KLAUS K U N K E L
Im gläsernen Fingzeug durch die Schallmauer
Verlag Neues Leben Berlin 1953
Die Sonne stieg über d...
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KLAUS K U N K E L
Im gläsernen Fingzeug durch die Schallmauer
Verlag Neues Leben Berlin 1953
Die Sonne stieg über die Gebirgszüge der Hohen Rhön und sandte zögernd ihre ersten rötlichen Strahlen zur Erde. Eilig verschwanden einige Kumuluswolken vom morgendlich-blauen Himmel. Gegen die sieghafte Wärme der Lebensspenderin Sonne konnten sie nicht bestehen. Ungefähr achtzig Meter unterhalb des oberen Plateaus der Wasserkuppe standen mehrere langgestreckte Schuppen, die ein dreistöckiges Wohnhaus umsäumten. Auf dem flachen Dach des Gebäudes flatterte die blaue FDJ-Fahne neben einem metallenen Kugelgestänge, dem Wind- und Feuchtigkeitsmesser der Meteorologischen Station. Aus dem Wohnhaus trat der Heimleiter Kurt Mathiesen. Er war ein älterer breitschultriger Mann mit klugem Gesicht und offenem Blick. In seinen kurzen Lederhosen, aus denen die behaarten Beine ragten, wirkte er wie ein Alpenbauer. Lauschend hob Mathiesen den Kopf, als er heftige Hammerschläge vernahm. Das Geräusch kam doch aus dem Hangar IV. In jedem Hangar war eine kleine Reparaturwerkstatt eingerichtet. Hier standen den Segelflugpiloten eine Hobelbank, ein Schraubstock und das wichtigste Handwerkszeug zur Verfügung. - Ja, sollte einer schon vor ihm bei der Arbeit sein? Im allgemeinen hatten die jungen Segelflieger einen gesunden Schlaf. Kurt Mathiesen war es gewohnt, als erster aufzustehen, um dann das junge Volk aus den Betten zu holen. Mit schnellen Schritten ging er zum Schuppen hinüber, aus dem der Arbeitslänn kam. Vor einem großen Segelflugzeug, das auf acht gepolsterten Böcken ruhte, stand ein großer blonder Junge. Auch er war mit einer kurzen Lederhose bekleidet. Seine nackten Füße steckten in braunen Ledersandalen. Er trug ein blaues FDJ-Hemd, das über der Brust geöffnet war und eine gesunde, braune Haut sehen ließ. Das Haar war ungekämmt. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung warf er eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. „Freundschaft", grüßte der Heimleiter. „Freundschaft", erwiderte der Junge und ließ sich nicht stören, sondern feilte weiter an einer eingeschraubten Holzstrebe. n ü
Mathiesen trat näher. „Was machst du denn schon so früh?" fragte er. „Alle anderen schlafen noch. Wir haben uns noch gar nicht gesehen. Du bist wohl erst gestern gekommen?" „Ja", sagte Hans-Jürgen und legte das Werkzeug aus der Hand. „Sie sind bestimmt Vater Mathiesen. Ich habe schon in Leipzig viel von Ihnen gehört." Der Mann schüttelte dem Jungen kräftig die Hand. „Und warum bist du schon so zeitig auf?" „Daß unsere Kiste gut angekommen ist, davon hatten wir uns schon in der Nacht überzeugt", erklärte Hans-Jürgen. „Aber mir war eingefallen, daß wir noch die zweite Strebe der linken Tragfläche verbessern könnten - das hab' ich dann gleich getan. Ich wollte es nicht auf die lange Bank schieben." Hans-Jürgen war mit ganzem Herzen bei der Fliegerei. Er war es so sehr, daß seine Leistungen in der Schule zurückgegangen waren und er fast das Klassenziel nicht erreichen würde. Die vielfältigen Probleme, die mit dem Flugzeugwesen zusammenhingen, begeisterten ihn. Er wußte Bescheid in der Physik, der Meteorologie und im Flugzeugbau. Aber er wollte nicht begreifen, warum er auch Sprachen lernen, die einfachsten Grundformeln der Chemie beherrschen und Kenntnisse über die deutsche Arbeiterbewegung sammeln sollte. Oft machten ihm seine Klassenkameraden Vorwürfe. „Ach was", entgegnete dann Hans-Jürgen, „ich werde Flugzeugführer, und was damit nichts zu tun hat, interessiert mich nicht. Wozu brauche ich das alles? Ihr könnt mich jetzt schon in jede Maschine setzen und ich ziehe euch technisch einwandfrei Loopings." Doch die Freunde des Klassenkollektivs gaben nicht nach. In ihren Arbeitsgemeinschaften versuchten sie, Hans-Jürgen zu überzeugen. Das beste Argument war schließlich die Zwischenprüfung, die er nicht bestand. Danach begann Hans-Jürgen, sich mit den ihm unsympathischen Fächern vertraut zu machen. Es war ihm klar geworden, daß er ohne bestandene Abschlußprüfung nicht zum SpezialStudium zugelassen würde. Er mußte wenigstens die erforderliche Durchschnittsnote erringen. In den Ferien wollte er sich nun bei dem geliebten Segelflugsport Kraft zum Endspurt auf die Prüfung holen. Der Heimleiter entging der laugen Erläuterung, warum und wie die Strebe der linken Tragfläche verbessert werden mußte, nur dadurch, daß er um das große Segelflugzeug herumging und es fachmännisch begutachtete. „Ein prima Steinadler", brummte er anerkennend. „Von der Wasserkuppe sind noch nicht viele Kisten dieser zweisitzigen Art gestartet. Ihr werdet wohl erst kleine Sprünge machen wollen, wie?" 4
„Wo denken Sie hin?" wehrte Hans-Jürgen ab. „Kleine Sprünge können wir bei uns auch machen. Wir wollen gleich richtig loslegen. Die Wetterbedingungen sind heute günstig. Wir haben die Eigenarten der Rhön genau studiert. Der Wart hat den Start für 10.30 Uhr vorgesehen. Als Flieger", sagte er selbstbewußt, „bin ich der Meinung, daß wir den maximalen Aufwind ausnutzen müssen, um dem Abstieg durch Wind und Trudeln entgehen zu können. Dabei ist zu beachten, daß die Gleichgewichtslage der Kiste durch den Querschnitt des hinausgeschossenen Luftteils der absinkenden Massen . . . " „Schon gut, schon gut", unterbrach Mathiesen den Redefluß des Jungen. „Ich glaube dir, daß du Bescheid weißt. Doch noch eins: Warum habt ihr euren Vogel .Hannes Dittmer' genannt? Ich habe den Namen noch nie gehört! Ist das ein bedeutender Mann?" Hans-Jürgen wurde verlegen. „Nein . . . das heißt, ja . . . oder besser . . . noch nicht. Hannes Dittmer ist der Leiter des Klassenkollektivs, unser bester Schüler. Roland bestand darauf, daß wir unsere Kiste nach ihm benennen. Ich sollte . . . na ja . . . ich sollte seinen Namen immer vor Augen haben." „So, so, du hast es also nötig?" „Eigentlich nicht mehr. Wissen Sie, als Flieger war ich nämlich der Ansicht, daß ich mich nur damit beschäf ..."• Hans-Jürgen kam nicht dazu, seine Entschuldigungen anzubringen. Der Schatten eines Jungen fiel auf die Tür des Hangars. Es war Roland, der Freund und Schulkamerad Hans-Jürgens. Er begrüßte den Heimleiter. Im Gegensatz zu Hans-Jürgen war Roland sorgfältig angezogen. Das braune Haar lag ordentlich gescheitelt über der hohen Stirn. Er maß nur einige Zentimeter weniger als der erste Pilot der „Hannes Dittmer". Roland war ein zielbewußter junger Mensch. Man konnte HansJürgen keinen besseren Freund-wünschen. „Also dann wünsche ich euch Hals- und Beinbruch. Wir sehen uns beim Frühstück wieder;" Mit diesen Worten verabschiedete sich Mathiesen. Die beiden Jungen verzehrten ihr Frühstück mit gutem Appetit. Hans-Jürgen war schon in vergangenen Jahren mit anderen Flugzeugen von der Wasserkuppe geflogen. Für Roland war es der erste Flug in der Hohen Rhön. Am Vormittag hatten sie damit zu tun, ihr Flugzeug auf der modernen Katapultbahn startfertig zu machen. Viele Jungen und Mädchen halfen ihnen und bestaunten den Zweisitzer. Hans gab bereitwillig Auskünfte. 5
„Als Flieger muß ich euch sagen, daß an so einem Zweisitzer gar nichts Besonderes dran ist", erklärte er. „Von beiden Pilotensitzen aus kann selbständig gesteuert werden. Man muß natürlich immer wissen, wer an der Reihe ist, Das Schwierigste beim Bau ist das Ausbalancieren. Da habe ich noch einige Verbesserungen angebracht..." Endlich war es dann soweit Die Startbahn wurde von Unberufenen geräumt. Die beiden Piloten zogen wärmende Kombinationen an, denn in den Höhen war es sehr kalt. Hans-Jürgen kletterte in den Vordersitz, Roland nahm dahinter Platz. Der Startleiter und der Wetterwart gaben die letzten Ratschläge, auf die Hans-Jürgen nur mit halbem Ohr hörte. „Alles fertig?" „Alles fertig!" antwortete Roland, Hans-Jürgen nickte nur. Er konzentrierte sich auf den Steuerknüppel und beobachtete den Windmesser und den Höhenanzeiger. Das starke Gummiseil des Katapults straffte sich. Der erste Pilot wartete auf den stärkeren Aufwind. „Achtung - los!" Wie ein Pfeil schoß das Flugzeug über den Abhang. Starke Aufwinde packten die Tragflächen. Geschickt nutzte Hans-Jürgen diese aus. Langsam schwebte der „Hannes Dittmer" höher und höher. Unter ihnen zogen Berge, Wälder und Täler vorbei. Es war ein Gefühl, wie es so herrlich nur das Segelfliegen hervorruft. Fast geräuschlos, scheinbar losgelöst von jeder Erdenschwere gleitet man auf den Winden entlang, wie von unsichtbaren Händen getragen. Wie stolz war Hans-Jürgen, daß auch er die von der Wissenschaft erkannten Gesetze der Natur beim Segelflug anwenden konnte. Hans-Jürgen wandte den Kopf. „Wir fliegen, wir fliegen", jauchzte er seinem Freunde zu. Dieser nickte, seine Augen strahlten. An der Startbahn auf der Wasserkuppe standen die Zurückgebliebenen und sahen sehnsuchtsvoll dem Flugzeug nach, solange sie es erblicken konnten. ^ „ D a s war ein großartiger Start", meinte der Wetterwart. „Schätze, daß sie mindestens drei Stunden oben bleiben werden. Wer weiß, von wo wir sie zurückschleppen müssen. Hoffentlich machen sie nicht Bruch." Der Startleiter schüttelte den Kopf. „Die beiden bestimmt nicht, sonst will ich nichts mehr vom Segelflug verstehen. Oder es müßte nicht mit rechten Dingen zugehen." In einem tiefen Tal des Spessarts lag das Versuchsgelände des VEBDüsenflugzeugbau. Man hatte den natürlichen Kessel durch Sprengungen erweitert, den Boden geebnet und betoniert. So war ein runder 6
Flugplatz entstanden, dessen Durchmesser zweieinhalb Kilometer betrug. Hier konnten also auch Flugzeuge mit großem Auslauf starten und landen. Außer der glatten Fläche w a r von diesem Versuchsgelände nichts zu sehen. Die Garagen für die Automobile, die Unterkünfte für die Flugzeuge, die Labors und Werkstätten, die F u n k - u n d Meßräume, die Energieaniagen, alle w a r e n in die fast senkrechten Felswände hineingetrieben. Riesige Glasfenster gaben von dort die Sicht zum Flugfeld frei. N u r w e n n es notwendig wurde, fuhr man die S t a r t t ü r m e und Landebrücken aus. Gegen Beobachtung aus der Luft w a r das Gebiet gut getarnt. Durch das Gebirge führte n u r ein einziger bewachter Anfahrtsweg zum Versuchsgelände. Diese Vorsichtsmaßnahmen waren notwendig, denn hier w u r d e n die wichtigsten Experimente mit neuen Erfindungen durchgeführt, bevor sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die Agenten der imperialistischen Staaten scheuten keine Mittel, um sich in den Besitz neuer Konstruktionen zu setzen. Die Sicherheitsmaßnahmen w a r e n besonders sorgfältig getroffen, wenn Experimente u n d Versuche durchgeführt wurden. Auch heute lag eine Spannung über dem weiten Platz. Besonders Professor Wasserberg spürte sie beinah schmerzhaft. Mit unruhigen Schritten ging er in seinem Zimmer auf u n d ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Die lange hagere Gestalt w a r leicht nach vorn übergebeugt, sorgenvoll runzelte er die Stirn. Füf kurze Augenblicke blieb der Gelehrte vor einem Gerät stehen, das einem Fernsehempfänger ähnlich sah. N u r w a r es doppelt so groß und hatte eine geringere Tiefe. Auf der Milchglasscheibe waren viele kleine Quadrate eingetragen. In ihnen sah m a n den Schatten eines dreieckigen Flugzeuges, der sich langsam v o r w ä r t s bewegte. Gespannt beobachteten zwei andere Männer im Zimmer des Professors den Zeiger des neben dem A p p a r a t angebrachten Zifferblatts. Das Gerät, ein Geschenk der Sowjetunion, erleichterte den Forschern seit Wochen die wissenschaftlichen Beobachtungen. „Ich k a n n deine U n r u h e nicht verstehen, Rudolf", versuchte Professor Wenzel, der Direktor des Staatlichen Instituts für Aerodynamik, seinen nervösen Kollegen zu beruhigen. Beide Professoren kannten sich durch j ahrzehntelange Zusammenarbeit. Im Gegensatz zu Wasserberg besaß Wenzel eine füllige Figur, u n d sein Gesicht strahlte stets voller Zufriedenheit. I m m e r aber steckte er voller Energie und Zähigkeit. Professor Wenzel fuhr fort: „Deine Glasfasern haben bisher alle Proben bestanden. W a r u m sollten sie also bei d e r letzten versagen? 7
Ich bin schon jetzt davon überzeugt, daß wir in Zukunft unsere Überschallflugzeuge nur noch aus Glas bauen werden." „Ich bin der gleichen Meinung, Herr Professor", pflichtete der dritte Mann im Zimmer bei. Es war der Chefpilot und Einflieger des Werks, Conrad Martens. „Von mir aus hätten wir auf diesen ferngelenkten Flug ohne Piloten verzichten können. Am liebsten hätte ich die Maschine gleich selbst ausprobiert. Ich habe Vertrauen zu Ihrer Arbeit." „Habt Dank, Freunde", antwortete der Leiter des Labors für Flugzeugbaustoffe im VEB-Düsenflugzeugbau mit verlegenem Lächeln. „Auch ich habe Vertrauen zu meiner Arbeit. Meine Berechnungen stimmen. Nur, man wird schon leicht nervös, wenn das Ergebnis einer langjährigen Arbeit bestehen soll. Die werktätigen Menschen unserer Republik haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie ich die Mittel verwendet habe, die mir zur Verfügung gestellt wurden." „Die Reibungstemperaturen bei den schnellen Maschinen haben uns schon immer Kopfzerbrechen gemacht", sagte Professor Wenzel. „Wir sind an den Punkt gekommen, an dem unsere Kühlanlagen bei der Überschallgeschwindigkeit nicht mehr ausreichen. Der neue Flugzeug-Baustoff Glas hat viele gute Eigenschaften: ausgezeichnete Isolation, hohe Temperaturbeständigkeit, Druckfestigkeit, und er braucht nicht poliert zu werden. Ich wiederhole: Deine Glasfasern mit der transparenten Kunststoffverstärkung sind der Baustoff der Zukunft." Ja, alle in diesem Raum glaubten an den neuen Baustoff Glas für die Überschallflugzeuge. Immer größer war die Geschwindigkeit der Vögel aus Metall geworden, von Menschen gesteuert und von starken Maschinen getrieben. Sie flogen schneller als der Schall, ließen den Lärm der eigenen Motoren weit hinter sich. Doch auch eine Schwierig keit wurde immer größer: die Überwindung der hohen Reibungstemperaturen. Die automatischen Kühlanlagen konnten ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht werden, außerdem belasteten diese Apparaturen das Flugzeug zu sehr. Nun flog der erste aus einem besonderen Glasstoff gebaute Überschallrenner ohne Kühlanlage. Es war verständlich, daß der Schöpfer dieses neuen Baustoffs aufgeregt war. Das Schweigen wurde nach einiger Zeit von Professor Wasserberg unterbrochen: „Die Maschine ist gut in die Schallmauer eingedrungen. Sie fliegt jetzt", er vergewisserte sich mit einem Blick auf das Zifferblatt, „mit 1693 Stundenkilometer Geschwindigkeit. Laßt uns in den Saal gehen, vielleicht erfahren wir dort mehr." In einem langen Raum saßen Ingenieure vor vier schrägen Regiepulten. Sie steuerten durch Ultrakurzwellen das ferngelenkte Flugzeug, das dort oben irgendwo über den Wolken raste. Nein, nicht 8
irgendwo. An einer Wand hing nämlich vergrößert die gleiche Milchglasscheibe wie im Zimmer des Professors. Auf ihr konnte man die Bahn des Flugzeuges genau verfolgen. „Daß man jetzt nicht weiß, was mit der Maschine geschieht", klagte Professor Wasserberg. „Sehen Sie, hätten Sie mir den Steuerknüppel überlassen, dann könnte ich Ihnen genau Bericht erstatten", sagte Martens. „Niemals würden wir dem Experiment mit bemanntem Flugzeug zugestimmt haben", wandte der Direktor des Instituts ein. „Es kommt darauf an, zuerst einmal die Festigkeit des Materials zu überprüfen. Noch scheint alles in Ordnung zu sein, sonst wäre die Maschine längst auseinandergeplatzt. Über alles andere werden uns die eingebauten Apparate nach der Landung Auskunft geben. Gedulden wir uns noch einige Minuten." Gehorsam folgte das Ultraschallflugzeug den Befehlen, die ihm durch die kurzen Wellen mit 94,5 Millionen Schwingungen in der Sekunde über Spezialsender auf den höchsten Bergen des Spessarts übermittelt wurden. Professor Wenzel atmete tief und ließ jetzt keinen Augenblick die Beobachtungstafel aus den Augen. „Was soll denn noch geschehen?" fragte der Chefpilot den Direktor. „Das Experiment ist gelungen. Man sollte die Maschine schnell herunterholen, damit ich mit ihr aufsteigen kann." Ehe Professor Wenzel antworten konnte, kam ihm Wasserberg zuvor: „Sie haben recht, Martens. Aber vorher noch den Sturzflug als letzte Belastungsprobe." Der Professor wandte sich den Ingenieuren zu und gab ihnen einige Anweisungen. Die Beobachter konnten an der Tafel sehen, daß das Flugzeug in die Kurve ging und über das Gebirge zurückkehrte. Jetzt stellte es sich auf die Nase, und genau lotrecht durchlief der kleine Schatten der Maschine ein Quadrat nach dem anderen auf die absolute Null-Gerade zu. Der Überschallrenner stürzte. Aber nicht nur die Schwerkraft und die Anziehungskraft der Erde wirkten, sondern auch die auf volle Stärke eingeschalteten Raketen und Strahlturbinen jagten das gläserne Flugzeug auf die Erde hinunter. Der Geschwindigkeitsmesser zeigte 2127,3 Stundenkilometer. Würde die Maschine der härtesten Zerreißprobe standhalten? Die Menschen wagten nicht, Luft zu holen. Atemlose Stille lastete im Raum. Da gellte ein Alarmsignal. Alle Augen richteten sich erschreckt auf ein Instrument, dessen Zeiger plötzlich auf die Ausgangsstellung zurückgefallen war. „Lenkung versagt", rief der leitende Ingenieur.
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„Bremsen Sie!" schrie Professor Wasserberg mit sich überschlagender Stimme. „Bremsen Sie!" Ein paar schnelle Handgriffe. Die Raketen und Turbinen des Flugzeugs hörten mit einem Schlag auf zu arbeiten. Die Geschwindigkeit des Flugzeugs verringerte sich. Doch vergeblich gaben die Ultrakurzwellen die Anweisung an die Steuerung. Wie ein Stein sauste das gläserne Flugzeug herab. Nur noch fünf - vier - drei - Quadrate trennten es von der Null-Geraden. Jetzt schlug es auf. Obwohl aus der Übertragung keine Detonation zu hören war, glaubten alle Anwesenden den schrecklichen Lärm des Aufschlages zu vernehmen. Draußen gellten die automatischen Sirenen. Hilfskommandos rückten aus. Schnell wurde der Absturzort ermittelt. Die Einsatzwagen preschten davon. Dann war es wieder ruhig. Auf der Stirn Professor Wasserbergs standen kleine Schweißperlen. Er wischte sie fort. „Hoffentlich ist das Flugzeug in einer unbewohnten Gegend abgestürzt", sagte Wenzel und wies auf den Ort des Unglücks. Professor Wasserberg gab keine Antwort, sondern trommelte ungeduldig mit den Fingern auf ein Regiepult. Alles war vergessen: die mühevolle Arbeit des Kollektivs beim Bau des „Hannes Dittmer", überhaupt die ganze Schule und ihre., Arbeit; vergessen waren die gastfreundliche Aufnahme auf der Wasserkuppe und die Bewunderung der Freunde, die dem schnittigen Segelflugzeug gegolten hatte; ja, selbst an den gelungenen Start dachten Roland und Hans-Jürgen nicht mehr. Sie genossen in vollen Zügen die Schönheit des Fluges und waren darauf bedacht, den „Hannes Dittmer" solange wie möglich in der Luft zu halten. Wenn die beiden Jungen miteinander sprachen, dann nur, um sich gegenseitig auf besonders anmutige Landschaften oder bizarre Woikenbildungen aufmerksam zu machen. Geschickt nutzten sie das Auf und Ab der Luftströmungen für ihre Kiste aus. N%ch dem Start hatte das Segelflugzeug rasch an Höhe gewonnen. Die Wasserkuppe war 950 Meter hoch. Jetzt zeigte der Höhenmesser 2253 Meter. Den höchsten Stand hatte der „Hannes Dittmer" mit 3167 Metern erreicht. In dieser Höhe machte sich ein langsam immer stärker werdender Wind aus Nordosten bemerkbar, der das Flugzeug nach Südwesten trug. Über zehn Stunden dauerte bereits der Flug. Eine gute Zeit, wenn man bedenkt, daß von solch jungen Piloten selten Flugzeiten über 400 Minuten erzielt wurden. Die Piloten konnten mit ihrem erstenStart in der Hohen Rhön zufrieden sein. Sie kosteten jede Minute das herrliche Gefühl des Segelfliegens aus und wurden nicht müde, den Steuerknüppel zu bedienen. 10
Hans-Jürgen hatte die Landkarte auf seinen Knien ausgebreitet. „Wo sind wir denn ungefähr?" fragte ihn Roland. „Das Gebirge unter uns ist der Spessart", antwortete Hans-Jürgen. „Diesen Flug wird uns so leicht niemand nachmachen. Wir haben uns ungefähr 100 Kilometer von unserem Startplatz entfernt. Mathiesen und die anderen alle werden Augen machen, wenn sie uns abholen. Ich glaube, diese gute Flugleistung ist nur auf die verbesserte Strebe in der linken Tragfläche zurückzuführen. Sieh mal, Roland, die besondere Fähigkeit der Kiste, beim Absteigen die Form zu wahren und jede Verschiebung zu vermeiden, ist doch ein Verdienst..." Die langatmigen und umständlichen Erklärungen des ersten Piloten wurden durch eine Bö unterbrochen, die plötzlich das Flugzeug packte und die Aufmerksamkeit des Zuhörenden in Anspruch nahm, der das Steuer führte. Es gelang Roland, die Kiste noch einmal abzufangen, aber sie hatten erheblich an Höhe verloren. Sie waren nur noch 1300 Meter hoch. „Wir werden uns einen Landeplatz suchen müssen", meinte HansJürgen. „Außerdem habe ich schon eine Idee, wie man die rechte Seite auch noch mehr verbessern kann." „Such erst einmal den Geyersberg", wies ihn sein Freund an. Das Flugzeug sackte schon stufenweise tiefer. „Der Geyersberg ist 585 Meter hoch und soll einen guten Landeplatz haben." „Roland", rief jetzt Hans-Jürgen aufgeregt, „paß auf beim Landen. Hier stehen sonderbare Stahltürme auf den Bergen. Sie sehen wie Antennen oder Sender aus." Auch Roland beugte sich seitwärts, um besser beobachten zu können. Da vernahmen die beiden Jungen auf einmal über sich ein tosendes Geheul. Etwas Großes, Glitzerndes schien auf sie herunterzustoßen. Ein heißer Luftzug riß den „Hannes Dittmer" mit sich. Dann erfolgte eine gewaltige Explosion, die von den Bergen widerhallte. Das war das Letzte, was die Jungen mit wachen Sinnen empfanden. Sie spürten noch, wie ihr Segelflugzeug zu trudeln begann, schneller und schneller. Ihre Herrschaft über den Zweisitzer ging verloren. Rasch kamen sie der Erde näher. Wie eine zerdrückte Streichholzschachtel lag der „Hannes Dittmer" am Boden. Spanten, Verstrebungen und andere Holzteile ragten aus dem Trümmerhaufen. Die Freunde gaben kein Lebenszeichen mehr. „Wirklich, Doktor, kerne große Gefahr? Das ist aber ein Zufall! Nur Hautabschürfungen? - Sofort wieder eingeschlafen? - Ich bin 11
sehr beruhigt. - Ja, ich erwarte sie sofort, nachdem sie munter geworden sind. - Danke schön, Doktor.'' Aufatmend legte Professor Wasserberg den Telephonhörer nieder und lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück. Er wandte sich seinem Freunde zu: „Wie schrecklich, wenn den Jungen etwas geschehen wäre. Ein wissenschaftliches Experiment, bei dem Menschen verletzt worden wären! Nicht auszudenken!" Der Direktor des Staatlichen Institutes für Aerodynamik hob die Schultern und sagte: „Vor allen Dingen haben wir eine wichtige Lehre aus dem Vorfall zu ziehen: Das Versuchsgelände ist auch für die Segelfliegerei zu sperren. Überfliegungsverbot für Motorflugzeuge allein nützt nichts. Der Wind kann oft die Ursache für großen Schaden werden, wenn er die leichten Sperrholzkisten hier herüberträgt." „Natürlich hast du recht", pflichtete ihm Wasserberg bei. „Außerdem müssen die ferngelenkten Versuchsmaschinen mit Radarsendern ausgerüstet werden. Aus Belastungsgründen haben wir bisher davon abgesehen. Aber die Radarwellen melden automatisch jedes Hemmnis und lenken durch Relaisschaltungen das Flugzeug selbsttätig an jedem Hindernis vorbei. Dann kann es auch nicht mehr zu Abstürzen kommen, nur weil die Fernlenkung versagt. Übrigens scheint es mir vordringlich zu sein, herauszubekommen, weshalb die Empfangsanlage im verunglückten Flugzeug nicht auf die letzten Kommandos reagiert hat. Die Ursache des Fehlers muß gefunden werden, ehe erneut ein Start vorgenommen wird." Roland schlug die Augen auf und versuchte seine Gedanken zu konzentrieren. Um ihn herum war es dunkel. Er fühlte nur, daß er in einem weichen Bett lag. Er richtete sich auf. Im gleichen Augenblick wurde es im Zimmer taghell. Der Junge gewahrte, daß in einem zweiten Bett Hans-Jürgen blinzelnd die Augen öffnete. „Nanu?" wunderte sich dieser. Die Freunde fühlten sich ausgeruht und erholt. Nicht einmal der Kopf brummte ihnen. Nur einige Pflaster zeugten von ihrem Unfall. Neugierig sahen sich die beiden um. Ihre Betten standen in einem getäfelten Raum. An der einen Wand befand sich eine Tür, die durch, eine besondere Verkleidung auffiel. Im übrigen bemerkte man weder eine Klinke noch ein Schloß. An einer anderen Wand stand ein schlichter großer Schrank. Das Licht strahlte indirekt von allen Seiten, ohne daß sie eine besondere Lichtquelle entdecken konnten. Angestrengt überlegte Roland. Plötzlich fiel ihm etwas ein. „HansJürgen", sagte er, „leg dich hin." Erstaunt gehorchte der Freund. Dann legte sich auch Roland nieder. Sofort erlosch das Licht. Er richtete 12
sich auf; wieder wurde es hell. Einige Male wiederholten die Jungen dieses Spiel. Hans-Jürgen war begeistert. „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Das ist ja großartig. Aber nun möchte ich endlich wissen, was aus unserer Kiste geworden ist und wo wir hier sind. Hunger habe ich auch. Niemand kümmert sich um uns. Was meinst du, ob ich rufen soll?" „Nicht notwendig", erwiderte Roland. „Ich denke, daß unsere bisher noch unsichtbar gebliebenen Gastgeber bestimmt schon wissen, daß wir wach geworden sind. Es kommt mir so vor, als ob wir hier noch allerlei interessante Dinge erleben werden." Er sprang aus dem Bett und öffnete neugierig den Schrank. Dort hingen ihre Kleider. Schnell zogen sie sich an. Hans-Jürgen ging auf die Zimmertür zu, die plötzlich zur Seite rollte. Draußen stand ein sonderbares Fahrzeug, das aussah wie die Kabine eines Paternosters, nur ungleich komfortabler eingerichtet. Der Abstand von der geöffneten Tür betrug nur einen Meter, und es war offensichtlich, daß dieses Transportmittel für sie bestimmt war. Bevor die Jungen ihr Zimmer verließen, beschauten sie sich eingehend den langen schmalen Gang, der an der Tür rechts und links vorbeiführte. Auch er war indirekt beleuchtet. Hans-Jürgen drängelte. Er wollte endlich das auf sie wartende Fahrzeug benutzen. Schnell stiegen sie ein. Die Zimmertür rollte wieder zurück, die kleine Kabinentür schlug zu, und surrend setzte sich ihre Kabine in Bewegung. Die Fahrt dauerte nicht lange. Die beiden konnten den Weg, den ihr Fahrzeug nahm, nicht verfolgen. Die Kabine besaß keine Fenster. Einige Male stoppte das Gefährt, aber die Tür ging nicht auf. Doch endlich waren sie am Ziel, denn die Tür öffnete sich von selbst. Die Jungen traten in das Arbeitszimmer Professor Wasserbergs. „Meine lieben jungen Freunde . . . " Mit ausgebreiteten Armen ging der Leiter des Labors für Flugzeugbaustoffe auf die Eintretenden zu. „Ich bin so froh, daß euch nichts geschehen ist. Nehmt Platz." Roland und Hans-Jürgen setzten sich in bequeme Sessel. Der Professor ließ sie vorerst nicht zu Wort kommen. Er nannte ihnen seinen Namen, gab eine kurze Schilderung des Unglücksfalls und schloß mit der Einladung, die restliche Ferienzeit auf dem Versuchsgelände zu verbringen. „Es tut mir sehr leid, euch mitteilen zu müssen, daß ihr euer Segelflugzeug nicht mehr gebrauchen könnt. Ihr werdet euch davon überzeugen müssen. Natürlich leisten wir Ersatz, aber in diesen Ferien werdet ihr kaum noch zum Fliegen kommen. Deshalb genießt unsere 13
Gastfreundschaft. Seht euch bei uns gründlich um, dann werdet ihr nichts zu bereuen haben." Der Professor beobachtete die Jungen aufmerksam, um zu ergründen, wie sie seine Einladung aufnahmen. Sie zauderten. Wasserberg legte ihre Unentschlossenheit falsch aus. „Auf folgendes muß ich euch hinweisen: Wenn ihr jetzt zurückkehrt, würde man euch nach allen Einzelheiten eures Absturzes befragen. Ihr seid als gute Segelflieger bekannt, und eure Freunde würden sich mit oberflächlichen Erklärungen nicht zufriedengeben. Es liegt uns aber nichts daran, daß vorzeitig bekannt wird, daß wir mit neuen Experimenten beschäftigt sind. So haben wir bereits den Heimleiter auf der Wasserkuppe verständigt, daß ihr vorläufig bei uns bleibt. Wie denkt ihr nun darüber?" Als erster antwortete Roland: „Natürlich bleiben wir sehr gern, Herr Professor. Wir waren nur von der Einladung derart überrascht, daß wir nicht sofort Antwort geben konnten." Endlich faßte sich auch Hans-Jürgen. „Wir sind auf dem Versuchsgelände des VEB-Düsenflugzeugbau?" fragte er ungläubig. „Das ist ja großartig! Als Flieger habe ich mir schon immer gewünscht, hierher zu kommen, um mir alles gründlich ansehen zu können. Oh, ich werde die neuesten Typen sehen können, vielleicht auch einmal mit ihnen fliegen! Ich kann schon eine richtige Maschine steuern, Herr Professor. Vorerst würde ja genügen, wenn ich nur mal als zweiter Pilot mitmachen darf. Wo stehen denn die Strahlendüsenflugzeuge? Dürfen wir sie sehen?" Der Professor lachte: „Aber natürlich, ihr dürft euch alles anschauen. Es wird euch vieles interessieren." „Zum Beispiel die selbsttätige indirekte Beleuchtung und die geheimnisvolle Kabine, mit der wir durch den Felsen gefahren sind", sagte Roland. Willig erklärte der Professor: „Das sind nur einige der modernsten Bequemlichkeiten, die für die Menschen geschaffen wurden, die hier in den Bergen arbeiten. Wir brauchen draußen die Fläche für unsere Versuche und mußten deshalb die Arbeits- und Wohnräume in die Felsen sprengen. Es kam darauf an, die gleichen Lebensbedingungen wie an der Erdoberfläche zu schaffen." Nach einer kurzen Pause fuhr der Professor fort: „Überlegung und Arbeit hat dies alles gekostet. Niemals aber hätten wir so großzügig bauen können, wenn nicht unsere Regierung Mittel zur Verfügung gestellt hätte. Doch diese Investitionen haben sich gelohnt. Die werktätigen Menschen unserer Republik kommen in den Genuß der Konstruktionen, die wir hier erproben. Nie zuvor in der Geschichte unseres 14
Vaterlandes standen der Entwicklung der'Wissenschaft so viele Möglichkeiten offen wie jetzt, da wir ein einiges demokratisches Vaterland haben, das stark und friedliebend ist." „Vor allem kommen bei uns die Ergebnisse der Arbeit den arbeitenden Menschen selbst zugute", pflichtete Roland dem Professor bei. „Aber kühn ist es doch, ein so großartiges Projekt wie dieses hier, durchzuführen." Wasserberg lächelte. „Die Kühnheit ist uns nichts Fremdes. Angeregt zu diesem Bau wurden wir durch den Vorschlag einiger polnischer Kollegen. Als wir über den Plan zur Einrichtung unseres Versuchsgeländes sprachen, machte Professor Mieslavski von der Akademie der Wissenschaften zu Warschau den Vorschlag, das Projekt in den Bergen zu errichten." „Wäre es nicht billiger gewesen, das Versuchsgelände dort einzurichten, wo genügend Platz ist, um auch die Häuser draußen bauen zu können", fragte Roland den Professor. Er schüttelte den Kopf. „Dieser Platz ist hier besonders günstig. Die großen Luftlinien führen nicht über den Spessart. Durch unsere ständigen Flugversuche würden wir sonst den normalen Verkehr zu sehr stören, obwohl wir in sehr großer Höhe fliegen. Das muß vermieden werden. Die Hauptwerke und die Produktionsstätten befinden sich allerdings in der Stadt. Bei dem Ausbau der Versuchsstation im Spessart haben uns unsere befreundeten Partner sehr geholfen. Sie stellten uns ihre neuesten Anlagen zur Verfügung. So sind zum Beispiel die Transporteinrichtungen im Berg aus der Tschechoslowakei." „Ja, wie funktionieren denn nun die Fahrzeuge in den Felsgängen und die Beleuchtung?" wollte Hans-Jürgen endlich wissen. „Ach so", lächelte der Professor wieder, „wir sind vom eigentlichen Thema abgekommen. Es handelt sich hierbei um eine Art Fahrstuhl. Der einzige Unterschied ist der, daß unser Fahrstuhl waagerecht durch den Berg führt. Auch wird er nicht durch Seile gezogen, sondern fährt mit eigener Energie auf kleinen Rädern. Man steigt ein, drückt auf einen bestimmten Knopf . . . je nachdem, wo man hingebracht werden w i l l . . . und schon geht die Fahrt los. Kreuzen sich die Fahrstühle, so stoppt nach der Verkehrsordnung ganz automatisch der von links kommende und läßt den andern vorbei. Zusammenstöße gibt es nicht. Man kann die Fahrzeuge auch fernlenken, wie ihr es bei eurer ersten Fahrt erlebt habt. Ihr dürft auch allein fahren. Die Handhabung ist so gefahrlos wie die der Aufzüge in den Hochhäusern." „Das ist mir nun klar", meinte Roland. „Und wie ist es mit der Beleuchtung?" fragte er wißbegierig weiter. „Das Prinzip der automatischen Schaltungen ist sehr einfach", erklärte der Professor. „In verschiedenen Höhen werden bestimmte 15
Wellen durch die Räume gesendet. Wird der gleichmäßige Strom gestört, erhält der Empfänger keine Energie mehr, so schnappt eine feine Relaiszunge ein, und es wird hell. Wir ersparen uns auf diese Art das lästige Schalten. Früher benutzte man ähnliche Anlagen zum Sichern von Kassenschränken und schützte sie vor Unbefugten. - In unseren Türen sind verbesserte Photozellen eingebaut. Sie reagieren, sobald sich jemand nähert, und die Türen öffnen sich. Dadurch erübrigen sich Schlösser und Klinken." „Toll", staunte Hans-Jürgen. „So etwas bau ich mir zu Hause auch." „Allerdings hat so etwas nur eine Berechtigung, wenn die Anlage sich lohnt. Man muß bei allen Arbeiten beachten, daß das Ergebnis auch den Aufwand rechtfertigt. Das ist oberstes Prinzip bei unserem Schaffen. In unseren Räumen haben wir die ersten Versuchsanlagen dieser Beleuchtungsweise eingebaut, um sie in der Praxis gründlich auszuprobieren. Später wird man diese Anlagen hauptsächlich in Fabrikräumen und Werkstätten benutzen." Stundenlang hätten die Freunde den Erläuterungen des Professors zuhören können. Doch Wasserberg verabschiedete sie bald, denn dringende Arbeiten waren zu erledigen. Er brachte die Jungen an den Fahrstuhl, der vor der Tür wartete. „Drückt auf den Knopf mit der Aufschrift: Halle II", sagte ihnen der Professor. „Dort arbeitet unser Chefpilot, der Kollege Martens. Ihr werdet euch mit ihm gut verstehen. Ich melde euch inzwischen an. Besucht mich recht bald wieder und erzählt mir, was euch besonders gefällt und womit ihr nicht einverstanden seid." Noch ein freundliches Grüßen, dann klappte die Tür des Fahrzeuges zu. Surrend setzte es sich in Bewegung. Die Halle II war der größte Raum innerhalb des Felsmassivs und ebenfalls mit indirekter Beleuchtung und einer Klimaanlage ausgerüstet. Die Stirnseite wurde durch eine riesige Glaswand abgegrenzt, die nach Bedarf fortgezogen werden konnte und den Ausund Eingang für die Flugzeuge freigab. Nach den Versuchsflügen wurden hier die Maschinen genau überprüft, auseinandergenommen und wieder montiert. Jede Materialveränderung wurde registriert. Ständig brachten die Ingenieure Verbesserungen an. Es war ein weiter Weg, bis so ein neuer Flugzeugtyp „auf Serie" gelegt werden konnte. Immer wieder wurde verbessert und aufs neue geplant. Dafür flogen dann auch die Menschen die schnellsten und sichersten Luftverkehrsmittel. Die Deutschen, die selbst Besitzer der Fabriken und Werke waren, kannten nicht mehr wie ihre Väter die Profitgier, die die Kapitalisten anderer Länder dazu trieb, schlecht 16
durchentwickelte Maschinen zu produzieren. Es war kein Geheimnis, daß selbst die Geschäftsleute der imperialistischen Länder die volksdemokratischen Luftlinien bevorzugten, nachdem bestimmte in kapitalistischen Ländern produzierte Flugzeugtypen fast täglich abgestürzt waren. Traurig standen Roland und Hans-Jürgen vor den Trümmern ihrer „Hannes Dittmer", die in einer Ecke der Halle lagen. Kleinholz, das war alles, was von ihrem stolzen Segelflugzeug übriggeblieben war. Viel war davon nicht mehr zu gebrauchen. Beide fühlten Tränen in die Augen steigen. Mannhaft unterdrückten sie die wehleidige Stimmung. Roland bückte sich und warf die Holzteile suchend auseinander. Er fand eine lange Spante, auf der der Name „Hannes Dittmer" ziemlich unversehrt zu lesen war. Hans-Jürgen klemmte sich diese unter den Arm: „Laß man", versuchte er seinen Freund zu trösten, „wir bauen uns eine neue Kiste; ,Hannes Dittmer II' wird schöner werden als die erste." Die Freunde gingen zur anderen Seite der Halle hinüber. Dort lagen die Reste des gläsernen Überschallrenners. Bestand ihr Segelflugzeug immerhin nach dem Absturz noch aus meterlangen Bruchstücken, so war von dem Versuchsflugzeug nur ein Gewirr von Glasteilen, Federn und Stahlresten geblieben. Es sah aus, als hätte die Faust eines Riesen eine Taschenuhr auf dem Felsboden zerschmettert. „Na, da staunt ihr, was", fragte plötzlich ein Mann im blauen Kittel, der sich ihnen näherte. Es war Conrad Martens, der Chefpilot. Er hatte die Freunde schon beim Eintritt in die Halle beobachtet und gesehen, daß sie die Trümmer ihres Segelflugzeuges betrübt betrachteten. Jetzt wollte er sie auf andere Gedanken bringen. „Sie sind wohl Martens, der berühmte Einflieger?" staunte HansJürgen, der schon viel von dem bekannten Mann gehört hatte. Dieser nickte. Bei der Produktion jedes neuen Flugzeugs wurde stets der Name des Einfliegers genannt. Hans-Jürgen wußte darüber natürlich Bescheid. „Ich habe schon immer mal mit Ihnen zusammenkommen wollen. Sie werden doch Zeit für uns haben? Wir wollen von Ihnen lernen. Sie müssen uns alles genau erklären, denn Sie wissen doch soviel. Kann ich nicht mal mit Ihnen starten? Das ist mein größter Wunsch, mit so einem berühmten Mann zu fliegen." Martens wehrte das Lob und den sprudelnden Redefluß des Jungen ab. „Nur nicht so überschwenglich. Ich tue meine Arbeit wie jeder andere auch. Jeder Kollege des Werkes hat an den Leistungen unserer Maschinen großen Anteil. Nur weil wir gemeinsam an unseren schönen Aufgaben arbeiten, erringen wir Erfolge." Der Chefpilot wandte sich 17
jetzt Hans-Jürgen zu: „So, du willst also auch ein Flugzeugführer werden! Das ist ein schöner Beruf. Man muß viel wissen und lernen. Bestimmt hast du die besten Zeugnisse in der Schule?" Hans-Jürgen schluckte. Nun fing sein großes Vorbild auch noch damit an. Das Wichtigste war doch, daß man über die Fliegerei Bescheid wußte. Er wollte mit dem Chefpiloten über die neuesten Flugzeugtypen sprechen und nicht über die Arbeiten in der Schule. Der Chefpilot bemerkte die Verlegenheit des Jungen nicht, sondern fragte Roland: „Willst du auch Flieger werden?" Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nein, ich will später Pädagogik studieren. Der Segelflug genügt mir zur Erholung und Entspannung." „Pah, Segelfiug", sagte Hans-Jürgen, „was ist das dagegen!" Er deutete auf die Reste des Überschallflugzeugs. „Die Maschine macht mindestens 1500 Stundenkilometer. Stimmt es?" „Ja", antwortete Martens, „wir kommen damit sogar bis auf 4,5 Mach." „Mach", fragte Roland, „was ist das für eine Bezeichnung?" „Aber", tadelte Hans-Jürgen, „als Flieger muß man da doch Bescheid wissen. Der Schall legt in der Sekunde 331,6 Meter zurück. Das sind in der Stunde ungefähr 1200 Kilometer." „Genau 1193,76 Stundenkilometer", ergänzte Martens. „Ja", fuhr Hans-Jürgen fort, der ahnte, daß es bei der wissenschaftlichen Arbeit kein Ungefähr gab, „die Schallgeschwindigkeit ist gleich Mach 1. Je schneller man fliegt, um so breiter wird der Machzahlensektor auf dem Anzeigergerät." „Diese Grenze von Mach 0,8 bis 1 zu überwinden, ist das Schwierigste für jedes Flugzeug", berichtete der Chefpilot. „Bei den großen Geschwindigkeiten läßt sich die Luft nicht mehr beiseitestoßen oder durchschneiden. Sie verdichtet sich immer mehr und wird buchstäblich fester. Deshalb schieden auch die altmodischen Propellerflugzeuge mit ihren Flügeln und Rümpfen aus. Sie boten der Luft zuviel Widerstand. Die neue Bauart ist die Pfeil- tfder Deltaform. Ihr kennt doch die dreieckigen Typen mit der nadeiförmigen Spitze und der messerscharfen Vorderkante an den Flügeln." „Was geschieht eigentlich noch, wenn man sich der Schallgrenze nähert?" wollte Roland wissen. „Woher kommt der große Tempoverlust?" „Zuerst treten sogenannte Stoßwellen auf", erklärte Martens weiter, „die dem Flugzeugführer einfach das Steuer aus der Hand schlagen. Die kleinste Unebenheit kann zu einer Kante werden, an der sich die gefürchtete Stoßwelle bildet. Sobald sie auftritt, verändert sich die 13
gesamte Luftströmung um das Flugzeug herum. Die Maschine gerät in Schwingungen, das Material erzittert, und das Gerippe reißt auseinander. Deshalb müssen die Flugzeuge, die es mit der Schallgeschwindigkeit aufnehmen wollen, glatt wie ein Silberspiegel poliert sein." „Da ist ja Glas ein guter Baustoff", sagte Hans-Jürgen und nahm eine der harten Glasscherben vom Boden auf. „Nicht nur deshalb, weil es glatt ist", entgegnete der Einflieger. „Aber erst noch ein Wort zum Geschwindigkeitsverlust. Der Pilot ist gewohnt, die Leistungen seiner Antriebsmaschine stetig zu steigern. Wenn sich ihm aber plötzlich die verdichteten Luftmoleküle wie eine Mauer entgegenstellen, muß er die Leistungen ruckartig erhöhen." „Wenn die Schallmauer durchstoßen ist, geht alles viel leichter", unterbrach Hans-Jürgen den Sprechenden. „Ja und nein", antwortete Martens. „Das Bild vom Durchstoßen der Mauer ist falsch. Man sollte eher vom Eindringen in einen anderen Dichtezustand der Luft reden." „So etwa, als ob ein Schwimmer vom Turm ins V/asser springt?" versuchte Roland, der aufmerksam zuhörte, ein Beispiel zu finden „Erst durchdringt er die Luft, dann prallt er auf eine Art .Wassermauer' und gleitet nun unter veränderten, aber wieder gleichbleibenden Bedingungen durch das neue Element?" „Ganz richtig", griff Martens das Beispiel auf, „ähnlich ist es nach der Überwindung der Schallbarriere. Denn daß die Widerstandserhöhung nach dem Erreichen der Schallgeschwindigkeit wieder nachläßt und allmählich normale Verhältnisse eintreten, ist recht einfach zu erklären. Die gewaltige Widerstandserhöhung wird durch die Arbeit des Komprimierens der Luft an den Störungskanten verursacht. Wenn diese Arbeit einmal geleistet ist, muß sie zwar fortgeführt, braucht aber nicht mehr gesteigert zu werden. Es ist, als würde plötzlich ein Tuch über das Flugzeug geworfen, das es von nun an mitschleppen muß. Dann ergäben sich ebenfalls ein heftiger Ruck und eine erhebliche Mehrarbeit. Man müßte, ganz einfach gesprochen, in diesem Augenblick wesentlich mehr Gas geben. Die erforderliche Motorenleistung schnellt nämlich aus der üblichen Größenordnung von 2000 auf 6000 PS und höher hinauf. Wenn man nun wieder etwas schneller fliegen will, braucht man nun nicht mehr plötzlich eine Menge Gas zu geben, sondern es genügt wieder das regelmäßige Gasgeben. Technisch erklärt: Im Normalflug nimmt das Flugzeug eine gewisse Gleichgewichtslage ein. Diese wird durch das Auftreten der Verdichtungswelle gestört. Es muß dann eine neue Gleichgewichtssituation erstrebt werden. Das ist im Bereich der Übergangsgeschwindigkeiten kaum möglich, weil in ihm die Strömungsverhältnisse völlig 19
unstabil sind. Wenn aber an sämtlichen Flugzeugteilen, von der Spitze über die Flügel bis zum Leitwerk, einwandfrei Übersehallströmung herrscht, dann ist die neue Gleichgewichtssituation erreicht." Conrad Martens sprach so anschaulich, daß seine Zuhörer gut folgen konnten. Gespannt lauschten sie und nahmen alle ihnen noch unbekannten Tatsachen auf. „Ich habe gehört, daß man bei den schnellen Flugzeugen darauf achten muß, daß sie nicht zu schnell werden. Ist das nicht widersinnig", fragte Roland. „Das hängt mit der Überwindung der Schallmauer zusammen", entgegnete der Chefpilot. „Wir sind jetzt erst dabei, die Luftschicht in allen Einzelheiten zu erforschen. Wenn ein Flugzeug ohne Spezialausrüstung in die Schallmauer eindringt, und das ist bei der großen Leistungsfähigkeit unserer Maschinen nicht so schwer, dann besteht die Gefahr, daß es auseinanderplatzt. Auch kann der Druck zu stark werden oder bei der hohen Reibungshitze das Metall schmelzen. Jahrelang hat Professor Wasserberg, den ihr bereits kennengelernt habt, gearbeitet, um einen geeigneten Baustoff zu finden. Eingebaute Kühlanlagen machen die Überschallrenner zu schwer. Jetzt probieren wir besondere Glasfasern aus, die mit einem durchsichtigen Kunststoff überzogen werden. Das ist bestimmt der geeignete Baustoff." „Können wir nicht einmal ein gläsernes Flugzeug sehen?" fragte Hans-Jürgen. „Später", vertröstete der Einflieger den Ungeduldigen. „Unser Werk baut von jedem Versuchstyp drei Maschinen. Nachdem eine jetzt abgestürzt ist, wird die zweite Maschine gerade geholt. Sie wird aufsteigen, wenn der Fehler in der ersten gefunden ist. Das kann unter Umständen sehr lange dauern. Erst dann werde ich den Flug unternehmen." „Solange sollen wir warten?" fragte Hans-Jürgen. „Wer sagt das?" lachte Conrad Martens. „Wir fliegen noch andere Typen ein. Ihr habt doch sicher schon vom Libellenflugzeug gehört?" Die Jungen nickten. Besonders Hans-Jürgen hatte aufmerksam in der Presse die Diskussionen über die Umstellung im Flugzeugbau verfolgt. „In einer Stunde startet die Maschine. Auf dem Flugplatz sind die Vorbereitungen schon im Gange. Wenn es euch interessiert..." „Na, und ob uns das interessiert", erwiderten beide. Sie bedankten sich bei Conrad Martens und konnten nicht schnell genug zum Fahrstuhl gelangen, der sie zum Ausgang brachte. Auf dem Platz stand ein Flugzeug, das die beiden Jungen bisher nur von Skizzen, Zeichnungen und gelegentlichen Modellabbildungen 20
kannten. Sein Rumpf, der die Form einer Zigarre hatte, war zwölf Meter lang. An Stelle der Bauchbinde lief ein dicker 220 Zentimeter breiter, leicht gewölbter Eisenring um den Rumpf und trennte das vordere Drittel, eine Glaskabine, in der der Pilot saß, vom hinteren Teil. An dieser sonderbaren Bauchbinde waren drei lange Flügel befestigt, an deren Spitzen sich Antriebsdüsen befanden. Das Triebflügelflugzeug stand senkrecht auf dem eigenen Leitwerk. Die große Antriebsdüse am Schwanzende war dadurch verdeckt. Einige Männer hantierten an der Maschine, um sie startfertig zu machen. Jetzt gab einer von ihnen dem Flugzeugführer ein Zeichen Die drei großen Flügel begannen sich langsam mit dem breiten Ring um den Rumpf zu drehen. Das Tempo wurde schneller. Sanft, löste sich die Maschine vom Erdboden und blieb in ein Meter Höhe stehen. Es war ein phantastisches Bild. Ohne zu zittern stand der Rumpf in der Luft. Nur die Flügel rotierten schillernd in der Sonne. Unbekümmert gingen die Menschen unter dem Flugzeug hindurch, das regungslos in der geringen Höhe verharrte. Die Jungen kamen aufgeregt näher. „Na, da staunt ihr, was?" wurden sie zum zweiten Male mit der gleichen Anrede begrüßt. Ein korpulenter Mann, dessen Gesicht vor Zufriedenheit strahlte, reichte ihnen die Hand und machte sie mit den übrigen Ingenieuren bekannt. „Ich heiße Wenzel und bin vom Staatlichen Institut für Aerodynamik", sagte der Professor. „So ein Flugzeug habt ihr euch als kühne Segelflieger wohl nicht träumen lassen?" „O doch", widersprach Hans-Jürgen leicht gekränkt, „als Flieger sind wir selbstverständlich über die neuesten Typen auf dem laufenden. N u r . . . " Das Triebflügelflugzeug begann jetzt mit einigen schwierigen Übungen. Die Maschine flog noch einige Meter höher, drehte auf der Stelle und blieb waagerecht in der Luft stehen. Jetzt hatte es große Ähnlichkeit mit einer Libelle, die ununterbrochen ihre silbernen Flügel schlägt. Wieder wendete das Flugzeug leicht und elegant. Die Kanzel zeigte senkrecht nach unten. Der Sitz des Piloten mit dem Armaturenpult und der Steuerung wahrte wie ein lotrechtes Pendel die normale Lage. Der Flugzeugführer winkte den Menschen unter ihm zu. Professor Wenzel zeigte mit der Hand aufwärts. Da begannen die Antriebsdüsen zu zischen und zu knallen. Die Maschine wendete und raste dann mit großer Geschwindigkeit auf die Felswand zu. Kurz vorher bäumte sich das Flugzeug auf und zog um Flügelbreite haarscharf hoch. Es flog wieder waagerecht und steuerte mit voller Düsenkraft im Kreis um den Flugplatz. 21
Es w a r großartig anzusehen, wie der Rumpf der Maschine alle diese Bewegungen ohne besondere Erschütterungen mitmachte. Ein Wunderflugzeug! Nun schoß es senkrecht in die Höhe u n d w a r in Sekundenschnelle verschwunden. „Ich möchte mit der Maschine fliegen", sagte Hans-Jürgen noch immer voll Begeisterung. „Das wird sich machen lassen", entgegnete Professor Wenzel. „Ab heute wird dieser Triebflügier in Serien hergestellt. Die Konstruktion ist abgeschlossen. Ihr habt selbst gesehen, wie gut alles klappt." „Haben die Techniker n u n einfach eine Libelle nachgebaut?" wollte Roland wissen. „Nicht ganz", gab der Professor Auskunft. „Der Schneider von Ulm und Gustav Lilienthal, ein Pionier der deutschen Flugtechnik, wollten den Schwingenflug der Vögel nachahmen. Sie w a r e n vom ruhigen und doch schnellen Gleiten der Tiere fasziniert. Doch es gelang ihnen nicht, denn auf die Flugzeuge läßt sich das Prinzip des Schwingenflugs nicht anwenden. N u r aus dem Flug der Libelle können Lehren für die Technik gezogen werden." „Ich weiß", sagte Roland, „die Libelle schlägt ein Flügelpaar a b wärts und zieht das andere nach oben. Aber die Maschine, die wir eben sahen, h a t t e doch n u r drei Flügel." „Dafür aber Antriebsdüsen an den Flügelspitzen, die den vierten Flügel überflüssig machen", ergänzte der Professor. „Dieser Triebflügier startet u n d landet senkrecht, steht in der Luft still und k a n n schnell fliegen. Große Flugplätze w e r d e n dadurch überflüssig. Die Passagiere fliegen ruhig und bequemer. Das ideale Reisefiugzeug für uns Menschen. Die Überschallrenner w e r d e n den Post- und Schnellverkehr übernehmen." Noch lange standen die J u n g e n auf dem Flugfeld und begutachteten das neue Flugzeug. Dann meldete sich der Hunger, und sie begaben sich zur Kantine. Die Tage vergingen wie im Flug. Langeweile k a m nicht auf. Roland und Hans-Jürgen wurden mit allen Mitarbeitern des Versuchsgeländes bekannt, und jeder schätzte ihr offenes Wesen. Roland interessierte sich für alles. Er studierte die indirekte Lichtanlage, fertigte sich eine Skizze der F a h r s t ü h l e und des Prinzips ihrer Fortbewegung an u n d versuchte den Ingenieuren zu helfen. Täglich kontrollierte er die Arbeit des zigarrenkistengroßen Atommeilers, der die enormen Anlagen des Versuchsgeländes u n d einen großen Teil der umliegenden Produktionsgenossenschaften u n d Maschinen-Traktorenoo
Stationen mit Energie versorgte, die ihrerseits die Felder mit elektrisch betriebenen Traktoren und Ackergeräten bestellten. Hans-Jürgen dagegen hatte nur Augen und Ohren für die Fliegerei. Er hing den ganzen Tag über wie eine Klette an dem Chefpiloten, fragte ihn unaufhörlich nach allen Einzelheiten und ruhte nicht eher, bis er über alles Bescheid wußte. Er war schon einige Male mit ihm geflogen und durfte auch gelegentlich die Maschine zum Start rollen Nur, zu seinem großen Leidwesen, selbständig fliegen, das erlaubte man ihm trotz aller Bitten nicht. Vergebens bewies er, daß er jeden Handgriff kannte, bot er an, sich aller möglichen Prüfungen unterziehen zu wollen, beteuerte, sich der großen Verantwortung bewußt zu sein, wenn man ihm ein Flugzeug anvertrauen würde. Hans-Jürgen wollte sogar mit der ältesten Maschine fliegen, die zur Zeit von der Luftfahrt benutzt wurde. Aber eine solche gab es gar nicht auf dem Versuchsgelände. Professor Wasserberg und Chefpilot Martens sagten bei aller Freundschaft und Bereitwilligkeit, mit der sie sonst auf die Bitten der Freunde eingingen, entschieden „nein". Es schien, als sollte der größte Wunsch Hans-Jürgens unerfüllt bleiben. • Unmerklich war in dem Jungen eine Veränderung vorgegangen Er gebrauchte kaum noch die Formulierung: „Als Flieger..." und hatte in seinem ganzen Wesen, wie man so sagt, einige Pflöcke zurückgesteckt. Das machte das Beispiel, das ihm der Chefpilot täglich gab, Conrad Martens war bei den Kollegen wegen seiner ständigen Hilfsbereitschaft beliebt. Für jeden hatte er ein freundliches Wort, aber ebenso beharrlich ging er gegen den Schlendrian an, gegen unnütze Verschwendung von Material und übte unerbittlich dort Kritik, wo seiner Meinung nach etwas nicht richtig getan wurde. Er konnte auch den Monteuren wertvolle Hinweise bei ihrer Arbeit geben, war er doch selbst ein gelernter Feinmechaniker. Wenn Conrad Martens vor dem Steuerknüppel saß, dann schien es, als liebkosten seine feinnervigen Hände die Instrumente wie ein kostbares Kunstwerk. Mit allen Fasern des Körpers spürte er das Arbeiten der Düsen und der Raketen seiner Maschine. Eine Überraschung für Hans-Jürgen war der Besuch, den er mit seinem Freund zum erstenmal dem Chefpiloten abstattete. Er glaubte, es würde in seiner Wohnung ähnlich wie in seinem Arbeitszimmer aussehen: zahlreiche Abbildungen von Flugzeugen, die Lampe als kleines Modell einer Düsenmaschine, an den Wänden Fliegertrophäen und ähnliches. Aber nichts dergleichen sah er. Die Zimmer waren nach dem persönlichen Geschmack ihres Besitzers ausgestattet. In einer Ecke stand unter Glas eine Gesteinssammlung, die von Martens laufend ergänzt wurde. 23
,,Was?" hatte Hans-Jürgen entsetzt gefragt, „Sie sind auch noch Mineraloge? Ich dachte, die Fliegerei füllt Sie ganz aus?" „Tut sie auch", antwortete der Einflieger, „doch es macht mir Freude, meine Heimat in allen Einzelheiten kennenzulernen. So wählte ich als Spezialgebiet die Erforschung der Zusammensetzung des Erdbodens im Spessart. Aber das ist nicht das einzige, wofür ich Interesse habe. Ich nehme am Fernstudium für slawische Sprachen teil, um das Wesen unserer Freunde jenseits der Grenze noch besser verstehen zu lernen. Ich will mich vielseitig bilden und kann alles für meine Arbeit auswerten. Zu bedauern ist der Flieger, dessen Interessen nicht weiter reichen, als der heiße Strahl der Düsen seiner Maschine zischt." Roland hatte Hans-Jürgen vielsagend angesehen, dann aber kameradschaftlich geschwiegen. Heute unternahmen nun die Freunde in den späten Nachmittagsstunden mit dem Chefpiloten einen Ausflug in die Berge des Spessarts. Sie waren mit einem der offenen geländegängigen Sieg-ElektroWagen über grüne Hügel und schmale Waldwege gefahren. Bald lagen die Jungen in-einer kleinen erhöhten Lichtung auf einer Wiese und blinzelten träge in die untergehende Abendsonne. Es war am Vortag des ersten Fluges mit dem bemannten gläsernen Flugzeug. Eine internationale Kommission war zu dem Versuch geladen worden. „Es will mir gar nicht so recht in den Kopf, daß so eine kleine Schraube an dem Absturz der Maschine schuld gewesen sein soll." Hans-Jürgen ließ einige Grashalme durch seine gespreizten Finger laufen. Er sah zu dem Chefpiloten hinüber. Martens lag ausgestreckt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und hielt die Augen geschlossen. „Das war eine knifflige Arbeit, die unsere Techniker geleistet haben", antwortete er schließlich. „Aus den Trümmern die Ursache des Unglücks festzustellen, ist nicht einfach - alle Achtung! Aber es stimmt, was sie sagen. Auf so etwas muß man bei ferngelenkten Flügen mit Überschallgeschwindigkeit gefaßt sein. Es ist uns noch nicht gelungen, einen leichten Apparat zu bauen, der das Flugzeug nicht übermäßig belastet und gleichzeitig, feinfühlig wie ein Mensch, die Geschwindigkeit beim Eindringen in die Schallmauer regelt. Beim Fernlenken muß man sich darauf beschränken, die Geschwindigkeit ruckartig stufenweise zu schalten. So kann beim Schlackern und Stoßen der Maschine leicht etwas beschädigt werden. - Immerhin hat der Flug das Ergebnis gebracht, daß der Glasbaustoff ausgezeichnet allen Anforderungen gewachsen ist. Dies zu ergründen, war schließlich das Ziel des Versuchs." „Dein Wagnis morgen ist deshalb um nichts geringer", meinte Roland. Schon längst herrschte zwischen den beiden Freunden und 24
dem Chefpiloten das vertraute „Du". „Kein Mensch ist bisher in so einer Maschine geflogen. - Was bewegt dich eigentlich, wenn du so ins Ungewisse startest und auf dich allein angewiesen durch die Wolken rast?" Der Chef pilot legte sich auf den Bauch und verzog schmerzhaft das Gesicht. Seit zwei Tagen hatte er leichte Stiche in der rechten Bauchseite. Nach dem Flug wollte er sofort den Arzt aufsuchen. Vielleicht vergingen die Schmerzen auch mit'der Zeit. Allzu schlimm war es ja nicht. „Was ich denke?" wiederholte er. „Wenn ich ehrlich sein soll, zweierlei: Zuerst einmal wenn mich der Antrieb in den Sessel drückt, möchte ich so schnell wie möglich wieder zur festen Erde zurück. Doch ich weiß, daß es dort oben an mir liegt, an mir ganz allein, ob das Experiment gelingt, ob die Arbeit zahlreicher Menschen von Erfolg gekrönt ist oder nicht. Das . . . nennen wir es ruhig . . . Angstgefühl verfliegt. Ich werde zum Herrn der Maschine, zwinge ihr meinen Willen auf, lausche auf jeden Ton und dann bin ich sehr stolz, wenn es gelingt. Ja, so ist es. Ganz genau so." Die Jungen hatten sich aufgerichtet und sahen den Erzähler an. Da gewahrte Roland, daß Martens das Gesicht verzog. „Ist dir nicht gut?" fragte er besorgt. „Doch, doch", wehrte der Chefpilot ab. „Es wird schon vorübergehen. Gleich morgen, wenn ich wieder unten bin, suche ich den Arzt auf. Ich kann die Vorbereitungen zum Flug jetzt nicht stören oder gar gefährden." Doch dann kam der Schmerz so stark, daß der Einflieger die Beine anziehen mußte. Er stöhnte. „Wir müssen etwas unternehmen", sagte Hans-Jürgen. „Ich werde den Wagen heranfahren, und wir bringen dich zur Poliklinik nach Würzburg. Dort stellt man dich bestimmt schnell wieder her. Hoffentlich ist es nicht gefährlich." Martens protestierte. Doch es nützte ihm nichts. Die Freunde halfen ihm in den Wagen. Hans-Jürgen nahm hinter dem Steuer Platz, und der Wagen setzte sich mit leisem Schnurren in Bewegung. Er rumpelte über unebene Wege Würzburg zu, während die letzten Strahlen der Sonne von den höchsten Gipfeln der Berge aufgesogen wurden. Die Rollen zwischen Professor Wenzel und seinem Kollegen Wasserberg schienen vertauscht. Die sprichwörtliche Ruhe hatte den Direktor des Staatlichen Instituts für Aerodynamik verlassen. Ihn hielt es nicht auf seinem Sessel. Immer wieder sprang er auf und fuchtelte mit den Armen, um seinen Argumenten mehr Gewicht zu verleihen 25
„Aber wir müssen doch etwas u n t e r n e h m e n " , rief er, „es k a n n einige Wochen dauern, bis Martens wieder gesund ist. Wir können die Wissenschaftler aus der Sowjetunion, den Volksdemokratien u n d den befreundeten Ländern doch nicht solange w a r t e n lassen. Die Kollegen haben uns geholfen. Sie teilten uns ihre Erfahrungen mit u n d gaben uns Ratschläge. Sollen w i r ihr V e r t r a u e n enttäuschen und sie n u n einfach nach Hause schicken?" Die Versammelten schwiegen. Werkleitung und Kollegium des Staatlichen Instituts waren zu einer eiligen Beratung zusammengetreten. Die Ursache hierfür w a r ein Telephonanruf der Poliklinik aus Würzburg. Die diensthabende Assistentin hatte mitgeteilt, daß Conrad Martens, der Chefpilot und Einflieger des Werkes, zur Zeit mit aufgeschnittenem Bauch auf dem Operationstisch liege: Blinddarmoperation im vorletzten Stadium. - Damit w a r der für den nächsten Tag vorgesehene Versuchsflug des b e m a n n t e n gläsernen Überschallrenners in Frage gestellt. Professor Wasserberg hob unschlüssig die Schultern. Niemand sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, sich mit dem Gedanken v e r t r a u t zu machen, den Flug zu verschieben. Trotzdem machte er diesen Vorschlag. „Ich sehe keinen anderen Ausweg", sagte er. „Wir könnten höchstens den Flug ohne Piloten, der das erstemal einen unglücklichen Ausgang nahm, wiederholen. Allerdings dauert der Einbau der betreffenden Apparate mehrere Tage, da die Maschine neu ausbalanciert w e r d e n m u ß . Einem anderen Piloten können wir das Flugzeug nicht anvertrauen, es gibt niemand, der mit allen Einzelheiten so vertraut ist wie Martens . . . " ,,Es gibt jemand, Herr Professor", w u r d e Wasserberg von einer hellen Stimme unterbrochen. „Ich k a n n mit dem Überschallrenner fliegen!" Lautlos h a t t e sich die Doppeltür zum Konferenzzimmer geöffnet. Roland u n d Hans-Jürgen, die eintraten, w u r d e n mit erstaunten Gesichtern empfangen. Störungen bei Beratungen waren nicht üblich. Jeder Angehörige des Betriebs gehorchte, aus Respekt vor den Beratungen des Leitungs-Kollektivs, diesem ungeschriebenen Gesetz. Und nun erfolgte die Störung durch die beiden Jungen. Bevor einer der Wissenschaftler H a n s - J ü r g e n antworten konnte, gab Roland eine Erklärung: „Entschuldigen Sie bitte unser Eindringen. Das, was wir zu sagen haben, gehört in die Beratung. Bevor Kollege Martens, nach heftigem Sträuben, sich bereit erklärt hat, sich der dringend notwendigen Operation zu unterziehen, bat er uns, Ihnen mitzuteilen, daß er empfiehlt, meinen Freund Hans-Jürgen für den morgigen Versuchsflug starten zu lassen."
„Ausgeschlossen!" Professor Wenzel sprang von seinem Sitz auf. „So etwas ist ja noch nicht dagewesen." Hans-Jürgen trat an den ovalen Konferenztisch. „Laßt ihn sprechen", bat Professor Wasserberg seinen Kollegen. „Die Maschine kenne ich genau", sagte der Junge. „Ich habe geholfen, das abgestürzte Flugzeug zu untersuchen und mit Conrad Martens gemeinsam den neuen Überschallrenner startfertig zu machen. Einige Male bin ich mifdem Chefpiloten geflogen, und die Bedingungen des neuen Baustoffes Glas habe ich genau studiert. Ich weiß, daß mein Flug eine harte Arbeit im Dienst der Wissenschaft ist, und ich verspreche, gut zu arbeiten." Die einfachen und entschlossenen Worte Hans-Jürgens verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Junge war in den letzten Wochen im Umgang mit dem Einflieger gewachsen. - Doch alle Widerstände waren noch nicht beseitigt. Eine heftige Debatte setzte ein. Würde der Flug rechtzeitig durchgeführt werden, so war das für die wissenschaftliche Arbeit von Bedeutung. Groß war auch die Verantwortung, wenn man einem Achtzehnjährigen die Führung überlassen wollte. Aber vollbrachte nicht die Jugend täglich große Leistungen, stand sie nicht in vorderster Reihe bei der Erfüllung der großen Wirtschaftspläne? Schwer wog auch die Empfehlung des Chefpiloten. Er war ein verantwortungsbewußter Mensch, der Hans-Jürgen gut kennengelernt hatte. Bei ihrem Aufenthalt auf dem Versuchsgelände hatten sich die Jungen viele Freunde erworben. Die Meinungen gingen hin und her. Seinen wärmsten Befürworter fand Hans-Jürgen in Professor Wasserberg. Auch der Direktor des Staatlichen Instituts für Aerodynamik stand dem Einsatz des Freundes nicht mehr so ablehnend gegenüber, wie er es impulsiv im ersten Augenblick getan hatte. Nach langer Diskussion entschied sich das Leitungs-Kollektiv dafür,«die Verantwortung zu übernehmen. Die Einsetzung Hans-Jürgens als Versuchspilot wurde einstimmig beschlossen. Der Flug konnte stattfinden. Auf dem Flugplatz des Versuchsgeländes wurde das gläserne Flugzeug startfertig gemacht. Erstmalig .sollte die Maschine, von einem Menschen gesteuert, den Wettlauf mit dem Schall aufnehmen. Der neue Baustoff Glas wurde der letzten Bewährungsprobe unterzogen. Das Flugzeug hing in einer Startbahn, die mit einer Gleitfläche von 60 Grad ziemlich steil nach oben ragte. Wie aus einer feinen Filigranröhre würde das Flugzeug in den Himmel hinaufschnellen. 27
Die Vertreter der internationalen Delegation - unter ihnen bekannte Wissenschaftler der Sowjetunion - drängten sich um das Gerät. Die Monteure hatten ihren besonderen Ehrgeiz daran gesetzt, das durchsichtige Glas - der Baustoff aus dem das Flugzeug bestand ganz blank zu polieren. So konnte man alle Einzelheiten der Innenausstattung der Maschine erkennen, die sich nur unwesentlich von der der gewöhnlichen Düsenflugzeuge unterschied. Um den Startplatz standen riesige offene Kessel, die wie überdimensionale altmodische Grammophontrichter aussahen. Ein offensichtlich nach einem bestimmten System geordnetes Gewirr von Leitblechen, Doppelwänden und Kammern baute sich vor den Trichtern auf. Es waren komplizierte Schallschlucker, die dafür sorgen sollten, daß auch nicht ein Phon Lärm zuviel an die menschlichen Ohren drang. Die Strahldüsen der Turbinenwerke des Flugzeugs konnten sonst beim Probelaufen die Menschen im Umkreis von drei bis vier Kilometern fast taub machen. Eine mit voller Schicht arbeitende Kesselschmiede mit einem Lärm von etwa 120 Phon bedeutete liebliche Musik gegen die 175 Phon, den die Nachbrenner bei der Erzeugung des heißen Luftstrahles hinausgrölten. Das ist mehr, als die Nerven der Menschen ertragen können. Durch den Startingenieur wurden jetzt die Besucher aufgefordert, die Startbahn freizugeben und sich hinter die Schallschlucker zurückzuziehen. Aus der Tür des Felsens trat der Pilot und ging auf die Maschine zu. Die Besucher, die dem Start beiwohnten, spendeten dem kühnen Einflieger herzlichen Beifall. Er galt gleichzeitig all den Menschen, die an dem gläsernen Flugzeug gearbeitet, es konstruiert, entwickelt und gebaut hatten. Einen Augenblick schien es, als wollte der Flieger seine Sturzkappe abnehmen. Doch vergewisserte er sich nur, ob die Sicherheitsventile festsaßen. Den Beifall wehrte er verlegen ab. Der Pilot trug einen dicken gerippten Schutzanzug, die Füße waren mit wuchtigen Filzstiefeln bekleidet, die Hände steckten in breiten, mit Pelz gefütterten Lederhandschuhen. Die Sturzkappe sah aus wie ein Taucherhelm und verdeckte das Gesicht. Überhaupt hatte die Gestalt, die jetzt schwerfällig den Startturm emporkletterte, viel Ähnlichkeit mit einem Tiefseetaucher, der vom Grunde des Ozeans hochstieg. Der Startingenieur rief dem Piloten die letzten Verhaltungsmaßregeln zu. Die Ohrenschützer der Haube des Fliegers waren noch hochgeklappt, so daß er ihn gut verstehen konnte. „Und vergessen Sie ja nicht, daß die Stärke des Motors fast verdoppelt ist. Statt mit vier, fliegen Sie mit sieben Düsen. Vergessen Sie das nicht!" 28
Noch einmal wurden der Pilot und die Maschine in das Kreuzfeuer der Kameras für die Fernsehübertragung genommen. Trotz der wuchtigen Bekleidung wirkte der Flugzeugführer gegenüber der gigantischen Maschine zwergenhaft. - Dann mußten auch die Reporter die Startbahn verlassen. Der Flugzeugführer nahm hinter dem Steuerknüppel Platz. Er ließ die Strahldüsen Probe laufen, die mit donnerndem Geheul einen heißen Luftstrahl hinausjagten. Obwohl gleichzeitig durch die Bodenmannschaften des Versuchsgeländes die Schallschlucker eingeschaltet wurden, dröhnte trotzdem den Zuschauern noch starker Lärm in den Ohren. Dann wurde es plötzlich still. Man konnte sehen, wie der Flugzeugführer in seiner gläsernen Kanzel den Arm hob. Im gleichen Augenblick zischten die Raketen. Wie ein Pfeil schoß die Maschine steil nach oben und war schnell aus den Augen der Zuschauer verschwunden. Professor Wasserberg bat die Gäste in den Beobachtungsraum. Hier konnten sie an der großen Milchglasscheibe den Flug des Überschallrenners in allen Etappen verfolgen. Nur war dieses Mal den Ingenieuren keine Möglichkeit gegeben, die Bahn der Maschine zu beeinflussen. Ein Mensch mit eigenem Willen flog dort oben eine Form aus Glas mit Hilfe von vier Turbinen und zwei Raketen. Ein Meisterwerk des Flugzeugbaus. Noch hielt sich die Geschwindigkeit des Versuchsflugzeuges in normalen Grenzen. „Sehr vernünftig von ihm, daß er die Maschine stufenweise ausprobiert", bemerkte Professor Wenzel zu Wasserberg. Der Angesprochene nickte nur und wandte kein Auge von den Instrumenten, die den Flug der Maschine zuverlässig registrierten. Am liebsten wäre der Erfinder des gläsernen Baustoffes auch noch auf und ab gelaufen, um seiner gestauten Erregung einen Abfluß zu verschaffen. Der Überschallrenner flog über den wetterbildenden Wolken in 12 000 Meter Höhe. Das rechteckige Instrument auf dem Armaturenbrett zeigte 0,8 Mach. Jetzt kam die schwierigste Strecke für die VersuchsmascHine. Der Pilot erhöhte die Geschwindigkeit. An seiner Kanzel jagten einige Wolkenfetzen vorüber, die er nicht beachtete. Seine ganze Aufmerksamkeit mußte er auf die Steuerung des Flugzeugs konzentrieren. Um ihn herum war noch immer das Donnern der Strahldüsen. Dei Fv,aketenantrieb war sofort nach dem Start ausgeschaltet worden. Das Flugzeug raste mit steigender Geschwindigkeit der Schallmauer entgegen. Der Pilot duckte sich hinter seinem Armaturenbrett, 29
als könnte er dadurch den fürchterlichen Stoßwellen, die jeden Augenblick dem Flug ein Ende bereiten konnten, entgehen. Doch die äußere Form der schnittigen Maschine konnte er nicht verändern. Jetzt mußte es sich beweisen, ob auch wirklich nicht die geringste Kante, nicht die kleinste Beule die glatte Form des Glases beeinträchtigte. Schnell steigerte sich die Geschwindigkeit. Die an ihrem Ende im Querschnitt verengten Düsen gaben ihr Letztes her. Das Flugzeug fing an zu bocken. Der Pilot biß sich mit den Zähnen auf die Unterlippe und packte das Steuer mit eiserner Kraft. Das Instrument zeigte Mach 0,9, Mach 0,95. Alle Kraft legte der Pilot in seine rechte Hand. Vorsichtig lockerte er die Linke und betätigte den Kontakt, der die Raketen einschaltete. Es gab einen spürbaren Ruck - es war, als stoße das gläserne Flugzeug gegen ein gummiartiges Hindernis, und im gleichen Augenblick wurde es still, unheimlich still. Der Schall der eigenen Motoren erreichte nicht mehr das Ohr des Flugzeugführers. Er flog dem Schall davon, ihm voraus, und die Schallwellen konnten ihn nicht einholen. Mach 1, Mach 2, Mach 3 - und immer noch kletterte der Zeiger des Geschwindigkeitsmessers. Unbeirrbar glatt und ruhig zog die gläserne Maschine ihre Bahn, Em freudiges Gefühl durchpulste den einsamen Menschen über den Wolken. Nein, er war nicht einsam. Er fühlte sich mit all den Menschen verbunden, die der Naturgewalt zum Trotz diese gläserne Maschine geschaffen hatten. Mach 4, Mach 4,5, Mach 5 - immer größere Geschwindigkeit schufen die leistungsfähigen Antriebsmaschinen. Hatten die Strahldüsen das Flugzeug bis zur Schallgrenze getragen, war es der gemeinsamen Kraft der Turbinen und der Raketen gelungen, in die Schallmauer einzudringen, so waren es jetzt die Raketen, die die ganze überschüssige Energie darauf verwandten, das gläserne Flugzeug schneller und immer schneller vorwärts zu treiben. Und das Glas . . . der neue Baustoff... er hielt stand. Er zeigte keine Veränderungen. Der Pilot hätte jauchzen mögen vor Freude. Und er schrie, wild und frei in die aufgestülpte Atemmaske. Es war das Gefühl überströmenden Glücks. Sicherer wurden die Bewegungen des Flugzeugführers. Es galt, ohne Komplikationen die Geschwindigkeit zu vermindern und in die normale Luftdichte zurückzufinden und glatt zu landen. Der gläserne Überschallrenner setzte vorschriftsmäßig auf dem Flugplatz des Versuchsgeländes auf. Der Flugzeugführer verließ seine Kanzel. Er wurde von den Vertretern der internationalen Kommission 30
umringt, die ihm zu seinem Flug gratulierten. Andere stürzten sich sofort auf das Flugzeug und untersuchten, ob das Material irgendwelche Veränderungen aufwies. Hans-Jürgen, noch immer in seiner unkenntlich machenden Kombination, wollte sich in den Felsen zurückziehen. Doch Professor Wenzel und Professor Wasserberg nahmen ihn in ihre Mitte. Ehe es der Überraschte verhindern konnte, lösten sie die Sicherheitsventile und entledigten ihn seiner Sturzkappe. Ein blonder Wuschelkopf und zwei verlegen blickende Augen waren das erste, was die Umstehenden sahen. Dann wurde es auch allen anderen klar: nicht der bekannte Chefpilot Conrad Martens hatte die Versuchsmaschine geflogen, sondern Hans-Jürgen, der achtzehnjährige FDJler und Schüler der 10. Klasse im IV. Stadtbezirk von Leipzig. Mit einigen Worten erklärte Professor Wenzel die Zusammenhänge. Noch einmal klang herzlicher Beifall auf. Dann endlich konnte sich Hans-Jürgen zurückziehen. Auf einer schattigen Bank im herrlichen Park der Würzburger Poliklinik saßen die Freunde mit Conrad Martens. Die Jungen waren gekommen, um Abschied zu nehmen, denn in zwei Tagen begann die Schule wieder. „Schade, daß man mir nur einen Flug gestattet hat", sagte HansJürgen bedauernd. „Ich werde den Tag nie vergessen." „Wir sind stolz auf deine Tat", entgegnete Conrad Martens. „Du hast der Wissenschaft einen Dienst erwiesen, das bedeutet aber nicht, daß du einige Ausbüdungsstufen überspringen kannst. Jetzt ist das Wichtigste für dich das Abschlußexamen, das du in fünf Monaten ablegen mußt." „Und nicht nur befriedigend, sondern mit gut wirst du es schaffen", ergänzte Roland. „Ob es möglich ist, in wenigen Monaten alles das nachzuholen, was man in langer Zeit versäumt hat?" zweifelte Martens. Hans-Jürgen sah seine Freunde an. „Als Flieger . . . " Er unterbrach sich und wurde rot. Dann begann er noch einmal: „Ich verspreche euch, daß ich mein Bestes tun werde."
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Schlanke Segelflugzeuge schweben über Täler und Bergkuppen, klettern bei günstigem Aufwind zu großen Höhen hinauf bis dicht unter die weißen bauschigen Wolken und kommen dann wieder sanft zur Erde herab. ' Manchmal wird auch bei schlechtem Wetter geflogen, in die „Waschküche" dicker, grauer Regenwände hinein. Dann pfeift und heult der Sturm in den Verstrebungen, rüttelt an den Tragflächen und wirft die „Kiste" wild herum. Wollt ihr das und Adalberts Bruchlandung miterleben? Dann lest das Buch von Hans-Joachim Härtung
fitifmud Aber Qroknaberg
Die Pferde reißen und zerren an den Seilen, Viktor reißt das Gewehr hoch - doch es versagt . . . Viele Gefahren müssen Viktor, Wadim und die anderen jungen Mitglieder der Expedition überstehen, die im fernen Tien-schanGebirge nach der „wunderbaren Pusteblume" forschen. Doch es lohnt sich - diese Pflanze enthält Kautschuk. Wollt ihr mitsuchen ? Dann beschafft euch aus eurer Buchhandlung oder Bibliothek das Buch
vonAnatoliAgranowski • Illustriert • 264 Seiten • 4,80 DM