Der Sturm beutelte die ›Isabella von Kastilien‹ . Doch diese Nacht hielt noch mehr Überraschungen für Philip Hasard Kil...
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Der Sturm beutelte die ›Isabella von Kastilien‹ . Doch diese Nacht hielt noch mehr Überraschungen für Philip Hasard Killigrew bereit. Capitan Romero Valdez, sein Gefangener, war trotz seiner Verwundung und trotz des Sturmes in einem Dinghi geflohen. Und als Hasard sah, daß Valdez ein Geheimfach in der Kapitänskammer aufgebrochen und irgend etwas mitgenommen hatte, da wußte er, daß es für den spanischen Capitan etwas Wichtigeres gab als den Tod. Aber auch der Seewolf war zäh. Er wußte, daß die spanische Flotte ihn verfolgte. Trotzdem befahl er seiner Mannschaft: »Sucht den Bastard!«
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde ›Seewolf‹ genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der ›Marygold‹ - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.
John Roscoe Craig
Jagd durch die Biskaya
Seewölfe Band 15
DIE AUTHENTIS CHEN ERLEBN ISS E, KAPERFAHRTEN UND S EES CHLACHTEN DES PHILIP HAS ARD KILLIGREW
1. Capitan Romero Valdez lauschte auf die vertrauten Geräusche, die ihn umgaben. Er hörte das Ächzen des Rumpfes, das Knarren der Blöcke und Taljen und über sich das Pfeifen der Wanten vom Besanmast, an denen der steife Ostwind herumsägte. Unruhig ging er in der schmalen Kammer seines Ersten Offiziers auf und ab. Er spürte die Demütigung, auf seinem eigenen Schiff Gefangener zu sein, fast körperlich. Seit drei Jahren fuhr er die ›Isabella von Kastilien‹. Vier Fahrten in die Neue Welt hatte er mit diesem Schiff bereits hinter sich, und nie war es irgendeinem Feind gelungen, auch nur einen Fuß auf die Decksplanken der ›Isabella‹ zu setzen. So sicher wie mit Romero Valdez - das gehörte jetzt der Vergangenheit an. Dieser Spruch würde so schnell vergessen sein, wie er vor einem Jahr aufgetaucht war, als er als einziges Schiff einer Flotte den Freibeutern von Hispanola hatte entkommen können. Er dachte an die wertvolle Ladung des Schiffes, die er nach Sevilla hatte bringen sollen. Dreißig Tonnen Silber. Ein Vermögen, das dieser schwarzhaarige Teufel von einem Engländer der spanischen Krone geraubt hatte und nach England brachte. Am Zittern der Planken unter seinen Füßen merkte Valdez, daß die Galeone mit vollem Zeug segelte. Er trat an das kleine rechteckige Fenster, das zur Heckgalerie hinausführte, und warf einen Blick auf den nachtschwarzen Himmel. Nur ab und zu blitzte ein Stern am Firmament auf, dann wurde er von drohend geballten Wolkenfeldern wieder verschlungen. Die See zeigte weiße Schaumköpfe. Es schien, als hole der Wettergott zum nächsten, härteren Schlag aus. Capitan Romero Valdez ballte die Hände zu Fäusten und trommelte in stiller Verzweiflung gegen die Holzwand. Nicht
so sehr das Schicksal, das ihn in England erwartete, setzte ihm zu - nein, diese Erniedrigung würde er durchstehen wie ein M ann. Die Schmach, die der Engländer der spanischen Flotte im Hafen von Cadiz angetan hatte, schmerzte ihn viel mehr. Valdez hatte in den vierundzwanzig Stunden, die seit der Kaperung seines Schiffes vergangen waren, die Hoffnung aufgegeben, daß eines der in Cadiz vor Anker gegangenen Schiffe die Verfolgung der ›Isabella‹ aufgenommen hatte. Zu stark blies der günstige Ostwind. Und wie sollten die spanischen Schiffe herausfinden, welchen Kurs der Engländer genommen hatte? War er hinaus nach Osten in den Atlantik gesegelt, um. später nach Norden zu drehen, und die englischen Häfen von Südwesten anzusteuern? Oder hielt er nordöstlich auf Kap Sao Vicente zu? Romero Valdez wußte, daß es fast unmöglich war, bei diesem Wetter ein Schiff zu verfolgen und zu finden, auch wenn es schwerfällig war wie die ›Isabella von Kastilien‹, in deren Frachträumen dreißig Tonnen Silber verstaut waren. Der Capitan dachte an seine Leute, die sich von den verfluchten Engländern hatten überrumpeln lassen. Beschämt gestand er sich ein, daß sein Verhalten nicht gerade dazu beigetragen hatte, seine M änner zum Widerstand zu treiben. Aber wer hatte schon damit gerechnet, daß es den Engländern gelingen könnte, ein Schiff der spanischen Krone aus einem spanischen Hafen zu entführen, der von schweren Kriegsschiffen abgeriegelt war? Valdez preßte die Lippen aufeinander. Seine rechte Hand griff an die linke Hüfte, aber sein Degen war nicht da. Der Engländer hatte ihn ihm abgenommen. Er besaß keine Waffe mehr. Nicht einmal ein kleines M esser, mit dem er den Riegel der Tür hätte öffnen können. Der Capitan schüttelte den Kopf. Der Weg durch die Tür war ihm sowieso versperrt. Er hatte den riesigen Neger gesehen, der vor der Tür wachte. Valdez wandte sich wieder zum
Fenster. Seine Unruhe wuchs. Er mußte etwas unternehmen. Er durfte dieses Schiff nicht unbehelligt nach England segeln lassen, denn es hatte etwas viel Wertvolleres an Bord als die dreißig Tonnen Silber. Und das durfte um keinen Preis der Welt in die Hände der Engländer fallen. Romero Valdez hob die Hände und drückte gegen den Rahmen des kleinen Fensters, aber es gab nicht nach. Wütend stieß er nach dem Glas, das klirrend brach und nach draußen auf die Heckgalerie fiel. Erschrocken hielt Valdez inne. Er lauschte zur Tür. Sein schwarzer Wächter hatte anscheinend etwas gehört. Schritte stampften über die Decksplanken, und die gutturale Stimme des Negers klang auf. Ein anderer M ann antwortete. Wahrscheinlich der Rudergänger, der am Kolderstock stand. Valdez wartete, bis wieder Ruhe herrschte. Der kalte Seewind pfiff durch das Fenster. Der Capitan zog fröstelnd die Schultern hoch. Dann griff er abermals zum Fensterrahmen, und diesmal schaffte er es, ihn mit einem Ruck herauszureißen. Der Riegel, den einer der Engländer von draußen vor das Fenster genagelt hatte, polterte auf die Planken der Heckgalerie. In diesem Augenblick brüllte jemand Befehle über das M itteldeck. Valdez verstand nur Wortfetzen. Für ihn war nur wichtig, daß niemand etwas von seinem Ausbruch bemerkte. Er stellte einen Stuhl unter das Fenster und stieg hinauf. M ühsam zwängte er seinen Oberkörper durch die kleine Öffnung. Er blickte nach oben. Der Engländer hatte tatsächlich alle Segel gesetzt, als wolle er dem Teufel ein Ohr absegeln. Der Wind nahm Sturmstärke an. Jaulend fuhr er durch die Takelage und füllte die Segel. Das Schiff pflügte mit Backstagswind und Steuerbordhalsen durch die schaumgekrönte See, die vor dem Bug herzulaufen schien. Capitan Valdez schob sich ganz durch die schmale Fensteröffnung. Keuchend lehnte er sich gegen die Holzverkleidung des
Achterkastells. Der Wind riß an seiner Kleidung. Die Kälte drang ihm bis auf die Haut, aber er bemerkte es nicht. Die Gedanken schossen durch seinen Kopf. Wenn es ihm gelang, seine Leute aus dem Frachtraum zu befreien, konnten sie die paar Engländer, die das Schiff in ihre Gewalt gebracht hatten, mit Leichtigkeit ausschalten. Aber der Weg zum Quarterdeck war weit. Niemand wußte das besser als Captain Valdez. M it ein paar Schritten war der Spanier am Heck. Unter der Galerie gurgelte das Wasser. Ein Dinghi, das mit einer Schleppleine an Backbord der Heckgalerie festgemacht war, tanzte hinter dem Schiff auf den Wellen. Valdez wunderte sich, daß der Engländer das Boot noch nicht an Bord geholt hatte, denn schließlich befand er sich auf der Flucht, und ein nachgeschlepptes Boot war so etwas wie eine Bremse, auch wenn es bei dieser Windstärke kaum ins Gewicht fiel. Aus den Fenstern der Kapitänskammer fiel kein Licht. Entweder schlief der schwarzhaarige Engländer, oder er befand sich auf dem Achterdeck, um rechtzeitig Segel wegnehmen zu lassen, wenn der Sturm stärker wurde. Valdez preßte sein Gesicht gegen die buntbemalten Scheiben, aber er konnte im Innern der Kammer nichts erkennen. Er schlich zurück und tastete nach dem vorstehenden Oberdecksbalken. Ächzend zog er sich in die Höhe. Er brauchte keine Angst zu haben, daß ihn jemand hörte, denn der Wind orgelte dröhnend durch die Takelage und sang ein Lied, das der Teufel selbst komponiert hatte. M it M ühe schaffte er es, sich über das Schanzkleid zu ziehen. Der Wind hatte das Band, mit dem seine Haare im Nacken zusammengehalten wurden, gelöst. Feuchte Strähnen hingen Valdez ins Gesicht, so daß er nichts sehen konnte. Er suchte mit den Fußspitzen Halt an der Wand des Achterkastells, und als er eine Ritze gefunden hatte, strich er sich schnell die Haare
aus dem Gesicht. Valdez wurde blaß, als er den großen schlanken M ann auf dem Achterdeck sah. Die braungebrannten, kräftigen Hände hatte der junge Engländer um das Balustradengeländer gekrallt. Sein von Wetter und Sonne gegerbtes Gesicht war auf den Großmast gerichtet, der sich unter dem Anprall des Windes nach Lee bog. Valdez sah seinen Degen an der Hüfte des jungen Engländers, In dem breiten Gürtel steckte eine Pistole. Der Kopf des Capitan ruckte herum, als er das Knattern der Fock hörte, die zu lose gefahren wurde, Der Befehl des Engländers folgte auf der Stelle. »Holt die verdammte Fock dicht!« brüllte er, um den Sturmwind zu übertönen. Valdez sah, wie ein paar M anner über das Deck liefen und den Befehl sofort ausführten Die Fock stand gleich darauf wieder voll. Der Capitan hatte genug gesehen. Er wollte sich langsam auf die Heckgalerie zurückgleiten lassen, aber seine Finger waren klamm geworden. Seine Fußspitze rutschte von der Plankenritze ab. Krachend landete Valdez auf der Heckgalerie. Sein Kopf schlug gegen die Reling. Bunte Sterne tanzten vor seinen Augen, und ein Gefühl der Übelkeit breitete sich in seinem M agen aus. Er hörte eine Stimme und stampfende Schritte auf dem Achterkastell. Benommen rappelte er sich hoch, kroch auf allen vieren um die Ecke der Heckgalerie und preßte sich eng an die Außenwand der Kapitänskammer. Sekundenlang wagte er nicht zu atmen. Er spürte formlich, wie sich der Engländer über das Schanzkleid beugte und zur seitlichen Heckgalerie hinunter starrte. Ewigkeiten schienen zu vergehen, ehe wieder Schritte zu hören waren. Valdez atmete hastig. Er zitterte am ganzen Körper.
Er horchte in sich hinein, aber es war keine Angst, die er spürte. Er wußte, daß ihm nicht viel passieren würde, wenn ihn der Engländer bei einem Befreiungsversuch ertappte. Er zitterte vor Kälte - und davor, daß dem Engländer die Kassette in die Hand fiel, die Spaniens M acht bedeutete. M inutenlang hockte er bewegungslos da, bevor er sich zu einem Entschluß durchrang. Er schob sich langsam zum Fenster der Kapitänskammer hoch, zögerte nur kurz und schlug es mit der Faust ein. Er preßte die Lippen aufeinander, als er den stechenden Schmerz im Handballen spürte. Etwas Warmes lief in den Ärmel seiner Jacke. Er achtete nicht darauf. Er steckte die Hand durch die Öffnung im Fenster und schob den Riegel hoch. Der achterliche Wind riß ihm das Fenster aus der Hand. M it lautem Knall flog es gegen die Innenwand. Valdez fluchte unterdrückt. Er zögerte nicht länger, schwang sich hoch und schob sich durch das schmale Fenster. Als er in der Kammer war, schloß er das Fenster und schob den Riegel wieder vor. Der Capitan brauchte kein Licht, um sich in seiner Kammer zurechtzufinden. Er umrundete den schweren Schreibtisch, auf dem Karten lagen, und ging auf seine Koje zu. Seine Hände tasteten die getäfelte Wand ab. Er fand den geheimen M echanismus sofort. Eine kleine Klappe sprang auf. Valdez wollte mit der rechten Hand hineingreifen, aber plötzlich wurde ihm schwindlig. Er stützte sich an der Wand ab. Er hielt seine rechte Hand vor die Augen und sah, daß die Wunde am Handballen fingerlang war. Unaufhörlich pulste das Blut heraus. Der Ärmel der Jacke hatte sich bereits damit vollgesogen. Valdez taumelte zur anderen Seite der Kajüte. Er öffnete einen Schrank und riß die Sachen, die vor der Kiste mit Arzneien standen, einfach heraus und warf sie zu Boden. Hastig wickelte er sich einen Verband um die rechte Hand. Er
wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Jeden Augenblick konnten die Engländer entdecken, daß er aus der Offizierskammer geflohen war. M it den Zähnen zurrte er den Verband fest. Er lief zurück zu dem Geheimfach. M it der Linken holte er die lederne Kassette hervor und preßte sie an seine Brust. Nein - sie durfte niemals in die Hände der Engländer gelangen. Er hastete zur Tür, die zur Heckgalerie hinausführte. Als er sie aufriß, wirbelte ein Windstoß die Karten auf dem Schreibtisch hoch und verteilte sie in der ganzen Kammer. Capitan Romero Valdez kümmerte sich nicht darum. Er hob die linke Hand, um die Lederkassette ins M eer zu werfen. Im letzten M oment zögerte er. Das Dinghi fiel ihm ein, das im Schlepp der Galeone auf den Wellen tanzte. Ein verwegener Gedanke zuckte durch sein Hirn. Wie weit waren sie von der Küste entfernt? Wenn der Wind sich nicht gedreht hatte, während er in der Kammer eingesperrt war, wehte er immer noch von Ost. Das Schiff lief auf nordwestlichem Kurs. Wahrscheinlich war der Engländer auf Kap Sao Vicente zugesteuert. Also war die portugiesische Küste nicht allzu fern! Capitan Valdez zog die Tür der Kapitänskammer entschlossen hinter sich zu. Er stopfte die kleine Lederkassette unter seine Jacke und lief zur Backbordseite der Heckgalerie, wo die Vorleine des Dinghis festgezurrt war. Der Spanier überlegte nicht mehr lange. Er schwang sich über die Galeriereling und packte die Vorleine mit beiden Händen. Ein stechender Schmerz zuckte durch seinen rechten Arm. Aber es gab kein Zurück mehr für ihn. Seine Füße verloren den Halt, und dann hing er zwischen Himmel und Wasser. Er ließ sich hinabgleiten, bis seine Beine ins eiskalte Wasser des Atlantiks tauchten. Seine Pumphosen sogen sich rasch voll Wasser und zogen ihn schwer nach unten. Angst packte den Capitan. Und diese Angst verlieh ihm neue Kräfte. Obwohl die
Wellen über ihm zusammenschlugen, ließ er die Vorleine nicht los. Stück für Stück hangelte er sich weiter, bis er mit der Linken nach dem Bootsrand greifen konnte. Eine Weile konnte er den Kopf über Wasser halten. Er sog gierig die Luft in seine Lungen. Er spürte den Druck der Lederkassette auf seiner Brust, und das gab ihm neue Kraft. Er achtete nicht auf seine Wunde, in der das Salzwasser brannte. Noch einmal holte er tief Luft, dann packte er die Bordwand mit beiden Händen und zog sich hoch. Eine Welle unterlief das Boot am Heck und hob es hoch. Für einen M oment sah es so aus, als würde das Dinghi umschlagen, doch dann wurde es von einer weiteren Welle wieder aufgerichtet. Capitan Valdez hing mit dem Oberkörper über der Bordwand und stürzte der Länge nach in die Plicht. M it der Hüfte prallte er auf die vordere Ducht und schrie auf. Erschrocken preßte er die Lippen zusammen. Regungslos blieb er auf den Bodenbrettern des Dinghis liegen. Er konnte nur hoffen, daß der Wind den Schrei nicht bis zu den Engländern getragen hatte. Es dauerte M inuten, bis er sich so weit gefangen hatte, daß er damit beginnen konnte, die Vorleine von dem Boot zu lösen. Er blickte nach vorn und versuchte die rabenschwarze Nacht mit seinen Augen zu durchdringen. Aber durch die Schleier der gischtenden Wellen konnte er nur die hellen Flecken der Segel erkennen. M it klammen Fingern löste der Spanier die Vorleine des Dinghis. Endlich hatte er es geschafft. Innerhalb von Sekunden war die ›Isabella von Kastilien‹ von der Nacht und den hochgehenden Wellen verschlungen. Capitan Romero Valdez war allein. Allein auf einer tanzenden Nußschale irgendwo im Atlantik vor der portugiesischen Küste. Vielleicht würde er niemals wieder Land sehen. Vielleicht verschluckte ihn der Sturm, der noch an Stärke zuzunehmen schien.
Der Spanier hob trotzig das Kinn und spuckte gegen den scharfen Ostwind. Dies war nicht der erste Sturm, mit dem er fertig werden mußte. Er würde es schaffen - und wenn nicht, dann hatte er Spanien immer noch vor einem großen Schaden bewahrt. Er preßte die lederne Kassette enger an sich und schloß sorgfältig die oberen Knöpfe seiner Jacke. Dann nahm er die Riemen von den Duchten, schob sie in die Runzeln und begann gegen den Wind zu pullen. Schon nach kurzer Zeit hatte Capitan Valdez jegliches Gefühl für Zeit verloren. M it stoischem Gleichmut zog er die Riemen durch das aufgepeitschte Wasser. Er merkte nicht, daß der Sturm langsam nachließ, und als die ersten grauen Streifen an der östlichen Kimm aufzogen, drehte er sich nicht einmal um. Seine Augen waren vom Salzwasser entzündet. Seine Hände spürte er nicht mehr. Der Verband an der rechten Hand war durch und durch rot vom Blut, das er in den ersten Stunden noch verloren hatte. 2. Philip Hasard Killigrew krallte die rechte Hand in die Steuerbordreling der Poop und stand breitbeinig auf den vibrierenden Planken des Achterkastells. Seine eisblauen Augen blitzten. Zwei weiße Zahnreihen leuchteten zwischen den leicht geöffneten Lippen. Hasard war in seinem Element. Das Orgeln des steifen Ostwindes war für seine Ohren M usik. Er war froh, daß der Sturm so schnell nachgelassen hatte. Er blickte aufs Hauptdeck hinunter, wo Ben Brighton und drei andere M änner die Fock wieder setzten. Nach seinen Berechnungen mußten sie Kap Sao Vicente bereits hinter sich gelassen haben, und niemand von den lausigen Spaniern, denen
sie die ›Isabella‹ aus dem Hafen von Cadiz gekapert hatten, würde sie jemals wieder einholen. Das Herz lachte Hasard im Leibe, als er an die dreißig Tonnen Silber im Laderaum des Schiffes dachte. M it diesem Geld konnte man neue Schiffe bauen und den Spaniern noch mehr Verluste beibringen. Hasard hob den Kopf. Der Wind hatte auf Südost gedreht. Er wollte gerade einen Befehl hinunter aufs Hauptdeck brüllen, da sah er, daß Ben Brighton schon von sich aus die Rahen so braßte, daß sie auf ihrem Nordwestkurs blieben. Die ›Isabella‹ lag jetzt platt vorm Wind, der schwerfällige Rumpf tauchte seine Nase in tiefe Wellentäler, und Gischtschleier wehten über die Back und das Vorkastell. Philip Hasard Killigrew beobachtete Ben Brighton. Der Bootsmann der »M arygold« enttäuschte ihn nicht. Er war wirklich so gut, wie Hasard vermutet hatte. Hasard konnte sich auf Brightons seemännische Fähigkeiten voll verlassen. Das einzige, was ihn an dem M ann störte, war seine unerschütterliche Ruhe. Aber bisher hatte er auch reagiert, wenn es hart auf hart ging und eine blitzschnelle Entscheidung verlangt wurde. Der Seewolf zog die Lippen von den Zähnen. Ben Brighton war schon in Ordnung. Alles in allem hatte er gute Seeleute an Bord. Vielleicht mit Ausnahme des Kutschers, der ebenfalls in Plymouth gepreßt worden war und behauptete, nichts mehr zu hassen als Schiffe und die See. Dabei hatte er sich dennoch bereits Seebeine wachsen lassen. Hasard grinste. Der arme Kerl würde seinen Lord wohl nicht so schnell Wiedersehen, sicher war sein Job inzwischen schon von einem anderen M ann besetzt. Neben Ben Brighton stand Donegal Daniel O’Flynn und schlug das Geitau der Fock um die Nagelbank, Die Augen des schlaksigen Jungen leuchteten. Für ihn war diese Prise das größte Abenteuer, das er bisher erlebt hatte.
Die langen blonden Haare hingen ihm in nassen Strähnen ins Gesicht, und als Brighton etwas zu ihm sagte, brüllte er sein »Aye, aye, Sir« so laut übers Deck, daß Hasard es gegen den Wind auf der Poop hörte. Hasard trat noch ein paar Schritte nach vorn und blickte aufs Quarterdeck hinab. »Ferris!« rief er hinunter. Der rothaarige Riese, der sich an der Lafette der kleinen Kanone an Steuerbord des Quarterdecks zu schaffen machte, drehte den Kopf. »Ja?« »Übernimm die Wache, Ferris«, sagte Hasard. »Ich werde mich ein paar Stunden aufs Ohr legen. Ich glaube, daß der Wind seine Stärke jetzt beibehält.« »Aye, aye«, sagte Ferris Tucker. Er kletterte auf die Poop, während Hasard im Niedergang verschwand und auf die Kapitänskammer zusteuerte. Vor der Offizierskammer hockte Batuti auf dem Boden. Der riesige Neger sprang auf die Beine. »Alles in Ordnung, Batuti?« fragte Hasard. »Aye, aye, Sir!« Der schwarze Herkules aus Gambia grinste über beide Ohren. Hasard trat an die, verriegelte Tür der Offizierskammer und schob den Balken aus der Halterung. »M al sehen, ob unser hoher Gast noch einen Wunsch hat«, sagte er, »Schließlich müssen wir ihm dankbar sein, daß er die wertvolle Ladung für uns von Westindien hierhergeholt hat.« Philip Hasard Killigrew stieß die Tür auf. In der Kammer war es dunkel. M it der Linken griff Hasard nach hinten und Batuti reichte ihm die Öllampe. Hasard sah das herausgebrochene Fenster und wußte sofort, was los war. Abrupt drehte er sich um. Er knallte dem Schwarzen die Laterne vor die Brust und rief im Laufen: »Hol alle M änner an Deck! Der Spanier ist aus seiner Kammer angebrochen!«
Wie der Blitz fegte Hasard auf das Oberdeck, raste über das Quarterdeck und nahm den Niedergang zum Hauptdeck mit zwei mächtigen Sätzen. M ittschiffs am Niedergang zum Frachtraum hockte ein M ann, der sofort aufsprang, als er Hasard erkannte. »Alles in Ordnung?« fragte Hasard keuchend. Der M ann nickte erstaunt. »Klar«, sagte er. »Der Capitan ist ausgebrochen«, sagte Hasard schnell, damit der M ann seine Befürchtungen verstand. Die Augen des Seemannes wurden groß. Hastig drehte er sich um und verschwand im Niedergang. Hasard folgte ihm. Zu zweit überzeugten sie sich, daß die gefangenen Spanier schliefen. Ein paar von ihnen richteten sich auf. Sie waren vom Lärm, der jetzt an Deck herrschte, geweckt worden. Hasard hastete wieder auf Deck. Ben Brighton und Dan O’Flynn standen am Niedergang und blickten ihm fragend entgegen. O’Flynn hielt einen Degen, den er einem Spanier abgenommen hatte, in der rechten Faust. »Hast du den Capitan gefunden?« fragte Ben Brighton in seiner ruhigen Art. Hasard schüttelte den Kopf. »Er hat nicht versucht, seine M änner zu befreien«, sagte er nachdenklich. »Noch nicht. Vielleicht tut er es noch. Laß die Wachen am Niedergang verstärken, Ben. Und dann geh mit allen M ännern auf die Suche nach dem Gefangenen. Wer weiß, was er im Schilde führt. Zwei M änner bewachen die Pulverkammer, damit er nicht das ganze Schiff in die Luft jagt.« »Pff«, machte Dan O’Flynn. »Diese feige spanische Ratte wird es niemals wagen, sich selbst in die Hölle zu sprengen.« Hasard blickte den Jungen, der sich prügeln und fluchen konnte wie ein Alter, von der Seite her an. O’Flynn hatte beide Fäuste in die Hüften gestemmt, als ob er fragen wolle, wo denn
die hundert Spanier blieben, die von ihm Prügel haben wollten. Ben Brighton sagte: »Aye, aye.« Er teilte die M änner ein und befahl ihnen, das ganze Schiff von oberst zu unterst zu kehren. Drei M änner stellte er an den Niedergang zum Frachtraum, um jeden aufkeimenden Widerstand der Spanier sofort zu unterbinden. Die drei Wachen erhielten M usketen, die sie drohend in den Laderaum richteten. Die Spanier verkrochen sich ängstlich in einer Ecke des Laderaums, in dem es bereits zu stinken begann. Hasard enterte den Niedergang zum Quarterdeck hoch und stieß fast mit dem großen Neger zusammen, der seine gestreifte Wollmütze, die er einem Spanier abgenommen hatte, verlegen zwischen den Händen drehte. Er hatte ein schuldbewußtes Gesicht. »Ich habe nichts gehört, Sir«, sagte er zerknirscht. »Capitan war leise wie ein Klabautermann. Er war auch in Kapitänskammer und hat Fenster gebrochen. Alles durcheinander. Hat es kaputtgemacht.« Hasard legte die Hand auf die Schulter des Schwarzen, um ihm zu zeigen, daß er ihm nichts vorwerfe. »Komm mit«, sagte er. »Das will ich mir ansehen. Vielleicht hat er sich irgendwo in der Kammer verkrochen.« Batuti hatte die Tür der Kapitänskammer offen gelassen. Sie schlug klappernd gegen die Wand. Hasard zündete die beiden Lampen auf dem Schreibtisch an. Ein Windstoß fuhr durch das zerschlagene Fenster und blies die eine Lampe wieder aus, Hasard entzündete sie erneut. Der Schwarze hob unterdessen die Karten vom Boden auf und legte sie auf den Schreibtisch. M it dem Finger wies er auf den Schrank, aus dem der Capitan wahllos alles heraus gerissen hatte, um an die Kiste mit der M edizin und dem Verbandszeug heranzukommen. »Alles kaputt«, sagte Batuti. Hasard schüttelte den Kopf. Er fragte sich, was der Capitan
hier gesucht hatte, Vielleicht hatte er etwas für ihn persönlich Wertvolles in dem Schrank versteckt gehabt und wollte nicht, daß es den Engländern in die Hände fiel. Er sah die Blutspuren auf dem Boden und folgte ihnen mit den Augen. Neben der Koje war ein dunkler Fleck auf dem Boden. Dort mußte der Capitan, der sich wahrscheinlich an der zersplitterten Fensterscheibe verletzt hatte, eine Weile gestanden haben. Hasard ging zur Koje hinüber. Sein Blick fiel auf die getäfelte Wand neben der Koje. Eine der Platten warf einen längeren Schatten als die anderen. Im ersten M oment glaubte Hasard, daß er sich getäuscht hätte, aber als er nach der Holzvertäfelung griff, merkte er, daß die Platte sich bewegen ließ. Überrascht trat er einen Schritt näher. »Bring eine Lampe her, Batuti«, sagte er erregt. Er wartete, bis der Schwarze die Lampe so hielt, daß der Lichtschein in die Öffnung fiel. Das kleine Geheimfach war leer. An der Kante des Fachs entdeckte Hasard Blutspuren. Capitan Romero Valdez war in die Kapitänskammer eingedrungen, um dieses Fach zu leeren. Das war Hasard plötzlich sonnenklar. Aber was war so wertvoll, daß der Spanier ein solches Risiko einging? Er mußte doch wissen, daß er keine Chance hatte, an Bord des Schiffes unentdeckt zu bleiben. Schritte waren draußen auf dem Gang zu hören. Ben Brighton und O’Flynn erschienen in der Tür der Kapitänskammer. »Wir haben das ganze Schiff durchsucht«, sagte Brighton. »Gefunden haben wir ihn nicht.« »Sucht noch einmal«, sagte Hasard brummig. »Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!« Der Bootsmann gab den Befehl an O’Flynn weiter, und der Junge lief zurück aufs Quarterdeck, wo der Schiffszimmermann Ferris Tucker immer noch in aller
Seelenruhe seine Wache schob. Bis jetzt hatte ihm Hasard noch keinen anderen Befehl gegeben, und solange er diesen nicht erhielt, würde er auf seinem Posten bleiben. Hasard überlegte indessen. Wenn Batuti nicht geschlafen hatte, war es dem Capitan kaum möglich gewesen, seine oder die Kapitänskammer ungesehen zu verlassen. Und selbst, wenn das der Fall war, hätten er oder Ferris Tucker, die sich auf dem Quarterdeck und der Poop aufhielten, den M ann entdecken müssen. Hasard drehte sich ärgerlich herum, als ein Windstoß in die Kammer fuhr und die Karten wiederum vom Schreibtisch wirbelten. »Was ist …« sagte er und stockte, als er Brighton auf die Heckgalerie hinaustreten sah. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Das Dinghi! Sie hatten die ganze Zeit von Cadiz her das Dinghi nachgeschleppt, mit dem Ferris Tucker und Batuti zur ›Isabella‹ gepullt waren, nachdem sie ihren Auftrag, die beiden Galeonen auf Rammkurs gegen die zwei spanischen Kriegs galeonen zu bringen, ausgeführt hatten. Ben Brighton, der auf der Heckgalerie verschwunden war, tauchte wieder auf. Hasard kniff die Augen zusammen. Wenn er jetzt etwas sagt, haue ich ihm eine rein, dachte er. Aber Brighton nickte nur, denn er hatte die stumme Frage Hasards verstanden. »Verdammter M ist«, sagte Hasard. Der Bootsmann blickte ihn an und zuckte mit den Schultern. »Er mußte wissen, was er tut«, sagte er ruhig. »Er wird viel Glück brauchen, wenn er mit dem Boot nicht absaufen will. Vielleicht hat er gedacht, daß wir direkt auf Kap Sao Vicente zugehalten haben.« Der Seewolf erwiderte nichts. Er dachte angestrengt nach. Es gefiel ihm nicht, daß ihm der wichtigste Gefangene dieses
Schiffes entflohen war - auch wenn er es wahrscheinlich mit dem Leben bezahlen mußte. Einem Killigrew entfloh kein Feind! Der alte John hätte ihm eine Rahe um die Ohren geschlagen, wenn ihm das auf dem Schiff des Alten passiert wäre. Und dann war da noch dieses kleine Geheimfach. Valdez hatte den Inhalt für so wichtig erachtet, daß er sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt hatte, Ben Brighton war dem Blick Hasards gefolgt. Jetzt sah auch er das kleine Fach, das hervorragend getarnt war. Er trat an die Koje heran und blickte hinein. »Valdez hat es ausgeräumt, nicht wahr?« sagte er. Hasard nickte. »Ja«, sagte er. »Und ich will um jeden Preis wissen, was so wertvoll ist, daß ein spanischer Kapitän sein Leben dafür aufs Spiel setzt.« Ben Brighton drehte sich erschrocken herum. »Soll das heißen …« »Ja, Ben«, sagte der Seewolf hart »Das soll heißen, daß ich die Absicht habe, den ehrenwerten Capitan Romero Valdez aus der See zu fischen - mitsamt dem Zeug, das er aus diesem Geheimfach heraus geholt hat.« »Aber …« sagte Brighton, und das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Denk doch an unsere Ladung! Vielleicht sind die Spanier hinter uns her. Außerdem wissen wir nicht, wann Valdez abgehauen ist und welche Richtung er eingeschlagen hat! Bei dem Inhalt des Faches kann es sich doch nur um etwas Persönliches von Valdez handeln. Vielleicht wertvollen Familienschmuck oder etwas, was er von Westindien mitgebracht hat und sich unter den Nagel reißen wollte. Auf keinen Fall kann es auch nur in etwa den Wert unserer Prise ausmachen!« Hasard hatte den Bootsmann aussprechen lassen, aber dann sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete:
»Klar zum Halsen, Ben!« Ben Brighton starrte seinen Kapitän einen kurzen M oment an. Doch dann strafften sich seine Schultern, und er sagte laut und klar: »Aye, aye!« 3. Philip Hasard Killigrew stand auf dem Quarterdeck und beobachtete seine Crew, der ein paar harte Stunden bevorstanden. Bis auf den M ann am Kolderstock und dem Kutscher, der am Niedergang zum Frachtraum hockte und die spanischen Gefangenen bewachte, hielt Ben Brighton alle M ann in Trab. Dan O’Flynn kroch vorn auf dem Bugspriet herum und holte zusammen mit dem vierschrötigen Blacky die Blinde ein. Hinter ihm auf dem Quarterdeck fierten Smoky, der ehemalige Decksälteste der »M arygold« und ein weiterer M ann das Lateinersegel am Besanmast weg. »Klar zum Halsen!« brüllte Ben Brighton gegen den heulenden Wind an. Die M änner rannten über das Deck. Die Brassen wurden zum Laufen klargelegt, das Großsegel und Großmarssegel aufgegeit. »Ruder Backbord!« Hasard hörte, wie der M ann am Kolderstock sein »Aye, aye!« rief. Die ›Isabella‹ schwang nach Backbord und schien einen gewaltigen Wasserberg vor sich herzuschieben. Sie drehte mit dem Heck durch den Wind. Groß- und Großmarssegel standen bereits wieder. Hinter Hasard wurde das Lateinersegel knatternd vorgeheißt, bis es am Wind stand. Die Galeone segelte jetzt mit Backbordhalsen so hoch am Wind wie möglich.
Ben Brighton trieb die M änner an, Ruhe fanden sie nicht. Er knüppelte die schwerbeladene ›Isabella‹ auf dem Kurs zurück, den sie gekommen waren - wie Hasard es befohlen hatte. Der Südostwind, der sie so rasch aus der Gefahrenzone getragen hatte, war jetzt ihr größter Feind, und Ben Brighton zeigte seinem Kapitän, daß er es wie kein zweiter verstand, Höhe zu schinden. Die ersten grauen Streifen tauchten an der Kimm auf. Hasard biß sich auf die Unterlippe. Er hoffte, daß seine Entscheidung richtig gewesen war, denn eins war sicher: Wenn ihm diese Prise mit den dreißig Tonnen Silber durch die Lappen ging, war er für Francis Drake ein für allemal gestorben. »Dan O’Flynn in den Hauptmars!« rief er aufs Hauptdeck. Ben Brighton gab den Befehl weiter. Hasard sah, wie der Junge mit affenartiger Geschwindigkeit die Wanten des Hauptmastes enterte. Hasard hatte Dan O’Flynns hervorstechendste Fähigkeit schon erkannt. Der Junge hatte Augen wie ein Adler, und wenn irgendeiner von ihnen das winzige Dinghi in den Wellen entdecken konnte, dann war es O’Flynn. Ben Brighton brüllte wieder seine Befehle. Die ›Isabella‹ ging noch höher an den Wind. Die grauen Streifen über der Kimm färbten sich langsam rot. Die schweren Wolken der Nacht waren nach Westen verschwunden. Die See wurde ruhiger, obwohl der Wind immer noch heftig blies. »Wie lange wollen wir noch kreuzen, Hasard?« Die Stimme Ben Brightons, der unter ihm auf dem Hauptdeck stand, riß Hasard aus seinen Gedanken. Er blickte zu dem Bootsmann hinunter. Er las M ißbilligung in Brightons Augen, und Trotz stieg in ihm hoch. »Bis ich den Befehl zum Halsen gebe, Bootsmann!« Seine Stimme klang schärfer, als er es beabsichtigt hatte.
Er sah, wie Ben Brightons Gesicht zu einer M aske erstarrte. Der Bootsmann drehte sich um und jagte seine M änner zur nächsten Wende an die Brassen. Hasard war sich darüber im klaren, daß er mit der scharfen Erwiderung nur seine eigene Unsicherheit hatte verbergen wollen. Er begann an der Richtigkeit seiner Entscheidung zu zweifeln. War der Capitan wirklich so wichtig? Was war, wenn statt des Dinghis plötzlich die M asten von ein paar spanischen Kriegs galeonen an der Kimm auftauchten? Hasard wußte, daß er sich keine Schwächen erlauben durfte, wenn er den Respekt und Gehorsam seiner Crew erhalten wollte. Er war sich darüber im klaren, daß Brighton und eine ganze M enge anderer Leute ihn für viel zu jung und unerfahren hielten, um das Kommando über ein Schiff zu übernehmen. Er würde es ihnen beweisen, daß er dazu fähig war. Unnachgiebigkeit gehörte dazu, Sturheit vielleicht - auf jeden Fall aber Härte. Hasard war entschlossen, sich durchzusetzen. Er war Seemann aus Leidenschaft, und er fühlte sich dazu geboren, Verantwortung zu übernehmen. Er wußte, daß Entscheidungen schnell und entschlossen getroffen werden mußten, wenn sie Erfolg zeigen sollten. Trotzdem zögerte er noch, den Befehl zum Halsen zu geben. Sie konnten nicht mehr weit von der Küste entfernt sein, und immer noch hatte O’Flynn das Dinghi nicht entdeckt. Vielleicht war es schon mitsamt dem Capitan abgesoffen. Hasard krallte die Hände ins Holz der Reling. Seine Lippen öffneten sich, um den Befehl an Ben Brighton zu geben, zu halsen und wieder auf nordwestlichen Kurs zu gehen. Da stieg der helle Schrei O’Flynns in den jungen, windumtosten M orgen. »Das Dinghi! Genau voraus!« Hasard schob die Unterlippe vor. Er verkniff sich ein Grinsen, als Ben Brighton zu ihm aufblickte, einen Ausdruck auf dem
Gesicht, als ob er sagen wolle: So ein Schwein kann auch nur dieser großkotzige, verdammte Seewolf haben.
Nach ein paar M inuten hatte auch Hasard das Dinghi im Blickfeld seines Kiekers. Romero Valdez pullte wie ein Irrer, obwohl er nicht den Hauch einer Chance hatte, der ›Isabella‹ zu entkommen. Hasard zog die Stirn in Falten. Er hatte zwar erreicht, was er sich vorgenommen hatte, aber etwas anderes bereitete ihm Sorgen. Der Wind hatte plötzlich nachgelassen. Die ›Isabella‹ war merklich langsamer geworden. Die schwere Silberladung begann sich auszuwirken. Die Stimme von Dan O’Flynn riß Hasard aus seinen Gedanken. »Wir haben ihn!« schrie der Junge. Hasard sah, wie Capitan Valdez auf der Ducht des Dinghis zusammensackte und sich erschöpft mit den Armen am Dollbord abstützte. Ben Brighton brüllte seine Befehle über Deck. Die Galeone drehte bei, die Segel killten. Romero Valdez richtete sich plötzlich auf. Hasard sah, wie sich die Augen des Capitans weit öffneten. Er schien gelähmt zu sein vom Anblick der heranrauschenden ›Isabella‹. Doch dann gab er sich einen Ruck. Er riß sein Wams auf und zerrte ein kleines Paket hervor. Hasard konnte nicht erkennen, was es war. Eines jedoch wußte er: Dieses kleine Paket war der Grund, warum er das Risiko auf sich genommen hatte, auf Gegenkurs zu gehen und den Capitan zu verfolgen. Hasard sah, wie der Capitan weit ausholte, um das Paket ins M eer zu schleudern, dessen Oberfläche nun nur noch von einer
sanften Brise gekräuselt wurde. »Batuti!« Der große Neger erfaßte sofort, was Hasard von ihm erwartete. Aus dem Stand jagte er los. Er benutzte die Lafette der Quarterdeckskanone als Sprungbrett, war mit einem Satz auf dem Schanzkleid und sprang kopfüber in die glatte See. Der helle Schrei Dan O’Flynns ließ Hasards Kopf herumrucken. Der Junge turnte auf der Großrah wie ein Gaukler zur Nock und stieß sich dort ab, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. M it ausgebreiteten Armen segelte er auf das Wasser zu, von dem Philip Hasard Killigrew nur zu gut wußte, daß es hart wie ein Brett sein konnte, wenn man aus großer Höhe unglücklich aufschlug. Aber Dan O’Flynn riß die Arme nach vorn, steckte den Kopf dazwischen und tauchte in die Wasseroberfläche, geschmeidig wie ein Delphin. Hasard beobachtete den Schatten Dans unter Wasser. Der Junge schoß auf die Stelle zu, auf der das kleine Paket aufs Wasser geklatscht war und nun langsam zu sinken begann. Batuti schwamm wie ein Verrückter. Das Wasser spritzte um ihn herum hoch auf. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, daß O’Flynn von der Großrah gejumpt war. Dann tauchte der Blondschopf des Jungen auf. Sein rechter Arm stieß triumphierend in die Luft. Die Hand hielt das kleine Paket, für das der spanische Capitan sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Romero Valdez hatte die Aktionen der Engländer bewegungslos verfolgt, aber jetzt reagierte er wild. Das Dinghi trieb an Dan O’Flynn heran. Valdez hob den schweren Riemen und schlug mit voller Wucht zu. Der Junge erkannte die Gefahr erst im letzten Augenblick. Er versuchte sich herumzuwerfen, doch es gelang ihm nicht mehr ganz. Der Riemen traf seine linke Schulter und rutschte ab.
Wasser spritzte hoch auf, Valdez brüllte spanische Flüche. Wieder hob er den Riemen, um ihn abermals auf Dan O’Flynn niedersausen zu lassen. Hasard befahl Ferris Tucker hastig, eine M uskete herzuschaffen. Ehe es dem Capitan gelang, Daniel O’Flynn zu erschlagen, wollte Hasard lieber den Spanier töten. Valdez schlug abermals zu. Doch diesmal klatschte der Riemen fast einen Yard von Dan entfernt aufs Wasser. Der Capitan torkelte. Er hatte den Halt verloren. Seine Arme ruderten wild durch die Luft. Der Riemen kippte über Bord und schwamm in Sekundenschnelle davon. Valdez krachte mit dem Rücken gegen die Ducht. Er schüttelte benommen den Kopf und wollte sich aufrichten, als das Dinghi wieder zu schwanken begann und die Steuerbordseite sich der Wasseroberfläche zuneigte. Dem Gesicht des Capitan war das Entsetzen anzusehen, als der schwarze Wollkopf Batutis über dem Dollbord auftauchte. Ehe Valdez reagieren konnte, hatte sich der Schwarze ins Dinghi gezogen, den Capitan am Wams gepackt und ihm eine kräftige Ohrfeige verpaßt, die ihn beinahe über Bord befördert hätte. Batuti konnte ihn gerade noch an den Pumphosen packen und zurückzerren. Prustend tauchte Dan O’Flynn am Heck des Dinghis auf. Seine Finger hatten sich in die Lederkassette gekrallt. M it dem rechten Arm versuchte er, sich hochzuziehen. Der linke Arm hing an seinem Körper hinunter. Valdez schrie auf, als er die Lederkassette in der Hand O’Flynns entdeckte. Die Wut verlieh ihm ungeheure Kräfte. Er stieß Batuti die Faust ins Gesicht, daß der Neger zurücktaumelte, über die Ducht stolperte und sich krachend auf die Bodenbretter setzte. Aber er hatte es noch geschafft, im Fallen mit dem rechten Fuß nach Valdez zu treten und ihn ebenfalls zu Fall zu bringen. Valdez war wie eine Katze wieder auf den Beinen. Er bückte
sich und riß den Steuerbordriemen hoch. Um den fluchenden Neger, der sich hinter ihm hochrappelte, kümmerte er sich nicht. Sein Augenmerk war einzig und allein auf den blonden Jungen gerichtet, der am Heck des Dinghis hing und die kostbare Kassette in den Fingern hielt, die den Engländern um keinen Preis der Welt in die Hände fallen durfte. Valdez stieß mit dem Riemen zu. Er spürte einen heftigen Schlag gegen seinen linken Arm. Sekundenbruchteile später hörte er den dumpfen Knall, und dann setzte ein fürchterlicher Schmerz ein. Valdez schrie. Er wollte die Lippen auf einanderpressen, aber es ging nicht. Der Schmerz schien seinen Arm in zwei Stücke zu zerreißen. Er blickte an sich hinunter und sah, wie Blut den zerfetzten Ärmel seines Wams tränkte. Valdez sackte auf die Knie. Sein Schreien ging in ein Wimmern über. Er nahm nicht wahr, wie Batuti den benommenen Dan O’Flynn ins Dinghi zog. Aus verschwommenen Augen blickte Valdez zum Achterkastell der ›Isabella‹ hoch, auf dem der schwarzhaarige Engländer mit einer rauchenden M uskete im Arm stand. Knarrend bewegte sich das Ruder, und die ›Isabella‹, deren Segel inzwischen von der Besatzung aufgegeit worden waren, drehte ihren Bug langsam auf das Dinghi zu. Batuti hatte sich aufgerichtet und hielt dem vierschrötigen Blacky, der bäuchlings auf der Backgräting lag, den Riemen entgegen. Blacky packte ihn und zog das Dinghi hinter die Back der Galeone. Vom Vorkastell flogen Taue hinunter ins Boot. Batuti fing sie auf. Das erste wickelte er Dan O’Flynn um den Bauch. Der Junge konnten seinen linken Arm immer noch nicht bewegen. M it lauten Rufen hievten die M änner O’Flynn an Bord. Als zweiter war Valdez an der Reihe. Der Capitan schien aus einem Trancezustand zu erwachen, als Batuti ihm das Tau um die Taille schlingen wollte. Er drehte sich abrupt um und
wollte dem Schwarzen abermals seine Faust ins Gesicht setzen. Diesmal war Batuti auf der Hut. Er verpaßte dem Spanier eine Kopfnuß, daß er in die Knie ging. Danach konnte Batuti ihm in aller Ruhe das Tau umbinden. Das dritte Tau befestigte der Neger am Dinghi. Er schob den Riemen in die Halterung am Dollbord und wollte dann am Tau zum Vorkastell hochklettern. Die helle Stimme von Dan O’Flynn ließ ihn zusammenzucken: »Zwei Galeeren Steuerbord voraus!«
Philip Hasard Killigrew hatte von der Poop aus beobachtet, wie Dan und der Capitan an Bord geholt worden waren. Noch vor dem Warnruf des Blondschopfes hatte er die beiden schlanken Schiffe entdeckt, die mit gleichmäßigem Riemenschlag auf sie zuruderten. Hasard fand keine Zeit mehr, den schwachen Wind zu verfluchen, der dem schwerfälligen Schiff wenig Bewegungsfreiheit verschaffen konnte. Die Gedanken jagten sich in seinem Hirn. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Batuti über das Schanzkleid des Hauptdecks kletterte. Ben Brighton hastete den Niedergang zum Quarterdeck hoch und blickte Hasard fragend an. »Sie halten seewärts an uns vorbei«, rief der Bootsmann. »Sie wollen uns den Weg auf See hinaus abschneiden.« Hasard nickte. Er hatte es bereits bemerkt. Er wußte, das Ben Brighton von ihm den Befehl erwartete, sämtliche verfügbaren Segel zu setzen, um mit dem bißchen Ostwind, der nicht einmal die kleinsten Wellen brachte, auf See zu entwischen. »Alle M ann an die Kanonen, Ben«, sagte Hasard kalt. »Ich
möchte, daß sie innerhalb von einer Viertelstunde feuerbereit sind« Ben Brightons Unterkiefer klappte nach unten. Der Bootsmann blickte demonstrativ zu den aufgegeiten Segeln hoch, Hasard wußte genau, was dieser Blick besagen sollte. Er drehte sich abrupt um und ging daran, die M uskete nachzuladen, die er auf Valdez abgefeuert hatte, Dan O’Flynn hatte Ben Brighton die kleine Lederkassette zugeworfen, und der Bootsmann reichte sie an Hasard weiter. Die eisblauen Augen des jungen Killigrew schienen den Bootsmann zu durchbohren. »Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit, Bootsmann«, sagte er scharf. »Aye, aye, Sir!« Ben Brighton stieß die Worte durch zusammengepreßte Zähne hervor. Er drehte sich um und krallte die Hände um die Balustrade des Quarterdecks. »Klarschiff zum Gefecht!« brüllte er. M it kurzen Handbewegungen und knappen Befehlen teilte er die Leute ein. Ferris Tucker und zwei weitere M änner luden die Geschütze auf dem Quarterdeck. Der M ann, der den bewußtlosen Valdez in die Offizierskammer gesperrt hatte und nun wieder am Niedergang auftauchte, wurde der M annschaft an Steuerbord zugeteilt. Ben Brighton jagte auch noch die beiden M änner, die Ferris Tucker auf dem Quarterdeck halfen, hinunter aufs Hauptdeck. Als er sah, daß alle M änner wußten, was sie zu tun hatten, packte er mit an und lud die beiden Kanonen des Quarterdecks. Hasard Killigrew hatte die Lederkassette in die Kapitänskammer gebracht und ins Geheimfach gesteckt. Gleich darauf stand er wieder auf dem Quarterdeck. Die beiden Galeeren waren nur noch ein paar Kabellängen entfernt. Hasard hatte solche großen geruderten Schiffe noch nie gesehen. Er hatte immer gedacht, daß sie plump aussehen
müßten. Jetzt war er überrascht, wie elegant sich diese schlanken Schiffe bewegen konnten. Die auf und ab schwingenden Riemen sahen aus wie die Flügel eines großen Seevogels. Die Galeeren standen jetzt im Nordosten der Galeone. Hasard sah, wie an Backbord der beiden Schiffe die Riemen im Wasser blieben. M it wenigen Ruderschlägen an Steuerbord wurden die Galeeren gedreht. M it der Galeone hätte Hasard für das gleiche M anöver sicher die doppelte Zeit benötigt. Ben Brighton tauchte neben ihm auf. »Alle Kanonen bereit zum Feuern!« Hasard nickte gelassen, obwohl er sich darüber im klaren war, welch ausgezeichnete Leistung der Bootsmann mit seinen M ännern vollbracht hatte. Hasard hatte auf den Schiffen des alten Killigrew gelernt, mit dem Lob zu geizen. »Teil die Leute ein, Ben«, sagte er. »Ich brauche sechs M änner für die Segel. Sechs M änner müssen genügen, um die Geschütze auf dem Hauptdeck abzufeuern. Du und Ferris, ihr bedient die Kanonen auf dem Quarterdeck.« »Das schaffe ich allein«, sagte der Schiffszimmermann Ferris Tucker. Der rothaarige Riese blickte Hasard herausfordernd an. »In Ordnung, Ferris«, sagte Hasard. »Ben, laß alles Zeug setzen, was du an die Rahen kriegst.« »Sollen wir das Dinghi noch an Bord nehmen?« fragte der Bootsmann. Hasard schüttelte den Kopf. »Kapp das Tau«, sagte er. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Ben Brighton nickte und jagte sechs M änner an die Schoten und Brassen der Rahen. Hasard beobachtete die beiden Galeeren, die sich immer weiter voneinander entfernten. Zuerst war er sich nicht darüber im klaren, was sie damit bezweckten, aber als eine der Galeeren an Backbord schräg auf sie zugepullt wurde, wußte
er, daß die Galeere die ›Isabella‹ an ihrer schwächsten Stelle, am Heck, rammen wollte. Gleichzeitig entging die Galeere damit dem Schußfeld der Kanonen. Hasard preßte die Lippen aufeinander. Die Segel hingen schlaff von den Rahen. Nur das Großmarssegel bauschte sich etwas in der schwachen Brise. Die schwerfällige Galeone nahm kaum Fahrt auf. Die Galeere achteraus näherte sich ziemlich schnell. Hasard blickte in die drohenden M ündungen der schweren Kanonen, die nebeneinander am Bug der Galeere aufgebaut waren. Verdammt, wo blieb der Wind, der sie aus dieser hoffnungslosen Situation befreite? Hasard hörte die heiseren Rufe seiner M änner. Er spürte die Furcht, die in ihnen steckte, und er konnte es ihnen nicht verdenken. Immer näher schob sich die Galeere von achtern heran. Sie hatte eine wesentlich höhere Geschwindigkeit als die zweite, die sich von vorn näherte. Hasard hörte den dumpfen Trommelschlag, mit dem das Tempo der Riemenschläge angegeben wurde. Die sanfte Brise trieb einen fürchterlichen Gestank über das Deck der ›Isabella‹. Hasard zog die Nase kraus. Er hatte davon gehört, daß die Rudersklaven ihre Notdurft auf ihren Bänken verrichten mußten. Er bedauerte die armen Kerle, die angekettet schwerste Arbeit verrichten mußten, bis sie vor Erschöpfung starben oder beim Kampf getötet wurden. Hasard haßte alle Arten von Sklaverei. Er wußte, daß auf den Galeeren viele M örder und Verbrecher waren, aber selbst diesen M ännern mochte er ein solches Schicksal nicht gönnen. Dann war ein schneller Tod immer noch besser. Auf der Galeere, die sich von achtern näherte, wurden die Groß- und Fockrah heruntergelassen und weit nach vorn gestreckt. Auf dem breiten Steg zwischen den Ruderbänken stand eine Schar von M ännern. In den Klingen ihrer Degen
brachen sich die Strahlen der morgendlichen Sonne. Hasard war sich darüber im klaren, daß sie verloren waren, wenn es den M ännern von der Galeere gelang, über das Achterkastell der Galeone zu entern. Er rief dem Rudergänger einen Befehl zu. Die Galeone drehte sich unmerklich. Hasard merkte, wie die Erregung ihn packte. Die Galeere war nur noch eine Schiffslänge vom Heck der Galeone entfernt. Gleich würden die Spitzen der Rahen die Heckgalerie streifen. Jn diesem Augenblick handelte Hasard. »Hartruder!« brüllte er. »Steuerbordgeschütze feuerbereit!« Innerhalb von Sekunden änderte sich die Situation. Die M änner auf der Galeere, die den Sieg schon in der Tasche zu haben glaubten, mußten mitansehen, wie die Galeone plötzlich abdrehte. Der spitze Bug der Galeere schoß am Heck der ›Isabella‹ vorbei. Ehe die Ruderer ihre Riemen einziehen konnten, wurden sie von der Steuerbordseite der Galeone zertrümmert. Holzsplitter flogen durch die Luft. Hasard beugte sich über das Schanzkleid der Quarterdecks. Er sah, wie die Ruderer auf der Galeere von den wild herumschwenkenden Riemen von den Bänken gefegt wurden. Die M änner brüllten. Einem Ruderer wurde von einem splitternden Riemen der Arm vom Körper getrennt. Blut spritzte über die anderen M änner. Hasard wußte, daß diese Leute für den Angriff auf die ›Isabella‹ nicht verantwortlich waren, doch er konnte keine Rücksicht auf sie nehmen, wenn er das Schiff und seine M änner heil nach England bringen wollte. »Feuer!« brüllte er. Die drei Kanonen an Steuerbord des Hauptdecks spuckten ihre tödlichen Ladungen auf das Deck der Galeere, das dem Feuer völlig ungeschützt preisgegeben war. Innerhalb von Sekunden war auf der Galeere die Hölle los. Verwundete M änner wälzten sich in ihrem Blut. Die Ruderer
schrien vor Verzweiflung. Sie zerrten an ihren Ketten, mit denen sie an den Ruderbänken gefesselt waren. Doch es war hoffnungslos. Hasard wandte den Blick von dem Inferno ab. Er sah, wie seine M änner die sechs Kanonen an Steuerbord hastig nachluden. Ferris Tucker hatte nicht gefeuert. Die Galeere war zu dicht an der ›Isabella‹ gewesen, so daß die Kugel seiner Kanone wirkungslos über sie hinweggestrichen wäre. Dafür hatte Ferris Tucker mit seinen Bärenkräften die Lafette geschwenkt. Hasard verfolgte die Laufrichtung der Kanone und erkannte, daß der Schiffszimmermann die andere Galeere im Visier hatte. »Eine Flasche vom Wein des Capitans, wenn du triffst, Ferris«, sagte Hasard. »Das ist ein Wort, Hasard!« Ferris Tucker riß die Wollmütze von seinem rothaarigen Schädel und visierte noch einmal, bevor er die Lunte an das Zündloch hielt. M it ohrenbetäubendem Krachen entlud sich das Geschütz. Die Lafette rumpelte auf den kleinen, massiven Holzrädern über die Planken des Quarterdecks. Die Brooktaue zerrten in den Verankerungen im Schanzkleid. Eine Pulverdampfwolke hüllte Hasard und Ferris Tucker ein. Hasard trat ein paar Schritte zur Seite. Als er die Galeere wiedersah, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Die Kugel aus Ferris Tuckers Kanone hatte den Bug der Galeere in ein Chaos verwandelt. Die M änner auf dem Hauptdeck brüllten vor Begeisterung Hasard schaute sich nach Ferris Tucker um. Der rothaarige Riese tat, als sei dieser Schuß das Selbstverständlichste auf der Welt. Nur an dem Zucken der Augenbrauen erkannte Hasard, wie sehr sich der Zimmermann über den erfolgreichen Schuß freute. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, sagte Ferris
Tucker heiser, »ich habe für zwei Flaschen geschossen.« »Genehmigt, Mann.« Hasard wollte noch etwas sagen, als es in der Takelage der ›Isabella‹ leise zu singen begann. Das Großsegel und die Fock füllten sich mit dem steifer werdenden Wind, und die ›Isabella‹ legte sich sanft nach Backbord, als Ben Brighton die Segel trimmen ließ. »Kurs Nordwest, Ben!« rief Hasard. »Auf nach Old England!« 4. Die beiden schwer beschädigten Galeeren blieben schnell hinter der ›Isabella‹ zurück, und nach einer Stunde waren nicht einmal mehr ihre M astspitzen zu sehen. Philip Hasard Killigrew hatte den Weinvorrat des Capitans, den er wieder in die Offizierskammer hatte sperren lassen, geplündert und jedem seiner M änner eine Flasche zugeteilt. Sie hatten schließlich nicht weniger Verdienst an dem Sieg über die beiden Galeeren als Ferris Tucker. Der rothaarige Riese war der Held des Gefechts, und immer wieder mußte er den M ännern erzählen, wie es ihm gelungen war, für sich und die M annschaft dem Teufelsbraten von Killigrew den Wein aus den Rippen zu leiern. Daß Hasard die Flaschen für die M annschaft von sich aus spendiert hatte, brauchte Tucker den anderen ja nicht gerade unter die Nase zu binden. Und so erhielt der rothaarige Riese noch so manchen Schluck gratis, nachdem er seine beiden Flaschen als erster aus getrunken hatte.
Hasard hatte sich in die Kapitänskammer zurückgezogen. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag die lederne Kassette, die ihn beinahe das Schiff und das Leben seiner M änner gekostet hätte. Hasard Killigrew wußte nicht, was er in dieser geheimnisvollen Kassette finden würde. Er glaubte irgendwie nicht an die Vermutung Ben Brightons, daß es sich um den persönlichen Schatz Capitan Romero Valdez’ handelte. Für ein paar Schmuckstücke ging kein M ann ein Risiko ein, wie Valdez es getan hatte. Hasard hob den Deckel der schweinsledernen Kassette an. Er sah graues Leinen. Er zog es heraus. Nichts mehr. Keine Smaragde, Diamanten oder Rubine. Nur ein Stück zusammengefaltetes Leinen. Hasard wischte die Kassette mit einer wütenden Handbewegung vom Tisch. Hatte er sich von Capitan Valdez zum Narren halten lassen? Hatte er das Schiff und seine M annschaft aufs Spiel gesetzt, nur um dieses lächerliche Stück Leinen in den Händen zu halten? Nein, es mußte noch etwas anderes in der Kassette sein. Hasard bückte sich und hob die Lederkassette wieder auf. Er untersuchte sie sorgfältig, doch sie hatte weder einen doppelten Boden noch war etwas in vernähten Seitentaschen zu finden. Hasard warf die Kassette gegen die Wand. Er beruhigte sich nur langsam. Dann besann er sich auf das Stück Leinen und faltete es auseinander. Es war nicht nur ein Stück. M ehrere kleinere Leinenstücke fielen ihm entgegen. Er wußte sofort, daß es sich um Seekarten handelte, als er die feinen Linien und mit spitzer Feder geschriebenen Namen sah. Er schob die kleineren Karten beiseite und glättete die große auf dem Schreibtisch. Er kannte sich in den Gewässern an der europäischen Westküste aus, und er war überzeugt, daß er auf Anhieb erkannte, welchen Küstenabschnitt die Karte zeigte. Er hatte sich getäuscht.
Er suchte nach vertrauten Namen, aber er fand nicht einen. Er sprach die ihm unbekannten spanischen Namen halblaut vor sich hin. Eine innere Erregung packte ihn mit der Wucht eines Orkans. Seine Finger, die die Karte hielten, begannen zu zittern. Ja, das war es! Die ›Isabella von Kastilien‹ war aus dem spanischen Eldorado gekommen, gemeinsam mit der Flotte, mit der Hasard und seine M änner gezwungenermaßen nach Cadiz gesegelt waren. Philip Hasard Killigrew hielt nichts anderes in den Händen als die Seekarten der Neuen Welt, aus der die Spanier ihren ungeheuren Reichtum bezogen! Das Zittern seiner Hände hörte nicht auf. Zu groß war der Schock, der Hasard getroffen hatte. Seit den Zeiten Christopher Columbus galten die Seewege nach der Neuen Welt als das bestgehütete Geheimnis der Alten Welt. Spaniens Casa wollte um jeden Preis verhindern, daß die anderen europäischen Seefahrtsnationen den Weg ins Eldorado fanden und Spaniens M acht und Reichtum beschnitten. Hasard kannte die Bulle des Papstes Alexander von 1493 genau. Der oberste Kirchenfürst hatte der spanischen Krone alles Land, das mehr als hundert M eilen westlich der Azoren lag und von den Spaniern entdeckt und erobert wurde, zugesichert. Und die Casa hatte seitdem das ihre getan, um zu verhindern, daß andere Nationen den Weg in die Neue Welt fanden. Nur die größten und sichersten Schiffe führten Seekarten mit sich, und die spanischen Kapitäne waren angehalten, Bordbücher und Karten sofort zu vernichten, wenn Gefahr bestand, daß ein Schiff von Korsaren gekapert wurde. Fasziniert betrachtete Hasard immer wieder die einzelnen Karten. Vor ihm eröffnete sich in diesem Augenblick tatsächlich eine ›Neue Welt‹. Er sah zum erstenmal die Formen
der westindischen Inseln, von denen er bisher nur gehört hatte. Eine Karte verzeichnete den Seeweg an der Ostküste des neuen Kontinents, bis hinunter zur Südspitze, die M agalhaes umsegelt und so den Weg von Osten in den Pazifik gefunden hatte. Die nächste Karte zeigte die Umrisse, Buchten und Häfen der Westküste. Hasard versuchte, die in Spanisch abgefaßten Bemerkungen am Rand der Karten zu übersetzen, aber seine Kenntnisse der spanischen Sprache reichten dazu nicht aus. Er überlegte, ob er Ben Brighton hinzuziehen sollte, der des Spanischen mächtig war, aber dann schüttelte er den Kopf. Je weniger M änner wußten, was die Kassette enthielt, desto besser. Hasard entschloß sich in diesem M oment, den Leuten zu erzählen, die Kassette hätte Juwelen des Capitan enthalten. Er würde ihnen ein Prisengeld versprechen. Langsam faltete Hasard die leinenen Karten wieder zusammen. Seine Erregung flaute nur allmählich ab. Er war sich darüber im klaren, daß er der erste Engländer war, der den Schlüssel zur Neuen Welt in den Händen hielt - vielleicht außer ein paar Freibeutern in Westindien, von denen in der Alten Welt gemunkelt wurde. Aber soviel Hasard gehört hatte, waren die nur auf die fette Beute der spanischen Schatzschiffe aus und nicht darauf erpicht, ihre Nasen in unbekannte M eere zu tunken und neues Land zu entdecken. Hasard war entschlossen, niemandem als Francis Drake persönlich etwas von diesen Seekarten zu sagen. Von seinem Alten hatte Hasard genug über die gelackten Lords gehört, die sich anmaßten, als einzige befähigt zu sein, etwas für Englands Ruhm und Ehre zu tun. Nein, ihnen wollte er den Triumph nicht gönnen, mit den Karten bei Hof zu erscheinen, nur um persönliche Vorteile herauszuschinden. Francis Drake war genau der M ann, der dieses Geschenk des Himmels richtig einsetzen konnte. Hasard kannte keinen
besseren Seefahrer als ihn. Und als einzigen Lohn für die Beschaffung der Karten erhoffte sich Hasard, daß er dabei sein durfte, wenn Francis Drake die Segel setzte, um in die Neue Welt aufzubrechen. Hasard erhob sich und ging zur Koje hinüber, vor der die schweinslederne Kassette lag. Er hob sie auf und legte die Karten wieder hinein. Dann stopfte er die Kassette unter die M atratze seiner Koje und verließ die Kammer. Auf dem Gang stand Batuti. M it dem Rücken hatte er sich gegen die Tür der Offizierskammer gelehnt, in der Capitan Valdez gefangengehalten wurde. »Hol den Bootsmann und O’Flynn her«, sagte Hasard. »Ich möchte euch drei sprechen.« »Aye, aye«, sagte der Neger und lief los. Hasard Killigrew konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der große M ann aus Gambia war erst seit kurzem an Bord seines Schiffes, aber er bewegte sich darauf, als hätte er bereits zwanzig Jahre Dienst auf einer britischen Kriegsgaleone hinter sich. Hasard warf noch einen Blick auf die Kammertür, hinter der Capitan Valdez hockte. Er glaubte nicht, daß Valdez jetzt noch an Flucht dachte. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Wahrscheinlich verfluchte er sich jetzt, daß er die Kassette in der Nacht, als er geflohen war, nicht einfach über Bord geworfen hatte. Hasard ging in seine Kammer zurück. Gleich darauf tauchten Ben Brighton, D an O’Flynn und Batuti auf. Hasard kam sofort zur Sache. »Es geht um die Kassette von Valdez«, sagte er. »Die M annschaft wird wissen wollen, was für Valdez so wichtig war, daß er sein Leben dafür riskierte. Es war sein Familienschmuck. Ich glaube, er ist ziemlich kostbar. Ihr könnt den M ännern sagen, daß sie ein gutes Prisengeld erwarten können.«
Daniel O’Flynn und Batuti grinsten. Ben Brighton blieb ernst. Ihm schien diese Erklärung nicht ganz geheuer zu sein. Hasard sah es ihm an. Er nickte Batuti zu und sagte: »Ferris Tucker soll das Fenster der Offizierskammer von der Galerie aus verschalken, und Blacky soll ein Tau herrichten, mit dem wir Valdez so an seine Koje fesseln können, daß er sich selbst mit einem Enterbeil nicht befreien kann.« Batuti brüllte sein »Aye, aye!« und verschwand mit dem Blondschopf Dan O’Flynn. Ben Brighton wollte sich ebenfalls abwenden. »Bleib hier, Ben«, sagte Hasard leise und wartete, bis sich der Bootsmann umgedreht hatte. In Brightohs Gesicht spielte kein M uskel, es war völlig ausdruckslos. Hasards Achtung vor dem Bootsmann wurde noch größer. Er wußte, daß er Brighton nichts zu erklären brauchte. Der Bootsmann würde zwar seine Zweifel über den Inhalt der Kassette hegen, aber er würde niemandem gegenüber seine Zweifel laut äußern. Hasard fühlte sich irgendwie verpflichtet, diesem M ann die Wahrheit zu sagen. »In der Kassette war nicht der Familienschmuck der Valdez, und auch kein Gold oder sonstige Edelsteine«, sagte er leise. »Du hast nicht einen M oment daran geglaubt, nicht wahr?« Ben Brightons Gesicht blieb ausdruckslos. »Nein«, sagte er aufrichtig. »Ich dachte mir, daß es etwa viel Kostbareres sein müsse als Schmuck, wenn ein spanischer Capitan sein Leben dafür aufs Spiel setzt.« »Du hast recht, Ben«, sagte Hasard und legte dem Bootsmann die Hand auf die Schulter. »Wenn ich es richtig einschätze, ist der Inhalt der Kassette um ein beträchtliches Wertvoller als die Silberladung in den Frachträumen der ›Isabella‹. Es ist von einer solchen Bedeutung, daß ich nur Kapitän Drake persönlich über den Inhalt informieren möchte.« »Das verstehe ich«, erwiderte Brighton, und Hasard spürte, daß es keine leeren Worte waren.
»Ich möchte dich bitten, Ben, der M annschaft gegenüber bei der Schmuckversion zu bleiben. Achte bitte darauf, daß niemand in die Nähe des Capitans kommt - außer Batuti. Ihn werde ich noch persönlich instruieren.« Sie sprachen noch eine ganze Weile miteinander und stimmten den Kurs ab, den sie nehmen wollten. Hasard befahl, daß sich die M änner nach der knochenbrechenden Arbeit in der Nacht und dem Kampf gegen die beiden Galeeren am M orgen abwechselnd ausruhen sollten. Noch waren sie nicht in England. Auf der Fahrt an Portugals Küste vorbei und dann durch die Biskaja konnte noch so manches passieren. M it sechzehn M ann war die Galeone zwar gut zu segeln, aber bei einem Gefecht mit einem gleichstarken Gegner war die ›Isabella‹ hoffnungslos unterbemannt. Als Ben Brighton die Kapitänskammer verlassen hatte, haute sich Hasard ebenfalls in die Koje. Er wußte, daß das Schiff bei Brighton in guten Händen war. Hasard konnte lange nicht einschlafen. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu den Karten, die er vorhin eingesehen hatte. Farbenprächtige Bilder von fremden Küsten tauchten vor seinem geistigen Auge auf, dunkelhäutige M enschen, die mit schwerem Goldschmuck behängt waren. Es schwirrten viele Gerüchte von der Neuen Welt bei den Seefahrern der westlichen Nationen herum. Hasard hatte mehr als einmal den Geschichten von graubärtigen Seefahrern gelauscht, und schon als Halbwüchsiger hatte er die Sehnsucht verspürt, eines Tages in diese Neue Welt zu segeln und Länder zu entdecken, die vor ihm noch nie der Fuß eines weißen M annes betreten hatte.
Hasard hatte sechs Stunden geschlafen, und dennoch fühlte er sich wie gerädert. Er brauchte eine ganze Weile, bis er zu sich fand. Er rief Batuti, der auf dem Gang vor der Offizierskammer wachte und überhaupt keinen Schlaf zu brauchen schien, zu sich herein. Der Schwarze grinste Hasard strahlend an. Von jedem anderen der M annschaft hätte sich Hasard das Grinsen verbeten, aber er wußte, daß Batuti nur ein halber M ensch war, wenn er nicht grinsen und seine prächtigen Zahnreihen dabei zeigen konnte. Hasard hatte schon vor Tagen beschlossen, das impertinente Grinsen des schwarzen M annes aus Gambia einfach zu ignorieren. »Hol mir einen Eimer Wasser, Batuti«, sagte er und schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden. »Und ruf den Bootsmann zu mir. Ich will noch mal mit dem Capitan sprechen.« »Aye, aye!« brüllte der Schwarze. Hasard zuckte regelrecht zusammen. »Hier drinnen wird nicht gebrüllt, du schwarzer Höllenhund«, sagte er scharf. »Aye, aye, Sir, nicht brüllen«, sagte Batuti grinsend, und seine Stimme war nur unbedeutend leiser als beim erstenmal. Hasard hob drohend den Stiefel, den er gerade anziehen wollte. »Hau ab, bevor ich dich kielholen lasse!« Wie der Blitz sauste der Schwarze aus der Kammer und kehrte wenig später mit einem Ledereimer voll Wasser zurück. »Stell ihn hierher auf den Tisch«, sagte Hasard. »Hast du dem Bootsmann Bescheid gesagt?« »Aye …« begann Batuti zu brüllen, aber er verstummte sofort, als Hasard den Ledereimer hob und Anstalten traf, den Inhalt über den Schwarzen zu leeren. »Hast du dich inzwischen auch mal aufs Ohr gelegt?« fragte Hasard.
Batuti schüttelte grinsend den Kopf. »Ich brauche nix Schlaf. Ich immer gut wach.« »Du legst dich jetzt hin«, sagte Hasard scharf. »Das ist ein Befehl, du Rabe. Wenn ich dich in den nächsten Stunden auch nur mit einem offenen Auge erwische, lasse ich dich an der Rahnock aufknüpfen, verstanden?« Batuti klappte erschrocken beide Augenlider zu. Er drehte sich um und tastete sich mit vorgestreckten Armen aus der Kapitänskammer. Ben Brighton, der gerade erschien, blickte dem Schwarzen erstaunt nach. Dann betrat er Hasards Kammer. »Du wolltest mich sprechen?« Hasard nickte. »Wie geht es dem Capitan?« fragte er. »Kann ich mit ihm reden?« »Ich habe seinen Arm verbinden lassen«, sagte der Bootsmann. »Die Kugel hat sein Ellbogengelenk zerschmettert. Er wird einen steifen Arm behalten.« Hasard zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid für ihn«, sagte er. »Aber er hat es sich selbst zuzuschreiben. Schließlich konnte ich es nicht zulassen, daß er den Jungen mit dem Riemen erschlägt.« »Er kann froh sein, daß er überhaupt noch lebt«, sagte Ben Brighton. »Wenn ich bedenke, daß wir durch ihn fast das Schiff wieder verloren hätten, könnte ich ihm jetzt noch eine Kugel durch den Schädel jagen,« »Was hättest du denn an seiner Stelle getan?« fragte Hasard lächelnd. Brighton blickte seinen jungen Kapitän überrascht an. Doch dann nickte er. »Du hast recht«, sagte er. »Dieser Valdez hat sich als mutiger M ann erwiesen. Er hat es verdient, daß wir ihn wie einen Ehrenmann behandeln.« Hasard steckte den Kopf in den Ledereimer und kam prustend
wieder hoch. Das kalte M eerwasser brachte ihn vollends wieder zu sich. Er trocknete sich mit einem Leinentuch ab und setzte sich dann auf die Koje, um seine Stiefel anzuziehen. »Es gefällt mir nicht, daß wir den Capitan und seine Besatzung immer noch an Bord haben«, sagte er. »Bei einem weiteren Zusammenstoß brauchen wir alle Leute. Dann kann niemand mehr auf die Gefangenen achten. Wenn die Spanier entschlossen sind, ist es ein leichtes für sie, aus dem Lagerraum auszubrechen und uns zu überwältigen.« »Ich habe auch schon daran gedacht, die Spanier loszuwerden«, sagte Ben Brighton. »Aber es ist ziemlich gefährlich, nahe an die portugiesische Küste heranzusegeln.« »Es wäre Selbstmord«, sagte Hasard kopfschüttelnd. »Es muß einen anderen Weg geben.« Er erhob sich und trat auf den Gang hinaus. Vor der Offizierskammer stand jetzt Dan O’Flynn, der junge Blondschopf, den Hasard in Plymouth kennengelernt hatte, als er einen fürchterlichen Kampf gegen die Preßgang der ›Marygold‹ aus gefochten hatte. Der Junge war Hasard, ohne zu zögern, zu Hilfe geeilt, denn er hatte den Killigrew aus Arwenack, das auch seine Heimat war, erkannt. Sein Einsatz hatte allerdings nicht viel genützt. Sie waren beide auf die ›Marygold‹ verschleppt worden. »Öffne die Tür, Junge«, sagte Ben Brighton. In Daniel O’Flynns Augen blitzte es ärgerlich auf. Hasard beobachtete amüsiert, wie wütend der Blondschopf auf die Anrede ›Junge‹ reagierte. Aber er beherrschte sich. Er schien genau zu wissen, was es ihm einbringen konnte, wenn er sich in Gegenwart des Kapitäns mit dem Bootsmann anlegte. Ben Brighton beachtete den Jungen nicht weiter, aber Hasard glaubte den Bootsmann gut genug zu kennen, um zu wissen, daß auch ihm die Reaktion Dans nicht entgangen war. Brighton schloß die Tür, nachdem Hasard und er die Kammer betreten hatten.
Romero Valdez hockte zusammengesunken auf seiner Koje. Er blickte auf, als er bemerkte, daß jemand seine Kammer betreten hatte. In seinen dunklen Augen war das Feuer des Widerstandes erloschen. Er hatte hoch gespielt, und er hatte verloren. »Was wollen Sie?« fragte er heiser, und Brighton übersetzte es für Hasard. »Sag ihm, daß ich kein Interesse daran habe, ihn und seine M annschaft mit nach England zu nehmen«, antwortete Hasard ruhig. »Bei der ersten Gelegenheit werde ich ihn an Land setzen lassen. Frag ihn, ob er eine M öglichkeit sieht, ohne daß wir dabei in Gefahr geraten, daß Schiff zu verlieren.« Ben Brighton übersetzte, und als der Spanier antwortete, hörte Hasard das Wort Berlenga heraus. Er nickte Brighton kurz zu, daß er verstanden hätte. Die Berlengas waren eine öde Inselgruppe etwa dreiundvierzig Seemeilen nördlich von Kap da Roca, das sie im Augenblick ansteuerten. Allerdings waren die Berlenga-Inseln nicht ungefährlich. Die Küste war mit gefährlichen Klippen bestückt, an denen ein Schiff bei auflandigem Wind im Handumdrehen zerschmettert werden konnte. Capitan Romero Valdez’ Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Schmerzes, als er sich von seiner Koje erhob und Hasard anblickte. Sein verletzter rechter Arm hing in einer Schlinge. »Haben Sie es entdeckt?« fragte er heiser. Hasard spielte den Erstaunten, als Brighton ihm die Frage übersetzte. Er zuckte mit den Schultern und antwortete: »Sag ihm, daß ich nicht weiß, was er meint.« Während der Bootsmann dem Spanier auf seine Frage antwortete, öffnete Hasard die Tür der Offizierskammer und winkte Daniel O’Flynn herein. »Schneide dem Capitan die Fußfesseln durch«, sagte er, und an Ben Brighton gewandt: »Erklär ihm, daß ich jeden weiteren
Flucht- oder Befreiungsversuch mit unnachgiebiger Härte ahnden werde.« Er wartete, bis Ben Brighton seine Worte übersetzt hatte und trat dann mit dem Bootsmann auf den Gang hinaus. Auf dem Quarterdeck ließ sich Hasard die steife Brise aus Südost um die Ohren wehen. Die ›Isabella‹ lag prall vor dem Wind und segelte mit Steuerbordhalsen nach Nordnordwest. Ben Brighton hatte alle Leinwand, die nur möglich war, gesetzt. Am Großsegel und der Fock waren jeweils zwei Bonnets angereiht, am Lateinersegel des Besans eines. Die Blinde unter dem Bugspriet schien das Schiff förmlich nach vorn durch die Wellen zu ziehen. Die schwerfällige Galeone pflügte durch die höher werdende See. Sie lag gut im Wasser. Die schwere Ladung war jetzt von Vorteil. Hasard schüttelte den Kopf, als er an den M orgen dachte. So etwas hatte er noch nie erlebt. Es wollte ihm nicht in den Sinn, wieso heute morgen auf einmal fast Windstille geherrscht hatte. Wenn der Wind hinterher umgeschlagen wäre und ihnen ins Gesicht geblasen hätte, wäre es etwas anderes gewesen. Aber er blies jetzt weiterhin aus Südost wie schon in der Nacht vorher. Die Stimme Ben Brightons riß ihn aus seinen Gedanken, »Wasser auf die Leinwand?« fragte der Bootsmann. Hasard zog die linke Augenbraue hoch und musterte Brighton mißtrauisch. Der Bootsmann schien ihm sonst nicht der Typ zu sein, der ein Schiff bis zur Grenze seines Leistungsvermögens vorwärtsknüppelte. Wollte sich Brighton über ihn lustig machen? Hasard verneinte diese Frage sofort. Ben Brighton war ein Seemann durch und durch. Ihm bereitete diese scharfe Fahrt wahrscheinlich ebensoviel Spaß wie dem Seewolf. Hasard glaubte es in den Augen des sonst so unerschütterlichen Bootsmanns zu erkennen. Sie hatten einen Glanz, den Hasard heute zum erstenmal in ihnen entdeckte.
»Kein Wasser, Ben«, sagte Hasard. Er mußte brüllen, denn der scharfe Südost riß ihm die Worte von den Lippen. »Die M änner sollen sich den Tag und die Nacht über noch ausruhen. M orgen will ich die Geschütze überprüfen und Probeschießen, damit wir für alle Fälle gerüstet sind.« »Aye, aye«, sagte Ben Brighton. Als über ihnen das Großmarssegel knatterte, brüllte der Bootsmann den Rudergänger an. Der M ann korrigierte hastig den Kurs um einen Strich, und das M arssegel stand wieder voll. Hasard hatte sich auf die Poop zurückgezogen. Er mußte über das enttäuschte Gesicht Ben Brightons lächeln, als er ihm den Wunsch abgeschlagen hatte, die Segel zu nässen. Das Wasser hätte die Leinwand noch luftundurchlässiger werden lassen, und der Druck des Windes auf die Segel hätte sich dadurch noch verstärkt. Gewiß, sie hätten noch schnellere Fahrt gemacht, und Hasard war wie alle anderen M itglieder der M annschaft daran interessiert, so schnell wie möglich in den Heimathafen Plymouth einzulaufen, aber er mußte mit den Kräften seiner M änner haushalten. Zuviel konnte auf der Fahrt nach Hause noch passieren. 5. In der Nacht hatten sie ihren Kurs auf Nord geändert. Der steife Wind wehte immer noch aus südöstlicher Richtung. Sie segelten mit vollem Zeug unter Backstagswind. Hasard war aufgeblieben und hatte Ben Brighton unter Deck geschickt, damit auch der Bootsmann eine M ütze voll Schlaf nehmen konnte. Der vierschrötige Blacky schob Wache am Niedergang zum Lagerraum, wo die gefangenen Spanier untergebracht waren. Ab und zu holte er etwas unter seiner Segeltuchjacke hervor und setzte es an den M und. Hasard vermutete, daß er
sich etwas von dem Wein für die kühle Nacht aufgehoben hatte. Vor der Offizierskammer, in der sich der Capitan befand, war niemand mehr. Hasard hatte die Tür abschließen lassen. Das Fenster zur Heckgalerie hatte Ferris Tucker so verschalkt, daß Valdez nicht einmal mit einer Axt hindurchgekommen wäre. Außerdem glaubte Hasard nicht, daß Valdez noch einmal den M ut fand, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Der M ann war zerbrochen. Die Gewißheit, daß er einen steifen Arm behalten würde, der seine Karriere als Seeoffizier der spanischen M arine beendete, setzte ihm sicher schwer zu. Im ersten M orgengrauen ließ Hasard Ben Brighton wecken. Der Bootsmann tauchte wenig später mit wehender Jacke und offenem Hemd neben dem Seewolf auf. Sein Gesicht war schuldbewußt. »Ich habe geschlafen wie eine Ratte. Ich …« Hasard winkte ab. »Du hast den Schlaf dringend gebraucht, Ben«, sagte er. »Du hättest dir auch noch die Zeit nehmen können, deine Hose zuzubinden und das Hemd am Kragen zu schließen.« »Entschuldigung …« Brighton wurde tatsächlich noch rot. Aber Hasard wußte, daß es weniger seine Verlegenheit als seiner Wut zuzuschreiben war, daß er sich von einem grünen Jungen so etwas sagen lassen mußte. »Ich werde mich jetzt hinlegen, Ben«, sagte Hasard, ohne sich weiter um den Bootsmann zu kümmern, der hastig an seinem Gürtel herumfummelte. »Wenn die Sonne zwei Strich über der Kimm steht, weck mich bitte. Ich möchte dann alle M ann an Deck sehen. Bereite die M änner darauf vor, daß es heute was zu schwitzen gibt.« »Aye, aye«, brummelte Ben Brighton hinter Hasard her, der unter der Poop in dem Gang verschwand, der zu seiner Kammer führte. Fluchend riß er an dem Band, das vorn seine Hose zuhalten sollte und sich verheddert hatte, bis er die
Geduld verlor und es einfach mit einem M esser auftrennte. Er war wütend bis in die Zehenspitzen. Schon lange hatte ihn keiner mehr so auf die M astspitze gebracht wie dieser junge Teufel, der das unverschämte Glück hatte, von Francis Drake bemerkt worden zu sein. Langsam beruhigte sich Ben Brighton, und bald konnte er schon wieder grinsen. Es mußte wahrlich ein erhebender Anblick für den jungen Killigrew gewesen sein, wie der altgediente Bootsmann Ben Brighton mit halb heruntergelassener Hose vor ihm stand.
Es war ein Tag wie Hasard ihn liebte. Der Wind blies nach wie vor kräftig genau aus der Richtung, die er sich wünschte. Weiße, zu mächtigen Bergen getürmte Wolken jagten unter einem strahlenden Himmel dahin. Die See ging hoch, und manchmal hatte Hasard das Gefühl, daß die Wellen seinem Schiff davonliefen. An Bord der ›Isabella‹ hatten sich alle M änner aufgereiht. Nur einer von ihnen stand unter dem Quarterdeck am Kolderstock und hielt die Galeone auf Kurs. Ben Brighton brüllte seine M eldung, daß alle M änner angetreten seien, gegen den Wind. Hasard deutete mit einer Handbewegung an, daß er verstanden hatte. Er ging zur Balustrade des Quarterdecks vor und blickte aufs Hauptdeck hinunter, wo die M änner entlang der aufgedeckten Gräting standen, durch die Hasard verschwommen die Gestalten der gefangenen Spanier im Dunkeln sehen konnte. »Ferris!« rief Hasard dem Schiffszimmermann zu.
»Kontrolliere mit allen M ann die Lafetten!« »Aye, aye!« Dann jagte Ferris Tuckers mächtiges Organ die M änner über das Deck der ›Isabella‹. Hasard rief Ben Brighton zu sich. »Hast du die Pulvervorräte geprüft, Ben?« fragte.er. Ben Brighton nickte. »Die Spanier sind unbehelligt aus der Neuen Welt zurückgekehrt«, antwortete er. »Die zweiunddreißig Pulverfässer sind unberührt - bis auf das eine, das wir angebrochen haben, als die Galeeren uns angriffen.« Der Seewolf dachte an den Kampf vom vorigen M orgen. Da hatten sie ruhige See gehabt. Die M änner hatten die Kanonen von außenbords mit der Ladeschaufel laden können. Bei schwerem Seegang und in Eile würde das kaum möglich sein. Außerdem hatten sie die Kanonen nur einmal abzufeuern brauchen, um die Gegner kampfunfähig zu schießen. So problemlos würde ein weiterer Kampf sicher nicht ablaufen. »Wir brauchen Kartuschen, Ben«, sagte Hasard und winkte Ferris Tucker aufs Quarterdeck. »Ich will so viele Kartuschen haben, daß wir mindestens zehn volle Breitseiten abfeuern können.« »Aye, aye«, sagte Ben Brighton. »Ich werde erst einmal welche für zwei Breitseiten herstellen lassen. M it den anderen können sich die M änner beschäftigen, wenn sie mit dem Probeschießen fertig sind.« »Wissen die M änner, was ihnen bevorsteht?« fragte Hasard. »Sie freuen sich schon darauf«, erwiderte Ben Brighton, ohne eine M iene zu verziehen. »O’Flynn meinte, er hätte vom vielen Herumsitzen schon Beulen am Hintern.« »Wie geht es seinem Arm?« »Vermutlich hat er noch Schmerzen«, sagte der Bootsmann. »Er hat eine schwere Prellung an der Schulter. Sie ist blau unterlaufen. Er wollte aber unbedingt beim Probeschießen dabeisein.«
»In Ordnung, Ben.« Der Bootsmann holte sich vier M änner und verschwand mit ihnen unter Deck. Zwei von ihnen begannen Kugeln an Deck zu schleppen. Die M änner an Deck hatten neben den einzelnen Geschützen Tauringe gelegt, in die sie die schweren Kugeln placierten. So konnten sie nicht über Deck rollen. Handspake, Ladeschaufel, Ansetzer und Wischer lagen bereit. Der Seewolf hatte seine Augen überall. Die M änner arbeiteten schnell und geschickt. Sie schienen zu wissen, daß diese Übung nicht abgehalten wurde, um sie zu schikanieren. Es ging um ihr Prisengeld.. Denn wenn sie es erhalten sollten, mußten sie jederzeit bereit sein, dafür zu kämpfen. Die meisten von ihnen waren lange genug zur See gefahren, um zu wissen, wie wichtig es war, eine eingespielte M annschaft zu sein, wenn es hart auf hart ging. Ferris Tucker erstattete M eldung. »Alle Lafetten und Brooks in Ordnung.« »Danke, Ferris«, sagte Hasard nachdenklich. Dann blickte er den rothaarigen Riesen an, »Die Spanier haben immer außenbords geladen, Ferris. Sie konnten es sich leisten, ein paar M änner dabei zu verlieren. Wir sind zu wenige. Jeder Verlust würde uns schwer treffen. Was meinst du? Wieviel Zeitverlust müssen wir in Kauf nehmen, wenn wir die Kanonen zum Laden einholen?« »Wir können sowieso nicht alle Kanonen auf einmal wieder laden«, sagte Ferris Tucker. »Ich habe während der Nacht schon darüber nachgedacht. Ich habe stärkere Taljen an die Lafetten angebracht. Wir müssen die Geschütze nach dem Feuern sofort einziehen und schwenken, damit die M änner noch Platz genug haben, sich auf Deck zu bewegen. Ich habe alles mit den M ännern schon durchgesprochen.« »Wir werden sehen, ob es klappt«, sagte Hasard knapp. Damit war Ferris Tucker wieder entlassen. Er eilte hinunter aufs Hauptdeck, und Hasard sah, wie er eindringlich auf die
M änner einsprach. Der Seewolf grinste leicht. Er konnte sich denken, was Tucker den Leuten dort unten erzählte. Wahrscheinlich wollten sie es dem grünen Jungen von der Poop zeigen, was ein richtiger M ann zu leisten imstande war. Hasard war es gleichgültig, als welchem Grunde sie Leistungen vollbrachten. Wichtig war nur, daß sie Plymouth erreichten, um den unbezahlbaren Schatz, den sie den Spaniern entrissen hatten, Francis Drake zu überreichen. Nach einer Weile erschien Ben Brighton wieder an Deck. Der Kutscher und Smoky schleppten die Kartuschen zu den einzelnen Geschützen. Hasard rief Ben Brighton zu sich. »Du übernimmst während der Übung das Schiff«, sagte Hasard und fuhr fort, ohne den überraschten Gesichtsausdruck jdes Bootsmanns zu beachten: »Ich werde hinunter zur Geschützmannschaft gehen. Suche vier Leute aus, die das Schiff so trimmen, wie ich es für das Schießen brauche. In einem Ernstfall werden wir es ebenso halten, verstanden?« »Aye, aye«, sagte Ben Brighton. Kopfschüttelnd blickte er dem jungen Killigrew nach, als er aufs Hauptdeck hinunterstieg. Wo hatte es so etwas schon einmal gegeben? Der Kapitän eines Schiffes begab sich freiwillig während eines Kampfes aufs Hauptdeck, um mit seinen M ännern Seite an Seite zu kämpfen? Ben Brighton konnte nicht umhin, den M ut des jungen Killigrew zu bewundern. Er war plötzlich dem Schicksal dankbar, daß es ihn mit diesem Jungen, der seinem Kriegsnamen Seewolf alle Ehre machte, zusammengebracht hatte. Ben Brighton dachte an die vielen jungen Lords, die er in den letzten Jahren kennengelernt hatte und die sich einbildeten, allein aufgrund ihrer Herkunft befähigt zu sein, eine Führerrolle zu übernehmen. Keiner von ihnen hatte je nur ein Wort mit einem M annschaftsmitglied gesprochen. Die meisten
hatten sich hauptsächlich in ihrer Kammer aufgehalten, vornehmlich, wenn es draußen gefährlich wurde. Dieser Killigrew steckte sie alle in die Tasche, und Ben Brighton war weitsichtig genug, um zu erkennen, daß in dem Seewolf ein Seefahrer heranwuchs, der sich eines Tages einen Namen machen würde, der sich durchaus mit dem Ruf Francis Drakes messen konnte. Der Bootsmann schüttelte die Gedanken ab. Er rief vier M änner zu sich und teilte sie ein. Er ließ die Blinde unter dem Bugspriet einholen und sämtliche Bonnets loswerfen, damit die Geschützmannschaften nicht behindert wurden und die Handhabung der Segel einfacher war.
Sie hatten eine Breitseite an Steuerbord abgefeuert, und jetzt kam es auf die Zeit an, die sie brauchten, die zweite Breitseite abzugeben und gleichzeitig die abgefeuerten Geschütze wieder zu laden. Philip Hasard Killigrew stand mitten im Pulverqualm, der das ganze Hauptdeck einhüllte. Er brüllte Ben Brighton einen kurzen Befehl zu, und die M änner, die die Segel bedienten, arbeiteten wie die Irren. Brighton ließ das Schiff halsen, damit sie die Backbordgeschütze an den imaginären Feind bringen konnten. Hasard hörte die angstvollen Schreie aus dem Lagerraum. Er grinste. Die Spanier dachten wohl, die ›Isabella‹ sei in ein Gefecht verwickelt. Neben ihm löste Blacky das mächtige Brooktau einer Kanone, um sie schwenken zu können. In diesem Augenblick krängte die ›Isabella‹.
Das Geschütz begann zu rutschen. Blacky schrie auf und stieß den Kutscher zur Seite, der hinter der Lafette gestanden hatte. Der dünne M ann wurde auf den Rücken geschleudert. Nur ein paar Zoll an seinem Kopf vorbei rollte eines der massiven Lafettenräder. Der Seewolf erfaßte die Situation mit einem Blick. Wenn die schwere Kanone ihre Richtung beibehielt, mußte sie im nächsten Augenblick durch die Gräting krachen, unter der die gefangenen Spanier im Frachtraum saßen. Das Geschütz würde nicht nur ein paar Spanier töten. Es würde mit seinem Gewicht bis zur Bilge durchschlagen und mit aller Wahrscheinlichkeit ein großes Loch in den Rumpf reißen. Hasard packte den Richtkeil, der zu seinen Füßen lag, und warf sich nach vorn. M it einem kräftigen Stoß hieb er den Keil unter das linke Hinterrad der Lafette. Einen M oment lang sah es aus, als würde die Lafette umstürzen. Die Beschläge der Schildzapfen schienen sich zu biegen. Hasard betete, daß sie hielten. Blacky und zwei weitere M änner stürzten herbei und packten das lose Brooktau. Sie zerrten mit aller Kraft daran, und sie schafften es, die Lafette wieder auf alle vier Räder zu bringen, Die Galeone hatte die Halse beendet. »Der Seewolf sprang auf und schrie die M änner an, die atemlos zugeschaut hatten. »An die Backbordgeschütze! Bei drei wird gefeuert! Eins zwei - drei! Feuer!« Die ›Isabella‹ bebte unter den Kräften, die frei wurden, als die schweren Geschütze ihr Eisen aus dem Rohr fauchten. Wieder hüllten Pulverdampfschwaden das Hauptdeck ein. Hasard packte mit an, um die losgerissene Kanone an die Stückpforte heranzubringen. Bei den anderen Kanonen waren die M änner bereits dabei, die Läufe mit der Handspake und dem Rohrwischer von glimmenden Pulverund Kartuschenresten zu reinigen. Dan O’Flynn schob ein paar
Yards von Hasard entfernt einen mit Seewasser getränkten Schwamm in das Rohr und stieß ihn hinein, um es zu säubern und abzukühlen. Ein anderer M ann kratzte mit dem Zündlochbohrer den Zündkanal aus. Während O’Flynn zum nächsten Geschütz hastete, um das Rohr zu reinigen, führte ein M ann die halbzylindrische Ladeschaufel, die mit Pulver gefüllt war, in das saubere Rohr, bis sie den Seelenboden berührte. Dann drehte er die Schaufel vorsichtig, um das Pulver in die Kammer des Stückes zu entleeren. Er zog die Ladeschaufel darauf fast bis zur Mündung wieder heraus und führte sie dann erneut ein, um die losen Körner aufzunehmen, die beim ersten Einführen verlorengegangen waren. Hasard wurde sich in diesem Augenblick klar, daß sie sich diesen Ladevorgang mit nur sechzehn M ann Besatzung, von denen einige noch das Schiff manövrieren mußten, nicht leisten konnten, wenn es zu einem Gefecht kam. Wenn sie ihr Probeschießen beendet hatten würde er alle verfügbaren M änner daran setzen, Kartuschen aus Segeltuch herzustellen, um das Pulver schneller in die Kammer zu bringen. Für die schweren Geschütze mußte der M ann die Ladeschaufel dreimal einführen, um die Kammer mit Pulver zu füllen. Ein dritter M ann begann danach, Werg und altes Tauwerk mit dem Ansetzer auf das Pulver zu rammen. Ferris Tucker hatte seinen Daumen in den Zündkanal gesteckt, damit das grobe Pulver nicht hineingepreßt wurde und ihn verstopfte. Ein M ann hob eine Kugel aus dem Grummet und schob sie in die M ündung. Langsam ließ er sie ins Rohr rollen. Der M ann mit dem Ansetzer stopfte abermals Dämmaterial nach und rammte es mit kräftigen Stößen fest. Dabei stand er seitlich vom Rohr. Zu oft schon war es passiert, daß im Kampfeseifer eine Kanone einmal zu früh losging und der M ann, der sie
gerade lud, in alle Winde geblasen wurde. »Schneller, ihr Lahmärsche!« brüllte der Schiffszimmermann und jagte die Leute zur nächsten Kanone, während er selbst aus einem Pulverhorn, das er an einem Seil um den Hals hängen hatte, das feine, »scharfe« Pulver in den Zündkanal füllte. Kaum war er damit fertig, brüllte O’Flynn rechts von ihm: »Geschütz klar!« Jetzt ging es Schlag auf Schlag. Hasard lachte das Herz im Leibe, als er die M änner beobachtete. Ferris Tucker hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Sie waren aufeinander eingespielt, als hätten sie schon zehn Jahre lang auf einem Batteriedeck zusammengearbeitet. Ben Brighton hatte bereits wieder gehalst, und er war mit dem M anöver noch nicht ganz fertig, da brüllte Ferris Tucker: »Steuerbord bereit zur Breitseite!« Hasard wartete ab, bis die Galeone am Wind lag, dann schrie er: »Feuer!« Die Geschütze brüllten auf. Der Seewolf kniff die Augen zusammen, um durch die Pulverdampfschwaden den Einschlag der Eisenkugeln erkennen zu können. Dann sah er die Wasserfontänen in kurzen Abstanden nacheinander hochspritzen. Hasard beglückwünschte sich dazu, daß er einen M ann wie Ferris Tucker an Bord hatte. Der M ann war nicht nur ein ausgezeichneter Schiffszimmermann - er war der geborene Stückmeister. Wenn Hasard nicht alles täuschte, lagen die Einschläge der Kugeln in der Entfernung kaum zehn Yards auseinander. Das Schiff, das diese Ladung hätte schlucken müssen, wäre in zwei Teile gerissen worden. Ben Brighton fuhr die nächste Halse. Die Backbordgeschütze waren bereits wieder gereinigt. Das Laden begann. Hasard winkte Ferris Tucker zu. Das Gesicht des rothaarigen Riesen glühte vor Eifer.
»Genug, Ferris!« rief Hasard hinüber. »Das war schon sehr gut. Wenn die M änner sich im Gefecht noch steigern, brauchen wir uns vor niemandem zu fürchten.« »Aye, aye!« brüllte Ferris Tucker. Er wandte sich an die M änner, die die Geschütze bedient hatten und nun in ihrer Arbeit innehielten. Ihre Gesichter waren geschwärzt vom Pulverrauch, Schweiß rann ihnen in Bächen von der Stirn, Dan O’Flynns Hemd war zerrissen. Der riesige blutunterlaufene Fleck auf seiner linken Schulter war deutlich zu sehen. Er mußte noch höllische Schmerzen haben, aber in diesem Augenblick dachte er nicht daran. Neben ihm stand Batuti, der große Gambia-Neger. In seinem Gesicht waren die schneeweißen Zähne und die leicht geröteten Augäpfel zu sehen, die er wild rollte. Der vierschrötige Blacky hatte sich auf seinen Ansetzer gestützt. Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich unter tiefen Atemzügen. Smoky, der frühere Decksälteste der ›Marygold‹, hatte eine blutende Schmarre quer über der linken Wange. Er hatte es noch nicht bemerkt. Selbst der schmächtige Kutscher, dem nichts mehr zuwider war als harte Arbeit, hatte sich als ganzer M ann bewiesen. Als er das erstemal die Ladeschaufel mit dem Pulver in das Rohr eingeführt hatte, hatten seine Hände noch gezittert - dann hatte er schnell und sicher gearbeitet wie alle anderen. Niemand wunderte sich jetzt mehr darüber als der Kutscher selbst »Habt ihr gehört, ihr lahmen Enten?« schrie Ferris Tucker. »Dem Kapitän hat eure Arbeit gefallen, obwohl ihr langsam wie Schnecken gewesen seid. Das nächstemal werdet ihr euch ein bißchen beeilen, sonst ziehe ich euch die Hammelbeine lang, verstanden?« »Aye, aye, Sir!« donnerte es aus einem Dutzend Kehlen über das Deck der ›Isabella‹. An dem Niedergang zum Quarterdeck drehte sich Hasard um. »Laß das Deck säubern, Ferris«, sagte er. »Wenn die M änner
damit fertig sind, erhält jeder noch eine Flasche Wein aus dem Vorrat von Capitan Valdez.« Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Die M änner ließen ihren Seewolf hochleben, daß die eingeschüchterten und ängstlich nach oben zur Gräting starrenden Spanier denken mußten, das Häuflein Engländer hätte mit der ›Isabella‹ ganz allein die spanische Flotte versenkt. Ferris Tucker ließ als erstes die Geschütze festzurren, damit ihnen nicht noch so ein M ißgeschick widerfuhr wie vorhin. Er brauchte die Leute nicht anzufeuern. Jeder war darauf erpicht, so schnell wie möglich fertig zu werden, um eine Flasche Wein in Empfang nehmen zu können.
Nach kurzer Zeit blitzte das Deck, als hätte es das Übungsschießen nie gegeben. Ben Brighton, der das Kommando der Galeone wieder an Hasard abgegeben hatte, teilte den Wein aus. Die Blinde war wieder gesetzt und die Bonnets wieder angereiht. Die Galeone hielt den Kurs Nord und segelte mit Backstagswind und Steuerbordhalsen auf Kap da Roca zu. Der Seewolf stand auf der Poop und lehnte an der Reling. Der Wind spielte mit seinem schwarzen Haar. Er genoß die brausende Fahrt, und er dachte, daß dies einer der schönsten Tage seines Lebens sei. Er war erst kurz über zwanzig Jahre alt, und er befehligte ein Schiff. Und vor ein paar Stunden hatte Ferris Tucker ihn zum erstenmal und in Gegenwart der ganzen M annschaft Kapitän genannt. Es war ein großartiges Gefühl. Hasard hatte von diesem M oment ein Leben lang geträumt, und selbst der alte Killigrew hatte ihm diesen Traum nicht mit der Peitsche austreiben können.
Im Gegenteil. Vielleicht hatte die Peitsche seinen Willen, eines Tages ein Schiff zu führen, nur noch bestärkt. Hasard wußte seit diesem Tag, daß er M änner führen konnte, ohne die Peitsche zu schwingen. Heute hatten ihm erfahrene M änner nicht nur gehorcht, sondern seine Befehle mit Begeisterung ausgeführt. Hasard war Ferris Tucker und Ben Brighton dankbar, daß sie ihm die Chance gegeben hatten, sich zu bewähren, und er schwor sich, daß er es den beiden M ännern niemals vergessen würde. Hasard war sich darüber im klaren, daß er nur eine Prise unter Befehl hatte und nicht ein Schiff Ihrer M ajestät Elisabeth I. Viel Wasser würde noch die Themse hinunterfließen, ehe die Admiralität ihm das Kommando über ein Schiff geben würde. Doch Hasard war entschlossen, mit allen M itteln darum zu kämpfen. Und zwar, ohne den Namen seines Vaters in die Waagschale zu werfen, wie es viele junge Adelige taten. Nein, alles konnte Hasard vertragen, nur nicht, ein Verdienst wegen seiner guten Beziehungen zu erhalten. Er war jung und hatte einen klaren Verstand, eine harte Ausbildung und kräftige Fäuste. Damit mußte er es schaffen. Vielleicht war da noch etwas, das viel mehr wert war als alles andere. Er besaß die Sympathie Francis Drakes. Er wußte, daß Drake nur die Leistungen achtete, und es machte ihn stolz, daß Drake gerade ihm, dem jungen Killigrew, die Aufgabe übertragen hatte, eine Prise in den Hafen von Plymouth zu bringen. Hasard dachte mit Schaudern daran, was geschehen wäre, wenn er in Cadiz mit seinen M ännern den Spaniern in die Hände gefallen wäre. Er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Das Glück ist mit dem Tüchtigen. Ohne Glück konnte ein M ann keine Siege erringen, und wenn er noch so klug und stark war. Hasard hatte in seinen jungen Jahren schon viele Kapitäne
kennengelernt. Die meisten von ihnen wurden von ihren M annschaften gehaßt und gefürchtet. Die Angst trieb sie zu außergewöhnlichen Leistungen. Hasard verachtete die M änner, die andere mit der Peitsche beherrschten. Auf seinem Schiff wollte er freie M änner haben, die einen Befehl ausführten, weil sie seinen Sinn verstanden oder den M ann, der sie gab, akzeptierten - und nicht, weil sie sich vor Strafe oder dem Tod fürchteten. Hasard wußte, daß auf einem Schiff, das mitten auf dem M eer auf sich allein gestellt war, nur ein M ann befehlen konnte. Er würde es auch entschlossen tun. Er konnte nur hoffen, daß er dabei nie so weit gehen würde, daß er sich vor sich selbst schämen müßte. Auf dem Quarterdeck erschien Batuti, der den Capitan bewacht hatte. Der Schwarze schüttelte den kantigen Wollschädel und schlug sich mit der flachen Hand gegen das linke Ohr. Wahrscheinlich hatte er die Nachwirkungen des donnernden Geschützlärms noch nicht überwunden. Batuti grinste breit, als er den Seewolf auf der Poop entdeckte. »Hast du deinen Wein schon aus getrunken?« fragte Hasard ihn. Der Schwarze entblößte seine strahlenden Zahnreihen. »Aye, aye!« brüllte er. »Ein Schluck - Wein ist alle. Flasche viel zu klein für M ann wie Batuti.« »Warte ab, bis wir in Plymouth sind«, erwiderte Hasard grinsend, »dann werden dir die anderen zeigen, was ein englischer Seemann vertragen kann.« Batuti nickte. »Kleines O’Flynn hat schon erzählt. Batuti wird saufen - wie ein Ochse.« Hasard hätte beinahe lauthals gelacht. Die M änner erzählten dem gutmütigen Schwarzen wahrscheinlich reine
Schauermärchen, wie es im alten England in den Hafenstädten zuging. Hasard nahm sich vor, ein Auge auf Batuti zu halten, wenn sie daheim waren. Der Schwarze war das ideale Opfer für eine raffinierte Preßgang. Der Schrei einer M öwe lenkte Hasards Aufmerksamkeit zum Himmel, an dem sich unverändert hohe weiße Wolkenberge türmten. Er blickte nach Osten und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, aber er konnte über der Kimm kein Land entdecken. Nach seinen Berechnungen mußten sie zehn M eilen von der portugiesischen Küste entfernt sein. Es war gut möglich, daß sie von einem feindlichen Schiff entdeckt wurden. Einige Franzosen, die sich sonst in der Biskaya mit ihren schnellen Schiffen herumtrieben, waren auch schon an dieser Küste gesichtet worden. Für sie wäre eine einzelne Galeone eine willkommene Beute. Hasard schickte Batuti in den M ars. Sie konnten nicht vorsichtig genug sein. Nicht nur die Ladung von dreißig Tonnen Silber stand auf dem Spiel, sondern etwas viel Wichtigeres. Hasard mußte die kostbaren Seekarten von der Neuen Welt um jeden Preis zu Francis Drake bringen, denn sie konnten den Beginn einer großen Epoche der englischen Flotte einleiten. Davon war Philip Hasard Killigrew fest überzeugt. 6. Drei Tage war es nun schon her, seit sie mit der ›Isabella‹ den Ring der spanischen Kriegsgaleonen durchbrochen hatten und aus dem Hafen von Cadiz geflohen waren. Sie hätten es wohl nicht geschafft, wenn ihnen der Wettergott nicht gnädig gewesen wäre. Der steife Südost hatte ihnen die Spanier vom Halse geschafft, die ihnen sicher gefolgt waren. Kap da Roca lag hinter ihnen. Als Batuti Land gesichtet hatte, war Hasard auf Nordwestkurs gegangen, um die Berlenga-
Inseln anzusteuern, wo er endlich die gefangenen Spanier absetzen würde, die eine beständige Gefahr für seine kleine M annschaft bildeten. Der Seewolf hatte darauf geachtet, daß die Gefangenen von seinen M ännern anständig behandelt wurden und genügend zu essen und trinken erhielten, denn nichts war gefährlicher als eine M eute verzweifelter Gefangener, die ihre einzige Rettung in einem Aufstand sahen. Die Spanier wußten, daß sie nicht mit nach England geschleppt, sondern auf den Berlengas aus gesetzt werden sollten. Hasard hoffte, daß sie seine Großmut anerkennen und sich dementsprechend verhalten würden. Ein Problem bereitete Hasard noch Sorgen. Sie hatten nur noch ein kleines Beiboot an Deck, das sie wahrscheinlich den Spaniern überlassen mußten. Jetzt fehlte ihnen das Dinghi, das sie nicht mehr hatten an Bord holen können, weil sie von den beiden Galeeren angegriffen worden waren. Es widerstrebte Hasard, sich der letzten Rettungsmöglichkeit zu entledigen. Aber er wußte nur zu gut, daß ihnen das Boot auch nichts mehr nützte, wenn die Spanier sich endlich ihres Stolzes und M utes besannen und einen Ausfall wagten, Hasard blickte zum Großmars hoch. Batuti hockte dort. Er hatte sich mit einem Tampen gesichert. Hasard hatte sich entschlossen, ab jetzt immer einen M ann im M ars zu lassen, denn vor der portugiesischen Küste herrschte ein reger Schiffsverkehr. An Deck waren nur Smoky und ein anderer M ann zu sehen, die sich an Steuerbord herumlümmelten, Hasard hätte sie ebenfalls unter Deck schicken können, um den anderen M ännern beim Herstellen von Kartuschen zu helfen, denn der steife Wind blies mit einer fast schon unglaublichen Gleichmäßigkeit, so daß die Segel nur selten getrimmt werden mußten. Doch Hasard ging auf Nummer Sicher, zu oft schon hatte er in seinen jungen Jahren erleben müssen, wie schnell ein Wind
umschlagen konnte. Er dachte mit einem zufriedenen Grinsen an das Probeschießen vom M orgen, viel besser waren selbst die Leute des alten Killigrew nicht aufeinander eingespielt - und die hatte der rothaarige Satan monatelang mit der Peitsche gedrillt. Am Nachmittag hatte er sich dann mit Ferris Tucker die vier Drehbassen vorgenommen, von denen zwei auf der Back und zwei weitere auf dem Achterdeck standen. Hasard liebte die kleinen Dinger, die gehacktes Eisen verschossen, nicht sonderlich, aber sie waren im Nahkampf unentbehrlich. Die Spanier hatten sich um ihre Kanonen in den letzten Wochen nicht viel gekümmert. Die Sicherheit des Flottenverbandes, in dessen Schutz sie über den Atlantik gesegelt waren, hatte sie sorglos werden lassen. Ferris Tucker und der Kutscher, der ihm zur Hand ging, brauchten eine ganze Weile, um die Drehbassen wieder auf Vordermann zu bringen. Hasard haßte nichts mehr als Schlamperei. Ein Schiff mußte auf jede nur erdenkliche Situation vorbereitet sein. Hasard wollte sich niemals so überrumpeln und sein Schiff stehlen lassen, wie es Capitan Romero Valdez mit der ›Isabella‹ geschehen war. »Land voraus!« Der mächtige Baß des Gambia-Negers aus dem M ars riß den Seewolf aus seinen Gedanken. Hasard ging nach Steuerbord hinüber und schaute nach vorn, doch die Blinde nahm ihm die Sicht. »Heda!« brüllte er Smoky zu, der zum M ars hochblickte, wo Batuti aufgeregt mit den Armen herumfuchtelte. »Hol den Bootsmann an Deck!« Der breitschultrige M ann hob die rechte Hand, zum Zeichen, daß er Hasard verstanden hatte, und ging langsam auf den Niedergang zu, der unter Deck zu den Pulverkammern führte. Hasards scharfe Stimme peitschte übers Deck.
»Ein bißchen schneller, Smoky, verstanden?« Hasard sah, wie Smoky zusammenzuckte. Der vierschrötige M ann blickte erschrocken zum Quarterdeck hoch, und dann hastete er vorwärts, daß er beinahe über die Kante der Decksgräting gestolpert wäre. Hasard war wütend. Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? Der M ann mußte wissen, daß ein Befehl so schnell wie möglich aus geführt werden mußte. Diese Nachlässigkeit hätte er sich auf der ›Marygold‹ von Francis Drake nicht erlauben dürfen. Die Hände des Seewolfs zitterten. Er mußte sich zusammenreißen, um nicht loszubrüllen und den M ann am Ankerspill festbinden und auspeitschen zu lassen. Ben Brighton erschien an Deck und stieg sofort die Stufen zum Quarterdeck hoch. Sein Blick war fragend auf Hasard gerichtet. Wahrscheinlich sah er, daß Hasard sich bemühte, nicht die Fassung zu verlieren. Hasard wies auf Smoky, der mit knallrotem Kopf neben dem Niedergang stehengeblieben war. »Jag Smoky in den M ars, Ben«, sagte er kalt. »Und laß ihn nicht eher wieder herunter, bis ich den ausdrücklichen Befehl dazugebe!« »Aye, aye«, sagte der Bootsmann. Er schien zu wissen, daß es unklug war, jetzt eine Frage zu stellen. »Smoky, in den Großmars!« brüllte er. »Du löst Batuti ab!« Der M ann reagierte diesmal, als seien ein paar Freibeuter mit dem Entermesser hinter ihm her. Er enterte die Wanten, bevor Hasard zweimal durchgeatmet hatte. Er half Batuti, den Tampen zu lösen, mit dem sich der Schwarze gesichert hatte, und übernahm dann seinen Platz. Batuti schwang sich in die Wanten und hangelte sich innenbords an den Webeleinen hinunter an Deck, wo er grinsend auf weitere Befehle wartete. »Batuti hat Land gesichtet«, sagte Hasard zu Ben Brighton. Der Seewolf hatte sich wieder gefangen. Seine Wut war
verraucht, aber er würde diesen Zwischenfall nicht vergessen. Das Verhalten des früheren Decksältesten hatte ihm zu denken gegeben. Er hatte geglaubt, mit einer M annschaft auf einer kameradschaftlichen Basis zusammenarbeiten zu können, aber er hatte nicht in Betracht gezogen, daß es immer wieder M anner gab, die Anständigkeit mit Gutmütigkeit und Schwäche verwechselten. Hasard wußte, daß er nicht alle über einen Kamm scheren durfte, aber Smoky hatte ihm mit seinem Verhalten bewiesen, daß es besser war, wenn man der M annschaft immer und immer wieder klarmachte, wer der Kapitän war. Er würde es dem Decksältesten einbleuen, daß er an nichts anderes mehr denken konnte. Hier an Bord war Hasard der Herrgott, dessen Wort oberstes Gesetz war! Ben Brighton war zur Steuerbordreling hinübergegangen und betrachtete den schmalen schwarzen Streifen über der Kimm. »Die Berlengas«, sagte er. »Ich hätte nicht geglaubt, daß wir sie heute noch bei Tageslicht erreichen.« »Bereite die Spanier darauf vor, daß sie noch vor Einbruch der Dunkelheit an Land gesetzt werden«, sagte Hasard. »Die M annschaft soll sich vollzählig versammeln. Die M änner werden mit M usketen und Pistolen bewaffnet. Erklär den Spaniern, daß meine M änner den Befehl haben, bei der geringsten verdächtigen Bewegung zu schießen. Es liegt ganz an ihnen, ob sie das Land heil erreichen.« »Wir sollten die Insel westwärts umsegeln«, sagte Ben Brighton. »Bei Legerwall können wir nicht nah genug heran, und die Spanier werden uns Schwierigkeiten bereiten, wenn wir sie zu weit draußen absetzen, Schließlich finden nur ein paar von ihnen in dem Boot Platz. Die anderen müssen sich außenbords an Tampen festhalten.« »Wir verlieren Zeit, wenn wir vom Kurs abgehen«, sagte Hasard nachdenklich, »Wie lautet dein Befehl?« fragte Ben Brighton mit
unbeweglichem Gesicht. Der Seewolf wollte schon wieder wütend werden. Er preßte die Lippen aufeinander und schluckte eine harte Antwort hinunter. »Ich sehe M astspitzen! Steuerbord achteraus!« brüllte Smoky aus dem Großmars. Hasard und Ben Brighton drehten sich erschrocken um. Hasard nahm seinen Kieker ans Auge, aber er konnte nichts entdecken. »Es werden immer mehr!« brüllte Smoky. »Die ganze Kimm sieht wie genagelt aus!« »Dreh auf West, Ben!« Hasard stieß die Worte zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor. Er beobachtete das Gesicht des Bootsmanns, und er nahm sich vor, Brighton das geringste Grinsen heimzuzahlen. Doch Ben Brighton hatte sich voll in der Gewalt Er brüllte seine Befehle übers Deck. Die M änner warfen die Brassen los, die Rahen schwenkten herum, und wenig später segelte die Galeone mit Backbordhalsen auf westlichem Kurs. Hasard hatte die M astspitzen jetzt im Blickfeld des Kiekers. Sie wurden zusehends kleiner und verschwanden dann hinter der Kimm. Er hoffte, daß sie von den anderen Schiffen nicht entdeckt worden waren. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als Ben Brightons Vorschlag auszuführen und die Insel, auf der sie die Spanier aussetzen wollten, westwärts zu umsegeln. Hasard wußte, daß Brighton sich zwischen den Berlengas auskannte. Francis Drake hatte das Inselgebiet schon mehr als einmal benutzt, um sich vor einer spanischen Übermacht in Sicherheit zu bringen. Nach einer halben Stunde hatten sie die Südspitze der kahlen Insel erreicht. Ben Brighton brachte die Galeone wieder auf Nordkurs. Er befahl Smoky, die Küste genau abzusuchen. Er
wollte die Spanier möglichst in einer kleinen Bucht an Land setzen, in der die Brandung nicht so stark war.
Die Insel war ziemlich lang. Die Vegetation war spärlich. Der rauhe Wind, der fast stetig blies, hatte einen Großteil des felsigen Bodens kahl gefegt. Hasard beneidete die Spanier nicht um ihren unfreiwilligen Aufenthalt, den sie auf dieser Insel vor s ich hatten. Aber er war überzeugt davon, daß sie nicht allzu lange hier ausharren mußten. Die Seestraßen zwischen den Berlengas und der portugiesischen Küste waren stark befahren, und wenn die ausgesetzten Spanier ein Feuer anzündeten, würde es nicht lange dauern, bis ein Schiff auftauchte. Nach einer weiteren Stunde konnten sie bereits das Ende der Insel erkennen. Ben Brighton dachte schon, daß ihm nichts weiter übrigbleiben würde, die Spanier an der scharfgratigen Felsenküste auszusetzen, als Smoky aus dem M ars brüllte: »Hinter dem langen Felsen, der ins M eer ragt, ist eine kleine Bucht mit einem schmalen Sandstrand!« Ben Brighton und Hasard gerieten in Bewegung. »Laß zuerst Proviant und Wasser in das Boot laden«, sagte Hasard zu Brighton. »Wir lassen die M änner erst raus, wenn wir das Boot abgefiert haben.« Ben Brighton nickte. Er gab die Befehle an Blacky, Batuti und Dan O’Flynn weiter. Blacky meckerte lauthals, daß den stinkenden Spaniern auch noch guter Fraß nachgeworfen werde. Aber er achtete darauf, daß seine Worte nicht bis aufs Quarterdeck zu hören waren. Hasard holte den Capitan aus der Offizierskammer.
Romero Valdez war blaß. Seine Wangen waren eingefallen. Seine Augen glänzten seltsam, und Hasard vermutete, daß er Fieber hatte. Er trug jedoch den Kopf aufrecht und sagte kein Wort. Die Lippen hatte er zu einem schmalen Strich zusammengepreßt. Draußen auf dem Quarterdeck rief Hasard Ben Brighton zu sich. »Sag ihm, daß er an Bord bleiben kann. Er ist krank. Ich verspreche ihm, daß er England sofort nach seiner Genesung als freier M ann verlassen kann.« Ben Brighton übersetzte Hasards Worte. Romero Valdez blickte den Seewolf mit seinen dunklen, glänzenden Augen an. »Gracias, senor«, sagte er mit heiserer Stimme, »aber mein Platz ist bei meinen M ännern.« Hasard zuckte mit den Schultern. Er wußte, daß es keinen Zweck hatte, den Spanier umzustimmen, und er versuchte es deshalb gar nicht erst. Er befahl, das Boot mit dem Proviant und der Wassertonne an Steuerbord abzufieren, und wartete, bis der flache Rumpf aufs Wasser klatschte. Ben Brighton hatte Blacky und Batuti dazu ausersehen, die Gefangenen in Gruppen aus dem Lagerraum zu lassen und an Deck zu bringen. Die anderen M änner bildeten eine Gasse bis zur Stelle an Steuerbord, wo das Boot abgefiert worden war. Sie hielten alle M usketen in den Händen. Ein paar von ihnen hatten außerdem Pistolen im Hosenbund stecken. Ben Brighton und Hasard waren mit dem Capitan aufs Hauptdeck hinuntergestiegen. Hasard hielt in der rechten Hand den Degen, den er Valdez abgenommen hatte. Sie brachten den Capitan an Steuerbord, wo ihn die Leute sofort sehen konnten, wenn sie das Deck betraten. Brighton erklärte dem Capitan noch einmal eindringlich, daß es besser für sie sei, keinen Widerstand zu leisten. Die M änner hatten Befehl, sofort zu schießen.
Valdez nickte nur. Sein Körper zitterte. Ein Schüttelfrost hatte ihn gepackt. Hasard gab Ferris Tucker, der am Niedergang stand, ein Zeichen. Der Schiffszimmermann beugte sich hinunter und rief Blacky und Batuti etwas zu. Sie hörten dumpfes Stimmengemurmel. Es dauerte eine Weile, bis der erste Spanier seinen Kopf an Deck streckte. Er schaute sich mit angstgeweiteten Augen erst einmal um, ehe er ganz erschien. Sein Blick war auf Capitan Valdez gerichtet. Valdez nickte kurz, und der Spanier marschierte durch die Gasse der waffenstarrenden Engländer auf das Steuerbordschanzkleid zu, über dem eine Jakobsleiter hing. Er schwang sich hinüber und kletterte ins Boot hinunter, das auf den Wellen schaukelte und ab und zu gegen den Rumpf der Galeone stieß. Die nächsten Spanier folgten. Hasard wunderte sich, daß sie ihr Schiff ohne jeden Widerstand verließen, aber vielleicht hatten ihnen die geladenen M usketen genug Angst eingejagt, um einen geplanten Angriff sofort wieder zu vergessen. Hasard hörte die laute Stimme Batutis aus dem Lagerraum. Er hoffte, daß der Schwarze sich an seinen Befehl, die Spanier nicht zu reizen, hielt. Er konnte die Wut Batutis auf die Spanier gut verstehen, denn schließlich hatten sie ihn als Sklaven aus seiner Heimat verschleppt. Doch wenn Batuti sich jetzt nicht beherrschte, konnte es eine Katastrophe geben. Er flüsterte Ben Brighton zu, daß er zwei M änner an die Drehbassen auf der Back beordern solle. Der Bootsmann nickte und schickte Dan O’Flynn und den Kutscher auf die Back. Die beiden begannen sofort damit, die Drehbassen zu laden und auf den Niedergang zu richten. Plötzlich ertönte ein wildes Geschrei aus dem Lagerraum. Hasard vernahm ein lautes Klatschen, dann folgte ein Röcheln,
und Blacky brüllte: »Ihr verdammten Hunde!«
Blacky hatte bei den ersten zwanzig Spaniern darauf geachtet, daß immer genügend Abstand zwischen ihnen war, als sie aus dem Laderaum kletterten. Als alles reibungslos verlief, wurde er nachlässig. Er beobachtete grinsend den schwarzen Batuti, der jedem Spanier einen Tritt in den Hintern verpaßte, bevor er die Stiege des Niedergangs hinaufkletterte. Blacky lachte dröhnend, als einer der Spanier dabei ausrutschte und mit dem Gesicht auf die unterste Stufe des Niedergangs krachte. Er trat auf den Spanier zu, der sich gerade wieder aufrappelte und Blut spuckte, packte ihn am Kragen und am Hosenboden und beförderte ihn mit einem wilden Schwung hinauf an Deck. Im selben M oment spürte Blacky einen dumpfen Schmerz im Nacken. Er drehte sich um und sah einen Spanier, der zum zweitenmal ausholte, um ihm die Faust in den Nacken zu schlagen. Ein anderer warf sich zur Seite und versuchte, Batuti von den Beinen zu reißen. »Ihr verdammten Hunde!« brüllte Blacky. Seine Faust wirbelte durch die Luft. Er traf den Spanier, der sich zurückwerfen wollte, an die Stirn und schleuderte ihn zu Boden. Wie die Ameisen krochen die Spanier plötzlich aus dem Laderaum. Blacky schrie und griff sie mit beiden Fäusten an, Er schaffte es, ein paar von ihnen zurückzuwerfen, aber es wurden immer mehr. Drei Spanier hingen Batuti am Hals. Der Gambia-Neger schlug wild um sich und konnte sich befreien, doch er schaffte
es nicht, die Spanier ganz auszuschalten. Am Niedergang erschien plötzlich ein Gesicht, Batuti erkannte Ferris Tucker, der eine Pistole in der rechten Hand hielt. Die Waffe brüllte auf und hüllte die Stiege in Pulverdampf. Die Kugel klatschte dicht neben einem Spanier in die Planken des Zwischendecks. Plötzlich war es still. Es war, als hielten die Gefangenen, die sich noch im Laderaum befanden, vor Schreck den Atem an. Blacky glaubte schon, der Schuß hätte die Spanier eingeschüchtert, doch plötzlich ertönte ein Schrei aus fast zwanzig Kehlen. Die Spanier schienen zu glauben, daß sie zusammengeschossen werden sollten. Sie warfen sich mit Todesverachtung auf die beiden bärenstarken M änner, die sich auf dem Zwischendeck aufhielten. Batuti und Blacky hatten alle Hände voll zu tun, um nicht zu Boden geschlagen zu werden. Batuti kämpfte wie ein Berserker. Er blutete aus der Nase, aber er schien es nicht zu bemerken. Er schnappte zwei Spanier und ließ ihre Köpfe zusammenkrachen, so daß sie bewußtlos niederstürzten. Blacky verteidigte die große Luke des Laderaums geschickt mit den Füßen. Eine ganze Zeit konnte er so verhindern, daß noch mehr Spanier aufs Zwischendeck kletterten. Er bemerkte ebenso wenig wie Batuti, daß sich der Niedergang verdunkelte und ihnen drei M änner zu Hilfe eilten. Ben Brighton erreichte als erster das Zwischendeck, hinter ihm erschien der kleine, stämmige Pete Ballie, der Fäuste wie Ankerklüsen hatte. Ben Brighton schrie ein paar Worte auf Spanisch, doch er konnte sich erst verständlich machen, nachdem er seine Pistole abgefeuert hatte. Er erklärte den Spaniern, wie gering ihre Chancen seien.
Wenn sie auch nur den Kopf aus dem Niedergang steckten, würden die Drehbassen auf der Back ihr heißes Eisen ausspucken und sie in Fetzen schießen. »Eure anderen Leute sitzen schon im Boot!« schrie Ben Brighton. »Sie können euch nicht mehr helfen. Wenn ihr den Widerstand nicht aufgebt, werden wir absegeln und euch mit nach England nehmen!« Der Widerstand der Spanier brach zusammen wie ein Feuer, das keine Nahrung mehr fand. Ben Brighton schickte die Spanier, die auf dem Zwischendeck mit Blacky und Batuti gekämpft hatten, nach oben. Dann erst befahl er den anderen im Laderaum, einzeln das Zwischendeck zu betreten. M it grimmigen Blicken musterte er Batuti und Blacky, die schuldbewußt ihre Köpfe senkten. Der Schwarze wischte sich mit dem Ärmel seiner Segeltuchjacke das Blut aus dem Gesicht und murmelte etwas in einer Sprache, die Ben Brighton nicht verstand. Blacky hustete, als der Pulverdampf seine Schleimhäute reizte. Er wäre gern dieser stickigen Luft entronnen, aber er wagte es nicht, Ben Brighton zu fragen, ob er an Deck gehen könne. Pete Ballie grinste. Der kleine, stämmige M ann hätte gern an diesem Spaß teilgehabt, aber leider hatte der Bootsmann die Situation ohne einen Kampf bereinigen können. Dann kletterten die letzten drei Spanier nach oben an Deck. Ben Brighton schickte Batuti, Blacky und Pete Ballie hinter ihnen her. Er selbst verließ als letzter das Zwischendeck. Er sah gerade noch, wie der letzte Spanier sich über das Schanzkleid schwang und sich an der Jakobsleiter hinunter ins Wasser ließ. Das kleine Boot hatte bereits abgelegt. Etwa zwanzig M ann hatten darin Platz gefunden. Vom Heck hingen einige Taue außenbords, an denen sich die restlichen Spanier festhalten mußten. Die Bootsgasten begannen zu pullen. Nur mühsam konnten sie das schwerbeladene Boot mit der daranhängenden
M enschentraube in Richtung Bucht in Bewegung setzen. Hasard begann aufzuatmen, als sich das Boot von der Galeone entfernte. Er war froh, die Bedrohung, die die gefangenen Spanier gebildet hatten, endlich los zu sein. Als das Boot die Bucht ohne Zwischenfall erreicht hatte, gab Hasard den Befehl, die Segel wieder zu setzen. Ben Brighton jagte die M änner in die M asten. Blacky und Batuti taten sich mit ihrem Eifer besonders hervor. Sie waren froh, daß der Zwischenfall am Niedergang kein Nachspiel nach sich gezogen hatte.
Die ›Isabella‹ ließ die lange Insel hinter sich. Smoky, der immer noch im Großmars saß, meldete, daß von den M astspitzen nichts mehr zu sehen sei. Hasard zog sich in die Kapitänskammer zurück, nachdem er Ferris Tucker den Auftrag erteilt hatte, das Schiff noch einmal von oben bis unten durchsuchen zu lassen, ob sich nicht noch ein Spanier an Bord befand, den sie übersehen hatten. Er wollte es nicht noch einmal erleben, daß seine M änner überwältigt wurden, nur weil er zu nachlässig gewesen war. Hasard holte die schweinslederne Kassette unter der M atratze seiner Koje hervor und drehte sie in den Händen. Er konnte es immer noch kaum fassen, welches Glück er gehabt hatte. Jeder vernünftige M ensch hätte darauf verzichtet, den spanischen Kapitän, der sich mit einer Nußschale hinaus aufs rauhe M eer gewagt hatte, zu verfolgen. Er hatte es dem Gesicht Ben Brightons angesehen, daß er seine, Hasards Entscheidung, zu halsen und den Capitan zu verfolgen, für die Tat eines Wahnsinnigen hielt. Aber sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Jetzt hielt er den größten Schatz in Händen, den je ein
englischer Seemann den Spaniern entrissen hatte. Hasard holte die Karten aus der Kassette und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Fast zärtlich fuhren seine Finger über die Küstenlinien einem ihm unbekannten Landes, das so viele Schätze barg, daß Spaniens Schiffe pausenlos unterwegs waren, um sie über das große Wasser in die Heimat zu bringen. Hasard prägte sich die Karten und die spanischen Namen, die ihm noch nichts sagten, ein. Er hatte noch Zeit genug, bis sie Plymouth erreichten. Bis dahin würden diese Seekarten unauslöschlich in seinem Gehirn eingeprägt sein, so daß er sie jederzeit würde nachzeichnen können. 7. Drei weitere Tage vergingen, bis sie Kap Finisterre passierten. Der Wind hatte auf Süd gedreht und trieb die ›Isabella‹, die mit ihrer schweren Ladung gut in der schweren See lag, vor sich her. Hasard hatte das Großsegel aufgeien lassen, denn der Wind hatte sich weiter verstärkt. Er wußte, daß ihm und seiner M annschaft noch einiges bevorstand, denn es hieß, wer Kap Finisterre bei starkem Wind umsegelt, auf den wartet in der Biskaya Sturm. Die siebzehn M änner an Bord der ›Isabella‹ waren unruhig, obwohl sie durch den starken achterlichen Wind genug zu tun hatten, die Galeone auf Kurs zu halten. Seit sie die Spanier an Land gesetzt hatten, war nichts Außergewöhnliches mehr passiert. Hasard hielt sich die meiste Zeit auf dem Quarterdeck auf. Irgend etwas kribbelte unter seiner Haut, aber er wußte nicht, wie er dieses Zeichen deuten sollte. Er spürte, daß bald etwas geschehen würde, und es stimmte ihn langsam verrückt, daß er nicht wußte, was.
Er atmete fast auf, als er plötzlich Gebrüll hörte, das vom Zwischendeck herauf scholl. Er hörte die dunkle rauhe Stimme des Schiffszihimermanns. Ein Klatschen folgte, das sich nach einem Schlag anhörte. Ben Brighton, der sich in die Kammer zurückgezogen hatte, in der sie den spanischen Capitan gefangengehalten hatten, erschien auf dem Quarterdeck. Er wollte zum Hauptdeck hinuntereilen, aber der Seewolf hielt ihn zurück. »Übernimm du das Schiff, Ben«, sagte er. »Ich werde mich selbst darum kümmern.« M it zwei Sätzen sprang er die Stiege vom Quarterdeck zum Hauptdeck hinunter und lief zum Niedergang. Er hörte sofort, woher der Lärm ertönte. Er wandte sich auf dem Zwischendeck nach achtern, wo die Kombüse lag. Ferris Tucker schrie sich die Kehle heiser, aber die beiden M änner, die sich am Boden wälzten, hörten nicht auf ihn. Hasard erkannte sofort, wer sich da prügelte. Es waren Blacky und Batuti. Batuti hockte auf Blackys Brust, und seine Rechte klatschte immer wieder in Blackys Gesicht. »Du nie wieder kleines O’Flynn verhauen!« brüllte er. »Sonst ich schneiden dir Ohren ab und kochen davon Suppe!« Blacky röhrte. Sein Gesicht war vor Wut rot angelaufen. Die Adern an seiner Schläfe waren vor Anstrengung geschwollen, aber er schaffte es nicht, den mächtigen Neger von sich herunterzuwälzen. Hasards Blick fiel auf die beiden M änner an der Kombüsentür. Der Kutscher, der für die Besatzung kochte, krampfte die Hände zu Fäusten zusammen. Sein Blick wieselte zwischen den Kämpfenden und dem grinsenden Daniel O’Flynn, der an der Kombüsenwand lehnte, hin und her. Hasard kannte das Bürschchen inzwischen gut genug, um sofort zu wissen, was vorgefallen war. Wahrscheinlich hatte der Kutscher ihn wieder einmal dabei erwischt, wie er sich
etwas aus der Kombüse geklaut hatte. »Schluß jetzt!« sagte Hasard scharf. Batuti zuckte zusammen. Obwohl Hasards Stimme längst nicht so laut war wie die von Ferris Tucker, hatte sie eine bedeutend stärkere Wirkung. Der Herkules sprang auf. Hasard beobachtete fasziniert, wie der Ausdruck im Gesicht des Schwarzen sich von einer Sekunde zur anderen änderte. Eben noch war es vor Wut verzerrt gewesen - jetzt stand bereits wieder das breite Grinsen darin, mit dem er Einfältigkeit vortäuschen wollte. Aber Hasard hatte den Schwarzen längst durchschaut, Der Kerl hatte es faustdick hinter den Ohren, und fast vermutete Hasard, daß Batuti sogar sein gebrochenes Englisch nur vortäuschte. Er traute ihm langsam alles zu. »Blacky sagen, er stärker als ich«, radebrechte Batuti »Ich ihm zeigen, wie schwarzer Bastard kämpfen kann!« Blacky hatte sich inzwischen erhoben und rieb sich die geschwollene linke Wange. Auch er grinste jetzt. »Diesmal hast du noch Glück gehabt, Wollkopf«, sagte er knurrend, »Das nächste M al stampfe ich dich durch die Decksplanken!« »Warum du nicht gleich versuchen?« fragte Batuti angriffslustig und hob beide Fäuste. M it einer kurzen Handbewegung beendete Hasard das Streitgespräch. »Gebt Ruhe, M änner!«, sagte er ernst. »Wir brauchen unsere ganzen Kräfte für die Fahrt nach Plymouth, Die See wird immer rauher, und es ist nicht ausgeschlossen, daß wir unterwegs noch kämpfen müssen, um unsere Prise zu verteidigen.« Er wandte sich an den Schiffszimmermann: »Ferris, beschäftige die Kerls, damit sie auf andere Gedanken kommen. M einetwegen laß sie noch mehr Kartuschen herstellen.« Ferris Tucker schüttelte den Kopf.
»Wir haben alles Segeltuch aufgebraucht, das ich entbehren konnte. Außerdem haben wir keine Behälter mehr, wo wir weitere Kartuschen unterbringen können.« »Dann denk dir etwas anderes aus«, sagte Hasard »Auf keinen Fall will ich Krach unter der M annschaft.« Er drehte sich um und ging breitbeinig auf den Niedergang zu. Er wußte genau, daß Batuti und Blacky ihm etwas vorgeschwindelt hatten, aber er sah keinen Grund, von ihnen zu verlangen, ihm die Wahrheit zu sagen. Er lächelte, als er den Niedergang hinaufstieg. O’Flynn und der Kutscher waren schlaue Burschen. Sie hatten sich die richtigen Freunde angelacht, die ihre Streitereien auskämpften. Der Schwarze schien einen Narren an Donegal Daniel O’Flynn gefressen zu haben, obwohl das Schandmaul O’Flynns den Herkules keinesfalls in Ruhe ließ. Blacky dagegen hatte sich als Beschützer des schmächtigen Kutschers aufgespielt, seit dem Zwischenfall mit der losgerissenen Kanone. Wahrscheinlich war Blacky der M einung, der arme Kutscher sei ohne ihn völlig aufgeschmissen. Dabei konnte der kleine M ann ganz gut auf sich selbst aufpassen, davon war Hasard überzeugt. Ben Brighton blickte den Seewolf fragend an, als er wieder aufs Quarterdeck kletterte. Hasard zuckte nur mit den Schultern. »Sie haben Langeweile«, sagte er. »Blacky und Batuti haben sich geprügelt, weil der Kutscher und O’Flynn sich in die Haare geraten sind. Wahrscheinlich hat das Bürschchen mal wieder ein paar getrocknete Früchte geklaut.« Ben Brighton hob den Kopf und betrachtete besorgt die drohenden Wolkenfelder, die immer dunkler wurden und mit hoher Geschwindigkeit nach Norden brausten. »Es ist vielleicht besser, wenn wir die Fock auch noch einholen«, sagte er. Hasard schüttelte den Kopf
»Laß sie solange stehen wie möglich«, erwiderte er. »Ich habe ein ungutes Gefühl, daß noch etwas geschieht, und dann möchte ich so nah an der englischen Küste sein, wie es geht.« Ben Brighton wies mit der rechten Hand nach oben in den Großmars. »Soll ich Smoky runterkommen lasse?« fragte er. »Ich glaube, du hast ihn jetzt lange genug da oben hängen lassen.« Hasard blickte zum Großmars hinauf, wo Smoky zusammengekauert hockte. Seit drei Tagen hatte Hasard den früheren Decksältesten der ›Marygold‹ für jeweils sechs Stunden in den M ars geschickt, um ihm klarzumachen, daß Disziplin gerade auf einem Schiff, das nur mit kleiner M annschaft gesegelt werden mußte, von größter Wichtigkeit war. Hasards Zorn auf Smoky war immer noch nicht ganz verraucht, aber er sah ein, daß er jetzt nachgeben mußte, wenn er sich die Achtung Ben Brightons und der M annschaft erhalten wollte. »Gut«, sagte er. »Laß ihn runter. Aber ich möchte, daß der M ars besetzt bleibt. Die M änner können sich jede Stunde abwechseln.« »Aye, aye«, antwortete Ben Brighton mit unbewegtem Gesicht. Dann brüllte er seine Befehle über Deck. Smoky kletterte mit steifen Gliedern die Wanten herunter. Seine klammen Finger krallten sich um die geteerten Taue, und zweimal rutschte er von den Webleinen ab, konnte sich aber jedesmal noch rechtzeitig fangen. Daniel O’Flynn nahm seinen Platz im Großmars ein. Die anderen M änner kümmerten sich um den verfrorenen Smoky, der aussah, als hätte er seine Lektion gelernt. Hasard begab sich in seine Kammer, um sich für ein paar Stunden hinzulegen. Solange die ›Isabella‹ unbehelligt von feindlichen Schiffen durch die schwere See der Biskaya lief, mußte er jede Gelegenheit nutzen, seinem Körper Ruhe zu gönnen.
Hasard betete im stillen, daß sie nichts mehr aufhalten würde. Zu wichtig war seine M ission geworden. Er mußte die ›Isabella‹ um jeden Preis nach Plymouth bringen. Er legte sich auf seine Koje und betrachtete die von der niedrigen Decke herabbaumelnde Öllampe, die mit den Bewegungen der Galeone hin und her schwang. Das Knarren der M asten, Rahen und Blöcke, die vom Sturmwind einer maximalen Belastung aus gesetzt wurden, verfolgte ihn bis in den Schlaf. Die Galeone lief jetzt auf nordwestlichem Kurs - quer durch die mörderische Biskaya auf Brest zu, Hasard wußte, wenn sie erst einmal diesen Turn geschafft hatten, waren sie aus dem Gröbsten heraus. Im Kanal war die Chance, einem englischen Schiff zu begegnen, größer, als auf einen feindlichen Franzosen oder Holländer zu treffen.
Hasard hörte die laute Stimme im Halbschlaf und ruckte hoch. Sein Kopf knallte gegen die Decke. Fluchend schwang er die Beine aus der Koje und fuhr in seine Stiefel. Die Tür zur Kapitänskammer wurde aufgerissen, ohne daß vorher angeklopft worden war, Hasard hatte keine Zeit, über Batutis M angel an Takt nachzudenken Der Schwarze brüllte seine M eldung heraus, ehe Hasard ihn fragen konnte, was, zum Teufel, denn los sei, »O’Flynn hat M asten gesehen! Voraus in Nord! Ganze Kimm voll wie Rücken von Stachelschwein!« Hasard warf sich seine Jacke aus dunklem Segeltuch über und raste aus der Kammer. Batuti folgte ihm polternd. Ein
Windstoß riß Hasard das Schott zum Quarterdeck aus der Hand. Es knallte gegen die Bretterwand der Poop und schwang sofort wieder zurück. Der Seewolf trat einen Schritt zur Seite. Hinter sich hörte er den überraschten Schrei Batutis, ein dumpfes Poltern und dann eine wütende Stimme. Hasard kümmerte sich nicht darum. Er mußte sich gegen den Wind legen, um nicht gegen die Nagelbank getrieben zu werden, wo Ben Brighton sich festgeklammert hatte. »O’Flynn glaubt, daß es sich um vier oder fünf Schiffe handelt!« schrie der Bootsmann, um sich im brausenden Sturm verständlich zu machen. »Kleine Karavellen mit Lateinerbesegelung! Wahrscheinlich Dreimaster! Höchstens fünf Seemeilen vor uns!« »Welchen Kurs halten sie?« brüllte Hasard zum M ast hinauf. »Den gleichen wie wir!« gab O’Flynn schreiend zurück. »Nordost! Ich glaube, sie haben uns nicht gesehen! Sie sind schneller als wir! Ich kann kaum noch ihre M astspitzen erkennen!« »Focksegel einholen!« brüllte Hasard seinen Befehl aufs Deck, wo die M änner abwartend standen. Ferris Tucker jagte vier M änner auf die Fockrahe. Schwere Brecher gingen über die Back und das Vorkastell, und hochspritzende Gischt trieb wie ein Schleier über das ganze Schiff. Hasard sah, wie die vier M änner mit sicherer Hand das Focksegel einholten. Er wußte aus eigener Erfahrung, welche Knochenarbeit es bei diesem Wetter war, auf den Rahen herumzuturnen. Die Fahrt der Galeone verlangsamte sich nur unwesentlich. Nur die beiden M arssegel standen jetzt noch an den M asten, und sie genügten vollauf, die schwerfällige Galeone weiter nordwärts zu treiben. »Sie haben uns nicht entdeckt!« schrie Donegal O’Flynn jubelnd aus dem M ars. »Sie hauen ab! Sie haben die Hosen
voll, weil der Wind ein bißchen bläst!« Hasard sah die Erleichterung auf den Gesichtern seiner M änner, und er begann ebenfalls zu grinsen, obwohl er nicht daran glaubte, daß die Karavellen die 200-Tonnen-Galeone übersehen hatten. Er konnte nur hoffen, daß es sich um unbewaffnete Kauffahrteischiffe gehandelt hatte. Aber darauf wollte er sich nicht verlassen. Er blickte Ben Brighton an und sah, daß auch der Bootsmann den Optimismus der M annschaft nicht teilte. Das harte Wasser herrschte nicht erst seit heute, und wer sich jetzt mitten in der Biskaya aufhielt, war ganz sicher kein harmloser Seefahrer. Die Bauart der Schiffe, die O’Flynn gesehen hatte, erweckte in Hasard die schlimmsten Befürchtungen. Er hatte solche kleinen, aber ungemein wendigen und schnellen Karavellen zur Genüge kennengelernt, als er noch auf den Schiffen des alten Killigrew gesegelt war. Es waren die bevorzugten Schiffstypen der bretonischen und normannischen Freibeuter, der Beherrscher der Biskaya. Ben Brighton hegte die gleichen Befürchtungen wie der Seewolf. Seine nächsten Worte bewiesen es. »Wenn es Freibeuter waren, dann frage ich mich, warum sie uns nicht sofort angegriffen haben.« »Wahrscheinlich ist ihnen die See zu schwer«, sagte Hasard nachdenklich. »Oder aber sie haben etwas anderes mit uns vor. Wir sollten vorsichtshalber unseren Kurs ändern. Dreh die alte Tante nach Norden, Ben. Vielleicht können wir ihnen so ein Schnippchen schlagen.« Ben Brighton nickte. Er rief einen Befehl durch die große Luke auf dem Quarterdeck, unter der Pete Ballie am Kolbenstock stand und das Ruder bewegte. Nach einer Stunde Fahrt bat Ben Brighton, auch das Großmarssegel einholen zu dürfen, und Hasard stimmte zu. Es hatte keinen Sinn, die Segel zu riskieren, die sie vielleicht noch einmal brauchten, um einem feindlichen Schiff zu entwischen.
Die ›Isabella‹ kam dem Seewolf wie ein behäbiger Elefant vor, der sich unbeirrbar seinen Weg durch eine feindliche Umwelt bahnte. Die Brecher, die mit ungeheurer Wucht über das Deck rasten, hatten die Blinderahe zerschlagen, und Ferris Tucker war unter Deck bereits dabei, eine neue fertigzustellen. Hasards Nervosität war verflogen. Jetzt, da er jeden Augenblick mit einem Zwischenfall rechnete, war er die Ruhe selbst. Er hatte Ben Brighton befohlen, die M änner zu beschäftigen, und hatte ihm eingetrichtert, sie darauf vorzubereiten, daß sie innerhalb von Sekunden kampfbereit an Deck zu sein hatten, wenn der Befehl dazu erfolgte. Batuti hockte jetzt in dem sturmumtosten M ars. Er hatte sich wieder mit einem Tau gesichert. Die lächerlichen Bemerkungen der anderen hatten ihn nicht gestört. Hasard atmete fast auf, als er Batuti röhrendes Organ vernahm. »Voraus! Voraus!« brüllte der riesige Gambia-Neger, der sich aufgerichtet und am M ast festgeklammert hatte. »Verdammt noch mal, was siehst du voraus?« schrie der Seewolf. Er hielt das Spektiv ans rechte Auge und suchte damit die Wellenberge ab, die vor ihnen herliefen. Aber er konnte nichts erkennen. »Weiß ich nicht genau!« brüllte Batuti. »Schwimmt was auf dem Wasser!« Hasards scharfe Stimme peitschte übers Deck. »Dan O’Flynn in den M ars!« Wenn einer von ihnen erkennen konnte, was der Gegenstand war, den Batuti entdeckt hatte, dann war es Donegal Daniel O’Flynn, der die schärfsten Augen von ihnen hatte. Der Junge aus Falmouth kletterte wie ein Affe die Wanten hinauf. Er klammerte sich neben Batuti an den M ast und ließ sieh von dem Schwarzen die Richtung weisen. Es dauerte einen Augenblick, bis Dan den Gegenstand mit den Augen erfaßt hatte. Er wartete ab, bis er auf einem
Wellenkamm erschien, und er erkannte sofort, um was es sich handelte. »Ein Boot!« schrie er hinunter. »Ein paar M änner sitzen darin und pullen! Sie müssen ihr Schiff verloren haben!« »Wie weit sind sie entfernt?« »Keine Seemeile!« rief O’Flynn. »Etwa zwei Strich Steuerbord!« Hasard nickte Brighton zu, und der Bootsmann gab den Befehl an den Rudergänger Pete Ballie weiter. Nach ein paar M inuten konnten sie alle das Boot sehen, das wie ein Korken auf den Wellen tanzte. Die M änner darin waren jetzt deutlich zu sehen. Es waren acht, und sie kämpften einen heroischen Kampf gegen die aufgewühlte See, die sie zu verschlingen drohte. Der Seewolf zögerte mit seiner Entscheidung nicht eine Sekunde. »Alle M ann klar!« rief er. »Wir holen sie an Bord! Seht zu, daß ihr das Boot an Bord hieven könnt, dann haben wir wenigstens ein neues.« Hasard war der Ansicht, daß die M änner nur von einer der fünf Karavellen stammen konnten, die sie am M orgen gesichtet hatten. Er wunderte sich ein bißchen, daß die M änner ihr Schiff verloren hatten, denn er kannte keine seetüchtigeren Schiffe als die schlanken Karavellen mit den Lateinersegeln. Aber vielleicht hatte ein besonders starker Brecher das Schiff leck geschlagen. Doch wieso waren dann in dem Beiboot, das mehr als zwanzig M ann fassen konnte, nur acht M änner? Hasard hatte keine Zeit mehr, über diese Dinge nachzudenken. Das wichtigste war erst einmal, die M änner an Bord zu holen. In der Nußschale hatten sie kaum eine Chance, die nächste Stunde zu überleben, denn die See wurde immer ruppiger. Ben Brighton jagte drei M ann in den Großmast, um das Großmarssegel für den Augenblick der Bergung zu setzen,
damit die Galeone manövrierfähiger wurde. Hasard war aufs Hauptdeck hinuntergegangen und half den M ännern, die Taue bereitzulegen, die sie den Schiffbrüchigen zuwerfen wollten. Ben Brightons klare Stimme hallte über das Deck. Die ›Isabella‹ bäumte sich auf und durchstieß mit ihrem stumpfen Bug die mächtige Welle, die sie zu überrollen drohte. Das Beiboot schien auf die Galeone zuzufliegen. Gischtumsprüht tanzte es sekundenlang auf einer Wellenkrone, bis es wie von schweren Gewichten plötzlich nach unten in ein Wellental gezogen wurde. Nur der Geistesgegenwart Ben Brightons war es zu verdanken, daß das Boot nicht an der Bordwand der Galeone zerschellte Sie hörten die M änner in dem Boot vor Entsetzen brüllen, und dann flogen die Taue auf das Boot zu. Zwei der Schiffsbrüchigen hatten Glück. Sie packten jeder ein Tau. Einer von ihnen wurde sofort über Bord gerissen Er wurde von der See verschluckt. Blacky, der das Seil hielt, zog daran wie ein Irrer, am Widerstand spürte er, daß der M ann nicht los gelassen hatte. Smoky und ein anderer M ann sprangen hinzu. Gemeinsam holten sie das Tau Hand über Hand ein. Sie sahen, wie das bärtige Gesicht des Schiffbrüchigen auftauchte, der mit einer Welle auf die ›Isabella‹ zugeschwemmt wurde. »Los!« schrie Blacky, und die drei M änner, die das Tau hielten, rannten über das Deck nach Backbord. Hasard sah, wie der bärtige M ann gegen die Bordwand der ›Isabella‹ krachte. Das mußte das Ende für ihn sein. Doch der Bärtige schien die Kraft eines Bären zu besitzen, oder aber die Todesangst verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Er ließ das Tau nicht los, und nachdem Blacky und Smoky noch einmal kräftig zogen, konnten ihn die anderen M änner der ›Isabella‹ packen und über das Schanzkleid an Bord zerren. Der zweite M ann in dem Boot hielt immer noch das Tauende
in der Hand, das Batuti durch seine Hand gleiten ließ, wenn sich das Boot von der Galeone entfernte, Hasard sah die aufgerissenen Augen des M annes, Einen M oment sah es so aus, als wolle er ebenso wie sein Kamerad ins Wasser springen, doch er fand nicht den M ut dazu. Der Kutscher und der hagere Gary Andrews, dessen Wunde auf der Brust allmählich verheilte, kümmerten sich um den geborgenen Schiffbrüchigen, der ein paar französische Worte hervorsprudelte. Hasard schnauzte Gary Andrews an, er solle sich gefälligst unter Deck scheren und sich in seine Koje legen, Jetzt, da die Entzündung der riesigen Schnittwunde, die er sich bei dem Überfall der Spanier auf der »Santa Barbara« zugezogen hatte, im Abklingen war, war es unklug, das Risiko einzugehen, daß die Wunde wieder aufbrach. Andrews verschwand brummend im Niedergang. Der Franzose erholte sich ziemlich schnell. Anscheinend hatte er sich beim Aufprall auf die Bordwand nicht verletzt. Er erhob sich, schüttelte seinen bärtigen Kopf und stützte sich am Schanzkleid ab. Ben Brighton schrie vom Quarterdeck. »Aufpassen M änner, jetzt haben wir es!« Die Galeone krängte stark nach Steuerbord. Das Boot jagte auf einem Wellenkamm heran. Arme packten zu. Tampen flogen ins Boot, das knirschend die Bordwand der Galeone berührte. M it einem Schlag wurden drei M änner über das Schanzkleid gezerrt. Ein vierter rutschte beim Sprung vom Dollbord aus. Sein rechtes Bein geriet außenbords. In diesem Augenblick schwappte eine Welle das Boot wieder gegen die Galeone. Der Franzose schrie markerschütternd auf. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt. Die Augen quollen hervor. Hasard preßte die Zähne aufeinander, als das Boot von einer
Woge von der Galeone weggerissen wurde. Das Bein des Franzosen, der sich schreiend an einen Tampen geklammert hatte, war nur noch ein blutiger Stumpf. Das Dollbord hatte seinen Unterschenkel an der Bordwand der Galeone abgequetscht. Blacky riß den M ann zu sich heran und packte ihn bei den Schultern. Der Franzose hatte vor Schmerzen den Verstand verloren. Er schlug wie ein Berserker um sich. Blacky zögerte nicht. Er machte kurzen Prozeß. Seine Faust traf das Kinn des Franzosen und schickte ihn auf die Decksplanken. Seine geretteten Kameraden kümmerten sich um ihn. Einer von ihnen band seinen Schal ab und schlug ihn um das verstümmelte Bein, um es abzuschnüren. Der Kutscher und O’Flynn halfen den Franzosen, den Verletzten unter Deck zu bringen. Drei M änner hatten den Sprung aus dem Boot nicht geschafft. Sie schrien sich die Kehle wund, als sie sahen, daß sich die Galeone immer weiter von ihnen entfernte. Aber Ben Brighton hatte das einzig Richtige getan. Wäre er an dem Boot drangeblieben, hätten die nun folgenden Brecher, die die ›Isabella‹ von Steuerbord überschütteten, das Boot unweigerlich an der Bordwand zerschmettert. Der Bootsmann brauchte fast zehn M inuten, bis er die Galeone wieder in eine günstige Position manövriert hatte. Die M änner im Boot saßen an den Riemen und pullten. Ben Brighton schrie sie an, das Boot tanzen zu lassen, doch seine Stimme ging im heulenden Sturm unter. Hasard sah die Katastrophe voraus. Eine riesige Welle jagte von Steuerbord heran. Hasard wirbelte herum und wollte Ben Brighton einen Befehl zurufen, doch der Bootsmann hatte bereits reagiert. Die Galeone legte sich herum und streckte den Bug dem Wellengang entgegen. Ben Brighton hatte nichts anderes tun können, wenn er die ›Isabella‹ nicht in Gefahr bringen wollte.
Das Boot wurde von den wirbelnden Wassern förmlich in die Luft geschleudert. Es drehte sich um die eigene Achse. Einer der M änner verlor den Halt. Hasard sah, wie er über Bord gefegt wurde und augenblicklich verschwand. Dann raste das Boot auf die Galeone zu. Hasard hatte einen Tampen gepackt und lief am Schanzkleid entlang, bis er die Aufbauten des Vorkastells erreichte. Er verkrallte die linke Hand am Brooktau einer Kanone, und als die Welle über der Back zusammenschlug, warf er den Tampen dem heranrasenden Boot entgegen. Es war die Hölle! Im letzten M oment sah Hasard noch, wie einer der beiden Franzosen im Boot nach dem Tampen griff. Wasser rauschte über Hasard hinweg und wollte ihn ins tosende M eer ziehen. Er spürte, wie seine Füße von den Decksplanken abhoben. Sein linker Arm war taub. Er hatte das Gefühl, er wäre ihm ausgerissen. Er hörte ein fürchterliches Krachen und Splittern Etwas Scharfes fuhr ihm ins Gesicht, und dann riß ihn der Tampen, den er in der rechten Hand hielt, zu Boden. Er konnte sich nicht mehr am Brooktau halten. Plötzlich fühlte er sich leicht wie ein Vogel. Aber es war nur einer kurzer Augenblick. Es folgte ein stechender Schmerz im linken Knie, und dann schien ihm der Himmel auf den Kopf zu fallen. Ein Reigen von schillernden Sternen zog an seinen weit aufgerissenen Augen vorbei. Er hörte weit entfernt Stimmen, die immer deutlicher wurden, Ein paar kräftige Arme griffen unter seine Achseln und zerrten ihn über die Decksplanken. Plötzlich war sein Blick wieder klar. Er sah den Blutfleck an der Kanone, von der man ihn wegzog, und er wußte sofort, daß es sein eigenes Blut war. Er mußte mit dem Kopf dagegen geschlagen sein. Hasard versuchte, mit den Füßen Halt auf dem Deck zu finden, doch die kräftigen Arme, die ihn gepackt hatten, zerrten
ihn weiter. »Verdammt noch mal!« brüllte er, »Laßt mich endlich los!« Er krachte auf sein Hinterteil und rollte gegen die Lafette der Kanone, als die Galeone nach Steuerbord krängte. Ein Blitz zuckte durch seinen Schädel. Er verbreitete einen heißen Schmerz, doch Hasard blieb bei Besinnung. Taumelnd erhob er sich und blickte sich um. Batuti stand neben ihm, die Augen weit aufgerissen. Er sagte etwas, das Hasard nicht verstand. Zu Hasards Füßen lag ein M ann in einem gestreiften Hemd und einem roten Schal. Er keuchte und spuckte M eerwasser aus, das er geschluckt hatte. »Der andere?« schrie Hasard. Batuti zuckte die Schultern, und Hasard wußte Bescheid. Die Franzosen hatten bei der Bergung einen hohen Tribut zahlen müssen. Zwei ihrer Leute waren tot, und einer hatte ein Bein verloren. Das Boot hatten sie auch nicht retten können. Der gewaltige Brecher hatte es an der Bordwand der ›Isabella‹ zu Kleinholz verarbeitet. »Sir, du bluten!« brüllte Batuti. »Kopf kaputt!« Hasard faßte an die Stelle, mit der er gegen die Kanone geprallt war. Er spürte die warme, klebrige Flüssigkeit. Ein M esser schien ihm in die Kopfhaut zu schneiden. Er taumelte über das Deck und ließ sich von Batuti zum Quarterdeck hinaufhelfen. Ben Brighton eilte auf ihn zu, aber Hasard winkte ab. »Geh wieder auf Kurs Nordost«, schrie er. »Ferris Tucker soll sich um die Franzosen kümmern! Seid vorsichtig! Ich will mir nur meine Wunden ansehen, dann bin ich wieder da!« Ben Brighton nickte. Er ging mit breiten Schritten zur Nagelbank zurück und gab den Befehl, das Großmarssegel wieder einzuholen. Als er die Franzosen unten auf dem Hauptdeck beieinander stehen sah, schlich sich seine Hand
langsam unter die Segeltuchjacke, wo er eine Pistole im Hosenbund stecken hatte. 8. Die Schädeldecke war noch ganz. Es war nur eine schmerzhafte Platzwunde, die Hasard am Hinterkopf davongetragen hatte. Ein Splitter hatte ihm die linke Wange aufgerissen, aber die Wunde blutete schon nicht mehr. Sorgen bereitete Hasard sein Knie. Es schwoll immer mehr an, und er konnte es kaum noch bewegen. Er fluchte still in sich hinein. M it allem hatte er auf dieser Höllenfahrt gerechnet, aber nicht damit, schiffbrüchige Franzosen an Bord nehmen zu müssen. Es fehlte nur noch, daß sie von ihm verlangten, er solle sie in einem französischen Hafen an Land setzen. Batuti hatte die Kopfwunde versorgt. Der helle Verband sah aus wie der Turban eines M uselmans. Trotz der Schmerzen im Knie stand Hasard auf. Er befahl Batuti, zu jedem der M änner zu gehen und ihnen einzutrichtern, daß sie wachsam sein sollten. Sie durften kein Risiko eingehen und mußten die Franzosen im Auge behalten. Batuti verschwand, und wenig später betrat Ben Brighton die Kapitänskammer. »Hast du schon mit den Franzosen gesprochen?« fragte Hasard. Brighton schüttelte den Kopf. »Die fünf armen Teufel stehen auf einem Haufen an Deck herum und warten wahrscheinlich darauf, daß wir uns um sie kümmern«, sagte er. Er warf einen besorgten Blick auf Hasards Verband, aber der Seewolf winkte ab. »Halb so schlimm«, sagte er. »Nur mein Knie tut mir höllisch weh. Ich werde kalte Umschläge drumwickeln müssen, damit die Schwellung abklingt. Sag mir lieber, was du von den
Franzosen hältst.« »Wir sollten sie fragen, wie sie mit ihrem Boot mitten in die Biskaya kommen«, sagte Ben Brighton. Hasard nickte, »Hol sie her«, sagte er. Aber sag Ferris Bescheid, er soll unsere M änner bewaffnen.« »Aye, aye«, sagte Ben Brighton und lief auf den Gang hinaus, der zum Quarterdeck führte. Hasard setzte sich hinter den Schreibtisch und fluchte leise. Selbst wenn es sich nur um harmlose Seeleute handeln sollte, die ihr Schiff verloren hatten - sie bildeten eine Gefahr für sie, wenn sie von einem französischen Schiff angegriffen werden sollten. Eine Gefahr, wie die Spanier für sie dargestellt hatten. Ein Unterschied bestand allerdings: Die Franzosen konnte er nirgends mehr loswerden. Er mußte sie mit nach England nehmen oder über Bord werfen. Er hörte die Schritte im Gang und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, als die fünf Franzosen die Kapitänskammer betraten und sich vor dem Schreibtisch aufbauten. Hinter ihnen erschienen Ben Brighton, Ferris Tucker, Batuti und Blacky. Sie alle hatten entschlossene Gesichter aufgesetzt. Wahrscheinlich wollten sie die Franzosen damit von vornherein einschüchtern, damit sie gar nicht erst den Versuch wagten, etwas zu unternehmen, was den Engländern nicht gefiel. »Spricht einer von Ihnen Englisch, M essieurs?« fragte Hasard, auf den die fünf Franzosen ziemlich gerissen wirkten. Es waren durchweg kräftige Burschen, und ihre Gesichter konnte man ohne weiteres verschlagen nennen. Einer der M änner trat vor. »Ich spreche etwas Englisch, Capitain«, sagte er mit dem singenden Tonfall des Franzosen. »M eine Kameraden und ich möchten uns aufrichtig dafür bedanken, daß Sie unter Einsatz Ihres eigenen Lebens das unsere gerettet haben. Das gilt
besonders für mich. Ich war bei den letzten drei, von denen nur ich überleben konnte, dank Ihres mutigen Eingreifens.« Hasard nickte kurz und musterte die M änner mit unverhohlener Neugier. Sie trugen ausnahmslos Bärte, in denen noch Tropfen von M eerwasser hingen. »Sie haben Ihr Schiff verloren?« fragte Hasard. Der Franzose mit dem gestreiften Hemd und dem roten Halstuch nickte. »Oui, M onsieur«, sagte er. »Der verdammte Sturm hat uns den Vormast abgerissen, der uns das ganze Vorschiff zertrümmert hat. Ein Brecher hat ein Stück des M astes von außenbords durch die Bordwand geschossen. Das Schiff lief voll Wasser und sank sofort. Nur acht M änner schafften es, in das Boot zu springen. Die anderen hat die See verschlungen.« Hasard blickte den M ann an. Er fragte sich, warum er eigentlich an den Franzosen zweifelte. Die Erklärung, die er abgegeben hatte, klang plausibel. Außerdem konnte er sich nicht vorstellen, daß M änner bei dieser schweren See das Risiko auf sich nahmen, mit einer Nußschale in der Hölle der Biskaya herumzuschwimmen, um an Bord einer Galeone zu gelangen, die sie kapern wollten. »Was hatten Sie für ein Schiff, und wohin ging Ihre Reise?« fragte Hasard. »Wir waren mit einer Ladung Rotwein von Porto nach Nantes unterwegs«, antwortete der Franzose, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Unser Schiff hieß ›Fortune‹ und war eine 120-Tonnen-Karavelle.« Hasard lehnte sich in seinem Sessel zurück. »M eine Herren«, sagte er fest, »vielleicht haben Sie es schon bemerkt. Sie befinden sich auf einem ehemaligen spanischen Schiff, das wir gekapert haben. Wir können auf keinen Fall die französische Küste anlaufen, um Sie abzusetzen. Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben, als mit uns nach England zu fahren. Ich verspreche Ihnen, daß Sie in meinem Heimatland
wie Schiffbrüchige und nicht wie Gefangene behandelt werden. Da wir damit rechnen müssen, daß wir den Kurs feindlicher Schiffe kreuzen, bitte ich Sie um Ihr Verständnis, daß Sie sich unter Deck aufhalten müssen und nur mit meiner persönlicher Erlaubnis das Deck betreten dürfen. Ich werde meinen M ännern Anweisung geben, auf jeden von Ihnen ohne Warnung zu schießen, der sich ohne meine Erlaubnis an Deck aufhält.« Die Franzosen preßten die Lippen zusammen und blickten Hasard grimmig an. Hasard hatte erwartet, in den Gesichtern der Franzosen einen Ausdruck ihres verletzten Stolzes zu entdecken, aber alles, was er zu sehen glaubte, war Enttäuschung und Wut. Er zuckte mit den Schultern. »M ir bleibt keine andere Wahl, M essieurs«, sagte er. »Denn wir sind ein Kriegsschiff Ihrer M ajestät Elisabeth I.« Damit waren die Franzosen entlassen. M it grimmigen Gesichtern schoben sie sich an den bewaffneten Englandern vorbei aus der Kapitänskammer und folgten widerstandslos dem Schiffszimmermann Ferris Tucker in den Laderaum unterhalb der Kombüse. Während sich Ben Brighton auf das Quarterdeck begab, ließ sich Hasard von Batuti kalte Umschlage um sein geschwollenes Knie legen. Sie linderten den Schmerz, und Hasard vermeinte zu spüren, wie die Schwellung zurückging.
Der Zwischenfall geschah, als Hasard schon nicht mehr damit rechnete. Sie befanden sich auf der Höhe von La Rochelle, und sein Knie war schon fast wieder in Ordnung. Die Schwellung war zurückgegangen, nur ab und zu zog noch ein stechender
Schmerz durch den Unterschenkel, wenn er das Bein zu heftig aufsetzte. Der Sturm hatte sich ausgetobt und an Stärke verloren. Ben Brighton hatte das Focksegel setzen lassen, und die ›Isabella‹ stieß mit schäumender Bugwelle auf nordöstlichem Kurs auf Brest zu. Hasard stand neben Ben Brighton auf dem Quarterdeck, als der Schuß im Bauch des Schiffes krachte. Die zwölf M änner, die sich neben Hasard und Ben Brighton an Peck befanden, erstarrten vor Schreck. Bewegungslos blickten sie zum Niedergang. Doch von den drei M ännern der Besatzung, die sich unter Deck befanden, tauchte niemand auf. Blacky hatte die Franzosen beobachten sollen, der Kutscher war in der Kombüse gewesen, und Gary Andrews lag auf seinem Lager. Drei Sekunden verstrichen, dann brüllte Hasard seine Befehle über Deck, wahrend er die Stiege zum M itteldeck mit zwei Sätzen hinuntersprang. Ein heißer Schmerz zuckte durch sein Knie, aber er ignorierte ihn, »Ferris! Batuti!« rief Hasard und zerrte die Pistole aus dem Hosenbund. Er nahm sie in die Linke und fing das Entermesser auf, das ihm Smoky zuwarf. »Die anderen bleiben an Deck und schnappen sich jeden, der seinen Kopf durch die Luke steckt!« Er sprang als erster und rutschte die Stufen des Niederganges hinunter. Er rannte nach achtern auf die Kombüse zu. Hinter sich hörte er Poltern und wußte, daß Ferris Tucker, Batuti und O’Flynn ihm gefolgt waren. Dann sah er im schummerigen Licht des Zwischendecks das gestreifte Hemd und das rote Halstuch des Franzosen, den er aus dem M eer gefischt hatte. Der M ann schlug auf den breitschultrigen Blacky ein, der mit der rechten Hand, in der er eine rauchende Pistole hielt, herumfuchtelte und mit der linken einen anderen Franzosen im Genick gepackt hatte. Vor der Kombüse stand der Kutscher. Er war leichenblaß.
Seine Augen quollen hervor, und sein M und war wie zu einem stummen Schrei aufgerissen. Hasard konnte die Angst, die der schmächtige M ann ausstand, begreifen, denn der Franzose hinter ihm hatte ein breites M esser in der Hand, dessen Schneide in den faltigen Hals des Kutschers drückte. »Aufhören, verdammt!« brüllte Hasard wütend. Er hieb dem Franzosen mit dem roten Halstuch die flache Seite des Entermessers ins Kreuz. Der Franzose wirbelte herum. Er hatte die linke Faust zur Abwehr erhoben. Seine rechte Hand zuckte zur rechten Seite seiner weiten Segeltuchhose hinunter, die an dieser Stelle ziemlich aus gebeult war. Doch im letzten Augenblick hielt er inne. Die blitzenden Augen in dem wutverzerrten Gesicht sogen sich an der Spitze des Entermessers fest, die genau auf sein bärtiges Gesicht zeigte. Hinter Hasard fegten Batuti, Ferris Tucker und Dan O’Flynn vorbei. Das Bürschchen hielt eine Pike in beiden Händen und richtete sie gegen einen Franzosen, der eine Pistole in der Hand hielt. »Laß sie fallen!« zischte Dan den Franzosen an, und obwohl der kein Englisch verstand, begriff er doch sofort, was gemeint war. M it einem dumpfen Laut polterte die Pistole auf die Zwischendecksplanken. Ferris Tucker hatte seine Pistole auf den Kopf des M annes gerichtet, der den Kutscher mit seinem M esser im Schwitzkasten hatte. »Wenn du französischer Bastard deinen Zahnstocher nicht sofort fallen läßt, dann blase ich dir deinen Pickel vom Hals!« röhrte der Schiffszimmermann. Hinter dem Rücken des Franzosen schob sich die M ündung einer M uskete aus dem Schatten eines Decksbalken hervor. »Und ich puste euch direkt in die Hölle, ihr Schneckenfresser!« rief die heisere Stimme Gary Andrews«.
Die Köpfe der Franzosen ruckten herum. Sie sahen deutlich die Lunte am Schloß der M uskete aufglimmen. Das Auftauchen eines weiteren M annes in ihrem Rücken gab den Franzosen den Rest. Widerstandslos ließen sie es zu, daß Batuti ihnen die Waffen abnahm, die sie bei sich trugen. Hasard ließ den M ann mit dem roten Halstuch nicht aus den Augen. Er wartete ab, bis die Franzosen entwaffnet waren, dann winkte er den M ann mit dem Entermesser zu sich heran. M it der Spitze wies er auf die rechte Seite der weiten Segeltuchhose. »Was hast du da?« fragte Hasard scharf. Das Gesicht des Franzosen lief rot an. »M erde«, murmelte er wütend und spuckte aus, was ihm einen Tritt Batutis einbrachte, der erst am M orgen dieses Deck gesäubert hatte. Der Franzose wollte sich auf den Neger stürzen, aber Hasards Entermesser hielt ihn davon ab. »Los, raus damit!« Hasard verlor langsam die Geduld. Der Franzose griff langsam in die weite Tasche seiner Hose und zog an zwei Fingern eine längliche Pistole heraus. Hasard griff danach und hielt sie hoch, um sie genauer betrachten zu können. So ein Ding hatte er noch nie gesehen. Es hatte zwei Radschlösser hintereinander. Hasard steckte die Pistole ein, Er würde sie sich später ansehen, Erst einmal wollte er wissen, was hier unten vorgefallen war. Er wandte sich an Blacky, der immer noch den einen Franzosen im Genick gepackt hatte. »Was war hier los, Blacky?« Warum sind die Franzosen auf euch los gegangen?« Blacky stieß den Franzosen von sich, der schon ganz grün im Gesicht war. »Der Kerl hat hier unten her umgeschnüffelt«, sagte er brummend. »Ich habe ihn erwischt, als er drüben die Ladeluke aufbrechen wollte. Ich hab ihn hierhergebracht und wollte ihn gerade wieder hinunterschmeißen, da sind die anderen auf
mich los gegangen. Ich hab die Pistole abgefeuert, aber da sind sie erst richtig wild geworden.« Die Franzosen redeten gestikulierend durcheinander, Hasard war froh, daß er nur wenig von dem verstand, was sie sagten. Sicher waren nicht viele Worte darunter, die man in Gegenwart einer Lady hatte aussprechen dürfen. Eine Bewegung des M annes mit dem roten Halstuch ließ die Franzosen verstummen. Der M ann baute sich vor Hasard auf und sagte: »M onsieur, es ist erniedrigend für uns, hier eingesperrt zu sein wie eine Ladung Sklaven. Wir sind Seeleute und müssen atmen. M eine M änner werden verrückt oder krank, wenn Sie sie länger hier unten einpferchen, Wir fragen uns, womit wir Ihr M ißtrauen verdient haben? Sie haben unser Leben gerettet, und wir sind Ihnen dankbar dafür. Wir haben auch Verständnis dafür, daß Sie uns nicht in unserer Heimat an Land setzen können. Ich möchte Sie nochmals bitten, uns nicht wie Tiere, sondern wie M enschen zu behandeln.« Hasard kannte genügend Franzosen, um zu wissen, daß sie es verstanden, viele schöne Worte zu reden, die sie nicht meinten, Doch er wollte weitere Schwierigkeiten vermeiden. »Gut, M onsieur«, sagte er zu dem Franzosen. »Sie können sich an Deck vor der Back aufhalten. Aber eins muß Ihnen klar sein: Wenn wir ein feindliches Schiff sichten, werde ich Sie hier unten einsperren, bis wir wieder allein auf See sind.« »Das verstehen wir, M onsieur«, erwiderte der Franzose. Er blickte Hasard aus seinen dunklen Augen an. »Geben Sie mir meine Pistole zurück?« Hasard grinste. »Ich dachte, Sie wollten sie mir schenken, weil ich Ihnen das Leben rettete.« Der Franzose preßte die Lippen aufeinander. Seine Augen schossen Blitze, aber er sagte nichts. Wortlos drehte er sich um und marschierte an Blacky vorbei zum Niedergang.
Hasard hielt ihn am Arm zurück. »Lassen Sie mich vorgehen, Monsieur«, sagte er lächelnd. »Sonst schießen Ihnen meine M änner den Kopf ab.« 9. Hasard ließ die Franzosen, die sich unterhalb der Back aufhielten, nicht aus den Augen. Sie hatten sogar ihren verwundeten Kameraden an Deck geholt, der von Fieberschauern geschüttelt wurde. Hasard hatte den Franzosen angeboten, den M ann in einer Kammer auf dem Achterdeck unterzubringen, aber sie hatten abgelehnt. Hasard wunderte sich nicht, daß sich das Verhalten der Franzosen grundlegend geändert hatte. Wahrscheinlich hätte er in ihrer Situation nicht anders empfunden. Sie warfen den Engländern böse Blicke zu, wenn sie sich in ihrer Nähe befanden. Der Himmel hatte aufgeklart. Die Sonne brach durch die Wolkenbänke, und ihre Strahlen wurden von dem bewegten, dunkelgrünen Wasser reflektiert. Hasard mußte die Augen zusammenkneifen, wenn er über das M eer blickte. Inzwischen hatten sie wieder alle verfügbaren Segel gesetzt, nur auf die Bonnets hatte Hasard verzichtet, um sie nicht erst einholen zu müssen, wenn ein Feind auftauchte und sie sich zum Kampf stellen mußten. Hasards Hand tastete über den schlanken Griff der Pistole, die er dem Franzosen abgenommen hatte. Es war eine hervorragend gepflegte Waffe, die aus Leipzig stammte und dort von einem Büchsenmacher im Jahre 1568 hergestellt worden war. Das bewiesen zwei Inschriften, die auf der M essingplatte unterhalb des ersten Schlosses eingraviert waren. Die beiden Kugeln mit ihren Treibladungen wurden
nacheinander in den Lauf geführt, nur durch einen Dämmpfropfen getrennt. Hasard hatte befürchtet, daß die zweite Ladung gleich mit hochgehen würde, wenn er die erste zündete, aber er hatte sich getäuscht, als er ein Probeschießen auf der Heckgalerie veranstaltet hatte. M it dieser doppelten Radschloßpistole konnte er tatsächlich zweimal hintereinander schießen. Donegal Daniel O’Flynn lungerte am Niedergang des M itteldecks herum. Er hielt immer noch seine Enterpike in der Hand, deren Stiel er verkürzt hatte, damit sie handlicher war. Hasard sah, wie seine Augen immer wieder mißtrauisch über die Franzosen hinweghuschten. Im Vormars saß Smoky. Hasard beneidete ihn nicht. Das spiegelnde Wasser schmerzte in den Augen, wenn man länger darauf blickte, und es war ungeheuer schwierig, überhaupt etwas zu sehen. Hasard hatte sich gerade entschlossen, Smoky von Dan O’Flynn ablösen zu lassen und einen weiteren M ann in den Großmars zu schicken, als Smoky losbrüllte, als hätten ihm ein paar Piraten ihr Entermesser in den Bauch gerammt. Seine Stimme überschlug sich förmlich. »Mastspitzen voraus! Verdammt, das sind vier - nein, fünf Karavellen!« Hasard lief zur Steuerbordreling. Er erschrak, wie dicht die Karavellen schon heran waren. Sie hatten auf die ›Isabella‹ gelauert. Kein Fetzen Segel hing an den langen Gaffeln des großen Vormastes und des kleineren Groß- und Besanmastes. »Ruder hart Backbord!« rief Hasard. Er hörte das »Aye, aye, Sir!« von Pete Ballie. Die Galeone schwang herum, um auf den anderen Bug zu gehen. Ben Brighton jagte die M änner hoch. Die Rahen wurden rundgebraßt, Blacky holte die Großsegelschoten an Steuerbord dicht. Hasards Blick war nur einen kurzen M oment zur Back
gehuscht. Er sah die Schatten, die sich zu bewegen begannen, und sein Alarmschrei hallte über die Decks. »Die Franzosen! Dan, paß auf!« Die fünf Franzosen griffen geschlossen an. Sie brüllten ihren Kampfruf, den Hasard nur allzugut kannte. Oft genug hatte er Seite an Seite mit seinem Alten und seinen Brüdern gegen bretonische Freibeuter gekämpft. Daniel O’Flynn war bei Hasards Schrei zusammengezuckt. Instinktiv hatte er die Enterpike herumgerissen. Der Franzose, der ein Holz, das er aus einer Nagelbank heraus gerissen hatte, über dem Kopf schwang, lief genau in die Spitze der Pike hinein. Sie bohrte sich unter seinen Rippen tief in den Leib. Dan warf sich zur Seite. Er ließ die Pike nicht los. Sie kam frei und riß das Hemd des Franzosen in Fetzen. Der M ann hatte den M und weit geöffnet, aber nur ein Würgen drang über seine Lippen. Ein Blutstrahl schoß aus der Wunde in seinem Bauch und färbte sein Hemd und seine Hose in Sekundenschnelle rot. Er hatte das Holz fallen lassen und krampfte nun beide Hände auf die Wunde. Stolpernd torkelte er ein paar Schritte nach vorn, dann schlug er mit dem Gesicht aufs Deck. Daniel O’Flynn riß seine Pike herum, aber aus weit aufgerissenen Augen sah er, daß er dem heranschwingenden Holz nicht mehr ausweichen konnte. Gleich mußte es gegen seinen Schädel krachen und ihn zerschmettern. Er schloß die Augen. Von irgendwoher hörte er einen scharfen Knall, und dann riß ihn die Stimme des Seewolfs aus seiner Erstarrung. Er öffnete die Augen. Er sah, wie der Franzose, der ihn angegriffen hatte, der Länge nach auf die Decksplanken schlug. Sein Gesicht sah fürchterlich aus. Eine Kugel hatte ihm den Unterkiefer weggerissen. Nur zwei Yards von Dan O’Flynn entfernt stand Ferris Tucker und wehrte mit dem Entermesser einen Schlag ab, den einer der Franzosen auf seinen Kopf geführt hatte. Ein weiterer
wollte den Zimmermann von hinten angreifen. Dan stieß die Enterpike vor. Sie geriet zwischen die Beine des Franzosen. Der M ann stolperte und klatschte auf die Decksplanken. Dan sah, wie Hasard heranhastete. Ein Schuß aus seiner langen Pistole streckte den Franzosen nieder, der Batuti mit einem Entermesser niederstechen wollte. Woher der Kerl die Waffe hatte, war Hasard ein Rätsel. Der Franzose, den O’Flynn mit seiner Enterpike zu Fall gebracht hatte, griff nach der Pistole, die Ferris Tucker bei dem Handgemenge aus dem Gürtel gerutscht war. Hasard stieß einen Warnschrei aus. Er selbst konnte nicht mehr schießen. Er hatte beide Kugeln aus seiner Waffe abgefeuert. Er sah voller Entsetzen, wie der Franzose Ferris Tuckers breiten Rücken anvisierte. Hasard hob die Hand mit dem Entermesser und ließ es durch die Luft sausen. Er hatte keine Zeit gehabt, zu zielen. Er hoffte nur, daß die Waffe den M ann so traf, daß er die Pistole verriß und Tucker nicht verwunden konnte. Das Entermesser erwischte den Franzosen am Hals. Durch die Wucht, mit der Hasard das M esser auf die Reise geschickt hatte, wurde dem bretonischen Freibeuter der halbe Kopf vom Rumpf getrennt. Der M ann war schon tot, als er gegen Tuckers Beine fiel. Ferris Tucker bückte sich, packte den Toten und beförderte ihn mit einem wilden Schrei über Bord. Dort, wo er ins Wasser klatschte, bildete sich ein roter Fleck. Hasard blickte sich hastig um, Er achtete nicht auf das Brüllen seiner Leute. Er sah nur vier Franzosen, von den keiner mehr lebte. Der Verwundete hockte noch unter der Back, die Augen weit aufgerissen. Wo war der Franzose mit dem roten Halstuch? Hasard hörte den Schrei Smokys aus dem Vormars, Der stiernackige M ann hangelte sich innenbords an den Wanten
hinab. Und dann hörte Hasard die kurzen, dumpfen Schläge. Er sprang auf eine Kanone und konnte die Back überblicken Dort war der Freibeuter und hackte mit einem blitzenden Entermesser auf die Wanten des Vormastes ein, Hasard schrie vor Zorn auf. Von der Kanone war er mit einem Satz auf dem Schanzkleid und warf sich nach vorn. Seine Hände krallten sich in die Reling der Back. M it einem einzigen Schwung zog er sich hoch. Er hörte den Schrei Dan O’Flynns. Die Enterpike flog auf ihn zu, Hasard fing sie mit der rechten Hand auf. Der Franzose hatte sich nicht beirren lassen. Zwei der fünf Wanten, die aus armdicken geteerten Tauen bestanden, hatte er bereits durchtrennt, Wenn er die restlichen drei auch noch schaffte, würde der Vormast bei den vollen Segeln, die er zu tragen hatte, abknicken wie ein Zahnstocher. Hasard schwang sich vollends über die Reling, »Bretone!« schrie er. Der Franzose wirbelte herum. Das breite Entermesser reflektierte blitzend die Sonnenstrahlen, die durch die Takelage auf die Back fielen. Im Unterbewußtsein vernahm Hasard, wie Ben Brighton Befehle über Deck brüllte. Dann klang Ferris Tuckers Baß auf. »Klar zum Gefecht, Jungs! Jeder an seinen Platz!« Hasard drehte sich nicht um. Sein Blick war starr auf den bretonischen Freibeuter gerichtet, den er unter Einsatz seines Lebens dem wütenden M eer entrissen hatte. Hasard wußte, daß er diesen M ann töten mußte, wenn er nicht selbst getötet werden wollte. Er kannte die Grausamkeit und den M ut der bretonischen Freibeuter, die lieber starben, als sich einem Feind zu ergeben. Der Bretone griff mit einem wilden Schrei an. Der Ausfall erfolgte überraschend, aber Hasard konnte noch rechtzeitig ausweichen. Das Entermesser zischte haarscharf an seiner
linken Schulter vorbei. Blitzschnell stieß Hasard mit der Pike zu. Der Bretone hatte diesen Stoß erwartet, und dennoch konnte er ihm nicht mehr ganz entgehen. Die blutverschmierte Pike ritzte ihm den rechten Oberarm auf. Der Bretone brüllte vor Wut. Ohne auf seine Deckung zu achten, stürmte er auf Hasard los, das Entermesser zum tödlichen Hieb erhoben. Der Seewolf glitt geschmeidig einen Schritt zur Seite. Das Entermesser sauste mit einem scharfen Laut herab und fuhr krachend in den Fockmast, in dem es zitternd stecken blieb. Der Bretone ließ das Entermesser los und wirbelte herum. Zu spät erkannte er, daß Hasard inzwischen die Enterpike auf ihn gerichtet hatte. Hasard brauchte sich nicht einmal zu bewegen. M it voller Wucht lief der Bretone in die blutige Pike hinein. Ein dumpfer Schrei entrang sich seiner Brust. Seine Augen quollen hervor. Er krallte die Hände um den Schaft der Enterpike, aber er schaffte es nicht mehr, sie aus seinem Körper zu ziehen. Hasard ließ die Pike los, als der Bretone tot auf die Decksplanken der Back fiel. Smoky, der noch in den Wanten des Fockmastes hing und den mörderischen Kampf atemlos verfolgt hatte, ließ einen jubelnden Schrei los, der Hasard wieder zur Besinnung brachte. Ein Blick nach Steuerbord ließ ihn mit aller Deutlichkeit erkennen, wie groß die Gefahr war, die dort auf die ›Isabella‹ lauerte. Er bückte sich und hob den toten Bretonen hoch. Er war wütend, daß er am Ende doch noch auf die Freibeuter hereingefallen war. Er schleppte ihn nach Steuerbord und warf ihn im hohen Bogen über Bord, so daß die Bretonen auf den Karavellen sehen konnten, daß ihr Höllenkommando fehlgeschlagen war. Die M änner auf dem M itteldeck sahen, wie Hasard den Toten
über die Reling beförderte. Sie taten es ihm nach. Die drei toten Freibeuter flogen über das Schanzkleid, und bevor Hasard eingreifen konnte, hatte einer der M änner auch den brüllenden M ann, der bei der Bergung sein halbes Bein verloren hatte, gepackte und schleuderte ihn über Bord. »Bist du verrückt geworden?« brüllte Hasard den M ann an, der jetzt erst wieder zu Besinnung kam und erschrocken zusammenzuckte. Einen M oment lang war die Besatzung verwirrt. Hasard sah, daß er ihre Gedanken wieder auf den Feind lenken mußte. Sie durften den schnellen Karavellen mit den Lateinersegeln nicht den Hauch eines Vorteils lassen, wenn sie diesen Kampf lebend überstehen wollten. »An die Geschütze, M änner!« rief er. »Jetzt zeigt mal, was Ferris Tucker euch beigebracht hat! Wenn wir es nicht schaffen, die Bretonen in Fetzen zu schießen, werden sie uns massakrieren!« M it einem Satz schwang er sich über die Reling und federte geschmeidig auf den Planken des M itteldecks auf. Die Stückpforten waren längst hochgeklappt, die Geschütze ausgefahren und feuerbereit. Ben Brighton wartete auf Hasards Befehl, daß er das Schiff übernehmen solle. Hasard gab ihm das verabredete Zeichen. »Wir müssen unbedingt die Luvstellung behalten!« rief er zum Quarterdeck hoch. Er sah, daß Ferris Tucker die Kanonen an Steuerbord feuerbereit hatte, aber noch waren die Karavellen für einen einigermaßen erfolgversprechenden Schuß zu weit entfernt. Sie segelten jetzt auf Parallelkurs neben der Galeone her. Sie waren schneller, da sie höher am Wind segeln konnten. Hasard fluchte vor sich hin. Sollte er warten, bis sie ihm in Lee davongelaufen waren und ihn dann von der Luvseite angriffen? Nein, er mußte selbst die Initiative ergreifen, bevor die Bretonen alle Vorteile auf ihrer Seite hatten.
»Ben, wir müssen dichter ran!« schrie er. »Wir müssen ihnen unsere Zähne zeigen, solange wir sie noch in Lee haben!« Ein kurzer Ruf zu Pete Ballie am Kolderstock genügte, um die Galeone wieder auf nordlichen Kurs zu bringen. Die vier M änner, die die Segel zu bedienen hatten, arbeiteten schnell und sicher. Nur kurz flatterten die Segel, dann standen sie wieder voll. Hasard stützte die Hände aufs Schanzkleid und starrte an der Back vorbei nach Norden, wo die Karavellen wie Windhunde über das bewegte Wasser huschten. Er versuchte zu erkennen, wie stark die Bewaffnung der Freibeuterschiffe war, doch er konnte auf die Entfernung nichts sehen. Wortlos schwang er sich in die Wanten des Großmastes und kletterte hinauf. Die Entfernung zu den Karavellen hatte sich ständig verringert. Hasard konnte die Unruhe erkennen, die plötzlich an Bord der Karavellen herrschte. Anscheinend wurden sich die Bretonen erst jetzt darüber klar, daß es ein Fehler gewesen war, so dicht zusammenzubleiben. Hasard erkannte auf der Backbordseite der ersten Karavelle drei Kanonen, die wesentlich kleiner waren als die Geschütze, die er an Bord der ›Isabella‹ hatte. Es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn er den Freibeutern kein Schnippchen schlagen konnte. Als die Entfernung nur noch knapp dreihundert Yards betrug, verlor einer der Freibeuterkapitäne die Nerven. Obwohl er die ›Isabella‹ nur im spitzen Winkel sah, feuerte er eine ganze Breitseite ab. Hasard verharrte in den Wanten. Er atmete auf, als er sah, wie die Kugeln vor der ›Isabella‹ ins Wasser klatschten und hohe Fontänen in den aufgeklarten Himmel stiegen. »Jetzt gilt es, M änner!« rief Hasard und wandte sich zum Quarterdeck. »Los, Ben, wir zeigen ihnen unsere Zähne!« Er sprang aufs Deck und hastete zu Ferris Tucker, der ihm
eine Lunte reichte. »Je zwei Kanonen für eine Karavelle!« rief Hasard den M ännern zu, und Ferris Tucker wies sie an, welches der Schiffe sie mit ihren eisernen Geschenken bedenken sollten. Die Galeone krängte nach Steuerbord. Die M änner richteten ihre Kanonen, und als Ferris Tucker den Befehl zum Feuern gab, brüllten die Steuerbordkanonen fast geschlossen auf wie urweltliche Tiere. Ferris Tucker wartete den Erfolg der Breitseite nicht ab. Er scheuchte seine M änner an die Kanonen, ließ sie einholen, herumschwenken und eine nach der anderen laden, wie sie es vor Tagen exerziert hatten. Ben Brightons M änner hatten mit den Segeln alle Hände voll zu tun. Die Galeone fuhr eine Halse, daß Hasard vor Schreck das Atmen vergessen hätte, wenn Zeit dazu gewesen wäre. Er stand bereits an Backbord und begann die Kanonen auszurichten. Sie wußten, welche Krängung die Galeone bei halbem Wind hatte, und als Ben Brighton die ›Isabella‹ quer zu den Karavellen gelegt hatte, brauchten sie nur noch kurz zu korrigieren. Erst jetzt, als die Decksplanken unter der zweiten Breitseite zitterten, sah Hasard, was die erste bei den Karavellen der bretonischen Freibeuter angerichtet hatte. Die letzte Karavelle, auf die er selbst und Batuti ihre Kanonen gerichtet hatten, war bereits abgefallen. Der Fockmast war in der M itte von einer Kugel getroffen worden. Die riesige Rah war mitsamt dem Segel aufs Deck gekracht. Der obere Teil des Fockmastes hing außenbords. Die Karavelle war weit zurückgefallen. Wahrscheinlich war sie sofort nach dem Treffer aus dem Ruder gelaufen. Ferris Tucker hatte der zweiten vorderen Karavelle eine Kugel in die Wasserlinie geballert. Hasard konnte sich lebhaft vorstellen, daß dort jetzt Zustand herrschte, denn er wußte, was für Löcher die Kugeln einer spanischen Galeone in die
kraweelgeplankten Seiten einer l00-Tonnen-Karavelle reißen konnten. Die Besatzung hatte sicher alle Hände voll zu tun, das Leck zumindest notdürftig abzusichern. Die M änner der ›Isabella‹ brüllten vor Begeisterung, als sie sahen, welchen Erfolg ihre Breitseiten hatten, doch Ferris Tucker stauchte die M änner zusammen und trieb sie an, die Kanonen nachzuladen. Hasard war froh, daß sie sich die Zeit genommen hatten, Kartuschen herzustellen. Das zahlte sich jetzt aus. Die Steuerbordseite war bereits wieder feuerbereit. Ben Brighton hatte die ›Isabella‹ jetzt auf Westkurs gebracht. Die Galeone lief wieder parallel zu den Karavellen. Sie sahen die kleinen weißen Wölkchen auf Deckhöhe der dritten Karavelle. Hasard schrie: »Achtung!« Die M änner warfen sich hinter das Schanzkleid in Deckung, doch die Vorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig. Die Bretonen hatten zu tief gehalten. Die Kugeln zischten weit von der Galeone bereits ins Wasser. Die Backbordbreitseite der ›Isabella‹ war nicht so erfolgreich gewesen. Wahrscheinlich hatten sie sich doch zu wenig Zeit zum Zielen genommen. Nur eine der Kugeln war durch das Großsegel einer Karavelle geflogen. Der Abstand zu den bretonischen Freibeuterschiffen hatte sich vergrößert, denn die Karavellen waren abgefallen. Nur die letzte Karavelle lag unbeweglich auf der See. Die Besatzung hatte es immer noch nicht geschafft, den zerschossenen Fockmast loszuwerden. Alle M änner erwarteten jetzt, daß Hasard sich aus dem Staub machen würde, aber der Seewolf wußte genau, daß die Bretonen durch diese Niederlage nur noch mehr angestachelt werden würden. Außerdem dachten sie bestimmt noch immer an ihre acht Kameraden, die bei dem Kommando, die Engländer auf ihrem Schiff zu überrumpeln, ums Leben
gekommen und den Fischen zum Fraß vorgeworfen worden waren. Nein, Hasard wußte, daß er jetzt und hier hart zuschlagen mußte, wenn er Ruhe vor den Bretonen haben wollte. »Kurs auf die havarierte Karavelle, Ben!« rief Hasard mit klarer Stimme. »Ferris, wenn Ben gehalst hat, will ich beide Breitseiten feuerbereit haben!« Nur Sekundenbruchteile starrten sich die M änner überrascht an. Dann machten sie sich an die Arbeit. Sie verrichteten sie mit größter Schnelligkeit und dennoch mit Sorgfalt, denn sie wußten, daß ihr Leben davon abhing. 10. Durch das Spektiv konnte Hasard erkennen, daß auf Deck der Karavelle ein heilloses Durcheinander herrschte. M änner in gestreiften Hemden hackten wie die Irren auf Stagen und Wanten los, um endlich den oberen Teil des Fockmastes loszuwerden, der außenbords hing und von den Wellen immer wieder gegen die Bordwand geschleudert wurde. Der Wind trug die Stimmen herüber. Der Kapitän der Karavelle brüllte seine Befehle vom Achterdeck. Die beiden hinteren Segel standen noch an den Rahen, aber solange sie den Fockmast nicht loswurden, war das Schiff manövrierunfähig. Hasard gab sich nicht der Illusion hin, daß die Karavelle jetzt wehrlos war. Sicher hatte der bretonische Freibeuterkapitän genügend M änner abgestellt, die an den Kanonen lauerten, um den Engländern den Treffer heimzuzahlen. Ferris Tucker stand mit den M ännern feuerbereit auf dem M itteldeck. Sein Blick war auf Hasard gerichtet, der sich an der Reling des Quarterdecks festhielt und unverwandt zur Karavelle hinüberstarrte. Hasard merkte, wie seine M änner unruhig wurden. Auch Ben
Brighton wartete auf den Befehl, zu halsen, um dem Feind endgültig den Rest zu geben. Die ›Isabella‹ war nur noch zweihundert Yards von der Karavelle entfernt. Jeden Augenblick konnten die Bretonen ihre Kanonen auf die Galeone richten. Hasard preßte die Lippen zusammen. Er wollte diesmal ganze Arbeit leisten. Und dazu mußten sie noch dichter an den Gegner heran. Immer deutlicher war das Geschrei von der Karavelle zu hören. Hasard sah, daß die Freibeuter es geschafft hatten, die Fockrahe, die mitten aufs Deck gekracht war, über Bord zu hieven. Gleich würden die M änner auch den abgeschossenen Fockmast von den Wanten und Stagen gelöst haben. Dann war das Schiff wieder manövrierfähig und eine große Gefahr für die ›Isabella‹. Denn selbst, wenn er nur noch die beiden Lateinersegel am Großmast und am Besan zur Verfügung hatte, war die leichte Karavelle wendiger als die schwerbeladene Galeone. »Geschütze klar?« rief Hasard zum M itteldeck hinunter. »Aye, aye!« brüllte Ferris Tucker. Hasard gab Ben Brighton den Befehl zum Halsen. Sie lagen schräg achteraus der Karavelle, und wenn sie Glück hatten, brachten die Bretonen ihre Geschütze nicht schnell genug herum, um das Feuer der Galeone zu erwidern. Hasard warf einen Blick nach Nordwesten, wohin die anderen Karavellen gesegelt waren. Er erschrak, als er sie so dicht sah. Er hatte im Eifer des bevorstehenden Gefechtes nicht erkannt, daß sie ihren Kurs um 180 Grad gedreht hatten und nun direkt auf die ›Isabella‹ zuhielten, Hasard wußte, daß er Ferris Tucker keine Befehle zu geben brauchte, wie er die einzelnen Geschütze einzusetzen hatte. Tucker war ein M ann mit Überblick, Hasard mußte alle Kraft aufwenden, um den Keil, mit dem er die Höhe der kleinen Kanone auf dem Quarterdeck einrichtete,
zwischen den Stellbock und die Kanone zu schlagen. Dann hatte Ben Brighton die Galeone in die günstigste Position gebracht. Hasard hörte den Feuerbefehl von Ferris Tucker, und gleich darauf wurde die ›Isabella‹ von den gewaltigen Detonationen erschüttert. Im Unterbewußtsem horte er das Rumpeln der Lafettenräder auf den Decksplanken, und er spürte förmlich den Ruck, der durchs Schiff ging, als die mächtigen Brooktaue sich strafften und an den von Ferris Tucker verstärkten Zurringen zerrten. In diesem M oment hielt Hasard den brennenden Holzspan an das Zündungsloch seiner Kanone. Ben Brighton fuhr bereits eine Halse, aber das hatte Hasard einkalkuliert. Pulverdampf hüllte ihn ein, als das leichte Geschütz aufbrüllte. Hasard mußte die Augen schließen. Er unterdruckte einen Hustenreiz und lief ein paar Schritte zur Seite, um die Wirkung der Breitseite zu erkennen. Er stimmte in das Geschrei seiner M anner ein, als er sah, welche Verwüstung ihre Kugeln auf dem feindlichen Schiff verursacht hatten. Das Achterdeck war ein formloser Haufen von zersplitterten Planken. Der Besanmast, der nur noch von einem Want gehalten wurde, senkte sich langsam zur Seite, und noch bevor er niederkrachte, fauchte plötzlich eine Stichflamme in den Himmel. Eine Detonation folgte der anderen Die Pulvervorräte des Freibeuterschiffes flogen in die Luft! Hasard sah, wie die überlebenden Bretonen über Bord sprangen, um von dem sinkenden Schiff nicht mit in die Tiefe gerissen zu werden. Ein paar M änner versuchten noch, ein Boot an Backbord abzufieren, aber eine weitere Explosion fegte sie vom Deck, als seien sie Daunenfedern. Die See um die zerschossene Karavelle schien zu kochen. Das Achterschiff versank im brodelnden Wasser. Das Knirschen des auseinanderbrechenden Schiffes übertönte die verzweifelten Schreie der Verwundeten, die sich nicht mehr
von Bord des sinkenden Schiffes retten konnten. Eine letzte, gewaltige Explosion riß die Karavelle endgültig in zwei Hälften. Das Achterschiff verschwand gurgelnd. Das Vorschiff legte sich auf die Seite. Die letzten M änner rutschten über die Planken der Bordwand ins Wasser. Wahrscheinlich waren es die, die nicht schwimmen konnten. Ein paar von ihnen hatten Glück. Sie konnten sich an der vorübertreibenden Fockrahe festkrallen. Ferris Tucker ließ den Zündlochbohrer, den er in der rechten Hand hielt, auf den Rücken eines der M änner sausen. »M aul halten!« brüllte er. »Wollt ihr wohl arbeiten, ihr faulen Säcke! Ihr brüllt noch hurra, wenn die Schneckenfresser euch die M asten über den Köpfen wegschießen!« Hasard lief zur Nagelbank, an der Ben Brighton stand und den M ännern an den Segeln Befehle zurief. Die ›Isabella‹ halste abermals und lief jetzt mit halbem Wind auf westlichem Kurs. Während Ferris Tucker nach Steuerbord hinüberlief, wo die Geschütze feuerbereit waren, begannen vier M ann der Besatzung, die abgeschossenen Backbordkanonen zu laden. Dan O’Flynn und der Kutscher waren über das Schanzkleid gesprungen und saßen jetzt rittlings auf den Kanonen. Sie kratzten die Läufe aus, und als sie die mit M eerwasser getränkten Schwämme hineinstießen, um das Rohr abzukühlen, zischte weißer Dampf auf. Die beiden anderen M änner reichten ihnen die Kartuschen zu, und sie stießen sie mit dem Ansetzer in die Kammer. Alles spielte sich innerhalb von Sekunden ab. Das Bürschchen und der Kutscher hatten nicht einmal Zeit, sich umzudrehen und zu den bretonischen Karavellen hinüberzuschauen, die sich der ›Isabella‹ bereits bis auf dreihundert Yards genähert hatten. Hasard wußte, daß es jetzt ums Ganze ging. Er fragte sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, das Weite zu suchen. Doch als zwei der vier Karavellen abdrehten,
um der Besatzung der versenkten Karavelle zu Hilfe zu eilen, wußte er, daß er richtig gehandelt hatte. Die Freibeuter dachten nicht daran, ihre schon sicher geglaubte Beute einfach davonschwimmen zu lassen. Wahrscheinlich hatten die vier Kapitäne der Freibeuterschiffe Hasard nur von dem manövrierunfähigen Schiff weglocken wollen, um ihn dann nach ein paar Seemeilen aus Luv angreifen zu können. Jetzt hatte die Galeone immer noch die günstigere Gefechtsposition inne. Durch das Spektiv sah Hasard die gestikulierende Gestalt des Kapitäns auf dem Achterdeck der Karavelle. Er ahnte förmlich, was der Bretone vorhatte. »Ruder hart Steuerbord!« brüllte er. »Werft die Brassen und Schoten los!« Der Befehl erfolgte zu plötzlich. Die M änner reagierten schnell, aber doch nicht schnell genug. Hasard zuckte zusammen, als er das häßliche Geräusch hörte, mit dem das Fockmarssegel riß. Innerhalb von Sekunden knatterten Fetzen im Wind. Die Karavelle hatte sich blitzschnell gedreht. Weiße Wölkchen stiegen über dem Schanzkleid auf. Hasard sah die Kugeln heranfauchen, und er wußte, daß die Bretonen diesmal besser gezielt hatten. Ein heftiger Schlag erschütterte die Galeone, und gleich darauf hörte Hasard ein Splittern und Bersten über sich. Die Toppstenge des Besanmastes raste wie ein riesiger Speer auf das Quarterdeck zu. »Ben, Vorsicht!« schrie Hasard und sprang in Deckung der Steuerbordkanone. Die Stenge krachte auf die Decksplanken. Ein paar Splitter rasten durch die Öffnung, unter der Pete Ballie am Kolderstock stand. Hasard sprang auf und lief zur M itte des Quarterdecks. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Ben Brighton unverletzt war. Hasard beugte sich über die Luke. »Alles in Ordnung, Pete?«
Pete zog sich fluchend einen Holzsplitter aus der Schulter. »Aye, aye, Hasard«, rief er wütend. Der Seewolf grinste. Er kannte den Grund für die Wut des Rudergängers nur zu gut. Er haßte es, hier unter dem Achterdeck am Kolderstock zu stehen, während seine Kameraden draußen den Pulverdampf schmeckten und die verdammten Freibeuter in die Hölle jagten. »Ruder hart Backbord!« Hasards Befehl wurde von Pete Ballie sofort ausgeführt, Plötzlich zeigte die ›Isabella‹ den beiden Karavellen die Breitseite. Es war ein gefährlicher M oment. Jetzt kam es darauf an, wie der Kapitän der zweiten Karavelle reagierte. Die erste hatte ihre Kanonen bereits abgefeuert. So schnell konnten die M änner nicht drehen oder nachladen, um eine zweite Breitseite auf die Galeone loszulassen. »Feuer!« brüllte Ferris Tucker. Diesmal hatte Hasard mit der kleinen Steuerbordkanone auf dem Quarterdeck gleichzeitig mit den anderen geschossen. Die Decksplanken vibrierten unter Hasards Füßen. Während Ben Brighton die ›Isabella‹ wieder auf halben Wind legte, lief Hasard zur Nagelbank vor. Er sah, wie die Kugeln der Galeone in die Takelage der beiden Karavellen einschlugen. Das Focksegel der einen wurde durchgeschlagen, und der Wind riß es sofort größer. Die zweite Karavelle feuerte jetzt, aber die Treffer in der eigenen Takelage hatten dem Schiff wahrscheinlich eine andere Neigung gegeben. Die Kugeln lagen um etwa zwanzig Yards zu kurz. Vier Wasserfontänen stiegen kurz vor dem Rumpf der ›Isabella‹ hoch. Hasard wartete jeden Augenblick darauf, daß die Karavellen drehten, um die Backbordbreitseite ins Gefecht zu bringen. Aber die Bretonen schienen die Nase voll zu haben. Sie fielen ab und segelten hinter den anderen beiden Schiffen her, die
dabei waren, ihre Kameraden aus dem Wasser zu fischen. »Sie kneifen den Schwanz ein!« schrie Donegal Daniel O’Flynn. Das Bürschchen stand außenbords auf der letzten Backbordkanone, die er gerade fertig geladen hatte. Sein rauchgeschwärztes Gesicht zeigte den Ausdruck des Triumphes. Sein blondes Haar hing ihm in wirren Strähnen in die Stirn, und seine Augen und seine Zähne blitzten in dem schwarzen Gesicht. Batuti und Blacky stimmten in das Triumphgeheul ein, und dann brüllten sie alle. Hasard stand schwer atmend neben Ben Brighton an der Nagelbank. Er ließ seine M änner diesen Augenblick auskosten. Doch nach ein paar M inuten machte er dem wilden Treiben auf dem M itteldeck ein Ende. Zuerst kam das Schiff. Ihren Erfolg feiern konnten sie immer noch. »Klarschiff!« rief er hinunter. »Und holt das verdammte Fockmarssegel endlich ‘runter. Ich kann das Knattern nicht mehr hören!« »Aye, aye, Sir!« rief Smoky und lief die Wanten des Fockmastes hinauf, als befinde er sich auf einer ebenerdigen Straße. Ferris Tucker jagte die M änner durcheinander. Viel mußte getan werden, um das M itteldeck wieder in einen ansehnlichen Zustand zu versetzen. Zwei M änner gingen an die Arbeit, die Wanten des Fockmastes zu spleißen, Batuti und Dan O’Flynn kümmerten sich um den Besan und räumten die zersplitterten Reste der Toppstenge beiseite. Der Rest kümmerte sich um die Geschütze, nur der Kutscher wurde in die Kombüse geschickt, damit das Essen fertig war, wenn die M änner ihre Arbeit beendet hatten. Hasard grinste Ben Brighton an. Sie hatten es einmal mehr geschafft. Hasard konnte sich über sein Glück wahrhaftig nicht beklagen.
»Wenn der Wind so bleibt, sind wir in zweieinhalb Tagen zu Hause«, sagte Ben Brighton. »Ich bin froh, wenn ich diese verdammte Prise endlich in Plymouth habe.« »Was soll uns jetzt noch passieren?« fragte Hasard grinsend und wollte sich abwenden, um zu seiner Kammer zu gehen. Der helle Schrei, der durch die Planken des M itteldecks gedämpft wurde, ließ sie alle zusammenzucken. Es war die Stimme des Kutschers, aus der die Panik herauszuhören war. Und was er schrie, das ließ Hasard die Haare zu Berge stehen. Ein Leck unter der Wasserlinie, das war das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten! Hasard dachte an den dumpfen Schlag, der die ›Isabella‹ erschüttert hatte, kurz bevor eine andere Kugel die Besantoppstenge heruntergeholt hatte. Verdammt, sie hatten alle geschlafen. Sie hatten den Sieg schon vor den Augen gesehen, und jetzt mußten sie sich vielleicht freiwillig dem Feind ergeben, wenn sie ihr Leben nicht verlieren wollten. 11. Ferris Tucker hatte das Loch in der Bordwand nur notdürftig stopfen können. Keuchend waren die M änner dabei, das M eerwasser außenbords zu pumpen. Die Ratten huschten über sämtliche Decks. Sie hatten die Bilge, die völlig überflutet war, verlassen und mußten sich einen neuen Platz suchen. Hasard schlug seine Faust krachend gegen einen Querbalken des Zwischendecks. Er konnte es einfach nicht fassen, daß das Glück sie im letzten M oment noch im Stich gelassen hatte. Es war nicht das Leck allein. Ferris Tucker war ein ausgezeichneter Zimmermann, und es bedeutete für ihn keine unüberwindliche Schwierigkeit, das Leck ganz abzudichten. Etwas anderes, viel Eklatanteres war hinzugekommen: das eingedrungene M eerwasser hatte den gesamten
Trinkwasservorrat verdorben. Vom Proviant hatte der Kutscher genügend retten können, aber das war gar nicht so wichtig. Ohne Essen konnten die M änner zur Not vierzehn Tage aushalten. M it dem Wasser war es etwas anderes. Wenn der Wind die Richtung beibehielt und in den nächsten Tagen in der gleichen Stärke blies wie jetzt, könnten sie es in gut zwei Tagen bis Plymouth schaffen. Aber es durfte nicht das geringste dazwischenkommen, dann waren sie alle geliefert. Sie wären wahrhaftig nicht das erste Schiff, das ein Sturm weit in den Atlantik hinaustrieb. Ferris Tucker zuckte mit den Schultern. Damit wollte er sagen, daß die Entscheidung jetzt bei Hasard lag. »Sieh zu, Ferris, daß du das Loch so schnell wie möglich abdichtest«, sagte er verbissen und wandte sich um. Er stieg den Niedergang hinauf und wandte sich zum Quarterdeck, wo Ben Brighton stand und ihn anschaute. In einem anderen M oment hätte sich Hasard über die fragenden Blicke gefreut, bewiesen sie doch, daß sie ihm vertrauten und von ihm erwarteten, daß er sie aus dieser bösen Situation herausholte. Schweigend ging er an Brighton vorbei und verschwand irn Gang, der zur Kapitänskammer führte. Dort setzte er sich an den Schreibtisch und stützte den Kopf mit beiden Händen. Doch so angestrengt er auch nachdachte, es gab keinen Ausweg aus dieser Lage, der nicht mit großen Risiken verbunden war. Er richtete sich auf, überlegte einen M oment und zog dann entschlossen die Seekarte von der französischen Küste zu sich heran. Durch den Kampf mit den bretonischen Karavellen waren sie fast bis auf den vierten Längengrad abgetrieben worden. Es war nicht mehr weit bis zur französischen Küste, aber gerade die Küste zwischen Quiberon und Brest wimmelte nur so von Schiffen. Und um in der Nacht irgendeine der
kleinen Buchten anzulaufen, dazu kannte er die Küste nicht gut genug. Die einzige M öglichkeit war vielleicht Belle Ile, eine große Insel südlich von Quiberon. Hasard hatte keine guten Erinnerungen an sie. Einmal hatte es sein Vater mit seiner »Glorious« gewagt, die Insel unter Tage anzulaufen. Die Fischer hatten sich nicht einmal von seinen Kanonen ins Bockshorn jagen lassen. Sie hatten ihn mit allen ihren kleinen Schiffen und Booten angegriffen, und ihm war nichts weiteres übriggeblieben, als das Weite zu suchen. Und die ›Isabella‹ hatte nicht einmal ein Boot an Bord. Hasard verfluchte sich abermals, daß er vor dem Kampf mit den beiden Galeeren nicht das Dinghi an Bord gehievt hatte. Sie mußten es trotzdem wagen. Hasard trat durch die Tür auf die Heckgalerie hinaus und blickte zur Sonne hoch. Wenn sie auf Nordwest drehten, würden sie die Insel in der Abenddämmerung erreichen.
In den späten Nachmittagsstunden war es Ferris Tucker endgültig gelungen, das Eindringen des Wassers zu stoppen. Das Leck war absolut dicht, er hatte es von innen verkeilt. Die Sonne stand im Westen nur noch halb über der Kimm, und Dan O’Flynn, der im Vormars saß, hatte bereits Land gesichtet. Hasard hatte das Großsegel aufgeien lassen, damit sie nicht noch während der Dämmerung zu nahe an die Insel herankamen. Nur wenige Wolken waren am Himmel zu sehen. Hasard hoffte, daß es in der Nacht so blieb. Während der graue Streifen über der westlichen Kimm immer enger wurde und die schmale Sichel des zunehmenden M ondes das Wasser vor ihnen in ein milchiges Licht tauchte, schickte
Hasard einen M ann mit dem Lot nach vorn auf die Backgrating. Sie mußten so dicht wie möglich an die Küste der Insel heran, damit Blacky, Smoky und Daniel O’Flynn, die Hasard sich für dieses Kommando ausgesucht hatte, nicht schon zu erschöpft waren, wenn sie das Ufer erreichten. Bald hob sich der dunkle Schatten des Landes vom Wasser ab. Die ersten leisen Rufe des Lotgastes klangen auf. Ben Brighton hatte bis auf das neue Fockmarssegel sämtliche Leinwand aufgeien lassen. Leise schwappten die Wellen gegen die Bordwand der Galeone. Hasard stand mit den drei M annern an Backbord und blickte zur Insel hinüber. Weitab waren die Lichter eines Fischerdorfes zu erkennen. Die anderen M anner der Besatzung hatte die Wasserfässer an Deck geschafft und an jedes ein Tau gebunden, mit dem sie die Fässer zu Wasser lassen wollten »Genug, Ben!« rief Hasard leise, als er vom Lotgast hörte, daß die ›Isabella‹ nur noch ein paar Handbreiten Wasser unter dem Kiel hatte. Ohne ein weiteres Wort schwang er sich über das Schanzkleid und stieg an der außenbords hängenden Jakobsleiter hinunter. Lautlos ließ er sich ins Wasser gleiten. Das Wasser war kälter, als er gedacht hatte. Wahrscheinlich lag es an dem Sturm der vergangenen Nacht, der das kalte Wasser des Atlantik in die Biskaya getrieben hatte. Hasard sah, wie Blacky, Smoky und Dan O’Flynn neben ihm im Wasser schwammen. Die Wasserfässer schwebten herunter. Eines schlug dumpf gegen die Bordwand, und Ferris Tuckers dunkle Stimme murmelte einen Fluch. Hasard packte das erste Faß und löste es vom Tau. Er wartete, bis die anderen drei soweit waren, dann schwammen sie mit gleichmäßigen Zügen auf die Küste zu. Er achtete darauf, daß sie beieinander blieben. Ab und zu tastete seine Hand zu seiner Brust, wo er unter dem
Segeltuchhemd seine doppelschüssige Pistole verborgen hatte, die er in geteertes Segeltuch eingewickelt hatte. Je näher sie der Küste kamen, desto wärmer wurde das Wasser. Die ›Isabella‹ war nur noch als dunkler Schatten zu erkennen. Ben Brighton hatte von Hasard den Befehl erhalten, keinen Anker zu werfen, um jederzeit die Flucht ergreifen zu können. Beim ersten Anzeichen von Gefahr würden der Bootsmann die Galeone nach Süden steuern und ein paar Kanonenschüsse zum Fischerdorf hinüberschicken, um die Aufmerksamkeit von den vier M ännern abzulenken. Sie waren fast eine halbe Stunde geschwommen, als Hasard an den weißen Streifen der brechenden Wellen erkannte, daß sie den Strand erreicht hatten. Er ließ seine Füße sinken und berührte Grund. Sie hatten nur die kleinen Fässer mitgenommen, aber die waren schwer genug. Am Strand ließen sie sich keuchend im Sand nieder und verschnauften ein paar M inuten. Hasard blickte sich um. Der Strand war an dieser Stelle sehr schmal. Ein paar Yards weiter stiegen schon die dunklen Felsen in den Himmel, ehe ihnen den Weg aufs Land versperrten. »Los, M änner«, sagte Hasard leise. »Schnappt euch die Fässer. Wir werden heute nacht eine M enge Glück brauchen.« Hasard hörte ein paar gemurmelte Worte, dann marschierte er den Strand entlang. Nach etwa hundert Yards sackte die felsige Küste ab, und die M änner konnten ohne große Anstrengung vom Strand aus hinaufsteigen. Das scharfe Gras, das im Sand wuchs, schnitt Blacky in die Füße. Er fluchte unterdrückt, war aber sofort wieder still, als Hasard leise zischte. Dann sahen sie es alle vier. Knapp hundert Yards vom Strand entfernt leuchtete ein kleiner Lichtpunkt durch die Nacht. Hasards Herz schlug ihm bis zum Hals.
Sollte das Glück wieder zu ihnen zurückgekehrt sein? Er setzte sein Faß ab und gab den anderen ein Zeichen, daß sie zurückbleiben sollten. Er wollte das Gelände erst einmal erkunden. Lautlos verschwand er in der Nacht. Der Lichtschein stammte von einem kleinen Fenster einer Fischerhütte. Hasard hoffte, daß kein Hund um das Haus herumstrich, der ihn mit seinem Bellen verraten konnte. Hinter einer aus Steinen aufgeschichteten M auer kauerte er sich nieder und blickte zu dem erleuchteten Fenster hinüber. An der Ecke des Hauses sah er, was er suchte. Eine große Regentonne! Hasard zögerte nicht länger. Geduckt lief er den Weg zurück. Er berichtete, was er entdeckt hatte und hob dann sein Faß hoch. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Sie hielten sich nicht an der niedrigen M auer auf, die den Hof des Fischerhauses umgab. Hasard steuerte auf die Regentonne zu, als Donegal Daniel O’Flynn plötzlich stehenblieb und einen leisen Pfiff ausstieß. »Da!« flüsterte er und wies auf ein dunkles Gebilde, das sich als Schatten von dem helleren Boden des Hofes abhob. »Eine Pumpe!« Er wartete die Antwort der anderen nicht er ab. Schon stand sein Faß unter dem gebogenen Hahn der Pumpe. Er riß den Deckel ab, den Ferris Tucker mit geteerter Leinwand umwickelt hatte, damit er festsaß und kein Wasser auslaufen konnte. Der eiserne Arm der Pumpe kreischte durch die Stille der Nacht. Die vier M änner zuckten zusammen, als hätte ihnen jemand eine Peitsche übergezogen. Hasard erfaßt die Situation sofort. Er stellte sein Faß zu Boden und zischte: »Komm, Blacky!« Der große M ann gehorchte blindlings. Er stellte sein Faß ebenfalls ab und lief hinter Hasard auf das Haus zu. Er erreichte es in dem Augenblick, als die Tür aufgerissen wurde
und ein M ann heraustrat. Bevor der M ann etwas sagen konnte, hatte Blacky ihm den muskelbepackten Arm um den Hals gelegt und preßte ihm die Luft ab. Der M ann begann zu würgen und um sich zu schlagen Es half ihm nichts. Blackys Griff war wie ein Schraubstock, Hasard hatte inzwischen seine Pistole aus dem Tuch gewickelt und stürmte ins Haus, Sekunden später tauchte er wieder auf. »Der Mann ist allein!« rief er leise über den Hof. »Pumpt die Fässer voll!« Dan OTlynn und Srnoky begannen sofort mit der Arbeit. Das Kreischen des Pumpenschwengels schmerzte in den Ohren, Blacky hatte dem Fischer die Faust hinters Ohr gesehlagen Bewußtlos war der M ann zusammengebrochen. In der Hütte lagen genügend Seile herum, Blacky verschnürte den Fischer damit wie ein Paket. Auf einen Knebel verzichtete er. Wenn durch das Kreischen der Pumpe niemand herbeigelockt wurde, dann konnte ihnen auch das Schreien des Fischers nicht gefährlich werden. Die vier M änner, die seit dem M orgen nichts mehr getrunken hatten, schöpften sich mit den Händen das köstliche kühle Wasser in den M und. Dann schlugen sie die mit Leinwand umwickelten Deckel fest auf die Fässer. Hasard wandte sich an Donegal Daniel Q’Flynn. »Wir beide werden nach einem Boot suchen«, sagte er. »Blacky und Smoky schaffen die Fässer hinunter an den Strand. Ihr wartet genau eine halbe Stunde auf uns Wenn wir bis dahin nicht zurück sind, schnappt ihr euch jeder ein Faß und schwimmt zur ›Isabella‹ hinüber. Vergeßt aber nicht, das verabredete Lichtzeichen zu geben, damit Ben weiß, wo er euch zu erwarten hat.« »Aye, aye«, sagte Blacky brummend, bückte sich, lud sich eines der schweren Fässer auf den breiten Rücken und stampfte auf den Weg zu, der hinunter zum Strand führt.
Smoky folgte ihm, während Hasard und Dan O’Flynn einen Abstieg weiter östlich suchten. 12. Hasard fluchte leise. Er hatte im stillen damit gerechnet, daß sie in der Nähe des Hauses ein Boot am Strand finden würden. Aber höchstwahrscheinlich lag das Boot des Fischers, den sie überwältigt hatten, bei den anderen Booten in der kleinen Bucht, wo sie die Lichter des Dorfes sahen. Hasard und Donegan O’Flynn liefen in einem stetigen Trab den Strand entlang. Die Lichter wurden schnell größer. Hinter einem großen Felsen, der ihnen die Sicht versperrte, leuchtete Feuerschein auf. Und dann hörten sie plötzlich Stimmen. Sie blieben stehen und lauschten. Ein glockenhelles Lachen ertönte. Andere Stimmen fielen ein. Ein Instrument wurde gezupft, und M änner begannen zu singen. Verdammt, das hatte ihnen noch gefehlt! Wahrscheinlich feierten die jungen Leute des Dorfes ein nächtliches Fest am Strand. Wie sollten sie an diesen M enschen ungesehen vorbeikommen? Die Zeit brannte ihnen unter den Nägeln. Wenn sie erst über die Felsen klettern mußten, um auf einem Umweg zum kleinen Hafen zu gelangen, würden sie es niemals schaffen, in einer halben Stunde an der Stelle zurückzusein, an der sie Blacky und Smoky verlassen hatten. Dan O’Flynn hatte sich am Felsen hochgeschoben und blickte über ihn hinweg auf das lustige Treiben, das sich um ein großes Strandfeuer abspielte. Hasard lag wenig später neben ihm. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich das Gesicht des blonden Jungen zu einem Grinsen verzogen hatte. »Sechs Franzmänner«, flüsterte er. »Die müßten wir
eigentlich schaffen. Dann schnappen wir uns die süßen Puppen, packen sie in das Boot und pullen sie zur ›Isabella‹ hinaus.« Hasard hatte nicht auf die Worte O’Flynns geachtet. Sein Blick war starr auf das kleine Boot gerichtet, das etwa dreißig Yards vom Strandfeuer entfernt an Land gezogen war und nur mit dem Heck leicht in der sanften Dünung schaukelte. Dieses Boot mußten sie haben! Die Frage war nur, wie sie es sich unter den Nagel reißen konnten, ohne daß die jungen Bretonen etwas davon bemerkten. Hasard rutschte am Felsen hinunter und zog Q’Flynn am Hosenbein, der sich von dem Anblick der jungen M ädchen nicht lösen konnte. Als er neben Hasard in den weichen Sand sprang, fragte er leise und mit leuchtenden Augen: »Wollen wir uns anschleichen oder mit Gebrüll auf sie los?« »Laß den Quatsch, Dan«, flüsterte Hasard und zog seine doppelschüssige Pistole hervor. »Paß auf! Du schwimmst hinaus und näherst dich dem Boot vom Wasser aus. Du ziehst es vom Strand, aber möglichst so, daß es niemand bemerkt. Ich werde hier am Felsen bleiben und sie in Schach halten, falls du entdeckt wirst. Dann ruderst du so schnell wie möglich hinüber zu Blacky und Smoky. Bis ihr die Wasserfässer eingeladen habt, bin ich bei euch, klar?« »Können wir nicht wenigstens eine von ihnen …« Hasard unterbrach den blonden Jungen grinsend: »Hast du’s überhaupt schon mal mit einer Engländerin versucht? Einem so unerfahrenen Burschen wie dir würde eine Bretonin glatt den Kopf abreißen!« O’Flynn murmelte einen Fluch, und ehe er sieh noch etwas von Hasard anhören mußte, verschwand er in der Dunkelheit. Hasard hörte nur ein leises Plätschern, als der Junge ins Wasser stieg. Dann kletterte er wieder den Felsen hinaus und legte sich auf die Lauer. Er untersuchte die Pistole sorgfältig, ob sie nicht
doch naß geworden war. Dann erst schüttete er das Pulver auf die Pfannen, zielte auf die jungen Leute am Feuer und beobachtete aus den Augen heraus das Boot. Es dauerte nur M inuten, bis Hasard die Bewegung am Heck des Bootes sah. Dan hob es etwas an, und Hasard meinte ein leises Knirschen im Sand zu hören, als der Junge es ein Stück weiter ins Wasser zog. Hasard hielt den Atem an. Seine Augen waren jetzt auf die jungen Franzosen gerichtet. Ein junger M ann und ein M ädchen tanzten nach einer lustigen M elodie. Die anderen saßen im Kreis um sie herum und klatschten in die Hände. Wieder dieses Knirschen. Hasard zuckte regelrecht zusammen. Aber noch hatten die jungen Leute nichts bemerkt. Jetzt schwamm das Boot auf den Wellen! Hasard sah, wie sich der Schatten Dans über dem Heck des Bootes erhob. Geräuschlos glitt er hinein und schlängelte sich unter der Ducht hindurch nach vorn. Lautlos hob er einen der beiden Riemen und legte ihn in die Rundsel an Steuerbord. Dann nahm er den anderen Riemen auf. Er schafft es, dachte Hasard erleichtert. Sie merken nicht einmal, daß ihnen ihr Boot unter dem Hintern weggeklaut wird! Hasard hatte sich getäuscht. Als Dan den Backbordriemen in die Rundsel schob, geschah es. Einer der Bretonen hatte bemerkt, daß mit dem Boot etwas nicht stimmte. Er rief seinen Kameraden etwas zu und lief auf das Boot zu, um es wieder an Land zu ziehen. In diesem Augenblick sprang Dan O’Flynn auf, packte den Steuerbordriemen und drehte das Boot mit ein paar kräftigen Schlägen herum. Hasard durfte nicht länger zögern. Die Füße des Bretonen hatten das Wasser schon fast erreicht, da schickte Hasard die erste Kugel aus seiner Pistole.
Dicht vor den Füßen des jungen Franzosen spritzte sie Sand hoch. Der Knall der Waffe stand klar in der kühlen Nachtluft. Der M ann blieb abrupt stehen und wirbelte herum. »Halt! Keine Bewegung!« brüllte Hasard, obwohl er wußte, daß die M änner seine Worte nicht verstanden. Aber er versprach sich von seinem Gebrüll eine moralische Wirkung. Das Bürschchen hatte sich auf die Ducht gesetzt und pullte jetzt, als wolle er sich mit dem kleinen Boot auf den Weg nach England machen. Hasard sah aus den Augenwinkeln, wie er langsam in der Dunkelheit verschwand. Doch dann mußte sich Hasard wieder auf die Franzosen konzentrieren, die ihren Schreck überwunden hatten. Die M ädchen hatten sich verschreckt aneinandergedrängt und blickten mit großen Augen auf den dunklen Felsen, hinter dem der M ann hocken mußte, der geschossen hatte. Die jungen M änner verständigten sich mit ein paar Worten. Hasard hatte den kurzen Überraschungsmoment genutzt, die erste Ladung seiner Pistole zu erneuern. Er hatte gerade wieder Pulver auf die Pfanne des ersten Radschlosses geschüttet, als die jungen M änner ihren ersten Schreck überwunden hatten und zu dritt auf den Felsen losstürmten, hinter dem sich der Feind verbarg. Hasard brüllte wieder. »Bleibt stehen, ihr verdammten Hornochsen! Sonst schluckt ihr heißes Blei!« Er sah, wie sich zwei der jungen M änner und die M ädchen abwandten und in Richtung Dorf davonliefen. Dort hatte man sicher den Schuß vernommen und sich bereits seinen Teil gedacht. Hasard wußte, wie mißtrauisch und angriffslustig die Fischer von der Belle Ile waren. Er zielte sorgfältig. Er wollte keinen der jungen M änner verwunden oder gar töten. Die Kugel, die dicht vor den Füßen des ersten M annes Sand hochspritzte, hielt die jungen Burschen nur kurz auf.
Wahrscheinlich glaubten sie, er hätte seine einzige Kugel verschossen. Hasard jagte die zweite gleich hinterher. Er hatte nicht mehr genau zielen können, denn in dem M oment, in dem er abdrückte, verlor sein linker Fuß den Halt am Felsen. Er rutschte ab. Hasard hörte im Fallen einen heiseren Schrei. Wahrscheinlich hatte die Kugel einen der M änner getroffen. Hasard hoffte, daß die Verwundung nicht zu schlimm war. Ihm blieb keine Zeit mehr. Dan O’Flynn war mit dem Boot sicher schon ein gutes Stück vorangekommen. Und wenn sie Blacky und Smoky erreichten, brauchten sie sich vor einer Auseinandersetzung mit den drei oder vier jungen Bretonen nicht mehr zu fürchten. M it langen Sätzen jagte Hasard am Strand entlang. Das Laufen im weichen Sand strengte mächtig an. Er spürte, wie sich seine M uskeln in den Waden langsam verhärteten. Vor sich hörte er die laute Stimme Blackys, der den Jungen mit dem Boot entdeckt hatte, und als Hasard seine M änner erreichte, hatten sie bereits alle vier Fässer eingeladen. Die Bretonen waren verdammt schnell auf den Beinen. Ihre Schatten hoben sich vom hellen Strand deutlich ab. Wahrscheinlich hatten sie Blacky und Smoky, die bis zu den Knien im Wasser standen, nicht gesehen, sonst wären sie sicher stehengeblieben und hätten Hasard nicht weiter verfolgt. So liefen sie genau in die Falle. Hasard blieb plötzlich stehen und warf sich den drei Burschen entgegen. Ehe sie sich auf die veränderte Situation einstellen konnten, krachte Hasards Faust bereits gegen das Kinn des ersten M annes. Der junge Bretone überschlug sich fast. Er landete mit dem Gesicht im Sand. Benommen richtete er sich wieder auf und spuckte den Sand aus, den er im M und hatte, Den nächsten Franzosen mähte Hasard mit einem Rundschlag nieder.
Der Bursche heulte auf und hielt sich die Nase, aus der Blut schoß und auf sein Hemd spritzte. Der dritte hatte seine Chance genutzt. Er war Hasard von hinten angesprungen und versuchte, ihm die Luft abzuschnüren. Da war Blacky heran. Er schnappte den Franzosen im Genick, zog ihn von Hasards Rücken und hielt ihn am aus gestreckten Arm von sich. »So was«, sagte er. »Einen M ann von hinten anspringen! Wo gibt’s denn so was?« M it der flachen Hand schlug er zu, daß der Kopf des jungen Burschen hin und her flog. Der vierte M ann, der Hasard verfolgt hatte, war in einiger Entfernung stehengeblieben und traute sich nicht näher heran. Hasard war es nur recht. Sie hatten keine Zeit, sich hier am Strand mit den Franzosen herumzuprügelh. Sicher waren die Fischer im Dorf schon alamiert. Und sie hatten andere Sachen auf Lager als diese jungen Kerle, das wußte Hasard nur zu gut. »Laß ihn los. Blacky«, sagte er hastig, »rein ins Boot! Wir müssen so schnell wie möglich von hier verschwinden.« Er streute ein bißchen Pulver auf die Fackel, die Smoky ihm reichte, und schlug zwei Feuersteine aneinander. Zischend begann die Fackel zu brennen. Hasard schwenkte sie ein paarmal hin und her. Es war das verabredete Zeichen für Ben Brighton, von wo er die M änner zu erwarten hatte. Hasard scheuchte Blacky und Smoky ins Boot. Dan hatte für sie die Ducht geräumt. Die beiden kräftigen M änner schnappten sich die Riemen, und nachdem Hasard sich übers Dollbord geschwungen hatte, legten sie los. Hasard reichte die Fackel dem Bürschchen Dan hinüber, der im Bug saß und ihn angrinste. Hasard war froh, daß das Unternehmen bisher so gut geklappt hatte. Jetzt hatten sie genügend Wasser, um noch eine ganze Woche auf See zu bleiben. Er hoffte, daß die Fischer von der Belle Ile den Zwischenfall
nicht so ernst nahmen und alles dransetzten, die Bootsdiebe zu erwischen.
Hasard atmete auf, als er die beiden Fackeln an Bord der ›Isabella‹ aufleuchten sah. Im nächsten Augenblick zuckte er zusammen. Dicht neben dem Boot stieg eine kleine Wasserfontäne hoch Nur Sekundenbruchteile später hörte er den entfernten Knall einer M uskete. »Weg mit der Fackel!« fauchte er Dan O’Flynn an, der sie sofort ins Wasser warf, wo sie zischend erlosch. Blacky und Smoky legten sich noch kräftiger in die Riemen. Sie hatten die dunklen Schatten auf dem glitzernden Wasser, die sich schnell näherten, bereits entdeckt. Hasard drehte sich um. Was er sah, ließ seinen Atem stocken. Die verdammten Fischer hatten schnell reagiert. Sie hatten ein halbes Dutzend Boote bemannt und waren drauf und dran, ihnen den Weg zur ›Isabella‹ abzuschneiden. Wieder fauchte eine M usketenkugel heran, aber diesmal lag sie ein paar Yards hinter dem Boot. Hasard hörte das Brüllen der Fischer, die sich gegenseitig zuriefen, was sie entdeckt hatten. Sie mußten die Fackeln auf der ›Isabella‹ bereits gesehen haben, und Hasard hoffte nur, daß die Fischer sich an so ein großes Schiff nicht heranwagten. Sicher war er sich dessen nicht. Die Sturheit der Bretonen war auf allen M eeren bekannt. Blacky und Smoky lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Aber sie ließen in ihrem Tempo nicht einen M oment nach. Hasard lud seine Pistole nach. In der Dunkelheit war das
keine einfache Sache, doch er schaffte es. Er lauschte wieder auf die Stimmen der Fischer, die sich jetzt ruhiger verhielten, um ihre Positionen nicht zu verraten. Außer dem Plätschern, das die Riemen des kleinen Bootes verursachten, und dem Keuchen von Blacky und Smoky war nichts zu hören. Dan O’Flynn stieß plötzlich einen überraschten Laut aus. Er wies mit dem rechten Arm auf einen schmalen Schatten, der von Backbord heranschoß. Hasard zögerte nicht lange. Er hob die Pistole und zielte. Diesmal kannte er keine Rücksicht, denn es ging um ihr Leben Hasard kannte die Fischer von der Belle Ile gut genug, um zu wissen, daß sie nicht mehr lange zu leben hatten, wenn sie den Fischern in die Hände fielen. Er zielte eine Handbreit über den Schatten, der das Dollbord des Bootes sein mußte. Er jagte beide Ladungen nacheinander aus dem Lauf. Sie hörten die Schreie. Wasser spritzte auf, als die Riemen des Fischerbootes durcheinander gerieten. In Sekundenschnelle war der Schatten wieder verschwunden. Hasard duckte sich instinktiv, als Feuerblitze aufleuchteten Aber die Franzosen hatten mit ihren M usketen zu schlecht gezielt. Hasard sah nicht einmal, wo die Kugeln ins Wasser schlugen. Jetzt ertönten wieder laute Stimmen, und dann schrie einer der Franzosen: »Louis est mort!« Ein Schrei der Entrüstung und der Wut hallte über das Wasser. Wieder blitzten M ündungsfeuer auf, und an ihrer Richtung glaubte Hasard zu erkennen, daß die Fischer auf die ›Isabella‹ schossen. Hasard schätzte die Entfernung zur Galeone ab. Es waren höchstens noch hundert Yards. Er verfluchte die Sandbank, die vor der Bucht lag. Wegen ihr hatte sich die Galeone nicht dichter an die Küste heranwagen können. Das Wasser lief bereits wieder auf See hinaus. Die Ebbe hatte
eingesetzt. Wenn Ben Brighton nicht höllisch auf der Hut war, saß er mit der ›Isabella‹ plötzlich auf Grund. Wieder tauchte ein Schatten in ihrer Nähe auf. Hasard hörte das Klatschen der Riemen. Nur noch fünfzig Yards zur ›Isabella‹, deren Schatten sich bereits wie eine mächtige Burg aus dem Wasser hob. Hasard hörte die Stimme von Ferris Tucker, und dann schien die Hölle aufzubrechen. Von der Back der Galeone fauchte wie aus einem Höllenschlund eine lohende M ündungsflamme. Eisensplitter zischten durch die Luft und prasselten wenig später dicht vor dem Schatten, den Hasard an Backbord erkannt hatte, ins Wasser. Ein paar pochende, dumpfe Laute verrieten Hasard, daß einige Eisensplitter den Rumpf des Bootes getroffen hatten. Die Fischer brüllten durcheinander. Hasard hörte den Zorn in ihren Stimmen. Hoffentlich begriffen sie, daß ihnen der M ann an Deck der Galeone nur einen Warnschuß vor den Bug gesetzt hatte. Hasard glaubte Ferris Tuckers Entschlossenheit gut genug einschätzen zu können, um zu wissen, daß er beim nächsten M al keinen Pardon mehr geben würde. Die Bordwand der Galeone tauchte vor ihnen auf. Taue flogen über das Schanzkleid des M itteldecks. Hasard und Dan O’Flynn packten zu. »Zuerst die Wasserfässer!« sagte Hasard zischend. Er erhob sich und schlang ein Tau um eins der Fässer. Dan nahm sich ebenfalls eins vor. »Hievt an!« rief Hasard leise. »Aber vorsichtig!« Die beiden Fässer verschwanden nach oben. Ben Brightons Stimme klang vom Quarterdeck. Er gab Befehl, alle Segel zum Setzen bereitzuhalten. Die nächsten Taue flogen herab. Jetzt hatten sich Blacky und Smoky so weit erholt, daß sie mit anpacken konnten. »Befestigt das Boot!« sagte Hasard scharf. »Ich will es unbedingt an Bord haben, klar?«
»Aye, aye«, erwiderte Blacky keuchend. Die letzten beiden Fässer schwebten nach oben. Hasard packte die Jakobsleiter, kletterte hinauf und schwang sich über das Schanzkleid. »Alles klar, Ben!« rief er. »Wir können lossegeln!« Plötzlich herrschte lautes Treiben an Bord. Die M änner gaben sich keine M ühe mehr, leise zu sein. Ben Brighton brüllte seine Befehle über Deck, und Ferris Tucker verfluchte die halsstarrigen Bretonen, die es einfach nicht ertragen konnten, eine Niederlage hinzunehmen. »Haut ab und legt euch auf die Mutter!« schrie er ihnen in einem ordinären Französisch zu, daß ihm ein versoffener Holländer beigebracht hatte. Ein Wutschrei aus vielen Kehlen war die Antwort. M usketenschüsse wurden abgefeuert, und eine Kugel klatschte dicht neben Ferris Tucker in den Fockmast. Das war zuviel für den Schiffszimmermann. Er wirbelte die zweite Drehbasse herum und hielt den brennenden Span in seiner linken Hand an das Zündloch. Donnernd entlud sich das schlanke Geschütz. Ferris Tucker hatte diesmal etwas höher gehalten. Die Ladung Eisen zerriß den Bug des Fischerbootes. Hasard, der aufs Quarterdeck gestiegen war, sah, wie das Boot sofort absackte. Die ›Isabella‹ drehte ihren Bug hinaus aufs M eer. Die Segel füllten sich mit dem sanften Wind, der von Land wehte, und die auslaufenden Wasser der Ebbe taten das Übrige, daß die Galeone schnell an Fahrt gewann. Hinter ihnen blieben die fluchenden und schreienden bretonischen Fischer zurück. Die anderen Boote hatten jetzt genug damit zu tun, die M änner des sinkenden Bootes zu bergen. Fackeln leuchteten auf. Zuckende Flammen wurden vom leicht gekräuselten Wasser reflektiert. Einer der Fischer feuerte noch seine M uskete auf die davoneilende Galeone ab, aber die
Kugel konnte keinen Schaden mehr anrichten. Die Entfernung war bereits zu groß. Immer kleiner wurden die Lichter, die hinter ihnen zurückblieben. Hasard legte Ben Brighton die Hand auf die Schulter. Es war eine stumme Geste, aber der Bootsmann verstand sie. Er hoffte genau wie der Seewolf, daß sie die nächsten drei Tage, die sie noch für ihre Fahrt nach Plymouth benötigten, ohne Zwischenfälle zurücklegen konnten. Hasard zog sich in die Kapitänskammer zurück und legte sich auf seine Koje, nachdem er die nassen, klammen Sachen ausgezogen hatte. Er verschränkte die Hände unter dem Kopf, und ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er daran dachte, was für ein Gesicht Francis Drake machen würde, wenn er ihm die Seekarten von der Neuen Welt überreichte. Doch noch war es nicht soweit. Drei Tage auf See, und das in der Nähe der französischen Küste - sie brauchten schon eine M enge Glück, wenn sie ungeschoren Plymouth erreichen wollten. Hasard dachte an die vier Karavellen der bretonischen Freibeuter. Er konnte sich nicht vorstellen, daß sie sieh in ihre Heimathäfen zurückgezogen hatten, um ihre Wunden zu lecken. Vielleicht lauerten sie irgendwo da draußen vor der bretonischen Halbinsel, die weit in den Atlantik hinausragte …
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Band 16
Duell in der Piratenbucht von John Curtis Philip Hasard Killigrew betete aber der Himmel schickte ihm keinen Sturm. Er wußte, daß ihm vier schnelle bretonische Karavellen folgten. Sie waren eine tödliche Gefahr für die ›Isabella von Kastilien‹, die 30 Tonnen Silber für Englands Krone an Bord hatte. Und auf einer der Karavellen war »La Roche, der Hai«, der sich an Hasard rächen wollte. Doch auch der Seewolf hatte Zähne, und die zeigte er, als der Kampf auf Leben und Tod unausweichlich geworden war... PHILIP HASARD KILLIGREW wurde Seewolf genannt, denn er war der Härteste in der Seeraubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der Marygold - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.