuschauerin sich bei einigen jungen Mädchen erkundigte: „Wie hieß die kleine Siegerin noch mal? Die ist ja ganz toll geritten!“ „Christiane Brückner“, antwortete eines der Kinder und fügte hinzu: „Ja, gut geritten ist sie wirklich. Aber sie ist schrecklich eingebildet. Wir mögen sie alle nicht!“ Frau Brückner blickte bestürzt auf das ihr unbekannte Mädchen. Schon wollte sie die ablehnenden Worte mit Eifersucht auf die Leistung Janis erklären, als ihr bewußt wurde, daß die kleine Sprecherin schließlich diese Leistung anerkannt hatte. Aber warum mochten die Kinder Jani nicht? War sie wirklich so eingebildet? In Gedanken versunken sah sie dem folgenden A-Springen zu, das nach Fehlern und Stil gewertet wurde. Waren zwei oder mehr Reiter fehlerlos, dann entschied die Stilwertnote über Sieg und Platz. Frau Brückner hatte keine Ahnung, welche reiterlichen Voraussetzungen hier entscheidend waren, und hätte daher nicht sagen können, wer dieses Springen gewinnen würde. Aufmerksam verfolgte sie den Ritt ihrer Tochter, die den Parcours mit Navarino flüssig absolvierte. Ja, dachte sie, ihr Mann und der Reitlehrer hatten sicherlich recht. Jani war begabt. Ihr Ritt sah so leicht, ele gant und mühelos aus. Sie merkte sich die Wertnote von 6,8, die Jani erhielt. Bisher war das die beste Bewertung, und es folgten nur noch sehr wenige Reiter. Der Ritt von Katja, die diesmal die letzte Starterin war, gefiel ihr dann ebenfalls sehr gut, und so wartete sie gespannt auf die Lautsprecheransage. „Für Katja Gerber auf Granada 0-Fehler und die Stilwertnote 7,0.“ Die folgende Aufforderung an die weiteren Plazierten, sich zur Siegerehrung auf dem Springplatz einzufinden, ging fast im Getöse des Beifalls unter. Jani hatte für einen Augenblick das Gefühl, in eis kaltes Wasser getaucht worden zu sein. Sie mußte sich einfach verhört haben! Es konnte doch nicht sein, daß die Richter einfach ihren Stil geringer bewerteten als den von Katja? Sie war besser geritten als das Mädchen. Das wußte sie ganz genau! Während sie und die anderen Plazierten auf den Springplatz zur Siegerehrung einritten, hatte sie Mühe, die Tränen der Enttäuschung zu
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unterdrücken. „Die Siegerin in dieser Prüfung ist Katja Gerber auf Granada!“ Die Zuschauer klatschten begeistert und Herr Haas, sonst Kassenwart des Vereins, der heute hier einer der intern ernannten Richter war, gratulierte Katja herzlich, überreichte ihr einen Blumenstrauß und befestigte die goldene Rosette an Granadas Trense. „Der zweite Platz für Christiane Brückner auf Navarino!“ Abermals klatschten die Zuschauer, wenn auch nicht mehr so anhaltend wie bei der Siegerin. Mit steinernem Gesichtsausdruck ließ Jani sich von Herrn Haas gratulieren und reichte dann Katja die Hand. „Herzlichen Glückwunsch!“ murmelte sie vorschriftsmäßig, aber ihre Worte klangen so finster wie eine Kriegserklärung. „Danke! Dir auch“, lächelte Katja. Janis Miene hellte sich auch während der Ehrenrunde nicht auf. In ihr tobte ein Sturm der Entrüstung und Wut auf Herrn Haas und die anderen Richter, die ihr den ersten Platz vermasselt hatten. Gemein waren sie und höchstwahrscheinlich kurzsichtig! Wie sonst hätten sie zu einer derart ungerechten Bewertung kommen können? Auch als der Reitlehrer ihr wenig später anerkennend auf die Schulter klopfte und rief: „Gut gemacht, Jani“, hob sich ihre Stimmung nicht. „Aha!“ sagte Herr Bensch. „Unzufrieden, was? Tja, die Stilwertnote hast du deinen hochgezogenen Absätzen zu verdanken! Sag ich dir doch immer wie der, nicht?“ Das Mädchen warf ihm einen wütenden Blick zu. Hochgezogenen Absätzen? Von wegen! Sie wußte schließlich selbst ganz genau, daß sie die Bügel durchtrat. Aber es hatte keinen Sinn, mit Herrn Bensch darüber zu streiten, denn der würde sowieso bei seiner Meinung bleiben. Nur ihr Vater hatte Verständnis für ihre Enttäuschung, und es tröstete sie ein wenig, als er meinte, sie habe eben das gleiche Schicksal erlitten wie manche Eiskunstläufer, die ja von einigen Richtern auch mit den merkwürdigsten Wertnoten bedacht wurden. Und als er dann noch erklärte, auch er habe nicht bemerkt, daß sie die Absätze hochgezogen habe, besserte sich ihre Stimmung gewaltig. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als ihre Mutter mit entschiedener Stimme feststellte, daß sie mit den Richtern einer Meinung sei, denn ihr habe der Ritt Katjas auch ausnehmend gut gefallen! „Sie hat den Sieg verdient“, endete sie in energischem Tonfall und wandte sich auffordernd an ihren Mann: „Oder bist du anderer Meinung?“ „Aber nein! Natürlich nicht! Du vergißt allerdings, daß Jani doch erheblich jünger ist. Wart erst einmal ab, was unsere Tochter in ein bis zwei
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Jahren leisten wird!“ Janis Miene hatte sich bei seinen Worten bereits aufgehellt, doch der Hinweis ihrer Mutter, daß es wohl außer ihr kaum ein gleichaltriges Mädchen mit so langjähriger Reiterfahrung gebe, ließ ihre grauen Augen für einen Augenblick wütend aufblitzen. Warum mußte ihre Mutter ihr wieder mal mit ihrer nüchternen Art die Stimmung verderben? Aber dann zuckte sie gleichgültig die Schultern. „Ach laßt doch! Ich bin ja mit dem 2. Platz ganz zufrieden, und Mami versteht ohnehin nichts vom Reiten!“ lachte sie etwas gereizt und blinzelte dann ihrem Vater verschwörerisch zu. Frau Brückner runzelte zwar die Stirn, aber da in diesem Augenblick Herr Bensch an ihren Tisch kam, sagte sie nichts mehr. Bald kreiste das Gespräch um Turniere und Pferde, und schließlich landete Herr Brückner bei seinem Lieblingsthema, dem Kauf eines eigenen Pferdes. „Dieser Rapphengst hat es mir angetan“, sagte er begeistert. „So etwas wäre was nach meinem Ge schmack!“ „Das glaub ich gern“, lachte Herr Bensch. „Nur ist Gajus vom Preis her so etwas wie ein wandelndes Einfamilienhaus und...“ „Und außerdem will ich ihn gar nicht haben“, unterbrach Jani ihn fröhlich. „A m liebsten würde ich Navarino kaufen. Ginge denn das nicht, Papi?“ „Aber Kind! Mit Navarino kannst du doch nicht an großen Turnieren teilnehmen! Gewiß, er ist ein gutes Pferd, und er gefällt mir auch, aber wenn aus dir wirklich etwas werden soll, dann brauchst du ein erstklassiges Tier, nicht wahr, Herr Bensch?“ Der Reitlehrer lächelte ein wenig, weil Jani erst energisch den Kopf schüttelte und gleich darauf ebenso energisch nickte, als er erklärte, ein Pferd wie Navarino sei für ihre Ansprüche während der nächsten ein bis zwei Jahre vollkommen ausreichend. Auch Frau Brückner hörte ihm aufmerksam zu, als er die Meinung vertrat, daß es für die Ausbildung des Mädchens erheblich besser sei, ein ihren Leistungen angepaßtes Pferd zu kaufen als eines, das ihr im Können bei weitem überlegen sei. Er jedenfalls würde empfehlen, den Kauf eines eigenen Pferdes noch bis zum nächsten Frühjahr zurückzustellen. „Natürlich kann man sie jetzt schon auf ein erfahre nes Turnierpferd setzten – vorausgesetzt, man ist bereit, eines dieser sehr teuren Pferde zu kaufen –, und bestimmt würde sie mit einem solchen Tier auch Er folge erringen. Aber reiten ist das nicht! Richtiges Reiten erlernt man nur im Laufe vieler Jahre! Wie gesagt, aus Jani kann was werden, auch wenn das viel Fleiß, Arbeit und Ehrgeiz verlangt“, endete er augenzwin kernd.
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„Wenn Navarino mein Pferd wäre, würde ich mich wirklich anstrengen!“ versicherte Jani ernsthaft. „Viel mehr noch, als bisher! Ach, ich wünschte, du würdest ihn kaufen, Papi!“ „Verkaufen wird der Verein ihn bestimmt nicht!“ stellte Herr Bensch entschieden fest, und während sich auf Janis Gesicht tiefste Enttäuschung ausbreitete, sah er ein wenig unentschlossen vor sich hin, bevor er sich dann ausschließlich an Herrn Brückner wandte. „Da wäre aber eventuell die Möglichkeit des Leasings! Sie wissen ja, wie das in unserem Verein ist. Viele der Reitschüler sind in den Sommermonaten lie ber im Schwimmbad als im Reitverein, und dadurch sind die Schulpferde dann längst nicht so ausgelastet, wie in der restlichen Jahreszeit. Ich habe schon oft gedacht, daß es eine gute Möglichkeit wäre, dieses Defizit durch das Vermieten von ein oder zwei Schulpferden auszugleichen. Sie müßten einmal mit den anderen Herren des Vorstandes darüber sprechen.“ Jani lauschte dem Gespräch mit wachsender Spannung, während Herr Bensch erklärte, wie der sich ein derartiges Leasen dachte. Der Interessent, in diesem Falle also sie und ihr Vater, zahlten von Anfang Juli bis Ende Oktober – das war im Reitverein Erlenbruch die Zeit mit der schlechtesten Reitstundenbelegung – den Preis für Navarinos Boxmiete und seine Verpflegung. So entstanden dem Verein keine Unkosten für das Pferd, und als Gegengabe wurde Navarino nur von ihnen geritten, gerade so, als ob er ihnen gehöre. Im Anschluß an diese Monate würde er dann wieder in den normalen Verleihbetrieb übergehen. „In Ihrem Fall scheint mir das eine sehr gute Lösung zu sein. Sie hätten so erst einmal für eine überschaubare Zeit die finanziellen Belastungen eines Privatpferdebesitzers zu tragen, ohne gleichzeitig die hohen Anschaffungskosten für ein eigenes Pferd aufbringen zu müssen. Und wie gesagt. Navarino ist im Moment genau das richtige Pferd für Ihre Tochter. Sie würde bestimmt in dieser Zeit sehr gute Fortschritte ma chen, und dann kann man weitersehen. Im Augenblick jedenfalls würde ich von einem Pferdekauf abraten. Besprechen Sie meinen Vorschlag mit dem Vorstand. Ich könnte mir vorstellen, daß sie mit meinem Plan einverstanden sein werden. Ein derartiges Leasing ist für beiden Parteien von Vorteil und birgt für Sie kein Risiko!“ Während der Reitlehrer dann Preise für Boxmiete, Futter und Hufbeschlag nannte und auf die notwendigen Versicherungen aufmerksam machte, hing Jani ihren eigenen Gedanken nach. Für volle vier Monate würde Navarino ihr gehören, denn garantiert erklärte sich die Vorstandschaft mit dem Plan von Herrn Bensch einverstanden.
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Vier herrliche lange Monate, in denen sie ausschließlich mit Navarino zusammen war, und niemand sonst würde ihn reiten. Außer ihrem Vater natürlich, aber der fand dazu fast nur am Wochenende Zeit, und dann ritt er am liebsten ins Gelände. Sie hingegen würde mit dem Wallach jeden Tag Unterricht in Dressur und Springen erhalten und enorm viel lernen. Und irgendwie würde sie ihren Vater nach Abschluß dieser Zeit schon dazu bringen, ihr Navarino zu kaufen. Sie wollte einfach kein anderes Pferd. Sie würde nie eines so lieben können wie ihn. Und wenn ihr Vater das erst einmal erkannte und sah, wie gut sie ihn ritt, dann würde er nachgeben. Er hatte immer Verständnis für sie und... „Willst du dich nicht ein bißchen zu den anderen Reiterinnen setzen, Jani?“ unterbrach ihre Mutter diese Träume. Frau Brückner hatte festgestellt, daß Katja, Regina und mehrere andere Mädchen am Nachbartisch Platz genommen hatten und sich dort vergnügt unterhielten. „Nee! Mir gefällt’s hier erheblich besser“, erklärte Jani rundheraus, und als sie sah, daß ihre Mutter sie stirnrunzelnd betrachtete, setzte sie entschieden hinzu: „Keine zehn Pferde kriegen mich von diesem Stuhl, solange ich nicht weiß, ob wir Navarino nun mieten dürfen, oder nicht!“ Herr Brückner lachte zu den Worten seiner Tochter und versprach, sobald wie möglich mit den anderen Herren zu sprechen. Aber heute würde das nicht mehr der Fall sein, und so müsse sie doch irgendwann ihren Stuhl mit dem heimischen Bett vertauschen! Nur Frau Brückner stimmte nicht in das fröhliche Gelächter ein, sondern hing ihren Gedanken nach. Warum schloß Jani bloß keine Freundschaften? Sie hatte immer angenommen, daß ihre Tochter von einem fröhlichen Freundeskreis im Reitstall umgeben sei, und hatte sich daher auch nie gewundert, daß Jani keine Schulfreundinnen nach Hause einlud. Das war ja bei der vielen Zeit, die sie im Verein verbrachte, auch kaum möglich gewesen. Und jetzt hatte sie feststellen müssen, daß ihre Annahme falsch war und Jani gar keine Freundinnen hatte. Nicht eine einzige! Frau Brückner vermeinte für einen Moment wieder die Stimme des einen Mädchens zu hören: „Sie ist schrecklich eingebildet! Wir mögen sie alle nicht!“ Nachdenklich betrachtete sie die fröhlichen Mädchen am Nachbartisch und wünschte, daß Jani bei ihnen säße. Sehr nett sahen alle aus, so vergnügt und heiter. Ganz besonders gefiel ihr Katja, die gerade jetzt einem anderen Mädchen tröstend auf die Schulter klopfte. „Ach, mach dir nichts draus“, hörte Frau Brückner sie sagen. „Beim nächsten Turnier hast du bestimmt mehr Glück. Die Hauptsache ist schließlich, daß es Spaß macht und wir alle zusammen sind!“ Fast hätte sie zu diesen Worten genickt, aber dann kam ihr eine
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großartige Idee. Sie würde zu Janis 13. Geburtstag, der fast unmittelbar bevorstand, eine Kindergesellschaft geben, eine Überraschungsparty sozusagen. Gleich morgen würde sie Katjas Mutter anrufen und sie bitten, ihr bei der Auswahl der Gäste behilflich zu sein. Ja, und aus Janis Klasse würde sie die drei Mädchen einladen, die mit ihrer Tochter gemeinsam auf die Realschule übergewechselt waren. Auf jeden Fall würde sie von jetzt an dafür sorgen, daß Jani mit anderen Kindern Freundschaft schloß, und ein Kindergeburtstag war dafür wie geschaffen!
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4. Alles begann so fröhlich Wenige Tage später befand sich Jani in Hochstimmung, denn der Vorstand stimmte der Vermietung Navarinos zu. Von nun an zählte sie die Tage bis zum 1. Juli, und war nicht einmal neugierig auf ihre Geburtstagsgeschenke. Von den Plänen ihrer Mutter für diesen Tag hatte sie keine Ahnung und wußte auch nicht, daß Frau Brückner ausführliche Telefongespräche mit den Müttern von Katja, Bettina und Regina führte sowie mit einigen Müttern ihrer Klassenkameradinnen. All diese Mütter ermahnten ihre Töchter, nur ja kein Wort über die geplante Überraschungsparty an Janis Geburtstag verlauten zu lassen. Man konnte wirklich nicht behaupten, daß Katja, Bettina, Regina, Susi, Jeanette und Ute von dieser Einladung begeistert waren, die ihre Mütter mit Freude für sie angenommen hatten, aber keines der Mädchen sah eine Möglichkeit, die einmal akzeptierte Einladung rückgängig zu machen. Pünktlich zur geladenen Zeit klingelte bei Brückners die Türglocke. „Geh du, Jani, es ist bestimmt für dich!“ rief Frau Brückner, und das Mädchen folgte dieser Aufforderung kopfschüttelnd. „Du?“ fragte sie überrascht, als Katja vor der Tür stand und fügte dann ein etwas widerwilliges: „Na, dann komm rein!“ hinzu, als Katja ihr freundlich gra tulierte und ihr ein kleines, hübsch verpacktes Ge schenk überreichte. „Nett, daß du da bist!“ sagte Frau Brückner und zwinkerte Katja verschwörerisch zu. Schon wieder klingelte es. Diesmal stand Ute vor der Tür, ebenfalls mit einem Geschenk in der Hand, und Jani führte sie etwas verwirrt ins Wohnzimmer. Bevor sie noch Fragen stellen konnte, klingelte es erneut. Susi und Jeanette trafen zusammen ein, und langsam dämmerte Jani, daß das Auftauchen dieser Mädchen kein Zufall, sondern eine geplante Überraschung war. „Wie viele hast du um alles in der Welt noch eingela den?“ fragte sie ihre Mutter mit gespieltem Entsetzen. Schließlich hatte sie oft genug gesagt, daß sie diese albernen Kindergesellschaften fürchterlich fand. Aber da mußte sie schon wieder zur Tür, diesmal um Regina und Bettina einzulassen. „Das sind alle!“ lachte Frau Brückner und als Katja spitzbübisch meinte, noch mehr Gäste würde Jani, ih rem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, auch nicht verkraften, mußten alle mitlachen. „Nun pack erst einmal deine Geschenke aus, und dann könnt ihr alle zum Kaffeetrinken hinüber ins Eßzimmer kommen“, forderte ihre Mutter sie auf.
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„Ach, wie goldig!“ rief Jani mit echter Begeisterung. Katjas Geschenk war eine kleine Trense, die man zur Zierde an die Wand hängen konnte. „Vielen, vielen Dank!“ Von Bettina erhielt sie ein Halstuch, bedruckt mit Pferden, die über Hindernisse sprangen. Regina sorgte für neuen Lesestoff und freute sich, als Jani ihr versicherte, daß sie dieses Buch noch nicht kenne, und auch ihre Klassenkameradinnen hatten Geschenke ausgesucht, die zu Janis Pferdebegeisterung paßten: Pferdebriefpapier, ein Pferdekissen und einen Wandteller mit aufgemaltem Pferdekopf. Fröhlich schwatzend gingen sie hinüber zum Kaffeetrinken. „Wer von euch reitet denn am besten?“ verlangte Ute zu wissen. „Katja“, riefen Bettina und Regina einstimmig. „Ich“, erklärte Jani überzeugt und errötete ärgerlich, als sich ihre Gäste bedeutungsvoll zublinzelten. „Also gut, Katja und ich“, verbesserte sie sich widerwillig. „Aber wenn ich erst einmal Navarino ganz für mich allein habe, dann...“ „Dann bangt selbst Schockemöhle um sein Ansehen“, lästerte Katja prompt und alle brachen in Ge lächter aus, in das auch Jani einstimmen mußte. Frau Brückner atmete auf. „Warum geht ihr nicht einmal zum Zuschauen in den Reitverein?“ wandte sie sich lächelnd an Janis Klassenkameradinnen. „Dann könnt ihr selbst feststellen, wer von den vieren die Beste ist. Mir jedenfalls hat auch Regina beim Reitturnier sehr gut gefallen, und sie hatte ein so wildes Pferd!“ Über diese Bemerkung mußten die Mädchen la chen. Hamada war alles andere als wild, nur vor Aufregung hatte sie damals heftig durch die Nüstern geschnaubt, und das hatte Frau Brückner als Zeichen der Wildheit gewertet. Aber dann blieb zu weiteren Reitergesprächen keine Zeit mehr, denn Janis Mutter hatte für den ganzen Nachmittag Spiele geplant. Mit Quizaufgaben, Geschicklichkeits- und Wettspielen verging die Zeit so schnell, daß alle erstaunt waren, als die Aufforderung zum Abendessen erging. „Hui! Pizza! Das ist mein absolutes Lieblingsgericht“, rief Katja vergnügt. „Meines auch!“ riefen die anderen. „Es gibt überhaupt nichts Besseres!“ Frau Brückner schmunzelte über die Begeisterung. Sie war ziemlich sicher, daß die Mädchen noch eine ganze Reihe anderer Gerichte zu ihren Lieblingsspeisen erklärt hätten, denn durch den langen Nachmittag waren alle hungrig geworden. „Schade, daß ihr schon gehen müßt“, sagte Jani abends mit echtem
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Bedauern. „Wirklich, das war der lustigste Geburtstag, den ich je gefeiert habe!“ „Das finde ich auch! Ehrlich! Spitze war es! Vielen Dank auch, Frau Brückner!“ Die sechs Mädchen verabschiedeten sich fröhlich la chend. „Bis morgen, also!“ „Tschüüüüß!“ „Feiere noch schön!“ „Wiedersehen!“ Als Jani schließlich müde im Bett lag, lächelte sie glücklich. Ja, ein herrlicher Geburtstag war das gewesen. Und eigentlich waren Katja, Regina und Bettina nett, auch wenn erstere eine ganz schön spitze Zunge hatte. Ob ihre Schuldfreundinnen wohl wirklich ein mal in den Reitstall kommen würden? Sie kamen schon am nächsten Tag, schauten bei der Springstunde zu und bewunderten ihre Mitschülerin, die furchtlos über die Hindernisse setzte. „Daß du dich das traust!“ sagte Ute und sah Jani ehrfürchtig an. „Ich würde umkommen vor Angst! Ich hätte schon Bedenken, auf einem dieser Riesentiere auch nur zu sitzen!“ „Aber nein! Versuch es doch einmal!“ forderte Herr Bensch sie auf, als er ihre Worte hörte. „Nur Mut! Jani führt das Pferd! Du wirst sehen, es macht riesigen Spaß!“ Der Reitlehrer hoffte, neue Interessenten für den Reitsport zu gewinnen, und so durften auch Jeanette und Susi einen Proberitt machen. Aber nur Jeanette traute sich auf Hamada, geführt von einer atemlosen Regina, einen Trab zu. „Ich frag’, ob ich auch reiten darf! Das ist ja einfach herrlich“, rief sie begeistert. „Wie lange wird es dauern, bis ich so gut wie Jani und die anderen reite?“ „Etwa fünf Jahre“, lautete die Antwort des Reitlehrers, und Jeanette sah ihn so entgeistert an, daß die Mädchen in schallendes Gelächter ausbrachen. „Ach, was! Nach zehn Stunden sitzt zu schon ganz sicher. Ich hab’ das Gefühl, du bist richtig begabt“, tröstete Jani sie. „Es wird schon nicht so lange dauern! Sicherlich bist du bald soweit, daß du mit uns zusammen ausreiten kannst! Wenn du dich richtig anstrengst, dann schaffst du das bis zum Herbst, und dann gehen wir beide ins Gelände. Ach, herrlich wird das werden!“ Jani strahlte vor Freude. Ja, herrlich würde alles werden. Sie, Jeanette, Katja, Regina und Bettina würden gemeinsam den Sommer im Reitverein verleben, und ihr würde Navarino ganz allein gehören.
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„Noch 28 Tage“, lachte sie vergnügt, und die anderen nickten, denn sie wußten natürlich, was Jani damit meinte. „Du bist ein Glückspilz“, stellte Bettina wieder einmal fest, und wenn sie sich auch bemühte, ihren Neid zu unterdrücken, so gelang es ihr doch nicht völlig. Ihre Eltern waren nicht so wohlhabend, daß sie ihr für einige Monate ein Pferd hätten mieten können, an ein eigenes war schon gar nicht zu denken, und mehr als zwei Reitstunden in der Woche konnte sie auch nicht nehmen. Jani hingegen saß fast täglich im Sattel und begleitete dann auch noch an den Wochenenden ihren Vater ins Gelände. Und bald würde sie soviel reiten können, wie sie wollte. Im nächsten Frühjahr würde sie ein eigenes Pferd bekommen, am Unterricht für Privatreiter teilnehmen und mit ihrem Pferd auf Turniere gehen. Ja, Jani hatte es wirklich gut. Aber dann verscheuchte sie diese Gedanken. Schließlich ging es ihr auch nicht schlecht, und es gab sehr viele Kinder, die nur einmal in der Woche reiten durften, und dann gab es sicherlich auch sehr viele, die gern reiten würden und aus Kostengründen ganz und gar darauf verzichten mußten. Da Jeanettes Eltern ihre Zustimmung zu den Reitstunden gaben, begann sich zwischen Jani und ihrer Mitschülerin eine Freundschaft zu entwickeln, die Frau Brückner sehr begrüßte, während der Mathema tiklehrer, Herr Kaibus, sie mit wachsendem Ärger betrachtete: Weder Jeanette noch Jani zählten zu seinen guten Schülern, und so erwartete er von ihnen besondere Aufmerksamkeit! Hatte er die in der letzten Zeit schon vermißt, so mußte er jetzt feststellen, daß die beiden Mädchen ständig miteinander tuschelten und sich trotz seiner Ermahnungen nur sehr halbherzig am Unterricht beteiligten. Wenn das so weiterging, würde er mit den Eltern der Mädchen sprechen müssen. Aber wenige Tage später geschah etwas, das ihn diesen Entschluß vergessen ließ. An einem Spätnachmittag klingelte das Telefon im Büro des Reitlehrers. „Ja, Frau Brückner?“ sagte er ein wenig überrascht, als sich Janis Mutter meldete und fügte gleich darauf hinzu: „Um Gottes Willen! Ja, natürlich! Ich fahre sie gleich nach Hause! Meine herzliche Anteilnahme, Frau Brückner.“ Einen Augenblick blieb er reglos sitzen. Die Nachricht hatte ihn sehr erschüttert. Janis Vater war tödlich verunglückt! Das arme Kind! Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf. Es war doch erst am letzten Wochenende gewesen, daß er sich mit Herrn Brückner unterhalten hatte, der ihm fröhlich versicherte, daß er sich erstmals regelrecht auf seine Dienstreise nach Norddeutschland freue, da er dadurch den unablässigen Gesprächen über Navarino und Janis ständigem Tage- und Stundenzählen bis zum 1. Juli ent-
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rinnen konnte! Und nun war er auf dieser Reise verunglückt! Herr Bensch fuhr sich durch die Haare. Das waren ja völlig unwichtige Überlegungen! Er mußte Jani die Nachricht überbringen und sie nach Hause fahren. Mit ernstem Gesicht ging er hinüber zum Stall, wo Jani und die anderen gerade ihre Pferde gründlich putzten. „Christiane“, begann Herr Bensch. Seine Stimme ließ alle Kinder aufhorchen und Jani erschrocken aufschauen. Noch nie hatte der Reitlehrer sie mit ihrem richtigen Namen angesprochen, es mußte etwas Schlimmes passiert sein. „Komm! Zieh dich an! Ich fahre dich nach Hause! Deine Mutter hat angerufen, dein Vater hatte einen Unfall, und...“ Hilflos brach er ab, während Jani blaß wurde und wie haltsuchend in Navarinos Mähne griff. „Ist er tot?“ Jani flüsterte diese Worte in ungläubigen Entsetzen, und Herr Bensch nickte nur. Mitleidig legte er Jani den Arm und die Schulter, nickte kurz, als Katja ihm den Anorak des Mädchens reichte und verließ mit ihr den Stall, während die Kinder sich schweigend und betroffen ansahen. Für Jani brach eine Welt zusammen. In den ersten Tagen glaubte sie, nie wieder mit dem Weinen aufhören zu können. Sie erlebte die Beerdigung wie durch einen Schleier und konnte nicht fassen, was geschehen war. Ihr Vater, den sie über alles liebte, der immer Verständnis für sie hatte! Nie wieder würde sie ihn lachen hören, nie wieder Anerkennung und Stolz in seinen Augen lesen, und nie wieder würden sie Seite an Seite über die herbstlichen Stoppelfelder galoppieren. Wie sollte es ohne ihn weitergehen?
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5. Jani in Schwierigkeiten In den nächsten Wochen änderte sich das Leben völlig, und mit jeder Änderung wurde Jani der Verlust des Vaters immer schmerzlicher bewußt. „Wir müssen uns jetzt einschränken“, hatte Frau Brückner ihr erklärt und den Leasing-Vertrag über Navarino rückgängig gemacht. Die Rente ihres früh verstorbenen Mannes reichte nicht einmal aus, ihr und ihrer Tochter ein bescheidenes Leben zu ermöglichen, ganz zu schweigen davon, ein Pferd für mehrere Monate zu unterhalten. Mehr als einmal in der Woche würde Jani ab jetzt nicht mehr reiten können. Aus dem gleichen Grund wurde auch die große, teure Wohnung in der Stadt aufgegeben. Frau Brückner mietete eine kleine Dreizimmerwohnung am Stadtrand. Um Geld zu verdienen, begann sie, ganztags zu arbeiten, obwohl es ihre ganze Kraft forderte, sich wieder im Berufsleben zurechtzufinden. Zwar war sie während der Mittagszeit immer zu Hause, und auf Jani wartete ein gedeckter Tisch, aber Frau Brückner war viel zu beschäftigt, um die Veränderungen an ihrer Tochter zu bemerken. Jani war still geworden und zog sich immer mehr in sich selbst zurück. Stundenlang hockte sie in Navarinos Box und starrte vor sich hin. Wie schön hätte das Leben für sie sein können! Für sie und Navarino! Nun würde er ihr nie gehören! Unablässig beschäftigte sie sich mit diesen Gedanken, suchte nach Auswegen und hoffte auf ein Wunder. Navarino mußte ihr einfach gehören, sonst hatte das Leben für sie überhaupt keinen Sinn mehr! Aber kein Wunder geschah, und schließlich sah sie mutlos ein, daß es für immer ein Traum bleiben würde, Navarino zu besitzen. Sie hatte ihn genauso endgültig verloren, wie ihren Vater. Janis Mutlosigkeit ging in tiefe Gleichgültigkeit über. Es war ihr alles egal. Sie zuckte nur die Schultern, wenn Katja, Regina, Jeanette oder Bettina sie aufforderten, doch mit in den Erlenbruchkrug zu kommen. Sie lehnte die Einladung zu Reginas Geburtstagsgesellschaft ab, und sie verspürte auch nicht die geringste Lust, während der Sommerferien mit den Freundinnen ins Freibad zu gehen. Herr Bensch beobachtete Janis Veränderung mit Sorge. Aus der fröhlichen, begeisterten Reiterin wurde ein Mädchen mit ausdruckslosem Gesicht und teilnahmslos blickenden Augen, das ihrer Umgebung völlige Gleichgültigkeit entgegenbrachte. Anfangs begrüßte er es daher, daß sie sich so intensiv mit Navarino beschäftigte. In solchen Stunden verschwand der starre Ausdruck von ihrem Gesicht, und so hatte er auch keine Einwände erhoben, als sie begann, Navarino zum Grasen auf die Koppel zu führen und schließlich einsame
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Spaziergänge mit ihm unternahm. Die gesamten Sommerferien verbrachte Jani im Reitverein, und das Mädchen und Navarino wurden unzertrennlich. Navarino erwiderte die ihm entgegengebrachte Liebe, und er war der einzige, dem es gelang, Jani hin und wieder ein Lachen zu entlocken, indem er sie energisch in den Rücken stupste oder ihr übermütig das Haar zauste. Mit feinem Gespür emp fand er die traurige Hoffnungslosigkeit seiner menschlichen Freundin und bemühte sich nach Kräften, sie in fröhliche Stimmung zu versetzen. Als die Wochen vergingen, ohne das Jani aus ihrem tiefen Kummer herausfand und wieder Anteil an ihrer Umgebung nahm, begann der Reitlehrer, diese ausschließliche Freundschaft sorgenvoll zu beobachten. Tierliebe ist etwas sehr Schönes, aber sie kann und darf kein Ersatz für menschliche Freundschaften sein! Es mußte etwas geschehen! Leider geschah einiges, das das Mädchen sich noch enger an Navarino anschließen ließ, einfach aus dem Gefühl heraus, daß außer ihm niemand für sie Verständnis hatte. Jani war nie eine besonders gute Schülerin gewesen, aber jetzt ließen ihre Leistungen rapide nach, und wenn auch die Lehrer in den Wochen nach dem Tod ihres Vaters viel Verständnis für ihre Unaufmerksamkeit gehabt hatten, so begannen sie jetzt, strenger zu werden. „Du bist die einzige in der Klasse, die in dieser Englischarbeit eine Fünf geschrieben hat“, tadelte die neue Klassenlehrerin, Frau Hartmann. Verärgert sah sie, daß Jani nur gleichmütig die Schultern hob. „Wenn du wenigstens die Vokabeln gelernt hättest, wäre deine Arbeit besser ausgefallen! Warum bist du eigentlich so faul?“ – „Weil mir Englisch egal ist“, antwortete Jani mit ausdruckslosem Gesicht, und einige ihrer Mitschüler begannen unterdrückt zu kichern, während Frau Hartmann Mühe hatte, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen. „Eine sehr betrübliche Antwort für eine Schülerin der achten Klasse!“ sagte sie nur und nahm dann den Unterricht auf. Frau Brückner erwartete keine ausgezeichneten Noten, aber das diesjährige Zwischenzeugnis mit drei Fünfen enttäuschte sie sehr. Verärgert warf sie ihrer Tochter übergroße Faulheit vor, denn auf mangelnde Begabung waren diese schlechten Leistungen nicht zurückzuführen, das war ihr klar. Sie selbst arbeitete hart, um Jani ein hübsches Zuhause, nette Kleidung und schließlich die Reitstunden zu bieten, und dafür erwartete sie, daß ihre Tochter sich in der Schule anstrengte. „Von jetzt an erhältst du bei jeder schlechten Note Reitverbot! Ich erwarte von dir, daß du dich wirklich bemühst, dich schulisch zu verbessern. Haben wir uns da ganz klar verstanden?“ Jani hatte ihrer Mutter mit unbeteiligtem Gesicht zugehört und nickte
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jetzt zu ihren letzten Worten, aber Frau Brückner erkannte deutlich, daß ihre eindringlichen Ermahnungen Jani nicht sonderlich beeindruckt hatten. Noch nicht einmal die Androhung des Reitverbots schien irgendeine Wirkung auf sie zu haben. Wie sich herausstellte, war das Reitverbot kein wirksames Mittel, um Jani zu mehr Fleiß anzuhalten, denn sie verzichtete ohne erkennbare Enttäuschung auf die Reitstunden. Herr Bensch wunderte sich zwar in den kommenden Wochen, daß Jani hin und wieder eine Reitstunde ausfallen ließ, aber den wahren Grund dafür kannte er nicht. Den erfuhr er erst durch Zufall, als er Frau Brückner an einem Abend in der Stadt begegnete. „Ja, Frau Brückner! Wie schön, daß wir uns einmal treffen. Wie geht es Ihnen denn?“ Interessiert hörte er Janis Mutter zu, die ihm von ihrer Arbeit berichtete. Gut ein dreiviertel Jahr war seit dem Tod ihres Mannes vergangen und der Reitlehrer gewann den Eindruck, daß Frau Brückner ihr Le ben meisterte. „Sorgen macht mir eigentlich nur Jani“, lächelte sie schließlich ein bißchen bedrückt und berichtete von Janis schlechtem Zwischenzeugnis, dem Verbot der Reitstunden, das überhaupt nichts genutzt hatte und von ihrer Besorgnis über die völlige Teilnahmslosig keit ihrer Tochter. Herr Bensch nickte zu ihren Worten. Diese Gleichgültigkeit war ihm auch aufgefallen, aber er war nie auf die Idee gekommen, daß Jani sich in der Schule genauso verhielt. Es mußte einfach etwas geschehen, um dieses Mädchen aus seiner Lethargie zu reißen, und im Gegensatz zu Frau Brückner, wußte er auch, wie das zu bewerkstelligen war. „Wir wollen uns einmal unterhalten“, sagte er am nächsten Tag, als Jani in sein Büro kam. „Mach bitte die Tür zu, es braucht nicht jeder mitzuhören! Da, setzt dich!“ Schon diese Eröffnung machte Jani klar, daß das kommende Gespräch nicht angenehm werden würde. Und dieses Gefühl täuschte sie nicht. Herr Bensch sprach davon, daß er sie nun schon mehr als zehn Jahre kenne, ihren verstorbenen Vater sehr geschätzt habe, und daß er aus diesen Gründen an ihr und ihrem Leben interessiert sei. Es habe ihn daher sehr enttäuscht, von ihrer Mutter zu erfahren, daß sie ein sehr schlechtes Zeugnis erhalten habe und nicht die geringste Anstrengung unternehme, ihre Noten zu verbessern. „Du bereitest deiner Mutter großen Kummer! Gibt es irgendeinen Grund für diese schlechten Leistungen? Warum strengst du dich nicht mehr an?“ Jani zuckte nur mit den Achseln und raffte sich dann zu der Erklärung auf, daß sie einfach keine Lust habe, Schularbeiten zu erledigen. Sie hatte überhaupt zu nichts Lust! Es war ja ohnehin alles egal!
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„Dann wollen wir mal sehen, ob es nicht doch etwas gibt, daß dich aus deiner Lustlosigkeit reißt! Du erhältst von mir Stallverbot, bis du alle schlechten Noten ausgemerzt hast! Erst wenn du nachweisen kannst, daß du in sämt lichen Fächern von deinen Fünfen heruntergekommen bist, kannst du hier wieder erscheinen! Und glaube ja nicht, daß du danach wieder in deinem Fleiß nachlassen kannst! Ich erwarte zukünftig von dir anständige Noten, und allein davon wird es abhängen, wieviel Zeit du im Reitverein verbringst.“ „Stallverbot“, rief Jani entsetzt. „Aber Navarino...“ „Navarino hat dich offensichtlich viel zu sehr von deinen Pflichten abgelenkt! Die Trennung von ihm wird dir gut tun, und es liegt allein an dir, wie lange sie dauern wird!“ stellte Herr Bensch fest. „Aber ohne Navarino kann ich das Leben gar nicht mehr ertragen!“ rief Jani heftig, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie schienen den Reitlehrer jedoch genau so wenig zu beeindrucken, wie ihre Worte. „Dann kannst du es eben nicht ertragen! Auf jeden Fall will ich dich hier erst wieder sehen, wenn deine schulischen Leistungen sich verbessert haben. Und jetzt kannst du nach Hause gehen. Nein! Nicht durch den Stall! Direkt hier hinaus! Ich meine, was ich sage!“ Noch nicht einmal verabschieden durfte sie sich von Navarino! Was würde er denken, wenn sie wochenlang nicht zu ihm kam? Er würde sie so sehr vermissen und nicht verstehen können, warum sie nicht kam, nicht kommen durfte! Janis Weinen ging in Schluchzen über! Jetzt hatte sie niemanden mehr, der ihr über ihre Einsamkeit hinweg half, niemanden, der für sie Zuneigung und Verständnis hatte. Die nächsten Tage schienen ihr die schwersten ihres Lebens zu sein. Immer wieder fühlte sie Tränen aufsteigen, während die langen Nachmittagsstunden verrannen, in denen sie tatenlos in ihrem Zimmer saß und vor sich hinstarrte. In ihre grenzenlose Traurigkeit mischte sich schließlich Zorn auf den unerbittlichen Reitlehrer und Abneigung gegen ihre Mutter, die schließlich an seiner Entscheidung schuld war! Wenn Frau Brückner abends nach Hause kam, fand sie eine mürrische und wortkarge Tochter vor, aber sie schien überhaupt nicht zu bemerken, daß sie auf ihre Fragen nur sehr kurze Antworten erhielt. Einige Tage hoffte Jani, daß Navarino vielleicht aus Kummer über ihr Fernbleiben krank würde, oder das Futter verweigerte, denn dann müßte Herr Bensch sie rufen lassen. Die Zeit verging jedoch, ohne daß Jeanette ihr von irgendwelchen Krankheitsanzeichen berichten konnte. Aber Navarino blicke immer sehnsüchtig auf die Stallgasse, erzählte das Mädchen. Und wann immer jemand den Stall betrete, spitze er hoffnungsvoll die Ohren und spähe durch die
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Gitterstäbe. Es dauerte geraume Zeit, bis Jani einsah, daß nur sie selbst in der Lage sein würde, die unerträgliche Situation zu ändern. Das erste Mal in ihrem Leben war niemand da, der ihr den Weg ebnete, ihr Verständnis entgegenbrachte und Rücksicht auf ihre Gefühle nahm. Erst als sie eine Geschichtsarbeit zurück erhielt, und zwar mit der höhnischen Bemerkung von Lehrer Bach: „Bei dir keine Überraschung! Wie üblich, Fünf!“ wich ihr Mitleid für sich selbst und machte ausgesprochener Wut Platz. Dem Kerl würde sie es zeigen! Der schien zu glauben, daß diese paar Daten und Informationen über die gräßlich langweilige englische Geschichte nicht in ihr Hirn paßten! Wütend verbrachte sie einen Nachmittag über ihr Geschichtsbuch gebeugt, und auch wenn sie sich danach immer noch nicht für die historische Vergangenheit dieses Inselvolkes begeistern konnte, so gelang es ihr doch in der nächsten Stunde, Herrn Bach zu verblüffen, indem sie sich häufig meldete und richtige Antworten gab. Den versäumten Stoff in Fächern wie Biologie, Erd kunde, Geschichte und dergleichen aufzuarbeiten, ging relativ schnell! Schwieriger war es, die beiden Fünfen in Mathematik und Englisch auszumerzen. Zuviel Wissen fehlte, um hier rasch den Anschluß zu fin den, und als sie den nächsten Englischtest wieder mit dieser Note zurückerhielt, brach sie zur Überraschung der Lehrerin in Tränen aus. „Nimm dich zusammen! Diese Note dürfte dich doch nicht verwundern!“ meinte Frau Hartmann kurz und begann dann mit dem Unterricht. In den nächsten Stunden bemerkte sie zu ihrem Erstaunen, daß das Mädchen sich wirklich bemühte und Fragen keineswegs in der Absicht stellte, die Klasse zum Lachen zu bringen, sondern um den Leistungsanschluß zu finden. Frau Hartmann wurde nachdenklich. Sie mochte Jani nicht besonders, jedenfalls von ihrer Art und ihrem Verhalten aus dem ersten Halbjahr her nicht, aber jetzt nahm das Mädchen mit todernstem Gesicht und angestrengt gerunzelter Stirn am Unterricht teil. „Christiane, ich möchte dich während dieser Pause kurz sprechen“, wandte sie sich an das Mädchen, als der Unterricht zu Ende war. Als die anderen Schüler das Klassenzimmer verlassen hatten, verlangte sie zu wissen, ob ihre Vermutung richtig sei, daß Jani sich tatsächlich bemühe, ihre Lücken in Englisch zu schlie ßen? Diese kühle Frage hätte Jani normalerweise nicht gerade ermuntert, Frau Hartmann ihr Herz auszuschütten, aber sie war so verzweifelt, daß es ihr nicht gelingen wollte, ihre Note zu verbessern und endlich wieder zu
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Navarino zu dürfen, daß sie ihre ganze Enttäuschung, Sorge und Hoffnung heraussprudelte. „...Und für den Test habe ich soviel gelernt! Ehrlich! Und dann war es wieder eine Fünf! Und der nächste wird wieder eine“, endete sie tränenerstickt, während Frau Hartmann sie nachdenklich betrachtete und dem ihr unbekannten Reitlehrer insgeheim ihre Anerkennung zollte. „Aha! So ist das also. Nun trockne mal deine Tränen und sei nicht zu pessimistisch. Bis zur nächsten Klassenarbeit vergehen noch knapp vier Wochen und ein Test liegt auch noch dazwischen. Ich werde dir einen Stapel Arbeitsblätter geben und du kannst zu Hause versuchen, die gestellten Aufgaben zu lösen. Wenn du dir jeden Tag ein Blatt vornimmst und darüber hinaus deine Hausaufgaben sorgfältig erledigst und im Unterricht aufpaßt, müßte das für eine Vier in der nächsten Klassenarbeit reichen. Das Arbeitsblatt bringst du mir jeden morgen ins Lehrerzimmer und ich werde es korrigieren. Wenn du Fragen hast, kannst du jederzeit in den Pausen zu mir kommen!“ Jani nickte stumm und folgte dann Frau Hartmann zum Lehrerzimmer, um dort eine ganze Anzahl Blätter entgegenzunehmen. „Fang mit diesen hier an. Das ist noch der Stoff vom Ende der letzten Klasse. Dann machst du mit diesen Blättern weiter. Na, du wirst ganz schön zu tun haben, aber ich glaube, du schaffst es!“ Plötzlich lächelte Frau Hartmann und klopfte Jani aufmunternd auf die Schulter. Ein bißchen schüchtern lächelte das Mädchen zurück. Bei Frau Hartmann war man an Lächeln nicht gerade gewöhnt, sie wirkte meist kühl und unnahbar. „Vielen Dank“, sagte Jani höflich und die Lehrerin sah ihr zufrieden nach, während sie sich fragte, ob sie wohl wirklich jeden Tag ein Arbeitsblatt zurückbekommen würde? Sie schmunzelte, als ihr am nächsten Tag drei dieser Blätter überreicht wurden, aber das Schmunzeln verging ihr, während sie sie korrigierte. Die Lücken waren größer, als sie angenommen hatte! Es schien ihr mehr als zweifelhaft, daß Jani sie aus eigener Kraft würde schließen können. Intensiver Nachhilfeunterricht wäre die beste Lösung. Entschieden griff Frau Hartmann zum Telefon, um Frau Brückner diesen Vorschlag zu unterbreiten, und erstmals erfuhr Janis Mutter, daß ihre Tochter sich sehr bemühe, ihre Noten zu verbessern und durchaus Aussicht bestehe, daß sie das Klassenziel erreiche. „Ja, mit Herrn Kaibus habe ich gesprochen. Der letzte Mathematiktest ist ordentlich ausgefallen. Es scheint, daß in diesem Fall eine Notenverbesserung aussichtsreich ist. Bei allen anderen Lehrern bestehen überhaupt keine Bedenken, denn sie hat sehr gut aufgeholt! Lediglich in Englisch sehe ich Schwierigkeiten.“
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Frau Brückner lauschte den Worten von Frau Hartmann und erklärte sich sofort mit den vorgeschlagenen Nachhilfestunden einverstanden. Dankbar stimmte sie zu, als die Lehrerin ihr Jochen Weber, einen Schüler der zehnten Klasse, empfahl. Schon am nächsten Tag, einem Mittwoch, erschien Jochen bei Brückners, und man einigte sich darauf, daß er Jani zweimal wöchentlich Unterricht erteilen solle, und nach Möglichkeiten noch zusätzlich einige Stunden, wenn Klassenarbeiten bevorstanden. Für Jani begann eine harte Zeit, denn Jochen verlangte von ihr weitere Hausaufgaben und immer häufiger verbrachte das Mädchen die Abende in ihrem Zimmer über die Bücher gebeugt, während Frau Brückner allein im Wohnzimmer saß und las oder fernsah. Nie verlor Jani auch nur ein Wort darüber, wie ungeheuer schwer es ihr fiel, all das Versäumte in Englisch und Mathematik aufzuholen, und nur Jeanette erfuhr, daß sie manchmal daran zweifelte, Navarino je wiederzusehen. „Ich habe solche Angst vor dem Mathetest“, seufzte sie an diesem Vormittag. „Wenn ich den nicht mit einer Drei schreibe, ist es aus!“ Jeanette murmelte zwar etwas Tröstliches, aber da sie selbst nicht gerade mathematisch begabt war, sah sie sich außerstande zu helfen. Dafür jedoch kam ihr die gute Idee, Katja, die das Gymnasium besuchte, um Hilfe zu bitten. Und Katja half. Sie hatte keine Mühe, sich im Stoff der achten Klasse zurecht zu finden, und Jani erhob keinen Einspruch, als das Mädchen behauptete, das sei das reinste Kinderspiel. Zu ihrer eigenen Überraschung kam sie zwei Stunden später zur gleichen Auffassung. Jetzt war es ihr ein Rätsel, wieso sie mit diesen Aufgaben derartige Schwierigkeiten gehabt hatte, und sie strahlte, als sie die gefürchtete Klassenarbeit mit einer guten Note zurückerhielt und damit sicher sein konnte, am Ende des Schuljahres keine Fünf als Gesamtnote zu bekommen. In Englisch jedoch blieb ihr diese Note auch im nächsten Test treu, und Jani fand es kaum tröstlich, daß Frau Hartmann ihr versicherte, daß deutliche Fortschritte erkennbar waren. Jani arbeitete verbissen und war dankbar für Katjas und Jochens Hilfe, auch wenn letzterer oft ungeduldig wurde, da sie seine Erklärungen manchmal nicht rasch genug verstand. Unwillig sah er sie dann an, schüttelte aufgebracht den Kopf und verlangte, daß sie sich gefälligst anstrengen solle. Wann immer zum Unterrichtsende die Türglocke läutete, runzelte er verärgert die Stirn und musterte Katja, Regina, Jeanette und Bettina ablehnend, wenn er sie im Wohnzimmer erblickte. In seinen Augen
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war es völlig überflüssig, daß sie so oft erschienen, um Jani Gesellschaft zu leisten. Nur wenn Katja allein auftauchte, wurde sein Gesicht freundlicher, denn dann wußte er, daß die Mädchen arbeiten würden. „Der reinste Sklaventreiber“, stellte Bettina eines Tages fest. „Wenn es nach ihm ging, dann hättest du nicht eine Minute Freizeit! Wie sieht es denn mit Englisch aus? Hast du es bald geschafft?“ Mitleidig sah sie, wie Jani den Kopf schüttelte und die Zähne zusammenbiß. Nein, sie hatte es noch nicht geschafft. Volle drei Monate war sie nun nicht mehr im Reitstall gewesen, und alle vermieden es, in ihrer Ge genwart von den Pferden zu sprechen. Längst hatten die Mädchen vergessen, wie wenig sie Jani gemocht hatten, so sehr hatte sie sich in den vergangenen Monaten verändert. Auch wenn sie nur selten davon sprach, so wußten die vier doch, wie sehr sie unter der Trennung von Navarino litt. „Was machst du an deinem Geburtstag“, erkundigte sich Regina und blinzelte den anderen verschwörerisch zu, als Jani seufzend erklärte, daß sie an diesem Tage Nachhilfe habe und daher überhaupt nichts unternehmen würde. Sie ahnte nicht, daß Katja eine Überraschung plante und noch weniger ahnte sie, daß Jochen in diesen Plan eingeweiht war. Pünktlich wie immer erschien er, diesmal mit einem vergnügten Lächeln. „Herzlichen Glückwunsch!“ Er drückte ihr ein kleines Päckchen in die Hand. Jani starrte ihn verblüfft an. Damit hatte sie nun überhaupt nicht gerechnet. „Danke“, stotterte sie verwirrt, aber bevor sie das Geschenk auspacken konnte, klingelte es schon wieder. Draußen standen Katja, Regina, Bettina und Jeanette und riefen im Chor: „Herzlichen Glückwunsch!“ „Aber ich hab doch Nachhilfe“, rief Jani bestürzt, als sie sah, daß ihre Freundinnen mit Geschenken beladen waren. „Nee! Du gibst ’ne Party“, erklärte Jochen vergnügt, und alle lachten, als Jani ihn zweifelnd anstarrte. So kannte sie ihn überhaupt nicht. Aber da überreichte Jeanette ihr schon eine große Papprolle, und Katja drückte ihr einen schweren Gegenstand in die Hand. Regina belancierte eine Geburtstagstorte, die ihre Mutter gebacken hatte, und Bettina schleppte einen großen Korb mit Cola-Flaschen herein, und während die beiden Mädchen den Kaffeetisch deckten, packte Jani ihre Geschenke aus. In der Papprolle befand sich ein Poster, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie Navarino erkannte. Und als der Inhalt des schweren
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Päckchens sich als Hufeisen entpuppte, an dem ein Büschel Schweifhaare hing, die mit einem roten Band zusammengehalten wurden, wären fast die Tränen gerollt, hätte nicht Jochen mit trockener Stimme festgestellt, daß das Pferd ziemlich fett sei. „Fett?“ entrüstete Jani sich sofort, und ihre Tränen versiegten abrupt. „Navarino ist nicht fett! Du hast ja keine Ahnung von Pferden!“ Das mußte Jochen zugeben, und mit scheinbarem Interesse lauschte er ihren aufklärenden Worten über den Körperbau von Pferden im allgemeinen und Navarinos im besonderen, während er sich innerlich dazu gratulierte, mit seiner bewußt beleidigenden Äußerung die Tränen des Mädchens verhindert zu haben. Es wurde ein ausgesprochen lustiger Geburtstag, und die Mädchen amüsierten sich königlich bei Jochens Berichten über all seine mehr oder minder begabten Nachhilfeschüler. „Der ist ja echt Spitze“, stellte Bettina fest, nachdem Jochen gegangen war, und sie schien völlig vergessen zu haben, daß sie ihn noch vor kurzem mit einem Sklaventreiber verglichen hatte. „Bei dem hätte ich auch gern Nachhilfe!“ „Fragt sich nur, worin?“ lästerte Katja anzüglich, und alle lachten. Zwar wechselten Jani und er in der Folgezeit hin und wieder einige persönliche Worte, aber nie wieder befand er sich in so ausgelassener Stimmung wie an ih rem Geburtstag. „So! Nach diesem letzten Test stehst du genau auf 4,5!“ stellte er fest und legte den Bleistift beiseite. „Es ist also eine reine Ermessensfrage, ob du eine Vier oder eine Fünf im Zeugnis bekommst. Hat sie noch gar nichts gesagt?“ Jani schüttelte den Kopf. Frau Hartmann gehörte nicht zu den Lehrern, die ihren Schülern die Endnoten vorab mitteilten. Die würden sie erst bei der Verteilung der Zeugnisse erfahren. „Beteilige dich soviel wie möglich am Unterricht und lern die Vokabeln, damit du bei einer mündlichen Abfrage noch eine gute Note einheimst! Du mußt jetzt so fleißig arbeiten wie noch nie, denn wenn du jetzt nichts mehr tust, weil die schriftlichen Arbeiten gelaufen sind, dann fällst du garantiert auf die Nase! Ich kenne Frau Hartmann!“ Jani kämpfte um die Verbesserung ihrer Note. Nicht einmal kam es vor, daß sie die Vokabeln nicht konnte, und die mündlichen Aufgaben erledigte sie schriftlich, um ja nicht bei einer Übersetzung ins Stottern zu geraten! Doch mit keiner Miene ließ Frau Hart mann erkennen, ob sie Janis Arbeitseifer honorieren würde. Die Spannung stieg! In der nächsten Stunde würden die Zeugnisse ausgeteilt! Jani hatte vor Aufregung eiskalte Hände. Einzeln wurden die
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Mädchen und Jungen nach vorn gerufen. Kirsten Ahlers – Bernd Anders – Jeanette Bartel – Christiane Brückner... Jani rannte regelrecht zum Pult und griff hastig nach ihrem Zeugnis. „Englisch – ausreichend!“ Wie im Traum vernahm sie die Worte ihrer Klassenlehrerin, die sie ermahnte, im nächsten Jahr mit noch mehr Fleiß bei der Sache zu sein, denn diese Note stünde auf sehr wackeligen Beinen. Aber Jani strahlte. Nur zweimal ausreichend, in allen anderen Fächern hatte sie bessere Leistungen erzielt! Sie mußte sofort zum Reitstall, um Herrn Bensch das Zeugnis vorzulegen! Und dann endlich würde sie Navarino wiedersehen! Vier unendlich lange Monate waren vorbei! Wie würde er sich freuen... „Wo willst du denn hin?“ riß Frau Hartmanns Stimme sie aus ihren Gedanken. Ohne Überlegung hatte sich Jani bereits zur Tür des Klassenzimmers begeben. „Zu Navarino natürlich!“ entfuhr es Jani vorwurfsvoll, und die Klasse begann zu lachen. Selbst Frau Hartmann lächelte, auch wenn sie gleich darauf feststellte, daß der Unterricht noch nicht beendet sei, und... „Ach, lassen Sie sie doch gehen!“ unterbrach Jeanette sie bittend, und plötzlich unterstützten auch alle anderen diesen Wunsch. „Neunundzwanzig gegen eins! Ich gebe mich geschlagen!“ seufzte Frau Hartmann in gespielter Verzweiflung und nickte dem Mädchen zu. Aus pädagogischer Sicht mochte es nicht ganz richtig sein, sie vorzeitig aus dem Unterricht zu entlassen, aber hin und wieder war man eben nicht nur Lehrerin. Sie lächelte, als die Klasse ihrer Entscheidung durch lautes Klatschen Beifall zollte und begann dann mit ruhiger Stimme, weiter die Namen der Jungen und Mädchen aufzurufen. Sommerferien, endlich Sommerferien!
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6. Glückliche Zeiten Es wurden die schönsten Sommerferien, die Jani je verlebt hatte! Nicht eine Sekunde bedauerte sie, daß in diesem Jahr keine Ferienreise auf dem Programm stand. Im Gegenteil, sie wäre todunglücklich gewesen, hätte ihre Mutter geplant, mit ihr in Urlaub zu fahren. Für entgangene Urlaubsfreuden schenkte Frau Brückner ihrer Tochter eine zusätzliche Reitkarte, und Jani war selig. Nach der ersten Reitstunde allerdings bekam sie einen Muskelkater, der es in sich hatte, aber schon mit der nächsten Stunde schienen ihre Muskeln sich daran zu erinnern, daß ihnen nichts Unbekanntes abverlangt wurde. Nie zuvor hatte sie es so genossen, Navarino zu reiten, ihn zu putzen bis er glänzte, mit ihm spazieren zu gehen und ihn grasen zu lassen! Wie früher begrüßte der Wallach sie schnobernd, eine Auszeichnung, die nur Jani zuteil wurde. Als Katja, Bettina und Regina aus dem Urlaub zu rückkamen, begann Herr Bensch mit den Vorbereitungen für das Reitabzeichen, an dem Jani und ihre Reiterfreundinnen teilnehmen sollten. Nur Jeanette war tief betrübt, daß sie mit ihren Künsten noch nicht weit genug war, um auch in diesen Unterrichtsstunden mitzureiten. Sie wurden auf einen Freitagabend gelegt, denn auch einige Erwachsene wollten diese Prüfung im November ablegen. Mitten in der Vorfreude auf das Reitabzeichen überfielen Jani plötzlich Bedenken. Würde sie an dieser Prüfung überhaupt teilnehmen können? Mit Abschluß der Sommerferien begannen die Nachhilfestunden erneut, denn ganz ohne Hilfe würde sie weiterhin Schwierigkeiten in Englisch haben, das war völlig klar. Genauso klar war es Jani gewesen, daß sie nach den Sommerferien auf Reitstunden würde verzichten müssen, aber sie hatte sich damit getröstet, daß sie trotzdem tagtäglich mit Navarino zusammen sein konnte. Und ewig würde sie ja keine Nachhilfestunden benötigen. Aber jetzt? Zu gern würde sie das Reitabzeichen ablegen. Je näher der Schulbeginn rückte, desto nachdenklicher wurde ihr Gesicht. „Was ist denn mit dir los?“ forschte ihre Mutter eines Abends, als Jani mit gerunzelter Stirn vor sich hin starrte. „Ach, es ist ja nur wegen des Reitabzeichens“, murmelte sie, aber da ihre Mutter aus dieser Äußerung keineswegs klug wurde, erklärte Jani ihr ausführlich ihre Sorgen und Bedenken. „Ich weiß selbst, daß ich das Reitabzeichen genau so gut im nächsten
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Jahr machen kann, es ist nur so furchtbar schade, daß Katja, Bettina und Regina es dann schon hinter sich haben und ich vermutlich nur mit Erwachsenen zusammen reiten werde. Jedenfalls, gibt es außer Jeanette ja kaum Kinder oder Jugendliche, die für diese Prüfung in Frage kommen, und ob Jeanette schon im nächsten Jahr dabei sein wird...“ „Aber Jani“, lachte ihre Mutter. „Nun schlag dir diese Sorgen mal aus dem Kopf. Selbstverständlich darfst du auch weiterhin einmal in der Woche reiten, und die Prüfungsgebühren werden uns auch nicht an den Rand des Ruins treiben! Außerdem denke ich, daß du zukünftig mit einer Nachhilfestunde wöchentlich auskommen wirst, aber selbst wenn nicht, die Reiterei brauchst du deswegen nicht aufzugeben!“ „Nicht? Ich darf trotzdem reiten? Wird es dir wirklich nicht zuviel, Nachhilfe und Reitstunden für mich zu bezahlen?“ Frau Brückner lächelte über Janis zweifelnd hoffnungsvollen Ton und schüttelte entschieden den Kopf. „Ich wollte schon immer einmal mit dir darüber sprechen, und jetzt bist du alt genug, um vieles besser zu verstehen. Es ist zwar keineswegs so, daß wir in Geld schwimmen, auf der anderen Seite kann man auch nicht behaupten, daß wir uns der Gattung Kirchenmäuse zuordnen müssen!“ Jani grinste vergnügt, aber da sprach ihre Mutter schon weiter. „Dein Vater, als Versicherungsfachmann, hat uns eine gute Lebensversicherung hinterlassen, die ich je doch zu einem großen Teil für deine Ausbildung und später für deine Aussteuer sichern möchte. Außerdem, man weiß ja nie, was kommt. Es ist besser, für Notzeiten gewappnet zu sein. Das verstehst du doch, nicht wahr?“ Jani nickte schweigend mit dem Kopf. „Da ich inzwischen recht gut verdiene, kommen wir beide damit durchaus zurecht. Zumindest finde ich, daß wir zufrieden sein können.“ Abermals nickte Jani bestätigend, und ihre Mutter zwinkerte ihr zu. „Ja! Aber nun zu deinem Problem. Du mußt wissen, daß selbstverständlich genügend Geld vorhanden ist, um dir zu ermöglichen, an Klassenreisen teilzunehmen, oder wie jetzt, das Reitabzeichen abzulegen, für dererlei Dinge ist vorgesorgt. Wie gesagt, wir müssen schon ein bißchen rechnen, aber solange unsere Wünsche in einem gewissen Rahmen bleiben, sind sie realisierbar!“ Über Janis Gesicht breitete sich ein erleichtertes Lächeln aus. Sie durfte weiterreiten und sogar das Reit abzeichen ablegen! Das hatte sie kaum zu hoffen gewagt. „Wenn du dir also wieder einmal Sorgen um Geld machst, dann sprich gleich mit mir! Wir werden schon eine Lösung finden. Ganz besonders jetzt, wo du dich so ernsthaft bemühst, deine Pflichten zu Hause und in der
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Schule wahrzunehmen. Ich bin wirklich sehr stolz auf dich! Du bist erwachsen geworden, und ich freue mich jeden Abend darauf, nach Hause zu kommen und mich mit dir zu unterhalten!“ Einen Augenblick schwieg Jani, aber dann lächelte sie und rief spontan: „Ich mich auch! Wirklich! Nur ist mir das noch gar nicht so richtig aufgefallen!“ Und das stimmte. Unmerklich hatte sich ihre Einstellung der strengen Mutter gegenüber geändert. Sie hatte gelernt, hinter dieser Strenge die Zuneigung zu erkennen, die zwar völlig anders als die Liebe ihres verstorbenen Vaters war, die ihr aber Sicherheit und Vertrauen gab. Auf ihre Mutter konnte sie sich verlassen! Während der ersten Schultage mußte Jani sich sehr zusammen nehmen, um ihre Gedanken nicht allzu lange bei Navarino verweilen zu lassen, was gar nicht so einfach war, denn obwohl sich der Sommer dem Ende zuneigte, schien die Sonne jeden Tag von einem wolkenlos blauen Himmel und lud regelrecht dazu ein, sich vorzustellen, wie herrlich gerade jetzt ein Ritt über die Felder sein würde, anstatt im Klassenzimmer zu sitzen. „Und wo, Christiane Brückner, war das bitte?“ Die etwas höhnische Stimme des Geschichtslehrers riß Jani aus ihren Träumen. „Navarino“, murmelte sie, und Herr Bach war sprachlos! Er hätte schwören können, daß das Mädchen mit ihren Gedanken in einer Traumwelt spazieren gegangen war! Hatte er sich doch restlos getäuscht. „Richtig! In Navarino! Peter, und nun zeig uns einmal an der Landkarte...“ Der Unterricht ging weiter, und Jani hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken! Du meine Güte, da hatte sie aber Glück gehabt. Den Rest der Stunde paßte sie allerdings auf wie ein Luchs, denn das Glück durfte man nicht zu sehr herausfordern! Dank der Nachhilfestunden schrieb sie den ersten Englisch-Test mit einer Zwei und die Klassenarbeit mit einer Drei minus, so daß auch Jochen fand, eine Nachhilfestunde wöchentlich sei ausreichend. Er selbst besuchte inzwischen ein Gymnasium, denn er hatte sich entschlossen, das Abitur zu machen. „Bleibt mir also mehr Zeit, Französisch aufzuholen“, meinte er zufrieden. Inzwischen unterhielt er sich häufiger mit Jani, und wenn er auch nach wie vor von ihr absolute Aufmerksamkeit verlangte, so war er doch bereit anzuerkennen, wie viel und wie schnell das Mädchen gelernt hatte. An diesem Herbsttag aber tauchte er mit düsterer Miene bei Jani auf. „Ist irgend etwas?“ erkundigte sie sich vorsichtig und erfuhr, daß der Grund für seine schlechte Laune ein Vorschlag des neuen Klassenlehrers sei. Der hatte angeregt, daß seine Schüler, die aus den verschiedenen
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Schularten jetzt in einer neuen Klasse zusammengefaßt worden waren, doch gemeinsam einen Tanzkurs besuchen sollten, um auch in der Freizeit ein bißchen Kontakt miteinander zu haben. „Aber das ist doch eine prima Idee!“ rief Jani verblüfft. „Tanzen macht doch Spaß!“ Jochen betrachtete sie wie ein Wundertier. „Kannst du das etwa?“ erkundigte er sich verwundert. „Nur ein bißchen! So das, was Jeanette von ihrem großen Bruder beigebracht bekommen hat! Und einige aus unserer Klasse haben schon einen Tanzkurs mitgemacht, und manchmal üben wir während der Pause und so!“ Jochen seufzte abgrundtief und stellte dann fest, daß er ja auch gar nichts gegen das Tanzen habe, nur leider sei noch ein Haken an der Sache. In seiner Klasse fehlten nämlich sechs Mädchen, und so sollten einige der Jungen entweder ihre Freundin mitbringen oder ihre Schwester. „Und da ich ersteres nicht habe...“ endete er mit einem vielsagenden Blick und zuckte unmutig die Achseln, während Jani lachte. Sie wußte inzwischen, daß Susi, die jüngere Schwe ster von Jochen, vor seinen Augen keineswegs Gnade fand, was hauptsächlich daran lag, daß Susi sich, ohne ihn zu fragen, seine Pullover auslieh, sich ohne Gewis sensbisse sein Mofa aneignete und auch nicht davor zurückschreckte, aus seinem Zimmer all das zu holen, was ihr gerade fehlte! Und da Susi anscheinend recht unordentlich war, fehlte ihr ständig etwas, angefangen vom Spitzer bis hin zum Zirkelkasten! Gerade wollte Jani ihn ein wenig aufmuntern, als Jochen meinte: „Es sei denn, du würdest mitmachen! Wo dir doch die Tanzerei gefällt. Und außerdem: Eine Hand wäscht die andere. Ich hab dir schließlich auch geholfen!“ Hoffnungsvoll sah er sie an. Jani war überrascht. „Ich?“ fragte sie schließlich gedehnt. „Ja, sicher!“ Jochen begann bereits wieder ungeduldig zu werden und schüttelte aufgebracht den Kopf. „Mit Susi habe ich keine Lust zu dieser Tanzerei! Dran vorbeimogeln kann ich mich auch nicht, und da könntest du mir wirklich helfen! Mit dir zusammen, würde es mir sogar Spaß machen“, endete er etwas weniger heftig, während Jani unentschlossen an der Unterlippe nagte. „Ja, schon!“ sagte sie schließlich zögernd. „Aber was kostet das, und wann und wo soll die Tanzerei stattfinden? Und dann weiß ich nicht, ob meine Mutter das erlaubt?“ Jochen atmete ein wenig auf. Es sah ganz so aus, als würde sie ihm aus der Patsche helfen. Sorgen bereitete ihm nur, ob Frau Brückner ihre Einwilligung geben würde. Er bat Jani, noch heute mit ihrer Mutter zu sprechen und ihn sofort
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anzurufen, denn dieses Problem brannte ihm unter den Nägeln. „Hoffentlich klappt’s“, murmelte er zum Abschied. Und es klappte. Frau Brückner erhob keinerlei Ein wände und telefonierte mit Frau Weber. Beide Mütter legten schließlich mit dem Gefühl, daß Sohn und Tochter einer vergnüglichen Tanzstundenzeit entgegensahen, den Hörer auf. Während Jani diese Einstellung teilte, sah Jochen dem ersten Abend dieser „albernen Herumhopserei“ mit gemischten Gefühlen entgegen. Schon nach der ersten Stunde heiterte sich seine Miene gewaltig auf. Jani erwies sich als das reinste Naturtalent, und außerdem kicherte sie nicht so albern herum, wie die anderen Mädchen, wenn die Schritte nicht sofort so gelangen, wie sie sollten. Nach wenigen Stunden begann ihm die Tanzerei ebenfalls Spaß zu machen, nur zwei Dinge paßten ihm ganz und gar nicht: Kaum wurde freie Partnerwahl angeordnet, stürzten einige seiner Klassenkameraden zu Jani. Erstmals betrachtete Jochen das Mädchen nicht mit den Augen eines Nachhilfelehrers. Er stellte zur eigenen Überraschung fest, daß sie ausgesprochen hübsch war. Aber das allein war nicht der Grund für ihre steigende Beliebtheit. Jani war einfach immer freundlich und unterhielt sich fröhlich mit ihrem jeweiligen Partner. Jochen beschloß, das Mädchen künftig im Auge zu behalten, und nur noch selten gelang es einem der anderen Jungen, Jani aufzufordern. Soweit hätte er zufrie den sein können, aber zu seinem Leidwesen ordnete der Tanzlehrer oft genug während eines Tanzes einen Partnerwechsel an, und dagegen war er machtlos. „Diese Diane ist die reinste Nervensäge!“ teilte er Jani nach einem solchen Wechsel verärgert mit. „Redet pausenlos dummes Zeug und tritt einem dann auch noch ständig auf die Füße!“ „Das tut sie ja nicht absichtlich“, meinte Jani beruhigend und fügte hinzu: „Aber ihr Bruder Hajo ist wirklich nett! Er hat sogar gesagt, er würde morgen nachmit tag beim Reiten zuschauen!“ Etwas überrascht stellte sie fest, daß diese Mitteilung Jochen zu verärgern schien, und noch überraschter war sie, als am nächsten Tag nicht nur Hajo, sondern auch Jochen zum Zuschauen im Reitstall eintraf. Noch nie war er dort gewesen! Der Reitlehrer schmunzelte vor sich hin, während sich Janis Freundinnen mal wieder einen vielsagenden Blick zuwarfen. „Hallo“, sagte Katja und reichte Jochen die Hand. „Sag bloß, du willst reiten lernen?“ setzte sie etwas spöttisch hinzu. „Reiter können wir immer brauchen“, lachte Herr Bensch. Während Hajo sofort erklärte, er sei lediglich zum Zuschauen gekommen, da ihm für den Reitsport als aktiver
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Tennisspieler keine Zeit bliebe, begannen Jochens dunkle Augen zu funkeln. Er würde Hajo ein für alle Mal aus dem Rennen werfen. „Genau deswegen bin ich hier! Die fünf haben mir soviel von den Pferden erzählt, daß ich dachte, ich fange auch mit dem Reiten an“, erklärte er Herrn Bensch, wobei er sorgfältig vermied, in Katjas Richtung zu sehen. „Toll!“ riefen Jani und Bettina wie aus einem Munde und alle lachten. „Na, dann kommt mit in mein Büro! Mal sehen, wann eine Longenstunde frei ist!“ Einträchtig folgten sie dem Reitlehrer ins Büro, wo festgestellt wurde, daß schon am nächsten Tag eine Stunde unbesetzt war, ein Umstand, den Jani als regelrechten Glücksfall bezeichnete und der Jochen eine leichte Gänsehaut über den Rücken jagte! Worauf hatte er sich da bloß eingelassen? Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als er wenig später der Reitstunde zuschaute, die mit einigen Sprüngen beendet wurde. Du meine Güte! Regelrecht gefährlich sah das aus! Nie hätte er Jani und ihren Freundinnen derartigen Mut zugetraut. Zwar hatten die Mädchen hin und wieder von ihrem Unterricht erzählt, aber er hatte sich das Ganze nicht richtig vorstellen können. Das, was bei all den Mädchen, die dort unbeschwert mit ihren Pferden trabten, galoppierten und über die Hindernisse setzten, so spielerisch aussah, entpuppte sich tags darauf für ihn als äußerst schwieriger Balanceakt. Nur die Tatsache, daß Herr Bensch ihn lobte, weil er seine Anweisungen beherzigte und Jani meinte, daß er wirklich talentiert sei, ließ Jochen den Gedanken, den Reitsport gleich wieder aufzugeben, vergessen. Zu seiner Überraschung konnte er schon nach vier Longenstunden, in der Anfängerabteilung mitreiten. Tatsächlich waren seine Fortschritte beachtlich und bald wuchs in ihm die Überzeugung, daß er wirklich reiten lernen würde. Das einzige, was ihm unerklärlich blieb, war Janis Sorge, das Reitabzeichen vielleicht nicht zu bestehen! Jemand, der so gut wie sie ritt, konnte einfach nicht durchfallen! Aber Janis Nervosität wuchs, je näher der gefürchtete und dennoch herbeigesehnte Prüfungstag kam. „Navarino macht das schon!“ murmelte Herr Bensch aufmunternd, als sie leichenblaß in die Dressurprüfung ging. Zärtlich strich Jani ihrem Pferdeliebling über den Hals. Sie wußte, daß sie sich auf ihn verlassen konnte, aber was war, wenn sie Fehler machte? Doch schon nach dem Grüßen fiel jede Nervosität von ihr ab. Navarino erledigte die Lektionen schwungvoll und sauber. Schon war die Aufgabe vorbei, und Jani grüßte aufatmend. Wenn schon die Dressur so gut gelaufen war, dann würde es im Springen auch keine Probleme geben und erst recht nicht im theoretischen Teil der Prüfung.
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Jani hatte Veterinärkunde, Pflege und Haltung des Pferdes mehr als gründlich gelernt, und konnte jeden Knochen des Pferdekörpers mühelos benennen und seinen Sitz angeben. Katja hatte sie schon „das wandelnde Pferdelexikon“ genannt. Navarino schnaubte zufrieden durch die Nüstern, als er mit seiner Reiterin an den Start ging! Springen schätzte er ausgesprochen, und da das Mädchen eine weiche Hand hatte und nie hinter der Bewegung blieb, nahm er die Hindernisse mit übermütig hohem Sprung. Herr Bensch nickte ihnen anerkennend zu, als sie die Halle verließen. Über die theoretischen Fragen war Jani dann fast ein wenig enttäuscht. Soviel hatte sie gelernt, aber das, was die Richter von ihr wissen wollten, hätte sie auch ohne die ganze Paukerei beantworten können. Nur einige der Erwachsenen teilten ihre Enttäuschung nicht! Im Gegenteil, sie waren den Richtern durchaus dankbar, daß sie sie nicht mit allzu schwierigen Fragen traktierten! Reitlehrer Bensch war sehr zufrieden. Alle Teilnehmer hatten bestanden. Der Kurs war ein voller Erfolg gewesen. „Jetzt wird gefeiert“, erklärte er und rieb sich die Hände. Nur Navarino war von diesem Vorschlag nicht begeistert, denn er hätte es viel lieber gesehen, wenn Jani bei ihm in seiner Box geblieben wäre und ihn weiter mit Schwarzbrot und Apfelschnitzen gefüttert hätte! Verärgert sah er Jochen und den anderen nach, die Jani aus seiner Box entführten und schließlich den Stall verließen, um drüben im Erlenbruchkrug diesen denkwürdigen Tag zu feiern. Manchmal war es wirklich nicht leicht, Pferd zu sein!
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7. Navarino in Gefahr „Heute waren wir bei der Berufsberatung“, berichtete Jani eines Abends, als sie und ihre Mutter gemütlich beisammen saßen. „Oh, wie interessant! Erzähl doch mal!“ Frau Brückner kam zum erstenmal zu Bewußtsein, daß sie eine fast erwachsene Tochter hatte, die in wenig mehr als vier Monaten die Schule verlassen würde. Schon häufiger hatte sie sich mit ihr über verschiedene Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten unterhalten, aber Jani hatte dieses Thema immer mit der Be merkung beendet, daß sie sich noch nicht entscheiden könne. Auch Jochen, ihr ehemaliger Nachhilfelehrer, mit dem sie seit langem eine enge Freundschaft verband, hatte nur ausweichende Antworten erhalten, sobald er versuchte, Jani zu überreden, die Schule weiter bis zum Abitur zu besuchen. Sie könne Zeit gewinnen, sich für einen Beruf zu entscheiden und habe danach erheblich mehr Möglichkeiten, hatte er argumentiert. Frau Brückner gewann jetzt den Eindruck, daß Jani bereits eine Entscheidung getroffen hatte. „Die meisten Mädchen aus meiner Klasse wollen Kranken- oder Säuglingsschwester werden“, begann sie und ihre Mutter nickte. „Einige wollen ins Ausland gehen und anschließend an einer Sekretärinnenausbildung teilnehmen und ein paar gehen in die Industrie als Lehrling, na und so weiter!“ Der Ton, in dem das Mädchen diese Möglichkeiten aufzählte, machte deutlich, daß sie für sie nicht in Frage kommen würden. „Und an was hattest du gedacht?“ forschte Frau Brückner. Jani schwieg eine ganze Weile. Dann straffte sie plötzlich die Schultern und reckte energisch das Kinn. „Ich möchte Pferdewirt, beziehungsweise Reitlehrerin werden!“ Frau Brückner sah ihre Tochter verständnislos an. „Aber Kind, das ist doch ein völlig unweiblicher Be ruf! Abgesehen davon“, setzte sie hinzu, als Janis Augen zu funkeln begannen, „man hat doch als Reitlehrer kaum freie Zeit! Ich meine, man ist von morgens bis abends im Reitstall! Und auch an Sonn- und Feiertagen! Ja, und wenn man diesen Arbeitseinsatz von der finanziellen Seite betrachtet, dann steht doch die Leistung in keinem Verhältnis zum Verdienst!“ Jani schüttelte energisch den Kopf. „Ich habe mir diesen Beruf nicht ausgesucht, weil ich damit vielleicht Millionärin werden könnte, sondern einfach, weil es etwas ist, das mir Spaß machen wird! Ich kann mir einfach nicht vorstellen, den ganzen Tag in einem Büro eingesperrt zu sein, hinter einem Bankschalter zu stehen oder dergleichen. Ich würde verrückt
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werden!“ Eine ganze Zeitlang saßen sich Mutter und Tochter schweigend gegenüber, jede mit ihren Gedanken beschäftigt. Frau Brückner hatte im stillen gehofft, daß Jani doch Jochens Vorschlag, das Abitur zu machen, folgen würde. Aber selbst wenn sie absolut nicht weiter zur Schule gehen wollte, hätte es die Möglichkeit gegeben, das Mädchen ins Ausland zu schicken. Nach England oder Frankreich vielleicht, oder wenn es Jani besser gefallen hätte, nach Italien und Spanien. So viel Neues und Interessantes wäre ihr begegnet. Frau Brückner seufzte ein bißchen. Sie würde von diesen Vorstellungen Abschied nehmen müssen. Ausgerechnet Reitlehrerin! Natürlich änderten sich die Zeiten, es gab heute schließlich in vielen ursprünglichen Männerberufen Mädchen und Frauen, die sich durchaus bewährten. Aber Reitlehrerin? „Was hat denn die Berufsberatung zu deinem Plan gesagt?“ fragte sie schließlich zögernd und in der Hoffnung, daß Leute, die mehr Informationen über die verschiedenen Berufe hatten, vielleicht sachliche Ein wände gegen Janis Berufswunsch erhoben hatten. Aber die Berufsberaterin hatte Janis Wahl durchaus gebilligt, ganz besonders, da das Mädchen sich schon um einen Ausbildungsplatz bemüht hatte. „Du hast schon einen Ausbildungsplatz?“ fragte Frau Brückner. Sie kämpfte sichtlich mit ihrer Verwirrung. Es sah ganz so aus, als habe sich ihre Tochter nicht erst heute und spontan für diesen Beruf entschieden, sondern sich damit schon seit geraumer Zeit beschäftigt. „Herr Bensch nimmt mich als Bereiterlehrling, vorausgesetzt, daß du dich damit einverstanden erklärst!“ Jani lächelte ein wenig. Der Reitlehrer war von ihrem Berufswunsch keineswegs überrascht gewesen. Aber er war es auch gewesen, der Schwierigkeiten mit der Mutter vorhergesehen hatte. „Und wie verläuft eine solche Ausbildung und wie lange dauert sie?“ Aufmerksam hörte sie Jani zu, die ihr erklärte, daß sie nach dreijähriger Ausbildungszeit Pferdewirt sein würde und nach weiteren drei Jahren die Prüfung zum Pferdewirtschaftsmeister ablegen könne. So lautete heute die offizielle Be zeichnung eines Reitlehrers. „Ein langer und harter Weg!“ stellte Frau Brückner nachdenklich fest. „Und was ist, wenn du das körperlich nicht durchhältst? Dann stehst du völlig ohne Be ruf da!“ Aber Jani fegte diese Bedenken lachend beiseite. Sie würde es schaffen! Ganz bestimmt! Herr Bensch hätte sie niemals als Lehrling in Betracht gezogen, wenn er nicht auch davon überzeugt wäre. „Wenn ich es wirklich nicht schaffen sollte, dann kann ich immer noch Maschinenschreiben und Steno lernen und ins Büro gehen!“ verkündete sie
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vergnügt, denn es schien, als beginne ihre Mutter ihren Berufswunsch zu verstehen. „Nun, mit ein bißchen Tippen und Steno allein wirst du heute wohl kaum noch dein Brot verdienen können“, entkräftete Frau Brückner das Argument trocken. „Aber immerhin! Ich verstehe schon, wie du das gemeint hast. Also, wenn du wirklich davon überzeugt bist und glaubst, in diesem Beruf glücklich zu werden, dann möchte ich dir nicht im Weg stehen. Aber bitte überlege dir alles noch einmal gründlich!“ Jani nickte ernsthaft und sah ihre Mutter dann strahlend an. Diese Hürde hatte sie genommen. Auf erheblich weniger Verständnis stieß sie tags darauf, als sie mit Jochen ins Gelände ritt. „Was willst du werden?“ fragte er wie vom Donner gerührt und parierte sein Pferd heftig zum Halt durch. „Reit -leh-re-rin!“ Jani betonte die einzelnen Silben aufreizend deutlich, als habe sie es mit einem Schwerhörigen zu tun, denn Jochens Gesichtsausdruck war unschwer zu entnehmen, daß er ihren Berufswunsch für völlig absurd hielt. Trotzdem bemühte er sich, nicht heftig zu werden und das Mädchen durch sachliche Argumente von dieser Idee abzubringen. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie bereit war, ihre Meinung zu ändern, wenn sie einsah, daß sie falsch war. Oft genug hatte sie sich von ihm beraten lassen und seine Argumente hatten sie überzeugt. Diesmal jedoch hielt sie an ihren eigenen Plänen fest, und seine Argumente beeindruckten sie überhaupt nicht. Sie mußte lächeln, als er wie ihre Mutter meinte, sie habe sich einen Männerberuf ausgesucht. Langsam aber geriet Jochen in Zorn. „Menschenskind noch mal! Du spinnst doch! Meinst du, ich hab’ dir dafür Nachhilfe gegeben und...“ „Ich kann ja mit den Pferden englisch sprechen, wenn dich das beruhigt, und obendrein ist das nun schon fast zwei Jahre her“, rief Jani trotzig und ihre grauen Augen funkelten ihn kampflustig an. Es war ihr ein Rätsel, warum Jochen sich so derart gegen ihren Wunsch stemmte. Sonst hatte er doch immer Verständnis! Warum wollte er nicht einsehen, daß sie wirklich für diesen Beruf geeignet war? Bei seinen nächsten Worten wurde sie blaß und das angriffslustige Funkeln in ihren Augen erlosch. „Hör’ mit gut zu Jani! Wenn du bei diesem Plan bleibst, dann sind wir geschiedene Leute! Ich will keine Freundin, die Pferdewirt ist! Hast du mich verstanden?“ Einen Augenblick sah sie ihn fassungslos an. Das konnte er doch nicht im Ernst gemeint haben? Sie waren so lange befreundet, verstanden sich so
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gut und planten fast alles gemeinsam. Er konnte doch nicht einfach den Bestand einer solchen Freundschaft von ihrem Berufswunsch abhängig machen? Aber ein Blick auf sein Gesicht genügte, um sie wissen zu lassen, daß er meinte, was er sagte. „Ich werde Pferdewirt“, preßte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, wendete Navarino in die entgegengesetzte Richtung und galoppierte davon, während ihr die Tränen in die Augen schossen. Wieder einmal hatte sie das Gefühl, völlig einsam und allein zu sein! Und sie war grenzenlos enttäuscht. Es dauerte geraume Zeit, bis ihre Tränen versiegten. Hoffentlich begegnete sie im Stall nicht ihren Freundinnen. Erleichtert atmete sie auf, als sie außer dem Reitlehrer und einigen Schülern niemanden sah. Herr Bensch warf ihr zwar einen überraschten Blick zu, sagte aber nichts. Fortan vermieden Jochen und Jani, sich zur gleichen Zeit im Reitverein aufzuhalten, und da sie sehr genau wußten, wann und zu welcher Zeit der andere Reit stunden belegt hatte, gelang ihnen das meist auch. Bei den wenigen Ausnahmen legte Jochen eine höfliche Frostigkeit an den Tag, die Jani sehr schmerzte. Wieder saß sie stundenlang in Navarinos Box, beschäftigte sich ausgiebig mit dem Wallach und hing ihren traurigen Gedanken nach. Herr Bensch beobachtete sie schweigend. Wann immer dieses Mädchen unglücklich war, suchte es Trost und Hilfe bei Navarino, anstatt sich ihren Freundinnen anzuschließen. Der Reitlehrer seufzte ein bißchen, aber dann lächelte er. In diesem Fall war es vielleicht ganz gut, daß nur der Wallach Janis Verbündeter war. Bei Pferden blieben anvertraute Geheimnisse wirklich geheim. „Herr Bensch! Navarino lahmt!“ Jani stürzte förmlich in sein Büro. „Sie müssen sofort kommen und sich die Sache ansehen!“ Der Wallach lahmte tatsächlich. Zum erstenmal schonte das Pferd das linke Vorderbein. „Das ist mir doch gestern schon so vorgekommen“, murmelte der Reitlehrer und fuhr prüfend mit der Hand über das Bein. „Er wird sich vertreten haben, der Gute! Na, nach all den Jahren kann man ihm wirklich einige Tage Ruhe gönnen! Das wird schon wieder! Du kannst ihm ja das Bein kühlen!“ Aber auch in den nächsten Tagen zeigte sich keine Besserung, im Gegenteil, Navarino lahmte noch stärker als zuvor, und so beschloß Herr Bensch, den alten Dr. Elle anzurufen, der, obwohl er längst das Pensionsalter erreicht hatte, noch immer die Pferde im Reitverein Erlenbruch betreute. Pferde waren Dr. Elles Leidenschaft und auch wenn er sonst nicht mehr praktizierte, für den Reitverein fühlte er sich immer noch zuständig. Auch
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wenn dort die gesündesten Pferde der Welt standen, wie er oft genug lachend behauptete. Außer den obligatorischen Wurmkuren und hin und wieder einmal einer Zerrung oder Prellung und schlimmstenfalls Husten, gab es dort nichts zu behandeln oder zu verarzten. Diesmal jedoch wurde sein Gesicht ernst, nachdem er den Wallach gründlich untersucht hatte. Schweigend kramte er eine Spritze aus seinem Arztkoffer, in jizierte Navarino ein betäubendes Mittel und forderte Jani wenig später auf, den Wallach draußen auf dem Platz zu longieren. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung war nicht mehr das geringste Lahmen zu erkennen. Während sie und der Reitlehrer sich über diesen raschen Erfolg der Be handlungsmethode des Tierarztes freuten, verdüsterte sich die Miene Dr. Elles. „Hm! Das war eine örtliche Betäubung, die ich ge spritzt habe“, begann er erklärend. „Und die Wirkung zeigt mir, daß meine Diagnose richtig sein könnte! Zwar wird erst eine Röntgenaufnahme endgültig Klarheit bringen, aber ich vermute, daß es Hufrolle ist!“ „Hufrolle?“ rief Jani entsetzt, denn sie wußte, was diese Krankheit bedeutete. „Aber dann muß er operiert werden! Man kann das doch operieren!“ Die beiden Männer sahen sich schweigend an. Natürlich konnte man operieren. Ein Nervenschnitt, orthopädischer Beschlag... Nur, das kostete Geld. Navarino würde in einer Klinik operiert werden müssen, denn diesen Eingriff traute Dr. Elle sich in seinem Alter nun doch nicht mehr zu. Hinzu kam, daß Navarino ein bereits 13-jähriges Schulpferd war und für den Verleihbetrieb nach der Operation mehrere Wochen ausfallen würde. In einem solchen Fall war es wirtschaftlicher, das Pferd schlachten zu lassen, dafür den Schlachtpreis zu erhalten und mit dem zusätzlichen Geld der Versicherung ein neues, jüngeres und gesundes Pferd zu kaufen. „Warten wir ab, was das Röntgenbild ergibt“, murmelte Dr. Elle, während er mit seinem tragbaren Röntgengerät eine Aufnahme machte. Zwei Stunden später stand das Ergebnis fest. Navarino hatte Hufrolle, es gab keinen Zweifel. Ernüchtert legte der Reitlehrer den Hörer auf die Gabel und sah Jani an. „Es tut mir leid“, begann er, „aber du weißt, wie es ist. Wir sind ein kleiner Verein und können derartige Kosten nicht tragen. Ich sehe keinen Ausweg. Du wirst dich damit abfinden müssen, daß Navarino getötet werden muß!“ „Nein! Niemals ! Bitte nicht! Man darf doch nicht immer nur an das Geld denken! Es geht doch um Navarino!“ Flehentlich sah sie ihn an und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. „Ich werde das Geld beschaffen! Ich verspreche es! Nur lassen Sie ihn
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nicht töten. Geben Sie mir eine Woche Zeit! Bitte!“ Mitleidig sah der Reitlehrer das Mädchen an. Er wußte ja, wie sehr Jani den Wallach liebte, wie unendlich schwer ihr der Tod ihres Lieblingspferdes fallen würde. Aber woher sollte man das Geld nehmen? „Ich spreche noch einmal mit dem Vorstand“, murmelte Herr Bensch, auch wenn er schon jetzt sicher war, daß dort keine andere Entscheidung getroffen werden konnte. „Eine Woche! Bitte, versprechen Sie es mir“, drängte Jani und der Reitlehrer nickte kurz. Auf eine Woche kam es nicht an, das konnte er verantworten. Ohne ein weiteres Wort wandte Jani sich ab, lief hinüber zum Stall und schlüpfte in Navarinos Box. Während sie Navarino streichelte, überlegte sie fie berhaft. Was sollte sie tun? Wie dieses Geld beschaffen? Je länger sie nachdachte, desto mutloser wurde sie. Tränen begannen ihr über die Wangen zu laufen. Sie mußte es einfach schaffen, sonst war ihr Freund verloren. Ob es vielleicht eine Klinik gab, die Navarino ko stenlos operierte? Wenn man einen Arzt finden würde und ihm persönlich erklärte, warum das Leben Navarinos gerettet werden mußte, würde der dann nicht Verständnis haben? Es ging doch um ein Leben! Um Navarinos Leben! Sie mußte es wenigstens versuchen! Sofort! Sie würde nach Hause fahren, sich aus dem Branchentelefonbuch sämtliche Tierkliniken heraussuchen und eine nach der anderen anrufen. Und sie würde einen Arzt finden, der Navarino half! Es mußte doch Menschen geben, die zu Hilfe bereit waren, ohne Geld dafür zu verlangen! Eilends schlüpfte sie aus der Box, lief die Stallgasse entlang und prallte mit jemanden zusammen. „Entschuldigung“, murmelte sie erschrocken und wollte weiter laufen, als jemand sie am Arm festhielt. „Was ist los mit dir? Warum weinst du?“ fragte Jochen, dem ein Blick in ihr Gesicht genügt hatte, um zu wissen, daß sie todunglücklich war. Und das ließ ihn seinen Entschluß, kein Wort mehr mit ihr zu sprechen, solange sie an ihrem absurden Berufswunsch festhielt, vergessen. „Es ist wegen Navarino“, erklärte Jani tränenerstickt. Plötzlich war die Erinnerung an die letzten Wochen und an Jochens Unerbittlichkeit wie weggewischt. Sie wußte, daß er ihr helfen würde! Sie berichtete ihm von Navarinos Krankheit und der Notwendigkeit, einen Arzt zu finden, der ihn kostenlos operierte, da der Verein die Kosten nicht tragen konnte. „Einen solchen Arzt gibt’s nicht!“ sagte Jochen entschieden und als er Janis enttäuschten Blick sah, fügte er abmildernd hinzu: „Jedenfalls glaube ich nicht, daß du so jemanden finden wirst. Nein, wir müssen das Geld
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irgendwie anders beschaffen.“ Jani betrachtete ihn schweigend, während er angestrengt überlegte. Aber dann lächelte er plötzlich. „Ich hab’s! Wir sammeln das Geld bei allen Schülern! Das kostet jeden einzelnen vielleicht fünfzig Pfennig. Und soviel wird ja wohl jeder übrig haben!“ Jani sah ihn skeptisch an. „Und du glaubst, daß die uns das Geld so ohne weiteres geben? Wenn ich dran denke, wie lange es dauert, bis bei uns in der Klasse das Geld für einen schlichten Blumenstrauß für Frau Hartmann zusammenkommt, dann dauert dein Vorhaben Monate!“ „Ach was! Ich wende mich an die Schulsprecher und die sich an die Klassensprecher, und sie sammeln das Geld ein! Du wirst sehen, das geht in Null Komma nichts über die Bühne! So und jetzt muß ich mich beeilen! Die Reitstunde fängt an. Warte auf mich, du kannst dich ja auf die Tribüne setzen! Bis nachher!“ Jani nickte nur. Herr Bensch bemerkte überrascht, daß Jani ausgerechnet in einer Stunde, in der Jochen ritt, zuschaute. Das hatte es fast ein Vierteljahr nicht mehr gegeben. Und als er die beiden nach Ende der Stunde einträchtig den Stall verlassen sah, nickte er zufrieden. Die Freundschaft würde Jani jetzt sehr brauchen. Und dann lächelte er noch einmal, als Jochen sagte: „Nun komm, du Reitlehrerin in spe“ und dabei seinen Arm um Janis Schulter legte.
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8. Kinder kämpfen um Navarino Ob Jochens Rettungsidee für Navarino wirklich erfolgreich gewesen wäre, scheint fraglich, aber der Zufall kam ihm zu Hilfe. Einer der angesprochenen Schulsprecher war der Sohn eines Journalis ten, und er hatte offenbar die Spürnase seines Vaters geerbt! „Ein blendender Einfall“, rief er hingerissen, ohne Jochens verdutztes Gesicht zu bemerken. „Natürlich auf die Heimatseite! Überschrift fettgedruckt! Zweispaltiger Artikel! Großartig! Los setz dich! Wie heißt das Pferd? Wie alt ist es? Welche Krankheit...“ Fragen auf Fragen prasselten auf Jochen nieder, die er ausführlich beantwortete. Zufrieden steckte der Schulsprecher schließlich seine Notizen ein und schüttelte Jochen die Hand. „Die Sache klappt! Lies Montagmorgen die Zeitung!“ Von diesem Moment an verlief die Rettung Navarinos in einem Rahmen, den Jochen nie geplant und sich in seinen kühnsten Träumen nicht hatte vorstellen können. Am Montag fiel der Blick der Zeitungsleser auf die fettgedruckte Überschrift: „Unsere Schulkinder retten Navarino“ Navarino? Wer war das nun wieder? Neugierig wurde der ausführliche Artikel gelesen, in dem Navarinos Leben im Reitverein Erlenbruch geschildert wurde. „Und dieses treue Pferd soll nun notgeschlachtet werden, da die finanziellen Mittel des Vereins für eine entsprechende Hilfe zu gering sind. Erwachsene hatten sich diesem Urteil gebeugt, nicht so Jochen Weber (17) und seine Reiterfreunde. Sie kamen auf die Idee: Wir Schulkinder sammeln das Geld für die Operation! Und diese Idee wird zünden, dank der zugesagten Unterstützung der Schulsprecher der einzelnen Schulen! Wir wünschen diesem Unternehmen vollen Er folg, und hoffen, daß sie zur Rettung Navarinos führen wird!“ Es war kein Wunder, daß an diesem Mittag fast jedes Schulkind mit der gleichen Frage zu Hause empfangen wurde: „Sammeln sie an deiner Schule auch für Navarino?“ Auch bei den Kindern, die bis dahin an der Rettung Navarinos ziemlich uninteressiert gewesen waren und bei denen der Spendenaufruf der Klassensprecher zu einem Ohr rein und zum anderen raus gegangen war, erwachten plötzlich Mitleid und Hilfsbereitschaft. Fünfzig Pfennig vom Taschengeld hatte man wirklich übrig! Und es gab viele Eltern, die sich auch an der Spendenaktion beteiligen wollten. Jochen erhielt an diesem Nachmittag etliche Anrufe! Die Leiterin eines Altersheimes verlangte zu wis sen, wann sie ihm den Scheck ihres Heimes
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überreichen dürfe, zwei Banken riefen aus dem gleichen Grund an, und schließlich meldete sich der stellvertre tende Bürgermeister und teilte Jochen mit, daß man plane, die Übergabe des Geldes im Rahmen einer kleinen Feierstunde im Gemeindesaal vorzunehmen, bei der er und die Schulsprecher, die Vorstandschaft des Reitvereins, die beteiligten Reiterfreunde und einige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zugegen sein sollten. Natürlich wurde von diesem Ereignis in der Zeitung ausführlich berichtet, und eines der Fotos zeigte Jo chen, wie er gerade einen Scheck aus den Händen der Leiterin des Altersheimes entgegen nahm. Die Sammelaktion hatte den Erfolg, daß Navarinos Operation und sein Klinikaufenthalt ohne Schwierig keiten finanziert werden konnten. In den folgenden Tagen kam Reitlehrer Bensch aus dem Staunen nicht mehr heraus! Die Journalisten erweckten den Eindruck, daß es kaum etwas Wichtigeres gab, als Navarino, sein Leben im Reitverein, seine Krankheit und die Zuneigung aller Reitschüler zu ihm! Navarino wurde ständig fotografiert, mal in seiner Box stehend, mal beim Grasen, mit Kindern, im Portrait oder in voller Größe. Die Zeitungsleser verschlangen jede Neuigkeit! Manch einer fühlte Rührung in sich aufsteigen, als das letzte Bild den Wallach auf der Rampe des Hängers zeigte, der ihn zur Operation in die Tierklinik bringen sollte. Für Jani war der Abschied schwer und Gedanken, daß es ein Abschied für immer sein könnte, beunruhigten sie unaufhörlich, bis endlich die Nachricht eintraf, daß Navarino die Operation gut überstanden hatte! Jani hätte singen mögen vor lauter Freude, und im Reitverein herrschte Hochstimmung! Schon bald würde Navarino entlassen werden können. Zwar mußte er noch einige Wochen stehen, aber er würde doch wenigstens wieder im Reitverein Erlenbruch sein. Auch die Zeitungsleser vernahmen diese Neuigkeit aufatmend, und viele von ihnen faßten den Entschluß, dem Reitverein bald einmal einen Besuch abzustatten, um ihren Schützling persönlich kennenzulernen. Früher als erwartet wurde dann von der Klinik mitgeteilt, daß man Navarino abholen könne. Herr Dr. Lange, der operierende Arzt, hielt einen Transport für ungefährlich. Noch zwei Tage, dann werde ich Navarino wiedersehen, dachte Jani glücklich. Schade war nur, daß Peter bereits am Mittwochmorgen mit dem Hänger zur Klinik fahren würde, zu einem Zeitpunkt also, an dem sie Unterricht hatte. Zu gern wäre sie mitgefahren, um Navarino selbst in Empfang zu nehmen. Jani überlegte zum dutzendsten Male, ob sie an die sem Tag nicht
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einfach die Schule schwänzen sollte? Außer Englisch standen zwei Stunden Sport auf dem Programm und dann noch Musik und Biologie. Versäumen würde sie also kaum etwas. Klassenarbeiten standen auch nicht aus, und da sie seit Jahr und Tag nicht gefehlt hatte, könnten Kopfschmerzen doch wirklich einmal als Entschuldigung herhalten. Wie würde Navarino sich freuen, sie gleich zu sehen! Der verlockende Plan, die Schule zu schwänzen, hatte allerdings zwei Haken. Einer war, daß die Nachricht von Navarinos Heimkehr in der Zeitung stehen würde und ihre Lehrer ihr Fehlen ohne große Schwierigkeiten mit Navarinos Entlassung in Verbindung bringen würden. Der zweite, weit gefährlichere Ha ken, war Reitlehrer Bensch! Wenn der erfuhr, daß sie einfach schwänzte, würde er bestimmt irgendwelche unangenehmen Fragen stellen! Ob Frau Hartmann wohl bereit wäre, sie zu beurlauben? Jani überlegte lange, bevor sie zu dem Schluß kam, daß wirklich nichts dagegen sprach. Sie war in dieser, der letzten Klasse, eine der besten Schülerin nen. Etwas seufzend entschied sie sich, den geraden Weg zu gehen. Die Lehrerin hörte ihr aufmerksam zu und lächelte über die Beredsamkeit des Mädchens. „Von meiner Seite bestehen keine Bedenken“, stellte sie schließlich fest, und versprach, auch mit den anderen Lehrern zu sprechen. Keine der Lehrkräfte hatte etwas gegen Janis Vorhaben einzuwenden. Sie war eine gute Schülerin, und auch ihr Verhalten in der Schule war stets einwandfrei. Warum sollte man ihr diese Bitte nicht gewähren? Es war schließlich anständig von ihr, nicht einfach die Schule zu schwänzen, sondern um Erlaubnis zu bitten! In der Nacht vor der Fahrt schlief Jani sehr unruhig. Immer wieder schreckte sie aus ihren Träumen hoch. Die Zeiger des Weckers, den sie auf sechs Uhr morgens gestellt hatte, schienen sich überhaupt nicht zu bewegen. Erst früh morgens schlief sie ein und fühlte sich wie gerädert, als der Wecker klingelte. Doch die frische Morgenluft ließ sie schnell munter werden, und die Vorfreude auf Navarino tat ein übriges. „Guten Morgen“, begrüßte sie Peter strahlend, der bereits den Hänger an den Wagen kuppelte. „Morgen“, brummelte Peter zurück. War er schon tagsüber nicht gerade zu munterer Unterhaltung aufgelegt, so war seine Stimmung zu dieser Uhrzeit nur mit dem Wort miserabel zu beschreiben. Aber das störte Jani nicht. Von ihr aus konnte er murren und knurren, soviel er wollte, ihr war das gleichgültig! Hauptsache, er fuhr sie zur Klinik und damit zu Navarino! Die lange Fahrt verging fast in völligem Schweigen, und Jani hing ihren Gedanken nach. Wie würde Navarino sich freuen, sie wiederzusehen! Ob er wohl noch lahmen würde? Hatte man ihn auch gut gepflegt? Aber bei
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diesem Gedanken huschte ein Lächeln über ihr Ge sicht. Es war ganz egal, ob Navarino so sorgfältig geputzt worden war, daß sein Fell seidig schimmerte! Selbst wenn er völlig verstrubbelt sein sollte, in ein bis zwei Tagen würde er wieder tadellos aussehen! Alles, was zählte, war, daß er gesund nach Erlenbruch zu rückkehrte. Wie sehr hatte sie ihn schon in dieser kurzen Zeit vermißt! „Das isses!“ brummte Peter mißmutig, bog in eine Toreinfahrt und hielt schließlich vor dem langgestreckten Gebäude. „Kann ich ihn abholen und rausbringen?“ bat Jani, und Peter nickte. Dieses Angebot kam ihm gerade recht. Er würde Zeit für eine Zigarette haben und brauchte sich nicht sämtliche Anordnungen für die weitere Pflege Navarinos anzuhören und einzuprägen. Jani würde das alles mit Leichtigkeit behalten, denn wenn es um Navarino ging, war sie mehr als zuverlässig. Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich behaglich zurück. Jani öffnete die Tür, die mit dem Schild „Büro“ versehen war, stellte sich vor und bat, daß man sie zu Na varino führen möge. „Sofort, Fräulein Brückner! Aber bitte unterschreiben Sie hier noch das Entlassungsformular! Eine Ko pie ist für Sie. Wenn Sie die bitte an den Vorstand, Herrn Behrensen, weiterreichen würden.“ Jani nickte und setzte ihre Unterschrift in die dafür vorgesehene Spalte. Dann folgte sie der Sekretärin hinaus auf den Gang, bis zu einer Tür am Flurende. „Fräulein Brückner ist hier, um Navarino abzuholen, Herr Dr. Lange“, sagte die junge Frau und verabschiedete sich mit einem freundlichen Kopfnicken. Das also war Dr. Lange, der Navarino operiert und damit gerettet hatte! Der Arzt war schlank und hochgewachsen, mit leicht hängenden Schultern und etwas schütterem Haar, aber Jani sah ihn mit einem Blick an, mit dem andere Leute sonst gefeierte Filmstars zu betrachten pflegen. „Ich danke Ihnen“, sagte sie anstelle einer Begrüßung, und Dr. Lange schüttelte ihr lächelnd die Hand. Ehe er etwas sagen konnte, mußte Jani unbedingt loswerden, warum sie und der ganze Reitverein dem Arzt so herzlich dankbar waren. Schmunzelnd hörte er ihr zu, denn einer derart begeisterten Pferdenärrin war er noch nie begegnet... und einem solchen Wunderpferd wie Navarino natürlich auch nicht! Bereitwillig beantwortete er danach all ihre Fragen und meinte abschließend: „So! Dann wollen wir mal! Du wirst neugierig auf deinen Pferdeliebling sein! Das heißt, eigentlich müßte ich wohl schon ,Sie’ sagen, nicht?“ endete er überlegend. „Aber nein“, versicherte Jani ihm lachend. „Ich mag es eigentlich viel lieber, wenn man mich duzt! Und außerdem haben Sie ja Navarino
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operiert!“ „Das ist natürlich ein ausgezeichneter Grund beim ,Du’ zu bleiben“, grinste der Arzt, und Jani zwinkerte ihm vergnügt zu, bevor sie sich erkundigte, ob Navarino wohl Apfelschnitze und Schwarzbrot fressen dürfe, denn beides gehöre zu seinen begehrtesten Leckerbissen. Jani hatte sie zur Begrüßung mitgebracht. „Fressen darf er alles, allerdings fragt sich, ob er es nimmt. Mit der Fütterei haben wir ein wenig Schwie rigkeiten gehabt. Vermutlich vermißt er seinen heimischen Stall und die gewohnte Umgebung, denn durch die Operation kann dieser Appetitmangel nicht her- vorgerufen worden sein. Du wirst ihn ein bißchen abgemagert finden, aber das holt er schnell wieder auf!“ Obwohl Jani durch diese Worte darauf vorbereitet war, Navarino nicht so wohlgerundet vorzufinden, wie es seinem normalen Zustand entsprach, war sie bei seinem Anblick entsetzt! „Oh, du Armer“, flüsterte sie und wollte liebevoll ihre Arme um seinen Hals legen, als der Wallach abwehrend zurückwich! „Navarino! Ich bin es doch!“ Jani konnte es überhaupt nicht fassen, daß das Pferd keinerlei Wiedersehensfreude zeigte, im Gegenteil, er musterte sie miß trauisch. Tränen stiegen ihr in die Augen! Wie sehr hatte sie sich auf dieses Wiedersehen gefreut, und jetzt erkannte Navarino sie überhaupt nicht! Ruhig und gleichmäßig sprach sie auf ihn ein, bis sich die Ohren ein wenig spitzten und die Pferdeaugen auf ihr ruhten, dunkle sanfte Augen, in denen kein Schimmer des Erkennens lag, aber wenigstens auch kein Mißtrauen mehr. Langsam trat Jani näher, bis ihre Finger das weiche Maul berührten und ihm sanft über die Lippen strichen. Navarino stand still. Nicht eine Muskel rührte sich. „Na komm, mein Lieber! Jetzt geht’s nach Hause! Nach Hause, verstehst du?“ Die Pferdeohren spitzten sich stärker, langsam schien Interesse in den Augen zu erwachen, und Jani schob ihm vorsichtig einen Apfelschnitz zwischen die Lippen. Einen Moment schien das Tier überrascht zu sein, was ihm da zugesteckt worden war, dann begann es bedächtig zu kauen. Dr. Lange betrachtete Pferd und Mädchen schweigend. Mit ruhigen Bewegungen streifte Jani Navarino das Halfter über und vergewisserte sich, daß der Führstrick eingeklinkt war. Dann wandte sie sich zum Ge hen, und das Pferd folgte ihr mit gesenktem Kopf. „Du kannst mit Pferden umgehen! Laß dich nicht dadurch entmutigen, daß die Wiedersehensfreude ein bißchen mager ausfiel! Der wird schon wieder! Alles Gute!“ Grüßend hob er die Hand, als er den beiden die Tür
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aufhielt. Navarino ging langsam und schien mit den Hufen den Boden abzutasten. Seine ganze Haltung strahlte Resignation und Gleichgültigkeit aus, und das Mädchen hatte Mühe, ihre mitleidigen Tränen zu unterdrücken und dem Wallach aufmunternd und tröstend zuzusprechen. Peter hatte inzwischen die Rampe heruntergelassen und erwartete sie. Je näher die beiden kamen, desto mehr weiteten sich seine Augen, aber alles was er von sich gab, war eine Art Grunzen, hinter dem er seine Betroffenheit verbarg. Mit sicheren Bewegungen führte er das Pferd die steile Rampe hinauf, schien zu spüren, wo Navarino ins Stolpern geraten konnte, und seine energischen Hände halfen dem Tier, unbeschadet in den Hänger zu gelangen. Auch die Rückfahrt verlief in völligem Schweigen, und das Begrüßungskomitee vor dem Reitstall Erlenbach sah statt strahlender Gesichter ernste Mienen. Als sie Navarino endlich selbst zu Gesicht bekamen, verstanden sie das allerdings völlig. Zum zweitenmal in seinem Leben bezog Navarino eine Box im Quarantänestall, diesmal allerdings, weil man ihm Ruhe gönnen wollte, die bei der Betriebsamkeit und dem ständigen Kommen und Gehen im anderen Stall nicht gewährleistet war. Kurze Zeit später hockte Jani bei ihm in der Box, wie schon so oft, aber Navarino schien ihre Gegenwart weder als störend, noch als angenehm zu empfinden. Auch als Jochen sich schließlich zu ihnen gesellte, hob er nur kurz den Kopf und öffnete die Augen ein wenig. Dann ließ er die Lider müde sinken.
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9. Navarino und das Reiterpicknick Es dauerte nur wenige Tage, bis Navarino aus seiner Erstarrung erwachte und wieder das zutrauliche Verhalten zeigte, das Jani von ihm gewohnt war. Endlich begrüßte er sie wieder mit leisem Schnobern und gespitzten Ohren. Interessiert verfolgten seine dunklen Augen jede Bewegung des Mädchens, und er genoß die langen Stunden, die sie bei ihm in der Box verbrachte, leise mit ihm sprach und ihn zärtlich hinter den Ohren kraulte. Die Freundschaft zwischen Pferd und Mädchen wurde noch enger. Wenn Navarino auch begierig die Leckerbissen entgegennahm, die ihm Janis Freundinnen zusteckten, so erlosch doch sein Interesse an ihnen, kaum daß er die zahllosen Apfelschnitze und trockenen Brotstücke heruntergeschluckt hatte. „Du bist vielleicht ein Typ!“ tadelte Katja ihn kopfschüttelnd, als er ihrer streichelnden Hand auswich und der neben ihr stehenden Jani liebevoll mit dem Maul durch das Haar fuhr. „Den Apfel hast du von mir gekriegt, nicht von Jani. Also bedank dich gefälligst...“ „Ach, laß ihn“, murme lte Jani und schlang liebevoll ihre Arme um seinen Hals. „Er meint’s ja nicht so!“ Navarino prustete bestätigend durch die Nüstern, fuhr prüfend schnobernd über Janis Pullover und schloß dann zufrieden die Augen, als sie ihm sanft die Kehle rieb. Kehle und Ohren waren Stellen, die sich nur schlecht mit den Hufen erreichen ließen, und an denen man sich auch nicht an Pfosten oder Gitterstäben zufriedenstellend schubbern konnte. Es waren herrliche Wochen für Jani und Navarino. Wochen, die ihnen ganz allein gehörten, und in denen sich Navarino zusehends von der Operation erholte. Als er erstmals wieder im gewohnten Tempo im Schritt vorwärts ging und auch nicht das leiseste Zögern zu bemerken war, stiegen Jani Tränen in die Augen. Jetzt konnte sie endlich sicher sein, daß er wieder ganz gesund werden würde. Die langen Wochen der Angst und Sorge waren vorbei. Von nun an waren täglich Fortschritte zu verzeichnen und acht Wochen nach der Operation entschied Dr. Elle, daß der Wallach ohne weiteres wieder im Schulbetrieb mitgehen konnte. Anfangs nur eine Stunde, bis er seine gewohnte Kondition wieder erreicht hatte. Kurze Zeit später ging der übliche Kampf um Navarino wieder los, und Reitlehrer Bensch wurde von allen Seiten stürmisch bedrängt, wenn er die Pferdeeinteilung vornahm. Die letzten Monate der Schulzeit vergingen ungeheuer schnell, und dann kam der ersehnte Tag der Schulentlassung, die Verteilung der
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Abschlußzeugnisse und die festliche Verabschiedung der 10. Klassen in der Aula. Jani gelang es einfach nicht, sich auf die vielen Re den und guten Wünsche zu konzentrieren, denn immer wieder schweiften ihre Gedanken in die nahe Zukunft. Jetzt endlich begann ihr Leben erst richtig. Von morgens bis abends würde sie in Navarinos Nähe sein und einer Arbeit nachgehen, die sie sich immer gewünscht hatte. Erst der Beifall für den letzten Redner ließ sie in die Gegenwart zurückkehren, und wenig später stand sie mit Jeanette, Ute und Susi auf dem Schulhof. „Ich kann es noch gar nicht richtig fassen, daß wir nun nicht mehr jeden Morgen da reingehen werden“, sagte Jeanette und deutete ungläubig auf die Schultür. „Nun behaupte nur noch, daß du die Schule vermis sen wirst! Dein Gejammere, daß du die vergangenen vier Jahre dazu verpflichtet warst, kennen wir doch alle!“ Ute versetzte Jeanette einen freundschaftlichen Knuff, und das Mädchen lachte. „Nee! Vermissen bestimmt nicht! Aber ein komisches Gefühl ist es trotzdem!“ „Ach was! Ich wette, daß du gar keine Zeit haben wirst, dich daran zu erinnern. Und außerdem, Tür ist Tür!“ „Ist sie nicht!“ protestierte Jani sofort. „Die Tür zum Reitstall hat mir schon immer besser gefallen als jede andere!“ Die Mädchen lachten. Jani war die einzige, die der Ausbildungszeit mit wahrer Begeisterung entgegensah und eine der wenigen, die ziemlich genau wußten, was sie erwartete. Jeanette, Ute und Susi hatten bisher nur recht verschwommene Vorstellungen von den Anforderungen, die an Krankenschwestern, Industriekaufleute und Fotolaboranten gestellt wurden. „Irgendwie muß so ein Tag gefeiert werden“, stellte Jeanette jetzt fest und schüttelte nur den Kopf, als Susi sie daran erinnerte, daß die Klasse genau das heute Abend mit einer Grillparty am Baggersee tun würde. „Nee! Anders! Nur wir vier, meine ich!“ „Wie wär’s mit einem Eis im Rialto?“ schlug Susi vor. „Oder Pizzaessen in ,La Gondola’?“ fragte Ute. Aber diese und auch noch weitere Vorschläge waren nicht das, was sich Jeanette vorstellte, und schließlich beendete Jani die Diskussion, indem sie feststellte, daß sie auf jeden Fall erst einmal mit Navarino ins Ge lände gehen würde. Feiern konnte man immer noch. „Gute Idee! Ich komme mit“, rief Jeanette sofort und dann kam ihr eine herrliche Idee. „Jetzt weiß ich, wie wir diesen Tag gebührend feiern können! Nicht heute, aber am nächsten Sonntag! Laßt uns doch ein
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zünftiges Reiterpicknick veranstalten! Wir fragen Herrn Bensch, ob wir mit den Pferden den ganzen Tag unterwegs bleiben dürfen und nehmen Rucksäcke und Proviant mit! Ich wette, Jochen, Katja und Bettina und Regina machen auch mit...“ „Und wir?“ erkundigten sich Ute und Susi empört, während Jani Jeanette daran erinnerte, daß Jochen schon morgen nach Frankreich fuhr. „Richtig! Hatte ich ganz vergessen! Aber ihr?“ Jeanette warf ihren Schulfreundinnen einen etwas schuldbewußten Blick zu und überlegte mit gerunzelter Stirn, wie dieses Problem zu lösen sei. „Ich hab’s!“ verkündete Jani strahlend. „Ihr kommt mit den Fahrrädern zu diesem Picknick, und wir treffen uns alle am alten Wasserturm. Dort haben wir eine herrliche Aussicht, Tische und Bänke gibt’s auch und obendrein noch einen Bach, um die Pferde zu tränken. Sie können dort in aller Ruhe grasen, während wir alle einen herrlichen Tag miteinander verleben!“ endete sie zufrieden. „Prima!“ freute sich Susi. „Wir können dann auch Kühltaschen mitnehmen, damit die Getränke kalt bleiben. Ach, und Salate mache ich uns! Mensch, das wird ein Tag!“ Die Mädchen standen noch eine ganze Zeit zusammen und besprachen die Einzelheiten. Der alte Wasserturm war über die Bundesstraße mit dem Rad in etwa einer halben Stunde zu erreichen. Die Pferde würden allerdings erheblich länger brauchen, über Feldwege und durch den Wald würde man bestimmt zwei Stunden benötigen. Genau die richtige Distanz für einen Tagesausritt. Aber würde der Reitlehrer einen derartigen Ritt erlauben? „Wenn Katja dabei ist, bestimmt!“ meinte Jani. „Und außerdem ist in der Ferienzeit sowieso nicht mehr soviel los im Reitverein. Da schadet es gar nichts, wenn sie mal vier Stunden ins Gelände gehen, und Montag ist ja Ruhetag! Hauptsache Katja macht mit!“ Katja, Regina und Bettina waren von dem geplanten Reiterpicknick begeistert. Herr Bensch lachte, als ihm die fünf Mädchen ihren Wunsch vortrugen und sich in Versprechungen und Versicherungen förmlich übertrumpften. Man würde ganz vorsichtig reiten und die Pferde auf keinen Fall überanstrengen! Galopp höchstens über ein einziges Stoppelfeld! Keinen einzigen Sprung über Wassergräben oder umgestürzte Baumstämme! Hauptsächlich Schritt und Trab... Der Reitlehrer gab die Erlaubnis. Aber es war Jani, an die er sich wandte. Ihr, nicht Katja, übertrug er die Verantwortung für Pferde und Reiter, und Jani fühlte sich plötzlich sehr erwachsen. Sie würde sein Vertrauen in sie ganz bestimmt nicht enttäuschen! Und wenn sie die gesamte Strecke im Schritt entlangzuckelten, damit nichts passierte! Als sie sich am frühen Sonntagmorgen im Stall tra fen, hingen noch dunkle Regenwolken am Himmel, und die Mädchen sahen sich bedrückt an.
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Würde ihr schöner Ausritt ins Wasser fallen? Aber kaum waren alle Pferde geputzt, klarte der Himmel plötzlich auf, und innerhalb einer Viertelstunde schien die Sonne von einem fast wolkenlos blauem Himmel. „Halfter? Führstricke? Hufauskratzer? Bandagen? Habt ihr alles?“ erkundigte Jani sich, als die Pferde herausgeführt wurden, und ihre Freundinnen nickten bestätigend. Ihre prall gefüllten Rucksäcke enthielten nicht nur Eßbares, und sie alle freuten sich, daß Ute und Susi den größten Teil des Proviantes mit den Fahrrädern zum Wasserturm beförderten. Die Pferde schnaubten und prusteten zufrieden, als sie die Reitanlage verließen, und Jani strich Navarino zärtlich über den Hals. Sie wußte, daß er und die anderen viel lieber ins Gelände gingen, als auf dem Platz oder in der Halle zu arbeiten. Schon bald hatten sie den Wald erreicht und trabten an. Auf dem weichen Waldboden waren die Huftritte nur gedämpft zu vernehmen, und eine ganze Zeit trabten sie in der Stille dahin, ohne sich zu unterhalten. „Schön, nicht?“ sagte Katja schließlich, als sie zum Schritt durchparierten und deutete auf die flirrenden Sonnenstrahlen, die zwischen Blättern und Zweigen hindurch auf den Waldboden fielen. „Hört mal, ein Kuckuck“, rief Jeanette plötzlich und zügelte ihre Hamada. Alle anderen hielten ebenfalls an und zählten leise mit, wie oft der Kuckuck noch schrie. „Siebenundneunzig“, murmelte Bettina andächtig, als der Vogel schließlich verstummte. „Stellt euch vor, wenn es stimmt, daß man noch so lange lebt, wie der Kuckuck ruft. Dann würde ich 113 Jahre alt werden!“ „Schauderhafter Gedanke“, lästerte Katja sofort, und die anderen lachten. Wenig später endete der Wald, und vor ihnen lagen Stoppelfelder und Wiesen, die zu einem Galopp einluden. Zwar ermahnte Jani alle, nicht zu schnell zu reiten, aber es waren die Pferde, die das Tempo bestimmten. Es machte ihnen richtig Spaß, sich einmal ordentlich zu strecken. „Herrlich!“ seufzte Jeanette, nachdem sie durchpariert hatten und die Zügel hingaben. „Alles, was mir jetzt fehlt, ist etwas zu Trinken. Es kann doch gar nicht mehr so weit sein, oder?“ „Höchstens noch eine halbe Stunde, schätze ich“, antwortete Regina und zog eine Wanderkarte aus der Satteltasche, die sie aufmerksam studierte. „Hier sind wir jetzt!“ Sie zeigte auf eine Stelle der Karte, und alle beugten sich neugierig vor, um einen Blick darauf zu werfen. „Da vorn müssen wir rechts abbiegen, dann geht’s ein kurzes Stück bergauf, und von da müßten wir den Wasserturm schon sehen können. In spätestens 20 Minuten sind wir dort!“ Nach dieser Erklärung steckte Regina die Karte wieder ein. Sie hatte sie ohnehin nur mitgenommen, falls sie sich
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verirren sollten, was ziemlich unwahrscheinlich war. Um den Pferden Ruhe zu gönnen, ritt man die kurze Anhöhe im Schritt hinauf. „Na bitte! Was hab’ ich gesagt! Da ist er schon!“ Regina war sehr mit sich zufrieden. Sie hatte ihre Freundinnen sicher und ohne Umwege geführt und erwartete ganz offensichtlich ein Lob, das jedoch ausblieb, denn... „Jani! Hamada lahmt!“ Jeanettes Worte ließen alle entsetzt zusammenfahren, und Jani fühlte einen eis kalten Schauer über ihren Rücken laufen. „Aber wieso denn?“ stieß sie hilflos hervor. „Ist sie gestolpert?“ Aber Jeanette schüttelte nur den Kopf, rutschte aus dem Sattel und hielt die Stute am Zügel. Auch die anderen stiegen ab, und Katja übernahm wortlos die Zügel von Navarino, während Jani auf Hamada zuging. Vorsichtig tastete sie die Beine der Stute ab. Nirgends war eine Verletzung zu sehen, nirgends eine Schwellung zu fühlen. „Führ sie mal ein Stück“, forderte Jani Jeanette auf und wurde blaß, als sie sah, daß Hamada die rechte Hinterhand stark schonte. In diesem Augenblick wünschte sie nichts sehnlicher, als daß sie diesen Ritt nie unternommen hätten. Was würde Herr Bensch sagen? Und was sollte sie jetzt tun? Die anderen sahen sie schweigend an. Niemand hätte in diesem Moment mit ihr tauschen mögen. Es war eine Sache, Verantwortung zu haben, eine andere, sie dann auch tragen zu müssen! Jani zwang sich zur Ruhe und sah Jeanette forschend an. „Wann ist dir aufgefallen, daß sie lahmt? War es nach dem Galopp?“ „Nein! Ehrlich nicht! Sie ging völlig klar, bis wir von dem Schotterweg auf diese Wiese hier herauf abbogen. Seit sie lahmt, bin ich bestimmt nicht mehr als zehn Meter mit ihr geritten. Und sie ist wirklich nicht gestolpert! Es war gar nichts!“ Jeanette war den Tränen nahe, und die anderen sahen sie mitleidig an. Jani stand mit gerunzelter Stirn da und überlegte. Irgend etwas an dem, was Jeanette gesagt hatte, war bedeutungsvoll. Und dann wußte sie auch, was es war. Rasch bückte sie sich und hob den Huf der Stute. Aufmerksam betrachtete sie den Hufstrahl, das Eisen und den Hufrand: und dann lächelte sie. „Schnell, gib mir mal ’nen Hufauskratzer“, forderte sie energisch und setzte dann erklärend hinzu: „Hamada fehlt nichts. Es hat sich lediglich ein Steinchen zwischen Hufeisen und Huf verklemmt und das drückt natürlich! Genauso, als wenn wir einen Stein im Schuh haben!“ Donnerwetter. Die Mädchen sahen Jani bewundernd an. Das war schon toll, was sie alles wußte. Nie wären sie auf die Idee gekommen, daß sich ein Stein im Huf so verkanten konnte, daß es Schmerzen verursachte.
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„So, fertig!“ Aufatmend tätschelte Jani der Stute den Hals und forderte Jeanette auf, sie erneut ein Stück zu führen. Die ersten Tritte setzte Hamada den Fuß nur zögernd auf, ganz so, als erwarte sie den Schmerz, aber schon nach kurzer Zeit ging sie wieder völlig klar. „Auf geht’s“, meinte Katja erleichtert, als alle wie der im Sattel saßen. „Ich hoffe, daß Ute und Susi schon da sind! Fehlt nur, daß die auch ’nen Platten gehabt haben und jetzt irgendwo das Fahrrad flicken müssen!“ „Auch ’nen Platten?“ wiederholte Bettina überrascht. „Na, wie Hamada natürlich! Oder wie willst du das sonst nennen?“ Und dann brachen alle in schallendes Gelächter aus, und die Pferdeohren spitzten sich. In vergnügter Stimmung trabten sie hinüber zum Wasserturm und ihr Ge lächter und das Hufgetrappel kündigte sie schon von weitem an. „Da seid ihr ja endlich! Wir haben schon gedacht, ihr hättet euch verirrt!“ Ute und Susi waren doch sehr erleichtert, daß die Mädchen wohlbehalten eintrafen. „Mensch! Sieht ja toll aus“, sagte Jani bewundernd. „Du meine Güte! Sogar ein Tischtuch und Servietten! Ist ja fürstlich!“ Einer der großen Holztische war mit einem blau-weiß karierten Tischtuch gedeckt, und auf ihm standen zwei große Schüsseln mit Plastikdeckeln, Plastiktellern und Bestecken, sowie mehreren Platten, die noch mit Alufolie abgedeckt waren. „Was ist denn in den Schüsseln?“ wollte Jani wissen. „Meine Salate!“ antwortete Susi stolz. „In dem da ist Kartoffelsalat! Aber guck mal! Hier!“ Eilig nahm sie den Deckel ab und hielt Jani die Schüssel hin. Navarinos Nüstern weiteten sich verlangend. Das roch ja unwahrscheinlich verlockend! „Geraspelte Mohrrüben in Schlagsahne! Und ich sag dir, das schmeckt einmalig! So gut sind sie mir noch nie gelungen!“ Jani nickte zu Susis Worten, und wenn Navarino jedes Wort verstanden hätte, hätte er auch genickt. So jedoch sog er nur genießerisch den Duft ein und war ziemlich enttäuscht, als die Schüssel zurück auf den Tisch wanderte. „Ich komme um vor Hunger“, behauptete Jeanette und bis auf Jani folgten alle ihrem Beispiel, sattelten die Pferde ab und streiften ihnen die Halfter mit den Führstricken über. Im Gegensatz zu Ute hatte Susi keine Angst vor Pferden und streichelte Navarino liebevoll, während Jani vom bisherigen Verlauf des Ausrittes berichtete. Susi half Katja beim Aufhalftern und gerade als Ute Jani auffordern wollte, Navarino doch auch zu den anderen Pferden hinüber zu bringen, schrie Jeanette auf.
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„Jani! Schnell! Hamada ist frei!“ Überrascht sahen sich alle nach ihr um. Tatsächlich! Der Stute war es irgendwie gelungen, das Halfter abzustreifen. Jetzt wich sie erschreckt vor dem Mädchen zurück, das sie wieder aufhalftern wollte. Da Jeanette in ihrer Angst, Hamada könnte davonrennen, viel zu laut sprach und ihre Bewegungen zu hastig waren, wurde die Stute immer nervöser. „Bleibt stehen! Bleibt alle stehen!“ rief Jani mit gedämpfter Stimme, stieg eilig von Navarinos Rücken und drückte Ute wortlos die Zügel in die Hand. Bevor sie mit ruhigen Schritten auf die Stute zuging, riß sie noch schnell ein Grasbüschel ab und hielt es Hamada lockend entgegen. Mit leistet Stimme sprach sie auf das Tier ein, und schon bald spitzten sich die Pferdeohren aufmerksam. Aber das sah Ute schon gar nicht mehr. Sie sah nur Navarinos gespitzte Ohren und glaubte, ein gefährliches Funkeln in seinen dunklen Augen zu entdecken. Sie schienen starr auf sie gerichtet zu sein, und dann blähten sich seine Nüstern! Zu Utes Entsetzen kam Navarino direkt auf sie zu! Ängstlich wich sie Schritt um Schritt zurück, doch Navarino folgte ihr zielstrebig, bis sie rücklings gegen den Holztisch stieß und eilig nach links auswich. „Jani, hilf mir!“ rief sie, aber niemand achtete auf sie. Jani war es gerade gelungen, Hamada am Stirnschopf zu ergreifen. Mit der freien Hand nahm sie das Halfter entgegen, das Jeanette ihr reichte. Würde die Stute sich aufhaltern lassen? In diesem spannenden Augenblick achtete keines der Mädchen auf Utes Hilferuf. Katja gab nur ein mahnendes „Pst“ von sich. Zu Utes Erleichterung schien Navarino jedoch das Interesse an ihr verloren zu haben und gleich darauf wußte sie auch warum! Das Pferdemaul senkte sich in die Plastikschüssel mit den geraspelten Mohrrüben! Zufrieden begann Navarino zu kauen! „Geh da weg!“ forderte Ute ihn auf und zupfte am Zügel, aber weder ihre leise Stimme, noch der sanfte Zügelzug machten irgendeinen Eindruck auf Navarino. So etwas Schmackhaftes wie geraspelte Mohrrüben in Schlagsahne war ihm schließlich noch nie geboten worden! Es hätte schon eines erheblich energischeren Tonfalles und einer strafenden Parade bedurft, um ihn von dieser Köstlichkeit zu vertreiben! Als Hamada schließlich aufgehalftert und sicher angebunden war, hatte Navarino den Salat verzehrt, pru stete zufrieden durch die Nüstern und betrachtete Ute aufmerksam, die ihn ihrerseits ängstlich musterte. Aber noch bevor das Pferd sein Vorhaben, sich dankbar an dem Mädchen zu schubbern, ausführen konnte, kamen die Freundinnen heran, und Jani nahm Ute die Zügel aus der Hand. „Er hat alles aufgefressen“, sagte Ute anklagend und wich
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vorsichtshalber einige Schritte zurück. „Er hat was?“ erkundigte sich Bettina überrascht, aber da hatten die anderen schon die leere Schüssel entdeckt. Katja, Regina und Jeanette brachen in schallendes Gelächter aus, während Jani Navarino ungläubig ansah. Nicht nur sie, sondern auch Susi bemerkte die verräterischen Salatreste am Trensengebiß, und über Janis Gesicht huschte ein verschmitztes Lächeln, während Susi dem Wallach einen wütenden Blick zu warf. „Du verfressenes Mistvieh!“ schimpfte sie aufgebracht. „Navarino kann doch gar nichts dafür!“ verteidigte Jani ihren Liebling sofort. „Ute ist schuld! Warum hast du ihn denn nicht festgehalten?“ Ja, warum nicht? Utes Erklärungen stießen auf Unverständnis. Wie konnte man nur vor einem so friedlichen Pferd wie Navarino Angst haben? Gefährlich funkelnde Augen? Unsinn! Entsetzlich geblähte Nüstern? Mann, der hatte doch nur den Salat gerochen! „Na, egal! Gefressen hat er ihn nun mal, daran ist nichts mehr zu ändern!“ entschied Katja schließlich. „Wie gut, daß alles andere noch verschlossen war! Wer weiß, ob der in seiner Gier nicht auch noch den Kartoffelsalat geschluckt hätte!“ Die Mädchen lachten, und während Jani Navarino hinüber zu den anderen Pferden brachte und absattelte, trafen sie die letzten Vorbereitungen für das Mittagessen. „So, jetzt setzt euch alle hin! Ich mache noch ein paar Aufnahmen, bevor wir essen!“ Susi hatte wirklich an alles gedacht, sogar an einen Fotoapparat. Sie meinte, daß der Tisch mit einer Schüssel weniger nicht ganz so üppig wirke, aber das stimmte wirklich nicht. Es war kaum noch ein Stückchen Tischtuch zu erkennen, und Jeanette lief das Wasser im Mund zusammen. Sie würde mit Schnitzel und Kartoffelsalat anfangen, dann ein, zwei Frikadellen, mindestens eines dieser gefüllten Baguettebrote, dann eine Hähnchenkeule... „So, und jetzt tut so, als ob ihr mit dem Essen anfangen wollt“, forderte Susi alle auf. „Wir tun nicht nur so, wir fangen an“, erklärte Jeanette bestimmt und ergriff die Salatschüssel. Wenig später herrschte Schweigen am Tisch, nur hin und wieder ertönte ein undeutliches: „Köstlich!“, oder „Ausgezeichnet!“, bis Regina sich seufzend zurücklehnte. „Ich platze gleich!“ verkündete sie zufrieden. „Und wenn nicht ich, dann meine Hose! Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich meine uralte angezogen, die ist ausgeleiert und...“ „Mach doch den Knopf auf“, schlug Ute hilfreich vor, und alle lachten über Reginas zweifelnden Ge sichtsausdruck. Die Freundinnen verbrachten herrliche Stunden am Wasserturm,
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genossen die warmen Sonnenstrahlen und amüsierten sich über einige mutige Spatzen, die sich bis auf wenige Meter an sie herantrauten und gierig die Brotkrumen aufpickten, die die Mädchen ihnen zuwarfen. Auch von ihnen machte Susi einige Aufnahmen und dann natürlich von den Pferden, wie sie am Bach tranken, zufrieden grasten und in der Sonne dösten. „Zu schade, daß ich Navarino nicht fotografieren konnte, während er den Salat fraß“, stellte sie schließlich bedauernd fest. „Ach, das stellen wir einfach nach! Los, räumt mal ein bißchen auf. Legt die Folie wieder über die Platten, in die Salatschüssel kommt ein bißchen Gras, und dann kann er fressen!“ Katjas Vorschlag wurde mit Begeisterung angenommen, und nur Ute war gar nicht davon angetan, daß sie zum zweiten Mal an diesem Tag Navarino am Zügel halten sollte. Die anderen amüsierten sich köstlich über ihren ängstlichen Gesichtsausdruck, während Susi ihre Bilder schoß. „Täuschend echt“, lästerte Katja. „Jetzt wissen wir wenigstens, wie du vorhin ausgesehen hast, du Angsthase!“ Viel zu schnell wurde es Zeit, den Heimweg anzutreten. Schon bald waren die Pferde gesattelt, und Susi verknipste den Rest des Filmes, damit sie ihn am Montag gleich zum Entwickeln geben konnte. „Ko mmt gut nach Hause! Und bis bald“, riefen Ute und Susi und winkten den Reiterinnen nach, bis sie außer Sicht waren. Sie hatten einen herrlichen Tag am Wasserturm verbracht.
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10. Die Ausbildung „Na, Jani! Heute fängt also der Ernst des Lebens an“, begrüßte Reitlehrer Bensch sie, als sie pünktlich an ihrem ersten Arbeitstag im Stall erschien. „Jetzt gehen wir erst einmal ins Büro und besprechen den heutigen Arbeitsplan. Später werden wir das wöchentlich erledigen.“ Jani nickte und hörte ihm aufmerksam zu. Sie freute sich, als sie erfuhr, daß sie für die sieben Schulpferde verantwortlich sein würde, also auch für Navarino! Abschließend meinte Herr Bensch, daß sie mit diesem Programm für heute vollauf beschäftigt sein werde. Vollauf beschäftigt? Du lieber Himmel! Wenn sie das bloß alles schaffen würde! Mit Feuereifer stürzte sie sich in die Arbeit. Erst in der Mittagspause fand Jani Zeit, ein bißchen bei Navarino zu sitzen. Flüsternd vertraute sie ihm an, daß sie bereits hundemüde sei und ihr jeder Knochen im Leib weh tue. Aufmunternd stupste Navarino sie gegen die Brust und schnoberte zärtlich. Als sie an diesem Abend nach Hause radelte, war sie so erschöpft, daß sie zum erstenmal ihr Rad den Berg hinauf schieben mußte. So hart hatte sie sich die Ausbildung nicht vorgestellt. Dabei waren es fast ausschließlich bekannte Arbeiten, die sie zu verrichten hatte. Nur mit dem Unterschied, daß sie heute nicht nur Navarinos Box ausgemistet hatte, sondern die aller Schulpferde. Alle diese Pferde hatte sie anschließend geputzt, allen die Hufe ausgekratzt und alle am frühen Nachmittag für den Unterricht gesattelt und später wieder abgesattelt. Zwischendurch hatte sie Heu vom Boden geholt, die ihr anvertrauten Pferde gefüttert und natürlich ihren Teil der Stallgasse gepflegt. Ach ja, und geritten war sie auch. Zwei Stunden lang. Aber Herr Bensch war heute gar nicht mit ihr zufrieden gewesen. Sie saß nicht gerade genug, und wenn, dann zu steif, ihre Paraden waren zu hart, ihre Bewegungen nicht geschmeidig genug, und wie immer zog sie die Absätze hoch! Jani hatte nur mit Mühe die aufsteigenden Tränen der Enttäuschung zurückhalten können. Und wie sollte das erst morgen werden? Ein Muskelkater war unausbleiblich, daran würde auch ein heißes Bad nichts ändern! Tags darauf hatte sie im ersten Augenblick das Ge fühl, wirklich krank zu sein, aber dann wurde ihr bewußt, daß es sich bei den Gliederschmerzen lediglich um den erwarteten Muskelkater handelte. Leise stöhnend zog sie sich an und dachte mit Grausen an die Kraft, die erforderlich war, um ein Pferd zu besteigen. Was hieß hier eines? Mindestens zwei würde sie auch heute wieder reiten. Und auch heute mußten sämtliche Schulpferde gründlich geputzt und gesattelt werden, ihre Boxen waren auszumisten... Ihr schauderte, wenn sie an das Bandagieren von Pferdebeinen in gebückter Haltung dachte, aber dann riß sie sich
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zusammen. Es würde schon gehen. Ihr Körper würde sich bald auf die ungewohnte Muskelarbeit ein stellen. Sie würde es schaffen! Schließlich war es ihr eigener Wunsch gewesen, diesen Beruf zu erlernen. Aber es war nicht nur körperliche Arbeit, die von ihr verlangt wurde. Einen geraumen Teil ihrer Freizeit verbrachte sie damit, Veterinärkunde zu lernen, Lehrbücher über Reiten und auch einige Bücher über Psychologie und Pädagogik zu lesen. Dieses theoretische Wissen wurde natürlich auch in der Praxis angewandt. Stunde um Stunde stand Jani neben Herrn Bensch in der Reitbahn und hörte seinem Unterricht zu, lernte, wie man Schülern die Anfangsgründe der Reitkunst beibringt, begabte Schüler innerhalb der Gruppe fördert und weniger begabten nicht den Mut nimmt oder sie überfordert. Und sie lernte ebenfalls, daß es gerade bei den Erwachsenen sehr, sehr viele Reiter gibt, die völlig ehrgeizlos sind. Sie sind durchaus damit zufrieden, sich von ihren Pferden durch die Bahn tragen zu lassen, und es stört sie absolut nicht, wenn die Tiere nicht in Haltung gehen, der Galopp zu schleppend ist oder die Ecken nicht sauber ausgeritten werden. „Du mußt Geduld haben, in diesem Beruf“, sagte Herr Bensch, als Jani sich nach einer der Abendstunden bei ihm beklagte, daß es kaum mit anzusehen sei, wie Frau Marschall reite. Nach ungezählten Reitstunden hatte sie immer noch nicht begriffen, auf welchem Fuß wann leichtgetrabt wurde. Bei solchen Reitern konnte man sich doch jegliche Korrektur sparen. Sie lernten es ja doch nicht! „Wir sind nun mal ein Dienstleistungsbetrieb. Frau Marschall bezahlt die Reitstunde und hat daher auch Anspruch auf Unterricht, und das bedeutet, daß ich ihre Fehler korrigiere, und zwar geduldig, selbst wenn ich manchmal in die Luft gehen möchte!“ Jani nickte und grinste ein bißchen, bevor sie erklärte, daß ihr jedenfalls der Unterricht bei den Kindern und Jugendlichen viel mehr Spaß mache. Die gaben sich wirklich Mühe und wollten was erreichen. Mit denen konnte man wirklich arbeiten. Diese Überzeugung verstärkte sich noch, als sie endlich damit beginnen durfte, selbst Unterricht zu erteilen. Zwar blieb Herr Bensch anfangs immer in der Halle und griff hin und wieder in das Unterrichtsgeschehen ein, aber bald war er mit Jani zufrieden, zog sich auf die Tribüne zurück oder verschwand sogar in seinem Büro. Es war Zufall, daß er auf diese Art und Weise für einige Wochen die Mittwochs-Anfängergruppe nicht zu Gesicht bekam. Als er sie dann jedoch sah, kam er aus dem Staunen nicht heraus. Es war unglaublich, was diese Mädchen in so kurzer Zeit gelernt hatten, mit welchem Ehrgeiz sie bei der Sache waren und wie diszipliniert geritten wurde.
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„Stefanie! Deine Volte ist so groß wie Schleswig-Holstein! Du sollst da oben nicht einschlafen! Noch einmal!“ tadelte Jani mit trügerischer Strenge und alle Kinder grinsten vergnügt, auch Stefanie, die die Lektion noch einmal, diesmal vorschriftsmäßig, ritt. Im Verlauf der Stunde grinsten nicht nur die Kinder, sondern auch der Reitlehrer. Jani hatte einen schier unerschöpflichen Vorrat an komischen Sprüchen auf Lager. Sie verglich den Sitz der Reiterinnen mit der Butter auf der heißen Pellkartoffel, meinte, daß der Peitschenschlag noch nicht einmal eine Fliege verscheuchte und endete mit der sorgenvollen Feststellung, daß heute mal wieder nichts klappte, außer den Hinterteilen auf den Sätteln. „Toll war das wieder“, hörte Herr Bensch die kleine Stefanie sagen, als sie schließlich atemlos vom Pferd stieg. „Geben Sie nächsten Mittwoch wieder Unterricht, Fräulein Brückner? Ach bitte, ja?“ „Vielleicht“, meinte Jani und beantwortete dann geduldig die Fragen, mit denen sie von allen Seiten bestürmt wurde. Was mußte man tun, wenn das Pferd im Trab nicht in Haltung ging? Was war eigentlich der Unterschied zwischen einer halben und einer ganzen Parade? Wie merkte man, wenn ein Pferd beim Halten auf einem Bein ruhte? Als Jani schließlich ins Büro des Reitlehrers kam, war mehr als eine Viertelstunde vergangen und Herr Bensch hatte inzwischen Zeit gehabt, sich die Karteien der Kinder anzusehen. Keines der Mädchen hatte mehr als dreißig Unterrichtsstunden absolviert. Nach den gezeigten Leistungen hätte er mindestens die doppelte Stundenzahl angenommen. „Ganz erstaunlich, wie sich die Gruppe verbessert hat! Wirklich! Da hast du ausgezeichnete Arbeit geleistet“, lobte er das Mädchen, und Jani wurde rot. „Du kannst gut mit ihnen umgehen“, fuhr Herr Bensch fort, „aber laß bloß nie derartige Sprüche bei den Er wachsenen los!“ „Nee! Bestimmt nicht“, versicherte Jani und lachte vergnügt. „Aber manchmal kostet es mich ungeheure Beherrschung!“ „Das glaub’ ich dir!“ grinste Herr Bensch und zwinkerte ihr verständnisvoll zu. Die Monate vergingen, und mehr und mehr wurde Jani den gestellten Aufgaben gerecht. Ihre Kraft war gewachsen, und auch wenn sie noch oft genug völlig erschöpft nach einem langen Arbeitstag nach Hause kam, so wußte sie doch, daß sie den richtigen Beruf gewählt hatte. Trotz aller Anstrengungen genoß sie die Ausbildung... und das Zusammensein mit Navarino. Inzwischen gingen ihr die meisten Arbeiten so leicht von der Hand, daß sie oft genug Zeit fand, einige Minuten zu ihm in die Box zu schlüpfen, ihn zu streicheln und ihm schnell einen Leckerbissen zuzustecken. Aber am schönsten war die volle Stunde in der Mittagszeit, die ihnen ganz allein gehörte. Wann immer das Wetter es erlaubte, unternahmen sie ihre
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einsamen Spaziergänge, und wenn Jani den Wallach auch regelmäßig aufhalfterte und am Führstrick führte, so war das längst nicht mehr nötig. Navarino blieb automatisch stehen, wenn sie stehen blieb, setzte sich in Bewegung, wenn sie das tat und begann zu grasen, wenn sie sich irgendwo auf einer Wiese hinsetzte. Für Jani war Navarino das vollkommene Pferd. Sie war sich durchaus darüber im klaren, daß Navarino, was sein Äußeres und seine Leistungen anging, ein ganz normales Durchschnittspferd war, wie es in vielen Schulställen zu finden sein dürfte. Aber Äußerlichkeiten spielten dabei keine Rolle, auch nicht sein freundliches Naturell. Es waren mehr seine Haltung und sein Charakter, die ihn in ihren Augen vollkommen machten. Nein, auch das traf nicht so richtig zu, entschied Jani, während sie auf dem Koppelzaun hockte und ihm beim Grasen zuschaute. Dann lächelte sie plötzlich, denn Navarino schien ihren nachdenklichen Blick gespürt zu haben. Er warf den Kopf auf und beobachtete sie aufmerksam. „Ich glaube, es ist einfach so, weil wir zusammen gehören, nicht wahr?“ fragte sie leise und spürte, wie ihr die Kehle eng wurde, als Navarino auf sie zukam, zärtlich schnoberte und dann unbeweglich neben ihr stehenblieb. Ja, Navarino war der Mittelpunkt ihres Lebens. Sie war gern mit ihren Freundinnen und Jochen zusammen, aber um nichts in der Welt hätte sie die Stunden mit Navarino missen mögen. Richtig glücklich war sie nur, wenn sie ihn in der Nähe wußte. Eines Nachmittags kam Herr Bensch zu ihr. „Dacht’ ich’s mir doch, daß ich dich hier finden würde!“ Er sah zu ihr und Navarino in die Box. „Du mußt heute die 19-Uhr-Abteilung übernehmen. Der Vorstand hat eine Besprechung angesetzt. Wenn etwas ist, schick Klaus oder Peter rüber in den Erlenbruchkrug, in Ordnung?“ Jani nickte. Zwar war ihr Arbeitstag eigentlich vorüber, aber es wäre ihr nie eingefallen, darauf hinzuweisen. Es war selbstverständlich, daß sie auch einmal länger arbeitete, wenn es nötig war. Wenig später sah sie sich im Büro die Pferdeeinteilung an und lachte vor sich hin. Aha, ein Herr Bach war für Navarino eingetragen. Na, das würde wieder einen Sturm der Entrüstung bei Frau Muthmann und Frau Marschall hervorrufen. Die anderen eingetragenen Reiter waren ihr nur vom Namen her bekannt, unterrichtet hatte sie sie noch nie. Wie erwartet, waren Frau Muthmann und Frau Marschall außerordentlich enttäuscht, für Pirol und Hamada eingeteilt worden zu sein. Sie warfen Herrn Bach, einem beleibten Herrn um die fünfzig, ärgerliche Blicke zu, die der jedoch gar nicht bemerkte. Kurz darauf begann der Unterricht, angeführt von Herrn Bach auf Navarino. Schon nach zwei Runden im leichten Trag begann Navarinos
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Reiter zu schwitzen und atmete schnaufend. Na, das wird was werden, wenn er erst aussitzen muß, dachte Jani und ließ zum Schritt durchparieren. Sie würde die Gruppe hauptsächlich Einzelaufgaben reiten lassen. Dabei konnte sie Herrn Bach etwas leichtere und kürzere Lektionen geben, die ihn nicht so anstrengten. „Frau Marschall, falscher Fuß“, korrigierte Jani freundlich und unterdrückte dann ein Aufstöhnen, als ihre Schülerin nach einigen Tritten im Aussitzen prompt wieder auf dem falschen Fuß trabte, aber sie sagte nur noch: „Sehr schön, und hinten anschließen bitte!“ Wirklich angestrengt waren in dieser Gruppe nur Frau Burger und Frau Maß. Sie bemühten sich, Janis Anordnungen Folge zu leisten, und Frau Burger strahlte, als ihr sogar der geforderte Außengalopp gelang und sie ihn eine lange und die kurze Seite durchhielt, ohne daß ihre Raffaela in Trab fiel. „Sehr gut“, lobte Jani und forderte dann Frau Maß zu der gleichen Übung auf. „Wir möchten aber auch galoppieren“, meldete sich Frau Muthmann etwas ärgerlich von ihrer Hamada herab, und Jani biß sich auf die Lippen. Verflixt, das hätte ihr nicht passieren dürfen! Sie konnte schließlich nicht nur die Schüler unterrichten, die ihr gefielen und die anderen im Schritt herumzuckeln lassen. „Aber ja! Selbstverständlich“, sagte sie freundlich. „Bitte Abteilung bilden! Und im Arbeitstempo, Ga lopp!“ Die Schulpferde warteten gar nicht erst darauf, daß ihre Reiter die notwendigen Hilfen gaben, sondern sprangen auf dieses Kommando hin automatisch an. In schleppendem Galopp ging es die Bahn entlang, aber Jani verzichtete darauf, ein zügigeres Tempo zu verlangen. Frau Marschall verlor schon nach zwei Galoppsprüngen die Bügel und Frau Muthmann merkte wieder einmal nicht, daß ihr Pirol vorn eine Art Ga lopp ging und hinten trabte! Am schlimmsten jedoch war Herr Bach. Er plumpste Navarino bei jedem Sprung hart ins Kreuz und hielt sich obendrein verzweifelt am Zügel fest. Es war nicht mit anzusehen, und Jani hätte am liebsten sofort zum Schritt durchparieren lassen. Aber sie wußte, daß sich Frau Marschall und Frau Muthmann dann garantiert bei dem Reitlehrer darüber beschwerten, daß sie diesmal nur eine Runde Galopp gehen durften. „Herr Bach! Gehen Sie mehr in der Bewegung mit! Nicht am Zügel festhalten“, mahnte Jani. Herr Bach schwitzte und atmete schwer und schien ihre Worte überhaupt nicht zu hören. „Und durch die ganze Bahn wechseln, mit einfa chem Wechsel am Wechselpunkt!“ Navarino, der sämtliche Kommandos kannte, schwenkte auf die Dia gonale ein, wobei sein Reiter in der Kurve gefährlich ins
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Wanken geriet und hilfesuchend in Navarinos Mähne griff. Jani biß die Zähne zusammen. Der arme Navarino! Ausgerechnet er mußte diesen Mehlsack schleppen und das noch zwei weitere Runden lang. Danach würde sie jedenfalls nicht mehr galoppieren lassen, selbst wenn sich sämtliche Reiter über sie beschwerten! Als der Wallach aus dem Galopp heraus in Schritt fiel, sackte Herr Bach schwer vornüber und geriet dann beim erneuten Angaloppieren völlig hinter die Bewegung. Navarino legte die Ohren zurück. Dieser Stoß ins Kreuz war für ihn schmerzhaft gewesen, genauso wie der harte Ruck im Pferdemaul. Der Wallach hob den Kopf, um dem starren Zügelzug zu entgehen und drückte das Kreuz weg, um die Stöße abzumildern. Dadurch ließ es sich für Herrn Bach noch schlechter sitzen, der jetzt förmlich auf dem Pferderücken auf und ab hüpfte. „Und durchparieren zum Schritt!“ Nein, es war einfach nicht zu ertragen! Sie konnte nicht länger mit ansehen, wie Navarino Schmerzen litt. Egal was passierte, für Herrn Bach war mit dem Galoppieren für heute Schluß. „Kommen Sie bitte zu mir in die Mitte“, forderte sie ihn auf und fügte hinzu: „Frau Marschall, Sie übernehmen die Tete! Im Arbeitstempo Galopp und auf dem Zirkel geritten!“ Es dauerte einige Minuten, bis Herr Bach zu Atem kam und begriff, warum Jani ihn aus der Abteilung geholt hatte. „Warum soll ich denn nicht mitgaloppieren?“ erkundigte er sich empört. „Ich galoppiere sehr gern! Ich finde das herrlich!“ Und das war der Moment, in dem Jani die Geduld verlor: „Sie vielleicht! Navarino garantiert nicht!“ antwortete sie scharf. „Sie... Sie... Das ist eine Unverschämtheit! So was laß ich mir doch nicht gefallen! Na, Sie werden noch was erleben!“ Bevor Jani auch nur den Mund aufmachen konnte, war Herr Bach abgestiegen, stapfte wütend zum Hallentor und verschwand im angrenzenden Stall. Bei seinen heftigen Worten hatte Frau Marschall erschreckt zum Halten durchpariert, und sie und die anderen Reiter sahen Jani nun fragend an. Was war denn passiert? Warum war Herr Bach so wütend, und wieso war er einfach abgestiegen? Die Stunde war doch längst noch nicht vorbei? Hilfesuchend griff Jani in Navarinos Mähne. Wie sollte sie mit dieser Situation fertig werden? Was hatte sie da bloß angerichtet? Und was würde Herr Bensch dazu sagen? Als sie jedoch aller Augen auf sich gerichtet fühlte, nahm sie sich zusammen. Sie mußte später versuchen, den Fehler wieder gutzumachen und sich bei Herrn Bach entschuldigen. Jetzt jedoch mußte sie erst einmal den Unterricht zu Ende führen. Energisch straffte sie die Schultern.
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„Abteilung, ganze Bahn und im Arbeitstempo, Trab!“ Janis Stimme klang wie gewohnt und auch wenn Frau Marschall zu gern noch neugierige Fragen gestellt hätte, so kam sie doch nicht mehr dazu, denn Hamada führte das Kommando aus, ohne zu zögern. Niemand bemerkte, daß Jani nicht mehr bei der Sache war und sich gedanklich mit den eigenen Problemen beschäftigte. Sie hatte inzwischen genügend Routine, um eine Unterrichtsstunde fast mechanisch zu geben. Kommando auf Kommando folgte, aber jetzt achtete sie nicht mehr so sehr auf die exakte Ausführung der Lektionen, doch das störte niemanden. Kurz vor Unterrichtsende erschien Herr Bensch auf der Tribüne. Ein Blick in sein Gesicht genügte und Jani wußte, daß Herr Bach bereits mit ihm gesprochen hatte. Wie sie erfuhr, hatte Herr Bach nicht nur mit dem Reitlehrer gesprochen, sondern auch mit der gesamten Vorstandschaft, die er im Erlenbruchkrug angetroffen hatte! Aber er hatte sich nicht nur beschwert, sondern seinen sofortigen Austritt aus dem Verein erklärt! „Damit geht uns der jährliche Mitgliedsbeitrag verloren, und du weißt ganz genau, daß unser kleiner Verein auf diese Beiträge angewiesen ist. Weiß der Himmel, ob wir durch diesen Vorfall nicht noch weitere Mitglieder verlieren werden. Herr Bach ist schließlich kein Unbekannter, und Reklame wird er für uns zukünftig wohl kaum machen! Ist dir eigentlich klar, was du da angerichtet hast?“ Jani fühlte sich so elend wie noch nie in ihrem Le ben, und die Tränen stiegen ihr in die Augen. „Das habe ich doch nicht gewollt“, flüsterte sie. „Es war doch nur, weil mir Navarino so leid tat...“ „Navarino! Navarino!“ Die Stimme des Reitlehrers verriet höchste Erregung. „Wir sind ein Dienstleistungsbetrieb, krieg das endlich in deinen Schädel! Na varino ist ein Schulpferd wie jedes andere auch. Es wäre ja noch schöner, wenn du von nun an entscheidest, wer deinen Liebling reiten darf! Dann können wir hier bald dichtmachen!“ „Ich bezahle dem Verein den ausfallenden Mit gliedsbeitrag“, stieß Jani hervor. „Ich verzichte auf mein Lehrlingsgehalt, bis ich den Schaden wieder gutgemacht habe, ich...“ „Sei nicht albern“, unterbrach Herr Bensch sie ärgerlich. „Du weißt ganz genau, daß der Verein für alle Schäden zu haften hat, die seine Angestellten oder Auszubildenden verursachen. Aber nimm dich in Zukunft zusammen! So, das ist alles!“ Energisch schlug Herr Bensch das Telefonbuch auf und bedeutete Jani mit einer unwirschen Kopfbewegung zu gehen. In den nächsten Tagen war er ihr gegenüber kühl und sachlich, besprach lediglich den Arbeitsplan und erteilte ihr Unterricht. Aber er richtete nicht ein einziges Mal eine persönliche Frage an sie, wie er das sonst zu tun
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pflegte. Und sie wurde nie mehr aufgefordert, in einer Erwachsenengruppe Unterricht zu geben. „Ich halt das nicht mehr aus“, murmelte Jani, als sie an diesem Abend mit Jochen, Katja, Regina und Bettina im Erlenbruchkrug zusammensaß. „Er tut, als ob er mich gar nicht kennt! Ich hab’ schon das Gefühl, daß ich ihm auf die Nerven gehe, wenn ich ihn etwas frage...“ „Unsinn! Das bildest du dir ein“, unterbrach Jochen sie. „Du hast einfach ein derart schlechtes Gewissen, daß du überempfindlich reagierst. Okay, du hast einen Fehler gemacht. Das passiert jedem mal. Und Bensch ist sauer, ist ja klar. Aber das gibt sich wieder. Nun vergiß die Angelegenheit doch endlich!“ Aber das konnte Jani nicht. Nicht einmal Navarino schaffte es, sie aufzuheitern. Er spürte genau, daß sie unglücklich und bedrückt war, und wie immer bemühte er sich, sie in fröhlichere Stimmung zu versetzen. Liebevoll fuhr er ihr mit dem Maul durch die Haare, prustete ihr übermütig in den Nacken, stupste sie auffordernd an und zupfte spielerisch an ihrem Pullover. Aber mehr als ein halbherziges Lächeln brachte Jani nicht zustande. „Herr Bensch will dich sprechen“, empfing Peter sie, als sie mit Rex aus der Halle kam. Jani zuckte bei dieser Mitteilung zusammen. Warum wollte er sie sprechen? Was hatte sie falsch gemacht? Hatte sie irgendeine ihr übertragene Arbeit nicht ordentlich erledigt? Irgend etwas vergessen? Ihr Herz klopfte wild, als sie kurze Zeit später an die Tür zum Büro klopfte. „Ah, da bist du ja! Setz dich! Hör mal, Frau Lehmann, die Mutter von der kleinen Stefanie, will wieder mit dem Reiten anfangen. Sie ist als Kind und auch als junges Mädchen geritten und hat jetzt vom Zuschauen wieder Lust dazu gekriegt. Sie will von dir vormittags Unterricht haben. Zugesagt hab’ ich schon. Ach ja, und zwei ihrer Freundinnen machen auch mit. Jeden Dienstag und Donnerstag von 9 bis 10 Uhr, in Ord nung?“ Jani nickte. Sie war froh, daß sie saß, denn obwohl Herr Bensch freundlich sprach, zitterten ihr die Knie. „Ach noch etwas! Frau Lehmann sagte zwar ausdrücklich, daß sie deinen Unterricht immer so lustig findet und alle Kinder von dir begeistert sind, aber übertreib’s nicht, klar?“ Jani spürte wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. „Nein, bestimmt nicht“, stieß sie hervor und rannte dann aus dem Büro. So war das also! Nie hätte er ihr diese Gruppe von sich aus anvertraut! Nur weil Frau Lehmann es gern wollte, durfte sie unterrichten! Nur deswegen! Und sie hatte schon gehofft, er wollte ihr eine Chance geben... Aber es war eine Chance.
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Genau wie Frau Lehmann waren auch ihre Freundinnen früher geritten, und es dauerte nur wenige Stunden, bis sie wieder sicher auf dem Pferderücken saßen. Natürlich hatten sie im Laufe der Zeit viel verlernt, aber bei ihnen stellten sich reiterliche Fortschritte sehr viel schneller ein, als das sonst der Fall gewesen wäre. Schon bald sprach es sich im Verein herum, daß vormittags Reitunterricht für Hausfrauen gegeben wurde, und Janis Gruppe wuchs. Zwar hatten alle Damen anfangs nur die Idee, den Reitsport soweit zu erlernen, daß sie Ausritte unternehmen konnten, aber Jani hatte ein ganz anderes Ziel vor Augen. Sie wollte aus ihnen die beste erwachsene Reitgruppe des Vereins machen. Es dauerte gar nicht lange, bis sie die Damen mit ihrem Ehrgeiz ansteckte, ganz besonders Frau Lehmann, die als junges Mädchen erfolgreich an einigen Turnieren teilgenommen hatte. Schließlich waren alle einer Meinung: Beim nächsten vereinsinternen Turnier wollten sie die meisten Schleifen und Plätze erkämpfen. Von diesem Augenblick an trainierten sie unermüdlich. Nur Jani war nicht überrascht, daß die Damen bei dem Turnier glänzende Leistungen zeigten und Frau Lehmann als Vereinsbeste in der Seniorenklasse hervorging. Alle anderen schüttelten staunend die Köpfe über die Kaffeeklatschgruppe, wie man die Damen insgeheim nannte. „Das habe ich nur Fräulein Brückner zu verdanken“, erklärte Frau Lehmann jedem, der ihr zu ihrem Erfolg gratulierte, und Herr Behrensen, der Vorstand, lobte Jani für die geleistete Arbeit und meinte hoffnungsvoll, daß man sicherlich bald weitere derartige Stunden einrichten müsse. Anfragen lägen schon vor. „Ganz ausgezeichnet, Jani!“ Herr Bensch klopfte ihr anerkennend auf die Schulter. „Ich hab’s ja immer gewußt! Aus dir wird mal eine ganz prima Reitlehre rin! Nur weiter so!“ Endlich konnte sie glauben, daß alle den Vorfall mit Herrn Bach vergessen hatten. Man war mit ihr und ihrer Leistung zufrieden. Jetzt würde sie ihr Leben wie der unbeschwert genießen. Lange saß sie an diesem Tag in Navarinos Box, und auch wenn ihr Gesicht trä nennaß war, so waren es doch Tränen der Erleichterung. Navarino kannte die Bedeutung von Tränen ohnehin nicht, aber er spürte, daß seine Freundin nach langer langer Zeit endlich wieder fröhlich und glücklich war. Zärtlich schnoberte er durch die Nüstern und scharrte dann auffordernd mit dem Vorderbein. Die gute Stimmung mußte doch mit einem Leckerbissen gefeiert werden. Dankbar kaute er den Brotknust, den Jani ihm zusteckte. Er war mit seinem Leben zufrieden und Jani auch. Solange sie zusammen waren, war das Leben einfach herrlich.
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Und sie waren zusammen. Tagtäglich. Schon war das erste Ausbildungsjahr vorbei, in wenigen Monaten würde auch das zweite abgeschlossen sein, und... Das Krachen einer zuschlagenden Tür riß Jani aus ihren Erinnerungsträumen. Verwirrt sah sie um sich und blickte dann hastig auf die Uhr. Du lieber Himmel! Volle dreißig Minuten hatte sie hier herumgestanden und geträumt! Ein wenig unwillig schüttelte sie den Kopf. Wie hatte ihr das nur passieren können? Schließlich wartete eine Unmenge Arbeit auf sie!
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11. Alle Schätze der Erde... Auch den ganzen Juli über herrschte strahlendes Sommerwetter, und Jani hoffte, daß es für den Rest des Sommers so bleiben würde. Es war einfach herrlich, jeden Tag mit Navarino hinaus ins Freie gehen zu können und ihn grasen zu lassen. Vergnügt sah sie ihm zu, wie er genießerisch die Grasbüschel abrupfte und bedächtig vor sich hinkaute. So müßte es immer sein, dachte sie. Navarino und sie, Sonnenschein und blauer Himmel. Hier draußen hatte sie immer das Gefühl, daß Navarino ihr ganz allein gehörte. Und dann lächelte sie. Ja, Navarino würde ihr einmal gehören, anders als sie es vor langer Zeit gehofft hatte, aber nicht weniger schön. Navarino war jetzt 16 Jahre alt. In zwei bis drei Jahren war er zu alt, um noch voll im Schulbetrieb eingesetzt werden zu können. Aber ihm stand nicht das Schicksal der meisten alten Schulpferde bevor, die geschlachtet wurden, sobald sie zur Arbeit nicht mehr taugten. Nein, Navarino würde leben! Längst hatte sie mit dem Vorstand vereinbart, daß sie Navarino kaufen würde, wenn er den harten Anforderungen nicht mehr gewachsen war. Wie würde Navarino die Jahre der Ruhe und Ungebundenheit genießen! Den ganzen Sommer über konnte er auf der Koppel bleiben, das kostete nicht viel, und während der Wintermonate würde sie ihn bei einem Bauern unterstellen. Ihr Lehrlingsgehalt war hoch genug, das Geld konnte sie ohne weiteres aufbringen. Wenn sie erst einmal als Pferdewirt fest eingestellt war, konnte sie für ihn vielleicht sogar die Boxmiete im Reitverein Erlenbruch bezahlen. Aber selbst wenn nicht... Hauptsache, sie und Navarino blieben zusammen. Herr Bensch lächelte, als er die beiden gemächlich über die Wiesen auf den Reitstall zuschlendern sah. Ein schönes Bild. Sie schienen mit sich und der Welt zufrieden und genossen das Miteinander. Merkwürdig, daß sich Navarino einem einzigen Menschen so eng angeschlossen hatte. Bei Privatpferden war die enge Beziehung zum Besitzer nicht überraschend, bei einem Schulpferd war sie außergewöhnlich. Und doch hatte Navarino sich vom ersten Augenblick an für Jani entschieden. Vielleicht hatte ihm sein Instinkt gesagt, daß das Mädchen ein empfindsames Gespür für Pferde hatte? Als sie wenig später gemeinsam die Pferde aus dem Trainingsplan ritten, dachte er wieder daran. Nicht nur, daß Jani reiterliches Talent mitbrachte, sie hatte einfach die Begabung, die Gefühle der Pferde zu erahnen. Sie schien instinktiv zu wissen, in welcher Stimmung sie sich befanden und stellte sich mühelos auf sie ein. Selbst die Stute Gloria ging unter ihr gelöst
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und schwungvoll. Der Reitlehrer mochte dieses Pferd nicht besonders. Gloria war ein sehr nervöses Pferd und scheute bei jeder Gelegenheit. Wann immer er selbst sie ritt, konzentrierte er sich weit weniger auf die Lektionen, die er mit ihr üben wollte, als auf merkwürdige Geräusche in der Halle, auf die die Stute sofort mit panikartiger Flucht quer durch die Bahn oder einem entsetzten Sprung reagierte. Wenn er sie auch durch seine Kraft und seine jahre lange Reiterfahrung dazu bringen konnte, seinen Befehlen zu gehorchen, so ging sie unter ihm doch nie so gelöst wie unter Jani. Ja, zweifellos hatte das Mädchen eine besondere Begabung. „Na? Kraft genug übrig für Merkur?“ fragte er schließlich forschend. „Immer!“ antwortete Jani vergnügt. Merkur war der einzige Hengst im Stall und der reinste Satansbraten. Sein Besitzer, Herr Schwandner, hatte ihn als Fohlen gekauft, zu einem Zeitpunkt also, zu dem noch nicht erkennbar war, was aus diesem hübschen und übermütigen kleinen Hengstfohlen einmal werden würde. Mittlerweile war Merkur fünf Jahre alt, und weder bei seinem Besitzer, noch bei den Pflegern oder Herrn Bensch sonderlich beliebt. Herr Schwandner hätte ihn liebend gern verkauft, aber leider fanden sich keine Kaufinteressenten für den Hengst. Das lag hauptsächlich daran, daß Merkur schon das Betreten seiner Box als persönliche Beleidigung auffaßte, und obendrein war er ganz und gar nicht damit einverstanden, einen Reiter zu tragen. Seinen Unwillen darüber brachte er mit kraftvollen Bocksprüngen zum Ausdruck. Des öfteren beförderte er seinen Besitzer unsanft zu Boden. Mehr als einmal war Herr Schwandner bei derartigen Anlässen in seiner Tierliebe schwankend geworden. Um den Hengst gefügiger zu machen, ließ er ihn daher bereiten, und nachdem er zufällig einmal gesehen hatte, daß sich Merkur unter Jani weniger ungebührlich benahm als gewöhnlich, hatte er wieder Hoffnung, daß es ihr gelingen würde, den Hengst soweit zu erzie hen, daß er sich wie seine Artgenossen ohne Widerstand satteln, aufzäumen und reiten ließ. Bisher jedoch lag dieses Ziel in weiter Ferne, wie Jani wütend feststellte, als Merkur ihr kraftvoll auf den Fuß trat und den strafenden Rippentriller gelassen einsteckte, obwohl es in seinen Augen bereits zu funkeln begann. Dieses Funkeln kannte sie nur zu gut! Na, das würde wieder einen Tanz mit ihm geben! „Ich halte ihn dir beim Aufsitzen“, erbot Klaus sich sofort, als sie mit dem Hengst die Stallgasse entlang ging, und Jani warf ihm einen dankbaren Blick zu. Na türlich hätte sie nie um diese Hilfestellung gebeten, aber es war schon ziemlich schwierig, ein Pferd zu besteigen, das entweder stieg, rückwärts ging oder davonschoß, kaum daß es den Fuß des Reiters im
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Bügel fühlte. Das Funkeln in Merkurs Augen verstärkte sich, als er merkte, daß ihm das erste Erfolgserlebnis genommen wurde. Wütend versuchte er, Klaus zu beißen, der dies mit einer schmerzhaften Parade quittierte. Der Pferdepfleger verließ die Halle erst, als klar zu sehen war, daß Jani den Hengst völlig unter Kontrolle hatte und die Bocksprünge aufhörten. Viele Pferde bocken, aber fast immer aus Übermut oder weil sie sich erschrecken. Merkur jedoch bockte mit der festen Absicht, seinen Reiter loszuwerden. Ein viel zu gefährliches Pferd für ein Mädchen, entschied Klaus; und während der nächsten halben Stunde lauschte er aufmerksam zur Halle hinüber, ob von dort Geräusche zu ihm drangen, die auf einen Sturz des Mädchens hindeuteten. Aber nichts geschah, und Pferd und Reiterin kehrten wohlbehalten in den Stall zurück. In Merkurs Augen funkelte es nicht mehr. Der Hengst war müde und nicht dazu aufgelegt, sich gegen das Absatteln und Abtrensen zu wehren. Alles, was er wollte, war seine Ruhe und sein Futter. Gehorsam hob er die Hufe, damit das Mädchen sie auskratzen konnte, und Jani klopfte ihm lobend den Hals. Mit gespitzten Ohren ließ Merkur sich das gefallen, was Klaus in Erstaunen versetzte. „Das ist ja wohl das erstemal, daß er beim Loben nicht die Ohren anlegt“, stellte er überrascht fest. „Der mag mich eben“, behauptete Jani augenzwinkernd und schloß die Boxentür. „So, jetzt muß ich noch Berlina longieren und Rex laufen lassen, und dann ist Schluß für heute!“ Eilig lief sie davon, denn es war nicht mehr viel Zeit bis zum Abendunterricht für Schul- und Privatpferde, und dann mußte die Halle natürlich frei sein. „Geschafft“, murmelte sie aufatmend, als sie schließlich mit Rex aus der Bahn kam. In einer Stunde war Feierabend. Heute hatte sie ihn wirklich verdient. Gleich darauf grinste sie, als aus dem Büro erregtes Stimmengewirr zu ihr herüber drang. „Aber ich würde Navarino doch auch so gern einmal reiten...“ Jani lachte vor sich hin. Es waren nicht nur die Kin der, die darum kämpften, Navarino reiten zu dürfen, die Erwachsenen standen ihnen in dieser Beziehung um nichts nach. Als der Unterricht begann, wurde es ruhig im Stall. Jani versorgte die Prellung an der Hinterhand von Gospel, der ruhig und friedlich dastand, während die Stute Laika, deren Bandagen gewechselt werden mußten, ständig hin- und hertrippelte. Aber auch Laika war schließlich versorgt. Nun noch die Kontrolle der Futterkammer, die Bestellung für die nächste Woche, die Termine für den Schmied und...
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Die Tür zur Halle öffnete sich und ein junges Mädchen zog mit Navarino in den Stall. „Er lahmt“, sagte es . „Er ist fast gestürzt, als wir über die Cavalettis trabten. Herr Bensch sagt, Sie sollen ihn absatteln und in seine Box bringen.“ Mechanisch ergriff Jani Navarinos Zügel. Navarino lahmte! Um Gotteswillen! Er hatte nie gelahmt, nur damals, als er Hufrolle hatte. Seither nie wieder. Vorsichtig führte sie ihn über die Stallgasse und weinte fast, als sie sah, wie schwer Navarino auf der linken Vorderhand lahmte. Ausgerechnet auf dem Bein, auf dem er Hufrolle gehabt hatte. Mit zitternden Händen sattelte und trenste sie ihn ab und tastete dann prüfend mit der Hand über das Pferdebein. Nirgends konnte sie eine Schwellung fühlen, und heiß war das Bein auch nicht. Was um alles in der Welt fehlte Navarino? Sie hatte plötzlich Angst. Auch als Herr Bensch ihr versicherte, daß Navarino sich bestimmt nur eine Zerrung zugezogen hatte, verließ dieses Gefühl sie nicht. Sie sah ihn nur unglücklich an. „Nun mach nicht so ’n Gesicht“, versuchte er sie aufzumuntern. „Du weißt ja von Alraune, wie schwer so eine Zerrung sein kann. Nach einem ruhigen Wochenende geht’s ihm bestimmt schon besser!“ Aber der Reitlehrer sollte nicht recht behalten. Montag war Navarinos Befinden unverändert. Unbeweglich stand er in seiner Box und ließ das linke Vorderbein ruhen. Erstmals folgte er Jani nur widerstrebend, als sie ihn aus der Box führte, und dann brach das Mädchen in Tränen aus. Navarino lahmte so schwer, daß man seinen Gang nur als „humpelnd“ bezeichnen konnte. Ganz offensichtlich hatte er starke Schmerzen. Auch Herr Bensch schüttelte nun nachdenklich den Kopf und beschloß, den Tierarzt anzurufen, der kurze Zeit später im Reitstall eintraf. Schweigend sah Jani dem Arzt zu, der Navarinos Bein sorgfältig abtastete und schließlich die gleichen Untersuchungsmaßnahmen traf wie damals, als er die Hufrolle diagnostiziert hatte. „Aber es kann doch unmöglich wieder Hufrolle sein, oder?“ fragte sie ihn zweifelnd, als er wortlos sein Röntgengerät zum Auto schleppte. Doch Dr. Elle schüttelte nur stumm mit dem Kopf. Nein, Hufrolle vermutete er diesmal nicht. So akut und urplötzlich trat die nicht auf. Es kam durchaus vor, daß sich Monate oder auch Jahre nach einer erfolgreichen Operation an den Nervenenden Wucherungen bildeten oder, daß diese Nervenenden sogar wieder zusammenwuchsen. Aber dann begann die Krankheit erneut mit leichtem Lahmen, das sich erst im Laufe der Zeit verstärkte. Nein, er vermutete etwas anderes, wenn er auch hoffte, daß das Röntgenbild seine Vermutung widerlegen würde. „Ich rufe an, wenn ich die Aufnahmen entwickelt habe“, murmelte er
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und fuhr davon. Herr Bensch fuhr sich nachdenklich durch die Haare und warf dann Jani, die niedergeschlagen zu Boden sah, einen unschlüssigen Blick zu. Der Tierarzt war ungewöhnlich wortkarg gewesen... und sehr ernst. Das konnte doch nur bedeuten, daß... Er mußte Jani auf jeden Fall darauf vorbereiten. „Wenn Navarino nicht mehr zu helfen sein sollte, dann wird er wenigstens einen gnädigen Tod haben. Es ist noch genug Geld von der damaligen Rettungsaktion übrig, um ihn einschläfern zu lassen, so daß er nicht...“ Aber seine tröstend gemeinten Worte verfehlten ihre Wirkung. Jani sah ihn aus schreckgeweiteten Augen an. „Nie werde ich zulassen, daß man ihn tötet! Nie!“ rief sie heftig und rannte dann zurück in den Stall. Wenig später hockte sie in Navarinos Box und Tränen liefen ihr über die Wangen, während Navarino ihr zärtlich mit dem Maul durch die Haare fuhr. Die Zeit verstrich. Im Stall herrschte Ruhe, nur hin und wieder schnaubte eines der Pferde durch die Nüstern. Irgendwann drang das leise Quietschen des Futterwagens in ihr Bewußtsein, und dann vernahm sie das gleichmäßige Malmen und Kauen der Pferde. Mittagsruhe! Ihre Zeit mit Navarino! Die Zeit, in der er ihr ganz allein gehörte. Doch heute schlenderten sie nicht über saftige Wiesen, fühlten nicht die wärmenden Sonnenstrahlen... Die Stunden verrannen, ohne daß sie sich dessen bewußt wurde oder sich über die ungewöhnliche Stille im Stall wunderte. Klaus und Peter arbeiteten heute, ohne auch nur ein Wort miteinander zu wechseln und hatten Janis Pflichten stillschweigend mitübernommen. Drüben in seinem Büro saß Herr Bensch am Schreibtisch und wartete darauf, daß das Telefon klin gelte... Erst als sie von draußen Motorengeräusche hörte, hob sie den Kopf und stand dann auf, als Dr. Elle und Herr Bensch gemeinsam den Stall betraten und nach ihr riefen. „Was ist mit Navarino?“ fragte sie mit zitternder Stimme und sah Dr. Elle angstvoll an. „Navarino hat sich das Hufbein gebrochen. Hier, es ist ganz klar zu erkennen!“ Auffordernd hielt er ihr das Röntgenbild hin, aber das Mädchen schüttelte nur abwehrend den Kopf. „Offensichtlicht ist es in den zurückliegenden Jahren zu einer Entmineralisierung der Knochen gekommen“, fuhr er erklärend fort. „Einer Unterversorgung also, die zu einer erhöhten Frakturanfälligkeit führt. Der Knochen ist in diesem Fall so porös, daß schon ein heftiges Stolpern ihn brechen läßt, ganz zu schweigen von einem Rempler, wie Navarino ihn getan hat. So leid es mir tut...“ Dr. Elle beendete den Satz nicht, sondern zuckte nur die Schultern.
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Jani wußte, daß seine Worte für Navarino das Todesurteil bedeuteten, aber alles in ihr wehrte sich gegen diese Erkenntnis. „Sie dürfen ihn nicht töten! Bitte, nur das nicht! Kann er nicht wenigstens noch ein bißchen leben?“ flehte sie, und der Tierarzt sah sie mitleidig an. Doch Herr Bensch schüttelte entschieden den Kopf. „Er würde nur unnötige Schmerzen ertragen müssen, und weder dir noch Navarino ist mit einem Aufschub gedient. Glaub mir, ein Abschied wird nicht leichter, nur weil man ihn herauszögert, und...“ „Aber man kann ihn doch nicht einfach umbrin gen!“ unterbrach Jani ihn verzweifelt. „Man tötet doch auch Menschen nicht, wenn sie krank sind! Man versucht doch, sie zu retten! Warum nicht auch ein Pferd? Warum nicht?“ Dr. Elle nickte bedächtig. „Du hast recht! Menschen werden nicht getötet. Aber meinst du nicht auch, daß es besser ist, einen leichten Tod zu haben, als immer wieder Operationen und schreckliche Schmerzen über sich ergehen lassen zu müssen? Wir Tierärzte haben es gut. Wir dürfen unsere Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen fällen, zum Wohle des Tieres. In meinen Augen geht es den Tieren in dieser Beziehung besser als uns Menschen!“ Jani nickte zögernd. Sie wußte, daß es schwerkranke Menschen gab, die lieber sterben wollten, als mit unerträglichen Schmerzen weiterleben zu müssen. Immer wieder las man Berichte über hoffnungslos Kranke, die verlangten, daß man ihr Leben beendete. „Aber Menschen könnten selbst entscheiden“, sagte sie leise. „Jedenfalls könnten sie es, wenn es zu einer Gesetzesänderung käme, während Tiere der menschlichen Entscheidung wehrlos ausgeliefert sind.“ „Das ist richtig, nur vergißt du, daß man Tiere zwar mit dem Gefühl gut verstehen kann, aber wer wollte behaupten, er würde die Frage nach Lebenoder Sterbenwollen in den Augen eines Tieres beantwortet finden? Diese Entscheidung wird immer dem Menschen vorbehalten sein. Und ich versichere dir, kein Tierarzt der Welt trifft sie leichtfertig! In seinen Augen steht das Wohl des Tieres immer im Vordergrund.“ „Aber warum wollen Sie ihn heute töten?“ rief Jani verzweifelt. „Er könnte doch noch weiterleben! Wenigstens den Sommer lang! Draußen auf der Koppel! Dort kann er grasen und dabei braucht er sich nicht so sehr zu bewegen! Er hat doch drei gesunde Beine, die sein Gewicht tragen! Und selbst wenn er humpelt, so würde er doch wenigstens leben!“ „Leben? Ist das wirklich leben?“ fragte Dr. Elle mit leiser Stimme und sah sie und Herrn Bensch versonnen an, bevor sein Blick zur geöffneten Stalltür glitt, durch die die hellen Sonnenstrahlen ins Dämmerlicht des Stalles drangen. Und in diese Helligkeit hinein schien er seine Worte zu
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richten. „Als der Erschaffende das Roß erschaffen wollte, sagte er zum Winde: Von dir werde ich ein Wesen gebären lassen! Und er schuf das Pferd und rief ihm zu: Dich habe ich gemacht ohnegleichen. Alle Schätze der Erde liegen zwischen deinen Augen. Auf der ganzen Erde sollst du glücklich sein und vorgezogen werden allen übrigen Geschöpfen, denn dir soll die Liebe werden des Herrn der Erde. Du sollst fliegen ohne Flügel und siegen ohne Schwert!“. Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Jani stiegen Tränen in die Augen. Navarino würde sterben! Navarino, der Freund, der sie durch all die Jahre begleitet hatte, den sie vom ersten Augenblick an geliebt hatte, und der für ihre Be rufswahl mitverantwortlich war. Sie wußte, daß sie ihn nicht retten konnte, und jetzt war sie auch sicher, daß sie sich mit der Einschläferung Navarinos abfinden mußte, um ihm Schmerzen zu ersparen. Jani sah Dr. Elle fest an. „Ich möchte dabei sein. Navarino soll nicht in dem Gefühl sterben, verlassen zusein!“ Der Tierarzt nickte zustimmend. Er wußte, daß dieser Abschied ihr unvergessen bleiben würde und nichts sie von ihrem Entschluß, dabei zu sein, abbringen konnte. Navarino darf nichts merken, dachte Jani, während sie den Halfter vom Haken nahm. Er darf nicht merken, daß ich traurig und ängstlich bin! Er soll in dem Gefühl sterben, daß ich bei ihm bin und alles in Ordnung ist. Energisch hob sie den Kopf. Nein! Navarino sollte keine Angst haben! Dafür würde sie sorgen! Wie unendlich schwer war es, die Stimme zur gewohnten zärtlichen Tonlage zu bringen, das Zittern der Hände zu beherrschen, als sie ihn aufhalfterte und aus der Box führte! Navarino lahmte schwer, aber er folgte ihr vertrauensvoll hinaus ins Freie. Den wartenden Arzt streifte er nur mit einem Blick, schnoberte prüfend in dem bereits aufgeschütteten Strohhaufen und sah Jani dann unverwandt aus seinen sanften braunen Augen an, in denen nur Vertrauen und Zuneigung zu lesen war. Solange Jani da war, war alles in Ordnung. Auch als Dr. Elle mit der Spritze herantrat, blieb sein Blick auf das Mädchen gerichtet und seine Ohren spitzten sich aufmerksam. Was wollte seine Freundin von ihm? Ein kurzes Zusammenzucken, als er den Einstich der Spritze fühlte und dann, in der Sekunde, bevor das Augenlicht brach, schien sich sein Blick zu ändern. War er fragend, zweifelnd oder verstehend? Der schwere Pferdekörper brach zusammen. Hatte er sich im letzten Moment seines Lebens von ihr verraten und verlassen gefühlt?
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Mit dieser Frage würde sie leben müssen! Ein Leben ohne Navarino!
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